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German Pages 284 Year 2008
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 201
Studien zum Gefahrurteil im Strafrecht Ein Abschied vom objektiven Dritten
Von
Niclas Börgers
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
NICLAS BÖRGERS
Studien zum Gefahrurteil im Strafrecht
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 201
Studien zum Gefahrurteil im Strafrecht Ein Abschied vom objektiven Dritten
Von
Niclas Börgers
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Helmut Frister, Düsseldorf. Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Sommersemester 2007 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 61 Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: werksatz · Büro für Typografie und Buchgestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-12738-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen lieben Eltern
Vorwort Diese Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Wintersemester 2006/07 als Dissertation vor. Bis Ende 2007 erschienene Literatur konnte zum Teil noch in den Fußnoten berücksichtigt werden. Für ihre Aufnahme in die Schriftenreihe „Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge“ danke ich den Herren Professoren Dr. Dr. h. c. Friedrich-Christian Schroeder und Dr. Andreas Hoyer. Die Arbeit wurde mit dem Preis der Goethe-Buchhandlung für die „Beste Dissertation des Jahres 2007 der Juristischen Fakultät“ ausgezeichnet. Dafür sowie für den großzügigen Druckkostenzuschuss des Freundeskreises der Düsseldorfer Juristischen Fakultät e.V. möchte ich mich ebenso bedanken. Der Juristischen Fakultät und ihren Angehörigen danke ich für meine Ausbildung, eine sehr schöne Zeit sowie die vielseitige Unterstützung des Promotionsvorhabens. Mein Dank gilt vor allem Herrn Professor Dr. Horst Schlehofer für die Anfertigung des Zweitgutachtens, den (früheren) Kollegen am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Martin Alberring. Für die Korrektur der Druckfahnen bin ich Tobias Schneiders und Valerie Winterhalder sehr verbunden. Besonders herzlich danken möchte ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Helmut Frister, von dem ich als Student und Mitarbeiter sehr viel lernen durfte. Die unzähligen Diskussionen über sein Studienbuch sind der Ausgangspunkt meiner nachfolgenden Überlegungen, die er stets kritisch und interessiert begleitet hat. Düsseldorf, im Sommersemester 2008
Niclas Börgers
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Kapitel 1 Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Gefahrurteil im Deliktsaufbau der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . 1. Die Verhaltensgefährlichkeit als Differenzurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhaltensgefährlichkeit als Merkmal des Erfolgsdeliktstatbestandes . . a) Die Sachverhaltsbasis des ex ante-Urteils im objektiven Tatbestand aa) Irrtümer der Maßstabsperson: Korrekturen bei Risikobegriff oder Erfolgszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Einfluss des Sonderwissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die dogmatische Verortung der Sonderfähigkeiten . . . . . . . . . . b) Der Gefährdungsvorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Individuelle Gefährdungserkennbarkeit als Merkmal der Fahrlässigkeitsschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Eignung zur Gefahrabwendung als Verhaltensmerkmal des Rechtfertigungstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Sachverhaltsbasis des ex ante-Urteils im objektiven Rechtfertigungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Vorsatz hinsichtlich der Ungeeignetheit zur Gefahrabwendung analog § 16 I 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Individuelle Erkennbarkeit der Ungeeignetheit zur Gefahrabwendung als Fahrlässigkeitsschuldmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Analyse und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektive ex ante-Betrachtung als objektive Erkennbarkeit . . . . . . . . . . a) Friktionen bei ausschließlicher ex post-Korrektur der Risikorealisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erkennbarkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . c) Erkennbarkeit des Fehlens rechtfertigender Umstände . . . . . . . . . . . 2. Fehlender Einfluss auf die Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Abhängigkeit der objektiven ex ante- von einer vorherigen ex postGefahrbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 28 29 32 34 38 41 43 44 45 46 46 48 49 50 50 51 52 53 54 55
B. Das objektive ex post-Gefahrurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
10
Inhaltsverzeichnis I.
Das Verwertungsverbot für später eingetretene Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Trugschluss von der Verletzung auf die Verhaltensgefährlichkeit . . 2. Die Zeitlosigkeit des Gefährdungserfolges als Voraussetzung seiner Bestimmung anhand einer späteren Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur beschränkten Transformierbarkeit von nachträglich eingetretenen Tatsachen in einen Erfahrungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Irrelevanz der als determiniert angesehenen Kausalverläufe . . . . . . . . . 1. Das Verhältnis von Notwendigkeits- und Gefahrurteil . . . . . . . . . . . . . . 2. Die praktische Unmöglichkeit der Formulierung strikter Erfahrungssätze und ihre Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Formalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einbeziehung sicherer zukünftiger Tatsachen in die ontologische Urteilsbasis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterscheidung zwischen Naturgesetzen und Erfahrungssätzen mit beschränkter zeitlicher Gültigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Die Problematik einer objektiven ex ante-Prüfung von Tatbestands- und Rechtfertigungsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unbestimmtheit des Wissens eines künstlichen Beobachters . . . . . . . . . . . . II. Verwirrungen zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven . . . . . . . . . . 1. Der Systembruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die formale Ordnungsfunktion der Trennung zwischen objektiv und subjektiv als Diskussionsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wertungswidersprüche als Konsequenz der perspektivischen objektiven ex ante-Prüfung: Notwehr gegen Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Inhaltliche Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes: Kennzeichnung notrechtsauslösenden Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ein Konkurrenzmodell zur objektiven ex ante-Gefahrbeurteilung . . . . . . . . . . . . I. Die objektive ex post-Feststellung der Verhaltensgefährlichkeit im Erfolgsdelikts- und Rechtfertigungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ex ante-Prüfung im subjektiven (Unrechts-)Tatbestand des vollendeten Delikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57 60 62 63 65 66 68 69 70 71 72 73 74 76 76 78 81 83 85 86 87 87 88
E. Einwände gegen das Konkurrenzmodell? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I. Maßgeblichkeit des Verhaltensnormverstoßes für die objektive oder subjektive ex ante-Betrachtung im (Unrechts-)Tatbestand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Rechtsfolgenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Maßregeln und Vollrauschtatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Retrograder Relevanzzusammenhang: Keine Bestrafung wegen Schuldunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Inhaltsverzeichnis b) Anterograder Relevanzzusammenhang: Erwartung rechtswidriger Taten infolge der Schuldunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konsequenz: Untauglichkeit von Vollrauschtatbestand und Maßregelrecht zur Rechtsfolgenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notstands- und Notwehrprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aggressiv- und Defensivnotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgenkontrolle am Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ingerenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Beispielhafte Absicherung des doppelfunktionalen Gebotes der Trennung von objektiven und subjektiven Unrechtsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Möglichkeiten einer scharfen Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Auslegung der gesetzlichen Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die systematisierende Funktion des Koinzidenzprinzips . . . . . . . . . . . a) dolus antecedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) dolus subsequens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unvollkommen zweiaktige Rechtfertigungsgründe? . . . . . . . . . . . . . . . a) Festnahmerecht, § 127 I StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht zur Privatkopie, § 53 I 1 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konturen insbesondere des riskanten menschlichen Verhaltens . . . . . . . . . 1. Der rechtswidrige Angriff gemäß § 32 II als Ausgangspunkt einer Beschreibung des riskanten Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive und subjektive Seite des Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 101 102 102 103 106 109 111 114 116 117 117 118 120 121 123 124 126 126 127 133
Kapitel 2 Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr
135
A. Zur Notwendigkeit der objektiven ex ante-Betrachtung bei hoheitlichen Eingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 B. Behördenkenntnis als Wissen eines sachkundigen Amtswalters . . . . . . . . . . . . 141 C. Die Einheit von Gegenstand und Kontext als Voraussetzung der Übertragung von rechtlichen Wertungsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Kontexttrennung am Beispiel der Notrechtsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Behördliche Eingriffsbefugnis und abgeleitete Rechtfertigung des Amtsträgers als Kontextüberschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 D. Ex ante-Prüfung der objektiven Rechtfertigung ohne Widerspruch zur inhaltlichen Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
12
Inhaltsverzeichnis Kapitel 3 Riskante Äußerungen
A. Ex ante-Prüfung einzelner Notrechtsmerkmale zur Verlagerung des Irrtumsrisikos auf seinen Verursacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Diskussion des Scheinwaffenproblems und vergleichbarer Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Analyse der Alternativmodelle zum ex post-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ungereimtheiten und Begründungsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Beschränkung der zivilen Notrechte auf den erforderlichen Schutz primärer Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Willensfreiheit: Rechtsgut oder (notrechtsunfähige) Freiwilligkeit der Verfügung über ein Rechtsgut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Ausschluss von sekundären Rechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko . . . . . . . . . . . I. Die Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“ im zivilrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Venire contra factum proprium im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einwilligung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einwilligungsfiktion aufgrund Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwilligungsfiktion als dogmatische Option . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der innere Tatbestand als Kernproblem der Willenserklärung im Strafund Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Praktische Konkordanz zwischen den Prinzipien Verkehrsschutz und Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ausdehnung der Einwilligungsfiktion auf die riskanten Äußerungen . . . . 1. Einwilligungsfiktion nach Maßgabe der Notrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einwilligungsfiktion auch bei schwerer oder lebensgefährlicher Körperverletzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erste Konkretisierung der noch sittengemäßen Höchstgefährdung der körperlichen Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erweiterung durch den Vertrauensgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verankerung des Vertrauensgrundsatzes im Konzept der Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Irrtumserregung durch Täuschung im Kontext von Betrug (§ 263 I StGB) und riskanten Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die notwendige Einwirkung auf das Vorstellungsbild . . . . . . . . . . b) Objektive Eignung zur Irrtumserregung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Grundstruktur der normativen Irrtumszurechnung . . . . . . . . .
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153 154 157 160 163 163 171 176 177 178 181 186 190 190 194 198 202 203 204 207 208 211 213 216 217 218 224
Inhaltsverzeichnis aa) Zur Notwendigkeit einer Normativierung des Täuschungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die strukturelle Vereinheitlichung der Erfolgs- und Irrtumszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Täuschung als Verletzung einer (un-)bedingten Wahrheitspflicht dd) Der Zurechnungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 225 227 230 234
D. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 I. Objektive ex post- und subjektive ex ante-Gefahrurteile . . . . . . . . . . . . . . II. Formelle und inhaltliche Komponente der Trennung zwischen objektiven und subjektiven Unrechtsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . IV. Riskante Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239 240 243 244
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abs. AcP a. E. a. F. AGG AK Alt. AMG Anm. Art. AT Aufl. BAG BAK BayObLG BayObLGSt Bd. Begr. BesVerwR BGB BGH BGHSt BGHZ Bsp. BT BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. d. h. ders.
andere(r) Ansicht am angegebenen Ort Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Alternativkommentar Alternative Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln Anmerkung Artikel Allgemeiner Teil Auflage Bundesarbeitsgericht Blutalkoholkonzentration Bayerisches Oberstes Landesgericht (Amtliche Sammlung der) Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Band Begründer Besonderes Verwaltungsrecht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof (Amtliche Sammlung der) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (Amtliche Sammlung der) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Beispiel Besonderer Teil Bundesverfassungsgericht (Amtliche Sammlung der) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht (Amtliche Sammlung der) Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise das heißt derselbe
Abkürzungsverzeichnis DVP E Einf. EuGH f., ff. FG FS GA geb. GedS Gesamthrsg. Gesamtred. GG ggfs. GRURInt GS h. M. Hrsg. HWSt insb. iS, i. S. JA JR Jura JuS JZ KK km L Lehrb. Lfg. LG LK LPK m. E. MDR ME PolG MK m. N. m.w. Bsp. m.w. N. N(R)W NJW NK
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Deutsche Verwaltungspraxis Entscheidung Einführung Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften für, folgende (Singular und Plural) Festgabe Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (zwischenzeitlich Archiv für Strafrecht und Strafprozeß) geborene Gedächtnisschrift Gesamtherausgeber Gesamtredaktion Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil Der Gerichtssaal, Zeitschrift für Zivil- und Militär-Strafrecht und Strafprozeßrecht sowie die ergänzenden Disziplinen herrschende Meinung Herausgeber Handbuch Wirtschaftsstrafrecht insbesondere im Sinne Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Karlsruher Kommentar Kilometer Lernbogen Lehrbuch Lieferung Landgericht Leipziger Kommentar Lehr- und Praxiskommentar meines Erachtens Monatsschrift für Deutsches Recht Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes Münchener Kommentar mit Nachweisen mit weiteren Beispielen mit weiteren Nachweisen Nordrhein-Westfalen Neue Juristische Wochenschrift Nomos(-)Kommentar
16 NStZ NVwZ Nw. NZA NZV OBG OLG OWiG PAG PolG PolR POR RAF Red. Bearb. RG RGSt Rn. RStGB S. SchwZStr SK SMS StA StGB StPO StrafprozessR StrafR StRG Studienb. StV StVG StVO SZ u. u. a. UrhG Urt. UWG v. Var. VerwArch VerwR VG vgl. VOR
Abkürzungsverzeichnis Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nachweis Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Ordungsbehördengesetz Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Polizeiaufgabengesetz Polizeigesetz Polizeirecht Polizei- und Ordnungsrecht Rote Armee Fraktion Redaktionelle Bearbeitung Reichsgericht (Amtliche Sammlung der) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Reichsstrafgesetzbuch Seite, Satz Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Systematischer Kommentar Short Message Service Staatsanwaltschaft Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafprozessrecht Strafrecht Gesetz zur Reform des Strafrechts Studienbuch Strafverteidiger Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrs-Ordnung Süddeutsche Zeitung und unter anderem, und andere Urheberrechtsgesetz Urteil Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom, von Variante Verwaltungsarchiv Verwaltungsrecht Verwaltungsgericht vergleiche Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Abkürzungsverzeichnis VwVfG wissenschaftl. wistra WRP z. B. ZfRV ZivilR ZStW
Verwaltungsverfahrensgesetz wissenschaftliche Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wettbewerb in Recht und Praxis zum Beispiel Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zivilrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
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Einleitung „The Common Law of England has been laboriously built about a mythical figure–the figure of ’The Reasonable Man’. In the field of jurisprudence this legendary individual occupies the place which in another science is held by the Economic Man, and in social and political discussions by the Average or Plain Man. He is an ideal, a standard, the embodiment of all those qualities which we demand of the good citizen. No matter what may be the particular department of human life which falls to be considered in these Courts, sooner or later we have to face the question: Was this or was it not the conduct of a reasonable man? Did the defendant take such care to avoid shooting the plaintiff in the stomach as might reasonably be expected of a reasonable man? (Moocat v. Radley (1883) 2 Q.B.) Did the plaintiff take such precautions to inform himself of the circumstances as any reasonable man would expect of an ordinary person having the ordinary knowledge of an ordinary person of the habits of wild bulls when goaded with garden-forks and the persistent agitation of red flags? (Williams v. Dogbody (1841) 2 A.C.)“ 1 A. P. Herbert, Uncommon Law [1935], S. 1 f.
Die deutsche Rechtsordnung zeichnet sich durch eine vergleichsweise hohe Kodifikationsdichte aus. Dennoch können viele Gegenstände nicht abschließend durch Gesetze geregelt werden. Insoweit bedürfen auch die geschriebenen Rechtsnormen vor ihrer Anwendung der Vervollständigung durch Auslegung. Ein Auslegungsergebnis hat sich gewissermaßen verselbständigt und – wenn auch nur schemenhaft – Gestalt angenommen. Man bezeichnet diese Figur als den objektiven Dritten oder einsichtigen Angehörigen eines Verkehrskreises. Über die Kenntnisse und Fertigkeiten dieser „bestimmten normativen Erwartungen entsprechenden Maßstabsperson“ 2 sollte man sich während eines rechtswissenschaftlichen Stu1 „Das Common Law Englands ist mit Eifer auf einer sagenhaften Figur errichtet worden, der Figur des ‚verständigen Mannes‘. In der Rechtsphilosophie nimmt dieses legendäre Wesen den Platz ein, den in einer verwandten Disziplin der ‚ökonomische Mensch‘ und in der politischen Diskussion der ‚Mann auf der Straße‘ innehat. Er ist ein Ideal, ein Muster,
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Einleitung
diums umfassend informieren, denn mit ihrer Hilfe lassen sich scheinbar viele Fragen beantworten. Der objektive Dritte vermag insbesondere einzuschätzen, ob Verhaltensweisen und Situationen im Sinne des Gesetzes gefährlich beziehungsweise – gleichbedeutend – riskant sind. Dieses Talent hat dem objektiven Dritten seine herausragende Position im Strafrecht verschafft, denn der strafrechtliche Unrechtsbegriff wird durch vielfache Gefahrurteile geprägt. Seit der Wiederbelebung und Weiterentwicklung der objektiven Zurechnung durch Roxins „Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht“ 3 hat sich etwa die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein tatbestandsmäßiger Erfolg lediglich dann zugerechnet werden kann, wenn das ihn verursachende Verhalten ein unerlaubtes Risiko 4 für den Erfolgseintritt geschaffen und sich dieses im eingetretenen Erfolg realisiert hat. 5 Die Gefährlichkeit des Täterverhaltens wird danach zum ungeschriebenen Tatbestandserfordernis eines vorsätzlichen und – praktisch bedeutsamer 6 – eines fahrlässigen Erfolgsdeliktes. Stirbt etwa die Verkörperung all der Qualitäten, die wir von einem Bürger mittlerer Art und Güte erwarten. Welcher Sektor des menschlichen Lebens von unseren Gerichten auch immer zu würdigen sein mag, früher oder später stellt sich uns die Frage: War dies das Verhalten eines verständigen Mannes oder nicht? Hat der Beklagte die von einem verständigen Mann zu erwartende Sorgfalt beobachtet, um den Schuß in den Magen des Klägers zu verhüten? [...] Traf der Kläger die nötigen Vorkehrungen, um sich über die Umstände zu informieren, wie es jeder verständige Mann von einer normalen Person erwarten darf, die über den normalen Kenntnisstand einer normalen Person verfügt, was die Verhaltensweisen wilder Bullen angeht, die mit Forken und anhaltendem Schwingen roter Flaggen getrieben werden? [...]“; ins Deutsche übertragen von Zweigert / Dopffel. 2 W. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 71 in Anm. 6. 3 Honig – FS [1970], S. 133 ff.; vgl. zu ihrer Geschichte Schünemann, GA 1999, 207, 208 ff. 4 In Anbetracht der Bestimmungsfunktion von Strafgesetzen kann es nur wegen seiner Gefährlichkeit rechtlich missbilligtes Verhalten respektive unerlaubte Gefahrschaffungen, jedoch keine verbotenen Gefahren geben; vgl. Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 70 ff. und Mir Puig, ZStW 95 [1983], 413, 434. Der Begriff des erlaubten Risikos ist insoweit sprachlich verfehlt (vgl. bereits Oehler, Eberhard Schmidt – FS, S. 242) und würde durch Abwandlungen wie erlaubte Risikoerhöhung oder – im Falle des Unterlassens – Risikounterhaltung präzisiert; vgl. W. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 33 ff. und Schönke / Schröder – Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff., Rn. 92. Er wird aber auch in dieser Arbeit wegen seiner allgemeinen Gebräuchlichkeit weiter verwendet. Mit einer umständlichen Neuorientierung wäre in der Sache noch nichts gewonnen. Vgl. zur Dogmengeschichte des erlaubten Risikos Schürer-Mohr, Erlaubte Risiken, S. 29 – 45 sowie die weiteren Nw. bei Müssig, Rudolphi – FS, S. 173 in Anm. 29. 5 T. Fischer, Vor § 13, Rn. 25; LK 11 – Jescheck, Vor § 13, Rn. 64; Joecks, Studienkommentar, Vor § 13, Rn. 37; Kindhäuser, LPK – StGB, Vor § 13, Rn. 108; Lackner / Kühl, Vor § 13, Rn. 14; SK – Rudolphi, Vor § 1, Rn. 57; vgl. MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 6 ff.; Schünemann, GA 1999, 207, 212 m. N. zur Kritik als überflüssig bzw. nichts sagend. 6 Daher wurde diese Zurechnungsvoraussetzung insbesondere an seinem Beispiel entwickelt; Roxin, Trechsel – FS, S. 552. Zum Teil wird die praktische Bedeutung als Haftungsbeschränkung des Vorsatzdeliktes bestritten; Hirsch, Lenckner – FS, S. 138 und Armin
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ein Mensch bei einem Autounfall in einer unübersichtlichen Kurve, kann sein Tod den beteiligten Fahrern nur dann im Sinne einer fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB 7 vorgeworfen werden, wenn ihre jeweilige Fahrweise zu riskant gewesen ist. Die Gefährlichkeit dieser Verhaltensweisen beurteilt man aus der Perspektive des objektiven Dritten. Neben der Erfüllung des Erfolgsdeliktstatbestandes ist zudem die Rechtfertigung jedes tatbestandsmäßigen Verhaltens durch die Notrechte von Gefahrbeurteilungen abhängig. Die Notwehr legitimiert gemäß § 32 eine Verteidigung gegen Angriffe auf sich oder andere, und als Angriff kommt lediglich ein gefährliches Verhalten in Betracht. Der rechtfertigende Notstand (§ 34) erlaubt straftatbestandsmäßiges Tun oder Unterlassen, soweit dies zur Gefahrenabwehr erforderlich ist. Dabei hängt von dem Gefahrurteil jeweils die negative oder positive Bewertung des Täterverhaltens ab. Vor allem wenn die Risikofeststellung solchermaßen als Verhaltensmerkmal funktioniert, 8 gilt die Einschätzung des objektiven Dritten als weiterführend. 9 Zur Prüfung konkreter Gefährdungserfolge – wie zum Beispiel der Lebensgefahr in § 315c I – als Verhaltensfolgen scheint man die Maßfigur dagegen nicht zu benötigen. 10 Die so genannte objektive ex ante-Betrachtung des Dritten wird vor allem deshalb geschätzt, weil sie sich in die kritische Situation des Täterverhaltens hineinversetzt. Man prüft, wie die Lage von einer darin befindlichen Maßstabsperson eingestuft worden wäre. Eine allgemeine und zugleich präzise Konturierung der Maßstabsperson ist jedoch bislang nicht gelungen. Während man das Wissen und die Fertigkeiten eines konkreten Menschen vergleichsweise leicht ermitteln kann, lassen sich Regeln zu deren abstrakter Bestimmung allerdings auch nur schwerlich anführen. Die Rechtsfigur des objektiven Dritten produziert deshalb einen sehr unbestimmten Risikobegriff. Soweit aber die Methode eines Gefahrurteils ungeklärt bleibt, vermögen auch die durch sie erzielten Ergebnisse nicht kontrolliert zu werden. Diese Arbeit soll zeigen, wie sich die in einem unbestimmten Gefahrbegriff „versteckte Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen auf den Richter“ zurückdrängen lässt. „Unbestimmtheit bedeutet immer Rechtsunsicherheit und ungleichmäßige Rechtsanwendung.“ 11 Kaufmann, Jescheck – FS I, S. 260 ff. Jedoch lassen sich nicht alle erfassten Konstellationen unter Berufung auf den fehlenden Vorsatz lösen; Krey, AT1, Rn. 282, 284. 7 §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des StGB. 8 Gallas, Bockelmann – FS, S. 166 in Anm. 27 und MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 77 f. sprechen von Handlungsmerkmalen. Diese Bezeichnung erscheint unvollständig, da Handlung und Unterlassung nach gängiger Terminologie durch den Oberbegriff des Verhaltens zusammengefasst werden; Freund, AT, 1/58 und Naucke, StrafR, 7/252. 9 Vgl. W. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 118 ff. 10 Zur Abgrenzung Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 11 ff. Vgl. zu den unterschiedlichen Prüfungsmaximen für das Gefahrurteil als Verhaltensmaßstab bzw. Lagebeurteilung Gallas, Heinitz – FS, S. 178, Demuth, Gefahrbegriff, S. 27 ff., Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 34, 90 ff. und die Nw. zum Streitstand in Anm. 64.
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Ziel der Untersuchung ist die Abschaffung der Mitbestimmung des strafbaren Unrechts durch einen unbestimmten objektiven Dritten. Dazu müssen die Risikomerkmale ohne seine Hilfe begriffen werden. Der Begriff des Risikos betrifft im Unrechtstatbestand zwar nicht nur das Verhalten, sondern – bei den konkreten Gefährdungsdelikten wie etwa bei der bereits angeführten Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c – auch den Erfolg. Im Mittelpunkt der angestrebten Konturierung stehen aber die Verhaltensmerkmale des Tatbestandes und der Rechtfertigungsgründe. Die Problematik der in dieser Untersuchung zu ermittelnden Gefahrbeurteilungsregeln wurzelt in der Sachverhaltsermittlung. Die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts lässt sich nur beantworten, wenn man zuvor den für die Beurteilung maßgeblichen Sachverhalt zusammengestellt hat. Mögliche natürliche Bezugspunkte sind das nachträgliche, objektive Wissen der gesamten Menschheit und die subjektive Vorstellung des Täters zum Zeitpunkt der Tat, § 8. Im ersten Fall kann man entweder von einer unbeschränkten objektivnachträglichen Prognose 12 oder von objektiver ex post-Betrachtung sprechen. Für die zweite Lösungsmöglichkeit wäre außerdem zu klären, ob die Vorstellung des Täters der Wirklichkeit entsprechen und ob darüber hinaus die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts von ihm als solche erkannt werden muss. 13 Zur Begriffsklärung sei hinzugefügt, dass in dieser Arbeit – orientiert an den Formulierungen in §§ 16 I 1, 22 – als Wissen oder Kenntnis lediglich solche Vorstellungen beziehungsweise Annahmen verstanden werden, die zugleich mit der Wirklichkeit übereinstimmen. 14 11 Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt im Verkehrsstrafrecht, S. 21 f. und Class, Eberhard Schmidt – FS, S. 136 ff. Zweifel an der Bestimmbarkeit des Gefahrbegriffs werden zumindest nicht durch die folgende häufig wiederholte Feststellung des BGH begründet: „Der Begriff der ‚Gefahr‘ entzieht sich genauer wissenschaftlicher Umschreibung. Er ist nicht allgemeingültig bestimmbar und überwiegend tatsächlicher, nicht rechtlicher Natur“; E 18, 271, 272; 22, 341, 343 u. 346; NStZ 1996, 83. Damit grenzt der BGH lediglich die Kompetenzen zwischen Tatsacheninstanz und Revisionsgericht ab, so dass dieses nicht mit unzureichenden Mitteln in eine eigene Beweiswürdigung eintreten muss; Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, S. 137 m.w. N. zur Rechtsprechung des RG. 12 Schönke / Schröder – Cramer / Sternberg-Lieben, § 315c, Rn. 35; Küper, BT, S. 153; kritisch zu diesem Begriff Jakobs, AT, 7/32 in Anm. 52. 13 Die Maßgeblichkeit des subjektiven ex ante-Gefahrurteils kann im Rahmen einer subjektiven Unrechtslehre begründet werden; vgl. den Entwurf von Zielinski, Handlungsund Erfolgsunwert, S. 244 ff. Genügt schon die nicht fahrlässige, irrtümliche Annahme der Voraussetzungen des § 32 zur Rechtfertigung, gelangt man jedoch zur Zulässigkeit von Notwehr gegen Notwehr; Gallas, Bockelmann – FS, S. 167; Krey, ZStW 90 [1978], 173, 208; Schaffstein, GA 1975, 342, 343. Vgl. zum Parallelproblem der objektiven ex anteBetrachtung in Kapitel 1: C.II.3., S. 81. Diese monistisch-subjektive Interpretation ist daher auf überwiegende Ablehnung gestoßen; Jescheck / Weigend, AT, S. 239 f.; Mylonopoulos, Über das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 30 ff.; Roxin, AT1, 10/94 ff. und ZStW 116 [2004], 929, 937 ff.; Stratenwerth, Schaffstein – FS, S. 177, 181 ff., jeweils m.w. N. auch zu Befürwortern; vgl. ferner die Nw. am Ende von Anm. 193.
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Keine der angedeuteten Perspektiven entspricht dem Gefahrdogma der herrschenden Lehre von der objektiven Zurechnung. Für sie gilt es als beinahe selbstverständlich, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts anhand der Sichtweise eines im Tatzeitpunkt urteilenden (durchschnittlichen oder einsichtigen) Beobachters des betreffenden Verkehrskreises festzustellen ist. Ob seine Vorstellungen auch der Wirklichkeit entsprechen müssen, wurde bislang kaum diskutiert. Einig ist man sich jedenfalls, dass ein weitergehendes Sonderwissen des jeweiligen Täters nicht ausgeblendet werden darf. 15 Eine besondere Schwierigkeit bei der Erörterung und Kritik dieser Methode zur Ermittlung der Verhaltensgefährlichkeit im objektiven Unrechtstatbestand besteht darin, dass man sie nicht isoliert betrachten kann, denn sie steht in direkter Beziehung zu einem zweiten subjektiven Risikourteil. Nach § 16 I 1 ist im Vorsatz des Erfolgsdeliktes zu untersuchen, ob dem Täter eine durch sein Verhalten herbeigeführte, tatbestandsmäßige Gefahrerhöhung bekannt war. Die eingeschränkte Schuldtheorie setzt seine Kenntnis vom Fehlen einer – etwa gemäß § 34 – rechtfertigenden Risikoverringerung analog 16 I 1 voraus. Im Rahmen der Schuld des Fahrlässigkeitsdeliktes prüft die herrschende Lehre, ob dem Täter Gefahrerhöhung und fehlende Risikoverringerung persönlich erkennbar gewesen sind. Eine ausschließliche Untersuchung der objektiven ex ante-Betrachtung wäre daher nicht sachgerecht. Um das herrschende Modell der Risikobeurteilung vollständig zu erfassen, muss man die objektive ex ante-Prüfung von Gefahren im Zusammenhang des herrschenden Deliktsaufbaus analysieren. 16 Eine – auf alle Tatbestands- und Rechtfertigungsmerkmale gleichermaßen anwendbare – Variante der objektiven ex ante-Betrachtung 17 erkundet in einem ersten Schritt das wirkliche Vorliegen einer Risikoerhöhung, um in einem zweiten Schritt festzustellen, ob der objektive Dritte sie erkennen konnte. Die objektive ex ante-Prüfung setzt demnach voraus, dass zuvor begriffen wurde, was eine wirkliche Gefahr ist. Nach der Bestimmung dieses objektiven ex post-Risikourteils 18 widmet sich die Untersuchung den besonderen Problemen einer beschränkten Sachverhaltsverwertung bei der Prüfung von objektiven Tatbestands- und Rechtfertigungsmerkmalen, also der zweiten Stufe der beschriebenen objektiven ex ante-Prüfung. Es wird sich zeigen, dass dieser Ansatz zwei gravierende Nachteile hat. Zum einen erweist sich der Kenntnisstand des objektiven Beobachters als kaum bestimmbar, und zum anderen stellt seine Ergänzung durch das Täterwissen eine 14
Vgl. Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, S. 4 ff., 19 f. Roxin, AT1, 11/40; MK – Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 162, jeweils m.w. N. 16 Kapitel 1: A., S. 27. 17 Die zweite Methode wurde speziell für die objektive Zurechnung von Erfolgen entwickelt. Sie wird in Kapitel 1: A.I.2.a)aa), S. 38 dargestellt und in Kapitel 1: A.II.1.a), S. 51 kritisiert. 18 Kapitel 1: B., S. 56. 15
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Subjektivierung objektiver Unrechtsvoraussetzungen dar. 19 Letzteres ist mehr als eine formelle Systemwidrigkeit, 20 weil die Trennung zwischen objektivem und subjektivem Unrechtstatbestand eine bisher oft übersehene wichtige inhaltliche Funktion erfüllt. 21 Der objektive Unrechtstatbestand bestimmt, welches für strafrechtlich geschützte Güter riskante Verhalten mit der Rechtsordnung übereinstimmt und daher nicht – auf ein Notrecht gestützt – abgewehrt werden darf. Wie im Einzelnen dargestellt wird, kollidiert die (nicht ausschließlich) objektive ex ante-Prüfung mit dieser Funktion und führt deshalb zu Unstimmigkeiten, etwa zur Notwehr gegen Notwehr. Ob diese beiden Nachteile notgedrungen in Kauf zu nehmen sind, lässt sich nur in Anbetracht einer Alternative beurteilen. 22 Deshalb wird anschließend ein – klar zwischen objektiv und subjektiv trennendes – Konkurrenzmodell der Gefahrbeurteilung beschrieben, das im Übrigen die Fahrlässigkeit als individuelle Erkennbarkeit versteht und dem subjektiven Unrechtstatbestand zuordnet. 23 Es stellt sich die Frage, warum die Wirklichkeit bei der Prüfung objektiver Unrechtsmerkmale überhaupt auf den Kenntnisstand des objektiven Dritten reduziert und lediglich insofern berücksichtigt werden sollte. Für die Strafbarkeit ist diese Sachverhaltsreduktion jedenfalls ohne Bedeutung. Beide Modelle setzen – wenn auch auf unterschiedlichen Deliktsstufen – die im Vergleich zur objektiven ex ante-Betrachtung engere individuelle Erkennbarkeit voraus. 24 Die geläufigen Argumente sind überwiegend allgemeiner Natur und nicht auf einen bestimmten Kontext beschränkt. Man begründet die Notwendigkeit einer objektiven ex ante-Prüfung zunächst mit der Überlegung, dass ein sinnvolles Strafrecht erfüllbare Verhaltensge- und -verbote aufstellen und daher auf Erkenntnisbeschränkungen Rücksicht nehmen muss. Schon weil die Kriminalstrafe Normverstöße des konkreten Täters und nicht die (vermeidbaren) Verhaltensfehler des objektiven Dritten ahndet, wird dieser normtheoretische Begründungsansatz kaum überzeugen können. Er vermag insbesondere nicht zu erklären, auf welcher Deliktsstufe die Erkenntnisbeschränkungen – wie die individuelle Erkennbarkeit von Gefahren – berücksichtigt werden müssen. 25 Auch anhand von Maßregelrecht und Vollrauschtatbestand werden sich keine unterschiedlichen Konsequenzen zwischen dem herrschenden und dem hier vertretenen Konkurrenzmodell der Gefahrbeurteilung 19
Kapitel 1: C., S. 73. Zu dieser erst in Kapitel 1: F.I., S. 117. 21 Kapitel 1: C.II.4., S. 83. 22 Vgl. dazu bereits Burkhardt, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 99 ff.; Frister, AT, 10/33 ff. und passim; Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, S. 139 f., 147. 23 Kapitel 1: D., S. 85. 24 Kapitel 1: A.II.2., S. 54. 25 Kapitel 1: E.I., S. 91. 20
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feststellen lassen. Deren Rechtsfolgen sind ausnahmslos an die – im Vergleich zur objektiven ex ante-Betrachtung – engere Voraussetzung individueller Erkennbarkeit gekoppelt, ohne jedoch nach ihrer Verortung im Deliktsaufbau zu differenzieren. 26 Die Rechtsfolgenkontrolle konzentriert sich deshalb auf eine kombinierte Aggressiv-, Defensivnotstands- und Notwehrprobe sowie auf die Ingerenzgarantenstellung. Der Verzicht auf den objektiven Dritten und sein objektives ex anteGefahrurteil wird die Falllösung erleichtern und zu überzeugenderen Ergebnissen führen. 27 Die angestellten Überlegungen werden es außerdem erlauben, den rechtswidrigen Angriff (§ 32 II) als mindestens fahrlässigen, tauglichen Versuch einer Rechtsgutsschädigung zu definieren und die besonderen Konturen des riskanten menschlichen Verhaltens zu schärfen. 28 Bevor aber der objektive Dritte endlich verabschiedet werden kann, sind noch zwei spezielle, kontextbezogene Einwände zu entkräften. Der erste bezieht sich auf das strafbare Verhalten von Amtsträgern. Rechtfertigungsgründe werden aus der Gesamtheit der Rechtsordnung hergeleitet. 29 Erfolgen amtliche Gefahrenabwehrmaßnahmen auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung, rechtfertigt diese nicht bloß den hoheitlichen Grundrechtseingriff, sondern zugleich das straftatbestandsmäßige Tun oder Unterlassen des ausführenden Amtswalters. Die materiellen Voraussetzungen der hoheitlichen Befugnisnorm – etwa das Vorliegen einer Gefahr – prüft man schon aus praktischen Erwägungen anhand des gemeinsamen Wissens von einem sorgfältigen und dem ausführenden Amtswalter. Der Eingriff eines Polizisten soll nicht nur Gefahren abwehren, sondern ebenso Streit zwischen den Bürgern schlichten. Damit er sich dabei durchsetzen darf, muss – wie noch gezeigt wird 30 – die öffentliche Rechtmäßigkeit seiner Maßnahme perspektivisch, das heißt anhand eines beschränkten Sachverhaltes geprüft werden. Andernfalls droht rechtmäßiger Widerstand der Bürger. Wenn daher die Rechtfertigung des hoheitlichen Grundrechtseingriffs objektiv ex ante geprüft wird, bestimmte sich folglich ebenso die Rechtfertigung eines straftatbestandsmäßigen Verhaltens des Polizisten nach diesem Maßstab. Die Verbeamtung des objektiven Dritten scheint damit seinen zumindest mittelbaren Einfluss auf die Bestimmung des strafrechtlichen Unrechts nach sich zu ziehen. Das Risiko soll indes auch im Kontext der staatlichen Gefahrenabwehr ohne seine Einbeziehung begriffen werden. Weil hoheitliche Befugnisnormen Behörden ermächtigen, richtet sich die Prüfung nach deren Wissen. Die gemeinsamen Kenntnisse von gedachtem und konkretem Amtswalter können deshalb durch das Behördenwissen ersetzt werden. 26 27 28 29 30
Kapitel 1: E.II.1., S. 98. Kapitel 1: E.II.2. und Kapitel 1: E.II.3., S. 102. Kapitel 1: F.II., S. 126. Jescheck / Weigend, AT, S. 327 m.w. N. Kapitel 2: A., S. 137.
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Probleme bereitet ferner der Bereich nur vorgetäuschter Gefahren, zum Beispiel der Raubüberfall mit einer Spielzeugpistole (§ 250 I Nr. 1b). 31 Auch um die Verteidigung gegen solche Scheinangriffe schon objektiv rechtfertigen zu können, hat man Modelle der ex ante-Prüfung von Notrechtsvoraussetzungen entwickelt, deren Analyse jedoch Unstimmigkeiten und Begründungsdefizite aufzeigen wird. 32 Ausgangspunkt der eigenen Lösung wird die Feststellung sein, dass in solchen Fällen keine durch die Notrechte geschützten Rechtsgüter betroffen sind. 33 Ohne deren Kollision können die Notrechte indes nicht eingreifen. Wer anderen Personen Gefahren vortäuscht, den treffen deren vermeintlich notrechtskonforme Abwehrmaßnahmen wie eine mittelbare Selbstschädigung. Deshalb werden die hier so genannten riskanten Äußerungen als Sonderfall der Einwilligungslehre (im weiteren Sinne) behandelt. Im Zivilrecht verlangt man nach der Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“, dass jeder, der einem anderen gegenüber eine bestimmte Sachlage behauptet, sich von ihm daran festhalten lassen muss. 34 Das Prinzip soll ebenso auf die riskanten Äußerungen angewendet werden. Wer einen Sachverhalt vortäuscht, der die Voraussetzungen eines Notrechts gegen sich selbst erfüllt, der wird so behandelt, als hätte er in die erlaubnistatbestandsirrtümlichen Abwehrmaßnahmen des Anderen eingewilligt. 35 Diese Einwilligungsfiktion bedarf in mehrfacher Hinsicht einer Verdeutlichung. Zum einen soll sie nicht an den inneren Willen des sich riskant Äußernden anknüpfen, sondern an seine Gefahrbehauptung und damit an eine Erklärung. Die Diskussion des inneren Tatbestandes der Willenserklärung wird ergeben, dass schon die individuelle Erkennbarkeit des Erklärungsinhaltes seine persönliche Zurechnung erlaubt. 36 Außerdem müssen die Einwilligungsschranken der §§ 216, 228 berücksichtigt werden. 37 Die Einwilligungsfiktion basiert auf der Erregung eines Erlaubnistatbestandsirrtums durch fahrlässige Täuschung. Dieses Verständnis der riskanten Äußerungen als Täuschung über ein Risiko ermöglicht eine Präzisierung der Einwilligungsfiktion im Vergleich mit der betrügerischen Täuschung gemäß § 263 I, wobei sich das objektive ex ante-Urteil wiederum als entbehrlich herausstellt. 38 Am Ende dieser Arbeit wird man deshalb vom objektiven Dritten und seinem Gefahrurteil – soweit es das strafbare Unrecht betrifft – Abschied nehmen dürfen.
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BGH NJW 1998, 2914 f. Kapitel 3: A., S. 153. Kapitel 3: B., S. 163. Kapitel 3: C.I., S. 178. Kapitel 3: C.V.1., S. 204. Kapitel 3: C.IV., S. 190. Kapitel 3: C.V.2., S. 207. Kapitel 3: C.V.3., S. 216.
Kapitel 1
Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
„Das ex-ante-Urteil ist Synonym für die Maßgeblichkeit von Kenntnis oder Erkennbarkeit.“ Eberhard Struensee, JZ 1987, 53, 58
Ursprünglich entwickelt wurde die objektive ex ante-Beurteilung in der Diskussion um die Erfolgszurechnung anhand der so genannten Adäquanztheorie. Ende des 19. Jahrhunderts hatte von Kries vorgeschlagen, nur noch solche Verhaltensweisen als Ursache eines verletzenden Erfolges anzusehen, die ihn notwendig bedingen und zusätzlich – bei einer verallgemeinernden, von den genauen Umständen des Einzelfalles absehenden Betrachtung – wahrscheinlich machen. 39 Für ihre Anhänger stellte sich damit die Frage, aufgrund welchen Wissens man diese generelle Tendenz feststellen sollte. 40 Nach der Theorie subjektiv adäquater Verursachung, als deren Hauptvertreter von Kries gilt, 41 kommt es auf den dem Täter bekannten oder erkennbaren Sachverhalt an. 42 Seine Auffassung konnte sich nicht durchsetzen, da sie die Grenze zwischen Verursachung und Schuld zu verwischen drohte, 43 wobei die Schuld nach dem zu Anfang des 20. Jahrhunderts
39 Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, S. 75 ff.; Vierteljahresschrift f. wissenschaftl. Philosophie 12 [1888], 179, 195 ff. u. 287 ff. zum Gefahrbegriff; ZStW 9 [1889], 528 ff. Ähnlich v. Bar, Die Lehre vom Causalzusammenhange im Rechte, besonders im Strafrechte [1871], S. 11 ff. und A. Merkel, Lehrbuch, S. 99 ff. 40 Frank, RStGB, S. 12. 41 Etwa nach Einschätzung von Radbruch, Die Lehre von der adäquaten Verursachung, S. 32 [S. 355]. 42 Vgl. insb. Vierteljahresschrift f. wissenschaftl. Philosophie 12 [1888], 179, 228 ff. und 393, 406 ff. So versteht ihn auch Rümelin, AcP 90 [1900], 171, 189. Vgl. ebenso v. Bar [Anm. 39], S. 21 f. und A. Merkel, Lehrbuch, S. 43 f., 99 f., 132 sowie die weiteren Nw. zur subjektiven Gefahrtheorie bei Busch, Gefahr und Gefährdungsvorsatz, S. 5 in Anm. 2.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
noch herrschenden klassischen Verbrechensbegriff sämtliche innerpsychischen Umstände als Merkmale der Vorwerfbarkeit umfasste. 44 Diese Kritik versuchte Rümelin durch eine objektiv-nachträgliche Prognose zu vermeiden, die alle – auch die erst später aufgedeckten – zur Tatzeit vorliegenden Umstände sowie das gesamte menschliche Erfahrungswissen einbezieht. 45 Ausgehend von einer deterministischen Weltanschauung wurde daran bemängelt, dass diese Prognose aufgrund umfassenden Wissens keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit zulasse, sondern nur die Notwendigkeit der weiteren Entwicklung beschreiben könne und daher vielmehr eine Diagnose darstelle. 46 Vor allem aber erschienen ihre Ergebnisse unbillig, 47 weshalb man den Sachverhalt für die objektiv-nachträgliche Prognose reduzierte und nunmehr die Wahrscheinlichkeit nach dem Wissen eines durchschnittlichen 48 beziehungsweise einsichtigen 49 Betrachters in der Tatsituation beurteilte. Zum Teil wurde jedoch nur die Tatsachenbasis beschränkt, während man das gesamte menschliche Erfahrungswissen zum Zeitpunkt der Verhaltensbeurteilung voraussetzte. 50 Um nicht einen überdurchschnittlich gut informierten Täter zu privilegieren, wurde außerdem sein weitergehendes Wissen berücksichtigt. 51
I. Das Gefahrurteil im Deliktsaufbau der herrschenden Meinung Für das im Rahmen der Adäquanztheorie entwickelte Wahrscheinlichkeitsurteil etablierte sich über ein halbes Jahrhundert später in der neu entfachten Diskussion 43 Baumann, JZ 1962, 41, 46; Henkel, Gefahrbegriff, S. 25; Maurach / Zipf, AT1, 18/32; differenzierte Kritik bei Radbruch [Anm. 41], S. 32 ff., 54, 58 und Traeger, Kausalbegriff, S. 130 ff. 44 Frank, RStGB, S. 136 ff.; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 2, S. 271 ff.; LK 5 – Lobe, Einf. in den AT, S. 92 ff.; zusammenfassend Jescheck / Weigend, AT, S. 201 ff. 45 Der Zufall im Recht, S. 45 ff.; AcP 90 [1900], 171, 189 f. u. 218 f. 46 Radbruch [Anm. 41], S. 16, 40 f., 54, der von seiner Kritik allerdings Fälle ausnimmt, in denen die zukünftige Entwicklung menschlicher Erkenntnis unzugänglich ist; ähnlich Henkel, Gefahrbegriff, S. 24 und Bassenge, Gefahrbegriff, S. 19 ff. Vgl. auch Finger, Frank – FG I, S. 233 ff. und v. Hippel [Anm. 44], S. 148, 281 ff. Zur Widerlegung Kapitel 1: B.II., S. 65. 47 Siehe nur Rümelins eigene „Billigkeitsmodification“, AcP 90 [1900], 171, 300. 48 Allfeld, AT, S. 104 ff., insb. in Anm. 23; Rutz, SchwZStr 89 [1973], 358, 378 m.w. N. 49 Frank, RStGB, S. 11 zum Gefahrbegriff; v. Hippel [Anm. 44], S. 148. 50 Radbruch [Anm. 41], S. 14, 49 ff., 60, der vollständige „Kenntnisse von Naturgesetzen“ verlangte; Liepmann, GA 52 [1905], 326, 354 f.; Traeger, Kausalbegriff, S. 159 ff.; Henkel, Gefahrbegriff, S. 25 f., 30; Welzel, StrafR, S. 46. 51 Henkel, a. a. O., S. 25 f.; v. Hippel [Anm. 44], S. 148; Radbruch [Anm. 41]; Traeger, a. a. O., S. 161 f.; Wolter, GA 1977, 257, 260 u. 269.
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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um die Erfolgszurechnung die Bezeichnung objektiv ex ante. 52 Es stellte sich heraus, dass daneben eine normative Betrachtung notwendig ist, 53 nämlich die Abgrenzung von erlaubtem und verbotenem riskanten Verhalten. 54 Andernfalls müssten die Schadensfolgen ausnahmslos aller bekanntermaßen gefährlichen Verhaltensweisen wie etwa die Teilnahme am Straßenverkehr oder der Betrieb von großindustriellen Anlagen zugerechnet werden. Um das Verhalten als rechtlich ge- oder missbilligt bewerten zu können, ist eine möglichst genaue Angabe, in welchem Umfang durch eine Handlung oder Unterlassung die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gesteigert wird, erforderlich. 55 Die Struktur des dafür herangezogenen objektiven ex ante-Urteils soll nachfolgend jedoch nicht nur anhand der objektiven Zurechnung von Erfolgen, sondern ergänzend am Beispiel der Rechtfertigung eines Verhaltens durch Notstand (§ 34) verdeutlicht werden. 1. Die Verhaltensgefährlichkeit als Differenzurteil Bei den Erörterungen des Erfolgsdeliktes findet sich häufig eine scheinbar ergänzende Formulierung der Eingangsvoraussetzung der objektiven Zurechnung, wonach der Täter entweder das geschützte Gut rechtlich missbilligt gefährdet oder unerlaubt eine Gefahrerhöhung bewirkt haben muss. 56 Diese Erweiterung enthält aber nicht bloß ein überflüssiges Anhängsel, sondern beschreibt vielmehr den die Erfolgszurechnung prägenden Gedanken: Für eingetretene Erfolge haftet nicht nur, wer ein unbedrohtes Rechtsgut gefährdet, sondern jeder, der seine – möglicherweise bereits bedrohliche – Situation verschlechtert, sofern sich diese Gefahrerhöhung auch nachfolgend im Erfolg realisiert. 57 Tatbestandsmäßig im Sinne der §§ 212, 222 verhält sich daher nicht nur, wer auf einen anderen Menschen schießt, sondern ebenso jeder, der etwa einem Notfallpatienten kontraindizierte Medikamente
52 Vgl. noch Wolter, GA 1977, 257, 259: „ex ante objektiv“; W. Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 128 ff. 53 So bereits das Resümee von Tarnowski, Die systematische Bedeutung der adäquaten Kausalitätstheorie [1927], S. 339. 54 Rudolphi, JuS 1969, 549, 551 f.; Wolter, GA 1977, 257, 261; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassung, S. 22 f. Dies erlaubt der Adäquanztheorie allerdings noch kein ausschließlich „deskriptives Wahrscheinlichkeitsurteil“; so aber Schünemann, GA 1999, 207, 213. Schon die Zusammenstellung des zu beurteilenden Wissens mittels der Maßstabsfigur ist ein normativer Vorgang; Armin Kaufmann, Jescheck – FS I, S. 259 und Greco, ZStW 117 [2005], 519, 548. 55 Insofern ist das Gefahrurteil ein „zentrales Element der Lehre von der objektiven Zurechnung“; vgl. Greco, ZStW 117 [2005], 519, 545. 56 Kühl, AT, 4/43; Schönke / Schröder – Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff., Rn. 92; Stratenwerth / Kuhlen, AT1, 8/34; Baumann / U. Weber / Mitsch, AT, 14/65. 57 Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 58; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 188; Roxin, ZStW 74 [1962], 411, 430 ff. und Honig – FS, S. 138 ff.; Wolter, GA 1977, 259, 261.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
verabreicht oder den ihn zum Krankenhaus transportierenden Rettungswagen aufhält. 58 Um eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nachweisen zu können, 59 muss man zwei Zustände beurteilen, 60 nämlich den Sachverhalt unter Ausschluss und mit Einbeziehung des in Rede stehenden Verhaltens. Soweit es die Prüfung eines risikoerhöhenden Verhaltens – genauer beschrieben: der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts vor und bei dessen Vornahme – als ungeschriebenes Merkmal des schlichten Erfolgsdeliktes betrifft, wird dafür bis heute kaum eine andere Methode als die objektive ex ante-Betrachtung vorgeschlagen. 61 Sie wird zudem bei den konkreten Gefährdungsdelikten im Rahmen der strukturgleichen Zurechnung konkreter Gefährdungserfolge wie etwa der Lebensgefährdung in § 315c I angewendet. 62 Der Täter muss sich dazu unerlaubt gefährdungsriskant verhalten und hierdurch den konkreten Gefährdungserfolg herbeigeführt haben. 63 Vergleichbar dem allgemeinen Erfolgsdelikt soll die Erfolgsgefahr objektiv ex ante, ihre Realisierung im Gefahrerfolg allerdings ex post beurteilt werden. 64 Die Strukturgleichheit macht eine gesonderte Behandlung des Gefahrerfolgsdeliktes entbehrlich. Hauptsächlich soll die herrschende objektive ex ante-Beurteilung der (unerlaubten) Risikoerhöhung als Verhaltensmerkmal des allgemeinen Erfolgsdeliktes mit ihren Bezügen zu dessen subjektiven Voraussetzungen dargestellt und analysiert werden. Ein spiegelbildliches Verfahren der Bildung einer Wahrscheinlichkeitsdifferenz erfordern die Notrechte. Rechtfertigender Notstand (§ 34) ist zum Beispiel nur anzunehmen, wenn eine Gefahr nicht anders abwendbar ist. Erste Voraussetzung ist die Eignung der Maßnahme. Die Notstandshandlung muss überhaupt eine Verringerung der drohenden Gefahr bewirken. 65 Diese Eigenschaft lässt sich nur durch die Bemessung des Risikos mit und ohne Berücksichtigung des Täterverhal58
Stratenwerth / Kuhlen, AT1, 8/35. Vgl. zum Risiko- bzw. Wahrscheinlichkeitsvergleich auch Wessels / Beulke, AT, Rn. 196 m.w. N. 60 Die Frage, ob die Gefahr ein Urteil oder einen Zustand darstellt, ist schon seit längerem in den Hintergrund getreten; noch eingehend erörtert von Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 31 ff. Vorausgesetzt wird deshalb das inzwischen wohl gängige Verständnis der Gefahr als ein Sachverhalt, in dem der Eintritt eines schädigenden Ereignisses wahrscheinlich ist; vgl. BGHSt 48, 255, 258; MK – Erb, § 34, Rn. 58; LK 11 – Hirsch, § 34, Rn. 26, alle m.w. N. 61 So auch die Einschätzung von Roxin, AT1, 11/40. 62 Anm. 10. 63 Vgl. Wolter, JuS 1978, 748 ff., 754 sowie Objektive und personale Zurechnung, S. 223 ff.; Küper, BT, S. 153 f. 64 Wolter, a. a. O.; Küper, a. a. O.; Hoyer, NStZ 1994, 85, 86 zu § 221 I a. F. Im Gegensatz zum Gefährdungsrisiko ist die Beurteilung des Gefährdungserfolges sehr umstritten, vgl. etwa SK – Horn, Vor § 306, Rn. 4 ff. und Lackner / Kühl, § 315c, Rn. 22, jeweils m.w. N. 59
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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tens feststellen. Abgesehen von Meinungsverschiedenheiten im Detail dürfte auch insofern im Wesentlichen Einigkeit über die Notwendigkeit eines objektiven ex ante-Maßstabs bei der Gefahrbeurteilung bestehen. 66 Die Bewertung eines Verhaltens als unerlaubt riskant verlangt also auf der Tatbestandsebene die Feststellung einer dadurch vermittelten Risikoerhöhung für das tatbestandlich geschützte Gut und kann auf der Rechtswidrigkeitsebene durch die Gefahrverringerung für ein anderes rechtlich geschütztes Interesse wieder aufgehoben werden. Die Beurteilung des Verhaltens hängt deshalb allgemein von der Frage ab, ob dadurch eine Wahrscheinlichkeitsdifferenz für den Eintritt schädigender Ereignisse bewirkt wurde. 67 Deren Umfang ist im Rahmen einer Abwägung zur Bestimmung der Gefährdungserlaubnis von entscheidender Bedeutung. Zwar fordert etwa der Wortlaut des § 34 S. 1 eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren. Ob das geschützte Interesse das beeinträchtigte im Sinne dieser Norm wesentlich überwiegt, wird allerdings durch den Umfang der Risikoverringerung für das geschützte Rechtsgut auf der einen Seite beziehungsweise der Risikoerhöhung für das Eingriffsgut auf der anderen Seite bestimmt. Droht beispielsweise dem durch § 34 geschützten Gut mit einem bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrad ein Schaden und vermag eine Maßnahme diese Gefahr zu halbieren, zu vierteln oder vollständig abzuwenden, so besteht der – in der Abwägung zu berücksichtigende – positive Wert dieses Verhaltens gerade darin, dass es 50, 75 beziehungsweise 100 Prozent der Gefahr beseitigt. Die hier angestrebte Klärung des Risiko- beziehungsweise Wahrscheinlichkeitsbegriffs kann sich indes auf Grundfälle konzentrieren, in denen das Verhalten eine neue Gefahr schafft oder ein bestehendes Risiko vollständig beseitigt, denn die strafrechtsdogmatische Problematik des Risikourteils stellt sich bereits mit der Frage, wie die Gefahr für ein Rechtsgut mit oder auch ohne Vornahme des in Rede stehenden Verhaltens zu beurteilen ist. 68 Dabei wird nicht übersehen, dass die objektive ex ante-Betrachtung bei der Prüfung einer Vielzahl weiterer Verhaltensmerkmale Berücksichtigung finden könnte. Man fordert etwa, in § 224 I Nr. 1 65 MK – Erb, § 34, Rn. 87 f. Das Beispiel des § 34 empfiehlt sich insofern, als dem Merkmal der Geeignetheit bei der Notwehr teilweise zu Unrecht keine Bedeutung beigemessen wird; vgl. etwa a. a. O. und § 32, Rn. 139 ff. 66 Roxin, AT1, 16/15 f. 67 Vgl. Stratenwerth, Gallas – FS, S. 234. 68 Hilgendorf, U. Weber – FS, S. 35 kritisiert: „In ihrer jetzigen Form ist die Leitformel der objektiven Zurechnung ‚Schaffung einer rechtlich relevanten (nicht mehr sozialadäquaten) Gefahr‘ [...] zu vage und unbestimmt, um mehr zu sein als eine fast beliebig einsetzbare Legitimationshülse zur Begründung intuitiv als richtig empfundener Ergebnisse.“ Die Erlaubnis riskanten Verhaltens basiert auf einem (wesentlich) überwiegenden Nutzen; vgl. dazu Schürer-Mohr [Anm. 4], S. 26 ff., 151 ff. m.w. N., Harneit, Überschuldung, S. 82 und Kindhäuser, GA 1994, 197, 217 ff. Bevor man sich aber den Abwägungsregeln zuwendet, sollte der Gefahrbegriff präzisiert werden.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
die Gesundheitsschädlichkeit des Stoffes oder die abstrakte Gefährlichkeit des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs nach § 244 I Nr. 1 a) in diesem Sinne zu bestimmen. 69 Weit verbreitet ist zudem die ex ante-Sicht des verständigen Beobachters bei den Tatbestandsmerkmalen der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c), namentlich Unglücksfall, gemeine Gefahr oder Not, erforderlich und zumutbar. 70 Auch für die als strukturgleich beschriebene Wartepflicht in § 142 I StGB wird eine entsprechende Prüfung der Unfallbeteiligung nach Abs. 5 gefordert. 71 Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. 72 Aber bereits die nachfolgende beispielhafte Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung im Tatbestand des schlichten Erfolgsdeliktes und hinsichtlich der anderen Abwendbarkeit einer Gefahr (§ 34) erlaubt eine allgemeine Kritik, so dass auf die Einbeziehung weiterer Verhaltensmerkmale verzichtet werden kann. 2. Verhaltensgefährlichkeit als Merkmal des Erfolgsdeliktstatbestandes Die Darstellung der objektiven ex ante-Betrachtung im Tatbestand des einfachen Erfolgsdeliktes braucht für dessen vorsätzliche und fahrlässige Variante zunächst nicht gesondert zu erfolgen, da das Fahrlässigkeitsdelikt gemeinhin als minus zum Vorsatzdelikt gesehen wird und nicht als aliud. 73 Objektiv sorgfaltswidrig beziehungsweise fahrlässig ist gerade das unerlaubt riskante Verhalten. 74 Die Herbeiführung eines Tatbestandserfolges, etwa des Todes 75 einer anderen 69
MK – Hardtung, § 224, Rn. 8 und StV 2004, 399, 401. Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 342 ff. m.w. N. Zur vorzugswürdigen, aber bestrittenen Einordnung der gemäß § 323c erforderlichen Zumutbarkeit als Tatbestandsmerkmal Hruschka, JuS 1979, 385, 390 f. und Geppert, Jura 2005, 39, 45 m.w. N. Zum Teil in der Schuld verortet von SK – Rudolphi (49. Lfg., Oktober 1999), § 323c, Rn. 24, der alle Tatbestandsmerkmale objektiv ex ante prüft; NStZ 1991, 237 ff. Soweit dabei die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens als spezieller Entschuldigungsgrund des Unterlassungsdeliktes geprüft wird, ist dieses Vorgehen nicht nur begrifflich (so nunmehr SK – Rudolphi / Stein, § 323c, Rn. 18; vgl. ferner die nachfolgende Anm.), sondern auch in der Sache verfehlt; MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 224 ff. 71 B. Kretschmer, NZV 2004, 496, 499 ff.; MK – Zopfs, § 142, Rn. 36, 42 m.w. N. 72 Zum Merkmal öffentlicher Verkehrsraum in § 315b etwa LK 11 – König, Rn. 6. 73 MK – Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 273 und NK – Puppe, Vor § 13, Rn. 154, beide m.w. N. Dabei scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen zu sein, wie die literarische Fehde zwischen Duttge, NStZ 2005, 243 m. N. und Herzberg zeigte. Für einen „eigenständigen, spezifischen Sinngehalt“ nämlich Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, S. 29 und MK, § 15, Rn. 102. J. Kretschmer, Jura 2000, 267 zufolge „stehen sich Vorsatz und Fahrlässigkeit in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt aber auch als ‚aliud‘ in einem normativen Stufenverhältnis gegenüber“. 74 Freund [Anm. 54], S. 167; W. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 504 in Anm. 10 und Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 33 f.; Kuhlen, in: Recht und Moral, S. 348; Schönke / Schröder – Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff., Rn. 93; Mikus, Die Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdeliktes, S. 62; Roxin, Chengchi Law Review 50 [1994], 219, 229 f. 70
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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Person durch Fahrlässigkeit (§ 222), kann in objektiver Hinsicht mit seiner Verursachung in zurechenbarer Weise (§ 212 I) gleichgesetzt werden. 76 Zum Tatbestand des § 212 I gehören deshalb – beispielhaft für das allgemeine Verhältnis von vorsätzlichem und fahrlässigem Erfolgsdelikt – sämtliche Voraussetzungen des § 222 und zusätzlich der Vorsatz, während die individuelle Vermeidbarkeit von der herrschenden Lehre als Sondermerkmal der Fahrlässigkeitsschuld behandelt wird. 77 Schlehofer und Herzberg wollen allerdings zusätzlich eine „vom ‚unmittelbaren Ansetzen‘ beschriebene [objektive] Gefahr in das vollendete Vorsatzdelikt“ hineinlesen. 78 Auf dem Weg zu seiner Verwirklichung durchlaufe jedes vollendete Vorsatzdelikt das Stadium eines tauglichen Versuchs. Daher müssten bereits alle Voraussetzungen des versuchten Delikts enthalten und insbesondere die erforderliche Gefahrschaffung nicht nur strafrechtlich missbilligt sein, sondern außerdem ein gemäß § 22 unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung darstellen. Ihnen zufolge hat das unmittelbare Ansetzen beim vollendeten Vorsatzdelikt, damit es in den tatbestandlichen Erfolg einmünden kann, dort nicht nur – wie beim Versuch üblich – nach der Tätervorstellung, sondern schon objektiv vorzuliegen. Zum Tatbestand des § 212 I gehörten demnach das im Sinne von § 222 unerlaubt lebensgefährliche Verhalten und als weiteres objektives Gefahrmerkmal ein unmittelbares Ansetzen zum Totschlag (§§ 212, 22). Diese Überlegung überzeugt im Ansatz, nicht jedoch hinsichtlich der gezogenen Schlussfolgerung. Das vollendete Vorsatzdelikt umfasst den Versuch und wird daher nicht schon durch Vorbereitungshandlungen verwirklicht. Weil das Versuchsunrecht rein subjektiv geprägt ist, 79 können sich aus dieser Übereinstimmung jedoch ausschließlich Konsequenzen für den subjektiven Tatbestand, also Insofern erscheint auch die verbreitete Beschreibung des Verhaltensunrechts eines fahrlässigen Erfolgsdeliktes als objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit des Erfolges (J. Kretschmer, Jura 2000, 267, 269; Kühl, AT, 17/8 ff. m.w. N.) unnötig kompliziert. Ein Risiko liegt bei objektiver ex ante – Betrachtung vor, wenn der sorgfältige Dritte den Eintritt des Erfolges als wahrscheinlich angesehen hätte. Die objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges ist Teil dieses Risikobegriffs und damit nicht sinnvoll von der Sorgfaltspflichtverletzung zu trennen. 75 Gemeint ist natürlich eine Lebenszeitverkürzung; MK – Hartmut Schneider, § 212, Rn. 1. 76 NK – Frister, Nach § 2, Rn. 40 f.; Herzberg, NStZ 2004, 593, 595 ff.; NK – Puppe, Vor § 13, Rn. 154 u. § 15, Rn. 5 sowie AT1, 15/1 ff. Vgl. bereits Oehler, Eberhard Schmidt – FS, S. 233 f.; Schünemann, GA 1999, 207, 217 u. 221 setzt zwar die Schaffung eines unerlaubten Risikos gleich mit der objektiven Sorgfaltswidrigkeit, verneint aber die Identität der Zurechnungsmaßstäbe; kritisch dazu Herzberg, a. a. O. in Anm. 32. 77 MK – Hardtung, § 222, Rn. 1 f., 60 f.; Herzberg, Jura 1984, 402 ff., NStZ 2004, 660, 663 ff. und 2005, 602, 605 f.; Mitsch, JuS 2001, 105, 111, alle m.w. N. 78 Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, S. 32 ff., 37, 76 ff. und nachfolgend Herzberg, Schwind – FS, S. 323 ff.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
für den Vorsatz des vollendeten Delikts ergeben. 80 Ein vollendetes Vorsatzdelikt durchläuft zwar das Stadium eines tauglichen Versuchs. Bei einem schlichten Erfolgsdelikt wie dem Totschlag ergibt sich die Tauglichkeit des Versuchs aber schon aus dem unerlaubt lebensgefährlichen Verhalten, so dass sich durch diese Präzisierung kein zusätzliches Kriterium für die Verhaltensgefährlichkeit im objektiven Tatbestand gerade des vorsätzlichen vollendeten Erfolgsdeliktes begründen lässt. Der objektive Tatbestand sowohl des vorsätzlichen als auch des fahrlässigen Erfolgsdeliktes (vgl. §§ 212 I, 222) wird bereits durch jedes sorgfaltswidrige, das heißt unerlaubt riskante Verhalten erfüllt, welches sich nachfolgend im Erfolg realisiert. Die objektive ex ante-Betrachtung der Verhaltensgefährlichkeit kann somit für beide Deliktsformen einheitlich beschrieben werden. a) Die Sachverhaltsbasis des ex ante-Urteils im objektiven Tatbestand Die Beschreibung eines Wahrscheinlichkeitsurteils als objektiv ex ante ist doppeldeutig und kann daher zu Unklarheiten oder gar Missverständnissen führen. 81 Zum einen vermag das Begriffspaar ex ante und ex post den Gegensatz zwischen Prognose und Diagnose beziehungsweise die zeitliche Perspektive einer Feststellung auszudrücken. 82 Prognosen sind Annahmen über die zukünftige Entwicklung eines Sachverhaltes, während Diagnosen überprüfen, ob Sachverhaltsmerkmale in der Vergangenheit gegeben waren oder gegenwärtig vorliegen. In diesem Sinne stellte die Charakterisierung als „ex-ante-Prognose“ 83 einen Pleonasmus dar, weil danach ex ante nicht mehr als prognostisch besagt. Die Bedeutung des Begriffspaares ex ante und ex post beschränkt sich indes nicht auf diese Unterscheidung von prospektiven und retro- oder adspektiven Urteilen. Die ergänzte Beschreibung eines Urteils als objektiv ex ante oder objektiv ex post setzt nach dem hier zugrunde liegenden Verständnis dessen prognostischen Charakter in beiden Fällen voraus und differenziert stattdessen anhand seiner Sachverhaltsgrundlage. 84 79 Deshalb entfällt es „schon dann, wenn dem Täter die Vorstellung der unrechtsbegründenden Umstände fehlt“; MK – Herzberg, § 22, Rn. 178 und Scheinfeld, Der Tatbegriff des § 24 StGB, S. 48. 80 Vgl. Frister, AT, 11/9 ff. zu dem gemäß § 22 für den Vorsatz erforderlichen Verwirklichungsbewusstsein und 24/6 f. zu dem damit korrespondierenden § 24 I 1, 1. Alt. 81 Vgl. einerseits Burkhard, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 99 ff. sowie andererseits zu Fehlassoziationen durch den Begriff des ex post-Gefahrurteils W. Frisch, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 173. Puppe (AT1, 23/226 und NK, Vor § 13, Rn. 143) will die Ausdrücke ex ante und ex post wegen ihrer Missverständlichkeit aus der Diskussion verschwinden lassen. 82 Dazu sowie zum Folgenden Gallas, Heinitz – FS, S. 177 f. und Puppe, AT1, 23/2 ff. 83 W. Frisch [Anm. 9], S. 126 und passim. 84 Wolter [Anm. 63], S. 223 ff. unterscheidet ebenso zwischen ex ante und ex postPrognosen, während hingegen Angioni, Il pericolo concreto, S. 61 ff. mit der Kennzeichnung als ex ante den prognostischen Charakter eines Urteils ausdrückt.
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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Zur Schlussfolgerung auf ein zukünftiges Ereignis benötigt man Tatsachen und daran anknüpfende Erfahrungssätze, 85 die traditionell als ontologische und nomologische Prognosebasis bezeichnet werden. 86 Tatsachen sind nach Raum und Zeit bestimmte, vergangene oder gegenwärtige Geschehnisse und Zustände. 87 Man unterscheidet in diesem zweiten Sinne zwischen ex ante und ex post gegebenen oder bekannten Tatsachen und grenzt dadurch zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart als Zeitpunkt ihrer Verfügbarkeit ab. 88 Ähnliche Differenzierungen finden sich bei den Erfahrungssätzen und Denkgesetzen. Erstere sind aus der Beobachtung von Einzelfällen und -entwicklungen gebildete Regeln, die für vergleichbare Fälle Geltung beanspruchen. 89 Zu ihrer Bildung müssen die wesentlichen Merkmale und ihre Folgen in ein allgemeines Gesetz abstrahiert werden. Bei Denkgesetzen handelt es sich nach gängigem Verständnis um Sätze der Logik und Mathematik. Ihre Abgrenzung von den Erfahrungssätzen ist allerdings nur von prozessrechtlicher Relevanz. 90 Der Einfachheit halber stützen sich daher die weiteren Erläuterungen lediglich auf Erfahrungssätze, die sich gleichermaßen durch eine „Wenn, dann“ – Struktur beschreiben lassen. 91 Objektiv ex ante wird die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines Schadenseintritts genannt, wenn man ihr die Sachverhaltsannahmen einer „bestimmten normativen Erwartungen entsprechenden Maßstabsperson“ in der konkreten Situation zugrunde legt. 92 Die meisten Darstellungen verzichten insofern auf eine Differenzierung zwischen ontologischer und nomologischer Basis 93 oder sprechen sich ausdrücklich für deren Gleichbehandlung aus. 94 Die ex ante-Betrachtung heißt objektiv, weil es dabei grundsätzlich nicht auf das Täterwissen ankommen soll. Diese 85 Finger, Frank – FG I, S. 235 ff.; SK – Hoyer, Anh. zu § 16, Rn. 27 m.w. N.; Poscher, Gefahrenabwehr, S. 116 f.; Stratenwerth / Kuhlen, AT1, 8/22. 86 Bassenge, Gefahrbegriff, S. 22 ff.; Burkhardt [Anm. 81], S. 103; Finger, a. a. O.; W. Frisch [Anm. 9], S. 132 ff.; Horn, Welzel – FS, S. 726; ursprünglich wohl v. Kries [Anm. 39], S. 86 ff.; Mezger, StrafR, S. 118 in Anm. 29 u. S. 393; LK 7 – Nagler, Anhang 1 zur Einleitung, S. 22; Radbruch [Anm. 41], S. 16; Traeger [Anm. 50]; Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 8 f.; Welzel, StrafR, S. 46; Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 54. Verständlicherweise gegen die Benutzung dieser schwer verständlichen Bezeichnung als juristischen Ausdruck Liepmann, GA 52 [1905], 326, 347 in Anm. 66. 87 Vgl. Schönke / Schröder – Lenckner, § 186, Rn. 3 und MK – Regge, § 186, Rn. 4. 88 Vgl. Burkhardt [Anm. 81], S. 103; Freund [Anm. 54], S. 54 ff; Gallas, Heinitz – FS, S. 178; v. Kries, Vierteljahresschrift f. wissenschaftl. Philosophie 12 [1888], 287, 297; Kuhlen [Anm. 74]; Radbruch [Anm. 41], S. 53. 89 Graul, JZ 1995, 595, 596 m.w. N. in Anm. 9; vgl. bereits Finger, Frank – FG, S. 235 ff. 90 Siehe dazu Korte, Gerichtskundigkeit im Strafprozess, S. 22 f. 91 Vgl. a. a. O. 92 W. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 71 in Anm. 6. 93 Jescheck / Weigend, AT, S. 286; Roxin, AT1, 11/40, 56, vgl. aber ebenso 16/18; Graul, JuS 1995, 1049 ff. und C. Schröder, JuS 2000, 235 ff. im Hinblick auf § 32. 94 W. Frisch [Anm. 9], S. 135 m.w. N. in Anm. 104.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Präzisierung mag demgegenüber bei einer ex post-Betrachtung sinnlos erscheinen, weil das Täterwissen nur für den Zeitpunkt des tatbestandsmäßigen Verhaltens dem subjektiven Tatbestand (§§ 16 I 1, 8 S. 1) zugeordnet wird. Im Folgenden wird dennoch von einer objektiven ex post-Betrachtung gesprochen, weil der Begriff geläufig ist und ein deutlicheres sprachliches Pendant darstellt. 95 Die Maßfigur ist in Rechtsprechung und Literatur vielfach exemplarisch beschrieben worden. Abgestellt wurde etwa auf das Urteilsvermögen, über das der „Träger eines so verantwortungsvollen Berufes, wie es der des Arztes ist“, der gewissenhafte Kraftfahrer oder ein „mit einer gefahrvollen Führungsaufgabe betrauter Offizier“ verfügt. 96 Für die Einschätzung der Betriebssicherheit eines Autos komme es „auf das Wissen eines erfahrenen Technikers an“ und bei der Frage, ob Lebensmittel verdorben sind, entweder auf die Kenntnisse des Lebensmitteltechnikers oder einer „erfahrenen Hausfrau“. Letzteres soll davon abhängen, ob die Nahrungsmittel industriell konserviert beziehungsweise individuell verzehrt werden. 97 Der Sache nach dürfte es sich jeweils um den Wissensstand des durchschnittlichen bis verständigen Beobachters handeln, 98 so wie man ihn schon zu Zeiten der Adäquanztheorie verwendete. 99 Aus ihrer Diskussion stammt auch der differenzierende Vorschlag, lediglich für die Ermittlung der Tatsachen auf den Wissensstand des objektiven Dritten abzustellen und die nomologische Basis nach den späteren Kenntnissen der gesamten Menschheit zu bestimmen. 100 Fragwürdig ist diese Unterscheidung allerdings schon deshalb, weil man sich die Typisierung von Kenntnissen zum Beispiel anhand der Verkehrskreise eher noch hinsichtlich der Erfahrungssätze als bei Tatsachen vorstellen kann. 101 Auf der anderen Seite wird gefordert, ausschließlich den zukünftigen Geschehensablauf objektiv ex ante zu beurteilen. Die Tatsachenbasis der Prognose liege bereits in der Gegenwart vor und müsse daher als 95
Ebenso SK – Samson (6. Aufl., 1992), § 34, Rn. 19. BGHSt 3, 91, 95; 16, 145, 151; 20, 315, 319. 97 Jakobs, AT, 7/47 f. mit inhaltlichen Differenzierungen; vgl. auch die weiteren Beispiele a. a. O. sowie bei Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 4, S. 521 ff. 98 Vgl. Dornseifer, JuS 1982, 761, 764 f.; Jescheck / Weigend, AT, S. 286; Mir Puig, Jescheck – FS I, S. 345; Schaffstein, Bruns – FS, S. 101 ff.; Stratenwerth / Kuhlen, AT1, 8/22. 99 Vgl. Nw. in Anm. 48 f. 100 Nw. in Anm. 50. So könnte man noch heute W. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 71 in Anm. 6 miss-(?)verstehen. Dagegen seine frühere, hier in Anm. 94 nachgewiesene Aussage. 101 Vgl. Kaminski, Der objektive Maßstab im Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 135 ff. und P. Frisch, Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 89, 93 f., der das Täterwissen als ontologische Basis heranzieht. Dieser Ansatz dürfte zumindest in Teilen mit der Beschränkung der Maßstabsperson auf die konkrete Situation des Täters (vgl. Jescheck / Weigend, AT, S. 578) übereinstimmen. 96
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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ihr diagnostischer Anteil – wie bei der Prüfung eines ausschließlich diagnostischen Tatbestandsmerkmals – der Wirklichkeit, das heißt dem gegebenenfalls nachträglich besseren Wissen der Menschheit entnommen werden. 102 Hingegen sei lediglich Erfahrungswissen zu berücksichtigen, das schon zum Zeitpunkt des tatbestandsmäßigen Verhaltens etwa einem besonnenen Dritten in der Lage des Täters zur Verfügung stand. 103 Diese Differenzierungsvorschläge sind jedoch überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Gegen sie wird vor allem angeführt, dass eine solche scharfe Trennung zwischen ontologischer und nomologischer Prognosebasis nicht durchführbar sei. 104 Differenzierungen zwischen Tatsachen und Erfahrungssätzen sind praktisch in der Tat nur schwer umsetzbar und werden regelmäßig durch sprachliche Ungenauigkeiten behindert. 105 Sie sind allerdings möglich, 106 was sich schon daran zeigt, dass man sie im Prozessrecht geradezu selbstverständlich vornimmt. 107 Hintergrund der aktuellen Kritik am zweiten Modell scheint daher vielmehr das Bedürfnis der objektiven ex ante-Beurteilung auch diagnostischer Merkmale zu sein. 108 Von praktischer Bedeutung ist dies etwa bei der Unfallbeteiligung gemäß § 142 I, V. 109 Das Merkmal setzt voraus, dass ein vorheriges Täterverhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. 110 Die zu dieser Feststellung erforderlichen Erfahrungssätze dürften üblicherweise allgemeinkundig sein. Verständige und erfahrene Menschen haben regelmäßig und ohne weiteres von ihnen Kenntnis. 111 Eine effektive Wissensbeschränkung anhand der Maßstabsperson kann insofern nur Tatsachen betreffen. 102 SK – Günther, § 32, Rn. 90 u. § 34, Rn. 21, 32; Schönke / Schröder – Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff., Rn. 70c, Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 10a und Lenckner / Perron, § 34, Rn. 13. 103 Günther, a. a. O. Lenckner / Perron, a. a. O., Rn. 14 stellen zunächst auf das gesamte menschliche Erfahrungswissen ab, schränken dieses aber sogleich wieder insofern ein, „als besondere Erkenntnismittel, die in der konkreten Handlungssituation auch einem mit dem Höchstwissen seiner Zeit ausgestattetem Beobachter nicht zur Verfügung stünden, außer Betracht bleiben“. 104 Dimitratos, Das Begriffsmerkmal der Gefahr, S. 147; LK 11 – Hirsch, § 34, Rn. 28; vgl. Horn, Welzel – FS, S. 726 f.; Jakobs, AT, 13/13; J. Kretschmer, Jura 2005, 662, 664; Roxin, AT1, 16/18; Schaffstein, Bruns – FS, S. 97. 105 Korte [Anm. 90], S. 31 ff., 38 f. 106 MK – Erb, § 34, Rn. 63; SK – Günther, § 34, Rn. 21. 107 Vgl. Graul, JZ 1995, 595, 597 m.w. N. 108 Vgl. NK – Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35, Rn. 82. 109 Das Verbot einer objektiven ex ante – Betrachtung würde der herrschenden Meinung bei Fahrlässigkeitsdelikten mit ausschließlich diagnostischen Tatbestandsmerkmalen erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Ausführlicher zur Bedeutung der objektiven ex ante – Betrachtung für das Fahrlässigkeitsunrecht in Kapitel 1: A.II.1., S. 50. 110 Nw. zu seiner objektiven ex ante – Prüfung in Anm. 71. 111 Siehe zur Allgemeinkundigkeit Meyer-Goßner, § 244 StPO, Rn. 51.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Die nachfolgende Analyse beschränkt sich auf das herrschende Konzept, welches sowohl die ontologische als auch die nomologische Prognosebasis nach dem Wissen des objektiven Dritten bestimmt. Damit soll diesem Modell in der Sache kein Vorteil zugesprochen werden. Im Gegenteil ähneln beide differenzierende Konzepte vielmehr der hier vertretenen Auffassung. An dem herrschenden Modell lassen sich aber die strukturellen Mängel jeder objektiven ex ante-Betrachtung deutlicher herausarbeiten. aa) Irrtümer der Maßstabsperson: Korrekturen bei Risikobegriff oder Erfolgszurechnung Man stelle sich vor, dass die Kühlbecken eines Kernreaktors nur zur Hälfte gefüllt sind, aber im Kontrollraum aufgrund eines äußerst seltenen Instrumentenfehlers ausschließlich Normalwerte angezeigt werden, so dass das Geschehen weder für einen gedachten sachverständigen noch für den diensthabenden Ingenieur zu erkennen ist. In diesem Fall wäre die Inbetriebnahme der Brennstäbe bei objektiver ex ante-Betrachtung als Handlung einzustufen, die zu keiner relevanten Gefahrerhöhung führte, also erlaubt riskant war. Das aufgrund der Vorstellungen des Homunkulus 112 über Tatsachen und Erfahrungssätze gebildete Urteil zur Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts kann jedoch auch mit umgekehrten Vorzeichen fehlerhaft sein. Wie wäre die Inbetriebnahme zu bewerten, wenn im Kontrollraum eine unzureichende Füllung des Kühlbeckens angezeigt wurde, obwohl der gesamte Reaktor einwandfrei funktionierte? 113 Ist dieses Verhalten schon unerlaubt riskant beziehungsweise sorgfaltswidrig etwa im Sinne des § 307 II? 114 Sollte es bei dem Betrieb dennoch aufgrund einer sehr seltenen Fehlfunktion zur Explosion kommen, wird wohl niemand diese im Ergebnis dem Ingenieur zuschreiben. Allerdings gibt es dafür zwei unterschiedliche Begründungsmodelle: Zum einen kann man die objektive ex ante-Beurteilung auf die Sachverhaltsannahmen der Maßstabsperson beschränken, so dass es für die Gefährlichkeit eines Verhaltens nicht darauf ankommt, ob ein bestimmtes Rechtsgut tatsächlich in Gefahr geriet. Ebenso wie die Inbetriebnahme des Reaktors in der Abwandlung wäre etwa das Schneiden einer unübersichtlichen Kurve durch einen Autofahrer selbst dann (unerlaubt) riskant, wenn sich auf der Gegenfahrbahn kein anderes Fahrzeug befand. 115 Diese Auffassung wird im Rahmen der Charakterisierung von 112
Vgl. Armin Kaufmann, ZfRV 5 [1964], 41, 49; Horn, Welzel – FS, S. 725. Siehe ferner das Beispiel von Kindhäuser, GA 2007, 447, 460 sowie dessen Fallgruppen a. a. O., S. 465 f. 114 Vgl. dazu Schönke / Schröder – Cramer / Heine, § 307, Rn. 11; SK – Horn, § 307, Rn. 4; Kindhäuser, LPK – StGB, § 307, Rn. 8; Lackner / Kühl, § 307, Rn. 4. 115 Beispiel von Welzel, Fahrlässigkeit, S. 22 und StrafR, S. 137; vgl. auch das Beispiel von Dencker / Struensee / Nelles / Stein, Einführung in das 6. StrRG, Rn. 19. 113
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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Verhaltensgefährlichkeit nicht immer ausdrücklich vertreten. 116 Sie tritt deutlicher bei Beschreibungen der Gefahrrealisierung zutage. Ein Risiko verwirklicht sich nur dann im Erfolg, wenn zu dessen Erklärung sämtliche Umstände benötigt werden, aus denen sich die Unerlaubtheit des Verhaltens ergab. 117 Für die Prüfung der Erfolgsgenese wird das ex post vorhandene Wissen herangezogen. 118 Das Verhalten des Ingenieurs war zwar eine notwendige Bedingung für die Explosion. Diese erklärt sich jedoch bereits durch die allgemeine Gefahr der (erlaubten) Nutzung von Kernenergie, ohne dass es dazu eines Rückgriffs auf die unerlaubt gefährliche Inbetriebnahme bei vermeintlich nicht vollständig geflutetem Kühlbecken bedarf, weshalb sie ihm nicht objektiv zurechenbar ist. Auch im Allgemeinen können solche Fälle ex post fehlender Verhaltensgefährlichkeit über das Zurechnungserfordernis ihrer objektiven ex postRealisierung im Erfolg ausgeschieden werden, weil ein ausschließlich für den objektiven Dritten (unerlaubt) gefährliches Verhalten in der Wirklichkeit nicht zu einem Schaden führen kann. 119 Am besten lässt sich dieser Ansatz bei den Vertretern der so genannten Risikoerhöhungstheorie nachweisen, die – wie üblich – anhand des Radfahrerfalls beschrieben werden soll. Der Fahrer eines Lastzuges überholte einen volltrunkenen Radfahrer mit zu geringem Seitenabstand. Dabei geriet dieser unter einen Reifen und verstarb. Dem LKW-Fahrer konnte nicht nachgewiesen werden, dass der Radfahrer bei genügendem Abstand überlebt hätte. Weil der Bundesgerichtshof für die Zurechnung eines Erfolges verlangt, dass dieser bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre, bestätigte er den Freispruch der Strafkammer in dubio pro reo. 120 Die Anhänger der Risikoerhöhungstheorie stellen stattdessen darauf ab, „ob die ex ante formulierte Norm auch auf der Grundlage des ex-post-Wissens noch als sinnvolles, das Erfolgsrisiko reduzierendes Verbot anerkannt werden kann (dann Erfolgszurechnung) oder ob sie von dem neuen Kenntnisstande aus als in concreto untauglich oder zumindest untunlich erscheint (dann keine Erfolgszurech116 Unmissverständlich aber Welzel, a. a. O.; nachfolgend Münzberg [Anm. 57], S. 165 ff. und Burgstaller [Anm. 57], S. 38; ebenso klar Rahmlow, Die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht, S. 168 f.; eingehend W. Frisch [Anm. 9], S. 121 ff.; Mir Puig, ZStW 95 [1983], 413, 436 ff.; Zieschang [Anm. 86], S. 29 ff., 61 f.; Greco, ZStW 117 [2005], 519, 549: Liegt „keine Gefahr vor und weiß das der konkrete Täter,“ bleibt das Ungefährlichkeitsurteil auch dann bestehen, „wenn eine objektive Maßfigur anderer Auffassung wäre.“ Demzufolge wäre eine fehlerhafte Risikoannahme des objektiven Dritten ohne ein Sonderwissen des Täters maßgeblich. 117 Vgl. Jakobs, AT, 7/78. 118 W. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 519 f.; Schünemann, GA 1999, 207, 215 ff. 119 W. Frisch, a. a. O., S. 35 ff. 120 BGHSt 11, 1 ff.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
nung)“. 121 Die Gefahrsteigerung als Verhaltensmerkmal wird somit ausschließlich nach den Vorstellungen der Maßstabsperson beurteilt. Für die Frage der Risikorealisierung wäre dann zu prüfen, ob das Verhalten ex post eine Risikoerhöhung bewirkte. Sie wird lediglich verneint, wenn der Erfolg auch bei rechtmäßigem Verhalten mit Sicherheit eingetreten wäre. 122 Dieses Zurechnungserfordernis legt den Gedanken nahe, bereits das objektiv ex ante als gefahrerhöhend beurteilte Verhalten nochmals einer objektiven ex postKontrolle zu unterziehen. 123 Vor der Entwicklung (und Betonung) 124 des Realisierungskriteriums als Zurechnungserfordernis musste man das objektive ex anteUrteil mangels Alternativen zwangsläufig noch als in diesem Sinne auf wirkliche Gefahren beschränkt verstehen. 125 Nach Roxins ersten Veröffentlichungen zur Risikoerhöhungslehre 126 wurde der Methode jedoch eine unklare Vermischung von ex ante und ex post-Betrachtung vorgeworfen. 127 Daraufhin erfolgte die Abtrennung der ex post zu beurteilenden Risikoerhöhung als Gegenstand der Erfolgszurechnung. 128 Aber auch heute verlangen viele Autoren eine objektiv erkennbare Gefahrschaffung als Verhaltensmerkmal. 129 Nach diesem Verständnis wird also objektiv ex ante geprüft, ob in einer bestimmten tatsächlichen Situation die wirkliche Verhaltensgefährlichkeit dem einsichtigen Dritten in der Rolle des Täters 121
Schünemann, JA 1975, 647, 652; Roxin, AT1, 11/94; vgl. SK – Rudolphi, Vor § 1, Rn. 67 ff. m.w. N. auch zur Gegenansicht. 122 Rudolphi, a. a. O., Rn. 67 m.w. N. 123 Vgl. W. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 35 in Anm. 144. 124 Vgl. Roxin, AT1, 11/51. 125 Man stellte darauf ab, welcher Ausschnitt der Wirklichkeit bei verständigem Urteil erkennbar war; vgl. v. Hippel [Anm. 44], S. 148 m.w. N. und Schwander, SchwZStr 66 [1951], 440, 445. 126 ZStW 74 [1966], 411 ff., 432 („angesichtes der wirklich eingetretenen Situation“); 78 [1966], 214 ff. 127 Ulsenheimer, JZ 1969, 364, 366 und anschließend Samson, Kausalverläufe, S. 46 ff., 154 f. 128 Vgl. nur Stratenwerth, Gallas – FS, S. 229 f. Zur Dogmengeschichte Schünemann, JA 1975, 647, 649 ff. Vgl. auch SK – Rudolphi, Vor § 1, Rn. 69 m.w. N. Nachdem Roxin, Honig – FS, S. 138 f. in Anm. 18 nochmals klargestellt hatte, dass die ex ante Gefahrannahme auf wirkliche, d. h. ex post nachweisbare Risiken zu beschränken ist, durfte die Notwendigkeit dieser Korrektur ernsthaft bezweifelt werden. 129 Wolter, GA 1977, 259: „Dem Täter ist (allein) verboten, ein objektiv vorhersehbares [...] Erfolgsrisiko zu schaffen.“ Schroeder, JZ 1989, 776, 780: „Bei dem erlaubten Risiko geht es darum, daß erkennbare Gefährdungen wegen des damit überwiegend erzielten Nutzens ausnahmsweise toleriert werden.“ Jescheck / Weigend, AT, S. 578: „Maßstab für die vom Täter zu fordernde Aufmerksamkeit beim Erkennen von Gefahren ist der ‚gewissenhafte und besonnene Mensch des Verkehrskreises, dem der Handelnde angehört‘ [...], und zwar in der konkreten Situation, in der er sich befunden hat.“ Brinkmann, Vertrauensgrundsatz, S. 73: „Vorhersehbarkeit oder Erkennbarkeit eines Gefahrensachverhalts“; Wessels / Beulke, AT, Rn. 667 ff., 670: „Erkennbarkeit von Gefahren“ als Voraussetzung der Sorgfaltspflichtverletzung.
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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bekannt beziehungsweise erkennbar gewesen wäre. 130 Ein gefahrbegründender umgekehrter Irrtum des objektiven Dritten wäre demnach im Tatbestand des Erfolgsdeliktes ausgeschlossen. Ob die Beschränkung der Gefahrannahmen durch die Maßstabsperson schon beim unerlaubten Risiko oder erst bei der Zurechnung stattfinden muss, wird später noch diskutiert werden. 131 bb) Der Einfluss des Sonderwissens Anerkanntermaßen werden fehlerhafte Gefahrurteile der Maßstabsperson bereits im Rahmen der Verhaltensbewertung korrigiert, wenn der Täter so genanntes Sonderwissen hat. 132 Man stelle sich etwa vor, dass ein Biologiestudent als Aushilfskellner in einem exotischen Salat dank seiner im Studium erworbenen Kenntnisse eine giftige Frucht entdeckt, die selbst ein gedachter – gut ausgebildeter und aufmerksamer – Oberkellner nicht als solche erkannt hätte. Er serviert den Salat trotzdem und der Gast stirbt. 133 Würde man in diesem Fall lediglich auf das Wissen des Homunkulus abstellen, wäre das Verhalten der Aushilfe als ungefährlich einzustufen. Um solche kaum nachvollziehbaren Ergebnisse zu vermeiden, berücksichtigt die ganz herrschende Meinung das Sonderwissen. Gemeint ist damit ein Täterwissen, das mit der Wirklichkeit übereinstimmt und über die Kenntnisse der Maßfigur hinausgeht. 134 Im vorliegenden Fall könnte sie daher eine unerlaubte Handlung annehmen, deren Gefährlichkeit sich zudem im Erfolg realisierte, und den Täter wegen Totschlags bestrafen, § 212 I. 135 Die Auswirkung des Sonderwissens auf die Prüfung des Erfolgsdeliktes wird unterschiedlich beurteilt. Greco postuliert: „Da das endgültige Urteil über die objektive Tatbestandsmäßigkeit der Wertung der Gefahr als (un-)erlaubt vorbehalten bleibt, kommt dem Sonderwissen als solchem rechtliche Erheblichkeit, insbesondere eine tatbestandsbejahende oder -verneinende Wirkung, nicht zu.“ 130 Vgl. Wessels / Beulke, AT, Rn. 170, 196; Burkhardt [Anm. 81], S. 100 ff.; Schroeder, JZ 1989, 776, 779. 131 Siehe Kapitel 1: A.II.1.a), S. 51. 132 Greco, ZStW 117 [2005], 519 f. mit umfangreichen Nw. in Anm. 6 und S. 521 ff. zur Problemgeschichte. 133 Siehe Jakobs, Armin Kaufmann – GedS, S. 273, 283 ff. 134 Greco, ZStW 117 [2005], 519, 531 f.; zu den bei diesem Vergleich drohenden Friktionen am Ende von Kapitel 1: A.II.3., S. 55. 135 Jakobs will das Sonderwissen lediglich im Rahmen der ausgeübten sozialen Rolle bzw. bei Garantenpflichten berücksichtigen; AT, 7/49 f. Weil ein Wissen aus der Rolle als Biologiestudent bei der Interaktion zwischen Kellner und Gast nicht dazu gehört, würde er ein vorsätzliches Verletzungsdelikt verneinen und nur aus § 323c bestrafen, sofern der Täter sich nicht unter den Gästen sein Opfer aussuchte; a. a. O. und in Anm. 133. Für die normativ differenzierte Berücksichtigung des Sonderwissens auch Müssig, Jakobs – FS, S. 432 mit einem weiteren Bsp. Zu Recht dagegen Roxin, ZStW 116 [2004], 929, 943; kritisch auch NK – Puppe, Vor § 13, Rn. 157 und Greco, ZStW 117 [2005], 519, 538 ff.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Er schränkt diese Aussage jedoch sogleich mit der Überlegung ein, die „Idee des Sonderwissens, ursprünglich konzipiert als ein Kunstgriff, um die Strafbarkeit auszuweiten, hat in Wahrheit eine eigenständige Bedeutung nur für den Fall, dass der Täter Sonderwissen vom Nichtbestehen einer Gefahr hat, die nach dem Urteil einer objektiven Maßfigur vorliegen würde – und wirkt sich daher im Sinne einer Strafbarkeitseinschränkung aus.“ 136 Diese Einschätzung soll kurz an den beiden Reaktorbeispielen überprüft werden. Im Grundfall war die Inbetriebnahme zunächst nach den Annahmen sowohl des gedachten verständigen als auch des diensthabenden Ingenieurs als ungefährlich einzustufen. Sofern letzterer jedoch – etwa aufgrund eigener wissenschaftlicher Untersuchungen unscheinbarer Anzeichen von Reaktorfehlfunktion – weiß, dass die konstant einwandfreie Anzeige eines bestimmten Instruments paradoxerweise auf die mangelnde Bewässerung des Kühlbeckens hindeutet, hat er diesbezüglich ein Sonderwissen, das zur Beurteilung des Reaktorbetreibens als gefährlich führt. Auch wenn man erst noch in einer Abwägung feststellen muss, dass dieses Verhalten als zudem unerlaubt riskant zu bewerten ist, bleibt die Einbeziehung des Sonderwissens notwendige Bedingung für ein Verbot. Das spricht für die Anerkennung eines Grundsatzes „Wissen verpflichtet“ 137 und zeigt, dass die zuvor angeführte These jedenfalls insoweit nicht richtig ist. In der Abwandlung wiesen die Anzeigen im Kontrollraum fälschlicherweise auf eine fehlende Bewässerung des Kühlbeckens hin. Die Maßstabsperson musste eine Inbetriebnahme daher als riskant bewerten. Eine Ansicht schloss den gefahrbegründenden umgekehrten Irrtum des objektiven Dritten jedoch aus und beschränkte seine Annahmen auf wirkliche Gefahren. Dieser Auffassung folgend ist es unerheblich, ob der Täter über die Gefahr besser informiert war. Insbesondere die Vertreter der Risikoerhöhungslehre würden dagegen in der Abwandlung ein sorgfaltswidriges Verhalten annehmen, aber die Zurechnung der Explosionsschäden – durch ausschließliche Bezugnahme auf die wirklichen Umstände hinsichtlich der Risikorealisierung – verneinen. Wird der Ingenieur durch den Kontrolltrupp über das einwandfreie Funktionieren des Kühlbeckens informiert, dann ist der Betrieb für ihn entgegen den Annahmen des Homunkulus zwar ungefährlich. Das Sonderwissen ist dabei jedoch ohne Einfluss auf die Verneinung des Erfolgsdeliktes und führt ebenso nach dieser Auffassung nur zu einer Begründungsvorverlagerung von der Erfolgszurechnung zum Erfordernis unerlaubt riskanten Verhaltens. Das Sonderwissen kann somit nach der Risikoerhöhungslehre – beschränkt auf den Tatbestand des Erfolgsdeliktes – zwar entpflichten. Es vermag jedoch lediglich eine „virtuelle“ Sorgfaltspflicht zu beseitigen, da der Verstoß immer folgenlos bliebe und weder eine Bestrafung noch Gegenrechte auslöst. Auch der zweite Teil der These ist also nicht richtig. 136 137
ZStW 117 [2005], 519, 549 f. Graßberger, ZfRV 5 [1964], 18, 25; Burgstaller [Anm. 57], S. 66.
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cc) Die dogmatische Verortung der Sonderfähigkeiten Bei der objektiven ex ante-Prüfung der Sorgfaltspflichtverletzung respektive des unerlaubt riskanten Verhaltens wird darüber gestritten, ob neben dem Sonderwissen zusätzlich so genannte Sonderfähigkeiten des Täters zu berücksichtigen sind. 138 Deren Gegenstand lässt sich an folgendem Beispiel beschreiben. 139 Patient P leidet an einem scheinbar unheilbaren Tumor. Der alte Forscher F erfährt davon aus einer Fachzeitschrift und entwickelt eine Operationsmethode, die jedoch wegen der erforderlichen Abtrennung von Organen nur innerhalb eines sehr kurzen Zeitintervalles durchgeführt werden kann. Dauert die Behandlung länger, verstirbt der Patient. F trainiert daher seinen jungen Assistenten A so lange, bis dieser die Methode sicher beherrscht. Im Gegensatz zu F beherrscht daher A die Operation nicht nur gedanklich, sondern auch in der tatsächlichen Durchführung der einzelnen Bewegungsabläufe. Es verbleibt nur noch ein möglicher OP-Termin. A erwägt, sich von F vertreten zu lassen, als eine attraktive Frau ihn zum Skiurlaub einlädt. Hier würde man – sprachlich undifferenziert – von einer Sonderfähigkeit des A ausgehen. Fähigkeiten sind angeborene Attribute, während Fertigkeiten erlernt werden. 140 Gemeint werden mit dem rechtstechnischen Begriff der Sonderfähigkeit beide Eigenschaften, was allerdings bei der Lösung des eigentlichen Problems keine zusätzlichen Schwierigkeiten bereitet. Ob und wie nämlich Sonderfähigkeiten auf die Prognose des objektiven Dritten Einfluss nehmen, ist kaum geklärt. 141 Solange P nicht Patient von F und A ist, kommt mangels Garantenstellung eine Strafbarkeit gemäß §§ 212 I, 13 nicht in Betracht. Der Tatbestand des § 323c verpflichtet indes unabhängig davon zu den erforderlichen und zumutbaren 142 Hilfeleistungen. Deren Unterlassung wird nach dem Wortlaut der Norm jedoch nur erfasst, wenn die Vornahme dem Täter möglich ist, was im Beispiel vom Vorliegen der Sonderfertigkeit abhängt. Dieser Aspekt lässt sich für die unechten Unterlassungsdelikte verallgemeinern. In der Sache geht es um die Voraussetzungen menschlichen Verhaltens. 143 Hand138 Für die Einbeziehung Baumann / U. Weber / Mitsch, AT, 22/46 mit umfangreichen Nw. auch zur Gegenauffassung. Wolter, GA 1977, 259, 270 differenziert zwischen privaten und beruflichen Sonderfähigkeiten. Schünemann, JA 1975, 511, 515 unterscheidet danach, ob sie eine technische Innovation zur Folge haben. 139 Vgl. bereits Schünemann, JA 1975, 511, 515 und Kaminski [Anm. 101], S. 87. 140 Siehe zum Stichwort „Fertigkeit“ unter www.wikipedia.de. Vgl. ebenso Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 3, der einen synonymen Gebrauch der Begriffe „Fertigkeit“ und „Fähigkeit“ indes nicht ausschließt. 141 Vgl. nur die Erörterung des Beispiels bei Kaminski. Dies mag mitunter darauf zurückzuführen sein, dass die Begriffe Sonderwissen und -fähigkeit nicht klar getrennt bzw. synonym verwendet werden; vgl. dazu Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 250 in Anm. 151. 142 Siehe zur Tatbestandsqualität dieses Merkmals Anm. 70.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
lung ist nach der ganz allgemeinen Auffassung – und unabhängig vom Streit um ihr Wesen – die vom Willen 144 beherrschte oder beherrschbare Körperbewegung. 145 Spiegelbildlich dazu setzt das Unterlassen voraus, dass die gesollte Handlung für den Täter vornehmbar war, 146 was entsprechende motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten erfordert. Ein Vater kann sein Kind nur dann vor dem Ertrinken retten, wenn er zu schwimmen gelernt hat. 147 Hinter der Sonderfähigkeit des A verbirgt sich daher die schlichte Aussage, dass die Nichtdurchführung der Operation ein Unterlassen darstellt beziehungsweise eine Strafbarkeit wegen Unterlassens (§§ 212 I, 13, 323c) begründen kann, weil ihm ihre Vornahme möglich war. Für die objektive ex ante-Beurteilung der Gefährlichkeit dieser Handlung oder ihrer Unterlassung ist sie hingegen ohne Bedeutung. 148 b) Der Gefährdungsvorsatz Vorsatz liegt gemäß § 16 I 1 nur vor, wenn der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennt, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Damit wird seine intellektuelle (Mindest-)Anforderung dahingehend beschrieben, dass der Täter den realen tatbestandsmäßigen Sachverhalt für möglich halten muss. Die Kenntnis bezieht sich auf diejenigen Umstände, welche Verhaltensmerkmale des objektiven Tatbestandes erfüllen. Der Täter eines Erfolgsdeliktes muss über die durch sein Verhalten erhöhte Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts Bescheid wissen. Der Erfolgseintritt kann ihm hingegen schon deshalb nicht bekannt sein, weil er zum Zeitpunkt des Tatverhaltens noch kein Teil der Wirklichkeit ist. Die Verstärkung des intellektuellen Anteils zu sicherem Wissen beim dolus directus zweiten Grades 143 U. a. von Roxin, AT1, 8/42 f. wird verlangt, die Verhaltensmöglichkeit vor dem Tatbestand zu prüfen. Die Handlung ist jedoch ein Tatbestandsmerkmal; Herzberg, GA 1996, 1, 5 ff. und NK – Puppe, Vor § 13, Rn. 37 f. Deutlich wird dies beim Unterlassungsdelikt. Weiß A im obigen Beispiel nicht, dass er die für eine OP erforderlichen besonderen Fertigkeiten hat, verwirklicht er bei Nichtvornahme nur den objektiven Tatbestand des Unterlassungsdeliktes. Dies muss deshalb im Vorsatz thematisiert werden, weil die Verhaltensmöglichkeit ein Tatbestandsmerkmal ist. Es führt nicht weiter, sich über die andernfalls entstehende Ungereimtheit durch eine – wie auch immer durchzuführende – Differenzierung zwischen der Handlungsfähigkeit von Maßstabsperson und Individuum zu retten, indem man nur letztere als Merkmal des Unterlassungstatbestandes ansieht; vgl. dagegen LK 11 – Jescheck, Vor § 13, Rn. 38, 93; Roxin, AT2, 31/5ff. 144 Kapitel 1: F.II.2., S. 133 wird zeigen, dass dieser Rückgriff auf subjektive Merkmale überflüssig ist. 145 Frister, AT, 8/2 f.; LK 11 – Jescheck, Vor § 13, Rn. 25 ff.; MK – Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 120: „Ultra posse nemo obligatur!“ Mit Recht gegen eine Beschränkung dieses Grundsatzes auf die Unterlassungsdelikte Renzikowski [Anm. 141], S. 247 ff. 146 Baumann / Weber / Mitsch, AT, 15/15. 147 Vgl. Rudolph, Das Korrespondenzprinzip im Strafrecht, S. 51 f. 148 Hinsichtlich der objektiven Erkennbarkeit von Gefahren muss jedermann daher nur sein Sonderwissen gegen sich gelten lassen; vgl. Wessels / Beulke, AT, Rn. 670.
