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German Pages 261 Year 1973
Studien im römischen Recht
Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Hamburg Heft 65
Studien im römischen Recht Max Kaser zum 65. Geburtstag gewidmet von seinen Hamburger Schülern
Herausgegeben von
Dieter Medicus und Hans Hermann Seiler
DUNCKER
&
HUMBLOT
/
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
© 1973 Duncker & Humblot, Berlln 41
Gedruckt 1973 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlln 65 Printed In Germany ISBN 3 428 02915 1
Vorwort Am 21. 4. 1971 ist Max Kaser 65 Jahre alt geworden. Zudem hat er mit dem Ablauf des Sommersemesters 1971 seine Tätigkeit als akademischer Lehrer an der Universität Hamburg beendet. Der mit dem Seminar für Römisches Recht und Vergleichende Rechtsgeschichte verbundene Schülerkreis von Max Kaser hat beides zum Anlaß für den Versuch genommen, dem verehrten Lehrer wenigstens einen kleinen Teil des geschuldeten Dankes abzustatten: Angeregt und vorbereitet durch Hans Hermann Seiler, hat im Sommersemester 1971 ein Seminar mit Vorträgen der Schüler stattgefunden. Diese Vorträge sind in dem vorliegenden Band gesammelt. Dabei ist die Vortragsform durchweg beibehalten worden. Jedoch sind gegenüber der vorgetragenen Fassung die Ergebnisse der Diskussion und insbesondere die reichen Anregungen durch Max Kaser selbst berücksichtigt worden. Diese Sammlung soll weder eine Festschrift sein noch eine solche ersetzen. Denn eine Würdigung, die der hervorragenden und auch international vielfach anerkannten Bedeutung des Werkes von Max Kaser angemessen ist, wäre hier schon wegen der engen Begrenzung des Teilnehmerkreises und der Beschränkung auf Seminarvorträge unmöglich. Beabsichtigt ist vielmehr nur ein auch nach außen sichtbarer bescheidener Ausdruck des Dankes, den alle Mitarbeiter dieses Bandes dem Jubilar für vielfache anregende und geduldige Förderung schulden. Damit verbunden sei der herzliche Wunsch: Mögen Max Kaser noch viele Jahre erfolgreichen Schaffens vergönnt sein.
Dieter Medicus
Inhaltsverzeichnis Privatdozent Dr. Hans-Peter Benöhr, Hamburg Irrtum und guter Glaube der Hilfsperson beim Besitzerwerb
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Privatdozent Dr. Rolf Knütel, Hamburg Kauf und Pacht bei Abzahlungsgeschäften im römischen Recht ........
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Professor Dr. Dieter Medicus, Regensburg Der historische Normzweck bei den römischen Klassikern
57
Dr. Klaus Meffert, Hamburg Ulp. 8.5.6.4 - Die Beteiligung mehrerer Personen an der servitus oneris ..............................................................
83
Privatdozent Dr. Jens Peter Meincke, Hamburg Zur Anwachsung beim Prälegat. .......................................
95
ferendi
Professor Dr. Marianne Meinhart, Linz Die bedingte Erbeinsetzung des Haussohnes .......................... 111 Privatdozent Dr. Frank Peters, Hamburg Der Erwerb des Pfandes durch den Pfandgläubiger im klassischen und im nachklassischen Recht ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137 Professor Dr. Sandro Schipani, Sassari Zum iusiurandum in litem bei den dinglichen Klagen .................. 169 Professor Dr. Hans Hermann Seiler, Hamburg Zur Haftung des auftraglosen Geschäftsführers im römischen Recht .... 195 Privatdozent Dr. Andreas Wacke, Tübingen Die Rechtswirkung der lex Falcidia .................................. 209
Irrtum und guter Glaube der Hilfsperson heim Besitzerwerh Von Hans-Peter Benöhr 1. Die Frage, ob beim Besitzerwerb durch eine Hilfsperson der Irrtum und der gute Glaube der Hilfsperson oder ihres Geschäftsherrn beachtlich sind, gehört zu dem weiteren Bereich des Handeins mit Wirkung für andere. Die Beschäftigung mit diesem Problemkreis markiert das Wirken unseres Lehrers in Hamburg. Zu Beginn seiner Hamburger Tätigkeit hielt er die bisher nicht veröffentlichte Antrittsvorlesung über die Entwicklung der Stellvertretungl • Im letzten Jahr seines Unterrichts in Hamburg publizierte er seinen Vortrag "Zum Wesen der Römischen Stellvertretung"2. Diese übergreifenden Arbeiten haben auch die vorliegende Studie eines Detailproblems aus diesem Bereich angeregt.
2. Als gewaltabhängige Hilfspersonen, die für einen anderen Besitz zu begründen vermögen, kommen Sklaven und Haussöhne in Betracht. Als Hilfspersonen, die nicht unter fremder Gewalt stehen, sind die Prokuratoren anzusehen. Der Besitzerwerb durch Sklaven und Haussöhne ist im römischen Recht allgemein anerkannt3 • Die Kontroversen unter den römischen und den modernen Juristen betreffen nur mehr Einzelheiten. Umstritten war damals insbesondere, welche Personengruppen außer den eigenen Sklaven und Hauskindern zum Besitzerwerb für einen anderen fähig sind'. Die Auseinandersetzung geht heute vor allem um die Frage, ob der Besitzerwerb davon abhängig 1
Weitere neuere Arbeiten zur Geschichte der Stellvertretung: K. F. Ever-
ding, Die dogmengeschichtl. Entwicklung der Stellvertretung im 19. Jh., ungedruckte Münster. Diss. (1951) pass.; H. Bauer, Die Entwicklung des Rechtsinstituts der freien gewillkürten Stellvertretung, Erlang. Diss. (1963) pass.; Zanelli, St. Urbinati 32 (1963-64) 49 ff.; Wild, Zum Einfluß des allgemeinen
deutschen Handelsgesetzbuchs auf die Privatrechtsdogmatik, Die Entwicklung der gewillkürten direkten Stellvertretung, Saarbrücken. Diss. (1966) pass.; U. Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung und des Vertrages zugunsten Dritter (1969) pass. Z In Romanitas 9 (1971) 333 ff. mit dem in der ersten Anmerkung enthaltenen Versprechen, diese "bloße Skizze" bei späterer Gelegenheit näher auszuführen. - Zur Stellvertretung im römischen Recht s. auch die Darstellung bei Kaser, Röm. Privatrecht I, 2. Aufl. (1971) 260 ff. (im folgenden zit. als Kaser I). 3 Kaser I 392 f. 4 Beispielsweise war der Besitzerwerb durch die Ehefrau in manu und den fremden Haussohn in mancipio (Gai. 2,90), durch den Nießbrauchssklaven (Gai. 2,94) oder den flüchtenden Sklaven (Paul. D. 41,2,1,14) zweifelhaft.
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war, daß die Hilfsperson für ihr Pekulium oder mit Wissen des Gewalthabers handelte, oder ob der Besitzerwerb für den Gewalthaber auch ohne eine dieser Voraussetzungen wirksam war 5 • Die häufige und selbstverständliche Erwähnung des HandeIns für das Pekulium und die grundlegenden Ausführungen bei Paul. D. 41,2,1,5 und Pap. D. 41,2, 44,1 sprechen eher dafür, die Abhängigkeit des Besitzerwerbes von einer der beiden Voraussetzungen als klassisch anzusehen. In klassischer Zeit hat auch der Besitzerwerb durch einen gewaltfreien Prokurator Anerkennung gefunden6 • Ungeklärt ist bislang, ob auch in diesem Fall der Besitzerwerb an bestimmte Erfordernisse gebunden war7 oder nichts. Eine Reihe von Quellen läßt vermuten, daß der Geschäftsherr nur dann Besitzer wurde, wenn er zuvor selbst den Grund für den Besitzerwerb (beispielsweise durch den Abschluß eines Kaufvertrages) gelegt oder dem Prokurator ein Spezialmandat erteilt oder nachträglich dessen Geschäft genehmigt hatte. 3. Irrtum und guter Glaube anläßlich des Besitzerwerbes bezeichnen zwei vollkommen verschiedene Umstände. Der Irrtum bezieht sich als error in corpore - auf den Gegenstand selbst, dessen Besitz in Frage steht9 • Der gute Glaube betrifft nicht den Besitz, sondern das Eigentum an der Sache, die in Besitz genommen wird. Der Irrtum über den Gegenstand hat - wie sogleich zu zeigen ist - zur Folge, daß der Besitz nicht auf den Erwerber übergeht. Der gute Glaube erlaubt, wenn auch die anderen Voraussetzungen gegeben sind, die Ersitzung der fremden Sache. In allen Fällen läßt sich die Frage stellen, ob der Irrtum oder die Kenntnis, ob der gute oder der böse Glaube der Hilfsperson oder des Geschäftsherrn erheblich ist. 5 Zu diesen Fragen insbesondere: De Francisci, RIL 40 (1907) 1002 ff.; Beseler IV 61 ff.; Rotondi III 94 ff. (Bull.30, 1921, 1 ff.); Schulz, Classical Roman Law (1951) 438, 440; Fuenteseca, AHDE 24 (1954) 559 ff.; Nicosia, L'acquisto deI possesso mediante i ,potestati subiecti' (1960) pass.; Wie acker, Iura 12 (1961) 371 ff.; Watson, LQR 78 (1962) 205 ff.; Di Lella, Mnem. Solazzi (1964) 432 ff.; Gordon, RIDA 12 (1965) 279 ff.; Benöhr, Der Besitzerwerb durch
Gewaltabhängige (1972) pass. e Hierzu Beseler IV 51 ff.; Bonfante III 287 ff.; Meylan, Fs. Lewald 105 ff.; Bretone, Labeo 1 (1955) 280 ff.; Pugliese, Referat auf der XXIIe Session internat. de Ia Societe d'histoire des droits de l'Antiquite, s. Jaubert, RIDA 5 (1958) 646; Berneisen, RIDA 6 (1959) 249 ff.; Watson, TR 29 (1961) 22 ff. und SD 33 (1967) 189 ff.; Ankum, Symb. David I 12; Leptien, Utilitatis causa, Freiburg. Diss. (1967) 21 ff. - Wieweit auch andere Gewaltfreie für einen Dritten Besitz begründen konnten, mag hier offenbleiben; dazu vor allem Pugliese, Berneisen und Watson. 7 So insbesondere Meylan (vor. Anm.). 8 Dieses ist die Meinung von Beseler und Bonfante (Anm. 6). 8 Die einzige Stelle hierzu, Ulp. D. 41,2,34 pr.!l ist sogleich ausführlich zu besprechen.
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Leider verteilen sich die überlieferten Zeugnisse der römischen Juristen ungleich auf diese Probleme. Wir besitzen nur eine Stelle, die den Irrtum oder die Kenntnis behandelt, und zwar mit Bezug auf das Handeln von Prokurator und Geschäftsherrn. Diese Stelle soll zuerst erörtert werden (Nr. 4 bis 6). Wir haben aber eine ganze Anzahl von Stellen, die die bona oder mala fides des Sklaven oder des Herrn erörtern. Diese sind in dem späteren Abschnitt darzustellen (Nr. 7 bis 17).
I. Irrtum beim Besitzerwerb 4. Daß der Irrtum des Erwerbers über den zu erwerbenden Gegenstand dem Besitzerwerb entgegensteht, erklärt Ulpian in seinen dis-
putationes10
D. 41,2,34 pr. (Ulp. 7 disp.): Si me in vacuam possessionem fundi Cornel1anl miseris, ego putarem me in fundum Sempronianum missum et in Cornelianum iero, non adquiram possessionem, nisi forte in nomine tantum erraverimus, in corpore consenserimus. quoniam autem in corpore consenserimus, an a te tamen recedet possessio, quia animo deponere et mutare nos possessionem posse et Celsus et Marcellus scribunt, dubitari potest: et si animo adquiri possessio potest, numquid etiam adquisita est? sed non puto errantem adquirere: ergo nec amittet possessionem, qui quodammodo sub condicione recessit de possessione. Tu sendet Ego in die vacua possessio des fundus Cornelianus ll . Ego glaubt, in den fundus Sempronianus eingewiesen zu sein, begibt sich aber auf den fundus Cornelianus.
Die Einräumung der vacua possessio bedeutet, daß Tu seine Sachgewalt über das Grundstück aufgibt, so daß Ego sie ausüben kann1!. Die Besitzaufgabe des Tu zeigt sich schon darin, daß er Ego zu dem fundus Cornelianus hinschickt; Tu kann außerdem seinen bisherigen Verwalter oder Pächter entsprechend instruiert haben. Es kann davon ausgegangen werden, daß Tu das Grundstück fehlerfrei bezeichnet hat. Von 10 Beseler hat stets die Unechtheit der ulpianschen disputationes behauptet, z.B. SZ 45 (1925) 255 Anm. 1; 50 (1930) 45; 51 (1931) 69; TR 10 (1930) 190; St. Riccobono I 313. Aber er hat für seine Behauptung keine Beweise bringen können. Gegen ihn schon Lenel, SZ 50 (1930) 15; später vor allem Schulz, Gesch. 306 und 284 (Hist. 240 und 225); sowie Wieacker, Textst. 385 ff. 11 Zilletti, La dottrina dell'errore (1961) 142 f. nimmt den Vollzug eines Verkaufes oder einer Schenkung an. 12 Außerdem ist erforderlich, daß Tu Besitzhindernisse, die dem Ego von Dritten entgegengestellt werden, beseitigt; aber darauf kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Zur vacua possessio s. Seckel-Levy, SZ 47 (1927) 226ff.; Voci, Modi 113 und Arangio-Ruiz, Compr. 179ff.; vorher schon Esmarch, Vacuae possessionis traditio (1873) und Kniep, Vacua possessio (1886) pass.
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einem Irrtum des Tu ist nicht die Rede 13 • Die im Text folgenden Formulierungen, die einen eTTOT in nomine des Tu und Ego ausschließen, ergeben nichts für einen eTTOT in COTpOTe des Tu. Die Fassung ist hier anders als etwa in D. 18,1,9 pr. (Ulp. 28 Sab.): ... si igitur ego me fundum emere putarem Cornelianum, tu mihi te vendere Sempronianum putasti ... In fr. 9 pr. glaubt Tu, einen bestimmten fundus verkauft zu haben14 , die Einigung der Parteien kann also auch an einem Irrtum des Tu gescheitert sein15 , anders jedoch in fr. 34 pr. Ego glaubt jedoch, er sei in den fundus SempTonianus eingewiesen16 • Ob es sich dabei, nach heutiger Terminologie, um einen einseitigen Irrtum des Ego17 oder um einen Dissens zwischen Ego und TU18 handelt, läßt sich nach der knappen Sachverhaltsschilderung nicht entscheiden. Einen bloßen eTTOT in nomine schließt Ulpian als unbeachtlich aus19 • 13 So aber RuggieTi, 11 possesso I (1880) 443 f.: Tu wollte den fundus SempTonianus übertragen, Ego ihn erwerben. Bei der Einweisung versieht sich Tu und schickt Ego zum CorneZianus. - Gegen diese Auslegung schon KohleT, AcP 69 (1886) 184 Anm. 86. - Unklar Wieacker, Iura 13 (1962) 16: der Veräußerer meine den fundus Cornelianus. 14 Und zwar den fundus Sempronianus, während in fr. 34 pr. Tu den Ego in die vacua possessio des Cornelianus sendet.
15 Ulp. D. 18,1,9 pr. ist die Kernstelle in der Diskussion um die Bedeutung des Irrtums im römischen Recht. Zu dieser Stelle aus neuerer Zeit insbesondere Flume, Fs. Schulz I (1951) 248 ff. und TR 33 (1965) 116; Schwarz, SD 25 (1959) 39 ff.; Wolf, Error (1961) 23 ff., 43 ff., 99 f. und öfter; ders., Iura 17 (1966) 291 ff.; Zilletti, La dottrina dell'errore (1961) 79 f., 391 f" 410 ff.; Kaden, SZ 79 (1962) 425 f.; Mayer-Maly, Met. Meylan I 243 ff.; Wieacker, Me!. Meylan I 404 f.; ders., TR 35 (1967) 140 f.; Wunner, Contractus (1964) 144 ff.; Kaser I 237 f. - Dasselbe Beispiel, Verwechslung von fundus Cornelianus und Sempronianus, benutzt Ulpian noch einmal in D. 30,4 pr. 18 Betti, Esercit. (1930) 80 f. unterstellt ohne Not, daß auch der Sempronianus dem Tu gehöre. 17 Windscheid-Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts I, 9. Auf!. (1906) 390 Anm.4. 18 So, aber ohne Begründung: SibeT 435 Anm. 16; Betti, Esercit. 80 f.; DR I 274; Ist. I 153 Anm. 5; Kaden, SZ 59 (1939) 636. 18 LeonhaTd, Der Irrthum II (1883) 431 Anm. 1: Diesen Fall kann man sich so vorstellen, daß sich Tu bei der Einweisung des Ego im Namen vergreift, ihm beispielsweise das Grundstück zeigt und es als Sempronianus bezeichnet, obwohl es in Wirklichkeit Cornelianus heißt. Ego geht dann zu dem ihm gezeigten Grundstück und ist des Glaubens, es heiße Sempronianus. - Zu den vergleichbaren Fällen der falsa demonstTatio neuerdings Wieling, SZ 87 (1970) 197 ff. - Eisele, SZ 10 (1889) 318 f. und SZ 13 (1892) 139 streicht nisi forte in nomine tantum erraveTimus, in corpore consenseTimus, weil aus dem Vorhergehenden deutlich ersichtlich sei, daß es sich nicht um einen bloßen eTror nominis handele, und auch, weil forte ein bei den Kompilatoren beliebtes Wort sei. Im Ergebnis ebenso Heumann-Seckel 368 sv. nisi; Solazzi I 351 Anm. 202 (Mem. Mod. 11, 1911); Beseler IV 163; SZ 45 (1925) 222 und SZ 56 (1936) 70 unter Heranziehung von consentire in und errare in
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Offensichtlich meint Ego mit dem fundus Sempronianus ein anderes Grundstück als den fundus Cornelianus. Beide Grundstücke unterscheiden sich in seiner Vorstellung gewiß nach der Lage, vielleicht auch nach der Größe, der Bewirtschaftung und dem Personalbestand. Es handelt sich um einen Irrtum des Ego oder einen Dissens zwischen Ego und Tu über die Identität der Sache, an welcher Tu die vacua possessio für Ego eingeräumt hat und die Ego in Besitz nehmen will. Ego begibt sich aber nicht auf den fundus Sempronianus, auf den er seiner Meinung nach eingewiesen ist, sondern auf den Cornelianus20• Warum er sich so verhält, wird nicht gesagt. Offenbar hält er das cornelianische für das sempronianische Grundstück2-1. Doch Ego erlangt nicht den Besitz am Cornelianus. Diese Antwort Ulpians ist überraschend. Denn da Ego auf dem Grundstück, auf das als Itp.-Indizien (gegen die pauschale Verdächtigung von errare in: Voci, L'errore, 1937, 104); Rotondi 111 217; Voci a.a.O. 111; Cannata, SD 26 (1960) 81 f.; Zilletti (0. Anm. 15) 142; Bretone, Labeo 9 (1963) 342 f. 20 Lenel, Pal. 11 411 = Ulp.125 Anm. 3 verdächtigt die Worte et in CorneZianum iero als gloss. Besler IV 163 hält den ganzen Satz für "unverdaulich" und liest: ego cum putarem me in fundum Sempronianum missum, eo ierim, an adquiram possessionem, dubitari potest. Mit diesem willkürlichen Wiederherstellungsversuch zeigt Beseler, wie notwendig die von Lenel verdächtigten Worte sind und daß sie keineswegs, wie Cannata (vor. Anm.) meint, etwas Selbstverständliches sagen, deswegen überflüssig und daher unecht sind. - übrigens wären in dem von Beseler gebildeten Fall die Ulpian zugeschriebenen Zweifel vor allem deswegen begründet, weil Ego als heimlicher Eindringling auf den fundus Sempronianus käme. Der Besitzerwerb des heimlichen Eindringlings wurde von Labeo sofort, von späteren Juristen aber erst dann bejaht, wenn der bisherige Besitzer einen Widerstand gar nicht erst gewagt hat oder dabei gescheitert ist: Labeo-Ulp. D. 41, 2,6,1; Pomp. D. 41,2,25,2; Pap. D. 41,2,44,2; 46; dazu Rotondi 111 130 ff.; Rabel, St. Riccobono IV 211 ff.; Wieacker, Fs. Lewald 185 ff.; Möhler, SZ 77 (1960) 65 ff.; Watson, Prop. 84 Anm. 3; anders aber Schulz, CRL 443 ff. 21 Sehr anschaulich: Leonhard 11 (0. Anm. 19) 431 und Betti, Eserc. (1930) 80 f.: Ego wollte sich in den Besitz des Sempronianus setzen, den Tu ihm seiner Meinung nach zugewiesen hat, verfehlt aber den Weg und läßt sich nun auf dem CorneZianus nieder. - Im letzten Jh. wurde allerdings auch unterstellt, Ego habe absichtlich dem Willen des Tu zuwiderhandeln wollen und habe in vollem Bewußtsein den Cornelianus statt des ihm seiner Meinung nach zugewiesenen Sempronianus betreten: Brinz, Jahrb. des gemein. dt. R., hersgg. von Bekker und Muther, 3 (1859) 26 f.; Sohm, ZHR 17 (1873) 23; Esmarch (0. Anm. 12) 50 f. In diesem Fall hätte aber Ego corpore et animo Besitz an dem CorneZianus erlangt, s. jedoch die in der vor. Anm. erwähnte Kontroverse um den Besitzerwerb des heimlichen Eindringlings. Es wäre jedenfalls nicht einleuchtend, wie jemand auf den Gedanken kommen sollte, auf Grund einer Einweisung in die Sache A sich den Besitz an der Sache B zu verschaffen, so Windscheid (Anm. 17) und vorher Kohler, AcP 69 (1886) 187 Anm. 87. - Beseler IV 163 beanstandet jedoch, daß Ulpian nichts davon sagt, daß Ego den Cornelianus für den Sempronianus hält. Beseler findet deswegen das Verhalten des Ego, wie es in dem überlieferten Text mitgeteilt wird, unmotiviert, und meint deswegen, Ego habe sich auf den Sempronianus begeben (vor. Anm.).
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er sich tatsächlich begeben hat, die tatsächliche Sachherrschaft ausübt22 , müßte er als Besitzer angesehen werden. Sein Besitz wird auch nicht durch das Verhalten des Tu gehindert, denn Tu hat ihm ja gerade die vacua possessio eingeräumt und ihn auf dieses Grundstück geschickt. Für das Scheitern des Besitzerwerbes kommen zwei verschiedene Begründungen in Betracht, da in dem Sachverhalt auch von zwei verschiedenen Fehlerquellen die Rede ist. Die erste Fehlerquelle bildet die mangelnde übereinstimmung zwischen Ego und Tu: Ego glaubt, er sei auf den Sempronianus eingewiesen, Tu jedoch hat den Ego auf den Cornelianus geschickt. Die zweite Fehlerquelle liegt in der Divergenz zwischen der Vorstellung und dem Verhalten des Tu: Tu stellt sich vor, er solle Besitzer des Sempronianus werden, er begibt sich aber auf den Cornelianus. Wollte man annehmen, der Besitzerwerb sei wegen der mangelnden übereinstimmung zwischen Ego und Tu gescheitert, so müßte man voraussetzen, daß für den Besitzerwerb die Einigung zwischen Erwerber und Veräußerer erforderlich wäre 23 • Doch ist die Vorstellung einer vertragsähnlichen Besitzübertragung dem klassischen Recht fremd 2'. Eine Abrede für die Besitzübertragung ist allerdings erforderlich bei der sogenannten longa manu traditio, falls etwa der Veräußerer dem Erwerber das Grundstück von einem benachbarten Turm aus zeigt25, und 22 Anders anscheinend Dernburg, Pand. I, 7. Aufl. (1902) 425 Anm. 12: Ego sei nur zufällig auf das Grundstück geraten. Aber die Frage des Besitzerwerbes könnte sich unter diesen Umständen gar nicht stellen. Denn zur Besitzbegründung ist immer mehr als das zufällige Betreten eines Grundstückes erforderlich. 23 So Brinz 24 und Esmarch (beide o. Anm. 21). Brinz bezieht sich dabei auf Bartolus, In primam digesti novi partem (Venetiis 1590) adhl.: Error nominis aequisitionem possessionis non impedit: sed error in eorpore sie. Item dissensus aeeipientis impedit perditionem possessionis. Bartolus ist aber so zu verstehen, daß der Irrtum in corpore des Erwerbers dessen Besitzerwerb verhindert. Dem stehe es gleich, daß der Dissens des Erwerbers auch dem Besitzverlust des Veräußerers entgegensteht. Diesen Ausführungen ist nicht ohne weiteres zu entnehmen, daß Bartolus schon in der mangelnden übereinstimmung zwischen Erwerber und Veräußerer den Grund für das Scheitern des Besitzerwerbes sah. - übrigens zitiert Brinz abweichend den letzten Satz mit den Worten: Item dissensus recipientis impedit traditionem possessionis. 24 So schon Exner, Die Lehre vom Rechtserwerb durch Tradition (1867) 11 und noch Kaser I 391. Auch nach Wieacker, Iura 13 (1962) 15 und 17 wurde in der Klassik die Besitzübertragung als aus zwei selbständigen Akten des Besitzverlustes und der Besitzbegründung bestehend angesehen. Ebenso Zilletti (0. Anm. 15) 143. 25 Zur sogen. longa manu traditio s. Paul. D. 41,2,1,21 und Cels. D. 41,2,18,2; zuletzt insbesondere Riccobono, SZ 33 (1912) 259 ff.; Schulz, Prinz. 66 ff.; Voci, Modi 114 ff.; Kaden, SZ 70 (1953) 462 ff.; Metro, L'obbl. di eustodire (1966) 48 ff.; Gordon, Studies in the transfer of property (1970) 44 ff.; Kaser (vor. Anm.). - Betti, Esercit. (1930) 80 f.; ders., Ist. I 153 Anm. 5 sowie 388 Anm. 14;
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bei der sogenannten brevi manu traditio, wenn der Veräußerer den Erwerber zum Besitzer über eine Sache einsetzt, die der Erwerber bereits in seiner tatsächlichen Gewalt hat26 • Aber von derartigen Fällen wird hier nichts gesagt27. Daher liegt es näher, von den allgemein anerkannten Erfordernissen des Besitzerwerbes', corpus und animus28 , auszugehen. Wenn man voraussetzt, daß Ego über das corpus verfügt, kann sein Besitzerwerb nur daran scheitern, daß es ihm an dem Bemächtigungswillen, dem animus2V, mangelt. Ulpian muß der Ansicht gewesen sein, daß es an dem animus possidendi fehlt, wenn sich der Wille des Erwerbers auf ein anderes als das tatsächlich innegehabte Objekt richtet, wenn er sich also über die Identität der beherrschten Sache irrt3o • Allerdings wird man Ego trotz seiner Fehlvorstellung den animus possidendi nicht mehr absprechen können, wenn er während einer längeren Zeit auf dem Grundstück bleibt und seine Sachgewalt betätigt31, weil dann seine Identifikation des Sempronianus mit dem CorneZianus nachläßt32 • Bonfante III 346 und Voci, L'errore (1937) 111 sehen D. 41,2,34 pr. als Fall einer fehl'geschlagenen longa manu traditio an. Betti, Esercit., führt erläu-
ternd aus, Tu habe Ego das Grundstück von einem Turm aus gezeigt. Eine Begründung für diese Auslegung fehlt. - Doch würde sich auch bei dieser Auslegung die im folgenden zu behandelnde Frage stellen, ob Ego nunmehr den Besitz durch tatsächliches Betreten des Grundstückes begründen könnte. Es wäre allenfalls noch zusätzlich zu erörtern, ob vielleicht der Besitzerwerb des Ego durch tatsächliches Handeln schon deswegen scheitern könnte, weil er meint, er sei durch longa manu traditio bereits Besitzer geworden, brauche also den Besitz nicht mehr neu zu begründen. Doch ist für derarti:ge Zweifel nichts zu erkennen. 26 z. B. Nerv.-Proc. D.12,1,9,9; Gai. D. 41,1,9,5; dazu Schulz, Prinz. 63 ff.; Gordon (vor. Anm.) 36 ff.; MacCormack, SZ 86 (1969) 125 und 135 und Hausmaninger, Fg. Herdlitczka (1972) 113 ff. - Aber dieser Fall liegt hier um so ferner, als von Ego berichtet wird, er sei zum CorneZianus geschickt worden und sei dort auch hingegangen. 27 So insbesondere ZiZZetti (0. Anm. 15) 143. Kaser I 241 Anm. 51 verweist auf die Stelle im Zusammenhang mit der traditio. Wahrscheinlich verhinderte die Konsensstörung bei der traditio den Eigentumsübergang. Doch erörtert Ulpian in diesem Fragment primär den Besitz-, nicht den Eigentumserwerb des Ego. 28 Insbesondere Paul. D. 41,2,3,1; dazu Kaser I 391. 29 Zum animus possidendi zuletzt vor allem MacCormack (Anm. 26) 105 ff. 30 So schon Pot hier, Pand. lust. III (Paris 1825) Lib.41 tit. II no. XVI adhl.; Cuiacius, Opp. VI (Prati 1838) 1298 In tit. II lib. XLI digest. adhl.; Leonhard II (0. Anm. 19) 431; vgl. auch Windscheid - Kipp (0. Anm. 17); Rotondi III 217 unter Hinweis auf B. 50,2,33 = Hb. V 52 = Sch. A VI 2338; Voci, L'errore 111 und ZiZZetti (0. Anm. 15) 143. - Dagegen insbesondere Lotmar, Krit. Vierteljschr. 26 (1884) 256: vom animus sei hier nicht die Rede. 31 Dieses ist der richtige Gedanke bei Beseler IV 164; im übrigen s. o. Anm 20 und 21. 32 Kohler, GrünhutsZ 14 (1887) 168.
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Nachdem Ulpian den Besitzerwerb des Ego verneint hat, gelangt er zu der Frage, ob Tu dennoch den Besitz an dem fundus Cornelianus, in dessen vacua possessio er Ego eingewiesen hat, verloren hat, quoniam autem - dubitaTi potest. Der Besitzverlust des Tu ohne gleichzeitigen Erwerb des Ego würde bedeuten, daß das Grundstück besitzerlos würde. Das haben in der Tat Celsus und Marcellus angenommen, während sich Ulpian für die Fortdauer des Besitzes in der Hand des Tu ausspricht, denn der Tu habe den Besitz an seinem Grundstück gewissermaßen nur unter der Bedingung, daß Ego ihn erlangen werde, aufgegeben: ergo nec amittet possessionem rell33 • Dabei ist auffallend an dieser Begründung, wie das tatsächliche Verhältnis des Besitzes mit dem juristischen Instrument der Bedingung umgestaltet wird. Im letzten Teil des Fragments kommt Ulpian auf die Frage des Besitzerwerbes zurück, et si animo adquiTi possessio potest, numquid etiam adquisita est34 ? Hier spricht der Jurist vom Besitzerwerb animo, setzt also möglicherweise eine longa manu traditio voraus. Doch handelt es sich hierbei um eine allgemeine, den Ausgangsfall verlassende überlegung grundsätzlicher Art. Offensichtlich ist er von den Erwägungen, die Celsus und Marcellus über die Besitzänderung animo anstellen35, zu dem Gedanken des Besitzerwerbes animo gekommen36 • Das abwägende non puto errantem adquirere zeigt übrigens, daß die Lösung des Ausgangsfalles zweifelhaft war, daß vielleicht andere Juristen den Besitzerwerb des Ego bejaht haben. Die Probleme des Besitzerwerbes und -verlustes werden übrigens in unserer Stelle ganz allgemein für die possessio gestellt. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um den Ersitzungs- oder den Interdiktenbesitz handelt. 5. Im pr. hatte Ulpian erklärt, daß der Irrtum des Erwerbers über die Identität der ergriffenen Sache den Besitzerwerb hindere. Im folgenden 38 Zu diesem Problem insbesondere BeseZer IV 163 und SZ 54 (1934) 31 f.; Rotondi 111 215; Bonfante 111 346 f.; Riccobono, ACIR I 334; Voci, Modi 94 f.; Wesenberg, St. Albertario 11 56; Cannata (0. Anm. 19); ZilZetti (0. Anm. 15) 142 f.; Watson, TR 30 (1962) 227 f.; Wieacker, lura 13 (1962) 16 ff.; B.retone, Labeo 9 (1963) 342 f.; MacCormack (0. Anm. 26) 115 f.; s. auch Leonhard, Der
Irrthum I (1882) 268. 84 Rotondi 111 217 f. erleichtert den gedanklichen übergang von dem in Zweifel gezogenen Besitzverlust des Tu zu dem in Frage gestellten Besitzerwerb des Ego, indem er liest: et si animo amitti possessio potest; ähnlich schon Bechmann, Der Kauf 111 1 (1905) 45 Anm. 2 und ihm folgend SoZazzi I 352 Anm. 202. Cannata (0. Anm. 19) nimmt ein Glossem an. Gegen derartige Vermutungen zurecht Wieacker (vor. Anm.) 16 Anm. 32 c und MacCormack (0. Anm. 26) 136 f. 55 Zu animo deponere et mutare possessionem besonders Cannata und MacCormack (heide vor. Anm.). 38 MacCormack (0. Anm. 33).
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Paragraphen kommt der Jurist zu der Frage, wie sich der Irrtum auswirkt, wenn ein Prokurator den Besitz für den Geschäftsherrn begründen will: D. 41,2,34,1 (Ulp. 7 disp.): Sed si non mihi, sed proeuratori meo possessionem tradas, videndum est, si ego errem, proeurator meus non erret, an mih1 possessio adquiratur. et eum plaeeat ignoranti adquiri, poterit et erranti. sed si proeurator meus erret, ego non errern, magis est, ut adquiram possessionem. Die Antwort war zweifelhaft. Das ergibt sich sowohl aus der Aufnahme der Frage in die disputationes als auch aus den Worten videndum est, poterit, magis est. Ulpian meint, daß in keinem der beiden Fälle der Irrtum schade: es sei weder der Irrtum des Geschäftsherrn allein, noch der des Prokurators allein erheblich. Es bleibt nur die Folgerung, daß einzig in dem Fall, in dem sich Geschäftsherr und Prokurator irren, der Besitzerwerb des Geschäftsherrn scheitert. Das Fragment bildet eine Variante zum pr. Der Sachverhalt dieses Fragments ist deswegen durch den des pr. zu ergänzen. Im pr. war von zwei Fehlerquellen die Rede. Erstens fehlte es an der übereinstimmung bei der Besitzeinweisung. Zweitens deckten sich nicht die Vorstellungen und die tatsächliche Handlungsweise des Ego, als er sich auf den fundus Cornelianus begab. Nach der ersten Alternative des § 1 übergibt Tu die possessio dem Prokurator des Ego. Der Prokurator irrt sich nicht. Offensichtlich stimmen also Tu und der Prokurator bei der Besitzeinweisung überein. Der Prokurator nimmt auch bewußt das Grundstück in Besitz, das ihm von Tu zugewiesen worden ist. Doch der Geschäftsherr des Prokurators, Ego, befindet sich in einem Irrtum. Ego glaubt fälschlich, der Prokurator sei in ein anderes Grundstück eingewiesen worden und habe an diesem anderen Grundstück den Besitz begründet. Entsprechend den Beispielen des pr.: Tu und der Prokurator vollziehen den Besitzübergang an dem fundus Cornelianus, Ego jedoch knüpft seine Vorstellungen an den Sempronianus 37 • In diesem Fall, so meint Ulpian, werde dennoch der Besitz für Ego begründet. Damit kann nur das von dem Veräußerer (Tu) und dem Prokurator gemeinte Grundstück (Cornelianus) gemeint sein. Ulpian erklärt hier: da der Prokurator auch für einen Geschäftsherrn, der von dem ganzen Vorgang nichts weiß, wirksam Besitz begründen kann, kann er es auch für einen Geschäftsherrn, der sich über den zu erwer37 Betti, Esercit. (1930) 83 erläutert den Sachverhalt noch dahin, daß Tu etwa .aus einem Damnationslegat zur traditio der Sache an Ego verpflichtet gewesen sei. Das ist durchaus denkbar. - Auch hier nimmt Betti eine traditio longa manu von Tu an den Prokurator an. Doch dafür fehlt es wiederum an einem Anhalt im Text.
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benden Gegenstand falsche Vorstellungen macht. Die Voraussetzung, daß ein Geschäftsherr trotz eigener ignoTantia Besitz an den von seinem Prokurator erworbenen Sachen erhält, wird an anderen Stellen bestätigt38. Dem Geschäftsherrn kann selbst dann die Kenntnis des Besitzerwerbes fehlen, wenn er zuvor das für den Erwerb kausale Geschäft abgeschlossen oder den Prokurator mit dem Erwerb beauftragt hata8 • Denn auch in diesen Fällen hat er nicht in jedem Augenblick Kenntnis davon, welche bestimmte Sache erworben wird oder ob der Erwerb schon endgültig vollzogen ist oder nicht 40 • Die zweite Alternative - Irrtum des Prokurators, Kenntnis des Geschäftsherrn - wird im Ergebnis ebenso wie die erste beurteilt. 88 Nerat. D. 41,1,13 pr. für Eigentumserwerb durch traditio; Pap. D. 41,2,49,2; Paul. D. 41,3,47; Sev. et Ant. C. 7,32,1. 39 S. o. bei Anm. 6 bis 8. 40 Die Entscheidung der ersten Alternative gilt vielen als unecht: Alibrandi, Opp.275; De Francisci, RIL 40 (1907) 1013; Ferrini, Pand., 3. Auf!. (1908) 326 Anm. 2; Solazzi I 352 Anm. 202; Schulz, SZ 33 (1912) 78 f. und Hägerström I 94 f. Hauptsächlich werden sechs Gründe für den Verdacht vorgebracht, die aber allesamt nicht überzeugen: (1) Der entscheidende Satz, et cum - et erranti, sei in dem abgerissenen Stil der Kompilatoren geschrieben, es fehle das Subjekt (Schulz). Mag auch der Satz in seiner überlieferten Form einem zusammenfassenden Eingriff der Kompilatoren zuzuschreiben sein, so ist doch für eine Umkehr der ulpianischen Meinung nichts zu erkennen. - (2) Der Satz ignoranti possessio adquiritur sei zu allgemein formuliert (Hägerström), jedenfalls werde er mißverstanden (Ferrini), denn der Wille des Prinzipals sei keineswegs völli:g unerheblich (Schulz). Dieser allgemeine Satz wird an anderen Stellen fast wörtlich gleichlautend überliefert (s. Anm. 38), kann also den Klassikern nicht abgesprochen werden. Auch vollzieht sich der endgültige Besitzerwerb, ohne daß der Geschäftsherr davon im einzelnen Kenntnis hat; die juristische Ableitung ist also insofern nicht zu beanstanden. - (3) Da nach dem überlieferten Text beide Alternativen gleich behandelt werden, dürfte es zu Beginn der zweiten Alternative nicht heißen sed si procurator meus erret, sondern es müßte heißen sed si procurator meus erret. In der Tat schlägt auch Krüger diese Ergänzung vor. Das einfache sed lasse darauf schließen, daß Ulpian im Original die beiden Fälle verschieden beurteilt und den Besitzerwerb in dem ersten Fall (Irrtum des Geschäftsherrn) abgelehnt habe (Schulz, Hägerström). Aber Ulpian stellt hier nicht die ersten beiden, im Ergebnis übereinstimmenden Entscheidungen, sondern die verschiedenen, in einem Irrtum befangenen Personen (Geschäftsherr und Prokurator) gegenüber. Auch wäre der Wegfall von et kein besonders starkes Itp.-Indiz. Schließlich ist gerade auch in diesem zweiten Satz mit einem kürzenden Eingriff der Kompilatoren zu rechnen. (4) § 2 setze voraus, daß auch der Prokurator ohne Kenntnis des Geschäftsherrn für diesen Besitz erwerbe, eine solche Äußerung finde sich lediglich als Begründung in der ersten Alternative des § 1 (De Francisci, Schulz). Aber in diesem Befund ist gerade kein Itp.-, sondern ein Echtheitsbeweis zu sehen. - (5) Da der Prokurator hier direkter Stellvertreter sei, müsse seine Person gänzlich unberücksichtigt bleiben (Schulz). Schulz nimmt mit diesem Argument vorweg, was er gerade erst durch seine Untersuchung erweisen will. - (6) Der entscheidende Grund für den Itp.-Verdacht wird in dem angeblichen Widerspruch zwischen der Entscheidung dieser und der anderen Alternative (Irrtum des Geschäftsherrn gegenüber Irrtum des Prokurators) gesehen (Solazzi, Schulz, Hägerström). Daß dieser Widerspruch nicht besteht, soll sogleich gezeigt werden.
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Dabei ist von folgendem Sachverhalt auszugehen: Tu und der Prokurator des Ego stimmen bei der Besitzeinweisung nicht überein. Der Prokurator begibt sich aber nicht auf das Grundstück, auf das er seiner Meinung nach eingewiesen ist, sondern auf das Grundstück, auf das ihn Tu in Wirklichkeit auch geschickt hat. Ego, der Geschäftsherr des Prokurators, weiß jedoch, daß der Prokurator das Grundstück in seine Gewalt gebracht hat, auf das sich die Einweisung des Tu bezieht. Entsprechend den Beispielen des pr.: Tu und Ego beziehen sich auf den COTneZianus, der Prokurator des Ego meint den SempTonianus, geht aber auf den COTneZianus 41 • Ohne Begründung wird mitgeteilt, es sei richtiger, daß der Geschäftsherr den Besitz erwerbe. Es ist durchaus denkbar, daß die Kompilatoren entweder den Bericht über eine Gegenmeinung, der sich zwischen ego non eTTem und magis est befunden haben könnte, gestrichen oder daß sie eine längere Darlegung Ulpians durch die Worte magis est, ut adquiTam ersetzt haben. Es ist aber nichts dafür zu erkennen, daß sie das Ergebnis, mit dem Ulpian diesen Fall entschieden hat, verändern wollten. Der von Ulpian angenommene Besitzerwerb läßt sich damit rechtfertigen, daß der Prokurator nur eine Hilfsperson des Geschäftsherrn sein, ihm deswegen nur nützen, nicht schaden soll. Da der Geschäftsherr den Gegenstand erhält, den er haben wollte, soll ihm die Zuerkennung des Besitzes nicht wegen des Irrtums des Prokurators vorenthalten werden42 • Ulpian hält damit den Irrtum für weniger schädlich als etwa das Fehlen der für die Besitzbegründung erforderlichen Einsichtsfähigkeit43 • Der Sklave, der für den Herrn Besitz begründen will, muß stets über diese Einsichtsfähigkeit, den inteZlectus possidendi, verfügen"; und dasselbe wird für den Prokurator gelten. Offensichtlich sehen die Juristen den Irrtum nicht als so gravierend an, daß er schon dann berücksichtigt werden müßte, wenn nur einer der beiden - Prokurator oder Geschäftsherr - in einem Irrtum über die Identität der zu erwerbenden Sache befangen ist4 5'. Doch war - wie 41 Anders wieder Betti (Anm. 37) mit der Annahme einer longa manu traditio. 4! So insbesondere LeonhaTd 1(0. Anm. 33) 502 Anm. 1. 41 Kein eigener Besitzerwerb des fUTiosus nach Paul. D. 41,2,1,3 und Cels. D. 41,2,18,1; dazu KaseT I 392. " Paul. D. 41,2,1,9 und 10: Capable of understanding the nature of this act (Buckland, The Roman law of slavery, 1908, 132), capacitil di ordine psichico (BuTdese, St. Biondi I 517; ähnlich Tondo, St. Betti IV 369 Anm. 12). BeseleT, SZ 45 (1925) 479 sieht in den beiden Stellen die Paraphrastenhand, denn auf den Besitzwillen des Gewalthabers komme nichts an. Von dem Willen des Gewalthabers ist aber in diesen Stellen auch nicht die Rede. 46 Die überlieferte Beurteilung dieser zweiten Alternative stößt vielfach auf Bedenken. Schon ExneT (0. Anm. 24) 131 Anm. 22 findet, das Fragment enthalte eine kaum zu rechtfertigende Singularität zugunsten des dominus.
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schon gesagt - diese Entscheidung sicher nicht ohne Widerspruch unter den Klassikern. 6. Die Lösung Ulpians, sowohl den Irrtum des Geschäftsherrn (erste Alternative) als auch den des Prokurators (zweite Alternative) für unerheblich zu erklären, sperrt sich gegen ein System, nach welchem entweder die Vorstellungen des Handelnden oder die des endgültigen Erwerbers maßgebend sein sollen46 • "Die Stelle bleibt unter allen Umständen eine crux", meint Windscheid 47 , und zwar gleichermaßen für die Anhänger der Geschäftsherrntheorie 48 als auch für die Vertreter der Repräsentationstheorie 49 • Der Geschäftsherrntheorie widerstreitet es, daß der Irrtum des Geschäftsherrn als unerheblich erklärt wird. Mit der Repräsentationstheorie ist es nicht in Einklang zu bringen, daß der Irrtum des Prokurators keine Berücksichtigung findet 50 • Das Richtige trifft aber Regelsberger: "Wie jede Irrtumsfrage muß auch die vorliegende vom Interessenstandpunkt gelöst werden. Danach hört 1. 34 § 1 De poss. 41,2 auf, eine crux zu sein51 ." Beseter IV 58 ergänzt ut adquiram possessionem. Rotondi III 215 Anm. 1 streicht den ganzen Satz sed si procurator rell. Betti (Anm. 37) liest statt magis est: nihHo magis hoc mihi proficere poterit; s. auch Betti, DR 399.
Die ersten beiden Argumente, die für den Itp.-Verdacht vorgebracht werden, sind mit denen identisch, die gegen die Echtheit der ersten Alternative (Irrtum des Geschäftsherrn) angeführt werden und o. Anm. 40 zurückgewiesen wurden: (1) Für die ursprünglich entgegengesetzte Entscheidung spreche sed am Satzanfang (Beseter). - (2) Die überlieferte Meinung stehe im Gegensatz zu den Grundsätzen, auf denen die Lösung der ersten Alternative beruhe (Rotondi). - (3) Justinian habe die Bedeutung des Prokurators eingeschränkt und den Stellvertreter zum Boten degradiert (Betti). Doch ist die behauptete justinianische Tendenz nicht nachzuweisen. 46 Eine derartige Einheitslösung streben aber die in Anm. 40 und 45 Genannten an; außer ihnen s. noch Nicosia 286 f. und Di LeHa 460 mit Anm. 90 bis 92 (beide o. Anm. 5). Dasselbe Bestreben kennzeichnete auch die Bemühungen der Pandektisten, dazu sogleich. 47 Windscheid-Kipp (0. Anm.17) 355 Anm. 21. - Schon Westphat, System des röm. Rechts über die Arten der Sachen (1791) 119 erklärt, das Fragment sei "als bloße Spekulation der Alten anzusehen, aus welcher nichts zu machen". 48 V. Savigny, Syst. III (1840) 90 ff. und OblR. II (1853) 21 ff.: der Geschäftsherr ist derjenige, durch dessen Willen der Vertrag zustandekommt, die Hilfsperson ist der "Träger dieses Willens". In dem Maße, in dem Geschäftsherr und Hilfspersonen jeweils tatsächlich über den konkreten Abschluß des Vertrages bestimmen, ist ihr Bewußtsein entscheidend. 411 Windscheid-Kipp (Anm. 17) 344 ff. und Jhering, JherJb.l (1857) 273 ff.; ders., JherJb. 2 (1858) 67 ff. (Gesamm. Aufs. I, 1881, 122 ff. und 189 ff.): der Vertreter begründet die Voraussetzungen, der Vertretene kommt in den Genuß der Rechtsfolgen. 60 Mitteis, Die Lehre von der Stellvertretung (1885) 105 führt namentlich dieses Fragment gegen die Repräsentationstheorie ins Feld. - Windscheid (0. Anm. 17) 355 Anm. 21 nimmt für die erste Alternative ein Generalmandat und für die zweite die Analogie zu einem Boten an. 61 Regetsberger, Pand. I (1893) 583 Anm. 11.
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Die Lösung ist am besten zu verstehen, wenn der Besitzerwerb auf der Seite des Geschäftsherrn und Prokurators als ein einheitlicher Vorgang angesehen wird52 • Für den Erwerb ist der vom Geschäftsherrn und Prokurator gemeinsam gebildete animus possidendi erforderlich. Die Einheitlichkeit des Vorgangs spricht dafür, die Kenntnis des Geschäftsherrn oder des Prokurators genügen zu lassen, auch wenn sich der andere Partner irrt. Die Kenntnis des einen kompensiert also den Irrtum des anderen. Es wird also nicht gesagt: Die Vorstellungen eines bestimmten Partners - sei es der Geschäftsherr oder der Prokurator sind entscheidend; sind diese Vorstellungen falsch, so schlägt der Besitzerwerb fehl; sind sie richtig, findet der Besitzerwerb statt; auf die Vorstellungen des anderen Partners kommt es überhaupt nicht an. Sondern es wird gesagt: Die richtige Kenntnis aller Umstände ist erheblich und verhilft dem Besitzerwerb zur Wirksamkeit, ohne Rücksicht darauf, welcher der Partner diese Vorstellungen hat. Dieselben überlegungen sind gültig, wenn nicht ein Prokurator für seinen Geschäftsherrn, sondern ein Sklave für seinen Herrn Besitz begründet53 • Zur Lösung der ersten Alternative - Irrtum des dominus, Kenntnis des servus - kann die ulpianische Begründung unverändert übernommen werden. Da der Sklave auch bei Nichtwissen des Herrn für diesen Besitz begründen kann, kann er es auch bei dessen Irrtum. Zur Erklärung des zweiten Falles - Irrtum des servus, Kenntnis des dominus - kann ebenso auf die obigen Ausführungen zurückgegriffen werden. Der Sklave soll nur eine Hilfsperson des Herrn sein, ihm deswegen nur nützen, nicht schaden. Da der Herr die Sache erhält, die er haben wollte, soll ihm der Besitz nicht wegen eines Irrtums' des Sklaven vorenthalten werden. Es sprechen auch keine schützenswerten Interessen des Veräußerers dafür, dem Herrn die Anerkennung des Besitzes zu versagen. Auch hier ist es am besten, den Besitzerwerb auf der Seite des Erwerbers als einen einheitlichen Vorgang anzusehen, bei welchem die Kenntnis des einen den Irrtum des anderen ausgleicht. Die beiden in D. 41,2,34,1 enthaltenen Lösungen passen zu den Ergebnissen, die bei der Untersuchung ähnlicher Fälle im Schuldrecht gefunden wurden54 • Beim Abschluß schuldrechtlicher Verträge ist die Kenntnis der Hilfsperson stets erheblich55, ebenso ist es nach der ersten AlterZu diesem Gedanken s. unten bei Anm. 101 und 131. Es wurde schon eingangs gesagt, daß kein Fall überliefert ist, der den Besitzerwerb für einen in einem Irrtum befangenen dominus oder durch einen sich irrenden servus behandelt. 54 Vgl. zu diesem Problemkreis die Arbeiten von Solazzi I 277 ff. (RISG 50, 1911, 229 ff.) und Schulz, SZ 33 (1912) 37 ff., sowie meinen Aufsatz in SZ 87 52
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(1970) 123 H. 56 Pap. D.16,1,27,1; Pomp. D.18,1,12; Iul.-Afr. D. 21,1,51 pr.!l; Ulp. D. 40,12, 22,5.
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native in fr.34,1. Bei Schuldverträgen ist die Kenntnis des Geschäftsherrn jedoch nur dann zu beachten, wenn er seiner Hilfsperson die Weisung für das Geschäft gegeben hat58 , oder wenn er wenigstens auf das von seiner Hilfsperson durchgeführte Geschäft einwirken kann57 • In fr.34,1 ist von einer derartigen Einschränkung nichts gesagt; die Kenntnis des Geschäftsherrn wird beim Besitzerwerb ohne weiteres berücksichtigt. Es ist aber nicht auszuschließen, daß Ulpian hierzu weitere Ausführungen gemacht hat und daß andere Juristen eine andere Meinung vertraten58• Wir dürfen vermuten, daß die klassischen Juristen dieselben Schwierigkeiten wie die modernen Juristen bei der Beantwortung der Frage hatten, in welchem Maße die irrtumsfreien Vorstellungen des Geschäftsherrn beim Handeln einer in einem Irrtum befangenen Hilfsperson zu berücksichtigen sind511 •
ß. Guter Glaube beim Besitzerwerb 7. Wenn der Geschäftsherr den Besitz an einer Sache erlangt hat, die nicht im Eigentum des Veräußerers stand, kommt es für den Eigentumserwerb auf die Ersitzung an. Die scharfe Trennung der Probleme des Besitzerwerbes und der Ersitzung zeigt D.41,4,2,1 (paul. 54 ed.): Separata est causa possessionis et usucapionis: nam vere dicitur quis emisse, sed mala fide: quemadmodum qui sciens aUenam rem emit, pro emptore possidet, licet usu non capiat80• 8. Paulus widmet der Frage, ob für die Ersitzung und die a. Publiciana der gute Glaube des Gewalthabers oder des Gewaltunterworfenen maßgebend ist, mehrere Paragraphen seines Besitztraktates, beginnend mit D.41,4,2,10 (paul. 54 ed.): Si servus tuus peculiari nomine emat rem, quam seit alienam, licet tu ignores alienam esse, tamen usu non capies. Der Sklave weiß, daß die von ihm gekaufte Sache nicht dem Veräußerer gehört, ist also bösgläubig. Der Herr selbst ist gutgläubig. Trotzdem kann der Herr nicht ersitzen. Der böse Glaube seines Sklaven wird ihm zugerechnet81 • - Es wird ausdrücklich gesagt, daß der Sklave den GeIul.-Afr. D. 21,1,51 pr.!l; Paul. D. 40,12,17. Ulp. D. 40,12,16,4; anders Pomp. D. 18,1,12. S8 Siehe oben bei Anm. 41/42. 58 Dazu s. unten Nr. 16. 80 Zumindest im Kern echt. 81 Das Fragment sagt nichts über den Zeitpunkt, in welchem die bona lides vorhanden sein muß. Faure, Justa causa et bonne foi, These Lausanne (1936) 178, und L. Lombardi, fides 227 Anm. 57 nehmen die Stelle als Zeugnis dafür, daß der Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidend sei. SI
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genstand peculiari nomine erwerbe 82 • In diesem Fall wird der Herr Besitzer, ohne daß er etwas von dem Erwerb weiß. Ob der böse Glaube des Sklaven dem Herrn auch schadet, wenn der Sklave die Sache nicht peculiari nomine, sondern mit Wissen oder gar auf Weisung des Herrn ergreift83 , wird nicht gesagt". 9. Paulus beruft sich für seine Meinung auf Celsus: D. 41,4,2,11 (paul. 54 ed.): Celsus scribit, si servus meus peculiari nomine apiscatur possessionem, id etiam ignorantem me usucapere: quod si non peculiari nomine, non nisi scientem me: et si vitiose coeperit possidere, meam vitiosam esse possessionem. Im ersten Teil des Fragments85 lassen die Juristen wissen, daß der Herr die Ersitzung überhaupt nur beginnen kann, wenn der Sklave die Sache 88 entweder peculiari nomine 87 oder mit Kenntnis des Herrn88 erlangt habe. Von dieser Voraussetzung hängt der Besitz des Herrn ab. 62 Diese Einschränkung hält Nicosia (0. Anm. 5) 228 für itp.; Indizien für den Verdacht gibt es nicht. Nicht näher spezifizierte Zweifel auch bei Rotondi III 213 Anm. 4. Keine Bedenken bei Beseler IV 67. es Verneinend De Francisci (0. Anm. 5) 1005. Schulz (0. Anm. 54) 63 will dementsprechend ergänzen: si tuo nomine emat, usucapies. Zustimmend wohl Fuenteseca (0. Anm. 5) 570 f. Anm. 18. U Dazu sogleich Cels.-Paul. D. 41,4,2,11. 65 Zu Beginn des Fragments mag Nam et vor Celsus scribit weggefallen sein: Schulz (0. Anm. 54) 63 und Wesenberg, St. Albertario II 58. 66 Beseler IV 67 und Wesenberg (vor. Anm.) halten id für unecht. Nicosia (0. Anm. 5) 225 mit Anm. 45 meint, id habe in dem überlieferten Text keinen Beziehungswert. Das Wort habe sich ursprünglich auf das von den Kompilatoren gestrichene cuius rei zwischen si und servus bezogen, entsprechend Gai. 2,89: cuius rei possessionem adepti fuerint, id nos possidere videmur. Die Konjektur ist nicht überzeugend. Zunächst gibt auch id isoliert einen guten Sinn, nämlich "dasjenige". Sodann wäre auch die grammatische Beziehung zwischen id und cuius rei unsicher. Es ist nicht einzusehen, warum sich jemand die Mühe gemacht haben könnte, cuius rei zu streichen. Die Parallele zu Gai. 2,89 bleibt bloße Vermutung. Gegen Nicosia auch Watson (0. Anm. 5) 215. Allenfalls wäre an eine Kürzung zu denken. 67 peculiari nomine wird von Nicosia (0. Anm. 5) 225 f. gestrichen. Denn erstens sei auch quod si - scientem me unecht. Zweitens sei zwischen si und servus von den Kompilatoren cuius rei gestrichen worden. Beide Gründe sind keineswegs sicher, s. Anm. 66 und die folgende Anm. 68. Selbst wenn die Gründe sicher wären, könnten sie den Verdacht nicht tragen. Für Echtheit insbesondere Bonfante III 282; Wieacker 379; Watson 215; Di Lella 434 Anm. 8 und 446 Anm. 50 (alle o. Anm. 5); Kaser I 392 Anm. 26. 68 quod si scientem me als itp. erklärt von Beseler IV 67; Wesenberg (0. Anm. 65) und Nicosia 225 f. Dafür wird geltend gemacht: (1) inhaltlich bloße Umkehrung des vorhergehenden Satzes; (2) Unterbrechung des Gedankenflusses; (3) "geschraubte" Wendungen; (4) Wiederholung des Ausdruckes peculiari nomine und der Akkusativform ignorantem me; (5) quod si. - Gegen den Verdacht und seine Begründung: Watson (0. Anm. 5) 215. In der Tat sind die vorgebrachten Argumente nicht sehr stark. Gegen den Satz lassen sich schon gar nicht inhaltliche Bedenken erheben. Aber auch, wenn sich seine Unechtheit erweisen ließe, bliebe die Substanz des Fragments unverändert.
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Im zweiten Teil erklären sie: wenn der Sklave den Besitz "vitiose" ergriffen habe, sei infolgedessen der Besitz des Herrn makelbehaftet. Vitiosa possessio wird hier nicht den schlechteren Besitz des im Interdiktenprozeß Unterlegenen meinen69 , sondern den Usukapionsbesitz, dem die bona fides fehlt 70 • Die Juristen machen im zweiten Teil - im Gegensatz zum ersten - keinen Unterschied danach, ob der Sklave für das Pekulium oder mit Wissen seines Herrn tätig geworden ist. Offenbar soll in bei den Fällen gleichermaßen die mala fides des Sklaven dem Herrn zugerechnet werden71 • 10. D. 41,4,2,12 (Paul. 54 ed.): ... et si servus mala fide possideat eaque dominus nanctus sit, ut suo nomine possideat, adempto puta peculio, dicendum est, ut eadem causa sit possessionis et ideo usucapio ei non magis procedat7z • Ein Sklave erwirbt mala fide eine Sache. Später übernimmt sie der Herr in seinen persönlichen, unmittelbaren Besitz73 , beispielsweise nachdem er das Pekulium des Sklaven eingezogen hat7 4 • Der Herr war nicht bösgläubig, als der Sklave die Sache erwarb. Auch später hat er seine bona fides nicht eingebüßt75 • Es fragt sich nur, ob ihm die anfängliche mala fides des Sklaven zugerechnet wird. Paulus meint, daß die causa possessionis trotz der Veränderung im Innenverhältnis zwischen Herrn und Sklaven gleichbleibt. Hat also der Sklave die Sache als emptor erworben, so kommt auch für den Herrn die usucapio pro emptore in Frage. Ebenso wie es bei der anfänglichen causa possessionis bleibt, so auch bei der die possessio begleitenden
malafides.
6' Vgl. Gai. 4,151; dazu Kaser I 397 mit Anm. 16. - Für die Annahme von Interdiktenbesitz aber Pernice 11 I, 418 Anm. 3. 70 Vgl. Paul. D. 41,3,15,2 und D.41,4,2,13 (dazu Nr. 12); so auch Schulz (0. Anm. 54) 63 und Kaser (vor. Anm.). 71 Anders De Francisci (0. Anm. 40) 1005 und Fuenteseca (0. Anm. 5) 570 f. Anm. 18. Schulz hält das Ergebnis für kompilatorisch. Am Schluß hätten die Kompilatoren gestrichen si peculiari nomine adquirat possessionem ... Er beruft sich für seinen Verdacht auf fr. 2,13. Das fr. 2,13 (dazu unten Nr. 12) aber behandelt ein anderes Problem als fr. 2,11 cit., nämlich die maZa fides des Herrn und nicht des Sklaven. 7! Am Anfang der Stelle zitiert Paulus als Ausspruch des Pomponius, daß es, wenn eine Sache domini nomine besessen wird, eher auf die voZuntas des Herrn ankomme; daß aber, falls die Sache peculiari nomine in Besitz gehalten werde, die mens des Sklaven zu beachten sei. Die mehrdeutigen Ausdrücke mens und voluntas meinen wahrscheinlich den Willen, die Sachgewalt auszuüben, und haben vermutlich nichts mit der Frage der bona oder maZa fides zu tun. 73 Zu Unrecht angegriffen von Nicosia (0. Anm. 5) 229. 74 Das Beispiel kann nicht mit Nicosia 229 angezweifelt werden. Ein anderes Beispiel läßt Paulus in § 14 folgen; in § 14 gibt der Sklave die Sache dem Herrn, um seine Freilassung zu erreichen. 75 Auf das Problem der maZa fides superveniens kommt es hier nicht an; s. aber unten fr. 2,13.
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Offensichtlich wendet sich Paulus gegen eine Meinung, die das Pekulium des Sklaven und das unmittelbare Eigenvermögen des Herrn nicht nur als wirtschaftlich, sondern auch als rechtlich vollständig getrennte Vermögensmassen angesehen hat. Die Meinung konnte annehmen, daß der Übergang von der einen in die andere Vermögensmasse einen rechtlich relevanten Erwerbsvorgang bedeutete. Bei dem rechtserheblichen Erwerbsvorgang waren dann - wie man denken konnte - die causa possessioni& und die bona fides des Herrn als des neuen Erwerbers entscheidend. Diese Ansicht zerstört Paulus. Für Paulus erscheinen im Außenverhältnis die Sachen, die sich im Pekulium befinden, und diejenigen, über die der Herr unmittelbar die Sachgewalt ausübt, als zu einer einzigen Vermögensmasse gehörend, deren Eigentümer der Herr ist. Entscheidend sind allein die Umstände des erstmaligen Erwerbs zu dieser Vermögensmasse, also die causa possessionis und die mala fides, die der Sklave gesetzt hat. Interne Veränderungen der Zuordnung zwischen Herrn und Sklaven sind für das Außenverhältnis irrelevant. Es bleibt festzuhalten, daß gemäß D.41,4,2,12 die anfängliche mala fides des Sklaven erheblich ist und auf keine Weise durch die bona fides des Herrn ausgeglichen werden kann78 • 11. Paulus zitiert noch einmal Celsus, der einen gleichartigen Fall mit derselben Begründung entschieden hat: D.41,4,2,14 (Paul. 54 ed.): Et si quod non bona fide servus meus emerit, in pactionem libertatis mihi dederit, non ideo me magis usucapturum: durare enim primam causam possessionis idem Celsus ait. Der Sklave des Ego hat eine Sache gekauft und später dem Ego im Tausch gegen seine Freilassung gegeben77 • Der Sklave ist bei dem Erwerb bösgläubig, der Herr - wie anzunehmen - auch noch bei dem Tauschgeschäft mit seinem Sklaven gutgläubig. Trotzdem ersitzt er die Sache nicht. Denn die erste causa possessionis dauert fort 78 •
78 Nicosia 229 streicht den ganzen, oben abgedruckten Satz. Störend ist allenfalls dicendum est ut. Beseler IV 68 fügt nach dicendum est ein consequens esse und heilt damit diese Beanstandung. Er streicht zwar auch et ideo rell, ändert damit aber sachlich nichts an dem überlieferten Ergebnis. 77 Zu dieser pactio: Pernice, SZ 9 (1888) 218 Anm. 2. 78 Schloßmann, SZ 24 (1903) 16 Anm. 1 und S. 44 führt Formulierung und Ergebnis auf die Regel der veteres zurück, nemo sibi ipse causam possessionis mutare potest. Zu dieser Regel zuletzt Schmidlin, Rechtsreg. 90 ff. Schloßmann hält die überlieferung dieser Stelle zwar für echt, findet die Entscheidung aber nicht richtig. Denn der Herr hätte doch für die Sache ein Äquivalent, die Freilassung, gegeben. Er hätte damit die Sache auf Grund eines iustus titulus erworben.
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Da der Sklave die Sache seinem Herrn im Tausch gegen seine Freilassung gibt, wird er sie in seinem Pekulium gehabt71 , sie also nicht auf iussum, sondern ohne Kenntnis des Herrn erlangt haben. Es ist aber nicht ersichtlich, daß Celsus eine andere Entscheidung getroffen hätte, wenn der Sklave die Sache auf iussum des Ego ergriffen hätte. 12. In den vorangehenden Fragmenten hatten Paulus und Celsus erklärt, daß der böse Glaube des Sklaven die Ersitzung des Herrn hindere. Im folgenden Abschnitt beantworten Paulus und Celsus die umgekehrte Frage, ob der gutgläubige Erwerb des Sklaven dem bösgläubigen Herrn die Ersitzung erlaube. D. 41,4,2,13 (Faul. 54 ed.): Si servus bona fide emerit peculiari nomine, ego ubi primum cognovi sciam alienam, processuram usucapionem Celsus ait: initium enim possessionis sine vitio fuisse: sed si eo tempore quo emit, quamquam id bona fide faciat, ego alienam rem esse selam, usu me non capturum. Die Juristen gehen davon aus, daß der Sklave für das Pekulium handele 80 • Damit stellen sie klar, daß er dem Herrn auch ohne seine Kenntnis den Besitz erwirbt81 • Der Sklave ist stets gutgläubig. Aber der Herr ist bösgläubig. Im ersten Fall erlangt der Herr den bösen Glauben erst nach dem Besitzerwerb durch den Sklaven8!, wenn auch vor der Kenntnis des Erwerbes. Dann ist der böse Glaube des Herrn unschädlich, weil die mala fides superveniens nicht schadet und der Erwerb makelfrei gewesen ist. Im zweiten Fall hat der Herr hingegen den bösen Glauben schon bei dem Erwerb durch den Sklaven. Dann ist die Ersitzung gehindert. Der böse Glaube des Herrn schadet ihm also stets - auch wenn der Sklave ohne Kenntnis des Herrn die Sache erwirbt, peculiari nomine, und wenn der Sklave dabei gutgläubig ist83 . 71
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Lotmar, SZ 33 (1912) 309 Anm. 2. Nicosia (0. Anm. 5) 157 f. und 230 f. hält peculiari nomine für itp. An
Stelle dieser beiden Wörter habe ursprünglich rem in dem Text -gestanden. Aber es ist nicht ersichtlich, warum die Kompilatoren bei ihrer Arbeit rem gestrichen haben könnten: Watson (0. Anm. 5) 215 f. Die Streichung von rem würde für die Einfügung von peculiari nomine nichts beweisen. Außerdem kann schon der Jurist rem weggelassen haben, Watson, a.a.O. Für die Itp. spricht auch nicht, daß in § 14 (dazu soeben) und in D. 41,3,43,1 (dazu sogleich) der Hinweis auf das Pekulium fehlt; so aber Nicosia 158 Anm. 42. Allgemeine Bedenken gegen den Text bei Perozzi I 661 Anm. 1. Keine Beanstandungen bei Schulz (0. Anm. 54); Beseler IV 68; Wolff, TR 17 (1941) 163; Fuenteseca (0. Anm. 5) 577 f. 81 Wolff; Fuenteseca; Watson (alle vor. Anm.) und Wieacker, Iura 12 (1961) 377. 8! B.50,4,1 bei Hb. V 64 = B. 50,4,2 bei Sch. A VI 2356; so auch Nicosia 158 und Wieacker 377. 8' Wieacker 377; anders anscheinend Wolft (0. Anm. 80).
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Beide Fälle waren es wert, von Celsus behandelt und von Paulus in D.41,4,2,13 überliefert zu werden. Der Ausgangspunkt in beiden ist derselbe: für die mala fides ist nicht der Zeitpunkt maßgebend, zu dem der Herr von dem Besitzerwerb erfährt, sondern zu dem der Herr den Besitz erlangt. Ist der Herr zu dem maßgeblichen Zeitpunkt bösgläubig, so ist deswegen die Ersitzung gehindert. Der gute Glaube des Sklaven nützt dem Herrn nichts, obwohl der Besitzerwerb des Sklaven ihm zugute kommt. - Handelte der Sklave in beiden Fällen auf iussum des Herrn, so mochten die Zulassung der Ersitzung im ersten und die Ablehnung der Ersitzung im zweiten Fall unproblematisch seins,. 13. Papinian nimmt zu dem Problem Stellung in D. 41,3,43,1 (pap. 22 quaest.): Patrem usu non capturum, quod fllius emit, propter suam vel ruH scientiam certum est. Das kurze Fragment - vielleicht eine Zusammenfassung der Kompilatoren - läßt offen, ob der Sohn die Sache für den Vater oder für das Pekulium gekauft hatS5 • Es verweigert jede Unterscheidung danach, ob der Sohn selbst oder ob der Vater bösgläubig86 ist. In jedem Fall ist die Ersitzung ausgeschlossen. Die mala fides des Sohnes wird dem Vater zugerechnet. Die bona fides des Sohnes nützt dem Vater - ist er selbst bösgläubig - nichts. 14. Ulpian kommentiert in D.6,2,7 das Edikt über die actio Publiciana. Mit D.6,2,7,11 beginnt er die Erläuterung zu den Worten "qui bona fide emit"s7. In § 12 fragt er, ob die bona fides des Erblassers oder des Erben maßgebend seiSS• In § 13 untersucht er, wie sich der dolus des
Sklaven oder des Herrn auswirkt:
D.6,2,7,13 (Ulp.16 ed.): Sed enim si servus meus emit, dolus eius erit spectandus, non meus, vel contra. Ulpian ist der Ansicht, daß der dolus des Sklaven, der die Sache gekauft hat, schadet. Er fährt fort, daß auf den dolus des Herrn nicht geachtet zu werden brauche. Wenn also schon der Sklave arglistig handelt, kommt es auf den dolus oder die bona fides des Herrn nicht mehr an. 8' Anders (0. Anm. 5)
De Francisci (0. Anm. 40); Schulz (0. Anm. 54) und Fuenteseca 577 f. Anders auch Nicosia 231, der die Unterscheidung in Pekuliar- und Nichtpekuliarerwerb für kompilatorisch hält. 8S Deswegen für unecht erklärt von Schulz 64; Rotondi III 213 Anm. 4; Betti, DR 399; ders., Ist. I 229 Anm. 61. S8 Sciens in Kenntnis der Nichtberechtigung des Veräußerers: Nicosia 159Anm.45. S7 Lenel, PaI. II 512 = Ulp.569; ders., SZ 20 (1899) 21 f.; vgI. Erman, SZ 11 (1890) 245 und Kaser I 439 Anm. 7. 88 Wir finden hier dieselbe Gedankenfolge wie bei Pap. D. 41,3,43 pr.!l dazu soeben.
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Vel contra - umgekehrt gelte dasselbe, wird abschließend bemerkt: ist also der Herr bei dem Kauf arglistig, so wird ihm schon um deswillen die actio Publiciana versagt89 • Vielleicht hat sich Ulpian nicht so kurz ausgedrückt, wie überliefert. Die Kompilatoren mögen mit den überlieferten Worten eine ausführlichere Darlegung abgekürzt haben90 • Doch gewinnen die Schlußworte mit der soeben gegebenen Auslegung einen guten Sinn, der von den Basiliken bestätigt wird91 • Ulpian macht keinen Unterschied danach, ob der Sklave für sein Pekulium oder auf iussum des Herrn tätig wird92 • 15. Seit der Glosse wurden aus den besprochenen Stellen widersprüchliche Lehren gezogen. Die Glosse contra ad D. 6,2,7,13 erklärte unter Berufung auf Baldus, es komme stets auf die bona lides des Handelnden, also des Prokurators und nicht des Geschäftsherrn, des Sohnes und nicht des Vaters, an. Denn der titulus werde in der Person des tatsächlich Handelnden begründet. Diesen Gedanken hat jüngst Nicosia wieder neu entwickelt. Nicosia meint, daß sich alle Erfordernisse des Besitzerwerbes ausschließlich in der Person des subiectus verwirklichten 93 , daß auch seine bona oder mala lides maßgebend sei94 • Lediglich die Wirkung des Besitzerwerbes, die usucapio, komme dem dominus oder pater zuguteos. Die mala lides des dominus oder pater werde lediglich als ein zusätzliches, äußerliches Hindernis, welches die usucapio zu seinen Gunsten unterbreche, angeseheno8 . Bartolus ad D.41,4,2,13 unterschied danach, ob der Erwerb für den dominus unmittelbar oder für das PekuIium erfolge: im ersten Fall sei die mala lides des dominus, im zweiten die des Gewaltunterworfenen erheblich. Diese Auslegung findet sich wieder bei De Francisci97 , Fritz Schulz98 und Perozzi99 • Die Glosse sciam ad D.41,4,2,13 berücksichtigte aber auch beim Pekuliarhandeln die mala lides des Gewalthabers, wenn er den Erwerb hätte verhindern können1OO• Anders -gI contra adhl.: bona fides eius, non mea spectanda est. "liederlich", "saloppe Breviloquenz", "echt kompilatorisch" nach Schulz (0. Anm. 54) 64 f. - "Grammatisch unerträglich. Und wie soll man den Tatbestand umkehren? Si ego emi? Und wo bliebe dann der Sklave?", bemerkt Beseler, SZ 66 (1948) 389 (Hauptindiz: vel contra). - Für Unechtheit schon vorher ders., SZ 66, 360 (Indiz: sed enim) und Beitr. 111 197; Rotondi 111 215 Anm. 1; ferner Nicosia 291 und Di Lella (0. Anm. 5) 434 Anm. 8. 91 B. 15,2,7 = Hb.II 170 = Sch. A 11 786. 92 Deswegen hält vor allem Schulz die Stelle für unecht. 93 Nicosia (0. Anm. 5) 20 ff., 87 ff. 94 Ebd., 137 ff. 95 Ebd., 87 ff. 98 Ebd., 159. 97 De Francisci (0. Anm. 40) 1005. 98 Schulz (0. Anm. 54) 63 f. 99 Perozzi I 663 Anm. 3. 100 Wie bei Uip. D. 40,12,16,4 (anders aber Pomp. D. 18,1,12). 89 DO
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Die Glosse seiente(m) ad D.41,4,2,11 sagte kurz: sed in peeuliari noeet domini seientia. Dieser Ansicht war auch DoneZlus mit der zutreffenden Erwägung, daß Gewalthaber und Gewaltunterworfener eine Einheit bildeten: ut servi et filiifamilias eadem persona esse existimentur eum domino vel patre lOl . Für das gemeine Recht ist Windscheid repräsentativ: Wenn der Besitz durch einen Stellvertreter erworben wird, so kommt es auf den guten Glauben des Vertretenen, nicht auf den des Vertreters an. Dies erleidet jedoch eine Ausnahme in den Fällen, in welchen der Besitz ohne den Willen des Vertretenen erworben wird; hier ist notwendig der gute Glaube des Vertreters, es schadet aber der böse Glaube des Vertretenen102 . Beseler verfolgte zunächst dieselbe Linie103, bis er erklärte, diese Meinung sei, "weil unbegreiflich, falsch"104. Zur Gleichwertigkeit der mala fides des einen und des anderen gelangt Paul de Castris ad D. 41,3,43,1: tarn mala fides filii quam etiam patris impedit usueapionem inchoari. Derselben Meinung war Cujaz: Utroque easu igitur utriusque bona fides exigitur105 . Nicht weit von diesem Standpunkt befindet sich Nicosia, wenn er die mala fides des Gewalthabers als ein zusätzliches Ersitzungshindernis ansiehtt 08. Auch Wieacker bestätigt, daß sowohl die mala fides des Gewalthabers als auch die des Gewaltunterworfenen der Ersitzung entgegenstehen107. 16. Das BGB hat die Frage des guten oder bösen Glaubens beim Besitzerwerb durch Dritte, insbesondere durch einen Besitzdiener108, nicht ausdrücklich geregelt. Diese Frage kann zum einen beim gutgläubigen Eigentumserwerb l08 und zum anderen bei der Ersitzung einer beweglichen SachellO und der Haftung des unberechtigten Besitzers111 auftreten. Beim gutgläubigen Erwerb einerseits und bei der Ersitzung und der Haftung des unberechtigten Besitzers andererseits werden der 'gute oder böse Glaube des Besitzherrn und des Besitzdieners auf verschiedene Weise berücksichtigt. Der Besitzerwerb, der zum gutgläubigen Eigentumserwerb führen kann, ist notwendigerweise in die übereignung, ein Rechtsgeschäft, eingebettet. Daher sind die Regeln über die Stellvertretung beim Rechtsgeschäft, §§ 164 ff. BGB, anzuwenden. Nach § 166 Abs. 1 BGB ist grundsätzlich der gute oder böse Glaube des Vertreters, also des Besitzdieners, entscheidend. 101 DoneZlus, Opp. I (Florent. 1840) 1094 f. Comment. de iure civlli lib. V, eap. XVII, nos. VI und VII. 102 Windscheid - Kipp (0. Anm. 17) 920; ebenso schon Unterholzner, Verjährung I, 2. Aufl. (1858) 412 f.; Vangerow, Pand. I, 7. Aufl. (1863) 605 Anm. 3; Puchta, Pand., 10. Aufl. (1866) 239; ders., Syst., 10. Aufl. (1893) 209 Anm. 00. 103 Beseler IV 62 f. unter Berufung auf Cuiacius (zu dessen Meinung sogleich) und mit der Anm.: Dabei ist nicht zu vergessen, daß mala fides des Gewalthabers die bona fides des subiectus paralysiert. 104 Beseler, SZ 43 (1922) 417 f. 105 Cuiacius, Opp. VI (Prati 1838) 659 Ad tit. de usurp. et usueap. ad l. heres; ders., Opp. IV (Prati 1837) 1492 f. In lib. XXII quaest. Pap. ad l. heres. 108 Oben Anm. 93 bis 96. 107 Wieacker, Iura 12 (1961) 376 f. 108 § 855 BGB. 108 §§ 932 ff. BGB. 110 §§ 937 ff. BGB. 111 §§ 990, 987, 989 BGB.
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In dieser, der Repräsentationstheorie des gemeinen Rechts entsprechenden
Vorschrift1l2, zeigt sich die scharfe Trennung zwischen den Voraussetzungen des Geschäfts, die aus der Person des Vertreters beurteilt werden, und den Wirkungen, die in der Person des Geschäftsherrn eintreten sollen. Das Gesetz selbst schwächt den Grundsatz des § 166 Abs. 1 durch die Vorschrift des Abs. 2 ab: wenn der Vertreter nach bestimmten Weisungen des Geschäftsherrn gehandelt hat, so ist auch der böse Glaube des Geschäftsherrn erheblich. Die Rechtsprechung hat das starre Prinzip des Abs. 1 noch weiter abgemildert und die Ausnahmevorschrüt des Abs. 2 auch auf Fälle angewandt, in denen der Vertreter nicht nach einem Spezialmandat des Geschäftsherrn gehandelt hatm . Die Literatur hat sich noch stärker gegen die allzu starre Regelung des Gesetzes gewandt114• Doch stimmen mit dem Grundsatz des § 166 Abs. 1 BGB die Lehren überein, die im römischen Recht die bona oder mala fides entweder nach der Person des Gewaltunterworfenen oder des Gewalthabers beurteilen1ll• Das Reichsgericht hat die Regeln über die Stellvertretung auch herangezogen, als es um die Haftung des unberechtigten Besitzers ging, der eine Sache durch einen bösgläubigen Besitzdiener erlangt hattel18 ; und dasselbe würde wohl auch für die Ersitzung des Geschäftsherrn gelten, dessen Besitzdiener nicht in gutem Glauben war. Der unberechtigte Besitzer, der bei dem Besitzerwerb nicht in gutem Glauben war, haftet dem Eigentümer wegen entgangener Nutzungen117 und wegen einer Verschlechterung der Sache118• Diese Vorschrift knüpft an den bloßen Besitzerwerb an, der nicht - wie etwa der Besitzerwerb innerhalb einer übereignung - in ein Rechtsgeschäft eingebettet ist. Dieser Besitzerwerb ist nicht selbst ein Rechtsgeschäft, sondern eine reine Tathandlung. Deswegen hat der Bundesgerichtshof in diesem Fall nicht unmittelbar die Stellvertretungsregeln angewandt118• Der Besitzherr haftet wegen seiner eigenen, persönlichen Unredlichkeit unmittelbar nach § 990. Er muß sich außerdem die Bösgläubigkeit seines Besitzdieners zurechnen lassen. Das ergibt sich vor 112 Motive I 226. Zu der Repräsentationstheorie schon oben Anm. 49; zu der ihr gegenüberstehenden Geschäftsherrntheorie oben Anm. 48. 113 Insbesondere RGZ 68, 374 (377); 161, 153 (161); BGHZ 38, 65 (68); 40, 42 (46); 50, 364 (368); 51, 141 (145). 114 Vor allem Müller-Freienfels, Vertretung beim Rechtsgeschäft (1955) pass. und Thiele, Die Zustimmungen in der Lehre vom Rechtsgeschäft (1966) pass. 115 Oben bei Anm. 93 bis 103. 118 RG SeuffA 79 (1925) Nr. 186 S. 302 f.; dazu noch die unveröffentlichte Entscheidung des Reichsgerichts vom 6.11.1931- VII 157/31-zitiert in BGHZ 32, 53 (57). 117 Nach §§ 990, 987 hat der Besitzer dem Eigentümer die gezogenen Nutzungen herauszugeben und für die Nutzungen, die er nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft hätte ziehen können, aber schuldhafterweise nicht gezogen hat, Ersatz zu leisten. 118 Nach §§ 990, 989 ist der Besitzer dem Eigentümer für den Schaden verantwortlich, der dadurch entsteht, daß infolge seines Verschuldens die Sache verschlechtert wird, untergeht oder aus einem anderen Grunde von ihm nicht herausgegeben werden kann. 111 BGHZ 16, 259 ff. und BGHZ 32, 53 ff.
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allem daraus, daß der Besitzherr den Besitzdiener im Rechtsverkehr für sich handeln läßt, so daß der Besitzdiener die wirtschaftliche Fwlktion des Besitzherrn erfüllt. Wenn er dem Besitzdiener die Prüfung der Besitzberechtigung überläßt, kann er sich bei Bösgläubigkeit des Besitzdieners nicht auf seinen eigenen guten Glauben berufen. "Der Besitzdiener repräsentiert in gewissem Sinn den Besitzherrn tatsächlich und stellt gleichsam das Organ dar, durch das dieser beim Besitzerwerb handelt", erklärt der Bundesgerichtshof120 und berücksichtigt deswegen den bösen Glauben des einen wie des anderen. Dieses Ergebnis entspricht schon der Auffassung der römischen Juristen, wie sie sich nach unserer Meinung aus den Quellen ergibt. 17. Die bona fides des Ersitzungsbesitzers wird im römischen Recht nur bejaht, wenn sowohl der Besitzer121 selbst als auch die Hilfsperson, die den Besitz für ihn begründet hat122, gutgläubig waren. Die bona fides des einen wird also durch die mala fides des anderen gelähmt. Es wird nicht danach unterschieden, ob die gewaltabhängige Hilfsperson mit oder ohne Wissen des Gewalthabers gehandelt hat'!8. Die mala fides des Gehilfen ist auch dann schädlich, wenn er die Sache zunächst behalten und erst später - beispielsweise nach Einziehung des Pekuliums 124 oder als Gegenleistung für die Freilassung126 - an den Herrn weitergegeben hat. Es ist insofern gleich wie in dem Fall des Identitätsirrtums beim Besitzerwerb126 : der Irrtum des einen der Beteiligten ist unbeachtlich, solange der andere die erheblichen Umstände kennt. In gleicher Weise werden die Fälle, die die exceptio doli betreffen, beurteilt: die exceptio wird nicht nur wegen eines dolus des Geschäftsherrn127, sondern auch wegen eines arglistigen Verhaltens der Hilfsperson gewährt'28. Nur wirkt sich, entsprechend der Abwägung der dabei betroffenen Interessen, die jeweilige Berücksichtigung verschieden aus: der dolus und die mala fides sind für den Erwerber ungünstig, der Irrtum beim Abschluß des Schuldvertrages und die Irrtumsfreiheit beim Besitzerwerb sind, zumindest im praktischen Ergebnis, für ihn meist vorteilhaft. Alle diese Ergebnisse widersprechen den Lösungsversuchen, die, von der Person der Beteiligten ausgehend, die Vorstellungen und VerhalBGHZ 16,259 (264). Ulp. D. 6,2,7,13; Pap. D. 41,3,43,1; Cels.-Paul. D. 41,4,2,13. 122 Ulp. D. 6,2,7,13; Pap. D. 41,3,43,1; Paul. D. 41,4,2,10/11/12/14. 123 Vgl. insbes. Cels.-Paul. D. 41,4,2,11. 124 Pomp.-Paul. D. 41,4,2,12. 126 Cels.-Paul. D. 41,4,2,14. 126 Paul. D. 41,2,34 pr.!l. 1!1 Ulp. D. 44,4,4,17 und 19. 128 Ulp. D. 44,4,4,17-19; Paul. D. 44,4,5,3; Nerat. D. 44,4,11 pr. im einzelnen s. o. Anm. 54. 120
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tensweisen entweder des Geschäftsherrn oder der Hilfsperson entscheiden lassen wollen12'. Auf die Gründe, die die überlieferten Entscheidungen tragen könnten, wurde schon hingewiesen: Der entscheidende, von den Pandektisten130 und dem BGB verworfene Gesichtspunkt ist der, daß Gewalthaber und Gewaltunterworfener in gewisser Weise eine Einheit bilden13 l, so daß die Kenntnis des einen dem anderen zugerechnet wird. Es kommt hinzu, daß sowohl der Gewalthaber als auch der Gewaltunterworfene den anderen davon unterrichten kann, wenn er von der Fremdheit der Sache und der Erwerbsabsicht erfährt. Die Erheblichkeit der mala fides des Gewalthabers selbst erklärt sich auch damit, daß er selbst Besitzer der Sache wird und er selbst das Eigentum im Wege der Ersitzung erlangen würde. Wenn der Gewalthaber seinen Sohn oder Sklaven zum Besitzerwerb benutzt, muß er es auch in Kauf nehmen, daß ihm die Kenntnis dieser Personen wie seine eigene angerechnet wird. Das gilt erst recht, wenn diese Personen ohne sein Wissen für ihn Besitz begründen. An dieser Stelle zeigt sich auch die Fruchtbarkeit des von Kaser für das römische Recht hervorgehobenen Gedankens, daß die Gewaltabhängigen als Organe des Gewalthabers angesehen werden können132 • Dasselbe Argument verwandte der Bundesgerichtshof, um im modernen Recht die Bösgläubigkeit des Besitzdieners dem Besitzherrn zuzurechnen133 •
In Siehe insbes. o. Anm. 93 bis 103 wegen der bona oder mala tides; oben Anm. 40, 45 und 46 wegen error oder scientia beim Besitzerwerb; dazu die Regelung in § 166 Abs. 1 BGB für das moderne Recht. taO Unterholzner (0. Anm. 102). 131 So Donellus (0. Anm. 101). 132 Kaser, Romanitas 9 (1971) 343 ff.; s. auch schon Betti, DR 392 und Ist. 1221. ns BGHZ 16, 259 (264).
Kauf und Pacht bei Abzahlungsgeschäften im römischen Recht Von Rolf Knütel 1. Die Typenkombination. - 11. Die Rechtsstellung der Parteien. Allgemeines. - III. Die Rechtsstellung des Käufers. - 1. Die Verpflichtung zur Zahlung des Pachtzinses; die' Zuständigkeit der actio locati. - 2. Die Auswirkung der Kaufpreiszahlung auf die Pflicht zur Entrichtung des Pachtzinses. - 3. Die Auswirkung einer Auflösung des Kaufvertrages. - 4. Der Untergang der Kaufsache. - 5. Die Rechte des Käufers. - 6. Fortsetzung: Der Ausschluß des Rücknahmerechts gegenüber dem vertragstreuen Käufer. - 7. Die Aktivlegitimation zum interdictum quod vi aut cZam. - 8. Die Rücktrittsvorbehalte bei der Koppelung von Kauf und Pacht. - IV. Die Rechtsstellung des Verkäufers. - 1. Die Vertragsgestaltung in Paul. D.19.2.20.2: Alternative Kombination? - 2. Fortsetzung: Kumulative Kombination. 3. Das Fehlen der Verpächterhaftung. - 4. Die Parallele in Bas.20.1.55 V. Zusammenfassung.
I. Beim römischen Kauf auf Ratenzahlungsbasis 1 übernahm der emptor vielfach bis zu dem Zeitpunkt, in dem er den gesamten Kaufpreis erbracht hatte, die Sache als conductor oder als Prekarist. Auf diese Weise konnte er bereits ab Kaufabschluß die Sache nutzen; zugleich blieb der Verkäufer gesichert, denn er behielt das Eigentum und bei der locatio conductio auch den (juristischen) Besitz. Eine traditio fand nicht statt (Iav. D. 18,6,17); der Käufer erlangte kein bonitarisches Eigentum.
Zur allgemeinen Abgrenzung sei schon vorgriffsweise hervorgehoben, daß dieses "Abzahlungsgeschäft" , das pactum reservati dominii* des gemeinen Rechts:!., eine der drei Fallgruppen bildet, die bei der Verbindung von emptio venditio und locatio conductio hauptsächlich zu unterscheiden sind: Die Pachtabrede kann - so die erste Fallgruppe bloße Nebenbestimmung (pactum adiectum*) des Kaufvertrages sein. Sie ist dann in diesen eingegliedert und teilt dessen Schicksal. Nach Nur mit Verfassernamen werden zitiert: Daube, CLJ 10 (1948) 77 H. Daube I); Daube, RIDA 5 (1958) 427 ff. (= Daube II); Mayer-Maly, Locatio conductio (1956); Thomas, Iura 10 (1959) 103 ff.; Tondo, Labeo 5 (1959) 157 ff. - Abkürzungen nach Kaser, RP 12 (1971) XIX ff. 2 Siehe dazu die Lit. bei Windscheid-Kipp § 172 A. 18. Zur Eigentumsvorbehaltsfunktion auch Pringsheim, SZ 50 (1930) 407; Steinwenter, RE 44. Halbb. (1954) 1817 s. v. precarium; Mayer-Maly 61 f. 1
(=
3 Festschrift Kaser
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durchgedrungener sabinianischer Lehre ist sie mit den Kaufklagen durchsetzbar'. Während die Pachtabrede in dieser, aus moderner Sicht den gemischten Verträgen zuzuordnenden Vertragsgestaltung unselbständig ist, wahrt sie in den beiden anderen Konstellationen ihre Eigenständigkeit. Sie kann - zweitens - zum Kauf im Verhältnis der "alternativen Kombination"4 stehen, wenn die Parteien zwar gebunden sein wollen, aber nur kauf- oder mietrechtlich. Dies ist z. B. der Fall, wenn jemand Maultiere mit der Abrede übernimmt, daß er sie bei Gefallen kaufe, bei Nichtgefallen aber für jeden Tag der Überlassung eine bestimmte Vergütung zahle 5 • Schließlich kann auch - drittens eine "kumulative Kombination" von Kauf und Pacht gegeben sein, wenn nämlich beide Verträge selbständig nebeneinander bestehen und - jedenfalls grundsätzlich - eigenständige Leistungsverpflichtungen begründen. Eine solche Vertragskopplung wurde offenbar bei dem uns interessierenden Kauf mit Ratenzahlung verwendet': Der Käufer pachtet das Grundstück: bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung. Ir. Eine allgemeine Kennzeichnung der aus dem Nebeneinander der Kontrakte erwachsenden Situation findet sich bei Paulus: D. 19,2,20; 22 pr. (Paul. 34 ed.) Sicut emptio ita et locatio sub condicione fieri potest: (1) sed donationis causa eontrahi non potest. (2) Interdum loeator non obligatur, eonduetor obligatur, veluti cum emptor fundum eondueit, donee pretium ei solvat. (22 pr.) Item si pretio non soluto inempta res facta sit, tune ex loeato erit aetio. Der Jurist hebt im Rahmen einer einleitenden allgemeinen Kennzeichnung7 der locatio conductio hervor, daß dieser Vertrag ebenso wie der Kauf bedingt abgeschlossen werden kann, nicht aber unentgeltlich. Das erste war vielleicht einmal umstritten8 , das zweite hingegen widerspricht dem Wesen dieses notwendig zweiseitig verpflichtenden Ver3 Iav. D. 18,1,79; Paul. D.19,1,21,4; Herm. D. 18,1,75 sowie Pomp. D.19,1,6,1 (werkvertragliche Nebenabrede); Iul. D. 19,1,28; vgl. Hoeniger, Untersuchungen zum Problem der gemischten Verträge, 1. Bd. (1910) 340 ff., 346; Daube in: Studies in the Roman Law of Sale (ded. De Zulueta) (1959) 31 ff. 4 Ausdruck nach Rümelin, Dienstvertrag und Werkvertrag (1905) 105; zustimmend Hoeniger (0. A. 3) 325 f. 6 Mela-Ulp. D. 19,5,20,1, dazu etwa Siber, Die Passivlegitimation bei der Rei vindicatio (1907) 56 (Verhältnis zweier alternativer Vereinbarungen); Biondi, Contr. 110; anders Tondo 196 A.58. Ein anderes Beispiel bei Gai. 3,146, vgl. Mitteis, RP 168 A. 3; Hoeniger 324; Mayer-Maly 73. • Näheres u. IV. 7 Vgl. Lenel, Paling.l,1037, Paul. 518. Die Fragmente gehören inden Zusammenhang de contrahenda locatione, Lenel, EP 300; Mayer-Maly, Iura 6 (1955) 129; Thomas 107 A.19. 8 Vgl. Gai. 3,146 i. f., dazu jedoch Mitteis (0. A. 5); Haymann, SZ 48 (1928) 366.
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tragesU• Der Gesichtspunkt, die locatio conductio dürfe nicht unentgeltlich, also nicht einseitig verpflichtend, abgeschlossen werden, veranlaßt den Klassiker dann zu einer für seine assoziative Darstellungsweise typischen Zusatzbemerkung: Bisweilen werde allerdings doch nur eine Partei aus dem Pachtvertrag verpflichtet, nämlich der Käufer (Pächter), der das gekaufte Landgut bis zur Zahlung des Kaufpreises pachte. Vermutlich hat der Jurist hierzu noch Näheres ausgeführtlO , ehe er den noch in den Zusammenhang gehörenden Hinweis gab, daß die actio locati gegeben sei, wenn der Kaufvertrag wegen Ausbleibens der Kaufpreiszahlung kraft einer lex commissoria vom Verkäufer aufgehoben werde. Abgesehen von der nach solvat zu vermutenden Kürzung erscheint das Fragment formal kaum anstößigll. Auf die inhaltliche Besonderheit des fr.20,2, die Verallgemeinerung, daß aus der Pachtabrede zwar der Käufer, nicht aber der Verkäufer verpflichtet werde, soll erst nach der Erörterung der Einzelfragen zur Rechtsstellung der Parteien eingegangen werden. IH. Zu diesen Einzelfragen enthält das fr.20,2 insoweit eine Auskunft, als es klarstellt, daß die Pacht den Käufer zur Zahlung des Pachtzinses verpflichtet. Dieser wurde vermutlich mit der actio locati eingeklagt. 1. Daube l ! nimmt allerdings an, dem Verkäufer/Verpächter habe für den Pachtzins nur die actio venditi zur Verfügung gestanden. Die Kompilatoren hätten eine entsprechende Bemerkung des Paulus als uninteressant gestrichen. Gegen diese Annahme spricht jedoch die Hervorhebung conductor obligatur, denn der Pächter/Käufer würde als conductor dann gerade nicht haften. Für Daubes Auslegung ist zudem der Kontext ungünstig, in dem es um die Gegenseitigkeit und ihre Durchbrechung bei der locatio conductio geht. Nach Daubes Deutung wäre im übrigen zu folgern, die Pachtabrede sei voll in den Kauf eingegliedert, also ein unselbständiges pactum adiectum13 • Dies würde mit U Vgl. Michel, Gratuite en droit rom. (1962) 256; Tondo 200; s. auch Ulp. D. 41,2,10,2 = 19,2,46, dazu Mi;chel 254 f.; auch Scherillo, RIL 62 (1929) 397 A. 1,418 A. 3; Guarino, DPR 827 Anm. 10 Lenel, Paling. 1,1037 A. 1; Daube II 430 (dazu jedoch u. bei A.12); anders Tondo 199, 201, 203. Hierfür spricht das item des fr. 22 pr., das auch als Anknüpfung an fr.21 kaum Sinn gibt (Bechmann, Kauf III 1 [1905] 214 A. 1; anders Thomas 107 ff.) und daher echt sein dürfte; für Itp. jedoch SibeT, SZ 53 (1933) 542; MayeT-Maly 60; Thomas 107. 11 Auch die Hervorhebung conductoT obligatuT in fr.20,2 paßt gut in den Zusammenhang (vgl. u. IV 3, 4). Für Echtheit auch Thomas 107 A.19; Tondo 200 A. 66; beide gegen MayeT-Maly 60, 61 A. 4. 12 Daube II 430, 433. 13 Gegen eine solche Annahme auch MayeT-Maly 61 A. 8; Tondo 200 A.63 (zu fr. 21).
