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German Pages 660 Year 2006
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 50
Störungen der Rechtslage in den Relationen des Symmachus Verwaltung und Rechtsprechung in Rom 384/385 n. Chr.
Von
Bettina Hecht
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
BETTINA HECHT
Störungen der Rechtslage in den Relationen des Symmachus
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.
Neue Folge · Band 50
Störungen der Rechtslage in den Relationen des Symmachus Verwaltung und Rechtsprechung in Rom 384/385 n. Chr.
Von
Bettina Hecht
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 3-428-11605-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Für Rita im Gedenken
Vorwort Diese Arbeit hat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg im Wintersemester 2003/2004 als Dissertation vorgelegen. Mein Dank gilt an erster Stelle Herrn Prof. Dr. Detlef Liebs, dem ich nicht nur die Idee für diese Arbeit zu verdanken habe. Er hat es verstanden, mich in seinen Seminaren für die Römische Rechtsgeschichte immer wieder zu begeistern; mit seinem steten Interesse und großzügigen Arbeitsmöglichkeiten hat er maßgeblich zur Verwirklichung dieser Arbeit beigetragen. Prof. Dr. Elmar Bund danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Besonderer Dank geht außerdem an Herrn Andreas Korzeniewski, der sich des Manuskripts angenommen hat, an meinen Mann für die Mühen des Korrekturlesens und an meine Eltern für ihre großzügige Unterstützung. Dank gilt auch Herrn Wolfgang Armbruster, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Sigmaringen, der mir in der Zeit des Berufseinstiegs seine praktische Erfahrung und sein Wissen so großzügig weitergegeben hat und damit auch für die vorliegende Untersuchung wichtige Anregungen gegeben hat, was die Unterscheidung von Rechtstheorie und Rechtspraxis anbelangt. Der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg im Breisgau und der Freiburger Rechtshistorischen Gesellschaft danke ich für die Gewährung von Druckkostenzuschüssen.
Freiburg, im Dezember 2004 Bettina Hecht
Inhaltsverzeichnis
Einführung .................................................................................................................... 21
Erster Teil Der Hintergrund der Relationen
25
1. Abschnitt Quintus Aurelius Symmachus
25
I. Lebenslauf................................................................................................................... 25 II. Das Werk ................................................................................................................... 30 III. Stil des Symmachus.................................................................................................. 31 2. Abschnitt Die Relationen
33
I. Gegenstand und Adressaten ........................................................................................ 33 II. Überlieferung und antike Editionen ........................................................................... 35 III. Neuere Editionen und Übersetzungen ...................................................................... 38 IV. Bisherige Untersuchungen der Relationen ............................................................... 39 3. Abschnitt Geschichtlicher Hintergrund 384/385
40
I. Zeittafel ....................................................................................................................... 40 II. Politischer und gesellschaftlicher Hintergrund .......................................................... 41 III. Die Territorialverwaltung des Reiches, insbesondere Italiens und Roms ................. 45 IV. Religiöses Umfeld .................................................................................................... 46
10
Inhaltsverzeichnis
V. Das geistige und kulturelle Leben.............................................................................. 49 VI. Das konkrete Machtgefüge - Freunde und Feinde .................................................... 49 1. Der Mailänder Hof um Valentinian II. ................................................................... 49 2. Der Hof von Konstantinopel................................................................................... 51 3. Die Kirche .............................................................................................................. 51 4. Rom ........................................................................................................................ 51 5. Präfektur von Italien, Africa, Illyrien ..................................................................... 52 6. Freunde und mögliche Gegner................................................................................ 53 4. Abschnitt Das Amt des Stadtpräfekten in den Jahren 384/385
55
I. Wesen des Amtes und Befugnisse jenseits der richterlichen Tätigkeit........................ 55 II. Die richterlichen Kompetenzen des Stadtpräfekten ................................................... 59 1. Rechtsprechung im Zivilprozess............................................................................. 61 2. Rechtsprechung im Strafprozess............................................................................. 63 3. Rechtsprechung als Appellationsinstanz................................................................. 65 4. Freiwillige Gerichtsbarkeit ..................................................................................... 67 5. Sondergerichtsbarkeit ............................................................................................. 67 III. Zusammenfassung .................................................................................................... 68
Zweiter Teil Die einzelnen Relationen
71
1. Abschnitt Überblick und Datierung
71
I. Konkrete Themen und Gruppierung nach Gegenständen............................................ 71 1. Inhaltsübersicht der einzelnen Relationen .............................................................. 71 2. Versuch einer Einteilung der Relationen nach ihren Gegenständen ....................... 73 3. Untergliederung nach rechtlichen Gesichtspunkten................................................ 74 4. Gegenstände und Schwerpunkte der „juristischen Relationen“ .............................. 74 II. Datierung ................................................................................................................... 75
Inhaltsverzeichnis
11
2. Abschnitt Verwaltungssachen
76
I. Relationen 1 und 2: Dank für die Amtsübertragung.................................................... 77 II. Religionssachen ......................................................................................................... 81 1. Relation 3: Der Victoriaaltar .................................................................................. 81 a) Kurzer Abriss des Geschehens ........................................................................... 82 b) Die Argumentation von Symmachus, speziell in juristischer Hinsicht............... 86 2. Relation 21: Rufmordkampagne............................................................................. 92 a) Der zugrundeliegende Sachverhalt ..................................................................... 92 b) Symmachus’ Verteidigungsstrategie und die Frage nach den Gegnern.............. 93 c) Das rechtliche Vorgehen gegen Tempelplünderungen ....................................... 96 d) Der Ausgang der Angelegenheit und Bewertung ............................................... 98 III. Der Dienstwagen .................................................................................................... 100 1. Relation 4: Der Traditionalist ............................................................................... 100 2. Relation 20: Das Finanzierungsmodell der carruca ............................................. 102 IV. Senatssachen .......................................................................................................... 108 1. Relation 5: Der Philosoph Celsus ......................................................................... 108 2. Relation 8: Senatorische Lasten............................................................................ 113 3. Relation 13: aurum oblaticium ............................................................................. 121 4. Relation 45: Die Liste der neugewählten Magistrate und der neugeborenen .............. clarissimi............................................................................................................. 125 5. Relation 46: Steuerlisten....................................................................................... 129 a) Wann mussten geborene Senatoren ihre professio abgeben?............................ 130 b) Die neu aufgenommenen Senatoren ................................................................. 131 c) Was hat es mit den „Befreiungen“ von der gleba auf sich?.............................. 132 V. Spiele und Statuen ................................................................................................... 135 1. Relation 6: Spiele ................................................................................................. 135 2. Relation 9: Dank, Anerkennung und Bitte............................................................ 136 3. Relation 43: Die Statuen zum Gedenken an Flavius Theodosius.......................... 139 VI. Neujahrsgeschenke................................................................................................. 140 1. Relation 7: Dank für Neujahrsgeschenke.............................................................. 140 2. Relation 15: strenae für die Kaiser ....................................................................... 141 VII. Praetextatus........................................................................................................... 142
Inhaltsverzeichnis
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1. Relation 10: Mitteilung des Todes von Praetextatus............................................. 142 2. Relation 11: Mitteilung des Todes von Praetextatus............................................. 144 3. Relation 12: Statuen zum Gedenken an Praetextatus............................................ 144 4. Relation 24: Die öffentlichen Auftritte von Praetextatus...................................... 146 VIII. Korporationssachen ............................................................................................. 148 1. Relation 14: collatio equorum .............................................................................. 148 2. Relation 29: Der Wechselkurs .............................................................................. 152 3. Relationen 27 und 44............................................................................................ 157 IX. Personalsachen ....................................................................................................... 157 1. Relation 17: Unqualifiziertes Personal ................................................................. 157 2. Relation 22 ........................................................................................................... 163 3. Relation 42: Offizielle Anerkennung für einen verdienten cornicularius............. 163 X. Versorgungsschwierigkeiten.................................................................................... 172 1. Relation 18: Getreidelieferungen.......................................................................... 172 2. Relation 37: Noch einmal die Getreideversorgung ............................................... 175 3. Relation 35: Ölkrise.............................................................................................. 177 4. Beobachtungen zur Versorgungsfrage.................................................................. 178 XI. Relation 23: Ein Intrigenspiel gegen Symmachus? ................................................ 179 1. Der erste Tatkomplex ........................................................................................... 181 2. Der zweite Tatkomplex ........................................................................................ 187 3. Bewertung ............................................................................................................ 199 XII. Relationen 25 und 26: Architektenhaftung............................................................ 205 1. Der zeitliche Ablauf der Affäre ............................................................................ 206 2. Der Fortgang der Angelegenheit: Epp. IV, 70 und V, 76 ..................................... 213 3. Bewertung ............................................................................................................ 216 XIII. Relation 34: Die Schulden des Schwiegervaters Orfitus...................................... 223 1. Die Vorgeschichte ................................................................................................ 224 2. Die Relation.......................................................................................................... 227 3. Weitere Informationen aus Ep. IX, 150 ................................................................ 237 4. Bewertung ............................................................................................................ 240 a) Noch einmal: Die einzelnen Argumente........................................................... 244 b) Die Erbrechtsfrage ........................................................................................... 248 5. Der Ausgang der Angelegenheit und Ergebnis..................................................... 253 XIV. Relation 47: Der Sieg über die Sarmaten............................................................. 256
Inhaltsverzeichnis
13
XV. Zwischenergebnis zu den Verwaltungssachen ...................................................... 257
3. Abschnitt Relationen zu speziellen Rechtsfragen
259
I. Relation 22: Ämterneubesetzung und Frage der Normenhierarchie.......................... 259 1. Der Sachverhalt .................................................................................................... 260 2. Bewertung ............................................................................................................ 260 II. Relation 27: Streit unter den archiatri um die Hierarchie im collegium .................. 266 1. Zum Hintergrund .................................................................................................. 266 2. Der konkrete Fall.................................................................................................. 268 3. Bewertung ............................................................................................................ 271 4. Eine Antwort?....................................................................................................... 274 III. Relation 44: Mitgliederschwund in der Korporation der mancipes salinarum ....... 277 1. Der Sachverhalt .................................................................................................... 277 2. Erläuterung und Bewertung.................................................................................. 280 a) Organisationsfragen.......................................................................................... 280 b) Das Rechtsproblem: Die Rückberufung der kraft Reskript Befreiten............... 283 IV. Zwischenergebnis zu den speziellen Rechtsfragen................................................. 291
4. Abschnitt Prozesse
293
Unterabschnitt 1 Verfahrensarten
293
I. Der Zivilprozess ........................................................................................................ 293 II. Der Strafprozess....................................................................................................... 295 III. Das Appellationsverfahren ..................................................................................... 295 IV. appellatio more consultationis ............................................................................... 297 V. Relationsverfahren - consultatio ante sententiam .................................................... 299 VI. Das sogenannte Reskriptverfahren ......................................................................... 305
14
Inhaltsverzeichnis Unterabschnitt 2 Die Prozessberichte
307
A. Zivilprozesse........................................................................................................... 307 I. Relation 16: Annahme einer unzulässigen Appellation............................................. 307 1. Der Fall................................................................................................................. 307 2. Einzelfragen.......................................................................................................... 312 a) Die Appellation gegen das praeiudicium: Theorie und Praxis.......................... 312 b) Die gesetzwidrige Entscheidung des Stadtpräfekten und die Suche nach Ursachen........................................................................................................... 316 c) Die Antwort des Kaisers................................................................................... 321 d) Erb- und verfahrensrechtliche Fragen .............................................................. 323 3. Bewertung ............................................................................................................ 325 II. Relation 19: Pflichtteilsrecht - Marciana senior gegen Marciana junior .................. 326 1. Der Erbschaftsprozess .......................................................................................... 327 2. Der Text................................................................................................................ 330 3. Verfahrensrechtliche Fragen: Der Ablauf im Einzelnen....................................... 331 a) „Reskriptprozess“ ............................................................................................. 331 b) Das Reskript ..................................................................................................... 333 c) Die exceptio invalidae procurationis................................................................ 333 Exkurs: Die reparatio temporis ............................................................................ 336 d) Der Antrag auf Besitzeinweisung..................................................................... 337 aa) Die conventio .......................................................................................... 338 bb) missio in bona.......................................................................................... 339 cc) Die zu knapp bemessene Viermonatsfrist ................................................ 340 e) Vorwurf der Reskripterschleichung durch unwahre Angaben in der Bittschrift: praescriptio mendaciorum ............................................................. 341 aa) Der Einwand der Reskripterschleichung .................................................. 341 bb) Der Vorwurf im Einzelnen ...................................................................... 342 f) querella inofficiosi testamenti ........................................................................... 344 g) querella inofficiosae donationis ....................................................................... 350 h) Der Streit um die Passivlegitimation und das Verhältnis zur hereditatis petitio............................................................................................. 352
Inhaltsverzeichnis
15
4. Was steckt hinter der Entscheidung, den Fall abzugeben? ................................... 355 a) Eine nicht auszuschließende Lüge in der Supplik............................................. 355 b) Die Frist ist zu kurz .......................................................................................... 356 5. Fazit...................................................................................................................... 357 III. Relation 28: Landraub und eine weitere unzulässige Appellation .......................... 360 1. Der Text................................................................................................................ 361 2. Was genau ist passiert?......................................................................................... 363 3. Der Verfahrensgang im Einzelnen........................................................................ 371 a) Besitz- und Eigentumsfrage: reformatio momenti und principalis causa ......... 371 b) Die constitutio .................................................................................................. 373 4. Die rechtswidrige Appellation .............................................................................. 376 5. Warum nimmt Symmachus die rechtswidrige Appellation an? ............................ 377 a) Eine Rechtsfrage?............................................................................................. 378 b) Wer war Olybrius? ........................................................................................... 379 c) Landraub (invasio) als weitverbreitetes Übel ................................................... 383 6. Ergebnis und Einschätzung................................................................................... 389 IV. Relation 30: Ein Prozess um senatorische Abgaben............................................... 392 1. Der Sachverhalt .................................................................................................... 393 2. Das Verfahren im Einzelnen................................................................................. 396 a) Der Fiskalprozess ............................................................................................. 396 b) Eine Rechtsfrage?............................................................................................. 399 3. Bewertung ............................................................................................................ 402 V. Relation 32: reparatio temporum für einen saumseligen ex protector? ................... 406 1. Der Stand der Dinge ............................................................................................. 407 2. Säumnis des Klägers und Voraussetzungen einer reparatio temporum................ 410 3. Ergebnis: Eine reguläre appellatio more consultationis ....................................... 414 VI. Relation 33: Irreguläre Annahme einer appellatio zum Ausgleich früher verweigerten Rechtsschutzes? ................................................................................ 416 1. Die Prozessgeschichte .......................................................................................... 417 2. Versuch einer Auswertung ................................................................................... 420 a) Der Prozess vor Bassus..................................................................................... 420 aa) Die Abwesenheit des Beklagten im Prozess............................................. 420
16
Inhaltsverzeichnis bb) Die Nichtannahme der Appellation und die supplicatio des Theodosius............................................................................................... 422 b) Das Reskript ..................................................................................................... 425 c) Die versuchte Einbeziehung des Vikars ........................................................... 427 d) Das Urteil des Stadtpräfekten........................................................................... 430 e) Die Sequestration der mobilia fructusque......................................................... 431 f) Symmachus nimmt die Appellation an ............................................................. 432 3. Bewertung der Relation ........................................................................................ 438
VII. Relation 39: Wiederholte Fristversäumnis einer jungen Frau ............................... 440 1. Was bisher geschah .............................................................................................. 440 2. Die Einzelheiten ................................................................................................... 446 a) Die in integrum restitutio am Ende des vierten Jahrhunderts ........................... 446 b) Worum wird gestritten?.................................................................................... 448 c) Die provocationes et iudicia und der Richterwechsel....................................... 450 d) Die Rechtslage bei zweimaliger Säumnis des Klägers ..................................... 451 e) Das rechtstheoretische Konzept........................................................................ 456 3. Ergebnis................................................................................................................ 459 VIII. Relation 40: Ein Prozess zwischen Puteoli und Tarracina ................................... 461 1. Der Fall................................................................................................................. 461 2. Eine Rechtsfrage? ................................................................................................. 467 3. Ergebnis................................................................................................................ 472 IX. Relation 41: bona vacantia - Die Gültigkeit eines Testaments und Kompetenzfragen .................................................................................................. 475 1. Der Sachverhalt .................................................................................................... 475 2. Die Einzelheiten ................................................................................................... 482 a) bona vacantia ................................................................................................... 482 b) Das Testament .................................................................................................. 488 c) Die Kompetenzfrage......................................................................................... 495 d) Die zweite Appellation..................................................................................... 502 3. Ergebnis................................................................................................................ 504 X. Relation 48: Ungewöhnliche Wiederaufnahme eines Zivilprozesses gegen Senatoren und die Frage der Zuständigkeit des Stadtpräfekten ............................... 508 1. Der Sachverhalt .................................................................................................... 508
Inhaltsverzeichnis
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2. Verfahrensfragen .................................................................................................. 513 a) domicilium dignitatis ........................................................................................ 514 b) supplicatio und Wiederaufnahme des Verfahrens ............................................ 517 3. Einschätzung und Ergebnis................................................................................... 520 XI. Zwischenergebnis zu den Zivilprozessen ............................................................... 522 B. Strafprozesse .......................................................................................................... 523 I. Relation 31: Ein widerspenstiger Senator ................................................................. 523 1. Die Relation.......................................................................................................... 524 2. Die Einzelheiten ................................................................................................... 530 a) Nichterscheinen und Widerstand gegen die Staatsgewalt................................. 531 b) Eine notwendige Relation im Strafprozess? ..................................................... 533 3. Ergebnis................................................................................................................ 538 II. Relation 36: Verzögerungsmanöver in einem Strafprozess gegen zwei ehemalige Minister .................................................................................................. 540 1. Der Sachverhalt .................................................................................................... 541 2. Die Einzelheiten ................................................................................................... 542 a) Wer und was ist Gegenstand des Verfahrens vor dem Stadtpräfekten? ............ 542 b) Die Zuständigkeit kraft kaiserlicher Delegation ............................................... 546 3. Einschätzung und Ergebnis................................................................................... 549 III. Relation 38: Kompetenzfragen im Kriminalprozess gegen einen angeblichen strator ................................................................................................. 554 1. Der Fall................................................................................................................. 555 2. Die Einzelheiten ................................................................................................... 558 a) Das Verfahren im Einzelnen und die Frage, wie es eigentlich hätte ablaufen müssen .............................................................................................. 559 b) Das crimen violentiae....................................................................................... 564 c) Die Kurialenflucht ............................................................................................ 567 d) Symmachus und der magister officiorum ......................................................... 573 e) Die Rolle des Aventius ..................................................................................... 574 3. Ergebnis................................................................................................................ 575 IV. Relation 49: Bitte um Milde für einen erfolglosen Ankläger ................................. 578 1. Der Strafprozess ................................................................................................... 578 2. Die Hintergründe .................................................................................................. 581
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Inhaltsverzeichnis a) Verfahrensrechtliche Fragen: Der spätantike Strafprozess ............................... 581 b) Die Begründung der consultatio: rechtstheoretischer und tatsächlicher Hintergrund................................................................................. 588 c) Die genannten und mögliche ungenannte Beweggründe der Relation.............. 594 3. Versuch einer Bewertung ..................................................................................... 598
V. Zwischenergebnis zu den strafrechtlichen Relationen ............................................. 600
Unterabschnitt 3 Ergebnis zu den Prozessberichten
601
I. Zivilrecht................................................................................................................... 601 II. Strafrecht ................................................................................................................. 602 Dritter Teil Ergänzende Privatbriefe
609
Vierter Teil Ergebnis und Diskussion
623
Literaturverzeichnis ................................................................................................... 631
Sach- und Personenregister ....................................................................................... 651
Abkürzungsverzeichnis AARC
Atti dell’Accademia Romanistica Costantiniana, Convegno internazionale. AAT Atti della Accademia delle scienze di Torino, Classe di scienze morali, storiche e filologiche, Turin. AG Archivio Giuridico ‘Filippo Serafini’, Modena. AHDE Anuario de historia del derecho español, Madrid. AJPH American Journal of Philology, Baltimore. Annales (ESC) Annales Economie, Sociétés, Civilisations, Paris. Annali Palermo Annali del seminario giuridico della università di Palermo, Palermo. ANRW Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung, hrsg. v. Hildegard Temporini und Wolfgang Haase, Berlin. ASNP Annali della scuola normale superiore di Pisa, classe di lettere e filosofia. Athenaeum Studi periodici di litteratura e storia dell’antichità, Pavia. BHAC Bonner Historia Augusta Colloquium. BIDR Bulletino dell’Istituto romano, Mailand. Boll. Stud. Lat. Bollettino di Studi Latini. Periodico quadrimestrale d’informazione bibliografica, Neapel. Byzantion Revue internationale des Etudes byzantines, Brüssel. Byz. Zeitschr. Byzantinische Zeitschrift, Leipzig, seit 1950 München. Chiron Mitteilungen der Kommission für alte Geschichte und Epigraphik des deutschen archäologischen Instituts, München. CIL Corpus Inscriptionum Latinarum, Berlin. CJ Codex Iustinianus. CM Classica et Mediaevalia. Revue danoise d’Histoire et de Philologie publiée par la societé danoise pour les Etudes anciennes et mediévales, Kopenhagen. CPh Classical Philology, Chicago. CSEL Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum, Wien. CT Codex Theodosianus. D Digesta. DS Daremberg/Saglio, Dictionnaire des antiquités grecques et romaines. Eirene Studia Graeca et Latina, Prag. FV Fragmenta Vaticana. GLO Graecolatina et orientalia, Bratislava. Gnomon Kritische Zeitschrift für die gesamte klassische Altertumswissenschaft, Berlin, seit 1949 München. Hell. Hellenica. Recueil d’épigraphie, de numismatique et d’antiquités grecques, publié par Louis Robert, Limoges. Hermes Zeitschrift für klassische Philologie, Wiesbaden.
20 Historia IGR Index
Abkürzungsverzeichnis
Zeitschrift für alte Geschichte, Stuttgart. Inscriptiones graecae ad res Romanas pertinentes, Paris. Index, Quaderni camerti di studi romanistici; International survey of Roman Law, Neapel. Inst Institutiones. IURA Rivista internazionale di diritto romano e antico, Neapel. JRS Journal of Roman Studies, London. Klio Beiträge zur alten Geschichte, Berlin. Koinonia Organo dell’Associazione di studi tardoantichi Portichi, Neapel. Labeo Rassegna di diritto romano, Neapel. Latomus Revue des Etudes Latines, Brüssel. MAAR Memoirs of the American Academy in Rome. MBAH Münstersche Beiträge zur antiken Handelsgeschichte. MGH AA Monumenta Germaniae Historica. Auctorum Antiquissimorum. Opus Rivista internazionale per la storia economica e sociale dell’antichità, Rom. PLRE The Prosopography of the Later Roman Empire, hrsg. v. A.H.M. Jones/J. R. Martindale/J. Morris. PP La Parola del Passato. Rivista di studi antichi, Neapel. PS Pauli sententiae. RAC Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart. RAL Rendiconti della Classe di Scienze morali, storiche e filologiche dell’ Accademia dei Lincei, Rom. RE Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaften, Stuttgart. REA Revue des Etudes Anciennes, Bordeaux/Paris. REL Revue des Etudes Latines, Paris. RH Revue Historique, Paris. RHDFE Revue historique de droit français et étranger, Paris. RIDA Revue internationale des droits de l’antiquité, Brüssel. RISG Rivista italiana per le scienze giuridiche, Mailand. RSI Rivista Storica Italiana, Neapel. Saeculum Jahrbuch für Universalgeschichte, Freiburg. Sandalion Quaderni di cultura classica cristiana e medievale, Sassari. SDHI Studia et documenta historiae et iuris, Rom. Siculorum Gym- Rassegna semestrale della Facoltà di Lettere e Filosofia nasium dell’Università di Catania, Catania. Speculum Journal of medieval studies, Cambridge Mass. St. Econ.- Giur. Studi economico-giuridici. Istituto di scienze giuridiche, economiche e politiche della Università di Cagliari, Florenz. Studi Romani Studi Romani. Rivista bimestrale dell’Istituto di Studi Romani, Rom. Studi Urbinati Studi Urbinati di Storia, Filosofia e Letteratura, Urbino. SZ Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung, Wien-Köln-Weimar. TAPhA Transactions and Proceedings of the American Philological Association, New York. TR Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis - Revue d’histoire du droit, Groningen. Traditio Studies in ancient and medieval History, Thought and Religion, New York.
Einführung Gegenstand dieser Untersuchung sind die Relationen des Symmachus, d. h. Briefe, die der römische Stadtpräfekt des Jahres 384/385 n. Chr. (in erster Linie) an Kaiser Valentinian II. in Mailand geschrieben hat, um ihm in Fragen der Verwaltung und Rechtsprechung in Rom Bericht zu erstatten. In ihrer Gesamtheit sind diese Relationen eine einzigartige literarische Quelle zur Verwaltungsund Rechtspraxis jener Jahre. Im Folgenden sollen daher unter juristischem Blickwinkel alle Relationen des Symmachus einer näheren Betrachtung unterzogen werden, also auch diejenigen, die sich nicht oder jedenfalls nicht auf den ersten Blick mit Rechtsfragen befassen. Nur auf diese Weise lassen sich der historische Hintergrund, das Amt und die Kompetenzen des Stadtpräfekten jener Jahre sowie die Person des Symmachus umfassend beleuchten. Denn auch Relationen aus dem Verwaltungsbereich verdeutlichen in zahlreichen Fällen geltende Rechtsanschauungen und werfen Rechtsfragen auf, die eine nähere Untersuchung verdienen. So veranschaulicht etwa Relation 8 das damalige Gesetzgebungsverfahren und zugleich das Verhältnis der beiden Reichsteile zueinander im Hinblick auf die Reichweite von Normen. Auch der Bereich der Finanzverwaltung, insbesondere (Amts-)Haftungsfragen beschäftigen den Stadtpräfekten mehrfach und verdienen nähere Untersuchung, ebenso Fragen von Architektenhaftung, Ämterkauf, Reskripterschleichung und Kurialenflucht. Und auch Symmachus selbst sieht in so mancher vermeintlich reinen Verwaltungsangelegenheit juristisch relevante Störungen, sogar in der berühmten 3. Relation im Streit um den Victoriaaltar; oder er schneidet zumindest Rechtsfragen an, etwa in senatorischen Angelegenheiten. Es zeigt sich, dass kaum eine Relation juristisch unergiebig ist, und erst die Gesamtschau aller Relationen vermag über die geltende Rechtslage, die Rechtskenntnisse und das Rechtsbewusstsein jener Jahre und speziell des Symmachus Auskunft zu geben, aber auch über Störungen dieser Rechtslage, d. h. Unregelmäßigkeiten in Rechtssetzung und Rechtsanwendung. Manche Relation wird allerdings nur knapp gestreift; der Schwerpunkt der Untersuchung soll in den Prozessberichten liegen. Dabei wird insbesondere die Frage zu stellen sein, ob die Ursache einer etwaigen Störung bei Symmachus liegt, von ihm ausgelöst oder gestützt wird, oder ob sie außerhalb seines Einflussbereichs zu suchen ist. Besonderes Augenmerk soll darauf gelegt werden, mit welcher Begründung Symmachus sich an den Kaiser wendet und ob die gegebene Begründung tatsächlich und rechtlich trägt. Zu überprüfen ist auch die häufig geäußerte These, es sei ein Zeichen persönlicher Schwäche gewesen, dass sich Symmachus mit zahlreichen Rechtsfällen an den Kaiser gewandt hat.
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Einführung
Wenn, wie in den Relationen 28 und 36, bekannte und einflussreiche Persönlichkeiten Prozessbeteiligte sind, wird die Frage zu stellen sein, inwieweit sich Symmachus in seiner Entscheidung von Standesinteressen leiten lässt oder Versuchen, Einfluss zu nehmen, nachgibt. Um den Einfluss von Standesinteressen auf die Rechtsprechung abzuschätzen, werden abschließend zur Ergänzung der offiziellen Relationen auch Privatbriefe des Symmachus an Beamte in Rechtsangelegenheiten herangezogen, um zu verdeutlichen, welchen Versuchen, Einfluss zu nehmen, auch Symmachus in seinem Amt als Stadtpräfekt ausgesetzt gewesen sein dürfte. Zu fragen ist in diesem Kontext auch, wer seine Gegner, seine Freunde und möglichen Schützlinge waren, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang sein Heidentum hatte und wie die Stellung und das Verhältnis Roms und des Stadtpräfekten zum Mailänder Hof und das der beiden Reichsteile zueinander, insbesondere in Fragen von Gesetzgebung und -anwendung, einzuschätzen sind, denn über all das legen die Relationen Zeugnis ab. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, aufzuzeigen, dass Symmachus als Mensch, Beamter und Richter ebenso wie seine Relationen eine differenziertere Einschätzung verdienen, als ihnen bisher zuteil wurde. Eine Schwierigkeit besteht dabei allerdings in der Vielfalt der in den Relationen behandelten Gegenstände. Die Schreiben decken die ganze Bandbreite des Amtes eines Stadtpräfekten ab. Verzichtet werden muss hier auf eine in alle Einzelheiten gehende Klärung einzelner Rechtsfragen, die Gegenstand monographischer Untersuchungen bleiben müssen, denn vorrangiges Ziel der Arbeit ist es, das ganze Spektrum der Relationen aufzuzeigen und den Versuch zu unternehmen, daraus Tendenzen und Schwerpunkte zu erspüren: Tendenzen der allgemeinen Rechtsentwicklung jener Jahre, aber auch Tendenzen von Amts- und Rechtsverständnis, Amtsführung und Person des Symmachus im Besonderen. Denn diese Fragen sind auch durch die bisherigen Untersuchungen der Relationen insbesondere durch Chastagnol und Vera nicht hinfällig geworden, die zwar das Amt des Stadtpräfekten allgemein und den historischen Hintergrund der Relationen beleuchtet und insoweit auch für die vorliegende Arbeit wichtige Vorarbeit geleistet, aber keine juristisch befriedigende Untersuchung der Relationen vorgenommen haben. Anliegen dieser Arbeit ist es daher, aus rechtshistorischer Sicht einen Überblick über die Relationen zu geben und aus diesem Überblick dann Schlussfolgerungen zu ziehen. Dazu werden die rechtlichen Schwerpunkte der einzelnen Relation herausgegriffen und in die rechtlichen Gegebenheiten, d. h. die zum Gegenstand überlieferten Rechtsquellen, eingeordnet. Ergänzend werden auch insoweit immer wieder die Privatbriefe des Symmachus herangezogen, die persönliche und senatorische Rechtsüberzeugungen veranschaulichen. Im Folgenden soll zunächst der historische Hintergrund, vor dem die Relationen zu lesen sind, ausgeleuchtet werden. Nach einem Überblick über Quellen, Literatur und über Inhalt und Datierung der Relationen werden dann die einzelnen Relationen näher untersucht. Um den Rahmen des Amtes auszuloten, werden dabei zunächst die Verwaltungsangelegenheiten, d. h. die sich nicht oder weniger mit juristischen Fragen befassenden Relationen, behandelt. Thematisch miteinander verbundene Relationen werden zusammengefasst bzw. unter einer
Einführung
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gemeinsamen Überschrift behandelt. Die Relationen zu speziellen Rechtsfragen und die eigentlichen Prozessberichte können dann in dem insoweit ausgeleuchteten Umfeld der Amts- und Rechtsauffassung genauer eingeordnet werden. Die Relationen sollen dabei nicht, wie es häufiger geschehen ist, als scheinbar theoretische Rechtsquelle zum Beleg von abstrakten Rechtsfragen des spätantiken Prozesses herangezogen, sondern eingebettet werden in das konkrete politische und juristische Umfeld ihrer Zeit, das sich nur aus dem Gesamtcorpus der Relationen erschließt. Die Verwendung der Relationen als (vermeintlich) abstrakte Rechtsquelle ist nicht nur deshalb problematisch, weil die Relationen allenfalls mittelbar Hinweise auf die allgemeine Rechtslage liefern, selbst aber nie allgemeine Rechtsquelle sind, sondern eine solche Nutzung wäre auch zu einseitig. Die besondere Bedeutung der Relationen als literarischer Quelle liegt darin, dass sie die Rechtswirklichkeit beleuchten.
Erster Teil
Der Hintergrund der Relationen 1. Abschnitt
Quintus Aurelius Symmachus I. Lebenslauf1 Quintus Aurelius Symmachus Eusebius stammte aus vornehmer senatorischer, aber nicht alter Familie. Sein Vater war Lucius Aurelius Avianius Symmachus, der Karriere gemacht hatte. Er selbst wurde um 340 geboren und in Rhetorik ausgebildet2. Bereits zu Lebzeiten galt er als einer der besten Redner seiner Zeit3 und durchlief den klassischen cursus honorum eines römischen Senators. Seine Laufbahn ergibt sich aus einer Inschrift, die ihm sein Sohn Quintus Fabius Memmius Symmachus setzen ließ und die ihn als orator disertissimus preist4. So war er Quästor, Prätor, pontifex maior und schließlich corrector Lucaniae et Bruttiorum im Jahre 3655. Von Valentinian I. wurde er mit der Würde eines comes tertii ordinis ausgezeichnet und nahm in dieser Funktion an einem Feldzug gegen die Alemannen6 teil. Der Kaiser schätzte ihn und er hatte bereits einen guten Ruf als Redner. In den Jahren 373/374 bekleidete er das Amt des Prokonsuls von Africa7, das sich damals in einer schwierigen Lage be1
Ausführliche Lebensläufe bei Seeck, Symmachus, XXXIX ff; ders., RE-Symmachus 18, 1146 ff; Chastagnol, Fastes, 218 ff (Stammbaum: 294); Klein, Streit, 17 ff; ders., Symmachus; PLRE I, Symmachus 4, 865 ff (Stammbaum: 1146); Romano, Simmaco, 11ff. 2 Er hatte einen Rhetoriklehrer aus Gallien: Ep. IX, 88, 3: praecepta rhetoricae pectori meo senex olim Garumnae alumnus immulsit. 3 Er wird auch von seinen Gegnern in den höchsten Tönen gelobt: Ambrosius, Ep. 18, 2; Macrobius, Saturnalia V, 1, 7; Prudentius, Contra Symmachum I, 632-4; Sidonius Apollinaris, Ep. I, 1; dazu: Schanz, Geschichte, 122 m. N.; Klein, Streit, 24 ff m.N. 4 CIL VI, 1699. Zur damaligen klassischen senatorischen Laufbahn mit Beispielen: Chastagnol, Carrière sénatoriale, v. a. 34 ff. 5 Dazu: CT VIII, 5, 25 vom 25. März 365. 6 Hierzu: Or. II, 3 und Ep. I, 14, 3. 7 An Symmachus in dieser Funktion ist CT XII, 1, 73 vom 30. Nov. 373 gerichtet. Am 20. Feb. 373 war sein Vorgänger Julianus noch im Amt: CT XVI, 6, 1; sein Nachfolger Constantius wird am 7. Sept. 374 in CT IV, 13, 7 bezeugt. Zu seiner Funktion auch CIL VIII, 24584; CIL VIII, 5347.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
fand. Der Aufstand des Firmus konnte nicht zuletzt mit Hilfe von Symmachus niedergeschlagen werden8. 375 verließ er Africa und wohl um diese Zeit (nach anderer Ansicht9 schon 370) heiratete er Rusticiana, die Tochter des heidnischen Senators und ehemaligen Stadtpräfekten Memmius Vitrasius Orfitus10. Mit ihr hatte er eine Tochter, deren Name uns nicht bekannt ist und die später Nicomachus Flavianus junior heiratete, sowie einen Sohn, Quintus Fabius Memmius Symmachus, der ebenfalls politische Karriere machte. In den folgenden Jahren hält Symmachus mehrfach, auch im Auftrag des Kaisers, Reden vor dem römischen Senat. Im Jahre 382 reist er als Gesandter des Senats zum kaiserlichen Hof in Mailand, um erstmals um Aufhebung von heidenfeindlichen Gesetzen und Wiedererrichtung des Altars der Victoria zu bitten, den Kaiser Gratian aus der römischen Kurie hatte entfernen lassen. Auf Einschreiten der Bischöfe von Rom und Mailand, Damasus und Ambrosius, hin wird er jedoch nicht einmal bei Gratian vorgelassen11. Von Ende Juni/Anfang Juli 384 bis Ende Januar/Mitte Februar 385, d. h. etwa sieben bis acht Monate lang, wird er schließlich unter Kaiser Valentinian II. Stadtpräfekt von Rom. Das ist die in der vorliegenden Arbeit vor allem interessierende Zeit, in der er 49 Relationen verfasst hat und in der er als Sprecher der wohl noch mehrheitlich12 heidnischen Senatsaristokratie auftritt. Zur Datierung seiner Amtszeit13
8 Vgl. dazu Ep. X, 1 (375) an den magister militum Flavius Theodosius, der gegen Firmus gekämpft hat. 9 So u. a.: Palanque, Famines, 355; Callu, Lettres I, 11, d. h. kurz vor dem Tod des Orfitus (dazu auch bei Rel. 34). 10 Rel. 34, 12; Ep. IX, 150: soceri mei Orfiti. Aufgrund von Ep. I, 1 (zu diesem Brief näher bei Rel. 34) kann die Hochzeit nach Ansicht einiger Autoren auf 375 datiert werden, vgl. Seeck, Symmachus, XLIX f; McGeachy, Symmachus, 10; Chastagnol, Fastes, 219. Das Datum muss letztlich aber wohl offen bleiben. 11 Rel. 3, 1 und 3, 20; Ambr., Ep. 17, 10. Die christlichen Senatoren lassen über die Bischöfe eine Gegenschrift beim Kaiser vorbringen. 12 So die wohl herrschende Meinung, vgl. Chastagnol, Préfecture, 454; Klein, Streit, 15 f; 182 Anm. 7 m.w.N.: der Senat habe bis 394 eine klare heidnische Politik verfolgt; Vera, Commento, 24 f m. ausf. Hinweisen zur Quellenlage. Ambrosius beteuert dagegen in Epp. 17, 9 f und 18, 31 von 384, dass der Senat bereits mehrheitlich mit Christen besetzt sei. Dennoch scheint 384 eine Abstimmungsmehrheit für die heidnische Agenda von Symmachus zustande gekommen zu sein; die Ausführungen des Ambrosius könnten deshalb als Propaganda anzusehen sein. Denkbar ist freilich, dass die Heiden zwar in der Minderheit waren, die Christen jedoch an den brisanten Abstimmungen nicht teilnahmen, sei es, weil sie den Mut nicht aufbrachten, sei es, weil sie insgeheim dem Heidentum noch anhingen oder weil sie von Rom entfernt lebten und kein besonderes Interesse an den Abstimmungen hatten. Fest steht jedenfalls, dass die heidnische Senatsfraktion zu dieser Zeit sehr aktiv war. Symmachus schreibt in Rel. 3, 1 und 20, er spreche im Namen des Senats. Da es sich um eine offizielle Mission handelte, spricht daher doch vieles für die Annahme, dass die Heiden im Senat tatsächlich noch die Mehrheit hatten. Zur Frage der Mehrheitsverhältnisse im Senat zu dieser Zeit auch: Boissier, Fin II, 271 f; v. Campenhausen, Ambrosius, 175 Fn. 4 m.w.N.; Jones, Sozialer Hintergrund, 356; vorsichtig: Lippold, Historia Augusta, 230 ff.
1. Abschnitt: Quintus Aurelius Symmachus
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helfen einige Angaben in den Relationen und Kaiserkonstitutionen, die an ihn adressiert sind: Sein Amtsvorgänger (Sallustius) Aventius war wohl am 11. Juni 384 noch im Amt14. Symmachus muss bald danach, also Ende Juni oder Anfang Juli, die Amtsgeschäfte übernommen haben, wie sich aus einer Angabe in Relation 25, 3 ergibt, wonach ein gewisser Auxentius bald nach Symmachus’ Eintritt ins Amt verschwunden sei: sub ipso aestatis exordio15. Jedenfalls scheint er am 29. Juli 384 im Amt gewesen zu sein, wenn die Angabe in einem Teil der Manuskripte unter Relation 23 verlässlich und auf das Jahr 384 zu beziehen ist: s(cripta) s(unt) IIII Kl. Aug.16. Im Sommer 38417 bittet er erneut, nun den mittlerweile herrschenden Kaiser Valentinian II., um Aufhebung der antiheidnischen Gesetze Gratians und Wiedererrichtung des Victoriaaltars und schreibt die berühmte 3. Relation. Auch diese Bitte ist nicht von Erfolg gekrönt. Ende des Jahres sind im Codex Theodosianus drei Konstitutionen an ihn als Stadtpräfekten überliefert: zwei vom 29. November 38418 und eine vom 28. 13 Zur Datierung seiner Amtszeit auch Chastagnol, Fastes, 223; Martínez-Fazio, Basílica, 125 ff; 171 f; 205 f; 237 ff; 258 ff; 286 ff; PLRE I, Symmachus 4, 867; Vera, Scandalo, 47 ff; ders., Commento, LXI ff. 14 CT XIV, 1, 2 und 3, 18; Datierung: Seeck, Regesten, 93; 32. Wie hier u. a. Chastagnol, Fastes, 216 f. In den Relationen 23, 4 und 34, 7 spricht Symmachus namentlich von seinem Vorgänger Aventius, der allerdings so nicht im CT belegt ist. Entweder war dieser Aventius nur kurz im Amt und sind keine Konstitutionen an ihn überliefert oder er ist tatsächlich als Sallustius Aventius zu identifizieren. Martínez-Fazio, Basílica, 216 ff, geht allerdings davon aus, dass der Stadtpräfekt Aventius nicht mit dem Adressaten (Sallustius) der genannten Gesetze, die ihrer Ansicht nach auf 386 zu datieren seien, identifiziert werden könne. Eine Stadtpräfektur eines Sallustius Aventius vor Symmachus habe es nicht gegeben. Symmachus’ Amtsantritt könne also schon früher stattgefunden haben. Dem schließt sich Vera, Scandalo, 51 ff; ders., Commento, LXI f; 173 f, an. Offen lässt das PLRE I, Aventius, 124; Sallustius 4, 797. Der Amtsvorgänger taucht in den Relationen 19, 23, 34 und 38 auf. 15 Diese Angabe ist für Martínez-Fazio und Vera die entscheidende. Vera, a.a.O. und Commento, 190 f, legt den Amtsantritt auf Ende April/Mai/Juni 384. Martínez-Fazio, a.a.O., 240 ff und v. a. 269, geht sogar davon aus, dass Symmachus noch früher ins Amt gelangt sei. Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass damit die Amtszeit seines Vorgängers Aventius extrem verkürzt würde, denn Ende August 383 war Anicius Auchenius Bassus, der Vorgänger von Aventius, noch Stadtpräfekt, vgl. Chastagnol, Fastes, 215. Selbst wenn man also mit Martínez-Fazio und Vera eine andere Reihenfolge der Inhaber des Präfektenamtes annimmt, muss es bei einem Amtsantritt von Symmachus etwa frühestens Mai/Juni 384 bleiben. 16 So: PLRE I, Symmachus 4, 867; anders Martínez-Fazio, Basílica, 171 f: 29. Juli 385, was die Amtszeit erheblich verlängern würde; dazu aber sogleich; ausführlich zu den verschiedenen Entschlüsselungsvorschlägen Martínez-Fazio, Basílica, 161 ff; Vera, Scandalo, 66 ff; ders., Commento, 179 f. 17 Ambrosius schreibt auf Relation 3 hin zwei Briefe an Valentinian II., den zweiten sogleich nach der Getreideernte (und wohl noch vor der Weinernte - er lobt die des Vorjahres): Ep. 18, 20 f. Relation 3 datiert damit von einem Zeitpunkt zwischen Juni und August, denn am 9. Sept. 384 ist der Kaiser bereits in Aquileia nachgewiesen durch CJ I, 54, 5. Vor diesem Zeitpunkt wurde Relation 3 nach Mailand geschickt. Zur Datierung: Vera, Scandalo, 68 ff; ders., Commento, 21 f; s. a. Martínez-Fazio, Basílica, 253 ff, die auf Anfang 384 datiert. 18 CT IV, 17, 4 und XI, 30, 44. Dazu bei Rel. 16.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
Dezember 38419. In Relation 26, 6 berichtet Symmachus, dass ein Brückenpfeiler den dritten Winter überstanden habe, d. h. mittlerweile dürfte es Februar, offensichtlich 385, sein. In Relation 45 berichtet er von Senatssitzungen vom 9. und vom 23. Januar 38520; dort sind künftige Magistrate gewählt worden. Sein Nachfolger Valerius Pinianus war am 24. Februar 38521 bereits im Amt, d. h. Symmachus ist frühestens nach dem 23. Januar, aber vor dem 24. Februar 385 aus dem Amt geschieden. Im Kontext der Relationen wird noch zu fragen sein, ob das freiwillig geschah. Ab 388, d. h. nach seiner Stadtpräfektur, ist Symmachus auch als princeps senatus22 bezeugt; Sprecher und Gesandter des Senats war er schon vorher auf verschiedenen Missionen zum Kaiser. In jenen Jahren zieht er sich auf seine Ländereien zurück, nimmt aber in seinen Privatbriefen weiter am politischen Leben in Rom interessiert teil. Im Jahre 388 allerdings gerät er in eine schwierige Lage und flieht sogar in eine Kirche, als Kaiser Theodosius I. den Usurpator Maximus, der 387 nach Italien vorgedrungen war, besiegt. Auf Letzteren hatte Symmachus eine Festrede gehalten, weshalb ihm nun Hochverrat vorgeworfen wird. Letztlich gelingt es ihm aber, von Theodosius, vor dem er eine Entschuldigungsrede hält23, wieder in Gnaden aufgenommen zu werden; er erlangt 391 sogar das Konsulat. Die Episode um die Lobrede auf Maximus deutet aber bereits an, dass Symmachus nicht immer politisches Geschick bewiesen hat. In den Jahren 390/391 wagt er noch einmal (wieder erfolglose) Bitten bei Theodosius in Mailand und Valentinian II. (in Gallien) um Wiedererrichtung
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CT I, 6, 9 (= CJ IX, 29, 2). Datum: Seeck, Regesten, 87. Dazu bei Rell. 17, 21 und
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Vera, Commento, 332 ff; Chastagnol, Le Sénat dans l’ oeuvre, 86. Näheres bei den Anmerkungen zu dieser Relation. 21 Coll. Avell. 4; vgl. Seeck, Regesten, 87. In diesem Brief teilt Kaiser Valentinian II. einem Pinianus seine Billigung zur Wahl des neuen Papstes Siricius mit, ohne dass das Amt des Adressaten angegeben wäre. Dem Inhalt nach richtet sich dieser Brief aber wohl an den höchsten Beamten in Rom, den Stadtpräfekten. Unwahrscheinlich ist daher die Hypothese von Martínez-Fazio, Basílica, 192 ff; 200 ff, und schon Cantarelli, Diocesi, 91 f, nach der Pinianus vicarius urbis Romae gewesen sei und Symmachus daher noch bis Sommer 385 im Amt gewesen sein könnte. Warum hätte der Kaiser gerade dem Vikar, der ein Amt unter dem Stadtpräfekten innehatte und eher im Hintergrund agierte, eine solch offizielle Mitteilung machen sollen? Gegen eine Ausdehnung der Amtszeit von Symmachus spricht auch, dass in den Relationen kein Hinweis auf ein späteres Datum zu finden ist und auch keine Kaiserkonstitutionen mehr an ihn überliefert sind. Vielmehr zeigt er sich in Relation 10 schon im Dezember 384 amtsmüde. In Coll. Avell. 4 wurde daher nicht Symmachus als Stadtpräfekt übergangen, sondern er war bereits aus dem Amt geschieden. Wie hier u. a. Chastagnol, Fastes, 225; mit ausführlichen textkritischen und politischen Argumenten: Vera, Scandalo, 56 ff; 89 ff; ders., Commento, LXV f; 174; s. a. PLRE I, Pinianus 1, 702. 22 Socrates, Hist. Eccles. V, 14; dazu: Chastagnol, Préfecture, 71 f und Fastes, 222. 23 Socrates, Hist. Eccles. V, 14; s. Seeck, Symmachus, LVII; seine Rede erwähnt Symmachus selbst in Epp. II, 31 (panegyrici defensione) und 13.
1. Abschnitt: Quintus Aurelius Symmachus
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des Victoriaaltars24. 393 sympathisiert er vielleicht mit der heidenfreundlichen Politik des Usurpators Eugenius. Aktive politische Betätigung wird er jedoch nach seinen schlechten Erfahrungen mit Maximus vermieden haben25. Vielmehr scheint er sich aus der Politik weitgehend zurückgezogen zu haben, lebt bald in Rom, bald auf seinen Landgütern und kümmert sich um die Karriere seines Sohnes. Aus dieser Zeit stammen die meisten seiner Briefe. Ende 397 richtet sich aber noch einmal der Volkszorn gegen ihn und muss er Rom verlassen, weil ihm Versorgungsprobleme angelastet werden, die infolge des Krieges gegen den aufständischen comes Africae Gildo entstanden sind. Als Sprecher des Senats, der Gildo durch Senatsbeschluss zum hostis publicus erklärt hat, wird Symmachus persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass die Kornlieferungen ausbleiben. Wenig später aber wird er vom Volk wieder zurückgerufen26. Im Winter 401/402 spricht er ein letztes Mal als Gesandter des Senats beim Kaiser in Mailand, Honorius, wegen des Victoriaaltars vor, diesmal vielleicht sogar mit Erfolg27. Um 402 ist Symmachus gestorben. Nachdem er krank von seiner Mission in Mailand zurückgekehrt ist, versiegt sein Brieffluss28. Die Plünderung Roms durch die Goten unter Alarich im Jahre 410 und den Niedergang des weströmischen Reiches erlebt er also nicht mehr. Symmachus war überzeugter Heide und berühmt ist er vor allem aufgrund der bekannten 3. Relation, der Bitte um Wiedererrichtung des Victoriaaltars in der Kurie von Rom. Er war einer der führenden heidnischen Aristokraten seiner Zeit und hatte auch einigen Reichtum angehäuft, darunter Häuser in Rom, meh-
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Vgl. Ambrosius, Ep. 57, 4 f, der allerdings den Namen des Gesandten des Senats nicht nennt. Zur Forderung von Symmachus gegenüber Theodosius: Pseudo-Prosper, De promissionibus et praedictionibus Dei, III, 38; gegen die Glaubwürdigkeit dieser Quelle argumentiert v. Campenhausen, Ambrosius, 256 ff; gegen die Historizität der ganzen Geschichte spricht sich auch Malunowicz, De ara Victoriae, 84 f, aus. Nach Ansicht von Matthews bittet nicht mehr Symmachus selbst als Gesandter des Senats um die entsprechenden Maßnahmen: Letters, 77; ebenso Callu, Lettres I, 11. Zum Streit, auch um die Datierung dieser Gesandtschaften: Klein, Streit, 190 Anm. 6. 25 Romano, Simmaco, 62 f; ausführlich: Roda, Simmaco nel gioco, 84 Fn. 106; Matthews, Letters, 84 f. Etwa kompromittierende Briefe aus dieser Zeit sind jedenfalls nicht veröffentlicht worden. 26 Zu dieser Episode: Epp. VI, 66; VIII, 65; IX, 81. 27 Die Heiden hoffen auf die Unterstützung des Generals Stilicho. Zur senatorischen Bitte: Prudentius, C. Symm. II, 5 ff; Claudian, De consul. Stilic. III, 202-216; De VI consul. Hon., 597-599; 653 - hier wird angedeutet, dass unter Stilicho die Victoria wieder in die Kurie zurückgebracht worden sei; dazu: Matthews, Letters, 58 f; s. a. Ep. IV, 9 an Stilicho. Symmachus ist in einer anderen Angelegenheit in Mailand, Ep. V, 94, nutzt also vielleicht die Gelegenheit, die Bitte noch einmal vorzubringen. Gegen eine senatorische Gesandtschaft, geführt von Symmachus im Jahre 402: Malunowicz, De ara Victoriae, 99 ff und Paschoud, Roma Aeterna, 78. 28 Zu seiner Krankheit u. a. Epp. IV, 13; 56; V, 96; zur Datierung: Seeck, Symmachus, LXXII f; ders., RE-Symmachus 18, 1152.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
rere Landhäuser und Ländereien, wenngleich ihn Olympiodor29 nicht zu den Reichsten zählt. Seiner Ausbildung und seinem Werdegang nach war er kein Jurist30, sondern berühmter und hochangesehener Rhetor, bekleidete aber insbesondere als Stadtpräfekt ein Amt, in dem er als oberster stadtrömischer Richter auch die Rechtsprechungsgewalt innehatte. Damit verkörpert er den Typus des gebildeten und erfahrenen Beamten, der im Laufe seiner Karriere, von der hier ein Teilstück betrachtet werden soll, immer wieder mit Rechtsfragen befasst ist. Wir haben es im Zusammenhang mit den Relationen also mit einem Mann Mitte vierzig zu tun, der auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere steht, keine finanziellen Sorgen hat und dessen Rat und Einfluss auch bei vielen Freunden und Bekannten geschätzt wird, wie seine Privatbriefe aus dieser Zeit zeigen.
II. Das Werk Das überlieferte Werk umfasst Reden, Privatbriefe und Relationen. Symmachus hielt stilistisch ausgefeilte Reden auf die Kaiser (zwei Festreden, panegyrici, auf Valentinian I. und eine auf Gratian sind überliefert) und vor dem Senat. Erhalten sind die Fragmente von insgesamt acht Reden31. Außerdem sind circa 900 private Briefe erhalten, verteilt auf zehn Bücher32. Diese Briefe waren sehr begehrt; man fing die Briefboten schon auf der Straße ab und es kursierten 29 Frg. 44. Auflistung seiner Güter, soweit sie bekannt sind, bei Seeck, Symmachus, XLV f; s. a. Vera, Simmaco e le sue proprietà, 234, und Chastagnol, Sénat, 331 ff. 30 Steinwenter, Rhetorik, 116; ders., Briefe, 4; 24; Wieacker, Recht und Gesellschaft, 89, 91. Zu Symmachus’ Rechtskenntnissen s. im Folgenden. 31 Ausgabe: Seeck, Symmachus, 318 ff; Anmerkungen dort, XLVI f, und ders., RESymmachus 18, 1152 f; deutsch mit Anmerkungen: Pabst, Quintus Aurelius Symmachus, Reden; zu den Reden s. a. Romano, Simmaco, 111 ff. Weitere Reden werden in den Briefen erwähnt und von anderen Quellen bezeugt. 32 Ausgabe: Seeck, Symmachus, 1 ff; Näheres: Glover, Life and letters, 159 ff; Peter, Der Brief, 137 ff; Schanz, Geschichte, 123 ff; französisch: Callu, Lettres, 3 Bände (Übersetzung und knappe Kommentierung der Bücher I bis VIII); italienisch: Bücher III (Pellizzari), IV (Marcone), V (Rivolta Tiberga), VI (Marcone), IX (Roda) in Übersetzung und mit ausführlicher historischer Kommentierung, entstanden, wie im Übrigen auch die Übersetzung und Kommentierung der Relationen (Vera), im Rahmen eines Turiner Projekts unter Leitung von Lellia Cracco Ruggini zur Übersetzung und historischen Kommentierung des Gesamtwerkes des Symmachus in italienischer Sprache. Hilfsmittel: Lomanto, Concordantiae (Computerauswertung). Datierung der Briefe hier regelmäßig nach Callu, Lettres. Zu den Motiven der antiken Edition vgl. McGeachy, Editing, 223 ff, der überzeugend darlegt, dass es sich nicht etwa um ein Werk speziell für christliche Leser handelte. Die Briefe wurden nicht nach christlichen Vorstellungen ausgewählt; Adressaten sind vielmehr Heiden, sogar in der Mehrzahl, und Christen. Unterscheidungen nach Glaubenszugehörigkeit werden auch von Symmachus nicht gemacht. Unterdrückt wurden nur politisch problematische Briefe. Ziel der Sammlung war es, Symmachus’ Ruhm der Nachwelt zu erhalten; von heidnischen Propagandazwecken lässt sich wohl nicht ausgehen.
1. Abschnitt: Quintus Aurelius Symmachus
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Fälschungen33. Adressaten waren viele bedeutende Persönlichkeiten des damaligen Lebens wie Vettius Agorius Praetextatus, Virius Nicomachus Flavianus, der Bischof von Mailand Ambrosius, der General Stilicho und der Dichter, Rhetorikprofessor und Lehrer Gratians, Ausonius34. Symmachus tauschte freundschaftliche Briefe mit Heiden und Christen, mit den höchsten kaiserlichen Hofbeamten und mit Militärs. In seinen Privatbriefen behandelt er allerdings nur selten politische oder gar juristisch relevante Ereignisse, so dass in dieser Untersuchung nur diejenigen Briefe herangezogen werden, die (möglicherweise) Bezug zu seinem Amt als Stadtpräfekt haben. Soweit er sich aber in einzelnen Briefen in Rechtsangelegenheiten für Freunde und Bekannte einsetzt und dies näheren Aufschluss über das in Senatorenkreisen vorhandene Rechtsverständnis geben kann, soll das im Dritten Teil der Arbeit untersucht werden.
III. Stil des Symmachus Zum Stil des Symmachus gibt es zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, die hauptsächlich die Briefe betreffen35; diese haben oft einen belanglosen Inhalt. Symmachus selbst beklagt Mangel an Stoff für seine Briefe36; die großen Zeiten Roms sind für ihn vorbei. Daher urteilte man bisweilen sehr hart und sprach von Worten „ohne Inhalt“37, „kläglicher Inhaltsleere“38 oder „d’un ennui profond“39 und manch einer meinte, aus dem Stil der Briefe gar Rückschlüsse auf den Charakter des Verfassers ziehen zu können. So wird Symma33
Epp. II, 12 und 48. Dagegen sind keine persönlichen Kontakte zum heidnischen Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus belegt, der ab etwa 380 in Rom lebte und zur Zeit der Stadtpräfektur des Symmachus seine Römische Geschichte verfasste, von der die Bücher 14-31 erhalten sind, die die Jahre 353-378 und das Rom jener Zeit beschreiben. Er verkehrte offenbar nicht im Symmachus-Kreis, wenngleich sie sich gekannt haben mögen, denn Praetextatus etwa scheint ein Freund beider gewesen zu sein: Cameron, Roman friends. Es gibt keine eindeutige gegenseitige Erwähnung und wahrscheinlich hielt Ammian sogar kritische Distanz zum Symmachuskreis der wohlhabenden und überaus stolzen und traditionsbewussten römischen Senatoren, die sich gegenüber Fremden wie ihm wenig aufgeschlossen zeigten, vgl. Ammian, XIV, 6, 12-15; 19 ff. Möglicherweise kritisiert Ammian - freilich ohne Namensnennung - den Stadtpräfekten Symmachus sogar scharf, der wohl während einer Versorgungskrise die Fremden der Stadt verwies; zu dieser Episode im 2. Abschnitt I. und Amm., XIV, 6, 19; XXVIII, 4, 10 ff. 35 Etwa: Haverling, Studies on Symmachus’ language and style. Eine ausführliche Zusammenstellung der bis 1972 über Symmachus und sein Werk erschienen Literatur findet sich bei del Chicca, Rassegna di studi Symmachiani, 526-40; die Literatur bis 1988 stellt Haverling, a.a.O., 13-16, zusammen. Es handelt sich in der Regel um philologische und historische Untersuchungen. 36 Vgl. etwa Ep. II, 35, 2, wonach es nichts zu berichten gebe. 37 Schanz, Geschichte, 127. 38 Seeck, RE-Symmachus 18, 1155. 39 Paschoud, Roma aeterna, 74. 34
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
chus etwa beschrieben als „borné, hypocrite et égoiste“ 40. Gegen eine vorschnelle Verurteilung des Autors allein aus seinem Stil ist allerdings einzuwenden, dass sein Briefstil durchaus dem Geschmack der Zeit entsprach und die gute Erziehung des Schreibers bewies41. Ein raffinierter Stil war oft wichtiger als der Inhalt des Briefes; der Austausch von Nettigkeiten eine Frage der Höflichkeit. Man schrieb in Privatbriefen üblicherweise nicht über politische Dinge. Zudem dürften politisch brisante Briefe auch nicht veröffentlicht worden sein42. Über aktuelle Ereignisse fügte Symmachus seinen Briefen (die er diktierte43) außerdem ein breviarium, commonitorium oder indiculus44 bei, die leider nicht erhalten sind. Wichtiges erzählte im Übrigen der Überbringer des Briefes ggf. mündlich und nicht zuletzt hatte man auch Angst vor Spionage; es gab kein Briefgeheimnis45. Letztlich kann man jedoch aus den Briefen trotz alledem einiges über das damalige öffentliche und private Leben der Aristokratie erfahren. Einen breiten Raum nehmen Empfehlungsschreiben (vor allem im 9. Buch) ein, und auch die Vorbereitungen der Spiele anlässlich der Magistraturen seines Sohnes beschäftigen Symmachus sehr. Im Gegensatz zu manchen Briefen zeichnen sich die Relationen, amtliche Briefe an den Kaiser, in der Mehrzahl trotz ihrer - für die damalige Zeit typischen - bürokratischen Sprache durch großen Informationsreichtum aus. Sie sind allerdings bisweilen etwas undeutlich formuliert und juristisch nicht immer so exakt, wie wir uns das wünschen würden, jedoch in der Regel jedenfalls nicht rhetorisch überladen. Als ausgebildeter Rhetor bediente sich Symmachus aber natürlich auch in diesen offiziellen Schreiben einer sehr gewählten Sprache, die bisweilen geziert und allzu pathetisch erscheinen mag. Manche „Ungenauigkeit“, insbesondere in den Prozessberichten, entspringt allerdings schlicht der Tatsache, dass uns die eigentlichen Akten und Beweisstücke nicht überliefert sind, sondern nur die dazugehörigen Begleitschreiben, die Relationen, 40
Paschoud, Roma Aeterna, 109. Geradezu vernichtend im Urteil auch ders., Réflexions, 227 ff, und Roma Aeterna, 74 ff. Doch scheint sich diese Einschätzung nunmehr etwas zu relativieren, liest man das Vorwort des von Paschoud herausgegebenen Colloque Genevois sur Symmaque, VI. Danach sei Symmachus zwar keine herausragende Persönlichkeit, aber doch ernst zu nehmen. Auch Schanz, Geschichte, 127; Peter, Der Brief, 137, deuten an, dass es sich bei Symmachus um eine ängstliche, kleinliche und um die eigenen Interessen besorgte Persönlichkeit gehandelt habe. 41 Klein, Streit, 24 ff; Norden, Die antike Kunstprosa II, 644 f; Romano, Simmaco, 85 ff und 100 ff; Boissier, Fin du paganisme II, 163 f; Bruggisser, Symmaque, 1 ff. 42 Kompromittierendes, etwa aus dem Umfeld der Usurpatoren Maximus und Eugenius, dürfte zensiert worden sein: Seeck, Symmachus, XXIII; ders., RE-Symmachus 18, 1150; Glover, Life and letters, 157; Klein, Streit, 20 f; ders., Symmachus, 58; McGeachy, Editing, 222 ff. 43 So wird in Ep. II, 31 ein eigenhändiger Zusatz besonders erwähnt. 44 Vgl. z. B. Epp. II, 25; IV, 36; V, 22; VI, 48; 55; 65. Der Brief sollte nicht mit Informationen überfrachtet werden. 45 Befürchtungen möglicher Manipulation äußert Symmachus in Epp. I, 87; II, 12, 2 und V, 34, 2, wonach man sich gegen aemuli absichern müsse.
2. Abschnitt: Die Relationen
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knappe Sachverhaltsschilderungen, aus denen der eigentliche Fall oft nur schwer zu entschlüsseln ist. Symmachus konnte für die notwendigen Hintergrundinformationen auf diese Akten verweisen46. Nicht alles, was möglicherweise nebelhaft und vage erscheint, lässt sich daher dem Autor vorwerfen, der außerdem davon ausgehen konnte, dass sein Adressat - im Gegensatz zu uns das nötige Hintergrundwissen häufig bereits besaß, so dass Andeutungen genügten. 2. Abschnitt
Die Relationen
I. Gegenstand und Adressaten Die Relationen sind die amtlichen Berichte, die Symmachus als praefectus urbi in den Jahren 384/385 an den, beziehungsweise die Kaiser schrieb bzw. (wie die Briefe) diktierte. Erhalten sind 49 Relationen47, die in den meisten Fällen an den westlichen Kaiser Valentinian II. in Mailand gerichtet waren, auch wenn sie häufig als Adressaten alle drei regierenden Herrscher angeben. Dies entsprach der gebotenen Etikette der Zeit; man wollte, wie auch in den Inskrip46 Auf die beigefügte Dokumentation (gesta, documenta, allegationes, supplementa partium, instructio, refutatorii(libelli)) verweist er in den Relationen 16, 2; 19, 9 f; 21, 6; 23, 11; 23, 15; 24, 3; 25, 4; 26, 7; 27, 4; 28, 2; 28, 11; 29, 2; 30, 4; 31, 3; 32, 4; 33, 4; 34, 13; 37, 2 f; 39, 5; 40, 6; 44, 3; 45; 46, 2; 49, 4. Zu diesen Akten und zur äußeren Form der Relationen, s. a. Barrow, Prefect, 17 ff; Vera, Commento, LXXIX f. 47 Zur (unlösbaren) Frage der Vollständigkeit der erhaltenen Relationen: Vera, Commento, XCV; 137 f. In Anbetracht einer Amtszeit von nur etwa sieben Monaten ist wohl jedenfalls der Großteil erhalten; Symmachus hat alle paar Tage eine Relation an den Hof geschickt. Es fehlt aber möglicherweise eine Gratulation zum Decennalienjubiläum am 22. November 384 sowie ein Schreiben zum kaiserlichen Geburtstag. Laut Relation 46 wurden außerdem alle drei Monate Steuerlisten versandt, so dass bei einer ca. siebenmonatigen Amtszeit wenigstens ein weiteres Schreiben zu erwarten wäre. Dass insoweit nur eine Relation erhalten ist, lässt sich jedoch damit plausibel erklären, dass üblicherweise kein offizielles Begleitschreiben mitgeschickt wurde, sondern nur im konkreten Sonderfall, denn in Relation 46 hatte Symmachus ein weiteres Anliegen. Allerdings fehlt letztlich wohl doch ein ganzer Themenbereich in den Relationen, denn (nur) nach anderen Quellen ist davon auszugehen, dass Symmachus während seiner Amtszeit anlässlich einer Versorgungskrise alle Fremden aus der Stadt verwies, vgl. etwa: Ambrosius, De officiis III, 45 ff; 49 ff; Ammian, XIV, 6, 19; Themistius (Symmachus’ Amtskollege in Konstantinopel), Or. XVIII, 222a. Zu dieser Episode: Palanque, Famines, 351 f; Kohns, Versorgungskrisen, 169 ff; 178 ff; s. a. Ep. II, 7, 3 und hier Anmerkungen zu Rel. 37. Vielleicht hat Symmachus auch an anderer Stelle Unangenehmes - für die Fremdenvertreibung erntete er von den genannten Autoren deutliche Kritik, wenngleich sie seinen Namen taktvoll nicht nennen - ausgespart bzw. nicht zur Veröffentlichung bereitgelegt. Nicht ersichtlich ist allerdings eine Selektion der Relationen danach, dass nur erfolgreiche Anfragen veröffentlicht wurden. Auf Relation 17 etwa ist eine scharfe Antwort des Kaisers zu vermuten.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
tionen der Kaiserkonstitutionen, die in der Herrschaftstheorie noch ungeteilte Kaisermacht betonen. Inhaltlich betreffen sie jedoch im Regelfall (so auch die Rechtsangelegenheiten) nur den Westkaiser und wurden daher nur an ihn, der im Text häufig auch direkt als Bruder Gratians und Sohn Valentinians I. angesprochen wird, geschickt. Bisweilen aber sind die überlieferten Übertitelungen auch schlicht falsch, worauf im Einzelfall einzugehen sein wird. Die Relationen geben Aufschluss über die Amtstätigkeit des Stadtpräfekten. Unter ihnen findet sich etwa ein Drittel mit vorwiegend juristischem Inhalt. Insbesondere über die richterliche Tätigkeit des Stadtpräfekten und die Rechtspraxis im ausgehenden vierten Jahrhundert in Rom und Umgebung legen die Relationen damit ein wichtiges Zeugnis ab. Ansonsten behandelt Symmachus vor allem sonstige Verwaltungsangelegenheiten. Die bekannte 3. Relation wiederum betrifft den Kampf des Heidentums um die Wiedererrichtung des Victoriaaltars und die Einräumung alter Privilegien. Der Präfekt war verpflichtet, dem Kaiser regelmäßig von seinen Amtsgeschäften Bericht zu erstatten, daneben konnte er dem Kaiser aber auch „außer der Reihe“ Mitteilungen machen, ihn etwa um Rat in einer schwierigen Rechtsfrage bitten 48. In den Relationen des Symmachus finden sich sowohl Routineberichte49 als auch außerordentliche Schreiben in wichtigen Einzelfällen. Insbesondere im Rahmen von Prozessen sind reguläre, d. h. verfahrensmäßig zwingend vorgesehene (etwa im Appellationsverfahren) und außerordentliche Relationen mit speziellen Anfragen zu unterscheiden. Bei allen Relationen aber handelt es sich um offizielle Schreiben, denen im Regelfall weitere Akten beigefügt waren und die daher als Informationen aus erster Hand Glaubwürdigkeit verdienen. Ihr Wahrheitsgehalt war jederzeit überprüfbar. Manche persönliche Färbung50 und auch Übertreibung ist trotzdem nicht ganz auszuschließen. Der Ton ist beflissen; natürlich will Symmachus seine bisherige Tätigkeit in der Angelegenheit stets im besten Licht erscheinen lassen. Auf seine Schreiben erwartet er regelmäßig eine Antwort des Kaisers in Reskriptform als endgültige Entscheidung in der Sache, deren Inhalt und Reichweite sich für uns allerdings meist nur vermuten lässt. Einzig vergleichbare, erhaltene Quelle ist der Briefwechsel, den Plinius d. J. als außerordentlicher kaiserlicher Statthalter von Bithynien und Pontus in den Jahren 111 bis 113 mit Kaiser Trajan führte, der im 10. Buch der Pliniusbriefe überliefert ist. Auch Plinius bittet dort um Rat in Verwaltungs- und Rechtsfragen und berichtet über finanzielle Missstände51. Trotz großer zeitlicher Distanz 48
Dazu Chastagnol, Préfecture, 67; Vigneaux, Essai, 348 f. Zu denken ist insbesondere an die Dankschreiben in Rell. 1 und 2 sowie die Senatsangelegenheiten in Rell. 45 und 46. 50 Zu recht weist Vera, Commento, LXII-LXXIV, mit vielen Beispielen darauf hin, dass Symmachus vor allem als Römer und Aristokrat und nicht zuletzt als Heide schreibt. Entsprechend häufig ist sein Blick auf dieses Umfeld fixiert. 51 Anders als bei Plinius und Trajan sind bei Symmachus nur die Anfragen ohne Antwort überliefert. Dies möglicherweise deshalb, weil mittlerweile kaiserliche Reskripte 49
2. Abschnitt: Die Relationen
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zu den Relationen lässt sich so manche Parallele feststellen, die auch für die Bewertung einzelner Relationen von Relevanz sein kann. So zeigen sich zeitübergreifende Probleme und Begründungstechniken, auf die im Einzelfall zurückzukommen sein wird und die jedenfalls verdeutlichen, dass Symmachus kein Einzelfall war, sondern viele Richter solche und ähnliche Schreiben an den Hof gerichtet haben werden.
II. Überlieferung und antike Editionen52 Die Überlieferung der Relationen beruht auf drei Quellen, zwei Handschriften aus dem 11. Jahrhundert (eine davon mittlerweile zerstört) und der editio princeps des Sigmund Gelenius von 1549 aus Basel, die sich wahrscheinlich auf ein weiteres, nicht erhaltenes Manuskript stützt. Die 3. Relation wird darüber hinaus auch über das Briefcorpus von Ambrosius überliefert und Sonderüberlieferungen gibt es auch von der 5. und 11. Relation53. Umstritten sind Zeitpunkt und Art der Erstedition, ihr Urheber und der Grund für die zahlreichen Fehler - vor allem bei den in den Überschriften genannten Adressaten - in den mittelalterlichen Manuskripten. Möglicherweise wurden die Relationen schon vom Verfasser selbst zusammengestellt und ein erstes Mal veröffentlicht54. In dieser Veröffentlichung waren wahrscheinlich die in den Originalen enthaltenen Titel und Subskriptionen weitgehend weggelassen, denn Symmachus wollte die Texte nicht als historische Urkunden, sondern als Stilproben erhalten. Der Sohn des Symmachus, Q. Fabius Memmius Symmachus, veröffentlichte dann, das ist gesichert, nach dem amtlich gesammelt und ggf. veröffentlicht werden sollten. Zum Amt des Plinius vgl. CIL V, 5262. Zu Buch 10 der Briefe und den darin enthaltenen Rechtsfragen: Gaudemet, Juridiction provinciale. Auch Plinius wurde, wie Symmachus, wegen angeblich mangelnder Entscheidungsfreude in der Literatur oft pauschal kritisiert. Keine vergleichbaren Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten enthalten hingegen die Relationen des römischen Stadtpräfekten von 418-420 Aurelius Anicius Symmachus (der wohl ein Neffe unseres Stadtpräfekten war: Chastagnol, Fastes, 279 ff; PLRE II, 1043 f), die sich in Coll. Avell. 14-34 finden. Diese Schreiben an den Hof und die dazugehörigen Antwortschreiben (Ende 418, Anfang 419) handeln von den streitigen Papstwahlen. 52 Ausführlich: Seeck, Symmachus, XIX; Vera, Sulle edizioni, 1003 ff; ders. (zusammenfassend), Commento, LXXXIX ff. 53 Zur (teilweisen) Sonderüberlieferung der 5. Relation: Polara, A proposito, 17 ff. Die 11. Relation erscheint in einem spätmittelalterlichen Florilegium der Briefe. Dazu: Klein, Streit, 43; 45, und Vera, Commento, 98 f. Zur Überlieferung der 3. Relation bei Ambrosius: Klein, Streit, 44; 73 ff. 54 So: Seeck, Symmachus, XVI ff; ders., RE-Symmachus 18, 1154; ihm folgend: Boissier, Monumenta, 403; Peter, Der Brief, 149; McGeachy, Symmachus, 25; Callu, Lettres I, 17 f; Klein, Streit, 44. Skeptisch gegenüber der Annahme einer antiken Edition durch Symmachus selbst: Schanz, Geschichte, 126, und Matthews, Letters, 66 v. a. Fn. 40.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
Tod des Vaters55 die Briefe in zehn Büchern. Die Veröffentlichung durch den Sohn ergibt sich aus verschiedenen Subskriptionen der Bücher in den Manuskripten der Briefsammlung. Geordnet waren die Briefe in den ersten sieben Büchern nach Adressaten, die ohne Rücksicht auf die Chronologie in Gruppen zusammengefasst waren. Buch acht und neun waren dagegen eher chronologisch geordnet; hier fehlt auch häufig die Angabe des Adressaten56. Das zehnte Buch enthält nur (noch) zwei Briefe; die ansonsten gesondert überlieferten Relationen könnten daher Teil dieses Buches gewesen sein57. Vorbildlich für die 55 Wohl zwischen 402 und 408: Schanz, Geschichte, 124; s. a. Seeck, Symmachus, XXIII, mit dem Hinweis auf die Unterdrückung kompromittierender Briefe nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. 56 Diese unterschiedliche Ordnung der Briefe lässt sich auf verschiedene Weisen erklären: Nach der wohl überwiegenden Meinung wurde der erste Teil der Sammlung noch vom Vater geordnet und der Rest dann nach seinem Tod durch den Sohn ungeordnet und oft unadressiert zusammengestellt und alles veröffentlicht. So: Peter, Der Brief, 147 f; Schanz, Geschichte, 124; McGeachy, Editing, 222; Vera, Sulle edizioni, 1106 f. Anders argumentiert Seeck, Symmachus, XXIII ff; ihm folgend Romano, Simmaco, 84 Fn. 41, nach deren Auffassung die Veröffentlichung nur durch den Sohn geschah, dem dafür zwei Quellen zur Verfügung standen: die Briefe im Besitz der Empfänger, die sie sammelten (vgl. Epp. V, 85, 1; 86; IV, 34, 3) und die von Symmachus im eigenen Archiv aufbewahrten Kopien (dazu: Epp. V, 85, 2; II, 12, 1). Die Briefe der ersten sieben Bücher seien von den Empfängern wieder eingefordert und in entsprechenden Gruppen veröffentlicht, die der beiden anderen aus den zurückbehaltenen, ungeordneten Konzepten herausgegeben worden. Gegen die Theorie, dass die ersten Bücher auf den zurückgeforderten Originalen beruhen, steht jedoch die Tatsache, dass bisweilen Empfänger verwechselt worden sind. Ein solches Verfahren ist außerdem wenig wahrscheinlich, wenn beabsichtigt ist, die Briefe möglichst vollständig zu veröffentlichen. Die Bücher 1-7 betreffen immerhin über 50 Empfänger. Daher dürfte in der Tat von verschiedenen Zusammenstellern auszugehen sein. Die ersten Bücher hatte der Vater wohl bereits selbst schon zusammengestellt; die weiteren Bücher hat dann der Sohn aus den Konzepten „angehängt“. Auch die Theorie, dass die Relationen im 10. Buch der Briefe enthalten waren, passt durchaus zu diesem Ablauf, denn auch die Relationen sind nicht geordnet und häufig fehlt der Titel. Zur Edition der Briefe äußert sich auch Roda, Alcune ipotesi. Nach seiner Ansicht legte Symmachus nach Diktat der Briefe Dossiers an, die zumindest sachlich etwas geordnet waren, und begann, nach Adressaten zu ordnen. Dies sei ihm für die Bücher 1-7 gelungen, die sein Sohn nach seinem Tod publiziert habe. Ende des 5., Anfang des 6. Jahrhunderts habe man sich dann wieder für Symmachus zu interessieren begonnen und nun aus den Archiven der Familie die restlichen Briefe der Bücher 810 veröffentlicht, die nicht mehr wie die ersten sieben Bücher, sondern (eher) nach inhaltlichen Gesichtspunkten geordnet gewesen seien. Roda geht also von einer Edition der Briefe in zwei Abschnitten aus. Dem schließt sich Paschoud, Deux volumes, 51, an. Die Relationen waren nach dieser Auffassung nicht im 10. Buch enthalten, sie wurden aber vielleicht im 5./6. Jahrhundert mit den restlichen Briefen veröffentlicht: Roda, a.a.O., 52. Diese Lösung erscheint nicht unwahrscheinlich, lässt sich aber nicht belegen und bleibt daher hypothetisch. 57 So: Seeck, RE-Symmachus 18, 1155, mit dem Hinweis auf den Titel des 10. Buches in einem Manuskript, wonach dieses epistulas familiares ad imperatores, sententias senatorias et opuscula enthalte. Wohl unter letztere müsste man dann, wenngleich zweifelnd, die Relationen fassen, denn familiaris sind eher die beiden noch im 10. Buch erhaltenen Briefe an Theodosius senior (375-376, zwar kein Kaiser, aber als Vater eines Kaisers doch hochgeehrt, s. a. bei Rell. 9 und 43) und an Gratian (376), weniger die Re-
2. Abschnitt: Die Relationen
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Bildung der Briefsammlung könnte insoweit die Briefsammlung des jüngeren Plinius gewesen sein; wie bei diesem wäre die amtliche Korrespondenz (bei Plinius die Briefe an Kaiser Trajan) der übrigen gegenübergestellt und zu einem Buch, dem zehnten, vereinigt worden58. Dass diese Ordnung ursprünglich gewollt war, scheint auf den ersten Blick durchaus plausibel. Ein Großteil des 10. Buches wäre dann allerdings verloren gegangen. Nach Ansicht von Seeck, der viele folgten, gab es demnach zwei antike Editionen der Relationen, eine von Symmachus und eine von seinem Sohn, der sie in das 10. Buch der Briefe aufnahm; nur die Edition des Autors selbst wäre erhalten geblieben, was die unterschiedliche Überlieferungsgeschichte von Relationen und Briefen erklären würde. Eine differenzierte Neubetrachtung des Problems liefert unterdessen Vera59, der stärker betont, dass Briefe und Relationen eine ganz unterschiedliche Überlieferungsgeschichte haben. Die Relationen könne man nicht einfach als Anhängsel zu Buch 10 betrachten. In einer systematischen Untersuchung stellt er darauf ab, dass ein Ordnungsprinzip, etwa nach Empfänger, Chronologie oder Thema, innerhalb der Relationen nicht ersichtlich ist; nur in Einzelfällen gehören aufeinanderfolgende Relationen auch inhaltlich zusammen, etwa 1 und 2 (Dank für die Amtsübertragung), 10 bis 12 (der Tod von Praetextatus), 25 und 26 (Streit um eine Brücke), sowie 45 und 46 (Fragen des Senatorenstandes). Derart ungeordnet hätte der Autor seine Schreiben nicht veröffentlicht. Vor allem aber stützt Vera sich auf die zahlreichen falschen, fehlenden (ab Relation 16 allenfalls DDD. NNN.) und widersprüchlichen Überschriften der Relationen, die im Originalzustand gewiss korrekte Titel und Subskriptionen hatten (korrekt z. B. in der 3. Relation, wie sie bei Ambrosius überliefert wird60). Die Frage ist daher, wem diese Fehler zugeschrieben werlationen. Nach dem Titel war im 10. Buch ursprünglich jedenfalls mehr als die beiden überlieferten Briefe enthalten. Ergänzend argumentiert Seeck, dass die 11. Relation in einem Florilegium der Briefe überliefert sei und daher wohl auch die übrigen Relationen mit den Briefen überliefert worden seien. Dieser Auffassung folgend: Matthews, Letters, 66; McGeachy, Symmachus, 25; Peter, Der Brief, 148; Schanz, Geschichte, 126; Klein, Streit, 44 f. Dagegen wendet sich Vera, Sulle edizioni, 1019 Fn. 72, mit dem Argument, dass immer nur die - nicht besonders bedeutsame - 11. Relation in Florilegien auftauche und man allein daraus nicht schon auf eine gemeinsame Edition von Briefen und Relationen schließen könne; so auch Callu, Lettres I, 21. Die Verbindung könne in späteren Abschriften geschehen sein. Für diese Theorie spricht, dass wirklich keine gemeinsame Überlieferung von Briefen und Relationen erkennbar ist; letztere führten vielmehr eine handschriftliche Sonderexistenz unter dem Titel Q. Aurelii Symmachi v. c. relationes. 58 So u. a. Peter, Der Brief, 148; Boissier, Fin II, 156; Matthews, Letters, 66-68. Gegen diese Hypothese spricht sich Callu, Lettres I, 20, aus, der meint, man habe Symmachus’ Werke in 12 Bänden gelesen, wobei die Relationen ein eigener Band gewesen seien neben 10 Bänden mit Briefen und einem mit Reden. Vera, Sulle edizioni, 1011 ff, verneint die Parallele zu Plinius mit ausführlicher Begründung; sich anschließend, Roda, Alcune ipotesi, 42 Fn. 44. 59 Vera, Sulle edizioni; zusammenfassend in Commento, XC ff. 60 Falsche Titel tragen die Relationen 3-5; 8, 10 und 12, die inhaltlich nur den Westkaiser betreffen, als Adressaten aber Theodosius und z. T. auch Arcadius nennen.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
den können. Nach Ansicht von Vera ist letztlich von einem (nicht sehr sorgfältigen) anonymen Herausgeber mehrere Jahrzehnte nach dem Tod des Symmachus auszugehen, als man diesen Autor wiederentdeckte, denn derartig grobe Fehler könne man weder dem Autor selbst61, der auf Ansehen und Ruhm bei der Nachwelt bedacht war, noch seinem gut ausgebildeten Sohn62 zuschreiben. Die Konzepte seien von Symmachus aber bereits gesammelt worden, in der Regel allerdings nicht mit Adressaten versehen, sondern nur dort, wo es nötig erschien. Die antike Edition habe aus mehreren ungeordneten Aktenbündeln des Familienarchivs geschöpft. Die uns überlieferten Fehler seien größtenteils dem antiken Herausgeber zuzuschreiben, der versucht habe, inscriptiones einzufügen; denn sie begegnen einheitlich in den verschiedenen Überlieferungszweigen. Eine eindeutige Lösung dürfte hier indes nicht zu finden sein. Die verschiedenen Lösungsansätze bleiben letztlich hypothetisch; insbesondere kann eine antike Edition durch den Autor selbst durch nichts belegt werden. Der Ansatz von Vera kann immerhin recht überzeugend die Fehler der Überschriften und die fehlende Ordnung erklären. Am wahrscheinlichsten erscheint danach eine selbständige, antike Edition der Relationen durch einen späteren anonymen Herausgeber. Dafür spricht auch, dass Autoren des fünften Jahrhunderts Privatbriefe und Reden von Symmachus kennen, aber offenbar nicht die Relationen63. Die Reden wurden im 5. Jahrhundert bearbeitet; vielleicht wurden um diese Zeit auch die Relationen (wieder) entdeckt und ediert.
III. Neuere Editionen und Übersetzungen Zu den verschiedenen Ausgaben der Relationen und die unterschiedlichen Zählungen seit der editio princeps gibt Barrow einen umfassenden Überblick64. Bis heute maßgebend und auch hier zugrundegelegt ist Otto Seeck, Q. Aurelii Symmachi quae supersunt, 1883. Neuere Übersetzungen der gesamten Relationen finden sich bei Barrow, Prefect and emperor, 1973 (englisch) und Vera, Commento storico alle Relationes di Q. A. Simmaco, 1981 (italienisch).
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So allerdings Seeck, Symmachus, XVI f. Hier sei eingewandt, dass man diesem immerhin die Unordnung der Briefe in den Büchern 8 und 9 zutraut, warum also nicht auch weitere Fehler? Allerdings sind bei den Relationen, anders als bei den Privatbriefen, doch grobe Fehler erkennbar und auch eine eigenmächtige Einfügung von Adressaten, d. h. der Text wurde verändert. Die Briefe sind zwar ungeordnet, aber offenbar nicht „verfälscht“ worden. Das mag dafür sprechen, dass hier wohl doch nicht der Sohn am Werk war. 63 Vera, Sulle edizioni, 1029 f m. N. 64 Prefect, 21 f. 62
2. Abschnitt: Die Relationen
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IV. Bisherige Untersuchungen der Relationen Untersucht wurde bisher vor allem die berühmte dritte Relation mit ihrem religionsgeschichtlichen Hintergrund. Eine umfassende juristische Betrachtung gibt es bislang nicht; lediglich einzelne Relationen wurden in dieser Hinsicht teilweise erforscht65, aber meist nur ausschnittsweise und abstrakt als mittelbare Rechtsquelle genutzt, um eine bestimmte Theorie zu untermauern, weniger als umfassende Dokumentation der Rechts- und Verwaltungspraxis jener Jahre. Stattdessen sind immer wieder Pauschalurteile66 über angebliche Entscheidungsschwäche und Unterwürfigkeit des Stadtpräfekten Symmachus und die Relationen als Zeichen des Niedergangs der Rechtskultur zu lesen. Das alles macht eine differenzierte Betrachtung der Einzelfälle erforderlich67, insbesondere zur Frage, ob (einzelne) Relationen tatsächlich aus juristischer Sicht überflüssig waren. Besondere Bedeutung muss dabei einer ausführlichen Erarbeitung des jeweiligen Sachverhalts zukommen, weil gerade insoweit in der bisherigen Literatur oftmals Ungenauigkeiten zu verzeichnen sind und bloße Details ohne Zusammenhang zum Kontext als (angeblicher) Beleg einer allgemeinen Theorie herangezogen wurden.
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Steinwenter, Die Briefe des Qu. Aur. Symmachus als Rechtsquelle m.w.N.; seither sind einige Aufsätze, meist zu Spezialfragen, erschienen. Einzelne Relationen untersuchen Kipp, Erbschaftsstreit (Rel. 16); Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 353 ff (19); Pezzana, Osservazioni (19); Giglio, relatio 19 (19); ders., Intorno (23); BethmannHollweg, Civilprozeß III, 363 ff (28); De Bonfils, Prassi (28); Liebs, Landraub (28); Baron, Denuntiationsprozess, 166 ff (32); Kipp, Litisdenuntiation, 290 ff (32); Muther, Sequestration, 287 ff (33); De Bonfils, Prassi (33); Baron, Denuntiationsprozess, 172 ff (39); Kipp, Litisdenuntiation, 260 ff (39); Giglio, A proposito (49). Einzelne rechtliche Anmerkungen zu den Privatbriefen finden sich bei Dirksen, Römisch-rechtliche Nachweisungen, 149 ff. 66 Beispielhaft: Kipp, Erbschaftsstreit, 69: „Freilich lassen sie (= die Relationen) auch erkennen, wie sehr...selbst einer der höchsten Reichsbeamten jener Zeit, allerdings weniger nach Recht als nach ängstlich beobachteter Sitte, in der eigenen Entscheidung beschränkt ist, wie oft er namentlich Rechtssachen, die durchaus nicht immer besonders verwickelt sind, unter bescheidentlicher Andeutung seiner Ansicht zu allerhöchstem Befinden abgiebt. Sie zeugen von der bedenklich wankenden Autorität der Staatsbehörden... . Theilweise mögen diese Erscheinungen auf die Persönlichkeit des Symmachus zurückzuführen sein, der einsichtig und wohlwollend, aber schwächlich auftritt... . Symptome einer siechen Justiz... .“; Steinwenter, Briefe, 22: „In den rel. 16; 19 und 39 berichtet er, freilich nicht übermäßig klar, über Erbschaftsstreitigkeiten, die er als Stadtpräfekt entscheiden hätte sollen und die er, wie meistens, um sich jeder Verantwortung zu entziehen, schließlich dem Kaiser zur Entscheidung vorlegte.“; McGeachy, Symmachus, 30: „As urban prefect Symmachus was timid and without self-reliance.“; in einem erschreckend unpräzisen Aufsatz stellt Mallà, Quintus Aurelius Symmachus, gar die pauschale Frage, ob er Heuchler oder tragische Gestalt war. Speziell im Hinblick auf die religiösen Fragen liefert Klein in seiner Symmachusbiographie hingegen eine differenzierte Einschätzung der Person Symmachus. 67 Insbesondere hat der ausführliche historische Kommentar von Vera aus dem Jahre 1981 eine juristische Untersuchung nicht überflüssig gemacht, wie bereits Klein in seiner Besprechung anmerkt: Besprechung Vera, 655.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
3. Abschnitt
Geschichtlicher Hintergrund 384/385 Im Folgenden soll das konkrete historische Umfeld der Stadtpräfektur des Symmachus näher beleuchtet werden. Erst vor diesem Hintergrund wird manche Relation verständlich.
I. Zeittafel68 375 Tod des westlichen Kaisers Valentinian I. am 17.11. Sein Sohn Gratian, seit 367 Mitregent, folgt in seine Position. Zum Mitkaiser wird am 22.11. der vierjährigeValentinian II. erhoben. 378 Sieg der Westgoten bei Hadrianopolis; in der Schlacht wird der Ostkaiser Valens am 9.8. getötet. 379 Proklamation von Theodosius I. zum Kaiser für den Osten am 19.1. 382 Antiheidengesetze Gratians. 383 am 19.1. wird Arcadius sechsjährig zum Mitkaiser des Ostens ernannt. Usurpation von Magnus Maximus in Britannien, Gallien und Spanien. Am 25.8. wird Gratian in Lyon ermordet; es regiert nun Valentinian II. im Westen. 384/385 Stadtpräfektur des Symmachus. 387 Maximus besetzt Italien und Africa. Valentinian II. und seine Mutter fliehen nach Thessalonike. Theodosius steht ihnen bei und marschiert gegen Maximus. 388 Sieg von Theodosius I. über Maximus am 28.8. Maximus wird getötet. Theodosius bleibt drei Jahre in Italien. Valentinian II. bis Anfang 391 auf Gallien beschränkt unter Aufsicht des fränkischen magister militum Arbogast. 391 Verbot der heidnischen Kulte in Rom am 24.2. (CT XVI, 10, 10). 392 Tod (Ermordung?) Valentinians II. am 15.5. Usurpation von Eugenius. 393 Honorius wird Mitkaiser des Westens am 23.1. 394 Theodosius I. besiegt Eugenius am 6. 9. 395 Theodosius I. stirbt am 17. 1. Reichsteilung. 410 Plünderung Roms durch die Goten unter Alarich. 438 Codex Theodosianus, 437 fertiggestellt (in Arbeit seit 429), wird in beiden Reichsteilen eingeführt.
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Vgl. etwa Kienast, Römische Kaisertabelle, 327 ff.
3. Abschnitt: Geschichtlicher Hintergrund 384/385
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II. Politischer und gesellschaftlicher Hintergrund69 Im August 383 wird Kaiser Gratian, der vor den Truppen des britannischen Usurpators Magnus Maximus - seinem eigenen General, zu dem seine Truppen in großer Zahl übergelaufen sind - fliehen musste, in Lyon von Leuten des Maximus ermordet. Regierender Kaiser im Westen mit Sitz in Mailand wird damit sein Halbbruder Valentinian II., der nun auch dienstältester Augustus ist. Er ist erst zwölf Jahre alt und zwar nicht formell, aber doch faktisch abhängig von seinen Beratern, insbesondere seiner Mutter Justina, dem fränkischen Heermeister Flavius Bauto70 und dem gesamten consistorium. Wenn hier also vom Kaiser und seinen Entscheidungen die Rede ist, ist regelmäßig dieser Hofbereich gemeint. An die jeweiligen Fachleute am Hof richten sich in der Sache auch die Relationen, wenngleich Symmachus sie ebenso wenig wie seine eigenen Berater kaum einmal nennt. In seinen Privatbriefen aber schreibt er, um etwas in eigener Sache oder zugunsten von Freunden zu erreichen, direkt an diese Minister, auch in Rechtsangelegenheiten (dazu im Dritten Teil). Auch der Mailänder Bischof Ambrosius, der im Zusammenhang mit Relation 3 noch eine Rolle spielen wird, übt einen starken Einfluss auf den jungen Kaiser aus. Im Osten regiert in Konstantinopel Theodosius I., der seinen sechsjährigen Sohn Arcadius Anfang 383 zum Mitregenten gemacht hat. Usurpator Magnus Maximus, von der Armee zum Kaiser ausgerufen, herrscht, de facto anerkannt71, 69 Dazu: Enßlin, RE-Valentinianus II, 2208 ff; Stein, Histoire I, 191 ff; Jones, LRE, 138 ff; Gaudemet, Mutations politiques; Dill, Roman society, 143 ff; Piganiol, L’empire chrétien, 269 ff; Matthews, Western Aristocracies, 173 ff; Cecconi, Governo imperiale; Gutmann, Studien, 96 ff. Zum Hintergrund insgesamt s. a. Demandt, Die Spätantike, 124 ff. 70 Über den Einfluss Bautos macht Maximus eine bezeichnende Aussage, vgl. Ambrosius, Ep. 24, 4: sibi regnum sub specie pueri vindicare. Er scheint der maßgebliche Ratgeber Valentinians gewesen zu sein. Auch in seiner Rekapitulation des Streites um den Victoriaaltar, Ep. 57, 3, erwähnt Ambrosius ausdrücklich, dass Bauto und Rumorid (ein weiterer germanischer, heidnischer Heermeister) an der Beratung des Consistoriums über die 3. Relation teilnahmen. Ihre Stimmen scheinen wichtig gewesen zu sein. Zur Rolle Bautos auch: Stroheker, Zu Rolle der Heermeister, v. a. 317 ff. Zum vielfach beschriebenen religiösen und politischen Einfluss Justinas s. nur Paul., V. Ambr. 11 f; Rufinus, HE, 11, 15; Soc., HE, V, 11; Sozom., HE, VII, 13; Zos., IV, 47, 2. 71 Die Usurpation wird von den amtierenden Kaisern mehr oder weniger offiziell akzeptiert (vgl. Zos., IV, 37, und Inschriften, die ihn als Mit-Augustus nennen, wie z. B. CIL VIII, 27 X = 11025 = ILS 787), bis Maximus 387 nach Italien vordringt. Zum Machtgefüge im Reich zu dieser Zeit und den „Vereinbarungen“ mit und um Maximus: Vera, Rapporti. Maximus wird in den Titeln der Relationen nie als Kaiser erwähnt, man könnte daher daraus schließen, dass er erst nach der Stadtpräfektur von Symmachus anerkannt worden ist. Dagegen wendet sich überzeugend Vera, a.a.O., 283 Fn.46: die Überschriften der Relationen seien sowieso häufig falsch bzw. fehlten und eine nachträgliche Edition hätte den nun besiegten Usurpator weggelassen, sofern er in den Titeln je genannt gewesen sein sollte. Denkbar sei auch, dass Symmachus in den Relationen, die ja überwiegend an Valentinian II. gerichtet waren, aus Feingefühl den Namen des Usurpators weggelassen hatte, wohlwissend, dass dieser so offiziell dann doch nicht gerne gesehen wurde. Letztlich ist von einer Anerkennung des Maximus in den genann-
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
384/385 in Gallien, Spanien und Britannien und hat seinen Herrschaftssitz in Trier genommen. Seine Beziehung zu Valentinian II. ist gespannt; er droht latent mit einer Invasion in Italien und mehrfach (im Winter 383/384 und Sommer 384) wird deshalb Bischof Ambrosius nach Trier geschickt. Dessen letzte Gesandtschaft allerdings endete in völliger Ungnade; Ambrosius rechnete sogar mit Krieg72. Faktisch ist Valentinian II. damit auf die Herrschaft in Italien, Africa und Illyrien beschränkt. Einen offenen Kampf gegen Maximus wagt man derzeit nicht. Theodosius aber ist wohl schon jetzt, jedenfalls aber ab 387, der dominierende der rechtmäßigen Kaiser; wichtige Fragen werden mit ihm abgesprochen worden sein73. Matthews74 spricht sogar davon, er habe eine Art Protektorat über den westlichen Hof errichtet. Direkte Einflussnahme auf die westliche Politik ist zur Amtszeit von Symmachus als Stadtpräfekt, insbesondere in den Relationen, aber (noch) nicht zu spüren. Das Reich ist der Theorie nach rechtlich noch eine Einheit, doch hat jeder Kaiser seinen Reichsteil, eine eigene Zivil- und Militärverwaltung und die Kompetenzen sind örtlich geteilt. Auch die Kaiserkonstitutionen gelten entgegen der Doktrin eines ungeteilten Reiches jedenfalls derzeit (noch) grundsätzlich für jeden Reichsteil gesondert, sofern sie nicht vom anderen Kaiser ausdrücklich übernommen werden75. Es ist daher stets sorgfältig zu prüfen, welche ten Gebieten gegen Anfang des Jahres 384 auszugehen. So auch Vera, a.a.O., mit weiteren Nachweisen zur Diskussion. 72 Ep. 24, 12 f. Möglicherweise entspannte Theodosius die Situation durch einen demonstrativen Besuch in Mailand im August 384; so: Enßlin, RE-Valentinianus II, 2211. Der Besuch ist allerdings historisch fragwürdig, vgl. Vera, Rapporti (dazu bei Rell. 1 und 2). Bis 387 bleibt Maximus jedenfalls friedlich. 73 Dazu rät Ambrosius ausdrücklich in Ep. 17, 12 (384) an Valentinian II. zum Streit um den Victoriaaltar: Certe refer ad parentem pietatis tuae, principem Theodosium, quem super omnibus fere maioribus causis consulere consuesti! 74 Western Aristocracies, 179; s. a. Palanque, Collégialité, 284: „sorte de tutelle“. Eine gewisse Dominanz lässt sich evtl. schon derzeit feststellen, denn Anfang 385 wird ein Mann des Theodosius (Fl. Neoterius) Prätorianerpräfekt von Italien und die Konsuln des Jahres 384 sind zwei Männer des Osthofes: Clearchus und Richomer. 385 allerdings wird Bauto Konsul. Auch Vera, Commento, XXXII ff, XLVIII, betont die Schwäche Valentinians und das Hegemoniestreben des Theodosius. Die fehlende Autorität des westlichen Kaisers, sei es wegen seiner Jugend, sei es infolge von Charakterschwäche, zeigt sich seiner Ansicht nach auch in den Relationen, die von Angriffen auf die Autorität des Stadtpräfekten aus dem Bereich der kaiserlichen Bürokratie berichten, die der Kaiser offenbar nicht unterbinden kann (oder will?), vgl. Relationen 17, 21, 23, 34. In der Tendenz ist es sicher zutreffend, Valentinians Position als eher schwach einzuschätzen, doch lässt sich das jedenfalls nicht ohne weiteres aus den genannten Relationen schließen (s. a. dort). 75 Gaudemet, Partage, 328 ff; ders., Formation, 21 ff; Palanque, Collégialité; Jones, LRE, 472 ff; s. aber neuerdings zur Frage der umfassenden Gültigkeit von leges generales in beiden Reichsteilen auch Pietrini, Sui rapporti legislativi; Lepore, Un problema ancora aperto. Eine Sondersituation gab es insoweit ggf. in den Jahren 388 bis 391. Häufig gab es indes auch derzeit parallele Regelungen. Die grundsätzliche Trennung ebenso wie die mögliche gegenseitige Beeinflussung in der Rechtsentwicklung bestätigt etwa
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Gesetze auf den hier interessierenden westlichen Reichsteil Anwendung finden können. In Rom gibt es weiterhin den Senat als Körperschaft, der allerdings politisch stark an Bedeutung verloren hat, in einer Zeit, in der grundsätzlich der Kaiser die gesamte Macht in seinen Händen hält. Dass er aber seine Privilegien und Mitspracherechte zumindest in eigenen Angelegenheiten nicht ganz aufgeben musste, zeigen einige Relationen. Der Kaiser nimmt die Meinung des Senats durchaus ernst, denn schließlich rekrutiert sich dieser aus den angesehensten Männern, die oftmals auch großen Reichtum angehäuft hatten und ihre Interessen durchaus effektiv zu verteidigen wussten. Vom bisweilen aber doch etwas weltfremden senatorischen Selbstbewusstsein zeugt allerdings die symmachianische Bezeichnung des Senats als pars melior humani generis76; die realen Einflussmöglichkeiten des Senats als Institution bleiben dahinter deutlich zurück77. Rom ist politisch nicht mehr das Zentrum der römischen Welt. Die Senatoren von Geburt, insbesondere aus den alten römischen Familien, stellen, ganz unabhängig von ihrem Glauben, jedoch noch immer den Großteil der höchsten Beamtenschaft, etwa als Provinzgouverneure, Prätorianer- und Stadtpräfekten und auch am kaiserlichen Hofe78 und sichern sich so Macht und Einfluss. Der Kaiser kann auf dieses Potential nicht verzichten. Daneben aber ist der Aufstieg in den Senat von außen möglich (dazu Relation 5); insbesondere sind einzelnen hohen Ämtern bestimmte senatorische Rangklassen zuerkannt. Auch Symmachus unterscheidet in den Relationen die verschiedenen Rangklassen der illustres, spectabiles und einfachen clarissimi. Insgesamt bildet der Senat damit keine homogene Gruppe, sondern setzt sich aus alten und neuen, christlichen und heidnischen, reichen und ärmeren Senatoren verschiedenster Herkunft und Bildung zusammen, was zu einer inneren Spaltung der Versammlung in Einzelfragen führen kann. Die Zentralverwaltung befindet sich am jeweiligen kaiserlichen Hof. Große Wichtigkeit besitzt, nicht zuletzt in Rechtsfragen, der Kronrat, consistorium, der dem Kaiser beratend zur Seite steht. Die in den Relationen übermittelten Anfragen und Eingaben, Prozessentscheide, Rechtsetzungs- und GesandtRelation 16; s. a. Anmerkungen zu Relation 8. Zur Rechtssituation und Gesetzgebung speziell unter Valentinian II. (und Maximus) s. Honoré, Law, 179 ff. 76 Ep. I, 52; s. a. Or. VI, 1: nobilissimos humani generis. Plakativ zum Standesbewusstsein auch Or. VIII, 3, wonach sich vornehmes Blut stets erkenne. 77 Er entschied (außer über senatorische) in der Regel nur über städtische Angelegenheiten, wie jede andere Munizipalverwaltung auch, vgl. Jones, LRE, 687 ff. Zu einer etwaigen Rechtsprechungskompetenz des Senats enthalten die Relationen nichts. Zur Bedeutung der Senatsbeschlüsse siehe v. a. Relationen 5; 8 und 45. 78 Zum weiterhin großen Einfluss der Senatoren: Jones, Sozialer Hintergrund, 349 ff; Chastagnol, Préfecture, 450 ff (Zusammenfassung); ders., Sénat, 293 ff; Näf, Senatorisches Standesbewußtsein, v. a. 12 ff. Der römische Senat umfasst zu jener Zeit ca. 2.000 Männer: Chastagnol, Préfecture, 38 m. N.; kritisch Näf, a.a.O., 14 v. a. Fn. 12. Viele von ihnen waren allerdings nicht vor Ort und nahmen wohl auch nicht regelmäßig an den Sitzungen teil. Zur Frage der Unterscheidung von Senatorenstand und –versammlung s. a. Rell. 5; 8; 45.
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schaftsfragen wurden grundsätzlich dort behandelt. Einige Relationen zeigen hier wachsende Kompetenzen und auch Konkurrenz der Ressortchefs zum Stadtpräfekten. Interessant zu erfahren wäre insoweit vor allem die Besetzung der einflussreichsten Ämter der ständigen consistoriums-Mitglieder am Hofe, die der Ressortchefs mit eigenem Aufgabenbereich des quaestor sacri palatii, des magister officiorum, des comes sacrarum largitionum und des comes rei privatae. Doch ist die genaue Zusammensetzung des consistorium für die Amtszeit des Symmachus nicht rekonstruierbar (vgl. dazu unter VI). Der ausgedehnte Beamtenapparat ist hierarchisch durchgegliedert, Zivil- und Militärverwaltung sind getrennt. Rechtssetzung und Rechtsauslegung sind, das verdeutlicht auch Symmachus mehrfach, im absolutistischen Staat grundsätzlich Sache des Kaisers. Obgleich es also keine Gewaltenteilung im eigentlichen Sinne gibt, wird immerhin der Senat ggf. am Gesetzgebungsverfahren beteiligt, wie Relation 8 zeigt. Eine strenge Bindung der Beamtenschaft an das Gesetz, klare Kompetenzregeln, ein fester Instanzenzug, genaue Verfahrensregelungen, Vorschriften gegen Fehlverhalten79 und freiwillige Selbstbindung des Kaisers an Recht und Gesetz sollen außerdem, jedenfalls theoretisch, Rechtssicherheit verwirklichen. Wie nahe in den Relationen Theorie und Praxis beieinander liegen, wird zu untersuchen sein. Das Kaiserrecht ist noch nicht offiziell kodifiziert. In Rom gibt es allerdings wohl Archive und private Sammlungen der Rechtsquellen, auf die auch der Stadtpräfekt ggf. zurückgreifen kann; regelmäßig tragen auch die Parteivertreter einzelne Konstitutionen vor Gericht vor. Im Innern des Reiches gibt es große soziale Gegensätze und auch Spannungen80. Symmachus ist Vertreter der Gruppe der senatorischen Großgrundbesitzer (vgl. zu deren im Einzelfall häufig skrupellosen Landgier anschaulich Relation 28) mit guten Beziehungen zu höchsten Beamtenkreisen am Hof und in der Provinz, deren Pächter als Kolonen in immer größere persönliche Abhängigkeit geraten. Die Relationen ermöglichen auch einen Einblick in die schwierige Lage von Kurialen und Mitgliedern der Zwangskorporationen, die drückenden erblichen Verpflichtungen unterworfen sind und sich diesen zu entziehen suchen. Ein beinahe alle Schichten treffendes Problem sind zudem die drückenden Steuerlasten; teure Kriege, teure Heereshaltung und ein aufwendiger Staatsapparat müssen finanziert werden. Auch das umfangreiche Versorgungssystem für die Bevölkerung mit Lebensmitteln bereitet immer wieder Sorge, es drohen Hungersnöte und Hungerrevolten. Auch hierzu liefern die Relationen Informationen. Nicht zuletzt führt Korruption zu Versorgungsschwierigkeiten.