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sowie seine Ergänzung durch ein voluntatives Element beim dolus directus ersten Grades oder – fragwürdigerweise – beim dolus eventualis 149 sind für die Erörterung des Risikobegriffs zunächst ohne Bedeutung. Wichtig ist an dieser Stelle lediglich, dass die Verhaltensgefährlichkeit als Element des objektiven Erfolgsdeliktstatbestandes zum einen vom Täter für möglich gehalten werden und als Bezugspunkt eines kongruenten Vorsatzes zum anderen der Wirklichkeit entsprechen muss. 150 Obwohl die Gefährlichkeitsbeurteilung im objektiven Tatbestand anhand der – möglicherweise unwirklichen – Sachverhaltsannahmen des objektiven Dritten erfolgt, ergeben sich daraus im subjektiven Tatbestand keine besonderen Schwierigkeiten für die Kongruenz des Vorsatzes. Wegen der Einbeziehung des Sonderwissens ist die Maßstabsperson niemals schlechter informiert über die Wirklichkeit als der Täter. Hat man im objektiven Tatbestand des Erfolgsdeliktes nur festgestellt, dass das Täterverhalten mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu einem Schadenseintritt führen muss und diese im realen Sachverhalt nachgewiesen, stellt sich die Frage, ob auch dem Täter diese Erkenntnis zur Verfügung stand. Dies setzt voraus, dass er die zugrunde liegenden Tatsachen und Erfahrungssätze gekannt und für seine Gefährlichkeitsbeurteilung herangezogen hat. c) Individuelle Gefährdungserkennbarkeit als Merkmal der Fahrlässigkeitsschuld Die Anwendung von vorhandenem Tatsachen- und Erfahrungswissen im konkreten Fall ist indes nicht zwingend, wie sich am genannten Beispiel des Schneidens einer unübersichtlichen Kurve zeigen lässt. 151 Obwohl man bei nahezu jedem Autofahrer davon ausgehen kann, dass er über die Gefährlichkeit eines solchen Manövers im Allgemeinen informiert ist, werden nur die wenigsten Verkehrsrowdys diesen Erfahrungssatz auf ihre Situation anwenden und so die ihnen und anderen drohenden Schäden realisieren. 152 Wenn man bei einem Unfall aus diesem Grund den Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz verneinen muss, kommt noch eine Strafbarkeit gemäß §§ 222, 229 in Betracht. Am Anfang von Kapitel 1: A.I.2., S. 32 wurde bereits die Prämisse gesetzt, dass Fahrlässigkeitsdelikte nichts anderes sind als kupierte Vorsatzdelikte und sich von diesen hinsichtlich des objektiven Tatbestandes nicht unterscheiden. Anders als beim Vorsatzdelikt berücksichtigt 149
Allgemein und zum Streit um den Eventualvorsatz MK – Joecks, § 16, Rn. 10 ff. m.w. N. 150 Vgl. Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, S. 4 ff., 19 f. 151 Kapitel 1: A.I.2.a)aa), S. 38. 152 Vgl. Frister, AT, 11/25. Von Wessels / Beulke, AT, Rn. 217 wird diese Einschätzung als „lebensfremd“ gescholten. Er verneint den Eventualvorsatz durch die Forderung nach einem zusätzlichen voluntativen Element. Vgl. dagegen Schlehofer [Anm. 150], S. 168 m.w. N.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
die herrschende Meinung das individuelle Wissen des Täters – einmal abgesehen von den Fällen des Sonderwissens – jedoch nicht im Tatbestand, sondern erst im Rahmen der Fahrlässigkeitsschuld. Man verlangt dort eine „subjektive Sorgfaltspflichtverletzung“ 153. Neben der individuellen Erkennbarkeit des tatbestandsmäßigen Geschehens gibt es jedoch keine weiteren Abweichungen von der Schuld des Vorsatzdeliktes. 154 Geprüft wird als Sondermerkmal der Fahrlässigkeitsschuld lediglich, ob der Täter den (im eigentlichen Sinne) 155 tatbestandsmäßigen Sachverhalt bei Anwendung seines Tatsachen- und Erfahrungswissens erkannt hätte. 3. Die Eignung zur Gefahrabwendung als Verhaltensmerkmal des Rechtfertigungstatbestandes Weit verbreitet ist die objektive ex ante-Betrachtung ebenso bei der üblicherweise zweigeteilt behandelten 156 Notstandsvoraussetzung „in einer [...] nicht anders abwendbaren Gefahr“, vgl. §§ 34 S. 1 StGB, 16 S. 1 OWiG, 228 S. 1, 904 S. 1 BGB. Diese Übereinstimmung kann nicht verwundern, handelt es sich doch um ein zur Verhaltensgefährlichkeit beim schlichten Erfolgsdelikt spiegelbildlich aufgebautes Merkmal. Um diesen Zusammenhang deutlich und nutzbar zu machen, ist die einheitliche Erörterung geboten. Nur ein Verhalten, welches das bestehende Risiko verringert, ist zu seiner Abwendung geeignet. Das erfordert eine Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes ohne und mit Vornahme des zu beurteilenden Verhaltens, bei der man sich wiederum an den Vorstellungen des objektiven Dritten orientieren soll. Eine allgemeine Diskussion des Gefahrbegriffs kann sich auf die Darstellung des einfachsten Falles beschränken, in dem eine bestehende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auf Null reduziert, also die Gefahr abgewendet wird. Die Höhe der Wahrscheinlichkeitsdifferenz wäre erst in den nächsten Schritten von Bedeutung, nämlich beim Ausschluss milderer, gleich geeigneter Mittel und bei der Interessenabwägung. a) Die Sachverhaltsbasis des ex ante-Urteils im objektiven Rechtfertigungstatbestand Um die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes prognostizieren zu können, sind wie zuvor die Vorstellungen „des verständigen Beobachters aus dem Ver153
MK – Hardtung, § 222, Rn. 60. Schönke / Schröder – Cramer / Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 199 ff.; Mitsch, JuS 2001, 105, 111 und Sacher, Sonderwissen und Sonderfähigkeiten, S. 240 f. sprechen von subjektiver bzw. subjektbezogener Voraussehbarkeit. Gegen einen erweiterten Schuldausschluss wegen der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zu Recht MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 224 ff. m.w. N. auch zur befürwortenden Ansicht. 155 Siehe Kapitel 1: A.I.2.b), S. 44. 156 NK – Neumann, § 34, Rn. 39 ff., 58 ff.; KK – Rengier, § 16 OWiG, Rn. 12 ff., 16 ff. 154
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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kehrskreis des Handelnden“ hinsichtlich Tatsachen und Erfahrungssätzen heranzuziehen. 157 Allerdings müssen die Irrtümer der Maßstabsperson im Vergleich zur Prüfung der Gefahrerhöhung auf Tatbestandsebene spiegelverkehrt behandelt werden. Dort ließen sich zwei Irrtumstypen ausmachen, die auch hier am Kraftwerksbeispiel besprochen werden sollen. Zunächst stelle man sich noch einmal vor, dass im Kontrollraum bei laufendem Betrieb aufgrund eines – weder dem einsichtigen gedachten noch dem diensthabenden Ingenieur erkennbaren – Instrumentenfehlers eine unzureichende Füllung des Kühlbeckens angezeigt wird, obwohl der gesamte Reaktor einwandfrei funktioniert. Eine Sofortabschaltung erscheint technisch unmöglich, so dass die Kühlung nur durch einen unverzüglichen Austausch mit einem angrenzenden Gewässer zu gewährleisten ist. Durch den dortigen schnellen Temperaturanstieg sterben viele Wassertiere. Das Verhalten erfüllt den Tatbestand der Gewässerverunreinigung gemäß § 324 I. 158 Seine Rechtfertigung durch Notstand setzt voraus, dass dadurch zugleich eine Gefahr verringert wurde, was sich in diesem Beispiel nicht so ohne weiteres bejahen lässt, da der Reaktor einwandfrei funktionierte. Der objektive Dritte im Kontrollraum musste allerdings davon ausgehen, dass der Reaktor überhitzt und explodiert. Nach seiner irrtümlichen Sachverhaltsannahme bewirkte der Wasseraustausch die vollständige Beseitigung der Gefahr. Solche irrtümlichen Gefahr(abwendungs-)annahmen des Homunkulus bereiten den Vertretern der objektiven ex ante-Betrachtung im Gegensatz zur Verhaltensgefährlichkeit beim Erfolgsdelikt keine Schwierigkeiten. Es genügt demnach für § 34 jedenfalls, dass ein gedachter Fachmann in der Situation des Täters das angewendete Mittel zur Abwendung einer Gefahr für geeignet halten würde. 159 Allerdings werden seine Annahmen zu Tatsachen und Erfahrungssätzen durch das Sonderwissen des Täters ergänzt. 160 Sobald also der diensthabende Ingenieur von seinem Kontrolltrupp eine Entwarnung bekommt, entfällt zugleich das Gefahrurteil des objektiven Dritten. Dieser Irrtum der Maßstabsperson lässt sich umkehren, indem man nochmals davon ausgeht, dass ein Reaktorkühlbecken nur zur Hälfte gefüllt ist, aber im Kontrollraum aufgrund eines äußerst seltenen Instrumentenfehlers Normalwerte angezeigt werden. Um die regelmäßig gegen das Kraftwerk protestierenden Mitglieder eines Angelvereins zu ärgern, ordnet der Leiter des Kontrollraums einen 157
Maurach / Zipf, AT1, 27/15; Jakobs, AT, 13/13. Vgl. Schönke / Schröder – Cramer / Heine, § 324, Rn. 8 f.; Lackner / Kühl, § 324, Rn. 4 f. 159 Dimitratos [Anm. 104], S. 121 f., 178 f.; W. Frisch [Anm. 9], S. 433, 443; Herzberg, JA 1989, 243, 250; Kühl, AT, 8/46 ff. 160 Dimitratos, a. a. O., S. 172, 177 ff.; W. Frisch, a. a. O., S. 427 in Anm. 48, 441; Kühl, AT, 8/53 f., der auf das bei objektiver ex ante-Betrachtung schon im objektiven Rechtfertigungstatbestand zu thematisierende und (zumindest dort) kaum behandelte Problem hinweist, dass der Täter nur ein unsicheres Sonderwissen über den gefahrbegründenden Sachverhalt hat; Pawlik, Notstand, S. 176, alle m.w. N. 158
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Wasseraustausch an, der zugleich die drohende Katastrophe verhindert. Weder ihm noch dem gedachten verständigen Ingenieur waren Tatsachen oder Erfahrungssätze bekannt, die einen entsprechenden Rückschluss zuließen. Wenn das Verhalten tatsächlich die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes beseitigt, geht man jedoch trotz entgegenstehender Annahmen von Maßstabsperson oder Täter im objektiven Rechtfertigungstatbestand davon aus, dass dadurch eine Gefahr im Sinne von § 34 abgewendet werden kann. 161 b) Der Vorsatz hinsichtlich der Ungeeignetheit zur Gefahrabwendung analog § 16 I 1 Die Inhalte des subjektiven Rechtfertigungstatbestandes wurden hauptsächlich im Streit um die Rechtsfolgen des Erlaubnistatbestandsirrtums entwickelt, bei dem der Täter irrtümlich rechtfertigende Umstände annimmt, während er im umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtum deren Vorliegen verkennt. 162 Die eingeschränkte Schuldtheorie geht zu Recht davon aus, dass Tatbestand und Rechtswidrigkeit als einheitliche Wertungsstufe die gleiche Bedeutung für das Unrecht der Tat haben. 163 Sie nimmt der Sache nach einen – aus den Deliktsmerkmalen und dem Fehlen rechtfertigender Voraussetzungen bestehenden – einheitlichen Unrechtstatbestand an, verwendet aber traditionsgemäß 164 wegen der sprachlichen Trennung im Strafgesetzbuch 165 weiterhin den dreistufigen Verbrechensaufbau. 166 Der Vorsatz muss sich daher ebenso auf das Nichtvorliegen von Umständen beziehen, die zum Rechtfertigungstatbestand gehören. Er entfällt analog § 16 I 1, 167 wenn der Täter im Erlaubnistatbestandsirrtum deren Fehlen nicht für möglich hält, also sicher vom Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ausgeht. 168 161 Jakobs, AT, 11/12 u. 13/13; Pawlik, a. a. O., S. 175 f.; Schaffstein, Bruns – FS, S. 102 in Anm. 29. 162 Jeweils eingehende Streitdarstellung bei Rinck, Der zweistufige Deliktsaufbau, S. 74 – 307. 163 Roxin, AT1, 14/55 f., 62 ff. m.w. N.; zur Bezeichnung ebenso Rinck, a. a. O., S. 145 ff. sowie zu ihrer Präzisierung als „vorsatzunrechtverneinend“ Kühl, AT, 13/73. Dass kein inhaltlicher Unterschied zwischen unrechtsbegründenden und -ausschließenden Tatsachen besteht, deutet bereits die umstrittene Einordnung mancher Deliktsmerkmale als tatbestandlich oder die Rechtswidrigkeit betreffend an; NK – Puppe, Vor § 13, Rn. 14. Tradition hat die Diskussion um die Verwerflichkeit in § 240 II; dazu Schönke / Schröder – Eser, § 240, Rn. 16 m.w. N. 164 SK – Samson (5. Aufl., 1992), Vor § 32, Rn. 30. 165 Herzberg, JA 1986, 190, 192. 166 Lackner / Kühl, Vor § 13, Rn. 17 m.w. N. Für den zweistufigen Deliktsaufbau der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen dagegen Rinck [Anm. 162], S. 309 ff. m.w. N. 167 LK 12 – J. Vogel, § 16, Rn. 110 ff., 116; Schünemann / Greco, GA 2006, 777, 792 plädieren dagegen für eine direkte Subsumtion unter § 16 I.
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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Die Bestrafung wegen einer Vorsatztat setzt daher im Hinblick auf § 34 S. 1 voraus, dass der Täter Vorsatz hinsichtlich der Ungeeignetheit zur Gefahrabwendung oder anderer den Notstand ausschließender Umstände hatte. Für die erste Alternative muss er durch Anwendung der ihm bekannten Tatsachen und Erfahrungssätze zu dem Ergebnis gelangen, dass durch sein Verhalten die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für das Schutzgut nicht verringert wird. Weil dies nicht der Fall ist, wenn der Ingenieur – im Gegensatz zum objektiven Dritten – fälschlicherweise von der Überhitzung des Kernreaktors ausgeht und den Wasseraustausch vornimmt, würde eine vorsätzliche unbefugte Gewässerverunreinigung (§ 324 I) ausscheiden. Im zuvor besprochenen Beispiel war jedoch weder dem diensthabenden noch dem gedachten sorgfältigen Ingenieur die unzureichende Bewässerung des Kühlbeckens bekannt. Der Leiter des Kontrollraums handelte in Unkenntnis des gemäß § 34 rechtfertigenden Sachverhalts, also im umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtum. Eine Minderheitsansicht nimmt an, dass Umstände, welche die Motivation des Täters nicht bestimmen, ihm auch nicht zugute kommen. 169 Ohne das Vorliegen ihrer gesetzlich vorausgesetzten subjektiven Merkmale sollen Erlaubnissätze deshalb nicht eingreifen. 170 Man könnte daraus folgern, dass die fehlerhafte Vorstellung der Ungeeignetheit zur Gefahrabwendung auf den objektiven Rechtfertigungstatbestand einwirkt und die tatsächliche Verringerung des Risikos unbeachtlich werden lässt. Die herrschende Lehre geht jedoch zu Recht davon aus, dass eine Tätervorstellung des Nichtvorliegens rechtfertigender Umstände den objektiven Rechtfertigungstatbestand und damit das Gefahrmerkmal nicht beeinflusst. Dies begründet lediglich ein Versuchsunrecht, 171 wie der Vergleich mit dem Deliktstatbestand zeigt. Geht der Täter irrtümlich davon aus, dass sein Verhalten unerlaubt das Risiko des Todes eines anderen Menschen erhöht, kann dieser versuchte Totschlag (§§ 212, 22, 23 I) im objektiven Tatbestand gleichfalls keine Risikoerhöhung begründen. c) Individuelle Erkennbarkeit der Ungeeignetheit zur Gefahrabwendung als Fahrlässigkeitsschuldmerkmal Eine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit setzte zunächst voraus, dass der Täter durch sein Verhalten den objektiven Deliktstatbestand ohne Rechtfertigungsgrund erfüllt. Nimmt etwa der diensthabende Ingenieur einen schnellen Wasseraustausch 168 „Zur Abwägung der Fehlentscheidungsrisiken bei ungewissen rechtfertigenden Umständen“ (so genannte Erlaubnistatbestandszweifel) Frister, Rudolphi – FS, S. 45 ff. 169 Heinrich, Jura 1997, 366, 374. 170 Triffterer, Oehler – FS, S. 225. 171 BGHSt 38, 144, 155; Wessels / Beulke, AT, Rn. 279; Graul, JuS 2000, L 41, 42 f.; Hardtung, Jura 1996, 293, 296.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
mit dem nahen See vor und schädigt er dadurch dieses Ökosystem, weil die Instrumente im Kontrollraum fälschlicherweise – aber dem sorgfältigen Ingenieur insofern erkennbar – die Überhitzung des Kühlbeckens anzeigen und aus seiner Sicht eine Explosion droht, bewirkt er damit objektiv eine unbefugte Gewässerverunreinigung, § 324 I, III. Da der Leiter des Kontrollraums jedoch von einem Sachverhalt ausging, bei dessen wirklichem Vorliegen sein Verhalten durch Notstand gerechtfertigt wäre, handelt er analog § 16 I 1 ohne Vorsatz. Gemäß §§ 16 I 2, 324 I, III kommt dennoch seine Bestrafung wegen fahrlässiger Tat in Betracht. Nach herrschender Meinung muss dazu in der Fahrlässigkeitsschuld geprüft werden, ob ihm persönlich der Erlaubnistatbestandsirrtum vermeidbar war. 172 Hierbei handelt es sich lediglich um eine konsequente Fortschreibung der Voraussetzung, dass der Täter bei Anwendung seines Tatsachen- und Erfahrungswissens die den objektiven Tatbestand erfüllenden Umstände zu erkennen vermag. Weil nach der eingeschränkten Schuldtheorie das Fehlen rechtfertigender Voraussetzungen der Sache nach gleichbedeutend ist mit dem Vorliegen des objektiven Deliktstatbestands, muss ihm auch ersteres erkennbar sein. 173 Wenn etwa der Ingenieur bereits ähnliche Störfälle der Instrumente erlebt hat und seine Erfahrung nur deshalb nicht anwendet, weil er sich gedanklich mit seiner attraktiven Praktikantin beschäftigt, wäre ihm die Ungeeignetheit des Wasserwechsels zur Gefahrabwendung erkennbar gewesen. Er macht sich in diesem Fall gemäß § 324 I, III wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung strafbar.
II. Analyse und Folgerungen 1. Objektive ex ante-Betrachtung als objektive Erkennbarkeit Im Tatbestand des Erfolgsdeliktes wird die Verhaltensgefährlichkeit zunächst durch Anwendung der vom Homunkulus angenommenen Tatsachen und Erfahrungssätze bestimmt. Sein Urteil korrigiert man, wenn er sich fälschlicherweise 172
Vgl. BGHSt 45, 378, 384 f.; Lackner / Kühl, § 17, Rn. 16; Mitsch, JuS 2000, 848,
851. 173 Jeder Fahrlässigkeitstäter irrt über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens, was aber nicht zwangsläufig dazu führen kann, dass ihm § 17 zugute kommt. Dessen Anwendung setzt voraus, dass dem Täter selbst bei hinzugedachter Kenntnis der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun; NK – Neumann, § 17, Rn. 86 ff.; LK 11 – Schroeder, § 17, Rn. 2. Neuerdings wird jedoch vorgeschlagen, dem im Erlaubnistatbestandsirrtum handelnden Fahrlässigkeitstäter die Milderungsmöglichkeit nach § 17 zu eröffnen; Börner, GA 2002, 276, 285 f.; MK – Joecks, § 17, Rn 76. Weil die Rechtswidrigkeit vom Tatbestand wertungsmäßig nicht zu unterscheiden ist, kann der Erlaubnistatbestandsirrtum demgegenüber keine weitergehenden Folgen als der Tatbestandsirrtum haben. Daher ist die Heranziehung von § 17 neben der analogen Anwendung von § 16 gleichfalls ausgeschlossen; Schönke / Schröder – Cramer / Sternberg-Lieben, § 17, Rn. 6; Roxin, AT1, 21/3.
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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ein in Wirklichkeit nicht bestehendes Risiko vorstellt. 174 Für ein besseres Methodenverständnis ist es bereits hilfreich, sich nur ein wenig vom Primat des objektiven Dritten zu lösen. Allgemeine Voraussetzung des objektiven ex anteGefahrurteils ist zunächst einmal, dass ein Verhalten das tatbestandlich geschützte Gut tatsächlich gefährdet. In einem zweiten Schritt streicht man von den für diese (ex post-)Einschätzung herangezogenen Tatsachen und Erfahrungssätzen diejenigen, die der objektive Dritte nicht kennt. Objektiv ex ante riskant sind also die wirklich gefährlichen und zugleich der Maßstabsperson als solche bekannten Verhaltensweisen. Das zweite Erfordernis impliziert allerdings, dass die Kunstfigur mit einem Vermeidemotiv ausgestattet ist, das heißt ihr gesamtes Tatsachenund Erfahrungswissen auch anwendet. 175 Verzichtet man – ohne sachliche Einbuße – auf diese umfassendere Konstruktion, stellt sich ein Verhalten objektiv ex ante als riskant dar, wenn es wirklich gefährlich und dem objektiven Dritten als solches zumindest erkennbar ist. 176 a) Friktionen bei ausschließlicher ex post-Korrektur der Risikorealisierung Nicht zu vereinbaren ist diese verbreitete Deutung als objektiv erkennbare Gefahrerhöhung 177 jedoch mit der Auffassung, dass sich die objektive ex anteVerhaltensgefährlichkeit nur nach den Vorstellungen des Dritten bestimmt und eine Beschränkung auf wirkliche Risiken erst bei der Risikorealisierung vorgenommen wird. 178 Falls ein ex post ungefährliches Verhalten schon dadurch unsorgfältig würde, dass ein objektiver Dritter dasselbe Tun oder Unterlassen irrigerweise für riskant hält, könnte es bei der objektiven ex ante-Betrachtung nicht um die Erkennbarkeit wirklicher Risiken gehen. 179 Wer die Beschränkung der objektiven ex ante-Verhaltensgefährlichkeit auf wirkliche beziehungsweise ex post-Gefahren aufhebt und stattdessen in die Risikorealisierung verlagert, so wie es etwa Vertreter der Risikoerhöhungstheorie anschaulich demonstrieren, schuldet eine Antwort auf Baumanns Frage: 180 „Was soll denn eine Handlung gefährlich machen, wenn nicht die drohende [...] Rechtsgutsverletzung?“ Diese Ungereimtheit verstärkt sich, 174 Vgl. zu der abweichenden Auffassung, die diese Korrektur erst im Rahmen der Zurechnung eines eingetretenen Erfolges vornehmen will, den folgenden Abschnitt. 175 Vgl. Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, S. 87 in Anm. 166. 176 Struensee, JZ 1987, 53, 58 in Anm. 66. 177 Nw. in Anm. 129. 178 Vgl. dazu Kapitel 1: A.I.2.a)aa), S. 38. 179 Dies scheint W. Frisch zu übersehen, wenn er das Problem ex post fehlender Verhaltensgefährlichkeit über die Erfolgsrealisierung korrigiert [Anm. 119], nachdem er zuvor (Vorsatz und Risiko, S. 124 in Anm. 24) von einem „ex ante erkennbaren Risiko“ ausgegangen ist. 180 JZ 1961, 429, 430; vgl. dagegen W. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 123 ff.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
wenn man ein aus der Sicht des objektiven Dritten gefahrerhöhendes, aber ex post risikoverringerndes Verhalten annimmt, weil es „sinnwidrig wäre, Handlungen zu verbieten, die den Zustand des geschützten Rechtsgutes nicht verschlechtern, sondern verbessern“. 181 Eine Korrektur über die Risikorealisierung ist zudem auf den objektiven Tatbestand eines Erfolgsdeliktes beschränkt. Sie verhindert damit, dass die objektive ex ante-Betrachtung als ein Gesamtkonzept verstanden wird, welches man in gleicher Weise auf Merkmale von Tätigkeitsdelikten 182 anzuwenden vermag. 183 Die Verhaltensgefährlichkeit des Erfolgsdeliktes ist das einzige Merkmal, das man noch auf einer nachrangigen Ebene korrigieren kann. Aber welchen Vorteil brächte dieser wenig systematische Sonderweg? Man würde damit lediglich den untauglichen Versuch eines Erfolgsdeliktes in der Person des objektiven Dritten erfassen. Dass die meisten Vertreter der Risikoerhöhungstheorie diesem „Unrecht“ keine eigenständige Bedeutung beimessen, zeigt sich, wenn sie den Tatbestand wegen der fehlenden Realisierung im Erfolg verneinen. 184 b) Erkennbarkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens Ein einheitliches Konzept objektiver ex ante-Betrachtung ergibt sich hingegen, wenn man sie als objektive Fahrlässigkeit im Sinne von objektiver Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung versteht. 185 Im objektiven Tatbestand des Erfolgsdeliktes muss man folglich die objektiv ex ante risikoerhöhende Wirkung eines Verhaltens bejahen, wenn es tatsächlich die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erhöht und dies dem objektiven Dritten anhand des ihm bekannten Sachverhaltsausschnitts in Form von Tatsachen und Erfahrungssätzen erkennbar gewesen wäre. 181
Roxin, AT1, 11/53. Vgl. zu §§ 142, 224 I Nr. 1, 244 I Nr. 1a), 315b, 323c a. E. von Kapitel 1: A.I.1., S. 29. 183 Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, S. 138 kritisiert eine innere Inkonsistenz dieses Modells. 184 Dagegen bestimmt SK – Rudolphi (49. Lfg., Oktober 1999), § 323c, Rn. 3, 5 ff., 13 m.w. N. die objektiv erforderliche Hilfeleistung bei Unglücksfällen ausschließlich nach den Sachverhaltsannahmen des Dritten, selbst wenn sich das nach seiner Einschätzung erforderliche Täterverhalten ex post als völlig nutzlos erweist. Dazu muss er § 323c als unechtes Unternehmensdelikt umdeuten. Der konsequenten Folgerung, dass für das Eingreifen bereits ein umgekehrter Tatbestandsirrtum genügt, versucht Rudolphi zu entgehen, indem er lediglich auf taugliche Unterlassungsversuche abstellt. Warum er die Tauglichkeit jedoch nach den Vorstellungen der Sorgfaltsperson prüfen will, bleibt unklar. Der Sache nach genügt ihm damit im objektiven Tatbestand ein untauglicher Versuch des objektiven Dritten. Für die ex-post-Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen nunmehr SK – Rudolphi / Stein, § 323c, Rn. 5a, 12a u. 17. 185 Grundlegend zur „Fahrlässigkeit als Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“ Schroeder, JZ 1989, 776 ff. und LK 11, § 16, Rn. 127 ff., 122 ff. mit Nw. zu anderen Konstruktionen. 182
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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Damit erzielt man die beschriebenen 186 Folgen von Irrtümern der Maßstabsperson. Nimmt der Homunkulus zu Unrecht eine Gefahr an oder kann er ein bestehendes Risiko nicht erkennen, fehlt die erste respektive die zweite Voraussetzung der objektiv ex ante bestimmten Verhaltensgefährlichkeit. Ein solches Verständnis erlaubte nicht nur die Verhaltensmerkmale abstrakter Gefährdungsdelikte objektiv ex ante zu bestimmen. Ausgehend von der zuvor 187 angeführten Prämisse, dass Fahrlässigkeitsdelikte nichts anderes sind als kupierte Vorsatzdelikte, zwingt es sogar dazu. Als Beispiel kann die Trunkenheit im Straßenverkehr gemäß § 316 dienen. Nach einer von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Beweisregel sind Kraftfahrer ab einem Blutalkoholgehalt von 1,1 ‰ absolut fahruntüchtig. 188 Eine relative Fahruntüchtigkeit ist gegeben, wenn der Fahrzeugführer bei einer BAK von 0,3 – 1,1 ‰ konkrete Ausfallerscheinungen wie etwa alkoholbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit oder ein Stolpern und Schwanken beim Gehen zeigt. 189 Der Fahrlässigkeitstatbestand erfordert demnach zunächst, dass der Täter mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,3 ‰ ein Fahrzeug im Straßenverkehr führt, wobei er entweder konkrete Ausfallerscheinungen zeigt, die einen Rückschluss auf seine Fahruntüchtigkeit erlauben, oder aber dass sich diese Einschätzung wegen einer BAK von über 1,1 ‰ unausweichlich aufdrängt. Außerdem müssen dem objektiven Dritten trotz seines nur begrenzten Tatsachenund Erfahrungswissens die Umstände, aus denen sich die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit ergibt, 190 erkennbar sein, was regelmäßig der Fall sein dürfte. Da sich der Fahrlässigkeitstatbestand nach herrschender Lehre aber nicht vom objektiven Tatbestand des Vorsatzdeliktes unterscheidet, muss diese objektive ex ante-Betrachtung ebenso bei einer Prüfung von § 316 I vorgenommen werden. Konsequenterweise sind alle Verhaltensmerkmale des Tatbestandes objektiv ex ante zu prüfen, indem man zunächst deren tatsächliches Vorliegen feststellt und in einem zweiten Schritt ihre Erkennbarkeit für den Homunkulus nachweist. c) Erkennbarkeit des Fehlens rechtfertigender Umstände Weil sich Tatbestand und Rechtswidrigkeit nach der eingeschränkten Schuldtheorie wertungsmäßig nicht unterscheiden lassen, gilt die gleiche Schlussfol186
Siehe Kapitel 1: A.I.2.a)aa), S. 38. Kapitel 1: A.I.2., S. 32. 188 Zuletzt angepasst durch BGHSt 37, 89 ff. Vgl. zur früheren Rechtsprechung LK 11 – König, § 316, Rn. 60 ff. 189 BGHSt 31, 42, 44 ff.; MK – Groeschke, § 316, Rn. 34 ff. m.w. N. 190 Weil das Überschreiten des 1,1 ‰-Grenzwertes kein Tatbestands-, sondern ein Anknüpfungsmerkmal für eine Beweisregel darstellt, ist seine Erkennbarkeit zwar eine hinreichende, jedoch keine notwendige Fahrlässigkeitsbedingung; vgl. LK 11 – König, § 316, Rn. 188. 187
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
gerung für die Rechtfertigungsgründe. Der gesamte Tatbestand des Fahrlässigkeitsdeliktes erfordert demzufolge das Vorliegen eines Sachverhaltes, der den Deliktstatbestand ohne das Eingreifen von Rechtfertigungsgründen erfüllt und zugleich dem nur eingeschränkt informierten objektiven Dritten erkennbar ist. Im Hinblick auf den Notstand wäre diese Voraussetzung etwa erfüllt, wenn das tatbestandsmäßige Verhalten die Gefahr der Schädigung eines weiteren Schutzgutes nicht verringert und dieser Umstand objektiv erkennbar ist. Weil das Fahrlässigkeitsdelikt im objektiven (Unrechts-)Tatbestand des Vorsatzdeliktes enthalten ist, muss man diese objektive ex ante-Betrachtung auf dessen Rechtfertigung übertragen. 191 Sie erklärt abschließend die in Kapitel 1: A.I.3.a), S. 46 beschriebene umgekehrte Behandlung von Irrtümern der Maßstabsperson. Objektiv ex ante muss darauf abgestellt werden, ob die rechtfertigende Voraussetzung nicht vorliegt, also ein Verhalten die Gefahr eines Schadens für das Schutzgut nicht verringert und das dem objektiven Dritten zudem erkennbar ist. Kann die Maßstabsperson aufgrund ihrer nur eingeschränkten Sachverhaltskenntnisse das Fehlen einer tatsächlich abwendbaren Gefahr nicht erkennen, muss § 34 insofern bejaht werden. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man, wenn sie verkennt, dass der Täter durch sein Verhalten ein Risiko beseitigt. Damit kann festgehalten werden, dass sich die objektive ex ante-Betrachtung als Synonym der objektiven Fahrlässigkeit beschreiben lässt, sofern man diese als objektive Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung im weiteren Sinne versteht. 192 Aus dieser Erkenntnis ergeben sich zwei wesentliche Folgerungen. 2. Fehlender Einfluss auf die Strafbarkeit Die objektive ex ante-Betrachtung führt im Tatbestand und bei der Rechtfertigung zu einer Beschränkung des prüfungsrelevanten wirklichen Sachverhaltes auf die Tatsachen und Erfahrungssätze, die dem objektiven Dritten bei Einbeziehung des Tätersonderwissens bekannt sind. Objektiv tatbestandsmäßig respektive objektiv ungerechtfertigt ist ein Verhalten somit nur dann, wenn es durch Anwendung des gemeinsamen Wissens eines objektiven Dritten und des Täters als solches erkannt beziehungsweise erkennbar wird. Eine Strafbarkeit wegen Vorsatztat setzt jedoch voraus, dass der Täter die den Tatbestand im weiteren Sinne (§ 16 I 1 direkt und analog) erfüllenden wirklichen Umstände erkannt hat. Im Rahmen der Fahrlässigkeitsschuld wäre nach herrschender Lehre zu prüfen, ob sie dem Täter unter Zugrundelegung seines persönlichen Tatsachen- und Erfahrungswissens er191 Vgl. zur entsprechenden Prüfung der objektiven Rechtfertigungsmerkmale Rudolphi, Armin Kaufmann – GedS, S. 382 ff. und MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 67 ff., beide m.w. N. 192 Siehe bereits Anm. 176.
A. Darstellung und Analyse der objektiven ex ante-Betrachtung
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kennbar gewesen sind. Die Beschränkung des objektiven Tatbestandes kann somit nicht zu einer anderen Beurteilung der Strafbarkeit führen, da diese immer durch das strengere Erfordernis individueller Kenntnis beziehungsweise Erkennbarkeit begrenzt wird. 193 3. Die Abhängigkeit der objektiven ex ante- von einer vorherigen ex post-Gefahrbeurteilung Das angeführte Verständnis der objektiven ex ante-Betrachtung als objektive Erkennbarkeit des tatbestandsmäßigen Geschehens und ihre damit verbundene Beschränkung auf wirkliche Gefahren wurde bereits mehrfach in der Literatur aufgegriffen. Wolfgang Frisch hielt „den Gedanken an ein solches zusätzliches Erfordernis der Schaffung einer missbilligten ‚ex-post-Gefahr‘ dabei“ zwar nur für besonders nahe liegend. 194 Er selbst spricht jedoch ebenso von einem „erkennbaren Risiko“. 195 Die Konsequenz aus diesem Ansatz zieht Burkhardt 196: „Wer ein ‚erkennbares Risiko‘ verlangt, der trennt die Kenntnis oder Erkennbarkeit von ihrem Gegenstand (Risiko) und setzt ein tatsächlich bestehendes Risiko voraus.“ So gelangt man unausweichlich zur Schlussfolgerung von Schmidhäuser, dass „der Gefahrbegriff davon unabhängig ist, ob der Handelnde oder irgendein Mensch die Gefahr erkennt oder erkennen kann, und ebenso davon, ob der Handelnde oder irgendein Mensch den Eintritt eines Ereignisses für sicher hält oder nicht“. 197 Dies allem Anschein nach ignorierend streicht die herrschende Lehre Tatsachen und Erfahrungssätze so lange zusammen, bis sie dem gemeinsamen Wissen von Maßstabsperson und Täter entsprechen, und prüft, ob sich das Verhalten immer noch als riskant darstellt. 198 Damit macht sie den zweiten Schritt vor dem ersten. 199 Die objektive ex ante-Risikobeurteilung im Tatbestand des Erfolgsdeliktes setzt, weil sie die Erkennbarkeit einer wirklichen Gefahr zum Gegenstand hat, deren 193 Vgl. Burkhardt [Anm. 81], S. 107; Kindhäuser, LPK – StGB, § 15, Rn. 100 und GA 2007, 447, 467 f.; Kühl, AT 17/30. Für die Beurteilung der Strafbarkeit nur einer einzelnen Handlung kommt es zwar auf die objektive Zurechnung und den gesamten objektiven Unrechtstatbestand als Zwischenschritt nicht an. Sobald jedoch mehrere Personen interagieren [dazu unter Kapitel 1: C.II., S. 76], zeigt sich die Notwendigkeit dieser Wertungsstufe bzw. das Defizit der rein subjektiven Zurechnungskonzepte etwa von Kindhäuser, GA 2007, 447 ff. und H. Schumann / A. Schumann, Küper – FS, S. 543 ff. 194 Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 35 in Anm. 144; vgl. zudem SK – Samson (6. Aufl., 1992), § 34, Rn. 24. 195 Vorsatz und Risiko, S. 124 ff., insb. in Anm. 24. 196 [Anm. 81], S. 100 in Anm. 10. 197 Schmidhäuser, Lehrb. AT, 8/33 und Studienb. AT, 5/42 ff.; ebenso angeführt von Struensee, JZ 1987, 53, 58, der ihm jedoch in Anm. 66 Widersprüchlichkeit vorwirft. 198 Vgl. dazu auch Roth [Anm. 183], S. 146 f. 199 Vgl. bereits Spendel, Stock – FS, S. 105 f.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Begriff voraus. Ihre Vertreter müssten also erst einmal beschreiben, wie man die Gefährlichkeit anhand des vollständigen Sachverhalts bestimmen kann. Der Unterschied zwischen den Prognosen anhand eines gekürzten und eines vollständigen Sachverhalts wurde durch die Bezeichnungen objektiv ex ante und ex post ausgedrückt. 200 Objektive ex ante-Risikoprüfungen kann man folglich nicht ohne eine vorherige Definition und Anwendung des objektiven ex post-Gefahrurteils vornehmen. 201 Von diesem Erfordernis ist im Übrigen auch nicht derjenige befreit, der das Verständnis der objektiven ex ante-Betrachtung als objektive Erkennbarkeit ablehnt. Er macht zwangsläufig das Gefahrurteil von den Kenntnissen des Täters abhängig. Dessen Sonderwissen umfasst nur solche Vorstellungen, die der Wirklichkeit entsprechen. Es ist daher unerheblich, ob man auf eine Gefahrkenntnis oder -erkennbarkeit des objektiven Dritten abstellt. Solange die Gefahrkenntnis des Täters einbezogen wird, muss als erstes festgestellt werden, ob eine wirkliche Gefahr vorlag. Dies setzt wiederum die Definition und Anwendung des objektiven ex post-Gefahrurteils voraus. 202 Erst dann kann man fragen, ob der Täter die wirkliche Gefahr kannte. Allerdings spricht diese Hilfsargumentation bereits für die Deutung der objektiven ex ante-Betrachtung als objektive Erkennbarkeit. Das Täterwissen wird nur dann einbezogen, wenn es über die Annahmen des objektiven Dritten hinausgeht. Will man insofern nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, ist zu prüfen, ob die der Wirklichkeit entsprechenden Tätervorstellungen über die der Wirklichkeit entsprechenden Annahmen der Maßfigur hinausgehen.
B. Das objektive ex post-Gefahrurteil Il „fascino di questa locuzione dev’essere forte, se viene usata così spesso come vessillo di rinnovamento nello studio del giudizio di pericolo“. 203 Francesco Angioni, Il pericolo concreto, S. 100
Eine objektive ex post-Betrachtung verwertet das gesamte im Beurteilungszeitpunkt verfügbare Wissen über Tatsachen und Erfahrungssätze, mit anderen Worten 200
Siehe oben Kapitel 1: A.I.2.a), S. 34. Dies verkennen W. Frisch, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 175 ff. und Sacher [Anm. 154], S. 198 ff., 251 bei ihrer Kritik an Burkhardt [Anm. 81]. 202 SK – Samson (6. Aufl., 1992), § 34, Rn. 24. 203 Anm. 7: Die „Anziehungskraft dieser Bezeichnung muss stark sein, wenn sie so oft als Banner der Erneuerung bei der Erforschung des Gefahrurteils eingesetzt wird“. Angioni nennt sein Gefahrurteil zur Betonung des prognostischen Charakters „ex ante“, kommt aber trotz einer in mehrfacher Hinsicht unterschiedlichen Terminologie zu den Ergebnissen der 201
B. Das objektive ex post-Gefahrurteil
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das Wissen der Welt. Das darauf basierende Gefahrurteil ist etwa Grundlage der Risikoerhöhungslehre und wird auch bei der Prüfung von Gefährdungserfolgen überwiegend vertreten. 204 Soweit es jedoch die Gefährlichkeit des Täterverhaltens als Tatbestandsmerkmal betrifft, dient das ex post verfügbare Wissen bestenfalls zur Korrektur der objektiven ex ante-Betrachtung. In diesem Kontext fristet das eigenständige objektive ex post-Gefahrurteil bis heute das Dasein eines dogmatischen Mauerblümchens, mit dem sich deutschsprachige Strafrechtler nur selten und schon gar nicht wohlwollend abgeben. 205 Umso mehr überrascht es, dass sich entsprechende Vorschläge in primär zivil- und öffentlichrechtlich orientierten Arbeiten wieder finden. 206 Trotz seiner weitaus größeren Verbreitung bei den nicht verhaltensbezogenen Merkmalen und den Rechtfertigungsgründen sind zwei Grundfragen jeder objektiven ex post-Gefahrbeurteilung bislang nicht zufrieden stellend beantwortet. Zum einen ist nicht geklärt, ob und inwiefern nach der Durchführung des Verhaltens eingetretene Tatsachen – wie etwa der tatbestandliche oder ein Rettungserfolg – Einfluss nehmen können [dazu sogleich unter I.]. Zum anderen muss man sich mit dem verbreiteten Vorurteil auseinandersetzen, dass eine unbeschränkte Tatsachenbasis im determinierten Bereich zum Ausschluss der Ungewissheit führe und so in unzulässiger Weise Gefahr- in Notwendigkeitsurteile umwandle [dazu unter II.]. Im Anschluss daran erscheinen die weiteren Fragen des objektiven ex post-Gefahrurteils [unter III.] geradezu als bloße Formalitäten. Dennoch soll geklärt werden, ob der (vermeintlich) sichere Eintritt zukünftiger Tatsachen ihre Einbeziehung in das Risikourteil und damit eine Sonderbehandlung rechtfertigt. Abschließend wird der Zeitbezug von Erfahrungssätzen und deren theoretisch, nicht aber praktisch unbegrenzte Berücksichtigungsfähigkeit erörtert.
I. Das Verwertungsverbot für später eingetretene Tatsachen Mit der Frage, „ob auch spätere Ereignisse das Gefahrenurteil beeinflussen können, ob also als gefährlich eine Handlung deswegen bezeichnet werden kann, weil spätere Ereignisse den Beweis erbracht haben, daß diese Voraussetzung vorlag,“ hat sich Horst Schröder in einem Aufsatz über „Die Gefährdungsdelikte imStrafrecht“ eingehend befasst. 207 Er führte das Beispiel eines Medikamentes an, hier so genannten objektiven ex post-Betrachtung. Darauf wird aber unter Kapitel 1: B.III., S. 69 noch einzugehen sein. 204 Nw. zur Risikoerhöhungslehre in Anm. 128 und zum Gefährdungserfolg in Anm. 63 f. 205 Abgesehen von H. Schröder, ZStW 81 [1969], 7, 8 ff., Burkhardt [Anm. 81] und Frister, AT, 10/33 ff. Vgl. auch M. Köhler, Schroeder – FS, S. 262 f. und Stein, Küper – FS, S. 619 ff., 628. 206 Rümelin [Anm. 45] und Roth [Anm. 183], S. 139 f., 147.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
das bei dem größten Teil der es einnehmenden Patienten einen Heilerfolg herbeiführt, jedoch in Ausnahmefällen das Gegenteil bewirkt. Ein Sachverständiger könne aufgrund seines medizinischen Erfahrungswissens angeben, in wie vielen tausend oder zehntausend Fällen ein Mensch dadurch gefährdet würde. Schröder hielt es für wenig sinnvoll, in Anbetracht der nur geringen Wahrscheinlichkeit schädlicher Folgen eine Situation als ungefährlich zu bezeichnen, wenn feststeht, dass sie diesen Erfolg ausgelöst hat. Er nahm daher einen Rückschluss von der später eingetretenen Verletzung auf die Gefährlichkeit der sie verursachenden Handlung 208 beziehungsweise Lage vor. 209 Grundlage dieser Überlegung ist ein deterministisch geprägtes Weltbild, wie es sich etwa in folgender Feststellung ausdrückt: „Die Tatsache, daß eine Handlung condicio sine qua non des eingetretenen Erfolges war, beweist daß bei Vornahme der Handlung der Erfolg nicht nur als möglich anzusehen war, sondern daß alle Voraussetzungen für seinen Eintritt feststanden.“ 210 Insofern wäre aber ein Rückschluss vom Ausbleiben des Erfolges auf die Ungefährlichkeit ebenso nahe liegend. Vom eingetretenen oder ausgebliebenen Erfolg aus betrachtet, gäbe es dann nur noch das Notwendigkeits- beziehungsweise Unmöglichkeitsurteil. 211 Diese Argumentationslinie findet sich etwa in der frühen Rechtsprechung des Reichsgerichts: „Denn hat die Handlung im konkreten Falle das Rechtsgut nicht verletzt, so beweist dies unwiderleglich, daß sie es im konkreten Falle nicht verletzen konnte, und war sie dazu außer Stande, so war durch die Handlung das Rechtsgut objektiv nicht gefährdet“. 212 Dass diese Vorstellung nicht dem (Reichs-)Strafgesetzbuch zugrunde liegt, zeigen hingegen die Gefährdungsdelikte. Sie setzen die Existenz von Gefahren voraus, die nicht notwendig zu einem Schaden führen. 213 Später lenkte dann 207
„Abstrakte Gefährdungsdelikte sind solche, bei denen die Merkmale der Gefährlichkeit vom Gesetz selbst bestimmt worden sind, während es bei den konkreten Gefährdungsdelikten dem Richter übertragen ist, im Einzelfall darüber zu entscheiden, ob es zu einer Gefahr gekommen ist“; ZStW 81 [1969], 7, 11 ff. u. 18. Ergänzend erörtert von Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 52 ff. Das Problem ist immer noch aktuell. Kürzlich erläuterte z. B. Schünemann, NStZ 2005, 473, 476 den Untreuetatbestand (§ 266) anhand der Regeln über die objektive Zurechnung, wobei dieser Gesichtspunkt seines Erachtens in „allen denjenigen Fällen, in denen die Pflichtwidrigkeit aus der Schädigung abgeleitet wird“, keine Rolle spielt. 208 Maßgeblich ist für die Strafbarkeit eines Arztes oder Apothekers, wie wahrscheinlich der Schadenseintritt bei Verabreichung an einen bestimmten Patienten war; vgl. Horn, a. a. O., S. 54. 209 Ebenso schon LG Danzig, zitiert nach RGSt 4, 397. 210 H. Schröder, ZStW 81 [1969], 7, 12; ebenso Demuth, VOR 1973, 436, 444 ff. 211 Bassenge, Gefahrbegriff, S. 23. 212 E 8, 198, 202; energisch gegen dieses Urteil v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 2, S. 422 sowie der Sache nach Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 1, S. 378. Vgl. auch Busch, Gefahr und Gefährdungsvorsatz, S. 11 ff. und Hertz, Das Unrecht, 1. Bd., S. 73 ff., 75.
B. Das objektive ex post-Gefahrurteil
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auch das Reichsgericht ein: „Der Erfolg kann zwar beweisen, daß die Gefahr seines Eintretens bestanden hatte, sein Ausbleiben aber bedeutet nichts für das Nichtbestehen der Gefährdung, da deren Wesen gerade in der Ungewissheit des Zusammentreffens aller Umstände besteht, das die Bedingung des Erfolges ist.“ 214 In diesem Sinne hält man es im Rahmen der objektiven ex post-Prüfung des Gefährdungserfolges etwa in § 315c I inzwischen verbreitet für möglich, aus einem Verletzungserfolg auf eine vorangegangene Gefährdung zu schließen, während der Rückschluss von seinem späteren Ausbleiben auf eine vorherige Nichtgefahr als verfehlt angesehen wird. 215 Ähnliche Schlussfolgerungen werden für die Gefahr als Verhaltensmerkmal des rechtfertigenden Notstandes (§ 34) vorgeschlagen. Hirsch hält zum Beispiel ihr Vorliegen für „unproblematisch, wenn es anschließend zum Schadenseintritt kommt, da jedem Schadenseintritt ein mehr oder weniger langes Gefahrstadium“ vorausgehe. 216 Samson konstatiert weitergehend, ein Interesse befinde sich bei objektiver ex post-Betrachtung „nur dann in Gefahr, wenn es ohne die Vornahme der Rettungshandlung wirklich verletzt worden wäre“. 217 Auf diesem Weg gelangt man jedoch zurück zur früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts. Wird das rechtlich geschützte Gut nicht verletzt, so wäre es nicht in Gefahr gewesen, falls nicht eine Rettungshandlung das Ausbleiben des Schadens notwendig bedingt hat. Der Ansatz, eine Rettungshandlung dürfe nicht hinweggedacht werden können, ohne dass die Verletzung einträte, ist deshalb ebenso wenig mit den Gefährdungsdelikten in Einklang zu bringen. Sie haben nur dann eine Funktion, wenn nicht jede Gefahr zwingend in einen Schaden mündet. 218 Er führt darüber hinaus innerhalb des § 34 zu Friktionen. Damit die Rettungshandlung zur Gefahrenabwehr geeignet ist, muss sie ein bestehendes Risiko verringern. 219 Durch Samsons Konzept wird die 213 Siehe bereits v. Hippel, a. a. O., S. 423; Bassenge, Gefahrbegriff, S. 23 f.; Horn [Anm. 207], S. 57; vgl. ebenso Spendel, Stock – FS, S. 102 und Wolter, JuS 1978, 748, 749 f. 214 E 31, 198, 200; zuvor bereits RGSt 14, 135, 137: „Für letztere Frage ist der wirkliche Kausalverlauf nicht entscheidend, weil eine Menge nicht zu berechnender Faktoren (zufälliges Verlangsamen oder Beschleunigen der Bewegung des Zuges oder des Fuhrwerkes, Scheuen der Pferde u. dgl.) einen anderen Verlauf herbeiführen konnte. Selbst wenn ein Zusammenstoß gar nicht stattgefunden hätte, wäre eine Gefährdung des Transportes nicht ausgeschlossen, beispielsweise wenn der Zusammenstoß durch rechtzeitiges Eingreifen einer dritten Person oder durch ein außergewöhnliches Ereignis vermieden worden wäre.“ 215 Demuth, VOR 1973, 436, 445 f.; Horn [Anm. 207], S. 59 ff; Lackner / Kühl, § 315c, Rn. 22; Ostendorf, JuS 1982, 426, 429. Damit richtet man sich zugleich gegen eine Unterform des Rückschlusses, bei der das Fehlen einer Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert anhand des Eintrittes eines nur geringen Sachschadens begründet wird; vgl. BGH VOR 1973, 464 ff. und Demuth, a. a. O., S. 446. 216 LK 11, § 34, Rn. 27; ebenso LK 12 – Zieschang, § 34, Rn. 27. 217 SK (6. Aufl., 1992), § 34, Rn. 19; vgl. auch Dencker, Stree / Wessels – FS, S. 175 in Anm. 76. 218 Nw. in Anm. 213. 219 MK – Erb, § 34, Rn. 87 f.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Geeignetheit in einen Rechtfertigungserfolg umgedeutet. Das Opfer einer Vergewaltigung hätte rechtswidrig ein Fahrrad gebraucht (§ 248b), wenn ihm die Flucht damit letztlich misslingt, und mag sie auch noch so aussichtsreich erschienen sein. 1. Der Trugschluss von der Verletzung auf die Verhaltensgefährlichkeit Es bleibt die Frage, inwieweit der Eintritt einer schädlichen Folge bei objektiver ex post-Betrachtung einen Rückschluss auf die Gefahr erlaubt beziehungsweise dazu zwingt. Soweit es um die Beurteilung des Verhaltens und nicht um dadurch verursachte Gefährdungserfolge geht, liegt die Antwort auf der Hand. Ob ein Verhalten das Risiko einer Rechtsgutsverletzung erhöht oder zur Abwehr der Gefahr für ein weiteres Interesse geeignet und deshalb möglicherweise nicht tatbestandlich respektive durch Notstand gerechtfertigt ist, muss bereits zum Zeitpunkt seiner Vornahme endgültig feststellbar sein. 220 Außerdem lässt der genannte Rückschluss vom Schaden lediglich die Feststellung zu, dass eine Gefahr vorlag. Ausgangspunkt des erlaubten beziehungsweise gerechtfertigten Risikos ist jedoch die Frage, ob durch das zu beurteilende Verhalten ein Risiko erhöht oder – bei Prüfung der Eignung zur Gefahrenabwehr gemäß § 34 – verringert wurde. Eine entsprechende Auskunft würde durch die genannte Schlussfolgerung aber ausgeschlossen. 221 Auch bei einer objektiven ex post-Betrachtung der Verhaltensgefährlichkeit dürfen somit schon aus diesen Gründen später eingetretene Tatsachen nicht verwertet werden. 222 Dieses Verwertungsverbot 223 für die Bestimmung der Verhaltensgefährlichkeit lässt sich genauer begründen. Schröder ging davon aus, dass ein Sachverhalt gefährlich ist, der den Schadenseintritt als möglich erscheinen lässt. Auf den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit dem eine Verletzung zu erwarten ist, solle es demgegenüber für den Gefahrbegriff nicht ankommen. 224 Um die Konsequenzen 220
Dimitratos [Anm. 104], S. 119 m.w. N.; SK – Günther, § 34, Rn. 22. Das Problem deutet sich bereits in den Ausführungen von Hirsch [Anm. 216] an. Es ist widersprüchlich – vom Schaden auf die Gefahr zu schließen und sogleich – davon auszugehen, dass „die Notstandshandlung zwar noch erforderlich, der Erfolg dann aber nicht mehr zu verhindern ist“. Sofern das Verhalten die Rettungschancen des Rechtsgutes nicht verbessert, ist es zur Abwehr der Gefahr ungeeignet und damit gerade nicht erforderlich. 222 So bereits Rümelin, Der Zufall im Recht, S. 47 sowie AcP 90 [1900], 171, 189 u. 224. Das verbreitete gegenteilige Fehlverständnis ist wohl der Hintergrund des Vorwurfs, dass von ihrem Standpunkt aus „tatsächlich jede Handlung, die eine Verletzung herbeiführt, mißbilligt werden“ müsste; Mir Puig, ZStW 108 [1996], 759, 766. Ähnlich missverstehen sie auch Schaffstein, Bruns – FS, S. 92 und Dimitratos [Anm. 104], S. 119: „Würde man nämlich für das Gefahrurteil eine ex post-Betrachtung zugrunde legen, so wäre eine Gefahr nur dann vorhanden gewesen, wenn sie später in eine Verletzung des Rechtsguts umgeschlagen wäre.“ Vgl. auch W. Frisch, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 173. 223 Den Begriff verwendete bereits Horn [Anm. 207], S. 47 in diesem Zusammenhang. 221
B. Das objektive ex post-Gefahrurteil
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dieses Verständnisses erfassen zu können, müssen zunächst kurz die Vorbegriffe Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit geklärt werden. Ein Ereignis ist möglich, wenn es eintreten kann und unmöglich, wenn dies nicht der Fall ist. Mit dem Begriff der Wahrscheinlichkeit lässt sich die relative Häufigkeit eines zukünftigen Ereignisses in beliebigen Abstufungen erfassen. Man gibt sie üblicherweise in Prozent oder gleichbedeutend durch eine Zahl p an, wobei gilt: 0 ≤ p ≤ 1. 225 Ein eher umgangssprachliches Verständnis der Wahrscheinlichkeit könnte zudem die Möglichkeit des Ereigniseintritts voraussetzen, so dass 0 < p ≤ 1 ist. 226 Der auf diesem Weg entwickelte Begriff der Wahrscheinlichkeit hat zwei Komponenten. Er umfasst den Begriff der Möglichkeit eines Ereigniseintritts und macht ihn darüber hinaus graduierbar. Wer den Begriff der Gefahr als einen Sachverhalt definiert, der entweder den Begriff Verletzungsursache oder den Begriff der Wahrscheinlichkeit p des Schadenseintritts erfüllt, 227 der hält jedoch p für kein notwendiges Begriffselement. Hier liegt das eigentliche Defizit jeder Auffassung, die die Verhaltensgefährlichkeit von zeitlich nachfolgenden Tatsachen abhängig macht. Ausdrücklich verlangt § 34 S. 1, dass der Grad einer drohenden Gefahr für das betroffene Rechtsgut bei der Interessenabwägung berücksichtigt wird. Man wird freilich präzisierend darauf abstellen müssen, in welchem Umfang das Verhalten ein Risiko für das tatbestandliche Rechtsgut erhöht und zugleich eine Gefahr für das durch § 34 geschützte Interesse verringert hat. Das gleiche Problem stellt sich beim erlaubten Risiko als Verhaltensmerkmal des Erfolgsdeliktstatbestandes. Um zwischen rechtlich gebilligtem und verbotenem risikoerhöhenden Verhalten unterscheiden zu können, muss man zunächst einmal den Betrag der Gefahrsteigerung – also der Differenz zwischen der Risikohöhe ohne und mit Vornahme dieses Verhaltens – feststellen. Die Abwägung rechtlich geschützter Interessen ist ohne Bezugnahme auf den Grad der ihnen drohenden Gefahren (genauer: auf das Ausmaß von Risikoerhöhung oder -verringerung) nicht sinnvoll durchführbar. 228 Dessen Berücksichtigung ist nicht mehr möglich, wenn man durch den Rückschluss vom Schaden auf eine objektiv ex post vorliegende Gefahr deren Begriff seiner Skala beraubt und nur noch zwischen Gefahr und Nichtgefahr differenzieren kann. 229 224
H. Schröder, ZStW 81 [1969], 7, 8. Nell, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 121 f. und zu den anderen Ansätzen qualitativer und quantitativer Unterscheidung zwischen Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit S. 120; siehe ebenso unter www.wikipedia.de zum Stichwort „Wahrscheinlichkeit“. 226 Angioni, Il pericolo concreto, S. 243 f. 227 Vgl. Horn [Anm. 207], S. 61 sowie Dencker / Struensee / Nelles / Stein, Einführung in das 6. StrRG, Rn. 17 f. 228 Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts wird selbstverständlich ebenso von SK – Samson (6. Aufl., 1992), § 34, Rn. 38, 44 und LK 11 – Hirsch, § 34, Rn. 60 f. erörtert. 229 Hinsichtlich unsicherer nachfolgender Tatsachen übereinstimmend Angioni, Il pericolo concreto, S. 97 ff., 103 ff., der allerdings von einer „base ontologica totale ex ante“ (S. 103) spricht. 225
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
2. Die Zeitlosigkeit des Gefährdungserfolges als Voraussetzung seiner Bestimmung anhand einer späteren Verletzung Grundsätzlich besteht das gleiche Problem bei den konkreten Gefährdungserfolgen. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und frühere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs haben noch darauf abgestellt, ob „der Eintritt eines Schadens wahrscheinlicher war als dessen Ausbleiben“. 230 Bei unvoreingenommener Betrachtung käme es demnach darauf an, ob die Chance des Erfolgseintritts größer als 50 Prozent liegt, was sich nur feststellen lässt, wenn der Gefahrbegriff graduierbar ist. 231 Einer späteren Entscheidung zufolge sollte mit dieser Rechtsprechung aber vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, dass zur Gefahrannahme nicht schon die entfernte, weit abliegende Gefahr genügt, sondern eine „naheliegende Gefahr erforderlich ist, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Unfall hindeutet, wenn keine plötzliche Wendung eintritt“. Das Gesetz verlange eben keinen „hohen oder überhaupt einen bestimmten Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadens“. 232 Inzwischen stellt der Bundesgerichtshof darauf ab, ob die Rechtsgutsverletzung nur noch vom Zufall abhing. 233 Sowohl dem Bundesgerichtshof als auch Schröder dürfte es darauf angekommen sein, dass kein bestimmter Grad der Wahrscheinlichkeit benannt wird, ohne jedoch den Gefahrbegriff dieses Merkmals entkleiden zu wollen. 234 Wenn etwa ein PKW-Fahrer anstatt anzuhalten auf den kontrollierenden Polizisten zurast und sich dieser beim hastigen Sprung auf die Seite ein Bein bricht, kann man eine konkrete Gefahr im Sinne der §§ 315b f. annehmen, falls der Wagen im Abstand von einem halben oder einem Meter vorbeifährt. Wird der Abstand zwischen Wagen und Polizist jedoch vergrößert, zum Beispiel auf zwei, vier oder sechs Meter, muss man irgendwann das Merkmal verneinen. 235 Dies zeigt, dass die rechtliche Relevanz ebenso des Gefährdungserfolges nicht ohne Rückgriff auf die Intensität bestimmt wird. Auch wer sich weigert, das erforderliche Quantum etwa prozentual zu benennen, 236 kann nicht schon die geringe Gefahr einer Teilnahme am Straßenverkehr genügen lassen. Ohne Zugriff auf das Element der Wahrschein-
230
BGHSt 8, 28, 31 m. N. zur Rechtsprechung des RG; 13, 66, 70. Vgl. Schönke / H. Schröder 17, Vorbem § 306, Rn. 4. 232 BGHSt 18, 271, 272 f. 233 BGH VOR 1973, 464 f.; NJW 1995, 3131 m.w. N.; 1996, 329, 330; Schönke / Schröder – Cramer / Sternberg-Lieben, § 315c, Rn. 35. Weitere Nw. zum Zufallselement im Begriff der konkreten Gefahr bei Struensee [Anm. 227], Rn. 13. 234 Vgl. dazu bereits Pütz, Gefahrbegriff, S. 13 ff. 235 Vgl. BGHSt 28, 87 ff. sowie Schönke / Schröder – Cramer / Sternberg-Lieben, § 315b, Rn. 10 m.w. N. zu Fällen der Umgehung von Polizeikontrollen. 236 BGHSt 18, 271, 272; vgl. zu den Anwendungsschwierigkeiten auch Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt im Verkehrsstrafrecht, S. 20. 231
B. Das objektive ex post-Gefahrurteil
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lichkeit wäre es unmöglich, „minimale Erfolgsaussichten nicht als gefährlich zu bezeichnen“. 237 Die Gefährdungserfolge unterscheiden sich jedoch von der Verhaltensgefährlichkeit dadurch, dass sie keinen vergleichbar eindeutigen zeitlichen Bezug aufweisen. 238 Sie müssen lediglich nach dem tatbestandsmäßigen Verhalten eintreten, da sie andernfalls nicht dadurch verursacht werden können. Gefährdungserfolge vermögen außerdem nur so lange festgestellt zu werden, bis sie sich in einem Schaden realisieren. 239 Eine Verletzung als schlimmsten Fall des Gefährdungserfolges zu verstehen, würde die Wortlautgrenze zu Lasten des Täters überschreiten und gegen Art. 103 II GG verstoßen. Die begrenzte Zeitlosigkeit der Gefährdungserfolge hat Konsequenzen. Wenn ein Rechtsgut verletzt wird, muss der Eintritt dieses Ereignisses zuvor möglich gewesen sein. Sucht man sich irgendeinen Zeitpunkt nach dem verursachenden Verhalten und vor dem Eintritt, so kann man dessen Wahrscheinlichkeit bestimmen. Entweder ist sie bereits hoch genug, um von einem Gefährdungserfolg sprechen zu können, oder sie ist es nicht. Mit zunehmendem Zeitablauf steigt die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes so lange, bis sie – spätestens eine „juristische Sekunde“ davor – ausreichend hoch ist, genau den nachfolgend eintretenden Erfolg zu verursachen. Insofern ist Schröder zuzustimmen und bei der Bestimmung des Gefährdungserfolges ein Rückschluss vom eingetretenen Schaden auf eine diesbezügliche hinreichende konkrete Gefahr geboten. 3. Zur beschränkten Transformierbarkeit von nachträglich eingetretenen Tatsachen in einen Erfahrungssatz Die Ermittlung von wirklichen, das heißt ex post-Gefahren ausschließlich anhand der Tatsachen, die zum Zeitpunkt des Verhaltens schon gegeben waren, scheint der Intuition zu widersprechen. So lässt es sich erklären, dass Juristen die Berücksichtigung des eingetretenen Schadens für das Gefahrurteil fordern. Wie zuvor beschrieben ging schon das Reichsgericht davon aus, dass der Erfolg die Gefahr seines Eintritts zeigen kann. 240 Selbst die Vertreter einer objektiven 237 Schönke / H. Schröder 17, Vorbem § 306, Rn. 4a. Anders anscheinend für die geringe Erfolgsaussicht; siehe dazu a. a. O. und Nw. in Anm. 210. 238 Diese Differenzierung verkennt Kindhäuser, Hruschka – FS, S. 532 f. Er stellt ebenfalls fest, dass jedem Erfolg ein Risiko vorausgeht, und folgert daraus die Untauglichkeit dieses Kriteriums zur Einschränkung des objektiven Tatbestandes eines Erfolgsdeliktes. Entscheidend ist insofern aber nicht, dass der Täter ein Risiko geschaffen hat, sondern ob und wie sehr sein Verhalten gefährlich war. Die herrschende Lehre berücksichtigt diese Unterscheidung, indem sie die Verhaltensgefährlichkeit objektiv ex ante und Gefährdungserfolge ex post beurteilt; Nw. in Anm. 10. 239 Vgl. Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 70. 240 E 4, 397; 10, 1 f.; 31, 198, 200.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
ex ante-Betrachtung dürften entgegen ihrer Grundthese 241 in Anbetracht eines eingetretenen Schadens eher zur Annahme einer Gefahr bereit sein. 242 Einen noch deutlicheren Zusammenhang sieht Horn: „Ist eine Verletzung eingetreten, so wird der ‚objektive Beobachter‘ derart präpariert, daß immer ein Gefahrurteil herausspringt. Der Einsicht, daß eine Verletzung wahrscheinlich oder möglich sei, wird sich angesichts eines Sachverhalts, der sich unmittelbar vor Verletzungseintritt verwirklicht, ein ‚objektive Beobachter‘ selbst dann nicht verschließen können, wenn man ihn zu einem ‚exquisit dummen‘ Homunculus herabwürdigt.“ 243 Am deutlichsten zeigt sich dieses Bedürfnis in der – abzulehnenden – These von Lippold: „Das Zurechnungskriterium des Erfolges beruht allein auf einer Präsumtion. Auf der Präsumtion nämlich, eine Handlung, die den Erfolg herbeigeführt hat, sei besonders gefährlich gewesen.“ So „läßt die Art und Schwere des Erfolges auf die Gefährlichkeit der Handlung schließen. Eigentlich ist ein solcher Schluß keineswegs zwingend, aber die in den Erfolgsdelikten zugrunde gelegte Präsumtion erzwingt diesen Schluß. Auf diese Weise wird der Erfolg Grund der Bewertung einer Handlung als besonders gefährlich.“ 244 Dass solche Rückschlüsse nur für Gefährdungserfolge, nicht aber für die Verhaltensgefährlichkeit möglich und geboten sind, wurde zuvor nachgewiesen. Doch auch hinsichtlich des zweiten Risikomerkmals geht die zum Ausdruck gebrachte Intuition nicht gänzlich fehl. Das Verwertungsverbot betrifft ausschließlich nachträglich eingetretene Tatsachen. Zum Teil ist es jedoch möglich, aus ihnen Erfahrungssätze abzuleiten. 245 Als Beispiel lässt sich die Einnahme von Thalidomid (Contergan) in einer frühen Schwangerschaftsphase anführen. 246 Das damalige epidemieartige Auftreten von 241
Bassenge, Gefahrbegriff, S. 24 m.w. N.; vgl. ebenso Stratenwerth / Kuhlen, AT1,
8/22. 242
Vgl. etwa Schünemann [Anm. 207]. Dagegen zur Indizwirkung negativer Handlungsfolgen bei der Bestimmung des Umfangs der Pflichtwidrigkeit Deiters, Strafzumessung, S. 53 ff. Eingehender zur faktischen Beeinflussung einer objektiven ex ante-Betrachtung durch deren Schwere Kuhlen, in: Recht und Moral, S. 359 ff. 243 [Anm. 207], S. 55; vgl. bereits Armin Kaufmann, ZfRV 5 [1964], 41, 49. Diese Rechtsfigur hat eine eigene, vielfach übersehene Funktion im Konzept der herrschenden Lehre. Die Leichtfertigkeit wird als ein – im Hinblick auf Unrecht und Schuld – erhöhter Grad der Fahrlässigkeit verstanden, der unter anderem mit einer Steigerung der objektiven Erkennbarkeit verbunden sei; Wegscheider, ZStW 98 [1986], 624, 646 ff. m.w. N. in Anm. 174. Demnach wäre konsequenterweise zu fordern, dass die Verhaltensgefährlichkeit nicht nur für den einsichtigen und besonnenen Dritten in der Situation und aus dem Verkehrskreis des Täters, sondern selbst für den exquisit dummen Homunkulus zu erkennen ist; anders etwa Wegscheider, a. a. O., S. 652. 244 Reine Rechtslehre und Strafrechtsdoktrin, S. 243 f. 245 Anm. 89. 246 Vgl. bereits H. Schröder, ZStW 81 [1969], 7, 14; vgl. für eine ausführlichere Darstellung den Contergan-Beschluss des LG Aachen JZ 1971, 507 ff. und zu den damit verbundenen Rechtsfragen Armin Kaufmann, JZ 1971, 569 ff.
B. Das objektive ex post-Gefahrurteil
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Missbildungen vor allem an den Extremitäten der Neugeborenen beschränkte sich auf Länder, in denen das Schlafmittel vertrieben wurde, und stand regional in Verbindung mit einem gehäuften Verbrauch. Selbst ohne genaue Kenntnis des Pathomechanismus kann man aus diesen Tatsachen den Erfahrungssatz bilden, dass die Einnahme von Thalidomid durch die Mutter mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Schädigung des Embryos führt. 247 Der Richter wird durch § 244 II StPO verpflichtet, sich um eine solche Umwandlung der bekannten Tatsachen in Erfahrungssätze zu bemühen. Die Transformation ist wohlgemerkt nur begrenzt möglich. Wer den Gewinner eines olympischen Hundertmeterlaufs kennt, vermag deshalb keinesfalls den Ausgang eines weiteren Laufs bei (zumindest anscheinend) identischen Ausgangsbedingungen vorherzusagen. Diese Beschränkung der Transformierbarkeit von nachträglich eingetretenen Tatsachen in einen Erfahrungssatz ist für die objektive ex post-Prüfung der Verhaltensmerkmale von entscheidender Bedeutung. Wäre die Umwandlung nämlich unbegrenzt möglich, müsste man im Ergebnis doch sämtliche nachträglich eingetretenen Tatsachen berücksichtigen. Dadurch würde das – in Kapitel 1: B.I.1., S. 60 entwickelte – Verwertungsverbot konterkariert. Der Risikobegriff wäre seiner Skala beraubt und man könnte nur noch zwischen Gefahr und Nichtgefahr unterscheiden. Fraglich ist allerdings, inwieweit die Beschränkung der Transformierbarkeit in so genannten determinierten Bereichen gilt und ob auch dort das objektive ex post-Wahrscheinlichkeitsurteil skalierbar bleibt.
II. Die Irrelevanz der als determiniert angesehenen Kausalverläufe Die intensive juristische Diskussion über (adäquate) Verursachung und Gefährdung während der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war geprägt von der Vorstellung, dass Naturereignisse nach feststehenden Gesetzen ablaufen und durch diese vollständig determiniert werden. Mangels empirischer Beweismöglichkeiten 248 stritt man sich allerdings heftig, ob ebenso allgemeingültige Gesetze hinreichende Bedingungen für ein bestimmtes Verhalten angeben, oder ob der Mensch vielmehr kraft seines freien Willens jederzeit anders handeln kann. 249 Da uns solche strikten Gesetze jedenfalls nicht bekannt sind, wird der Ablauf psychischer Vorgänge noch heute als typisches Beispiel eines indeterminierten respektive unvollständig determinierten Bereichs angeführt. 250 Vergleichbare Schranken menschlicher Kenntnis und Erkenntnisfähigkeit sind schon lange in den Naturwis247
Vgl. auch das von Samson, Lüderssen – FS, S. 592 f. geschilderte Experiment. Vgl. MK – Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 219. 249 Vgl. zum damaligen Streitstand und den diskutierten Konsequenzen für die Schuld v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 2, S. 283 ff. m.w. N.; außerdem Spilgies, Bedeutung des Determinismus-Indeterminismus-Streits für das Strafrecht, 2004. 248
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
senschaften und gerade in der Physik anerkannt. Bereits 1927 konnte Heisenberg für die Quantenmechanik nachweisen, dass sich Ort und Impuls eines Elektrons nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmen lassen (so genannte Heisenbergsche Unschärferelation). Greifbarer sind komplexe Systeme, die ein deterministisch chaotisches Verhalten aufweisen. Kleine Abweichungen in den Anfangsbedingungen verstärken sich bei ihnen mit der Zeit exponentiell. Da man diese nur endlich genau feststellen kann, ist es unmöglich, das Verhalten des Systems für die entfernte Zukunft vorherzusagen. Der Meteorologe Lorenz fand dafür in den 1960er Jahren den Begriff Schmetterlingseffekt. 251 Bei Simulationen seines einfachen Wettermodells auf dem Computer beobachtete er, dass bereits kleinste Änderungen der Ausgangsbedingungen stark abweichende Wetterstrukturen bewirken können. Die Größenordnungen verdeutlichte er an folgendem Beispiel. Schon der Schlag eines Schmetterlingsflügels im Amazonas-Urwald vermag danach einen Orkan in Europa auszulösen. Man geht jedoch davon aus, dass determinierte Bereiche – etwa bei einem einfachen mechanischen Experiment – isolierbar und insofern sowohl Tatsachen als auch Erfahrungssätze vollständig zu ermitteln sind. 252 Hier gilt das objektive ex post-Gefahrurteil als problematisch. 1. Das Verhältnis von Notwendigkeits- und Gefahrurteil Gefährlich sind Verhaltensweisen beziehungsweise Sachverhalte, wenn sie mit einer Wahrscheinlichkeit p zu einem Schaden führen. Zuvor wurde ein verbreitetes an der Umgangssprache orientiertes Verständnis der Wahrscheinlichkeit angeführt, das die Möglichkeit des Ereigniseintritts voraussetzt. 253 Gefahr ist demnach nur eine Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts von p > 0. Häufig wird der Gefahrbegriff zudem von der anderen Seite dahingehend beschränkt, dass der Ereigniseintritt nicht sicher sein darf, seine Wahrscheinlichkeit also unter 100 Prozent liegen muss. Gefährlich wäre damit nur ein Sachverhalt, wenn für die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gilt: 0 < p < 1. 254 Für die isolierten, vollständig determinierten Verläufe wird daher angenommen, dass die objektive
250 NK – Puppe, Vor § 13, Rn. 125 ff. Vgl. aber zu den jüngeren Erkenntnissen der Hirnforschung und der dadurch erfolgreich reanimierten Diskussion um die Willensfreiheit Detlefsen, Grenzen der Freiheit; Hillenkamp, JZ 2005, 313 ff.; Jakobs, ZStW 117 [2005], 247 ff.; Krauß, Jung – FS, S. 411 ff.; Müller-Dietz, GA 2006, 338 ff.; Reinelt, NJW 2004, 2792 ff.; Schiemann, NJW 2004, 2056 ff.; Streng, Jakobs – FS, S. 675 ff. 251 Vgl. zu beiden Stichworten unter www.wikipedia.de. 252 Vgl. Blei, AT, S. 164 und NK – Puppe, Vor § 13, Rn. 148 ff. 253 Siehe Kapitel 1: B.I.1., S. 60. 254 Angioni [Anm. 203], S. 243 f.; v. Rohland, Die Gefahr im Strafrecht, S. 1; Schmidhäuser, Lehrb. AT, 8/33.
B. Das objektive ex post-Gefahrurteil
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ex post-Betrachtung in solchen Fällen ein Gefahrurteil ausschließe und durch ein Notwendigkeitsurteil ersetze. 255 In der Idee der Notwendigkeit einer Veränderung gäbe es bei vollständigem Tatsachen- und Erfahrungswissen keinen Zweifel, nur Gewissheit. 256 Eine Beurteilung in Kenntnis des wirklichen Geschehens könnte unter der Herrschaft eines strikten Kausalgesetzes nichts anderes ergeben, als dass alles – genau so wie geschehen – geschehen musste. Ungewissheit, Wahrscheinlichkeit und Gefahr seien daher zwangsläufig, wie schon Hertz und Finger es ausdrückten, ein „Kind unserer Unwissenheit“. 257 Für den in dieser Diskussion wohl unvermeidlichen Laplace’schen Dämon wäre ein Verhalten nicht gefährlich oder ungefährlich, sondern nur schädlich oder unschädlich. 258 Der Pistolenschuss auf das Herz eines anderen Menschen stellte für ihn folglich in diesem Sinne keine Lebensgefahr dar, wenn der Tod als Handlungsfolge feststand. Die Kategorie der Gefährdung wäre demnach obsolet. 259 Unklar ist allerdings, warum dieser Einwand nur für die objektive ex post-Prüfung gelten soll. Sobald der Täter über den determinierten Teilbereich umfassend informiert ist, stellt sich das Problem gleichermaßen im Rahmen der (objektiven) ex ante-Betrachtung. 260 So wie man die Ungewissheit des einzelnen Menschen durch seine Unwissenheit über Tatsachen und Erfahrungssätze begründen kann, lässt sie sich ebenso auf die Unwissenheit der Menschheit zurückführen. Insofern besteht lediglich ein quantitativer, aber kein qualitativer Unterschied. Die These, dass nur eine Wahrscheinlichkeit p des Schadenseintritts mit 0 < p < 1 eine Gefahr darstellt, wäre daher für jede Urteilsform problematisch. Semantisch ist diese Trennung von Notwendigkeits- und Gefahrurteil jedoch keineswegs zwingend. 261 Man vermag die Gefahr ohne sprachliche Verrenkung durchaus als Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verstehen, die größer als null und kleiner oder gleich eins ist (0 < p ≤ 1). 262 Wird er ausgeschlos255
Henkel, Gefahrbegriff, S. 24; Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt, S. 17 f. Finger, Frank – FG I, S. 235 und Hertz [Anm. 212], S. 74 ff. 257 Blei, AT, S. 164; Dornseifer, JuS 1982, 761, 763; MK – Erb, § 34, Rn. 59; Finger, a. a. O., S. 235, 237; Hertz [Anm. 212], S. 75; v. Kries, Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, S. 86 f.; Samson, Hypothetische Kausalverläufe, S. 47, 98; Schmidhäuser, Lehrb. AT, 8/33; Struensee [Anm. 227], Rn. 14, 18; weitere Nw. in Anm. 46 und bei Angioni, Il pericolo concreto, S. 110 in Anm. 29. 258 A. Merkel, Lehrbuch, S. 43. Vgl. zur Bezugnahme auf ihn bereits Finger, Frank – FG I, S. 234; siehe ferner den Artikel und die Diskussion unter www.wikipedia.de zum Stichwort „Laplacescher Dämon“. 259 Puppe, Otto – FS, S. 397 in Anm. 42; Rahmlow, Die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht, S. 166 f.; H. Schumann / A. Schumann, Küper – FS, S. 549 f. 260 Vgl. Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 8 a. E. 261 Allerdings unterscheiden sich Gefährdungserfolge sprachlich vom Schaden; siehe Kapitel 1: B.I.2., S. 62. 256
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
sen, liegt demnach kein Risiko vor. Kann man ihn als sicher ansehen, ist eine „hundertprozentige Gefahr“ anzunehmen. 263 Problematisch wäre das objektive ex post-Gefahrurteil nur dann, wenn eine vollständige Determinierung bei jeder Prüfung zur Annahme eines hundertprozentigen Risikos führte. Erst dann wäre das Wahrscheinlichkeitsurteil nicht mehr graduierbar und damit ungeeignet. Einen isolierten, vollständig determinierten Verlauf wird man wohl nur in praktisch seltenen Konstellationen finden. Dass es in solchen Ausnahmefällen hundertprozentige Gefahren gibt, steht der Graduierbarkeit des Risikobegriffs indes nicht prinzipiell entgegen. 2. Die praktische Unmöglichkeit der Formulierung strikter Erfahrungssätze und ihre Konsequenzen Wenn die Literatur anmahnt, dass man im isoliert-determinierten Bereich bei vollständiger Kenntnis der gegebenen Tatsachen- und Erfahrungssätze nicht mehr von Gefahren sprechen kann, so setzt diese Überlegung als Prämisse schon voraus, dass es determinierte Kausalverläufe gibt und wir diese durch Erfahrungssätze angeben, das heißt versprachlichen können. Nur wenn mit einem Erfahrungssatz ausgedrückt werden kann, dass aus bestimmten eingetretenen Tatsachen ein zukünftiges Ereignis zwingend folgt, muss man die Grenzen des Gefahrbegriffs und die Gleichbehandlung bereits eingetretener mit sicheren zukünftigen Tatsachen erörtern. Es ist jedoch nicht möglich, ein solches Mindestbedingungsgesetz auf den Begriff zu bringen. Vom Erfolgseintritt lässt sich – deterministisch gedacht – zwar auf die Trivialerkenntnis schließen, dass zuvor genügend Umstände vorhanden waren, um den Erfolg zwingend herbeizuführen. 264 Aus dieser Feststellung lässt sich jedoch kein allgemeines Kausalgesetz entwickeln. Ein entsprechendes Mindestbedingungsgesetz müsste um alle möglichen Kautelen erweitert werden, indem man sämtliche relevanten Einzelheiten des konkreten Falles in einen „Immer-wenn-dann – Satz“ abstrahierte. 265 Dies liefe auf die Zusammenfassung eines Ausschnittes der Welt und ihrer Folgen hinaus. Selbst bei der objektiven ex post-Gefahrbestimmung in einem vollständig determinierten und bekannten Bereich gibt es daher noch Ungewissheit hinsichtlich der durch bestimmte Tatsachen zu verursachenden Ereignisse, die aus der Unvollständigkeit der diesen Zusammenhang beschreibenden Erfahrungssätze resultiert. Ein sie zusammenfassender Erfahrungssatz kann praktisch nur einen Teil der erfolgsre262
Vgl. Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt im Verkehrsstrafrecht, S. 19 f. Puppe, ZStW 95 [1983], 287, 310 ff. Vgl. auch Blei, AT, S. 164; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 200; Nell, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 122; Samson, Lüderssen – FS, S. 588. 264 Vgl. Samson, Rudolphi – FS, S. 264. 265 Vgl. Dencker, Gesamttat, S. 113 f.; Samson, a. a. O., S. 265. 263
B. Das objektive ex post-Gefahrurteil
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levanten Umstände berücksichtigen. 266 Aus der mehr oder weniger umfassenden Konstruktion resultiert damit zugleich eine Beschränkung der im Ergebnis berücksichtigten Anknüpfungstatsachen. Deren Auswahl vermag nur – wie im Verhältnis der Kartographie zur Geographie – die wesentlichen Züge hervorzuheben. 267 Die Möglichkeit des Fehlens von erfolgsherbeiführenden respektive des Vorliegens von ihn ausschließenden Tatsachen, 268 die nicht im Gesamterfahrungssatz berücksichtigt wurden, bedingt die Ungewissheit. Sie ist nicht lediglich ein „Kind unserer Unwissenheit“, 269 sondern Folge begrifflich notwendiger Abstraktion. Es ist daher ungenau festzustellen, dass wer auf den Brustkorb eines anderen Menschen mit einer Pistole feuert, damit dessen Tod herbeiführen wird, weil dieser Erfahrungssatz etwa die Schießkünste des Täters oder das Fehlen einer Schutzweste beim Opfers nicht einbezieht. Selbst bei einer entsprechenden Erweiterung kann man nur von der gegebenenfalls immens hohen Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintrittes sprechen, weil immer den Erfolg positiv oder negativ determinierende Tatsachen nicht erfasst werden. Erfahrungssätze beschreiben daher bestenfalls eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. 270 Nur die – praktisch nicht zu leistende – unendlich präzise Angabe des Gesamterfahrungssatzes würde den Eintritt eines Ereignisses aufgrund der gegebenen Tatsachen gewiss und die Prognosen im oben genannten Sinne für den vollständig determinierten Bereich sinnlos werden lassen, vorausgesetzt er existiert.
III. Formalitäten Während die Flut der Publikationen mit Bezug zum objektiven ex ante-Risikourteil bereits eine Vielzahl von methodischen oder auch nur begrifflichen Nuancierungen mit sich gebracht hat, 271 so ist die Diskussion um eine objektive ex postBeurteilung der Verhaltensgefährlichkeit weiterhin im Entstehen und beschränkt 266
Vgl. Puppe, ZStW 92 [1980], 863, 898 f. Vgl. Finger, Frank – FG I, S. 234. 268 Die Unterscheidung zwischen positiven und negativen Bedingungen ist in der Sache ohne Bedeutung; vgl. Dencker, Gesamttat, S. 92 ff. 269 Vgl. dagegen Nw. in Anm. 257. 270 Diese genügt nach h. M. für die richterliche Überzeugung; Kühne, StrafprozessR, Rn. 947 m.w. N. Fällt etwa ein Kleinkind in das Gehege einer völlig ausgehungerten Tigerfamilie, so wird das Gericht gegebenenfalls seinen Tod in dieser Situation als mit an Sicherheit grenzend wahrscheinlich ansehen. Konsequenterweise müsste ein Richter bei der Prüfung, ob die Erschießung der Raubtiere durch Notstand gerechtfertigt war, den Todeseintritt als gewiss zugrunde legen. Selbst diese prozesszuale Perspektive spricht – nach den Überlegungen a. E. von Kapitel 1: B.II.1., S. 66 – nicht gegen eine objektive ex postGefahrbeurteilung. Bei der Interessenabwägung gemäß § 34 wäre dann ausnahmsweise ein hundertprozentiger Grad der Todesgefahr einzustellen. 271 Vgl. Kapitel 1: A.I., S. 28. 267
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
sich deshalb bislang auf die Kernfragen. Zwei Thesen des italienischen Strafrechtlers Angioni bieten jedoch Gelegenheit, abschließend noch einmal methodischbegriffliche Randprobleme zu untersuchen. Angioni will das Verwertungsverbot für die nach dem Urteilszeitpunkt eintretenden Tatsachen aufheben, wenn deren Eintritt sicher ist. Er fordert außerdem ein Verwertungsverbot für zeitlich ungültige Erfahrungssätze. In der Erörterung seiner Thesen wird sich herausstellen, dass diese auf einem lediglich formal abweichendem (Um-)Weg zum selben Ergebnis führen. 1. Einbeziehung sicherer zukünftiger Tatsachen in die ontologische Urteilsbasis? Objektiv ex post beurteilt man eine Gefahr durch Anwendung des menschlichen Erfahrungswissens auf alle bereits eingetretenen Tatsachen. Zukünftige Tatsachen mussten außer Betracht bleiben, um die Graduierbarkeit dieses Wahrscheinlichkeitsurteils zu ermöglichen. Angioni schlägt vor, Tatsachen, deren zukünftiger Eintritt gewiss ist, so wie bereits eingetretene zu behandeln und in die ontologische Urteilsbasis mit einzubeziehen. 272 Um die sicher eintretenden zukünftigen Tatsachen angeben zu können, benötigt man indes einen entsprechenden Erfahrungssatz, genauer ein striktes Kausalgesetz. 273 Die Erweiterung der ontologischen Urteilsbasis um die sicheren zukünftigen Tatsachen ist daher nicht ohne Rückgriff auf den nomologischen Teil des Urteils möglich. Diese Verschiebung bleibt jedoch ohne Auswirkung auf das Ergebnis. Angioni will zunächst die eingetretenen Tatsachen zusammenstellen, darauf zwingende Erfahrungssätze anwenden und die ermittelten sicheren zukünftigen Tatsachen mit einbeziehen. Auf diese erweiterte ontologische Basis wendet er das sonstige Erfahrungswissen an. Die gleiche Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts wird erzielt, wenn man nur die eingetretenen Tatsachen ontologische Basis nennt und darauf erst strikte sowie nachfolgend sonstige Erfahrungssätze anwendet. Letztere Methode hat jedoch den Vorteil begrifflicher Klarheit. Es wurde zuvor 272
Il pericolo concreto, S. 103 ff. Auch hier wirkt sich die in Kapitel 1: B.II.2., S. 68 dargestellte Problematik der Formulierung strikter Erfahrungssätze aus. Gibt es keinen Erfahrungssatz, der den Eintritt einer zukünftigen Tatsache als gewiss beschreibt, bleibt die ursprüngliche Beschränkung der ontologischen Urteilsbasis auf bereits eingetretene Tatsachen zwangsläufig bestehen. Da man nicht vermittels der Erfahrungssätze einen sicheren Schluss von den Ausgangsbedingungen auf eine zukünftige Entwicklung vornehmen kann, ist ihre differenzierte Behandlung geboten. Aber selbst wenn Angioni theoretisch nicht beschreiben kann, was eine hinreichende Mindestbedingung für den Eintritt einer zukünftigen Tatsache ist, gibt es für deren gleichberechtigte Einbeziehung in das Gefahrurteil immer noch eine praktische Option. Im Strafprozess gilt bereits die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit als Sicherheit (siehe bereits Anm. 270). In manchen Fällen wird daher der Richter den Eintritt einer nachfolgenden Tatsache als sicher ansehen. 273
B. Das objektive ex post-Gefahrurteil
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ein Vorschlag beschrieben, die bereits eingetretenen Tatsachen objektiv ex post und die darauf anzuwendenden Erfahrungssätze objektiv ex ante zu bestimmen. 274 Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, ist es hilfreich, die Trennung zwischen den (eingetretenen) Tatsachen als ontologischer und den Erfahrungssätzen als nomologischer Urteilsbasis aufrecht zu erhalten. Schon aus diesem formellen Grunde ist es sinnvoll, weiterhin zwischen bereits eingetretenen und sicheren zukünftigen Tatsachen zu unterscheiden, selbst wenn dies keine Auswirkungen auf das Ergebnis hat. Zudem muss man sich fragen, welchen Vorteil die Einbeziehung sicherer zukünftiger Tatsachen haben sollte. Die Anwendung des (vermeintlich) strikten Erfahrungssatzes, der den sicheren Eintritt des Ereignisses nachweist, wird dadurch nicht entbehrlich. Ihn benötigt man weiterhin, um die Gefahr gerade für den Zeitpunkt des zu bewertenden Verhaltens – etwa zur Interessenabwägung nach § 34 – graduierbar zu machen. 2. Unterscheidung zwischen Naturgesetzen und Erfahrungssätzen mit beschränkter zeitlicher Gültigkeit? Es stellt sich ferner die Frage, ob das Verwertungsverbot für nachträgliche Tatsachen in einer vergleichbaren Weise für Erfahrungssätze gilt. Dies bejahend hält Angioni es für richtig, alle erst nach dem Beurteilungszeitpunkt existierenden Regeln aus der nomologischen Basis auszuschließen. 275 Dabei unterscheidet er zwei Typen. Naturgesetzen über physische Phänomene fehle der zeitliche Bezug. Dieser beträfe lediglich ihre Kenntnis beziehungsweise den möglichen praktischen Gebrauch. Auch vor 500 Jahren galt etwa schon der Erfahrungssatz, dass die Erde um die Sonne kreist. Naturgesetze werden daher von ihm immer in die nomologische Basis einbezogen. 276 Demgegenüber hänge etwa soziales Verhalten von Konventionen und technischem Fortschritt ab, die jeweils einen zeitlichen (und örtlichen) Bezug hätten. Daran anknüpfende Erfahrungssätze besäßen daher eine zeitlich begrenzte Gültigkeit, weshalb sie auch nach dem für die Prognose maßgeblichen Zeitpunkt ins Leben treten könnten. 277 Die Erfahrungsregel, nach der die Distanz zwischen Sassari und Cagliari innerhalb von zwei Stunden zurückzulegen ist, kann – im Gegensatz zu 30 Jahren früher – heute gültig sein. 278
274
Nw. in Anm. 102 ff. In der früheren Diskussion um das Adäquanzurteil gab es zudem eine genau entgegengesetzte Auffassung; Nw. in Anm. 50, 100. 275 Il pericolo concreto, S. 151 f.: “Sono cioè da escludere dall’ambito nomologico utilizzabile tutte le regole venute a esistenza doppo il fatto oggetto del giudizio di pericolo”. 276 [Anm. 275], S. 152 f. 277 A. a. O., S. 154. 278 A. a. O. in Anm. 155. Die von ihm genannten Beispiele für Erfahrungssätze könnte man auch als Tatsachen formulieren; vgl. dazu Korte, Gerichtskundigkeit im Strafprozess, S. 29 ff.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Auch diese These von Angioni bedarf keiner inhaltlichen Kritik, da die Unterschiede sich wiederum auf die Terminologie beschränken. Um dies zu verdeutlichen, sei zunächst an das hier zugrunde liegende Verständnis erinnert. Erfahrungssätze haben eine „Wenn A, B und C, dann wahrscheinlich D“ – Struktur. 279 Ähnlich einem Rechtssatz haben sie einen Tatbestand und eine Folge, deren Verknüpfung allerdings weniger stringent ist. Angioni will nun ein weiteres Merkmal der zeitlichen und örtlichen Geltung anbringen. Das erscheint unnötig kompliziert und wird von ihm so auch nicht vollständig durchgehalten. Viel leichter ist es, diese Voraussetzung mit in den Tatbestand hineinzulesen. Die Erfahrung besagt dann etwa, dass, wenn heute ein Autofahrer die Distanz zwischen Sassari und Cagliari zurücklegen will, er dafür ungefähr zwei Stunden benötigen wird. Für das Ergebnis ist es dagegen irrelevant, ob man die Anwendung des Erfahrungssatzes mangels „Tatbestand“ oder „Gültigkeit“ verneint. Die weitere Ausdifferenzierung der Erfahrungssätze ist aber nicht hilfreich, weshalb hier auf ein gesondertes Gültigkeitsdatum verzichtet wird. Es gibt folglich kein Verwertungsverbot für Erfahrungssätze. Diese können allerdings praktisch auf die ontologische Basis keine Anwendung finden, wenn ihr Tatbestand sie nicht erfasst.
IV. Zusammenfassung Gefährlich sind ein Verhalten oder eine Situation, wenn sie mit bestimmter Wahrscheinlichkeit zu einem Schadenseintritt führen. Objektiv ex post beurteilt man diese Wahrscheinlichkeit anhand aller zu diesem Zeitpunkt bereits eingetretenen Tatsachen. Ob sie erst später bekannt wurden, ist dabei unerheblich [siehe Kapitel 1: B.I., S. 57]. Auf diese Tatsachen werden alle im Nachhinein ermittelten und zeitlich passenden Erfahrungssätze angewendet [siehe Kapitel 1: B.III.2., S. 71]. Nachträglich eingetretene Tatsachen finden jedoch mittelbar Berücksichtigung, wenn sie sich in einen solchen Erfahrungssatz umwandeln lassen [siehe Kapitel 1: B.I.3., S. 63]. Weil deren Anknüpfungstatbestand praktisch begrenzt ist, vermag er niemals alle positiven und negativen Bedingungen des Schadenseintrittes zu benennen. Selbst in einem isoliert determinierten Bereich kann daher objektiv ex post niemals mit Notwendigkeit, sondern allenfalls mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit geurteilt werden [siehe Kapitel 1: B.II., S. 65]. Ein Rückschluss von der Verletzung auf eine vorherige Gefahr ist nur für Gefährdungserfolge zulässig [siehe Kapitel 1: B.I.2., S. 62].
279
Vgl. bereits Kapitel 1: A.I.2.a), S. 34.