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dem für den Eigentumsvorbehalt wichtigen Zweck, die besitzschutzlose Inhabung auf Grund einer locatio conductio herbeizuführen, schwerlich im Einklang stehen, denn der Käufer müßte dann - jedenfalls grundsätzlich - pro emptore besitzen. Auch wäre die actio locati in D.19,2,22 pr. nach Auflösung des Kaufs infolge einer lex commissoria kaum zu begründen, denn ein pactum adiectum teilt das Schicksal des Vertrages, dem es beigegeben ist; es würde also bei den Kaufklagen verbleiben. Schließlich dürfte auch das von Daube herangezogene Fragment Iav. D. 18,1,79 für unseren Zusammenhang nicht aussagekräftig sein, denn dort geht es um eine abweichende Situation: D. 18,1,79 (Iav. 5 ex posterioribus Labeonis) Fundi partem dimidiam ea lege vendidisti, ut emptor alteram partem. quam retinebas, annis decem certa pecunia in annos singulos conductam habeat. Labeo et Trebatius negant posse ex vendito agi, ut id quod convenerit fiat. ego contra puto, si modo ideo vilius fundum vendidisti, ut haec tibi conductio praestaretur: nam hoc ipsum pretium fundi videretur, quod eo pacto venditus fuerat: eoque iure utimur. Der Verkäufer hat die Hälfte eines Grundstücks mit der Bestimmung verkauft, daß der Käufer die andere Hälfte zehn Jahre lang zu einem festen Jahreszins pachte. Im Gegensatz zu Labeo und Trebaz gewährt J avolen die actio venditi zur Durchsetzung der Pachtabrede, sofern der Verkäufer ihretwegen billiger verkauft habe. Das im wesentlichen unberührte Fragment14 gibt nach herrschender Auffassung einen Schulenstreit wieder15 • Die Prokulianer haben sichoffenbar aus dem allgemeinen Bestreben heraus, die actio venditi im wesentlichen auf die Einforderung des Preises zu beschränken - im vorliegenden Fall für eine actio in factum ausgesprochen. Javolen vertritt demgegenüber den siegreichen sabinianischen Standpunkt, daß auch hier die actio venditi in Betracht komme. Wesentlich für die Zubilligung dieser Klage war der auch später noch!6 betonte Gesichtspunkt, daß eine derartige Pachtabrede die Höhe des Kaufpreises beeinflusse. Dies ist in der von fr.79 behandelten Situation meist der Fall, denn wenn ein Verkäufer einen Käufer zusätzlich auf 10 Jahre in einem Pachtvertrag - womöglich noch zu einem hohen Pachtzins - binden 14 Eoque iure utimur mag weitere Ausführungen verdecken; Arangio-Ruiz (u. A. 15) vermutet, Javolen spreche im Namen der Sabinianer. Statt videretur ist videtur zu lesen, vgl. Arangio-Ruiz, Compr.138 A.l, dessen Verdächtigung von si modo - praestaretur allerdings nicht überzeugt. 15 Daube II 430; ders. (0. A. 3) 31 f., 34; ders., Iura 11 (1960) 99 f.; Thomas 106 A. 13; ders., in: Studies De Zulueta (0. A. 3) 165; ders., IJ 1 (1966) 125; vgl. auch Hoeniger (0. A. 3) 344 f.; Arangio-Ruiz, Iura 11 (1960) 311; Watson, ObI. 41 f. 11 Paul. D.19,1,21,4; Herm. D.18,1,75, vgl. auch Sab.-Pap. D. 18,7,6,1; Iav. D. 18,4,24; Scaev. D. 18,7,10; Daube, Iura 11, 99 f.
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will, dann muß er dem Käufer regelmäßig mit einern attraktiven Kaufpreis entgegenkommen. Beim Abschluß eines Pachtvertrages bis zur Kaufpreiszahlung hat dieser Gesichtspunkt jedoch kaum überzeugende Kraft. Hier wird die Abrede nicht im Interesse des Verkäufers, sondern des Käufers getroffen; sie wäre entbehrlich, wenn der Käufer den Kaufpreis bei Kaufabschluß sogleich entrichten könnte 17 • Der venditoT hat also keinen Anlaß, den Kaufpreis herabzusetzen; er ist - wie die heutige Praxis beim Verkauf auf Raten zeigt - eher geneigt, ihn heraufzusetzen. Die in D.18,1,79 überlieferte Kontroverse trägt deshalb nicht die Annahme, Paulus (D. 19,2,20,2) habe mit der siegreichen sabinianischen Lehre auch bei der uns interessierenden kumulativen Vertragskombination die actio venditi als die allein maßgebliche Klage auf den Pachtzins befürwortet. Wie in D.18.1.79, so ist auch in den von Daube gleichfalls als Parallele herangezogenen Fragmenten Paul. D. 19.1.21.4 und (daran anknüpfend)18 Herm. D. 18.1.75 die Situation eine andere. Dort geht es darum, daß sich der Verkäufer beim Kaufabschluß ausbedingt, daß er selbst das verkaufte Grundstück zu einem bestimmten Pachtzins pachten dürfe l9 • Auch in diesen Fällen spricht der Gesichtspunkt quasi in partern pretii ea res sit (Paul. D. 19.1.21.4) dafür, die Pachtabrede mit der actio venditi durchzusetzen. Bei unserem Koppelungsgeschäft hat dieses Argument jedoch kein Gewicht. Man darf demnach annehmen, daß dem Verkäufer/Verpächter als Klage auf den Pachtzins die actio locati zur Verfügung stand20 • Zwar ist angesichts des weiten Beurteilungsspielraums, den die bona fidesKlausel eröffnet, denkbar, daß die Zins ansprüche auch mit der actio venditi durchgesetzt werden konnten; daß dieses aber der Regelfall gewesen sei, ist nicht wahrscheinlich. 2. Die Pflicht zur Zahlung des Pachtzinses endet, sobald der Käufer/ Pächter den gesamten Kaufpreis entrichtet hat. Dies zeigt D. 19,2,21 (Iavolenus 11 epist.) Cum venderem fundum, eonvenit, ut, donee peeunia omnis persolveretur, eerta mereede emptor fundum eonduetum haberet: an soluta peeunia merees aeeepta fieri debeat? respondit: bona fides exigit, ut quod eonvenit fiat: sed non amplius praestat is venditori, quam pro portione eius temporis, quo peeunia numerata non esset. 17 Dies zeigt der Umstand, daß die Pacht nur bis zur Kaufpreiszahlung währt (u. III 2). Nicht entgegen steht, daß die konkrete Ausgestaltung der Vertragskoppelung besonders den Verkäufer begünstigt (Eigentumsvorbehalt, Zinsgewinn [u. A. 53], Kulturpflicht des Käufers). 18 Liebs, Hermogenians Epitome (1964) 51. I, Vgl. auch Tab. Here. 31 (par. deI pass. 8 [1953] 455), wo sich der Verkäufer vermutlich das Recht vorbehalten hat, das verkaufte Grundstück noch eine Zeit lang zinslos (!) zu nutzen; dazu Arangio-Ruiz, Bull. 61 (1958) 299 f. 20 Vgl. Tondo 202 f.
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a) Vor eiruger Zeit haben Daube und Thomas 21 dieses Fragment exegetisch untersucht. Beide gehen von folgendem Sachverhalt aus: A verkauft B ein Grundstück. Dabei wird vereinbart, daß der Kaufpreis bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, etwa fünf Jahre nach dem Kaufabschluß, - möglicherweise in Raten - entrichtet werden soll. Weiterhin wird abgemacht, daß B während dieser fünf Jahre das Grundstück zu einem bestimmten Zins pachten solle. Als B schon nach zwei Jahren den vollen Kaufpreis zahlt, erhebt sich die Frage, ob ihm der Pachtzins für die ausstehenden drei Jahre erlassen werden muß.
Daube vermutet, Javolen habe die Fallfrage mit der Begründung verneint, die bona fides erfordere, daß das Vereinbarte, nämlich der Pachtvertrag, eingehalten werde. Der anderslautende Schlußteil des Fragments (sed non amplius rell.), wonach der Pächter nur den bereits aufgelaufenen Zins zu entrichten habe, sei unecht; er entspringe byzantinischem Billigkeitsdenken. Thomas hingegen bezieht den Satz bona fides exigit, ut quod convenit fiat nicht allein auf die Pachtabrede, sondern auf die Gesamtheit der Parteivereinbarungen. Javolen habe hervorgehoben, es komme darauf an, welcher Zweck jeweils mit der Koppelung von Kauf und Pacht verfolgt werde. Sei mit der Pachtabrede eine erhöhte Verzinsung des Kaufpreises bezweckt worden, so habe die bona fides die Einhaltung des Pachtvertrages und damit die Zinszahlung bis zum Ablauf der fünf Jahre geboten. Habe die Pacht dagegen nur die dingliche Rechtsstellung des Verkäufers sichern sollen, so werde sie mit der Kaufpreiszahlung aufgelöst. Im vorliegenden Fall habe J avolen sich für die Auflösung ausgesprochen; sed non amplius rell. sei jedoch interpoliert. Das item des anschließenden fr.22 lasse erkennen, daß Javolen dem Käufer! Pächter die actio conducti auf Befreiung vom restlichen Pachtzins zuerkannt habe. Beide Deutungen stoßen jedoch auf Bedenken, erstens, weil der Text seinem äußeren Befund nach von durchgreifenden Interpolationsindizien frei ist!!, zweitens, weil beide Auslegungen voraussetzen müssen, daß der Käufer nach der Zahlung seine eigene Sache wirksam in Pacht 21 Daube I 77 ff., II 433 f.; Thomas 103 ff. zz Von der Echtheit gehen aus Horvat, St. Arangio-Ruiz 1 (1953) 432 f.; Mayer-Maly 60 ff.; Tondo 199 f.; zu b. f. exigit s. auch Meylan, St. Riccobono 4 (1936) 306 A. 82; Gandolfi, Studi sull'interpretazione etc. (1966) 360; Knütel, SZ 84 (1967) 153; zu persolvere Daube, SZ 76 (1959) 231. Respondit ist eine Stileigenart Javolens, Mayer-Maly 61 A.7; Watson, Synt. Arangio-Ruiz 1 (1964) 290 ff. Der von Daube I 82 und Thomas 106 gerügte Personenwechsel (venderem - venditori) dürfte daher rühren, daß Javolen (ebenso wie insbesondere Scaevola) den Sachverhalt in Anlehnung an die Anfrage formuliert hat, vgl. Watson 292. Zu radikal Beseler, St. Bonfante 2 (1930) 81.
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haben könne 23, und drittens, weil den Vereinbarungen nicht entnommen werden kann, der Käufer sei an eine von vornherein genau bestimmte Zeit - etwa fünf Jahre - fest an den Pachtvertrag gebunden. b) Zwar werden die Parteien ein Zahlungsziel für den Kaufpreis vorgesehen haben; omnis und persolvere sprechen für eine Ratenzahlungsvereinbarung, aus der sich durch Addition der Ratenzeiträume ein Zahlungsendtermin erschließen läßt. Die Pacht ist an diesen Termin jedoch nur in dem Sinne gekoppelt, daß er ihre Höchstdauer fixiert. Die Klausel donee peeunia omnis persolveretur bindet die Laufzeit des Pachtvertrages in erster Linie nicht an einen kalendermäßig bestimmten Termin!4, sondern vielmehr an das Faktum der Kaufpreiszahlung. Technisch handelt es sich darum, daß ein z. B. auf 5 Jahre befristeter Pachtvertrag unter der auflösenden Bedingung vorzeitiger Kaufpreiszahlung steht211 • Für diese Deutung spricht außer dem Wortlaut der Abrede auch die Interessenlage. Die Klausel sieht die Kaufpreiszahlung vor dem Ablauf des Zahlungsendtermins geradezu vor; sie ist dem Umstand angepaßt, daß Zahlungstermine römischer Auffassung nach zugunsten des Schuldners bestehen!'. Wenn der Käufer/Pächter unabhängig von einer Ratenvereinbarung den Kaufpreis jederzeit erbringen konnte und der Verkäufer durch dessen Zurückweisung in Annahmeverzug geraten würde, dann war es sinnvoll, die Pachtdauer nicht an einen Kalenderzeitpunkt zu binden, sondern auf die Zahlung des Kaufpreises selbst abzustellen. Nach der Zahlung erlischt das Interesse des Verkäufers am Grundstück; mit der Erfüllung des Kaufs ist auch der Zweck der nur zur Abwicklung eingeschalteten Pacht entfallen. e) Javolens Antwort bona fides exigit, ut quod eonvenit fiat kann deshalb nicht als Anspielung auf den Pachtvertrag gedeutet werden, der fortzusetzen sei oder dessen Zinsverpflichtung jedenfalls weiterhin 23 Nach Daube I 79 ff., II 434 und Thomas 104 soll die grundsätzliche Unwirksamkeit der Pacht eigener Sachen (vgl. u. A. 83) dann nicht gelten, wenn der Pächter erst durch seine Mitwirkung das Eigentum erwirbt. Doch läßt sich diese Annahme durch einen Umkehrschluß aus Ulp. D. 19,2,9,6 schwerlich stützen. Sie verma:g bei der in fr. 21 gegebenen Identität von Eigentümer und Verpächter nicht zu überzeugen und erscheint auch bei einer Verschiedenheit dieser Personen wenig glaubhaft, denn wer eine fremde Sache verpachtet, handelt auf eigenes Risiko. Er muß sich - etwa durch einen (Ober)Pachtvertrag - beim Eigentümer absichern. Auch die Vertragstreue rechtfertigt es nicht, ihm die Vorteile aus einer unberechtigten Gebrauchsüberlassung zu erhalten, wenn der Pächter das Grundstück zur Vermeidung der "Eviktion" vom Eigentümer erwirbt. U Andernfalls hätten die Parteien die Laufzeit vermutlich auch direkt vereinbart, vgl. etwa Iav. D. 18,1,79 (10 Jahre). !5 Vgl. Mayer-Maly 61 A. 2 (62). 28 Cels. D. 46,3,70; Ulp. D. 45,1,38,16; 41,1; 50,17,17; Kaser, RP 12, 638 m. A. 36.
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bestehe. Dies wirft die Frage auf, welches Problem für die Beteiligten bestand, welchen Grund der Käufer/Pächter gehabt haben könnte, Erlaß der Pachtzinsen zu begehren. Einerseits wäre es für ihn angesichts seiner eindeutigen Zahlungsverpflichtungen aus der locatio conductio ein recht aussichtsloses Unterfangen, einen Erlaß der bereits aufgelaufenen Zinsen27 zu verlangen. Andererseits besteht für ihn auch wenig Anlaß, einen Erlaß der zukünftigen, wegen der Beendigung der Pacht gar nicht erst entstehenden Pachtzinsen zu begehren. Gestützt auf das accepta fieTi könnte man allerdings vermuten, der Verkäufer/Verpächter habe die Pachtzinsen vorsorglich bis zu dem für die Kaufpreiszahlung vorgesehenen Endtermin - vielleicht sogar abstrakt - stipuliert und der Käufer/Pächter verlange nun Vornahme der acceptilatio, um seine Verbindlichkeit auch formell aus der Welt zu schaffen28 • Dieser Vermutung steht jedoch entgegen, daß kein vernünftiges Motiv des VerkäuferNerpächters ersichtlich ist, den Erlaß zu verweigern, und daß das Problem daher mehr formaler als materiellrechtlicher Natur wäre. Das Fragment enthält jedoch weitere Hinweise, welche die zugrundeliegende Fragestellung aufhellen. Der Käufer hat das' Grundstück ceTta meTcede gepachtet. Da, wie dargelegt wurde, die genaue Dauer der Pacht nicht vorhersehbar war, wird die ceTta meTces nicht den Zinsbetrag für die Gesamtdauer bis zum letzten Ratenzahlungstermin, sondern den jährlichen Zinssatz meinen. Bei Grundstücken war es zudem allgemein üblich, den Zins nach Jahren zu bemessen!'. Dies rührt vom Ernterhythmus her; für eine sinnvolle Nutzung von Agrarland bedurfte es eines (Ernte-)Jahres. Dementsprechend nahm man auch in den Fällen der Telocatio tacita bei landwirtschaftlichen Grundstücken eine Vertragsverlängerung von jeweils einem Jahr an (Ulp. D. 19,2,13,11)30. Javolen entscheidet, der Käufer müsse den Pachtzins nach dem Verhältnis der Zeit entrichten, die bis zur Kaufpreiszahlung verstrichen sei. Daraus läßt sich schließen, daß der Pächter innerhalb einer Zinsperiode, also beispielsweise im Sommer eines Jahres, gezahlt hat. Damit ergab sich das Problem, ob der Verpächter für das "angebrochene" Jahr Daran denkt MayeT-Maly 61, wohl auch Tondo 200. Vgl. Steph. Schol. zu Bas. 20,1,21 (Hb. II 348 = Schelt. B III 1186 f.); Meylan (0. A. 22) 287 A. 23 (288). Sofern der jeweilige Jahreszins (dazu sogleich) stipuliert war, kommt allerdings eine (umstrittene, Gai. 3,172) Teilakzeptilation in Betracht. !9 Vgl. Iav. D. 18,1,79; Ulp. D. 24,3,7,8; De RuggieTo, Bull. 20 (1908) 56 A. 2 sowie (zu den gräkoägyptischen Papyri) BeTgeT, ZvglRW 29 (1913) 385 f.; HeTTmann, Studien zur Bodenpacht etc. (1958) 112. 30 Weitgehend echt, Gallo, Synt. Arangio-Ruiz 2 (1964) 1202 ff.; Knütel, Contrarius consensus (1968) 123. !7 28
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den vollen oder einen verhältnismäßigen oder etwa gar keinen Pachtzins fordern könne. Normalerweise müßte der ganze Jahreszins zugebilligt werden, wenn ein Pächter das Pachtverhältnis mitten im Jahr be endet, denn der Verpächter kann für die verbleibenden Monate einen Pachtzins nicht mehr erzielen. Der nachfolgende Pächter bezahlt nichts für die Restzeit, in der eine Nutzung nicht mehr möglich ist. In unserem Fall fällt es jedoch nicht ins Gewicht, daß der VerpächterlVerkäufer das Grundstück für den Jahresrest nicht zinsbringend wiederverpachten kann, denn mit der Kaufpreiszahlung erlischt sein Dauerinteresse am Grundstück. Wegen seines Verzinsungsinteresses (u. A. 53) besteht andererseits aber auch kein Anlaß, dem Käufer das Pachtgeld für die schon verstrichene Jahreshälfte zu erlassen. Es ist deshalb gerecht, auf eine anteilsmäßige Zahlung zu entscheiden - und so verfährt J avolen. Gerade weil er von einem Grundsatz abweichen will - der Zahlungspflicht für das gesamte Jahr - beruft er sich zur Begründung auf die bona fides, welche eine wortwörtliche 31 Auslegung der Vereinbarung gebiete ut, donec pecunia omnis persolveretur, certa mercede emptor fundum conductum haberet. Diese Auslegung führt zu dem von ihm anschließend ausgesprochenen Ergebnis, daß der Käufer nicht mehr und nicht weniger an Pacht zu zahlen habe, als der bis zur Kaufpreiszahlung verstrichenen Zeit entsprichtI!. 3. Die Pflicht zur Zahlung des Pachtzinses endet ebenfalls, wenn der Kaufvertrag aufgelöst wird: D. 19,2,22 pr. (paulus 34 ed.) Item si pretio non soluto res inempta facta sit, tune ex locato erit actio. a) Wenn der Kauf aufgehoben wird, so soll sich nach Paulus' Ansicht der Verkäufer/Verpächter der actio locati bedienen. Der Zusammenhang mit Paul. D. 19,2,20,2 (0.11) spricht dafür, daß hier der gleiche Sachverhalt wie dort zugrundeliegt, also ein Kaufvertrag verbunden mit einer Pacht bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung33. Im Gegensatz zu fr.20,2 ist dem Kaufvertrag aber vermutlich eine lex commissoria beigefügt34 • Kraft dieses Vorbehalts hat der Verkäufer den Kaufvertrag Vgl. Horvat (0. A. 22) 432 f. Mit tempus quo pecunia numerata non esset wird die im angebrochenen Jahr bereits verstrichene Zeit gemeint sein. Mit unserer Auslegung wäre es jedoch auch vereinbar, wenn die Zeit vom Kaufabschluß bis zur Zahlung gemeint sein sollte. 33 Zur abweichenden Auslegung durch Wieacker und Levy (alternative Kombination) s. u. IV 1. U Hierfür spricht vor allem der Wortlaut des fr. 22 pr., der sich eng an die übliche Formel der lex commissoTia anlehnt (vgl. Sab.-Paul. D. 41,4,2,3; Pomp. D.18,3,2; weitere bei Wesel, SZ 85 [1968] 163 A.221). Denkbar ist 31 H
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aufgehoben, weil der Käufer den Kaufpreis oder die Raten nicht zum festgesetzten Termin gezahlt hat. b) Man fragt sich, warum Paulus es für nötig befunden hat, den VerkäuferNerpächter auf die actio locati zu verweisen. Daube 35 vermutet, der Jurist sei davon ausgegangen, daß die Pacht trotz der Aufhebung des Kaufvertrages bis zu dem vorgesehenen Zahlungsendtermin weiterlaufe; er habe deshalb hervorgehoben, daß nach dem Wegfall des Kaufes die vorher ausgeschlossenen Pachtklagen voll durchsetzbar seien; statt vorher mit der actio venditi könne der Verpächter den Pachtzins jetzt mit der actio locati einklagen. Nach den oben (IH 1) angestellten Überlegungen stand dem VerkäuferNerpächter jedoch die actio locati als Klage auf den Zins bereits von Anfang an zu. Sie muß also, wenn Paulus sie für hervorhebenswert hielt, nunmehr auch ein anderes Klagbegehren erlaßt haben. Als solches kommt vor allem die Rückforderung des verpachteten Grundstücks in Betracht. Dieses wiederum setzt eine Beendigung der Pacht voraus. Man darf daher aus fr. 22 pr. ableiten, daß die Auflösung des Kaufvertrages auch das Pachtverhältnis erlöschen läßt. Hierfür spricht auch das meiste 36 • Wenn das Hauptgeschäft, der Kauf, entfällt, dann hat auch das nur zu dessen Durchführung dazwischengeschaltete Pachtverhältnis keine Daseinsberechtigung mehr. Da die Pacht nur solange laufen soll, donec pretium emptor solvat, muß sie enden, wenn mit der Auflösung des Kaufs eine Kaufpreiszahlung unmöglich wird. Schließlich entspricht diese umfassende Auflösung auch weitaus eher dem Willen der Parteien - insbesondere des hier maßgeblichen Verkäufers - als eine Fortsetzung der Pacht1l7 • c) Die gleichzeitige Auflösung von Kauf und Pacht führt zu einer Konkurrenz der jeweiligen Rückabwicklungsklagen. Wenn Paulus hier der actio locati den Vorzug gibt, so werden ihn dazu vor allem zwei Gründe bestimmt haben. Zunächst wurde auf diese Weise der bis in die Spätklassik hineinreichende Streit zur Funktion der actio venditi vermieden38 • Während die siegreichen Sabinianer diese Klage auch zur Rückabwicklung gewährten, wenn der Kauf infolge eines Rücktrittsaber auch eine Aufhebung eontrario eonsensu. Pretio non soZuto wäre dann als Umschreibung der res integra zu verstehen (vgl. Pomp. D. 18,5,2); die pachtweise überlassung berührt die res integra nicht, KniiteZ (0. A. 30) 24. 36 Daube I 78 A. 2; II 427 ff. 36 Vgl. Tondo 200 ff.; Thomas 107 f. Die si ... tune-Konstruktion ist demgegenüber wenig beweiskräftig (vgl. Tondo 203), zumal da das vorangehende Stück fehlt (0. A. 11). 37 Dies räumt auch Daube II 434 ein. 38 Vgl. Wieaeker, Lex eommissoria (1932) 73; Tondo 202 f.
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vorbehalts, z. B. einer lex commissoria, aufgelöst wurde, sprachen sich die Prokulianer für eine actio in factum aus39 • Der Streit geht vielleicht darauf zurück, daß man die Rücktrittsvorbehalte zunächst als aufschiebende Bedingungen verstand. Bei dieser Betrachtung war der Kauf nicht wirksam geworden und seine Verwendbarkeit als Klaggrundlage deshalb nicht zweifelsfrei. Bei der (von einer aufschiebenden Bedingung freien) locatio conductio bestand dieses Problem dagegen nicht; die actio locati war zudem offenbar von Anfang an unbestritten auch zur Rückforderung der Sache nach Ablauf der Pachtzeit dienlich. Daneben war die actio locati auch ihrem Umfang nach für die Rückabwicklung geeigneter als die Kaufklage. Die nach Ausübung eines Rücktrittsvorbehalts angestrengte actio venditi umfaßte grundsätzlich auch die Herausgabe der Nutzungen, die der Käufer nach Kaufabschluß gezogen hatte 40 • Wenn dagegen der mit einem Pachtvertrag gekoppelte Kauf rückgängig gemacht wurde, stand dem Verkäufer ein Anspruch auf die Nutzungen nicht zu, denn die Gebrauchs- und Nutzungsmöglichkeit wurde durch den vom Käufer/Pächter zu erbringenden Pachtzins bereits abgegolten. Es hätte für den Richter zwar nichts im Wege gestanden, den Umfang des aus der actio venditi Geschuldeten in einem solchen Falle einzuschränken, jedoch wurde mit der Zubilligung der actio locati das Problem ungleich eleganter beim Prätor schon von vornherein geregelt. Die actio locati erweist sich deshalb als für die Rückabwicklung unseres Koppelungsgeschäfts geeigneter als die actio venditi; sie erfaßt außer den bereits aufgelaufenen Zinsen die Rückgabe der Sache sowie den Schadensersatz für die während der Pachtzeit eingetretenen Verschlechterungen. Da vor allem diese ihre typischen Klagziele für den Verkäufer/Verpächter bei der Rückabwicklung bedeutsam sind, ist ihr, wie Paulus mit Recht hervorhebt, in diesem Falle der Vorrang zu geben. 4. Ob auch ein Untergang der Kauf/Mietsache zur Befreiung von der Mietzinspflicht führte, ist zweifelhaft. Die Verpflichtung, den Kaufpreis zu entrichten, wurde durch den Untergang jedenfalls nicht aufgehoben:
D.18,6,17 (16) (Iavolenus 7 ex Cassio): Servi emptor si eum conductum rogavit, donec pretium solverit, nihll per eum servum adquirere poterit, quoniam non videtur traditus 1s, cu1us possessio per locationem retinetur a venditore. periculum eius serv1 ad emptorem pertinet, quod tarnen sine dolo venditoris intervenerit.
Kaser, RP 12, 561 f. Ner.-Ar. D. 18,3,5; Pap. Vat. 14; Ulp. D. 18,2,6 pr., 16; 18,3,4 pr. u. a.; Arangio-Ruiz, Compr. 414 ff. 38
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Ein emptor, der den gekauften Sklaven bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung mietet, kann durch diesen nicht erwerben. Uns interessiert zunächst die weitere Aussage des im Schlußteil verkürzten41 Fragments, daß der Käufer die Gefahr eines vom Verkäufer nicht verschuldeten Unterganges des Sklaven trage. Geht man mit der zu Recht herrschenden Meinung von der Klassizität der Maxime perfecta emptione periculum ad emptorem respicit (paul. D. 18,6,6 pr.) aus 42 , so fragt es sich, warum Javolen (oder Cassius) es überhaupt noch für nötig befunden hat, hier zur Gefahrtragung Stellung zu nehmen. Möglicherweise erschien es dem Juristen zweifelhaft, ob der Kauf bereits perfekt sei, wenn er - wie bei dem vorliegenden Koppelungsgeschäft - mit einer Ratenzahlungsvereinbarung behaftet ist48 • Es bleibt allerdings fraglich, welche Gesichtspunkte hier überhaupt gegen eine Perfektion sprechen könnten. Für einen bedingten Abschluß des Kaufs bestehen keine Anhaltspunkte. Seckel-Levy 44 vermuten in Anknüpfung an Pap. Vat. 16, daß man darüber gestritten habe, ob der Kauf, solange der Kaufpreis gestundet sei, bereits zur erforderlichen "Abholungsreife" gediehen sei. Die Frage sei von Javolen bejaht worden, Papinian habe sie hingegen verneint. Jedoch ist eine solche Kontroverse schwer vorstellbar. Die Stundung wird in aller Regel allein zugunsten des Käufers vereinbart, so daß es interessewidrig ist, dem Verkäufer wegen dieses Entgegenkommens den zusätzlichen Nachteil einer Hinausschiebung des Gefahrübergangs aufzubürdenu . Es ist kaum glaubhaft, daß Papinian so entsdlieden hat4l , zumal da er in Vat. 16 den 'übergang der Verschlechterungsgefahr ausdrücklich bejahtu. Daß er für die Gefahr des völligen Untergangs anders entscheiden U Seckel- Levy, SZ 47 (1927) 228 A. 1 = Levy, Ges. Schr. 2 (1963) 237 A.49; Hoetink, Periculum est emptoris (1928) 146; Benöhr, Synallagma (1965) 90 A. 30; vgl. auch Beseler, TR 8 (1928) 297 und Meylan, Iura 6 (1955) 196. Scherillo, RIL 62 (1929) 392 A. 1, 419 A. 5 vermutet, der Text habe ursprünglich vom precarium gehandelt (dagegen Tondo 197 A. 59). Zwar belegen Ulp. D. 43,26,4,4; 19,2,14 (dazu Scherillo 418 ff.) die Möglichkeit einer solchen Vertauschung; jedoch dürften die Singularität des conductum rogare und
die Verkürzung im Schlußteil für diese Annahme noch nicht ausreichen. Andernfalls müßte auch das treffende cuius possessio retinetur verdächtigt werden. S. auch Kaser, SZ 89 (1972) 104 A. 36. 42 Kaser, RP 12, 552 f. m. Lit.; zur Deutun'g des fr.17 in diesem Sinne Seckel- Levy (0. A. 41) 219, 228 A.1 (231, 237 A. 49); Hoetink, Benöhr (beide o. A. 41); für Ausnahme vom Grundsatz eines periculum venditoris dagegen Haymann, SZ 41 (1920) 119 f.; 48 (1928) 335, 405; Betti, St. De Francisci 1 (1956) 152, 175 f. = Jus 5 (1964) 348, 366 f.; ders., Ist. II 1 (1960) 413, 418 A. 24; ders., SZ 82 (1965) 8; Tondo 197 A. 59; Burdese, Iura 17 (1966) 365. 43 So Seckel- Levy, Benöhr (wie o. A. 42); vgl. auch De Zulueta, The Roman Law of Sale (1945) 32 f. 44 (0. A. 41) 218 f. (231). 45 Vgl. Krückmann, SZ 59 (1939) 25; 60 (1940) 54 f., 58. 46 Vgl. Arangio-Ruiz, Compr. 275. U Vat. 16: Vino mutato periculum emptorem spectat, quamvis an te diem pretii solvendi vel condicionem emptionis impletam id evenerit ... Zu den
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würde, läßt sich nicht erweisen. Zudem gebietet fr. Vat. 16 schon deshalb Zurückhaltung gegenüber Verallgemeinerungen, weil es Reststück eines an konkreten Fallumständen orientierten responsum ist48 • Die Annahme, es habe eine Kontroverse zur Frage der Perfektion in Fällen der Kaufpreisstundung bestanden, ist nach alldem recht unsicher. Dies würde auch dann gelten, wenn man die den Klassikern zugeschriebenen Zweifel an der Perfektion nicht auf Gesichtspunkte der "Abholungsreife" zurückführt, sondern auf solche der Auslegung der Stundungsvereinbarung49 • Wegen der erwähnten Ungewißheit dürfte auch die Möglichkeit erwägenswert sein, daß J avolen die Gefahrtragung deshalb erörterte, weil hierzu bei der Koppelung von Kauf und Miete unterschiedliche Regelungen in Betracht kamen60 • Während die "Kaufpreis-Gefahr" bereits mit der Perfektion des Kaufs auf den Käufer übergeht, ist hinsichtlich der "Mietzins-Gefahr" zu differenzieren. Diese fällt bei einer Gebrauchshinderung durch vis cui Tesisti non potest dem Verpächter, in anderen Fällen, insbesondere bei einer Gebrauchsvereitelung durch vitia quae ex ipsa Te oriuntur, dem Pächter zur Last61 • Die Hervorhebung, daß der Käufer das peTiculum servi trage, könnte deshalb auch in dem Sinne zu deuten sein, daß die Gefahrenverteilung des Kaufs die der Miete verdränge. Möglicherweise ergab sich dies genauer aus dem Kontext; daß jedenfalls gekürzt wurde, zeigt der Schlußteil sowie die Bearbeitungsweise, der J avolens ZibTi ex Cassio in der Nachklassik unterzogen wurden62 • Dies würde bedeuten, daß der Käufer bei einem Untergang des Sklaven auch den Mietzins bis zur endgültigen Kaufpreiszahlung zu entrichten hätte. Ungerechtfertigt wäre dieses Ergebnis nicht, weil der Pachtzins die Funktion einer bevielfältigen Deutungen des fr. s. Atonso Perez, AHDE 31 (1961) 363 ff. (der selbst allerdings Kauf mit tex commissoria vermutet) m. reicher Lit.; dazu noch Meytan, Fschr. Guhl (1950) 17 f.; Benöhr (0. A. 41) 92 f. 48 Vgl. Arangio-Ruiz, Compr. 275; Benöhr 92 f. 4' Die Gleichsetzung von dies und condicio in Vat.16 läßt daran denken, daß Papinian den Anfangstermin in dem Sinne auslegte, daß die Entstehung des Forderungsrechts aufgeschoben sei (Wirkungsaufschub). Nach der von Paulus bestimmten überlieferung hatte der Anfangstermin zwar nur die Wirkung eines Fälligkeitsaufschubs (Kaser, RP 12, 258 m. A.68), den Klassikern war jedoch auch der Wirkungsaufschub bekannt, Iav.-Valens D. 33,1,15; Gros so, Bull. 64 (1961) 104 ff. = St. Biondi 1 (1965) 328 ff. Papinian könnte aus dieser Sicht den Zahlungstermin und die aufschiebende Bedingung gleichbehandelt und für beide den Gefahrübergang verneint haben. Doch müßte ihm auch dann eine interessewidrige Auslegung der dies-Abrede unterstellt werden. 50 In dieser Richtung auch Hoetink (0. A. 41) 145 f.: Javolen habe dargetan, daß mit der Vermietung die custodia-Pflicht des Verkäufers entfalle. Allerdings traf diese einen Mieter offenbar ohnehin, Kaser, RP 12, 508 m. A. 42. 61 KaseT, RP 12, 566 f. 52 Dazu Schutz, Gesch. 269 f.
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sonderen Verzinsung des Kaufpreises erfüllte53 • Ebenso wie trotz des Sachuntergangs die noch ausstehenden Kaufpreisraten zu erbringen sind, muß auch die Verzinsung fortlaufen, gleichgültig welcher Modus für sie gewählt ist. Es sei eingeräumt, daß diese Hypothese im überlieferten Text von D. 18,6,17 nicht sicher zum Ausdruck kommt; da sie aber darzutun vermag, warum Javolen sich bei dieser Vertragskombination überhaupt mit der Gefahrtragung befaßte, sollte sie in den Kreis der Möglichkeiten einbezogen werden54 • 5. Bislang war im wesentlichen von der Pflicht zur Entrichtung des Mietzinses die Rede. Iav. D. 18,6,17 gibt aber auch Anlaß, einen Blick auf die Rechte des Käufer/Mieters zu werfen. Diesem erwächst aus dem Mietvertrag das Recht, die Sache zu gebrauchen oder - bei der Pacht - zu nutzen. So kann der Mieter eines Sklaven dessen Arbeitskraft ausbeuten; Rechte kann er hingegen - ebenso wie der Prekarist (Ulp. D. 41,1,22) - durch den servus nicht erwerben. Ein Sklave kann nur seinem quiritischen Eigentümer oder, wenn es daneben einen bonitarischen Eigentümer gibt, lediglich diesem Rechte verschaffen (Gai. 2,86; 88). Da ein Käufer, dem die Sache nur mietweise überlassen ist, nicht die Stellung eines bonitarischen Eigentümers hat, bleibt ihm ein Erwerb durch den Sklaven versagt65. Daß dies zu Javolens oder sogar zu Cassius' Zeit nicht ganz zweifelsfrei gewesen sein mag, wird verständlich, wenn man sich das Bestreben der Juristen vergegenwärtigt, die "Anwartschaft"56 desjenigen Käufers zu stärken, der die Sache bereits als Mieter oder Prekarist übernommen hat.
53 Die Koppelung von Kauf und Miete ermöglichte eine erhöhte Verzinsung des Kaufpreises, vgl. Mayer-Maly 62; Thomas 105. Da aber bereits die vorläufige überlassung der Kaufsache als precarium (ebenso wie die traditio) einen Anspruch auf den Maximalzins eröffnete (Ulp. D. 19,1,13,20 f.), wird das Streben nach einer erhöhten Verzinsung kaum dafür bestimmend gewesen sein, den Kauf -gerade mit der locatio conductio zu koppeln. Beim Ratenkauf von Landgütern mußten die Raten meist aus dem Gut erwirtschaftet werden; für einen höheren Pachtzins war daneben kaum Raum. Selbst bei dem als optimal bewerteten Weinbau ließ sich günstigstenfalls "nur" eine Rendite von 18 Ofo erzielen (Columella, De r. rust. 3,3,9; dazu Billeter, Geschichte d. Zinsfußes [1898] 183 f.). Günstig war allerdings, daß der Zinsbetrag bis zur letzten Ratenzahlung konstant blieb (vgl. Iav. D. 19,2,21, certa mercede), wogegen beim precarium oder bei einer traditio das zu verzinsende Kapital mit jeder Ratenzahlung abnahm. 54 Siehe auch u. IV 3 nach A. 77. 55 Vgl. Benöhr (0. A. 41) 90. 58 Ein engerer "Anwartschaftsbegriff" bei Schön bauer, SZ 52 (1932) 234, der allerdings Ulp. D. 43,26,20 nicht auswertet.
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6. Von diesem Bestreben zeugt
D. 43,26,20 (Ulpian 2 resp.) Ea, quae distracta sunt, ut precario penes emptorem essent, quoad pretium universum persolveretur, si per emptorem stetit, quo minus persolveretur, venditorem posse consequi. Bei einem Verkauf mit Ratenzahlungsabrede 57 hat der venditor dem emptor den Kaufgegenstand - offenbar ein Inbegriff von Sachen - bis zur vollständigen Bezahlung als precarium überlassen. Ulpian respondiert, der Verkäufer könne die Sachen zurückverlangen, wenn der Käufer nicht zahle und dies zu vertreten habe. Das Fragment mag etwas verkürzt seinli8 , seine Echtheit dürfte jedoch außer Zweifel stehen. Grundsätzlich kann der precario dans die überlassene Sache jederzeit vom Prekaristen zurückverlangen. Hierfür stand das inteTdictum de pTecaTio zur Verfügung5'. Für unseren Fall bringt Ulpian jedoch zum Ausdruck, daß das Rücknahmerecht ausgeschlossen ist, solange der Käufer seine Ratenzahlungen pünktlich erbringt60. Der Grund für diesen Ausschluß liegt offenbar in der Vorrangigkeit des Kaufvertrages, welcher precario dans und Prekaristen bindet und eine Rücknahme so lange ungerechtfertigt erscheinen läßt, wie sich der Käufer/Prekarist vertragstreu verhält. Wenn diese Beschränkung aber sogar für einen precario dans anerkannt wurde, dann muß sie erst recht gegenüber einem Zocator gegolten haben. Wenn dieser vor Ablauf der Ratenzahlungsfrist die Sache zurückfordern würde, so wäre die bona fides in stärkerem Maße verletzt, denn der venditoTZocator würde nicht nur dem vorrangigen Kauf-, sondern auch dem Pachtvertrag zuwiderhandeln. 7. Eine Rechtfertigung der a fortiori-Ableitung aus dem precarium und weiteren Aufschluß über die Rechtsstellung des Käufer/Pächters bietet D. 43,24,11,12 (Ulpian 71 ed) Ego, si post in diem addictionem factam fundus precario traditus sit, putern emptorem interdictum quod vi aut c1am habere. si vero aut nondum traditio facta est aut etiam facta est precarii rogatio, non puto dubitandum, quin venditor interdictum habeat: ei enim competere debet, etsi res ipsius periculo non sit, nec multum facit, quod res emptoris periculo est: nam et statim post venditionem contractam periculum ad emptorem spectat et tarnen 57 Vgl. pretium universum, peTsolvere. Für eine in diem addictio (so Silva, SD 6 [1940] 273 A. 85) fehlen die Anhaltspunkte. 68 Schulz, Class. Rom. Law (1951) 433. se Ob auch die rei vindicatio (so Alex. C. 4,54,3), ist zweifelhaft, vgl. Wesel (0. A. 34) 160 ff. m. Lit.; F. Peters, Die Rücktrittsvorbehalte (1973) 203 ff., 225 ff. 00 Comil, Traite de la possession (1905) 72 f.; PTingsheim, Kauf 53; Daube I 83; anders Bechmann (0. A.1O) 215 m. A. 5 (das interdictum werde erst mit Kaufpreiszahlung ausgeschlossen) und wohl auch Ubbelohde, AcP 59 (1876) 262. - Wie hier auch Kaser (0. A. 41) 112, vgl. auch Peters (0. A. 59) 136 f.
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antequam ulla traditio fiat, nemo dixit interdictum ei competere. si tamen precario sit in possessione, videamus, ne, quia interest ipsius, qualiter qualiter possidet, iam interdicto uti possit. ergo et si conduxit, multo magis: nam et colonum posse interdicto experiri in dubium non venit. plane si postea, quam melior condicio allata est, aliquid operis vi aut clam factum sit, nec Iulianus dubitaret interdictum venditori competere: nam inter Cassium et Iulianum de illo, quod medio tempore accidit, quaestio est, non de eo opere, quod postea contigit.
Es geht um die Aktivlegitimation zum interdictum quod vi aut cZam in einem Falle, in dem ein Grundstück mit in diem addictio verkauft worden ist. Der Gedankengang des nicht unberührten, von der Kritik aber zu stark verdächtigten Fragments81 ist klar. In fr.11,l0 berichtet Ulpian zunächst, daß Julian (vgl. Ulp. D. 18,2,4,4) denjenigen als aktivlegitimiert angesehen habe, der ein rechtlich anerkanntes Interesse daran habe, daß die Anlage nicht errichtet werde. Dies sei trotz der Möglichkeit eines nachträglichen Bessergebots auch der schon im Besitz befindliche Käufer62 • Es folgt in § 11 der Bericht, daß Aristo es zur Ausschaltung des Tatbestandsmerkmals cZam für ausreichend gehalten habe, wenn der Nachbar dem schon vor der traditio auf dem Grundstück verweilenden Käufer, also einem Nichtbesitzer, vorherige Anzeige mache. Diese beiden Gesichtspunkte werden in § 12 verknüpft, wo Ulpian seine eigene Auffassung zu erläutern beginnt und sich dafür ausspricht, das Interdikt während der bis zum Bessergebot laufenden Zeit auch demjenigen Käufer zuzubilligen, der zwar nicht besitze, aber schon in eine faktische Beziehung zum Grundstück getreten sei. Der Jurist gewährt das Interdikt zunächst für den Fall, in dem das Grundstück dem Käufer als (normales) Prekarium gegeben ist63 • Hier besitzt der Käufer zwar nicht pro emptore, er ist aber immerhin Interdiktenbesitzer, dem precario dans gegenüber allerdings iniustus possessor. Versagt wird das Interdikt aber einem Käufer, der noch keine faktische Beziehung zum Grundstück hat64 • Ulpian sieht, daß man wegen der Ge61 Siehe die Nachweise im Ind. itp., dazu Arno, 11 possesso (1936) 173f. (dazu u. A. 63); D'Ors, AHDE 16 (1945) 26lf., 288; Kaser, Dt. Landesreferate z. 3. Int. Kongr. f. Rechtsvergl. London (1950) 16 A.88; Zamorani, Precario habere (1969) 298; einschränkend jedoch bereits Scherillo (0. A. 41) 415; De Fontette, st. De Francisci 3 (1956) 554 A. 5. S. jetzt Kaser (0. A. 41) 110 ff.; Peters (0. A. 59) 149 ff. 82 Für den Besitz sprechen die fructus perceptos; zu antequam venditio transferatur s. Heumann - Seckel 590 r. Sp. u., s. v. transferre 3). - Allerdings gewährt Julian nur ein (zusätzliches) interdictum utUe, was Ulpian nicht zu teilen scheint. 81 Arno (0. A. 61) 173 streicht precario; doch wird precario traditus durch den Gegenfall precario sit in possessione gesichert. Noch anders Schulz, Krit. Vjschr. 50 (1912) 53 f., der auf Grund zu weitgehender Interpolationsannahmen an einen prekaristischen Besitz des Verkäufers denkt. 84 Der Passus si vero precarii rogatio ist nicht ganz intakt, kann als Zusammenfassung von § 10 (traditio) und § 12 (precario traditus) jedoch aufrecht erhalten werden; vor etiam ist sinngemäß nondum als wiederholt zu denken. Für Itp. von aut etiam - rogatio jedoch die im Ind. itp. Genann-
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fahrtragung eigentlich auch in diesem Fall das von Julian geforderte Interesse und damit die Aktivlegitimation bejahen könnte 65 ; er lehnt diese Auffassung jedoch mit dem mageren Hinweis ab, daß sie noch von niemandem vertreten worden sei. Hierauf kommt der Jurist nochmals auf die erforderliche Besitzbeziehung zu sprechen. In Anknüpfung an die precarii rogatio wirft er die präzisierende Frage auf, ob der Käufer nicht auch dann schon das Interdikt habe, wenn ihm das Grundstück als ein auf die nur faktische Innehabung beschränktes Prekarium überlassen worden ist86 • Wenngleich die direkte Antwort weggefallen ist, so bleibt Ulpians bejahende Stellungnahme dennoch erkennbar. Maßgeblich war für ihn, daß trotz der Möglichkeit eines Bessergebots der schon besitzende Käufer, gleichgültig wie sein Besitz zu qualifizieren ist, ein anerkennenswertes Interesse an der Durchsetzung des Interdikts hat. Für unseren Zusammenhang ist die ergänzende Bemerkung aufschlußreich, dies gelte um so mehr, wenn das Grundstück dem Käufer auf Grund eines Pachtvertrages (detentionsweise) überlassen worden sei. Für den Pächter, fügt Ulpian hinzu, werde nämlich nicht bezweifelt, daß er sich des Interdiktes bedienen könne 67 • Ergo et si conduxit könnte nach dem Zusammenhang auch bedeuten, daß der Käufer das Grundstück zugleich als Prekarist und als Mieter übernahm. Die Verbindung einer Pacht mit einem auf die Detention beschränkten Prekarium wird schon in der Klassik praktiziert worden sein88 • Die mit ihr verfolgten Zwecke sind allerdings schwer erschließbar. Sie werden meist darin gesehen, daß eine Bindung an den Pachtvertrag ausgeschaltet werden sollte; der Verpächter habe einen Pachtzins erzielen, sich aber gleichzeitig die Möglichkeit sichern wollen, die Pachtsache jederzeit zurückzunehmen 60 • Im Rah-
ten, D'Ors und Zamorani (beide o. A. 61). Nicht annehmbar erscheint Zamoranis Vermutung (S. 291 ff.), das Substantiv precarium sei durchweg unecht. 65 Ei enim non sit ist vielleicht Glossem, vgl. die Nachweise im Ind. itp. 88 In possessione esse kennzeichnet die (vom Interdiktenschutz entkleidete) Detention (Kaser, RP 12, 389), es knüpft an § 11 (in fundo morari) an und bildet den Gegensatz zum precario traditus des § 12; vgl. Cornil (0. A. 60) 69; ScherilZo (0. A. 41) 396 m. A. 2, 415 f. Der Passus si tamen - non venit wird zwar gekürzt, aber echt sein, Scherillo 415; zu qua liter qualiter possidet vgl. Ulp. D. 50,16,63 (zum interdictum de liberis exhibendis). - Daß das precarium mit Detention unecht sei (so Zamorani 118 ff. m. Lit.), ist nicht glaubhaft, vgl. ScherHlo 396 ff., 403; Provera, Index 1 (1970) 385; Kaser (0. A. 41) 101 ff. 87 Vgl. zur Aktivlegitimation des Pächters Sab., Cels., Ulp. D. 9,2,27,14; 43,24,19; Ven. D. 43,24,12; auch Ulp. D. 43,24,13,4; Bonfante, Corso II (1926) 410; ScherilZo 415.
08 Vgl. Iul. D. 41,3,33,6 i. f.; Pomp.-Ulp. D. 41,2,10,1; dazu Scherillo 397 ff.; Tondo 185 ff., 192 ff.; für Unechtheit jedoch Zamorani (0. A. SI) 104 f., 142 ff., 145 ff., dagegen aber Kaser (0. A. 41) 104 ff. 00 In diesem Sinne, wenngleich mit Abweichungen, Ubbelohde (0. A. 60) 232 f.; Tondo 198, 203 f. Zu weiteren Deutungen s. die Berichte bei Tondo 193 A. 51 und Zamo'ram 14b A. 1.
4 Festschrift Kaser
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men der Abwicklung eines Kaufvertrages würden sich . diese Zwecke jedoch schwerlich realisieren lassen, weil der vorrangige Kaufvertrag ein freies Rücknahmerecht ausschließen würde (Ulp. D. 43.26.20). Möglicherweise sollte die erwähnte Verbindung dem Verpächter nur für den Fall der Unwirksamkeit der Pacht ein leicht realisierbares Rücknahmerecht sichern, was insbesondere bei einer Verpachtung durch Nichteigentümer von Interesse sein mochte70 • Ein solcher Zweck könnte auch einen vorsichtigen Verkäufer bewogen haben, sich eine besondere Rücknahmemöglichkeit für den Fall der Unwirksamkeit von Kauf und Pacht zu schaffen. Doch enthält fr. 11. 12 keine näheren Hinweise für eine solche Sondergestaltung. Bei einem Kauf mit in diem addictio erlangte also ein Käufer, der das Grundstück: zugleich pachtete, als Pächter die Aktivlegitimation zum interdictum quod vi aut clam, und zwar so lange, bis von dritter Seite ein Bessergebot erfolgte. Im Hinblick: auf die bislang erörterten Fälle· darf man folgern, daß das Interdikt gleichfalls einem Käufer zustand, der das Grundstück: unbedingt oder unter einer lex commissoria gekauft und bis zur endgültigen Kaufpreiszahlung gepachtet hatte. 8. Damit sind bereits die drei verschiedenen Ausgestaltungen angesprochen, denen wir bei der kumulativen Koppelung von Kauf und Pacht im Bereich des Abzahlungsgeschäfts begegnen: Der Kauf kann unbedingt oder mit einer lex commissoria oder einer in diem addictio abgeschlossen sein. Dem ist der Pachtvertrag weitgehend angepaßt. Beim unbedingten Kauf mit einer Pacht donec pretium omne persolveretur (Iav. D. 19,2,21; auch Iav. D. 18,6,17; Paul. D. 19,2,20,2) ist die Pacht, sofern feste Ratenperioden vorgesehen sind, bis zum Zahlungsendtermin befristet, steht aber unter der auflösenden Bedingung vorzeitiger Kaufpreiszahlung (0. III 2 b). Dies gilt grundsätzlich auch bei der Vereinbarung einer lex commissoria, jedoch mit der Erweiterung, daß der Verkäufer bei Nichteinhaltung der Zahlungstermine den Kauf und zugleich damit die Pacht auflösen kann (Paul. D. 19,2,22 pr.; o. III 3). Bei der Verabredung einer in diem addictio war dagegen die Pacht vermutlich nicht ganz so eng mit dem Bestand des Kaufs verknüpft. Um einen Pachtzins erzielen zu können, mußte der Verkäufer dem Käufer zumindest eine gesamte Nutzungsperiode einräumen, andernfalls wäre eine Pacht für den Käufer ohne Interesse. Wahrscheinlich hat man den Endtermin für mögliche Bessergebote auf den Ablauf einer Nutzungs. periode gelegt. Jedoch würde ein schon vorher abgegebenes und vom Verkäufer akzeptiertes Bessergebot bereits den Kauf auflösen, die Pacht würde hingegen noch bis zum Ablauf der Nutzungsperiode Bestand haben71 • Dies jedenfalls ist die wirtschaftlich vernünftigste und So Kaser (0. A. 41) 106 f. Nicht einschlägig ist Paul. D. 49,14,50, denn dort hat ein Dritter das Grundstück gepachtet, nicht aber der das Bessergebot übernehmende Käufer. 70
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daher auch wahrscheinlichste Koppelung. Aber auch diese zu vermutende Besonderheit ändert nichts an der Feststellung, daß im Rahmen des Abzahlungsgeschäfts die Pacht dem Kauf angepaßt ist; sie ist lediglich zu dessen Abwicklung dazwischengeschaltet; der Kauf ist der "regierende" Kontrakt. IV. Dieses Ergebnis zum Verhältnis von Kauf und Pacht trägt dazu bei, Paul. D. 19,2,20,2 aufzuhellen: Interdum Zocator non obZigatur, con-
ductor obZigatur, veZuti cum emptor fundum conducit, donec pretium ei soZvat. Die Deutung dieses hinsichtlich seines Kontextes bereits erörterten Fragments (0. II) ist allerdings umstritten. 1. Wie acker und Lev y 72 vermuten, Kauf und Pacht stünden im Verhältnis der alternativen Kombination. Der Kauf sei unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung abgeschlossen, die Pacht hingegen sei unter der entgegengesetzten Bedingung, nämlich für den Fall der Nichtzahlung des Kaufpreises vereinbart worden. Des Paulus Hinweis wäre dann so zu verstehen, daß der Verkäufer deshalb aus dem Pachtvertrag nicht verpflichtet ist, weil es bis zur Entscheidung über die Kaufpreiszahlung ungewiß bleibt, ob er überhaupt Verpächter ist. Sobald dieses aber mit dem Ausbleiben des Kaufpreises feststeht, können ihn, der das Grundstück bereits überlassen hat, für die Vergangenheit keine Verpächterpflichten mehr treffen, wohl aber den Pächter eine Zinszahlungspflicht.
Diese Auslegung dürfte jedoch zu speziell für den Zusammenhang sein, in dem es Paulus noch um eine allgemeine Kennzeichnung der Zocatio conductio geht. Auch spricht der Wortlaut der Vereinbarung conducit donec soZvat gegen diese Annahme; donec deutet auf eine Befristung hin. Zudem müßte nach jener Auslegung die Möglichkeit ausgeschlossen sein, daß Kaufpreis und Pachtzinsen zu zahlen sind; gerade dies wird jedoch in Iav. D.19,2,21 vorausgesetzt, wo vermutlich das gleiche Geschäft vorliegt. Schließlich haben auch die bislang erörterten Fragmente, in denen der Kauf über die Klausel donec pretium soZvat mit der Zocatio conductio oder dem precarium gekoppelt war, keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine alternative Kombination enthalten. 2. Es spricht daher mehr für die herrschende Meinung73 , welche auch hier von einer kumulativen Kombination von Kauf und Pacht ausgeht. 71 Wieacker (0. A. 38) 22 A. 2; Levy, Symb. Lenel (1935) 132 = Ges. Schr. 2 (1963) 278; vgl. auch Siber, SZ 53 (1933) 542. 73 So, wenngleich mit unterschiedlichen Ausprägungen, Daube I 77 ff.; 11 430 ff.; MayeT-Maly 60 ff. (61 A. 2 [62]); Thomas 103 ff.; Tondo 200 ff. (203); vgl. auch (zu D.19,2,21) Hoeniger (0. A. 3) 328 .
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Im Rahmen dieser herrschenden Meinung sind zwei Deutungen des fr. 20,2 zu unterscheiden. a) Tondo14 vermutet, daß der Verkäufer deshalb nicht als Verpächter gebunden sei, weil er auf Grund der Vorrangigkeit des Kaufgeschäfts das Recht gehabt habe, das überlassene Grundstück jederzeit zurückzunehmen. Ohne ein solches Rücknahmerecht hätte nach Tondos Auffassung die vorzeitige detentionsweise überlassung der Kaufsache zu einer erheblichen Verschlechterung der Verkäuferposition geführt. Doch steht dieser Annahme Ulp. D. 43.26.20 (o.!II 6) entgegen; der Verkäufer hatte offenbar nicht das Recht zu jederzeitiger Rücknahme. Zudem besteht für eine besondere Privilegierung des Verkäufers auch kein Anlaß; die Verschlechterung der Verkäuferstellung, die bei einer vorzeitigen detentionsweisen überlassung der Sache ohnehin mehr auf faktischem als auf juristischem Gebiet eintritt, wird durch die Zinspflicht des Pächters hinreichend ausgeglichen. b) Zumeist wird der Grund für das Ausscheiden der Verpächterhaftung jedoch darin gesehen, daß die aus dem unbedingt abgeschlossenen Kauf entspringende Verkäuferstellung die aus der Pacht erwachsende Verpächterhaftung absorbiere75 • Diese bislang kaum näher begründete Ansicht dürfte im wesentlichen das Richtige treffen; sie soll im folgenden präzisiert werden.
3. Die actio conducti des Pächter/Käufers entfällt, weil der Kaufvertrag gegenüber der Pacht der regierende Kontrakt ist und als solcher die ihm entgegenstehenden Pachtregeln verdrängt. Das primär von den Parteien Gewollte ist der Kauf; die Pacht tritt demgegenüber zurück. Mit ihr können zwar auch Sonderzwecke verfolgt werden, jedoch dürfen diese dem vorrangigen Kaufgeschäft nicht zuwiderlaufen. Bei dieser Betrachtungsweise ergibt sich, daß die Verpächterpflichten zum großen Teil von den Verkäuferpflichten verdrängt werden, so daß die actio conducti des Pächters mangels eines Klaggegenstandes weithin entfällt. Dies macht eine Betrachtung der typischen Klagziele der actio conducti deutlich. Der Verpächter ist verpflichtet, die Sache dem Pächter
für die Vertragszeit zu Gebrauch und Nutzung zu überlassen und sie in einem dafür tauglichen Zustand zu erhalten. Diese Erhaltenspflicht wirkt sich, wenn man die Hauptgruppen aus der Kasuistik betrachtet, dahin aus, daß der Vermieter (Verpächter) Schadensersatz leisten muß, wenn die Sache dem Mieter evinziert wird oder wenn sie durch Verschulden des Vermieters beschädigt wird oder untergeht7 8 • Sofern der 198 ff. (203); dagegen Zamorani (0. A. 61) 161 A. 31. So ausdrücklich Daube II 431 (the sale overshadows a11), 432; Thomas 108 f.; vgl. auch Mayer-Maly 61. Für Unbedingtheit des Kaufs auch Haymann, SZ 48 (1928) 336; zweüelnd hingegen Krückmann, SZ 59 (1939) 25; 60 (1940) 55 A.l, 59; s. auch Daube I 77 f. 78 Kaser, RP P, 566. 74
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Mieter daneben die Stellung eines Käufers hat, ist in diesen Fällen zugleich die actio empti auf Schadensersatz wegen Eviktion oder Zerstörung der Kaufsache gegeben. Dieser Schadensersatz berechnet sich in anderer Weise als der aus der locatio conductio entspringende. Es liegt deshalb nahe, schon wegen des unterschiedlichen Schadensumfanges der Schadensersatzregelung des regierenden Kontrakts den Vorzug zu geben, wird in ihr doch dem Dauerinteresse, das ein Käufer im Gegensatz zum Pächter an der Sache hat, Rechnung getragen. Ein weiterer Gesichtspunkt tritt hinzu: Nach jedenfalls spätklassischer Interpretation kann der Käufer den Verkäufer aus der Entwehrungshaftung nur dann in Anspruch nehmen, wenn er den Kaufpreis bereits entrichtet hat (Ulp. D. 19,1,11,2)17. Es widerspräche Sinn und Zweck der Koppelung von Kauf und Pacht, wenn diese den Verkäufer begünstigende Regelung durch eine auf den Pachtvertrag gestützte "Eviktionshaftung" unterlaufen werden könnte; die actio conducti auf Schadensersatz im Eviktionsfalle ist auch aus diesem Grunde verdrängt. Daneben dient die actio conducti auch zur Rückforderung des bereits bezahlten oder zum Erlaß des promittierten Mietzinses in Fällen, in denen die Mietsache durch ein Ereignis höherer Gewalt untergeht oder gebrauchsunfähig wird. Der locator trägt nämlich die Gefahr einer vis cui resisti non potest, bei deren Realisierung er den Anspruch auf den Mietzins verliert (0. A. 51). Geht man von der zu Iav. D. 18,6,17 (16) erwogenen Möglichkeit aus, so ist der Ausschluß der actio conducti auch in diesem Anwendungsfall leicht erklärt: Wenn die Gefahrverteilung des Kaufs die der Pacht verdrängt, so geht die Gefahr auch in diesen Fällen zu Lasten des Pächters; damit entfällt eine actio conducti auf Rückzahlung bereits erbrachten Mietzinses. Vielleicht bestätigt gerade der allgemeine Ausschluß der actio conducti die Annahme von der Verdrängung der pachtrechtlichen Gefahrtragungsregeln. Doch muß dies ungewiß bleiben, denn die Verallgemeinerung in fr.20,2 braucht nicht notwendig alle Anwendungsfälle der actio conducti zu erfassen. Dies gilt auch für einen weiteren Anwendungsfall der actio conducti. Wenn der VerkäuferNerpächter sich unter Mißachtung der vertraglichen Absprachen zwar bereitfindet, die Sache bei Kaufpreiszahlung zu tradieren, vorher dem Käufer/Pächter jedoch die tatsächliche Innehabung nicht einräumen will, so müßte eigentlich die actio conducti auf überlassung bzw. auf Schadensersatz wegen der vorläufigen Nichtüberlassung gegeben sein. Nun ließe sich zwar denken, der KäuferlPächter könne diese Klagziele auch mit der actio empti verfolgen. Diese geht jedoch normalerweise auf ein vacuam possessionem tradi, nicht aber auf die bloß detentionsweise überlassung; sie wäre hier auch wegen der Klagenkonsumption unzweckmäßig. Vermutlich hat jedoch für Paulus hier kein Problem bestanden; ihm wird überhaupt 77
Dazu Benöhr
19,1,13,8.
(0.
A. 41) 45 ff.; s. auch
Thomas 109. Vgl. auch Ulp. D.
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nur der Fall vorgeschwebt haben, in dem der Verkäufer dem Pächter das Grundstück bereits überlassen hat78 • Dies ist der Normalfall; auch hätte andernfalls der Verkäufer keinen Pachtzinsanspruch. Von dessen Bestehen geht Paulus jedoch aus. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß die actio conducti in den Anwendungsfällen, die nach Überlassung der Sache noch in Betracht kommen, weitgehend verdrängt ist; verallgemeinernd gesprochen fehlt es damit an einer formellen Haftung des Verkäufers aus dem Pachtvertrag. Mit der tatsächlichen Überlassung der Sache erbringt der Verkäufer jedoch wirtschaftlich eine Gegenleistung, so daß jedenfalls der Sache nach das Erfordernis der Gegenseitigkeit bei der locatio conductio gewahrt ist". Der Käufer, der seinerseits der actio locati unterliegt (0.111 1), ist durch die actio empti hinreichend geschützt. 4. Wie schon das interdum in Paul. D. 19,2,20,2 vermuten läßt, war dies nicht das einzige Beispiel einer formell einseitig verpflichtenden locatio conductio. Einen weiteren Fall, der zugleich unsere Auslegung zu fr. 20,2 absichert, enthält ein Basilikentext, dem es an der Entsprechung in den Digesten fehlt: Bas. 20,1,55 (Schelt. Am 995 = Rb. 11 364) 'Euv 0 aaVEL(J't1)~ flL~ooan 'tq, XQEooa'tn 'to ~VtxuQov, a'lho~ flev EXEL xa'tu 'tou flLaitoo'tou ayooyftv. ö at XQEooa't1J~ ou" ~XEL "a'tcl 'tou flLaitooaav'to~ ayooyftVJO.
Bei der Pfandbestellung wurde dem Gläubiger der Besitz am Grundstück überlassen und offenbar auch das Nutzungsrecht eingeräumt. Nachträglich verpachtet der Gläubiger das Grundstück an den Schuldner/Verpfänder81 • Dann soll zwar der Gläubiger/Verpächter die actio locati haben, nicht aber der Verpfänder/Pächter die actio conducti.
Es spricht viel dafür, daß der Text einer klassischen Vorlage entstammt8!. Mit dem Satz locatio rei suae consistere non potest83 steht er nicht im Widerspruch, denn dieser galt dann nicht, wenn der Eigentümer zuvor an der Sache ein Besitzpfandrecht bestellt hatte. In diesem Ausnahmefall konnte der Eigentümer die Sache vom Pfandgläubiger So wohl auch Mayer-MaZy 61 und Daube II 431. Mayer-Maly 61; auch Tondo 200. 80 Si creditor locaverit pignus debitori, ipse quidem contra conductorem actionem habet, debitor autem non habet actionem contra locatorem. 81 Zur Parallele insbesondere im babylonischen Recht s. Petschow, Neubabyion. Pfandrecht (1956, Abh. Sächs. Ak. 48) 106 m. Lit.; dazu noch Kohler, ZvglRW 29 (1913) 422. 8! So Dig. Mi!. D.19,2,56; Mitteis, SZ 34 (1913) 406; Tondo 198 m. A. 61; vgl. Mommsen, Dig. D. 19,2,55 (im Apparat); Riccobono, Met Fitting 2 (1908) 479; für Unechtheit dagegen H. Peters, Die oström. Digestenkommentare etc. (1913) 36; Mayer-Maly 62 f. I!I mp. D. 50,17,45 pr.; s. daneben Iav. D. 41,3,21; Iul. D.16,3,15; (Afr.) 41,2, 40,3; mp. D.19,2,9,6; 43,26,4,3; Diocl. C. 4,65,20. 18
18
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pachten oder ihre überlassung als (regelmäßig auf die Detention beschränktes)84 precarium erbitten85 . Das Pfandrecht wurde durch diese überlassung nicht beeinträchtigt, weil es sich hierbei nicht um eine redditio (zum Eigenbesitz) handelte. Es ist einleuchtend, daß auch in dieser Konstellation der Verpächter nach der überlassung nicht als solcher haftet; seine Erhaltungs- und Instandsetzungspflichten treten angesichts der Eigentümerstellung des Pächters zurück; daß dieser ihn z. B. im Eviktionsfall nicht haftbar machen kann, liegt auf der Hand. Vermutlich geht der Passus auf einen Text von Paulus oder Ulpian zurück. Seine Stellung in den Basiliken legt es nahe, ihn zwischen D. 19,2,55 (paulus 2 sent.) und D. 19,2,56 (Idem 1 de off. praef. vigilum) anzusiedeln88 . Das idem des fr.56 müßte auf Paulus zu beziehen sein, dem dann auch das aus Bas.20,1,55 erschließbare Zwischenstück zuzurechnen wäre. Dafür könnte auch sprechen, daß die vergleichbare Verallgemeinerung ebenfalls von Paulus (D.19,2,20,2) überliefert ist87 . Jedoch nennen die Basiliken88 Ulpian, der gleichfalls einen Ziber sing. de off. praef· vigilum geschrieben hat (D. 1,15,2), als Verfasser von D. 19,2,56, so daß ein vor diesem Fragment zu vermutender Passus auch auf ihn zurückgehen kann89 . Mag die genaue Urheberschaft auch offen bleiben, so bestätigt Bas.20,1,55 doch jedenfalls die durch Paul. D. 19,2,20,2 (interdum) erweckte Annahme, daß die systematisierenden Spätklassiker verschiedene Fälle einer formell einseitig verpflichtenden locatio conductio kannten. Es war für Paulus deshalb durchaus angebracht, hierauf zu Beginn seines Traktats über die locatio conductio (D. 19,2,20) hinzuweisen. V. Aus unseren Betrachtungen ergibt sich, daß die römischen Juristen die Vertragskoppelung auf der Grundlage eines Vorrangs des Kaufvertrages sachgerecht und in einer für beide Parteien interessegemäßen Weise ausgelegt haben. Es zeigt sich bereits das Bestreben, die "Anwartschaft" des vertragstreuen Käufers zu sichern (Ulp. D. 43,26,20; o. III 6). Auch bei der Auswahl der jeweiligen Klagen haben die Klassiker sich von praktischen Gesichtspunkten leiten lassen. Von A. 41) 400 A. 1. Iul. D. 41,3,33,6 (hier sogar auch precarium mit Interdiktenbesitz, eoenso in Ulp. D. 43,26,6,4, was jedoch umstritten war und wohl mit der Frage des Besttzes beim precarium [Kaser, RP 12, 388 f.] zusammenhing); Paul. D. 13,7,37; Flor. eod. 35,1 sowie (bei vorheriger Nießbrauchsbestellung) lnp. D. 7,4,29 pr., auch Paul. D. 9,4,19,1; zu alldem insbesondere Albanese, Bull. 62 (1959) 140 ff., 143 ff.; Thomas, Index 2 (1971) 283 ff.; Kaser (0. A. 41) 135 ff. 88 Vgl. die Nachweise o. A.82. 87 Vgl. Tondo 198 A. 61 (199). 88 Schol. 1 zu Bas. 20,1,56 (Schelt. B III 1204 = Hb II 364). 89 Zachariä v. Lingenthal, SZ 10 (1889) 285. 84 Scherillo (0. 85
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Paulus ist als Auswahlprinzip die Formel locatoT non obligatuT, conductoT obligatuT überliefert - eine Verallgemeinerung, die bei dem systematisierenden Spätklassiker gut ins Bild paßt. Jedoch ist es gut möglich, daß sie nicht erst von ihm geprägt worden ist90 • Wie dem auch sei, ihre Stellung beim Abzahlungsgeschäft zeigt jedenfalls, daß sich in der Spätklassik bereits die Vorstellung verfestigt hat, daß die gekoppelten Verträge trotz ihrer formellen Selbständigkeit wirtschaftlich ein einheitliches Geschäft ausmachen. Daß man sich in der Klassik jedoch nicht - wie wir heute beim Abzahlungskauf91 - zur Annahme eines einheitlichen Kaufvertrages entschloß, lag weniger am aktionenrechtlichen Denken, als vielmehr an den unterschiedlichen Innehabungstatbeständen. Diese ließen es zur Sicherung des Eigentumsvorbehalts als wünschenswert erscheinen, die formelle Selbständigkeit der Pacht bei der Vertragskoppelung aufrechtzuerhalten.
110 Der Jurist gibt die Besonderheit als etwas bereits Feststehendes wieder, von dem es mehrere Anwendungsfälle (interdum) gibt. 81 Vgl. z. B. Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung, Bd. 1 (1963) 149 f. Ein überwiegen des Mietelements findet sich allerdings beim sog. "Möbelleihvertrag". Dort zahlt der Käufer lediglich "Mietzinsen", die jedoch so berechnet sind, daß sie nach der vereinbarten Zeit die volle Höhe des Kaufpreises decken (vgl. § 6 AbzG), und erlangt damit eine Option auf den (dann "unentgeltlichen") Erwerb des Eigentums. In den Quellen ist dieser heute hinter den Finanzierungsgeschäften zurückgetretene (dem sog. "Produzenten-" oder "direkten Leasing" allerdings nahekommende) Typ nicht belegt. Der Schiffsvermietung auf 60 Jahre in PLond. 111 1164 h (p. 163) (212 n. ehr.) (vgl. auch BGU 1157 [10 v. ehr.] und POxy.2136 [219 n. ehr.]) liegt kein Abzahlungszweck, sondern die Absicht zugrunde, dem Vermieter die Privilegien der navicularii zu erhalten, Mitteis, SZ 28 (1907) 383 A. 2; Näheres insbes. bei De Ruggiero (0. A. 29) 48 ff.; Berger, Die Strafklauseln etc. (1911) 148 f.; Hunt, POxy. XVII 250 f. - Zu den heutigen (durch Einschaltung eines Finanzierers gekennzeichneten) Finanzierungsgeschäften s. etwa Fikentscher, Schuldrecht3 (1971) § 71 V 6, 7 (S. 418 ff., 422 ff.) m. Lit.; zum englischen hire-purchase agreement insbes. Th. Raiser, RabelsZ 33 (1969) 457 ff.
Der historische Normzweck bei den römischen Klassikern Von Dieter Medicus
I. Die Fragestellung 1. Noch vor etwa zehn Jahren mußte Kaser1 bedauernd feststellen, die Auslegung von Gesetzen und gesetzesgleichen Quellen durch die Römer sei weitaus weniger erforscht als die Auslegung von Rechtsgeschäften. Damals gab es denn auch zur Gesetzesauslegung neben den Forschungen Steinwenters 2, zu der Spezialfrage der Analogie im wesentlichen nur allgemeinere Äußerungen: aus älterer Zeit vor allem die auf die Vorklassik beschränkten, aper~uartigen Angaben von Iherings3, aus jüngerer Zeit besonders Bemerkungen von Fritz SchuZz4 und Wie-
acker'.
Inzwischen hat sich der Forschungsstand wesentlich gebessert: Zu nennen sind vor allem die Arbeiten von Wesels und VongZis7 sowie die beiden ausführlichen Rezensionen von Hausmaninger'l hierzu, überdies neuestens allgemeinere Aufsätze von Bretone' und Archi10 • Aber erschöpft ist das Thema damit gewiß noch nichtl l . Daß noch manches zu 1 Zur Methode der röm. Rechtsfindung (Nachr. Ak. Wiss. Gött., Phil.-hist. Klasse, 1962, Nr. 2) 50 A. 6. 2 Prolegomena zu einer Geschichte der Analogie: st. Albertario II (1953) 105 ff.; St. Arangio-Ruiz II (1953) 169 ff.; Festschr. Schulz II (1951) 345 fi. a Geist des röm. Rechts II 2 (5. Auf!. 1898, Neudruck 1968) 455 ff. , Prinzipien des röm. Rechts (1934, Neudruck 1954) bes. 66 ff.; Gesch. der röm. Rechtswiss. (1961) bes. 92 ff.; 155 ff. S Vom röm. Recht (2. Auf!. 1961) 45 ff. (bes. 68 ff.). a Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung der röm. Juristen (1967; Vorläufer: Zur Methode der Interpretation von Gesetzen im Röm. Recht, Diss. Saarbrücken 1965). 7 La lettre et l'esprit de la loi dans la jurisprudence classique et la rhetorique (1968). 8 SZ 85 (1968) 469 ff.; 477 ff. Weitere Lit. bei Kaser, Röm. Privatrecht I (2. Auf!. 1971) 212 A. 22. 9 11 giureconsulto interprete deUa legge, Labeo 15 (1969) 298 ff. = Tecniche e ideologie dei giuristi romani (1971) 205 ff. 10 Interpretatio iuris interpretatio legis - interpretatio legum, SZ 87 (1970) 1 ff. (vorwiegend zum Bedeutungswandel von "interpretatio 11 Weitere Forschungen in dieser Richtung fordert auch Hausmaninger, SZ 85, 476; 488 f. U ).
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tun bleibt, folgt vielmehr schon aus der Verschiedenheit der bisher erzielten Ergebnisse. Zudem bildet die Frage nach der Gesetzesinterpretation nur einen Ausschnitt aus der allgemeineren Frage nach der Methode der römischen Juristen. Zu ihr hat jetzt Horak 12 so wesentlich Neues beigetragen, daß manches, was bisher schon sicher scheinen konnte, wieder in Frage steht. Diese Unsicherheit wirkt sich auch für die Gesetzesauslegung aus, die ja gleichfalls nur eine Methode zur Gewinnung von Entscheidungskriterien und Begründungsargumenten darstellt. 2. Vorweg sei mir eine kurze Abschweifung gestattet zu der Frage nach den künftigen Aussichten und Wirkungsmöglichkeiten romanistischer Forschung. Erst jüngst hat Sturm 13 wieder gefordert, diese Forschung solle "die Gegenwartsbedeutung des römischen Rechts unterstreichen" oder sogar "einen unmittelbaren Bezug zum geltenden Recht aufweisen". Daran scheint mir jedenfalls richtig, daß die Offenlegung solcher Bezüge das Ansehen der Rechtsgeschichte bei den Dogmatikern verbessern kanna. Aber eher noch als durch historisch-erklärende Bemerkungen erweist sich der Wert der Rechtsgeschichte, wenn sie einen Beitrag leistet zur Problementscheidung selbst. Das gelingt in der zivilrechtlichen Dogmatik, die sich seit 1900 weitgehend von der Rechtsgeschichte emanzipiert hat, nur noch selten. Anders dagegen sehe ich die Situation für die Grundlage aller Dogmatik, nämlich für die Methodenlehre. Sie ist heute bei uns gleichsam noch juristisches Entwicklungsgebiet. Das beweist der jüngst von Esser15 betonte Gegensatz zwischen der offiziellen Kunstlehre18 und der Praxis. Alarmierendes Ergebnis ist der vielleicht etwas übertreibende 17, aber in der Tendenz wohl richtige Satz Essers, daß "unsere akademische Methodenlehre dem Richter weder Hilfe noch Kontrolle bedeutet"18. In der Methodenlehre bedarf es also nicht bloß der Klärung begrenzter Einzelfragen, sondern weithin einer Neubesinnung. Dazu kann gerade der Romanist wichtiges I! Rationes decidendi, Entscheidungsbegriindungen bei den ält. rom. Juristen bis Labeo I (1969); dazu vor allem Wieacker, SZ 88 (1971) 339 ff. 13 Sein und Werden im Recht, Festg. v. Lübtow (1970) 389. 14 Man wende nicht ein, die Rechtsgeschichte brauche dieses Ansehen nicht. Denn von ihm wird der Raum abhängen, der ihr künftig in Studium und Prüfung bleibt! 16 Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung (1970) 7 und passim. 18 Verkörpert etwa in Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (2. Auf!. 1969). 17 Das ist in der Diskussion bei der Tagung der Deutschen Zivilrechtslehrervereinigung über ein ähnliches Referat Essers (jetzt AcP 172 [1972] 97 ff. mit Kötz, das. 172 ff.) in Baden bei Wien mehr als genügend betont worden. 18 Esser a.a.O. (oben A. 15) 7.
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Material beitragen19. Denn die Klassikerentscheidungen zeichnen sich ja nicht nur dadurch aus, daß sie die Grundlage für die kontinentaleuropäische Rechtswissenschaft20 und damit zugleich für die Methoden von Theorie und Praxis geworden sind. Vielmehr kennt dieses Material auch noch nicht die für die heutige Misere wenigstens mitverantwortliche Trennung zwischen Theoretikern und Praktikern: Bei den Römern gibt es kaum eine nicht in der Praxis geübte Theorie. Schon aus diesen Gründen halte ich Quellenuntersuchungen unter methodologischer Fragestellung für den derzeit wohl aussichtsreichsten Zweig romanistischer Forschung. 3. An dieser Stelle kann ich freilich nur einen nach Thema und Ausführung sehr beschränkten Beitrag leisten. Dabei besteht die Beschränkung in der Ausführung darin, daß ich jeweils nur Beispiele bringe und nicht das ganze Quellenmaterial vorführe. Und thematisch geht es mir bloß um folgendes: Eine heute in der Theorie anerkannte!1 und auch in der Praxis häufig geübte!2 Methode der Normauslegung ist die teleologische, also die Verwendung des Normzwecks als Auslegungskriterium. Diese Methode setzt voraus die Feststellung des Normzwecks. Dabei kann man unterscheiden zwischen dem historischen Normzweck, dem die Norm ihre Entstehung wirklich verdankt (dem "Willen des Gesetzgebers") oder doch vernünftigerweise hätte verdanken können, und dem auf die Zeit der Anwendung bezogenen Zweck der Norm23 • Dieser gegenwärtige Normzweck muß aus den Umständen, unter denen die Normanwendung stattfindet, ständig neu ermittelt werden. Dagegen liegt der historische Normzweck in seinen beiden Spielarten idealiter als Faktum unveränderlich fest. Allerdings besteht für die subjektive Spielart des historischen Normzwecks, also für den "Willen des Gesetzgebers", ein anderes Problem24 : Bei allen nicht von einer Einzelperson gesetzten Normen muß fraglich sein, auf den Willen welcher Person oder Personen es ankommen soll. 1. Ähnlich jüngst Waldstein, Festg. Herdlitczka (1972) 237/263.
20 Diesen Aspekt der Rezeption betont besonders WieackeT, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl. 1967) 131 ff. und öfter. 21 Etwa LaTenz a.a.O. 308 ff.; 311 ff. zz V'gl. etwa die laudatio in RGZ 142, 36 (40 f.), aufgenommen in BGHZ 17, 266 (276): "Höher als der Wortlaut des Gesetzes steht sein Sinn und Zweck. Diesen im Einzelfall der Rechtsanwendung nutzbar zu machen und danach unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (nur in RGZ 142, 41: als dem obersten Satz bei Auslegung von Rechtsgeschäften) den Streitfall einer billigen und vernünftigen Lösung zuzuführen ist Aufgabe des Richters." Zur Rspr. des BVerwG vgl. Heinrich in Arndt - Heinrich - Weber - Lortsch, Richterl. Rechtsfortbildung (1970) 21 A. 1. 23 Vgl. LaTenz a.a.O. U Vgl. LaTenz a.a.O. 308 ff.
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Die naheliegende Antwort, entscheidend sei der Wille der die Norm beschließenden Mehrheit, führt praktisch nicht weiter. Denn es wird sich schon kaum je feststellen lassen, welche Gründe bei den einzelnen Personen für ihre Zustimmung maßgeblich waren. Und selbst wenn eine solche Feststellung möglich wäre, könnten diese Gründe sehr verschieden sein. Letztlich reduziert sich der "Wille des Gesetzgebers" daher regelmäßig auf die Begründung, die für den Antrag auf Erlaß der Norm vorgetragen worden ist. 4. Aber selbst wenn man zunächst von dem Unterschied zwischen den beiden Spielarten des historischen Normzwecks absieht: Für die römischen Juristen ist streitig, ob sie diesen Normzweck überhaupt verwendet haben. Vonglis 25 hat das verneint und insbesondere die Erwähnungen des legis lator verdächtigt oder hinweginterpretiert26 • Die Gegenansicht vertreten Wesel 27 und im Prinzip auch Hausmaninger28 • Kaser29 bezeichnet die Frage nach der Maßgeblichkeit des Willens desjenigen, der das Gesetz eingebracht hat, als "noch zu untersuchen". Dazu will ich im folgenden einen Beitrag leisten30 • 11. Typen der Normzwec::kangaben Für die Frage nach der Beachtung des historischen Normzwecks lassen sich bei den Normzweckangaben in den römischen Rechtsquellen drei Typen unterscheiden: 1. Häufig wird ein konkreter Fall oder Mißstand berichtet, der den Anlaß zu einer Norm gegeben haben soll. Da dieser Anlaß stets vor der Normsetzung liegt, kann damit nur der historische Normzweck gemeint sein. Und weil dieser Anlaß oft auch den Antrag auf Erlaß der Norm begründet haben dürfte, handelt es sich hier zugleich meist um den "Willen des Gesetzgebers". 2. Gleichfalls häufig begegnen Angaben über den Normzweck in den
laudationes edicti (legis, senatus consulti): Hier findet sich die Zweck-
angabe mit einem Lob für den Schöpfer der Norm verbunden. Solche oft als unecht verdächtigten31 laudationes leiten regelmäßig die Kom-
a.a.O. (oben A. 7) 28; 118 ff.; 180 ff. ze S. 25. Vgl. dazu unten V l. 17 a.a.O. (oben A. 6) 95 f. 28 SZ 85, 485, doch vgl. auch 475 f. !O RP a.a.O. 213 A. 34. 30 Dabei lasse ich die von Wesel und Vonglis mitbehandelte Frage nach einem Zusammenhang zur Rhetorik außer Betracht. Denn diese Frage scheint mir sekundär: Zunächst muß man feststellen, wie die Klassiker ausgelegt haben. Erst danach mag man dann weiterfragen, ob diese Methode von der Rhetorik beeinflußt worden ist. U Vgl. unten IV 2 mit A. 46. 15
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mentierung ein und stehen dort meist außerhalb eines konkreten Argumentationszusammenhangs: Die Zweckangabe motiviert nur das Lob für den Schöpfer der Norm. Soweit dieses Lob dem historischen Schöpfer gilt, muß also auch der historische Normzweck gemeint sein. Und soweit der Schöpfer wegen des von ihm selbst verfolgten Zwecks gelobt wird, stellt sich dieser Normzweck zugleich als "Wille des Gesetzgebers" dar. 3. Bei den Normzweckangaben der dritten Gruppe wird der Normzweck erst im Laufe der Erörterung anläßlich eines konkreten Problems erwähnt. Er erscheint dann als Argument zur Problemlösung. Deshalb ist das Material dieser Gruppe besonders wichtig: Es enthält regelmäßig mehr als folgenlose Deklamationen. Andererseits stößt hier die Feststellung, ob der historische oder der unhistorisch verstandene Normzweck gemeint ist, oft auf Schwierigkeiten.
m. Angaben über den Anlaß 1. Die Angaben über den Anlaß einer Norm tragen häufig anekdotische Züge. Ein Beispiel bildet etwa die Erzählung über das skandalöse Benehmen des Lucius Veratius, das die Einführung der actio iniuTiaTum aestimatoTia hervorgerufen haben so1l32. Die historische Wahrheit der so berichteten Vorgänge ist meist zweifelhaft und durch uns nicht mehr nachprüfbar. Dieser Umstand allein schließt freilich die Erheblichkeit der Anekdotenberichte für die Interpretationsfrage noch nicht aus: Dafür entscheidend wäre vielmehr, ob die Klassiker selbst diese Berichte für wahr gehalten oder sie nur ad hoc erfunden haben, um eine bestimmte Auslegung zu motivieren.
2. Zunächst muß man sich das sehr uneinheitliche Erscheinungsbild dieser Anlaßangaben klarmachen.
a) Nur ganz ausnahmsweise stehen sie im Normtext selbst. Einen solchen Fall bildet das SC Macedonianum, das gleich zu Anfang den Vatermord des von seinen Gläubigern bedrängten Haussohnes Macedo nennt: Ulp. (29. ed.) D.14,6,1 pr.: Verba senatus consulti Macedoniani haec sunt: ,eum inter ceteras sceleris causas Macedo, quas illi natura administrabat, etiam aes alienum adhibuisset, et saepe materiam peccandi malis moribus praestaret, qui pecuniam, ne quid amplius diceretur incertis nominibus crederet: placere ...13'. I!
Lab.-Gell. 20,1,13.
al Für Unechtheit anscheinend BeseleT, Beitr. 4 (1920) 130 ("alberne byzantinische Legende"), dagegen ausführlich Daube, SZ 65 (1947) 261 ff., vgl.
auch Forms of Roman Legislation (1956) 84 f.
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b) Regelmäßig dagegen finden sich die Anlaßangaben außerhalb des Normtextes. Dabei sind sie uns zum Teil sogar überhaupt nur außerhalb der Juristenschriften überliefert. Das gilt etwa für die bloß von Tacitus und Livius berichtete Motivierung der lex Cincia mit den von Anwälten erpreßten übermäßigen Schenkungen34 • Freilich mag das Fehlen entsprechender Angaben in den Juristenschriften auf einem Überlieferungszufall beruhen. Denn in anderen Fällen bringen auch die Juristen ähnliche Berichte. Ein Beispiel bildet etwa das Verbot des postulare pro aliis für Frauen: Ulp. (6. ed.) D.3,1,1,5: ... et ratio quidem prohibendi, ne contra pudicitiam sexui congruentem alienis causis se immisceant, ne virilibus officiis fungantur mulieres: origo vero introducta est a Carfania improbissima femina, quae inverecunde postulans et magistratum inquietans causam dedit edicto ...11. 3. Für die Verwendung solcher Anlaßangaben als Argument bei der Norminterpretation wird eine Beobachtung von Wieacker 8 bedeutsam: Zwischen den berichteten Anlässen und der angeblich durch sie hervorgerufenen Norm besteht oft ein krasses Mißverhältnis. So leuchtet etwa das allgemeine Schenkverbot der lex Cincia als Reaktion auf die sozialschädliche Erpressung durch Anwälte nicht ein: Hiergegen hätte schon eine Begrenzung der Honorare geholfen. Vielleicht noch deutlicher ist das Mißverhältnis bei der Carfania37 : Einzelnen unverschämten Frauen wäre mit sitzungspolizeilichen Mitteln zu begegnen gewesen. Diese hätten zugleich auch gegen Männer und gegen in eigenen Angelegenheiten prozessierende Frauen gewirkt. Wenn man den römischen Prätor und sein consilium nicht für ganz ungeschickt halten will, kann die Geschichte mit der Carfania also nur einen Vorwand bilden. Der wahre Zweck des' Edikts kommt demgegenüber viel eher in dem von Ulpian vorausgeschickten Satz über die ratio zum Ausdruck: Die Betätigung der Frauen in officia viriles soll abgewehrt werden.
Die Gründe für diese Diskrepanz zwischen Anlaß und Norm hat Wieacker 8 gezeigt: erstens die Unfähigkeit einer Gesetzgebung, die sich am einzelnen Anlaß erhitzt und keine allgemeinen rechtspolitischen Ziele verfolgt hat; zweitens die mangelnde Fähigkeit der Römer U Tac. anno 11,5; Liv.34,4. Zum wahren Zweck vgl. Kaser, SZ 71 (1954) 455 A.35. 31 BeseZer, SZ 66 (1948) 340 vermutet zahlreiche nachklassische Zusätze und will insbesondere die Geschichte von der Carfania streichen. Aber warum sollte ein Späterer etwas derartiges erfunden haben? Für Klassizität auch Sciascia, Varieta giuridiche (1956) 13 ff. 36 Vom röm. Recht a.a.O. 69 f. $7 Münzer, RE III Sp. 1589 S. V. Carfanius vermutet einen Schreibfehler für C. Afrania, die Gattin eines Senators Licinius Bacco, t 48 V. Chr. 38 Ebd., 70 ff.
Der historische Nonnzweck bei den römischen Klassikern
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zur Gesetzgebung überhaupt wenigstens in republikanischer Zeit; drittens die Ungunst eines durch Agitation und Gegenagitation gekennzeichneten politischen Klimas für sachlich ausgewogene Gesetzgebung". Doch braucht diesen Gründen hier nicht nachgegangen zu werden. Denn jedenfalls leuchtet ein: Wo Anlaß und Norm nicht zueinander passen, müßte eine Auslegung nach dem Anlaß die Norm weitgehend verändern. Eine so motivierte Veränderung gibt es bei den Römern, soweit ich sehe, nirgendwo. Dabei kann hier offenbleiben, ob die Römer die überlieferten Anlaßfälle selbst nicht ernst genommen oder sich gescheut haben, so weit vom Wortlaut der Norm abzuweichen. 4. Aber selbst da, wo Anlaß und Norm zueinander passen, kann von einer mit dem Anlaß motivierten Auslegung kaum die Rede sein. Ich bleibe beim Beispiel des SC Macedonianum'o: Im Digestentitel 14,6 wird nur in einem Text ausdrücklich auf die dem Vater von seinem überschuldeten Haussohn drohende Gefahr hingewiesen. Ulp. (29. ed.) D.14,6,3,3: 1s autem solus senatus consultum offendit, qui mutuam pecuniarn filio familias dedit, non qui alias contraxit, puta vendidit locavit vel alio modo contraxit: nam pecuniae datio perniciosa parentibus eorum visa est ...41. Aber abgesehen davon, daß diese Argumentation mit der Gefahr wenig überzeugt (denn nicht nur Darlehensgläubiger können ihre Schuldner so weit treiben, daß sie nach dem Leben ihrer Väter trachten): Als Beleg für eine historische Interpretation ist der Text schon deshalb nicht geeignet, weil Ulpian sich eher auf die Tatbestandsbeschreibung des SC beziehen dürfte (qui mutuam pecuniam dedisset, D.14,6,1 pr.) als auf den Anlaßfall (den durch aes alienum verschuldeten Macedo). Zudem ist man sogar beim SC Macedonianum, wo doch der Anlaß im Normtext selbst steht, von dem aus diesem Anlaß folgenden Zweck abgewichen. Ich nenne als Beispiel Ulp. (29. ed.) D.14,6,7,1O: Quamquam autem non declaret senatus, cui exceptionem det, tarnen sciendum est et heredem filii, si pater familias decesserit, et patrem eius, si filius familias decesserit, exceptione uti posse'l. n D.3,1,1,5 zeigt, daß auch die relativ ruhige Nonnsetzungssphäre des Prätors nicht von der Diskrepanz zwischen Anlaß und Nonn ausgenommen war. co WieackeT a.a.O. 70 bezeichnet dieses SC m. E. zu Unrecht als "unfolgerichtig": Tatsächlich richtet sich das SC ja gegen die Gläubiger, wie es nach WieackeT zu erwarten wäre. 41 Den hier sachlich interessierenden Teil der Stelle verdächtigt wohl nur BeseteT, Beitr. 4, 130 f., weil er den Vatennorddes Macedo für unecht hält. Vgl. dazu oben A. 33. C2 Der Text ist, soweit ich sehe, unverdächtigt geblieben.
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Hier wird zwar die zunächst erwähnte Einrede für den heres filii noch vom Normzweck gedeckt. Denn wäre der heres ungeschützt, könnten sich bei ihm die befürchteten Mordgelüste gegen den (noch lebenden) pater familias regen. Aber die folgende Einrede für den pater familias selbst geht ganz am Normzweck vorbei: Ist der Sohn erst einmal gestorben, droht ja dem Vater aus dieser Richtung keine Gefahr mehr. In solcher Auslegung wird das SC Macedonianum zu einem Schutz des Familienvermögens gegen Verschuldung durch die Söhne48 •
IV. Die laudationes Ist also aus den Anlaßangaben nichts für eine historische Auslegung zu gewinnen, so gilt Ähnliches auch für die laudationes. 1. Zum Teil sind solche allgemeinen Zweckangaben ebenso verschleiernd wie die Mitteilungen über die Anlaßfälle. Das deutlichste Beispiel bilden wohl die Bemerkungen von Ulpian, Paulus und Sextus Caecilius über den Zweck des Schenkverbots zwischen Ehegatten (D. 24,1,1; 2): Die Gatten sollten sich nicht aus Liebe ihrer Mittel berauben, sondern mit Eifer ihre Kinder erziehen; Ehen sollten nicht aus Mangel an Schenkfreudigkeit zerbrechen und käuflich werden. Wieacker44 vermutet wohl mit Recht, schon die Römer hätten diese Motivation läppisch gefunden und dahinter das wahre Motiv erkannt: die Erhaltung des Besitzstandes der beiden beteiligten Familien. Jedenfalls aber haben solche Motivationen die Auslegung nicht beeinflußt. 2. Zum anderen Teil sind die laudationes in ihren Zweckangaben überwiegend ganz farblos. Ich nenne als Beispiel VIp. (4. ed.) D. 2,13,4 pr.-l: Praetor ait: ,Argentariae mensae exercitores rationem, quae ad se pertinet, edent adiecto die et consule.' Huius edicti ratio aequissima est: nam cum singulorum rationes argentarii conficiant. aequum fuit id quod mei causa confecit meum quodammodo instrumenturn mihi edi45 • Daß die argentarii singulorum rationes conficiant. wußte gewiß ohnehin jeder, der mit dem Edikt zu tun hatte. Das anschließende aequum fuit ... mihi edi wiederholt nur die laudatio der ratio als aequissima. Und der Bezug auf ein Quasieigentum des Editionsgläubigers endlich (meum quodammodo instrumentum) überschreitet bereits 43 Das vermutet (zu allgemein, vgl. oben A. 40) auch Wieacker, Vom röm. Recht a.a.O. 70. 44 Ebd., 74, vgI. jetzt auch H.-J. Woltt, Iura 20 (1969) 478/484. 45 Zu Veränderungen im pr. Lenel, Ed. perp. (3. Auf!. 1927) 62 f. VgI. im übrigen den Ind. Itp. mit SuppI.; die Verdachtsgründe entsprechen im wesentlichen den gegen laudationes edicti auch sonst vorgebrachten.