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Zu den vielfältigen Regelungen gegen Dienstvergehen: Noethlichs, Beamtentum. Zum sozialen und wirtschaftlichen Umfeld in dieser Zeit: Alföldy, Römische Sozialgeschichte, 154 ff; Arnheim, Senatorial aristocracy, v. a. 155 ff, der, wie auch Roda, Simmaco nel gioco, 63 ff, das senatorische Beziehungsgeflecht betont. Zur wirtschaftlichen Betätigung der Senatoren speziell: McGeachy, Symmachus, 53 ff; Vera, Strutture agrarie. 80
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Die militärische Lage des Reiches ist nach der vernichtenden Niederlage gegen die Goten bei Hadrianopolis nicht einfach. Auch in den folgenden Jahren fallen immer wieder verschiedene Stämme an den Grenzen ein und müssen mühsam zurückgedrängt werden. Ein Beispiel dafür gibt Relation 47, in welcher von einem Sieg über die Sarmaten berichtet wird. Ein großer Teil des Heeres und auch die Generäle rekrutieren sich derzeit aus Nicht-Römern, speziell Franken81, um deren Integration man sich bemüht. Insgesamt ist das Reich 384/385 trotz Usurpation und militärischer Übergriffe militärisch und politisch aber einigermaßen stabil.
III. Die Territorialverwaltung des Reiches, insbesondere Italiens und Roms82 Das Reich ist durchgehend untergliedert in Präfekturen, Diözesen und Provinzen. Italien gehört zur Präfektur von Italien, Africa, Illyrien unter dem entsprechenden Prätorianerpräfekten in Mailand und ist in Provinzen aufgeteilt, die von Statthaltern verschiedener Rangstufen, consulares, correctores, praesides (proconsules gibt es nur in Asia, Africa und Achaia), verwaltet werden, die auch die ordentlichen, oberen Richter in ihrem Bezirk sind. Italien ist untergliedert in zwei Bezirke bzw. Vikariate (es gibt nur die Bezeichnung dioecesis italiciana), die mehrere Provinzen umfassen mit jeweils einem vicarius an der Spitze, die beide dem Prätorianerpräfekten von Italien unterstehen. In Mailand sitzt der vicarius Italiae, der die regio annonaria, das nördliche Italien, verwaltet und in Rom residiert der vicarius urbis Romae, der die regiones (sub)urbicariae83, die südlichen Gebiete, verwaltet. Rom selbst nimmt eine Sonderstellung ein, wird von keinem Statthalter, sondern dem Stadtpräfekten „regiert“, der eine eigene Verwaltung hat. Rom bildet den Mittelpunkt des Vikariats von Rom, untersteht aber nicht dem Vikar, sondern dem Stadtpräfekten, der höchster städtischer Beamter ist und als illustris dem Vikar (spectabilis) im Rang vorgeht84, aber nicht Vorgesetzter des Vikars ist. Der vicarius urbis Ro81
Vgl. Seeck, Geschichte II, 12; Stroheker, Germanentum und Spätantike, 9 ff. Die besiegten Stämme werden z.T. auch als Bundesgenossen assoziiert und zum Heeresdienst verpflichtet. Die Heermeister Bauto (Franke) und Rumorid im Westen sind zu dieser Zeit germanischer Abstammung. 82 Dazu: Simshäuser, Untersuchungen zur Entstehung, 401 ff; Chastagnol, L’administration, 348 ff; De Martino, Costituzione V, 291 ff; De Dominicis, Distretti, 87 ff; Migl, Ordnung, 140 ff; Ausbüttel, Verwaltung, 6 ff. 83 Anders insoweit, aber nicht überzeugend, De Dominicis, Distretti, 89 ff mit Nachweisen zur älteren Diskussion, der davon ausgeht, dass diese Bezeichnung den Bezirk des Stadtpräfekten meint. Zur Widerlegung dieser These sei auf die Ausführungen von Chastagnol, Préfecture, 39-41, verwiesen. 84 Zur Einordnung in die höchsten senatorischen Rangstufen: Chastagnol, Préfecture, 207 f; Léotard, De praefectura urbana, 15 f. Symmachus ist in den Relationen nicht immer konsequent und bezeichnet in den Relationen 28, 4/9; 34, 7; 38, 3, untechnisch den
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mae wiederum ist Vorgesetzter der Provinzstatthalter seines Vikariats und nicht nur Verwalter seines Bezirks, sondern auch Gehilfe des Stadtpräfekten, den er bei Bedarf vertritt. Die teilweise Überschneidung der Amtsbezirke und die fehlende Weisungsgebundenheit des Vikars führt jedoch bisweilen zu Konflikten85, man lese etwa Relation 23. Der Stadtpräfekt selbst ist nicht dem (gleichrangigen86) Prätorianerpräfekten, sondern wie dieser direkt dem Kaiser unterstellt. Trotz der Verlegung der Kaiserresidenz hat Rom also seine Sonderstellung behalten und wird in manchen Kompetenzbereichen bis zum Umkreis von 100 Meilen87 vom Stadtpräfekten verwaltet. Die städtische Selbstverwaltung im Reich ist dagegen im Übrigen infolge der straffen Zentralisierung stark eingeschränkt und umfasst nur noch lokale Aufgaben.
IV. Religiöses Umfeld88 Es ist die Zeit der anhaltenden, wenngleich nicht (mehr) blutigen Auseinandersetzungen zwischen Heiden und Christen. Seit Galerius herrscht Toleranz, seit Konstantin ist das Christentum staatlich anerkannt und immer mehr privilegiert; lediglich unter Julian erlebten die Heiden noch einmal einen deutlichen Aufschwung. Zur Zeit der Stadtpräfektur des Symmachus ist ein großer Teil des Volkes bereits christlich89. Zur gleichen Zeit finden aber Sekten und fremdartige Kulte im Volk großen Anklang und auch der heidnische Teil des Senats spaltet sich in Traditionalisten wie Symmachus und Anhänger neuer Gedanken
Stadtpräfekten auch als spectabilis. Die Einordnung des praefectus urbi unter die illustres zeigt sich jedoch in der überwiegenden Anzahl der Relationen: 20, 1; 23, 4; 26, 2; 30, 3; 34, 3; 34, 10; 34, 12. Der Vikar ist spectabilis: Relation 23, 13; Ep. II, 33 (38283). 85 Zur Zusammenarbeit zwischen Vikar und Stadtpräfekt im Idealfall und möglichen Kompetenzkonflikten auch in der Rechtsprechung, vgl. Sinnigen, Vicarius, 100 ff; Chastagnol, Préfecture, 41 f. Da der Vikar dem Prätorianerpräfekten untersteht, kann der Stadtpräfekt ihn nur schlecht kontrollieren. Weiteres in der Analyse von Rell. 23 und 38 und im nächsten Abschnitt. 86 CT VI, 7, 1 (372). 87 Zum Hundertmeilenbezirk und seiner Entstehung: Partsch, Der hundertste Meilenstein (mit Karte, 21); Vigneaux, Essai, 153 ff. Wie weit die Kompetenzen des Stadtpräfekten hier im Einzelnen reichen, wird im nächsten Abschnitt dargestellt. 88 Zum religiösen Hintergrund vgl. insbesondere Rel. 3 und Ambr., Epp. 17, 18 und 57; Dill, Roman society, 27 ff; Piganiol, L’ empire chrétien, 243 ff; v. a. 269 ff; Klein, Streit, 3 ff; ders., Symmachus, 28 ff; Cracco Ruggini, Ambrogio; Noethlichs, Die gesetzgeberischen Maßnahmen, v. a. 113 ff. 89 Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber jedenfalls hat das Christentum seinen Siegeszug schon begonnen, vielleicht in Rom noch am wenigsten, das sehr traditionell geprägt war. Letzteres betont auch Boissier, Fin II, 231 f. Zu den Mehrheitsverhältnissen im Senat siehe schon oben.
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(Mysterienkulte, Sonnengott, Neuplatonismus90). Die höchste Beamtenschaft ist relativ ausgewogen mit Angehörigen beider Glaubensrichtungen besetzt; so ist der Heide Vettius Agorius Praetextatus 384 Prätorianerpräfekt von Italien, Symmachus Stadtpräfekt in Rom; und auch Hofämter werden an Heiden vergeben91. Die Religion ist für die persönlichen und politischen Beziehungen offenbar zweitrangig, liest man die gleichermaßen freundlichen Briefe, die Symmachus an wichtige Christen wie Heiden schreibt92. In Rom residiert fast achtzigjährig bis zu seinem Tod im Dezember 384 Papst Damasus. Relation 21 erwähnt ihn ausdrücklich; er hat Symmachus offenbar vom Vorwurf der Christenverfolgung entlastet. Ansonsten tritt er während der Stadtpräfektur nicht weiter in Erscheinung. Politisch weitaus aktiver ist der Bischof von Mailand, Ambrosius, der 383/384 sogar als kaiserlicher Gesandter zu Verhandlungen mit Maximus nach Trier reist. Er hat in der Religionspolitik großen Einfluss auf den Kaiser und setzt sich in den Auseinandersetzungen mit dem Kaiser und dem Senat regelmäßig durch (dazu Relation 3). Die amtierenden Kaiser selbst sind Christen, wenn auch mit unterschiedlicher Ausrichtung. Valentinian II., der nicht getauft, aber christlich erzogen ist, und seine Mutter hängen dem Arianismus an93, wenn auch in diesen Jahren noch nicht so offensichtlich wie kurze Zeit später. In der innenpolitisch angespannten Lage wollte man nicht auch noch Streit mit Ambrosius riskieren. Andererseits steht Valentinian auch unter dem Einfluss von heidnischen Beratern wie Bauto94 und praktiziert, wie aufgezeigt, eine durchaus heidenfreundliche Personalpolitik insbesondere zugunsten der römischen Aristokratie95. Theodosius wiederum verficht klar, wenn auch noch nicht aggressiv, den orthodoxen katholischen Glauben96. 90 Darüber informieren Klein, Symmachus, und Matthews, Symmachus and the oriental cults, 188 ff. 91 Zur Religionszugehörigkeit in den höchsten Ämtern unter Valentinian II., soweit sie bekannt ist, siehe die Aufstellung bei v. Haehling, Religionszugehörigkeit, 576: sehr ausgewogen zwischen Heiden und Christen; s. a. unter VI. 92 Eine Untersuchung hierzu liefern McGeachy, Editing; Roda, Simmaco nel gioco, 86 ff. Symmachus schreibt zahlreiche Empfehlungen zugunsten von Christen, zweimal sogar zugunsten von Bischöfen: Epp. I, 64; VII, 51. 93 Dazu: Enßlin, RE-Valentinianus II, 2208 ff; v. Campenhausen, Ambrosius, 191 Fn. 1. 94 Bautos Heidentum ergibt sich möglicherweise aus Ambr., Ep. 57, 3, in dem Ambrosius den Streit um den Victoriaaltar noch einmal zusammenfasst. So: Seeck, Geschichte V, 511 f. Dagegen legt PLRE I, Bauto, 159, Ep. 57 eher im Sinne von Christentum aus; nach Marcone, Commento al libro IV, 54 f, ist sein Glaube etwas unklar. 95 Dazu auch Matthews, Western Aristocracies, 173-182, der meint, die Machthaber seien dazu gezwungen gewesen nach der Usurpation von Magnus Maximus. Dem ist insoweit zuzustimmen, als man wohl in der schwierigen politischen Lage jedenfalls Streit mit den einflussreichen heidnischen Persönlichkeiten vermeiden will und daher den Konsens mit diesen Kreisen sucht, um die politische Lage im Innern des Reiches zu stabilisieren. 96 Zu ihm: Lippold, RE-Theodosius I, 843 ff; v. Campenhausen, Ambrosius, 223-228; Vera, Teodosio, 230. Zu nennen ist etwa CT XVI, 1, 2 (380 an das Volk von Konstanti-
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Doch auch in seinen Diensten stehen Heiden an den höchsten Positionen, wie etwa der berühmte Redner Themistius, zeitgleich mit Symmachus im Sommer 384 Stadtpräfekt von Konstantinopel97. Maximus hingegen, Anfang 383 orthodox getauft, sieht sich als Glaubenskämpfer für die Orthodoxie und lässt Priszillianisten hinrichten (vgl. bei Relation 36). Insgesamt aber wird die Ausübung des heidnischen Glaubens in Italien in diesen Jahren im Grunde nicht beschränkt, wenn ihm auch seit 382 die staatliche Unterstützung fehlt; es gibt keinen Staatskult mehr. Erst 391 wird die Ausübung des Heidenkultes weitgehend verboten98. Bis zu einer gewissen Grenze herrscht also in der hier interessierenden Zeit 384/385 für die Heiden Glaubensfreiheit. Insbesondere Rom wird in seiner Sonderstellung als Hort des alten Glaubens noch weitgehend respektiert. Allerdings gibt es immer wieder Spannungen zwischen den Glaubenslagern, wovon etwa Relation 21 ein beredtes Zeugnis ablegt. Inwieweit aber Christen im Übrigen hinter etwaigen, vom Stadtpräfekten mehrfach gegen seine Person vermuteten Intrigen stehen, muss zumeist offen bleiben. Von Seiten des Ambrosius sind jedenfalls keine üblen Machenschaften zu erwarten, denn ihn verbinden privat, trotz harter öffentlicher Auseinandersetzungen um die Antiheidengesetze, eher freundschaftliche Gefühle mit Symmachus99. Der Nachfolger des Symmachus im Amt des Stadtpräfekten, Valerius Pinianus, ist wohl Christ100, was aber Zufall sein kann, denn eine antiheidnische Politik gibt es auch 385 nicht101; wenn auch die Heiden zunehmend in die Defensive geraten. Festzuhalten ist jedoch, dass Symmachus das Thema Religion nur in der 3. und 21. Relation offen anspricht, d. h. die Religionsfrage spielt in den Relationen insgesamt allenfalls eine untergeordnete, meist überhaupt keine Rolle. Vorsicht ist deshalb geboten mit schlichten, aber verbreiteten Erklärungsmustern, die bei nopel): katholisches Glaubensgebot und Alleingeltungsanspruch. Theodosius eilt mit seinen antiheidnischen Maßnahmen in CT XVI, 10, 7-9 u. a. (ab 381 Opferverbote und Strafdrohungen) dem Westteil des Reiches voraus, hält sich aber aus der dortigen toleranten Glaubenspolitik heraus. 97 PLRE I, Themistius 1, 892. Zu Konsuln für 384 ernennt Theodosius die Heiden Richomer und Clearchus: PLRE I, Flavius Richomeres, 765 f; a.a.O., Clearchus 1, 211 f. 98 CT XVI, 10, 10. Zu Einzelheiten der Entwicklung siehe die Ausführungen zu Relation 3. 99 Man lese nur die herzlichen Briefe des Symmachus an Ambrosius, Epp. III, 30-37 (Empfehlungsschreiben). Zu dieser Beziehung: Forlin-Patrucco/Roda, Le lettere, 284 ff. Man achtet einander jenseits der religiösen Gegensätze, vgl. auch Ambr., Epp. 18, 1-2; 57, 2. Differenzierend: Matthews, Symmachus and his ennemies, 173 f, der von keiner besonders harmonischen Beziehung der beiden ausgeht. Festzuhalten ist aber, dass keine persönliche Gegnerschaft zu bemerken ist. Beide hatten denselben gesellschaftlichen Hintergrund, was als verbindendes Element nicht zu unterschätzen sein dürfte; auch Ambrosius hatte einst eine Beamtenlaufbahn wie Symmachus vor sich. 100 v. Haehling, Religionzugehörigkeit, 391 f: wahrscheinlich Christ wegen seiner Herkunft aus der gens Valeria. So auch Chastagnol, Fastes, 229 f; PLRE I, Pinianus 1, 702. 101 Bauto wird anstelle des verstorbenen Praetextatus Konsul: Rel. 12, 5; PLRE I, Bauto, 159. Zum weiterhin ungetrübten Verhältnis zwischen (mehrheitlich) heidnischem Senat und Kaiser auch v. Campenhausen, Ambrosius, 181 f.
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auftretenden Schwierigkeiten des heidnischen Stadtpräfekten verallgemeinernd in diese Richtung zielen. Unterschiedliche Religion etwaiger Beteiligter allein ist (noch) kein hinreichender Grund, Gegnerschaften zu vermuten.
V. Das geistige und kulturelle Leben102 Es herrscht zu dieser Zeit eine gewisse kulturelle Blüte. Die aristokratischen Kreise um Symmachus befassen sich mit der Übersetzung und Edition von Klassikerschriften wie Livius und Vergil. Das Heidentum verteidigt auch auf dieser Ebene die Tradition und versucht, das Überkommene zu bewahren103. Umfassende Bildung wird als ein hohes Ideal angesehen und gefördert. Neue Impulse, nicht zuletzt aus dem Christentum, werden dabei von Symmachus und seinen Freunden, die die Vergangenheit verklären, weitgehend ignoriert. Die Bewahrung überkommener Traditionen mahnt Symmachus auch in den Relationen immer wieder an.
VI. Das konkrete Machtgefüge - Freunde und Feinde Um das politische Umfeld und damit auch die Position des Symmachus besser einordnen zu können, soll hier der Versuch unternommen werden, soweit wie möglich die derzeitigen wichtigsten Persönlichkeiten und Amtsinhaber, die in den Relationen eine Rolle spielen (könnten), zusammenzustellen, um dann die Frage nach etwaigen Unterstützern bzw. Gegnern des Symmachus zu stellen. 1. Der Mailänder Hof um Valentinian II. Die politisch einflussreiche Mutter des Kaisers, Justina, tritt in den Relationen nicht offiziell in Erscheinung und die wichtigsten Mitglieder des consistoriums104 sind weitgehend unbekannt. Mit Rechtsangelegenheiten ist speziell der quaestor sacri palatii befasst, der in den Relationen allerdings nicht erwähnt wird und auch sonst unbekannt ist105. Der magister officiorum ist zuständig für 102
McGeachy, Symmachus, 153 ff; Fuhrmann, Rom in der Spätantike, 51 ff. Noch in den Saturnalien von Macrob v. Anfang des 5. Jh. spielt Symmachus neben Praetextatus eine wichtige Rolle. In Gesprächen wird dort sein Kreis idealisierend dargestellt. 104 Zu den einzelnen Ämtern und Aufgabengebieten vgl. Delmaire, Institutions; Graves, Consistorium, v. a. 84 ff; Weiss, Consistorium (zur derzeitigen Zusammensetzung: 66). 105 Honoré, Law, 185 f; 189: Es ist nicht mehr derselbe Amtsinhaber wie unter Gratian, aber von 383 bis 387 war evtl. ein und dieselbe Person im Amt. Honoré bescheinigt 103
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
das Gesandtschaftswesen und Polizeiangelegenheiten. Ihm unterstehen die Kanzleien und auch in kirchenpolitischen Fragen kommt ihm eine Vertrauensstellung zu. Er wird in den Relationen 24, 34, 38 und 43 erwähnt, ist aber nicht näher bekannt, vielleicht mit einem gewissen Principius zu identifizieren106. Der comes sacrarum largitionum ist für die Staatsfinanzen zuständig; an ihn fließen Steuern und Abgaben (dazu die Relationen 13, 14 und 46). Er wird von Symmachus ohne Namensnennung in Relation 20, 3 erwähnt und ist sonst unbekannt107. Der comes rei privatae ist Chef der res privata und zieht z. B. Erbschaften des Kaisers und erblose Nachlässe ein (dazu Relation 41) oder konfisziert heidnische Güter (dazu bei Relation 3). Symmachus erwähnt ihn anonym in den Relationen 41, 6 und 48, 2. Der Amtsinhaber des Jahres 384 ist sonst aber unbekannt108. Magister militum sind der Franke und (wohl) Heide Bauto, der 385 das Konsulat erlangt und Symmachus herzliche Briefe schreibt (Epp. IV, 15 f), sowie Flavius Rumorid, ein Germane und Heide (Ambr. Ep. 57, 3). Die vorhandenen Informationen geben also nicht viel her. Interessant wäre hier, mehr über das Umfeld am Hof zu erfahren, über weitere Beamte, insbesondere vielleicht Christen, die Symmachus gegenüber feindlich eingestellt gewesen sein könnten, denn aus Relation 21 ergibt sich, dass die Christen am Hof das Gehör des Kaisers gegen Symmachus finden. Einige wenige Beamte werden in den Relationen zwar benannt, sind aber ansonsten regelmäßig unbekannt und stehen weder erkennbar in Gegnerschaft noch in freundschaftlichem Kontakt zu Symmachus. Allein aus Relation 23 lässt sich ablesen, dass ein tribunus et notarius Fulgentius, die beiden agentes in rebus Gaudentius und Victor sowie ein palatinus Bonifatius sich dem Stadtpräfekten eindeutig und überaus selbstsicher entgegenstellen. Über die möglichen Hintergründe wird zu reden sein. Mehrfach treten in den Relationen auch Kompetenzfragen zwischen dem Stadtpräfekten und einzelnen Fachministern auf, insbesondere dem magister officiorum und dem comes rei privatae. Diese waren ersichtlich bemüht, ihihm kein besonders hohes juristisches Niveau, sondern eher Einfallslosigkeit. Bestimmte Materien werden unter Valentinian II. und seinem quaestor sacri palatii immer wieder behandelt, was sich auch in den Relationen widerspiegelt: Verfahrens- und spez. Appellationsrecht sowie Kompetenzfragen; s. dazu Honoré, a.a.O., 182 und hier in der Gesamtauswertung. 106 Principius ist bezeugt als magister officiorum in CT I, 9, 2 mit propositum vom 9.3.386, könnte also auch schon wesentlich früher im Amt gewesen sein. Einige Autoren gehen jedoch davon aus, dass für 384/Anfang 385 der Amtsinhaber unbekannt sei. So: PLRE I, 1010: Anonymus 23; Vera, Commento, 182. Anders hingegen Clauss, Magister officiorum, 185 f, der mit nicht zwingend überzeugender Argumentation zu dem Ergebnis gelangt, dass Principius wohl vom Herbst 383 bis Anfang 385 in diesem Amt gewesen sei. Allerdings weiß man über die Person sonst nicht viel. Auch seine Religionszugehörigkeit ist unbekannt: v. Haehling, Religionszugehörigkeit, 302. 107 Delmaire, Les responsables, 74; PLRE I, 1010; 1065: Anonymus 24. Basilius ist bis zum 31.8.383 belegt (s. bei Rel. 34). 108 Delmaire, a.a.O.; PLRE I, 1010; 1062: Anonymus 28. Gratians Amtsinhaber Ammian ist jedenfalls abgesetzt, vgl. Rel. 36. Pelagius wird erst für den 15.2.385 bezeugt: CT XI, 30, 45; XI, 36, 29.
3. Abschnitt: Geschichtlicher Hintergrund 384/385
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re Zuständigkeiten gerade auch auf dem Gebiet der Rechtsprechungsgewalt auszudehnen; Symmachus verteidigt hier die Interessen und überkommenen Zuständigkeiten der Stadtpräfektur (vgl. bei den Relationen 38, 41 und 48). Persönliche Gegnerschaften sind hier allerdings wohl nicht auszumachen109. 2. Der Hof von Konstantinopel Die östliche Reichshälfte spielt allem Anschein nach für den Stadtpräfekten von Rom keine prägende Rolle. Auch zu seinem Amtskollegen in Konstantinopel, dem Redner Themistius, sind keine dienstlichen Kontakte belegt. Zum ersten Konsul des Jahres 384, Richomer, steht Symmachus in freundlichem Briefkontakt: Epp. III, 54-69. 3. Die Kirche Ambrosius in Mailand steht, wie bereits beschrieben, trotz der harten Auseinandersetzung um den Victoriaaltar privat in eher freundschaftlicher Beziehung zu Symmachus. Papst Damasus von Rom stirbt, fast achtzigjährig, während der Stadtpräfektur am 11. Dezember 384. Er tritt wenig in Erscheinung, entlastet Symmachus aber laut Relation 21. Sein Nachfolger ab Anfang 385 ist Siricius, der in den Relationen jedoch keine Rolle spielt. 4. Rom Dem Stadtpräfekten untersteht die Beamtenschaft des officium urbanum unter Leitung des princeps officii, der unbekannt ist, mit Symmachus aber nach dem Zeugnis der Relation 23 gut zusammenzuarbeiten scheint. Im officium beklagt Symmachus in Relation 17 schlechte Beamte, einzelne Personen sind aber nicht greifbar. Die Zusammenarbeit mit dem in den Relationen 23, 3 und 35, 2 ohne Namensnennung angesprochenen Getreidepräfekten von Rom ist hingegen gut: partium suarum diligens executor heißt es von ihm in Relation 35, 2. Er ist unbekannt, heißt vielleicht Nicetius110. Der Senat ist gespalten in Heiden und (wohl) eine christliche Minderheit, die allerdings nicht notwendig und schon 109 Vera, Commento, XXXV f, rechnet hingegen den magister officiorum unter Verweis auf verschiedene Relationen (12, 17, 23, 24, 34 und 38) zu den klaren Feinden von Symmachus. Ebenso zählt er, a.a.O., XXXVI; 152 f; 238, den comes sacrarum largitionum zu den Gegnern und verweist auf die Relationen 14, 20, 30 und 34. Diese Vermutungen scheinen jedoch im Einzelfall durchaus zweifelhaft; s. bei den einzelnen Rell. 110 PLRE I, 1014: Anonymus 52. Zu Nicetius/Nicentius (CJ I, 23, 5) und dem späteren Amtsinhaber und Gegner des Symmachus aus Relation 23 Celsus s. bei Rel. 23. Mehrfach zeigen sich in den Relationen Probleme bei der Getreide- und Ölversorgung (Rell. 9, 18, 35 und 37). Die Ursachen hierfür könnten unter anderem auch in mangelnder Zusammenarbeit mit dem proconsul und dem Getreidepräfekten von Africa (beide unbekannt) liegen. S. dort.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
gar nicht geschlossen in Gegnerschaft zum heidnischen Stadtpräfekten steht, denn auch unter den Heiden gibt es einerseits Traditionsbewusste wie Symmachus und andererseits eher Fortschrittliche. Und auch aus dieser Ecke kommen mögliche Gegner, denn Symmachus spricht häufig im Namen des ganzen Senats, was manchem nicht gefallen haben mag. Zu denken ist dabei, und die Relationen 1, 2, 23 und 28 deuten das möglicherweise an, insbesondere an die einflussreiche, christliche Familie der Anicii und vor allem an Petronius Probus. Die Senatoren arbeiten jedenfalls nicht besonders gut zusammen111. Jeder versucht vielmehr, seine eigenen Interessen zu wahren, notfalls auch durch aktiven Widerstand gegen den Stadtpräfekten, wie Relation 28 für einen mächtigen Senator aus der genannten Familie zeigt. Es geht insoweit aber weniger um persönliche Feindschaften als um Besitzstandswahrung und um Altlasten wie etwa in dem von Symmachus ererbten Verfahren gegen den Amtsvorgänger Anicius Auchenius Bassus (dazu die Relationen 23 und 33), gegen das sich aus dem Kreise der genannten Familie möglicherweise Widerstand regt. 5. Präfektur von Italien, Africa, Illyrien Wohl schon nicht mehr im Amt ist Sextus Claudius Petronius Probus (zu ihm bei Relation 28). Er wird ersetzt durch den wenig bekannten Christen Nonius Atticus Maximus112, mit dem Symmachus in freundschaftlichem Briefwechsel steht: Epp. VII, 30-34. Des weiteren ist 384 der Heide, Mitstreiter und Freund des Symmachus Praetextatus Prätorianerpräfekt113, der allerdings Anfang Dezember 384 stirbt (dazu Relationen 10-12 und 24; an ihn gehen Epp. I, 44-55) und durch Flavius Neoterius ersetzt wird, dessen Religion unbekannt ist114. Auch er steht aber in guter Beziehung zu Symmachus: Epp. V, 38-46. Von den amtierenden Prätorianerpräfekten sind demnach keine Feindseligkeiten zu erwarten.
111 Symmachus scheint nicht immer genügend Rückhalt zu haben. Die Senatoren sind trotz seiner Bitten beispielsweise auch nicht bereit, angesichts von Versorgungsengpässen etwas zu spenden, Relation 37. 112 An ihn gerichtet ist CT XIII, 1, 12 vom 13.3.384. Anders noch Stein, Geschichte I, 313, und Seeck, Regesten, 474: Sex. Petronius Probus sei noch bis Ende 384 im Amt geblieben und sein Kollege Atticus ca. im April durch den Heiden Praetextatus ersetzt worden. Diese Ansicht von der ständigen Doppelbesetzung der Prätorianerpräfektur Italiens seit 381 widerlegen jedoch für 384/385 überzeugend Jones, Collegiate prefectures, 85; 89 (Liste der Amtsinhaber), und Cameron, Polyonomy, 178 ff. Zur Person: PLRE I, Maximus 34, 586 f. 113 An ihn als praefectus praetorio gehen CT VI, 5, 2 vom 21.5.384 und CJ I, 54, 5 vom 9.9.384. Sein Heidentum hat allerdings eine andere Tendenz als das des Symmachus. Ihn interessieren, wovon bei Symmachus nichts zu spüren ist, auch die orientalischen Kulte. Dazu: Klein, Rez. zu Vera, Commento, 648. Das macht ihn aber nicht zum Gegner des Symmachus; vielmehr trauert dieser ehrlich über den Tod eines Freundes. In Rel. 35, 2 wird Praetextatus ohne Namensnennung als Präfekt erwähnt. 114 v. Haehling, Religionszugehörigkeit, 69 f. An ihn: CT VIII, 5, 43 vom 1.2.385.
3. Abschnitt: Geschichtlicher Hintergrund 384/385
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Vicarius Italiae in Mailand ist wahrscheinlich der Heide Marcianus115, der mit Symmachus befreundet ist. Symmachus setzt sich für ihn bei Ambrosius ein, Ep. III, 33, und schreibt ihm Epp. VIII, 9, 23, 54, 58 und 73. Der amtierende vicarius urbis Romae ist hingegen unbekannt116. Ohne Namensnennung erwähnen ihn die Relationen 23, 26 und 33. Vor allem Relation 23 beweist, dass der Vikar - offensichtlich nicht der Freund Marcianus, sondern der vicarius urbis Romae - dem Stadtpräfekten entgegenarbeitet. Zwischen beiden Ämtern (und Amtsinhabern) gibt es deutliches Konfliktpotential. 6. Freunde und mögliche Gegner Wie gesehen hat Symmachus gute Kontakte zu einigen der höchsten Würdenträger im Lande; unter ihnen sind auch wirkliche Freunde. Aber auch der Kaiser und seine Berater wollen ihm ersichtlich nicht übel, sondern verleihen ihm ein wichtiges Amt in schwieriger Zeit. Allerdings wird Symmachus in Reaktion wohl auf Relation 17 in CT I, 6, 9 vermutlich schwer getadelt und scheidet wenig später wohl auch vorzeitig aus dem Amt (dazu sogleich). Dass er aber am Hof nicht völlig in Ungnade gefallen ist, zeigen Epp. III, 52; 63 (387), wonach Valentinian II. ihn für sein 3. Konsulat an den Hof kommen lässt. Gegnerschaften sind jedoch deutlich in den Relationen 21 und 23 zu spüren; laut Symmachus auch in Relation 34, doch deutet sich dort wohl eher eine übermäßige persönliche Gekränktheit an. In Relation 21 gerät dabei das christliche Umfeld am Hof in Verdacht, eine Verleumdungskampagne gegen Symmachus angezettelt zu haben. In Relation 23 ist Widersacher hingegen in erster Linie der vicarius urbis Romae; aber auch die Familie des Amtsvorgängers Anicius Auchenius Bassus gerät in Verdacht. Mehrmals, so etwa in den Relationen 28 und 31, zeigt sich überdies ein spürbares Autoritätsdefizit des Stadtpräfekten, das aber 115 An ihn geht CT IX, 38, 7 vom 22.3.384. Es ist nicht ganz klar, welche westliche Diözese ihm untersteht, denn in der angegebenen Konstitution ist er nur als vicarius angesprochen. Die h. M. geht aber davon aus, er sei vicarius Italiae gewesen: Chastagnol, Fastes, 268; Matthews, Western Aristocracies, 180; Kuhoff, Studien, 122. Denkbar wäre allenfalls noch, ihn als vicarius Africae zu identifizieren, denn in seiner späteren Karriere ist er Prokonsul von Africa. Zu ihm: PLRE I, Marcianus 14, 555 f. Jedenfalls steht er im Lager von Symmachus und kommt nicht als Gegner in Betracht. Er ist daher wohl auch nicht der von Symmachus unbenannte vicarius urbis. Hinsichtlich seines Heidentums verweist v. Haehling, Religionszugehörigkeit, 405, auf Ep. VIII, 23 (396). 116 PLRE I, 1014: Anonymus 53; Sinnigen, Vicarius, 104. Manche identifizieren den von Symmachus nicht namentlich genannten Vikar mit Valerius Pinianus, einem christlichen Aristokraten: Cantarelli, Diocesi, 91 f; Martínez-Fazio, Basílica, 200 ff; Vera, Commento, XXXVII m.w.N.; LVII; 169; Giglio, Intorno, 312 ff. Hierbei handelt es sich jedoch um reine Spekulation. Pinianus ist Nachfolger von Symmachus als Stadtpräfekt (s. anfangs). Der Aufstieg vom Vikariat zur Stadtpräfektur aber kommt in der Ämterlaufbahn so gut wie nie vor, vgl Chastagnol, Préfecture, 433, 463 ff; ders., Fastes, 190 ff (ab 374 ist kein Stadtpräfekt ehemaliger Vikar); s. a. Kuhoff, Studien. Die Identifizierung des Vikars mit Pinianus ist also sogar eher unwahrscheinlich. Religion und mögliche Beziehungen des Amtsinhabers zum Hof bleiben daher im Dunkeln.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
durchaus in seiner Person begründet zu sein scheint. Schließlich deutet Symmachus in Ep. II, 7 (384) noch während seiner Amtszeit resigniert die schlechte Stimmung in Rom an, vor allem wegen des Versorgungsproblems, aber auch angesichts von Widerständen ungenannter Personen. Zu denken wäre hier etwa daran, dass möglicherweise sein späterer Nachfolger im Amt, Pinianus, schon aktiv ist und gegen ihn Stimmung macht. Symmachus spricht in Ep. II, 55 (385/386) von ihm immerhin als inquies monitor und tadelt seine Versorgungspolitik als Stadtpräfekt scharf - so wie vielleicht auch er von seinem Vorgänger kritisiert wurde. Möglicherweise gab es Rivalitäten bereits während seiner Amtszeit, so wie es bereits nach seinem Prokonsulat in Africa 375 Neider gegeben zu haben scheint. Damals hintertrieb man eine Statue zu seinen Ehren, Ep. IX, 115: ...aemulorum facta inproba vel ingratorum foeda decreta. Hinter den aemuli könnte auch damals der Nachfolger gestanden haben117. Zwar mag sich Symmachus bisweilen allzu schnell hintergangen fühlen, auch Neid und Spannungen durch seine Persönlichkeitstruktur provoziert und polarisiert haben118; nicht jedes Wort darf hier auf die Goldwaage gelegt werden. Zusammenfassend lässt sich jedoch wohl sagen, dass er vor dem hier ausgebreiteten politischen, gesellschaftlichen und religiösen Hintergrund jedenfalls keinen ganz einfachen Stand hatte.
117 So die Vermutung von Seeck, Symmachus, XLVIII. Anders Roda, Simmaco nel gioco, 106 f; ders., Commento, 256 ff. Wahrscheinlicher ist danach, dass eher ein Zusammenhang mit dem Vater des Symmachus bestand, der zu jener Zeit wegen einer provokanten Äußerung (dazu: Amm., XXVII, 3, 3 f) aus Rom fliehen musste, oder aber mit der freundschaftlichen Beziehung des Symmachus zu Theodosius d. Ä., der zu jener Zeit schweren Anschuldigungen ausgesetzt war (zu ihm bei Rell. 9 und 43). 118 Dazu passt auch Ep. IV, 15 (385), wonach unbenannte Gegner versucht hätten, im Zusammenhang mit dem Konsulatsantritt von Bauto einen Keil zwischen ihn und Symmachus zu treiben.
4. Abschnitt: Das Amt des Stadtpräfekten in den Jahren 384/385
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4. Abschnitt
Das Amt des Stadtpräfekten in den Jahren 384/385119
I. Wesen des Amtes und Befugnisse jenseits der richterlichen Tätigkeit Der Stadtpräfekt ist der höchste zivile Beamte in Rom120 und hat weitreichende Verwaltungs- und Rechtsprechungsaufgaben. Er wird vom Kaiser ernannt121 und entlassen, ist diesem direkt unterstellt und verantwortlich und leitet seine Gewalt von ihm ab. Der comes sacrarum largitionum zahlt ihm ein vom Kaiser festgelegtes Gehalt aus der Staatskasse und als einer der höchsten Beamten des Reiches gehört der praefectus urbi zur obersten senatorischen Klasse der illustres, gleichgestellt dem praefectus praetorio und den Heermeistern122. Der Amtsinhaber ist - wie Symmachus - auch im vierten Jahrhundert in der Regel ein Mitglied aus einer der großen römischen Senatorenfamilien123 und damit besonders befähigt, die Verbindung zwischen Kaiser und Senat aufrechtzuerhalten124. Dies ist wichtig, weil er in seinem Amt besonders die sena119 Zur Entwicklung des Amtes, insbesondere ab der frühen Kaiserzeit: Sachers, REpraefectus urbi, 2503 ff, 2513 ff; Vitucci, Ricerche. Zusammenfassung seiner Kompetenzen in der Prinzipatszeit: Ulp. D I, 12 De officio praefecti urbi. Unter Konstantin und Constantius II. fand das Amt die Prägung, die es zur Amtszeit des Symmachus hat. Vieles findet sich entsprechend noch in der formula praefecturae urbanae bei Cassiodor, Variae VI, 4, vom Anfang des 6. Jh. Die Entwicklung stellen Vigneaux, Essai, 60 ff, und Chastagnol, Préfecture, V ff, dar und schon Léotard, De praefectura urbana, behandelte 1873 gezielt die Stadtpräfektur im 4. Jh. 120 CT I, 6, 7 (376): Praefectura urbis cunctis, quae intra urbem sunt, antecellat potestatibus... . Rel. 23, 1: ...praefecturam, quae Romae est superior ceteris... . Rel. 17, 1: ...ad praefecturam urbanam civilium rerum summa pertineat... . 121 Symmachus dankt den Kaisern als den Urhebern seines Amtes in Rel. 1, 1: Quieto mihi et iam pridem a desideriis honorum remoto praefecturam multis cupitam sponte tribuistis. In Rel. 34, 1 schreibt er einleitend: Omnes, qui ad amplissimos honorum gradus iudicio clementiae vestrae vel favore provehimur... . Bei Amm., XXIII, 1, heißt es dazu: Imperator...Apronianum Romae decrevit esse praefectum. Vgl. zur Auswahl durch den Kaiser auch Ep. V, 63, 3 (397/398). Ein Mitspracherecht anderer Organe, etwa des Senats, scheint es nicht zu geben. 122 CT VI, 7, 1 (372). 123 Das Amt ist die Krönung einer erfolgreichen Karriere; danach konnte, wie bei Symmachus, noch das Konsulat kommen. Zur noch immer rein traditionellen senatorischen Laufbahn des Stadtpräfekten zur konkreten Zeit vgl. die Darstellung bei Chastagnol, Préfecture, 442; zusammenfassend 450 ff. Die Stadtpräfekten jener Jahre bekleiden in ihrer Laufbahn keine Ämter am kaiserlichen Hof, ihre Religionszugehörigkeit unter Valentinian II. wechselt zwischen Heiden und Christen. In aller Regel sind die Amtsinhaber keine ausgebildeten Juristen. 124 Diese Verbindung hält er beispielsweise als Gesandter und Sprecher des Senats wie in Relation 3. Dabei ist er nur von Fall zu Fall Sprecher des Senats, denn zu dem Amt gehört nicht automatisch die Stellung als princeps senatus. So aber Vigneaux, Essai 88 f, und Brancher, Juridiction, 68, wonach er als erster seine Meinung im Senat äußern dürfe. Dagegen Chastagnol, Préfecture, 69 ff m.w.N. zum Streitstand. Für die Zeit des
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
torischen Interessen vertritt, wie Symmachus in Relation 48, 1 betont: praefecturae urbanae proprium negotium est senatorum iura tutari125. Die Amtsdauer des Stadtpräfekten beträgt in der Praxis bisweilen mehrere Jahre, manchmal aber auch nur wenige Monate wie bei Symmachus126. Vermutlich war jedoch die reguläre Amtszeit mindestens ein Jahr und ein früheres Amtsende regelmäßig krankheitsbedingt. Da von einer Krankheit des Symmachus nichts bekannt ist und andererseits einige Relationen Gründe für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Amt (angefangen vom Misserfolg der 3. Relation, dem Tod des Praetextatus, dem kaiserlichen Tadel nach Relation 17, den Intrigen der Relationen 21 und 23 bis hin zur vermuteten Intrige aus Relation 34) und sogar zwei Rücktrittsgesuche (Relationen 10 und 21, 4) enthalten, ist zu vermuten, dass er mehr oder weniger freiwillig - vorzeitig aus dem Amt geschieden ist. Wahrscheinlich wurden seine Gesuche um Rücktritt bald angenommen und er - doch wohl - in Ehren entlassen. Dem Amt ist ein eigener Titel sowohl im Codex Theodosianus als auch im Codex Justinianus gewidmet: De officio praefecti urbis, CT I, 6 und CJ I, 28, doch ergeben sich die einzelnen Befugnisse vor allem aus zahlreichen weiteren Konstitutionen, die die Kaiser an die jeweiligen Stadtpräfekten gerichtet haben, und nicht zuletzt aus den Relationen des Symmachus. Der Amtsbezirk des praefectus urbi erstreckt sich für seine Polizeigewalt auf Rom und den Hundertmeilenbezirk. Er muss als oberster Polizeichef für Ruhe und Ordnung in der Stadt sorgen; dafür unterstehen ihm der Vigilpräfekt und entsprechende Beamte127. Symmachus wird hier im Vorfeld von Unruhen tätig, wenn er etwa die Symmachus gibt es jedenfalls keine Belege dafür, dass der Stadtpräfekt zugleich princeps senatus war. In Rel. 3, 2 betont Symmachus ausdrücklich seine Doppelfunktion als praefectus urbi und Sprecher des Senats, letztere Aufgabe war danach nicht automatisch mit dem Amt verbunden. Zu den regulären Aufgaben des Stadtpräfekten gehörte es jedoch, die Senatssitzungen zu leiten und dem Kaiser die Senatsbeschlüsse mitzuteilen. In den Relationen 8, 9, 12, 13, 43 und 45 übermittelt er dem Kaiser zum Beispiel solche Senatsbeschlüsse und in Rel. 48 übermittelt er im Rahmen eines Prozesses ein Gesuch der beteiligten Senatoren. 125 Insbesondere im Bereich der Rechtsprechung kommen ihm wichtige Befugnisse zu, wenn Senatoren beteiligt sind (s. unten II). Symmachus kümmert sich beispielsweise in den Relationen 5, 8, 13, 45 und 46 um senatorische Angelegenheiten. In der letztgenannten Relation teilt er dem Kaiser zum Zwecke der Steuerveranlagung das senatorische Vermögensverzeichnis mit, d. h. er sorgt auch dafür, dass die Senatoren ihre Pflichten erfüllen. 126 Vergleicht man den Überblick über die Amtszeiten der Stadtpräfekten in den Jahren von 290 bis 423 bei Chastagnol, Préfecture, XVII - XIX, so ist seine Amtszeit zwar kurz, aber nicht auffällig kurz. Der Durchschnitt liegt bei einem Jahr (129 Ernennungen in 133 Jahren), er war etwa sieben Monate im Amt. Sein Nachfolger ist aber immerhin mindestens zwei Jahre im Amt, möglicherweise aber mit Unterbrechung durch die Amtszeit des Sallustius: Vera, Scandalo, 93 f. 127 Seine Polizeikompetenzen beschreibt Chastagnol, Préfecture, 64 ff, 254 ff. Die cohortes urbanae gab es zur Amtszeit des Symmachus nicht mehr. Zu diesem Thema: Sinnigen, Officium, 88 ff; Vera, Commento, 311 f (zu Rel. 42); s. a. Chastagnol, Besprechung Sinnigen, 40. Spezielle officiales erfüllen nun die polizeilichen Aufgaben. Nächt-
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Fremden ausweist (dazu bei Relation 37). Die allgemeine Verwaltung der Stadt obliegt ihm dagegen nur für das Stadtgebiet von Rom mit den Häfen Ostia und Porto. Grundsätzlich gehört alles, was innerhalb dieser Grenzen passiert, in seine Zuständigkeit128. Eine seiner Hauptaufgaben ist es dabei, sich um die Versorgung Roms mit Nahrungsmitteln zu kümmern. Zu diesen Aufgaben äußern sich die Relationen 9, 18, 35 und 37. In diesem Bereich untersteht ihm der Getreidepräfekt von Rom129 und zahlreiches Personal. Der praefectus urbi nimmt die Marktaufsicht wahr, überwacht und schützt die dort tätigen Korporationen und auch im Bereich der Finanzverwaltung besitzt er weitreichende Kompetenzen, denn er verantwortet die Führung der Kassen insbesondere im Versorgungsbereich130. Außer um die Senatoren kümmert er sich auch besonders um die Angelegenheiten der römischen Korporationen, indem er zum einen dafür sorgt, dass sie ihre Pflichten erfüllen, andererseits aber auch darauf achtet, dass ihre Privilegien und Interessen beachtet werden; davon handeln die Relationen 14, 29 und 44. Aus Relation 27 wird deutlich, dass er auch im Bereich der ärztlichen Versorgung der Stadt zuständig ist, zumindest aber für das collegium der Ärzte in Rom. Und auch die öffentlichen Bauten und der Bereich der Wasserversorgung mit dem entsprechenden Personal unterliegen seiner Aufsicht. In den Relationen 25 und 26 beschäftigt sich Symmachus beispielsweise mit dem Einsturz einer Brücke. Des weiteren übt der Stadtpräfekt die Aufsicht über die Spiele aus; insofern hat er auch die Kontrolle über die niederen Magistrate wie die Prätoren, die die Spiele als munus (vgl. Relation 8) erbringen müssen. In Religionsangelegenheiten hingegen schwinden seine Befugnisse mit dem Ende des Heidentums als Staatsreligion131; meist schreitet er hier aufgrund seiner Polizeibefugnisse ein, etwa um Unruhen anlässlich von Papstwahlen zu beenden. liche Polizei und Brandschutz übernimmt weiterhin der Vigilpräfekt; nach Auflösung der Vigilkohorten im 4. Jh. mit Hilfe von collegiati, speziellen Korporationsmitgliedern (s. Rel. 14, 3). Der Stadtpräfekt hatte also keine starken, bewaffneten Kräfte mehr zur Verfügung. Dies könnte die große Sorge des Symmachus vor Aufständen und Unruhen etwa wegen einer Nahrungsmittelknappheit erklären. Er hat wenig Gegenmittel, muss vielmehr vorbeugen (vgl. die Relationen zum Versorgungs- und Korporationsbereich). Vgl. dazu auch Jones, LRE 693 ff mit Beispielen von Flucht der Stadtpräfekten und Angriffen, denen sie hilflos begegnen. S. a. Nippel, Public order, 98-100. 128 Zu seinen im folgenden referierten Verwaltungskompetenzen vgl. die ausführliche Darstellung bei Chastagnol, Préfecture, 43 ff. Außerhalb des Stadtbereichs sind innerhalb der 100 Meilen die jeweiligen Provinzgouverneure oder auch der Vikar für dieses Aufgabengebiet zuständig. 129 Die Zusammenarbeit mit dem praefectus annonae ist unter anderem in CT I, 6, 5 (365: Seeck, Regesten, 35; 70; 222); CT I, 6, 7 (376) und CT XI, 14, 1 (365) geregelt. Dort zeigt sich trotz starker Selbständigkeit des Getreidepräfekten noch immer die hierarchische Überordnung des praefectus urbi. Giardina, Sulla concorrenza, v. a. 70 f, sucht dagegen, u. a. mit Verweis auf Relation 35, zu beweisen, dass der Getreidepräfekt in jenen Jahren (vor Not. Dig) vom Stadtpräfekten noch verwaltungsmäßig unabhängig war; ihm folgt Vera, Commento, 274 f. S. a. bei Rel. 35. 130 Hierzu die Ausführungen bei Rel. 34; zum Aufgabenbereich insgesamt Sinnigen, Officium, 44 ff. 131 Zu diesem Kompetenzbereich ausführlich Chastagnol, Préfecture, 137 ff.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
In Relation 3 (§ 2) nicht nur als Vertreter des Senats, sondern auch in seiner Funktion als Stadtpräfekt, der die Senatsverhandlungen in dieser Angelegenheit mitteilt. Insoweit umfasst sein Aufgabenbereich gegebenenfalls auch Religionsfragen. Der praefectus urbi empfängt auch Gesandtschaften aus der Provinz und nimmt eine Vorprüfung ihrer Petitionen vor, bevor sie zum Kaiser und seinem consistorium gelangen132. Darüber hinaus ist er auch sonst Mittler zwischen Kaiser und Volk, der dem Herrscher über Wünsche und Unzufriedenheit im Volk berichtet (zum Beispiel in der Relation 6) und kaiserliche Entscheidungen verbreitet und vollziehen lässt. Für diese und andere Aufgaben besaß er grundsätzlich auch ein eigenes ius edicendi133, das jedoch in den Relationen des Symmachus keine Rolle spielt und insgesamt wohl nicht mehr stark ausgeprägt war; der Stadtpräfekt hatte in erster Linie das Kaiserrecht umzusetzen. Zur Erfüllung seiner vielen Aufgaben hat der Stadtpräfekt eine eigene Beamtenschaft unter sich, das officium urbanum134, das unter der Leitung des princeps officii steht, einem agens in rebus, der nicht nur dem Stadtpräfekten, sondern wohl auch weiterhin dem magister officiorum als dem Chef der agentes in rebus untersteht, von diesem auch ernannt wird und so den Präfekten als eine Art „kaiserlicher Spion“ kontrollieren kann135. Zwischen ihm, als einem Beamten, der von außen aus dem engeren kaiserlichen Umfeld entsandt wird, und dem Stadtpräfekten kann es zu Konflikten kommen. Unter der Aufsicht des Präfekten steht daneben auch das officium censuale unter dem magister census, d. h. der Bereich von Schul- und Sittenpolizei und Registrierungen (unter anderem Führung der Steuerlisten und der Senatsarchive)136. Im Falle von Verhinde132
CT XII, 12, 8 (382): probata atque elimata; geändert im November 385: CT XII, 12, 10 (an den praefectus praetorio). 133 Gegenstand solcher Edikte waren die Marktordnung, die Zünfte und Vergleichbares: Vigneaux, Essai, 343 f. 134 Zu dessen Organisation in verschiedenen Abteilungen mit wohl mehreren hundert Beamten (Vikare haben bis zu 300 Mitarbeiter: CT I, 15, 5 (365)): Sinnigen, Officium, 10 ff. Dieses Personal steht ihm bei der Erfüllung seiner vielfältigen Aufgaben zur Seite und unterstützt ihn insbesondere auch in seiner richterlichen Arbeit. Einzelne Beamte tauchen in den Rell. 23, 28, 31, 34 sowie 42 u. a. als Hilfspersonal auf. Rel. 17 zeigt allerdings, dass Symmachus mit der fachlichen Qualität seines Personals nicht zufrieden ist und seine eigenen dienstaufsichtsrechtlichen Möglichkeiten begrenzt sind. 135 S. Clauss, Magister officiorum, 32 ff, mit ausführlicher Begründung und Darlegung des Streitstandes; Chastagnol, Préfecture, 229 f; Giardina, Aspetti, 40 ff. Stein, Untersuchungen, 233, betont, dass der princeps officii der Stadtpräfektur als Polizeiorgan auftritt, zum Beispiel in Relation 23, 11, und kommt zu dem Schluss, dass der princeps officii der Stadtpräfektur wahrscheinlich zugleich princeps scholae agentum in rebus war. Anderer Auffassung ist Sinnigen, Officium, 14 ff, der glaubt, dass der princeps ein ehemaliger agens in rebus ist, dessen Vorgesetzter der Stadtpräfekt, nicht aber der magister officiorum ist. Leider ist der princeps officii für 384/385 nicht namentlich bekannt. Er taucht in Relation 23 auf; die Zusammenarbeit mit Symmachus scheint gut zu sein. 136 Sinnigen, Officium, 70 ff. Die censuales stellen das Personal des officium censuale, das insbesondere als Kanzlei des Senats fungiert. Zu den Steuerlisten s. Rel. 46. Zum Aufgabenbereich des öffentlichen Unterrichts ist für Symmachus’ Amtszeit belegt, dass
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rung oder Überlastung wird der Stadtpräfekt vom vicarius urbis Romae vertreten. Dieser steht ihm aber auch sonst zur Seite137. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Beamten schwankt zwischen guter Zusammenarbeit und Rivalität. Aus der umfassenden Verwaltungskompetenz des praefectus urbi erwächst natürlich auch die Aufgabe, die jeweils anfallenden rechtlichen Probleme zu lösen. Auch außerhalb seiner Rechtsprechung hat Symmachus daher mit juristischen Fragen zu kämpfen, etwa in den Relationen 22, 27 und 44. Hier wendet er sich, wenn größere Schwierigkeiten auftreten an den Kaiser, um Bericht zu erstatten, oder auch, um Rat einzuholen oder sich zu beschweren.
II. Die richterlichen Kompetenzen des Stadtpräfekten138 Die vielleicht wichtigste Aufgabe des Stadtpräfekten liegt in der Rechtsprechung als ordentlicher, oberster Zivil- und Strafrichter Roms und des Hundertmeilenbezirks. Der Kaiser richtet an den Stadtpräfekten häufig Regelungen in diesem Aufgabenbereich. Es gilt das nachklassische Kognitionsverfahren, d. h. es ermittelt und entscheidet der beamtete Richter ohne Zuziehung von Geschworenen. Der Stadtpräfekt untersucht den Rechtsfall und fällt das Urteil nach Beratung mit seinem Beisitzer, dem adsessor oder consiliarius139. Welchen Einfluss der adsessor dabei im Einzelnen hatte ist ungewiss, aber immerhin schaffte es ein Alypius offenbar, ein Urteil zu verhindern140. Besondere er als Stadtpräfekt und bekannter Rhetor von Mailand aus um Stellungnahme zur Besetzung des dortigen Rhetoriklehrstuhls gebeten wird. Symmachus empfiehlt den jungen Augustinus: Aug., Conf. V, 13. 137 Den Kompetenzbereich des Vikars beschreibt Sinnigen, Vicarius, 101 ff, mit Beispielen zur Zusammenarbeit der beiden Beamten in der städtischen Verwaltung. In Rel. 26 zeigt sich beispielsweise, dass der Vikar vom Kaiser einer Untersuchung des Stadtpräfekten in öffentlichen Bauangelegenheiten beigeordnet wird. 138 Zum Folgenden: Chastagnol, Préfecture, 84-136 und 372-388; Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 59-67; Brancher, Juridiction, 57 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 536 ff; Léotard, De praefectura urbana, 31-47; Vigneaux, Essai, 134 ff; 202 ff; zur Entwicklung seiner Zivilrechtsprechung in klassischer Zeit s. a. Solidoro Maruotti, Aspetti. Zur Gerichtsbarkeit in Rom zu jener Zeit zusammenfassend: Pieler, Gerichtsbarkeit, 409 ff. Zum Verfahrensgang im Einzelnen unten im 2. Teil, 4. Abschnitt. 139 Vermutlich hatte er nur einen Berater (vgl. auch CT I, 34, 1 (400)); in der Einzahl ist auch in Rel. 41, 8 von ihm (vermutlich) die Rede. In der Literatur wird allerdings häufig von Beratern in der Mehrzahl gesprochen; so vermutet Chastagnol, Préfecture, 372 f, regelmäßig zwei. Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 550; 607, nennen richtig die Einzahl. Auch der Assessor ist nicht unbedingt ein ausgebildeter Jurist, sondern häufig ein ehemaliger Anwalt. Zu ihm s. a. Hitzig, Assessoren, spez. 172 u. a.; zur Einzahl a.a.O., 88 ff. 140 Augustinus berichtet von Alypius, dass er Jurisprudenz in Rom studierte (Conf. VI, 8, 13) und sich als assessor beim comes largitionum Italicianarum in Rom Einflussnahme, Drohungen und Bestechungsversuchen widersetzt und seine Meinung gegen den comes durchsetzen zu können scheint, vgl. Conf. VI, 10, 16. Der Beisitzer war also je-
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Rechtskenntnisse wurden vom Amtsinhaber selbst nicht erwartet; ernannt wurden aber in der Regel erfahrene Männer wie Symmachus, die auch schon in ihrer bisherigen Laufbahn, etwa als Provinzstatthalter, richterlich tätig gewesen waren. Die Prozesse fanden grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wie schon die Bezeichnung des Amtslokals als secretarium etwa in Relation 23 nahe legt. In schwierigen Fällen kann der Stadtpräfekt dem Kaiser berichten141, damit dieser genaue Anweisungen gibt oder selbst (mit Unterstützung des consistorium) das Urteil fällt im sog. Relationsverfahren, das auch bei Symmachus eine wichtige Rolle spielt. Gegen Urteile des Stadtpräfekten in erster Instanz ist die Appellation an den Kaiser möglich142. Im Rahmen dieses Appellationsverfahrens ist eine relatio dann verfahrensmäßig sogar vorgeschrieben. Neben ihm haben der Getreide- und Vigilpräfekt in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich eine eigene zivil- und strafrechtliche Ressortgerichtsbarkeit in Rom143. Größere Fälle urteilt aber der Stadtpräfekt als vorgesetzter Beamter selbst und nur solche Fälle, vor allem solche mit Senatorenbeteiligung, sind in den Relationen überliefert. Im Bereich der Rechtsprechung hat zudem der Vikar in erster und (vor allem) zweiter Instanz teilweise konkurrierende Kompetenzen144 und Konkurrenz entwickelt sich zunehmend auch mit den Ressortdenfalls potenziell durchaus einflussreich, hielt sich aber regelmäßig im Hintergrund, wie offensichtlich auch bei Symmachus. Ggf. musste man ihn aber auch in seine Grenzen weisen, vgl. CJ I, 51, 2 (320), wonach er unter Strafdrohung nichts rechtlich Relevantes anstelle des Richters unterschreiben dürfe, sondern auf beratende Tätigkeit beschränkt sei. Der assessor kommt derzeit noch von außen, wird im 5. Jh. aber aus dem officium urbanum rekrutiert: Chastagnol, Préfecture, 373. 141 S. etwa CT II, 18, 1 (321); CT XI, 29, 5 (374). Näheres unten im 2. Teil, 4. Abschnitt. 142 CT XI, 30, 23 (345) gestattet Senatoren (wieder) die Berufung gegen Urteile des praefectus urbi. Ein Appellationsrecht gegen Entscheidungen des Stadtpräfekten ergibt sich für alle Personengruppen aus CT XI, 34, 2 (355) und CT XI, 30, 44 (384); s. a. CT XI, 30, 30 (363). Ein Beispiel aus der Praxis liefert Amm., XXVIII, 1, 26, und auch in den Relationen zeigt sich, dass eine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Stadtpräfekten grundsätzlich für alle zulässig ist, vgl. z. B. Rell. 16, 28, 32, 33 und 41. Zum Verfahrensgang im Einzelnen unten im 2. Teil, 4. Abschnitt. 143 Zu den gerichtlichen Befugnissen dieser Beamten: Vigneaux, Essai, 110 f, 113 f, 289 f; Brancher, Juridiction, 61-64; Pieler, Gerichtsbarkeit, 411; 413 f. Zu Kompetenzkonflikten mit diesen beiden Beamten kann es eigentlich nicht kommen, weil der praefectus urbi, der auch Rechtsmittelinstanz oberhalb dieser Richter ist, hierarchisch höher steht und den Fall wohl jederzeit an sich ziehen kann. 144 CT IV, 22, 2 (380) gibt dem Vikar eine Kompetenz in Besitzsachen; ansonsten ist er in Zivilprozessen vor allem Gehilfe und Vertreter des Stadtpräfekten. Strafrechtlich hat er eine eigene Zuständigkeit für einen kleinen Bereich: Chastagnol, Préfecture, 90 (Sexualdelikte); Schneider, RE-vicarius, 2035. Auch nach CT XI, 30, 29 (362) muss der Vikar (irgend)eine eigene Rechtsprechungskompetenz 1. Instanz gehabt haben; die Berufung geht (damals noch) zum Kaiser. Meist wirken die beiden Beamten in der Rechtsprechung jedoch zusammen; in Relation 23, 4 und 23, 12 ist denn auch die Rede von ihrem gemeinsamen Gerichtsgebäude, dem secretarium commune. In bestimmten Situationen kann es allerdings zu Konkurrenzkonflikten kommen, denn wenn sofortiges Einschreiten nötig ist, soll im Steuerprozess (wohl in 2. Instanz) entweder der Stadtpräfekt oder der Vikar urteilen, ohne dass die Aufgabenbereiche genau abgegrenzt werden, CT
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chefs am Hof. Von dort werden mehrfach Kompetenzen im jeweiligen Fachbereich und über das eigene Personal geltend gemacht. Möglicherweise deutet sich hier bereits eine künftige Neuordnung an (s. bei Relationen 38, 41 und 48). Eine Konkurrenz bischöflicher Gerichte145 zeigt sich dagegen, zumindest in den Relationen, nicht. Und auch die Munizipalgerichtsbarkeit und das unter Konstantin geschaffene Amt des defensor civitatis, der die kleinen Leute vor Übergriffen der Mächtigen und Amtsmissbrauch schützen soll, spielen keine Rolle. Im Folgenden werden die allgemeinen richterlichen Kompetenzen des Stadtpräfekten dargestellt. Daneben hat er bisweilen aber auch aufgrund spezieller kaiserlicher Delegation im Einzelfall zu entscheiden (dazu bei den Relationen 33 und 36 und auch bei Relation 19) oder enthebt ihn der Kaiser im Einzelfall seiner normalen Zuständigkeit. 1. Rechtsprechung im Zivilprozess Der Stadtpräfekt urteilt hier in erster und zweiter Instanz im sogenannten Litisdenuntiationsprozess auf privaten Antrag des Klägers hin; der Formularprozess ist seit 342 endgültig gesetzlich abgeschafft146. Einige wenige (Hilfs)funk-
XI, 30, 36 (374 an den praefectus urbi): ...vel sublimitas tua vel vicarius, prout quisque vestrum proximus erit, adhibeat examen. Eine solche Konkurrenz zwischen Stadtpräfekt und Vikar in 2. Instanz zeigt auch Relation 38 für einen Strafprozess. Aufgrund der Überschneidung der Kompetenzbereiche außerhalb der Hundertmeilenzone im Vikariat ist jedenfalls in 2. Instanz die Entstehung von Konflikten vorprogrammiert. Als hierarchisch höherstehender (illustris) Beamter (wenngleich nicht Dienstherr) wird sich aber wohl im Regelfall der Präfekt durchsetzen und die Sache an sich ziehen können. Für diese Beurteilung spricht auch eine Formulierung in Relation 23, 3, in der das Gericht des Vikars mit secunda iudicia umschrieben wird und der Stadtpräfekt Symmachus gekränkt ist wegen der Umgehung seines offenbar vorrangig zuständigen Gerichts: Hic iam vestrae perennitatis est aestimare contumeliam praefecturae, cuius causidicus nihil passus auxilium secundis iudiciis impetravit. Im Sinne von Überordnung des Gerichts des Präfekten interpretieren diese Textstelle auch Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 63 f; Vigneaux, Essai, 269; Brancher, Juridiction, 65. In Relation 33 hingegen zieht Symmachus den Vikar von sich aus zu einem Prozess hinzu bzw. versucht dies wenigstens. Ansonsten ist der Vikar regelmäßiger Vertreter des Stadtpräfekten in erster und zweiter Instanz. Demgemäss ist im Jahre 369 der Vikar verärgert, weil er nicht als Vertreter des erkrankten Stadtpräfekten in einem Strafprozess akzeptiert, sondern ihm der Getreidepräfekt Maximinus vorgezogen wird: Amm., XXVIII, 1, 32 und XXVIII, 1, 8 ff. Nach Amm., XXVIII, 1, 22, wirken Stadtpräfekt und Vikar in Strafsachen zusammen. 145 Gesetzliche Regelung in CT I, 27; CJ I, 4. Zur möglichen Konkurrenz gegenüber dem Gericht des Stadtpräfekten: Brancher, Juridiction, 93 f. Symmachus selbst äußert sich gegenüber Ambrosius kritisch über bischöfliche Gerichte in Zivilsachen in Ep. III, 36 (gegen 397): Sunt leges, sunt tribunalia, sunt magistratus... . S. a. McGeachy, Symmachus, 150 f, und allg. zur kirchlichen Gerichtsbarkeit: Pieler, Gerichtsbarkeit, 467 ff; Vismara, Ancora, 65 ff. 146 CJ II, 57, 1. Zum Verfahren im Einzelnen unten im 2. Teil, 4. Abschnitt.
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tionen übernimmt dabei noch immer der Prätor, wie auch die Relationen 16, 19 und 39 zeigen. In erster Instanz führt der Stadtpräfekt allgemein alle Prozesse gegen Beklagte, die in Rom und dem Hundertmeilenbezirk ihren Wohnsitz haben nach der weiterhin geltenden Regel: actor rei forum sequitur. Die Erstreckung seiner Kompetenz auf den Hundertmeilenbezirk zeigt sich etwa in CT II 16, 2 (319, an den Stadtpräfekten): ...ad interponendam contestationem in urbe Roma...et intra centesimum urbis Romae miliarium, si tamen ab his iudicibus, qui Romae sunt, fuerit iudicandum... . Und auch aus den Relationen lässt sich ein Zuständigkeitsbezirk erkennen, der sich nicht auf Rom beschränkt. Kraft des Privilegs des domicilium dignitatis, nach dem alle Senatoren fiktiv als in Rom lebend angesehen werden, sind von dieser Kompetenzregelung zudem auch alle Zivilprozesse erfasst, in denen (westliche) Senatoren Beklagte sind, egal wo diese wirklich leben147. Eine spezielle Zuständigkeitsregelung für senatorische causae pecuniariae gibt es, wie die Relationen zeigen, wohl erst später148. Die all147 CT II, 1, 4 (364): Actor rei forum sequatur, ita ut, si senatores aliquid a provincialibus poscunt, eo, qui provinciam reget, cognitore confligant. Si vero provincialis non suscipiat, sed inferat actiones, p(raefecto) u(rbi) disceptante decertet. In Rel. 48, 1 weist Symmachus darauf hin, dass Senatoren seiner Gerichtsbarkeit unterfallen und spielt in Relation 48, 2 in einem Zivilprozess genau auf diese Regel an und beruft sich dazu auf nicht überlieferte Vorschriften Valentinians II., die dieses Vorrecht bestätigten: ...inplorataeque vestri numinis sanctiones, quae senatorum controversias transferri ab urbano foro ad peregrina vetuerunt. Senatoren meint hier Angehörige des senatorischen Standes, also auch Kinder und Frauen (clarissimae feminae) von Senatoren. Die Frau teilt insoweit Rang und Gerichtsstand des Mannes (bzw. Vaters). Praktische Beispielsfälle für diesen Zuständigkeitsbezirk finden sich in den Relationen 19, 28, 30 und 31. Zur Frage des Wohnortes von Senatoren und der Frage der Zugehörigkeit zum senatorischen Stand: Chastagnol, Problème du domicile, 50 f; ders., Les femmes, 12 ff, 22 f, 27. Ein Beispiel für die allgemeine Zuständigkeit des Stadtpräfekten im Hundertmeilenbezirk (auch) über nichtsenatorische Beklagte liefert daneben Relation 32 (und evtl. auch Rel. 16). Die Hundertmeilenzone für die Rechtsprechung erster Instanz findet sich ausdrücklich dann wieder bei Cassiodor, Variae VI, 4, 5. Einen zusätzlichen dinglichen Gerichtsstand, forum rei sitae, gab es im Osten ab 385: CJ III, 19, 3. 148 CJ III, 24, 2: Senatores in pecuniariis causis, sive in hac urbe sive in suburbanis degunt, in iudicio tam praetorianae quam urbicariae praefecturae nec non magistri officiorum (quotiens tamen ad eum nostrae pietatis emanaverit iussio), in provinciis vero ubi larem fovent aut ubi maiorem bonorum partem possident et adsidue versantur respondebunt. Der Stadtpräfekt ist insoweit nur noch zuständig für Senatoren mit Aufenthaltsort in Rom. Senatoren, die in den Provinzen ihren Wohnsitz oder den Großteil ihres Vermögens haben und sich dort häufig aufhalten, kommen dagegen vor den Provinzstatthalter. Seeck, Regesten, 105; 246; Jones, LRE 491 Anm. 47; Giglio, Tardo impero, 43 f; Pieler, Gerichtsbarkeit, 453, datieren diese Regelung auf 376. Die Konstitution, die sich wie CT IX, 1, 13 (376; die Vorschrift zum quinquevirale iudcium, s. a. sogleich) ad senatum richtet, sei Teil einer einheitlichen Regelung Gratians (so der Titel des Gesetzes) zugunsten der Senatoren gewesen. Zur Zeit der Stadtpräfektur des Symmachus hätte danach diese Kompetenzregel grundsätzlich gegolten. Fraglich ist dann allerdings, was unter causae pecuniariae zu fassen ist. Giglio und Pieler halten a.a.O. CJ III, 24, 2 für eine allgemeine Kompetenzzuweisung für Zivilprozesse. Das würde bedeuten, dass das Privileg des domicilium dignitatis derzeit wohl nicht greifen würde, denn
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gemeinen zivilprozessualen Regeln gelten nach Relation 40 auch in einem Prozess zwischen zwei Städten um Getreidelieferpflichten, den wir heute wohl als öffentlich-rechtliche Streitigkeit qualifizieren würden. Für die Fiskalgerichtsbarkeit149, die im Übrigen ebenfalls weitgehend (bis auf gewisse Fristen etwa) nach den zivilprozessualen Regeln abläuft, ist der Stadtpräfekt dagegen nur dann in erster Instanz zuständig, wenn sich der Prozess wie in Relation 30 gegen Senatoren richtet. Ansonsten sind es spezielle Beamte, die rationales; der Stadtpräfekt ist insoweit erst in zweiter Instanz zuständig (Relation 41). 2. Rechtsprechung im Strafprozess Der Stadtpräfekt ist auch im Strafprozess ordentlicher Richter in und um Rom und wird, jedenfalls in den Relationen (38 und 49), regelmäßig auf private Anzeige hin und nicht von Amts wegen tätig. Es zeigt sich, dass das Anklägerverfahren vermutlich noch immer der Regelfall war. Eine Sonderstellung nimmt insoweit Relation 36 ein. Hier wird Symmachus auf spezielle kaiserliche Anweisung hin mit einem politisch brisanten Kriminalprozess befasst. Jedenfalls in solchen und ähnlichen Verfahren von öffentlichem Interesse wurde das Verfahren also ggf. von Amts wegen eingeleitet (ein Beispiel vielleicht auch in Relation 31).
eine ausnahmslose Regelung dazu gibt es erst in CJ X, 40, 8 (390) wieder: Senatores in sacratissima urbe domicilium dignitatis habere videntur. Gegen diese Auslegung sprechen jedoch die oben zitierte, weite Formulierung in Relation 48, 2 und auch die Relationen 19 und 30. In Relation 19 ist Symmachus unbestritten gegen eine beklagte Senatorin zuständig, obwohl das streitige Vermögen nach eigenen Angaben weit entfernt liegt. Denkbar wäre daher allenfalls, dass causae pecuniariae eng auszulegen ist und tatsächlich nur Prozesse, die Geld betreffen, nicht aber alle Zivilsachen umfasst (vgl. zu causae pecuniariae als Geldstreitigkeiten etwa Paul. D. I, 12, 2). Vera, Commento, 450, interpretiert CJ III, 24, 2 in eben diese Richtung, dass nämlich alle Prozesse um Forderungen des Fiskus gemeint seien, die Senatoren betreffen. In Relation 30 ist der Stadtpräfekt für eine Geldforderung des Fiskus gegen zwei Senatorinnen jedenfalls unbestritten zuständig. Allerdings steht die genannte Konstitution unter dem allgemeinen Titel ubi senatores vel clarissimi civiliter vel criminaliter conveniantur und galt daher wohl doch eher für alle Zivilprozesse. Chastagnol, Préfecture, 128 Fn. 2; 129 f Fn. 4, und Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 537 Fn. 48 („wohl 390, itp.“), datieren die Regelung hingegen auf 390 (so das angegebene Konsulatsjahr), so dass sie zur Zeit der Stadtpräfektur des Symmachus noch gar nicht gegolten hätte und es beim Prinzip des domicilium dignitatis bliebe. Für diese Auffassung oder jedenfalls die Annahme, dass die Vorschrift interpoliert ist, sprechen die genannten Relationen 19, 30 und 48. Danach ist der Stadtpräfekt für Zivilund Fiskalprozesse gegen Senatoren offenbar umfassend zuständig. Vor allem die allgemein gefasste Formulierung in Relation 48, deren Fall in irgendeiner entfernten Provinz spielt, steht der Annahme entgegen, dass CJ III, 24, 2 im Jahre 384/385 umfassend galt. Symmachus zitiert immerhin sanctiones von Valentinian II., die den Senatoren offenbar (wieder?) ein umfassendes Privileg einräumen. 149 Zu ihr: Pieler, Gerichtsbarkeit, 415; 447 ff.
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
In erster Instanz ist der praefectus urbi zuständig, wenn der Begehungsort des Delikts in Rom und dem Hundertmeilenbezirk liegt150. Er ist zuständiger Richter für grundsätzlich alle Delikte, besitzt als einziger in Rom das ius gladii und kann Todesurteile verhängen. Sonderregeln gelten nur, wenn über Leib und Leben von Senatoren zu befinden ist151: Der Stadtpräfekt ermittelt Delikte, auf 150 Der Hundertmeilenbezirk in Strafsachen galt schon nach Ulp. D I, 12, 4. Dass der Begehungsort des Delikts in einem bestimmten Bezirk über die richterliche Zuständigkeit entscheidet, ergibt sich aus CT IX, 1, 1 (316/317). Die Regelung gilt grundsätzlich ausnahmslos für alle Angeklagten, auch für Senatoren. In Relation 49 zeigt sich eben dieser Kompetenzbereich des Stadtpräfekten für Delikte von Senatoren, die in Rom und den 100 Meilen begangen worden sein sollen. Etwas unklar hinsichtlich etwaiger Kompetenzen des Stadtpräfekten im Hundertmeilenbezirk und über Senatoren ist zwar die Formulierung in CT IX, 40, 12 (377): Campaniae consularibus formam iudicationis adscribimus ne in loca certa conditione finito modum iudicationis excedant, neque extra provinciam suam ius relegationis exerceant, doch ist diese Formulierung sehr wahrscheinlich so zu interpretieren, dass nur außerhalb Roms und des Hundertmeilenbezirks, der schon seit langer Zeit in der Rechtsprechung Amtsbezirk des Stadtpräfekten ist, die jeweiligen Provinzstatthalter zuständig sind und sonst jener. CT IX, 16, 10, (371) gibt dem Stadtpräfekten ausdrücklich die Kompetenz für Verfahren wegen Zauberei gegen Senatoren; wobei er unlösbare Fälle dem Kaiser übergeben soll; s. a. CT IX, 40, 10 (dazu die folgende Fn.). Weitere Beweise aus der Praxis für die Kompetenz des praefectus urbi in Strafsachen liefert Ammian u. a. in XXVI, 3, 1 f (Zaubereiprozesse unter Julian); XXVII, 3, 2 (Reeder-Angelegenheit) und XXVIII, 1, 8 (Giftanschlag). Relation 38 zeigt, dass der Stadtpräfekt in erster Instanz jedenfalls nicht im ganzen Vikariat zuständig ist, sondern außerhalb des Hundertmeilenbezirks der jeweilige Statthalter. Erst CJ III, 13, 5 (397) bringt dann den Gerichtsstand des Beklagten (Angeklagten) wie in Zivilsachen: In criminali negotio rei forum accusator sequatur. 151 CT IX, 1, 13 (376): Provincialis iudex vel intra Italiam, cum in eius disceptationem criminalis causae dictio adversum senatorem inciderit, intendendi quidem examinis et cognoscendi causas habeat potestatem, verum nihil de animadversione decernens integro non causae, sed capitis statu referat ad scientiam nostram vel ad inclytas potestates. Referent igitur praesides et correctores, item consulares, vicarii quoque, proconsules de capite, ut diximus, senatorio negotii examine habito. Referant autem de suburbanis provinciis iudices ad praefecturam sedis urbanae, de ceteris ad praefecturam praetorio. Sed praefecto urbis cognoscenti de capite senatorum spectatorum maxime virorum iudicium quinquevirale sociabitur et de praesentibus et administratorum honore functis licebit adiungere sorte ductos, non sponte delectos. Senatores ist hier in der umfassenden Bedeutung zu verstehen; es soll der ganze Stand privilegiert werden. Auch sonstige Kompetenzregeln zugunsten von Senatoren erfassen den ganzen ordo. Schon durch CT IX, 40, 10 (367: Seeck, Regesten, 67; 230) wird z. B. dem Stadtpräfekten auferlegt, den Fall an den Kaiser zu übergeben vor jeder schärferen Bestrafung eines Senatoren - im Sinne von Mitglied des senatorischen Standes: ...in senatorii ordinis viros... . Für entsprechend weite Interpretation auch von CT IX, 1, 13: Lécrivain, Sénat, 91 f; Chastagnol, Préfecture, 124 Fn. 5; Piganiol, Empire, 224 Fn. 3; Vincenti, Partecipazione, 65 ff; wohl auch Lippold, RE-quinquevirale iudicium, 1164, und Flach, Iudicium quinquevirale, 370. Anderer Ansicht ist Coster, Quinquevirale iudicium, 7; ders., Reconsidered, 43 f, wonach nur „wirkliche“ Senatoren, also (stimmberechtigte) Mitglieder der Senatsversammlung, gemeint seien. Gegen diese Interpretation spricht jedoch, dass als senatus zu jener Zeit sowohl der ordo als auch die Versammlung bezeichnet werden; man differenzierte nicht mehr klar, vgl. dazu m. N. zum Sprachgebrauch hier bei Rell. 5, 45 und 48: Clarissimus und senator werden derzeit synonym verwendet. Das Fünfmännergericht, das 423 mit CT II, 1, 12 bestätigt wird, tritt in den Relationen nicht explizit
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die die Todesstrafe steht und die von Senatoren in Rom oder dem Hundertmeilenbezirk begangen wurden, selbst. Im Übrigen Teil des südlichen Vikariats untersuchen die Provinzstatthalter beziehungsweise der Vikar derartige dort begangene Taten. Diese Beamten dürfen aber nicht über die Strafverhängung beschließen, sondern müssen an den Stadtpräfekten berichten. Hat der praefectus urbi dann über die Verhängung der Todesstrafe gegen Senatoren zu entscheiden, muss er für Taten dieser Art im ganzen Vikariat ein spezielles Gremium von fünf durch Los bestimmten, ranghohen Senatoren, das sogenannte quinquevirale iudicium, zur Urteilsfindung heranziehen. Kapitalklagen gegen Senatoren werden also im südlichen Vikariat einem fünfköpfigen iudicium unter Vorsitz des praefectus urbi überantwortet. Andere Delikte von Senatoren werden hingegen grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln behandelt152. Majestätsprozesse jedoch entschied der Kaiser regelmäßig selbst und auch für Amtsdelikte gab es wohl spezielle Zuständigkeitsregeln153. Richtete sich beispielsweise ein Vorwurf etwa wegen Unterschlagung von Staatsgeldern gegen einen Amtsvorgänger, ermittelte der Stadtpräfekt, ggf. unter Beteiligung des Vikars, den Schuldigen und informierte den Kaiser von seinem Untersuchungsergebnis, der dann im Einzelfall selbst die Strafe aussprach. Wurde das Amtsdelikt in den Provinzen begangen, ist der Stadtpräfekt grundsätzlich nicht mit der Sache befasst. 3. Rechtsprechung als Appellationsinstanz Der Stadtpräfekt übt kraft ständiger kaiserlicher Delegation die Rechtsprechung in zweiter Instanz in Zivil- und Strafsachen aus; er entscheidet anstelle des Kaisers, vice sacra154. Es gibt einen festen Instanzenzug. Der Stadtpräfekt in Erscheinung, s. a. die Ausführungen zu Rell. 31, 36 und 49. Zu diesem Gericht: Coster, Quinquevirale iudicium; ders., Reconsidered; Giglio, Tardo impero, 198 ff (s. aber auch die folgende Fn.); Vincenti, Praescriptio fori, 434 ff; ders., Partecipazione, 62 ff; Flach, Iudicium quinquevirale, spez. 368 ff. 152 Anders Giglio, Tardo impero, 199 u. a.; ders., Giurisdizione, 224 ff, und schon Lécrivain, Sénat, 91 f, die CT IX, 1, 13 auf alle Kriminalprozesse gegen Senatoren beziehen. Caput senatorum meint laut Giglio nicht Kapitalprozesse gegen Senatoren, sondern bezeichnet die Person des Senators. Auch Chastagnol, Sénat, 323 f, ist willens, CT IX, 1, 13 jedenfalls für alle schweren Taten von Senatoren anzuwenden. Wie hier u. a. Vincenti, Praescriptio fori, 434 ff; ders., Partecipazione; s. a. Flach, Iudicium quinquevirale, 368 f. Demnach handelt es sich wohl, und das ist mit Wortlaut und Sprachgebrauch zu vereinbaren, um eine Spezialregel (nur) für bestimmte Delikte. Die Relationen liefern dazu allerdings keine zusätzlichen Argumente. 153 Dazu: Chastagnol, Préfecture, 99 f; 128 f, der, wohl überspitzt, Spezialkompetenzen bei Pekulatsvorwurf annimmt. Nach dem Zeugnis der Relationen führt der Stadtpräfekt, ggf. zusammen mit dem Vikar, bei Unregelmäßigkeiten im Amt jedenfalls die Untersuchungen. Dazu Rell. 23, 25 f, 33 und 34. 154 Der Stadtpräfekt ist inschriftlich regelmäßig bezeugt als iudex sacrarum cognitionum oder vice sacra iudicans, z. B. CIL VI, 1161, 1162; VI, 31391; VI, 31401; VI, 3866. Vgl. auch CT XI, 30, 13 (329) an den Stadtpräfekten: ...sed gravitatis tuae, cui nostram vicem commisimus, sacrum auditorium expectari. Entsprechend auch die Be-
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
urteilt oberhalb der niederen Richter Roms - wie dem Prätor, dem Getreideund dem Vigilpräfekten -, des Hundertmeilenbezirks und des südlichen Vikariats von Italien155. Praktische Beispiele hierfür finden sich auch in den Relationen 39, 40 und 38, in denen Symmachus oberhalb des Prätors, des consularis Campaniae sowie des corrector Apuliae et Calabriae zuständig ist. Außerdem ist er oberhalb des rationalis in Relation 41 mit einem Fall befasst. Jedes erstinstanzliche Urteil kann grundsätzlich (Ausnahmen zeigen die Relationen 16, 28 und 33) mit der appellatio/provocatio angegriffen werden und auch gegen das Berufungsurteil des Stadtpräfekten, obwohl vice sacra ergangen, ist ggf. eine weitere Berufung zum Kaiser zulässig156. Der vorgegebene Instanzenzug ist strikt einzuhalten und darf insbesondere nicht dadurch umgangen werden, dass anstelle des ordentlichen Rechtsmittels der Kaiser angerufen wird. Allerdings kommt es vor, dass der Stadtpräfekt ein Verfahren, das in erster Instanz von ei-
zeichnung des (eigenen) Gerichts des Stadtpräfekten zweiter Instanz in den Relationen: 39, 4: sacrae sedis examen; 40, 1: ad sacrum auditorium ex provocatione migravit; 40, 5: cognitio auditorii sacri; 41, 6: auditorium sacrum; ...sedi, quae vicem principum tuetur. Vgl. zum Thema auch: Peachin, Iudex vice Caesaris. 155 CT XI, 30, 13 (329): iudicum inferioris gradus. Er wird z. B. angerufen gegen das Urteil des Prätors: CJ VII, 62, 17 (326 an den Stadtpräfekten: Seeck, Regesten, 63; 128; 177; s. a. CT III, 32, 2): Si apud utrumque praetorem, dum quaestio ventilatur, ab aliqua parte auxilium provocationis fuerit obiectum, praefecturae urbis iudicium sacrum appellator observet. CT XI, 30, 27 (357) weist dem Prätorianerpräfekten die Rechtsmittel in bestimmten romnahen Provinzen zu; der Stadtpräfekt war zu dieser Zeit wohl nur innerhalb des Hundertmeilenbezirks zuständig. Ab 364 urteilt der Stadtpräfekt dann aber oberhalb des vicarius urbis Romae, CT I, 6, 2 (364 an den Stadtpräfekten): Sacrae definitionis ius magnificentiae tuae detulimus, cum ab urbis Romae vicario interposita provocatio nostrae cognitionis opperiri videbitur dignitatem. Aus dieser Konstitution und den Relationen 38 und 40 ergibt sich, dass sich die Kompetenz in Berufungssachen 384/385 wohl auf das suburbikarische Vikariat erstreckt, denn die genannten Richter urteilen außer in Rom und im Hundertmeilenbezirk auch in den Provinzen des südlichen Vikariats. Schon der Vater von Symmachus hatte als Stadtpräfekt (364/365) offenbar die Kompetenz in zweiter Instanz oberhalb des corrector Lucaniae et Bruttiorum: Ep. II, 44 (Strafsache). In Relation 41 zeigt sich außerdem, dass der Stadtpräfekt - jedenfalls derzeit noch - sogar in Fiskalprozessen oberhalb ihm nicht unterstehender Richter wie dem rationalis zuständige Rechtsmittelinstanz im Vikariat bzw. der Hundertmeilenzone ist; dazu auch CT XI, 30, 18 (329: Seeck, Regesten 48; 179); 41 (383). Epp. II, 28 und 30 zeigen 389 den Stadtpräfekten dann sogar als zweite Instanz oberhalb des consularis Siciliae. 156 Das gilt, wie in Relation 41 deutlich wird, jedenfalls in Fiskalprozessen, wenngleich Symmachus die Appellation als inusitata bezeichnet. Aber auch in Relation 40, einem Streit zwischen zwei Städten um Getreidelieferpflichten, deutet sich an, dass eine zweite Appellation wenigstens in Erwägung gezogen wird. Zwei Appellationen, bis hin zum Kaiserurteil, sehen im Übrigen auch CT XI, 30, 16 (331) - mit Ausnahme nur für den praefectus praetorio – und CT XI, 30, 41 (383) - Fiskalgerichtsbarkeit - vor; s. a. CT XI, 38, 1 (391 an den Stadtpräfekten). In Epp. II, 28 und 30 (389) allerdings zeigt sich Symmachus empört über eine Appellation, die gegen eine zweitinstanzliche Entscheidung des Stadtpräfekten eingelegt wird. Doch dort gab es bislang nur eine eigentlich (insgesamt) inappellable Zwischenentscheidung; der Fall ist daher wohl nicht verallgemeinerbar (zum Fall m.w.N.: Callu, Lettres I, 235; s. a. bei Rel. 16).
4. Abschnitt: Das Amt des Stadtpräfekten in den Jahren 384/385
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nem ihm unterstellten Richter geführt wird, an sich zieht, sogenannte evocatio; dazu bei Relation 38. 4. Freiwillige Gerichtsbarkeit Auch im Bereich der Freiwilligen Gerichtsbarkeit hat der Stadtpräfekt mittlerweile Kompetenzen erhalten, wenn auch der Prätor noch deutlich mehr Befugnisse als in der streitigen Gerichtsbarkeit behalten hat. Bisweilen wirken die beiden Beamten hier auch zusammen. So nimmt der Stadtpräfekt die Würdigkeitsprüfung für die Volljährigkeitserklärung bei Abkömmlingen von clarissimi vor157 und bestellt (jedenfalls in späterer Zeit) nach einem bestimmten Verfahren auch Tutoren und Curatoren158. Außerdem kann er, wie Relation 16 zeigt, auf Antrag ggf. auch die bonorum possessio gewähren, was aber im Regelfall dem Prätor vorbehalten geblieben sein dürfte. 5. Sondergerichtsbarkeit Wie sich bereits aus den obigen Ausführungen ergibt, kommt dem Stadtpräfekten eine Art Sondergerichtsbarkeit über Senatoren zu. Daneben hat er grundsätzlich auch Prozesse, an denen römische Korporationsmitglieder als Kläger oder Beklagte beteiligt sind, zu entscheiden. In diesem Bereich finden sich gesetzliche Zeugnisse allerdings erst für die Zeit nach 384/385159. In den Relationen kümmert sich Symmachus zwar mehrfach um Korporationsangelegenheiten; er berichtet jedoch von keinem Prozess, an dem Innungsmitglieder beteiligt wären. Es muss also letztlich dahinstehen, inwieweit der praefectus urbi im konkreten Zeitraum insoweit tatsächlich schon eine Sondergerichtsbarkeit hatte. Gemäß CT XIII, 5, 2 (315) entscheidet er jedenfalls über das Ausscheiden aus bestimmten Korporationen. Wie andere Amtsleiter auch, hat der Stadtpräfekt daneben wohl auch über seine officiales Recht zu sprechen160.
157
CT II, 17, 1, 2 (324). CT III, 17, 3 (389); 4 (390). Aufsicht über Tutoren übt er schon nach CT III, 30, 2 (320) aus. S. im Übrigen auch bei Rel. 39. 159 CT I, 10, 4 (391; Konstantinopel); CJ XI, 17, 2 (397); CT XIV, 4, 9 (417). Kein Beamter darf seine Autorität gegen corporati (oder Senatoren) ausüben ohne Einverständnis des Stadtpräfekten: CT I, 6, 11 (423). Zur Rechtsprechung über Korporationsmitglieder, die im Versorgungsbereich speziell dem Getreidepräfekten zukam: Waltzing, Etude II, 380 ff; Brancher, Juridiction, 67 f; Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 61. CT XIII, 5, 38 (414) regelt z. B. das Zusammenwirken von Stadt- und Getreidepräfekt in juristischen Untersuchungen über bestimmte Korporationen. Amm., XXVII, 3, 2, bekundet bereits für das Jahr 374 Zuständigkeit des Stadtpräfekten in einem Prozess der navicularii; s. a. Chastagnol, Préfecture, 305. Diese Zuständigkeit könnte jedoch auch aus seinen allgemeinen Kompetenzen herrühren. 160 Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 530; 552. 158
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Erster Teil: Der Hintergrund der Relationen
Insgesamt hat der Stadtpräfekt damit so viele richterliche Zuständigkeiten, dass er unmöglich alle Fälle alleine bewältigen konnte. Er wird sich daher der Hilfe insbesondere des Vikars bedient, eventuell auch Unterrichter, iudices pedanei, bestellt und kleinere Sachen an sie delegiert haben161.
III. Zusammenfassung Die Kompetenzen des Stadtpräfekten sind fein ausdifferenziert. Allgemeine Verwaltung übt er nur im Stadtbezirk und den Häfen, Polizei und Rechtsprechung dagegen grundsätzlich im 100-Meilenbezirk. Jenseits der 100 Meilen sind in der Regel der Vikar, beziehungsweise der Prätorianerpräfekt von Italien zuständig. Befugnisse jenseits der hundertsten Meile gibt es nur in der Kriminalrechtsprechung über clarissimi und als Berufungsinstanz. Der Stadtpräfekt ist damit der unangefochten oberste Chef Roms mit umfassenden Kompetenzen; Chastagnol bezeichnet ihn nicht zu Unrecht als „vice-empereur“162. Er repräsentiert den Kaiser in Rom mit einer eigenen Allzuständigkeit und zentralisiert viel Macht in seiner Hand, wird dabei jedoch vom vicarius urbis Romae163, vom officium urbanum mit dem princeps officii und überhaupt dem bürokratischen System164 kontrolliert. Bei Bedarf kann der Kaiser ihn tadeln, vgl. 161
CT I, 16, 8 (362) erlaubt Provinzstatthaltern die Delegation kleinerer Sachen; Vergleichbares könnte auch für den Stadtpräfekten gelten. So: Vigneaux, Essai, 296 f; Brancher, Juridiction, 72 f. Chastagnol, Préfecture, 373, meint dagegen, dass der Stadtpräfekt keine Unterrichter bestellt hat, sondern ggf. durch den Vikar vertreten wurde. In den Relationen werden nur größere Fälle, vor allem solche mit Senatorenbeteiligung, berichtet; eine Bestellung von Unterrichtern kommt daher nicht in Betracht und wird von Symmachus auch nie angedeutet. 162 Préfecture, 182, wobei er Roms Bevölkerung zu dieser Zeit auf 300.000 bis 350.000 Personen schätzt. 163 Zu dieser Thematik speziell Sinnigen, Vicarius, 100, 102 ff, der darlegt, dass der Kaiser den Vikar als Gegenpol zu Stadtpräfekt und Senat ernennen und so eine mehr oder weniger senats- und präfektenfreundliche Politik verfolgen kann. Valentinian I. etwa spielt in seiner antisenatorischen Politik beide Seiten bewusst gegeneinander aus: Alföldi, Conflict, 54 f; 69 ff. Der Vikar ist insofern potenzielles politisches Steuerungsund Kontrollinstrument des Kaisers, wenngleich sich in der Praxis auch häufig eine enge, positive Beziehung zwischen stadtrömischer Aristokratie und Vikar ergibt. Die gespannte Lage zwischen praefectus urbi und vicarius urbis Romae 384/385, wie sie in Relation 23 deutlich wird, ist in der Praxis eher die Ausnahme als die Regel und dürfte, da der Kaiser gegenwärtig auch keine senatsfeindliche Politik betreibt, eher Ausfluss persönlicher Differenzen der Amtsinhaber als Zeichen gezielter kaiserlicher Politik gewesen sein. Der Vikar ist in der Regel effektiver Gehilfe des Präfekten, ohne den die Aufgabenfülle gar nicht zu bewältigen wäre. 164 Häufig wird Kollektivhaftung von Büro und Büroleiter für Fehler des leitenden Beamten bzw. des officium angeordnet. Dazu: Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 140, 143, 145; Noethlichs, Beamtentum, 222 ff (mit Zusammenstellung der Vorschriften). Die Beamten im officium urbanum, die, wie Relation 17 zeigt, vom Kaiser ernannt werden und die dauerhaft im Amt sind, können die relativ rasch wechselnden Präfekten überwachen, sich etwa am Hof über sie beschweren, und gewährleisten eine gewisse
4. Abschnitt: Das Amt des Stadtpräfekten in den Jahren 384/385
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bei Relationen 17 und 21, ihm ggf. auch Befugnisse entziehen oder ihn gar entlassen. Die Relationen 23, 33 und 34 zeigen, dass es auch immer wieder nachträgliche Untersuchungen der Amtsführung ehemaliger Stadtpräfekten durch den Nachfolger, den Vikar oder spezielle Beamte gegeben hat.
Kontinuität der Amtsführung. Außerdem kann der Kaiser eigene Kontrollbeamte, etwa im Fiskalbereich, einsetzen. Durch die verschiedenen bürokratischen Ebenen von städtischen, regionalen und speziellen kaiserlichen Beamten, die teilweise verschiedenen Dienstherren unterstehen, ist also wirksame Kontrolle durchaus möglich.
Zweiter Teil
Die einzelnen Relationen 1. Abschnitt
Überblick und Datierung
I. Konkrete Themen und Gruppierung nach Gegenständen Symmachus berichtet hauptsächlich über Rechtsfälle und Verwaltungsangelegenheiten. Wie bereits angesprochen, sind die Relationen weder chronologisch noch thematisch geordnet. 1. Inhaltsübersicht der einzelnen Relationen Relation 1:
Dankschreiben an Valentinian II. für die Ernennung zum Stadtpräfekten. Relation 2: Dank an Theodosius und Arcadius für die Ernennung zum Stadtpräfekten. Relation 3: „Der Streit um den Victoriaaltar“: Bitte um Aufhebung der antiheidnischen Gesetze Gratians. Relation 4: Zurückweisung des neuen, zu pompösen Wagens (carruca) des Stadtpräfekten. Relation 5: Bitte um Auszeichnung des Philosophen Celsus mit dem Senatorenrang und seine Befreiung von senatorischen munera Relation 6: Das Volk drängt auf die von Theodosius versprochenen Spiele. Relation 7: Danksagung für kaiserliche Neujahrsgeschenke (strenae). Relation 8: Senatsbeschluss über die Verringerung senatorischer Ausgaben für Spiele. Relation 9: Dank im Namen von Volk und Senat für die Darbietung von Spielen. Reiterstatuen zu Ehren von Theodosius d. Ä. Erwartung von Getreidelieferungen. Relation 10: Mitteilung des Todes von Praetextatus an Valentinian II. und Rücktrittsgesuch. Relation 11: Mitteilung des Todes von Praetextatus an Theodosius und Arcadius. Relation 12: Bitte des Senats um Aufstellung von Ehrenstatuen für Praetextatus.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Relation 13: Der vorgesehene finanzielle Beitrag des Senats zu den decennalia von Valentinian II. Relation 14: Bitte um den Widerruf der collatio equorum zu Lasten der römischen Korporationen. Relation 15: Jährliche strenae an die Kaiser. Relation 16: Rechtswidrige Berufung von Priscianus und Polemonianus gegen ein praeiudicium. Relation 17: Beschwerde von Symmachus über die Qualität des ihm zugeteilten Personals. Relation 18: Sorge wegen der Verspätung der africanischen Getreidelieferungen. Relation 19: Ein Erbrechtsprozess zwischen zwei Frauen senatorischen Standes: Marciana senior gegen Marciana junior. Relation 20: Rückerstattungspflichten der Staatskasse im Zusammenhang mit der carruca. Relation 21: Symmachus wird zu Unrecht beschuldigt, Christen verfolgt zu haben. Relation 22: Ein tribunus fori suarii verweigert die Amtsübergabe an den Nachfolger. Relation 23: Beschwerde von Symmachus wegen intriganter Angriffe auf seine Autorität. Relation 24: Symmachus schickt zusammen mit einem Routinebericht die vom Kaiser angeforderten Reden des Praetextatus an das Volk und den Senat. Relation 25: Untersuchungen über den Einsturz einer Brücke. Relation 26: Zweiter Bericht über die Brücke. Relation 27: Ein Hierarchiekonflikt im Kollegium der Amtsärzte (archiatri) von Rom. Relation 28: Ein Fall von Landraub, begangen von den Männern des Senators Olybrius, und eine rechtswidrige Appellation. Relation 29: Die Geldwechsler von Rom erbitten eine Änderung des Wechselkurses des solidus. Relation 30: Prozess um die Erfüllung von Abgabepflichten zweier Senatorinnen. Relation 31: Wiederholte Gesetzesübertretungen des Senators Valerianus. Relation 32: Späte Bitte um reparatio temporum in einem Prozess. Relation 33: Unüberlegte Berufung des suarius Constantius an den Kaiser. Relation 34: Die Schulden des früheren Stadtpräfekten Orfitus und die Forderungen gegen den Schwiegersohn Symmachus und seine Familie. Relation 35: Sorge um die Ölversorgung aus Africa. Relation 36: Verzögerungen bei der Auslieferung von zwei angeklagten ehemaligen Ministern. Relation 37: Symmachus erbittet eine kaiserliche Zuwendung angesichts leerer Kassen. Relation 38: Kompetenzfragen in einem Fall von violentia.
1. Abschnitt: Überblick und Datierung
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Relation 39: Wiederholte Fristversäumnis einer jungen Frau. Relation 40: Streit zwischen Puteoli und Tarracina über Getreidelieferungen. Relation 41: Die Ansprüche der res privata und des ehemaligen protector Marcianus auf die Erbschaft der Aggarea. Relation 42: Bitte um offizielle Auszeichnung für einen verdienten cornicularius. Relation 43: Der Senatsbeschluss über Statuen zu Ehren von Flavius Theodosius. Relation 44: Eine Krise in der Korporation der mancipes salinarum: rechtswidrig erschlichener Mitgliederschwund Relation 45: Die Liste neugewählter Magistrate und neuer Senatsmitglieder von Rom. Relation 46: Neu aufgenommene Senatsmitglieder und aktuelle Steuerlisten. Relation 47: Gratulation zum Sieg über die Sarmaten. Relation 48: Frage der Zuständigkeit bei Streitigkeiten über das Vermögen von clarissimi. Relation 49: Bitte um Milde für die unvorsichtige Anklage eines agens in rebus. 2. Versuch einer Einteilung der Relationen nach ihren Gegenständen1 Um einen Eindruck von den Schwerpunkten der Tätigkeit des Stadtpräfekten zu gewinnen, soll versucht werden, die Relationen schlagwortartig nach Themengruppen zu untergliedern. a) Die Politik (auch Religionspolitik) ist Gegenstand der Relationen 1-3, 513, 15, 21, 23, 34, 43 und 47. Dabei handelt es sich vor allem um Relationen in eigener Sache, aber auch um solche aus dem Bereich des Senats. b) Verwaltungssachen, neben Routineberichten zumal Fragen der Lebensmittelversorgung, Personal-, Bau-, und Korporationsangelegenheiten behandeln die Relationen 4, 14, 17, 18, 20, 22, 24-27, 29, 35, 37, 42, 44, 45 und 46. c) Von Rechtsprechungsfragen handeln die Relationen 16, 19, 28, 30-33, 36, 38-41, 48 und 49. Ein Schwerpunkt der Tätigkeit liegt damit im Bereich der Jurisdiktion. Bereits hier sei allerdings angemerkt, dass Symmachus in den Relationen zumeist nur wichtige und schwierige, für ihn (scheinbar) unlösbare Fälle berichtet. Die ganzen Routinesachen und Angelegenheiten, die keinen Aufschub duldeten, hat er eigenständig entschieden. Das Bild seiner wirklichen Tätigkeit als Richter und auch sonst erscheint in den Relationen deshalb nur verzerrt. Vor Verallgemeinerungen ist Vorsicht geboten; Symmachus liefert in den Relationen keine objektive Tätigkeitsbeschreibung. 1
Ähnlich unterteilt auch Vera, Commento, LXXXII.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
3. Untergliederung nach rechtlichen Gesichtspunkten Da nicht nur Rechtsprechungsangelegenheiten im engeren Sinne, sondern auch Verwaltungsangelegenheiten juristische Fragen aufwerfen, soll hier eine grobe Untergliederung der Relationen unter dem juristischen Blickwinkel versucht werden, die dann in der Analyse der Einzelfälle überprüft werden muss. a) Eher nicht-juristischen Inhalts sind die Relationen 1-4, 6 f, 9-15, 17, 18, 21, 24, 29, 35, 37, 42, 43, 45, 46 und 47. b) Rechtlich Relevantes enthalten die Relationen 5 (Aufnahmeverfahren in den Senatorenstand), 8 (Gesetzgebungsverfahren), 20 (Rückerstattungspflichten öffentlicher Kassen), 23 (Ermittlungen gegen einen früheren Stadtpräfekten), 25 f (Ermittlungsverfahren wegen möglicher Architektenhaftung) und 34 (Haftung eines ehemaligen Stadtpräfekten für Fehlbeträge in den öffentlichen Kassen). c) Überwiegend juristischen Inhalts sind die Relationen 16, 19, 22, 27 f, 3033, 36, 38-41, 44, 48 und 49. 4. Gegenstände und Schwerpunkte der „juristischen Relationen“ a) Zivilrechtliche Fragen behandeln die Relationen 16, 19, 28, 30, (31), 32, 33, 39, 40, 41 und 48. Dabei ist Symmachus in den Relationen 16, 19, 28, 30, 31 (wobei der Zivilprozess nicht der eigentliche Gegenstand der Relation ist) und 32 in erster Instanz und in den Relationen 39, 40 und 41 als Berufungsinstanz mit dem Fall befasst. In Relation 33 hingegen ist Symmachus nicht ordentliche (zweite) Instanz, sondern aufgrund spezieller Reskriptanweisung im Einzelfall zuständig. Einen Sonderfall, der außerhalb des ordentlichen Instanzenzuges aufgrund einer Supplik an den Kaiser wiederaufgenommen wurde, berichtet auch Relation 48. Symmachus ist nicht als Richter, sondern als Sprecher der betroffenen Senatoren involviert und nimmt Stellung. Materiellrechtlich geht es um Erbrecht, Besitz- und Eigentumsfragen, einen Streit um Getreidelieferpflichten (40) sowie einen Fiskalprozess um senatorische Abgabepflichten (30), wobei der Prozess regelmäßig in Verfahrensfragen stecken bleibt. Symmachus muss sich mit Problemen der Zuständigkeit, Fristen und der Zulässigkeit von Rechtsmitteln befassen. Auch widersprüchliche oder unklare Normen beschäftigen ihn mehrfach. b) Von strafrechtlichen Fragen handeln die Relationen 31 (wobei Symmachus auch als Zivilrichter mit dem Fall befasst ist), 36, 38 und 49. Dabei ist er in den Relationen 31, 36 und 49 in erster und in Relation 38 in zweiter Instanz tätig; der Fall in Relation 36 ist ihm vom Kaiser speziell zugewiesen. Inhaltlich muss Symmachus mehrfach über den Vorwurf der Gewaltanwendung, crimen violentiae, und in Relation 36 über Delikte zu Lasten des Staates entscheiden. c) Relationen zu rechtlichen Einzelfragen: Relation 22 behandelt eine Frage des öffentlichen Dienstrechts und das Problem widersprüchlicher Normen. Relation 27 handelt von Fragen des öffentlichen Gesundheitswesens und ebenfalls
1. Abschnitt: Überblick und Datierung
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von Normenunklarheit. Relation 44 beschäftigt sich mit der Geltungskraft erschlichener Reskripte. Insgesamt 10 von 14 Prozessberichten betreffen das Zivilrecht, was sich nicht zuletzt mit der weitreichenden Zuständigkeit des Stadtpräfekten in diesem Bereich - für alle Prozesse gegen clarissimi - erklären lässt, aber auch damit, dass das Zivilrecht stets die große Masse der Prozesse auszumachen pflegte. Häufig (Relationen 16, 19, 28, 30, 31, 48 und 49) sind demgemäß Senatoren, d. h. hochgestellte, potenziell einflussreiche Persönlichkeiten an den Prozessen beteiligt oder aber auch (ehemalige) Beamte (Relationen 32, 36, 38 und 41), was manchen vorsichtigen Bericht an den Kaiser erklären könnte. Um dies jedoch beurteilen zu können, muss zunächst im Einzelfall hinterfragt werden, inwieweit Symmachus an den Kaiser rechtlich nachvollziehbar berichten musste bzw. inwieweit er dies freiwillig tat. Abschließend lässt sich dann die Frage stellen, ob in seiner Rechtsprechung bzw. seiner Behandlung von Rechtsfällen eine Tendenz erkennbar ist, warum und mit welcher Begründung er dem Kaiser Rechtsangelegenheiten übergibt, ob etwa Einschüchterung von außen, persönliche Schwäche oder aber tatsächlich rechtlich relevante Fragen den Ausschlag gaben.