C. Die Problematik einer objektiven ex ante-Prüfung
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C. Die Problematik einer objektiven ex ante-Prüfung von Tatbestands- und Rechtfertigungsmerkmalen Die objektive ex ante-Betrachtung eines Unrechtstatbestandsmerkmals ist ein zweistufiges Verfahren, mit dem man den für seine Prüfung relevanten Sachverhalt zusammenstellt. Zunächst erfolgt eine ex post-Betrachtung. Für ein prognostisches Merkmal wie die Gefahr werden sämtliche zum Beurteilungszeitpunkt bereits eingetretenen Tatsachen herangezogen. Darauf wendet man alle Erfahrungssätze an. Wann oder wem diese Tatsachen und Erfahrungssätze bekannt wurden, ist materiellrechtlich unerheblich. Danach wird gefragt, ob der das Merkmal erfüllende Sachverhalt einer Maßstabsperson bekannt oder zumindest erkennbar gewesen wäre. 280 Letzteres setzt voraus, dass der objektive Dritte diesen bei Anwendung der ihm zur Verfügung stehenden Erfahrungssätze auf die ihm bekannten Tatsachen erkannt hätte. Dazu muss man erst einmal feststellen, welche Kenntnisse dieser „Homunkulus aus der Retorte der Rechtswissenschaft“ 281 hat. Roxin stellt beispielsweise auf das Wissen eines einsichtigen und mit dem Sonderwissen des Täters ausgestatteten Menschen innerhalb des betreffenden Verkehrskreises ab. 282 Im Folgenden sollen die dogmatisch-konstruktiven Probleme eines solchen Ansatzes aufgezeigt werden. 283
280 Rechtfertigungsgründe sind der Sache nach negative Tatbestandsmerkmale. Der objektive Dritte muss daher nicht ein Vorliegen, sondern das Fehlen des sie erfüllenden Sachverhaltes erkennen können; vgl. Kapitel 1: A.II.1.c), S. 53. 281 Armin Kaufmann, ZfRV 5 [1964], 41, 49. 282 AT1, 11/40. Von ihm unterscheidet er eine „differenzierte Maßfigur“, mit der sich bestimmen lasse, „wie ein gewissenhafter und besonnener Mensch, der dem Verkehrskreis des Täters angehört, sich in der konkreten Situation verhalten hätte“, AT1, 24/34 f. und zum Streit um die Anforderungen an sie Mikus [Anm. 74], S. 50 ff. Bezug nehmend auf Triffterer verdeutlicht Kuhlen, Produkthaftung, S. 102 das dabei auftretende Dilemma wie folgt: „Je mehr man diese Figuren den wirklichen Akteuren eines bestimmten Verkehrskreises angleicht, desto gehaltvoller ist ihre argumentative Verwendung, desto stärker gleicht sich aber auch die Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt der Deskription der im Verkehr tatsächlich geübten Sorgfalt an“. Der Gebrauch der differenzierten Maßfigur beinhaltet eine Wertung, deren eigentliche Problematik sich in ihrer Definition Armin Kaufmanns, ZfRV 5 [1964], 41, 51 als „Personifizierung der Rechtsordnung in der konkreten Situation“ deutlich zeigt. Dieser Mustermensch gibt Auskunft, welche Verhaltensweisen unerlaubt riskant sind. Mit der Berufung auf ihn unterschlägt man allerdings die Begründung der rechtlichen Missbilligung. Bestenfalls dient die differenzierte Maßfigur als Vehikel, um vorhandene Regeln oder Richtlinien unterzubringen, ohne allerdings ihre Legitimation zu hinterfragen; Mikus [Anm. 74], S. 53. Im ungeregelten Bereich bedarf es einer Abwägung, für die zunächst einmal der zu bewertende (gefährliche) Sachverhalt festzulegen ist. 283 Eingehend zu den Fehlerquellen bei der praktischen Durchführung Kuhlen, in: Recht und Moral, S. 354 ff.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
I. Unbestimmtheit des Wissens eines künstlichen Beobachters „Wer vom Durchschnittsmaassstab der Diligenz spricht, wendet eine Bequemlichkeits- und Beschwichtigungsphrase an, bei der sich in Wahrheit nichts denken lässt.“ Karl Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 4, S. 520
Das Ergebnis der objektiven ex ante-Betrachtung hängt entscheidend davon ab, welches Tatsachen- und Erfahrungswissen der „bestimmten normativen Erwartungen entsprechenden Maßstabsperson“ zur Verfügung gestellt wird. 284 Ihre Vertreter wollen üblicherweise ein entweder durchschnittliches oder gesteigertes Wissen „in die Retorte hineintun, der dann der objektive Beobachter entsteigt“. 285 Das Kriterium der durchschnittlichen Kenntnisse wäre vergleichsweise leicht zu handhaben, wenn es – wie der Begriff nahe legt – eine rein statistische Bestimmung des Umfangs bedeutete. Danach hinge aber die Unrechtmäßigkeit eines Verhaltens von der durchschnittlichen Befähigung der in einem bestimmten Lebensbereich tatsächlich Tätigen ab. 286 Das Landesrettungsrecht macht beispielsweise sehr unterschiedliche Vorgaben für die notwendige Qualifikation des nichtärztlichen Rettungsdienstpersonals. In Kreisen, in denen Rettungswagen nicht mit über zwei Jahren ausgebildeten Rettungsassistenten besetzt werden müssen, kann daher das durchschnittliche medizinische Wissen des Fachpersonals sehr viel geringer sein als dort, wo höhere Anforderungen gelten. Wer sich nicht mit dieser Konsequenz zufrieden geben will, darf das Wissen der Maßstabsperson nicht statistisch bestimmen. Erforderlich würde dann eine Wertung, die man üblicherweise dem so genannten Verkehrskreis zu entnehmen versucht. 287 Bei genauerer Betrachtung sind allerdings gleich zwei normative Prämissen von Nöten. Man muss festlegen, welches die persönlichen Grenzen eines Verkehrskreises sind 288 und was für Kenntnisse seine Angehörigen haben, wobei ein spezifisches Erfahrungswissen – etwa bei Berufsgruppen – noch einfacher vorstellbar ist als deren einheitliche Tatsachenkenntnis. 289 Das ausschließliche 284
W. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 71 in Anm. 6. Armin Kaufmann [Anm. 281]. 286 Vgl. zum Parallelproblem bei der Bildung einer „differenzierten Maßfigur“ Anm. 282. 287 Vgl. statt vieler Jakobs, AT, 7/47 ff. und P. Frisch [Anm. 101], S. 93 f. 288 Castaldo, GA 1993, 495, 505; Freund, AT, 5/26 ff. mit Beispielen. Diese Wertung wäre auch bei dem soeben beschriebenen statistischen Verfahren unumgänglich. 289 Vgl. bereits den mit Anm. 101 versehenen Abschnitt. 285
C. Die Problematik einer objektiven ex ante-Prüfung
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Abstellen auf ein Verkehrskreiskriterium setzte allerdings deren allgegenwärtige Existenz voraus, was zum Beispiel im Bereich der experimentellen Forschung ausgeschlossen sein dürfte. 290 In einer völlig neuen Situation „gibt es nicht nur kein normatives Leitbild, sondern noch nicht einmal ein tatsächlich geübtes Verhaltensmuster“. 291 Verkehrskreise können daher nur als Evidenzkriterium dienen. Ein Pilot in der Formel-1 kennt etwa die Gefahren von Manövern in Abhängigkeit von Bereifung und Witterung. Darüber hinaus lässt sich aus den Verkehrskreisen kaum ein allgemeingültiger Maßstab entwickeln. Ihre Spezialisierung zu einem Sonderverkehrskreis könnte bei vereinzeltem bis einzigartigem Wissen Dritte belasten. So wird etwa gefordert, dass eine verbesserte Operationsmethode (genauer: das Wissen über sie) Maßstab für alle Chirurgen sein soll. 292 Dieser Ansatz wird zwar innerhalb der objektiven ex ante-Betrachtung mit der Behauptung abgelehnt, dass er die Sorgfaltsanforderungen überdehnt. 293 Fundierter lässt sich eine solche „Individualisierung nach oben“ aber auch nicht bestreiten, „weil es eine Grenze für die Bildung immer speziellerer, nach den individuellen Fähigkeiten der Beteiligten abgestufter Verkehrskreise ohnehin nicht gibt“. 294 Damit kehrt die Frage zurück, mit welchem Wissen der objektive Beobachter in den sonstigen, nicht evident erscheinenden Fällen auszustatten ist. Einen Normalmaßstab wird man schon deshalb – es sei denn intuitiv und damit unkontrollierbar – nicht anlegen können, da es einen solchen homunculus normalis mit einem normalem Wissen nicht gibt. Ebenso wenig lässt sich ein tauglicher Maßstab nach dem Leitbild des „einsichtigen Menschen“ bilden. 295 Es fehlt somit an abschließenden Regeln, um den Umfang an Tatsachen und Erfahrungssätzen, die der virtuellen Figur zur Verfügung stehen, aus der Täterund Tatsituation zu ermitteln. Dieses „Unternehmen, eine mittlere Linie zwischen höchster Abstraktion und rein täterbezogener Konkretisierung“ zu finden, kann daher kaum ohne Brüche und Unstimmigkeiten gelingen. 296 Folglich vermag die Maßstabsperson nur sehr unbestimmten normativen Erwartungen zu entsprechen. 297 Im besten Falle dient sie wie auch ihre differenzierte Variante als Vehikel, 290
SK – Samson (5. Aufl., 1989), Anh zu § 16, Rn. 13. Mikus [Anm. 74], S. 53; vgl. auch Stratenwerth, Jescheck – FS I, S. 302. 292 Schünemann, Schaffstein – FS, S. 166 f. und JA 1975, 511, 515. 293 Roxin, AT1, 24/63. 294 Roxin, a. a. O., der allerdings anhand dieses Befundes ein unumwundenes Bekenntnis zur Individualisierung innerhalb der objektiven ex ante Betrachtung fordert. Vgl. auch zur unendlichen Fortführbarkeit der Verkehrskreisspezialisierung Castaldo, GA 1993, 495, 505. 295 Vgl. Schönke / H. Schröder 17, § 59, Rn. 177 m.w. N. 296 Bezogen auf die Ermittlung der Sorgfaltswidrigkeit SK – Samson (5. Aufl., 1989), Anh zu § 16, Rn. 13; H. Schröder, a. a. O. 297 Armin Kaufmann, Jescheck – FS I, S. 259; Stratenwerth / Kuhlen, AT1, 8/22. 291
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
um Regeln oder Richtlinien hinsichtlich – etwa durch Ausbildung zu erlangender und damit – zu erwartender Kenntnisse einzubinden, allerdings wiederum ohne die Frage der Legitimation zu berücksichtigen. 298 Daher lässt sich ohne Rückgriff auf das Rechtsgefühl oder bestenfalls einschlägige Spezialregelungen nicht widerlegen, dass „der Verkehrskreis aller 50jährigen, kurzsichtigen, farbenblinden und besonders schreckhaften Autofahrer, die soeben ihre Fahrerlaubnis erworben haben“, maßgeblich sein kann. 299
II. Verwirrungen zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven „Denn einmal: welches das Recht beschämende Schauspiel, zwei miteinander Ringende, deren jeder ‚rechtmäßig‘ handelt; das heißt doch nichts anderes als die Proklamierung des Faustrechtes.“ James Goldschmidt, Der Notstand, ein Schuldproblem, S. 6
Objektive ex ante-Gefahrbeurteilung beginnt mit einer objektiven ex post-Prüfung. Aufgrund sämtlicher bereits eingetretener Tatsachen und aller Erfahrungssätze stellt man etwa auf Tatbestandsebene fest, wie sehr die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts durch das Täterverhalten gesteigert wurde. Konnte die erforderliche Risikoerhöhung nachgewiesen werden, beschränkt man in einem zweiten Schritt die ontologische und nomologische Urteilsbasis auf das Wissen des gedachten Dritten. Anhand seines reduzierten Tatsachen- und Erfahrungswissens muss sich immer noch eine hinreichende Gefahrerhöhung nachweisen lassen. Dieses Verfahren würde jedoch zu völlig unplausiblen Ergebnissen führen, wenn der Homunkulus schlechter informiert ist als der Täter. 300 Soweit sein Tatsachen- und Erfahrungswissen über die Kenntnisse des Homunkulus hinausgeht, wird es daher ebenfalls einbezogen. 301 1. Der Systembruch Um herausfinden zu können, ob der Täter weitergehende Kenntnisse als der objektive Dritte hat, muss man zwangsläufig 302 sein gesamtes Wissen mit dem 298 299 300 301
S. 41.
Siehe dazu Anm. 282. Dazu Samson [Anm. 296], m.w. N. M. Köhler, AT, S. 184; vgl. auch Kühl, AT, 17/31. Ausführlicher zum Einfluss des Sonderwissens bereits unter Kapitel 1: A.I.2.a)bb),
C. Die Problematik einer objektiven ex ante-Prüfung
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des objektiven Dritten vergleichen. Weil dabei die zum Tatzeitpunkt bestehenden Täterkenntnisse über die Verhaltensgefährlichkeit einbezogen werden, ist diese Methode vielfach als systemwidriger Vorgriff auf den Vorsatz kritisiert worden, vgl. §§ 8, 16 I 1. 303 Allerdings beschränkt sich die Problematik nicht auf das Vorsatzdelikt. Um den Systembruch zu verdeutlichen sei noch einmal an das Beispiel vom Biologiestudenten B erinnert, der als Aushilfskellner in einem exotischen Salat dank seiner im Studium erworbenen Kenntnisse eine giftige Frucht entdeckt und ihn dennoch Gast G serviert. 304 Stirbt G, stellt sich bei der Prüfung von §§ 212 I, 222 gleichermaßen die Frage, ob B seinen Tod in zurechenbarer Weise verursacht hat. Dies setzt zunächst ein lebensgefährliches Verhalten des B voraus, das jedoch bei einer objektiven ex post-Betrachtung anzunehmen ist. Beschränkt man nun Tatsachen und Erfahrungssätze auf das Wissen eines gedachten – gut ausgebildeten und aufmerksamen – Oberkellners, erscheint das Verhalten als ungefährlich. 305 Das Vorliegen der weitergehenden Kenntnisse des B ist daher notwendig, um es als (unerlaubt) riskant einstufen zu können. Umgekehrt folgt daraus die Relevanz seiner Unkenntnis von Umständen, die das objektive ex post-Urteil fundieren und dem Homunkulus nicht bekannt sind. 306 Es gäbe demnach einen Zurechnungstatbestandsirrtum, der das Fehlen dieses Sonderwissens umfasst und den objektiven Tatbestand ausschließt, wie Struensee anschaulich erläutert. 307 Um diesen Zurechnungstatbestandsirrtum prüfen zu können, ist die herrschende Lehre nicht nur im Vorsatzdelikt gezwungen, die Vorsatzprüfung in den objektiven Tatbestand vorzuverlagern. In vergleichbarer Weise muss sie beim Fahrlässigkeitsdelikt Elemente der individuellen Erkennbarkeit vorziehen, die sie ansonsten in der Schuld verortet. 302
Vgl. dagegen W. Frisch, Roxin – FS, S. 231 und Roxin, Armin Kaufmann – GedS, S. 250. 303 Armin Kaufmann, Jescheck – FS I, S. 260 ff.; Koriath, Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, S. 535; Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, S. 92, Anm. 67; Lampe, Armin Kaufmann – GedS, S. 196 f.; Samson, StrafR I, S. 16; H. Schumann / A. Schumann, Küper – FS, S. 558. 304 Siehe Kapitel 1: A.I.2.a)bb), S. 41. 305 Das Wissen der Maßstabsfigur muss nicht mehr um die nur dem Täter bekannten Tatsachen oder Erfahrungssätze ergänzt werden, soweit ihr bereits entsprechende Kenntnisse zur Verfügung stehen. Baumann / U. Weber / Mitsch, AT, 22/24 weist daher zu Recht darauf hin, dass Sonderverkehrskreise (etwa der „studierten Tropenfruchtkellner“) Subjektivierungen verdecken. In der Sache unterscheiden sich die Einbeziehung von Sonderwissen und die Bildung von Sonderverkehrskreisen daher nicht; vgl. Freund, AT, 5/31. 306 Struensee, JZ 1987, 53, 59. 307 Bezogen auf das Fahrlässigkeitsdelikt und in anderer Terminologie („Fahrlässigkeitstatbestandsirrtum“); JZ 1987, 53, 59 ff. und GA 1987, 97, 100. Unverständlich dagegen die These von Mir Puig, ZStW 108 [1996], 759, 769 f., „nur die objektive Unvermeidbarkeit des Irrtums – und nicht der Irrtum an sich“ – führte zur Verneinung der Zurechnung. Beide Bedingungen sind dafür notwendig.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Nach herkömmlicher Auffassung unterscheiden sich subjektive von objektiven (Unrechts-)Tatbestandsmerkmalen dadurch, dass sie der Täterpsyche zum Tatzeitpunkt entnommen werden. Legt man nun dieses Verständnis zugrunde, muss konstatiert werden, dass die objektive ex ante-Betrachtung eine Subjektivierung objektiver Verhaltensmerkmale des Tatbestandes und der Rechtfertigung bewirkt. 308 Man ignoriert die anerkannte Trennungslinie, und es kommt zur Verwirrung zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven. Inzwischen wird dieser Systembruch selbst von ihren Vertretern zum Teil offen eingeräumt: „Die objektive Zurechnungslehre macht auch vor subjektiven Gegebenheiten und vor dem subjektiven Unrechtstatbestand nicht Halt.“ 309 Vereinzelt heißt es sogar: „Die objektive Zurechnung setzt die Bejahung des Vorsatzes voraus“. 310 Letztere Einschätzung geht jedoch in zweifacher Hinsicht zu weit. Einerseits kommt es auf das Sonderwissen nur insoweit an, als dem objektiven Dritten die entsprechenden Kenntnisse fehlen. Außerdem setzt die Einbeziehung des Täterwissens über einzelne Tatsachen und Erfahrungssätze nicht voraus, dass diese insgesamt den Anforderungen des § 16 I 1 genügen. Der Gefährdungsvorsatz ist nur ein Spezialfall der objektiven ex ante-Erkennbarkeit von Risiken. 311 2. Die formale Ordnungsfunktion der Trennung zwischen objektiv und subjektiv als Diskussionsgrundlage Einige Autoren versuchen, die Friktion in zunehmend komplexeren Theorien zur Neubestimmung der Trennungslinie zwischen dem Objektiven und Subjektiven zu beheben. 312 Soweit ihre Konzepte ausschließlich die Begriffe objektiv und subjektiv umdefinieren, sind sie allerdings nicht weiterführend. Dadurch würde nicht nur die Systemwidrigkeit, sondern zugleich das System beseitigt. 313 308
Angioni [Anm. 257], S. 147; Burkhardt [Anm. 81], S. 103 ff.; Denckner, Stree / Wessels – FS, S. 171 in Anm. 64 und Gesamttat, S. 43 in Anm. 60; Jakobs, AT, 7/32, 49; Struensee, JZ 1987, 53 ff. m.w. N. in Anm. 6, JZ 1987, 541 und ZStW 102 [1990], 21, 27; AK – Zielinski, §§ 15, 16, Rn. 86 ff. 309 Wolter, in: Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung und der Unterlassungsdelikte, S. 3, 22 f.; Baumann / U. Weber / Mitsch, AT, 22/47. 310 Moos, Trechsel – FS, S. 503. 311 Siehe Anm. 362. 312 Jakobs, Armin Kaufmann – GedS, S. 271 ff. und AT, 7/50; Mir Puig, Armin Kaufmann – GedS, S. 265 ff., ZStW 108 [1996], 759, 768 ff. sowie GA 2003, 863, 866 ff.; Roxin, Armin Kaufmann – GedS, S. 250 f. und Chengchi Law Review 50 [1994], 219, 233; W. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 41 f. in Anm. 158 und Roxin – FS, S. 230 f.; Wolter [Anm. 309], S. 21 ff.; zuletzt Greco, ZStW 117 [2005], 519, 531 ff. sowie Sacher, Sonderwissen und Sonderfähigkeiten, S. 244 ff. und passim. 313 Exemplarisch die Kritik von Struensee, GA 1987, 97, 98, Denckner, Stree / Wessels – FS, S. 171 in Anm. 64 sowie Burkhardt, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 104 ff.
C. Die Problematik einer objektiven ex ante-Prüfung
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Der Ansatz von Wolfgang Frisch mag dies beispielhaft illustrieren: 314 „Was in die Urteilsbasis eingeht, ist ja nicht das Wissen des Täters selbst, etwa sein Sonderwissen, oder sonst ein individuelles Datum. Es ist vielmehr ein unbestreitbares Stück Wirklichkeit außerhalb der Psyche des Täters – nämlich der in der Wirklichkeit vorhandene Gegenstand seines Wissens oder die in der Wirklichkeit vorhandenen Umstände, die er hätte wissen können usw. Nicht das Subjektive oder das Individuelle selbst wird Teil der Urteilsbasis. Teil der Urteilsbasis werden vielmehr eindeutig objektive Umstände, die nur ein zusätzliches Kriterium erfüllen – nämlich vom Täter gewusst werden oder für ihn erfahrbar waren. Das Subjektive oder Individuelle ist mit anderen Worten nicht selbst Teil der Urteilsbasis, sondern nur ein Auswahlkriterium dafür, welche Segmente der Wirklichkeit (noch) in die Urteilsbasis eingestellt werden.“ Nach diesem Unterscheidungskriterium dürfte allerdings nur eine Risikovorstellung (§ 22) als subjektives Merkmal angesehen werden, während die Gefahrkenntnis (§ 16 I 1) beziehungsweise der kongruente Vorsatz wegen des Wirklichkeitsbezuges ebenso als objektives Merkmal zu verstehen wären. Hält man indes an der gängigen Aufteilung in objektiven und subjektiven (Unrechts-)Tatbestand fest, 315 lässt sich der Bruch kaum noch leugnen. Was objektiv und was subjektiv ist, steht dann nicht mehr zur weiteren Disposition der Dogmatik. 316 Andere Beiträge zielen darauf ab, die Problematik des festgestellten Systembruchs zu relativieren, indem sie etwa auf das Fehlen einer sprachlichen Trennung in den gesetzlichen Tatbeständen verweisen. Viele Verben wie wegnehmen, sich zueignen und (wohl auch) täuschen seien sprachlich nur sehr gekünstelt in die objektiven und subjektiven Bestandteile ihrer Bedeutung zu zerlegen. 317 Solche objektiv-subjektiven Merkmale gehörten ebenfalls zum objektiven Tatbestand. 318 Bei „finalen Tätigkeitsworten“ wird zudem eine so vollständige Verschmelzung der Handlungsbeschreibung mit dem Täterwillen angenommen, dass innerpsychische Umstände die objektiven Tatbestandsmerkmale mitbestimmten. 319 Einer solchen Argumentationsweise vermag man auf verschiedenen Wegen zu begegnen. Zum einen lässt sich darlegen, dass die mit der objektiven ex ante-Betrachtung einhergehende Berücksichtigung des Täterwissens zum Tatzeitpunkt im objektiven (Rechtfertigungs-)Tatbestand grundsätzlich unnötig ist. 320 Dazu muss 314
In: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 182 ff. Dagegen Schmidhäuser, Schultz – FG, S. 61 ff. und MK – Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 177. 316 Vgl. Hirsch, Köln – FS, S. 407 und Küpper, ZStW 105 [1993], 295, 304. 317 NK – Puppe, Vor § 13, Rn. 22; Roxin, AT1, 10/8, 53 m.w. Bsp. 318 MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 21. 319 Jescheck / Weigend, AT, S. 273, 242. 320 Eine Ausnahme gilt im Kontext der hoheitlichen Gefahrenabwehr; siehe Kapitel 2, S. 135. 315
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
ein alternatives Modell beschrieben und seinerseits gegen mögliche Einwände abgesichert werden. Mit diesem Unternehmen beschäftigen sich die folgenden Abschnitte Kapitel 1: D. und Kapitel 1: E., S. 85. Zudem darf schon an dieser Stelle bezweifelt werden, dass sich mit den zusätzlich angeführten Beispielen die sonstige Notwendigkeit einer Berücksichtigung von Umständen aus der Täterpsyche begründen lässt. Der Zugriff auf subjektive Merkmale kann wohlgemerkt schon im objektiven (Unrechts-)Tatbestand geboten sein. Kapitel 1: F., S. 116 wird allerdings zeigen, dass und inwiefern sich die Trennungslinie zwischen dem Objektiven und Subjektiven sehr viel häufiger als verbreitet angenommen aufrecht erhalten lässt. 321 Diese Herangehensweise besitzt zwar eine eigene Überzeugungskraft. Mit ihr lässt sich die Problematik des in der objektiven ex ante-Betrachtung enthaltenen Systembruches jedoch nicht vollständig erfassen. Die Autoren, welche ihn für ein verbreitetes und daher vernachlässigbares Problem halten, gehen nämlich davon aus, dass die Trennung zwischen objektiven und subjektiven Unrechtsmerkmalen lediglich eine gegebenenfalls didaktische Ordnungsfunktion erfüllt, 322 „deren Erkenntniswert für die Entwicklung der Systematik und Dogmatik der allgemeinen Verbrechenslehre“ überschätzt wird. 323 Wer zudem – insofern mit Recht – eine lupenreine Objektivität im Unrecht in erster Linie als unerreichbares Ideal ansieht, 324 auf den dürften Versuche zu ihrer Rettung schnell gekünstelt oder gar naiv wirken. 325 Die bislang eher seltenen Bemühungen, 326 jede einzelne Subjektivierung des objektiven (Unrechts-)Tatbestandes kritisch zu hinterfragen, können von diesem Standpunkt aus müßig erscheinen, denn nur für „Puristen, die unbedingten Wert auf eine strikte Trennung zwischen objektiven und subjektiven Verbrechenselementen legen, mag dieser Befund katastrophal sein“. 327 Eine solche Grundannahme lässt sich nicht schon dadurch widerlegen, dass man die Möglichkeiten einer Trennung zwischen dem objektiven und subjektiven 321 Eine kritische Überprüfung verdient insbesondere die durch Schönke / Schröder – Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 16 und Lampe, GA 1978, 7 ff. begründete Lehre von den unvollkommen zweiaktigen Rechtfertigungsgründen. 322 Exemplarisch W. Frisch, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 185 f. und Roxin – FS, S. 231; Roxin, AT1, 10/53; vgl. dazu auch Greco, ZStW 117 [2005], 519, 534 ff. 323 NK 1 – Puppe, Vor § 13, Rn. 145. 324 Freund, AT, 2/62 in Anm. 63; Mir Puig, Armin Kaufmann – GedS, S. 269; Puppe, Otto – FS, S. 394 ff., 402 ; Roxin, AT1, 10/53. 325 Vgl. Baumann / U. Weber / Mitsch, AT, 22/47 und W. Frisch, Roxin – FS, S. 231. 326 Vgl. insb. Burkhardts Beitrag wider die „Verwirrungen zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven“; [Anm. 15], S. 99 ff. m.w. N. 327 Puppe, AT1, 15/39 im Hinblick auf die damit begründete, im Ergebnis aber unberechtigte Ablehnung der objektiven Zurechnung durch Armin Kaufmann, Jescheck – FS I, S. 251, 258 ff. und Struensee, JZ 1987, 53, 63.
C. Die Problematik einer objektiven ex ante-Prüfung
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(Unrechts-)Tatbestand im Einzelfall aufzeigt. Dazu ist es vielmehr erforderlich nachzuweisen, dass es sich bei dieser Trennungslinie um mehr handelt als ein bloß formales Leitprinzip, das studentische Verwirrungen vermeiden will und im Falle der Vorziehung subjektiver Umstände – wenn überhaupt – eine zweite Überprüfung der zugrunde liegenden These fordert. 328 Man muss sich deshalb die bislang in der Diskussion vernachlässigte Frage stellen, ob die Trennung zwischen den objektiven und subjektiven Merkmalen neben ihrer formalen Ordnungsfunktion auch eine gewichtigere inhaltliche Aufgabe erfüllt. Zu klären ist schließlich, worin die inhaltliche Problematik der perspektivischen Prüfung objektiver Verhaltensmerkmale besteht. 3. Wertungswidersprüche als Konsequenz der perspektivischen objektiven ex ante-Prüfung: Notwehr gegen Notwehr Die objektive ex ante-Betrachtung kann dazu führen, dass man bei der strafrechtlichen Bewertung des Verhaltens mehrerer Personen auf unterschiedliche Sachverhalte zurückgreifen muss, obwohl alle in denselben Geschehensablauf involviert waren. Als Ursache dafür kommen zum einen differierende Annahmen der Maßstabspersonen (Polizist, Notarzt, Rentner etc.) in Betracht. Selbst wenn man den gleichen Homunkulus heranzieht, führt die an seinem Wissen orientierte Sachverhaltsbeschränkung auf Tatbestands- und Rechtfertigungsebene zu unterschiedlichen Ergebnissen. Man stelle sich vor, dass ein Verhalten wirklich gefährlich ist. Auf Tatbestandsebene wäre dann zu prüfen, ob dieses Risiko für den objektiven Dritten erkennbar ist. Hat er kein dazu hinreichendes Tatsachenund Erfahrungswissen, muss man das Gefahrmerkmal verneinen. Auf Rechtfertigungsebene wäre hingegen zu fragen, ob ihm das Fehlen einer Gefahr erkennbar ist. Das wirklich gefährliche Verhalten erfüllte demnach das Gefahrmerkmal. 329 Am einfachsten lassen sich die möglichen Wertungswidersprüche jedoch vor Augen führen, wenn man bedenkt, dass die objektive ex ante-Prüfung durch das gegebenenfalls unterschiedliche Sonderwissen der Beteiligten beeinflusst wird. Weil Tatbestandsmerkmale bei einem sich gefährlich verhaltenden Individuum zugleich den inhaltlichen Ausgangspunkt der Rechtfertigung in der Person des Bedrohten darstellen, 330 kann ein darauf aufbauendes System nicht stimmig sein, wie sich an folgendem Beispiel von Graul zeigen lässt.
328
Das Trennungsprinzip könnte zwar ein Postulat „der Ästhetik i. S. einer als schön und einprägsam empfundenen Symmetrie des Systems sein“. Ist es jedoch ausschließlich ein solches „ästhetisch-systematisches Postulat, so hat es nur didaktischen Wert i. S. einer zufälligen Merkregel und kann jederzeit aus jedwedem Grund suspendiert werden“; Puppe, Lackner – FS, S. 201 f. in Bezug auf das so genannte Umkehrprinzip der Irrtumslehre. 329 Umfassender beschrieben in Kapitel 1: A.II.1., S. 50. 330 Vgl. Schönke / Schröder – Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 10a.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs Der schmächtige A wird nachts an einer schlecht beleuchteten Stelle im Bahnhofsviertel vom ungepflegten B angerempelt, als dieser – von A unbemerkt – im schnellen Gang über einen Bordstein stolpert. Wegen früherer schlechter Erfahrungen in der Bahnhofsgegend greift sich A in die Jacke und stellt das Fehlen seiner mit 10.000 € gefüllten Brieftasche fest. Er hält B für einen Taschendieb, läuft ihm hinterher und fordert ihn lautstark zur Rückgabe auf. Dieser spricht aber kein Deutsch und rennt aus Angst davon. A folgt ihm und versucht, dem körperlich deutlich überlegenen B aus ein bis zwei Metern Distanz Reizgas ins Gesicht zu sprühen. B kann aber ausweichen und rennt weiter. Er sieht wenige Sekunden später, dass A schon wieder Reizgas sprühen will. Deshalb weicht er zur Seite aus und stellt ihm ein Bein, so dass A hinfällt und – wie von B erwartet – sich ein Knie aufschlägt. Im Fallen kann A dem B dennoch eine Dosis Reizgas ins Gesicht sprühen, so dass dessen Augen tränen und schmerzen. Die Brieftasche war zuvor in einer Kneipe von U gestohlen worden. A und B haben beide den jeweils anderen vorsätzlich körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt. Fraglich ist, ob sie rechtswidrig handelten, zumal sich beide gerechtfertigt fühlen. 331
Sofern man für die Prüfung des Merkmals Angriff eine objektive ex anteBetrachtung zugrunde legt, 332 könnte A durch Notwehr gerechtfertigt sein. Die vernünftige Maßstabsperson würde an Stelle des A einen Diebstahl, also die Bedrohung seines Eigentums durch B annehmen. 333 Deren tatsächliches Fehlen wäre dem objektiven Dritten nicht erkennbar gewesen. Bei objektiver ex antePrüfung sämtlicher Merkmale ist A durch Notwehr gerechtfertigt, weil der Reizgaseinsatz auch erforderlich und geboten erschien. Durch ihn wird jedoch B in seiner körperlichen Unversehrtheit gefährdet. Sein Notwehrrecht setzte ferner voraus, dass dieser Angriff rechtswidrig erfolgte. Hier ist nun zu prüfen, ob dem Homunkulus an Stelle des B ein wirkliches Vorliegen von den A rechtfertigenden Umständen erkennbar gewesen wäre. Weil es diese nicht gab, ist im Rahmen der Rechtfertigung des B von einem rechtswidrigen Angriff des A auszugehen. In der Situation erschien es erforderlich und geboten, dem A ein Bein zu stellen, so dass B bei objektiver ex ante-Betrachtung seinerseits durch Notwehr gerechtfertigt ist. Die perspektivische Prüfung ihrer tatsächlichen Voraussetzungen führt somit zur Zulässigkeit von Notwehr gegen Notwehr. 334 Mit dem Verstoß gegen den anerkannten Satz, dass es „keine Notwehr gegen Notwehr“ gibt, 335 ist das Problem jedoch nur schlagwortartig umrissen, da es sich nicht auf den § 32 beschränkt. Man kann den Fall etwa auch unter Notstandsgesichtspunkten (§ 34) lösen. Objektiv ex ante betrachtet wäre zugunsten des A von einer Defensivnotstandslage auszugehen, da B nach Maßgabe des objektiven Dritten für den drohenden 331
Graul, JuS 1995, 1049. So etwa MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 77. 333 Ausführlicher dazu Graul, JuS 1995, 1049, 1050. 334 Graul, JuS 1995, 1049, 1053 f. 335 NK – Herzog, § 32, Rn. 36; Kühl, AT, 7/60, beide m.w. N.; sinngemäß Roxin, AT1, 15/14 f. 332
C. Die Problematik einer objektiven ex ante-Prüfung
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umfangreichen Vermögensverlust zuständig ist. In diesen Fällen sind leichte Körperverletzungen zum Schutze bedeutender Sachgüter zulässig. 336 Danach war der Einsatz des Reizgases aus der Distanz zum Schutz von 10.000 € legitim. Umgekehrt wäre ebenso das Beinstellen durch Defensivnotstand gerechtfertigt. Auch dieses Ergebnis steht der herkömmlichen Dogmatik entgegen, wonach Notstand gegen gerechtfertigte Handlungen unzulässig ist. 337 Man versucht, diesem Widerspruch durch das Aufstellen einer Zusatzregel zu entkommen. In Situationen, in denen der vom gerechtfertigten Verhalten Betroffene „ein Sonderwissen über den wahren Sachverhalt hat, das dem gerechtfertigten Handeln die Grundlage entzieht“, soll eine Rechtfertigung durch Notstand möglich sein, die aber keine Verletzung des vermeintlichen Retters gestatte. 338 Mit dieser Zusatzregel wird indes gleichermaßen zugestanden, dass „Notstand gegen Notstand“ möglich ist. Sie behebt nicht das aus der perspektivischen Prüfung entstehende Problem unterschiedlicher Sachverhaltsannahmen. 4. Inhaltliche Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes: Kennzeichnung notrechtsauslösenden Verhaltens Die ex ante-Betrachtung objektiver Verhaltensmerkmale führt zu Widersprüchen und damit zur Einschränkung der Ordnungsfunktion des (Straf-)Rechts. Dieser Befund lässt sich anhand der inhaltlichen Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes und seiner prinzipiellen Unvereinbarkeit mit der ex ante-Prüfung seiner Voraussetzungen erklären. Zentrale Aufgabe jeder Rechtsordnung ist es zu definieren, welche Handlungen oder Unterlassungen den ihr unterworfenen Personen erlaubt sind. Gemäß Art. 2 I, 20 I, III, 103 II GG müssen die Ver- und Gebote des Staates gegenüber dem Bürger als Grundrechtsbeschränkungen durch Gesetze demokratisch legitimiert werden. Erlaubt ist deshalb, was nicht verboten wurde. Bürgerliche Rechte und Pflichten untereinander brauchen dagegen nicht ausdrücklich benannt zu werden. Dem Recht des einen Bürgers, ein Verhalten durchzuführen, entspricht die Pflicht eines anderen, dieses nicht zu unterbinden. 339 Die Notwendigkeit einer solchen Abstimmung von Verhaltensrecht und Duldungspflicht zeigt sich dann, wenn zwei Bürger zum Schutz ihrer rechtlich geschützten Güter und Interessen „miteinander ringen“. 340 Für diesen Fall muss die Rechtsord336
Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 34, Rn. 30 f. Begründet wird diese Ausdehnung der Notstandsbefugnisse richtigerweise durch einen veränderten Abwägungsmaßstab analog § 228 BGB und nicht durch einen zusätzlich in die Abwägung einzustellenden Wert. Vgl. zum Meinungsstand a. a. O., außerdem Otte, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, S. 95 ff. sowie Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 243 ff. 337 Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 34, Rn. 1; Roxin, AT1, 14/108. 338 Roxin, AT1, 14/109 allgemein für „Rechtfertigungsgründe, die auf ungewisse oder zukünftige Umstände abstellen“, wie etwa die mutmaßliche Einwilligung; ebenso Dimitratos [Anm. 104], S. 179 f. 339 Renzikowski [Anm. 336], S. 243.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
nung feststellen, welches Verhalten der einen Person ihren Regeln entspricht und folglich von der anderen zu dulden ist beziehungsweise zu wessen Gunsten der hinzueilende Polizist eingreifen soll. 341 Gegen ein rechtmäßiges Verhalten dürfen keine Notrechte zugelassen werden, weil die Rechtsordnung sich andernfalls selbst widerspräche. Sie würde dem einen Bürger ein Verhalten freistellen und ihm das Recht zu seiner Durchführung sogleich dadurch wieder nehmen, dass ein anderer Bürger ihn davon abhalten darf. Ein beinahe ungefährliches und deshalb erlaubtes Verhalten ist aus diesem Grund auch duldungspflichtig. Wird es von anderen Personen unterbunden, so kann deren Reaktion nicht die Gutsagung der Rechtsordnung beanspruchen. 342 Ferner müssen die Notrechte aufeinander abgestimmt werden. Wenn das Verhalten des einen Bürgers zwar gefährlich, jedoch aufgrund bedeutenderer Interessen gerechtfertigt ist, schließt das Notrechte des anderen Bürgers dagegen aus. Diese Symmetrie geht zwangsläufig verloren, wenn bei der Feststellung der Befugnis, die Handlung vorzunehmen, ein anderer Sachverhalt eingestellt wird, als bei der Prüfung, ob sie von den Mitbürgern geduldet werden muss. 343 Berechtigte Forderungen nach einem einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriff im Strafrecht 344 müssen daher letztlich ihr Ziel verfehlen, sofern die doppelfunktionalen Voraussetzungen der objektiven Rechtswidrigkeit ex ante geprüft werden. Das Strafrecht beschränkt sich auf besonders wichtige Verhaltensregeln der allgemeinen Rechtsordnung. Auch der strafrechtliche Ausschnitt der Verhaltensordnung muss objektiv sein. 345 Falls die beiden Bürger um ihre strafrechtlich geschützten Güter „miteinander ringen“, dann hat das Strafrecht zu definieren, welches Verhalten der einen Person zulässig und dementsprechend von anderen Bürgern zu dulden ist. Diese Abgrenzung leistet es im objektiven Unrechtstatbestand. Erfüllt ein Verhalten nicht den objektiven Tatbestand oder wird es objektiv gerechtfertigt, dann wird dem Bürger seine Vornahme von der Strafrechtsordnung freigestellt. Damit verbundene Beeinträchtigungen ihrer strafrechtlich geschützten Güter müssen spiegelbildlich von den Mitbürgern geduldet werden. Ein Verhalten, das dagegen im Sinne von § 223 I unerlaubt die Gesundheit eines anderen Menschen gefährdet und insofern nicht gerechtfertigt wird, führt konsequenterweise dazu, dass Dritte sich im Rahmen eines Notrechtes dagegen zur Wehr setzen dürfen. 340 So die – am Anfang von Kapitel 1: C.II., S. 76 bereits zitierte – plastische Beschreibung des Problems bei Goldschmidt, Der Notstand, ein Schuldproblem, S. 6. Sie wird auch im Folgenden zu seiner Kennzeichnung verwendet. 341 Frister, AT, 14/10. 342 Dazu und zum Folgenden Rinck, Der zweistufige Deliktsaufbau, S. 456 ff. 343 SK – Samson (6. Aufl., 1992), § 34, Rn. 23. 344 Otte [Anm. 336], S. 55; Roxin, Jescheck – FS I, S. 458 f.; Schünemann, JA 1975, 511, 515. 345 Vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 242.
D. Ein Konkurrenzmodell zur objektiven ex ante-Gefahrbeurteilung
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Die inhaltliche Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes ist es somit anzugeben, ob ein – für strafrechtlich geschützte Individualinteressen – riskantes Verhalten entweder duldungspflichtig ist oder Notrechte des Inhabers auszulösen vermag. 346 Soll der Konflikt zwischen den auch strafrechtlich geschützten Interessen zweier Bürger nicht einseitig entschieden werden, muss sich seine Beurteilung auf den wirklichen, objektiv ex post zu prüfenden Sachverhalt stützen. Die zufrieden stellende Abgrenzung ihrer Verhaltensfreiheiten kann nur als gemeinsame Leistung, in der das Wissen aller Menschen vereinigt wird, gelingen. 347 Eine perspektivische objektive ex ante-Prüfung beseitigt durch die Einbeziehung des Sonderwissens nicht bloß die formale Trennung zwischen objektivem und subjektivem Unrecht. Auf ihrer reduzierten Sachverhaltsgrundlage könnte der objektive Unrechtstatbestand vor allem nicht mehr friktionsfrei angeben, ob ein Verhalten einerseits den Vorgaben der Strafrechtsordnung entspricht oder nicht und ob es andererseits auf der Grundlage eines Notrechtes abgewehrt werden darf oder eben nicht. Im Gegensatz zu der – ausschließlich der guten Ordnung dienenden – formalen Trennung zwischen objektiven und subjektiven Unrechtsmerkmalen ist diese sachliche Funktion unverzichtbar.
D. Ein Konkurrenzmodell zur objektiven ex ante-Gefahrbeurteilung Die Vor- und Nachteile der ex ante-Zwischenstufe im objektiven (Unrechts-) Tatbestand braucht man nur dann zu diskutieren, wenn es ein alternatives Modell der Gefahrprüfung gibt. Ein solches Verfahren soll im Folgenden beschrieben werden. Die Darstellung berücksichtigt das objektiv tatbestandsmäßige Verhalten eines Erfolgsdeliktes und seine Eignung zur Abwendung einer Aggressivnotstandsgefahr nach § 34. Geprüft wird objektiv ex post, das heißt ohne Begrenzung des wirklichen Sachverhaltes. 348 Erst der subjektive (Unrechts-)Tatbestand führt zu einer solchen Einschränkung. Diese ex ante-Betrachtung muss nicht durch Einbeziehung des Sorgfaltshomunkulus künstlich herbeigeführt werden, sondern folgt natürlich aus der Bezugnahme auf die Kenntnisse des Täters im Zeitpunkt des tatbestandsmäßigen Verhaltens, §§ 16 I 1, 8. Beim Tatbestandsvorsatz werden sich keine Besonderheiten ergeben. Im Bereich der Rechtfertigung begründet die eingeschränkte Schuldtheorie dieses Erfordernis. Entgegen dem herrschenden 346 In diesem objektiven Unrechtstatbestand wird nicht zwischen schlichter Handlungserlaubnis und echter Eingriffsbefugnis differenziert; Rinck [Anm. 342]. Vgl. für die Unterscheidung jedoch Schönke / Schröder – Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 11 m.w. N. auch zur Kritik an seinem Konzept. 347 Siehe M. Köhler, Schroeder – FS, S. 262 f. 348 Siehe Nw. in Anm. 205 f.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Aufbau des Fahrlässigkeitsdeliktes wird allerdings die individuelle Erkennbarkeit – parallel zur Kenntnis beim Vorsatzdelikt – gleichfalls als Merkmal des subjektiven Tatbestandes verstanden.
I. Die objektive ex post-Feststellung der Verhaltensgefährlichkeit im Erfolgsdelikts- und Rechtfertigungstatbestand Tatbestandsmäßige Erfolge werden objektiv zugerechnet, wenn der Täter sie durch ein unerlaubt risikoerhöhendes Verhalten herbeigeführt hat. Das tatbestandsmäßige Verhalten des (vorsätzlichen und fahrlässigen) Erfolgsdeliktes muss also eine Gefahrerhöhung bewirken. Um deren Ausmaß feststellen zu können, ist zunächst objektiv ex post die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei Vornahme des Täterverhaltens zu prüfen, indem man sämtliche Erfahrungssätze auf alle zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden Tatsachen anwendet. Später eingetretene Tatsachen werden nur berücksichtigt, soweit sich aus ihnen weitere Erfahrungssätze entwickeln lassen. 349 In einem zweiten Schritt muss das Täterverhalten hinweggedacht und dieser Vorgang wiederholt werden. Die Risikoerhöhung ergibt sich aus der Differenz zwischen den beiden Schadenswahrscheinlichkeiten. Ob sie für eine rechtliche Missbilligung im engeren Sinne genügt, würde man nachfolgend durch eine Abwägung ermitteln. Ein tatbestandsmäßiges Verhalten wird als rechtswidrig eingestuft, falls keine Rechtfertigungsgründe eingreifen. Rechtswidrigkeitsvoraussetzung ist daher etwa, dass die Handlung oder Unterlassung nicht als Fall des Aggressivnotstands zugelassen wird. Ein konsequenter Deliktsaufbau müsste somit beim Fehlen der Voraussetzungen des § 34 ansetzen. Üblicherweise prüft man aber der Einfachheit halber ihr Vorliegen. Das ist im objektiven Rechtfertigungstatbestand nur deshalb möglich, weil dort der wirkliche Sachverhalt vollständig verwertet wird. Damit in einer Notstandslage die Gefahr nicht anders als durch das Täterverhalten abwendbar ist, muss dieses überhaupt zur Gefahrabwendung geeignet sein, das heißt objektiv ex post zu einer Risikoverringerung führen. Deren Größenordnung wird festgestellt, indem man zunächst anhand aller Erfahrungssätze und bereits eingetretenen Tatsachen die Schadenswahrscheinlichkeit für das durch § 34 geschützte Gut bei Ausbleiben des tatbestandsmäßigen Verhaltens feststellt. Ebenso bestimmt sich die Wahrscheinlichkeit bei seiner Vornahme. Das Verhalten ist zur Gefahrenabwehr geeignet, wenn die Differenz der beiden Wahrscheinlichkeiten größer als Null, also echt positiv ausfällt. Die Bedeutung der Untersuchung entweder eines Fehlens oder des Vorliegens dieses Merkmals wird bei seiner im Folgenden geschilderten ex ante-Prüfung deutlich. 349
Siehe Kapitel 1: B., S. 56.
D. Ein Konkurrenzmodell zur objektiven ex ante-Gefahrbeurteilung
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II. Ex ante-Prüfung im subjektiven (Unrechts-)Tatbestand des vollendeten Delikts Im subjektiven Tatbestand wird lediglich der in der Psyche des Täters zum Tatzeitpunkt (§ 8) vorhandene Sachverhalt berücksichtigt. 350 Die Erörterung der Verhaltensgefährlichkeit kann sich hier auf seine Tatsachen- und Erfahrungskenntnisse beschränken. Voluntative Elemente sind insofern ohne Bedeutung. 351 Der Begriff der Kenntnis weist bereits zutreffend auf die notwendige Kongruenz zwischen subjektiven und objektiven Tatbestandsmerkmalen im vollendeten Delikt hin. Als subjektive Tatbestandsmerkmale lassen sich insofern nur solche Tätervorstellungen heranziehen, denen zuvor im objektiven Tatbestand attestiert wurde, dass sie auch der Wirklichkeit entsprechen. Im subjektiven Tatbestand des vollendeten Delikts wird daher nur ein dem Täter bekannter Ausschnitt des wirklichen Sachverhaltes herangezogen. Seine Untersuchung erfolgt ex ante, da sie sich auf ein Tatsachen- und Erfahrungswissen zum Zeitpunkt des tatbestandsmäßigen Verhaltens beschränkt. Weil der subjektive Tatbestand – per definitionem – lediglich das Täterwissen berücksichtigt, kann man die dortige Prüfung der Verhaltensgefährlichkeit subjektiv ex ante nennen. 352 1. Der Vorsatz Die Prüfung der Verhaltensgefährlichkeit im kongruenten Vorsatz des vollendeten Delikts folgt allgemeinen Regeln. 353 Nachdem man im objektiven Tatbestand des Erfolgsdeliktes festgestellt hat, dass durch das Täterverhalten die Gefahr für das geschützte Rechtsgut erhöht wurde, ist zu prüfen, ob dem Täter dies bekannt war. Dafür hat er dieselben praktischen Erwägungen anzustellen wie ein Jurist, der den objektiven Tatbestand prüft. Um die Schadenswahrscheinlichkeit für das tatbestandlich geschützte Gut mit und ohne Einbeziehung seines Verhaltens zu erfahren, muss der Täter die gleichen Tatsachen und Erfahrungssätze kennen und vor allem gedanklich anwenden. Zu einem Tatbestandsirrtum gemäß § 16 I 1 können Defizite in beiden Ebenen führen. Sind ihm für die Begründung der Risikoerhöhung relevante Tatsachen respektive Erfahrungssätze unbekannt beziehungsweise zieht er sie nicht dafür heran, so stuft der Täter den Umfang der Risikosteigerung 350 Wessels / Beulke, AT, Rn. 136; Blei, AT, S. 57. Vorherige und spätere innerpsychische Umstände sind dagegen dem objektiven (Unrechts-)Tatbestand oder der Schuld zuzuordnen. Das Koinzidenzprinzip fand bislang bei der Abgrenzung der Deliktsmerkmale – soweit ersichtlich – keine Beachtung. Vgl. jedoch Kapitel 1: F.I.2., S. 118; außerdem W. Frisch, Roxin – FS, S. 230 und Greco, ZStW 117 [2005], 519, 530 zur Einbeziehung nicht mehr aktueller Sonderkenntnisse in das objektive ex ante-Gefahrurteil. 351 Siehe Kapitel 1: A.I.2.b), S.44. 352 Burkhardt, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 134. 353 Siehe Kapitel 1: A.I.2.b), S. 44.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
zwangsläufig geringer ein, als er in Wirklichkeit ist. Vorsatz muss dennoch angenommen werden, wenn bereits die nur unvollständig erkannte Gefahrerhöhung zur rechtlichen Missbilligung des Verhaltens führt. Der eingeschränkten Schuldtheorie zufolge erfordert die Rechtswidrigkeit des vollendeten Vorsatzdeliktes gleichermaßen einen passenden Vorsatz, da sie sich wertungsmäßig nicht vom Tatbestand unterscheidet. 354 Allerdings fungieren Rechtfertigungsgründe der Sache nach als negative Tatbestandsmerkmale, was für ihre (ex ante-)Prüfung anhand eines beschränkten Sachverhaltes von entscheidender Bedeutung ist. Untersucht werden muss deshalb, ob dem Täter das Fehlen der Voraussetzungen des Aggressivnotstandes bewusst war. Dazu genügt es schon, dass ihm das Nichtvorliegen eines für die Rechtfertigung unentbehrlichen Merkmals, etwa das Fehlen der hinreichenden Eignung seines Verhaltens zur Abwehr einer Gefahr für das durch § 34 geschützte Gut, bekannt ist. Hinsichtlich dieses speziellen Rechtswidrigkeitselements muss der Täter die Tatsachen und Erfahrungssätze gekannt und angewendet haben, welche in Wirklichkeit – das heißt für den Rechtsanwender objektiv ex post – die ungenügende Risikoverringerung durch sein Verhalten begründen. Fehlen ihm insofern Kenntnisse oder wendet der Täter sie nicht an, muss er folglich von einer größeren Risikoverringerung ausgehen. Zum Erlaubnistatbestandsirrtum, der die Strafbarkeit wegen vollendeten Vorsatzdeliktes analog § 16 I 1 ausschließt, gelangt man jedoch nur, falls die vom Täter fälschlicherweise zu hoch eingeschätzte Risikoverringerung für das durch § 34 geschützte Gut nicht durch ein milderes Mittel zu erreichen ist und die mit ihr einhergehende (tatbestandliche) Rechtsgutsgefährdung wesentlich überwiegt. 2. Die Fahrlässigkeit Kennzeichen der Fahrlässigkeit ist die Erkennbarkeit der Umstände, die den Tatbestand erfüllen. 355 Die herrschende Meinung prüft sie als eine vermeintlich objektive Voraussetzung. Man untersucht im Sinne der objektiven ex ante-Betrachtung, ob die zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände vom gedachten Dritten bei Anwendung der ihm zur Verfügung stehenden Tatsachen und Erfahrungssätze erkannt worden wären. Ist der Täter besser informiert, wird sein Sonderwissen gleichermaßen einbezogen. Dieses objektiv-subjektive 356 Konzept kann unter anderem deshalb nicht überzeugen, weil es das Täterwissen einseitig zur Begründung der Erkennbarkeit, aber nicht für ihren Ausschluss heranzieht. 357 Wenn der Täter weniger weiß als die Maßstabsperson, so wird die objektive 354 355
Siehe Kapitel 1: A.I.3.b), S. 48. Siehe Kapitel 1: A.I.2.c), S. 45, Kapitel 1: A.I.3.c), S. 49 und insb. Kapitel 1: A.II.1.,
S. 50. 356 357
Siehe Kapitel 1: C.II., S. 76. Eingehend Castaldo, „Non intelligere, quod omnes intelligunt“, S. 114 ff.
D. Ein Konkurrenzmodell zur objektiven ex ante-Gefahrbeurteilung
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Fahrlässigkeit dadurch nicht ausgeschlossen. Man spricht auch davon, dass der Fahrlässigkeitsmaßstab nur nach „oben“, nicht aber nach „unten“ individualisiert werde. 358 Die Unkenntnis des Täters vermag zwar im Ergebnis die Strafbarkeit auszuschließen. Dabei würde die herrschende Lehre mangels individueller Erkennbarkeit jedoch erst die Fahrlässigkeitsschuld verneinen. Etwas anderes gilt lediglich in Fällen des Sonderunwissens, in denen schon der objektive Dritte die unrechtsrelevanten Umstände nicht erkennen kann. Die beschriebenen Ungereimtheiten entfallen, sobald man das Fahrlässigkeitsdelikt mit einem subjektiven Tatbestand ausstattet. 359 Vom Vorsatz unterscheidet sich die Fahrlässigkeit dann (quantitativ) dadurch, dass dem Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, nicht bekannt, sondern lediglich individuell erkennbar sein müssen. 360 Voraussetzung ist, dass er Tatsachen und Erfahrungssätze kennt, die ihm einen Rückschluss auf die genannten Umstände erlauben. Ob der Täter sie auch für sich anwendet, interessiert nur bei einer Vorsatzprüfung. 361 Ist der Vorsatz somit nur ein Sonderfall von – bis zur Kenntnis entfalteter – individueller Erkennbarkeit, 362 lassen sich in Anlehnung an die §§ 8, 16 I 1 allgemeine Regeln für eine subjektive ex ante-Betrachtung der Verhaltensgefährlichkeit beschreiben. Entscheidend ist dabei, dass der Täter im Zeitpunkt des tatbestandsmäßigen Verhaltens ein der Wirklichkeit entsprechendes Urteil über das Vorliegen der den objektiven Tatbestand erfüllenden Umstände fällen kann. Nachdem der Rechtsanwender bei der Prüfung eines Erfolgsdeliktstatbestandes objektiv ex post die gefahrerhöhende Wirkung eines Verhaltens festgestellt hat, muss er die dazu herangezogenen Tatsachen und Erfahrungssätze auf das Wissen des Täters im Zeitpunkt seiner Vornahme reduzieren. Ist es dem Juristen 358 Vgl. zu dieser Terminologie MK – Duttge, § 15, Rn. 99 und SK – Hoyer, Anh. zu § 16, Rn. 14. 359 Ebenso dafür Burkhardt [Anm. 352], S. 130 f.; Maurach / Gössel / Zipf, AT2, 43/5 ff., 110 ff.; Gropp, AT, 12/88 ff.; zur individuellen Erkennbarkeit als Fahrlässigkeitstatbestandsmerkmal SK – Hoyer, Anh. zu § 16, Rn. 10 ff., 27 ff.; Kindhäuser, Hruschka – FS, S. 528; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 244 ff., Struensee, JZ 1987, 53, 60; AK – Zielinski, §§ 15, 16, Rn. 92. Gegen die Unterscheidung von objektivem und subjektivem Tatbestand trotz individualisierender Fahrlässigkeitskonzeption Stratenwerth / Kuhlen, AT1, 15/30 ff. 360 MK – Duttge, § 15, Rn. 106; Gössel, Bruns – FS, S. 51 f.; Maurach / Gössel / Zipf, AT2, 43/124 ff.; Gropp, AT, 12/92; Hoyer, a. a. O., Rn. 19 ff.; Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, S. 64 ff. und AT, 9/1 ff.; vgl. Otto, Grundkurs, 10/4 ff.; Renzikowski, a. a. O. und S. 259 f.; Rinck, Der zweistufige Deliktsaufbau, S. 68 f.; SK – Samson (5. Aufl., 1989), Anh zu § 16, Rn. 11 ff.; Weigend, Gössel – FS, S. 138 ff. 361 Vgl. zur Kongruenz des subjektiven Tatbestandes eines Fahrlässigkeitsdeliktes Struensee, GA 1987, 97, 100 ff. sowie die Parallele zur objektiven Kenntnis und Erkennbarkeit in Kapitel 1: A.II.1., S. 50. 362 Jakobs, AT, 9/4; siehe auch Puppe, Otto – FS, S. 398 m.w. N. Der Vorsatz ist ebenso ein Spezialfall der objektiven Erkennbarkeit, bei dem es auf das Wissen des gedachten Dritten nicht mehr ankommt. Hat dieser keine Kenntnisse über die zum Tatbestand gehörenden Umstände, kann ausschließlich auf den Vorsatz als Sonderwissen abgestellt werden.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
anhand dieses Sachverhaltsausschnittes immer noch möglich, eine für die rechtliche Missbilligung hinreichende Risikosteigerung nachzuweisen, war sie dem Täter zumindest erkennbar. 363 Abgesehen vom „Vorzeichenwechsel“ kann man diese Methode unmittelbar auf die Prüfung der Merkmale von Rechtfertigungsgründen übertragen. Da es sich bei den Rechtfertigungsgründen um negative Tatbestandsmerkmale handelt, war gemäß § 34 etwa nicht die Geeignetheit eines Verhaltens zur Gefahrenabwehr, sondern umgekehrt das Ausbleiben einer dadurch vermittelten Risikoverringerung zu untersuchen. Kann man dies objektiv ex post feststellen, müssen wiederum die herangezogenen Tatsachen und Erfahrungssätze auf die Kenntnisse des Täters beschränkt werden. Lässt sich durch deren Anwendung dann immer noch das Fehlen einer hinreichenden Risikominimierung nachweisen, war dieser Umstand dem Täter individuell erkennbar. 364
E. Einwände gegen das Konkurrenzmodell? Die herrschende Lehre stellt Risiken bereits im objektiven (Unrechts-)Tatbestand ex ante fest. Im Vorsatz und in der Schuld des Fahrlässigkeitsdeliktes prüft sie Gefahren subjektiv ex ante. Man hat versucht, dieses Konzept durch die im Grundsatz überwiegend anerkannte personale Unrechtslehre abzusichern, die das Unrecht als ein – gegen einen adressatenbezogenen Normbefehl verstoßendes – persönliches Fehlverhalten versteht. 365 Damit die Verhaltensanweisung erfüllbar ist, müsse der Sachverhalt, nach dem sie sich bestimmt, auf die Erkenntnismöglichkeiten der Normadressaten beschränkt werden. Daraus folge die Notwendigkeit einer ex ante-Betrachtung im Tatbestand und bei der Rechtswidrigkeit. Diese Voraussetzung erfüllt auch das hier vertretene Alternativmodell, indem es die objektive ex post-Gefahrprüfung durch eine ex ante-Betrachtung im subjektiven (Unrechts-)Tatbestand sowohl des Vorsatz- als auch des Fahrlässigkeitsdeliktes ergänzt. Daher scheint die Frage maßgeblich zu sein, ob das Fahrlässigkeitsdelikt mit einem solchen subjektiven Tatbestand auszustatten ist. Allein anhand der Grundthese personaler Unrechtslehren wird sie sich indes nicht beantworten lassen [dazu sogleich unter I.]. Nachdem der Versuch, das (personale) Unrecht positiv zu bestimmen und daraus Folgerungen für seine Merkmale abzuleiten, gescheitert ist, lassen sich die mit der Einordnung eines Verhaltens als unrechtmäßig verbundenen Wertungen immer noch auf Umwegen ermitteln. Um die Konsequenzen von Verschiebun363 Vgl. die von der herrschenden Lehre geforderte Prüfung der individuellen Gefährdungserkennbarkeit in der Fahrlässigkeitsschuld Kapitel 1: A.I.2.c), S. 45. 364 Siehe zur herrschenden Prüfung der individuellen Erkennbarkeit der Ungeeignetheit zur Gefahrabwendung als Fahrlässigkeitsschuldmerkmal Kapitel 1: A.I.3.c), S. 49. 365 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 234 m.w. N.
E. Einwände gegen das Konkurrenzmodell?
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gen innerhalb des Deliktsaufbaus abschätzen zu können, muss man „jene ‚Angelpunkte‘ im materiellen Recht aufsuchen, bei denen die Unterscheidung von Unrecht und Schuld für das Ergebnis (d. h. für die Rechtsfolge) relevant wird“. 366 Dazu werden üblicherweise die Maßregeln der Besserung und Sicherung, der Vollrauschtatbestand und die Notwehr herangezogen. 367 Eine Untersuchung der §§ 61 ff., 323a wird ergeben, dass diese Normen aus verschiedenen Gründen die individuelle Erkennbarkeit unabhängig von ihrer Verortung als subjektives Unrechts- respektive Schuldmerkmal voraussetzen. Sie sind daher zur Rechtsfolgenkontrolle ungeeignet. 368 Diese konzentriert sich stattdessen auf die Notrechte sowie die Ingerenzgarantenstellung [dazu unter II.].
I. Maßgeblichkeit des Verhaltensnormverstoßes für die objektive oder subjektive ex ante-Betrachtung im (Unrechts-)Tatbestand? Noch vor etwa fünfzig Jahren entwickelte man das materielle Unrecht vornehmlich aus einer im Strafgesetz enthaltenen beziehungsweise ihm vorgelagerten „adressatenlosen Bewertungsnorm“, 369 die rechtlich missbilligte oder erwünschte Zustände beschreiben sollte. Mittelbar wurde ihrer Angabe unrechtmäßiger Ereignisse entnommen, dass ebenso deren Verursachung als ungewollt, das heißt rechtswidrig anzusehen sei. Auf diesem (Um-)Weg gelangte man von der Bewertungsnorm zum Verletzungsverbot. Ein solcher objektiver Unrechtsbegriff konnte nahezu ohne täterbezogene Konkretisierungen wie etwa eine objektive oder subjektive Vermeidbarkeit auskommen. Ausnahmen bildeten lediglich die Willkür als Teil des Handlungsbegriffs, die Lehre von der adäquaten Verursachung sowie einige tatbestandlich vorgegebene subjektive Unrechtselemente, zum Beispiel die Zueignungsabsicht in § 242. Vorsatz und Fahrlässigkeit wurden in diesem neoklassischen Verbrechensaufbau noch als Schuldformen angesehen. 370 Der Begriff des rechtswidrigen Erfolges erwies sich jedoch für die Rechtswissenschaft als wenig gewinnbringend. 371 366 Schünemann, JA 1975, 435, 440. Auf die Strafbarkeit haben die Unterschiede zwischen den beiden Konzepten keinen Einfluss, weil sie jeweils durch das Erfordernis individueller Erkennbarkeit der Umstände, die den (Unrechts-)Tatbestand erfüllen, begrenzt wird; siehe dazu Kapitel 1: A.II.2., S. 54. 367 Schönke / Schröder – Cramer / Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 133, 142; MK – Hardtung, § 222, Rn. 61; Herzberg, Jura 1984, 402, 407 f.; Jescheck / Weigend, AT, S. 565; Kindhäuser, LPK – StGB, § 15, Rn. 100; Nagler, Binding – FS II, S. 341 f., 370; Schünemann, a. a. O.; Wolter, GA 1977, 257, 258; weitere Nw. in Anm. 439. 368 Darauf weist bereits MK – Duttge, § 15, Rn. 98 zutreffend hin. 369 Mezger, GS 89 [1924], 207, 239 ff.; kritisch dazu Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, S. 77 ff. Vgl. auch Nowakowski, ZStW 63 [1951], 287 ff.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Man konzentrierte sich daher auf eine unmittelbare Funktion der Strafgesetze als Bestimmungs- oder Verhaltensnormen, 372 „die nach ihrem Inhalt bestimmte Verhaltensweisen als richtig oder falsch ausweisen und nach ihrem Ziel auf eine Steuerung menschlichen Verhaltens gerichtet sind.“ 373 Inzwischen wird das Unrecht nahezu ausnahmslos im Sinne der personalen Unrechtslehre als Verstoß gegen diesen adressatenbezogenen Normbefehl verstanden. 374 Die Verlagerung des Schwerpunktes von der Bewertungs- zur Verhaltensnorm sollte dabei nicht den Zweck der Strafgesetze, die wesentlichen Bedingungen eines gedeihlichen Zusammenlebens gegen unerwünschte Verletzung oder Gefährdung zu sichern, 375 ändern. Den Schutz solcher Rechtsgüter erreicht man nun lediglich direkt durch die Reglementierung menschlichen Verhaltens. Handlungen werden untersagt, falls sie zu gefährlich sind, oder auf der anderen Seite vorgeschrieben, wenn sich dadurch Bestandschancen erheblich bessern. 376 Grundstoff für die Konstruktion der Verhaltensnorm ist zunächst der Deliktstatbestand. 377 Der Totschlagstatbestand in § 212 I verbietet etwa, das Leben anderer Menschen zu gefährden; er ist also ein Gefährdungsverbot. 378 Erfolgsdelikte benennen lediglich aus sprachökonomischen Gründen die Verursachung schädlicher Folgen. 379 Bestimmungsnormen können sinnvollerweise keine erfolgsverursachenden, sondern nur gefährliche Verhaltensweisen verbieten, 380 denn ob der Erfolg eintritt, lässt sich erst später feststellen. 381 Das tatbestandlich missbilligte Verhalten vermag allerdings durch einen Rechtfertigungsgrund erlaubt zu werden. Weil Tatbestand und Rechtswidrigkeit gemäß der eingeschränkten Schuldtheorie wertungsmäßig nicht zu unterscheiden sind, können sie nur gemeinsam das verbotene Verhalten festlegen. Als Verstoß gegen strafrechtliche Bestimmungsnormen wird daher nur ein Verhalten angesehen, welches – ohne das Vorliegen 370 Exemplarisch Bindokat, JZ 1958, 553 ff.; zur Dogmengeschichte Jescheck / Weigend, AT, S. 201 ff., 204 ff. und MK – Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 7 ff. Instruktiv auch die fahrlässigkeitsspezifische Darstellung von Schünemann, JA 1975, 435, 437 f. 371 Vgl. nur Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 1 ff., 6 m.w. N. 372 Zur Bedeutungsgleichheit dieser Begriffe Freund, AT, 5/19. 373 W. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 59. 374 Nicht alle Konzeptionen beschränken sich darauf; vgl. – auch zu den Ursprüngen im Finalismus – Jescheck / Weigend, AT, S. 210 ff., 240 f. und Schönke / Schröder – Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff., Rn. 52, beide m.w. N. 375 Vgl. bereits Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 1, S. 338 f., 353 ff.; siehe ebenso AK – W. Hassemer, vor § 1, Rn. 255 ff. sowie Jescheck / Weigend, AT, S. 7, alle m.w. N. 376 Münzberg [Anm. 371], S. 49 ff.; W. Frisch [Anm. 373], S. 74 ff. 377 Schönke / Schröder – Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff., Rn. 49. 378 Rudolphi, in: Grundfragen, S. 76 f. 379 Münzberg [Anm. 371], S. 67 ff. 380 Schünemann, JA 1975, 435, 438. 381 Mikus, Die Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdeliktes, S. 28 ff.
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eines Rechtfertigungsgrundes – den Deliktstatbestand erfüllt, etwa im Sinne von §§ 212 I, 222 insgesamt unerlaubt lebensgefährdend ist. Damit ein Strafgesetz praktisch als Befehl fungieren kann, muss es jedoch seinem Adressaten taugliche Verhaltensmaßstäbe an die Hand geben. Um diese genauer beschreiben zu können, ist zunächst einmal zu klären, an wen sich seine Anweisung richtet. Aus dem Streit um die Normadresse sind im Wesentlichen zwei Positionen hervorgegangen. 382 Die vermutlich herrschende Meinung geht in einer objektivgeneralisierenden Betrachtungsweise davon aus, dass sich die Norm an jeden Menschen unabhängig von seinen persönlichen Voraussetzungen wendet. 383 Die Normadressaten vermögen allerdings nur dann den Verhaltensrichtlinien zu folgen, wenn diese situationsbezogen sowie mit Rücksicht auf ihre Erkenntnisbeschränkungen formuliert wurden. „Sollen Verhaltensnormen in einer bestimmten Situation motivierende Kraft entfalten können, so müssen sie an das anknüpfen, was sich in der Situation erkennen läßt – und zwar gerade vom Standpunkt des Täters aus.“ 384 Man will also umsetzbare Verhaltensrichtlinien entwickeln, indem Tatbestand und Rechtfertigungsgrund nur den effektiv erfassbaren Sachverhalt berücksichtigen. Damit gerät die Argumentation in ein Dilemma. Die Verhaltensnorm soll sich an alle Menschen richten und wäre somit nach objektiven Maßstäben zu beurteilen. Zugleich muss sie auf die Tat- und Tätersituation zugeschnitten sein, also subjektiven Ansprüchen genügen. Dieses „Unternehmen, eine mittlere Linie zwischen höchster Abstraktion und rein täterbezogener Konkretisierung“ zu finden, 385 setzt zwei kaum miteinander zu vereinbarende Maßstäbe voraus. Als Kompromisslösung bietet sich die objektive ex ante-Betrachtung an. Die Verhaltensnorm umfasste dann nicht mehr den wirklichen Sachverhalt, sondern nur noch den Ausschnitt der ihn bildenden Tatsachen und Erfahrungssätze, der dem objektiven Dritten und dem Täter bekannt ist. 386 Demnach würde durch den objektiven Tatbestand der §§ 212 I, 222 nicht jede unerlaubte Gefährdung eines anderen Menschenlebens verboten. Weitere Voraussetzung wäre, dass dieser 382 Siehe zur historischen Diskussion dieses so genannten Adressatenproblems insb. Armin Kaufmann [Anm. 369], S. 121 ff. und zur Kategorisierung Renzikowski [Anm. 365], S. 239. 383 Eingehend dazu vor allem Armin Kaufmann [Anm. 369], S. 125 ff.; Schönke / Schröder – Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff., Rn. 48; Roxin, AT1, 10/93 u. 24/60; S. Schneider, Risikoherrschaft, 2/8 u. 5/94. 384 W. Frisch [Anm. 373], S. 118 ff., 124 m.w. N. 385 SK – Samson (5. Aufl., 1989), Anh zu § 16, Rn. 13. 386 Eingehend dazu W. Frisch [Anm. 373], S. 118 ff, 128 ff., der jedoch an Stelle der Kenntnisse der Maßstabsperson ihre – möglicherweise nicht der Wirklichkeit entsprechenden – Annahmen heranzieht; vgl. zu den damit verbundenen Friktionen Kapitel 1: A.II.1.a), S. 51. Siehe auch Kuhlen, in: Recht und Moral, S. 344 ff. sowie Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 68.
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Sachverhalt zudem einer Maßstabsperson in der konkreten Situation mit dem Sonderwissen des Täters erkennbar ist. 387 Außerdem würde man ein tatbestandsmäßiges Verhalten nicht erst dann erlauben, wenn rechtfertigende Umstände in Wirklichkeit vorliegen. Es genügte bereits, wenn ihr Fehlen bei Anwendung der gemeinsamen Kenntnisse von künstlicher und natürlicher Person unerkennbar ist. 388 Bestimmungsnormwidrig wäre somit jedes Verhalten, das einen aus der ex ante-Sicht formulierten objektiven Unrechtstatbestand erfüllt. 389 Dieser Ansatz ist erheblichen Einwänden ausgesetzt. Unklar bleibt etwa, warum ein künstlicher Adressat für die Verhaltensnorm geschaffen wird. 390 Weil es den objektiven Dritten nicht gibt, braucht die Norm ihm keine Befehle zu erteilen. 391 Da man das (Sonder-)Wissen des Täters zu seinen Lasten berücksichtigt 392 und auf diesem Wege eine subjektive Komponente einbringt, stellt sich zudem die Frage, weshalb die Norm nicht ausschließlich nach seinen Kenntnissen formuliert wird. Die genannten Friktionen lassen sich indes vermeiden, wenn die Verhaltensnorm im Sinne einer subjektiv-individualisierenden Betrachtungsweise auf den einzelnen Menschen in der kritischen Situation ausgerichtet wird. 393 Konstituierendes Element zumindest eines sinnvollen Verhaltensbefehls ist seine Erfüllbarkeit, wobei Renzikowski präzisiert: „Die Verhaltensanordnung ist objektiv; individuell ist das vermeidbare Nicht-dem-Maßstab-entsprechen.“ 394 Aus dem anerkannten Grundsatz „ultra posse nemo obligatur“ 395 folgt bei diesem zunehmend eingenommenen Verständnis der Bestimmungsnorm, dass der einzelne Täter den sie auslösenden Sachverhalt kennen oder aber jedenfalls erkennen können muss. 396 387 Ausführlicher zum Verständnis der objektiven ex ante-Betrachtung als Erkennbarkeit bereits in Kapitel 1: A.II.1., S. 50. 388 W. Frisch [Anm. 373], S. 423 ff.; Herzberg, JA 1989, 243, 247 f.; Armin Kaufmann, Welzel – FS, S. 399 ff.; Rudolphi, H. Schröder – GedS, S. 80 ff. und Armin Kaufmann – GedS, S. 377 ff.; MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 67 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 38 ff., 136 ff. 389 W. Frisch [Anm. 373], S. 118 f., 424 f., der die subjektiven Annahmen folglich als Sanktionsvoraussetzungen ansieht (S. 128 in Anm. 37); ebenso Schünemann, Schaffstein – FS, S. 162; Münzberg [Anm. 371], S. 174 ff., 205 ff., 222 ff.; Herzberg, JA 1989, 243, 247 f. 390 Kindhäuser, GA 2007, 447, 455. 391 Insofern selbstkritisch Münzberg [Anm. 371], S. 205 f. 392 Siehe Kapitel 1: A.I.2.a)bb), S. 41 und Kapitel 1: A.II.1., S. 50. 393 Castaldo, „Non intelligere, quod omnes intelligunt“, S. 78 ff.; Kremer-Bax, Das personale Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, insb. S. 59 ff., 72 ff.; Renzikowski [Anm. 365], S. 239 ff. m.w. N. 394 [Anm. 365], S. 240 f., 242. 395 Gegen seine Beschränkung auf Unterlassungsdelikte mit Recht Renzikowski, a. a. O., S. 247 ff.; vgl. zu dieser Regel auch MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 57 m.w. N. 396 Freund, AT, 2/23; Renzikowski [Anm. 365], S. 241 ff.; vgl. auch die weiteren Nw. in Anm. 359 f. Der Überzeugungskraft dieser Schlussfolgerung können sich selbst Autoren,
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Entwickelt man das Unrecht aus dem Verstoß gegen eine – konsequent an den Möglichkeiten zur Motivation des Einzelnen orientierte – Verhaltensnorm, muss diese folglich eine subjektive ex ante-Betrachtung des Anknüpfungssachverhaltes umfassen. 397 Lässt sich der persönliche Verhaltensnormverstoß aus sich heraus auf diese Inhalte begrenzen, hat man ein exaktes Einzelkriterium zur Trennung von Unrecht und Schuld gefunden. Zum Unrecht gehörten dann zwingend der objektive (Unrechts-)Tatbestand und die subjektive Kenntnis respektive Erkennbarkeit der ihn begründenden Umstände. Muss man jedoch für eine konsequente Bildung der Bestimmungsnorm auf zusätzliche Aspekte zurückgreifen, die bislang in der Schuld thematisiert werden, so spräche zunächst einmal nichts dagegen, auch die individuelle Erkennbarkeit als Schuldmerkmal einzubeziehen. Die herkömmliche Trennung zwischen Unrecht und Schuld wäre dann allerdings nicht mehr (ausschließlich) anhand des Verstoßes gegen die Verhaltensnorm zu erklären. Ein Ausgangspunkt für letztere Schlussfolgerung findet sich bereits in Bindings Überlegungen zur individuellen Vermeidbarkeit: „Über sein Können kann niemand leisten. Nur ein zurechnungsunfähiger Gesetzgeber kann das Gegenteil verlangen.“ 398 Das individuelle Können rechtmäßigen Verhaltens verlange auf Seiten des Täters eine Vorprüfung aus drei Elementen, nämlich „möglichst genaue Wahrnehmung, Vorausberechnung aufgrund von Wahrnehmung und Phantasie, und rechtliche Subsumtion des Geschauten.“ 399 Aktualisiert würde seine These vermutlich lauten: Damit der Adressat einer Bestimmungsnorm ihr zu folgen vermag, genügt es nicht, dass ihm – aufgrund seines Tatsachen- und Erfahrungswissens – der das Ver- oder Gebot auslösende Sachverhalt erkennbar ist. Außerdem muss er den Normbefehl selbst kennen können. Demnach wäre die individuelle Erkennbarkeit des Sachverhaltes keine hinreichende, sondern nur eine notwendige Bedingung für den persönlichen Verhaltensnormverstoß. Dazu gehörte ferner die potentielle Unrechtseinsicht des Täters aus § 17 S. 1. 400 Wenn man diesen Gedanken weiterverfolgt, gelangt man letztlich zu dem Ergebnis, dass individuell vermeidbares Fehlverhalten alle Schuldmerkmale voraussetzt. 401 Die so gebildete Verhaltensnorm vermag zwar als strafrechtliche welche die Verhaltensnorm nur aus dem objektiven Tatbestand entwickeln wollen, nicht gänzlich entziehen; etwa Münzberg [Anm. 371], S. 205 ff. sowie W. Frisch [Anm. 373], S. 128 ff. Die herrschende Lehre berücksichtigt den Grundsatz stillschweigend, indem sie die individuelle Erkennbarkeit in der Fahrlässigkeitsschuld prüft. 397 Auch von Stein, Küper – FS, S. 616 ff. wird der Verhaltensnormverstoß nach Maßgabe der individualisierenden ex ante-Perspektive bestimmt und im subjektiven Tatbestand (konkret: Vorsatz des § 323c) verortet. Die Notwendigkeit einer ex post-Betrachtung im objektiven Tatbestand sieht er durch die Funktion der Strafsanktionsnorm begründet; a. a. O., S. 619 ff. 398 Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 4, S. 520. 399 A. a. O., S. 530 f. 400 MK – Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 240 f.
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„Superkategorie“ dogmatische Einzelprobleme auf allen Deliktsstufen einzubeziehen. 402 Zu den Elementen Unrecht und Schuld fehlte ihr allerdings jeglicher Bezug. Die personale Unrechtslehre wäre vielmehr eine personale Straftatlehre. 403 Um die Verhaltensnorm dennoch als unterscheidendes Einzelkriterium aufrechterhalten zu können, ohne „unsere gesamte, auf der Unterscheidung von Unrecht und Schuld aufbauende Verbrechenslehre in Grund und Boden“ stampfen zu müssen, 404 hat man sich vielfach eines logischen Argumentes bedient. Kenntnis beziehungsweise Erkennbarkeit der Verhaltensnorm sind nur möglich, wenn diese bereits zuvor existiert. Die potentielle Unrechtseinsicht gemäß § 17 S. 1 ist der Bestimmungsnorm daher logisch nachrangig und vermag kein Teil von ihr zu sein. 405 Daran ist richtig, dass die sich auf das Unrecht beziehenden Voraussetzungen der Schuld nicht mit in die Verhaltensnorm hinein genommen werden können, sondern einen Bereich von Metaregeln bilden. 406 Auf der anderen Seite gilt dies etwa nicht für den entschuldigenden Notstand in § 35. Die Merkmale der Schuld sind also auf zwei unterschiedlichen logischen Ebenen angesiedelt. Die sich nun aufdrängende Frage, warum beide Typen in der Schuld behandelt werden, lässt sich anhand der Verhaltensnorm nicht mehr beantworten. Diese müsste folglich den gesamten (Unrechts-)Tatbestand sowie die nicht darauf bezogenen Schuldmerkmale umfassen. Die individuelle Erkennbarkeit der unrechtsbegründenden Umstände vermag daher unabhängig davon, ob sie subjektive Unrechts- oder Schuldvoraussetzung ist, Teil der Bestimmungsnorm zu sein. Der reinen Verhaltensnormtheorie kann somit entnommen werden, dass ein wirklicher Sachverhalt nur insofern zur Bejahung der Strafbarkeit herangezogen werden darf, als er dem Täter – das heißt subjektiv ex ante – erkennbar war, was aber im Ergebnis auch wohl niemand bestreiten würde. Ob nun zusätzlich eine objektive ex ante-Betrachtung geboten ist und das subjektive ex ante-Urteil in den Unrechtstatbestand gehört, darüber sagt die Verhaltensnorm nichts. Entgegen Castaldo ist es daher nicht überraschend, sondern vielmehr nahe liegend, dass „fast alle Einwände der herrschenden Lehre darauf abzielen, nicht ausdrücklich die Prämisse des Gedankengangs, sondern vielmehr seine Schlussfolgerung zu widerlegen“. 407 Effizienter wäre allerdings eine Diskus401
MK – Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 243 f.; Kremer-Bax [Anm. 393], S. 184 ff. Vgl. auch Jakobs, Handlungsbegriff, S. 39 ff. und (ursprünglich) Welzel, ZStW 58 [1939], 491, 561 f. 402 Hendrik Schneider, Kann die Einübung in Normanerkennung die Strafrechtsdogmatik leiten?, S. 158. 403 So der Untertitel von Freunds Lehrbuch zum Strafrecht Allgemeiner Teil. 404 Viel zitierte Polemik von Schünemann, JA 1975, 511, 513. 405 Eingehender Renzikowski [Anm. 365], S. 236 ff. mit umfassenden Nw. 406 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 43. 407 [Anm. 393], S. 80.
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sion, die den Unrechtsbegriff nicht erst anhand des individuellen Verhaltensnormverstoßes bildet, um sogleich nach Wertungen suchen zu müssen, warum etwa § 35 dagegen nicht einzubeziehen ist. Stattdessen sollte man unmittelbar diese Wertungen zur Trennung von objektivem und subjektivem Unrecht sowie der Schuld heranziehen. Maßgeblich ist somit die Frage, nach welcher Methode man solche wertungsmäßigen Abstufungen zwischen Unrecht und der Schuld ermittelt. Die gerade im Zusammenhang mit normtheoretischen Überlegungen von vielen Autoren 408 bemühte Theorie der positiven Generalprävention kann zu ihrer Beantwortung nichts beitragen. 409 Gegen diesen untauglichen Begründungsversuch wendete Wolfgang Frisch zutreffend ein, dass „Generalprävention zunächst einmal nichts weiter als eine Strategie zur Verhütung bestimmter Verhaltensweisen ist. Für den Inhalt der zu verhütenden Verhaltensweisen selbst und für die Kriterien, nach denen diese Verhaltensweisen (unter Risikoaspekten) ausgewählt sind, ergibt sich daraus wenig.“ 410 Spätestens nach Stratenwerths nochmaliger Klarstellung hätte man solche Bemühungen einstellen können: „Da sich der Umkreis der strafbaren Verhaltensweisen nach beiden hier zur Diskussion stehenden Auffassungen im Ergebnis, das heißt bei Berücksichtigung auch der Schulderfordernisse [...] vollständig deckt, und da die Generalprävention natürlich in der Androhung und Verhängung von Strafe liegt, nicht in esoterischen Mitteilungen über die strafrechtliche Bewertung eines Verhaltens, sollte eigentlich von vornherein außer Frage stehen, daß hier mit Argumenten der Prävention nichts auszurichten ist.“ 411 408
Wolter, GA 1977, 259, 265 sowie [Anm. 388], S. 30. Eingehend zur vermeintlichen Verbindung von (positiv general-)präventiver Straftheorie und objektiver ex ante-Betrachtung Mir Puig, ZStW 95 [1983], 413, 422 ff.; Jescheck – FS I, S. 337 ff.; ZStW 102 [1990], 914 ff. Auch eine Erfolgszurechnung sei nur dann kriminalpolitisch sinnvoll, wenn sie sich in einen generalpräventiven Wirkungsmechanismus einfügen lasse; Schünemann, GA 1999, 207, 214 ff. sowie im Anschluss daran Hilgendorf, U. Weber – FS, S. 45 ff. Siehe ferner G. Merkel, ZStW 119 [2007], 214, 245 ff., die den Strafzweck der positiven Generalprävention zur Begründung einer Differenzierung zwischen Handlung und Nichthandlung heranzieht. 409 Energischer Castaldo, „Non intelligere, quod omnes intelligunt“, S. 128 ff., 135. 410 [Anm. 373], S. 130 f. in Anm. 44. 411 Jescheck – FS I, S. 296 f. Dazu auch Frister, Struktur des „voluntativen Schuldelements“, S. 45: „Als Theorie zur Erklärung der Notwendigkeit einer strafrechtlichen Sanktion von Normverletzung sagt die Theorie positiver Generalprävention über die strafrechtlich zu garantierende Norm nichts aus.“ Nichts anderes würde daher gelten, wenn man die Aufgabe der Sanktionsnorm in der Wiederherstellung von Gerechtigkeit sähe. Mir Puig, Jescheck – FS I, S. 339 ff. stellt zu Unrecht eine Verbindung zwischen ex post-Perspektive und Vergeltungstheorie her; ebenso dagegen Kuhlen, in: Recht und Moral, S. 344 f. Es wird zudem verbreitet die Notwendigkeit plakativ-generell formulierter bzw. standardisierter Normen behauptet; Hirsch, ZStW 94 [1982], 239, 270 f.; Kaminski, Der objektive Maßstab im Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 98 ff.; Mylonopoulos [Anm. 13], S. 107; LK 11 – Schroeder, § 16, Rn. 146; Schünemann, JA 1975, 575, 582 und Schaffstein – FS, S. 164 ff. Dagegen zu Recht W. Frisch [Anm. 373], S. 130 f. in Anm. 44 und Renzikowski [Anm. 365], S. 249 f.
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II. Rechtsfolgenkontrolle Für die Bejahung sowohl der Strafbarkeit als auch des Verhaltensnormverstoßes kam es im Ergebnis nicht darauf an, ob man die individuelle Erkennbarkeit im subjektiven (Unrechts-)Tatbestand oder bei der Schuld einordnet. Mit diesen Ansätzen war es nicht möglich, die beiden Modelle der Gefahrbeurteilung zu unterscheiden. Daher ist es nun erforderlich, die mit ihnen verbundenen Wertungen mittelbar durch die Kontrolle sonstiger rechtlicher Folgen zu erfassen. Einen Ansatzpunkt bietet die fortdauernde Diskussion des Fahrlässigkeitsbegriffs, bei der es maßgeblich darum geht, ob das Fahrlässigkeitsdelikt einen subjektiven (Unrechts-) Tatbestand hat oder ob stattdessen die individuelle Erkennbarkeit zweckmäßiger in der Schuld zu prüfen ist. Es wird sich zeigen, dass die Rechtsfolgen der überwiegend herangezogenen §§ 61 ff., 323a von dieser Differenzierung unabhängig sind. Sie können deshalb erst recht keine Auskunft über die Notwendigkeit einer objektiven ex ante-Betrachtung geben. 412 Die wertungsmäßige Unterscheidung zwischen wirklichen, objektiv oder subjektiv erkennbaren Gefahren 413 erlaubt erst eine kombinierte Aggressiv-, Defensivnotstands- und Notwehrprobe. Gestützt werden die dabei gewonnenen Ergebnisse durch eine Diskussion der Garantenstellung aus Ingerenz. 1. Maßregeln und Vollrauschtatbestand Die Vertreter eines „rein“ objektiven Fahrlässigkeitsbegriffs betonen regelmäßig die nachteiligen Konsequenzen einer Berücksichtigung der individuellen Erkennbarkeit als Unrechtsmerkmal für das Erfordernis einer rechtswidrigen Tat (§ 11 I Nr. 5) im Maßregelrecht und Vollrauschtatbestand. 414 Sie bereiten vereinzelt selbst denjenigen ein Unbehagen, die das Fahrlässigkeitsunrecht unter Berücksichtigung individueller Erkenntnismöglichkeiten bilden wollen. 415 Man diskutiert etwa ein Berufsverbot (§ 70) für den Schünemann’schen Chirurgen. Wenn ein individuelles Unvermögen den Tatbestand des Fahrlässigkeitsdeliktes ausschließt, könne es gegen diesen völlig „verkalkten“ Mediziner selbst in Anbetracht offensichtlicher Falschbehandlung nicht verhängt werden. Vorausgesetzt wird dabei, dass dem Arzt nicht einmal seine „Verkalkung“ erkennbar war. Das Ergebnis sei völlig untragbar, handele es sich doch um einen besonders unfähigen und aus diesem Grund überaus gefährlichen Täter. 416 412
Vgl. Kapitel 1: A.II.2., S. 54. Im Rechtfertigungstatbestand geht es dagegen um die Erkennbarkeit des Fehlens von Gefahren; siehe Kapitel 1: A.I.3.c), S. 49, Kapitel 1: A.II.1.c), S. 53 und Kapitel 1: D.II., S. 87. 414 Eingehend Kaminski [Anm. 411], S. 92 ff. 415 Siehe etwa Weigend, Gössel – FS, S. 142. 413
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Diese Kritik verkennt, dass der Begriff der rechtswidrigen Tat im ganzen StGB einheitlich – und insofern begriffsökonomisch 417 – objektiv zu verstehen ist. 418 Er umfasst nur die objektiven Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsmerkmale. Selbst wenn das Unrecht des Fahrlässigkeitsdeliktes eine zusätzliche subjektive Seite hat, muss man diese ebenso wenig wie den Vorsatz in § 11 I Nr. 5 hineinlesen. Falls die nicht mehr tolerierbaren Risiken einer Operationsmethode einem sorgfältigen, nicht aber dem verkalkten Mediziner erkennbar waren, liegt eine rechtswidrige Tat im Sinne von § 70 vor. Unerheblich wäre insofern, ob man den objektiven (Unrechts-)Tatbestand ex ante oder ex post bestimmt beziehungsweise die individuelle Erkennbarkeit im subjektiven Tatbestand oder der Schuld prüft, weshalb die Norm insofern keine Rechtsfolgenkontrolle zulässt. 419 Dabei ist zu bedenken, dass die Formulierung des § 11 I Nr. 5 bewusst offen gehalten wurde. 420 Der Begriff der rechtswidrigen Tat präjudiziert für sich genommen weder ein Vorsatzerfordernis noch die Notwendigkeit objektiv sorgfaltswidrigen Verhaltens. 421 Man könnte das Merkmal daher – allgemein oder ausschließlich im Maßregelrecht 422 – anders interpretieren. 423 Berechtigte Zweifel an der Unterscheidungskraft des § 70 I resultieren indes aus seiner Anwendungsvoraussetzung, dass der Täter verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt wurde, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, wie auch Vertreter eines rein objektiven Sorgfaltsbegriffs zugestehen. 424 Das Erfordernis ist symptomatisch für 416 Schünemann, JA 1975, 511, 515; ferner Herzberg, Jura 1984, 402, 407 f., Hirsch, ZStW 94 [1982], 239, 272, Kaminski [Anm. 411], S. 93 ff. sowie Sacher, Sonderwissen und Sonderfähigkeiten, S. 234 ff. 417 Zum Prinzip der Begriffsökonomie Schünemann, JA 1975, 435, 441. 418 Vgl. Rinck, Der zweistufige Deliktsaufbau, S. 70 ff. 419 Es zeigt sich aber, warum die Konstruktion der Fahrlässigkeit aus einer einheitlichen, individuellen Sorgfaltspflichtverletzung (Stratenwerth / Kuhlen, AT1, 15/3, 30 ff.) zu undifferenziert ist. 420 Vgl. Schünemann, JA 1975, 435, 441. 421 Lackner / Kühl, § 11, Rn. 18. 422 Jakobs, AT, 9/10 ff. will die Rechtswidrigkeit im Maßregelrecht bereichsspezifisch herleiten. 423 Ein Ausschluss subjektiver Elemente aus dem Begriff der rechtswidrigen Tat lässt sich umgekehrt nicht daraus folgern, dass sonst das Vorsatzerfordernis in §§ 26 f. überflüssig würde. Dieses könnte immer noch bewirken, dass Anstiftung oder Beihilfe zum Fahrlässigkeitsdelikt nicht möglich ist; Schönke / Schröder – Eser, § 11, Rn. 44 und MK – Radtke, § 11, Rn. 82. Ob neben dem Rechtswidrigkeitsmerkmal systematische oder teleologische Überlegungen zusätzliche subjektive Elemente erforderlich machen, ist eine davon unabhängige Frage; siehe etwa die unterschiedliche Auslegung im Zusammenhang mit falscher Verdächtigung, Hehlerei und Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat bei Lackner / Kühl, § 164, Rn. 5, § 259, Rn. 4 u. § 357, Rn. 2. Damit könnte zumindest im Ergebnis der Widerspruch zu Jakobs, a. a. O. entfallen. 424 Kühl, AT, 17/30. In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts unverständlicherweise dagegen Kaminski [Anm. 411], S. 94.
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die Maßregeln und den Vollrauschtatbestand. Sie setzen immer – und unabhängig von deren Verortung im Deliktsaufbau – eine individuelle Vermeidbarkeit in Form von Kenntnis oder Erkennbarkeit voraus. 425 Das liegt auf der Hand, soweit eine Maßregel die Verurteilung wegen rechtswidriger Tat verlangt, vgl. ferner § 64 I 1. Alt. Maßregeln und Vollrauschtatbestand knüpfen darüber hinaus an zwei weitere Merkmalstypen, bei denen man diese Voraussetzung durch Auslegung entwickeln muss. a) Retrograder Relevanzzusammenhang: Keine Bestrafung wegen Schuldunfähigkeit Seit 1975 enthält der Vollrausch (§ 323a) im Abs. 1 eine objektive Strafbarkeitsbedingung, wonach bei richtiger Leseart „der Täter wegen der begangenen rechtswidrigen Tat nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches – oder anderer Gegebenheiten – schuldunfähig war (oder dies nicht auszuschließen ist)“, wie Rinck zu Recht hervorhebt. 426 Straflosigkeit wegen fehlender Schuldfähigkeit ist gegeben, wenn letztere insofern notwendige Bedingung war, also nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Täter bestraft werden könnte. Dieser zeitlich zurück gerichtete Relevanzzusammenhang lautet positiv wie folgt: Die Schuldfähigkeit vermag nicht hinzugedacht zu werden, ohne dass der materiellrechtliche Strafanspruch entstünde. 427 Bis zur Neunummerierung im Jahr 1980 gab es eine inhaltsgleiche Vorschrift in § 330a a. F. 428 In ihrer Fassung vor dem 1. 1. 1975 war das Erfordernis dem Wortlaut dieser Norm noch nicht zu entnehmen. Allerdings hat der Bundesgerichtshof es schon damals aus dem Zweck dieser Vorschrift, eine Lücke zu schließen, gefolgert. Danach war § 330a a. F. nur „anwendbar, wenn allein das Fehlen der Zurechnungsfähigkeit die Bestrafung des Täters aus dem Strafges. hindert, dessen Merkmale er im Rausch erfüllt hat“. 429 Falls sowohl Kenntnis als auch individuelle Erkennbarkeit fehlen, kann der Täter – unabhängig von deren Standort im Deliktsaufbau – trotz vorhandener Schuldfähigkeit nicht bestraft werden. 430 Ein strukturgleiches Merkmal findet sich im Maßregelrecht bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, § 64 I. Wenn 425
Vgl. bereits Stratenwerth, Jescheck – FS I, S. 297 ff. [Anm. 418], S. 109 f. 427 Vgl. LK 11 – Spendel, § 323a, Rn. 217 und zu den Prozessvoraussetzungen Anm. 432. Die Bezeichnung „Relevanzzusammenhang“ zwischen Schuldunfähigkeit und Straflosigkeit findet sich bei Schünemann, der das Erfordernis in JA 1975, 435, 441 noch als „typische überflüssige Komplizierung, die gegen das Prinzip der Begriffsökonomie verstößt“, ablehnt. Nach der Gesetzesänderung würde dieses Verständnis die Strafbarkeit wegen Vollrauschs über den Wortlaut des Tatbestandes hinaus ausdehnen und gegen Art. 103 II GG verstoßen. 428 Vgl. zur Entstehungsgeschichte LK 11 – Spendel, § 323a, vor Rn. 1. 429 NJW 1953, 1442. 426
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man in § 323a den Relevanzzusammenhang voraussetzt, entspricht es gerade den Erfordernissen der Begriffsökonomie, 431 ihn bei gleichem Wortlaut auch in anderen Vorschriften zu akzeptieren. 432 Bei § 64 I müssen daher ebenso alle (oder zumindest die vom Rauschzustand unbeeinflussten) 433 Strafbarkeitsvoraussetzungen gegeben sein. b) Anterograder Relevanzzusammenhang: Erwartung rechtswidriger Taten infolge der Schuldunfähigkeit Vor der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63) muss das Gericht feststellen, ob eine Gesamtwürdigung der im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen rechtswidrigen Tat ergibt, dass vom Täter infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu befürchten sind. Gerade wegen der im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Tat müssen auch in Zukunft rechtswidrige Taten zu erwarten sein. Die Anlasstat hat deshalb symptomatisch für den Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) beziehungsweise der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) zu sein. Dies ist immer dann der Fall, wenn zwischen ihm und der Tat ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der condicio-sine-qua-non – Formel 434 besteht, 435 so dass sie sich nicht als Gelegenheits- oder Konflikttat darstellt. 436 Der von dieser Norm geforderte Relevanzzusammenhang ist anders als bei §§ 323a, 64 I zeitlich nicht zurück, sondern in die Zukunft gerichtet. Damit eine Ersttat die zukünftige Relevanz der Schuldunfähigkeit oder eingeschränkten Schuldfähigkeit für die Begehung von Straftaten hinreichend indiziert, müssen bei ihr wiederum sämtliche – das heißt zumindest die vom Defektzustand unabhängigen 437 – materiellen Bestrafungsvoraussetzungen vorliegen. Ohne Kenntnis oder individuelle 430 Teilweise werden jedoch Einschränkungen für rauschbedingte Mängel auf der inneren Tatseite gemacht. Vgl. die umfangreiche Darstellung bei LK 11 – Spendel, § 323a, Rn. 185 ff. Dies ist hier aber ohne Bedeutung; vgl. Kapitel 1: E.II.1.c), S. 102. 431 Vgl. Anm. 427. 432 LK 11 – Hanack, Rn. 26 will bei § 64 I alle Verfolgungsvoraussetzungen prüfen; vgl. auch Schönke / Schröder – Stree, § 64, Rn. 8. Das ist im Zusammenhang mit § 323a nur möglich, wenn man dessen Abs. 3 eine rein deklaratorische Wirkung zuschreibt; unklar insofern Spendel [Anm. 427]. Sobald man von einer konstitutiven Wirkung ausgeht, folgt daraus, dass ein Fehlen von Antrag, Ermächtigung oder Strafverlangen nicht den Relevanzzusammenhang beseitigt. 433 Man streitet auch hier (siehe bereits Anm. 430), ob die suchtbedingten Fehlvorstellungen unberücksichtigt bleiben dürfen; vgl. LK 11 – Hanack, § 64, Rn. 23 f. m.w. N. 434 Siehe zu deren konsequenter Anwendung Dencker, Kausalität und Gesamttat, S. 24 ff. 435 LK 11 – Hanack, § 63, Rn. 19 m. N. zur Rechtsprechung. 436 SK – Horn, § 63, Rn. 16. 437 Gegen diese typische (vgl. bereits Anm. 430, 433) Reduzierung SK – Horn, § 63, Rn. 3 f. Siehe auch Nw. bei Lackner / Kühl, § 63, Rn. 2.