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die Grenzen einer Zweckangabe und verliert sich in einem juristisch unergiebigen Vergleich. So wird denn auch die Aussage der laudatio im folgenden nicht mehr aufgegriffen. Nicht zuletzt wegen dieser Farblosigkeit sind die laudationes mehrfach als unecht verdächtigt worden46 • Dazu sei hier nur bemerkt: Juristisch - nicht bloß stilistisch - störend ist die Farblosigkeit lediglich dann, wenn die Klassiker konkrete Normzweckangaben in größerem Umfang zur Interpretation benötigten. Mir ist das zweifelhaft. Aber ob nun echt oder unecht: Keinesfalls belegen die laudationes eine historische Interpretation durch die Klassiker.
v.
Normzweckangaben im konkreten Argumentationszusammenhang
Im konkreten Argumentationszusammenhang kann ebenso auf den gegenwärtigen wie auf den historischen Normzweck Bezug genommen werden. Für den historischen Normzweck sind daher nicht alle Texte mit ratio, sententia oder voluntas (legis usw.) verwertbar. Deshalb beschränke ich mich im wesentlichen auf Texte, die den Gesetzgeber erwähnen oder sonst einen Bezug zur Vergangenheit aufweisen. 1. Der "legislator" wird in den Digesten fünfmal und in den Gaiusinstitutionen viermal erwähnt.
a) Unter den Digestentexten stammt einer (D.1,3,32,1) von Iulian47 • Er sagt lediglich, daß Gesetze außer durch den Gesetzgeber auch durch desuetudo außer Geltung kommen können. Das hat keinen Zusammenhang mit der Interpretationsfrage. Die vier Ulpiantexte (D. 24,2,11 pr.; 40,9,12 pr.; 48,5,24,2 und 48,5,30,6) sind allesamt verdächtigt worden, zuletzt von Vonglis 48 • Ich teile diesen Verdacht zumindest hinsichtlich der Erwähnung des legislator nicht49 • Alle vier Ulpiantexte haben nämlich eine mit dem Interpolationsverdacht nicht zu erklärende Eigenart: Sie beziehen sich auf die Ehegesetzgebung des' Augustus 5o • Und für sie 48 Soweit ich sehe, zuletzt von WieackeT, Textstufen klassischer Juristen (1960) 46 und öfter (mit weit. Angaben in A. 114). Dagegen aber Kaser, Zur Glaubwürdigkeit der röm. Rechtsquellen (über die Grenzen der Interpolationenkritik, Estr. aus Atti II Congr. Int. Soz. It. di storia di dir.; 1968) 41; MayeT-Maly, SZ 83 (1966) 49; Studi Grosso I (1968) 191; 195; 197; Leptien, Utilitatis causa, Zweckmäßigkeitsentscheidungen im röm. Recht (Diss. 1967) 15 ff. 47 Ob dieser Text unecht ist (vgl. die Angaben bei Vonglis a.a.O. 25 A. 2), kann hier offenbleiben. 48 Ebd., (oben A. 7) 25. 48 Ebenso Wesel a.a.O. (oben A.6) 76 ff.; Hausmaninger, SZ 85, 478 A.8; KaseT, RP a.a.O. 213 A. 34. 50 D. 24,2,11 pr. stammt aus 3. leg. Iul. et Pap., die übrigen drei Texte aus de adult.
5 Festschrift Kaser
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hat schon Wieacker 5'1 hervorgehoben, daß sie eine ganz neue Form der römischen Gesetzgebung darstellt: Hier wird erstmals - abgesehen nur von der gracchischen Reformgesetzgebung und ihren Folgen - auf Grund eines bewußten Gesamtkonzeptes eine durchdachte Rechtspolitik betrieben. Zudem steht hinter diesen Gesetzen der persönliche Einsatz des Kaisers im Senat. Daher liegt hier eine Personalisierung des Gesetzgebers und seines Willens schon für den Klassiker Ulpian besonders nahe. Eine andere Frage ist freilich, wie weit Ulpian den Willen des Gesetzgebers für die Interpretation verwendet hat. Insoweit ist das Ergebnis negativ: D. 24,2,11 pr. erläutert nur folgenlos die Vorstellung der lex Iutia et Papia über das Verhältnis zwischen der zivilen Scheidungsfreiheit und dem Scheidungsverbot für die mit ihrem patronus verheiratete liberta. D. 40,9,12 pr. motiviert gleichfalls folgenlos das Verbot der Verfügung über Sklaven, die als Ehebruchszeugen in Betracht kommen. Auch in D.48,5,24,2 wird mit den Wertvorstellungen des Gesetzgebers bloß der Normtext selbst begründet, nämlich warum das Tötungsrecht des Vaters nur in seinem Haus und dem seines Schwiegersohns besteht. D. 48,5,30,6 endlich befürwortet zwar im Fortgang62 für das aZiud crimen ein Hinausgehen über den Normtext. Aber diese Erweiterung steht zusammenhanglos hinter dem mit "legislator voluit" angeführten, auf den Normtext selbst beschränkten Willen des Gesetzgebers: Dieser wird nicht der Interpretation nutzbar gemacht, sondern stünde ihr nach unserem Verständnis gerade entgegen. b) Ein abweichendes Bild ergibt sich bei den vier Gaiusstellen. Denn erstens beziehen sie sich nicht auf die Ehegesetze des Augustus, sondern auf andere Normen: Gai. 3,56 auf die lex Iunia, Gai. 3,75 und 76 auf die lex AeZia Sentia und Gai. 3,218 auf das dritte Kapitel der lex Aquilia. Zweitens und vor allem aber bleibt die voZuntas legisZatoris nur in einem Gaiustext (Gai. 3,56) für die Interpretation folgenlos, also bloße Erklärung. In den übrigen drei Texten dagegen wird der Wille des Gesetzgebers als Argument verwendet. Sie lohnen daher eine genauere Betrachtung. Gai.3,218: Hoc tamen capite non quanti in eo anno, sed quanti in diebus XXX proximis ea res fuerit, damnatur is qui damnum dederit. Ac ne ,plurimi' quidem verbum adicitur. Et ideo quidam putaverunt liberum esse iudici ad id tempus ex diebus XXX aestimationem redigere, quo plurimi res fu(er)it, vel ad id quo minoris fu(er)it. Sed Sabino placuit proinde habendum, ac si etiam hac parte ,plurimi' verbum adiectum esset; nam legis latorem contentum fuisse, (quod prima parte eo verba usus esset)5S. 51 Vom röm. Recht a.a.O. 78. 51 Den BeseZer, TR 10 (1930) 239 freilich für unecht hält. Der ganze § 6 soll unecht sein nach AZbertario, Rend. Lomb. 64 (1931) 378 A. l. 53 Ergänzung nach Inst. 4,3,15.
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Der Text behandelt die Bußberechnung nach dem 3. Kap. der lex Aquilia. Mit ihr hängen zwei Fragen zusammen: Erstens, ob die 30-Tages-Frist eine Vor- oder Rückrechnung meint und wann der Fristlaui beginnt54 • Problematisch ist das wenigstens für uns wegen der verschiedenen überlieferung der Zeitform von esse55 • Zweitens und um diese Frage dreht sich Gai. 3,218 -, ob innerhalb der Frist wie beim 1. Kap. nur der höchste oder auch ein geringerer Sachwert maßgeblich sein sollte. Sabinus habe, so berichtet Gaius, den Höchstwert gewählt, weil der Gesetzgeber die Wiederholung des schon im 1. Kap. stehenden Wortes plurimi für entbehrlich gehalten habe. Schon diese Vorstellung eines Gesetzgebers, der sich überlegt, welche Worte er verwenden muß, bedeutet eine Personifizierung. Noch verstärkt wird sie durch das menschliche contentum fuisse. Beides deutet zwar nicht im strengen Sinn auf den Gesetzgeber (die plebs), aber doch auf einen in der Vergangenheit gedachten Gesetzesverfasser.
Wesel56 hat dem Sabinus vorgeworfen, seine Argumentation aus dem Willen des Gesetzgebers sei "sicher nicht richtig". Denn der Gesetzgeber des 3. Kap. der lex Aquilia habe das Problem der Höchst- oder Niederstwertberechnung gar nicht gesehen, sondern gemeint, in der kurzen Frist von 30 Tagen seien keine Wertschwankungen möglich. Das glaube ich aber aus mehreren Gründen nicht. Der erste gilt freilich nur, wenn - was ich für wahrscheinlich halte - das 3. Kap. schon ursprünglich alle Arten von Sachen erfaßt hat. Dann betraf es etwa auch Feldfrüchte. Für sie sind schnelle heftige Preisschwankungen vor allem um die Erntezeit herum selbst heute noch unter viel besseren Transport- und Lagerbedingungen ganz üblich (Kartoffeln im Mai und Juni!). Ähnliche Preisschwankungen hat es gewiß auch in der hohen Republik gegeben. Wenn man sich den Gesetzgeber des 3. Kap. schon als Person vorstellt, ist also nicht einzusehen, warum das eine Person ohne Kenntnis von diesen Preisschwankungen sein soll. Dazu kommt noch ein zweites Argument gegen Wesel, das jedenfalls gilt: Wenn der Gesetzgeber nicht an Wertschwankungen gedacht haben soll, bleibt unerklärlich, warum das 3. Kap. überhaupt eine Frist und nicht einen Stichtag für die aestimatio angibt. Ein drittes Argument ergibt sich endlich, wenn
54 Dazu letztens mit einem neuen Vorschlag Kaser, SZ 87 (1970) 535 A. 7 sowie v. Lilbtow, Untersuchungen zur lex Aquilia de damno iniuria dato (1971) 121 A. 170; Wittmann, Die Körperverletzung an Freien im klass. röm. Recht
(1972) 41 f. 55 erit in Ulp. D. 9,2,27,5; fuit in Ulp. D. 9,2,29,8; fuit und fuerit in Gai. 3,218. 58 a.a.O. (oben A. 6) 76; kommentarlos dazu Hausmaninger, SZ 85, 473.
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man mit Daube 51 im 3. Kap. als Gegenstand der Schätzung nicht den Preis der unbeschädigten Sache annimmt, sondern den Schaden: Daß dieser sich auch in bloß 30 Tagen sehr erheblich verändern kann, unterliegt keinerlei Zweifel. Zugeben muß man freilich, daß Sabinus das, was man heute als "Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers" bezeichnen könnte, hier allenfalls sehr unvollkommen betrieben hat. Denn erstens fragt er nicht, ob das 1. und das 3. Kap. der lex Aquilia einem einheitlichen Gesetzgebungsakt entstammen58 : Nur dann wäre ja die Argumentation mit dem contentum fuisse möglich. Und zweitens bleibt der sachlich entscheidende Punkt unerwähnt, nämlich ob den Fristen im 1. und 3. Kap. dieselbe Funktion zugedacht war. Denn nur bei solcher Funktionsgleichheit könnte aus einem plurimi im 1. Kap. auf die Höchstwertberechnung im 3. Kap. geschlossen werden5". Freilich ist nicht auszuschließen, daß Gaius den Sabinus unvollständig zitiert hat. Aber wenn es so wäre, fiele der Vorwurf auf Gaius: Er hätte gerade das weggelassen, worauf es für eine historische Interpretation in erster Linie ankam. Der komplizierte Sachzusammenhang, in dem sich die beiden letzten Erwähnungen des legislator bei Gaius finden (3,75; 76), ist ausführlich von Wesel und Vonglis erörtert worden60 • Daher fasse ich mich sehr kurz: Es handelt sich um die erbrechtliche Stellung bestimmter Personen, die entgegen der lex Aelia Sentia freigelassen worden sind. Soweit sie durch die Freilassung dediticiorum numero wurden, sollten sie nach einer in fr. de iudiciis 2 überlieferten Norm so behandelt werden, quae futura forent, si dediticiorum numero facti non essent. Das ist doppelsinnig. Denn es kann sowohl die Bejahung der testamenti factio bedeuten (Behandlung wie gewöhnliche Freigelassene) als auch ihre Verneinung (Behandlung wie die übrigen dediticii oder gar wie Sklaven). In diesem Zusammenhang sagt Gai. 3,75, die meisten hätten sich mit Recht gegen die testamenti factio entschieden: nam incredibile videbatur pessimae condicionis hominibus voluisse legis latorem testamenti faciendi ius concedere. 57 So nach mehrfachem Meinungswechsel zuletzt in Roman Law, Linguistic, Social und Philosophical Aspects (1969) 65 ff., dazu Kaser, SZ 87, 535 f. wie Daube jetzt auch Wittmann a.a.O. (oben A. 54) 42. 58 Zweifel daran jetzt wieder bei Kaser, SZ 87, 536 A. 7, vgl. auch v. Lübtow a.a.O. (oben A. 54) 22 ff. 59 Die Argumentation des Sab. wird kritisiert auch von Vonglis (oben A. 7) 116f. 80 Wesel a.a.O. (oben A.6) 76 ff.; Vonglis a.a.O. 85 ff., beide mit Angaben zur Lit.
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Und nach Gai. 3,76 sollen die Freigelassenen wie Latini beerbt werden, wenn sie ohne ihren Mangel durch die Freilassung Latini geworden wären. Dem fügt Gaius hinzu Nec me praeterit non satis in ea re legis latorem voluntatem suam verbis expressisse. Diese zweite Bemerkung stellt die verba (legis) und die voluntas legis latoris gegeneinander, und Gaius entscheidet im Ergebnis für die voluntas. Aber als der historische Normzweck läßt sie sich nicht erweisen: Es fehlt jedes Zeichen dafür, daß Gaius die Norm aus den bei ihrer Entstehung herrschenden Zuständen interpretiert oder seine Auslegung auf Äußerungen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten stützt. Viel eher wird hier einfach die aus anderen, nicht ausgesprochenen Gründen sachgerecht scheinende Lösung als Wille des Gesetzgebers ausgegeben. Etwas anders verhält es sich bei nam incredibile videbatur rell. von Gai. 3,75. Denn hier wird immerhin klar, wie das festgestellt worden ist, was zum Willen des Gesetzgebers erklärt wird: Diese Feststellung erfolgt nicht historisch, sondern - wie wir heute sagen würden - nach dem Gesichtspunkt der Wertungsgerechtigkeit: Für Personen, deren Rechtsstellung im übrigen schlecht ist, paßt die testamenti factio des freien Römers nicht; daher ist ein auf ihre Bejahung gerichteter Wille des Gesetzgebers unglaubhaft. 2. Zwar nicht um die voluntas legis latoris, aber doch um die voluntas legis geht es in dem folgenden Text. Gai.l,165: Ex eadem lege XII tabularum libertarum et inpuberum libertorum tutela ad patronos liberosque eorum pertinet. Quae et ipsa tutela legitima vocatur, non quia nominatim ea lege de hac tutela cavetur, sed quia proinde accepta est per interpretationern, atque si verbis legis introducta esset. Eo enim ipso, quod hereditates libertorum libertarumque, si intestati decessissent, iusserat lex ad patronos liberosve eorum pertinere, crediderunt veteres voluisse legern etiam tutelas ad eos pertinere, quia et agnatos, quos ad hereditatem vocavit, eosdem et tutores esse iusserat. Dieser Text arbeitet deutlich mit einem Analogieschluß61: Zwar berufen die XII Tafeln den Patron und seine liberi ausdrücklich nur zu Erben des Freigelassenen. Trotzdem sollen Patron und liberi auch Tutor des Freigelassenen sein, weil Erben- und TutorensteIlung bei den Agnaten gleichfalls miteinander verbunden sind62 • Methodisch steht diese Analogie freilich auf schwachen Füßen, weil Patrone und Agnaten nur in einer Eigenschaft - ihrem gesetzlichen Erbrecht - überein61 Ebenso Horak, Rationes decidendi (oben A. 12) 245 ff., vgl. schon Vonglis (oben A. 7) 117 A. 1. 62 Ähnlich begründet Ulp. 11,3 die Tutorenstellung der patroni aus den XII Tafeln per consequentiam.
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stimmen63 • Daher käme an sich auch ein Gegenschluß in Betracht: Weil das Gesetz den Patron im Gegensatz zum Erben nicht als Tutor bestimmt, ist er es auch nicht. Vielleicht haben die von Gaius zitierten veteres diese Schwächen ihrer Argumentation selbst empfunden. Dann ist ihre Berufung auf das voluisse legem ein Versuch, diese Schwäche zu kaschieren: Die Analogie sei berechtigt, weil ihr Ergebnis den Willen des Gesetzes treffe. Wie die veteres diesen Willen festgestellt haben, wird nicht gesagt; am ehesten wohl wieder aus der Wertungsgerechtigkeit ihrer eigenen Zeit. Jedenfalls fehlen für eine echte historische Norminterpretation alle Anzeichen. 3. Da Gaius einer der wenigen historisch interessierten römischen Juristen ist", kann man bei ihm noch am ehesten eine historische Interpretation erwarten. Deshalb seien von ihm noch vier weitere Texte genannt, in denen zwar nicht bestimmte Gesetze interpretiert werden, die aber doch das Verhältnis des Gaius zur ratio einer Rechtsregel beleuchten. Gai.l,190: Feminas vero perfectae aetatis in tutela esse fere nulla pretiosa ratio suasisse videtur; nam quae vulgo creditur, quia levitate animi plerumque decipiuntur et aequum erat eas tutorum auctoritate regi, magis speciosa videtur quam vera; mulieres enim, quae perfectae aetatis sunt, ipsae sibi negotia tractant ...". Hier deutet der Anfang mit dem Perfekt suasisse auf Gründe, die in der Vergangenheit die Einführung der Tutel veranlaßt haben. Das hindert Gaius aber nicht, die Begründung für das Fehlen der ratio pretiosa aus der Gegenwart (ipsa si bi negotia tractant) abzuleiten. Gaius nimmt hier also die von ihm selbst gestellte Frage nach der ursprünglichen ratio nicht ernst. Aber auch aus dem Fehlen einer ratio in der Gegenwart wagt er nicht etwa den Schluß, die Frauentutel gelte nicht mehr: Ihre Unvernünftigkeit wird bloß folgenlos festgestellt. Gai. 2,77/78 beschäftigt sich mit dem Eigentumserwerb durch Beschreiben oder Bemalen einer fremden Unterlage: Nach 2,78 soll der Maler Eigentümer werden, nach 2,77 dagegen der Schreiber nicht". In diesem Zusammenhang sagt Gai. 2,78 mit vollem Recht es Ebenso Horak 245 f. Daß das Ergebnis "völlig den sozialen und juristischen Gegebenheiten des Patronatsverhältnisses entspricht" (Horak 246), mag der wirkliche Entscheidungsgrund gewesen sein, wird aber nicht ausgesprochen. GC F. Schulz, Prinzipien (oben A. 4) 71. Eine unglückliche Hand dabei bescheinigt dem Gaius Wesel, SZ 81 (1964) 308 ff.; dagegen jetzt mit guten Gründen Watson, The Law of Succession in the Later Roman Republic (1971) 164. 85 Die Teilverdächtigungen dieses Textes durch Solazzi, AG 104 (1930) 29 ff. und Studi Riccobono I (1936) 187 halte ich für unbegründet . •• Die umfangreiche Literatur zu dem Sachproblem nennt Kaser, RP a.a.O. 431 A. 53.
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Cuius diversitatis vix idonea ratio redditur.
Hier wird erst gar nicht nach einem historischen Grund für die diversitas gefragt. Und das Fehlen einer gegenwärtigen ratio ist für Gaius wieder kein zureichender Grund, um die Geltung der diversitas zu verwerfen. Daß die ratio für Gaius kein Entscheidungskriterium zu sein braucht, wird vielleicht noch deutlicher in Gai. 3,98 zur condicio impossibilis: Eine Stipulation unter einer solchen Bedingung soll unwirksam sein, ein Legat dagegen nach den Sabinianern nicht. Gaius berichtet zwar anschließend die Ansicht der ProkuIianer, die auch das legatum sub impossibili condicione für nichtig halten, und gibt zu, daß sich für die Unterscheidung der Sabinianer vix idonea ratio reddi potest81 • Aber die Konsequenz, diese Unterscheidung müsse dann unrichtig sein und die Prokulianer seien im Recht, wird wenigstens nicht ausdrücklich gezogen. Auch in 2,232 endlich räumt Gaius ein, es lasse sich nicht einsehen, warum die Gültigkeit eines Legats, das auf den Zeitpunkt des Todes des Erben bezogen ist, von der Formulierung abhängen solle 8s • Zudem wird hier im Gegensatz zu Gai.2,78 und 3,98, aber ebenso wie in Gai. 1,190, auf die Vergangenheit abgestellt (quod non pretiosa ratione receptum videtur). Abgesehen davon jedoch, daß Gaius auch hier wieder das Fehlen einer ratio nicht als Anlaß zu Zweifeln an der Geltung des Unterschiedes nimmt: Die Frage nach seinen historischen Gründen wird nicht aufgeworfen. Dabei hätten sie wahrscheinlich die Erklärung liefern können: Die Entwicklung wird so zu denken sein, daß man zunächst die Begründung von Schuldverhältnissen auf den Todesfall allgemein für unzulässig gehalten hat. Später wollte man sich von dieser als lästig empfundenen Fessel lösen, ohne aber die alte Regel zu verwerfen. Daher mag man ,cum heres meus monetur' als neues Formular erfunden und für gültig erklärt, die Gültigkeit jedoch nicht auf die alten Formulare übertragen haben". 4. Nun mag eingewendet werden, Gaius sei eben mehr Lehrer als schöpferischer Jurist gewesen. Daher habe er seine Zweifel an der ratio zwar vorgetragen, vielleicht schon um Fragen seiner Schüler zuvorzukommen. Diese Zweifel hätten ihn aber doch nicht davon ab87 Mir ist das nicht sicher: Die ratio könnte im favor testamenti liegen, der sich seinerseits damit rational begründen läßt, daß Testamente meist unwiederholbar sind, wenn sich ihre Nichtigkeit herausgestellt hat. 88 Ebenso wie bei der Stipulation auf den Todesfall, vgl. Gai. 3,100 und Kaser, RP a.a.O. 492; 543 A. 50; 749 A. 48. 8D Diese Ansicht hat Alan Watson jüngst in einer Regensburger Gastvorlesung vertreten.
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halten dürfen und abgehalten, das vorzutragen, was von seinen bedeutenderen Zeitgenossen für geltendes Recht gehalten wurde. Aber in Wahrheit haben auch die in der Praxis tätigen Juristen das Fehlen einer erkennbaren ratio nicht als Grund für Zweifel an der Geltung eines Rechtssatzes angesehen. Dafür sprechen Iul. (55. dig.) D. 1,3,20: Non omnium, quae a maioribus constituta sunt, ratio reddi potest Ner. (6. membr.) D. 1,3,21: et ideo rationes eorum quae constituuntur inquiri non oportet: alioquin multa ex his quae certa sunt subvertuntur70 • Der palingenetische Zusammenhang läßt sich für beide Texte nicht mehr angeben71 • Angesichts der dürftigen Überlieferung aus Iul. 55. dig. und Ner. 6. membr. dürften auch nicht einmal Vermutungen über die Sachfragen möglich sein, auf die sich beide Texte ursprünglich bezogen haben. Das beeinträchtigt zwar ihre Aussagekraft, beseitigt aber nicht ihre Beachtlichkeit. Sachlich entspricht die Aussage Iulians wohl nur der schon eben bei Gaius beobachteten Tendenz: Wenn sich die ratio einer Norm älteren Ursprungs nicht mehr feststellen läßt, so macht das nichts aus. Der Neraztext jedoch reicht darüber weit hinaus. Denn erstens meint er nicht bloß altes Recht, sondern es heißt im Präsens: constituuntur. Und zweitens denkt er nicht an den Sonderfall der Unmöglichkeit einer Aufklärung der ratio, sondern er verbietet schlicht schon die Nachforschung (inquiri non oportet). Der alioquin-Satz endlich erweckt den Eindruck, als sei der Juristenkonsens (quae certa sunt) vielfach ohne Rücksicht auf die ratio entstanden: Andernfalls müßte nämlich das Ergebnis dieses Konsenses durch das inquirere rationem bestätigt und nicht beeinträchtigt werden. Gewiß darf man die rigorose Aussage von fr. 21 nicht als repräsentativ für die Haltung der Klassiker gegenüber dem Gesetzeszweck ansehen. Das zeigen schon die vielen Texte, die sich auf die ratio, sententia oder voluntas berufen7!. Auch paßt fr.21 gut zu dem Kommentierungsverbot Justinians in Const. Tanta 21. Daher mögen die Kompilatoren eine solche Aussage gern aufgegriffen und ihr durch die Alleinstellung freudig besonderes Gewicht verschafft haben. Trotzdem spricht der Neraztext für die Tendenz, sich bei Konsens über die Sachfragen (quae certa sunt) um die ratio nicht mehr zu kümmern. Ein solcher Konsens soll also nicht durch den bloßen Hinweis auf die abweichende ratio 70 Ind. Itp. mit Suppl. nennt für beide Texte keine Verdächtigung; alioquin allein wäre jedenfalls auch kein geeignetes Interpolationsindiz. 71 Vgl. Lene~, Pal. Iul. Nr. 730, Ner. Nr. 42. 72 Vgl. etwa die Texte bei Vonglis (oben A. 7) 149 ff.
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bekämpft werden dürfen73 • Damit kann die Norm zu einem von Erwägungen über die Umstände ihrer Entstehung befreiten Eigenleben kommen. 5. In einem Text wird dieses Eigenleben der Norm, das "Klügersein als der Gesetzgeber", sogar ausdrücklich ausgesprochen. Paul. (3. Ner.) D. 24,1,63: De eo, quod uxoris in aedüicium viri ita coniuncturn est, ut detractum alicuius usus esse possit, dicendum est agi posse, quia nulla actio est, ex lege duodecim tabularum, quamvis decemviros non sit credibile de his sensisse, quorum voluntate res eorum in alienum aedificium coniunctae essent. Paulus notat: ... Die Ehefrau hat ihrem Mann Baumaterial geschenkt; dieser hat es in sein Haus eingebaut. Wegen des Schenkverbots zwischen Ehegatten ist die Schenkung obligatorisch und dinglich unwirksam. Einer Vindikation der Ehefrau könnte aber das dezemvirale Verbot einer Abtrennung des tignum iunctum entgegenstehen. Neraz bejaht das offenbar und gibt der Frau die gleichfalls in den XII Tafeln vorgesehene actio de tigno iuncto auf den doppelten Wert des Materials. Dieses Verständnis des Textes erfordert freilich die Einfügung von ,aHa' oder ähnlich (quia
(aUa) nulla actio est 74. Nach dem Text soll Neraz bei der Anwendung der XII Tafeln das mögliche Gegenargument überwunden haben, die decemviri hätten schwerlich an einen Einbau mit dem Willen des Materialeigentümers gedacht. Dieses Argument kann sich auf eine Wertung stützen zwar nicht hinsichtlich des Trennungsverbots. Denn wenn sogar die Vindikation desjenigen Eigentümers gehindert wird, der mit dem Einbau nicht einverstanden war, muß die Vindikation des dem Einbau wenngleich unwirksam - zustimmenden Eigentümers erst recht gehindert sein. Bedenken erwecken muß aber die Gewährung der actio de tigno iuncto: Das wenigstens faktische Einverständnis der Frau kann für sie einen Anspruch auf das duplum als ungerechtfertigt erscheinen lassen. Tatsächlich will ihr auch Paulus nach dem überlieferten Schluß des Textes nur die vindicatio soluta re zusprechen75 • Daher scheint mir das in dem Stück quamvis - coniunctae essent ausgedrückte Bedenken durchaus logisch. Man wird also diese Worte nicht für eine spätere Zutat halten müssen. Aber selbst wenn sie es 73 v. Lübtow, SZ 66 (1948) 476 f. zieht aus D. 1,3,20; 21 wohl zu weitreichende Folgerungen. 74 So etwa Mommsen, Dig. ad h.l. MeHllo, Tignum iunctum (1964) 73 hält trotz gleichen Textverständnisses die Einfügung sogar für entbehrlich. 75 Daß der Unterschied zwischen Ner. und Paul. nicht auf einer verschiedenen Auffassung der actio de tigno iuncto beruht, sondern des Schenkverbots zwischen Ehegatten, betonen (z. T. gegen Melillo a.a.O. 65 ff.) Kaser, Labeo 12 (1966) 109; Medicus, SZ 84 (1967) 479 und wohl auch Bund, TR 35 (1967) 305 f., anders Voci, Iura 16 (1965) 311.
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wären78 , würde das doch daran nichts ändern, daß Neraz die dezemvirale aetio de tigno iuncto in doppeltem Sinn unhistorisch77 anwendet: Erstens gewährt er die Klage in einem Fall, den der Gesetzgeber nicht voraussehen konnte. Zwar ist das Alter des Schenkverbots zwischen Ehegatten ungewiß78; aber da das Verbot erst für die manusfreie Ehe sinnvoll wird, ist es gewiß erheblich jünger als die XII Tafeln. Und zweitens überwindet Neraz auch die Bedenken, die sich aus der wertungsmäßigen - nicht bloß tatbestandsmäßigen - Verschiedenheit zwischen dem typischen Anwendungsfall der actio de tigno iuncto und dem hier vorliegenden ergeben. In beider Hinsicht also wird das Gesetz klüger als der Gesetzgeber. 6. Genannt seien noch zwei Texte, die zeigen, daß die Klassiker die
ratio einer Norm bisweilen nur recht unsorgfältig angeben.
Ulp. (3. adult.) D. 48,5,28,11: lubet lex eos homines, de quibus quaestio Ita hablta est, publieos esse: ... ratio autem publieandorum servorum ea est, ut sine ullo metu verum dicant et ne, dum timeant se in reorum potestatem regressuros, obdurent in quaestione. Was Ulpian hier über die ratio des Gebots aus der lex Iulia de adulteriis coercendis berichtet, die verhörten Sklaven zu konfiszieren,
klingt einleuchtend: Die Aussagefreudigkeit der über einen Ehebruch zu vernehmenden Sklaven soll nicht durch ihre Furcht eingeschränkt werden, später zu ihren angeklagten Eigentümern zurückkehren zu müssen. Aus der Erwähnung von metus und time re wäre an sich zu folgern, daß die ratio der publicatio nur für den seinen Herren belastenden Sklaven paßt: Die den Herren entlastenden Sklaven haben ja bei der Rückkehr in potestatem nichts zu fürchten. Dennoch sagt Ulp. eod. § 13: Sed et si negaverint, nlhilo minus publieantur: ratio enim adhuc eadem est, ne, dum hi sperant se in potestatem dominorum reversuros, si negaverint, spe meriti collocandi in mendac10 perseverent71 • 78 Dahin führt vor allem die gründliche Exegese von Berger, Studi RiccobonD I (1937) 623 ff. Die umfangreiche weitere textkritische Literatur zdSt. findet sich zuletzt bei Melillo a.a.O. 65 ff.; Quadrato, Tignum iunctum ne solvito (1967) 44 ff. - Kaser, BIDR 65 (1962) 92 A. 46 hatte Berger noch voll zugestimmt. In Labeo 12, 109 ist Kaser jedoch gegenüber der Annahme einer Glosse schon zurückhaltender. - Sicher scheint mir zu sein: Die Paulusnote, die nur die vindicatio soluta re zuläßt, bringt gegenüber Neraz eine Einschränkung (sed in hoc solum agi potest). Also muß Neraz mehr zugelassen haben, und dafür kommt nur die actio de tigno iuncto in Betracht. Alle Textveränderungen, die dem Neraz diese Klage absprechen (und dabei quamvis in quia verändern, also den Hinweis auf den Willen der decemviri zur Begründung machen), sind daher abzulehnen. 77 Anders Mayer-Maly, SD 33 (1967) 436: Fr. 63 enthalte "den Ansatz einer Interpretation nach der vermutlichen Absicht des Gesetzgebers". 78 Vgl. Kaser, RP a.a.O. 331 mit Literatur. 79 Beseler, SZ 52 (1932) 38 f. (vgl. auch Beiträge 5, 84) verstümmelt die §§ 11-13 und streicht insbesondere in §§ 11 und 13 die ratio (wegen adhuc): Aber das ist unglaubhaft.
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Auch diese Erstreckung der publicatio80 auf die entlastend aussagenden Sklaven wird - für sich betrachtet - einleuchtend motiviert: Für sie soll die Hoffnung auf Belohnung keinen Grund zu wahrheitswidrigem Leugnen abgeben. Aber es stimmt nicht, daß diese ratio noch dieselbe wäre wie die in § 11 angegebene. Denn das dort Gesagte paßt eindeutig nur für die belastende Aussage (metus, timere). Bei sorgfältiger Formulierung wäre es leicht möglich gewesen, die ratio schon in § 11 so anzugeben, daß hinsichtlich der Entlastungszeugen keine Zweifel zu entstehen brauchten. IDpian hätte etwa sagen können: Die Sklaven sollen bei ihrer Aussage nicht beeinflußt werden durch die Erwartung von (günstigen oder ungünstigen) Folgen einer Rückkehr zu ihren Herren. Diese Zweckangabe hätte auch zu dem Gesetzeswortlaut gepaßt, der ja ohne Rücksicht auf den Inhalt der Aussage allgemein spricht von den homines, de quibus quaestio ita habita est. Gegenüber diesem Wortlaut bedeutet die von IDpian in § 11 genannte ratio nur eine Irreführung. Daraus darf man wohl folgern, hier bilde die ratio für den Juristen nur schmückendes Beiwerk: Andernfalls hätte er mehr Mühe auf ihre Formulierung verwendet.
7. Beenden möchte ich diesen Abschnitt mit zwei von den wenigen Texten, die Vorgänge bei der Entstehung einer Norm erwähnen. a) Nach Erörterung der Ausdrücke ,classici' und ,infra classem' sagt Gell. N. A. 6,13,3: Hoc eo strictim notavi, quoniam in M. Catonis oratione, qua Voconiam legern suasit, quaeri solet, quid sit ,classicus', quld ,infra classem'. Diesen Text könnte man wie folgt verstehen: Gellius halte die Erörterung der Ausdrücke ,classicus' und ,infra classem' anscheinend deshalb für angebracht, weil sie in der Rede des Mareus Porcius Cato vorgekommen seien. Wahrscheinlich hätten diese Ausdrücke also im Text der lex Voconia selbst gefehlt81 • Nach der Ausdrucksbedeutung gefragt werde wohl für Zwecke der Rechtsanwendung. Diese erfolge also mit Rücksicht auf eine Äußerung des "Gesetzesvaters" Cato. Danach läge hier ein Beispiel für Interpretation nach dem Willen des (historischen) Gesetzgebers vor. Aber diese Argumentationskette ist nicht zuverlässig. Zwar wissen wir aus Cie. in Verr. II 1,41,1048!, daß man den Sinn von ,classicus' wirklich so eingeschränkt hat, wie sich das aus Gell. N. A. 6,13,1 ergibt, 80 Unrichtig übrigens KTÜckmann, SZ 60 (1940) 77, es handele sich um eine strafweise Konfiskation. Das Gegenteil beweisen gerade § 13 sowie § 15 mit seiner Entschädigungspflicht. 81 So letztens Watson, The Law of Succession in the Later Roman RepubUc (1971) 30; nicht eindeutig Wesel (oben A. 6) 87. 81 Dazu Watson 29 f.
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nämlich auf die vom Zensor in die höchste Vermögensklasse eingeteilten Personen83 . Aber zweifeln kann man schon daran, ob ,classicus' im Text der lex Voconia wirklich gefehlt hat. Daß das Wort sonst "der offiziellen Gesetzessprache fremd ist"84, beweist nichts: Dieses Argument unterstellt nämlich, um die Mitte des 2. vorchristlichen Jahrhunderts sei auf Einheitlichkeit der Gesetzessprache geachtet worden, und dafür fehlt jeder Anhalt. Aber selbst wenn ,classicus' im Text der lex Voconia nicht vorkam, bleibt doch zu bedenken: Irgendwie anders wird die lex ihren Anwendungsbereich wohl umschrieben haben, am ehesten durch Angabe eines Mindestvermögens. Dann konnte fraglich werden, ob schon das Vorliegen eines solchen Vermögens genügte, oder ob seine Feststellung durch den Zensor hinzukommen mußte. Und gerade diese Frage war durch Catos Ausdruck ,classicus' offenbar nicht eindeutig entschieden: Nach dem Sinn des Ausdrucks hat man ja gewöhnlich gerade gefragt (... quaeri solet, quid sit classicus ...)! Einen Beweis für eine historische Interpretation bietet der Gelliustext also nicht. Für eine Berücksichtigung des - nicht einmal angedeuteten - Normzwecks läßt sich aus ihm vollends nichts gewinnen. b) In D. 5,3,22 erörtert Paulus (20. ed.), ob vom gutgläubigen Besitzer außer der Sache selbst auch ein Gewinn herausverlangt werden kann, der dem Besitzer durch Verkauf und günstigeren Rückkauf der Sache entstanden ist . ... nam et in oratione divi Hadriani ita est: ,Dispicite, patres conscripti, numquid sit aequius possessorem non facere lucrum et pretium, quod ex aliena re perceperit, redderc, quia potest existimari in locum hereditariae rei venditae pretium eius successisse et quodammodo ipsum hereditarium factum.' oportet igitur possessorem et rem restituere petitori et quod ex venditione eius rei lucratus est85• Ohne daß hier auf die Einzelheiten des Textes eingegangen werden könnte, darf doch mit der herrschenden Meinung angenommen werden, die zitierte oratio Hadriani habe der Einführung des SC Iuventianum zugrunde gelegen86 . Dann könnte man den Schlußsatz oportet igitur rell. für einen Fall historischer Interpretation halten. 83
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Dazu, daß dieses Verständnis seit Sulla unhaltbar wurde, vgl. Wesel
84 So Steinwenter, RE XII 2420 (Lex Voconia) unter Berufung auf Rosenberg, Unters. zur röm. Zenturienverfassung 18 (mir nicht erreichbar). 85 Der hier abgedruckte zweite Teil des Textes wird sachlich kaum beanstandet, vgl. die Angaben bei di Paola, Saggi in materia di hereditatis petitio (1954) 104 A. 51. Aber auch der hier nur sinngemäß wiedergegebene erste Teil ist sachlich zuverlässi:g; so zuletzt di Paola a.a.O.; Kaser, SZ 72 (1955) 90/108 A. 55. 88 So ausführlich di Paola a.a.O. 101; 103 ff. mit Angabe des Streitstandes 106 A. 55; ebenso Kaser, SZ 72,108; RP a.a.O. 739 A. 38. .
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Doch auch hier sind wieder erhebliche Zweifel möglich. Zwar mag zur Zeit der oratio Hadriani gerade noch zwischen dem kaiserlichen Antrag und dem durch ihn veranlaßten Senatsbeschluß unterschieden worden sein. Aber zur Zeit des Paulus, um dessen Argumentation es sich ja handelt, hatte der Senatsbeschluß jede Selbständigkeit gegenüber der oratio principis eingebüßt87 • Fr. 22 läßt denn auch nicht erkennen, daß der Jurist die oratio allein für unverbindlich hält und sie nur zur Interpretation der anderswoher stammenden "eigentlichen" Rechtsnorm verwenden will. Selbst wenn das ,et' (nam et in oratione divi Hadriani ita est) andeuten sollte, daß es außer dem Hinweis auf die oratio noch ein weiteres Argument gibt, so stellt das doch deren gesetzesgleiche Geltung nicht in Frage: Das weitere Argument konnte deshalb als nötig erscheinen, weil auch die oratio den Fall eines durch Ver- und Rückkauf erzielten Gewinns nicht ausdrücklich trifft. Der Paulustext kann also genauso gut wie eine Argumentation mit dem Willen des Gesetzgebers auch eine Argumentation aus einem Gesetz selbst enthalten. VI. Ergänzende Bemerkungen zum Normzweck als Auslegungskriterium überhaupt Das bis hierher zu einer historischen Komponente bei der Normauslegung durch die Klassiker Festgestellte führt zu einem überwiegend negativen Ergebnis: Die ernsthafte Suche nach dem Willen des historischen Gesetzgebers läßt sich kaum entdecken, und die Umstände bei der Entstehung einer Norm werden höchstens ganz ausnahmsweise als Auslegungskriterium herangezogen. Dieser Befund soll jetzt noch durch einige allgemeinere Bemerkungen ergänzt werden. 1. Schon Vonglis 88 hat beobachtet, daß die Klassiker mit ,lex voluit'
oder ähnlich häufig bloß eine schlichte Umschreibung des Normtextes einleiten. Dieselbe Beobachtung hatte ich anhand des VIR schon vor der Lektüre des Buches von Vonglis gemacht; ich kann sie also bestätigen. Sie paßt gut zu der Annahme, der Wille der Norm habe als Auslegungskriterium keine große Rolle gespielt. Denn sonst hätte unter dem Stichwort ,lex voluit' mehr gebracht werden müssen als der bloße Normtext. 2. Nach einer Beobachtung von Wesel 8g haben die Klassiker viele Entscheidungen in die Form der von ihm so genannten "indentifizierenden Interpretation" gekleidet. Ein Beispiel bildet etwa Vgl. die Angaben bei Kaser, RP 199. .a.a.O. (oben A.7) 172 ff.; grundsätzlich zustimmend, doch mit einer Ausnahme für Celsus, Hausmaninger, SZ 85 (1968) 484 f. 89 a.a.O. (oben A. 6) 42 ff., dazu Bretone, Tecniche (oben A. 9) 210 ff. 87
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Gai. 3,211: Iniuria autern occidere intellegitur, cuius dolo aut culpa id acciderit ...eo. Ein solcher Stil läßt jedenfalls der äußeren Form nach für eine Be~ sinnung auf den Normzweck keinen Raum, weil er die zu entscheidende Sachfrage nicht offen ausspricht. Freilich dürfte diese Darstellungsform überwiegend dort gewählt worden sein, wo sich über die Lösung schon ein Konsens herausgebildet hatte. Wie dieser Konsens entstanden ist, bleibt dann offen. 3. Der Raum für eine Argumentation mit dem Normzweck wird weiter dadurch eingeengt, daß die Rechtsentwicklung auf weiten Gebieten als Rechtsfortbildung mit den Mitteln des Prätors erfolgt ist81 : durch die actiones utiles und in factum. Man denke dabei etwa an die Ausdehnung der Haftung nach der lex Aquilia. Für diese Tätigkeit supplendi iuris civilis gratia konnte der Prätor sich schon deshalb nicht auf die ratio der erweiterten Norm berufen, weil er überhaupt keine Begründung anzugeben brauchte. Andererseits war den Juristen, die Anlaß für eine solche Begründung gehabt hätten, durch die Aktivität des Prätors das Feld für eigene Betätigung genommen. Offenbleiben muß freilich, wie weit in den consilia, die den Prätor bei seinen Neuschöpfungen berieten, Erwägungen über den Normzweck angestellt worden sind. Am ehesten vermuten läßt sich das für die actiones ad
exempZumV!. 4. Auf den ersten Blick für eine weitreichende Berücksichtigung des Normzwecks zu sprechen scheint die Lehre von der fraus legi facta. Denn hier tritt die sententia anscheinend gleichberechtigt neben die verba legis. Paul. (sing. Cine.) D.1,3,29: Contra legern facit, qui id facit quod lex prohibet, in fraudem vero, qui salvis verbis legis sententiam eius eircumvenite•• Indessen haben die Klassiker wohl noch keine allgemeine Lehre von der fraus Zegi facta gekannt, sondern sie nur in einzelnen Sachzusammenhängen eingesetzt94 • Zudem wird diese Lehre überhaupt erst dadurch nötig, daß man den Wortlaut der Norm noch nicht durchweg entsprechend ihrer sententia interpretiert95 • So gesehen zeugt die fraus legi facta eher gegen eine umfassende Berücksichtigung des Normzwecks. Dazu Wesel a.a.O. 49. Darauf verweist Wesel a.a.O. 82 f., zustimmend Hausmaninger, SZ 85, 486f. Ir Vgl. Kaser, Zur Methode (oben A. 1) 59 A. 1. 91 Dem Sinne nach gleich auch Ulp. (4. ed.) D. 1,3,30 . . 14 So H. Krüger - Kaser, SZ 63 (1943) 148 f., vgl. auch Kaser, RP a.a.O. 250. 15 Daher gibt es auch heute keine ausgebaute Lehre von der Gesetzes10 U
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5. Erwähnt sei endlich noch: Das Hinwegsehen über den Zweck einer Norm oder eines Rechtsinstituts hat in der römischen Interpretationsgeschichte eine uralte Tradition. Belege dafür bilden etwa der (nach heutigen Vorstellungen) " Mißbrauch " von Formen des streitigen Prozesses für einverständliche Rechtsübertragung (in iure cessio) oder Rechtsaufgabe (manumissio vindicta); die Entwicklung neuer Geschäfte aus einer ganz anderen Zwecken dienenden Norm (emancipatio 88 ); das Festhalten an Formen, die seit langem ihren Sinn verloren hatten (die Geschäfte per aes et Zibram). Ein solches über Jahrhunderte geübtes und allgemein widerspruchslos akzeptiertes Vorgehen konnte seine Wirkung auch in einer rationaler denkenden späteren Zeit nicht plötzlich verlieren.
vu.
Zusammenfassung und Bewertung
1. Insgesamt läßt sich sagen: Die klassischen römischen Juristen haben sich um den historischen Normzweck kaum gekümmert. Insbesondere haben sie den Normzweck kaum als Entscheidungskriterium verwendet97 • Die Berufung auf ratio oder sententia einer Norm dient eher der Bestätigung eines anderswie gefundenen Ergebnisses. Dem entspricht auch, daß sich die Klassiker um die Feststellung von Normzwecken kaum irgendwo bemüht haben.
Dieses negative Resultat zu einer historischen Komponente bei der römischen Norminterpretation stimmt überein mit Äußerungen schon von Cuiaz88 und aus neuerer Zeit etwa von Fritz SchulzU9 , VongZislOO und Horak101 • Dem stehen gegenüber abweichende Äußerungen vor allem umgehung: Im Strafrecht nützt sie wegen des Analogieverbotes nichts, und im übrigen ist sie überflüssig. Nur in neuen Rechtsgebieten mit unsicherer Gesetzesauslegung können sich noch Ansätze zu einer solchen Lehre halten (Steuerrecht!). 18 Vgl. Kaser, Röm. Rechtsgeschichte (2. Aufl. 1967) 131 f.: "mit naiver Weitherzigkeit über den Zweck der Vorschrift hinwegsetzt". 87 Unrichtig jedenfalls Leptien (oben A. 46) 17 A.39, das Abstellen auf Sinn und Zweck der auszulegenden Bestimmung entspreche der wichtigsten römischen Interpretationsregel. 18 Observat.lib. XVII cap.15: "nesciebant saepe iurisconsulti veras rationes regularum iuris antiqui". SI Prinzipien des röm. Rechts (oben A. 4) 66 ff.; 69 ff. mit eindrucksvollen Beispielen. überzeugend etwa der Hinweis auf Gell. 20,1,13: Labeo mißbilligt (non probat) die feste Iniurienbuße der XII Tafeln, weil sie zu niedrig bemessen sei, ohne den viel höheren Geldwert bei ihrer Einführung zu bedenken! 100 a.a.O. (oben A. 7) vielfach, besonders deutlich etwa 163 ff. 101 a.a.O. (oben A.12) 184: "Der Blick in die geschichtliche Dimension war ihnen nicht gegeben ..."
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von WeseP02 und - speziell für Celsus - von Hausmaninger 103 . Dabei war mir freilich die für die Studi Grosso vorgesehene Studie 104 Hausmaningers noch nicht erreichbar. Doch könnte die Sonderstellung eines einzelnen Klassikers das Gesamtbild kaum wesentlich verschieben. 2. Es bleibt noch die Frage nach der Wertung dieses Befundes. Ich will sie zunächst einmal so formulieren: Verdienen die Klassiker wegen der Geringschätzung des Normzwecks Lob oder Tadel? Diese Frage hat einen zeitgebundenen und einen überzeitlichen, allgemein methodologischen Aspekt. a) Der zeitgebundene Aspekt wird bestimmt durch die Qualität der zu interpretierenden Normen. Hierfür darf ich weitgehend auf schon Gesagtes verweisen (vgl. oben III 3): Die römischen leges und senatus consulta sind überwiegend an einzelnen Anlässen entstanden, in der späten Republik zudem in einem politisch gereizten Klima. Ein rechtspolitischer Plan liegt ihnen nicht zugrunde. Das prätorische Edikt ist zwar planvoller zustande gekommen und auch stärker auf Vollständigkeit bedacht. Aber an seiner Entstehung sind doch viele Einzelpersonen zu ganz verschiedenen Zeiten beteiligt. Darum fehlt das einheitliche Gesamtkonzept auch hier. Angesichts dieser schlechten Qualität der römischen Normen verdienen die Klassiker eher Lob dafür, daß sie sich um den "Willen des Gesetzgebers" nicht gekümmert haben. Denn wenigstens eine unkritische Beachtung dieses Willens hätte für die Rechtsfortbildung alle die Zufälle relevant werden lassen, die Einfluß auf die römische Gesetzgebung gewonnen haben. Damit wäre die Sachgerechtigkeit der Problemlösungen schwerlich verbessert worden. Die Norm war für die Rechtsfindung der Klassiker weniger Erkenntnismittel als vielmehr - wie Kaser105 einmal formuliert hat Schranke. Auch von dieser Methode her versteht sich die Nichtbeachtung der ratio le.gis: Wer zunächst einmal die sachgerechte Lösung sucht und erst dann fragt, ob ihr eine Norm entgegenstehe, neigt von vornherein nicht zur Ableitung aus einer NormlOG. b) Für den allgemein methodologischen Aspekt ist wesentlich eine gerade in unseren Tagen wieder häufig zu beobachtende Gefahr: Was a.a.O. (oben A. 6) 95 f. SZ 85, 485; kritisch zu Wesel aber 475 f. 104 Angekündigt in SZ 85,480 A. 11. 105 Zur Methode (oben A. 1) 75. 100 Dem entspricht, daß sich in dem von Horak untersuchten Material "Begründungen durch Anwendung einer Rechtsnorm" kaum finden: Horak (oben A. 12) 84 ff.; 90 f. Zur einschränkenden Bewertung der Intuition durch Horak selbst vgl. jetzt Wieacker, SZ 88, 352. 102
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als "Wille des Gesetzes" (oder "Gesetzgebers") ausgegeben wird, ist oft nur der Wille des Interpreten. Das braucht keineswegs die Willkür des Interpreten zu sein oder seine Bereitschaft, derjenigen "Klasse" zu dienen, der er sich zugehörig glaubt107. Vielmehr spielt hier beim juristisch Geübten das Gefühl für die Rechtsformen, das "Judiz"108, eine entscheidende Rolle. Dieses Judiz allein genügt, wenn der Jurist aus seiner Autorität ohne weitere Begründung sprechen kann10v . Ungenügend wird es aber spätestens da, wo sich mehrere mit dem Autoritätsanspruch vorgetragene Entscheidungen widersprechen. Dort ist die rationale Begründung nötig. Ein rationales Argument stellt zwar an sich auch die Berufung auf den Willen des Gesetzes dar, aber doch nur unter einer Voraussetzung: Zwischen dem Argumentierenden und dem Adressaten des Arguments ist Konsens über diesen Willen nötig. Wo der Konsens fehlt, muß der Adressat erst überzeugt werden; mit anderen Worten: Der Wille des Gesetzes bedarf seinerseits einer Begründung. Diese Begründung kann theoretisch dadurch geschehen, daß eine Willensbekundung des historischen Gesetzgebers mitgeteilt wird. Aber selbst wo solche Willensbekundungen wirklich vorliegen, ergeben sie nur selten ein überzeugendes Argument: Praktisch hat nämlich der Gesetzgeber die später streitig werdenden Fälle meist nicht vorausgesehen; ihre Entscheidung liegt daher außerhalb seines Willens118 • Der historische Wille muß also für den zu entscheidenden Fall ergänzt werden, und das gelingt nur durch die Unterstellung eines "vernünftigen" Gesetzgebers111 • Damit fließt die historische Gesetzesinterpretation mit der unhistorischen zusammen: Für beide ist die Begründung mit der bloßen Angabe des Normzwecks noch nicht abgeschlossen. Hinzutreten muß vielmehr eine Begründung dafür, daß der Normzweck gerade so und nicht anders ist. Diese weitere Begründung muß sich dann stützen auf Sachargumente wie Ähnlichkeit112, aequitas 113 , utilitas 114 , necessitas l15 • 107 Gegen einen ähnlichen Gedanken bei Vonglis auch Hausmaninge.,., SZ 85, 481. 108 Ich vermeide damit bewußt das Wort "Intuition": Es kann umfassen auch das wesentlich andere, nicht weiter begründbare "Rechtsgefühl" des Laien. Vgl. dazu Kase.,., Zur Methode (oben A.1) 54 ff.; Ho.,.ak (oben A.12) 18 ff. und (etwas abweichend) Horak, Festg. Herdlitczka (1972) 237/248 ff. lOg Zu Autorität und Rationalität bei den römischen Juristen vgl. Kaser, Zur Methode (oben A. 1) 58; Horak (oben A. 12) 71 ff.; 288 ff. mit weiteren Angaben; jetzt auch Wieacker, SZ 88, 352. 110 Derselbe Einwand gilt auch gegen die Interessenjurisprudenz: Esse.,. (oben A. 15) 130. 111 Esser a.a.O. 126. 112 Freilich bedarf es hier wieder einer Begründung, warum Untersdliede unerheblich sein sollen: Esser a.a.O. 130. 6 Festschrift Kaser
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Die Berufung auf den aus solchen Sachargumenten abgeleiteten Normzweck erscheint so als bloßer Zwischenschritt der Argumentation. Man kann ihn ohne Schaden für die überzeugungskraft weglassen. Denn statt zu sagen: "Dies ist aus diesen oder jenen Gründen vernünftig. Also ist es der Wille des - als vernünftig vorausgesetzten Gesetzgebers. Also gilt es" kann man auch einfacher sagen: "Dies ist aus diesen oder jenen Gründen vernünftig. Also gilt es." Wesentlich für die Uberzeugungskraft der Argumentation sind nur die angegebenen Vernunftsgründe. Entsprechend bedeutet der Satz, eine Norm sei ihrem Zweck gemäß anzuwenden, letztlich nur die Warnung: Mit bloßer Subsumtion ist es nicht getan; der Obersatz für den Syllogismus ist noch nicht fertig, sondern er muß für den konkreten Fall erst gefunden werden116 • Das Weglassen des Normzwecks im Argumentationszusammenhang spricht also keineswegs gegen die überzeugungskraft der Argumentation. Unbefriedigend ist es vielmehr nur, wenn der Normzweck als einziges Argument erscheint, ohne seinerseits begründet zu werden: Er wird dann zum Scheinargument, das die Notwendigkeit einer weiteren Begründung verschleiert. Dieser Gefahr sind die römischen Klassiker schon deshalb kaum erlegen, weil sie mit dem Normzweck nur selten argumentiert haben - jedenfalls viel seltener, als wir es heute tun.
Dazu die Lit. bei Kaser, RP a.a.O. 194 A. 5. Dazu die Lit. bei Kaser, RP 212 A. 20. 115 Dazu Mayer-Maly, Studi Grosso I (1968) 179 ff.; Etudes Macqueron (1970) 477 ff. 116 Esser a.a.O. passim, besonders 40 ff. 113
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UIp. D. 8.5.6.4 - Die Beteiligung mehrerer Personen an der servitus oneris ferendi Von Klaus Meffert 1. In dem schwierigen und weithin offenen Fragenkreis, in welcher Weise Miteigentümer klagen oder verklagt werden konnten, macht die Beteiligung mehrerer Personen an der servitus oneris ferendi, dem Recht, das eigene Gebäude auf bauliche Einrichtungen des Nachbargrundstücks zu stützen1 , keine Ausnahme. Die Ulpianstelle D. 8.5.6.4, die uns hierüber Auskunft gibt, ist in ihrer Bedeutung und Vertrauenswürdigkeit seit langem umstritten2,: 17 ad ed.: Si aedes plurium dominorum sint, an in solidum agatur, Papinianus libro tertio quaestionum tractat: et ait singulos dominos in solidum agere, sicuti de ceteris servitutibus excepto usu fructu. sed non idem respondendum inquit, si communes aedes essent, quae onera vicini sustinerent. Der überlieferten Darstellung des Ulpian zufolge hat Papinian die Auffassung vertreten, daß jeder einzelne Miteigentümer eines Gebäudes, zu dessen Gunsten an einem anderen Gebäude eine servitus oneris ferendi bestehe, aus dieser Servitut - wie auch aus allen anderen 1 VIp. D. 8,5,6,2 ff., D. 8,5,8 pr.-2, Paul. D. 8,2,33, D.8,5,7 u. a. Mit der Regel "servitus in faciendo consistere nequit" war die servitus oneris ferendi offenbar vereinbar; vg1. gegen die grundsätzliche Kritik Beselers, SZ 45 (1925), 231 ff. ("Die kleine in diese Servitut eingesprengte Reallast ist nicht klassischen Rechtes"): Siber, Römisches Recht in den Grundzügen für die Vorlesung II, Römisches Privatrecht (1928, Neudr. 1968), 107, Segre, Bull. 41 (1933), 52 ff., Solazzi, Requisiti e modi di costituzione delle servitu prediali (1947), 19 und dort A. 20, ders., Specie ed estinzione delle servitu prediali (1948), 62 ff., ders., La tutela e il possesso delle servitu prediali (1949), 22 H., Biondi, Le servitu prediali (2. Auf!. 1954), 116 ff., Franciosi, Studi sulle servitu prediali (1967), 35 und dort A. 115, Grosso, I problemi dei dirltti real.i nell'impostazione romana (1944), 187 ff., ders., Le servitu prediali nel diritto romano (1969), 83 ff., Kaser, Das römische Privatrecht I (2. Auf!. 19'tl) = RP I, 443. - Abgekürzt zitiert werden weiterhin Kaser, Das römische Privatrecht II (1959) = RP II, ders., Das römische Zivilprozeßrecht (1966) = RZ. 2 Vgl. einerseits Faber, Rationalia in Pandectas (5 Bde., Lugduni 1659-63), II. 2, 249 ad h. 1.; andererseits Cuiacius, Opera (13 Bde., Prati 1836-1846), IV, Sp. 702 f., Comm. in lib. III. Papin. ad h. 1., Donellus, Commentarius de iure civili (3 Bde., Francoforti 1590-95), I, Buch 11, Kap. 15 in fin., S. 611, Brunnemann, Commentarius in quinquaginta libros pandectarum (Colon. Allobrog. 1752),319 ad h.l.; schließlich Accursius, Corpus iuris civilis (5 Bde., Bd. 1-3 Lugduni 1569, Bd. 4 u. 5 Paris 1566), I, Sp. 1030 ad h.1. Weitere Angaben unten A. 12-14.
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Servituten mit Ausnahme des usus fructus - die Klage auf das Ganze erheben könne. Anders aber müsse man entscheiden, so habe Papinian geantwortet, wenn nicht das gestützte, sondern das stützende Nachbarhaus im Eigentum mehrerer Personen stehe. 2. Für den ersten Fall, in dem das herrschende Grundstück mehreren Personen gemeinschaftlich gehört, trifft Papinian hiernach zwei sichel zu deutende und unter vergleichbaren Voraussetzungen auch sonst bezeugte Entscheidungen3 : Jeder Berechtigte ist imstande, die vindicatio zum Schutz der Servitut a) allein und b) auf das Ganze zu erheben, obschon man in der Solidarklage eines Mitberechtigten bei streng formaler Betrachtung auch eine Art pluris petitio sehen könnte4 • Diese Überlegung mag einerseits darauf beruhen, daß die Reparatur des tragenden Gebäudes ebensowenig teilbar ist wie die Restitution5 bei den übrigen Servituten und daher notwendig gegenüber allen Beteiligten wirkt6 • Andererseits könnte auch der Gedanke an die alte Gesamthandsgemeinschaft noch eine Rolle spielen. Bei dieser bestanden an der gemeinsamen Sache keine selbständigen Anteile. Jeder Gemeinschafter war lediglich durch die gleichen Rechte der übrigen beschränkF. c) In welcher Höhe das Geldurteil erging, wenn der beklagte Eigentümer des dienenden Grundstücks die gebotene Reparatur unterließ, erfahren wir von Papinian hingegen nicht. Doch liegt es immerhin nahe, daß die condemnatio wie die Klage auf das Ganze gehen sollte, weil es an einer ausdrücklichen Bestimmung fehlt. Etwas anderes gälte
a Vgl. Ulp. D. 8,5,4,3, D.43,27,1,5 zur vindicatio servitutis; Ulp. D. 39,3,6,1, Paul. D. 39,3,11,4 zur actio aquae pluviae arcendae; Pomp. D. 8,1,17, Paul. D. 10,2,25,9, Ulp. D. 45,1,2,2 zu den Klagen aus einer Verbindlichkeit zu unteilbarer Leistung. , Vgl. Kaser, Quanti ea res est (1935), 25 f. 5 Daß die Formel eine RestitutionsklauseI trug, ist entgegen Lenel, Das Edictum perpetuum (3. Auf!. 1927, Neudr. 1956), 191 ff., 193, sehr wahrscheinlich; vgl. Segre 17 ff., 52 ff., Solazzi, Tutela 22 ff., Grosso, Servitu 294 ff. (jeweils o. A. 1), Kaser, RP I, 438 A. 61, 447 A. 79. Näheres zur Formel unten A.39. 6 Vgl. Ulp. D. 8,5,4,4: quisquis defendit, solidum debet restituere, quia divisionem haec res non recipit, Pomp. D. 8,1,17, Pomp. Reg. (FIRA H, 2. Auf!. 1940, 449), Paul. D. 35,2,1,9 = vat. 68 u. a.; Solazzi, Requisiti (0. A.l), 64 ff., ~,., SD 17 (1951), 255 ff., Biondi (0. A.1), 160 ff., Grosso, Servitu (0. A. 1), 151 ff.; zur Stelle insoweit Ein, BuH. 39,1 (1931), 143. 7 Vgl. Kaser, Festschrift Koschaker I (1939), 453 und dort A. 58. - Zur Gesamthandsgemeinschaft im älteren römischen Redlt s. nur Kaser, RP I, 99 ff., 142.
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nur dann, wenn die Beschränkung des Geldurteils auf das Eigeninteresse des Klägers in der benachbarten und demselben Buch entnommenen Ulpianstelle D. 8.5.4.3 - die zwar die servitus oneris ferendi nicht namentlich erwähnt - allgemeine Regel gewesen und darum als selbstverständlich zu ergänzen wäre: 17 ad ed.: Si fundus, eui iter debetur, plurium sit, unicuique in solidum eompetit aetio, et ita et Pomponius libro quadragensimo prima seribit: sed in aestimationem id quod interest veniet, seilicet quod eius interest, qui experietur. itaque de iure quidem ipso singuli experientur et vietoria et alüs proderit, aestimatio autem ad quod eius interest revoeabitur, quamvis per unum adquiri servitus non possit. Jeder Miteigentümer eines Grundstücks, dem eine Servitut an einem anderen Grundstück zustehe, könne die vindicatio servitutis erheben, ohne sie auf seine Quote zu beschränken, und durch seinen Sieg auch den übrigen nützen. Dagegen sei in der aestimatio lediglich das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, obwohl die Servitut von einem einzelnen Miteigentümer nicht erworben werden könne. Die Klassizität dieser Überlieferung wird in der Literatur indes überwiegend bestritten. Dabei beruft man sich außer auf formale Bedenkens vor allem auf die Erwägung, daß eine vindicatio servitutis in solidum die Klagen der übrigen Mitberechtigten konsumieren müsse und diese daher nichts bekämen, wenn der Kläger lediglich sein Eigeninteresse erhieltet. Tatsächlich stehen die Worte "victoria et aliis proderit" in der von "scilicet" an wenig vertrauenswürdigen, vereinfachenden Wiederholung des Anfangs 1o • Doch spricht der Umstand, daß in der aestimatio 8 Die Bedenken betreffen vornehmlich den zweiten Teil der Stelle ab seilicet quod eius interest, vgl. insbesondere Guarneri Citati, Studi sulle obbligazioni indivisibili nel diritto romane (1921), 59 ff. Er vermißt etwa vor der wiederholten Wendung quod eius interest jeweils ein id, beanstandet in dem Satzteil aestimatio autem ad quod eius interest revoeabitur wegen der vorangehenden Worte singuli experientur den Singular eius und bemängelt, daß für das unum am Schluß ein Beziehungswort fehle. Insoweit wird die Stelle in der Tat überarbeitet sein; s. auch sogleich im Text. o So vor allem Guarneri Citati (0. A. 8), 56 ff., Segre, La eomproprietä e la eomunione degli altri diritti reali, Corso di diritto romane (1931), 136 ff., Marrone, APal. 24 (1955), 235 ff., Deiana in Grosso e Deiana, Le servitu prediali H (3. Aufl. 1963), 1217 ff., Grosso, Servitu (0. A.1), 283 ff. - In diesem Zusammenhang mag es dahinstehen, ob das Eigeninteresse des Klägers nach Quoten oder individuell zu berechnen wäre. Nur Biondi (0. A.1), 346 glaubt, daß der Kläger als Berechtigter der gesamten Servitut auftrete und daher der Gesamtwert der Servitut auch sein Eigeninteresse bestimme: "La aestimatio seeondo l'interesse dell'attore si'gnifiea non eondanna parziale, ma eondanna per l'intero, eonsiderando l'interesse dell'attore, non come singolo ma eome titolare intero della servitu. Indessen weist das sed deutlich darauf hin, daß die eondemnatio im Gegensatz zur Klage nicht auf das Ganze gehen sollte, so gegen Biondi auch Marrone 235 A. 319. 10 Vgl. außer den oben A.9 genannten Autoren Levy, Die Konkurrenz der Aktionen und Personen im klassischen römischen Recht H. 1 (1922), 239 A. 6, Betti, D. 42,1,63, Trattato dei limiti soggettivi della eosa giudieata in U
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anderenfalls das Interesse der übrigen mitberechnet werden müßte, sowie die ausdrückliche Berufung des Ulpian auf Pomponius für die Echtheit der überlieferten Lösungl1 • Sie war dann aber für Ulpian jedenfalls nicht selbstverständlich und deshalb auch in der Entscheidung Papinians nicht ohne weiteres zu ergänzen. Jeder Miteigentümer des herrschenden Grundstücks konnte also Papinian zufolge die vindicatio zum Schutz der servitus oneris ferendi auf das Ganze erheben und erhielt, wenn der Beklagte die Reparatur unterließ, auch ein Geldurteil über den Gesamtbetrag. 3. Weniger deutlich ist die Entscheidung Papinians in ihrem zweiten Teil, in dem er die Klage gegen mehrere Eigentümer des stützenden Gebäudes behandelt. Denn die Worte: sed non idem respondendum inquit, si communes aedes essent, quae onera vicini sustinerent geben je nach ihrer Beziehung einen durchaus unterschiedlichen Sinn. Gegenüber der Feststellung, daß jeder Mitberechtigte einzeln klagen könne, scheinen sie die gemeinschaftliche Belangung aller Mitbelasteten zu fordern lll• Im Hinblick auf die Anfangsfrage "an in solidum agatur" legen sie eher eine Haftungsteilung nahe l3 • Endlich lassen sie an eine diritto romano (1922), 20 A. 1, 257 ff., Ehrhardt, Litis aestimatio im römischen Formularprozeß (1934), 75 ff., Solazzi, Tutela (0. A. 1), 12; zur Interpolation des Textes ab itaque auch Krüger, Digesta ad h.1., Eisele, SZ 30 (1909), 120, Beseler, SZ 46 (1926), 92, Ein (0. A. 6), 151. 11 Vgl. Arangio-Ruiz, Bull. 21 (1909), 242 A. 1, Beseler (0. A. 10), 92, Kaser, Quanti (0. A. 4), 25, ders., Festschr. Koschaker (0. A.7), a.a.O., ders., RZ 151 A. 41, und von den älteren auch Binder, Die Korrealobligationen im römischen und im heutigen Recht (1899), 454 f. und dort A. 24 a; außerdem unten S. 93. - Freilich war der Gedanke des Haftungsinteresses den Klassikern an sich nicht fremd, vg1. Kaser, Quanti 16 und dort A. I, 25, ders., Festgabe v. Lübtow (1970) 491 f., ders., RP I, 473 A. 39 zur actio serviana, 491 A. 33 zum sog. unechten Vertrag zugunsten Dritter, 501 A.19 zum sog. Drittschaden. Wenn Ulpian aber ohne ihn ausgekommen ist, dann wird man in den Worten victoria et aliis proderit nicht nur einen Hinweis auf den Vorteil sehen dürfen, den die übrigen Mitberechtigten durch die Restitution der Servitut erhalten, so aber Arangio-Ruiz, a.a.O. Vermutlich hat man nicht de iure, aber doch faktisch dem ersten Urteil eine präjudizielle Bindungswirkung für die weiteren, noch ausstehenden Verfahren beigelegt, vgl. Kaser, RZ 294, 504 A. 16 gegen Marrone (0. A. 9), 235 f., ders., L'effetto normativo della sentenza (2. Auf!. 1965), 179 ff., 181. 12 Vg1. Faber (0. A. 2), a.a.O.; ihm folgen Glück, Pandecten, Bd. 10 (1808), 27 und dort A. 60, v. Seeler, Die Lehre vom Miteigentum nach römischem Recht (1896), 121 A.l und wohl auch Biondi (0. A. 1), 347: "circa la legittimazione passiva, il testo dice che non si potra agire contro il singolo condomino, il che significa che bisogna convenire in giudizio tutti." Allerdings wird Biondi nur eine formlose Prozeßhäufung vor demselben Richter meinen, weil er eine förmliche Prozeßverbindung im Formularprozeß für prinzipiell unzulässig hält, APal. 12 (1929), 221 ff. und wohl auch noch Iura 10 (1959), 311. 13 So die herrschende Meinung, vg1. schon Cuiacius, Donellus, Brunnemann, jeweils (0. A. 2), a.a.O.; ferner Ubbelohde, Die Lehre von den untheilbaren
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Haftung auf das Ganze denken, wenn man sie auf die unmittelbar vorangehenden Worte "excepto usu fructu" bezieht 14. a) Unter diesen Lösungsmöglichkeiten ist die letzte schon aus sprachlichen Gründen am wenigsten wahrscheinlich und zudem von den Bedenken abhängig, denen der Einschub "sicuti de ceteris servitutibus excepto usu fructu" wohl zu Recht unterliegt15. b) Auch die Forderung nach einer gemeinschaftlichen Belangung aller Miteigentümer des stützenden Gebäudes ist dem überlieferten Text im Zusammenhang schwerlich zu entnehmen. Nach Darstellung Ulpians behandelt Papinian zunächst die Frage, ob die Klage auf das Ganze gehe, wenn das gestützte Gebäude mehreren Personen gemeinschaftlich gehöre. Daher liegt das Gewicht der Antwort "singulos dominos in solidum agere" mehr auf "in solidum" denn auf den Worten "singulos dominos", mit denen der Jurist eher die weiteren und von ihm nicht in Frage gestellten Umstände kennzeichnet. Wenn nun, sofern das tragende Gebäude im Eigentum mehrerer Personen steht, etwas anderes gelten soll, kann dies folglich nur bedeuten, daß jeder einzelne lediglich in Höhe seiner Quote hafte. c) Dieser Auslegung stehen zwingende Gründe nicht entgegen. (1) Trotz Faber, Glück und v. Seeler 16 kann jeder Miteigentümer
einzeln in Anspruch genommen werden, auch wenn keiner von ihnen ohne Zustimmung der anderen einen Bau an der gemeinschaftlichen Sache ausführen darf:
Aktionen (1862), 199 A. 10, Bethmann - HoUweg, Der römische Zivilprozeß II, Formulae (1865), 469 und dort A. 60, Scialoja, Studi giuridici I (1933), 84 ff., 92 (= AG 27, 1881, 145 ff.), Redenti, Scritti e discorsi giuridici di un mezzo secolo I (1962), 3 ff., 33 A. 50 (= AG 79, 1907, 3 ff.), Segre (0. A. 9), 139, ders. (0. A. 1), 77 A. I, Kaser, Quanti (0. A. 4), 23 A. 9, Ein (0. A. 6), 142 ff., Marrone (0. A. 9), 233 A. 311, Bund, SZ 73 (1956), 196 ff., Grosso, Servitu (0. A. 1), 291. 14 Vgl. Accursius (0. A. 2), a.a.C., gl. inquit: "quod supra dictum est in usufructu, si communes aedes. idem tamen quod in ceteris servitutibus" , gl. excepto usufructu: "qui est dividuus, ideoque pro partibus petitur: sed aliae servitutes sunt individuae". 15 Erst Justinian hat im Anschluß an die östliche Schuldoktrin im Begriff der Servitut auch die Nutzungsrechte zugunsten bestimmter Personen, insbesondere den usus fructus miterfaßt, Kaser, RP I, 449, ders., RP II, 216. Vgl. zur Interpolation der Stelle insoweit, zumindest aber der Worte excepto usu fructu: Longo, Bull. 11 (1898), 301 ff., Pampaloni, Bull. 22 (1910), 120 A. I, Krüger, Digesta ad h.l., Ein (0. A. 6), 144, Biondi (0. A. 1), 347, Bund (0. A. 13), a.a.C. 18 Vgl. o. A. 12; dort auch zu Biondi a.a.C. Dabei überzeugt sein Hinweis nicht, daß nur ein Alleineigentümer - nicht aber ein bloßer Miteigentümer - die Möglichkeit habe, das Eigentum am dienenden Grundstück aufzugeben und sich dadurch von seiner Erhaltungspflicht zu befreien. Zu diesem Zweck würde auch die Dereliktion des Anteils genügen; dieser wächst den übrigen Gemeinschaftern an, Mod. D. 41,7,3, Bonfante, Scritti giuridici III (1926),434 ff. (= RIL 16, 1913,831 ff.), Kaser, RP I, 411 A. 5.
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Pap. D.I0.3.28 7 quaest.: Sabinus ait in re communi neminem domino rum iure facere quicquam invito altero posse. Zum einen betrifft die Frage der Zustimmung nur das Verhältnis der Miteigentümer zueinander. Zum anderen ließen die Klassiker auch sonst die Verurteilung eines Schuldners zu, der selbst zur Leistung unvermögend war, weil er der Mitwirkung anderer bedurfte. Voraussetzung war nur, daß die Leistungspflicht wirksam entstanden und objektiverfüllbar war. Dies zeigt sich deutlich bei der actio ex stipulatu auf Bestellung einer Sevitut: Paul. D. 45.1.2.2 (12 ad Sab.): Ex bis igitur stipulationibus ne heredes quidem pro parte solvendo liberari possunt, quamdiu non eandem rem omnes dederint: non enim ex persona heredum condicio obligationis immutatur. et ideo si divisionem res promissa non recipit, veluti via, heredes promissoris singuli in solidum tenentur: sed quo casu unus ex heredibus solidum praestiterit, repetitionem habebit a coherede familiae erciscundae iudicio. ex quo quidem accidere Pomponius ait, ut et stipulatoris viae vel itineris heredes singuli in solidum habeant actionern: sed quidam hoc casu extin'gui stipulationem putant, quia per singulos adquiri servitus non potest: sed non facit inutilem stipulationem difficultas praestationis. War der Erblasser Schuldner einer unteilbaren Obligation, so werden auch seine Erben nur durch gemeinsame Leistung befreit, weil sich die Natur der Leistungspflicht, so heißt es, durch den Erbfall nicht verändere. Ebenso hafte jeder, der den Promissor einer unteilbaren Leistung beerbe, einzeln auf das Ganze. Sterbe hingegen der Stipulator einer Wegeservitut, so sei es umstritten, ob jeder einzelne seiner Erben die Bestellung der Servitut verlangen könne, wie Pomponius meine, oder ob die Stipulation erlösche, wie andere Juristen glaubten, weil ein Miterbe allein ohne Mitwirkung der anderen gar nicht imstande sei, die Servitut zu erwerben. Er gebe aber jedenfalls der Ansicht des Pomponius den Vorzug, weil eine Stipulation nicht schon dadurch unwirksam werde, daß ihre Erfüllung Schwierigkeiten bereite 17 • 17 Vgl. Pomp. D. 8,1,17. Beide Stellen sind von der Kritik im wesentlichen unbeanstandet geblieben. Sachliche Bedenken werden nur im Hinblick auf die bei Paul. D. 45,1,2,2 erwähnte Regreßmöglichkeit erhoben, weil sich die Worte ex quo quidem accidere nicht auf den Regreß, sondern allein auf die Unveränderlichkeit der Stipulation bezögen, und weil auch Justinian erst den Gesamtschuldnern generell ohne Rücksicht auf ihr Innenverhältnis ein Rückgriffsrecht gewährt habe, vgl. Guarneri Citati (0. A. 8), 189 und dort A. 2, Beseler (0. A. 10), 99 f., Perozzi, Istituzioni di diritto romano II (1928), 123 A. 1; dagegen Binder (0. A. 11), 291 und dort A.36, Berger, Zur Entwicklungsgeschichte der Teilungsklagen im klassischen römischen Recht (1912), 138 A. 3, 185 A. 4, Ehrhardt (0. A. 10), 87 A. 1, Kaser, RP I, 659 A. 39. Vielleicht haben die Kompilatoren den Schlußteil ab sed quidam sprachlich umgeformt und dabei auch die Namen der ursprünglich hier genannten Juristen getilgt, Guarneri Citati 48 A. 1, Solazzi, Iura 5 (1954), 133. In der Sache aber ist die überlieferung wohl verläßlich.
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Eine Verpflichtung des Schuldners besteht also nicht, wenn das Servitutsversprechen nach der Regel "impossibilium nul1a obligatio est" unwirksam ist, wie es etwa geschehen kann, wenn das Versprechen nur einem einzelnen Miteigentümer gegeben wird, der zum Erwerb der Servtiut der Mitwirkung der anderen bedarf. Ist jedoch das Versprechen wirksam, weil auch derjenige eine Servitut versprechen kann, der gar kein Grundstück hat1 8 , oder weil es allen Miteigentümern oder dem von ihnen gemeinsam beerbten Vorgänger gegenüber abgegeben worden war, so bleibt der Schuldner, mag er auch persönlich zur Leistung unvermögend sein, gleichwohl verpflichtet". (2) Jeder Miteigentümer des tragenden Gebäudes haftet nur in Höhe seiner Quote, obwohl die Reparaturleistung - wie schon erörtert20 ebensowenig teilbar gewesen ist wie die Restitution bei den übrigen Servituten!1. Außerdem hätte Papinian diese Besonderheit gewiß auch bei der Klage eines Mitberechtigten erwähnt. Die anteilige Begrenzung der condemnatio wird freilich wie im Falle mehrerer Berechtigter bei 1ITp. D. 8.5.4.3 als justinianische Neuerung verdächtigt und der Entscheidung 1ITpians in D. 8.5.4.4 gegenübergestellt, nach der jeder Miteigentümer des mit einer Servitut belasteten Grundstücks grundsätzlich auf das Ganze haftet!!. Doch fehlt es auch nicht an Versuchen, die unterschiedliche Behandlung der Servituten zu erklären. So weist etwa Ubbelohde 23 darauf hin, daß die Verpflichtung zur Reparatur nicht aus dem Bestreiten des klägerischen Rechts, sondern aus dem 18 Paul. D. 10,2,25,10. Gemeint ist hier wie in Ulp. D. 45,1,2,2 und Pomp. D. 8,1,17 wohl die Verpflichtung zur Bestellung einer Servitut und nicht bloß zur Gestattung des "ire agere etc.", vgl. Guarneri Citati (0. A. 8), 23 A.l, Solazzi (0. A.17), 127 f., 143 f. Anders denkt Ehrhardt (0. A.10), 78 f., 85 ff. an eine durch Stipulation begründete, sog. prätorische Servitut, die aber in ihrer Existenz sehr umstritten ist, s. nur Kaser, RP I, 445 und dort A. 62 mit weiteren Nachweisen. 19 Pomp. D. 19,1,55, Ulp. D. 30,39,7, D.30,40, D.45,1,34, Paul. D. 31,49,3, Ven. D.45,1,137,5; vgl. Grosso, Obbli'gazioni (3. Auf!. 1966), 43 ff., Medicus, SZ 86 (1969), 83 ff., Kaser, RP I, 490. 20 Oben S. 84. 21 Siehe aber Cuiacius (0. A. 2), a.a.O.: "At de servitute oneris ferendi, quam debent plures, singuli conveniuntur pro parte tantum, ut pro parte reficiant parietem aut praestant quod interest: nam aestimatio refectionis dividi potest"; gegen ihn zu Recht Ein (0. A. 6),143. 22 Vgl. Segre (0. A. 9), 139, ders. (0. A. 1), 77 A. 1, Ein (0. A.6), 142 ff., Marrone (0. A. 9), 233 A. 311, Grosso, Servitu (0. A. 1), 291. - Bei Miteigentum am dienenden Grundstück gingen Klage und Urteil gegen einen der Gemeinschafter grundsätzlich auf das Ganze, weil das Interesse des Klägers hier dem objektiven Wert der Restitution entsprach. Gegen Ulp. D. 8,5,4,4 werden denn .auch in der Literatur keine sachlichen Bedenken erhoben, vgl. Redenti (0. A. 13), 44 f., Guarneri Citati (0. A. 8), 56 ff., Betti (0. A. 10), 262, Ein 142, Segre 137 f., Marrone 237 A. 322, Grosso 291; zu formalen Anständen Guarneri Citati 58 A. 3, Marrone 237 A. 322. 23 (0. A. 13), a.a.O.; dazu unten A. 26.
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Recht selbst entspringe. Scialoja24 hebt hervor, daß jeder Miteigentümer durch die Reparatur des tragenden Gebäudeteils einen seiner Quote entsprechenden Vorteil erhalte. Biondi 25 nimmt an, daß zwar ein Allein-, nicht aber ein Miteigentümer das dienende Grundstück derelinquieren und sich damit von seiner Verpflichtung befreien könne. In der Tat unterscheidet sich die servitus oneris ferendi von allen anderen Servituten, die nur ein Dulden oder Unterlassen zum Inhalt haben, indem sie dem Belasteten die Erhaltung des tragenden Gebäudeteils auf eigene Kosten auferlegt26 • Dies mag den Juristen dafür eingenommen haben, daß jeder einzelne für sich hier besser stehen solle als sonst bei einer Servitut, auch wenn er letztlich einen seiner Quote entsprechenden Vorteil erhalte. Diese Absicht ließ sich jedoch nur dann verwirklichen, wenn es gelang, die Regel zu durchbrechen, daß die an einen unteilbaren Umstand anknüpfende Verantwortlichkeit notwendig ebenfalls unteilbar war und schon die erste Klage jede weitere ausschloß. Um diese Frage bestand unter den Klassikern offenbar Streit. Dies zeigt der bei Paul D. 39.3.11.3 wiedergegebene Kontroversenbericht des Julian zur actio aquae pluviae arcendae, die den Grundstückseigentümer vor verstärktem Einströmen des Regenwassers durch Veränderungen auf dem Nachbargrundstück schützt27 : 49 ad ed.: Officium autem iudieis inter duos aeeepti quale futurum sit, dubitare se Iulianus ait, si forte unius fundus fuerit eui aqua noeeat, si vero in quo opus factum sit, plurium et eum uno eorum agatur: utrum et eius damni nomine, quod post litem eontestatam datum sit, et operis non restituti in solidum eondemnation fieri debeat, quemadmodum, eum servi eommunis nomine noxali iudicio eum uno agitur, eondemnatio in solidum fiet, quoniam quod praestiterit potest a socio recipere? an vero is eum quo agitur pro parte sua et damni dati et operis non restituti nomine damnandus sit, ut in aetione damni infeeti fiat, eum eius praedii, ex quo damnum metuatur, plures domini sint et eum uno eorum agatur? lieet opus, ex quo damnum futurum sit, individuum sit et ipsae aedes solumque earum non potest pro parte dumtaxat damnum dare, nihiIo minus eum eum quo agitur pro sua parte eondemnari. magisque existimat id servandum in aquae pluviae areendae actione, quod in actione damni infecti, quia utrubique non de praeterito, sed de futuro damno agitur. Wir erfahren, daß Julian, dessen Ansicht Paulus referiert, darüber im Zweifel war, ob das Geldurteil auf das Ganze oder nur die Quote 13), a.a.O.; dagegen mit Recht Ein (0. A. 6), 144. A. 12), a.a.O. Wenn Biondi auch in erster Linie an die Streitgenossenschaft gedacht haben mag, so sollte doch jeder einzelne materiell letztlich nur pro parte haften; gegen seine Begründung aber oben A.16. 26 Ulp. D. 8,5,6,2 u. a.; vgl. o. A,l. An diese Sonderstellung der servitus oneris ferendi denkt wohl auch Ubbelohde (0. A, 23), a.a.O. 27 Ulp. D. 39,3,1 pr. ff.; vgl. nur Kaser, RP I, 126, 407 und dort A, 34 mit weiterer Literatur, insbesondere Sargenti, L'actio aquae pluviae areendae (1940), ferner Rodger, Owners and Neighbours in Roman law (1972), 141 ff. 24 (0. A, 25 (0.
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gehe, wenn der verklagte Miteigentümer die ihm obliegende Restitution unterlasse, und werden zumindest teilweise auch über seine Gründe unterrichtet. Er habe überlegt, so heißt es, ob der Beklagte wie bei der Noxalklage den gesamten Schaden ersetzen müsse, da er ja bei den übrigen Gemeinschaftern Regreß nehmen könne, oder ob er wie bei der cautio damni infecti 28 lediglich für seine Quote einzustehen brauche. Julian habe sich dann trotz der Unteilbarkeit der Restitution für den zweiten Weg entschieden, weil die actio aquae pluviae arcendae ebenso wie die cautio damni infecti der Abwehr künftiger Schäden diene. In der Literatur wird allerdings zumeist auch hier bestritten, daß der überlieferte Text die klassische Lösung wiedergebe. Dafür beruft man sich außer auf formale Mängel 29 vor allem auf prinzipielle, mit der Unteilbarkeit der Restitution begründete Bedenken gegenüber der Haftungsteilung30 ; auch reiche es weder aus, die Gesamthaftung bei der Noxalklage allein mit dem Hinweis auf die Regreßmöglichkeit zu begründen3 t, noch sei es denkbar, daß ein klassischer Jurist ein prätorisches Rechtsmittel wie die cautio damni infecti mit einer zivilen actio verglichen haben könne 32 • 28 Ursprünglich hat hier wohl die cautio damni infecti die Stelle der erst später der Klagerhebung angenäherten actio damni infecti eingenommen, vgl. Branca, St. Ratti (1934), 177 ff., 183 ff., Kaser, RP II, 196 und dort A. 70, vorsichtiger ders., RZ, 470 A. 35. 29 Schon Mommsen, Digesta ad h.1. hat statt si vero: is vero gelesen und die fehlende gedankliche Verbindung zwischen dem Anfangsteil und dem Schlußsatz ab licet opus durch die Worte nam cum damni infecti agatur hergestellt. Auch ist der Moduswechsel individuum sit ... potest wohl zu beanstanden, vgl. Guarneri Citati (0. A. 8), 102 A. 1; ferner Branca (0. A.28), 183 ff., Bund, Untersuchungen zur Methode Julians (1965), 118 A. 55, Peters, SD 35 (1969), 184 f. 30 Vgl. insbesondere Guarneri Citati (0. A. 8), 83 f., 102 A. 1, Perozzi (0. A. 17), 147 A. 2, Ein (0. A. 6), 204 A. 5, Branca (0. A. 28), 183 ff., Sargenti (0. A. 27), 174 A.3, Archi, SD 8 (1942), 244; außerdem Ferrini, Manuale di Pandette (3. Auf!. 1908), 568 A. 3 (= 4. Auf!. 1953, 444 A.1, bearb. v. Grosso), Beseler (0. A. 10), 98 f., Kaser, Quanti (0. A. 4), 26 ff., 28 A. 26, obwohl diese im Falle mehrerer Berechtigter bei Paul. D. 39,3,11,4 und Ulp. D. 39,3,6,1 die Teilung der condemnatio bewahren, jeweils a.a.O. Dabei weicht ihre Textkritik im einzelnen voneinander ab. Guarneri Citati etwa wagt wegen allzu großer Ungewißheit gar keine, Beseler eine freie Rekonstruktion. Perozzi ersetzt im Schlußteil der Stelle die Worte licet durch cum und pro parte sua durch in solidum und tilgt nihilo minus. Branca streicht die Sätze an vero agatur und magisque - agitur, Ferrini verdächtigt nur ab magisque den letzten Satz. 31 Vgl. Berger (0. A. 17), 158, 176; ferner Beseler, Beiträge zur Kritik der römischen Rechtsquellen III (1913), 65, Levy, Die Konkurrenz der Aktionen und Personen im klassischen römischen Recht I (1918), 274. A. 2, Guarneri Citati (0. A. 8), 80 A. 1. 32 So Branca (0. A. 28), 186. Außerdem sei der Hinweis auf die Abwehr künftigen Schadens als Begründung des Vergleichs wenig befriedigend, vgl. Ferrini (0. A. 30), a.a.O., Branca a.a.O., Bund (0. A. 29), 118 ff.
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Die Annahme, erst die Kompilatoren seien für eine Teilung der condemnatio eingetreten, findet indes gerade in dieser Stelle nur wenig Anhalt, weil es seltsam wäre, wenn Justinians Bearbeiter ihre Ansicht selbst in Zweifel gezogen hätten. Um so wahrscheinlicher ist die Klassizität der Kontroverse. Hierzu nennt Julian beispielhaft einerseits das Noxaliudicium, für das die Solidarhaftung allgemein anerkannt war33 , andererseits die cautio damni infecti, die man wohl schon frühzeitig auf die Quote des belangten Gemeinschafters beschränkt hat34 • Auch trifft es zu, daß beide Rechtsbehelfe der Abwehr künftiger Schäden dienen, denn wie ein Grundstückseigentümer von seinem Nachbarn Sicherstellung fordert, wenn ihm von dessen Grundstück Schaden droht, so begehrt er mit der actio aquae pZuviae arcendae außer der Wiedergutmachung die Beseitigung der schädigenden Anlage und somit jedenfalls auch Schutz vor weiterem Wassereinbruch 35 • Im übrigen wird Julian seine Ansicht ursprünglich ausführlicher begründet und in diesem Zusammenhang vielleicht auch darauf hingewiesen haben, daß die Noxalhaftung aus Delikt entstehe, während die cautio damni infecti und die actio aquae pluviae arcendae beide lediglich auf nachbarrechtlichen Eigentumsbeschränkungen beruhten36 • Ähnliche, ursprünglich umfangreichere überlegungen mögen schließlich auch Papinian bewogen haben, bei der seroitus oneris ferendi für eine Haftungsteilung einzutreten. Zwar berechtigen Mängel am tragenden Gebäudeteil den Nachbarn nicht, Sicherstellung zu verlangen, weil das Gebäude für ihn ungefährlich wäre, wenn er es nicht gerade als Stütze benutzen würde. Indem die servitus oneris ferendi aber an die Mangelhaftigkeit des tragenden Gebäudeteils anknüpft, ist auch sie der cautio damni infecti doch zumindest vergleichbar37 • 33 Vgl. Levy (0. A 31), 274. Ob die Worte quoniam quod praestiteTit a socio recipere gleichwohl erst später etwa zur Betonung der Billigkeit eingeschoben worden sind, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. U Vgl. Paul. D. 39,2,27, Ulp. D. 39,2,40,2 f.; dazu Redenti (0. A.13), 28 f., Guarneri Citati (0. A 8), 102 A. 1, Kaser, RP I, 655 Al gegen Perozzi (0. A 17), 147 A 2, Sargenti (0. A.27), 175 ff. Dabei ist für Julian die Qualifikation der cautio damni infecti als prätorisches Rechtsmittel ohne Belang. Ihn interessiert lediglich die Teilung der Kaution trotz der Unteilbarkeit des drohenden Schadens. Außerdem hat die cautio damni infecti in der altrömischen actio damni infecti immerhin eine zivile Wurzel, vgl. Kaser 125 f., 406 ff. 33 Zum Vergleich insbesondere Bund (0. A.29), 117 ff., Peters (0. A.29), 184 f. und von den älteren auch Binder (0. A. 11), 84 ff. 38 Möglicherweise hat man sich in früherer Zeit den Wasserdämon als den eigentlich Schuldigen vorgestellt, Kaser, RP I, 126 und dort A 43, 162. - Zur Stelle im Ergebnis wie hier Redenti (0. A. 13), 27 ff., der von einer rein gegenständlichen Verantwortlichkeit spricht; ferner Berger (0. A17), 157, Levy (0. A 31), 273, Biondi, La categoria romana delle "servitutes" (1938), 138, Reggi, St. Parmensi UI (1953), 490 f., Bund (0. A.29), 117 ff., Peters (0. A 29), 184 f., Liebs, Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht (1972), 250 und anders als in Quanti (0. A 4), 26 ff. wohl auch Kaser, RZ 151 A 42. 37 Vgl. Redenti (0. A. 13), 33.
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4. Die Entscheidung Papinians verdeutlicht einmal mehr, daß die Klassiker sich von den überkommenen Regeln zu lösen verstanden, wenn ihnen ein anderes Ergebnis praktikabler und wünschenswerter erschien. Welchen dogmatischen Weg Papinian dabei einschlug, ist freilich nicht mehr mit Sicherheit zu erkennen. Immerhin haben wir keinen Anlaß, anzunehmen, daß er besondere Konstruktionen wie etwa eine repZicatio rei iudicatae secundum socium38 zu Hilfe nahm, um der an sich eingetretenen Konsumption des Klagerechts ihre Wirkung zu nehmen. Eher ist er in freierer Auslegung der Formel zu der Überzeugung gelangt, daß die intentio: "si paret Aulo Agerio ius esse cogere Numerium Negidium ut parietem reficiat, qui onera Auli Agerii ferat SO " die Verpflichtung weiterer Personen neben dem Beklagten nicht notwendig ausschloß, so daß diese auch weiterhin belangt werden konnten'o. Darüber hinaus mag der Sonderfall der servitus oneris jerendi den späteren Juristen wie Ulpian in D. 8.5.4.3 den Weg gewiesen haben, auf dem es ihnen bei allen Servituten möglich war, das Geldurteil grundsätzlich auf das Eigeninteresse des Klägers zu beschränken.
38 So aber Redenti (0. A. 13), 43 A. 61, Ein (0. A.6), 141 für den Fall, daß bei einer gewöhnlichen Servitutsklage ein Miteigentümer des herrschenden Grundstücks siegreich war, während Bethmann - HoUweg (0. A. 13), 469 im Falle einer Niederlage an eine in integrum restitutio denkt; näheres bei Redenti a.a.O. - Zu Ulp. D. 8,5,6,4 beschränkt sich Redenti 33 A. 50 freilich auf den Vergleich mit der cautio damni infecti und die Feststellung: "Bisogna coneludere in ogni modo ehe in questo caso e possibile agire pro parte." 30 Vgl. Paul. D. 8,5,7, Ulp. D. 8,5,6,2, D. 8,5,8 pr.; Lenel (0. A. 5), 191 ff., Solazzi Tutela (0. A. 1), 22 ff., Arangio-Ruiz, Istituzioni di diritto romano (14. Aufl.I960), 249 A. 2, Kaser, RP I, 447 A. 78 gegen Segre (0. A.l), 52 ff., 69. Dieser formuliert: "si paret ius Aulo Agerio esse ut aedes Numerii Negidii onus aedium Auli Agerii ferant (sustineant)"j ihm folgen Betti, Istituzioni di diritto romano I (2. Aufl. 1947), 439 f., Biondi (0. A. 1), 118, Grosso, Problemi 192 ff. und Servitu 83 ff. (jeweils o. A. 1). - Zur Restitutionsklausel o. A. 5. 40 Vgl. zu Ulp. D. 8,5,4,3 - die oben A. 11 genannte Literatur. Dabei ist dieses Ergebnis gleichermaßen mit Segres Formel (0. A. 39) zu gewinnen. In jedem Fall war der Beklagte allerdings wohl nur mit Rücksicht auf die übrigen, weiterhin mit der Klage bedrohten Gemeinschafter oder unter dem Druck der überhöhten Geldschätzung im iusiurandum in litern zur Naturalrestitution bereit.
Zur Anwachsung beim Prälegat Von Jens Peter Meincke I.
Von den mittelalterlichen Juristen wird berichtet, daß ihnen die im Corpus Iuris gesammelten Entscheidungen als eine der biblischen überlieferung vergleichbare "Rechtsoffenbarung"l, als "heiliger Text einer immer gegenwärtigen Ordnung des eigenen Seins":!. vor Augen standen. Noch zu Beginn der Neuzeit bis an die Schwelle des modernen Historismus und Gesetzespositivismus war die Anschauung verbreitet, daß im Corpus Iuris die Vernunft selbst zu Wort komme, daß sein Text als ratio scripta anzusehen seP. Diese Auffassungen gehören heute der Geschichte an. Dennoch sind die Romanisten noch immer gewohnt, den Klassikerschriften mit einem nicht geringen Maß an Hochachtung zu begegnen. Werden die dort gesammelten Entscheidungen doch nach wie vor zu den größten Leistungen des antiken Geistes gezählt4 und nach einer Formulierung Wieackers - als "reinste Verkörperung schöpferischer Rechtskunst" angesprochens'. Dieses Urteil gilt nicht nur für einzelne, besonders berühmte Juristen der früh- und hochklassischen Zeit. Es schließt zugleich die weniger bekannten Schriftsteller ein, die, wie der in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. lebende6 Florentin, Werke von klassischem Format7 hinterlassen haben. Auch Ulpian gehört nach ganz überwiegendem Urteil noch zu der großen klassischen Traditions. Versuche, ihn als flachen und unselbständigen Epigonen zu charakterisierenD, begegnen daher entschiedenem Widerspruch10 • Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. (1967) 50. Wieacker 50. 3 Wieac1cer 55. 4 KaseT, Römische Rechtsgeschichte (RG), 2. Auf!. (1967) 16. 5 Wieacker, Vom römischen Recht, 2. Aufl. (1961) 159. 8 Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, 2. Aufl. (1967) 217; Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961) 189. 7 Schulz 189: "Das Werk (Florentins) war eine gründliche, wohlgeordnete 1
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Arbeit von klassischem Format." 8 Dulckeit-Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, 4. Auf!. (1966) 210 f.; KaseT, RG 194.