II. Datierung Alle Relationen datieren aus der Amtszeit des Symmachus als Stadtpräfekt von Juni/Juli 384 bis Januar/Februar 385. Das genaue Datum jedoch lässt sich den Relationen selten direkt - sie enthalten keine Originalsubskriptionen -, manchmal aber wenigstens mittelbar entnehmen (dazu bei den einzelnen Relationen). So lösen einige Relationen möglicherweise konkrete Gesetzgebungstätigkeit aus, was im Einzelfall aber genau ermittelt werden muss; dabei wird zu berücksichtigen sein: der Geltungsbereich der jeweiligen Konstitution und, ob ein zeitlicher Zusammenhang mit der Relation in Anbetracht der langsamen bürokratischen Verfahren wirklich hergestellt werden kann. Einige Autoren2 mei2
Bloch, Ein neues inschriftliches Zeugnis, 150 ff; McGeachy, Symmachus, 12 f; sich anschließend wohl Chastagnol, Fastes, 225; Barrow, Prefect, 3; 11 f; 16 f; schematisch auch Seeck, Symmachus, LIV-LVII; Martínez-Fazio, Basílica, 154 ff; Romano, Simmaco, 52 ff. Diese Einteilung der Relationen in zwei Gruppen darf jedoch nicht zu schematisch betrieben werden, denn schon in den ersten beiden Relationen, in welchen sich Symmachus für die Amtsübertragung bedankt, deutet er Schwierigkeiten an und auch nach Relation 3 ist noch Eifer zu spüren. Allzu gefühlsmäßig, je nach anklingender Stimmung, kann eine Datierung daher nicht vorgenommen werden. Seit Amtsantritt hat Symmachus Gegner; Schwierigkeiten gehören zu seinem Amt dazu. In dieser Richtung argumentiert auch Vera, Commento, LIV ff, der allerdings ebenfalls eine Tendenz zu schwindender Autorität des Symmachus feststellen zu können glaubt und dies in Beziehung zur äußeren politischen Lage setzt, wonach Valentinian II. an Sicherheit gewonnen und die heidenfreundliche Politik nachgelassen habe. Gegen diese Behauptung spricht allerdings, dass ein politischer Umschwung für 385 wohl (noch) nicht feststellbar ist.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
nen, die Amtszeit des Symmachus sei in zwei Phasen verlaufen, nach denen man auch die Relationen einteilen könne. In der ersten Phase hätten die Heiden das Geschehen beherrscht, die Stimmung sei ihnen gegenüber wohlgesonnen gewesen. Ab etwa Oktober 384 habe sich das politische Klima dann verändert und die christliche Seite die Oberhand gewonnen. Man habe Symmachus und seinen Glaubensgenossen zunehmend Steine in den Weg gelegt und ihnen das Leben schwer gemacht, offen oder durch Intrigen. Manche der Relationen lassen sich nach diesem groben Kriterium ohne weiteres einteilen: Relation 3 gehört danach zum ersten Abschnitt, als die Heiden sich ihres Einflusses sicher zu sein scheinen und eine Gesandtschaft zum Kaiser wagen. Mit der Ablehnung der Petition hätte dann eine neue Phase begonnen. Die Relationen 21, 23 und evtl. auch 34 gehören zur zweiten Amtsphase; sie zeigen deutlich ein anderes Klima, man behindert Symmachus in seiner Amtstätigkeit. Auch Relation 10, in der Symmachus den Kaiser um Entlassung aus dem Amt bittet, wäre danach wohl der zweiten Phase zuzurechnen. Der Tod von Praetextatus im Dezember 384 dient ihm als Anlass, um seine Entlassung zu bitten; das Klima scheint ihm nicht mehr zu behagen. Praetextatus war wichtiger Verbündeter in der heidnischen Sache und persönlicher Freund, sein Tod daher ein herber Verlust und eventueller Wendepunkt. Symmachus scheidet dann auch tatsächlich bald aus dem Amt. Letztlich aber ist die These von der zweigeteilten Amtszeit ein allzu vages Kriterium und ermöglicht keine gesicherte Datierung; insbesondere für eine Datierung der Prozessberichte gibt sie nichts her.
2. Abschnitt
Verwaltungssachen In diesem Abschnitt werden die Relationen mit eher verwaltungsmäßigem als rechtlichem Schwerpunkt näher betrachtet. Dazu gehören auch jene, die nach der oben vorgenommenen Einteilung einen politischen oder religionspolitischen Inhalt haben. Diesen Relationen ist das Gerüst der symmachianischen Amtsauffassung und Amtsführung sowie seines Rechtsbewusstseins zu entnehmen, in das dann später die eigentlichen Rechtsangelegenheiten und Prozessberichte im Einzelnen eingeordnet werden können. Nur knapp angeschnitten werden hier Relationen, die aus juristischer Sicht nichts oder wenig hergeben. Ausführlicher wird auf Schreiben eingegangen, die Rechtsfragen wenigstens anreißen und daher Anlass geben, auf Probleme einzugehen, die in der juristischen Literatur diskutiert werden und zu denen die Relationen wertvolle Informationen liefern. Relationen, die thematisch zusammengehören, werden dabei auch gemeinsam behandelt. Die Zählung gerät so zwar äußerlich durcheinander; da sie aber keinen inhaltlichen Hintergrund hat, scheint die dadurch entstehende geringere Übersichtlichkeit hinnehmbar. Die Textzitate folgen der Edition von Seeck.
2. Abschnitt: Verwaltungssachen
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I. Relationen 1 und 2: Dank für die Amtsübertragung In diesen beiden ersten Relationen bedankt sich Symmachus dafür, dass er, der doch gar nicht danach gestrebt habe, zum Stadtpräfekten ernannt worden ist. Er teilt mit, dass er das Amt gerne annehme. Adressat der ersten Relation ist Valentinian II. in Mailand, der ihm als Herrscher über den Westteil des Reiches das Amt des Stadtpräfekten von Rom tatsächlich übertragen hat und sein eigentlicher Dienstherr ist. Die zweite Relation richtet sich an die östlichen Kaiser Theodosius I. und Arcadius3 in Konstantinopel. Nach der geltenden Theorie der ungeteilten Macht im Reich, unanimitas imperii, muss Symmachus allen regierenden Herrschern gleichermaßen Dank abstatten, denn seine Ernennung wird als eine durch alle Kaiser beschlossene angesehen. So werden im Text der Relationen, in 1, 1 und 2, 1, denn auch alle Herrscher gemeinsam angesprochen. In dem Dank auch an die Ostkaiser kann man vor diesem staatstheoretischen Hintergrund also kein Zeichen für deren Dominanz über den Westen sehen; für eine Einflussnahme des Theodosius auf die Ernennung gibt es auch keine Anhaltspunkte. Ob Symmachus auch dem de facto anerkannten Magnus Maximus Dank abstattete, weiß man nicht; die entsprechende Relation wäre nach dem Sieg über Maximus wahrscheinlich nicht veröffentlicht worden, hätte es sie denn gegeben. Beide Schreiben hat Symmachus unmittelbar nach seiner Ernennung, das heißt im Juni/Juli 3844 verfasst. Spezifisch rechtliche Probleme finden sich darin nicht; interessant erscheint aber, ihnen neben den Formalitäten der Ernennung auch die Staats- und Amtsauffassung von Symmachus zu entnehmen, denn dies könnte auch für die juristischen Relationen von Bedeutung sein.
3 Dieser ist zu Unrecht nicht überliefert; er gehört, da seit 383 Mitregent, in den Titel zweifellos hinein, andere Relationen nennen ihn als Adressaten neben Theodosius. S. Seeck, Symmachus, XVII; Vera, Commento, 9, nimmt hier einen Fehler der Abschriften an. Zur Frage der verfehlten Titel s. schon oben im 1. Teil, 2. Abschnitt. 4 Zur Datierung des Amtsantritts s. bereits im 1. Teil, 1. Abschnitt. Enßlin, REValentinianus II, 2211, datiert Relation 2 dagegen auf einige Monate nach der Amtsverleihung und glaubt, sie sei Theodosius I. anlässlich seiner Reise zu Valentinian (um mit diesem die „Maximus-Frage“ zu besprechen) nach Italien im Sommer 384 übermittelt worden. Die Reise wird nach Enßlin (u. a) belegt durch CT XII, 1, 107 vom 31.8.384 aus Verona. S. a. Seeck, Geschichte V, 197. Abgesehen davon, dass es an der Historizität dieser Reise erhebliche Zweifel gibt, wie Vera, Rapporti, 267 ff, ausführt und auch Matthews, Western Aristocracies, 178 Fn. 2, erwähnt, erscheint ein solcher Ablauf sehr konstruiert. Wahrscheinlich hat Symmachus nach seinem Amtsantritt routinemäßig an alle regierenden Kaiser ein Dankesschreiben aufgesetzt. Es handelt sich um eine reine Formsache und keine besondere, persönliche Angelegenheit, so dass beide Relationen unmittelbar nach seiner Amtseinsetzung geschrieben worden sein dürften.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Das eigentliche Ernennungsverfahren mittels kaiserlicher Kodizille5 tritt in den Relationen nicht in Erscheinung. Deutlich wird lediglich, dass formell der Kaiser den Stadtpräfekten auswählt; in Relation 1,3 werden die Kaiser denn auch als auctores des Amtes bezeichnet. Allerdings kam Kaiser Valentinian II. wohl nicht eigens nach Rom, um die Ernennungsurkunde persönlich zu übergeben. Darüber aber, wer im konkreten Fall tatsächlich hinter der kaiserlichen Entscheidung, Symmachus zu ernennen, stand, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Der junge Kaiser wird sich seiner Ratgeber bedient haben. Vera6 meint, die Auswahl sei eine politische Entscheidung in einer Ausnahmesituation gewesen. Allerdings ist Symmachus nach seiner Herkunft und Laufbahn typischer Vertreter der damaligen Amtsinhaber und seine Ernennung nicht ungewöhnlich. Die Ernennung eines Heiden aber könnte wirklich Ausdruck einer neuen politischen Linie nach dem Tod Gratians sein, die auf Versöhnung mit den heidnischen Kreisen von Rom, insbesondere dem Senat ausgerichtet ist. Symmachus empfiehlt sich durch seine bisherige erfolgreiche Karriere, sein Heidentum ist politisch vielleicht sogar erwünscht. Kurz zuvor war schon der Heide Praetextatus Prätorianerpräfekt von Italien geworden, dem er in Ep. I, 55 (384) gratuliert und dem er möglicherweise auch Fürsprache verdankt. So unterstreicht Symmachus, dass er unerwartet ins Amt gekommen sei: Quieto mihi et iam pridem a desideriis honorum remoto praefecturam multis cupitam sponte tribuistis, Relation 1, 1. Er sei nicht ex gratia oder durch beneficium zu dem Amt gekommen, sondern infolge bewusster Auswahl des Kaisers, iudicium7. Und noch mehrmals - Relationen 1, 2 sowie 2, 1 und 2, 2 - betont er, dass er nicht etwa nach dem Amt geeifert habe, sondern durch ausdrückliche kaiserliche Entscheidung und wegen seiner Erfahrung und bisherigen Verdienste mit dem Amt betraut worden sei. Die Überraschung über dieses Amt kann man Symmachus dabei durchaus abnehmen, denn seine Karriere war tatsächlich seit 5
Die Ernennung der hohen Beamten geschieht durch vom Kaiser unterzeichnete Anstellungsurkunden, codicilli. Vgl. für den praefectus urbi CT 6, 7, 1 (372): Praef(ectos) urbi, p(raefectos) p(raetori)o, magistros equitum (ac) peditum indiscretae ducimus dignitatis, usque a(deo) videlicet, ut, cum ad privatam secesserint vitam, (eum) loco velimus esse potiorem, qui alios promot(ionis) tempore et codicillorum adeptione praecesseri(t). Das Ernennungsverfahren im Einzelnen beschreiben Noethlichs, Beamtentum, 20 f; Jones, LRE, 378; Vera, Commento, 3; Classen, Kaiserreskript, 42 ff. 6 Commento, XLIX; LIII; LXXVI f; 4; auch Toledo, Le prime due relationes, 76, sieht in der Ernennung von Symmachus zum Stadtpräfekten einen politischen Schachzug. Vera meint, der Hof habe sich in politisch kritischer Lage die Unterstützung der Heiden sichern wollen. Im kaiserlichen Beraterkreis müsse man insoweit auch stets die wahren Ansprechpartner des Symmachus suchen. 7 Der Begriff des iudicium im Sinne von bewusster Auswahl von Beamten durch den Kaiser kehrt häufig wieder, vgl. die Relationen 1, 1; 2, 1; 10, 2; 11; 12, 5; 17, 2; 21, 4; 23, 15; 34, 1. Und auch in Relation 21, 2 und 21, 4 wiederholt Symmachus, dass er sine ambitu ins Amt gekommen sei. Dies zu betonen scheint ihm sehr wichtig, gerade in den genannten Relationen, in denen er mehrfach über Schwierigkeiten im Amt berichtet. Beinahe gleichlautend zu Rel. 1, 1 heißt es auch in Rel. 34, 9: Quieto mihi hanc praefecturam sine ulla adfectatione tribuistis... .
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10 Jahren unterbrochen; seit seinem Prokonsulat im Jahre 374 war er nicht weiter in der Laufbahn aufgestiegen. Doch muss auch festgehalten werden, dass eine Pause von 10 Jahren zwischen diesen beiden Ämtern in senatorischen Karrieren damals nicht selten ist8 und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Symmachus in Ungnade gefallen wäre. Vieles in diesen beiden Relationen ist gewiss formelhaft und gehört sich in Dankesschreiben, etwa die Lobpreisungen der Kaiser. Hieraus eine besonders gute Beziehung zu den Kaisern folgern zu wollen, wäre unangemessen. Ernst scheint es Symmachus aber zu sein, wenn er betont, dass er in diesen schwierigen Zeiten auf die kaiserliche Unterstützung bei seiner Amtsführung angewiesen ist. Er sieht das Problem, sich gegenüber den Mitbürgern, d. h. Volk und Senat, durchzusetzen, denn es dünkt ihm schwierig, sich Autorität zu verschaffen gegenüber Personen, die man kennt, und solchen, die selber Machtausübung gewohnt sind, Relation 2, 2 f: Amabile est praeesse civibus, sed placere difficile. Multum enim sibi (licentiae usurpant) et inter cognitos semper dura constantia est. Quid, quod plerumque evenit, ut (aliis obsequia praestare)9 aliqui longae potentiae usu iam nesciant? Damit spielt er möglicherweise auf die Herrschaftszeit Gratians an, während der Christen stark gefördert und die Heiden für einige Zeit in ihrer Laufbahn gebremst worden waren; man betrachte z. B. die Karrieren von Praetextatus (dessen letztes Amt war die Stadtpräfektur 367/368 gewesen) und Symmachus selbst. Unter Valentinian II. kommt nunmehr ein heidenfreundlicher Umschwung und Symmachus befürchtet möglicherweise negative Reaktionen ehemals mächtiger Christen, etwa aus der Familie der Anicier und eines Petronius Probus10.
8 Vgl. die Übersicht bei Chastagnol, Préfecture, 456: zwischen diesen beiden Ämtern liegt in den Jahren nach 363 regelmäßig ein Intervall von 5 bis 15 Jahren. Ein Karriereknick kann für Symmachus nur insofern festgestellt werden, als unter Gratian die Karrierechancen der Heiden insgesamt stark sinken. Dass er politisch aber durchaus aktiv war, zeigt die Tatsache, dass er 382 als Gesandter des Senats bei Gratian war. Außerdem hielt er zwischen 376 und 378 die Reden IV, V und VI im Senat und auch seine Briefe zeigen Teilnahme am politischen Leben, wenn Symmachus auch häufig krank gewesen zu sein scheint. 9 In Klammer die Ergänzungen von Seeck, Symmachus, 280. 10 Zur Religionszugehörigkeit der hohen Beamten unter Gratian: v. Haehling, Religionszugehörigkeit, 569. Es kommen vor allem orthodoxe Christen und kaum mehr Heiden in die wichtigen Ämter. Zur Besetzung der Stadtpräfektur von Rom ausschließlich mit Christen ab 376 vgl. auch Chastagnol, Préfecture, 436 ff. Direkter Vorgänger des Symmachus im Amt des Stadtpräfekten war Aventius, der das Amt allerdings nur kurze Zeit innehatte und über den wenig bekannt ist. Prätorianerpräfekt vor Praetextatus war Nonius Atticus Maximus, über den ebenfalls wenig bekannt ist, der aber mit Symmachus befreundet war (s. o. im 1. Teil). Wahrscheinlicher ist, dass Symmachus hier auf die mächtigen Amtsinhaber zur Zeit der Ermordung Gratians anspielt: Anicius Auchenius Bassus war damals Stadtpräfekt von Rom und Petronius Probus Prätorianerpräfekt von Italien. Aus dem Umkreis dieser mächtigen Familien könnte sich Widerstand gegen die eigene Entmachtung und die provozierende Ernennung von Heiden in die höchsten Ämter regen (s. a. bei Rell. 21 und 23). Außerdem weiß Symmachus, dass er auch im
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Beide Schriftstücke sind etwa gleich lang, wobei Relation 2 etwas formeller erscheint, andererseits aber auch problemorientierter; denn Symmachus spricht dort offen an, dass er Schwierigkeiten von bestimmten Personengruppen erwartet. Vielleicht wagt er, das eher gegenüber dem entfernten Ostkaiser auszusprechen, als „seinem“ Kaiser zu nahe zu treten11. Möglicherweise hofft er auch darauf, dass Theodosius, wenn es erforderlich werden sollte, auf die westliche Politik Einfluss nehmen wird. Auch ihn bittet er ausdrücklich, oro atque obsecro, um Unterstützung und verspricht im Gegenzug, sein Bestes zu geben, Relation 2, 2 f. Symmachus versucht, die Kaiser in eine Art Schicksalsgemeinschaft einzubinden, denn vom Erfolg seiner Amtsführung werde auch ihr Ansehen profitieren und auf sie werde sein Misserfolg zurückfallen: Relationen 1, 3 und 2, 3. Die allmächtigen Kaiser, die ihn in freier Entscheidung ausgewählt haben, sieht er in der Verantwortung gegenüber Magistrat und Volk12. Symmachus gibt in diesen beiden Relationen damit auch einen knappen Zustandsbericht über die politische Situation, in der es ihm nicht einfach scheint, unparteiisch zu sein und sich durchzusetzen. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass Beamte wegen ihrer Leistungen und nicht wegen ihrer Beziehungen oder mittels Bestechung ernannt werden. Trotz aller Förmlichkeit schimmert insoweit auch ein Stück persönliche Amtsauffassung durch. Symmachus beschreibt sich selbst als einen Beamten, dem das Gemeinwohl am Herzen liegt, der sich seiner Amtspflichten und Verantwortung wohl bewusst ist und Loyalität verspricht; der also das Amt nicht (nur) als Auszeichnung ansieht, wozu die kurzen Amtszeiten durchaus verleiten könnten, sondern sich auch in die Pflicht genommen fühlt. Dabei sieht er das Amt im politischen Umfeld durchaus skeptisch. Symmachus scheint Realist zu sein, der sich keinen Illusionen hingibt über die Probleme, die auf ihn zukommen werden. Ob sich diese günstige Beurteilung13 in den späteren Relationen bestätigt, muss sich allerdings erst noch zeigen. Senat, insbesondere unter den Christen, Gegner hat. Aus dem kaiserlichen und kirchlichen Umfeld und dem officium urbanum könnten ebenfalls Widerstände kommen. 11 Dass die Adressaten der beiden Schriftstücke in der Überlieferung möglicherweise vertauscht wurden (eine solche Problematik zeigt sich bei den Relationen 10 und 11), ist wenig wahrscheinlich, betont Symmachus doch in Relation 2, 1 die große räumliche Entfernung zum (Ost-)Kaiser: ...ubi in longinquas imperii partes maiestatis vestrae curam vocavit... . 12 Sie sind mitverantwortlich für den Erfolg oder Misserfolg seiner Amtsführung: 1, 2 f. Das Symmachus vorschwebende Ideal eines fürsorgenden Kaisers und verantwortlichen Beamten wird sichtbar. Symmachus’ Staatskonzeption filtert insoweit auch Toledo, a.a.O., 83 f, aus den beiden Relationen heraus. S. a. Rel. 17: Es sei Aufgabe des Kaisers, fähige Beamte auszuwählen. In Ep. I, 58 (um 383 an Probus) äußert sich Symmachus ähnlich (natürlich mit viel Pathos und Rhetorik) zur Verantwortung des Beamten gegenüber der Regierung und appelliert an das Pflichtgefühl, das oft lästige Amt durchzustehen: Esto, ut es, curarum omnium tolerans et debitam operam solue principibus, qui rationem magis meriti tui quam voluntatis habuerunt. 13 Auch Toledo, a.a.O., 73 u. a., erkennt in den beiden Relationen große persönliche Sicherheit von Symmachus im Verhalten gegenüber den Kaisern. Er schickt keine vorgefertigten Pflichtschreiben, sondern erinnert die allmächtigen Kaiser selbstbewusst an
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II. Religionssachen 1. Relation 3: Der Victoriaaltar14 In dieser Relation bittet Symmachus in doppelter Funktion (§ 1), nämlich als Stadtpräfekt, der dem Kaiser einen Senatsbeschluss mit einem Begleitschreiben, der relatio, schickt und zugleich als Sprecher eben dieses Senats, um Wiedererrichtung des Altars der Victoria und Aufhebung der antiheidnischen Gesetzgebung Gratians. Das Schreiben ist vor allem in religionsgeschichtlicher Hinsicht interessant, denn es zeigt die Heiden von Rom in einer der letzten Auseinandersetzungen mit dem christlichen Herrscherhaus; es wurde daher auch als „Schwanengesang einer sterbenden Religion“ umschrieben15. Protagonisten der Auseinandersetzung sind Symmachus und der Mailänder Bischof Ambrosius. In der Sache richtet sich die Relation an Valentinian II. in Mailand, denn allein er ist zuständig, die gewünschten Maßnahmen zu treffen. Die Überlieferung im Corpus der Relationen adressiert sie fälschlich an Theodosius; aus der Anrede „ddd. nnn. imperatores“ in § 1 ergibt sich jedoch, dass Symmachus selbst das Schreiben, wie es sich gehörte, an alle regierenden Kaiser gerichtet hat. So nennt auch der Titel der Relation, den Ambrosius überliefert, alle drei Kaisernamen. Dass inhaltlich aber nur Valentinian II. gemeint ist, zeigen Ambrosius, Epp. 17, 12 und 57, 2, und die Tatsache, dass Ambrosius seine Briefe 17 und 18 nur an diesen Herrscher richtet. Symmachus selbst spricht außerdem in § 19 seiner Relation Valentinian II. direkt als Sohn von Valentinian I. an. Zeitpunkt der Auseinandersetzung ist der Sommer 38416. Obwohl diese Relation keine eigentlich juristische Thematik behandelt, soll im Folgenden die Argumentation von Symmachus auf (mögliche) rechtliche Aspekte hin untersucht werden, um sein rechtliches Denken, sein Rechtsbewusstsein und seine Rechtskenntnisse auch in einem solchen Randgebiet zu ermitteln. Darüber hinaus ist diese Relation auch zur Ergänzung des geschichtlichen Hintergrundes wichtig. Zum Verständnis der Argumentation wird zunächst eine kurze Zusammenfassung des Geschehens gegeben.
ihre (moralischen) Verpflichtungen gegenüber ihren Untertanen. In die gleiche Richtung geht beispielsweise auch Or. V, 3 an Kaiser Gratian, wonach dieser der erste, aber nicht der einzige im Staat sei. 14 Zu dieser Relation gibt es eine Fülle an Literatur. Vieles wird bei Vera in seinem ausführlichen Kommentar zur 3. Relation genannt, Commento, 12-53. Es handelt sich dabei meist um Studien zu Persönlichkeit und Glauben des Symmachus und das allgemeine religionsgeschichtliche Umfeld. 15 Seeck, Geschichte V, 196. Auch Norden, Die antike Kunstprosa II, 646, spricht von einem ergreifenden Werk. 16 Zur Datierung s. bereits m. N. im 1. Teil, 1. Abschnitt.
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a) Kurzer Abriss des Geschehens17 Symbol des Streites ist der Altar der Victoria18, für die Heiden das Wahrzeichen der Größe Roms, der seit den Zeiten des Augustus im Sitzungssaal des römischen Senats, der Kurie, stand. Die Senatoren brachten auf ihm bei Betreten der Kurie Weihrauch dar und auch der Treueeid wurde dort geschworen. Diesen Altar ließ bereits im Jahre 357 Constantius II. erstmals entfernen, weil er sich durch dieses Heidensymbol in seinem Glauben verletzt fühlte19. Darüber hinaus ergingen damals Opferverbote und es wurden Tempel geschlossen20. In den Folgejahren wurde der Heidenkult dann aber nicht weiter eingeschränkt und die Verbote scheinen zumindest in Rom nicht durchgesetzt worden zu sein. Symmachus jedenfalls betont in Relation 3, 6-7 ausdrücklich, dass sich Constantius bis auf die Altarentfernung weiterer Maßnahmen enthalten habe. Unter Kaiser Julian erlebt das Heidentum 361/362 dann noch einmal einen Aufschwung und auch der Altar der Victoria gelangt an seinen Platz in der Kurie zurück. Jovian macht dann die christenfeindlichen Maßnahmen Julians rückgängig. Unter dem christlichen Kaiser Valentinian I. wiederum können die Heiden ihren Kult ungestört ausüben; er verhält sich religiös neutral und Symmachus lobt in § 19 f seine tolerante Haltung, von der auch Ammian, XXX, 9, 5, spricht. Es gibt nur Verbote für nächtliche Opfer und Zauberei21. Erst unter
17 Die entscheidenden Texte sind Relation 3 und die Briefe 17, 18 und 57 von Ambrosius. Text, Übersetzung und Erläuterung finden sich bei Klein, Streit. Dort insbesondere auch Ausführungen zur Überlieferung der 3. Relation bei Ambrosius. Einige Jahre nach Symmachus und Ambrosius, etwa um 400, legt Prudentius in seinem Werk Contra Symmachi orationem den Streit und einzelne Punkte der christlichen Argumentation noch einmal dar. Zum Ablauf der Auseinandersetzung: Boissier, Fin II, 233 ff; Pohlsander, Victory; Klein, Streit, 4 ff. Die einzelnen gesetzgeberischen Maßnahmen seit Constantius stellt Noethlichs, Die gesetzgeberischen Maßnahmen, 62 ff, zusammen. 18 Dieser ist zu unterscheiden von der Victoriastatue, über deren Schicksal Pohlsander, Victory, berichtet. Auch die Statue befand sich im Sitzungssaal und es ist umstritten, ob die Auseinandersetzung um den Victoriaaltar auch die Statue betrifft. Nach überwiegender Ansicht wird nur der Altar aus der Kurie entfernt: u. a. Malunowicz, De ara Victoriae, 28; McGeachy, Symmachus, 141; Paschoud, Réflexions, 218 Fn. 19; Klein, Streit, 13; Vera, Commento, 30 f, mit ausführlicher Begründung. Pohlsander, Victory, 597, glaubt dagegen mit Verweis auf Rel. 3, 5, wo von praesentia numinis die Rede ist, dass beide Gegenstände gemeint seien. Letztlich aber sehen sich die Christen vor allem durch den heidnischen Altar, an dem Götzenopfer dargebracht werden, in ihrem Glauben verletzt. Entscheidendes Streitobjekt ist damit der Altar. 19 Relation 3, 4 - 6; Ambr., Ep. 18, 32. 20 S. etwa CT XVI, 10, 4 und 6 (356: Seeck, Regesten, 41; 203); Opferverbote: XI, 10, 5 (353). 21 CT IX 16, 7 (364); IX, 16, 9 (371). Bei erstgenannter Norm handelt es sich um eine Konstitution des Ostkaisers Valens, die zumindest teilweise auch im Westen angewandt wurde, vgl. Nachweise bei Gaudemet, Partage, 327; Noethlichs, Die gesetzgeberischen
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Gratian, der eine entschieden christliche Politik verfolgt, kommt es 382 zu bleibenden, insbesondere finanziellen, antiheidnischen Maßnahmen. Treibende Kraft ist wohl Ambrosius (vielleicht auch Papst Damasus), auch wenn Ambrosius das in Ep. 57, 2 bestreitet. Gratian legt den Titel des Pontifex Maximus ab, den die christlichen Kaiser bislang noch geführt hatten,22 und macht so die Trennung des Staates vom Heidenkult deutlich. Er lässt den Altar der Victoria aus der römischen Kurie entfernen23 und entzieht dem Heidenkult die staatliche Unterstützung. Fortan gibt es keinen Staatskult mehr. Und um eben diese Maßnahmen geht es Symmachus und Ambrosius in der Relation beziehungsweise den Briefen. Das Gesetz selbst ist nicht überliefert. Eine Konstitution aus dem Jahre 415, CT XVI, 10, 20, verweist jedoch auf die Abschaffung der staatlichen Unterstützung für die Priesterschaften durch Gratian. Hier heißt es unter anderem: ...Omnia etiam loca, quae sacris error veterum deputavit, secundum divi Gratiani constituta nostrae rei iubemus sociari ita ut ex eo tempore, quo inhibitus est publicus sumptus superstitioni deterrimae exhiberi, fructus ab incubatoribus exigantur. Die Wortwahl constituta zeigt, dass es sich um eine formelle Regelung Gratians gehandelt hat, auf die man sich auch später noch beziehen konnte. Auch Formulierungen in den Ambrosiusbriefen legen das nahe: Gratian handelte rescriptis, Ep. 17, 5. An jener Stelle ist auch die Rede von fideliter statuta, fraterna praecepta und einem praeceptum de religione, welches unbedingte Geltung beanspruche. Ep. 17, 16 nennt decreta und Ep. 18, 39 statuta. Im Ergebnis spricht dies dafür, dass Gratian ein ausdrückliches Gesetz erlassen hat, auch wenn Symmachus selbst das nicht gerne zugibt und so tut, als habe es sich um einen bloßen, gesetzlosen, von Heidengegnern am Hof gesteuerten Beschluss, den es zu berichtigen gilt, gehandelt, § 20: Praestate etiam divo fratri vestro alieni consilii correctionem. Beide Streitparteien erkennen aber die Anordnungen Gratians als auch im Jahre 384 grundsätzlich noch gültig an. Ihr genauer Inhalt lässt sich mittelbar aus den oben genannten Quellen erschließen.
Maßnahmen, 84 f. Im Übrigen ergibt sich aus CT IX, 16, 9 (371), dass Valentinian I. durchaus Glaubensfreiheit proklamiert. Er macht nur 364 Julians großzügige Zuwendungen an die heidnischen Tempel rückgängig, CT V, 13, 3; X, 1, 8 (dazu noch sogleich) und verhält sich ansonsten zwar prochristlich, aber nicht antiheidnisch. 22 Zosimos, IV, 36. Umstritten ist die Datierung. Wohl schon Anfang 379 nach Noethlichs, Die gesetzgeberischen Maßnahmen, 114 f und ausführlicher Exkurs 198 ff m.w.N. 23 Rel. 3, 3; 3, 5; Epp. 17, 3; 17, 9; 17, 14; 18, 1; 18, 7; 18, 10; 18, 31 f. In diesen Textstellen ist ausschließlich von ara die Rede; dies spricht wiederum dafür, dass der Streit sich nur auf den Altar bezogen hat.
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Die Maßnahmen Gratians im Einzelnen24: aa) Den heidnischen Priesterschaften, namentlich den Vestalinnen,25 wird die finanzielle Unterstützung des Staates entzogen. Sie verlieren ihr Recht auf Lieferung von Naturalien, die sie für ihren persönlichen Unterhalt bislang erhalten haben, und auch die Kosten für die heidnischen Zeremonien werden künftig nicht mehr von der Staatskasse übernommen. Diese Leistungen fließen vom fiscus, beziehungsweise der arca frumentaria,26 fortan in die Entlohnung der Korporation der städtischen Lastenträger (baiuli27)28. bb) Privilegien, wie etwa die Abgaben- und Steuerfreiheit der Priesterkollegien, insbesondere der Vestalinnen, werden aufgehoben29. cc) Grundstücke der Tempel und der heidnischen Priesterkollegien, die vom Staat für die Ausübung des Kultes überlassen worden waren, werden zugunsten der res privata eingezogen30. Wichtige Einnahmequellen der heidnischen Priesterschaften aus den Grundstückserträgen gehen damit verloren. dd) Die Vestalinnen und anderen Tempeldiener können fortan keine Grundstücke mehr durch private Vermächtnisse erwerben. Ihre Erbfähigkeit wird insoweit zugunsten des fiscus beschränkt31. 24 Ausführlich handelt hiervon Malunowicz, De ara Victoriae, 13 ff, 18-22. Ganz ähnliche Maßnahmen trifft Theodosius seit 381 gegen Häretiker, besonders gegen die Manichäer: Konfiskationen und Erbrechtsbeschränkungen, CT XVI, 5, 6-24 (381-394). Diese Maßnahmen könnten insoweit durchaus vorbildhaft für die Antiheidengesetzgebung Gratians gewesen sein. 25 Symmachus bezieht seine Ausführungen immer wieder beispielhaft auf die Vestalinnen. Die kaiserlichen Maßnahmen gelten jedoch für alle heidnischen Priesterschaften, vgl. die Darstellung bei Ambrosius und in CT XVI, 10, 20. S. a. Chastagnol, Préfecture, 158; Vera, Commento, 44 f. 26 Ambr. Ep. 17, 3. Chastagnol, Préfecture, 158 Fn. 3, weist darauf hin, dass die dort genannte arca nicht die arca praetoriana ist, wie Seeck, Symmachus, LIII; Boissier, Fin II, 259, und Robinson, Analysis, 98; s. a. Jones, LRE III, 128 (Anm. 124 zu S. 461), glaubten. Er schließt sich Lécrivain, Sénat, 146, an, der darin eine Kasse sieht, die dem Stadtpräfekten unterstellt ist. So auch Barrow, Prefect, 45; Vera, Commento, 44; 49. Da es (auch) um Unterstützung durch Naturalien geht, kommt tatsächlich vor allem die arca frumentaria in Betracht. So daher auch Herz, Studien, 199. Es handelt sich dabei um die Kasse, über die die öffentlichen Brotverteilungen in Rom abgewickelt werden und die Teil der sacrae largitiones ist; in Rel. 3, 18 spricht Symmachus denn auch von fiscus. S. zu den römischen Annonakassen die Rell. 29, 34, 37. 27 Rel. 3, 15. Seeck und Boissier, a.a.O., Lécrivain, Sénat, 146, sowie McGeachy, Symmachus, 141, sahen darin Postangestellte. Palanque, St. Ambroise, 118, identifizierte sie als Straßenarbeiter. Dass es sich um Lastenträger handelt, zeigt Waltzing, Lettre, 231 ff. Ihm folgend Chastagnol, Préfecture, 306; Noethlichs, Die gesetzgeberischen Maßnahmen, 114; Vera, Commento, 49; 123; Sirks, Food, 303. 28 Diese Maßnahme ergibt sich aus Epp. 17, 3; 17, 9; 18, 11 f; 18, 13; Rel. 3, 7; 3, 12; 3, 15; 3, 17 f; Ep. 57, 2; CT XVI, 10, 20. 29 Dies leitet sich her aus Rel. 3, 7; 3, 11 f; 3, 15; Epp. 17, 4 f und 14; 18, 11a. 30 Dazu: Ep. 18, 16; CT XVI, 10, 20. Vergleichbar im Osten unter Theodosius I.: CJ XI, 66, 4 (18.1.383: Seeck, Regesten, 261; 445): Universi fundi templorum ad rationalium rei privatae sollicitudinem curamque pertineant. Die Ländereien der Tempel werden der Verwaltung der res privata unterstellt. 31 Rel. 3, 13 f.
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Abgesehen von diesen Einschränkungen aber lebt der Heidenkult fort, notgedrungen auf private Kosten. Eine erste senatorische Gesandtschaft gegen die Maßnahmen Gratians unter der Führung von Symmachus verläuft erfolglos32. Als das Reich 383 in eine Krise gerät - Gratian wird ermordet, der Usurpator Maximus kann sich festsetzen und in Italien, Gallien und Spanien gibt es eine schwere Hungersnot -, schreiben die Heiden dies dem Zorn der Götter wegen der gratianischen Maßnahmen zu, Relation 3, 15-17, und sie wagen eine neue Bitte, als der junge Kaiser Valentinian II. an die Macht kommt und eine heidenfreundliche Politik beginnt. Sie werden dadurch ermutigt, dass Praetextatus als Prätorianerpräfekt von Italien vom Kaiser eine für sie wichtige Entscheidung erwirkt: Diejenigen, die aus öffentlichen Gebäuden, insbesondere Tempeln, Schmuck gestohlen haben, sollen ermittelt werden33. Symmachus verfasst34 vor diesem Hintergrund seine 3. Relation, die im kaiserlichem consistorium verlesen wird. Das consistorium, auch die christlichen Mitglieder, zeigt sich beeindruckt und Ambrosius befürchtet, man werde der Bitte der Heiden stattgeben. Er schreibt daher, noch bevor er den genauen Inhalt der Relation kennt, einen Brief (Ep. 17) an Valentinian II., der ebenfalls im consistorium verlesen wird (vgl. Ep. 57, 3) und erinnert diesen an seine Pflichten als guter Christ, droht für den Fall des Nachgebens gar mit Exkommunikation, Ep. 17, 13 f. Letztlich setzt er sich bei Kaiser und consistorium (dazu ausdrücklich Ep. 57, 3) durch; die Bitte der Heiden wird abgelehnt. Nachdem Ambrosius eine Abschrift der Relation erhalten hat, schreibt er nachträglich noch eine detaillierte, polemische Erwiderung an Valentinian auf das Vorbringen der Heiden, Ep. 18. Auch darin zeigt sich noch einmal der große Einfluss und das Selbstbewusstsein des Bischofs, der argumentiert, dass sich der Kaiser in Glaubensfragen seinem Rat unterordnen müsse: Ep. 17, 6 f und 12 f35. Möglicherweise hatte bei der Entscheidung Valentinians aber auch Theodosius (evtl. auch Damasus), den Ambrosius ausdrücklich in Ep. 17, 12, zu befragen rät, eine Rolle gespielt, dessen Kritik man sich vielleicht nur ungern aussetzen wollte. Im Jahre 391 wird dann die Ausübung heidnischer Kulte weitgehend verboten, CT XVI, 10, 10. Die Durchsetzung dieser Maßnahme in Rom verläuft je32
Vgl. bereits m. N. im 1. Teil, 1. Abschnitt I. Zu dieser Anordnung vgl. Relation 21. Der Stadtpräfekt wird ermächtigt, eine Untersuchung über geplündertes Tempelgut durchzuführen (Rel. 21, 3). 34 Er schickt sie an den kaiserlichen Hof in Mailand, wo sie im consistorium verlesen wird. Chastagnol, Préfecture, 161, und Noethlichs, Die gesetzgeberischen Maßnahmen, 115, gehen dagegen davon aus, Symmachus habe die Relation persönlich dem Kaiser in Mailand vorgetragen. Dagegen spricht schon, dass Symmachus als Stadtpräfekt nicht ohne weiteres für längere Zeit seine Amtsgeschäfte in Rom verlassen haben wird. In Ep. 17, 13 schreibt Ambrosius außerdem von „missae relationis“; diese Formulierung spricht gegen die Annahme, Symmachus sei selbst nach Mailand gereist. So entscheidet im Ergebnis auch die überwiegende Auffassung: Malunowicz, De ara Victoriae, 57 f; McGeachy, Symmachus, 143; Matthews, Letters, 76 f; Vera, Commento, 24. 35 Auch später (ab 386) setzt er sich im Streit um den Arianismus gegen Justina und Valentinian II. und auch in Streitigkeiten mit Theodosius immer wieder durch. 33
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doch sehr zögerlich, die Senatspolitik ist weiterhin heidnisch geprägt. Unter der heidenfreundlichen Politik des Usurpators Eugenius kehrt die Victoria 392 sogar noch einmal in die Kurie zurück und werden die materiellen Forderungen der Heiden zumindest mittelbar, ohne dass indes die gratianischen Maßnahmen aufgehoben werden, durch großzügige Schenkungen des Kaisers erfüllt. 393 fasst Ambrosius das Geschehen seit 382 in einem Brief an Eugenius, in dem er diesen wegen seiner heidenfreundlichen Haltung scharf tadelt, noch einmal zusammen, Ep. 57. Unter Theodosius wird der Altar schließlich wieder entfernt, unter Honorius aber offenbar noch einmal zurückgebracht36. b) Die Argumentation von Symmachus, speziell in juristischer Hinsicht37 Der genaue Antrag der Heiden ergibt sich aus Relation 3, 3: Repetimus igitur religionum statum, qui rei publicae diu profuit. Sie fordern also die Wiederherstellung des alten Staatskultes mit all seinen Privilegien, s. a. § 19. Die Religionsausübung selbst war ja nicht untersagt worden und natürlich geht es bei der Auseinandersetzung nur vordergründig um den Altar. Den Heiden hatte man die ökonomische Basis ihres Kultes entzogen, der seinem Selbstverständnis und seiner Struktur nach Staatskult war. Durch diese Maßnahme wurden sie in ihrem Glauben zutiefst angegriffen; es ist daher nicht verwunderlich, dass die Forderung nach Wiederherstellung der finanziellen Grundlage des Kultes einen wesentlichen Teil der Relation in Anspruch nimmt. Manche Autoren meinen dazu allerdings, es sei den Heiden nur um das Geld, die Sicherung ihrer Privilegien, gegangen. Sie hätten Angst gehabt, dass nun hohe Kosten auf sie zukommen. Die bloße Entfernung des Altars unter Constantius II. hätte schließlich nicht zu Widerspruch geführt, sondern erst die finanziellen Maßnahmen Gratians38. Sicherlich spielen finanzielle Interessen eine große Rolle, den Heidenaber vorzuwerfen, es sei ihnen nur darum gegangen, wäre zu kurz gegriffen. Immerhin ist die Wirksamkeit und das Überleben des Kultes und damit die gesamte überkommene Staatsordnung ohne die staatliche Förderung insgesamt in Frage gestellt. Die Idee, das Heidentum ohne Blutvergießen finanziell auszutrocknen, erweist sich insoweit - jedenfalls aus Sicht der Christen - als eine überaus geschickte Maßnahme, die nicht zuletzt seinen endgültigen Untergang mit einleitete. Die Empörung und Angst der heidnischen Seite ist daher durchaus ernst zu nehmen, auch wenn die einzelnen Argumente bisweilen reichlich
36 Zu den Einzelheiten: Pohlsander, Victory, 595 f, und hier schon m. N. im 1. Teil, 1. Abschnitt I. 37 Die Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit in Epp. 17, 18 und Relation 3 behandelt auch Dihle, Zum Streit. 38 So: Malunowicz, De ara Victoriae, 109-119; McGeachy, Symmachus, 141 ff und v. a. 149 ff; Romano, Simmaco, 41. Sehr negativ vor allem Paschoud, Réflexions, 219 f; 224; ders., Roma Aeterna, 79-108, der hier nur senatorischen Egoismus und Opportunismus zu erkennen glaubt.
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weltfremd erscheinen39. Wenn Ambrosius den Heiden vorwirft, sie seien nur am Geld interessiert, Ep. 18, 11, so ist das nicht als objektive Darstellung zu werten, sondern Teil seiner polemischen Argumentation. Symmachus liefert für seine Bitte zunächst eine ganz traditionelle Begründung: Der Erfolg Roms hänge von der staatlichen Götterverehrung ab und der Brauch allein rechtfertige schon den Kult: Consuetudinis amor magnus est, § 4. Es sei nützlich, die Götter zu verehren, die sich für heidenfeindliche Maßnahmen sonst weiterhin rächen würden. Alte Bräuche dürften nicht angetastet werden: ...vobis contra morem parentum intelligitis nil licere, § 2, denn das sei für das Gemeinwohl gefährlich. Jenseits dieser „Erpressungsversuche“ aber zeigt sich Symmachus als Verfechter der Toleranz - wobei Toleranz für ihn Wiederherstellung des alten Kultes und nicht etwa staatliche Neutralität bedeutet - und einer Art allgöttlichen Prinzips mit neuplatonischen Zügen: Suus enim cuique mos, suus cuique ritus est (§ 8) und: Uno itinere non potest perveniri ad tam grande secretum, § 1040. Er greift also nicht das Christentum an, sondern verteidigt heidnische Besitzstände. Ein eher praktisches und politisches Problem legt er hingegen dar, wenn er beklagt, dass es ohne Altar keinen Ort für den Treueeid gebe: § 5: Ubi in leges vestras et verba iurabimus? Der öffentliche Eid am Altar sichert schließlich die Staatstreue der Senatoren; diese - so wird wenigstens konkludent angedeutet - ist mithin gefährdet. Allein mit dieser emotionalen und pragmatischen Argumentation aber lässt sich, das weiß auch Symmachus, ein Ambrosius nicht beeindrucken, der ihr das christliche Glaubensbekenntnis mit seinem Alleingeltungsanspruch und aufgeklärtes Fortschrittsdenken entgegensetzen wird. Daher greift Symmachus auch auf rationale juristische Argumente zurück und stellt seine Idee von Gerechtigkeit vor.
39 Hinter der Forderung der Heiden erblicken eine aufrichtige religiöse Überzeugung (u. a) Boissier, Fin II, 287; 302; (kritisch: 260; 276); Kröner, Die politischen Ansichten, 351 ff; Klein, Streit, 14; 40; 178 f Anm. 14 m.w.N.; 185 Anm. 10; Barrow, Prefect, 32; Vera, Commento, 42 f; 46 f; 51. Dafür, dass man die Heiden ernst nehmen sollte, spricht auch, dass Symmachus selbst in seinen Schriften die Einhaltung der Glaubensregeln stets sehr ernst nimmt, vgl. Epp. I, 51; II, 59 und 53 und auch andere immer wieder dazu anhält: Epp. I, 46, 2; 47; II, 34; V, 85; IX, 108; 147. Dass Symmachus’ eigene Rolle im sog. Streit um den Victoriaaltar auch eine tragische Note hat, hat Klein in seiner Symmachusbiographie nicht zu Unrecht ausgedrückt: Symmachus. Eine tragische Gestalt des ausgehenden Heidentums. 40 Umstritten ist, ob Symmachus von diesen neuplatonischen Ideen selbst überzeugt ist. Aus seinen sonstigen Schriften geht eher eine traditionelle Religiosität hervor. Matthews, Symmachus and the oriental Cults, 188 ff, ist vorsichtig. Man könne aus einem Schweigen der Quellen nicht schließen, Symmachus sei fremden Glaubensströmungen abgeneigt gewesen. Zu berücksichtigen ist jedenfalls, dass Symmachus hier im Namen des ganzen Senats auftritt und nicht nur seine persönliche Überzeugung darlegt, sondern auch für andere heidnische Gruppierungen spricht und unbedingt überzeugen will. Zu seiner eigenen, traditionellen Sicht: Klein, Symmachus; Salzman, Reflections; Bloch, Ein neues Zeugnis, 142 f; Roda, Simmaco nel gioco, 76 ff; Robinson, Analysis, 94 ff.
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So schreibt er gleich in § 1: Ubi primum senatus amplissimus semperque vester subiecta legibus vitia cognovit... . Es gelten gegenüber Fehltritten (wieder) Gesetze, daher wagen die Heiden eine erneute Bitte beim Kaiser. Ein guter Herrscher respektiert also die Gesetze. Woran Symmachus hier denkt, ist unklar. Möglicherweise spielt er auf die heidenfreundliche kaiserliche Anordnung an Praetextatus an, die sich gegen Plünderungen insbesondere der Tempel richtet (dazu Relation 21)41. Festzuhalten ist jedenfalls, dass er gesetzestreues Handeln lobt. Es geht ihm, so schreibt er in § 1, darum, dass Gerechtigkeit, iustitia, wiederhergestellt wird. Der Kaiser, der die Gesetze achtet, soll nun auch hier Gerechtigkeit walten lassen. Die Mehrheit seiner Mitbürger, womit letztlich Senatoren gemeint sind, wolle das, § 2: Nulla est hic dissensio voluntatum, was eine Art demokratische Legitimation seiner Forderung wäre. In §§ 2 und 3 lässt er zudem Gedanken wie in den ersten beiden Relationen anklingen, wenn es heißt, dass gute Maßnahmen auf das Ansehen der Kaiser zurückfielen. In § 2 heißt es weiter: ...instituta maiorum,...patriae iura et fata defendimus... . Es geht den Heiden, so wiederholt Symmachus auch später noch mehrmals, um Recht und Einhaltung der Bräuche, was für sie letztlich zusammengehört42. Ungerecht und rechtswidrig ist demzufolge die Änderung des Überkommenen. Die Religion steht nicht außerhalb des Rechtssystems, sondern muss an Recht und Gesetz gemessen werden, was Gratian nicht hinreichend beachtet habe. Da es immerhin um den (Halb-)Bruder Valentinians II. geht, hält sich Symmachus mit noch deutlicherer Kritik zurück. In § 4 kritisiert Symmachus ausdrücklich die Entscheidung, den Victoriaaltar aus der Kurie zu entfernen: ornamentis saltem curiae decuit abstineri. Auch hier spielt er möglicherweise auf die aktuelle kaiserliche Anordnung an, von der in Relation 21 die Rede ist: Die Gesetze verbieten es, öffentliche Gebäude ihres Schmuckes zu berauben. Auch der Kaiser müsste daher, will er sich nicht widersprüchlich verhalten, den öffentlichen Gebäuden ihren Schmuck belassen und den Altar in die Kurie zurückbringen. Ein durchaus rechtlich begründeter Ansatz also. In §§ 11 bis 19 bittet Symmachus um Aufhebung der finanziellen Maßnahmen und insbesondere hier versucht er, auch juristisch zu argumentieren. So nennt er in § 12 die Versagung der Unterstützung für den Kult iniuria, operiert also mit rechtlicher Begrifflichkeit. In § 16 umschreibt er Gratians Maßnahme sogar als sacrilegium. Zur Aufhebung der Erbfähigkeit in Bezug auf Grundstücke äußert er sich in § 13 und versucht, Gratian insoweit einen Rechtsbruch 41 So die Vermutung von Lavarenne, Prudence III, 199 Anm. zu S. 107 *1; Klein, Streit, 175 Anm. 2; Barrow, Prefect, 35 Fn. 2; Vera, Commento, 25. S. auch bei Rel. 21. 42 Dihle, Zum Streit, 83-85, stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass es Symmachus um die Wiederherstellung des guten Rechtsverhältnisses zwischen Göttern und Menschen bzw. Staat gehe, das als eine Art Vertragsverhältnis angesehen wurde und nach Ansicht der Heiden verletzt ist. Auch insoweit sei hier eine rechtliche Argumentation zu beobachten.
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vorzuhalten, denn dieser habe ohne Rechtfertigung Erblasser und Erben in ihren Rechten beschränkt. Die jetzigen Kaiser werden als iustitiae sacerdotes aufgerufen, wieder rechtmäßige Zustände herzustellen: Agros etiam virginibus et ministris deficientium voluntate legatos fiscus retentat. Oro vos, iustitiae sacerdotes, ut urbis vestrae sacris reddatur privata successio. Dictent testamenta securi et sciant sub principibus non avaris stabile esse, quod scripserint. Empört fragt Symmachus: Ergo Romanae religiones ad Romana iura non pertinent? Und weiter: Quod nomen accipiet ablatio facultatum quas nulla lex, nullus casus fecit caducas? Symmachus wirft Gratian also ungesetzliches Verhalten vor; dieser habe Vermögenspositionen ohne (Rechts)Grundlage weggenommen. Die Priesterschaften würden durch die erbrechtlichen Beschränkungen noch schlechter als Sklaven und Freigelassene gestellt, § 14: Capiunt legata liberti, servis testamentorum iusta commoda non negantur, tantum nobiles virgines et fatalium sacrorum ministri excludentur praediis hereditate quaesitis? Das sei zutiefst ungerecht: ...ius cum omnibus non habere. Symmachus deutet also an, es gebe allgemeine, für alle geltende, unantastbare (Menschen)Rechte, die auch für die Vestalinnen und Priesterschaften beachtet werden müssen, weil sie Dienst an der Allgemeinheit tun. Die Freiheit letztwilliger Verfügungen als hohes Gut im römischen Recht ist ihm ein wichtiges Argument. Dabei übergeht er allerdings mit Stillschweigen, worauf Ambrosius dann in Ep. 18, 13 f hinweist, dass es durchaus auch erb- und schenkungsrechtliche Beschränkungen für die christlichen Priester gab, CT XVI, 2, 20 (370), und argumentiert auch sonst ungenau, vgl. Ep. 18, 16: Nemo tamen donaria delubris et legata haruspicibus denegavit. Sola sublata sunt praedia, quia non religiose utebantur his, quae religionis iure defenderent. ...Praedia igitur intercepta, non iura sunt. Niemand hatte den Tempeln ihre Weihegeschenke, niemand den Opferschauern ihre Legate weggenommen. Es gab also keine Enteignung früher ererbten oder schenkweise erworbenen Eigentums43. Gegen Symmachus’ Argumentation ist insoweit also zum einen vorzubringen, dass eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung Gratians wie gesehen sehr wohl ergangen war, und zum anderen wendet schon Klein44 in diesem Zusammenhang (und zu § 18) durchaus zu Recht ein, dass Symmachus hinsichtlich der Grundstücke bewusst falsch argumentiere. Er müsse gewusst haben, dass die loca publica den Vestalinnen vom Staat nicht zur letztwilligen Verfügung überlassen worden waren und dass ein Sklave rechtlich gar keine Erbschaft habe antreten können. Er instrumentalisiere hier also bewusst die juristische Argumentation. Dem ist zwar grundsätzlich zuzustimmen, doch argumentiert Symmachus hinsichtlich der Grundstücke ein wenig anders, denn § 13 ist nur auf das passive Erbrecht an Grundstücken (von Privaten) und nicht die Möglichkeit, selbst etwas zu vererben, und § 18 auf die finanzielle Unterstützung durch den Staat bezogen. Gratian hatte den Priesterschaften das passive Erbrecht für die Zukunft entzogen und außerdem 43 So hingegen Noethlichs, Die gesetzgeberischen Maßnahmen, 114, der meint, die Grundstücke, die testamentarisch vermacht worden waren, seien zugunsten der Staatskasse konfisziert worden und dafür Rel. 3, 13 und Ep. 18, 16 nennt. 44 Streit, 37 f; 180 Anm. 18.
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die ihnen vom Staat bislang zur Ausübung ihres Kultes zugewiesenen Grundstücke eingezogen, weil sie nicht bestimmungsgemäß für religiöse Zwecke (sondern etwa zur Bewirtschaftung) verwendet wurden. Es handelte sich dabei nicht etwa um eine rechtsgrundlose Enteignung, wie Symmachus anzudeuten versucht; das geht schlüssig aus Ep. 18, 16 und auch aus CT XVI, 10, 20, 1 (415) hervor: Omnia etiam loca, quae sacris error veterum deputavit, secundum divi Gratiani constituta nostrae rei iubemus sociari. Vielmehr geschah all das formal korrekt durch eine Konstitution und mit einer tragfähigen Begründung: Ein früherer Kaiser hatte einstmals ungenutzten öffentlichen Grund und Boden zweckgebunden vergeben (durch Reskript etwa) und Gratian diesen Besitz wegen bestimmungswidriger Nutzung später wieder entzogen45. Symmachus überzeugt mit seiner Deutung im Sinne einer rechtswidrigen, rechtsgrundlosen Enteignung daher nicht. In § 15 wiederum ist die Rede von einer lex parentum, die den Vestalinnen und Priesterschaften Unterhalt und Privilegien gewähre. Diese (ungeschriebene) lex ist für Symmachus gewichtiger als Gratians Anordnung, denn lex als die stärkste Rechtsform bindet auch den Kaiser. Sie beansprucht absolute und dauerhafte Gültigkeit; jedenfalls aber führt ihre Nichtbeachtung zu göttlicher Strafe. Weltliches Gesetz und Religion stehen also in engem Zusammenhang. Interessant ist schließlich Symmachus’ Argumentation in Relation 3, 18 zur Entziehung finanzieller Unterstützung: Nam cum res publica de singulis constet, quod ab ea proficiscitur, fit rursus proprium singulorum. Omnia regitis, sed suum cuique servatis plusque apud vos iustitia quam licentia valet. Der Staat habe kein Recht, einzelnen aus dem Gemeingut gewährte Leistungen wieder zu entziehen. Symmachus begründet seine Forderung mit Gewohnheitsrecht, wonach aus gewährten Wohltaten Verpflichtungen für die Zukunft erwachsen: quod a principio beneficium fuit, usu atque aetate fit debitum; Gratian habe also eine Rechtsverletzung begangen. Symmachus verteidigt hier, wenngleich eher emotional als juristisch präzise, den Erhalt von privatrechtlichen Anspruchs45
Die insoweit geltende Rechtslage seit Valentinian I. verdeutlicht in Übereinstimmung mit Ambrosius auch CT X, 1, 8, (364 an den comes rei privatae), wonach die von früheren Kaisern an heidnische Tempel verkauften oder geschenkten Grundstücke zur res privata eingezogen wurden: Universa loca vel praedia, quae nunc in iure templorum sunt quaeque a diversis principibus vendita vel donata sunt retracta, ei patrimonio, quod privatum nostrum est, placuit adgregari. Es gab also seither kein Eigentum der Tempel an den Grundstücken mehr, sondern nur eine Nutzungsüberlassung. Auch die übrigen Zuwendungen Julians an die Tempel wurden unter Valentinian I. rückgängig gemacht und wieder in die res privata überführt, CT V, 13, 3 (364 an den praefectus praetorio): Uni(versa, quae) ex patrimonio nostro per arbitrium divae me(moriae Iul)iani in possessionem sunt translata templorum, (sollicitudi)ne sinceritatis tuae cum omni iure ad rem privat(am nostram) redire mandamus. Zu den Grundstücken auch Marquardt, Staatsverwaltung II, 82 ff; Delmaire, Largesses sacrées, 641 ff: Loca sacra wurden den Tempeln nur zur Verfügung gestellt, blieben aber im Eigentum des Staates, der darüber gegebenenfalls neu verfügen konnte. Gratian ist also formal im Recht mit seiner Maßnahme und in diesem Sinne ist auch die zitierte Formulierung in Ep. 18, 16 verständlich.
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und Rechtspositionen, die der Staat schützen müsse. Auch die Grundstücke und selbst bloße Gewohnheit ordnet er dort ein. Abgesehen davon, dass dies rechtlich im Einzelnen ungenau ist, ist die Argumentation auch insoweit schwach, als Gewohnheitsrecht46 zwar Recht begründen kann, aber durch kaiserliches Gesetz jederzeit wieder aufgehoben werden kann und nicht contra legem zugestanden wird47. Gratian als absolutistischer und auch in Religionsangelegenheiten unbestritten zuständiger Herrscher hatte mit einer solchen Konstitution gewohnheitsrechtliche Positionen aufgehoben und damit die Entziehung bisher anerkannter Besitzstände legalisiert. Das jedenfalls formal korrekte Vorgehen Gratians ist rechtlich nicht überzeugend angreifbar und auch Valentinian II. setzt sich nicht ungesetzlich über Gesetze hinweg, außer vielleicht über die eigene Anordnung an Praetextatus (Relation 21, vgl. § 4), aus der die Schlussfolgerung gezogen werden könnte, dass auch der Victoriaaltar in die Kurie zurückgebracht werden muss. Hier kann Symmachus indes nur an das kaiserliche Rechtsbewusstsein und freiwillige Selbstbeschränkung appellieren. Was eigentlich verletzt ist, sagt er klar in § 20: „more violato“. Der Stadtpräfekt macht so am Ende wenigstens eine moralische Fürsorgepflicht des Kaisers gegenüber der alten Religion geltend. Festzuhalten bleibt aus Relation 3, dass Symmachus sich redlich Mühe gibt, selbst im religiösen Bereich weltlich rational zu argumentieren. Verpackt ist sein Vorbringen freilich als demütige Bitte48 der Heiden: oro vos (§ 4), pacem rogamus, .nunc preces, non certamina offerimus (§ 10), eum religionum statum petimus (§ 19). Diplomatie ist gefragt, wenn man Erfolg haben will und so schreibt selbst ein Ambrosius in Ep. 17, 10 „rogo“, obwohl er tatsächlich fordert und droht. In der Sache ist Symmachus mit seinen klaren Forderungen durchaus mutig und trotz seiner weitgehend traditionellen, bisweilen etwas realitätsfernen Argumentation auch ersichtlich um juristische Denkansätze bemüht; iustitia ist ihm Argument und Anliegen. Er misst die antiheidnischen Maßnahmen an den weltlichen Gesetzen, vor allem aber an traditionell überkommenen, durch Gewohnheit bindend gewordenen, übergeordneten Rechtsgrundsätzen. Andererseits ist Symmachus aber zugleich vorzuhalten, dass er insoweit stark instrumentalisiert, denn seine Argumente sind juristisch bisweilen so schwach, dass er sie vor allem der Rhetorik wegen einzusetzen scheint. Ambrosius geht denn auch nicht näher auf sie ein, sondern argumentiert auf einer ganz anderen Ebene. Wie schon aus den beiden ersten Relationen lässt sich 46
Zum Gewohnheitsrecht s. a. bei Rel. 22 und Schmiedel, Consuetudo, 69 ff. Vgl. hierzu etwa CJ V, 20, 1 (381) und CJ VIII, 52, 2 (319). 48 Dies betont Klein, Streit, 39. Die Forderung nach Erhaltung des alten Zustandes sei mehr ein Anliegen seines Herzens als ein begründbarer Anspruch. Zu Recht unterstreicht aber in diesem Zusammenhang Dihle, Zum Streit, 81; 85, dass Symmachus seine Eingabe als Einforderung eines Rechts und nicht als Bitte an die kaiserliche Gunst formuliert. Den Gegensatz in der Argumentation von Symmachus und Ambrosius formuliert Meloni, Rapporto: causa civilis bei Symmachus und causa religionis bei Ambrosius, alte Einheit zwischen Politik und Religion gegen christliches Glaubensgebot. 47
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aber auch aus dieser Relation eine Vorstellung vom idealen Kaiser herauslesen. Dieser ist trotz seiner Machtfülle in das weltliche Rechtssystem eingebunden, wobei rechtliche und (damit zugleich auch) religiöse Bindungen insbesondere aus der consuetudo, die zu Gewohnheitsrecht führt, entstehen. 2. Relation 21: Rufmordkampagne Symmachus beschwert sich bitter bei Valentinian II., den er in § 4 als Sohn von Valentinian I. persönlich anspricht, über Intrigen religiöser Gegner gegen seine Person. a) Der zugrundeliegende Sachverhalt Praetextatus hatte auf eigenen Vorschlag hin (§ 5) als Prätorianerpräfekt von Italien vom Kaiser eine Anordnung, decretum, erwirkt, wonach unterbunden werden soll, dass Schmuck aus den heidnischen Tempeln gestohlen wird, wie schon bei Relation 3 erwähnt. Der Stadtpräfekt Symmachus wird vom Kaiser mit den entsprechenden Untersuchungen betraut, um die gestohlenen Ornamente aufzufinden: ...iustae inquisitionis, qua me cultum spoliatorum moenium investigare iussistis, § 3. Ziel des Dekrets war vermutlich, das geplünderte Tempelgut zurückzubringen und künftige Plünderungen zu verhindern. Vor diesem Hintergrund wird nun Symmachus vorgeworfen (§§ 2 f), er habe den Auftrag dazu missbraucht, Christen zu verfolgen, einzelne zu foltern und Priester aus der ganzen Umgebung ungerechtfertigterweise zu verhaften. Diese Anschuldigungen finden wiederum das Ohr des Kaisers, der Symmachus öffentlich, sacro edicto populum, scharf, ja sogar schärfer als gewöhnlich, asperioribus quam pietati tuae mos est litteris, tadelt (§ 2) und die Freilassung der Gefangenen anordnet (§ 6). Empört über diese Verleumdungen versucht Symmachus in Relation 21, die Anschuldigungen umfassend zu widerlegen. Verfasst wurde das Schreiben vor Mitte Dezember 384, denn Praetextatus (s. Relation 10) und Damasus, der am 11.12.38449 stirbt, leben offensichtlich beide noch. Man hat versucht, den kaiserlichen Tadel in CT I, 6, 9 vom 28.12.384, gerichtet an den Stadtpräfekten Symmachus, zu erkennen50. Diese Konstitution untersagt zwar Kritik an kaiserlichen Entscheidungen, tadelt aber keine rechtswidrige Untersuchung des Stadtpräfekten. Außerdem scheitert diese Identifizierung an der Chronologie und auch der Adressat widerspricht dem: Relation 21 datiert wie gesagt vor dem 11. Dezember 384, kann also nicht eine Konstitution vom 28.12.384 widerlegen und außerdem müsste das Edikt ad po49
Zum Todesdatum von Papst Damasus: Cavallera, St. Jérôme II, 22 f. Zu dieser Konstitution ausführlich bei Rel. 17. Chastagnol, Préfecture, 161 f. Fn. 4: „Peut-être“. Derselbe Autor vertritt aber a.a.O., 194 Fn. 7 und Fastes, 224, dann etwas anderes. Dazu sogleich. 50
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pulum und nicht an den Stadtpräfekten gerichtet sein, wie § 2 ergibt, wo von einer allgemeinen Bekanntmachung die Rede ist. Wir kennen also das edictum nur aus Relation 21. Offenbar aber war es eines der edicta ad populum des Kaisers51, vorausgesetzt, Symmachus, der stets (§§ 3 und 7) von edictum spricht, verwendet den Begriff im rechtstechnischen Sinne. Jedenfalls liegt nahe, dass er in Relation 21 unterschiedliche kaiserliche Handlungsformen zutreffend differenziert: zum einen das decretum als spezielle Dienstanweisung an einen Beamten und zum anderen das edictum ad populum als eine öffentliche Bekanntmachung mit Außenwirkung. b) Symmachus’ Verteidigungsstrategie und die Frage nach den Gegnern Symmachus macht erstens geltend, dass er die Untersuchung in böser Vorahnung noch gar nicht begonnen habe, § 5. Das zeigt, dass sich die Heiden offenbar doch nicht so ganz sicher fühlen und dass Symmachus zu ahnen scheint, dass er Gegner hat, die ihm Schwierigkeiten bereiten könnten, denn er hält die kaiserliche Anordnung, sacra iussa, versiegelt. Zweitens komme aus dem officium urbanum eben dieses Zeugnis, dass es noch keine Untersuchungen gegeben habe. Die Unterlagen fügt er bei, §§ 3 und 6. Man hatte bereits Erkundigungen eingeholt und sogar einen Ermittler eingesetzt, § 3: ne factum aliquod recordationem cognitoris effugeret. Drittens habe der öffentliche Tadel auch die römischen Bürger erstaunt (§ 3), da ja noch gar nichts geschehen sei. Es finde sich keiner, der Verletzungen bezeugen könne, weder ein Priester noch das Volk. Zum Vierten entlaste ihn auch der römische Bischof Damasus schriftlich (§§ 3 und 6) und bestätige, dass keinem seiner Glaubensgenossen Unrecht getan worden sei. Im Übrigen habe er selbst noch einmal genau überprüft, dass kein Christ wegen seines Glaubens verhaftet worden sei und daher könne er auch niemanden freilassen, § 6. Letztlich könne also niemand seine Schuld beweisen; er sei daher zu unrecht getadelt worden. Symmachus legt seiner Relation auch die genannten, leider nicht erhaltenen Beweisstücke bei, § 6. Insbesondere diese verleihen der Relation hohe Glaubwürdigkeit, wobei stärkste Verteidigungswaffe zweifellos das Entlastungsschreiben von Damasus ist. Der Aufbau der Verteidigung allerdings gelingt Symmachus nicht in allen Punkten schlüssig und stringent, zu empört ist er über die bösartigen Anschuldigungen. In § 4 schwenkt er auf eine andere Argumentationsebene um, dass nämlich die Beleidigung seiner Person und seines Amtes auch auf das Ansehen des Kaisers, der ihn ausgewählt habe, zurückfalle. Hier taucht die Konzeption aus den beiden ersten Relationen in einem praktischen Anwendungsfall wieder auf: Omitto iniuriam praefecturae et conscientiae meae, quando eo processit insimulatio, ut vos quoque ipsos auctores honoris mei quadam reprehensione praestringat. Nam qui summi loci iudices decolorant, sacri testimonii facilita51 Zu edicta (ad populum Romanum) mit Beispielen: Kußmaul, Pragmaticum, 48 ff; Classen, Kaiserreskript, 16.
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tem videntur incessere. Kritik an Symmachus ist mittelbar Kritik am Kaiser, insofern eigentlich beinahe sacrilegium. Daraus leitet er dann auch seinen konkreten Antrag ab: Paternum sequere, tuum tuere iudicium: qui praefecturam sine ambitu meruimus, sine offensione ponamus. Er gibt sich bereit, sein Amt niederzulegen, um dem Ansehen des Kaisers nicht zu schaden. Dass er aber nicht wirklich aufgeben will, zeigt sich am Ende, als er seinen Wunsch in § 6 konkreter formuliert. Tatsächlich will er nämlich von der konkreten Untersuchung vollständig und offiziell entbunden werden, um weiteren Intrigen zuvorzukommen. Nur der Kaiser kann ihn rehabilitieren, § 7: quaeso, ut fallaciam retundatis, ...quae ad edicti necessitatem venerandi principis curam coegit. Der Kaiser soll also seine Rüge zurücknehmen und die Verleumdungen widerlegen; öffentlich versteht sich. Symmachus drückt außerdem seine Hoffnung aus, dass künftige Verleumdungen nicht mehr das Ohr des Herrschers finden werden und fordert - erst - bei weiteren Lügen ein Gerichtsverfahren und wohl auch die Bestrafung der Urheber52. Noch aber hält er sich mit eindeutigeren Vorwürfen zurück. Das leitet zur nächsten Frage über, wer hinter diesen Verleumdungen steckt und was ihre Ursache sein könnte. Da Symmachus sich ganz offensichtlich entlasten kann, ist in der Tat von Intrigen auszugehen und der Machart der Anschuldigungen zufolge ist dabei in erster Linie an einen religiösen Hintergrund zu denken. Die Gegner sind vermutlich im christlichen Umfeld zu suchen. Ein Anhaltspunkt mag sein, wie Symmachus die bzw. den Gegner und deren (dessen) Beweggründe in der Relation umschreibt. So ist in § 1 von Neid, livor, die Rede und von insidiae aemulorum. Hinterhältige Rivalen greifen mit einer klaren Lüge den Ruf eines Unschuldigen an. In § 2 scheint Symmachus dann sogar eine bestimmte Person vor Augen zu haben: Flevit, credo, scaenae istius fabricator. Er sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Und auch in § 3 ist von einer konkreten Person die Rede, die allerdings anonym bleibt: quisquis ille est. Jener habe betrügerisch gehandelt; fallacia nennt es Symmachus und meint damit nicht etwa ein konkretes Vermögensdelikt, sondern unterstreicht die Verwerflichkeit des gegnerischen Tuns. Später spricht er dann wieder in der Mehrzahl von Rivalen, aemuli (§ 5), und von inprobi, § 6. Neid und Missgunst spielen offensichtlich eine große Rolle, denn auch in § 7 ist von invidia und obtrectanti52
Symmachus deutet an, es handle sich um eine strafwürdige Verletzung der Ehrfurcht gegenüber dem Kaiser, also im Grunde ein sacrilegium. Doch abgesehen davon, dass diese Konstruktion etwas zweifelhaft ist und von Symmachus wohl so konkret, d. h. rechtlich greifbar auch nicht gemeint sein dürfte, kann der Stadtpräfekt, obgleich er hoher kaiserlicher Beamter ist, einen Angriff auf die kaiserliche Würde rechtlich für sich natürlich nicht geltend machen. Denkbar erscheint allerdings, die Verleumder wegen Beleidigung und Ehrverletzung, iniuria, vor Gericht zu ziehen. Schwere, persönliche Kränkungen waren schließlich zivil- und vor allem auch strafrechtlich grundsätzlich verfolgbar. Zu iniuria: Mommsen, Strafrecht, 784 ff; zur privatrechtlichen Bußklage für (wohl) leichtere Fälle s. Kaser, Privatrecht II, 439. Der Tatbestand hat keine festen Konturen und reicht von rechtswidriger Schadenszufügung bis hin zur persönlichen Kränkung, vgl. auch in CJ IX, 35: De iniuriis.
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um die Rede. Diese anonymen aemuli, vor allem aber offenbar eine ganz bestimmte Person, haben mit ihren schier unglaublichen Vorwürfen immerhin beim Kaiser Gehör gefunden, scheinen also nicht ganz einflusslose Personen zu sein. Symmachus hält sich hier bedeckt, möglicherweise handelte es sich um hohe Hofbeamte, Minister in Mailand. Auch die Anspielung in Relation 2, wonach ihm so mancher den Gehorsam verweigern könnte, ließe sich hier in Erinnerung rufen. Denkt er vielleicht an ehemals mächtige Leute unter Gratian? Da von Neid die Rede ist, wäre auch an Symmachus’ Nachfolger im Amt, den Christen Valerius Pinianus, zu denken. Vielleicht ist er, den Symmachus 385/386 in Ep. II, 55 als inquies monitor kritisiert, schon aktiv und zeigt Ambitionen auf das Amt. Auch in Relation 23 macht ihm der Vikar Schwierigkeiten und ist ein potenzieller Konkurrent. Allerdings geht es vorliegend um deutlich mehr als die üblichen Anfeindungen, denen ein hoher Beamter ausgesetzt war und die Symmachus auch anderswo erwähnt53. Christen in Rom, aus Kirchenoder Senatskreisen, könnten entgegen der Einschätzung von Vera54 ebenfalls als Gegner in Betracht kommen, obwohl in Mailand offensichtlich unbekannt ist, dass Symmachus die Untersuchung noch gar nicht begonnen hat. Diese Fehlinformation könnte von den römischen Gegnern durchaus gezielt gestreut worden sein. Abzulehnen ist aber jedenfalls die Ansicht55, dass Ambrosius hinter den Machenschaften stecken könnte, denn zum einen verbindet ihn mit Symmachus eine eher freundschaftliche Beziehung und zum anderen bewegt sich die Auseinandersetzung (s. Relation 3) zwischen beiden nur auf religiösem Gebiet, ohne dass sie jemals die Hochachtung voreinander verloren hätten. Ambrosius ist solch intrigantes Verhalten daher nicht zuzutrauen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass es sich um Leute aus dem kirchlichen Umfeld gehandelt hat. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass sich Damasus in Rom in dieser Angelegenheit öffentlich hinter Symmachus stellt. Die höchsten Kirchenkreise sind also nicht seine Gegner. Und hinsichtlich potenzieller senatorischer Gegner fragt sich, wer in diesem Kreis unter den Christen so mächtig war, beim Kaiser Gehör zu finden. Die Anicier, Petronius Probus? Grundsätzlich könnte es sich sogar um heidnische Gegner handeln, denn Symmachus war selbst auch bei den Heiden nicht unumstritten. Angesichts der Machart der Vorwürfe dürfte diese Vermutung aber doch eher auszuschließen sein, denn die Durchführung der angeordneten Untersuchung lag im Interesse aller Heiden. Am wahrscheinlichsten stehen daher christliche Senats- oder Hofkreise hinter den Machenschaften. Sie hatte sich Symmachus, sei es wegen seines offenen und beinahe erfolgreichen Eintretens für die Sache der Heiden in Relation 3, sei
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Ep. II, 27 (365): Ein (ehemaliger) Amtsinhaber müsse vorsichtig sein, denn es drohen fortuitae querellae vel adfectatae insidiae. In Ep. V, 34 (389) ist die Rede von aemuli, die Symmachus schaden könnten und in Ep. IX, 42, 2 spricht er von Verleumdungen, mit denen ein hoher Beamter regelmäßig rechnen müsse. 54 Commento, 155. 55 Seeck, Geschichte V, 24 ff; 199; ders., RE-Symmachus 18, 1149.
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es wegen unbequemer Amtsführung56 zu Gegnern gemacht. Symmachus hat offenbar einen konkreten Verdacht, hält sich indes mit der Nennung von Namen oder wenigstens deutlicheren Hinweisen auffallend zurück. Vielleicht, weil der Betreffende am Hof die Relation sogleich lesen konnte. Schließlich handelt es sich um ein öffentliches Schreiben, das dem Stadtpräfekten trotz aller Verbitterung einige Vorsicht und Diplomatie abverlangt. Augenscheinlich aber soll Symmachus aus dem Amt entfernt werden, durch Entlassung oder „freiwillige“ Aufgabe57. c) Das rechtliche Vorgehen gegen Tempelplünderungen Im Folgenden soll die Anordnung Valentinians II., Tempelplünderungen zu untersuchen, die auch schon im Zusammenhang mit Relation 3 angesprochen wurde, etwas näher geprüft werden, denn offensichtlich waren heidnische Tempel damals Plünderungen ausgesetzt, die bis dahin ungesühnt blieben. Man nutzte sie vielfach, mehr oder weniger offiziell, als Baustofflager58; daneben gab es aber auch Plünderungen zur Bereicherung oder aus Zerstörungswut. Die Frage ist, wie die Gesetzeslage hierzu aussah. Es gab eine ganze Reihe von Schutzregelungen für Bauwerke allgemein und Tempel im besonderen: CT XVI, 10, 3 (34259 ad praefectum urbi) verbietet etwa, Tempel außerhalb der Mauern Roms anzutasten. CT XV, 1, 14 (365) verbietet die Plünderung alter Bauwerke und gewährt einen mit Strafe bewehrten Schutz von Statuen, Marmorarbeiten und Säulen. CT XV, 1, 19 (376 ad senatum) wiederum schützt allgemein alte Bauwerke; Neubauten dürfen nicht mit geplünderten Baustoffen aus alten Gebäuden errichtet werden. Auch spätere Regelungen besagen immer wieder dasselbe: CT XV, 1, 37 (398) verbietet unter Androhung einer konkreten Strafe, aus alten Gebäuden ohne spezielle Erlaubnis Baumaterial für Neubauten zu entnehmen. CT XVI, 10, 15 (399) bewahrt Ornamente öffentlicher Bauten vor Plünderung und CT XVI, 10, 18 (399) schützt speziell Tempel als Bauwerke vor Zerstörung. Die häufigen Wie56 Wobei kleine Beamte, wie er sie in Relation 17 tadelt, kaum so viel Gehör in Mailand finden dürften. 57 Vera, Commento, XLII; 160, meint hingegen, dass mittelbares, wahres Angriffsziel der aemuli der einflußreichere Praetextatus gewesen sei, der ja von Valentinian II. das entscheidende Dekret erhalten hatte, das die Untersuchungen über die Tempelplünderung anordnete. Jener sei der Führer der Heiden und diesem sei auch Damasus verpflichtet gewesen, weil er ihm 367 als Stadtpräfekt in der Auseinandersetzung mit Ursinus um den Papststuhl geholfen habe. Eine interessante Überlegung, bei der aber nicht vergessen werden darf, dass der Schaden hier eindeutig bei Symmachus in Rom liegt. Dieser wird sehr persönlich angegriffen. Zur Auseinandersetzung um den Papststuhl vgl. auch Amm., XXVII, 9, 9; Chastagnol, Préfecture, 153 f. 58 Zur problematischen Gebäude- und Bausituation in Rom: De Dominicis, Quelques remarques, 124 ff. 59 Seeck, Regesten, 438.
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derholungen indes machen deutlich, dass bestehende Gesetze vielfach nicht beachtet wurden und daher immer wieder eingeschärft werden mussten. Einen Schutz alter Bauwerke vor Plünderungen gab es demnach damals grundsätzlich durch CT XV, 1, 19 (376). Diese Norm scheint aber außer Anwendung gekommen zu sein, denn Gratian schützt in der Praxis, wie die Quellen zeigen, heidnische Bauten und Statuen nicht vor öffentlichen oder privaten Übergriffen60. Möglicherweise setzt nun Valentinian II. diese Norm nur wieder in Kraft, denn Gratian hat die bestehenden Schutzvorschriften, die auch für Tempel galten, mit seiner Maßnahme von 382 nicht formell aufgehoben; sonst hätte Symmachus in Relation 3 gewiss auch das direkt angesprochen. Formal gelten die Verbote also die ganze Zeit; ihre praktische Durchsetzung hängt aber vom kaiserlichen Willen ab und ist Ausdruck der jeweiligen politischen und religiösen Linie. Valentinian II. ist im Zuge des allgemeinen heidnischen Aufschwungs bereit, die heidnischen Bauwerke wieder aktiv zu schützen. Unter ihm gelten die alten Verbote wieder und er ordnet eine spezielle Untersuchung an. In Relation 3, 1 heißt es dazu passend: Ubi primum senatus amplissimus semperque vester subiecta legibus vitia cognovit... . Es gelten gegenüber (antiheidnischen) Verbrechen (wieder) die Gesetze. Die Formulierung in Relation 3, die etwas vage erscheint, wäre vor diesem Hintergrund gut zu verstehen: Die Anordnung, den Altar der Victoria zu entfernen, verletzte die allgemeinen Schutzgesetze. Valentinian II. schützt, so zeigt sein decretum an Praetextatus, nun wieder öffentliche Gebäude und ihren Schmuck, also doch wohl konsequenterweise auch den Altar der Kurie. Symmachus hält das dem Kaiser lobend (Relation 3, 1) und dann fordernd (§ 4), ornamentis...decuit abstineri, vor und versucht, daraus sein Restitutionsgesuch (wovon die Gesetze allerdings regelmäßig nichts sagen) abzuleiten. Diese Auslegung scheint plausibel, auch wenn das decretum, von dem in Relation 21 die Rede ist, nur eine Untersuchung über geplünderten Tempelschmuck anordnet und strenggenommen der Altar in der Kurie nicht darunter fällt. Dem Sinn und Zweck der Norm nach muss aber ein heidnischer Altar auch geschützt werden, deutet Symmachus an, denn hinter der Anordnung stehen die oben genannten allgemeinen Schutzvorschriften. Er beschränkt sich insoweit allerdings auf Andeutungen und appelliert daran, dass eine Erhaltung des status quo nicht zum gezeigten guten Willen passt. Relation 21 liefert damit auch ein Beispiel für die Rechtssituation jener Zeit. Eigentlich bestehende, allgemeingültige und grundsätzlich auch unter nachfolgenden Kaisern fortgeltende Gesetze werden vielfach, ggf. sogar offiziell gebrochen, sei es hier aus Mangel an Baumaterial, sei es aus der religiösen Situation heraus, und vom Kaiser, der nach freiem Ermessen über die effektive Rechtsdurchsetzung 60
Vgl. die Beispiele bei Chastagnol, Préfecture, 157, und Vera, Commento, 153 f. Es gab keine Anordnungen, heidnische Tempel zu plündern oder zu zerstören, auch nicht im Osten. Tatsächlich aber gab es in beiden Reichsteilen Übergriffe, die nicht (immer) verfolgt wurden. Hier ein Beispiel für den Westen; vor allem aber im Osten waren seit Theodosius I. ungestrafte Tempelplünderungen häufig, vgl. Nachweise bei Jones, LRE, 167 f.
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entscheidet, willentlich nicht durchgesetzt. Immer wieder müssen daher unter späteren Herrschern gesetzliche Verbote neu eingeschärft werden. Die Rechtslage wird unübersichtlich. d) Der Ausgang der Angelegenheit und Bewertung Da Symmachus seine Unschuld zweifelsfrei beweisen kann, wird ihn der Kaiser, der ihn bis Februar des folgenden Jahres im Amt belässt, höchstwahrscheinlich öffentlich von den Vorwürfen freigesprochen haben, um das Ansehen des Amtes und der Person wiederherzustellen. Allein die Autorität von Damasus wird ausgereicht haben, um die Frage zu entscheiden. Manche Autoren61 meinen sogar, diese Rehabilitierung sei in CT I, 6, 9 (s. schon oben) überliefert. Das ist jedoch mit dem Inhalt der Konstitution nicht vereinbar, die Kritik an kaiserlichen Entscheidungen, speziell der Beamtenauswahl, als einem sacrilegium gleichwertig mit Strafe bedroht und die kaiserliche Unfehlbarkeit betont62. Hier ist nach einer Norm gefragt, die einen Beamten vom kaiserlichen Tadel rehabilitiert. Die Verleumder zweifeln nur mittelbar an der kaiserlichen Personalpolitik, auch wenn Symmachus das in § 4 gerne so sehen will. CT I, 6, 9 wäre keine besonders treffende Klarstellung des vorliegenden Sachverhalts und würde Symmachus nicht wirklich von Verleumdungen entlasten, die ja gegen ihn persönlich erhoben wurden. CT I, 6, 9 ist damit nicht als Reaktion auf Relation 21 anzusehen, sondern dürfte eher die Antwort auf Relation 17 sein. Festzuhalten ist damit, dass es eine Rehabilitierung sehr wahrscheinlich gab, sie jedoch nicht in den Codex Theodosianus aufgenommen wurde. Im Übrigen war sie wie schon der öffentliche Tadel an Symmachus wahrscheinlich ad populum gerichtet. Trotz der anzunehmenden Rehabilitierung wird das Ansehen von Symmachus als Stadtpräfekt allerdings dauerhaft gelitten haben. Er wird während seiner relativ kurzen Amtszeit insgesamt wohl sogar zweimal (s. bei Relation 17) offiziell getadelt. Ungewiss ist zudem, wie rasch der Kaiser hier reagiert hat. Da sich Symmachus aber auch auf das Zeugnis im Volk beruft, scheint immerhin die öffentliche Stimmung bislang nicht gegen ihn umgeschlagen zu sein. Insgesamt jedoch ist diese Relation in erster Linie ein Zeichen für die schlechte Stimmung und die Intrigen gegen Symmachus am Hof, aber auch für die offensichtlich doch immer schwierigere Situation der Heiden allgemein. So hört man auch später nichts mehr davon, dass Tempelplünderungen in jenen Jahren nachdrücklich untersucht würden. 61
Seeck, Symmachus, LVI; CCX; ders., Geschichte V, 199, 515 Anm. 18; ders., RESymmachus 18, 1149; Lécrivain, Sénat, 147; v. Campenhausen, Ambrosius, 182 Fn. 1; Stein, Histoire I, 207; Enßlin, RE-Valentinianus II, 2213 f; McGeachy, Symmachus, 13; 145; Bloch, Ein neues Zeugnis, 151; Martínez-Fazio, Basílica, 156. Etwas vorsichtiger: Chastagnol, Fastes, 224, wonach das Gesetz möglicherweise auf Relation 21 zurückgehe. 62 Den Bezug zu Relation 21 verneinen auch Jones, LRE, 391 f; Vera, Commento, 156 f.
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Relation 21 macht jedenfalls den Rücktrittswunsch, den Symmachus nach dem Tod von Praetextatus in Relation 10 äußert begreiflich, gehört also vielleicht mit in die dort angedeuteten Probleme hinein und ist wohl nach dem Misserfolg der 3. Relation im Herbst/Winter 384 geschrieben worden. Die Stimmung scheint bereits gekippt und antiheidnische Machenschaften richten sich nun gegen Symmachus persönlich, der zunehmend in die Defensive und Isolation gedrängt wird. Diese Einordnung ist allerdings nicht schlagend belegbar63. In den §§ 6, 7 jedenfalls wirkt der angeschlagene Ton resigniert; Symmachus erwartet demütig die Entscheidung des Kaisers in der Sache: Quid igitur aeternitas vestra decernat, devotus opperior est quaeso... . Das ist zwar zu einem guten Teil Rhetorik, aber dessen ungeachtet wirkt Symmachus ersichtlich hilflos. Eigene Gegenmaßnahmen und Unterstützung des Senats kann er augenscheinlich nicht vorweisen. Stattdessen zieht er sich gekränkt zurück. Nur (und ausgerechnet) Damasus steht ihm öffentlich bei. Und auch unter dem juristischen Blickwinkel ist festzustellen, dass Relation 21 trotz schlagkräftiger Argumente im ganzen keine souveräne Verteidigungsschrift darstellt. Der Ton ist vielmehr beleidigt und emotional aufgeheizt64. Symmachus hält sich mit Kritik stark zurück. Nur und erst ganz am Ende seines Schreibens gibt er sich in § 7 mit einem Mal betont unerschrocken. Er sehe, weil er seine Unschuld beweisen könne, einem kaiserlichen Urteil gelassen entgegen und fordere bei weiteren Verleumdungen ein Verfahren: opto iudicium: experientur me sub imperiali disceptatione constantem, qui nocentem probare non possunt. Ein offizielles Schreiben in eigener Sache war hier jedenfalls angebracht, denn ein offizieller und öffentlicher Angriff erforderte eine öffentliche Verteidigung, etwa in einer solchen relatio.
63 Diese Frage wird daher auch kontrovers beurteilt. Der Großteil der Autoren halten Relation 21 ebenfalls für die spätere Relation: Seeck, Symmachus, LV f; ders., Geschichte V, 198 f; Robinson, Analysis, 98 f; Bloch, Ein neues Zeugnis, 150 f; Romano, Simmaco, 52; Chastagnol, Préfecture, 161; ders., Fastes, 225; Martínez-Fazio, Basílica, 155 f; Barrow, Prefect, 113. Die Gegenansicht meint, dass Relation 21 vor Relation 3 geschrieben wurde: Palanque, St. Ambroise, 131. 64 Nach Ansicht von Matthews, Symmachus and his ennemies, 166, beweist Relation 21 dagegen großen Mut des praefectus urbi, denn er tadele den Kaiser, Lügen aufgesessen zu sein, und verlange immerhin, eine Maßnahme zu widerrufen. Dem ist entgegenzuhalten, dass Symmachus sichere Beweise auf seiner Seite hat und nur sein gutes Recht geltend macht in einem allzu devoten Ton. Das Selbstbewusstsein aus den Relationen 14 und 17 ist hier gerade nicht zu entdecken.
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III. Der Dienstwagen 1. Relation 4: Der Traditionalist Symmachus teilt in dieser Relation mit, dass er den für offizielle Fahrten des Stadtpräfekten in der Stadt vorgesehenen, aufwendig mit Silber verzierten Wagen65, carruca, als zu protzig ablehne. Es handelt sich also um ein Schreiben in eigener Sache. Wahrscheinlich wendet sich Symmachus gleich zu Beginn seiner Amtszeit, also im Sommer 384, gegen den Dienstwagen. Richtiger Adressat ist entgegen der Überlieferung nicht Theodosius, sondern Valentinian II., der für die Amtsausstattung des römischen Stadtpräfekten zuständig ist. In § 1 wird denn auch Gratian als Bruder, germanus, des Adressaten genannt. Wie sich aus § 1 und Relation 20, 1 ergibt, hatte Gratian den neuen Wagen 382/383, als Symmachus’ Vor-Vorgänger im Amt, Anicius Auchenius Bassus, Stadtpräfekt von Rom war (zu ihm bei den Relationen 20 und 23), eingeführt, um die Würde des Amtes zu erhöhen. In Relation 20, auf die noch ausführlicher einzugehen sein wird, zeigt sich, dass die Finanzierung des Wagens nicht ganz einfach zu bewerkstelligen war. Symmachus hält nun den Prachtwagen für unwürdig und beschämend und fordert den alten, bescheidenen Wagen zurück: Non culpamus novum beneficium, sed bona nostra praeferimus. Submovete vehiculum, cuius cultus insignior est; illud maluimus, cuius usus antiquor (§ 3). Mutig kritisiert er in § 1 die kaiserliche Maßnahme: peregrini ac superbi vehiculi, und nimmt den Kaiser in die Pflicht, betont aber gleichzeitig seine ungebrochene Loyalität: ...ea devotione, qua praefectum vestrum decet fidem praeferre blanditiis. Der Kaiser ist seiner Überzeugung nach nicht frei von allen Bindungen (dazu schon oben, Relationen 1 bis 3), sondern untersteht bestimmten traditionellen Wertvorstellungen, die beinahe gesetzesgleiche Kraft zu haben scheinen: Die Tradition des römischen Bescheidenheits- und Schlichtheitsideals verlange die Rücknahme der Anordnung, denn Luxus sei ein Zeichen von Niedergang und Veränderung von Tradition schlecht für das Staatswohl (vgl. Relation 3). Mit historischen Beispielen, etwa dem des Tarquinius Superbus, untermauert Symmachus die Gefahr, die von Hochmut ausgehe. Letztlich hat sich der praefectus urbi mit seiner Bitte, die beinahe als Forderung vorgebracht wird, durchgesetzt, denn in Relation 20, 3 heißt es: nunc novi-
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Eine Abbildung des Amtswagens des praefectus urbi findet sich in der Notitia Dignitatum (Anfang 5. Jh) und ist wiedergegeben bei Chastagnol, Préfecture, Tafeln nach S. 208. In jener Zeit ziehen (wieder) vier Pferde den vierrädrigen Wagen. Symmachus gebraucht in seiner Relation (§ 3) ein historisches Beispiel, in dem ebenfalls von einem Viergespann die Rede ist. Wahrscheinlich war auch sein Prunkwagen derart ausgestattet. So auch Alföldi, Rechtsstreit, 251; Vera, Commento, 54.
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tate carpenti submota. Der Kaiser nimmt das Gesuch also ernst66 und stellt wieder den alten, bescheidenen Wagen zur Verfügung. Vielleicht wurde ihm die Entscheidung dabei auch erleichtert mit Blick auf die Finanzierungsfragen, die sich aus Relation 20 ergeben. Möglicherweise war man an den Kaiser sogar schon mit privaten Forderungen herangetreten. Die genaue Antwort Valentinians II. allerdings ist nicht überliefert. Allein CT XIV, 12, 1 (30. Januar 386 an den Stadtpräfekten von Konstantinopel) enthält unter dem Titel De honoratorum vehiculis zu diesem Themenbereich eine Regelung: Omnes honorati seu civilium seu militarium dignitatum vehiculis dignitatis suae, id est carrucis biiugis, intra urbem sacratissimi nominis semper utantur. Dabei handelt es sich jedoch um ein Ostgesetz und wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, dass es auch für Rom gegolten hätte67. Inhaltlich entspricht diese Konstitution aber insoweit der Forderung von Symmachus nach einem bescheideneren Wagen, als dort die Rede von einem Zweigespann ist, carruca biiuga, das alle hohen Beamten in Rom benutzen dürfen. Relation 4 wird auch herangezogen zur Frage der Datierung der Historia Augusta, denn in der Vita Aureliani 1, 1 ist von einem iudiciale carpentum des Stadtpräfekten die Rede. Alföldi68 meint, dass sich aus der Darstellung bei Symmachus ergebe, dass der alte Wagen carruca und der neue carpentum gewesen sei und man daher die Historia Augusta auf nach 382 bzw. 38569 datieren müsse. Zu Recht wurde dieser Ansicht widersprochen70, denn Symmachus gebraucht wie auch andere Autoren beide Begriffe synonym (in Relation 20, 2 schreibt er carruca; in 20, 3 carpentum), wobei carpentum so allgemein wie vehiculum verwendet wird. Chastagnol71 wiederum meint in diesem Zusammenhang, dass es sich bei dem alten Wagen um das Privatfahrzeug des Präfekten gehandelt habe und die Neuerung darin bestand, dass Gratian den Wagen öffentlich finanzieren ließ und einen richtigen Amtswagen einführte. Dies folgert er aus der Formulierung in § 2 für den alten Wagen: ...oculi quaerunt civitatis privati vehiculi nobilem modum... und glaubt daher, dass Symmachus den Privatwagen zurückforderte. Da es im Übrigen erst seit 382 einen Amtswagen, carpentum praefecturae, gegeben habe und die Vita Aureliani 1, 1 eben diesen 66 Vielleicht sah er hier eine Gelegenheit, in einer weniger wichtigen Frage die Traditionalisten von Rom zufriedenzustellen und ihnen zumindest vorübergehend einen kleinen Sieg zu verschaffen. 67 So aber Chastagnol, Préfecture, 266; auch Alföldi, Rechtsstreit, 252, sieht einen Zusammenhang. Die Konstitution sei die Erfüllung der Forderung von Symmachus. Nach Enßlin, Carpentum, 96 f, schreibt dieses Gesetz vermutlich für den Osten einen Zustand fest, der in Rom schon galt. Dies ist gut möglich (Relation 20 datiert vor Symmachus’ Amtsende im Februar 385), aber nicht zu beweisen. 68 Rechtsstreit, 251 f. 69 Symmachus’ Erfolg war nur vorübergehend, wie die Not. Dig. (s. o.) zeigt. 70 Enßlin, Carpentum, 91 ff; Chastagnol, Préfecture, 203-205; ders., Problème de l’Histoire Auguste, 60 Fn. 63; Vera, Commento, 55 f. 71 Préfecture, 203 ff; ders., Problème de l’Histoire Auguste, 60 f; ders., Recherches, 27 f; s. a. Béranger, Privatus, 31 f Fn. 58.
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meine, könne Relation 4, die ihrerseits vom Amtswagen handelt, insoweit doch zur Datierung der Historia Augusta herangezogen werden. Gegen diese Auslegung der Relation hat sich Momigliano72 gewandt, der überzeugend ausführt, dass Symmachus nicht auf die Eigentumslage anspielt, sondern ihn das äußere Erscheinungsbild „peregrini ac superbi“ des Gefährtes stört. Gemeint ist mit obiger Formulierung lediglich, dass der alte (Dienst)Wagen, der wohl auch staatlich finanziert war (zum neuen Wagen s. insoweit Relation 20), wie ein gewöhnlicher Privatwagen aussah: nobilis modus. Symmachus will hier nicht die Staatskasse schonen. Eine Datierung der Historia Augusta aufgrund von Relation 4 ist daher im Ergebnis nicht möglich. Festzuhalten ist aus dieser Relation jedoch, dass Symmachus in klaren Worten, wenn auch nicht ohne Pathos seine persönliche Überzeugung äußert; bestärkt vermutlich durch die heidenfreundliche Politik in Mailand. Die Bitte an den Kaiser, eine Anordnung seines Bruders und Vorgängers aufzuheben, ist kein Zeichen von Schwäche, denn der Stadtpräfekt kann die entsprechende Regelung nicht selbst treffen, sondern muss den Kaiser darum bitten. Tradition ist für Symmachus, wie schon in Relation 3, wieder einmal verpflichtend und vorbildlich, § 3. Man mag ihm vorwerfen, dass er sich starr gegen jedwede Neuerung stellt und unkritisch jede Tradition für gut heißt; als rückwärtsgewandten Traditionalisten hat man ihn gekennzeichnet73. Dabei sollte jedoch das konsequente, mutige Eintreten für die eigene Überzeugung gegenüber dem Kaiser nicht übersehen werden; Symmachus will (§ 3) geschätzt werden moribus, nicht insignibus. Das ist durchaus eine Tugend. Es geht ihm jedenfalls nicht um persönliche Vorteile, wenn auch nicht übersehen werden darf, dass ihm im Privatleben Statussymbole nicht unwichtig sind und z. B. Ep. IX, 65 durchaus sein Interesse an einem repräsentativen Wagen zeigt. 2. Relation 20: Das Finanzierungsmodell der carruca Relation 20 knüpft an Relation 4 an, worin Symmachus gebeten hatte, den von Gratian beschlossenen protzigen Amtswagen des römischen Stadtpräfekten gegen das alte, bescheidene Gefährt auszutauschen. Mittlerweile hat Valentinian II. die erbetene Entscheidung getroffen und den neuen Wagen abgeschafft, carpenti novitate submota, § 3, und Symmachus versucht nun, beim Kaiser die zum Bau des abgelehnten Wagens verwendeten Rohstoffe, genauer das Silber74, das zur aufwendigen Verzierung gebraucht und dabei - so meint Symma72 Per la interpretazione, 537 ff. Schon Alföldi, Rechtsstreit, 251, sah die Neuerung im Aussehen des Wagens. Vera, Commento, 55 f; 58 f, schließt sich dem an und argumentiert darüber hinaus, dass nicht ganz verständlich wäre, warum sich der Stadtpräfekt dagegen wehren sollte, dass der Wagen nun auf Staatskosten finanziert wird. 73 Etwa Bloch, Ein neues Zeugnis, 142 f. 74 Dass der Amtswagen, vehiculi ornatus (§ 1), höchstwahrscheinlich aufwendig mit Silber verziert war, zeigt sich in der etwa zeitgleichen Darstellung (vgl. schon Relation
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chus wenigstens - dem Fiskus nur vorgestreckt worden war, wieder einzufordern. Wohl schon Gratian hatte seinerzeit angeordnet, dass die Kosten für die carruca von der kaiserlichen Kasse getragen werden müssen: Cum clementia vestra meminisset faciendae carrucae inpendium de sacro aerario75 esse decretum..., § 1, und dementsprechend hat sein Nachfolger Valentinian II. gefordert, dass das Silber, das für den Bau verwendet worden war und nun wieder zur Verfügung stand, nachdem der Wagen abgeschafft ist, an die öffentlichen Kassen zurückzugeben sei: ...censuit, ut eius argentum publicis conditis redderetur. Dagegen protestiert nun Symmachus, denn eine Untersuchung, die er habe durchführen lassen, habe ergeben, dass das Silber in Wirklichkeit aus anderen Quellen gekommen sei: Sed examinis repperit fides ex aliis titulis adsumptam speciem, quam vehiculi ornatus accepit. Bereits sein Vor-Vorgänger im Amt des Stadtpräfekten, unter dem die carruca erstmals in der neuen Form gebaut wurde, Anicius Auchenius Bassus76, habe Valentinian II., so sagt man jedenfalls, fügt Symmachus vorsichtig an, darüber auch informiert. Symmachus versucht also, seine Kritik etwas abzumildern, indem er dem Kaiser zugute hält, er 4) der Historia Augusta, Alex. Sev. 43, 1 (carrucae argentatae) und in Konstantinopel gibt es zur selben Zeit unter dem Stadtpräfekten Themistius eine Diskussion um den carrus argenteus, Themistius, Or. XXX, 353 d. Symmachus schreibt seinerseits von argentum. Chastagnol, Préfecture, 204; 340 f, allerdings übersetzt das allgemein mit Geld, das man für den Bau der carruca aufgewendet habe und das aus anderen Kassen als den sacrae largitiones gekommen sei. Es ist jedoch kaum vorstellbar, dass es der zentralen Staatskasse an den notwendigen Geldmitteln gefehlt haben sollte. Eher mag man an zu geringe Rohstoffvorräte in Rom denken. Symmachus schreibt in § 1 denn auch von species, das eher das Material Silber als Geldmittel bezeichnet. Vera, Commento, 147 f, verweist zum differenzierten Sprachgebrauch auch auf CT X, 22, 2 und IX, 23, 1. In diesen Konstitutionen wird zwischen species und pecunia klar unterschieden. Symmachus spricht davon, dass man das argentum zurückgeben müsse, reddere/refundere; auch diese Formulierungen passen besser zum Rohstoff, der zurückzugeben ist, als zu Geldbeträgen, die verbraucht und den Konstrukteuren ausbezahlt worden sind. Überzeugend scheint daher, mit Vera, a.a.O.; Barrow, Prefect, 111 (Übersetzung); Jones, LRE, 435; Delmaire, Largesses sacrées, 483, argentum mit Silber zu übersetzen, das unter anderen von den mit Rohmaterial ausgestatteten Silberschmieden, den argentarii, gekommen war. 75 Sacrum aerarium meint die sacrae largitiones, deren verantwortlicher (Finanz-) Minister, der comes sacrarum largitionum, von Symmachus in § 3 auch genannt wird. Symmachus variiert die Begriffe für diese Staatskasse (bzw. ihre stadtrömische Außenstelle) und schreibt von publica condita (§ 1), fiscus, thesaurus imperialis (§ 2) und imperiale aerarium (§ 3). Zu dieser mittlerweile gebräuchlichen Terminologie für den Fiskus: Vera, Commento, 147; 281 ff; Delmaire, Largesses sacrées, 7 f. S. a. bei Rel. 34 und beispielsweise CT XI, 30, 41 (383). 76 Zu seinem Lebenslauf und seiner Amtszeit als Stadtpräfekt 382 (belegt ab Nov.)/383: Chastagnol, Fastes, 211ff; PLRE I, Bassus 11, 152 ff. Die Information in Relation 20, 1 zeigt, dass Bassus nach der Ermordung Gratians am 25.8.383 unter Valentinian II. zunächst im Amt blieb, bis dieser dann seine eigene Personalpolitik machte und vor der Ernennung von Symmachus Ende 383/Anfang 384 zunächst Aventius zum Stadtpräfekten ernannte. Zu Bassus s. a. bei Rell. 23; 25 f; 33.