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Erkennbarkeit des tatbestandlichen Geschehens ist dem Täter eine Tat dagegen selbst bei voller normativer Ansprechbarkeit nicht vermeidbar, so dass ihr Fehlen unabhängig von der Verortung im Deliktsaufbau die geforderte Negativprognose ausschließt. c) Konsequenz: Untauglichkeit von Vollrauschtatbestand und Maßregelrecht zur Rechtsfolgenkontrolle Für den Vollrauschtatbestand und das Maßregelrecht wurde gezeigt, dass jeweils alle Strafbarkeitsvoraussetzungen entweder vollständig oder wegen des Relevanzzusammenhanges jedenfalls bis auf die Voraussetzungen der §§ 20 f. vorliegen müssen, um die entsprechenden Rechtsfolgen herzuleiten. Ihre Tauglichkeit zur Ergebniskontrolle setzte hingegen voraus, dass sie zwischen der Verwertung der individuellen Erkennbarkeit in Unrecht und Schuld unterscheiden. Umstritten ist zwar, ob Mängel auf der inneren Tatseite, die ihren Grund in den in §§ 20 f. beschriebenen Zuständen haben, unberücksichtigt bleiben und den Relevanzzusammenhang daher nicht ausschließen. 438 Dabei geht es jedoch lediglich um die Bedeutung der Tatsache, dass der Rausch- oder Krankheitszustand auf die tatsächlichen Erkenntnismöglichkeiten des Täters Einfluss genommen hat. Unerheblich ist, auf welcher Stufe des Deliktsaufbaus dies zu thematisieren wäre. Daher lässt sich selbst unter Zugrundelegung dieser Ansicht nicht zwischen den Rechtsfolgen einer Verortung der individuellen Erkennbarkeit als Merkmal von Unrecht beziehungsweise Schuld differenzieren. 2. Notstands- und Notwehrprobe Geläufigstes Kriterium zur Unterscheidung der Rechtsfolgen bei Annahme von Unrecht oder Schuld ist die so genannte Notwehrprobe. Mit ihr wird festgestellt, ob der Betroffene sich eine Gefährdung seiner Interessen durch menschliches Verhalten ohne das Recht zur Notwehr gefallen lassen muss. 439 Erforderlich ist dafür zunächst ein rechtswidriger Angriff, das heißt ein (objektiv und subjektiv) unerlaubt riskantes Verhalten. Es muss keinen Straftatbestand erfüllen, weil § 32 II nicht die rechtswidrige Tat (§ 11 Nr. 5) eines anderen voraussetzt. Die Erörterung des Normzwecks wird auch hier die Einbeziehung von Schuldmerkmalen nahe legen. Eine Beschränkung der Notwehrlage auf schuldhaftes Verhalten lässt sich aber nicht mit dem Wortlaut des § 32 vereinbaren und verstößt daher gegen 438
Vgl. Nw. in Anm. 430, 433 u. 437. Jakobs, Teheran-Beiheft zur ZStW 1974, S. 11; Küper, GA 1983, 289, 297 m.w. N. in Anm. 32; Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 134 f.; Kühl, AT, 8/100 m.w. N. in Anm. 172, 206; Mitsch, U. Weber – FS, S. 66; Sacher [Anm. 416], S. 236; Schünemann, JA 1975, 435, 440. 439
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Art. 103 II GG. An dieser Stelle knüpft das Gesetz mit der Notwehrbefugnis eine rechtliche Folge nur an das Vorliegen von Unrecht und erlaubt somit eine zumindest mittelbare Erfassung dieser Wertungsstufe. Bislang hat man der Trennung zwischen den objektiven und subjektiven Unrechtsmerkmalen hauptsächlich eine ordnende, didaktische Funktion zugewiesen. 440 Welche unterschiedlichen Rechtsfolgen das Vorliegen von objektivem beziehungsweise objektivem und subjektivem Unrecht bewirkt, war folglich nicht erörterungsbedürftig. Es wird sich herausstellen, dass der Defensivnotstand ein lediglich objektiv unerlaubt riskantes Tun oder Unterlassen voraussetzt. Anhand der Rechtsfolgen von Defensivnotstand und Notwehr kann man daher auch wertungsmäßig zwischen objektiven und subjektiven Unrechtsmerkmalen differenzieren. Der besseren Verständlichkeit halber soll der Notstand zu Anfang besprochen werden. Als Aggressivnotstandslage genügt eine Gefahr beziehungsweise ein riskantes Verhalten. Schon die Erläuterung dieser Notrechte respektive der sie auslösenden Situationen berücksichtigt ihre Bezüge zu herrschendem und alternativem Modell der Gefahrbeurteilung. Im Anschluss wird anhand von Grauls Beispielsfall 441 die eigentliche Probe aufs Exempel gemacht. a) Aggressiv- und Defensivnotstand Notstandssituationen sind Kollisionssituationen, in denen es zur Abwendung eines drohenden Schadens erforderlich ist, das verfügbare Interesse eines anderen an Stelle des gefährdeten Interesses zu opfern. 442 Der Aggressivnotstand (§§ 34 StGB, 904 BGB) setzt dabei lediglich die gegenwärtige Gefahr für ein rechtlich geschütztes Gut voraus und erlaubt zu ihrer Abwehr in engen Grenzen die Inanspruchnahme eines Unbeteiligten. Das öffentliche Recht würde eine solche Person als Nichtstörer einstufen. Eine Defensivnotstandslage ist dagegen geprägt durch das Drohen einer Gefahr aus der Sphäre der Person, in deren Güter eingegriffen werden soll. 443 Diese – noch einmal öffentlich-rechtlich gesprochen – Zustandsverantwortlichkeit rechtfertigt weitergehende Maßnahmen. 444 Beim Aggressivnotstand muss das geschützte das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegen, während es beim Defensivnotstand umgekehrt von ihm nicht wesentlich überwogen werden darf. 445 440
Siehe Kapitel 1: C.II.2., S. 78. Siehe Kapitel 1: C.II.3., S. 81. 442 Hruschka, JuS 1979, 385. 443 Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 244. 444 Noch umfangreicher ist nur das Notwehrrecht (§ 32 ), dem als hoheitliche Gefahrenabwehrbefugnis die Inanspruchnahme des Handlungsstörers entspricht. Siehe zur prinzipiellen Übereinstimmung der Rechtfertigung privater und staatlicher Rechtsgutseingriffe M. Köhler, Schroeder – FS, S. 258 und passim. 445 Hruschka, StrafR, S. 79. 441
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Bei allen Gefahren, die nicht von einer Sache drohen, ist § 228 BGB allerdings nicht direkt, sondern analog anwendbar. 446 Dieser spiegelbildliche Zusammenhang zwischen den Abwägungsmaßstäben 447 ergibt sich aus der gegensätzlichen Gewichtung der die beiden Notstandsformen bestimmenden Prinzipien der individuellen Autonomie und zwischenmenschlichen Solidarität. 448 Rechtliche Eigenständigkeit des Individuums bedeutet, dass niemand verpflichtet ist, seine Interessen zur Wahrung fremder aufzuopfern. 449 Das Recht garantiert insofern jedem die Selbstverwaltung. 450 Als Konsequenz seiner Eigenständigkeit hat das Individuum zugleich die drohenden Beschränkungen seiner Interessen selbst zu tragen. Schadensrechtlich hieße das „casum sentit dominus“. 451 Für den Fall des Aggressivnotstands wird die individuelle Autonomie jedoch begrenzt. Ab einem wesentlichen Überwiegen verpflichtet die zwischenmenschliche Solidarität andere Individuen zum Beistand. 452 Liegt ein solches Verhältnis zwischen den kollidierenden Interessen vor, darf man die Güter Unbeteiligter zur Bewahrung eigener heranziehen. Eine objektive ex ante-Beurteilung der Gefahr könnte diese Zusammenhänge dagegen ungerechtfertigt zu Lasten des solidarisch in die Pflicht genommenen Bürgers verschieben. An der für § 34 typischen Kollisionslage fehlt es, wenn das zu rettende Gut nicht wirklich – das heißt objektiv ex post – in Gefahr war, selbst wenn objektiver Dritter und Täter zu Unrecht davon ausgingen. Insofern genügte es nicht, dass der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch ihn im Nachhinein zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet, § 904 S. 2 BGB direkt oder analog. 453 Aus dem Autonomieprinzip folgt aber nicht nur die alleinige 446 Renzikowski [Anm. 443], S. 245; NK – Neumann, § 34, Rn. 86, beide m.w. N. Die Gegenansicht will die Defensivnotstandslage lediglich durch eine Wertsteigerung beim verteidigten Interesse berücksichtigen; Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 34, Rn. 30. Weiterer Nw. in Anm. 336. 447 Renzikowski, Hruschka – FS, S. 655 f. 448 Eingehend zu den möglichen Begründungsansätzen für die Solidaritätspflicht Pawlik, Notstand, S. 57 ff. m.w. N.; verfassungsrechtlich F. Meyer, GA 2004, 356, 361 ff.; vgl. zu den Aspekten Autonomie und Solidarität auch Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 177 ff. 449 Frister, GA 1988, 291, 293; SK – Günther, § 34, Rn. 11 m.w. N. Das kollektivistische Deutungsmodell argumentiert mit einem – wenn auch eingeschränkten – utilitaristischen Gesamtnutzenkalkül; Nw. a. a. O., Rn. 10. 450 Müssig, Rudolphi – FS, S. 177. 451 Freund, AT, 3/67. 452 Zur Entstehungsgeschichte der Wesentlichkeits-Klausel Küper, GA 1983, 289, 290 ff., der in ihr jedoch zu Unrecht kein quantitatives Korrektiv (S. 293 ff.), sondern nur eine „erkenntnisleitende ‚Warn-‘ und ‚Kontrollklausel‘“ sieht (S. 296 ff.). 453 Vgl. MK 4 – Säcker, § 904 BGB, Rn. 24 m.w. N. Man hat ursprünglich auch erwogen, das Aggressivnotstandsrecht für den Fall einzuschränken, dass „der Gefährdete nicht imstande oder willens ist, gegebenen Schaden zu ersetzen“; siehe noch H. A. Fischer, Rechtswidrigkeit [1911], S. 218 m.w. N.
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Zuständigkeit hinsichtlich natürlicher Risiken, die die eigene Interessensphäre bedrohen. Man muss außerdem die Kosten einer „Problembereinigung“ im Falle derjenigen Gefahren tragen, die im eigenen Verantwortungsbereich wurzeln und andere zu schädigen drohen. 454 Am besten lässt sich das Phänomen in den Kategorien des unechten Unterlassungsdeliktes umreißen. Für Gefahren zuständig ist nur derjenige, der rechtlich dafür einzustehen hat, dass sie sich nicht verwirklichen (vgl. § 13 I), 455 und somit tauglicher Täter eines entsprechenden unechten Unterlassungsdeliktes wäre. Eine persönliche Handlungsunfähigkeit steht dem nicht entgegen, da es gerade nicht auf die Pflichtwidrigkeit einer Unterlassung des Garanten ankommt, sondern bloß auf seine Zuständigkeit. 456 Es geht mit anderen Worten um die Garantenstellung, nicht um die Garantenpflicht. 457 Allerdings genügt nicht jede Garanteneigenschaft zur Begründung einer Defensivnotstandslage. Entscheidendes Merkmal der defensivnotstandsrelevanten Sonderzuständigkeit ist, dass sie sich auf den Autonomiegedanken zurückführen lässt. 458 Die Garantenstellung muss also dadurch begründet worden sein, dass ihr Inhaber zuvor die eigene Freiheitssphäre überschritten und fremde individuelle Freiheit zu Unrecht für sich in Anspruch genommen hat. Davon ist jedenfalls bei einem ingerenten Vorverhalten, durch das in zurechenbarer Weise eine konkrete Gefährdungslage für die Rechtsgüter einer anderen Person herbeigeführt wurde, auszugehen. 459 Hat der Inhaber des Eingriffsgutes also eine Ingerenzgarantenstellung, muss er grundsätzlich die zur Gefahrenabwehr notwendige Aufopferung eigener Positionen in Kauf nehmen. Allerdings begründet die individuelle Autonomie wiederum nur gegenüber demjenigen eine Duldungspflicht, der eine – durch die zu duldende belastende Maßnahme – abwendbare Gefahr tatsächlich zu verantworten hat. Das Risiko und die (aus dem Autonomieprinzip abgeleitete) Garantenstellung müssen daher objektiv ex post vorliegen. Andernfalls ist das weitgehende Eingriffsrecht des Defensivnotstandes nicht zu rechtfertigen. Denn erst wenn eigene Interessen die des anderen wesentlich überwiegen, darf man umgekehrt dessen zwischen454
Renzikowski, Hruschka – FS, S. 654 f. Vgl. die eingehende Diskussion bei Pawlik, Notstand, S. 276 ff. 456 Jakobs, AT, 13/47. 457 Dies verkennt NK – Neumann, § 34, Rn. 105 bei seiner Kritik; Pawlik, Notstand, S. 279. Vgl. zu dieser Differenzierung BGHSt 37, 106, 118 ff. sowie Baumann / Weber / Mitsch, AT, 15/44 f. 458 Pawlik [Anm. 455], S. 280. 459 Hruschka, JuS 1979, 385, 386 f.; Jakobs, AT, 13/47; Renzikowski [Anm. 443], S. 183 f. Welche weiteren Garantenstellungen mit der defensivnotstandsrelevanten Sonderzuständigkeit übereinstimmen, kann an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Vgl. aber die eingehende Diskussion bei Pawlik [Anm. 455], S. 276 ff. „Die objektive Zurechnung der Gefahr als Voraussetzung der Eingriffsbefugnisse im Defensivnotstand“ erläutert ferner M. Köhler, Schroeder – FS, S. 257 ff. 455
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menschliche Solidarität einfordern. 460 Der Defensivnotstand gibt dem Bedrohten somit das Recht, fremde Gefährdungen eigener Interessen dadurch abzuwehren, dass er Güter des Verantwortlichen heranzieht, soweit deren Wert nicht wesentlich überwiegt. Dieser Rechtfertigungsgrund wird also durch die Solidarpflicht nicht begründet, sondern begrenzt. 461 b) Notwehr Die Notwehr beinhaltet umfangreiche Verteidigungsbefugnisse, die – sieht man einmal von der Grenze des krassen Missverhältnisses ab – nur einen rechtswidrigen Angriff und die Erforderlichkeit der jeweiligen Verteidigungsmaßnahme, jedoch keine Einzelfallabwägung der Interessen von Angreifer und Verteidiger voraussetzen. Herkömmlich wird dies überindividualistisch durch den besonderen Wert der Rechtsbewährung erklärt. 462 Die durch die Notwehr zugleich geschützte Geltungskraft der Rechtsordnung führte demnach als zusätzlicher Wert zu einem allgemeinen Überwiegen der Verteidigerinteressen und damit zur besonderen „Schneidigkeit“ des Notwehrrechts. 463 Die Geltungskraft der Rechtsordnung wird indes lediglich durch ein – für den Einzelnen – gefährliches Verhalten bedroht, das darüber hinaus im Widerspruch zu ihren Ver- und Geboten steht. 464 Weil die Rechtsordnung nichts Unmögliches verlangt, gestalten sich auch ihre Verhaltensnormen erfüllbar. Das rechtswidrig riskante Verhalten muss demnach vermeidbar sein. Mindestvoraussetzung dafür ist, dass der Angreifer den auslösenden Sachverhalt kennt beziehungsweise erkennen kann. Wie zuvor bereits erörtert muss eine Verhaltensanweisung, damit sie für den Einzelnen erfüllbar ist, jedoch in letzter Konsequenz alle Elemente der Schuld umfassen. 465 Eine stringente Umsetzung der Rechtsbewährungsdoktrin verlangt insofern für den rechtswidrigen Angriff ein schuldhaftes Verhalten. 466 Die Rechtsbewährungsdoktrin vermischt indes zwei zu trennende logische Ebenen. Durch § 32 wird festgelegt, welche Verhaltensweisen die Rechtsordnung zur Abwehr von fremden Gefährdungen der eigenen Interessen zulässt. Geht man davon aus, dass zu dieser Feststellung eine Abwägung erforderlich ist, so müsste die Abwägung – auf einer ersten logischen Ebene – die jeweils drohenden Konsequenzen von Angriff und Verteidigung für die Rechtsgüter des anderen umfassen. 460
Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 214; Jakobs, AT, 13/46. Frister, GA 1988, 291 ff. 462 Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 32, Rn. 1 f.; Lackner / Kühl, § 32, Rn. 1. 463 Lenckner / Perron, a. a. O., Rn. 1a. 464 Roxin, Jescheck – FS I, S. 458 f. fordert daher ein personales (aber nicht zwingend Straf-)Unrecht; H. Schumann, JuS 1979, 559 f. 465 Siehe Kapitel 1: E.I., S. 91. 466 Otto, AT, 8/19 f.; Schmidhäuser, Lehrb. AT, 9/86, 95; vgl. auch Kühl, AT, 7/58. 461
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Zusätzlich einbeziehen kann man ferner die Rechtswidrigkeit des Angriffs, nicht aber die Rechtmäßigkeit der Verteidigung, weil gerade die untersucht werden soll und als Prüfungsergebnis eine zweite, logisch nachrangige Ebene darstellt. Die Aussage, dass „das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht“, 467 setzt sich somit teilweise selbst voraus. Man kann erst nach Anwendung des § 32 wissen, ob das Verhalten, welches dem rechtswidrigen Angriff nicht weichen will, rechtens ist. Ohne Berücksichtigung der Rechtmäßigkeit von Abwehrmaßnahmen wird die Rechtsbewährungsdoktrin indes unschlüssig, da sich die Geltungskraft der Rechtsordnung nicht durch eine rechtswidrige Verteidigung sichern lässt. 468 Daraus folgt aber noch nicht, dass ihre Anforderungen an die Notwehrlage im Ergebnis fehlerhaft sind. Individualrechtliche Interpretationen heben hervor, dass beim Vergleich der Interessen von Verteidiger und Angreifer letztere im Rahmen des Erforderlichen nicht schutzwürdig sind. Dies wird unter anderem damit erklärt, dass der rechtswidrige Angriff einseitig das „Verhältnis der wechselseitig geschuldeten Achtung der Rechtspersönlichkeit faktisch in ein Über-Unterordnungsverhältnis“ verwandele und die Verteidigung dazu diente, die gestörte Gleichordnung der Bürger wieder herzustellen. 469 Einfacher ist es jedoch, die Notwehr als entgrenzten Defensivnotstand zu verstehen. Dieser wurde darauf zurückgeführt, dass der durch die Defensivnotstandsmaßnahme Belastete für die abzuwehrende Gefahr zuständig ist und deshalb die Kosten ihrer Bereinigung tragen soll. Er hat jedoch ebenso einen Anspruch auf zwischenmenschliche Solidarität, falls die Gefahrbeseitigung nur zu Lasten seiner wesentlich höherwertigen Interessen möglich wäre. Deswegen wird das Defensivnotstandsrecht entsprechend begrenzt. Voraussetzung der damit verbundenen Rücksichtnahme ist allerdings, dass er sich insofern in einer nicht anders abwendbaren Notlage befindet. Der Angreifer kann aber den Schutz seiner Interessen schon dadurch erreichen, dass er seiner Rechtspflicht nachkommt und den unerlaubten Angriff beendet. Er bedarf daher keiner solidarischen Rücksichtnahme durch Ausschluss der Gefahrenabwehrrechte für die Fälle eines wesentlichen Überwiegens seiner Interessen, weil ihm die Beeinträchtigung seiner Interessen durch den Abbruch des Angriffs vermeidbar ist. 470 Die Voraussetzungen der Notwehr lassen sich somit entwickeln, indem man die allgemeine Defensivnotstandslage auf solche Fälle begrenzt, die dem Täter vermeidbar sind. Angriff ist daher nur eine „Bedrohung rechtlich geschützter Güter durch menschliches Verhalten“. 471 Seine Rechtswidrigkeit begründet die 467
Wessels / Beulke, AT, Rn. 324, 339. Eingehend Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 81 ff.; weitere Kritik a. a. O., S. 76 ff. sowie bei Frister, GA 1988, 291, 295 ff. 469 Renzikowski, a. a. O., S. 275; MK – Erb, § 32, Rn. 12 m.w. N. in Anm. 38. 470 Frister, GA 1988, 291, 301 ff. 471 Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 32, Rn. 3; Hirsch, Dreher – FS, S. 211. 468
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Zuständigkeit des Angreifers für die Gefahr und zwingt ihn zum Unterlassen oder Handeln. Der Angriff kann insofern auch in einem Unterlassen gesehen werden. 472 Wie beim Defensivnotstand ist es notwendig, dass die seinem Verantwortungsbereich zuzuordnende Gefährdung objektiv ex post vorliegt. 473 Andernfalls fehlte es an der – erst recht – für die Notwehr erforderlichen Kollisionslage. Darüber hinaus muss für die Anwendung des § 32 nicht nur die Gefahr gegenwärtig sein, sondern das unerlaubt gefährliche Verhalten. Im Falle eines abgeschlossenen Handelns, durch das in zurechenbarer Weise eine konkrete Gefahr verursacht wurde, könnte dem Verursacher die Möglichkeit ihrer Beseitigung fehlen. Persönliche Abwendbarkeit der Gefährdung erfordert vor allem, dass die sie begründenden Umstände bekannt oder zumindest individuell erkennbar sind. 474 Darüber hinaus erscheint es auch nach diesem individualrechtlichen Begründungsmodell konsequent, nur ein schuldhaftes Verhalten als Angriff zu verstehen. 475 Der Wortlaut des § 32 II verlangt indes ein rechtswidriges und kein schuldhaftes Angriffsverhalten. Das Strafgesetzbuch unterscheidet ansonsten deutlich zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung, weshalb es unverständlich ist, warum mit dem Adjektiv „rechtswidrig“ zugleich „schuldhaft“ gemeint sein soll. 476 Eine zweite Möglichkeit wäre, die Schuld als begriffliche Voraussetzung des Angriffs zu deuten. Dieses Verständnis müsste aber umso mehr für die Rechtswidrigkeit gelten, denn ein rechtmäßiges Verhalten ist niemals schuldhaft. Dann wäre aber nicht mehr nachvollziehbar, warum das Gesetz ausdrücklich einen rechtswidrigen Angriff verlangt. 477 Die Formulierung „rechtswidriger Angriff“ ist also nicht mit dem Erfordernis schuldhaften Verhaltens zu vereinbaren. Weil diese Auslegung den Anwendungsbereich einer strafbefreienden Vorschrift gegen ihren Wortlaut beschränkt, verstößt sie gegen Art. 103 II GG. 478 Die herrschende Meinung entnimmt allerdings in Fällen schuldloser Angriffe der Gebotenheit eine so genannte Schrankentrias. 479 Sowohl die Rechtsbewährungsdoktrin als auch das – vorzugswürdige – Verständnis des § 32 als entgrenzter Defensivnotstand erfordern die Berücksichtigung aller Voraussetzungen der Vermeidbarkeit. Der Wortlaut schließt jedoch die Einbeziehung von Schuldmerkmalen aus. Unterstellt man, dass es sich bei § 32 um eine 472
So auch die h. M.; NK – Herzog, § 32, Rn. 11 m.w. N. Gegen diese h. M. etwa NK – Herzog, § 32, Rn. 3 m.w. N. zum Streitstand. 474 SK – Samson (5. Aufl., 1992), § 32, Rn. 35. 475 Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 283 f. m.w. N. in Anm. 38. 476 Kühl, AT, 7/58. 477 Roxin, AT1, 15/10. 478 Hirsch, Dreher – FS, S. 216; Rinck, Der zweistufige Deliktsaufbau, S. 102; eingehend zur Anwendbarkeit des Art. 103 II GG auf § 32 Engels, GA 1982, 109, 114 ff. 479 NK – Herzog, § 32, Rn. 104 m.w. N.; kritisch Hruschka, StrafR, S. 140 ff. und Otto, AT, 8/22 m.w. N. 473
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vollständig sinnvolle Regelung handelt, muss ihr folglich die Wertung entnommen werden, dass nur die im Unrecht enthaltenen Voraussetzungen der Vermeidbarkeit für die Notwehrlage von Bedeutung sein sollen. 480 Zu ihnen gehört offensichtlich der Vorsatz, bei dem es sich jedoch nur um einen Sonderfall der (sowohl objektiven als auch individuellen) Erkennbarkeit handelt. 481 Die Sachverhaltserkennbarkeit ist eine Grundvoraussetzung der Vermeidbarkeit und anerkanntermaßen ein Teil des Unrechts. Die herrschende Lehre bestimmt sie innerhalb des Fahrlässigkeitsunrechts objektiv, das heißt nach den Kenntnissen der Maßstabsfigur, und addiert das weitergehende Täterwissen. Danach lässt sich jedoch kein Urteil darüber fällen, ob der Angreifer sein unerlaubt gefährliches Verhalten hätte verhindern können. Die objektive Erkennbarkeit des Sachverhaltes enthält nur eine Aussage darüber, was ein gedachter Dritter zu verhindern vermag. Über die Vermeidbarkeit für Angreifer, gegen die sich die Notwehr richtet, sagt sie nichts aus. 482 Während § 32 ein fragmentarisches Urteil über die Vermeidbarkeit fordert, liefert die objektive Erkennbarkeit keines. Es ist daher vorzugswürdig, bereits das Unrecht mit einer täterbezogenen unvollkommenen Vermeidbarkeit in Form individueller Erkennbarkeit der eigenen Verhaltensgefährlichkeit auszustatten. Deshalb sollte auch das Fahrlässigkeitsdelikt mit einem subjektiven Tatbestand versehen werden. Als rechtswidriger Angriff kann so jedes risikoerhöhende, objektiv und subjektiv (im untechnischen Sinne) 483 unrechtmäßige Verhalten verstanden werden. 484 Dieses muss wohlgemerkt nicht straftatbestandsmäßig oder vorsätzlich sein. Die von § 32 als Notwehrlage geforderte fragmentarische Vermeidbarkeit des unerlaubt riskanten Verhaltens spricht somit für eine subjektive ex ante-Betrachtung im Sinne des Alternativmodelles. c) Rechtsfolgenkontrolle am Beispiel Daran anknüpfend soll nun Grauls Beispielsfall zunächst nach dem hier vertretenen Konkurrenzmodell gelöst werden. 485 A’s erste Bemühung, B mit Reizgas zu besprühen, um die vermeintlich von ihm gestohlene Brieftasche wieder zu 480 Es scheint eben diese Differenzierung zu sein, die – unausgesprochen – dem herrschenden Begriff der Verhaltensnorm zugrunde liegt; vgl. dazu a. E. von Kapitel 1: E.I., S. 91. 481 Siehe Kapitel 1: D.II.2., S. 88. 482 Vgl. Kapitel 1: E.I., S. 91. 483 Vgl. Kindhäuser, LPK – StGB, § 32, Rn. 22. 484 Vgl. Rinck [Anm. 478], S. 68 f., 101 ff.; SK – Samson (5. Aufl., 1992), § 32, Rn. 35. Weil die herrschende Lehre das Fahrlässigkeitsunrecht rein objektiv verstehen will, kann sie auch für den rechtswidrigen Angriff lediglich ein in diesem Sinne sorgfaltspflichtwidriges Verhalten verlangen; Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 32, Rn. 21 und Sinn, GA 2003, 96, 107. Demnach müsste die unerlaubte Gefährdung fremder Güter lediglich objektiv erkennbar sein; Hirsch, Dreher – FS, S. 227 f. und NK – Herzog, § 32, Rn. 3, beide m.w. N.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
erlangen, blieb erfolglos. Nach richtiger Auffassung wird ein versuchtes Delikt bereits durch einen Erlaubnistatbestandsirrtum, das heißt dann gerechtfertigt, wenn der Täter fälschlicherweise rechtfertigende Umstände angenommen hat. 486 Eine Strafbarkeit des A gemäß §§ 224 I Nr. 1, 2, II, 22, 23 I scheitert daher an seiner Vorstellung, dass ein rechtswidriger Angriff des B auf sein Eigentum vorliegt. Dessen nachfolgendes Beinstellen erfüllt zwar den Tatbestand des § 223 I, ist aber objektiv und subjektiv gerechtfertigt. Ich nehme an, dass A das tatsächliche Fehlen rechtfertigender Umstände nicht erkennbar war, als er B ein zweites Mal mit Reizgas besprühen wollte, so dass er B zwar nicht rechtswidrig angegriffen (§ 32), aber immerhin objektiv unerlaubt gefährdet hat. Dessen Verhalten ist daher in objektiver Hinsicht analog § 228 BGB durch Defensivnotstand gerechtfertigt, da seine körperliche Unversehrtheit nicht wesentlich weniger schwer betroffen war als die des A. Weil B nicht davon ausging, dass seinem Gegner das Fehlen ihn rechtfertigender Umstände weder bekannt noch erkennbar war, war er subjektiv sogar durch § 32 gerechtfertigt. Der zweite Sprühversuch von A war erfolgreich, wobei eine Strafbarkeit gemäß § 224 I Nr. 1, 2 mangels Unrechtsvorsatz analog § 16 I 1 ausscheidet. 487 Eine fahrlässige Körperverletzung (§ 229) scheitert nach der dargelegten Sachverhaltsauslegung am Fehlen der individuellen Erkennbarkeit des Nichtvorliegens von Rechtfertigungsgründen im subjektiven Rechtfertigungstatbestand. Die nach dem Konkurrenzmodell vorzunehmende Trennung zwischen der ex post-Betrachtung im objektiven und dem ex ante-Urteil im subjektiven Unrechtstatbestand erlaubt somit eine einfache und inhaltlich überzeugende Lösung. Wertungsmäßig fragwürdig wird es hingegen, wenn man seine Kreise durch eine objektive ex ante-Betrachtung stört und sich dabei einen hilfsbereiten und deutlich kleineren Zuschauer Z mit einem Knüppel hinzudenkt, der zufällig beobachten konnte, dass B die Brieftasche nicht gestohlen hat. Bei einer objektiven ex 485
Der schmächtige A wurde nachts an einer schlecht beleuchteten Stelle im Bahnhofsviertel vom ungepflegten B angerempelt, als dieser – von A unbemerkt – im schnellen Gang über einen Bordstein stolperte. Wegen früherer schlechter Erfahrungen in der Bahnhofsgegend griff sich A in die Jacke und stellte das Fehlen seiner mit 10.000 € gefüllten Brieftasche fest. Er hielt B für einen Taschendieb, lief ihm hinterher und forderte ihn lautstark zur Rückgabe auf. Dieser sprach aber kein Deutsch und rannte aus Angst davon. A folgte ihm und versuchte, dem körperlich deutlich überlegenen B aus ein bis zwei Metern Distanz Reizgas ins Gesicht zu sprühen. B konnte aber ausweichen und rannte weiter. Er sah wenige Sekunden später, dass A schon wieder Reizgas sprühen wollte. Deshalb wich er zur Seite aus und stellte ihm ein Bein, so dass A hinfiel und – wie von B erwartet – sich ein Knie aufschlug. Im Fallen konnte A dem B dennoch eine Dosis Reizgas ins Gesicht sprühen, so dass dessen Augen tränten und schmerzten. Die Brieftasche war zuvor in einer Kneipe von U gestohlen worden; Kapitel 1: C.II.3., S. 81. 486 MK – Herzberg, § 22, Rn. 174 ff. und Samson, StrafR I, S. 167; dagegen allerdings Schönke / Schröder – Eser, § 22, Rn. 59 und Wessels / Beulke, AT, Rn. 610. 487 Vgl. zu den Folgen des Erlaubnistatbestandsirrtums bereits Kapitel 1: A.I.3.b), S. 48.
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ante-Prüfung des Merkmals gegenwärtiger rechtswidriger Angriff wäre der Sprühversuch von A durch Notwehr objektiv und subjektiv gerechtfertigt. In seiner Situation durfte ein sorgfältiger Besucher der Bahnhofsgegend davon ausgehen, dass B die Brieftasche geklaut hat. Auch stand A insofern kein Sonderwissen zur Verfügung. 488 Wenn also Z dem B hätte helfen wollen, wäre dies nur nach den Regeln des Aggressivnotstandes möglich gewesen, da dieser zwar gefährdet war, aber A die Gefährdung objektiv ex ante nicht zugerechnet werden kann. A hätte B vielmehr objektiv erlaubt beziehungsweise „nicht unsorgfältig“ gefährdet. Die einzige Möglichkeit von Z, den A mit seinem Schlagstock aufzuhalten, wäre danach nicht zu rechtfertigen, weil die Reizgasgefahr die durch den Knüppel verursachbaren Verletzungen nicht wesentlich überwiegt. Seine Hilfeleistung wird erst dadurch legitim, dass man sich A etwa mit einer Pistole bewaffnet vorstellt und ihn auf B schießen lässt, was man diesem wohl kaum erklären kann. 3. Ingerenz Abschließend sollen noch einmal die Folgen der beiden Modelle zur Risikobeurteilung für die Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun verglichen werden. Die Ingerenzgarantenstellung ist heute weitestgehend anerkannt, während die Merkmale ingerenten Verhaltens umstritten sind. 489 Wer zur Bereinigung von Notlagen unbeteiligte Dritte solidarisch in die Pflicht nimmt, der muss nachfolgend – gemäß dem Rechtsgedanken des § 904 S. 2 BGB – zunächst einmal daraus resultierende Gefahren für den Nichtstörer abwehren und erst an zweiter Stelle den eingetretenen Schaden ersetzen. 490 Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch verlangt insofern eine Naturalrestitution, vgl. § 249 I BGB. Zu Recht geht man deshalb davon aus, dass ein durch Aggressivnotstand gemäß §§ 34 StGB, 904 BGB gerechtfertigtes Tun zu einer Garantenstellung führt. 491 Die allgemeine Diskussion konzentriert sich jedoch auf die Fälle rechtswidrigen Verhaltens. Insoweit lässt sich das Problem am besten mittels der Lehre von der objektiven Zurechnung strukturieren. 492 Als Besonderheit ist lediglich zu beachten, dass keine „normalen“, sondern Gefährdungserfolge zugerechnet werden. Die Garantenstellung aus Ingerenz entspricht folglich in ihren Voraussetzungen dem 488
Im Detail Graul, JuS 1995, 1049 f. Roxin, AT2, 32/143 ff. m.w. N. auch zur ablehnenden Meinung. 490 Roxin, AT2, 32/187. 491 Roxin, AT2, 32/186 ff., SK – Rudolphi, § 13, Rn. 40a und LK 12 – Weigend, § 13, Rn. 46, jeweils m.w. N. Eine Garantenstellung soll nach Maurach / Gössel / Zipf, AT2, 46/102 auch durch straßenverkehrsordnungsgemäßes Handeln begründet werden können. Roxin, Trechsel – FS, S. 559 ff. verneint dagegen eine Garantenstellung, wenn das Vorverhalten erlaubt riskant war. Weil die Erlaubnis riskanten Verhaltens u. a. im Straßenverkehr gleichermaßen auf den Prinzipien der §§ 34 StGB, 904 BGB beruht, haftet ein Autofahrer ebenso für seine erlaubten Gefährdungen entsprechend § 7 StVG als Garant. 492 Roxin, AT2, 32/157. 489
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Tatbestand eines konkreten Gefährdungsdeliktes. Wer unerlaubt gefährdungsriskant handelt und dadurch einen konkreten Gefährdungserfolg hinsichtlich eines Rechtsgutsobjektes herbeiführt, wird Garant für dessen Sicherheit. 493 Umstritten ist, in welchem Umfang diese Übereinstimmung mit einem konkreten Gefährdungsdelikt erforderlich ist. 494 Überwiegend geht man davon aus, dass der Gefährdungserfolg durch objektiv fahrlässiges, 495 das heißt durch objektiv erkennbar unerlaubt gefährdungsriskantes Tun herbeigeführt werden muss. 496 Dies entspricht dem herrschenden Modell der Gefahrbeurteilung für den objektiven (Unrechts-)Tatbestand. Die Handlung muss nicht nur den Tatbestand des konkreten Gefährdungsdeliktes erfüllen. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die objektive Maßfigur diese Umstände anhand ihrer eigenen Kenntnisse und des Täterwissens erkennen konnte. Nach dieser These führt – folgt man der eingeschränkten Schuldtheorie – nicht erst das tatsächliche Vorliegen von Rechtfertigungsgründen zum Ausschluss der Garantenstellung aus Ingerenz. Es genügte bereits, dass die Umstände, aus denen sich ihr Fehlen ergibt, der objektiven Maßstabsperson bei Einbeziehung des weitergehenden Täterwissens unerkennbar waren. 497 Indem die herrschende Lehre auf ein in ihrem Sinne fahrlässiges Handlungsunrecht abstellt, produziert sie jedoch Unstimmigkeiten in Zusammenhang mit der Ingerenzgarantenstellung aus dem durch Aggressivnotstand gerechtfertigten Tun, die folgender Fall veranschaulichen soll. 498 Ein Mobilfunkbetreiber warnt Alpinisten über SMS vor Unwettern. Der Service wird wegen seiner besonderen Zuverlässigkeit von diesen sehr geschätzt. Bergwanderer B erhält eine Kurznachricht, die eine unmittelbar bevorstehende lebensgefährliche Wetteränderung in seinem Gebiet vorhersagt. Er flüchtet zur verschlossenen Berghütte eines unliebsamen Nachbarn und schlägt ein Fenster ein. Als B sich dort in Sicherheit bringen will, wird er über den Fehler in der ersten Mitteilung benachrichtigt. Das Unwetter sei
493
Vgl. Wolter, JuS 1978, 748 ff., 754; ders., Objektive und personale Zurechnung, S. 217 ff., 223 ff.; Küper, BT, 153 f. 494 Die Diskussion um die Voraussetzungen der Ingerenzgarantenstellung wird von zwei Seiten geführt. Hillenkamp, Otto – FS, S. 287 ff. m.w. N. nimmt an, dass durch ein (gedachtes) vorsätzliches konkretes Gefährdungsdelikt keine Ingerenzgarantenstellung begründet werde, und beschränkt diese somit auf die Fälle, in denen der Handelnde nicht erkennt, dass sein Tun unerlaubt gefährdungsriskant ist. Er bejaht also eine Ingerenzgarantenstellung nur des fahrlässig und verneint die des vorsätzlich handelnden Täters. Nach der hier vertretenen Auffassung besteht jedoch zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat ein Plus-Minus-Verhältnis [Nw. in Anm. 73]. Eine vorsätzliche Gefahrschaffung begründet somit erst recht die Sonderverantwortlichkeit; MK – Freund, § 13, Rn. 125 m.w. N. 495 Roxin, AT2, 32/199 f.; SK – Rudolphi, § 13, Rn. 39a, beide m.w. N. 496 Brammsen, GA 1993, 97, 109; Samson, StV 1991, 182, 184; LK 12 – Weigend, § 13, Rn. 46; NK – Wohlers, § 13, Rn. 43. Vgl. ferner Kapitel 1: A.I.2.a)aa), S. 38. 497 Siehe Kapitel 1: A.I.3.a), S. 46. 498 Abgesehen davon „bleibt für das Unrecht fahrlässiger Ingerenz-Unterlassung kaum mehr Raum“; Dencker, Stree / Wessels – FS, S. 166.
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erst am späten Abend zu erwarten. Er verzichtet darauf, das Fenster abzudichten, und wandert in Ruhe heimwärts. Wie von ihm erwartet, entstehen dadurch Schäden in der Hütte. 499
Eine Bestrafung des B wegen Sachbeschädigung durch Unterlassen (§§ 303 I, 13) hängt nun davon ab, ob er eine Garantenstellung hatte. Ihre Begründung durch Ingerenz ist nicht ohne weiteres möglich. Zum einen war weder einem sorgfältigen Bergwanderer noch B das Fehlen der Notstandsgefahr erkennbar, so dass er ohne Fahrlässigkeit handelte. Auf der anderen Seite durfte er nach den zuvor dargelegten Grundsätzen [siehe Kapitel 1: E.II.2.a), S. 103] seinen Nachbarn nicht gemäß § 904 S. 1 BGB solidarisch in die Pflicht nehmen. Dieser hätte das Einschlagen der Scheibe nach den Regeln des Defensivnotstandes abwehren können. Handelte B somit nicht im Aggressivnotstand, kann seine Garantenstellung auch nicht aus dem Gedanken des § 904 S. 2 BGB entwickelt werden. Diese ließe sich noch auf zwei Umwegen herleiten. Aus einem argumentum a fortiori wird für solche Fälle eine Schadensersatzpflicht entsprechend § 904 S. 2 BGB hergeleitet. Es gehe „nicht an, den Eigentümer in dem Fall besser zu stellen, in welchem der auf sein Eigentum Einwirkende rechtmäßig handelte, als dort, wo der Eingriff unrechtmäßig – wenn möglicherweise wegen Irrtums auch nicht schuldhaft – erfolgt ist“. 500 Dementsprechend ließe sich eine Zusatzregel postulieren, nach der erst recht die objektiv unvermeidbar irrige Annahme der Voraussetzungen ausschließlich des Aggressivnotstandes eine Ingerenzgarantenstellung herbeiführt. Sie läge ebenfalls vor, wenn man etwa mit Rudolphi die Verhaltensmerkmale von Tatbestand und Rechtswidrigkeit stets objektiv ex ante prüft. 501 Wer die Eignung eines Verhaltens zur Abwendung von Gefahren beispielsweise gemäß §§ 323c, 34 aus der Sicht des objektiven Beobachters bestimmen will, muss dazu dessen Perspektive in die Prüfung dieser Merkmale hineinlesen. 502 Demnach wäre das Einschlagen der Scheibe im Sinne des § 904 S. 1 BGB zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig gewesen. Der B dürfte dies tun, würde aber auch als Garant für vermeidbare Folgeschäden haften. Allerdings wäre damit das objektiv fahrlässige Verkennen des Fehlens einer Notstandsgefahr ausgeschlossen. Der umfassende Ansatz von Rudolphi entspricht insoweit nicht der Konzeption des Strafgesetzbuches. Dieses trennt etwa in §§ 163 I, 306d I, 316 II zwischen Verhaltensweisen, die einen – gegebenenfalls im engeren Sinne zu verstehenden – objektiven (Unrechts-)Tatbestand erfüllen, und der darauf bezogenen Fahrlässigkeit. 503 Weder das lediglich im Ergebnis plausible Postulat noch die 499
Abwandlung eines Falles von Joecks, Studienkommentar, § 34, Rn. 31. LG Hamburg MDR 1959, 760; MK 4 – Säcker, § 904 BGB, Rn. 26. 501 JuS 1969, 549, 551 f.; ZStW 85 [1973], 104, 126 f.; H. Schröder – GedS, S. 80 ff; in: Grundfragen, S. 76 ff.; Armin Kaufmann – GedS, S. 377 ff.; NStZ 1991, 237 ff.; SK, § 323c, Rn. 5a f., 13 f. 502 Siehe Kapitel 1: A.II.1., S. 50. 500
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
alternativen Ungereimtheiten vermögen den Problemfall dogmatisch überzeugend zu lösen. Dies kann nicht überraschen, wenn bereits die Ausgangswertung falsch ist, dass für Garantenstellungen aus Ingerenz unerlaubt riskantes Verhalten nicht genügt, sondern insofern auch objektive Erkennbarkeit gefordert werden muss. Ihre Fragwürdigkeit zeigt ebenso Grauls Beispielsfall. 504 Der schmächtige A nahm irrtümlich an, dass B ihm 10.000 € gestohlen habe. Schießt er dem vermeintlich Flüchtigen ins Bein, ist sein Verhalten zwar nicht durch Notwehr (§ 32) gerechtfertigt. Das Fehlen ihrer Voraussetzungen war jedoch objektiv unerkennbar, so dass A ohne Fahrlässigkeit handelte. Zur Hilfeleistung wäre er demnach nur aus § 323c und nicht als Ingerenzgarant verpflichtet. 505 Nachdem A den B irrtümlich angeschossen hat, erscheint es jedoch unbillig, ihn wie einen unbeteiligten Passanten zu behandeln. Wer von einem anderen Menschen zu Unrecht verletzt wird, hat einen besonderen Anspruch darauf, dass dieser alles ihm Mögliche unternimmt, um weitergehende Schäden abzuwenden. Auf die Kenntnisse eines gedachten Dritten oder weitergehendes Täterwissen im Zeitpunkt der gefährlichen Handlung kann es insoweit nicht ankommen, weshalb die objektive ex ante-Betrachtung auch hier entbehrlich ist. Vielmehr begründet – wie bereits der Bundesgerichtshof in seinem Lederspray-Urteil der Sache nach feststellte – ein objektiv ex post unerlaubt gefährdungsriskantes Verhalten, das zu einem Gefährdungserfolg führt, eine Ingerenzgarantenstellung. 506 Es zeigt sich dabei nochmals die Bedeutung einer klaren Abtrennung des objektiv ex post (unrechts-)tatbestandsmäßigen Verhaltens von der darauf bezogenen Erkennbarkeit respektive Kenntnis. 507
III. Zusammenfassung Die Verhaltensnormtheorie verlangt, dass Ver- und Gebote nur solche Umstände berücksichtigen dürfen, die auch dem Täter bekannt oder erkennbar sind. Sie gibt keine Auskunft darüber, auf welcher Deliktsstufe eine solche ex ante-Betrachtung erfolgen muss. Die personale Unrechtslehre weist die Voraussetzungen der Verhaltensnorm und ihrer Erfüllbarkeit dem Unrecht zu. Ihre konsequente Umsetzung 503 Warum diese – auch von SK – Rudolphi, Vor § 153, Rn. 42 gesehene – Abstufung eine Sondererscheinung des Tatbestandes fahrlässiger Tätigkeitsdelikte sein soll, ist nicht ersichtlich. Roxin, AT1, 16/17 unterscheidet dementsprechend zwischen der Fehlannahme einer Gefahr und der darauf bezogenen objektiven Sorgfaltspflichtverletzung. 504 Siehe zuletzt Anm. 485. 505 Die ganz überwiegende Auffassung nimmt zu Recht an, dass die Verletzung des Angreifers in Notwehr keine Garantenpflicht begründet; NK – Wohlers, § 13, Rn. 45 m.w. N. auch zur Gegenansicht. 506 BGHSt 37, 106, 117 ff.; Dencker, Stree / Wessels – FS, S. 166 ff., 170 ff. mit eingehender Begründung des Defizit-Charakters einer Ingerenz-Unterlassung; Kuhlen, NStZ 1990, 566, 567 ff. 507 Dencker, Stree / Wessels – FS, S. 173 ff.
E. Einwände gegen das Konkurrenzmodell?
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müsste jedoch zusätzlich traditionell in der Schuld verortete Merkmale berücksichtigen. Es ließen sich keine Bezüge zwischen der Verhaltensnormtheorie und den Motiven für die Differenzierung herstellen. Unter diesen Voraussetzungen konnten keine Einwände oder Begründungen entwickelt werden. 508 Aus einem ähnlichen Grund scheitert die Rechtsfolgenkontrolle anhand von Maßregeln und Vollrauschtatbestand. Sie fordern, dass jemand wegen Schuldunfähigkeit nicht verurteilt wurde beziehungsweise von ihm wegen seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Dieser Relevanzzusammenhang ist nur dann gegeben, wenn dem Täter bei Begehung der Anlasstat die zum (Unrechts-) Tatbestand gehörenden Umstände erkennbar waren. Die dogmatische Einstufung der subjektiven – und erst recht der objektiven – ex ante-Betrachtung hat insofern keine Auswirkungen. 509 Der Aggressivnotstand (§§ 904 BGB, 34 StGB) erlaubt die solidarische Inanspruchnahme eines Unbeteiligten zum Schutz von objektiv ex post gefährdeten und wesentlich überwiegenden Interessen. Dieser Maßstab kehrt sich im Defensivnotstand (§ 228 BGB direkt oder analog) um, wenn der Betroffene als Ingerenzgarant für die Sicherheit des Schutzgutes zuständig ist. 510 Notwehr ist gegen ein tatsächlich unerlaubt riskantes und dem Angreifer als solches erkennbares Verhalten zulässig. Die Prinzipien, nach denen diese Normen ein Verhalten rechtfertigen, haben keinen Bezug zur objektiven ex ante-Betrachtung. Der § 32 lässt sich darüber hinaus schlüssiger erklären, wenn die individuelle Erkennbarkeit bereits dem Unrecht zugeordnet wird. 511 Die Notstands- und Notwehrprobe am Beispielsfall von Graul sprach für die Trennung zwischen objektiver ex post- und subjektiver ex antePrüfung im Sinne des Konkurrenzmodelles. 512 Eine Ingerenzgarantenstellung hat, wer zuvor unerlaubt gefährdungsriskant handelt und dadurch einen Gefährdungserfolg herbeiführt. Eine Beschränkung der Zurechnung des Gefährdungserfolges durch die objektive ex ante-Prüfung des gefährdungsriskanten Verhaltens nötigt zu Behelfskonstruktionen und kann insgesamt nicht überzeugen. 513 Die Kosten privater Gefahrenabwehr berechnen sich daher ausschließlich objektiv ex post. 514
508 509 510 511 512 513 514
Siehe Kapitel 1: E.I., S. 91. Kapitel 1: E.II.1., S. 98. Kapitel 1: E.II.2.a), S. 103. Kapitel 1: E.II.2.b), S. 106. Kapitel 1: E.II.2.c), S. 109. Kapitel 1: E.II.3., S. 111. Vgl. auch zur hoheitlichen Gefahrenabwehr Kapitel 2, S. 135.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
F. Beispielhafte Absicherung des doppelfunktionalen Gebotes der Trennung von objektiven und subjektiven Unrechtsmerkmalen „Es ist an der Zeit, daß mit einer an sich allgemein anerkannten analytischen Trennung dogmatisch konsequent umgegangen wird – der nämlich von objektivem und subjektivem Tatbestand.“ Friedrich Dencker, Stree / Wessels – FS, S. 181
In Kapitel 1: C.II.4., S. 83 wurde die sachliche Funktion einer Trennung zwischen objektiv und subjektiv im Unrecht beschrieben. Der objektive Unrechtstatbestand kennzeichnet die fehlende Übereinstimmung einer Handlung (oder Unterlassung) mit der strafrechtlichen Verhaltensordnung und spiegelbildlich dazu ihre Notrechtsfähigkeit. Eine vollständige Erfüllung dieser Aufgabe würde ihm durch eine ex ante-Prüfung seiner Verhaltensmerkmale (wie etwa der Notstandsgefahr) unmöglich gemacht. Die perspektivische Sachverhaltserfassung lässt es zu, dass zwei miteinander Ringende gleichermaßen notrechtskonform und damit rechtmäßig handeln. 515 Eine ex ante ermittelte objektive (Un-)Rechtmäßigkeit des Verhaltens würde nicht mehr angeben, ob es aufgrund eines Notrechtes abgewehrt werden darf. Die sachliche Funktion des Trennungsgebotes begründet daher – sieht man einmal vom Vorwurf der Unbestimmtheit ab 516 – das Hauptargument gegen die ex ante-Prüfung objektiver Unrechtsmerkmale. Von seiner Überzeugungskraft hängt es im Wesentlichen ab, ob die Ersetzung des objektiven ex ante-Risikourteils durch das ex post-Urteil und damit der Abschied vom objektiven Dritten gelingt. Vermutlich unter dem fehlgehenden Eindruck seines scheinbar bloß formellen Charakters wurde das Gebot der Trennung objektiver und subjektiver Unrechtsmerkmale jedoch häufig vernachlässigt. Dieser Kontrast zwischen der fehlenden Akzeptanz des Trennungsgebotes einerseits und seiner maßgeblichen Bedeutung für das strafrechtliche Gefahrurteil andererseits ist der Anlass dafür, seine sowohl formale als auch inhaltliche Funktionsweise noch einmal umfassender abzusichern. Dazu soll zunächst die Abgrenzung der Verhaltensmerkmale des objektiven und subjektiven Unrechtstatbestandes danach, ob es sich dabei um innerpsychische Umstände zum Verhaltenszeitpunkt handelt, genauer untersucht und exemplifiziert werden. Unter I. wird entsprechend der formellen Funktion des Trennungsgebotes nachgewiesen, dass die üblicherweise – zur Bagatellisierung der in der objektiven ex ante-Betrachtung enthaltenen Verwirrung zwischen dem Objektiven und dem 515 516
Siehe Kapitel 1: C.II.3., S. 81. Dazu in Kapitel 1: C.I., S. 74.
F. Beispielhafte Absicherung des doppelfunktionalen Gebotes
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Subjektiven – angeführten Beispiele sonstiger Überschneidungen auf Fehlinterpretationen zurückzuführen sind. 517 Das formelle Gebot der Trennung von objektiven und subjektiven Merkmalen ist ein Grundsatz, von dem Ausnahmen gemacht werden dürfen, wenn für den objektiven Unrechtstatbestand die Notwendigkeit eines Vorgriffs auf innerpsychische Umstände zum Verhaltenszeitpunkt nachgewiesen wurde. Dieser Nachweis ist wohlgemerkt lediglich eine notwendige, nicht aber schon eine hinreichende Begründung. Unter II. soll daher beispielhaft gezeigt werden, inwiefern der formale Verstoß gegen das Trennungsgebot erforderlich sein kann und zugleich dessen inhaltlicher Funktion zu entsprechen vermag. Ausgangspunkt der Untersuchung wird der (gegenwärtige) rechtswidrige Angriff in § 32 II sein. Die gewonnenen Ergebnisse führen zu einem subjektiv erweiterbaren Begriff des riskanten menschlichen Verhaltens, der in zulässiger Weise zeitgleiche Vorstellungen einzubeziehen vermag. Dieses Resultat wird wohl kaum überraschen, da schon der Verhaltensbegriff ein subjektives Element aufweisen soll. Abschließend kann jedoch der Verhaltensbegriff – im Gegensatz zum Begriff des riskanten Verhaltens – rein objektiv bestimmt werden.
I. Möglichkeiten einer scharfen Trennung 1. Die Auslegung der gesetzlichen Tatbestände Zur beispielhaften Begründung der formellen Untrennbarkeit objektiver und subjektiver (Unrechts-)Tatbestandsmerkmale verweisen die Vertreter der objektiven ex ante-Betrachtung auf das Fehlen einer sprachlichen Abgrenzung in den gesetzlichen Tatbeständen. 518 Viele Verben wie etwa wegnehmen, sich zueignen und täuschen seien sprachlich nur sehr gekünstelt in die objektiven und subjektiven Bestandteile ihrer Bedeutung zu zerlegen. Solche objektiv-subjektiven Merkmale gehörten ebenfalls zum objektiven Tatbestand. Andere gehen bei diesen „finalen Tätigkeitsworten“ von einer so vollständigen Verschmelzung der Handlungsbeschreibung mit dem Täterwillen aus, dass innerpsychische Umstände die objektiven Tatbestandsmerkmale mitbestimmten. Die Wegnahme kann indes unproblematisch als „der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams an der Sache“ verstanden werden. 519 Auf diese außerpsychischen Umstände bezieht sich dann der Vorsatz. Bei den so genannten finalen Tätigkeitsworten erscheint die Trennung zunächst schwieriger. Das Täuschungsmerkmal 520 in § 263 I wird 517
Siehe Kapitel 1: C.II.2., S. 78. Siehe auch dazu und zum Folgenden Kapitel 1: C.II.2., S. 78 m. N. 519 Vgl. etwa Kindhäuser, LPK – StGB, § 242, Rn. 20 m.w. N. 520 Damit werden die drei im Tatbestand genannten, sprachlich missglückten Täuschungshandlungen zusammengefasst; vgl. Schönke / Schröder – Cramer / Perron, § 263, Rn. 6 f. und Küper, BT, S. 279 f. 518
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
gängigerweise als Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel der Irreführung definiert, was ein Bewusstsein der Unwahrheit voraussetzt. 521 Versteht man jedoch die Täuschung richtigerweise als unwahre Erklärung über Tatsachen oder schlicht als Lüge, fehlt es bei einem Täterirrtum nicht am objektiven Tatbestandsmerkmal der Vorspiegelung falscher beziehungsweise Täuschung über Tatsachen, 522 sondern gemäß § 16 I 1 am Vorsatz. 523 Als Musterbeispiel für die Untrennbarkeitsthese könnte das Merkmal Zueignung in § 246 I dienen, welches Rechtsprechung und Literatur überwiegend als Manifestation des Zueignungswillens definieren. 524 Mit dem Vorziehen der subjektiven Seite ist jedoch nichts gewonnen. Ohne Zueignungsbegriff können weder das Täterwissen beziehungsweise -wollen noch die äußeren Tatsachen beurteilt werden. 525 Andernfalls vermengt man „Definiens (Zueignungswille, Zueignungshandlung) und Definiendum (Zueignung) miteinander. Wenn ich nicht weiß, was eine ‚Zueignung‘ ist, weiß ich auch – erst recht – nicht, was ‚Zueignungswille‘ ist“. Versteht man die Zueignung zum Beispiel als ein Verhalten, das die Gefahr dauernder Enteignung und eine zumindest vorübergehende Aneignung bewirkt, 526 lässt sich dieser Begriff direkt auf die außerpsychischen Umstände beziehen. Der Zueignungswille vermag dann aus dem Vorsatz entwickelt zu werden. 527 Zu klären bliebe zwar, ob die Unterschlagung außerdem eine Absicht dauernder Enteignung 528 oder eine Aneignungsabsicht 529 voraussetzt. Die Trennbarkeit der insgesamt sehr umstrittenen objektiven und subjektiven Unterschlagungstatbestandsmerkmale würde durch eine solche überschießende Innentendenz aber nicht in Frage gestellt. Auch bei den genannten finalen Tätigkeitsworten lassen sich die innerpsychischen Umstände also durchaus als subjektiv rubrizieren. 2. Die systematisierende Funktion des Koinzidenzprinzips Als weiteres Beispiel für die Beeinflussbarkeit der objektiven Missbilligung eines Verhaltens durch innerpsychische Umstände wird das Problem der Wissensdifferenzen bei Veranlassung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung 521
Küper, BT, S. 280; Wessels / Hillenkamp, BT2, Rn. 493. Anders BGHSt 18, 235, 237, Hillenkamp, a. a. O. und LK 10 – Lackner, § 263, Rn. 17. 523 T. Fischer, § 263, Rn. 10; NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 58; Mitsch, BT II/1, 7/17, 25; Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, S. 81 f.; H. Schumann / A. Schumann, Küper – FS, S. 558 in Anm. 79; siehe ferner Kapitel 3: C.V.3., S. 216. 524 BGH NJW 1987, 2242; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 41, 42; Lackner / Kühl, § 246, Rn. 4. 525 Mitsch, BT II/1, 2/36 und Mylonopoulos, Roxin – FS, S. 920. 526 Mitsch, BT II/1, 2/32 ff., 35 mit Präzisierungen. 527 A. a. O., Rn. 36. 528 Siehe dazu etwa a. a. O., Rn. 38 m.w. N. 529 Dafür zum Beispiel Degener, JZ 2001, 388, 389. 522
F. Beispielhafte Absicherung des doppelfunktionalen Gebotes
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und der mittelbaren Täterschaft in Form der so genannten Wissensherrschaft benannt. 530 Die wertungsmäßigen Übereinstimmungen beider Konstellationen werden deutlicher, wenn der Täter sein Opfer vorsätzlich zu einer irrtümlichen Selbstschädigung veranlasst. In solchen Fällen ist unklar, ob sich das Verhalten nach § 25 I 1. oder 2. Alt. beurteilt. 531 Man stelle sich vor, A verleiht kommentarlos an seinen Nachbarn N ein Beil, dessen Stiel einen für diesen nicht erkennbaren Riss aufweist. Beim Gebrauch geht das Werkzeug zu Bruch und N verletzt sich. 532 Die Übergabe des Beils wäre nur dann unerlaubt riskant gewesen, wenn N es nicht auf eigene Verantwortung nutzte. Dies wird davon abhängig gemacht, ob die Risikokenntnis des Täters über die des Opfers hinausgeht. 533 Zur Prüfung überlegenen Wissens müsste folglich im objektiven Tatbestand auf das Täterwissen zurückgegriffen werden. 534 Für die Feststellung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung kommt es indes nicht darauf an, ob das Opfer „mehr weiß als der andere, sondern ob es genug weiß, um kompetent“ zu entscheiden. 535 Dementsprechend ist gemäß § 25 I 2. Alt. lediglich darauf abzustellen, ob der mittelbare Täter einen Irrtum des Tatmittlers erregt oder ausnutzt, um ihn zu einem Verhalten zu veranlassen (so genannte Irrtumsherrschaft). 536 Auch wenn die Wissensdifferenz sich nicht zur Bestimmung der Eigenverantwortlichkeit von Opfern oder Tatmittlern eignet, weist die Voraussetzung doch auf einen weiteren, bislang für die Abgrenzung zwischen objektiv und subjektiv im Unrecht nicht beachteten Aspekt hin. Um das Wissen zweier Akteure vergleichen zu können, muss man den Zeitpunkt für die Feststellung ihrer jeweiligen Vorstellung angeben. Nicht tatbegleitende innerpsychische Vorgänge beim Täter gehören aber in den objektiven Tatbestand. Dies liegt an der als Koinzidenz- oder Simultanitätsprinzip 537 bekannten Beschränkung der für den Vorsatz relevanten innerpsychischen Umstände auf den Zeitpunkt des tatbestandlichen Verhaltens, § 16 I 1, § 8 S. 1. 538 Der Lehrsatz, dass dolus an530 W. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 211 ff.; vgl. ebenso Dencker, Stree / Wessels – FS, S. 177 f. 531 Vgl. BGHSt 43, 177 ff. („Echter Hiekes Bayerwaldbärwurz“). 532 Kindhäuser, AT, 11/21. 533 BGH NStZ 2001, 205 ff.; Wessels / Beulke, AT, Rn. 187; Gropp, AT 12/63; Roxin, AT1, 11/113. 534 Vgl. dazu Kindhäuser, AT, 11/27. 535 NK – Puppe, Vor § 13, Rn. 198 mit Beispiel; Kindhäuser, a. a. O. 536 Vgl. Kühl, AT, 20/41, 48, der allerdings auch die Überlegenheit des Wissens hervorhebt. Weitaus schwieriger ist die Frage zu beantworten, welche Irrtümer des Tatmittlers zur Begründung der Tatherrschaft genügen sollen; vgl. etwa Roxin, AT2, 25/61 ff. sowie Täterschaft und Tatherrschaft, S. 170 ff. m.w. N. 537 Hruschka, StrafR, S. 4 ff.; Sowada, Jura 2004, 814, 815; vgl. zu den sonstigen begrifflichen Facetten Jerouschek / Kölbel, JuS 2001, 417 ff. 538 LK 12 – J. Vogel, § 15, Rn. 52 f.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
tecedens vel subsequens keinen Vorsatz im Sinne von § 15 begründen, 539 lässt sich somit in systematischer Hinsicht vervollständigen. Sofern für den Tatbestand innerpsychische Umstände des Täters vor oder nach dem dort beschriebenen Verhalten erheblich sind, handelt es sich um objektive Merkmale. Dies gilt nach der eingeschränkten Schuldtheorie ebenso für den Rechtfertigungstatbestand. Daher kann es sein, dass im subjektiven Tatbestand Vorsatz hinsichtlich eines früheren „Vorsatzes“ zu prüfen ist. Weil die von § 16 I 1, § 8 S. 1 vorgegebene zeitliche Trennlinie die Gegenstände des objektiven und subjektiven Tatbestands klar auseinander hält, ist dies ohne logischen Bruch möglich, 540 wie nun am Beispiel dargestellt wird. a) dolus antecedens Nach der Rechtsprechung des BGH kann ein Täter, der bereits durch ein Vermögensdelikt die Herrschaft über eine fremde Sache erlangt hat, sich diese nicht noch einmal im Sinne des § 246 I zueignen. 541 Der objektive Tatbestand der Unterschlagung ist nach dieser so genannten Tatbestandslösung ausgeschlossen, wenn das Tatobjekt bereits durch eine vorherige Unterschlagung oder einen Diebstahl desselben Täters erlangt wurde. Die Prüfung des objektiven Tatbestandsmerkmals Zueignung kann gemäß § 16 I 1, § 8 S. 1 den früheren Zueignungs- oder Diebstahlsvorsatz thematisieren und wegen eines entsprechenden Irrtums die Erfüllung des objektiven Tatbestandes annehmen. Hingegen wäre der Vorsatz wegen Tatbestandsirrtums gemäß § 16 I 1 ausgeschlossen, wenn der Täter fälschlicherweise von seinem dolus antecedens, also dem früheren Vorsatz hinsichtlich der erstmaligen deliktischen Erlangung (§§ 242, 246) des Tatobjekts ausging. Der umgekehrte Effekt zeigt sich beim räuberischen Diebstahl, § 252. Dieser Tatbestand fordert den Einsatz eines Raubmittels nach Vollendung und vor Beendigung eines Diebstahls, §§ 242 ff. 542 Nach dem insofern eindeutigen Wortlaut muss die Vortat im Zeitpunkt des qualifiziert nötigenden Verhaltens vollendet sein. 543 Der Vorsatz des räuberischen Diebstahls muss sich somit unter anderem auf die den subjekti539
Kühl, AT, 5/21; NK – Puppe, § 15, Rn. 100 m.w. N.; Sowada [Anm. 537]. Vgl. dazu MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 30. 541 BGHSt 14, 38, 43 ff.; vgl. ebenso MK – Hohmann, § 246, Rn. 40 und Lackner / Kühl, § 246, Rn. 7, beide m.w. N. auch zur widersprechenden Konkurrenzlösung, die zwar eine Zueignung annimmt, das Delikt aber als mitbestrafte Nachtat straffrei stellt. 542 MK – Sander, § 252, Rn. 5 f., 13 m.w. N.; dagegen etwa Lackner / Kühl, § 252, Rn. 4. 543 Dennoch stellt Mitsch, BT II/1, 4/13 auf den Nötigungserfolg ab, was in Anbetracht von § 249 auch systematisch vorzugswürdig wäre. Den Raub charakterisiert zumindest idealtypisch, dass das Opfer durch eine körperliche Zwangseinwirkung oder durch in Aussicht gestellte erhebliche Gefahren zur Duldung des Gewahrsamsübergangs veranlasst wird. Nach h. M. genügt allerdings ein Finalzusammenhang; a. a. O., 3/38. Beim räuberischen Diebstahl handelt es sich um ein erfolgskupiertes Delikt, das lediglich eine Gewahrsamsverlängerungsabsicht verlangt. Würde man den objektiven Tatbestand parallel 540
F. Beispielhafte Absicherung des doppelfunktionalen Gebotes
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ven Tatbestand des vorherigen Diebstahls begründenden Umstände beziehen. Die irrtümliche Annahme einer Wegnahme ohne Zueignungsabsicht beinhaltet einen Tatbestandsirrtum gemäß § 16 I 1, § 8 S. 1. b) dolus subsequens Von dem Ausdruck actio libera in causa werden mehraktige Geschehen erfasst, bei denen der schuldfähige Täter zunächst eine notwendige Bedingung für die später im Zustand der alkoholbedingten Schuldunfähigkeit ausgeführte Handlung setzt, mit der er dann den Taterfolg verursacht. 544 Er trinkt sich beispielsweise mit einer Flasche Wodka Mut an und erschießt sein Opfer mit einer Blutalkoholkonzentration von 3,5 ‰. Wenn ihm die Tat andernfalls nicht möglich gewesen wäre, setzt er schon mit dem Trinken eine notwendige Bedingung für den Tod seines Opfers. Falls er lediglich trinkt, um sich die Zeit zu vertreiben, ist das Trinken keine notwendige Bedingung für den Erfolg der späteren Rauschtat. Allerdings kommt in diesen Fällen ein Unterlassungsdelikt in Betracht. 545 Der objektive Tatbestand des § 212 I verlangt, dass der Täter im Hinblick auf das Leben seines Opfers unerlaubt riskant gehandelt hat. Die Gefahrerhöhung ergibt sich aus dem Abbau der dem Tötungsvorhaben entgegenstehenden Hemmungen, 546 das heißt aus einem zukünftigen innerpsychischen Umstand, wobei das vollständige Fehlen während der Tatbegehung durch § 20 der Schuld zugeordnet wird. 547 Sofern der
zum Raub(ideal) vervollständigen, erforderte er eine Gewahrsamsverlängerung durch den Nötigungserfolg. Idealiter wäre entscheidend, dass die Nötigungsmittel erst nach Eintritt des Tätergewahrsams wirken, und unerheblich, wann der Täter die Nötigungshandlung vollzieht. Die verfassungsrechtliche Wortlautbindung (Art. 103 II GG) beeinflusst das Ergebnis jedoch nur eingeschränkt. Sofern der Täter schon vor Vollendung des Diebstahls die Gefahr einer körperlichen Zwangseinwirkung schafft (Bsp. bei Mitsch, a. a. O.), trifft ihn eine Ingerenzgarantenstellung. Er verübt also ggfs. auch nachher noch Gewalt durch Unterlassen gemäß §§ 252, 13 I; vgl. zu dieser Möglichkeit a. a. O., 3/27 f. m. N. auch zur Gegenauffassung. 544 Kühl, AT, 11/6. Vgl. zu dieser Rechtsfigur Deiters, in: Alkohol und Schuldfähigkeit, S. 121 ff. 545 Eingehend Deiters, a. a. O., S. 133 ff. 546 Deiters [Anm. 544], S. 128. 547 Man streitet, ob der Alkoholrausch entweder als krankhafte seelische oder als tief greifende Bewusstseinsstörung einzuordnen ist; vgl. MK – Streng, § 20, Rn. 32, 36 und Lackner / Kühl, § 20, Rn. 4, beide m.w. N. Innerpsychische Vorgänge im Bereich der Schuld müssen bei Begehung der Tat vorliegen (vgl. §§ 17, 19 ff.), weshalb anhand des Koinzidenzprinzips ebenfalls zwischen schuldrelevanten innerpsychischen Vorgängen und dem objektiven Tatbestand abgegrenzt werden kann. Dies erlaubt nicht nur die Berücksichtigung nachträglicher schuldrelevanter innerpsychischer Vorgänge im objektiven Tatbestand. Auf vorherige Umstände greift etwa die Tatbestandslösung im Streit um die wiederholte Zueignung bei § 246 zurück; siehe bereits Kapitel 1: F.I.2.a), S. 120. Der BGH nimmt eine Vollendung der Zueignung, durch die weitere tatbestandsmäßige Zueignungsakte ausge-
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
Täter dies zu Anfang des Trinkens gemäß § 16 I 1 für möglich hält, kann er wegen eines vorsätzlichen Erfolgsdeliktes bestraft werden. Im eigentlichen Sinne bezeichnet die actio libera in causa allerdings eine willensunfreie Handlung, die der Täter zuvor in willensfreiem Zustand verursacht. Aus welchem Umstand der Mangel an Willensfreiheit resultiert, ist ohne Bedeutung. 548 Möglich sind ebenso Fälle, in denen der (Unrechts-)Vorsatz fehlt. 549 Man stelle sich einen Panzergrenadier vor, der im Rahmen eines Auslandseinsatzes in Afghanistan LSD konsumiert und deswegen halluziniert. Dadurch ist es ihm unmöglich, während einer gemeinsamen Jagdveranstaltung mit Einheimischen zwischen Mensch und Tier beziehungsweise während eines Gefechtes zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Wenn er im Ausgangsfall einen Jagdgenossen erschießt, könnte man ihn aufgrund seines Tatbestandsirrtums (§ 16 I 1) für diese Handlung nicht wegen vorsätzlichen Totschlags gemäß § 212 I bestrafen. Sofern der Irrtum im Handlungszeitpunkt unvermeidbar war, scheidet insofern außerdem die Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 aus. 550 Ihm kann aber ein Vorwurf wegen seines Vorverhaltens gemacht werden. Die Drogeneinnahme begründete erst die Gefahr, dass er später irrtümlich auf den Jagdgenossen schießt. Das Problem ist zudem nicht auf den Tatbestandsvorsatz beschränkt. Tötet der Soldat während eines Gefechtes wegen seiner Halluzination anstelle des Feindes einen Kameraden, fehlt es ihm analog § 16 I 1 am Unrechtsvorsatz. Sein LSD-Konsum im Rahmen eines militärischen Einsatzes stellt in Anbetracht gerade solcher Gefahren ein unerlaubtes Verhalten dar. Hält der Soldat die späteren Folgen dabei für möglich, vermag man ihn wegen eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes zu belangen. Im Rahmen des objektiven Merkmals „unerlaubte Gefahrschaffung“ kann der später fehlende Unrechtsvorsatz jedoch nur deshalb systemkonform thematisiert werden, weil es sich nicht um den Unrechtsvorsatz im Sinne von § 16 I 1 (direkt oder analog), sondern um einen dolus subsequens handelt.
schlossen werden, nur bei schuldhafter und strafbarer Begründung des Eigenbesitzes unter Ausschluss des Berechtigten an; BGHSt 14, 38, 43. Im objektiven Tatbestand der Unterschlagung ist demnach auch die frühere Erkennbarkeit strafrechtlicher Verbote (§ 17) zu prüfen, auf die sich dann wiederum der Vorsatz (§ 16 I 1) beziehen muss. Mit umgekehrtem Vorzeichen gilt dies auch für § 252, sofern man einen schuldhaft begangenen Diebstahl als Vortat verlangt; dafür SK – Günther, § 252, Rn. 8 und dagegen Mitsch, BT II/1, 4/20. 548 Vgl. Lackner / Kühl, § 20, Rn. 25. 549 Vgl. Mir Puig, ZStW 108 [1996], 759, 778. 550 Durch § 7 WStG wird lediglich § 21 StGB im Hinblick auf die Fälle selbstverschuldeter Rauschzustände eingeschränkt; MK – Dau, § 7 WStG, Rn. 2 [im Erscheinen].
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3. Unvollkommen zweiaktige Rechtfertigungsgründe? Seit den Veröffentlichungen von Lenckner und Lampe geht man von der Existenz so genannter unvollkommen zweiaktiger Rechtfertigungsgründe aus, bei denen das Fehlen einer Absicht zugleich den Ausschluss der Berechtigung bewirkt beziehungsweise erst das Wollen zur objektiven Rechtfertigung führt. 551 Die Bezeichnung beruht auf einem Vergleich mit den unvollkommen zweiaktigen Delikten. Diese werden vom Gesetzgeber um den objektiven Teil eines zweiten Handlungsabschnittes gekürzt und durch ein entsprechendes Absichtserfordernis ergänzt, um die Vollendung vorzuverlagern. Aus diesem Grund setzt der erpresserische Menschenraub (§ 239a) in objektiver Hinsicht lediglich eine Entführung voraus, nicht aber, dass der Täter die Sorge des Opfers oder eines Dritten um sein Wohl zu einer Erpressung tatsächlich ausnutzt. Dies muss lediglich beabsichtigt werden. 552 Parallel dazu soll es zweiaktige Rechtfertigungsgründe geben, welche gefährliche Verhaltensweisen wegen eines idealtypisch nachfolgenden Schrittes erlauben. 553 Um möglichst früh eine Straffreistellung zu erreichen, werde der zweite Handlungsabschnitt vom Gesetzgeber nicht objektiv gefordert, sondern müsse lediglich bezweckt werden. Diese Absicht sei allerdings auch Voraussetzung eines objektiven Unrechtsausschlusses, weshalb bei ihrem Fehlen die Bestrafung wegen vollendeter Tat erfolge. Zur objektiven Rechtfertigung einer Festnahme gemäß § 127 I StPO müsse der Täter beispielsweise nicht die Überstellung an die Strafverfolgungsorgane vornehmen, wohl aber bezwecken. 554 Ebenso funktioniert Lampe zufolge die Rechtfertigung der unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke. Strafrechtlich verboten sei es gemäß § 106 I UrhG, ein Werk zu vervielfältigen. Erlaubt würden aber nach § 53 I 1 UrhG einzelne Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch. Dieser Rechtfertigungsgrund fordere in objektiver und subjektiver Hinsicht die Beschränkung auf einzelne Werke, wobei Absicht hinsichtlich des ausschließlich persönlichen Gebrauchs als typisierter zweiter Akt vorliegen müsse. 555 So käme es ebenfalls zur „Ausstrahlung subjektiver Elemente auf das objektive Unrecht“. 556 Das Phänomen solcher unvollkommen zweiakti551 In der Sache bereits seit der 18. Auflage [1976] Schönke / Schröder – Lenckner, Vobem §§ 32 ff., Rn. 16; Lampe, GA 1978, 7 ff. 552 Lampe, GA 1978, 7, 10; vgl. auch BGH NStZ 2003, 604 f. 553 Vgl. NK – Paeffgen, Vor § 32, Rn. 83. 554 Lampe, GA 1978, 7, 12; Lenckner [Anm. 551]; Baumann / Weber / Mitsch, 16/65; Roxin, AT1, 14/103, 106; Schünemann, GA 1985, 341, 372 u. 374 benennt auch die Festnahme gemäß § 229 BGB; Stratenwerth / Kuhlen, AT1, 9/150, 154; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 158. Zum Teil wird dies nur implizit durch Unterscheidung der Rechtsfolgen bei Fehlen dieser Absicht und des allgemeinen subjektiven Rechtfertigungselementes anerkannt. Ausnahmsweise soll wegen Vollendung bestraft werden, während man sich ansonsten über eine Versuchsstrafbarkeit einig ist; Röttger, Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss, S. 206. 555 Lampe, GA 1978, 7, 10 f.
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ger Rechtfertigungsgründe lässt sich indes mit den genannten Beispielen nicht belegen. a) Festnahmerecht, § 127 I StPO Die Bestimmung des Festnahmerechts anhand der Absicht, einen auf frischer Tat betroffenen Täter den Strafverfolgungsbehörden zu übergeben respektive seine Identität festzustellen, führte zu absurden Konsequenzen. 557 Man stelle sich beispielsweise vor, ein Passant beobachtet einen erfolglosen Diebstahlsversuch. Wenn er den Täter nun ohne diese Absicht festhält, dürfte ein weiterer Zuschauer dagegen Defensivnotstands- oder Notwehrmaßnahmen ergreifen, um sodann selbst den Dieb festzunehmen und der Polizei zu übergeben. 558 Probleme bereiten jedoch in erster Linie Fälle, in denen der Festnehmende einen Sinneswandel vollzieht. 559 Hauseigentümer H sperrt etwa Einbrecher E in der Absicht, ihn daraufhin den Strafverfolgungsbehörden zuzuführen, in seinen Keller. Als er darauf verzichtet, muss E sich mit einem Dietrich selbst befreien. Umgekehrt könnte sich H beispielsweise den E nur deshalb greifen, um ihn zur Strafe für eine gewisse Zeit in seinem Keller einzusperren. Sofort danach bekommt er Gewissensbisse und ruft dann doch unverzüglich die Polizei. Lampe nimmt, wenn der Täter nach Verwirklichung des ersten Aktes eines rechtfertigenden Tatbestandes den zweiten entgegen seiner ursprünglichen Absicht nicht folgen lässt, nolens volens Straflosigkeit an. Im umgekehrten Fall sieht er die Alternativen, entweder contra legem einen Rücktritt vom materiell noch nicht vollkommen verwirklichten Verbrechen zuzulassen oder das konsequente, aber ungerechte Ergebnis auf prozessualem Wege durch Einstellung zu vermeiden. 560 Weil das Absichtserfordernis mit seinen Auswirkungen auf das objektive Unrecht unerwünschte Ergebnisse sowie Verlegenheitslösungen nach sich zieht, sollte man jedoch besser ganz darauf verzichten und die zweiaktigen Rechtfertigungskonstellationen anders behandeln. Rinck begreift solche Situationen als „kombiniertes Begehungs-Unterlassungs – Delikt. Das heißt: Straflos (in Bezug auf das hier allein interessierende, durch einen zweiaktigen Rechtfertigungsgrund möglicherweise erlaubte Delikt) bleibt, wer [...] diesen zwar ins Werk setzt, dann aber auch den Zweitakt vornimmt.“ 561 Die Tat sei dann „rückwirkend als voll556
Lampe, GA 1978, 7, 11. W. Frisch, Lackner – FS, S. 146 f.; Herzberg, JA 1986, 190, 199 f.; Jakobs, AT, 11/21; Rinck, Der zweistufige Deliktsaufbau, S. 295. 558 Jakobs, AT, 11/22 beschreibt außerdem die unangemessenen Folgen in Fällen der Teilnahme; Rinck, a. a. O., S. 294. 559 Rinck, a. a. O., S. 293 f. 560 Lampe, GA 1978, 7, 11 f. 561 [Anm. 557], S. 301 ff. 557
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ständig gerechtfertigt anzusehen.“ Unterlässt der Täter „die Anschlußhandlung trotz realer Möglichkeit zur Vornahme, so wird das Gesamtgeschehen ex tunc rechtswidrig.“ 562 Sperrt also Hauseigentümer H den auf frischer Tat betroffenen Dieb im Keller ein, so wäre diese Handlung als durch § 127 I StPO gerechtfertigt zu beurteilen, falls er ihn nachfolgend entweder den Strafverfolgungsbehörden übergibt oder ihm dies danach unmöglich wird. Andernfalls hätte er ihn rechtswidrig seiner Freiheit beraubt, § 239 StGB. Mit diesem Ansatz schafft man jedoch einen rechtsfreien Zeitraum. Solange der Täter nicht mindestens die erste Möglichkeit zur Identitätsfeststellung oder Informierung der Polizei verstreichen lässt, bleibt unklar, ob die vorherige Festnahme zulässig war oder durch Notwehr abgewendet werden durfte. Der Vorschlag ist daher in dieser Phase dem Vorwurf ausgesetzt, die rechtlichen Konsequenzen des Verhaltens nur mehr oder weniger freihändig entwickeln zu können. 563 Eine solche Behandlung der zweiaktigen Rechtfertigungskonstellationen schafft mehr Probleme als sie löst. Zu Recht weist Rinck auf die Differenzierung von Begehungs- und Unterlassungsdelikt hin. Sie bietet die Grundlage für eine zufrieden stellende Lösung. Das Einsperren des Diebes erfüllt den Tatbestand des § 239 I 1. Alt. Die Freiheitsberaubung kann jedoch durch § 127 I StPO gerechtfertigt werden, wenn so staatliche Strafverfolgung ermöglicht wird. 564 Deswegen wäre es nicht durch § 127 I StPO zu rechtfertigen, wenn der Hauseigentümer eine nicht verschließbare Kellertüre von außen zuhält, so dass zwar der Einbrecher nicht entweichen, aber auch H nicht die Polizei rufen kann. Verschließt H nun die Kellertüre und informiert die Behörde dennoch nicht, kommt seine Bestrafung gemäß §§ 239 I 1. Alt., 13 I in Betracht. Dazu muss er eine Garantenstellung haben, die sich hier nicht aus einem rechtswidrigen Tun ergeben kann. Sein Verhalten sichert gemäß § 127 I StPO das staatliche Strafverfolgungsinteresse. Nach dem Grundsatz in dubio pro reo sind strafprozessuale Eingriffe allerdings selbst gegen dringend Tatverdächtige nur in dem Maße zulässig, wie sie es gegenüber einem Unschuldigen wären. Der Festgenommene wird daher wie bei einem Aggressivnotstand als Unbeteiligter zur Bewahrung eines Rechtsgutes der Allgemeinheit solidarisch in die Pflicht genommen. 565 Zum Ausgleich für dieses Sonderopfer wird der Festnehmende als Garant zur Abwendung aller weitergehenden Konsequenzen verpflichtet. 566 Ruft H nicht die Polizei an, wäre ein weiteres Festhalten des E ungeeignet zur Sicherung
562
A. a. O., S. 307. Vgl. Jakobs, AT, 13/3 und LK 12 – Rönnau, Vor § 32, Rn. 32 ff., jeweils m.w. N. für und gegen eine Lehre vom rechtsfreien Raum. 564 Vgl. zum Zweck des Festnahmerechts Jescheck / Weigend, AT, S. 398 m.w. N. 565 Eingehend Frister, Schuldprinzip, S. 31 ff., S. 103 ff. 566 Kapitel 1: E.II.3., S. 111. 563
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der staatlichen Strafverfolgung, weshalb er ihn freilassen muss. Tut H dies nicht, ist er wegen Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu bestrafen. b) Recht zur Privatkopie, § 53 I 1 UrhG Die Erklärung von § 53 I 1 UrhG als unvollkommen zweiaktiger Rechtfertigungsgrund scheitert daran, dass es sich hierbei um ein ausgelagertes Tatbestandsmerkmal des § 106 I UrhG handelt. Dieses unvollständige Delikt verweist durch die Formulierung „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ nach ganz überwiegender Auffassung nicht auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, sondern auf §§ 45 –60 UrhG. 567 Der Schutz des Urheberrechts gilt nicht schrankenlos und diese Vorschriften bestimmen, wie er gegenüber den berechtigten privaten und allgemeinen Interessen (etwa an der Verfügbarkeit von Kulturgütern, Bildung und Information) sachgemäß einzugrenzen ist. 568 Sie vervollständigen die Beschreibung des typischen Unrechts eines Vergehens nach § 106 UrhG, 569 da eine unmittelbare Einbeziehung in den Tatbestand sprachlich untragbar wäre. 570 Bestraft wird gemäß §§ 106 I, 53 I 1 UrhG, wer zu einem nichtprivaten Gebrauch oder mehr als nur einzelne Werke vervielfältigt. 571 Es handelt sich bei der ersten Variante um ein ordinäres unvollkommen zweiaktiges Delikt, das den gleichen Regeln folgt wie etwa eine Urkundenfälschung gemäß § 267 I StGB und keine Auswirkungen des Subjektiven auf den objektiven Unrechtstatbestand nach sich zieht.
II. Konturen insbesondere des riskanten menschlichen Verhaltens Soeben wurde gezeigt, dass die gängigen Beispiele der vermeintlich unausweichlichen teilweisen Subjektivität objektiver Unrechtsmerkmale, mit denen die in der objektiven ex ante-Betrachtung enthaltenen Verwirrungen zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven bagatellisiert werden sollen, auf Fehlinterpretationen zurückzuführen sind und durch eine dem formellen Trennungsgebot entsprechende Auslegung bereinigt werden können. Damit stellt sich die Frage, ob es denn überhaupt objektive Unrechtsmerkmale gibt, die – unter Verstoß gegen das formelle Trennungsgebot – subjektiv angereichert und im Anschluss daran 567 Achenbach / Ransiek, HWSt – Nordemann, XI/1/67; Schricker / Haß 2, § 106 UrhG, Rn. 7; Schricker / Vassilaki 3, § 106 UrhG, Rn. 23, 26, jeweils m.w. N.; eingehend U. Weber, Der strafrechtliche Schutz des Urheberrechts, S. 225 ff. 568 Haß, a. a. O.; vgl. auch Nordemann, a. a. O., Rn. 68. 569 Haß, a. a. O. 570 U. Weber [Anm. 567], S. 228. 571 Vgl. die Formulierung bei Haß [Anm. 567], Rn. 10.
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nach Maßgabe der inhaltlichen Funktion des Trennungsgebotes überprüft werden müssen. Wäre dem nicht so, hätte der formelle Teil des Trennungsgebotes neben seiner inhaltlichen Komponente keine eigenständige Bedeutung. Die dogmatische Existenzberechtigung dieser Differenzierung kann jedoch sogleich an einem Beispiel dargestellt werden. Als rechtswidriger Angriff kommt nur die „durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter und Interessen“ in Betracht, 572 während eine Notstandsgefahr aus jedem beliebigen Naturereignis resultieren kann. 573 Anhand der Notwehrlage soll unter 1. zunächst verdeutlicht werden, welchen Einfluss die allgemeine Struktur und Bedeutung des menschlichen Verhaltens auf seine Beurteilung als Risiko ausübt. Der im Rahmen von § 32 notwendige Rückgriff auf die Gedankenwelt des Handelnden wird auch bei der Prüfung sonstigen riskanten menschlichen Verhaltens ermöglicht werden. 574 Beim Erfolgsdelikt führt das zu einer Subjektivierung der objektiven Zurechnung, der aber die sachliche Funktion des Trennungsgebotes nicht entgegensteht. Besondere Aufmerksamkeit verdient dieser subjektiv erweiterbare Begriff des riskanten Verhaltens, nachdem der allgemeine Verhaltensbegriff unter 2. ohne jeden Rückgriff auf begleitende innerpsychische Umstände wie etwa ein potentielles Verhaltensbewusstsein dargestellt werden kann. 1. Der rechtswidrige Angriff gemäß § 32 II als Ausgangspunkt einer Beschreibung des riskanten Verhaltens Menschliche Verhaltensweisen sind Handlungen sowie Unterlassungen. Als Handlung bezeichnet man gemeinhin vom Willen beherrschte oder beherrschbare Körperbewegungen. 575 Erforderlich ist demnach ein potentielles, durch äußerlichen Anreiz aktivierbares Bewusstsein. Ein Marathonläufer, der bereits 40 km hinter 572 Wessels / Beulke, AT, Rn. 325; Kindhäuser, AT, 16/6 m.w. N. LK 11 – Spendel, § 32, Rn. 23 ff., 45 versteht den Angriff als das gefährliche Verhalten von Lebewesen, d. h. auch von (gesunden) Tieren. Rechtswidrig ist jedoch nur ein gegen Ver- oder Gebote verstoßendes menschliches Verhalten; a. A. Spendel, a. a. O., Rn. 54 ff. Für die hier zugrunde liegende individualistische Deutung des Notwehrrechts bewirkt das Rechtswidrigkeitsmerkmal lediglich den Verzicht auf das Erfordernis schuldhaften Verhaltens; vgl. dazu Kapitel 1: E.II.2.b), S. 106 sowie MK – Erb, § 32, Rn. 29. Davon abgesehen kann das Angriffsmerkmal alleine diskutiert werden. 573 Vgl. Frister, AT, 17/3. 574 Kaspar, JA 2006, 855 u. 857 f. differenziert zwischen einem allgemeinen strafrechtlichen Handlungsbegriff und dem Begriff des Verhaltens als Element der Angriffsdefinition. So verneint er im Fall eines gewalttätigen Schlafwandlers eine „Handlung im strafrechtlichen Sinn“ und bejaht trotzdem einen rechtswidrigen Angriff gemäß § 32. Ausnahmsweise sei das Notwehrrecht wie bei Geisteskranken und Kindern über die Gebotenheit zu beschränken. Vgl. dagegen die folgenden Ausführungen. 575 Nw. in Anm. 145.
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sich gebracht hat, handelt mit jedem weiteren Schritt, auch wenn er ihn sich nicht bewusst macht, denn er könnte etwa auf ärztlichen Rat hin aufhören. Ebenso stellt der eingeübte Automatismus – zum Beispiel die Reaktion eines Autofahrers auf ein plötzlich auftauchendes Hindernis – eine Handlung dar. Reflexe, also Bewegungen, die ohne Gehirnbeteiligung durch unmittelbar von einem Empfindungs- auf ein Bewegungszentrum übermittelte Nervenimpulse ausgelöst werden, sind dagegen von diesem Handlungsbegriff ausgeschlossen, weil sie sich nicht rein mental, sondern lediglich durch eine entgegengesetzte Anspannung weiterer Muskeln verhindern lassen. 576 Über die Umkehrung der Handlungsdefinition gelangt man zum Begriff des Unterlassens. Der Mensch unterlässt Körperbewegungen, deren Vornahme ihm durch einen bloßen Willensentschluss möglich gewesen wäre. In diesem Sinne ist menschliches Verhalten jede gedanklich vermeidbare Veränderung und Beibehaltung der Position des Körpers. Davon können etwa Lebensgefahren unterschiedlicher Intensität ausgehen. Man stelle sich vor, ein Jäger J reinigt und lädt zunächst seine Waffe, fährt zum Hochstand, legt auf verschiedene sich bewegende Tiere oder Menschen an und erschießt letztlich den Spaziergänger S. Bereits das Laden der Waffe und die Fahrt zum Hochstand erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Lebenszeit von S verkürzt wird. Dennoch würde man gegen die letzten beiden Verhaltensweisen kein Nothilferecht (§ 32) einräumen. Nachvollziehbar wird diese richtige Intuition, wenn man sich nochmals die Funktion des notwehrfähigen Angriffs als Auslöser eines entgrenzten Defensivnotstandsrechts vergegenwärtigt. 577 Solange J das Leben von S erlaubtermaßen gefährdet, hat dieser gegen ihn keinen Unterlassungsanspruch entsprechend §§ 823, 1004 BGB. 578 Die Abwehr seines noch rechtmäßigen Verhaltens stellte daher eine solidarische Inpflichtnahme des J dar, die nur unter den engeren Voraussetzungen des Aggressivnotstands gemäß § 34 zu rechtfertigen ist. Erst die unerlaubte Lebensgefährdung begründet seine Risikozuständigkeit, mit anderen Worten seine Pflicht gegenüber S, die Kosten der Bereinigung des Interessenkonflikts zu tragen. Ein notwehrfähiger Angriff kommt daher nicht in Betracht, wenn die abzuwehrende Handlung objektiv erlaubt riskant ist. 579 Das Zielen auf S mit dem Finger am Abzug stellt ein unerlaubt riskantes Verhalten dar und löst daher ein Defensivnotstandsrecht aus. Die Gefahrbeseitigung zu Lasten des J wird durch seinen Anspruch auf zwischenmenschliche Solidarität limitiert, soweit er sich selbst in einer nicht anders abwendbaren Aggressivnotstandslage befindet und im Übrigen seine Interessen wesentlich überwiegen. Diese Begrenzung greift nicht ein, wenn der Jäger den Schutz seiner Interessen bereits 576
OLG Hamm NJW 1975, 657; zu dieser Abgrenzung Frister, AT, 8/5 f. Siehe bereits Kapitel 1: E.II.2.b), S. 106. 578 Vgl. Palandt 67 – Sprau, Einf v § 823 BGB, Rn. 18 f. und Bassenge, § 1004 BGB, Rn. 4, 34 ff. 579 Jakobs, AT, 12/14 m.w. N. auch zur Gegenauffassung. 577
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dadurch erreichen kann, dass er schlicht das unerlaubt lebensgefährliche Verhalten einstellt. Dafür ist erforderlich, dass ihm persönlich die Umstände bekannt oder zumindest erkennbar sind, aus denen sich die Bewertung als verbotene Lebensgefährdung ergibt. Für einen Angriff genügte es also, dass J den Pilzsammler S für ein Wildtier hält und deshalb auf ihn schießt, obwohl er kurz zuvor noch eine größere Menge von Menschen durch das Gebüsch kriechen sah. Dann entfällt die Begrenzung des Defensivnotstands durch die Verpflichtung zur zwischenmenschlichen Solidarität und es greift das „schneidige“ Nothilferecht ein. Wäre dies seine einzige Möglichkeit, den Schuss zu verhindern, dürfte etwa der Jagdaufseher vom nächsten Hochsitz auf J feuern. Aus diesem Verständnis des Angriffsmerkmals in § 32 II als – wegen der fehlenden Schuldvoraussetzungen nur beschränkt 580 – individuell vermeidbares unerlaubt lebensgefährliches Verhalten lassen sich außerdem zeitliche Grenzen entwickeln. Die Gelegenheit zu seiner Vermeidung erhält ein Angreifer mit der Entscheidung über die Durchführung. Ausführen lässt sich dieser Ansatz zunächst leichter anhand eines Idealverhaltens, bei dem der Handelnde die nachfolgende Körperbewegung bewusst antizipiert. 581 Man stelle sich etwa das Ausrichten des schussbereiten Gewehrs auf den S mit dem Finger am entsicherten Abzug als einzelne unerlaubt lebensgefährliche Handlung vor, zu der sich J noch während der vorherigen Handlung bewusst entschließt. Zu diesem Zeitpunkt kann die geplante Handlung noch durch J oder einen Nothelfer verhindert werden. Danach geschieht sie und ist damit – als einzelne gedacht – nicht mehr zu unterbinden. Die Erfüllung des Unterlassungsanspruchs wäre insoweit unmöglich geworden. Der Angriffsbegriff muss daher diesen Zeitpunkt der letzten Entscheidung über die Durchführung der Körperbewegung noch berücksichtigen. Er vermag aber auch nicht umfassender verstanden zu werden, denn davor existieren lediglich insofern irrelevante und als solche kaum vermeidbare gefährliche Gedanken. Danach gibt es nichts mehr, von dem der Angreifer Abstand nehmen könnte, um seine Selbstgefährdung durch eine Gegenwehr des Angegriffenen oder seiner Helfer abzuwenden. Dieses Erklärungsmodell 582 lässt sich ferner auf eine aus verschiedenen Körperbewegungen zusammengesetzte Handlung anwenden. Dazu muss man sich zu jedem Akt das Bewusstsein seiner Durchführung und außerdem die gedankliche Vorwegnahme des nächsten Schrittes vorstellen. Während die einzelnen Körperbewegungen gemeinsam eine Gesamthandlung ergeben, fügen sich die jeweils vorgreifenden Bewusstseinsakte zu einem Handlungsprojekt oder -plan zusammen. Die Gesamthandlung ist zunächst erlaubt und ab einem bestimmten Punkt 580
Vgl. zur dieser Inkonsequenz Kapitel 1: E.II.2.b), S. 106. Vgl. Schmidhäuser, Studienb. AT, 5/7. 582 Vgl. das komplexere Vorbild von Struensee, Armin Kaufmann – GedS, S. 525 ff. und ihm folgend Denckner, Gesamttat, S. 154 ff. 581
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verboten lebensgefährlich. Der erste Teilakt der zweiten verbotenen Handlungsphase wird noch während des letzten Teilaktes der erlaubten Handlungsphase durch einen Willensentschluss antizipiert. In diesem Augenblick haben der Angreifer, der Angegriffene und ein Nothelfer die letzte Gelegenheit, die unerlaubt lebensgefährliche Körperbewegung vollständig zu unterbinden. Auf Routinehandlungen und Stress- oder Schreckreaktionen scheint dieses Konzept zunächst unanwendbar zu sein. Der gängige Verhaltensbegriff setzt jedenfalls nicht voraus, dass der Handelnde seine Aufmerksamkeit bewusst auf den jeweils folgenden Schritt richtet. Ein „bewusster Wille im Sinne eines Daran-Denkens“ ist bei Spontanreaktionen etwa im Straßenverkehr kaum aufweisbar. Er würde auch die erforderlichen Körperbewegungen wie das Treten der Bremse, Lenken oder Hupen zu stark verlangsamen und wäre daher jedenfalls unzweckmäßig. 583 Dennoch ist man sich einig, dass es sich hierbei um Handlungen oder Unterlassungen handelt. Die stoppbaren Bewegungen des eigenen Körpers müssen dementsprechend nicht einmal „sachgedanklich mitbewusst“, 584 sondern lediglich – als „unbewusste Finalität“ oder Steuerung 585 – individuell erkennbar sein. Entsprechendes gilt für das potentielle Unterlassensbewusstsein. Es genügte folglich für eine Handlung oder Unterlassung das hier so genannte potentielle Verhaltensbewusstsein. Allein daran anknüpfend lässt sich der Angriff zumindest nicht mit der zuvor beschriebenen Methode entwickeln. Allerdings muss einem Angreifer zugleich die sich aus der Körperbewegung ergebende unerlaubte Lebensgefährdung individuell erkennbar sein, was praktisch nicht in Betracht kommt, wenn er kein sachgedankliches Verhaltensmitbewusstsein hat. Jede Körperbewegung wird also von einem Bewusstsein begleitet, das außerdem den nächsten Schritt vorwegnimmt. Handelt es sich bei der antizipierten Körperbewegung um die (individuell erkennbare) unerlaubte Lebensgefährdung, liegt bereits ein Angriff im Sinne des § 32 II vor. Dieser Vorgang lässt sich mit einem anderen gesetzlichen Begriff erfassen. Es handelt sich um das unmittelbare Ansetzen zu einer unerlaubten Lebensgefährdung. Die Begriffsbestimmung in § 22 geht davon aus, dass man auch ohne Tatvorstellung zu einem solchen (idealisierten) tatbestandsmäßigen Verhalten unmittelbar ansetzen kann. Andernfalls wäre das Erfordernis einer Vorstellung von der Tat überflüssig und hätte nicht zusätzlich angeführt werden müssen. Die Unterscheidung zwischen dem begleitenden Verhaltensbewusstsein und vorgreifendem Handlungsprojekt einerseits sowie der individuellen Erkennbarkeit des umfassenderen, die unerlaubte 583
Roxin, AT1, 8/67 f. Vgl. zu dem ähnlich gelagerten Vorsatzproblem NK – Puppe, § 16, Rn. 162 ff. m.w. N. 585 Stratenwerth, Welzel – FS, S. 299 ff.; Roxin, AT1, 8/71. Wohl in diesem Sinne wird von KK – Rengier, Vor § 8 OWiG, Rn. 7 die „Möglichkeit willentlicher Einflußnahme“ verlangt und von SK – Rudolphi, Vor § 1, Rn. 20 darauf abgestellt, „ob sich der steuernde Wille noch einschalten“ kann. 584
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Lebensgefährdung verwirklichenden Sachverhaltes andererseits erlaubt es, den Angriff als (tauglichen) fahrlässigen Versuch einer Rechtsgutsschädigung 586 zu charakterisieren. 587 Dieses Tatbestandsideal verleiht ebenso dem Angriffsende Konturen. Entscheidend ist, ob das Leben noch durch dasselbe Verhalten gefährdet wird. Zur Bestimmung der Einheitlichkeit eines Verhaltens kann man auf die zu § 52 I entwickelten Kriterien zurückgreifen. 588 Eine dementsprechende Handlung wird üblicherweise bei mehreren Körperbewegungen angenommen, die das „Rechtsgut aufgrund einer einheitlichen Motivation in unmittelbarer zeitlicher Abfolge mehrmals“ gefährden, 589 etwa bei einer Serie von Messerstichen. 590 Schwierigkeiten können sich indes aus der Bestimmung des geschützten Gutes ergeben. Der Diebstahl ist etwa in objektiver Hinsicht als Gewahrsamsverschiebungsdelikt ausgestaltet. Notwehrrechtlich geschützt wird jedoch die darüber hinausgehende eigentümerähnliche Sachherrschaft, auf die sich in § 242 I nur die Zueignungsabsicht bezieht. 591 Daher gibt es beim Angriff keinen Unterschied zwischen der Vollendung des gedachten Delikts und seiner materiellen Beendigung. Konnte der Dieb seine Beute hinreichend sichern, so ist die tatsächliche Machtstellung des vorherigen Inhabers vollständig auf ihn übergegangen und damit sein insofern gefährliches Verhalten vorbei. 592 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass man – weil Angriff jeder taugliche mindestens fahrlässige Versuch einer Gefährdung ist – seinen Anfang durch eine entsprechende Anwendung des § 22 und das Ende anhand der zu § 52 I entwickelten Merkmale der Einheitlichkeit eines Verhaltens ermitteln kann. Davon abweichende oder dies präzisierende Kriterien lassen sich der scheinbar zusätzlichen Voraussetzung „gegenwärtig“ nicht entnehmen. Die Beschreibung der Notwehrlage als gegenwärtiger Angriff ist demnach ein Pleonasmus und die Gegenwärtigkeit ein überflüssiges gesetzliches Merkmal, das man entweder schlicht ignorieren oder gemeinsam mit dem Angriff als einheitliche Voraussetzung benennen kann. 593 586
Vgl. Ludwig, „Gegenwärtiger Angriff“, S. 102 m.w. N. Vgl. zu dieser Konstruktion eines nichtvorsätzlichen Versuchs Denckner, Stree / Wessels – FS, S. 170 in Anm. 59; MK – Duttge, § 15, Rn. 93, 209; Freund, AT, 8/2 ff. und MK, Vor §§ 13 ff., Rn. 408 ff.; Maurach / Gössel / Zipf, AT2, 40/72; außerdem Jakobs, AT, 9/27 u. 25/28; Rudolph, Das Korrespondenzprinzip im Strafrecht, S. 23; SK – Rudolphi, § 22, Rn. 1; Schmidhäuser, Lehrb. AT, 15/62; Schönke / H. Schröder 17, § 43, Rn. 4; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 193 ff., letztgenannte m.w. N. Dagegen etwa Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 154 ff. und LK 12 – Hillenkamp, Vor § 22, Rn. 15, beide m.w. N. 588 Vgl. Jakobs, AT, 12/23. 589 Vgl. Frister, AT, 30/20 m.w. N. 590 Vgl. MK – Erb, § 32, Rn. 103. 591 Vgl. Mitsch, BT II/1, 1/60, 101 ff. 592 Vgl. MK – Erb, § 32, Rn. 106 m.w. N. 587
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Dieser Angriffsbegriff ist vergleichsweise eng begrenzt und lediglich als Kernbereich allgemein anerkannt. Doch nicht nur deshalb ist seine Bestimmung des Angriffsbeginns im Sinne der so genannten strengen Versuchslösung 594 keine Selbstverständlichkeit. Jede allgemeine Beschreibung des unerlaubt gefährlichen Verhaltens bedeutet zugleich eine Abgrenzung der Freiräume zur eigenen Lebensgestaltung durch die Rechtsordnung, bei der es grundsätzlich auf die äußeren Umstände und nicht auf Intentionen ankommt. Der Anspruch des einen Bürgers S gegen den J auf Unterlassung eines ihn gefährdenden Verhaltens darf nicht von den Vorstellungen des J abhängen, weil jede nicht ausschließlich objektiv, sondern aus wechselnden Perspektiven entwickelte Verhaltensordnung sich grundsätzlich selbst widersprechen muss. 595 Der Rückgriff auf das innerpsychische Handlungsprojekt, mit dem der Angreifer noch während der erlaubten Körperbewegung die verbotene Lebensgefährdung antizipiert, bricht scheinbar mit dieser Maxime. Im Deliktsaufbau, genauer im objektiven Rechtfertigungstatbestand bereitet dies aus formellen Gründen keine Schwierigkeiten, denn für den Verteidiger sind innerpsychische Umstände des Angreifers objektive Voraussetzungen. Der Angriff zum Beispiel auf das Leben erfüllt jedoch zugleich den objektiven Tatbestand der §§ 212, 222. Bei der Prüfung dieser Erfolgsdelikte muss ebenso ermittelt werden, ob das Verhalten unerlaubt riskant ist. Dabei würde sich ein Rückgriff auf innerpsychische Umstände beim Täter als formeller Verstoß gegen das Gebot der Trennung von objektiv und subjektiv im Unrecht darstellen. In der Sache ruft diese Korrektur von Randunschärfen der Verhaltensgefährlichkeit aber keine Unstimmigkeiten hervor. Es wird eine höhere Gefährlichkeit der ablaufenden Körperbewegung im Hinblick auf die als nächste geplante (und in eben diesem Maße) riskante Körperbewegung fingiert, um deren Vermeidbarkeit für alle Beteiligten zu gewährleisten. 596 Die inhaltliche Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes, nämlich anzugeben, ob ein – für strafrechtlich geschützte Individualinteressen – riskantes Verhalten Notrechte des Inhabers auszulösen vermag, stünde dem Rückgriff auf das innerpsychische Handlungsprojekt nicht entgegen. Die Notwendigkeit einer präzisen Beurteilung der Verhaltensgefährlichkeit auch in Randbereichen zwingt vielmehr dazu: Um das strafrechtlich missbilligt lebensgefährliche Verhalten umfassend abwehren zu können, muss das Verbot schon zum Zeitpunkt des tauglichen Versuchs ansetzen. Weil dazu auf das 593
Vgl. Ludwig [Anm. 586], S. 84. Vgl. statt vieler SK – Günther, § 32, Rn. 67 ff. mit umfassenden Nw. auch zur früher eingreifenden erweiterten Versuchs- oder Effizienzlösung. 595 Kapitel 1: C.II.3. und Kapitel 1: C.II.4., S. 81. 596 Entsprechendes gilt wiederum für das Unterlassen. Vgl. außerdem die Bestimmung des Beisichführens eines (objektiv) gefährlichen Werkzeugs gemäß § 244 I Nr. 1a), 2. Alt. anhand der (subjektiven) Einsatzbereitschaft des Täters etwa bei Küper, Schlüchter – GedS, S. 331 ff., 345 f. und Hardtung, StV 2004, 399, 402 f., beide m. N. auch zur Gegenauffassung. 594
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innerpsychische Handlungsprojekt nur einer Person abgestellt und keine Prüfung der Verhaltensgefährlichkeit aus unterschiedlichen Perspektiven vorgenommen wird, drohen insofern keine weiteren Friktionen. 2. Objektive und subjektive Seite des Verhaltens Gezeigt wurde, wie sich das unerlaubt riskante Verhalten einer Person unter Berücksichtigung ihres nur beabsichtigten nächsten Schrittes präzise beurteilen lässt. Daran anschließend stellt sich die Frage, ob es zudem ein im formellen Sinne objektiv unerlaubt riskantes Verhalten gibt, dessen Prüfung ohne Rückgriff auf innerpsychische Umstände gelingt. Ein solcher – wohl in der Regel bereits hinreichend genauer – Ansatz erfordert die Unterscheidung zwischen der physischen und einer psychischen Seite der Handlung, 597 welche durch das zuvor beschriebene Modell bereits nahe gelegt wurde und nun noch verdeutlicht werden muss. In objektiver Hinsicht ist Handlung bereits jede Körperbewegung, die durch das Gehirn koordiniert und die Muskulatur ausgeführt wird. 598 Auf die Beteiligung des Bewusstseins kommt es nicht an. 599 Dieser objektive Handlungsbegriff erfasst zum Beispiel auch Aktivitäten von Schlafwandlern, die von der herrschenden Lehre als Nichthandlungen ausgeschieden werden. 600 Reflexe sind dagegen keine Handlungen, weil der sie auslösende Reiz ohne Gehirnbeteiligung direkt von einem Empfindungs- zu einem Bewegungszentrum geleitet wird. Überzeugend wird diese kleine Bereinigung des Handlungsbegriffs, wenn man ihre Konsequenzen für den Defensivnotstand und die Ingerenzgarantenstellung nachvollzieht. Wer schlafwandelnd seine geladene Pistole auf einen anderen Menschen richtet oder über eine Autobahn läuft, handelt danach objektiv unerlaubt lebensgefährlich. Eine von ihm mit der Waffe bedrohte Person dürfte ihn gegebenenfalls im Defensivnotstand erschießen. Wacht der Traumwandler wegen des Unfalllärms auf und flüchtet, obwohl er das Geschehene und die Erforderlichkeit seiner Hilfeleistung vollständig erkannt hat, kommt seine Bestrafung gemäß §§ 223 I, 212 I, 13 wegen vorsätzlicher Körperverletzung oder Tötung durch Unterlassen in Betracht. Wer dagegen einen anderen Menschen vom ungesicherten Balkon tritt, weil ihm unverhofft 601 vor die Patellasehne geschlagen und durch den dabei ausgelösten Reflex eine besonders starke Beinstreckung herbeigeführt 597 Vgl. zu dieser Differenzierung etwa Schmidhäuser, Studienb. AT, 5/6 ff. und Struensee, Armin Kaufmann – GedS, S. 525 f. 598 Vgl. für das Zivilrecht Werba, Willenserklärung ohne Willen, S. 76 ff. 599 Vgl. NK – Puppe, Vor § 13, Rn. 61, die jedoch a. a. O., Rn. 41, 43 für ein Willenselement plädiert. 600 MK – Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 25; Gropp, AT, 4/11; Herzberg, Jakobs – FS, S. 149 f., 168; Jakobs, AT, 6/41; LK 11 – Jescheck, Vor § 13, Rn. 37; LK 12 – Walter, Vor § 13, Rn. 38; Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 20, Rn. 13 nehmen stattdessen eine Bewusstseinsstörung iSv § 20 an.