Jens Peter Meincke
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Bei dieser Einschätzung der Klassikerschriften im allgemeinen, Ulpians und Florentins im besonderen, muß es überraschen, von Entscheidungen dieser Juristen zu lesen, die als "jedem Rechtsgefühl hohnsprechend" und als "Produkt lebensfremder Begriffsjurisprudenz"ll, als "Rekord aller Spitzfindigkeiten"12, "abschreck:end"13, "bizarr"14 oder gar als "aberwitzig bis zur Verrücktheit"15 gekennzeichnet werden. Entscheidungen, im Hinblick auf die von "gerissener Wortklauberei"18, von "widerwärtiger Scholastik"17 und von "Orgien der Spitzfindigkeit"18 die Rede ist und die Kohler kurzerhand zum "Schandfleck der römischen Jurisprudenz"19 erklärt. Die übliche Würdigung der Klassikerschriften steht zu der Schärfe, ja Maßlosigkeit dieser Kritik in einem nur schwer auflösbaren Widerspruch. Zu Recht hat daher v. Lübtow es zur "Aufgabe der Text- und Sachkritik" erklärt, "den Ehrenschild der Klassiker von solchen Vorwürfen zu reinigen"20. v. Lübtow hat sich bei seinem Versuch der Antikritik auf weitgehende Interpolationsannahmen gestützt!1. Im folgenden soll demgegenüber geprüft werden, inwieweit die Kritik schon unter sachlichen Gesichtspunkten abgeschwächt und damit im Ergebnis einer Korrektur unterzogen werden kann22 .
Pernice, Ulpian als Schriftsteller, S. Ber. Akad. Berl. 1885, 443 ff. Kaser, RG 196; gegen Pernice schon Jörs, Domitius Ulpianus, RE 5 (1905) 1435 ff., 1455 ff.; allerdings wird gern die "absinkende schöpferische Kraft" der Spätklassiker hervorgehoben: Dulckeit-Schwarz 210. 11 v. Lübtow, Zur Lehre vom Prälegat, SZ 68 (1951) 511 ff., 521. 12 Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts !II 1 (1919) 686. 13 Bernstein, Zur Lehre vom römischen Voraus, SZ 15 (1894) 26 ff., 143. 14 Dernburg, Das bürgerliche Recht V, 2. Aufl. (1905) 236. 15 Kahler, Gemeinschaften mit Zwangsteilung, AcP 91 (1901) 309 ff., 361. 16 Kunkel, Herkunft 226 Anm. 445: "Auch der ,Aberwitz' den Kohler 361 ff. 9
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an den anwachsungsrechtlichen Lösungen des Ulpian und des Florentinus rügt und als ,einen Schandfleck der römischen Jurisprudenz' bezeichnet, ist gewiß altrömisch, wie denn auch Kahler 362 zugibt, daß auf diesem Gebiet ,schon frühere römische Juristen merkwürdige Spitzfindigkeiten verbrochen' haben. Spitzfindigkeit und eine oft sehr gerissene Wortklauberei sind die Kehrseite römischer Gedankenschärfe .... " 11 18
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Z!
Kahler 312. Rabel, Grundzüge des römischen Privatrechts, 2. Aufl. (1955) 237 Anm. 4. Kahler 361. v. Lübtow 512. v. Lübtow 520 ff.
Eine vorweggenommene Korrektur der Kritik findet sich schon bei
Vangerow, Von dem Anwachsungsrecht bei Prälegaten, AcP 35 (1852) 260 ff.; zurückhaltend auch Kretschmar, Die Natur des Prälegats nach römischem Recht (1874) 164 ff., 180 ff.
Zur Anwachsung beim Prälegat
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II. Den Gegenstand der Kritik bilden drei Entscheidungen Ulpians und Florentins zum Vindikationsvermächtnisrecht. Die Entscheidungen betreffen die sog. Anwachsung beim Prälegat. Unter Prälegat23 ist dabei das Vermächtnis zu verstehen, durch das allein oder neben anderen auch der Erbe selbst begünstigt wird. Von Anwachsung ist die Rede, wenn bei Wegfall eines' Mitvermächtnisnehmers sein Anteil ohne weiteren übertragungsakt den anderen aus dem Vermächtnis Berechtigten zugute kommt. Im Mittelpunkt der Erörterungen steht eine in D. 30,34,11 (21 ad Sabinum) überlieferte Entscheidung Ulpians. Sie lautet: Si duobus sit legata, quorum alter heres institutus sit, asemet ipso ei legatum inutiliter videtur, ideoque quod ei a se legatum est ad collegatarium pertinebit. Zweien ist eine Sache vermacht. Einer von ihnen ist zugleich zum Erben eingesetzt. Da der Erbe nicht mit einem Vermächtnis an sich selbst beschwert sein kann, so entscheidet Ulpian, steht dem Vermächtnisnehmer auch der auf den Erben entfallende Anteil an dem Vermächtnis zu. Das zweite, unmittelbar anschließend in D. 30,34,12 (21 ad Sabinum) überlieferte Fragment hat folgenden Wortlaut: Inde dicitur, si duo sint heredes, unus ex uncia, alter ex undecim unciis, et eis fundus legatus sit, unciarium heredem undecim partes in fundo habiturum, coheredem unciam. Zwei Miterben ist ein Landgut als Vermächtnis zugewandt. Das Landgut fällt nach Ulpian den Erben in umgekehrtem Verhältnis zu ihren Erbteilen zu. Ist also der eine auf ein Zwölftel als Erbe eingesetzt, so stehen ihm elf Zwölf tel des Landgutes zu. Umgekehrt ist der auf elf Zwölftel als Erbe Eingesetzte nur hinsichtlich eines Zwölftels des Landgutes aus dem Vermächtnis berechtigt. Als dritte Entscheidung gehört die in D. 30,116,1 (11 Institutionum) wiedergegebene Stellungnahme Florentins in den vorliegenden Zusammenhang: Heredi asemet ipso legatum dari non potest, a coherede potest: itaquesi fundus legatus sit ei qui ex parte dimidia heres institutus est et duobus extraneis, ad heredem cui legatus est sexta pars fundi pertinet, quia a se 23 Literatur zum Prälegat bei Biondi, Successione testamentaria e donazioni, 2. Aufl. (1955) 464 Anm. 2; vgl. auch Grosso, I legati, 2. Aufl. (1962) 225 H. -
Der Ausdruck. praelegatum ist in den Quellen nicht überliefert. Inwieweit das Wort praelegare rechtstechnisch verwendet wurde, ist nach dem Quellenbefund zweifelhaft: Palazzolo, Dos praelegata (1968) 215 und Kaser, SZ 87 (1970) 539 ff., 544. 7 Festschrift Kaser
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Jens Peter Meincke
vindicare non potest, a coherede vero semissario duo bus extraneis concur~ rentibus non amplius tertia parte: extranei autem et ab ipso herede cui legatum est semissem et ab alia herede trientem vindicabunt.
Drei Personen ist ein Landgut vermacht, eine von ihnen ist zugleich zur Hälfte als Erbe eingesetzt. Bei dieser Sachlage stehen den beiden Nichterben insgesamt fünf Sechstel (die Hälfte plus ein Drittel) des Vermächtnisses zu. Der Anteil des Erben ist demgegenüber auf das verbleibende Sechstel beschränkt. III. Auch von den Kritikern dieser Entscheidungen wird nicht bestritten, daß sie folgerichtig aus zwei zugrundeliegenden Prämissen entwickelt sind24 • Die eine der Prämissen wird in den Entscheidungen ausdrücklich genannt. So heißt es bei Ulpian D. 30,34,11: asemet ipso ei (heredi) legatum inutiliter videtur und bei Florentin D. 30,116,1: heredi asemet ipso legatum dari non potest 25 • Damit wird der altüberkommene 26 - im folgenden als heredi-Regel bezeichnete - Grundsatz in Bezug genommen, daß der Erbe nicht zugleich Belasteter und Begünstigter eines Vermächtnisses sein kann 27 • Die zweite Prämisse liegt den Entscheidungen stillschweigend zugrunde. Gemeint ist das Prinzip der Anwachsung, nach dem der Anteil eines wegfallenden Vermächtnisnehmers den Mitbegünstigten zugute kommt. Unter der Geltung dieser beiden Prinzipien ergeben sich die Entscheidungen Ulpians und Florentins ohne weiteres als Konsequenz!8. Ist in D.30,34,11 einer von zwei Vermächtnisnehmern Alleinerbe, so ist die Zuwendung an ihn als zugleich Begünstigten und Belasteten der Verfügung unwirksam. Folglich steht nach dem Prinzip der Anwachsung dem Mitvermächtnisnehmer das Vermächtnis vollen Umfangs zu. 24 Wenn auch Kohler 361 meint, daß es trotz dieser Prinzipien "leicht gewesen wäre, derartige Entscheidungen zu vermeiden". 25 Weitere Fundstellen bei Biondi, Successione testamentaria, 468 Anm. 1. 28 Während Kohler 355 den Satz unter Berufung auf D.30,18 Julian zuschreibt, wird die Regel überwiegend auf die veteres zurückgeführt: Kretschmar 19, v. Lübtow 512, Kunkel 226 Anm. 445, der die hier besprochenen anwachsungsrechtlichen Entscheidungen und damit auch die heredi-Regel als ,altrömisch' bezeichnet; ferner Kübler, Griechische Tatbestände in den Werken der kasuistischen Literatur, SZ 28 (1907) 174 ff., 179. 27 Kretschmar 17 ff., Göppert, über den Grund der Regel ,heredi asemet ipso inutiliter legatur', Diss. Gött. 1893; Biondi 466 ff., Schmidlin, Die römischen Rechtsregeln (1970) 68. 28 Vangerow 291 f.: "Der Inhalt dieser Stellen stellt sich dem Unbefangenen als eine durchaus konsequente Folgerung aus allgemein anerkannten Rechtsprinzipien heraus, so sehr, daß, wenn wir gar keine speziellen Aussprüche über das Verhältnis der Kollegatare bei einem Prälegat hätten, wir mit innerer Notwendigkeit ganz zu demselben Ergebnis gelangen müßten."
Zur Anwachsung beim Prälegat
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Ebenso folgerichtig ist die Entscheidung in D. 30,34,12 aus den beiden genannten Prämissen entwickelt. Denn Miterben sind im Zweifel mit einem Vermächtnis nach Maßgabe ihrer Erbquote beschwert2u • Sind daher zwei mit einem Vermächtnis bedachte Miterben auf ein Zwölftel und elf Zwölftel des Nachlasses eingesetzt, dann ist die Begünstigung in Höhe der jeweiligen Belastung, die der auf den Erben entfallenden Erbquote entspricht, unwirksam. Der auf elf Zwölftel eingesetzte Erbe kann daher nur ein Zwölftel des Vermächtnisses verlangen. Dem anderen Miterben wachsen demgegenüber elf Zwölftel des Vermächtnisses zu30 • Schließlich stimmt auch die von Florentin überlieferte Entscheidung mit den beiden genannten Prämissen überein. Ist nämlich neben zwei nicht erbberechtigten Personen einem zur Hälfte des Nachlasses berufenen Miterben ein Landgut als Vermächtnis zugedacht, dann ist der Miterbe aufgrund seiner Erbenstellung selbst zur Hälfte mit dem Vermächtnis beschwert. Ihm kann daher nur ein Drittel von der anderen Hälfte, d. h. ein Sechstel vom Gesamtvermächtnis zukommen. Im übrigen wächst auch hier der unwirksame Vermächtnisteil den beiden außenstehenden Vermächtnisnehmern zu. IV. Die Folgerichtigkeit allein vermag die Entscheidungen dann nicht zu tragen, wenn die als Prämissen zugrundeliegenden Sätze schon für sich genommen abzulehnen sind oder wenn ihre Anwendung im konkreten Fall deswegen nicht überzeugen kann, weil sie nach den Umständen falsch gewählt oder jedenfalls nicht sinnentsprechend herangezogen sind. Weder die heredi-Regel noch das Prinzip der Anwachsung werden für sich genommen mit einer den angeführten Zitaten vergleichbaren Schärfe abgelehnt. Nicht in den Prämissen, sondern in ihrer Anwendung im konkreten Fall liegt denn auch der Ansatzpunkt der an den Entscheidungen geübten Kritik. Bemängelt wird, daß bei Ulpian und Florentin die Rechtsnatur des Prälegats mißdeutet, der Sinngehalt der heredi-Regel verkannt und der gerade dem Anwachsungsrecht zugrundeliegende Erblasserwille übergangen werdeSt. 29 Ner. D. 30,124; Windscheid-Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts IH, 9. Aufl. (1906) 580 f. mit Anm. 11. 30 Eine vergleichbare Entscheidung Ulpians ist in den Fragmenta Vaticana 87 überliefert; vgl. dazu Kohler 362 und Wieacker, Textstufen klassischer Juristen (1960) 300 ff. 31 Häufig wird dabei zugleich die Methode der Deduktion aus übergeordneten Grundsätzen beanstandet. So kritisiert Kohler an Bernstein und mit ihm an den Klassikern, daß er "vor der Macht der juristischen Logik einen viel zu großen Respekt hatte, als daß er sich völlig von ihr frei machen
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1. Die heredi-Regel spricht sich über die Unvereinbarkeit des Erwerbs durch Erbfolge und Vermächtnisrecht aus. Ihre Heranziehung ist daher nur insoweit gerechtfertigt, als das Prälegat, auch soweit es den Erben begünstigt, als Vermächtnis anzusehen ist. Dies wird jedoch insbesondere von Kahler geleugnet. Nach ihm ist das Vorausvermächtnis "in der Tat kein Vermächtnis", sondern "nichts anderes als eine teilweise divisio", ist "der Vorausvermächtnisnehmer kein Vermächtnisnehmer, sondern ein Miterbe mit einem Miteigentum besonderer Art"8!. Bei dieser Deutung des Prälegats erscheint die Heranziehung der auf Vermächtnisse zugeschnittenen heredi-Regel als unsachgerecht. So kann Kahler die Entscheidungen Ulpians und Florentins charakterisieren als "Folgerungen aus der unrichtigen Behandlung der Verfügung als Vermächtnisverfügung; sie verschwinden sofort, sobald man den Vermächtnisbegriff aufgibt"3s.
2. Der Sinngehalt der heredi-Regel wird darin gesehen, "daß der Erbe, was er erhält, nicht als Vermächtnisnehmer, sondern als Erbe empfängt"34, weil "einem Legatar nicht dessen eigene Sache vermacht werden kann"35 oder weil "die Verfügung, daß er bekommen solle, was ihm bereits gegeben ist, einen Widerspruch in sich selbst enthält"sl. Danach bestimmt die Regel nur, daß der Erbe, was er als Erbe schon hat, als Vermächtnisnehmer nicht noch einmal erwerben kann37 • Die Regel steht nur einem Doppelerwerb des Erben als Erben und Vermächtnisnehmer entgegen. Ihre Anwendung darf aber nicht dazu führen, daß auch der einfache Erwerb verhindert wird, daß also der Erbe, was er als Vermächtnisnehmer nicht erwirbt, auch als Erbe nicht erhält, sondern unter Heranziehung der Anwachsungsregeln an andere Vermächtnisnehmer verliert3S • 3. Der Erblasserwille wird dahin gedeutet, daß dem Erben ein Teil des Vermächtnisgegenstandes auf welchem Wege auch immer zugute komkonnte" (353). In dieselbe Richtung geht Kohlers Kritik an dem von ihm sogenannten Scholastizismus Ulpians und Florentins: "Sein Wesen besteht 'gerade darin, daß man das Relative, Bedingte einer jeden begrifflichen Aufstellung nicht erfaßt, sondern, ohne Rücksicht auf das Resultat, mit diesen Begriffen als absoluten, quasi mathematischen Größen rechnet" (362). Auch v. Lii.btow spricht von ,Begriffsjurisprudenz' (521) und ,begriffsrealistischem Scholastizismus' (522). 82 Kahler 348. 33 Kahler 352. 34 v. Lii.btow 521; ähnlich Rabel 237. 35 Rabe1217. 38 Windscheid-Kipp 583. 37 Schmidlin 68. IS Kahler 362.
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men so1l39. Soweit der Weg der Vermächtnisaussetzung nicht zum Ziele führt, soll dem Erben danach der Vermächtnisanteil im Wege der Erbfolge zufallen. Die Höhe des dem Erben zugedachten Anteils wird aus der Gemeinschaftlichkeit der Vermächtniszuwendung erschlossen. In der gemeinschaftlichen Zuwendung ohne Angabe bestimmter Quoten wird ein Ausdruck des Erblasserwillens gesehen, daß die vermachte Sache den Mitvermächtnisnehmern zu gleichen Teilen zukommen so1l40. Nach den Entscheidungen Ulpians und Florentins ergibt sich demgegenüber eine Abstufung, bei der der Anteil am Vermächtnis von dem Umfang des Erbteils abhängig ist. Hiermit wird, so meinen die Kritiker, der aus der gemeinschaftlichen Zuwendung folgende Erblasserwille übergangen, der auf die gleiche Behandlung aller Vermächtnisnehmer gerichtet ist. "Daß ein solches Ergebnis praktisch unbrauchbar und zweckwidrig ist, liegt auf der Hand4!." Im Zuge der Kritik ist auch die Echtheit der drei Fragmente nicht unbestritten geblieben. So hat Beseler das Wort videtur in dem Fragment D. 30,34,11 beanstandet und den Satzteil von asemet bis einschließlich ideoque für unecht erklärt42 • Die von Ulpian vertretene Lösung wird allerdings durch diese Korrektur noch nicht beeinflußt43 . Radikaler ist demgegenüber v. Lübtow vorgegangen, der für alle drei Fragmente tiefgreifende Umgestaltungsvorschläge vorgebracht hat44 . Diese Vorschläge haben - soweit ersichtlich - bisher keinen Beifall gefunden45 • Den Anlaß für die Interpolationsannahmen v. Lübtows haben im wesentlichen46 auch nicht äußere textkritische Beobachtungen gebildet, sondern der Wunsch, Ulpian und Florentin von der Verantwortung für den Inhalt der Fragmente zu entlasten47 . Gelingt es daher im folgenden, die Kritik am Inhalt der Entscheidungen abzuschwächen und damit den Widerspruch zu der sonstigen Einschätzung der Klassi38 Besonders deutlich: Windscheid-Kipp 585 Anm. 8: "Daß aber der wirkliche Wille des Erblassers im Zweüel nur auf das Endresultat, welches er hervorrufen will, gerichtet ist, und nicht auf den juristischen Weg, auf dem dasselbe zu erreichen ist, darf nicht bestritten werden." 40 v. Lübtow 521 ff., Kohler 358, Windscheid-Kipp 585 Anm. 8.
v. Lübtow 521. Beseler, SZ 45 (1925) 473. 41 v. Lübtow 521 scheint demgegenüber Beseler dahin zu verstehen, daß der ganze, mit ideoque beginnende Satzteil gestrichen werden soll. Mit dieser 41
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Korrektur wäre dann auch die Lösung Ulpians für unklassisch erklärt. 44 v. Lübtow 521 ff. 45 Grosso 231 Anm. 3 mit 228 Anm. 1, Leuba, Origine et nature du legs per praeceptionem (1962) 29, Kaser, SZ 82 (1965) 429 Anm. 18. U Zu D. 30,34,11 verweist v. Lübtow 521 u. a. auch auf die nach seiner Auffassung brüchige Logik des mit ideoque beginnenden Satzteils. 47
v. Lübtow 512.
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kerschriften zu entkräften, so fallen auch die Interpolationsannahmen ohne weiteres' dahin48 •
V. Niemand wird bestreiten, daß die von Ulpian und Florentin überlieferten Fälle nach heutigen Maßstäben unbefriedigend entschieden sind49 • Diese Feststellung allein rechtfertigt jedoch nicht die Schärfe der an den Klassikerentscheidungen geübten Kritik. Denn wegen seiner oft unbefriedigenden Konstruktionen und Ergebnisse ist das römische Erbrecht zu wesentlichen Teilen nicht mehr geltendes' Recht, ohne daß der nicht übernommene Rechtsbestand ohne weiteres als "Schandfleck der römischen Jurisprudenz" zu bezeichnen wäre. Die Kritik hat daher zur Voraussetzung, daß die angegriffenen Entscheidungen erheblich unter dem Niveau der damaligen Durchdringung des Erbrechts liegen und daß die ihnen zugrunde liegende Deutung der heredi-Regel und des Erblasserwillens als schlechthin abwegig anzusehen ist. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, dürfte jedoch zumindest zweifelhaft sein. 1. Rechtsfiguren haben kein Wesen ,an sich'. Dem Gedanken, daß das Vorausvermächtnis ,an sich' als Teilungsanordnung aufzufassen sei, fehlt daher der greifbare Bezugspunkt. Die Quellen lassen hinreichend klar erkennen, daß das Prälegat für die Klassiker, auch soweit es den Erben begünstigt, dem Vermächtnisrecht unterfiel. Gerade die Heranziehung der heredi-Regel beweist dies mit Deutlichkeit. Davon, daß die Anwendung der Regel sachwidrig ist, kann unter diesen Umständen nicht gut die Rede sein.
2. Der Sinngehalt der heredi-Regel mag für den Bereich des Damnationslegats in dem Prinzip der Konfusion gesehen werden50 • Danach kann der Erbe nicht zugleich sein eigener Schuldner sein. Für den Bereich des Vindikationslegats liegt der Begründungszusammenhang jedoch nicht unmittelbar auf der Hand51 • Schlußfolgerungen, die an den Sinngehalt der Regel anknüpfen, stellen sich schon aus diesem Grunde als unergiebig dar . . 48 Vgl. auch Kunkel 226 Anm. 445, der die den Entscheidungen Ulpians und Florentins zugrunde liegenden Gedanken für ,altrömisch' erklärt. (8 Möglicherweise kann auch in der zu Beginn von D. 30,34,12 gewählten Formulierung Ulpians (inde dicitur) eine Andeutung gesehen werden, mit der sich Ulpian von dem Inhalt der Entscheidung distanziert; vgl. Kretschmar
180.
so Rabel
216, Schmidlin 68.
Eine übersicht über die Begründungsversuche findet sich bei Göppert 14 ff. 51
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Die von Florentin überlieferte BegründungS! hebt hervor, daß der Vermächtnisnehmer nicht von sich selbst vindizieren kann. Mit dieser Begründung ist jedoch nur wenig anzufangen. Denn welchen Anlaß sollte der Vermächtnisnehmer haben, gegen sich selbst mit der Vindikationsklage vorzugehen? Ein vergleichbarer Fall wäre im übrigen auch dann gegeben, wenn der Vermächtnisnehmer bereits im Besitz der vermachten Sache ist. Auch hier müßte der Vermächtnisnehmer, sollte die Vindikationsmöglichkeit entscheiden, gegen sich selbst die Herausgabeklage erheben. Warum sollte aber das Vermächtnis eines Gegenstandes an den Besitzer unzulässig sein53 ? Wie hervorgehoben wurde, sehen die Kritiker den Begründungszusammenhang der Regel vorzüglich darin, daß der Erbe nicht als Vermächtnisnehmer erwerben kann, was ihm als Erben "bereits gegeben ist"5", weil sich der Erbe, "was einmal in sein Eigentum übergegangen ist, nicht nochmals als Legat geben lassen" kannS5 , weil "einem Legatar nicht dessen eigene Sache vermacht werden kann"56 oder weil sonst "der Eigentumsübergang lediglich von einer Person an dieselbe Person" erfolgen müßte 57 • Es fragt sich aber, ob mit dieser Argumentation die Abgrenzung zwischen Erbfolge und Vermächtniserwerb zutreffend gekennzeichnet ist. Zwar gilt für die Erbfolge das Prinzip der Universalsukzession. Danach fällt dem Erben der Inbegriff der vererblichen Rechte des Verstorbenen ZU 58 • Der Erwerb im Wege der Erbfolge umfaßt jedoch die Gegenstände nicht, die wie die Vindikationslegate einem Einzelerwerb unterliegen59 • Der Umfang der der Erbfolge unterliegenden Güter und damit auch die Tragweite des Prinzips der Universalsukzession wird daher durch die Aussetzung von Vindikationslegaten begrenzt. Die Erwerbsgründe durch Erbfolge und durch Vindikationslegat stehen 52 Der Satz wird bisweilen auch als Konsequenz, nicht .als Begründung der heredi-Regel gedeutet; übersicht bei Göppert 39 ff. mit Literatur. 51 Die verbreitete Auffassung, nach der die Vindikationsmöglichkeit zum Wesen des Vindikationslegats gehört, paßt eben nur für den Regelfall, in dem der Vermächtnisnehmer noch nicht im Besitz der Sache ist. Zur Vindikation beim Vindikationslegat vgl. auch Wlassak, Vindikation und Vindikationslegat, SZ 31 (1910) 196 ff.
Windscheid-Kipp 583. Schmidlin 68. 5ft Rabel217. 57 Kohler 352. 58 Gai. 2,97: per universitatem res no bis adquiruntur; Pomp. D. 29,2,37. 59 Kaser, Das römische Privatrecht (RP) I, 1. Auf!. (1955) 563; vgl. auch Windscheid-Kipp 187 Anm. 5: "Der Erbe bekommt nicht notwendigerweise 54
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das ganze Vermögen, aber er bekommt notwendigerweise das Vermögen als Ganzes"; dort ferner 203 f. zum Verhältnis von Erbfolge und Vindikationslegat.
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unter diesen Umständen nicht kumulativ, sondern alternativ zueinander. Was der Erbe als Vermächtnis erwirbt, fällt ihm gerade nicht im Wege der Erbfolge zu. Der Eigentumserwerb des Vermächtnisnehmers findet infolgedessen auch nicht vom Erben, sondern vom Erblasser statt80 . Nach allem kann davon, daß dem Erben der Vermächtnisgegenstand unabhängig von der Wirksamkeit des Vermächtnisses "bereits gegeben ist"8oa, nur schwerlich die Rede sein'l. Aus den gleichen Gründen vermag auch der Gedanke der Absorption nicht recht zu überzeugen. Nach diesem Gedanken ist von den Römern "der Erwerb des Eigentums durch die Erbfolge als überwiegend angesehen worden"8!. Mit einem eigentümlichen Pathos heißt es auch: "Der Erbtitel triumphiert über den Singulartitel, weil er der stärkere ist83 ." Dabei liegt jedoch wiederum die Vorstellung eines Zusammentreffens von Erbfolge und Vermächtniserwerb hinsichtlich des als Vermächtnis zugewandten Gegenstandes zugrunde, während nach den Quellen gerade von einer Alternativität beider Erwerbsgründe auszugehen ist. Auch wenn der Erbe den vermachten Gegenstand bei Wirksamkeit des Vermächtnisses niemals im Wege der Erbfolge erwirbt, so ist doch der Erwerb des Vermächtnisnehmers mit einer Verkürzung der Erwerbschance des Erben und damit im Sinne der erbrechtlichen Terminologie mit eine Belastung, einem Abzug (delibatio) von der Erbschaft verbunden84 • Nur auf das Zusammentreffen dieser Belastung, nicht auf einen sachenrechtlichen Rechtsübergang vom Erben auf den Vermächtnisnehmer nimmt die Regel mit den Worten asemet ipso legari Bezug81 • Das Zusammentreffen von Begünstigung und Belastung aus dem Ver80 Pap. D. 31,80; Ner. D. 47,2,65 (64); Kaser, RP 1, 2. Aufl. (1971) 743; Siber, Römisches Recht H (1928) 352; Wlassak, SZ 31 (1910) 196 ff. 80a Auch Bonfante sieht in dem Prälegat "eine solche Auferlegung wie es eine Schenkung jemandes an sich selbst wäre"; vgl. dazu Rabel, Die Erbrechtstheorie Bonfantes, SZ 50 (1930) 295 ff., 298. 81 übereinstimmend: Brinz, Lehrbuch der Pandekten IH, 2. Aufl. (1886) 386 Anm. 2. Gaius überliefert, daß sogar bei bedingtem Vermächtnis die Sache während des Schwebezustandes nicht ohne weiteres in den Nachlaß fiel (2,200): Illud quaeritur, quod sub condicione per vindicationem legatum est, pendente condicione cuius sit. nostri praeceptores heredis esse putant exemplo statuliberi, id est eius servi qui testamento sub aliqua condicione Ziber esse iussus est; quem constat interea heredis servum esse. sed diversae scholae auctores putant nullius interim eam rem esse; quod muHo magis dicunt de eo quod [sine condicione] pure legatum est, antequam legatarius admittat legatum. er Arndts, Die Lehre von den Vermächtnissen, in: Glücks Erläuterungen der Pandekten 47 (1871-73) 72 f. 83 Nachweise bei Göppert 26 ff., 28 mit Anm. 1. 84 Flor. D. 30,116 pr.: Legatum est deZibatio hereditatis, qua testator ex eo, quod universum heredis foret, alicui quid collatum velit. 85 A rndts 73 mit Anm. 27; Göppert 2 Anm. 2.
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mächtnis schließt die heredi-Regel aus welchen Gründen auch immer aus". Die heredi-Regel besagt daher ausdrücklich nur, daß die Begünstigung des Erben in Höhe der ihn treffenden Belastung unwirksam ist. Sie besagt nicht, daß im Umfang der Begünstigung auch die Belastung des Erben entfällt. Der Fortbestand der Belastung zugunsten anderer Vermächtnisnehmer, der sich infolge des Anwachsungsrechts ergibt, bildet sogar die praktisch bedeutsamste Konsequenz der Regel beim Vindikationslegat87 • Es fällt daher schwer zu glauben, daß gerade diese Konsequenz mit dem Sinngehalt der Regel unvereinbar sein sollte. 3. Der Erblasserwille ist den Kritikern so wenig wie den Klassikern aus eigener Anschauung bekannt. Jede Auslegung ist daher auf die Deutung von Indizien angewiesen. Diese Indizien können nur in der rechtlichen Gestaltung der Vermächtniszuwendung zu finden sein. Zwar wird gern gesagt, daß der Erblasser nicht die rechtliche Form, sondern nur das wirtschaftliche Ergebnis seiner Verfügung im Auge habe as . Welches dieses wirtschaftlich gewollte Ergebnis der Verfügung ist, soll jedoch gerade erst durch die Auslegung ermittelt werden89 • Also kann nur die rechtliche Gestaltung einen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Auslegung bilden. a) Von den Kritikern werden die Heranziehung des Erben als Vermächtnisnehmer und die Gemeinschaftlichkeit der Zuwendung an die Begünstigten als entscheidende Auslegungskriterien angesehen. Beide Kriterien lassen jedoch die von der Kritik herausgestellten Schlußfolgerungen nicht ohne weiteres zu. Aus der Heranziehung des Erben als Vermächtnisnehmer folgt unmittelbar nur, daß der Erbe den ihm zugedachten Gegenstand bei Wirksamkeit des Vermächtnisses erwerben soll. Wie bei Unwirksamkeit des Vermächtnisses dem Erben gegenüber zu verfahren ist, läßt die Zuwendung für sich allein genommen nicht erkennen. In der Benennung des Erben als Vermächtnisnehmer muß nämlich nicht notwendig der Wille des Erblassers zum Ausdruck kommen, daß der Gegenstand der Verfügung dem Erben auf welchem Wege auch immer zugute kommen soll. Gerade Kohler, einer der schärfsten Kritiker 18 17 88
Brinz 386 Anm. 2; Göppert 33. Leuba 111. Windscheid-Kipp 585 Anm. 8.
st Der typische Zirkelschluß z. B. bei Windscheid-Kipp 585 Anm. 8 und Kohler, AcP 91, 348 sowie Jherings Jb. 18 (1880) 156 f. Anm. 1, die ohne
weiteres von dem wirtschaftlichen Resultat, welches dem Erblasser vorschwebt (Kohler, Jher. Jb. 18, 156 f. Anm. 1) ausgehen, ohne zu erkennen, daß gerade dieses dem Erblasser vorschwebende Resultat erst durch die Auslegung ermittelt werden soll.
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der Entscheidungen, hat darauf hingewiesen, daß dem Prälegat häufig eine Eventualentscheidung zugrundeliegt. Danach soll die Zuwendung dem Begünstigten den Vermächtnisgegenstand für den Fall verschaffen, daß er nicht Erbe wird70 • Bei diesem Ausgangspunkt kann der Erblasserwille durchaus dahin zu deuten sein, daß bei Wirksamkeit der Erbeinsetzung der Vermächtnisgegenstand nicht dem Erben, sondern ausschließlich den Mitvermächtnisnehmern zufallen soll71. b) Wie die Zuwendung an den Erben in erster Linie nur für den Fall der Wirksamkeit der Vermächtnisaussetzung Aussagekraft gewinnt, so sagt auch die Gemeinschaftlichkeit der Begünstigung unmittelbar nur etwas über die Verteilung des nach Vermächtnisrecht wirksamen Vermächtnisteils aus 72 • Dagegen läßt der Umstand, daß der Erblasser den Begünstigten den Vermächtnisgegenstand ohne Angabe von Teilen zugewandt hat, Rückschlüsse auch für die Behandlung des beim Bedachten unwirksamen Vermächtniserwerbs zu. Hat nämlich der Erblasser mehrere Legatare ohne Angabe von Teilen coniunctim bedacht, so sieht man es so an, daß jedem für sich der ganze Gegenstand zugewandt ist, diese Zuwendung aber für jeden Bedachten durch die gleiche Zuwendung an die übrigen vermindert wird73 • Nach dieser Auslegung sind jedem der Begünstigten die gegenüber anderen Mitvermächtnisnehmern unwirksamen Anteile von vornherein mitvermacht. Die Zuwendung eines Gegenstandes an Mehrere ohne Angabe der Anteile hat daher gerade im Hinblick auf die mögliche Unwirksamkeit der Verfügung einzelnen Vermächtnisnehmern gegenüber ihren Sinn. Auf dem Gedanken, daß mit der Zuwendung eines Gegenstandes coniunctim an mehrere Legatare ohne Angabe von Anteilen jedem der Legatare für sich der ganze Gegenstand zugedacht ist, beruht zugleich das den Entscheidungen Ulpians und Florentins zugrundeliegende Anwachsungsprinzip. Nach ihm kommt beim Ausfall eines Mitlegatars der feiwerdende Legatsanteil nicht der Erbschaft, sondern· den anderen Mitlegataren zu. Ist nämlich jedem Mitvermächtnisnehmer für sich das Ganze des Vermächtnisgegenstandes zugewandt, so führt der Ausfall eines Mitbegünstigten nur dazu, daß eine Beschränkung im Erwerb der verbleibenden Mitvermächtnisnehmer entfällt, nicht aber, daß die70 Kohler, AcP 91, 349, 358 f. verweist auf den Fall des Erbverzichts; vgl. auch Pap. D. 34,9,18,2 wo angenommen wird, daß nach dem Erblasserwillen das Vermächtnis einem zur Weitergabe der Erbschaft verpflichteten Erben verbleiben soll; fehlt jede wirksame Erbeinsetzung, so ist allerdings auch das Legat unwirksam: Kaser, RP 1, 2. Aufl. (1971) 752. 71 Vangerow, Lehrbuch der Pandekten II, 6. Aufl. (1854) 502 ff. 72 Vangerow, AcP 35, 279. 73 Cels. D. 32,80 (35 Digestorum): Coniunctim heredes institui aut coniunctim legan hoc est: totam hereditatem et tota legata singulis data esse, partes
autem concursu fien.
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sen etwas über den ihnen nach dem Erblasserwillen zugedachten Anteil hinaus erworben wird. Statt von Anwachsungsrecht ist daher auch deutlicher noch von einem Nichtabwachsungsrecht die Rede 74 • Der diesem Nichtabwachsungsrecht zugrundeliegende Gedanke der Vorwegdisposition des Erblassers über unwirksame Vermächtnisteile zugunsten der verbleibenden Vermächtnisnehmer spricht gegen die Auffassung, daß dem Erben bei Unwirksamkeit der Begünstigung der seiner Einsetzung entsprechende Anteil außerhalb des Vermächtnisrechts zukommen so1175 • c) Wie die Zuwendung der vermachten Sache ohne Angabe der auf die Mitlegatare entfallenden Anteile, so läßt auch die Wahl der Vermächtnisform gewisse, gegen die Deutung der Kritiker sprechende Rückschlüsse zu. Im klassischen Recht waren nämlich Legatsformen anerkannt, mit deren Hilfe der Erblasser das ihm von der Kritik unterstellte Ziel, dem Erben einen der Kopfzahl der Mitlegatare entsprechenden Anteil an dem Vermächtnisgegenstand, wenn nicht im Wege des Vermächtnisrechts, dann im Wege der Erbfolge, zukommen zu lassen, zwanglos hätte verwirklichen können. So konnte der Erblasser statt des Vindikationslegats das legatum per praeceptionem wählen78 • Hierbei wäre es zu einer Teilung nach Köpfen ohne Anwachsungsrecht gekommen77 • Der Erblasser hätte in den von Ulpian wiedergegebenen Fällen das ihm nach Meinung der Kritiker vorschwebende Ziel ferner durch Aussetzung eines Damnationslegats verwirklichen können78 • Denn ein Forderungsvermächtnis galt im Zweifel als zwischen den Bedachten geteilt". Für eine Anwachsung war unter diesen Umständen kein 7' Windscheid-Kipp 634 f. 75 Lasalle, System der erworbenen
Rechte II, 2. Aufl. (1880) 158, sieht denn auch gerade in der Heranziehung der Anwachsungsregeln eine Bestätigung der Gegenüberstellung von Erbfolge und Vindikationslegat; ähnlich Wieacker, Hausgenossenschaft und Erbeinsetzung, Festschrift Siber 1 (1940) 1 ff., 5, der auf die Kräftigung der Anerbenstellung durch die Behandlung des Prälegats verweist. 78 Zur Abgrenzung des legatum per praeceptionem vom Prälegat vgl. neuerdings Leuba 111 ff. Die Unterscheidung der beiden Institute ist insbesondere von Bernstein, SZ 15, 143, herausgearbeitet worden. Sie wird von den Kritikern der Entscheidungen Ulpians und Florentins bezeichnenderweise überwiegend verworfen: v. Lübtow 513 Anm. 18, Kohler AcP 91, 353, Kübler, SZ 28, 180, Rabel 237 Anm. 4. 77 Gai. D. 30,67,1; Leuba 111 ff.; zur Geltung der heredi-Regel beim legatum per praeceptionem vgl. auch Kaser, SZ 82, 428 ff. 78 Das ursprünglich nur für bestimmte Gegenstände zulässige Forderungsvermächtnis kann schon in vorklassischer Zeit auf Leistungen jeder Art gerichtet sein: Kaser, RP 1,2. Aufl. (1971) 743. 7t Ulp. fr. Vat. 85: damnatio partes facit: Jörs-Kunkel, Römisches Privatrecht, 3. Aufl. (1949) 352; sind die Legatare disiunctim bedacht, so hat allerdings auch hier jeder der Legatare eine Forderung auf das Ganze: Kaser, RP 1, 2. Aufl. (1971) 748.
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Raum80 . Das Damnationslegat hätte schließlich auch unter den von Florentin D. 30,116,1 geschilderten Umständen zu einer im Sinne der Kritiker liegenden Entscheidung geführt81 . Nach allem hätte der Erblasser durch die Heranziehung anderer Legatsformen anstelle des Vindikationslegats oder durch Angabe der auf die Vermächtnisnehmer entfallenden Anteile im Rahmen des Vindikationslegats die ihm unterstellten Zielsetzungen zwanglos verwirklichen können. Daß er diese Wege nicht beschritten hat, mag daher im Sinne der Klassikerentscheidungen und gegen die von der Kritik befürwortete Auslegung des Erblasserwillens zu deuten sein82 •
VI. Kann hiernach die von den Klassikern zugrundegelegte Deutung der heredi-Regel und des Erblasserwillens zumindest nicht als abwegig angesehen werden, so erscheint schon aus diesem Grunde die Schärfe der Kritik als unsachgerecht. Aber auch wenn an der Ablehnung der Klassikerentscheidungen festgehalten wird, bleibt zu fragen, ob die Klassiker wirklich das ihnen zugedachte harte Urteil trifft. Dabei gilt es 'sich zunächst zu vergegenwärtigen, daß für die Römer nicht in dem Umfang wie für unsere Zeit der Erblasserwille im Mittelpunkt der Überlegungen stand83 . Schon das den Entscheidungen zugrundeliegende Unvereinbarkeitsprinzip von Erben- und Vermächtnisnehmerstellung ist nicht als Ausdruck des Erblasserwillens zu verstehen8'. Einem Abweichen von dem Erblasserwillen kam daher unter den Bedingungen des klassischen römischen Rechts nicht die für das geltende Recht zu beobachtende Bedeutung zu. Ferner ist an den Formalismus zu erinnern, der das klassische Testamentsrecht in nicht geringem Umfang beherrscht8~. Dieser Formalismus legte es den Juristen nahe, mehr nach Form und Wortlaut als nach dem möglicherweise abweichenden Sinn der Verfügung zu entscheiden88 . Kaser, RP 1, 1. Aufl. (1955) 627. 81 A. M. Biondi 471 ff., nach dem der dem Begünstigten gegenüber unwirk-
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same Vermächtnisteil nicht dem Erben allein, sondern der Gesamtheit aller Miterben zufallen soll; hiergegen aber Leuba 155 f. und Kaser, SZ 82, 429 Anm.18. 81 So schon Kretschmar 180. 83 Wenn auch die Klassiker dem individuellen Willen des Erblassers .bei der Testamentsauslegung zunehmende Bedeutung beimessen: Kaser, RP I, 2. Aufl. (1971) 240. 8C Vgl. ferner die nicht auf den Erblasserwillen zurückgehende Regel nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest: Ulp. D. 29,1,6. 85 Kaser, RP I, 2. Aufl. (1971) 685 f. 8& Literatur zu dem sehr vielschichtigen Fragenkreis bei Kaser, RP I, 2. Aufl. (1971) 240 f. - Zum Wortlaut als ,Rechtswert' bei der Testamentsauslegung vgl. auch Wieling, Testamentsauslegung im römischen Recht (1972) 247 ff.
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Hier waren aber Wortlaut und Form der Vermächtniseinsetzung eindeutig zugunsten der Anwachsungsregeln heranzuziehen. Schließlich gilt es zu beachten, daß die von den Kritikern zugrundegelegte Deutung an den hypothetischen Willen des Erblassers anknüpft. Nur so kann sie zu dem auf den ersten Blick paradoxen Ergebnis gelangen, der Erblasser habe dem Erben einen Anteil an dem Vermächtnisgegenstand als Erbteil eingeräumt, obwohl er die Sache ausdrücklich vollen Umfangs zum Gegenstand eines Vermächtnisses erklärt. Die Berücksichtigung des hypothetischen Erblasserwillens war jedoch im klassischen Recht nur in wenigen Ansätzen anerkannt87 • Auch aus diesem Grunde liegen die Entscheidungen daher durchaus in der Linie der klassischen Jurisprudenz. VII.
Die an den Entscheidungen Ulpians und Florentins geübte Kritik kann nach allem - jedenfalls in ihrer Schärfe - keinen Beifall verdienen. Kein Jurist steht vollkommen außerhalb seiner Zeit. Auch die behandelten Fragmente können daher beanspruchen, auf dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung des römischen Erbrechts gewürdigt zu werden. Eine solche Würdigung aber ergibt, daß die Stellungnahme der Klassiker nichts aus dem Rahmen der allgemeinen Entwicklung Hinausfallendes enthält. Die Kritik ist daher in ihrer Schärfe als unhistorisch anzusehen88 • Sie bleibt jedoch aus der gemeinrechtlichen Situation heraus verständlich, weil in der damaligen Auseinandersetzung nicht die Erkenntnis der historischen Gegebenheiten, sondern die Ermittlung des geltenden Rechts im Vordergrund des Interesses stand. Heute sollte die Kritik demgegenüber einer für die historischen Gegebenheiten aufgeschlosseneren Würdigung Platz machen. Geben damit die Entscheidungen zum Anwachsungsrecht beim Prälegat nicht in dem bisher behaupteten Umfang Anlaß zur Kritik, so besteht auch kein Grund, am Maßstab dieser Entscheidungen zu einer von der üblichen Beurteilung abweichenden Einschätzung Ulpians und Florentins zu gelangen. Allenfalls mag deutlicher herausgestellt werden, als es manchmal geschieht, daß auch die Klassiker mit der Tradition ihrer Zeit zwangsläufig eng verbunden sind. Sie bieten, um erneut die Formulierung Wieackers8U aufzugreifen, zwar die "reinste Verkörperung schöpferischer Rechtskunst" , aber "in einer großen vergangenen Gesittung" . Kaser, RP 1, 2. Aufl. (1971) 24l. Vgl. schon Kunkel, Herkunft 225 Anm. 445: "Die Angriffe (Kohlers) lassen ein historisches Verständnis vermissen." SI Wieacker, Vom römischen Recht, 2. Aufl. (1961) 159. 87
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Die bedingte Erbeinsetzung des Haussohnes Von Marianne Meinhart
I. In meiner Arbeit über die Senatusconsulta TertuZZianum und Orfitianum habe ich zu zeigen versucht!, daß das zweite nachchristliche Jahrhundert durchaus noch bestrebt war, das Erbrecht des ius civile selbständig fortzubilden, obwohl in der bonorum possessio ein gut
funktionierendes subsidiäres System zur Verfügung stand. Die bedingte Erbeinsetzung der sui heredes und hier insbesondere des filius suus ist ebenfalls imstande, einen solchen Trend erkennen zu lassen, wobei bemerkt sei, daß wir es zum Unterschied von den Neuerungen der soeben genannten Senatsbeschlüsse hier mit einer auf Juristenarbeit zurückgehenden Einführung zu tun haben. Die bedingte Erbeinsetzung von sui heredes nach ius civile 2. ist zuletzt Gegenstand einer Arbeit von KarZ-Heinz VogelS gewesen. Der Autor hat darin die rechtsgeschichtliche Entwicklung verfolgen wollen4 ; dagegen soll es im folgenden in erster Linie um die rechtsdogmatische und wohl auch rechtspolitische Seite dieser Einsetzung gehen. Die wichtigste Quelle für die sub condicione-Einsetzung des suus durch seinen Vater steht in Ulpians Sabinuskommentar: D. 28,5,4 pr. (4 Sab.) Suus quoque heres sub condicione heres potest institut: sed excipiendus est filius, quia non sub omni condicione institui potest. et quidem sub ea condicione, quae est in potestate ipsius, potest: de hoc enim inter omnes constat ...5 Nach der grundlegenden Aussage, wegen der die Stelle als Hauptbeleg für unser Thema gilt, daß auch ein suus heres unter einer Bedingung 1 Meinhart, Die Senatusconsulta Tertullianum und Orfitianum in ihrer Bedeutung für das klassische römische Erbrecht (Wien 1967), im folgenden Meinhart, SC Tert.; bes. S. 315 ff. 2 Gemeint ist hier immer die Einsetzung durch den eigenen pater familias. Die Einsetzung eines fremden Haussohnes gehört nicht hierher, weil sie nicht zu den Fällen des ipso iure-Erwerbes einer Erbschaft zählt. 3 SZ 68 (1951) 490 ff. Siehe dort auch umfassende Darstellung der älteren Literatur zu unserem Thema. Hierzu noch Hölder, Die Stellung des röm. Erben, Weimar 1895. Zur Einsetzung der sui überhaupt Voci, Diritto eredttario romano 2 11 (1964) 634 ff. 4 Vogel 490. 5 Der Rest des Textes interessiert hier nicht.
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Marianne Meinhart
eingesetzt werden könne, trifft Ulpian zwei weitere Feststellungen. Einmal die, daß der filius suus hierbei eine Sonderstellung im Hinblick auf die Art der Bedingung haben müsse, und zum andern, daß sich hierüber alle einig seien. Beide Aussagen sind angesichts der schmalen Quellenbasis wertvoll und werden uns noch beschäftigen. Zunächst diene der Satz vom suus filius excipiendus als hinreichende Legitimation dafür, im folgenden überwiegend vom filius suus und nicht auch von den sui überhaupt zu sprechen; denn das hier Interessierende kann am Fall des Haussohnes dargestellt werden, während die Unterschiede zur Behandlung der anderen sui als allgemein bekannte Konsequenz aus der Sonderstellung des filius suus gegenüber derjenigen der übrigen sui hinreichend erklärt werden können. Unser Text läßt es als sehr wahrscheinlich annehmen, daß sich die Erkenntnis, auch ein filius suus könne sub condicione eingesetzt werden, allmählich aus der sonst schon allgemein geläufigen bedingten Erbeneinsetzung entwickelt hat und wir hier im Kommentar Ulpians die erste erklärende Darstellung darüber besitzen. Diese konnte sich offensichtlich auf Fallentscheidungsmaterial stützen und gibt offenbar den unbestrittenen Teil eines sonst kontrovers gebliebenen Problemkreises wieder. Ulpians Hauptgewährsmann ist dabei allem nach Julian gewesen, den er mehrfach heranzieht, wobei er sich ihm wiederholt anschließt'. Dabei läßt der im Zusammenhang sehr früh vorgebrachte Satz: de hoc enim inter omnes constat doch wohl erkennen, daß über die anderen sich ergebenden Fragen nicht dieselbe Einigkeit geherrscht hat wie über die Zulässigkeit der bedingten Einsetzung des filius suus und ihre Beschränkung auf die condicio, quae est in potestate ipsius7 • Daß es in der Tat erst Julian und Ulpian8 gewesen sind, die hier, indem sie praktische Lösungen boten, rechtsfortbildend wirkten, läßt sich durch einige Überlegungen unterstützen. Zunächst fällt auf, daß die Gaiusinstitutionen und die Epitome Ulpiani, die in dem diesbezüglichen Abschnitt mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einschlägige Arbeiten des Gaius zurückgeht', eine bedingte Einsetzung des suus noch nicht erwähnen, obwohl sie dem Zusammenhang nach dazu durchaus Gelegenheit10 gehabt hättenll • D. 28,5,4 pr.; 6 pr.; §§ 3 u. 4 schon vom Sklaven handelnd. Das kann in D. 28,5 mehrfach gezeigt werden, erlaubt aber ebenso, wie sonst so oft, keine Rekonstruktion der Kontroversen in ihrer ganzen Breite. • Das Schwergewicht liegt hier nicht auf diesen Personen, sondern auf der Datierung, die sich aus ihrer Beteiligung erschließen läßt: etwa 2. Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Anders Vogel, der erheblich früher datiert. • Siehe hierzu WieackeT, Textstufen 69 A. 63 samt Lit. 10 Die Gaiusinstitutionen hätten besonders in 2,157 Gelegenheit zu einer solchen Erwähnung gehabt, sagen dort aber: ... necessarii veTO weo dicuntur, 8
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Die bedingte Erbeinsetzung des Haussohnes
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Sodann wird man gewiß auch in der Beliebtheit des testamentum peT aes et libTam, das der Beüügung einer Bedingung überhaupt nicht
zugänglich war, ein retardierendes Element für die Entwicklung bedingter Erbeinsetzung zu sehen haben. Unter den Libraltestamenten12 hatte wieder dasjenige zugunsten eines suus lange keine dominierende Rolle inne, so daß abgesehen vom formalen Hindernis auch der Gedanke, ob und wie man Bedingungen hinzufügen könnte, gewiß nicht bei diesem den Anfang genommen hat. So, wie die XII Tafeln dem ruus kein Erbrecht zuerkennen, weil sie das seinige bereits voraussetzen, sondern nur den Agnaten ausdrücklich berufen, verdankt auch das Libraltestament zumindest seine Entstehung denjenigen Fällen, in denen andere als sui als accipientes 13 vorgesehen waren. Mithin erhält die Behauptung, daß wir das Aufkommen der bedingten Erbeinsetzung überhaupt und besonders der des suus nicht zu früh anzusetzen haben, auch von da her eine gewisse Stütze. Eine weitere überlegung spricht für die Annahme einer späten und nur allmählichen Entwicklung der bedingten Erbeinsetzung überhaupt und ganz besonders der des Haussohnes. Wir wissen, daß der honos institutionis lange Zeit das Testierwesen geprägt hat und damit ein besonderes Hindernis für beide Vorstellungen gebildet haben muß: daß nämlich gerade dem eigenen Sohn dieser honos erst zuteil werden sollte, wenn er sich einer Bedingung unterwarf, und umgekehrt, daß gerade der eigene Sohn den Wunsch haben sollte, diesem honos institutionis zu entgehen, indem er eine an den Erbschaftserwerb geknüpfte Bedingung unerfüllt ließ14. quia omni modo sive velint sive nolint, tam ab intestato quam ex testamento heTedes fiunt. Für die Epitome Ulpiani gilt Ähnliches: sie begnügt sich mit der Wiedergabe der alten Lehre von der Notwendigkeit, einen suus filius einzusetzen oder nominatim zu enterben, um die Gültigkeit des Testamentes zu gewährleisten: 22, 14: Sui heredes instituendi sunt vel exheredandi ...; 16: Ex suis heredibus filius quidem neque heres institutus neque nominatim exheredatus non patitur valere testamentum. 20: Filius qui in potestate est, si non instituatur heres, nominatim exheredari debet . .. 11 Damit im Einklang steht auch der von einem anderen Ausgangspunkt aus 'gewonnene Schluß Otto Lenels, Das Sabinussystem (1892) 26, nach welchem die Behandlung der sub condicione-Einsetzung von Ulpian stammt, also noch nicht auf die Rechnung des Sabinus selbst zu setzen ist. 12 Siehe hierzu allgemein Kaser, RP P 94 f.; 107 ff. 13 Zumindest als Legatare. Siehe hierzu Kaser, RP 12 107 und die dort A. 21 angef. Lit. U Zum honos institutionis s. v. Woess, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter (Berlin 1911) 143 ff. Wenn man Woess auch nicht ganz zuzustimmen vermag, daß das Ehrende in erster Linie beim materiellen Vorteil gelegen sein soll, macht seine Darstellung doch deutlich, daß die allgemeingültige Vorstellung von der mit der Einsetzung verbundenen Ehre der Entwicklung einer bedin·gten Einsetzung des suus lange Zeit entgegengewirkt haben muß. 8 Festschrift Kaser
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Das letzte, u. E. ausschlaggebende Argument für ein sehr spätes Aufkommen der bedingten Einsetzung des Hauskindes resultiert aber aus seiner erbrechtlichen Sonderstellung selbst. Sie ist durch die Tatsache charakterisiert, daß ein suus die väterliche Erbschaft ipso iure mit dem Erbfall erwirbt15 • Der Moment der hereditas deZata 16 , von dem ab erst eine Entscheidung über Erfüllung oder Nichterfüllung einer Bedingung zu treffen ist, entfällt hier überhaupt. Wollte man also ermöglichen, daß ein suus bedingt eingesetzt wird, so bedurfte das der Durchbrechung eines Grundsatzes, der wohl ebenso alt war wie der Erbschaftserwerb des suus überhaupt und geradezu ein Charakteristikum des zivilen Erbrechtes darstellte 17 • Diese Tatsache ist es, die es sinnvoll erscheinen ließ, unser Thema
im Anschluß an die Untersuchung der beiden schon genannten Senats-
beschlüsse noch einmal aufzurollen18 •
Es ist gewiß kein Zufall, daß die Durchbrechung eines so wesentlichen Grundsatzes erst mit Hilfe einer Autorität vom Range Julians unternommen wurde und wohl auch erst zu einer Zeit, die erwiesenermaßen bereit war, vom absolut patriarchalischen Gefüge des zivilen Erbrechts abzurücken, wenn dies erforderlich schien19 • Um ein solches Abrücken handelt es sich entschieden, wenn man beiden Teilen, dem Erblasser wie dem Erben, mit Hilfe der Zulassung der bedingten Einsetzung die Entscheidungsfreiheit einräumte, die bis dahin für den Fall des suus ausgeschlossen war.
n. Unsere Quellen lassen, wie schon gesagt, erkennen, daß über die einzelnen bei der Anwendung der bedingten Einsetzung des filius suus entstehenden Fragen nicht immer Einigkeit bestand. Wenn nun aber auch, wie so oft, ein wesentlicher Teil der Kontroversen als verloren angesehen werden muß, läßt sich doch noch zeigen, welche Probleme sich ergeben und zu welchen Lösungen sie geführt haben. 16 D. 38,16,14 (Gai. 13 ad legern Iul. et Pap.).Bemerkenswerterweise wird auch hier nicht auf die Möglichkeit einer Bedingung Bezug genommen. 18 Zum Ausdruck: (fast immer passivisch gebraucht!) s. Meinhart, SZ 83 (1966) 104 ff. Schon die Definition in D. 50,16,15 (Ter. eIern. 5 leg. Iul. et Pap.) macht deutlich, daß vor dem delata est jedenfalls für die Entscheidung einer Potestativbedingung kein Raum ist. 17 Daß das in gleichem Maße für Intestat- und Testamentsrecht gilt, zeigt schon die oben zitierte Gaiusstelle 2,157. Im übrigen s. hierzu H. J. Wolff, St. Riccobono 3 (1936) 455 ff. und Kaser, Ruhende und verdrängende Hausgewalt im älteren römischen Recht, SZ 59 (1939) 31 ff. 18 Siehe hierzu Meinhart, SC Tert. 210 ff. 18 Meinhart, SC Tert. 12 ff.
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1. Die bedingte Einsetzung des filius suus ist nur dann zulässig, wenn sie unter einer Potestativbedingung geschieht. Das sagt schon die bereits angeführte Quelle 20 : a) D. 28,5,4 pr. (Ulp. 4 Sab.) Suus quoque heres sub condicione heres potest institui: sed excipiendus est filius, quia non sub omni condicione institui potest. et quidem sub ea condicione, quae est in potestate ipsius, potest: de hoc enim inter omnes constat 21 • b) sed utrum ita demum institutio effectum habeat, si paruerit condicioni, an et si non paruerit et decessit? c) Iulianus putat filium sub eiusmodi condicione institutum etiam, si condicioni non paruerit, summotum esse, d) et ideo si coheredem habeat ita institutus, non debere eum exspectare, donec condicioni pareat filius, cum et si patrem intestatum faceret non parendo condicioni, procul dubio exspectare deberet, e) quae sententia probabilis mihi videtur, ut sub ea condicione institutus, quae in arbitrio eius sit, patrem intestatum non faciat. Nach der Feststellung, daß auch für den suus die bedingte Erbeinsetzung zulässig sei, wird eine solche Möglichkeit für den filius suus auf Potestativbedingungen eingeschränkt. Dies geschieht mit der stereotyp wiederkehrenden Wendung: condicio quae est in potestate ipsius. Man kommt sicher den Intentionen der Juristen am nächsten, wenn man annimmt, daß sie gerade in dieser Einschränkung ein geeignetes Mittel sahen, der Neuerung in praktikabler Weise zum Durchbruch zu verhelfen. Denn die Einengung auf die Potestativbedingung ermöglichte zugleich eine erhebliche Vereinfachung der Formulierung des Testamentes und die volle Respektierung der Sonderstellung des filius im geltenden Testamentsrecht, ohne daß Präterition eintreten konnte 22 • 2. Die am leichtesten lösbare Frage ist die, nach welchen Kriterien entschieden wurde, ob eine Potestativbedingung vorlag oder nicht. Das ist weitgehend dem Einzelfall anheimgestellt: D. 28,5,4,1 (Ulp. 4 Sab.) Puto recte generaliter definiri: utrum in potestate fuerit condicio an non fuerit, facti potestas est: po test enim et haec 'si Alexandriam pervenerit' non esse in arbitrio per hiemis condicionem: potest et esse, si ei, qui a prima miliario Alexandriae agit, fuit imposita: potest et haec 'si decem Titio dederit' esse in difficili, si Titius peregrinetur longinquo itinere: propter quae ad generalem definitionem recurrendum est. Ob eine Bedingung durch den Belasteten erfüll bar war oder nicht, richtet sich nach der Lage des einzelnen Falles, und zwar gilt das nicht 20 Der Text wird noch mehrfach heranzuziehen sein, weshalb ich ihn hier zur besseren übersicht vollständig, zur besseren Verwendung aber unterteilt wiedergebe. n Für die Vermutung Vogels 499 ff., hier sei ein Text ausgefallen, reichen die Belege nicht aus. 22 Denn die Beschränkung auf die Potestativbedingung läßt im Regelfall keine Alternative zustande kommen, bei welcher Präterition aufträte.
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nur für den Zeitpunkt der Testamentserrichtung und des Erbfalles, sondern bis zur Entscheidung über die Bedingung23 • Dabei wird der Interpretation ein breiter Raum gelassen, was in potestate sei und was nicht, so daß sie zum flexiblen Mittel wird, den Erben vor Härten zu schützen. Das bedeutet zugleich eine wesentliche Beschränkung für den Erblasser, der so gezwungen wird, die Wahl der Bedingung mit großer Sorgfalt zu treffen.
3. Die Bindung an die Potestativbedingung machte die Klärung erforderlich, was rechtens sei, wenn ein filius suus unter einer anderen als einer Potestativbedingung eingesetzt wurde. Hierzu läßt das Quellenmaterial zwei Fallgruppen erkennen je nachdem, ob der Testator eine unmögliche, unerlaubte oder unsittliche Bedingung verwendet hatte oder gegebenenfalls eine condicio casuaLis. a) Während wir für den Fall der unmöglichen Bedingung mangels anderslautender Quellenzeugnisse annehmen müssen, man habe sie beim Haussohn genau so behandelt wie bei allen anderen Erben!4, ist man bei der unerlaubten Bedingung offensichtlich einen anderen Weg gegangen. Grundlage für diese Annahme bildet der folgende Text: D. 28,7,15 (Pap. 16 quaest.) Filius, qui fuit in potestate, sub condicione scriptus heres, quam senatus aut princeps improbant, testamentum infirmet patris, ac si condicio non esset in eius potestate: nam quae facta laedunt pietatem existimationem verecundiam nostram et, ut generaliter dixerim, contra bonos mores fiunt, nec facere nos posse credendum est23 •
Ausnahmsweise sei hier einmal zunächst eine wörtliche Übersetzung (des ersten Teiles) vorgelegt, weil dieser Text in der Literatur sehr unterschiedlich gedeutet worden ist: "Wurde ein Haussohn unter einer Bedingung eingesetzt, die Senat oder Kaiser mißbilligen, dann entkräftet das das Testament des Vaters, so wie wenn die Erfüllung der Bedingung nicht in seiner Macht läge 26 ." Der Text ist mehrfach den Fällen der unmöglichen Bedingung zugezählt worden!7, gehört aber eindeutig in die Gruppe der unerlaubten. 23 Die gleiche Tendenz läßt sich zeigen bei D. 38,2,20,4 (Iul. 25 dig.) und D. 28,7,11 (Iul. 29 dig.) und besonders eindrücklich in C. 6,25,4,1 (Imp. Alex.
A. Aemilio) Cum autem trans mare et longe te agentem sub hac condicione heredem scriptum esse dicas, si in patriam, quae in provincia Mauritaniae erat, regressus fuisses, nec exheredatum te adleges, si in eum locum non redisses, manifestum est multis casibus non voluntariis sed fortuitis evenire potuisse, ut eam implere non posses: et ideo adire non prohiberis hereditatem. PP. VI k. April luliano et Crispino conss. (a 224). u D. 35,1,3 (Ulp. 6 Sab.). 25 Zur Echtheitsfra'ge s. Kaser, RP 12 197 A. 27 und die dort angef. Lit. Ferner Voci (0. A. 3) 636. !8 D. 35,1,3 cit. Eigentlich: filius infirmet, aber deutsch wohl zutreffender so.
Die bedingte Erbeinset~ung des Haussohnes
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Die Fallentscheidung, die den ersten Teil des Textes bildet, geht dahin, daß eine bedingte Einsetzung des Haussohnes dann Nichtigkeit des Testamentes bewirke, wenn sie unter einer Bedingung erfolgt, die gegen einen Senatsbeschluß oder eine Kaiserkonstitution verstößt. Damit steht aber diese Entscheidung in eindeutigem Widerspruch zu den allgemein geltenden Grundsätzen für die unerlaubten Bedingungen im Testament. Dafür genüge hier die in den Digesten der Papinianstelle unmittelbar vorangehende: D. 28,7,14 (Marci. 4 inst.) Condiciones contra edicta imperatorum aut contra leges aut quae legis vicem optinent scriptae vel quae contra bonos mores vel derisoriae sunt aut huiusmodi quas praetores improbaverunt pro non scriptis habentur, et perinde, ac si condicio hereditati sive legato adiecta non esset, capitur hereditas legatumve!8. Wir halten fest: der Text, der aus dem Titel De condicionibus institutionum stammt, stellt ganz allgemein fest, daß Bedingungen, die gegen die guten Sitten gerichtet sind, als nicht geschrieben angesehen werden und infolgedessen dem Erbschaftsantritt oder Legatserwerb nicht im Wege stehen. Es gibt nun keinen Anhaltspunkt oder triftigen Grund für die Behauptung, Papinian sei an diesen Grundsatz auch im Falle des Haussohnes unbedingt gebunden gewesen. Wenn ihm diese Frage vorgelegt wurde, lag es im Gegenteil ungleich näher, eine Lösung zu suchen, die zu der Linie der Sonderbehandlung des in Rede stehenden bedingt eingesetzten Haussohnes paßte. Dieser Linie aber folgt Papinians Lösung tatsächlich. Denn die Beschränkung auf die Potestativbedingung hatte seiner Ansicht nach zur Folge, daß die Verwendung einer anderen Bedingung Nichtigkeit des Testamentes bewirkte!l. Diesem Gedankengang schließt sich die in D. 28,7,15 gefundene Lösung unmittelbar an, indem sie argumentiert, eine verbotene Bedingung zu erfüllen, stehe nicht in potestate filii und bewirke daher (schon deshalb) ebenso Nichtigkeit des Testamentes wie jede andere, die zu erfüllen außerhalb seiner Macht läge. Gegenüber der Klarheit und Überschaubarkeit dieses Ergebnisses gibt hingegen der zweite Teil des Textes Zweifel hinsichtlich seiner Herkunft auf. Zumindest wäre an einen erheblichen Textausfall zu denken, denn der Schlußsatz nimmt auf eine Behauptung Bezug, von der im Text kein Hinweis zu sehen istSo. Außerdem steht die Aus27 Siehe Vogel 500 f. und die dort angeführte Literatur. Anders Francke, Das Recht der Notherben und Pflichttheilsberechtigten (1831) 4l. 28 Ähnlich: D. 28,7,7 (Pomp. 5 Sab.); eod. 9 (Paul. 45 ed.); D. 35,1,20 (Marcell. apud Iul. 27 dig.). Zu D. 28,7,14 aUg. s. Voci (0. A. 3) 804. !8 Einzelheiten dazu gleich im unmittelbar anschließenden Text. 30 Der Schluß läßt an eine viel allgemeinere Erörterung dessen, was gegen die guten Sitten ist, denken.
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drucksweise dieses zweiten Teiles in auffallendem Gegensatz zur sonst bekannten Sprache Papinians, die durch Prägnanz und Kürze charakterisiert ist. Für unser Problem ändert es indessen nichts, wenn sich herausstellen sollte, daß dieser Schluß nicht von Papinian stammt oder aus einem anderen Zusammenhang hierhergeraten ist: beides hätte auf die im ersten Teil niedergelegte Entscheidung keinen Einfluß. Damit gibt uns aber die Papinianentscheidung die Möglichkeit festzustellen, daß die bedingte Einsetzung des Haussohnes auch bei der rechtlichen Behandlung der Bedingung zu einer Sonderlösung geführt hat, indem dort die unerlaubte Bedingung Nichtigkeit des Testamentes zur Folge hatte. Zugleich werden wir VogelS1 zu widersprechen haben, der die Ansicht vertreten hat, die Entscheidung Papinians habe genau umgekehrt gelautet, ohne freilich dafür eine Unterstützung durch eine Quelle heranziehen zu können. b) Für die zweite, hier zu prüfende Frage, was rechtens sei, wenn der Vater den Sohn unter einer condicio casualis einsetzte, läßt sich an Hand der noch vorhandenen Fälle zeigen, daß trotz offenbar herrschender Einmütigkeit über die Zulässigkeit der bedingten Einsetzung des suus bei ihrer Verwirklichung zweierlei Meinungen vertreten wurden. Vorweg sei festgestellt, daß beiden Ansichten die offenkundige Bemühung gemeinsam ist, in streng formalistischer Weise an den durch das Noterbrecht geschaffenen Voraussetzungen festzuhalten32 • Wichtigstes Zeugnis der ersten Gruppe ist eine Äußerung Papinians: D. 28,7,28 pr. (13 quaest.) Si filius sub condicione heres erit et nepotes ex eo substituantur, cum non sufficit sub qualibet condicione filium heredem institui, sed ita demum testamentum ratum est, si condicio fuit in filii potestate, consideremus ... Die Gültigkeit des Testamentes ist deutlich an die Wahl einer Potestativbedingung gebunden, während jede andere gar kein gültiges Testament zustande kommen läßt. Daß illpian ebenfalls nur die Möglichkeit einer Postestativbedingung in Erwägung zieht, hat sich oben83 schon an Hand von D. 28,5,4 pr. (a) zeigen lassen. Es wird indes auch durch den Schluß des Fragments (e) bekräftigt. Ferner gehört hierher ein Responsum des Paulus: D.35,1,83 (12 resp.) Lucius Titius ita testamentum fecit: 'Aurelius Claudius natus ex illa muliere, si filium meum se esse iudici probaverit, heres mihi esto'. Paulus respondit filium de quo quaereretur non sub ea condicione 31 32 33
501. Freilich unter Berufung auf Literatur zur unmöglichen Bedingung. Besonders klares Beispiel: D. 35,1,83 (Paul. 12 resp.). Siehe S. 111 f., 115.
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institutum videri, quae in potestate eius est, et ideo testamentum nullius esse momenti. Das Testament wird unter rein formalen Gesichtspunkten als ungültig bezeichnet. Die Begründung dafür ist nicht etwa fehlende Enterbung für den Fall des Nichteintrittes der Bedingung, sondern die Benützung einer condicio, 'quae in potestate eius non est', durch den Testator. Nach Auffassung des Paulus liegt hier eine condicio casualis vor- und das genügt, um das Testament als nichtig zu verwerfen. Ulpian, Paulus und Papinian sind also der Ansicht, für den suus gebe es nur dann eine bedingte Erbeinsetzung, wenn es sich um eine Potestativbedingung handle. Bei anderen Juristen findet man dagegen eine Mittellinie zwischen der alten Vorstellung, die eine institutio sub condicione des suus filius nicht kannte, und der von den soeben angeführten Autoren vertretenen Meinung. Auch sie räumen der Potestativbedingung den Vorrang ein, indem sie sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß bei ihr ein gültiges 'festament entstehe, ohne daß für den Fall der Nichterfüllung der Bedingung Enterbung erforderlich wäre. Daneben lassen sie aber die Möglichkeit zu, den Sohn so wie die anderen sui unter einer condicio casualis einzusetzen, sofern nur sein Noterbrecht gewahrt wird. Hierzu bedarf es dann der exheTedatio für den Fall des Nichteintrittes der Bedingung. Hierher gehört zunächst ein Text aus dem 20. Buch der Disputationen Tryphonins: D. 28,2,28 pr. Filius a patre, euius in potestate est, sub eondicione, quae non est in ipsius potestate, heres institutus et in defeetum eondicionis exheredatus deeessit pendente etiam tune eondicione tam institutionis quam exheredationis. dixi heredem eum ab intestato mortuum esse, quia dum vivit, neque ex testamento heres neque exheredatus fuit. herede autem seripto ex parte filio eoheres post mortem filii institui potest. Ein Haussohn wurde unter einer condicio casuatis eingesetzt und für den Fall des Nichteintritts der Bedingung enterbt. Er selbst starb, während die Bedingung noch in Schwebe war. Tryphonin stellt fest, er sei als Intestaterbe gestorben, weil er zu Lebzeiten weder Testamentserbe geworden noch enterbt worden sei. Schon dieser erste, besonders klar dargestellte Fall läßt keinen Zweifel an der Anerkennung dieses Testamentes. Zugleich aber weist er auch die Richtung für die Gründe, die die Juristen zu dieser eher inkonsequent anmutenden Position bewogen haben müssen. Den ebenfalls denkbaren Ausweg, das Testament einfach als nichtig zu bezeichnen, wählt Tryphonin nicht: dann wäre ja der institutus ex tunc Erbe geworden und nicht erst im Zeitpunkt seines Todes, und der Miterbe wäre, wenn nicht selbst suus, leer ausgegangen. Als Haussohn müßte er dagegen ebenfalls bereits zur Zeit des (ersten) Erbfalles und
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nicht erst nach dem Tode des institutus berufen worden sein, bzw.
ipso iUTe Erbe geworden sein.
Es ist also die Frage nach dem Schicksal der Erbschaft und den Interessen der Miterben oder substituti, die für die Juristen die Anerkennung eines Testamentes auch dann denkbar sein läßt, wenn der filius suus unter einer Bedingung eingesetzt wurde, deren Erfüllung nicht in seiner Macht stand. Mit der nötigen Absicherung seiner selbst in Gestalt der exheTedatio erreicht man damit eine Lösung, die dem Erblasserwillen näher kommt, als dies bei der Nichtigerklärung des Testamentes der Fall wäre. Dafür, daß die beiden Auffassungen tatsächlich längere Zeit nebeneinander vertreten wurden, spricht auch eine Konstitution aus dem Jahre 224: C. 6,25,4 pr. (Alex.) Si pater filium quem in potestate habebat sub eondicione, quae in ipsius potestate non erat, heredem seripsit nee in defeetum eius exheredavit, iure testatus non videtur. Die Formulierung läßt eindeutig erkennen, daß es für die Gültigkeit des Testamentes genügt hätte, den unter einer candicio casualis bedingt Eingesetzten für den Fall des Nichteintrittes der Bedingung zu enterben. Daß auch Maecian grundsätzlich der Meinung war, bei der kasuellen Bedingung - und nur bei dieser - müsse ein Sohn "sub cantTaTia condicione" enterbt werden, geht aus einer Bemerkung hervor, die er in einer längeren Erörterung anbringt: D. 28,5,87 (86) pr. (7 fideieomm.) ... tune tantum id exigeretur, eum in potestate eius non esset, an heres patri existeret, exspeetantis extrinseeus positae eondieionis eventum ... Nicht so eindeutig läßt sich zeigen, welchen Standpunkt Julian in dieser Frage eingenommen hat. Nach illpians mehrfachen Äußerungen hat dieser in Julian den Gewährsmann für seine eigene Lehre gesehen. Andererseits kann dargelegt werden, daß Julian selbst zumindest für den emancipatus die Möglichkeit der Zulassung der condicia casualis bejaht hat. Ein klares Zeugnis dafür ist D. 38,2,20,4 (Iul. 25 dig.) a. E. ... existimo autem, quotiens sub eondicione heres filius seribitur, alias neeessariam esse exheredationem a substitutis, alias supervaeuam: nam si id genus eondicionis fuerit, quae in potestate filii esset, veluti 'eum testamentum feeerit', puto etiam omissa eondicione filium loeum substitutis facere: si vero eondicio non fuerit in potestate filii, veluti 'si Titius eonsul faetus fuerit', tune substitutus non admittitur, nisi filius ab eo nominatim exheredatus fuerit34• Zwei Tatsachen stehen fest: Julian spricht in diesem Text von einem 34 Beselers Emendationsvorschlag in SZ 45 (1925) 261 ist zu weitgehend und muß wohl als überholt angesehen werden.
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emanzipierten SohnBS , und: seine Entscheidung ist motiviert durch die Interessen des Nacherben. Bei aller gebotenen Vorsicht, die unbewiesenen Thesen gegenüber angebracht ist, läßt sich hier doch sagen, daß diese Aussage Julians der Ausgangspunkt für die soeben vorgelegten Entscheidungen anderer Juristen geworden sein könnte. Da seine - im Falle eines emanzipierten Sohnes unbedenkliche - Lösung von bestechender Praktikabilität ist, wäre doch in der Tat denkbar, daß man sich ihrer auch dort bediente, wo sie zwar in formeller Hinsicht eine bedenkliche Inkonsequenz darstellte, in materieller aber zweifelsohne einem echten Bedürfnis entgegenkam: der Erfüllung des Erblasserwillens. Von allen denkbaren Erklärungen ist dies jedenfalls diejenige, die man den römischen Juristen weit eher zutrauen könnte, als sie der bloßen Nachlässigkeit zu zeihen. Diese läge darin, daß sie einen eben erst gewonnenen Grundsatz gewissermaßen, ohne es selbst zu bemerken, wieder umgestoßen hätten. Das wäre aber der Fall, wenn sie neben die eben gewonnene Erkenntnis, daß ein Haussohn nur unter einer Potestativbedingung eingesetzt werden könne, die durch nichts begründete Möglichkeit der Verwendung solcher Bedingungen gesetzt hätten, deren Erfüllung nicht in seiner Macht stand. 4. Die Anwendung der bedingten Einsetzung stellte die Praktiker vor eine weitere wichtige Frage: was ist rechtens, wenn der sub condicione institutus filius die Potestativbedingung nicht erfüllt? Auch sie leitet ihre besondere Bedeutung vom Noterbrecht her, zwingt dieses doch, dafür zu sorgen, daß der filius in keinem Zeitpunkt übergangen werde. Zwei Hauptgruppen von Fällen zeichnen sich ab: Die einen handeln vom Haussohn, der die Bedingung nicht erfüllen wollte, die anderen von demjenigen, der, ohne sie erfüllt zu haben, starb. a) Die Durchbrechung der bis dahin einzig möglichen Vorstellung, daß der Sohn unmittelbar mit dem Erbfall die Erbschaft zwangsläufig erwerbe - oder apriori enterbt sei - wird offensichtlich nur schrittweise bewältigt. Aus der Zuerkennung der bedingten Einsetzung ergibt sich als nächstes die Frage, ob die bedingte Einsetzung ihre Gültigkeit behalte, wenn der Sohn die Bedingung nicht erfülle36 • Wieder zieht IDpian Julian heran und stellt fest, daß der in der vorgesehenen Weise eingesetzte Sohn si condicioni non paruerit von der Erbschaft ausgeschlossen sei. 35
Das zeigt das hier nicht wiedergegebene Textstück eingangs: Si libeni-
nus filium emancipatum sub condicione heredem ... 3& D. 28,5,4 pr. (b), oben S. 115.
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Damit entsteht eine zweite, dem zivilen Erbrecht neue Situation: ohne daß der suus enterbt war, tritt im Augenblick, in dem das condicionem deficere feststeht, eine der zweiten Delation nahe verwandte Situation ein. Der einzige Fall, für den dies bis dahin als zulässig galt, war der des enterbten suus, der während der Überlegungsfrist des institutus starb und dadurch nach der repudiatio des eingesetzten Erben den eigenen Kindern zur suus-Stellung verhalf. Daß Ulpian im Ablauf dieser Fälle eine Parallele sah, wissen wir aus D. 38,16,1,8 37 • In diesem Zusammenhang begegnen wir nun auch dem für die spätere Verwendung der bedingten Einsetzung wesentlichen Moment des Willens des Erben. In dem Augenblick nämlich, in dem der der Erbschaft verlustig Gehende als einer aufgefaßt wird, der die Erbschaft nicht wollte, vollzieht sich der übergang von der ursprünglichen Bestimmung der institutio sub condicione, bei der der Wille des Erblassers im Vordergrund stand, zu ihrer Verwendbarkeit zugunsten einer Wahlmöglichkeit für den Sohn. Erhalten ist dazu ein Zeugnis bei Tryphonin: D. 37,5,13 (Tryph. 2 disp.) ... nam si eam (= condicionem), quae in ipsius potestate fuit, non implevit, pro eo habendus est, qui noluit adire hereditatem, quando nihil habiturus emolumenti condicioni merito non paruerit. Die Zulassung der bedingten Einsetzung des Haussohnes hat also zur Folge, daß man jetzt eine Möglichkeit anerkennt, die den nahtlosen übergang der Erbschaft vom Vater auf den Sohn nicht mehr selbstverständlich erscheinen läßt. Ihr für das Erbrecht charakteristisches Merkmal ist die für diese Fälle unentbehrliche Delation an den suus im Falle des condicioni parere und der mögliche Eintritt des Intestatfalles in erheblichem zeitlichem Abstand vom Erbfall. Außer dieser rechtstheoretisch erheblichen Folge ergibt sich als einfache logische Konsequenz die Erkenntnis, daß auf diese Weise auch ein Wahlrecht des suus entstanden ist. Dazu besitzen wir eine Belegstelle in D. 28,5,87(86) pr. (Maec. 7 fideicomm.) Iam dubitari non potest suos quoque heredes sub hac condicione institui posse, ut, si voluissent, heredes essent, si heredes non essent, alium quem visum erit eis substituere: ... Maecians ausführliche Erörterung, die an unser Textstück anschließt, wird uns bei der Abgrenzung der bedingten Einsetzung vom beneficium abstinendi noch beschäftigen. Für unseren Zusammenhang genügt es, darauf hinzuweisen, daß der Text anzunehmen berechtigt, die Erkenntnis, auch bloßes si voZuissent sei als Bedingung zulässig, habe sich im Zuge der Anwendung der bedingten Einsetzung des Sohnes allmählich ergeben38 • 37 ••• idem erit dicendum et si filius ex asse sub condicione, quae fuit in arbitrio ipsius ... 38 Anderer Ansicht ist Voge~ 496, der die Lösung mit si velit schon um die Zeitwende annimmt, freilich ohne Quellen.
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Das von Maecian gebrauchte heredes essent und non esse nt sei der Anlaß zu fragen, wie die soeben vorgelegten Entscheidungen dogmatisch auszuwerten sind. Denn hier stellt sich die Frage nach der Wirkung, die die Nichterfüllung einer Bedingung auf die heres-Stellung des suus hatte. Eben deshalb war es unerläßlich zu zeigen, daß wir es bei der Zulassung der bedingten Einsetzung des Sohnes mit einem Schritt des ius civile zu tun haben. Nur dann konnte sie überhaupt zur Folge haben, daß der suus aufhörte, suus zu sein; und nur dann war es denkbar, daß nach dem Sohn ein allfälliger Substitut oder der Intestaterbe berufen wurde. Die bedingte Einsetzung des suus setzt, um zielführend zu sein, voraus, daß man ihm die Möglichkeit der Delation zuerkennt. Der Augenblick: der Erfüllung der Bedingung ist zugleich der der Delation, dem der Antritt folgt. Wird aber die Bedingung nicht erfüllt, dann ist der Moment, in dem dies feststeht, auch der Augenblick: der Entscheidung darüber, daß die Delation an den suus nicht stattfindet. Der suus hört auf, heres zu sein und ermöglicht so die (erste!) Delation an den substitutus oder Intestaterben. Der Grundsatz in legitimis hereditatibus successio non est wird also gewahrt. Damit läßt sich aber zeigen, daß die bedingte Einsetzung des suus das zivile Pendant zum prätorischen beneficium abstinendi darstellt, sofern dieses vom Testamentserben in Anspruch genommen wurde 39 • Infolge der Grenzen, die dem Prätor durch seinen mangelnden Einfluß auf die Erbenstellung gesetzt sind, heißt dies aber keineswegs, daß diese beiden Mittel denselben Effekt hätten. Das beneficium abstinendi vermag zwar den von Überschuldung bedrohten Erben vor seinen Gläubigern zu schützen, es kann aber nichts an seiner Erbenstellung ändern. Sollte es im Falle eines aktiven Nachlasses begehrt werden, so bedeutet die Stattgebung, daß alle Aktiven auch für die substituti verloren sind und auch Intestaterbfolge nicht eintreten kann. Deshalb ist hier Vogel entgegenzutreten, der die Auffassung vertritt, die bedingte Einsetzung des Sohnes wäre nicht benötigt worden, wenn es das beneficium abstinendi schon vor ihr gegeben hätte. Das veranlaßt ihn zur Annahme einer beträchtlich früheren Einführung derselben, als die Quellen erkennen lassen". An diese seine Auffassung knüpft Vogel aber noch eine weitere Annahme, bei der ihm nicht gefolgt werden kann. Er versteht den Schwebezustand bis zur Entscheidung über die Bedingung dahin, daß der suus auf keinen Fall und in keinem Augenblick: des Fallablaufes seine 38 Dabei soll nicht übersehen werden, daß der wichtigere Zweig der Verwendung des beneficium abstinendi zweifellos das Intestaterbrecht war. 40 Vogel 496.
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heres-Stellung verliert, auch dann nicht, wenn er willentlich der Bedingung nicht entspricht. Allerdings kann Vogel hierfür keine einzige aus der zivilrechtlichen Materie stammende Quelle anführen41 • Überdies sei darauf verwiesen, daß die Gesamtheit der bisher vorgelegten Texte unverständlich würde, wollte man annehmen, daß es bei unzerstörter suus-Stellung einen Antritt des substitutus gegeben hätte. Noch in 12 ad Sabinum42 läßt Ulpian deutlich werden, daß die Vorstellung von der einzigen Delation weiterhin maßgebend bleibt. Wollte man aber die heres-Stellung des suus bei der bedingten Einsetzung beibehalten, wenn er z. B. ausdrücklich erklärte, die Bedingung nicht erfüllen zu wollen, dann hätte der Antritt des substitutus eine zweite Delation zur Voraussetzung haben müssen. b) Die zweite Gruppe von Fällen der Nichterfüllung umfaßt diejenigen, in denen der Tod des Sohnes pendente condicione eintrat. Wieder ist es Julian, bei dem wir eine grundsätzliche Aussage hierzu finden: D. 28,5,5 (Iul. Marc. 29 dig.) Si eiusmodi sit condicio, sub qua filius heres institutus sit, ut ultimo vitae eius tempore certum sit eam existere non posse et pendente ea decedat, intestato patri heres erit, veluti 'si Alexandriam pervenerit, heres esto': quod si etiam novissimo tempore impleri potest, veluti 'si decem Titio dederit, heres esto', contra puto. Die Entscheidung, ob der Sohn willens war, der Bedingung Folge zu leisten, wird auf den letzten Augenblick seines Lebens abgestellt. War er in diesem Zeitpunkt außerstande, sie zu erfüllen43 , so wurde er in diesem Moment Intestaterbe des Vaters; ließ er aber eine auch jetzt noch vorhandene Chance, der Bedingung Folge zu leisten, außer acht, so starb er, ohne Erbe geworden zu sein. So einfach fiel die Lösung allerdings dann nicht aus, wenn das Testament nach dem bedingt eingesetzten Sohn substituti vorsah. Unsere wichtigste Belegstelle hierzu stellt übrigens m. E. ein besonders eindrückliches Beispiel dafür dar, daß auch hier die Kasuistik vor der Systematik Vorrang erhielt. D.28,7,28 (Pap. 13 quaest.) Si filius sub condicione heres erit et nepotes ex eo substituantur, cum non sufficit sub qualibet condicione filium heredem institui, sed ita demum testamentum ratum est, si condicio fuit in filii potestate' consideremus, numquid intersit, quae condicio fuerit adscripta, utrum quae moriente filio impleri non potuit, veluti 'si Alexandriam ierit, filius heres esto' isque Romae decessit, 41 Zu der aus Ulpians Ediktskommentar stammenden Stelle D. 29,4,1,8 soll im Zusammenhang mit dem prätorischen Recht Stellung genommen werden. 42 D. 38,16,1,8: nondum delata! 43 In diesem Sinne findet sich auch eine Erwähnung bei Afr. in anderem Zusammenhang: D.28,2,16 (4 quaest.) ... neminem ex eo testamento heredem fore, ipse filius intestato patri heres existet: sicut evenire solet, cum sub ea condicione, quae in ipsius potestate erit, filius heres institutus, prius quam ei pareret, moriatur.
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an vero quae potuit etiam extremo vitae momento impleri, veluti 'si Titio decem dederit, filius heres esto', quae condicio nomine filii per alium impleri potest. nam superior quidem species condicionis admittit vive filio nepotes ad hereditatem, qui si neminem substitutum haberet, dum moritur, legitimus patri heres exstiterit, argumentoque est, quod apud Servium quoque relatum est: quendam enim refert ita heredem institutum, si in Capitolium ascenderit, quod si non ascendisset, legatum ei datum, eumque antequam ascenderet mortem obisse: de quo respondit Servius condicionem morte defecisse ideoque moriente eo legati diem cessisse. altera vero species condicionis vivo filio non admittit nepotes ad hereditatem, qui substituti si non essent, intestato avo heredes existerent: neque enim filius videretur obstitisse, post cuius mortem patris testamentum destituitur, quemadmodum si exheredato eodem filio nepotes, cum filius moreretur, heredes fuissent instituti.
Papinian, der auch in diesem Zusammenhang konsequent nur Fälle der Potestativbedingung behandelt, weil er beim Haussohn nur solche anerkennt, unterscheidet, falls der eingesetzte filius vor der Erfüllung der Bedingung starb, dieselben zwei Fallgruppen wie Julian: a) Dem Erben war eine an sich mögliche Handlung aufgetragen, an deren Durchführung ihn sein Tod hinderte, oder b) die Bedingung war so formuliert, daß der Sohn bis zuletzt die Möglichkeit gehabt hätte, ihr - allenfalls mit Hilfe einer anderen Person - zu gehorchen. Hat der Erblasser in den Fällen der Gruppe a) nur den filius eingesetzt, so gelangt Papinian zu derselben Lösung wie Julian: der Sohn wird im letzten Augenblick seines Lebens Intestaterbe. Gibt es aber als Nacherben eingesetzte Enkel, dann werden diese noch zu Lebzeiten des institutus ex testamento berufen. Für die Methode, wie Papinian zu dieser Lösung gelangt, ist von Interesse, daß er sich auf einen bei Servius überlieferten, wenn auch nur ähnlich gelagerten Fall beruft. Dieser berichtet von einer bedingten Einsetzung (si in Capitolium ascenderit), bei welcher dem institutus für den Fall der Nichterfüllung ein Legat ausgesetzt war. Als der Bedachte, ohne erfüllt zu haben, starb, wurde ihm im Augenblick des Todes das Legat zuerkannt. Für die Fälle der Gruppe b) schließt Papinian die Zulassung der substituti als Testamentserben aus. Dies ist die notwendige Folge aus der Tatsache, daß er das väterliche Testament mit dem Tode des Sohnes destituiert44 sein läßt, dessen rechtliches Schicksal ungeklärt war, solange der bedingt eingesetzte Sohn lebte. Die Enkel gehen deshalb nicht 44 Voci (0. A. 3) 635 A. 5, 993 A. 19.
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leer aus, sie werden Intestaterben des Großvaters. Die Lösung entspricht genau der oben45 schon erwähnten Ansicht Ulpians in D. 38,16,1,8, bei der sich Ulpian seinerseits auf Julian und Marcellus beruft48 . Zusammenfassend ergeben sich demnach folgende Lösungsmöglichkeiten, wenn der bedingt eingesetzte Sohn starb, ohne der Bedingung gehorcht zu haben: A. Hat der Sohn nicht erfüllt, weil der Tod ihn hinderte, so wurde er im letzten Augenblick seines Lebens Intestaterbe des Vaters, sofern er allein eingesetzt war; hatte er aber substituti, so wurden diese im Zeitpunkt des Todes des Sohnes Testamentserben.
B. Hat der Sohn trotz bis zuletzt bestehender Möglichkeit nicht erfüllt, so wurde er nicht Erbe. Etwa vorhandene substituti waren dann an die Intestaterbfolge gewiesen, die ja offengeblieben war, weil noch keine Delation erfolgt war. Nach dem Gesagten läßt sich auch mit hoher Wahrscheinlichkeit herleiten, was Ulpian in dem offenbar durch Kürzungen verdorbenen Stück in D. 28,5,4 pr. (4 Sab.) (d)47 vom Miterben gesagt hat. Unter Berufung auf Julian stellt er zunächst fest, daß der ordnungsgemäß sub condicione eingesetzte Sohn, der der Bedingung nicht gehorcht hatte, summotus, also von der Erbschaft verdrängt sei. Deshalb müsse auch ein eventueller Miterbe nicht abwarten, ob der Sohn die Bedingung erfülle oder nicht. Dieser (Sohn) mache ja den Vater nicht zum intestatus 48 • III.
Das Ergebnis, daß wir mit der bedingten Einsetzung des suus eine Neuerung des ius civile vor uns haben, legt die Frage nahe, wie die prätorische Praxis auf diese reagiert hat; dies umsomehr, als der Prätor zwar hinsichtlich der leges oder - was für die in Rede stehende Zeit mehr Aktualität hätte - der Senatsbeschlüsse durch die tum Seite 122. Der Schluß des Papiniantextes dürfte verdorben sein (instituti!). Das ändert hier nichts am Ergebnis, hat aber in der älteren Erbrechtsliteratur zu erheblichen Umdeutungen geführt. übersicht bei K. A. Schmidt, Das formelle Recht der Notherben (1862) 49 und 150. 47 Oben S. 115. 48 Dies dürfte die Ulpian hier zuzuschreibende Deutung der Stelle gewesen sein. Für diese Annahme spricht vor allem der Umstand, daß Ulpian sich in unserem gesamten Zusammenhang an Julian ausrichtet - so ja auch hier eingangs - und diesem und sich selbst grundlos widersprochen hätte, wenn der Schlußsatz nicht den Sohn des konkreten Falles, also den Sohn neben dem ein Miterbe im Testament stand, gemeint hätte. 45
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quem-Formel49 des Edikts festgelegt war, nicht aber gegenüber den Ergebnissen der Fortbildung des ius civile durch die Jurisprudenz. Es kann gezeigt werden, daß das prätorische Erbrecht der neuen Variante des Testamentsrechts bei Gewährung der bonorum possessio Rechnung getragen hat. Die Probe, die man auf diese Behauptung machen kann, ist naturgemäß im Bereich der b.p. contra tabuVas und secundum tabulas zu suchen. Folgende Beobachtungen lassen sich an Hand von Quellenstellen darlegen. Die bedingte Einsetzung des Sohnes stellt für den Prätor kein Hindernis dar, ein solches Testament als gültig zu behandeln und die Bedingung zu berücksichtigen. Ein solches Testament wird offenbar mühelos dem Grundsatz angepaßt, den wir aus D. 37,4,3,11 (Ulp. 39 ed.) kennen: Si quis ex liberis heres scriptus sit, ad contra tabulas bonorum possessionem vocari non debet: cum enim possit secundum tabulas habere possessionem, quo bonum est ei contra tabulas dari? plane si alius committat edictum, et ipse ad contra tabulas bonorum possessionem admittetur. Liberi, die als Erben eingesetzt sind, erhalten die b.p. contra tabulas nicht, weil sie die b.p. secundum tabulas beanspruchen können und damit auch so lange genügend gesichert sind, als kein Konkurrent eine bessere Berechtigung geltend macht. Geschieht dies, dann sieht sich der Prätor veranlaßt, auch ihnen die b.p. contra tabulas zu geben. Dieser Grundsatz wird - gestützt auf Julian - im unmittelbar anschließenden Text auf den bedingt eingesetzten Sohn angewendet: D. 37,4,3,12 Sed si sub condicione scriptus sit, bonorum possessionem contra tabulas accipere non potest, et ita Iulianus quoque libro vicesimo tertio digestorum scripsit. quid ergo, si defecerit condicio? verum est eum contra tabulas accipere bonorum possessionem50 • 49 Gemeint ist der Ediktstext für die Klasse unde legitimi und Julians Erklärung hierzu: D. 38,7,l. 50 Zu diesem Text s. zunächst Kaser, RP P 707 A. 6. Daß das scriptus des Textes den Sohn meint, geht schon aus dem engen Zusammenhang der Stelle mit der vorangehenden hervor. Es ist die Anknüpfung an deren "si quis ex liberis ..." Der allgemeine Sprachgebrauch der Ediktskommentare, besonders der UIpians, gibt dabei eine gewisse Stütze für die Behauptung, hier sei nur vom suus die Rede (dem er ja in § 13 den emancipatus folgen läßt). So sagt Ulpian gerade im Kommentar zur b. p. contra tabulas D. 37,4,1,1: Vocantur autem ad contra tabulas bonorum possessionem liberi eo iure eoque ordine, quo vocantur ad successionem ex ittre civili (das sind aber nur die sui). Im § 6 fährt Ulpian fort: Et sui iuris factos liberos inducit in bonorum possessionem praetor ... So wahrscheinlich es demnach ist, daß der Text nur den suus meint, muß trotzdem offen bleiben, ob Ulp. (und mithin auch Julian) hier nicht etwa schon beide, den suus und den emancipatus, zugleich gemeint haben.