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sei möglicherweise schlecht informiert; vielleicht schwingt auch ein gewisser Vorwurf gegen Bassus, der den Sachverhalt möglicherweise nicht klar genug offengelegt hatte, mit. Aequitas habe seine eigene Untersuchung erforderlich gemacht, von deren Ergebnis er nun den Kaiser informiert: Cuius rei etiam vir inlustris...Bassus perennitati vestrae rationem dicitur intimasse; et ideo saeculi vestri aequitas imperavit, ut examinata et conperta suggererem. Es geht also um aequitas und Symmachus unterstreicht damit sein korrektes und eigenständiges Vorgehen. Aus § 2 ergeben sich die konkreten Hintergründe der tatsächlichen Finanzierung: Der fiscus, konkret die römische Außenstelle der sacrae largitiones, besaß zu jener Zeit (Ende 382/383) nicht die notwendige Menge Silber zur Ausstattung der carruca. Aus diesem Grunde nahm man das Silber aus der arca quaestoria, d. h. der Senatskasse77, ex formarum conditis, d. h. aus der Kasse der Aquädukte78 sowie aus den privaten Reserven der Silberschmiede79, ex argentariorum parsimonia. Von dort wurde das Material zum Bau des offiziell angeordneten Wagens geliefert: ...argentum iusso operi ministratum est, cuius solutio, si carrucae usus maneret, de thesauris imperialibus iure peteretur. Wenn der Wagen in Gebrauch geblieben wäre, hätten die beiden betroffenen Kassen sowie die Privatpersonen daher zu Recht von der kaiserlichen Kasse (thesaurus im Sinne von lokaler römischer Kasse, deren Beamte unter dem comes sacrarum largitionum stehen80 und wohin auch das Silber geliefert wurde) Entschädigung fordern können, meint Symmachus. Bereits in dem Begriff solutio zeigt sich, dass er hier ein Schuldverhältnis konstruiert, aus dem nun konkret ein Rückforderungsanspruch (die Rede ist von reddere, refundere) entstanden sei. Die Betroffenen haben eine einseitige Vorleistung erbracht und aus 77
Zu dieser Kasse, die auch als arca publica bezeichnet wird: Habel, RE-arca, 427; Chastagnol, Préfecture, 75; 77; 346; Vera, Commento, 150. Die Senatskasse wurde von Quästoren geführt und diente möglicherweise zur finanziellen Abwicklung der editiones, der Spiele, die bei Amtsantritt von den senatorischen Magistraten auszurichten waren (vgl. dazu Rell. 8 und 23, 2). Es handelt sich um eine stadtrömische Kasse, die im Senatsbereich eine Rolle spielte, wahrscheinlich unter Kontrolle des Stadtpräfekten (Anzeichen dafür ist Rel. 20), der eine führende Position im Senat einnahm, stand und von den sacrae largitiones unabhängig war. Offensichtlich befanden sich in dieser Kasse u. a. auch Silbervorräte. 78 Formarum condita bezeichnet eine selbständige Kasse unter der Oberleitung des Stadtpräfekten von Rom, aus der die Unterhaltung der römischen Wasserleitungen finanziert wurde. Der praefectus urbi kontrolliert sie über spezielle Beamte. Zu dieser Kasse: Chastagnol, Préfecture, 340 f; Vera, Commento, 151. Auch sie enthält offenbar Silbervorräte. 79 Argentarii wird synonym mit nummularii und collectarii gebraucht, der Korporation der Geldwechsler, die in Rel. 29 eine wichtige Rolle spielt. Argentarii bezeichnet einerseits die Geldwechsler und Bankiers von Rom, andererseits können damit aber auch die Silberschmiede und Kunstgewerbehändler von Rom gemeint sein. Vgl. Oehler, REargentarii 1., 706 ff bzw. Habel, RE-argentarii 2., 710 f. Konkret liegt hier die zweite Bedeutung nahe, zumal Symmachus in Rel. 29 die beiden anderen Bezeichnungen für den Geldwechsler- und Bankiersbereich gebraucht. Die Silberschmiede haben naturgemäß Silbervorräte, auf die man hier gerne zurückgreift. Sie unterstehen der Aufsicht und Fürsorge des Stadtpräfekten. 80 Delmaire, Largesses sacrées, 269 ff.
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dem daraus begründeten Entschädigungsanspruch sei infolge der Rückabwicklung nunmehr ein Rückforderungsrecht geworden. Da der neue Wagen abgeschafft wurde, fordern die genannten Kassen und Privatleute nun berechtigterweise das Ihre von der Staatskasse zurück, § 3: Sed nunc carpenti novitate submota suum quisque deposcit. Auch das klingt nach Rückforderung des Materials, nicht Erstattung eines bestimmten Geldbetrages. Die Rückgabe sei von den Kaisern als den Herrschern über die Gesetze leicht zu bewerkstelligen: ...nec difficile credimus impetrari, quod a legum parentibus postulatur. Symmachus beruft sich so am Ende seines Schreibens zumindest mittelbar auf Gesetze, bringt leges als Inbegriff für alle allgemeingültigen, zu beachtenden Regelungen ins Spiel. Seiner Einschätzung nach geht es hier um die Rückabwicklung eines Rechtsgeschäfts auf privater Ebene. Die Staatskasse wird als privater Teilnehmer am Rechtsverkehr behandelt, dem man mit Forderungen (iure petere, deposcere, postulare) gegenübertritt. Anders als der Kaiser bislang glaubt, kann er demnach das Silber nicht für die Staatskasse einfordern, sondern muss es im Gegenteil den rechtmäßigen Inhabern zurückerstatten. Das Material kam also aus selbständigen, stadtrömischen Einzelkassen, denn wären sie Teil der sacrae largitiones, würden sie keine eigenen Forderungen geltend machen, sondern es könnte intern verrechnet werden. Der Rest aber kam von Privatleuten; laut Symmachus wurden die argentarii als Privatpersonen herangezogen und nicht in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe als Korporation. Das Schreiben schließt mit einer persönlichen und erwartungsvollen Bitte um angemessene Antwort: Quaeso, ut digna temporibus responsa reddatis, deren Inhalt genau vorgegeben wird. Der comes sacrarum largitionum81 soll angewiesen werden, das Silber den öffentlichen Kassen und Privatleuten, die den Beitrag geleistet und so die Staatskasse entlastet haben, zurückzugeben: ...sacrarum largitionum comes refundendum esse cognoscat publicis titulis privatisque personis, quod sine lacuna imperialis aerarii deprompsit aliena conlatio. Es stellt sich nunmehr die Frage, auf welchem Weg das Silber eingesammelt worden war und womit Symmachus letztlich seine Forderung begründet. Ausgangspunkt ist, dass Gratian die staatliche Finanzierung der carruca anordnet und in Rom der praefectus urbi Bassus feststellt, dass die Rohstoffe in der römischen Außenstelle der staatlichen Kassen nicht ausreichen. Symmachus berichtet dann nur noch, dass Bassus Valentinian II. vom tatsächlichen Ablauf informiert und dass andere Kassen und Silberschmiede das notwendige Silber liefern. Eine offizielle kaiserliche Anordnung zur Eintreibung des Silbers wird 81 Unbekannt, s. im 1. Teil, 3. Abschnitt VI. Er ist oberster Verwalter der sacrae largitiones. Vera, Commento, XXXVI; 152 f, schließt aus Rel. 20 auf eine Gegnerschaft zwischen Symmachus und diesem Minister (s. a. Rel. 14). Zutreffend ist, dass aus dem Schreiben durchaus Kritik an der Passivität des comes sacrarum largitionum durchscheint, der vom Sachverhalt informiert sein müßte und den Kaiser insoweit, jedenfalls nach Überzeugung des Stadtpräfekten, nicht richtig aufgeklärt hat, dass der Staatskasse keine Forderung zusteht, sondern sie im Gegenteil Schuldnerin ist. Persönliche Gegnerschaft jedoch ist aus der Relation nicht ablesbar.
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nicht erwähnt. Denkbar ist daher, dass Bassus als praefectus urbi, der eben über diese Kassen und die Korporationen Aufsichtsrechte hatte, auch aus eigenem Interesse an der carruca, selbst die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat und daher auch den Kaiser informiert. Auf eine formelle kaiserliche Entscheidung zur Erhebung einer Zwangsabgabe hätte sich Symmachus wohl ausdrücklich berufen. Allenfalls könnte eine formlose Absprache zwischen Mailand und Rom getroffen worden sein, mit deren Durchführung Bassus betraut wurde, der dann das Silber konkret eingezogen hätte. Das von Symmachus angenommene Rechtsverhältnis besteht allerdings mit Mailand, nicht mit dem Stadtpräfekten oder den örtlichen Kassenbeamten, denn Gratian hatte die Kostentragung ausdrücklich den sacrae largitiones auferlegt. Ihnen ist daher auch die Einziehung zuzurechnen. Nach Überzeugung des Stadtpräfekten wurde der Silber-Beitrag dann von den zwei römischen Kassen und den Silberschmieden lediglich im Sinne einer Vorfinanzierung erhoben. Doch fragt sich, welches Rechtsverhältnis dem tatsächlich zugrunde lag. Verschiedene Vorgehensweisen sind vorstellbar: Zum einen könnte eine Sonderabgabe erhoben worden sein. Dafür könnte die Formulierung am Ende der Relation, in der von conlatio die Rede ist, sprechen. Eine conlatio im Sinne einer vom Kaiser angeordneten Sonderabgabe ist etwa Gegenstand der 14. Relation. Gegen diese Konstruktion spricht allerdings, dass eine Sonderabgabe regelmäßig nur aufgrund einer speziellen kaiserlichen Anordnung und grundsätzlich auch endgültig erhoben und zudem nicht entschädigt wird. Eine Rückgabe wegen Wegfall des Erhebungsgrundes, wie sie Symmachus hier einfordert, wäre insoweit ungewöhnlich und kaum vorgesehen. Nach der von Symmachus skizzierten Konstruktion haben die betroffenen Personen und Kassen das Material der kaiserlichen Kasse vielmehr lediglich vorgestreckt, eine Art Darlehen gewährt, dessen Rückabwicklung sie nun zu Recht fordern. Ursprünglich geplant war nach der Darstellung des Stadtpräfekten eine zu entschädigende Ablieferung aufgrund einer Art vertraglichen Vereinbarung zwischen den städtischen Kassen bzw. argentarii und dem fiscus. Eine Art Zwangskauf im Gemeinwohlinteresse gegen spätere Entschädigung (in Geld oder in natura) auf offizielle Anordnung hin82. Symmachus geht davon aus, dass nicht einfach entschädigungslos konfisziert werden sollte, sondern dass vielmehr eine privatrechtliche Konstruktion gewählt wurde, auf deren Einhaltung er nun pocht. Dementsprechend schlussfolgert er, dass es bei Wegfall des Ablieferungsgrundes zu einer Rückabwicklung kommen müsse, wie sie im Grunde ja auch der Kaiser selbst vorsieht und die Symmachus nun lediglich in die richtigen Bahnen zu lenken versucht: Es bestehe ein Anspruch auf Rückgabe der Rohstoffe, der auf die Vereinbarung, nicht auf etwaige eigentumsrechtliche Positionen gestützt wird. Symmachus spricht von solutio, fordert rechtmäßiges, rechtsstaatliches Verfahren, gegen entschädigungslose, rechts82 Zur üblichen Konstruktion einer Enteignung als Zwangskauf s. Kaser, Privatrecht II, 264 m. N. Vgl. in diesem Zusammenhang aber auch Ammian, XXVII, 3, 10 (dazu noch bei Rel. 34): Der Stadtpräfekt Lampadius, dem die Baustoffe für öffentliche Bauten fehlten, lässt Baumaterial von seinen Leuten einfach rauben, anstatt es wie üblich zu bezahlen.
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grundlose Enteignung und nimmt den Kaiser in offenen Worten in die Pflicht; der fiscus sei Schuldner, nicht Gläubiger. Das Problem dieser Argumentation dürfte sein, dass das von Symmachus angenommene Verfahren nicht klar ausgestaltet war, schon gar nicht für den Fall, dass die carruca wieder abgeschafft würde. Der Stadtpräfekt begründet seine Forderung daher auch nur aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen, mit aequitas und ius, und nicht mit präziser rechtlicher Argumentation - etwa im Sinne des Vorliegens einer condictio ob rem -, denn es ist davon auszugehen, dass an eine etwaige Rückgabe nicht gedacht und dafür auch keine Regelung getroffen worden war. Dann nämlich hätte Symmachus seine Forderung leichter begründen und sich unmittelbar auf kaiserliche Anordnung oder eine Zusicherung des Stadtpräfekten Bassus berufen können. Symmachus sieht so im Ergebnis einen berechtigten Anspruch wenigstens aus Billigkeit und greift dafür auf Sinn und Zweck von Gratians decretum zurück. Das eingetretene, unvorhergesehene Problem soll durch ergänzende Rechtsauslegung gelöst werden. Valentinian soll sich an diese Anordnung erinnern, die weiterhin Geltung beanspruche. Symmachus verlangt also letztlich, dass die ursprüngliche Entscheidung einzuhalten ist, dass nämlich die kaiserliche Kasse die Kosten zu tragen hat, sich jetzt also bei der Rückabwicklung, bei Wegfall des Rechtsgrundes, auch nicht ungerechtfertigt bereichern darf. Gefordert wird die Einhaltung einer als rechtmäßig empfundenen, wenn wohl auch nicht ausdrücklichen, aber doch stillschweigenden Abrede. Gesetze und Ansprüche werden zwar mittelbar zumindest angesprochen, können aber nicht konkret benannt und belegt werden. Es findet insoweit keine eigentlich juristische Argumentation statt; das Schreiben bewegt sich eher auf der Ebene übergesetzlicher aequitas. Es betrifft zwar eine Rechtsfrage, doch wird eher unkonventionell etwas gefordert, was jenseits konkret ausformulierter, rechtlicher Regelungen liegt. Dabei springt insbesondere die mutige Argumentation gegen Valentinians Anordnung, das Silber dem fiscus abzuliefern, ins Auge. In deutlichen Worten wird der Kaiser in die Pflicht genommen, der seine (Zwangs-)Maßnahmen rückgängig machen müsse, nachdem ihr Anlass weggefallen und daher alles andere ungerecht sei. Der praefectus urbi akzeptiert zwar das Finanzierungsmodell; es sei richtig, dass grundsätzlich die kaiserliche Kasse den Amtswagen finanzieren müsse. Er fordert aber Rückabwicklung, weil tatsächlich, wie seine Untersuchung belegt, anders als geplant verfahren wurde. Von Symmachus behält der Leser aus dieser Relation einen durchweg günstigen Eindruck. Er erweist sich als ein in rechtlichen Kategorien denkender Beamter, der mit einem offenen und engagierten Protestbrief Forderungen lokaler römischer Kassen und der argentarii, die unter seiner Aufsicht und eben auch Schutz stehen, unterstützt. Da insoweit Forderungen von höchster Ebene erhoben wurden, musste er auch auf höchster Ebene Beschwerde erheben. Dem Kaiser wird der einzuschlagende Weg genau vorgegeben: Verzicht auf die eigene, unberechtigte Forderung und Anordnung an den comes sacrarum largiti-
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onum, das Silber herauszugeben. Den Ausgang der Angelegenheit kennen wir nicht und können auch keine Vermutung anstellen.
IV. Senatssachen 1. Relation 5: Der Philosoph Celsus Symmachus bittet darum, man möge dem Philosophielehrer Celsus83, den man für den öffentlichen Unterricht aus Athen nach Rom geholt hatte, den senatorischen Rang unter gleichzeitiger Befreiung von den finanziellen Verpflichtungen eines Senators verleihen84. Auch dieses Schreiben ist, entgegen der überlieferten inscriptio, inhaltlich nicht an Theodosius, sondern an Valentinian II. gerichtet, denn es geht um eine Frage, die nur seinen Reichsteil, den römischen Senat, betrifft. Eine genaue Datierung des Schreibens ist nicht möglich. Ein ambitionierter Lehrer will Senator werden und erklärt sich im Gegenzug bereit, kostenlosen Unterricht zu erteilen. Der Erwerb des Senatorenrangs verspricht noch immer politische Mitsprachemöglichkeiten, Privilegien und nicht zuletzt erhebliches Prestige und bleibt daher begehrt. Diese Relation ist insofern juristisch interessant, als es um das Verfahren der Aufnahme von novi senatores in den Senat (Senatorenstand und Senatsversammlung85) und die sogenannte adlectio geht86. Der Antrag von Symmachus ist daher eine genaue Betrachtung wert. In § 2 heißt es, Celsus sei dignus in amplissimum ordinem cooptari, ut animum vitiis avaritiae liberum dignitatis praemio muneremur. Er soll mit dem Senatorenrang dafür belohnt werden, dass er auf Entgelt für seinen Unterricht verzichten will. Weiter schreibt Symmachus in § 3: Dignum est igitur aeternitate numinis vestri, Celsum genere eruditione voluntate laudabilem adiudicare nobilibus pignore dignitatis, cum praerogativa scilicet consulari, ne 83 Außer dem, was Symmachus in Relation 5 schreibt (Sohn des Philosophen Archetimus, § 2), ist nichts über ihn bekannt: PLRE I, Celsus 4, 194; Vera, Commento, 62, der eine Identifizierung versucht. 84 Verfehlt ist die Ansicht von Vigneaux, Essai, 339, wonach es hier um die Ernennung von Celsus zum Professor in Rom gehe und Symmachus dem Kaiser einen entsprechenden Vorschlag unterbreite. 85 Dass ordo und Versammlung zu jener Zeit begrifflich nicht mehr unterschieden worden sind, beides also unter den Begriff „Senat“ fällt, haben Garbarino, Ricerche, 82 ff, und Wetzler, Rechtsstaat, 177 ff, unter anderem mit Hilfe von Rel. 45, auf die noch zurückzukommen sein wird, gezeigt. Zum Sprachgebrauch s. auch Rel. 48. 86 Mit diesen Fragen haben sich ausführlich beschäftigt: Lécrivain, Sénat, 15 ff; Chastagnol, Modes, 194 ff; ders., Le sénat dans l’oeuvre, 77 ff; ders., Sénat, 277 ff; Löhken, Ordines dignitatum, 123 ff; Garbarino, Ricerche, 184 ff; 282 ff; 376 ff; Wetzler, Rechtsstaat, 183 ff; Schlinkert, Ordo senatorius, 94 ff (weniger juristisch).
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sumptum eius magis quam magisterium quaesisse videamur non sine avaritiae nota, si ab eo munia publica postulemus, qui spondet gratuita praecepta. Celsus soll also darüber hinaus von Kosten befreit sein und deshalb in den Rang eines consularis erhoben werden. Wollte ein Nicht-Senator wie Celsus, also jemand, der nicht durch Abstammung von einem senatorischen Vater kraft Geburt schon clarissimus war, in den Senat gelangen, bedurfte es einer Aufnahme, die sich im Regelfall in einem dreistufigen Verfahren vollzog: Der Kaiser schlägt einen Kandidaten vor bzw. ermächtigt ihn, sich im Senat um Aufnahme zu bewerben, der Senat stimmt über die Aufnahme ab und der Kaiser hat dann das letzte Wort87. Der Senat hat also eine Art Kooptationsrecht; die Initiative und die endgültige Aufnahmeentscheidung liegen aber stets beim Kaiser. Davon zu unterscheiden ist die sogenannte adlectio, die durch kaiserliche Entscheidung als besondere Auszeichnung gewährt werden kann in Form der adlectio inter praetorios oder der adlectio inter consulares. Sie erhebt den Kandidaten gleich in einen bestimmten Rang innerhalb der Versammlung, so dass dieser u. a. sofort ein Stimmrecht erhält, ohne zuvor das kostspielige Amt88 der Prätur ausüben zu müssen, das (auch geborenen Senatoren) erst Stimmrecht im Senat verschafft und Einstiegsamt für die weitere Karriere ist. Die adlectio inter consulares bringt den Betreffenden sogleich in einen noch höheren Rang als die adlectio inter praetorios und „befreit“89 ihn auch vom ebenfalls kostspieligen (auch hier waren Spiele zu veranstalten) Suffektkonsulat. Hier soll Celsus offenbar durch eine solche adlectio inter consulares vom Kaiser in den Rang eines consularis erhoben werden. Symmachus stellt zur Begründung genau auf den Kostenaspekt ab; man dürfe jemanden, der kostenlosen Unterricht verspricht, nicht mit 87 Dies ist die überzeugendste Konstruktion, s. vor allem Wetzler, a.a.O., der das dreistufige Verfahren klar herausarbeitet. Chastagnol ging lange Zeit davon aus, dass der Senat zumindest im Westteil des Reiches sein Votum abgegeben habe, bevor der Kaiser in das Verfahren einbezogen wurde: Modes, 197 f. In Sénat, 279 ff, revidierte er diese Meinung mit ausführlicher Begründung und geht nun auch vom dreistufigen Verfahren aus, wobei er jedoch Aufnahme und adlectio nicht voneinander unterscheidet. Garbarino, Ricerche, 233 f (s. a. bei Rel. 46), glaubt dagegen, dass das Aufnahmeverfahren nur zweistufig war; der Kaiser habe nach der Senatsentscheidung nicht noch einmal zustimmen müssen. 88 Anlässlich der Bekleidung der Prätur waren aufwendige Spiele zu veranstalten. Anschaulich insoweit Rel. 8. Stimmrecht und Mitgliedschaft im Senat sind voneinander zu unterscheiden. Dazu und zur adlectio, wie sie hier beschrieben wird, Wetzler, Rechtsstaat, 180 ff, v. a. 186 f. Stimmrecht gab es danach wohl ab der Prätur. 89 Die adlectio hat jedoch, wie Wetzler a.a.O., 186 f, darlegt, entgegen der Auffassung von Chastagnol, u. a. Modes, 197, und Garbarino, Ricerche, 282 ff; 323, keinen Dispenscharakter. Die Magistratur ist keine zwangsweise Verpflichtung für den neuen Senator. Er wird sie aber möglicherweise aus Karrieregründen ausüben wollen, weil eine höhere Position im Senat mehr Prestige bedeutet und unter anderem für das Rederecht in der Versammlung wichtig ist (vgl. dazu Rel. 8). Die adlectio bedeutet einfach eine Höherstufung, eine besondere Auszeichnung durch den Kaiser. Da Celsus sich in Rom aufhält, wird er auch im Senat mitreden wollen.
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hohen Ausgaben belasten. Celsus soll für sein selbstloses Versprechen besonders belohnt werden. Die Frage bleibt, in welchem Verfahrensstadium der Aufnahme von Celsus in den Senat wir uns befinden. Nach Ansicht zahlreicher Autoren90 übermittelt Symmachus als Stadtpräfekt dem Kaiser bereits den für Celsus günstigen Senatsbeschluss; der Kaiser solle dem zustimmen und die adlectio inter consulares gewähren. Löhken91, der dem Senat insgesamt ein Kooptationsrecht abspricht, meint hingegen, Symmachus trage dem Kaiser in Relation 5 nur die senatorische Bitte vor, Celsus in eine bestimmte Rangklasse im Senat aufzunehmen. Gegen seine Ansicht, dass der Senat kein eigenes Abstimmungsrecht gehabt habe, stehen allerdings die v. a. von Chastagnol92 ausführlich analysierten Quellen. Der (Ost-)Senat lehnt einmal sogar einen Kandidaten ab: Libanios, Or. 42. Gegen beide Auffassungen ist aber einzuwenden, dass Symmachus auch nicht ansatzweise von einer Senatsentscheidung spricht. Nach Überzeugung von Garbarino93 spielt die Relation daher zu einem Zeitpunkt, zu dem der Senat noch gar nicht eingeschaltet worden war. Der Kaiser werde hier vielmehr vom praefectus urbi angerufen, damit er die Voraussetzungen einer Senatsentscheidung überhaupt erst schafft, indem er nämlich Celsus die notwendige dignitas, konkret die dignitas cum praerogativa consulari, verleiht. Garbarino geht für Celsus von einem besonderen Aufnahmeverfahren aus; weil dieser nicht aus der Bürokratie komme, dürfe er erst nach Verleihung der entsprechenden dignitas kandidieren. Das ist allerdings eine Konstruktion, die sich so zumindest allein aus Relation 5 nicht herleiten lässt. Einen vergleichbaren Fall liefert aber vielleicht Ep. VII, 96, 1 f (400): Libens itaque in tuam concedo sententiam dignumque esse praedico, qui nostro ordini copuletur; sed adicienda est ei praerogativa militiae, ut beneficio allectionis utatur. Symmachus unterstützt hier den Vorschlag seines Adressaten, des comes sacrarum largitionum Longinianus, einen bestimmten Kandidaten in den Senat aufzunehmen, und plädiert dafür, diesem zunächst den Status eines Beamten mit den entsprechenden Vorrechten und finanziellen Vorteilen, praerogativa militiae, zu verleihen, was die Aufnahme in den Senat und (doch wohl) die adlectio inter consulares beschleunige: prono cursu in consulares legetur. Der Adressat Longinianus kann die militia offensichtlich selbst verleihen: hoc insigne detuleris. Garbarino könnte mit seiner Interpretation daher recht haben, wenn man in Relation 5 einen Vergleichsfall annimmt, den der Kaiser entscheiden soll. Das weitere Verfahren der Aufnahme in den Senat würde sich daran dann erst anschließen. Da das Gesuch in Relation 5 aber direkt an den Kaiser geht, erbittet Symmachus möglicherweise doch eine weitergehende Entscheidung als in jenem Brief und 90
Lécrivain, Sénat, 18 Fn. 2; Chastagnol, Modes, 198; ders., Le sénat dans l’oeuvre, 77; ders., Sénat, 284; Vera, Commento, 63; Roda, Commento, 269. 91 Ordines dignitatum, 126 spez. Fn. 72. 92 Sénat, 279 ff. 93 Ricerche, 221 ff; 233; 380 f.
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fordert unmittelbar die Verleihung einer bestimmten hohen dignitas. Auch ist anzumerken, dass er vor allem Kostenbefreiung, nicht Alimentierung und Beschleunigung des Aufnahmeverfahrens für Celsus erstrebt; nur insoweit betont er die dignitas consularis. Die praerogativa consulari aus § 3 ist daher wohl doch auf das Verfahren der adlectio zu beziehen, wie es eingangs dargestellt wurde. Im Übrigen scheint auch nach Ep. VII, 96 die praerogativa militiae nicht notwendige und unerlässliche Voraussetzung für die Aufnahme in den Senat und adlectio inter consulares zu sein - die im Übrigen auch in jenem Brief von der praerogativa militiae klar unterschieden wird -, sondern beschleunigt sie nur und entlastet den Kandidaten. Richtig ist die Auffassung von Garbarino aber jedenfalls insoweit, als für das Aufnahmeverfahren von Celsus im Senat grundsätzlich zunächst eine kaiserliche Ermächtigung nötig ist. Fraglich bleibt damit, ob, obwohl Symmachus dazu schweigt, der Senat schon über die Kandidatur von Celsus abgestimmt hat. Symmachus nennt in § 2 (angeblich) historische, nachahmenswerte Beispiele: Nam et Carneaden Cyrenaeum et Poenum Clitomachum Atheniensis curia societate dignata est, itidem ut nostri Zaleucum legum Locrensium conditorem civitate donarunt. Dies klingt zwar nach Entscheidung der Körperschaft selbst, ist aber kein Beweis dafür, dass im konkreten Fall der Senat bereits eingeschaltet worden ist. Celsus verdient es nach § 2 vielmehr (erst), in den Senatorenrang hinzugewählt zu werden. Das spricht dafür, dass das Verfahren im Senat, wenn es denn mit cooptari gemeint sein sollte, erst in Gang gebracht werden soll und noch nicht abgeschlossen ist. Möglicherweise will Symmachus aber auch erreichen, dass der Kaiser direkt ohne jegliche Senatsbeteiligung über die Aufnahme entscheidet. Nach dem Wortlaut der relatio (v. a. in § 3) wäre das denkbar, würde allerdings dem regelmäßigen, oben beschriebenen Verfahrensablauf widersprechen. Zudem ist kaum vorstellbar, dass gerade Symmachus als reger Vertreter senatorischer Interessen hier eine Übergehung des Senats widerspruchslos dulden oder sie gar forcieren würde. Aus seinen Briefen und Reden94 ergibt sich regelmäßig ein Verfahren innerhalb des Senats, an dem er selbst häufig als Fürsprecher von Kandidaten beteiligt ist. Wie Chastagnol festgestellt hat, gibt es auch keinen überlieferten Fall, in dem der Kaiser jemanden ohne Beteiligung des Senats direkt in den Senatorenrang aufgenommen hätte (anders allenfalls bei Ernennung in ein hohes, senatorisches Amt)95. Es erscheint daher unwahr94 Vgl. v. a. Epp. III, 38; VII, 96; IX, 118 (dort wird außerdem klargestellt, dass letztlich entscheidend die kaiserliche Billigung ist) und die Reden VI und VII. Ausführlich dargestellt bei Chastagnol, Sénat, 279 ff. Zu Ep. IX, 118 auch Roda, Commento, 267270, wobei in diesem Brief, wie Garbarino, Ricerche, 223 f, gegen Chastagnol, Sénat, 287, und Roda, a.a.O., richtig feststellt, nur ein zweistufiges Verfahren bewiesen wird, in dem Kaiser und Senat eingeschaltet sind: ...nam ut beneficio sacro debet dignitatis impetrationem, ita tuo decreti nostri celeritatem. 95 Modes, 194 und Sénat, 288 ff, wo er sich sogar skeptisch zeigt, ob der Kaiser jemanden allein durch Ernennung in ein hohes Amt in den Senat bringen konnte. S. aber Nachweise bei Garbarino, Ricerche, 347 ff; 376 f; 385 ff. Hier soll Celsus jedoch ohnehin kein hohes Amt bekommen und auch nicht für lange Beamtendienste ehrenhalber
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scheinlich, dass der Kaiser von Symmachus direkt um die Aufnahmeentscheidung gebeten wird. Vielmehr umschreibt der Stadtpräfekt in § 3 wohl einfach nur die kaiserliche adlectio und unterscheidet sie von der Aufnahmeentscheidung (§ 2). Nur für letztere aber steht eine Senatsbeteiligung zur Debatte und auch hier muss der Kaiser den ersten Schritt tun. Dieser wird sich im Regelfall an den „normalen“ Verfahrensgang gehalten haben, schon um Missstimmungen im Senat zu vermeiden. Gerade gegenwärtig dürfte es sogar durchaus geraten sein, sich in politisch schwieriger Lage mit dem Senat gut zu stellen und ihn jedenfalls in Fragen, die, wie die Aufnahme neuer Mitglieder, seine eigenen Angelegenheiten betreffen, zu befragen; dass dies tatsächlich geschieht, zeigt Relation 8. Entscheidend scheint, dass der Kaiser hier offensichtlich erstmals mit dem Fall befasst wird, denn Symmachus führt den Kandidaten ganz neu ein, stellt ihn vor und lobt seine Tugenden. Der Stadtpräfekt tritt als Fürsprecher auf, der dem Kaiser einen neuen Kandidaten für den Senat nahe legen möchte. Dieser soll dann das übliche, weitere Verfahren (erst) in Gang bringen und Celsus dem Senat zur Abstimmung vorschlagen. Für den Fall eines positiven Votums, mit dem Symmachus fest rechnet - und auch rechnen kann, denn der Senat lehnt einen vom Kaiser eingebrachten Kandidaten in der Regel nicht ab -, legt er die adlectio inter consulares durch den Kaiser nahe. Der erste Verfahrensschritt ist hier also noch gar nicht erfolgt und da dem Stadtpräfekten der weitere Verfahrensablauf unproblematisch erscheint, spielt er in seinem Schreiben darauf nicht weiter an. Er scheint Celsus von sich aus vorzuschlagen; auf eine etwaige Anfrage, ihn als möglichen Kandidaten zu überprüfen, hätte er ansonsten wohl Bezug genommen. Doch ist auch eine solche eigene Initiative nichts Ungewöhnliches für einen Stadtpräfekten und schon gar nicht für Symmachus, denn (vor allem) das 9. Buch seiner Briefe zeigt seine rege Aktivität, Freunde und Bekannte zu empfehlen. Der Kaiser ist notwendigerweise auf Vorschläge von außen, etwa aus den Reihen des Senats, angewiesen, um von möglichen neuen Kandidaten für den Senat zu erfahren96. Allerdings ist die Form der Relation etwas Offizielles. Symmachus setzt sich mit seiner ganzen Amtsautorität für Celsus ein. Ob er hier zu weit geht mit der Fürsprache zugunsten einer bestimmten Person, kann nicht geklärt werden. Immerhin ist es Aufgabe des Stadtpräfekten, senatorische Interessen zu vertreten, und auch der Schulbereich untersteht ihm97, so dass es durchaus in seiner Zuständigkeit liegt, einen Lehrer vorzuschlagen. Symmachus bleibt sachlich in seiner Empfehlung, lobt Ehrbarkeit und Fähigkeiten von Celsus und vor allem das Versprechen, kosten-
mit dem Senatorenrang belohnt werden (das geschah recht pauschal, vgl. dazu z. B. CT VI, 35, 7 (367), s. a. bei Rel. 42), sondern sich aktiv an den Abstimmungen im Senat beteiligen können. 96 Auch Plinius empfiehlt in Ep. X, 4 einen persönlichen Freund zur Aufnahme in den Senatorenstand. 97 Chastagnol, Préfecture, 283 ff.
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los zu unterrichten, das angesichts leerer Kassen98 tatsächlich interessant und belohnungswürdig gewesen sein dürfte. Auch in mehreren Privatbriefen99 bemüht er sich persönlich um Philosophen (Lehrer und Studenten). Relation 5 passt dort genau hinein; nur dass Empfänger der Empfehlung hier der Kaiser und nicht nur ein hoher Beamter ist. Eine unlautere Verfolgung persönlicher Interessen ist hier nicht erkennbar. Den Ausgang des ganzen Verfahrens für Celsus kennen wir nicht, aber man kann annehmen, dass er aufgenommen worden ist, denn die meisten uns bekannten Fälle sind für den Kandidaten positiv entschieden worden, insbesondere wenn er einflussreiche Fürsprecher wie Symmachus hatte. Nach den bei Symmachus überlieferten Beispielen sind zwar meist verdiente Beamte in den Senat aufgenommen worden; insoweit handelt es sich bei Celsus als einem erst kürzlich aus Athen berufenen Lehrer um einen weniger üblichen Fall. Aber auch diese Konstellation war nicht so ungewöhnlich, dass es einer besonderen Begründung bedurft hätte, brachte es doch auch ein Rhetoriklehrer aus Athen, Palladius100, zu den Ämtern des comes sacrarum largitionum und magister officiorum. Festzuhalten bleibt damit, dass Relation 5 zwar keinen Beweis für die Senatsbeteiligung bei der Rekrutierung neuer Senatsmitglieder erbringt, sie aber auch nicht ausschließt. Man wird vielmehr davon ausgehen können, dass sich normalerweise ein Senatsbeschluss in dieser senatseigenen Angelegenheit an das Schreiben von Symmachus anschließen wird. Eindeutig zeigt sich indes, dass der Kaiser an der Aufnahme neuer Senatsmitglieder und der adlectio maßgeblich beteiligt ist. Über die Frage, ob das Aufnahmeverfahren zweioder dreistufig war, gibt das Schreiben jedoch keinen Aufschluss. Der von Symmachus eingeschlagene Weg, einen Kandidaten in den Senat zu bringen, ist grundsätzlich ordnungsgemäß. Eingehalten wird der offizielle und förmliche Weg und dadurch jeder böse Schein der Erschleichung von Vorteilen vermieden (zur verbreiteten Erschleichung von Rechtspositionen s. die Relationen 38 und 44). Der Stadtpräfekt kennt das Verfahren zweifellos; der Ablauf ist für ihn allerdings so selbstverständlich, dass es bei bloßen Andeutungen bleibt. 2. Relation 8: Senatorische Lasten Symmachus übermittelt dem Kaiser einen Senatsbeschluss über die Verringerung der Kosten bei der Ausübung der senatorischen Magistraturen und 98 Auch der Senat ernennt und bezahlt häufig Lehrer für den Unterricht junger Senatoren. § 1 ist insoweit nicht ganz eindeutig. Die Formulierung spricht allerdings durchaus für eine kaiserliche Entscheidung. Die kaiserliche Kasse würde also entlastet. 99 In Ep. I, 79 erbittet er Hilfe für einen Philosophielehrer beim Prätorianerpräfekten Hesperius, denn es gibt Probleme mit der Gehaltszahlung durch die Regierung. In Epp. I, 29 und 41 empfiehlt er Ausonius einen Philosophen. Auch Epp. II, 29, 39 und 61 enthalten solche Empfehlungen. 100 PLRE I, Palladius 12, 660; s. a. Ep. I, 15.
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schreibt begleitend dazu die Relation 8, worin er den Kaiser um Zustimmung bittet. Der Zeitpunkt des Schreibens ist nach Ansicht mancher Autoren (dazu im Folgenden) genauer bestimmbar, weil ein Gesetz vom 25. Juli 384 darauf zurückgehen soll, CT XV, 9, 1. Danach würde Relation 8 aus dem Anfang der Amtszeit - vor dem 25. Juli 384 - stammen. Ob das zutrifft, ist aber noch zu prüfen und hängt auch mit der Frage zusammen, wer wahrer Empfänger des Schreibens ist, das der Überlieferung nach an die beiden Kaiser in Konstantinopel gerichtet ist. Juristisch interessant ist relatio 8 wegen der dort zur Sprache kommenden Beteiligung des Senats an der kaiserlichen Gesetzgebung. Der Kaiser hatte an den Senat eine oratio (§ 2) gerichtet (in § 1 ist auch die Rede von divinae sanctiones) und ihn aufgefordert, einen Beschluss über die Beschränkung der Ausgaben für Spiele, die den senatorischen Magistraten bei Amtsantritt obliegen, zu fassen. Der Stadtpräfekt übermittelt nun das mittlerweile einstimmig gefasste (Nullo enim dissentiente decretum est..., § 3) entsprechende senatus consultum, damit der Kaiser seine Zustimmung dazu erteilt und ihm so (erst) bindende Gesetzeskraft verleiht. § 3: Superest ut ea, quae serenitas vestra patribus deliberanda legavit, cognito senatus consulto lex augusta confirmet. Es fehlt also noch die kaiserliche Bestätigung101. In § 4 heißt es dazu: Haec aeternitas vestra venerabilis cum senatui statuenda mandaret, referri ad se protinus imperavit, ut placita cunctis inmortali lege solidentur. Der Kaiser will demnach rasch von dem Beschluss informiert werden, um ihm mit seinem Gesetz Wirksamkeit zu verschaffen. Symmachus schreibt weiter: Iussis paruimus; expectamus oraculum, quo salutariter, ut vestro numini familiare est, patrum decreta firmetis. Außerdem aber soll der Kaiser noch eine Strafklausel102 gegen Manipulationen erlassen (§ 4 a. E). Darauf hofft der Senat, vertreten durch Symmachus, denn so weit reichen Senatsbeschluss und Senatskompetenz nicht. Diese Klausel liegt vielmehr allein im kaiserlichen Ermessen: ...adiecta comminatione, si ullus aliquando ambitus haec vel illa corruperit, quae consilio caelesti pro ordinis dignitate sanxistis.
101 Nicht zutreffend ist daher die von Seeck, Geschichte V, 197, 513 Anm. 18, vertretene Auffassung, wonach Relation 8 beweise, dass Valentinian II. theodosianische Gesetze, hier CT XV, 9, 1, in seinem Reichsteil anerkannt und veröffentlicht habe, um diesen angesichts der Bedrohung durch Maximus für sich zu gewinnen. Hier fehlt es gerade noch an einer kaiserlichen Maßnahme im Westteil des Reiches. Daher trifft auch die Ansicht von Jones, LRE, 538, nicht zu, wonach sich Symmachus in Rel. 8 dafür bedanke, dass der Kaiser die Kosten verringert habe. Auch Enßlin, RE-Valentinianus II, 2212, und Lécrivain, Sénat, 69, gehen irrig von einem schon erlassenen, wenn auch eigenständigen, Westgesetz aus. 102 Zu solchen Strafklauseln, die Verstöße mit Strafe bedrohen und das Unterlaufen etwa durch Erschleichen von Ausnahmen von der lex verhindern sollen: Kußmaul, Pragmaticum, 56 f.
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Gezeigt wird hier an einem praktischen Fall ein dreistufiges Gesetzgebungsverfahren103 und eine gewisse legislative Aktivität des Senats in eigenen Angelegenheiten, die über die bloße Akklamation zur oratio principis hinausgeht und eigenständige Vorschläge (innerhalb des vom Kaiser vorgegebenen Rahmens) beinhaltet. Der Kaiser bezieht, vielleicht auf einen Vorschlag aus Senatskreisen hin, die Senatoren ein und erhöht so im Gegenzug deren Akzeptanz seiner daraufhin ergehenden Gesetze. Außerdem bietet ihm dieses Verfahren eine Möglichkeit, sich mit dem Senat gut zu stellen. Die Einbeziehung des Senats ist insoweit mehr als eine reine Formsache. Die Ablehnung eines kaiserlichen Vorschlags mag zwar selten gewesen sein, aber immerhin bestanden Beratungs- und Ergänzungsmöglichkeiten und dies angesichts der Tatsache, dass es in den Jahren 384/385 eigentlich kein offizielles, verfahrensmäßig ausformuliertes Gesetzgebungsverfahren gibt - ein solches wird erst später in CJ I, 14, 8 (446)104 festgelegt. Symmachus bedankt sich denn auch dafür, dass der Senat gefragt wird. Dies ist nicht selbstverständlich, sondern steht im kaiserlichen Ermessen und geschieht wahrscheinlich eher selten; etwa dann wenn es ungefährlich oder politisch günstig scheint105. In § 3 wird der Inhalt des Senatsbeschlusses referiert. Der Senat hat darin Vermögensgrenzen für die Verpflichteten sowie Höchstbeträge für die Ausgaben für Spiele, die genau aufgeschlüsselt werden, festgesetzt und Geldbußen beschlossen für diejenigen, die sich durch Fernbleiben ihrer Pflichten zu entledigen suchen (vgl. dazu auch Relation 23, 2). Letzteres gab es zwar eigentlich schon, etwa in CT VI, 4, 7 (354), wurde aber offenbar neu festgelegt. Deutlich wird, wie groß die finanziellen Belastungen für die Senatoren, die Quästur, Suffektkonsulat und Prätur bekleiden, geworden sind. Diese Ämter, die hier angesprochen werden106, werden zunehmend als munera aufgefasst, zumal mit Quästur und Suffektkonsulat kaum mehr Amtsbefugnisse verbunden waren. Wollte man im Senat mitreden, kam man jedoch um diese kostspieligen klassischen Magistraturen, insbesondere die Prätur (vgl. Relation 5), nicht herum; 103
Kaiserliche Vorlage/oratio principis - senatus consultum - lex Augusta. Zu diesem Verfahren (dreistufig wie die Aufnahme in den Senat, von der in Rel. 5 die Rede war) mit weiteren Beispielen: Garbarino, Appunti, 529 ff ; Wetzler, Rechtsstaat, 94 ff (Rel. 8 passt genau hinein in die dort genannten weiteren Fälle der Einbeziehung des Senats bei ihn betreffenden Fragen); 123 ff. Denkbar ist als erste Stufe auch ein (ggf. vom Stadtpräfekten übermittelter) Senatsvorschlag. Das Verfahren wäre dann vierstufig. Doch wird vermutlich ein solcher Vorschlag im Rahmen der kaiserlichen Vorlage (1. Stufe) im dreistufigen Verfahren behandelt und darin aufgegangen sein. 104 Dazu: Wetzler, Rechtsstaat, 120 ff; spez. 127 ff zieht er auch Parallelen zu Rel. 8. 105 So soll beispielsweise der Senat auf Ersuchen von Stilicho 397 Gildo zum hostis publicus erklären, vgl. Ep. IV, 5. 106 Senatorias functiones heißt es in § 1. Die Amtsinhaber werden regelmäßig vom Senat gewählt und auch in Rel. 45 spricht Symmachus insoweit von functiones. Das ordentliche Konsulat gehört nicht zu diesen kleinen senatorischen Magistraturen; das Problem exzessiver Ausgaben für Spiele und Geschenke gab es jedoch auch für diese Funktion.
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Quästur, Suffektkonsulat und Prätur sind für die jungen Senatorensöhne noch immer der Einstieg zur Karriere. Beispielhaft ist insoweit Symmachus’ eigene Karriere. Es werden aufwendige, für weniger vermögende Senatoren oft ruinöse Spiele und Geschenke bei Amtsantritt erwartet107, die Symmachus in § 1 als foeda iactatio heftig kritisiert. Bei der Veranstaltung dieser Spiele scheint es regelrechte Exzesse der Selbstdarstellung gegeben zu haben; man versuchte, einander zu übertrumpfen, was einen enormen Leistungsdruck mit sich brachte. Wobei man allerdings hinzufügen muss, dass Symmachus selbst gewaltigen Aufwand betreibt anlässlich von Quästur und Prätur seines Sohnes108, sich insofern also etwas widersprüchlich verhält. Andererseits schreibt er hier in offizieller Funktion als Stadtpräfekt und muss die senatorischen Interessen wahren. Um letzteres bemüht er sich engagiert; seine Privatmeinung bleibt korrekterweise außen vor. In § 2 merkt Symmachus daneben dankend an, dass der Kaiser außerdem das Rederecht im Senat in seiner alten Form wiederhergestellt habe: Eiusdem praeterea orationis salubritate vetus dicendarum sententiarum forma reparata est. Insoweit gibt es offenbar keine Entschließung des Senats, sondern hier scheint der Kaiser direkt eingegriffen und eine Anordnung erlassen zu haben109. Ein Anhaltspunkt dafür, in welcher Reihenfolge das Wort im Senat ergriffen werden darf, findet sich etwa in CT VI, 6, 1 (382). Diese Regelung110 wird der Kaiser, möglicherweise mit Ergänzungen, durch Verlesung einer kaiserlichen oratio, die durch Akklamation im Senat unmittelbar Wirkung entfaltete, bestätigt haben. Ein solches Regel-Verfahren für die kaiserliche Gesetzgebung111 um107
Ein Mindestaufwand für Spiele und Geschenke bei Amtsantritt war vorgeschrieben. Zur Prätur und Quästur vgl. die Regelungen im Titel CT VI, 4 und viele Beispiele in den Symmachusbriefen und auch Or. VIII. Dazu: Chastagnol, Zosime II, 61 ff; zum Suffektkonsulat: ders., Observations, 236 f; Kuhoff, Studien, 29 f; s. a. Vera, Commento, 76. Für das Jahr 354 werden Spiele an 177 Tagen bezeugt, vgl. Marcone, Allestimento, 307 ff m. N. Häufig zahlten dabei die Väter für ihre noch jungen Söhne; so auch Symmachus. 108 McGeachy, Symmachus, 101 ff, beschreibt dies ausführlich. Bescheidenheit, die er doch in Rel. 4 als wichtige Tugend heraushebt, ist ihm insoweit für sich selbst ersichtlich nicht wichtig. Olympiodor berichtet in Frg. 44, Symmachus habe für die Prätur seines Sohnes im Jahre 401 immerhin 2.000 Goldpfund ausgegeben. 109 Anders Wetzler, Rechtsstaat, 95, der meint, der Senatsbeschluss habe sich auch darauf bezogen. Dagegen spricht die Inhaltsangabe zum Senatsbeschluss in § 3. 110 Vgl. auch für den Osten CT VI, 7, 2 (380) an den Stadtpräfekten. Dass es damals insoweit Unstimmigkeiten im Senat gegeben hat, verdeutlicht wohl auch Ep. II, 7, 2 (384). 111 Der Wortlaut der vor dem Senat verlesenen oratio principis wird durch Akklamation zum Beschluss, zur Rechtsquelle. Dazu Classen, Kaiserreskript, 8; 16 m. N. Fn. 3. Ein Beispiel liefert etwa CT VI, 4, 16 (359), worin die verbleibende Gerichtsbarkeit des Prätors festgehalten wird in Form einer oratio ad senatum. Jedenfalls den römischen Senat betreffende Fragen wurden ggf. in dieser Form geregelt. CJ I, 14, 3 (426) sieht später ausdrücklich verschiedene Varianten im Gesetzgebungsverfahren vor. Danach fallen künftig unter allgemeine lex (u. a) Bestimmungen, die in einer Rede, die an den Senat geschickt wurde, enthalten sind: Leges..., quae vel missa ad venerabilem coetum oratio-
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schreibt Symmachus in Relation 24, 2: misi omnia iussis caelestibus obsecutus, quae ipso praesente (= Praetextatus) venerabilium orationum vestrarum sanctio definivit et patrum probavit auctoritas. Der Senat billigt rein formal eine oratio, die ihn von der bereits getroffenen kaiserlichen Entscheidung, sanctio (dieser Begriff findet sich auch hier in § 1), informiert. Nach dem Wortlaut in Relation 8 handelte es sich insoweit noch nicht einmal um eine Neuregelung, sondern um Wiederherstellung der alten Norm: reparata est. Der Brauch, der sich eingeschlichen hat, dass zuerst sprechen darf, wer die teuersten Spiele veranstaltet hat, wird aufgegeben zugunsten der alten Ordnung, die nach Ämterhierarchie unterscheidet. Auch das ist möglicherweise ein „schönes“ Beispiel dafür, wie nach einer relativ kurzen Zeit von zwei Jahren ein Gesetz so außer Gebrauch kommt, dass der Kaiser eingreifen und seine Wirksamkeit bekräftigen muss. Die Rechtsdurchsetzung lässt einmal mehr zu wünschen übrig; die Finanzkräftigen setzen sich einmal mehr durch. In der Literatur wird Relation 8 hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt behandelt, ob ein Zusammenhang mit den von Theodosius 384 zum selben Gegenstand erlassenen Regelungen, CJ I, 16, 1 (24. Juli 384, Heraclea, ad senatum), CT XV, 9, 1 (25. Juli 384, Heraclea, ad senatum) und CT VI, 4, 25 (23. Oktober 384, Konstantinopel, ad senatum) besteht. Die erste Regelung, CJ I, 16, 1, unterstreicht die Wirksamkeit, die perpetua firmitas, von senatus consulta. Die beiden anderen Konstitutionen beschränken Kosten in ähnlicher Weise, wie in dem Senatsbeschluss vorgeschlagen wird, den Symmachus übermittelt. Ist eine davon vielleicht die lex Augusta, die Symmachus in Relation 8 noch fehlt? Einige Autoren112 stellen jedenfalls einen Zusammenhang her zwischen Relation 8, CT XV, 9, 1 und CJ I, 16, 1. Theodosius habe das senatus consultum, das Symmachus übermittelt, mit den genannten Vorschriften bestätigt; Relation 8 sei also nach Konstantinopel geschickt worden. Beide Gesetze sind dieser Ansicht nach im Osten an den Westsenat erlassen und miteinander zu verbinden. Für diese Vermutung spricht, dass beide Konstitutionen fast zur gleichen Zeit in Heraclea ad senatum erlassen worden sind und sich auch inhaltlich ohne weiteres in Verbindung bringen lassen, also möglicherweise Teil einer einheitlichen Regelung sind113. Aber warum sollten sie an den römischen Senat gerichtet sein; warum sollte Theodosius den römischen Senat in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen haben? Dafür spricht die zeitliche Nähe zwischen Relation 8 und den genannten Normen. Das könnte jedoch auch Zufall sein, ne conduntur... . Relation 8 beinhaltet insoweit zwei mögliche Varianten dieses Gesetzgebungsverfahrens. 112 Gothofredus, Komm. V, 433 ff; Martinez-Fazio, Basílica, 242 ff m.w.N.; Garbarino, Appunti, 505 ff mit ausführlicher Begründung; s. schon Seeck, Symmachus, CCIX; auch Steinwenter, Briefe, 11, nennt CT VI, 4, 25 im Zusammenhang mit Rel. 8 und CT XV, 9, 1. 113 So: Seeck, Regesten, 265; kritisch insoweit Vera, Scandalo, 82 f Fn. 144.
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wobei gegenseitige Inspiration nicht ausgeschlossen ist. Fraglich ist zudem, ob der zeitliche Ablauf, der dabei vorausgesetzt wird, nicht eher unwahrscheinlich ist in Anbetracht der Tatsache, dass Symmachus frühestens Ende Juni sein Amt antrat und die Übermittlung der Relation von Rom in den Osten einige Zeit gedauert haben muss. Kann Theodosius schon am 25. Juli 384 geantwortet haben? Das ist vielleicht noch denkbar, vorausgesetzt Symmachus war tatsächlich schon im Juni im Amt, aber allemal sehr knapp. Die Befürworter eines Zusammenhangs verweisen vor allem darauf, dass Relation und Konstitutionen denselben Gegenstand hätten. Aus den Inhaltsangaben des Symmachus zum Senatsbeschluss wissen wir, was ein zustimmendes kaiserliches Gesetz enthalten müsste: eine Beschränkung der Kosten für Spiele bei Ausübung der alten Magistraturen und eine Bußbestimmung. CT XV, 9, 1 enthält jedoch nur Beschränkungen der Geschenke, die bei Antritt der Magistratur verteilt werden dürfen. CT VI, 4, 25 regelt zwar die Kosten für die Spiele und passt insoweit zum Inhalt zur Relation, außerdem aber etwas anderes als das, was in Relation 8 angesprochen wird, nämlich die Aufteilung der Verpflichtungen auf mehrere Prätoren. Der inhaltliche Zusammenhang zwischen Relation 8 und den genannten Konstitutionen ist also nicht vollständig, wenngleich Thematik und, dadurch bedingt, Wortwahl ähnlich sind. Problematisch ist wie gesagt auch, dass Theodosius nicht ohne weiteres in die Angelegenheiten seines westlichen Kollegen eingreifen konnte, denn die Gesetzgebungsbefugnisse und der Geltungsbereich der Gesetze waren in beiden Reichshälften grundsätzlich getrennt (s. dazu bereits im 1. Teil, 3. Abschnitt II) und dieses Prinzip wurde im allgemeinen auch eingehalten. Nun dominierte Theodosius allerdings tatsächlich und aus dem Jahre 384 gibt es durchaus Anhaltspunkte dafür, dass er in die westliche Sphäre eingreift114. In diese Übergriffe könnte denn auch der vorliegende Fall einzuordnen sein. Er liegt aber insoweit besonders, als es einmalig wäre, dass der östliche Kaiser sich des westlichen Senats bei der Gesetzgebung bedient und vom Osten aus ein Gesetz an den römischen Senat erlässt, das also (auch?) im Westen gelten soll. Ein vergleichbarer Fall wird nicht berichtet. Selbst wenn sich Theodosius, wie sich im Zusam114
Gaudemet, Partage, 349 ff; ders., Formation, 25 f; Seeck, Regesten, 80, nennen für die hier interessierende Zeit allerdings nur CT III, 1, 5 (22.9.384), gerichtet an den Prätorianerpräfekten des Ostens und aus dem Westen überliefert („accepta“ in Regium bei Modena, wo der Hof möglicherweise gerade weilte). Theodosius schickt sein Gesetz in den Westen. Wobei anzumerken ist, dass es den religiösen Bereich betrifft (Juden wird verboten, christliche Sklaven zu haben), d. h. Theodosius setzt seine persönliche Religionspolitik durch. Valentinian II. hat dieses Gesetz wahrscheinlich - mehr oder weniger freiwillig übernommen, ohne den Adressaten zu verändern. Insoweit liegt dieser Fall ganz anders als der vorliegende, in dem es zudem um eine allgemeine Maßnahme geht, die Theodosius - anders als die Religion - kein besonderes Anliegen ist. Greifbare Anhaltspunkte für ein Eingreifen von Theodosius im Westen gibt es vor allem für die Jahre 388 bis 391, nachdem er Maximus besiegt hat, politisch unumstritten die Oberhoheit innehat und sich zwei Jahre in Italien aufhält, also in einer politisch nicht vergleichbaren Lage.
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menhang mit den Relationen 6, 9 und 43 andeutet, damals senatorische Zustimmung im Westen sichern möchte, ginge dies wohl zu weit. Die guten Kontakte zwischen römischem Senat und Ostkaiser bewegen sich nach diesen Zeugnissen auf ganz anderer Ebene und sind nicht vergleichbar mit den hier vorauszusetzenden, massiven Übergriffen. In den Jahren 384/385 hat Theodosius zudem keinen erkennbaren Anlass, sich in die westliche Politik einzumischen, und tut das auch ansonsten nicht115. Näher liegt es daher, den Senat von Konstantinopel als Empfänger der Konstitutionen anzusehen. Relation 8 betrifft lediglich eine ähnliche Frage, die sich im Westen gestellt und zu deren Lösung Valentinian II. bereits den ersten Schritt getan hat. Der Westkaiser ist daher auch, wie bei den meisten Relationen, die über rein formale Mitteilungen hinausgehen, inhaltlich richtiger Adressat des Schreibens116. Dass die überlieferte inscriptio falsch ist, ist kein Einzelfall und nicht weiter ungewöhnlich. Die Relation erweckt auch nicht den Eindruck, als handele es sich um eine außergewöhnliche Gesetzesinitiative. Symmachus scheint das kaiserliche Gesetz vielmehr im Rahmen eines normalen Verfahrensganges zu erwarten. Und für diese Lösung sprechen auch die sonstigen Quellen zum Themenbereich. Der römische Senat hatte schon 372 Valentinian I. (vergeblich) um eine Beschränkung der senatorischen munera (durch Aufteilung auf mehr Beamte117) gebeten, wie sich aus CT VI, 4, 21, §§ 6, 7 ergibt. Zu vermuten ist daher, dass der römische Senat auch dieses Mal seinen Vorschlag an den Westkaiser richtet. Manche Autoren vermuten zudem, dass er das auch dieses Mal ohne Erfolg tat und die kaiserliche Initiative beide Male bloße Verzögerungstaktik gewesen sei, um den Senat nicht zu brüskieren118. Soweit dagegen eingewandt wird119, dass sich der römische Senat dieses Mal an Theodosius gewandt habe, weil man sich von dort mehr Erfolg versprochen habe, darf nicht vergessen werden, dass die Einleitung des Verfahrens hier durch den Kaiser, nicht den Senat, erfolgt ist; von einer vorausgehenden Bitte des Senats haben wir keine Kenntnis.
115 So sind aus Heraclea drei weitere Konstitutionen vom Sommer 384 überliefert, die alle an östliche Beamte adressiert sind: CT VI, 30, 7; XII, 1, 106; X, 20, 11. In diese Gesetzgebung lassen sich ohne weiteres auch unsere Vorschriften aus Heraclea einfügen, die demzufolge - wie es sich gehört - an den eigenen Senat von Konstantinopel gerichtet wären. 116 Gegen eine direkte Verbindung von Relation 8 mit der theodosianischen Gesetzgebung und für Valentinian II. als Adressaten von Rel. 8 auch: Gaudemet, Partage, 343 f; Chastagnol, Observations, 248 f; ders., Zosime II, 65; Vera, Scandalo, 82 ff; ders., Commento, 74 f; 81 f. 117 CT VI, 4, 25 von Theodosius trifft insoweit 384 inhaltlich den römischen Senatsvorschlag von 372. 118 Chastagnol, Observations, 248; Vera, Commento, 82. 119 Garbarino, Appunti, 528 f Fn. 44.
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Für die Praxis der Spiele und Geschenke ist festzustellen, dass im Westen der Aufwand in den nächsten Jahren nicht sinkt, sondern vielmehr steigt120. Ob sich daraus schließen lässt, dass die genannten Konstitutionen von 384 im Westen nie gegolten haben, ist ungewiss. Vielleicht wurden sie, wie andere Gesetze auch, einfach nicht angewandt. Nichtanwendung im Verein mit jener gewagten Verfahrensrekonstruktion einer Einschaltung des Ostkaisers ist zusammen aber doch mehr als unwahrscheinlich, zumal sich die Konstitutionen von 384 auch genau in die damalige Gesetzgebung zur Bekämpfung des Luxus121 einfügen. Überzeugender ist es, vom normalen Weg auszugehen, wonach die Gesetze aus Heraclea den Westen gar nicht betroffen haben. Weder hat sich Theodosius unmittelbar im Westen eingemischt, noch wurden einschlägige Ostregelungen im Westen angewandt. Die divergierende Praxis bestätigt vielmehr die legislative Trennung der beiden Reichsteile. In beiden Reichsteilen gibt es allerdings, das steht fest, bei Spielen die gleichen Aufwandsprobleme und in beiden Reichsteilen nimmt man senatus consulta (wieder) ernst, wie für den Westen schon der Vorstoß des Senats 372 und die darauf Bezug nehmende o. g. Konstitution zeigen. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass Form (Gesetzgebung aufgrund eines Senatsbeschlusses) und Inhalt (Aufwandsbegrenzung) zeitlich versetzt in beiden Reichsteilen mehr oder weniger parallel laufen - unter Beachtung der örtlichen Zuständigkeit. Das zeitliche Zusammenfallen der genannten Ostregelungen mit Relation 8 könnte aber ein Zeichen dafür sein, dass man sich in einem Reichsteil von der Gesetzgebung der anderen Seite inspirieren lässt122, wobei offen bleiben muss, von welcher Seite die Inspiration ausgeht, denn eine genauere Datierung der Relation ist nicht möglich. Eine kaiserliche Bestätigung des von Symmachus an Valentinian II. übermittelten Senatsbeschlusses ist uns wie gesagt nicht bekannt und aus dem Anstieg der Kosten ist zu schließen, dass im Westen vorerst alles beim Alten blieb123. Relation 8 hatte also entgegen Symmachus’ großem Optimismus, der für die Gegenwart schon dankbar von Kostensenkungen spricht und so tut, als sei die 120
Dies beschreibt Olympiodorus, Frg. 44. Auch aus den Symmachusbriefen ergibt sich, dass die östlichen Regelungen nicht angewandt und großer Aufwand betrieben wurde. Vgl. die detaillierte Darstellung bei Chastagnol, Observations, 249 ff. 121 Nachweise bei Chastagnol, Observations, 248 ff, der zeigt, dass im Osten die Kosten aufgrund entsprechender Gesetze kontinuierlich sinken. 122 So vermutet Chastagnol, Observations, 248 f; ders., Fastes, 223, dass Rel. 8 vom Beginn der Amtszeit des Symmachus stamme, weil sie (bzw. die dort genannten Senatsvorschläge) Theodosius zum Erlaß von CT XV, 9, 1 und CT VI, 4, 25 inspiriert habe. Ebenso ist aber der umgekehrte Fall denkbar, dass nämlich diese Konstitutionen Valentinian II. dazu inspirieren, den Senat mit einem entsprechenden Vorschlag für sich einzunehmen und so zur Rel. 8 führen. 123 Als Symmachus allerdings einige Jahre später Spiele für seinen Sohn ausrichten möchte, braucht er für bestimmte, besonders aufwendige Veranstaltungen eine spezielle Erlaubnis, vgl. Ep. IV, 8 (401). Auch im Westen gibt es also, wenigstens später, gewisse Einschränkungen. Dafür mag die Ostgesetzgebung von 384 Vorbild gewesen sein. Eine feste Obergrenze aber scheint es nicht gegeben zu haben.
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lex nur noch reine Formsache, nachdem der Senat die wesentliche Entscheidung gefällt hat, vermutlich keinen Erfolg. Der Kaiser lockt den Senat mit seiner Initiative zwar zunächst auf seine Seite, lässt die Angelegenheit dann aber doch im Sande verlaufen. Das Interesse, dem Senat entgegen zu kommen, die Senatoren zu entlasten, ist am Hof augenscheinlich doch nicht allzu groß. Ergebnis: In Relation 8 wird die gegenwärtige Rechtssituation im Reich beleuchtet. Die Einbeziehung des Senats in das Gesetzgebungsverfahren in eigenen Angelegenheiten zeigt zwar ein Stück freiwilliger Rechtsstaatlichkeit durch Verfahren - im spätantiken Absolutismus, doch zeigt sich auch die beschränkte Reichweite eben dieser Senatsbeteiligung, die ganz vom kaiserlichen Ermessen abhängt. Denn der vom Kaiser nicht bestätigte Senatsbeschluss entfaltet keine rechtliche Bindungswirkung. Er ist, anders als CJ I, 16, 1 suggeriert, keine Rechtsquelle, sondern nur unselbständiger Teil des Gesetzgebungsverfahrens mit der Wirkung einer unverbindlichen Konsultation, nicht aber wirkliche Machtbegrenzung und Kontrollinstanz gegenüber dem Kaiser. Alleiniger Gesetzgeber ist und bleibt der Kaiser. Symmachus seinerseits übermittelt lediglich pflichtbewusst den Senatsbeschluss und bemüht sich, dem Kaiser eine Bestätigung nahezulegen. Man könnte ihm das angesichts seines eigenen Verhaltens bei Ausrichtung solcher Spiele zwar als Heuchelei auslegen; das Dienstverhalten ist aber korrekt. Auch die Begrifflichkeit der Relation ist präzise. 3. Relation 13: aurum oblaticium Symmachus teilt Valentinian II. mit, dass ihm der Senat zur Feier des zehnten Jahrestages seiner Thronbesteigung, den decennalia, eine Zahlung in Höhe von 1.600 Goldpfund verspricht, § 2: Nam mille sescentas auri libras decennalibus imperii tui festis devotus ordo promisit. Tatsächlich ist diese Umschreibung als Versprechen, das den Beiklang von Freiwilligkeit hat, sehr beschönigend. Die Zahlung des aurum oblaticium durch den Senat anlässlich der Decennalienfeier des Kaisers (oder auch der Quinquennalienfeier) hat sich längst von einer freiwilligen Spende zu einer festen Verpflichtung, einer senatorischen Abgabe124, mit steigenden Beträgen entwickelt. Auch hier wird mehr als bei den letzten Jubiläumsfeiern von Valentinian I., Valens und Gratian versprochen, § 2. Mit seiner großzügigen Gabe drücke der Senat, so Symmachus, seine Zuneigung zum Herrscher aus, §§ 1 f. Gerade aus § 2 ergibt sich dann aber doch recht 124 Eine gesetzliche Regelung der Zahlungsmodalitäten für das aurum oblaticium findet sich 395 und 397 in CT VI, 2, 16 und VI, 2, 20. Zu dieser Abgabe auch: Karayannopulos, Finanzwesen, 141 ff; Delmaire, Largesses sacrées, 400 ff, und v. a. bei Rel. 30. Noch CT VI, 2, 25 (426, ad senatum urbis Romae) unterstreicht die angebliche Freiwilligkeit: Oblationem nobis amplissimi ordinis (promp)ta liberalitate promissam. Ablauf und Wortwahl gleichen der Relation. Ähnlich wie hier versprach der Senat einen bestimmten Betrag. Zum tatsächlichen Charakter als Steuer s. aber Rel. 30.
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deutlich, dass letztlich eine Verpflichtung des Senats hinter dem Versprechen steht: Senatus tamen promptus obsequii omnes officiorum partes ultro adripit, quibus indicatur adfectio, et salutare numen tuum precatur, ut in hac oblatione, quae nonnihil superioribus addidit,... . Die beschlossene Summe wird (nach ihrer Eintreibung) an die sacrae largitiones gehen125, § 3: nunc libens sume sacro aerario decreta subsidia. Umstritten ist, ob die 1.600 Pfund Gold einen großen Beitrag darstellen oder ob Symmachus mit der senatorischen Großzügigkeit nur kokettiert126. Aus dem was er schreibt, ist jedenfalls zu ersehen, dass die Summe die finanziellen Möglichkeiten der Senatoren nicht überfordert, andererseits aber auch bisherige Zahlungen dieser Art übersteigt. Als gering ist der Beitrag demnach nicht einzuschätzen. In § 3 unterstreicht Symmachus noch einmal überschwenglich die große Zuneigung des Senats zum Kaiser, die nicht in Geld auszudrücken sei. Man habe daher ein ehrliches Versprechen gegeben, denn Mäßigung gegenüber ausufernden Zahlungen sei wünschenswert, weil ansonsten die Gefahr finanzieller Überforderung der Senatoren durch perfida sponsio bestehe. Hier spricht der Stadtpräfekt offenbar Missstände wegen zu hoher kaiserlicher Forderungen an, ohne aber Valentinian II. zu nahe zu treten oder gar direkte Kritik zu üben, obgleich der Bezug zu Valentinian II., imperator primaevus, eindeutig ist. Unmissverständlich macht er dem jungen Kaiser letztlich klar, dass der Senat keinesfalls bereit ist, ständig wachsenden Forderungen zu entsprechen. Symmachus übermittelt hier wieder einmal einen Senatsbeschluss. Der Senat ist befugt, die Höhe des aurum oblaticium jedenfalls formal selbständig und frei festzulegen, auch wenn es an anderer Stelle durchaus (mögliche) Beispiele dafür gibt, dass der Kaiser mehr oder weniger offiziell wissen ließ, welchen Betrag er erwarte, vgl. etwa. Ep. II, 57127. Im konkreten Fall ist - jedenfalls offi125
Aerarium nostrum in CT VI, 2, 16; s. a. Rel. 30. McGeachy, Symmachus, 56, meint, der Betrag sei gering. Anderer Ansicht sind Lécrivain, Sénat, 71, und v. Campenhausen, Ambrosius, 182 Fn. 2. Nach Ansicht des Letztgenannten zeige die ungewöhnlich große Gabe das gute Verhältnis zwischen Kaiser und Senat. Auch Vera, Commento, 108 f, geht von einem durchaus belastenden Beitrag der Senatoren aus. Da Symmachus in § 3 aber ausdrücklich rechtfertigt, warum nicht besonders viel versprochen wird, wird die Summe nicht exorbitant hoch gewesen sein. 127 Diesen Brief, in dem von einer oblatio die Rede ist, schrieb Symmachus gegen 383 an Nicomachus Flavianus. Man vertagte damals die Senatssitzung, weil der halbamtlich, scriptis secretioribus, geforderte Betrag viel zu hoch war. Offen bleiben muss, ob ein Zusammenhang mit dem aurum oblaticium von 384 besteht. Karayannopulos, Finanzwesen, 141 Fn. 9; Vera, Commento, 178; Chastagnol, Le sénat dans l’oeuvre, 84 f; 88, und Gera/Giglio, Tassazione, 149 Fn. 79, sehen in der oblatio ein aurum oblaticium und Chastagnol hält a.a.O. eine Verbindung zwischen Ep. II, 57 und den Relationen 13 und 23, 12 jedenfalls für möglich. Dagegen spricht, dass oblatio keine eindeutige Bezeichnung für das aurum oblaticium ist (so gibt es beispielsweise auch eine oblatio equorum und eine oblatio votorum), wenn auch in Rell. 13, 2; 23, 12 und CT VI, 2, 25 (426) eben dieser Begriff dafür gebraucht wird. Der Gegenstand der oblatio in Ep II, 57 ist in der Literatur daher umstritten, vgl. die Darstellung bei Delmaire, Largesses sacrées, 406, der 126
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ziell - von solchen kaiserlichen Festlegungen indes keine Rede; die Eigenverantwortlichkeit des Senats scheint respektiert worden zu sein. Das genaue Beschlussverfahren im Senat ergibt sich nach Ansicht einiger Autoren aus Relation 23, 12: ad commune secretarium, quo faciendae oblationis gratia summates quosque conduxeram. Der Stadtpräfekt habe vor der eigentlichen Abstimmung im Senat die wichtigsten Senatoren, summates, in der Präfektur zusammengerufen und sie einen Beitrag beschließen lassen, der dann im Plenum diskutiert und endgültig beschlossen worden sei und in Relation 13 mitgeteilt werde128. Es deute sich eine Klassenaufteilung innerhalb des Senats an. An der Endentscheidung seien zwar alle Rangklassen beteiligt worden, aber zuvor habe es eine Vorentscheidung der Wichtigen gegeben, wohl der illustres als der höchsten senatorischen Rangklasse; was hier beschlossen wurde, dürfte nicht unerheblich für das Ergebnis gewesen sein. Die spätere Regelung im 5. Jahrhundert, wonach überhaupt nur noch die illustres Stimmrecht im Senat haben, bahne sich hier bereits an. Nach anderer Ansicht besagt die Textstelle in Relation 23, 12 hingegen nur, dass Symmachus die summates zusammengerufen hat, damit sie ihre Zahlungspflichten konkret erfüllen129. Das passt in der Tat besser zum Wortlaut als jene Interpretation; die summates bewirken die oblatio130. Im Übrigen wird der Beschluss über die oblatio wohl in der Kurie und nicht im commune secretarium gefasst worden sein. Ganz abgesehen davon gibt die kurze Textstelle den von Chastagnol u. a. konstruierten Verfahrensablauf auch sonst nicht her und wird ein solcher Ablauf auch durch keine weitere Quelle gestützt. Allenfalls in Ep. II, 57, 2 (s. o.) findet sich eine parallele Formulierung zu Relation 23, 12: Coacto in tractatu senatum commoneri sed et oblationem faciendam scriptis secretioribus indicavit, was nach jener Auffassung lediglich bedeuten würde, dass der Senat über die oblatio beschließen soll. Ebenso gut lässt sich diese Textstelle aber auch so deuten, dass der Senat zusammengerufen und bereits eindeutig aufgefordert wurde, eine bestimmte oblatio zu erbringen. Ein vorgegebener Betrag wird gefordert; ein bestimmtes Beschlussverfahren ist dagegen nicht erkennbar. von einem Beitrag für die Versorgung Roms ausgeht. Auch Chastagnol, Sénat, 307, glaubt mittlerweile an eine Annona-oblatio und datiert Ep. II, 57 auf Ende 389. Selbst wenn aber ein aurum oblaticium gemeint sein sollte, ist der Bezug zu 384 nicht eindeutig. Da die Datierung des Briefes letztlich unklar ist, wäre auch das 15-jährige Jubiläum denkbar. Die Annahme einer Verbindung von Ep. II, 57 und Rel. 13, die zeitlich möglich ist, würde jedenfalls erklären, warum Symmachus in Rel. 13 überfordernde Beitragsforderungen so heftig angreift. Der Senat hätte dann bereits ganz konkrete, schlechte Erfahrungen im Vorfeld der Entscheidung gemacht. Die Kritik an Valentinian II. wäre deutlich. 128 Chastagnol, Préfecture, 69; ders., Le sénat dans l’oeuvre, 85; 88; ders., Sénat, 307 f; Vera, Scandalo, 66; ders., Commento, 178; Delmaire, Largesses sacrées, 407; Giglio, Tardo impero, 45; 114. Relation 23 wäre damit vor Relation 13 zu datieren. 129 Seeck, Symmachus, CCX; Martínez-Fazio, Basílica, 141 ff. Bei Barrow, Prefect, 133, heißt es: „make the present“. 130 Dass oblatio in Rel. 23 das aurum oblaticium aus Rel. 13 meint, ergibt sich aus der Tatsache, dass für 384/385 keine weitere oblatio des Senats, etwa eine Nahrungsspende, bekannt ist.
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Wenn jene außerdem argumentieren, alle Senatoren seien zur Zahlung der oblatio verpflichtet gewesen, so steht dem Relation 30 entgegen, aus der sich ergibt, dass die Zahlungspflicht für das aurum oblaticium vom Vermögen abhängig war, § 1: Luciano monente, qui census senatorios ante tractavit, quod oblativis functionibus eadem domus esset obnoxia. Die Zahlungspflicht ist nicht allgemein, sondern trifft nur bestimmte Familien. Und auch aus den von Vera a. a. O. zur Stützung seiner Ansicht genannten Gesetzesstellen131, die im Übrigen alle später als 384/385 datieren, ergibt sich nicht notwendigerweise, dass alle Senatoren zur Zahlung verpflichtet waren, wenn sie auch wie Symmachus stets vom Senat als verpflichteter Gesamtheit sprechen. Konkret wurde die Steuer offenbar nur von einigen (wenigen) bezahlt. Auch die Höhe der Zahlungspflicht wird in Relation 30, 1 genau unterschieden, war also nicht für alle Senatoren einheitlich, sondern je nach Vermögensverhältnissen abgestuft. Dass es dabei auf den jeweiligen Grundbesitz ankam, zeigt CT VI, 2, 16 (395); wie bei der gleba (dazu bei Relation 46) wurde die Zahlungspflicht vermutlich danach bemessen. In genannter Konstitution zeigt sich auch, dass die in Rom lebenden Senatoren ihren Beitrag an den Stadtpräfekten und die in den Provinzen den ihren den censuales entrichteten. Die in Rom lebenden Verpflichteten hatte Symmachus daher wohl in Relation 23 zu sich einbestellt. Als Stadtpräfekt ist er für die Erhebung der Abgabe in Rom verantwortlich und eben um die Einziehung in seinen Amtsräumen geht es in Relation 23. Summates meint insoweit vermutlich die vermögendsten Senatoren132; es sind nicht unbedingt technisch die illustres gemeint. Das überzeugt mehr. Zeitpunkt der Decennalienfeier von Valentinian II. ist der 22. November 384. Nach anderer Ansicht 385, denn Valentinian wurde am 22. November 375133 zum Kaiser erhoben134. Jedenfalls der Beginn der Zehnjahresfeier aber ist im November 384 anzusetzen. (Nur) in jenem Jahr war Symmachus Stadtpräfekt und übermittelt einige Zeit vor dem Jahrestag - das Geld muss erst noch eingetrieben werden, um dann feierlich im November übergeben zu werden - den Senatsbeschluss in Relation 13. Er vertritt darin senatorische und damit auch eigene (Vermögens-)Interessen, wenn er vor überzogenen Forderungen gegen 131
CT VI, 2, 16 (395); CT VI, 2, 20 (397); CT VI, 2, 25 (426). Summates könnte grundsätzlich auch Synonym für die Senatoren allgemein sein. Wahrscheinlich sind aber mit diesem Begriff nur die (hier: wirtschaftlich) führenden Senatoren gemeint, so wie summates in Rell. 27, 2 und 49, 3 die leitenden Ärzte der Korporation bzw. die führenden Stadträte meint. 133 Kienast, Römische Kaisertabelle, 330. 134 Für 384: Enßlin, RE-Valentinianus II, 2215; Chastagnol, Fastes, 224; ders., Sénat, 305; Kienast, Römische Kaisertabelle, 330; Vera, Commento, 110; Delmaire, Largesses sacrées, 404. Für 385: Seeck, Symmachus, CCX; Karayannopulos, Finanzwesen, 142; Wissowa, RE-Decennalia, 2267; Martínez-Fazio, Basílica, 142 ff. Überzeugend stellt Callu, Lettres I, 186 Fn. 2, auf das ganze Jubeljahr bis November 385 ab. Die Feier wurde 384 eröffnet, der Beschluss über das aurum oblaticium liegt vor dem 22. Nov. 384, die Rel. 13 datiert um diese Zeit. Ein Jahr später ist Symmachus gar nicht mehr im Amt. 132
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diesen Stand warnt. Abgesehen von unverzichtbaren rhetorischen Ausschmückungen drückt er sich deutlich aus und fordert unverblümt vom Kaiser Mäßigung auch für die Zukunft. Juristisch gesehen ist diese Relation ansonsten unproblematisch. In der Zusammenschau mit den Relationen 23 und 30 zeigt sich die konkrete Erhebung der Abgabe und die Kompetenz des Senats, der jedenfalls ein Mitspracherecht hinsichtlich ihrer Höhe hat. Tatsächlich aber handelt es sich weitgehend um eine Scheinfreiheit, da der Druck ständig steigender Beiträge groß war - und dem fügt man sich auch hier. 4. Relation 45: Die Liste der neugewählten Magistrate und der neugeborenen clarissimi Symmachus schickt mit einem knappen Begleitbrief, der Relation 45, Valentinian II. (die Angelegenheit betrifft ausschließlich den Westsenat) die Listen mit den neugewählten Magistraten sowie den neugeborenen Senatoren. a) Zum einen werden dem Kaiser die Namen der vom Senat neugewählten Magistrate mitgeteilt: Devotione et more commonitus magistratuum nomina, quibus varias functiones designationum tempore amplissimus ordo mandavit, ad aeternitatis vestrae perfero notionem, ut muneribus exhibendis aut subeundis fascibus destinatos cognitio imperialis accipiat. Der Senat hat selbständig, d. h. ohne dass es eines Vorschlags des Kaisers bedurfte, Quästoren, Prätoren und Suffektkonsuln135 gewählt. Diese Ämter sind noch immer Einstieg zur klassischen senatorischen Laufbahn (s. schon Relationen 5 und 8) und Symmachus bezieht sich mit seiner Begrifflichkeit von den „varias functiones“ ganz offensichtlich auf die Wahl in eben diese drei Ämter. Der 9. Januar ist als Wahltag für Prätoren durch Ep. I, 44, 2 i.V.m. Or. V, 4 (376) bezeugt. Derselbe Tag galt wohl für die Wahl der Suffektkonsuln und die Quästoren wurden sehr wahrscheinlich am 23. Januar gewählt. Aus diesem Grunde lässt sich Relation 45 ziemlich genau datieren auf ein Datum zwischen dem 23. Januar und Mitte Februar 385, als Symmachus aus dem Amt schied136. Im Gesetz genau geregelt ist nur die Prätorwahl, doch ist nach anderen Quellen davon auszugehen, dass die beiden anderen Magistraturen in einem vergleichbaren Verfahren (wohl mit kürzeren Fristen) besetzt wurden. Die Prätorwahl durch den Senat wird bereits bezeugt durch CT VI, 4, 14 und 15 (359) und das Verfahren, wie es sich für 372 aus CT VI, 4, 21 und aus weiteren Quellen wie Or. V, 4 (376) und Epp. IV, 59 (398)137 und IX, 24 ergibt, ist insgesamt zwei135
Zum Wahlverfahren, das aus Rel. 45 nicht im Einzelnen hervorgeht, ausführlich: Chastagnol, Observations, 243 ff; ders., Modes, 191 ff; ders., Préfecture, 74 f; Vera, Commento, 330 ff; Löhken, Ordines dignitatum, 128 ff speziell zur nominatio. 136 Zur Datierung und zu den Wahlterminen: Vera, Commento, 332-334; sich anschließend Chastagnol, Le sénat dans l’oeuvre, 86. 137 Dazu: Callu, Lettres II, 139 Anm. 1.
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phasig. Das hier von Symmachus mitgeteilte Wahlergebnis betrifft die erste Phase, die designatio, die der Senat 10 Jahre vor der tatsächlichen Ausübung des Amtes vornimmt. Der Senat wählt frühzeitig die künftigen Amtsinhaber und auch Ersatzleute, falls designati vorzeitig versterben sollten. Die designierten Magistrate sind in der Regel junge Knaben (vgl. die Schutzvorschriften CT VI, 4, 1 und 2), deren Familien sich innerhalb der 10 Jahre138 auf das Amt vorbereiten und das nötige Geld für die Ausrichtung der Spiele (vgl. Relation 8) zusammenbringen können. Ein Jahr vor Amtsantritt (vgl. die genannten Briefe des Symmachus139) erfolgt dann die nominatio: Die einzelnen Magistraturen (es gibt z. B. in Rom jährlich drei Prätoren, den praetor urbanus, tutelarius und triumphalis) werden vom Senat (CT VI, 4, 8 (356)), später von censuales des officium censuale unter den designati verteilt. Die Kandidaten werden von ihrer Nominierung benachrichtigt und müssen sich in Rom auf ihr Amt vorbereiten. Die Neugewählten sind zumeist junge Senatorensöhne, die in die klassische Laufbahn streben, mitunter aber auch homines novi. Symmachus differenziert insoweit nicht, sondern enthält sich jeden Kommentars über die Gewählten. Rechtlich interessant in Relation 45 ist die Frage, ob der Kaiser hier um Zustimmung zum Wahlergebnis gebeten wird und diesem erst Rechtsverbindlichkeit verleihen soll. Aus CT VI, 4, 15 (359)140 ergibt sich insoweit noch, dass der Kaiser vom Wahlergebnis nicht einmal informiert werden möchte. CT VI, 4, 21, 1 (372), die Norm, nach der auf den ersten Blick auch 384 das Wahlverfahren abzulaufen scheint, regelt dann aber, dass der Kaiser nach der designatio vom Wahlergebnis, d. h. von den Namen der Kandidaten umgehend durch den Stadtpräfekten zu informieren ist. Das jedenfalls tut Symmachus. Doch bleibt die Frage, ob der Kaiser nur informiert wird oder ob Symmachus nicht sogar um ausdrückliche Billigung bittet. Das genannte Gesetz schreibt eine kaiserliche Zustimmung nicht vor; es verlangt nur, dass die Namen der Gewählten bekannt gemacht werden, um zu vermeiden, dass sich die Designierten ihren Pflichten entziehen. Denkbar ist jedoch, dass sich seit 372 die Rechtslage geändert hat und im Jahre 385 kaiserliche Billigung erforderlich war. Manche Autoren gehen aufgrund der Formulierung bei Symmachus in der Tat davon aus, dass die Bestätigung erforderlich gewesen sei, der Senat also auch in diesem Bereich nur Kompetenzen unter dem Vorbehalt kaiserlicher Zustimmung habe ausüben können141. Andererseits schreibt Symmachus, wie er sagt devotione et more commonitus, aus Verehrung und altem Brauch, was eher darauf hindeutet, 138 Wobei Or. V, 4 (376) zeigt, dass die vollen 10 Jahre in der Praxis offenbar nicht selbstverständlich gewährt bzw. in Anspruch genommen wurden, denn hier bittet Symmachus im Senat um Gewährung eben dieser Frist für einen designierten Prätor. 139 CT VI, 4, 22 (373) entspricht als Ostvorschrift (vgl. Chastagnol, Observations, 246) nicht ganz der westlichen Praxis, etwa im Hinblick auf die Jahresfrist. 140 Wetzler, Rechtsstaat, 190, glaubt, dass es sich bei dieser Norm um ein Ostgesetz handelt. Dagegen steht allerdings der äußere Anschein; s. a. Seeck, Regesten, 206. 141 Mommsen, Staatsrecht II/2, 928 f; Lécrivain, Sénat, 68; Vera, Commento, 331; Garbarino, Appunti, 532 f Fn. 46 unter Verweis auf CT VI, 4, 21.
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dass es nicht einmal (mehr) eine gesetzliche Pflicht gab, den Kaiser zu informieren. Man tut dies aus Gewohnheit und bittet den Kaiser der Höflichkeit halber devot um sein Einverständnis, das für die Wirksamkeit der Wahl jedoch nicht erforderlich ist142. Für dieses Ergebnis spricht, dass Symmachus sein Schreiben mit den genannten Worten, nach denen es offenbar gerade keine gesetzliche Verpflichtung gab, die ihn zum Schreiben anhält, einleitet und dass er außerdem dem Kaiser die Kandidaten mit keinem Wort nahelegt, was er doch sehr wahrscheinlich täte, wenn ihre Wahl noch nicht gesichert wäre, sondern vom kaiserlichen Ermessen abhinge. Er scheint keine Antwort zu erwarten. Verglichen mit den Relationen 8 und 12, in welchen der Kaiser zur Billigung der jeweiligen Senatsentscheidung ausdrücklich aufgefordert wird und noch überzeugt werden soll, ist die Wortwahl vorliegend eine ganz andere143. Symmachus teilt hier lediglich nüchtern das bereits verbindliche Wahlergebnis zur Kenntnisnahme mit. Vergleichbar zu CT VI, 4, 15 ergibt sich eine endgültige Senatskompetenz. So ist auch in späteren Kaiserkonstitutionen, den Reden und Briefen des Symmachus in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit einer kaiserlichen Zustimmung nie die Rede, wenngleich der Kaiser im Einzelfall nicht gehindert war, sein Veto einzulegen. Dem Senat waren insoweit eigene Kompetenzen zugestanden, die vom Kaiser umso leichter zu akzeptieren waren, als die Bedeutung der betreffenden Ämter gering war und den Inhabern in erster Linie Kosten verursachten. Auch für das Prätoramt, mit dem immerhin, wie die Relationen 16, 19 und 39 zeigen, noch Kompetenzen verbunden waren, war eine kaiserliche Bestätigung allenfalls reine Formsache. Es geht um senatorische Magistrate, nicht um kaiserliche Beamte. Der Kaiser verzichtet nicht nur regelmäßig darauf, selbst Kandidaten zu empfehlen, sondern zieht sich aus der Entscheidung ganz zurück, sie als senatseigene Angelegenheit akzeptierend. Dem steht auch Or. IV, 7 (pro patre, 376 im Senat) nicht entgegen, worin die Designierung von Symmachus’ Vater zum Konsul für 377 als Werk von Senat und Kaiser hingestellt wird: Inter senatum et principes comitia transiguntur: eligunt pares, confirmant superiores. Idem castris quod curiae placet. Der Senat wählt und der Kaiser bestätigt danach zwar, doch ist damit das ordentliche Konsulat als Krönung der Karriere gemeint und nicht etwa ein Suffektkonsulat144. Nur dieses ist eigene Angelegenheit des Senats. Die ordentlichen Kon142 Zu diesem Ergebnis kommt auch Chastagnol, Observations, 245; ders., Préfecture, 74; ders., Le sénat dans l’oeuvre, 87, mit dem Verweis auf CT VI, 4, 15. 143 Rel. 8, 3: lex augusta confirmet; Rel. 8, 4: lege solidentur; patrum decreta firmetis; Rel. 12, 4: clementiae vestrae testimonio cuncta servanda sunt. Hier: ut...cognitio imperialis accipiat. Das bedeutet nicht Billigung, sondern ist im Satzzusammenhang als Information zur Kenntnisnahme zu verstehen. 144 Chastagnol, Fastes, 159 ff, stellt die Karriere von L. Aurelius Avianius Symmachus Phosphorius detailliert dar. Er war Stadtpräfekt von Rom in den Jahren 364-365. CIL VI, 1698 bezeugt sein Konsulat irrig zwischen dem Vikariat von Rom und der Stadtpräfektur. Tatsächlich wurde er 376 als ordentlicher Konsul für 377 designiert. Es geht um die Krönung seiner erfolgreichen Karriere, insofern kommt nur das ordentliche
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
suln hingegen ernennt der Kaiser aus eigenem Ermessen; zwar kann der Senat am Verfahren beteiligt sein, doch ist das nicht entscheidend. Die Rede liefert also kein Argument hinsichtlich eines kaiserlichen Zustimmungserfordernisses. Das von Symmachus in Relation 45 beschriebene Verfahren im Hinblick auf die kleinen Magistraturen ist nicht mit dem für das ordentliche Konsulat vergleichbar. Festzuhalten ist daher, dass der Senat die designatio für die senatorischen Magistraturen wahrscheinlich selbständig vornehmen und eine rechtsverbindliche Entscheidung treffen kann. Symmachus teilt dem Kaiser nur die Namen der Gewählten mit. Auch diese Kompetenz des Senats betrifft, wie jene aus den Relationen 5, 8 und 13 eigene Angelegenheiten. b) Außerdem schickt Symmachus dem Kaiser eine Liste der Kinder, die in jüngster Zeit in senatorischen Familien geboren wurden und damit kraft Geburt clarissimi sind: His copulati sunt, quos senatui vestro recens ortus adiecit. Prolixus in talibus rebus esse non debeo, cum decreti publici fides gestorum potius insinuationem postulet quam largum referentis eloquium. Zur Senatorenschaft kraft Geburt vgl. etwa CT VI, 2, 13 (383): Si quis, senatorium consecutus...vel generis felicitate sortitus... . Maßgeblich ist die Abstammung von einem senatorischen Vater und in Rom wird zu diesem Zweck bei der Stadtpräfektur (genauer: im officium censuale) ein Geburtsregister geführt, um einen genauen Überblick über den senatorischen Nachwuchs zu haben, sicherlich nicht zuletzt zu fiskalischen Zwecken. Daher werden möglicherweise auch die Namen der neugeborenen Mädchen mitgeteilt worden sein. Die Namen der neugeborenen Senatoren teilt Symmachus aufgrund eines decretum publicum mit; es gab also eine Vorschrift, den Kaiser (kurz) zu informieren. Relation 45 zeigt auch anschaulich, dass man damals ordo senatorius und Senatsversammlung begrifflich nicht mehr trennte (s. schon m. N. bei Relation 5), denn nach Symmachus hat der amplissimus ordo die Magistrate gewählt und sind die Neugeborenen in den senatus gelangt. Beides stimmt nicht genau; gewählt hat die Versammlung und die Neugeborenen sind zwar Mitglieder des Standes, sitzen aber gewiss nicht in der Versammlung. Aber beides ist Senat; Symmachus unterscheidet nicht, der Sinn in Relation 45 ist eindeutig. Man kann Symmachus wohl auch nicht vorwerfen, er schreibe untechnisch und sorglos, denn immerhin handelt es sich um ein offizielles Schreiben an den Kaiserhof, bei dem er sich nicht zweimal „vertan“ haben wird. Geburt macht also zum Senator. Davon zu trennen ist die Stimmberechtigung, die durch die Prätur erworben wird (s. bei Relation 5). Die neugeborenen Senatoren machen ihre Karriere sogleich innerhalb des Senats. Soweit manche Autoren meinen, dass diese Konsulat in Betracht, vor dessen Antritt er verstirbt. Chastagnol, Fastes, 163, nimmt dementsprechend das ordentliche Konsulat als selbstverständlich an. Auch Pabst, Reden, 272 Fn. 439, hält das ordentliche Konsulat für wahrscheinlicher. Mommsen, Staatsrecht II/2, 928, meint hingegen, dass in genannter Rede das Suffektkonsulat gemeint sei. Das bedeutete, dass der Kaiser, der vorliegend mitentscheidet, auch bei den drei kleinen senatorischen Magistraturen zumindest die Senatswahl hätte bestätigen müssen.
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Neugeborenen erst mit Ausübung der Prätur zu wirklichen Senatoren im Sinne von Mitgliedern nicht nur des Standes, sondern auch der Versammlung werden145, stehen dem nicht nur Relation 45, sondern auch die von Garbarino146 ausgewerteten Quellen, nämlich verschiedene Konstitutionen und etwa Or. VIII, Epp. V, 62 und 65 entgegen, die belegen, dass der Senatorentitel unabhängig von der vorherigen Ausübung einer Magistratur ist. Insgesamt handelt es sich bei Relation 45 um ein sachlich und knapp formuliertes Routineschreiben. Symmachus übermittelt als praefectus urbi das Ergebnis von Senatsabstimmungen und Registerauszüge ohne jede persönliche Anmerkung und fasst sich ausdrücklich kurz; der Kaiser soll die Informationen nur zur Kenntnis nehmen. Das Verfahren ist beiden Seiten hinreichend bekannt. 5. Relation 46: Steuerlisten Relation 46 ist ein weiteres Begleitschreiben in senatorischen Angelegenheiten. Symmachus übermittelt Valentinian II. (formal allen drei Herrschern, § 1, es geht aber um den römischen Senat) die aktuellen Steuerlisten des Senats und die Namen der neuaufgenommenen Senatoren, um dem Kaiser einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Einnahmen aus senatorischen Steuern, insbesondere der gleba147, zu erwarten sind: Etiamsi prisca institutio mittendis ad clementiam vestram censuum brevibus cursum vel ordinem non dedisset, ddd. imppp...., diligentia tamen boni saeculi fidem publicae instructionis exigerit. Ganz konkret schickt er gemäß einer offenbar lange schon bestehenden Regel Auszüge aus den Zensusregistern und berichtet über Neuzugänge zum Senat und Befreiungen von der gleba: convenit principes ...edoceri, quid reverendo ordini vel senatorum novorum accessus adiciat vel glebae excusationibus detrahatur. Diese üblichen, sollemniter, vierteljährlichen Berichte148 aus dem officium censuale, indicium trimestris instructio (§ 2), geben genauestens darüber Auskunft, wieviele neue Senatoren dazugekommen sind und welche 145 Lécrivain, Sénat, 12 ff; Chastagnol, Modes, 191; ders., Le sénat dans l’oeuvre, 73 ff; ders., Sénat, 276; Barrow, Prefect, 225; Delmaire, Largesses sacrées, 376. 146 Ricerche, 82 ff. 147 Diese Steuer, auch collatio glebalis, follis senatorius u. a. genannt, wurde von den Senatoren zusätzlich zur normalen Grundsteuer (= Naturalsteuer: capitatio/iugatio) jährlich auf ihren Grundbesitz (in Geld) erhoben und von den censuales eingezogen. Es gab verschiedene Steuersätze und einen Mindestsatz von zwei folles für bestimmte Senatoren ohne Grundbesitz, CT VI, 2, 13 von 383. Zu ihr: Karayannopulos, Finanzwesen, 126 ff; Seeck, RE-Collatio glebalis, 365 ff; Gera/Giglio, Tassazione, 137 ff; Delmaire, Largesses sacrées, 374 ff. Die Register waren auch relevant für das aurum oblaticium, vgl. bei Rel. 30. 148 Wie schon im ersten Teil angemerkt, kann aus dieser Angabe nicht auf Unvollständigkeit der überlieferten Relationen geschlossen werden, denn Relation 46 begleitet zusätzliche Informationen außer den Routineberichten, die für sich genommen wohl üblicherweise formlos, d. h. ohne offizielles Begleitschreiben, übermittelt wurden.
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Zugänge und Abgänge an steuerpflichtigem, senatorischem Vermögen registriert wurden: ut maiestas vestra cognoscat, qui in amplissimam curiam collegarum numerus influxerit, et quid censibus senatoriis aut nova149 professio incrementi dederit aut exemptio veteris amputarit. Leider sind all diese Unterlagen nicht erhalten. Geborene und neuaufgenommene (vgl. dazu Relation 5) Senatoren mussten ihren Grundbesitz bei den censuales150 offiziell angeben: professio. Diese Informationen wurden beim officium censuale registriert, das für die Steuererhebung zuständig war und die Senatoren je nach Grundbesitz in die verschiedenen Steuerklassen einstufte. Der kaiserliche Hof war von den zu erwartenden Steuereinnahmen zu unterrichten und der praefectus urbi schickte hierzu an die Büros der sacrae largitiones vierteljährlich Registerauszüge, instructio, die er seinerseits vom officium censuale erhielt. Relation 46 ist Begleitschreiben einer solchen instructio. Außerdem werden im officium censuale alle Senatoren registriert und insoweit wird die aktuelle Liste übermittelt mit den Neuzugängen und ohne die Ausgeschiedenen. Die beschriebenen Deklarations- und Mitteilungspflichten ergeben sich weitestgehend aus CT VI, 2, 13 (383) und im vorliegenden Fall verläuft offensichtlich alles so, wie es das Gesetz befiehlt. Rechtlich interessant und umstritten sind nun drei Punkte. Zum einen die Frage, wann die Vermögenserklärungen von geborenen Senatoren zu machen waren, zum anderen, ob sich aus Relation 46 ergänzende Informationen zu den Relationen 5 und 45 über das Verfahren der Aufnahme neuer Senatoren ergeben, und zum dritten, was es mit den „Befreiungen“ von der gleba auf sich hat. a) Wann mussten geborene Senatoren ihre professio abgeben? Manche Autoren meinen, dass die Erklärung bei der Ausübung der Prätur abzugeben war, was sich aus CT VI, 4, 7 (354) ergeben soll: professionem edere151. Diese Konzeption hängt mit der hier verworfenen (s. Relation 45) 149
Seeck, Symmachus, 315: novi. In den Manuskripten übereinstimmend wie hier; s. a. Vera, Commento, 337. 150 Vorliegend geht die Information von Rom nach Mailand, daher nahmen wohl zunächst die censuales die Angaben auf und dies entspricht auch dem aus der Relation nachvollziehbaren Ablauf. Einen anderen Ansatz zu CT VI, 2, 13 (383) vertritt insoweit Chastagnol, L’„adlectio“; ders., Sénat, 298 ff: Die professio Neuaufgenommener ging an Beamte der sacrae largitiones in Rom (palatina scrinia), die dem officium censuale regelmäßig Doppel übermittelten, das dann in eigenen Registern die Informationen festhielt - neben denen der neuen Prätoren, die sich direkt an die censuales wandten. Die Finanzbüros prüften die Richtigkeit der Angaben und informierten den Kaiser in einer schriftlichen Darstellung, instructio. Jones, Census records, liefert allgemeine Beispiele für Eintragungen in Zensusregister, in denen Landgröße und -struktur verzeichnet wurden, was dann die Besteuerungsgrundlage bildete. Ähnliches galt in Rom und Italien für die senatorische gleba. 151 Chastagnol, Modes, 191; ders., L’ „adlectio“, 393 f; ders., Sénat, 298 f; Delmaire, Largesses, 376. Abzulehnen ist die Auffassung von Lécrivain, Sénat, 13, der meint, dass
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Auffassung zusammen, dass geborene Senatoren erst mit der Prätur in die Senatsversammlung gelangen. Erst dann sei die professio abzugeben und entstehe die Pflicht des jungen Senators, selbst die gleba zu entrichten. Gegen diesen Ansatz ist wieder anzuführen, dass die Prätur mit dem Eintritt in die Versammlung nichts zu tun hat, vor allem aber, dass CT VI, 4, 7 für geborene und neuaufgenommene Senatoren gleichermaßen gilt. Auch letztere können Prätor werden. Beide müssen die professio abgeben, müssen aber nicht notwendigerweise die Prätur bekleiden. CT VI, 4, 7 ist insoweit eine allgemeine Vorschrift, die nichts darüber sagt, wann geborene Senatoren ihre professio abgeben müssen; sie besagt nur, dass im Falle der Ausübung der Prätur in jedem Fall in Rom eine aktuelle professio abzugeben war. Alle Senatoren sind aber unabhängig davon zur professio verpflichtet, denn alle senatorischen Ländereien sollen steuerlich erfasst werden. Entscheidende Vorschrift ist CT VI, 2, 13. Theoretisch entsteht daher für den geborenen Senator mit dem Zeitpunkt der Geburt die Verpflichtung, seine Vermögensverhältnisse dem officium censuale offenzulegen. In der Praxis wird es dazu jedoch erst gekommen sein, wenn der junge Senator eigenes Vermögen erworben hat152. Die Pflicht zur professio und die Steuerpflicht sind unabhängig von der Bekleidung eines Amtes; sie treffen grundsätzlich alle Senatoren, unabhängig vom Alter153, ebenso wie die senatorischen Privilegien bereits ab Geburt bzw. Neuaufnahme in den Senat gelten. b) Die neu aufgenommenen Senatoren Die homines novi wurden von den censuales registriert und mussten eine professio über ihren Grundbesitz abgeben. Das ergibt sich aus CT VI, 2, 13 und dementsprechend teilt Symmachus dem Kaiser die Zahl der Neuzugänge zum Senat durch Aufnahme unter Beteiligung von Senat und Kaiser mit, wie sie hier bei Relation 5 beschrieben wurde. Neuzugänge zum Senat kraft Geburt wurden ja schon in Relation 45 mitgeteilt. Symmachus schreibt: senatorum novorum accessus und: qui in amplissimam curiam collegarum numerus influxerit. Garbarino154 nimmt nun dieses Schreiben als Beweis dafür, dass das Verfahren für die Aufnahme in den Senat nur zweistufig gewesen sei, denn der Kaiser habe nach der Senatsentscheidung offensichtlich nicht mehr zugestimmt. Das Senatsvotum habe das Verfahren abgeschlossen und der Kaiser müsse daher nun über die letztlich Aufgenommenen informiert werden, denn er kenne die Nader junge Senator mit 18 Jahren seine professio abgeben musste. Von einer Altersgrenze in diesem Zusammenhang ist in den Quellen nie die Rede. 152 Garbarino, Ricerche, 104; 161 ff, geht davon aus, dass die professio von einem geborenen Senator praktisch erst mit Eintritt der Vermögensfähigkeit und Neuerwerb von Vermögen zu machen war, denn erst dann liege ein steuerlich relevanter (neuer) Sachverhalt vor. 153 Vgl. auch Rel. 30 zur Abgabenforderung gegen senatorische Frauen. Sie besitzen ererbtes, senatorisches Vermögen, das registriert war. 154 Ricerche, 233 f. S. schon ausführlich bei Rel. 5.
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men noch nicht. Dagegen ist einzuwenden, dass hier ein ganzer Registerauszug an den Hof übermittelt wird, der vom officium censuale routinemäßig zusammengestellt wurde. Das schließt nicht aus, dass der Kaiser mit den Kandidaten früher schon einmal befasst war. Am Hof gibt es bislang jedoch keine solche Zusammenstellung, schon gar nicht mit Vermögenserklärung der neu Aufgenommenen. Es werden die Namen in Verbindung mit der professio, also neue Informationen über die zu erwartenden Steuern überbracht. Über das Aufnahmeverfahren, das dem vorausgegangen ist, erfährt der Leser hier nichts. Auch Relation 46 beweist daher weder das zwei- noch das dreistufige Verfahren. Es bleibt denkbar und wahrscheinlich, dass der Kaiser auch hier (vgl. das dreistufige Gesetzgebungsverfahren in Relation 8) das letzte Wort hatte. Mit einer adlectio inter praetorios bzw. inter consulares durch den Kaiser war jedenfalls nicht zugleich eine Befreiung von der Senatorensteuer verbunden, so dass auch diese ehrenvolle Einstufung im Senat finanzielle Belastungen mit sich brachte. Nicht zu vergessen ist, dass der Neuzuwachs hier auch diejenigen erfasst, die erst durch kaiserliche Ernennung in ein hohes Amt Senatoren geworden sind. All diese neuen Senatoren werden (wie die geborenen Senatoren) aufgrund ihrer nova professio, die neue Steuereinnahmen erwarten lässt, zur gleba herangezogen. c) Was hat es mit den „Befreiungen“ von der gleba auf sich? Symmachus schreibt dazu: quid reverendo ordini...glebae excusationibus detrahatur und: quid censibus senatoriis...exemptio veteris amputarit. Einige Autoren meinen, Symmachus teile hier die Namen derjenigen mit, die mangels Vermögen aus dem Senat und damit aus den gleba-Registern ausgeschieden seien, weil sie senatorische Pflichten wie die Bezahlung der gleba nicht erfüllen konnten155. Einen solchen Fall beschreibt auch Or. 8, in der von einem jungen Senator die Rede ist, der wegen Vermögenslosigkeit auf Antrag seiner Mutter und nach kaiserlicher Billigung aus dem Senat ausgeschieden ist156, und Ep. IV, 67 (386-387) berichtet von einem Fall, in dem der Kaiser einem verarmten Senator durch finanzielle Unterstützung helfen soll, um den dauerhaften Verlust der senatorischen Würde zu verhindern. Symmachus bittet den Prätorianerprä155 Lécrivain, Sénat, 81; McGeachy, Symmachus, 95 f; Vera, Commento, 335 f; Delmaire, Largesses sacrées, 375; 383 f (nach dessen Ansicht könnte es sich aber auch um eine Befreiung durch den Kaiser gehandelt haben, s. sogleich). 156 Anders Löhken, Ordines dignitatum, 127 Fn. 72: Nicht Aufgabe der Standeszugehörigkeit, sondern „erbetener“ Verzicht auf die Quästur. Eine solche Bitte um eine billige Quästur aber kommt allenfalls für die aktuelle Situation in Frage, nachdem der Senatorenstatus wieder zuerkannt scheint. Die Niederlegung der ornamenta filii vor die Füße des Kaisers (§ 2), von der die Rede ist, war mehr als ein Verzicht auf die Quästur. Verfehlt insoweit auch die Ausführungen Löhkens a.a.O. zu Or. VIII, 3. Es geht ersichtlich um die Statusfrage. Der Betroffene muss jetzt „ganz unten“ als Quästor wiedereinsteigen und will den verlorenen Senatorenstatus wiedererlangen: agitur in votum recuperandi, quod genere quaesiverat...adversum se supplicat pro senatu. S. a. Or. VIII, 4.