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Kap. 1: Allgemeine Diskussion des Risikobegriffs
wurde, der handelt auch nicht im objektiven Sinne. Ihn trifft daher ebenso wenig eine Ingerenzgarantenstellung für die schwer verletzt am Boden liegende Person, als wäre er mit seinem ganzen Körper gegen sie gestoßen worden. 602 Der Mensch unterlässt die soeben beschriebenen Handlungen, wenn ihre Durchführung ihm objektiv – das heißt ohne Berücksichtigung seines Bewusstseinszustandes beziehungsweise bei Hinzudenken des erforderlichen Wissens – möglich war. Voraussetzung dafür sind ausschließlich entsprechende motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten, die insbesondere durch vis absoluta ausgeschlossen sein können. Daher schließt die durch eine Schädigung oberer Rückenmarksabschnitte herbeigeführte Querschnittslähmung ein Unterlassen nahezu aus, während eine psychisch bedingte Lähmung insofern irrelevant und lediglich für den subjektiven Tatbestand von Relevanz ist. 603 Hier liegt die eigentliche Bedeutung dessen, was zuvor als zumindest potentielles Verhaltensbewusstsein beschrieben wurde. 604 Die Kenntnis der Tatsache, dass der Körper durch eine cerebral koordinierte Muskelaktivität bewegt wird oder werden könnte, ist notwendige Bedingung für die Erkennbarkeit des eigenen objektiv unerlaubt riskanten Handelns oder Unterlassens, also die Eingangsvoraussetzung für Vorsatz und Fahrlässigkeit. 605
601 Andernfalls wäre ihm ggfs. das Unterlassen einer gegensteuernden Körperbewegung (vgl. Jakobs, AT, 6/37 und AK – Zielinski, §§ 15, 16, Rn. 26) oder eine gemeinschaftliche Tatbegehung (§ 25 II) vorzuwerfen. 602 Daneben kommt eine verhaltensunabhängige, allgemeine Verantwortung für den eigenen Körper in Betracht; vgl. MK – Freund, § 13, Rn. 109 f., Jakobs, a. a. O. und M. Köhler, Schroeder – FS, S. 263 ff. Zu klären wäre dann aber in einem zweiten Schritt, ob diese wiederum durch die Verhaltensverantwortung eines Dritten verdrängt werden kann; instruktiv dazu M. Köhler, a. a. O., S. 267 ff. 603 Vgl. bereits Kargl, Handlung und Ordnung im Strafrecht, S. 533 ff. 604 Siehe Kapitel 1: F.II.1., S. 127. 605 Vgl. zum Plus-Minus-Verhältnis auch Detlefsen, Grenzen der Freiheit, S. 327.
Kapitel 2
Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr Die bisherigen Ausführungen konzentrierten sich auf den Gefahrbegriff im allgemein-strafrechtlichen Kontext. Dass diese Beschränkung nicht durchzuhalten ist, legt bereits die Existenz so genannter Blankettstrafgesetze im Nebenstrafrecht nahe, die keinen eigenen Tatbestand haben, sondern Verstöße gegen externe Verhaltensvorschriften unter Strafe stellen. 606 Das Strafgesetzbuch selbst beinhaltet zumindest Teilblankettgesetze, deren unvollständige Tatbestände sonstige Gesetze, Verordnungen oder auch Verwaltungsakte einbeziehen. Um diese Strafvorschriften zu komplettieren, muss man sie gemeinsam mit den einbezogenen Normen lesen. 607 Das Blankettmerkmal „Dienstpflichtverletzung“ in §§ 332, 334 transportiert so etwa das Beamtenrecht in die Beurteilung der Strafbarkeit. 608 Die Verletzung der Buchführungs- oder Bilanzierungspflichten gemäß § 283b I Nr. 1, 3a lässt sich nur durch Bezugnahme auf das Handelsrecht feststellen. 609 Es muss deshalb der Frage nachgegangen werden, inwiefern öffentliches (und bürgerliches) Recht oder jedenfalls dort herangezogene Wertungsmaximen zugleich die strafrechtliche Risikobeurteilung beeinflussen. Solche Überschneidungen kommen in Betracht, wenn innerhalb dieser Rechtsgebiete ein – strafrechtlich relevantes – Verhalten bei Vorliegen von Gefahren erlaubt wird. In Nordrhein-Westfalen darf die Polizei etwa Wohnungen ohne Einwilligung des Inhabers betreten, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert erforderlich ist, § 41 I 1 Nr. 4 PolG. Diese Befugnis rechtfertigt nach allgemeiner Ansicht nicht nur den staatlichen Grundrechtseingriff, sondern außerdem das straftatbestandsmäßige Handeln des Polizisten, 610 in diesem Fall den Hausfriedensbruch gemäß § 123 I. So kann ein abweichender Gefahrbegriff in die strafrechtliche Verhaltensbeurteilung gelangen. 606
NK – Puppe, § 16, Rn. 18 mit Beispielen. Schönke / Schröder – Cramer / Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 99; Puppe, a. a. O., Rn. 19 f. Vgl. zur eigentlichen Problematik des „Zusammenlesens“ von Blankett- und Ausfüllungsnorm im Bereich der Irrtumslehre Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 174 ff. 608 Jakobs, AT, 11/6a; Puppe, a. a. O., Rn. 24. 609 Puppe, a. a. O., Rn. 19 f. 610 BGHSt 11, 242, 244; Baumann / Weber / Mitsch, AT, 16/7; SK – Günther, Vor § 32, Rn. 64; Jakobs, AT, 11/6; Jescheck / Weigend, AT, S. 390 ff.; Kühl, AT, 9/117. 607
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Kap. 2: Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr
Eine formelle Begründung für diesen Einfluss mag Art. 103 II GG bei präzise formulierten außerstrafrechtlichen Rechtfertigungsgründen liefern, wobei jedoch bestritten wird, dass sein Verbot der Bestrafung eines vom Gesetzeswortlaut nicht erfassten Verhaltens insofern überhaupt Anwendung findet. 611 Die Problematik muss hier jedoch nicht weiter verfolgt werden. Es dürfte sich weder im öffentlichen noch im bürgerlichen Recht ein Erlaubnissatz finden lassen, dessen Wortlaut eindeutige Vorgaben zum Gefahrbegriff macht. 612 Jedenfalls wäre eine daran orientierte formelle Erklärung nur begrenzt anwendbar und erschiene in gewissem Maße beliebig. Eine umfassende Argumentation muss stattdessen die Beeinflussung des Gefahrbegriffs im Strafrecht durch „fremde“ Wertungsmaximen anhand materieller Kriterien bestimmen. 613 Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Untersuchung des Risikobegriffs im Kontext der staatlichen Gefahrenabwehr. Die normative Basis für hoheitliche Maßnahmen zum Schutze individueller und kollektiver Rechtsgüter stellt das Polizei- und Ordnungsrecht im weiteren Sinne. 614 Dort bestimmen Aufgabenzuweisungsnormen in sachlicher und örtlicher Hinsicht den Handlungsbereich der Gefahrenabwehrbehörden. 615 Für deren Grundrechtseingriffe verlangt der Vorbehalt des Gesetzes zudem eine Ermächtigungsgrundlage. Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, in einer Befugnisnorm Grund und Grenzen der beeinträchtigenden Maßnahme festzulegen. 616 Weil das Parlament weder sämtliche Gefahrentatbestände voraussehen noch spezialgesetzlich normieren kann, enthalten die Polizei- und Ordnungsbehördengesetze Befugnisgeneralklauseln. Typologisch fassbare Gefahrenabwehrmaßnahmen, die in bestimmten Erscheinungsformen regelmäßig wiederkehren und deshalb spezielle gesetzliche Ausprägungen fanden, werden als Standardermächtigungen bezeichnet. 617
611 Etwa von Günther, Grünwald – FS, S. 213 ff., 218 f. m.w. N., Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, S. 234 ff. und Roxin, AT1, 5/42; dagegen jedoch BVerfG E 95, 96, 131 f. 612 Vgl. allerdings die Formulierung von § 41 I 1 Nr. 1 u. 2, III Nr. 1 PolG NW. 613 Vgl. dazu die Begründung von Rechtswidrigkeitsunterschieden bei Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 65. 614 Schoch, JuS 1994, 391. 615 Beljin / Micker, JuS 2003, 556, 558; Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 2/32. 616 Schoch, a. a. O., 2/31 f.; Achterberg / Püttner / Würtenberger, BesVerwR, Bd. 2, 7/ 88 ff. 617 Schoch, JuS 1994, 479.
A. Zur Notwendigkeit der objektiven ex ante-Betrachtung
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A. Zur Notwendigkeit der objektiven ex ante-Betrachtung bei hoheitlichen Eingriffen Dürfen Polizei- oder Ordnungsbehörden aufgrund solcher Ermächtigungsgrundlagen eine Gefahr beseitigen, so beurteilt sich deren Vorliegen nach überwiegender Auffassung anhand des Wissens eines gedachten sachkundigen beziehungsweise des besser informierten konkreten Amtswalters im Zeitpunkt der Entscheidung, mit anderen Worten objektiv ex ante. 618 Eine behördliche Gefahrenabwehrmaßnahme setzt demnach kein objektiv ex post gegebenes Risiko voraus. Dessen wirkliches Fehlen ist unerheblich, falls dies anhand des Tatsachen- und Erfahrungswissens der beiden genannten Beamten nicht erkannt werden konnte. 619 In diesen Fällen spricht man im öffentlichen Recht von einer Anscheinsgefahr. Die fehlerhafte Risikoannahme des handelnden Ordnungshüters genügt hingegen dann nicht, wenn der Irrtum in Anbetracht der weitergehenden Kenntnisse des objektiven Dritten vermeidbar gewesen wäre (so genannte Putativgefahr). 620 Im Unterschied zu privaten Notwehr- und Notstandsmaßnahmen, bei denen die abzuwendenden Risiken objektiv ex post vorliegen müssen, 621 hat der Staat also das – wenn auch beschränkte – „Vorrecht, sich irren zu dürfen“. 622 Dieses Irrtumsprivileg 623 ist Bestandteil des in der Gefahrenabwehr zum Ausdruck kommenden Gewaltmonopols, 624 mit dem der Staat die Friedens- und Rechtsordnung gewährleistet. 625 Sicherheit und Frieden erfordern nicht nur faire Regeln für das gesellschaftliche Zusammenleben, sondern auch daran anknüpfende streitschlichtende Durchsetzungsmöglichkeiten. 626 Sind sich zwei „miteinander 618 BVerwGE 45, 51, 57 ff; Beljin / Micker, JuS 2003, 556, 559; Brandt / Smeddinck, Jura 1994, 225, 227 u. 230 f.; Classen, JA 1995, 608, 609; Di Fabio, Jura 1996, 566, 569; MK – Erb, § 32, Rn. 67; Erichsen / Wernsmann, Jura 1995, 219, 220; HoffmannRiem, Wacke – FS, S. 331 f. u. 338 ff.; Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 223; Schwabe, JuS 1996, 988, 990 ff.; Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 2/87 ff.; Achterberg / Püttner / Würtenberger, BesVerwR, Bd. 2, 7/190 ff. 619 Dagegen allerdings Schwabe, Martens – GedS, S. 420 f., 438 a. E. 620 Würtenberger [Anm. 618], 7/193, 197 m.w. N. 621 Siehe Kapitel 1: E.II.2., S. 102. 622 Jellinek, VerwR, S. 21, 294. 623 MK – Erb, § 32, Rn. 67 ff. Einen Überblick zur historischen und aktuellen Verwendung des Begriffes gibt M. Schröder, Das „Irrtumsprivileg“ des Staates, S. 4 ff. Er selbst lehnt ihn ab; a. a. O., S. 92. 624 Vgl. BVerfGE 69, 315, 360; Schoch [Anm. 618], 2/20; Stoll, Sicherheit als Aufgabe von Staat und Gesellschaft, S. 15 m.w. N. 625 Vgl. BVerfGE 49, 24, 56 f.; Kirchhof, in: Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 67 und Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 12; Würtenberger [Anm. 618], 7/1. 626 Vgl. Stoll [Anm. 624], S. 18 m.w. N.; eingehend Poscher, VerwArch 89 [1998], 111, 113 ff.; Schwind / Winter, Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. I, Rn. 71 f.
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Kap. 2: Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr
ringende“ Bürger uneins, ob der eine den Rechtskreis oder wohlerworbene Rechte des anderen missachtet, ist es im Eilfalle Aufgabe der Polizei, diese Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. 627 In einer solchen Konfliktsituation vermag die polizeiliche Maßnahme – genauso wie der gerichtliche einstweilige Rechtsschutz – nur auf einer Vorläufigkeitsprüfung zu beruhen. Trotzdem bedarf sie einer gewissen Verbindlichkeit gegenüber den sich streitenden Parteien, um ihre friedenssichernde Funktion erfüllen zu können. 628 Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den Betroffenen lassen sich nur vermeiden, wenn diese den polizeilichen Eingriff zu dulden haben. Ein insofern dienlicher prinzipieller Ausschluss der zivilen Notwehr- und Widerstandsrechte ließe sich auf der anderen Seite nicht mit dem Anspruch des Bürgers vereinbaren, keine rechtswidrigen Gutsverletzungen erleiden zu müssen und umgekehrt bei Fehlen eines Rechtsbehelfes Selbsthilfe ausüben zu dürfen. 629 Zwischen diesen gegenläufigen Interessen erlaubt die objektive ex ante-Prüfung des Risikos (sowie der sonstigen materiellen Eingriffsvoraussetzungen) eine angemessene Lastenverteilung. 630 Sofern die Gefahr und alle anderen Merkmale der Ermächtigungsgrundlage vorliegen, muss der „unterliegende“ Bürger den ihm von der Polizei rechtmäßig auferlegten Zwang dulden. Dies gilt aufgrund der objektiven ex ante-Betrachtung ebenso, wenn ihr Fehlen auf der gemeinsamen Wissensgrundlage von sorgfältigem und entscheidendem Amtswalter unerkennbar ist. Unangemessen wird dieser Risikobegriff jedoch, sobald man die primäre Ebene der Gefahrenabwehr verlässt und die Sekundärebene der Kostenzuordnung ins Auge fasst. Wer als Anscheinsverhaltensstörer von der Ordnungsbehörde rechtmäßig 631 in Anspruch genommen wurde, hat für die Allgemeinheit ein Sonderopfer erbracht und muss nach Bereinigung des Konfliktes für die erlittenen Vermögensnachteile wie ein Nichtstörer Entschädigung verlangen dürfen, sofern ihm der behördliche Irrtum nicht zurechenbar ist. 632 Gegen die Rechtsgutseingriffe der Beamten ist in solchen Fällen ein Notwehrrecht des Anscheinsstörers freilich schon deshalb ausgeschlossen, weil selbst eine auf der Grundlage des wirklichen Sachverhaltes unerlaubte Gefährdung seiner Interessen aus deren Perspektive sowohl objektiv 633 als auch (erst recht) subjektiv 634 627 628 629 630
Vgl. Würtenberger [Anm. 618], 7/1. Vgl. Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 21 ff., 36 f. Ostendorf, JZ 1981, 165, 169. Erb, Gössel – FS, S. 217 ff. mit weiteren Argumenten; Ostendorf, a. a. O., S. 173
u. 175. 631
Schoch [Anm. 618], 2/132 m.w. N. A. a. O., 2/296 ff.; Wolffgang / Hendricks / Merz, POR, vor Rn. 561 u. Rn. 580 ff., jeweils m.w. N. Vgl. die Entschädigung für Aggressivnotstandsmaßnahmen a. E. von Kapitel 1: E.II.2.a), S. 103 sowie die in Kapitel 3: C., S. 177 dargestellten Prinzipien der Irrtumszurechnung. Für eine Vereinheitlichung beider Ebenen tritt dagegen Götz, POR, 7/164 ein. 632
A. Zur Notwendigkeit der objektiven ex ante-Betrachtung
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unerkennbar ist, so dass kein rechtswidriger Angriff im Sinne des § 32 vorliegt. In Betracht käme jedoch ein Defensivnotstandsrecht gegen Maßnahmen und Person der Behördenvertreter, wenn bei der Prüfung der Ermächtigungsnorm „auch die Tatsachen und Erfahrungssätze herangezogen werden, die für die Gefahrenabwehrorgane aufgrund ihrer situativ begrenzten Erkenntnismöglichkeiten erst ex post erkennbar geworden sind.“ 635 Beurteilte man die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage womöglich objektiv ex post, gefährdeten die hoheitlichen Abwehrmaßnahmen gegen Anscheinsgefahren und -störer stets rechtswidrig die Rechtsgüter des in Anspruch genommenen Bürgers. 636 Dagegen wird auf den Schutz der Beamten durch die Titelfunktion von Verwaltungsakten verwiesen. Damit dieser umfassend zur Geltung kommt, müsste man allerdings den polizeilichen Standardmaßnahmen konkludente Duldungsverfügungen unterstellen. 637 Trotz ihrer Rechtswidrigkeit wäre so etwa die Verpflichtung, einen Knüppelschlag zu erdulden, 638 wirksam und könnte mit unmittelbarem Zwang im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden. 639 Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine Verlegenheitslösung, deren Mängel schon oftmals dargelegt wurden. Die Duldungsverfügung wäre insbesondere zu unbestimmt. Ihr Adressat wüsste nicht, ob er den Kopf hinhalten muss oder sich auch mit den Armen schützen darf. Sie könnte ferner in Widerspruch zu der Grundverfügung treten. Werden Knüppelschlag und Duldungspflicht zur Durchsetzung eines Platzverweises eingesetzt, stellte sich dem Betroffenen die Frage, ob er noch den Schlag abwarten oder sofort gehen soll. Vor allem das Beispiel des gezielten polizeilichen Todesschusses zeigt, dass diese Konstruktion den Sachverhalten nicht gerecht zu werden vermag. 640 Zudem ermöglicht der sofortige Vollzug – etwa gemäß § 50 II PolG NW – ausdrücklich die Anwendung polizeilichen Zwanges ohne einen vorausgehenden Ver633
So das Erfordernis der h. M.; Nw. in Anm. 484 a. E. Diese weitergehende Voraussetzung wurde in Kapitel 1: E.II.2.b), S. 106 begründet. 635 So die „perspektivisch-personelle Dimension des Wissenshorizonts“ bei Poscher, Gefahrenabwehr, S. 118 ff. Er will Risiken aber nicht ausschließlich aufgrund des historischen Weltwissens bestimmen, sondern erweitert seinen Gefahrbegriff – allerdings nicht für alle Bereiche – anhand einer „sachlichen Dimension“ um Fälle, die nur auf Grundlage von Alltagswissen riskant sind; a. a. O., S. 122 ff. Damit konterkariert er jedoch seinen ursprünglichen Ansatz und gelangt teilweise wieder zur objektiven ex ante-Betrachtung. 636 Poscher, a. a. O., S. 184; Schwabe [Anm. 619]. 637 Nach dem Preußischen Landesverwaltungsgesetz aus dem Jahre 1883 war Rechtsschutz nur gegen polizeiliche Verfügungen zulässig, so dass diese zur Not „erdichtet“ wurden. Vgl. zur konkludenten Duldungsverfügung Lisken / Denninger – Rachor, PolR, F43 ff. m.w. N. 638 BVerwGE 26, 161, 164. 639 Poscher [Anm. 635], S. 192 ff., der sich in VerwArch 89 [1998], 111, 130 gegen diese Deutung auspricht. 640 Stelkens / Bonk / Sachs – P. Stelkens / U. Stelkens, § 35 VwVfG, Rn. 66 m.w. N. 634
140
Kap. 2: Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr
waltungsakt. Voraussetzung ist die Rechtmäßigkeit einer hypothetischen Grundverfügung, so dass bei diesem Institut auch für die Behörde materielles Recht und Durchsetzungsbefugnis unmittelbar miteinander verknüpft werden. 641 Sofern man eine Anscheinsgefahr nicht für die Eingriffsbefugnis genügen lässt, wird der sofortige Vollzug rechtswidrig 642 und dem Bürger müsste ein Defensivnotstandsrecht zugestanden werden. 643 Darüber hinaus ist eine Entlastung des Polizisten auch bei strafprozessualen Maßnahmen geboten. 644 Sofern der – bei objektiver ex post-Prüfung – rechtswidrige Eingriff kein Gegenstand einer ausdrücklichen richterlichen Anordnung ist, die nach den landes- und bundesrechtlichen Vorschriften über den unmittelbaren Zwang durchgesetzt werden kann, 645 lässt er sich vollstreckungsrechtlich nicht absichern. De lege lata bieten Titel daher keine hinreichende „Entkopplung von materiellem Recht und Rechtsdurchsetzung“. 646 Die friedensstiftende Funktion staatlicher Konfliktlösung ist somit von der umfassenden objektiven ex ante-Betrachtung der materiellen Eingriffsvoraussetzungen abhängig. 647 Weitergehende Entlastung des Amtsträgers – wie sie zum Teil im Rahmen eines so genannten strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriffes für das Strafrecht, insbesondere zu §§ 32, 113 III vorgeschlagen werden 648 – sind gleichwohl in Anbetracht der verbleibenden Privilegierung durch das Vollstreckungsrecht entbehrlich. Es stellt sich somit die Frage, ob die für das Strafrecht beschriebene Problematik objektiver ex ante-Betrachtung 649 auf die behördlichen Gefahrenabwehrtatbestände übertragbar ist. Auch für das öffentliche Recht wird etwa bemängelt, dass diese Methode zur Subjektivierung des Risikobegriffes respektive der Eingriffsvoraussetzungen führt. 650 Es heißt, der gute Glaube des Beamten „an das Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen soll das tatsächliche Nichtvorliegen der Eingriffsvoraussetzungen ersetzen“. 651 Der Kritik ist zuzugeben, dass es zumindest nicht ausschließlich auf die Kenntnisse des handelnden Beamten ankommen kann. Sie versäumt allerdings, einen
641
Poscher, VerwArch 89 [1998], 111, 130 f. Poscher [Anm. 635], S. 197. 643 Poscher geht von einem Aggressivnotstandsrecht aus und übersieht damit die weitreichenden Konsequenzen für die Vollzugsbeamten; VerwArch 89 [1998], 111, 136 und [Anm. 635], S. 197 ff. 644 MK – Erb, § 32, Rn. 67. 645 BGHSt 26, 99, 101; Lisken / Denninger – Frister, PolR, G130. 646 Anders die Beurteilung von Poscher, VerwArch 89 [1998], 111, 120. 647 Frister, AT, 14/13. 648 Dargestellt und kritisiert von MK – Erb, § 32, Rn. 68 ff. 649 Siehe oben Kapitel 1: C., S. 73. 650 Eingehend Poscher [Anm. 635], S. 29 ff.; M. Schröder [Anm. 623], S. 68 f.; Schwabe, Martens – GedS, S. 423 ff. und JuS 1996, 988, 992. 651 M. Schröder, a. a. O., S. 69. 642
B. Behördenkenntnis als Wissen eines sachkundigen Amtswalters
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geeigneteren Maßstab für die Gefahrbeurteilung anzugeben, so dass zu klären ist, wie sich das weitergehende Wissen des sachkundigen Amtswalters bestimmt.
B. Behördenkenntnis als Wissen eines sachkundigen Amtswalters Die Ermittlung des Wissens eines hypothetischen sachkundigen Amtswalters in der konkreten Entscheidungssituation wird dadurch erschwert, dass keine abschließenden Regeln zur Konstruktion dieser virtuellen Figur bekannt sind. Eine Bezugnahme auf den objektiven Dritten und seine Kenntnisse bietet daher nur einen sehr unbestimmten Maßstab zur (strafrechtlichen) Verhaltensbewertung, was in Kapitel 1: C.I., S. 74 bereits kritisiert wurde. Soweit es die Feststellung der objektiven Voraussetzungen von Straftatbeständen und originär strafrechtlichen Rechtfertigungsgründen wie etwa §§ 32, 34 betrifft, war dieser Befund nicht weiter problematisch. Insofern hat sich die objektive ex ante-Betrachtung als entbehrlich herausgestellt, während hingegen für hoheitliche Eingriffe soeben ihre Notwendigkeit nachgewiesen wurde. Die Bestimmung des Wissens eines sachkundigen Amtswalters ist daher unumgänglich. Ermöglicht wird sie durch einen Perspektivenwechsel. Rechtfertigungsgründe, die ein straftatbestandsmäßiges Verhalten erlauben, richten sich an natürliche Personen. Ausschließlich an ihrem Vorbild orientierte sich bislang die Beschreibung von Maßstabspersonen. Hinsichtlich der Ermächtigungsgrundlagen für hoheitliche Rechtseingriffe ist diese Beschränkung nicht unbedingt nahe liegend, wenn man bedenkt, dass sie zunächst einmal Gefahrenabwehrbehörden Eingriffsbefugnisse verleihen. 652 Bei ihnen handelt es sich um die im Außenverhältnis tätigen Organe der Träger öffentlicher Verwaltung, 653 welche durch Aufgabenzuweisungsnormen bestimmt werden. Die danach zuständige Behörde kann einen Entschluss, mittels welcher Maßnahme der Konflikt zwischen den Interessen zweier Bürger einstweilen gelöst werden soll, aber nur auf Grund des ihr darüber zur Verfügung stehenden Wissens treffen. Die Zuständigkeit sowie gegebenenfalls sonstige formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen müssen daher objektiv ex post und die Richtigkeit der Entscheidung für einen Grundrechtseingriff – also die materiellen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage – nach dem Behördenwissen beurteilt werden. Es genügt insofern für die Rechtmäßigkeit einer hoheitlichen Maßnahme, dass das 652 Schoch, JuS 1994, 479. Auch Pawlik, Notstand, S. 202 spricht von „Rechten und Pflichten einer Behörde“. Ob und inwiefern diese als Verwaltungsorgane überhaupt rechtsfähig sind (dagegen Maurer, Allgemeines VerwR, 21/42), soll aber an dieser Stelle nicht weiter geklärt werden. 653 Wolff / Bachof / Stober – Kluth, VerwR III, 83/96.
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Kap. 2: Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr
Fehlen einer vom konkreten Amtswalter angenommenen Gefahr auf Grundlage der Behördenkenntnisse nicht erkennbar war. Deren allgemeine Beschreibung erforderte eine Auseinandersetzung mit dem in den letzten Jahren sowohl im öffentlichen als auch bürgerlichen Recht vermehrt diskutierten Problem der Wissenszurechnung bei juristischen Personen und ihren Organen, 654 die jedoch nur in jenen Rechtsgebieten angemessen zu bewältigen ist. 655 Um dennoch an dieser Stelle eine brauchbare Lösung entwickeln zu können, wird einstweilen auf den gesetzlichen Begriff der Behördenkenntnis in § 48 IV VwVfG zurückgegriffen. Diese Norm statuiert eine Jahresfrist für die Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes ab dem Zeitpunkt, in dem die Behörde von den diese Maßnahme rechtfertigenden Umständen Kenntnis erhält. 656 Sie gewährleistet damit Vertrauensschutz zugunsten des Adressaten, so dass er nicht zeitlich unbegrenzt mit der Aufhebung rechnen muss. Die Behörde soll deshalb nach dem Bekanntwerden der relevanten Tatsachen eine Entscheidung treffen, ob sie den Verwaltungsakt aufheben will. 657 Es handelt sich dabei ebenfalls um eine Norm, mit der das Parlament das Verhalten der Behörden als untergeordnete Funktionseinheiten steuert. Insofern kann ein zu § 48 IV VwVfG entwickelter Begriff des Behördenwissens auf die staatliche Gefahrenabwehr übertragen werden. In seiner Kommentierung des § 48 VwVfG hebt Sachs hervor, dass die Behörden als solche zu keiner Kenntnis fähig sind und ihnen daher menschliches Wissen zugerechnet werden muss. 658 Als Grundlage dient ihm die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Verjährungsfrist des § 852 I BGB a. F., 659 welche an die Kenntnis des Verletzten von seinem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen anknüpft. Nach dem Rechtsgedanken des § 166 I BGB ist dafür auf die Kenntnisse der so genannten Wissensvertreter abzustellen, die „mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut“ wurden. 660 Danach hat eine Behörde Kenntnis von den Umständen, die den nach der innerbehördlichen 654 Vgl. nur Kluth, a. a. O., 83/57 ff. mit zahlreichen Nw. zur zivil- und öffentlichrechtlichen Literatur. 655 Vgl. aber zur Ermittlung der Kenntnisse einer juristischen Person im Kontext insb. des Betruges Wittmann, Wissenszurechnung im Strafrecht, S. 87 ff. und passim sowie Brand / Vogt, wistra 2007, 408 ff., beide m.w. N. 656 Vgl. dazu und zu weiteren verwaltungsrechtlichen Wissensnormen Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, S. 17 ff., 23 f. 657 Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 VwVfG, Rn. 205. 658 Siehe dazu und zum Folgenden a. a. O., Rn. 215 ff. m.w. N. 659 BGHZ 134, 343, 347 f. m.w. N. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts wurde diese Sonderregelung für deliktische Ansprüche Anfang 2002 – mit geringen Abweichungen – zur Regelverjährung; präziser dazu Beurskens, Grundriss Schuldrecht 2002, S. 13 ff. 660 BGHZ 134, 343, 347.
C. Die Einheit von Gegenstand und Kontext
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Geschäftsverteilung in eigener Verantwortung zuständigen Amtswaltern bekannt sind. 661 Zu den Kenntnissen der Behörde gehören deshalb das Wissen aller Sachbearbeiter der maßgeblichen Organisationseinheit sowie der Inhalt ihrer präsenten Akten. Dies ist der Sachverhalt, der üblicherweise als das gemeinsame Wissen eines gedachten sachkundigen und des handelnden Amtswalters beschrieben wird.
C. Die Einheit von Gegenstand und Kontext als Voraussetzung der Übertragung von rechtlichen Wertungsmaximen Die vorgenannten Prinzipien der Gefahrbeurteilung im öffentlichen Recht berühren neben der Rechtfertigung des Behördenhandelns auch die Strafbarkeit des Amtswalters. Dies erscheint zunächst selbstverständlich, denn es ist anerkannt, dass hoheitliche Eingriffsbefugnisse zugleich dessen straftatbestandsmäßiges Verhalten rechtfertigen. 662 Als Begründung wird das Postulat der Einheit der Rechtsordnung herangezogen, welches man aus einem allgemeinen Begriff der Rechtswidrigkeit ableitet. 663 Dieser Ansatz betont richtigerweise die Widerspruchsfreiheit ihrer Einzelaussagen als Geltungsgrund für eine Rechtsordnung 664 und damit die notwendige Einheit der rechtlichen Wertungsmaximen. 665 Er vernachlässigt jedoch sicherzustellen, dass Gegenstand und Kontext der Bewertung identisch sind. 666 Bleibt dieser Aspekt unberücksichtigt, so stützt sich die Überzeugungskraft der pauschalen Argumentation mit der Einheit der Rechtsordnung hauptsächlich auf ihre Tradition. Dementsprechend liegt der Einwand nahe, dass die dargelegte Ausnahme vom strafrechtlichen Gefahrbegriff unnötig ist, weil sie nur die Legitimierung der Behörde und nicht die davon unabhängige Rechtfertigung des strafbaren Amtswalters betreffe. Um dieser Beanstandung vorzubeugen, soll gezeigt werden, inwiefern sich die für das öffentliche Recht entwickelten Grundsätze der Risikobeurteilung auf das Strafrecht auswirken. Die methodische Vorgehensweise besteht wohlgemerkt nicht in der Rezeption nichtstrafrechtlicher Prinzipien, sondern im Nachweis allgemeiner rechtstheoretischer Maximen, die zuvor fast nur in anderen Rechtsgebieten 661
BVerwGE 70, 356, 364; VG Magdeburg Urt. v. 19. 02. 2003 – 3 A 527/01. Siehe Nw. in Anm. 610. 663 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 55 ff.; LK 11 – Hirsch, Vor § 32, Rn. 10, 34; Jescheck / Weigend, AT, S. 327; Lange, v. Weber – FS, S. 166 f.; Schönke / Schröder – Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 27; Bockelmann / Volk, AT, S. 87. 664 Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 8. 665 Pawlik, Notstand, S. 193. 666 Jakobs, AT, 11/5; Kirchhof [Anm. 664], S. 5. 662
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Kap. 2: Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr
thematisiert wurden. Das einheitliche Rechtswidrigkeitsurteil kann dagegen als ausschließliche Argumentationsgrundlage zur Vermischung von Wertungsmaximen aus getrennt zu behandelnden Bereichen führen. Am umgekehrten Problem des straftatbestandsmäßigen Verhaltens eines Amtsträgers außerhalb seiner hoheitlichen Eingriffsbefugnisse wird zunächst dargestellt, dass es solche wertungsmäßig separaten Rechtsbereiche gibt und wie es zur fehlerhaften Maximenübertragung in beide Richtungen kommt. Auf dieser Grundlage soll dann die Rechtfertigung von Straftaten „im Amt“ erläutert werden.
I. Kontexttrennung am Beispiel der Notrechtsvorbehalte Man stelle sich vor, ein Vollzugsbeamter macht außerhalb der einschlägigen hoheitlichen Ermächtigungsgrundlage, die umfassende Verhältnismäßigkeitsvoraussetzungen beinhaltet, aber innerhalb der (nicht amtsträgerspezifischen) Notwehrvoraussetzungen von der Schusswaffe Gebrauch, um etwa eine Geiselnahme zu beenden. 667 Dann stellt sich die Frage, ob der Notwehrparagraph auch zugunsten eines Amtsträgers rechtfertigend eingreift oder ob nur die Abwehr des „Normalbürgers“ im Sinne von § 32 geboten ist. Verlangte man die Einheitlichkeit der Rechtswidrigkeitsurteile, müsste das Verhalten des Amtsträgers zugleich in öffentlich- und strafrechtlicher Hinsicht entweder richtig oder falsch gewesen sein. 668 Damit sind bereits die Eckpfeiler des Meinungsstreits bezeichnet. Insbesondere die strafrechtliche Literatur geht davon aus, dass eine durch das einschlägige Notwehrrecht zugelassene Maßnahme ebenso ein hoheitlich rechtmäßiges Verhalten darstellt. 669 Die entgegengesetzte Ansicht nimmt einen ungerechtfertigten hoheitlichen Grundrechtseingriff an und verweigert dem Vollzugsbeamten jeden Rückgriff auf § 32. 670 Beide Lösungsvorschläge wurden aus der Perspektive eines 667
Vgl. MK – Erb, § 32, Rn. 166 und Schwabe, Notrechtsvorbehalte, S. 18 ff. Vgl. Günther [Anm. 613], S. 368 in Anm. 27, Schwabe, a. a. O., S. 42 ff. und Walter, DVP 1998, 496, 499. 669 Bockelmann, Dreher – FS, S. 239 ff.; Gössel, JuS 1979, 162, 164 ff.; Lange, JZ 1976, 546, 547; Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 32, Rn. 42b; Schwabe, NJW 1977, 1902 ff. und [Anm. 667], S. 56 ff.; LK 11 – Spendel, § 32, Rn. 275; Walter, DVP 1998, 496, 498 ff.; Wimmer, GA 1983, 145, 153 ff. Vgl. ferner die – von Amelung, NJW 1978, 623 f. kritisierte – Rechtfertigung einer Kontaktsperre für inhaftierte RAF-Terroristen gemäß § 34 in BGHSt 27, 260, 262 ff. KK – Rengier, § 16 OWiG, Rn. 45. m.w. N. macht die Anwendbarkeit der allgemeinen Notrechte auf hoheitliches Handeln „zusätzlich“ davon abhängig, dass nicht öffentlich-rechtliche Sondervorschriften den Interessenkonflikt abschließend regeln. Diese Befugnisbegründung lässt sich aber nicht in systematisch überzeugender Weise begrenzen; Pawlik, Notstand, S. 192 ff., 197 u. 204 f. auch zum Stand der Diskussion. 670 Kunz, ZStW [1983], 973, 981 ff.; Lerche, von der Heydte – FS II, S. 1044 f.; Seelmann, ZStW 89 [1977], 36, 50 ff. Für den Ausschluss lediglich der Nothilfe indes Amelung, NJW 1977, 833, 839 f.; Blei, JZ 1955, 625, 627; LK 11 – Hirsch, Vor § 32, Rn. 153 u. § 34, Rn. 18 ff. 668
C. Die Einheit von Gegenstand und Kontext
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Rechtsgebietes entwickelt und führen durch ihren umfassenden Geltungsanspruch zu nachteiligen Konsequenzen für den jeweils anderen Regelungsgegenstand. Die Rechtfertigungsgründe im Straf- und Bürgerlichen Gesetzbuch stellen die – durch dortige Haftungstatbestände reduzierte – Verhaltensfreiheit des Bürgers wieder her. Im Hinblick auf diese Funktion erscheint es daher widersprüchlich, dass sie umgekehrt dem Staat in seiner öffentlich-rechtlichen Beziehung zum Bürger Eingriffsrechte gewähren sollen. 671 Die Überlegung, dass die strafrechtliche Rechtfertigung des Amtsträgerverhaltens gleichzeitig dem Staat hoheitliche Eingriffsbefugnisse verleiht, stände ferner in einem prekären Verhältnis zur öffentlich-rechtlichen Zuständigkeitsordnung. Die Erteilung einer Ermächtigung beinhaltet eine Verleihung der entsprechenden Zuständigkeit, und der Jedermannsermächtigung der bürgerlichen Notrechte korrespondiert – wie Pawlik mit Recht feststellt – konsequenterweise eine Jedermannszuständigkeit. 672 Vor allem entspricht diese so genannte strafrechtliche Theorie nicht dem Erfordernis spezieller Ermächtigungsgrundlagen für wesentliche Grundrechtsbeschränkungen, das vom Bundesverfassungsgericht wie folgt beschrieben wird: „Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen.“ 673 Die Vorschriften über Notwehr, Defensiv- und Aggressivnotstand genügen diesem Anspruch nicht. Würden sie es tun, wären sie zugleich überflüssig. Hinsichtlich ihrer Bestimmtheit unterscheiden sie sich nicht von einer – nach der Inanspruchnahme von Verhaltens-, Zustands- und Nichtstörern differenzierenden – Generalklausel. 674 Man könnte folglich unmittelbar auf diese Regelungen in den Polizei- und Ordnungsgesetzen zurückgreifen. Daher ist auch keine ausnahmsweise Erweiterung hoheitlicher Befugnisse in Fällen möglich, „für die das Polizeirecht zwar keine Ermächtigungsgrundlage enthält, deren untätige Hinnahme durch die Sicherheitskräfte der Gesetzgeber aber vernünftigerweise nicht gewollt haben kann bzw. bei denen anzunehmen ist, dass sie der Gesetzgeber aus Gründen der ‚politischen ‚Optik‘‘ nicht aussprechen, sondern den Notrechtsvorbehalten zuschieben wollte“. 675 Diese Differenzierung „halbiert“ zwar die persönliche Zwangslage eines Vollzugsbeamten, widerspricht aber der Gleichwertigkeit von Eigenverteidigung und Nothilfe; MK – Erb, § 32, Rn. 163, 168 und Witzstrock, Der polizeiliche Todesschuss, S. 104 ff. Pawlik, a. a. O., S. 214 f. sieht für den Rückgriff auf die allgemeine Rechtfertigungsnorm des § 34 nur Raum, wenn „der Eingriff nicht zur Durchsetzung einer Eingriffskompetenz, sondern lediglich ‚bei Gelegenheit‘ der Amtsausübung erfolgt“. Fraglich ist jedoch, ob der Beamte in diesen Fällen überhaupt hoheitlich handelt. 671 Eingehend Amelung, NJW 1977, 833 ff. und Pawlik, Notstand, S. 198 ff. 672 Pawlik, a. a. O., S. 205 ff. m.w. N.; Witzstrock [Anm. 670], S. 85 f. 673 BVerfGE 83, 130, 142. 674 Vgl. zur Deutung der polizei- und ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit als Zurechnungsproblem Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 2/117 ff.
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Kap. 2: Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr
Die Gegenthese, einem Polizisten sei jede Berufung auf § 32 zu verweigern, widerspricht in ihrer Ausschließlichkeit andererseits den von Blei so benannten Notrechtsvorbehalten 676 in den Polizei- und Vollzugsgesetzen. Innerhalb der rechtlichen Grundlagen des unmittelbaren Zwanges stellt zum Beispiel § 57 II PolG NW fest, dass die Vorschriften über Notwehr und Notstand unangetastet bleiben. Bereits aus den vorherigen Überlegungen ergibt sich, dass anhand solcher Regelungen nicht die Notrechte als Ermächtigungsnormen inkorporiert werden können. Dasselbe deklariert § 8 III des saarländischen PolG: „Die zivil- und strafrechtlichen Vorschriften über Notwehr oder Notstand begründen keine polizeilichen Befugnisse.“ 677 Die verbleibende Funktion der Notrechtsvorbehalte offenbart die deutlich präzisere, aber gleichbedeutende Formulierung in § 35 II des Musterentwurfes eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder respektive in Art. 60 II des bayrischen PAG: „Die zivil- und strafrechtlichen Wirkungen nach den Vorschriften über Notwehr und Notstand bleiben unberührt.“ 678 Aber auch dieser Vorschrift wird lediglich eine deklaratorische Bedeutung zugemessen. 679 Daher stellt sich die Sachfrage, warum sich ein Polizist insofern auf die §§ 32, 34 StGB, 228 BGB berufen und daher zumindest strafrechtmäßig handeln können soll. Hierbei handelt es sich anscheinend um „unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung“. 680 Diese Einschätzung verliert allerdings jede Provokanz, sobald man die kontextualen Differenzen zwischen den beiden Rechtswidrigkeitsurteilen aufdeckt. Eine unterschiedliche Behandlung ungleicher Sachgebiete ist eine Errungenschaft des um Einzelfallgerechtigkeit bemühten Staates 681 und deshalb für jede Rechtsordnung eine Selbstverständlichkeit. Das öffentliche Recht betrachtet die Befugnisse einer Behörde – als Staatsorgan – zur Beschränkung grundrechtlich geschützter Positionen. Fehlt eine Legitimierung für hoheitliche Eingriffe in private Freiheiten, so ist damit noch kein Urteil darüber gefällt, welche Beeinträchtigungen sich die Bürger untereinander zugestehen müssen. Rechtsbeziehungen unterscheiden sich maßgeblich nach den einbezogenen, nicht zwingend natürlichen Personen. Deshalb kann derselbe Vorgang abhängig davon, in welchem Kontext man ihn betrachtet, relativ rechtmäßig oder rechtswidrig sein. 682 675
So jedoch MK – Erb, § 32, Rn. 172. JZ, 1955, 625, 626; vgl. zu deren unterschiedlichen Formulierungen Schwabe [Anm. 667], S. 12. 677 Vgl. außerdem Lerche [Anm. 670], S. 1046 ff. und Lisken / Denninger – Rachor, PolR, F1014. 678 Vgl. Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 28; Tegtmeyer / Vahle, § 57 PolG NW, Rn. 4; AK – Wagner, § 35 PolG NW, Rn. 18 ff. 679 Heise, ME PolG, S. 95; Lerche [Anm. 670], S. 1036. 680 Vgl. die gleichnamige Studie von Kirchhof. 681 A. a. O., S. 8. 676
C. Die Einheit von Gegenstand und Kontext
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Erschießt Polizist P ohne Ermächtigungsgrundlage, aber unter den Voraussetzungen der §§ 32 StGB, 227 BGB den Geiselnehmer G, so ist das Verhalten in der Beziehung dieser beiden Bürger untereinander fehlerfrei und eine Haftung nach §§ 212 StGB, 823 BGB ausgeschlossen. Dass es angemessen ist, den strafrechtlichen Vorwurf oder einen Schadensersatzanspruch gegen den Beamten nicht aus der Amtspflichtverletzung zu folgern, zeigt sich deutlich, wenn man sich anstelle des P einen privaten Wachmann denkt. Der Polizist soll nicht für schädliche Verhaltensweisen mit der Kriminalstrafe belangt oder ansonsten privat in die Haftung genommen werden, die jeder andere Bürger an seiner Stelle rechtmäßig vornehmen darf. 683 Von diesem Kontext zu trennen ist die rechtliche Beziehung zwischen seiner Behörde, der das Handeln des P zugerechnet wird, und dem erschossenen Bürger G. Insofern handelt es sich um einen unzulässigen staatlichen Grundrechtseingriff. Mit den Notrechtsvorbehalten lässt sich somit zusammenfassend feststellen, dass grundsätzlich aus der öffentlich-rechtlichen Fehlerhaftigkeit eines hoheitlichen Eingriffs noch keine Rückschlüsse auf die straf- und zivilrechtliche Haftung des Beamten gezogen werden dürfen, wobei die §§ 32, 34 StGB, 228 BGB ausschließlich in diesem Bereich wirken. 684 Die öffentlich-rechtliche Unzulässigkeit einer Maßnahme hat indes Konsequenzen für die Haftung des zur Gefahrenabwehr bestellten Beamten bei einer Unterlassung. Seine – durch die Amtsträgereigenschaft begründete – Garantenstellung verpflichtet ihn nur soweit zur Handlung, wie er dazu auch hoheitlich legitimiert ist. 685 Das Fehlen eines öffentlichen Eingriffsrechtes führt daher zum Ausschluss der Garantenpflicht wegen rechtlicher Unmöglichkeit. Aus der Garantenstellung eines zur Gefahrenabwehr bestellten Amtsträgers lässt sich keine Eingriffsbefugnis ableiten. 686 Allerdings wird angenommen, der Polizist verletze durch den unzulässigen staatlichen Grundrechtseingriff seine Beamtenpflicht, was Disziplinarmaßnahmen zur Folge haben könne. 687 Dies hätte entsprechend für die so genannten eigentlichen 682
A. a. O., S. 11. Seebode, Klug – FS II, S. 365, Tegtmeyer / Vahle [Anm. 678]; dagegen kritisch zur Vergleichbarkeit Pawlik, Notstand, S. 195 f. 684 Böckenförde, NJW 1978, 1881 ff., 1883 anerkennt daneben die Möglichkeit eines – verfassungsrechtlich verankerten – Ausnahmezustandes; MK – Erb, § 32, Rn. 169, 172 mit Einschränkung; SK – Günther, § 32, Rn. 17 f. u. § 34, Rn. 15 f.; NK – Herzog, § 32, Rn. 83 ff.; Kirchhof, NJW 1978, 969, 972; Kühl, AT, 7/155 f.; Martens [Anm. 618], S. 38 f.; Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 298 f.; Riegel, NVwZ 1985, 639, 640 f.; Rupprecht, JZ 1973, 263, 264 f.; Seebode, Klug – FS II, S. 371 ff.; K. Vogel [Anm. 618], S. 548; Witzstrock [Anm. 670], S. 117. 685 Seebode, StV 1991, 80, 84 m.w. N.; K. Vogel [Anm. 618], S. 548. 686 Vgl. dagegen Bockelmann, Dreher – FS, S. 242 f., Gössel, JuS 1979, 162, 165 und Kühl, AT, 7/156a. 687 MK – Erb, § 32, Rn. 169; Kühl, AT, 7/156; Tegtmeyer / Vahle [Anm. 678]. 683
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Kap. 2: Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr
Amtsdelikte zu gelten, bei denen das straftatbestandsmäßige Fehlverhalten maßgeblich durch die Dienstpflichtverletzung geprägt und seine Vornahme durch den „Normalbürger“ nicht mit der Kriminalstrafe bedroht wird. 688 Schützt ein Straftatbestand in erster Linie ein staatliches Verfahren beziehungsweise das Interesse am ordnungsgemäßen Funktionieren der staatlichen Verwaltung und Rechtsprechung, 689 müsste sich sein Unrecht streng akzessorisch zum Verwaltungs- und Prozessrecht bestimmen. Der Rückgriff auf die Rechtfertigungsgründe des Strafrechts wäre insofern ausgeschlossen. 690 Darüber hinaus gäbe es keine Notwendigkeit, die Rechtfertigung von Amtsträgern einer besonderen Gebotenheits- (§ 32) oder Angemessenheitsprüfung (§ 34) zu unterziehen. 691
II. Behördliche Eingriffsbefugnis und abgeleitete Rechtfertigung des Amtsträgers als Kontextüberschneidung Nachdem die Unabhängigkeit der straf- und zivilrechtlichen Haftung des Beamten vom Vorliegen einer behördlichen Ermächtigung betont wurde, liegt zunächst ebenso im umgekehrten Fall einer Polizeimaßnahme, die nur durch ein Amts-, nicht aber durch ein Bürgerrecht gedeckt wird, 692 die entsprechende Kontexttrennung nahe. Man stelle sich etwa vor, dass die örtliche Polizeibehörde nicht über die Dreharbeiten für einen Kinofilm informiert wurde und eine Fußstreife bei der dafür inszenierten Schlägerei interveniert. Wenn ein Angehöriger der Crew alle Kameras versteckt hat, um möglichst realistische Aufnahmen zu erhalten, muss der sorgfältige Amtswalter von einer Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des Stuntman, der gerade verprügelt wird, ausgehen. Polizeirechtlich sind daher zumindest leicht körperverletzende Maßnahmen gegen den Angreifer zulässig. Ohne eine Übernahme dieses öffentlichen Rechtmäßigkeitsurteils für den behördlichen Eingriff stünde dem handelnden Polizisten als Bürger in Uniform grundsätzlich nur das private Nothilferecht gemäß § 32 zur Seite. 693 Mangels ex post vorliegender Gefahr würde er dann § 229 objektiv rechtswidrig, wenn auch ohne (subjektive) Fahrlässigkeit verwirklichen. Dessen ungeachtet geht man selbstverständlich davon aus, „dass die im Strafrecht relevanten Rechtfertigungsgründe dem Gesamtbereich der Rechtsordnung entstammen“, 694 das heißt ebenso öffentlich-rechtlicher Art sein können. Wie 688
Vgl. zum Begriff Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 179 ff. So die Bestimmung ihres gemeinsamen Rechtsgutes a. a. O., S. 275 ff. u. 310 ff. 690 Vgl. dazu Ostendorf / Meyer-Seitz, StV 1985, 73, 79. 691 So aber etwa das LG Frankfurt NJW 2005, 692, 693 ff. im Fall Daschner. 692 Vgl. Kirchhof, in: Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 73. 693 Es ist davon auszugehen, dass der vermeintliche Angreifer den Erlaubnistatbestandsirrtum des eingreifenden Polizisten nicht in zurechenbarer Weise verursacht hat; vgl. zu dieser Problematik das folgende Kapitel 3, S. 153. 689
C. Die Einheit von Gegenstand und Kontext
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zuvor 695 gezeigt ist diese Kontextgleichsetzung im Ergebnis geboten, weil der Polizist andernfalls möglicherweise mit einem Defensivnotstandstäter konfrontiert würde. Nachdem sich die Einheit der Rechtsordnung als mangelhafte Begründung erwiesen hat, bleibt zu klären, wie sich weitergehende staatliche Eingriffsbefugnisse zur Gefahrenabwehr auf die strafrechtliche Verhaltensbeurteilung auswirken. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass der Rechtsträger und die Behörde als sein Organ praktisch nicht in der Lage sind, Befugnisse gegenüber dem Bürger umzusetzen. Der Organ- oder Amtswalter muss sie daher im Außenverhältnis vertreten, wenn er auch als die Behörde auftritt. 696 Eine vergleichbare Form der rechtfertigenden Wahrnehmung fremder Befugnisse erfasst das Strafgesetzbuch in §§ 32, 34 durch die Möglichkeit der Notwehr- und Notstandshilfe. 697 Diese Rechtfertigungsgründe beschreiben ebenfalls die Ausdehnung eines Gefährdungsrechtes von (Privat-)Person B gegen C auf den A, so dass dieser selbst Interessen des C riskieren darf. Dass aber ebenso eine behördliche Befugnis auf Bürger prinzipiell übertragbar ist, zeigt das Festnahmerecht in § 127 I StPO, 698 obwohl dabei nur ein sehr beschränkter Übergang auf den Jedermann stattfindet. Das abgeleitete Recht ist nach richtiger Auffassung insofern begrenzt, als der Festzunehmende die Tat wirklich begangen haben muss und selbst ein dringender Tatverdacht nicht ausreicht. 699 Die Norm gewährleistet dennoch eine Notkompetenz für den Fall, dass kein Beamter der Strafverfolgungsbehörde vor Ort ist. Im Grundsatz kann nur ein Amtswalter A das hoheitliche Recht seiner Behörde B gegen den Bürger C ausüben. So gelangt die behördliche Eingriffsbefugnis aus dem Kontext des öffentlichen Rechtsverhältnisses in die straf- und zivilrechtlich geregelten Beziehungen zweier Bürger. Bei der Notwehr- und Notstandshilfe ist die Befugnis des Helfers aber nicht nur akzessorisch zum Recht des Betroffenen, sondern ebenso zu seinem Willen. 700 Daraus folgt die Unzulässigkeit einer aufgedrängten Nothilfe 701 und im Übrigen einer privaten Festnahme gegen den Willen des anwesenden Polizisten. 702 Es stellt sich daher die Frage, ob auch eine Behörde die Wahrnehmung eigener Rechte durch ihre Bediensteten in persönlicher und inhaltlicher Hinsicht vorgeben kann. Die innere Ordnung einer Behörde und das sachliche Verwaltungshandeln werden durch einzelne oder generelle Weisungen – so genannte Verwaltungsvor694 695 696 697 698 699 700 701 702
Roxin, AT1, 14/32 m.w. N. in Anm. 40. Siehe Kapitel 2: A., S. 137. Maurer, Allgemeines VerwR, 21/42 f. Vgl. Kindhäuser / Wallau, StV 1999, 379, 381. Jescheck / Weigend, AT, S. 398. Frister, AT, 14/15 m. N. auch zur Gegenauffassung. Vgl. M. Köhler, AT, S. 289 und Pawlik, Notstand, S. 296. MK – Erb, § 32, Rn. 164 m.w. N. Meyer-Goßner, § 127 StPO, Rn. 7.
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Kap. 2: Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr
schriften – bestimmt. 703 Deren Kennzeichen ist jedoch, dass sie nur im staatlichen Innenbereich rechtliche Wirkung entfalten und als verwaltungsinterne Regelungen weder Pflichten noch Rechte des Bürgers gegenüber dem Hoheitsträger unmittelbar begründen. 704 Eine Nichtbeachtung der Verwaltungsvorschriften ist für die Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahme irrelevant, weil diese nicht die Behörde, sondern ihre Vertreter (im Innenverhältnis) bindet. 705 Sie grenzen daher die Wahrnehmung der Befugnisse einer Behörde durch den Amtswalter nicht ein. Eine Beschränkung seiner Prokura durch einen Innenrechtssatz ist dem Bürger gegenüber unwirksam. 706 Verstöße gegen Innenrecht können lediglich disziplinarisch verfolgt werden. 707 Darüber hinaus bedarf es eines Außenrechtssatzes, etwa in Form von Rechtsverordnung oder Satzung. 708 Solche Sonderregelungen gelten zum Beispiel gemäß §§ 9, 12 I Nr. 4 VwVfG für den Erlass von Verwaltungsakten. Ansonsten erstreckt sich die Zuständigkeitsanweisung an eine Behörde auf alle Mitarbeiter. Jeder Amtswalter kann sie nach Außen vertreten. Dementsprechend sind auch konkrete (innenrechtliche) Weisungen über die Art der Wahrnehmung behördlicher Befugnisse durch die intern zuständigen Beamten gegenüber dem Bürger ohne Auswirkung. Jeder Amtswalter A einer zuständigen Behörde B hat somit die volle Kompetenz zur Außenvertretung in Form schlicht-hoheitlichen Verhaltens. Die behördlichen Befugnisse gegenüber einem Bürger C sind vollständig – auch im Widerspruch zu Innen-, nicht aber zu Außenrechtssätzen – auf den Kontext der rechtlichen Beziehung zwischen A und C auszudehnen. Sie wirken insoweit gleichermaßen hinsichtlich der privaten straf- und zivilrechtlichen Haftung des A rechtfertigend.
703
Maurer, Allgemeines VerwR, 24/1. Erichsen / Ehlers – Ossenbühl, Allgemeines VerwR 12, 6/42 ff. und Maurer, a. a. O., 24/3, 15 ff. auch zu Begründungsansätzen (un-)mittelbarer Außenwirkung. 705 Vgl. Kopp / Rammsauer, § 3 VwVfG, Rn. 16 f. und Rhein, § 5 OBG NW, Rn. 2. 706 Vgl. zur Prokura eines Amtswalters Hufeld, Die Vertretung der Behörde, insb. S. 31, 217, 268 f. 707 Prümm / Sigrist, Allgemeines Sicherheits- und OrdnungsR, Rn. 377. 708 BVerwG JZ 2005, 892 ff. nimmt an, dass Verwaltungsvorschriften auch unmittelbare Außenwirkung entfalten können. Weil deren Voraussetzungen (z. B. Bekanntgabe) und Inhalt mit denen von Rechtsverordnung und Satzung im Wesentlichen übereinstimmen, erscheint diese widersprüchliche Konstruktion indes überflüssig; Maurer, JZ 2005, 895, 896. 704
D. Ex ante-Prüfung der objektiven Rechtfertigung
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D. Ex ante-Prüfung der objektiven Rechtfertigung ohne Widerspruch zur inhaltlichen Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes Erfüllt die hoheitliche Maßnahme eines Beamten den Tatbestand eines uneigentlichen Amts- oder sonstigen Deliktes, kommt seine Rechtfertigung durch staatliche Eingriffsrechte in Betracht. Wenn der Beamte behördliche Befugnisse gegenüber einem Bürger wahrnimmt, wirken diese außerdem im strafrechtlich geschützten Verhältnis zwischen ihm und der belasteten Person. 709 Dazu hat er zunächst Angehöriger der sachlich und örtlich zuständigen Behörde zu sein. Weiterhin sind die materiellen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage unter Berücksichtigung des behördlichen Kenntnisstandes zu prüfen. Der geforderte Sachverhalt muss nicht notwendig objektiv ex post vorliegen. Davon ist abzusehen, soweit das Fehlen von Umständen auf der Grundlage des Wissens der intern zuständigen Sachbearbeiter und ihrer präsenten Akten nicht erkannt werden konnte. 710 Gehört der Beamte zu diesem Mitarbeiterkreis, müssen schon deshalb auch seine Kenntnisse berücksichtigt werden. Dies führt dazu, dass Risiken als Voraussetzung der objektiven Rechtfertigung eines straftatbestandsmäßigen Verhaltens von Amtsträgern im genannten Sinne ex ante zu prüfen sind. Ob die Ausgangslage in Wirklichkeit, also objektiv ex post gefährlich war, ist nicht mehr entscheidend. Fehlt es tatsächlich an einem Risiko, muss unter anderem das Täterwissen berücksichtigt werden. Die Begründung für diesen Rückgriff ist jedoch für den Fall zu ergänzen, in dem ein intern unzuständiger Behördenmitarbeiter von seiner im Außenverhältnis unbeschränkten Vertretungsbefugnis Gebrauch macht. Er erledigt dann gleichermaßen eigenverantwortlich die behördlichen Angelegenheiten, weshalb nicht nur sein Verhalten, sondern ebenso die dabei vorhandenen Kenntnisse der Behörde zugerechnet werden. Seine unbeschränkte persönliche Vertretungsberechtigung nach Außen wirkt sich somit nach Innen als potentielle Zuständigkeit aus, 711 die sich im Zeitpunkt der Wahrnehmung realisiert. Die ex ante-Prüfung der materiellen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage berücksichtigt das (Sonder-)Wissen des konkreten Amtswalters auch bei der objektiven Rechtfertigung seines straftatbestandsmäßigen Verhaltens. Damit widerspricht sie in erster Linie der – nach dem Täterwissen zum Tatzeitpunkt vorzunehmenden – formellen Trennung zwischen dem objektiven und subjektiven Unrechtstatbestand. 712 Es stellt sich in zweiter Linie die Frage, ob dieser System709 710 711 712
Dazu unter Kapitel 2: C.II., S. 148. Siehe Kapitel 2: B., S.141. Vgl. Pawlik [Anm. 671]. Siehe Kapitel 1: C.II.2., S. 78.
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Kap. 2: Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr
bruch dennoch mit der inhaltlichen Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes in Einklang zu bringen ist. Dieser beschreibt eine objektive Verhaltensordnung und kennzeichnet das ihm genügende Verhalten – soweit es strafrechtlich geschützte Güter betrifft – als ungeeignet zum Auslösen von Notrechten. Die (perspektivische) Prüfung von entgegengesetzten Notrechten anhand unterschiedlicher Sachverhalte führte dabei zu Widersprüchen. 713 Wenn jedoch Behörde und Bürger „miteinander ringen“ sind vergleichbare Friktionen ausgeschlossen. Soweit die Rechtfertigung des tatbestandsmäßigen Verhaltens eines Amtswalters Wirklichkeitsausschnitte ignoriert, soll dadurch eine Befriedungsfunktion erfüllt werden, mit der Gegenrechte des Bürgers nicht zu vereinbaren sind. 714 Die Gefahrenabwehrbefugnis ist daher zugleich Schutzpflicht und -privileg des Staates. Zivile Notrechte gewährleisten den Selbstschutz der Bürger insofern lediglich subsidiär, das heißt wenn keine staatliche Hilfe präsent ist. 715 Der rechtfertigende Sachverhalt wird daher nur einer einzigen (reduzierten) Prüfung unterzogen. Ein Widerspruch ist schon dadurch ausgeschlossen, dass bei seiner Beurteilung ausschließlich auf das Behördenwissen zugegriffen wird. Friktionen können sich erst dann ergeben, wenn zwei Amtswalter derselben Behörde oder verschiedener, aber jeweils zuständiger Behörden im Rahmen ihrer hoheitlichen Gefahrenabwehr „miteinander ringen“. Dieses Problem wurzelt jedoch im Öffentlichen Recht. Von ihm mittelbar hervorgerufene strafrechtliche Ungereimtheiten würden entweder (praktisch) durch disziplinarisch abgesicherte interne oder (theoretisch) durch außenwirksame klare Zuständigkeitsregeln vermieden. Für deren Sicherstellung ist das Strafrecht indes unzuständig.
713 714 715
Siehe Kapitel 1: C.II.4., S. 83. Siehe Kapitel 2: A., S. 137. Frister, AT, 16/6.
Kapitel 3
Riskante Äußerungen Die strafrechtlich relevante Übermittlung von Informationen durch eine Person wurde bereits durch die Gruppe der Äußerungsdelikte als tatbestandliche Besonderheit erfasst und diskutiert. 716 Im Bereich der Rechtfertigungsgründe konnten sich die Äußerungen dagegen noch nicht als selbständige Kategorie etablieren. Einzig das spezielle Problem der Verteidigung gegen einen Erpressungsversuch durch Drohung hat man intensiv erörtert. 717 Soweit sich das abzuwehrende Verhalten auf eine Informationsübermittlung beschränkt, bereitet die Prüfung der Notrechte und insbesondere ihrer Gefahrmerkmale jedoch auch darüber hinaus Schwierigkeiten, die mit den bislang zur Verfügung gestellten Instrumentarien nicht zufrieden stellend zu bewältigen sind. Es soll im Folgenden dargelegt werden, dass solche Äußerungen erst bei Berücksichtigung der im Zivilrecht gebräuchlichen Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“ – im weitesten Sinne – notrechtsähnliche Befugnisse auslösen können. Eine objektive ex ante-Betrachtung wird im Kontext der hier so genannten riskanten Äußerungen dennoch nicht erforderlich werden.
A. Ex ante-Prüfung einzelner Notrechtsmerkmale zur Verlagerung des Irrtumsrisikos auf seinen Verursacher Der Gedanke eines Menschen, zum Beispiel eine andere Person alsbald zu erschießen, ist noch kein geeigneter Gegenstand für ein strafrechtliches Gefahrurteil. 718 Seine Umsetzung durch ein Verhalten wie etwa das Berühren und Abdrücken des Abzugs einer Schusswaffe beinhaltet dagegen sehr häufig ein Risiko, 716 Vgl. nur Fuhr, Die Äußerung im Strafgesetzbuch [2001] und zur jüngeren Rechtsprechung Stegbauer, NStZ 2005, 677 ff. 717 T. Fischer, § 32, Rn. 38; erstmalig Haug, MDR 1964, 548 ff; NK – Herzog, § 32, Rn. 33; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung [2004]; Roxin, AT1, 15/29, 54, 100 –102; Seesko, Notwehr gegen Erpressung durch Drohung mit erlaubtem Verhalten [2004]. 718 Vgl. Jakobs, ZStW 97 [1985], 751, 752 ff.; Struensee, Armin Kaufmann – GedS, S. 528 f.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
dessen Vorliegen und Umfang nach den zuvor dargelegten Regeln zu beurteilen ist. Probleme entstehen, sobald das objektive ex post-Gefahrurteil zwar negativ ausfällt, der Mensch aber durch sein Verhalten bei einer anderen Person, das heißt subjektiv ex ante, den fehlerhaften Eindruck hervorgerufen hat, es liege eine Gefahr vor. Dabei kann er eine solche irrtümliche Risikovorstellung auf verschiedene Weisen und mit vielfältigem Inhalt bei seinem Gegenüber bewirken. Als Mittel kommen Sprache, Gesten oder ein sonstiges Verhalten mit Erklärungswert, beispielsweise die Bedrohung mit einer ungeladenen Waffe, in Betracht. Die Täuschung kann sich auf äußere oder innere Sachverhalte beziehen wie die Funktionsfähigkeit einer Pistole oder die persönliche Absicht, sie tatsächlich verwenden zu wollen. Möglicherweise wird der objektiv ex post-unmögliche Schadenseintritt als vom Willen des Täuschenden oder vom Belieben eines weiteren oder keines Menschen abhängig dargestellt. Der vom Adressaten oder einem Dritten verstandene Inhalt seiner ausdrücklichen oder konkludenten Mitteilung mag dem Äußernden bekannt, lediglich erkennbar oder völlig unverständlich sein. Gegebenenfalls verfolgt er durch sie weitergehende Ziele. Alle Formen von Kommunikation, die fehlerhafte, nicht notrechtsfähige Gefahrannahmen hervorrufen, werden in dieser Arbeit als riskante Äußerungen bezeichnet. Wie man ihre Gefährlichkeit beurteilt und welche rechtlichen Konsequenzen sie auslösen, wurde bislang nicht einheitlich geklärt. Zivile Notrechte erforderten jedenfalls einen Angriff (§ 32 II) beziehungsweise eine Gefahr (§ 34 S. 1), die beide objektiv ex post vorliegen müssen. Ihre Anwendung wäre konsequenterweise in Fällen riskanter Äußerungen abzulehnen. Diesem strikt verfolgten Ansatz wirft man aus gutem Grund vor, er verfehle bei der Abwehr eines nur vermeintlich gefährlichen Verhaltens von Personen, durch die aber der Irrtum hervorgerufen wurde, den „sozialen Bedeutungsgehalt des Geschehens“. 719 Diskutiert wird vor allem die Bedrohung mit Scheinwaffen. Weil solche Anscheinsgefahren in der Regel mit zielgerichtetem menschlichen Verhalten einhergehen, problematisiert man sie hauptsächlich anhand der Notwehrmerkmale, worauf sich die weitere Darstellung zunächst konzentriert. Die nachfolgende Analyse beschreibt zwei Konzepte der Irrtumsprivilegierung und durchleuchtet diese Alternativen zur objektiven ex post-Prüfung der Notrechte.
I. Zur Diskussion des Scheinwaffenproblems und vergleichbarer Konstellationen Man nehme an, der schmächtige Bankräuber B tritt mit einer täuschend echt aussehenden Waffenattrappe aus Gummi vor den kräftigen Kassierer K und verlangt von ihm die Herausgabe des vollständigen Tresorinhalts; andernfalls müsse 719
MK – Erb, § 32, Rn. 58; Jakobs, AT, 11/8.
A. Ex ante-Prüfung einzelner Notrechtsmerkmale
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er um sein Leben fürchten. Erschießt K deswegen B mit seiner nach dem letzten Überfall angeschafften Pistole, 720 stellt sich die Frage, ob er nur in einem unvermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum handelte oder die Tötung (§ 212 I) bereits objektiv als Notwehr gerechtfertigt war. Durch B’s Versuch einer räuberischen Erpressung (§§ 253, 255, 22, 23 I) werden möglicherweise drei Rechtsgüter tangiert. Sein Ziel ist das Vermögen der Bank, und in Aussicht gestellt wird K der Verlust seines Lebens. Außerdem wirkt die Kombination von Herausgabeverlangen und Drohungsmittel auf die Willensfreiheit von K ein. 721 Das Leben des K ist lediglich nach seiner Vorstellung in Gefahr. Wäre ihm bekannt gewesen, dass nur eine Scheinwaffe auf ihn gerichtet wurde, hätte B zudem keine Möglichkeit zur Durchsetzung seiner Forderung gehabt. Das Bankvermögen konnte nur durch das irrtumsbedingte Verhalten des K geschädigt werden. Objektiv ex post betrachtet war es daher zum Schutz des Bankvermögens nicht erforderlich, auf den Bankräuber zu schießen, denn schon die schlichte Untätigkeit des K hätte seinen Bestand gesichert. Wer nun den durch die Drohung ausgeübten psychischen Druck nicht als notwehrfähige Beeinträchtigung der Willensfreiheit ansieht 722 und trotzdem die Verteidigung des Kassierers schon objektiv durch § 32 rechtfertigen will, 723 kann die Voraussetzungen der Notwehr nicht ausschließlich ex post bestimmen. Jakobs schlägt für diese Fälle der Drohung mit einer dem Bedrohten als solcher nicht erkennbaren Scheinwaffe vor, ergänzend auf dessen Sichtweise abzustellen, das heißt den Interessenkonflikt subjektiv ex ante zu beurteilen. 724 Aus dieser Perspektive wäre ein Angriff auf K’s Leben und das Bankvermögen anzunehmen. Die überwiegende Auffassung deutet den psychischen Zwang indes als einen gegenwärtigen Angriff auf die Willens- beziehungsweise Entscheidungsfreiheit des Opfers 725 und will so ihre Forderung aufrechterhalten, dass die Voraussetzungen des rechtswidrigen Angriffs objektiv ex post zu bestimmen sind. 726 Nach der „im Grundsatz allgemeinen Meinung“, dass die Erforderlichkeit einer Verteidigung aus der Sichtweise des verständigen Beobachters unter den Gegebenheiten der Notwehrlage, also objektiv ex ante zu beurteilen sei, 727 erlaubte § 32 einen lebensgefährlichen Schuss auf den Bankräuber, sofern man außerdem dessen 720
Vgl. Otto, Jura 1988, 330. Vgl. Arzt, JZ 2001, 1052, 1053 in Anm. 7. 722 Jakobs, AT, 12/27 a. E. von Anm. 49; Müller, NStZ 1993, 366, 368 und Schroeder – FS, S. 333 ff.; vgl. auch Arzt, MDR 1965, 344 f. und JZ 2001, 1052 f. in Anm. 2, 7. Zur scheinbaren Rechtsgutsqualität der Willensfreiheit Kapitel 3: B.I., S. 163. 723 Müller, NStZ 1993, 366, 368 hält stattdessen § 34 für einschlägig. 724 AT, 11/9 f. 725 Eingehend Amelung, Jura 2003, 91, 93 ff.; Haug, MDR 1964, 548, 551; NK – Herzog, § 32, Rn. 33 m.w. N.; Jäger, AT, Rn. 126; Kindhäuser, AT, 16/8; Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 32, Rn. 18; LK 12 – Rönnau / Hohn, § 32, Rn. 91 f. 726 MK – Erb, § 32, Rn. 57 mit zahlreichen Nw. in Anm. 104. 721
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Gebotenheit bejaht. 728 Da weder ein gedachter sorgfältiger Kassierer noch K die Attrappe als solche erkennen konnten, wäre die Verteidigung notwendig gewesen. Das Problem tritt in gleicher Weise beim untauglichen Versuch zutage, soweit auch das Opfer die Untauglichkeit nicht erkennt. Als Beispiel stelle man sich das unmittelbare Ansetzen zu einem Attentat mit einer defekten Waffe vor (§§ 211, 212, 22). Nimmt ein Opfer – sei es vom Täter gewollt oder unbeabsichtigt – das Unterfangen zur Kenntnis, führt dies zu einer nachhaltigen Belastung seiner Psyche, sofern die Funktionsunfähigkeit ihm ebenso unbekannt ist. Sieht man darin eine „anderweitige Beeinträchtigung von Rechtsgütern“, wäre ein solcher vom Opfer wahrgenommener und als reale Bedrohung empfundener untauglicher Versuch gleichermaßen als notwehrfähiger Angriff einzustufen 729 und wiederum die Frage der erforderlichen Abwehr in den Vordergrund zu rücken. 730 Ist die Untauglichkeit des Tötungsversuchs dem objektiven Dritten unerkennbar, dürfte sich das Attentatsopfer mit seiner funktionierenden Schusswaffe verteidigen. Im Übrigen käme es auch im Ausgangsfall ebenso wenig darauf an, dass B von K die Herausgabe von Geld verlangt. Es genügte, dass er eine als solche nicht erkennbare Scheinwaffe auf ihn richtet. Eine dritte Gruppe von riskanten Äußerungen wird üblicherweise bei der Notwehr im Hinblick auf die Voraussetzung der Gegenwärtigkeit beziehungsweise des Fortdauerns eines Angriffs problematisiert: „A hat auf V schon mehrere Schüsse abgegeben, und nach den Umständen spricht alles für eine Fortsetzung dieses Verhaltens. A faßt jedoch ganz plötzlich den nach außen nicht erkennbaren Willen, das Feuer einzustellen.“ Mit diesem Beispiel möchte Erb, der das Vorliegen eines Angriffs gleichfalls ex post bestimmt, die Notwendigkeit einer objektiven ex ante-Betrachtung seiner Gegenwärtigkeit demonstrieren. 731 Wer diese mit der herrschenden Meinung objektiv ex post prüft, 732 müsse konsequenterweise zu dem Ergebnis kommen, dass eine Gegenwehr des V zwar irrtumsbedingt straflos, mangels Fortdauern des Angriffs aber objektiv rechtswidrig wäre und wiederum ein Notwehrrecht des A auslösen würde. 733 Weil die herrschende Lehre Notwehr lediglich gegen sorgfaltswidriges Handeln zulässt, kommt jedoch eine Rechtfertigung 727 MK – Erb, § 32, Rn. 121 und in Anm. 276; Wessels / Beulke, AT, Rn. 337 f.; Kindhäuser, AT, 16/27; LK 12 – Rönnau / Hohn, § 32, Rn. 180; Roxin, AT1, 15/46, jeweils m.w. N. 728 Vgl. Anm. 757. 729 So z. B. MK – Erb, § 32, Rn. 58. Gegen die Klassifizierung des untauglichen Versuchs als Angriff hingegen Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 32, Rn. 12 m.w. N. 730 Erb, a. a. O. 731 MK, § 32, Rn. 96; vgl. ebenso BGH StV 1989, 477 und BayObLG JZ 1991, 936, 937. 732 Wessels / Beulke, AT, Rn. 330; SK – Günther, § 32, Rn. 65; Maurach / Zipf, AT1, 26/24. 733 MK, § 32, Rn. 96.
A. Ex ante-Prüfung einzelner Notrechtsmerkmale
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der Gegenwehr des A nur nach den Regeln des Defensivnotstands in Betracht. 734 Man könnte sich ferner einen gemeinschaftlichen Diebstahl vorstellen, bei dem der Besitzer nicht herausfinden kann, welcher von den beiden stadtbekannten Spitzbuben mit seiner Brieftasche flüchten will, und den falschen festhält. 735
II. Analyse der Alternativmodelle zum ex post-Urteil Die Schwierigkeiten der angeführten Fallgruppen wurden zwar anhand unterschiedlicher Merkmale des § 32 diskutiert, lassen sich jedoch auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Das als gefährlich eingestufte Verhalten hat jeweils keinen direkten nachteiligen Einfluss auf verkörperte Interessen wie Leben oder Eigentum, sondern wirkt sich nur auf die Vorstellung des Opfers unmittelbar aus. Nach traditioneller Dogmatik begründet ein zur Verletzung untaugliches Tun oder Unterlassen objektiv kein Notwehrrecht. 736 Lässt man gegen das damit als Scheinangriff klassifizierte Verhalten außerdem keine Notstandsmaßnahmen zu, können im Falle seiner Abwehr lediglich Vorsatz und Fahrlässigkeit aufgrund eines Erlaubnistatbestandsirrtums ausgeschlossen werden. 737 Weil man dem Drohenden gegen die folglich objektiv rechtswidrige Verteidigung keine Notwehr- respektive Defensivnotstandsrechte einräumen will, 738 wird dieses Ergebnis als eine ungerechte Verteilung der Irrtumsrisiken abgelehnt, 739 hat doch der Scheinangreifer selbst die Fehlvorstellung erzeugt. 740 Um die rechtlichen Konsequenzen von zurechenbar herbeigeführten fehlerhaften Gefahrannahmen – beziehungsweise der sie bewirkenden riskanten Äußerungen – zugunsten des scheinbar Bedrohten anzupassen, werden verschiedene Abweichungen von der ex post-Prüfung objektiver Notrechtsvoraussetzungen vorgeschlagen. Orientiert man sich am deliktischen Charakter des irrtumserregenden Verhaltens (vgl. §§ 240, 241, 253, 255), liegt zunächst eine notwehrspezifische Lösung nahe, wie sie sich beispielsweise in Erbs Kommentierung des § 32 findet. Ihm zufolge hat der Irrende das Risiko zu tragen, sofern überhaupt kein Angriff droht und er sich nicht in einer Verteidigerrolle befindet. Als Opfer einer realen Aggression müssten die Unklarheiten über Zeit und Umfang des – zuvor objektiv ex post ermittelten – sorgfaltswidrigen Verhaltens zu Lasten des Angreifers gehen. Dies will Erb durch den Übergang zur objektiven ex ante-Betrachtung der 734 735 736 737 738 739 740
Vgl. Jakobs, AT, 11/14. Beispiel von Jakobs, AT, 11/9; vgl. auch MK – Erb, § 32, Rn. 106. Schmidhäuser, AT, 9/93; LK 11 – Spendel, § 32, Rn. 29 m.w. N. Siehe Nw. in Anm. 163 ff. Vgl. Anm. 733. MK – Erb, § 32, Rn. 96, 123; Jakobs AT 11/8 ff. Amelung, Jura 2003, 91, 94 f.; Otto, Jura 1988, 330, 331 f.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Schwere und Gegenwärtigkeit des Angriffs sowie der Erforderlichkeit von Verteidigungsmaßnahmen erreichen. 741 Nach diesem Modell steht und fällt also das Irrtumsprivileg mit dem Nachweis eines tatsächlichen rechtswidrigen Angriffs, was schon deshalb Schwierigkeiten bereitet, weil auch Erb in Beeinträchtigungen der Willensentschließungsfreiheit – wie sie beispielsweise von erpresserischen Drohungen ausgehen – keinen notwehrfähigen Angriff sieht. 742 Im Widerspruch dazu geht er allerdings beim Raubüberfall mit einer Scheinwaffe wegen der(selben) objektiven Beeinträchtigung der Willensfreiheit ex post von einem rechtswidrigen Angriff aus. 743 Außerdem bewertet er im Falle eines untauglichen Tötungsversuchs die nachhaltige Belastung der Opferpsyche als objektiv ex post vorliegende Rechtsgutsgefährdung. Die Lösung Erbs bezieht sich auf die zumindest fahrlässige Bedrohung mit einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff im herkömmlichen Sinne und wird deshalb im Folgenden notwehrspezifisches Modell genannt. Wie beim tatbestandsmäßigen Verhalten der §§ 240 I 2. Alt., 241 I genügt dazu nicht schon die Warnung vor einem rechtswidrigen Angriff. 744 In Aussicht gestellt werden muss vor allem eine vom Willen des Drohenden abhängige Durchführung, die nur in den Fällen des Eigenangriffs selbstverständlich ist. 745 Dies vermag – wie zuvor in Erbs Beispielsfall zum Fortdauern eines Angriffs 746 – auch konkludent durch den schon vollzogenen Angriff zu geschehen. 747 Die Problematik riskanter Äußerungen wird durch die §§ 240 I 2. Alt., 241 I jedoch nicht vollständig erfasst. In anderen Fällen kann die von der ex post-Prüfung objektiver Rechtfertigungsvoraussetzungen vorgegebene Verteilung der Irrtumsrisiken gleichermaßen unsachgemäß erscheinen. Dazu stelle man sich einen „Verbrecher im Pyjama“ vor, 748 der mit großem Geschick den Somnambulismus vortäuscht. Bedroht dieser vermeintliche Schlafwandler jemanden mit einer Scheinwaffe, erfüllt er nicht den Bedrohungstatbestand 749 und suggeriert dem anderen lediglich eine Defensivnotstandslage. Es stellt sich dann die Frage, warum dessen Erlaubnistatbestandsirrtum nicht ebenfalls durch eine schon objektive Rechtfertigung privilegiert werden sollte. Jakobs macht die Verschiebung des Irrtumsrisikos zunächst ebenfalls vom Notrecht respektive seiner Funktionsweise abhängig. Er geht jedoch einen Schritt 741
MK, § 32, Rn. 57 f., 96 u. 120 ff. A. a. O., Rn. 90 f. 743 A. a. O., Rn. 58. 744 Vgl. Schönke / Schröder – Eser, Vorbem §§ 234 ff., Rn. 31 m.w. N. 745 Vgl. BGH NStZ 1996, 435; MK – Gropp / Sinn, § 240, Rn. 67 u. § 241, Rn. 4. 746 Nw. in Anm. 731. 747 Vgl. BGH NStZ 2003, 424 f.; MK – Gropp / Sinn, § 240, Rn. 68. 748 Vgl. den so betitelten Zeitungsartikel in der SZ v. 23. 12. 2005, S. 11 (Rubrik: Wissen) über den Fall eines traumwandelnden Vergewaltigers. 749 Vgl. im Einzelnen Kapitel 1: F.II.2., S. 133. 742
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weiter, indem er auf ein umfassenderes Prinzip der Verantwortung oder Veranlassung abstellt. Notwehr und Defensivnotstand setzten zwar voraus, dass die Konfliktlage dem Eingriffsopfer voll zugerechnet werden kann beziehungsweise in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Dabei müsse diese Verbindung zwischen dem Konflikt und seinem Organisationsbereich objektiv ex post bestehen, denn andernfalls fehle es an einem Grund für die korrespondierende Pflicht zur Duldung der Maßnahme. Auf die Wirklichkeit einer Notlage kommt es ihm jedoch nicht an; insofern genüge bereits die unterlegene Stellung des Getäuschten. Schon wer objektiv ex post zurechenbar eine Scheingefahr erzeugt und vom scheinbar Gefährdeten mit deren Abwehr belastet wird, den treffe dieser Eingriff nicht mehr als Sonderopfer (vgl. § 34). Entsprechend dem Prinzip der Veranlassung oder Verantwortung erfahre er nur die Konsequenz des eigenen Täuschungsmanövers. Nach Jakobs Verständnis geht es daher „um die Wirklichkeit der Bedingungen der Zurechnung zum Eingriffsopfer, nicht um die Wirklichkeit einer von diesem geschaffenen Notlage“. 750 Sein Modell knüpft Notwehr- und Defensivnotstandslage nicht ausschließlich an vermeidbare oder zu verantwortende Interessenkollisionen, sondern allgemeiner an den aufgezwungenen sozialen Konflikt. Daraus entwickelt er eine Prüfung des Risikos und der Erforderlichkeit von Abwehrmaßnahmen nach den Vorstellungen des Getäuschten, mit anderen Worten eine subjektive ex anteBetrachtung. Zur Methode der Irrtumszurechnung im Falle von objektiv ex postüberflüssigen Abwehrmaßnahmen stellt Jakobs fest: „Bestehen bei den genannten Rechtfertigungsgründen die Bedingungen der Zurechnung wirklich, so zwingt das Eingriffsopfer dem Eingreifenden die Konfliktlage auf.“ 751 Demnach sind (wohl) die Voraussetzungen für die objektive Zurechnung des fremden Irrtums vom Rechtfertigungsgrund abhängig. Notwehr wäre zulässig, wenn das Fehlvorstellungsrisiko beim scheinbar Angegriffenen für den Scheinangreifer erkennbar und zu vermeiden ist. Ein wirklicher Schlafwandler könnte mit seiner Scheinwaffe dagegen nur einen sozialen Konflikt zurechenbar verursachen, der ein Defensivnotstandsrecht auslöst. Weil Jakobs für die Notwehr eine schuldhafte Verursachung des sozialen Konfliktes voraussetzt, 752 rechtfertigt er aus diesem Grund einen Messerstich gegen den mit einer Pistolenattrappe angreifenden Volltrunkenen als Defensivnotstand. 753 Beschränkungen für die Fälle, in denen außerdem ein Zuständigkeitsdefizit für die Scheingefahr suggeriert wird, gäbe es demnach keine. Es passte auch nicht zu diesem Modell, dem mit der Waffenattrappe Drohenden zunächst die volle Zuständigkeit für einen sozialen Konflikt zuzuweisen, ihm aber zugleich die Möglichkeit einzuräumen, durch eine weitergehende Täuschung über die Zurechnungsbedingungen seine „Irrtumshaf750 751 752 753
AT, 11/9. AT, 11/12 u. 15. AT, 12/16 ff. AT, 11/10.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
tung“ sogleich wieder zu beschränken. Folglich würde ein Notwehrrecht nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Scheinangreifer zugleich sein Schlafwandeln oder Volltrunkenheit vortäuscht.
III. Ungereimtheiten und Begründungsdefizite Die vorgestellten Konzepte zur Irrtumsprivilegierung bestimmen Notrechte nicht mehr ausschließlich objektiv und lassen sich daher nur als Ausnahmeregelung zur herkömmlichen Rechtfertigungssystematik verstehen. 754 Das notwehrspezifische Modell von Erb trennt zwischen der ex post-Prüfung des Angriffs einerseits und der ex ante-Betrachtung seiner Gegenwärtigkeit sowie der Erforderlichkeit von Verteidigungsmaßnahmen andererseits. Bereits die Unterscheidung zwischen zwei Sachverhalten, nach denen sich jeweils die Merkmale Angriff und Gegenwärtigkeit bestimmen sollen, ist problematisch. Das riskante menschliche Verhalten würde demnach anhand aller – zu diesem Zeitpunkt bereits eingetretenen – Tatsachen und Erfahrungssätze geprüft, während man etwa sein Fortdauern lediglich aufgrund des dem objektiven Dritten und dem Täter gemeinsam bekannten Ausschnitts davon verneinen dürfte. Methodisch setzt dies voraus, dass es sich beim „gegenwärtigen Angriff“ um eine aufspaltbare Voraussetzung handelt. Andernfalls gäbe es keinen ex post vorliegenden Angriff, der lediglich in der objektiven ex ante-Sichtweise fortdauert, sondern ausschließlich wirkliche oder aber zu befürchtende gegenwärtige Angriffe. 755 Das strikt angewandte notwehrspezifische Modell beinhaltet somit die Prämisse, dass der Ausdruck „gegenwärtiger Angriff“ kein Pleonasmus ist. Gezeigt wurde jedoch in Kapitel 1: F.II.1., S. 127, dass die Gegenwärtigkeit in § 32 II ein überflüssiges Merkmal darstellt, welches man entweder ignorieren oder gemeinsam mit dem Angriff als einheitliche Voraussetzung prüfen muss. Deshalb ist es nicht möglich, zwischen der ex post-Prüfung des Angriffs einerseits und der ex anteBetrachtung seiner Gegenwärtigkeit andererseits zu differenzieren. Letztere Voraussetzung würde sich entweder auf keinen oder auf den in gleicher Weise für den Angriff relevanten Sachverhalt beziehen. Besser nachvollziehbar wäre insofern ein anders verstandenes notwehrspezifisches Modell, wonach alle gesetzlichen Voraussetzungen des § 32 objektiv ex ante geprüft werden, während die von Erb objektiv ex post genannte Prüfung des Angriffs – logisch vorgelagert und auf eine noch näher zu bestimmende Art – ausschließlich der Begründung dieser ex antePrüfung dient. Bei den Merkmalen Angriff und Erforderlichkeit beziehungsweise Geeignetheit der Verteidigungsmaßnahme bewirkt der Wechsel von einer objektiven ex post754 755
Vgl. Otto, Jura 1988, 330, 331 und LK 11 – Spendel, § 32, Rn. 29 in Anm. 67. Vgl. Schmidhäuser, JZ 1991, 937, 938.
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zur ex ante-Betrachtung dieselben Unstimmigkeiten. Zur Verteidigung geeignet sind Maßnahmen, die ein – aus menschlichem Verhalten resultierendes – Risiko verringern. Das Angriffsmerkmal hat dabei nur insofern eigenständige Bedeutung, als es die Gefahr von einem mindestens fahrlässigen menschlichen Verhalten abhängig macht. Es überschneidet sich mit der Verteidigungseignung, die aus dem Vergleich der Risikourteile mit und ohne Abwehrmaßnahme resultiert, was eine Bezugnahme auf die „Ausgangsgefahr“ erfordert. Diese ist somit gleichermaßen in den Merkmalen Angriff und Verteidigungseignung enthalten. Wer annimmt, dass die Erforderlichkeit und damit ebenso die Geeignetheit der Verteidigungsmaßnahme objektiv ex ante, also unter Berücksichtigung der Erkenntnisbeschränkungen von objektivem Dritten und Täter zu beurteilen ist, der kann den abzuwehrenden Angriff beziehungsweise die in ihm enthaltene Gefahr nicht ausschließlich objektiv ex post prüfen. Die Unstimmigkeit entfällt gleichermaßen, wenn man das Modell von Erb in dem zuvor beschriebenen Sinne umdeutet und alle gesetzlichen Notwehrvoraussetzungen objektiv ex ante beurteilt. Das Angriffsmerkmal würde dabei doppelt berücksichtigt werden. Die daran festgemachte vorgezogene Prüfung der riskanten Äußerung wäre Bedingung für einen Wechsel von der ex post zur objektiven ex ante-Betrachtung aller gängigen Notwehrvoraussetzungen. Der ex ante-Charakter dieser objektiv ex post genannten Vorprüfung des Angriffsmerkmals kommt in den diskutierten Fällen zwar nicht deutlich zum Vorschein. Es wurde jedoch von Amelung attestiert, dass die (vermeintlich) „objektive Notwehrvoraussetzung der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit durch ein subjektives Element bestimmt“ wird. 756 Wegen der Einstufung der Freiheiten von Wille und Psyche als notwehrfähige Interessen orientiert sich die Rechtsgutsgefährdung an den Verteidigervorstellungen, wodurch die ex post-Vorprüfung des Angriffs zu einer ex ante-Betrachtung mutiert. Darüber hinaus ist aber vor allem zweifelhaft, ob die Freiheiten von Wille und Psyche überhaupt durch § 32 bewehrte Rechtsgüter darstellen. Verneint man dies, gibt es in den Fällen eines Scheinwaffenangriffs und des untauglichen Versuchs keinen „objektiv ex post“ festzustellenden Angriff. Das gleiche gilt für die dritte Gruppe der vermeintlich fortdauernden Angriffe. An ihr zeigt sich nochmals, dass die eigentliche Methode des notwehrspezifischen Modells in der Verdoppelung der Prüfungsgegenstände liegt. Die Notwehr richtet sich hier nicht gegen den ersten wirklichen, sondern gegen einen zweiten vermeintlichen Angriff. Eingangs wird zwar vom notwehrspezifischen Modell ein objektiv ex post genannter Angriff gefordert. Dieses Merkmal dient aber in den diskutierten Konstellationen lediglich zur Legitimation einer umfassenden Verschiebung des Irrtumsrisikos. Für die objektive Rechtfertigung genügt es bei seinem Vorliegen bereits, dass weder dem objektiven Dritten noch dem Täter das Fehlen der Notwehrvoraussetzungen erkennbar sind. Damit verringern sich deutlich die Unterschiede zu dem 756
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
am Prinzip der Verantwortung oder Veranlassung orientierten Modell. Auf der ersten Stufe verlangen beide – scheinbar unterschiedliche – Formen der riskanten Äußerungen als Eingangsmerkmal, Erb den Angriff auf die Freiheiten von Wille und Psyche, während Jakobs auf die zurechenbare Irrtumserregung abstellt. Der Sache nach muss jeweils in zurechenbarer Weise derselbe Zustand herbeigeführt werden, nur dass er zum einen Rechtsgutsgefährdung und zum anderen Irrtum genannt wird. Danach prüfen beide Autoren die Voraussetzungen der Notwehr beziehungsweise von Notwehr und Defensivnotstand ex ante, Erb objektiv und Jakobs subjektiv. Auch das am Prinzip der Verantwortung oder Veranlassung orientierte Modell wendet Notwehr und Defensivnotstand nicht ausschließlich auf die allgemein akzeptierten Formen von Interessenkollisionen an, sondern knüpft sie an einen darüber hinaus gehenden „sozialen Konflikt“. Was sich hinter diesem Ausdruck verbirgt, kann dahinstehen, sofern man nachweist, dass er nicht ausschließlich Risiken erfasst, deren Abwehr die zivilen Notrechte privilegieren. Werden in den beschriebenen Fällen riskanter Äußerungen, bei denen eine Irrtumsprivilegierung angebracht erscheint und die beiden notrechtsspezifischen Modelle eingreifen, keine notrechtsfähigen Rechtsgüter tangiert, müssen diese Konzepte abgelehnt und eine Lösung außerhalb der Notrechte des scheinbar Gefährdeten gesucht werden. Diese könnte sich außerdem leichter der ebenso problematischen Begrenzung einer irrtumsprivilegierten Verteidigung annehmen, die bislang nur im Zusammenhang mit der Erpressung diskutiert wird. 757 Es erscheint zumindest inkonsequent, etwa bei einer zwar als Scherz gedachten, aber dennoch sehr überzeugenden Lebensbedrohung (§ 241 I StGB) mittels Waffenattrappe einen Angriff auf die Freiheit der Psyche des Opfers anzunehmen, um dann über die Gebotenheit seiner objektiv und / oder subjektiv ex ante erforderlichen Verteidigung durch einen Kopfschuss nachzudenken. Müller bringt diese Unstimmigkeit auf den Punkt: „Was man ihm mit der einen Hand gibt (Notwehrbefugnis), nimmt man ihm mit der anderen wieder fort.“ 758 In solchen Fällen allerdings erforderliche (und darüber hinaus auch möglichst) 759 präzise Begrenzungen fehlen beiden Modellen der Irrtumsprivilegierung. 760
757
Vgl. für Beschränkungen der Notwehr gegen erpresserische und nötigende Drohungen anhand der Gebotenheit etwa Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 32, Rn. 18 und (bei Schweigegelderpressungen) Wessels / Beulke, AT, Rn. 348a, beide m.w. N.; dagegen Eggert, NStZ 2001, 225, 227 ff. und Seesko [Anm. 717], S. 111 f. 758 Schroeder – FS, S. 332. 759 Vgl. a. a. O. 760 MK – Erb, § 32, Rn. 98, bringt das Problem in der Auseinandersetzung mit „der h. M.“ zwar auf den Punkt, ignoriert es dann aber in der eigenen Lösung; a. a. O., Rn. 58.
B. Beschränkung der zivilen Notrechte
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B. Beschränkung der zivilen Notrechte auf den erforderlichen Schutz primärer Rechtsgüter Eine bloße Risikovorstellung etwa hinsichtlich des eigenen Lebens kann nach dem herkömmlichen Verständnis der Notrechte nicht rechtfertigend wirken. Andernfalls hätte die Rechtsordnung so viele Bezugspunkte für die Verhaltensbewertung wie es Menschen gibt und drohte widersprüchlich zu werden. Für die Rechtfertigung durch Notwehr und Notstand sind daher ein wirklicher Angriff beziehungsweise eine objektive ex post-Gefahr zu verlangen. In den erörterten Fallgruppen wurden die Freiheiten des Willens und der Psyche, das Persönlichkeitsrecht sowie die Autonomie als Schutzgüter der Notrechte benannt. 761 Einige Autoren bezweifeln, dass es sich hierbei um notwehr- respektive notstandsfähige Interessen handelt. 762 Die traditionelle Diskussion über die Art der durch §§ 32, 34 geschützten Güter liefert für diese Problematik keine Anhaltspunkte. Die überwiegende Auffassung nimmt an, dass der Notstand alle Arten von Rechtsgütern einbezieht, während die Notwehr lediglich die individualschützenden betrifft. 763 Eine Minderheit argumentiert dagegen mit dem Wortlaut der §§ 32, 34 und ihrer Aufgabe der Gewährung von Schutz für die Bürger bei Versagen der staatlichen Hilfsorgane. 764 Sie geht deshalb davon aus, dass Notwehr und Notstand gleichermaßen ausschließlich Individualrechtsgüter berücksichtigen, die allerdings in manchen Kollektivrechtsgütern wie der Straßenverkehrssicherheit enthalten sind. 765 Da die Freiheiten des Willens und der Psyche, das Persönlichkeitsrecht sowie die Autonomie unmittelbar für den Einzelnen von Bedeutung sind, lässt sich über die Kategorien Individual- und Kollektivrechtsgut keine Klärung herbeiführen.