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Der Bedingung wird dadurch Rechnung getragen, daß für den Fall ihres Nichteintrittes vorgesorgt wird: von diesem Augenblick an bekommt der Sohn die b.p. contra tabulas. Das ist die notwendige Folge aus der Tatsache, daß ein Deszendent die b.p. contra tabulas erhält, wenn er weder eingesetzt noch enterbt wurde: denn der während des Schwebens der Bedingung als eingesetzt geltende Erbe muß vom Wegfall der Bedingung an als übergangen angesehen werden51 • Dabei sei festgestellt, daß die gefundene Lösung keinen Bezug auf die Art der Bedingung nimmt. Auch der nächste Text aus Ulpian 39 ed. stellt eine Konsequenz aus dem geltenden Recht der b.p. dar: D. 37,4,3,13 Si sub ea condicione filius emancipatus heres sit institutus, quae in ipsius potestate non est, quia scriptus heres est, bonorum possessionem secundum tabulas accipere potest et debet, nec contra tabulas potest: et si forte defecerit condicio, tuendus erit a praetore in tantum, quantum ferret, si contra tabulas bonorum possessionem accepisset. Der emancipatus wird im Falle bedingter Einsetzung zur b.p. secundum tabulas berufen. Fällt die Bedingung weg, dann stellt ihn der Prätor so, als hätte er die b.p. contra tabulas erhalten. Dabei ist von Interesse, daß hier für den emancipatus im Falle einer condicio casualis dieselbe Behandlung vorgesehen ist, die der suus bei einer Potestativbedingung erführe.
In D.37,l1,2,1 (Ulp. 41 ed.) begegnen wir dem bedingt eingesetzten Sohn erneut: Si sub condicione heres institutus filius sit, Iulianus peraeque putavit secundum tabulas competere ei quasi scripto bonorum possessionem, qualisqualis condicio sit, etiam si haec 'si navis ex Asia venerit': et quamvis defecerit condicio, praetor tarnen filium, qui admiserit secundum tabulas, tueri debebit ac si contra tabulas acceperit: quae tuitio ei qui emancipatus est necessaria est. Die getroffene Entscheidung geht noch weiter, indem sie völlige Unabhängigkeit von der Art der Bedingung festlegt. Vorweg ist aber eine überlegung zum Text selbst erforderlich. 1. Wieder gilt unser Interesse der Deutung des filius, der Frage also, ob hier nur der Sohn gemeint ist, der noch suus ist, oder auch der emancipatus. Die ältere Erbrechtsliteratur deutet den Ausdruck ohne jeden Einwand als suus, also im ersten Sinn52• Für die Übernahme dieses Textverständnisses sprechen in der Tat wesentliche Grunde: 51 Im Moment des Wegfalles der Bedingung hört der Sohn auf, institutus zu sein, müßte dann aber enterbt sein (Gai. 2,135). 52 Siehe statt vieler Schmidt (oben A. 46) 83 A. 55 und die dort angef. Lit. Es läßt sich allerdings nicht ausschließen, daß Ulpian filius familias geschrieben hat und die Kompilatoren in der überlegung, das Gesagte gelte auch
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Ulpian bedient sich bei der Kommentierung der b.p. einer gut verfolgbaren Stoffanordnung, die stets dann, wenn sui mitbetroffen sind, von diesen ausgeht. Unser Fall steht nach der Darstellung der Betroffenen als erster. Zudem hätte der Text gar keinen Mitteilungswert, wenn er nicht den suus zum Gegenstand hätte. überdies benötigte Ulpian hier nicht die Berufung auf Julian, wenn er nur das im 31. Buch Gesagte wiederholen wollte. Auch das peraeque läßt darauf schließen, daß der Faden der Darstellung hier weitergeführt werden soll; das geschieht eben mit der Ausdehnung dieser Lösungsmöglichkeit auf den suus. Außerdem ist es den Kommentaren zur b.p. insgesamt fremd, suus und emancipatus ohne Hinweis unter dem Worte filius zusammenzufassen. Viel wahrscheinlicher sind die Fälle, in denen filius stehen geblieben ist, weil eine spätere Hand den Hinweis auf suus oder emancipatus gestrichen hat, um eine Generalisierung zu erreichen. 2. Der Schlußsatz muß wohl als Glosse gewertet werden. Abgesehen von der schwerfälligen Ausdrucksweise bestand für den Autor kein Grund, nach dem Gesagten entweder das debebit zu verstärken oder durch erhebliche Einschränkung des Kreises der Betroffenen abzuschwächen. Eines kann dieser Satz gewiß nicht: den Eindruck erwecken, der ganze Text hätte nur den emancipatus gemeint. Damit ist aber für unseren Zusammenhang unwesentlich, wie er in den Text gelangt ist; am wahrscheinlichsten wird es sich wohl um eine in den Text geratene Randbemerkung eines Bearbeiters handeln, der Ulpian (und Julian) nicht verstanden hat. Somit haben wir aber in D. 37,11,2,1 ein Zeugnis dafür, daß Julian die Übernahme der zwingenden Unterscheidung von condicio casualis und potestativa für die Fälle der bedingten Zulassung des Sohnes auch des suus - für den prätorischen Bereich nicht für notwendig hielt. Das kommt durch die Verwendung des qualisqualis condicio sit deutlich zum Ausdruck. Indessen bedeutet das lediglich, daß Julian die Sonderbehandlung des suus - mit der Bindung an die Potestativbedingung - im prätorischen Bereich in formaler Hinsicht für entbehrlich hält. Der Grund dafür liegt auf der Hand: der Prätor hat bereits hinreichende Mittel, die Interessen des suus zu gewährleisten, deshalb kann die Androhung der Nichtigkeit eines Testamentes, in dem der Sohn unter einer condicio casualis eingesetzt ist, im prätorischen Bereich ohne selbständige neue Konsequenzen bleiben. für den emancipatus, das familias weggelassen haben. Auch dann hätten wir also einen Fall mit dem Haussohn. 9 Festschrift Kaser
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Daß Julian die Unterscheidung zwischen den beiden Bedingungsarten materiellrechtlich trotzdem berücksichtigt, läßt sich mit Hilfe des folgenden Textes zeigen: D. 38,2,20,4 (Iul. 25 di'g.) Si libertinus filium emancipatum sub condicione heredem instituerit et deficiente condicione substitutus adierit, quaero, utrum patrono adversus substitutum in partem debitam praetor an emancipato filio in totam hereditatem succurrere debeat. respondi, cum pater filium sub condicione prima gradu heredem instituit, si deficiente condicione, sub qua filius heres institutus est, ad secundum gradum hereditas pertinet . vel adhuc pendente condicione filius decesserit, patrono partis debitae bonorum possessionem adversus substitutum competere. idemque est et si filius vel non petierit bonorum possessionem tempore exclusus vel repudiaverit. si vero deficiente condicione hereditas ad filium pertineat, emancipatum potius tuebitur praetor adversus substitutum. existimo autem, quotiens sub condicione heres filius scribitur, alias necessariam esse exheredationem a substitutis, alias supervacuam: nam si Id genus condicionis fuerit, quae in potestate filii esset, veluti 'cum testamentum fecerit', puto etiam omissa condicione filium locum substitutis facere: si vero condicio non fuerit in potestate filii, veluti 'si Titius consul factus fuerit', tunc substitutus non admittitur, nisi filius ab eo nominatim exheredatus fuerit. Ein Freigelassener hat seinen emanizipierten Sohn zum Erben eingesetzt und ihm für den Fall, daß die Bedingung nicht erfüllt würde, einen substitutus benannt. Nach Wegfall der Bedingung hat der substitutus angetreten, worauf Julian die Frage untersucht, ob der Prätor nun den emancipatus oder den Patron unterstützen müsse. Die Entscheidung, ob der Sohn trotz Wegfalles der Bedingung zu berufen sei oder der Patron neben dem substitutus die Hälfte erhalte, hängt also allein von der rechtlichen Beurteilung der bedingten Einsetzung ab. Julian stellt auf den Zeitpunkt des Wegfalles der Bedingung ab und entscheidet alternierend, je nachdem, ob der Sohn unter einer condicio casuaZis oder potestativa eingesetzt war. Für den ersten Fall hat der Prätor den emancipatus gegen den substitutus zu schützen - es sei denn, der testator hätte ihn vorsorglich nominatim enterbt, falls die Bedingung nicht einträte. Lag aber eine Potestativbedingung vor, die der Sohn nicht erfüllte, dann ist seine Anwartschaft erloschen, der substitutus wird berufen - und mit ihm hier der Patron. Julian kommt also für die b.p. nahezu zu demselben Ergebnis, wie es das ius civile gezeitigt hätte. Die einzige Abweichung ergibt sich aus dem Umstand, daß die formalrechtliche Frage, welche Art der Bedingung dem Sohn auferlegt wurde, damit das Testament Gültigkeit hätte, keine Rolle spielt. Gewiß kann im vorliegenden Fall eingewendet werden, daß es sich um einen emancipatus handle. Nach den vorgelegten Texten kann aber
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kein Zweifel bestehen, daß Julians Absicht dahin gegangen ist, für den prätorischen Bereich diese Unterscheidung auch beim suus formal nicht zu bewerten: also auch ein Testament anzuerkennen, in dem ein Haussohnunter einer condicio casualis eingesetzt war. Dies umso mehr, als die Motive klar erkennbar sind: die unrichtige Wahl der Bedingung ist ein verhältnismäßig geringer Formfehler und kann daher nach den Maßstäben, die der Prätor für die Anerkennung von Testamenten beachtet, toleriert werden. Diese Duldung geschieht zudem ohne Risiko, weil die Grundsätze für die Gewährung der b.p. genügend Möglichkeit bieten, den Fehler so zu korrigieren, daß der erblasserische Wille respektiert und das Recht des Noterben gewahrt bleiben. Für unsere Ausgangsfrage nach der Reaktion des prätorischen Erbrechts auf die zivile Neuerung ergibt sich sohin: der Prätor baut sie ohne Schwierigkeit unter Zuhilfenahme schon bestehender rechtlicher Mittel in seine Praxis ein. Er übernimmt aber die Forderung nicht, daß auch vor ihm ein Testament nichtig sei, in welchem ein filius familias unter einer condicio casualis eingesetzt wurde. Einem solchen filius gibt er die b.p. secundum tabu las. Trotzdem verfügt auch er über ein Mittel, den bedrohten Noterben dann zu schützen, wenn eine solche Bedingung wegfällt: er behandelt ihn von da an als übergangen und begegnet diesem Umstand erfolgreich mit der Gewährung der b.p. contra tabulas. Das aber hat wiederum zur Folge, daß es im Bereich der b.p. zunächst zu keiner Sonderbehandlung der sub condicione eingesetzten liberi überhaupt zu kommen braucht, sondern daß sie ebenso wie andere bedingt eingesetzte Erben behandelt werden können. Indem der Prätor das Testament mit bedingter Einsetzung als gültige Grundlage für die Gewährung der b.p. secundum tabulas behandelt, kann er bis zum allfälligen Wegfall alle bedingten Erbeinsetzungen gleich behandeln. Erst von da an wird unterschiedlich weiter verfahren, je nach den Ediktsbestimmungen, die für den jeweils Eingesetzten gelten. Das findet seinen Niederschlag in der schließlich von Ulpian gefundenen "Regel": D. 37,11,6 (Ulp. 8 disp.) Hi demum sub condicione heredes instituti bonorum possessionem secundum tabulas etiam pendente condicione necdum impleta petere possunt, qui utiliter sunt instituti: quod si inutiliter quis sit institutus, nec ad bonorum possessionem inutilis institutio proficit. Für die stets neu zu stellende Frage nach dem Miteinander von zivilem und prätorischem Erbrecht ist dabei freilich festzuhalten, daß dieser so reibungslos wirkende "Einbau" der sub condicione-Einsetzung in die prätorische Praxis der recht systematisch betriebenen Mithilfe der Juristen bedurfte. Das zeigen deutlich die hier vorgelegten Texte. S·
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Der Vollständigkeit halber muß hier auch noch die exheredatio sub condicione erwähnt werden; dies um so mehr, als ihr die ältere Erb-
rechtsliteratur breiteren Raum gibt, als ihr u. E. auf Grund des Quellenmaterials beizumessen ist. Hauptstütze ist ein Text, der ihre Behandlung im prätorischen Bereich erkennen läßt. Erst mit seiner Hilfe können die knappen Aussagen über ihre Stellung im Zivilrecht aufschlußgebend verwendet werden. D. 37,4,18 (Hermog. 3 iuris epit.) Sub condicione exheredatus contra tabulas bonorum possessionem petet, licet sub condicione heres institutus a contra tabulas bonorum possessione excludatur: certo enim iudicio liberi a parentium successione removendi sunt. Ei, qui contra tabulas bonorum possessionem accepit, tarn legati quam fideicommissi exactio, sed et mortis causa donationis retentio denegatur: nec interest, per semet ipsos an per alium quaeratur. Aus der Tatsache, daß der bedingt enterbte Sohn sofort die bonoTum possessio contra tabulas erhält, geht deutlich hervor, daß der Prätor eine bedingte Enterbung nicht anerkennt. Der Grundsatz, dem der Prätor bei der Enterbung folgt, ist in D. 37,4,8 pr. und § 2 von Ulpian dargestellt: (40 ed.) Non putavit praetor exheredatione notatos et remotos ad contra tabulas bonorum possessionem admittendos, sicuti nec iure civili testamenta parentium turbant: sane si velint inofficiosi querellam instituere, est in ipsorum arbitrio. § 2 Non quaevis exheredatio summovet filium a contra tabulas bonorum possessione, sed quae rite facta est. Eine rite facta exheredatio verhindert die Zulassung des Sohnes zur b.p. contra tabulas. Bei Hinzufügung einer Bedingung kann aber die exheredatio nicht als rite facta gelten, weil sie das Noterbrecht nicht voll berücksichtigt. Bis zur Entscheidung über die Bedingung wäre der Sohn als präteriert anzusehen, zumal auch die Abhilfe, die der Prätor im Umkehrfall fand, entfällt: der sub condicione Enterbte kann ja nicht die b.p. secundum tabulas bekommen, weil diese durch die Enterbung gehemmt ist. Indessen bedeutet das nicht, daß sich der Prätor nicht trotzdem bereitfindet, bei einem Fall, den er als echt der Abhilfe bedürftig erachtet, eine Sonderlösung zu finden. D.37,9,1,5 (Ulp. 41 ed.) Sed et si sub condicione postumus sit exheredatus, pendente condicione Pedii sententiam admittimus existimantis posse ventrem in possessionem mitti, quia sub incerto utilius est ventrem ali. Es ist unschwer zu sehen, daß diese Lösung als echte Ausnahmsregelung empfunden wird; dies umsomehr, als sie ja auch eine nur hier zur Verfügung stehende Möglichkeit der Lösung, nämlich den Umweg über den postumus venter wählt, so daß das bisher gezeigte Prinzip hier lediglich umgangen, nicht aber durchbrochen wird.
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Vor dem Hintergrund des so gewonnenen Bildes von der Reaktion des Prätors haben wir noch einen Text vorzustellen, an den Vogel fi3 , wie oben schon kurz angedeutet, die schwerwiegende These knüpft, der sub condicione eingesetzte suus bleibe immer suus. In demselben Zusammenhang versteht er die unmittelbar anschließende Stelle dahin, Ulpian habe den unter einer Potestativbedingung eingesetzten suus etwa wie einen extraneus bewertet gesehen, ob dieser nun bedingt oder unbedingt eingesetzt sei. Die Deutung der beiden Texte ist Vogels einzige Grundlage für die Annahme, das beneficium abstinendi müsse jünger sein als die bedingte Einsetzung des suus, deren weitest vorgetriebene Entwicklung in Maecians Feststellung zu sehen ist, daß auch bloßes si velit als Bedingung zulässig sei. D. 29,4,1,7 (Ulp. 50 ed.) Qui sunt in potestate statim heredes sunt ex testamento, nec quod se abstinere possunt, quicquam facit. quod si postea miscuerunt, ex testamento videntur heredes: nisi si abstinuerint quidem se testamento, verum ab intestato petierint bonorum possessionem: hic enim incident in edictum. Der Text entstammt dem Kommentar zum Titel: Si quis omissa causa testamenti ... und handelt von solchen sui, die erst einen Antrag auf das beneficium abstinendi einbrachten und dann Erbschaftssachen in Besitz nahmen: Ulpian befindet, daß das nichts an ihrer Stellung als Testamentserben ändert. Sollten sie aber das beneficium abstinendi benutzen, um dann die b. p. ab intestato erhalten zu können, dann fallen sie unter die Sanktion des Edikts si quis ... Es ist wohl ein Mißverständnis, wenn man diesen Text auf die bedingte Einsetzung anwendet, weil er eben ohne Zweifel vom prätorischen beneficium abstinendi handelt, das an der ErbensteIlung nie etwas zu ändern vermochte. Erst der anschließende Text spricht von einem sub condicione eingesetzten Erben: D. 29,4,1,8 (Ulp. 50 ed.) Qui sub condicione institutus heres potuit parere condicioni nec paruit, cum condicio talis sit, ut in arbitrio sit heredis instituti, deinde ab intestato possideat hereditatem, debebit edicto teneri, quia eiusmodi condicio pro pura debet haberi. Mit Ausnahme des Schlußsatzes quia eiusmodi ... fügt sich der Text einwandfrei in die Abfolge der von Ulpian vorgelegten Fälle zum genannten Ediktstitel: Wer als bedingt eingesetzter Erbe die Möglichkeit hatte, der Bedingung Folge zu leisten und dies nicht tat, obwohl es sich um eine Potestativbedingung handelte, der wird, wenn er daraufhin die Erbschaft ab intestato besitzt, auf Grund des Edikts haften. Unter die Sanktion des Edikts Si quis omissa causa testamenti fällt also derjenige bedingt eingesetzte Erbe, der willentlich die auferlegte S3
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Potestativbedingung außer Acht läßt, um als bonorum possessor ab intestato etwaige unerwünschte Lasten des Testaments (oder auch nur die in der Bedingung enthaltene) zu umgeheni'. Nun folgt als Schluß unvermittelt eine Begründung: quia eiusmodi condicio pro pura debet haberi. Das stellt das vorher Gesagte geradezu auf den Kopf: ratio der Entscheidung ist doch nicht ein Versuch, die Bedingung wegzufingieren, sondern sie zu schützen! Man wird dieses Satzstück am ehesten· als in den Text geratene Glosse oder als ungeschickt angeklebtes Reststück, vor dem ein verloren gegangener Fall gestanden hat, auffassen müssen. Gewiß kann man aber auf dieses Satzfragment nicht eine These stützen, mit der das Gesamtbild der prätorischen Behandlung der bedingten Erbeneinsetzung ins Gegenteil verkehrt wurde. Das geschähe aber, wenn man hier eine logisch ohne Zusammenhang stehende Äußerung dahin deutete, daß der Prätor den condicioni non parens so stellt wie den Erben, der die auferlegte Bedingung erfülltl9l • Dagegen scheint mir Maecian in der schon oben68 angeführten Stelle einen weiteren Schritt getan zu haben, der zur Klärung des Verhältnisses von bedingter Einsetzung des Sohnes und beneficium abstinendi geeignet erscheint. Nachdem er die Feststellung getroffen hat,- daß bloßes si velit eine taugliche Bedingung darstellt, erklärt er ausführlich, in solchen Fällen sei Enterbung für den Umkehrfall überflüssig, ja geradezu lächerlich, und führt dann aus: D. 28,5,87 (86) 1 (7 fideicomm.) Non ab re autem hoc "loco velut excessus hic subiungetur suis ita heredibus institutis 'si voluerint heredes esse' non permittendum amplius abstinere se hereditate, cum ea condicione instituti iam non ut necessarii, sed sua sponte heredes exstiterunt. sed et ceteris condicionibus, quae in ipsorum sunt potestate, si sui pareant, ius abstinendi adsequi non debent. Bedingt eingesetzte sui, denen lediglich si voluissent als Bedingung gestellt wurde, können nicht auch noch das beneficium abstinendi erhalten. Denn sie wurden letztlich nicht als necessarii Erben, sondern 6{ Wieder paßt sich die prätorische Praxis dem vom ius civile vorgegebenen Rahmen an: dort führt die willentliche Nichterfüllung der Bedingung zum Verlust der Erbschaft. Ausnahmen werden nur für die Fälle gewährt, in denen der Tod die Erfüllung verhindert (z. B. D. 28,5,5). Auch der Prätor trägt der Bedingung Rechnung: er gewährt den durch die Umgehung der Bedingung Benachteiligten actiones und bringt so den Erblasserwillen zur Durchsetzung, hier wohl, indem er den Zustand herbeiführt, den der Erblasser mit der Be-. dingung angestrebt hat. n Dazu kommt übrigens, daß der Ausdruck condicio pura auffällig untechnisch ist. Das VIR (s. v. condicio) weist ihn nur an dieser Stelle aus (Sp.876). 56 Seite 122.
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sua sponte. Maecian tritt sogar dafür ein, ihnen dieses beneficium bei allen Potestativbedingungen zu versagen. Wir wissen nicht, wieviele Juristen ihm in diesem Gedankengang gefolgt sind. Logisch ist er jedenfalls. Wesentlich ist aber für unsere Überlegung, daß hier die weitestgehende Freiheit in der Wahl der Bedingung das beneficium abstinendi nicht nur kennt, sondern im konkreten Fall zu der Neuheit, der bedingten Einsetzung, in Beziehung setzt. Diese Beobachtung erlaubt zunächst, als weiteres Indiz dafür zu dienen, daß das beneficium abstinendi keineswegs erst lange nach der bedingten Einsetzung gefunden wurde. Der Text erweckt vielmehr den Eindruck, daß dem Juristen, der sich um Formulierungen bei der bedingten Einsetzung bemüht, das beneficium abstinendi als selbstverständlich längst bekannte Einrichtung geläufig ist. Eine Frage sei aber angeknüpft. Warum benötigte man dann einen neuen Weg, dem Sohn dazu zu verhelfen, sich der Erbschaft zu entschlagen, wenn es schon lange ein beneficium abstinendi gab? Das wird erklärbar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das beneficium abstinendi zweierlei nicht gewähren kann: es kann nicht zum Aufgeben der Erbenstellung führen, und es kann nie den ausgeschlagenen Nachlaß für einen anderen Erben "retten". Beides ist mit Hilfe der bedingten Erbeneinsetzung möglich. Dies festzustellen scheint wesentlich, um einmal mehr darauf hinzuweisen, mit welchem Geschick immer wieder ziviles und prätorisches Erbrecht nebeneinander entwickelt und aufeinander abgestimmt wurden. IV. Zusammenfassung 1. Die Entwicklung der Möglichkeit, einen suus bedingt als Erben ein-
zusetzen, ist ein wertvolles Beispiel für die praktische Juristenarbeit der Klassik, und zwar für die Arbeit am Erbrecht des ius civile. Hans Julius Wolff"7 hat bei der Pupillarsubstitution Ähnliches beobachtet. Denn wir haben auch hier ein Beispiel für die Arbeit der Klassiker, die imstande war, die Bedürfnisse des Lebens hinsichtlich einer Rechtseinrichtung zu entfalten und mit den logischen Erfordernissen des bereits bestehenden Systems in Einklang zu bringen58 • Diese Neueinführung wird entwickelt als selbständiges Ergebnis klassischen römischen Erbrechts.
67 Studi Riccobono 3, 437 ff.; wesentliche Bezüge: die Durchleuchtung des heres-Begriffes. 58 Derselbe, S. 466.
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2. Die Frage nach der Reaktion des Prätors auf eine solche zivile Neueinführung läßt sich auch hier dahin beantworten, daß der Prätor der Neuerung voll Rechnung trägt. Es konnte aber gezeigt werden, daß das prätorische System bereits wendig genug war, um der neuen Rechtseinrichtung mit eigenen Mitteln Rechnung zu tragen. 3. Dogmatisch ist für das ius civile wesentlich, daß hier ein Weg entwickelt wird, mittels welchem auch für den suus die Delation möglich und zulässig wird. Das bedeutet aber nicht nur die technische Neuerung für den suus selbst, sondern führt zu der Möglichkeit, daß es nun bei Ausschlagen des suus einen Weg gibt, andere Erben zu berufen und diese Chance durch eine entsprechende Formulierung der Bedingung erheblich zu variieren. 4. Der praktische Wert der Schaffung der bedingten Einsetzung besteht einmal in der Ermächtigung an den Hausvater, echte Bedingungen, an deren Erfüllung ihm lag, in das Testament zugunsten seines suus einzubauen. Zum andern aber erhält der Erblasser die Gelegenheit, regulierend vorzusorgen, wenn er erreichen will, daß seinem Sohn gewisse Lasten der Erbschaft erspart bleiben, ohne daß er deshalb leer ausgehen müßte. Dabei ist gegenüber der ursprünglich ja schon zulässigen exheredatio als Vorteil zu vermerken, daß es jetzt in viel stärkerem Maße möglich wird, den Willen des Sohnes bei solchen Auflagen zu berücksichtigen. Das hat schließlich zum weiteren Schritt geführt, daß man in der sub condicione-Einsetzung ein brauchbares Mittel fand, um dem Sohn echt freizustellen, ob er Erbe werden wollte oder nicht, ohne deshalb zu bewirken, daß dann kein anderer Erbe zum Zuge kam. Fragt man abschließend, worin nun das besondere Geschick der beteiligten Juristen bestanden habe, so wird sich zweifelsohne als hervorstechender Eindruck die Wahrnehmung anbieten, daß es ihnen gelungen ist, dem uralten und schwerfällig wirkenden Noterbrecht ebenso Rechnung zu tragen wie dem für sie ganz modernen Bedürfnis der Möglichkeit des Verzichtes. Dies geschah, indem man eine besondere Flexibilität bei der Entscheidung über die Natur der Bedingung fand. Indem man von Fall zu Fall entschied, ob es sich um eine Potestativbedingung gehandelt habe oder nicht, verhütete man eine Benachteiligung nach den Grundsätzen des alten Noterbrechtes und fand zugleich tatsächlich eine Möglichkeit, die schließlich sogar den Verzicht des Sohnes reibungslos ermöglichte.
Der Erwerb des Pfandes durch den Pfandgläubiger im klassischen und im nachklassischen Recht Von Frank Peters
Inhalt I. Einleitung. - 1. Die Behandlung im geltenden Recht. - 2. Problemstellung. - H. Der Verkauf des Pfandes durch den Gläubiger an einen Strohmann. - IH. Der Verkauf des Pfandes durch den Schuldner an den Gläubiger. - 1. Rechtstechnische Probleme. - 2. Der Schutz des Schuldners vor einer wucherischen Ausbeutung. - 3. Der Schutz nachrangiger Gläubiger; der Schutz des Schuldners bei einem Kauf des Pfandes durch nachrangige Gläubiger. - IV. Die datio in solutum des Pfandes. - 1. Zum Unterschied zwischen Kauf und datio in solutum des Pfandes. - 2. Der Schutz des Schuldners vor einer wucherischen Ausbeutung im spätklassischen Recht. 3. Die Haltung Diokletians. - V. Zusammenfassung. - VI. Konstantin CTh. 3.2.1. und das Verbot der lex commissoria des Pfandes. - 1. Bestimmung der verbotenen Abreden. - 2. Die Rechtsfolgen des Verbots. - 3. Die Verwendung des Ausdrucks "lex commissoria".I. Einleitung Der Erwerb des Pfandes durch den Pfandgläubiger ist ein Vorgang, der den heutigen Juristen mit zwiespältigen Gefühlen erfüllt. Zwar weiß er gegen derartige Geschäfte in rechts technischer Hinsicht nichts einzuwenden, um so mehr aber in rechtspolitischer. Denn ein angemessener Preis für die Sache ist nur selten gewährleistet. Der Pfandgläubiger wird oftmals bestrebt sein, dem kreditsuchenden Schuldner eine Vereinbarung aufzunötigen, nach der ihm der Pfandgegenstand an Zahlungs Statt gehören soll, wenn der Kredit nicht rechtzeitig getilgt wird. Das erscheint unbillig, wenn der Wert des Pfandes höher ist als der Kredit, was regelmäßig der Fall sein wird. Auf der anderen Seite wird ein Schuldner, der dringend Geld benötigt, geneigt sein, jegliche Verfallsklausel zu akzeptieren: Entweder wird er zu Unrecht hoffen, daß er in der Lage sein werde, das Pfand rechtzeitig auszulösen, oder seine Geldnot ist so dringend, daß es ihm unmöglich ist, auf fairen Vertragsbedingungen zu bestehen. - Im folgenden sollen die Grundsätze zur Diskussion gestellt werden, die die römischen Juristen zu diesem Problem entwickelt haben. Zwar finden sich in der neueren Literatur mehrere Stellungnahmen: von Burdese und Kaser, Levy und Feenstra,
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von Lilbtow und Frezza und schließlich von Biscardi1• Sie fügen sich jedoch nicht zu einem einheitlichen Meinungsbild zusammen, so daß schon deshalb das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen sein dürfte. 1. Zur Verdeutlichung der Problematik ist es vielleicht zweckmäßig, zunächst kurz die Regeln des geltenden Rechts darzustellen. § 1229 BGB2 verbietet den Erwerb des Pfandes durch den Pfandgläubiger. Aber nur für bestimmte Fälle. Verboten ist es, vor der Pfandreife zu vereinbaren, daß die Nichteinlösung des Pfandes seinen Verfall zur Folge haben soll. Möglich ist es also, eine solche Vereinbarung nach Eintritt der Pfandreife zu treffen. Möglich ist es ferner, daß der Pfandgläubiger die Sache unabhängig von der Rückzahlung der Schuld - gleichsam wie ein Dritter - erwirbt. Ob diese beiden Einschränkungen des Schuldnerschutzes sinnvoll sind, ist zu bezweifeln3 • Darüber hinaus kann sich der Gläubiger das Eigentum an dem Pfandgegenstand nach § 1239 BGB dadurch verschaffen, daß er auf der von ihm eingeleiteten Versteigerung mitbietet. Den Schutz des Schuldners gewährleistet dann die gewählte Verwertungsart. Und schließlich kann sich der Gläubiger nach 1 Burdese, Lex eommissoria e ius vendendi nella fiducia e nel pignus (1949) insbes. 110 ff.; Kaser, Besprechung von Burdese, op. cit., SZ 67 (1950) 557 ff.; Levy, Weströmisches Vulgarrecht. Das Obligationenrecht (1956) 186 ff., Feenstra, Besprechung von Levy, op. eit., SZ 74 (1957) 500 ff. (513 ff.); von Lübtow, Catos leges venditioni et loeationi dictae, Symb. Taubenschlag III (1956) 227 ff. (331 ff.); Frezza, Le garanzie delle obbligazioni. II: Le garanzie reali, 1963; Biseardi, La lex eommissoria nel sistema delle garanzie reali, St. Betti II (1962) 573 ff. Aus älterer Zeit vgl. vor allem Dernburg, Das Pfandrecht nach den Grundsätzen des heutigen römischen Rechts II (1864) insbes. 163 ff., 273 ff.; Steiner, Datio in solutum (1914) 106 ff. Nur mit dem Namen des Verfassers zitiert werden die Abhandlungen von Biseardi, Burdese, Dernburg, Frezza, Levy, von Lübtow und Steiner. 2 Für das Hypothekenrecht vgl. die Parallelvorschrift des § 1149 BGB. 3 Es ist zuzugeben, daß der Grundsatz der Privatautononomie eine Begrenzung des Verbots nahelegt. Auch ist die Gefährdung des Schuldners in den genannten Fällen geringer: Nach Eintritt der Pfandreife hat er einen Anspruch auf eine ordnungsgemäße Verwertung des Pfandes, steht dem Gläubiger also freier gegenüber. Im übrigen ist es gerade die Bedingung der nicht rechtzeitigen Befriedigung des Gläubigers, die ihn gefährdet. An ihren Eintritt wird er in der Regel nicht glauben und insofern die Tragweite der Verfallsklausel unterschätzen. "Hoffen und Harren macht manchen zum Narren: das ist das eigentliche Motto unseres Verbotes", bemerkt Raape, Die Verfallklausel bei Pfand und Sicherungsübereignung (1913) 13. Aber gleichwohl entfällt nicht jedes Schutzbedürfnis des Schuldners bei einer Verfallsabrede, die nach Eintritt der Pfandreife getroffen wird, oder bei einem Verkauf des Pfandes unabhängig von der Rückzahlung der Schuld. Der Gläubiger kann den Schuldner auch insoweit unter Druck setzen, indem er ihm etwa weitere Kredite zu sperren droht, vgl. Raape, 25 f., zu den vielfältigen Möglichkeiten des Gläubigers. Das Gesetz selbst erkennt dies an, wenn es auch Abreden verbietet, die in der Zeit zwischen der Verpfändung und der Pfandreife getroffen werden. Daß es mit der letzteren eine zeitliche Grenze zieht, ist nicht konsequent ..
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§825 ZPO das Eigentum an einer im Wege der Zwangsvollstreckung gepfändeten Sache zuweisen lassen. Dabei wahrt die richterliche Kontrolle die Interessen des Schuldners'. 2. Was das römische Recht betrift, so ist eine frühe Zeit aus der Betrachtung auszuschließen, in der das pignus regelmäßig Verfallspfand warli. Ob und inwieweit der Schuldner dabei vor einer Übervorteilung geschützt war, ist nicht mehr zu ermitteln. Unser Interesse soll vielmehr dem entwickelteren Recht gelten, in dem das ius vendendi des Gläubigers im Vordergrund steht, seine Befriedigung also regelmäßig durch die Veräußerung des Pfandes erfolgt. Dabei stellen sich folgende Fragen: a) Kann der Gläubiger sein ius vendendi in der Weise ausüben, daß er die Sache an sich selbst oder an einen für ihn handelnden Mittelsmann veräußert? b) Die Quellen bezeichnen es mehrfach als zulässig, daß der Gläubiger die Sache von dem Schuldner kauft oder daß er sie sich an Erfüllungs Statt übereignen läßt. Hier ist primär zu überlegen, welche Kautelen für den Schuldner und für nachrangige Gläubiger bestehen. Zu klären ist aber auch das Verhältnis dieser beiden Geschäfte zueinander. Schließlich wird eine Erklärung dafür zu suchen sein, daß sie zwar recht häufig, aber nur für die spätklassische Zeit belegt sind. c) Eine Konstitution des Kaisers Konstantin aus dem Jahre 320 verbietet die lex commissoria des Pfandes, die Abrede des Pfandverfalls. Insoweit ist unklar, welche konkreten Abreden betroffen sein sollen, insbesondere, ob sich das Verbot auch auf den Kauf des Pfandes und seine datio in solutum bezieht. Endlich ist zu fragen, ob zwischen diesen Geschäften und der lex commissoria des Kaufes Beziehungen bestehen, die über das rein Terminologis'che hinausgehen.
, Obwohl die Belange des Schuldners bei der Zuweisung der Sache an den Gläubiger gemäß § 825 ZPO am wenigsten gefährdet sind, wird in den Kommentaren betont, daß von dieser Möglichkeit nur in seltenen Fällen Gebrauch gemacht werden sollte, vgl. Stein - Jonas - Schönke - Pohle, ZPO (18. Aufl. 1956) Anm. I 2 zu § 825, Thomas - Putzo, ZPO (4. Aufl. 1970) Anm. 3 b zu § 825. 5 Vgl. dazu Kaser, SZ 67 (1950) 563 ff., St. Grosso I (1968) 31 m. Anm. 9, RPR I 470, Frezza, 82, Burdese, 110 ff., der allerdings zu Unrecht annimmt, noch das klassische Recht habe - als einen Vorläufer der lex commissoria des Pfandes, von der Konstantin in CTh.3.2.1 spricht, - ein Verfallspfand gekannt. Dagegen Kaser, SZ 67 (1950) 563 ff., sowie unten VI 1. Vgl. ferner für den Bereich der fiducia, wo die Rechtslage ähnlich gewesen sein wird, Erbe, Die fiducia im römischen Recht (1940) 37 ff., KreUer, SZ 61 (1941) 467, Burdese, 10 ff., Kaser, SZ 67 (1950) 558 f.
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11. Der Verkauf des Pfandes durch den Gläubiger an einen Strohmann Die Frage, ob der Gläubiger das reife Pfand an sich selbst veräußern darf, wird in den Quellen nicht erörtert. Schon das spricht für ihre Verneinung. Ein solches Insichgeschäft ist für das römische Recht auch kaum vorstellbare. Zweifelhafter ist es, ob der Gläubiger eine dritte Person vorschieben kann, die die Sache für ihn erwirbt. Die Paulussentenzen erklären einen derartigen Verkauf jedenfalls dann für unwirksam, wenn er gegen den Willen des Schuldners erfolgt; sie lassen die bisherigen Rechte an der Sache unverändert fortbestehen: P. S. 2.13.4 Si per suppositarn personam creditor pignus suum invito debitore comparaverit, emptio non videtur et ideo quandoque lui potest: ex hoc enim causa pignoris vel fiduciae finiri non potest. Die Stelle wird zwar überwiegend wegen ihres Zusammenhanges ausschließlich auf die fiducia bezogen7 • Ihrem Wortlaut entsprechend besitzt sie aber doch wohl auch Aussagekraft für das pignus. Es wäre nicht einzusehen, warum insoweit etwas anderes gelten sollte. Demgegenüber scheint Marcellus eine abweichende Auffassung vertreten zu haben: D.13.7.34 (Marcellus 1. sing. resp.) Titius cum credidisset pecuniam Sempronio et ob eam pignus accepisset futurumque esset, ut distraheret eam creditor, quia pecunia non solveretur, petit acreditore, ut fundum certo pretio emptum haberet, et cum impetrasset, epistulam, qua se vendidisse fundum creditori significaret, emisit: quaero, an hanc venditionem debitor revocare possit offerendo sortern et usuras quae debentur. Marcellus respondit secundum ea quae proposita essent revocare non posse. Der Sachverhalt ist nicht ganz eindeutig. Gemeinhin werden drei Personen als beteiligt angesehen: Titius, Sempronius und ein Dritter, der in der Stelle nur einfach als creditor bezeichnet wird8 • Dann ist die Lage folgende: TitiuS' gewährt Sempronius mit dem Gelde des Dritten ein Darlehen, das durch ein Pfand gesichert wird. Sempronius zahlt das Geld nicht rechtzeitig zurück, und Titius bittet daraufhin den Drit8
Dernburg, 163.
Vgl. nur Erbe, a.a.O. (Anm. 5) 63, 80, Burdese, 38 Anm. 4. Dagegen außer den von Burdese Genannten noch Levy, 193 f. 8 Erbe, a.a.O. 63, Burdese, 39 Anm., deren Verständnis der Stelle mit dem hier vertretenen übereinstimmt. Früher bereits Heck, SZ 10 (1889) 87 ff., der aber die Person des Dritten anders bestimmt, als es hier geschieht, nämlich als einen Schuldner des Sempronius, der für dessen Sicherheit ein Grundstück an Titius als den Gläubiger des Sempronius manzipiert. Sempronius verkaufe das Grundstück dann an Titius, und Marcellus bejahe die Bindung des Dritten an diesen Verkauf. Eingehende Kritik an dieser Interpretation bei Oertmann, Die fiducia im römischen Privatrecht (1890) 147 ff., Niemeyer, SZ 12 (1892) 303 ff., Göppert, SZ 13 (1892) 325 ff. Heck kann die Annahme von Interpolationen nicht vermeiden und läßt Titius eine ihm bereits gehörende Sache kaufen. 7
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ten, das verpfändete Grundstück zu einem bestimmten Preis zu übernehmen, erreicht dies und macht dem Sempronius eine entsprechende Mitteilung. Nunmehr will dieser das Pfand auslösen, muß sich aber von dem Juristen sagen lassen, daß das nicht mehr möglich sei. Demgegenüber spricht das Fragment nach Ansicht von Manigk und Kreller" nur von zwei Personen, Titius und Sempronius. Sempronius biete das Grundstück bei Pfandreife dem Gläubiger Titius zum Verkauf an; dieser sei einverstanden. Marcellus entscheide, daß Sempronius von dem vollzogenen Kauf nicht mehr zurücktreten könne. Man wird der erstgenannten Interpretation den Vorzug geben müssen. Subjekt zu petit a creditore ist Titius, nicht Sempronius; er kann also mit dem creditor nicht identisch sein. Bei einer Beteiligung von nur zwei Personen wäre außerdem die Mitteilung von dem Abschluß des Kaufvertrages nicht recht verständlich. Nach dem Wortlaut des Fragments würde Sempronius dem Titius mitteilen, daß dieser sein Kaufangebot angenommen habe. Und wenn wirklich Sempronius den Kauf des Grundstücks angeregt haben sollte, dann ist nicht einzusehen, warum er jetzt auf die Rückgabe dringt. Schließlich paßt das Motiv des Verkaufs - quia pecunia non solveretur - nicht zu dem von Manigk und Kreller angenommenen Sachverhalt. Dieser Umstand kann nur einen Pfandgläubiger zu Verkaufsverhandlungen veranlassen, nicht aber einen Schuldner, der die Sache später wieder auslösen will. Ist dies richtig, dann steht die Stelle in einem Widerspruch zu den Paulussentenzen, sofern man noch ein weiteres unterstellt, daß sich das Fragment tatsächlich auf ein pignus bezieht. Veranlaßt durch das eam distraheret will nämlich Lenel und mit ihm die überwiegende Lehre fiduciam für pignus einsetzenlO • Aber dieses Interpolationsindiz ist nicht zwingend. Man kann einfach mit Haloander und Manigk zu eam ein rem ergänzenl l . Davon abgesehen kann es für die rechtliche Beurteilung keinen Unterschied machen, ob das Grundstück verpfändet oder zur Sicherheit übereignet worden war. Marcellus betont also den Umstand, daß der Pfandverkauf formell untadelig ist, während der Sentenzenverfasser die Gefahr einer Kollusion zum Nachteil des Verpfänders herausstellt. Die wirtschaftliche Tragweite der Meinungsdivergenz darf allerdings nicht überschätzt werden. Zwar muß der Schuldner bei Marcellus auf die Sache verzichten, aber ihm verbleibt jedenfalls die actio pigneraticia, mit der er in • Manigk, RE 6 2304 f. (fiducia), KreUer, SZ 61 (1941) 466 Anm. 19. 10 Lenel, Paling., Marcellus Nr. 278, Heck, SZ 10 (1889) 87 ff., Oertmann . Fiducia (1890) 36 f., Manigk, Pfandrechtliche Untersuchungen I (1904) 86 Anm. 2 (vgl. aber die folg. Anm.), Erbe, Fiducia (1940) 63, Burdese, 39. 11 Vgl. Manigk. RE 6 2304 f. (fiducia).
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Fällen dieser Art wohl nicht nur den Betrag herausverlangen kann, um den der vereinbarte Kaufpreis die gesicherte Forderung übersteigt12, das würde ihm kaum etwas bringen, da der Gläubiger keinen Preis ausmachen wird, der über der gesicherten Forderung liegt, - sondern mit der er vermutlich denjenigen Betrag verlangen kann, um den der wahre Wert der Sache die gesicherte Forderung übersteigt13.
m.
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Praktisch bedeutsamer scheinen die Fälle gewesen zu sein, in denen der Schuldner selbst die verpfändete Sache an den Gläubiger veräußert. 1. Daß solche Geschäfte rechtstechnisch möglich sind, haben offenbar erst die Spätklassiker anerkannt. Zwar wissen wir von keinem Juristen der Früh- oder Hochklassik, der die grundsätzliche Zulässigkeit eines Verkaufs des Pfandes durch den Schuldner an den Gläubiger ausdrücklich geleugnet hätte. Aber es ist auffällig, daß unser durchaus reichliches Quellenmaterial erst in der Spätklassik einsetzt1 4 und dabei mit zwei Fragmenten beginnt, in denen sich Papinian mit dogmatischen Bedenken auseinandersetzt, die gegen einen derartigen Verkauf vorgebracht werden könnten. In D. 20.5.12 pr. berichtet Tryphonin von einem Reskript, das zu einer Zeit erging, als Papinian Leiter der kaiserlichen Kanzlei war: Tryph. 8. disp. Rescriptum est ab imperatore libellos agente Papiniano creditorem a debitore pignus emere posse, quia in dominio manet debitoris.
Gegen einen Verkauf des Pfandes durch den Schuldner an den Gläubiger ist nichts einzuwenden, weil die Sache trotz der Verpfändung im Eigentum des Schuldners verbleibt, so daß er seine Verfügungsbefugnis behält. Und in fr. vat. 9 betont Papinian, daß der Kaufvertrag unter der - heute unzulässigen - Bedingung stehen dürfe, daß die gesicherte Forderung nicht rechtzeitig getilgt wird. Auch sei der Kaufpreis nicht zu unbestimmt, wenn er aus der Forderung samt den aufgelaufenen Zinsen bestehen soll: Pap. 3. resp. Creditor a debitore pignus recte emit, sive in exordio contractus ita convenit sive postea; nec incerti pretii venditio videbitur, si 11 Die Hyperocha wird das regelmäßige Ziel der actio pigneraticia gewesen sein, wenngleich die Quellen insoweit undeutlich sind, vgl. Kaser, Quanti ea res est (1935) 79 f. 13 Als Schadensersatz aus dem Gedanken der Verletzung des pignus-Kontrakts. 14 Zuweilen wird in der Literatur in diesem Zusammenhang noch Scaev. D. 18.1.81 pr. angeführt, vgl. etwa Burdese, 121 f., von LiLbtow, 335 f., Frezza, 228. Doch liegt dieser Fall anders: Nicht der Gläubiger erwirbt die verpfändete Sache, sondern ein Bürge.
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eonvenerit, ut peeunia fenoris non soluta ereditor· iure empti dominium retineat, eum sortis et usurarum quantitas ad diem soluendae peeuniae praestitutam eerta sit. Eine weitere Erwähnung findet das unter Federführung Papinians entstandene Reskript, VOn dem Tryphonin in D. 20.5.12 pr. spricht, bei Marcian D. 20.1.16.9: Mareian. 1. sing. ad form. hypo Potest ita fieri pignoris datio hypotheeaevel5 , ut, si intra eertum tempus non sit soluta peeunia, iure emptoris possideat rem iusto pretio tune aestimandaml8 : hoc enim easu videtur quodammodo eondicionalis esse venditio17 et ita divus Severus et Antoninus reseripseruntl8• Wie Papinian in fr. vat. 9 stellt Marcian heraus, daß die Parteien schon aoläßlich der Verpfändung eine Verkaufsabrede für den Fall treffen können, daß die gesicherte Forderung nicht rechtzeitig getilgt wird. Der Kauf ist dann als bedingt anzusehen, bedingt freilich nicht durch die endgültige Feststellung des Kaufpreises, sondern eben durch die Säumnis des Schuldners1g• Die angeführten Fragmente lassen es als recht sicher erscheinen, daß der Erwerb des Pfandes durch den Gläubiger in der Zeit vor Papinian ,als unzulässig angesehen wurde. Die Juristen würden sich sonst nicht in einer so prononcierten Weise für die Zulässigkeit derartiger Geschäfte aussprechen. Das kann insofern nicht überraschen, als sich das römische Pfandrecht bis in die spätklassische Zeit hinein in der Entwicklung befindet20 • Wir stoßen allerdings auf Schwierigkeiten, wenn wir die Gesichtspunkte zu bestimmen versuchen, die noch die hochklassischen Juristen zur Ablehnung dieser Geschäfte veranlaßten. Es ließe sich zunächst denken, daß die Zweifel, gegen die sich Papinian wendet, mit der Abkehr von dem ursprünglichen Verfallspfand 15 Ob hypotheeaeve ein späterer Einschub ist, ist für unseren Zusammenhang ohne Bedeutung. Dafür etwa Fehr, Beiträge zur Lehre vom römischen Pfandrecht (1910) 103, Beseler, Beitr. 11 58, AlbertaTio, Studi 111 566. Ohne Verdacht insoweit BlUrdese, 120, von Lübtow, 334, Frezza, 227. 18 Zu dem einhellig als unecht angesehen iusto pretio tune aestimandam unten III 2 b. 17 Hoc enim ... venditio hält von Lübtow, 335 f., für eine Glosse. Anders Burdese, 123. In der Tat dürfte das von von Lübtow gerügte quodammodo als Verdachtsmoment allein nicht ausreichen, wenngleich es mißverständlich ist, da an der Bedingtheit des Kaufes keine Zweifel bestehen können. 18 Ebrard, Die Digestenfragmente ad formulam hypotheeariam (1917) 92 m. Anm. 23, bezeichnet das Fragment als "unheilbar interpoliert". Aber es ergibt mit den in· den vor. Anm. genannten Einschränkungen einen guten Sinn. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Kompilatoren den Inhalt des auch anderweitig erwähnten Reskripts grundlegend geändert haben sollten. I' Denn der Kaufpreis ist in Fällen dieser Art von vornherein bestimmt, wie der Schluß von fr. vat. 9 zeigt. Sonst ist das Geschäft überhaupt unwirksam. !O Vgl. zuletzt Kaser, St. Grosso I (1968) 29 ff.
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und der Hinwendung zu einer Befriedigung des Gläubigers durch einen Verkauf der Sache an einen Dritten zusammenhängen. Dieser Umschwung könnte die Vorstellung erweckt haben, daß sich der Gläubiger nun auch stets mittels seines ius vendendi zu befriedigen habe. Aber dagegen spricht, daß das ius vendendi schon seit der vorklassischen Zeit überliefert ist21 • Es kann also zur Zeit Papinians kaum noch den genannten Schluß nahe gelegt haben. Bedeutsamer könnte deshalb die Erwägung sein, daß die Bestellung des Pfandrechts zu einer Verfügungsbeschränkung des Schuldners führt. Vor allem Rabel hat gezeigt, daß der Pfandgeber in zahlreichen alten Rechten die Befugnis zu weiteren Verfügungen über die Sache einbüßt22 . Im römischen Recht kommt dies insbesondere darin zum Ausdruck, daß das ältere Recht die mehrfache Verpfändung einer Sache noch nicht kannte. Man behalf sich zunächst mit einem aufschiebend bedingten Pfandrecht des zweiten Gläubigers an der Sache oder gar mit einem Pfandrecht an der Hyperocha und gelangte erst allmählich zur Anerkennung einer mehrfachen Verpfändung im eigentlichen Sinne 23 . Der Gesichtspunkt einer Verfügungsbeschränkung des Schuldners wird eine Zeitlang eine Rolle gespielt haben. Kaum aber bis hin zu Papinian, obwohl das quia in dominio manet debitoTis in D. 20.5.12 pr. darauf hinzudeuten scheint. Denn eine echte mehrfache Verpfändung der Sache ist schon bei Marcellus belegt24, ihre Veräußerung durch den Schuldner an einen Dritten bei Scaevola!6. Insofern wird der Schlußsatz von D. 20.5.12 pr. nur sagen wollen, daß es sich bei dem pignus eben nicht um eine fiducia handelt, bei der die Verfügungsbefugnis des Schuldners zwangsläufig erlöschen muß28. Für die letzte Zeit vor Papinian wird der maßgebliche Gesichtspunkt weniger in der Person des Schuldners zu suchen sein als vielmehr in der des Gläubigers. Die Römer haben den Kauf der eigenen Sache stets als unmöglich betrachtet27 , und so mag es ihnen auch eine befremdliche Vorstellung gewesen sein, daß der Gläubiger, der Inhaber eines ius u BUTdese, 131 ff., KaseT, SZ 67 (1950) 565 f. Vgl. insbesondere Serv./Ulp. D. 47.10.15.32; dazu BUTdese, 140. U Die Verfügungsbeschränkungen des Verpfänders (1909) (= Ges. Aufsätze, IV (1971) 167 ff.); vgl. ferner De RuggieTo, Il divieto d'alienazione del pegno nel diritto greco e romano (1910), EgeT, SZ 31 (1910) 456 ff., FTezza, 238 ff. IS Dazu neuestens KaseT, St. Grosso I (1968) 29 ff. m. weit. Nachw. Z4 D. 44.2.19; vgl. KaseT, St. Grosso I 43 ff. !5 D.18.1.81 pr.; vgl. BUTdese, 122 f., von Lübtow, 335 f., FTezza, 228 f. !8 Ebenso von Lübtow, 335. !7 KaseT. RPR I 549.
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vendendi ist, gleichzeitig die Befugnis haben sollte, die Sache zu kaufen, daß sich in seiner Person also das ius vendendi mit einem "ius emendi" vereinigt. - Auch dies ist freilich nur eine Hypothese. Sicheres können wir nicht ermitteln. 2. a) über den Schutz des Schuldners vor einer wucherischen Ausbeutung geben Papinian in fr. vat. 9 und Marcian in D.20.1.16.9 ersten Aufschluß. Anders als im modernen Recht - § 1229 BGB - war es zulässig, daß der Kauf des Pfandes unter die Bedingung gestellt wurde, daß die gesicherte Forderung nicht rechtzeitig getilgt wurde. Marcian sagt dies mit besonderer Deutlichkeit. Und anders als heute konnte die Koppelung von Kauf und Nichtauslösung des pignus schon bei der Bestellung des Pfandrechts vereinbart werden. Po test ita fieri pignoris datio heißt es bei Marcian, sive in exordio contractus ita eonvenit sive postea bei Papinian. b) Nun ist es weiter denkbar, daß man eine Schädigung des Schuldners durch die Aufstellung bestimmter Regeln über den Kaufpreis zu verhindern suchte, vgl. das iusto pretio tune aestimandam Marcians. Aber diese Worte sind in allzu starkem Maße einer Interpolation verdächtig28 • Sofern sie die Schätzung des Sachwerts einer der Parteien anheimstellen wollen, müßte dies zwar nicht ohne weiteres zur Nichtigkeit des Kaufes führen, da die Bestimmung des Preises nicht nach freiem Ermessen erfolgen soll, sondern nach dem Maßstab eines redlichen Mannes29 • Und zulässig wäre erst recht die Bestimmung durch einen Dritten30 , wenngleich die Stelle hiervon nichts Näheres sagt. Aber Hinweise, daß der Erwerb des Pfandes durch den Gläubiger nur dann zulässig sei, wenn der Kaufpreis nach objektiven Maßstäben bemessen wird, fehlen in allen anderen Fragmenten, die sich mit solchen Geschäften befassen. Insbesondere in den beiden grundlegenden Fragmenten D. 20.5.12 pr. und fr. vat. 9 wären sie zu erwarten. Die letztere Stelle läßt sogar einen Kaufpreis zu, der sich aus der gesicherten Forderung und den aufgelaufenen Zinsen zusammensetzt - ein Betrag, der durchaus nicht an dem Verkaufswert der Sache orientiert sein muß, sondern wesentlich unter ihm liegen kann. Eine derartige Festlegung des Kaufpreises müßte auch angesichts des klassischen Grundsatzes überraschen, daß die Parteien den Preis einer Sache nach ihrem BelieE8 Vgl. außer den im Index Itp. Genannten noch Burdese, 120, Levy, 190 Anm. 184, von Lübtow, 334, Feenstra, SZ 74 (1957) 514 Anm. 28, Frezza, 227. 28 Zur Zulässigkeit einer Bestimmung der Leistung durch eine der Parteien vgl. Albertario, Studi III 285 ff., 313 ff., 331 ff., VI 273 ff., Solazzi, Mouseion 3 (1927) 235 ff., Grosso, SD 1 (1935) 83 ff., 3 (1937) 440 ff., Obbligazioni, 3. Aufl. 1966, 106 ff., Schulz, SZ 48 (1928) 609 ff., Kaser, RPR I 490. 30 Grosso, Obbligazioni 97 ff.
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ben bemessen können31 • Schließlich fehlt es nicht an einem Interpolationsmotiv: Die Kompilatoren übernehmen eine Konstitution Konstantins, die die Abrede des Pfandverfalls verbietet32 , und können also gut iusto pretio tune aestimandam zu Harmonisierungszwecken in D. 20.1.16.9 eingefügt haben. Die Freiheit, mit der die Parteien offenbar auch den Preis eines verpfändeten Gegenstands aushandeln konnten, schließt es nicht aus, daß sie in der Praxis der Zeit Papinians regelmäßig den wahren Sachwert berücksichtigten. Dazu paßt es, daß erst Konstantin, der die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse des vierten Jahrhunderts vor Augen hat, darüber Klage führt, daß sich die Fälle einer Ausbeutung des Schuldners durch Verfallsabreden vermehrten33 • Denkbar, wenngleich durch unser Quellenmaterial nicht näher zu belegen, ist auch Folgendes: Dieselben spätklassischen Juristen, die den Kauf des Pfandes durch den Gläubiger ohne jede Einschränkung zuließen, unterwarfen die datio in solutum des Pfandes für die gesicherte Forderung scharfen Restriktionen34 • Insofern könnten sie in Fällen, in denen die Parteien die Gegenleistung, die der Schuldner für den Verlust der verpfändeten Sache erhielt, nicht nach. ihrem Verkaufswert, sondern ausschließlich nach der Höhe der gesicherten Schuld bemessen hatten, eine datio in solutum angenommen haben, auch wenn die Parteien selbst von einem Verkauf des Pfandes gesprochen hatten. Der Verkauf des Pfandes und seine Hingabe an Erfüllungs Statt sind ja Geschäfte, die sich nach ihrem äußeren Erscheinungsbild kaum voneinander unterscheiden lassen35 • e) Nach Ansicht von Levy haben sich allerdings im klassischen Recht besondere Schutzmaßnahmen für den Verpfänder, der sich auf einen Verkauf der Sache an den Gläubiger einließ, schon deshalb erübrigt, weil er mit der aetio pigneraticia die Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem wahren Sachwert habe herausverlangen können 36 • Dieser Schutz wäre in wirtschaftlicher Hinsicht dem von § 1229 BGB gewährten überlegen. Er bleibt hinter dieser Vorschrift nur dadurch zurück, daß er dem Schuldner nicht die Möglichkeit bietet, die Sache selbst zurückzuerlangen. Aber insoweit ist der Ver31 Pomp.lUlp. D. 4.4.16.4, Paul. D. 19.2.22.3; dazu statt aller Arangio-Ruiz, La compravendita in dir. rom. (2. Aufl. 1954) 141 ff. S! C. 8.34.3, dazu unten VI.
aa Quoniam inter alias captiones praecipue commissoTiae legis crescit asperitas in CTh. 3.2.1 (= CJ. 8.34.3); vgl. unten VI. 34 35 S8
Unten IV 2. Vgl. zur Abgrenzung unten IV 1. A.a.O. 190. Früher schon in diesem Sinne Manigk, RE 201272 (pignus).
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pfänder, der die Sache nicht rechtzeitig auslösen kann, auch nicht als schutzwürdig zu betrachten. Er würde sie ja auch bei einer normalen Verwertung einbüßen. Der von Levy postulierte Anwendungsbereich der actio pigneraticia ist mit der Formel der Klage, wie sie Lenel rekonstruiert37 , grundsätzlich vereinbar: S .. p. Am. Am. No. No. rem q. d. a. ob pecuniam debitam pignori dedisse eamque pecuniam solutam eove nomine satisfactum esse aut per Nm. Nm. stetisse, quo minus solveretur, eamque rem Ao. Ao. redditam non esse, quanti ea res erit, et rel. Die Bestellung des Pfandrechts ist erfolgt, die gesicherte Forderung - allerdings in besonderer Weise - getilgt, und die Sache ist auch nicht an den Verpfänder zurückgegeben worden. Das quanti ea res erit könnte dem Richter Raum für die Berücksichtigung des wahren Sachwerts lassen. Gleichwohl dürfte der Gedanke Levys mit Feenstra und von Lübtow abzulehnen sein38 • Beide Autoren verweisen zu Recht auf Pap. fr. vat. 9. Zwar kann es entgegen Feenstra für unseren Zusammenhang noch nicht den Ausschlag geben, daß Papinian von einer actio pigneraticia des Schuldners nichts sagt, denn sie ist ersichtlich nicht das Problem, das ihn an dieser Stelle beschäftigt. Wohl aber läßt sich ein Argument gegen die Ansicht Levys aus der Preisvereinbarung der Parteien herleiten, die die ausdrückliche Billigung des Juristen findet. Sie wäre sinnlos, wenn letztlich doch der wahre Wert des Gegenstands entscheiden würde. Außerdem kann die Ermittlung des wahren Sachwerts im Einzelfall schwierig sein. Dann wäre es mißlich, wenn der Richter bei der Ermittlung des quanti ea res erit an den Abreden der Parteien vorbeigehen könnte. Wichtiger noch als fr. vat. 9 ist eine weitere Stelle, auf die sich Feenstra und von Lübtow nicht berufen haben. Es handelt sich um D.13.7.20.3: Paul. 29. ad ed. Interdum etsi soluta sit pecunia, tarnen pigneraticia actio inhibenda est, veluti si creditor pi'gnus suum emerit a debitore. Nach den Worten des Juristen ist die actio pigneraticia des Verpfänders bisweilen aussichtslos, beispielsweise dann, wenn er die Sache an den Gläubiger verkauft hat. Wie man sich das inhibere der Klage technisch vorzustellen hat, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Nicht auszuschließen ist die Möglichkeit einer Denegation39 ; wahrscheinlicher aber ist eine exceptio des GläubiEP 255. Feenstra, SZ 74 (1957) 513 f., von Liibtow, 334. 30 Dies erwägt Kaser, Quanti ea res est (1935) 80 Anm. 11, neben der Möglichkeit einer exceptio. 37
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gers. Insoweit bemerkt Beseler zu Recht, daß dies nach der überlieferten Fassung des Fragments nur eine der actio pigneraticia inhärente exceptio doli sein könne 40 • Er verwirft sie freilich mit der Erwägung, daß erst die Kompilatoren die Klage des Verpfänders zu einem bonae fidei iudicium gemacht hätten, und schlägt stattdessen eine besondere Einrede vor nisi ea res possidenti si bi a debitore venierit. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum nicht bereits der klassische Jurist die actio pigneraticia analog zu den bonae fidei iudicia behandelt haben sollte, obwohl sie eine in factum konzipierte reddere-Formel ohne den Zusatz ex fide bona hatte 41 • Die damit verbundenen Fragen sind hier nicht weiter zu verfolgen. Wichtig ist für uns der weder von Beseler noch von anderen angezweifelte Kern des Fragments, daß der Schuldner dann nicht erfolgreich mit der actio pigneraticia vorgehen kann, wenn er die Sache an den Gläubiger verkauft hat. Paulus schränkt dies auch nicht weiter ein. Es spricht nichts dafür, daß er nur bestimmte Fälle im Auge hat, etwa den von § 1229 BGB als unproblematisch erachteten, daß der Kauf des Pfandes unabhängig von der Tilgung der gesicherten Forderung erfolgt, oder gar nur den Fall, daß es dem Schuldner um die Rückgabe der Sache selbst geht und nicht lediglich um die Erstattung der Differenz zwischen Kaufpreis und Sachwert. Offenbar hält er es für unvereinbar mit der bona fides, daß der Verpfänder nachträglich mit der actio pigneraticia den Kauf korrigiert, dem er selbst zugestimmt hat. d) Den von Levy vermuteten Schuldnerschutz scheint es also nicht gegeben zu haben. Für den Regelfall erscheint ein Schutz des Schuldners vor einer wucherischen Ausbeutung nur in der oben angedeuteten Weise denkbar, daß die Juristen einen Verkauf des Pfandes, der den wahren Sachwert gänzlich außer Betracht ließ, in eine datio in solutum umdeuteten42 • Es wird noch zu zeigen sein, daß der Schuldner bei ihr hinreichend gesichert war 43 • Soweit er freilich dem Verkauf des Pfandes unter rechts- oder sittenwidrigem Zwang des Gläubigers zugestimmt hatte, wurde ihm durch SZ 47 (1927) 365. Keine Schwierigkeiten ergeben sich für diejenigen Autoren, die wie Lenel, EP 255, Segre, St. Fadda VI (1905) 335 ff. (= Sero vari 61 ff.), KreUer, SZ 62 (1942) 171 ff., annehmen, es habe neben der in factum konzipierten reddere-Formel noch eine zweite in ius konzipierte Formel der actio pigneraticia mit dem Zusatz ex fide bona gegeben. Kritisch dazu aber Levy, SZ 36 (1915) 1 ff., Konkurrenzen II 1, 67 Anm. 5, D'Ors, SD 19 (1953) 179 ff., Kaser, RPR I 537. 4! III 2 b. 43 Unten IV 2. 40
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eine in integrum restitutio geholfen. Dies ergibt ein Responsum Diokletians aus dem Jahre 290, C. 8.27.10.1: Impp. Diocletianus et Maximianus AA. Rufino. Sane si debitore distrahente (seil. ereditor) eomparaverit, eonsensu emptionem perfeetam, si neque dolus adversarii neque metus eausa gesta arguentur, revoeari exemplo grave est. Das principium wiederholt die Aussage von Pauli Sent.2.13.4, daß der Gläubiger die Sache gegen den Willen des Schuldners nicht wirksam an eine vorgeschobene Person verkaufen könne. § 1 stellt dann fest, daß ein Verkauf des Pfandes durch den Schuldner an den Gläubiger nur schwerlich für unwirksam erklärt werden könne 44, es sei denn, daß das Geschäft auf Arglist oder Zwang des Gläubigers zurückzuführen sei. Ob dabei der Hinweis auf eine in integrum restitutio propter dolum nur den Rechtszustand der Zeit Diokletians wiedergibt oder auch den der klassischen Periode, ist zweifelhaft45 • Ohne Bedenken wird man dagegen den Hinweis auf eine in integrum restitutio propter metum als auch für das klassische Recht zutreffend ansehen können. Daß wir ihn in unserem Zusammenhang nur an dieser einen Stelle aus relativ später Zeit finden, macht aber deutlich, daß der Schuldner von ihr in der Regel kaum Hilfe erhoffen durfte. Das übliche Druckmittel des Gläubigers, der sich das Pfand verkaufen lassen möchte, ist die Ankündigung, er werde den erbetenen oder weitere Kredite nicht gewähren oder die Zahlungsfrist nicht verlängern. Hierin ist noch kein rechts- oder sittenwidriges' Verhalten zu erblicken. Eine solche Beurteilung ist erst gerechtfertigt, wenn der Gläubiger zusätzliche Pressionen benutzt48 • 3. Ein Kauf des Pfandes durch den Gläubiger kann auch die Interessen dritter Personen gefährden, die an dem Geschäft nicht unmittelbar beteiligt sind. Solche dritten Personen können zunächst die nachrangigen Pfandgläubiger sein. Wenn die Verwertung des Pfandes in der üblichen Weise erfolgt, also dadurch, daß der erste Gläubiger die Sache an einen Außenstehenden verkauft, erwerben sie ein Pfandrecht an der Hyperocha, d. h. an dem Betrag, der von dem Veräußerungserlös nach der Befriedigung des ersten Gläubigers übrig bleibt. Mit einer Hyperocha ist jedoch kaum zu rechnen, wenn der erste Gläubiger die Sache selbst erwirbt. Er wird in aller Regel bemüht sein, den Pfand44 Das exemplo stört den Zusammenhang. Vermutlich ist hinter diesem Wort ein anderweitiges Beispiel für eine in integrum restitutio ausgefallen. 45 Für die Zeit Diokletians ist eine in integrum restitutio propter dolum nichts Ungewöhnliches, wohl aber für die klassische Periode, vgl. statt aller Levy, SZ 68 (1951) 410 ff. 46 Wobei es dann der Schuldner kaum wagen wird, gerichtliche Hilfe gegen den Gläubiger in Anspruch zu nehmen. Bezeichnenderweise stammt die Anfrage in C. 8.27.10 von einem nachrangigen Pfandgläubiger.
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gegenstand gegen die gesicherte Forderung zu verrechnen'7 und eine Draufzahlung zu vermeiden48 • Der Erwerb des Pfandes durch einen Pfandgläubiger kann aber auch den Schuldner selbst gefährden, ohne daß er an dem Erwerbsgeschäft beteiligt zu sein braucht: Wenn ein nachrangiger Pfandgläubiger die Sache von dem ersten Gläubiger kauft, dann wird sich dieser oftmals damit zufrieden geben, daß seine eigene Forderung gedeckt wird, und nicht darauf dringen, daß der Kaufpreis den Wert der Sache voll ausschöpft. Das Mittel, nachrangige Gläubiger zu schützen, ist nun das folgende: Sie haben im Normalfall bis zur Verwertung des Pfandes ein ius offerendi49 , d. h. die Befugnis, dem ersten Gläubiger die Erfüllung seiner Forderung anzubieten und damit in seine Position einzurücken. Damit geht zwar nicht die an erster Stelle gesicherte Forderung auf sie über; wohl aber dürfen sie sich auch hinsichtlich dieser Forderung befriedigen, wenn sie die Sache jetzt ihrerseits verwerten. Dieses ius offerendi bleibt auch dann bestehen, wenn der erste Gläubiger die Sache dem Schuldner abkauft. Und in ähnlicher Weise wird auch der Schuldner geschützt, wenn der erste Gläubiger das pignus an einen nachrangigen verkauft. Dieses Geschäft nimmt ihm nicht die Befugnis, die Sache durch die Rückzahlung der Schuld bei dem Erwerber auszulösen. a) Besonders deutlich zum Ausdruck kommt der Schutz nachrangiger Gläubiger bei einem Erwerb des Pfandes durch den erstrangigen in C. 8.19.1, das aus dem Jahre 230 stammt. Imp. Alexander A. Athenioni: Si vendidit is qui ante pignus accepit, persecutio tibi hypothecaria superesse non potest. § 1 Cum autem debitor ipsi priori creditori eadem pignora in solutum dederit vel vendiderit, non magis tibi persecutio adempta est, quam si aliis easdem res debitor venumdedisset: sed ita persequens res obligatas audieris, si, quod eidem possessori propter praecedentis contractus auctoritatem debitum est, obtuleris. Alexander Severus wird von einem nachrangigen Gläubiger gefragt, welche Rechte er im Falle einer Veräußerung des Pfandes habe. Der Kaiser führt dazu im principium aus, daß er keine Ansprüche auf den verpfändeten Gegenstand habe, wenn der erste Gläubiger diesen an 47 Der einzige uns mitgeteilte Kaufpreis setzt sich bei Pap. fr. vat. 9 aus der gesicherten Forderung und den aufgelaufenen Zinsen zusammen. Bei Marcian D. 20.1.16.9 ist ein ähnlicher Preis zu vermuten. f8 Dabei ist noch zweifelhaft, ob eine Draufzahlung des ersten Gläubigers an den Schuldner überhaupt einem Pfandrecht der nachrangigen Gläubiger unterliegen würde. C. 8.19.1.1 - dazu sogleich im Text - vergleicht den Verkauf der Sache durch den Schuldner an den Gläubiger mit einem Verkauf durch den Schuldner an einen Außenstehenden. An dem Erlös aus dem letzteren Geschäft entsteht kein Pfandrecht der nachrangigen Gläubiger. ce Dazu Kaser, St. Grosso I (1968) 45 ff., m. weit. Nachw.
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einen Dritten veräußert hat. Für uns von Interesse ist dann § 1: Die Veräußerung des Pfandes durch den Schuldner an den ersten Gläubiger berührt die Rechte des nachrangigen Gläubigers nicht. Ein solcher Verkauf steht nicht einer Veräußerung durch den ersten Gläubiger an einen Dritten gleich50, sondern seine Parallele ist die Veräußerung der Sache durch den Schuldner an einen Dritten. Hier wie dort wird das Pfandrecht das nachrangigen Gläubigers nicht tangiert; hier wie dort hat keine Veräußerung stattgefunden, die das ius offerendi zum Erlöschen bringen könnte. In konstruktiver Hinsicht ist der Fortbestand des ius offerendi überaus interessant. Denn die Forderung des ersten Gläubigers, deren Erfüllung der nachrangige anbieten kann, ist ja bereits erloschen. Bei der in dem Fragment erwähnten datio in solutum ist dies unzweifelhaft; aber auch bei einem Verkauf des Pfandes ist nichts anderes anzunehmen51 , da er regelmäßig der Tilgung der Schuld dienen wird. Darüber hinaus soll das ius offerendi dem nachrangigen Gläubiger das ius vendendi des ersten verschaffen5!. Die Verkaufsbefugnis aber ist untrennbar mit dem Pfandrecht des ersten Gläubigers verbunden, auch insoweit, wie sie auf einer besonderen Vereinbarung beruht53 • Das Pfandrecht des ersten Gläubigers ist jedoch durch den Erwerb des Eigentums an der Sache erloschen. Ein Pfandrecht an der eigenen Sache ist nach römischem Recht nicht denkbar 5'4. Mithin werden die Wirkungen des zwischen dem Schuldner und dem erstrangigen Gläubiger abgeschlossenen Geschäfts zugunsten des nachrangigen Gläubigers geradezu geleugnet, und zwar in schuldrechtlicher (Fortbestand der Forderung des Ersten) wie auch in sachenrechtlicher Hinsicht (Fortbestand des Pfandrechts). Das wäre nicht weiter verwunderlich, wenn C. 8.19.1.1 den Verkauf des Pfandes an den ersten Gläubiger als überhaupt unwirksam behandeln würde. Aber in diesem Sinne kann das Fragment nicht verstanden werden. Das creditor a debitore pignus recte emit Papinians55 hat auch und gerade für Alexander Severus Gültigkeit, 50 Woran man denken könnte, da er ebenfalls der Befriedigung des Gläubigers dient und wegen der Unvereinbarkeit von Pfandrecht und Eigentum in einer Person sein Pfandrecht zum Erlöschen bringt. 51 Daß entweder die Erwähnung der datio in solutum oder die des Verkaufs interpoliert sei, vermutet Solazzi, L'estinzione dell'obbligazione nel diritto romano I (2. Aufl. 1935) 186 Anm. 2. Doch berührt dies den Kern des Fragments nicht. S! Kaser, a.a.O. (Anm. 49) 46. 53 Was bis zum Ende der klassischen Periode der Fall gewesen sein wird, vgl. Ratti, Sul ius vendendi, St. Urbinati 1 (1929) 29 ff., Burdese, 152 f., Kaser, SZ 67 (1950) 565 f., Frezza, 200 ff.; abweichend Manigk, RE 20 1248 ff. (pignus) ; dagegen aber Kaser,a.a.O. 54 Ulp. D. 50.17.45 pr. 55 Fr. vat. 9.
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wie Marcian mit seinem et ita divus Severus et Antoninus rescripserunt in D.20.1.16.9 deutlich genug sagt. Und C.8.19.1.1 läßt auch nicht erkennen, daß der Erwerb des Pfandes durch einen Gläubiger wenigstens dann nicht möglich sein soll, wenn die Sache noch weiteren Personen verpfändet ist. Dagegen spricht die Formulierung der Stelle und der Vergleich mit dem - wirksamen - Verkauf des Pfandes durch den Schuldner an einen DrittenS6 • Insofern läßt sich das Fragment nur in dem Sinne verstehen, daß Forderung und Pfandrecht des ersten Gläubigers zugunsten nachrangiger Gläubiger als fortbestehend fingiert werden57 • Wir haben eine ähnliche Erscheinung vor uns, wie wir sie auch aus dem Erbrecht kennen. Auch dort wird zuweilen eine bereits erloschene Forderung als fortbestehend behandelt, beispielsweise, wenn jemand seinen Schuldner beerbt und die Erbschaft dann später an einen Dritten veräußert58 • Ein Unterschied besteht insofern, als dort die Fiktion des Fortbestandes dem Gläubiger der Forderung zugutekommt, hier aber einem Dritten. Außerdem lebt im Erbrecht eine schon vollständig untergegangene Forderung wieder auf, während hier die Rechte des ersten Gläubigers ohne Unterbrechung in einer bestimmten Hinsicht fortwirken. C.8.19.1.1 steht nicht allein. Nach ähnlichen Grundsätzen entscheidet Marcian in D. 20.5.5.1: Marcian 1. sing. ad form. hypo Si secundus creditor vel fideiussor soluta pecunia pignora susceperint, recte eis offertur, quamvis emptionis titulo ea tenuerunt. Überzeugende Verdachtsmomente gegen das Fragment bestehen nicht59 • Marcian behandelt den Fall, daß ein zweiter Gläubiger den SB Daß der Erwerb des Pfandes durch einen Pfandgläubiger selbst dann nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, wenn noch weitere Pfandrechte an der Sache bestehen, läßt sich auch dem folgenden Fragment entnehmen: D.20.4.17, Paul. 6. resp.: Eum qui a debitore suo praedium obligatum comparavit, eatenus tuendum, quatenus ad priorem creditorem ex pretio pecunia pervenit. Nicht der erste Gläubiger hat hier die Sache dem Schuldner abgekauft, sondern ein nachrangiger. Paulus zieht die Wirksamkeit des Geschäfts nicht in Zweifel; er erwägt nur, inwieweit die Position des. nachrangigen Gläubigers gegenüber dem ersten gesichert ist. Der Jurist schützt ihn insoweit vor Herausgabeanspruchen, wie der Schuldner den Kaufpreis an den ersten Gläubiger weitergeleitet hat. Das pervenire des Geldes steht also in seinen Wirkungen einer Ausübung des ius offerendi gleich, vgl. Frezza, 261. G7 Nur zu ihren Gunsten wirkt diese Fiktion, nicht etwa auch zu Gunsten des Schuldners. Er kann die Sache also nicht mehr bei dem ersten Gläubiger auslösen. G8 Vgl. dazu statt aller Daube, Sale of Inheritance and Merger of Ri:ghts, SZ 74 (1957) 234 ff. Ge An eine Umgestaltung der Stelle denken Ebrard, Die Digestenfragmente ad formulam hypothecariam (1917) 110, Beseler, SZ 66 (1948) 380, D'Ors, St. Biondi I, 1965, 222 Anm. 26, und schon in AHDE 1953 503. Doch ist die An-
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Pfandgegenstand von dem ersten übernimmt. Er tritt dafür ein, daß der zweite Gläubiger seinerseits auch dann abgelöst werden kann, wenn er mit dem ersten einen "Kauf" vereinbart hat. Das ist sinnvoll, weil sonst für den Secundus die Versuchung naheläge, die Ablösung des ersten Gläubigers, bei der er ja nur dessen Forderung gegen den Schuldner zu begleichen braucht und nicht den vollen Sachwert auszahlen muß, als einen Kauf auszugeben, um sich dadurch eine unanfechtbare Position zu verschaffen. Wem Marcellus die Befugnis zum offerre gegenüber dem zweiten Gläubiger zubilligen will, wird aus dem kurzen Fragment nicht ganz deutlich. Doch wird man annehmen dürfen, daß er von dem ius offerendi eines dritten Gläubigers spricht. In Betracht käme zwar auch die Befugnis des Schuldners, die dem Secundus geschuldete Leistung zu erbringen; aber hierzu lassen die Kompilatoren Modestin in dem folgenden fr. 6 Stellung nehmen80 • Die konstruktiven Schwierigkeiten, vor denen Marcian steht, sind geringer als in C. 8.19.1.1. Daß die persönliche Forderung des Secundus fortbesteht, läßt sich ohne weiteres annehmen, da kein Geschäft zu ihrer Tilgung vorgenommen worden ist. Zweifelhaft mußte für den Juristen nur der Fortbestand des Pfandrechts des Secundus sein. Er läßt es offenbar nicht erlöschen, da der Tertius den Secundus nur deshalb wird ablösen wollen, um das mit dem Pfandrecht verbundene ius vendendi zu erlangen. Allem Anschein nach geht Marcian insoweit ebenso wie der Verfasser von C. 8.19.1.1 nicht davon aus, daß der Eigentumserwerb des Secundus überhaupt unwirksam ist, (so daß er weiterhin Inhaber eines Pfandrechts sein kann). Auch er scheint vielmehr den Eigentumserwerb und damit das Erlöschen des Pfandrechts nur relativ - dem Tertius gegenüber - für unwirksam zu halten. Doch läßt sich etwas Sicheres dem Fragment nicht entnehmen. b) Die Wirkungen, die ein Verkauf des Pfandes durch den ersten Gläubiger an einen nachrangigen gegenüber dem Schuldner hat, behandelt Modestin in D. 20.5.6: nahme Ebrards, die pignoTa, die ein Zweithypothekar auf sich nehme, seien technisch Hypotheken, niemals Faustpfänder, nicht hinreichend gesichert, vgl. KaseT, RPR I 463. Ebenfalls keine durchschlagenden Verdachtsmomente ergeben das von ihm und Beseler monierte quamvis sowie das von BeseleT und D'OTS beanstandete titulo. Der Schlußsatz des Fragments ist durchaus sinnvoll: Wie immer der erste und der zweite Gläubiger das zwischen ihnen vereinbarte Geschäft bezeichnet haben, es verschafft dem Secundus kein unanfechtbares Eigentum an der Sache, vgl. im Text. Allenfalls kann man an eine stilistische Überarbeitung der Stelle denken - vielleicht auch an eine Verkürzung -, die aber ihre zentrale Aussage nicht berührt. GO Dazu sogleich im Text.
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Mod. 8. reg. Cum posterior creditor a priore pignus emit, non tarn adquirendi dominii quam servandi pignoris sui causa intellegitur pecuniam dedisse et ideo offern ei a debitore potest. Modestin sieht in einem solchen "Kauf" des Pfandes eine Ausübung des ius offerendi von Seiten des zweiten Gläubigers. Das hat zur Folge, daß dieser nicht wie ein Dritter, der die Sache von dem ersten Gläubiger erwirbt, unanfechtbares Eigentum erlangt, sondern nur die übliche Stellung eines besitzenden Pfandgläubigers. Der Schuldner kann also die Zahlung beider Forderungen anbieten und dann die Herausgabe der Sache verlangenS1 • Der Jurist erzielt dieses Ergebnis im Wege einer Auslegung des Geschäfts. Das ist insofern zweckmäßig, als es ihm die Möglichkeit beläßt, immer dann einen echten Kauf anzunehmen, wenn der Secundus nicht nur die Forderung des Primus gegen den Schuldner begleicht, sondern einen Kaufpreis entrichtet, der dem wahren Wert der Sache entsprichtS!. Zwar sagt Modestin nicht ausdrücklich, daß sein offerN ei a debitore potest nicht für alle Fälle gelten soll; man wird dies aber in Fortführung seines Gedankens annehmen können.
IV. Die datio in solutum des Pfandes Neben dem Verkauf des Pfandes an den Gläubiger steht im spätklassischen RechtS3 die datio in solutum der Sache für die gesicherte Forderung. Daß beide Geschäfte grundsätzlich voneinander zu unterscheiden sind", bedarf keiner näheren Begründung8s • 1. In unseren Fällen kann die Abgrenzung freilich schwierig sein, wie das folgende Beispiel zeigt: Die Parteien vereinbaren nach der Verpfändung, daß der Gläubiger das pignus unter der Bedingung erwerben soll, daß die Forderung nicht rechtzeitig getilgt wird. Der Preis soll sich dabei aus der Forderung und den aufgelaufenen Zinsen zusammensetzen. Die Frage, ob das Pfand verkauft oder an Erfüllungs Statt 81 D'Ors, St. Biondi I (1965) 222 Anm. 26, hält das Fragment für eine Glosse. Es handele sich wahrscheinlich um eine regula, die aus einigen kaiserlichen Reskripten hergeleitet sei. Doch besteht kein hinreichender Grund, an Modestin als dem Verfasser der Stelle zu zweifeln. 8!Der Sachwert einer mehrfach verpfändeten Sache übersteigt regelmäßig den Betrag der erstrangigen Forderung. 83 Der früheste Beleg ist Alex C. 8.13.1 aus dem Jahre 194. " Vgl. Steiner, 48 ff., Solazzi, L'estinzione dell'obbligazione nel dir. rom., I (2. Auf!. 1935) 172 ff. 16 Es sei nur darauf hingewiesen, daß der Gläubiger nicht die actio empti hat, wenn ihm die in solutum gegebene Sache evinziert wird. Nur von einer actio empti utilis ist die Rede, und auch das nur in spätklassischen Fragmenten, deren Echtheit umstritten ist. Vgl. die Nachweise bei Kaser, RPR I 638 Anm. 33, zu Ant. C. 8.44.4 und Ulp. D. 13.7.24 pr.
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hingegeben wird, möchte man mit Feenstra 88 in dem letzteren Sinne beantworten; doch Papinian spricht in eben diesem Fall von einem Kauf87 • Dabei ist die Abgrenzung der beiden Geschäfte keine bloße gedankliche Spielerei68 • Im folgenden wird zu zeigen sein, daß die Klassiker dem Schuldner bei einer datio in sol1Ltum des Pfandes die Befugnis belassen, den Gegenstand durch Rückzahlung der Schuld auszulösen. Sie nehmen diesem Geschäft also jede Verbindlichkeit für den Schuldner. Bei einem Verkauf des Pfandes an den Gläubiger nützt es dem Schuldner dagegen nichts, wenn er die Rückzahlung der Schuld anbietet. An die emptio venditio ist er gebunden. Sofern der Wert der Sache erheblich über dem Betrag der Forderung liegt, für deren Tilgung sie hingegeben wird, hat er also ein eindeutiges Interesse daran, daß kein Kauf, sondern eine datio in solutum angenommen wird. Sucht man nach Unterscheidungskriterien, so bietet es sich zunächst an, die von den Parteien gewählten Ausdrücke entscheiden zu lassen. Aber dieser Maßstab ist doch allzu unsicher und führt zu zufälligen Ergebnissen. Möglich wäre es weiter, auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Parteien übereinkommen, daß der Pfandgegenstand zur Tilgung der Forderung dienen soll. Man könnte einen Verkauf des Pfandes annehmen, wenn diese Abrede anläßlich der Verpfändung getroffen wird, eine datio in solutum, wenn die Parteien später eine Verrechnung vereinbaren. Doch ist den Quellen dieses Unterscheidungskriterium fremd. Papinian bezeichnet den Erwerb des Pfandes durch den Gläubiger als einen Kauf, sive in exordio contractus ita convenit sive postea68 ; Ulpian bespricht eine datio in solutum, die anläßlich der Verpfändung vereinbart wird70 • Das Fehlen anderer Unterscheidungskriterien legt die bereits71 geäußerte Vermutung nahe, daß die Klassiker bei einer Wertdifferenz zwischen Pfandgegenstand und Forderung eine datio in solutum angenommen haben, sofern diese nicht besonders ausgeglichen wurde 72 , bei Wertgleichheit dagegen einen Verkauf der Sache73 • Daß es hierfür keine SZ 74 (1957) 514. Fr. vat. 9. 88 Das könnte man angesichts von C.8.19.1.1 meinen, das Kauf und datio in solutum in einem Atemzug nennt. 88 Fr. vat. 9. 70 D. 46.3.45 pr.; dazu sogleich im Text. 71 Oben IIr 2 b. 7! Dabei ist freilich zweifelhaft, um wieviel der Wert der Sache den Betrag der Forderung übersteigen muß, für die sie in solutum gegeben wird. 73 Entsprechend bei einem durch eine Draufzahlung des Gläubigers ausgeglichenen Wertunterschied. 88 87
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unmittelbaren Belege gibt, entkräftet diese Vermutung nicht; sie findet jedenfalls eine mittelbare Bestätigung in der Schutzlosigkeit des verkaufenden Schuldners und dem effektiven Schutz, den der an Erfüllungs Statt leistende Schuldner genießt. Außerdem entspricht diese Deutung vielleicht dem Wesen der bei den Geschäfte: Die datio in solutum ist, wenn man so sagen will, "forderungsbezogen" . Den Parteien geht es primär um die Tilgung der Forderung; die hingegebene Sache und damit auch ihr objektiver Wert tritt dahinter zurück. Demgegenüber ist der Kauf mehr "sachbezogen": Die Parteien orientieren sich in erster Linie an dem Wert des Kaufgegenstandes. Insofern ist ein Kauf auch nur dann anzunehmen, wenn die Parteien den Wert der Sache hinreichend berücksichtigt haben. Bezeichnenderweise ist in den Fällen einer datio in solutum der Betrag, zu dem der Gläubiger die Sache übernimmt, offenbar stets mit der Höhe der Forderung identisch, während in den Fällen eines Kaufes - abgesehen von fr. vat. 9 durchaus ein Preis denkbar ist, der von dem Betrag der Forderung abweicht. 2. Mit besonderer Deutlichkeit bringt Ulpian den Gedanken zum Ausdruck, daß der Schuldner an die Abrede einer datio in solutum des Pfandes nicht gebunden, sondern gleichwohl befugt ist, die primär geschuldete Leistung anzubieten: D. 46.3.45 pr. (Ulp. 1. resp.) Callippo respondit, quamvis stipulanti uxori vir spoponderit dirempto matrimonio praedia, quae doti erant obligata, in solutum dare, tamen satis esse offerri dotis quantitatem. Ein gewisser Callippus unterbreitet dem Juristen einen Fall, in dem ein Ehemann bei der Bestellung der dos zunächst Grundstücke für den Herausgabeanspruch der Frau nach Beendigung der Ehe verpfändet und dann die datio in solutum eben dieser Grundstücke zugesagt hat. Ulpian billigt dem Ehemann das Recht zu, stattdessen den Wertbetrag der dos anzubieten. Man wird dabei nicht annehmen können, daß er die Abrede der datio in solutum für überhaupt unwirksam hält; offenbar soll der Ehemann zwischen der Leistung der Grundstücke und des Wertbetrages der dos wählen können7'. Demgegenüber scheint ein kaiserliches Responsum aus dem Jahre 194 der Vereinbarung einer datio in solutum von Pfändern jegliche Wirksamkeit abzusprechen: C.8.13.1 (Impp. Severus et Antoninus AA. Timotheo) Debitor, qui pignoribus profitetur se creditoribus cedere, nihilo magis liberabitur. Die Entscheidung ist wahrscheinlich stark verkürzt, dabei aber kaum in der Sache verändert worden 75 • Ein Schuldner hat seinen Gläubigern 74 Unbeantwortet bleibt die interessante Frage, innerhalb welchen Zeitraums er den Wertbetrag der dos anbieten kann.
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zugesagt, er werde von den verpfändeten Gegenständen - wahrscheinlich handelt es sich um Grundstücke - "weichen". Man wird dieses cedere im Sinne einer datio in solutum zu deuten haben, da ja offenbar eine Verrechnung der Grundstücke gegen die gesicherten Forderungen erfolgen soIF'. Die Kaiser entscheiden, daß der Schuldner trotzdem nicht (nihiZo magis) befreit werde. Das bedeutet für ihn positiv, daß er das Recht behält, die Zahlung der gesicherten Forderungen anzubieten, negativ allerdings, daß er es - anders als bei Ulpian - nicht auch bei der cessio belassen kann. Ob den Gläubigern das ius vendendi zustehen soll, wird aus dem Fragment nicht deutlich. Näheres dazu ergibt sich aus der Parallelstelle C. 8.34.1. Sie stammt aus dem Jahre 222 und betrifft ebenfalls die cessio eines verpfändeten Gegenstands. Imp. Alexander A. Victorino. Qui pactus est, nisi intra certum tempus pecuniam quam mutuam accepit solveret, cessurum creditoribus, hypothecae venditionem non contraxit, sed id comprehendit, quod iure suo creditor in adipiscendo pignore habiturus erat. communi itaque iure creditor hypothecam vendere debet. Der Kaiser denkt bei dem cessurum nur an einen Verkauf des Pfandes an die Gläubiger, obwohl doch die Annahme einer datio in soZutum näherläge. Er erklärt die Abrede nun nicht einfach für unwirksam, wie dies offenbar in C. 8.13.1 geschah, sondern umgeht die Verfallswirkung durch eine Auslegung: Der Schuldner habe seinen Gläubigern nur die üblicherweise mit einem Pfandrecht verbundenen Befugnisse verschaffen wollen, insbesondere also das ius vendendi. Obwohl der von den Parteien gewählte Ausdruck cedere nicht völlig eindeutig ist, muß seine Interpretation durch den Kaiser überraschen. Das cedere sollte sich nach dem Willen der Parteien sicherlich nicht nur auf die Veräußerungsbefugnis beziehen, sondern auf das Eigentum an dem verpfändeten Gegenstand. Immerhin ist die Behandlung des Falles durch den Kaiser von der Interessenlage her zu verstehen. Sie schützt den Schuldner vor der drohenden Gefahr einer wucherischen Ausbeutung77 • 75 Soweit ersichtlich, wird in der Literatur eine sachliche Interpolation nicht angenommen. 76 Allerdings denkt Alexander Severus in C. 8.34.1 bei dem Ausdruck cedere an einen Verkauf des Pfandes, vgl. sogleich im Text. 77 Kritik an dem Fragment bei Ebrard, Die Digestenfragmente ad formulam hypothecariam (1917) 50, Burdese, 125, Frezza, 229, (der übrigens, a.a.O. 127, zu Unrecht eine Verpfändung fremder Sachen annimmt). Ebrard und Burdese tadeln den Wechsel im Ausdruck zwischen hypotheca und pignus sowie das itaque des Schlußsatzes. Doch berührt dies nicht den Kern des Fragments. Eine sachliche Veränderung der Stelle behauptet Ebrard nicht. Nicht überzeugen kann die Vermutung Burdeses, die Kompilatoren hätten die Abrede einer lex commissoria des Pfandes unterdrückt. Dies hängt mit seiner Auf-
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Ulpian D. 46.3.45 pr., Alexander Severus und Caracalla C.8.13.1 sowie wiederum Alexander Severus C. 8.34.1 behandeln also die datio in solutum verpfändeter Gegenstände oder Abreden, die sich in dieser Weise deuten lassen, in verschiedener Weise. C. 8.13.1 erklärt eine solche Vereinbarung offenbar für wirkungslos. C.8.34.1 stimmt damit im Ergebnis überein, gelangt dazu aber im Wege der Auslegung. D. 46.3.45 pr. endlich läßt eine datio in solutum nur teilweise nichtig sein, soweit sie sich zu Lasten des Schuldners auswirkt: Dieser behält die Befugnis, die eigentlich geschuldete Leistung zu erbringen, darf es aber auch bei der datio in solutum des Pfandgegenstandes belassen. Die drei Entscheidungen zeigen, daß sich in der Spätklassik eine einheitliche Beurteilung der Leistung gepfändeter Gegenstände an Erfüllungs Statt durch die Juristen noch nicht herausgebildet hat. Einig war man sich nur darüber, daß der Gläubiger aus einer etwaigen Wertdifferenz zwischen dem Pfandgegenstand und der gesicherten Forderung keinen Vorteil ziehen dürfe. 3. Zur datio in solutum verpfändeter Gegenstände besitzen wir noch zwei Stellungnahmen Diokletians, die eine nachgiebigere Haltung zu verraten scheinen. - Aus dem Jahre 293 stammt C. 8.13.13: Impp. Diocletianus et Maximianus AA. et CC. Matronae. Cum dominam non minorem viginti et quinque annis ea quae obligaverat tibi iure domin11 possidere permisisse et in solutum dedisse precibus significes, dominae contractus et voluntas ad firmitatem tibi sufficit. Der Anfragenden sind von einer anderen Frau bestimmte Gegenstände zunächst verpfändet und dann für ihre Forderung an Erfüllungs Statt übereignet worden. Sie möchte nun wissen, ob ihr das Eigentum noch streitig gemacht werden könne. Der Kaiser verneint dies78 • Die Zweifel der Anfragenden an ihrem Eigentum werden zuweilen7' darauf zurückgeführt, daß der Eigentumserwerb möglicherweise noch fassung zusammen, daß es im klassischen Recht neben der datio in solutum des Pfandes und seinem Verkauf an den Gläubiger noch eine als lex commissoria bezeichnete Abrede des Pfandverfalls gegeben habe, wie wir sie später bei Konstantin CTh. 3.2.1 finden. Vgl. dagegen KaseT, SZ 67 (1950) 562 ff., sowie unten VI 1. - Frezza will den Schlußsatz des Fragments tilgen. Er stelle eine überflüssige Erläuterung des Vorangehenden dar. Doch ist dieses Urteil wohl zu hart. Im übrigen ist der Schlußsatz nicht mißzuverstehen: Er statuiert keine Veräußerungspflicht des Gläubigers, sondern sagt nur, daß er das Pfand verkaufen müsse, wenn er sich befriedigen wolle. Dagegen ist nichts einzuwenden. 78 Sachliche Einwände gegen das Fragment werden nicht erhoben. Voci, La dottrina romana deI contratto (1946) 25, Burdese, 126, und FTezza, 229, wollen nur contractus et tilgen. Als contractus werde die datio in solutum nur in dieser einen Stelle bezeichnet, außerdem könne nicht von dem contractus einer Person 'gesprochen werden. Störend wirkt schließlich die Konkurrenz von contractus und voluntas. 71 Burdese, 126, 207, von Lübtow, 336.