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fekten um Beistand in diesem Fall. Ein Statusverlust infolge Verarmung kam also vor. Solche Fälle könnten auch hier gemeint sein: Senatoren, die aus dem Stand ausgeschieden sind. Das trifft jedenfalls für die Formulierung in § 1 zu: Verkleinerung des Senats durch excusatio glebae, d. h. Befreiung von der gleba im Zusammenhang mit Ausscheiden aus dem ordo. Fraglich ist aber, ob nicht, zumindest mit der offeneren Formulierung in § 2 auch Befreiungen von der gleba-Pflicht für bestimmte Senatoren ohne Statusverlust gemeint sind. Die Begrifflichkeit der exemptio scheint das nahezulegen, wenngleich der Fachbegriff für Steuerbefreiung immunitas ist. Umstritten ist, ob und wenn ja durch wen solche Befreiungen gewährt werden konnten. Die Gesetze, insbesondere CT VI, 2, 13, sehen keine Befreiung von der gleba vor, wenngleich immer wieder bestimmte Personengruppen von der gleba - und anderen senatorischen Lasten - befreit waren157. Hier übermittelt Symmachus aber bloße Einzelfälle, insbesondere wohl von ehemals verpflichteten Personen. Und in der Tat gibt es auch in seinen Privatbriefen mehrere Fälle, die möglicherweise Befreiungen von der gleba wegen Verarmung behandeln: In Ep. IV, 61 (398) erstrebt ein verarmter Neu-Senator Befreiung von Verpflichtungen. Da nach § 2 quaesitores glebae senatoriae seine Vermögenslosigkeit zu prüfen haben, geht es hier offensichtlich (auch) um eine Befreiung von der Mindest-gleba158. Er könne, so Symmachus, veniam pleniorem erwarten, wenn seine Armut erwiesen sei. Unklar ist allerdings, wer letztlich über die Befreiung zu befinden hat; mit dem Fall befasst ist bislang der Stadtpräfekt Felix und auch der Adressat Euphrasius159 war wohl irgendwie berufen. Genannt wird in diesem Zusammenhang auch Ep. V, 58 (397). Dort geht es allerdings, wie Delmaire richtiggestellt hat160, nicht um eine Befreiung von der gleba, sondern um eine exemptio muneris, d. h. eine Befreiung von senatorischen Ämtern, über die der Senat zu befinden hat. Und auch Or. 8 behandelt lediglich die Möglichkeit, auf teure Quästorspiele zu verzichten. Der Senat kann dort von einem Amt bzw. den teuren Amtspflichten befreien, nicht von der gleba. Es bleibt also nur Ep. IV, 61 als Beispiel dafür übrig, dass eine Freistellung von der gleba bei finanzieller Überforderung im Einzelfall möglich war. Vielleicht 157 Etwa die Ärzte: CT XIII, 3, 2 (320); XIII, 3, 12 (379); s. a. VI, 2, 26 (428) zu bestimmten Berufsgruppen und Hofbeamten. Zeitweise befreite der Kaiser auch Senatoren aus bestimmten Regionen von der gleba, z. B. 384 jene aus Macedonia, weil sie durch Barbareneinfälle besonders belastet waren: CT VI, 2, 14 an den Stadtpräfekten des Ostens; 408 wird durch CT XI, 28, 4 Italien von der gleba und der normalen Grundsteuer, iugatio, befreit. 158 So auch Lécrivain, Sénat, 82; Vera, Commento, 336; Chastagnol, Sénat, 301 f. Nicht überzeugend ist die Auffassung von Delmaire, Largesses sacrées, 384 f, der glaubt, es gehe dort um einen Dispens von senatorischen Ämtern. 159 PLRE II, Euphrasius 1, 425: Sonst unbekannt. Er lebt in Spanien, soll sich für einen armen Senator einsetzen und ist wohl Amtsträger. 160 Largesses sacrées, 384. Abzulehnen ist die Ansicht, die meint, es sei um eine Befreiung von der gleba gegangen, die vertreten wird von Vera, Commento, 336; Chastagnol, Sénat, 302 f.
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geht auf diesen Brief dann CT VI, 2, 21 (398 an den Stadtpräfekten Felix) zurück. (Erst) hier wird eine persönliche Befreiung von der gleba grundsätzlich ausgeschlossen und nur Spanien vorläufig freigestellt. Eine Freistellung im Einzelfall erscheint gegenwärtig also durchaus möglich und wurde angesichts des in CT VI, 2, 13, 2 genannten Mindestsatzes von 2 folles, der nicht ganz gering gewesen sein dürfte161, von verarmten und damit überforderten Senatoren sicherlich auch bisweilen erbeten. Allerdings hatte der Kaiser diesen Betrag ausdrücklich festgelegt, damit möglichst alle Senatoren die gleba bezahlen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass der Senat gegenüber seinen Mitgliedern in Eigenregie Befreiungen davon erteilen konnte162. Eine Steuerbefreiung im Einzelfall war also vermutlich nur durch den Kaiser möglich163. Die exemptio konnte damit zum einen die Dispense bezeichnen, die der Kaiser bestimmten neuen (evtl. gleich bei ihrem Eintritt) Senatoren gewährte und die von den censuales anlässlich der professio registriert wurden, zum anderen aber eben auch, dass ehemals der gleba (oder anderen Steuern) unterworfene (neue oder geborene) Senatoren befreit wurden, ohne aus dem Senat auszuscheiden. Steuerliche Begünstigung im Einzelfall war insoweit Ausdruck der indulgentia principis und den Quellen zufolge durchaus beliebt164. Man musste also nicht in jedem Fall ganz aus dem Senat ausscheiden, wenn die gleba die Einkommensverhältnisse überforderte. Die Begrifflichkeit in Relation 46 erfasst insoweit beide Varianten der „Befreiung“. Dem Kaiser werden nunmehr in der Zusammenstellung die Namen der (nur) von der gleba befreiten oder ganz ausgeschiedenen, registrierten Senatoren mitgeteilt, so dass er einen Überblick über die zu erwartenden Steuereinnahmen erhält: Zuwachs durch nova professio, Verminderung (unter anderem) durch exemptio veteris. Die censuales haben den Anstieg senatorischen, steuerpflichtigen Vermögens, der der Aufnahme von neuen Senatoren zu verdanken ist, sowie den Verlust, der von befreiten Senatoren und vom Ausscheiden von Senatoren aus dem Stand herrührt, registriert. Auch wenn der Kaiser einst selbst die genannten Befreiungen ausgesprochen hatte, bestand doch ein Informationsbedürfnis hinsichtlich der Gesamt-Steuererwartung. Zu-
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Es gibt nur Schätzungen zur Höhe dieser Steuereinheit. Einen Überblick über die verschiedenen vertretenen Ansichten liefert Chastagnol, Sénat, 300. Ein follis wird zwischen 5 und 12, 5 solidi (vgl. hierzu Rel. 29) bewertet. CT VI, 2, 15 (393) zeigt für den Osten, dass Befreiungen in der Praxis gefordert wurden; man verringerte daher den Mindestsatz auf 7 solidi. Wem 7 solidi zuviel sind, muss auf den Senatorenrang verzichten. 162 So aber Chastagnol, Le sénat dans l’oeuvre, 80; 87 f; ders., Sénat, 301 ff. 163 Diese Möglichkeit wird auch gesehen von Lécrivain, Sénat, 81 f; Vera, Commento, 336, die sie allerdings für Rel. 46 ausscheiden. Delmaire, Largesses sacrées, 384, schließt sie hingegen auch für den vorliegenden Fall nicht aus. 164 Dazu Gaudemet, Indulgentia principis, v. a. 258 ff. S. a. den Titel CT XI, 12: De immunitate concessa. Es wurden also durchaus Einzelfallbefreiungen (für verschiedenste Steuern) ausgesprochen.
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dem diente die offizielle Aufstellung und Mitteilung an den Kaiser auch dem Zweck, erschlichenen Befreiungen entgegenzuwirken165. Im Ergebnis handelt es sich bei Relation 46 wie beim vorangehenden Bericht um ein knappes Routineschreiben ohne persönlichen Kommentar. Der Kaiser erhält über die aktuellen Register einen genauen Überblick über die Steuereinkünfte, die von den Senatoren zu erwarten sind. Relation 46 wirft (wie schon die Relationen 8 und 13) auch ein Licht auf die finanziellen Lasten des Senatorenstandes, denen aber zahlreiche Privilegien (etwa der Gerichtsstand vor dem Stadtpräfekten, der sich in den Prozessberichten noch zeigen wird) gegenüberstanden. In der Zusammenschau mit den Relationen 45 und 5 zeigen sich die beiden Möglichkeiten der Rekrutierung neuer Senatsmitglieder: durch Geburt und durch Aufnahme Außenstehender. Über diesen Zuwachs lässt sich der Kaiser regelmäßig berichten. Mittler senatorischer Angelegenheiten vom officium censuale zum Hof ist der Stadtpräfekt, der auch die Aufsicht über das officium censuale hat.
V. Spiele und Statuen 1. Relation 6: Spiele Die Ostkaiser Theodosius und Arcadius166 werden an ihr Versprechen erinnert, für das Volk von Rom Theater- und Zirkusspiele zu veranstalten. Zur zeitlichen Einordnung bietet sich eine Angabe in § 3, wonach man Schiffe mit Artisten erwarte, was bedeutet, dass die Schiffahrt noch möglich ist. Die Relation muss demnach vor Mitte Oktober 384 geschrieben sein167. Symmachus tritt als Übermittler der Stimme des Volkes auf, § 2: Orat igitur clementiam vestram... und fordert am Ende: Date igitur interim, quae petuntur. Der Stadtpräfekt ist hier zuständig als Mittler zum Volk und gleichzeitig als Polizeiorgan, denn er will mit seinem Schreiben möglichen, sich bereits andeutenden Unruhen vorbeugen, die wegen der Verzögerung der Spiele entstehen 165 Steuerbefreiungen wurden häufig erschlichen. Solche Befreiungen wurden zwar immer wieder für ungültig erklärt, die Vorlage entsprechender Bescheinigungen versprach aber unter Umständen doch Erfolg, vgl. dazu etwa CT XI, 13, 1 (383) und XIII, 10, 8 (383). Diese Konstitution sieht daher Registrierungen, wie sie vorliegend mitgeteilt werden, zwingend vor. Die Registrierung ermöglichte auch den Betroffenen einen Rechtmäßigkeitsnachweis, sollte man an sie mit ungerechtfertigten Steuerforderungen herantreten 166 Die Adressaten sind in diesem Falle richtig überliefert, vgl. hierzu auch Vera, Commento, 66, unter Verweis auf Relation 9, die eben diese Spiele betrifft und ebenfalls an die Ostkaiser gerichtet ist. S. auch dort. 167 Zum mare clausum: Vera, Commento, 71; 140 m.w.N.
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könnten. Auch für die Organisation der erwarteten Spiele ist er dann zuständig168. Gleichzeitig vertritt er aber auch kaiserliche Interessen, wenn er den Hof (auch den östlichen) über die Stimmung im Volk informiert. Das Schreiben ist als ausgesprochen höfliche Bitte, beziehungsweise Erinnerung formuliert; inhaltlich mahnt es jedoch eine moralische Verpflichtung an, die das Volk beinahe als rechtliche Pflicht ansehe: ...sed ea iam quasi debita repetit, quae aeternitas vestra sponte promisit, § 1. Symmachus mag es ganz so fordernd nicht fassen, unterstreicht jedoch mit dieser Darstellung die Dringlichkeit der Angelegenheit. Interessant ist insoweit auch die rhetorisch variierende Wortwahl hinsichtlich des kaiserlichen Versprechens: „sponte promisit“; „bonorum principum sponsione“ (§ 1); „pollicitatione“ (§ 2); „munera promissa“ (§ 3). Insbesondere das Wort sponsio, ein feierliches Versprechen, lässt die in früherer Zeit dafür bestehende rechtliche Bindungswirkung anklingen169. Symmachus gebraucht hier also rechtliche Begriffe, auch wenn er das Versprechen nicht in letzter Konsequenz als wirkliche, rechtlich klagbare Verbindlichkeit hinstellt. Der Kaiser hat sich aber durch sein Vertrauen erweckendes Versprechen freiwillig - zumindest moralischen - Verpflichtungen unterworfen, auf deren Erfüllung das Volk nun zu Recht besteht. Der Kaiser wird also auch hier wieder einmal in die Pflicht genommen. Der Osten erweist sich in dieser Relation Rom gegenüber ausgesprochen großzügig, verspricht nicht nur Spiele, sondern spendete bereits Nahrungsmittel, § 2170. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Theodosius auf diese Weise subtil seinen Einfluss im Westen vergrößern wollte; ohne direkte politische Einmischung, aber doch durch panem et circenses als politische Propaganda. Die Relation ist selbstbewusst, in bestimmtem Ton und klar formuliert; Symmachus bleibt gegenüber seinem Westkaiser loyal, scheint sich aber durchaus mit der Begeisterung im Volk für solche Spiele identifizieren zu können171. Relation 9 zeigt, dass das kaiserliche Versprechen tatsächlich bald eingelöst wird. 2. Relation 9: Dank, Anerkennung und Bitte Symmachus erstattet im Namen des römischen Volkes Dank für die in Rom dargebotenen Unterhaltungsveranstaltungen. Adressaten sind Theodosius I. (in 168
Chastagnol, Préfecture, 280. Es handelt sich hier um kein verbindliches, klagbares Schuldversprechen, denn spondere, promittere, pollicitatio bezeichnen derzeit im untechnischen Sprachgebrauch jedes Versprechen: Kaser, Privatrecht II, 377; 400; Levy, Obligationenrecht, 50 ff m. N. 170 Die zeitliche Einordnung dieser Spende ist unklar: Kohns, Versorgungskrisen, 175 Fn. 410. Möglicherweise fand sie unter dem Vorgänger von Symmachus statt. 171 Ganz anders Ammian, XIV, 6, 25 f; XXVIII, 4, 11 und 29-31, der derartige Vergnügungssucht tadelt. Jedenfalls hat der Aufstieg des Christentums die Begeisterung auch der Senatoren für solche Spiele nicht geschmälert; auch der orthodoxe Theodosius akzeptiert das. 169
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§ 4 wird er als Sohn des Flavius Theodosius angesprochen) und Arcadius, die ihr Versprechen, an das sie in Relation 6 erinnert wurden, prompt eingelöst haben: Ergo cum expectari munera principum soleant, nunc accita venerunt, § 5. In pathetischen Worten lobt der Stadtpräfekt diese Auszeichnung Roms (§§ 13; 7), beschreibt Einzelheiten der Spiele (§§ 5 f) und unterstreicht die Zuneigung von Volk und Senat zu den Kaisern (§§ 4 f; 8). Er liefert einen günstigen Stimmungsbericht aus Rom (§ 8: Nunc legite senatus ac populi fausta suffragia) und preist die Fülle der Vergnügungen; von dem Ideal bescheidener Zurückhaltung aus Relation 4 ist wenig zu spüren172. Die Kaiser hätten selbstlos und großzügig gehandelt. Die Propaganda aus Konstantinopel kommt demnach in Rom, wo man sich (endlich wieder einmal?) ernstgenommen und bedeutsam fühlt, sehr gut an. Außerdem teilt der Stadtpräfekt die Entscheidung des Senats mit, dass in Rom Reiterstatuen zu Ehren des seinerzeit hingerichteten Vaters von Theodosius I., Flavius Theodosius173, errichtet werden sollen. Der Senat will sich damit für die soeben erwiesene Großzügigkeit revanchieren und seinen Dank ausdrücken. In § 4 heißt es dazu: Nam familiae vestrae et stirpis auctorem, Africanum quondam et Brittannicum ducem statuis equestribus inter prisca nomina consecravit. Bei dieser Senatsentscheidung handelt es sich nach Ansicht von Cracco Ruggini174 um eine echte consecratio inter divos, wenn auch nicht eines Kaisers, sondern um eine Art Helden-Deifikation. Das gibt der Text aber wohl nicht her; es geht hier und in Relation 43 allein um Reiterstatuen, die dem Verstorbenen errichtet werden sollen. Zum Verfahren der Statuenaufstellung selbst macht Symmachus keine Angaben; der Hof in Konstantinopel wird lediglich informiert. Dass Valentinian II. seine Zustimmung (dazu Relation 43) bereits erteilt hat, lässt sich aber wohl aus dem selbstsicheren Ton der Relation schließen. Die Sache ist abgemacht. Schon Vera175 unterstrich den politischen Aspekt dieser Angelegenheit: Die Errichtung der Statuen soll Flavius Theodosius vollständig rehabilitieren176 und 172 Immerhin betont er in § 3, dass es keine Prahlerei, iactatio, gab und bleibt sich insofern doch treu. 173 Gebürtiger Spanier, magister militum unter Valentinian I.; eroberte Britannien 368 zurück und schlug in Africa den Aufstand des Firmus 373-375 nieder. Dazu gratuliert ihm Symmachus in Ep. X, 1 (375). Unter mysteriösen Umständen wurde er 376 in Karthago, wohl unter Gratian, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Zu ihm: Enßlin, RETheodosius 9.), 1937-1945; PLRE I, Flavius Theodosius 3, 902-904; Demandt, Tod, 598 ff. 174 Apoteosi, 439 ff; 463 ff. Sich anschließend Vera, Statue, 384; ders., Commento, 89 ff; 317. Kritisch: Chastagnol, Le sénat dans l’oeuvre, 90 Fn. 91. Zwar ist Ep. X, 1 im 10. Buch (neben einem Brief an Gratian) unter den Kaiserbriefen überliefert, was für eine consecratio sprechen könnte, doch auch ohne sie hatte Theodosius zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Symmachusbriefe so großes Ansehen und war Vater eines großen Kaisers gewesen, dass Briefe an ihn den Kaiserbriefen gleichgestellt werden konnten. 175 Polemica, 90 ff; ders., Statue, 382 ff.
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die neue Dynastie des Sohnes stärken. Der Senat von Rom versucht offenbar, eine eigenständige, gute Beziehung zu Kaiser Theodosius I. aufzubauen, wenn auch nicht ohne Einbeziehung des Mailänder Hofes, wie sich aus Relation 43 ergibt. Auch Valentinian II. ist daran gelegen, mit Theodosius einen starken Beistand gegen die Bedrohung durch Magnus Maximus auf seiner Seite zu wissen. Auf allen Seiten stehen also Interessen, die eigene Position zu stärken und dabei auch die politische Stabilität zu fördern. Die ergriffenen Mittel sind juristisch korrekt und bewegen sich auf offizieller Ebene. Gegen Ende seines Schreibens, nach all dem Lob, fügt Symmachus in § 7 noch geschickt ein, dass er nach all dieser Großzügigkeit nun berechtigte Hoffnung habe, dass eine kaiserliche Flotte Getreide aus Ägypten (das normalerweise Konstantinopel versorgt) nach Rom liefern werde: Audeo iam sperare potiora: mittetis etiam regiam classem, quae annonariis copiis augeat devotae plebis alimoniam. ...de exemplis venit ista fiducia; magna sumendo maiora praesumimus. Jenseits seiner Mittlerrolle für Volk und Senat erfüllt er hier also auch seine Aufgabe, sich um die Versorgung Roms mit Nahrungsmitteln zu kümmern. Dieses Problem wird noch häufiger sein Thema sein. Der Stadtpräfekt ist bemüht, möglichen Engpässen frühzeitig vorzubeugen, um Unruhen im Volk zu vermeiden, die ihn als den für die öffentliche Versorgung Zuständigen zuerst treffen würden. Hier äußert er eine höfliche, aber sehr erwartungsvolle Bitte um Sonderlieferungen. Wie sich in Relation 6, 2 zeigt, waren solche kaiserlichen Spenden auch aus dem Osten offensichtlich nichts Ungewöhnliches. In Rom scheint diesmal aber nichts anzukommen wie Relation 37 zeigt. Wegen der Bitten um Getreidezufuhr ist indes eine näherungsweise Datierung des Schreibens möglich, denn wenn noch Lieferungen aus Ägypten erwartet werden, muss es vor Beendigung des Schiffsverkehrs im Oktober 384 verfasst sein. Es wurde jedenfalls nach Relation 6 und wohl vor den Relationen 18 und 37177 geschrieben, weil anders als dort eine kritische Versorgungslage noch nicht eingetreten zu sein scheint. Insgesamt ist auch dieser Bericht aus rechtlicher Sicht unproblematisch. Symmachus schreibt sehr engagiert, in dem ihm eigenen emphati-
176 Möglicherweise war er in einem Hochverratsprozess zum Tode verurteilt worden aus Furcht des jungen Gratian vor einer Usurpation. Eingehend dazu: Demandt, Tod. Symmachus vermeidet gegenüber dem Sohn, der 379 legal zum Kaiser aufgestiegen ist, insoweit jede Anspielung. In Ep X, 1 (375) an Flavius Theodosius hebt er jedoch neben dessen Verdiensten auch seine Unschuld an den ihm vorgeworfenen Taten, die wir im Einzelnen nicht kennen, hervor. 177 So die Hypothese von Kohns, Versorgungskrisen, 175 Fn. 410; s. a. Vera, Commento, 135 f. Andererseits bittet er hier die Ostkaiser um eine Spende; dies wird er wohl erst tun, wenn ein drängendes Problem besteht. Rel. 18 hingegen fordert Anmahnung der gewöhnlichen Lieferungen aus Africa vom eigenen Kaiser. Vielleicht schreibt Symmachus insoweit an beide Kaiserhöfe etwa zeitgleich im Spätsommer 384. S. a. Rel. 18.
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schen Stil, aber noch im Rahmen des Angemessenen178, d. h. ohne persönliche Anbiederung nach Konstantinopel. 3. Relation 43: Die Statuen zum Gedenken an Flavius Theodosius In diesem knappen Bericht an Valentinian II. (§ 1) schlägt Symmachus dem Kaiser vor, den Beschluss des Senats, Reiterstatuen zum Gedenken an Flavius Theodosius zu errichten, seinen östlichen Kollegen offiziell mitzuteilen: Dignum est igitur, domine imperator Valentiniane..., ut decretum senatus ad invictissimos fratres numinis tui, si ita placet, clementia tua insinuante perveniat. Der Beschluss, der in Relation 9 bloß inoffiziell mitgeteilt wird, soll auf eine diplomatische Ebene gehoben und so die guten Beziehungen zwischen den Herrscherhäusern gefördert werden. Die Initiative geht auch hier vom Senat aus; Valentinian II. wird recht genau vorgegeben, was von ihm erwartet wird. Fraglich erscheint, ob der Kaiser außerdem seine Zustimmung zu den Statuen geben soll, denn im Verfahren der Statuenaufstellung179 (dazu auch Relation 12) ist eine kaiserliche Billigung des Senatsbeschlusses, der nur die Wirkung eines unverbindlichen Vorschlags entfaltet, grundsätzlich erforderlich. Hier muss also Valentinian II. prinzipiell zustimmen, da die Statuen eines ehemaligen westlichen Generals in Rom aufgestellt werden sollen. Wie aus § 2 hervorgeht, gab es zu diesem Thema jedoch bereits einen Schriftwechsel mit dem magister officiorum von Mailand; die Statuen sind nach Zustimmung der Mailänder Kanzlei bereits beschlossene Sache. Valentinian soll dies seinen Kollegen nur noch mitteilen: Quorum auctor et parens, ut dudum v. c. et inlustri officiorum magistro scripsisse memini, statuarum equestrium honore decoratus est, quas ei ordo venerabilis...decrevit. Nicht etwa übermittelt Symmachus hier erst den entsprechenden Senatsbeschluss und erbittet dafür die kaiserliche Billigung180. Dem Kaiser scheint der Beschluss, decretum senatus, bekannt zu sein, sonst hätte Symmachus gewiss weitere Ausführungen gemacht. Auch wenn es in Relation 9 vielleicht den Anschein hatte, gibt es hier keinen Alleingang des Senats. Allerdings stellt sich dann noch die Frage, ob der Kaiser die Statuen auf seine Kosten errichten soll181. Aus dem Schreiben und vor dem in Relation 9 angesprochenen politischen Hintergrund ist jedoch eher zu schließen, dass der 178
Vera, Commento, XXXIV, glaubt dagegen, hier (und auch in Rell. 6, 7, 15 und 43) schon Anbiederung gegenüber Konstantinopel seitens des Senats und des Stadtpräfekten zu erkennen. Das Schreiben gehe über die gebotene Höflichkeit hinaus. Einen Bruch der Loyalität gegenüber Valentinian II. sieht aber auch Vera nicht. 179 Chastagnol, Préfecture, 365 ff. Der Senat kann den Beschluss fassen, dass Statuen aufgestellt werden sollen; Entscheidungsmacht hat aber nur der Kaiser. So ordnet CJ I, 24, 1 (398) eine Geldstrafe für unzulässige Statuenerrichtung extra imperiale beneficium an. 180 Wie hier: Vera, Statue, 396 f. 181 Ähnliche Beispiele sind in CIL VI, 1683; 1725; 1749 (s. Relation 12) überliefert.
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Senat in eigener Regie und auf eigene Rechnung die Ehrung vornehmen will. Als Motiv für die Errichtung der Statuen durch den Senat nennt Symmachus gegenüber Valentinian II. allerdings diplomatischerweise nicht den Dank an Theodosius I., sondern die vorbildlichen Verdienste des verstorbenen Generals, § 2. Die Statuen wurden höchstwahrscheinlich später in Rom errichtet, nachdem das Genehmigungsverfahren ja bereits positiv ausgegangen war. Symmachus schreibt auch hier als Vertreter des Senats und senatorischer Interessen; ein persönliches Interesse an den Statuen ist nicht zu erkennen182.
VI. Neujahrsgeschenke 1. Relation 7: Dank für Neujahrsgeschenke Symmachus sagt Dank für die traditionellen kaiserlichen Neujahrsgeschenke, strenae. Adressaten sind Theodosius und Arcadius, wie die Anrede in § 1 bestätigt. Das Schreiben datiert vor dem 1. Januar 385, weil Symmachus betont, dass die Kaiser die Geschenke vor der üblichen Zeit geschickt hätten. Derartige offizielle Geschenke wurden als Zeichen gegenseitiger Loyalität traditionellerweise zum Jahresbeginn zwischen Kaiser und seinen Untertanen, d. h. Privatleuten, höheren Beamten oder Senat ausgetauscht183 und brachten speziell den Beamten ein zusätzliches Entgelt ein. Nach überwiegender Ansicht erstattet der Stadtpräfekt hier Dank im Namen des Senats, an den die Geschenke gerichtet worden seien184. Möglich erscheint aber auch, dass Symmachus als Stadtpräfekt und damit hoher kaiserlicher Beamter die Geschenke in dieser Funktion selbst erhalten hat und im eigenen sowie im Namen seines Büros Dank abstattet. So bedankt er sich in § 2 f in sehr persönlicher Weise für die ihm entgegengebrachte Ehre und der Leser gewinnt durchaus den Eindruck, er habe die Geschenke und das Begleitschreiben selbst erhalten. Die Geschenke sind nach Symmachus traditioneller, alter Brauch (vgl. § 1), der auch von den christlichen Kaisern beibehalten wird. Sie können daher grundsätzlich nicht als Zeichen besonderer Einflussnahmeversuche des Theodosius auf den Westen
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Seine eigene Beziehung zu Theodosius d. Ä. beschränkte sich auf eine bloße Bekanntschaft und höflichen Briefkontakt (s. Ep. X, 1 von 375), wie Matthews, Symmachus and the Magister Militum, 122 ff, herausarbeitet. Symmachus war Prokonsul von Africa zur Zeit des Firmus-Aufstandes. S. a. den Kommentar zu Ep. X, 1 bei Vera, Commento, 442 ff. 183 Dazu Meslin, Kalendes, 31 ff (Entwicklung); 61 ff; Nilsson, RE-kalendae Januariae, 1562 ff; ders., RE-strena, 351 ff. 184 Ohne weitere Erklärung gehen davon etwa aus: Meslin, Kalendes, 62; 64; Barrow, Prefect, 58; Vera, Commento, 72 f.
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gedeutet werden185. Auch die Gegengeschenke, Relation 15, gehen an den Ostund den Westhof. Allein die Tatsache, dass die Präsente besonders früh geschickt wurden, könnte für eine besondere Situation sprechen und vielleicht auch die Tatsache, dass ein entsprechendes Dankesschreiben an Valentinian II. nicht überliefert ist. Vielleicht war es mit der Einhaltung der Tradition also doch nicht so weit her. Letztlich muss aber wohl offen bleiben, ob Theodosius durch derartige Geschenke besondere Zustimmung in Rom gesucht hat (zum Thema vgl. schon Relation 6). Symmachus lobt jedenfalls die kaiserliche Großzügigkeit186 mit überschwenglichen Worten, doch auch das erscheint floskelhaft und über die übliche Schwülstigkeit eines offiziellen Dankesschreibens nicht hinauszugehen. 2. Relation 15: strenae für die Kaiser Diese Relation ist Begleitschreiben zu den Neujahrsgeschenken an alle drei (§ 1) Kaiser. Sie dürfte Ende Dezember 384 abgefasst worden sein, wahrscheinlich nach Relation 7, in der ja betont wurde, wie früh die Ostkaiser ihre eigenen Geschenke geschickt hätten. Symmachus unterstreicht noch einmal die lange Tradition der strenae, strenarum usus, die ein Zeichen von devotio bzw. obsequia, von Verehrung und Loyalität, seien. Einige Jahre später wird Kaiser Honorius darüber allerdings eine genaue Regelung treffen und die Höhe solcher „Geschenke“ festlegen: De oblatione votorum, CT VII, 24, 1 (395). Fraglich ist auch hier, ob Symmachus, der dazu (anders als etwa in Relation 13, 2 für einen anderen senatorischen Beitrag) nichts ausdrücklich sagt, im Namen des Senats schreibt. Karayannopulos187 behandelt relatio 15 unter dem Gesichtspunkt der votorum oblatio als hauptsächlich senatorischer Steuer. Ein Geschenk des Senats an den Kaiser zum Neujahrstag sei mit der Zeit zu einer Verpflichtung geworden und gerade aus Relation 15 ergebe sich, dass speziell Senatoren dazu verpflichtet seien. Auch die in obiger Konstitution genannte Höhe des Geschenks (1 Pfund Gold, bestehend aus 72 Goldmünzen, solidi) spreche dafür, dass Senatoren gemeint seien; nur diese könnten sich das leisten. Dagegen ist einzuwenden, dass die Konstitution, die an den praefectus urbi von Rom gerichtet ist, strenggenommen jeden („uniuscuiusque sedulitas“) anspricht, nicht eigens Senatoren. Neujahrsgeschenke erbrachte daher nicht zwangsläufig der Senat. Auch der Umfang des konkreten Geschenks ist durch185 Vera, Commento, XXXIV; 72-74, meint dagegen, dass Propaganda des Theodosius hinter den Geschenken stehe. Theodosius wolle sich senatorische Zustimmung sichern und Symmachus bzw. der Senat gehe darauf willig ein. 186 Die Geschenke, die mit einem Begleitbrief geschickt werden, tragen das kaiserliche Bildnis (§ 2). Es könnte sich daher um Münzen oder Kontorniaten gehandelt haben. 187 Finanzwesen, 137 f. Auch Meslin, a.a.O.; Barrow, a.a.O.; Vera, Commento, 125; 127; Gera/Giglio, Tassazione, 150 Fn. 84, nehmen an, Symmachus schreibe (auch) hier im Namen des Senats.
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aus vom Stadtpräfekten selbst zu bestreiten, wäre als Gabe des ganzen Senats vielleicht sogar lächerlich gering und reicht in keiner Weise an den Betrag heran, der 395 festgelegt wird. So spricht Symmachus in § 2 von sollemniter auro ducta munuscula und sollemnes pateras cum quinis solidis; es werden also die üblichen Schalen mit 5 solidi verschenkt. Symmachus betont ausdrücklich, dass diese Gabe nicht belastend sei, § 2: nec vester pudor nec noster census oneratur. Außerdem heißt es in § 2, die Geschenke kämen a iudicibus (§ 2). Zweifelhaft scheint jedenfalls, dass mit diesem Begriff der Senat, mit iudices also die einzelnen Senatoren gemeint sein sollen. Iudex188 ist zu jener Zeit, wenn nicht Richter im engen Sinne, üblicherweise ein hoher Beamter, nicht eine Institution. Senatoren werden nicht als iudices bezeichnet. Auch dieser Brief ist daher wohl vom Stadtpräfekten im eigenen Namen und im Namen seines Büros abgefasst. Am Ende nennt Symmachus in § 3 die Präfektur denn auch als Übersender: Libenter strenis sollemnibus praefectura fungetur strenuis deferenda. Besonders betont wird, dass es hier keine geheimen Bezahlungen, sondern ein offizielles Geschenk gibt; es soll keine Anrüchigkeit aufkommen. § 2 spielt auch auf Missstände (zu denken wäre an Bestechlichkeit) im höheren Beamtentum an, die der Kaiser nicht schätze: Suscipite a iudicibus aperta obsequia, qui pretia occulta damnatis. Geschenke werden hier also im Rahmen des üblichen zwischen Stadtpräfektur und Kaisern ausgetauscht189. Auch Relation 15 ist ein Pflichtschreiben im entsprechend formalisierten Stil.
VII. Praetextatus 1. Relation 10: Mitteilung des Todes von Praetextatus Symmachus teilt dem kaiserlichen Hof die traurige Nachricht vom Tod des Vettius Agorius Praetextatus mit, dem derzeitigen Prätorianerpräfekten von Italien, ehemaligen Stadtpräfekten von Rom (367/368) und designierten Konsul für 385190. Die Relation ist vermutlich kurz nach dem Todesfall in der ersten Dezemberhälfte 384191 verfasst. Empfänger sind der Überlieferung nach Theodosius und Arcadius. Wahrscheinlicher ist aber, dass Valentinian II. der wahre
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Zum Begriff iudex bei Symmachus und im 4. Jh. allgemein: Vera, Commento, 8; Pedersen, On professional qualifications, 206. In Rell. 26, 1; 34, 2/4 ist iudex etwa ein Stadtpräfekt, ansonsten üblicherweise ein Provinzstatthalter. 189 So auch (jedenfalls für Relation 15): Chastagnol, Fastes, 224; ders., Sénat, 306; Delmaire, Largesses sacrées, 405 f. 190 Zu ihm Chastagnol, Fastes, 171 ff. Er war integer, weitgehend unumstritten und anerkannt, vgl. etwa Amm., XXII, 7, 6; XXVII, 9, 8-10. Eine Ausnahme bilden nur bestimmte christliche Kreise, vgl. den feindseligen Ton von Hieronymus, Ep. 23, 2 f. 191 Zu diesem Ergebnis gelangt Vera, Commento, 95-97, nach ausführlicher Analyse der Quellen.
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Adressat war192, denn Symmachus schreibt in sehr persönlichem Stil, wohingegen Relation 11 eher routinemäßig abgefasst ist; vor allem aber bittet er in §§ 2 f um Entlassung aus dem Amt. Das wird er eher gegenüber seinem Dienstherrn Valentinian, der ihn auch ernannt hat, geäußert haben (so auch in Relation 21, 4), denn ansonsten müsste das Rücktrittsgesuch als reine Rhetorik gegenüber den Ostkaisern angesehen werden, die für die Entlassung nicht zuständig sind. Dafür aber wirken die geäußerte Trauer und die Begründung zu ehrlich. Die inscriptiones der Relationen 10 und 11 wurden in der Überlieferung vermutlich vertauscht. Symmachus drückt das Bedauern des ganzen Volkes von Rom aus, das spontan auf die Vergnügungen des Theaters verzichtet habe, § 2, und äußert auch ganz persönliche Trauer. Der Todesfall wird beinahe als nationales Unglück hingestellt; alle, also auch Christen, trauern um diesen großen Heiden. Tatsächlich war Praetextatus eine weithin anerkannte, herausragende Persönlichkeit, Verfechter des Heidentums und persönlicher Freund des Symmachus (s. an ihn die Epp. I, 44-55). Symmachus ahnt, dass es jetzt ohne die Unterstützung von Praetextatus größere Schwierigkeiten für ihn geben könnte. Das geht so weit, dass er aufgeben möchte: otii remedium postulemus, § 2 a. E. In Anbetracht der politisch nicht unproblematischen Lage und den nicht gerade erfreulichen Erlebnissen in Zusammenhang mit der Bitte um die Wiedererrichtung des Victoriaaltars kann man ihm die Resignation abnehmen. Außer dem Tod des Freundes und seiner eigenen, tiefen Trauer deutet er weitere, nicht näher ausgeführte Gründe für seine Absicht, aufzugeben und sich ins Privatleben zurückzuziehen, an: Sileo cetera, quae me non sinunt praefecturam ferre patienter, § 3. Die Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit dieses Wunsches wird am Ende des Schreibens noch einmal betont. Diese Gründe könnten sich insbesondere in den Relationen 17 (Probleme mit dem eigenen Personal), 21 (er wird der Christenverfolgung beschuldigt), 23 (Konflikte mit dem Vikar, einem Anwalt seines Gerichts und kaiserlichen Beamten) und 34 (man versucht, ihn und seine Familie für die Amtsführung seines Schwiegervaters finanziell haftbar zu machen) finden. In diesen Relationen ist eine zunehmend empfundene Isolation greifbar, so dass es kaum angebracht scheint, das Rücktrittsgesuch als reine Rhetorik oder momentanes Stimmungstief abzutun. Symmachus deutet vielmehr konkrete Schwierigkeiten an, die über die normalen Sorgen des Amtes hinausgehen, nennt allerdings keine Namen oder Beispiele. In einem Brief an seinen Freund Nicomachus Flavianus spricht er die schwierige Situation nach dem Tod von Praetextatus indes etwas deutlicher an: Ep. II, 36 (385). Dort ist in § 3 die Rede von aemuli, in diesem Fall religiösen Gegnern. Symmachus zeigt sich hier in einer Position der Schwäche und führt äußere Ursachen als Begründung an. Ihm fehlt offensichtlich der Rückhalt, man behindert ihn. Relation 10 ist ein förmliches Schreiben aus Amtspflicht: ratio of192
So auch Barrow, Prefect, 72; Vera, Commento, 97 f.
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ficii publici necessitatem..., § 1, worin aber dennoch persönliche Gefühle durchschimmern. Symmachus wirkt schwach und angreifbar; sein Entlassungsgesuch scheint fast drängend. Die Bitte, seinen Abschied nehmen zu dürfen, wird allerdings erst im Februar 385 angenommen. Valentinian II. vertraut also seinem Stadtpräfekten weiterhin und Symmachus schied vor diesem Hintergrund wohl freiwillig aus dem Amt. 2. Relation 11: Mitteilung des Todes von Praetextatus Relation 11 ist das entsprechende Schreiben an Theodosius und Arcadius in Konstantinopel193. Es war reine Formsache, allen regierenden Herrschern offiziell den Tod eines herausragenden Beamten wie Praetextatus mitzuteilen. Symmachus merkt selbst an, er schreibe aus öffentlicher Pflicht: officii publici necessitate cogente. Dass dieses Schreiben weitaus kürzer und nüchterner ist als Relation 10, ist ein weiteres Indiz dafür, dass es nach Konstantinopel ging. Auch hier spricht Symmachus sowohl die allgemeine als auch seine persönliche Trauer an. 3. Relation 12: Statuen zum Gedenken an Praetextatus Symmachus bittet im Namen des Senats, den verstorbenen Praetextatus mit Ehrenstatuen auszuzeichnen. Das Schreiben datiert gegen Ende der Amtszeit, nach den Relationen 10 und 11. Tatsächlicher Adressat des Schreibens, das formal korrekt an alle regierenden Herrscher (§ 1) gerichtet ist, ist Valentinian II., der über die Errichtung von Statuen zu Ehren eines seiner ehemaligen Beamten in Rom zu entscheiden hat. Der Senat hat beschlossen, dass das Andenken an Praetextatus mit Statuen geehrt werden soll, § 2: ...senatus inpatiens dispendii sui solacium petit de honore virtutis vestrumque numen precatur, ut virum nostra aetate mirabilem statuarum diuturnitas tradat oculis posterorum, und nimmt damit eine seiner ihm verbliebenen Zuständigkeiten wahr, aus eigener Initiative Statuen für verdiente Persönlichkeiten vorzuschlagen. Symmachus übermittelt den entsprechenden Senatsbeschluss und stellt in § 3 noch einmal die Tugenden von Praetextatus idealisierend heraus (ähnlich schon Relation 10, 1), wegen deren Vorbildlichkeit Statuen angemessen seien, und verdeutlicht dabei seine Vorstellung von einem idealen Bürger und Staatsdiener, der unter anderem selbstbeherrscht, bescheiden, unbestechlich und gerecht ist. Das sind offensichtlich keine selbstver193 Nach Ansicht von Barrow, Prefect, 76, waren beide Schreiben an Valentinian II. gerichtet: Relation 11 habe Relation 10 angekündigt. Dagegen ist einzuwenden, dass der Fall doch eher mit den Relationen 1 und 2 vergleichbar scheint, in welchen dieselbe Information an beide Herrschersitze übermittelt wird. Zum Streitstand über den richtigen Adressaten ausführlich Vera, Commento, 98 f.
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ständlichen Eigenschaften, deutet vielmehr auf verbreitete Missstände hin, etwa wenn betont wird, dass Praetextatus, offenbar im Gegensatz zu anderen, sich nie in falscher Freigebigkeit Vorteile erkauft oder Verschwendung betrieben habe, § 3: indecorae nescius largitatis ille. Auch in dieser Relation wird indes mit keinem Wort auch nur angedeutet, dass der Verstorbene eine der heidnischen Leitfiguren war. Das mag man Symmachus als Opportunismus gegenüber dem christlichen Kaiser auslegen, zeigt aber andererseits, dass die Religion für die Auszeichnungswürdigkeit eines hohen kaiserlichen Beamten keine entscheidende Rolle zu spielen scheint. Wie schon bei Relation 43 ausgeführt wurde, bedurfte es zur Ausführbarkeit des Senatsbeschlusses der kaiserlichen Zustimmung zu den Statuen. Konkret wird der Kaiser um eben diese Billigung gebeten, § 4: ...sed clementiae vestrae testimonio cuncta servanda sunt; inlustrior194 enim laus est de caelesti profecta iudicio. Und der Kaiser soll dann wohl auch selbst die erbetenen Statuen auf Staatskosten errichten. Man wird sich das Verfahren etwa so vorstellen können, wie es sich anschaulich aus CIL VI, 1683 bei einer Statue zu Ehren des praefectus urbi von 334, Anicius Paulinus, ergibt: ...petitu populi...testimonio senatus iudicio dd. nn. ...statuam...locari sumptu publico placuit. Ähnlich heißt es in CIL VI, 1725 (um 440): ...petitu senatu amplissimi...domini nostri...Augusti ...statuam...iusserunt. Das Verfahren läuft also in rechtlich korrekten Bahnen. Teilweise wiederzuerkennen ist das in Relation 8 beschriebene Verfahren im Falle eines senatus consultum, das erst mit der kaiserlichen Billigung Durchsetzbarkeit erlangt, rechtlich also grundsätzlich nur die Wirkung eines Vorschlags hat. Allerdings fehlt es hier an der kaiserlichen Initiative. Kein Gesetz mit allgemeiner Geltung soll erlassen, sondern nur die Entscheidung eines Einzelfalles gebilligt werden. Relation 12 zeigt damit noch einmal Initiative und Handlungsweise (durch senatus consultum) des Senats, dessen Beschlüsse der Kaiser - jedenfalls in solch unproblematischen Fällen - ernst zu nehmen opportun gefunden haben wird, was ihnen faktische Geltung verlieh. Dass der beschlossenen Ehrung nichts Anrüchiges anhaftet, betont Symmachus dabei ausdrücklich, wenn er sagt, dass es sich im konkreten Fall um keine materielle Belohnung oder Schmeichelei handle, § 2. In § 5 deutet er zudem Negativbeispiele für unberechtigte, ausufernde Ehrungen an und kritisiert damit frühere kaiserliche Entscheidungen. Ob der Senatsbitte stattgegeben wurde, wissen wir nicht (s. a. Relation 24). Der mehrheitlich heidnische Senat, vertreten durch den Stadtpräfekten, rechnet jedenfalls fest mit einer Billigung durch den christlichen Kaiser195.
194 Vor allem ist die kaiserliche Zustimmung zur Umsetzbarkeit des Beschlusses rechtlich notwendig, was Symmachus, hinter dieser schmeichelhaften Formulierung verbrämt, aber natürlich wusste. 195 Ganz anders lehnt Symmachus energisch ab, dass die Vestalinnen zu Ehren von Praetextatus eine Statue errichten, weil das gegen den religiösen Brauch sei, Ep. II, 36 (385). Wieder einmal zeigt sich sein Traditionalismus.
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4. Relation 24: Die öffentlichen Auftritte von Praetextatus Symmachus antwortet auf eine Anfrage und übersendet der kaiserlichen Kanzlei wunschgemäß einen Bericht über das Auftreten von Praetextatus vor Volk und Senat. Gleichzeitig schickt er die üblichen monatlichen Berichte über die Akklamationen und sonstige Vorkommnisse im Volk und die Senatsakten, §§ 1f: Per vices mensium singulorum ad perennitatis vestrae scrinia senatus et populi acta mittuntur, quae poterunt indicare, quid vir praecelsae et inlustris memoriae Praetextatus vel ad amplissimum ordinem vel ad devotum vobis populum pro saeculi vestri commendatione pertulerit, ddd. imppp...., sed quia speciatim sacris litteris imperastis, ut, si qua ab eo Romae in his coetibus gesta sunt, agenti in rebus excerpta tradantur, misi omnia iussis caelestibus obsecutus, quae ipso praesente venerabilium orationum vestrarum sanctio definivit et patrum probavit auctoritas196; praeterea quae apud plebem locutus est, ut cunctos in amorem bonorum temporum provocaret, adiunxi. Relation 24 ist ein Begleitschreiben, das in erster Linie auf eine spezielle Anfrage in sacrae litterae bezogen ist, nicht auf einen der monatlichen Routineberichte, die normalerweise nicht mit einer Relation versehen sind197. Durch sie lässt sich der Kaiser vom praefectus urbi über das Geschehen und die Stimmung in der immer noch wichtigen Stadt Rom berichten. Akklamationen im Volk wurden offiziell aufgenommen, in den acta populi zusammengefasst und mit den Sitzungsprotokollen des Senats in Archiven des officium censuale und eben auch den kaiserlichen Archiven aufbewahrt. Das Schreiben ist nach dem Tod des Praetextatus (inhaltlich) an Valentinian II., an den auch die Routineberichte über das Geschehen in Rom gehen, gesandt worden. Symmachus dokumentiert pflichtbewusst das öffentliche Leben von Praetextatus, fügt aber etwas vorwurfsvoll hinzu, dass diese Informationen schon in den normalen Berichten enthalten seien, die Anfrage eigentlich überflüssig war, vgl. außer § 2 auch § 3 a. E.: omnia necesse sit rursus ad serenitatis vestrae notitiam pervenire. Wie gefordert übergibt er die Aktenauszüge einem agens in rebus, der offensichtlich als kaiserlicher Überbringer von Nachrichten eingesetzt ist. Sie werden dann zusammen mit den Routineberichten mit der Staatspost nach Mailand geschickt, § 3: vehiculo publico cum ceteris, quae ex more mittuntur. In Mailand scheint man die Anfrage also durchaus ernst zu nehmen, wenn ein agens in rebus speziell damit betraut wird, die Akten in Empfang zu nehmen. § 3 zeigt, dass die zuständige Stelle, an die die Informationen geleitet werden, der magister officiorum ist, von dem schon in Relation 43 die Rede war: Iudicium vero civium, quod supremo die de virtute atque innocentia eius habuerunt, speciatim 196
Zum hier beschriebenen Gesetzgebungsverfahren vgl. bei Rel. 8. Zu dieser Frage: Vera, Commento, 180 f. Der Kaiser lässt sich regelmäßig informieren über Akklamationen, die die Zustimmung des Volkes gegenüber der Verwaltung aufzeigen und Missstände publik machen (vgl. auch Rel. 9). Eine Regelung, die insoweit auf verschiedenste Beamte übertragen werden kann, findet sich beispielsweise in CT I, 16, 6 (331). 197
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v. c. et inlustri officiorum magistro subditis exemplaribus gestorum intimavi. Er ist oberster Kanzleichef und offensichtlich auch für informative Kontakte des Hofes zum Senat und Stadtpräfekten zuständig. Vielleicht lässt sich über diese Information aber auch ein Zusammenhang zwischen Relation 24 und den in Relation 12 beantragten Statuen herleiten, denn der magister officiorum ist auch der für Anfragen wegen Statuen zuständige Minister, wie sich in Relation 43, 2 zeigt. Denkbar ist, dass die kaiserliche Kanzlei die Errichtung von Statuen zu Ehren des Praetextatus noch nicht gebilligt hat, sondern erst weitere Informationen bei der Stadtpräfektur über den zu Ehrenden anfordert. Ungefragt, § 3, berichtet Symmachus dem magister officiorum denn auch über die allgemeine Trauer, die die Nachricht vom Tod des Praetextatus in Rom ausgelöst hat. Damit würde er nochmals die Bitte um Statuen untermauern; ein allseits geliebter Mann ist verstorben. Warum aber verlangt der Hof überhaupt diese zusätzlichen Informationen? Möglicherweise will sich der Kaiser gegen Widerstände, etwa von christlicher Seite, gegen die Errichtung von Statuen absichern. Ganz ohne Rechtfertigungsbedarf war die Ehrung eines Heiden vielleicht doch nicht. Nach dieser Absicherung über die letztlich unbestreitbaren Verdienste von Praetextatus wird man in Mailand die Statuen dann aber wahrscheinlich gebilligt haben. Wie sich aus dem vorwurfsvollen Ton (Symmachus betont zweimal, dass er die Informationen doppelt schickt) der Relation schließen lässt, war eine solche Anfrage im Verfahren wegen Aufstellung von Statuen - oder überhaupt - wohl ungewöhnlich. Der Unmut des Stadtpräfekten erscheint insoweit verständlich, als er schon alles Wichtige über Praetextatus in Relation 12 gesagt zu haben glaubt, stets vorausgesetzt, Relation 24 ist nach den Relationen 10-12 anzusetzen. Vera198 glaubt darin sogar eine Gegnerschaft zum magister officiorum zu erkennen, von dem als zuständigem Kanzleichef die überflüssige Anfrage ausgegangen sei und der offenbar versucht habe, der Errichtung von Statuen Hindernisse in den Weg zu legen. Symmachus werfe ihm in Relation 24 Inkompetenz vor. So viel gibt der Text aber nicht her. Mehr als ein Murren, dass unnötig angefragt wurde zeigt sich in Relation 24 nicht und zu erkennen ist allenfalls eine persönliche Gekränktheit darüber, dass der Senatsbitte nicht ohne Rückfrage stattgegeben wird. Insgesamt erteilt Symmachus dem Kaiser pflichtgemäß Antwort. Der Ton des Schreibens ist sehr höflich, nur etwas verstimmt. Zum Verfahren der Aufstellung von Statuen lässt sich, überblickt man die Relationen 9, 12, 24 und 43, festhalten, dass am Anfang ein Senatsbeschluss steht und dann der Kaiser um seine Zustimmung gebeten wird, wobei am Hof der magister officiorum zuständig ist. Unter Umständen gibt es noch eine Rückfrage an den Stadtpräfekten über die zu ehrende Person. Nach kaiserlicher Billigung konnte die Statue dann errichtet werden, wobei die Kosten je nach dem vom Senat oder der kaiserlichen Kasse getragen wurden.
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Commento, XXXV; 181.
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VIII. Korporationssachen 1. Relation 14: collatio equorum Symmachus wendet sich an Valentinian II. (dieser wird in § 2 als Sohn von Valentinian I. angesprochen) und bittet um Widerruf einer Abgabe, der collatio equorum, zu Lasten der römischen Korporationen, § 1: Ergo numinis vestri famam simulque arduum rei cogitans corporatos negotiatores, membra aeternae urbis, ad equorum conlationem, quam litteris imperastis, vocare dubitavi, ne librationem clementiae vestrae querella publica praeveniret. Den stadtrömischen corporati sollte auferlegt werden, eine bestimmte Anzahl von Pferden an die kaiserliche Kasse zu militärischen Zwecken (§ 4: castrensis usus) zu liefern, und dem Stadtpräfekten war in einer schriftlichen Anweisung aufgegeben worden, diese Sonderabgabe bei den corpora einzutreiben. Betroffen sind die corporati negotiatores, d. h. die Mitglieder der römischen Korporationen der Kaufleute, Händler und Handwerker, die bestimmte öffentliche, in der Regel unentgeltliche und erbliche Dienste vor allem im Rahmen der Versorgung der Stadtbevölkerung mit Lebensmitteln zu verrichten hatten199. Symmachus umschreibt sie in § 3 auch als patriae servientes und zählt beispielhaft einige auf, wie die Lastenträger, Bäcker, Fleischhändler, Gastwirte, Bauhandwerker und Feuerwehrleute. Betroffen ist also eine große Zahl kleiner Leute Roms. Zum Ausgleich für ihre Verpflichtungen im öffentlichen Interesse waren die corporati von anderen Abgaben weitgehend befreit und genossen bestimmte Privilegien200, so auch bisher - zumindest kraft Gewohnheit - die Befreiung von der collatio equorum, § 3 a. E.: iugi obsequio inmunitatis nomen emerunt. Symmachus verweigert nun vor diesem Hintergrund die Ausführung der kaiserlichen Anordnung, d. h. die Eintreibung der außerordentlichen Abgabe mit der Begründung, dass zu hohe Lasten für die Untertanen dem kaiserlichen Ansehen schaden, wenn nicht sogar zu Unruhen führen könnten. Die Aufhebung verdienter Privilegien sei ungerecht, Vorsicht angebracht. Der Kaiser solle im Inte199
Negotiatores bezeichnet keine eigene Korporation, sondern der Begriff umfasst die Gesamtheit der römischen Gewerbetreibenden, die eine Art Gewerbesteuer (collatio lustralis, chrysargyrum) zahlen und in corpora (zwangs-)organisiert sind. S. Liebenam, Zur Geschichte, 89 Fn. 3; Waltzing, Lettre, 233 ff; ders., Etude II, 101 f; 168; Kornemann, RE-Collegium, 458; Cracco-Ruggini, Associazioni, 179 Fn. 229. Waltzing, Lettre, und Vera, Commento, 117 ff, stellen die Tätigkeiten der von Symmachus in Relation 14 genannten Korporationen ausführlich dar. 200 Zu den Privilegien der corpora: Waltzing, Etude II, 394 ff; 408 ff; Graeber, Korporationswesen, 33 ff; Herz, Organisation, 163. Vgl. auch den Titel von CT XIV, 2: De privilegiis corporatorum urbis Romae. CT XIV, 2, 1 (364, gerichtet an den Stadtpräfekten) bestätigt z. B. pauschal alte Privilegien; ebenso CT XIV, 2, 3 (397). Eine explizite Befreiung der römischen Korporationen von der equorum conlatio findet sich im Codex Theodosianus, der in XI, 17 einen Titel zu dieser Abgabe enthält, allerdings nicht. Der Kaiser regelte viele Einzelfälle selbst, häufig auf Beschwerden hin. Hier gab es Immunität vielleicht nur kraft Gewohnheit, die nunmehr durch ausdrücklichen Kaiserentscheid aufgehoben wurde.
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resse der Gerechtigkeit und seines Ansehens die Sache daher noch einmal überdenken, § 1 a. E.: Integra res est: adhuc salubritatem consilii diligentioris expectat. Iustitiae praestate, quod remittetis invidiae. Der Stadtpräfekt nimmt also die kaiserliche Entscheidung nicht ernst, sondern tut so, als sei die Sache noch offen. Was richtig und vernünftig ist, gibt er dabei klar vor, nämlich nur die Aufhebung der Maßnahme. In §§ 2f nennt er warnend noch einen Präzedenzfall unter Valentinian I., der weise gehandelt habe, als er auf eine vergleichbare Abgabe verzichtete. Diesem Beispiel müsse Valentinian II. folgen, § 4: Praetuli oraculum, quod pius successor imiteris. Drohend fügt er an, dass diese zusätzliche Verpflichtung ansonsten dazu führen könnte, dass die corpora ihre eigentlichen öffentlichen Pflichten, die für Rom lebenswichtig sind, nicht mehr ordentlich erfüllen: Quod si adiciantur insolita, forsitan consueta cessabunt. Die Maßnahme provoziere offenen Widerstand und gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Symmachus gebraucht zur Warnung des Kaisers deutliche Worte: offensae, querella publica, invidia, invitus (§§ 1 f) und macht sich am Ende selbst zum Bittsteller: Oro atque obsecro... . Interessant ist diese Relation vor allem deshalb, weil sie zeigt, wie Symmachus mutig die Ausführung einer Dienstanordnung verweigert, diese Weigerung dem Kaiser ganz offiziell und unverhohlen mitteilt und dazu eine Begründung liefert, die klare Kritik übt. Er gibt als erfahrener Magistrat beinahe von oben herab dem jungen Kaiser einen guten Rat, § 1: ...sed cauto opus est, ne asperitas negotii effectu inrito solas arcessat offensas, quae nulli magis evitandae sunt, quam iuveni et principi, cuius gratia cum aetate debet adolescere. Das Thema, dass der Herrscher sich hüten müsse, seine Untertanen finanziell zu überfordern, war schon in Relation 13 angeklungen. Dort vertrat er senatorische Interessen, hier sind es die der römischen Korporationen (vgl. auch Relation 29). Daneben vertritt der Stadtpräfekt aber auch polizeiliche (Eigen)Interessen, denn Unruhen würden sich wohl zuerst gegen ihn als den ausführenden Beamten richten. Valentinian II. gegenüber gibt er insoweit allerdings vor, sich in erster Linie um das kaiserliche Ansehen, um Gerechtigkeit (§ 1) und Freiheit des Volkes (§ 2) zu sorgen. Diese pathetischen Aussagen sind dem Kaiser gegenüber vielleicht angebracht, benennen aber nicht den eigentlichen Grund des Schreibens, denn vorrangig ist Symmachus hier parteiischer Interessenvertreter der städtischen corpora. So ist es ihm auch gleichgültig, wer an ihrer Stelle die Leistung erbringen soll. In § 4 bietet er dem Kaiser insoweit einen fast schon ironisch klingenden Trost: Dabit fortuna melior, quidquid castrensis usus efflagitat; humanitatis merito necessitas vestra sedabitur. Das Schicksal werde ihm schon helfen. Da die Abgabe unter Aufhebung bisheriger Privilegien wohl aus einem akuten Bedarf heraus, vielleicht aus Anlass des Feldzuges gegen die Sarmaten (vgl. Relation 47), angefordert wurde, mutet diese Aussage reichlich unverfroren an. Symmachus macht keinen konstruktiven Alternativvorschlag, sondern verweist lakonisch auf das Schicksal. Es stellt sich sogar die Frage, ob der soziale Friede wirklich gefährdet war oder ob Symmachus nicht vielleicht maßlos übertreibt, gibt es für Rom doch
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nur wenige Beispiele dafür, dass sich Korporationen gegen zusätzliche Lasten tatsächlich revoltierend zur Wehr gesetzt hätten201. Im Übrigen wurden zur equorum collatio sogar die coloni herangezogen, CT XI, 17, 1 (367), unter Umständen auch die navicularii, CT XIII, 5, 15 (379), und ein vergleichbarer Beitrag wurde unter Gratian auch von den honorati zu militärischen Zwecken gefordert, CT VI, 26, 3 (382). So ungewöhnlich war die vorübergehende Belastung auch von sonst befreiten Personen aus Anlass eines konkreten Bedarfs demnach nicht und an eine dauerhafte Steuerforderung scheint hier nicht gedacht zu sein. Verteidigt Symmachus also ganz einseitig alte Besitzstände und instrumentalisiert er Ängste? Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die collatio lustralis, die mittlerweile regelmäßig in Gold zu entrichten war202, bereits eine große Belastung neben den sonstigen Verpflichtungen der Korporationen bedeutete, so dass die collatio equorum als zusätzliche Pflicht203 durchaus Unmut hervorrufen konnte. Sollte der Stadtpräfekt mit seinen Befürchtungen Recht haben, könnte tatsächlich das gesamte Versorgungssystem in Gefahr geraten, was wiederum zu Unruhen in der Bevölkerung führen würde. Symmachus’ Verhalten scheint unter diesen Voraussetzungen durchaus nachvollziehbar und pflichtgemäß, denn er warnt den Kaiser vor einer kritischen Maßnahme. Das würde andererseits aber auch zeigen, wie schlecht der Kaiser über die Stimmung in Rom informiert war. Er hat den Stadtpräfekten vor Anordnung der Abgabe nicht in die Entscheidungsfindung eingebunden; das rächt sich nun. Seine Pläne drohen durchkreuzt zu werden durch offenen Widerstand aus Rom und das wiederum wirft kein gutes Licht auf die kaiserliche Autorität. Da die Abgabe, insbesondere bei Adäration, letztlich wohl an den comes sacrarum largitionum ging, vermutet Vera sogar204, dass zwischen diesem und Symmachus Gegnerschaft bestanden habe und in Wirklichkeit er als eigentlich Verantwortlicher vom Stadtpräfekten hier getadelt würde. Persönliche Gegnerschaft aus der Relation herauslesen zu wollen, würde diese wohl überstrapazieren. Richtig ist aber, dass der comes sacrarum largitionum als Berater hinter der kritisierten Entscheidung gestanden haben könnte und sich die Kritik daher 201
Im Westen gibt es selten Rebellion gegen den Staat, vgl. Cracco Ruggini, Associazioni, 104 ff; 170 ff; 178. Zu befürchten sind, wenn überhaupt, eher Tumulte als eine allgemeine Arbeitsniederlegung und Erfüllungsverweigerung. Die Fähigkeit der corpora, sich selbst zu organisieren, ist (noch) sehr begrenzt. Viel wirksamer ist die effektive Interessenvertretung etwa durch den Stadtpräfekten, der - wie hier - ihre Bitten beim Kaiser vorbringt. 202 Regelungen im Titel CT XIII, 1; s. a. CT XII, 1, 72 (370). Dazu: Karayannopulos, Finanzwesen, 129 ff. 203 Die Höhe der Abgabe war wahrscheinlich von den Vermögensverhältnissen abhängig. Einen Anhaltspunkt für die Verpflichtung liefert CT XI, 17, 1 (367). Dort wird ein Pferd bei Adäration mit 23 solidi angesetzt. Zur equorum conlatio: Karayannopulos, a.a.O., 117 f; Cérati, Conlatio equorum. Es gab Pferdelieferungspflichten als regelmäßige Abgabe sowie als Sonderabgabe. Hier wird die Lieferung wohl aus einem konkretem Bedarf heraus als vorübergehende Sonderabgabe gefordert. 204 Commento, XXXVI; 115. Vera vermutet, dass es sich um einen Christen gehandelt haben könnte. Das ist jedoch reine Spekulation.
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auch gegen ihn richtete. Da es sich im Übrigen um eine Abgabe zu militärischen Zwecken handelt, könnten die verantwortlichen (und kritisierten) Ratgeber auch unter den Militärs zu suchen sein. Relation 14 ist in jedem Fall, wie es schon Wetzler ausgedrückt hat, ein Beispiel für Macht und Selbstbewusstsein eines Beamten, die sich in Form von offener Ablehnung ausdrücken205. Symmachus teilt, verpackt in höfliche Worte, dem Kaiser mit, dass er die Maßnahme, die er ausführen soll, als verfehlt ansieht, und versucht, auf die kaiserliche Finanzpolitik Einfluss zu nehmen. Einen Missbrauch seines Amtes wird man ihm dabei nicht vorwerfen können, denn er schöpft in (noch) legitimer Weise und vor allem ganz offen seinen Kompetenzbereich aus, ohne seine grundsätzliche Loyalität in Frage zu stellen. Die angekündigte Gehorsamsverweigerung ist im Gegenteil pflichtgemäß, wenn er sich ernsthaft sorgt. Relation 14 liefert damit zwar ein Beispiel für offenen Widerstand gegen die Staatsgewalt, nicht aber für eine Revolte und auch kein einfaches Sich-Hinwegsetzen über Gesetze. Symmachus will durchaus mit Erlaubnis des Kaisers, in dessen Namen und mit dessen Billigung agieren - wenngleich er für den Fall der Missachtung seiner Warnungen recht unverhohlen mit Boykott droht. Die Relation beleuchtet die Reichweite des Amtes und persönliche Stärke von Symmachus; er ist ein dem Kaiser gegenüber eigenständig argumentierender Interessenvertreter. Obgleich die Argumentation auch ganz persönliche Interessen und Ängste erkennen lässt, denn als Stadtpräfekt muss er die Versorgung Roms sicherstellen, geht es weniger um fragwürdige Patronage zugunsten bestimmter Korporationen als vielmehr um den eigenen Amtsbereich, zu dem ganz offiziell auch die Sicherung von Privilegien gehört. Die Forderung, die Abgabe fallenzulassen, wird dabei rein emotional, nicht rechtlich begründet. Immerhin gilt auch hier, dass die bisherige Gewohnheit in jedem Falle gut und richtig ist. Stadtpräfekt und corpora stellen vor dem Hintergrund dieser Relation einen Machtfaktor dar, der ernst zu nehmen ist. Widerstände können das Versorgungssystem gefährden und auch den Kaiser in Bedrängnis bringen, denn je nach Wichtigkeit des munus und der eigenen Monopolstellung kann ein corpus auch durch passiven Widerstand Druck ausüben, was unter Valentinian I. offensichtlich schon einmal Erfolg hatte. In jedem Falle aber spiegelt die Relation etwas von der politischen Situation in Rom wider und das Schreiben wirft auch ein Licht auf die Frage der Durchsetzung und Effektivität von Gesetzen. Beamte können ein Gesetz faktisch leerlaufen lassen. Im Hinblick darauf gehört die Relation jedenfalls nicht zu den (möglicherweise) entbehrlichen Schreiben, denn schlimmer wäre es, insgeheim die Pflichten zu verweigern. Symmachus braucht eine neue kaiserliche Anordnung, um sein Verhalten zu legitimieren. Dazu stellt er eine klare, kompromisslose Forderung. Anstelle denkbarer Er205 Wetzler, Rechtsstaat, 155 Fn. 59. Ganz anders als der (spätere?) schwache und unsichere Ton in Relation 10, aber auch in den Relationen 21 und 23.
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schleichung von Ausnahmen für einzelne wird eine offizielle Aufhebung für alle gefordert. Ob der „Empfehlung“ in Mailand stattgegeben wurde, wissen wir allerdings nicht. Symmachus zeigt sich wie stets optimistisch. Wenn der Hof allerdings einen dringenden Bedarf an Pferden hatte, wird man auf die Abgabe wohl nur verzichtet haben, falls die Lage in Rom tatsächlich so explosiv gewesen sein sollte wie Symmachus andeutet, und da müssen von seiner parteiischen Schilderung gewiss Abstriche gemacht werden. 2. Relation 29: Der Wechselkurs Symmachus wendet sich an Valentinian II., der in § 1 als Bruder von Gratian angesprochen wird, und überbringt eine Bitte der römischen Korporation der Geldwechsler, collectarii (§ 1) bzw. nummularii (§ 1 a. E)206, die um eine Anpassung des Wechselkurses bitten, weil der Goldpreis gestiegen ist und sie um ihr Auskommen fürchten. Sie machen geltend, bereits jetzt ihre großen Lasten nicht mehr tragen zu können. In § 2 heißt es: Petunt igitur de aeternitate vestra pro ratione praesenti iusta definitionis augmenta, qui iam tanto oneri sustinendo pares esse non possunt. Zur näheren Erläuterung sind der Relation die entsprechenden Unterlagen beigefügt, § 2. Symmachus erklärt aus diesem Grunde nicht alles in der Relation, weshalb manches - wie etwa der genaue Wechselkurs - im Dunkeln bleibt, was sich aus der Dokumentation ergeben haben wird207. Symmachus spricht in § 2 im Namen der Korporation, deren Gesuch er nach Mailand übermittelt, macht sich aber zugleich zum Sprecher in eigenen Angelegenheiten, denn die Innung gehört in seinen Zuständigkeitsbereich208. Er formuliert die Bitte der Wechsler daher auch als seine persönliche: quaeso ut huic quoque parti praecepto mansuetudinis vestrae salubre remedium deferatur. Als praefectus urbi kontrolliert er zum einen die Korporation und sorgt dafür, dass ihre öffentlichen Aufgaben erfüllt werden, vertritt aber zum anderen 206 Die synonym gebrauchten Begriffe collectarii, nummularii (oder auch argentarii, s. Rel. 20, 2) bezeichnen eine römische Korporation, die im Geldbereich tätig ist. Konkret ist ihre Aufgabe, Geld zu wechseln. Zu dieser Innung: Waltzing, Etude II, 114 f; 230-232; Mommsen, Röm. Münzwesen, 845 Fn. 364. Zu ihrer Entwicklung aus ursprünglich selbständigen Korporationen: Bürge, Fiktion, 467 ff; 476 ff. Zu den collectarii im 4./5. Jhdt.: Andreau, Lettre 7*, 172-174. 207 Die Schuld an undeutlichen Formulierungen lässt sich daher nicht einfach dem Stadtpräfekten zuschieben, denn der zeitgenössische Leser konnte den Zusammenhang aus den Andeutungen heraus wohl ohne weiteres verstehen. Die Darstellung ist nicht etwa (gar absichtlich) verworren, es fehlen uns heute nur die nötigen Hintergrundinformationen. Anders offenbar Paschoud, Les sources, 65 Fn. 82, wenn er schreibt: „...la Relatio 29 de Symmaque doit aussi être mise au nombre des textes qui illustrent l’incapacité du latin fleuri officiel à décrire clairement des opérations économiques et financières.“ 208 Vgl. schon Ulp. D. I, 12, 1, 9 zu den nummularii, die der Stadtpräfekt kontrollieren muss, und Paul. D. I, 12, 2 zu den argentarii, die ihn bei Streitigkeiten anrufen können bzw. gegen die er angerufen werden kann. Zu seinem konkreten Kompetenzbereich: Chastagnol, Préfecture, 101; 333 f.
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auch - wie hier - parteiisch und engagiert deren Interessen gegenüber dem Kaiser. Dieser soll dem Problem abhelfen, denn die Beschwerde, querimonia, sei berechtigt. Diese Relation ist deshalb so interessant, weil sie ein wenig Licht auf die Geld- und Wirtschaftspolitik im ausgehenden vierten Jahrhundert wirft. Aus diesem Grunde gibt es auch eine Fülle von Literatur, die sich mit ihr beschäftigt209. Zum Sachverhalt im Einzelnen: Die römische Korporation der collectarii hatte ein öffentliches munus zu erbringen, das darin bestand, zu einem von der Regierung festgelegten Tarif (statutum pretium) solidi (Goldmünzen) an den Staat zu verkaufen. Sie erhielt dafür Kupfermünzen aus der arca vinaria210. In § 1 heißt es zu diesem Sachverhalt: Vendendis solidis, quos plerumque publicus usus exposcit, collectariorum corpus obnoxium est, quibus arca vinaria statutum pretium subministrat. Dieser festgelegte Kurs war wahrscheinlich etwas besser als der auf dem freien Markt, was den Geldwechslern eine Entschädigung dafür verschaffte, dass sie solidi bereithalten mussten, um sie bei Bedarf in „schlechtes“ Kupfergeld zu tauschen. Infolge des gestiegenen Goldpreises geht dieser Kursgewinn nun verloren und das munus führt bei den Wechslern gar zu Verlusten und gefährdet ihr Auskommen. Schon unter Gratian gab es nach Symmachus (§ 1) solche Schwierigkeiten, die durch eine gerechte Anpassung des offiziellen Wechselkurses (statutum pretium) an den gestiegenen Goldpreis überwunden wurden211. Einer solchen kaiserlichen Maßnahme bedarf es nun erneut, denn der Goldpreis ist weiter gestiegen („auri enormitate crescente“). Auf dem freien Geldmarkt in Rom, in foro venalium rerum, war der Kurs des solidus also gestiegen, die collectarii waren jedoch weiterhin gezwungen, an den Staat zu dem festgelegten, niedrigen Kurs zu verkaufen, was 209 Vgl. die Zusammenstellung bei Chastagnol, Préfecture, 334 Fn. 1; Vera, Nummularii, 201-203 Fn. 1; ders., Commento, 220. An neuerer Literatur seien genannt: Delmaire, Largesses sacrées, 523-525; Brandt, Zeitkritik, 41; Martini, Qualche Osservazione. 210 Über die arca vinaria als spezielle römische Annonakasse werden die öffentliche (Fleisch- und) Weinversorgung abgewickelt, verbilligter Wein an das Volk verkauft (s. z. B. CT XI, 2, 2 - 364), Wein ggf. aufgekauft und bestimmte Korporationen für ihre Dienste entschädigt. Vor allem aus dem Weinverkauf besaß diese Kasse, die Warenlager (die Naturalsteuer wird an sie direkt abgeliefert) und Geldkasse zugleich ist, viel Kupfergeld. Sie ist Teil der sacrae largitiones (nach Ansicht von Delmaire, Largesses sacrées, 525, legt daher auch der comes sacrarum largitionum den Wechselkurs fest) und steht unter der Kontrolle des Stadtpräfekten. S. a. Relation 34. Zu dieser Kasse speziell: Chastagnol, Scandale, 172 ff. 211 Das Gesetz Gratians ist nicht überliefert. Abzulehnen ist die Auffassung, die CJ XI, 11, 2 (371-373; Seeck, Regesten, 116; 130) mit der Maßnahme Gratians identifiziert, denn diese Norm geht auf Valentinian I. und nicht auf Gratian, der erst ab 375 wirklich regierte, zurück. Sie regelt außerdem keine Erhöhung des statutum pretium, so dass ein Zusammenhang mit Rel. 29 abzulehnen ist. Anders etwa: Ruggini, Economia, 379 Fn. 458; Steinwenter, Briefe, 11. Wie hier u. a.: Mickwitz, Geld und Wirtschaft, 90 Fn. 36; Jones, LRE, 441; Vera, Nummularii, 230 f Fn. 1 m.w.N.; ders., Commento, 229 f. Die Maßnahme Gratians ist also höchstens 10 Jahre her, als Symmachus seine Relation 29 schreibt.
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ihnen Verluste einbrachte, denn sie mussten sich ja auf dem freien Markt zunächst teuer mit den Goldmünzen eindecken, § 1 a. E.: sed paulatim auri enormitate crescente vis remedii divalis infracta est, et cum in foro venalium rerum maiore summa solidus censeatur, nummulariis pretia minora penduntur. Die konkrete Forderung lautet daher, das statutum pretium durch kaiserliche Entscheidung auf einen gerechten Wert zu erhöhen: iusta definitionis augmenta, § 2. Es geht in Relation 29 insoweit nicht um die allgemeine Wechslertätigkeit, sondern um die Erfüllung der speziellen öffentlichen Pflicht der Korporation, die nach Einschätzung von Symmachus gefährdet ist. Diese Darstellung der konkreten Tätigkeit und der Forderung der Geldwechsler ist allerdings nicht unumstritten, sie folgt der Auslegung von Vera, der eine ausführliche Diskussion der anderen Auffassungen liefert212. Wenn der dargestellte Ablauf auch letztlich nicht als gesichert gelten kann, erscheint er doch am wahrscheinlichsten, denn die arca vinaria, mit der die öffentliche Weinversorgung zu mäßigen Preisen organisiert wurde, hatte viel Kleingeld, das in Gold zu tauschen war. Insgesamt ist der Bedarf des Staates an (stabilerem) Gold als recht hoch einzuschätzen; das inflationäre Kupfergeld wollte man deshalb loswerden. Vera lehnt in diesem Zusammenhang insbesondere die von Mommsen213 vertretene Auffassung ab, wonach die Wechsler verpflichtet gewesen seien, Goldstücke zu einem festgelegten Kurs gegen Kupfer an die Allgemeinheit zu verkaufen und die arca vinaria sie dafür mit einer Prämie je gewechseltem solidus entlohnt habe; nun solle der Kurs (oder, nach einer etwas abweichenden Auffassung, die Prämie) erhöht werden. Das gleiche gilt für die in dieselbe Richtung gehende Auffassung von Chastagnol214, der meint, dass die arca vinaria den Wechslern die solidi geliefert habe, die aus der Münze von Rom oder dem Weinverkauf gekommen seien. Diese hätten sie zu einem von der arca mitgeteilten, festgelegten Preis, der höher war als der Kurs des freien Marktes, an die Allgemeinheit verkaufen müssen. Nun solle ein neuer Kurs festgelegt werden, um das Einkommen der Wechsler wieder sicherzustellen, das in der Kursdifferenz bestehe. Überzeugend führt Vera hierzu aus, dass es 212 Nummularii, und ders., Commento, 220 ff. Seine Auslegung basiert auf den Ausführungen von Mickwitz, Geld und Wirtschaft, 88 f v. a. Fn. 34. Auch Jones, LRE, 442; Cracco Ruggini, Associazioni, 160-162 Fn. 202, und Barrow, Prefect, 162 f (und andere), vertraten bereits diese Richtung. Delmaire, Largesses sacrées, 524 f; Sirks, Food, 393; Brandt, Zeitkritik, 41 v. a. Fn. 132; Carrié, Métiers, 82 f; Martini, Qualche osservazione, 253 ff (differenzierend in Einzelfragen); Andreau, Huit Questions, 56 Fn. 12, schließen sich dem an. 213 Mommsen, Röm. Münzwesen, 845 f; sich anschließend u. a.: Waltzing, Etude II, 231 f; 426; Vigneaux, Essai, 337; McGeachy, Symmachus, 77. Etwas unklar: Callu, Problèmes, 106; 115, nach dessen Ansicht Symmachus eine Neufestsetzung des solidusKurses fordert. Er scheint also von einem allgemeinen, festgelegten Wechselkurs auszugehen. 214 Chastagnol, Scandale, 175; ders., Préfecture, 333 f; ders., L’évolution de la société (= Rez. zu Jones, LRE), 163 f; s. a. ders., Bas-Empire, 192 (Übersetzung, wonach die arca ein bestimmtes Gehalt liefere).
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gegenüber den Privatleuten keinen allgemeinen, vorgeschrieben Wechselkurs gegeben hat - und schon gar nicht zwei unterschiedliche Kurse, denn wer hätte zu dem schlechten Preis dann noch gewechselt? - und dass der Staat eher Goldbedarf hatte, als dass er Gold einwechseln wollte, insbesondere weil Adäration für Weinabgaben mittlerweile verboten war (s. Relation 34). Eine weitere Ansicht hat Paschoud215 vorgebracht, der meint, dass die collectarii neu geprägte solidi, die sie selbst zum Tageskurs von der städtischen Münze erworben hatten, durch Verkauf (zum jeweiligen Marktkurs) in Umlauf gebracht hätten und von der arca vinaria in kleinen Münzen entschädigt worden seien, denn in der Bevölkerung habe es einen hohen Goldbedarf (etwa zur Entrichtung der collatio lustralis, s. bei Relation14) gegeben. Nun solle der festgelegte Vorschuß der arca, der den solidus-Erwerb erleichtern soll und durch den gestiegenen Goldpreis entwertet worden war, erhöht werden. Dagegen spricht jedoch vor allem, dass es in Rom kaum solidus-Münzprägungen gegeben hat216. Jenseits einer Skizzierung der Hauptrichtungen kann hier auf die Diskussion allerdings nicht weiter eingegangen werden; es sei auf die Darstellung Veras verwiesen. Aus juristischer Sicht zeigt sich jedenfalls, dass die Geldstücke in einem Kaufgeschäft, vendendis solidis, ausgetauscht wurden wie andere Ware auch. Das zeigt sich auch in den gesetzlichen Bestimmungen wie etwa CT IX, 22, 1 (343): Omnes solidi...uno pretio aestimandi sunt atque vendendi und CT XII, 7, 2 (363): Emptio venditioque solidorum. Die Geldwechsler kaufen und verkaufen die Ware Geld zum aktuellen, schwankenden Marktpreis. Es gibt einen organisierten Geldmarkt, an dem auch die Versorgungskassen in bestimmter Funktion beteiligt sind, hier die arca vinaria zur Entlohnung der Geldwechsler. Dieser Geldmarkt wird reglementiert, regelte sich nicht etwa selbst. Der Kaiser legt die Tauschrate fest, erhöht sie etwa und beschleunigt dadurch ggf. inflationäre Prozesse zusätzlich. Der Prozess der Geldentwertung wurde insoweit nicht näher untersucht, war möglicherweise auch nicht bewusst. Gratians Regelung jedenfalls erschien seinerzeit gerecht, § 1: aequitas illius temporis. Sie gilt immer noch, ist aber durch die Geldmarktentwicklung entwertet worden. Das System ist nicht flexibel und vorausschauend, erfordert daher in relativ kurzen Abständen Reglementierungen, Anpassung an die Geldwertentwicklung, was für die Geldwechsler große Unsicherheit mit sich brachte, denn nicht immer wird der Kaiser dem Problem unverzüglich abgeholfen haben. Die der Relation beigefügten Unterlagen werden den geschilderten Sachverhalt dabei auch zahlenmäßig objektiv belegt haben, eine allzu starke Übertreibung der Darstellung ist daher nicht anzunehmen, auch wenn nutanti in § 1, wonach die Korporation kurz vor dem Zusammenbruch steht, sehr dramatisch anmutet. Der Präzedenz215 Problème, 311 ff (dort auch Diskussion der anderen Ansichten); ders., Les sources, 65 Fn. 82. 216 S. Callu, Problèmes monétaires, 106 ff.
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fall unter Gratian zeigt, dass es sich um ein realistisches Phänomen handelt und der Anstieg des Goldpreises ist auch aus anderen Quellen belegbar217. Symmachus rät dem Kaiser dringend, der Bitte nachzukommen, und versucht, das Auskommen der Korporation und zugleich die Erfüllung ihrer öffentlichen Pflichten, für die er als Stadtpräfekt zu sorgen hat, zu sichern. Die Geldwechsler haben ihn gezielt als Vermittler beim Kaiser eingeschaltet, weil dies Erfolg zu versprechen scheint; sie nehmen Belastungen nicht klaglos hin, drohen gar mit Nichterfüllung ihrer Pflichten. Drohende Überforderung eines Berufsstandes, den der Staat für seine Aufgaben benötigt, verschafft diesem faktisch eine starke Stellung und erlaubt es, Druck auszuüben. Ein ähnliches Phänomen zeigte sich bereits in Relation 14; auch dort wurde die Nichterfüllung einer öffentlichen Pflicht drohend in Aussicht gestellt. Ob die Bitte Erfolg hatte, wissen wir nicht218. Das entsprechende Gesetz wird an den Stadtpräfekten als der für Innungsangelegenheiten in Rom zuständigen Instanz gegangen sein. Symmachus verteidigt hier sachlich und engagiert die Sache der Geldwechsler. Ein Verdacht, dass er eigene finanzielle oder persönliche Interessen verfolgt habe, drängt sich nicht auf. Er wird nicht von sich aus tätig, sondern weil er um Hilfe gebeten wurde. Der genaue Hintergrund des Problems und die Ursachen des gestiegenen Goldpreises interessieren ihn zumindest in der Relation nicht. Symmachus wertet die inflationären Tendenzen nicht, stellt sie nur nüchtern fest. Gegenstand der Relation ist eine Zustandsbeschreibung und der Vorschlag, wie einem konkreten Problem beizukommen ist, nicht die allgemeine Geldpolitik. Nur der Kaiser, beraten von seinen Finanzexperten, kann hier - wie seinerzeit Gratian - weiterhelfen. Er hat das Einkommen der corpora zu sichern und Symmachus erinnert ihn dementsprechend an seine sozialen Pflichten. Das statutum pretium liegt nicht in der Kompetenz des Stadtpräfekten, der sich nur zum Mittler von Beschwerden machen kann. Es handelt sich um ein notwendiges, rechtlich allerdings unproblematisches Schreiben, das um eine schon konkret skizzierte kaiserliche Antwort bittet.
217 Und wird von Symmachus wohl auch konkret belegt. Zum Goldpreisanstieg: Vera, Nummularii, 234. Die Ursachen sind äußerst umstritten. Dazu Vera, a.a.O., 234 ff; ders., Commento, 231 f; s. a. Callu, Problèmes monétaires, wonach zu jener Zeit ansonsten eine relative Stabilität belegbar sei. Die von Symmachus angesprochene Inflation kann demnach nicht allzu stark gewesen sein. 218 Ein Zusammenhang von Relation 29 mit Nov. Val. XVI (445) ist abzulehnen, denn es bestehen keine inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen der von Symmachus geäußerten Bitte und dieser Regelung, die gerade nicht die nummularii schützen, sondern Missstände bekämpfen möchte. Anders: Waltzing, Etude II, 232, wonach es sich 445 um eine vergleichbare Maßnahme zur hier erstrebten gehandelt habe. Ausführlich dazu: Vera, Nummularii, 243 ff; Paschoud, Problème, 315; s. aber auch Martini, Qualche osservazione, 254 ff, gegen den Ansatz Veras. In der Konstitution von 445 wird allerdings ein aktueller Kurs von 1 solidus = 7.000 bzw. 7.200 nummi genannt, der als Anhaltspunkt dienen mag.
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3. Relationen 27 und 44 Hierzu im nächsten Abschnitt.
IX. Personalsachen 1. Relation 17: Unqualifiziertes Personal Symmachus beklagt sich bei Valentinian II. (formal bei allen drei Kaisern, aber inhaltlich geht es um sein eigenes Personal, das Valentinian II. ernannt hat) darüber, dass das ihm im officium urbanum zugewiesene Personal nicht ausreichend qualifiziert sei, § 1: Fidem meam convenit amor saeculi vestri et cura rei publicae, ne corrigenda dissimulem, ddd. imppp. cum ad praefecturam urbanam civilium rerum summa pertineat, minoribus officiis certa quaedam membra creduntur, quibus regendis industrios et probatos oportebat adhiberi, ut suum quisque munus inculpata facilitate promoveat. Obgleich er seine Worte mit Loyalitätsbekundungen einleitet, kritisiert Symmachus hier in deutlichen Worten die kaiserliche Personalpolitik. Die niederen Ämter, minora officia, des officium urbanum219 sind nicht mit industrii et probati, also nicht mit fleißigen, erfahrenen, letztlich kompetenten Männern besetzt. Solche erwarte man aber künftig im Interesse des Staatswohls: Tales nunc de iudicio220 numinis vestri publicus usus expectat, § 2. Symmachus greift keinen Beamten persönlich an, nennt auch keine konkreten Funktionen oder Namen, bittet aber doch darum, man möge diese Ämter erprobten Männern anvertrauen, denn schlechte Leute im eigenen Amt fielen auf die Schultern des Stadtpräfekten, als dem Verantwortlichen für die gesamte städtische Verwaltung, zurück. In § 2 heißt es dazu: Sed nolo culpare praesentes, cum satis sit sollicitudini meae, si melioribus viris officia intramurana mandetis. Meis quippe umeris rerum omnium pondera sustinentur cedentibus reliquis, quos clementiae vestrae multiplex occupatio probare non potuit. Indem Symmachus die schlechte Auswahl der derzeitigen Beamten auf die Überlastung durch andere Tätigkeiten schiebt, vermeidet er zwar, den Herrscher allzu direkt zu tadeln. Dieser habe die Kandidaten nicht ausreichend prüfen können. Doch auch in dieser Aussage liegt noch genügend Kritik, denn Symmachus wirft dem Kaiser faktisch immerhin vor, dass er auf 219 Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 538 Fn. 69, denkt bei dieser Aussage an den praefectus annonae und den praefectus vigilum. Minora officia scheint aber doch eher auf das namenlose, zahlreiche Subalternpersonal im officium urbanum hinzudeuten und nicht (nur) auf diese doch in der Hierarchie verhältnismäßig hochstehenden Ämter. Es dürften aber von den niederen Posten vor allem die wenigstens einigermaßen (finanziell und dem Ansehen nach) interessanten, etwa der Abteilungsleiter, gemeint sein, nach denen zu streben sich lohnt und die ggf. auch Fürsprecher finden. 220 Iudicium als bewusste kaiserliche Auswahl eines Beamten kennen wir schon aus den beiden ersten Relationen.
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bestehende Probleme überhaupt erst aufmerksam gemacht werden muss, also uninformiert und schlecht beraten ist. Die Auswahl an guten Leuten sei groß, betont Symmachus und schließt mit einem Appell: Melius urbi vestrae in posterum consuletis, si legatis invitos. Auch dies bedeutet, dass sich der Kaiser bisher zu wenig um die Belange Roms gekümmert und diejenigen ernannt hat, die nach dem Amt strebten, ohne Rücksicht auf ihre Kompetenz. Ideal sei stattdessen, Männer auch gegen ihren Willen zu ernennen. Dieses Thema des Beamten, der nicht vor allem den Posten ergattern will, hat Symmachus schon in den ersten beiden Relationen angesprochen, in welchen er betont, selbst nie nach dem Amt gestrebt zu haben. Dabei geht es ihm hier natürlich nicht um wirklich unwillige, sondern um kompetente Beamte, die inculpata facilitate, untadelig und mit Leichtigkeit, ihre Pflichten erfüllen und nicht in erster Linie nach der Stellung trachteten oder gar infolge Bestechung, sondern wegen ihrer Kompetenz ernannt wurden. Sich zu zieren ist ein beliebter Topos221 und unterstreicht das eigene Pflichtgefühl gegenüber der Allgemeinheit. Relation 17 ist ein Schreiben, das es nicht an klaren Worten und konkreten Forderungen fehlen lässt. Offenbar hat Symmachus als praefectus urbi und oberster Chef der städtischen Verwaltung kein Mitspracherecht bei der Auswahl des ihm unterstellten Personals, sondern die Personalentscheidungen liegen allein beim Kaiser, der den Präfekten auch nicht im Vorfeld um seine Meinung fragt. Ernennung und Beförderung sind bis in die unteren Stufen der Ämterhierarchie hinein zentralisiert. Der Herrscher in Mailand bzw. jemand aus seiner Kanzlei unterschreibt die Anstellungsurkunden, später sog. probatoriae222, der niederen Beamten. Beamte seiner Wahl können ihn folglich auch über das Geschehen in Rom auf dem Laufenden halten, was ihm wiederum Kontrollmöglichkeiten über die Stadtpräfektur verschafft. Der Stadtpräfekt hat demgegenüber wohl nur begrenzte Disziplinar- und Rechtsprechungsgewalt über seine Beamten. Dass man Rom vor vollendete Tatsachen stellt, ist augenscheinlich ganz normal223. Symmachus kritisiert auch nicht, dass er persönlich 221 Der bei Symmachus in vielen Briefen zu finden ist. Vgl. zum Thema McGeachy, Symmachus, 44 ff. Dieses Ideal spricht auch Marc. Nov. I pr. (450) an. 222 Sinnigen, Officium, 10 f; Noethlichs, Beamtentum, 21 v. a. Fn. 104. Genauer Classen, Kaiserreskript, 44 f: Erst im Jahre 426 werden durch CT VIII, 7, 22 probatoriae eingeführt, aber schon vorher war eine kaiserliche Urkunde üblich. 223 Auch CT VIII, 7, 7 (356), gerichtet an den praefectus praetorio, führt deutlich vor Augen, wie wenig Personalpolitik die höheren Beamten, iudices, betreiben dürfen. Der Kaiser entscheidet grundsätzlich selbst über Anstellung und Beförderung (auch) des unteren Personals. CT I, 5, 8 (378) sieht immerhin vor, dass der Stadtpräfekt den proximatus nach bestimmten Kriterien auswählen soll. Es handelt sich dabei um den Beamten unterhalb des magister scrinii beim Stadtpräfekten, vgl. Noethlichs, Beamtentum, 36 und 91 zu CT I, 5, 8. Das würde einen gewissen Spielraum ergeben. Allerdings ist nicht ganz klar, ob die Konstitution an den Stadtpräfekten von Rom oder an jenen von Konstantinopel gerichtet ist. Die wohl h. M. spricht sich allerdings für den Westen aus: Seeck, Regesten, 250; Chastagnol, Fastes, 202 f (Martinianus); PLRE I, Martinianus 5, 564.
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falsch behandelt oder übergangen würde, sondern belässt dem Kaiser das Auswahlrecht uneingeschränkt, bemängelt nur seine Handhabung. Da der Kaiser in Anbetracht der schieren Masse an Subalternpersonal auf das Urteil seiner Leute angewiesen ist, richtet sich Symmachus’ Kritik mittelbar auch gegen diese Berater im Hintergrund. Dabei könnte man insbesondere an den magister officiorum denken, der ja immerhin Chef des princeps officii ist224. Es stellt sich in diesem Zusammenhang aber auch die Frage, ob Symmachus hier vielleicht auch auf die verbreitete Erschleichung von Ämtern durch Ämterkauf oder suffragium, im Sinne von erkaufter Fürsprache, anspielt225. Aus der Relation ergibt sich das nicht unmittelbar. Kritisiert werden pauschal Leute, die nach dem Amt streben; davon umfasst sind aber natürlich auch jene, die illegale oder zweifelhafte Mittel einsetzen. Doch Symmachus setzt mit seiner Kritik schon früher an, nämlich bei der fehlenden Kompetenz des Personals. Für die Anstellung zählten, wie auch andere Quellen belegen, häufig andere Kriterien wie etwa persönliche Beziehungen des Kandidaten zum Hof. Es gab insoweit eine fließende Grenze zwischen sozial akzeptierter, legaler Empfehlung, die gerade in senatorischen Kreisen weitverbreitet ist226, und illegaler Einflussnahme durch Bezahlung. Symmachus geht es hier nicht vorrangig um rechtswidrig erschlichene Ernennungen, sondern um ganz normale Missstände: Effizienz, Leistung und Befähigung sind in der Praxis keine festen Kriterien der Beamtenauswahl. Der Stadtpräfekt wagt es also, gegen eingefahrene Strukturen der Ämterbesetzung aufzumucken227. Da er 224
Vera, Commento, XXXV; 132 f, glaubt sogar, in Relation 17 einen weiteren Beweis der Gegnerschaft von Symmachus zum magister officiorum zu finden und sieht in dem Schreiben ein Zeichen politischer Rivalität. Dagegen spricht jedoch, dass wir nicht einmal wissen, wie groß damals tatsächlich der Einfluss des magister officiorum auf Personalentscheidungen in Rom war (dazu: Clauss, Magister officiorum, 18 v. a. Fn. 12), und zudem der Relation eine persönliche Gegnerschaft nicht zu entnehmen ist. Als kritisierte Berater des Hofes sind auch Kontaktleute in Rom denkbar. 225 Zu diesem Thema und den zögerlichen kaiserlichen Gegenmaßnahmen wie etwa CT II, 29, 1 (362) und dann erst wieder CT II, 29, 2 (394), vgl. Noethlichs, Beamtentum, 69 ff; Collot, Pratique; Veyne, Clientèle; Schuller, Ämterkauf, 58 ff; Liebs, Ämterkauf. Zosimos, IV, 28, 2, beschuldigt speziell die Hofeunuchen, Vertrauenspersonen des Kaisers, zu solcher Einflussnahme bereit zu sein; s. a. Liebs a.a.O., 184 ff. Einige Ämter waren aber unter engen Voraussetzungen auch legal käuflich, vgl. etwa CT VIII, 4, 10 (365). 226 Speziell zu Symmachus’ eigenen Empfehlungsschreiben vor allem zugunsten von befreundeten Senatoren, aber auch im eigenen Interesse, die mehr als ein Viertel seiner überlieferten 902 Briefe und vor allem das Buch IX der Sammlung ausmachen: Roda, Polifunzionalità; Krause, Spätantike Patronatsformen, 16 f; 53 ff. Meist geht es um Ämterbesetzungen oder sonstige Verwaltungsentscheidungen. Sie sind oft sehr allgemein gefasst und haben in erster Linie eine soziale Bedeutung. Auch Libanios setzt sich um diese Zeit in Antiochia für Freunde ein, empfiehlt sie auf Posten, vgl. Beispiele bei Jones, LRE, 391 f m. N. Fn. 52 und 54. Solche Empfehlungen sind üblich, gute Beziehungen daher wichtig; s. a. Rel. 42 und hier im Dritten Teil. 227 Pedersen, On professional qualifications, 161 ff, hat klar herausgearbeitet, dass Kompetenz und Qualifikation bei Ernennungen und Beförderungen von Beamten nur
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selbst unter dem schlechten Personal leidet, schreibt er hier in eigener Sache. Seine Amtsführung wird insgesamt durch schlechtes Personal erschwert. Jedenfalls in Zukunft soll das besser werden, indem auf die Befähigung geachtet wird. Er meint sein Anliegen wirklich ernst, denn er würde kaum aus einer bloßen, streitlustigen Stimmung heraus so viel wagen. Das Schreiben ist hochoffiziell, in gewisser Weise auch öffentlich, und Symmachus muss mit dem Personal zumindest die nächste Zeit noch weiterarbeiten, wird sich die Kritik also wohlüberlegt haben. Auf dieses mutige Schreiben hin scheint man in Mailand allerdings heftig reagiert zu haben. In CT I, 6, 9 vom 28. Dezember 384 ad Symmachum heißt es nämlich: Disputari de principali iudicio non oportet; sacrilegii enim instar est dubitare, an is dignus sit, quem elegerit imperator. Si quis igitur iudicum fuerit repertus, qui supercilium suum principali aestimet iudicio praeferendum, quinque libras auri eius officium, nisi formam nostrae sanctionis suggesserit, decem ipse fisci viribus inferre cogatur. Diese Konstitution ist an Symmachus als praefectus urbi gerichtet und verbietet Kritik an kaiserlichen Personalentscheidungen bei Androhung einer Geldstrafe für den sich über das Verbot hinwegsetzenden Beamten und sein Büro, das ihn nicht über das Verbot aufklärt228, als gleichwertig einem sacrilegium, hier im Sinne einer Verletzung des Gehorsams gegenüber dem Kaiser229. Die Konstitution passt zeitlich und inhaltlich genau
selten ausschlaggebend waren. Empfehlungsschreiben (vgl. die des Symmachus selbst), ein bestimmter sozialer Status und Vermögen waren meist weitaus wichtiger. Lange Dienstzeit brachte automatisch Beförderung mit sich und manche Positionen wurden auch vererbt oder als Belohnung vergeben, ohne dass die Qualifikation geprüft worden wäre. Es gab keine festen Auswahlkriterien für das Subalternpersonal im officium urbanum, insbesondere keine geregelte Ausbildung, sondern es oblag dem kaiserlichen, beeinflussbaren Ermessen, Beamte zu ernennen. Symmachus beschreibt also im Grunde ein alltägliches Phänomen; s. dazu auch Jones, LRE, 383 ff; Noethlichs, Beamtentum, 57 ff; Schuller, Prinzipien, 203 ff. Nur für ganz bestimmte Ämter gab es gewisse gesetzliche Anforderungen an den Kandidaten, s. etwa CT VIII, 1, 2 (331) für exceptores; CT VI, 35, 7 (367): für bestimmte Palastbedienstete zählen Verdienst und Rechtschaffenheit; s. a. die Fälle bei Noethlichs, Beamtentum, 62 f. Nur in besonderen Fällen ist also persönliches Verdienst festes Ernennungskriterium. Ein Beispiel findet sich evtl. in Rel. 27. Auch bei schlechten Leistungen wurden nur die schlimmsten Missstände bekämpft, etwa Fehlzeiten. Palatini etwa werden erst bei einer über 4-jährigen Abwesenheit abgesetzt: CT VII, 12, 2 (378: Seeck, Regesten, 86). Weitere Quellen zu Pflichtverletzungen nach der Ernennung bei Noethlichs, Beamtentum, 79 ff; s. a. Roda, Un caso di assenteismo, der sich mit einigen Briefen befasst, in denen sich Symmachus selbst für lange abwesende Beamte einsetzt (dazu auch im Dritten Teil). 228 Im Rahmen der Amtsdelikte ist CT I, 6, 9 insoweit ein Sonderfall, als es sich dabei um den einzigen Fall handelt, in dem der Amtsleiter mit einer schärferen, nämlich doppelt so hohen Geldstrafe wie das officium bedroht wird, vgl. die Aufstellung der Haftungsnormen bei Noethlichs, Beamtentum, 223 ff. Das würde bedeuten, dass das Verhalten von Symmachus als besonders gravierend bewertet wurde. 229 Sacrilegium ist im klassischen Recht eigentlich Tempelraub, entwickelt sich aber zum christlichen Religionsdelikt und erfasst auch den Ungehorsam gegenüber dem Kaiser, vgl. CJ IX, 29 und Pfaff, RE-sacrilegium, 1678 ff. Hier wird es gegenüber Symma-
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zu Relation 17; beide handeln von Kritik an der kaiserlichen Personalpolitik. Die Norm ist zwar allgemein formuliert, gilt künftig für alle iudices, spricht aber konkret erst einmal Symmachus an. Außer ihm werden nicht sehr viele Beamte gewagt haben, den Kaiser, gar in einem offiziellen Schreiben, zu tadeln; und der Kaiser wird die Relation kaum unbeantwortet gelassen haben. CT I, 6, 9 ist daher sehr wahrscheinlich als kaiserliche Antwort auf Relation 17 zu identifizieren230 und die Relation damit jedenfalls vor dem 28. Dezember 384 zu datieren; Symmachus hat das Personal seit seinem Amtsantritt testen können. Valentinian II. kehrt die eigene Unfehlbarkeit und Unkontrollierbarkeit hervor und hält die Beamten zu widerspruchslosem Gehorsam an. Es werden die letztlich doch engen Grenzen des Amtes aufgezeigt, vielleicht auch neu definiert, die Symmachus auszuloten suchte. Einen ganz anderen Ton schlug insoweit noch CT I, 6, 6 (368) an den Stadtpräfekten Praetextatus an. Dort heißt es, der praefectus urbi solle das städtische Personal überwachen und Missstände, auch unfähige Beamte, melden, damit der Kaiser sie ersetzen könne, ggf. mit der Empfehlung des Stadtpräfekten. Diese Vorschrift würde das Vorgehen von Symmachus eigentlich decken, der Kaiser hält schließlich zu kritischer Beobachtung des Personals ausdrücklich an. Der politische Wind scheint sich jedoch mittlerweile gedreht zu haben. Symmachus ist mit seiner wenig diplomatischen Relation 17 schlicht zu weit gegangen; nach CT I, 6, 6 soll schließlich der jeweilige Beamte und nicht die kaiserliche Entscheidung kritisiert werden. Der Ton der Relation ist in der Tat provokativ, äußerst selbstbewusst, ja selbstgefällig, wenn Symmachus Valentinian II. den guten Rat gibt, mehr Sorgfalt bei seinen Entscheidungen walten zu lassen. Der neue Ton von CT I, 6, 9 setzt sich dann allerdings fort, was in der Tat auch für ein verändertes Klima in diesen Fragen spricht. CJ I, 23, 5 vom 1. Februar 385 enthält eine vergleichbare Regelung an den praefectus annonae von Rom Nicetius: Sacrilegii instar est divinis super quibuscumque administrationibus vel dignitatibus promulgandis obviare beneficiis. Und auch CJ I, 48, 2 vom 13. Februar 385231 schärft den iudices, womit die Statthalter gemeint sein dürften, ein, höheren Institutionen gegenüber die nötige Ehrfurcht walten zu lassen. Die Reaktion auf Relation 17 war also Teil einer Reihe von Disziplinierungsmaßnahmen gegenüber höheren Beamten.
chus in letzterem, übertragenen Sinne gebraucht; s. a. bei Rel. 21. Majestätsverletzung und Religionsfrevel liegen nahe beieinander. 230 So auch: Jones, LRE, 391 f und Anm. 52; 690 mit Anm. 4; Vera, Commento, 132; 157; Krause, Spätantike Patronatsformen, 54 Fn. 324; wohl auch Chastagnol, Fastes, 224; Pedersen, On professional qualifications, 183 Fn. 77; Toledo, Le prime due relationes, 72. Offenlassend: Matthews, Symmachus and his ennemies, 165 f. Vgl. aber auch die Zuordnung einiger Autoren bei Rel. 21. 231 Seeck, Regesten, 115; 266, datiert so und erblickt in dem Adressaten Principius den praefectus praetorio Italiae. Jones, Collegiate prefectures, 86, datiert hingegen auf den 13.9.385.
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Fazit: Relation 17 zeigt uns die Schwierigkeiten, die Symmachus bei seiner Amtsführung hat, weil ihm nicht genügend qualifiziertes Personal - übernommen vom Vorgänger oder auch frisch ernannt - zur Verfügung steht. Er tritt als mutiger und aufrechter Beamter in Erscheinung, der kompetente Leute fordert und sich unter klarer Benennung bestehender Missstände gegen Patronage, Ämterkauf und starre Mechanismen in der zentralistisch organisierten Bürokratie wendet. Großes Selbstbewusstsein, das sich schon in Relation 14 andeutete, zeigt sich auch darin, dass er auch dieses Schreiben trotz der heftigen kaiserlichen Reaktion zur Veröffentlichung vorgesehen hat. Die in den beiden ersten Relationen angesprochenen Beamtentugenden sind vor dem Hintergrund dieser Relation keine leeren Worte; Symmachus nimmt sein Amt wirklich ernst und zeigt Verantwortungsgefühl, wenn auch sein betontes Streben nach dem Staatswohl in § 1 reichlich pathetisch klingt. Die Tatsache, dass er Karriereeifer nicht mehr nötig hatte, mag ihn befähigt haben, offene Worte auszusprechen. Dabei entschuldigt er sich nicht etwa für eigene schlechte Leistungen, sondern fordert konkrete Besserung und nennt Kriterien, die künftig zählen sollen. Man könnte zwar überlegen, ob das Schreiben nicht auch ein Zeichen seiner eigenen Schwäche und mangelnden Durchsetzungsfähigkeit ist; gegen diese Möglichkeit spricht jedoch, dass er nicht die ungenügende Disziplin seiner Leute bemängelt, sondern fehlenden Fleiß und unzureichende Erfahrung. Symmachus kann das Problem, anders als vielleicht in den Relationen 21, 23 und 34, nicht etwa persönlichen Gegnern anlasten. Die unqualifizierten Ernennungen sind nicht gegen ihn persönlich gerichtet232, sondern bürokratischer Alltag, zumal es hauptsächlich um die vom Vorgänger übernommenen Leute gehen wird, die jedenfalls nicht gezielt gegen Symmachus ernannt wurden. Allerdings ist davon auszugehen, dass Autorität und Ansehen des Stadtpräfekten durch die öffentliche Zurückweisung in CT I, 6, 9 Schaden nehmen mussten, seinen Rücktritt beschleunigt und die beiden letzten Monate im Amt nicht leicht gemacht haben werden. Der Kaiser stellt sich nicht hinter ihn, im Gegenteil. Dabei hatte Symmachus keine andere Möglichkeit, dem Problem beizukommen, denn nur der Kaiser kann die von ihm Ernannten wieder entlassen und Stellen neu besetzen233, wenn unzureichende Leistungen erbracht werden. Insoweit handelt es sich um ein notwendiges Schreiben, das nicht auf persönliche Schwäche des Stadtpräfekten schließen lässt. In Relation 17 findet sich vielmehr ein an232 Davon scheint aber Romano, Simmaco, 54 f, auszugehen, der aus Relation 17 schließt, dass Symmachus nicht mehr wie zu Beginn seiner Amtszeit die Gunst des Kaisers genossen habe und immer mehr an Autorität verliere. Auch Seeck, Symmachus, CCX, datiert Rel. 17 an das Ende der Amtszeit. 233 Nicht zutreffend ist die Annahme von Sinnigen, Officium, 12, der meint, der Stadtpräfekt habe sein Personal bei schlechter Leistung entlassen können. Das ergibt sich nicht aus der von ihm a.a.O. Fn. 9 genannten Konstitution CT VIII, 7, 20 (415) und vor allem steht dem auch Rel. 17 entgegen. Etwas anderes gilt für die Amtsenthebung durch Verurteilung (vgl. die eben genannte Konstitution CT VIII, 7, 20) und bei erschlichenen Posten (vgl. CT VIII, 7, 10; 369 an den praefectus praetorio), wobei der Kaiser in dieser Konstitution das Vorgehen des Adressaten ausdrücklich billigt; es scheint nicht selbstverständlich zu sein.