I. Die Willensfreiheit: Rechtsgut oder (notrechtsunfähige) Freiwilligkeit der Verfügung über ein Rechtsgut? Um die Rechtsgutsqualität der Willensfreiheit prüfen zu können, benötigt man zunächst eine zumindest ungefähre Vorstellung, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Ihre Bestimmung als psychische Fähigkeit, stets eine andere als die 761
Vgl. Kapitel 3: A.I., S. 154 und SK – Günther, § 32, Rn. 71. Vgl. die Nw. in Anm. 722. 763 MK – Erb, § 32, Rn. 76 ff. u. § 34, Rn. 52 ff.; Kühl, AT, 8/21 ff. u. 7/34 ff., beide m.w. N. 764 Vgl. Kapitel 2: D., S. 151. 765 Frister, AT, 16/6, 17/2 u. 6; SK – Günther, § 32, Rn. 34 ff. u. § 34, Rn. 23 f. Eingehend zu den Überschneidungen zwischen individuellen und kollektiven Rechtsgütern Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 139 ff. 762
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
getroffene Entscheidung fällen zu können, kommt nicht in Betracht, wie Frister veranschaulicht: „Jede Analyse der Willensentscheidung eines Menschen versteht diese Entscheidung als Reaktion einer bestimmten Person auf eine bestimmte Entscheidungssituation und geht damit davon aus, dass die getroffene Entscheidung aus den Eigenarten der Person und der Entscheidungssituation resultiert. Zwar gelingt es oft nicht, die persönlichen und situativen Gründe für die getroffene Entscheidung vollständig zu ermitteln, aber dieses Erkenntnisdefizit ändert nichts daran, dass bei der Analyse menschlicher Entscheidungen die Existenz solcher Gründe stets vorausgesetzt wird.“ 766 Die Entscheidungsfreiheit kann daher nicht absolut, sondern muss relativ beschrieben werden. Die Freiheit einer Willensentscheidung gibt es nur im Hinblick auf zuvor benannte Bedingungen, mit anderen Worten als „Freiheit wovon“. 767 Für die hier zu bewältigenden Probleme kann man sich auf die Veränderungen der subjektiven Entscheidungsgrundlage konzentrieren. 768 Ein Beispiel bietet die Situation einer Nötigung. Nach überwiegender Ansicht schützt der § 240 I, II die Freiheit(en) der Willensbildung und -betätigung. 769 Das tatbestandsmäßige Verhalten des Täters muss eine Handlung, Duldung oder Unterlassung, also ein menschliches Verhalten bewirken. Vis absoluta schließt die Kontrolle des Opfers über den Körper vollständig aus und ist daher entgegen der vermeintlich „nahezu uneingeschränkt herrschende(n) Meinung“ 770 kein taugliches Nötigungsmittel. 771 Damit vis compulsiva eine Handlung, Duldung oder Unterlassung herbeiführen kann, muss sie – ebenso wie die Drohung – mit einer Aufforderung verbunden sein und für den Fall der Nichtvornahme etwa eine Wiederholung dieses Übels in Aussicht stellen. Die Willensbildung des Opfers wird manipuliert, indem der Täter es vor die Entscheidungsalternativen stellt, entweder das von ihm gewünschte Verhalten vorzunehmen oder es nicht durchzuführen und zugleich einen Nachteil in 766
AT, 3/7. Amelung, NStZ 2006, 317, 318. 768 Diese Überlegung orientiert sich an dem von Frister, AT, 24/28 dargelegten Verständnis der Freiwilligkeit eines Rücktritts vom Versuch. 769 Schönke / Schröder – Eser, § 240, Rn. 1 m.w. N. Genannt werden außerdem die Handlungsfreiheit (Seesko [Anm. 717], S. 61 ff.) und die Autonomie des Opfers (Sommer, NJW 1985, 769, 772). Vgl. zu den Freiheiten der Selbstbestimmung und vor Instrumentalisierung MK – Gropp / Sinn, § 240, Rn. 12. 770 LK 11 – Träger / Altvater, § 240, Rn. 38 ff. 771 MK – Gropp / Sinn, § 240, Rn. 59; M. Köhler, Leferenz – FS, S. 516 ff., 519 gelangt zu diesem Ergebnis, indem er die Nötigung im Sinne „eines spezifischen Freiheitsdelikts mit Willensbeugungscharakter“ interpretiert. Hruschka, JZ 1995, 737, 743 und NJW 1996, 160, 162 f. hält es für begrifflich unmöglich, die Fälle der vis absoluta unter den Tatbestand des § 240 I zu subsumieren. Überwiegend (z. B. von Herzberg, GA 1997, 251, 261 f.) werden die Begriffe Handlung, Duldung und Unterlassung jedoch nicht auf ein Verhalten im engeren Sinne beschränkt. Nach diesem weiteren Verständnis würde die Einbeziehung der willensbrechenden Gewalt nicht gegen Art. 103 II GG verstoßen. 767
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Kauf zu nehmen. Das Nötigungsdelikt verhinderte somit, dass man vor bestimmte Entscheidungsalternativen gestellt wird. Freiheit der Willenentschließung wäre insofern die Freiheit von bestimmten Entscheidungsalternativen. Die Nötigung schützt lediglich vor einer (im Sinne von § 240 II verwerflichen) 772 Zwangsanwendung. Der Adressat einer nötigenden Drohung soll nicht vor diese konkreten Entscheidungsalternativen gestellt werden, entweder die vom Täter in Aussicht gestellten nachteiligen Folgen zu ertragen oder sich wie von ihm gefordert zu verhalten. Zwang bedeutet, dass die Wahl der ersten Entscheidungsalternative (Vornahme des Verhaltens) durch die extern angeregte subjektive Verbindung der weiteren Alternative (Nichtvornahme) mit einer Übelserwartung „angeschoben“ wird. Sonderfälle der Nötigung sind die Vermögens- und Aussageerpressung. 773 Bei § 253 besteht die Alternative zur Untätigkeit und Hinnahme des Übels nicht in irgendeinem Verhalten, sondern in einer Vermögensverfügung. Der kupierte und durch eine diesbezügliche Absicht ersetzte Erfolg des § 343 ergibt sich dagegen aus einer Verfahrenshandlung respektive -unterlassung. Folglich müsste es sich hierbei jeweils um Delikte zum Schutz der Willensfreiheit handeln. Durch § 253 würde zusätzlich das Vermögen geschützt, 774 und § 343 sicherte neben der Willensfreiheit die von den Organen der Rechtspflege zu gewährleistenden wesentlichen Verfahrensrechte. 775 Die Freiheit von bestimmten Entscheidungsalternativen kann aber auch durch subtilere Manipulationen gefährdet werden, wenn zum Beispiel dem Entschei772 Die Verwerflichkeit wird üblicherweise durch eine „umfassende Abwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles“ bestimmt; Schönke / Schröder – Eser, § 240, Rn. 17 m. N. zur Rechtsprechung von BVerfG und BGH. Dazu werden Mittel und Zweck in Beziehung zueinander gesetzt; MK – Gropp / Sinn, § 240, Rn. 124. Nach verbreitetem Verständnis ist mit „dem angestrebeten Zweck“ in § 240 II die tatbestandliche Opferreaktion gemeint; MK – Gropp / Sinn, § 240, Rn. 103 m.w. N. auch zur Gegenauffassung. Daraus folgert man ein auf sie bezogenes Absichtserfordernis; Eser, a. a. O., Rn. 34 und Herzberg, GA 1997, 251, 271 f. In Anbetracht der erforderlichen kommunikativen Wirkung von Gewalt und Drohung liegt es näher, dass mit dem angestrebten Zweck der Aufforderungsgegenstand, also das Verhalten gemeint ist, welches der Täter von seinem Opfer ausdrücklich oder konkludent verlangt hat. Vgl. auch Kapitel 3: C.V.3.b), S. 218. 773 Welzel, StrafR, S. 548 unter Berufung auf RGSt 71, 374, 375: „Die Aussageerpressung richtet sich als Spezialfall der Nötigung gegen die Freiheit der Willensbildung oder Willensbetätigung bei Aussagen in amtlichen Untersuchungen“. 774 Lackner / Kühl, § 253, Rn. 1 m.w. N. 775 Die h. M. geht davon aus, dass § 343 neben der Willensfreiheit die innerstaatliche Rechtspflege vor einem Vertrauensverlust der Bürger schützt; Schönke / Schröder – Cramer / Sternberg-Lieben, § 343, Rn. 1 und mit differenzierender Darstellung dieser dualistischen Rechtsgutskonzeption Rogall, Rudolphi – FS, S. 525 ff. Ebenso gut könnte man annehmen, § 212 I schütze das Vertrauen darin, nicht von seinem Mitbürger getötet zu werden. Das Vertrauen der Bürger in die innerstaatliche Rechtspflege (vgl. Schönke / Schröder – Cramer / Sternberg-Lieben, § 343, Rn. 1) wird nicht durch die Verhaltens-, sondern erst durch die Sanktionsnorm abgesichert; vgl. dazu Kapitel 3: B.II., S. 171.
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denden bereits ein Übel wie Zahlungsunfähigkeit oder Obdachlosigkeit droht. Hier genügt es bereits, den Abschluss eines Kredit- oder Mietvertrages zu extrem schlechten Konditionen in Aussicht zu stellen, um die Willensfreiheit zu beeinträchtigen. Die Entscheidung für das gewünschte Verhalten wird dabei nicht durch das Hinzufügen eines neuen, sondern durch das andernfalls zu erwartende Verbleiben eines bereits bestehenden Übels forciert. Für die Freiheit der Entscheidung ergibt sich daraus kein prinzipieller Unterschied. Lediglich die Methode ihrer Beeinflussung variiert. Konsequenterweise müsste der Wucher als Delikt gegen die Willensfreiheit und das Vermögen eingeordnet werden. 776 Dennoch sieht die überwiegende Ansicht durch § 291 lediglich das Vermögen geschützt. 777 Ähnlich subtil geht ein Betrüger (§ 263) vor, der dem Opfer vortäuscht, dass sein Verhalten, das heißt seine Vermögensverfügung insgesamt vorteilhaft ist. Man vermag diese Täuschung vom Zwang typisierend dadurch abzugrenzen, dass bei ersterem die Entscheidung des Erklärungsempfängers nicht durch einen Nachteil bei Nichtvornahme eines Verhaltens „angeschoben“, sondern durch den mit seiner Vornahme verbundenen Vorteil „angezogen“ wird. Für die Freiwilligkeit lässt sich daraus im Ergebnis jedoch kein Differenzierungskriterium entwickeln. Zwang und Täuschung unterscheiden sich danach lediglich im Hinblick auf die subjektive Darstellung der Entscheidungsalternativen „Vor- oder Nichtvornahme“, auf die sie Einfluss nehmen. Da sich die Wahl einer Alternative immer aus dem Vergleich der Vor- und Nachteile zweier (oder mehrerer) Möglichkeiten, mit anderen Worten aus einer Bilanz ergibt, 778 haben beide Methoden aber prinzipiell den gleichen Einfluss. Beim Betrug wird zwar die Willensfreiheit durch Täuschung ausgeschaltet. 779 Trotzdem ist man sich heute weitgehend einig, dass als Rechtsgut des § 263 das Vermögen und gerade nicht die Willensfreiheit geschützt wird. 780 Bei den angesprochenen Tatbeständen lässt sich kein prinzipieller Unterschied im Hinblick auf die Gefährdung der Willensfreiheit feststellen. Diese Gemeinsamkeit der Selbstschädigungsdelikte wird zwar durch Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Kernrechtsgüter verschleiert. Beschränkt man den Vergleich etwa auf Vermögensdelikte wie die Erpressung (§ 253), den Betrug (§ 263) und den Wucher (§ 291), tritt sie allerdings schon deutlicher zutage. Ein noch besseres Beispiel für die strukturelle Identität der Willensfreiheitsgefährdung respektive -verletzung trotz unterschiedlicher Angriffsmethoden findet sich in den Delikten zum Schutz des politischen Grundrechts der Wahlfreiheit (Art. 38 GG). Die in 776
So etwa von Scheffler, GA 1992, 1, 3 ff. m.w. N. auch zur älteren Literatur. Schönke / Schröder – Stree / Heine, § 291, Rn. 2 m.w. N. 778 Vgl. zur spiegelbildlichen Problematik bei der rechtfertigenden Einwilligung den mit Anm. 891 f. versehenen Absatz und dortige Nw. 779 Eckstein, GS 78 [1911], 137, 138; Frank, RStGB, § 263, Anm. I. m.w. N. 780 Schönke / Schröder – Cramer / Perron, § 263, Rn. 1/2 m.w. N.; vgl. aber auch Nw. in Anm. 779. 777
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§ 108 I angeordnete Strafbarkeit der Wählernötigung soll verhindern, dass der Wähler mit einer bestimmten Ausübung des Wahlrechts nachteilige Folgen verbindet und sich daher für eine andere Verhaltensalternative entscheidet. Das Verbot der Wählertäuschung in § 108a I 1. Var. will ihn davor bewahren, sich über den Inhalt seiner Wahlentscheidung zu irren, das heißt zu verkennen, welche beziehungsweise dass er eine wahlrechtlich erhebliche Erklärung abgibt. 781 Die zweite und dritte Variante schützen den Wähler davor, vom ursprünglichen Vorhaben der Wahlrechtsausübung wegen einer Fehlvorstellung zum Beispiel über den Wahltermin abzusehen. 782 Durch den Tatbestand der aktiven Wählerbestechung (§ 108b I) wird verhindert, dass der Wähler eine bestimmte Wahlalternative mit zusammenhangslosen Vorteilen verknüpft und sich daher nicht „autonom-vernünftig“ 783 für sie entscheidet. In der gesetzlich vorgegebenen Aneinanderreihung dieser Delikte zum Schutz der Wahlfreiheit verblassen die Unterschiede zwischen den einzelnen Formen der Beeinträchtigung der Willensfreiheit nachhaltig. 784 Trotzdem bleibt die strukturelle Identität des Angriffs auf die Willensfreiheit in Erörterungen der §§ 108 I, 108a I, 108b I ebenso wie bei den zuvor angesprochenen Selbstschädigungsdelikten vielfach unbeachtet. 785 In Anbetracht dieser Übereinstimmung muss die Willensfreiheit konsequenterweise entweder durch alle diese Delikte oder sie darf durch keines rechtlich geschützt werden. Im Rahmen der ersten Deutungsoption würden sämtliche Selbstschädigungsdelikte zugleich als Delikte gegen die Willensfreiheit angesehen. Notwendig wäre dazu, dass die Angriffsformen „in die Rechtsgutsbestimmung aufgenommen [...] und auf diese Weise gleichsam überhöht werden“. 786 Die Willensfreiheit respektive der Angriff auf dieselbe stellen aber lediglich den Weg zur Verletzung eines von ihr zu trennenden Rechtguts dar. Dies wird deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Literatur ein eigenes Rechtsgut der Willensfreiheit gerade für die Fälle fordert, in denen diese offensichtlich durch den Täter eingeschränkt wird, während subtilere Beeinträchtigungen der Willensfreiheit insofern keine Berücksichtigung finden. Zwänge, nicht aber eine Täuschung oder bloße Verlockung führen regelmäßig zur Annahme 781
BGHSt 9, 338, 339; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT2, 86/27. Motivirrtümer sollen ausnahmslos unbeachtlich sein; MK – H. E. Müller, § 108a, Rn. 5 und AK – Wolter, § 108a, Rn. 3, beide m.w. N. 783 Vgl. M. Köhler, Leferenz – FS, S. 523 in Anm. 45 zur Freiheitsbeschränkung im Falle der Inkonnexität von erlaubtem Nötigungsmittel und -zweck (§ 240 II). 784 Vgl. Junck, Strafrechtliche Grenzen der Beeinflussung von Wählern, S. 19 ff., 87 ff. u. 109 ff., der das durch § 108b I geschützte Rechtsgut letztlich jedoch entsprechend der h. M. in der Sachlichkeit der demokratischen Willensbildung sieht; a. a. O., S. 112 m.w. N. 785 Vgl. etwa die Rechtsgutsbestimmung von LK 11 – Laufhütte, LK 12 – Bauer / Gmel sowie AK – Wolter zu den §§ 108, 108a u. 108b, jeweils unter Rn. 1. 786 Vgl. LK 11 – Tiedemann, Vor § 263, Rn. 23. 782
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eines Deliktes gegen die Willensfreiheit, obwohl die Entscheidungsfindung in prinzipiell vergleichbarer Weise beeinflusst wird. Daher vermag auch nicht abstrakt benannt zu werden, bei welcher Angriffsform die Willensfreiheit ein eigenes Rechtsgut darstellen soll. Sähe man die Willensfreiheit als ein Rechtsgut an, würde dadurch zudem der Tatbestand des unechten Unterlassungsdeliktes beschränkt. Gemäß § 13 I kann der Garant für die Nichtabwendung eines Erfolges, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, bestraft werden, wenn sein Unterlassen der aktiven Tatbestandsverwirklichung entspricht. Vom Tatbestand des unechten Unterlassungsdeliktes wird lediglich die Nichtabwendung eines tatbestandsmäßigen Erfolges, nicht jedoch die Nichtbeseitigung eines bereits eingetretenen Erfolges erfasst. Daher wäre zum Beispiel nicht gemäß §§ 303 I, 13 zu bestrafen, wer eine Sache bewusst nicht repariert, nachdem er sie zuvor fahrlässig beschädigt hat. Von Bockelmann wurde der Irrtum als tatbestandlicher Erfolg des Betruges angesehen. Einen Betrug durch Schweigen ohne jeden Erklärungswert (§§ 263 I, 13) kann nach seiner Konzeption ausschließlich derjenige begehen, der es unterlässt, die Entstehung des Irrtums abzuwenden, und nicht schon jeder, der es versäumt, einen bereits entstandenen Irrtum zu beseitigen. Verschickt der Täter etwa ohne Vorsatz einen irreführenden Brief, wäre ein Betrug durch Unterlassen – eine entsprechende Absicht vorausgesetzt 787 – nur so lange möglich, bis der Adressat ihn liest und den darin vorgespiegelten falschen Tatsachen Glauben schenkt. 788 Wegen der strukturellen Identität der Willensfreiheitsgefährdungen findet Bockelmanns These bei der Erpressung sowie allen weiteren Selbstschädigungsdelikten entsprechende Anwendung. Als tatbestandlicher Erfolg im Sinne des § 253 I wäre demnach die Vorstellung des Verfügenden anzusehen, dass ohne seinen vom Erpresser gewünschten Zugriff auf das Vermögen ein empfindliches Übel eintreten wird. Hat der Täter diesen Defektzustand bereits unvorsätzlich herbeigeführt, könnte sein weiteres Schweigen (ohne eigenständigen Erklärungswert) nicht als Erpressung durch Unterlassen gemäß §§ 253 I, 13 bestraft werden. Dieser Rechtsfolge entgeht, wer bei Delikten, deren Tatbestand verlangt, dass ihr Erfolg durch einen Zwischenerfolg herbeigeführt wird, letzteren erst im Rahmen der Entsprechungsklausel behandelt. 789 Eine solche Struktur haben alle Selbstschädigungsdelikte, wobei der Zwischenerfolg jeweils in der Beeinträchtigung der Willensfreiheit besteht. Diese würde folglich nicht entsprechend Bockelmanns These als tatbestandsmäßiger Erfolg, sondern bei der Frage thematisiert, ob das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. Das von § 13 in Verbindung mit dem jeweiligen Begehungsdelikt ge787 Vgl. zur Problematik der absichtlichen Unterlassung SK – Rudolphi, Vor § 13, Rn. 27 m.w. N. 788 Eberhard Schmidt – FS, S. 441 ff. 789 Frister, AT, 22/3.
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forderte, für den Erfolg hinderliche Eingreifen wäre dem Täter daher nach dem Eintritt des Defektzustandes noch möglich. Selbst wenn das mit dieser formellen Unterteilung zu erreichende Ergebnis weitgehend konsensfähig sein dürfte, so fehlt der Differenzierung dennoch eine inhaltliche Begründung. Diese ergibt sich aus der Konkretisierung des von § 13 I benannten tatbestandsmäßigen Erfolges. Der Wortlaut legt es sehr nahe, darunter die von der tatbestandsmäßigen Handlung trennbare Verletzung oder Gefährdung des tatbestandlich geschützten Handlungsobjekts zu verstehen. 790 Tatbestandsmäßiger Erfolg im Sinne des § 13 I wäre somit ausschließlich die durch eine Handlung des Täters zu verursachende Rechtsgutsverletzung beziehungsweise -gefährdung. 791 Demgegenüber wird das Merkmal vielfach weiter ausgelegt und als das tatbestandsmäßige Geschehen aufgefasst, welches eine Strafvorschrift für die Tatvollendung voraussetzt, so dass nicht nur Erfolgs-, sondern ebenso abstrakte Gefährdungsdelikte durch Unterlassen begangen werden könnten. 792 Allerdings muss nach dieser Auffassung – wie bei den Erfolgsdelikten – eine Verschlechterung der im Tatbestand umschriebenen rechtsgutsgefährdenden Situation weiterhin möglich sein. 793 Verlangt wird also, dass sich durch das Untätigbleiben eine zumindest abstrakte Gefahr für das geschützte Gut noch vergrößern kann. 794 Tatbestandsmäßige Erfolge im Sinne von § 13 I beschreiben demnach nur solche Merkmale, die eine abgeschlossene Verletzung beziehungsweise (konkrete oder jedenfalls abstrakte) Gefährdung für das tatbestandlich geschützte Rechtsgut wiedergeben. Darin unterscheidet sich der Zwischen- vom Enderfolg eines Selbstschädigungsdeliktes. Die Einschränkung der Willensfreiheit beinhaltet noch nicht den tatbestandsmäßigen Schaden etwa am Vermögen als ausschließlichem Rechtsgut des Betruges. 795 Der Irrtum ist deshalb kein Erfolg im Sinne von § 13 I und wird durch die Entsprechungsklausel berücksichtigt. Ein Betrug durch Unterlassen (§§ 263 I, 13) ist nach seinem Eintritt möglich, bis der Irrende eine nachteilige Vermögensverfügung herbeiführt. Aus dem gleichen Grund sind die sonstigen Beschränkungen der Willensfreiheit in den Selbstschädigungsdelikten keine „tatbestandsmäßigen Erfolge“. Solange ein Erpressungsopfer aufgrund eines versehentlich verschickten Drohbriefes zwar glaubt, dass ihm ein empfindliches Übel drohe, wenn es dem Absender nicht einen bestimmten Geldbetrag zahlt, diesen aber noch nicht angewiesen hat, ist kein tatbestandsmäßiger Vermögensschaden 790
LK 11 – Jescheck, § 13, Rn. 2 m.w. N. SK – Rudolphi, § 13, Rn. 10 u. 14. 792 Schönke / Schröder – Stree, § 13, Rn. 3 m.w. N. 793 Kopel, Die Unterlassung im Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 82; vgl. Tenckhoff, Spendel – FS, S. 362. 794 BGHSt 36, 255, 258; Schönke / Schröder – Stree, § 13, Rn. 3, 42. 795 SK – Hoyer, § 263, Rn. 55 und NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 147. 791
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eingetreten. Da die Willensfreiheit kein Rechtsgut der Erpressung darstellt, fehlt es zu diesem Zeitpunkt an einem abschließenden Erfolg im Sinne von § 13 I, so dass sich der Absender, nachdem ihm sein Versehen aufgefallen ist, wegen Erpressung durch Unterlassen strafbar machen kann. Wenn jedoch der Willensfreiheit Rechtsgutsqualität zugeschrieben wird, entfällt die Möglichkeit bei den Selbstschädigungsdelikten entsprechende Defektzustände als Zwischenerfolge von rechtsgutsrelevanten Erfolgen abzugrenzen, so dass dann Bockelmanns These durchaus zu überzeugen vermag. Vorzugswürdig ist daher die zweite Interpretationsmöglichkeit. Die Willensfreiheit ist danach kein selbständiges Individualrechtsgut, sondern eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Verfügung über ein Individualrechtsgut. 796 Diese Einschätzung führt zunächst zu einem objektiven, weil vom Willen des Inhabers unabhängigen Rechtsgutsbegriff. Rechtsgut der Nötigung ist somit ausschließlich die Verhaltensfreiheit, 797 das heißt die Befugnis, den eigenen Körper vollständig oder auch nur teilweise (nicht) zu bewegen. Die Freiheit des Willens muss man dagegen überprüfen, um feststellen zu können, ob eine Körperbewegung, also die Verfügung über die Verhaltensfreiheit dem Willen des Rechtsgutsinhabers entspricht. Der Sache nach werden dabei die Voraussetzungen der rechtfertigenden Einwilligung geprüft, wobei die Besonderheit darin besteht, dass nicht ein Dritter, sondern der Inhaber persönlich über das Rechtsgut verfügt. Herzberg hat bereits auf den entsprechenden Zusammenhang zwischen dem Irrtumsmerkmal beim Betrug und den Willensmängeln bei der Einwilligung hingewiesen. 798 Die Unterscheidung wird noch einmal klarer, wenn man sich die Selbstschädigungsdelikte als im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches geregelte spezielle Formen der mittelbaren Täterschaft vorstellt. 799 Der Rechtsgutsinhaber ist nur dann Werkzeug des mittelbaren Täters, wenn die selbständige (Ab-)Nutzung des Rechtsguts ohne seinen freien Willen geschah. Welche Zwänge beziehungsweise Täuschungen ihn ausschließen, hat an dieser Stelle keine eigenständige Bedeutung. 800 Entscheidend ist, dass der Gegenstand dieser Prüfung kein eigenes Rechtsgut, sondern Voraussetzung der wirksamen Verfügung ist. Ebenfalls keine Rechtsgüter sind die Freiheit der Psyche, das Persönlichkeitsrecht und die Autonomie. Bei der Psyche handelt es sich um eine weniger ausdifferenzierte Beschreibung des Prüfungsgegenstandes, 801 bei Persönlichkeitsrecht und Autono796 Vgl. das Konzept von M. Köhler, Leferenz – FS, S. 516 ff., insb. 522 f. und Gropp, AT, 6/43 ff. 797 Vgl. Hruschka, JZ 1995, 737, 743. 798 GA 1977, 289, 295 ff. 799 Vgl. für diese Parallele NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 44 ff. und Wittmann, Wissenszurechnung im Strafrecht, S. 33 f., 51 in Anm. 224; dagegen LK 11 – Tiedemann, § 263, Rn. 5. 800 Vgl. aber die Nw. in Anm. 536.
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mie um unspezifischere Ausdrucksformen einer umfassend wirksamen Verfügung über die eigenen Rechtsgüter. Wenn somit eine schmächtige Person den durchtrainierten Ladeninhaber L mit ihrer ungeladenen Waffe bedroht und die Herausgabe seiner Tageseinnahmen fordert, so wird dessen Vermögen lediglich durch die zu erwartende unfreiwillige Selbstschädigung unmittelbar gefährdet. Das mildeste geeignete Mittel zur Abwehr dieses Risikos wäre jedoch das Unterlassen der Geldübergabe, so dass die Wahrnehmung von Notrechten durch den L nicht erforderlich ist. 802 Weil die Befugnisse eines Nothelfers von denen des Gefährdeten abhängig sind, 803 ist ebenso das Eingreifen Dritter ausgeschlossen. Sobald das Geld übergeben wurde, kommt allerdings – gegebenenfalls nach der konkludenten Anfechtung eines dinglichen Rechtsgeschäfts (§§ 123 I, 142 I, 929 BGB) – eine unmittelbare Eigentumsgefährdung durch den P in Betracht. Flieht nun der Erpresser mit dem Geld, darf sich der Ladeninhaber sein Eigentum gemäß § 32 im Rahmen des Erforderlichen und Gebotenen wiederbeschaffen.
II. Der Ausschluss von sekundären Rechtsgütern Die Strafbarkeit der „bloßen“ Bedrohung mit einem Verbrechen lässt noch einmal Zweifel aufkommen, ob die – durch eine riskante Äußerung hervorgerufene – Gefahrvorstellung zumindest für den Sonderfall der Erwartung schwerer Straftaten nicht doch eine selbständige notrechtsfähige Rechtsgutsbeeinträchtigung darstellt. Die wahrheitswidrige Behauptung gegenüber einer anderen Person, diese sogleich erschießen zu wollen, oder das unmittelbare Ansetzen zum (untauglichen) Versuch des Totschlags mit einer nicht funktionierenden Waffe könnten dann Notwehr- oder Notstandsbefugnisse auslösen. Durch das tatbestandsmäßige Verhalten des § 241 sehen manche Autoren die „Freiheit des Einzelnen von Furcht“ und damit letztlich seine Willensentschließungsfreiheit 804 oder die „Freiheit seiner Entschließungen und Handlungen“ gefährdet. 805 Bei der Willensfreiheit handelt es sich jedoch um kein eigenständiges Rechtsgut, sondern um eine Voraussetzung der wirksamen Verfügung über ein Rechtsgut. Für die Verwirklichung des § 241 ist es zudem nicht erforderlich, dass der Empfänger die Drohung ernst nimmt 806 oder seinen Körper bewegen kann. Eine vollständig gelähmte Person kann ebenso Opfer einer Bedrohung sein. Das Delikt vermag deshalb kaum die Verhaltensfreiheit zu bewahren. Der Bedrohungstatbestand könnte indes eine Freiheit des 801 802 803 804 805 806
Vgl. die weitere Interpretationsmöglichkeit im folgenden Kapitel 3: B.II., S. 171. Arzt, JZ 2001, 1052, 1053 in Anm. 7. Siehe Nw. in Anm. 700. Schroeder, Lackner – FS, S. 671; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT1, 16/2. LK 11 – Träger / Schluckebier, § 241, Rn. 1. NK – Toepel, § 241, Rn. 18; LK 11 – Träger / Schluckebier, § 241, Rn. 6, 20.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Einzelnen von Verbrechensfurcht zumindest abstrakt schützen. Es bleibt somit zu klären, ob ein solches oder anderes Rechtsgut durch § 241 sowie die Notrechte gewährleistet wird. Ein Ansatzpunkt zur dafür erforderlichen Rechtsgutssystematisierung findet sich in den normtheoretischen Überlegungen von Frisch und Freund, 807 die hauptsächlich auf der Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnormen basieren. Während erstere – wie etwa der Befehl, keinen anderen Menschen zu töten – „nach ihrem Inhalt bestimmte Verhaltensweisen als richtig oder falsch ausweisen und nach ihrem Ziel auf eine Steuerung menschlichen Verhaltens gerichtet sind“, geben Sanktionsnormen „darüber Auskunft, unter welchen Voraussetzungen eine bestimmte Sanktion eintreten soll“. 808 Indem das Strafgesetzbuch Strafen für die Vornahme oder Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen androht, werden diese zugleich ver- oder geboten. Die damit aufgestellten Verhaltensnormen dienen dem rechtlichen Schutz von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Eigentum und anderen Voraussetzungen für die gleichberechtigte Persönlichkeitsentfaltung der Menschen. 809 Straftaten gefährden oder verletzen diese primären Rechtsgüter, so dass sich nach dem Verhaltensnormbruch die Frage stellt, welchem Interesse die Anwendung der Sanktionsnorm, also die Bestrafung dann noch dienen soll. Das nach einer Straftat weiterhin rettungsfähige sekundäre Rechtsgut der Sanktionsnorm ist die zukünftige Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm. 810 Grundlage dieser Zweckbestimmung ist die Theorie der positiven Generalprävention. Sie beruht auf der Feststellung, dass die Verletzung einer Verhaltensnorm negativen Vorbildcharakter hat und deren allgemeine Akzeptanz riskiert. Durch seine Straftat vermittelt der Täter, dass die von ihm gebrochene Verhaltensregel nicht gelten soll. Die gesellschaftliche Wahrnehmung seines Handelns oder Unterlassens kann dazu führen, dass auch die anderen Normadressaten das missachtete Ver- oder Gebot für sich selbst nicht mehr als unbedingt verpflichtend erachten und ihr Verhalten ebenso wenig an dieser Norm, sondern an ihr entgegenstehenden persönlichen Maximen orientieren. Um dies zu verhindern, widerspricht die Bestrafung ihrerseits dem in der Straftat liegenden Normwiderspruch. Die staatliche Reaktion bestätigt die Verhaltensnorm dadurch, dass dem Täter ein der Normgeltungsgefährdung entsprechendes Übel zugefügt und so die Verbindlichkeit der Regel für alle Normadressaten demonstriert wird. 811 807 Vgl. die eingehende Darstellung von Gegenstand und Ursprung ihrer Konzeption bei Hendrik Schneider, Kann die Einübung in Normanerkennung die Strafrechtsdogmatik leiten?, S. 147 ff. m.w. N. 808 W. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 59; vgl. zur Verhaltensnorm bereits Kapitel 1: E.I., S. 91. 809 Vgl. Frister, AT, 3/20. 810 Siehe die Beiträge von Freund: GA 1995, 4, 6 ff.; in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 46 ff.; AT, 1/5 ff., 2/20; MK, Vor §§ 13 ff., Rn. 63 ff. u. § 323c, Rn. 1 m.w. N. in Anm. 1.
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Diese Aufgabe der Sanktion zu verhindern, dass Straftaten als diskutable Verhaltensalternativen erfahren werden, um so die Bestandskraft der gesetzlichen Verhaltensnormen als persönliche Orientierungsmuster zu sichern, wird als Einübung in Rechtstreue bezeichnet. Das soziale Miteinander der Menschen erfordert darüber hinaus die Kalkulierbarkeit fremden Verhaltens. Man soll damit rechnen können, dass auch andere Personen, zu denen Kontakte unterhalten werden, die gesetzlichen Verhaltensnormen respektieren. Wer dagegen zum Beispiel jeden Augenblick erwarten muss, dass ihn sein Nachbar erschießt, der kann kein unseren gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechendes, normales Leben führen. Wird dennoch der eine vom anderen Nachbarn angeschossen, so demonstriert dessen Bestrafung, dass nicht die Verhaltenserwartung, sondern das Verhalten fehlerhaft war, und erfolgt insoweit zur Einübung in Normvertrauen. Das sekundäre Rechtsgut der Sanktionsnorm ist deshalb die Geltungskraft der Verhaltensnorm als Muster einerseits für die Orientierung des eigenen und andererseits für die Kalkulation fremden Verhaltens. 812 Unerlaubtes Verhalten, das durch seine Vornahme objektiv ex post das Risiko erhöht sowie zurechenbar die Verletzung eines primären Rechtsguts herbeiführt, stellt zwar ein überdeutliches Negativbeispiel dar und vermag deshalb besonders nachhaltig der übertretenen Verhaltensnorm zu widersprechen. 813 Die Gefährdung oder Verletzung eines primären Rechtsguts ist jedoch keine notwendige Voraussetzung für die Gefährdung des sekundären Rechtsguts, mit anderen Worten für die Normgeltungsgefährdung. Bereits mit dem untauglichen Versuch lehnt sich der Täter gegen die strafrechtliche Verhaltensnorm auf und riskiert ihre Anerkennung. 814 Auch der Selbstvollzug des unmittelbar normwidersprechenden Verhaltens ist lediglich besonders gut geeignet, die Geltung der Verhaltensnorm in Frage zu stellen. Aber nicht nur dessen Selbstvornahme, sondern ebenso ausschließliche Kommunikation, etwa in Form der Ankündigung eigenen oder der Anerkennung fremden normwidrigen Verhaltens vermag die Geltungskraft der dadurch übertretenen Verhaltensnormen zu schwächen. 815 Diesem Gefährdungspotential tragen einige Äußerungsdelikte Rechnung. 816 Weil die Belohnung beziehungsweise Billigung von schweren Straftaten die 811 Börgers, JR 2004, 139, 141, Deiters, Strafzumessung, S. 38 ff., eingehend Frister, Struktur des „voluntativen Schuldelements“, S. 37 ff. und AT, 2/20 ff. sowie Jakobs, AT, 1/4 ff. 812 Deiters, Strafzumessung, S. 35 ff. und mit einem anderen Schwerpunkt Jakobs, AT, 1/4 – 16. 813 Die individuelle Vermeidbarkeit des Normbruchs wird selbstverständlich vorausgesetzt. Vgl. zur Bedeutung des tatbestandlichen Erfolgs und verschuldeter Auswirkungen der Tat für den Umfang der Normgeltungsgefährdung Deiters, Strafzumessung, S. 53 ff. 814 MK – Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 400 ff. 815 Die höhere Aussagekraft von Taten im Vergleich zu Worten ist auch bei den Willenserklärungen von Bedeutung; siehe Kapitel 3: C.V., S. 203.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Autorität der durch sie aufgestellten bedeutsamen Verhaltensnormen angreift, verbietet § 140 dieses Verhalten. 817 Hierbei zeigt sich das Phänomen einer Metaverhaltensnorm, die unmittelbar kein primäres Rechtsgut, sondern stattdessen die Geltungskraft einer bereits von einer anderen Person – durch deren schwere Straftat – in Frage gestellten Verhaltensnorm schützt. 818 Durch diese Deutung lässt sich auch der Bedrohungstatbestand erklären. Die Furcht eines Bedrohten, dass der Androhende ein Verbrechen gegen ihn begehen wird, ist nichts anderes als das Fehlen von Normvertrauen, genauer seines Vertrauens, dass der andere und Dritte die mit dem jeweiligen Deliktstatbestand aufgestellte Verhaltensnorm respektieren. Das Verbot der Bedrohung mit Verbrechen enthält somit ebenfalls eine Metaverhaltensnorm, welche die Geltungskraft der noch – durch das in Aussicht gestellte Verbrechen – zu verletzenden Verhaltensnorm auf der Seite des Betroffenen schützt. 819 Auf diese Weise wird außerdem erklärbar, warum der Bedrohungsadressat die Erklärung lediglich verstehen, sich aber nicht bedroht fühlen muss, 820 solange die Drohung „objektiv den Eindruck der Ernstlichkeit erweckt“. 821 In der Theorie positiver Generalprävention ist der einzelne Bürger lediglich insofern von Bedeutung, als von seiner Wahrnehmung auf die Wahrnehmung durch die Gesamtheit aller Bürger geschlossen werden kann. 822 Eine Gefährdung der gesamtgesellschaftlichen Normanerkennung setzt lediglich voraus, dass der Einzelne durch sein Verhalten öffentlich wahrnehmbar zu verstehen gibt, dass eine Verhaltensnorm nicht 816 Die Strafbarkeit des Beteiligungsversuchs (§ 30) lässt sich ebenso erklären, etwa mit Jakobs, AT, 27/2: „Erst die Kommunikation darüber, daß das Verbrechen stattfinden soll, nimmt der Vorbereitung die weite Distanz zur Normverletzung, da durch diese Kommunikation die Norm selbst unmittelbar (d. h. nicht nur durch eine rechtswidrige Tat vermittelt) desavouiert wird.“ Dafür auch Schönke / Schröder – Cramer / Heine, § 30, Rn. 1 m.w. N. Hingegen für den Schutz des (primären) Rechtsguts, das mit dem vorbereiteten Verbrechen angegriffen werden soll, SK – Hoyer, § 30, Rn. 12 m.w. N. 817 Vgl. für die Betonung der Einübung von Rechtstreue einerseits MK – Hohmann, § 140, Rn. 1 ff. und NK – Ostendorf, § 140, Rn. 3 sowie der Einübung von Normvertrauen andererseits BGHSt 22, 282, 285 und SK – Rudolphi, § 140, Rn. 2. 818 Als ausschließlicher Metaverhaltensnormverstoß hat die Befürwortung zukünftiger fremder Verhaltensnormverstöße keine gesonderte Bedeutung, soweit darin bereits ein (mittelbarer) Angriff auf das primäre Rechtsgut enthalten ist. Vgl. etwa T. Fischer, § 130a, Rn. 2, aber auch SK – Rudolphi, § 130a, Rn. 1. 819 Jakobs, ZStW 97 [1985], 751, 775 f.; NK – Toepel, § 241, Rn. 5. Diese Deutung dürfte sich auch hinter einigen allgemeineren Formulierungen verbergen (vgl. Toepel, a. a. O.), wie zum Beispiel dem „Gefühl der Rechtssicherheit des einzelnen, namentlich sein Vertrauen in deren Fortbestand“ (Lackner / Kühl, § 241, Rn. 1; im Original teilweise fett gedruckt) beziehungsweise dem individuellen Rechtsfrieden (Schönke / Schröder – Eser, § 241, Rn. 1). 820 Siehe Nw. in Anm. 806. 821 Schönke / Schröder – Eser, § 241, Rn. 4. 822 Dabei wird auf tiefen- und sozialpsychologische Erklärungsmodelle Bezug genommen; Frister, AT, 2/21 ff. m.w. N.
B. Beschränkung der zivilen Notrechte
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gelten soll. Ein wirksames negatives Vorbild gibt nicht ab, wer im stillen Kämmerlein während eines Selbstgespräches seine Tötungsabsichten offenbart. Die Ankündigung eines Verbrechens, also einer massiven Verhaltensnormverletzung gegenüber dem zu Schädigenden oder einer im weiteren Sinne betroffenen Person riskiert jedoch hinreichend die gesamtgesellschaftliche Geltung der durch den Verbrechenstatbestand aufgestellten Verhaltensnorm. Dies erfordert ihre kontrafaktische Bestätigung durch die Bestrafung des „Ignoranten“, selbst wenn dessen Widerspruch die Normanerkennung des Bedrohungsadressaten unberührt lässt. Eine effektive Abwehr des Risikos für die gesamtgesellschaftliche Normgeltung ist dem Einzelnen kaum möglich. Ebenso wie der Straftäter mit seinem Verhalten lediglich zu erkennen gibt, dass die von ihm ignorierten Verhaltensnormen für ihn nicht gelten sollen, vermag der rechtstreue Normadressat durch sein Eingreifen ausschließlich ihre Übereinstimmung mit seinen persönlichen Verhaltensmaximen zu demonstrieren. Das deutsche Rechtssystem sieht insofern zweckmäßigerweise ein staatliches Bestrafungsmonopol vor, 823 mit dem eine private Reaktion auf massive Verhaltensnormbrüche durch Ermittlungs- oder Sanktionierungsmaßnahmen nicht in Einklang zu bringen ist. Sein Strafprozessrecht weist die Aufgabe der Strafverfolgung Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten zu, die als Stellvertreter für die Gesamtheit aller Normadressaten auftreten. Indem diese Staatsorgane den Sachverhalt bei Verdacht einer Straftat erforschen und im Falle des Nachweises von (hinreichender) Schuld eine Bestrafung herbeiführen, demonstrieren sie, dass die Gesellschaft an der Geltung der vom Einzelnen übertretenen Norm festhält. 824 Die in §§ 32, 34 StGB, 228 BGB enthaltenen Notrechte des Bürgers erlauben daher bei Versagen der staatlichen Hilfsorgane ausschließlich den Selbstschutz primärer Rechtsgüter. 825 Notwehr, Defensiv- und Aggressivnotstand sind insoweit das bürgerliche Pendant zur ordnungsbehördlichen Befugnis der Inanspruchnahme von Verhaltens-, Zustands- und Nichtstörern. Im Hinblick auf den Schutz sekundärer Rechtsgüter fehlt notwendigerweise eine vergleichbare Aufgabenübertragung durch die Notrechte. Selbst mit dem Festnahmerecht des § 127 I StPO wird dem Bürger kein Kompetenztitel zur weiteren Ermittlung abgetreten, sondern lediglich eine zudem eng begrenzte Befugnis, die den aktuellen Stand der Ermittlungen absichert und eine spätere staatliche Verdachtsklärung ermöglicht. 826 Der 823
Vgl. BGHZ 118, 312, 339; Haft / Donle / Ehlers / Nack, GRURInt 2005, 403, 404; Wolter, NStZ 1993, 1, 2. 824 Eingehend zu dieser strafprozessualen Bedeutung der Theorie positiver Generalprävention Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 72 ff. Außerdem gibt das Strafprozessrecht der Abwehr von Gefahren für die gesamtgesellschaftliche Normgeltung durch abgeschlossene Normbrüche einen formellen Rahmen, in dem die einzelnen Gefahrenabwehrmaßnahmen in Methode und Umfang speziell geregelt sind; vgl. a. a. O., S. 74 in Anm. 71. 825 Vgl. auch Nw. in Anm. 765. 826 Siehe Kapitel 2: C.II., S. 148.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
§ 241 schützt also nicht (die Psyche) vor persönlicher Verbrechensfurcht, sondern sichert als Metaverhaltensnorm die innergesellschaftliche Gültigkeit der noch zu übertretenden Verhaltensnorm, also ein sekundäres Rechtsgut. Deshalb kann die Androhung eines Verbrechens durch Wort oder Tat keine zivilen Notrechte auslösen. Dies gilt natürlich auch für eine Bedrohung, die durch das unmittelbare Ansetzen zum Versuch eines Verbrechens konkludent ausgedrückt wird und dadurch das sekundäre Rechtsgut besonders nachhaltig gefährdet. 827
III. Zwischenergebnis Zivile Notrechte werden durch objektiv ex post vorliegende Gefahren für primäre Rechtsgüter ausgelöst. Die Willensfreiheit ist Voraussetzung der wirksamen Verfügung über ein Rechtsgut. Ihre Gefährdung kann mangels eigenständiger Rechtsgutsqualität nicht gemäß §§ 32, 34 StGB, 228 BGB abgewendet werden. Die Freiheit der Psyche vor persönlicher Verbrechensfurcht ist ebenso wenig ein Rechtsgut. Geschützt wird durch § 241 die gesamtgesellschaftliche Geltungskraft der im jeweiligen Verbrechenstatbestand enthaltenen Verhaltensnorm als Muster einerseits für die Orientierung des eigenen und anderseits für die Kalkulation fremden Verhaltens. Hierbei handelt es sich jedoch um ein sekundäres Rechtsgut, dessen Schutz ausschließlich den staatlichen Strafverfolgungsorganen übertragen ist. Auch insofern finden Notwehr- und Notstand keine Anwendung. Die Bedrohung mit einer Scheinwaffe, der untaugliche (Tötungs-)Versuch oder andere riskante Äußerungen, durch die dem Adressaten Gefahren suggeriert werden, lösen – ungeachtet ihres sozialen Konfliktpotentials – zumindest keine zivilen Notrechte aus. Das notwehrspezifische Modell von Erb sowie das am Prinzip der Verantwortung oder Veranlassung orientierte Modell von Jakobs vermögen deshalb im Ergebnis nicht zu überzeugen. Jakobs Ausgangspunkt für die Rechtfertigung der (straftatbestandsmäßigen) Gefährdung des Irrtumsveranlassers hat zwar einiges für sich. Mangels Rechtsgüterkollision kann es in der Tat „nicht um die Wirklichkeit einer von diesem geschaffenen Notlage“, sondern nur um sein der Sache nach mittelbar selbstgefährdendes Verhalten gehen. Unklar geblieben und entscheidend ist aber, unter welchen „Bedingungen der Zurechnung zum Eingriffsopfer“ man jenem die fremde Gefährdung selbst zuschreiben kann beziehungsweise muss. 828 Weil es an der für die Notrechte kennzeichnenden Rechtsgüterkollision gerade fehlt, vermögen Notwehr und (Defensiv-)Notstand jedenfalls keinen geeigneten Zurechnungsmaßstab abzugeben. 827 Wird die Bedrohung durch den Versuch des angedrohten Verbrechens ausgedrückt, tritt § 241 I folglich – als subsidiäres Delikt – zurück; vgl. MK – Gropp / Sinn, § 241, Rn. 17 m.w. N. 828 Siehe Jakobs, AT, 11/9.
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko Das von einer Scheinwaffe bedrohte Opfer kann sich bei seiner Verteidigung mangels Rechtsgutsgefährdung nicht auf die allgemeinen Notrechte berufen. Setzt es sich also – nach seiner Vorstellung rechtmäßig, aber objektiv rechtswidrig – zur Wehr, kommen dagegen wiederum Verteidigungsmaßnahmen des Scheinangreifers in Betracht. Der Ausschluss oder zumindest die deutliche Einschränkung von deren Rechtmäßigkeit war das berechtigte Anliegen der Alternativmodelle zur objektiven ex post-Betrachtung der Notrechtsvoraussetzungen. Sie setzten nicht erst auf der zweiten logischen Ebene der „Gegen-Gegen-Rechte“ des Scheinangreifers an. Eine ex ante-Prüfung der Notwehr führte bereits auf der ersten Ebene zur objektiven Rechtfertigung der Abwehr etwa einer räuberischen Erpressung mit defekter Waffe. 829 Die bisherigen Versuche ihrer Begründung wurden abgelehnt. Dennoch sollten die Verteidigungsbefugnisse der Personen, die zurechenbar fehlerhafte Gefahrannahmen anderer Menschen hervorgerufen haben, begrenzt werden. Einige „natürliche“ Beschränkungen auf der zweiten Ebene sind offensichtlich. Nur wenn die von einer Scheinwaffe bedrohte Person den Erlaubnistatbestandsirrtum vermeiden kann, dürfen solche nach ihrer irrigen Vorstellung gebotenen Verteidigungsmaßnahmen gemäß § 32 abgewehrt werden. Ansonsten kommt dagegen eine Rechtfertigung durch Defensivnotstand in Betracht. Das mildeste Mittel wird indes vielfach die Aufdeckung des Irrtums sein. Weil die Rechte des Nothelfers akzessorisch ausgestaltet sind, genügt es bereits, dass der Scheinangreifer die Fehlvorstellung zu beseitigen vermag. Werden nicht schon – auf der ersten Ebene – die Abwehrmaßnahmen des Getäuschten objektiv gerechtfertigt und ist eine Aufklärung seines Irrtums unmöglich, ergibt sich jedoch die praktische Notwendigkeit einer außerordentlichen Begrenzung der Notrechte des Scheinangreifers. Man könnte dafür etwa an einen insbesondere von der Rechtsprechung postulierten „Grundsatz der allgemeinen Rechtslehre“ anknüpfen, dass „die Ausübung und damit auch die Verteidigung eines Rechts sich stets in den Grenzen von Treu und Glauben und guten Sitten halten“ müsse. 830 Anhand dieses Verbots des Rechtsmissbrauchs begründen die Gerichte eine Notwehreinschränkung. 831 Einige urteilten ausdrücklich unter Hinweis auf den zivilrechtlichen Begriff der Sittenwidrigkeit nach dem allgemeinen Rechtsempfinden oder Anstandsgefühl. 832 Man mag an der Methode kritisieren, dass sie die Begrenzung des § 32 in weiten Teilen dem „Gutdünken“ des Richters überlässt. 833 829
Vgl. Kapitel 3: A.I., S. 154. BayObLG NJW 1965, 163. 831 BGHSt 24, 356, 359; NStZ 2003, 425, 427; OLG Hamm NJW 1977, 590 ff.; Karlsruhe NJW 1986, 1358, 1360. 830
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Ihre Kriterien sind freilich präzisierungsbedürftig. Die Formel erlaubt es aber den Strafgerichten, im Einzelfall angemessene Ergebnisse zu erzielen. 834 Selbst wenn dazu eine „Flucht ins Privatrecht“ erforderlich sein sollte, 835 könnte so ein Weg gefunden werden, den intuitiv als gerecht empfundenen Ausschluss der Notrechte des Scheinangreifers oder allgemeiner desjenigen, der sich zuvor riskant geäußert hat, umzusetzen. Methodisch ist zunächst eine Beschreibung von Gegenstand und Kontext der im Zivilrecht gebräuchlichen Maxime erforderlich. Soweit sich im Zusammenhang mit den riskanten Äußerungen identische Strukturen nachweisen lassen, müssen sie nach derselben Maxime behandelt werden.
I. Die Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“ im zivilrechtlichen Kontext Im Zivilrecht geht man von einer unzulässigen Rechtsausübung unter anderem dann aus, wenn der Gläubiger sich dadurch zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzt. Als Konsequenz darf der Inhaber sein Recht (vorerst) nicht mehr geltend machen. Der Satz „venire contra factum proprium nulli conceditur“ wird vereinzelt in der Rechtsgeschäftslehre verankert und als konkludenter Verzicht gedeutet. 836 Überwiegend interpretiert man ihn aber als eine darüber hinaus gehende Ausprägung der Gebote von Treu und Glauben (§ 242 BGB). 837 Die Bewertung der Geltendmachung einer Rechtsposition als widersprüchlich und daher rechtsmissbräuchlich erfolgt dabei auf Grundlage einer Interessenabwägung. 838 Ein Kernelement dieser Deutung ist der allgemeine Aspekt des Vertrauensschutzes, der sich in vielen Sonderregelungen des BGB (vgl. nur §§ 122, 170 –172, 179) wieder findet. Wer durch sein Verhalten ein berechtigtes Vertrauen auf eine bestimmte Sach- oder Rechtslage in der Gegenpartei hervorgerufen hat, muss sich daran festhalten lassen. 839 Gibt sich ein Verbraucher etwa bei Vertragsschluss als 832 BGH MDR 1965, 372; BayObLGSt 1954, 59, 65; NJW 1965, 163, 164; vgl. bereits die Bezugnahme von RGSt 71, 133, 134 und 72, 57, 58 auf Volksanschauung bzw. -gefühl. 833 Bockelmann / Volk, AT, S. 94; NK – Herzog, § 32, Rn. 94. 834 Vgl. Herzog, a. a. O. 835 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 118 f. lehnt die Lehre vom Rechtsmissbrauch ab und argumentiert – im Hinblick auf § 254 BGB – mit einer Obliegenheitsverletzung des Verteidigers; kritisch zu beiden Ansätzen Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 304 ff. 836 Wieling, AcP 176 [1976], 334 ff. 837 Staudinger – Looschelders / Olzen, § 242 BGB, Rn. 287; MK 5 – Roth, § 242 BGB, Rn. 262; Singer, NZA 1998, 1309, 1310. 838 Staudinger – Looschelders / Olzen, § 242 BGB, Rn. 291 m.w. N. 839 Kaum davon zu trennen ist das daneben angeführte Gebot zur wechselseitigen Rücksichtnahme, welches verlange, dass man die Folgen eines selbst geschaffenen Rechtsscheines trägt, sofern sich die Gegenseite darauf eingelassen hat; vgl. a. a. O., Rn. 288, 292 m.w. N.
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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Unternehmer aus, darf er sich später nicht mehr auf die entsprechenden Schutzvorschriften berufen. 840 Zur Unterstützung der an § 242 BGB orientierten Deutung wird außerdem die Überlegung herangezogen, dass die Einnahme von Rechtspositionen ein Minimum an Konsistenz verlangt. Deshalb darf der Einzelne Unsicherheiten und mangelnde Durchsetzungskraft des Rechtes nicht beliebig ausnutzen sowie nicht auf sonstige Weise Vorteile für sich beanspruchen, die er dem anderen selbst nicht zugesteht. Unzulässig sei folglich eine Rechtsausübung, wenn das frühere Verhalten zu ihr in einem unauflösbaren Widerspruch steht. 841 Typischerweise geht es dabei ebenso um den Wechsel einer Tatsachen- oder Rechtsbehauptung. 842 Zwar wird ein Standpunktwechsel vom Gesetz keineswegs generell missbilligt. 843 Es können jedoch weitere Gesichtspunkte hinzutreten, welche die Position der Gegenpartei als besonders schutzwürdig erscheinen lassen, vor allem wenn die Partei schon erhebliche Vorteile aus ihrer vorherigen Behauptung gezogen hat. 844 Wer sich zum Beispiel zunächst als Erbe eines verstorbenen Arbeitgebers geriert, dem wird es aus diesem Grund danach nicht mehr gestattet, gegenüber den Arbeitnehmern des Erblassers seine Erbenstellung zu bestreiten, um nicht für dessen Verpflichtungen in Anspruch genommen zu werden. 845 Objektiv ist als Anknüpfungsverhalten immer eine ausdrückliche oder konkludente Äußerung, das heißt irgendein Verhalten mit Erklärungswert erforderlich. Die subjektiven Voraussetzungen sind umstritten und – soweit es die in § 242 verortete Interessenabwägung betrifft – wegen der „Beweglichkeit des Systems“ 846 nur schwer auf den Punkt zu bringen. Auf ein Verschulden soll es grundsätzlich nicht ankommen. 847 Deutet man das unzulässige „venire contra factum proprium“ als Rechtsgeschäft, finden notwendigerweise die für Willenserklärungen geltenden Regeln Anwendung. 848 Für seine Entwicklung aus den Geboten von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wird in der Gruppe des vertrauensbegründenden Verhaltens zum einen – in Orientierung an der allgemeinen Rechtsscheinhaftung – die (wohl subjektive) Erkennbarkeit des Effekts für seinen Urheber verlangt. 849 Nach ande840 BGH NJW 2005, 1045 ff.; weitere Einzelfälle bei Palandt 67 – Heinrichs, § 242 BGB, Rn. 56 f. 841 MK 5 – Roth, § 242 BGB, Rn. 287 m.w. N. 842 A. a. O., Rn. 289. 843 Palandt 67 – Heinrichs, § 242 BGB, Rn. 55 m.w. N. 844 Staudinger – Looschelders / Olzen, § 242 BGB, Rn. 301. 845 BAG NJW 1973, 963; weitere Einzelfälle bei Palandt 67 – Heinrichs, § 242 BGB, Rn. 57. 846 Soergel – Teichmann, § 242 BGB, Rn. 318; Staudinger – Looschelders / Olzen, § 242 BGB, Rn. 159 m.w. N. 847 Palandt 67 – Heinrichs, § 242 BGB, Rn. 56. 848 Wieling [Anm. 836]; trotz Verortung bei Treu und Glauben ebenso Bamberger / Roth – Grüneberg / Sutschet, § 242 BGB, Rn. 109.
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rer Auffassung soll es für die Zurechnung des hervorgerufenen Vertrauens nicht auf ein Kennenmüssen ankommen, sondern darauf, dass der Handelnde die zur Vertrauensbildung führenden Tatsachen beherrscht und hätte vermeiden können, dass somit das Entstehen des Vertrauens aus seiner Risikosphäre entstammte, 850 worüber nach objektiven Kriterien entschieden werde. 851 Ferner ist ein Vertrauen der anderen Partei, das heißt ihre Unkenntnis der wahren Sach- oder Rechtslage erforderlich. Gegen die Schutzwürdigkeit des Vertrauens kann sprechen, dass sie sich fahrlässig auf eine Erklärung des Gegners verlassen hatte, 852 ihr also die wirkliche Lage erkennbar war. Allerdings wird ein besonderes Schutzbedürfnis immer dann angenommen, wenn der Vertrauende bereits Verfügungen oder andere Dispositionen (im weiteren Sinne) getroffen hat. 853 In solchen Fällen dürfte daher bereits sein vermeidbarer Tatsachen- oder Rechtsirrtum ein schutzwürdiges Vertrauen begründen. Zusätzliche Begründungsschwierigkeiten ergeben sich, wenn schon das vertrauensbildende Verhalten sitten- oder gesetzeswidrig ist und die §§ 134, 138 BGB zur Nichtigkeit eines entsprechenden Rechtsgeschäftes führten. Sofern das sitten- oder gesetzeswidrige Verhalten keine Nachteile für die Interessen der Öffentlichkeit oder Dritter mit sich bringt, vermag jedoch die Anwendung von § 242 BGB unter Umständen die Rechtsfolgen der §§ 134, 138 BGB zu verdrängen. 854 Die die Sitten- oder Gesetzeswidrigkeit begründenden Umstände dürfen dabei nur die vertrauende Gegenpartei belasten, und deren Schutz müsste sich durch die Nichtigkeitsfolge zusätzlich verschlechtern. Rechtsfolge eines venire contra factum proprium ist, dass man sich an seinem Verhalten festhalten lassen muss. Wer in zurechenbarer Weise den Anschein einer bestimmten Tatsachen- oder Rechtslage – zum Beispiel, dass er ein bestimmtes Recht nicht ausüben wird – hervorruft, der verliert die zugehörige Rechtsstellung und für den gilt die entsprechende Tatsachen- oder Rechtslage. 855 In letzter Konsequenz kann dies zur Begründung eines Erfüllungsanspruchs gemäß § 242 BGB führen, wenn etwa der Schuldner sich nicht auf bestimmte Nichtigkeitsgründe berufen darf. 856 Sofern § 242 BGB eine Einwendung gewährt, kann diese ebenso von bloß vorübergehender Wirkung sein. 857 Die Befugnis des Berechtigten muss also nicht für immer untergehen. Auch innerhalb der Gebote von Treu und Glauben 849
MK 5 – Roth, § 242 BGB, Rn. 259, 188. Soergel – Teichmann, § 242 BGB, Rn. 319 und JA 1985, 497, 501. 851 Staudinger – Looschelders / Olzen, § 242 BGB, Rn. 293. 852 A. a. O., Rn. 294. 853 A. a. O., Rn. 295 m.w. N.; Teichmann, JA 1985, 497, 501 hält eine Disposition zwar für unverzichtbar, versteht den Begriff aber auch weit. 854 [Anm. 851], Rn. 296. 855 BGH NJW 1996, 2724 f. 856 [Anm. 851], Rn. 297. 857 A. a. O. 850
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gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und insbesondere der Wahl des mildesten Mittels. Sollte die Einschränkung einer Befugnis anhand von § 242 BGB zur Erreichung des jeweiligen Zwecks nur zeitlich begrenzt erforderlich sein, ist die Rechtsausübung nach dessen Entfallen wieder zulässig. 858
II. Venire contra factum proprium im Strafrecht Im Strafrecht wurde eine Anwendung des Rechtssatzes „venire contra factum proprium nulli conceditur“ nur vereinzelt gefordert und seltener noch von den Gerichten gebilligt. Die dazu ergangenen Entscheidungen beschränken sich zudem auf solche Probleme des formellen und materiellen Strafrechts, bei denen die Heranziehung dieses fast ausschließlich zivilrechtlich erörterten Prinzips schon terminologisch nahe liegt. Hauptsächlicher Gegenstand des Missbrauchsvorwurfs sind einerseits das Verhalten des Beschuldigten beziehungsweise seines Verteidigers und der Staatsanwaltschaft, also (zivilistisch gedacht) der „Parteien“ im Strafprozess 859 sowie die Geltendmachung des staatlichen Strafanspruchs. 860 Im Zusammenhang mit der Beurteilung der Strafbarkeit eines Verhaltens findet der Rechtssatz bislang keine herausragende Berücksichtigung, sofern man mit der hier vertretenen Auffassung die actio libera in causa als eine nach allgemeinen Regeln zu behandelnde Fallgruppe und nicht als besondere Rechtsfigur ansieht, 861 durch deren Anwendung dem Täter – anhand verschiedener Modelle 862 – eine Berufung auf die selbstverschuldete Trunkenheit versagt wird. Ein seltenes und nur daher angeführtes Beispiel bietet eine Entscheidung des LG Kaiserslautern vom 14. Juli 1955. 863 Der Angeklagte hatte mit einem 14-jährigen 858
A. a. O., Rn. 329 f. Die Revision der StA beanstandet in BGH NStZ 1986, 371 erfolgreich die Ablehnung ihres Beweisantrages, welche das LG auf den gesetzlich nicht benannten Grund „venire contra factum proprium nulli conceditur“ gestützt hatte. BGH StV 2001, 100 weist die erneute Revision eines Angeklagten als widersprüchliches Verhalten zurück, nachdem er so verurteilt worden war, wie er es im ersten Verfahren vor dem Landgericht und im ersten Revisionsverfahren gefordert hatte. BGH StV 2001, 101 hält eine Revisionsrüge, das LG habe eine schriftliche Stellungnahme des Angeklagten nicht gemäß § 261 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt, als widersprüchliches Prozessverhalten für unzulässig. 860 BVerfGE 12, 296, 301 erklärte § 90a a. F. StGB für teilweise nichtig, ohne auf die Begründung des Beschwerdeführers näher einzugehen, in der Geltendmachung des Strafanspruches läge ein unzulässiges venire contra factum proprium. BGHSt 39, 260, 271 sieht diesen von der Verteidigung geltend gemachten Rechtsgedanken nicht als tragfähige Grundlage für ein Strafverfolgungsverbot. Vgl. zum widerspruchsvollen Verhalten des Staates, insb. beim tatprovozierenden Einsatz von Lockspitzeln ferner Bruns, NStZ 1983, 49 ff. m.w. N. und zum Sonderfall der Verwirkung Börgers, JR 2004, 139, 143 f. m.w. N. 861 Vgl. dazu Kapitel 1: F.I.2.b), S. 121 m.w. N. 862 Dargestellt bei MK – Streng, § 20, Rn. 114 ff. 863 JZ 1956, 182 f. 859
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Mädchen verkehrt. Nachdem der Beschuldigte das Alter erfuhr, wiederholte er den Geschlechtsverkehr und wurde wegen Verführung gemäß § 182 StGB a. F. verurteilt. Nach dieser nicht mehr zeitgemäßen Vorschrift war derjenige zu bestrafen, der „ein unbescholtenes Mädchen, welches das sechzehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beischlaf verführt“. 864 Das Landgericht gab der Verteidigung zwar zu, dass „in der Regel ein schon einmal verführtes Mädchen nicht mehr unbescholten ist“. Es gestattete dem Angeklagten jedoch nicht, sich auf das fehlende Tatbestandsmerkmal zu berufen, weil er durch seine vorherige Verführung – wenn auch im vorsatzausschließenden Irrtum über das wahre Alter des Mädchens – dessen Bescholtenheit selbst schuldhaft herbeigeführt hatte. Das Urteil des Landgerichts wurde maßgeblich durch die Übertragung eines zu § 1300 BGB a. F. anerkannten Grundsatzes der Unzulässigkeit eigenen widerspruchsvollen Verhaltens gestützt. Gegenüber der Beanspruchung des so genannten Kranzgeldes durfte sich der ehemalige Verlobte dann nicht mehr auf die fehlende Unbescholtenheit seiner früheren Braut berufen, wenn er schon vor der Verlobung mit ihr geschlafen und dadurch die Bescholtenheit selbst herbeigeführt hatte. 865 Der unredliche Erwerb einer Rechtsposition und die spätere Berufung darauf – wie gerade bei der Abwehr eines Anspruchs – lässt sich zwar nicht als ein im zuvor beschriebenen Sinne 866 widersprüchliches Verhalten ansehen; der Angeklagte im Verfahren vor dem LG Kaiserslautern handelte insofern eher „konsequent gesetzeswidrig“. Die Unzulässigkeit der Geltendmachung einer aus Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit hergeleiteten Rechtsposition weist aber – soweit das verwerfliche Vorverhalten später zu eigenem Vorteil verwerflich geltend gemacht wird – eine „Verwandtschaft mit dem Verbot des venire contra factum proprium auf“ und wurde deswegen als widersprüchliches Verhalten im weiteren Sinne eingestuft. 867 Diese Einordnung dürfte auf ein früheres Verständnis zurückzuführen sein, das die Widersprüchlichkeit des Verhaltens aus seiner Unvereinbarkeit mit dem Fortbestand einer Rechtsposition entwickelte. Danach kam es noch nicht auf die Widersprüche zwischen Verhalten und Vorverhalten einer Person, sondern auf die Unvereinbarkeit des Vorverhaltens mit dem Recht an. 868 In einer kritischen Anmerkung zur Entscheidung des LG Kaiserslautern schränkte seinerzeit Bruns die Bedeutung des Verbotes eines venire contra factum propium für das Strafrecht deutlich ein. 869 864
Im Zusammanhang mit weiblicher Sexualität beruht der Ausdruck „unbescholten“ auf Vorstellungen von Marktwert und Heiratschancen der Frau; vgl. Hannack, Gutachten für den 47. Deutschen Juristentag, A 184. Insofern sind der Rechtsbegriff und sein gesellschaftlicher Ursprung inzwischen – hoffentlich(!) – vollständig überwunden. 865 Palandt 14 – Lauterbach, § 1300 BGB, Rn. 2 m.w. N. 866 Siehe Kapitel 3: C.I., S. 178. 867 W. Weber, Treu und Glauben, D 395, 406. 868 Vgl. die kritische Darstellung bei Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 23 ff.
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„Die Berufung des Angeklagten darauf, daß ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes und damit eine wesentliche Voraussetzung der Strafbarkeit fehlt, kann nie – solange das Strafrecht auf dem Satz nulla poena sine lege aufbaut – eine unzulässige oder unredliche Rechtsausübung sein, eine rechtsmißbräuchliche Anwendung des Verteidigerrechts darstellen. Denn wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit nicht erfüllt sind, dann hat der Staat gar keinen ‚Strafanspruch‘, kein Recht zu strafen, gleichgültig, warum der Tatbestand nicht verwirklicht worden ist. Es erscheint durchaus abwegig, zu glauben, der Angeklagte könne dann gleichwohl verurteilt werden, weil er gewissermaßen ‚das Fehlen, den Ausfall eines Tatbestandsmerkmals selbst verursacht oder verschuldet‘ hat. Sein Recht, sich auf das Gesetz zu berufen, das seine Tat nun einmal nicht erfaßt, kann er schlechterdings auch nicht durch grob anstößiges, sittenwidriges Verhalten ‚verwirken‘. Mag man in unserem Fall im Ergebnis von einer Gesetzesumgehung sprechen, so ist sie jedenfalls strafrechtlich irrelevant. Unter der Herrschaft des Analogieverbotes darf und soll jeder Übeltäter sein Verhalten so einrichten, daß es von den Maschen des – allerdings teleologisch auszulegenden – Strafgesetzes nicht erfaßt wird. Ein allgemeiner Grundsatz, daß über die Grenzen der Auslegung hinaus auch die Umgehung des Strafgesetzes geahndet werden könne, läßt sich nicht halten. [...] Das fehlende Stück des Tatbestandes kann eben nicht durch ‚widerspruchsvolles Verhalten‘ ersetzt werden.“
Damit hatte er schon vor einem halben Jahrhundert den Wortlaut des Strafgesetzes beziehungsweise Art. 103 II GG als die maßgebliche Grenze für eine Berücksichtigung des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens auf den Punkt gebracht. 870 Passend erschien ihm der Gedanke des Rechtsmissbrauchs allerdings beim Notwehrrecht. 871 Sprachlich bietet die Voraussetzung der Gebotenheit in § 32 I für seine Verankerung hinreichend Gelegenheit. Durch die Einbeziehung der zivilrechtlichen Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“ in dieses Merkmal lässt sich dann scheinbar auch dem Unbehagen gegenüber einem unbegrenzten Notwehrrecht des Scheinangreifers Rechnung tragen. Um dies zu verdeutlichen, soll ihre Anwendung an einem Beispiel kurz skizziert werden. Man stelle sich wiederum einen räuberischen Erpresser E vor, der mit seiner täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole den Bankangestellten B bedroht. B hat sich an die vielen Überfälle gewöhnt, zieht routiniert seine Waffe aus der Schublade und schießt dem E ins Bein, wovon sich dieser jedoch nicht beeindrucken lässt. Ein Polizeibeamter hatte B allerdings nach dem letzten Überfall anhand einer vergleichbaren Spielzeugpistole erklärt, woran man diese bei sehr genauem Hinsehen erkennen kann. Bevor B den zweiten Schuss abzugeben vermag, sticht E ihm mit einem herumliegenden, sehr scharfen Brieföffner in den Arm. Berücksichtigt man die Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“, wird E’s Körperverletzung mit einem gefährlichen Werkzeug (§ 224 I Nr. 2) 869
JZ 1956, 147, 151 f. Das hielt ihn in JZ 1956, 147, 152 allerdings nicht davon ab, die actio libera in causa auf den Gedanken des Rechtsmissbrauchs zurückführen, was der Wortlaut des § 20 indes nicht zulässt. 871 A. a. O.; außerdem T. Fischer, § 32, Rn. 36 m.w. N. 870
184
Kap. 3: Riskante Äußerungen
nicht durch Notwehr gemäß § 32 gerechtfertigt. Objektiv ex post befand sich B nicht in Gefahr. Ohne dass ihm also ein Notrecht zur Seite stand, wollte er ein zweites Mal auf E schießen. Weil B die Ungefährlichkeit der Spielzeugpistole erkennbar war, stellte sich seine vermeintliche Verteidigung als ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf den E dar. Zu dessen Abwehr war der Stich mit dem Brieföffner auch erforderlich. E hatte jedoch zuvor bei B bewusst die fehlerhafte, wenngleich vermeidbare Vorstellung hervorgerufen, dass er von einer funktionierenden Waffe bedroht werde. Weil B darauf vertraute und sein Verhalten – im Rahmen des vermeintlichen Notwehrrechtes – danach ausrichtete, muss der räuberische Erpresser den von ihm behaupteten Sachverhalt gegen sich gelten lassen. E wird behandelt, als hätte er B mit einer funktionierenden Waffe rechtswidrig angegriffen und dürfte sich nicht auf sein Notwehrrecht berufen. Dessen Ausübung wäre sonst rechtsmissbräuchlich, das heißt nicht geboten. Hinsichtlich des Aggressivnotstandes könnte man ähnlich vorgehen und im Rahmen der Angemessenheit prüfen, ob die Ausübung der Befugnis ein unzulässiges venire contra factum proprium darstellt. 872 Fraglich ist aber, ob ebenso die Wahrnehmung des Defensivnotstandsrechts auf einen möglichen Missbrauch hin untersucht werden darf. Solange die Abwehr sich nicht auf Sachgefahren bezieht, wäre dies rechtstechnisch wohl noch im Bereich des Möglichen. In diesen Fällen bräuchte nur der Abwägungsmaßstab des § 34 durch eine Teilanalogie zu § 228 BGB ausgetauscht und dabei die Angemessenheitsklausel des zweiten Satzes nicht zwingend angetastet zu werden. 873 Bei einer direkten Anwendung des § 228 BGB darf eine Rechtfertigung durch Defensivnotstand in Anbetracht des eindeutigen Wortlautes 874 seines zweiten Satzes jedoch nicht wegen eines fehlerhaften Vorverhaltens versagt werden. 875 Man stelle sich einmal vor, der Bankangestellte zieht keine Waffe, sondern hetzt seinen reinrassigen und hochdekorierten Hund auf den E, um dessen scheinbaren Angriff abzuwehren, und gefährdet diesen damit seinerseits unerlaubt. Schon um die bloße Beschädigung seines Anzuges durch den Hund zu verhindern, dürfte E das Zuchttier mit dem Brieföffner schwer verletzen oder töten, weil dessen Wert den des Anzuges zumindest nicht wesentlich überwiegt.
872
Bockelmann / Volk, AT, S. 100. Siehe dazu Kapitel 1: E.II.2.a), S. 103. 874 Zur Anwendbarkeit des Art. 103 II GG auf Rechtfertigungsgründe Frister, AT, 4/36 in Anm. 58 m.w. N. auch zur Gegenauffassung. 875 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 117. Man könnte ferner erwägen, dass § 228 S. 2 BGB ein Grundprinzip des Defensivnotstands verwirklicht. Als Konsequenz dürfte der Rechtfertigungsgrund dann ebenso bei der analogen Anwendung des § 228 BGB nicht um die lediglich in § 34 ausdrücklich vorgesehene Angemessenheitsprüfung ergänzt werden. Eine Anwendung der Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“ wäre im Rahmen des Defensivnotstands gänzlich ausgeschlossen. 873
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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Weil E bei B einen Irrtum provoziert, dadurch einen Konflikt herbeiführt, aber letztlich nicht die Kosten von dessen Bereinigung zu tragen hat, entsteht zwar eine Unstimmigkeit. Wegen der Beschränkung des § 228 BGB auf Sacheingriffe erscheint diese jedoch insgesamt vernachlässigbar, so dass man wohl darauf verzichten könnte, schon auf der ersten Ebene des Problems korrigierend einzugreifen. Eine Verteidigung gegen den Angriff mit einer Scheinwaffe oder andere Abwehrmaßnahmen der Adressaten riskanter Äußerungen wären zwar als objektiv rechtswidrig einzustufen und bei Unvermeidbarkeit des Irrtums lediglich subjektiv zu rechtfertigen. Der Gebrauch der Scheinwaffe oder andere riskante Äußerungen würden erst auf einer zweiten Ebene berücksichtigt. Die Verteidigung des Scheinangreifers gegen die objektiv überflüssige Abwehr des zum Schein Angegriffenen wäre ein unzulässiges venire contra factum proprium, so dass die Gebotenheit der Notwehr (§ 32) und die Angemessenheit des Aggressiv- (§ 34) oder des Defensivnotstands analog § 228 BGB entfielen. Mit dieser Lösung werden die Schwierigkeiten der zurechenbar herbeigeführten Scheingefahren aber nicht vollständig erfasst. Handelt der vermeintlich Angegriffene bei seiner überflüssigen Verteidigung objektiv rechtswidrig, kann er wegen Fahrlässigkeit bestraft werden, falls ihm sein Irrtum vermeidbar ist und er sich nicht auf die Sachwehr beschränkt, zum Beispiel den Scheinangreifer körperlich attackiert. Um sich dieses Problem vor Augen zu führen, muss lediglich noch einmal das Ausgangsbeispiel in Erinnerung gerufen werden, in dem B aufgrund der Erläuterung des Polizisten die Spielzeugpistole des E als solche hätte erkennen können und ihm zu seiner eigenen Verteidigung ins Bein schießt. B könnte gemäß § 229 bestraft werden, obwohl doch E seinen Irrtum verursacht und sich dabei mittelbar selbst in Gefahr gebracht hat. Das Ziel einer gerechten Verteilung des Irrtumsrisikos lässt sich insofern mit einer Korrektur auf der zweiten Ebene, das heißt bei den „Gegen-Gegen-Rechten“ nur schwerlich erreichen. Selbst wenn der Bankangestellte nicht routiniert, sondern in größter Aufregung handelte, ließe sich die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nicht etwa mit dem Rechtsgedanken des Notwehrexzesses verneinen. Frister erklärt § 33 als „typisierende Regelung des auf die Erforderlichkeit der Verteidigung bezogenen Erlaubnistatbestandsirrtums“. 876 Gerät ein rechtswidrig angegriffener Täter in Verwirrung, Furcht oder Schrecken, übersieht er leicht mildere Verteidigungsmöglichkeiten, ohne dabei jedoch zur bewussten Überschreitung der Notwehrgrenzen motiviert zu werden. Aus Gründen der Prozessökonomie wird gesetzlich vermutet, dass er mildere Verteidigungsmöglichkeiten nicht erkennen konnte. Im geschilderten Fall fehlte es aber schon an der objektiven Notwehrlage. Allerdings wendet Frister § 33 auf den Putativnotwehrexzess analog an. 877 Die irrtümliche Annahme der Notwehrlage hindert demnach zwar nicht daran, bei Verwirrung, Furcht oder 876 877
AT, 16/37 ff. m. N. auch zu Gegenauffassungen. AT, 16/41 m. N. zur konträren h. M.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Schrecken weiterhin von einem unvermeidbaren Irrtum über das mildeste Mittel auszugehen. Die Notwehrlage selbst wird aber nicht von dieser Typisierung miterfasst. Es bleibt folglich zu prüfen, ob dem Täter ihr Fehlen erkennbar gewesen ist. War dies der Fall, kann er wegen Fahrlässigkeit bestraft werden. Eine insgesamt „faire“ Lösung des Problems erscheint dagegen möglich, wenn man das Verbot des venire contra factum proprium in der Einwilligungslehre oder jedenfalls in ihren Grenzbereichen verortet. Von Ohly wurde ein solcher Ansatz etwa schon für die Einwilligung im Privatrecht erwogen. 878 Eine umfassender verstandene Einwilligung würde durch eine objektive Rechtfertigung die Strafbarkeit des von einer Scheinwaffe bedrohten Verteidigers beschränken und umgekehrt die des sich dagegen wehrenden Scheinangreifers ausdehnen. Bei einer objektiven Rechtfertigung des Getäuschten käme seine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit nicht mehr in Betracht, selbst wenn sein Irrtum ihm persönlich vermeidbar war. Das Verbot des venire contra factum proprium würde dann nicht mehr dezentral bei den einzelnen „Gegen-Gegen-Rechten“ des ursprünglichen Scheinangreifers eingeordnet. Stattdessen könnte es insgesamt auf die erste Ebene zur Einwilligung – beziehungsweise einem verwandten Institut – und damit vor die Klammer, das heißt vor die einzelnen Notrechte der zweiten Ebene gezogen werden. Dies dürfte seine einheitliche Behandlung in formeller Hinsicht merklich erleichtern.
III. Einwilligung? Um eine Anwendung des Verbots widersprüchlichen Verhaltens auf die riskanten Äußerungen auch nur im Randbereich der Einwilligungslehre diskutieren zu können, muss man zunächst den für eine Einwilligung maßgeblichen Sachverhalt bestimmen. Die herrschende Willenserklärungstheorie geht davon aus, dass sowohl die innere Zustimmung als auch deren Erklärung vor der Tat maßgeblich sind und begründet dies mit Erfordernissen der Rechtssicherheit. 879 Gedanken, die keinen Ausdruck in der Außenwelt gefunden haben, seien nicht beweisbar und daher kein vernünftiges Entscheidungskriterium. 880 In dieser Argumentation wird jedoch der logisch nachrangige Aspekt der prozessualen Feststellbarkeit in das materielle Recht vorgeschoben. Konsequenterweise müssten die Vertreter der Willenserklärungstheorie ebenso bei Vorsatz und Einverständnis eine entsprechen878 „Volenti non fit iniuria“, S. 232 ff. In der strafrechtlichen Diskussion der Scheinwaffenproblematik finden sich zudem lockere Assoziationen mit den zivilrechtlichen Willenserklärungen. Schmidt, AT, Rn. 328 differenziert etwa zwischen Schein- und Scherzangriffen; vgl. auch Wessels / Beulke, AT, Rn. 338. Die Erwartung, dass der Mangel an Ernstlichkeit nicht verkannt werde, ist gesetzliche Voraussetzung der so genannten Scherzerklärung und führt gemäß § 118 BGB zur Nichtigkeit von Willenserklärungen. 879 Gropp, AT, 6/47; Schönke / Schröder – Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 43 f. m.w. N. 880 Roxin, AT1, 13/73.
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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de Erklärung voraussetzen. 881 Für solche gleichermaßen subjektiven Merkmale fordert richtigerweise niemand schon während der Tat einen Beweis. Alle für das deliktische Verhalten relevanten innerpsychischen strafbegründenden oder -ausschließenden Umstände müssen zwar bei Begehung der Tat (§ 8) vorliegen, aber erst im Zeitpunkt des Prozesses nachgewiesen werden, 882 falls nicht das Gesetz wie zum Beispiel in §§ 40 I 3 Nr. 3 AMG, 216 I StGB ihre vorherige Kundgabe verlangt. Daher nimmt die Willensrichtungstheorie zu Recht an, dass bereits die innere Zustimmung des Rechtsgutsinhabers als Einwilligung das Unrecht einer Tat ausschließt. 883 Nachdem der für die Einwilligung maßgebliche Sachverhalt auf die Gedankenwelt des Rechtsgutsinhabers beschränkt wurde, stellt sich die Frage nach deren Gegenstand. Als Bezugspunkte werden das tatbestandsmäßige Verhalten 884 sowie der Deliktserfolg 885 angeführt. Gegen die ausschließliche Berücksichtigung des Erfolges spricht, dass die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund mitbestimmt, welches Verhalten rechtmäßig ist. 886 Wegen dieser Funktion besteht auch Einigkeit darüber, dass die Einwilligung bereits im Zeitpunkt der tatbestandsmäßigen Handlung oder Unterlassung vorzuliegen hat. Würde sie der Verwirklichung des Deliktserfolges entgegenstehen, müsste die nach dem tatbestandsmäßigen Verhalten erfolgte Zustimmung beim Erfolgsdelikt den Vollendungseintritt verhindern. Die ausschließliche Inbezugnahme des Erfolges scheitert zudem daran, dass auch der zu ihm führende Kausalverlauf für den Einwilligenden gegebenenfalls von entscheidender Bedeutung ist. Für den Patienten wird es durchaus einen Unterschied bedeuten, ob der Chefarzt oder ein Praktikant die Operation lege artis durchführt. Dieser gleichermaßen entscheidungsrelevante Sachverhaltsanteil könnte nur im Sinne einer Lehre vom Erfolg in seiner konkreten Gestalt, die schon bei der Kausalitätsbestimmung nicht zu überzeugen vermag, 887 mitberücksichtigt 881
Vgl. Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff, S. 103 ff., LK 12 – Rönnau, Vor § 32, Rn. 162 sowie MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 120. Für das einheitliche Kundgabeerfordernis bei Einverständnis und Einwilligung allerdings Roxin, AT1, 13/76. 882 Vgl. Frister, AT, 15/5 ff. 883 Jakobs, AT, 7/115; Schmidhäuser, Lehrb. AT, 8/145; weitere Nw. in Anm. 881 f. 884 Frister, AT, 15/11 f.; NK – Paeffgen, § 228, Rn. 12 m.w. N. zum gesamten Meinungsspektrum; MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 121; nur hinsichtlich des fahrlässigen Deliktes übereinstimmend LK 11 – Hirsch, Vor § 32, Rn. 106 ff. und Lackner / Kühl, § 228, Rn. 2: Bei Vorsatztaten müsse sich die Einwilligung auf Verhalten und Erfolg beziehen. Konsequenz wäre allerdings eine Unterscheidung des objektiven Unrechtstatbestandes von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt; vgl. dagegen Kapitel 1: A.I.2., S. 32. Allgemein für die Erfassung von tatbestandsmäßigem Verhalten und Taterfolg MK – Duttge, § 15, Rn. 195 m.w. N. 885 Kindhäuser, AT, 12/7; Zipf, Einwilligung, S. 22. 886 LK 11 – Hirsch, Vor § 32, Rn. 106. 887 Puppe, AT1, 1/1 ff., 28 ff. m.w. N.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
werden. 888 Die genannten Schwierigkeiten lassen sich indes vermeiden, indem man das für ein Rechtsgut gefährliche Verhalten als Gegenstand der Einwilligung ansieht. Berücksichtigt man die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund im Rahmen einer Strafbarkeitsprüfung, bezieht sie sich auf ein tatbestandsmäßiges Verhalten. Darauf beschränkt sich ihre Funktion im Strafrecht aber nicht. Die Einwilligung kann ebenso den Angriff auf ein nicht straftatbestandlich geschütztes Gut rechtfertigen und damit die Befugnis zur Nothilfe (§ 32 II) ausschließen. Allgemein beschreiben lässt sich ihr Gegenstand daher nur anhand des gefährlichen Verhaltens. Abschließend muss noch die subjektive Entscheidung des Berechtigten konkretisiert werden, sein Gut gegenüber dem fremden gefährlichen Verhalten preiszugeben. Hinreichend ist es jedenfalls, dass er dieses kennt und billigt. Insbesondere bei der Einwilligung in ein straftatbestandsmäßiges Verhalten liegt es aus Gründen der Systemökonomie nahe, die Voraussetzungen der Willensentscheidung des Rechtsgutsinhabers am Vorsatzbegriff zu orientieren. 889 Durch die gesetzliche Vorsatzbeschreibung in § 16 I 1, II wird festgelegt, dass die Entscheidung für die Tat nur insofern (negativ) beurteilt werden darf, als sie auf der Kenntnis aller ihrer Umstände beruht. Anders als beim Vorsatz kommt es bei der Einwilligung nicht darauf an, ob der Entschluss des Täters den Maßstäben der Rechtsordnung widerspricht, 890 sondern ob die Entscheidung des Rechtsgutsinhabers seinen eigenen Maßstäben entspricht. Aus der Bejahung des Unrechtsvorsatzes folgt der Widerspruch zwischen den Wertesystemen des Täters und der Rechtsordnung. Um festzustellen, dass die Einwilligung Ausdruck des „Wertesystem(s) des Einzelnen“ 891 ist, kann es dementsprechend erforderlich sein, neben dem gefährlichen Verhalten weitere Aspekte einzubeziehen. 892 Ist somit die Einwilligung strukturell mit dem (Unrechts-)Vorsatz vergleichbar, stellt sich anschließend die Frage, ob nicht ebenso eine „fahrlässige Einwilligung“ in Betracht kommt. 893 Dem zustimmend lässt Frister es bereits genügen, dass der Betroffene anhand seines Tatsachen- und Erfahrungswissens – etwa über die Trunkenheit seines Fahrers und die Risiken des Alkohols im Straßenverkehr – das fremde gefährliche Verhalten erkennen kann, da es gleichermaßen zur autonomen Lebensgestaltung gehöre, Risiken zu verdrängen. 894 Über diese Wertung dürfte 888
Vgl. NK – Paeffgen, § 228, Rn. 12. NK – Kindhäuser, § 228, Rn. 19. 890 Vgl. Frister, Rudolphi – FS, S. 46. 891 Riedelmeier [Anm. 881], S. 140. 892 Dies wäre jedenfalls insoweit notwendig, als man die Willensentscheidung des Rechtsgutsinhabers nur aufgrund seiner individuellen Kosten-Nutzen-Saldierung nachvollziehen kann; vgl. a. a. O., S. 140 ff. m.w. N. 893 Vgl. Jakobs, AT, 7/129 und NK – Kindhäuser, § 228, Rn. 21. 894 AT, 15/12. 889
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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man sich wohl einig sein. Wer in das Auto des Zechbruders einsteigt und dann wegen der Alkoholisierung seines Fahrers verunfallt, dem geschieht durch seine Verletzungen kein Unrecht, sondern ein Unglück, selbst wenn ihm die Gefährlichkeit von dessen Trunkenheitsfahrt für die eigene Gesundheit nur erkennbar, aber nicht bekannt war. 895 Dennoch darf bezweifelt werden, dass die Fallgruppe bei der Einwilligung passend loziert ist. Eine solche Verortung erforderte zumindest deutliche Korrekturen an den bisherigen Fragestellungen der Einwilligungslehre. Man könnte sich nicht darauf beschränken, die Bedeutung der unterschiedlichen Fehlvorstellungen zu problematisieren. 896 Gäbe es eine fahrlässige Einwilligung, wäre außerdem die Vermeidbarkeit des erheblichen Irrtums zu berücksichtigen. Soweit ersichtlich fehlen jedoch darauf bezogene Stellungnahmen. Dieser Befund resultiert indes nicht aus einer bloßen Inkonsequenz, sondern ist Ausdruck eines allgemeinen Begriffsverständnisses, wonach die Einwilligung dem Vorsatz entspricht und es keine fahrlässige Einwilligung gibt. 897 Daher wird sie durch jede – das heißt sowohl vermeidbare als auch unvermeidbare – Unkenntnis der Umstände, auf die sie sich bezieht, ausgeschlossen. Aus demselben Grund ist die eigentliche Einwilligung zur vollständigen Bewältigung der riskanten Äußerungen ungeeignet. Wer mit einem defekten Revolver in eine unbewachte Bank geht, um die Herausgabe des Tresorinhaltes zu erpressen, wird es in den seltensten Fällen für möglich halten, dass einer der Angestellten eine funktionierende Pistole bei sich tragen und auf ihn schießen könnte. Weil die Kenntnis des fremden riskanten Verhaltens für die Einwilligung konstitutiv ist, lässt sich diese Form der Risikoübernahme nicht hinreichend darunter rubrizieren. 898 Wenn das riskante Verhalten dem Rechtsgutsinhaber – wie in dem Beispiel der Mitfahrt im Auto eines Betrunkenen – nicht als solches vollständig bekannt, sondern lediglich erkennbar ist, könnte man statt der Einwilligung ebenso von einer tatbestandsausschließenden einverständlichen Fremdgefährdung ausgehen. 899 Das bewirkte aber nach dem herrschenden und auch hier zugrunde liegenden Verständnis der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund eine Unstimmigkeit. Die rechtfertigende Einwilligung basiert auf Kenntnis und Akzeptanz des gefährlichen fremden Verhaltens. Wegen ihrer Vorsatzähnlichkeit liegt es nahe, sie an erster Stelle zu prüfen. Wird das Merkmal jedoch verneint, müsste man von der 895 Frister, AT, 15/13 m.w. N.; Kühl, ZStW 115 [2003], 385, 391; LK 12 – Rönnau, Vor § 32, Rn. 168 f. m.w. N. 896 Vgl. Frister, AT, 15/15 ff. 897 Jakobs, AT, 7/129; NK – Kindhäuser, § 228, Rn. 21; M.-K. Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 198 ff.; vgl. auch MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 121. 898 Vgl. NK – Kindhäuser, § 228, Rn. 21. 899 Eingehend dazu Roxin, AT1, 11/121 ff., der schon die Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund deutet; a. a. O., 15/12 ff.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Rechtswidrigkeit zurück in den Tatbestand wechseln, um die bloß fahrlässigeinverständliche Fremdgefährdung nachweisen zu können. Um dies zu vermeiden, ließe sich die Prüfungsreihenfolge vertauschen. Verlangte man jedoch für die einverständliche Fremdgefährdung im Tatbestand lediglich die Erkennbarkeit des gefährlichen fremden Verhaltens, wäre die auf Kenntnis basierende Einwilligung als Rechtfertigungsgrund überflüssig. Kenntnis und Billigung der Rechtsgutsgefährdung sollen aber weiterhin als Einwilligung rechtfertigend wirken. Die Erkennbarkeit dieses fremden gefährlichen Verhaltens kann schlüssigerweise nur ihr nachfolgend, also gleichfalls erst im Rahmen der Rechtfertigung Bedeutung erlangen. 900 Es bietet sich daher an, die Erkennbarkeit der Rechtsgutsgefährdung dort als Merkmal einer mutmaßlichen Einwilligung im weiteren Sinne zu berücksichtigen. 901
IV. Einwilligungsfiktion aufgrund Willenserklärung 1. Einwilligungsfiktion als dogmatische Option Nach der Willensrichtungstheorie erfolgt die Einwilligung bereits aufgrund Kenntnis und innerer Zustimmung des Rechtsgutsinhabers, während es auf die äußerlich wahrnehmbare Erklärung nicht ankommt. Schlehofer stimmt dem zu, nimmt aber ebenso im umgekehrten Fall, wenn also der Rechtsgutsinhaber zwar nicht innerlich zustimmt, seine Zustimmung jedoch ausdrücklich oder konkludent erklärt, eine Einwilligung an. 902 Rechtfertigend wirken demnach jeweils sowohl der wirkliche Wille als auch die von ihm zu trennende Erklärung. Deren tatsächliche Unabhängigkeit voneinander ergibt sich zum einen aus der Möglichkeit einer irrtümlichen Bildung und fehlerhaften Äußerung des Willens (vgl. nur die Fälle des § 119 BGB). Eine inhaltliche Gleichsetzung von wirklichem Willen und Erklärung scheitert außerdem daran, dass die Äußerung ein Verhalten darstellt und der Wille dessen Vornahme antizipieren muss. 903 Ist aber die innere Zustimmung der Erklärung zeitlich vorgelagert, kann sie sich während des späteren Ablaufs 900 Vgl. Frister, AT, 15/14. Für das im folgenden Kapitel 3: C.IV., S. 190 noch zu entwickelnde Konzept müsste diese Begründung überholt werden. Die Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung werden dort als Einwilligungsfiktion, d. h. der Sache nach als mutmaßliche Einwilligung im weiteren Sinne behandelt. An die Stelle der individuellen Erkennbarkeit des riskanten fremden Verhaltens treten eine ausdrückliche oder konkludente Einwilligungserklärung des Rechtsgutsinhabers sowie die individuelle Erkennbarkeit von deren Inhalt. Die vorsatzähnliche Einwilligung ist dann nicht mehr der „speziellere“ Rechtfertigungsgrund, denn sie enthält nicht alle Merkmale der einverständlichen Fremdgefährdung plus mindestens ein weiteres. Nach der Willensrichtungstheorie ist die Erklärung für die Einwilligung vielmehr unerheblich. Die Einwilligungsfiktion funktioniert jedoch als ihr Surrogat und ist insofern lediglich „subsidiär“ zu prüfen; vgl. dazu auch Roxin, AT1, 18/10 ff. m.w. N. 901 Vgl. bereits Baumann / U. Weber, AT 9, S. 321. 902 MK, Vor §§ 32 ff., Rn. 126.
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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dieser Äußerung schon wieder geändert haben. Praktisch vorstellbar ist dies, falls der kurze Sinngehalt einer inneren Zustimmung durch lange Rede ausgedrückt wird. Die Willenserklärung gibt also nicht zwingend den wirklichen Willen des Erklärenden wieder. Hier liegt auch nicht ihre eigentliche Bedeutung für das Strafrecht. Stimmt die Äußerung mit dem wirklichen, inneren Willen inhaltlich überein, ist sie materiellrechtlich vielmehr unbeachtlich. Widerspricht sie ihm und wird etwa mit Schlehofer dennoch für maßgeblich erachtet, führt das zu einer Einwilligungsfiktion. Mit dieser Einstufung ist für diejenigen Autoren, welche die Einwilligungsdogmatik auf eine tatsächliche, positive Willensbeschaffenheit beim Opfer begrenzen, die Diskussion zwangsläufig beendet. 904 Dadurch würde der nach ihrer Auffassung unentbehrliche psychische Befund auf Seiten des Rechtsgutsinhabers vernachlässigt. Gerade das Strafrecht habe Fiktionen bei der Beurteilung von Zurechnungsfragen strikt zu vermeiden. 905 Dieser Ansatz führt dann allerdings (lediglich) dazu, dass die Haftungsfreistellung unter dem Gesichtspunkt der Selbst- / Eigenverantwortung als Problem der objektiven Zurechnung in den Tatbestand verschoben wird. 906 Konsens besteht wohl dennoch insofern, als ein Unrechtsausschluss durch die Autonomie des Rechtsgutsinhabers zumindest mitbegründet werden darf, obwohl sein innerer Wille nicht – ähnlich dem Vorsatz – alle unrechtsrelevanten Umstände erfasst. Umstritten ist lediglich, ob das Problem in der Zurechnungsoder Einwilligungsdogmatik verortet werden sollte. Jedenfalls zur Erörterung der hier interessierenden Fälle, in denen vom Rechtsgutsinhaber zwar äußerlich ein Wille erklärt wird, der innere Wille von diesem jedoch abweicht, liegt die einwilligungsbezogene Diskussion deutlich näher. Insofern ist die Fiktion der Einwilligung – an Stelle des Zurechnungsausschlusses – nicht nur rechtstechnisch möglich, sondern zudem in der Sache angezeigt. An folgendem Beispiel sollen die Sachgesichtspunkte verdeutlicht werden, die über den rein psychischen Befund der inneren Zustimmung hinaus die Wirkung einer Einwilligung rechtfertigen. A möchte an dem Casting für eine Fernsehshow teilnehmen, in der die Teilnehmer unter anderem gegen professionelle Wrestler antreten. Dabei geht er fest davon aus, dass die Kämpfe „nur Schau“ seien und die Kandidaten lediglich für das Publikum Schmerzen vortäuschen. A wird ebenso wie hunderte weitere Teilnehmer darum gebeten, ein Informationsblatt, das ausnahmslos jedes Risiko auflistet, in Ruhe zu lesen und die nachfolgende Einwilligungserklärung zu unterschreiben. Er hält die Lektüre jedoch für überflüssig und unterschreibt blind. Bei einem Probekampf wird er von seinem Gegner 903
Ausführlicher dazu in Kapitel 1: F.II.1., S. 127. LK 12 – Rönnau, Vor § 32, Rn. 168 m.w. N. 905 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 221 in Anm. 114; U. Weber, Baumann – FS, S. 45. 906 LK 12 – Rönnau, Vor § 32, Rn. 169 m.w. N. 904
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
in zwei Meter Höhe gehoben und auf den Boden geworfen. Dabei bricht er sich mehrere Rippen.
Der Catcher macht sich in diesem Fall nicht gemäß §§ 223 I, 229 strafbar. Bei einem solchen Massengeschäft wie dem Casting von mehreren hundert Personen wäre ihm (beziehungsweise den Veranstaltern) eine Überprüfung der tatsächlichen Willensbeschaffenheit beim Teilnehmer praktisch unmöglich. Die ausdrücklichen Erklärungen des Rechtsgutsinhabers sind zwar lediglich ein – wenn auch das beste – Indiz zur Ermittlung des wirklichen Willens. Zum Zwecke des Verkehrsschutzes ist es jedoch legitim, eine Willenserklärung unter bestimmten, im Einzelnen noch zu klärenden Voraussetzungen als unwiderleglich zu betrachten. Die Argumentation muss sich indes nicht auf den abstrakten Rechtsverkehrsschutz beschränken. Man denke sich einmal die vielen Konkurrenten hinweg und nehme an, dass A nur das Informationsblatt erhalten hat, seine Zustimmung aber nicht ausdrücklich durch eine Unterschrift erklären musste. Steigt A daraufhin zu dem Catcher in den Ring, darf er sich anschließend, nachdem seine Rippen gebrochen sind, diesem gegenüber nicht mehr – nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ – darauf berufen, dass er sich der Gefahren nicht bewusst war und deshalb nicht wirksam einwilligen konnte. 907 Für solche Fälle widersprüchlichen Verhaltens muss auch im Strafrecht ein effektiver Vertrauensschutz möglich sein. Der Widerspruch ergibt sich dabei gerade aus dem Auseinanderfallen von erklärtem und wirklichem Willen beziehungsweise Wissen. Eine Fiktion der Einwilligung bei Willenserklärungen würde den Einwilligenden zudem nicht ausschließlich benachteiligen. Sie darf mitunter als Erweiterung der individuellen Autonomie verstanden werden. Dem Erklärenden ist es dadurch möglich, wirksame Verfügungen über seine Güter zu treffen, ohne dass er sich genauere Gedanken darüber machen muss, welche konkreten Risiken ihm drohen. Wenn etwa A unbedingt an der Fernsehshow teilnehmen will, sich aber wegen seiner großen Furcht den weiteren Ablauf keinesfalls vergegenwärtigen möchte, dann sollte er seinen Willen erklären und damit seine Einwilligung herbeiführen können, ohne sich selbst mit der Risikoabschätzung belasten zu müssen. Der notwendige Unrechtsausschluss wird in der Sache durch die Elemente Verkehrs- und Vertrauensschutz sowie die Autonomie des Rechtsgutsinhabers bestimmt. Hierbei handelt es sich zugleich um die Determinanten der Willenserklärung. Wenn aber die wesentlichen Merkmale der Willenserklärung das strafrechtliche Unrecht beeinflussen, sollte man ihr einen eigenen Platz im Strafrecht einräumen. Aus den bereits angesprochenen formellen Gründen 908 bietet sich dafür die Rechtfertigungslehre an. Weil für die Einwilligung bereits der innere Wille ge907 908
Siehe auch Kühl, ZStW 115 [2003], 385, 391. Siehe dazu am Ende von Kapitel 3: C.III., S. 186.