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von einer impetratio dominii 80 abhängig sein könnte. Der Kaiser stelle klar, daß ein solcher Antrag nur erforderlich sei, wenn der Gläubiger das Eigentum ohne eine Vereinbarung mit dem Schuldner erwerben wolle. Diese Interpretation ist in der Tat möglich. Gegen sie spricht allerdings, daß eine impetratio dominii regelmäßig nur dann in Betracht kommt, wenn dem Gläubiger eine Veräußerung des Pfandes nicht gelingt, daß hier aber die Anfragende einen Verkauf gar nicht versucht hat und auch nicht versuchen will. Insofern wird sich die Anfragende eher wegen der scharfen Restriktionen an den Kaiser wenden, denen die Spätklassiker die datio in solutum verpfändeter Gegenstände unterworfen hatten. Diokletian beanstandet die Leistung der Pfänder an Erfüllungs Statt nicht. Darin könnte eine Abkehr von den spätklassischen Grundsätzen zu sehen sein. Näher liegt jedoch die Vermutung, daß in dem konkreten Fall, der zu entscheiden war, eine wucherische Ausbeutung der Schuldnerin nicht befürchtet werden mußte. Das Fragment klingt so, als sei ausnahmsweise die Schuldnerin in der stärkeren Position gewesen. Nicht sie fürchtet um ihre Rechte, sondern die Gläubigerin. Und während die Gläubigerin als matrona, als eine ehrbare Frau81 , bezeichnet wird, wird die Schuldnerin zweimal domina genannt. Das bezieht sich offenbar nicht auf die Tatsache, daß sie Eigentümerin der hingegebenen Gegenstände war, sondern vielmehr auf ihre soziale Position. Es ist gut denkbar, daß auch die Spätklassiker in einem solchen Fall die datio in solutum von Pfändern zugelassen hätten. Ein Jahr später als C. 8.13.13 ist C. 4.51.4 datiert: Impp. Diocletianus et Maximianus AA. et CC. Domitio Aphobio. Mancipia patris, qui fundum a Philippo conduxerat, successione tibi quaesita domino fundi pro debitis in solutum mater tua dando nihil tibi auferre potuit. et ideo si tu maior viginti quinque annis effectus ab ea negotium gestum non fecisti ratum, oblato debito, si non haec locator iure pignoris obligata sibi vendidit, petere potes. Der Vater des anfragenden Domitius Aphobius hatte ein Grundstück von einem gewissen Philippus gepachtet. Er verstarb dann, bevor sein Sohn und Alleinerbe das 25. Lebensjahr erreicht hatte. Da Schulden gegenüber Philippus entstanden waren, hatte die Mutter des Domitius Sklaven an Erfüllungs Statt hingegeben, die zur Erbmasse gehörten. Ihrem Schicksal gilt die Anfrage. Der Kaiser entscheidet, daß Domitius sie herausverlangen könne, wenn er das von der Mutter getätigte Geschäft nicht nach Erreichung des 25. Lebensjahres genehmigt habe, wenn er ferner die Erfüllung der Schulden anbiete und wenn Philippus 80 81
Zu diesem Institut näher Burdese,
Heumann-Seckel, ad h. v.
206 ff., Frezza, 228 ff.
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schließlich die Sklaven noch nicht nach Pfandgrundsätzen veräußert habe. Da von einem Pfandrecht des Philippus in der Anfrage nicht die Rede ist, will Felgentraeger seine Erwähnung auch in der Antwort des Kaisers tilgen82 • Das Pfandrecht könne außerdem nur ein gesetzliches sein88 ; doch habe auch Justinian ein gesetzliches Pfandrecht des Verpächters am Inventar des Pächters nicht gekannt. In stilistischer Hinsicht sei si non zu beanstanden. Streiche man aber si non ... vendidit, dann müsse man auch oblato debito eliminieren, da die Vindikation des Domitius ohne ein Pfandrecht des Philippus an den Sklaven nicht von einer Erfüllung der Schuld abhängig sein könne. Diese Kritik vermag jedoch nicht zu überzeugen8 '. Philippus und der Vater des Domitius werden ein Verpächterpfandrecht am Inventar bestellt haben. Dem Kaiser erschien dies so selbstverständlich, daß er dann den Vorgang der Verpfändung nicht näher darstellte, sondern das Pfandrecht in seiner Antwort voraussetzte. Insofern ist die Vindikation des Domitius in der Tat von dem Angebot abhängig, die gesicherten Forderungen zu tilgen. Auch in dem vorliegenden Fragment wendet der Kaiser nichts gegen die datio in solutum verpfändeter Sklaven ein. Freilich schwächt dies die Position des Anfragenden nicht, da die Wirksamkeit des Geschäfts noch von seiner Genehmigung abhängen soll. Es ist nicht auszuschließen, daß Diokletian solche Fälle anders behandeln würde, in denen die ernstliche Gefahr einer wucherischen Ausbeutung des Schuldners gegeben ist.
v.
Zusammenfassung
Im Ergebnis läßt sich zu dem Erwerb des Pfandes durch den Pfandgläubiger im klassischen Recht folgendes feststellen. Derartige Geschäfte, die technisch durch den Kauf oder die datio in solutum des Pfandgegenstandes bewirkt werden können, haben sich erst in der Spätklassik unter maßgeblicher Beteiligung Papinians durchgesetzt. über die Grunde, die ihre Anerkennung hinauszögerten, können wir nur Vermutungen anstellen. Am wahrscheinlichsten ist es, daß die Verpfändung zunächst zu einer Verfügungsbeschränkung des SchuldAntikes Lösungsrecht (1933) 114. Da von einer Verpfändung nicht gesprochen werde. Manigk, RE 20 1271 (pignus), sieht eine stillschweigende Verpfändung in der datio in soIutum. Dagegen aber zu Recht Burdese, 127 Anm. 2. 84 Vgl. SoIazzi, L'estinzione dell'obbligazione I (2. Aufi. 1935) 162 Anm. 3, der vor allem die Echtheit des oblato debito hervorhebt, und Burdese, 126 f. 8! B3
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ners führte, und daß man sich außerdem nicht mit der Vorstellung befreunden mochte, daß der Gläubiger als Inhaber eines ius vendendi gleichzeitig die Befugnis haben sollte, das Pfand zu erwerben. Die Gefährlichkeit dieser Geschäfte ist den Spätklassikern nicht verborgen geblieben. Sie haben deshalb einen umfassenden Schutz solcher Personen entwickelt, die an ihnen nicht unmittelbar beteiligt waren, also nachrangiger Gläubiger oder des Schuldners, sofern ein nachrangiger Gläubiger das Pfand von dem erstrangigen erwarb. Die Wirkungen des Kaufes - und wohl auch der datio in solutum, obwohl es hierfür an Belegen fehlt, - traten gegenüber diesen Personen nicht ein. Der nachrangige Gläubiger behielt sein ius offerendi, der Schuldner die Befugnis, das Pfand durch Rückzahlung der Schuld auszulösen. Der Schuldner wurde aber auch dann geschützt, wenn er das Pfand selbst an den Gläubiger veräußerte. Bei einer datio in solutum des pignus vermieden die Juristen eine wucherische Ausbeutung des Schuldners, indem sie ihm das Recht beließen, die eigentlich geschuldete Leistung zu erbringen (Ulpian D. 46.3.45 pr.), indem sie das Geschäft für unwirksam erklärten (Severus und Antoninus C. 8.13.1) oder in die Vereinbarung eines ius vendendi umdeuteten (Alexander Severus C. 8.34.1). Weniger deutlich ist der Schutz des Schuldners bei einem Verkauf des Pfandes an den Gläubiger. Nicht zu folgen sein dürfte insoweit Levy, nach dessen Ansicht eine etwaige Differenz zwischen Kaufpreis und Sachwert mit der actio pigneraticia herausverlangt werden konnte. Dagegen spricht vor allem Paulus D.13.7.20.3. Vielmehr werden die Klassiker solche "Verkäufe", die dem Wert der Sache nicht hinreichend Rechnung trugen, als eine datio in solutum interpretiert und dann die dortigen Restriktionen angewandt haben. VI. Konstantin CTh. 3.2.1 und das Verbot der lex commissoria des Pfandes Die von den Spätklassikern entwickelten Mittel des Schuldnerschutzes werden zu ihrer Zeit ausgereicht haben85'. Gleichwohl mußten sie auf die Dauer versagen. Eine allmählich verflachende Rechtswissenschaft bedurfte einfacherer und klarerer Regeln, die weniger auf den Einzelfall zugeschnitten waren. Und solche Regeln wurden auch angesichts der sich verschlechternden wirtschaftlichen Verhältnisse notwendig. Der wirtschaftliche Niedergang ließ die Zahl der Kreditsuchenden anwachsen, die bereit waren, sich beliebigen Bedingungen zu un85 Soweit ersichtlich, wird in der Literatur nirgends angenommen, daß die Möglichkeit eines Erwerbs des Pfandes durch den Gläubiger in spätklassischer Zeit zu Mißständen führte.
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terwerfen, wenn sie nur ein Darlehen erhielten, und die Zahl der Gläubiger, die überhöhte Sicherheiten fordern konnten und forderten. Das so entstehende rechtliche Vakuum füllt ein Erlaß Konstantins aus dem Jahre 320, CTh. 3.2.1 (= CJ. 8.34.3): Quoniam inter alias captiones praecipue commissoriae86 legis crescit asperitas, placet infirmari eam et in posterum omnem eius memoriam aboleri. Si quis igitur tali contractu laborat, hac sanctione respiret, quae cum praeteritis praesentia quoque depellit et futura prohibet. Creditores enim re amissa iubemus recipere quod dederunt. Die interpretatio dazu lautet: Commissoriae cautiones dicuntur, in quibus debitor creditori suo rem ipsi oppigneratam ad tempus vendere per necessitatem conscripta cautione promittit: quod factum lex ista revocat et fieri penitus prohibet, ita ut, si quis creditor rem debitoris sub tali occasione visus fuerit conparare, non sibi de instrumentis blandiatur, sed cum primum voluerit ille, qui obpressus debito vendidit, pecuniam revocet et possessionem suam recipiat. 1. Der ad populum gerichtete Erlaß beschreibt selbst nicht den Inhalt der von ihm verbotenen lex commissoria. Allgemein läßt sich sagen, daß es sich um eine Abrede handelt, kraft derer der Gläubiger das Eigentum an dem Pfandgegenstand erwerben soll. Allerdings kann nicht jeder Erwerb unter das Verbot fallen. Denn Justinian übernimmt einerseits die Konstitution, andererseits aber auch die klassischen Fragmente, die den Kauf und - mit Einschränkungen - auch die datio in solutum des Pfandes für zulässig erklären. Wenn man Justinian nicht unterstellen will, daß er den Erlaß mißverstanden oder unsauber kompiliert habe, müssen Unterschiede zwischen diesen Geschäften bestanden haben.
Nach Auffassung von Burdese 87 ist die lex commissoria, deren Verbot Konstantin ausspricht, eine schon dem klassischen Recht bekannte Abrede des Pfandverfalls. Sie habe dort als ein eigenes Institut neben dem Kauf und der datio in solutum des Pfandes gestanden. Kritik an dieser Deutung hat bereits Kaser geübt88 • Eine lex commissoria im Sinne Burdeses ist in den Quellen sonst nirgends belegt. Allenfalls läßt die Tatsache, daß die Kompilatoren in den Titel über die kaufrechtliche lex commissoria zwei Fragmente eingestellt haben, die Erörterungen über die fiducia entstammen89 , den Schluß zu, daß es dort eine lex commissoria gegeben hat. Was aber das pignus selbst betrifft, müßte man schon an eine besonders gründliche Arbeit der Kompilato-
8'
CJ. 8.34.3 fügt hier ein pignoTum ein. Dazu unten VI 3. A.a.O. 110 ff. 88 SZ 67 (1950) 562 ff.; vgl. ferner 'Von Lübtow, 332 f. 89 D. 18.3.2 (Pomp. 35. ad Sab.) und D. 18.3.3 (Ulp. 30. ad ed.), vgl. nur Wieacker, Lex commissoria (1932) 4 ff. 81
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ren glauben. Eine lex commissoria als Abrede des Pfandverfalls begegnet für das klassische Recht außerdem konstruktiven Bedenken. Der Eigentumserwerb des Gläubigers bedarf einer iusta causa, die Burdese in der pignoris datio zusammen mit der lex commissoria sehen will. Eine solche Annahme erscheint jedoch recht unsicher. Außerdem ist ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der lex commissoria, wie Burdese sie versteht, und dem Kauf des Pfandes unter der aufschiebenden Bedingung seiner Nichtauslösung nicht ersichtlich. Daß beides unterschieden wurde, entnimmt Burdese Marcian D. 20.1. 16.9: Die Zweifel des Juristen bei der Auslegung der getroffenen Vereinbarungen (potest ita fieri pignoris datio, videtur quodammodo) zeigten, daß dieser bedingte Kauf des Pfandes mit der lex commissoria nicht identisch sei. Aber damit ist ein konkreter Unterschied noch nicht dargetan; und die vorsichtigen Bemerkungen Marcians zum Kauf des Pfandes durch den Gläubiger lassen eher den Schluß zu, daß eine Veräußerung an den creditor zu seiner Zeit noch wenig üblich war. Nach Kaser und Biscardi 90 bezieht sich das Verbot Konstantins nicht auf Klauseln des klassischen Rechts, sondern auf solche einer vulgarrechtlichen Praxis, die sich erst in den unsicheren wirtschaftlichen Verhältnissen des dritten Jahrhunderts herausgebildet und ihre Wurzeln vor allem im hellenistischen Recht habe. In der Tat hat insbesondere Rabel91 gezeigt, daß dort der Sicherungskauf - der Verkauf einer Sache an den Gläubiger unter der Abrede, daß sie ihm bei Nichtzahlung der Schuld auf die Dauer gehören solle, - eine besondere Bedeutung besaß. Und daß den Kaiser gerade Erscheinungen seiner Zeit zu dem Erlaß motivierten, läßt sich seinen Worten entnehmen: Quoniam inter alias captiones praecipue commissoriae legis crescit asperitas ... Aber damit ist die Frage nach dem Wesen der lex commissoria und ihrem Verhältnis zum Kauf und zur datio in solutum des Pfandes noch nicht endgültig beantwortet. Denn wieso betrifft das Verbot, mag es auch durch eine vulgarrechtliche Praxis motiviert sein, nun nicht auch die beiden letzteren Geschäfte? Bei ihnen kann der Sache nach ebenfalls von einem Pfandverfall gesprochen werden und besteht die Gefahr einer Ausbeutung des Schuldners nicht minder. Außerdem dürfte der von Konstantin verbotene Pfandverfall gerade in die Form eines Kaufes gekleidet worden sein. Der Erlaß des Kaisers steht im Codex Theodosianus im Anschluß an den Titel De contrahenda emptione, und die interpretatio spricht unbefangen von einem Kauf des Pfandes. 90 Kaser, SZ 67 (1950) 565, Biscardi, St. Betti II (1962) 584 f.; vgl. auch von Lübtow, 337.
n SZ 28 (1907) 351 ff., insbes. 360, 362 f.
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Diese beiden letzteren Gesichtspunkte dürften den vor allem von
Steiner und Levy 92 gezogenen Schluß rechtfertigen, daß die lex commissoria, von der Konstantin spricht, grundsätzlich mit dem spätklassi-
schen Kauf des Pfandes durch den Gläubiger identisch ist. Aber auch die datio in solutum des Pfandes, die von seinem Kauf äußerlich kaum zu unterscheiden ist, dürfte unter den Begriff der lex commissoria im Sinne Konstantins fallen u3 • Der Kaiser will mit seinem Verbot doch offenbar weniger einen bestimmten Geschäftstyp treffen als vielmehr einem Mißstand abhelfen, der sich rechtlich auf mehreren Wegen erreichen läßt. Aber da Justinian die Konstitution neben klassische Äußerungen stellt, die den Kauf des Pfandes uneingeschränkt als wirksam behandeln, seine datio in solutum jedenfalls mit gewissen Einschränkungen, können diese Geschäfte nicht in jedem Fall als eine lex commissoria betrachtet worden sein. Den Begriff dieser Abrede näher zu bestimmen, stößt freilich auf erhebliche Schwierigkeiten; letztlich lassen sich nur Vermutungen anstellen, welche Charakteristika eine lex commissoria auszeichneten. Unter das Verbot der lex commissoria wird ein Erwerb des Pfandes durch den Gläubiger nur dann gefallen sein, wenn er unter der Bedingung stand, daß die gesicherte Schuld nicht rechtzeitig zurückgezahlt wurde94 • Weiter notwendig war vielleicht ein besonderes Mißverhältnis zwischen dem Wert der Sache und der Höhe der gesicherten Forderung95 • Denkbar ist auch, was Dernburg vermutet96 , daß eine lex commissoria insbesondere dann angenommen wurde, wenn das Pfand auch dann verkauft sein sollte, wenn bereits ein Teil der Schuld zurückgezahlt war, und zwar verkauft gegen den Restbetrag der Forderung. Eine derartige Sicherung noch der letzten Rate wäre in der Tat eine besondere captio, Ausbeutung, des Schuldners97 • Möglich ist es schließV2 Steiner, 106 ff., Levy, 188 ff.; vgl. ferner von Lübtow, 336 f., Feenstra, SZ 74 (1957) 513 f. 93 Ebenso Steiner, 108. 94 Dies räumt offenbar auch von Lübtow, 337, ein. Belegt ist die Bedingung wohl in dem ad tempus vendere ... promittit der interpretatio. 95 Anders von Lübtow, 337: Konstantin habe jede Verfallsklausel verbieten wollen, unabhängig davon, ob der Schuldner im Einzelfall geschädigt wurde oder nicht. Doch läßt sich die im Text vertretene Auffassung darauf stützen, daß Justinian neben dem Erlaß Konstantins auch das Marcianfragment D. 20.l.16.9 über den Kauf des Pfandes durch den Gläubiger in seine Kompilation übernehmen konnte, nachdem dort iusto pretio tune aestimandam eingefügt worden war. 98 A.a.O. 278. 97 Vgl. dazu den Schlußsatz der interpretatio: Wenn der Schuldner dies wünscht, dann soll er nicht nur possessionem suam recipere, sondern auch peeuniam revoeare. Peeunia kann an dieser Stelle sinnvoll nur die bisherigen Tilgungsleistungen des Schuldners - und nicht die gesicherte Forderung bezeichnen. Daß die interpretatio den Anspruch des Schuldners auf Rück-
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lich, daß Konstantin nur solche Verfalls abreden treffen wollte, die der Gläubiger dem Schuldner abgenötigt hatte. Per necessitatem conscripta cautione heißt es in der interpretatio zu CTh.3.2.1 98 • Welches der genannten Merkmale im einzelnen zu einer lex commissoria gehörte, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Immerhin kann das Verbot derartiger Klauseln gut neben Fragmenten stehen, die den Kauf und die datio in solutum des Pfandes für grundsätzlich zulässig erklären. 2. Übrigens gewährt Konstantin dem Schuldner nur einen beschränkten Schutz. Unwirksam ist nicht die Verpfändung als solche, sondern wie bei § 1229 BGB nur die Verfallsabrede. Dem Schuldner verbleibt das Recht, die Sache durch Rückzahlung der Schuld auszulösen, dem Gläubiger das Pfandrecht und damit die Befugnis, sich durch einen Verkauf für seine Forderung zu befriedigen. Insofern meint L evy 99, daß der Erlaß die Interessen des Gläubigers letztlich in höherem Maße wahre als die des Schuldners. Aber diese Kritik erscheint nicht gerechtfertigt. Dem Schuldner wird immerhin eine wirksame Hilfe gewährt. Das Risiko, daß der Gläubiger bei nicht rechtzeitiger Tilgung der Schuld zur Verwertung des Pfandes schreitet, müßte er auch ohne die Vereinbarung einer lex commissoria tragen. Es kann ihm also nicht gut genommen werden. 3. Daß die Abrede des Pfandverfalls zur Zeit Konstantins als lex commissoTia bezeichnet wurde, hat Anlaß gegeben, nach Verbindungen zwischen dieser Klausel und der gleichnamigen beim Kauf zu suchen. Die lex commissoria des Kaufes ist eine dem klassischen Recht bekannte Abrede 1oo • Mit ihr behält sich der Verkäufer einer Sache den Rücktritt für den Fall vor, daß der Käufer nicht rechtzeitig zahlt. Die
zahlung seiner bisherigen Raten als besondere Folge des konstantinischen Erlasses hervorhebt, macht deutlich, daß diese Raten sonst - d. h. nach dem Inhalt der lex commissoTia - verfallen würden. 98 Anders von Lübtow, 337. Er deutet per necessitatem conscTipta cautione als eine Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse. Dagegen spricht jedoch die Formulierung der interpretatio. Commissoriae cautiones dicuntur, in quibus debitor creditori suo rem ipsi oppigneratam ad tempus vendere per necessitatem conscTipta cautione promittit zeigt, daß per necessitatem conscripta cautione zum Rechtsbegriff der lex commissoTia gehört. Die übernahme des Pfandes durch den Gläubiger kann schließlich in Einzelfällen auch für den Schuldner zweckmäßig sein, wenn etwa bei einem Verkauf an Dritte nur ein geringer Preis zu erwarten ist, vgl. § 825 ZPO. Warum sollte es also unzulässig sein, daß der Schuldner von sich aus den Gläubiger bei Pfandreife bittet, das Pfand zu übernehmen und nicht zu verkaufen? 99 A.a.O. 192. 100 Zu ihr vgl. statt aller Wieacker, Lex commissoria (1932) Levy, Ges. Schr. 11 (1963) 261 ff. (= Symb. Frib. Lenel (1934) 109 ff.), Arangio-Ruiz, La compravendita (2. Aufl. 1956) 400 ff.
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Klausel ist eine Bedingung des Kaufvertrages, und zwar regelmäßig eine auflösende, vgl. Ulpian D. 18.3.11 01 • Gewisse Parallelen zwischen der von Konstantin verbotenen Klausel und der kaufrechtlichen lex commissoria sind vorhanden. Hier wie dort entstehen Rechte des Gläubigers unter der Bedingung, daß der Schuldner nicht rechtzeitig zahlt. In beiden Fällen hat das Ausbleiben der Zahlung einen Eigentumswechsel zur Folge: einmal erwirbt der Pfandgläubiger die verpfändete Sache, das' andere Mal fällt das Eigentum an dem Kaufgegenstand an den Verkäufer zurück1O!. Es ist weiter denkbar, daß der Pfandgläubiger ebenso wie der Verkäufer die Befugnis hat, zwischen den durch die Klausel verliehenen Rechten und der normalen Abwicklung des Vertrages zu wählen103 • Die bei der lex commissoria des Kaufes übliche Formulierung si ad diem pecunia soluta non sit, ut fundus in e m p t u S sit104 , läßt sich mit einer kleinen Modifikation auch bei der lex commissoria des Pfandes verwenden: si ad diem pecunia soluta non sit, ut fundus e m p tu s sit. Insofern läßt es sich vermuten, daß die Rechtspraxis zur Zeit Diokletians die Abrede des Pfandverfalls in der genannten Weise formulierte und sie mit der lex commissoria des Kaufes identifizierte 105 • Die Bezeichnung der Klausel paßt hier wie dort: Lex commissoria bedeutet nichts anderes als Verfallsklausel lOI • 101 :redenfalls in der spätklassischen Zeit, die hier allein interessiert, vgl. nur Wieacker, 31 ff., Levy, 261 ff. (= 109 ff.), Arangio-Ruiz, 405 ff. (sämtl. vor.
Anm.).
Vgl. dazu jetzt statt aller Wesel, SZ 85 (1968) 95 ff. Bei der lex commissoria des Kaufes erwähnen das Wahlrecht des Verkäufers Pomp. D. 18.3.2, lnp. D. 18.3.3, Pap. fr. vat. 3. Für ein Wahlrecht auch des Pfandgläubigers etwa Dernburg, 276 f., Burdese, 116 ff., Levy, 188 f. 104 Pomp. D. 18.3.2. 105 So ausdrücklich Dernburg, 275, Steiner, 106 f., dagegen Burdese, 123. lOS Die Bedeutung von "verfallen" hat committere auch in Wendungen wie stipulatio committitur, vgl. lnp. D. 3.3.35.3, 35.2.70, 46.7.3 pr., Paul. D. 3.3.45.2, cautio committitur, vgl. Marcian D.30.114.4, committi in publicum (dem Staatsschatz verfallen), vgl. Afr. D. 16.1.17.2, Paul. D. 3.5.12. - Biscardi, 576 f. erwägt außerdem noch, ob dem Ausdruck lex commissoria nicht committere in seinem peiorativen Sinne "verüben", "begehen" zugrundeliege. In diesem Sinne werde auch scelus committere und delictum committere gesagt. Eine solche Herleitung von lex commissoria paßt aber nur zu der pfandrechtlichen Klausel, da diese die Sanktion für ein pflichtwidrlges Verhalten des Schuldners ist, nicht zu der lex commissoria des Kaufes, die offenbar kein Verschulden des Käufers voraussetzt, vgl. Peters, Die Rücktrittsvorbehalte des römischen Kaufrechts (in Vorb.) § 13 11. - Nicht zu folgen ist Burdese, 14 Anm. 1, nach dessen Ansicht in dem Ausdruck lex commissoria die ursprüngliche Bedeutung von committere erhalten ist: "zusammenschicken", "zusammenfügen". Lex commissoria würde dann die Abhängigkeit des Pfandverfalls von der Säumnis des Käufers bezeichnen. Wäre dies richtig, dann könnte letztlich jede Bedingung lex commissoria genannt werden. 10! lOS
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Dabei wurden freilich gewichtige sachliche Unterschiede hintangestellt. Anders als die kaufrechtliche lex eommissoria ist die pfandrechtliche keine auflösende, sondern eine aufschiebende Bedingung des Geschäfts 107 • Die kaufrechtliche Klausel verschafft dem Gläubiger einen Gegenstand, der ihm einmal selbst gehört hat, die pfandrechtliche einen fremden. Die lex eommissoria des Kaufes hat ihren systematischen Standort im Recht der Leistungsstörungen; sie entspricht dem Rücktrittsrecht des § 326 BGB. Die pfandrechtliche ist eine Sonderform der Pfandverwertung. Dementsprechend ist die Interessenlage bei beiden Klauseln grundsätzlich verschieden, was auch zu einer unterschiedlichen rechtspolitischen Wertung führt. Konstantin wird denn auch die lex eommissoria nur in ihrem pfandrechtlichen Anwendungsbereich verboten haben, auch wenn die in CTh. 3.2.1 überlieferte Fassung seines Erlasses das Wort pignus nicht enthält und von den Kompilatoren des Codex Theodosianus in einen kaufrechtlichen Rahmen eingestellt wurde 108 • Daß Justinian zwischen die Worte eommissoriae und legis ein pignorum einfügt, wird keine Einschränkung des Verbots bedeuten, sondern nur eine KlarsteIlung seiner Tragweite, die zugleich zeigt, daß ihm die Unterschiede zwischen der kaufrechtlichen und der pfandrechtlichen Klausel deutlich waren. Aber auch die spätklassischen Fragmente, die den Kauf des Pfandes durch den Gläubiger behandeln, trennt Justinian von der lex eommissoria des Kaufes. Er widmet der letzteren vor allem den Digestentitel D. 18.3 de lege eommissoria und den Codextitel C. 4.54 de paetis inter emptorem et venditorem eompositis. Beide stehen in einem rein kaufrechtlichen Rahmen und enthalten keinerlei Hinweise auf pfandrechtliche Fragen. Demgegenüber finden sich die Fragmente, die den Kauf des Pfandes durch den Gläubiger besprechen, bei Justinian in Zusammenhängen, die dem Pfandrecht gewidmet sind109 • 107 V'g!. Levy, 189, Biscardi, 580 f. Mit besonderer Deutlichkeit bringt Marcian D.20.1.16.9 die aufschiebende Bedingtheit des Pfandkaufs zum Ausdruck. 108 Der Erlaß Konstantins steht zwischen Titeln, die de contrahenda emptione (CTh. 3.1), de patribus, qui filios distraxerunt (CTh. 3.3) und de aediliciis actionibus (CTh. 3.4) überschrieben sind. Dernburg, 275, nahm deshalb an, daß auch die kaufrechtliche lex commissoria verboten werden sollte. Wie hier aber von Lübtow, 338, der zu Recht auf die Schlußworte des Erlasses verweist. Re amissa iubemus recipere quod dederunt kann sinnvoll nur zu Pfandgläubigern, nicht zu Verkäufern gesagt werden. Vgl. auch Levy, 190. 109 Paul. D.13.7.20.3 steht in dem Titel De pigneraticia actione vel contra, Marcian D. 20.1.16.9 in dem Titel De pignoribus et hypothecis et qualiter ea contrahantur et de pactis eorum, Marcian D. 20.5.5.1, Modest. D. 20.5.6, Tryph. D. 20.5.12 pr. in dem Titel De distractione pignorum et hypotheearum.
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Trotz dieser klaren Scheidung im justinianischen Recht hat kürzlich Biscardi llO die These vertreten, daß die Spätklassiker den Kauf des Pfandes durch den Gläubiger mit der kaufrechtlichen lex commissoria in Verbindung gebracht hätten. Es fehlen jedoch hinreichende Indizien dafür, daß sie weniger deutlich unterschieden hätten als Justinian. Wir besitzen nicht ein Fragment, das beide Geschäfte nebeneinander nennt oder das auch nur aus einem dem einen Geschäft gewidmeten Zusammenhang stammt und dann auf das andere zu sprechen kommt111 • Außerdem bestehen zwischen dem Kauf des Pfandes durch den Gläubiger und der kaufrechtlichen lex commissoria eher noch stärkere Unterschiede als zwischen der letzteren und den später von Konstantin verbotenen Klauseln112 • So wird es denn kein Zufall sein, daß wir die Bezeichnung lex commissoria für die Abrede des Pfandverfalls erst in der Zeit dieses Kaisers finden 118 •
A.a.O. 573 ff. In seinem Sinne früher schon Steiner, 108 f. Im Verhältnis zwischen der kaufrechtlichen lex commissoria und der fiducia liegen die Dinge möglicherweise anders, da Pomp. D. 18.3.2 und Ulp. D. 18.3.3, die die lex commissoria des Kaufes behandeln, Zusammenhängen entnommen sind, die die fiducia betrafen, vgl. Wieacker, Lex commissoria (1932) 4 ff. m Dem spätklassischen Kauf des Pfandes durch den Gläubiger ist nicht einmal stets die Bedingung eigentümlich si ad diem pecunia soluta non sit, die zur kaufrechtlichen lex commissoria gehört. Paul. D. 13.7.20.3 und Tryph. D. 20.5.12 pr. sagen beispielsweise nichts von einer Bedingtheit des Pfandkaufs. Außerdem wissen die Quellen nichts von einem Recht des Gläubigers, zwischen dem Erwerb des Pfandes und der Rückzahlung der gesicherten Schuld zu wählen. 113 Auch Levy, 189, scheint die Verwendung des Ausdrucks lex commissoria im Zusammenhang mit einem Erwerb des Pfandes durch den Gläubiger für eine nachklassische Entwicklung zu halten. 110 111
Zum iusiurandum in litem bei den dinglichen Klagen Von Sandro Schipani 1. Das Problem. II. Der Streitstand. III. Die Existenz eines Zeitraums, in dem der Besitz des Beklagten im Zeitpunkt der eondemnatio nicht verlangt wurde, schließt die Auffassung aus, die im iil eine Strafe für das absichtliche Unterlassen der Restitution sieht. IV. Das Aufkommen des Systems, das auf den beiden Tatbeständen der willentlichen Nichtrückgabe (Rechtsfolge lli) und der fahrlässigen Beschädigung oder Zerstörung (Rechtsfolge: aestimatio iudicis) beruht. 1. Das Besitzerfordernis. 2. Das Prinzip dolus pro possessione est. 3. Die Haftung für fahrlässige Sachbeschädigung oder -zerstörung. 4. Das aus diesen Neuerungen entspringende System. 5. Die Wertennittlung bei der lex Aquilia und bei der aetio in rem im Fall fahrlässiger Beschädigung oder Zerstörung der Sache. 6. Die Annahme, das iil sei ursprünglich die einzige Fonn der an die einfache Nichtrestitution anknüpfenden aestimatio litis gewesen. V. Die Funktion des in. 1. Das iil ist keine Strafe für den Ungehorsam (Präzisierung zum typisierten dolus). 2. Das iil ist kein Mittel, um die Sache über ihren wahren Wert hinaus zu schätzen (Bemerkungen zu Ursprung und Tragweite der Äußerungen über dessen Unterschied vom pretium). 3. Das in als nonnales Mittel zur Feststellung des Sachwerts bei den aetiones in rem, bei welchen nicht der Tauschwert, sondern der Zuordnungswert den Maßstab bildet.
I. Zum iusiurandum in litem (in) existieren zahlreiche und eingehende Untersuchungen. Insbesondere die Forscher des italienischen Sprachraums haben sich diesem Institut gewidmet (Bertolini, Marchi, Biondi, Betti, Chiazzese, Provera, Broggini, Crifö); doch dürfen auch die Beiträge von Levy und neuerlich von Watson nicht unerwähnt bleiben1 • 1 Nur mit Verfassernamen werden zitiert: Chiazzese, Iusiurandum in litern (1936, rist. 1958); Provera, Contributi allo studio deI iusiurandum in litern (1953); Broggini, Sulle origini deI iusiurandum in litern, St. Betti 2 (1962) 119 (= Coniectanea [1966] 187 ff.). Kaser, Rest. = Kaser. Restituere als Prozeßgegenstand 2(1968). Weitere Abkürzungen nach Kaser, RP 12 (1971) XIX ff. - Zur älteren, am Gegensatz von HZ aequitatis und iil necessitatis ausgerichteten Lehre zum in s. Bertolini, Il giuramento nel dir. priv. rom. (1886) (Ältere Lit. S. VII ff.). Zur überwindung dieser Lehre vgl. Marchi, Il giuramento in lite e la stima della cosa perita nei giudizi di stretto diritto, St. Scialoja 1 (1905) 167 ff. - Zum iil vgl. jetzt vor allem Biondi, Studi sulle actiones arbitrariae e l'arbitrium iudicis 1 (1913); Betti, Studi sulla litis aestimatio nel proc. civ. rom. 1 (Il litis aestimationem sufferre e il iusiurandum) (1915); ders., Studi sulla litis aestimatio 2 (Le azioni quibus et rem et poenam persequimur dei proc. class.) (1915); Levy, Zur Lehre von den sog. actiones arbitrariae, SZ 36 (1915) bes. 61 ff.; Steinwenter, RE 10 (1919) 1259 s. v. iusiurandum; Chiazzese; Sacchi, Nuovo DI 7 (1938) 513 f. s. v. iusiuran-
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In diesem Seminar möchte ich die Probleme zur Diskussion stellen, die sich aus der Untersuchung einer, wie mir scheint, bislang nicht beachteten Beziehung beim iil ergeben. Es geht um die Beziehung zwischen einerseits den Voraussetzungen und der Funktion des iil der action es in rem im Formularprozeß und andererseits dem Erfordernis, daß der Beklagte im Zeitpunkt der Urteilsfällung den Besitz der Streitsache innehaben muß - ein Erfordernis, dessen Geschichte und Bedeutung vor allem durch die Untersuchungen von Herrn Professor Kaser erhellt worden ist2 • Wegen dieser Methode, das Problem anzugehen, werden die Ergebnisse mehr darin bestehen, Fragen aufzuwerfen als zu beantworten: Es werden sich gewichtige Bedenken gegenüber manchen Ansichten der heute herrschenden Auslegung ergeben und es wird sich Raum eröffnen für eine abweichende Betrachtung. Wegen des Fehlens ausdrücklicher Quellenzeugnisse muß diese Betrachtung jedoch auf die innere Kohärenz gestützt werden, die sich aus der Deutung der verschiedenen Ausgangspunkte ergibt, sowie auf die Plausibilität einer solchen Erklärung selbst. Aus denselben Gründen bildet den Schwerpunkt der Betrachtung auch jener begrenzte, relativ kurze Zeitraum aus der Geschichte des agere in rem per formulas, in dem man beginnt, den Richter für kompetent zu erachten, den Besitz des Beklagten im Augenblick der Urteilsfällung zu prüfen. 11. Die beiden eingehenden neuen Untersuchungen zum iil von Chiazzese und Provera, auf die die herrschende Lehre 3 sich stützt, haben die Tendenz, dieses Institut unabhängig von der Existenz und vom Einfluß seiner historischen Vorläufer zu analysieren4 •
dum; Provera; Amirante, NNDI 7 (1961) 942 s. v. giuramento (dir. rom.); Broggini; Watson, Iusiurandum in litern in the bonae fidei iudieia, TR 34 (1966) 175 ff.; Crif6, Iusiurandum in litern e tutela materna (Ulp. D. 12.3.4 pr.), Sero Giuffre (1967) 73 ff. 2 Kaser, SZ 51 (1931) 92 ff.; ders., Rest. 224 ff.; ders., RP 12, 432 f. 3 Vgl. statt aller Amirante (0. A. 1) 942; Kaser, RZ 260 f.; ders., SZ 84 (1967) 515; Pugliese, TR 35 (1967) 299; Gaudemet, Institutions de l'antiquite (1967) 622 m. A. 4; Grosso, Schemi giuridici e societa nella storia deI dir. priv. rom. Dall'epoca arcaica alla giurisprudenza class.: diritti reali e obbligazioni (1970) 107.
4 Genauer gesagt beschäftigt Chiazzese sich nicht mit dem Problem der Beziehungen zwischen dem iiZ des Formularprozesses und seinen historischen Vorläufern. Anders Provera 71 ff., der zunächst die Auffassungen von Betti (vgl. insbes. Studi 1 [0. A. 1] 64 ff.) und Kaser (vgl. Quanti ea res est [1935] 37) referiert, sich jedoch auf die rein negative Schlußfolgerung beschränkt, die Forschung könne im Hinblick: auf die Ursprünge des in nur zu recht unzuverlässigen Vermutungen gelangen (vgl. auch S. 2 A. 3.). Geschichtlich bestehe jedenfalls ein Bruch zwischen den älteren Schätzmethoden und dem in des Formularprozesses, denn dieses sei ausschließlich vom iudex deferiert worden. Doch nimmt Provera 91 ff. andererseits an, es bestehe eine Kon-
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Chiazzese 5 beschränkt bekanntlich das Anwendungsgebiet des iil auf die Arbiträrklagen, bei denen die formulare restitutio eine negative Urteilsvoraussetzung darstellt, und kennzeichnet das iil als die Rechtsfolge, mit der die klassische Rechtsordnung den Ungehorsam des Beklagten gegenüber dem richterlichen iussum de restituendo ahnde. Der Schätzeid gründe sich seit dem Aufkommen des Formularprozesses auf eine einzige direkte Voraussetzung, die contumacia, die ein Akt willentlichen Ungehorsams gegenüber dem Restitutionsbefehl des Richters (und in dieser Bedeutung deshalb auch klar vom dolus gegenüber dem Kläger zu scheiden) sei. Dogmatisch stelle das iil sich als das Recht des Klägers dar, im Falle der contumacia des Beklagten zur Schätzung seines Interesses an der Restitution zugelassen zu werden. Es habe deshalb keinen Beweischarakter; es diene weder dazu, ein verum pretium festzusetzen, noch dazu, das wirkliche Interesse des Klägers an der restitutio zu ermitteln; es sei vielmehr die Strafe für das widerspenstige Verhalten des Beklagten und übe auf diesen einen überaus wirkungsvollen Zwang aus. Damit gewinne es die Funktion, die strenge Absolutheit des Prinzips der condemnatio pecuniaria zu korrigieren. Erst mit dem Verfall des ordo iudiciorum privatorum sei das iil verwendet worden, um in bestimmten Fällen als Beweismittel zu dienen; dabei habe es einen seiner klassischen Struktur zutiefst widerstreitenden Charakter erlangt. Differenzierender und offener gegenüber auch denjenigen Entwicklungen, die bereits in die Zeit des Formularprozesses fallen, ist die Ansicht Proveras 8 , der annimmt, einerseits habe sich das Anwendungsgebiet des iil ungehindert durch limitative Regelungen erweitert und andererseits sei die ursprüngliche ratio des Instituts überwunden worden. Diese ratio, die sich bei den dinglichen Klagen im Formularprozeß zeige, bestehe im wesentlichen in der Korrektur, die die Rechtsordnung gegenüber der "technischen Anomalie" vorsehe, die aus der Inkongruenz von zweckmäßigem Prozeßergebnis und Klagbegehren erwachse und die im Fall des dolus oder der contumacia besonders evident sei: Deshalb habe das iil, das in diesen bei den Fällen angewandt worden tinuität zwischen dem schon für die Frühzeit anerkannten Eid, der vom Bestohlenen im Zuge eines Vergleichs mit dem Delinquenten abgegeben wurde, und dem späteren vom iudex deferierten W, das in D. 12.3.9 bezeugt ist. 5 Chiazzese (0. A. 1) pass. (vgl. insbes. die zusammenfassende Darstellung S. 147 ff.); dazu die Rezensionen von Amirante, Labeo 4 (1958) 229 ff.; Provera, SD 24 (1958) 309 ff.; Albanese, Iura 10 (1959) 185 ff. (dort auch kurze Hinweise zu den unvollendeten Teilen); Broggini, SZ 76 (1959) 592 ff. (= Coniectanea 581 ff.). 6 Provera (0. A. 1) pass., bes. 71 ff., vgl. dazu die Rezension von Gaudemet, Jura 5 (1954) 297 und die Darstellung des Meinungsstreits bei Broggini (0. A. 1) 135 f. (= 205 f.).
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sei, einerseits die Funktion eines psychologischen Drucks auf den Beklagten ausgeübt; es habe ihn nämlich dadurch, daß ihm eine gegenüber der richterlichen litis aestimatio normalerweise erheblich höhere Verurteilung drohte, zur restitutio veranlaßt. Andererseits habe das HZ dem Kläger eine vorteilhafte Position verschafft, indem es ihm die Möglichkeit eingeräumt habe, die Beeinträchtigung seines eigenen Interesses selbst zu schätzen. Diese ursprüngliche Funktion der Sanktionierung einer dolosen prozessualen Unerlaubtheit sei jedoch schon von der actio tutelae überwunden worden. Bei dieser habe das iil die doppelte Aufgabe gehabt, sowohl eine allgemeine unerlaubte - manchmal bloß fahrlässige (unterlassene Inventarerrichtung) - Handlung zu ahnden, als auch ein Beweismittel zu liefern. Dies letztere sei bedeutsam gewesen, weil es sich bei Fehlen eines Inventars als schwierig, ja manchmal sogar als unmöglich erwiesen habe, den Umfang der Haftung des Vormundes zu schätzen. Außerdem sei die ursprüngliche Funktion auch im Hinblick auf die aestimatio litis bei der actio fuTti nicht gegeben, bei welcher die Verwendung des iil übrigens schon in die Legisaktionenzeit zurückreiche.
Broggini hat diese beiden Zurechtlegungen kritisiert, weil sie sich darauf gründeten, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Abschluß oder eine Isolierung gegenüber möglichen historischen Vorläufern bestanden habe7 • In der Tat zeigen beide die Tendenz, die für einen bestimmten Zeitpunkt vermutete Funktion als die ursprüngliche anzusehen. Deshalb sind beide darauf angelegt, eine erschöpfende Erklärung für alle strukturellen Umstände zu suchen, damit kein Raum für mögliche Inkongruenzen zwischen Funktion und Struktur bleibt, die als "Residuen" betrachtet - Anknüpfungspunkt sein könnten für eine stärker auf die historische Entwicklung abstellende Deutung. Broggini hebt deshalb bei der Untersuchung solcher Verschiedenheiten einleitend hervor, die Lehren, die sich darauf beschränken, das iil beim Formularprozeß zu betrachten, und die dessen Straffunktion unterstreichen, seien nicht in der Lage, hinreichend zu erklären, warum die taxatio eingeführt und warum eine solche - der richterlichen Schätzung gegenübergestellte - "Strafe" immer unter den Bereich des quanti ea res est subsumiert worden ist8 • ErD legt deshalb das Gewicht seiner Analyse auf den Zeitpunkt, in dem die condemnatio pecuniaria eingeführt worden ist, und auf die Art und Weise, auf die man gerade zu dieser gelangt ist. Nach seiner Ansicht ist das iil im staatlichen 7 Broggini 135 f. (= 204 ff.); ders. (0. A. 5) 594 f. (= 583 f.). 8 Broggini (0. A. 5) 604 ff. (= 596 ff.). 9 Broggini (0. A. 1) insbes. 123 f. (= 191); s. auch ders.,
(1957) 127 ff.
Iudex arbiterve
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Prozeßverfahren allein zum Zweck der Schätzung eingeführt worden. Es habe dem arbitrium litis aestimandae eines oder mehrerer Schiedsrichter gegenübergestanden und sei vermutlich bei Sachverhalten aufgekommen, in denen sich das arbitrium eines Dritten deswegen als unmöglich erwiesen habe, weil die Streitsache nicht zugegen war. In solchen Fällen sei die Bewertung dem arbitrium des siegreichen Klägers anvertraut worden, der an seine fides gebunden gewesen sei (ius iurandum). Wie jede andere Form eines prozessualen Eides, so wurzele auch das iiZ nicht in einer Parteivereinbarung, sondern erwachse aus der Auferlegung durch eine Jurisdiktionsgewalt, die hierin die ultima ratio sehe, um bei Fehlen anderer Beweis- oder Bewertungsmittel eine Tatsache oder eine Sachlage zu erweisen. Zwischen der altrömischen und der klassischen Zeit sei nur eine "Akzentverschiebung" erfolgt vom objektiven Element des Fehlens der Bewertungsgrundlage (Abwesenheit der res litigiosa) zu dem subjektiven der Weigerung, dem richterlichen Restitutionsbefehl zu entsprechen. Diese Deutung stützt sich auf die religiöse Natur des iipo, auf dessen gerichtlichen Charakter l l , vor allem aber auf dessen Funktion als letztmögliches, im Hinblick auf das arbitrium subsidiäres BeweismitteP2, sowie auch auf den nicht geleugneten Strafzweck, der allerdings seines juristischen Gehalts entkleidet und in den ökonomisch-sozialen Bereich abgedrängt wird13 • Abgesehen von den Zweifeln, die sich im Hinblick auf diese verschiedenen Punkte anführen lassen14 , wird, wie mir scheint, bei dieser Deutung gerade jenes heikle Bindeglied nicht hinreichend klar, das die altrömische Periode mit der klassischen verknüpft, für welche letztere allein der Dualismus der Schätzmethoden bezeugt ist. Das Einhaken des iusiurandum beim Ungehorsam oder beim dolus ist in der Tat nicht leicht zu begründen; es wäre eine radikale Neuerung. Die Akzentverlagerung vom objektiven Gesichtspunkt der fehlenden Bewertungsgrundlage zum subjektiven des dolus des Beklagten bietet keine Erklärung, sondern postuliert gewissermaßen einen neuen Ursprung, eine neue ratio des Instituts. Eine solche Akzentverschiebung setzt nämlich voraus, daß der Richter in Ausübung seiner Entscheidungsgewalt die dolus-Fälle dem iil zuordnet; hierzu hätte er aber erst dann Anlaß gehabt, wenn das iil bereits eine Straffunktion
11
Vgl. insbes. Broggini (0. A. 1) 141 ff. (= 211 ff.). Vgl. Broggini (0. A. 1) 129 ff., 138 ff., 145 f. (= 200 f., 207 ff., 216); aber auch
14
Vgl. unten IV 6.
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ders. (0. A. 9) 142 ff. t! Vgl. Broggini 132, 138 (= 201,207 f.). 13 Vgl. Broggini 120 f. A. 3, 136, 143 f. (= 188 A. 3, 206, 214).
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enthalten hätte 15 • Deshalb müßte das Verhältnis von Ursache und Wirkung umgekehrt zu sehen sein: Das iil würde nicht zur Strafe werden, weil die dolus-Fälle ihm zugeordnet werden; vielmehr müßten die dolus-Fälle ihm zugeordnet werden, weil es als Strafe aufgefaßt wird. Aber in solchem Falle wäre zu fragen, wie es zu einem solchen Strafverständnis des iil gekommen ist. Aus dieser Schilderung des Streitstandes erhellt, daß alle Untersuchungen einen Punkt aufweisen, in dem sie sich treffen und der für die einen Ausgangs-, für die anderen der Endpunkt ist. Dies ist der Zeitpunkt, in dem das System der Verknüpfung von contumacialdolus und HZ sowie von culpa und aestimatio iudicis entstand; ein System, das übrigens das einzige ist, für das die Quellen bezeugen, daß die aestimatio litis bei den dinglichen Klagen auf zwei solch unterschiedliche Arten geschehen konnte 16 • 15 Zu den weiteren Problemen dieser Umwandlung, die sich im Hinblick auf die von Broggini angenommene sog. Entpönalisierung der Haftung ergeben, s. u. A. 35 u. 36. 16 Vogl. für die rei vindicatio D.12.3.2 + 6.1.71; D.6.1.68; 42.1.41.1; 47.2.9.1; für die vindicatio servitutis D.8.5.7; für die actio pigneraticia in rem D.20.1.16.3; für die hereditatis petitio D.5.3.25.10; allgemein D.12.3.5.3 (die exegetischen Einzelfragen dieser Fragmente können hier dahinstehen, dazu statt aller Provera 13 ff.; 24 ff.; 114 A. 74; 118 A. 7. Daß die Bezugnahme auf die Vollstreckung manu militari itp. ist, wird allgemein anerkannt, vgl. Kaser, RZ 514 m. A. 25). - Doch dürfte der Passus in arbitrio esse iudicis deferre iusiurandum necne constat in D. 12.3.4.1,2 nicht den Rückschluß auf ein allgemeines Prinzip tragen, nach welchem es im freien richterlichen Ermessen gestanden habe, den Eid zu deferieren oder nicht (so jedoch Provera 101, vgl. aber auch Levy [0. A. 1] 63; Broggini [0. A. 5] 603 [= 594 f.]; ders. [0. Al] 138,145 m. A. 75 [= 208,215 m. A. 75]; so auch Chiazzese 111 A.l, der das fr. allerdings anders interpretiert). Abgesehen von der Frage der genauen Bedeutung des in arbitrio esse steht der Umstand, daß es sich hier um ein iudicium tutelae handelt, der Annahme eines allgemeinen Prinzips entgegen. Die Besonderheiten der Einführung des iil im iudicium tutelae werden auch von Provera anerkannt, der eine Beziehung zwischen dieser Einführung und dem Aufkommen der Pflicht des Tutors zur Inventareinrichtung sieht. Die ratio dieser Pflicht liege darin, im Fall des Bestreitens von seiten des pupillus eine Rekonstruktion der Verwaltung zu ermöglichen (D. 12.3.8 sei eine Neuerung von Marcellus, S. 65). In diesem Fall handle es sich um ein sog. iil necessitatis, das die Unmöglichkeit oder erhebliche Schwierigkeit voraussetze, das quantum der condemnatio zu beweisen. Diese Entwicklung sei von den Kaiserkonstitutionen stark beeinflußt worden (Diesen Einfluß dürfte auch der Hinweis auf die Kaiserkonstitutionen in D.12.3.4.1 im Auge haben, der deshalb Proveras Schlußfolgerung S. 101 zugunsten des allgemeinen Charakters eines solchen Prinzips nicht zu stützen vermag). Als Ergebnis hebt Provera 101 hervor: "il nostro istituto (sc. das iil) esplicava dunque, nella tutela, una funzione deI tutto particolare; indipendente eioe dal processo di espansione della sua applicazione dalla rei vindicatio e dalle azioni reali, ehe ha eondotto ad ammetterne un impiego nelle azioni dirette ad un restituere (0 ad un reddere)." Zum Ursprungsproblem des in bei der actio tutelae s. noch Betti (0. A. I, Studi 1) 63; zuletzt Watson (0. A. 1) 186 ff.; Crifo (0. A. 1) 180. Watson führt das in hier auf Servius (D. 27.7.4 pr.) zurück und schränkt den kaiserlichen Einfluß ein, doch s. zum fr. Provera 62 m. w. N.
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III. Ohne die Probleme des Ursprungs der condemnatio pecuniaria hier aufrollen zu wollen, scheint mir im Hinblick auf den Formularprozeß der ausgehenden Republik und dem ersten Abschnitt des Prinzipats weder die Beziehung: "iil- doloses Verhalten des Beklagten", noch ihre Entsprechung: "aestimatio iudicis - culpa des Beklagten" begründet zu sein. Die Quellen lassen nämlich erkennen, daß ursprünglich der iudex im Bereich des Formularprozesses nicht kompetent war, den Besitz des Beklagten zum U rteilszei tpunkt festzustellen, um dann seinen Spruch fällen zu können. Dies hatte zur Folge, daß die Nichtrestitution als eine bloße Tatsache festgestellt wurde, ohne daß für eine Untersuchung der jeweiligen Ursachen dieses Umstandes Raum war. Hierfür sei vor allem auf D. 6,1,57 und 58 von Alfen und D. 5,3,57 von Neratius verwiesen. In diesen Fragmenten geht es im wesentlichen um den Fall, daß der Beklagte die Sache (oder die Erbschaft) gegenüber zwei Klägern verteidigt, die darauf gleichzeitig, aber unabhängig voneinander klagen und von denen zumindest einer die dingliche Klage anstrengt. Die Entscheidungen, die sich auf die Notwendigkeit, eine cautio zu leisten, stützen, setzen eindeutig voraus, daß der Beklagte vom zweiten Richter auch dann zur Zahlung der litis aestimatio verurteilt werden konnte, wenn er die Sache auf Grund des Urteils des ersten iudex restituiert hatte. Das beweist, daß die Feststellung des Besitzes des Beklagten im Zeitpunkt der Urteils fällung keine Urteilsvoraussetzung war17 • Dieses Ergebnis wird durch die Lehre des Proculus bestätigt, welche Paulus in D. 5,3,40 pr. überliefert. Auch findet es - mehr auf indirektem Wege - einen Beleg in den Zeugnissen über den Meinungsstreit zwischen Sabinianern und Prokulianern zur Frage der Einführung des Besitzerfordernisses18 • Die Problematik der Haftung des Tutors kann hier nicht erörtert werden, s. dazu vor allem De Robertis, La responsabilita deI tutore nel dir. rom. (1960) 81 ff.; s.auch 164 ff.; Kaser, RP 12, 361 m. A. 12 u. Lit. Jedenfalls wird das Ermessen des Richters bei der Ausformung der Pflichten des Tutors, vor allem bei der Inventarisierungspflicht, eine besondere Rolle gespielt haben, so daß der Hinweis in arbitrio iudicis esse deferre iusiurandum necne in der Klassik keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. 17 Vgl. in diesem Sinne statt aller Herdlitczka, SZ 49 (1929) 298 ff.; Kaser, SZ 51 (1931) 103 f.; ders., Rest. 207; Nardi, Studi sulla ritenzione in dir. rom. 1 (1947) 85 ff.; Levy, Nachträge z. Konkurrenz der Aktionen und Personen (1962) 29 ff., 49 ff.; dagegen jedoch vor allem Talamanca, St. Cagliari 43 (1964) 166 ff. Für Näheres sei auf meine Schrift Responsabilita deI convenuto per la cosa oggetto di azione reale (1971) 65 ff., 159 ff. verwiesen; dort auch zu den o. a. Fra'gmenten. Der Grund, weshalb der iudex den Besitz des Beklagten im Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht prüfte, liegt wahrscheinlich darin, daß im System der legis actiones die Sache in iure zugegen sein mußte. Der Besitz wurde deshalb als dort festgestellt vorausgesetzt; ihn nochmals festzustellen, war nicht mehr Aufgabe des Richters. Dieser historische Ursprung macht des weiteren deutlich, daß der Wegfall des Besitzes und die eventuel-
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Da es an einer derartigen Feststellung des Besitzes und folglich auch der Gründe für dessen Verlust fehlt, scheint es mir nicht möglich zu sein, bei einer Unterscheidung der jeweiligen Methode der Sachwertermittlung auf die Gründe für die Nichtrestitution der Sache (Ungehorsam, dolus, cutpa etc.), abzustellen, auf Umstände also, die selbst nicht untersucht werden konnten (für den Fall der Rückgabe einer res deteriorata wäre allerdings eine andere Lösung denkbar; doch s. dazu unten IV 3). Damit ist die Möglichkeit versperrt, für diesen Zeitabschnitt der Interpretation von Chiazzese und Provera zu folgen, die im iil eine Strafe für die willentliche Nichtrückgabe, also ein Mittel psychologischen Zwanges sehenl9 • IV. Da bei den dinglichen Klagen ursprünglich also der Besitz des Beklagten im Zeitpunkt der Urteilsfällung ungeprüft blieb und das Urteil sich auf die bloße objektive Voraussetzung der unterbliebenen restitutio gründete, lag ein einheitlicher Tatbestand "non restituere" vor. Dieser ist nachträglich aufgespaltet worden in Nichtrestitution auf Grund dolosen Verhaltens und in Nichtrestitution auf Grund von Fahrlässigkeit. Es spricht, wie noch darzulegen sein wird, vieles dafür, daß erst mit dieser Aufspaltung die Rechtsfolge der Wertermittlung durch aestimatio in diesem Bereich aufgekommen ist, daß sie also genetisch mit der Herausbildung der culpa-Fälle verknüpft ist. Damit wird len Gründe hierfür unbeachtlich waren. Zur Möglichkeit, das Verhalten des Beklagten im Sinne eines typisierten dolus zu deuten s. u. V 1. 18 Vgl, in diesem Sinne statt aller Schulz, SZ 32 (1911) 86 f.; Maria, Et. Girard 2 (1913) 232; Herdlitczka (0. A. 17) 304 f.; Kaser, SZ 51 (1931) 98; ders., Rest. 206; G. Longo, L'hereditatis petitio (1933) 173; Schipani, Responsabilita deI convenuto per la cosa oggetto di azione reale (1971) 19 ff. (0. A. 17). Die Bemerkung Talamancas (0. A. 17) 166 f., es handle sich hier um einen Fall des Untergangs der Sache, nicht aber um einen allgemeinen Besitzverlust, schließt m. E. nicht aus, daß die Irrelevanz des Besitzverlustes eine Folge der Nichtfeststellung des Besitzes ist. 18 Chiazzese und Provera untersuchen nicht die Frage, wie in der ersten Periode der Geschichte des Formularprozesses das in die dolose Nichtrückgabe überhaupt hätte ahnden können. Beide Autoren lassen unbeachtet, daß der Besitz im Zeitpunkt der Urteilsfällung in jener Periode nicht verlangt wurde. Zwar könnte man unserer auf diesen Umstand abstellenden Folgerung entgegenhalten, daß man, auch wenn man den Besitz nicht verlangte, die Ursache der Nichtrestitution hätte beachten können, und zwar durch eine Unterscheidung der Voraussetzungen einerseits für die Verurteilung, andererseits für die Bestimmung der jeweiligen Schätzmethode. Für eine solche Unterscheidung bieten die Quellen jedoch keine Anhaltspunkte. Eine solche Vermutung wäre auch nur dann für wahrscheinlich zu halten, wenn man das in als Strafe auffassen wollte; dieses aber ist gerade das Thema probandum. Auf der Grundlage einer solchen Unterscheidung würde auch die praktische Bedeutung der sabinianischen Neuerung (possessio utroque momento) und des Schulenstreits nicht verständlich sein. Wie bereits Kaser, SZ 51 (1931) 119 hervorhob, war für die ältere Lehre und die Prokulianer "die Ersatzpflicht hinsichtlich der ipsa res ... ja vom Verschulden unabhängig". Das iil hatte in dieser Periode mit dolosem Verhalten nichts zu tun.
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die Vermutung erschüttert, schon zur Zeit des einheitlichen Tatbestandes habe es die zwei Bewertungsmethoden aestimatio iudicis und in gegeben. Da es im übrigen an positiven Beweisen für jene Vermutung fehlt, dürfte jedenfalls die Annahme näherliegen, daß ursprünglich, d. h. bei Bestehen eines einheitlichen Tatbestandes, nur eine Bewertungsmethode zur Verfügung stand. 1. Bei der Betrachtung der Kondemnationsbedingungen sahen bereits, daß ursprünglich der Besitz des Beklagten im Zeitpunkt Urteilsfällung nicht gefordert wurde. Wegen der Bedeutung, die Einführung des Besitzerfordernisses zukommt, ist es nötig, auf näher einzugehen.
wir der der sie
In dem ersten Satz von D.6,1,27,1 erblickt man zu Recht die echte Formulierung der sabinianischen Theorie von der Notwendigkeit des Besitzes utroque momento, d. h. im Moment der litis contestatio und im Zeitpunkt der Urteilsfällung20 • Die Einführung dieses Prinzips ist implizit auch in D. 6,1,17 pr. enthalten, wo Ulpian die Ansicht Julians wiedergibt. Dieser gestattet, daß der mit der rei vindicatio Verklagte, der die Sache während des Prozesses verkauft hat, in das pretium, das noch zu den Früchten zu rechnen ist, verurteilt wird. Der Beklagte wird folglich wegen der Früchte, also in Höhe seiner Bereicherung verurteilt, nicht aber wegen der Nichtrückgabe der Sache, eben weil er nicht mehr Besitzer war2 !. Die sabinianische Theorie liegt auch der später allgemein bestehenden Notwendigkeit zugrunde, die Fiktion dolus pro possessione est anzuwenden (dazu IV 2). Sie wird schließlich indirekt auch durch den bereits genannten Gegensatz zwischen Cassius und Proculus in D. 5,3,40 pr. belegt22 • Erst nach Einführung dieser Kondemnationsbedingung war es möglich, das Unterbleiben der restitutio dann, wenn es von einem Besitzer bewirkt wurde, als Ungehorsam dieses Besitzers gegenüber dem richterlichen Befehl, also als contumacia anzusehen. In gleicher Weise eröffnete sich die Möglichkeit, nach dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit den Umstand zu bewerten, daß der Besitz verloren und damit Zu diesem ersten Satz vgl. statt aller die Verdächtigungen durch Maria Herdlitczka (0. A. 17) 290 f. und dagegen Kaser, SZ 51, 105 f.; ders., Rest. 225; Schipani (0. A. 18) 79. 21 Vgl. Schipani (0. A. 18) 72 ff. (aber auch 171 f. A. 4) mit Lit. Zur Einbeziehung des Kaufpreises in die Früchte der verkauften Sache s. insbes. Schulz, SZ 27 (1906) 91 m. A. 2 u. 3, 96 und, wenngleich zweifelnd, Kaser, Rest. 195; der gesamte Zusammenhang des fr. 17 ist hier zu berücksichtigen. 22 Der sabinianischen Lehre steht die prokulianische gegenüber, nach welcher der Besitz alterutro momento erforderlich war, d. h. zum Zeitpunkt der litis contestatio oder des Urteils (vgl. statt aller Kaser, Rest. 224 ff.; ders., RP 12, 433 m. A. 15). Soweit der Besitz zu jenem zweiten Zeitpunkt nicht verlangt wurde, blieben die Gründe der Nichtrestitution gleichgültig. 20
(0. A. 18) 235 ff.;
12 Festschrift Kaser
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eine Erfüllung jenes Befehls unmöglich geworden war 23 • Die contumaeia stellt sich zudem als der Tatbestand dar, der der bloß objektiven Nichtrestitution auf direktem Wege gefolgt ist: Sie ist ein von einem Besitzer bewirktes Unterbleiben der restitutio und deshalb auch subjektiv qualifizierbar. Jedoch ist der Augenblick, in dem eine solche Analyse möglich wird, zeitlich nicht apriori mit demjenigen ihrer Realisierung gleichzusetzen, von dem ab also der dolus als Tatbestandselement beachtet und zu einem aktiven Element wird, an das die Interpretation anknüpft. 2. Das bereits angeführte Fragment D.6,1,27,1 überliefert in seinem zweiten Satz eine Folgerung, die den ersten Satz vervollständigt und ergänzt: quod si litis contestationis tempore possedit, cum autem res
iudicatur sine dolo malo amisit possessionem, absolvendus est possessor. Voraussetzung für diesen 2. Satz ist die Fiktion dolus pro possessione est, die - wahrscheinlich im Hinblick auf die rei vindicatio - in D. 50,17,131 formuliert ist, die auch andere Entscheidungen prägt (vgl. D. 44,2,17) und der Sachverhaltsbeschreibung in zahlreichen anderen Fällen zugrundeliegtu . Die dolose Besitzaufgabe post litem contestatam wird mit Hilfe von selbständigen Klagen geahndet (actio ex stipulatu ex clausula doli, actio de dolo). Diese Klagbarkeit des dolo desinere possidere ist nämlich einer der Fälle jener Verfolgung des dolus malus, die im römischen Recht bis hin zur Bildung eines selbständigen deliktischen Tatbestandes, der actio de dolo führt25 • Doch gelang es, die Verfolgung des dolus auch in die dingliche Klage selbst hereinzunehmen, und zwar dadurch, daß man die Wirkungen des dolosen Verhaltens beseitigte. Dies geschah durch einen technischen Trick, der bereits anderweit angewendet worden war, nämlich durch die Fiktion, daß der Besitz dennoch vorhanden sei26 • Damit blieb die Möglichkeit einer condemnatio auf Grund 23 Zwar ist es abstrakt immer denkbar, die Verurteilung bei einer Nichtrestitution auf den Gesichtspunkt einer Haftung wegen Besitzverlustes zurückzuführen; aber hier kommt es gerade auf den Zeitpunkt an, in dem dieser Gesichtspunkt von den Römern beachtet wurde. Näheres dazu bei Schipani (0. A. 18) pass., insbes. 69 m. A. 7. 24 Vgl. D.6.l.l7.1; 68; 69; 71. Zum Problem im allgemeinen vgl. vor allem Kaser, SZ 51 (1931) 109 ff.; ders., Rest. 210 f.; ders., RP 12, 436 m. A. 49. 25 Vgl. in diesem Sinne die in meiner Schrift Responsabilitä deI convenuto (0. A. 17) 79 ff.; 131 ff.; 178 ff. näher dargelegte Interpretation. Schon Levy, SZ 42 (1921) 505 ff. bemerkte hierzu, der außervertragliche dolus "ist Delikt und verlangt Strafe. So ohne weiteres dann, wenn eine selbständige actio ex delicto in Frage steht. So aber auch in den Ausnahmefällen, in denen er aus Gründen der Rechtsökonomie mittels einer doli clausula im Rahmen einer an sich sachverfolgenden actio geltend gemacht wird". 26 Die Fiktion dolus pro possessione est findet sich in den Formeln zahlreicher Klagen und Interdikte (vgl. z. B. actio ad exhibendum, interdictum
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der anhängigen dinglichen Klage erhalten, wie wenn der Beklagte ungehorsam gegenüber dem richterlichen Befehl wäre (Allerdings bestehen Unterschiede im Hinblick auf die Rechtsfolgen)27. Die Hereinnahme der Verfolgung des dolus in die dingliche Klage betraf also eine Forderung ex deZicto. Aber die Lösung wird auf eine wenngleich fiktive Wiederherstellung der vor der Deliktshandlung bestehenden Situation gestützt; der Beklagte wird weiterhin als Besitzer angesehen und kann deshalb kondemniert werden. Damit wird dieser Fall in die allgemeine jetzt als Ungehorsam aufgefaßte Nichtrestitution hineingenommen, die nach Erlaß des Restitutionsbefehls noch immer die einzige Tatbestandsvoraussetzung für die condemnatio ist28 •
3. Die Verfolgung im Fall der Sachbeschädigung oder -zerstörung steht teilweise mit der Einführung des Besitzerfordernisses im Zusammenhang, ist teilweise aber auch von ihm unabhängig: Was die Beschädigung anlangt, so könnte diese im Gegensatz zur Zerstörung auch bei derjenigen Ansicht berücksichtigt worden sein, die lediglich verlangte, die Vornahme oder Nichtvornahme der restitutio zu prüfen der iudex hätte die Rückgabe einer beschädigten Sache nicht als vollständige restitutio anzuerkennen brauchen. Die beiden Fälle - Beschädigung und Zerstörung - verbinden sich jedoch im Hinblick auf die aquilianische Haftung, nach deren Muster ihre Verfolgung in die dingliche Klage hineingezogen wird. Beschädigung und Zerstörung sind als solche der Struktur der actio in rem fremd, auch wenn sie im Verlauf dieser Klage eingetreten sind. Doch sind sie - ebenso wie der dolus malus mit selbständigen Klagen
verfolgbar, hier mit der lex AquiZia, sofern deren Tatbestandsvoraussetzungen im konkreten Fall gegeben sind29 . quem fundum, quam hereditatem, quem usumfructum), aber sie wird auch
bei Interdikten angewendet, in deren Wortlaut sie nicht erscheint, vgl.
Kaser, SZ 51 (1931) 119 m. A. 1.
27 Man denke an den Erwerb des Eigentums an der res Htigiosa durch den Beklagten, der die litis aestimatio zahlt. Der Eigentumserwerb tritt zwar im Falle der contumacia, nicht aber in dem des dolo desinere possidere ein; vgl. Schipani (0. A.18) 88 ff. A. 22; allgemein zum Problem Kaser, RZ 291 A. 23; ders., RP 12, 437 A. 54. 28 Diese Folgerung stimmt nicht mit der von Chiazzese 214 ff., bes. 219 ff. überein, der das dolo desinere possidere nicht als selbständigen Tatbestand anerkennt; dazu statt aller Broggini (0. A. 5) 603 f. (= 595 f. m. A. 46); vgl. auch den Hinweis o. A. 27. 2G Vgl. D.9.2.38. Wenn aus der actio in rem per sponsionem geklagt und die cautio pro praede Htis vindiciarum stipuliert worden ist, wird die Verfolgung auch mit der actio ex stipulatu aufgrund der darin enthaltenen clausula ob rem iudicatam (vgl. Lenel, EP 516 ff.) möglich. Mit dieser Klausel, kann nämlich die Haftung für deperditum deminutum (Prob. Eins. 52) reali1.2.
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Die Verfolgung solcher deliktischer Sachverhalte wird kraft richterlicher Entscheidungsgewalt auf der Grundlage des Modells der aquilianischen Haftung - daher das Abstellen auf die culpa - in die dingliche Klage hineingenommen, in deren Verlauf sie sich ergeben haben. Diese Hereinnahme wird dadurch gesichert, daß dem Kläger durch Auferlegung von Kautionen der Verzicht abverlangt wird, nachträglich noch Forderungen aus der lex Aquilia geltend zu machen (vgl. D. 6,1,13; 14; 5,3,36,2)30. Es handelt sich um einen Vorgang, der in vielerlei Weise der Einbeziehung der dolus-Verfolgung entspricht. Technisch vollzog er sich jedoch anders als diese, denn die Hereinnahme erfolgte nicht (wie beim dolus) über eine Gleichstellung mit der Situation des Besitzes; deshalb wurde der Fall auch nicht dem Tatbestand der contumacia zugeordnet. Vielmehr wurde die Schadensersatzforderung direkt in den dinglichen Prozeß hineingenommen. rnfolge der Einführung des Besitzerfordernisses konnte man bei einer Zerstörung der Sache diese Tathandlung von der bloßen objektiven Nichtrestitution unterscheiden und daher die für sie einschlägige Haftung (lex AquiZia) anwenden. 4. Aus dem Dargelegten ergibt sich ein Bild, das sich im wesentlichen in zwei Momente aufgliedert: Zunächst hängt die condemnatio bei den actiones in rem im Bereich des Formularprozesses ausschließlich von der objektiven Negativbedingung ab, daß die richterlich angeordnete restitutio nicht erfolgt ist. Erst nachträglich, und zwar seit der Einführung des Erfordernisses, daß der Beklagte im Zeitpunkt der Urteilsfällung Besitzer sein muß, konnte der mangelnden restitutio der dann a1.lch tatsächlich gewonnene - Gehalt eines willensgetragenen Ungehorsams gegenüber der richterlichen Anordnung zukommen. Die condemnatio wird dann auch in dem Fall zugelassen, in dem der Beklagte den Besitzverlust dolos verursacht hatte, so daß dieser Fall des dolus malus mit der dinglichen Klage direkt verfolgt wird. Außerdem läßt man es zu, daß der Beklagte auch dann auf Grund der anhängigen dinglichen Klage verurteilt wird, wenn er die Sache fahrlässig beschädigt oder zerstört hat; man bezieht hier also die auf die lex Aquilia gegründete Forderung in den dinglichen Prozeß ein. Wir müssen uns die Genese dieses Systems vor Augen halten, weil sie die Erklärung dafür bietet, daß es für die Sachbeschädigung, die Sachzerstörung und den Besitzverlust nicht einen einheitlichen Tatbestand, der bald auf Grund des dolus, bald auf Grund der Fahrlässigkeit ausgelöst wird, siert werden, die ursprünglich gerade die praedes traf (Ps. Aseon. in eie. in Verr. II.1.114) und später im Delikt des vindiciam falsam ferre aufging (Fest. 376, 518 s. v. vindiciae). Für eine Rekonstruktion dieser Entwicklung vgl Kaser, Iura 13 (1962) 41 ff.; ders., RZ 211; ders., RP 12, 435 m. w. N. 30 Näheres hierzu bei Schipani (0. A. 18) 26 ff., 143 ff., 211 ff.
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gibt, sondern daß vielmehr verschiedene Tatbestände existieren, die dem Beklagten auf Grund unterschiedlicher Zurechnungs kriterien angelastet werden. Erst diese Genese bietet den Schlüssel zum Verständnis der auf den ersten Blick widersprüchlichen Quellenaussagen31 • Des weiteren läßt sie den Rückschluß zu, daß die Verschiedenheit der in dieser zweiten Phase miteinander gekoppelten Schätzmethoden - das dem Kläger anheimgegebene iusiurandum oder die vom Richter bewirkte aestimatio - sicherlich nicht direkt und ausschließlich auf die unterschiedliche Intensität des Vorwurfs zurückgeht, der den Beklagten trifft. Sie gründet sich vielmehr in umfassender Weise auf gänzlich verschiedenartige Tatbestände. Dieses Resultat stimmt mit jenem zusammen, das oben (111) für die erste Periode herausgestellt wurde. 5. Vergegenwärtigen wir uns jetzt, daß im Bereich der actio legis Aquiliae die Streitschätzung immer vom iudex vorgenommen wurde 3t • Diese Feststellung bietet einen Anknüpfungspunkt, von dem aus es hinreichend plausibel erscheint anzunehmen, daß man mit der Übernahme der Verfolgung solcher deliktischer Tatbestände in den Bereich der actio in rem auch die dazugehörige Methode der richterlichen Schätzung des quanti ea res est in das dingliche Verfahren übertragen hat. 6. Demgegenüber ist das iil mit der contumacia und - allerdings nur über diese - auch mit dem dolo desinere possidere verknüpft. Die aus der arglistigen Besitzaufgabe entspringende Forderung wird, wie wir sahen, in den dinglichen Prozeß hineingezogen, und zwar im Wege der fiktiven Wiederherstellung der früheren Situation (dolus pro possessione est). Mit anderen Worten, die Sanktion des dolo desinere possidere ist nicht schon unmittelbar die condemnatio, sondern nur der Umstand, daß man zu dieser ebenso gelangen kann, wie wenn ein Fall der contumacia vorliegt. Nach Einführung des Erfordernisses des Besitzes im Zeitpunkt der Urteilsfällung knüpft die condemnatio, deren Umfang durch iil ermittelt wird, somit letztlich an die Nichtrestitution von seiten eines realen oder fingierten Besitzers an. Die Einführung des Besitzerfordernisses stand mit den Ermittlungsmethoden für die Höhe der condemnatio in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Ihre Hauptbedeutung liegt darin, die Fälle, in denen man zu einer condemnatio gelangen konnte, einzuschränken33 • Eine SI Die scheinbare Widersprüchlichkeit dieser Quellen ist mehrfach und mit unterschiedlichen Ergebnissen untersucht worden von Kaser (0. A. 19) 92 ff.; ders., Restituere1 (1932); RP P, 367; Restituere!, 224 ff. Sie dürfte sich in der von mir jüngst dargelegten (Responsabilita, o. A. 17) und hier kurz zusammengefaßten Weise überwinden lassen. 32 Vgl. statt aller Broggini, Iudex arbiterve (1957) 153 ff. (A. 108); v. Lübtow, Untersuchungen zur lex Aquilia de damno iniuria dato (1971) 27 ff. 3S Wahrscheinlich ist das Besitzerfordernis eingeführt worden, weil man dem verklagten Besitzer die Verfügungs gewalt über die Sache bis zur
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ihrer Folgen war jedoch, daß der Tatbestand der contumacia, der sich auf den willentlichen Ungehorsam stützt, herausgearbeitet werden konnte. Aber die subjektiven Elemente wurden insbesondere im Hinblick auf die Verantwortlichkeit wegen des Besitzverlustes entwickelt34 • Mir scheint nun, daß es keine einleuchtenden Gründe gibt, die die Annahme ausschlössen, daß das System des iil ebenso, wie es nach Einführung des Besitzerfordernisses an die (vom realen oder fiktiven Besitzer) unterlassene Rückgabe anknüpft, so gleichfalls auch schon vor der Einführung jener Voraussetzung die Folge war, wenn ein Beklagter nicht restituierte (was, wie bereits hervorgehoben wurde [UI, IV 4] die einzige Kondemnationsbedingung war). Damit stellt sich die Frage, ob das iil nicht beim Formularprozeß im Bereich der dinglichen Klagen ursprünglich das einzige Mittel für eine aestimatio litis war, solange sich das System noch nicht herausgebildet hatte, wonach aquilische Ansprüche in das laufende dingliche Verfahren hereingenommen wurden, wenn sie die Streitsache betrafen. Erst diese Hereinnahme könnte die aestimatio iudicis in den Bereich der dinglichen Klagen eingeführt haben (IV 5). Die Antwort auf diese Frage wurzelt in der komplexen Problematik des Ursprungs der condemnatio pecuniaria und muß leider unsicher bleiben. Wie oben erwähnt wurde, vermutet Broggini, daß das iusiurandum eine Form der Sachbewertung gewesen ist, die "subsidiär" gegenüber dem arbitrium litis aestimandae war und die nur als letztmögliches Beweismittel in Betracht kam. Wir haben jedoch, wie mir scheint, keine Belege dafür, daß zur Sachbewertung im Fall unterbliebener restitutio auf arbitri zurückgegriffen Wurde.
Broggini beruft sich für seine Annahme auf das Zeugnis des Festus (376,518 s. v. vindiciae) zum Delikt des vindiciam falsam ferre, für welches (prae)tor arbitros tres dato, eorum arbitrio ( ... ) fructus duplione damnum decidito, dem er die dedicatio der res litigiosa (D. 44,6,3) an die Seite stellt. Daneben führt er als Beleg das arbitrium liti(s) aestimandae in Prob.4,10 an. Doch dürften - abgesehen von zahlreichen anderen möglichen Einwänden - die beiden herangezogenen Tatbestände, interpretiert als "einen dem erteilten nicht entsprecondemnatio zubilligen wollte. Dabei beschränkte man ihn nur durch die Auferlegung einer Deliktshaftung und der Pflicht, Bereicherungen herauszugeben. Aufschlußreich ist, daß man auch umgekehrt dem nicht besitzenden Kläger eine Verfügungsmacht über die res litigiosa absprach, vgl. das Fragm de iure fisci 8; dazu zuletzt De Marini Avonzo, I limiti alla disponibilita della res litigiosa nel dir. rom. (1967) 173 ff. U Das heißt, die Römer analysieren nicht die Gründe dafür, weshalb der besitzende Beklagte nicht restituiert. Doch läßt der Terminus contumacia erkennen, daß sie auf die Ungehorsamkeit abstellen (dazu statt aller Chiazzese
113).
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chenden Streitgegenstand bieten", den Fall der bloßen und einfachen Abwesenheit der Streitsache nicht decken, schon weil es an einem ferre fehlen würde 85 • Aber auch abgesehen von einer solchen Interpretation des vindiciam falsam ferre dürften ganz allgemein starke Gründe für die Annahme sprechen, daß das bloße Unterlassen der Restitution nicht als ein vindiciam falsam ferre verfolgt werden konnte 36 • Bei diesem 35 Vgl. die treffende Kritik an der Auslegung Brogginis durch Kaser, Iura 13 (1962) 28 ff.; Santoro, APal. 30 (1967) 26 ff. Wenn, was besonders hervorhebenswert ist, jede unterbliebene oder unvollständige Rückgabe ein dem furtum nec manifestum angeglichenes Delikt wäre, dann bliebe wegen der Personalhaftung im Deliktsbereich die Rolle der praedes unklar (zur Kritik an der von Broggini angenommenen "sekundären ergänzenden Rolle" der praedes s. Pugliese, Iura 9 [1958] 223). Auf Bedenken stößt außerdem die Erklärung, die Broggini für den vermuteten übergang einer poena in duplum in eine auf das einfache quanti ea res est beschränkte Sanktion beibringt. Er ([0. A. 32] 143 f.) stützt sich auf die "Verallgemeinerung der condemnatio pecuniaria", die mit sich gebracht habe, daß die Bedeutung des Delikts der vindicia falsa immer mehr abgenommen habe, denn "der Prozeßsieger kann in den meisten Fällen selbst die lis ästimieren ... Und auch wenn es der Richter ist, der die litis aestimatio - in simplum - durchführt, stellt sie doch immer mehr eine Strafe als einen bloßen Ersatz dar". Vgl. auch Broggini (0. A.1) 136 (= 206) und 144 [= 214), wo er genauer darlegt, das iil sei ursprünglich ein reiner Bewertungsakt gewesen, an den sich ebenso wie an die schiedsrichterliche litis aestimatio die gesetzliche Sanktion der Duplierung angeschlossen habe. Er erklärt die Entpönalisierung als ein Ergebnis des "rilassamento dell'impegno di veritil deI giuramento romano. Siccome il iil non e soggetto a nessun sindacato giudiziale esso copre qualsiasi esagerazione della domanda, e pu quindi soddisfare l'esigenza penale, senza perdere la sua struttura di mezzo di stirna" (Zu dieser Umwandlung vgl. auch ders. [0. A. 5] 601, 605 f. [= 592, 598]). Hier soll von einer Kritik aus der Sicht einer dogmatischen Trennung zwischen Strafe und Reipersekution abgesehen werden (Es wurde bereits hervorgehoben [IV 1,2 m. A. 25], daß die beiden Begriffe sich teilweise überlagern; allerdings handelt es sich um einen Fall, in dem die Strafe nicht vervielfacht wird). Doch bleibt das Bedenken, warum dann nicht alle vervielfachten Strafen weggefallen sind, wenn sich das Ermessen so sehr ausgeweitet hätte, daß es den aus einer Vervielfachung erwachsenden Mehrwert ohne weiteres hätte erfassen können. Zudem setzen auch die Klagen mit Vervielfachung die condemnatio pecuniaria voraus; eine "Verallgemeinerung" dieser Kondemnation kann deshalb den Strafcharakter nicht beseitigt haben. 38 Vor kurzem hat Santoro (0. A. 35) 46 ff. die Auffassung vorgetragen, daß dieses Delikt in einem "atto di sottrazione dal tribunale della cosa controversa, ottenuta previo un falsum sacramentum" besteht und daß es mit einer Strafe auf den doppelten Wert der Sache einschließlich der Früchte geahndet wurde. Diese Auslegung stößt ebenfalls auf die Schwierigkeit, daß sie die Rolle der praedes und die Entpönalisierung nicht aufzuhellen vermag (vgl. o. A. 35). Zudem hat diese Deutung auch nicht die Bemerkung Btrogginis (0. A. 32) 130 entkräftet, die unterliegende Partei habe "nicht wegen des bloßen Prozeßverlusts ein Delikt begangen; sie kann ohne weiteres die Herrschaft über die Sache aufgeben und damit dem iudicatum folgen". Der Beklagte mußte also, wenn man ihn für einen fur hielte, die Möglichkeit haben, sich der auf das duplum gehenden Strafe durch Restitution der Sache zu entziehen, was jedenfalls für Deliktsstrafen in der Tat singulär wäre. Von einer Vertiefung muß hier abgesehen werden; zum Fragenkreis s. auch Kaser (0. A. 35) 22 ff. und RP 12, 130 m. Lit.
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Tatbestand, der mit Duplierung geahndet wird und der sich offensichtlich als Deliktstatbestand darstellt, kann das Schätzverfahren für die Sachwertsermittlung sich auf eigene Weise entwickelt haben. Es erscheint daher nicht möglich, daraus verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen; auch kann darin keine Grundlage gesehen werden, auf der das Zeugnis des Probus für den hier interessierenden prozessualen Zusammenhang ausgewertet werden könnte 3? Auch angesichts dieser Reihe von Problemen wird man folgern dürfen, daß nach dem augenblicklichen Stand unserer Quellenkenntnis zur Frage der ursprünglichen Modalitäten der aestimatio litis direkte Hinweise fehlen. Deshalb lassen sich für die Frühzeit allenfalls durch Rückschluß aus späteren Perioden Hypothesen aufstellen; zum Verständnis der späteren Entwicklung bieten sie jedoch keine Hilfe. Wenngleich demnach nicht sicher ausgeschlossen werden kann, daß das System die beiden Aestimationsformen einer Ermittlung durch arbitri und durch iusiurandum aufwies, so ist meines Erachtens doch auch eine andere Annahme in Betracht zu ziehen: Als sich die ursprüngliche Haftung der praedes wegen der Nichtrestitution von einer Personal- in eine Geldhaftung umwandelte, wurde die Höhe der Geldsumme, mit welcher der praes sich befreien konnte, vom Kläger geschätzt. Diese Schätzung fand unter der Ägide der religio statt, was im iusiurandum des Klägers zum Ausdruck kommt. Durch dieses iusiurandum ermittelt man den Umfang der Interesseverletzung und stellt damit in dieser besonderen Situation das fest, was rechtens ist38• 37 Zum arbitrium Zitis aestimandae in dem erwähnten Zeugnis des Probus vg1. statt aller Kaser, RZ 96 ff. m. Lit., der m. E. zu Recht von einer Verbindung mit der manus iniectio ausgeht. 38 Daß das iil ursprünglich mit einer Vereinbarung zwischen Kläger und praedes zusammengehangen habe, ist der Kern der These Bettis (0. A. 1), die von Broggini (0. A. 1) 119 ff. (= 187 ff.) nicht überwunden worden sein dürfte. - Zur Bindung des iil an die religio und in diesem Zusammenhang an die fides vg1. insbes. Boyance, Homm. Grenier 1 (1962) 329 ff. m. Lit., s. aber auch, vor allem zu den Beziehungen zwischen Iupiter, Semo Sancus, Dius fidius und Fides, den Gottheiten des Eides, Wissowa, Religion und Kultus der Römer (1912) 118, 131, 133; Latte, Röm. Religionsgeschichte (1960) 126 ff., 237; Lombardi, Dalla fides alla bona fides (1961) 147 ff. [156 ff.]; Dumezil, La religion rom. arcaique (1966) 184 f., 201 ff.; Bayet, Histoire politique e psycologique de 1a religion rom. (1957) 115 (Die 2. Auflage aus 1969 war mir unzugänglich). Eine solche Beziehung steht in einem Feld vielfältiger Aspekte: Einerseits ist der Aspekt des Versprechens zu berücksichtigen, für den vor allem auf das iusiurandum beim Abschluß von foedera hinzuweisen ist (vg1. insbes. Mommsen, Röm. StaatsR4 1, 246 ff.; De Marlino, Storia della costituzione rom. 2 [1960] 37 ff.; Lombardi 1. c. 121 ff.; Catalano, Linee deI si sterna sovrannazionale rom. [1965] 195 m. A. 20 u. Lit.); andererseits ist der Aspekt des Vertrauens auf die fides zu beachten (vgl. aus der reichen Lit. insbes. Piganiol, RIDA 5 [1950] 339 ff.; Lemosse, St. De Francisci 2 [1956] 41 ff.; Lombardi 1. c. 47 ff.; Bellini, RH 42 [1964] 450 ff.; Dahlheim, Struktur und Entwicklung des röm. VölkerRs im 3. u. 2. Jh. v. ehr. [1968] 25 ff.; Flurl, De-
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Mangels direkter Belege für die eine oder die andere Auffassung bleibt zu berücksichtigen, daß einerseits die Behauptung, die "profonda sostanza religiosa" des iusiurandum habe dieses zu einem prozessualen Mittel werden lassen, von dem man nur als letzte Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, wenig schlüssig erscheint, denn im älteren Beweissystem findet der Eid ein weites Anwendungsfeld39 • Außerdem bleibt unklar, warum man, wenn die normale Funktion der Wertermittlung das arbitrium eines Dritten war, nicht in den Fällen, in denen man darauf nicht zurückgreifen konnte, auf das arbitrium der Partei abgestellt hat. Das in kann jedenfalls nicht als Sonderfall des arbitrium angesehen werden, weil dieses von jeder Form des Eides frei ist40 • Andererseits ditio in fidem [Diss. München 1969]; Dumezil, Idees rom. [1969] 55 ff.) und hierbei auch die Beziehungen zwischen fides und nexum (statt aller Imbert, St. Arangio-Ruiz 1 [1953] 339 ff.) sowie im allgemeinen die Terminologie der Phänomenologie der Gewalt (dazu Santoro [0. A. 35] 334 ff.). 39 Die verbreitete Verwendung dieses Beweismittels im älteren Prozeß erkennt auch Broggini, Rec. de la Socit~te J. Bodin 16, La preuve 1 (1964) 247 f. an. Zum klassischen Prozeß vgl. im Hinblick auf den vor der litis contestatio geleisteten Eid Amirante, Il giuramento prestato prima della litis contestatio etc. (1954), im Hinblick auf den nach der litis contestatio geschworenen vgl. Pugliese, Rec. Soc. Bodin cit. 323 ff. [329 ff.]. Siehe auch Kaser, RZ 85, 281 m. Lit. 40 Wenn man das arbitrium der Partei mit deren iusiurandum identifiziert, so bleibt unerklärlich, warum die uns in den Quellen ausdrücklich bezeugten arbitria der Partei nicht durch iusiurandum geschahen; dieses wurde vom arbitrium jedenfalls nicht verdrängt. Diese Identifizierung wurzelt in der Vermutung, daß zwischen dem arbitrium der älteren Zeit und der (einfachen) fides eine Beziehung bestehe (vgl. Broggini [0. A. 32] 40 m. A. 44), die 'gewissermaßen der Vorgänger einer Beziehung zwischen arbitrium und bona fides sei (vgl. insbes. 123 ff. m. A. 30; 185 ff. pass.). (Zu der treffenden Unterscheidung zwischen fides und bona fides vgl. statt aller Lombardi [0. A. 381 182 ff. Während die fides eine subjektive, individuelle Qualität meint, stellt die bona fides etwas überindividuelles, Typisches dar: Das bonum macht die fides zu einer nicht an die Person gebundenen, absoluten Norm und verleiht ihr eine generelle Wirkung, so daß man auf sie im Falle eines Streites zurückgreifen kann, um ihn zu beenden). Die von Broggini angenommene ursprüngliche Beziehung zwischen arbitrium und fides würde dem arbitrium gleichzeitig die Bedeutung von "Entscheidung" und "Bezeugung" beilegen (Broggini 33 ff.; vgl. auch ders. (0. A. 1) 140 [= 210]); aber sie kann im wesentlichen nur auf die Etymologie gestützt werden (adbaetere = adire - arbitri; S. 40), und es läßt sich kaum sagen, inwieweit diese zuverlässig ist, vgl. die kritische Analyse von Pugliese (0. A. 34) 216. Auf der anderen Seite erscheint eine Verbindung von arbitrium und bona fides gesichert: sie führt später beispielsweise zum Problem der redl'ctio ad aequitatem (vgl. dazu statt aller Gallo, St. Grosso 3 [1970] 479 ff.), die ihrerseits niemals in Beziehung zur eidlichen Schätzung tritt (vgl. Broggini selbst [0. A. 5] 604 f. [= 596 f.]; ders. [0. A.1] 142 f. [= 212 f.]). Von ihr könnte man wiederum annehmen, daß sie eher mit der religio zusammenhängt und insofern mit der einfachen fides (vgl. zu den Beziehungen zwischen iusiurandum und fides ohne Adjektiv Lombardi [0. A. 38) 118 ff.: allgemein auch o. A. 38). Auch auf diese Problematik kann hier nicht näher eingegangen werden (zu der reichen Lit. und den verschiedenen Fragenkreisen, die untersucht worden sind. statt aller Grosso, ED 5 (1959) 661 ff. (s. v. Buona fede) , Becker, RAC 7 (1969) 801 ff. s. v.
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wissen wir jedoch, daß der Tatbestand der objektiven Nichtrestitution der direkte Vorgänger des Tatbestandes der contumacia war. Für diese war das iil als Schätzmethode vorgesehen und es liegt deshalb die Annahme nahe, daß es auch bereits für den Fall der objektiven Nichtrestitution die maßgebliche Aestimationsform war. V.1. Wenn man die vorliegenden und bereits dargestellten Umstände analysiert, so folgt daraus, wie mir scheint, daß das iil als Form der Wertermittlung bei einer Sache, die aus irgendeinem Grunde nicht restituiert wird, in einem ersten Abschnitt des Formularprozesses nicht konzipiert war als Reaktion auf ein Verhalten des Beklagten, das als dolos, als Ungehorsamkeit angesehen und als solche geahndet wurde. Mir scheint deshalb auch, daß es nicht angewandt wurde, um die condemnatio pecuniaria zu einem Mittel psychologischen Drucks zu machen41 • Dies gilt um so mehr, wenn, wie ich vermute, das iil hier die einzige Form der Wertermittlung war. Diese erste Folgerung macht jedoch weitere Klarstellungen erforderlich: Erstens soll mit ihr nicht geleugnet werden, daß es eine Sanktion darstellt, daß der Beklagte zur Zahlung des durch iusiurandum des Klägers ermittelten Schätzwerts verurteilt wird. Hervorzuheben ist jedoch, daß ein solcher sanktionatorischer Charakter der condemnatio auf das quanti ea res est allgemein innewohnt, nicht aber in besonderer Weise dem Verfahren, in dem dies'es bestimmt wird. Das iil stellt sich während der ersten Periode nicht als Reaktion auf eine subjektiv analysierte und qualifizierte unerlaubte und als solche erhebliche Handlung dar; vielmehr liegt sein Schwergewicht auf der reipersekutorischen Funktionu . Zweitens ist zu berücksichtigen, daß man der eben gezogenen Folgerung unter Hinweis auf die Kategorie des typisierten dolus entgegentreten könnte. Man könnte nämlich annehmen, daß unabhängig von den
Fides; Kaser, RP P 200 m. A. 15. An dieser Stelle mag es genügen, die Grundzüge der von B!\'oggini vorgeschlagenen Interpretation darzustellen und auf einige Zweifelsfragen hinzuweisen, die sie aufwirft. 41 Vgl. vor allem die oben erwähnten Auffassungen von Chiazzese und Provera. 42 Daraus darf nicht gefolgert werden, daß die condemnatio auf das quanti ea res est eine Strafe darstellt und Folge eines Delikts ist, wie dies Broggini (0. A. 1) 136 (= 206) annimmt. Vgl. dazu die Ausführungen o. A. 35, 36. Im übrigen ist auch die übertragung des Eigentums an der Sache zu berücksichtigen, die der Zahlung der litis aestimatio nachfolgt, s. o. A.27. O. IV, 2, 3 wurde bereits bemerkt, daß die rei vindicatio erst allmählich deliktische Ansprüche in sich aufnimmt, so daß dann der Zahlung der aestimatio litis die Bedeutung einer Strafe zuwachsen kann. Vgl. in diesem Sinne bereits die überlegungen von Levy (0. A. 25) 505 ff. Vgl. ferner die Ausdrücke punitur in den Fragmenten D.6.1.69; 12.3.2 und poena in D. 35.2.60.1; 46.1.73, die allerdings nicht geringe exegetische Probleme aufwerfen.
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Umständen, die der Nichtrückgabe zugrundelagen (sei es, daß der Beklagte nicht restituieren wollte, sei es, daß er es nicht konnte), schon das bloße und einfache non restituere in jenem prozessualen Zusammenhang, in dem es sich ergab, als ein Akt des Ungehorsams aufgefaßt wurde, zu dessen Abwehr der Rückgriff auf das iil angedroht wurde 43 • Doch scheint mir, daß - abgesehen von entfernter liegenden Ursprungsproblemen - in einem System, welches das subjektive Element des dolus in zahlreichen Tatbeständen als solches individualisiert, der Rückgriff auf den typisierten dolus die Gefahr enthielte, eine Mehrzahl von Gesichtspunkten in eins zu setzen. Diese sollte man jedoch besser im Auge behalten, denn erst sie gestattet es uns, den Wert und die Neuerung zu verstehen, die sich ergab, als man dazu überging, den tatsächlichen dolus zu verlangen. Dies gilt im allgemeinen44 und besonders auch im Hinblick auf den Tatbestand der Nichtrestitution, bei dem erst die Einführung des Besitzerfordernisses Anlaß für eine subjektivierende Analyse der contumacia bot. Zudem bliebe andernfalls unerklärlich, wie eben dieses Erfordernis zwischen Sabinianern und Prokulianern überhaupt kontrovers werden konnte. Wenn das non restituere nämlich typisierend als Ungehorsam aufgefaßt worden wäre, dann hätten beide Schulen auch das Besitzerfordernis aufgestellt haben müssen. Ohne Besitz könnte die Nichtrestitution deshalb nicht als Ungehorsam verstanden werden, weil nur derjenige als ungehorsam erscheinen kann, der die Möglichkeit hat, gehorsam zu sein. Erst das neue System, in dem wir zwei verschiedene Tatbestände sehen, denen die unterschiedlichen Methoden des iil und der aestimatio iudicis entsprechen, enthält die Voraussetzungen dafür, daß das non 43 Diese Deutungsweise ist immer vorhanden; Broggini (0. A. 32) 133 bemerkt z. B.: "ein dolus des Zwischenbesitzers in der Beschädigung oder in der Vertauschung der Streitsache wird einfach unterstellt, wie es der Rechtsvorstellung dieser Zeit entspricht". Allgemeinere überlegungen zum typisierten dolus bei Kaser, Bull. 65 (1962) 79 ff.; RP 11,155. " Vgl. dazu näher meine überlegungen in Responsabilita ex lege Aquilia. Criteri di imputazione e problema della culpa (1969) 36 ff., die denselben methodischen Grundsätzen folgen. Ich nehme an, daß die Beschäftigung mit dieser Problematik einen Bezugspunkt bilden könnte, um die kulturellen Voraussetzungen zu klären, unter denen man fordert, daß es ein subjektives Element oder doch jedenfalls eine subjektive Vorwerfbarkeit geben müsse. Diese Forderung ist vielleicht die Reaktion auf die evolutionistischen Auffassungen, die eine dem "Recht der Kindheitsperiode" eigene objektive Verantwortlichkeit dem siegreichen Prinzip des reiferen Rechts "kein übel ohne Schuld" gegenüberstellen (vgI. Jhering, Das Schuldmoment im röm. PrivatR [1867] in: Verm. Schriften [1879] 155 ff., und zu den kulturellen Wurzeln dieser Einstellung Pasini, Saggio sul Jhering [1959] sowie Gaudemet in: Jherings Erbe [1970] 29 ff.). Solche Forderungen beruhen außerdem auf der Anwendung unserer dogmatischen Kategorien - sei es auch in angepaßter Form - auf historische Gegebenheiten, die ihnen nicht unterworfen sind.