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spruchsvolles Beamtenethos234 wieder, das schon in den Relationen 1 und 2 angeklungen war. Es tritt eine bestimmte Vorstellung von Amtspflicht zutage: Ein Beamter hat mit Fleiß und Anstand selbstlos im öffentlichen Interesse zu agieren; das Amt ist nicht Privatsache. Diesem Ideal kommt Symmachus, der seine Loyalität trotz aller Kritik an keiner Stelle in Frage stellt, hier selbst sehr nahe. Obwohl seine Privatbriefe, insbesondere die Empfehlungsschreiben zeigen, dass persönliche Beziehungen auch für ihn in der Praxis der Ämterbesetzung relevant sind, enthebt das nicht der Verpflichtung, erfahrene und befähigte Leute zu ernennen, und bedeutet damit nicht notwendig einen Widerspruch zu den hier erhobenen Vorwürfen, erhöht allerdings die Missbrauchsgefahr. 2. Relation 22 Dazu im nächsten Abschnitt. 3. Relation 42: Offizielle Anerkennung für einen verdienten cornicularius Symmachus bittet Valentinian II. (formal alle drei Kaiser; inhaltlich ist aber nur Rom und damit der Westkaiser betroffen) darum, dem cornicularius Petronianus für seine langjährigen vorbildlichen Dienste im officium urbanum offizielle Anerkennung zuteil werden zu lassen: Petronianus urbanarum dudum cohortium miles ad corniculorum gradum inculpati laboris diuturnitate provectus more institutoque maiorum testimonium meruit castrensis industriae, quod ceteris quoque post honestum cursum stipendiorum iudicia detulerunt, ddd. imppp. ... . Dignum est igitur divina temporum vestrorum felicitate, ut peractam sine offensione militiam, si perennitatis vestrae pius vultus adriserit, praerogativa sollemnis exornet. Petronianus war ursprünglich ein gewöhnlicher Beamter im officium urbanum, hat dann Karriere gemacht und ist in der Laufbahn bis zum cornicularius aufgestiegen. So, d. h. im Sinne eines Beamten der städtischen Zivilverwaltung ist wohl die Formulierung urbanarum dudum cohortium miles zu verstehen235. Nach anderer Auffassung236 war Petronianus hingegen 234
Schuller, Ämterkauf, 62, glaubt hingegen ein solches in jener Epoche nur bei Johannes Lydos entdecken zu können. Außer bei Symmachus findet sich indes auch bei Ammian eine klare Vorstellung davon, was einen guten Beamten ausmacht. Für Ammian ist die sorgfältige Auswahl der Beamten eine hervorzuhebende kaiserliche Tugend. So lobt er Jovian und Valentinian I. für ihre Sorgfalt und Vorsicht bei der Beamtenauswahl: XXV, 10, 15; XXX, 9, 3. Das ausdrückliche Lob zeigt, wie verbreitet die Missstände waren. Ämterkauf etwa lehnt Ammian immer wieder ab: XXX, 9, 3; XXXI, 14, 2; s. a. den Überblick zu Ammian bei Noethlichs, Beamtentum, 200 ff. 235 So auch Sinnigen, Officium, 89; Jones, LRE, 693; PLRE I, Petronianus, 690; Vera, Commento, 311 f m. N. zum Sprachgebrauch auch speziell bei Symmachus. Die Begriffe militia/militare/cohortales behandelt umfassend mit Quellen Noethlichs, Beamtentum, 23 ff; 31 ff. Gemeint ist damit allgemein die Tätigkeit im Staatsdienst, sei sie ziviler oder militärischer Natur - u. a. also auch als Beamter des Stadtpräfekten. 236 Chastagnol, Préfecture, 226; ihm folgend: Barrow, Prefect, 217.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
anfänglich Soldat der damals noch existierenden cohortes urbanae, die erst später, jedenfalls aber vor 384237, in die Zivilverwaltung überführt wurden. Petronianus habe seine Karriere dann als ziviler Beamter fortgesetzt. Dagegen spricht jedoch, dass der Sprachgebrauch des vierten Jahrhunderts, insbesondere auch der des Symmachus unter cohortes urbanae regelmäßig das officium urbanum versteht. Beispielhaft sei Ep. III, 87 (388-391) genannt; dort ist in Bezug auf die städtische Zivilverwaltung von „praefecturae urbanae cohortibus“ die Rede und auch in Ep. II, 14 (nach 382238) schreibt Symmachus in diesem Sinne von cohortes urbanae. Militärische Bezeichnungen sind in diesem Zusammenhang nicht ungewöhnlich, auch zivile Beamte werden häufig als milites oder cohortales bezeichnet. Relation 42 erbringt folglich keinen Beweis dafür, dass die alten cohortes urbanae über den Anfang des Vierten Jahrhunderts hinaus noch fortbestanden hätten. Petronianus ist also im Jahre 384/385 (eine genaue Datierung der Relation ist nicht möglich) Beamter der Stadtpräfektur am Ende seiner Karriere. Als cornicularius239 ist er nach dem princeps der zweithöchste Beamte im officium urbanum und bekleidet den höchsten Posten, den man durch Aufstieg innerhalb des officium erreichen kann, denn der princeps ist agens in rebus, kommt also von außen. Petronianus hat Karriere im Innern des officium urbanum gemacht und war auf der höchsten für ihn erreichbaren Position angekommen. Zu seinem Amtsende hat er sich nun nach Dafürhalten von Symmachus gemäß alter Tradition, more institutoque maiorum, eine offizielle kaiserliche Auszeichnung für seine untadeligen Dienste verdient. Derartige Anerkennungen habe der Kaiser schon anderen Beamten am Ende einer ehrenvollen Karriere gewährt; auch Petronianus verdiene daher, so meint Symmachus, nach diesem Brauch belohnt zu werden. Er führt allerdings nicht aus, worin die Auszeichnung bestehen soll. Es handelt sich um ein übliches Privileg, praerogativa sollemnis, das gegenüber dem Kaiser offenbar keiner weiteren Erläuterung bedarf und Symmachus rechnet augenscheinlich auch fest mit einer positiven kaiserlichen Entscheidung, denn er unterlässt es, die Verdienste des Petronianus über pauschale Andeutungen hinaus zu preisen. In der Relation finden sich keine Anzeichen dafür, dass Symmachus im Namen des Senats oder einer anderen Institution schreibt; vielmehr agiert er hier ersichtlich in eigener Funktion als oberster Vorgesetzter des officium urbanum und empfiehlt dem Kaiser einen seiner leitenden Beamten. Das geschieht ganz offiziell, ohne dass besondere persönliche Interessen des Stadtpräfekten er237
Vgl. dazu m. N. schon oben im 1. Teil, 4. Abschnitt I. Callu, Lettres I, 161. 239 Zu dieser mittlerweile rein zivilen Funktion: Jones, Roman civil service, 48; Sinnigen, Officium, 33 ff; Chastagnol, Préfecture, 224 ff; spez. 230 ff; Vera, Commento, 313. Der cornicularius ist einer der Chefs im officium urbanum, assistiert dem praefectus urbi z. B. bei Gericht, s. a. bei Rel. 33. Später wird er sogar einer seiner ständigen assessores und erfüllt weiterhin u. a. Finanz- und Polizeifunktionen. 238
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kennbar wären. Ersichtlich handelt es sich um eine Routineangelegenheit, die keiner ausführlichen Begründung bedarf. Im Unterschied zum wenig ambitionierten niederen Personal aus Relation 17 scheint Symmachus zumindest mit dem Führungspersonal in seinem Amt zufrieden zu sein. Dieses wird sich in Erwartung derartiger Empfehlungsschreiben am Ende der Laufbahn wohl auch um eine gute Zusammenarbeit mit dem praefectus urbi bemüht haben - so zeigt sich gute Zusammenarbeit mit dem princeps officii etwa in Relation 23 -, was andererseits natürlich eine effektive Kontrolle des praefectus urbi durch die Führungskräfte im officium potenziell milderte. Im Gegensatz zu diesen höheren Chargen hatte das in Relation 17 angesprochene niedere Personal vom Stadtpräfekten offenbar zu wenig Karrierechancen zu erwarten, als dass die Leistungsbereitschaft ausreichend angespornt würde. Relation 42 ist letztlich in die große Zahl der symmachianischen Empfehlungsschreiben einzuordnen. Es ist ein sachliches, knappes Schreiben, das weniger rechtliche Probleme, sondern vor allem Fragen zum Sachverhalt aufwirft, denn zu klären bleibt, worin die erbetene Auszeichnung besteht. Als Umschreibungen tauchen in der Relation zwei Begriffe auf: testimonium und praerogativa sollemnis. Praerogativa im Sinne einer Auszeichnung, eines beneficium, begegnet auch in Relation 5, 3 und meint dort die adlectio inter consulares. Hier gebraucht Symmachus ganz ähnliche Formulierungen, denn auch das „Dignum est igitur...“ erinnert an Relation 5. Der Stadtpräfekt bittet beide Male um eine Auszeichnung durch den Kaiser und benutzt dafür bestimmte, feststehende Formeln. Inhaltlich kann aber durchaus Unterschiedliches gemeint sein. Petronianus, dem Symmachus keinen Titel wie v. c. oder v. p. zuerkennt, verdient die einem cornicularius am Dienstende (nach wie vielen Dienstjahren, wird nicht gesagt) regelmäßig zugestandene Belohnung. Zum möglichen Gegenstand der erbetenen praerogativa sollemnis gibt es verschiedene Vorschläge: a) So meint Lécrivain240, Symmachus erstrebe für Petronianus den Senatorenrang (vgl. zu einer solchen Bitte Relation 5), und zieht als Argument Ep. III, 87 (388-391) heran. Dem steht jedoch entgegen, dass dort von Verleihung des Senatorenranges für einen verdienten Beamten keine Rede ist. Aus diesem Brief ergibt sich vielmehr, dass der princeps officii kraft Gesetzes vir clarissimus wurde: in ordinem senatorium lege transcriptus est. Das wird bestätigt durch CT VI, 27, 6, wonach der princeps seit 390 (im Osten schon früher: CT VI, 27, 5 von 386) bei Amtsende Senatorenrang erreicht: ex agente in rebus princeps...sit senator. Für den in der Hierarchie darunter stehenden cornicularius ist damit für die Jahre 384/385 noch kein Senatorenrang anzunehmen; dieser wäre auch als Auszeichnung nicht sollemnis und bedürfte einer ausführlichen Begründung. Damit ist auszuschließen, dass Symmachus für Petronianus den Clarissimat erbittet. 240
Sénat, 33.
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b) Chastagnol241 sieht in der erbetenen Auszeichnung die Aufnahme des Petronianus unter die agentes in rebus, die den cornicularii am Dienstende als sollemnis offenstehe und verweist auf die Konstitution CT I, 15, 11 von 380 (aus Thessalonike an einen vicarius), die 396 durch CT VI, 27, 8 (an den östlichen magister officiorum) bestätigt werde. Der Inhalt der zitierten Konstitutionen stützt diese Annahme aber gerade nicht. Sie erkennen die Aufnahme verdienter Beamter unter die agentes in rebus gerade nicht als Regelfall an; die erste Norm sucht dies vielmehr zu unterbinden; außerdem ist beider Geltung für den cornicularius des Stadtpräfekten von Rom 384/385 mehr als zweifelhaft. Dass Symmachus die Aufnahme als agens in rebus erbeten hätte, findet also keinen hinreichenden Anhalt. c) Denkbar ist, dass Petronianus mit dem Perfektissimat, der u. a. Befreiung von bestimmten öffentlichen Verpflichtungen mit sich brachte242, ausgezeichnet werden soll. Entgegen der Ansicht von Chastagnol243 hatte der cornicularius des officium urbanum zu Amtszeiten den Rang eines vir perfectissimus in den Jahren 384/385 höchstwahrscheinlich noch nicht. Die von Chastagnol zur Begründung herangezogenen Konstitutionen CT VI, 30, 7 (384) und CT VI, 30, 13 (395 - Konstantinopel) betreffen die Hierarchie im officium des comes sacrarum largitionum und können für unsere Frage keinen Beweis erbringen. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass die cornicularii des Stadtpräfekten schon zu Amtszeiten den Rang eines perfectissimus hatten, vielmehr spricht einiges dagegen, dass Petronianus diesen Status schon hat, denn in den Relationen 27, 2 f; 28, 2 und 41, 2 werden perfectissimi eigens als v. p. betitelt, d. h. Symmachus legt auf die Nennung dieser Rangbezeichnung durchaus Wert. Einen Anhaltspunkt dafür, dass die Bitte um eine entsprechende Rangerhöhung nicht fernliegt, bietet CT VIII, 1, 6 (362 an den Statthalter von Tuscia), wo geregelt wird, dass die numerarii (die unter dem cornicularius des Stadtpräfekten stehen) im 7. Jahr nach guter Führung in Ehren entlassen werden sollen als ex perfectissimis; sie bekommen also einen höheren Rang zuerkannt, worüber der Kaiser in genannter Vorschrift abstrakt-generell entscheidet. Dieses Verfahren könnte im Jahre 384/385 erst recht für den cornicularius des praefectus urbi bei Dienstende gelten und würde kaum einer ausführlicheren Begründung bedürfen. Vielleicht aber hatte ein Mann wie Petronianus doch noch etwas spezielleres zu erwarten. d) Nach Ansicht zahlreicher Autoren244 soll Petronianus anläßlich seiner Pensionierung Titel und Rang eines vir perfectissimus unter Einfügung ehrenhalber in die Ränge der protectores domestici verliehen bekommen, was mit zahlrei241
Préfecture, 232; ihm folgend Barrow, Prefect, 9; 217 Fn. 2. Literaturnachweise bei Relation 28. 243 Préfecture, 231 f; gefolgt von Barrow, Prefect, 9. 244 Stein, Officium, 27 mit Fn. 3; Enßlin, RE-Petronianus 1, 1192; ders., REperfectissimus, 678; Sinnigen, Officium, 37 f; Jones, LRE, 592; PLRE I, Petronianus, 690; Vera, Commento, 315 f. 242
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chen Privilegien und Steuerbefreiungen245 verbunden war. Prüfen wir, ob diese Hypothese von den Quellen gestützt wird und ob die Verleihung dieses Ranges wirklich sollemnis war. Zu beginnen ist damit, wie die Funktion eines cornicularius des officium urbanum in den Quellen behandelt wird. In CT VIII, 7, 8 (365) wird für die cornicularii des Präfekten (betrifft die des praefectus praetorio, gilt aber sehr wahrscheinlich auch für die des gleichrangigen Stadtpräfekten) festgelegt, dass sie am Ende ihrer Dienstzeit den kaiserlichen Purpur verehren, d. h. an einer Audienz teilnehmen dürfen, was gewisse Privilegien wie Befreiung von öffentlichen Dienstpflichten und Steuern mit sich brachte246: nostram adorare purpuram volumus. Sie bekommen kraft Gesetzes einen ungestörten Ruhestand ohne öffentliche Dienstpflichten und die üblichen, ungenannten Privilegien zuerkannt: Haec igitur missio ea habeat privilegia, quae veterum principum sanctiones habere constiterit. Vielleicht bittet Symmachus um einen solchen routinemäßigen Empfang beim Kaiser, der mit jeder ehrenvollen Entlassung aus dem Dienst verbunden war. In diesem Fall würde er aber wohl nur den aktuellen Namen eines Ruhestandskandidaten mitteilen. Möglicherweise geht es doch um mehr, vielleicht wirklich um eine Rangerhöhung für Petronianus. Nach Ansicht von Stein247 bestätigt Valentinian I. im Jahre 365 mit der genannten Vorschrift CT VIII, 7, 8 nämlich die alte Regelung, dass der Kornikular der Präfektur beim Abschied den Status eines protector domesticus erhalten soll, wodurch er perfectissimus geworden sei. Dieser Automatismus wird auch von Enßlin vertreten248, nach dessen Ansicht die Verleihung des Rechts, sacram purpuram adorare, zugleich bedeutet, den Rang eines protector domesticus zu erhalten. Dafür spricht in der Tat wohl auch CT VI, 24, 3 (365249). Zwar ließe sich einwenden, dass das adorare und die Rangerhöhung eines protector zum Perfektissimat in einigen Quellen getrennt aufgeführt werden, s. etwa CT VIII, 7, 9 oder CT VII, 1, 7. Aber einen Anhaltspunkt 245 Die protectores et domestici sind eine Elitetruppe und stellen die kaiserliche Leibwache; sie sind also Vertrauensleute des Kaisers, die ggf. mit Spezialaufträgen betraut werden. Das Amt eines protector domesticus hatte auch Ammian inne: XV, 5, 22. Ausführlich zu dieser Position, der der Titel CT VI, 24 gewidmet ist, und den damit verbundenen Privilegien: Diesner, RE Suppl. XI-protectores (domestici), 1113 ff; Besnier, DSprotectores, 709 ff.; Sinnigen, Officium, 38; Frank, Scholae palatinae, 81 ff. S. a. bei Rell. 32; 36; 41 und Jones, LRE 636 ff mit Karriere- und Beförderungsbeispielen (meist rein militärischer Bereich), die durchaus Parallelen zum vorliegenden Fall aufweisen. 246 Bestimmte hochstehende Beamtengruppen wurden in der hierarchischen Rangfolge vom Kaiser in einem Verehrungsritual, bei dem er Huldigungen aussprechen konnte, empfangen. Zur Zeremonie der adoratio purpurae, die als Privileg gewährt wurde und den Abschluss der Karriere krönte, vgl. Avery, Adoratio purpurae, 66 ff; Seeck, REadoratio, 400 f. 247 Officium, 25. 248 RE-perfectissimus, 677 f. 249 Seeck, Regesten, 71; 226. Den Zusammenhang zwischen adoratio und Rangverleihung als protector nach bestimmter Dienstzeit zeigt für einen speziellen Fall auch CT X, 22, 3 (390).
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liefert CT VIII, 7, 9 (366) vielleicht doch, eine Regelung, die wohl auch für die Stadtpräfektur Geltung hatte: Der cornicularius des Präfekten kann (evtl. anlässlich der Zeremonie der adoratio purpurae) vom Kaiser den Rang eines protector domesticus, d. h. zugleich den Perfektissimat erhalten, was die (übliche) Möglichkeit zeigt, dass cornicularii am Dienstende zu protectores domestici befördert werden. Der Kaiser verleiht regelmäßig durch eine Urkunde, epistula, an verdiente Beamte verschiedener officia und auch an verdiente Soldaten den Rang von (ex) protectoribus, s. etwa CT VIII, 7, 2 (353); 3 (352)250; X, 22, 3 (390). Und auch CT VI, 24, 3 (365) zeigt, dass es verschiedene Wege gab, protector domesticus zu werden. Einer davon ist, nach langer Dienstzeit mit diesem Titel geehrt zu werden. CT VIII, 7, 9 legt außerdem fest, dass der am Dienstende mit der Würde eines protector domesticus ausgezeichnete cornicularius von munera und sonstigen Pflichten befreit war; er bekommt den Titel mit allen Privilegien, aber ohne öffentliche Lasten zuerkannt. Vorstellbar ist, dass genau das für Petronianus erbeten wird, der wohl auch nicht mehr aktiv Dienst tun, sondern nur den Rang ehrenhalber erhalten soll, was CT VI, 24, 3 (365) ausdrücklich als Möglichkeit vorsieht. Petronianus soll also vielleicht anlässlich seiner Entlassung aus dem aktiven Dienst vom Kaiser den Rang eines protector domesticus ehrenhalber erhalten, vergleichbar der Rangverleihung im Zusammenhang mit der Aufnahme in den Senat, die bei Relation 5 erläutert wurde. Allerdings wird im September 385 in CT VIII, 7, 16 wiederum nur bestätigt, dass unter anderem Beamte des Stadtpräfekten am Ende ihrer Dienstzeit kraft Gesetzes den Purpur verehren dürfen, Audienz beim Kaiser erhalten als spezielles Privileg, das nicht erschlichen werden darf und wohl auch speziell für den in der Stadtpräfektur tätigen cornicularius am Karriereende gilt. Von einer regelmäßigen Rangerhöhung ist keine Rede und es fragt sich daher doch, ob sie, die gewiss häufig erstrebt wurde, derzeit so selbstverständlich verliehen wurde, dass Symmachus kein weiteres Wort darüber verlieren musste. e) Parallelfälle bei Symmachus? In der Privatkorrespondenz finden sich einige Empfehlungsschreiben für verdiente Beamte, die unter Umständen als Vergleichsfälle herangezogen werden können. So ergibt sich ein ähnlicher Fall wie der von Relation 42 möglicherweise aus der schon erwähnten Ep. III, 87 (388391), einem Empfehlungsschreiben für einen verdienten princeps officii des Stadtpräfekten an den östlichen magister officiorum Rufinus. Symmachus empfiehlt den Beamten für ein Gouverneursamt. Auch der damalige Stadtpräfekt habe schon eine Empfehlung geäußert, die der magister officiorum (doch wohl beim Kaiser) unterstützen möge. Dieser Brief zeigt jedenfalls, dass es nicht unüblich war, wenn der amtierende Stadtpräfekt verdiente Beamte empfahl. Zu überlegen wäre, ob auch Petronianus ein weiteres Amt anstrebte. Gegen diese Vermutung spricht allerdings, dass Symmachus dann wohl konkretere Ausführungen gemacht hätte, anstatt nur von praerogativa sollemnis zu sprechen.
250
Datierung dieser beiden Konstitutionen: Seeck, Regesten, 38 bzw. 93.
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Petronianus soll ehrenhaft entlassen und nicht in ein bestimmtes, aktives Amt befördert werden. Auch in Ep. IX, 57 (396-397) empfiehlt Symmachus einen verdienten Beamten. Ein domesticus des officium urbanum strebt am Ende seiner Karriere nach Belohnung: Cum igitur Asellus domesticus noster in urbanis castris militiae stipendia sine offensione confecerit, quaeso, ut admissus in clientelam tuam et meum sibi patrocinium profuisse et tuum accessisse laetetur. Dieser Brief ist allerdings mit Relation 42 insofern nicht vergleichbar, als es sich um ein privates Schreiben handelt, in dem um Aufnahme des Asellus in die persönliche Gunst des Adressaten Quintilianus251 gebeten wird. Relation 42 ersucht dagegen um konkrete Vorteile, die der Kaiser verleihen soll. Ein passenderer Vergleichsfall zu Relation 42 könnte sich jedoch in Ep. III, 67 (388-391) an den magister militum Richomer finden, worin Symmachus ebenfalls einen verdienten Beamten empfiehlt: Firmum domesticum meum militiae stipendiis cum honestate perfunctum testimonio meo decuit adiuvari. Der Brauch verspreche ihm beim Ausscheiden aus seinem Amt die Würde eines protector als praerogativa: Porrige igitur, oro te, adiutricem manum legitima praemia ex more cupienti. Huiusmodi quippe veteranis praerogativa debetur, ut illis protectorum dignitas tamquam pretium longi laboris accedat. Richomer soll diese Bitte, die der Tradition entspreche, unterstützen. Firmus ist Beamter des Stadtpräfekten, der schon unter Symmachus 384/385 als domesticus252 gedient hat und nun am Ende seiner Karriere im officium urbanum steht. Dieser Brief könnte eine Parallele zu Relation 42 darstellen, denn was 388-391 seit langem üblich war, war wohl auch schon 384/385 üblich, wenn auch ein cornicularius in der Hierarchie wahrscheinlich höher stand als ein domesticus. Symmachus scheint also wirklich um die Verleihung des Titels eines protector zu bitten, womit der perfectissimus-Rang verbunden war und worüber wie im Fall des Firmus der Kaiser zu entscheiden hat. In der Begrifflichkeit sind die beiden Schreiben durchaus vergleichbar, wenn in dem Privatbrief von praerogativa und legitima praemia ex more die Rede ist. Beide behandeln wohl eine Routineforderung, die mehr umfasst als die bloße adoratio. Auch Petronianus scheint keine weitere Karriere als aktiver protector o. ä. machen zu wollen, sondern sich nach einer langen Dienstzeit, mit Privilegien ausgestattet zur Ruhe setzen zu wollen. Das vorläufige Ergebnis ist also, dass Petronianus das Privileg erhalten soll, den kaiserlichen Purpur zu verehren, und anlässlich dieser Ze251
Er ist möglicherweise rector von Samnium, vgl. PLRE I, Quintilianus 2, 759; Roda, Commento, 190. 252 PLRE I, Firmus 4, 340. Von einem domesticus als einem officialis des Stadtpräfekten ist auch in Epp. IX, 57 und II, 71 die Rede. Zu diesem Amt innerhalb des officium urbanum: Sinnigen, Officium, 83 f; Roda, Commento, 190. Der domesticus war Ratgeber und Gehilfe des Stadtpräfekten. Anders: Chastagnol, Besprechung Sinnigen, 39 Fn. 1, der glaubt, der domesticus sei persönlicher Vertrauter von Symmachus, nicht aber ein Beamter des praefectus urbi gewesen.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
remonie unter die protectores et domestici ehrenhalber aufgenommen werden soll. Diese Annahme wird auch vom Wortlaut der Relation gestützt, in der die Rede ist von testimonium meruit. Petronianus verdient offizielle Anerkennung am Ende seiner Laufbahn durch ein bestimmtes testimonium, das der Kaiser auch sonst verleiht. Damit könnte zwar auch ein bloßes Zertifikat guter Dienste gemeint sein. So ist etwa in CT VII, 1, 7 (365) von einem testimonium die Rede, das ein Soldat bei ehrenvoller Dienstentlassung vom Kaiser erhalten kann. Zumindest ein solches Zeugnis, das wohl auch bestimmte Privilegien vermittelt (eine honesta missio ist nach CT VIII, 4, 1 (326) mit umfassender Lastenfreiheit verbunden) und sie vor allem beweisbar macht, wird für Petronianus gefordert, mindestens also ein offizieller ehrenvoller Abschied als Wert an sich253. Aber es geht doch wohl um mehr, denn das testimonium wird weiter umschrieben, wenn es heißt: si perennitatis vestrae pius vultus adriserit, praerogativa sollemnis exornet, womit sehr wohl die Zeremonie der adoratio purpurae gemeint sein könnte. Erbeten wird die Krönung des Karriereendes im Angesicht des Kaisers. Eine solche adoratio purpurae wird wie gesehen seit 365/366 Männern wie Petronianus zugestanden. Bei dieser Zeremonie könnte der Kaiser, wie es die Quellen als üblich bezeugen, Ehrendiplome wie die Ernennung unter die protectores et domestici verliehen haben. Die Zusammenschau von CT VIII, 7, 8 f; 16 und Ep. III, 67 stützt diese Vermutung. Petronianus soll der Ruhestand ebenso versüßt werden, wie es bei Beamten seines Ranges üblich ist. Das erbetene Privileg ist, wie auch der genannte Brief zeigt, so gebräuchlich, dass es keiner weiteren Ausführung bedarf. Eine wohl durchaus vergleichbare, ehrenvolle Entlassung schildert 1 ½ Jahrhunderte später anschaulich und ebenfalls ohne nähere Angaben zu den Einzelheiten der Ehrung auch Johannes Lydos254. Was indes die bloße Zulassung zur adoratio purpurae anbelangt, bedürfte es den genannten Quellen zufolge eigentlich keines besonderen Empfehlungsschreibens, denn Petronianus hat einen Anspruch darauf. Doch selbst wenn sich Symmachus’ Gesuch nur darauf beziehen würde, wäre das Schreiben doch verständlich, denn allzu häufig wurden solche Privilegien unrechtmäßig erschlichen. Symmachus kann hier mit seinem Amt und Namen jedem Verdacht im voraus entgegentreten, Petronianus wolle sich einen unberechtigten Vorteil verschaffen. Aus CT VIII, 7, 16 (385) etwa ergibt sich, dass damals officiales des Stadtpräfekten, wenn sie ihre Dienstzeit vollendet haben, zur adoratio purpurae 253 Offizielle Verleihung von Privilegien, Ehrungen bzw. Anerkennung durch kaiserliches testimonium ist ein in den Rechtsquellen häufig gebrauchter Ausdruck, genannt seien beispielhaft CT VI, 35, 9 (380); VI, 22, 8, 1 (425); s. a. CT VII, 20, 12 (400): kaiserliches testimonium macht aus Soldaten Veteranen und wird oft erschlichen. In CT VI, 35, 7 (367) heißen die kaiserlichen Empfehlungsschreiben auch prosecutoriae. 254 De magistratibus III, 30: Der Kaiser empfängt den Betreffenden und verleiht ihm eine bestimmte Würde, die üblich ist, und daher nicht näher präzisiert wird.
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zugelassen werden, aber ebenso, dass es keine Ausnahmen geben wird. Das zeigt, dass immer wieder versucht wurde, dieses Recht - ebenso wie andere Privilegien und Rangerhöhungen - zu erschleichen255. Aus dieser Vorschrift lässt sich außerdem schließen, dass nicht lange nach der Amtszeit von Symmachus nicht (mehr) allgemein bekannt war, welche Beamten im Einzelnen berechtigt sein sollten. Es bestand zumindest in Bezug auf das officium urbanum das Bedürfnis, die vermutlich schon seit früheren Zeiten geltende Regelung wieder ins Bewusstsein zu rufen. Symmachus selbst zweifelt allerdings keineswegs daran, dass Petronianus einen Anspruch auf die geforderte Auszeichnung hat. Der Kaiser wird unmissverständlich aufgefordert, er möge auch in diesem Fall wie immer entscheiden. Allerdings begründet er das nicht mit einer kaiserlichen Regelung, die einen Anspruch gewährt, sondern beruft sich auf mos maiorum und sollemnitas. Und auch die einschlägigen Konstitutionen begründen Privilegienverleihungen regelmäßig mit der Tradition, dem verwaltungsmäßig Üblichen. Die Relation entspricht dieser üblichen Argumentationsstruktur. Was die Rechtskenntnisse des Symmachus betrifft, ist festzuhalten, dass er etwa bestehende Regelungen nicht in seine Argumentation einbezieht, ob aus Unkenntnis, Taktik oder Rechtsüberzeugung, die die Berufung auf das Gewohnte als gleichwertige Begründung des Anspruchs ansieht, muss dahingestellt bleiben. Das in der Verwaltung Übliche wird gewohnheitsrechtlich gefordert (vgl. insoweit auch Ep. III, 67) und hat jedenfalls aus sich selbst heraus eine Berechtigung; es bedarf keiner weiteren Begründung, ist per se achtenswert und auch vom Kaiser zu berücksichtigen. Ziel des Schreibens ist es vor diesem Hintergrund, durch persönliche Fürsprache vielleicht doch die Aussichten für die erwartete Auszeichnung zu erhöhen und jeden bösen Schein zu vermeiden. Insbesondere Ep. III, 67 zeigt die Üblichkeit solcher Briefe und das typische, sich wiederholende Argumentationsmuster, was sie letztlich zu reinen Formschreiben macht. Die offene Bitte in Relation 42 erweckt jedenfalls nicht den Anschein, Symmachus hätte unredlich Einfluss zugunsten des Petronianus nehmen wollen. Klarzustellen, dass hier keine Patronage, gar Korruption, wie häufig in diesem Zusammenhang, vorliegt, ist vielmehr eine der Intentionen des Schreibens. Symmachus selbst kann nicht entscheiden; das Schreiben an den Kaiser ist daher notwendig: Allein der Kaiser befindet über die Verleihung von Privilegien an verdiente Beamte, wie auch die angesprochenen Vergleichsfälle zeigen.
255
Dass es sich in diesem Zusammenhang um ein häufiges Problem handelte, belegen weitere Konstitutionen, die derartige Missstände zu unterbinden suchten, etwa CT VIII, 7, 2 (353); 3 (352); VII, 1, 7 (365); VI, 24, 3, 1 (365); VIII, 1, 13 (382, Konstantinopel); VI, 5, 2 (Mai 384 an den praefectus praetorio Praetextatus). Zu unberechtigten Titeln und Statuserschleichungen und den Gegenmaßnahmen vgl. auch bei Rell. 38 und 44 und Noethlichs, Beamtentum, 94 ff.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Der Ausgang der Angelegenheit ist unbekannt. Symmachus zeigt sich wahrscheinlich mit Recht - optimistisch, der Kaiser werde die Bitte erfüllen, Petronianus empfangen und ihn mit den üblichen Privilegien auszeichnen.
X. Versorgungsschwierigkeiten 1. Relation 18: Getreidelieferungen Symmachus schreibt im Spätsommer 384, aestate provecta (§ 2), an Valentinian II. (formal an alle drei Herrscher, § 1), der als Westkaiser für Rom zuständig ist, und bittet ihn angesichts leerer Speicher in drängendem Ton um Hilfe, denn ein großer Teil der erwarteten Getreidelieferungen aus Africa ist ausgeblieben. Der Stadtpräfekt befürchtet offensichtlich, es könnte zu Engpässen bei den staatlichen Brotverteilungen256 und zu Unruhen kommen, § 2: Nam aestate provecta cum ex Africanis portibus minimum devehatur, non inani tangimur metu, ne res annonaria in graves cogatur angustias, et ideo oro quaesoque perennitatis vestrae salubre praesidium, ut iudices Africanos et notarium, cui aeternitas vestra mandavit frumentarios commeatus, severiora scripta destimulent, missis in hoc negotium strenuis, qui onera consueta, dum tractabilis navigatio est, victui urbis exhibeant. In § 1 klingt auch der Vorwurf an, der Kaiser kümmere sich zu wenig um die Versorgung Roms; man brauche Fakten, nicht nur Versprechungen: sed re magis quam spe tuti esse debemus. Quod facile factu est, si hanc quoque partem clementiae vestrae cura respexerit. Symmachus macht sich zum Fürsprecher des Volkes, oro quaesoque, schreckt nicht vor kritischen Bemerkungen zurück und erinnert den Kaiser an seine Fürsorgepflicht. Und so stellt er auch eine ganz konkrete Forderung: Der Kaiser soll die verantwortlichen africanischen Magistrate und den notarius in deutlichen Worten an ihre Pflichten erinnern und zusätzliche, durchsetzungsfähige Leute schicken, damit die Schiffe unverzüglich auf den Weg gebracht werden. Das Schreiben ist also vor der winterbedingten Beendigung der Navigation Mitte Oktober abgegangen257. Die fortgeschrittene Jahreszeit drängt zur Eile. Der (unbekannte) notarius war offenbar ein vom Kaiser speziell nach Africa abgeordneter Beamter, der die Getreideverschiffung vor Ort zu überwachen hatte258. 256 An den öffentlichen, kostenlosen bzw. verbilligten Verteilungen von Brot, Fleisch, Öl und Wein durch Korporationen und bestimmte städtische Beamte an das römische Volk nahmen nach Schätzungen zwischen 200.000 und 300.000 Berechtigte teil, vgl. Chastagnol, Ravitaillement, 21 f; Herz, Studien, 277; Mazzarino, Aspetti sociali, 217 ff. 257 Vgl. dazu speziell CT XIII, 9, 3, 3 (380) an die africanischen navicularii. 258 Lengle, RE-tribunus et notarius, 2453 f; Jones, LRE, 572 ff; Clauss, Magister officiorum, 22 f; Teitler, notarii, 34 ff, führen als Funktion dieses Beamten unter anderem an, dass er im kaiserlichen Auftrag in eine Provinz entsandt werden kann und dann je nach Auftrag über spezielle Kompetenzen verfügt, vgl. CT I, 3, 1 (383). Ansonsten ist er hoher kaiserlicher Sekretär und Schriftführer im consistorium; s. a. bei Rel. 23.
2. Abschnitt: Verwaltungssachen
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Die Probleme in Africa werden dem Kaiser also nicht hier erstmalig zu Gehör gebracht. Aus Relation 3, 15-17 wissen wir, dass es im Jahre 383 eine Hungersnot wegen schlechter Ernten gegeben hatte; die Regierung kümmert sich im Folgejahr offensichtlich stärker um die Lebensmittelversorgung. In § 3 folgt demgemäß ein optimistischer Blick in die Zukunft, in der die Wünsche aus Rom erfüllt werden. Selbstbewusst vertritt Symmachus römische Interessen und nimmt den Herrscher in die Pflicht: Hoc saeculo vestro, hoc divinis virtutibus dignum est, ut securitatem Romani populi inter praecipua et prima curetis. Woher die Verzögerungen der africanischen Schiffsladungen im Einzelnen rühren, wird aus der Relation indes nicht deutlich und auch die Namen der verantwortlichen Personen, iudices Africani, zu denen an erster Stelle jedenfalls Prokonsul, Vikar und vor allem praefectus annonae von Africa gehören dürften259, bleiben im Dunkeln. Ursache der ausbleibenden Lieferungen sind jedenfalls nicht Widrigkeiten des Wetters, schlechte Ernten oder politische Probleme, sondern fehlende Disziplin, Ineffizienz, technische Schwierigkeiten in Africa, Betrügereien etwa bei der Steuereintreibung260 oder sonstige Manipulationen, etwa durch künstliche Verknappung oder Aufkäufe, um die Preise in die Höhe zu treiben. Symmachus kritisiert niemanden ausdrücklich, auch nicht den kaiserlichen Beamten, wohl aber indirekt. Etwas anders stellt sich die Krise des Jahres 384 freilich in der Darstellung von Ambrosius dar, der widrige Winde für die Verzögerungen verantwortlich macht261. Verfälscht Symmachus also die Tatsachen? Dagegen spricht jedoch, dass er allein wegen des Wetters den Kaiser nicht anrufen und sich sicherlich auch keinen unnötigen Ärger mit den africanischen Magistraten, die ja vom Kaiser angetrieben werden sollen, einhandeln würde. Ambrosius dagegen verfolgt mit seiner Darstellung ganz bestimmte Absichten, er will nämlich die Ausweisung der Fremden (vgl. dazu noch Relation 37) als überflüssige Maßnahme des Stadtpräfekten hinstellen. Nicht Symmachus, sondern Ambrosius ist tendenziös. Das Wetter mag die Probleme verstärkt haben, aber Symmachus
259
Herz, Organisation, 170 ff, gibt einen Überblick über die verschiedenen beteiligten Institutionen und den Ablauf vor und bei Verschiffung; s. a. Tengström, Bread, 35 ff. Nach CT XI, 7, 8 (355) sind für die Steuererhebung in Africa die Statthalter, praefecti annonae und rationales zuständig; s. a. CT I, 15, 10 (379) zur Zuständigkeit des Vikars und des Prätorianerpräfekten mit ihrem Personal. Eine wichtige Rolle spielen daneben die navicularii, die als Korporation für den Transport verantwortlich sind, auf die hier aber keine Schuld fällt, da sie nicht iudices sind. 260 Nach CT XI, 1, 11 (365 an den vicarius Africae) gibt es beispielsweise Betrügereien bei der Registrierung der Naturalsteuern in Africa durch die tabularii. Das Steuersystem ist kompliziert und anfällig; Missstände sind häufig. Vorschriften und zuständige Beamte bei Noethlichs, Beamtentum, 111 ff; s. a. bei Rel. 34. 261 De officiis III, 49 f. S. a. Ammian, XIV, 6, 19 und Themistius, Or. XVIII, 222a.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
ruft aus anderen, triftigen262 Gründen den Kaiser an und belegt die akuten Lieferengpässe auch zahlenmäßig (Relation 37). Der Stadtpräfekt scheint angesichts der Probleme mit den africanischen Beamten ziemlich hilflos zu sein. Das lässt sich damit erklären, dass er, wie auch der römische Getreidepräfekt, örtlich nur für das Stadtgebiet von Rom, Porto und Ostia zuständig ist. Da er nicht Dienstherr der africanischen Beamten ist, kann er sie selbst nicht in effektiver Weise ermahnen, sondern muss andere Autoritäten um Hilfe bitten. Näher als der Kaiser läge zunächst der Prätorianerpräfekt von Italien und Africa. In Relation 35 zeigt sich, dass dieser normalerweise auch eingeschaltet wird; in jenem Fall allerdings ohne Erfolg. Vielleicht hat Symmachus hier daher gleich darauf verzichtet, ihn zu benachrichtigen, und unmittelbar den Kaiser angerufen. Von den hier betroffenen Beamten untersteht der proconsul Africae direkt dem Kaiser263 und nur der praefectus annonae Africae dem praefectus praetorio, dessen Einflussbereich also ebenfalls beschränkt war. Unklar ist auch, was der römische praefectus annonae, der für die römische Getreideversorgung vorrangig zuständig ist (vgl. Relation 35, in der sein pflichtgemäßes Verhalten hinsichtlich der Ölversorgung besonders betont wird), bereits unternommen hat. Hat er zu spät reagiert, so dass keine Zeit blieb, den praefectus praetorio einzuschalten? Vermutlich gehen die konkreten Schwierigkeiten nicht einmal über das normale Maß hinaus; ähnliche Versorgungsengpässe gibt es häufig. Liest man allerdings Ammian XIX, 10, wonach im Jahre 359 der Stadtpräfekt Tertullus körperlich bedroht war angesichts von (wetterbedingten) Versorgungsschwierigkeiten, wird die große Sorge des Stadtpräfekten verständlich264. Im eigenen Interesse setzt er alles in Bewegung, um vor Beendigung der regulären Schifffahrt im Oktober Abhilfe zu schaffen. Da Ende des Sommers nur wenig Zeit bleibt, scheint es auch angemessen, die höchste Instanz in Mailand einzuschalten. Das Schreiben wirft ein erstes Licht auf die Schwierigkeiten des komplizierten und langsamen bürokratischen (Versorgungs-)Systems, denen Symmachus als Stadtpräfekt nur wenig entgegensetzen kann, das er aber insbesondere aus seiner Zeit als proconsul Africae gut gekannt haben wird.
262 Der notarius weilt jedenfalls nicht zur Verhinderung widriger Winde in Africa. Im Übrigen gibt es immer wieder Lieferschwierigkeiten in Africa, vgl. etwa Epp. III, 55 und 82 (wohl 389); IV, 54, 2 f (397); VII, 68 (396). 263 Jones, LRE, 375 u. a.; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 532 f. 264 Für die Unruhen im Jahre 383 sei Ep. II, 6 angeführt. Weitere Beispiele für Engpässe in der Lebensmittelversorgung und dadurch ausgelöste Unruhen in diesen Jahren finden sich bei Ruggini, Economia, 155 ff; Kohns, Versorgungskrisen, 110 ff; Kneppe, Untersuchungen, 24 ff; 57 ff.
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2. Relation 37: Noch einmal die Getreideversorgung Valentinian II. (formal alle Kaiser, § 1) wird in diesem Schreiben um eine finanzielle Sonderzuwendung gebeten, um die Getreidekrise zu beheben, § 2: Ad vos igitur salutaria numina convolamus et opem largam populi Romani inploramus aerario. In Mailand scheint man die Bitte aus Relation 18 nicht ernst genommen zu haben, denn Symmachus macht einen weiteren, noch dringlicheren Vorstoß beim Kaiser. Die in den Relationen 9 und 18 angedeuteten Versorgungsschwierigkeiten haben sich verschärft, Lieferungen aus den lieferpflichtigen Provinzen, decretae provinciae, sind ausgeblieben (§ 2). Gemeint sind wohl die regulären Lieferungen aus Africa (Relation 18)265 sowie offensichtlich (§ 2 a. E) Sonderzusagen aus Spanien und Alexandria (ein Gesuch um ägyptische Lieferungen findet sich in Relation 9). Die zuständige Kasse266 benötigt daher, um ihre Zahlungsunfähigkeit zu verhindern, einen kaiserlichen Zuschuss, der es erlaubt, Getreide auf dem freien Markt zu erwerben, um die Bevölkerung weiter versorgen zu können. Ohne Unterstützung drohe die Nichterfüllung der öffentlichen Aufgaben und allgemeine Verschuldung. Zum Beleg der Krise fügt Symmachus betragsmäßige Aufstellungen über die Liquidität der betroffenen Kassen und die Lieferrückstände bei, §§ 2 f. Teilweise wird in diesem Zusammenhang und in Zusammenschau mit Relation 23 auch vertreten267, Symmachus deute hier an, dass die arca frumentaria aus unklaren Ursachen bereits verschuldet sei, § 2: ne cessantibus subsidiis necessaria deserantur, quae hactenus personae tenues alieno, ut queruntur, aere tolerarunt. Dagegen hat schon Vera268 überzeugend eingewandt, dass Symmachus mit den personae tenues hier wohl nicht kleine Kassenbeamte, die illegal Gelder aus der Kasse genommen haben, sondern die kleinen Leute meint, die sich unter Protest verschulden müssen, um Brot auf dem freien Markt zu erwerben, da die öffentliche Versorgung mangels Lieferungen bereits einge265
Unter Konstantin auferlegte Beitragspflichten aus Campania hatte Gratian abgeschafft, vgl. Rel. 40, 4. 266 Es handelt sich bei dem von Symmachus genannten aerarium populi Romani höchstwahrscheinlich um die arca frumentaria als der für die römischen Getreide- bzw. Brotverteilungen zuständigen Kasse, die unter Aufsicht des Stadtpräfekten steht und letztlich ein Teil der sacrae largitiones ist. Zu dieser Kasse: Chastagnol, Préfecture, 315 ff. Nach anderer Ansicht handelt es sich um die Kasse des Senats: Vigneaux, Essai, 341. Dagegen ist einzuwenden, dass aerarium inzwischen regelmäßig die kaiserliche Kasse, den fiscus, bezeichnet; s. mit Nachweisen bei Rel. 20. Zum Streitstand bzgl. Rel. 37: Vera, Commento, 281 ff. 267 Chastagnol, Préfecture, 318 f; Barrow, Prefect, 194 f. Sie verweisen auf Rel. 23, aus der sich allerdings nur ergibt, dass Untersuchungen über die Amtsführung des ehemaligen Stadtpräfekten Bassus angestellt werden. Ihr Gegenstand ist unbekannt (s. a. bei Rel. 33). 268 Commento, 164 ff; 284 f. Wie hier auch die Übersetzung von McGeachy, Symmachus, 37. Auch Kohns, Versorgungskrisen, 234, zweifelt, dass sich aes alienum konkret auf Finanzgebaren unter Bassus bezieht. Das hactenus meint nichts Abgeschlossenes, länger Zurückliegendes, sondern etwa „bis jetzt“.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
schränkt werden musste. Symmachus unterstreicht mit seiner Darstellung die explosive Lage in der Stadt. Vom Wortlaut her ist jener Ansatz zwar nicht ausgeschlossen, doch liegt die hier bevorzugte Auslegung näher, insbesondere weil auch in Relation 23 nie von Schulden der arca die Rede ist. Ursache der Krise sind ausgebliebene Lieferungen, nicht Entnahmen aus den Kassen. In § 1 gesteht Symmachus offen ein, dass er als Stadtpräfekt mit dieser Krise überfordert ist: maiestati autem vestrae subditae potestates tantum mediocribus causis valent ferre medicinam, magnarum vero rerum mole superantur. Immerhin hat er schon einiges versucht: die Ostkaiser in Relation 9 um Hilfslieferungen aus Ägypten gebeten und Valentinian II. in Relation 18 gedrängt; wie sich aus § 2 ergibt, hat er auch den Senat um finanzielle Unterstützung gebeten, allerdings vergeblich. Die Senatoren machen geltend, es fehlten ihnen die nötigen Mittel, und rufen daher, so Symmachus, über diese Relation den Kaiser um Hilfe an. Symmachus stellt die Weigerung seiner Standesgenossen also als fundiert dar. Die Begründung klingt aber ausweichend, denn bei anderen Gelegenheiten269 hat der Senat durchaus Hilfe versprochen, und schließlich handelt es sich hier nur um offensichtlich überwindbare Lieferengpässe, die es für kurze Zeit zu überbrücken gilt. Deshalb ist insoweit die Schlussfolgerung von Vera nachvollziehbar270, wonach hier zu sehen sei, dass es Symmachus, der in seiner Sorge doch wohl ernsthaft um Hilfe gebeten hatte, an senatorischer Unterstützung gefehlt habe. Nicht aus den Relationen, aber aus anderen Quellen (dazu m. N. schon im 1. Teil, 2. Abschnitt I) ergibt sich eine weitere Maßnahme, um der Versorgungskrise beizukommen. Symmachus weist die Fremden aus der Stadt, Ep. II, 7, 3: Defectum timemus annonae pulsis omnibus, quos exerto et pleno ubere Roma susceperat. In diesem Brief bedauert er diese Maßnahme selber, für die er die Verantwortung abzuschieben sucht und die er wahrscheinlich auf Drängen des Volkes hin ergriffen hat, um Unruhen vorzubeugen. Hilfe ist damit gegenwärtig nur noch vom Kaiser zu erwarten. In § 3 appelliert Sym269
Ambrosius, De officiis III, 45 ff, betont, dass es einem der Vorgänger des Symmachus gelungen sei, die Unterstützung des Senats zu erlangen und eine Vertreibung der Fremden zu vermeiden. Auch 396 hilft der Senat, das Volk ruhig zu halten: Epp.VI, 12; 14; 26; 54; VII, 68. Im Jahre 402 reist Symmachus sogar selbst als Gesandter des Senats nach Mailand, um Honorius zu bitten, die africanischen Getreidetransporte zu beschleunigen, die für die städtische Versorgung bestimmt sind: Epp. V, 94 und 95 an den proconsul Africae Helpidius. 270 Commento, XLV; LV; LX; 285 f (mit Diskussion). Er erblickt darin ein Zeichen der nachlassenden Autorität des Stadtpräfekten insgesamt, möglicherweise aus religiösen Gründen. S. schon McGeachy, Symmachus, 37, wonach diese Stelle die Schwierigkeiten des Stadtpräfekten zeige. Allerdings sollte sie wohl auch nicht überbewertet werden. Aus ihr spricht ein nicht ungewöhnlicher, standestypischer Egoismus. Manche gehen daher soweit, die Weigerung des Senats auf rein wirtschaftliche Interessen zurückzuführen, weil die Senatoren an der Krise gut verdienen könnten, s. Vera, Commento, 285 f. Festzuhalten bleibt aber, dass es Symmachus jedenfalls nicht gelingt, die Senatoren für sich zu gewinnen. Auch in Ep. II, 7 schimmert insoweit die schlechte Stimmung, insbesondere auch gegenüber dem Senat, während bzw. gegen Ende seiner Amtszeit deutlich durch.
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machus daher mit einer persönlich formulierten Bitte (Quaeso...) an das kaiserliche Pflichtgefühl: ...etiam prisca (sc. beneficia) servate atque urbi vestrae adnuere dignamini, et quod praetermissio praeterita suspendit et quod futurus usus expectat. Frühere Versäumnisse gegenüber Rom werden dabei beiläufig dezent getadelt und vom Kaiser dauerhafte Aufmerksamkeit eingefordert. Aus Relation 35, 1 a. E. lässt sich schließen, dass die Getreidekrise wahrscheinlich noch während der Amtszeit des Symmachus behoben werden konnte. Unklar ist, auf welche Weise man ihr beikommt. Die in Relation 9 erbetenen Lieferungen aus Ägypten oder die hier geforderten kaiserlichen Zuwendungen könnten eingetroffen sein. Die einfachste Lösung aber wäre, dass die regulären Lieferungen aus Africa endlich angekommen sind (vgl. Relation 18). Das würde auch erklären, dass sich Symmachus in keiner Relation für kaiserliche Unterstützung bei der Versorgung bedankt. 3. Relation 35: Ölkrise Symmachus berichtet über Schwierigkeiten mit den africanischen Öllieferungen und bittet darum, die zuständigen Beamten in Africa zur Pflichterfüllung anzuhalten. Inhaltlich ist Valentinian II. angesprochen, der für die Versorgung Roma aus Africa richtiger Adressat ist. Eine zeitliche Einordnung des Schreibens wird durch eine Bemerkung in § 1 a. E. nahegelegt, wonach es keine Schwierigkeiten mit der Getreideversorgung gebe: Frumenti cotidianus usus in facili est; die in den Relationen 9, 18 und 37 beklagte Getreidekrise scheint also noch während der Amtszeit von Symmachus überwunden worden zu sein. Relation 35 wäre nach den drei genannten Relationen zu datieren, aber wohl noch vor dem mare clausum, denn Symmachus erwartet africanische Lieferungen. Nicht auszuschließen ist allerdings auch, dass die Ölkrise sich vor der Getreidekrise bemerkbar machte271. Der praefectus urbi schreibt in Sorge um die römische Ölversorgung (der täglichen Verteilung von Olivenöl) und wirkt beunruhigt durch die eingetretenen Verzögerungen, deren Ursache wieder einmal bei den africanischen Beamten liegt, § 3: Quare omnes suppliciter oramus, si expectatis preces, qui vota omnium beneficiis praevenitis, ut quam primum iudices Africanos super hac specie Romanis horreis inferenda divinus sermo destimulet. Nam properato opus est, priusquam reliquum profliget diurna praebitio. Der konkrete Vorschlag lautet auch dieses Mal, dass der Kaiser die zuständigen Beamten zur Pflichterfüllung anhalten möge. Einmal mehr wird dieser in drängendem Ton in die Verantwortung genommen. Das bis zu diesem kritischen Punkt eingeschlagene Verwaltungsverfahren ergibt sich aus § 2, wonach der praefectus annonae von Rom272 pflichtgemäß, partium suarum diligens executor, schon vor länge271
Zur Datierung: Kohns, Versorgungskrisen, 175 Fn. 410; Vera, Commento, 275 f. Vielleicht Nicetius, s. dazu bereits im 1. Teil, 3. Abschnitt VI. und bei Rel. 23. Er ist der für die Getreide- und Ölversorgung Roms örtlich zuständige Beamte, der unter 272
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rer Zeit, dudum, den Prätorianerpräfekten von Italien und Africa schriftlich davon informiert habe, ut ipse adserit, dass die Vorräte zur Neige gehen. Das hat aber keinen Erfolg gebracht. Die Versorgungslage hat sich weiter verschlechtert und nun greift der Stadtpräfekt als übergeordneter Beamter in Rom persönlich ein und informiert den Kaiser. In §§ 1 und 3 klingt an, dass der Kaiser wahrlich etwas mehr Interesse bekunden und nicht so lange abwarten sollte. Daneben schwingt auch Unmut über das augenscheinliche Desinteresse des Prätorianerpräfekten mit, wobei der wahrscheinliche Amtsinhaber (das Schreiben datiert wohl vor Dezember 384) Praetextatus nicht besonders heftig kritisiert wird; Symmachus stellt lediglich sachlich den bisherigen Ablauf der Krise dar273. Auf einen, gar persönlichen, Konflikt zwischen den beiden Beamten lässt sich daraus nicht schließen. Möglicherweise scheiterte ein effektives Einschreiten des praefectus praetorio schlicht an dessen fehlender Kompetenz, dem Prokonsul von Africa Weisungen zu erteilen. Als Fazit bleibt auch hier festzuhalten, dass dem Stadtpräfekten, dessen Kompetenz auf das Gebiet um Rom begrenzt ist, nichts anderes übrig bleibt, als die höchste Instanz in Mailand anzurufen. Der Ausgang der Krise ist nicht bekannt. 4. Beobachtungen zur Versorgungsfrage Die Relationen 9, 18, 35 und 37 und auch viele seiner Briefe zeigen Symmachus in beständiger Sorge um die Versorgung Roms schon bevor eine akute Krise eintritt. Pflichtbewusst, auch im eigenen Interesse, versucht er, auf verschiedenen Wegen Unterstützung zu erlangen, trägt mehrmals den Kaisern erwartungsvoll Schwierigkeiten vor und appelliert in offenen und durchaus kritischen Worten an ihr Verantwortungsgefühl. Als problematisch erweist sich, dass seine Kompetenz und die des Getreidepräfekten von Rom örtlich eng bedem Stadtpräfekten steht. Dazu schon im 1. Teil, 4. Abschnitt I., und speziell Chastagnol, Préfecture, 57 ff; 321 f; Herz, Organisation, 164 ff; 180. Er hat den Überblick über die Vorräte und ermittelt den Bedarf. Entgegen der Ansicht von Giardina, Sulla concorrenza, 71; sich anschließend Vera, Commento, 273 f, kann man aus Relation 35 eine verwaltungsmäßige Unabhängigkeit des praefectus annonae vom praefectus urbi wohl nicht herauslesen. Die gewisse Selbständigkeit, die sich hier zeigt, wenn der praefectus praetorio vom praefectus annonae direkt informiert wird, beweist noch keine Unabhängigkeit des letzteren vom Stadtpräfekten, der sich nicht um alles selbst kümmern kann, seinen Untergebenen eigene Aufgabenbereiche zugesteht und dies gemäß CT I, 6, 7 (376) auch muss. Die genannte Konstitution gewährleistet dem Annonapräfekten in § 1 zwar eine weitgehende Unabhängigkeit, unterstreicht aber zugleich in § 3 die klare Hierarchie. Der Stadtpräfekt ist weiterhin sein Chef, der das letzte Wort auch gegenüber dem Kaiser hat. Das gilt nach dem Zeugnis der Relationen wohl auch noch 384/385. 273 Vera, Commento, LX; 139; 276, meint, Rivalität zwischen dem Stadtpräfekten und dem Prätorianerpräfekten aus dieser Relation herauslesen zu können; Praetextatus sei allerdings durch seinen Tod im Dezember 384 nicht mehr im Amt. Dagegen sprechen die rein sachliche Darstellung bei Symmachus und dass auch der Nachfolger des Praetextatus, Flavius Neoterius (s. im 1. Teil, 3. Abschnitt VI), zu seinen guten Bekannten und gewiss nicht zu seinen Gegnern zählte.
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grenzt sind und er in Africa, woher die Schwierigkeiten oft rühren, offensichtlich nichts ausrichten kann, vielmehr auf die nicht immer bereitwillig gewährleistete Mithilfe anderer Instanzen, insbesondere Kaiser und Prätorianerpräfekt angewiesen ist und ihm auch keine eigenen, bewaffneten Polizeikräfte im Krisenfall zur Verfügung stehen274. Rom ist von Africa abhängig, weil aus Italien nicht genügend Lebensmittel zur Versorgung der Stadt kommen. Es drohen Unruhen, die das vorsichtige Agieren des Stadtpräfekten, das bei den Kaisern in seiner Aufdringlichkeit bisweilen Unmut erweckt haben mag, erklären, denn ihn als Verantwortlichen würden sie zuerst treffen. Nicht nur Missernten, widrige Winde und politische Gründe, sondern auch systemimmanente275, bürokratische Schwierigkeiten, Schlamperei bei der Verschiffung nach Rom und absichtliche Manipulationen der Lebensmittelversorgung, die von Rom aus nur schwer unter Kontrolle zu bekommen sind, gefährden immer wieder die Versorgung. Diese Schwierigkeiten sind Alltag eines Stadtpräfekten und nicht etwa gegen Symmachus persönlich gerichtet. Andererseits ist sein Bemühen auch nicht Ausdruck eines besonderen sozialen Engagements, sondern bloße Pflichterfüllung. Symmachus erweist sich als relativ hilflos, denn die Kaiser reagieren nicht unmittelbar auf die drängenden Gesuche, die er im eigenen Namen und dem des Volkes vorbringt, und auch der Senat lässt ihn im Stich. Für die Ausweisung der Fremden aus der Stadt wird er zudem heftig kritisiert, steht also exponiert und unter großem Druck, nicht zuletzt wegen der Abhängigkeit der Lieferungen von Wetter und Jahreszeit. Einmal mehr erweist sich, in welch schwieriger Lage Symmachus sein Amt ausüben muss. Wahrscheinlich zeigt auch die große Hungersnot von 383 noch Nachwirkungen. Mehr als das, was er hier unternimmt, vermag er allerdings kaum auszurichten. In Italien selbst lässt sich das Problem jedenfalls nicht lösen und auch außerordentliche Abgaben etwa kann der Stadtpräfekt ohne kaiserliche Ermächtigung nicht erheben276.
XI. Relation 23: Ein Intrigenspiel gegen Symmachus? Symmachus beklagt sich über Machenschaften gegen seine Person. Er werde an einer geregelten Amtsführung gehindert, seine Autorität unterhöhlt und sein Ansehen in Verruf gebracht. Bereits in § 1 spricht er konkret von „iniuriis meis“, „contumeliarum“ und „contemptum legum ac saeculi“, prangert also auch Gesetzesverstöße an. Außerdem schreibt er von hinterhältigem Verhalten, insidiae. Zu seiner eigenen Verteidigung verfasst er Relation 23 und legt den Sachverhalt aus seiner Sicht dem Kaiser dar. Das Schreiben, das formgemäß in 274
Vgl. dazu, mit Beispielen hilfloser Reaktionen von Amtsvorgängern des Symmachus in Versorgungskrisen: Jones, LRE, 693. 275 Wie kompliziert und damit anfällig das System war, erläutert anschaulich Herz, Organisation, 166 ff. Vom Produzenten bis zum Verbraucher waren die verschiedensten Beamten und Korporationen eingeschaltet. 276 Vgl. CT XI, 6, 1 (382).
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§ 1 alle regierenden Kaiser anspricht, ist inhaltlich an Valentinian II. gerichtet, da es ausschließlich von Geschehnissen in Rom handelt. Die Rekonstruktion des Sachverhalts, der sich aus mehreren Handlungssträngen und verschiedenen Amts- und Prozesshandlungen zusammensetzt, ist nicht ganz einfach, denn Symmachus beschränkt sich in seiner Darstellung häufig auf Andeutungen und verweist auf beigefügte Dokumente (§§ 11 und 15). Dies macht die Darstellung andererseits aber auch verlässlich, denn zwar schreibt er in eigener Sache, doch kann er seine Ausführungen belegen. Im Übrigen lässt auch die Tatsache, dass er einflussreiche Personen wie den vicarius urbis und den Senator Celsus sowie hohe kaiserliche Beamte, die ihrerseits den eigenen Einfluss beim Kaiser geltend machen werden, rechtswidriger Aktionen beschuldigt, Vorsicht geraten sein und spricht sie dafür, dass die Darstellung weitgehend wahrheitsgetreu ist, auch wenn Symmachus natürlich in seiner Empörung persönliche Wertungen einfließen lässt und seine eigene Rolle möglichst günstig darzustellen sucht. Der Zeitpunkt des Schreibens ist aus einem Hinweis in § 12 ungefähr eingrenzbar, wonach gerade Vorbereitungen zur Decennalienfeier von Valentinian II. am 22. November 384 getroffen werden. Von dieser Textstelle war schon im Zusammenhang mit Relation 13 die Rede; einige Senatoren bezahlen ihren Anteil des aurum oblaticium. Relation 23 datiert also vor dem 22. November 384 und nach Relation 13, durch die der vorausgehende Senatsbeschluss übermittelt wurde277. In einem Strang der Überlieferung ist das Schreiben sogar genau datiert auf den 29. Juli 384. Die Zuverlässigkeit der subscriptio wird aber nicht von allen Autoren anerkannt bzw. auf dieses Datum bezogen (vgl. dazu schon m. N. im 1. Teil im 1. Abschnitt I). Ein weniger interessanter terminus ante quem ist zudem möglicherweise der 1. Februar 385, wenn Ragonius Vincentius Celsus, der zum Zeitpunkt des Schreibens Rechtsanwalt beim Gericht des Stadtpräfekten ist (§ 3), an diesem Tag wirklich schon praefectus annonae ist, wie CJ I, 23, 5 bezeugen soll278. Ganz unsicher ist hingegen eine Datierung 277
Die umgekehrte Reihenfolge nehmen die Vertreter der Gegenansicht an, die glauben, dass in Rel. 23, 12 die Rede vom Beschlussverfahren ist, das dem durch Rel. 13 übermittelten Senatsbeschluss vorausgeht. S. die Diskussion bei Rel. 13. 278 Seeck, Symmachus, LVI f; Chastagnol, Fastes, 225 f; Barrow, Prefect, 17 u. a. m. Das würde bedeuten, dass ein erklärter Gegner von Symmachus noch während seiner Amtszeit wichtiger Mitarbeiter wird. Anlass zu Zweifeln an dieser Interpretation gibt jedoch die Tatsache, dass als Adressat der Konstitution kein Celsus, sondern uneinheitlich ein Nicetius, Nicentius oder Vincentius überliefert wird. Selbst wenn man die Lesart Vincentius vorzieht, wäre jedenfalls untypisch, dass hiermit Celsus gemeint ist, der mit seinem zweiten Namen genannt würde. Dies kommt in den Konstitutionen und auch Relationen in der Regel nicht vor, wie Martínez-Fazio, Basílica, 226 ff, aufzeigt. Die Beziehung der Konstitution auf Celsus ist konstruiert und nicht belegt. Wir wissen aufgrund von CIL VI, 1759 lediglich, dass Celsus vor dem Sommer 389 praefectus annonae geworden ist. Auch Vera, Commento, 170 f, datiert die Getreidepräfektur von Celsus einige Jahre später. Seeck, Regesten, 266; 459; 473, nennt als Adressaten von CJ I, 23, 5 (zum Inhalt der Konstitution s. bei Rel. 17) einen Nicentius. Dieser ist wahrscheinlich der in Relation 35, 2 und hier in § 3 angesprochene praefectus annonae, mit dem Symmachus offenbar gut auskommt und der konkret ebenfalls angegriffen wird.
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nach dem politischen Klima: Weil Symmachus bedrängt wird, habe er Relation 23 gegen Ende seiner Amtszeit geschrieben279. Im Folgenden soll der Sachverhalt skizziert werden, wie er sich nach den Schilderungen der Relation als wahrscheinlich darstellt280, und sollen einige Punkte rechtlich bewertet werden. 1. Der erste Tatkomplex Symmachus begrüßt in § 1 zunächst, dass der v. c. et inlustris, comes Hesperius nach Rom gekommen sei, der ihm gewiss beistehen werde. Dieser scheint zufällig aus Anlass einer anderen Mission in Rom zu sein und kann, so meint Symmachus, dem Kaiser Bericht erstatten von der Bedrängnis des Stadtpräfekten281. In den §§ 2 f schildert er daraufhin die Machenschaften des genannten Celsus, einem Senator und causidicus fori mei, der also als Rechtsanwalt bei der Stadtpräfektur eingeschrieben ist. Ausgangspunkt des Geschehens sind senatorische Geldbeiträge zu öffentlichen Spielen. Senatoren, die nicht in Rom anwesend sein konnten oder wollten, um bei Ausübung ihrer Magistratur, etwa als Quästor oder Prätor, die ihnen obliegenden Spiele zu veranstalten (vgl. Relation 8), mussten Spiele auf ihre Kosten von den censuales ausrichten lassen282. Die vom Fiskus vorgestreckten Gelder waren zu erstatten und ggf. war auch eine Geldbuße wegen Abwesenheit zu entrichten. Bei den Bezahlungen solcher Spiele, die von den censuales registriert wurden, war es nun zu Unregelmäßigkeiten gekommen und Symmachus hatte eine Untersuchung angeord279
So Martínez-Fazio, Basílica, 154 ff. Rekonstruktionsversuche finden sich auch bei Sinnigen, Officium, 19 ff; 40 f; ders., Vicarius, 104 ff; Chastagnol, Préfecture, 318 ff; Barrow, Prefect, 122 ff; Cristo, Judicial event, 689 ff; Vera, Commento, 163 ff; Giglio, Intorno, die teilweise abweichende Interpretationen liefern, auf die gegebenenfalls einzugehen sein wird. 281 Decimius Hilarianus Hesperius ist ehemaliger praefectus praetorio, Verwandter von Ausonius und Briefpartner von Symmachus, Epp. I, 75-88. Zu ihm: PLRE I, 427 f. Vermutlich wurde er als comes von Valentinian II. mit bestimmten Aufträgen nach Rom geschickt. Gemäß CT I, 3, 1 (383) erhalten tribuni, notarii und comites schriftliche kaiserliche Aufträge (s. a. schon bei Rel. 18). Allerdings bezeichnet der Titel comes nicht unbedingt ein konkretes Amt, kann vielmehr auch bloßer Ehrentitel sein. Zum Titel comes: Scharf, Comites. Nach Ansicht von Vera, Commento, 167, ist Hesperius aber möglicherweise sogar einer der comites consistoriani. Es wird auch vertreten, dass er vom Kaiser eigens nach Rom geschickt worden sei, um die Amtsführung von Symmachus zu überprüfen bzw. den Beschwerden von Symmachus vor Ort nachzugehen: Sinnigen, Officium, 19; 22; Chastagnol, Préfecture, 387 Fn. 5; Cristo, Judicial event, 692. Dagegen spricht, dass er nach Symmachus wegen allgemeiner öffentlicher Angelegenheiten in Rom ist, publicae utilitatis gratia, und von eventus die Rede ist. Er wird also eher zufällig Zeuge der Angriffe auf Symmachus und dieser bittet daher in § 1 den Kaiser, er möge Hesperius anhören. Als comes hat Hesperius jedenfalls potenziell großen Einfluss auf die kaiserliche Meinung, was Symmachus’ Freude erklärt, denn er erhofft sich klare Entlastung von den gegen ihn vorgebrachten Vorwürfen. 282 Dies ergibt sich (z. T. Regelungen für den Osten, aber Vergleichbares galt in Rom) aus CT VI, 4, 3; 6; 7; 13; 18; 20; 22; 27; Epp. IV, 8, 3; IX, 126 und 145 (Senatoren halten sich von Rom fern, um die Ausgaben für Spiele zu sparen). 280
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
net, denn als Stadtpräfekt war er zuständig, sich um diese Forderungen, die Registerführung in dem ihm unterstehenden officium censuale und um senatorische Pflichterfüllung zu kümmern. Bei der Kontrolle der Register stellte sich heraus, dass diese manipuliert worden waren: Zwei Senatoren, die zu einer Magistratur designiert waren, hatten ihre Beiträge nicht bezahlt und um dies zu vertuschen, waren fremde Gelder als eigene Einzahlungen in die Listen der censuales eingetragen worden. Inzwischen allerdings hatten die verantwortlichen Senatoren freiwillig die geschuldeten Gelder nachgezahlt, ohne freilich eine Geldbuße entrichten zu müssen: sponte sine adiectione dispendii reddidissent, § 2. Obwohl offensichtlich Betrügereien vorliegen - Symmachus spricht in § 2 von fraudes und fallacia - und wohl auch censuales an den Registerfälschungen beteiligt waren, verfolgt er die Angelegenheit zunächst nicht weiter, ungeachtet dessen, dass eine straf- bzw. zivilrechtliche Verfolgung der Senatoren und Kassenbeamten wegen Betrügereien und Urkundsdelikten zu Lasten des kaiserlichen Fiskus und Dritter durchaus nahe läge. Insbesondere die Auferlegung einer Buße, etwa wegen fraus fisci bzw. die übliche Geldbuße wegen Abwesenheit der Senatoren bei den Spielen, wäre wohl fällig gewesen; Symmachus betont ausdrücklich, dass keine zusätzliche Geldbuße verhängt worden sei. Angeblich alter Tradition folgend, befragt er stattdessen den Senat zu der Angelegenheit, senatum prisco more consului, denn immerhin sind mehrere Senatoren unter Verdacht. Die Senatoren halten nach einer Diskussion Symmachus’ Vorgehen für richtig, stellen sich also hinter ihn. Ohne rechtlich dazu verpflichtet zu sein, zieht der Stadtpräfekt hier also den Senat als unabhängige Autorität zu Rate. Er sichert sich auf diese Weise gleich zu Beginn des Verfahrens gegen spätere Kritik ab, lässt seine Aktion vom Senat billigen und sucht dessen Öffentlichkeit. Der Senat wird hier zwar in einem Rechtsfall herangezogen, eigene rechtliche Befugnisse der Versammlung lassen sich daraus aber nicht ableiten. Einige Tage später kommt nun der vicarius urbis Romae283 nach Rom und der Rechtsanwalt Celsus wendet sich an ihn um Schutz, § 3: Celsus, socius eius, qui debitum refudit inpendium, tuitionem contra me et annonae praefectum...de sede vicaria postulavit, cum ego aditus in causa publica civilem conventionem matri eius, quae retinere adseritur patrimonium candidati, super nepotis sui munere detulissem responsione servata, praefectus vero annonae v. c. pistorem publicae annonae verbo tantum reposcere diceretur, quem manibus officialium Celsus eruerat. Hic iam vestrae perennitatis est aestimare contumeliam praefecturae, cuius causidicus nihil passus auxilium secundis iudiciis impetravit. Celsus bittet also das Gericht des Vikars mit Erfolg um tuitio gegen Symmachus und den praefectus annonae, weil er sich von beiden Beamten bedroht fühlt. Zur Begründung gibt er an, dass Symmachus eine conventio civile gegen seine Mutter bzw. die Mutter eines Mandanten gerichtet, sie also vor Ge283 Unbekannt, s. dazu schon im 1. Teil 3. Abschnitt VI. Funktion und Kompetenzbereich wurden bereits beschrieben.
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richt geladen habe. Von ihr wird behauptet, sie halte das Vermögen eines candidatus zurück. Auslöser der Bitte um tuitio gegen den Stadtpräfekten ist offensichtlich diese conventio und das dahinterstehende Verfahren. Der candidatus könnte jemand sein, der zur Quästur bzw. Prätur gewählt und daher pflichtig ist, das munus der Spiele zu erbringen. Das würde zu den einleitend geschilderten Betrügereien um Erbringung der munera passen. Es ginge nicht um Celsus persönlich, sondern mutmaßlich einen betroffenen Senatorensohn, den er verteidigt, weshalb er tuitio für seinen Mandanten gegen die Ladung des Stadtpräfekten beim Vikar anstrengt284. Denkbar ist allerdings auch, dass das patrimonium candidati Celsus’ eigenes Vermögen meint, auf das seine Mutter Zugriff hat und das Gegenstand gerichtlicher Untersuchung ist, und er selbst der candidatus im Sinne von Anwärter auf das Amt des Getreidepräfekten. Die Vorladung handelt super nepotis sui munere. Es geht um das munus des nepos, also möglicherweise die Pflicht des Sohnes Celsus, Spiele zu veranstalten, denn immerhin ist Celsus nach Symmachus’ Feststellung der socius von einem der betrügerischen Senatoren und offenbar in die obige Listenfälschung verwickelt. Jedenfalls untersucht Symmachus die obige Angelegenheit nun offensichtlich doch etwas näher in seiner Funktion als örtlich zuständiger Richter. Es wurde ein Zivilverfahren285 zur Erlangung weiterer Entschädigung aus dem Vermögen betroffener Senatoren eingeleitet. Dabei stößt Symmachus jedoch auf Widerstand. Der praefectus annonae wiederum bedroht Celsus bzw. seinen Mandanten angeblich insofern, als Celsus als Rechtsanwalt offenbar einen Bäcker, pistor, verteidigt, der aus seiner Korporation geflohen ist und nun vom praefectus annonae als dem dafür zuständigen Beamten bei Celsus, der ihn zu sich genommen hat, eingefordert wird. Da eine solche Rückführung letztlich vor den Stadtpräfekten gehörte286, ist auch Symmachus hier involviert. Möglicherweise ist zudem auch der Getreidepräfekt an dem Verfahren gegen Celsus und die anderen in die Listenfälschungen verwickelten Senatoren beteiligt, weil Gelder eventuell den Annonakassen entnommen worden sind. Dazu näher unter 2. Die wahren Gründe für die tuitio, hinter der manifeste persönliche Vermögensinteressen zu stehen scheinen, deuten sich hinter diesen zum Teil wohl vorgeschobenen Argumenten nur undeutlich an. Der Vikar gewährt jedenfalls die erwünschte Hilfe und erteilt die tuitio, also offiziellen Schutz gegen Symmachus
284
Vgl. auch die Auslegung von Giglio, Intorno, 311 ff, die allerdings hinsichtlich der Vermischung von munera und collatio glebalis nicht überzeugt (s. a. bei Rel. 46). 285 Auch Fiskalprozesse gegen Senatoren gehören in die Zuständigkeit des Stadtpräfekten, vgl. Rel. 30. Giglio, Intorno, 315, scheint sogar an einen Kriminalprozess zu denken. 286 Zur Zusammenarbeit von praefectus urbi und praefectus annonae im Bereich der Korporation der pistores, die sich häufig durch Flucht ihrer erblichen Zwangspflichten zu entziehen suchten, vgl. die Regelungen im Titel CT XIV, 3. Zur Flucht aus Korporationen und den Gegenmaßnahmen vgl. auch bei Rel. 44.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
und den praefectus annonae, die vor weiteren Angriffen dieser Beamten insbesondere auf das Vermögen des Celsus und seiner Mandantschaft schützen soll. Welche Rechtsnatur aber hat die tuitio? Offenbar handelt es sich bei ihr um einen formlosen Rechtsbehelf, der gesetzlich nicht näher geregelt ist und in den zeitgenössischen Quellen in diesem Zusammenhang allenfalls andeutungsweise auftaucht287. Sie meint vorliegend schlicht Schutz durch eine Verwaltungsstelle, hier den Vikar, gegen einen anderen Beamten, dem rechtswidriges Verhalten vorgeworfen wird. Die tuitio ist kein ordentliches Rechtsmittel im Sinne einer appellatio bzw. provocatio, denn es ist bisher noch kein Urteil ergangen und ein Rechtsweg vom Stadtpräfekten zum Vikar ist ohnehin nicht vorgesehen; CT I, 6, 2 (364) regelt vielmehr den umgekehrten Instanzenzug vom Vikar zum Stadtpräfekten. Instanz oberhalb des praefectus urbi wäre der Kaiser und oberhalb des praefectus annonae ist der praefectus urbi zuständig. Eben dieser Rechtsweg stünde Celsus nach einem Urteil grundsätzlich offen. Auch wären etwaige außerordentliche Rechtsmittel wie Bittschriften grundsätzlich an den Kaiser oder jedenfalls einen höherstehenden Beamten zu richten. Das Vorgehen von Celsus und dem Vikar ist demgegenüber eine klare Provokation und Missachtung der Autorität des Stadtpräfekten. Symmachus spricht in § 3 selbst von contumelia praefecturae. Der Vikar gewährt einen der Hierarchie widersprechenden Rechtsschutz im Rahmen eines Verfahrens, das nur erst eingeleitet war. Obwohl bislang eigentlich noch gar nichts geschehen war, wehrt sich Celsus und erhält tatsächlich Unterstützung vom Vikar, der eigentlich zur Zusammenarbeit mit dem Stadtpräfekten berufen ist. Symmachus überlässt es den Kaisern, den Grad von Missachtung288 zu ermessen, den Celsus als Rechtsanwalt seines Gerichts gezeigt hat, als er es wagte, gegen ihn und den praefectus annonae beim Vikar Hilfe zu suchen. Für uns interessant ist auch das Verhalten des Vikars gegenüber dem Stadtpräfekten. Es zeigt sich hier in einem praktischen Fall das schon im 1. Abschnitt angesprochene Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden Beamten, deren Aufgaben insbesondere in der Rechtsprechung nicht klar abgegrenzt sind. 287 Vgl. Enßlin, Theoderich, 221 f: Tuitio hat erst unter Theoderich eine rechtstechnische Bedeutung im Sinne von Königsschutz. Sie wird offiziell gegeben und gewährt speziellen Rechtsschutz gegen rechtswidrige Angriffe (vgl. Cassiodor, Var. VII, 39: formula tuitionis). Der Ursprung dieser tuitio aber liegt wohl im 4. Jhdt. (Enßlin, a. a. O, 222): Jemand, der sich in seiner Sicherheit bedroht fühlte, konnte vom Gericht besonderen Schutz erbitten, der ihm durch Zuweisung eines Unterbeamten gewährt werden konnte, dem der Auftrag erteilt wurde, dem Antragsteller beizustehen. Vgl. außer Rell. 23, 3/8 auch Ep. IX, 24, 2; CT I, 21, 1 (393); IV, 15, 1 (421); XIII, 5, 36 (412); CJ I, 33, 3 (414). Es handelt sich also um ein Schutzversprechen, das der Richter (ggf. auch der Kaiser) gewährte. Tuitio wird in den Rechtsquellen ansonsten im allgemeinen Sinne von Schutz gebraucht; Gradenwitz, Heidelberger Index, 260, weist z. B. 8 Stellen im Codex Theodosianus nach. 288 Immerhin ist er am Gericht des Stadtpräfekten eingeschrieben und darf daher nicht vor anderen Gerichten auftreten, vgl. CT II, 10, 2 (319).
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Celsus nutzt dieses System für sich mit Erfolg und spielt den Vikar gegen den Stadtpräfekten aus. Der Stadtpräfekt, der nicht Vorgesetzter des Vikars ist, kann dem wenig entgegensetzen. Auch Celsus ist als Anwalt nur seinem Gericht zugeteilt, aber kein Untergebener des Stadtpräfekten, den Symmachus auf dienstlichem Wege ohne weiteres in die Schranken weisen könnte. Allerdings konnte wenige Jahre zuvor ein praefectus praetorio durchaus jemanden aus der Advokatenliste streichen, der sich unbotmäßig benommen hatte289. Das könnte wohl auch der Stadtpräfekt, obwohl im Einzelnen unklar ist, unter welchen Voraussetzungen er einen Anwalt ausschließen oder zumindest für einen solchen Treuebruch maßregeln kann; seinen Autoritätsverlust würde das natürlich nicht wieder gutmachen, wäre aber immerhin eine Reaktion der Stärke290. Doch Symmachus trifft keine klare Reaktion auf die offene Provokation durch den Vikar und Celsus, sondern nimmt die erfolgreiche tuitio weitgehend ernst. Dabei könnte er eigentlich, da es sich um kein ordentliches Rechtsmittel mit Suspensiveffekt handelte, sein Verfahren fortsetzen, den Getreidepräfekten als seinen Untergebenen dazu anhalten und seine eigene, über der des Vikars stehende Amtsautorität einbringen. Stattdessen setzt er das Verfahren aus und berichtet den Vorfall empört dem Kaiser. Er wagt offenbar nicht, sich gegen den Widerstand des Vikars und des Celsus, beide womöglich einflussreiche Senatoren, autoritär durchzusetzen, sondern bittet lieber den Kaiser um Rat und überlässt 289
Epp. V, 41 (gegen 382: Callu, Lettres II, 180); IX, 31. Dazu: Dirksen, Römischrechtliche Nachweisungen, 159 f; Roda, Commento, 154 f. Begeht der Anwalt schwere Fehler, kann ihn der Richter bestrafen: CJ VIII, 35, 12 (363). CT II, 10, 4 (326) gibt dem Stadtpräfekten in bestimmten Fällen sogar ein Ausschlussrecht. Auch CJ II, 6, 6, 1 (368) und II, 6, 7 (379) deuten disziplinarische Befugnisse des Stadtpräfekten an, wenn ein Anwalt über die Stränge schlägt, etwa ausfällig wird. 290 Celsus ist als Anwalt am Gericht des Stadtpräfekten im öffentlichen Dienst tätig und lebt von Gebühren. Zu diesen Anwälten, die an bestimmten Gerichten eingeschrieben, in Kollegien organisiert sind, Privilegien genießen und gute Karriereaussichten haben, etwa assessor oder Statthalter zu werden: Grellet-Dumazeau, Barreau, 81 f; Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 161 ff; Chastagnol, Préfecture, 373 f m.w.N.; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 563 ff; Wieling, Advokaten. Beispielhaft ist insoweit die ursprünglich bürgerliche Karriere des Ambrosius, der nach einer Ausbildung v. a. in der Rhetorik zunächst Rechtsanwalt beim praefectus praetorio von Italien wurde, dann assessor und dann ziemlich bald Provinzstatthalter: Paulin., Vita Ambrosii II, 5. Ein Rechtsstudium solcher Advokaten war damals nicht vorgeschrieben; es genügte grundsätzlich eine rhetorische Ausbildung, vgl. Wieling, Advokaten, 421 ff; ein Beispiel auch bei Ammian, XXVIII, 1, 6. Die Mitglieder des Anwaltskollegiums unterliegen der Aufsicht des Gerichtsmagistrats, bei dem sie immatrikuliert sind. Er kann Geldstrafen gegen sie verhängen und sie von der Advokatur ggf. ausschließen: Wieling, Advokaten, 459 m. N. in Fn. 245 f. Auch nach Auffassung von Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 165 (Fn. 37 nennt dafür Rel. 23), und Kaser/Hackl, a.a.O., 565, hat der Magistrat, dem sie zugeteilt sind, Gerichtsbarkeit und Disziplinargewalt über sie, die bis zum Berufsverbot reicht. Leider sind die Quellen, insbesondere in den Titeln CT II, 10 und CJ II, 6: De postulando sowie CJ II, 7: De advocatis diversorum iudiciorum, für unsere Zeit so eindeutig nicht. Dass eine gewisse Dienstaufsicht bestand, zeigen aber jedenfalls die oben genannten Quellen. Rel. 23 ist dafür allerdings kein Beleg. Symmachus beschwert sich zwar, bleibt selbst aber passiv, sei es aus fehlender Kompetenz, sei es aus persönlicher Unsicherheit.
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es diesem, über die Sache zu urteilen: vestrae perennitatis est aestimare contumeliam praefecturae, § 3. Der Kaiser soll die beiden maßregeln, gegebenenfalls wegen Missachtung der Autorität des Präfekten strafen und ihm so die Fortsetzung des Verfahrens erleichtern. Einen ganz ähnlichen Fall aus dem Jahr 368 schildert Ammian, XXVII, 7, 5. Dort wird ein ehemaliger agens in rebus vom Kaiser mit dem Tode bestraft, nachdem der comes (Italiens?) sich beim Kaiser darüber beschwert hatte, dass Diodor, der ehemalige agens in rebus, gegen ihn beim Gericht in einer Zivilsache um Schutz gebeten hatte: ...quod apud eum questus est comes Diodorum quidem adversus se civiliter implorasse iuris auxilium... . Es scheint also nicht ungewöhnlich, dass der Kaiser in solchen Fragen angerufen wird und gegen Missachtung der Hierarchie und des ordentlichen Rechtsweges ggf. autoritär durchgreift, wenn Ammian diese Reaktion allerdings auch als zu streng erachtet. Soweit zum ersten Teil des von Symmachus berichteten Geschehens, dessen Bedeutsamkeit er mit den Worten parva haec visa sunt relativiert, § 4. Wegen dieser Kleinigkeit allein hätte er dem Kaiser nicht berichtet; doch sind noch schwerer wiegende Dinge passiert. Das Geschehen um Celsus war nur der Auftakt, deutet aber die kommenden Schwierigkeiten des Stadtpräfekten schon an, sich insbesondere dem Vikar gegenüber durchzusetzen, denn nach § 1 der Relation liegen in diesen Ereignissen des ersten Abschnitts die Gründe für die späteren insidiae. Es gibt also einen Zusammenhang mit dem 2. Abschnitt und verbindend ist jedenfalls die Beteiligung des Vikars. Manche Autoren glauben, der Kaiser habe als Reaktion auf den Bericht des Symmachus über die Betrügereien in Relation 23, 2 die Regelung von CT VI, 4, 25 (23.10.384) erlassen291. Dort werden die Kosten für öffentliche Spiele auf mehrere Prätoren betragsmäßig genau aufgeteilt. Gegen diese Annahme ist jedoch einzuwenden, dass es sich um ein Ostgesetz aus Konstantinopel handelt, das Theodosius ad senatum erlassen hat und das auch inhaltlich nicht wirklich zum vorliegenden Sachverhalt passt (zu einer ähnlichen Problematik vgl. schon bei Relation 8). Wie der Kaiser auf den Vorfall reagiert hat, wissen wir daher nicht. Jedenfalls macht Celsus auch nach dieser Angelegenheit weiter Karriere, wie sie für einen Senator und Anwalt am Gericht des Stadtpräfekten durchaus üblich ist, und wird praefectus annonae (vor Sommer 389). Sein Ansehen hat also keinen Schaden genommen292. Insgesamt ist Symmachus hier in der Sache seltsam zurückhaltend, stellt auch gegenüber dem Kaiser keine konkrete Forderung, wie er es in anderen Relationen getan hat. Was er und ob er überhaupt etwas wegen der Kassenmanipulationen und Listenfälschungen, auch gegenüber seinen eigenen Leuten, unter291
So: Gothofredus, Komm. II, 61; Martínez-Fazio, Basílica, 163 ff, v. a. 167. S. PLRE I, Celsus 9, 195 f. Seine Religion ist unbekannt. Zum möglichen religiösen Hintergrund der Angelegenheit siehe unter 3. die Bewertung der Relation 23. 292
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nimmt, wissen wir nicht. Nicht deutlich wird im Übrigen, welche Interessen der Vikar verfolgt, ob persönliche Abneigung oder eigene Vermögensinteressen hinter seinem Verhalten stehen. Symmachus wendet sich jedenfalls vertrauensvoll an den Kaiser, hat also nicht den Verdacht, dieser stehe womöglich auf Seiten des Vikars. Bei Celsus hingegen dürften ganz klar persönliche Vermögensinteressen hinter dem Affront stehen; es scheint ihm nicht um eine Beleidigung des Symmachus zu gehen, als welche dieser die Aktion allerdings aufnimmt. 2. Der zweite Tatkomplex Hintergrund des Geschehens, das Symmachus in den §§ 4 ff darstellt, ist eine gegenwärtig stattfindende Untersuchung über die Amtszeit des ehemaligen Stadtpräfekten Anicius Auchenius Bassus293. Vielleicht schon unter dem Nachfolger von Bassus, Aventius, war die Untersuchung begonnen worden, die sich zur Amtszeit von Symmachus im secretarium commune, den gemeinsamen Amtsräumen von Vikar und Stadtpräfekt, fortsetzt und dem vicarius urbis anvertraut ist. Nicht allein294 der Amtsnachfolger, sondern auch ein anderer hoher, mit den örtlichen Gegebenheiten vertrauter, verwaltungsmäßig unabhängiger Beamter mit eigenem Personal kontrolliert also die ordnungsgemäße Amtsführung von Bassus. Auf den ersten Blick ist das ein vorbildliches, geradezu rechtsstaatliches Verfahren, das weitgehend Neutralität sichert. Symmachus selbst ist daran zunächst gar nicht beteiligt. Über den Anlass der Untersuchung lässt sich nur spekulieren. Vigneaux295 meint, es habe routinemäßige Kontrollen nach Ablauf der Amtszeit als praefectus urbi gegeben. Die Quellen belegen solche regelmäßigen Untersuchungen jedoch nicht; in Relation 34 und bei Ammian, XXVII, 3, 2 und 7, 3 werden vielmehr Beispiele dafür berichtet, dass konkrete Vorwürfe, nämlich die Veruntreuung von Geldern, Anlass einer solchen Untersuchung über die Amtszeit eines Ex-Präfekten waren. Vermutlich gab es daher auch gegen Bassus bzw. sein officium Vorwürfe, etwa wegen Unterschlagung von Geldern während seiner Amtszeit. Dass in der Tat Anschuldigungen wegen kriminellen Verhaltens im Raum standen, deutet Symmachus in den §§ 4, 6 f vage an, nennt aber nichts Konkretes. Uns aber ist aus Bassus’ Amtszeit lediglich aus Relation 33 Nachteiliges bekannt. Danach hat er mehrfach Appellationen rechtswidriger293 Er war 382-383 im Amt und damit Vor-Vorgänger von Symmachus. Zu ihm bereits m. N. bei Rel. 20; s. a. bei Rel. 33. 294 In Rel. 33 zeigt sich, dass eine Untersuchung gegen den ehemaligen Stadtpräfekten Bassus dem Vikar und dem derzeitigen Amtsinhaber Symmachus gemeinsam anvertraut war. Vorliegend ermittelt zur Zeit allerdings nur der Vikar. 295 Essai, 350 f. Der Nachfolger, assistiert vom Vikar, habe die Untersuchung geführt. Gegen diese Kompetenzaufteilung spricht Relation 23: Der Vikar untersucht allein mit seinen Leuten.
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weise übergangen, weshalb Vikar und Stadtpräfekt eine Untersuchung anstellen. Ein Zusammenhang mit der jetzigen Untersuchung ist zwar denkbar, ob aber die in § 6 angedeuteten schwerwiegenden crimina des Bassus tatsächlich mit den Verfahrensfehlern aus Relation 33 identifiziert werden können, scheint doch eher fraglich, zumal der Vikar nach § 4 anders als in Relation 33 alleine ermittelt. Im Raum stehen wohl strafrechtliche Vorwürfe unbekannten Inhalts. Zu einer Verurteilung scheint es aber nach allem was wir wissen nie gekommen zu sein. Die Tatsache, dass Bassus nach seiner Stadtpräfektur 383 kein öffentliches Amt mehr ausgeübt hat, kann gesundheitliche Gründe gehabt haben und erlaubt keine Rückschlüsse auf den Ausgang der Ermittlungen. Allerdings wird von manchen Autoren296 in diesem Zusammenhang Relation 37 angeführt, in der Symmachus um Sonderzuweisungen an die arca frumentaria bittet und berichtet, dass personae tenues Schulden gemacht hätten. Nach Ansicht der genannten Autoren handelt es sich dabei um Beamte des Stadtpräfekten Bassus, die Schulden gemacht und Gelder aus der Getreidekasse entnommen haben. Gegen Bassus als dem verantwortlichen Amtschef werde nun auf Anschuldigungen irgendwelcher Leute hin, ut queruntur (Relation 37, 2), wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder eine Untersuchung durchgeführt. Im Zusammenhang mit Relation 37 wurde jedoch bereits dargelegt, dass es zu weit hergeholt scheint, aus den spärlichen Angaben eine Verschuldung der arca abzuleiten, zumal auch Relation 23 keinerlei Hinweis auf eine Verschuldung der Getreidekasse enthält. Die genannten Autoren ziehen indes außer der Relation 37 noch CT XII, 11, 2 vom 5. August 386 ad vicarium urbis Hellenius heran. Diese Konstitution zeichnet ihrer Ansicht nach den Ausgang des Verfahrens gegen Bassus nach. Darin hat der Kaiser der arca olearea und der arca frumentaria Schulden erlassen und gemahnt, dass kein neues Schuldenregister, calendarium, durch unkorrektes Verhalten entstehen dürfe. Zuwiderhandlungen werden mit einer Geldstrafe gegen den verwaltungsmäßig verantwortlichen Beamten, iudex, und der Todesstrafe gegen die primates officii, die sich bereichert haben, geahndet. Chastagnol vermutet, dass hier die im konkreten Fall gegen Bassus und sein Amt verhängte Strafe angesprochen ist. Es sei nach einem über zweijährigen Verfahren eine exemplarisch hohe Strafe verhängt worden. Barrow glaubt sogar, es seien mit den Schulden der arca die Betrügereien von Celsus und den beiden anderen Senatoren aus dem ersten Tatkomplex gemeint. Die genannte Konstitution spreche ein Urteil über diese Betrüger. Dagegen spricht, dass mit personae tenues in Relation 37 kaum die primates officii, die Chefs im officium urbanum, die nach Ansicht von Chastagnol durch die Konstitution als Schuldige bestraft werden sollen, gemeint sind. Gegen die Auffassung von Barrow ist außerdem einzuwenden, dass mit personae tenues auch gewiss keine 296
Chastagnol, Préfecture, 318 ff; ders., Fastes, 215 f; Barrow, Prefect, 194. Barrow, a.a.O., 122, vermutet sogar, die im ersten Abschnitt angesprochenen Listenfälschungen seien Anlass der Untersuchung gewesen. Liebs, Landraub, 102, folgt weitgehend Chastagnol: Bassus sei unter Valentinian II. im Jahre 384/385 wegen Pekulat (nur) zu einer Geldbuße verurteilt worden. CT XII, 11, 2 wird auch genannt von Giglio, Intorno, 310 Fn. 5; 320.
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Senatoren gemeint sind, die Schulden in der arca ausgelöst haben, und außerdem sind diese Fehlbestände, wie Symmachus schreibt, von den Senatoren wieder ausgeglichen worden, haben also nicht zu den in Relation 37 angeblich beklagten, länger anhaltenden Schulden geführt. Die Rekonstruktion von Chastagnol lässt zwar kaum Fragen offen, bleibt aber hypothetisch. CT XII, 11, 2 spricht nicht notwendig von einer vollzogenen Bestrafung, sondern warnt in allgemein gehaltenem Ton mit Strafdrohung im Sinne von Amtshaftung für die Zukunft davor, novis calumniarum facibus (was nicht näher ausgeführt wird) Schulden in den Annonakassen zu machen und Erlassenes einzutreiben. Insgesamt ist der Zusammenhang von Relation 23 mit Relation 37 und der zwei Jahre später ergangenen Konstitution CT XII, 11, 2 daher ganz unsicher. Es gab immer wieder Fehlbeträge in den Kassen (vgl. Relation 34) und der Vikar ist, wie andere Quellen zeigen, auf dem Versorgungssektor regelmäßig zuständiger Beamter; ein Bezug von CT XII, 11, 2 zu Relation 23 drängt sich nicht auf. Der konkrete Anlass und der Ausgang der Untersuchung gegen Bassus muss daher offen bleiben, auch wenn Fehlbeträge in den Kassen häufig Auslöser solcher Untersuchungen gewesen sein dürften. Der Vikar hatte diese Untersuchung also zu leiten. Dass auch der später in Erscheinung tretende Fulgentius, v. c., tribunus et notarius, also hochrangiger kaiserlicher Beamter297, im Rahmen der Untersuchung gegen Bassus vom Kaiser eingesetzt worden ist mitsamt seinen agentes in rebus, vermuten Vera und Giglio298. Es stellt sich jedenfalls die Frage, welche Funktion dieser Beamte in Rom konkret gehabt haben könnte. Da spezielle kaiserliche Aufträge zu seinen Aufgaben gehören, ist gut vorstellbar, dass er eine offizielle Mission in der Untersuchung gegen Bassus zu erfüllen hatte, vielleicht für noch mehr Neutralität sorgen sollte. Auch Symmachus beschreibt seine Einmischung zunächst als normal, sie könnte also aus seinem Zuständigkeitsbereich hervorgegangen sein. Nur das Wie seines Vorgehens wäre dann tadelnswert. Fulgentius würde seinen Auftrag dazu missbrauchen, die Untersuchungen zu erschweren299. Die Unter-
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Die Person ist sonst unbekannt: Seeck, RE-Fulgentius 1, 212; PLRE I, Fulgentius, 375. Er ist als tribunus et notarius Schriftführer im consistorium und vom Kaiser in speziellen Missionen einsetzbar, vgl. zu einem notarius schon Rel. 18 und Nachweise dort. In seiner Funktion untersteht er dem primicerius notariorum und seine schola direkt dem Kaiser. Ein Bezug besteht auch zum magister officiorum, der die matricula der notarii führt: Sinnigen, Officium, 21; Clauss, Magister officiorum, 22 f. 298 Vera, Commento, 165; 174; Giglio, Intorno, 314; 320 f: eventuell schütze er Bassus auch aus privaten Gründen. Sinnigen, Officium 19-22, meint, dass Fulgentius Geheimagent des Hofes war. Entsendung u. a. eines notarius und eines agens in rebus durch den Kaiser mit einem bestimmten Auftrag berichtet auch Ammian, XIV, 11, 23, und nach Amm., XXVIII, 6, 12, schickt der Kaiser einen tribunus et notarius zur Untersuchung von Vorfällen. Ein kaiserlicher Auftrag, etwa die Untersuchung in Rom gegen Bassus zu überwachen, an Beamte dieser Art könnte daher auch im vorliegenden Fall ergangen sein. 299 Missbrauch in diesem Amt gab es wohl häufiger. Nach CT I, 3, 1 (383) sind tribuni, notarii und comites daher gehalten, niemanden einzuschüchtern, indem sie sich auf
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suchung gegen Bassus war also ein vom Kaiser angeordnetes Verfahren, dem Vikar und vielleicht Fulgentius anvertraut, aber (zunächst) ohne Beteiligung des Stadtpräfekten. Der Ablauf des zweiten Handlungskomplexes ist etwas unübersichtlich. Im Rahmen der Untersuchung gegen Bassus wurde vermutet, dass die Aussage eines gewissen Memorius300 belastendes Material gegen den ehemaligen Stadtpräfekten erbringen könnte. Bassus hatte jedoch, als er noch im Amt war, angeordnet, dass Memorius, damals litigator - Partei - in einem Prozess, an ein africanisches Gericht zu überstellen sei, weil er sich dort wegen seiner Schulden vor dem Zivilrichter (wahrscheinlich dem proconsul Africae) verantworten müsse. Die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung wird von keiner Seite bestritten. Nach dem Grundsatz actor rei forum sequitur war der Wohnsitz des Beklagten in Africa für die örtliche Zuständigkeit des Gerichts entscheidend. Die Anordnung des Bassus wird allerdings erst zur Amtszeit von Symmachus ausgeführt; seine Leute verschiffen den potenziellen Zeugen Memorius nach Africa. Aus dieser Episode schaukelt sich nun das ganze nachfolgende Geschehen hoch und Symmachus wird mit seinem officium in die Angelegenheit hineingezogen. Es erscheint nämlich eine unbekannte Person, nescio quis, § 4, und reicht beim secretarium commune eine schriftliche Beschwerde, libellus, ein, in der das officium des Stadtpräfekten der conludio vel iniquitate beschuldigt wird, also geheimer Absprachen und Amtsmissbrauchs. Diese schriftliche Eingabe ist offenbar keine formale Anzeige wegen Amtsdelikten; immerhin wäre zuständiger Richter über Vergehen des Stadtpräfekten direkt der Kaiser, über seine officiales aber hätte der Präfekt selbst zu urteilen. Sie wirft auch keinen konkreten Vergehenstatbestand vor, sondern ist eine förmliche Beschwerde beim Vikar, der als eine Art Aufsichtsbehörde in Anspruch genommen wird301. Es dürfte sich um pauschale Anschuldigungen, amtswidrig vorgegangen zu sein, gehandelt haben, die Symmachus auch nur sehr skeptisch anführt: ut aiunt libello dato, man spricht von einer solchen Beschwerde beim Vikariat. Der Vikar wird von einer ungenannten Person aufgefordert, Amtshandlungen in der Stadtpräfektur zu überprüfen. Zur Begründung der Anschuldigung wird vorgebracht, dass die Verbringung von Memorius durch Leute des Symmachus rechtswidrig gewesen sei, weil dieser bei Aventius und dann auch bei Symmachus schriftangebliche mandata secreta des Kaisers stützen. Ihre Befugnisse richten sich nur nach schriftlichen Anweisungen des Kaisers. 300 Er ist mutmaßlicher Belastungszeuge gegen Bassus und ansonsten unbekannt: Enßlin, RE-Memorius 3, 660; nicht in PLRE I. 301 Nach Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 198 Fn. 13; 249 Fn. 38, handelt es sich bei dem libellus dagegen um eine förmliche Klageschrift. Giglio, Intorno, 320 f; 324326, glaubt an eine Strafklage; wegen der in Rel. 49 ersichtlichen Talionsdrohung habe der Ankläger nicht zu erscheinen gewagt. Doch spricht dagegen das weitere Verfahren; es soll offensichtlich weder ein Zivilprozess eingeleitet werden, denn Ansprüche werden nicht vorgetragen, noch sind die strengen formellen Anforderungen an eine Strafklage mittels accusatio erfüllt, wie der Vergleich mit Rel. 49 zeigt. Libellus meint daher eine bloße Beschwerdeschrift gegen die Verwaltung.