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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nügt, hat die von ihm unabhängige Erklärung die Funktion eines Surrogats. 909 Man ersetzt die tatsächlich fehlende innere Zustimmung durch einen hypothetischen Willen. Die Willenserklärung könnte daher im Strafrecht ebenso dem Bereich der mutmaßlichen Einwilligung zugeordnet werden, so dass diese nicht „nur notstandsähnliche Fälle, in denen die Einholung der Einwilligung entweder unmöglich oder zwecklos ist“, 910 erfasst. Anknüpfend an ihre traditionelle Verortung durch die Willenserklärungstheorie 911 soll die Willensäußerung jedoch weiterhin im engeren Kontext der Einwilligungslehre behandelt werden. Wichtiger als diese formelle Einordnung der Willenserklärung ist aber die inhaltliche Begründung und Ausgestaltung ihrer Funktion als Einwilligungssurrogat. Eine rechtfertigende Wirkung schon der bloßen Willenserklärung wird verbreitet angenommen. 912 Schlehofer entnimmt dazu den §§ 116 ff. BGB die entsprechende gesetzliche Wertentscheidung. Eine Willenserklärung, die trotz geheimen Vorbehalts oder Inhalts- und Erklärungsirrtums gemäß §§ 116, 119 BGB zivilrechtlich gelte, müsse ebenso strafrechtlich wirksam sein, da es andernfalls zu einer widersprüchlichen Bewertung desselben Verhaltens komme. „Was etwa zivilrechtlich kraft einer wirksamen, wenn auch anfechtbaren Willenserklärung rechtmäßig wäre – etwa die Zueignung iS des § 246 –, würde strafrechtlich missbilligt.“ 913 Das Beispiel hat aber zunächst nur eine begrenzte Überzeugungskraft, da der durchsetzbare Eigentumsverschaffungsanspruch wie eine negative Tatbestandsvoraussetzung 914 und unabhängig von den allgemeinen Rechtfertigungsgründen lediglich das Unrecht der Unterschlagung (und des Diebstahls, §§ 246, 242) beseitigt. Es lässt keine allgemeinen Schlüsse zu, weil dieses zivil- und strafrechtlich relevante Merkmal ausschließlich das Unrecht eines bestimmten Delikts(typus) aufzuheben vermag. 915 Als unspezifischer Rechtfertigungsgrund für Straftaten gegen Individualrechtsgüter kommen Verpflichtungsgeschäfte, mit denen sich eine Person zu einem bestimmten Verhalten verbindlich bereit erklärt, nicht in Betracht. Die Einstufung schon der schuldrechtlichen Verpflichtung als (unwiderrufliche) Einwilligung rechtfertigte andernfalls zugleich die eigenmächtige Durchsetzung des Anspruchs, was insbesondere mit der Regelung und engen Begrenzung der Selbsthilfe in §§ 229 ff. BGB nicht zu vereinbaren ist. 916 Dazu bedürfte es vielmehr 909
Vgl. Schönke / Schröder – Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 54. Dagegen gerade BGHSt 16, 309, 312. 911 Siehe dazu am Anfang von Kapitel 3: C.III., S. 186. 912 Jakobs, AT, 7/110, 115; Kühne, JZ 1979, 241, 244; Schlehofer [Anm. 902] m.w. N.; Zipf, Einwilligung, S. 46. 913 Schlehofer, a. a. O. 914 Siehe auch Kapitel 1: F.I.3.b), S. 126 zu § 106 UrhG. 915 Vgl. Mitsch, BT II/1, 1/150 u. 2/57 m.w. N. Es kommt indes nicht darauf an, ob seine Prüfung auf Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsebene stattfindet. 910
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eines Verfügungsgeschäftes, durch das unmittelbar auf ein bestehendes Recht eingewirkt, etwa Eigentum belastet wird. 917 Der Sache nach argumentiert Schlehofer mit dem Postulat der Einheit der Rechtsordnung. Ausgehend von der Notwendigkeit eines allgemein gültigen Rechtswidrigkeitsurteils überträgt er die zivilrechtlich wirksame Verfügung auf das Strafrecht, für das folglich ebenso die §§ 116, 119 BGB Geltung erlangen müssten. Andererseits soll im Strafrecht nicht auch die Anfechtung gemäß § 142 I BGB zurück wirken. 918 Man wird Schlehofers These dahingehend umformulieren können, dass zumindest alle zivilrechtlich wirksamen Verfügungen ebenso die strafrechtlichen Verhaltensnormen begrenzen. Das erscheint plausibel, vor allem wenn man etwa das Merkmal „fremd“ in §§ 242 I, 303 I und seine explizite Bezugnahme auf die zivilrechtlichen Regeln über Eigentumsverlust und -erwerb betrachtet. 919 Ungeklärt bleibt dabei, ob es für Willenserklärungen im Strafrecht einen eigenen Anwendungsbereich unabhängig von zivilrechtlichen Regeln gibt oder ob nur diejenigen Willenserklärungen durch Einwilligungsfiktion eine Straftat rechtfertigen, die etwa den Anforderungen der §§ 104 ff., 138 BGB genügen. Hier zeigt sich noch einmal die Problematik einer Argumentation anhand der Einheit der Rechtsordnung. Eine durch die Einheit der rechtlichen Wertungsmaximen sichergestellte Widerspruchsfreiheit ihrer Einzelaussagen ist zwar Geltungsgrund jeder Rechtsordnung. Dies legitimiert jedoch nur dann die mehrfache Verwendung einer Wertungsmaxime, wenn zuvor die Identität von Gegenstand und Kontext der Bewertung sichergestellt wurde. 920 Deshalb ist zu klären, ob und inwiefern sich die Willenserklärungen im zivil- und strafrechtlichen Kontext gleichen, so dass ihre Beurteilung denselben Wertungsmaximen folgt. 2. Der innere Tatbestand als Kernproblem der Willenserklärung im Straf- und Zivilrecht Zunächst soll im strafrechtlichen Kontext nach dem Gegenstand der Willenserklärung gesucht werden. Einen ersten Ansatz bietet folgende Einschätzung von Jakobs: „Die Äußerung der Person über ihre Willenslage ist Willensdarstellung; die Darstellung als zurechenbarer Akt erlaubt es, von der wirklichen Willenslage beim Darstellenden abzusehen.“ 921 Natürliche Voraussetzung der Willenserklärung ist die Darstellung des eigenen Willens. Dies kann durch Worte oder andere 916 Vgl. H.-D. Weber, Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund, S. 70 m.w. N. 917 Vgl. Larenz / Wolf, AT, 23/31 u. 35. 918 Brandts / Schlehofer, JZ 1987, 442, 445; Ohly, Jakobs – FS, S. 456 m.w. N. in Anm. 36. 919 Vgl. Mitsch, BT II/1, 1/18 u. 21 ff.; Schönke / Schröder – Stree, § 303, Rn. 4. 920 Vgl. Kapitel 2: C., S. 143 und Ohly, Jakobs – FS, S. 455 ff.
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Zeichen geschehen, bei denen es sich zunächst einmal um intersubjektive Kommunikationsakte, also Außenweltsvorgänge handelt. 922 Entscheidende Voraussetzung der Willensdarstellung ist jedoch, dass der objektiv geäußerte Wille einer Person zugerechnet werden kann. Nur dann lässt es sich legitimieren, dass der dargestellte Wille für den wirklichen steht. Die objektive Seite dieser Zurechnung bereitet (im Zweipersonenverhältnis) keine besonderen Schwierigkeiten. Willensdarstellung braucht einen Darsteller. Die Kommunikationsakte – etwa Gesten oder Worte – müssen von ihm stammen. Sein Körper muss gestikuliert, gesprochen oder geschrieben haben. Nach Jakobs darf der Empfänger aber nur dann auf die Geltung selbst der fehlerhaften Erklärung des Betroffenen vertrauen, wenn sie diesem vermeidbar war. Weitere subjektive Zurechnungsbedingung wäre demnach die Vermeidbarkeit des Irrtums beziehungsweise die individuelle Erkennbarkeit des Erklärungsinhaltes. 923 Anders könnte man Kühne verstehen, der die Erklärung trotz Willensmängeln als gültig ansieht und dem fehlerhaft Erklärenden die Irrtumslast schon deshalb auferlegt, weil dieser „den Grund für die Konfliktlage geschaffen hat“. 924 Damit stellt sich die Frage, ob die Willenserklärung überhaupt einen inneren Tatbestand in Form individueller Erkennbarkeit des objektiven Erklärungsinhaltes voraussetzt oder ob bereits ihre objektive Zurechnung zum Erklärenden genügt. Im zivilrechtlichen Kontext wurde der innere Tatbestand einer Willenserklärung sehr viel ausführlicher problematisiert. Man orientiert sich dabei an den Begriffen Handlungs-, Erklärungs- und Geschäftsbewusstsein beziehungsweise -wille. Der Handlungswille wird nahezu ausnahmslos als subjektive (Mindest-) Voraussetzung einer Willenserklärung angesehen. 925 Darunter versteht man „den Willen, überhaupt etwas zu tun oder bewusst zu unterlassen“. 926 Der Erklärende muss dafür wissen, dass er gestikuliert, spricht oder schreibt, und davon ebenso absehen könnte. Das Erklärungsbewusstsein beinhaltet das Wissen des Erklärenden, dass er mit seinem Verhalten am Rechtsverkehr teilnimmt und dass es als rechtlich erhebliche Erklärung verstanden werden kann. 927 Über seine Erforderlichkeit wird immer noch lebhaft gestritten, 928 während man einen Geschäftswillen, „der auf die Herbeiführung eines bestimmten rechtsgeschäftlichen Erfolges gerichtet ist“, allgemein für entbehrlich hält. 929 921 AT, 7/110 in Anm. 161 (im Original ohne Hervorhebung); vgl. auch Ohly, Jakobs – FS, S. 467 m.w. N. in Anm. 101. 922 Vgl. Dencker, Gesamttat, S. 149; SK – Hoyer, § 25, Rn. 130. 923 Vgl. Jakobs, AT, 6/26 f. 924 Kühne, JZ 1979, 241, 244. 925 MK 5 – Kramer, Vor § 116 BGB, Rn. 8; umfassend dargestellt und nachgewiesen bei Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 70 ff., der ihn selbst jedoch für entbehrlich hält (S. 106 f.) 926 Larenz / Wolf, AT, 24/3 ff. 927 Medicus, AT, Rn. 605; Larenz / Wolf, AT, 24/6 f.
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Auf den ersten Blick scheinen also die Diskussionen über den subjektiven Tatbestand der Willenserklärung im Straf- und Zivilrecht an völlig unterschiedlichen Fronten stattzufinden. Im Strafrecht waren die Alternativen ein ausschließlich objektiver Tatbestand der Willenserklärung oder seine Ergänzung um die individuelle Erkennbarkeit des Erklärungsinhaltes. Im Zivilrecht hält man weit überwiegend den Handlungswillen für erforderlich, streitet aber über die Notwendigkeit eines Erklärungsbewusstseins. Diese Divergenz zwischen den straf- und zivilrechtlichen Erörterungen des inneren Tatbestandes kollidiert mit der Vorstellung, dass es sowohl im straf- als auch zivilrechtlichen Kontext ein gemeinsames Grundbedürfnis der Wirksamkeit von Willenserklärungen gibt, das bei derselben Art von Verhalten mit Erklärungswert eingreift. Um die Irritation zu beseitigen, wird nun gezeigt, dass man trotz unterschiedlicher Begriffe der Sache nach weitgehend die gleichen Voraussetzungen diskutiert. Nachdem der objektive Teil der Erklärung, also das Gestikulieren, Sprechen oder Schreiben abgetrennt wurde, lässt sich der zivilrechtliche Begriff des Handlungswillens mit dem Verhaltensbewusstsein im Strafrecht gleichsetzen. Inhaltlich ist er jedoch in beiden Rechtsgebieten entbehrlich. Im Straf- und im Zivilrecht kann man einen objektiven Begriff des Verhaltens entwickeln, der die Vermeidbarkeit ohne Rückgriff auf innerpsychische Umstände definiert. 930 Daneben haben das Verhaltensbewusstsein beziehungsweise der Handlungswille keine eigenständige Bedeutung. Im Strafrecht fungiert das Verhaltensbewusstsein lediglich als unselbständige Eingangsvoraussetzung für Vorsatz und Fahrlässigkeit. 931 Hinsichtlich der Willenserklärung im Zivilrecht ist der Handlungswille entweder notwendige Bedingung für das Erklärungsbewusstsein – denn wer nicht über eine vermeidbare Bewegung des eigenen Körpers informiert ist, der weiß erst recht nicht, dass andere ihr möglicherweise rechtsgeschäftliche Bedeutung beimessen – oder er ist gänzlich entbehrlich. 932 Die These der Zivilrechtsprechung und herrschenden Lehre, dass für eine Willenserklärung ausschließlich das Bewusstsein des Verhaltens, nicht aber seiner rechtsgeschäftlichen Bedeutung erforderlich sei, 933 ist daher abzulehnen. Ihre Vertreter prüfen zusätzlich, ob der Erklärende „bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß sei928 Dafür Singer, JZ 1989, 1030, 1034 f.; dagegen die Rechtsprechung seit BGHZ 91, 324 ff.; außerdem MK 5 – Kramer, § 119 BGB, Rn. 92 ff. und Werba [Anm. 925], S. 28 ff., jeweils m.w. N. 929 Larenz / Wolf, AT, 24/9 ff. 930 Vgl. zum Strafrecht Kapitel 1: F.II.2., S. 133 und für die Willenserklärung im Zivilrecht Staudinger – Singer, Vorbem zu §§ 116 – 144 BGB, Rn. 27. 931 Siehe am Ende von Kapitel 1: F.II.2., S. 133. 932 Für die zweite Alternative Werba [Anm. 925]. 933 Nw. in Anm. 928.
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ne Erklärung oder sein Verhalten vom Empfänger nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte“. 934 Gemeint ist dabei der im Zivilrecht zur Bestimmung der Fahrlässigkeit gebräuchliche objektive Sorgfaltsmaßstab, also die Vermeidbarkeit des Irrtums für den objektiven Dritten. In diesem Zusammenhang spricht man auch – zum Teil kritisch – von fahrlässigen Willenserklärungen. 935 Daran anknüpfend lassen sich aus strafrechtlicher Perspektive die weiteren Gemeinsamkeiten ausmachen. Ein Erklärungsbewusstsein, also das Bewusstsein, sich im Rechtsverkehr zu verhalten, ermöglicht erst die Kenntnis des dabei initiierten konkreten Rechtsgeschäftes. Es ist wesentlicher Bestandteil der individuellen Geschäftserkennbarkeit und entspricht damit weitgehend der im strafrechtlichen Kontext diskutierten individuellen Erkennbarkeit des Erklärungsinhaltes. Zwar ist der Schluss vom Erklärungsbewusstsein auf die individuelle Geschäftserkennbarkeit nicht zwingend. Weil das Bewusstsein, im Rechtsverkehr zu handeln oder zu unterlassen, sich praktisch immer auf einen bestimmten Bereich von Geschäften bezieht, führt das Erklärungsbewusstsein aber zumindest regelmäßig zu Erkennbarkeit des konkreten Geschäfts. Dies erlaubt es, das Erklärungsbewusstsein als typisierte individuelle Geschäftserkennbarkeit einzuordnen. Die Diskussionen lassen sich somit deutlich annähern. Es stellt sich in beiden Kontexten die Wertungsfrage, ob ein Verhalten, das den Willen des objektiv Erklärenden in einer bestimmten Weise darstellt, bereits zur Fiktion seiner Einwilligung beziehungsweise Willenserklärung führt, 936 oder ob dazu weitergehend die – im Einzelfall vorliegende oder zumindest typisierte – individuelle Erkennbarkeit des konkreten Erklärungsinhaltes erforderlich ist. Den Gegnern dieses subjektiven Erfordernisses auch für das Zivilrecht genügt stattdessen bereits die objektive Vermeidbarkeit der irrtümlichen Erklärung. Hierbei dürfte es sich aber kaum um ein effektiv einschränkendes Kriterium handeln, denn schon ob und inwiefern sich das Verhalten als Willenserklärung darstellt, beurteilt man aus der Sicht eines objektiven Beobachters. 937 Zumindest für die Auslegung der empfangsbedürftigen Willenserklärung gemäß §§ 133, 157 BGB wird darauf abgestellt, wie ein objektiver Dritter in der Situation des Erklärungsempfängers bei Beurteilung der ihm erkennbaren Umstände die vom Erklärenden gewählte Ausdrucksform verstanden hätte. 938 Für den objektiven Sorgfaltsmaßstab kommt es darauf an, 934
BGHZ 91, 324, 330 in Anlehnung an die Argumentation von Bydlinski, JZ 1975, 1 ff. und MK 5 – Kramer, § 119 BGB, Rn. 92 ff. 935 Vgl. etwa Ambrüster, JuS 1987, 168; Canaris, BGH – FG I, S. 143; dazu bereits Manigk, Heymann – FS II [1931], S. 640 ff. sowie Das rechtswirksame Verhalten [1939], S. 217 f. und passim; Pawlowski, AT, Rn. 447a. 936 Eisenhardt, JZ 1986, 875, 880 nennt das Rechtsgeschäft ohne Geschäftswillen „fingierte Willenserklärung“. 937 Eisenhardt, a. a. O. 938 Bamberger / Roth – Wendtland, § 133 BGB, Rn. 27 m.w. N.
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„was von einem durchschnittlichen Anforderungen entsprechenden Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises in der jeweiligen Situation“ des Handelnden, 939 also des Erklärenden zu erwarten war. Die dem objektiven Dritten erkennbaren Umstände können daher – wenn überhaupt 940 – nur in Anbetracht eines Situations- beziehungsweise Perspektivenwechsels divergieren. Andernfalls muss der objektive Beobachter ein Verhalten, dem er einen bestimmten Erklärungswert beimisst, immer auch in eben dieser Weise verstehen. Hat man also dem Verhalten einen Erklärungswert zugeschrieben, ist der Inhalt objektiv erkennbar. Entspricht dieser Inhalt nicht dem wirklichen Willen, wäre der Fehler objektiv vermeidbar, sofern nicht gerade eine unterschiedliche Situation von Erklärendem und Erklärungsempfänger zum Tragen kommt, was aber – abgesehen von Fällen einer Wissensdifferenz zwischen den beiden Akteuren – nur selten geschehen dürfte. Es verbleibt daher im Kern für beide Rechtsgebiete die Wertungsfrage, ob dem Erklärenden der konkrete Inhalt seiner Erklärung – im Einzelfall oder typischerweise – persönlich erkennbar sein muss, damit sie ihn vorläufig, das heißt bis zur Erklärung des Gegenteils respektive Anfechtung, binden kann. 941 3. Praktische Konkordanz zwischen den Prinzipien Verkehrsschutz und Selbstbestimmung Die weitere Kontextbeschreibung kann zunächst auf einen Ansatz zur Begründung der Maßgeblichkeit von Willenserklärungen im Strafrecht gestützt werden, der sich hauptsächlich an der Interessenlage orientiert. Wie schon bei der Begründung der ex ante-Prüfung von Notrechten 942 sucht man auch hier nach einer gerechten Verteilung der Irrtumsrisiken. Die Konfliktlage besteht in der Divergenz zwischen dem Gesagten und (wirklich) Gemeinten. 943 Handelt der Erklärungsempfänger straftatbestandsmäßig, aber im Vertrauen auf diese Erklärung, stellt sich die Frage, ob sein Verhalten bereits objektiv durch Einwilligungsfiktion 939
Bamberger / Roth – Unberath, § 276 BGB, Rn. 20 f. m.w. N. Nach Kleinfelds „Tatbestandsbegriff der Willenserklärung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs“ wäre das bereits theoretisch ausgeschlossen. Er verzichtet auch auf den Erklärungswillen als subjektives Element. Nur „das (gewollte) Verhalten einer Person stellt eine Willenserklärung dar, das der gutgläubige und nicht fahrlässig vertrauende Erklärungsgegner mit Recht als den ernstlichen Ausdruck eines geschäftlichen Willens auffassen darf“; a. a. O., S. 51. 941 Vgl. zur geringen Ergiebigkeit einer Argumentation mit §§ 118 f. BGB Canaris, NJW 1984, 2281, MK 5 – Kramer, § 119 BGB, Rn. 95 und Singer, Selbstbestimmung, S. 170 f. 942 Siehe Kapitel 3: A.II., S. 157. 943 Erkennt der Erklärungsempfänger diese, entfällt zugleich der Konflikt, so dass der Rechtsgutsverzicht – entgegen Kühne, JZ 1979, 241, 244 – keinesfalls in der geäußerten Form wirksam bleibt. 940
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gerechtfertigt werden oder nur wegen seiner Annahme einer Einwilligung zum Vorsatzausschluss analog § 16 I 1 führen soll. Die erste Alternative bürdet dem Erklärenden das Irrtumsrisiko auf, während die zweite ausschließlich seine Interessen privilegierte. Der Erklärende muss sich im ersten Fall an seiner Erklärung festhalten lassen, und auf der anderen Seite darf der Empfänger auf ihre Richtigkeit vertrauen, so dass potentielle Konfliktlagen weitgehend störungsfrei bewältigt werden können. Dieses rechtliche Phänomen kann man im Strafrecht als Sonderfall des Vertrauensgrundsatzes verstehen. 944 Die Willenserklärung bietet für alle direkt oder nur mittelbar Beteiligten ein klares, leicht zugängliches Kriterium, an dem sie ihr Verhalten ausrichten können. Die Wirksamkeit der Willenserklärung erleichtert dadurch die Koordinierung untereinander und verhindert einen „Verhaltensstau“, wie ihn etwa die stetige und anlassunabhängige Notwendigkeit der Erforschung des wahren Willens bewirkte. Wenn mehrere Personen miteinander um den wahren Willen des Rechtsgutsinhabers streiten, haben sie sich an seine Erklärung zu halten. Man stelle sich vor, dass andernfalls die Angehörigen eines Operationsteams über das weitere Vorgehen diskutieren müssten, obwohl eine Anweisung beziehungsweise Einwilligung in Schriftform vorliegt. Um die allgemeine Flüssigkeit des Rechtsverkehrs zu gewährleisten, wird die einstweilige Geltung fehlerhafter Erklärungen anerkannt. Man gewährleistet also Verkehrsschutz durch Vertrauensschutz. Entsprechende Grundbedürfnisse bestehen sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht. 945 Sie weisen indes praktische und theoretische Unterschiede im Detail auf. Die erweiterte Bindungskraft der Willenserklärung hat für den zivilen Rechtsverkehr eine überragende Bedeutung und wurde daher in den §§ 116 ff. BGB ausführlich normiert, während es im Strafrecht keine auch nur ansatzweise vergleichbare Regelung gibt. Verkehrsschutz wird nach Bürgerlichem Recht durch die (nur) schwebende Wirksamkeit der Willenserklärung geleistet. Ihre unverzügliche Anfechtung vermag das Rechtsgeschäft gemäß § 142 BGB rückwirkend zu beseitigen, so als hätte es die Erklärung nie gegeben. Die Gründe für die Anfechtung wegen Irrtums sind in §§ 119 f. BGB aufgezählt. 946 Im originär strafrechtlichen Kontext ist die Willenserklärung zwar jederzeit und grundlos widerruflich. 947 Eine der Anfechtung vergleichbare ex tunc-Wirkung kommt indes nicht in Betracht. Die strafrechtlichen Ver- und Gebote reglementieren ausschließlich menschliches Verhalten. Wird die Einwilligungserklärung erst nach dessen Vornahme widerrufen, vermag dies keinen Einfluss mehr auf die Verhaltensregulierung auszuüben. 944
So etwa Jakobs, AT, 7/110. Eingehender zum Zivilrecht Singer, JZ 1989, 1030, 1033 f. und gegen die Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes im Strafrecht Baumann / U. Weber 9, AT, S. 323. 946 Palandt 67 – Heinrichs / Ellenberger, § 119 BGB, Rn. 1. 947 Vgl. Jakobs, AT, 7/110, 135; Kühne, JZ 1979, 241, 244. 945
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Im strafrechtlichen Kontext lassen sich Willenserklärungen daher nur ex nunc beseitigen. Der Verkehrsschutz erfordert zwar im sowohl zivil- als auch strafrechtlichen Kontext die Fiktion von Rechtsgeschäft beziehungsweise Einwilligung. Ihre Aufhebung, also die Herstellung eines dem wirklichen Willen entsprechenden Zustandes folgt dabei jedoch unterschiedlichen Maximen. Soweit es die Beseitigung der Fiktion betrifft, ist die Übernahme eines zivilrechtlichen Wirksamkeitsmaßstabs in das Strafrecht nicht zu begründen. Selbstverständlich ist eine Übernahme der Voraussetzungen für die allerdings ex nunc-Beseitigung der wirksamen Willenserklärung nur dann, wenn der Straftatbestand – wie ein Vermögensdelikt durch das Merkmal „fremd“ – ausdrücklich auf den zivilrechtlichen Kontext Bezug nimmt, so dass die vorgenommenen Verfügungsgeschäfte eine Tatbestandswirkung entfalten. Dennoch stellt sich in beiden Kontexten die einheitliche Wertungsfrage, welches Verhalten überhaupt als bestandskräftige Willenserklärung in Betracht kommt beziehungsweise wodurch die Fiktion herbeigeführt wird. Davon außerdem zu trennen und an dieser Stelle ohne Bedeutung sind alle Probleme, die schon das Original und nicht erst das Surrogat betreffen. 948 Die §§ 104 ff., 138 BGB klären etwa, unter welchen Voraussetzungen man sich rechtsgeschäftlich binden kann. Inwiefern diese Bindung ohne einen entsprechenden Willen des Erklärenden zustande kommt, thematisieren sie ebenso wenig wie § 228, der schon die irrtumsfreie Einwilligung in eine Körperverletzung durch die guten Sitten beschränkt. Die Notwendigkeit und Ausgestaltung des inneren Tatbestandes einer Willenserklärung ergibt sich aus der Bedeutung, die man den Prinzipien des Verkehrsschutzes durch Vertrauensschutz einerseits und der Selbstbestimmung andererseits beimisst. 949 In der zivilrechtlichen Literatur wird hervorgehoben, dass die Willenserklärung der Verwirklichung von Privatautonomie durch Setzung von Rechtsfolgen dient. 950 Der Schutz des Rechtsverkehrs legitimiere zwar die Zurechnung eines Erklärungsverhaltens trotz gestörter Selbstbestimmung, wie die §§ 119, 142 I BGB demonstrieren. Voraussetzung jeder privatautonomen Geltungsanordnung sei jedoch ein Minimum an Selbstbestimmung. Das subjektive Erfordernis des Erklärungsbewusstseins sehen einige Autoren insofern als einen angemessenen Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Verkehrsschutzes durch Vertrauensschutz und der Selbstbestimmung an. 951 Dagegen wird eingewendet, es wäre unter dem Gedanken der Selbstbestimmung sinnlos, darauf abzustellen, dass der Erklärende „immerhin irgendwelche Rechtsfolgen in Geltung setzen wollte“, und daher 948
Vgl. Schönke / Schröder – Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 54 m.w. N. Vgl. Bydlinksi, JZ 1975, 1, 2 und Singer, JZ 1989, 1030, 1034. 950 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413 ff. 951 Vgl. Canaris, a. a. O., S. 427 f. und BGH – FG I, S. 141 ff.; ferner Singer [Anm. 941], S. 175 f. und JZ 1989, 1030, 1034 f. 949
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willkürlich, bei Fehlen des Erklärungsbewusstseins von keiner und bei fehlendem Geschäftswillen von einer anfechtbaren Willenserklärung auszugehen. 952 Dieser Einwand ist schon deshalb nicht völlig von der Hand zu weisen, weil auf seiner Grundlage zuvor die Notwendigkeit des Handlungsbewusstseins abgelehnt wurde. Unter Selbstbestimmungsgesichtspunkten führte das Kriterium nicht weiter. Die Kritik geht aber zu Unrecht davon aus, dass jede Verwirklichung der Privatautonomie lediglich wissentlich möglich sei. 953 Bereits die individuelle Geschäftserkennbarkeit gewährleistet das entscheidende Minimum an Selbstbestimmung. Schwierigkeiten bereiten daher nur die wenigen Fälle, in denen das Erklärungsbewusstsein ausnahmsweise nicht mit der Erkennbarkeit des konkreten Rechtsgeschäftes verbunden ist. Zivil(prozess)rechtlich könnte man diese Randunschärfe allerdings durch eine Vermutung der Geschäftserkennbarkeit bei vorliegendem Erklärungsbewusstsein in den Griff bekommen. Wenn man diese Vermutung als unwiderleglich einstufen will, bedürfte das aber seinerseits einer Rechtfertigung. Die Erforderlichkeit des Erklärungsbewusstseins wird auf der anderen Seite mit der Begründung abgelehnt, dieses Minimalerfordernis privatautonomer Gestaltung sei wegen der Anfechtungsmöglichkeit entbehrlich. Dem Erklärenden werde so die Wahl gelassen, „ob er nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten will und dann das Vertrauensinteresse nach § 122 BGB ersetzen muss oder ob er bei seiner Erklärung stehen bleiben will und dann eine etwaige Gegenleistung erhält, die ihn günstiger stellen könnte als seine einseitige Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens.“ 954 Konsequenz dieser Verschiebung des Autonomieaspektes von der Willenserklärung in die Möglichkeit ihrer ex tunc-Beseitigung (§ 142 I BGB) ist, dass der Erklärende sie bei nicht unverzüglicher Anfechtung gegen sich gelten lassen muss. Das Anfechtungsrecht ist tatsächlich insbesondere auch eine Anfechtungspflicht, die zur Bindung an eine irrtümliche Erklärung führt, wenn man ihr nicht gemäß § 121 BGB unverzüglich nachkommt. 955 Wegen dieser „Härte der rechtsgeschäftlichen Bindung als Kehrseite des Wahlrechts“ 956 ist eine Abkehr vom reinen Grundsatz der Selbstbestimmung, wonach nur gewollte Erklärungen Wirkung entfalten, zu dem verkehrsschützenden Modell schwebender Wirksamkeit ebenso der ungewollten Erklärung – idealiter – nur bis zur Grenze der individuellen Geschäftserkennbarkeit möglich, will man die Privatautonomie nicht gänzlich verabschieden. Das Anfechtungsrecht vermag nicht den Verzicht auf die – durch 952 953 954 955 956
Bydlinski, JZ 1975, 1, 4 f. Siehe auch die Einschätzung von Canaris, BGH – FG I, S. 142. So aber etwa BGHZ 91, 324, 329 f. Canaris, NJW 1984, 2281. Singer [Anm. 941], S. 180 ff.
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das Erklärungsbewusstsein überwiegend gewährleistete – Geschäftserkennbarkeit zu ersetzen. Es bietet aber wohlgemerkt eine hinreichende Legitimation, bei vorliegendem Erklärungsbewusstsein auf den Nachweis der Geschäftserkennbarkeit zu verzichten und diese unwiderleglich zu vermuten. Der Konflikt zwischen Selbstbestimmung und Verkehrsschutz prägt gleichermaßen die Willenserklärung im Strafrecht, wo sie als Einwilligungssurrogat fungiert. Die eigentliche Einwilligung besteht in der gedanklichen Verfügung über das individuelle Rechtsgut, das ausschließlich und unmittelbar den Entfaltungsmöglichkeiten seines Inhabers zu dienen bestimmt ist. Der Funktion des Rechtsguts wird nur ein Gebrauch gerecht, durch den der Inhaber sein Leben nach beliebigen, eigenen Bedürfnissen gestaltet. Die Einwilligung in eine Rechtsgutsbeeinträchtigung muss sich dazu als selbst bestimmte Nutzung dieser „gespeicherten Freiheit“ darstellen. 957 Die Einwilligung als Rechtsgutsverfügung knüpft daher ebenso an ein Selbstbestimmungsprinzip. Dieses kontrastiert notwendigerweise mit den Erfordernissen des Verkehrsschutzes auch im Strafrecht. Wenn man sich an jede Äußerung des Rechtsgutsinhabers halten dürfte, fehlte die Verbindung zwischen dem autonomen Individuum und dem Erklärungsinhalt. Es ließe sich zwar für eine rein objektive Bestimmung der wirksamen Willenserklärung deren jederzeitige Widerruflichkeit anführen. Dagegen muss jedoch daran erinnert werden, dass der Widerruf nur eine ex nunc-Wirkung entfalten kann und er daher immer vor dem zu vermeidenden Verhalten stattfinden müsste. Dies ist jedoch nicht zu gewährleisten, wenn dem Erklärenden keine Hinweise auf seinen Fehler zur Verfügung stehen. Damit die mutmaßliche Einwilligung durch Willenserklärung nicht jeden Bezug zum autonomen Rechtsgutsinhaber verliert, ist im Einzelfall die individuelle Erkennbarkeit des Erklärungsinhaltes als Minimalerfordernis der Selbstbestimmung zu verlangen. Für eine der zivilrechtlichen Willenserklärung entsprechende Vermutungsregel fehlt im strafrechtlichen Kontext schon ein vergleichbares Wissensmerkmal, das typischerweise auf die individuelle Erkennbarkeit schließen lässt. Deren unwiderlegliche Vermutung wäre darüber hinaus inhaltlich nicht zu legitimieren, da der Widerruf immer nur ex nunc wirkt und die Erklärung nicht rückwirkend beseitigen kann. 4. Zwischenergebnis Willenserklärungen setzen im zivil- und strafrechtlichen Kontext einen objektiven Erklärungstatbestand sowie die – typisierte oder im Einzelfall vorliegende – individuelle Erkennbarkeit dieses Erklärungsinhaltes voraus, um einen angemessenen Ausgleich zwischen den Prinzipien der Selbstbestimmung und des Verkehrsschutzes zu gewährleisten. Die für eine Fiktion der Einwilligung erfor957
Vgl. Frister, AT 15/18.
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derliche individuelle Erkennbarkeit bezieht sich auf die erklärte Verfügung über Rechtsgüter. Obwohl der Wille und seine Erklärung unterschiedliche Sachverhalte darstellen, so werden dennoch die gleichen Merkmale geprüft. Alle Umstände, deren Unkenntnis eine wirksame Einwilligung ausschließt, müssen für die Einwilligungsfiktion erkennbar sein. 958 Diese Fixierung des inneren Erklärungstatbestandes darf mitunter als Erweiterung der individuellen Autonomie verstanden werden. Dem Erklärenden ist es dadurch möglich, wirksame Verfügungen über seine Güter zu treffen, ohne dass er sich genauere Gedanken darüber machen muss, welche konkreten Risiken drohen, solange ihm diese nur erkennbar sind. Wer in das Auto eines Betrunkenen einsteigt, um mit ihm in die nächste Kneipe zu fahren, erklärt sich durch dieses Verhalten konkludent mit den dabei auftretenden Risiken für seine körperliche Unversehrtheit einverstanden. Seine Einwilligung wird fingiert, wenn diese Gefahren ihm persönlich erkennbar sind. 959
V. Ausdehnung der Einwilligungsfiktion auf die riskanten Äußerungen Willenserklärungen ersetzen im zivil- und strafrechtlichen Kontext den wirklichen Willen, sofern beim Erklärenden ein Erklärungsbewusstsein beziehungsweise die individuelle Erkennbarkeit des Erklärungsinhaltes vorliegt. Das gemeinsame Ziel dieser Fiktion von Rechtsgeschäften und Einwilligungen, Verkehrsschutz durch Vertrauensschutz zu gewährleisten, konnte sowohl im Zivilrecht als auch im Strafrecht nachgewiesen werden. In einem zweiten Schritt soll nun die Einwilligungsfiktion durch das traditionell zivilrechtliche Verbot eines venire contra factum proprium ausgebaut werden. Gänzlich neu ist diese Methode nicht. Kindhäuser führte das Beispiel eines Boxers an, der kurz vor dem Aufwärtshaken ruft: „Aber nicht auf mein ‚Glaskinn’!“ Man könnte in diesem Fall zunächst auf den Gedanken kommen, er habe seine Einwilligung in die entsprechenden Risiken ausdrücklich verweigert. Kindhäuser zufolge spricht dieser Boxer indes „nur eine protestatio facto contraria aus und müsste sich insoweit an seiner (generellen) Einwilligung in die (bisweilen sogar tödlichen) Risiken des Faustkampfes festhalten lassen. (Als Zeichen, dass er in die etwaige Kampf-Verletzung nunmehr nicht mehr einwillige, bleibt ihm nur, aber immerhin, die Kampf-Aufgabe.)“ 960 Seine Lösung des Falles folgt ausdrücklich der im Zivilrecht gebräuchlichen Maxime, wonach die Erklärungswirkung eines schlüssigen Verhaltens nicht durch einen Widerspruch abgewendet werden kann, welcher sich mit dem tatsächlichen 958 Entwickelt man die zur Einwilligung führende Willensentscheidung aus einer individuellen Kosten-Nutzen-Saldierung, wird neben dem Vorliegen des riskanten Verhaltens als Kostenfaktor das Fehlen weiterer, nützlicher Umstände maßgeblich. Siehe Anm. 891 f. 959 Vgl. am Ende von Kapitel 3: C.III., S. 186. 960 NK, § 228, Rn. 21; vgl. auch Kühl, ZStW 115 [2003], 385, 391.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Verhalten nicht vereinbaren lässt. 961 Dahinter verbirgt sich die Überlegung, dass der Erklärungsinhalt von Taten ein größeres Gewicht hat als der von Worten, weshalb bei einer Kollision dem aussagekräftigeren schlüssigen Verhalten der Vorrang zugesprochen wird. 962 Weil es diesen Effekt im Zivil- und Strafrecht gleichermaßen gibt, 963 dürfen in beiden Rechtsgebieten dieselben Schlussfolgerungen gezogen werden. Der Boxer erklärt durch die Teilnahme am Kampf konkludent seine Einwilligung in die damit üblicherweise verbundenen Risiken. Die darin enthaltene Äußerung hat ein stärkeres Gewicht als sein Zwischenruf (oder jede andere mündliche Erklärung). Er könnte diese Erklärungswirkung deshalb nur durch seine Aufgabe wieder beseitigen und muss sich bis dahin an seiner Einwilligung festhalten lassen, oder lateinisch: protestatio facto contraria non valet. In ähnlicher Weise lässt sich eine Lösung zur Bewältigung der riskanten Äußerungen entwickeln. Dazu wird die auf einer Willenserklärung basierende Einwilligungsfiktion anhand der Maxime, die dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens zugrunde liegt, ausgedehnt. 1. Einwilligungsfiktion nach Maßgabe der Notrechte Im Grundfall der riskanten Äußerungen bedroht ein räuberischer Erpresser den Bankangestellten mit seiner defekten Waffe, fordert Bargeld und wird daraufhin von ihm niedergeschossen. E erklärt dabei weder ausdrücklich noch konkludent, dass er mit der Gefährdung seiner Gesundheit oder seines Lebens durch einen Pistolenschuss des B einverstanden sei. Im Gegenteil will er durch den Gebrauch der Scheinwaffe gerade vermeiden, dass sein Überfall auf Widerstand stößt. Die schlichte Einwilligungsfiktion scheidet deshalb mangels entsprechender Einwilligungserklärung aus. Für eine ergänzende Berücksichtigung des Verbots widersprüchlichen Verhaltens müssen zunächst die Konturen dieser traditionell zivilrechtlich genutzten Figur mit Blick auf die Einwilligungsfiktion im Strafrecht nachgezeichnet werden. Als erstes stellt sich die Frage, zwischen welchen Verhaltensweisen und inwiefern ein Widerspruch entstehen kann. Das Ausgangsverhalten sind die riskanten Äußerungen. Sie enthalten die Darstellung des gefahrbegründenden Sachverhaltes. Dem Empfänger werden Risiken suggeriert, die in Wirklichkeit, das heißt objektiv ex post nicht existieren. Diese Gefahrbehauptungen lassen sich mit Blick auf den Äußernden parallel zu den Notrechten systematisieren. Der Erklärende kann versuchen, dem Adressaten 961 Hanau, AcP 165 [1965], 220, 271 ff.; Palandt 67 – Heinrichs, Einf. vor § 145 BGB, Rn. 26 mit Nw. zur Rechtsprechung; Bamberger / Roth – Wendtland, § 133 BGB, Rn. 9; gegen eine Anerkennung dieser Maxime als allgemeine Auslegungsregel H. Köhler, JZ 1981, 464 ff. und Staudinger – Singer, § 116 BGB, Rn. 6. 962 MK 5 – Mayer-Maly / Busche, § 133 BGB, Rn. 49. 963 Er hatte sich bereits im unterschiedlichen Gewicht eines Normverstoßes durch Taten oder bloße Worte gezeigt; siehe dazu den mit Anm. 815 versehenen Absatz.
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wie im eingangs geschilderten Fall einen gemäß § 32 zur Notwehr berechtigenden rechtswidrigen gegenwärtigen Angriff durch seine Person zu vermitteln. Die riskante Äußerung vermag ebenso eine Gefahr zu beschreiben, für deren Entstehen der Äußernde lediglich objektiv verantwortlich ist. Würde es dem E gelingen, überzeugend sein Schlafwandeln zu simulieren, käme gegen ihn auf dieser Grundlage lediglich ein Defensivnotstandsrecht (§ 228 BGB direkt oder analog) in Betracht. Es sind ferner Fälle denkbar, in denen die vorgetäuschte Gefahr keinen Bezug zum Äußernden aufweist. Man stelle sich vor, dass zwei Nachbarn sich regelmäßig und ohne besondere Absprache Werkzeuge aus ihren Geräteschuppen leihen. Als N1 wieder einmal in den dunklen Schuppen von N2 geht, lässt dieser die Türe heimlich zufallen, um ihn zu erschrecken. Sie kann mit einem Trick, den lediglich N2 kennt, leicht von Innen geöffnet werden. N1 ärgert sich über seine Unaufmerksamkeit und tritt nach längerem vergeblichen Suchen und Warten die Türe ein.
Zum Problem entwickeln sich riskante Äußerungen nur dann, wenn man ihnen vertraut und außerdem mit Abwehrmaßnahmen reagiert. Die Umsetzung des Vertrauens auf die Tatsachenbehauptung in Form von Verfügungen oder Dispositionen im weiteren Sinne führte im Zivilrecht zur Annahme einer besonderen Schutzwürdigkeit. Bei den Abwehrmaßnahmen handelt es sich ebenso um Dispositionen im weiteren Sinne. Insofern genügt auch strafrechtlich bereits der irrige Glaube an die behauptete Gefahrenlage. Ob der Empfänger der riskanten Äußerung die Wahrheit hätte erkennen können, bleibt somit entsprechend der zivilrechtlich herausgearbeiteten Wertung ohne Bedeutung. Letzte Bedenken gegen die Schutzwürdigkeit des Vertrauens könnte man in Anbetracht der zivilrechtlichen Diskussion aus der Sitten- oder Gesetzeswidrigkeit des vertrauensbildenden Verhaltens ableiten. Bekundet der Äußernde seine – tatsächlich fehlende – Absicht, ein Verbrechen gegen den Adressaten zu begehen (§ 241 I), so werden in erster Linie dessen Verhaltensfreiheit oder ein spezielleres Rechtsgut durch eigene, aber unfreiwillige Verfügung darüber – mit anderen Worten durch mögliche Selbstschädigungen – gefährdet. 964 Dritte sind davon nicht betroffen. Schutz kann insofern am besten durch die Befugnis gewährleistet werden, sich auf die riskante Äußerung zu berufen, so dass auch dieser Aspekt ebenso wenig wie im Zivilrecht zur Verneinung der Schutzwürdigkeit eines Vertrauens führt. Rechtsfolge des venire contra factum proprium ist, dass man sich an seinem Ausgangsverhalten festhalten lassen muss. Wer in zurechenbarer Weise den Anschein einer Tatsachenlage hervorruft, für den gilt sie, soweit der andere darauf berechtigt vertraut. Diese Konsequenz wird nun in der Einwilligungsfiktion verankert. Dazu muss ihr Gegenstand erweitert werden. Die Erklärung bezieht sich jetzt nicht mehr nur auf fremde Gefährdungen eigener Rechtsgüter, mit denen man einverstanden ist. Sie beinhaltet das Wissen über riskante Sachverhalte. Wird 964
Vgl. aber Kapitel 3: B.II., S. 171.
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ein rechtswidriger Angriff des Erklärenden behauptet, kann die Erklärung zudem das eigene Wollen beschreiben. Insofern handelte es sich aber lediglich um einen Sonderfall der Wissenserklärung, nämlich um eine Erklärung über eigene innere Tatsachen. Aber inwiefern kann der Erklärende seine unrichtige Behauptung gegen sich gelten lassen? Möglich wird dies dadurch, dass man seine Einwilligung in alle Abwehrmaßnahmen fingiert, die auf Grundlage des von ihm geäußerten und von dem Adressaten geglaubten Sachverhaltes zulässig wären. Reagiert der Empfänger einer riskanten Äußerung mit einem für ihren Absender gefährlichen Verhalten, das zwar nach seiner Vorstellung zur Verteidigung beziehungsweise zur Gefahrenabwehr bestimmt ist, aber diesen Effekt in Ermangelung eines ex post-Risikos nicht bewirken kann, geht man von einer Einwilligung des Erklärenden aus und rechtfertigt daher objektiv die Handlung oder Unterlassung. Sie darf dann weder vom Äußernden noch von einem Dritten unter Berufung auf Notwehr oder Notstand unterbunden werden. Wer in eine Gefährdung einwilligt, ist nicht im Sinne der Notrechte in Gefahr. Insofern entfaltet die Einwilligung eine Sperrwirkung. 965 Schutzwürdig ist das Vertrauen des Empfängers einer riskanten Äußerung jedoch nur insoweit, als er sich auf der Grundlage des Sachverhaltes, auf den er vertraut, rechtmäßig verhält. Daher legt man den erklärten und außerdem von ihm geglaubten Sachverhalt zugrunde und prüft, ob die von ihm gewählte Verteidigungsmaßnahme als Notwehr oder Notstand zulässig wäre. Die Bedrohung mit einer Scheinwaffe löst folglich ein notwehrähnliches Recht aus und rechtfertigte den Schuss in das Bein des räuberischen Erpressers. Um die Fiktion seiner Einwilligung auszuschließen, müsste der Bankräuber die Verursachung des Erlaubnistatbestandsirrtums durch seine riskante Äußerung verhindern, indem er etwa die defekte Waffe auf den Boden legt. Diese Lösung greift ebenso im Falle des untauglichen Versuchs eines Tötungsdelikts, wenn also dem Opfer die Scheinwaffe nicht vorgehalten wird, um es zu einem Verhalten zu nötigen. Sie löst ferner das Problem des vermeintlichen Fortdauerns eines Angriffs. 966 Schießt der Täter mehrfach auf sein Opfer, so erweckt er dadurch „nebenbei“ den Eindruck, er wolle es mit seiner Waffe töten. Es handelt sich hierbei also lediglich um den Unterfall einer konkludenten riskanten Äußerung, wenn der Angreifer von seinem Vorhaben ablässt, das Opfer aber auf ein Fortdauern vertraut. Scheint es so, als würde der Angreifer mit der Waffe in der Hand schlafwandeln, reduzierte sich die Befugnis auf ein Defensivnotstandsrecht. Der vermeintlich von sich selbst eingesperrte Nachbar könnte sich lediglich auf ein Aggressivnotstandsrecht berufen. Sieht er keinen Ausweg, um in absehbarer Zeit aus dem Schuppen zu gelangen, wäre es ihm in den Grenzen von § 904 S. 1 BGB erlaubt, zur Rettung seiner Fortbewegungsfreiheit die Türe einzutreten oder ein 965 966
Vgl. MK – Erb, § 34, Rn. 33. Siehe zu diesen beiden Fallgruppen bereits Kapitel 3: A.I., S. 154.
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Fenster einzuschlagen. Die riskante Äußerung kann dabei nicht an eine bestimmte Person adressiert werden. Will A nur dem B einen gefährlichen Sachverhalt vorspiegeln, so wird seine Einwilligung dennoch gegenüber dem C fingiert, falls dieser von der riskanten Äußerung getäuscht wird und das vermeintliche Risiko für A abwehren möchte. Riskante Äußerungen richten sich insofern immer an einen unbestimmten Personenkreis. Da die riskante Äußerung als – normativ ergänzte – Einwilligungsfiktion verstanden wird, scheint zugleich der im Zivilrecht bestehende Streit um die subjektive Seite des widersprüchlichen Verhaltens für das Strafrecht geschlichtet. Bei der Einwilligungsfiktion aufgrund Willenserklärung hat deren Gegenstand zwar nicht bekannt, aber zumindest persönlich erkennbar zu sein. Ebenso muss dem Urheber einer riskanten Äußerung ihr Inhalt persönlich erkennbar sein. Wohlgemerkt ist der Bezugspunkt nicht das ihm drohende Abwehrverhalten, sondern die von ihm ausdrücklich oder konkludent geäußerte unwirkliche Gefahrenlage, an der er sich festhalten lassen muss. Die Notwendigkeit der individuellen Erkennbarkeit ergibt sich aber nicht erst rein formell aus der Einstufung der riskanten Äußerung als Sonderfall der Einwilligungsfiktion. Umgekehrt folgt diese formelle Einordnung einer sachlichen Überlegung. Wie bei der allgemeinen Einwilligungsfiktion aufgrund einer entsprechenden Willenserklärung sichert die subjektive Voraussetzung ein Minimum an Vermeidbarkeit und damit die Selbstbestimmung des Äußernden. Nur dies erlaubt es, ihn gemäß der Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“ an seinem Verhalten festzuhalten und das Institut – in Ermangelung einer Rechtsgüterkollision – formell der Einwilligung beziehungsweise ihrer Fiktion zuzuordnen. 2. Einwilligungsfiktion auch bei schwerer oder lebensgefährlicher Körperverletzung? Die Rechtfertigungsgründe für das riskante Verhalten des Bürgers lassen sich im Wesentlichen auf zwei Konstellationen zurückführen. 967 Einerseits ist es möglich, dass ein tatbestandlich geschütztes Gut mit den rechtlich geschützten Interessen anderer Personen(gruppen) kollidiert und dahinter zurücktreten muss. Die Notwehr und der Notstand funktionieren zum Beispiel nach diesem groben Schema. 968 Darin lässt sich die Problematik der riskanten Äußerungen jedoch nicht verorten, denn deren Besonderheit ergab sich gerade aus dem Umstand, dass die zivilen Notrechte mangels einer Gefährdung beziehungsweise Kollision pri967 Vgl. dazu und zum Folgenden Schönke / Schröder – Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 7 m.w. N. 968 Zur Beschränkung der Notstandsrechtfertigung auf den Konflikt von Rechtsgütern unterschiedlicher Träger Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 64 f.; a. A. Lackner / Kühl, § 34, Rn. 4, beide m.w. N.
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märer Rechtsgüter nicht eingreifen. Die zweite Gruppe der Rechtfertigungsgründe erfasst Situationen, in denen das Recht keinen Anlass sieht, das tatbestandlich geschützte Gut gegen einen bestimmten Eingriff zu schützten, weil sein Inhaber es nicht geschützt wissen will. Dazu gehören nicht nur die Einwilligung und die mutmaßliche Einwilligung im traditionellen Sinne, sondern ebenso die Einwilligungsfiktion aufgrund Willenserklärung sowie die Einwilligungsfiktion nach Maßgabe der Notrechte als Konsequenz einer riskanten Äußerung. Eine wirkliche Willensübereinstimmung kennzeichnet ausschließlich die Einwilligung, während ihre Surrogate immer aus normativen Setzungen resultieren. Die Fiktion der Einwilligung wird nicht dadurch begründet, dass der Rechtsgutsinhaber den Eingriff will, sondern dadurch, dass er sich so behandeln lassen muss, als ob er ihn will. Doch trotz dieser abgestuften Normativierung des Willens, folgt die gesamte zweite Gruppe nicht den Prinzipien der Rechtfertigung aufgrund Güterkollision, sondern in erster Linie 969 denen der Rechtfertigung durch Selbstbestimmung, weshalb der Verfügungsinhalt individuell erkennbar sein muss. Die autonome Verfügbarkeit der eigenen Rechtsgüter wird durch die Rechtsordnung nicht schrankenlos gewährleistet. Das Strafgesetzbuch beschränkt durch die §§ 216, 228 die Disponibilität der körperlichen Unversehrtheit beziehungsweise der Gesundheit und des Lebens. 970 Diese Begrenzung wird zwar nur für die Einwilligung im engeren Sinne ausformuliert. Sie beschreibt jedoch der Sache nach den Umfang der persönlichen Verfügungsbefugnis und muss daher ebenso bei der normativ begründeten Einwilligungsfiktion berücksichtigt werden. Eine Fiktion ist – zumindest auf den ersten Blick 971 – nur insofern zulässig, als auch die inhaltsgleiche Einwilligung zulässig wäre. 972 a) Erste Konkretisierung der noch sittengemäßen Höchstgefährdung der körperlichen Unversehrtheit Die Einwilligung und ihre Fiktion beziehen sich auf das – im Hinblick auf einen möglichen Erfolg – riskante Verhalten und sind insofern blind für den später tatsächlich eintretenden Erfolg. Die Einwilligung in ein Verhalten, das die körperliche Unversehrtheit respektive Gesundheit des Einwilligenden im Sinne der §§ 223 ff. gefährdet, wirkt gemäß § 228 nicht rechtfertigend, „wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt“. Die einschlägigen Kom969
Die Obergrenze einer Rechtfertigung durch Selbstbestimmung kann sich wegen des Zusammentreffens mit einer Rechtsgüterkollision verschieben. 970 Vgl. für weitere einschränkende Regelungen MK – Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 117 ff. 971 Wie im Folgenden noch gezeigt wird, vermag die Einwilligungsfiktion im Zusammenspiel mit dem Vertrauensgrundsatz umfangreichere Rechtsgutsgefährdungen zu legitimieren. 972 Schönke / Schröder – Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 54 m.w. N.
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mentierungen weisen für die Bestimmung der Sittenwidrigkeit eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen und literarischen Äußerungen zum Einzelfall ebenso wie von allgemeiner Bedeutung nach. Es lassen sich jedoch zwei Hauptströmungen ausmachen. Einige Autoren berücksichtigen für die Feststellung der Sittenwidrigkeit lediglich „böse“ Absichten des Täters. Entweder beschränken sie sich darauf zu prüfen, ob die Körperverletzung deliktischen Zwecken dient, das heißt „zu dem Zweck der Vorbereitung, Vornahme, Verdeckung oder Vortäuschung einer Straftat unternommen wird“; 973 oder sie sehen außerdem „die der abnormen Triebbefriedigung dienenden Körperverletzungen“ 974 als sittenwidrig an. Riskante Äußerungen bewirken aber nur dann eine Fiktion der Einwilligung des Äußernden, wenn der Empfänger in schutzwürdigem Umfang auf die Gefahrbehauptung vertraut hat. Eine Rechtfertigung setzt daher voraus, dass ihr – auf der einen Seite geäußerter und außerdem auf der anderen geglaubter – Inhalt bei wirklichem Vorliegen zu einem Notrecht des Empfängers führen würde. Die Einwilligungsfiktion erfordert deshalb immer auch die Vorstellung vom Vorliegen rechtfertigender Umstände. Aufgrund des ersten Auslegungsansatzes zu § 228 kämen Restriktionen lediglich für die Fälle in Betracht, in denen der Empfänger bei seiner Abwehr die körperliche Unversehrtheit des Äußernden erlaubnistatbestandsirrtümlich gefährdet und ihm seine Maßnahme darüber hinaus zur Straftatvorbereitung oder zur Befriedigung eines abnormen Triebes dient. Nach einem diesem Bild entsprechenden Lehrbuchkriminellen müsste vermutlich längere Zeit gefahndet werden. Bewertet man die Sittenwidrigkeit der Körperverletzung nach dem vom Täter verfolgten Zweck, ergeben sich durch § 228 kaum praktische Beschränkungen für die Einwilligungsfiktion bei riskanten Äußerungen. Theoretisch würde dadurch jedoch die Wirksamkeit der Einwilligung und damit die objektive Rechtmäßigkeit der Körperverletzung – wie bei den vermeintlich unvollkommen zweiaktigen Rechtfertigungsgründen 975 – vom Willen des Täters abhängig gemacht. Dass dies nicht richtig sein kann, zeigen wiederum jene Fälle, in denen der Täter das Böse will und doch das Gute schafft, wie folgendes Beispiel verdeutlicht. Ein Arzt operiert kunstgerecht in seiner Privatpraxis den entzündeten Wurmfortsatz des zuvor hinreichend aufgeklärten Patienten, um später dessen Krankenkasse durch Abrechnung erfundener Zusatzleistungen zu betrügen (§ 263 I). Nach der Appendektomie liest er in der Zeitung, dass die Krankenkassen stark unterfinanziert sind, und gibt sein Vorhaben auf. Es ist weder einsichtig, dass er sich damit mangels Wirksamkeit der fingierten 976 Einwilligung 973
SK – Horn / Wolters, § 228, Rn. 9 (im Original teilweise fett gedruckt). Berz, GA 1969, 145 ff. 975 Siehe bereits Kapitel 1: F.I.3., S. 123. 976 Der Patient schläft während der Operation und kann daher den körperlichen Eingriff nicht mit seiner inneren Zustimmung begleiten. Die vorherige Zustimmungserklärung wirkt jedoch als Einwillungsfiktion rechtfertigend. 974
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
wegen einer Körperverletzung (§§ 223 I, 228) strafbar gemacht haben soll, noch dass sein gesetzestreuer, kompetenter, wenn auch ein wenig übereifriger Assistent ihn vom Operationstisch wegstoßen darf, um dann den Wurmfortsatz selbst lege artis und vor allem gerechtfertigt zu entfernen. 977 Alternativ wird die Sittenwidrigkeit der Körperverletzung als objektive Unverhältnismäßigkeit beziehungsweise Unverständigkeit des Umgangs mit dem eigenen Körper gedeutet 978 und durch eine Kosten-Nutzen-Abwägung bestimmt. Als abwägungsrelevante Nachteile kommen die Wahrscheinlichkeit, mit der das in Rede stehende Verhalten zu einem Körperverletzungserfolg führt, sowie dessen möglicher Umfang in Betracht. Im Regelfall wird eine Person, die sich riskant äußert, damit aber zugleich ein Motiv verfolgen. Der Bankräuber will zum Beispiel mit der Scheinwaffe die Herausgabe von Geld erpressen. Seine durch die mögliche Abwehrreaktion des Bankangestellten vermittelte Selbstgefährdung dient also der Vermögensbeschaffung. Dies lässt die – aufgrund der riskanten Äußerung fingierte – Einwilligung in größerem Umfang verständlich erscheinen. 979 Bedenkt man jedoch, dass der Mordtatbestand die Habgier als einen niedrigen Beweggrund einordnet, spricht allerdings viel dafür, einen wirtschaftlichen Anlass als vergleichsweise unbedeutend zu bewerten. 980 Für eine Prüfung des § 228 im Hinblick auf die riskanten Äußerungen dürfte sich damit regelmäßig die Besonderheit ergeben, dass keine weiteren oder zumindest keine ins Gewicht fallenden primären Rechtsgüter tangiert werden. Führen die riskanten Äußerungen zur Fiktion der Einwilligung in ein die körperliche Unversehrtheit des Äußernden gefährdendes Verhalten, so muss sich die auf einer Abwägung basierende Prüfung der Sittenwidrigkeit gemäß § 228 (nach dem bisherigen Stand der Überlegung) maßgeblich auf die körperliche Unversehrtheit respektive Gesundheit des Äußernden als Nachteil stützen. Die Bestimmung der Sittenwidrigkeit orientiert sich demzufolge im Wesentlichen an der Schwere des Körpereingriffs und entspricht insoweit einer in der Rechtsprechung und Literatur zur originären Einwilligung weit verbreiteten Methode. 981 977
Weitere Kritik und Nw. bei MK – Hardtung, § 228, Rn. 25. Vgl. etwa das Konzept von Jakobs, Schroeder – FS, S. 511 ff. m.w. N. 979 Die herrschende Lehre betont zwar, dass lediglich die Tat gegen die guten Sitten verstoßen muss und dass die Sittenwidrigkeit der Einwilligung selbst gleichgültig sei. Trotzdem ist ihr eine Beurteilung ohne Berücksichtigung der Motive des Einwilligenden nicht möglich; LK 12 – Rönnau, Vor § 32, Rn. 190 m.w. N.; vgl. ferner Sternberg-Lieben [Anm. 905], S. 127 ff. 980 Eingehender dazu (sowie auch zur Gewichtung einer sexuellen Motivation, vgl. § 177) Jakobs, Schroeder – FS, S. 516 m.w. N. 981 LK 12 – Rönnau, Vor § 32, Rn. 190 m.w. N. Vgl. aber zu den darüber hinaus möglicherweise abwägungsrelevanten Nach- und Vorteilen MK – Hardtung, § 228, Rn. 19 ff., 26 m.w. N., der auch ein Selbstbestimmungsrecht des Einwilligenden berücksichtigen will. Unklar bleibt jedoch, inwiefern dieses sich von der erst noch durch die Abwägung zu bestim978
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Diese erste Konkretisierung erlaubt freilich keine präzise Bestimmung der noch sittengemäßen Höchstgefährdung der körperlichen Unversehrtheit. Der Ansatz verdeutlicht aber bereits, warum ein durch riskante Äußerungen bewirktes Abwehrverhalten, welches mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer schweren Gesundheitsschädigung oder gar zum Tod führen wird, im Sinne von § 228 objektiv sittenwidrig und deswegen – beziehungsweise aufgrund der Sonderregelung des § 216 I 982 – nicht mehr durch eine Einwilligung oder deren Fiktion zu rechtfertigen ist. 983 Daraus folgt jedoch nicht, dass für die Sittenwidrigkeit der Reaktion auf eine riskante Äußerung ein gemäß §§ 226 f., 212 tatbestandsmäßiges Verhalten notwendig und hinreichend ist. 984 Der ebenso in § 221 I verwendete Begriff der schweren Gesundheitsschädigung erfasst nicht ausschließlich die in § 226 I genannten Taterfolge. 985 Es kommen somit ebenso Verhaltensweisen als sittenwidrig in Betracht, die lediglich eine der in § 226 I nicht genannten schweren Gesundheitsschädigungen herbeiführen können. 986 Auf der anderen Seite geht man davon aus, dass die Einwilligung in ein vergleichsweise geringfügig lebensgefährliches Verhalten, welches als solches aber bereits den Anforderungen des § 212 I genügt, nicht durch §§ 216 I, 228 ausgeschlossen wird. 987 Das gemäß §§ 212 I, 222, 227 objektiv tatbestandsmäßige Verhalten ist deshalb nicht zwingend im Sinne von § 228 sittenwidrig. b) Erweiterung durch den Vertrauensgrundsatz Schon wegen § 216 ist ein Kopfschuss nicht mehr objektiv zu rechtfertigen. Ein Pistolenschuss des bedrohten Kassierers ins Bein des nur scheinbar bewaffneten Bankräubers erscheint dagegen der Einwilligungsfiktion zugänglich. Die Einschätzung vermag wohl im Hinblick auf die riskanten Äußerungen leicht zu überzeugen. Hinsichtlich einer schlichten Einwilligung würde derselbe Beinschuss jedoch kaum als sittengemäß (§ 228) und daher gerechtfertigt angesehen werden. Diese menden rechtlichen Möglichkeit des Einwilligenden, in die fremde Gefährdung wirksam einzuwilligen bzw. über seine körperliche Unversehrtheit zu verfügen, unterscheidet. 982 Dass auch das Lebensinteresse entgegen einer verbreiteten Auffassung (etwa Schönke / Schröder – Lenckner / Perron, § 34, Rn. 23) durchaus abwägbar ist, veranschaulicht R. Merkel, JZ 1996, 1145, 1150 f. am Beispiel eines verbrennenden Unfallopfers. Vgl. auch Mitsch, U. Weber – FS, S. 66 f., der den Fall einer Selbstopferung zur Rettung einer Vielzahl von Menschen durch die Kombination von Einwilligung und Notstand löst. 983 Vgl. etwa Hardtung, Jura 2005, 401, 405. 984 Dagegen etwa Sitzmann, GA 1991, 71, 78 f. u. 81, der die einfachen und gefährlichen Körperverletzungen (§§ 223, 223a a. F.) nie und die schweren Körperverletzungen bzw. solche mit Todesfolge (§§ 224 – 226 a. F.) immer für sittenwidrig hält. 985 MK – Hardtung, § 221, Rn. 19 mit Beispielen und Nw. zu den Gesetzesmaterialien. 986 MK – Hardtung, § 228, Rn. 24. 987 Frister, AT, 15/26 ff.; Schönke / Schröder – Lenckner, Vorbem §§ 32 ff., Rn. 104 f. m.w. N.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Diskrepanz lässt die vorherige Erläuterung zumindest unvollständig erscheinen. Das Begründungsdefizit ließe sich durch den Nachweis eines Abwägungsgesichtspunktes beheben, der lediglich die Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung im Kontext der Einwilligungsfiktion, nicht jedoch im Rahmen der originären Einwilligung mitbestimmt. Zuvor wurde bereits auf die Besonderheit hingewiesen, dass die Einwilligungsfiktion aufgrund Willenserklärung Strukturelemente des allgemeinen Vertrauensgrundsatzes aufweist. 988 Seine Funktionsweise lässt sich am Beispiel des Straßenverkehrs leichter darstellen. Ein Autofahrer darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer vorschriftsgemäß verhalten, obwohl Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung keine Seltenheit sind und mitunter zur Verletzung Dritter führen. Die Rechtmäßigkeit des Autofahrens beruht insofern nicht nur auf einer Abwägung zwischen den Gefahren für Leib und Leben der anderen Verkehrsteilnehmer auf der einen sowie der Verhaltens- respektive Fortbewegungsfreiheit auf der anderen Seite. 989 Zur Ausdehnung des erlaubten Risikos im Sinne des Vertrauensgrundsatzes und damit zur Verneinung der einschlägigen Straftatbestände (§§ 223, 229, 212, 222) gelangt man erst dann, wenn das Bedürfnis der Verkehrsflüssigkeit als zusätzlicher Wert in die Abwägung eingestellt wird. Es werden also besondere Gefahren für die Verkehrsteilnehmer in Kauf genommen, um die Funktionsfähigkeit des Straßenverkehrs zu gewährleisten. 990 Andernfalls, wenn man sich zum Beispiel trotz Vorfahrt an jeder Kreuzung der Gewährung dieses Rechts durch nachrangige Teilnehmer versichern müsste, wäre das System mit seinem stetigen Wachstum zunehmend ineffizienter geworden, wenn nicht gar (zumindest teilweise) kollabiert. 991 Dementsprechend lässt sich der Vertrauensgrundsatz als ein weiterer in die Abwägung zur Bestimmung des erlaubten Risikos eingestellter Wert skizzieren, der eine möglichst reibungslose Koordinierung der Verhaltensweisen verschiedener Menschen in einem bestimmten System gewährleisten soll. Die Höhe des zusätzlichen Wertes ist abhängig von der Bedeutung des Systems, dessen Funktionalität er schützen soll. Soweit es etwa das System „Befehl und Gehorsam“ in der Bundeswehr beträfe, fiele er besonders hoch aus. Der Effekt einer reibungsloseren Verhaltenskoordinierung wurde herangezogen, um die Bindungswirkung einer Willenserklärung auch im Strafrecht zu begründen. Ihr Empfänger soll sich darauf verlassen können, dass die darin enthaltene Rechtsgutsverfügung dem wirklichen Willen des Erklärenden entspricht, selbst wenn dies im Einzelfall zur Nichtbeachtung eines entgegenstehenden Willens führen kann. 988 989 990
Siehe Kapitel 3: C.IV.3., S. 198. Vgl. dazu Herzberg, GA 1996, 1, 2. BGHSt 3, 49, 51; Böhmer, JR 1967, 291 ff. mit weiteren Rechtsprechungsnachwei-
sen. 991
Vgl. Kuckuk / Werny, Straßenverkehrsrecht, § 1 StVO, Rn. 11.
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Im Kontext der erweiterten Einwilligungsfiktion aufgrund einer riskanten Äußerung hat das abstrahierte Vertrauen insofern eine besondere Bedeutung, als dadurch Hemmnisse für die Gefahrenabwehr ausgeschaltet werden. 992 Dieser zusätzliche Wert beeinflusst gleichermaßen die Abwägung, mit der die Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung gemäß § 228 bestimmt wird. Ein Pistolenschuss ins Bein vermag somit zwar nicht durch Einwilligung, wohl aber durch die Einwilligungsfiktion aufgrund einer riskanten Äußerung gerechtfertigt zu werden, weil es sich dabei um einen Sonderfall des Vertrauensgrundsatzes handelt. Allerdings weist diese Erklärung noch immer ein Defizit auf. Sie stammt aus der allgemeinen Dogmatik des unerlaubt riskanten Verhaltens, und ihr fehlt bislang ein direkter Bezug zum Konzept der Sittenwidrigkeit in § 228. Es wurde lediglich gezeigt, dass es sich jeweils um Abwägungsmodelle handelt, im Rahmen derer sich ein zusätzlicher Wert des Vertrauens berücksichtigen lässt. Diese Abwägungsposition soll nun speziell für das Sittenwidrigkeitskonzept nachgewiesen werden. c) Verankerung des Vertrauensgrundsatzes im Konzept der Sittenwidrigkeit Neuere Ansätze im Schrifttum führen die Sittenwidrigkeit gemäß § 228 auf ein Autonomiedefizit zurück. 993 Die Einwilligungsunfähigkeit sowie die täuschungsoder irrtumsbedingten Willensmängel schließen es bereits als konkrete Autonomiedefizite aus, die Beeinträchtigungen eines Individualrechtsgutes seinem Inhaber zuzuschreiben. Die Einwilligung wäre bereits nach allgemeinen Regeln unwirksam, so dass kein Anwendungsspielraum für den auf die Körperverletzung beschränkten § 228 verbleibt. 994 Bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit soll daher nicht noch einmal gefragt werden, ob die Verfügung über das Rechtsgut seinem Inhaber zuzurechnen ist, sondern ob sie außerdem einem vernünftigen Individuum zugerechnet werden kann. Wenn sich die Einwilligung in eine Körperverletzung objektiv nicht mehr nachvollziehen lässt, so ist allein deshalb noch nicht das Fehlen einer selbstbestimmten Entscheidung im Einzelfall zu vermuten. Es besteht keine konkrete, wohl aber eine abstrakte Gefahr für die Autonomie beziehungsweise ein nur abstraktes Autonomiedefizit. 995 992
Soweit es die allgemeine Verhaltenskoordinierung betrifft, macht es gerade keinen Unterschied, ob im konkreten Einzelfall eine wirkliche oder eine vermeintliche Gefahr abgewehrt wird. 993 W. Frisch, Hirsch – FS, S. 490 ff.; Jakobs, Schroeder – FS, S. 513 ff., insb. S. 518 ff. 994 Siehe W. Frisch, a. a. O., S. 492. 995 Instruktiv Jakobs [Anm. 993], S. 518 ff. W. Frisch, a. a. O., S. 493 ff., 499 sieht die Vernunft bereits als untrennbaren Teil der selbstbestimmten Entscheidung. Fehlt etwa ein hinreichender Grund für eine Amputation, so geht er davon aus, dass die „Person unter grober Verkennung von Sachzusammenhängen oder ohne wirklichen Einsatz ihrer Vernunft entschieden hat oder möglicherweise [...] zu einer vernünftigen Entscheidung gar nicht
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Hauptkriterium der autonomieorientierten Deutungen der Sittenwidrigkeit ist die – durch Abwägung von Eingriffsstärke und -ziel ermittelte – objektive Unvernünftigkeit oder Unverständigkeit der Körperverletzung, in die eingewilligt wurde. 996 Ein danach völlig unverhältnismäßiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit wie etwa die grundlose Amputation ist dem vernünftigen Individuum nicht nachvollziehbar und lässt ernstlich daran zweifeln, dass die Entscheidung auf den wirklichen Willen des Rechtsgutsinhabers zurückzuführen ist. Die objektive Unverständigkeit der Körperverletzung als abstraktes Autonomiedefizit und damit die Sittenwidrigkeit im Sinne von § 228 lassen sich jedoch nicht ausschließlich auf die Unverhältnismäßigkeit der Eingriffsstärke zur Erreichung des Eingriffsziels zurückführen. Das Urteil der objektiven Unverständigkeit wird durch einen weiteren Parameter beeinflusst. Der traditionellen Dogmatik ist zu entnehmen, dass der Begriff der guten Sitten in § 228 des Strafgesetzbuches mit dem des bürgerlichen Rechts übereinstimmt. 997 Das Bürgerliche Gesetzbuch knüpft in § 138 I die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts an einen Verstoß gegen die guten Sitten. Im zweiten Absatz geht es insbesondere von der Nichtigkeit aus, wenn sich jemand „unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche [...] für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen“. Dieser Ansatz lässt sich mit dem zuvor erläuterten Konzept des abstrakten Autonomiedefizites in Einklang bringen, wenn man die Ausbeutung der Unerfahrenheit beziehungsweise des Mangels an Urteilsvermögen schon aus einem besonders krassen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung folgert. Wer sich grundlos ein Bein amputieren lässt, der kann diese objektiv unvernünftige Entscheidung nur deshalb getroffen haben, weil es ihm objektiv an Erfahrung oder Urteilsvermögen mangelt. Durch § 138 II BGB wird dann ein breiter aufgestelltes Konzept der Sittenwidrigkeit in Form des abstrakten Autonomiedefizites beschrieben, das neben der in der Lage war. Eine solche Entscheidung kann als legitimierende Grundlage für die Vornahme des bewilligten Eingriffs nicht ausreichen, weil die empirisch einwilligende Person, als Vernünftige anerkannt, ihre Befolgung in Wahrheit gerade nicht will (oder wollen kann).“ Danach wäre die Sittenwidrigkeit auf ein konkretes Autonomiedefizit des Einwilligenden zurückzuführen. Die autonome Entscheidung zeichnet sich m. E. jedoch gerade dadurch aus, dass sie den Willen des Entscheidenden wiedergibt und deshalb anderen unvernünftig erscheinen mag. Die unzureichend begründete Einwilligung in eine Amputation vermag daher dem Willen des Rechtsgutsinhabers zu entsprechen, selbst wenn sie sittenwidrig ist. Vgl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 501 ff. 996 Weil Jakobs [Anm. 993], S. 511 ff. und W. Frisch [Anm. 993], S. 499 ff. die Sittenwidrigkeit gleichermaßen nach diesem Grundsatz bestimmen, brauchten die zuvor in Anm. 995 angeführten konzeptionellen Unterschiede nicht weiter erörtert zu werden. 997 LK 11 – Hirsch, § 228, Rn. 6 m.w. N.
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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Abwägung von Stärke (Leistung) und Ziel (Gegenleistung) einer Körperverletzung auch Einflüsse auf die Freiheit der Rechtsgutsverfügung (Ausbeutung von Zwangslagen usw.) berücksichtigt. Dass alle Formen der Einflussnahme auf die Willensfreiheit sich als Motive für und wider eine bestimmte Entscheidung des Beeinflussten verstehen lassen, wurde bereits in Kapitel 3: B.I., S. 163 dargestellt. Weil dem so ist, können sie ebenso in einer Abwägung berücksichtigt werden, mit der man anhand der objektiven Unverständigkeit einer Verfügung über die körperliche Unversehrtheit abstrakte Autonomiedefizite ermittelt. Allerdings ist dabei zu beachten, dass das Gewicht eines freiheitsbeschränkenden Motivs zur Begründung der Sittenwidrigkeit beiträgt, also in dieselbe Wagschale wie die Eingriffsintensität gehört. Im Normalfall ist keine zusätzliche Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der Willensschwäche gegeben. In Ermangelung dieser weiteren Indikatoren bedarf es für die objektive Unverständigkeit immer einer besonderen Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs. Liegt dagegen eine Zwangslage des Einwilligenden vor, die seine Einwilligung ihrerseits nicht schon als konkret unfrei erscheinen lässt, so genügt für die Annahme der objektiven Unverständigkeit und damit der Sittenwidrigkeit bereits ein weniger schwerwiegender Eingriff. Die Entscheidung wird durch ein inakzeptables Motiv beeinflusst, welches die bereits nur schwerlich nachvollziehbare Körperverletzung dann doch insgesamt mit dem Makel der objektiven Unverständigkeit versieht. Maßgeblich ist jedoch nicht diese Verringerung der Anforderungen an die Schwere eines nicht hinreichend motivierten Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit bei gleichzeitiger Ausbeutung von sonstigen abstrakten Autonomiedefiziten. Entscheidend ist, dass im Fall der riskanten Äußerungen eine Umkehrung dieser Ausgangslage stattfindet. Wehrt sich der durch einen nur scheinbar bewaffneten Bankräuber bedrohte Bankkassierer, so wird nicht der zuvor beschriebene Normalfall auf die Unverständigkeit einer (fingierten) Einwilligung geprüft. Erst recht findet zu Lasten des Bankräubers keine zusätzliche Ausbeutung seiner willensmäßigen Zwangslage statt. Bei den riskanten Äußerungen handelt es sich um die umgekehrte Konstellation, in der nicht eine Zwangslage des fiktional Einwilligenden ausgebeutet wird, sondern dieser eine Zwangslage ausbeutet. Die fingierte Einwilligung wird nicht von zusätzlichen (abstrakt) freiheitsbeschränkenden Motiven beeinflusst. Wer sich zum Beispiel als scheinbar bewaffneter Bankräuber riskant äußert, der setzt eine eigene Entscheidung durch, indem er dem Kassierer als Adressaten für dessen Entscheidung Motive aufdrängt. Diesen Nachdruck, mit dem die Entscheidung verfolgt wird, kann man zur Begründung einer Beschränkung der Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung gemäß § 228 heranziehen. Aus der Sichtweise eines Rechtsgutsinhabers, dessen Einwilligung fingiert werden soll, erscheint das besonders nachdrückliche fiktionsbegründende Verhalten sehr viel eher als willensgetragen. Dieses Prinzip kann man in voller Entfaltung dem § 216 entnehmen. Wer sein
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Leben aufgeben möchte, der vermag den wirklichen Willen zur Umsetzung einer solchen Entscheidung (nur) durch ihren eigenhändigen Vollzug zu demonstrieren. 998 Bei den riskanten Äußerungen greift diese Überlegung insofern teilweise ein, als der Rechtsgutsinhaber dem Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit nicht bloß zustimmt, ihn aber auch nicht selber vornimmt. Es handelt sich um eine Zwischenstufe. Er gefährdet sich durch den Einfluss auf die Entscheidung des Adressaten (mittelbar) selber. Die Risikorealisierung bleibt von dessen Reaktion abhängig. Solche freiheitsbeschränkenden Einflussnahmen auf die fremde Entscheidung über die Gefährdung eigener Rechtsgüter entsprechen einem mittelbaren Vollzug der eigenen Entscheidung. Sie stellen der Sache nach abgeschwächte Formen des Selbstvollzuges dar, mit denen – je nach Intensität der Einflussnahme – die Autonomie der Entscheidung, die durch die Körperverletzung umgesetzt wird, zumindest teilweise demonstriert werden kann. Während also Beschränkungen der eigenen Willensfreiheit die Einwilligung in eine Körperverletzung eher als objektiv unverständig erscheinen lassen, erweitern zu ihrer Durchsetzung ausgeübte Beschränkungen fremder Willensfreiheit den Bereich der noch objektiv verständigen Eingriffe. Diesen Gesichtspunkt kann man rechtstechnisch als Abwägungsposition bei der Ermittlung der Unverhältnismäßigkeit einer Körperverletzung darstellen, so dass zur Begründung der objektiven Unverständigkeit ein noch größeres Überwiegen der Eingriffsintensität gegenüber dem Eingriffsziel erforderlich wird. Dies entspricht der gängigen Methode, den Bereich des erlaubt riskanten Verhaltens durch Berücksichtung einer zusätzlichen – durch den Wert des Vertrauens begründeten – Abwägungsposition auszudehnen. Auch formell liegt es nahe, das Verfahren als Sonderfall des Vertrauensgrundsatzes einzuordnen. Wem von einer anderen Person Umstände suggeriert werden, die ihm einen schweren Eingriff in deren körperliche Unversehrtheit erlauben, der soll nicht diesen Sachverhalt prüfen oder sich auf die im Normalfall gemäß § 228 zulässigen Maßnahmen beschränken müssen: Der Adressat einer riskanten Äußerung darf prinzipiell, das heißt innerhalb der zuvor beschriebenen Schranken, auf deren Wahrhaftigkeit und sein Abwehrrecht vertrauen. Der Schuss in das Bein des Bankräubers ist danach jedenfalls rechtmäßig. 3. Irrtumserregung durch Täuschung im Kontext von Betrug (§ 263 I StGB) und riskanten Äußerungen Die riskante Äußerung wurde als mindestens fahrlässige Täuschung 999 über eine Gefahr beschrieben. Um die Einwilligungsfiktion herbeizuführen, muss sie 998 999
Frister, AT, 13/4. Vgl. Kapitel 1: F.I.1., S. 117 und Kapitel 3: C.V.1., S. 204.
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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entsprechend § 263 I durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Erlaubnistatbestandsirrtum erregen oder unterhalten. Betrügerische Täuschungen beziehen sich auf innere oder äußere Tatsachen, die den Adressaten zu einer Vermögensverfügung veranlassen können. 1000 Riskante Äußerungen vermögen ebenso die innere Absicht des Erklärenden, etwa ein Messer tatsächlich zu gebrauchen, oder aber die Funktionsfähigkeit einer Pistole als äußere Tatsache irreführend darzustellen. Daneben gibt es zusätzliche strukturelle Übereinstimmungen zwischen der Irrtumserregung durch Täuschung im Kontext des Betruges und der riskanten Äußerungen, die sich umfassend nutzbar machen lassen. Ihre vergleichende Erörterung erlaubt die Überprüfung der bisherigen Ergebnisse und erleichtert zudem die Lösung noch nicht behandelter Probleme. a) Die notwendige Einwirkung auf das Vorstellungsbild Zuvor wurde mehr oder weniger selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Urheber einer riskanten Äußerung nicht offen auftreten muss. 1001 Für eine riskante Äußerung bedürfte es etwa im Gegensatz zum herrschenden Verständnis der Anstiftungshandlung keines „offenen geistigen Kontaktes“. 1002 Die Erklärung des eigenen Willens, auf die es bei der Anstiftung ankommt, setzt irgendeinen Wollenden zwingend voraus. Soll der Angestiftete die Tat in Abhängigkeit vom Rat des Anstifters begehen, muss gerade dieser sie ihm empfohlen haben. 1003 Ein Verzicht auf den offenen geistigen Kontakt erscheint auch bei den riskanten Äußerungen zweifelhaft, wenn man die Diskussion um das Täuschungsmerkmal in § 263 I bedenkt, in der bestritten wird, dass die Voraussetzung durch jede Manipulation der Entscheidungsgrundlage und somit auch durch jegliche Veränderungen der Realität erfüllt wird. 1004 Relevant ist dieses Problem zum Beispiel, wenn der Betreiber eines „Rotamint“-Glücksspielautomaten, dessen drei sich drehende Scheiben auf Knopfdruck nach einigen Sekunden zum Stillstand gebracht werden, nach Spielbeginn unbemerkt eine Bremsvorrichtung manipuliert, so dass sich die Gewinnchancen eines geschickten Spielers (des so genannten Automatenschrecks) deutlich reduzieren. 1005 Der Automatenbetreiber verändert ausschließlich und vor allem heimlich die Wirklichkeit. Eine Strafbarkeit gemäß § 263 I vermag daher nur zu bejahen, wer beim Betrug den Charakter eines Äußerungsdeliktes vollständig verneint. 1006 1000 LK 11 – Tiedemann, § 263, Rn. 11 f.; vgl. ferner NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 81 ff. zu den Erfahrungssätzen. 1001 Vgl. das Beispiel der beiden Nachbarn in Kapitel 3: C.V.1., S. 204. 1002 Vgl. zum Streitstand MK – Joecks, § 26, Rn. 10 ff., 15. 1003 Frister, AT, 28/22. 1004 Etwa von NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 101. 1005 OLG Hamm NJW 1957, 1162 f.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Umgekehrt folgt daraus aber nicht, dass eine Tatsachenveränderung keine Täuschung sein kann. Durch die Manipulation von fremden Akten oder Messinstrumenten wird derjenige getäuscht, der daraufhin von diesen Kenntnis nimmt. 1007 Begriffliche Klarheit erreicht man jedoch erst durch die gemeinsame Betrachtung der Merkmale Täuschung und Irrtum. Eine Fehlvorstellung entsteht durch jede Diskrepanz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Versteckt sich etwa ein blinder Passagier im Zug, irrt der Schaffner nach seiner Kontrolle der übrigen Fahrgäste darüber, dass alle Mitreisenden eine Fahrkarte gelöst haben. Sein Irrtum wurde aber nicht durch eine Täuschung herbeigeführt. 1008 Der Täuschungsbegriff des § 263 I umfasst nur solche Verhaltensweisen, die auf das Vorstellungsbild Einfluss nehmen. 1009 Damit sind zugleich die ursprünglichen Zweifel im Hinblick auf das bisherige Verständnis der riskanten Äußerung ausgeräumt. Als Täuschung – im Sinne sowohl des § 263 I als auch einer riskanten Äußerung – kommen alle Verhaltensweisen in Betracht, welche auf das Vorstellungsbild eines anderen Menschen einwirken, selbst wenn der Täuschende sich dabei nicht zu erkennen gibt. b) Objektive Eignung zur Irrtumserregung? Klärungsbedürftig ist außerdem, ob jede Form der Einwirkung auf das Vorstellungsbild einer anderen Person als Täuschung zu bewerten 1010 oder ob dazu auch eine besondere objektive Eignung zur Irrtumserregung notwendig ist. 1011 Abgelehnt wurde die subjektive Verstärkung des objektiven Täuschungsmerkmals in § 263 I durch eine Irreführungsabsicht. 1012 Für die betrügerische Täuschung genügt in subjektiver Hinsicht der Vorsatz, dass das eigene Verhalten auf ein fremdes Vorstellungsbild Einfluss nehmen und so zu dessen Distanzierung von der Wirklichkeit führen kann. Der Ansatz, die subjektive Seite der betrügerischen Täuschung zu betonen, verfolgt indes ein berechtigtes Anliegen, denn durch den Täuschungsvorsatz wird die Prüfung eines objektiven Erklärungswertes des irreführenden Verhaltens entbehrlich. 1013 Wie ein objektiver Dritter die Willenserklärung verstanden hätte, ist nach der – in der zivilen Rechtsgeschäftslehre bereits fest verankerten – Maxime „falsa demonstratio non nocet“ unbeachtlich, wenn sie von Erklärendem und Empfänger in gleicher Weise verstanden wird. 1014 Ihre straf1006
So z. B. Arzt / Weber, BT, 20/46. NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 143. 1008 Welzel, StrafR, S. 370. 1009 BGHSt 47, 1, 5; Bockelmann, Eberhard Schmidt – FS, S. 438 f.; SK – Hoyer, § 263, Rn. 24 m.w. N. Daher musste der Gesetzgeber das Erschleichen der Beförderung durch § 265a gesondert unter Strafe stellen; vgl. T. Fischer, § 263, Rn. 10, 34. 1010 T. Fischer, § 263, Rn. 10. 1011 OLG Koblenz NJW 2001, 1364. 1012 Siehe Kapitel 1: F.I.1., S. 117. 1013 T. Fischer, § 263, Rn. 10. 1007
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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rechtliche – und außerdem über diesen Grundfall des gemeinsamen Verständnisses von Adressat und Empfänger bei abweichendem objektiven Erklärungsinhalt hinausgehende – Berücksichtigung bedarf eingehenderer Erläuterung. Im Kontext der Irrtumserregung durch Täuschung gemäß § 263 I wurde das Prinzip bereits von Horst Schröder implizit herangezogen. Ihm stellte sich die Frage, ob ein „Betrug durch Behauptung wahrer Tatsachen“ möglich sei. 1015 Ist es also eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, wenn eine Tatsachenbehauptung nach dem Verständnis eines objektiven Dritten die Wahrheit wiedergibt, aber auf den konkreten Empfänger irreführend wirkt? Dazu führt Schröder den Fall eines Restaurantbetreibers an, der dem Kunden ein „frugales“ Mahl zu einem hohen Preis anbietet und es darauf anlegt, dass der Empfänger darunter ein opulentes Essen missversteht. 1016 Frugal heißt spärlich oder schlicht, obwohl man diesem Attribut durch die Assoziation mit Wörtern wie fruchtig beziehungsweise üppig ebenso die gegenteilige Bedeutung zuschreiben könnte. 1017 Solche an einen bestimmten Adressaten gerichtete Erklärungen seien nicht nach ihrem objektiven Inhalt zu überprüfen, sondern unter Berücksichtigung von Verständnis- und Kritikfähigkeit ihres Adressaten. 1018 Eher beiläufig gibt Schröder den entscheidenden Hinweis, dass im Zivilrecht die objektive Auslegungstheorie verlassen wird, wenn ein Erklärungsempfänger den vom objektiven Erklärungsinhalt abweichenden Willen des Erklärenden erkennt. 1019 Im Anschluss an seine Überlegungen hält auch der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs einen „Betrug durch Behauptung wahrer Tatsachen“ für möglich. 1020 Dagegen wird argumentiert, dass § 263 I nur eine falsche Tatsachenbehauptung berücksichtigt und folglich die Einbeziehung wahrer Behauptungen in den Täuschungsbegriff auf eine Tatbestandserweiterung contra legem hinauslaufe. 1021 Diese Kritik liegt zwar schon deshalb nahe, weil Schröder selbst sich gezwungen sieht, die gesetzliche Formulierung nicht wörtlich zu nehmen. 1022 Sie basiert aber auf einem zu engen Verständnis seiner These, das letztlich an der Sache vorbeigeht. Selbstverständlich verlangt der Wortlaut des § 263 I eine unwah1014 BGH NJW 2002, 1038, 1039; Jauernig, § 133 BGB, Rn. 9; MK 5 – Mayer-Maly / Busche, § 133 BGB, Rn. 14, jeweils m.w. N. 1015 Peters – FS, S. 153 ff. 1016 A. a. O., S. 157. 1017 Vgl. zum Stichwort „frugal“ unter www.wiktionary.de sowie Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 3. 1018 Peters – FS, S. 156. 1019 A. a. O., S. 155 in Anm. 3. 1020 BGHSt 47, 1, 6 m.w. N. auch zur Gegenansicht; für diese ferner Mitsch, BT II/1, 7/32. 1021 Geisler, NStZ 2002, 86, 87. 1022 Peters – FS, S. 156.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
re Tatsachenbehauptung. Wodurch sollte auch sonst das Auseinanderfallen von Vorstellungsbild und Wirklichkeit herbeigeführt werden? Eine (ausschließlich) wahre Tatsachenbehauptung vermag nicht das Vorstellungsbild einer anderen Person so zu beeinflussen, dass es danach nicht mehr mit der Realität übereinstimmt. Die eigentliche Problematik des beschriebenen Falles besteht vielmehr darin, dass die Tatsachenbehauptung doppeldeutig ist. Der objektive Dritte erwartet eine Portion Haferschleim und das Opfer rechnet mit einem Festmahl. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofes deutet sich die gleiche Schwierigkeit insofern an, als von ihm der „isoliert betrachtet wahre Inhalt“ angesprochen wird. 1023 Verdeutlicht würde Schröders These wohl lauten, dass eine Tatsachenbehauptung nicht schon deshalb als wahrheitsgemäß anzusehen ist, weil ein objektiver Dritter sie als der Wahrheit entsprechend verstehen musste und deshalb nicht durch sie getäuscht werden konnte. Das Vorspiegeln falscher und die Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen sind Verhaltensweisen, die in der Perspektive des Adressaten eine irrtümliche Sachverhaltsvorstellung hervorrufen können. Der Täuschungsinhalt respektive die Irreführungseignung des Verhaltens bestimmen sich notwendig aus seiner Sichtweise. Die Tatsachenbehauptung muss nach dem Verständnis des Opfers unwahr sein, damit es sich daraufhin irren kann. Möglicherweise ist aber eine zweite deckungsgleiche Beurteilung aus der Sicht des objektiven Dritten erforderlich. Man würde dann ebenso fragen, wie er die dargestellten Umstände beurteilt, und damit den Irrtum des Opfers auf eine objektive Vermeidbarkeit – beziehungsweise das darauf basierende Verhalten auf eine objektive Fahrlässigkeit – prüfen. Wer diese Vorstellung eines möglichen Dualismus im Verständnis der Tatsachenbehauptung ablehnt, der muss den Informationsgehalt eines Verständigungsaktes stets insgesamt bemessen. Entscheidend wäre dann ausschließlich das „Substrat des erklärten Gedankeninhalts“. 1024 Seine Feststellung nach objektiven Kriterien ist rechtstechnisch insofern möglich, als die Opferperspektive auch durch die Prüfung der Irrtumsverursachung berücksichtigt würde. Versteht nur der objektive Dritte die Tatsachenbehauptung als nicht der Wahrheit entsprechend, vermag sie keine Entfernung der Opfervorstellung von der Wirklichkeit zu bewirken. Methodisch entspräche dies der objektiven Zurechnung im Sinne der Risikoerhöhungslehre, derzufolge eine Gefahr lediglich aus der Sicht des objektiven Dritten zu prüfen und sein Urteil erst bei der Frage der Risikorealisierung mit der Wirklichkeit zu konfrontieren ist. 1025 Eine solche „objektive Schwerpunkttheorie“ wäre aber erst recht gezwungen, der Verkehrsauffassung eine anschauliche Gestalt zu verleihen. Die Ermittlung des 1023 1024 1025
BGHSt 47, 1, 6. Vgl. Geisler, NStZ 2002, 86, 87 f. Dargestellt in Kapitel 1: A.I.2.a)aa), S. 38.
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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Kenntnisstandes der Maßfigur kann man entsprechend den in §§ 133, 157 BGB enthaltenen Regeln für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen an einen unbestimmten Personenkreis strukturieren. Danach ist ebenso entscheidend, wie ein objektiver Dritter in der Situation des Erklärungsempfängers bei Beurteilung der ihm erkennbaren Umstände die vom Erklärenden gewählte Ausdrucksform verstanden hätte. 1026 Abgestellt wird „auf die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Beteiligten bzw. Angehörigen des angesprochenen Personenkreises“. 1027 In einem ersten Schritt würde also anhand des Kriteriums der objektiven Erkennbarkeit ein Sachverhalt perspektivisch ermittelt. Ein durchschnittlicher Kaufmann würde zum Beispiel stümperhafte Manipulationen an Frachtpapieren erkennen. Gegebenenfalls müssten in einem zweiten Schritt die – von Rahmlow beschriebenen und so genannten 1028 – Bedeutungszuschreibungsregeln angewendet werden. Nach der Regel „Gros = 12 * 12“ lässt sich etwa feststellen, dass „25 Gros Rollen“ Toilettenpapier 3600 Rollen und nicht 25 große Rollen bedeutet. 1029 Die weitere Präzisierung der Kenntnisse des objektiven Dritten stößt auf die bekannten Probleme. 1030 Sie ist jedoch im besprochenen Kontext wiederum entbehrlich. Die – zusätzliche oder ausschließliche – Maßgeblichkeit der Perspektive eines objektiven Markt- oder Rechtsverkehrsteilnehmers ist schon deshalb fragwürdig, weil § 263 I weder den Wettbewerb, noch den Rechtsverkehr, sondern lediglich das Individuum schützt. 1031 Außerdem berücksichtigt dieser Ansatz nicht die Maxime „falsa demonstratio non nocet“. Ihr zufolge können miteinander kommunizierende Personen nicht nur den Inhalt der Kommunikation, sondern darüber hinaus auch die Methode seiner Ermittlung, also die zwischen ihnen geltenden Regeln der perspektivischen Sachverhaltsermittlung und Bedeutungszuschreibung gemeinsam festlegen. Wie ein unbeteiligter objektiver Dritter den manipulierten Sachverhalt vom Empfängerhorizont aus beurteilt hätte, ist dann ohne Bedeutung. Die von 1026
Nw. in Anm. 938. Bamberger / Roth – Wendtland, § 133 BGB, Rn. 28. 1028 Die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht, S. 173 ff. 1029 Vgl. LG Hanau NJW 1979, 721. 1030 Vgl. Kapitel 1: C.I., S. 74. 1031 In Anbetracht des geschützten Rechtsgutes erscheint der Versuch von Soyka, wistra 2007, 127 ff., diese „Einschränkungen des Betrugstatbestands durch sekundäres Gemeinschaftsrecht am Beispiel der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken“ zu begründen, nicht überzeugend. Eine Beurteilung nach der Verkehrsauffassung kommt dagegen bei Wettbewerbsstraftaten (etwa nach § 16 I UWG) in Betracht; vgl. H. Schröder, Peters – FS, S. 158 f. Siehe ferner Dannecker, ZStW 117 [2005], 697, 710 f. und Többens, WRP 2005, 552, 553. Vgl. schließlich die Gegenthese von Hecker, Strafbare Produktwerbung im Lichte des Gemeinschaftsrechts, S. 322 ff., es bedürfe „der Entwicklung einer betrugsstrafrechtlichen Sonderdogmatik für den Bereich der Publikumswerbung, die neben der ‚klassischen‘ individualrechtlichen eine wettbewerbsstrafrechtliche Komponente des Betrugstatbestandes anerkennt“. 1027
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Schröder und dem Bundesgerichtshof für unabdingbar gehaltene Täuschungsabsicht 1032 erfasst jedoch nur den Grundfall, dass der Täter sich für das nicht der Wahrheit entsprechende Verständnis des Opfers ausdrücklich entscheidet. Genau so muss der Täter sich aber auch behandeln lassen, wenn er es für möglich hält, dass sein Opfer die Situation in einer bestimmten Weise verstehen würde, und dieses daraufhin die Umstände genau so versteht. Wer einen (äußeren oder inneren) Sachverhalt gegenüber einer anderen Person in doppeldeutiger Weise darstellt und dabei ein nicht der Wahrheit entsprechendes Verständnis für möglich hält, der kann sich, falls er genau so verstanden wird, zumindest dann nicht darauf berufen, dass ebenso ein wahrheitsgemäßes Verständnis möglich gewesen wäre, wenn ihm eine eindeutige Ausdrucksweise zur Verfügung stand. Beeinflusst der Täter somit im Bewusstsein der möglichen irreführenden Auswirkung das Vorstellungsbild des Opfers und irrt dieses dementsprechend, mag der objektive Dritte verständnislos den Kopf schütteln. Sofern der Tätervorsatz und der – durch das Täterverhalten hervorgerufene 1033 – Opferirrtum übereinstimmen, interessiert seine Meinung nicht mehr. Dies ist immer der Fall, wenn der Irrtum durch eine insofern vorsätzliche Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines Anderen erregt wurde. Daher wird die betrügerische Täuschung nicht durch das Sachverhaltsverständnis des objektiven Dritten ein weiteres Mal beschränkt. Immer wenn das von Täter und Opfer übereinstimmend für möglich gehaltene Verständnis der Sachverhaltsdarstellung nicht mit der Realität übereinstimmt, kann diese eine betrügerische Täuschung darstellen. Abschließend könnte man also mit Schröder feststellen, dass eine „objektive Richtigbezeichnung“ im Kontext der betrügerischen Täuschung nicht schadet. Als riskante Äußerung muss die Täuschung nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig erfolgen. Es stellt sich die Frage, ob und inwiefern auch in diesem Kontext eine „Richtigbezeichnung“ unschädlich ist. Konkret: Wie ist ein Fußgänger, der einen Aktenkoffer in der linken und einen Spazierstock in der rechten Hand trägt, zu behandeln, wenn ein Passant den Spazierstock unverständlicherweise für eine auf sich gerichtete Schusswaffe hält? Wirft der Passant ihm deshalb eine Glasflasche an den Kopf, unterliegt er einem Erlaubnistatbestandsirrtum, den der Fußgänger durch Einwirkung auf sein Vorstellungsbild hervorgerufen hat. Denkt man das Tragen des Spazierstocks hinweg, hätte sich der Passant keine Bedrohung durch eine Schusswaffe vorgestellt. Man könnte die Einwilligungsfiktion davon abhängig machen, dass das Verhalten zusätzlich einen entsprechenden objektiven Eindruck hervorruft. Dazu müsste wiederum erklärt werden, wie das Vorliegen einer riskanten Äußerung aus der Perspektive eines potentiellen Adressaten zu prüfen ist. 1032
Peters – FS, S. 159 f.; BGHSt 47, 1, 5 f. Diesen Aspekt vernachlässigen Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997, 187: „Wo ein Irrtum ist, ist auch eine Täuschung.“ Dagegen zu Recht BGHSt 47, 1, 5 und Garbe, NJW 1999, 2868, 2869. 1033
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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Ohne weitere Präzisierung der zuvor angedeuteten Methode objektiver ex anteSachverhaltsermittlung und Bedeutungszuschreibung würde man im FußgängerFall das Vorliegen einer riskanten Äußerung aus der Perspektive des objektiven Dritten wohl (intuitiv) verneinen. Die Sachverhaltsdarstellung wäre damit doppeldeutig. Auch im Kontext der riskanten Äußerungen können die miteinander kommunizierenden Personen den Inhalt der Kommunikation sowie die Methode seiner Ermittlung, also die Sachverhaltsermittlungs- und Bedeutungszuschreibungsregeln selbst bestimmen. Notwendige und zugleich hinreichende Bedingung für die persönliche Zurechnung einer Deutungsvariante zum Erklärenden ist deren individuelle Erkennbarkeit. Schon wer erkennen und vermeiden kann, dass sein Handeln oder Unterlassen anderen Personen das Vorliegen einer Notsituation vortäuscht, den trifft deren Inanspruchnahme nicht als Sonderbelastung, sondern als Konsequenz des eigenen Verhaltens. 1034 Selbst wenn der Äußernde den Gefahrenanschein nicht beabsichtigt und sich damit nicht ausdrücklich für diese Deutung der Sachverhaltsdarstellung entscheidet, so muss er sich dennoch genau so behandeln lassen. Im Verhältnis zwischen ihm und dem Empfänger seiner riskanten Äußerung darf gemäß der Maxime „falsa demonstratio non nocet“ diejenige Deutungsvariante zugrunde gelegt werden, die er für möglich halten konnte und die der Empfänger für möglich hält. Zunächst würde also festgestellt, wie der konkrete und ein gedachter objektiver Empfänger die riskante Äußerung verstehen. Kennt der Äußernde die Sachverhaltsermittlungs- und Bedeutungszuschreibungsregeln des konkreten Adressaten, ist ihm durch ihre Anwendung während seines täuschenden Verhaltens erkennbar, ob er dadurch einen Erlaubnistatbestandsirrtum bei der anderen Person hervorzurufen vermag. Auf die Prüfung, ob der objektive Dritte den Sachverhalt und darin enthaltene Signale bei Anwendung allgemeiner Regeln anders deuten würde und ob der Äußernde durch Anwendung dieser ihm bekannten Regeln dessen hypothetisches Verständnis nachvollziehen könnte, kommt es dann aber nicht mehr an. Man vermag stattdessen sofort zu fragen, ob dem Äußernden – durch Anwendung der ihm bekannten Regeln über die perspektivische Sachverhaltsermittlung und Bedeutungszuschreibung – erkennbar ist, dass sein Verhalten auf das Vorstellungsbild anderer Personen einwirken und so zu einem bestimmten Erlaubnistatbestandsirrtum führen kann. Erforderlich würde ein Rückgriff auf diese – im objektiven Dritten personifizierten – Regeln möglicherweise, falls man die Einwilligungsfiktion auf ein bloßes Unterlassen ohne jeden eigenständigen Erklärungswert stützen will. Eine betrugsspezifische Aufklärungspflicht wird angenommen, wenn der Täter durch objektiv irreführende Fehlinformationen eine Irrtumsgefahr schafft. 1035 Demnach folgt die identisch strukturierte Pflicht zur Beseitigung des Risikos eines Erlaubnistatbestandsirrtums aus einer nichtfahrlässigen Handlung, die objektiv zur entspre1034
Vgl. Jakobs, AT, 11/9.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
chenden irreführenden Einwirkung auf das Vorstellungsbild geeignet ist. Für die betrügerische Täuschung durch Unterlassen muss der Täter gemäß §§ 263 I, 13 I, 16 I 1 die Unwahrheit seiner vorherigen Tatsachenbehauptung und ihre Irrtumsgefährlichkeit beziehungsweise -ursächlichkeit erkennen, ohne sie zu korrigieren. Als riskante Äußerung erforderte die Unterlassung, dass die Eignung der vorherigen Handlung zur Herbeiführung der irrtümlichen Gefahrvorstellung (und die Möglichkeit zur Beseitigung ihrer Wirkung) persönlich erkennbar sind. Ob die Eignung des Verhaltens zur Verursachung der irrtümlichen Gefahrvorstellung zum Zeitpunkt seiner Vornahme aufgrund eines weitergehenden Wissens des objektiven Dritten erkannt werden konnte, wäre dabei wiederum eine im Ergebnis unerhebliche Zwischenüberlegung. Man erreicht über die Figur der riskanten Äußerung durch Unterlassen zwar eine Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes der individuellen Erkennbarkeit. Weil es auf eben diese Erkennbarkeit für den Äußernden ankommt, bleibt aber das Kriterium der Erkennbarkeit für die objektive Maßfigur insgesamt entbehrlich. c) Die Grundstruktur der normativen Irrtumszurechnung Voraussetzung der Einwilligungsfiktion ist die Erregung eines Erlaubnistatbestandsirrtums. Als Auslöser kommt bislang jede Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen Menschen in Betracht, sofern dem Äußernden die Eignung seines Verhaltens zur Verursachung der Fehlvorstellung individuell erkennbar ist. Dazu müssen ihm Tatsachen und Erfahrungssätze bekannt sein, durch deren Heranziehung er den weiteren Kommunikationsverlauf und das Verständnis seines Gegenübers zu prognostizieren vermag. Damit befindet sich die These im Entwicklungsstadium der Adäquanztheorie, so wie von Kries sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts vorgeschlagen hatte. Er wollte lediglich solche Verhaltensweisen als Ursache eines verletzenden Erfolges ansehen, die ihn erstens notwendig bedingen und zweitens aus der Tätersicht eine generelle Tendenz zu seiner Herbeiführung haben. Dazu muss das Verhalten den Erfolg bei einer verallgemeinernden, von den genauen Umständen des Einzelfalles absehenden Betrachtung (des für den Täter erkennbaren Sachverhaltes) wahrscheinlich machen. 1036 Die Theorie subjektiv adäquater Verursachung beschränkte sich neben dem Kausalitätserfordernis gleichermaßen auf die individuelle Erkennbarkeit der generellen Eignung zur Herbeiführung des unerwünschten Zustandes. Man erkannte jedoch sehr bald, dass die Adäquanztheorie einer normativen Ergänzung bedurfte, und fand diese schließlich in der Lehre von der objektiven 1035 Vgl. dazu und zum Folgenden NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 155 m.w. N. Wie gezeigt ändert sich nichts dadurch, dass diese sich in einem Irrtum realisiert; siehe am Ende von Kapitel 3: B.I., S. 163. 1036 Siehe dazu am Anfang von Kapitel 1: A., S. 27.