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restituere als contumacia und das HZ als Pressionsmittel aufgefaßt wird.
Damit ist jedoch nicht gesagt, wie und wann diese Auffassung sich durchsetzt.
2. Ergänzung und zugleich Wahrheitstest für die erste Folgerung ist die zweite. Das iil war nicht geeignet, die Streitsache über ihren wahren Wert hinaus zu veranschlagen. Das System war also nicht auf die Vorstellung der Unrichtigkeit des Eides oder einer bloßen Fiktion der Richtigkeit gegründet. Zuletzt hat Broggini in diesem Zusammenhang treffende Betrachtungen über die Kohärenz zwischen dem juristischen System und dem System religiöser Wertvorstellungen im sozialen Bereich der Römer Systeme, in die das iil eingebettet war - angestellt, sich aber auf die archaische Periode beschränkt. Doch ist das Zusammenstimmen dieser Bereiche auch für spätere Perioden noch aussagekräftig45 • Mir scheint, 45 Broggini (0. A. 1) 141 ff. (= 211 ff.). Er beschränkt diesen Zusammenhang zeitlich auf eine recht frühe Zeit. Wenn ich ihn recht verstehe, soll er im 2. Jh. v. Chr. bereits vollständig oder im wesentlichen überwunden worden sein (144 m. A.71 [= 214 m. A. 71] sowie o. A. 35). Mir scheint jedoch, daß diese Grenze, die ungefähr mit dem von Chiazzese und Provera angenommenen Anfangszeitpunkt übereinstimmt, in Frage gestellt werden muß. Die literarischen Quellen widersprechen sich auf den ersten Blick; es sei nur an zwei bekannte Stellen erinnert: Cic., de off., 3.27.100 ff. (insbes. 3.29.104):
num iratum timemus lovem? At hoc quidem commune est omnium philosophorum ... numquam nec irasci deum nec nocere ... Sed in iure iurando non qui metus, sed quae vis sit, debet intellegi ... iam enim non ad iram deorum, quae nulla est, sed ad iustitiam et fidem pertinet. Nam praeclare Ennius: 0 Fides alma apta pinnis et iusiurandum lovis; Liv.3.20.5: Sed nondum haec quae nunc tenet saeculum neglegentia deum venerat, nec interpretando sibi quisque ius iurandum et leges faciebat, sed suos potius mores ad ea accomodabat. Inwieweit die eine oder die andere Stelle ein
Bild der täglichen Wirklichkeit wiedergibt und für welche Bereiche der Bevölkerung sie gelten, ist ein Problem, das nicht für sich behandelt werden kann. Notwendig ist vielmehr eine umfassende kritische Prüfung der literarischen Quellen. (Was Cicero betrifft, ist z. B. das Problem seiner Religiosität zu bedenken, wie sie sich zwar nicht in seinem öffentlichen Auftreten äußert, wohl aber in seinen persönlichen Beziehungen: So schreibt er an Terentia, farn. 4.14.1: neque di quos tu semper castissime coluisti, neque homines quibus ego semper servivi, nobis qrafiam rettulerunt. Dies zeigt, daß nicht der Kult der Gottheit - mehr eine Angelegenheit der Frauen -, wohl aber eine moralische Verpflidltung im Mittelpunkt seines Lebens gestanden hat, vgl. statt aller Latte [0. A. 38] 285 f. Von daher verblaßt die Berufung auf die Gottheit Fides und überwiegt das moralische Moment. Für die Haltung von Livius ist die Annäherung des Eides an das Gesetz aufschlußreich. Insofern könnte sich sein Gedanke in die Diskussion einordnen, inwieweit diese aber auch der Eid - nach ihrem Budlstaben zu interpretieren sind, eine Diskussion, die noch keine Leugnung der verbindlichen Wirkung der Gesetze bedeutet. Die Stelle könnte freilich auch nur der üblichen Polemik dE's Autors gegenüber seiner Gegenwart entsprechen.) In weitem Umfang nutzbar gemacht hat die literarischen Quellen bereits Hirzel, Der Eid (1902), wenngleich er sie zu wenig kritisch würdigt. Der Wert des Werkes wird allerdings durch eine übermäßig vereinfachende dualistische Interpretationsweise beeinträchtigt, derzufolge "die religiöse Dämmerung weicht, der ethische Tag beginnt"
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daß der weiterhin konstante Rückgriff auf die Formen des Eides, der sich auch im Hinblick auf neue politische und soziale Realitäten findet, jedenfalls für ein Fortdauern von Wirkung und Wert der Selbstbindung spricht, die über dieses Institut erreicht wurde 46 • (1. c. 104). Demgegenüber dürfte eine genauere Analyse der religiösen und moralischen Entwicklun'gen in ihren vielfältigen Aspekten notwendig sein, die die Eigenheiten der verschiedenen sozialen Gruppen berücksichtigt. (Zu den Gründen der Krise und Erneuerung der römischen Religion am Ende der Republik und am Beginn des Prinzipats ein erster überblick: bei Latte, 1. c. 264 ff., 294 ff.; Bayet [0. A. 38] 144 ff. Im übrigen nimmt man heute generell eine Mehrzahl von Gründen für die starke verpflichtende Wirkung an, die der Eid auf den Einzelnen ausübt. Sie sind nicht zu schematisieren und dürfen auch nicht voneinander isoliert werden, da sie nebeneinander bestehen können. Sie seien hier in der Weise wiedergegeben, wie sie sich aus der Literatur ergeben: Teilweise reiht man ihn unter die Akte des Aberglaubens ein (eine Betrachtungsweise, die ihre Wurzeln im Werke Kants, ab~r doch auch eine eigenständige historische Bedeutung hat, vgI. statt aller Fehr, Hdwb. d. deutschen Aberglaubens [1928-1929] 659 ff. s. v. Eid m. Lit.). Teilweise nimmt man aber auch an, daß er seine Kraft aus der Feierlichkeit der Form bezieht (vgI. statt aller Levy-Bruhl, Et. Petot [1959] 396 A. 23). Wieder andere halten ihn für einen Akt von bloßer moralischer Bedeutung (Diese Sichtweise wird vor allem von den Autoren vertreten, die betonen, daß das Erlöschen seiner religiösen Eigenschaften nicht zum Absterben des Eides führt, sondern daß er auch von Atheisten benutzt werden kann und sich auch in einer nicht konfessionell gebundenen, pluralistischen Gesellschaft hält, vgI. dazu statt aller G. M. Lombardi, NNDI 7 [1961] 964 ff. s. v. Giuramento. Dir. pubbI.; Grossi, ED 19 [1970] 157 ff. s. v. Giuramento. Dir. cost.; E. Schulz, Probleme der Strafbarkeit des Meineids nach geltendem und künftigem Recht [1970]). Schließlich wird der Eid auch als ein religiöser Akt gedeutet (vgI. z. B. Schilling, Hdbuch der Moraltheologie2 2 [1954] 168 ff.; Mausbach, KathoL Moraltheologie10 2 [1954] 223 ff.; De Finance, Essai sur l'agir humain [dt. übers. 1968] 375 ff.; Horrecher in: Theologische und Juridische Studien zur Eidesfrage [1968] 27 ff.). Sartre, Critique de la raison dialectique. Theorie des ensembles pratiques (1960) 439 ff. (dt. übers. 1967, 446 ff.) bringt den Eid mit der Logik der Fortdauer der Gruppe in Verbindung und sieht seine Wurzeln in der Angst; der Eid sei ein Abschreck:ungsmittel und bestätige die Macht, die ein tragendes Strukturelement der Gruppe sei. Demgegenüber leitet Provinciali, ED 19 (1970) 111 s. v. Giuramento decisorio die verbindliche Wirkung des Eides vor allem aus der Strafandrohung für Meineid her. Was nun die Periode des übergangs von der Republik zum Prinzipat betrifft, so muß man sich fragen, ob die Abnutzung traditioneller religiöser Formen bei gleichzeitiger Wandlung ihres psychologischen und sozialen Gehalts sowie der Druck: einer geänderten affektiven und spirituellen Haltung - in der bereits eine neue persönliche Beziehung zum Göttlichen sichtbar wird - zum Niedergang von Institutionen wie dem Eid führte. Und es ist auch zu überlegen, inwieweit derselbe Atheismus, der sich herausgebildet hatte (zu seiner zahlenmäßigen und sozialen Verbreitung vgI. auch Friedländer, Sittengeschichte Roms 2 3, [1923] 120 ff., 185 f.) den Verlust eines Verständnisses für die strenge Verbindlichkeit dieses Aktes zur Folge hatte. 48 Zu der verbreiteten Verwendung des iusiurandum in der Rechtsordnung Roms vgI. die Lit. o. A. 1, ferner Cuq, DADS 3 (1900) 769 ff. s. v. Iusiurandum (Rome); Fiebiger, RE 4 (1901) 885 s. v. Coniuratio; De Martino, Storia della Costituzione rom. 4,1 (1962) 211 ff.; Bömer, Ath.54 (NS 44) (1966) 77 ff.; Kaser, RZ pass.; Gaudemet (0. A. 3) 474 m. A. 8 u. 9. - Sicherlich darf man die Möglichkeit nicht außer Betracht lassen, daß der Eid nur, soweit er in den neuen politischen und juristischen Verhältnissen verwendet wurde, als ein
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Dem lassen sich jedoch noch einige kurze Bemerkungen zu dem Problem hinzufügen, wie es zu der Gegenüberstellung zwischen dem durch in und dem durch andere Verfahrensweisen ermittelten Wert kam. Qieser Gegensatz hat sich nicht vor dem Ende des 1. Jh. n. ehr. herausgebildet und hat nur eine eng begrenzte Bedeutung. Für die erste Periode des Formularprozesses besteht kein einziges Zeugnis, welches die Vermutung trägt, daß ein Unterschied zwischen dem durch iil ermittelten Wert und dem Wert bestand, den die Zugehörigkeit der Sache zum Kläger, also ihre Zuordnung hatte. Die Sache ist hier Gegenstand einer Klage, mit der ein dingliches Recht geltend gemacht wird, nicht aber einer solchen, die auf einem zwischen zwei Subjekten bestehenden Rechtsverhältnis beruht. Weil dieses durch einen oder wegen eines Handels entsteht, liegt es im allgemeinen nahe, sich bei der Wertermittlung am Tausch- oder Gebrauchswert zu orientieren. Hierbei erscheint es natürlich, den Wert in Geld zu veranschlagen. Hingegen wird bei den dinglichen Klagen ausschließlich auf die Zuordnung, die Herrschaft abgestellt; es besteht kein pretium der Sache, d. h. kein Tauschwert für die Zuordnung, denn der Kläger betreibt das Verfahren nicht, um einen Tausch durchzusetzen, sondern um die Zuordnung wiederherzustellen. Mit dem iil wird deshalb erst ein Wert für die Sache (Zuordnung) geschaffen und wenn dies in rechter Weise geschieht, so ist der ermittelte Wert im echten Sinne (und nicht fiktiv) wahr. Andererseits bestehen für die anschließende Periode, auch wenn man das allgemeine Problem, daß sich mit dem Prinzip litis aestimatio similis est emptioni (D.41,4,3)47 verbindet, einmal beiseite läßt, neue Anhaltspunkte: Die vertiefte Analyse dessen, was Gegenstand des restituere ist, und in Verkaufsfällen die Einbeziehung des pretium der Sache in das restituere bieten konkrete Anknüpfungspunkte (D.6,1,17 pr.; 6,1,15,1; 2) und Analogien (D.6,2,7,1) zum Kauf. Man schafft so einen Vergleich: Auf der einen Seite steht der Preis einer Sache, die der Betreffende freiwillig hat veräußern wollen (Kauf); dieser Preis wird sie et simplieiter mit dem rei pretium identifiziert - ein Identifikationsprozeß, der klare juristische und ökonomische Wurzeln hat. Auf der anderen Seite steht dem die Schätzung durch iil gegenüber, bindendes Element aufgefaßt wurde, während er dort seine Bedeutung eingebüßt hatte, wo er nur aus Traditionsgrunden beibehalten wurde. Trotz der möglichen Zweifel muß jedenfalls die Synthese sozialer, politischer, juristischer und ideologischer Faktoren im Prinzipat den Ausgangspunkt unserer überlegungen bilden. Bei ihr ist ein wesentliches Element die Vergöttlichung des Princeps, der gleichzeitig an der Spitze des Staatsgefüges steht. 47 Zu diesem Problem statt aller Kaser, RP P, 437 A. 54 m. Lit.
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wenn zwar der Kläger nicht die Absicht hatte, die Sache zu verkaufen, sie vielmehr wiedererlangen wollte, der Beklagte seinerseits jedoch ein besonderes und qualifiziertes Interesse kundgetan hatte, eben diese Sache auf jeden Fall behalten zu wollen. Es liegt auf der Hand, daß diese Schätzung, wenn man auch ihr Ergebnis als pretium ansehen (D.6,1,46; aber auch D.6,1,70; 12,3,8) und mit dem sich bei normalen Marktbedingungen ergebenden Preis vergleichen wollte, auch als eine Schätzung ultra rei pretium (D. 12,3,1) qualifiziert werden kann48 • Daß man im Hinblick auf die Haftung der sponsores (D.43,1,73) und in Bezug auf die Bewertung zum Zweck der Anwendung der lex Falcidia (D. 35,2,60,1) auf den normalen Handelswert, nicht aber auf den durch iil ermittelten, abgestellt hat, erklärt sich aus den Besonderheiten dieser Tatbestände. Was dann den Vergleich anlangt, der zwischen der vom Richter und der durch iil vom Beklagten vorgenommenen aestimatio litis besteht (D.12,3,2), so darf einerseits nicht übersehen werden, daß der Richter, solange er nicht die bloße Beschädigung schätzt, Fälle bewertet, in denen das Problem der tatsächlichen Wiedererlangung der Sache, ihrer Zugehörigkeit zum Kläger, infolge der fahrlässigen Sachzerstörung entfällt. Zudem kommt hier kein spezifisches Interesse des Beklagten zum Vorschein, diese Sache für sich selbst zu behalten. Deshalb dient in solchen Fällen der normale Marktpreis viel unmittelbarer als Anknüpfungspunkt für die Wertermittlung. Andererseits bringen die Stellen, in denen das id quod interest mit einem vom Richter zu ermittelnden quod interest zu identifizieren ist (vgl. D. 5,1,64 pr.; 6,1,68; 12,3,2), sofern sie klassisch sind, keinen allgemeingültigen Gesichtspunkt zum Ausdruck. In der Tat finden sich Fragmente, die das id quod interest als Gegenstand des iil bezeichnen (vgl. D. 26,7,7 pr.; 12,3,3; 43,24,15,9; 12,3,10; 49,1,28,1)49. Hieran offenbaren sich die Schwierigkeiten, die sich bei einer Abgrenzung der verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten innerhalb eines terminus und gegenüber anderen in demselben semantischen Feld stehenden Ausdrücken ergeben, wenn die den termini zugrunde liegenden juristischen Strukturen sich verschieben. Zugleich zeigen sich die Unsicherheiten, die entstehen, wenn man verschiedene Schätzungen, die jeweils unterschiedliche echte Werte ermitteln, in ein einheitliches terminologisches System bringen will. 48 Die exegetischen Probleme, die die genannten Stellen aufwerfen, brauchen hier nicht erörtert zu werden. Die Fragmente werden vielfach angefochten (vgl. den Ind. Itp., auch Biondi, 11 dir. rom. crist. 3 [1954] 403 A.2); aber wohl nicht zu Recht; vgl. im allgemeinen die Lit. o. A. 47. U Dazu statt aller Medicus, Id quod interest (1962) 202 ff., 245 ff.
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Diese verschiedenen vorerwähnten Vergleiche führen übrigens nicht notwendig zu der Annahme, die über den Eid ermittelte Wahrheit sei fiktiv oder ungerecht. Sie gebieten vielmehr, sich die Eigentümlichkeit des quantum zu vergegenwärtigen, auf welches die Parteien sich festlegen, und dies in einer Situation, in der man in einem dinglichen Prozeß nach der willentlichen Nichtrestitution zur condemnatio schreitet. Diese Situation ist sicherlich anomal, wenn man sie als einen Fall des Kaufs ansieht. Nunmehr ist die Individualisierung eines sog. "Mehrwerts" möglich: Sie ergibt sich aus dem durch die Vergleiche geschaffenen neuen Blickwinkel, unter dem man eine solche Wertermittlung betrachtet; nicht aber ist sie das Ergebnis einer erst neuen und zwar mißbräuchlichen Anwendung des iil in der Weise, daß die Sache bewußt höher als andere mögliche Werte (etwa pretium) geschätzt wird. Aber diese neue Perspektive ermöglicht es, die aestimatio litis durch iil als ein Verfahren anzusehen, das eine Bewertung der Sache über deren Wert (genauer: über andere Werte unter anderen Umständen) hinaus zuläßt50 • 3. Das iil war nach all dem bei den actiones in rem die normale Form der Ermittlung der aestimatio litis. Es war die Form, in welcher derjenige, der ein eigenes Recht an der Sache behauptete, deren Herrschafts- und Zuordnungswert zu bestimmen hatte, wenn nicht restituiert wurde. Dieser Wert steht noch nicht fest, doch wird er nicht willkürlich ermittelt. Die Tatsache, daß die actio in rem zur condemnatio pecuniaria und nicht zur Vollstreckung durch Wegnahme führte, dürfte ihre Erklärung in der Verschiedenheit der Ziele finden, die vom einzelnen, der klagt, und der sozialen Gruppe, die ihm Unterstützung gewährt, verfolgt werden. Der einzelne will das wiedererlangen, was ihm gehört; die soziale Gruppe, die einem solchen Begehren zu den verschiedenen Zeiten in unterschiedlicher Weise Schutz verleiht, beachtet hingegen auch Gegeninteressen S1 : die Klage führt zu einer Synthese dieser wider60 Auch nach Ansicht von Provera 102 ff. kann man nicht von einem "Falscheid" sprechen. Aber P. stützt sich auf die Tatsache, daß eine schwerere Sanktion als zuläsSig erachtet wurde. Nach den bisherigen überlegungen neige ich demgegenüber dazu, mehr Gewicht auf die Faktoren zu legen, die den Wert der Sachen bestimmen. Von daher möchte ich auch in dieser zweiten Periode die Straffunktion, die in der Tat festzustellen ist, mehr als eine nachträgliche Interpretation deuten denn als die ratio des Instituts. 61 Eine Untersuchung dieser Ziele würde in diesem Rahmen zu weit führen. Ich möchte hier nur herausstellen, daß die Gründe für die mangelnde Entsprechung zwischen dem Anspruch des Klägers und der condemnatio pecuniaTia wohl nicht in einer Unzulänglichkeit des Systems zu suchen sind, das nicht über die geeigneten Mittel verfügt, die angestrebten Ziele zu erreichen. Zur condemnatio pecuniaria statt aller Jhering, Der Zweck im Recht 1 (1877) 412; Wenger, Institutionen des röm. ZivilprozeßR (1925) 135 H.
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sprüchlichen Interessen, ihr Ergebnis deckt sich deshalb nicht mit dem klägerischen Anspruch. Daß diese condemnatio sich darauf stützt, daß der Kläger selbst die aestimatio litis vornimmt, und daß dies durch einen religiös gebundenen Akt geschah, zeigt, daß diesem Schätzungsakt eine zentrale Bedeutung im juristischen System zukommt. Auf dem iiZ beruht der Ausgleich zwischen den sich nicht deckenden Interessen des einzelnen und der sozialen Gruppe im Bereich des Sachenrechts. Dieser Ausgleich wird nicht als ein bloße Machtgegensätze entkräftender Kompromiß verstanden, sondern als Bestandteil einer Ordnung angesehen, die mit der pax deorum im Einklang steht. Die pax wiederherzustellen, ist Aufgabe des iil. Dieses ist ein Verfahren, in dem eine Wahrheit festgestellt wird, die, wenn sie ritengemäß ermittelt wurde, Recht schafft. Die frührömische Rechtsordnung offenbart auch in diesem Akt eines Privaten zur Verfolgung eigener Rechte ihr theonomes Fundament5!.. Das iiZ verbindet diesen Schutz privater Rechte fest mit fundamentalen Strukturen jener Gesellschaftsordnung. Es ist wichtig festzuhalten, daß diese enge Verbindung auch in klassischer Zeit noch nicht verlorengegangen ist53 • Jeder Versuch, die Bedeutung dieses Instituts, dessen Zweck die Sachwertschätzung ist, auf andere Funktionen zurückzuführen, ist die Frucht einer Hereinnahme von anderen Unterscheidungen und Problemen, die erst später - wenngleich noch von den Römern - entwickelt worden sind. Wie wir sahen, beruhen diese neuen Unterscheidungen einerseits auf der Subjektivierung des Tatbestandes der Nichtrestitution. Andererseits gehen sie auf den Vergleich zwischen dieser Form der Eigentumsübertragung und der sich an den Kauf anschließenden zurück. Es ist verständlich, daß beim Kauf - anders als beim iil - für einen Interessenausgleich auf den Marktwert abgestellt wird, der deshalb auch als "der Wert" schlechthin betrachtet wird. Das AufOrestano, Prefazione (zur ital. übers. von WengeT, op. cit.) IX; Broggini (0. A.32) 98 ff.; Kaser, RZ 286 ff.; KeZly, Rom. Litigation (1966) 69 ff. (dazu die Besprechungen von Luzzatto, SD 32 [1966] 381; PugZiese, (0. A.3) 298 f.; Kaser, SZ 84 [1967] 513 ff.); Grosso (0. A. 3) 101 ff. S! Zum iusiurandum in der legis actio sacramento und seiner Funktion als affirmatio und überhaupt zur Bedeutung des ganzen Verfahrens Santoro (0. A. 35) pass. (insbes. 351 ff., 526 ff.), dessen Ergebnisse zu unseren überlegungen passen. 53 Dieser Schluß steht nicht apriori im Widerspruch zu den Hinweisen auf die Verbindungen der condemnatio pecuniaria einerseits mit dem zunehmend merkantilen Charakter einer Wirtschaft, in der das Geld das Maß aller Dinge ist (Grosso [0. A. 3] 108 ff.), oder andererseits mit den sich verschärfenden sozialen Spannun'gen (Kelly [0. A.51] 84), die sich gleichzeitig entwickelt haben sollen. Eher bietet dieser Schluß vielleicht ein Anzeichen für das Zusammenstimmen von sozialem und juristischem System in jener Zeit. 13 Festschrift Kaser
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kommen einer Straffunktion mit dem Zweck einer Verfolgung des dolus beruht auf einer Auslegung, die erst mit all diesen vorgenannten Erwägungen zusammenläuft, doch war man in den früheren Zeiten zu dieser Interpretation noch nicht durchgedrungen.
Zur Haftung des auftraglosen Geschäftsführers im römischen Recht Von Hans Hermann Seiler
I. Welche Auffassungen die römischen Juristen zur Haftung des negotiorum .gestor vertreten haben, darüber wird seit langem gestritten.
Dabei steht die Frage im Vordergrund, an welchen Haftungsmaßstäben
(dolus, culpa, diligentia) seine Tätigkeit gemessen wurde. Während ältere Romanisten (Pernice, Kübler, Schulz)1 eine Haftung des Gestors für omnis culpa festzustellen glaubten, meinten spätere Bearbeiter (Lenel, Perozzi, Haymann)1 in der Klassik lediglich eine Arglisthaftung
beobachten zu können, wobei teilweise eine Erweiterung dieser Haftung mindestens für den Ausgang der klassischen Rechtswissenschaft zugestanden wurde (Bonfante, Kipp, Arangio-Ruiz)1. Sachers 2 schließlich, der als letzter8 dem Gegenstand eine längere Untersuchung gewidmet hat, vermißt in den vorhergehenden Untersuchungen eine Entwicklungslinie, die sich nach seiner Meinung in den ca. 400 Jahren klassischer Rechtswissenschaft abgezeichnet habe. So sehr es wahrscheinlich ist, daß eine derartige Entwicklung stattgefunden hat, so fragwürdig ist doch deren Nachweis aus der erreichbaren überlieferung. Die von Sachers vermutete Entwicklung müßte zu wesentlichen Teilen vor der Klassik stattgefunden haben und kann aus den Quellen nicht nachgewiesen werden. Die skizzierten Meinungsdifferenzen sowie auch die Anregung von
Mayer-Maly4 reizen zu erneuter Untersuchung des Themas. Freilich
ist es im Rahmen eines Seminarvortrages nicht möglich, alle in Betracht kommenden Texte eingehend exegetisch zu behandeln. Beabsichtigt sind lediglich eine übersicht über die Quellenlage und Hinweise auf einzelne Gesichtspunkte, die für das Thema größere Bedeutung haben als bisher angenommen. Nachweise bei Sachers, stud. et Doc. 4 (1938) 313 f. Aa.O. 309-362. a Nach ihm hat Pflüger, SZ 65 (1947) 182 ff. eine regelmäßi:ge Haftung des Gestors für dolus und culpa zu belegen versucht. Neuere Gesamtdarstellungen äußern sich eher vorsichtig - zurückhaltend, vgl. Kunkel, RPR3 (1949) 248; Kaser, RPR2 (1971) 589 f. 4 SZ 86 (1969) 416, 420. 1
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11. Bevor die Quellen überprüft und geordnet werden, sind zwei Vorüberlegungen nützlich. Die eine betrifft den juristischen Anknüpfungspunkt für die Haftung des Gestors. Auszugehen ist von der Klagformel der actio neg. gestorum (directa) als eines bonae fidei iudicium5 , dessen intentio den rechtsanwendenden Juristen also auf die bona fides verwies6 • Seine Aufgabe bestand demnach darin, die fides-Pflicht des Gestors im Einzelfall zu konkretisieren, um festzustellen, ob nach ihr verfahren oder gegen sie verstoßen war. Die Konkretisierung konnte in verschiedener Weise, nach unterschiedlichen Gesichtspunkten und Kriterien geschehen. Die Formel beließ dem Juristen einen weiten Ermessensspielraum. Ihr Wortlaut zwang ihn keinesfalls dazu, das Verhalten des Gestors an den Maßstäben von dolus, culpa, diligentia und dgl. zu messen, mochten auch gerade diese Haftungsabstufungen jedenfalls in späterer Zeit sich als zweckmäßig erweisen und allgemein üblich werden. - Damit wird erklärlich, daß in manchen Texten zur Haftung des Gestors über die Haftungsmaßstäbe kein Wort gesagt wird. Vielmehr beurteilen die Juristen die Tätigkeit des Gestors nach dem fides-Gebot, offensichtlich ohne sich auf Haftungsmaßstäbe zu stützen. Insofern ist die übliche Frage, ob der Gestor nach den Maßstäben von dolus oder culpa hafte, etwas ungenau gestellt und von fragwürdiger historischer Berechtigung. Mit ihr allein wird man der römischen Auffassung von der Haftung des neg. gestor nicht gerecht. Eine zweite Vorbemerkung betrifft die Interessensituation, die nach dem Tatbestand der neg. gestio gegeben ist. Typische Fälle der neg. gestio sind fürsorgende Tätigkeiten der Römer für ihre abwesenden Freunde, also etwa deren Verteidigung im Prozeß, die Einziehung ihrer Forderungen und noch weitere Regelungen ihrer Vermögensangelegenheiten7 • Dies alles geschieht freiwillig, also ohne rechtlich begründeten Zwang, und unentgeltlich, also ohne unmittelbaren materiellen Vorteil für den Geschäftsführer. Nach dem auf klassischen Ansätzen beruhenden Utilitätsprinzip 8 ist der Gesichtspunkt des Nutzens für die Beurteilung der Haftung der an dem Rechtsverhältnis 5 eie. top. 17,66; Kaser, RPR2 486, 589. Daß die nach herrschender Meinung daneben bestehenden prätorischen Klagen Sonderregelungen für die Haftung des Gestors getroffen haben, wie KreUer nachzuweisen versucht, ist nicht wahrscheinlich, vgl. dazu Seiler, Tatbestand der neg. gestio (1968) 49 A. 12, 321 f. Die Frage muß aber bei den folgenden überlegungen im Auge behalten werden. e Lenel, Epa 105. 7 Belege bei Seiler (A. 5) 11. 8 Dazu Kaser, RPR2 512.
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(etwa beim depositum und commodatum) beteiligten Parteien von erheblicher Bedeutung. Analog hierzu müßte der altruistische Charakter der Tätigkeit des Gestors für eine mildere Haftung sprechen. Es gibt aber auch Überlegungen, die in die umgekehrte Richtung weisen. Die geschilderten Geschäftsbesorgungen für Hilfsbedürftige nämlich bringen den Gestor in die Lage, in rechtlich sanktionierter Weise auf das Vermögen des Geschäftsherrn einzuwirken. Seine Tätigkeit enthält damit starke treuhänderische Elemente. Ähnlich wie seit klassischer Zeit der Pflichtgedanke bei der Geschäftsführung eines Tutors hervorgehoben und dem Tutor eine Haftungsmilderung nicht zuerkannt wird', so kann auch die Treuhänderfunktion und der damit verbundene Verantwortungsgedanke so stark in den Vordergrund rücken, daß der Maßstab, nach dem der Gestor haftet, keinesfalls zu senken, sondern mindestens auf durchschnittlichem Niveau zu halten ist.
m. Diese Überlegungen machen es verständlich, daß die uns zugänglichen römischen Quellen die Frage nach den Haftungsmaßstäben bei der neg. gestio nicht einheitlich beantworten. 1. Wir sondern zunächst diejenigen Stellen aus, in den dolus oder culpa lediglich allgemein im Sinne einer Haftung für Pflichtverletzung erwähnt werden, ohne daß die Verfasser damit über die Maßstäbe der Haftung präzise Auskünfte geben. Solche allgemeinen und untechnischen Charakterisierungen der Haftung lassen sich für unser Thema nicht verwerten. Dazu zählen die folgenden Texte:
Ulp. D. 3,5,3,8 (10 ad edict.) Der exsecuto'l' haftet mit der actio neg. gestornm für begangenen dolus 1o • Pap. D. 3,5,30,2 (2 resp.) Dem Gestor, der den Rechtsstreit des abwesenden Freundes fortsetzt und unterliegt, fällt keine culpa zur Last, wenn er gegen das Urteil nicht mittels der Appellation vorgehtl l . Paul. D. 3,5,12 {9 ad edict.)-periernnt. Die Haftung des Gestors ist überhaupt nur dann problematisch, wenn die von ihm eingenommenen Gelder sine culpa abhanden gekommen sindlI. Kaser a.a.O. 365 f. Sachers (A. 1) 341 f. 11 Haymann, Atti Congr.
D
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int. Roma 2 (1934) 467 A.32; Sachers (A.l) 358,
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2. Eine erste Übersicht über das danach verbleibende Material läßt zwei Gruppen von Texten erkennen. Die Stellen der ersten Gruppe beantworten die Frage der Haftungsstufen bei der neg. gestio immerhin deutlich, aber auch sehr knapp und allgemein. Solchen recht grob generalisierenden Texten, die durch keine Sachverhaltsbeschreibung verdeutlicht werden, ist kein gesichertes und in jeder Hinsicht überzeugendes Ergebnis zu entnehmen. Dies schon allein deshalb, weil sie das Ziel starker textkritischer Angriffe aus sehr unterschiedlichen Richtungen gewesen sind. Ein Zeitalter gemäßigter Textkritik, in dem wir uns heute befinden, ist bemüht, solchen Angriffen zu begegnen. Doch sind sie gerade wegen der Allgemeinheit der Textaussagen nur schwer mit hinreichender Überzeugungskraft abzuwehren. Die Auswertung solcher Texte nötigt daher zu besonderer Zurückhaltung. Zu den Texten dieser Art gehört Ulp. D. 50,17,23 (29 ad Sab.) Contractus quidam dolum malum dumtaxat recipiunt, quidam et dolum et culpam. dolum tantum depositum et precarium. dolum et culpam mandatum, commodatum, venditum, pignori acceptum, locatum, item dotis datio, tutelae, negotia gesta: in his quidem et diligentiam. Nach den ersten beiden Sätzen dieses bekannten, stark umstrittenen13 und sicherlich überarbeiteten Textes gibt es Kontrakte, bei denen der Schuldner nur für dolus (malus) haftet und zu denen der Jurist das depositum und das precarium rechnet. Aus dieser Aussage, gegen die begründete textkritische Einwände bisher nicht erhoben worden sind, geht hervor, daß der Autor die neg. gestio jedenfalls nicht zu den Rechtsverhältnissen mit einer Haftungsmilderung zählt. Die ne.g. gestio erscheint vielmehr im folgenden unter den Rechtsverhältnissen mit den Haftungsmaßstäben des dolus und der culpa, wobei dem Schuldner auch eine Pflicht zur diligentia auferlegt wird. Ob dieser stark angegriffene Teil ulpianisch ist, mag zweifelhaft sein, braucht aber in diesem Zusammenhang nicht entschieden zu werden. Der Umstand, daß für die neg. gestio keine Haftungsmilderung zugestanden wird, spricht immerhin eher dafür, daß für dieses Rechtsverhältnis die in der Spätklassik "allgemeine Erfahrungsregel"14 einer Haftung für dolus und culpa galt. Diocl.-Max. C. 2,18,20,1 (294) Secundum quae super his quidem, quae nec tutor nec curator constitutus ultro quis administravit, cum non tantum dolum et latam culpam, sed et levem praestare necesse habeat, a te conveniri potest et ea, quae tibi ab eo deberi patuerit, cum usuris compelletur reddere16 • 12 Sachers (A.1) 325 A. 1, 338, 345, 356; Seiler (A. 5) 69 A. 37. Im übrigen bietet die Stelle nach den einleuchtenden überlegungen von Sachers (S. 338 f.) einen sicheren Beleg dafür, daß die Haftung des Gestors in klassischer Zeit über Arglist hinausging. 13 Vgl. die im Ind. Itpl. und bei Kaser, RPR 12 512 A. 74 verzeichnete Literatur. 1C Kaser, RPR 12 511. 16 Literatur zu dieser Stelle bei Sachers (A. 1) 328 ff.
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Derjenige, der freiwillig eine Geschäftsführung übernimmt, soll nach dem kaiserlichen Reskript für culpa lata und darüber hinaus für culpa levis haften. Ganz im Sinne der aus klassischen Ansätzen hervorgegangenen nachklassischen Haftungslehre 18 verwenden die Kaiser die Kategorien der groben und leichten Fahrlässigkeit (lata culpa-levis culpa). Bemerkenswert für unser Thema ist auch hier die Ablehnung einer Haftungsmilderung zu Gunsten des neg. ,gestoT. Dessen Haftung findet allerdings, wie ein Reskript derselben Kaiser17 bemerkt, ihre Grenze im casus fOTtuitus. Von einem weniger strengen Maßstab als in C. 2,18,20,1 sprechen dieselben Kaiser in Dioc1.-Max C. 2,18,17 (293) Curatoris etiam successores negotiorum gestorum utili conventos actione tarn dolum quam latam culpam praestare debere nec ad eos officium administrationis transire ideoque nullam alienandi eos res adultae potestatem habere convenit. Die Erben des Kurators haften für ihre Verwaltungshandlungen zu Gunsten des minoT mit der actio neg. gestoTum18 , allerdings nur für dolus und lata culpa. Vorbild für diese Einschränkung der Verantwortlichkeit wird die Haftung der Erben des Vormundes gewesen sein, die sich in der ausgehenden Klassik nur auf Arglist und grobe Nachlässigkeit erstreckte1!1. Die Kaiser dehnen nach der einleuchtenden Vermutung von SacheTs 20 dieses Privileg auch auf die Erben des CUTatoT minoTis aus, was angesichts der vergleichbaren Rechtslage durchaus glaubwürdig erscheint. Schon aus diesem Grunde können die Angriffe gegen das einschränkende lata nicht überzeugen!1. Die Stelle gibt vielmehr einen deutlichen, sachlich begründbaren Hinweis dafür, daß im Rahmen der actio neg. gestorum keine starre Regelung der Haftungsmaßstäbe durchgeführt, sondern differenzierende Entscheidungen getroffen wurden. Eine Reihe von Texten legt die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers nicht negativ als Haftung für dolus und culpa fest, sondern formuliert sie positiv als Pflicht zur diligentia. Diocl.-Max. C. 4,32,24 (294) Si mater tua maior annis constituta negotia quae ad te pertinent gesserit, cum omnem diUgentiam praestare debeat,
Kaser, RPR II (1959) 259. Diocl.-Max. C. 2,18,22 (294). 18 Das utili ist von einem späteren Bearbeiter eingefügt, vgl. Bas. 17,2,17; Zach. Suppl. 163; Seiler (A. 5) 283. I, Sachers, RE 7 A (1948) 1580. 18
17
20
(A. 1) 352.
Vgl. die Nachweise bei Sachers (A. 20). Seine Zustimmung zur Interpolationsvermutung ist durch seine eigenen späteren Ergebnisse (A. 19) überholt. 11
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usuras peeuniae tuae, quam administrasse fuerit eomprobata, praestare eompelli potest!!. Der Mutter, die die Geschäfte ihrer Tochter führt, wird die Verantwortlichkeit für omnis diligentia auferlegt und damit eine Haftungserleichterung, die gerade in diesem Fall als Haftung nur für dil'igentia quam SUiS!3 zu erwägen war, abgelehntl4• Ähnlich äußert sich der frühnachklassische!6 Text PS 1,4,1 Qui negotia aliena gerit, et bonam fidem et exaetam diligentiam rebus eius, pro quo intervenit, praestare debetl8 • Die diligentia, zu deren Beachtung der neg. gestor angehalten wird, wird noch hervorgehoben durch den Zusatz exacta. Ob damit ein Beleg dafür gegeben ist, daß die Nachklassik die diligentia als allgemeinen und abstrakten Haftungsmaßstab begrifflich in die Haftungsstufen der exacta, exactior (quam in suis rebus), exactissima diligentia 27 eingeteilt hat, mag zweifelhaft sein, kann aber in diesem Zusammenhang dahinstehen. Offensichtlich soll jedenfalls der normale Haftungsstandard nicht abgeändert werden. Weiter gehen anscheinend die Institutionen Justinians 1.3,27,1 ... sieut autem is qui utiliter gesserit negotia habet obligatum
dominum negotiorum, ita et contra iste quoque tenetur, ut administrationis rationem reddat. quo easu ad exaetissimam quisque diligentiam eompellitur reddere rationern: nee suffieit talern diligentiam adhibere, qualern suis rebus adhibere soleret, si modo alius diligentior eommodius administraturus esset negotial8 • Bei der Rechnungslegung über die Verwaltung des neg. gestor genügt nicht die Beachtung der diligentia quam suis. Vielmehr wird der Geschäftsführer zur Einhaltung der exactissima diligentia verpflichtet. Sachers 29 hat die Stelle allgemein auf die Geschäftsführungstätigkeit 21 Die Erwähnung. der Diligenzpflicht wird noch von Kunkel, SZ 45 (1925) 293, 347 A. 1 für interpoliert gehalten. Doch dürfte sie nach der neueren Auffassung (vgl. Kaser, RPR I2 312), die die klassische Wurzel derartiger Aussagen zur diligentia hervorhebt, jedenfalls in einem Text des ausgehenden 3. Jh. unbedenklich sein. " Dazu Kaser, RPR 11 510.
U Die byzantinischen Scholiasten stritten darüber, welche Stufe der diligentia zu fordern sei, vgl. die Scholien des Theodoros, Thalelaios und Nikaeos z. St. (Heimbach II 729). 25 Kaser, RPR II 13 f. 28 Dazu Levy, Pauli Sententiae (1945) 86 f.; Kaser, RPR II 254 f. 27 So Levy a.a.O. 86. 28 Zu dieser Stelle insbesondere Kunkel, SZ 45, 271, 291 f., der die nachklassische Herkunft der dem Gestor auferlegten Diligenzpflicht betont; anders KTÜekmann, SZ 64 (1944) 15 u. ö.; vgl. ferner Sachers (A.l) 359; Kaser, RPR II 256 A. 26, 302 A. 24.
10
(A. 1) 359.
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des neg. gestoT bezogen und darin eine "weitere Steigerung, welche fast schon an Zufallshaftung grenzt" gesehen. Die Verallgemeinerung erscheint bedenklich, wenn man in Betracht zieht, daß der auf den Haftungsmaßstab bezogene Textteil nur von der Rechnungslegung des Geschäftsführers handelt. Es erscheint durchaus sachgerecht, daß für diese, bei der der Gestor lediglich über die Vornahme eigener Handlungen Rechenschaft abzulegen hatte, eine stärkere Verantwortlichkeit festgelegt wurde. Daraus ist aber keineswegs zu folgern, daß die verschärfte Haftung damit auf die gesamte Verwaltungstätigkeit mit ihren vielfältigen Risiken zu erstrecken war. Darüber hinaus bleiben Bedenken gegenüber der Annahme, daß der Text, wenn er von der exactissima diligentia spricht, das u. a. von Levy beobachtete nachklassische System von Haftungsstufen, das von der diLigentia exacta über die diNgentia exactioT bis zur diLigentia exactissima reicht, zugrundelegt und die Haftung des Gestors der obersten Stufe zuordnet. Die Aussage des Textes, im Zusammenhang gelesen, erweckt Zweifel an derartig präziser Subsumtion, sondern läßt eher eine andere Absicht vermuten: Der Autor wehrt den bei unentgeltlichen und freiwilligen Tätigkeiten naheliegenden verteidigenden Hinweis des Gestors auf den bei ihm auch sonst üblichen Schlendrian ab und legt ihn jedenfalls für die Rechnungslegung in eindringlicher, aber untechnischer Redeweise auf sorgsames Verhalten nach allgemeinen Maßstäben fest. Wäre es anders, bliebe die naheliegende Frage offen, warum die mittlere Haftungsstufe der diligentia exactioT ohne Erläuterung übersprungen wird.
IV. Einen wesentlich höheren Ertrag als das bisher untersuchte Material versprechen diejenigen Stellen, in denen zwar auch generelle Aussagen vorkommen, in denen daneben aber auch konkrete Sachverhalte und Entscheidungen zur Haftung des Gestors mitgeteilt werden. Da derartige Fallschilderungen in aller Regel nicht oder jedenfalls nicht vollständig durch spätere Bearbeiter hinzuerfunden sind, gewähren solche Texte den zuverlässigsten Einblick in die Denkweise und Auffassungen der klassischen Juristen, auch wenn sie nur in geringer Zahl überliefert sind. 1. Eine erhöhte Verantwortlichkeit des Gestors wird erwähnt in Pomp. D. 3,5,10 (21 ad Quint. Muc.) Si negotia absentis et ignorantis ga ras, et culpam et dolum praestare debes. sed Proculus interdum etiam casum praestare debere, veluti si novum negotium, quod non sit solitus absens facere, tu nomine eius geras: veluti venales novicios coemendo vel aliquam negotiationem ineundo. nam si quid damnum ex ea re secutum fuerit, te
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Hans Hermann Seiler
sequetur, lucrum vero absentem: quod si in quibusdam lucrum factum fuerit, in quibusdam damnum, absens pensare lucrum cum damno debet30 • An den Beginn seines Fragments stellt Pomponius (oder Quintus Mucius) den offenbar als Regel gemeinten Satz von der Haftung des neg. gestor für dolus und culpa31 , um gleich darauf unter Zitierung des frühklassischen Juristen Proculus einen Ausnahmefall (interdum) zu schildern, in dem auch für Zufall gehaftet wird: Der Ankauf unerfahrener Slaven und die Eröffnung eines neuen Handelsunternehmens als für den Geschäftsherrn ungewöhnliche und keineswegs notwendige Maßnahmen werden nicht etwa von der neg. gestio überhaupt ausgeschlossen, wohl aber muß der Gestor auch zufällig eintretende Verluste aus solchen Geschäften selbst tragen (damnum . .. te sequetur). 2. Dagegen ist nach einem anderen Text die Haftung des Gestors gemildert: Ulp. D. 3,5,3,9 (10 ad edict.) Interdum in negotiorum gestorum actione Labeo scribit dolum solummodo versari: nam si affectione coactus, ne bona mea distrahantur, negotiis te meis optuleris, aequissimum esse dolum dumtaxat te praestare: quae sententia habet aequitatem.
Der Sachverhalt, den die Stelle behandelt, ist einer der ältesten Anwendungsfälle der neg. gestio: Der Einsatz des Gestors zur Vermeidung der Gesamtvollstreclrung in das Vermögen des offensichtlich abwesenden Geschäftsherrn. Labeo will bei solcher Sachlage die Haftung des Gestors ausnahmsweise (interdum) auf dolus beschränken32 • Der Grund hierfür ist, auch wenn man das umstrittene affectione coactus wegläßt33 , nicht schwer zu erkennen: Hilfsbereitschaft in Notsituationen, in denen rasches Handeln geboten ist, wird durch Senkung des Haftungsmaßstabes prämiiert34 • 3. Die Gegenüberstellung der beiden Texte legt eine Reihe von Schlußfolgerungen nahe.
Der erste Satz von D. 3,5,10 sowie das einschränkende interdum in beiden Stellen stützen die schon nach der bisherigen Untersuchung (oben II) naheliegende Annahme, daß der Geschäftsführer im Regelfall für dolus und culpa haftete. Diese Folgerung steht auf dem sicheren Literatur zu dieser Stelle bei Seiler (A. 5) 54 A. 20. Die Erwähnung der culpa vor dem dolus begegnet mehrfach, vor allem in Gai. 3,211 (dazu die eingehende Exegese von Schipani, Responsabilita "ex Lege Aquilia" [1969] 249 ff.) und ist kein Beweis für Verfälschung, vgl. Pflüger, SZ 65, 184; a. A. Sachers (A. 1) 344. 32 Die Echtheit dieser Aussage wird nicht angezweifelt, vgl. Seiler (A. 5) 52 A. 4. Die Angriffe auf die Erwähnung der affectio und der aequitas (vgl. Sachers [A. 1] 339 ff.; Seiler [A. 5] 39 A. 2) können hier unerörtert bleiben. 33 Wie Bas. 17,1,4; Zach. Suppl. 132. 34 In diesem Sinne bereits das Scholion des Stephanos z. St., Zach. Suppl. 131. 30
31
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Fundament der beiden Texte, deren Zuverlässigkeit vor allem wegen der dort zitierten älteren Autoritäten kaum zu erschüttern ist. Zugleich aber werden Ausnahmen von der Regel sowohl im Sinne einer Haftungsverschärfung (casus) als auch im Sinne einer Haftungsmilderung (dolus solummodo) genannt; die Schwankungsbreite der Haftungsmaßstäbe war demnach erheblich. Bemerkenswert ist ferner, daß die beiden als Ausnahmen gekennzeichneten Fälle (und damit auch die Regelentscheidung) einer recht alten Schicht der Überlieferung entstammen. Die beiden zitierten Juristen Labeo und Proculus gehören der Vor- und Frühklassik und jeweils einer der beiden gegensätzlichen Rechtsschulen der Sabinianer und der Prokulianer an. Doch wäre es nicht richtig, die beiden Stellen mit Schuldifferenzen oder Juristenkontroversen in Verbindung zu bringenas. Denn sie enthalten keinen sachlichen Widerspruch, sondern gehen letztlich auf den gemeinsamen Grundgedanken zurück, daß die Unterschiedlichkeit der Eingriffssituationen bei der Geschäftsführung die Haftung des Gestors beeinflussen muß. Die Haftung wird gemildert bei Hilfeleistungen in Notsituationen, verschärft bei Vermögensdispositionen, die die Schadensabwehr und den Rahmen des beim Geschäftsherrn Üblichen überschreiten. Es gibt keinen stichhaltigen Grund, diese Regeln den Frühklassikern abzusprechen. Sie erscheinen so einfach und einleuchtend, daß sie sich überzeugend in die frühklassische Vorstellungswelt einfügen lassen und nicht nur in diese. Denn gleichfalls bemerkenswert ist sicherlich, daß der Hochklassiker Pomponius und der Spätklassiker Ulpian diese Regeln übernommen haben, indem sie die vor- und frühklassischen Auffassungen widerspruchslos zitieren. 4. Das soeben entwickelte Ergebnis gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn man erkennt, daß dem Merkmal der Notgeschäftsführung auch in anderen Problemzusammenhängen der neg. gestio erhebliche Bedeutung zukommt. So wird in einem erstaunlich eingehenden Kontroversenbericht unter der Fragestellung des utiliter gerere die Verpflichtung des Geschäftsherrn zum Aufwendungsersatz bei fehlgeschlagenen Geschäftshandlungen diskutiert: Ulp. D. 3,5,9,1 (10 ad edict.) Is autem qui negotiorum gestorum agit non solum si effectum habuit negotium quod gessit, actione ista utetur, sed sufficit, si utiliter gessit, etsi effectum non habuit negotium. et ideo si insulam fulsit vel servum aegrum curavit, etiamsi insula exusta est vel servus obiit, aget negotiorum gestorum: idque et Labeo probat. sed ut Celsus refert, Proculus apud eum notat non semper debere dari. quid enim si eam insulam fulsit, quam dominus quasi impar sumptui dereliquerit vel quam sibi necessariam non putavit? oneravit, inquit, dominum secundum Labeonis senten35
Vgl. Mayer-Maly
(A. 4) 429.
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tiam, cum unicuique liceat et damni infecti nomine rem derelinquere. sed istam sententiam Celsus eleganter deridet: is enim negotiorum gestorum, inquit, habet actionem, qui utiliter negotia gessit: non .autem utiliter negotia gerit, qui rem non necessariam vel quae oneratura est patrem familias adgreditur. iuxta hoc est et, quod Iulianus scribit, eum qui insulam fulsit vel servum aegrotum curavit, habere negotiorum gestorum actionem, si utiliter hoc faceret, licet eventus non sit secutus. ego quaero: quid si putavit se utiliter facere, sed patri familias non expediebat? dico hunc non habiturum negotiorum gestorum actionem: ut enim eventum non spectamus, debet utiliter esse coeptum3&. Der Beginn der Stelle gesteht dem Gestor auch bei Erfolglosigkeit seiner Bemühungen den Ersatz seiner Aufwendungen zu. Das ist seit Labeo gesicherte Rechtsüberzeugung, der die vier zitierten Juristen Labeo, Proculus, Julian und Celsus sowie auch illpian selbst nicht widersprechen. Insbesondere zieht auch Proculus diesen Grundsatz nicht in Zweifel, sondern bemüht sich unter Heranziehung eines Sonderfalles lediglich um seine Abgrenzung (non semper dan). Die großen Linien der neg. ,gestio - das zeigt sich auch hier - liegen schon früh, schon in der Vor- und Frühklassik, fest. Gestritten wird später und so auch in fr. 9,1 lediglich über Detailfragen, wie hier über die Frage, ob Aufwendungsersatz im Fall erfolgloser Geschäftsführung auch zu beanspruchen ist, wenn der Geschäftsherr selbst die notwendigen Aufwendungen nicht geleistet haben würde. Bemerkenswert für unser Thema ist nun, daß der beschriebene Grundsatz an typischen Notsituationen beispielhaft erläutert wird, nämlich an der Ausbesserung eines Mietshauses und an der Pflege kranker Slaven. Das wird kein Zufall sein; offensichtlich denken die Juristen bei der Anwendung der Regel nur an derartige Fälle, obwohl sie in anderen Zusammenhängen bemüht sind, darüber hinaus auch die sonstige nützliche Geschäftsführung in den Tatbestand der neg. gestio einzubeziehen87 • Es gibt aber keine Zeugnisse, nach denen die in fr. 9,1 formulierte Regel auf Fälle bloß nützlicher Geschäftsführung angewandt wird. Ob ihre Anwendbarkeit trotzdem wahrscheinlich ist, ist auch nach der Kritik von Mayer-MalyS8 zumindest eine offene Frage, die nach dem Gesamtbild der Überlieferung wohl eher zu verneinen ist". Sehr deutlich tritt die Bedeutung der Notgeschäftsführung ferner hervor in Literatur zu dieser Stelle bei Seiler (A 5) 55 A 22. Seiler (A 5) 59; zustimmend insoweit Mayer-Maly (A 4) 429. 38 Aa.O. 430. 39 Der Einwand, es fehle an einer klaren Abgrenzung des Bereichs der Notgeschäftsführung (Mayer-Maly a.a.O. 430), trifft auf weite Bereiche des römischen Privatrechts als eines kontroversenreichen Fallrechts zu. Gerade auch für die neg. gestio ist eine gewisse begriffliche Unschärfe oder Unbestimmtheit typisch. 1&
37
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Paul D. 3,5,12 (9 ad edict.) Debitor meus, qui mihi quinquaginta debebat, decessit: huius hereditatis curationem suscepi et impendi decem: deinde redacta ex venditione rei hereditariae centum in arca reposui: haec sine culpa mea perierunt. quaesitum est, an ab herede, qui quandoque extitisset, vel creditam pecuniam quinquaginta petere possim vel decem quae impendi. Iulianus scribit in eo verti quaestionem, ut animadvertamus, an iustam causam habuerim seponendorum centum: nam si debuerim et mihi et ceteris hereditariis creditoribus solvere, periculum non solum sexaginta, sed et reliquorum quadraginta me praestaturum, decem tarnen quae impenderim retenturum, id est sola nonaginta restituenda. si vero iusta causa fuerit, propter quam integra centum custodirentur, veluti si periculum erat, ne praedia in publicum committerentur, ne poena traiecticiae pecuniae augeretur aut ex compromisso committeretur: non solum decem, quae in hereditaria negotia impenderim, sed etiam quinquaginta quae mihi debita sunt ab herede me consequi posse40 •
Nach dem Sachverhalt, auf dessen Einzelheiten es hier nicht ankommt, sind Nachlaßgegenstände veräußert worden und die Erlöse in Verlust geraten. Julian stellt in seiner Entscheidung darauf ab, ob der Gestor eine iusta causa seponendi für die Hinterlegung der eingenommenen und später ohne sein Verschulden abhanden gekommenen Gelder gehabt habe. Als Beispiele für das Vorliegen einer solchen iusta causa beschreibt der Jurist anschaulich und eindrucksvoll Situationen, in denen dem Geschäftsherrn unmittelbar Vermögensverluste drohen: si pericuZum erat, ne praedia in pubZicum committerentur, ne poena traiecticiae pecuniae augeretur aut ex compromisso committeretur. Sollte das Geld etwa die bevorstehende Konfiskation von Nachlaßgrundstücken oder die Fälligkeit von Vertragsstrafen verhüten, dann ist der Gestor entlastet. Andernfalls verneint der Jurist die iusta causa mit der Folge, daß der Gestor den eingetretenen Verlust41 zu tragen hat, und zwar - um es noch einmal hervorzuheben - obwohl vorher ausdrücklich festgestellt ist, daß der Gestor den Verlust der Gelder nicht verschuldet hat; im Ergebnis hat er also auch für den zufälligen Untergang einzutreten. Für die Entscheidung des Juristen ist - daran kann ungeachtet einzelner Unklarheiten im Duktus der Stelle kein Zweifel bestehen der Gesichtspunkt der Notgeschäftsführung maßgebend. An seine Verneinung oder Bejahung knüpfen sich jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen. Hat der Gesichtspunkt der Notgeschäftsführung danach als Sachargument im Bereich der neg. gestio eine Rolle gespielt, so wird auch hiernach wahrscheinlich, daß er die Haftung des Gestors beeinflußt hat.
40 41
Literatur zu dieser Stelle bei SeHer (A. 5) 56 A. 26. Abzüglich der von ihm aufgewandten 10.
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5. Versuchen wir nach diesen überlegungen eine Zusammenfassung. Die bona fides, unter deren Herrschaft auch die neg. gestio stand, gebot keineswegs zwingend, die Haftung des Gestors nach Haftungsstufen zu beurteilen. Nur unter diesem Vorbehalt läßt sich sagen, daß der Gestor nach den uns zugänglichen Quellen in der Klassik in der Regel für dolus und culpa haftete. Es ist nicht zu belegen (sondern allenfalls zu vermuten), daß für ihn in früher Zeit etwa nur der Haftungsmaßstab des dolus im Sinne von Arglist gegolten hat. Ausschließlich in Belegen der spät- und nachklassischen Epoche wird auch die diligentia erwähnt. Daß damit sachlich bemerkenswerte Neuerungen, etwa eine Verschärfung der Haftung des Gestors eingeführt werden, ist nicht zu erkennen. Die in I. 3,27,1 genannte dil~gentia exactissima bezieht sich nur auf die Rechnungslegung durch den Gestor. Sie ist vereinzelt geblieben und gestattet keine Verallgemeinerung. Die von der Sache her interessanten Abweichungen von der Regel finden sich bereits in der Vor- und Frühklassik. Von der späteren Klassik werden widerspruchslos Entscheidungen des Labeo und des Proculus zitiert, in denen die Haftung des Gestors gemildert oder verschärft wird. Die Entscheidungen sind gestützt auf einleuchtende Überlegungen: Im Falle von Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung einer Notsituation soll der Gestor nur für dolus haften; führt der Gestor dagegen ein dem gewohnten Geschäftsbetrieb des Geschäftsherrn nicht entsprechendes Geschäft42 , dann wird die Haftung auf casus erweitert43 •
V. In erster Linie mit der sachlichen überzeugungskraft der den beiden Entscheidungen zugrunde liegenden Rechtsgedanken wird ihr nachhaltiger Einfluß auf die spätere Rechtsentwicklung zu erklären sein. Die, wie gezeigt, bis in die Frühklassik zurückzuverfolgende Auffassung, daß unter den in den beiden Stellen D.3,5,10; eod.3,9 beispielhaft umschriebenen Umständen die Haftung des Gestors gegenüber dem normalen Maßstab zu mildern oder zu verschärfen ist, hat bis in So die Formulierung des Dresdner Entwurfs Art. 755 S. 2. Keine Anhaltspunkte finden sich dafür, daß die neben dem b. f. iudicium bestehende prätorische Klage für die Haftung des Gestors Sonderregelungen vorgesehen hat. Der Versuch KreHers (insbesondere in Festschrift Koschaker II [1939] 237 ff.), als spezifische Funktion dieser Klage die Erleichterung der Haftung des freiwillig für einen Abwesenden Handelnden nachzuweisen, ist nicht gelungen. Es kann dazu das an anderer Stelle (Seiler [A. 5] 322) Gesagte wiederholt werden: Die scharfe casus-Haftung des Gestors findet sich gerade in einer Stelle (Pomp. D. 3,5,10), die die Verw.altung für einen absens et ignorans behandelt; andererseits ist in den Quellen (Ulp. D. 3,5,9,1; Gai. D. 3,5,21), die dem Gestor günstige Entscheidungen treffen, nicht ausdrücklich von einer Geschäftsführung zugunsten eines absens die Rede. 42
43
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die neuere Privatrechtsgeschichte Anklang gefunden und dort ihre Spuren hinterlassen. 1. So bestimmt etwa das preußische ALR (I 13 §§ 234, 237) trotz seiner grundsätzlichen Zurückhaltung gegenüber der auftraglosen Geschäftsführung, daß nur für grobes Versehen haftet, wer die Geschäfte eines andern zur Abwendung eines nach vernünftigen und wahrscheinlichen Gründen bevorstehenden Schadens besorgt44 • In übereinstimmung mit dem gemeinen und dem Pandektenrecht45 regelt der Dresdner Entwurf (Art. 755 S. 1), daß die Haftung des Geschäftsführers sich bei Abwehr einer dem Geschäftsherrn drohenden Gefahr auf "absichtliche Verschuldung und grobe Fahrlässigkeit" beschränkt. Eine entsprechende Bestimmung enthält das Schweizer Obligationenrecht (Art. 420 II), und auf der gleichen Linie liegt das BGB, das in § 680 den Geschäftsführer bei Abwendung einer dem Geschäftsherrn drohenden dringenden Gefahr für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haften läßt. Dazu findet sich in den Motiven46 die rechtspolitische Erwägung, daß die Haftungserleichterung in hohem Maße billig und geeignet sei, "Dritte zu vermögen, im Interesse des Gefährdeten helfend einzugreifen, wenn diese außerstand gesetzt sind, ihr Interesse selbst zu wahren", der gleiche Gedanke, der auch in der durch D. 3,5,1 überlieferten laudatio zum Edikt de negotiis .gestis zum Ausdruck kommt.
2. Gleichfalls starke Nachwirkung in der neueren Privatrechtsgeschichte hat die von Proculus und Pomponius vertretene Auffassung einer Haftungsverschärfung für den Fall einer Tätigkeit des Gestors gehabt, die über den Geschäftsbereich und die Gepflogenheiten des Geschäftsherrn hinausgeht. Allerdings wird der Tatbestand zumeist stärker auf subjektive Merkmale bezogen: Der Gestor muß gegen ein Verbot, gegen den ausgesprochenen oder sonst erkennbaren Willen des Geschäftsherrn gehandelt haben. Unter Voraussetzungen dieser Art lassen die meisten Kodifikationen den Gestor auch für Zufall haften, so etwa das preußische ALR (I 13 § 249), das österreichische ABGB (§ 1040)47, das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1347 S. 2), der 44 Anders die beiden anderen naturrechtlichen Kodifikationen: Der französische code civil (Art. 1374 II) überläßt es dem Richter, in Anbetracht der Umstände, die den Gestor zum Eingreifen veranlaßt haben, das Urteil zu mildern - eine Regelung, die der italienische codice civile (Art. 2030 II) übernommen hat. Das österreichische ABGB kennt keine derartigen Privilegien zugunsten des Gestors; ebenso nicht das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch (§§ 1347 S. 1,729). 45 Vgl. Windscheid, Pandekten II" (1906) 915.
40
II 858.
Im franz. code civil fehlt eine vergleichbare Regelung. Dagegen versagt der ital. codice civile (Art. 2031 II) im Fall einer Geschäftsführung gegen das Verbot des Geschäftsherrn den Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen. 47
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Dresdner Entwurf (Art. 755 S. 2), das Schweizer Obligationenrecht (Art. 420 III) und schließlich auch - trotz Vorbehalten in den Motiven'8 - das BGB (§ 678). 3. Es bleibt also die bemerkenswerte Feststellung, daß die beiden die Haftung des Gestors beeinflussenden Gesichtspunkte, die beide bis in die Zivilrechtsordnungen der Gegenwart fortgewirkt haben, schon in der Vor- und Frühklassik formuliert worden sind. Daneben ist die Entwicklung, die sich auf diesem Gebiet in den späteren Epochen der Klassik beobachten läßt, vergleichsweise unbedeutend.
48
11 857.
Die Rechtswirkungen der lex Falcidia1 Von Andreas Wacke
J. Einführung - Stand der Meinungen 1. Dem Schutze des Testamentserben vor einer Beschwerung mit übermäßigen Vermächtnissen dienen drei Gesetze der späten Republik: die lex Furia testamentaria, die lex Voconia und die lex Falcidia 2 • Die lex Furia ist ein von dem nicht näher bekannten Volkstribunen C. Furius initiiertes Plebiszit aus dem ersten Viertel des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts. Sie untersagte es den von Todes wegen Bedachten (mit Ausnahme einiger personae exceptae), von dem ihnen Hinterlassenen mehr als den - vergleichsweise geringfügigen3 - Betrag von eintausend As anzunehmen (Gai. 2,225). Für Ulpians Ziber singularis, praef. § 2 ist die lex Furia das Musterbeispiel einer lex minus quam perfecta4 : Ihre Übertretung bewirkt keine Nichtigkeit (,non rescindit'); 1 Durch Fußnoten ergänzte, um einige Quellenexegesen (unten VI 4-6) erweiterte Fassung des Seminarreferats vom 10. Juni 1971. Der Stil des mündlichen Vortrags wurde überwiegend beibehalten. Der anschließenden Diskussion verdanke ich noch manche Anregung. Abgekürzt zitiertes Schrifttum: Bonifacio I = Ricerche sulla lex Falcidia (1948); Bonifacio 11 = In tema di lex Falcidia, Iura 3 (1952) 229-233; Bretone I = La nozione romana di usufrutto I (1962); Ehrhardt = Litis aestimatio im röm. Fonnularprozeß (1934); Grosso I = I legati nel dir. rom. 2(1962); Grosso 11 = Le servitil. prediali nel dir. rom. (1969); Kaden = Bespr. von Bonifacio I, Iura 1 (1950) 436 ff.; Kaser I (2) = Das röm. Privatrecht I (1955), 2(1971); Kaser 11 = Das röm. Privatrecht 11 (1959); Kaser III = Das röm. Zivilprozeßrecht (1966); Nardi I = Studi sulla ritenzione in dir. rom. I (1947); Schwarz I = Die Rechtswirkungen der lex Falcidia, SZ 63 (1943) 314-367; Schwarz 11 = War die lex Falcidia eine lex perfecta?, SD 17 (1951) 225-247; Schwarz III = Die Funktion des Irrtums bei Erfüllung gänzlich oder teilweise nicht geschuldeter Fideikommisse, SZ 68 (1951) 26~319; Voci II2 = Diritto ereditario rom. II 1(1963). ! Zum folgenden die allgemeinen Darstellungen von Steinwenter, RE 12, 2 (1925) 2346 ff., 2356 ff., 2418 ff., kürzer G. Longo, NNDI 9 (1963) 807, 809, 825 (Artt. lex Falcidia, lex Furia test., lex Voconia); Kaser2 I 756 m. weit. Lit., adde v. BoUa, SZ 68 (1951) 509 ff. Zum Zusammenhang der drei Gesetze insbes. Wesel, SZ 81 (1964) 308 ff., der den Bericht des Gaius 2, 224 ff., auf den sich die herrschende Lehre stützt, anzweifelt. 3 Wesel 310 ff. , UE 1, 2: Minus quam perfecta lex est, quae vetat aliquid fieri, et si
factum sit, non rescindit, sed poenam iniungit ei, qui contra legem fecit; qualis est lex Furia testamentaria, quae plus quam mille assium legatum mortisve causa prohibet capere, praeter exceptas personas, et adversus eum, qui plus ceperit, quadrupli poenam constituit. 14 Festschrift Kaser
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Andreas Wacke
andererseits bleibt sie nicht völlig sanktionslos wie eine lex imperfecta: Vielmehr erhält der Erbe gegen den Bedachten, der mehr als eintausend As annimmt, ohne Klage und Urteil die sofortige Vollstreckung auf das Vierfache des übersteigenden Betrages. Das Verbot richtet sich also gegen den Bedachten; nicht gegen den Testator, dessen Verfügung gültig bleibt entsprechend dem XII-Tafel-Satz 5,3: uti legassit ... , ita ius esto. Die lex Voconia, die im Jahre 169 v. Chr. von dem Tribunen Qu. Voconius Saxa auf Betreiben des älteren Cato rogiert wurde, verbietet es unter anderem, aus dem Legat eines Bürgers der ersten Zensusklasse mehr anzunehmen, als der Alleinerbe oder alle Miterben zusammen erhalten. Die Folgen einer Verletzung dieses Gesetzes sind nicht überliefert. Beide Gesetze hinderten den Testator nicht, die Erbschaft durch viele kleine Legate so zu überlasten, daß für den Erben nichts oder nur wenig übrig blieb. Erst die lex Falcidia, das dritte Gesetz von dieser Trias der Legatsbeschränkungen, gleichfalls ein Plebiszit, und zwar des Tribunen P. Falcidius vom Jahre 40 v. Chr., garantiert dem Erben einen ,Freiteil' von einem Viertel der Erbschaft, indem sie dem Testator nur über drei Viertel seines Aktivvermögens durch Einzelvergabe zu verfügen gestattet. 2. Die Rechtsfolgen einer Übertretung dieses Verbots sind bis in die jüngste Zeit umstritten. Die seit der Pandektistik herrschende Lehre betrachtet das Gesetz als eine lex perfecta: Das die Quart beschränkende Legat sei bezüglich des Übermaßes absolut nichtig gewesen und von Rechts wegen auf den zulässigen Anteil herabgesetzt worden6 • Die abweichenden Ansichten von Gustav Kretschmarll und Stanislao Cugia7 blieben vereinzelt. Ludwig Mitteis gab seine frühere Ansicht, die Folge des Gesetzesverstoßes sei eine geminderte "relative" Nichtigkeit gewesens, in seinem "Römischen Privatrecht" (1908, S. 248) wieder auf. Im Jahre 1943 widmete Fritz Schwarz der Problematik erstmals einen ausführlichen und gründlichen Aufsatz (SZ 63, 314 ff. = Schwarz 5 Bethmann-HoHweg (U. 188 ); Windscheid-Kipp, Pandekten 9(1906) III S. 652 (§ 650); Brinz(-Lotmar), Pandekten III 1 2(1886) 367, IV 2(1892) 420 n. 63;
Sohm - Mitteis - Wenger, Institutionen 17(1923) 633 f.; Karlowa, Röm. RG II (1901) 943; Steinwenter (0. 2) 2348; Dulckeit, Fschr. Koschaker II (1939) 315, 334, vgl. U.23 ; Kübler, ebenda 366 f.; Jörs-Kunkel, Röm. PrivatR 3(1949) 105, vgl. 354f. 8 Erbrechtliche Compensationen. Ein Beitrag zur Lehre von den Vermächtnissen und der lex Falcidia (1892) 6 ff. 7 Indagini sulla dottrina della causa deI negozio giuridico: L'espressione mortis causa (1910) 73 ff. S Jherings Jb. 28 (1889) 119 ff.
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I). Er kam zu dem Ergebnis, daß es die Quellenlage verbiete, von einer automatisch eintretenden Unwirksamkeit der das Nachlaßviertel beschwerenden Vermächtnisquote zu reden (S. 331). Vielmehr sei es stets Sache des Erben gewesen, sein Recht auf die Quart mittels eines Retentionsrechts geltend zu machen. Dieser Ansicht trat Franco Bonifacio in seiner kleinen Monographie über die lex Falcidia (1948) entgegen: In einer Auseinandersetzung mit den Argumenten von Schwarz verteidigte er die herrschende Lehre von der ipso iure eintretenden Teilnichtigkeit übermäßiger Vermächtnisse.
Erich-Hans Kaden hat in Iura 1 (1950) 436 ff. das Werk Bonifacios eingehend gewürdigt. Nach wohlabgewogener Analyse der jeweiligen Argumente neigte er eher der Ansicht von Schwarz zu, "daß die lex Falcidia ursprünglich allgemein als lex imperfecta betrachtet worden ist, später von Einzelnen, in Sonderfällen, mit stärkeren Wirkungen ausgestattet wurde und erst in nachklassischer Zeit, aber noch vor Justinian, den Charakter einer lex perfecta erhalten hat". (S. 445) Schwarz selbst hat zu Bonifacio in sn 17 (1951) 225 ff. (= Schwarz II) noch einmal Stellung genommen und dabei seine Ansicht bekräftigt, daß die lex Falcidia zumindest ursprünglich keine lex perfecta war.
Bonifacio entgegnete seinen beiden Kritikern in einer kurzen Replik in Iura 3 (1952) 229 ff. (= Bonifacio II), die einen guten überblick: über den Diskussionsstand gewährt. Der Ansicht Bonifacios haben sich später u. a. Biondi, Grosso und Voci in ihren Handbüchern zum römischen Testaments-, Vermächtnisund Erbrecht angeschlossen9 , während Kaser mehr der Ansicht von Schwarz zuneigtl°. Wie Schwarz im Ergebnis zuletzt wiederholt auch Di Paola ll . Dieser überblick: mag genügen, um zu zeigen, daß es sich lohnt, das Thema noch einmal aufzugreifen.
9 Biondi, Successione testamentaria 2(1955) 381; Grosso I 357 f.; Voci! II 782 f. mit 98 • Ebenso Weiss, Institutionen 2(1949) 576; Provera, La pluris petitio I (1958) 1851e ; Bretone, Servus communis (1958) 27 mit20 ; G. Longo NNDI 9, 807; Biondi, ebenda 603. 10 Kaser I 630 beps; vgl. 12 25041 ; 757 15 • 11 Synt. Arangio-Ruiz II (1964) 1091 ff. Contributi ad una teoria della invalidita ed inefficacia (1966) 61 ff.
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11. Abgrenzung der lex perfecta von nicht perfekten Verbotsgesetzen Vorweg erscheint eine terminologische KlarsteIlung des Begrüfs ,lex perfecta' geboten. Die Einteilung der Verbotsgesetze in leges perfectae, minus quam perfectae und imperfectae entstammt der klassischen Rechtsschule 12 • Der einzige juristische Text13 , der sich allgemein zu dieser Frage äußert, die praefatio zu den Tituli ex corpore Ulpiani, ist zwar unvollständig überliefert. Mit Recht wird er aber allgemein dahin ergänzt, daß die lex perfecta das verbotene Geschäft vernichtet (,rescindit'), während die lex imperjecta keine Sanktion daran knüpft (,non rescindit') und die lex minus quam perfecta seine Vornahme bloß mit Strafe bedroht14 • 1. Es fragt sich zunächst, ob von einem ,perfekten' Verbotsgesetz nur dann gesprochen werden darf, wenn die Nichtigkeitsfolge in der sanctio legis ausdrücklich angeordnet ist, wenn also das Gesetz selbst eine "Annullationsklausel" enthält. Davon geht Schwarz in der Tat aus 15 • Die Frage ist gerade hier von Belang, weil der bei Paulus überlieferte Wortlaut des falzidischen Gesetzes keine Sanktion für den Fall der übertretung vorsieht. Es heißt dort lediglich (cap. II):
D. 35,2,1 pr. (Paulus lib. sing. ad legem Falcidiam) ,... Quieumque elVlS Romanus post hane legem rogatam16 testamentum faciet, is quantam euique
Kaser, SZ 70 (1953) 141 f. Vgl. Kaser a.a.O. Dazu noch Maerobius, Somnium Scipionis II 17,13: Inter leges illa imperjeeta dicitur, in qua nulla deviantibus poena sancitur. Diese Erklärung ist ungenau, weil auch die lex perfecta keine Strafe sondern bloße Nichtigkeit anordnet. Die vierte Kategorie der leges plus quam perfectae, die über die Nichtigkeit hinaus eine Strafe androhen, ist unrömisch: F. Endemann, über die eivilrechtliche Wirkung der Verbotsgesetze (1887) 22; unzutr. Volkmann, Art. Lex [2] im Lexikon der alten Welt (1965) Sp. 1716. 14 UE 1, 1: (Leges aut perjectae sunt aut imperjectae aut minus quam perjeetae. Perjecta lex est, quae vetat aliquid fien, et si factum sit, rescindit. Imperfecta lex est, quae fieri aliquid vetat, nec tamen si factum sit, rescindit; qualis est lex Cincia, quae plus quam ... donari) prohibet, exceptis quibusdam cognatis, et si plus donatum sit, non rescindit. Weiter s. o. A.4! 15 I 315 f.; vgl. II 227. Sein Hinweis auf C.l,14,5,1 = NT 9, 1 (a.439) ist als Begründung allerdings nicht schlüssig. Durch diese Konstitution erklärten Theodosius II und Valentian III alle verbotswidrigen Geschäfte auch beim Fehlen einer gesetzlichen Nichtigkeitssanktion für ungültig. Diese Verschärfung beruht einmal auf der gesteigerten staatlichen Autorität unter dem Dominat, der Wegfall der nicht perfekten Verbotsgesetze zudem auf der vulgarrechtlichen Verschmelzung des prätorischen Amtsrechts mit dem Zivilrecht. Vgl. Kaser II 62; Di Paola, Invalidita (0.11) 94 ff., jeweils m. Lit. Gab es nach dieser dem § 134 BGB vergleichbaren Generalnorm nur mehr perfekte Verbotsgesetze (Apelt, Urteilsnichtigkeit [1936] 160), so hatten doch schon die klassischen Juristen die Freiheit, einzelnen sanktionslosen Gesetzen die Wirkungen einer lex perjecta beizulegen; vgl. die im Text folgenden Ausführungen. 18 Zu dem hiermit angeordneten Rückwirkungsverbot Broggini, Conieetanea (1966) 360 f.; vgl. Medicus, SZ 84 (1967) 559. Zu ,Quicumque' gegenüber 11 11
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civi Romano pecuniam iure publieo dare legare volet, ius potestasque esto, dum ita detur legatum (ser. legetur)17, ne minus quam partem quartam hereditatis eo testamento heredes eapiant .. .' Jeder Römer solle also die Rechtsmacht haben (,ius potestasque esto')18, jedwedem anderen Römer soviel zu vermachen wie er will; sofern nur die Erben aus dem Testament nicht weniger als den vierten Teil der Erbschaft behalten. Mit den dann folgenden - hier nicht wiedergegebenen - Worten wird den Begünstigten gestattet, das ihnen auf diese Weise Hinterlassene ohne eigenen Nachteil (,sine fraude sua') anzunehmen - damit sind offenbar die früheren leges Furia und Voconia aufgehoben19 ; und es wird weiter dem Erben befohlen, die angeordneten Vermächtnisse auch zu erfüllen. Die lex Falcidia verleiht dem Testator demnach die Rechtsmacht, innerhalb des dodrans 20 Vermächtnisse auszusetzen. Sie ist also in positiver, ermächtigender Form erlassen!1 und enthält sich einer Regelung für den Fall ihrer Übertretung. In der Erteilung der Verfügungsmacht bis zur Grenze von drei Viertel liegt freilich zugleich das schlüssige Verbot weitergehender Belastungen der Erbschaft; und so wurde das Gesetz auch von den Klassikern aufgefaßt22 • Bedeutet nun diese Begrenzung auf drei Viertel des Aktivvermögens eine Beschränkung des rechtlichen Könnens, also der Verfügungsfreiheit oder Testierbefugnis des Erblassers (so die herrschende Lehre)23, oder bedeutet sie der bedingten Fassung älterer Gesetze (,Si quis') s. Daube, Forms of Roman Legislation (1956) 6 ff.; vgl. Kaser, SZ 74 (1957) 426. 17 Diese von Cuiacius vorgeschlagene Konjektur empfiehlt sich wegen des im Text noch mehrfach begegnenden Asyndeton dare legare. Gradenwitz, SZ 14 (1893) 116, Schwarz I 316, II 226 streichen dagegen fita detur legatum] als Glossem; vgl. auch Dig. mil. ad h.l. Keine Bedenken äußert Bonifacio I 6. 18 Zum Doppelausdruck ius potestasque zur Bezeichnung subjektiver Rechte in den leges Kaser, Altröm. ius (1949) 989, vgl. 11 19518 • 19 Steinwenter (0. 1) 2348; Rotondi, Leges publieae populi romani (1912, Neudr. 1962) 438; Wesel (0.1) 315; Kaser 11 75610 gegen 1 63010 • Die häufige Wendung sine fraude sua (S. F. S.: Prob. 3,24) ist technisch für die Aufhebung älterer Gesetze durch jüngere, s. Krüger - Kaser, SZ 63 (1943) 123 ff. mit reichen Belegen. 20 Dodrans (9/12 eines As = 3/4) begegnet in den Rechtsquellen stets als masculinum, s. Iul.(-Ulp.) D. 35,3,1,8; 37,5,6; Afr. D. 28,5,48,1 (dodrans datus, legatus). Die von Schwarz durchweg (etwa I 325) verwendete weibliche Nebenform ist ungebräuchlich, s. Thes. L. L. V 1, 1811. u Kaden 438. !! Vgl. nur Gai. 2,227: Lata est itaque lex Falcidia, qua cautum est, ne plus ei legare liceat quam dodrantem. !3 Vgl. Dulckeit (0. 5) 333, 349. Nach ius potestasque esto (0. 18) liegt dieser Umkehrschluß nahe (Karlowa [0. 5], anders freilich Kaden 438 f.): Mangelnde potestas zur Vornahme eines Aktes bedeutet nämlich regelmäßig absolute Wirkungslosigkeit, s. Hellmann, Terminolog. Untersuchungen über die rechtl. Unwirksamkeit (1914) 280 ff. - Ulp. D. 24,2,11 pr. zum Scheidungsver-
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nur eine Beschränkung seines rechtlichen Dürfens 24 ? Dem Gesetzestext ist eine Antwort hierauf nicht zu entnehmen. Für den Rechtshistoriker ist also entscheidend, wie die klassischen Juristen selber den Gesetzeswortlaut ausgelegt haben25 . Wir müssen uns daher nach anderen Quellen umschauen. So gehen übrigens auch Schwarz und Bonifacio vor28 . Und Kaser schreibt im Handbuch den trefflichen Satz: "Die Rechtsfolge (einer lex) richtet sich in erster Linie nach der sanctio, die das Gesetz selbst an seine Zuwiderhandlung knüpft, im übrigen nach der
Auslegung27 ." Entgegen Schwarz15 ist ein Gesetz mithin nicht schon um deswillen als
,imperfekt' zu bezeichnen, weil es keine ausdrückliche Annullierungsklausel enthält: Es kann sein, daß die Juristen die Nichtigkeitsfolge durch Interpretation aus seinem Wortlaut ableiten. In Ermangelung einer ausdrücklichen Nichtigkeitssanktion läßt sich das Vorliegen einer lex perfecta noch aus den Umständen, dem Zweck des Gesetzes folgern.
2. Wie sind dann aber ,perfekte' und ,nicht perfekte' Verbotsgesetze voneinander abzugrenzen, wenn es auf das Vorhandensein einer ausdrücklichen Nichtigkeitssanktion nicht ankommt? Die von den Juristen verwendete Terminologie, die hinsichtlich der Unwirksamkeit von Rechtsakten bekanntlich wenig gefestigt ist28 , bringt auch hier wenig Aufschluß29. Entscheidend kann daher nur sein, welche prozessualen bot der liberia nach der lex Iulia steht trotz Schwarz I 316 f. nicht entgegen, weil die Rechtsanschauung nicht an der Tatsache vorbeigehen kann, daß die eheliche Lebensgemeinschaft aufgelöst ist; s. zum Problemkreis jetzt die Lit. bei Kaser! I 32133 ; dazu noch meine Actio rerum amotarum (1964) 43 f. und Di Paola (0.15) 96 ff. 24 Vgl. Kaden 437 f. 25 Zur Gesetzesauslegung allgemein Kaser! I 212 mit Lit. Zur Auslegung einzelner Vorschriften der lex Falcidia insbes. Wesel, Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung (1967) 62, 111, 123 ff. Zu Einzelheiten der Quartberechnung neuestens Raber, Festg. Herdlitczka (1972) 199 ff. 2e Ebenso Kaden 439. 27 Kaser I 216; kürzer 2 249. Hervorhebung von mir. Ebenso Jörs-Kunkel (0. 5) 105. 28 Kaser! I 246 f. mit Lit. 29 Non licere sagt, ebenso wie non posse, über die Rechtsfolgen der übertretung nichts aus: Schwarz I 316 ff., 319 mit Hinweis auf die zweifellos nicht perfekten leges Cinciae und Voconiae. Ähnliches gilt für decedere, vgl. Schwarz I 325, Bonifacio I 11, Kaden 439. - Revocare ist mit einem perfekten Verbotsgesetz vereinbar, wie seine Verwendung bei der fraudatorischen Freilassung entgegen der lex Aelia Sentia (Alex. C. 7,11,1; a.223) sowie beim Schenkungsverbot unter Ehegatten (Ulp. D. 24,1,5,18) beweist, s. Bonifacio I 12 f. gegen Schwarz I 319 ff., vgl. II 228 f. Revocare in Verbindung mit der lex F. als Subjekt wie in D. 35,3,1,11 spricht (ähnlich wie minuere: unten A.44) für ein perfektes Verbotsgesetz. Ein revocare durch den Erben ist damit vereinbar; diese Ausdrucksweise empfiehlt sich besonders, wenn der Legatar den vermachten Gegenstand schon besitzt (D.35,3,1,11). Das gilt auch für das einmal bei Iav. D. 35,2,61 in einer Anfrage erwähnte ius revo-
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Rechtsbehelfe man in der Praxis dem Erben zum Schutze seines Rechts auf die Quart gewährte 30 • Die Unterscheidung der beiden Arten von Verbotsnormen deckt sich meines Erachtens mit der zwischen ,zivilrechtlicher' und bloß ,amtsrechtlicher' Unwirksamkeit des mißbilligten Geschäfts 31 : Die zivilrechtliche Nichtigkeit folgt ipso iure ex lege, also ohne Eingreifen des Prätors; die amtsrechtliche bedarf prätorischer Hilfe mittels exceptio, in integrum restitutio oder Denegation der Klage. In Betracht kommt vornehmlich eine exceptio aus dem Edikt ,Si quid contra legem senatusve consultum factum esse dicetur'. Auf diese Ediktsrubrik stützen sich z. B. die exceptiones legis Cinciae, SC. Macedoniani oder Velleiani 32 • Das Vorhandensein einer solchen Einrede ist sonach ein untrügliches Zeichen dafür, daß wir es mit einem nicht perfekten Verbotsgesetz 33 zu tun haben, welches die Geschäftswirkungen nach Zivilrecht unberührt läßt. Bei ipso iure wirkender Nichtigkeit kann andererseits sogar ein Gewohnheitsrechtssatz die Kraft eines perfekten Verbotsgesetzes entfalten: Das Schenkungsverbot unter Ehecandi. - Die zahlreichen Stellen, nach denen die Quart beim Erben remanet (Bonifacio I 13 f.) sprechen - besonders mit dem Zusatz ipso iure (D.43,3,l,5; unten IV 3) gegen Schwarz, vgl. I 321 f., 324 f., 346 f. Remanet res penes donatorem oder eius qui dedit findet sich gleichfalls bei der Ehegattenschenkung: PS 2,23,5; D. 24,1,28 pr. - Die Stellen, nach denen der Erbe legis F. beneficium imploravit oder postulat, beneficio uti volet oder legem F. opponit bzw. obicit, besagen entgegen Schwarz I 327 f. ledi:glich, daß der heres die Quart ,geltend macht' (meist im Sachverhalt), nicht aber, daß er sie geltend machen muß. - Das häufige retinere quartam schließlich (Schwarz I 327; Nardi I 133 ff., Bonifacio I 16 f.) ist mit dem perfekten Verbotscharakter gleichfalls vereinbar, weil der Erbe eben in der Regel die Quart ,einbehält'. Aus der "Natur des Retentionsrechts" läßt sich, entgegen Kaden 442 und Schwarz I! 244, nichts herleiten. Denn ein technischer Begriff der retentio, wie ihn Nardi zu konstruieren versuchte, war den Klassikern fremd, vgl. u. A. 129. Sie kennen retentiones mit und ohne exceptio doli, je nach dem Umfang des dem iudex durch die Klagformel eingeräumten Ermessens; s. Kaser2 I 521. Eine retentio ohne exceptio, wie sie Schwarz für die lex F. annimmt (I 351, 353 ff., I! 234, vgl. Kaden 441 f.) ist bei der rei vindicatio, besonders aber bei der strengen actio ex testamento nicht denkbar; s. eingehend unten II!. überdies fehlte es für ein ,Zurückbehaltungsrecht' bei der lex F. normalerweise an der Gegenforderung, deren Erbringung erzwungen werden soll (wie bei der retentio wegen Verwendungen); anders nur bei rechtlich unteilbaren Legaten, unten VI. Die untechnische Verwendung von retinere zeigt sich etwa an D. 35,2,15 pr. (u. A. 37), wo es mit Bezug auf den klagenden Erben gebraucht wird, was Bonifacio I 3055 wohl zu Unrecht beanstandet; vgl. Di Paola, Donatio mortis causa (1950) 205 28 • 30 Die Maßgeblichkeit dieses prozessualen Aspekts betont mit Recht zuletzt Bonifacio I! 229 ff., während er für Kaden 441 nur ein Gesichtspunkt unter mehreren ist, von denen Schwarz I 319 ff. den terminologischen deutlich in den Vordergrund rückte (doch vgl. immerhin I! 234 ff.). 31 Dazu Kasert I 247 f. 32 Lenel, Ep3 513; Kaser2 I 249 38 . 83 Imperfekten (wie die genannten) oder minus quam perfekten (wie die lex Plaetoria).
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gatten34 beispielsweise könnte man als "ungeschriebene lex perfecta" bezeichnens5 . Die Unmaßgeblichkeit einer ausdrücklichen Annullierungsklausel zeigt sich hieran recht deutlich. III. Kritik an der Lehre von Schwarz Welche Antwort geben die Quellen auf die dergestalt präzisierte Frage hinsichtlich der lex Falcidia? Auf welche Art haben die Juristen das sanktionslose Gesetz in seiner prozessualen Wirkungsweise ergänzt? 1. Eine exceptio legis Falcidiae ist entgegen Adolf Berger6 & im Bereich des Vocabularium Iurisprudentiae Romanae nicht überliefertse. Ihre Existenz wird auch von Schwarz und Kaden nicht behauptet. Nur Arnold Ehrhardt wollte in einzelne, von ihm für interpoliert erklärte Texte eine solche Einrede einfügen; aber das sind Phantasieproduktes7 • Einige wenige Texte gewähren dem Erben freilich eine exceptio doli zur Verschaffung der falzidischen Quart: Aber das sind Sonderfälle, namentlich bei unteilbaren Legaten; ich komme darauf am Schluß zurück (unten VI). Für den Regelfall ist festzuhalten, daß der Erbe zur Zurückbehaltung der Quart keine exceptio benötigt: Das wird auch von Schwarz nicht bestritten'8. U Zu seinem vermutlich gewohnheitsrechtlichen Ursprung (Ulp. D. 24,1,1) und seiner ipso-iure-Wirkung (eod. 3, 10) s. Kaser! I 331 f. 36 Vgl. Kaser2 I 249". 35a Encyclopedic Dictionary (1953) s. v. Lex Falcidia S. 552. 38 Vgl. VIR II 659 ff. Eine vollständige Zusammenstellung aller exceptioSteIlen bringt von Koschembahr-Lyskowski, Die Theorie der Exceptionen (1893) S. IX-XVIII. 37 Litis aestimatio (1934) 90, 91, 92. Ihm folgt Nardi I 104 f. Eine replicatio doli zwecks Entkräftung der exceptio legis Falcidiae, wie sich Costa, L'exceptio doll (1897) 59 die Lösung zu Paul. D. 35,2,22 pr. (u. A. 108) dachte, scheidet daher aus. - Einen Sonderfall enthält Pap. D. 35,2,15 pr.: Quod bonis iure Falcidiae contribuendum est a debitore, cui mortis causa pacto debitum remissum est, in factum concepta replicatione retinebitur. Schwarz (I 334 f., 339) ist zuzugeben, daß nach der herrschenden ipso-iure-Nichtigkeit eine replicatio zur teilweisen Entkräftung der exceptio pacti entbehrlich, das pactum schon von Rechts wegen nur pro parte zu beachten gewesen wäre. Vielleicht war dies umstritten; vgl. zur d. m. c. von Sachen Ulp. D. 43,3,1,5 (unten IV 3 mit A. 77). Ein Hinweis für den iudex auf die lex F. konnte nichts schaden, zumal sie erst Septimius Severus auf donationes m. c. erstreckt hatte (C. 6,50,5; 8,56,2,2). Papinian mußte insbesondere auch den unter Lebenden sofort wirksamen, durch das überleben des Gläubigers nur auflösend bedingten Schulderlaß einbeziehen, s. Di Paola, D. m. c. (1950) 203 ff.; Amelotti, D. m. c. (1953) 188 f.; Simonius, D. m. c. (1958) 54, 272 f. Ein Schluß von der replicatio in factum in diesem Sonderfall auf eine reguläre exceptio legis Falcidiae wäre jedenfalls nicht zulässig. S8 Vgl. Schwarz I 351. Ebenso Bonifacio I 20 ff., Kaden 441 f.
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Gegen die Existenz einer exceptio legis Falcidiae spricht deutlich Gaius (18. ed. prov.) D. 35,2,73,5; dieser Text ist zugleich die Hauptstütze für die herrschende LehreS9 : . .. Quod si excesserit quis dodrantem, pro rata portione per legem ipso iure minuuntur (sc. legata) ...
Deutlicher könnte die von Schwarz bekämpfte "proratarische ipsoiure-Minderung" wohl kaum ausgesprochen sein. Welche Argumente hat Schwarz gegen diesen Text vorzubringen? ,Ipso iure' wolle seiner Ansicht nach hier nur besagen, daß es zur Durchsetzung des Abzugsrechts keiner exceptio bedürfe. Eine automatische Unwirksamkeit, die unabhängig vom Willen des Erben eintrete, lasse sich daraus nicht zwingend herleiten. Die Möglichkeit, an ein dem Erben vom Gesetz verliehenes bloßes Abzugsrecht zu denken, sei damit nicht ausgeschlossen4o • Diese Auslegung wird, wie mir scheint, den besonders deutlichen Worten ,per legem ipso iure minuuntur' nicht gerecht. Das Gegensatzpaar ,ipso iure - per exceptionem' gehört zu den wenigen klassischen Termini mit festliegender technischer Bedeutung41. Das zeigt sich etwa bei der Schuldtilgung, die entweder ipso iure oder aber per exceptionem wirkt4!. Auch der XII-Tafel-Satz 5,9 ,nomina sunt ipso iure divisa' macht deutlich, daß ipso iure (,von Rechts wegen') eintretende Umstände vom Richter auch ,von Amts wegen' (officio iudicis) beachtet werden müssen. Übereinstimmend erklärt illpian D. 43,3,1,5 (unten IV 3), daß die portio legis Falcidiae apud heredem ipso iure remanet. Der Ausdruck ipso iure minuuntur (legata) wird hier (fr. 73,5) überdies noch durch den fast tautologisch anmutenden43 Zusatz ,per legem' verstärkt. Dementsprechend erheben vier weitere Texte das Gesetz sogar zum Subjekt und sagen mit schöner Regelmäßigkeit ,lex Falcidia minuit legata'44. Eine ungezwungene Deutung all' dieser Zeugnisse muß zu dem Ergebnis kommen, daß die Minderung eben "kraft Gesetzes und von Rechts wegen" eintritt, also ohne prätorische Hilfe und folglich auch ohne besonderen Antrag des Erben. 2. Aber schauen wir uns dieses Abzugs- oder Retentionsrecht genauer an, wie Schwarz und Kaden es verstehen: In der Klagformel kam es
3' Vgl. Schwarz 1325; II 232 ff.; Bonifacio I 9 ff.; Kaden 440 f. 40
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Schwarz II 232 ff. Palermo, Studi sulla exceptio (1956) 77 ff., 83 ff., der ipso iure und
ctvm zutreffend gleichsetzt. Kaserl I 635. 43 Und deswegen von Cugia (0. 7) 76 verdächtigten; doch s. dagegen Bonifacto I 9 f. Zu ius le:rque bes. Kasert I 200 u. A. 13. 44 Marceil. D. 35,2,56,4; Scaev. eod. 25,1; D.33,1,21,1; Paul. D. 35,1,43,1; Bonifacio 111 f. iure 4!
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unbestrittenermaßen nicht zum Ausdruck; einer exceptio bedurfte es nach beiden Autoren nicht (Anm. 38). In iure brauchte folglich der Erbe auf die Rechtswohltat des Gesetzes nicht hinzuweisen; es genügte, wenn er es apud iudicem tat. Mußte er es aber dort tun, d. h. durfte der iudex die Falcidia ohne ausdrücklichen Wunsch des Erben nicht berücksichtigen? Dies nimmt Schwarz in der Tat an4 &. Daß diese Annahme jedoch erstens mit der per legem ipso iure eintretenden, also officio iudicis beachtlichen Sanktion der Gesetzesübertretung nicht vereinbar ist, wurde soeben gezeigt. Darüber hinaus bleibt zu prüfen, wieweit eine derartige, nur auf Verlangen des beklagten Erben eintretende Nichtigkeit - die wir heute ,Anfechtbarkeit' nennen würden - den Klassikern bekannt war. Eine Anfechtbarkeit mit prätorischen Mitteln46 war ihnen sicherlich geläufig; ich erinnere an die exceptio, die in integrum restitutio etwa wegen metus oder doluS 47 • Schwarz' eigentümliche Konstruktion würde jedoch auf eine judiziale Anfechtbarkeit (oder Vernichtbarkeit) hinauslaufen. Ein solches erst vor dem iudex geltend zu machendes Gestaltungsrecht aber ist den Römern unbekannt. Der danach zunächst eintretende "Schwebezustand mit provisorischer Regelung", wie ihn Schwarz annimmt (II 245), der nach Ausübung des Zurückbehaltungsrechts mit Rückwirkung beseitigt werde, wäre für die Klassiker eine Singularität48 • 3. Weiter ist zu fragen, welche Rechtsnatur die lex Falcidia nach dieser ausgefallenen Deutung denn hätte. Der iudex ist an die Klagformel gebunden; Umstände außerhalb der Formel darf er nur berücksichtigen, soweit ihn die Formel selbst darauf hinweist, oder soweit es sich um Normen des objektiven, von Amts wegen beachtlichen Rechts handelt. Zu den letzteren gehören die leges perfectae. Imperfekte Gesetze aber darf der iudex - wie wir sahen - nicht aus eigener Machtvollkommenheit berücksichtigen; sie ermächtigen als bloße Instruktionsnormen49 allein den Prätor zu einem Einschreiten. 45 Etwa I 328. Die von ihm angeführten Stellen beweisen das jedoch nicht; s. o. A. 29. 48 Ausnahmsweise zivilrechtlichen, wie bei der quereZa inofficiosi testamenti, s. Ulp. D. 5,2,8,16: (testamentum) ipso iure rescissum est. Kaser2 I 712 28 rechnet hier mit gewohnheitsrechtlicher Anerkennung der Nichtigkeit wie beim Schenkungsverbot unter Ehegatten (0. A. 34). Vgl. im übrigen S. 247 f. 47 Zur i. i. restitutio wegen dolus jedoch SZ 88 (1971/2) 105 ff. 48 Schwarz II 245 verweist auf das den heredes sui et necessarii gewährte beneficium abstinendi. Mache es der Erbe geltend, so werde er so angesehen, als sei er nie Erbe geworden. Das ist aber keine treffende Parallele, weil das beneficium abstinendi ein amtsrechtlicher Behelf ist, den der Prätor dem Begünstigten aus eigener Machtvollkommenheit, also ohne gesetzlichen Anhalt, gewährt, und der die zivilrechtliche Erbenstellung unberührt läßt. Richtig Bonifacio II 231. Mit einer ,judizialen' Vernichtbarkeit ist das nicht vergleichbar. 49 Vgl. Endemann (0. 13 ) 11.