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lich, per libellos, Beschwerde gegen die Anordnung der Überstellung nach Africa eingelegt habe, die von Symmachus zu beachten sei und aufschiebende Wirkung habe. Solange dieser Widerspruch noch anhängig gewesen sei, habe man Memorius nicht nach Africa bringen dürfen. Symmachus als dem für die Tätigkeiten seines officium letztlich verantwortlichen Magistrat wird damit eine rechtswidrige Amtshandlung vorgeworfen und faktisch unterstellt, er wolle einen Belastungszeugen gegen Bassus beiseite schaffen. Auf diese Anschuldigungen hin bestellt der Vikar den Denunzianten ohne Zögern zu sich ein und setzt sich mit Symmachus zur weiteren Untersuchung der Anzeige zusammen, § 5: Ubi pariter ambo consedimus et seriem querellarum recitatione cognovi, admonui, ut is, qui adierat vicariam sedem, probaturus intraret. Symmachus hört sich die Verlesung der Beschwerden an und fordert, dass sich der Denunziant zeigen solle, um seine Anschuldigungen zu beweisen. Er drängt darauf, die Beschwerden aufzuklären, vermag allerdings, da er Gegenstand der Beschwerden ist, selbst nichts anzuordnen, versucht daher, das Vikariat, das die Ermittlungen leitet, anzutreiben und fordert Vorführung des Denunzianten. Von Beamten des Vikariats wird ihm jedoch mitgeteilt, der Betreffende sei nicht gekommen. Symmachus überlässt die Beurteilung dieses Sachverhalts vielsagend dem Kaiser: Quid hic aestimandum sit, relinquo sapientibus. Möglicherweise deutet sich bereits hier an, dass der Vikar an einer unvoreingenommenen Ermittlung gar nicht interessiert ist. Allerdings lädt dieser bislang pflichtgemäß vor; der Vorwurf bleibt - wenn überhaupt - undeutlich. Der Gerichtsdiener, praeco, ruft den Unbekannten noch mehrmals ohne Erfolg auf und Symmachus scheint durch das Nichterscheinen des Denunzianten bereits entlastet. Nun wird jedoch, § 6, die apparitio urbana, also das Personal des Symmachus im officium urbanum direkt angegriffen und vorgebracht, die Beamten hätten denjenigen (Memorius), der Bassus einer Straftat überführen könnte, qui Bassum...criminis posset arguere, nach Africa verbracht, also einen Belastungszeugen entfernt. Indirekt, im Sinne einer gemeinschaftlichen Verantwortung von Amt und Amtsleiter, wird damit auch der Amtschef Symmachus angegriffen, der ja wohl den Befehl dazu gegeben haben wird. Ihm wird vorgeworfen, die Untersuchung des Vikars gegen Bassus behindert zu haben, indem er die Verschiffung durchführen ließ. Sofort wird aus dem officium auf diese Vorwürfe denn auch entgegnet, man habe einfach nur eine Entscheidung des Bassus ausgeführt, die er nach Anhörung der Parteien gefällt habe. Die dagegen erhobene Beschwerde des Memorius habe keine suspendierende Wirkung gehabt: Suggestum est, paritum esse sententiae, quam cum Bassus post luctamen partium protulisset, provocatio non removit. Diese Begrifflichkeit von der provocatio gegen eine sententia, einen richterlichen Bescheid, klingt zwar auf den ersten Blick nach einem ordentlichen Rechtsmittel gegen ein Urteil, mit dem grundsätzlich eine aufschiebende Wirkung einherginge; dem steht jedoch entgegen, dass Bassus lediglich im Vorfeld eines Prozesses die Überstellung des
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litigator Memorius an das seiner Ansicht nach örtlich zuständige Gericht in Africa angeordnet hatte. Bassus hat kein Urteil gefällt, sondern nur etwas zur Prozessvorbereitung im Vorverfahren angeordnet. Die Eingabe (libellus) des Memorius beim Stadtpräfekten gegen diese Anordnung hat daher, anders als eine provocatio gegen ein Endurteil302, keine aufschiebende Wirkung, sondern gewährt allenfalls außerordentlichen Rechtsschutz. Die Formulierung in der Relation ist insoweit untechnisch zu verstehen, der Rechtsauffassung des officium grundsätzlich beizupflichten. Die Anordnung von Bassus, gegen deren Rechtmäßigkeit nichts vorgebracht wird und die er als in Rom zuständiger Beamter erlassen hat, war grundsätzlich rechtmäßig vollstreckbar. Der Vorwurf, der Symmachus hier gemacht wird, klingt zwar auf den ersten Blick rechtsstaatlich korrekt, ist rechtlich jedoch nicht haltbar. Die bloße Beschwerde gegen eine Entscheidung im Vorfeld des Prozesses hatte keine aufschiebende Wirkung; sie verzögerte bislang lediglich rein tatsächlich die Verbringung nach Africa. Memorius war letztlich dem Ermessen des vollstreckenden Beamten ausgeliefert und Symmchus als Nachfolger des Aventius insoweit zuständig, über den Widerspruch zu entscheiden und ggf. zu vollstrecken. Er scheint damit rechtlich entlastet. Die Gegenseite bringt gegen diese Rechtsauffassung denn auch nichts weiter vor. Indes ist der Vorwurf, die Stadtpräfektur habe den laufenden Untersuchungen gegen Bassus einen Zeugen entziehen wollen, dadurch nicht ausgeräumt. Daher wird weiter versucht, Symmachus unter Druck zu setzen. Abgesehen von den genannten Vorwürfen behauptet nun der oben genannte, hochrangige (eventuelle) kaiserliche Gesandte Fulgentius, v. c. tribunus et notarius, dass adiutores urbanae sedis, also vollstreckende Unterbeamte der Stadtpräfektur übereingekommen seien, Memorius nicht zu verschiffen. Er deutet an, man habe die Beamten gegen ihren Willen zu verschiffen gedrängt, vielleicht sogar Zwang ausgeübt, gibt sich also gut informiert und lässt anklingen, dass Symmachus als Chef der städtischen Verwaltung selbst auf den Abtransport von Memorius hingewirkt, d. h. nicht nur Bassus’ Anordnung vollstreckt, sondern aktiv an der Verbringung des Zeugen mitgewirkt habe. Als Fulgentius - wohl vom Vikar, dem Ermittler in der Angelegenheit - gefragt wird, ob Memorius ihm gegenüber etwas über etwaige Straftaten des Bassus, super Bassi criminibus geäußert habe, verweist er auf die libelli des Memorius: ait querellas eius libellorum paginis contineri, credo, simulare non ausus, quod accusator esse voluisset. Fulgentius kennt also den genauen Inhalt der Eingabe des Memorius. Symmachus 302 Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 619. Es gibt sogar ein Appellationsverbot gegen bloße Zwischenurteile wie es hier Bassus allenfalls gefällt hat (dazu bei Rell. 16 und 38). Eine unzulässige Appellation hätte insoweit ebenfalls keine aufschiebende Wirkung. Erst gegen das Urteil des Prokonsuls wäre hier Appellation zulässig zum Kaiser; eine Appellation gegen ein etwaiges Urteil des Bassus hätte ebenso an den Kaiser und nicht die Amtsnachfolger gehen müssen. Sententia meint jede richterliche Entscheidung, nicht nur das (appellable) Endurteil: Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 608 m. N.; vgl. zu einer entsprechenden Definition etwa CT XI, 30, 40 (383).
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deutet sogar an, er sei der eigentliche Denunziant, der nicht öffentlich vorzutreten wage. Er könnte ein Komplize des nescio quis sein; Symmachus traut ihm jedenfalls nicht. In den libelli scheint außerdem etwas gegen Bassus zu stehen. Daran ist Symmachus jedoch nicht weiter interessiert; dafür ist der Vikar zuständig. Erst auf nähere Nachfrage teilt nun aber der urbani adiutor officii, einer der leitenden Beamten im officium urbanum303, mit, dass ihm der Auftrag, Memorius zu verschiffen, die Anordnung des Bassus also zu vollstrecken, von Fulgentius über dessen Agenten Felix304 gegeben worden sei, § 7. Dieser Chefadiutor hat also einen Befehl des Fulgentius durch seine adiutores ausführen lassen, ohne Wissen des Stadtpräfekten, des princeps officii und wohl auch des Vikars. Als Schuldiger nach Aussage des adiutor steht nun Fulgentius da und Symmachus scheint völlig, d. h. nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich entlastet. Allerdings fällt auf, dass seine Leute nicht sogleich und von sich aus vortragen, dass Fulgentius Einfluss genommen hat. Dieser weiß offensichtlich fehlende Disziplin auch in höheren Rängen des officium urbanum und Desinformiertheit der obersten Führungskräfte für seine Zwecke auszunutzen, denn Symmachus selbst scheint den Sachverhalt bis dahin gar nicht gekannt zu haben und konnte sich daher auch nicht effektiv verteidigen. Dennoch missbilligt er die Einmischung des Fulgentius mit keinem Wort, obwohl der den Verschiffungsbefehl immerhin an ihm und dem princeps officii vorbei über den adiutor ohne Rücksprache ausführen ließ. Vikar und Stadtpräfekt beschließen daraufhin gemeinsam, Felix als Zeugen festzunehmen und ihn zu diesem Befehl des Fulgentius zu befragen. Auch Symmachus ist, obgleich er eigentlich Beschuldigter ist, im Verfahren demnach irgendwie beteiligt und versucht, sich aktiv mit Verfahrensvorschlägen in die amtsinternen Vorermittlungen einzuschalten, um seine Unschuld endgültig zu beweisen. Der Vikar unterlässt es unterdessen, weitere, greifbare Zeugen zu den Vorwürfen gegen Bassus zu befragen mit der Begründung, dass Memorius abwesend sei. Symmachus kritisiert diese Zurückhaltung vorsichtig indem er betont, Memorius könne leicht aus Africa zurückgerufen werden. Der Vikar aber gibt schließlich sogar die gesamte Untersuchung auf, iudicium omne deseruit, obwohl viele angehört werden wollen. Vielleicht habe der Vikar Erfahrungen mit diesen Leuten, die in Vielzahl gehört werden wollen, mutmaßt Symmachus ein wenig rätselhaft. Er verspricht, über die Sache einen Bericht abzufassen, und verlässt die gemeinsame Sitzung, promissa relatione discedo. In Erfüllung dieses Versprechens schreibt er nun Relation 23 an den Kaiser. Der Vikar aber macht sich bereits zu diesem Zeitpunkt verdächtig, nicht allzusehr an der Untersuchung gegen Bassus interessiert zu sein, was sich jedenfalls mittelbar gegen Symmachus richtet, denn seine Entlastung wird durch die Passivität des 303 Er steht direkt unter dem princeps officii und hat Finanz- und Polizeifunktionen, vollstreckt durch seine Leute, die adiutores, Urteile und Anordnungen des Stadtpräfekten: Sinnigen, Officium, 39 ff; Chastagnol, Préfecture, 224 f; 234 . 304 Ansonsten unbekannt.
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Vikars erschwert. Sobald Fulgentius’ Urheberschaft für die Anordnung der Verschiffung feststeht, lässt der Vikar die Untersuchung fallen. Felix wird nun entsprechend dem gemeinsamen Beschluss in Gewahrsam genommen, § 8, und wendet sich gleich am nächsten Tag, noch vor seiner Befragung an Symmachus mit der Bitte um tuitio. Wie schon im ersten Teil macht also wieder jemand den Versuch, bei einem hohen Beamten außerordentlichen (Rechts)schutz zu erlangen; dieses Mal beim praefectus urbi selbst. Felix geht es offenbar um Schutz vor Fulgentius, möglicherweise auch vor dem Vikar305. Dass es sich um kein ordentliches Rechtsmittel handelt, sondern um eine formlose Bitte an einen hohen Beamten um Gewährung von Schutz vor befürchteten Übergriffen eines anderen Beamten, wird hier ganz deutlich. Symmachus scheint ihm den erbetenen Schutz auch zu gewähren, denn Felix läuft hinter dem vehiculum praefecturae (vgl. Relation 4) her, unter Schutzgeleit eines nomenclator306, als er gewaltsam auf Befehl des Fulgentius von den agentes in rebus Gaudentius und Victor und dem palatinus Bonifatius, der bis jetzt, hactenus, Beamter im officium urbanum gewesen war307, entführt und im Haus des Fulgentius festgehalten wird. Fulgentius hat also wenigstens drei Gehilfen: Die agentes in rebus sind Leute der Sicherheitspolizei, die dem magister officiorum unterstehen und wie ein tribunus et notarius mit speziellen kaiserlichen Aufträgen betraut werden können308. Auch sie sind möglicherweise im kaiserlichen Auftrag im Rahmen der Untersuchung gegen Bassus nach Rom entsandt worden, um die Ermittlungen zu überwachen, und missbrauchen ihr Amt. Weiterer Beteiligter ist Bonifatius, ein palatinus, d. h. ein kaiserlicher Beamter ohne weitere Klassifizierung. Allerdings sind palatini häufig Finanzinspektoren, die die Steuereintreibung überwachen oder Spezialaufträge wahrnehmen und dem comes sacrarum largitionum oder dem comes rei privatae309 unterstehen. Auch Bonifatius könnte in 305
Der ihn später in seinen Gewahrsam nimmt. Niederer Angestellter im officium urbanum. Begleitet den Stadtpräfekten bei seinen Fahrten durch die Stadt, kündigt ihn rufend an und beschützt ihn. Hat auch Aufgaben als Gerichtsdiener: Sinnigen, Officium, 68 f; Chastagnol, Préfecture, 242; 382. 307 Alle drei Personen sind ansonsten unbekannt. Ein agens in rebus namens Gaudentius taucht bei Ammian, XV, 3, 8; XVI, 8, 3; XVII, 9, 7 (inzwischen ist er notarius) und XXII, 11, 1 (Tod) auf. Kaiser Julian ließ ihn jedoch hinrichten, so dass kein Zusammenhang mit unserem Gaudentius in Rel. 23 hergestellt werden kann. 308 Zur Organisation und den weiteren Aufgaben des Corps der agentes in rebus als kaiserliche Informanten und Beobachter, die auch Botendienste verrichten und die Postaufsicht übernehmen: Hirschfeld, Agentes, v. a. 641 ff; Seeck, RE-agentes in rebus, 776 ff; Jones, LRE, 578 ff; Arias Bonet, Agentes in rebus, 197 ff; Giardina, Aspetti, 64 ff; Clauss, Magister officiorum, 23 ff. In Rel. 38 setzt der magister officiorum einen agens in rebus als Gehilfen ein; in Rel. 31 ist ein agens in rebus zur Festnahme im Strafprozess berufen; s. a. Rel. 49. 309 Enßlin, RE-palatini, 2535 ff; Delmaire, Largesses sacrées, 125 ff; Regelungen im Titel CT VI, 30: De palatinis sacrarum largitionum et rerum privatarum. Enßlin läßt, 2539, offen, ob es sich in Rel. 23, 8 bei Bonifatius um einen Finanzbeamten handelt. 306
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dieser Funktion an der Untersuchung gegen Bassus beteiligt gewesen sein; es wäre dann anzunehmen, dass die Staatskasse betroffen war. In diesem Falle wäre das kaiserliche Interesse an Aufklärung recht hoch einzuschätzen, was die Anwesenheit all dieser Beamten in Rom erklären könnte. Bonifatius war ursprünglich ein Mann aus der Stadtpräfektur und ist nun Hofbeamter; eine Position, die mit zahlreichen Privilegien verbunden und daher sehr begehrt war. Drei Beamte aus dem engeren Hofumfeld unterstützen Fulgentius demnach, wobei offen bleiben muss, wer am Hof (zu denken wäre etwa an den magister officiorum) in die Aktion eingeweiht war. Auf Betreiben des Fulgentius wird also ein Zeuge, der gegen ihn aussagen könnte, gewaltsam verschleppt. Fulgentius wird von Symmachus in § 9 nun auch klar als Urheber der Beleidigung des Stadtpräfekten, auctor contumeliae meae, bezeichnet. Symmachus sieht sich selbst und sein Amt zunehmend als Opfer einer Verschwörung. Fulgentius seinerseits erkennt immerhin einen gewissen Rechtfertigungsbedarf, geht daher in die Offensive und eilt ad circi secretarium, einem Sitzungsraum, der wohl nahe beim Circus Maximus lag310. Symmachus ist bei der nun folgenden weiteren Untersuchung dabei und übernimmt eine immer aktivere Rolle; es mag sich um Räumlichkeiten des Stadtpräfekten gehandelt haben. Fulgentius leugnet sein Vorgehen dort nicht, sondern sucht sein ungesetzliches Verhalten, facti inliciti, zu rechtfertigen, indem er erklärt, er habe verhindern wollen, dass das officium urbanum übermäßigen Druck auf den Zeugen ausübt. Damit äußert er offen Misstrauen gegen den Stadtpräfekten und sein officium, was dieser zu recht als Affront verstehen muss. Symmachus meint dazu in seiner Relation denn auch, dass der Kaiser hierauf sicher eine strenge Reaktion erwartet habe. Doch habe er bewusst Mäßigung geübt, animum temperavi, dum certam de vobis spero vindictam. Symmachus erkennt also seine Passivität, sucht sie jedoch im besten Licht darzustellen und erhofft nun vom Kaiser die angemessene, exemplarische Reaktion, indem er nach vindicta, also nach Bestrafung ruft, ohne das allerdings rechtlich näher zu präzisieren. Die plumpe Unterstellung des Fulgentius gegenüber dem officium urbanum hat wegen der Passivität des Stadtpräfekten somit einen erstaunlichen Erfolg, verzögert die Sache zumindest, und unterstreicht andererseits noch einmal die Selbstsicherheit des Fulgentius, der Symmachus nichts entgegensetzt. Er ordnet (§ 10) lediglich an, dass Felix neutralen Bürgen, vades311, übergeben werde, die Fulgentius unbekannt seien, und rühmt sich noch einmal seiner zurückhaltenden, milden Vorgehensweise: Quid mitius decerni, Ebenso Delmaire, 132. Palatini tauchen, Steuerprüfungen vornehmend, auch in Rel. 30 auf; s. a. Rel. 48. 310 Zu diesen Räumlichkeiten: Chastagnol, Prefecture, 252 f; Vera, Commento, 177. 311 (Gestellungs-)Bürgen haften dafür, die ihnen übergebene Person zur bestimmten Zeit vor Gericht zu stellen. Felix wird nicht etwa als Angeklagter festgenommen (dazu bei Rell. 31; 36; 49), sondern zum Zwecke des Schutzes vor Beeinflussung als Zeuge in zivilen Gewahrsam durch neutrale Personen genommen. Das Verfahren ist rechtlich einwandfrei.
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quid remissius potuit? Im circi secretarium tritt also er, der sich noch immer von Vorwürfen zu entlasten sucht und kaum objektiv ist, selbst als Ermittler in Erscheinung. Das mutet wenig „rechtsstaatlich“ an, ist aber vielleicht durch die Örtlichkeit erzwungen und mag mit ein Grund für die bewiesene Zurückhaltung sein312. Fulgentius gibt zunächst vor, der Anordnung nachzugeben. Der princeps officii, der Felix bei Fulgentius abholen will, versucht das dann jedoch mehrmals vergeblich, obstinatam hominis contumaciam non posset inflectere. Man übergibt ihm vielmehr einen wertlosen Schuldschein, inanem syngrapham, in dem feierlich versprochen wird, sponsione313, Felix am folgenden Tag herauszugeben. Fulgentius hat also weiterhin keine Hemmungen und hält den Zeugen, der gegen ihn befragt werden soll, fest; ein offener Affront gegenüber der Autorität des Stadtpräfekten. Trotz dieser neuerlichen Missachtung seiner Autorität bewahrt Symmachus Geduld: etiam huius iniuriae adsumo patientiam. Culpate, ut vultis, ut dignum est: scivi meliorem esse iudicum causam, quae rerum dominis reservatur. Mit seiner milden Reaktion unterstreicht er zwar die Unverschämtheit des Fulgentius, hinterlässt aber selbst zum wiederholten Mal einen eher schwachen Eindruck, denn wie er eingesteht, hätte er durchaus etwas unternehmen und heftiger reagieren können. Stattdessen lässt er alles für eine kaiserliche Beurteilung offen, rechnet sogar mit einem Tadel für seine Passivität, nimmt jedenfalls Vorwürfe in Kauf. Ohne sich näher zu erklären, zieht er sich darauf zurück, dass es besser sei, dem Kaiser die Sache vorzubehalten. Der princeps officii hingegen tritt hier als Vollstrecker in Erscheinung, übt Polizeifunktion und zeigt als Führungskraft des officium wenigstens ein wenig Präsenz. Pflichtgemäß erfüllt er seinen Auftrag. Augenscheinlich gibt es keine Schwierigkeiten mit diesem Amtsinhaber, der jedenfalls nicht mit den beiden agentes in rebus des Fulgentius zusammenarbeitet. Der potenzielle Kontrolleur des Stadtpräfekten (vgl. dazu im 1. Teil, 4. Abschnitt I) erweist sich hier als loyaler Mitarbeiter, den Symmachus in § 13 auch anerkennend als devotissimus vir betitelt. Symmachus lässt sich (§ 11) ein weiteres Mal ohne Diskussion auf die Bedingungen von Fulgentius ein und erwartet die Auslieferung von Felix an das officium urbanum für den nächsten Tag. Wie er selbst erkennt, wird er bis dahin wahrscheinlich nachdrücklich instruiert sein. Aber auch am nächsten Morgen verweigert Fulgentius entgegen dem schriftlichen Versprechen, adversum cautionis fidem, die Übergabe von Felix. Dieser wird vielmehr, wie beigefügte Dokumente zeigen, weggeführt, um dem Vikariat übergeben zu werden. Zu diesem hat Fulgentius offensichtlich mehr Vertrauen im Hinblick auf die drohende Befragung von Felix. Der princeps officii der Stadtpräfektur versucht noch, mit 312 Schließlich kann und darf er sich nicht zum Richter in eigener Sache machen, vgl. CT II, 2, 1 (376) an den Stadtpräfekten. Zu dieser Vorschrift s. in anderem Zusammenhang auch bei Rel. 41. 313 Rechtlich unverbindliches Versprechen, vgl. bei Rel. 6.
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einer kleinen Truppe von Leuten Felix festzuhalten, bekommt ihn zunächst auch zu fassen, doch ist ihm Fulgentius mit seinen Leuten kräftemäßig am Ende überlegen, manu validiore legibus repugnavit. Nun also brechen Fulgentius und seine Leute in ihrem gewaltsamen Widerstand gegen das rechtmäßige Vorgehen der Stadtpräfektur auch noch offen das Gesetz, was Symmachus erkennt, aber nicht bekämpft. Das geschieht in aller Öffentlichkeit und wirft, wie er selbst anmerkt, kein gutes Licht auf seine Autorität. Leute des Vikars nehmen Felix unterdessen an sich. Fulgentius setzt sich insofern also durch, als er Felix erfolgreich dem Zugriff des Stadtpräfekten entzieht und ihn dem Vikar zur Anhörung zuführt. Symmachus überlässt die Beurteilung auch dieser Episode dem Kaiser und erwartet dessen Entscheidung, sich auf die Berichterstattung beschränkend: Videro, quid de hoc facto perennitas vestra debeat iudicare; ego ordinem tenebo gestorum. Nun wird jemand von einem anderen Richter befragt und sagt aus, er habe keine Anweisung von Beamten des officium urbanum bekommen, etwas gegen Fulgentius zu unternehmen, § 12: Fatetur sub alterius cognitoris examine litigator, nihil sibi ab apparitoribus meis adversum Fulgentium esse mandatum. Es wird also ein litigator befragt. Barrow314 glaubt, es handele sich um Memorius, der anfangs als litigator bezeichnet worden war. Dagegen spricht jedoch, dass dieser kaum in so kurzer Zeit aus Africa zurückgerufen worden sein dürfte. Außerdem stellt sich die Frage, was Memorius aussagen kann hinsichtlich irgendwelcher Anweisungen gegen Fulgentius, da er an dieser Episode nach der Schilderung von Symmachus gar nicht beteiligt, sondern weit weg war. Wahrscheinlicher erscheint es daher, mit der Gegenansicht davon auszugehen, dass Felix befragt wird, der ja nun endlich, zumindest für den Vikar greifbar ist und der auch zur gestellten Frage eher etwas sagen kann. Litigator, eigentlich eine Partei im Prozess, könnte hier für ihn als Zeugen gebraucht sein; vielleicht hat Felix inzwischen aber auch einen Prozess angestrengt oder wird er aufgrund seiner tuitio als litigator bezeichnet. Wer aber ist der „andere Richter“? Zu denken wäre zuallererst an den Vikar315. Der hat Felix nach der Auseinandersetzung immerhin in seiner Gewalt und muss ihn schon deshalb zur Aussage freigeben, um sich selbst nicht weiter verdächtig zu machen. Möglicherweise vernimmt er daher auch gleich selbst den Zeugen, auch um die Belastung des Fulgentius durch geschickte Fragestellung möglichst gering zu halten, denn die Antwort von Felix zeigt, dass die ihm gestellte Frage die Möglichkeit offen lässt und es leicht macht, Fulgentius zu entlasten und Symmachus zu belasten. Eigentlich sollte Felix darüber befragt werden, ob er im Auftrag von Fulgentius die Verbringung des Memorius nach Africa durchgesetzt hatte oder nicht. Nun wird er aber gefragt, ob aus Symmachus’ Amt irgendwelche Anordnungen an ihn ergangen sind. Das ist nicht die von Symmachus und dem Vikar anfangs 314 Prefect, 133. Dagegen: Sinnigen, Officium, 21; ders., Vicarius, 105; Cristo, Judicial event, 691; Vera, Commento, 413; Giglio, Intorno, 323; 325. 315 So: Sinnigen, a.a.O.; Giglio, Intorno, 323.
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beschlossene Frage. Wer ist dann aber der „eine Richter“, wenn der Vikar der andere ist, und warum sollte Symmachus den Vikar nicht benennen? Der „eine“ ist jedenfalls dann nicht Symmachus, wenn die Anhörungen im Zusammenhang mit der Untersuchung Sache des Vikars sind. Bejaht man diese Annahme, wäre der Eine ein dritter Richter oder der Vikar. Ist also der Vikar eigentlich zuständig? Dann ist Verhörender ein Dritter, ein unbenannter Richter. Nachdem aber festzustellen war, dass Symmachus im konkreten Verfahrensabschnitt immer aktiver ist, könnte auch er der Eine sein. Die Frage an Felix betrifft das Verhältnis von Symmachus zu Fulgentius. Der Richter überprüft die Aussage des Fulgentius, der behauptet, die Entführung von Felix sei notwendig gewesen, damit er nicht vom officium unter Druck gesetzt werde. Felix aber belastet den Stadtpräfekten nicht, was vielleicht erhofft war, sondern bestätigt Fulgentius als denjenigen, der verantwortlich für die Verschiffung und die Handgreiflichkeiten ist. Seine Aussage entlastet die Stadtpräfektur damit endgültig von den vorgebrachten Vorwürfen und der Richter ordnet an, dass die principes beider officia den litigator zum commune secretarium bringen, wohin Symmachus gerade die führenden Senatoren, summates, geführt hatte, damit sie die oblatio (Relation 13) bezahlen. Diese Anordnung spricht wiederum dafür, dass der vernehmende Richter in der Tat der Vikar ist, denn dieser ist der im commune secretarium schon zu Beginn des zweiten Abschnitts aktive Ermittler, der den Zeugen jetzt dort wieder hinführen lässt. Der Vikar beteiligt nun doch die Stadtpräfektur, vielleicht um bösen Schein zu vermeiden. Symmachus seinerseits hat durch die anwesenden Senatoren eine willkommene Öffentlichkeit im bisher wohl nicht-öffentlichen Verfahren. Die Teilversammlung des Senats bringt ihm zusätzliche, auch moralische Entlastung und Rehabilitierung. Für die Senatoren ist dadurch allerdings wieder keine rechtliche Funktion belegt; sie werden nicht befragt, sondern sind nur öffentlichkeitswirksam, eher zufällig anwesend und hören Symmachus’ Entlastung. Insbesondere steht auch die Zahlung des aurum oblaticium in keinem Zusammenhang mit den Geschehnissen in Relation 23 und auch die Manipulationen der Senatoren wegen der munera aus dem ersten Handlungskomplex werden in diesem Zusammenhang nicht mehr angesprochen. Es werden nurmehr die Ermittlungsergebnisse zusammengetragen und die Stadtpräfektur nochmals vor den Augen auch der Senatoren von allen Vorwürfen entlastet: nihil enim repertum fuerat, quod praefecturam posset involvere. Felix hat also den Sachverhalt wahrheitsgetreu berichtet und deckt Fulgentius nicht. Die ganzen Vorwürfe gegen die Stadtpräfektur entpuppen sich als inhaltsleer. Fulgentius jedoch ist nicht bereit, kampflos aufzugeben, und nutzt die Gelegenheit der Versammlung wichtiger Senatoren, um geltend zu machen, er sei bei der Auseinandersetzung um Felix von officiales der Präfektur geschlagen worden, § 13. Dieser Vorwurf wird von Felix und dem princeps officii sogleich widerlegt. Trotzdem nimmt Symmachus ihn ernst und zieht den Vikar bei: Et tamen querellae eius audientiam non negavi,...vicario in societatem cognitio-
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nis, si vellet, adscito... . Er ist also nach seiner Entlastung mittlerweile und nun auch im commune secretarium aktiver Ermittler und beteiligt den Vikar freiwillig an der Untersuchung der Vorwürfe des Fulgentius gegen sein Amt. Symmachus willigt ein, als Fulgentius Zeugen aus dem Volk beizubringen verspricht, obwohl er sich sicher ist, dass es sich höchstwahrscheinlich wieder nur um Verzögerungstaktik handelt und Fulgentius möglicherweise schon neue Machenschaften plant: credo, ut per moram vel meus dolor praeter satisfactionem mitesceret vel ipse rursus alias moliretur insidias. Er geht nachgiebig noch einmal auf offensichtliche Ablenkungsmanöver ein, will damit offenbar seine Unvoreingenommenheit und Fairness unterstreichen. Dessen ungeachtet stellt er in § 14 dann aber doch die Verantwortlichkeiten endlich klar, dass nämlich Fulgentius mit dem ungenannten Denunzianten beim Vikariat verbündet und der eigentliche Hintermann der erfundenen Verdächtigungen ist. Der nescio quis bleibt allerdings unbenannt. Fulgentius bringt letztlich - wie zu erwarten die Zeugen nicht bei, sondern beschränkt sich darauf, nun scheinbar ganz fügsam, zu bitten, dass man gegen seine Komplizen, die er aus Sicherheitsgründen festgesetzt hat, Milde üben möge. Danach flieht er, seine Niederlage erkennend und um voraussehbaren Klagen aus der Stadtpräfektur zuvorzukommen, aus Rom, indem er illegal die Staatspost benutzt: ut praefecturae iustas querimonias praeveniret, ignarus, ut res est, parentes generis humani magis iustitia quam invidia commoveri. Symmachus vertraut nun auf die kaiserliche Gerechtigkeit gegen die Machenschaften der Gegner. Er betont, wahrheitsgetreu berichtet zu haben, und legt die Verfahrensakten bei, § 15. Der Kaiser werde sehen, dass die Präfektur keinen Versuch unternommen habe, die eigene Autorität durchzusetzen, sich Übergriffen jeder Art beugend, obwohl sie jeder Wohlgesonnene als hart zu bestrafen ansehe, d. h. er verteidigt seine Passivität gar nicht mehr, gesteht vielmehr völlige Ohnmacht ein. Alle Anschuldigungen und Angriffe hat er geduldig hingenommen, sich zwar redlich entlastet, aber zu keinem Zeitpunkt hart durchgegriffen. Stattdessen nimmt er am Ende den Kaiser in Pflicht und Verantwortung für sein Amt, wie er es in den Relationen 1 und 2 bereits angekündigt hat, und zieht sich darauf zugleich zurück, indem er zuversichtlich eine strenge kaiserliche Reaktion zur Verteidigung seines Amtes erwartet: repperiet aeternitas vestra, praefecturam, quam in me puro iudicio contulistis, nihil saltem ad vindictam publicae disciplinae esse molitam, cum omnibus iniuriis cederetur, quas boni quique praesumunt pro vigore saeculi vindicandas. Haec enim spes et fiducia ius creditae mihi potestatis infregit, ut auctores honoris mei et publicae dignitatis et iudicii sui contumeliam iusta severitate defendant. 3. Bewertung Die Lektüre der 23. Relation hinterlässt einen merkwürdigen Eindruck. Einerseits stellt sich Symmachus als gewissenhafter Beamter dar, der immer wie-
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der versucht, die Ermittlungen in geordnete Bahnen zu bringen und jedem Verdacht nachgeht, der andererseits aber nichts tut, um seine Autorität gegenüber hinterhältigen Angriffen durchzusetzen. Stattdessen beklagt er den eigenen Autoritätsverlust und sieht sich als Opfer von iniuria, insidiae und contumelia. Vor allem gegen Ende wirkt die ganze Angelegenheit wie ein turbulentes Possenspiel, dessen Marionette der Stadtpräfekt ist; es verschwinden Zeugen und man leistet offenen Widerstand gegen ihn und seine Leute. Wer steht nun aber hinter diesen Machenschaften und wie hängen erster und zweiter Berichtsabschnitt zusammen? Das einzige verbindende Element ist der - stets unbenannte - Vikar, der im ersten Teil klar vorwerfbar handelt. Im zweiten Teil bleibt seine Rolle zweideutig, doch hat man den Eindruck, dass er Fulgentius so gut es geht begünstigt. Dieser vertraut dem Vikar, lässt Felix dorthin ausliefern. Symmachus sagt es nicht klar, deutet aber einleitend an, dass die Ursprünge der Machenschaften im ersten Abschnitt liegen. Das könnte bedeuten, dass auch im zweiten Teil der Vikar gegen ihn arbeitet. Jedenfalls hält sich dieser mit der Aufklärung der Vorwürfe gegen Bassus auffallend zurück, ist aber rechtzeitig zur Stelle, als es um das Verhör des Felix geht. Offensichtlich soll keinesfalls Symmachus den Zeugen vernehmen. Beschlüsse mit Symmachus trifft er augenscheinlich nur, um sich nicht verdächtig zu machen, denn er hält sich nicht an die gemeinsamen Beschlüsse, vernimmt Felix anders als geplant und legt ihm sogar eine entlastende Aussage zugunsten des Fulgentius in den Mund. Insgesamt nutzt der Vikar durchaus effektiv seine eigenständige Kompetenz und die schwierige Position des Symmachus, wenngleich er diesen formal immer wieder einbezieht. Über mögliche Motive des unbekannten Amtsinhabers lässt sich nichts sagen. Direkte Übergriffe gegen Symmachus gibt es von seiner Seite jedenfalls nicht. Im Ganzen handelt es sich ansonsten um zwei selbständige Geschehnisse, die Symmachus’ Autorität nicht im besten Licht erscheinen lassen. Beide Male gelingt es seinen Gegenspielern, Untersuchungen zu blockieren, vielleicht sogar endgültig zum Erliegen zu bringen. Sowohl Celsus und die Senatoren im ersten Abschnitt als auch Bassus und Fulgentius im zweiten entziehen sich faktisch den Ermittlungen des Stadtpräfekten mit für uns ungewissem Ausgang316. Zu vermuten ist sogar, dass es zu einer Bestrafung auch später nicht mehr gekommen ist, obwohl die Vorwürfe gut fundiert scheinen. Der Schwerpunkt der Relation liegt auf dem zweiten Handlungsabschnitt. Zwar bleibt derjenige, der die erwiesenermaßen inhaltsleeren Anschuldigungen gegen Symmachus und sein Amt beim Vikar erhebt, unbenannt: nescio quis, § 4. Wie Symmachus jedoch in § 9 klarstellt, steckt Fulgentius hinter den Vorwürfen. Dieser will offensichtlich Memorius loswerden und die Verantwortung dafür Symmachus zuschieben. Er macht sich während der ganzen Angelegenheit immer wieder äußerst verdäch316 Auf durchaus ähnliche Weise entzieht sich auch in Rel. 28 ein einflussreiches Mitglied der Familie der Anicii, der Senator Olybrius, durch hartnäckigen Widerstand gegenüber Beamten der Stadtpräfektur erfolgreich dem Verfahren.
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tig, Bassus schützen und Symmachus in die Enge treiben zu wollen. Als hoher Beamter, möglicher kaiserlicher Ermittler gegen Bassus, missbraucht er seine Position und wird dabei von weiteren Beamten des Hofes, von denen der eine sogar ursprünglich aus dem officium urbanum kam, unterstützt. Das wirft auch auf die kaiserliche Autorität kein gutes Licht; potenzielle Kontrolleure des (ehemaligen) Stadtpräfekten missbrauchen ganz offensichtlich ihr Amt. Möglicherweise stehen hinter der Angelegenheit sogar noch höhere Chargen am Hof, etwa Mitglieder des consistoriums. Dabei wäre insbesondere an den magister officiorum zu denken, den Chef der agentes in rebus, der wohl auch über die tribuni et notarii gewisse Aufsicht führte. Festzuhalten ist jedenfalls, dass das engere kaiserliche Umfeld in der Angelegenheit nicht ganz unbeteiligt scheint. Vor diesem Hintergrund stellt sich dann aber die Frage, ob hier wirklich gegen Symmachus intrigiert werden soll wie dieser glaubt oder ob nicht ganz andere Interessen hinter den Machenschaften stehen. So vereitelt bzw. verzögert Fulgentius letztlich die Aufklärung um Bassus, indem Memorius und Felix, beides offenbar wichtige Zeugen, gewaltsam beiseite geschafft werden. Angriffe auf Symmachus scheinen nur Reflex dieses zu vermutenden Hauptzieles zu sein. Die Tatsache, dass seine Leute den potenziellen Zeugen Memorius verschifft haben, bietet lediglich die Angriffsfläche für undurchsichtige und unhaltbare Anschuldigungen gegen die Stadtpräfektur und den Stadtpräfekten. Für einen religiösen Hintergrund der Angelegenheit gibt es hingegen keinerlei Anhaltspunkte317, insbesondere kennen wir die Religionszugehörigkeit der beteiligten Beamten - bis auf Bassus - nicht. Der Zielrichtung nach soll hier am ehesten Bassus persönlich geschützt und nicht etwa Symmachus auf religiösem Gebiet angegriffen werden. Insofern unterscheidet sich Relation 23 deutlich von Relation 21. Bassus ist Mitglied der einflussreichen römischen Familie der Anicii318, die vermutlich großes Interesse daran hat, dass Geschehnisse aus seiner Amtszeit nicht ans Tageslicht kommen. Vielleicht ist Fulgentius sogar von Familienmitgliedern beauftragt worden und vielleicht wollte schon Bassus selbst mit seiner Verschiffungsanordnung Memorius als unliebsamen Zeugen gezielt aus dem Weg schaffen. Das deutet Symmachus allerdings mit keinem Wort an, sondern stellt Bassus’ Anordnung als gültig und vollstreckbar hin, wobei ihn aber die Angelegenheit Bassus/Memorius ohnehin nicht weiter interessiert. Relation 23 soll ihn selbst vor dem Kaiser entlasten, mehr nicht. Die Angriffe gegen Symmachus sind vor diesem Hintergrund zwar von plumper Machart und können leicht entkräftet werden, erreichen aber im Ergebnis zugunsten von Bassus die gewünschte Verzögerung, insbesondere durch die Zurückhaltung des Vikars, Memorius zurückzurufen und weitere Zeugen zu befragen. Der offene Affront seinerseits zeigt, dass mächtige Interessen aus der 317
So aber Bloch, Neues Zeugnis, 152. Zu Bassus s. schon Nachweise bei Rel. 20. Stammbaum der Anicii: PLRE I, 1133. Er wird mehrfach als restitutor generis Aniciorum bezeugt, z. B. CIL X, 5651; XIV, 2917. Bassus ist Christ, s. etwa CIL XIV, 1875. Zu den Anicii auch bei Rel. 28. 318
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Familie des Anicii, deren Einfluss bis in den Mailänder Hof zu reichen scheint, hinter der Angelegenheit stehen dürften. Warum aber hält sich der Präfekt so zurück; tut er das aus persönlicher Schwäche oder gar aus rechtlichen Gründen? Eine Rolle spielt gewiss die Tatsache, dass hohe kaiserliche Beamte und Senatoren einflussreicher Familien in die Angelegenheit verstrickt sind, was vom Stadtpräfekten gewisse Vorsicht erfordert. Ähnliche Zurückhaltung gegenüber senatorischen Machenschaften zeigt auch Relation 28 und Vorsicht deutet sich auch in Relation 33 an, in der Symmachus auf weitere Unregelmäßigkeiten aus der Amtszeit des Bassus stößt. Zugunsten des Stadtpräfekten ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass er jedenfalls im zweiten Teil grundlos Beschuldigter mit schwieriger Position im Verfahren und ersichtlich bemüht ist, Vorwürfe gegen die eigene Person aufzuklären. Im Übrigen dürften Fulgentius und der Vikar, aber auch die agentes in rebus und der palatinus, als (hohe) kaiserliche Beamte während ihrer Amtszeit weitgehende Immunität genossen haben319. Eine Verfolgung der Inhaber solcher Ämter fand grundsätzlich erst nach Ende ihrer Dienstzeit statt, vgl. etwa die Untersuchungen gegen die ehemaligen Stadtpräfekte Bassus und Orfitus (hier und Relation 34). Strafrechtlich und disziplinarisch können sie letztlich nur vom Kaiser belangt werden, der regelmäßig Streitigkeiten selbst schlichtet, wenn wichtige Beamte beteiligt sind, wie viele Beispiele bei Ammian zeigen320. Mittlerweile beanspruchen auch die einschlägigen Fachminister am Hof zunehmend die Rechtsprechungsgewalt über ihr Personal (vgl. zu der 384/385 wohl schon weitgehend bestehenden Sondergerichtsbarkeit bei den Relationen 38 und 41). Gegen allgemeine Hofbeamte (palatini) und agentes in rebus war in Strafsachen und Disziplinarfragen vermutlich bereits der magister officiorum und gegen spezielle Finanz-palatini ggf. der jeweilige Finanzminister berufen321. Auch das vermag die Zurückhaltung des Stadtprä319 Beamte einer bestimmten Ebene in der Hierarchie genossen weitreichenden Schutz. Speziell Palastbeamten wird immer wieder Immunität zugesichert. Etwa durch CT VI, 35, 9 (380) werden bestimmte palatini und agentes in rebus mit Strafdrohung vor gerichtlicher Belangung geschützt. S. a. CT VI, 35, 8 (369), wonach palatini auch nach Ende der Dienstzeit nicht zu stören seien. Notarii werden in CT VI, 10, 1 (380) auch nach Amtsende vor Belangung geschützt. 320 Beispiele dafür, dass der Kaiser bei Amtsvergehen häufig selbst entscheidet, finden sich bei Ammian, XVIII, 1, 1 f (allg); XVIII, 1, 4 (der Kaiser verhört selbst einen ehemaligen Statthalter wegen Pekulat); XXII, 4, 1 ff (der Kaiser entlässt straffällige palatini); XXVII, 7, 1 f (ein praefectus praetorio wird von einem ehemaligen Statthalter wegen Pekulat beschuldigt und vom Kaiser im Amt abgelöst); XXVII, 7, 5 (der Kaiser bestraft den ehemaligen comes largitionum von Illyrien und andere Beamte wegen leichter Vergehen); XXVIII, 1, 18 (der Kaiser bestraft den ehemaligen Prokonsul von Africa wegen Unterschlagung); XXXI, 14, 2 (der Kaiser verfolgt hohe Beamte, die des Diebstahls oder der Unterschlagung überführt sind). S. a. Rel. 36, in der der Kaiser dem Stadtpräfekten einen Strafprozess gegen zwei ehemalige Minister delegiert. 321 Zu dieser Sondergerichtsbarkeit vgl. m. N. Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 544; Pieler, Gerichtsbarkeit, 450 f; Clauss, Magister officiorum, 76 ff; Delmaire, Largesses sacrées, 80 ff; s. a. Masi, Giurisdizione, der schon seit etwa 371 eine Sonderkompetenz
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fekten zu erklären, trägt übrigens nicht zu unparteiischer Rechtsprechung bei, sondern führt eher zu Protektionismus durch den Hof. Die Tendenz ist klar: Obwohl der Begehungsort Rom ist und damit örtlich grundsätzlich der Stadtpräfekt zuständig, beklagt man sich gegen höhere Beamte besser beim Kaiser direkt, denn Fulgentius und seine Leute wären von Symmachus kaum mit Erfolg zu belangen und der Vikar untersteht ohnehin dem praefectus praetorio. Doch stellt sich dann trotzdem die Frage, warum sich Symmachus völlig zurückhält. Vielleicht kann er nicht selbst bestrafen, etwa die Amtsanmaßung des Vikars und den Treuebruch von Celsus im ersten Teil; im zweiten Teil die Zeugenentziehung, Gefangenenbefreiung, den gewaltsamen Widerstand gegen die Amtsgewalt des Stadtpräfekten und den Missbrauch der Staatspost322 durch Fulgentius und seine Leute. Er könnte die Widersacher aber doch kraft seiner Polizeikompetenz wenigstens in ihre Schranken verweisen und konkrete Konsequenzen fordern. Stattdessen lässt er Fulgentius entkommen, obwohl er am Ende selbst andeutet, dass Klagen aus der Stadtpräfektur gegen ihn anstanden. Aber anstatt seine Kompetenzen auszuschöpfen, nimmt er in beiden Teilabschnitten die Angriffe hin und geht geduldig auf alle Spielchen ein, um dann vom Kaiser pauschal zu fordern, dass dieser gegen die Gegner, die leges gebrochen hätten, tätig werde (§§ 1 und 11). Die Gesetzesverstöße werden nur angedeutet, aber nirgendwo präzise benannt. Iniuria und contumelia gebraucht Symmachus untechnisch in emotionaler, nicht juristischer Argumentation; gemeint ist die geringschätzige Behandlung seiner Person im moralischen Sinne, die persönliche Kränkung. Statt aktiv zu werden, hebt er seine Opferrolle hervor und verbindet damit eher einen moralischen als einen rechtlichen Vorwurf. Es findet sich kein konkreter, gar (straf)rechtlicher Vorwurf323; vielmehr wird levon comes sacrarum largitionum und comes rei privatae wenigstens in Strafsachen über die eigenen Finanzbeamten vermutet. Eine Sondergerichtsbarkeit auch in Zivilsachen gab es für diese Beamten aber wohl erst ab 424/425 (CJ XII, 23, 12). Noch Ep. II, 44 (364/365) zeigt die reguläre Strafrechtskompetenz des Stadtpräfekten (in 2. Instanz) über palatini. Jedenfalls Disziplinarangelegenheiten über das jeweilige Personal unterstanden aber unbestritten damals schon dem comes sacrarum largitionum bzw. dem comes rei private. Zivil- und evtl. auch Strafgerichtsbarkeit unterlagen hingegen wohl (noch) den ordentlichen Richtern. So: Delmaire, Largesses sacrées, 89 ff m. N.; vgl. u. a. Ep. II, 44 (364/365); Ammian, XXIX, 1, 5; Zosimos, IV, 14, 1; s. a. bei Rell. 48 und 38. 322 Die Entziehung von Zeugen könnte als Menschenraub, plagium, und die Gewaltanwendung als crimen violentiae strafbar sein. Zu diesen Delikten und den drohenden, schweren Rechtsfolgen s. näher bei Rell. 28; 31; 38 und 49. Auch die Benutzung des cursus publicus ohne gültigen Berechtigungsschein wurde streng geahndet. Zum Missbrauch der öffentlichen Post und den drohenden Strafen vgl. Noethlichs, Beamtentum, 150 ff; Vorschriften im Titel CT VIII, 5. Nach CT VIII, 5, 22 (365) etwa geht bei einem Missbrauch durch höhere Würdenträger die Meldung und Bestrafung direkt an den Kaiser. 323 Zu denken wäre wegen der schriftlichen Anschuldigungen auch an die verschiedenen Regelungen De famosis libellis in CT IX, 34 und CJ IX, 36. Herstellung und Verbreitung einer öffentlichen Schmähschrift, libellus famosus, wird als qualifizierte Injurie bestraft und Denunziantentum insgesamt von den Gesetzen grundsätzlich ignoriert
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diglich in larmoyantem Ton der Sachverhalt geschildert, ohne konkrete Vorschläge für das weitere Vorgehen einzubringen. Sehenden Auges nimmt Symmachus hin, dass das Ansehen seines Amtes Schaden nimmt. Immerhin spricht er recht deutlich an, wen er für schuldig hält; außer Fulgentius und seinen Gehilfen gerät insbesondere der Vikar in Verdacht und auch gegen Bassus wird ein Aufklärungsbedarf erkennbar. Insoweit ist Symmachus im Ergebnis ein gewisser Mut nicht abzusprechen, wenn der Ton auch längst nicht so selbstbewusst wie etwa in Relation 17 ist, was daher rühren mag, dass ihm die Erfahrung mit jener Relation vielleicht schon vor Augen geführt hatte, wie gefährlich Beamtenkritik ist, die als Kaiserkritik ausgelegt werden kann. Rechtlich gesehen handelt es sich im zweiten Teil um keinen Prozess, sondern um verwaltungsinterne Vor-Untersuchungen gegen Bassus bzw. Symmachus und das officium urbanum aufgrund von Anschuldigungen. Symmachus hat keine festen Kompetenzen im Verfahren; nicht er, sondern der Vikar ist der eigentliche Ermittler. Als problematisch erweist sich in beiden Abschnitten das Verhältnis des Stadtpräfekten zum Vikar. Es scheint nie ganz klar, wann und wie intensiv jeweils der Kollege hinzugezogen wird. Die jeweilige Hinzuziehung, die günstigenfalls zur Objektivierung der Aufklärung beitragen kann, hängt mehr oder weniger vom Ermessen oder der Willkür des zuständigen Beamten im Einzelfall ab. Unklar bleibt immer wieder, wieweit die jeweiligen Befugnisse gehen, und auch die Zusammenarbeit lässt deutlich zu wünschen übrig. Weil klare Kompetenzabgrenzungen und Weisungsbefugnisse fehlen, ist diese Rivalität zwischen Stadtpräfekt und Vikar im Verwaltungssystem bereits angelegt und wird vorliegend dazu genutzt, die Amtsinhaber gegeneinander auszuspielen. Das geschieht ganz gezielt im ersten Teil, aber auch Fulgentius wechselt im zweiten Teil bewusst das Gericht. Zweimal taucht dabei die tuitio als außerordentliche Rechtsschutzmöglichkeit außerhalb bzw. im Vorfeld eines Prozesses auf. Auch sie trägt zu Rivalitäten unter den betroffenen Beamten bei, die speziell mit ihrer Hilfe gegeneinander ausgespielt werden können. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit innerhalb des officium urbanum gibt zu denken, dass Symmachus und sein princeps officii offenbar nichts davon wissen, dass der apparitor eine Anweisung von Fulgentius erhalten und sie auch ausgeführt hat, indem er Memorius nach Africa bringen ließ. Auch hier deuten sich Autoritätsprobleme an324. und bestraft. Vgl. dazu etwa Mommsen, Strafrecht, 794 f; 800 f, und hier auch bei Rel. 49. Symmachus könnte insoweit wenigstens geltend machen, dass man solchen anonymen, unbewiesenen Anschuldigungen gar nicht nachgehen dürfe und die Urheber schon allein deshalb bestraft werden müssen, vgl. etwa CT XI, 39, 7 (378): Iubemus omnes deinceps, qui scribturas nefarias comminiscuntur, cum quid in iudicio prompserint, nisi ipsi adstruxerint veritatem, ut suspectae scribturae et falsi reos esse detinendos. 324 Die innerhalb des officium urbanum offenbar nicht unüblich sind, denn 387 heißt es in CT VI, 28, 4 an den römischen Stadtpräfekten Pinianus, dass kein Büro eine Maßnahme ohne Wissen des princeps treffen dürfe. Dieser muss die Anordnungen unterschrieben haben, sonst droht dem officium Strafe. Eine Tendenz, eigenmächtig zu handeln, scheint also auch damals (noch oder wieder) bestanden zu haben. Der princeps of-
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Zur rechtlichen Bewertung der Relation 23 ist festzuhalten, dass besondere Rechtskenntnisse für Symmachus hier nicht belegt sind. So wird der Senat im ersten Teil nur prisco more, der Tradition gemäß, befragt und auch die eigene Verteidigung findet weniger auf rechtlicher Ebene statt. Symmachus sucht sich verständlicherweise in ein gutes Licht zu rücken, was bisweilen jedoch seinen Blick auf den wahren Sachverhalt verstellt und verschleiert. Zu sehr sieht er sich selbst im Mittelpunkt der Geschehnisse und ist bemüht zu unterstreichen, dass er noch dem letzten Vorwurf gründlich nachgegangen ist. Dazu bezieht er den Vikar immer wieder ein, will jeden Anschein von Voreingenommenheit vermeiden und ist ängstlich bemüht, seine Unabhängigkeit, Objektivität und sorgfältige Erfüllung seiner Amtspflichten zu betonen. Weil er sich dabei trotz aller Vorsicht den Vertuschungen und Machenschaften seiner Gegenspieler in den Weg stellt und aufzuklären versucht, schadet ihm hier wohl gerade sein korrektes Verhalten. Rein rechtlich ist ihm seine Passivität jedenfalls nicht im Sinne eines Fehlverhaltens im Amt vorzuwerfen. In der Zusammenschau dieser Relation mit den Ereignissen, die sich insbesondere aus den Relationen 21, 34 und der kaiserlichen Reaktion auf Relation 17 ergeben, wird der von Symmachus in Relation 10 geäußerte Rücktrittswunsch allerdings einmal mehr verständlich. Deutlich weniger selbstbewusst als in anderen Relationen, zeigt sich hier ein ersichtlich überforderter Stadtpräfekt, der seine Autorität nicht wirkungsvoll einzusetzen vermag. Insgesamt dürften die hier geschilderten Geschehnisse seine Autorität weiter geschwächt haben, obgleich eine Verschwörung gegen den Stadtpräfekten, anders als etwa in Relation 21, hier nicht festzustellen ist. Die eigentliche Zielrichtung scheint eine andere zu sein. Der Ausgang der Angelegenheit ist unbekannt. Der Kaiser wird Symmachus beigestanden und durchgegriffen haben, wenn er den Eindruck hatte, dass mittelbar auch seine eigene Autorität beschädigt werden könnte. Doch sind deshalb Zweifel angebracht, weil nichts weiter bekannt ist über eine Bestrafung oder einen Karriereeinbruch der unter Verdacht geratenen Personen. Die Entscheidung ist letztlich auch eine politische, inwieweit nämlich Rom und der heidnische Präfekt (noch) ernst genommen werden. Symmachus wendet sich jedenfalls vertrauensvoll nach Mailand.
XII. Relationen 25 und 26: Architektenhaftung In zwei ausführlichen Schreiben schildert Symmachus Valentinian II. einen besonders verzwickten und langwierigen Bauskandal um eine Brücke. Beide Relationen berichten über die vom Stadtpräfekten, phasenweise auch dem Vikar, geleiteten Vorermittlungen für einen möglichen Bauprozess um Konstruktionsfehler und übermäßige Kosten, vielleicht sogar Unterschlagung öffentlificii und die Unterbeamten mögen z. T. noch dieselben wie unter Symmachus gewesen sein.
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cher Gelder durch die Architekten. Im Vorfeld eines Prozesses werden hier Fragen einer Architektenhaftung zwar berührt, doch sind die während der Untersuchung des Stadtpräfekten auftretenden Probleme weniger rechtlicher als tatsächlicher Natur. Aus diesem Grunde sind die Schreiben den Verwaltungsangelegenheiten mit rechtlich relevantem Hintergrund (wie auch die Relationen 23 und 34) und nicht den Prozessberichten zuzuordnen. Weitere Ergänzungen zum Fall, der von Symmachus durch Dokumente belegt wird (vgl. Relationen 25, 4 und 26, 7), liefern zwei Briefe aus dem Jahre 387: Epp. IV, 70 und V, 76. Symmachus ist unschlüssig, wie es weitergehen soll. Der Kaiser hat sich bereits in einem rescriptum mit dem Fall befasst und sein besonderes Interesse an der Sache bekundet; es scheint daher Vorsicht angebracht. Jahreszeitliche Angaben in den Relationen machen eine ungefähre Datierung möglich. Relation 25 schreibt Symmachus nicht lange nach seinem Amtsantritt im Sommer 384, kurz nachdem einer der Architekten sub ipso aestatis exordio geflohen war, § 3. Laut Relation 26, 6 ist der Winter jedenfalls weitgehend vorüber, d. h. es ist Februar 385. 1. Der zeitliche Ablauf der Affäre325 Im Sommer 382326 hatte man in Rom mit dem Bau einer Brücke und einer Basilica begonnen. Die Identifizierung der beiden Bauten wird noch heute diskutiert. Als am wahrscheinlichsten kristallisierte sich heraus, dass es sich entgegen früheren Annahmen bei der basilica nova (Ep. V, 76, 1) nicht um den Neubau der St. Paulsbasilika an der Straße nach Ostia327, sondern eine unbekannte Basilica und bei der Brücke, über deren Baugeschichte Symmachus hier berichtet (26, 2: pons novus), höchstwahrscheinlich um den pons Theodosii328, 325 S. a. (z.T. abweichend) Le Gall, Tibre, 307 ff; Chastagnol, Préfecture, 350 ff; Martínez-Fazio, Basílica, 335 ff; Vera, Commento, 184 ff. Vera, Scandalo edilizio di Cyriades e Auxentius, befasst sich entgegen der Erwartung, die der Titel weckt, nicht mit Einzelheiten der Affäre, sondern mit dem zeitlichen Ablauf der Stadtpräfektur des Symmachus und seiner direkten Vorgänger und Nachfolger. 326 385 ist der dritte Winter, nämlich der von 384/385, als Symmachus Stadtpräfekt war, vorüber: Rel. 26, 6. Entgegen Le Gall, Tibre, 309, und Chastagnol, Quelques documents, 424, ist der Baubeginn erst 382 und nicht schon vor dem Winter 381/382 anzusetzen. Der schon gebaute Teil hat Anfang 385 den dritten Winter überstanden. 327 S. Coll. Avell. 3: basilicam Pauli apostoli. 328 Urlichs, Brücken, 466; 494 f, dachte dagegen an den pons Theodosii et Valentiniani, der nach beiden regierenden Kaisern benannt worden sei, und Seeck, RE-Kyriades 2, 173, zunächst an den pons Valentiniani, während ders., RE-Auxentius 4, 2615, den pons Theodosii bevorzugt. Dass dieser, beschlossen von Gratian, beendet unter Theodosius’ Einfluss im Westen zwischen 389 und 395, gemeint ist, glaubt jetzt die überwiegende Ansicht: Le Gall, Tibre, 305 f; Chastagnol, Préfecture 350; 354 u. a.; Vera, Commento, 188 f m.w.N. Zur Diskussion um die Basilica, die mit der Datierung des Amtsantritts von Symmachus zusammenhängt und der (im 1. Teil, 1. Abschnitt I) schon angedeuteten Diskussion um seinen Vorgänger (Sallustius) Aventius, ausführlich Martínez-Fazio, Basílica, 43 ff; 278 ff; 299 ff; 313 ff; sich anschließend Vera, Scandalo, 45 ff und Commento, 187 f. Chastagnol, Sur quelques documents, 421 ff, identifiziert die Basilica da-
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der nördlich des Aventin über den Tiber führte, handelte. Jedenfalls lag die Brücke im Verwaltungsbezirk des Stadtpräfekten, denn von Anfang an war der jeweilige Amtsinhaber mit der Untersuchung befasst. Beide Bauten waren derselben Architektengruppe anvertraut und bei beiden scheint es finanzielle Schwierigkeiten gegeben zu haben. Symmachus, der mehrmals pauschal von der Angelegenheit Brücke und Basilica spricht (Relation 25, 2; Epp. IV, 70, 1 und V, 76, 1), berichtet in beiden Relationen letztlich allerdings nur vom Brückenbau, so dass hier im Wesentlichen dieser zu behandeln ist. Den Bau der Brücke hatte noch Gratian angeordnet. Die Bauleitung wurde Cyriades, einem Senator, comes et mechanicae professor, also einem hochrangigen Architekten übertragen329. Von ihm stammt wahrscheinlich der Bauplan mit den Berechnungen und der Konstruktion. Unter seiner Leitung beginnt man mit dem ersten Brückenpfeiler, der zur richtigen Jahreszeit, d. h. im Sommer bei Niedrigwasser gemauert wird. Kurze Zeit später jedoch wird Cyriades noch vor Beginn des Winters 382/383 durch den Senator Auxentius330 aus unbekanngegen als die St. Paulskirche, wie schon u. a. Seeck, Symmachus, CLVI Fn. 804 und Regesten, 93. 329 Die Person ist ansonsten unbekannt: Seeck, RE-Kyriades 2), 173; PLRE I, Cyriades, 237. S. a. Epp. IV, 70 und V, 76. Als Bauleiter hatte er umfassende technische und finanzielle Verantwortung, wie sich auch in den Relationen zeigt. So heißt es vom Aufgabengebiet des jeweiligen Bauleiters: Rell. 25, 2: cura atque administratione; 25, 3: curam locorum; 26, 3: molitionum cura. Der Beruf von Architekt und Ingenieur war zu jener Zeit nicht streng getrennt, wenn auch der mechanicus wohl über dem architectus stand, vgl. die Aufzählung in CT XIII, 4, 3 (344). Zum Berufsbild: Downey, Byzantine architects, 110 f; Saglio, DS-mechanicus, 1663; Lamprecht, Opus caementitium, 10; Kolb, Bauverwaltung, 122 f. Cyriades (wie auch seine Nachfolger) war bei solchen opera publica im kaiserlichen Auftrag gegen ein Gehalt aus der Staatskasse tätig. Als professor gab er offenbar auch Unterricht. Zu comes, einem häufigen Ehrentitel, vgl. schon bei Rel. 23. Dass ein Architekt eine angesehene Position innehatte, zeigt CT XIII, 4, 2 (337), wonach (u. a) er von Zwangsdiensten befreit ist; CT XIII, 4, 3 (344) belohnt Unterricht und Fortbildung. 330 Zu ihm Seeck, RE-Auxentius 4), 2615; PLRE I, Auxentius 5, 142. Er, der wohl Architekt ist, jedenfalls aber Bauleiter, wird in den Relationen ohne Berufsbezeichnung genannt. Ein weiteres Zeugnis über ihn findet sich evtl. in einer Inschrift, die einen Auxentius v. c. ubique pius erwähnt; er hat ein Diana-Tempelchen restauriert, CIL VI, 124. Vielleicht ist er auch derselbe Auxentios, dem man eine weitere Brücke in Cilicia verdankt nach einer griechischen Inschrift aus dem 4. Jh.: IGR III, 887, vgl. Grégoire, Auxentius, 465 ff; Downey, Byzantine architects, 111 Fn. 3; Vera, Commento, 187; Roda, Commento, 102. Vielleicht ist er dorthin geflohen? Das würde nach Vera a.a.O. bedeuten, dass seine Fähigkeiten beschränkt waren, denn (auch) diese andere Brücke über den Fluss Saros sei nicht solide gebaut gewesen, wie Prokop bezeuge in De aedificiis V, 5, 13. Aus dieser Textstelle ergibt sich jedoch nur, dass die Brücke unter Justinian restauriert wurde, was nicht bedeuten muss, dass sie nicht stabil war. Eine Restaurierung nach anderthalb Jahrhunderten ist kaum vergleichbar mit einem Einsturz und Baufehlern in der Bauphase, wie sie hier im Raum stehen. Nimmt man an, es handelte sich um dieselbe Person, dann lässt sich aus den Quellen jedenfalls keine eindeutige Aussage über die fachlichen Fähigkeiten des Mannes machen, denn für die Brücke über die Saros wird keine schlechte Bauleistung belegt und hier stehen in erster Linie kriminelle Machenschaften im Raum. Ep. IX, 5 ist an einen Auxentius in freundschaftlicher Verbundenheit
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ten Gründen ersetzt, dem die Bauaufsicht, cura atque administratio, übertragen wird, 25, 2. Dieser beginnt sub exordio hiemis, Ende 382 also, einen zweiten Pfeiler zu bauen, 26, 4. Doch im Winter/Frühling 383 stürzt ein bereits begonnener Brückenpfeiler - offenbar das von Auxentius im Winter gebaute Teilstück - unter der Strömung ein, 26, 4: partem brevem atque discretam sub exordio hiemis inchoatam vi fluminis corruisse. Der damalige Stadtpräfekt Anicius Auchenius Bassus (zu ihm schon bei den Relationen 20 und 23) beginnt eine Untersuchung der Einsturzursache gegen beide Architekten und schickt einen Ermittlungsbericht und eine relatio (25, 3) nach Mailand, worin die Verantwortlichkeiten bezeichnet werden, sub actorum confectione signavit culpam vel diligentiam singulorum, 26, 2. In der Folgezeit bleibt in Ermangelung kaiserlicher Anweisungen Auxentius zunächst weiterhin Bauleiter. Doch entsteht, ausgelöst durch den Einsturz, eine heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden Architekten, woraufhin sich die Angelegenheit zu einem Bauskandal auszuweiten beginnt. Irgendwelche Leute (Auxentius?), vielleicht auch der Bericht von Bassus331, erheben Vorwürfe gegen Cyriades, der sich daraufhin an den Kaiser (mittlerweile Valentinian II) wendet und Ende 383/Anfang 384 ein rescriptum erhält, das ihm auferlegt, sich von den gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen zu entlasten und sie, wenn nötig, zu erwidern, also diejenigen zu benennen, die er selbst irgendwelcher Betrügereien für schuldig hält, 25, 1: quo statuerat aeternitas vestra, ut se ipse a quorundam criminatione purgaret ac rursus urgueret obiectis, si quos fraudis incesseret. Die Untersuchung wird von Symmachus’ Vorgänger Aventius wiederaufgenommen, 26, 2, und prompt erhebt Cyriades Vorwürfe gegen Auxentius. Zu Anfang des Sommers 384, als Symmachus, gerade frisch im Amt, den Fall gemäß dem kaiserlichen Reskript (26, 2), das eine erneute Überprüfung der Angelegenheit angeordnet hatte, übernommen hat, werden von den Architekten noch immer wechselseitig Anschuldigungen vorgebracht, mutua accusatione (25, 2); inter se concertatione dissentiunt (26, 1); confligerent (26, 2). Auxentius beschuldigt Cyriades, öffentliche Baugelder verschwendet zu haben, super basilicae atque pontis inmodico sumptu, 25, 2, was dieser seinerseits erwidert. Weil beide Widersacher darauf bestehen, also nicht ganz aus freien Stücken, ordnet Symmachus eine genaue Untersuchung zu Kosten und Konstruktion der Brücke an, 26, 2: ipsis insistentibus censuissem, ut utriusque tam sumptus quam aedificationem investigatio discussionis332 inquireret. Er beschließt, den Bau gerichtet, doch ist das kaum unser Architekt; s. a. Roda a.a.O. mit Identifizierungsversuchen. 331 Eher aber nicht, s. dazu sogleich. 332 Discussio meint die finanzielle Untersuchung und Buchprüfung, vgl. auch die beiden Briefe. Discussores als Finanzprüfer des fiscus unter dem comes sacrarum largitionum begegnen etwa in Rel. 34, vgl. Nachweise dort. Sie prüfen Rechnungen und nehmen Schätzungen vor. Hier werden öff. Baukosten im Auftrag des Stadtpräfekten, später (Epp. IV, 70; V, 76) gar des Kaisers bzw. des Prätorianerpräfekten untersucht: Rell. 25, 2; 26, 2; Ep. V, 76.
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und die Verantwortlichkeiten von Experten untersuchen zu lassen, aestimationi operis admovendos (25, 2), die er unter den Chefs der städtischen Baukorporationen, den magistri fabrilis artis333, auswählt. Diese werde beauftragt, den Bau in technischer Hinsicht zu begutachten und auch eine Kostenschätzung und Ausgabenprüfung vorzunehmen. Die von Symmachus für gewissenhaft erachteten Männer hält Cyriades allerdings für parteiisch zugunsten seines Gegners: adversario aequiores putabat (25, 2), was insoweit durchaus plausibel erscheint, als Auxentius noch Bauleiter und damit ihr potenzieller Chef ist. Symmachus ändert seine Entscheidung jedoch nicht. Ihm stehen vermutlich keine anderen Fachleute zur Verfügung als die, die wahrscheinlich bereits für beide Kontrahenten gebaut haben. Unterdessen werden die Arbeiten unter der Leitung von Auxentius fortgesetzt, weil Valentinian II. noch immer keinen Nachfolger ernannt hat, obgleich Auxentius durch den Bericht des Bassus belastet wird, wie sich zeigen wird. Symmachus lässt hier einen gewissen Vorwurf anklingen, dass der Kaiser sich nicht hinreichend um Problembeseitigung kümmere, wenn er belastete Verantwortliche nicht auswechsle. Er selbst sieht sich, nachdem sich der Kaiser in den Fall bereits offiziell eingeschaltet hatte, weitgehend machtlos. Einige Tage verstreichen, 25, 3, die Untersuchung dauert an, als Symmachus von der Baustelle die Mitteilung erhält, dass Auxentius verschwunden sei und mit Beginn des Sommers, sub ipso aestatis exordio, als man eigentlich beschleunigt hätte bauen müssen, die gesamte Bautätigkeit zum Erliegen gekommen ist. Symmachus, der an eine Flucht des Senators kaum glauben mag, lässt Auxentius suchen, doch dieser hat tatsächlich die Flucht ergriffen, nachdem er eine Vorladung nach Mailand an den Hof erhalten hatte: ubi comitatum sacrum numinis vestri adire iussus est, evolavit (25, 3). Offensichtlich war er mittlerweile doch offiziell unter Verdacht geraten. Cyriades seinerseits bekommt es mit der Angst zu tun, als er sieht, dass die Anordnung des Stadtpräfekten, den Sachverhalt umfassend aufzuklären, derart missachtet wird. Er befürchtet, dass Auxentius hinter seinem Rücken intrigieren könnte und bittet Symmachus, dem Kaiser die relatio von Bassus - die ihn selbst mithin offensichtlich nicht belastete - und einen aktuellen Bericht zu übersenden, 25, 3: Cyriades...cum statutum meum discessu eius videret elusum, multum anxius, ne quid in absentem adversarius moliatur. Diesen Wunsch mag ihm Symmachus nicht abschlagen, der außerdem wegen der Bauunterbrechung sehr besorgt ist. Mit dieser Begründung schreibt er Relation 25, in der er zudem dringend darum bittet, ihm genaue Anweisungen über das einzuschlagende Verfahren speziell im Hinblick auf die Frage der Baukosten zu erteilen: Cui audientiam negare non potui, eadem via praecepto numinis vestri cupiens edoceri, quid facto usus sit de aestimatione sumptuum, quos utriusque insumpsit expensio; siquidem meum spectat 333
Zu den magistri: Waltzing, Etude I, 388 ff; Kornemann, RE-collegium, 420 f. Der Bauleiter lässt durch verschiedene Baukorporationen, artifices (Rel. 26, 4), bauen. Speziell zum collegium fabrorum der Bauhandwerker, das auch in Rel. 14, 3 angesprochen wird: Vera, Commento, 119 f.
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officium lacunam pecuniae publicae non tacere....oro atque obsecro, ut incertum animi mei responsis imperialibus instruatur. Relation 25 erstattet also Bericht vom aktuellen Stand der Dinge. Symmachus merkt an, es sei seine Pflicht, Fehlbeträge in den öffentlichen Kassen mitzuteilen. Dabei zeigt er sich sichtlich unsicher, was zur Feststellung der finanziellen Verantwortlichkeiten zu tun sei. Es zeichnet sich hier bereits ab, dass das Hauptproblem des Falles in dem sich andeutenden Finanzskandal liegen dürfte, an den sich der Stadtpräfekt ohne zusätzliche Rückendeckung aus Mailand nicht heranwagt. Noch bevor Relation 25 nach Mailand geschickt wird, erhält Symmachus die Anordnung des Kaisers, alia decreta, dass ihm der Vikar334 bei der Untersuchung der Baufehler der Brücke, also offenbar nur zur technischen Untersuchung, zur Seite gestellt werde. Symmachus ist nicht unbedingt begeistert (man erinnere Relation 23), fügt sich aber gehorsam, 26, 3: De cuius facto missurus relationem, quam sollicitudo intermissi operis exigebat, alia numinis vestri decreta rursus accepi, quibus examini meo v. c. et laudabilem vicarium copulastis, ut utroque residente accusata pontis vitia quaererentur. Nec obsequium defuit imperatis. Itaque adhibito v. c. tribuno et notario Aphrodisio, cui post Auxentium v. c. novarum molitionum cura legata est. Nebenbei erfährt man, dass Auxentius inzwischen335 vom Kaiser durch den v. c. tribunus et notarius Aphrodisius336 ersetzt wurde, vermutlich in später Reaktion auf den BassusBericht; vielleicht war seine Flucht auch schon in Mailand bekannt geworden. Gegen Herbst bzw. Winter 384/385 wird nun die Brücke gemeinsam von Symmachus, dem Vikar und Aphrodisius auf Baufehler untersucht. Über das Ergebnis, das, wie Symmachus gleich eingangs bemerkt, nicht wesentlich von den Erkenntnissen seiner Amtsvorgänger, superiores iudices, abweicht, erstattet Relation 26 Bericht. Die folgenden Informationen waren am Hof also eigentlich schon seit den Zeiten von Bassus weitgehend bekannt. In 26, 2 f wird das bisherige Geschehen noch einmal zusammengefasst und dann der Untersuchungsverlauf geschildert: Zunächst werden diejenigen befragt, die die Brückenfundamente gelegt haben. Dabei stellt man fest, was man eigentlich schon lange weiß (§ 4), dass ein freistehendes Brückenstück zu Winterbeginn gemauert worden und in der 334
Zur Person s. insbesondere Rel. 23 und bereits im 1. Teil, 3. Abschnitt VI. Die Beiordnung des Vikars und wahrscheinlich auch die Ablösung von Auxentius geschehen nicht erst in Antwort auf Rel. 25 wie Le Gall, Tibre, 307; Chastagnol, Préfecture, 351, und Barrow, Prefect, 139, glauben. Speziell hinsichtlich der Beiordnung des Vikars ist der Wortlaut von Rel. 26, 3 eindeutig. Auxentius wurde möglicherweise gleichzeitig mit seiner Vorladung nach Mailand abberufen. So die Vermutung von Vera, Commento, 189. Zur Chronologie s. a. Martínez-Fazio, Basílica, 288 f Fn. 66, danach wurde er nach seiner Flucht abgelöst, vor Rel. 25 und vor der Beiordnung des Vikars. 336 Zur Funktion eines tribunus et notarius als einem flexibel einsetzbaren kaiserlichen Beauftragten vgl. schon bei den Rell. 18 und 23. Er ist hier Bauleiter und der Kaiser verstärkt seinen Einfluss durch seine Einsetzung. Die Person ist ansonsten unbekannt: PLRE I, Aphrodisius, 81. 335
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Strömung eingestürzt war. Bauhandwerker, artifices, schätzen die Reparaturkosten auf 20 solidi, denn weitere Bauteile scheinen unbeschädigt. Cyriades versichert, der Schaden sei schnell zu beheben. Erstes Ergebnis der technischen Untersuchung ist also, dass der Einsturz vom Winter/Frühling 383 nicht die Stabilität des Restbaus beeinträchtigt hat. Man untersucht dann, § 5, ein weiteres Bauteil (wohl den anderen Pfeiler) und entdeckt Spalten im Mauerwerk, d. h. es tun sich mögliche Baufehler auf: exploratio hiulcam conpagem lapidum deprehendit. Cyriades wird als Spezialist und ehemaliger Bauleiter zu Rate gezogen und gibt an, man habe auf seine Anweisung hin die Steine bewusst so aufeinandergesetzt, in der Absicht, in die Zwischenräume später eine Flüssigkeit (Mörtel) hineinzugießen, die eine feste Verbindung schaffen würde: consilio suo et ratione artis ita positam suggerebat, ut infuso postea inpensarum liquore hiantia stringerentur. Cyriades fährt fort, dass es Sache seines Nachfolgers Auxentius gewesen wäre, diese Arbeit sorgfältig zu Ende zu bringen: Quod cum facere debuisset succedentis industria, adfectasse potius dicitur, ut in auctoris invidiam patula quaeque faeni et sparti manipulis clauderentur. Es gehe nun aber das Gerücht, dass jener die Erfüllung nur vorgetäuscht habe, indem er die Zwischenräume mit Heu- und Grasbüscheln auffüllen ließ, um ihn als denjenigen, der die Arbeit begonnen habe, in Misskredit zu bringen; er sollte als inkompetent dastehen, wenn das von ihm gemauerte Brückenteil einstürzen würde337. Cyriades äußert also offen den Verdacht gegen Auxentius, dass dieser ihm aus Konkurrenzstreben oder auch persönlicher Feindschaft heraus habe schaden wollen. Es deutet sich ein auf kriminelle Weise ausgetragener Architektenstreit an. Bisher ist das nur ein Verdacht, dem aber nachzugehen war, denn schließlich hat sich Auxentius auch durch seine Flucht von der Baustelle (Relation 25) verdächtig gemacht. Wie sich nun herausstellt, belegen die vorhandenen Aufzeichnungen den geschilderten Sachverhalt (das Gras als eigentliches Beweisstück ist ja mittlerweile weggeschwemmt) und er wird auch von einem Taucher, urinandi artifex 338, bestätigt, der allerdings aussagt, mit diesem Vorgehen habe man nicht Cyriades schaden wollen, sondern es entspräche der üblichen Bautechnik: Quod cum adstrueret recitatione gestorum, factum quidem urinandi artifex non negavit, sed ex usu operis, non in dehonestamentum Cyriadis c. v. adserebat remedium huiusmodi esse provisum. Symmachus und der Vikar sind von diesen wider337 So die Sachverhaltsdarstellung in Rel. 26. Unzutreffend ist die Auslegung von Le Gall, Tibre, 309, und ihm folgend Chastagnol, Préfecture, 352, die Cyriades der Manipulation verdächtigen. Unbestritten stammt die Verfüllung der Spalten mit Gras von Auxentius. Der Ablauf war wie beschrieben und wird erwiesen durch die Aktenlage (Ermittlungsakten von Bassus) und Zeugenaussage des Tauchers. Wie hier: MartínezFazio, Basílica, 283; 286 Fn. 51; 335 ff; Vera, Commento, 186 f; 195. Nach der Beweislage steht Auxentius unter Verdacht. 338 Ein Mitglied der Korporation von Tiber-Fischern und Tauchern, die nach Waren tauchten, die in den Fluss gefallen waren, den piscatores et urinatores totius alvei Tiberis. Zu ihnen: Waltzing, Etude II, 76 f. Der Taucher wird hier als Sachverständiger für die Brückenkonstruktion unter Wasser befragt.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
sprüchlichen Darlegungen verwirrt und wenden Zwangsmittel gegen den Taucher an, der früher einmal etwas anderes ausgesagt hatte339. Dieser erklärt daraufhin seine widersprüchlichen Angaben damit, dass er lange Zeit Angst vor Cyriades gehabt habe, was Symmachus jedoch unglaubwürdig findet, da die frühere, sorgfältige Untersuchung von Bassus zu einem anderen Ergebnis gekommen war, § 6: Tunc responsionum varietate conmoti coercuimus a praeteritis discrepantem; at ille Cyriadem sibi ait dudum fuisse terrori. Quod credibile non videtur, cum illius temporis cognitor ad fidem veri districta quaestione pervenerit. Der Taucher hatte früher also zugunsten des Cyriades ausgesagt und versucht nun, jene Aussage mit Furcht zu erklären. Aus der Lektüre der Relation drängt sich allerdings eher der Eindruck auf, dass der Zeuge in Wirklichkeit nach seiner früheren Aussage beeinflusst wurde und nun nicht mehr wagt, etwas Verdächtiges gegen Auxentius zu wiederholen. Die Ermittler schenken der zweiten Aussage denn auch keinen Glauben, sondern verlassen sich auf den cognitor, sprich Bassus, der in der früheren Untersuchung genau ermittelt hatte. Und tatsächlich scheint die Darstellung des Tauchers, der Auxentius zu verteidigen versucht und dabei Cyriades in ein schlechtes Licht rückt, unglaubwürdig. Heu statt Mörtel im Brückenbau und das als Dauerlösung? Auxentius gerät damit unter schweren Verdacht. Die von Cyriades nach der Flucht von Auxentius geäußerte Befürchtung, dass dieser gegen ihn intrigieren könnte, scheint sich zu bestätigen. Sachlage und Akten scheinen eindeutig zu Gunsten von Cyriades zu stehen. Alle Sachverständigen - bis auf den einen Taucher - bestätigen offensichtlich seine Version und wohl schon der Bericht von Bassus hatte Auxentius eindeutig belastet, der vermutlich daraufhin auch abberufen, jedenfalls aber vorgeladen wurde und flieht, sich also noch mehr verdächtig macht. Symmachus lässt die Akten für sich sprechen, hält sich jedoch mit konkreteren Anschuldigungen und Wertungen zurück. Cyriades beteuert unterdessen, dass man die Brücke, deren Stabilität durch den dritten Winter nicht gelitten habe, leicht reparieren könne. Er drängt zum Weiterbau, will wahrscheinlich selbst wieder ins Geschäft kommen. Zudem liefert er - wohl nicht ohne Genugtuung - nähere Informationen über den finanziellen Hintergrund des öffentlichen Bauvorhabens, die Auxentius zusätzlich belasten. Dieser soll sich größere Summen in Gold angeeignet haben, wie durch beigefügte Unterlagen belegt werde, § 7: Ipse autem de aedificationibus Auxentii v. c. et de usurpatione inmodici auri nonnulla iudiciis intimavit, quae ideo gestorum paginis placuit adplicari, ut aeternitas vestra cunctis per ordinem patienter auditis providere dignetur, quem ad modum concertantium aemulatione 339 Ein sich widersprechender Zeuge niederen Standes kann schon nach D XLVIII, 18, 15 pr.; XXII, 5, 21, 2 gefoltert werden, vgl. auch bei Rel. 49. Hier wird der Zeuge im Rahmen der Vorermittlungen, d. h. noch vor einer Prozesseröffnung vernommen. Die coercitio dürfte vorliegend (rechtmäßige) polizeiliche Zwangsmaßnahmen des Stadtpräfekten als Ausfluss seiner magistratischen Polizeigewalt meinen, um die widersprüchliche Aussage schon in der Verwaltungsuntersuchung zu klären. Ihr Umfang ist unbekannt, besonderer Rechtfertigungsbedarf bestand insoweit nicht.
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conpressa et integritati sumptuum et firmitati operis consulatur. Symmachus dokumentiert also auch die finanzielle Seite der Angelegenheit, wenn ihm das vom Kaiser auch nicht ausdrücklich aufgetragen war; möglicherweise erklärt das seine Zurückhaltung vor einer eindeutigen Bewertung des Falles. Weitgehend unkommentiert bleibt so am Ende Auxentius unter doppeltem Verdacht, wobei die Rede von invidia und aemulatio ist. Damit kommt Symmachus zum Abschluss seines zweiten Schreibens und deutet an, was nun vom Kaiser zu tun sei. Er hofft, dieser werde sich um die Wiedererlangung der öffentlichen Gelder und möglichst rasche Fortführung des Brückenbaus kümmern und außerdem die Streitereien beenden. Auch dieses Schreiben ist also ein rein informatives Begleitschreiben zum Ermittlungsbericht im Rahmen der aufgetragenen Untersuchung. 2. Der Fortgang der Angelegenheit: Epp. IV, 70 und V, 76 Etwa zwei Jahre später (387) schreibt Symmachus zwei Privatbriefe in derselben Angelegenheit von Brücke und Basilica an hohe Beamte, die inzwischen mit der Frage befasst sind. Sie beleuchten den Fortgang der Affäre und zeigen, dass zumindest die finanziellen Fragen noch immer nicht geklärt sind und die Brücke noch immer nicht vollendet ist. Auch hier erfährt der Leser allerdings keine näheren Einzelheiten. Aphrodisius war mittlerweile, jedenfalls was die finanziellen Dinge anbelangt, vom Kaiser durch den vir praesidialis Bonosus340 ersetzt worden, der die Rechnungsprüfung der beiden Bauten zu leiten hatte. Konkreter Anlass der Briefe ist, dass der Kaiser nun ausgerechnet einen der Architekten, deren Tätigkeit Untersuchungsgegenstand ist, nämlich Cyriades, zur Ermittlung neben Bonosus berufen hat. Bonosus, der sich an einer unvoreingenommenen Aufklärungsarbeit behindert sieht, hatte sich deshalb an Symmachus gewandt, der als ehemaliger Stadtpräfekt mit dem Fall vertraut war, und ihn gebeten, das Problem den zuständigen Stellen vorzutragen. Dieser nimmt sich der Frage in zwei Briefen engagiert an, in denen er darum bittet, Cyriades von der Untersuchung freizustellen. Mit Ep. IV, 70 wendet er sich an den praefectus praetorio Italiae Eusignius341. Symmachus lobt zunächst, dass man Bonosus mit der Rechnungsprüfung betraut hat. Dieser sei in hohem Maße dazu befähigt, die öffentlichen Rechnungen in Ordnung zu bringen und den Sachverhalt aufzuklären: Video enim basilicae pontisque rationem recte quidem Bonoso praesidali viro esse mandatum, cui et vigilantia superest ad luminandas publicae rationis ambages et fides ad 340 Er diente früher am Hofe, wurde dann zweimal Provinzstatthalter (Ep. V, 76, 1) und war 387 für die finanzielle Seite des Brücken- und Basilicabaus verantwortlich, Epp. IV, 70 und V, 76; s. PLRE I, Bonosus 3, 163 f. 341 Flavius Eusignius war 386/387 praefectus praetorio Italiae et Illyrici und wird wahrscheinlich in dieser Funktion angeschrieben, s. PLRE I, 309 f. An ihn sind Epp. IV, 66-74 adressiert. Zu Ep. IV, 70 s. a. Marcone, Commento, 103 f.
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persequenda quae examen invenerit. Doch befürchte er nunmehr eine Störung der Aufklärungsarbeit, ludificationes, durch denjenigen, den man Bonosus beigeordnet habe und der sich der unvoreingenommenen Ermittlung widersetze: obluctante eo quem socium discussionis accepit. Unnötige Diskussionen würden bereits die Aufklärung der großen Verschwendung öffentlicher Gelder gefährden: labes magna sumptuum publicorum studio certaminis occulatur. Symmachus fragt sich, wie eine objektive Aufklärung überhaupt stattfinden solle, wenn ein Ermittler persönlich betroffen sei, § 2: Quid enim sibi vult ista coniunctio in ea praesertim discussione quae ipsum quaesitorem videtur adstringere? Eusignius möge das - als offensichtlich zuständiger Beamter doch bitte korrigieren, indem er Bonosus die gesamte Ermittlungsarbeit, inquisitionis summa, anvertraue und ihn mit seinem eigenen Personal darin unterstütze, eine Aufstellung über das tatsächlich gelieferte und transportierte Material zu erlangen. Die danach wiederzuerlangenden Summen, sprich die gegenwärtigen Fehlbeträge, würden sogar ausreichen, das Werk zu vollenden: Probabit exitus, quantum reip. tua cura prospexerit, cum cohibitis sumptibus novis consummationi operum satisfecerit summa reliquorum. Der zweite Brief, Ep. V, 76, richtet sich an Licinius342, der wahrscheinlich als comes sacrarum largitionum angeschrieben wird und demgegenüber auch die Namen der Beteiligten genannt werden. Ähnlich wie in dem anderen Brief heißt es hier, dass Bonosus, optimus vir, dem die finanzielle Untersuchung vom Kaiser anvertraut war, discussionem pontis ac basilicae novae praeceptio augusta mandavit, diese Aufgabe alleine besser erfüllen könne. Nachdem man Cyriades, v. c. comes et mechanicus, der einst selbst bei beiden Bauten (auch) die Finanzen unter sich gehabt habe, der Untersuchung beigeordnet habe, qui dudum impensas operis utriusque tractavit, in societatem discussionis admissus, heißt es nun, er widersetze sich Bonosus, saepe, ut dicitur, a Bonosi optimi viri investigatione dissentit. Solche Rivalität aber verzögere und erschwere die Untersuchung und Bonosus befürchte sogar, die Untersuchung zu keinem Ende bringen zu können, was auch ein schlechtes Licht auf ihn selbst werfen könnte. Bonosus fordere daher mit Recht, von seinem Auftrag entbunden zu werden, falls man Cyriades in der Untersuchung, die seine eigene Person betrifft, belas342 Das von Licinius zu jener Zeit bekleidete Amt ist ungewiss. Dass er 387 als comes sacrarum largitionum angeschrieben wird, ist nicht ganz unwahrscheinlich, denn die vorgetragene Angelegenheit, der mögliche Betrug bzw. die Unterschlagung zulasten der Staatskasse, betrifft speziell dieses Amt. S. a. Seeck, Symmachus, CLIX; Callu, Lettres II, 212 Fn. 1; Delmaire, Largesses sacrées, 587 f. An ihn sind auch Epp. V, 72 f und 77 gerichtet. Zur Person: PLRE I, Licinius 1, 508 f. Martínez-Fazio, Basílica, 296 ff, glaubt, er sei Kollege von Eusignius im Amt des praefectus praetorio gewesen, was sich aus dem ähnlichen Tenor beider Briefe ergeben soll. Dagegen spricht allerdings § 3 des Briefes, wonach der Adressat den Prätorianerpräfekten informieren soll, selbst also kaum dasselbe Amt bekleidete. Jedenfalls hatte Licinius eine einflussreiche Position inne, die ihm Gewicht verlieh. Insgesamt ist dieser Brief offener, deutlicher noch als Ep. IV, 70. Zu Ep. V, 76 s. a. Rivolta Tiberga, Commento, 190 f, die das Amt von Licinius offen lässt.
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se und nicht ihm allein disquisitionis summa übertrage. Symmachus bittet Licinius, der Bitte des Bonosus um Absetzung des Cyriades amore reipublicae stattzugeben und sich auch beim Prätorianerpräfekten (Eusignius) dafür einzusetzen, denn es gehe um viel Geld, lacuna tantorum sumptuum. Der Fehlbetrag ist sogar so groß, dass Symmachus hofft, das einzutreibende Geld werde zur Vollendung der Bauten ausreichen: Spero enim fore, ut cessantibus novis expensionibus utriusque operis perfectioni usurpatorum summa sufficiat. Jahre später ist die Brücke also immer noch unvollendet und die finanziellen Verantwortlichkeiten der Architekten ungeklärt. Symmachus hat in seinen Relationen insoweit lediglich Zwischenberichte geliefert, die einen Teilabschnitt des langwierigen Bauskandals in Rom beleuchten, in welchem es auch Jahre später zu keinem Prozess gekommen ist, obwohl sich sogar strafrechtlich relevantes Verhalten mehrfach andeutet. Der Hauptverdächtige Auxentius scheint weiterhin verschwunden zu sein. Die ganzen Jahre über finden lediglich offiziell angeordnete Vorermittlungen zu Sachverhalt und Finanzfragen (discussio) statt. Die Untersuchung geht seit 385 nur schleppend voran und die Fehlbeträge in den öffentlichen Kassen sind bislang nicht geklärt. Symmachus deutet an, dass aufgrund deliktischen Verhaltens, usurpatorum summa heißt es in Ep. V, 76, Beträge fehlen, die vermutlich sogar ausreichen würden, Brücke und Basilica fertigzustellen, was den Umfang der Affäre umreißt. Es geht nicht nur um überhöhte Baukosten, sondern offenbar um ganz handfeste Manipulationen. Cyriades scheint einflussreiche Freunde zu haben, denn sonst hätte es ihm kaum gelingen können, zur Untersuchung quasi gegen sich selbst berufen zu werden. Wie sich schon in dem kaiserlichen Reskript, das an ihn erging (Relation 25, 1) und ihm ausdrücklich auftrug, Anschuldigungen gegen seinen Kollegen vorzubringen, andeutet, erweist sich seine Position am Hof als recht gut, was Symmachus’ Zurückhaltung in Bezug auf konkretere Vorwürfe erklären könnte. Beide Briefe sprechen aber deutlich an, dass Cyriades offenbar aktiv die Aufklärung erschwert, indem er sich Bonosus widersetzt. Jedenfalls im Hinblick auf die finanzielle Seite des Bauskandals scheint er potenziell selbst betroffen. Er hat den ihm anfänglich auferlegten Unschuldsbeweis nur bedingt angetreten; lediglich bautechnisch ist er durch die Relationen entlastet. Symmachus belastet ihn jedoch nicht weiter, sondern fordert in erster Linie seriöse, unvoreingenommene Ermittlungsarbeit. Nicht ganz zu Unrecht befürchtet er aus seiner Erfahrung als Stadtpräfekt, dass die Aufklärung auch weiterhin erschwert werden könnte, und bittet daher seine Adressaten, sich für die Abberufung von Cyriades einzusetzen. Die Zuständigkeiten haben sich, jedenfalls was die Finanzfrage anbelangt, mittlerweile vom Stadtpräfekten fortentwickelt, hin zum Prätorianerpräfekten und Fachleuten am Hof.
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3. Bewertung Symmachus berichtet, wie er in 26, 1 selbst durchaus kritisch anmerkt, eine langwierige Verwaltungsangelegenheit, deren man nicht so recht Herr wird. Der praefectus urbi reicht die Angelegenheit an den Kaiser zur Entscheidung weiter, nachdem er seinen Untersuchungsauftrag erfüllt zu haben glaubt. Es gelingt ihm nicht, die Sache zu einem Abschluss zu bringen, sondern er berichtet kaum mehr als das, was Bassus schon erkundet hatte, und letztlich wird unter Symmachus nur, wenn auch nicht absichtlich, die Fertigstellung der Brücke weiter verzögert. Zugunsten des Stadtpräfekten ist allerdings zu bemerken, dass der Kaiser in seinem rescriptum, 26, 2, lediglich die wiederholte Untersuchung der Sache angeordnet hatte, Symmachus mit seinem Bericht nach Abschluss der Ermittlung des Sachverhalts also dem Auftrag durchaus gerecht wird. Auch der Vikar wird (26, 3) nur der Untersuchung hinsichtlich der Baufehler, examen pontis vitia, beigeordnet und in eben dieser Untersuchung gibt es am Ende durchaus ein Ergebnis. Nicht gerechtfertigt wäre daher die schlichte Behauptung, dass Symmachus bei auftretenden Schwierigkeiten die Sache aufgrund von Durchsetzungsschwäche sofort dem Kaiser abgibt. Vielmehr kommt er auf die Kostenfrage sogar offensichtlich von sich aus zu sprechen - in Ermangelung eines entsprechenden Auftrags hält er sich dann insoweit allerdings in den Relationen (noch) weitgehend bedeckt. Hinsichtlich der technischen Seite des Skandals aber kommt Symmachus zu einem klaren Ergebnis: Auxentius, der wohl nicht zufällig von Symmachus stets ohne Berufsbezeichnung erwähnt wird, ist nicht nur durch seine überstürzte Flucht verdächtig, sondern auch die Unterlagen und Zeugenaussagen (außer jener unglaubwürdigen des Tauchers) sprechen gegen ihn. Die Verwendung von Gras und Heu beim Bau einer Brücke, die unbestritten ist, entspricht ersichtlich nicht den Regeln ordentlicher Baukunst343, ist vielmehr - auch nach unserem Kenntnisstand - absurd, zumal das Vorgehen nicht etwa zu Trocknungszwecken, sondern auch nach der Aussage des Tauchers offensichtlich als Dauerlösung gedacht war. Im Dunkeln bleibt allerdings, aus welchem Grund Auxentius seinen Vorgänger belasten wollte. Möglicherweise waren der Vergabe des Bauauftrags Konkurrenzkämpfe vorausgegangen, für die sich Auxentius nachträglich, obwohl er mittlerweile selbst den Posten hat, rächen möchte, indem er Cyriades schlechte Arbeit unterzuschieben sucht. Vielleicht will er aber auch ganz einfach von der finanziellen Problematik des Brückenbaus ab343
Zum Brückenbau mit Mörtel s. Lamprecht, Opus caementitium, 21 ff; 144; Besnier, DS-pons, 566 f. Steinbrücken wurden aus Naturstein gemauert und als Bindemittel verwendete man opus caementitium, das nach Aushärtung (auch unter Wasser) wasserbeständig war. Auch mit Blei wurden ggf. Hohlräume ausgegossen, allerdings nicht in größerem Umfang. Mit Blei werden z. B. Eisenklammern eingegossen, um Steinblöcke zu verklammern: Hoffmann, Konstruieren mit Eisen, 99 ff. Symmachus spricht hier von liquor, womit wohl flüssiger, römischer Beton gemeint sein dürfte. Gebaut wurde meist, ohne den Fluss umzuleiten, und die Fundamente waren oft schlecht, Einstürze daher nicht selten auch ohne, hier sich allerdings andeutenden, kriminellen Hintergrund.
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lenken. Das Verfüllen von Gras und Heu, das zumindest vorübergehend den Anschein erwecken konnte, der Pfeiler sei fertiggestellt, ist im Ergebnis jedenfalls als sachwidrig und damit als bewusstes Täuschungsmanöver einzuschätzen; der Taucher scheint für seine Falschaussage gekauft zu sein. Die weitere Bewertung des Sachverhalts allerdings überlässt Symmachus dem Kaiser. Er verzichtet auf jede rechtliche Ausführung, spricht lediglich von invidia bzw. aemulatio und deutet nicht einmal an, dass Auxentius zivil- und vielleicht auch strafrechtlich für den Pfusch am Bau und das hinterhältige Verhalten zu Lasten des Kollegen haften könnte und außerdem sich gegen beide Architekten der Vorwurf der (Amts)Unterschlagung öffentlicher Gelder abzeichnet. Obwohl genügend Material vorzuliegen scheint, um die Sache vor Gericht zu bringen, und er zudem selbst zuständiger Richter in Rom wäre344, will Symmachus - als Stadtpräfekt auch oberste Bauaufsicht in Rom345 - die Sache nicht von sich aus in die Hand nehmen, sondern überlässt, sich auf seinen konkreten Untersuchungsauftrag beschränkend, alles Weitere dem Kaiser. Da es noch nicht zu einem Prozess gekommen ist - einer der Verantwortlichen ist weiterhin verschwunden -, kann entgegen der Ansicht einiger Autoren346 Relation 26 nicht als Beispiel für das prozessuale Relations- oder Konsultationsverfahren angeführt werden, bei dem der Richter das Verfahren mit einer konkreten Anfrage dem Kaiser übergibt und für das sich in den Prozessberichten einige Beispiele finden. Symmachus erbittet zwar Anweisungen für das weitere Vorgehen, gibt aber keine Prozessentscheidung ab, sondern erstattet lediglich Bericht über den bisherigen Stand der Vorermittlungen und legt die entsprechenden Unterlagen bei. Die Zurückhaltung des praefectus urbi lässt sich, wie angedeutet, möglicherweise damit erklären, dass sich der Fall als nicht ganz unkritisch erweist, denn beteiligt sind Senatoren, die einander übel beschuldigen, sich den Ermittlungen mit allen Mitteln zu entziehen suchen, auch vor Manipulationen nicht zurückschrecken und zudem gute Beziehungen zum Hof zu haben scheinen, denn anfänglich erreicht Auxentius ohne lange Diskussion ein Reskript, das Cyriades zur Selbstverteidigung zwingt, und wird trotz des ihn belastenden Berichts von Bassus nicht alsbald abgesetzt; andererseits hat auch Cyriades, wie die Privatbriefe zeigen, in Mailand gute Karten. Mehrfach beschleicht den Leser der Eindruck, dass vielleicht jemand an höchster Stelle den Gang der Ermittlungen zu beeinflussen sucht. Vielleicht ist Symmachus deshalb eher vorsichtig. In öffentlichen Bausachen hatte sich der Kaiser zudem seit der Orfitus344 Es geht um einen wichtigen öffentlichen Bau in Rom und beklagt ist - wenn - ein Senator. Damit wäre Symmachus zuständiger Richter über die inzwischen abgesetzten Architekten. 345 Zur insbesondere auch finanziellen Kompetenz des Stadtpräfekten im öffentlichen Bauwesen s. bei Rel. 34 und Chastagnol, Préfecture, 43 ff. Er haftet ggf. persönlich für Kassenfehlbeträge, die unter seiner Amtsführung entstanden sind. 346 Chastagnol, Préfecture, 384; ihm folgend Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 613 Fn. 72.
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Affäre (Relation 34) weitreichende Kompetenzen gesichert und den Stadtpräfekten auf diesem Gebiet deutlich entmachtet, indem er diesem eigene Initiative in allen wichtigen Fragen untersagte und persönliche Haftung bei Kompetenzüberschreitungen androhte. Symmachus mag daher vielleicht auch über die Reichweite seiner Befugnisse unsicher gewesen sein. Auch vorliegend hatte der Kaiser bereits selbst in das Verfahren eingegriffen und den Fall damit zur Chefsache gemacht. Anders als in vielen seiner Relationen begründet Symmachus denn auch nicht weiter, warum er den Fall abgibt, denn er hat seinen begrenzten Auftrag seines Erachtens erfüllt. Immerhin bittet er aber sehr konkret darum, dem Problem rasch abzuhelfen, tadelt sogar ansatzweise die Untätigkeit des Hofes in Anbetracht des längst bekannten Sachverhalts347. Über Einzelheiten der finanziellen Seite der Affäre, bei der sich Veruntreuung öffentlicher Gelder in großem Ausmaß abzeichnet und die in seinen späteren Privatbriefen zentral ist, hält er sich aber doch auffällig bedeckt348, ermittelt nicht weiter und erwartet weitere Anweisungen vom Kaiser. Entscheidungsreif ist die Sache allenfalls hinsichtlich der Konstruktionsfehler. Was die Baugelder anbelangt, handelt es sich um staatliche Gelder aus öffentlichen Kassen, etwa der arca vinaria (s. bei Relation 34 zur Finanzierung öffentlicher Bauten aus dieser Kasse). Sie werden vom Kaiser projektbezogen wahrscheinlich zunächst dem Stadtpräfekten zugewiesen, der sie dann den Architekten anvertraut. Konstitutionen zu diesem Bereich im Titel CT XV, 1 gehen an den Stadtpräfekten und dieser trägt auch finanzielle Verantwortung im öffentlichen Bauwesen, wie sich klar aus Relation 34 ergibt. Symmachus persönlich steht insoweit zwar nicht unter Verdacht, denn die Sache kam vor seiner Zeit ins Rollen, aber vielleicht sind doch Leute in der Bauverwaltung, die ihm unterstehen und die die Architekten nicht ordentlich kontrolliert haben, sich vielleicht sogar bestechen ließen, belastet. Symmachus hält sich hier bedeckt. Die Baugelder wurden vermutlich dem jeweiligen Architekten übergeben, der sie dann ggf. in seiner öffentlichen Funktion unterschlagen konnte. Und mit einem solchen Fall der Aneignung, wenigstens aber Verschwendung öffentlicher Gelder durch einen (oder auch beide) Architekten haben wir es hier allem Anschein nach zu tun. Zur Diskussion steht nicht nur eine geringe Kostenüberschreitung, sondern deliktisches Verhalten. Die Architekten beschuldigen einander des Missbrauchs öffentlicher Gelder und insgesamt fehlen nicht unerhebliche Summen, wie sich aus den späteren Briefen ergibt. Die Bautätigkeit muss mangels verfügbarer Gelder sogar eingestellt werden. Gegenstand der Untersuchung sind insoweit Fehlbeträge in den öffentlichen Kassen, die Sym347
Letzteres lässt deutlichere Ausführungen vielleicht auch entbehrlich erscheinen. Unbekannt ist allerdings, welche Informationen in den beigefügten Akten näher erläutert werden, auf die Symmachus daher in den Relationen nicht näher eingeht. Trotzdem hat man den Eindruck, dass er sich über die technischen Details nur zu gerne ausbreitet - obwohl die Baufehler, wie sich zeigt, keine erheblichen Auswirkungen haben und die andere Frage bewusst nur andeutet und in dieser Richtung auch nicht weiterermittelt. 348
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machus als Stadtpräfekt und damit Kassenverantwortlicher (Relation 34) aufzudecken und einzutreiben hat. Aus diesem Grunde erhofft er dringend eine genaue kaiserliche Anweisung, praeceptum, wie die Kostenfrage zu behandeln sei. Mit einer inständigen Bitte schließt er Relation 25. Wie er offen zugibt, ist er verunsichert. Möglicherweise wurden Rechnungsbücher manipuliert (vgl. die Überprüfung von 387) und vielleicht gab es auch Bestechungen. Beide Schreiben zeigen Schiebung und Korruption bei öffentlichen Arbeiten in Rom unter Beteiligung von Senatoren. Das Bauwesen war damals wie heute anfällig, die Konkurrenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge heftig und die Position von Symmachus, der eine alte Sache wiederaufnehmen muss, äußerst undankbar. Über die Verbreitung von solchen und ähnlichen Missständen im öffentlichen Bauwesen geben auch die Relation 34 und beispielsweise einige Pliniusbriefe349 Aufschluss. Zu fragen bleibt, wie die Beiordnung des Vikars einzuschätzen ist. Ist sie ein Zeichen von Misstrauen gegen Symmachus350, das die angedeutete Unsicherheit bei ihm erklären könnte? Traut man ihm eine selbständige Aufklärung nicht zu? Gegen eine solche Vermutung spricht jedoch, dass die Beiordnung im Rahmen eines solch schwierigen und langwierigen Falles durchaus nachvollziehbar ist, und außer dem Vikar, dem regulären Gehilfen des Stadtpräfekten, käme auf dieser hohen Ebene in Rom kaum jemand anderes in Betracht. Da der Vikar zudem speziell im Baubereich eigene Kompetenzen hatte351, ist die Anordnung wohl eher eine Routinesache und zur Unterstützung von Symmachus in seinen Ermittlungen gedacht, nicht als misstrauische Kontrolle aus Mailand. Anders als in Relation 23 tritt konkret auch kein offener Konflikt zutage, wenn Symmachus auch nicht von dem Gedanken angetan zu sein scheint, den Vikar neben sich zu haben. Der Vikar soll jedenfalls die Aufklärung verstärken, was ein gesteigertes kaiserliches Interesse zeigt. Seine Mitwirkung ist allerdings auf den technischen Bereich beschränkt und betrifft gerade nicht die heikle finan-
349
Epp. X, 17 b (Baurechnungsprüfung und Verschwendung); 37 f (Wasserleitung und Kostenproblem); 39 (Theater u. a.; Bitte um Rat); 81 (Unsicherheit in einer baurechtlichen Untersuchung). Eine gewisse Parallele zu den Rell. 25 f lässt sich in genannter Ep. X, 39 ausmachen, die von Konkurrenz zwischen Architekten (von aemulus ist die Rede), dem Vorwurf schlechter Arbeit und Misstrauen in die Aussage des Konkurrenten handelt. Plinius fragt den Kaiser um Rat und übergibt ihm den Fall. Trajan antwortet in Ep. X, 40 leicht verstimmt und gibt den Fall zurück, die Anfrage z. T. tadelnd. Dass es bei opera publica häufig Anfragen gab und offenbar erhebliche Unsicherheit und Vorsicht bei den Beamten herrschten, zeigt auch CT XV, 1, 2 (321), wonach der Kaiser nur noch wichtige Fälle berichtet bekommen möchte. 350 Vera, Commento, 194, sieht in der Beiordnung des Vikars einen möglichen Erfolg von Symmachus’ Gegnern. Doch gesteht er ein, dass dies eine reine Vermutung ist und auch eine normale Verwaltungsmaßnahme ohne politische Implikationen im Rahmen der üblichen Zusammenarbeit zwischen beiden Ämtern vorliegen könnte. 351 Er hatte gemäß CT XIV, 6, 3 (365 an den vicarius) den Transport von Kalk und Baumaterial aus den Provinzen nach Rom zu überwachen. Zum Baubereich s. a. CT XV, 3, 2 (362) und XV, 1, 15 (365) an den vicarius Africae.