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Zurechnung. In den vorstehenden Ausführungen hat sich ein ähnliches Defizit im bisherigen Konzept der riskanten Äußerungen zumindest angedeutet. Es liegt daher nahe, diesen Entwurf ebenfalls durch die Lehre von der objektiven Zurechnung zu vervollständigen. Da der Fokus dieser Arbeit auf der Sachverhaltsfeststellung liegt, skizzieren die abschließenden Ausführungen lediglich die Grundstruktur einer solchen normativen Irrtumszurechnung. Unter aa) wird zunächst die Notwendigkeit einer Normativierung der Irrtumszuschreibung beispielhaft aufgezeigt, wobei wiederum die strukturellen Gemeinsamkeiten der Irrtumsbedingung durch Täuschung im Kontext von Betrug und riskanten Äußerungen hilfreich sind. Nach einer Vereinheitlichung von Erfolgs- und Irrtumszurechnung unter bb) können beide nach der Lehre von der objektiven Zurechnung aufgebaut werden. Die Methoden zur Bestimmung des unerlaubt riskanten beziehungsweise pflichtwidrigen Verhaltens und der Erfolgszurechnung werden unter cc) und dd) erörtert. aa) Zur Notwendigkeit einer Normativierung des Täuschungsbegriffs Noch fehlt dem Täuschungsbegriff ein normatives Korrektiv. Die Konsequenzen dieses Defizits werden vor allem in Fällen offenbar, in denen der Erklärende zwar eine vollständige Tatsachenkenntnis hat – und womöglich mit Irreführungsabsicht handelt –, es aber dennoch falsch erscheint, ihm den beim Adressaten seiner Erklärung hervorgerufenen Irrtum beziehungsweise dessen Verhalten zuzurechnen. Weil die betrügerische Täuschung immer einen Irreführungsvorsatz voraussetzt und schon sehr lange diskutiert wird, kann die Erforderlichkeit einer Normativierung des Täuschungsbegriffs zunächst wiederum leichter an Beispielen zu § 263 I dargestellt werden. 1037 Verleugnet etwa der potentielle Käufer sein besonderes Liebhaberinteresse an der Kaufsache 1038 oder behauptet der Verkäufer wider besseres Wissen, dass es weitere Interessenten gebe, 1039 so erscheint eine Strafbarkeit wegen Betruges selbst dann unangemessen, wenn die Vertragsparteien gerade beabsichtigen, sich gegenseitig irrezuführen, um einen vom wirtschaftlichen Wert abweichenden Kaufpreis zu erzielen. 1040 Ebenso soll jede Frau in einem Vorstellungsgespräch ihre Schwangerschaft bestreiten dürfen, ohne dass ihr nach der solchermaßen irrtumsbedingten Anstellung eine Bestrafung gemäß § 263 I droht. Diese Beispiele zeigen, dass eine lediglich „naturalistisch-psychologisierende“ Deutung des Begriffs der betrügerischen Täuschung zu kurz greift. 1041 Während man noch vor etwa 100 Jahren überwiegend 1037 Vgl. insb. zum Teilbereich der konkludenten Täuschung W. Frisch, Jakobs – FS, S. 97 ff. 1038 Vgl. Roxin, Klug – FS, S. 305 f., 312 f. 1039 Nw. bei LK 11 – Tiedemann, § 263, Rn. 27 in Anm. 57. 1040 Schmoller, JZ 1991, 117, 127 f. 1041 Siehe Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, S. 98 ff.
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annahm, es genüge zum Begriff des Vorspiegelns „das Aufstellen einer bewußt unwahren Behauptung, ohne daß besondere künstliche Veranstaltungen erforderlich wären“, 1042 finden sich gerade in der jüngeren Literatur vielfältige normativierende Ansätze. Weitgehend anerkannt ist bereits, dass ein bloßes Schweigen lediglich dann zur Unterlassensstrafbarkeit führt, wenn es zugleich eine vermögensschützende Aufklärungspflicht verletzt. 1043 Konsequenter noch konzipieren etwa Kindhäuser und Pawlik den allgemeinen Täuschungsbegriff in § 263 I als Wahrheitspflichtverletzung. 1044 Im Kontext der riskanten Äußerungen lässt sich die Notwendigkeit einer vergleichbaren normativen Ergänzung des Täuschungsbegriffs ebenso beispielhaft verdeutlichen. Bei den „Terroranschläge(n) am 7. Juli 2005 in London“ 1045 wurden durch Rucksackbombenträger innerhalb kurzer Zeit in drei U-Bahn-Zügen und einem Doppeldeckerbus Explosionen ausgelöst, die inklusive der vier Selbstmordattentäter 56 Menschen töteten und über 700 teilweise schwer verletzten. Zwei Wochen später misslang ein weiteres Attentat mit mehreren Bombensätzen, die von islamischen Fundamentalisten zeitgleich in der U-Bahn gezündet werden sollten. Man denke sich einen ähnlichen Anschlag in einer deutschen Großstadt. Wenn zwei Wochen später ein traditionell gekleideter Muslim mit einem langen Bart die U-Bahn benutzt, so werden einige Fahrgäste es für möglich halten, dass sich in seinem Rucksack oder unter dem langen, ausgebeulten Mantel eine Bombe befindet. Dennoch wäre es im Ergebnis inakzeptabel, dass dieser Mann auf jede Anfrage seiner Mitfahrer Mantel und Rucksack öffnen muss, um eine Fiktion seiner Einwilligung in deren erlaubnistatbestandsirrtümliche Abwehrmaßnahmen auszuschließen. Man mag sich auch einmal vorstellen, dass dieser gläubige Muslim einen heftigen Streit mit seiner außer Haus stets verschleierten Frau führt. Die Partner werden sehr laut und Geschirr geht zu Bruch. Der Nachbar klingelt und fordert wegen seiner Vorurteile gegenüber diesem muslimischen Mann, er solle nicht weiter seine Frau schlagen. Würde man die Irrtumsverursachung durch die Streiterei (oder zumindest deren Fortführung) als riskante Äußerung genügen lassen, so könnte der ignorante Nachbar die Wohnungstüre erlaubtermaßen eintreten. Um jede Einwilligungsfiktion zu verhindern, müsste das Paar ihm die Situation nachprüfbar erklären. Dieses Ergebnis ist nicht annehmbar. Das bisherige Konzept der 1042
Frank, RStGB, § 263, Anm. II. Schönke / Schröder – Cramer, § 263, Rn. 18 ff. m.w. N. 1044 NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 60 ff. m.w. N.; Pawlik [Anm. 1041], S. 139 ff. mit eingehender Darstellung früherer Ansätze einer normativen Vervollständigung, insb. zum Verständnis der Täuschung als Wahrheitspflichtverletzung ab S. 65 ff.; vgl. zum „Recht auf Wahrheit“ auch W. Frisch, Jakobs – FS, S. 97 ff., 120 f. 1045 Siehe zu diesem Stichwort www.wikipedia.de; vgl. außerdem Der Spiegel, Heft 29 v. 18. 07. 2005, S. 88 ff. und Heft 30 v. 25. 07. 2005, S. 93 ff. 1043
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riskanten Äußerungen würde somit wohl den Vorwurf „unkritischer Naturalismus“ befürchten müssen. 1046 Mit Blick auf die Interpretationsansätze zur betrügerischen Täuschung soll es daher entsprechend der Lehre von der objektiven Zurechnung normativ komplettiert werden. bb) Die strukturelle Vereinheitlichung der Erfolgs- und Irrtumszurechnung Um einen ersten Eindruck davon zu erhalten, wie man den täuschungsbedingten Irrtum als Zurechnungsproblem begreifen kann, ist es hilfreich, sich noch einmal einen Überblick über die möglichen Verbindungen zwischen Äußerndem, Adressaten und Geschädigtem zu verschaffen. Erste Konstellation: Der Erklärende motiviert den Empfänger seiner Äußerung zu einem drittschädigenden Verhalten. Zweite Konstellation: Der Äußernde veranlasst den Adressaten zu einem diesen selbst schädigenden Verhalten. Dritte Konstellation: Der Äußernde beeinflusst den Adressaten dahingehend, dass er den Erklärenden schädigt. In jeder der drei Konstellationen stellt sich die Zurechnungsfrage, ob man die Erklärung nicht nur im Sinne der Äquivalenztheorie, sondern auch bei einer wertenden Betrachtung noch als Auslöser für das Verhalten ihres Empfängers ansehen darf. Es geht mit anderen Worten jeweils darum, ob der Äußernde für die an seine Äußerung anknüpfende Verhaltensweise des Rezipienten verantwortlich gemacht werden kann. 1047 Für eine normative Aufbereitung der Irrtumsbedingung durch Täuschung nach den Regeln der objektiven Zurechnung finden sich wiederum Vorbilder bei der Auslegung des § 263 I. Entsprechend seinem Verständnis der betrügerischen Täuschung als Wahrheitspflichtverletzung fordert etwa Kindhäuser, dass der Täter unerlaubt ein Irrtumsrisiko schafft, das sich daraufhin in einer Fehlvorstellung realisiert. 1048 Bemerkenswert ist dieser Schritt schon insofern, als mit dem Irrtum (noch) keine Rechtsgutsverletzung zugerechnet wird. Zuvor wurde festgestellt, dass die Willensfreiheit kein selbständiges Individualrechtsgut, sondern Wirksamkeitsvoraussetzung der Verfügung über ein Individualrechtsgut ist. 1049 Der Irrtum begründet daher keine Verletzung des Rechtsguts, sondern nur das Risiko seiner unfreiwilligen Selbstschädigung. Die Irrtumszurechnung stellt sich im Kontext des § 263 I folglich als Zurechnung eines konkreten Gefährdungserfolges dar. Dabei handelt es sich lediglich um eine Zwischenstufe zur vollständigen Verwirklichung des Betrugsunrechts, das insgesamt die objektive und subjektive Zurechnung der unfreiwilligen Vermögensselbstschädigung erfordert. 1050 Für die 1046
Kritisch zum Naturalismusvorwurf Puppe, GA 1994, 297 ff. Siehe Rahmlow [Anm. 1028], S. 213 ff., 216. 1048 NK, § 263, Rn. 60 ff., 67. Weitere Nw. zur Einbeziehung der Lehre von der objektiven Zurechnung bei MK – Hefendehl, § 263, Rn. 46 ff. 1049 Siehe dazu Kapitel 3: B.I., S. 163. 1050 NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 49; Pawlik [Anm. 1041], S. 65. 1047
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weiteren Ausführungen kommt es jedoch ausschließlich auf die Zuschreibung des Zwischenerfolges an. Auf die Zurechnung von konkreten Gefährdungserfolgen finden die allgemeinen Regeln der Erfolgszurechnung Anwendung. 1051 Insofern gelten für die Zurechnung des Irrtums in § 263 I keine Besonderheiten, auch wenn der konkrete Gefährdungserfolg in dem Risiko einer unfreiwilligen Selbstschädigung besteht. Der Betrug beschreibt dadurch einen Sonderfall der mittelbaren Täterschaft, 1052 die letztlich ein besonders bezeichneter Fall der unmittelbaren Täterschaft ist, 1053 so dass jedenfalls bei der Prüfung der Irrtumsbedingung durch betrügerische Täuschung nichts gegen die Anwendung der Lehre von der objektiven Zurechnung spricht. 1054 Schwierigkeiten bereitet jedoch deren Übernahme in den Kontext der riskanten Äußerungen. Die Lehre von der objektiven Zurechnung wurde zur Ausgestaltung (aller Arten) von Erfolgsdelikten entwickelt, bei denen sich immer die Frage stellt, ob dem Täter ein ihm fremder Nachteil zuzuschreiben ist. Bei § 263 I geht es ebenso – einmal aus der Perspektive des Täuschenden betrachtet – um einen konkreten Fremdgefährdungserfolg. Die Täuschung kann daher als unerlaubtes Verhalten, mit dem das Risiko einer fremdbestimmten Vermögensminderung einhergeht, verstanden werden. 1055 Mit seiner riskanten Äußerung gefährdet sich der Täuschende hingegen selbst. Er handelt insoweit nicht unerlaubt riskant. Für die riskanten Äußerungen könnte daher ein anderes Zurechnungssystem erforderlich sein. Dieser Aufwand erscheint jedoch vermeidbar, 1056 wenn man sich vergegenwärtigt, dass 1051
Siehe Kapitel 1: A.I.1., S. 29. Anm. 799. 1053 Frister, AT, 25/8; Hardtung, NZV 1997, 97, 103. 1054 LK 11 – Tiedemann, § 263, Rn. 8 nimmt an, die Beschränkung des Betrugstatbestandes durch die Lehre von der objektiven Zurechnung widerspräche einer gesetzlichen Intention; dagegen NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 67 in Anm. 108. Der Einwand erscheint zunächst berechtigt, wenn man berücksichtigt, dass im strukturgleichen (vgl. Kapitel 3: B.I., S. 163) Nötigungstatbestand das Erfordernis einer objektiven Zurechnung mehr oder weniger ausdrücklich angeordnet wird. Nur wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung eines Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich, das heißt als rechtlich missbilligt anzusehen ist, kann dadurch eine dem § 240 I, II entsprechende subjektive Zwangslage herbeigeführt werden, die das Opfer zur unfreiwilligen Verfügung über seine Verhaltensfreiheit veranlasst. Aus dem Fehlen einer entsprechenden Beschränkung in § 263 kann man indes nicht folgern, dass der Betrugstatbestand einen umfassenderen, „staatlich-weiten Opferschutz“ (vgl. Tiedemann, a. a. O.) gewährleisten soll. Die objektive Zurechnung ist generell eine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung der (konkreten Gefährdungs-)Erfolgsdelikte. Die Nötigung schützt die Verhaltensfreiheit vor einer unfreiwilligen Selbstschädigung und damit ein vergleichsweise unbedeutendes Rechtsgut. Viele seiner Bedrohungen sind nicht gewichtig genug und rechtfertigen es daher nicht, die Verhaltensfreiheit des Drohenden zu beschränken. Weil diese Problematik bei § 240 auf der Hand liegt, hat der Gesetzgeber ihr dort im zweiten Absatz bereits ausdrücklich Rechnung getragen. 1055 NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 49. 1052
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die Unerlaubtheit eines Verhaltens in seiner Pflichtwidrigkeit besteht, denn der Pflichtwidrigkeitsbegriff lässt sich für alle Täuschungen vereinheitlichen. Das Charakteristikum einer betrügerischen Täuschung ist die Wahrheitspflichtverletzung. Die riskante Äußerung bedroht vermittelt über das Verhalten ihres Adressaten lediglich den Erklärenden selbst und wird insoweit – mangels Verstoßes gegen eine Verhaltensnorm – nicht rechtlich missbilligt. Weil die riskante Äußerung aber zu einem Rechtsverlust führt, beinhaltet sie gegebenenfalls einen Verstoß gegen die Gebote des eigenen Interesses und damit – gemäß der zivilrechtlichen Terminologie – die Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit. 1057 Abhängig davon, zu wessen Nachteil sie führen kann, erfordert die Täuschung also entweder eine Pflicht- oder Obliegenheitsverletzung. Das schließt es lediglich aus, die Täuschung einheitlich als unerlaubt riskantes Verhalten zu begreifen, weil für die Rechtswidrigkeit ein bestimmter Begriff des Verhaltensnormverstoßes reserviert wurde. Um eine Aufspaltung in zwei unterschiedliche Täuschungsbegriffe zu vermeiden, muss insgesamt auf die Pflichtwidrigkeit abgestellt und dieses Merkmal umfassender verstanden werden. Grundlage dafür ist eine Differenzierung zwischen kategorischen und hypothetischen Pflichten, die ursprünglich von Kant entwickelt und bereits von Looschelders zum Verständnis der Obliegenheiten herangezogen wurde. 1058 Entsprechend dieser Unterteilung kann die betrügerische Täuschung als Verstoß gegen einen unbedingten Normbefehl klassifiziert werden. Obliegenheitsverletzungen wie die riskanten Äußerungen verstoßen demgegenüber gegen eine lediglich hypothetische oder bedingte Verhaltensanforderung. Die Obliegenheit ver- oder gebietet dem Normadressaten ein Verhalten nur für den Fall, dass er den mit ihrer Verletzung verbundenen Nachteil vermeiden will. Wenn dem Einzelnen die Erreichung eines damit unvereinbaren Zieles wichtiger ist, dann stellt die Obliegenheitsverletzung aus seiner Sicht ein durchaus vernünftiges Verhalten in eigenen Angelegenheiten dar. Falls der Rechtsverlust vermieden werden soll, so lässt sich die Obliegenheitsverletzung als Verstoß gegen eine Verhaltensnorm verstehen. Eine Täuschung erfordert nach diesem Verständnis also immer die Verletzung einer – entweder unbedingten oder eben bedingten – Wahrheitspflicht. Darauf muss sich der Irrtum zurückführen lassen. Die Struktur der Zurechnung eines fremden Verhaltens zum Äußernden hängt insofern nicht von der Frage ab, wen es schädigt. 1056 In Anbetracht des Zurechnungsgegenstandes mag man zweifeln, ob die Lehre von der objektiven Zurechnung überhaupt einen passenden Rahmen abgibt oder ob die Zurechnung für die Äußerungstatbestände gesondert vorzunehmen ist; vgl. Rahmlow [Anm. 1028], S. 216. Weil mit dieser Ausgliederung keine ersichtlichen inhaltlichen Konsequenzen verbunden sind, soll der Frage aber nicht nachgegangen und stattdessen die gängige Zurechnungsterminologie genutzt werden. 1057 Vgl. Palandt 67 – Heinrichs, Einl v § 241 BGB, Rn. 13 und § 254 BGB, Rn. 1. 1058 Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, S. 207 ff. m.w. N.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
Die Äußerung muss einen im genannten Sinne pflichtwidrig manipulativen Charakter haben. Ihr Inhalt muss eine Bedrohung für die als schutzwürdig angesehene, potentielle Basis einer rationalen Entscheidung des Adressaten darstellen. Mit diesem Ansatz wird nachfolgend unter cc) der Täuschungsinhalt exemplifiziert. Ferner ist erforderlich, dass gerade die pflichtwidrige Manipulation der Entscheidungsgrundlage den Irrtum und letztlich das Verhalten des Adressaten bedingt. Nach der Lehre von der objektiven Zurechnung handelt es sich dabei allerdings um das Problem der Risikorealisierung, auf das erst unter dd) einzugehen ist. cc) Täuschung als Verletzung einer (un-)bedingten Wahrheitspflicht Die betrügerische Täuschung besteht in der Verletzung einer unbedingten Wahrheitspflicht. Um sie weiter zu konkretisieren, muss man klären, ob die Einwirkung auf das Vorstellungsbild des anderen einen schutzwürdigen Teil der potentiellen Basis seiner rationalen Entscheidung bedroht. Die potentielle Basis einer rationalen Entscheidung lässt sich nur im Hinblick auf deren Gegenstand ermitteln. Durch § 263 I wird die Entscheidung über eine Vermögensverfügung geschützt. Die betrugstatbestandsmäßige Täuschung kann also nur in der Behauptung solcher Tatsachen bestehen, welche die wirtschaftliche Vor- oder Nachteilhaftigkeit einer Vermögensverfügung mitbestimmen. 1059 Die Lüge des Verkäufers über das Alter seines vermeintlich antiken Möbelstücks tangiert etwa die Entscheidungsgrundlage des Kaufinteressenten. Problematisch wird die Anwendung des Kriteriums, wenn man sich nochmals das Beispiel einer Lüge des Käufers über das eigene Liebhaberinteresse am Kaufgegenstand (beziehungsweise des Verkäufers über das Vorhandensein weiterer Kaufinteressenten) in Erinnerung ruft. Ein besonderes Interesse des Käufers an der Kaufsache bestimmt maßgeblich, welchen Preis der Verkäufer dafür verlangen kann. Insofern gehört dieser Umstand zur potentiellen Basis einer rationalen Entscheidung über den Kaufvertrag. Das gleiche gilt wohlgemerkt auch für die Angemessenheit oder Üblichkeit des vereinbarten Preises. Ginge es nur um den Schutz der Vermögensinteressen des Verkäufers, müssten wohl beide Umstände als potentielle Basis seiner rationalen Entscheidung geschützt werden. Es liegt jedoch auf der Hand, dass eine Lüge darüber trotzdem nicht ohne weiteres als betrügerische Täuschung angesehen werden kann. Überwiegend wird dieses Problem als Frage der Konkludenz des (Täuschungs-)Verhaltens eingeordnet. Im Verlangen eines bestimmten Preises sei grundsätzlich nicht die Behauptung der Angemessenheit oder Üblichkeit enthalten, so dass angesichts der Vertragsfreiheit etwa im Fordern eines überhöhten Preises keine Täuschung liege. 1060 Um 1059 Vgl. NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 64 und Merz, „Bewußte Selbstschädigung“, S. 163 ff. Siehe zur Maßgeblichkeit der Verfügungsvoraussetzungen des Opfers auch W. Frisch, Jakobs – FS, S. 126 ff.
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das eigentliche Problem allerdings auf den Punkt zu bringen, braucht eine Vertragspartei bloß ausdrücklich die – tatsächlich fehlende – Angemessenheit oder Üblichkeit des von ihr geforderten Preises zu behaupten. Dann führt die Lösung über die mangelnde Schlüssigkeit nicht weiter, obwohl mit dem Verweis auf die Vertragsfreiheit bereits der entscheidende Sachgesichtspunkt genannt wurde. Unsere Marktwirtschaft basiert auf einer autonomen Vertrags- und insbesondere Preisgestaltung. Die Beteiligten dürfen die wirtschaftliche Profitabilität ihrer Vermögensaufwendungen für sich alleine nutzen. Als Kehrseite ihrer Freiheit tragen sie das wirtschaftliche Prognoserisiko. Die Parteien eines Kaufvertrages sind daher prinzipiell selbst dafür zuständig, sich über das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sowie über die Angemessenheit oder Üblichkeit des vereinbarten Preises zu informieren. 1061 Diese Zuständigkeitsverteilung ist der Sache nach nichts anderes als ein Anwendungsfall des bereits zum Notstand in Kapitel 1: E.II.2.a), S. 103 beschriebenen Autonomiegedankens. 1062 Ausgangspunkt der Wahrheitspflichtkonstituierung im Kontext des § 263 I ist somit die Überlegung, dass jeder Marktteilnehmer zunächst einmal für die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit jeder seiner Vermögensverfügungen eigenverantwortlich ist. Hinsichtlich dieser Umstände besteht daher keine Wahrheitspflicht. Einschränkungen gelten für dieses Prinzip, soweit der Vertrag zwischen den Parteien Beratungsleistungen umfasst, wodurch die wahrheitsgemäße Information über die Preisbildung zum Teil der geschuldeten Leistung wird. 1063 Eine solche (vertragliche) Übernahme des Irrtumsrisikos durch die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens begründet daher gegebenenfalls eine Wahrheitsgarantenpflicht. 1064 Die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens stellt auch den Rechtsgrund für die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Erklärung über diejenigen Tatsachen, welche den Gegenstand der Entscheidung über die Vermögensverfügung begründen. Wer mit einem anderen konkrete geschäftliche Beziehungen knüpfen will, die stets mit wirtschaftlichen Risiken verbunden sind, darf sich dabei nicht widersprüchlich verhalten. Ein solcher Widerspruch bestünde etwa darin, dem Vertragspartner ein Geschäft mit bestimmten Eckdaten – etwa den privaten Verkauf einer funktionierenden Digitalkamera mit der Auflösung x und dem Speicher y – anzubieten, dessen Vollzug der Verkäufer jedoch nicht gewährleisten will oder kann, weil er zum Beispiel den Speicherchip bereits getrennt verkauft hat. Mit dem Angebot eines bestimmten Rechtsgeschäftes werden daher solche Tatsachenannahmen garantiert, die das Geschäft beschreiben und auf welche der andere seine Entscheidung stützen soll. 1065 Zu unterscheiden sind deshalb die tatsächlichen Voraussetzungen 1060 1061 1062 1063 1064
Schönke / Schröder – Cramer, § 263, Rn. 17c m.w. N. Eingehend Pawlik [Anm. 1041], S. 152 ff. Vgl. Pawlik, Notstand, S. VII. Schmoller, JZ 1991, 117, 128. NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 64.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
einer rechtsverbindlichen Handlung, die den Gegenstand der Entscheidung über die Vermögensverfügung beschreiben, von der darauf Bezug nehmenden Prognose über ihre wirtschaftliche Profitabilität. Weil sich die darin liegende Problematik der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen ebenso im Zivilrecht stellt, kann man entsprechend § 119 II BGB hinzufügen, dass Einwirkungen auf die Vorstellung über verkehrswesentliche Eigenschaften der Person oder Sache – das heißt über alle wertbildenden Faktoren, nicht jedoch über die Wertbildung und den Wert selbst 1066 – wahrheitspflichtgemäß erfolgen müssen. 1067 Tatsachenbehauptungen, welche entweder die Wertbildung oder den Verkehrswert selbst betreffen, unterfallen nicht der Wahrheitspflicht, falls nicht ausnahmsweise – etwa durch eine Beratungsvereinbarung – diesbezüglich eine besondere Garantie übernommen wird. Ein Regel-Ausnahme-Verhältnis gilt aber auch umgekehrt für die wertbildenden Faktoren. Diese unterfallen ausnahmsweise keiner Wahrheitspflicht, wenn sie nicht zum Gegenstand der Entscheidung 1065
Kindhäuser, a. a. O., Rn. 95 m.w. N.; Pawlik [Anm. 1041], S. 154. Vgl. Schiemann, in: Staudinger, Eckpfeiler des ZivilR, S. 100; Nw. zur Kasuistik etwa bei Palandt 67 – Heinrichs / Ellenberger, § 119 BGB, Rn. 23 ff. und bei MK 5 – Kramer, § 119 BGB, Rn. 126 ff. 1067 Kindhäuser, ZStW 103 [1991], 398, 412 f. nimmt eine Akzessorietät des Strafrechts hinsichtlich der Wahrheitspflichten an. Bei seiner exemplarischen Erläuterung stellt er auf den Gedanken des § 119 II BGB ab und provoziert damit die Frage, warum dann nicht auch § 123 I BGB maßgeblich sein sollte; vgl. Graul, Brandner – FS, S. 818 f. in Anm. 86 und Merz [Anm. 1059], S. 133 f. Diese Kritik ist, soweit sie sich gegen die Argumentationsmethode richtet, durchaus berechtigt. Der Akzessorietätsgedanke eignet sich als isolierte Begründung ebenso wenig wie das Postulat der Einheit der Rechtsordnung. Nur wenn gezeigt wird, dass Gegenstand und Kontext einer Bewertung identisch sind, darf man mit der notwendigen Einheit der rechtlichen Wertungsmaximen argumentieren; siehe dazu bereits Kapitel 2: C., S. 143. Um also ungeachtet des § 123 I BGB die Kasuistik zu § 119 II BGB für den Begriff der betrügerischen Täuschung heranziehen zu können, müssen sowohl eine Kontexttrennung als auch eine Kontextüberschneidung dargelegt werden. Ersteres gelingt – zumindest teilweise – relativ leicht: Während jede vorsätzliche Einwirkung auf das Vorstellungsbild eine arglistige Täuschung gemäß § 123 I BGB darstellen kann, muss die betrügerische Täuschung ferner einen Vermögensbezug aufweisen; Palandt 67 – Heinrichs / Ellenberger, § 123 BGB, Rn. 3; Merz, a. a. O., S. 169. Eine positive Begründung des Begriffs der betrügerischen Täuschung ist daher anhand von § 123 I BGB nicht möglich. Pawlik [Anm. 1041], S. 162 geht davon aus, dass die Anbindung des Strafrechts an zivilistische Überlegungen allgemein nur in negativer und nicht in positiver Hinsicht gelte. Um dagegen eine Kontextüberschneidung für die §§ 263 I StGB, 119 II BGB nachzuweisen, müsste im Einzelnen gezeigt werden, dass beiden Vorschriften jeweils dieselbe Abgrenzung von Verantwortungsbereichen zugrunde liegt; vgl. MK 5 – Kramer, § 119 BGB, Rn. 113. Letzteres kann an dieser Stelle nicht gelingen. Trotzdem ist die Anwendung des Kriteriums der Verkehrswesentlichkeit bei § 263 I auffällig sachgerecht; vgl. Graul, a. a. O. Selbst ohne Nachweis spricht daher viel dafür, dass es sich bei dem (anhand der vorherigen Anmerkungen nachvollziehbaren) kasuistischen Gleichlauf der beiden Normen – systematisch gesehen – um mehr handelt als „nur um zufällige Überschneidungen“; anders Pawlik, a. a. O. 1066
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über eine Vermögensdisposition gemacht werden dürfen, weil sie dann keinesfalls als schutzwürdiger Teil der potentiellen Basis einer rationalen Entscheidung angesehen werden können. Dem potentiellen Arbeitgeber ist es zum Beispiel verboten, die Einstellung einer Bürokauffrau von deren Schwangerschaft oder einem Kinderwunsch abhängig zu machen, obwohl sich daraus ergibt, in welchem Umfang er ihre Arbeitskraft für sein Unternehmen nutzen kann und ob er sich gegebenenfalls um eine befristete Vertretung sowie deren Einarbeitung bemühen muss. 1068 Verleugnet die Bewerberin im Vorstellungsgespräch ihre Schwangerschaft, dann verletzt sie damit keine Wahrheitspflicht und täuscht nicht im Sinne des Gesetzes. Besteht also für eine Entscheidung ein Verwertungsverbot hinsichtlich bestimmter Tatsachen, werden diesbezügliche Annahmen erst recht nicht vor Täuschungen geschützt. Solche Verwertungsverbote werden entweder durch Abwägung – zum Beispiel des Vermögensinteresses auf Seiten eines potentiellen Arbeitgebers und des von Art. 3 II GG beschriebenen Gleichbehandlungsinteresses – vom Rechtsanwender entwickelt oder unmittelbar einer gesetzlichen Ausprägung etwa im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz entnommen. Um gemäß § 1 AGG „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“, werden diese Tatsachen als Basis einer Entscheidung im Anwendungsbereich (§ 2 AGG) schutzlos gestellt. Auf dieser Grundlage vermag auch die in der riskanten Äußerung liegende Täuschung als Verletzung einer wenngleich bedingten Wahrheitspflicht entwickelt zu werden. Die entsprechende hypothetische Verhaltensanforderung besteht nur dann, wenn der Erklärende die Fiktion seiner Einwilligung in das ihn gefährdende Verhalten des Adressaten seiner riskanten Äußerung vermeiden will. Davon ist jedoch immer auszugehen, weil andernfalls bereits eine Einwilligung vorläge, auf deren Fiktion somit verzichtet werden könnte. Die riskante Äußerung ist in diesem Sinne pflichtwidrig, wenn sie die als schutzwürdig angesehene, potentielle Basis einer rationalen Entscheidung ihres Adressaten bedroht. Nicht notrechtsmäßige Gefährdungen und Verletzungen fremder Rechtsgüter sind lediglich im Falle einer ausdrücklichen, konkludenten oder mutmaßlichen Einwilligung zulässig. Fundament dieses Einwilligungserfordernisses ist die Vermutung, dass solche Eingriffe prinzipiell unerwünscht sind und Abwehr(re)aktionen begründen können. Wer einen anderen Menschen daher zu einer Entscheidung über die Gefährdung oder Verletzung seiner eigenen Rechtsgüter veranlasst, der nimmt wegen des hohen Konfliktpotentials ein besonderes Vertrauen in Anspruch. Diese Inanspruchnahme stellt auch den Rechtsgrund für die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Erklärung über 1068
EuGH NZA 2001, 1241 ff.; BAG NZA 2003, 848 f.; Preis / Bender, NZA 2005, 1321 ff.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
diejenigen Tatsachen dar, welche den Gegenstand der Entscheidung bilden. Prinzipiell geschützt werden als Entscheidungsgegenstand alle wertbildenden Faktoren. Wertbildung bedeutet in diesem Zusammenhang Verhaltensbewertung. Davon umfasst sind sämtliche Umstände, die eine rechtliche Missbilligung des eigenen Verhaltens wegen der (unerlaubten) Gefährdung fremder Rechtsgüter 1069 sowie seine Legitimierung etwa aufgrund von Notrechten herbeiführen. Gemeint ist also der gesamte Sachverhalt, der einem (zumindest gedachten) Unrechtstatbestand subsumiert werden könnte. 1070 Diese bedingte Pflicht zur Wahrheit ist insbesondere dann zu begrenzen, wenn ihre Zielsetzung von entgegenstehenden Interessen wesentlich überwogen wird. Zur Erklärung dieser Ausnahme ist noch einmal auf die beiden Beispiele zurück zu kommen, in denen ein traditionell gekleideter Muslim zwei Wochen nach einem Bombenattentat mit einem Rucksack U-Bahn fährt beziehungsweise sich laut mit seiner Frau streitet. 1071 Soweit sein Verhalten sich als Religionsausübung darstellt, kommt ihm eine besondere Bedeutung zu. Wegen der Wertschätzung durch Art. 4 GG ist insofern ein Verwertungsverbot anzunehmen. Um die ungestörte Religionsausübung des Muslims zu gewährleisten, darf es nicht zum Gegenstand einer Entscheidung über ein ihn belastendes notrechtsmäßiges Verhalten gemacht werden. Zwar könnte man dieses Problem mit der Überlegung umgehen, dass bereits der Erfahrungssatz falsch ist, wonach Muslime häufiger ihre Frauen schlagen und dass der Protagonist im Beispiel nichts zu der entsprechenden Fehlvorstellung seines Nachbarn beigetragen hat, doch das ist nicht der Punkt. Selbst wenn sich – entgegen der Annahme des Verfassers! – eine entsprechende statistische Häufung nachweisen ließe, so muss dennoch im Lichte des Art. 4 GG betrachtet eine Haftung des einzelnen gläubigen Muslims für den entsprechenden Irrtum seines Nachbarn ausgeschlossen sein. dd) Der Zurechnungszusammenhang Einen letzten Anlass, die bisherige Behandlung der riskanten Äußerungen zu hinterfragen, bietet eine Diskussion um das Irrtumsmerkmal beim Betrug. Insbesondere viktimodogmatische Überlegungen 1072 haben manche Autoren veranlasst, eine für § 263 I hinreichende Fehlvorstellung (beziehungsweise schon die Täuschung) zu verneinen, wenn das Opfer seinem Irrtum aufgrund grober Fahr1069
Die Täuschung kann sich ebenso auf Tatbestandsmerkmale beziehen. Auch wer sich während der Jagdsaison als Hirsch verkleidet und auf eine Waldlichtung stellt, äußert sich riskant. 1070 Wenn der Äußernde ein besonderes Vertrauen hinsichtlich der Wertbildung bzw. der Verhaltensbewertung in Anspruch nimmt, kann auch dies eine Wahrheitspflicht begründen, deren Verletzung zur Einwilligungsfiktion führt. 1071 Siehe dazu Kapitel 3: C.V.3.c)aa), S. 225. 1072 Vgl. etwa Schünemann, NStZ 1986, 439 ff.
C. Einwilligungsfiktion bei fahrlässiger Täuschung über ein Risiko
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lässigkeit unterliegt 1073 oder wegen konkreter Anhaltspunkte an seiner Vorstellung zweifelt. 1074 Zum Teil wird die Relevanz des Zweifels von der Möglichkeit und Zumutbarkeit weiterer Aufklärungsmaßnahmen abhängig gemacht. 1075 In diesen Konstellationen stellt sich die Frage, inwiefern dem Täuschenden ein Irrtum beziehungsweise das Verhalten des Rezipienten noch zuzurechnen sind. Ob man sich dabei ausschließlich auf das Irrtumsmerkmal als Zwischenerfolg oder umfassender auf die Verbindung zwischen Täuschung und irrtümlichem Verhalten kapriziert, ist eine eher nebensächliche Frage der Schwerpunktsetzung. Insgesamt geht es jedenfalls um die Bestimmung der normativen Verbindung zwischen Wahrheitspflichtverletzung und dadurch bedingter Rechtsgutsverfügung. Man könnte bei grober Fahrlässigkeit oder Zweifeln des Adressaten erwägen, den Zurechnungszusammenhang wegen einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung 1076 zu verneinen. 1077 Der Empfänger einer riskanten Äußerung muss sich Umstände vorstellen, deren wirkliches Vorliegen zur Rechtfertigung seines für den Äußernden gefährlichen Verhaltens führte. Es stellt sich die Frage, ob sein Erlaubnistatbestandsirrtum auch dann noch genügt, wenn er ihn leicht vermeiden konnte, der Rezipient also das Fehlen der rechtfertigenden Umstände leichtfertig verkennt. Problematisch erscheint ebenso das Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums, falls der Empfänger sich (aufgrund konkreter Anhaltspunkte) zugleich einen alternativen Sachverhalt vorstellt, dem kein Rechtfertigungsgrund zu entnehmen ist. 1078 Der konkrete Zweifel schließt einen Irrtum dann aus, wenn der Zweifelnde ihn – nach seiner Vorstellung – ohne jeden Nachteil beseitigen kann. Wer es für möglich hält, dass der Unterboden des angeblich fehlerfreien Porsches, der ihm für nur 10.000 Euro zum Kauf angeboten wurde, durchgerostet ist, der muss den verbleibenden Tag Bedenkzeit dazu nutzen, um ein- oder auch zweimal unter das Fahrzeug zu schauen. Hält der von seinem Nachbarn in dessen Schuppen eingeschlossene N1 es für möglich, dass er nicht ausweglos eingesperrt ist und sich die Türe schon durch das Ziehen einer daneben angebrachten Kordel öffnen lässt, so hat er dies auszuprobieren, anstatt sofort die Türe einzutreten. 1073 Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, S. 287 sowie Mühlbauer, NStZ 2003, 650, 651 ff. 1074 Amelung, GA 1977, 1, 7. 1075 R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, S. 113 ff., 166 f. 1076 Vgl. Frister, Rudolphi – FS, S. 58, der das Problem im Rahmen des Unrechtsvorsatzes diskutiert und – in Anlehnung an Jakobs, AT, 11/9 f. – eine Parallele zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung zieht. 1077 Pawlik [Anm. 1041], S. 243 ff., 246 ff. problematisiert die Fallgruppe „Evidenz der Wahrheitspflichtverletzung des Täters“ ebenso beim Zurechnungszusammenhang. Vgl. auch das anschauliche Beispiel zu dessen Fehlen bei Kindhäuser, ZStW 103 [1991], 398, 406 a. E. 1078 Siehe bereits Anm. 168.
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Der Zweifelnde selbst trägt also nur das Risiko einer nach seiner Vorstellung – ohne Nachteil – möglicherweise noch zu beseitigenden potentiellen Fehlvorstellung und der darauf basierenden Entscheidung. Solche Konstellationen dürften aber praktisch kaum vorkommen. 1079 In den meisten Fällen ist die Beseitigung des Zweifels dagegen mit Nachteilen verbunden. Im Kontext des Betruges wird der Zweifelnde typischerweise davon ausgehen, dass er nach einer Überprüfung den angestrebten geschäftlichen Erfolg nicht mehr realisieren kann: „Entweder er kauft den Porsche sofort oder gar nicht!“ Auch der Bankräuber gibt dem Kassierer kaum eine Gelegenheit, die Funktionsfähigkeit seiner Scheinwaffe zu prüfen. Die Verneinung des Zurechnungszusammenhangs wegen einer (groben) Fahrlässigkeit des Adressaten ließe sich mit den allgemeinen Grundsätzen kaum vereinbaren. Man nimmt üblicherweise und zu Recht an, dass ein Mitverschulden des Opfers lediglich strafmildernd zu berücksichtigen ist (vgl. auch § 254 BGB). 1080 Die herrschende Lehre geht insofern zu Recht davon aus, dass der Täter aufgrund seiner betrügerischen Täuschung das Irrtumsrisiko alleine zu tragen hat. Damit sind Prüfobliegenheiten des Opfers nicht zu vereinbaren, so dass weder seine leichte Vermeidbarkeit noch eine – nicht zu beseitigende – alternative Sachverhaltsvorstellung den Irrtum respektive den Zurechnungszusammenhang berühren. 1081 Lässt der Bankräuber gegenüber dem Bankangestellten offen, ob seine Pistole wirklich schießen kann, muss er die Folgen von dessen Ungewissheit tragen. Dass die riskante Äußerung eine lediglich fahrlässige Täuschung über ein Risiko erfordert, steht dem nicht entgegen. 1082 Schon durch die Erfordernisse der Verletzung einer (bedingten) Wahrheitspflicht und der individuellen Erkennbarkeit werden eine hinreichende Vermeidbarkeit und damit die Selbstbestimmung des Täuschenden gewährleistet. 1083
D. Schlussbetrachtung Riskante Äußerungen sind Verhaltensweisen, welche bei anderen Menschen die fehlerhafte Vorstellung hervorrufen können, dass eine Gefahr vorliegt. Ein straftatbestandsmäßiges Verhalten zur Abwehr dieser scheinbaren Gefahren kann 1079 Vgl. Wittmann, Wissenszurechnung im Strafrecht, S. 40 f., demzufolge jedoch erst die positive Kenntnis der Täuschung jedes schutzwürdige Vertrauen des Opfers entfallen lässt. Auch der konkrete Zweifel sei „ein Irrtum im Sinne des Betrugstatbestandes“. 1080 Schönke / Schröder – Stree, § 46, Rn. 24 m.w. N. Dazu auch Pawlik [Anm. 1041], S. 248 f., der allerdings in drastischen Fällen von einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs ausgeht. 1081 Siehe nur NK – Kindhäuser, § 263, Rn. 51, 175 mit umfassenden Nw. 1082 Frister [Anm. 1076] behandelt nur den Fall, dass der Scheinangreifer sein vermeintliches Opfer über das Vorliegen der Gefahr bewusst im Ungewissen lässt. 1083 Vgl. dazu die Überlegungen in Kapitel 3: C.IV., S. 190.
D. Schlussbetrachtung
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nicht objektiv durch Notwehr oder Notstand gerechtfertigt werden. Die zivilen Notrechte greifen nicht ein, weil keine primären Rechtsgüter objektiv ex post gefährdet werden. 1084 Der Erlaubnistatbestandsirrtum schließt immer subjektiv das Vorsatz-, aber nur im Falle seiner Unvermeidbarkeit das Fahrlässigkeitsunrecht aus. 1085 Die Modelle von Erb und Jakobs verzichten bei der Annahme von Notrechten auf eine Rechtsgutskollision, wenn der Irrtum durch den Anschein eines Angriffs respektive einer Gefahr zurechenbar verursacht wurde. Unter dieser Voraussetzung sollen die Notrechtsmerkmale objektiv beziehungsweise subjektiv ex ante geprüft werden. Die Vorraussetzungen der Irrtumszurechnung scheint Jakobs den jeweils vermeintlich einschlägigen Notrechten entnehmen zu wollen. 1086 Weil diese jedoch durch das Prinzip der Rechtsgutskollision geprägt werden, können sie keine Regeln über die Zurechnung von entsprechenden Fehlvorstellungen beinhalten. Zudem erscheint es unangemessen, in solchen Fällen das „schneidige“ Notwehrrecht uneingeschränkt zu gewährleisten. Das hier vertretene Gegenmodell strebt ebenfalls die objektive Rechtfertigung des straftatbestandsmäßigen Abwehrverhaltens an. Dazu muss dem Geschädigten der Erlaubnistatbestandsirrtum des Schädigers zugeschrieben werden können, so dass ihn dessen Abwehrreaktion als mittelbare eigenverantwortliche Selbstschädigung trifft. Die objektive Rechtfertigung beruht auf einer Einwilligungsfiktion. Der Geschädigte will das fremde ihn gefährdende Verhalten zwar nicht, muss sich aber behandeln lassen, als ob er es will. 1087 Voraussetzung dafür ist, dass er durch sein Verhalten in zurechenbarer Weise bei der anderen Person eine unzutreffende Gefahrvorstellung verursacht und ihm dabei die Möglichkeit dieser Auswirkung persönlich erkennbar ist. Dem Getäuschten sind nur solche Maßnahmen erlaubt, die auch bei wirklichem Vorliegen der irrig angenommenen Umstände gerechtfertigt wären. 1088 Die Einwilligungsfiktion erfordert insofern die Erregung des Erlaubnistatbestandsirrtums durch fahrlässige Täuschung. Für die Prüfung dieser Merkmale ist die Figur des objektiven Dritten entbehrlich. 1089 Weil die Rechtfertigung insoweit nicht den Prinzipien einer Rechtsgüterkollision, sondern denen der Selbstbestimmung folgt, wird sie – unter Berücksichtigung des Vertrauensgrundsatzes – durch die §§ 216, 228 limitiert. 1090 Das Modell einer Einwilligungsfiktion aufgrund riskanter Äußerung prüft den Erlaubnistatbestandsirrtum des Täters schon im objektiven Rechtfertigungstatbestand. Damit verstößt es gegen das formelle Gebot der Trennung von objektiven 1084 1085 1086 1087 1088 1089 1090
Kapitel 3: B., S. 163. Kapitel 3: C.II., S. 181. Kapitel 3: A.II., S. 157. Kapitel 3: C., S. 177. Kapitel 3: C.V.1., S. 204. Kapitel 3: C.V.3.b), S. 218. Kapitel 3: C.V.2., S. 207.
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Kap. 3: Riskante Äußerungen
und subjektiven Unrechtsmerkmalen, womit typischerweise inhaltliche Unstimmigkeiten verbunden sind. Wenn zwei Bürger zum Schutz ihrer Rechtsgüter „miteinander ringen“ darf die Rechtfertigung nicht von den jeweiligen Vorstellungen abhängen. Dadurch könnte etwa Notwehr gegen Notwehr zulässig werden, 1091 so dass beide rechtmäßig handelten. Ein solcher „rechtsfreier Raum“ genügt nicht dem umfassenden Beurteilungsanspruch einer Rechtsordnung. Die Trennung des Objektiven vom Subjektiven ist daher sachlich zwingend geboten, um die Notrechte friktionsfrei aufeinander abstimmen zu können. Notrechte zugunsten des sich riskant Äußernden sind jedoch ausgeschlossen. Er wird behandelt, als habe er in das tatbestandsmäßige Verhalten eingewilligt, und ist daher nicht im Sinne der Notrechte in Gefahr. Das Modell einer Einwilligungsfiktion aufgrund riskanter Äußerung führt deshalb nicht zu inhaltlichen Unstimmigkeiten.
1091
Kapitel 1: C.II.3., S. 81.
Ergebnisse I. Objektive ex post- und subjektive ex ante-Gefahrurteile Der Risikobegriff ist entweder Teil einer Verhaltens- oder einer Lagebeurteilung. Verhaltensgefährlichkeit wird als (betragsmäßige) Differenz zwischen den beiden Wahrscheinlichkeiten eines Schadenseintritts mit und ohne Vornahme des Verhaltens bestimmt. Um den Tatbestand eines Erfolgsdeliktes zu erfüllen, muss der Täter den Erfolg durch sein unerlaubt risikoerhöhendes Verhalten herbeigeführt haben. Fehlt es zuvor an einer Gefahr, entspricht der Risikounterschied dem Ausgangsrisiko bei der Durchführung des Verhaltens. Zur Rechtfertigung eines straftatbestandsmäßigen Verhaltens etwa durch Aggressivnotstand muss dieses das Risiko für ein durch § 34 geschütztes Rechtsgut abwenden, das heißt die Gefahr verringern. Im Grundfall einer vollständigen Gefahrbereinigung entspricht die Gefahrdifferenz dem Eingangsrisiko vor der Durchführung des Verhaltens. Das Risiko beurteilt sich objektiv ex post. Man bestimmt die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts durch die Anwendung sämtlicher im Nachhinein zur Verfügung stehenden Erfahrungssätze auf alle bis zum Zeitpunkt des Verhaltens eingetretenen Tatsachen. Gefährdungserfolge wie beispielsweise in § 315c I sind gleichfalls objektiv ex post festzustellen. Wegen ihrer begrenzten Zeitlosigkeit können sie jedoch bereits aufgrund des Schadenseintritts bejaht werden, denn spätestens kurz vor ihrer Realisierung ist jede Gefahr ausreichend hoch. 1092 Das ex ante-Urteil bezieht sich lediglich auf Umstände, die Verhaltensmerkmale erfüllen. Es wird erst im subjektiven Tatbestand des fahrlässigen oder vorsätzlichen Erfolgsdeliktes vorgenommen. Zur Prüfung der Verhaltensgefährlichkeit fragt man, ob der Täter das objektive ex post-Risikourteil anhand der ihm nur auszugsweise zur Verfügung stehenden Tatsachen und Erfahrungssätze nachvollziehen konnte. Führt bereits deren (hypothetische) Anwendung zur Feststellung einer missbilligten Risikoerhöhung, war sie ihm persönlich erkennbar. Beim Vorsatz handelt es sich um den Sonderfall einer bis zur Kenntnis gemäß § 16 I 1 entfalteten individuellen Erkennbarkeit. Im Rechtfertigungstatbestand ist subjektiv ex ante zu prüfen, ob dem Täter umgekehrt das Fehlen einer Gefahrreduktion erkennbar respektive – beim Vorsatzdelikt – analog 16 I 1 bekannt war.
1092
Vgl. insgesamt zum objektiven ex post-Gefahrurteil in Kapitel 1: B., S. 56.
240
Ergebnisse
Das Konzept der wohl herrschenden Lehre unterscheidet sich in zweifacher Hinsicht von diesem Konkurrenzmodell. 1093 Zum einen fordert sie bereits für den objektiven (Unrechts-)Tatbestand eine ex ante-Betrachtung. Diese kann lediglich als objektive Erkennbarkeit umfassend etabliert werden. Dazu muss die objektive ex post-Gefahrerhöhung – oder auf Rechtfertigungsebene das Fehlen der Risikoverringerung – durch Anwendung des gemeinsamen Tatsachen- und Erfahrungswissens eines objektiven Dritten und des Täter nachzuweisen sein. Zudem würde man die individuelle Erkennbarkeit erst in der Fahrlässigkeitsschuld berücksichtigen. 1094 Diese Unterschiede hatten indes keine Konsequenzen für die Strafbarkeit. Auch im Hinblick auf die (Verhaltens-)Normtheorie waren sie irrelevant. Die Anwendung der Maßregeln und des Vollrauschtatbestandes wurde durch sie ebenfalls nicht beeinflusst. 1095 Im Rahmen einer kombinierten Aggressiv-, Defensivnotstands- und Notwehrprobe wurden hingegen mit dem Konkurrenzmodell einfachere und überzeugendere Ergebnisse erzielt. 1096 Eine Ingerenzgarantenstellung wird – friktionsfrei – nur durch ein objektiv ex post unerlaubt gefährdungsriskantes Verhalten begründet. 1097 Die objektive ex ante-Betrachtung aus der Perspektive des gedachten Dritten ist im allgemeinen Deliktsaufbau nicht nur entbehrlich, sondern außerdem schädlich. Sie bewirkt Ungenauigkeiten und Unstimmigkeiten. Das Tatsachen- und Erfahrungswissen eines objektiven Dritten ist lediglich intuitiv bestimmbar. 1098 Problematischer ist jedoch die systemwidrige Berücksichtigung des über seine Kenntnisse hinausgehenden Täterwissens. Der Zugriff auf das Sonderwissen ignoriert die Trennungslinie zwischen objektiven und subjektiven (Unrechts-)Tatbestandsmerkmalen. Man hat versucht, den Systembruch der objektiven ex anteBetrachtung durch Aufzählung weiterer Beispiele einer Verwirrung zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven zu bagatellisieren. Dieser Versuch war schon wegen der Struktur des Trennungsgebotes untauglich.
II. Formelle und inhaltliche Komponente der Trennung zwischen objektiven und subjektiven Unrechtsmerkmalen Das Gebot der Trennung von objektiv und subjektiv im Unrecht hat eine formelle und eine inhaltliche Komponente. Seine formelle Seite fordert die Unterscheidung ausschließlich, um die Ordnung und das Verständnis der Strafbarkeitsvoraus1093
Vgl. dessen ausführlichere Darstellung in Kapitel 1: D., S. 85. Vgl. die Darstellung und Analyse des herrschenden Konzeptes der Gefahrbeurteilung in Kapitel 1: A., S. 27. 1095 Kapitel 1: A.II.2., S. 54 und Kapitel 1: E.I., S. 91. 1096 Kapitel 1: E.II.2., S. 102. 1097 Kapitel 1: E.II.3., S. 111. 1098 Kapitel 1: C.I., S. 74. 1094
Ergebnisse
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setzungen zu erleichtern. Isoliert ist diese Funktion, falls schon im objektiven Unrechtstatbestand auf verhaltensbegleitende innerpsychische Umstände eingegangen werden muss, durchaus verzichtbar. Das formelle Trennungsgebot beinhaltet eine Argumentationslastregel für die Auslegung der Unrechtstatbestandsmerkmale. Wer im objektiven Unrechtstatbestand auf innerpsychische Umstände zugreifen will, muss jeweils die Notwendigkeit dieses zunächst nur formellen Systembruchs darlegen. 1099 Für die objektive ex ante-Betrachtung im allgemeinstrafrechtlichen Kontext konnte dieser Nachweis nicht erbracht werden; sie ist vielmehr schädlich. Daran anknüpfend wurden die sonstigen bislang kaum beachteten Möglichkeiten einer schärferen Trennung zwischen objektiv und subjektiv im Unrecht gezeigt. Die Tatbestandsmerkmale wegnehmen, täuschen und zueignen lassen sich zwanglos in ihre objektiven und subjektiven Bestandteile zerlegen. Zur Unterscheidung von objektiven und subjektiven Unrechtsmerkmalen wurde auch die systematisierende Funktion des Koinzidenzprinzips genutzt. Subjektiv sind innerpsychische Umstände danach lediglich während des zu beurteilenden Verhaltens. Beim dolus antecedens vel subsequens handelt es sich folglich um ein objektives Merkmal. Ein Phänomen unvollkommen zweiaktiger Rechtfertigungsgründe, bei denen der objektive Unrechtsausschluss von der Absicht zur Vornahme eines zweiten Schrittes abhängt, ist – anhand der zu seiner Beschreibung herangezogenen §§ 127 I StPO, 53 I 1 UrhG – nicht nachweisbar. Auch der Handlungsbegriff konnte bereinigt werden. In objektiver Hinsicht ist Handlung jede Körperbewegung, die durch das Gehirn koordiniert und die Muskulatur ausgeführt wird. Der Mensch unterlässt eine Handlung, wenn ihre Durchführung ihm objektiv – das heißt bei Hinzudenken des erforderlichen Wissens – möglich war. Auf eine Beteiligung des Wachbewusstseins kommt es insofern nicht an. Das potentielle Verhaltensbewusstsein ist kein Element des Handlungsbegriffs, sondern eine notwendige Bedingung für die Erkennbarkeit des eigenen objektiv unerlaubt riskanten Handelns oder Unterlassens, mit anderen Worten die Grundvoraussetzung für Vorsatz und Fahrlässigkeit. 1100 Der objektive Unrechtstatbestand gibt an, welches für strafrechtlich geschützte Güter gefährliche Verhalten von der Rechtsordnung gebilligt wird. Der Inhaber des zulässigerweise riskierten Interesses kann sich als Kehrseite der fremdnützigen Erlaubnis dagegen nicht auf Notrechte berufen. Mit dem Recht zur Vornahme eines gefährlichen Verhaltens korrespondiert die Pflicht zu seiner Duldung. Nur ein unerlaubt riskantes Verhalten darf notrechtmäßig unterbunden werden. Der objektive Unrechtstatbestand grenzt somit zwischen duldungspflichtigen und notrechtsfähigen Verhaltensweisen ab. Zur Vermeidung von Widersprüchen muss für die Prüfung der Unrechtmäßigkeit des Verhaltens und der Notrechtmäßigkeit 1099 1100
S. 133.
Kapitel 1: C.II.2., S. 78. Siehe Kapitel 1: F.I., S. 117 und zum objektiven Verhaltensbegriff Kapitel 1: F.II.2.,
242
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seiner Abwehr der gleiche Sachverhalt berücksichtigt werden. Das kann gerechterweise nur der wirkliche und kein – etwa im Sinne der objektiven ex anteBetrachtung – auf eine bestimmte Perspektive reduzierter Sachverhalt sein. 1101 Die Verhaltensbeurteilung als inhaltliche Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes ist nicht vernachlässigbar. Sie zwingt prinzipiell zur objektiven ex postPrüfung der Verhaltensgefährlichkeit. Ein Zugriff auf innerpsychische Umstände im Zeitpunkt des Verhaltens wird damit zwar nicht kategorisch ausgeschlossen. Er muss aber jeweils auf seine Vereinbarkeit mit der inhaltlichen Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes geprüft werden und darf nicht die klare Abgrenzung zwischen duldungspflichtigen und notrechtsfähigen Verhaltensweisen stören. Der zur Notwehr berechtigende Angriff (§ 32 II) wurde zum Beispiel als (tauglicher) fahrlässiger Versuch einer Rechtsgutsschädigung charakterisiert. Grundlage der Einschätzung ist ein Modell zur Strukturierung von Handlungsabläufen. Diese lassen sich in mehrere Körperbewegungen unterteilen, die jeweils von dem Bewusstsein ihrer Durchführung und außerdem von der gedanklichen Vorwegnahme des nächsten Aktes begleitet werden. Im Zeitpunkt der Durchführung einer unrechtmäßigen gefährlichen Körperbewegung vermag sie schon nicht mehr unterbunden zu werden. Die letzte Möglichkeit dazu besteht, wenn die Person ihren Körper zwar noch erlaubt riskant bewegt, aber gedanklich schon die nächste verboten gefährliche Körperbewegung antizipiert. Um die vollständige Vermeidbarkeit des unerlaubt riskanten Verhaltens zu gewährleisten, muss der Verteidiger bereits während der noch rechtmäßigen Körperbewegung eingreifen dürfen, mit der die andere Person zu ihrem unerlaubt riskanten Verhalten unmittelbar ansetzt. Die prinzipiell objektiv erlaubt gefährliche Körperbewegung darf dabei nur deshalb unterbunden werden, weil sie von einer bestimmten Vorstellung beziehungsweise Absicht begleitet wird. Daraus folgt ein Widerspruch zum formellen Gebot der Trennung zwischen objektiv und subjektiv im Unrecht, sobald man den Angriff als das tatbestandsmäßige Verhalten eines Erfolgsdeliktes (z. B. §§ 212 I, 222) wahrnimmt. Auch insofern muss eine höhere Gefährlichkeit der ablaufenden Körperbewegung im Hinblick auf die als nächste geplante riskante Körperbewegung fingiert werden. Die inhaltliche Funktion des objektiven Unrechtstatbestandes steht dem aber nicht entgegen. Die Notwendigkeit einer präzisen Beurteilung der Verhaltensgefährlichkeit selbst in Randbereichen zwingt vielmehr dazu. Um das strafrechtlich missbilligt (lebens-)gefährliche Verhalten umfassend abwehren zu können, muss das Verbot schon zum Zeitpunkt des tauglichen Versuchs ansetzen. Weil dazu auf das innerpsychische Handlungsprojekt nur einer Person abgestellt und keine Prüfung der Verhaltensgefährlichkeit aus unterschiedlichen Perspektiven vorgenommen wird, drohen keine Wertungswidersprüche. 1102
1101 1102
Siehe Kapitel 1: C.II.3. und Kapitel 1: C.II.4., S. 81. Kapitel 1: F.II.1., S. 127.
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III. Der Risikobegriff im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr Die behördliche Gefahrenabwehr dient nicht nur dem Schutz von Rechtsgütern, sondern erfüllt außerdem eine Befriedungsfunktion. Damit Konflikte zwischen den Bürgern im Eilfall ohne Beteiligung der Gerichte geschlichtet werden können, müssen die Behörden eine für die streitenden Parteien verbindliche Entscheidung treffen und durchsetzen können. Auf der anderen Seite soll der Bürger nicht durch den prinzipiellen Ausschluss seiner Selbsthilferechte im Falle staatlicher Präsenz rechtlos gestellt werden. Zum Ausgleich zwischen dem gesamtgesellschaftlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Friedensordnung und dem Anspruch des einzelnen Bürgers, nicht rechtswidrig von einem Gewaltmonopolisten bevormundet zu werden, müssen die materiellen Voraussetzungen behördlicher Ermächtigungen zur Gefahrenabwehr objektiv ex ante geprüft werden. Gegen rechtswidriges Verhalten der Behörde darf der Bürger sich auf seine zivilen Notrechte berufen. Rechtswidrig verhält die Behörde sich aber nicht schon, wenn die materiellen Voraussetzungen ihrer Ermächtigungsgrundlage und insbesondere Risiken in Wirklichkeit nicht vorliegen, sondern erst dann, wenn das Fehlen dieser Umstände aufgrund des gemeinsamen Wissens eines gedachten sorgfältigen und des eingreifenden Amtswalters erkennbar gewesen ist. 1103 Bei diesem Kenntnisstand handelt es sich um eine Metapher für das Behördenwissen. Das Gefahrenabwehrrecht wählt durch seine Aufgabenzuweisungsnormen bestimmte Behörden aus und reglementiert ihr Verhalten durch Befugnisnormen. Eine Steuerung des Verhaltens der zuständigen Behörde ist nur insoweit möglich, als ihr die entsprechenden Kenntnisse zur Verfügung stehen. Das Behördenwissen wird – entsprechend dem zu § 48 IV VwVfG entwickelten Begriff – als das Wissen aller Sachbearbeiter der maßgeblichen internen Organisationseinheit zuzüglich des Inhaltes ihrer präsenten Akten definiert. 1104 Auf das Wissen eines verbeamteten objektiven Dritten kommt es dabei nicht an. Eine Behörde ist als solche handlungsunfähig und muss durch ihre Mitarbeiter vertreten werden, deren Eingreifen auch einen Straftatbestand erfüllen kann. Das Rechtsverhältnis zwischen der Behörde und einem durch ihre Maßnahme belasteten Bürger ist zu unterscheiden von der rechtlichen Beziehung des Amtswalters (als Bürger) zu dieser Person. Wegen dieser Kontexttrennung schließt das Fehlen einer behördlichen Ermächtigung nicht die Rechtfertigung einer Straftat „im Amt“ durch zivile Notrechte aus. 1105 Besteht eine Befugnis der Behörde und übt der Amtswalter sie als ihr Vertreter aus, kommt es zu einer Überlagerung 1103 1104 1105
Zur Notwendigkeit der objektiven ex ante-Betrachtung Kapitel 2: A., S. 137. Kapitel 2: B., S. 141. Kapitel 2: C.I., S. 144.
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der Rechtsverhältnisse Behörde zu Bürger und Bürger zu Bürger. Im Rahmen dieser Kontextüberschneidung wird das straftatbestandsmäßige Verhalten des Amtswalters gerechtfertigt. Die Prokura des Amtswalters vermag lediglich durch Außenrechtssätze eingeschränkt zu werden. 1106 Mit dem Gebrauch seiner nach Außen nicht beschränkten Vertretungsberechtigung macht er sich intern zuständig, selbst wenn die innerbehördliche Aufgabenverteilung anders geregelt wurde. Das Wissen des für die Behörde wirksam auftretenden Beamten wird ihr daher immer zugerechnet. Die behördliche Befugnis greift ein, wenn der Anknüpfungssachverhalt der Ermächtigungsgrundlage vorliegt oder sein Fehlen selbst aufgrund des gemeinsamen Wissens der zuständigen Mitarbeiter und ihrer präsenten Akten unerkennbar gewesen ist. Diese objektive ex ante-Prüfung aller materiellen Voraussetzungen der Gefahrenabwehrbefugnis – und damit auch von Risiken – betrifft die Rechtfertigung des Verhaltens von Behörde und Amtswalter gleichermaßen. Bei der Prüfung von dessen Strafbarkeit gelangt sie in den objektiven Unrechtstatbestand, was jedoch nur in formeller Hinsicht gegen das Gebot der Trennung von objektiv und subjektiv im Unrecht verstößt. Die objektive ex ante-Betrachtung bezweckt gerade eine rechtmäßige Durchsetzung der vom Amtswalter für die Behörde getroffenen Entscheidung. Daneben sind – objektiv ex post zu prüfende – zivile Notrechte betroffener Bürger und damit Friktionen aufgrund einer reduzierten Sachverhaltsverwertung ausgeschlossen. 1107
IV. Riskante Äußerungen Probleme bereitet das Risikourteil ferner, wenn in zurechenbarer Weise eine fehlerhafte Gefahrvorstellung erzeugt, etwa jemand mit einer Scheinwaffe bedroht wird und er sich daraufhin im Erlaubnistatbestandsirrtum zur Wehr setzt. 1108 Die verschiedenen Formen des irrtumsauslösenden Verhaltens wurden als riskante Äußerungen bezeichnet. Um ein durch sie herbeigeführtes Abwehrverhalten bereits objektiv zu rechtfertigen, könnte man die Voraussetzungen der Notwehr und gegebenenfalls des Defensivnotstands – auf der Grundlage einer vorherigen Zurechnung des Erlaubnistatbestandsirrtums zum Eingriffsopfer – entweder objektiv oder subjektiv ex ante prüfen. Die (nur) so funktionierenden Modelle von Erb und Jakobs erklären jedoch nicht die Beziehung ihrer Form der Irrtumsprivilegierung zu diesen speziellen Notrechten. Zudem lassen sich ihnen keine Begrenzungen entnehmen, so dass, falls dies objektiv beziehungsweise subjektiv ex ante geboten ist, selbst die Tötung des Täuschenden gerechtfertigt würde. 1109 Zivile Notrechte 1106 1107 1108 1109
Kapitel 2: C.II., 148. Kapitel 2: D., S. 151. Siehe zu den einzelnen Konstellationen Kapitel 3: A.I., S. 154. Eingehendere Analyse und Kritik in Kapitel 3: A.II. und Kapitel 3: A.III., S. 157.
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setzen zudem eine Rechtsgüterkollision voraus, die durch den Untergang eines dieser Interessen aufzulösen ist. Sie greifen daher nur ein, wenn ein Rechtsgut objektiv ex post in Gefahr ist. Viele riskante Äußerungen dürften zwar gemäß §§ 240, 241 strafbar sein, so dass eine solche Rechtsgutsgefährdung zunächst nahe liegt. Die Nötigung schützt die Verhaltensfreiheit vor einer durch Zwang und gegebenenfalls Täuschung herbeigeführten Selbstschädigung. In den Fällen riskanter Äußerungen vermag das vom Täter in Aussicht gestellte Übel nicht realisiert zu werden, weshalb die Wahrnehmung des Notrechtes nicht erforderlich ist. Es genügt „schlicht“, dem Willen des Täters zu widersprechen. Die zur Notrechtsbegründung ferner angeführte Willensfreiheit ist kein selbständiges Rechtsgut, sondern beschreibt – die als solche notrechtsunfähigen – Bedingungen der wirksamen Verfügung über ein davon zu trennendes Rechtsgut wie etwa die Verhaltensfreiheit. 1110 Durch § 241 wird die gesamtgesellschaftliche Geltungskraft der im jeweiligen Verbrechenstatbestand enthaltenen Verhaltensnorm als Muster für die Orientierung des eigenen und für die Kalkulation fremden Verhaltens geschützt. Hierbei handelt es sich um ein sekundäres Rechtsgut, dessen Schutz exklusiv den staatlichen Strafverfolgungsorganen übertragen ist. 1111 Deshalb begründet selbst die Strafbarkeit einer riskanten Äußerung gemäß §§ 240, 241 keine notrechtsfähige Rechtsgutsgefährdung. In den Fällen riskanter Äußerungen ist dennoch eine über die Rechtsfolgen des Erlaubnistatbestandsirrtums hinausgehende Privilegierung des Getäuschten angezeigt. Diese kann entweder auf einer ersten Ebene durch objektive Rechtfertigung des überflüssigen Abwehrverhaltens eingreifen oder aber auf einer zweiten Ebene der Gegen-Gegen-Rechte des Täuschenden. Beide Modelle werden durch die im Zivilrecht gebräuchliche Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“ inhaltlich untermauert: Wer durch sein Verhalten das Vertrauen in eine bestimmte Sachlage hervorruft, der muss sich daran festhalten lassen. 1112 Auf dieser Grundlage könnten die Gebotenheit der Notwehr des Täuschenden gegen eine rechtswidrige Verteidigung des Getäuschten sowie die Angemessenheit in § 34 S. 2 ausgeschlossen werden. Eine umfassende Beschränkung der Notrechte scheitert aber beim Defensivnotstand gemäß § 228 BGB am Wortlaut der Norm. Problematischer ist jedoch, dass der Getäuschte sich durch das Abwehrverhalten wegen einer Fahrlässigkeitstat strafbar macht, wenn sein Erlaubnistatbestandsirrtum ihm vermeidbar ist. Um das zu verhindern, sollen die Auswirkungen der riskanten Äußerung bereits auf der ersten Ebene durch eine objektive Rechtfertigung berücksichtigt werden. 1113 1110 1111 1112
Kapitel 3: B.I., S. 163. Kapitel 3: B.II., S. 171. Ihre Anwendung im zivilrechtlichen Kontext wird in Kapitel 3: C.I., S. 178 darge-
stellt. 1113
Kapitel 3: C.II., S. 181.
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Dazu wird eine Idee aus der zivilrechtlichen Literatur aufgegriffen, derzufolge eine Lozierung des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens in der Einwilligungslehre möglich ist. Nach der Willensrichtungstheorie basiert die Einwilligung im Strafrecht auf der inneren Zustimmung des Rechtsgutsinhabers. Da sie sich auf das für die eigenen Rechtsgüter gefährliche fremde Verhalten bezieht, ist sie strukturell mit dem (Unrechts-)Vorsatz vergleichbar. Wer sich riskant äußert und etwa eine Scheinwaffe auf eine andere Person richtet, wird jedoch in den seltensten Fällen eine bestimmte Gegenwehr erwarten, so dass sich aus der Einwilligung selbst zumindest keine abschließende Lösung des Problems entwickeln lässt. 1114 Deshalb wurde die Einwilligungslehre im Randbereich untersucht. Die Einwilligung wird bei Vorliegen einer entsprechenden Willenserklärung fingiert. Zu klären war, ob dazu neben der objektiven Willensäußerung die subjektive Erkennbarkeit des Erklärungsinhaltes als subjektives Merkmal erforderlich ist. Bei dieser Frage handelt es sich um das Kernproblem der Willenserklärungen sowohl im Zivil- und als auch im Strafrecht. Im zivilrechtlichen Kontext streitet man zwar darüber, ob die Willenserklärung das Erklärungsbewusstsein, also das Wissen des Erklärenden voraussetzt, dass sein Verhalten als rechtlich erhebliche Erklärung verstanden werden kann. Weil sich dieses Bewusstsein praktisch immer auf einen bestimmten Bereich von Geschäften bezieht, führt es regelmäßig zur Erkennbarkeit des konkreten Geschäfts. Daher kann das Erklärungsbewusstsein als typisierte individuelle Geschäftserkennbarkeit verstanden werden. Es verbleibt für beide Rechtsgebiete die Wertungsfrage, ob dem Erklärenden der konkrete Inhalt seiner Erklärung – im Einzelfall oder typischerweise – persönlich erkennbar sein muss. 1115 Die Notwendigkeit eines entsprechenden inneren Tatbestandes der Willenserklärung ergibt sich aus der Vermittlung zwischen den gegenläufigen Prinzipien des Verkehrsschutzes durch Vertrauensschutz und der Selbstbestimmung. 1116 Stimmen also der wirkliche und der erklärte Wille nicht überein, ersetzt man die Einwilligung durch eine Einwilligungsfiktion, soweit der Erklärungsinhalt dem Erklärenden persönlich erkennbar ist. Die Rechtsfolge der Einwilligung wird nicht dadurch begründet, dass der Rechtsgutsinhaber den Eingriff will, sondern dadurch, dass er sich so behandeln lassen muss, als ob er ihn will. Aber auch mit diesem Rechtfertigungsgrund lassen sich die riskanten Äußerungen nicht adäquat berücksichtigen. Wer eine Bank mit einer ungeladenen Pistole überfällt, der gibt kaum zu verstehen, dass er mit einer Verletzung seiner Person einverstanden ist. Er will diese im Gegenteil vermeiden. Die Fiktion der Einwilligung muss deshalb für die riskanten Äußerungen anhand der Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“ erweitert werden. 1117 1114 1115 1116
Kapitel 3: C.III., S. 186. Kapitel 3: C.IV.2., S. 194. Kapitel 3: C.IV.3., S. 198.
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Wer also den Anschein eines Sachverhaltes hervorruft, aufgrund dessen das für ihn gefährliche Verhalten der getäuschten Person gerechtfertigt wäre, der kann sich nicht auf das tatsächliche Fehlen einer Gefahr berufen. Man fingiert daher seine Einwilligung und rechtfertigt diejenigen Abwehrmaßnahmen, welche auf der Grundlage des von ihm geäußerten und von dem Adressaten geglaubten Sachverhaltes zulässig wären. Wer in eine Gefährdung (fiktiv) einwilligt, ist nicht im Sinne der Notrechte in Gefahr. Insofern entfaltet die Einwilligungsfiktion zusätzlich eine Sperrwirkung für seine Notrechte sowie die akzessorische Not(stands)hilfe. Da die riskante Äußerung als – normativ ergänzte – Einwilligungsfiktion gedeutet wird, muss ihrem Urheber der Inhalt persönlich erkennbar sein. Gegenstand der Erkennbarkeit ist nicht das ihm drohende Abwehrverhalten, sondern die von ihm suggerierte unwirkliche Gefahrenlage, an der er sich festhalten lassen muss. Wie bei der allgemeinen Einwilligungsfiktion sichert die Voraussetzung ein Minimum an Vermeidbarkeit und damit die Selbstbestimmung des Äußernden. Das erlaubt es, ihn gemäß der Maxime „venire contra factum proprium nulli conceditur“ an seinem Verhalten festzuhalten und das Institut – in Ermangelung einer Rechtsgüterkollision – formell der Einwilligung beziehungsweise ihrer Fiktion zuzuordnen. 1118 Das Strafgesetzbuch beschränkt durch die §§ 216, 228 die Disponibilität des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit. Eine dem Prinzip der Selbstbestimmung mitverpflichtete Einwilligungsfiktion ist grundsätzlich nur insoweit zulässig, als auch eine inhaltsgleiche Einwilligung zulässig wäre. Die Sittenwidrigkeit gemäß § 228 wird durch eine objektive Unverständigkeit der Körperverletzung als abstraktem Autonomiedefizit begründet und hauptsächlich durch eine Abwägung zwischen Eingriffsintensität und -ziel bestimmt. In Orientierung an § 138 BGB lassen sich Zwangsmomente, die den Rechtsgutsinhaber belasten, als zusätzliche Abwägungspositionen berücksichtigen. Die Einwilligungsfiktion aufgrund riskanter Äußerungen enthält – wie auch die schlichte Einwilligungsfiktion aufgrund Willenserklärung – Strukturelemente des Vertrauensgrundsatzes. Dieser lässt sich als ein weiterer in die Abwägung zur Bestimmung des erlaubten Risikos eingestellter Wert skizzieren, der eine reibungslose Koordinierung der Verhaltensweisen verschiedener Menschen gewährleisten soll. Im Kontext der Einwilligungsfiktion aufgrund riskanter Äußerungen werden dadurch Hemmnisse für die Gefahrenabwehr ausgeschaltet. Die spezielle Beschränkung der Sittenwidrigkeit folgt aus dem nun umgekehrt vom Rechtsgutsinhaber – durch die riskante Äußerung – angewandten Zwangsmoment. Diese nachdrückliche Umsetzung einer Entscheidung spricht zumindest abstrakt für deren Autonomie und lässt auch gravierendere Körperverletzung als noch nicht unverständig erscheinen. Daher vermag ein Pistolenschuss ins Bein zwar nicht 1117 1118
Kapitel 3: C.V., S. 203. Zur Einwilligungsfiktion nach Maßgabe der Notrechte Kapitel 3: C.V.1., S. 204.
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durch bloße Einwilligung, wohl aber durch die Einwilligungsfiktion aufgrund einer riskanten Äußerung gerechtfertigt zu werden. 1119 Die Einwilligungsfiktion basiert auf der Erregung eines Erlaubnistatbestandsirrtums durch eine mindestens fahrlässige Täuschung. Die strukturellen Übereinstimmungen der riskanten Äußerungen mit dem Betrugstatbestand (§ 263 I) erlaubten weitere Präzisierungen durch eine vergleichende Erörterung. 1120 Als Täuschung – im Sinne sowohl des § 263 I als auch einer riskanten Äußerung – kommen Verhaltensweisen in Betracht, welche auf das Vorstellungsbild eines anderen Menschen einwirken, selbst wenn der Täuschende sich dabei nicht zu erkennen gibt. 1121 Das Risiko einer Fehlentscheidung muss derjenige tragen, der es zurechenbar hervorgerufen hat, so dass weder die leichte Vermeidbarkeit des vollständigen Irrtums noch eine alternative Sachverhaltsvorstellung das Irrtumsmerkmal berühren, es sei denn, die Zweifel sind ohne Nachteil zu beseitigen. 1122 Die Irrtumszurechnung wurde entsprechend der Lehre von der objektiven Zurechnung skizziert. 1123 Es war eine Normativierung des Täuschungsbegriffs erforderlich. 1124 Die Täuschung setzt die Verletzung einer (un-)bedingten 1125 Wahrheitspflicht voraus. Ihr Inhalt muss eine Bedrohung für die als schutzwürdig angesehene, potentielle Basis einer rationalen Entscheidung des Adressaten darstellen. Zu dieser Entscheidungsbasis gehören im Kontext des Betruges entsprechend § 119 II BGB verkehrswesentliche Eigenschaften und im Kontext der riskanten Äußerungen der gesamte Sachverhalt, der einem (zumindest gedachten) Unrechtstatbestand subsumiert werden könnte. Wenn aber der Adressat – etwa zur Wahrung der Gleichberechtigung von Frauen (Art. 3 II GG) oder zum Schutz der Religionsausübung (Art. 4 GG) – bestimmte Umstände bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen darf, werden diesbezügliche Annahmen nicht geschützt. 1126 Ein Betrug kann – nach einer verbreiteten Terminologie – wegen der „Behauptung wahrer Tatsachen“ und eine riskante Äußerung wegen der „Behauptung eines ungefährlichen Sachverhaltes“ angenommen werden. Die eigentliche Schwierigkeit dieser Konstellationen liegt in der Doppeldeutigkeit der Tatsachenbehauptung. Wie ein objektiver Dritter das täuschende Verhalten verstanden hätte, ist nach der Maxime „falsa demonstratio non nocet“ unbeachtlich. Ihr zufolge können 1119
Kapitel 3: C.V.2., S. 207. Siehe zur Irrtumserregung durch Täuschung im Kontext von Betrug (§ 263 I StGB) und riskanten Äußerungen Kapitel 3: C.V.3., S. 216. 1121 Kapitel 3: C.V.3.a), S. 217. 1122 Kapitel 3: C.V.3.c)dd), S. 234. 1123 Kapitel 3: C.V.3.c), S. 224. 1124 Kapitel 3: C.V.3.c)aa), S. 225. 1125 Kapitel 3: C.V.3.c)bb), S. 227. 1126 Kapitel 3: C.V.3.c)cc), S. 230. 1120
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die kommunizierenden Personen nicht nur den Inhalt der Kommunikation, sondern darüber hinaus auch die Methode seiner Ermittlung, also die zwischen ihnen geltenden Regeln der perspektivischen Sachverhaltsermittlung und Bedeutungszuschreibung gemeinsam festlegen. Die zum Teil für unabdingbar gehaltene Täuschungsabsicht erfasst nur den Grundfall, dass der Täter sich für das nicht der Wahrheit entsprechende Verständnis des Opfers ausdrücklich entscheidet. So muss sich aber auch behandeln lassen, wer weiß oder erkennen kann, dass ein Anderer ihn in einer bestimmten Weise verstehen wird, und dieser daraufhin die Erklärung genau so versteht. Das ist immer der Fall, wenn der Irrtum durch eine vorsätzliche oder fahrlässige Einwirkung auf das Vorstellungsbild erregt wurde. Die Perspektive des objektiven Dritten ist somit auch im Kontext der riskanten Äußerungen entbehrlich. 1127 Das Modell einer Einwilligungsfiktion aufgrund riskanter Äußerung prüft den Erlaubnistatbestandsirrtum des Täters schon im objektiven Rechtfertigungstatbestand und verstößt damit gegen das formelle Gebot der Trennung von objektiven und subjektiven Unrechtsmerkmalen. Notrechte zugunsten des sich riskant Äußernden sind jedoch ausgeschlossen. Er wird behandelt, als habe er in das tatbestandsmäßige Verhalten eingewilligt und ist daher nicht im Sinne der Notrechte in Gefahr. Das Modell einer Einwilligungsfiktion aufgrund riskanter Äußerung führt deshalb nicht zu inhaltlichen Unstimmigkeiten. 1128
1127 1128
Kapitel 3: C.V.3.b), S. 218. Kapitel 3: D., S. 236.
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Sachwortverzeichnis actio libera in causa 121, 181 Adäquanztheorie 27 – 29, 224 Adressatenproblem 93 adspektiv 34 Aggressivnotstand 103 – 106 aliud-Verhältnis 32 Alternativmodell 157 –160, 177, siehe Konkurrenzmodell Amtsdelikt, eigentliches 147 f. Amtswalter, sachkundiger 138, 141, 148, siehe Behördenwissen Anfechtung 171, 194, 199 – 202 Angriff 127 – 133 – fahrlässiger Versuch 131 – Fortdauern 156, 161, 206 – gegenwärtiger 131, 160 – rechtswidriger 102, 109 – Schulderfordernis 108 f. – strenge Versuchslösung 132 Anschein siehe Gefahr, Störer Ansetzen, unmittelbares 33, 130 Appendektomie 209 Argumentationslastregel 241 Arzt 36, 98, 187, 209 Assistent 43, 210 Aufgabenzuweisungsnorm 136, 141 Aufopferungsanspruch 104, 111 Aussageerpressung 165 Außenrechtssatz 150 Äußerung, riskante 154 – Einwilligung 189 – Einwilligungsfiktion 204 – Erlaubnistatbestandsirrtum 206, 217 – Erlaubnistatbestandszweifel 235 – fahrlässige Täuschung 206 f., 216, 236 – konkludente 206
– Meinungsstand 157 –160 – Unterlassen 223 f. Äußerungsdelikt 173, 217 Autofahrer 38, 45, 72, 128, 189, 212, siehe Garantenstellung – schreckhafter 76 Automatismus 128 Autonomie – Demonstration 216 – Erweiterung durch Willenserklärung 192 – Privatautonomie 200 –202 – Rechtsgutsqualität 163, 170 Autonomiedefizit 213 –216 Autonomieprinzip 104 –106, 231 Bedeutungszuschreibungsregel 221 –223 Befriedungsfunktion 152, 243 Begehungs-Unterlassungs-Delikt 124 Begriffsökonomie 99 –101 Behördenwissen 141 –143, 151 f. Bergwanderer 112 Bestimmungsnorm siehe Verhaltensnorm Bestrafungsmonopol 175 Beteiligungsversuch 174 Betrug – mittelbare Täterschaft 228 – Schweigen 168 – Unterlassen 168 –170 Bewertungsnorm 91 Biologiestudent 41, 77 Blankettstrafgesetz 135 Bombe 226, 234 Boxer 203 Casting 191 casum sentit dominus 104
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Sachwortverzeichnis
Chirurg 98 Contergan 64 Defensivnotstand 103 – 106, 133, 139 – entgrenzter 107 – 109, 128 Denkgesetz 35 determinierte Bereiche 65 – 69 Determinismus 28, 58 Diagnose 28, 34 Diebstahl, räuberischer 120 f. Differenzurteil 29 – 32 Disziplinarmaßnahme 147 dolus antecedens vel subsequens 119 –122 Duldungsverfügung, konkludente 139 Eigenschaft, verkehrswesentliche 232 Eingriffsbefugnis – behördliche siehe Ermächtigungsgrundlage – private 85 Einheit der – rechtlichen Wertungsmaximen 143 – 150, 194, 232 – Rechtsordnung 143, 149, 194, 232 einverständliche Fremdgefährdung 189 f. Einwilligung 186, 190, 193 – fahrlässige 188 – Fiktion 177 – 238 – mutmaßliche 193, 202, 208 – Surrogat 193, 200, 202, 208 Empfängerhorizont, objektiver 197, 219, 221 Entscheidungsalternative 164 – 166 Erfahrungssatz 35 – allgemeinkundiger 37 – Gesamterfahrungssatz 69 – strikter 68 – 70 – zeitliche Gültigkeit 71 f. Erfolg – Enderfolg 169 – Gefahrerfolg 30, 62 f. – konkrete Gestalt 187 – Zwischenerfolg 168 – 170, 228, 235 Erfolgsgefahr 30
Erkennbarkeit siehe Fahrlässigkeit – individuelle 88 –90 – objektive 50 –54 – Vorsatz 78, 89, 109 Erklärungsbewusstsein 195 –197 Erklärungsempfänger 166, 197 f., 219, 221 Erlaubnistatbestandsirrtum 48, 50, 88, 185, siehe Äußerung – umgekehrter 49 Erlaubnistatbestandszweifel 49, 235 Ermächtigungsgrundlage 136 – formelle Voraussetzungen 141 – materielle Voraussetzungen 137 –141, siehe Behördenwissen – zivile Rechtfertigung 148 –150 Erpressung 123, 162 – Aussageerpressung 165 – räuberische 155, 177 – Rechtsgut 166, 170 – Unterlassen 168 ex nunc/tunc-Wirkung 125, 199 –202 Fähigkeit 43 – Sonderfähigkeit 43 f. Fahrlässigkeitsschuld 33, 45 f., 49 f. Fahrlässigkeitstatbestand 32 f., 52 –54, 88 – 90 Fahrlässigkeitstatbestandsirrtum 77 falsa demonstratio 218 –224 Fertigkeit 43 Festnahmerecht 124 –126 finales Tätigkeitswort 79, 117 f. Finalität, unbewusste 130 Flucht ins Privatrecht 178 Forscher 43 Freiheit, gespeicherte 202 Fremdgefährdung, einverständliche 189 f. frugales Mahl 219 Fundamentalist 226 Garantenpflicht 105 – Wahrheitsgarantenpflicht 231 Garantenstellung 105
Sachwortverzeichnis – – – –
Amtsträgereigenschaft 147 Autofahrer 111 Festnahme 125 Ingerenzgarantenstellung 105, 111 – 114, 133 – Verantwortung für eigenen Körper 134 Gefahr – als Urteil 30 – als Zustand 30 – Anscheinsgefahr 137, 139 – Putativgefahr 137 Gefährdungsdelikt 57 – 59 – abstraktes 53, 169 – konkretes 30, 112 Gefährdungsverbot 92 Gefahrenabwehr – Behörde 136, 141 – Primärebene 138 – Sekundärebene der Kostenzuordnung 138 – staatliche 135 – 152 Gefahrerfolg 30, 62 f. Gefahrverringerung 31 Generalprävention, positive 97, 172, 174 Gesamterfahrungssatz 69 Geschäftserkennbarkeit 194 – 202 – (typisierte) individuelle 197 Geschäftswille 195 – 197 Gewaltmonopol 137 Graduierbarkeit des Risikobegriffs 68, 70 Grundverfügung, hypothetische 140 Handlungsbegriff siehe Verhalten Handlungserlaubnis 85 Handlungsmerkmal 21 Handlungsprojekt 129 – 133 Handlungsstörer siehe Störer Handlungswille 195 – 197 Heisenberg 66 homunculus normalis 75 Homunkulus 73, siehe Maßfigur – dummer 64 in dubio pro reo 39, 125
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Individualrechtsgut siehe Rechtsgut Ingenieur 38 f., 42, 46 –50 Ingerenz siehe Garantenstellung Innenrechtssatz 150 Irrtum – des objektiven Dritten 38 –41 – Erlaubnistatbestandsirrtum 48, 50, 88, 185, siehe Äußerung – Erregung durch Täuschung 216 –236 – Fahrlässigkeitstatbestandsirrtum 77 – umgekehrter Erlaubnistatbestandsirrtum 48 f. – Zurechnungstatbestandsirrtum 77 Irrtumshaftung 159 f. Irrtumsherrschaft 119 Irrtumsprivileg 137, 154, 158, 160, 162 Irrtumsrisiken, Verteilung 157 f., 185, 198 Irrtumsrisiko, Übernahme 231 Irrtumszurechnung 159 – normative 224 –236 Jedermannsermächtigung, Jedermannszuständigkeit 145 Kausalgesetz – allgemeines 68 – striktes 67, 70 Kellner 41, 77 Kenntnis 22 Kernreaktor siehe Ingenieur Knüppelschlag 139 Koinzidenzprinzip 118 –122 Kollektivrechtsgut 163 Konfliktlösung, staatliche 140 Kongruenz 45, 87 Konkurrenzlösung siehe Zueignung Konkurrenzmodell 85 –90 – Einwände 90 –115 Kranzgeld 182 Laplace’scher Dämon 67 Lederspray 114 Leichtfertigkeit 64 Liebhaberinteresse 225, 230
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Sachwortverzeichnis
Maßfigur 19 – Beispiele 36 – differenzierte 73 – Unbestimmtheit 74 – 76 Maßregel 98 – 102 Menschenraub 123 Metaregel 96 Metaverhaltensnorm 174, 176 Mindestbedingungsgesetz 68 miteinander ringen 83 f., 137 f., 152, 238 Nachbar 112 f., 119, 173, 205, 226, 234 f. Naturalismus, unkritischer 227 Naturalrestitution 111 Naturgesetz 71 f. Nichtstörer siehe Störer nomologisch siehe Prognose Normvertrauen 173 f. Nötigung 120 f., 164 f., 228 – Rechtsgut 165 f., 170 – Wählernötigung 167 Notrechtsvorbehalt 144 – 148 Notstand 103 – 106 – Defensivnotstand 133, 139 – entgrenzter Defensivnotstand 107 –109, 128 – gegen Notstand 83 Notwehr 106 – 109 – gegen Notwehr 22, 81 – 83 – individualrechtliche Interpretation 107 – 109 Notwehrexzess 185 Notwehrprobe 98, 102 notwehrspezifisches Modell 157 f., 160 – 162 objektiv – ex ante 27 – 56 – ex post 56 – 72 objektiver Dritter siehe Maßfigur Obliegenheit 178, 229 – Prüfobliegenheit 236 ontologisch siehe Prognose
Panzergrenadier 122 Personenkreis – angesprochener 221 – unbestimmter 207, 221 Persönlichkeitsrecht 163, 170 Pflicht, kategorische und hypothetische 229 Pleonasmus 34, 131, 160 plus-minus-Verhältnis 32 Porsche 235 Prinzip der Verantwortung oder Veranlassung 158 –160, 161 f., 176 Privatautonomie 200 –202 Privatkopie 126 Prognose 34 – Basisdifferenzierung 36 –38 – ex-ante-Prognose 34 – nomologische Basis 35, 71 f. – objektiv-nachträgliche 22, 28 – ontologische Basis 35, 70 f. Prognoserisiko, wirtschaftliches 231 Prokura 150 prospektiv 34 protestatio facto contraria 203 f. Psyche – Opferpsyche 156, 158, 161 –163, 170, 176, 187, siehe Willensrichtungstheorie – Täterpsyche 28, 78, 87, 117, siehe Trennungsgebot, formell Putativgefahr 137 Radfahrer 39 Randunschärfe 132, 201 Raub 120 Reaktor siehe Ingenieur Rechtsbewährung 106, 108 rechtsfreier Zeitraum 125 Rechtsgut – Individualrechtsgut 163, 170, 193, 227 – Kollektivrechtsgut 163 – primäres 210, siehe sekundäres – sekundäres 171 –176 Rechtsmissbrauch 177 f., 183 Rechtspflege 165
Sachwortverzeichnis Rechtstreue 173 Rechtswidrigkeitsbegriff – einheitlicher 84 – strafrechtlicher 140 Reflex 128, 133 Relevanzzusammenhang 100 – anterograder 101 f. – retrograder 100 f. retrospektiv 34 Rettungsassistent 74 Richtigbezeichnung, objektive 222 Risiko siehe Gefahr Risikoerhöhungstheorie 39, 42, 51, 57, 220 Risikorealisierung 39 f., 51 f., 216, 220, siehe Zurechnungszusammenhang Rotamint-Glücksspielautomat 217 Sachverhaltsermittlungsregel 223 Sanktionsnorm 95, 97, 165, 172 f. Scheinwaffe 154 –159, 177, 185, 204, 206, 210, 236 Schlafwandler 133, 158 f., 205 f. Schmetterlingseffekt 66 Schrankentrias 108 Schuldtheorie, eingeschränkte 48, 50, 53, 88, 92, 112, 120 Schwangerschaft 64, 225, 233 Sekunde, juristische 63 Selbstbestimmung 198 – 202, 207 f. Selbstverwaltung 104 Selbstvollzug 173, 216 Selbstschädigung – irrtümliche 119 – mittelbare 237 – unfreiwillige 171, 205, 227 f. – Vermögensselbstschädigung 227 Selbstschädigungsdelikt 166 – 171 – mittelbare Täterschaft 170 Simultanitätsprinzip siehe Koinzidenzprinzip Sittenwidrigkeit 177, 182, 207 – 216 Solidarität 104, 106 f., 128 Somnambulismus 158
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Sonderfähigkeit 43 f. Sonderopfer 125, 138, 159 Sonderunwissen 89 Sonderverkehrskreis 75, 77 Sonderwissen 41 f., 54, 56, 76 f., 79 – beschränkte Rechtfertigung 83 – unsicheres 47 – unterschiedliches 81 Sorgfaltspflicht 32 f., siehe Fahrlässigkeitstatbestand – virtuelle 42 Standardermächtigung 136 Störer – Anscheinsstörer 138 f. – Anscheinsverhaltensstörer 138 – Nichtstörer 103, 111, 138, 145, 175 – Verhaltensstörer 103, 145, 175 – Zustandsstörer 103, 145, 175 strafrechtliche Theorie 145 Straftatlehre, personale 96 subjektiv ex ante 22, 87, 90, 96, 154 f., 162 Superkategorie 96 Systembruch 76 –78, 80, 151 f. Systemökonomie 188 Tat, rechtswidrige 99 Tatbestand, innerer siehe Willenserklärung Tatbestandslösung siehe Zueignung Tatbestandswirkung 200 Täterschaft, mittelbare 119, 170, 228 Tätigkeitswort, finales 79, 117 f. Tatsachen 35 – Transformierung in Erfahrungssatz 63 – 65 – zukünftige siehe Verwertungsverbot Täuschung – arglistige 232 – Behauptung wahrer Tatsachen 219 – betrügerische 118, 217 f., 222, 225, 229 f. – fahrlässige siehe Äußerung – Irrtumserregung durch 216 –236 – normativer Begriff 224 –234
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Sachwortverzeichnis
– Unterlassen 224 – Wählertäuschung 167 Transformation siehe Tatsachen Trennungsgebot – formell 78 – 81, 117 – 126, 133 f. – inhaltlich 83 – 85 ultra posse nemo obligatur 94 Unbestimmtheit 74 – 76 Ungewissheit 59, 66 – 69, 236 Unrechtslehre – personale 90, 92, 96 – subjektive 22 Unrechtstatbestand, objektiver 83 –85, siehe Konkurrenzmodell Unschärferelation 66 Untrennbarkeitsthese 118 Unverständigkeit 210, 213 – 216 unvollkommen zweiaktige – Delikte 123, 126 – Rechtfertigungsgründe 123 – 126, 209 Unwissenheit, Kind unserer 67, 69 venire contra factum proprium 153, 203, 205, 207 – Strafrecht 181 –186 – Zivilrecht 178 – 181 Verbrechensaufbau – dreistufiger 48 – neoklassischer 91 Verbrechensfurcht 172, 176 Verfügungsgeschäft 194, 200 Verhalten – objektiver Begriff 133 f. – riskantes menschliches 127 – 133 – traditioneller Begriff 91, 128, 130 Verhaltensfolge 21 Verhaltensfreiheit 85, 145, 170 f., 205, 228 Verhaltensgefährlichkeit 29 – 32, 60 f. Verhaltensmerkmal 21, 30 f. Verhaltensstau 199 Verhaltensstörer siehe Störer Verhaltensbewusstsein 196 – potentielles 127, 130, 134
– sachgedankliches 130 Verhaltensnorm 91 –97, 171 –176, 194, 199 f., 229 – Metaverhaltensnorm 174, 176 Verkehrskreis 19, 36, 73 –76, 198 – Sonderverkehrskreis 75, 77 Verkehrsschutz 192, 198 –202 – durch Vertrauensschutz 199 Verletzungsverbot 91 Vermeidemotiv 51 Vermögensselbstschädigung 227 Verpflichtungsgeschäft 193 Versuch siehe Irrtum, umgekehrter – Beteiligungsversuch 174 – des objektiven Dritten 52 – fahrlässiger 131 – Rechtfertigung 110 – tauglicher 33 – untauglicher 156, 161, 173, 206 – Vollendung 33 Vertragsfreiheit 230 Vertrauensgrundsatz 199, 211 –216 Vertrauensschutz 142, 178, 192, siehe Verkehrsschutz Vertretungsberechtigung 151 Verwaltungsvollstreckung 139 Verwaltungsvorschrift 150 Verwertungsverbot 233 f. – Erfahrungssätze 71 – zukünftige Tatsachen 57 –65, 70 f. vis – absoluta 134, 164 – compulsiva 164 Vollrauschtatbestand 100 Vollzug – eigenhändiger 216 – mittelbarer 216 – Selbstvollzug 173, 216 – sofortiger 139 f. Vorzeichenwechsel 90 Wähler 167 Wahrheitsgarantenpflicht 231
Sachwortverzeichnis Wahrheitspflicht 227 – 234 Wahrscheinlichkeit 61 – an Sicherheit grenzende 39, 69 f. Wahrscheinlichkeitsdifferenz 30 f., 46 Wegnahme 117, 121 widersprüchliches Verhalten siehe venire Willenserklärung 190 –203, siehe Autonomie – fahrlässige 197 – innerer Tatbestand 194 – 202 Willenserklärungstheorie 186, 193 Willensfreiheit 122, 155, 158, 215 f. – Rechtsgutsqualität 163 – 171 Willensrichtungstheorie 187, 190 Wissen 22 – Behördenwissen 141 – 143, 151 f. – der Welt 56 Wissensherrschaft 119 Wissensvertreter 142 Wissenszurechnung 142 Wucher 165 f. Wurmfortsatz 209 Zeitlosigkeit 62 f. Zeitraum, rechtsfreier 125
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Zueignung 118, 120 f., 193 – Konkurrenzlösung 120 – Tatbestandslösung 120 f. Zurechnung – fremden Verhaltens 229 – Irrtumszurechnung 159, 224 –236 – konkreter Gefährdungserfolge 30, 111, 227 – objektive 20, 23, 29, 78, 191, 220, 225, 227 f. Zurechnungstatbestandsirrtum 77 Zurechnungszusammenhang 234 –236 Zuständigkeit siehe Garantenstellung – Jedermannszuständigkeit 145 – potentielle 151 Zuständigkeitsanweisung 150 Zuständigkeitsdefizit 159 Zuständigkeitsordnung, öffentlich-rechtliche 145 Zuständigkeitsregeln 152 Zustandsstörer siehe Störer Zweifel 67, 235 – Erlaubnistatbestandszweifel 49, 235 Zwischenerfolg 168 –170, 228, 235