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Die Schlußfolgerung von Schwarz, die lex Falcidia sei keine lex perfecta gewesen, ist also in sich widerspruchsvoll: Nach seiner Konstruktion war das Gesetz weder imperfekt, denn es bedurfte keiner exceptio; noch war es perfekt, denn der iudex durfte es nicht ex officio berücksichtigen. Die Nichtigkeitsfolge wäre hiernach weder eine prätorische noch eine zivilrechtliche gewesen. Die Existenz eines derartigen Zwittergebildes müßte schon derjenige beweisen, der sie behauptet5o • Schwarz schiebt hingegen die "Beweislast" seinen Gegnern zu: "Solange für die Nichtigkeit des die Quart überschreitenden Legats kein überzeugender Nachweis aus den Quellen geführt wird", schreibt er (I1 235), "ist davon auszugehen, daß die Vermächtnisse zunächst in voller Höhe wirksam sind. Macht jedoch der Erbe apud iudicem die Falcidia geltend, so brechen die Wirkungen der Legate insoweit zusammen; das bedeutet, daß der Erbe von da an nur in den Grenzen der dodrans schuldet". Für eine solche Vermutung gibt es meines Erachtens keine Rechtfertigung. Wenn es wahr wäre, daß sich für die automatisch eintretende Teilnichtigkeit kein quellenmäßiger Beweis führen ließe, dann müßte man sich ehrlicherweise zu einem non liquet bekennen. Tatsächlich steht aber die herrschende Lehre - wie wir gleich noch deutlicher sehen werden - durchaus nicht auf so schwachen Füßen, wie Schwarz es behauptet. 4. Halten wir zunächst fest: Das ius civile kennt nur die Alternative zwischen vollkommender Wirksamkeit und absoluter Nichtigkeit des Geschäfts 51 • Eine ,Anfechtbarkeit' gibt es regelmäßig (Anm. 46) nur im Bereich des Amtsrechts; die prätorischen Abhilfen (exceptio, gegebenenfalls in integrum restitutio) müssen aber in der Klageformel zum Ausdruck kommen. Eine "judiziale" Vernichtbarkeit als dritte Nichtigkeitsfolge gibt es daneben nicht; sie wäre mit dem Gegensatz zwischen lex perfecta und lex imperfecta nicht zu vereinbaren. Wie Schwarz zu Recht betont, zeigt sich der Unterschied daran, ob das Gesetz die Wirkungen des verbotswidrigen Geschäfts ,rescindit' oder ,non rescindit' (UE 1, 1 f.; oben A. 14,4). Mögliches Subjekt für das ,rescindere' ist jedoch entweder die lex selbst (dann ist sie perfekt) oder aber der Prätor (dann ist sie nicht perfekt)52; niemals dagegen der iudex aus eigener Machtvollkommenheit, und sei es auch nur auf Verlangen des Beklagten. Mit Bezug auf die Falcidia kommt ein ,lex rescindit' zwar nicht vor. Gleichbedeutend sind aber die häufigen Wendungen lex minuit legata (0. A. 44), lex revocat partem53 • Wer mit der herrschenden Lehre Vgl. auch Bonifacio II 230 f. Bonifacio II 231. 5t S. Raggi, La restitutio in integrum (1965) 281 ff.; Di Paola A.-R. 1076 = InvaIidita 41 ff. 53 Ulp. D. 35,3,1,11; vgl. o. A. 29. 50
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(0.") Synt.
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eine exceptio zur Erlangung der falzidischen Quart richtigerweise für unnötig hält - und das lehren auch Schwarz und Kaden (Anm. 38) - , muß jedenfalls konsequent das Gesetz zur lex perfecta erklären, auch wenn es keine besondere Annullierungsklausel enthielt. Die Mindermeinung, die diese Voraussetzungen nicht beachtet, muß sich von Bonifacio (II231) zu Recht eine mangelnde Klärung ihrer dogmatischen Grundlagen vorwerfen lassen. Ihr Begriff der lex imperfecta ist nicht der der Quellen. IV. Die Rechtsbehelfe der Beteiligten 1. Die Folge der Gesetzesübertretung war, wie wir anhand der Gaiusstelle D.35,2,73,5 sahen (oben III 1), eine proratarische Minderung des Legats ipso iure kraft Gesetzes. Was bedeutet das praktisch? Bei Geldvermächtnissen ist an eine automatische Kürzung des Betrages zu denken. Bei Stückvermächtnissen aber werden - und das ist weit interessanter - Erbe und Legatar Miteigentümer des per vindicationem vermachten Gegenstandes. Das ergibt sich etwa aus:
D. 35,2,49 pr. (paulus 12. Plaut.) ... Cassius, quod servo pars lege Falcidia decedat, incipere servum fieri communem heredis et legatarii ...54. Das incipere servum fien communem läßt sich ohne Zwang nur auf den dies cedens beziehen, mit dem das Legat wirksam wird. Nimmt man das per legem ipso iure minuuntur des Gaiustextes D.35,2,73,5 hinzu, wird dies besonders deutlich55 • Von einem späteren Anknüp54 Hierzu ausführlicher Schwarz I 323 f., II 230 f.; Bonifacio I 14 f., II 232; Bretone (0. 8) 24 ff. Aus dem Zitat des Cassius darf nicht auf eine prinzipielle Streitfrage bezüglich der Gesetzeswirkungen geschlossen werden. Cassius tritt nur der Berechnungsweise von Atilicinus, Nerva, Sabinus in diesem speziellen Fall entgegen, weil ihr zufolge der Erbe mehr als die Quart erhielte (Schwarz II 230): Ein Sklave ist per vindicationem vermacht und diesem ein Landgut. Nach den drei zuletzt genannten Juristen sei prima in servo rationem legis F. habendam, et quota pars ex eo decederet, eam paTtem in fundo legato inutilem futuram. Soweit das fundus-Legat hiernach wirksam ist, sei von ihm nochmals die portio legis F. abzuziehen. Nach Cassius dürfe sie hingegen insgesamt nur einmal abgezogen werden, weil das dem servus communis hinterlassene Legat dem überlebenden Partner ungeteilt zusteht (totum pertinere ad socium, vgl. unten VI 5). Daß die drei Gegner des Cassius mit ihm im juristischen Ausgangspunkt übereinstimmten, zeigen ihre für die herrschende Meinung sprechenden Worte eam partem in fundo legato inutilem futuram; vgl. Hellmann (0. 23) 117 ff., 141 f., auch unten A. 86. Das fundus-Legat ist ihrer Ansicht nach im gleichen Umfang unwirksam wie das servus-Legat, von dem es abhängt. ,PaTtem decedit', vom Text bezüglich beider Legate gesagt, bedeutet also hier wie auch sonst partielle zivilrechtliche Ungültigkeit. Anders Schwarz II 230 f. 66 Für die Regel impensae necessariae dotem ipso iure minuunt wird eine ähnlich Deutung von den Juristen erwogen, aber abgelehnt: Pomp.-Ulp. D. 25,1,5 pr.; Scaev.-Paul. D. 23,3,56,3; Kaser 2 I 339 f. m. Lit.
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fungszeitpunkt, der nach Schwarz zudem vom Willen des belasteten Erben abhängig sein müßte, weiß dieser Text nichts56• Ähnlich heißt es für ein Grundstücksvermächtnis im folgenden § 1, daß infolge der lex Falcidia ,pars fundi remanserit in hereditate' (unten VI 5). Das Ergebnis ist also eine schlichte Rechtsgemeinschaft (communio), wie sie etwa bei Vermischung und Vermengung von Gegenständen verschiedener Eigentümer nach Gaius gleichfalls von Rechts wegen eintritt57 • Dementsprechend gleichen sich auch die in Betracht kommenden Rechtsbehelfe: Jeder Teilhaber erhält die actio communi dividundo, oder auch die vindicatio incertae partis. Das ergibt sich für die Vermischung etwa aus Pomp.-Ulp. D. 6,1,5 pr. und für die lex Falcidia aus: D. 10,3,8,1 (Paulus 23. ed.) Si incertum sit, an lex Falcidia locum habeat inter legatarium et heredem, communi dividundo agi potest aut incertae partis vindicatio datur ... Die Aktivlegitimation des Legatars zu den beiden Klagen kann nicht davon abhängig gewesen sein, daß der beklagte Erbe den Abzug seines Freiteils verlangt; wie die konsequente Schlußfolgerung aus der Schwarz'schen Grundthese allerdings lauten müßte. Die vindicatio incertae partis insbesondere 58 wird dem Legatar deshalb gewährt, weil er Gefahr läuft, eine pluris petitio zu begehen, wenn sich erst apud iudicem herausstellt, daß die Quart überschwert ist. Dies folgt aus einer Reihe von Texten59 • Daß diese Gefahr nur bestünde, "wenn der Erbe sich auf die Falcidia beruft", läßt sich ihnen entgegen Schwarz (I 351 f.; vgl. II 235) jedoch nicht entnehmen60 • Plus petere heißt plus intendere61 • Der Umfang der intentio richtet sich aber allein nach dem Begehren des Klägers. Der Kläger verfällt einer pluris petitio, wenn er mehr fordert, als der Beklagte von Rechts wegen (u. A. 129) schuldet. Das harmoniert vollkommen mit der von der herrschenden Lehre angenommenen proratarischen ipso-iure-Minderung übermäßiger Legate. 2. über das Ausmaß der vorzunehmenden Kürzungen wird in der Praxis zunächst oft Ungewißheit geherrscht haben: Da vorweg das Aktivvermögen ermittelt werden mußte, war die Berechnung der Quart - zumal bei größeren Nachlässen - wohl keineswegs einfach. Vgl. Bonifacio II 232 gegen Schwarz II 231. D. 41,1,7,8 f.; Inst. 2,1,27 f. Anders (nur bei beabsichtigter Vermischung) Pomp.-Ulp. D. 6,1,3,2; 5 pr.; Kaser 2 I 430 m. weit. Nachw. 58 Zu ihr Kaser, Symb. David 1(1968) 107 f.; auch Sokolowski (u. 1I2) 425 ff. Die intentio lautete nach Gai. 4,54: quantam partem paret in eo fundo quo de agitur actoris esse. Eine moderne Parallele bildet der unbezifferte Klagantrag bei Schmerzensgeld und Persönlichkeitsverletzung. 5. Gai. D. 6,1,76,1; Inst. 4,6,33 i. f.; vgl. PS 3,8,2; Provera (0. 8 ) 181 ff. m. weit. Nachw. 80 Zutr. Bonifacio II 2305 • 01 Provera 19 ff., pass. Vgl. Gai. 4,54. 56
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In dieser Ungewißheit standen dem Erben zwei Rechtsbehelfe zu Gebote: Einzelne Vermächtnisforderungen brauchte er nur gegen die prätorische Kaution zu erfüllen, daß ein eventuell zuviel geleisteter Betrag ihm zurückerstattet werde. Diese cautio lautete nach Lenel: ,Quanto amplius legatorum nomine ex testamento Lucii Titii ceperis quam per legem Falcidiam capere licuerit, quanti ea res erit, tantam pecuniam reddi dolumque maZum abesse afuturumque esse spondesne? spondeo 62 • Außerdem konnte der Erbe zwecks Berechnung des Nachlaßbestandes und eventueller Kürzungen die Bestellung eines bei Pap. D. 35,2,12 sogenannten ,arbiter FaZcidiae' verlangen. Das gleiche Recht hat nach Caracalla C.6,47,2,2 (212) der Vermächtnisnehmer (Fideikommissar); besonders, wenn er die für die cautio erforderliche Sicherheitsleistung nicht beibringen kann. Beide Abhilfen erwähnt Ulpian im Zusammenhang: D. 35,3,1,6 (Ulpianus 79. ed.) Cum dicitur lex Falcidia locum habere, arbiter dari so let ad ineundam quantitatem bonorum, tametsi unus aliquid modicum fideicommissum persequatur: quae computatio praeiudicare non debet ceteris, qui ad arbitrum missi non sunt. solet tamen ab herede etiam ceteris denuntiari fideicommissariis, ut veniant ad arbitrum ibique causam suam agant; plerumque et creditoribus, ut de aere alieno probent. habet tamen rationem in legatariis, item in fideicommissariis, ut, si offerat integrum quod relictum est heres desiderans cavere si bi hac stipulatione, audiatur. Dieser arbiter ist kein Schiedsrichter (technisch arbiter ex compromisso), sondern - wie der Text lehrt - ein arbiter datus, zu dem die Parteien missi sunt, also ein vom Magistrat eingesetzter ,Hilfsrichter' (sachverständiger Gutachter)63. Für die vom Erben angestrebte Gesamtliquidation des Nachlasses eignete sich nur ein unter prätorischem Zwang stehendes Verfahren 64 . Die Befugnis dieses Ermittlungsbeamten 62 Ep3 537; dazu VassaHi, Bull. 26 (1913) 52 ff.; Bonifacio I 47 ff.; Schwarz III 272 ff.; Voci 112 788 f. Allgemein zu den prätorischen Stipulationen Kaser III 335 ff. 63 Allgemeine Ansicht, s. Bekker, Die Aktionen II (1873) 208 ff.; Heumann Seckel, s. v. arbiter, 2 c; Düll, Gütegedanke (1931) 26, vgl. 107 f.; Behrends, Die röm. Geschworenenverfassung (1970) 97 ff., bes. 97 28, vgl. 101 48 m. weit. Bsp.; ferner noch Wlassak, RE 2, 1 (1895) 410 f., 414 (arbiter, arbitrium, jeweils sub 3). Zur Unterscheidung der duo genera arbitrorum Proc. D.17,2,76; dazu Gallo, St. Grosso III (1970) 477 ff.; Ziegler, Das private Schiedsgericht (1971) 83 m. Lit. - Beseler, Beitr. V (1931) 57, vgl. SZ 57 (1937) 29 (desiderare), 66 (1948) 375 (tametsi) hielt mit dem (wohl überarbeiteten) Text auch die Einrichtung des arbiter Falcidiae für unklassisch. Keller-Wach, Röm. Civilprocess 6(1883) S. 414 f. mit A. 975, Bekker und Düll a.a.O. rechnen sie zur Kognition, vielleicht weil die Forderungen aus Fideikommissen dem Text zufolge einbezogen werden; vgl. Afr. D. 42,2,7. Für eine Beziehung auf den ordo iudiciorum in Parallele zu den Teilungsklagen jedoch Kübler, VIR I (1903) 485, 28 f. und Behrends 97 28 gegenüber 101 48. Ob auch Marcell. D. 35,2,55 und PS 3,8,2, wo die Schätzung einem iudex obliegt, auf den arbiter zu beziehen sind, ist fraglich; vgl. Kretschmar (0. 6) 70 f.; dafür Voci IJ2 783108, 788 129 • 64 Eine Parallele bildet das mit dem Erbschaftsantritt mandatu creditorum
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beschränkte sich jedoch vermutlich auf die Schätzungsaufgabe. Die Entscheidung rechtlicher Streitfragen kam ihm anscheinend nicht ZU 85 • Einem eventuell anschließenden Rechtsstreit arbeitete er mithin nach herrschender Lehre nur vor 86 • Der Erbe kann seine Bestellung dem Text zufolge verlangen, wenn auch nur die Erfüllung kleinerer Vermächtnisse (vgl. modicum fideicommissum) von ihm begehrt wird. Der Zweck dieser Einrichtung, eine sichere Berechnungsgrundlage zur Abwicklung des gesamten Erbfalls zu schaffen, wäre nicht erreicht worden, wäre das Schätzungsverfahren nicht für alle Beteiligte verbindlich gewesen. Nach Ulpian dürfen diejenigen, die am Verfahren nicht teilgenommen haben, mit ihren Ansprüchen nicht präjudiziert werden; daher empfiehlt er wohl in einer Art Aufgebot (denuntiatio) die Zuziehung sämtlicher Beteiligter einschließlich der Nachlaßgläubiger 87 • 3. In den bisher betrachteten Fällen war der Erbe stets im Besitz des vermachten Gegenstandes und folglich Beklagter. Es sei aber noch kurz des Falles gedacht, daß dem Bedachten die Sache bereits vom Erblasser (nicht vom Erben; vgl. unten V 2!) übergeben worden ist und der Erbe deswegen als Kläger auftritt. Zwei Texte sind hier zu betrachten: D. 35,2,26 pr. (Scaevola 5. resp.) Lineam margaritorum triginta quinque legavit, quae linea apud legatarium fuerat mortis tempore: quaero, an ea linea heredi restitui deberet propter legern Fa1cidiam. respondit posse heredem consequi, ut ei restituatur; ac, si malit, posse vindicare partem in ea linea, quae propter legis Fa1cidiae rationem deberet remanere. D.43,3,1,5 (Ulpianus 67. ed.) Si quis ex mortis causa donatione possideat, utique cessabit interdictum (sc. quod legatorum), quia portio legis Falcidiae verbundene pactum ut minus solvatur: Dieser Gesamtvergleich zur Abwendung des Konkurses über eine überschuldete Erbschaft bedarf, wenn auch nur ein Gläubiger nicht zustimmt, ebenfalls magistratischer Bestätigung: Ulp., Pap., Paul. D. 2,14,7,19; 8; 9; Sanfilippo, Mel. Meylan I (1963) 293 ff.; weit. bei Kaser III 317 mit A. 19 f. Für die prätorische Einsetzung des arbiter spricht auch, daß Ulpian ihn im Zusammenhang mit der prätorischen Stipulation erwähnt. 85 Vgl. Afr. D. 42,2,7, wo die Rechtsfrage durch die confessio des beklagten Erben allerdings schon außer Streit gestellt ist. 68 Jhering, Geist III6/1 (1924) 74 (§ 52); vgl. Schwarz I 352; Behrends 97 28 : bloßes Inzidentverfahren für die Vermächtnisklage, vgl. S. 97 ff. Zwingend ist diese Annahme nicht. D. 35,3,1,6 cit. (bes. fideicommissum persequatur), D.42,2,7 und C.6,47,2,2 lassen sich auch so deuten, daß, wenn der Kläger nicht Sicherheit leistet, der arbiter sofort im Hauptprozeß bestellt wird, in dem er den beklagten Erben in den zu ermittelnden Betrag verurteilt. Jhering stützt sich auf Gai. D. 6,1,76,1: propter incertam detractionem ex legatis, quae vix apud iudicem (sondern im "prae-iudicium", Jhering) examinantur. Aber nach der zuvor erwähnten Gefahr einer pluris petitio erhält der Gaiustext einen besseren Sinn, wenn man davon ausgeht, daß apud iudicem interpoliert ist für apud praetorem oder in iure. 87 Vgl. Voci 112 783 103 unter Hinweis auf PS 3,8,2: officio iudicis omnibus aestimatis quarta facienda est.
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apud heredem ipso iure remanet, etsi corporaliter res in solidum translatae sunt. Fragment 26 pr. handelt von der berühmten Perlenkette der jüngeren Prinzessin Matidia, einer Schwägerin Hadrians; worüber Fronto in seinen Briefen ausführlich berichtet68 : Die Matidia war ungeheuer reich. Ein besonderes Prunkstück war ein Perlenhalsband von fünfunddreißig Perlen"; Kübler (Anm.68, S. 358) schätzt es auf einen Wert von 175 Mill. Sesterzen, entsprechend etwa dreißig Mill. Silbermark. Die Matidia hatte den Kaiser Mare Aurel und seine Gattin Faustina zu Erben eingesetzt. Die Perlenkette vermachte sie den Töchtern des Kaisers. Bei ihrem Tode befand sich die Kette bereits bei den Töchtern; vielleicht hatten diese sie entliehen. Der Kaiser befragt den mit ihm befreundeten Juristen Cervidius Seaevola, ob er wegen der lex Falcidia die Kette herausverlangen könne. Man muß annehmen, daß die Töchter bereits erwachsen und emanzipiert waren70 ; sonst hätte ihnen der Kaiser die Kette einfach wegnehmen können. Nach Seaevolas responsum kann der Erbe entweder die Rückgabe der Kette verlangen, oder aber die rei vindicatio pro parte erheben. Entgegen Schwarz71 gibt es an dieser Entscheidung sachlich nichts auszusetzen72 • Mit welcher Klage der heres die Restitution der Kette selbst verlangen kann, ob mit der ererbten actio commodati (bzw. dem interdictum de precario)13 oder mit dem interdictum quod legatorum74 , ist hier nicht zu erörtern. Klassisch ist jedenfalls die rei vindicatio incertae partis75 , die dem Erben Dazu eingehend Kübler, Fschr. Koschaker II (1939) 353 fl. Linea ista famosa atque celebrata schreibt Fronto an den Kaiser (ed. Naber 37). Die Angabe der Perlenzahl im Digestentext bezeichnet Beseler, Scr. Ferrini Mil. III (1948) 303 in seiner Kritik an Kübler als "kindisch". Triginta quinque habe ein Mitglied der tribonianischen Gesetzgebungskommission an den Rand geschrieben, um anzudeu t "'?": "dies Fragment ist ins 35. Buch zu stellen". 70 Kübler 364. 71 I 339 ff., 346, 362 ff.; II 235 ff. 72 Vgl. schon Kübler a.a.O., bes. 367: "Es ist nichts daran interpoliert ... " 73 So Kübler 365 f. mit Lit.-Bericht; vgl. auch Schwarz I 363 f. 74 Dafür die überwiegende Meinung im Anschluß an das Schol. 3 zu Bas.41,1,25 (Heimb. IV 105); vgl. Kübler 36529 ; jetzt auch Voci 112 784100• Die Voraussetzung des Interdikts, das possidere non voluntate UHus (sc. bonorum possessoris; Lenel, Ep3 453 f.) ließe sich bejahen. Denn der Beklagte mutat sibi causam possessionem, wenn er die nur geliehene Sache jetzt pro legato besitzen will. Dagegen halten Schwarz I 364, II 236 und Bonifacio I 31 ff. die Gewährung des Interdikts für interpoliert. Vgl. auch Garcia Garrido, Est. Sanchez deI Rio (1967) 232 f. mit25 • 76 Siehe Kübler 366 und die dort Angeführten (Koschembahr-Lyskowski; Lotmar) gegenptliiger und Lenel; dazu Bonifacio I 32 f. - Schwarz II 237 denkt dagegen an eine actio in factum wie in Paul. D. 35,2,1,11. Aber dieser Fall setzt im Unterschied zum vorliegenden voraus, daß der Legatar voluntate heredis (wenn auch errantis) nactus est possessionem. Deshalb scheidet dort eine rei vindicatio (wenn auch pro parte) aus, S. unten A.93. Daß die 68 6g
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hier gegen den besitzenden Legatar ebenso gewährt wird wie in dem umgekehrten, oben IV 1 behandelten Falle dem klagenden Legatar gegen den besitzenden Erben. Der Ulpiantext fr.1,5 liefert hierfür eine zusätzliche Begründung: Für den Fall, daß der Bedachte den Gegenstand aufgrund einer Schenkung von Todes wegen besitzt, verneint er das Eingreifen des interdictum quod Zegatorum jedenfalls deshalb (utique), weil die portio Zegis FaZcidiae beim Erben ipso iure zurückbleibe, selbst wenn die Sache dem Beschenkten schon vom Erblasser übergeben wurde 7B • Auch diese von Schwarz ohne zwingenden Grund für interpoliert erklärte Begründung77 ist eine deutliche Stütze für die herrschende Lehre von der ipso-iure-Wirkung der lex Falcidia. Entgegen Kübler78 wird der Erbe aber nicht Eigentümer so vieler Perlen, wie ihm nach der lex Falcidia zustehen. Vielmehr stehen sämtliche fünfunddreißig Perlen von Rechts wegen dem Erben wie dem Legatar zu Miteigentum pro indiviso zu, ebenso wie wenn eine Speziessache (z. B. ein Sklave) vermacht ist79 • Beide Gemeinschafter müssen sich anschließend darüber auseinandersetzen. Die ,portio legis Falcidiae' (fr. 1,5) ist also ein ideeller Miteigentumsanteil, ein rechnerischer, kein körperlich-realer Bruchteil; ich komme darauf zurück (unten VI 2). V. Beweislast und Verzicht auf die Quart 1. Wie wir sahen, braucht der Erbe die Kürzung der Legate nicht besonders zu beantragen. Der iudex muß sie schon von Amts wegen vorrei vindicatio entgegen Siber, Die Passivlegitimation bei der rei vind. (1907), dem Schwarz I 341 noch folgt, durchaus mit persönlichen Klagen konkurrieren konnte, zeigt jetzt Marrone, La legittimazione passiva alla rei vindicatio (Corso 1970) 33 ff.; vgl. Kaser 12 432 f. mitB• 7e Zumindest bei der suspensiv bedingten donatio m. c. bestehen hinsichtlich der juristischen Konstruktion hiergegen keine Bedenken. 77 I 337 f., 346, II 23 f. Ihm folgen Di Paola (0. 37) 208 f. und Simonius (0. 37) 53. Ihnen ist zuzugeben, daß die Möglichkeit der rei vindicatio kein Argument gegen den Interdiktenschutz bildet: Bei vorzeitiger übergabe einer vermachten Sache durch den Erblasser stellt ja Scaev. D. 35,2,26 pr. beide Rechtsbehelfe ausdrücklich zur Wahl. Mit diesem logischen Rigorismus wird man Ulpian aber nicht gerecht: Die (von anderen Juristen vielleicht bejahte) Annahme eines possidere non voluntate UHus fiel bei der donatio m. c. wesentlich schwerer als im Scaevola-Fall (0. A. 74). Ulpian mochte sich mit diesem negativen Ergebnis um so eher abfinden, als die Interessen des Erben mit der rei vindicatio incertae partis jedenfalls (,utique') ausreichend geschützt sind. Das Bedürfnis für eine extensive oder analoge Anwendung des Interdikts ließ sich mit dieser Erwägung verneinen. 78 (0. A. 68) 366 f.; hiergegen kritisch Beseler a.a.O. (0. 89). 79 Vgl. D. 35,2,49 pr. (oben IV 1) und Gai. D. 6,1,76,1: iusta enim habet ignorantiam legatarius, cui homo legatus est, quotam partem vindicare debeat. 15 Festschrift Kaser
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nehmen, sofern er nur irgendwie von der Beschwerung der Quart erfährt; und sei es auch dadurch, daß der klagende Legatar dies selbst vorträgt. Solche Fälle werden natürlich selten sein8o • Falls die Überschwerung der Quart umstritten ist, fragt es sich, wer das Eingreifen der lex behaupten und beweisen muß. Das beantwortet Celsus: D. 22,3,17 (Celsus 6. dig.) Curn de lege Falcidia quaeritur, heredis probatio est locurn habere legern Falcidiarn: quod dum probare non potest, merito condemnabitur. Die Beweislast trifft den Erben, mag er als Kläger (0. IV 3), mag er als Beklagter auftreten81 • Bleibt er den Beweis schuldig, muß er das ganze Legat leisten. Entgegen Kretschmar 82 und Schwarz (1328 f.) wirkt diese Behauptungs- und Beweislast des Erben jedoch nicht konstitutivrechtsgestaltend in dem Sinne, daß ohne eine darauf gerichtete Tätigkeit des Erben der iudex die lex Falcidia überhaupt nicht berücksichtigen dürfte 83 • Vielmehr handelt es sich um eine von Amts wegen beachtliche rechtshindernde Einwendung, ebenso wie wenn der Beklagte etwa Geschäftsunfähigkeit beim Vertragsabschluß behauptet84 • Auch die Schuldtilgung hat der Beklagte zu beweisen; niemand wird darum annehmen wollen, daß die solutio nicht ipso iure wirken könne, sondern erst beachtlich sei, nachdem sich der Schuldner auf sie berufen hat85 • Den Erben trifft also die bloße Last, das Eingreifen der lex nachzuweisen - ebenso wie er auch eine überschuldung des Nachlasses nachweisen müßte, um in den Genuß des Satzes zu kommen, daß niemand weiter oneriert werden kann, als er selbst honoriert ist: auch diese Regel aber ist von Rechts wegen zu beachten86 • Die enge Verbindung beider Fälle zeigt sich etwa an Gai. D. 35,2,73,5 und Ulp. D. 35,3,1,11. Für beide Fälle wird der Erbe zweckmäßigerweise schon in klassischer Zeit ein Inventar errichtet haben 87 • Nach Justinians Novelle I, 2,2 kann er den Beweis nur noch durch das Inventar führen 88 • 80 Den Fall, daß nur der Legatar, nicht der Erbe die überschwerung der Quart kennt, erörtert Gaius D. 4,3,23 in Bezug auf die actio de dolo. Der Text bezieht sich wohl auf Damnationslegate, bei denen wegen der Litiskreszenz die condictio versagt; s. Ubbelohde, ZRG 11 (1873) 250 f.; EiseIe, SZ 35 (1914) 29 ff. 81 Pugliese, RIDA3 3 (1956) 373. Vgl. Alex. C. 6,50,5 (223): Si mortis causa immodicas donationes in sororem tuam matrem contulisse prob are potest, legis F. ratione uti potes. 8! (0. A. 6) 9 f. (wenngleich zweifelnd). 83 Bonifacio II 231 f.; zust. Pugliese (0. 81 ) 373t!. ~4 Auf diese Parallele weist Kretschmar 10 hin. 86 Bonifacio II 232 mit Nachw. Vgl. o. A. 42. 88 Vgl. Bonifacio II 233 unter Hinw. auf Iul. D. 39,6,17: legata ex testamento eius, qui solvendo non fuit, omnimodo inutilia sint ... 87 Kretschmar 9. 88 Reggi, Beneficium inventarii (1967) 122 ff., vgl. 103 f.; vgl. Seiler, SZ 85
(1968) 543.
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2. Der Erbe kann allerdings auf die Quart an der ihm angefallenen Erbschaft verzichten. Das haben Dulckeit und Schwarz ausführlich dargelegt89 • Der Verzicht kann ausdrücklich geschehen, etwa durch ein dem Legatar gegenüber abgegebenes Stipulationsversprechen90 , oder durch konkludentes Verhalten, z. B. durch Voll-Leistung der Legate in Kenntnis der überschwerung der Quart91 • Damnationslegatar und Fideikommissar erwerben damit das Eigentum; sie haben also eine gültige causa traditionis92 • Mit übergabe einer per vindicationem vermachten Sache verliert der Erbe auch die ihm daran nach den oben IV 1/3 besprochenen Texten zustehende Miteigentumsquote93 • Eine condictio steht ihm in diesen Fällen nicht ZU 94 • Andererseits gilt der Verzicht auf die Quart nicht als eine Schenkung von Seiten des Erben, sondern als Erfüllung seiner dem Erblasser gegenüber geschuldeten fides 95 • Hinsichtlich dieser Verzichtsmöglichkeit wird das Verbot der lex Falcidia also weniger streng durchgeführt als beispielsweise das Schenkungsverbot unter Ehegatten 96 : Dort bleibt der Schenker Eigentümer der übergebenen Sache; nach ihrem Verbrauch kann er die beim Beschenkten vorhandene Bereicherung kondizieren; eine Konvaleszenz tritt nach der oratio Severi von 206 erst mit seinem Tod ein97 • Diese 89 Dulckeit (0. 5) 314 ff.; Schwarz I 329 f., II 241 f.; III 266 ff., pass. Siehe überdies Bonifacio I 61 ff. und dazu kritisch Kaden 445 f. überblick bei Voci 112 787 f.; auch Grosso I 358 f., Schindler, Justinians Haltung zur Klassik
(1966) 267 f.
90 VIp. D. 35,2,46; Mareeil. D. 39,5,20,1. Ein Versprechen des künftigen Erben vor dem Erbfall ist dagegen nichtig gemäß Pap. D. 35,2,15,1. 91 Cels.-Ulp. D. 24,1,5,15; Sev.-Ant. C. 6,50,1 (197); PS 4,3,4. Anders bei bloßer Teilleistung: D. 35,2,16 (unten VI 6). 92 Wie aus dem Ausschluß der condictio (u. A. 94) a fortiori zu folgern ist. 93 Das folgt aus Paul. D. 35,2,1,11: Si legatarius possessionem nanctus est et non potest avocari ei res, quia voluntate heredis errantis nactus est possessionem, dabitur actio heredi, ut id quod supra dodrantem est offeratur (scr. auferatur). Hat der Legatar den Besitz mit Willen des Erben erlangt, entfallen sowohl das interdictum quod legatorum wie die vindicatio incertae partis. Bei falscher Quartberechnung ist dem Erben nur mit einer actio in factum zu helfen. Richtig Schwarz II 246 gegen Bonifacio I 64 f. 2 • 94 Sev.-Ant.-Paul. D. 22,6,9,5. Beim Damnationslegat folgt der Ausschluß der Rückforderung selbst bei Irrtum des Leistenden aus der Litiskreszenz, Gai. 2,283, o. A. 80. Bei der Erbringung nicht geschuldeter Fideikommisse aufgrund Tatsachenirrtums (error facU, error calculi) wird Rückforderung gewährt nach Val. D. 36,1,70,1; Gord. C. 6,50,9; Dioel. C. 4,5,7; vgl. VIp. D. 24,1,5,15 i. f. Eine condictio auf nachträgliche Beibringung der unterlassenen cautio ,Quanto ampHus' erörtern Pomp.-Vlp. D. 35,3,3,10; Sev.-Ant.-Marei. D.
12,6,39.
95 Nachweise oben A. 91. Heutige Parallele: § 814 BGB (sittliche Pflicht); vgl. Schwarz III 298 f. 90 Vgl. schon Schwarz I 342. 87 Kaser 12 331 f.
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Abweichungen hängen mit dem unterschiedlichen Schutzzweck beider Verbote zusammen. In der Schwarz'schen Lehre steckt also ein richtiger Kern98 : Das Gesetz gewährt dem Erben ein beneficium, ein commodum, wie die Quellen häufig hervorheben99 ; und der von Paulus in anderem Zusammenhang geprägte Satz gilt auch hier, daß invito beneficium non datur100 • Hätte der Erbe noch nach der Ausführung der Vermächtnisse seine Miteigentumsquote vom Legatar vindizieren können, dann hätte er ja des Schutzes durch die cautio ,Quanto amplius'lOl insoweit nicht bedurft. Bei unterbliebener Kautionsleistung war dem Erben daher nicht leicht zu helfen102,. Die rei vindicatio pro parte stand ihm nur zu, wenn der Legatar ohne seine Mitwirkung in den Besitz der Sachen gelangt war103 • Diese "verzichtbare Nichtigkeit" ist aber entgegen Mitteis (Anm.8), Schwarz104 und Di Paola (Anm. 11) mit dem perfekten Charakter eines Verbotsgesetzes vereinbar105 : Solange der Erbe auf seine Quart nicht 88 Zutreffend sind daher auch von der hier vertretenen Auffassung aus seine rechtspolitischen Erwägungen (I 343 ff., 345): Ein längeres Unentschiedenbleiben der Eigentumsverhältnisse, eine auch nur schwebende Unwirksamkeit einmal ausgezahlter Vermächtnisse, hätte vielfach Rechtsunsicherheit zur Folge gehabt. Auf die hieraus resultierenden "practischen Inconvenienzen", zumal für den Rechtsschutz des Legatars gegenüber Dritten, wies schon Mitteis (0. 8) 120 hin. 88 Siehe die Angaben bei Schwarz I 344 108• 100 D.50,17,69; Schwarz I 344 f. Deutlich Paul. D. 35,2,71: Potest heres in vendenda hereditate cavere, ut et lege Falcidia interveniente solida legata praestentur, quia lex heredis causa lata est nec fraus ei fit, si ius suum deminuat heres. Der Erbe kann dem Erbschaftskäufer die Voll-Leistung der Vermächtnisse unter Verzicht auf die Falcidia auferlegen. Das ist keine Gesetzesumgehung (Krüger - Kaser [0. 14] 143), und dem Erben geschieht kein Unrecht, wenn er infolgedessen ein gemindertes Entgelt erhält. Dulckeit (0. 5 )349117 ; Schwarz I 344 f. IIO, II 241 f. 101 Zu ihr oben IV 2, bei A. 62. 102 Vgl. bes. Ar.-Pomp. D. 36,1,22 (U.!08 a. E.); ferner o. A. 94. 103 Oben IV 3; o. A. 93. Nur diesen Fall kann daher Mod. D. 35,2,58 betreffen, wonach sich der Erbe auch noch post longum tempus auf das beneficium legis F. berufen darf. 104 I 329. Den wirksamen Verzicht auf die Nichtigkeitsfolgen hält er für ein Kennzeichen imperfekter Verbotsgesetze. Die lex Cincia aber war nicht deswegen imperfekt, weil vollzogene Schenkungen voll wirksam sind (so I 317), sondern weil ihr Verbot prätorischer Durchsetzun-g bedarf. Die Wirksamkeit vollzogener Schenkungen beruht darauf, daß sie von dem gesetzlichen Verbot nicht betroffen werden. lOS Vgl. Steinwenter (0. 2) 2349; insbes. Weiss a.a.O. (0. 8) unter Hinweis auf Dulckeit (0. 5) 334, 349; ferner Bonifacio II 232 15, gegen ihn unschlüssig Di Paola 11. cc. (0. 11) Fn. 54 (56). Ebenso wenig verstößt die Bestätigung nichtiger Schenkungen unter Ehegatten durch Fideikommiß oder nach der oratio Severi aufgrund der bloßen perseverantia voluntatis (Kaser [0.88] a.a.O.) noch gegen das Schenkungsverbot.
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ausdrücklich oder stillschweigend-konkludent verzichtet, ist das Verbot von Rechts und Amts wegen zu beachten. Das bedeutet indessen nicht, daß das Gesetz in jedem Falle nur dann beachtlich wäre, wenn es der Erbe verlangt: Mit dieser Schlußfolgerung ist Schwarz vielmehr zu weit gegangen. Nicht die Geltendmachung der Quart durch den Erben, wohl aber sein (ausdrücklicher oder stillschweigender) Verzicht darauf wirkt konstitutiv. 3. Schließlich spricht gegen Schwarz auch der historische Entwicklungsgang. Denn noch Scaevola D. 35,2,27 und Papinian D. 35,2,15,118 sowie Gordian C. 6,50,11 (243) betrachten die lex Falcidia als zwingendes, unentziehbares Recht des Erben. Aber schon die Klassiker lassen Universalfideikommisse zu, die auf ,totam hereditatem restituere' lauten lO8 . Schließlich erlaubt Justinian Nov. I 2,2 dem Testator generell, dem Erben die Quart zu entziehen, und verwandelt die lex somit in dispositives Recht. In dieses Bild würde es schlecht passen, wenn erst die Nachklassiker die lex Falcidia zur lex perfecta umgedeutet hätten oder gar erst Justinian selber, wie Schwarz ursprünglich annahm l07 . Vielmehr wurde anscheinend das Gesetz anfangs strenger gehandhabt und später immer mehr abgeschwächt. Ähnliche Entwicklungen haben die lex Cincia und das Schenkungsverbot unter Ehegatten durchgemacht: Ich erinnere nur an den Satz ,morte Cincia removetur' und an die oratio Severi über die Heilung nicht widerrufener Schenkungen unter Ehegatten mit dem Tode des Gebers. VI. Die exceptio doli zur Verschaffung der Quart bei rechtlich unteilbaren Legaten 1. In sechs Texten erhält der Erbe zur Geltendmachung der Quart eine exceptio doZi108. Diese Stellen boten mir den Anlaß, den Fragenkreis
Schwarz III 286 ff. Vgl. seine Einschränkung in II 247. 108 D. 31,76 pr.; 35,2,16 pr.; 23; 80,1; 88,1 h. t.; 44,4,5,1. Nicht hierher gehört Pap. D. 35,2,12: Die dem Erben auferlegte Bitte, auf eine gegen den Testator gerichtete Forderung bei der Berechnung der Quart zu verzichten, soll der arbiter Falcidiae ,ratione doli mali exceptionis' berücksichtigen. Der Gläubiger soll also durch die Zuwendung der Quart für seine Forderung abgefunden sein, was einer Leistung an Erfüllungsstatt gleichkommt, mit der sich der institutus durch Annahme der Erbschaft einverstanden erklärt: einer der wenigen Fälle, in denen der Erblasser die Quart schon in klassischer Zeit beschränken oder entziehen kann; vgl. Steinwenter (o.!) 2349. Zu dem in neuerer Zeit kaum behandelten Text s. Dernburg, AcP 47 (1864) 297 f.; Kretschmar (0. 8) 30, 69 ff. ("Erbeinsetzung mit Kompensationsauflage"). Ähnlich betreffen Pap. D. 28,5,79 pr. und Paul. D. 35,2,22 pr. die Kompensation wechselseitiger Vorausvermächtnisse unter Miterben im Hinblick auf die Falcidia; nach Pap. fr. 79 pr. (wohl: (exceptionis» doli ratione; Paul. cit. erwähnt die exceptio nur in der Anfrage. Zu beiden Texten Nardi 108
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der lex Falcidia erneut aufzugreifen. Schwarz erklärte nämlich diese Zeugnisse ausnahmslos für unecht: Die exceptio doli "als Mittel zur Verwirklichung des Rechts auf die Quart" sei "höchstwahrscheinlich an allen behandelten Stellen unklassisch" schreibt er (1358); sie habe "für das klassische Recht als Mittel, dem Erben bei Voll-Leistung unteilbarer Legate zu seiner Quart zu verhelfen, auszuscheiden" (I 356). Bonifacio ist ihm hierin im wesentlichen gefolgtt 09 • Beide Autoren haben aber zu wenig bedacht, daß die exceptio doli, wo sie im Zusammenhang mit der lex Falcidia auftritt, "stets eine spezielle Funktion hat" - wie Voci (112 782) mit Recht bemerkt - "die nichts für ihre generelle Verwendung beweist". Als generell auf die lex gestützte Einrede wäre ja auch nicht die exceptio doli, sondern eine exceptio legis Falcidiae zu erwarten, die es aber - wie oben III 1 erwähnt nicht gibt. 2. Häufig wird gelehrt, der exceptio doli habe es bedurft, wenn der Gegenstand des Vermächtnisses unteilbar warllO • Das ist richtig, bedarf aber der Präzisierung. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob der Gegenstand körperlich unteilbar ist111 , sondern auf seine ideelle, rechtliche Unteilbarkeit112 • Ein Mensch, ein vermachter Sklave etwa, läßt sich natürlich nicht durchteilen; auf dieser evidenten Erkenntnis basiert ja das salomonische Urteil. Gleichwohl haben wir an D. 35,2,49 pr. (oben IV 1) gesehen, daß auch beim Sklavenvermächtnis die proratarische ipso-iure-Minderung kraft Gesetzes eintritt (vgl. o. A. 79). Beide Parteien werden Miteigentümer nach Bruchteilen. Daß der Legatar an jeder einzelnen, per vindicationem vermachten Sache nur eine ideelle pars pro indiviso erwirbt, ist auch aus drei Gründen zweckmäßig: a) Erstens gleichen körperliche Sachen einander nur selten so völlig, daß es dem Legatar einerlei sein könnte, welche davon er zu Allein185 ff. mit reicher Lit., auch schon Dernhurg 303 ff.; zu Pap. fr. 79 pr. insbes. Kühler, Deutsche Literaturzeitung 51 (1930) 1289 und Kunkel, SZ 51 (1931) 540, beide gegen David, Studien zur heredis institutio ex re certa (1930) 26 ff.; auch Kreller, SZ 59 (1939) 665 zu Sanfilippo, APal.17 (1937) 247 f. Aristo-Pomp. D. 36,1,22 endlich betrifft einen Fall, in dem der Erbe die angefallene Erbschaft ohne die cautio ,Quanto amplius' dem Universalfideikommissar herausgegeben hat; dazu (nicht unbedenklich) Nardi I 275 ff.; Bonifacio I 20 f. 8B, 77 ff.; Schwarz 111 294 ff.; Voci 112 787 f. us. 109 I 22 ff., bes. 24 f. 48 • Für Echtheit dagegen Bretone I 57-63; zust. Kaser, Lab. 9 (1963) 370. 110 Windscheid (0. 5); Jörs-Kunkel (0. 5) 354f.; Grosso I 357; Voci IIz 783 mit104 ; Kaser I 1630 (vorsichtiger 2757). 111 Res quae sine interitu dividi non possunt: Kaser 12 382 f. 112 Zum Verhältnis von körperlicher und ideeller Teilbarkeit Sokolowski, Die Philosophie im Privatrecht I (1907, Neudr. 1959) 405 ff. Krit. dazu Horak, Rationes decidendi (1969) 230 ff. (bes. zu D.50,16,21,1). Zur Sachenrechtsfähigkeit von Bestandteil und Zubehör jetzt grundlegend Holthöfer, Sachteil und Sachzubehör im rörn. u. gern. R. (1972). I
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eigentum erwirbt: Unter vier äußerlich ähnlichen Rindern z. B. werden sich oft irgendwelche Unterschiede etwa nach Alter, Gesundheitszustand, Milchproduktion ete. feststellen lassen. Daher läßt sich nicht von vornherein sagen, welche drei Rinder von den vieren dem Legatar rechtmäßigerweise gebühren. Jede Partei wird die Wahl in dem für sie günstigen Sinne ausüben wollen. Man müßte daher zunächst entscheiden, welche Partei wahlberechtigt sein solle; ähnlich einem Wahlver. mächtnis. Die Gegenpartei würde aber dadurch generell benachteiligt. Sofern sich beide nicht gütlich einigen, ist es also zweckmäßig, die Entscheidung einem gerichtlichen Teilungsverfahren vorzubehalten. b) Zweitens wird nur in sehr wenigen Fällen eine glatte Aufteilung 3 zu 1 möglich sein. "Die Quart" ist ja nicht von jedem Einzelvermächtnis abzuziehen; sondern sie muß dem Erben vom Gesamtnachlaß verbleiben. Die von antiken und modernen Autoren der Einfachheit halber gebildeten Schulbeispiele l13 , in denen Quartabzug und Nachlaßviertel einander entsprechen, sind praktisch höchst seltene Idealfälle. Sie setzen voraus, daß die Summe der vom Testator angeordneten Vermächtnisse zufällig genau seinem Aktivvermögen gleichkommt, also weder mehr noch weniger ausmacht. Nur dann ist auch von jedem Einzelvermächtnis ein Viertel abzuziehen. Es kann aber weniger, es kann auch mehr einzubehalten sein; letzteres bei überschuldung des Nachlasses 114 • Die von dem arbiter Falcidiae aufzumachende Rechnung ist in jedem praktischen Fall weit komplizierter; sie läßt nur in verschwindenden Glücksfällen eine glatte Realteilung zu. Die Kette von 35 Perlen etwa (oben IV 3) wäre durch vier gar nicht teilbar. e) Aber selbst wenn eine Realteilung in glücklichen Fällen unschwer möglich wäre, dürfte sie doch drittens häufig wirtschaftlich unzweckmäßig sein: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, wie schon Aristoteles erkannte115 ; der ideelle Anteil an einer Perlenkette mehr als eine entsprechende Anzahl einzelner Perlen; ein Gespann von vier Rappen (quadriga) läßt sich nicht ohne Verlust auf mehrere Eigentümer verteilen118 • In solchen Fällen wird der Teilungsrichter den Vermächtnisgegenstand tunlichst einem Gemeinschafter zu Alleineigentum zugewiesen und ihm eine Ausgleichszahlung zugunsten des anderen auf113 Siehe z. B. Afr. D. 35,2,88 pr. 1 (unten VI 7); Schwarz 11 230 f. Daß Paulus D. 44,4,5,1 in 'gleicher Weise aestimatio quartae partis statt des allgemeineren Ausdrucks portionis Falcidiae schreibt, darf man ihm daher entgegen Beseler, SZ 47 (1927) 373 und Schwarz I 356 nicht vorwerfen. 114 Gai. D. 35,2,73,5 i. f.; oben VIa. E., Anm. 86. 115 Siehe H. Schmidt - G. Schischkoff, Philosoph. Wörterbuch lS(Kröner 1969) 187 f. s. v. Ganzheit; auch Sokolowski (0. 112) 437 ff. 118 Kette und Gespann bilden ein corpus ex distantibus: Kübler (0.8S) 366; Kaser P 383 m. Lit. in"; vgl. Holthöfer (0. A. 112) 64 ff.
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erlegt haben. Beim Stückvermächtnis eines Sklaven bleibt gar keine andere Möglichkeit. Um dem Vorwurf unbilliger Benachteiligung einer Partei zu entgehen, bot sich zweckmäßigerweise die Teilungsyersteigerung an117 • 3. Ist hiernach eine ideelle Beteiligung nach Bruchteilen als unmittelbare Rechtsfolge des Gesetzes allein praktisch, während die Realteilung einem besonderen Verfahren vorzubehalten ist, so fragt sich nur, was mit den Vermächtnissen geschehen soll, die juristisch (also nicht nur körperlich) unteilbar sind. Dafür gibt es nur wenige Beispiele, vor allem die Prädialservituten via, iter, actus u. dgl., die nicht von mehreren pro parte ausgeübt werden können, um die Belastung des dienenden Grundstücks nicht zu vervielfachen118 • Der ususfructus dagegen ist juristisch teilbar und wird infolge der Falcidia von Rechts wegen gemindert118 • Rechtlich unteilbar ist weiter das Legat oder Fideikommiß zur Errichtung eines Bauwerks, einer Wasserleitung oder Statue zugunsten eines Gemeinwesens, sofern der Erbe selbst für die Errichtung Sorge zu tragen hat; nicht jedoch, wenn er bloß das Geld dazu geben sollno. Da eine Mitberechtigung nach Bruchteilen in diesen beiden Fällen rechtlicher Unteilbarkeit sozusagen aufgrund der "Natur der Sache" ausgeschlossen ist121 , kann sie auch die lex Falcidia nicht erzwingen1!!. Kraft Gesetzes hätte man also das unteilbare Vermächtnis entweder 117 Zum vorst. Kaser I 1493; 2412, 590 f. Zur Teilungsversteigerung bes. Thielmann, Röm. Privatauktion (1961) 1510 . Frontos Worte bonis lege F. distractis (0. A. 69) bedeuten nach Beseler (0. A.69) "die Auseinandersetzung
zwischen dem Erben und den Nehmern falzidisch gekürzter Vindicationslegate, die durch Quotenkauf des Erben oder Quotenkauf des Legatars oder Totalkauf eines Dritten geschieht". 118 Biondi, Le servitu prediali (Corso 21954) 160 ff.; Grosso II 151 ff.; Kaser 12 443, vgl. Lab. (0.10V). Nach Dernburg, Pand. § 241 (8-Sokolowski § 204) A. 2 handelt es sich um ein altröm. Rechtssprichwort, vgl. Afr. D. 8,3,32: Dici solet per partes nec adquiri nec imponi servitutes posse. Die Unteilbarkeit der Servituten war um 1900 ein beliebtes Dissertationsthema: Fritz David (Tübingen 1887, 42 p.); Ernst Freys (Würzburg 1888, 42 p.); Fritz Ehrhardt (Greifswald 1900, 59 p.); Bernhard Buhl (Tübingen 1904, 65 p.). ug Paul. (sing. ad 1. F.) vat.68 = D.35,2,1.9: Ga!. D. 35,2,81 pr.; Pap. D. 7,1,5 (per legem F. minui potest); Kaser, Lab. cit. zu Bretone I 55 ff., 83 H., 97. 120 z. B. Gai. D. 35,2,80,1 (opus municipibus facere) gegenüber Paul. eod. 1,19 (pecunia ad faciendum); Schwarz I 364 H. 1!1 Vgl. das dem Pomponius zugeschriebene Fragment (Lenel, Pal. Pomp. Nr. 372; F1RA II 449; Girard, Textes7 I 17): Et servitutes dividi non possunt: nam eorum usus ita connexus est, ut qui eum partiatur, naturam eius corrumpat. Auch Paul./Ulp. D. 45,1,2,1/72 pr. 122 Entsprechendes gilt für den XII-Tafelsatz nomina sunt ipso iure divisa
gegenüber dem unteilbaren Versprechen einer Servitutbestellung, Paul. D. 10,2,25,9: talis stipulatio per legem XII tab. non dividitur, quia nec potest. Anders, für Untergang der Stipulation, noch die bei Pomp.-Paul. D. 45,1,2,2 erwähnten quidam.
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ganz für gültig 12:J oder aber ganz für ungültig erklären können124 . Im ersten Fall wäre der Erbe, im zweiten der Legatar125 unbillig benachteiligt worden. Das prätorische Recht weist indes einen Ausweg aus dieser Alles-oder-Nichts-Alternative. Aufgabe der exceptio doli ist es nämlich, die treuwidrige Ausnutzung zufälliger, im ius strictum begründeter Gegebenheiten zum Nachteil des jeweiligen Beklagten zu verhindern126 . Zu diesen occasiones iuris civilis gehört auch der Satz von der Unteilbarkeit der Servituten1!7. D. 35,2,80,1 (Gaius 3. de leg. ad ed. praet. (urb.)128)
123 So für die gleichfalls unteilbaren testamentarischen Freilassungen vgl. u. A.150. 1!4 Im ersten Sinne Schwarz I 352 ff., deutlich S. 357: "Ein unteilbares Legat ist immer ganz zu leisten; von einer Einschußpflicht des Vermächtnisnehmers, zu deren Erfüllung er durch Androhung der Einrückung einer exceptio doli in die Formel gezwungen würde, wußten die Klassiker nichts." Die Unbilligkeit dieser Ansicht gesteht Schwarz I 352 f. selbst zu. Im zweiten Sinne Ehrhardt 89 ff., 94: "Die gewährte unteilbare Servitut wird beseitigt". Beide Autoren vermuten substantielle Eingriffe in den folgenden Texten, aber im entgegengesetzten Sinne. In der Beseitigung der exceptio doli sind sie sich einig. Wie Ehrhardt schon Beseler, SZ 46 (1926) 96 f., vgl. 47 (1927) 373 und später Nardi I 98 ff., Bonifacio I 23 ff. mUfft. 1!5 Dagegen bes. Scaev. D. 35,2,23 (unten 5): doli exceptio tantum sarciat,
quantum deest, ne plus habeat (heres), quam Falcidia desiderat. 118 Paul. D. 44,4,1,1: Ideo autem hanc exceptionem praetor proposuit, ne cui dolus suus per occasionem iuris civilis contra naturalem aequitatem prosit.
Vgl. auch Diocl. C. 7,26,9. Hierzu demnächst meine Exceptio doli im klass. röm. Recht. 1!7 Zutr. Wendt, AcP 100 (1906) 186 ff., der die folgenden Texte nicht verdächtigt. Ebenso Maschi, Bull. 46 (1939) 308 ff., sowie jetzt B.retone I 57-63 gegen die o. A.124 Genannten. Nach Bretone 61 hätten die Kompilatoren den Gaiustext, der die lex F. nicht besonders erwähnt, um den Fall erweitern wollen, daß mehrere Erben mit einem unteilbaren Legat belastet sind. Die Phrase et si plures heredes sint, singuli in solidum tenentur ist jedoch klassisch, vgl. Pomp. D. 8,1,17 i. f. Im übrigen redet fr.80,1 nur im Singular von einem heres, und im pr. wird der Falcidia gedacht. In dem umstrittenen Schlußsatz (vgl. Bretone 6120), dessen Inhalt jedoch außer Maschi 311 ff. schon Costa (0. 31) 57 für klassisch hielt, deutet entweder aestimatione facta legati auf ein vorangegangenes Schätzungsverfahren vor dem arbiter Falcidiae (oben IV 2), oder utatur exceptione heißt "er wird erfolgreich gebrauchen", d. h. mit seiner in iure vorgeschützten exceptio vor dem iudex Erfolg haben. - Totam eam vindicet in Marcell.-Paul. D. 44,4,5,1, obschon angesichts der Unteilbarkeit für einen Juristen selbstverständlich, kann entgegen Bretone 58 u. A. 9 f. (Lit.) durchaus von klassischer Hand stammen: Es ist denkbar, daß ein rechtsunkundiger Legatar die vindicatio incertae panis erhebt, aber mit ihr unterliegt. Vgl. Pap. D. 31,76 pr. (unten 4): plane petetur integra servitus ab eo qui filium vicit; Pap. D. 35,2,7: non aliter in solidum restituetur. Mit dem undeutlichen Schlußsatz quoniam (scr. quomodo?) suo commodo heres consulit (fr.5,1) ist vielleicht gemeint: Der Erbe, der die exceptio vorschützt, gibt zu erkennen, daß er auf das commodum oder beneficium legis F. (dazu Schwarz I 344 u. A. 109) nicht verzichten will. 128 Lenel, Pa!. Gai. Nr. 28.
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Quaedam legata divisionem non recipiunt, ut ecce legatum viae itineris actusve: ad nullum enim ea res pro parte potest pertinere. sed et si opus municipibus heres facere iussus est, individuum videtur legatum ... (folgen Beispiele) quorum omnium legatorum nomine, et si plures heredes sint, singuli in solidum tenentur. haec itaque legata, quae dividuitatem non recipiunt, tota ad legatarium pertinent. sed potest heredi hoc remedio succurri, ut aestimatione facta legati denuntiet legatario, ut partem aestimationis inferat; si non inferat, utatur adversus eum exceptione doli mali. D.44,4,5,1 (Paulus 71. ad ed.) Si cui legata sit via et is lege Falcidia locum habente totam eam vindicet non oblata aestimatione quartae partis, summoveri eum doli exceptione Marcellus ait, quoniam suo commodo heres consulit. D.35,2,7 (Papinianus 7. quaest.) Lege Falcidia interveniente servitus, quoniam dividi non potest, non aliter in solidum restituetur, nisi partis offeratur aestimatio. Unteilbare Vermächtnisse fallen dem Legatar von Rechts wegen voll an; tota ad legatarium pertinent: Gaius fr. 80,1. Das ist folgerichtig: Hinterläßt nämlich der Gläubiger einer unteilbaren Obligation mehrere Erben, so bewirkt der XII-Tafels atz nomina sunt ipso iure divisa ebenfalls nicht etwa deren Untergang (Anm. 122); vielmehr erhält ganz entsprechend jeder Miterbe (als Gesamtgläubiger) die actio in sotidum (unten Anm. 155). Wegen des von der Falcidia verlangten Abzugs hat der beklagte Erbe aber hier ein mittels exceptio doli geltend zu machendes Zurückbehaltungsrecht1 29 • Gaius und Marcellus-Paulus erwähnen die Einrede ausdrücklich. Im Papiniantext ist sie zu subintellegieren; der Text berichtet unter Verzicht auf prozessuale Einzelheiten nur das materiellrechtliche Ergebnis 18o • Daß die lex Falcidiae eine lex imperfecta gewesen sei, läßt sich hieraus nicht herleiten. Die spezielle Voraussetzung dieser ausnahmsweise gewährten Einrede: die juristische Unteilbarkeit des Vermächtnisgegenstandes, bestätigt vielmehr die Regel, daß dort - wo möglich - die proratarische Minderung der Legate ipso iure kraft Gesetzes eintritt (vgl. oben III 1). Die exceptio doli zwingt folglich den klagenden Legatar dazu, dem beklagten Erben denjenigen Teil vom Schätzwert des vermachten 128 Anders Nardi I 96--105, aufgrund eines vorgefaßten, zu engen Begriffs der retentio. Zu Unrecht nimmt er stattdessen eine pluris petitio an: Diese setzt ein plus intendere voraus (Provera, o. A. 59/61), welches hier im Geg~n satz zu den teilbaren Legaten (oben A. 59) gerade nicht vorliegt, wie die andernfalls entbehrliche exceptio doli beweist. 130 Non aliter ... restituetur ist durchaus technisch auf die Naturalrestitution zu beziehen. Anders Nardi I 99, dessen Verdacht nicht überzeugt. Zur Restitutionsklausel der vindicatio servitutis s. Kaser t I 438 81 , 447 78 •
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Gegenstandes anzubieten, (inferre partem aestimationis: Gaius; offerre partis aestimationem: Paulus, Papinian citt.), der dem Erben an dem Gegenstand kraft Gesetzes zustünde, wenn er nicht unteilbar wäre 131 • Dieser Anbietungslast kann sich der Kläger - hier wie auch sonst wohl noch apud iudicem entledigen132 , der die Schätzung zunächst vorzunehmen hat133 ; sofern die Parteien nicht zuvor um die Bestellung eines arbiter Falcidiae nachgesucht hatten (oben IV 2). Erklärt sich der Kläger hierzu bereit, liegt es beim beklagten Erben, ob er die beanspruchte Servitut restituieren will (Anm. 130) gegen Annahme des angebotenen Betrages. Kann der Kläger den Betrag nicht aufbringen134 , oder verweigert der Beklagte die Restitution, wird ihn der iudex in den Differenzbetrag zugunsten des Klägers verurteilt haben13&. Das Ergebnis ist also ähnlich dem der actio communi dividundo und auch nicht grundverschieden von der vindicatio incertae partis, kraft derer ja der renitente Beklagte gleichfalls nur in Geld verurteilt werden kann. Paulus fr. 5,1 zitiert in diesem Zusammenhang noch den Marcellus. Sollte er als erster diese Ansicht vertreten haben, dann müßten sie Gaius fr. 80,1 und Scaevola D. 35,2,23 (unten 5) sogleich anschließend von ihm übernommen haben. Aber schon Afrikan D. 35,2,88,1 (unten 7) hatte im verwandten Fall einer unteilbaren Bedingung dieselbe Lösung vorgeschlagen. Für Papinian fr. 7 ist sie bereits derart anerkannt, daß er sie auf einen anderen, verwickelten Sachverhalt überträgt: 4. D. 31,76 pr. (Papinianus 7. resp.):
(1) Cum filius divisis tribunalibus actionem inofficiosi testamenti matris pertulisset atque ita variae sententiae iudicum exstitissent, heredem, qui filium vicerat, pro partibus, quas aliis coheredibus abstulit filius, non habiturum praeceptiones sibi datas, non magis quam ceteros legatarios actiones, constitit. (2) sed libertates ex testamento competere placuit, cum pro parte filius de testamento matris litigasset. 131 Treffend Bretone I 62. Aestimatio partis verdächtigt Ehrhardt 91 f. Der von ihm bevorzugte Ausdruck pars eastimationis findet sich aber laut 2 VIR I 300 nur einmal in Gai. cit., aestimatio partis dagegen laut VIR IV 2, 5062 ff.achtmal, und zwar bei Iav. 2 X, Pap. 3 X, Ulp. 1 X, Paul. 2 X. 132 Das ist möglich wegen der Klausel neque fiat der exceptio doli: Der dolus praesens betrifft das prozessuale Verhalten post litem contestatam; vgl. Ner. D. 44,4,11 pr. gegenüber Ulp. D. 44,4,4,18. Aufschlußreich Iul. D. 9,4, 39,3: Sed et si post iudicium acceptum cum domino servus apparuerit ... exceptione doli mali posita dominus absolvetur. Für eine Anbietungslast des Klägers in iure dagegen noch Betti, Studi sulla litis aestimatio I (1915) 27 f. (zu D. 44,4,5,1). 133 Vgl. etwa iudex aestimabit in Iul. D. 27,10,7,2. 13« Vgl. finge pauperem in Cels. D. 6,1,38. 135 Vogl. eo deducto tu condemnandus es in Cels. cit. Zur kondemnationsmindernden Einrede siehe einstweilen TR 39 (1971) 2664°; ferner unten nach Fn.158.
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(3) quod non erit trahendum ad servitutes, quae pro parte minui non possunt: (a) plane petetur integra servitus ab eo qui filium vicit, partis autem aestimatio praestabitur; (b) aut si paratus erit filius pretio accepto servitutem praebere, doli summovebitur exceptione legatarius, si non offerat partis aestimationem, exemplo scilicet legis Falcidiae. Der übergangene Sohn ficht das Testament der Mutter vor verschiedenen Spruchkörpern136 mittels der quere la inofficiosi testamenti mit unterschiedlichem Erfolg an: Einigen Miterben gegenüber gewinnt er; dagegen unterliegt er einem von ihnen, welch letzterer zudem mit Vorausvermächtnissen137 bedacht ist. Solch abweichende Urteile in derselben Sache waren nicht selten138 • Mehrere zu Miterben eingesetzte Beklagte bilden nämlich - unpraktischerweise - keine notwendigen Streitgenossen139 • Und die Entscheidung darüber, ob die übergehung eines nahen Angehörigen gegen das officium pietatis verstößt, ist zudem keine Rechtsfrage, sondern hängt ebenso von der sozialen Sitte ab wie ehedem die zensorische Maßregelung. Da das Gericht in der Beurteilung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles ein weites Ermessen hat, war hier der Redekunst ein dankbares Betätigungsfeld eingeräumt140 • Der Ausgang eines solchen Verfahrens ohne feste Grundsätze hing damit weithin von dem rhetorischen Geschick des jeweiligen Prozeßbeistandes', der subjektiven Überzeugungskraft seiner Argumentation, sowie von der Zusammensetzung der Richterbank ab141 • Erst zum Ausgang des 1. Jh. n. ehr. hat man in Analogie zur Falcidia eine Testamentsanfechtung dann nicht zugelassen, wenn dem enterbten 138 Tribunal, nicht selten unecht (Heumann - Seckel shv.), hier aber unverdächtig (Marrone, APal. 24 [1955] 5485 ; Kaser III 38 17 gegen Beseler, SZ 47 [1927] 373) bedeutet entweder (wohl untechnisch) die Abteilung des für die Querel zuständigen Zentumviralgerichts (Kaser a.a.O.) oder die entsprechende Instanz der in der Prinzipatszeit an dessen Stelle getretenen extraordinaria cognitio: Marrone a.a.O.; Kaser III 40, 359 f., 12 711. 137 Praeceptiones nach Leuba, Origine et nature du legs per praeceptionem (These Laus. 1962) 50 f. hier in weitestem Sinne; anders Czyhlarz und Kretschmar (ebd.). 118 Plin. ep. 6,33,2 ff. (u. A. 141); Pap. D. 5,2,15,2; Ulp. eod. 24; D.38,2,12,4; Gord. C. 3,28,13 (239). Sanfilippo, APal. 17 (1937) 212 ff. (Fn.). 139 Beseler, St. Riccobono I (1936) 293 (z. d. St.). Zu den wenigen Fällen notwendiger Streitgenossenschaft im spätklass. Recht s. Kaser III 152. 140 Kaser 12 710 f. 141 Sogar bei weitgehender Identität der Prozeßbeteiligten berichtet Plin. a.a.O. (0. 138) von bemerkenswert unterschiedlichem Prozeßausgang: Notabilis prorsus et mira eadem in causa, isdem iudicibus, isdem advocatis, eodem tempore tanta diversitas! Attia Viriola strengte gegen vier Miterben die Querel an: Zwei consilia der centumviri gaben ihr Recht, die beiden anderen Unrecht. Vgl. Marrone 87.
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Verwandten mindestens ein Viertel des Intestaterbteils (gleich auf welche Weise) zugewandt war142 • Da er selbst als institutus eine Beschränkung bis auf ein Viertel hinnehmen mußte, war dieser Schritt nur folgerichtig. Da es aber keinen festen Katalog von Enterbungsgründen gab, in denen ihm auch dieser ,Pflichtteil' entzogen werden durfte 143 , war für Zweifelsfragen im Einzelfall immer noch genügend Raum gegeben. Der teils erfolgreiche, teils unterlegene filius und der siegreiche institutus werden jetzt Miterben; der filius ab intestato, der institutus ex testamento. Die Regel nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest wird in diesem Sonderfall durchbrochen 144 • Die Vermächtnisse werden, soweit der filius Erfolg hatte, nach Papinian (Abs. 1 am Ende) pro parte ungültig; obschon die Legatare an dem Verfahren nicht unmittelbar beteiligt sind146 • Aufgrund der erfolgreichen Querel wird es aber so angesehen, als habe dem Testator die testamenti factio gefehlt146 • Die dem siegreichen institutus gewährten praeceptiones werden dementsprechend hinsichtlich derjenigen Erbteile unwirksam, die der filius den Miterben "entrissen" hat. Dies ist die feste Ausgangsbasis (,constitit') für Papinians weitere Argumentation, in der er die Urteilswirkungen bezüglich der unteilbaren Legate untersucht. Er unterscheidet: Die FreiZassungen bleiben aufgrund des favar libertatis bestehen147 , da der Sohn mit dem Anfechtungsprozeß nur teilweise 148 Erfolg hatte (Abs. 2)149. Auch die lex Falcidia hindert testamentarische Freilassungen nämlich nicht; vielmehr wird der Wert der freizulassenden Sklaven
Steinwenter 2351 f.; Kaser 2 I 711. Kaser a.a.O. 144 Pap. D. 5,2,15,2: C,·edimus eum legitimum heredem pro parte esse factum ... nec absurdum videtur pro parte intestatum videri. Vgl. Ulp. eod. 25,1: testamentum pro parte valet. Costa, Papiniano III (1896, rist. 1964) 9 ff. 1" Vgl. Kaser III 9331 • Von der Regel non potuisse arbitrum inter alios iudicando alterius ius mutare (Lab. D. 33,2,31; dazu jetzt Gordon, St. Grosso IV [1970] 305 ff.) wird hier aus praktischen Gründen abgewichen. Erst in der klass. Kognition läßt man Legatare und testamentarisch Freigelassene bei der quere la inofficiosi als Nebenintervenienten auftreten: Kaser III 382 mit82 • 14G Paul. D. 5,2,17,1: Cum contra testamentum ... iudicatur, testamenti factionem habuisse defunctus non creditur. Marrone 57 f. Das teilweise Fehlen der testamenti factio entspricht der mangelnden potestas zum dare legare ultra dodrantem; vgl. o. A. 23. 141 Wörtlich übereinstimmend Pap. (6. resp.) D. 37,7,6 und (11. resp.) D. 44,2,29 pr.: libertates competere placuit; vgl. Gord. C. 3,28,13. Placuit deutet nach Marrone 55 auf eine anfängliche Kontroverse. Für Unechtheit Beseler (0. 131). 148 Nicht vollen: dann vgl. Ulp. D. 5,2,8,16; Paul. eod. 28 i. f. 148 Cum pro parte litigasset wird freilich überwiegend für ein Glossem gehalten, s. Marrone 54 81 • 142 143
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analog den Erbschaftsschulden vorweg abgezogen150 • Gleiches gilt nach Ulpian D. 5,2,8,9 für die Berechnung des Pflichtteils, der dem heres legitimus, um die querela inofficiosi auszuschließen, verbleiben muß. Diesen Zwang zur vollen Leistung ohne Einschußpflicht des Begünstigten aufgrund des favor libertatis in Analogie zu den Erbschaftsschulden zum Nachteil des Sohnes verneint Papinian (Abs. 3) jedoch für die gleichfalls unteilbaren Servituten: Sie gehen nicht etwa unter151 , sondern können vom Legatar ebenso wie in den oben 3 behandelten Texten voll eingeklagt werden. Das ergibt sich aus petetur integra servitus (3 a) im deutlichen Gegensatz zu den zuvor (sub 1) genannten actiones pro partibus der ceteri legatarii. Ebenso wie bei der Falcidia muß jedoch sichergestellt sein, daß der Kläger hierdurch nicht auf Kosten des Beklagten eine ungerechtfertigte Bereicherung erlangt. Zwei Möglichkeiten zeigt Papinian auf zur Vermeidung dieses unerwünschten Ergebnisses: Die Naturalrestitution der Servitut schuldet der beklagte filius wie aus den oben 3 angeführten Texten bereits bekannt - vermöge des exceptio doli nur gegen Erstattung des Wertes derjenigen Anteile, die den teilbaren Legaten aufgrund der teilweisen Testamentsanfechtung von Rechts wegen abgehen (Abs. 3 b). Die von Papinian am Schluß hervorgehobene Parallele zur lex Falcidia lag wegen ihres geschilderten allgemeinen Einflusses auf die Querel besonders nahe 152,. Ist der filius zur Gewährung der Servitut dagegen nicht bereit, so erhält der Kläger nach Papinian (Abs. 3 a) offenbar sogar ohne exceptio doli 153 nur den ihm gebührenden Teil ihres Wertes zugesprochen154 • Paul. D. 35,2,36,2; Ulp. D. 5,2,8,9: Faleidia Hbertates non minuit. So freilich Ehrhardt 94 (vgl. 89), Bonifaeio I 23 f.: Der Satz Quod non erit trahendum ad servitutes fordere als logischen Gegensatz zur vollen Aufrechterhaltung der Freilassungen das Erlöschen der Servitut; der Text sei ab plane unecht (so auch Nardi I 96 ff., unentschieden Bretone I 63 f. mit29). Logisch konsequenter Rigorismus aber bietet noch keine Gewähr für eine zutreffende rechtliche Würdigung, s. unten 7, auch 0. 77 • Unlogik kann man Papinian überdies gar nicht vorwerfen. 162 Ehrhardt 89, 92 f.: "einleuchtende Parallele", "sicher klassisch", "naheliegende Analogie", gegen Beseler (0. 136), dem Schwarz I 356148 noch folgt: Die Worte exemplo seHicet seien "deutlich angeflickt". Wie Ehrhardt im Ergebnis Nardi, Bonifaeio a.a.O. Zu exemplo (ad exemplum) die vielen Nachw. bei Wesener, SZ 75 (1958) 243 128 • 153 Anders Beseler (0. 136 ). Er restituiert: plane ( ... ) petetur integra servitus ab eo qui filium vieit, (sed doH maH exeeptione opposita et partis aestimatione oblata (ergänze filius) legatarium summovebit) ... Möglich war dieses Verfahren sicherlich, s. schon Dernburg, Compensation 2(1868) 341, aber hier jedoch nicht nötig. 154 Die etwas undeutliche Passivkonstruktion mit dem Subjektwechsel scheint für Papinian charakteristisch: petetur integra servitus ab eo qui filium vieit heißt der Legatar wird klagen; partis aestimatio praestabitur: 150 151
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Gehört nämlich das herrschende Grundstück mehreren Miteigentümern, so erhält ein jeder von ihnen die vindicatio servitutis wegen deren Unteilbarkeit in solidum; da die Zitis aestimatio jedoch teilbar ist, geht die condemnatio pecuniaria dort nur auf das persönliche Interesse des jeweiligen Klägers l55 • überdies kann auch der bei der partitio Zegata anerkannte Abwicklungsmodus 1s6 Papinian hier als Vorbild gedient haben. Ob man diesen im System der Geldverurteilung naheliegenden Ausweg, an die Stelle der unteilbaren Sachleistung deren anteiligen Wert zusetzen157 , auch in den übrigen Fällen anwandte, der filius wird leisten. Ganz ähnlich Pap. D. 35,2,7 (oben 3): Servitus non aliter ... restituetur (vom beklagten Erben), nisi partis offeratur aestimatio (vom klagenden Legatar); irrig (umgekehrt) von Koschembahr-Lyskowski, Condictio II (1907) 168 f. 156 Ulp. D. 8,5,4,3: Si fundus, cui iter debetur, plurium sit, unicuique in solidum competit actio, et ita et Pomponius libro XLI scribit: sed in aestimationem id quod interest veniet, scilicet quod eius interest qui experietur. itaque de iure quidem ipso singuli experientur et victoria et aliis proderit; aestimatio autem ad quod eius interest revocabitur, quamvis per unum adquiri servitus non possit. Sachlich sind diese Ausführungen nicht zu beanstanden, s. Kaser, Quanti ea res est (1935) 23 ff., III 151 41 , 50416 (rechnet mit einer Kontroverse) gegen Marrone 235 mit319, der die aestimatio pro parte den Klassikern abspricht; unentschieden Medicus, Id quod interest (1962) 250 mit17 • - übereinstimmend Paul. D.I0,2,25,9: An ea stipulatio, qua singuli heredes in soZidum habent actionem, veniat in hoc iudicium (sc. famiZiae erciscundae), dubitatur: veZuti si is, qui viam iter actus stipuZatus erat, decesserit; quia talis stipuZatio per legem XII tabulamm non dividitur, quia nec potest. sed verius est non venire eam in iudicium (tam. erc.), sed omnibus in soZidum competere actionem (sc. ex stipuZatu in promissorem) et, si non praestetur via, pro parte hereditaria condemnationem fieri oportet. Sachlich echt auch nach Ehrhardt 78 f. Vgl. Ulp. D. 45,1,72 pr.; Paul. eod. 2,2; auch eod.2,6 i. f. Nur die Naturalrestitution konsumiert demnach die Klagen der übrigen Mitberechtigten, weil sie allen gegenüber wirkt. Bei bloß anteiliger Geldverurteilung drohen dem Beklagten dagegen die Klagen der übrigen weiterhin: Medicus 250 f.1B, vgl. auch Paul. D. 30,85. Da der filius aufgrund der Teilunwirksamkeit des Testaments gleichsam selber zu den Mitberechtigten gehört, braucht er konsequenterweise die Naturalrestitution nur gegen eine Ausgleichszahlung zu leisten. 156 Pomp. D. 30,26,2: Cum bonorum parte legata dubium sit, utrum reTUm partes an aestimatio debeatur, Sabinus quidem et Cassius aestimationem, ProcuZus et Nerva reTUm partes esse legatas existimaverunt. sed oportet heredi succurri, ut ipse eligat, sive rerum partes sive aestimationem dare maluerit. in his tamen rebus partem dare heres conceditur, quae sine damno dividi possunt; sin autem veZ naturaZiter indivisae sint veZ sine damno divisio earum fieri non potest, aestimatio ab herede omnimodo praestanda est. Zu den res, quae naturaZiter indivisae sint gehören wohl auch die Servituten, vgl. o. A. 121. Es ist denkbar, daß schon Pomponius nach dem Schwinden des Schulengegensatzes derart vermittelnd entschieden hat; zumal der Formularprozeß dem Beklagten ja stets die Wahl zwischen Naturalrestitution und Geldverurteilung ließ. Für Unechtheit des 2. Teils freilich Stiegler, RE Suppl. 11, 1043; SZ 84 (1967) 3585 m. Lit. Doch wie dem auch sei: an die Ansicht der Sabinianer konnte Papinian unzweifelhaft anknüpfen, wonach der Erbe an allen Sachen von vornherein den anteiligen Schätzwert schuldet. 167 Vgl. Ehrhardt 94, der ihn gleichwohl für unklassisch hält.
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in denen die lex Falcidia eingriff, steht freilich dahin l58 • Mit exceptio doli muß eine Teilverurteilung des Erben - wie oben 3 (Anm. 135) bereits ausgeführt - jedenfalls möglich gewesen sein. Denn allein dadurch, daß er vom Prätor die exceptio doli erbittet, verliert der Beklagte nicht sein Wahlrecht zwischen Naturalrestitution und Geldkondemnation. Daß die Servitut hier im Wege der praeceptio einem Miterben vermacht war, ist offenbar nur eine Zufälligkeit des dem Juristen unterbreiteten praktischen Falles159, die man sich wegdenken kann180: Da die praeceptiones nach Papinians Ausgangssatz (1) grundsätzlich ebenso geteilt werden wie alle anderen Vermächtnisse, wäre die Entscheidung für die einem Nichterben vermachte Servitut ebenso ausgefallen. Eine Voraussetzung, die sich aus dem Text nicht ergibt, ist ihm jedoch zu unterstellen: Das herrschende Grundstück, zu dessen Gunsten die Servitut vermacht ist, muß dem Legatar schon vor dem Erbfall gehört haben. Gehörte es dagegen zu den ebenfalls vermachten Erbschaftsgegenständen, so fiele dem Begünstigten infolge der Teilanfechtung des Testaments nur ein ideeller Bruchteil daran zu: Die Servitut wäre dann aber ungültig, weil sie zugunsten eines ideellen Anteils am herrschenden Grundstück nicht wirksam bestellt werden kann1e1 • Das ergibt sich besonders aus: 5. D. 35,2,49,1 (Paulus 12. ad Plaut.): Interdum evenit, ut propter rationem legis Falcidiae sequens legatum exstinguatur; veluti si fundus et ad eum via legata sit per alium fundum: nam si pars fundi remanserit in hereditate, non potest procedere viae legatum, quia per partem servitus adquiri non potest. 158 Insbesondere ob man den Schluß exemplo scilicet auch auf den Abs. (3 a) des Papiniantextes beziehen darf. Die oben Ziff. 3 zitierten Quellen geben keinen Anhalt. 158 Er bildete vielleicht die Ausgangsfrage, und die Erörterungen über die übrigen Vermächtnisse und die Freilassungen sind nur als vereinfachende Argumentationshilfen eingeschoben. Die Regeln Heredi asemet ipso legari non potest und Nemini res sua servit bereiteten Papinian bei der Entscheidung offenbar keine Schwierigkeiten. 160 Insbesondere ist mit plane petetur integra servitus (3 a) nicht etwa die dem Präzeptionslegatar zustehende actio familiae erciscundaegemeint: Wie sich aus integra servitus im Gegensatz zur sub (1) erwähnten actio pro parte ergibt (vgl. Heumann-SeckeZ, s. v. integer Nr. 3), kommt nur eine Klage mit bestimmten Antrag in Betracht. Beim Vindikationslegat einer Servitut wäre ihre adiudicatio in der Erbteilungsklage zudem gegenstandslos, weil sie schon mit dem Erbfall aus der Erbmasse ausgeschieden ist. Gegen Leuba (0. 137) s. Kaser, SZ 82 (1965) 426. UIPaul. D. 8,1,8,1 i. f. (u. a.); Grosso II 152 ff. Anders, wenn das herrschende Grundsstück im Miteigentum Dritter steht: Marceil. D. 33,3,2; o. A.155.
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Dieser Text wird hier deshalb wiedergegeben, weil ein anderer, der die exceptio doli enthält, ihm zu widersprechen scheint162 : D. 35,2,23 (Scaevola 15. quaest.)183: (1) Si fundus mihi legetur et via, in Falcidiae ratione, si tantum sit in via, quantum amplius est in Falcidia, integer fundus capietur et via perit. [sed si via legetur nec solvendo sit hereditas, non debebitur.] (2) videndum etiam, si [fundo et via legato] minus ex utroque (Falcidia) desideret quam sit viae pretium: potest coacta ratione dici non tantum fundum solidum capi, sed et (v)iam; ut doli exceptio tantum sarciat, quantum deest; ne plus habeat (heres>, quam Falcidia desiderat: (3) ut tunc solum via intercidat, quotiens ptus Falcidia desiderat quam ~st viae pretium. In D. 35,2,49 pr. (oben Anm. 54) hatte sich Paulus der Ansicht des Cassius für den Fall angeschlossen, daß ein Sklave per vindicationem vermacht ist und dem Sklaven ein Landgut dazu. Der Sklave falle entsprechend der proratarischen ipso-iure-Minderung durch die lex Falcidia in das gemeinschaftliche Bruchteilseigentum von Erbe und Legatar; was der eine socius aber dem servus communis vermache, falle dem anderen socius voll an (totum pertinere ad socium, quia in eam personam legatum consitere possit). Letzteres habe ein in einer Fideikommißsache ergangenes Piusreskript bestätigt. Die portio Falcidiae sei auf diese Weise entgegen der Ansicht von Atilicinus, Nerva und Sabinus von beiden Legaten nur einmal abzuziehen (Anm. 54). Diese vom favor testamenti beeinflußte Auslegung kann nach fr.49,1 jedoch nicht zum Erfolg führen, wenn ein Grundstück (per vindicationem) vermacht ist und diesem eine Servitut zulasten eines anderen Erbschaftsgrundstücks hinzu. Denn wenn kraft der lex Falcidia ein ideeller Bruchteil des herrschenden Grundstücks in der Erbschaft zurückbleibt, ist das sequens legatum der Servitut nichtig, weil sie zugunsten des bloßen Miteigentumsanteils am herrschenden Grundstück nicht bestellt werden kann: quia per partem l64 servitus adquiri non potest (vgl. Anm. 161). IOt s. Bonifacio I 26 ff., 28. 183 Wegen der Konjekturen zu diesem in sehr schlechtem Zustand überlieferten Text, durch die nur die gröbsten Mängel geheilt werden, s. die Textausgaben, den Index sowie die Lit. u. 167• [Sed - debebitur] unterbricht den Zusammenhang, der später mit [fundo et via tegato] ungeschickt wieder hergestellt werden muß, und ist deshalb wohl eine (sachlich zutreffende: u. A. 169) Glosse. Eine überarbeitung des Textes ist wegen seiner stilistischen Mängel evident. Sie ist in der frühen Nachklassik anzusetzen. Denn im Vulgarrecht verschwindet die exceptio doU (Kaser III 473 2 ; PS 4,8,1 = ColI. 16,3,1 bezeugen sie zum letzten Male), und Justinian zeigt sich an ihr nicht sonderlich interessiert. 18. Wohl nicht .. zum Teil", sondern .. zugunsten eines Bruchteils".
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Demgegenüber wird von Scaevola - bzw. seinem frühnachklassischen Bearbeiter (Anm. 163) - in fr.23 für den gleichen Fall unterschieden: Ist das vermachte Wegerecht gerade soviel wert, wie aufgrund der Falcidia von beiden Legaten abgezogen werden muß, dann soll es erlöschen165 und zum Ausgleich der Begünstigte das Grundstück ungeteilt erhalten166 . Von diesem Schulfall abgesehen kommt es darauf an, ob die portio Falcidiae den Wert der via unterschreitet oder übersteigt: Ist der erforderliche Abzug geringer (2. Fall), bekommt der Begünstigte "zwingender Vernunft zufolge" beide Legate, muß aber den Erben vermöge der exceptio doZi wegen des Differenzbetrages entschädigen (sarcire)167. Ließe man nämlich die via auch in diesem Fall erlöschen, erhielte der Erbe mehr als die Quart. Nur dann geht die Servitut demnach unter, wenn der von der Falcidia verlangte Abzug den Wert der via übersteigt (3. Fall)168. Muß der Legatar nämlich für die via mehr als deren Wert aufbringen, wird er vernünftigerweise schon von sich aus auf dieselbe verzichten169 . Mit dieser im 3. Fall gemachten Einschränkung ist das wenig interessengerechte (Anm. 165) via perit des Grundfalles (1) freilich mit Recht wieder aufgegeben: Soweit der falzidische Abzug den Wert der Servitut nicht überschreitet, kann der Legatar vom Erben deren Bestellung gegen Anbietung des Differenzbetrages verlangen.
Bonifacio I 26 sieht hierin einen Widerspruch zu dem Paulustext fr. 49,1: Habe ein Testator beispielsweise ein Grundstück zu 300 und ein weiteres zu 100, und vermache er das erste zuzüglich einer Servitut von vielleicht 25 zulasten des zweiten, dann müsse nach Paulus die Servitut, da unzulässigerweise zugunsten eines Miteigentumsanteils vermacht, erlöschen; außerdem bleibe es aber bei der einmal vorge165 Ganz interessengemäß ist das nicht. Zwar könnte der Legatar dann zum selben Preis die via vom Erben käuflich erwerben. Da der Erbe hierzu aber nicht verpflichtet ist, bedeutete sein testamentarisch festgesetzter Kontrahierungszwang für den Legatar doch einen Vorteil. Die Zuwendung eines Ankaufs rechts selbst zum wahren Wert hält daher die durchgedrungene Ansicht der Klassiker für ein gültiges Vermächtnis, Ter. Cl. D. 31,54; Gai./Ulp. D. 30,66/ 49,8 f.; Paul. D. 35,2,65; wenngleich diese Begünstigung wirtschaftlich nicht meßbar ist (daher Paul. D. 30,122,2); vgl. Grosso I 60 f. Im Fall (1) von fr.23 hätte man hiernach das Vermächtnis aufrecht erhalten sollen; und die am Schluß (sub 3) gemachte Einschränkung bedeutet insoweit im Ergebnis tatsächlich eine Aufgabe des zu (1) eingenommenen Standpunktes; s. Text. 166 Ein Beispiel hierzu bei Schwarz I 353 136 • 161 Unecht nach Nardi I 99 ff., ihm folgend Bonifacio I 26 ff. Zweifelnd Schwarz I 353 f., vgl. 356. Für sachliche Echtheit mit Recht Maschi (0. 127) 309 f., vgl. auch Wendt (0.121) 189. 168 Beispiel zum vorst. bei Otto-Schilling-Sintenis, Corpus juris (deutsch), z.d. St. 169 Ist die via allein vermacht, kann dieser Fall nur bei überschuldung der Erbschaft eintreten. Das besagt das Glossem sed - debebitur sachlich immerhin zutreffend.
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nommenen Kürzung des Grundstückslegats. Der Legatar erhielte so seltsamerweise weniger, als wenn ihm das Grundstück allein zugewandt worden wäre! Ohne in den Verdacht gezwungener Pandektenharmonisierung zu geraten, darf man jedoch davon ausgehen, daß Paulus fr. 49,1 nur den dritten von Scaevola fr. 23 gebildeten Fall im Auge hat, in dem das fundus-Legat allein bereits die Quart verletzt. Paulus will ja nur einen Fall aufzeigen (,interea evenit'), in dem das sequens legatum als mittelbare Folge der Falcidia nichtig ist; die Nichtigkeit tritt aber nur unter der Voraussetzung ein, daß sich das herrschende Grundstück auf Legatar und Erbe bruchteilsmäßig verteilt. Das Beispiel Bonifacios gehört hingegen zu derjenigen Fallgruppe des Scaevolatextes, in der noch mit der exceptio doli geholfen werden kann, weil der von beiden Legaten zusammen vorzunehmende Abzug den Wert der via nicht übersteigt. Im Gegensatz zu Scaevola geht es Paulus nicht um eine umfassende Erörterung des Problemkreises. Der Paulustext ist daher zwar nicht ganz vollständig; er steht aber nicht im Widerspruch zu dem inhaltlich ergiebigeren, wenngleich sprachlich wenig eleganten Scaevolatext. 6. Das in Scaev. D. 35,2,23 cit. (Anfang) eingeschlagene Verfahren, daß der Legatar von mehreren vermachten Gegenständen den einen (das Grundstück) ungeteilt erhält und der andere (die Servitut) dafür erlischt, begegnet wieder in einem anderen Scaevolatext, der der Auslegung bisher Schwierigkeiten bereitete 17O : D.35,2,16 (Scaevola 3. quaest.; Lenel: resp.?) pr.: Si ex pluribus rebus legatis heres quasdam solverit, ex reliquis Falcidiam plenam per doli exceptionem retinere potest etiam pro his, quae iam datae sunt. § 1: Sed et si una res sit legata, cuius pars soluta sit, ex reliquo potest plena Falcidia retineri. Der Erbe hat von mehreren vermachten Sachen einige geleistet; beispielsweise 3 von 4 vermachten Rindern. Liegt dieser Teilleistung ein Auseinandersetzungsvertrag zugrunde, dann wäre damit das Rechtsverhältnis bereinigtl7l • Daran fehlte es hier offenbar, denn der Legatar 170 Auf die Verwandtschaft beider Texte macht Maschi (0. 127) 310 f. aufmerksam, der allerdings in fr. 16 pr. den Gegenfall zu fr.23 sieht. Dagegen, insoweit zu Recht, Nardi I 101, vgl. auch 133. Schwarz I 357 denkt an "eine Mehrzahl von Vermächtnissen an ein und dieselbe Person"; die exceptio doli sei als kondemnationsmindemde unecht (dagegen schon o. A. 135). Bonifacio I 21 f. kommt der hier vorgeschlagenen Auslegung andeutungsweise noch am nächsten. Vgl. auch schon Brinz, Pand. III 12 (1886) 3868 • 171 Diese Lösung findet sich für die partitio legata (0. A. 156) in Paul. D. 30, 27: Der Erbe darf statt des vermachten ideellen Bruchteils an allen Erbschaftsgegenständen dem Legatar mit dessen Zustimmung eine oder einige Sachen geben; Stiegler, SZ 84, 357 ff. Zum privaten Auseinandersetzungspactum unter Miterben Kaser 2 I 728 A. 6,12.
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beansprucht - vermutlich mit der rei vindicatio incertae partis172 auch noch seinen ideellen Anteil an dem vierten Rind. Soweit der Erbe geleistet hat, hat er seinen Miteigentumsanteil verloren (oben V 2, bes. A. 93). Auf sein Recht auf die Quart insgesamt hat er dadurch jedoch nicht verzichtet: Die bloße Teilleistung ist gerade keine vorbehaltslose Anerkennung des Vermächtnisses. Scaevola gestattet daher dem Erben, das vierte Rind mittels der exceptio doli ganz für sich zu behalten, von dem der Bruchteil von drei Viertel an sich dem Legatar gehört. Der Erbe könnte ja, wenn er sich mit der cautio ,Quanto ampZius' gesichert hätte (oben IV 2), vom Legatar den Wert seines Anteils an den bereits geleisteten Kühen zurückfordern. Die exceptio doli führt stattdessen zu einer Verrechnung (Kompensation) beider wechselseitigen Anspruche: Statt des ideellen Bruchteils von drei Viertel, den der Legatar von Rechts wegen an jeder der vier Kühe erhalten müßte, ist es zweckmäßig, daß der Erbe mit dessen Einverständnis drei ganze Kühe leistet und die vierte dann billigerweise für sich behält. Allgemeiner ausgedrückt: Bei der rei vindicatio incertae partis sind vom Erben vorweg erbrachte Abschlagsleistungen ganzer Sachen mit der exceptio doli zu berücksichtigen. Durch den Gegensatz zwischen geschuldeter pars pro indiviso und geleisteter pars pro divise ist diese Entscheidung begründet. Die Übertragung ideeller Bruchteile dagegen173 ist Naturalrestitution; sie mindert die vindicatio partis von Rechts wegen. Eine exceptio doli ist daher gemäß fr. 16,1 in diesem Falle entbehrlich. Entgegen der Volleistung (oben V 2) enthält jedoch weder die Leistung einer pars pro divise (pr.) noch die einer pars pro indiviso (§ 1) einen schlüssigen Verzicht des Erben auf die Quart: ex reliquo (reliquis) po test plena Falcidia retineri. Im Unterschied zur vermachten Servitut (oben 3-5) ist in fr. 16 also vorausgesetzt, daß das Legat körperlich (pr.) oder ideell (§ 1) teilbar ist und sich der Legatar mit einer Teilleistung durch deren Entgegennahme einverstanden erklärte. Der exceptio doli bedarf es im pr., weil die Leistung einzelner ganzer Sachen aus einer Sachenmehrheit inner.. halb der auf ideelle Bruchteile gerichteten vindicatio partis keine Naturalrestitution im technischen Sinne darstellt, obschon sie ihr wertmäßig gleichkommt. Der Legatar handelt dolos, wenn er über die vorweg empfangene Teilleistung hinaus unter Berufung auf die ihm an den übrigen Vermächtnisgegenständen von Rechts wegen verbliebenen Eigentumsbruchteile auf Kosten des Erben eine ungerechtfertigte Bereicherung erstrebt. So verstanden, enthält der Text entgegen Schwarz 17! Vgl. oben IV 1. Auf ein Vindikationslegat deuten die Worte pluribus rebus legatis, una res legata. 173 PaTtem solvere (fr.16,1) bedeutet die übertragung einer pars pro indiviso; vgl. Paul. D. 45,1,54 pr. (StieM pars soluta); Sokolowski (0.112) 408.
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I 357 keine Durchbrechung des Prinzips von der proratarischen ipsoiUTe-Minderung der Legate, sondern vielmehr dessen Bestätigung. 7. Abschließend sei hier noch ein hochinteress'anter Text vorgeführt, der uns lehrt, daß die römischen Juristen mit dem klassischen Bildungsgut der Dialektik, insbesondere der stoischen Logik wohl vertraut waren174 ; daß sie deren begrenzte Eignung zur Lösung rechtlicher Streitfragen zugleich aber auch klar erkannten: D. 35,2,88 pr. (Africanus 5. quaest.) Qui quadringenta habebat, trecenta legavit; deinde fundum tibi dignum centuml7S aureis sub hac condicione legavit, si legi Falcidiae in testamento suo locus non esset: quaeritur, quid iuris est. dixi 'twv iin:6Q