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zielle Seite. Er soll also auch nicht etwaige Verantwortlichkeiten des bzw. der jeweiligen Stadtpräfekten klären. Wie die Angelegenheit ausgegangen ist, ist ungewiss. In der Literatur352 wird zu Recht auf die Problematik der Jahre 387/388, die Besetzung Italiens durch Maximus und die Flucht von Valentinian II. nach Thessalonike, verwiesen, wodurch die Untersuchung möglicherweise ganz zum Erliegen gekommen ist. Unbekannt ist daher auch, ob Cyriades aufgrund der beiden Briefe von 387 als Ermittler abgelöst wurde, und ebensowenig ist die Frage zu beantworten, wann genau die Brücke fertiggestellt wurde. Da sie nach Theodosius benannt ist, geschah das wahrscheinlich zwischen 389 - nach seinem Sieg über Maximus und seinem Tod 395. Auch wissen wir nicht sicher, in welcher Weise Valentinian II. auf die beiden Relationen reagiert hat. Manche Autoren353 meinen allerdings, in CT XV, 1, 24/CJ VIII, 11, 8 vom 3. Februar 385, data in Konstantinopel an den östlichen praefectus praetorio Cynegius, eine direkte Antwort auf die beiden Relationen zu haben. Der Kaiser habe auf den Skandal in Rom mit dieser Konstitution reagiert, nach der Bauleiter von opera publica und ihre Erben vermögensmäßig für Baumängel, die sich bis 15 Jahre nach Vollendung des Baus zeigen, haften. Ausgenommen war nur die Haftung für Zufall: Omnes, quibus vel cura mandata fuerit operum publicorum vel pecunia ad extractionem solito more decreta, usque ad annos quindecim ab opere perfecto cum suis heredibus teneantur obnoxii, ita ut, si quid vitii in aedificatione intra praestitutum tempus provenerit, de eorum patrimonio, exceptis tamen his casibus qui sunt fortuiti, reformetur. Hauptargument für einen Bezug zu den Relationen ist die zeitliche Nähe und ein gewisser inhaltlicher Zusammenhang, denn Haftungsfragen am Bau werden hier umfassend insofern geklärt, als technisch und wirtschaftlich Verantwortliche haften sollen. Architekten wie Auxentius und Cyriades könnten danach zur Verantwortung gezogen werden. Gegen die Annahme eines unmittelbaren Zusammenhangs ist allerdings einzuwenden, dass bereits der zeitliche Ablauf dann kaum nachvollziehbar wäre, denn Symmachus schreibt seine zweite Relation erst im Februar 385. Eine Antwort aus 352
Le Gall, Tibre, 309; Chastagnol, Préfecture, 352 f; Vera, Commento, 185. Nach Chastagnol, Préfecture, 350; 352; ders., Fastes, 225, galt das Gesetz vom 3.2.385 für Rom. Zufällig sei nur das Exemplar überliefert, das Theodosius, ausgelöst durch die Relationen, an den praefectus praetorio Orientis gerichtet hatte. Auch Martínez-Fazio, Basílica, 281 ff, bejaht einen Zusammenhang. Danach sei CT XV, 1, 24 auf Relation 25 hin ergangen und zeige Ep. IV, 70 die konkrete Anwendung von CT XV, 1, 24. Auch Gothofredus, Komm. V, 273, stellt eine inhaltliche und zeitliche Analogie zwischen dieser Anordnung und dem von Symmachus untersuchten Fall fest: res omnino congruit et temporis ratio. Doch sah schon er das Problem, dass es sich um ein Ostgesetz an einen anderen Adressaten als den Stadtpräfekten handelt, und bejahte letztlich einen direkten Bezug nicht. Eine Geltung im Westen wird dagegen unproblematisch bejaht von De Dominicis, Quelques remarques, 141. Eine Beziehung zwischen den Relationen und dem Gesetz zu Recht eher ablehnend: Vera, Commento, XLVII; 197 f; ders., Scandalo, 89 Fn. 164. Er meint, Commento, 198, dass, wenn überhaupt, eher die Berichte von Bassus und Aventius zu dieser Norm geführt hätten. 353
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Konstantinopel vom 3. Februar ist unvorstellbar, vor allem wenn man die Postlaufzeiten im Winter berücksichtigt. Die Konstitution kann also allenfalls eine Antwort auf Relation 25 vom Sommer 384 sein, die ihrerseits allerdings inhaltlich wenig Bezug zur Norm aufweist, denn der Baufehler des Auxentius wird erst in der zweiten Relation geschildert. Der Inhalt der Konstitution ist kaum eine passende Antwort auf das Schreiben, womit Symmachus sich in erster Linie eine Klärung der Kostenfrage erhofft. Denkbar wäre allerdings, dass der Kaiser den Skandal zum Ausgangspunkt einer allgemeinen Haftungsregel gemacht hat. Doch ist CT XV, 1, 24 von Theodosius an seinem Amtssitz an seinen praefectus praetorio erlassen. Auch Ort und Adressat passen also nicht als Antwort auf ein Schreiben des römischen Stadtpräfekten, der Anfang Februar noch im Amt war und daher doch wohl direkt anzusprechen gewesen wäre, noch lässt sich das Gesetz sonstwie darauf beziehen. Da Ostgesetze, wie schon bei den Relationen 8 und 23 ausgeführt wurde, nicht ebenso für den Westen galten und Theodosius sich zu jener Zeit grundsätzlich auch nicht in römische Fragen eingemischt hat, ist ein Zusammenhang zwischen den Berichten des Stadtpräfekten von Rom an den Westkaiser und dem Ostgesetz unwahrscheinlich. Auch der von Chastagnol angenommene Verlauf, wonach nur die Ostfassung des Gesetzes, d. h. die Kopie eines Westgesetzes überliefert sei, wäre zum einen untypisch und zum anderen auch zeitlich kaum erklärlich, denn es müsste unterstellt werden, dass das Westgesetz nach Konstantinopel geschickt, dort eine Kopie an den praefectus praetorio hergestellt wurde und das alles im Winter bei mare clausum. Keineswegs war es üblich, dass Gesetze in beiden Reichsteilen gleichzeitig erlassen wurden. Vielmehr ist die Konstitution sehr gut erklärbar mit der zu jener Zeit regen Bautätigkeit in Konstantinopel, von der mehrere Konstitutionen im Titel CT XV, 1 zeugen und im Rahmen derer natürlich vergleichbare Probleme auftraten. Die zeitliche Nähe zu den Relationen dürfte Zufall sein. Haftung im öffentlichen Bauwesen war in jedem Falle, d. h. in beiden Reichsteilen regelungsbedürftig. Denkbar ist allerdings, dass es im Westen bereits eine ähnliche Regelung gab, die der Osten dann nachgeholt hätte, und schon gegenwärtig eine persönliche Haftung des Architekten für Baumängel drohte, was zur Flucht von Auxentius beigetragen haben könnte. Eine direkte Antwort auf die in den Relationen gestellten Fragen gäbe diese Annahme allerdings dennoch nicht, denn die angesprochene Konstitution sagt nichts zu den fraglichen Manipulationen technischer und finanzieller Art, sondern enthält nur eine zivilrechtliche Haftungsregel. Die Baufehler wurden vorliegend zwar weitgehend aufgeklärt, doch ergab sich daraus kein bezifferter Schaden; allenfalls war für den früheren Einsturz die Strömung nicht die einzige Ursache354; für Zufall sollte allerdings gerade keine Haftung bestehen. Jedenfalls hielte auch eine mit CT XV, 1, 24 ver354
Der Bericht hat den Einsturz auf die reißende Strömung zurückgeführt, nicht ausdrücklich auf die Tatsache, dass Auxentius das Teilstück zur falschen Jahreszeit errichtet hatte. Aber das könnte unausgesprochen mitschwingen. Grundsätzlich muss ein Pfeiler auch wechselnden Strömungen standhalten.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
gleichbare Regelung im Westen für den vorliegenden Fall keine umfassende Lösung bereit. Man dürfte in Rom aber versucht haben, den oder die Verantwortlichen aufgrund der bestehenden Normen für betrügerisches Verhalten, Unterschlagung u. ä. heranzuziehen. Dafür sprechen die Privatbriefe und bereits nach dem Erkenntnisstand der Relationen ist die Einleitung eines Zivilbzw. Strafprozesses zumindest gegen Auxentius grundsätzlich angezeigt. Einzelheiten dazu sind jedoch nicht bekannt; Auxentius blieb verschwunden. Die beiden Relationen beleuchten einen interessanten Fall von Pfusch am Bau. Der Einsturz eines Brückenpfeilers löst, eher zufällig, eine ganze Lawine von Ermittlungen aus und bringt einen großen Bauskandal in Rom ans Licht, der von Verschwendung, Veruntreuung öffentlicher Gelder, Neid, Intrigen und gekauften Zeugen handelt. Einschüchterungsversuche durch die beteiligten Senatoren gegenüber dem ermittelnden Stadtpräfekten Symmachus, der einen unvoreingenommenen Eindruck erweckt und sich redlich bemüht, Licht in die Angelegenheit zu bringen, sind allerdings nicht ersichtlich. Immerhin flieht vor seinen verstärkten Ermittlungen der Verdächtige Auxentius, der sich offensichtlich in die Enge getrieben fühlt. Symmachus leitet nur ein kleines Zwischenstück einer langwierigen Angelegenheit. Noch 387 zeigt er sich sehr an unvoreingenommener Aufklärung und Ermittlung der Schuldigen interessiert sowie an der Fortsetzung der Bauarbeiten. Der umständliche Weg über Mailand zieht die Sache bereits seit den Zeiten von Bassus immer wieder in die Länge und erschwerend kommt hinzu, dass in der Zwischenzeit der Kaiser und auch der Stadtpräfekt gewechselt haben, was zu einer kontinuierlichen Aufklärung nicht beiträgt. Die Verwaltung erweist sich als weitgehend unfähig, solchen Machenschaften von Senatoren effektiv und zügig beizukommen. Auch Symmachus’ Nachfolger und spätere Ermittler tun sich schwer, den Sachverhalt aufzuklären. Symmachus steht also nicht alleine, wenn er die finanzielle Seite nicht durchdringt, hinsichtlich derer zugegebenermaßen auch seine Zuständigkeit unklar ist. Immerhin gelingt es ihm, die Konstruktionsfragen zu klären. Eine rechtliche Würdigung durch Symmachus, der mit invidia und aemulatio nur die vermutete subjektive Seite der technischen Machenschaften anspricht, aber fehlt. Er legt den Sachverhalt dar und deutet auch zur Finanzfrage deliktisches Verhalten an, fordert aber auch insoweit nicht etwa einen Prozess, sondern liefert dem Kaiser in vorsichtiger Zurückhaltung und weitgehender Beschränkung auf den erteilten Auftrag nur Anhaltspunkte für weitere Untersuchungen. Insgesamt verschiebt sich die Angelegenheit schließlich von Rom weg. Der Kaiser nimmt immer mehr Einfluss und betraut eigene Leute speziell mit der Kostenfrage. So ist nach Darstellung der Privatbriefe der Stadtpräfekt von Rom am Ende gar nicht mehr mit dem Fall befasst, sondern spielen stattdessen der praefectus praetorio Italiae und Fachleute am Hof eine maßgebende Rolle. Bereits Symmachus traut man alleine die Aufklärung nicht zu, ordnet ihm den Vikar und einen tribunus et notarius bei, nachdem man in Mailand endlich das lange Zeit vorherrschende Desinteresse aufgegeben hat. Im Ergebnis handelt es sich um eine Affäre, die Missstände in Rom aufzeigt, nicht aber die Amtsführung von Symmachus in ungewöhnlichem Maße belastet.
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XIII. Relation 34: Die Schulden des Schwiegervaters Orfitus Diese Relation ist nach den Relationen 21 und 23 ein weiterer Beschwerdebrief, den Symmachus in eigener Sache an Valentinian II. richtet, formal zwar an alle regierenden Herrscher; in § 4 spricht er den wirklichen Adressaten jedoch als Sohn von Valentinian I. und in § 6 außerdem als Bruder Gratians persönlich an. Symmachus befürchtet, er bzw. seine Ehefrau Rusticiana werde für Schulden seines Schwiegervaters Memmius Vitrasius Orfitus Honorius, der unter Constantius II. in den Jahren 353-356 und 357-359 Stadtpräfekt von Rom war355, haftbar gemacht, und protestiert dagegen offiziell beim Kaiser mit Relation 34 und etwas später356 mit einem Privatbrief, Ep. IX, 150, bei einem einflussreichen, unbekannten Empfänger357. Relation 34 bezieht sich auf einen sehr komplexen, sich über Jahrzehnte hinziehenden Sachverhalt, den Symmachus häufig nur andeutet, denn seinem Adressaten ist der Hintergrund bekannt und außerdem fügt er, § 13, Dokumente bei, die seine Ausführungen untermauern sollen. Wie die Darstellung in Relation 23, ist auch Relation 34 für uns nur schwer zu entschlüsseln. Auch sie ist stark subjektiv geprägt, weil sich Symmachus über Angriffe gegen seine Person und seine Familie beklagt. Glaubwürdig wird die natürlich einseitige Darstellung vor allem durch die beigefügten Beweisstücke, auf die wir leider nicht zurückgreifen können. Der Zeitpunkt des Schreibens ist schwer auszumachen. Möglicherweise358 datiert es gegen Ende der Amtszeit, denn Symmachus wird, zumindest seiner Meinung nach, von Gegnern angegriffen und sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Der zugrundliegende Sachverhalt lässt sich aus Relation 34, Ep. IX, 150 und Ammian XXVII, 3, 2; XXVII, 7, 3 rekonstruieren.
355 Zur Person und den beiden Amtszeiten als (heidnischer) Stadtpräfekt s. Seeck, RESymmachus 16, 1144 ff; Chastagnol, Fastes, 139 ff; PLRE I, Orfitus 3, 651 ff. Zum damaligen Versorgungsproblem v. a. beim Wein, das vielleicht zu den Kassenschwierigkeiten beitrug, vgl. Kohns, Versorgungskrisen, 112 ff; Graeber, Ein Problem, 60 ff. 356 Ep. IX, 150, 3: Misi igitur sub relatione monumenta gestorum... . 357 Ep. IX, 150 hat keinen überlieferten Adressaten. U. a. Chastagnol, Scandale, 166; 180; ders., Préfecture, 344, und auch noch Roda, Simmaco nel gioco, 114, haben vermutet, er sei als Privatbrief an Valentinian II. geschickt worden, um die Sache zusätzlich zu stützen. Dagegen spricht jedoch vor allem der wenig ehrfurchtsvolle Ton des Briefes, der keinerlei Anrede, die einem Kaiser angemessen wäre, enthält. Ein formales Argument liefert zudem die Tatsache, dass er auch als Privatbrief an den Kaiser in Buch 10 der Briefsammlung zu finden sein müsste, welches auch epistulae familiares ad imperatores enthält. Die Ansicht, Valentinian II. sei der Empfänger, ist daher fragwürdig. Sie wird vor allem auf eine problematische Textüberlieferung gestützt, die nur in der Edition von Juretus enthalten ist. Dort ist die Rede von „saeculo tuo“, was auf den kaiserlichen Adressaten hinweisen soll. Ablehnend auch Vera, Sulle edizioni, 1005 Fn. 7; ders., Commento, 256; Roda, Commento, 325 f; s. a. Edition von Seeck, Symmachus, 276. 358 So datieren, eher gefühlsmäßig nach (politischem) Klima: Seeck, Symmachus, CCX; Chastagnol, Préfecture, 344; Martínez-Fazio, Basílica, 156 Fn. 97; Barrow, Prefect, 17; 178.
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Ausführlich berichtet Chastagnol über die Angelegenheit359, von dessen Darstellung hier zum Teil abgewichen wird. 1. Die Vorgeschichte Zu einer Amtszeit des Orfitus als Stadtpräfekt geriet die arca vinaria360 in Schulden. Orfitus rechtfertigte das damit, dass er das Geld zur Finanzierung öffentlicher Bauten benötigt habe (Ep. IX, 150, 1). Constantius II., der damalige Kaiser, ordnete die Rückzahlung der Gelder an und fügte dem die bedingte Androhung hinzu, comminatio sub condicione361, dass der amtierende Stadtpräfekt (sprich Orfitus) und mit ihm sein officium hafte, wenn das Geld nicht von den wahren Verantwortlichen eingetrieben werden könne (§ 2; Ep. IX, 150, 1). Es geht also um Amtshaftung; der Stadtpräfekt wird für Entnahmen aus einer unter seiner Aufsicht stehenden Kasse persönlich haftbar gemacht. Von einem etwaigen Prozess gegen Orfitus ist keine Rede. Der Kaiser ordnet lediglich in einer schriftlichen Verwaltungsanweisung (litterae, rescriptum, epistula heißt es a. a. O.) unter einer Bedingung unmittelbare Haftung an. Ammian XIV, 6, 1 spricht für die erste Amtszeit des Orfitus von schweren Unruhen wegen Weinmangels; möglicherweise entstanden Fehlbetrag und Zahlungsschwierigkeiten der arca zu jener Zeit. Ammian charakterisiert Orfitus ansonsten jedoch als erfahrenen, allerdings überheblichen und ziemlich ungebildeten Beamten, was keine eindeutigen Rückschlüsse auf ein Fehlverhalten im Amt zulässt. Vielmehr bescheinigt er ihm ausdrücklich eine gute Kenntnis der städtischen Rechtsgeschäfte. Daraufhin gab es offenbar eine Teil-Rückzahlung: § 3 und Ep. IX, 150, 2. Manche Autoren sind sogar der Ansicht, es sei vollständig zurückgezahlt worden und es sei dann während der zweiten Amtszeit erneut zu einem Fehlbetrag
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Scandale, 178 ff. Zu dieser städtischen Kasse unter Aufsicht des Stadtpräfekten, Teil der sacrae largitiones, vgl. schon bei Rel. 29 mit Literaturnachweisen. Gehilfe und Untergebener des Stadtpräfekten für die Weinverteilungen ist der rationalis vinorum, der hier allerdings nicht in Erscheinung tritt. Bei den Grundbesitzern wird eine Weinabgabe erhoben und der Wein dann in Rom zu mäßigem Preis staatlich verkauft. Die arca vinaria dient dabei zugleich als Lager und Kasse. Das System ist sehr störungsanfällig. Zur Weinversorgung: Herz, Studien, 296 ff; Sirks, Food, 393 f; Chastagnol, Scandale, 166 ff. 361 Schon in Rel. 8, 4 war von einer comminatio die Rede. Dort sollte ein Gesetz mit einer Strafklausel gegen Manipulationen bewehrt werden. In Ep. IX, 150, 1 bezeichnet Symmachus die konkret ergangene comminatio sub condicione als in der Rechtspraxis durchaus üblich. Constantius droht mit ihr keine Geldbuße, sondern nur persönliche Haftung für den Fehlbetrag an. In den Rechtsquellen überlieferte comminationes beinhalten regelmäßig die Androhung einer Geldbuße, vgl. etwa CJ VII, 57, 1 (213); VII, 57, 4 (239) und 6; im Codex Theodosianus wohl nur CT X, 20, 8 (374). Die comminatio ist nach diesen Quellen keine rechtskräftige Entscheidung des Richters; nur eine Androhung, keine Verurteilung. 360
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in der arca vinaria gekommen362. In der Folgezeit habe es eine erneute Anordnung, den Betrag zu ersetzen, gegeben und es sei im weiteren Verlauf zur Anklage und Verurteilung von Orfitus wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder gekommen. Das wird aus Ammian XXVII, 3, 2 und XXVII, 7, 3 hergeleitet. Danach ist Orfitus tatsächlich als Ex-Präfekt zwischen 359 und 364363, d. h. nach seiner zweiten Amtszeit wegen Pekulat auf die Anzeige des Bäckers Terentius hin verurteilt worden, der dafür mit dem Gouverneursamt in Tuscia belohnt wurde364. Orfitus wurde zu Exil und Vermögenskonfiskation verurteilt, allerdings etwa im Jahre 367 auf Fürsprache des heidnischen praefectus praetorio Italiae Vulcacius Rufinus hin vom Kaiser aus der Verbannung zurückgerufen und ihm sein Vermögen zurückgegeben365. So stellt es Ammian dar, der die Verurteilung von Orfitus nicht weiter kommentiert, aber offensichtlich auch nicht für unangebracht hält. Zwischen der Verurteilung, die Ammian berichtet, und den zur Amtszeit des Symmachus noch immer zur Debatte stehenden Fehlbeträgen der arca vinaria ist allerdings kein eindeutiger Zusammenhang herstellbar. Im Gegenteil, hätte man die Angelegenheit noch jahrelang weiteruntersucht, sie 20 Jahre später wiederaufgenommen und die Gelder erst dann eingefordert, wenn Orfitus bereits eindeutig in dieser Sache verurteilt worden wäre? Weder bei Ammian noch bei Symmachus finden sich irgendwelche Hinweise darauf, dass es zweimal Fehlbeträge in der arca vinaria unter Orfitus gegeben hat. Wahrscheinlich gab es nur den einmaligen, hier zur Diskussion stehenden Fehlbetrag, mit dem zu keiner Zeit ein strafrechtlicher Vorwurf verbunden wurde, dessen Entstehungs- und Entdeckungszeit im Einzelnen ungewiss ist, dessen Untersuchung sich nach dem Amtsende des Orfitus 359 über viele Jahre hinzog und der 384/385 für Symmachus wieder aktuell wird - als Stadtpräfekt und als Schwiegersohn von Orfitus, unter dem die Schulden entstanden waren. Bemerkenswert dabei ist, dass sich Symmachus über die Verurteilung von Orfitus, der nach 359 kein weiteres Amt mehr bekleidete, vollständig ausschweigt. 362 Chastagnol, Scandale, 178 ff; ders., Préfecture, 34; 195; 341 ff; ders., Fastes, 143 ff; Ruggini, Economia, 49 f Fn. 108; Barrow, Prefect, 178 f; Sirks, Food, 394. Kritisch wie hier: Vera, Commento, 257 f; 270. Roda, Commento, 324, nimmt nur eine einzige Schuld an, stellt aber einen Zusammenhang zwischen Rel. 34 und der im folgenden genannten Ammianstelle her. Sinnigen, Officium, 49 ff, nimmt nur eine Schuld an, die seit 351, also schon vor der ersten Amtszeit von Orfitus, bestanden (wegen § 3) und unter der Präfektur von Orfitus ab Ende 353 zu Konsolidierungsbestrebungen geführt habe. Dagegen spricht, dass Symmachus nicht bezweifelt, dass sein Schwiegervater der Stadtpräfekt ist, unter dem die zur Debatte stehenden Fehlbeträge entstanden sind und der als erster von der comminatio getroffen wird. Symmachus dürfte in § 3 einfach das Prägejahr der Münzen gemeint haben, mit denen die (genau registrierte) Rückzahlung erfolgte: solidi ex eo anno, und nicht eine Rückzahlung ab 351. 363 Eine Datierung ante quem ermöglicht CT XII, 1, 61 vom 28.10.364, denn zu dieser Zeit ist Terentius schon corrector Tusciae. 364 Das beleuchtet die nicht unbedenklichen Auswahlkriterien für diese, durchaus nicht unbedeutenden Ämter. Zur Frage der häufig fehlenden Qualifikation der Beamtenschaft s. schon bei Rel. 17. 365 Ammian, XXVII, 7, 3: ...solutum exsilio patrimonii redintegrata iactura remitti fecit in lares. Er wurde offensichtlich umfassend begnadigt.
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Er betont vielmehr, Orfitus habe seinen Lebensabend in völliger Ruhe verbracht, von Forderungen gegen ihn sei nie die Rede gewesen: § 8 und Ep. IX, 150, 1 f. Insoweit ist seine Darstellung nicht ganz ehrlich. Ein Zusammenhang zwischen der Verurteilung wegen Pekulat und der späteren Inanspruchnahme könnte allerdings insoweit bestehen, als die Begnadigung und Vermögensrestitution es ermöglichte, Orfitus zivilrechtlich für (frühere) Schulden (wieder) in Anspruch zu nehmen366. Etwaige Verbindlichkeiten lebten jedenfalls wieder auf und waren gegenüber Orfitus bzw. seinen Erben ggf. einklagbar. Ein konkreter Zusammenhang der in Relation 34 zur Sprache kommenden Fehlbeträge mit der Verurteilung wegen Pekulat scheint dessen ungeachtet aber trotz allem unwahrscheinlich, denn Symmachus hätte die Verurteilung doch wohl zur Entlastung angeführt; Orfitus wäre ja schon bestraft worden, eine weitere zivilrechtliche Inanspruchnahme nach seiner Begnadigung und vollen Rehabilitierung daher ungerechtfertigt. Aus der Darstellung der Angelegenheit bei Symmachus lässt sich ein Pekulatsvorwurf gegen Orfitus im konkreten Fall jedenfalls nicht begründen (dazu noch sogleich). Wahrscheinlich gab es also doch zwei Vorfälle unter dem Stadtpräfekten Orfitus: die Amtsunterschlagung (über die nichts weiter bekannt ist) und die Schulden in der Weinkasse. In dieser Sache werden unter verschiedenen Kaisern, vor allem durch die jeweiligen Stadtpräfekten jahrelang Ermittlungen durchgeführt, die ergeben, dass zumindest ein Teil des Fehlbetrags noch nicht an den Fiskus zurückgezahlt worden ist. Im Rahmen der Verurteilung von Orfitus, insbesondere nach Konfiskation seines Vermögens, von der Ammian berichtet, sind die Schulden, Symmachus nennt sie debita oder reliqua, also nicht beglichen worden. Valentinian II. fällt daher (§ 2) in einem rescriptum an den amtierenden Stadtpräfekten Symmachus eine Entscheidung und konkretisiert die bis dahin in der Schwebe gehaltene comminatio. Es wird, unter Berufung auf die frühere Regelung des Constantius, angeordnet, dass die Fehlbeträge der arca vinaria bei dem Stadtpräfekten, der zur Zeit ihrer Entstehung im Amt war, eingezogen werden sollen. Symmachus soll für die Erfüllung dieser Forderung sorgen. Besagter Stadtpräfekt aber war, ohne dass der Name ausdrücklich genannt wird, unbestritten Orfitus, der allerdings bereits vor 15 Jahren, also 369/370 (§ 8, Ep. IX, 150, 1), gestorben ist, weshalb nun seine Erben herangezogen werden sollen, als die seine Töchter gelten. Gegen dieses Ansinnen - der magister officiorum hatte seine Frau und ihre Schwester in der Sache bereits angeschrieben wendet sich nun Symmachus zur Verteidigung des familiären Vermögens mit Relation 34, in der er vorträgt, dass eine Haftung weder des Orfitus noch auch seiner Frau, ihrer Schwester und seiner selbst gerechtfertigt sei.
366
Vgl. dazu D XLVIII, 23, 2 und 3; CJ IX, 51, 3.
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2. Die Relation In § 1 kündigt Symmachus zunächst an, im Interesse des Staatswohls und als pflichtbewusster Beamter die Wahrheit vorzutragen, um dadurch seine Loyalität zu beweisen. Vorsichtig schickt er voraus, dass er auch Kritik üben werde; schließlich will er durch sein Schreiben den Kaiser über die beste Vorgehensweise belehren, § 2: Contemplanti mihi igitur rescriptum numinis vestri, quo arcae vinariae debita a praefecto eius temporis, quo contracta dicuntur, erui censuistis, silere fas non fuit, quid temporum vestrorum congruat aequitati. Aequitas ist also einmal mehr sein (vorgebliches) Thema. Symmachus zeigt sich erstaunt, dass der Kaiser eine so alte Sache wieder aufrollt. Valentinian II. sei falsch informiert worden, was Symmachus auf die Arbeitsüberlastung (vgl. Relation 17) schiebt, um dem Kaiser nicht zu nahe zu treten, § 2: Iam primum stupere me fateor caelesti mansuetudini vestrae totius orbis negotiis occupatae et cui ideo inter multa curarum summatim nonnulla tractanda sunt, litteras divi Constantii ita esse suggestas, ut comminatio sub condicione deprompta instar cuiusdam debiti duceretur; dehinc tacitum quodam casu de ea parte rescripti, quae tenebat officium, ut persona iudicis tamquam vilior apparitorum suorum inpunitate premeretur. Valentinian II. wurde demnach das Reskript von Kaiser Constantius vorgelegt und der darin enthaltenen Drohung, die unter einer Bedingung ergangen war, comminatio sub condicione, offenbar von schlechten Beratern, die Bedeutung einer bestehenden Schuld beigemessen. Symmachus deutet an, die Anordnung des Constantius, deren rechtliche Reichweite beschränkt gewesen sei, sei falsch ausgelegt und fälschlich auf Orfitus angewandt worden, als sei dieser daraus persönlich verpflichtet. Außerdem gibt er sich überrascht, dass nichts über jenen Teil des Reskripts (des Constantius) gesagt worden sei, der das officium urbanum betraf, und übt deutlich Kritik an dem beschränkten Blickwinkel des Kaisers. Die Anordnung des Constantius sei umfassender gewesen und habe auch die Verantwortlichkeit des officium berücksichtigt. Valentinian dagegen habe einfach die alleinige Amtshaftung des praefectus urbi angeordnet, ohne Berücksichtigung der geleisteten Aufklärungsarbeit. Weiterhin zeigt Symmachus sich erstaunt, § 3, dass ein Geldbetrag gefordert werde, von dem ein Großteil bereits an die Staatskasse, genauer die römische Abteilung der sacrae largitiones: sacris accessisse thesauris367, zurückgezahlt worden sei. Das hätten ein Bericht der 367 Verfehlt die Ansicht von Lécrivain, Sénat, 71 f, der an eine Zahlung an die arca quaestoria, d. h. die Senatskasse unter dem Stadtpräfekten glaubt. Es handelt sich hier um die kaiserliche Kasse unter dem comes sacrarum largitionum; synonym: aerarium (§ 3)/aerarium imperiale (Ep. IX, 150, 1)/fiscus; s. a. weitere Nachweise bei Rel. 20. Die arca vinaria ist ein Teil davon und ihr Fehlbetrag erlischt daher im Umfang der Rückzahlung, s. a. § 7. Rel. 34 liefert also einen Nachweis dafür, dass die arca vinaria tatsächlich nur eine unselbständige Abteilung der sacrae largitiones war. Entgegen Chastagnol, Scandale, 180; ders., Préfecture, 344, bedeutet die Zahlung an den fiscus (und nicht explizit an die arca) in der Darstellung von Symmachus kein Verwaltungsversehen; vielmehr umfasst die Bezeichnung fiscus auch die Weinkasse.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Rechnungsprüfer, discussores368, die speziell eingesetzt worden waren, seine eigene und schon eine Untersuchung seines Amtsvorgängers Aventius erwiesen, was dem Kaiser von diesem auch mitgeteilt worden sei: ea summa solidorum...ex maiore parte solutam probavit aerario, tamquam debita et intacta deposcitur. Die Forderung sei jedenfalls in der geltend gemachten Höhe unangebracht. In seinem rescripum hatte Valentinian II. keinen Namen genannt. Symmachus vermutet nun - etwas scheinheilig -, der Kaiser habe wohl geglaubt, der Mann, der belangt werden soll, conveniendus, sei noch am Leben. Hätte der Kaiser gewusst, dass der betreffende Beamte schon lange tot ist, hätte er nicht die alte Drohung gegen ihn gerichtet, denn sogar eine Strafe für schwere Verbrechen erlösche mit dem Tod des Angeklagten (§ 4): Nam quando clementia vestra vim veteris comminationis in mortuum tetendisset, cum etiam gravium noxarum poena fine vitae solvatur? Dem ist bereits hier entgegenzuhalten, dass es konkret nicht um strafrechtliche Haftung, gar Vollstreckung eines Strafurteils geht. Doch versucht Symmachus immerhin ansatzweise, juristisch zu argumentieren. Die persönliche Haftung sei jedenfalls mit dem Tod des Betreffenden erloschen. Auch Symmachus bezweifelt also nicht, dass Orfitus gemeint ist. Doch wird man diesen am Hof kaum noch am Leben glauben; vielmehr scheint man es 384/385 in Wahrheit von Anfang an auf seine Erben abgesehen zu haben. Symmachus fährt fort, dass selbst dann, wenn der betreffende Stadtpräfekt noch leben würde, er vom kaiserlichen Reskript nicht bedrängt würde: gravia enim subiectis saepe minitamini acuendi potius studio quam nocendi. Seiner Einschätzung nach sollte die comminatio des Constantius nämlich nur einschüchtern. Es drohte daher auch keine Realisierung, denn solche Drohungen wollten antreiben, nicht schaden und seien deshalb nicht ganz ernst zu nehmen. Beispielhaft wird dazu Valentinian I. ins Felde geführt, der vorbildlich sogar Urteile, die sub comminatione ergangen waren, in Wirkung und Vollstreckbarkeit zurückgenommen habe: pia lege constituit, qui sententias quoque sub comminatione depromptas effectu atque exsecutione vacuavit (alles noch § 4). Dieses Gesetz ist nicht erhalten369, unterstützt wegen seines speziellen Geltungsbereichs aber auch nicht überzeugend Symmachus´ allgemeine These; es 368 Zu diesen Inspektoren des Fiskus, die unter Aufsicht des comes sacrarum largitionum stehen, s. Seeck, RE-discussor, 1183 ff. Es handelt sich um spezielle Beamte, die zur Rechnungsprüfung und Vornahme von Schätzungen eingesetzt werden und die auch (Steuer-)Fehlbeträge eintreiben; s. a. bei Rell. 25 und 26. Wie dort sind auch hier möglicherweise Kosten von öff. Bauten Prüfungsgegenstand (s. in der Auswertung). 369 Barrow, Prefect, 183 Fn. 4, nennt CT IX, 38, 3 und 4; s. a. Seeck, Symmachus, 307 und Regesten, 35. Dagegen ist einzuwenden, dass sich diese Konstitutionen nicht auf sententiae sub comminatione, sondern auf Oster-Amnestien beziehen. So schon Tomlin, Rezension Klein/Barrow, 204; Vera, Commento, 261.
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betrifft die konkrete Fallkonstellation nicht. Die Argumentation ist schon deshalb wenig überzeugend, weil dann Drohungen nicht mehr ernst zu nehmen wären. Das mag damals freilich weithin der Fall gewesen sein. Immerhin stützt die Argumentation, die Rechtskenntnisse des Stadtpräfekten belegt und durchaus mutig ist, die Behauptung, dass kaiserliche Drohungen nicht in jedem Fall Geltung beanspruchen. Weitere Argumente folgen in § 5: Die Bedingung, condicio, die Constantius litteris suis ursprünglich gegenüber Orfitus gesetzt habe, sei durch spätere Ereignisse zunichte geworden. Die Geltendmachung der Forderung sei zunächst auf den Stadtpräfekten Tertullus übergegangen370: ad Tertullum...migravit exactio, quae si hominis, non potestatis fuisset, circa personam prioris iudicis potuisset haerere. Unter Kaiser Julian war dann Valerius Maximus371 zuständiger Stadtpräfekt. Die Anordnung, die ausstehenden Gelder unter Androhung persönlicher Haftung einzutreiben, erweist sich also in der praktischen Handhabung als amtsbezogen und geht auf den jeweiligen Stadtpräfekten über. Daher kann nach Überzeugung von Symmachus Orfitus, lebte er noch, nicht persönlich Verantwortlicher sein. Er bleibt nicht persönlich verpflichtet, erhält lediglich als erster die comminatio. Die Praxis scheint dieses Argument zu bestätigen. Dass er nun als amtierender praefectus urbi selbst berufen sein könnte, vermeidet Symmachus allerdings tunlichst auszusprechen. Unter Valentinian I., § 6, wurde die Aufgabe der Schuldeneintreibung wieder den Stadtpräfekten und diesmal zudem speziellen Buchprüfern, discussores, anvertraut. Die Angelegenheit ging also doch nicht immer automatisch auf den nächsten Stadtpräfekten über, sondern der Kaiser übertrug sie weiter, wenn er Interesse an der Sache und Vertrauen zum Amtsinhaber hatte: praefectis ac discussoribus haec mandata provincia est et per vices administrantium publici debiti cucurrit exactio (§ 6). Von einer persönlichen Schuld des Orfitus scheint bis dahin keine Rede gewesen zu sein. Gratian betraut mit der Untersuchung seinen comes sacrarum 370
Dieser war von 359-361 Stadtpräfekt, s. Chastagnol, Fastes, 351 ff; PLRE I, Tertullus 2, 882 f. Zwischen Orfitus und ihm gibt ein Iunius Bassus ein kurzes Intermezzo (Chastagnol, Fastes, 149 ff), der bald stirbt. Das bedeutet, dass der Fehlbetrag anfänglich nahezu ohne Unterbrechung geltend gemacht wurde. Chastagnol sieht hier einen Prozess gegen Orfitus wegen eines erneuten Fehlbetrages angedeutet, von dem Ammian berichte (s. o.). Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass Symmachus nur mitteilt, dass der nächste Stadtpräfekt im Amt den kaiserlichen Befehl der Schuldeneintreibung auszuführen hatte. Ein Verfahren gegen Orfitus oder eine zweite Verschuldung wird mit keinem Wort angedeutet. 371 Im Amt von 361 bis 362, s. Chastagnol, Fastes, 154 ff; PLRE I, Maximus 17, 582. Ein Verwandter und Mentor von Maximus, Vulcacius Rufinus, erreicht als praefectus praetorio Italiae unter Valentinian I. Amnestie für Orfitus (s. o. und vgl. die Schilderung bei Ammian, XXVII, 3, 2; XXVII, 7, 3 und XXI, 12, 24). Symmachus deutet all das mit keinem Wort an. Auch vom Vater des Symmachus, der 364 unter Valentinian I. (direkt nach Tertullus) Stadtpräfekt von Rom war, ist keine Rede. Symmachus zeigt sich insoweit „diskret“ und nennt keine weiteren Namen.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
largitionum Basilius372. Dieser arbeitet unvoreingenommen und streng: qui personis iudicum non pepercit, und findet als Außenstehender tatsächlich mehr heraus, als bisher die Stadtpräfekten. Verantwortlich in Rom sind nach seiner Erkenntnis primiscrinii des officium urbanum373. Gratian erlegt deshalb diesen, die sich unter den verschiedenen Stadtpräfekten um die Einziehung der Gelder gekümmert haben, (kollektiv) auf, für vollständige Bezahlung zu sorgen oder zumindest einen Rechenschaftsbericht über die Kassenbücher abzuliefern: quorum sollicitudo per successiones exigenda curaverat, vel solvendo nomini vel edendae rationi fecit obnoxios. Offen bleibt, worauf der Vorwurf gegen die primiscrinii im Einzelnen beruht. Jedenfalls vermochten es die bislang mit der Angelegenheit befassten Stadtpräfekten offensichtlich nicht, die Verantwortlichkeiten im eigenen Amt aufzuklären. Unter Gratian gibt es also eine eindeutige Anordnung, die (nur) die Haftung und Verantwortlichkeit des officium festhält. Symmachus deutet an, dass diese eigentlich noch immer Geltung beanspruche. Ein Großteil des Geldes wird daraufhin auch wirklich eingezogen, § 7: Anicius Auchenius Bassus und Aventius, die Vorgänger von Symmachus und als Stadtpräfekten von 382 bis 384 nacheinander im Amt, stellen Untersuchungen an, frequentata cognitio, und finden heraus, dass der Großteil der Schuld, nämlich genau 11.446 solidi374 an den fiscus bezahlt worden sind und Aventius berichtet das dem Kaiser in einer relatio. Wir erfahren allerdings nicht, wer diese Zahlungen im Einzelnen geleistet hat. Außerdem wird ein Verpflichtungsschein, sponsio, entdeckt, den Provinzstatthalter abgegeben haben, die erklären, dass sie, wenn das officium urbanum dazu nicht in der Lage wäre, mit ihren Mitteln für den Ersatz des Restbetrags sorgen würden (§ 7): ...solutam maiorem partem debiti deprehendit et provincialium iudicum repperit sponsionem, qua 372 Dieser ist comes sacrarum largitionum 382-383 (und 395 Stadtpräfekt von Rom), s. Seeck, RE-Basileios 3, 48; Chastagnol, Fastes, 246 f; PLRE I, Basilius 3, 149. Sachlich ist genau er zuständig für die Geltendmachung der Schulden der arca als verantwortlicher Minister der sacrae largitiones. Eben der comes sacrarum largitionum geht auch in einem vergleichbaren Fall 399/400 gegen den Stadtpräfekten als Kassenverantwortlichen vor (Ep. VII, 96, 3). 373 Der primiscrinius ist einer der leitenden Beamten im officium urbanum, der als Chefsekretär auch finanzielle Aufgaben zu erfüllen hatte, dessen genaue Funktion und Stellung jedoch äußerst umstritten sind. Diskussion bei Sinnigen, Officium, 44 ff; Chastagnol, Préfecture, 234; 238 f; Jones, Roman civil service, 54 f; Vera, Commento, 264 ff. Aus Rel. 34 ergibt sich, dass er, der länger als ein Stadtpräfekt im Amt bleibt, eine verantwortliche Zuständigkeit in der Führung der Weinkasse, insbesondere der Buchhaltung hatte und Außenstände, etwa aus den Provinzen, einzutreiben hatte (er bestellt Vollzugsbeamte); ggf. haftete er persönlich, vgl. hier und für Fleischlieferungen auch CT XIV, 4, 10, 4 (419). 374 § 3. Diese Bemerkung erlaubt eine Anmerkung zu Relation 29: Relation 34 zeigt, dass die arca vinaria nicht wenige solidi enthielt, beweist aber nicht notwendigerweise, dass sie so viele besaß, dass sie eingetauscht worden wären. Die Ansicht von Chastagnol zu Relation 29 wird hierdurch nicht gestützt.
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professi sunt, si urbanum cessaret officium, per se huius tituli integritatem posse sarciri. In Ep. IX, 150, 4 heißt diese Erklärung vetus professio375, es handelt sich also um eine ältere Erklärung und genannt werden die Statthalter von Campania und Tuscia. Diese professio bzw. sponsio sieht Symmachus als rechtlich verbindlich an: Si igitur haec legibus conferantur, pronuntiabit aeternitas vestra, in professione verum esse nexum, in comminatione terrorem. Wenn der Kaiser diesen Schuldschein den geltenden Gesetzen gegenüberstelle, müsse er anerkennen, dass die darin abgegebene Erklärung bindend sei, während die Drohung nur Einschüchterung gewesen sei. Dieses Argument kennen wir schon und es drängt sich auf, dagegen schon hier ergänzend einzuwenden, dass die sponsio376/professio zwar offizielle Erklärungen beinhaltet, die comminatio aber immerhin direkt vom Kaiser stammt. Insofern handelt es sich um eine auch rechtlich jedenfalls problematische Behauptung. Festzuhalten ist aus dieser Argumentation aber, dass Symmachus sich (pauschal) auf leges, die der Kaiser zu beherzigen habe, und rechtliche Bindung beruft. Unter anderem aus den beiden genannten Provinzen stammen die römischen Weinlieferungen, die dort als Abgabe eingetrieben wurden377. Vielleicht standen von dort Lieferungen oder Zahlungen aus und hatten primiscrinii Beiträge nicht sorgfältig eingetrieben bzw. registriert. Die Statthalter könnten eine Schuldübernahme für Außenstände aus ihren Provinzen unterschrieben haben. Dass das Problem in den Provinzen liegt, ergibt sich auch aus § 13. Der genaue Hintergrund bleibt jedoch im Dunkeln. Missstände sind an den verschiedensten Verwaltungsstellen denkbar. Die Leitung der arca vinaria musste möglicherweise Wein kaufen und sich dazu verschulden. Auch Probleme im Rahmen der adaeratio, der Registrierung und Quittierung der Steuereinnahmen sind vorstellbar (vgl. den Fehlbetrag in der arca vinaria im Jahre 400; dazu noch unten). Daneben erinnert man sich wieder an die Verurteilung von Orfitus378 und die für seine Amtszeit überlieferten Weinunruhen. Etwaige Entnahmen unter Orfitus zu Bauzwecken (dazu unter 3. bleiben dagegen vollständig im Dunkeln und werden in Relation 34 noch nicht einmal erwähnt. Offenbar hatte man erst kürzlich auch Beamte des officium urbanum in die Provinzen geschickt, damit 375 Von professio, einer öffentlichen Angabe, ist im Zusammenhang mit Steuerpflichten in Rel. 46 die Rede und dort ist die offizielle Erklärung über die eigenen Vermögensverhältnisse gemeint. Konkret meint sie möglicherweise eine Einstandsgarantie für steuerliche Außenstände aus den Provinzen. 376 Zu rechtlich unverbindlichen sponsiones vgl. schon die Relationen 6 und 23. 377 Italienische Grundbesitzer hatten bestimmte Weinlieferpflichten, die in der arca vinaria verbucht wurden, zu erfüllen, was bis Valentinian I. durch adaeratio in Geld erfüllbar war. Das zeigt sich etwa in CT XI, 1, 6 (346: Seeck, Regesten, 45); CT XI, 2, 3 (377); Historia Augusta, Aurel. 48, 1f für Tuscia. 378 Der Bäcker Terentius wird für seine Anzeige immerhin großzügig belohnt, was für großes kaiserliches Interesse an einer Verurteilung des Orfitus spricht. Zudem bekommt er das Gouverneursamt in einer der beiden in die Affäre verwickelten Provinzen, Tuscia, zuerkannt, Ammian, XXVII, 3, 2. All das fällt zwar auf, beweist aber keinen eindeutigen Zusammenhang mit Rel. 34.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
sie zwecks Begleichung der offenen Rechnungen Druck auf die dortigen Magistrate ausüben, und diese Beamten hatten nach ihrer Rückkehr die Hoffnung ausgedrückt, das Geld tatsächlich auftreiben zu können. Offenbar ist aus den Provinzen etwas aus offenen Rechnungen zu erwarten. Doch ging und geht man all dem nicht nach. Symmachus schreibt hierzu: Non est meum famae incerta sectari; inveniet divina maiestas tua, cur huic exactioni perpes cura defuerit. Er überlässt Valentinian II. die Beurteilung der Tatsache, dass man sich nicht intensiv und anhaltend um die Schuldeneintreibung gekümmert habe. Ohne Nennung von Namen wird Kritik an offensichtlicher Schlamperei in der Verwaltung geübt und vorwurfsvoll angedeutet, dass sich auch der Kaiser bzw. seine Vorgänger nicht sonderlich eingesetzt hätten. Der Fall scheint nun jedenfalls weitgehend aufgeklärt. Valentinian II. berücksichtigt die Erkenntnisse in seinem rescriptum an Symmachus jedoch mit keinem Wort und fällt eine vor diesem Hintergrund überraschende Entscheidung. Nun kommt Symmachus in § 8 auf Orfitus zu sprechen, seinen verstorbenen Schwiegervater und damit zum Kern des Schreibens, denn es geht ihm in erster Linie um Verteidigung der Familieninteressen. Orfitus werde, so meint Symmachus, in der Angelegenheit durch Machenschaften, molitio, angegriffen: Nam socerum meum...Orfitum petit ista molitio, cuius heredes v. c. et inlustris officiorum magister adscripsit litteris suis, cum tuae mansuetudinis verecundia nullum sacro oraculo nomen expresserit. Der magister officiorum hatte sich also schon schriftlich an die - angeblichen, wie sich herausstellen wird - Erben von Orfitus gewandt, obwohl der Kaiser in seinem rescriptum noch nicht einmal den Namen eines Stadtpräfekten genannt hatte. Dass aber Orfitus letztlich als der Stadtpräfekt gemeint war, während dessen Amtszeit die Fehlbeträge entstanden waren, bezweifelt auch Symmachus nicht ernsthaft. Er setzt nun zu einer Verteidigung seines Schwiegervaters an, die zum einen geltend macht, dass Orfitus keinerlei Verantwortung treffe, vor allem aber, dass er verstorben sei und niemand seine Erbschaft angetreten habe. Symmachus greift hier, durchaus mutig, eine an ihn gerichtete, offizielle kaiserliche Entscheidung mit offenen Worten an. Es geht um die Familienehre und handfeste Vermögensinteressen, denn er fürchtet ganz offensichtlich, dass der Mailänder Hof die Töchter des Orfitus, seine Schwägerin und seine Ehefrau Rusticiana, für dessen Schulden in Anspruch zu nehmen versucht. Kritik am voreiligen Vorgehen des magister officiorum ist nicht zu übersehen379. 379 Eigentlich war Symmachus selbst mit der Sache befasst, der magister officiorum mischt sich also ein - vielleicht nachdem Symmachus nichts unternahm. Der magister officiorum ist kaiserlicher Berater (auch) speziell in Senatorenangelegenheiten und insoweit ggf. auch mit Rechtsfragen befasst, hier der Eintreibung von Fiskalforderungen und Reskriptvollstreckung. Es wird hier allerdings nicht unmittelbar im Rechtsprechungsbereich tätig, wie Clauss, Magister officiorum, 81, meint. CJ III, 24, 2 (376? – dazu ausführlich im 1. Teil, 4. Abschnitt II. und bei Rell. 30 und 48) zeigt, dass der magister officiorum in senatorischen Zivilprozessen, etwa Fiskalprozessen, speziell eingesetzt werden konnte. Hier wird er in eben diesem Bereich wohl betraut mit der Forde-
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Symmachus teilt mit, dass Orfitus bei seinem Tod vor etwa 15 Jahren reicher an Ehren als an Vermögen gewesen sei. Das ist einerseits natürlich Rhetorik, die unterstreichen soll, dass Orfitus sich während seiner Amtszeit nichts persönlich angeeignet hat und bei ihm ohnehin nichts zu holen war; andererseits aber dürfte es insoweit der Wahrheit entsprechen, als Orfitus vermutlich vor seinem Tod den Großteil seines (wiedererlangten) Vermögens durch Schenkung unter Lebenden seinen Töchtern zukommen ließ (dazu unter 4.). Nichts rechtfertige außerdem, so Symmachus weiter, die Drohung, die Orfitus zu Lebzeiten nicht geschadet habe380, nun gegen den Toten aufleben zu lassen: Existimem merito illius factum, qui maior honoribus quam facultatibus ante annos fere quindecim vitam peregit, ut comminatio saepe lecta semper omissa et novis post sepulta decretis, quam neque lex divalis admittit et solutio magnae partis exclusit, resurgat in mortuum, quae non obfuit ante viventi? Die Drohung sei zwar mehrmals wiederholt, aber nie verwirklicht worden, inzwischen durch spätere Maßnahmen, decreta, entkräftet, außerdem von keinem kaiserlichen Gesetz zugelassen und jedenfalls für den Großteil der Summe unberechtigt. Hier pocht Symmachus zum einen offensichtlich auf die Geltungskraft der gratianischen Anordnung, die er als wirksam ansieht und die die comminatioWirkung aufhebe. Außerdem beruft er sich darauf, dass die comminatio nicht gesetzlich zugelassen sei, wohingegen es in Ep. IX, 150, 1 heißt, dass die übliche comminatio erlassen worden sei. Instrumentalisiert er hier also beliebig vorgeblich rechtliche Argumentation oder spielt er gar auf die bereits oben angeführte Regelung von Valentinian I. an, die indes nicht allgemein solche comminationes verboten hat und überhaupt nicht auf den konkreten Fall passt? Eine solch ungenaue rechtliche Argumentation kann man Symmachus wohl nicht unterstellen. Eher wehrt er sich gegen die konkrete Handhabung der comminatio gegenüber Orfitus und mittelbar seine Nachkommen, die in dieser langjährigen Dauer und konkreten Auslegung jedenfalls ungewöhnlich und gesetzlich vermutlich so nicht ausformuliert war. Lex dient ihm als Argument und da das Vorgehen gesetzlich nicht verboten ist, beruft er sich darauf, es fehle die erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Wieder haben wir ein Beispiel für juristische Argumentationsansätze, wenn sie auch reichlich pauschal gehalten sind. Letztlich beruft sich Symmachus auf sein Rechtsgefühl; die Maßnahme erscheint ihm ungerecht und willkürlich. Sein Fazit: Die Anordnung gegen Orfitus ist nicht gerechtfertigt, denn selbst wenn er noch lebte, wäre die comminatio aus mehreren Gründen hinfällig.
rungseinziehung gegen Frauen senatorischen Standes. Sein Kompetenzbereich ist daher durchaus betroffen. 380 Das heißt, Orfitus war zu Lebzeiten wegen dieses Fehlbetrages vermögensmäßig noch nicht belangt worden, denn Symmachus wird hier wohl keine leicht zu widerlegende Lüge auftischen.
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Daher fragt er sich in § 9, ob nicht vielleicht ihm selbst durch diese Machenschaften geschadet werden soll: An meae potius contumeliae causa et ordinem tot ac talium statutorum et divi Gratiani recentem praeceptionem et discussorum diligentiam et praefectorum cognitiones et relationis fidem novis suggestionibus arbitrer sauciari? Symmachus vermutet, jemand könnte den Kaiser gezielt entgegen der objektiven Beweislage falsch informiert haben, um ihm als amtierendem Stadtpräfekten zu schaden. Er ruft sogar Gott zum Zeugen an, dass er einen solchen Angriff, iniuria nennt er es, nicht verdiene, insbesondere weil er nach dem Amt des Stadtpräfekten noch nicht einmal gestrebt habe (vgl. dazu schon die Relationen 1 und 2). Möglicherweise will ihm also jemand persönlich schaden, vielleicht ein Konkurrent, denn es ist die Rede von invidia einer ungenannten Person. Symmachus scheint eine bestimmte Person im Auge zu haben und deutet an, dass er nur aus Pflichtgefühl bis jetzt im Amt geblieben sei. Der Wortlaut erinnert an Relation 21. Symmachus ruft den Kaiser auf, den Betreffenden zu gesetzmäßigem Handeln anzuhalten, denn privater Hass dürfe nicht zu Gesetzesbruch führen: cogitet privata odia adversum leges exercenda non esse. Die Gesetze in ihrer pauschalen Anrufung sind wieder einmal Bezugspunkt für ein dringendes Hilfegesuch, beinahe eine Forderung an den Kaiser. Relation 34 beinhaltet, so wird nun klar, ein Verteidigungsschreiben (auch) in eigener Sache.
Weiter geht es in § 10 mit dem vielleicht entscheidenden Argument: Man müsse dem Unbekannten, si quis ille est, mitteilen, dass Symmachus und seine Angehörigen nicht Erben des Orfitus geworden seien: me meosque successionem ...Orfiti neque ratione iuris neque bonorum aditione cepisse. Keiner aus der Familie habe etwas von Orfitus’ Vermögen anläßlich seines Todes erhalten. Weder ratione iuris noch durch bonorum aditio hätten seine Töchter das Vermögen erworben. Sie seien, wie im Übrigen auch er selbst, weder aufgrund eines Testamentes Erbinnen geworden, noch sonst in die Nachfolge eingetreten, könnten also für Schulden des Orfitus keinesfalls in Anspruch genommen werden, s. a. §§ 11 f; Ep. IX, 150, 3. Dies zielt gegen den magister officiorum, der bereits konkret an einzelne Familienmitglieder herangetreten war, um sie als Erben in Anspruch zu nehmen. Es folgt eine konkrete Bitte: Quaeso igitur, ne in contumeliam iudicii vestri et iuri et innocentiae fraus paretur. Man möge den ungesetzlichen, betrügerischen Machenschaften gegen Unschuldige nicht nachgeben. Das schade auch dem Ansehen des Herrschers, der schließlich Symmachus bewusst zu seinem Beamten gemacht habe (auch diesen Gedanken kennen wir bereits aus den Relationen 1 und 2). Symmachus ist empört, auch Kaiserkritik klingt an, seiner Überzeugung nach hat sich der Kaiser nicht hinreichend informiert. Auf ein faires Verfahren pochend, macht er geltend, dass man Betroffene vor einer kaiserlichen Entscheidung, sententia, stets anhören müsse, andernfalls liege eine beispielslose Rechtsverletzung vor. Noch nie sei eine comminatio auf Erben erstreckt worden. Er selbst und seine Familie seien
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nullo iure im konkreten Fall betroffen. Symmachus übt, trotz des Bemühens möglichst neutral zu formulieren, durchaus scharfe Kritik an Valentinians Entscheidung und kommt dann noch einmal darauf zurück, dass der Großteil der Schuld bezahlt sei. Für den Restbetrag sei die Lage offensichtlich dargetan, die Verantwortlichkeiten hinreichend bekannt: in evidentibus nominibus pars resedit. Wem nütze es also, Unschuldige heranzuziehen und die wahren Schuldner zu schützen: cuius studio absolvendi sunt debitores, ut inplicentur innoxii? Symmachus ist überzeugt, dass jemand, der ungenannt bleibt, am entfernten Hof eben daran interessiert ist. In § 11 appelliert er daher an den kaiserlichen Sinn für Gerechtigkeit: Quare insitam divinis sensibus vestris oro iustitiam, ne adversum divi Gratiani definitionem, adversum rescripta tot principum, quae praefectis debita eruenda mandarunt, adversum relationem, quae uberiorem summam docuit exsolutam, reliquum vero secundum rectorum litteras exculpendum ab obnoxiis intimavit, ignaros negotii et paternae hereditatis alienos pulsari incongrua conventione patiaris, neve exemplum novum pius imperator inducas, ut successio hominum, qui rei publicae profuerant, ad liberos secura non transeat. Valentinian II. solle nicht entgegen dem bisherigen Verfahren, das von vielen Kaisern beachtet worden sei, gegen die Anordnung Gratians und die vielen vorliegenden Beweise und Berichte handeln, wonach die jeweiligen Stadtpräfekten die Schuld zu ermitteln haben, der Großteil ja auch bereits ersetzt sei und für den Rest aufgrund der Erklärungen der Provinzstatthalter die Verantwortlichen heranzuziehen seien. Argumentationsgrundlage ist hier Vertrauensschutz, Berufung auf eine langjährige Praxis, der die aktuelle Anordnung widerspreche, die willkürlich sei. Unschuldige, die auch mit ihrem Vermögen nicht beteiligt seien, dürften nicht ungerechtfertigt herangezogen werden. Offenbar hatte der magister officiorum bereits eine Vorladung, conventio (litterae in § 8), gegen die Töchter des Orfitus ausgesprochen, zumindest droht eine offizielle Verfahrenseinleitung. Es geht also um mehr als rein theoretische Befürchtungen; der magister officiorum beginnt offenbar bereits mit der Vollstreckung des Kaiserentscheids gegenüber den potenziellen Erbinnen des festgestellten Fiskalschuldners Orfitus.
Symmachus fordert darüber hinaus, dass das Vermögen untadeliger hoher Beamter doch bitte ungestört auf die Kinder übergehen können müsse. Ein Präzedenzfall müsse vermieden werden. Hatte die Familie also doch Vermögen von Orfitus erlangt? In § 12 nimmt Symmachus Bezug auf die existierende Regelung, haec forma; Erbenhaftung ist danach normal und unter Umständen auch sinnvoll, wie Symmachus zugibt. Nur sei sie hier nicht angebracht, weil Orfitus’ Nachkommen nur seinen guten Namen geerbt haben. In Wirklichkeit wolle man daher mit den Vorladungen nicht die Staatsfinanzen schützen, sondern Symmachus selbst schaden: Meae tantum iniuriae studet ista suggestio, nam tenuitati illius frequenter exhaustae nemo testamento, nemo nostrum bonorum aditione successit. Keiner in seiner Familie sei nämlich testamentari-
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
scher Erbe oder sonstwie Übernehmer des so oft geschmälerten (eine Anspielung auf die von Ammian berichtete Verurteilung wegen Pekulat?) Vermögens geworden. Erneut deutet er an, dass jemand den Kaiser gegen seine Person beeinflusst hat.
Am Ende des Schreibens unterstreicht er pathetisch, es gehe ihm nicht um familiäre Interessen, die ja durch die Gesetze, legibus, geschützt würden, sondern um das Ansehen des Kaisers und die Staatsfinanzen: temporum amore solliciter, ne ad innocentiam fisci vestri infructuosa tantum recurrat invidia. Solch böser Neid dürfe nicht der kaiserlichen Kasse schaden, indem nämlich die wahren Verantwortlichen nicht herangezogen werden. Zumindest vorgeblich schreibt Symmachus also auch als Stadtpräfekt in seiner Verantwortung für die Staatsfinanzen (in den römischen Kassen) und berichtet daher über solche Missstände. Tatsächlich aber schreibt er in erster Linie als Fürsprecher seiner Frau und seiner Schwägerin, die bereits aus Etruria vorgeladen wurde. In flehendem Ton, precamur, appelliert Symmachus in § 13 denn auch offen im Namen seiner Familie an das Wohlwollen des Herrschers: Man könne den restlichen Fehlbetrag, an dem so viele Provinzen (offenbar nicht nur Tuscia und Campania) beteiligt seien und der daher zugegebenermaßen schwer einzutreiben sei, nicht einfach einer senatorischen Familie auferlegen. Symmachus scheint anzunehmen, der Kaiser lasse sich auch wegen des senatorischen Ranges seiner Familie möglicherweise von einer Forderung abbringen. Vielen hohen Beamten habe diese condicio bereits geschadet und es wäre Unrecht, wenn nun an einer Familie ein Präzedenzfall statuiert und sie in den finanziellen Ruin getrieben würde. Der Kaiser möge die Gesetze daher bitte nochmals überdenken und Milde walten lassen, wie er sie schon häufig in seinen Dekreten bewiesen habe: neque enim ius sit, ut una familia novo opprimatur exemplo. Quaeso igitur, ut gesta, quae fidem relationis adserunt, audire dignemini legesque percenseatis, quarum plerumque duritiam pro clementia vestra decretis moderatioribus temperastis. Man fragt sich, welches die harten leges sein mögen, die dem Gesuch entgegenstehen könnten. Symmachus scheint aus Gründen übergesetzlicher Gerechtigkeit für den konkreten Fall eine Ausnahme von leges zu fordern, die seine Familie trotz fehlender Erbenstellung haftbar machen könnten. Wenigstens aber soll Valentinian II. sein rescriptum (das nur in einem weiteren Sinne lex ist) abändern und so die Strenge der allgemeinen Gesetze mildern. Möglicherweise ist die Formulierung aber auch untechnisch zu verstehen, dass nämlich der Kaiser seine Leute, insbesondere den magister officiorum schlicht zurückpfeifen möge; vielleicht meint Symmachus auch, dass die allgemeinen Gesetze eine Haftung seiner Familie ausschließen und der Kaiser sich, was Symmachus so offen nicht sagt, doch bitte an die Gesetze halten möge. Jedenfalls beruft er sich auf allgemeine leges, von denen der Kaiser aus bestimmten Gründen Ausnahmen durch spezielle decreta gewähren kann und ggf. auch soll. Sichtbar werden hier verschiedene Arten von Rechts-
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vorschriften mit unterschiedlicher Reichweite und eine bestimmte Auffassung von (beschränkter) Bindung des Kaisers an die Gesetze. Die Bereitschaft des Kaisers, im Einzelfall von allgemeinen leges abzuweichen, soll durch ein solches Schreiben in die richtigen und gerechten Bahnen gelenkt werden, indem der Sachverhalt und die Rechtslage ausgebreitet werden. Vieles bleibt allerdings bloße Andeutung. 3. Weitere Informationen aus Ep. IX, 150 Mit dem Privatbrief Ep. IX, 150 verfolgt Symmachus dasselbe Ziel wie mit Relation 34, nämlich klarzustellen, dass Ehefrau und Schwägerin nicht haften und dass das an ihn als Stadtpräfekt ergangene rescriptum daher grund-, jedenfalls wirkungslos ist. Symmachus will seinen Adressaten über das, was richtig und gerecht, iustus, ist, aufklären, in der Hoffnung, dass die Gesetze trotz persönlicher Interessen, studium, zur Anwendung kommen werden. Ohne dass er sagt, worum es eigentlich geht, schickt er in § 1 voraus, dass iustitia und Beachtung der leges in seinem Anliegen eine Rolle spielen werden, und äußert die Hoffnung auf Unterstützung des Adressaten, der in verantwortlicher Position steht. Es geht um die Fehlbeträge, reliqua, der arca vinaria, deren Eintreibung von den jeweiligen Kaisern vielen aufeinanderfolgenden Stadtpräfekten anvertraut war und die mittlerweile zum großen Teil der kaiserlichen Kasse, imperiale aerarium, erstattet worden sind. Nun aber werde gegen das Erbe des ehemaligen Stadtpräfekten Orfitus vorgegangen, der, ohne je deshalb belangt worden zu sein, vor 15 Jahren gestorben ist. Man habe dazu die Anweisung von Kaiser Constantius vorgelegt, der gegenüber Orfitus einst angeordnet hatte, dass er das, was er für opera publica ausgegeben habe, eintreiben müsse, verbunden mit der üblichen Androhung, dass andernfalls er und sein officium persönlich hafte: sine ulla tituli huius conventione demortui pulsatur hereditas obtentu epistulae, qua divus Constantius, id quod operibus publicis constabat inpensum, integrari per eum statuit minatus ipsi atque officio, ut fieri adsolet, sub condicione dispendium, si exactioni cura conpetens defuisset. Die Worte enthalten die interessante neue Information, dass Orfitus ganz konkret (nur) für Entnahmen zu Bauzwecken während seiner Stadtpräfektur persönlich haftbar gemacht zu werden drohte. Diesen Aspekt der comminatio unterschlägt Symmachus in Relation 34. Möglicherweise ergibt sich jedoch gerade daraus ein Anhaltspunkt dafür, dass man Orfitus doch einen konkreten Vorwurf machte, was wiederum für eine persönliche Inanspruchnahme des Schwiegervaters spräche und gegen eine bloß amtsgebundene Anordnung, die mit dem Ausscheiden aus dem Amt endet bzw. auf den Nachfolger übergeht. Übergegangen wäre nur die Zuständigkeit, die Gelder einzutreiben und die Angelegenheit zu untersuchen; die comminatio selbst würde weiterhin gegen Orfitus schweben.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Die Entnahmen zu Bauzwecken werden von Symmachus nicht bestritten, der konkrete Vorwurf bleibt allerdings offen. Betroffen ist insoweit möglicherweise nur ein Teilbetrag der Außenstände, doch nur auf diesen bezog sich nach § 1 die comminatio. Weiter heißt es in § 2: Sed neque ipse mandatum sibi munus omisit, et frequentes principes, quae praefectura susciperet, ad posteriores iudices transtulerunt. Hoc inclytus Valentinianus omni aetate memorabilis princeps et divus Gratianus sacris litteris censuere, a quorum definitione non decet deviari. Dehinc cum etiam crimina morte soleant terminari, in hac tantum causa contra optimos principis mores ad posteros inopinata damna tenduntur et tamquam integrum designatur, quod partim solutum est, partim a rectoribus provinciarum constat cito eruendum. Orfitus habe gehandelt, wie ihm aufgegeben war, und die Aufgabe, die Gelder einzutreiben, sei unter den nachfolgenden Kaisern auf seine Nachfolger übergegangen. Symmachus schließt daraus, dass es sich um einen Auftrag an die Stadtpräfektur und den jeweiligen Stadtpräfekten, nicht aber an Orfitus persönlich gehandelt habe. An die entsprechenden Entscheidungen, definitio in litterae, von Valentinian I. und Gratian, die die Aufgabe ihren jeweiligen Stadtpräfekten übertragen haben, müsse man sich halten, sie haben Gesetzeskraft. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass Vergehen mit dem Tod des Angeklagten erlöschen. Dieses Argument kennen wir aus Relation 34. Symmachus spricht von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, die nicht auf die Nachkommen übergehe. Er schließt daraus für den aktuellen Fall, dass die Inanspruchnahme der (potenziellen) Erben zumindest den kaiserlichen Gewohnheiten widerspreche. Dass seine Argumentation hier eher emotional als juristisch ist, scheint er selbst zu merken, wenn er sich nur noch auf mores beruft, denn von strafrechtlicher Inanspruchnahme des Orfitus war im konkreten Zusammenhang nie die Rede und dass eine zivilrechtliche Forderung die Nachkommen und Erben nicht belasten kann, wagt er dann doch nicht zu behaupten. Symmachus meint weiter, dass die Schäden für die Nachkommen unvorhersehbar seien, also dem Vertrauensschutzgedanken zuwiderlaufen. Im Übrigen sei ein Teil des Betrages schon bezahlt und der Rest werde in nächster Zeit von den Provinzstatthaltern ersetzt. Hier führt Symmachus Argumente verschiedenster Art an, ohne Rücksicht darauf, ob sie logisch sinnvoll aneinandergereiht sind. Er will einerseits zwar Orfitus entlasten, aber letztlich ist für ihn entscheidend, dass jedenfalls seine Familie nicht haftet; aus jedem der genannten tatsächlichen, rechtlichen und moralischen Gründe sei ihre Haftung ausgeschlossen. Weitere Argumente folgen in § 3: Super hoc cum divina iussa sumpsissem, fidem veri occultare non debui, cum leges audientiam tribuerent his, qui neque in cognitione constiterant neque sumpserant relationis exemplum. Accedebat etiam causa robustior, quod materfamilias mea dudum emancipata bonorum
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possessionem patre mortuo non poposcit atque ideo rescripto se adseruit non teneri. Misi igitur sub relatione monumenta gestorum sperans, etiam tuae religionis auxilio novum exemplum posse removeri in ea praesertim causa, quae nos iure non inplicat. Er selbst habe kaiserliche Anordnungen, divina iussa, erhalten und es sei daher seine Pflicht, die Wahrheit offenzulegen, denn leges gäben denjenigen ein Recht auf Gehör, die nicht vor Ort seien. Er pocht auf ein faires Verfahren, in dem die Betroffenen zunächst angehört und informiert werden müssen, und stellt nun auch klar, dass er im Interesse seiner Ehefrau schreibt, die schon lange emanzipiert sei und beim Tode ihres Vaters auch nicht die bonorum possessio gefordert habe. Das rescriptum von Valentinian II., das Eintreibung der Gelder von Orfitus fordere, betreffe sie daher nicht. Die Schwägerin wird, anders als in der Relation, nicht erwähnt. Hier klingt deutliche Kritik an, dass man all das durch rechtzeitige Anhörung hätte herausfinden können, und an dieser Stelle lässt sich nun auch einmal eine präzise rechtliche Argumentation konstatieren. Was erbrechtliche Fragen anbelangt, scheint Symmachus sich auszukennen und gibt hier auch etwas mehr Informationen als in der relatio preis: Die Töchter des Orfitus sind schon lange emanzipiert. Der Adressat soll sich nun nach diesem Tatsachenbericht für die Sache seiner Familie, die hier rechtlich gar nicht betroffen sei, in freundschaftlicher Verbundenheit, religionis auxilio, einsetzen´, und zwar beim Kaiser, denn dass Valentinian II. selbst Adressat sein könnte, schließt diese vertrauliche Bitte wohl endgültig aus. Symmachus bittet, man möge doch die wahren Verantwortlichen, debitores, heranziehen, schließlich besitze man die Erklärung bzw. die entsprechenden Unterlagen der Statthalter von Campania und Tuscia, die Eintreibung der Restforderung versprechen. Das Geld sei also aus den Provinzen zu erwarten. Die mögliche Haftung der primiscrinii im officium urbanum wird hingegen nicht angesprochen und auch der Zusammenhang zwischen den von der comminatio betroffenen Ausgaben für opera publica und den Forderungen an die Provinzen wird nicht aufgeklärt. Vermutlich hatte die arca vinaria für opera publica in Vorlage treten müssen, weil es in den genannten Provinzen Außenstände gab, um deren Eintreibung man sich nach Erlass der comminatio schließlich doch gekümmert hat und wofür man offizielle Zahlungsversprechen erhielt. Symmachus schließt mit dem Appell, aus Gründen der Gerechtigkeit Unschuldige vor ungerechtfertigten Forderungen zu verschonen und keinen Präzedenzfall zu schaffen, § 4: Teneantur potius veri huius tituli debitores: extat vetus professio Campaniae consularis, extant acta apud Etruscum confecta rectorem. Quibus docetur exactio promissa reliquorum. Parcatur innoxiis, ne in omnes, qui rempublicam curant, inusitata forma procedat. Convenit saeculo (tuo) ista iustitia, cuius existimatio vestris consiliis debet ornari. Vale.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Insgesamt liefert dieser Brief eine etwas abweichende Darstellung mit anderen Schwerpunkten als Relation 34, doch ist das Argumentationsmuster weitgehend gleich. Beide Male geht es um aequitas und iustitia, Recht und Gerechtigkeit und Symmachus argumentiert mit Recht und Gesetz, unterschiedslos dann aber auch mit mores. Diese sind ihm durchaus gleichwertig und ein Abweichen davon ebenso verwerflich wie ein Bruch des Gesetzes. Anders als in Relation 34 klammert Symmachus in seinem Privatbrief allerdings aus, dass er sich selbst als Opfer von invidia irgendwelcher aemuli fühlt, was damit zu erklären sein könnte, dass die von ihm vermutete Gegnerschaft vielleicht gerade aus den Hofkreisen kommt, die er hier um Hilfe bittet. Ep. IX, 150 richtet sich an jemanden, von dem er sich gegenüber dem Kaiser, vestris consiliis, Hilfe verspricht und der sich um die fama temporum (§ 1) zu sorgen hat. Dieser Jemand könnte der amtierende comes sacrarum largitionum sein, der für solche Forderungen der sacrae largitiones ressortmäßig zuständig ist und der auch 399/400 (Ep. VII, 96, 3) selbst eine ähnliche Forderung beim Stadtpräfekten geltend macht. Jedenfalls aber ist der Adressat wohl ein hoher Beamter am Hof mit Einfluss beim Kaiser, wenn auch kaum der magister officiorum, denn der hat die beiden potenziellen Erbinnen schon vorgeladen, sich also eher als Gegner denn als potenzieller Helfer erwiesen.
4. Bewertung
Gezeigt wird durch diese Verwaltungsaffäre, dass eine Kontrolle der Amtsführung eines Stadtpräfekten nach seinem Ausscheiden aus dem Amt gegebenenfalls durch den bzw. die Nachfolger stattfand (in den Relationen 23 und 33 finden sich Beispiele für eine Überprüfung durch den Vikar) und dass dazu auch Spezialbeamte oder gar, je nach Bedeutung des Falles, der comes sacrarum largitionum eingesetzt wurden. Im Jahre 399/400 (s. sogleich) ermittelt der Vikar in einer vergleichbaren Angelegenheit sogar gegen den noch amtierenden Stadtpräfekten. Jedenfalls wenn ein Anlass bestand, fand eine Kassenrevision statt. Nach Abschluss der Untersuchung oblag die Entscheidung dem Kaiser, der aufgrund der Ermittlungsergebnisse in einem rescriptum eine Entscheidung wie vorliegend treffen konnte. Gegebenenfalls kam es zu einem Prozess und einer Verurteilung, wie etwa gegen Orfitus wegen Pekulat nach seiner zweiten Amtszeit. Außerdem wurde die festgestellte Forderung des fiscus ggf. gegen den Stadtpräfekten persönlich geltend gemacht und unter Umständen auch solidarische Haftung des officium angeordnet, was die gegenseitige Kontrolle von Amtsleiter und Amt begünstigte. Deutlich werden Zuständigkeit und persönliche Verantwortung des Stadtpräfekten für die Führung der arca vinaria; sie bestanden vermutlich auch für die anderen Annona-Kassen. Es droht persönliche, zivilrechtliche Haftung für die während der eigenen Amtszeit gemachten
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Schulden, was Missbräuchen bei der Kassenführung vorbeugen soll381. Vom Kaiser wird mit Hilfe seines Beamtenapparates insoweit finanzielle Kontrolle geübt, deren Effektivität allerdings angesichts der langjährigen Dauer des Verwaltungsverfahrens wenigstens im konkreten Fall bezweifelt werden muss. Symmachus berichtet hier nicht über einen von ihm geleiteten Prozess und Streitgegenstand ist auch kein Urteil von Valentinian II. nach einem Prozess; der Kaiser ordnet lediglich Rückzahlung an, macht eine bislang schwebende, weil aufschiebend bedingte Forderung des fiscus geltend, indem er die Bedingung für eingetreten erklärt. Erst dann wird die Sache dem Stadtpräfekten (Symmachus), der vor Ort für Forderungen des fiscus gegen Senatoren zuständig ist (vgl. Relation 30), übergeben. Die eigentliche Entscheidung hatte bereits Constantius gefällt; es bedurfte nur noch der Konkretisierung der schwebenden comminatio. Schon Constantius fällte kein bedingtes Urteil gegen Orfitus nach einem Prozess, sondern traf autoritativ, nach eigenem Ermessen eine (Amts)Haftungsanordnung, die von Orfitus selbst offensichtlich nicht in Frage gestellt wurde, aber zu langwierigen Ermittlungen unter seinen Amtsnachfolgern führt. Wechselnde Kaiser zeigen über Jahre hinweg großes Interesse an der Angelegenheit, denn es ging um erhebliche Geldbeträge. Fehlbeträge in der arca vinaria waren keine seltene Erscheinung, denn es handelte sich um eine mit Geld (aus Weinverkäufen und bis Valentinian I. auch infolge Adäration) gut gefüllte und insofern verführerische Kasse für Stadtpräfekten, die ständig unter finanziellem Druck insbesondere wegen der städtischen Versorgung standen382. So gab es im Jahre 399/400 ebenfalls einen Fehlbetrag in dieser Kasse, vinarii tituli debita, unter dem Stadtpräfekten Nicomachus Flavianus junior, dem Schwiegersohn des Symmachus, für den dieser sich in Ep. VII, 96, 3 beim comes sacrarum largitionum Longinianus einsetzt, der Erstattung vom noch amtierenden Stadtpräfekten und eine Geldbuße vom officium forderte. Symmachus spricht auch in diesem Fall von contumelia. CT XII, 6, 26 (400; an den vicarius urbis) nimmt Bezug auf die diesbezügliche Untersuchung, die offenbar der Vikar durchgeführt hatte. Diesmal waren die Fehlbeträge entstanden, weil Quittungen über die Weinabgabe missbräuchlich eingesetzt wurden. Der Stadtpräfekt wird, ohne dass es auf einen Verschuldensnachweis ankäme, kraft seines Amtes verantwortlich und haftbar gemacht, was zeigt, wie groß sein Amtsrisiko ist. Er haftet mit seinem Privatvermögen und gegebenenfalls geht, wie im vorliegenden Fall geltend gemacht wird, die Schuld sogar auf seine Erben über.
381 Einschlägige spezielle Haftungsnormen für den Stadtpräfekten sind allerdings nicht überliefert; vgl. aber die allgemeinen Vorschriften bei Noethlichs, Beamtentum, 144 ff, zu Rückzahlungsanordnungen (und anderen Rechtsfolgen) gegenüber den zuständigen Beamten bei Unterschlagung, Zweckentfremdung und Nichteintreibung von öffentlichen Geldern. 382 Zur Anfälligkeit des Versorgungssystems s. auch m. N. bei Rell. 18, 35 und 37.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Dass sich Orfitus wegen der Fehlbeträge möglicherweise auch strafrechtlich wegen Veruntreuung oder Unterschlagung öffentlicher Gelder (Pekulat383) bzw. mit einer Geldbuße für fraus fisci zu verantworten haben könnte, geht aus beiden Schreiben nicht hervor. Symmachus streitet im Gegenteil jede Verantwortung und persönliche Bereicherung ab und man scheint nach der vorgetragenen Sachlage Orfitus tatsächlich keinen solchen Vorwurf gemacht zu haben, sondern zieht ihn, möglicherweise sogar verschuldensunabhängig, lediglich als (unbestritten) Kassenverantwortlichen auf Ersatz heran. Haftungsbegründend ist nach dem Inhalt des von Symmachus referierten Reskripts seine Stellung als praefectus urbi. Die Entnahme zu Bauzwecken muss also nicht zwingend unzulässig und zweckwidrig gewesen sein384; lediglich weil dadurch die Weinkasse überschuldet war, kam es zur Haftung. Orfitus steht unzweifelhaft als derjenige fest, der Gelder zu öffentlichen Zwecken entnommen hat, unter dem also der Fehlbetrag entstanden war und der daher zu Recht haftbar gemacht wird, auch wenn weitere Ursachen beim officium urbanum und vor allem in den Provinzen zu liegen scheinen. Aus diesem Grunde räumte der Kaiser immerhin die Möglichkeit ein, die Gelder bei den wahren bzw. weiteren Verantwortlichen einzu383
Zu einer denkbaren Pekulatklage gegen die Erben des Täters vgl. Mommsen, Strafrecht, 772: Ausnahmsweise erlischt beim Pekulatsvorwurf das Delikt nicht notwendigerweise mit dem Tod des Schuldigen und kann die Strafe wegen des großen öffentlichen Interesses auch von den Erben gefordert werden, ohne dass zu Lebzeiten des Beschuldigten ein Prozess begonnen wurde. Eine solche Bestrafung steht hier jedoch nicht zur Debatte, insbesondere wurde der von Ammian berichtete frühere Prozess wegen Pekulat gegen Orfitus abgeschlossen. Zur Haftung auch der Erben bei Repetundenvergehen: CT IX, 27, 4 (382, Ost). 384 Die arca vinaria war mit der Finanzierung von opera publica zumindest auch betraut; so wurden bestimmte Korporationen aus dem Bausektor, wie die Kalkbrenner und -transporteure, teilweise aus ihr entschädigt, jedenfalls im Jahre 365, vgl. CT XIV, 6, 3. Zur Finanzierung von opera publica aus der Weinkasse s. a. Chastagnol, Scandale, 172 ff; ders., Préfecture, 340 ff. Sie erfolgt nach Amm., XXVII, 3 10: ex titulis solitis. Auch damit sind wohl Unterabteilungen des fiscus gemeint, denen Gelder zu öffentlichen Bauzwecken zugewiesen wurden. Öffentliche Bauten wurden aus dem Steueraufkommen finanziert, vgl. CT XV, 1, 18; 26; 33 f. Zweifelhaft bleibt insgesamt, ob ein fester Etat, den Orfitus für die arca vinaria evtl überzogen haben könnte, zur Verfügung gestellt wurde. Dagegen, zumindest für die frühere Kaiserzeit: Kolb, Bauverwaltung, 131 ff, wonach die Gelder offenbar projektbezogen zugewiesen wurden, ohne dass es spezielle Bau-Kassen gab. Für diese Deutung spricht auch CT XV, 1, 32 (395 an den comes sacrarum largitionum), wo eine spezielle Zuweisung für die Reparatur öffentlicher Bauten geregelt wird. Zu öffentlichen Baukosten (und damit verbundenen Missständen) s. a. bei Rell. 25 f und Delmaire, Largesses sacrées, 585 ff: Betroffen sind die sacrae largitiones. Der Kaiser weist Gelder für die beschlossenen Bauten zu und der Stadtpräfekt hat Zugriff und Verantwortung bzgl. der jeweiligen örtlichen Unterabteilung des fiscus/aerarium, vgl. dazu etwa CT XV, 1, 27 (390) an den Stadtpräfekten. Was allerdings Orfitus vor diesem Hintergrund vorgeworfen werden könnte, muss in Anbetracht der genannten Unsicherheiten leider offen bleiben. Ein Fehlverhalten wie das des Stadtpräfekten Lampadius 365/366 deutet sich für ihn nicht an. Lampadius hatte nach Ammian, XXVII, 3, 10, Gelder für öffentliche Bauten nicht aus den üblichen Kassen, ex titulis solitis, entnommen, sondern die fehlenden Rohstoffe einfach von seinen Leuten rauben lassen anstatt sie zu bezahlen (zu ihm auch bei Rell. 20 und 30).
2. Abschnitt: Verwaltungssachen
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treiben. Da das nicht vollständig gelungen ist, ist aus Rechtsgründen grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, dass man jetzt doch auf die Haftung des verantwortlichen Stadtpräfekten zurückgreift. Erstaunen mag allerdings, dass nicht weiter versucht wird, was - jedenfalls nach Symmachus - durchaus Erfolg zu versprechen scheint, nämlich in den Provinzen nachzuhaken. Die Verantwortlichkeit der Statthalter, die immerhin einen Schuldschein unterschrieben haben, bleibt ebenso wie die Frage, was den primiscrinii genau vorzuwerfen war, im Dunkeln. Die Affäre scheint mehrere Ursachen zu haben, wobei eine in den Ausgaben des Orfitus zu Bauzwecken und eine weitere in den Provinzen bzw. im officium urbanum bei der Führung der Kassenbücher und Eintreibung von Steuern liegt. Fest steht, dass Orfitus aus der arca vinaria offensichtlich mehr entnommen hatte, als für opera publica vorgesehen war. Seine Bautätigkeit als Stadtpräfekt war nicht unbedeutend385, insbesondere verschönerte er Rom anlässlich des Besuches von Constantius II. im Frühjahr 357. Übermäßige Entnahmen sind daher gut vorstellbar. Vielleicht äußerte sich der ihm von Ammian, XIV, 6, 1, bescheinigte allzu große Ehrgeiz und Stolz: ultra modum delatae dignitatis sese efferens insolenter, in übermäßiger öffentlicher Bautätigkeit ohne ausreichende finanzielle Deckung, was nicht gleichzusetzen wäre mit einem Pekulatsvorwurf wegen persönlicher Bereicherung. Mit der Affäre um Orfitus stehen denn auch möglicherweise verschiedene gesetzgeberische Maßnahmen in einem (mit)ursächlichen Zusammenhang. Die Kaiser, die Constantius II. nachfolgen, erlassen nämlich mehrfach Regelungen, die die Befugnisse des Stadtpräfekten auf finanziellem Gebiet, insbesondere im Bereich von opera publica erheblich einschränken. Exzessive Entnahmen sollen verhindert werden; dem Stadtpräfekten wird die Kompetenz, über teure Neubauten selbständig zu entscheiden, unter Androhung persönlicher Haftung entzogen. Vergleichbare Affären konnten so durch größere kaiserliche Kontrolle über öffentliche Arbeiten unterbunden werden386. Außerdem werden die Ausgaben der arca vinaria genau festgelegt, was ein Zeichen für Geldsorgen sein könnte. Die Aufgaben in diesem Bereich werden, insbesondere gegenüber dem officium urbanum, genau verteilt und der Stadtpräfekt nachdrücklich in die Verantwortung genommen: CT XIV, 6, 3 (365), CT XIV, 4, 4 (367). Ab Valentinan I. ergehen dann auch Adärati385 Er ließ während seiner zweiten Präfektur einen Obelisken im Circus Maximus errichten: Ammian, XVII, 4, 1. Außerdem wurden unter ihm der Apollotempel restauriert (CIL VI, 45) und Statuen errichtet (CIL VI, 1161; 1162; 1168; 31395). 386 S. etwa CT XV, 1, 3 (362): Vollendung vor Neubau; der Kaiser muss öffentliche Bauten selber beschließen: CT XIV, 6, 3; XV, 1, 11; 16; 17 (364-365). Zu diesen Neuerungen auch: Baldini, Su alcune Costituzioni, passim. Mehr kaiserliche Kontrolle über öffentliche Arbeiten setzt sich fort: CT XV, 1, 19 (376); 27 (390: Zuwiderhandlung auf eigene Kosten und Geldbuße für den Stadtpräfekten); 28 (393); 30 (393); 37 (398). Nur noch kleinere Sachen und Reparaturen sind ohne kaiserliche Erlaubnis gestattet, s. a. den Überblick bei Chastagnol, Préfecture, 342 f. Häufige Wiederholungen zeigen, dass die Maßnahmen offenbar nur schwer durchzusetzen waren.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
onsverbote für die Weinlieferungen an Rom 387, was gefährlich große Geldvorräte in der arca verhinderte. Die Weinrevolten jener Zeit zeigen insoweit anschaulich die Problematik des für Korruption und Manipulation anfälligen öffentlichen Versorgungssystems, wobei Missbräuche und Missstände auf verschiedenen Verwaltungsebenen, insbesondere in den lieferpflichtigen Provinzen und dem officium urbanum (unberechtigte Forderungen, persönliche Bereicherung, einfache Nachlässigkeit und ähnliches388) vorkamen und von Symmachus auch angedeutet werden. Dabei sind Tuscia und Campania in verschiedener Hinsicht betroffen, denn von dort wird für opera publica Kalk geliefert (CT XIV, 6, 1-4; s. a. Relation 40) und die corpora der calcis coctores und vectuarii werden ihrerseits wiederum mit Wein entschädigt389, der speziell aus den genannten Provinzen geliefert werden musste. Mehrfacher Zusammenhang mit der Orfitus-Affäre scheint denkbar. Insgesamt kann damit festgehalten werden, dass verschiedene Neuregelungen gegen Verschwendung und Missbrauch in der Verwaltung (unter anderem) durch die vorliegende Angelegenheit, die erhebliches kaiserliches Interesse auslöste, veranlasst worden zu sein scheinen390. a) Noch einmal: Die einzelnen Argumente Im Folgenden soll Symmachus’ Argumentation in Relation 34 (Ep. IX, 150 bringt im Wesentlichen dasselbe in verkürzter Fassung), die sich auf den ersten Blick als juristisch wenig ausgereift gezeigt hat, noch einmal überblickt und abschließend auf ihre Haltbarkeit geprüft werden.
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Constantius II. ließ Adäration zu: CT XI, 1, 6 (354). Neuregelungen finden sich in CT XI, 1, 8; XI, 2, 1 f; bestätigt 377 von Gratian: CT XI, 2, 3. Adäration bot mehr Möglichkeiten zum Betrug etwa durch das Verlangen überhöhter Preise. 388 CT XIV, 4, 3 (362) zeigt z. B. Missbrauch bei einer Schweinefleischabgabe in Campania durch städtische officiales; s. a. CT XIV, 4, 10 (419) zur verantwortlichen Funktion des primiscrinius bzgl. Fleischlieferungen. Dieser haftet persönlich und hat für pünktliche Steuereintreibung zu sorgen, insoweit vielleicht vergleichbar mit unserem Fall. Nach CT XIV, 4, 4 (367 an den Stadtpräfekten) werden suarii mit Wein entschädigt, der von Fleischabgabepflichtigen geliefert wird. Das Verfahren im Einzelnen ist unklar; auch hier scheint die arca vinaria involviert und Missstände sind auf verschiedenen Ebenen denkbar. Zu Kompetenzübergriffen und Missbräuchen im Steuerbereich vgl. die Vorschriften bei Noethlichs, Beamtentum, 104 ff; 116 ff. 389 S. schon oben. Zur Amtszeit von Orfitus wird in einer an ihn gerichteten Konstitution, CT XIV, 6, 1 von 359, festgehalten, dass die kalklieferpflichtigen Grundbesitzer in den Provinzen diese corpora direkt mit Wein zu entschädigen haben. Vielleicht stehen die Statthalter hierfür ein und hatte man wegen ausstehender Entschädigungen auf arcaReserven zurückgreifen müssen. Möglicherweise ist aber die Konstitution auch schon eine Reaktion auf Missstände unter Orfitus, der etwa falsch entschädigte. 390 Einen wahrscheinlichen Zusammenhang mit verschiedenen gesetzgeberischen Maßnahmen auf dem betreffenden Gebiet nehmen auch Chastagnol, Scandale, 179; ders., Préfecture, 342 f; Vera, Commento, 255; 266 ff, an.
2. Abschnitt: Verwaltungssachen
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Zunächst wird in § 3 geltend gemacht, der Kaiser verkenne die Bedeutung der comminatio, die keine Schuld sei. Dagegen ist abschließend einzuwenden, dass die comminatio von Anfang an eine aufschiebend bedingte Forderung des fiscus gegen Orfitus enthält. Bedingung ist die Nichteintreibbarkeit der Gelder an anderer Stelle, nicht die Feststellung der Schuld des Stadtpräfekten, der allein kraft seines Amtes herangezogen wird. Insbesondere Ep. IX, 150, 1 zeigt, dass Orfitus tatsächlich persönlich haftbar gemacht wird, denn es geht um Entnahmen während seiner Amtzeit. Valentinian II. konkretisiert die Forderung nur. Weiter beklagt Symmachus, dass Valentinian II. die Haftung des officium nicht einbezogen habe. Das verwundert tatsächlich, weil Constantius und insbesondere Gratian darauf ausdrücklich Bezug genommen haben und unter Gratian sogar eine Verantwortlichkeit der primiscrinii festgestellt wurde, die Valentinian nun beiseite lässt. Es stehe nur noch ein geringer Restbetrag aus, nicht aber die gesamte geltend gemachte Summe. Da die Rückzahlungen objektiv beweisbar sind und auch durch eine relatio von Aventius belegt werden, ist Symmachus in diesem Punkt recht zu geben. Der Kaiser hat sich nicht ausreichend darüber informiert, welcher Betrag noch aussteht. Weitere Argumente folgen in § 4: Es werde kein Name in dem Reskript genannt. Doch Symmachus muss zugeben, dass eindeutig Orfitus gemeint ist, und argumentiert an dieser Stelle denn auch nicht weiter. Orfitus sei schon lange tot; falls ihm, einem Ehrenmann, überhaupt etwas vorzuwerfen gewesen wäre, sei es mit seinem Tod hinfällig. Dagegen ist abschließend einzuwenden, dass nicht (höchstpersönliche) Bestrafung bzw. passiv unvererbliche (Privat)Deliktshaftung, sondern eine seit der Zeit des Constantius, also noch zu Lebzeiten des Orfitus verbindlich festgestellte, zivilrechtliche Ersatzforderung des fiscus in Frage steht, die - auch als ursprünglich nur bedingte Forderung - nach den allgemeinen Regeln des Erbrechts auf seine Nachkommen übergegangen sein kann. Die Reskriptanordnung wirkt daher mittelbar auch gegen die Erben. Symmachus’ Argument kann insoweit nur lauten, die Forderung sei schlicht ungerecht, und eben das versucht er hier letztlich wohl auch eher emotional als rational zu begründen. Selbst wenn er noch lebte, würde Orfitus, der zu Lebzeiten unbehelligt geblieben sei, nicht haften. Eine comminatio diene nur der Einschüchterung. Dagegen wurde schon eingewandt, dass der Kaiser sicherlich keine leere Drohung aussprechen wollte. Die Argumentation des Symmachus ist hier recht naiv. § 5: Die Verpflichtung sei auf die Nachfolger im Amt übergegangen, die comminatio also amts- und nicht personenbezogen. Folglich sei Orfitus nicht (mehr) persönlich verpflichtet. Das scheint die tatsächliche Praxis auf den ersten Blick zu bestätigen. Doch was ging tatsächlich über? Wie Symmachus selbst formuliert, nur die exactio, die Eintreibung der Gelder und die Untersu-
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
chung des Falles, nicht die persönliche Haftung gemäß der comminatio. Leider gibt es keine Vergleichsfälle, um die Bedeutung einer solchen comminatio allgemein beurteilen zu können. Doch scheint die Forderung seit Constantius gegen Orfitus persönlich gerichtet, denn unter ihm wurden unstreitig die geforderten Gelder ausgegeben. Es wäre in jedem Fall unangebracht, anstelle von Orfitus seine Nachfolger im Amt persönlich haften zu lassen; die comminatio trifft sie eher nicht. Nachdem die aufgestellte Bedingung nicht eingetreten ist - was der Kaiser (inzwischen Valentinian II) nach vielen Jahren autoritativ feststellt -, wird konsequenterweise gegen Orfitus bzw. seine Erben vollstreckt. Insofern argumentiert Symmachus hier doch nicht überzeugend. Die comminatio wurde auch nicht einfach auf die (vermutlichen) Erben erstreckt, sondern blieb auch nach dem Reskript Valentinians II. formal gegen Orfitus - und damit nur mittelbar gegen seine Erben - gerichtet. § 6: Gratian habe eine eindeutige Entscheidung gefällt, die die primiscrinii verpflichte. Hier ist Symmachus beizupflichten. Irgendeinen Vorwurf scheint man diesen Beamten machen zu können, es ist daher überraschend, dass Valentinian II. darauf überhaupt nicht mehr eingeht. Symmachus kann nur hoffen, dass sich Valentinian an die Maßnahme seines Vorgängers gebunden fühlt; in Ep. IX, 150, 2 meint er hinsichtlich der sacrae litterae sogar beide Vorgänger, Valentinian I. und Gratian: non decet deviari. Aber so häufig das auch der Fall war, so lag es doch im Ermessen des amtierenden Kaisers, sich an frühere Entscheidungen zu halten; und hier fühlt sich Valentinian II. nicht gebunden. Rechtlich ist dagegen wenig einzuwenden und die alte Drohung schwebte jedenfalls immer noch über dem damaligen Stadtpräfekten Orfitus. Erkennbar wird hier allerdings ebenso wie in anderen Relationen die Überzeugung des Symmachus, dass Anordnungen Gratians und Valentinians I. weiter gelten. Weiter heißt es in § 7, dass aus der sponsio der Provinzstatthalter Bezahlung zu erwarten sei. In der Tat ist erstaunlich, dass dieser Hoffnung nicht weiter nachgegangen wird. Immerhin handelte es sich um schriftliche Schuldversprechen der örtlichen Beamten für eine Fiskalforderung, also durchaus um klagbare Verbindlichkeiten. Wenn Symmachus aber die rechtliche Bindung der sponsio einer weniger ernst zu nehmenden kaiserlichen comminatio gegenüberstellt, sind allerdings Zweifel anzumelden. § 8: Rein emotional vermutet Symmachus, man wolle Orfitus und seiner Familie durch üble Machenschaften schaden. Dagegen ist einzuwenden, dass das Vorgehen so überraschend und unfundiert denn doch nicht ist; immerhin hatte Orfitus unbestritten Gelder der arca vinaria zu Bauzwecken ausgegeben und war unter ihm ein Fehlbetrag entstanden. Orfitus sei arm gestorben, habe sich also zu Lebzeiten jedenfalls nicht bereichert. Dieses Argument ist nicht stichhaltig und verschleiert, dass Orfitus hier nicht für persönliche Bereicherung in Anspruch genommen werden soll. Die comminatio sei mehrmals wiederholt, aber nie verwirklicht worden und inzwischen durch die tatsächlichen Ereignisse und Dekrete hinfällig; außerdem
2. Abschnitt: Verwaltungssachen
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so, wie sie konkret angewendet werde, insbesondere gegen Erben unzulässig. Symmachus macht hier Vertrauensschutz geltend und wiederholt im Übrigen schon bisher Gesagtes. Einen Vertrauensschutz aber kann es schon deshalb nicht geben, weil die Forderung ja immer wieder geltend gemacht wurde. Die comminatio stand beständig und erkennbar im Raum, und zwar, wie gesehen, gegen Orfitus. Sie wurde nicht etwa gegen seine Amtsnachfolger gerichtet. Symmachus verkennt insoweit, dass es sich um eine einfache Fiskalforderung handelt, die zwar bedingt, aber trotzdem vererblich ist, weil es sich nicht um höchstpersönliche Schulden handelt, sondern um Amtsschulden, die als normale zivilrechtliche Forderungen behandelt werden. Zuzustimmen ist ihm allerdings insofern, als sich ein Vorwurf gegen Orfitus nicht erhärtet hat und es angebracht scheint, den neuen Spuren nachzugehen. Man wolle ihm persönlich schaden, § 9. Dieses Argument ist rein emotional und insofern unfundiert als er persönlich durch das Reskript Valentinians II. und die Vorladung des magister officiorum gar nicht in Anspruch genommen werden soll, weder als Mitglied der Familie des Orfitus noch als amtierender Stadtpräfekt. Symmachus ist allenfalls mittelbar betroffen, weil das Familienvermögen durch die Forderungen des Fiskus in Gefahr geraten könnte. §§ 10-12; Ep. IX, 150, 3: Die Familie hafte jedenfalls nicht erbrechtlich. Die Töchter seien schon lange emanzipiert und weder testamentarisch bedacht noch hätten sie die bonorum possessio beim Tod ihres Vaters gefordert. Die Vorladung des magister officiorum gegen die (angeblichen) heredes sei unberechtigt, denn es habe keine Rechtsnachfolge in das Vermögen des Orfitus gegeben. Das dürfte ein triftiges Argument sein, das eine ausführlichere Betrachtung unter b) verdient. Im Übrigen argumentiert er, man müsse die Betroffenen vor einer sententia anhören. Symmachus pocht also auf ein faires Verfahren. Dabei übergeht er allerdings, dass es nur um erbrechtliche Haftung und jedenfalls bislang nicht um ein förmliches Verfahren gegen Ehefrau und Schwägerin geht. Die Entscheidung Valentinians II., die kein förmliches Urteil ist, richtet sich nur gegen Orfitus und den Töchtern obliegt es nun, im Vollstreckungsverfahren, das gegen sie eingeleitet wird, ihre Einwendungen gegen das Bestehen der Forderung vorzubringen. Wofür es im Hinblick auf den Rechtsgrund der Forderung als solcher allerdings deshalb zu spät sein dürfte, weil Orfitus selbst offenbar nichts vorgetragen hatte und das Reskript gegen ihn seit den Zeiten des Constantius bestandskräftig ist. Etwas anderes gilt jedoch im Hinblick auf die belegbare und jetzt noch geltend zu machende Teilerfüllung. Vor allem aber können die Töchter ihre fehlende Erbenstellung geltend machen, wozu auch nach der Ladung des magister officiorum noch Raum ist. Zur rechtlichen Bedeutung der Relation lässt sich hier anmerken, dass es sich nicht um Einlegung eines Rechtsmittels im Rahmen eines Prozesses, sondern lediglich um ein formelles Schreiben an die höchste Instanz handelt. Nach dem regulären Verfahrensablauf müssten die Töchter ihre Einwendungen eigentlich gegenüber dem magister officiorum in
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
der Vollstreckung vorbringen391. Symmachus wählt mit seinem Schreiben dagegen ungeduldig den direktesten Weg und reicht im Vorfeld einer möglicherweise drohenden Vollstreckung gegen Familienmitglieder eine Petition beim Kaiser ein. Zu guter Letzt führt er die Armut seiner senatorischen Familie ins Feld. Auch das überzeugt indes nicht und gipfelt nur in der allgemeinen Behauptung, dass jede Forderung ungerecht sei. Unschuldige würden unrechtmäßig aus der Vielzahl der genannten Gründe herangezogen. Dem folgt ein pauschaler Appell an die Gerechtigkeit. b) Die Erbrechtsfrage Entscheidende Frage ist nach den obigen Ausführungen, ob Rusticiana und ihre Schwester tatsächlich unrechtmäßig für die Schulden ihres Vaters herangezogen werden sollen. Ist eine Haftung der Töchter ausgeschlossen, Symmachus’ Beschwerde gegen die drohende Inanspruchnahme seiner Familie also begründet? Orfitus scheint in weiser Voraussicht und Kenntnis der Rechtslage vorgebaut zu haben392, denn er versucht offenbar, seine Töchter vor solchen, offenbar schon befürchteten Forderungen zu schützen: emanzipiert sie, entlässt sie also aus seiner väterlichen Gewalt, und bedenkt sie auch nicht testamentarisch. Die Töchter wiederum fordern nach seinem Tod nicht, was offenbar möglich wäre, die bonorum possessio, sind sich also wohl ebenfalls über mögliche Gefahren einer Erbfolge im klaren. Offenbleiben muss insoweit allerdings, ob sich daraus Zweifel an der von Symmachus betonten völligen Schuldlosigkeit des Orfitus ergeben. Nachdem er bereits zu Lebzeiten ein Reskript von Constantius erhalten hatte, musste er mit einer Inanspruchnahme rechnen und suchte daher verständlicherweise, wenigstens Forderungen gegen seine Töchter abzuwenden, indem er die hierfür zur Verfügung stehenden rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nutzt. Nicht zu Unrecht bescheinigt ihm Ammian, XIV, 6, 1 Erfahrung in Rechtsdingen393. Rechtlich zutreffend können die Töchter daher geltend machen, dem fiscus nichts zu schulden, denn sie sind keiner Erbinnen, weder durch Testament noch durch sonstige Nachfolge von Todes wegen. Erbrecht391
Insoweit gäbe es durchaus reguläre Rechtsschutzmöglichkeiten. Insbesondere geht es hier nicht um eine unzulässige Appellation (erst) in der Urteilsvollstreckung, vgl. dazu CT XI, 30, 25; XI, 36, 2; 15; 18; 25, die übrigens zulässig war, wenn die Vorgaben des Urteils bei der Vollstreckung überschritten wurden, vgl. Ausführungen bei Rel. 33 und CT XI, 36, 25 (378). Gegen Orfitus aber gab es gar keinen Prozess. Vielmehr wird lediglich eine Forderung aus Reskript konkretisiert und geltend gemacht. 392 So auch die Vermutung von Seeck, RE- Symmachus 16, 1145; Chastagnol, Préfecture, 344; Barrow, Prefect, 179; Vera, Commento, 271; Roda, Commento, 326. 393 Vgl. hierzu auch Liebs, Jurisprudenz im spätantiken Italien, 58-60.
2. Abschnitt: Verwaltungssachen
249
lich ist für Symmachus der Sachverhalt ganz klar, detaillierte Ausführungen wären überflüssig: Es gab keine Nachfolge ratione iuris oder infolge bonorum aditio (§ 10) bzw. gilt: paternae hereditatis alieni (§ 11); nemo testamento, nemo nostrum bonorum aditione (§ 12) sowie: ...emancipata bonorum possessionem patre mortuo non poposcit (Ep. IX, 150, 3). Die präziseste Ausdrucksweise findet sich in Ep. IX, 150, 3 und eine der Relation 34 entsprechende Differenzierung zeigt auch CT II, 6, 4 (338), wonach die petitio bonorum possessionis der aditio hereditatis gegenübergestellt wird. Aditio hereditatis meint dabei den (mittlerweile stets notwendigen394) formlosen Erbantritt etwa aufgrund zivilen Testaments, die bonorum possessio hingegen muss beantragt und vom Prätor bzw. Stadtpräfekten (vgl. dazu Relation 16) gewährt werden: petere/agnoscere/poscere bonorum possessionem. Beides fehlt hier nach Symmachus. Nachdem Orfitus seine Töchter nicht testamentarisch bedacht hatte, kam es auf die Intestaterbfolge an. Da durch die Emanzipation keine sui heredes mehr existierten, waren zur Erbschaft die proximi adgnati berufen, die es anscheinend nicht gab; zumindest haben sie nicht angetreten. Hilfsweise erbte der Staat. Der Prätor gewährte aber den testamentarisch nicht bedachten emanzipierten Kindern auf Antrag die bonorum possessio intestati in der Klasse unde liberi395. Die beiden aus der väterlichen Gewalt entlassenen Töchter können ab intestato nur die bonorum possessio fordern. Relation 34 belegt das. Sie werden nicht ipso iure oder durch Erbantritt zivile, gesetzliche Erbinnen, sondern müssten einen Antrag stellen. Das aber tun sie hier wohlweislich nicht. Damit liegt keine Vermögensnachfolge, keinerlei Erbantritt vor, so dass - und darin ist Symmachus recht zu geben - nach den allgemeinen Regeln des Erbrechts396 eine Haftung der Töchter für Schulden ihres Vaters ausgeschlossen ist. Wie auch andere Quellen bezeugen397, wird Ende des vierten Jahrhunderts, wenigstens 394 Die zur Erbfolge Berufenen werden unabhängig von der Emanzipation erst mit Antritt Erben. Dazu: Kaser, Privatrecht II, 524 ff. 395 Das gilt seit klassischer Zeit und jedenfalls formal noch immer: Kaser, Privatrecht II, 213 m. N.; 501; 503 Fn. 39. 396 Keine Erbenhaftung bei Enthaltung/Ausschlagung. Zur Erbenhaftung: Kaser, Privatrecht II, 541 ff. Niemand kann nach CT XII, 1, 149 (395) zum Antritt einer nachteiligen (etwa überschuldeten) Erbschaft gezwungen werden: ...nec damnosam quisque hereditatem adire conpellitur. 397 S. a. die Relationen 16 und 19. Zum erbrechtlichen Hintergrund: Timbal, Questions, 372 ff; 384 ff; Kaser, Privatrecht II, 213; 498 ff; Quellen bei Kaser, a.a.O., 472 f. Der Fortbestand der Unterscheidung wird speziell belegt für emanzipierte Abkömmlinge: CT VIII, 18, 5 (349); CT IX, 42, 9 (380). Erst Justinian stellt die emanzipierten Abkömmlinge ausdrücklich den sui gleich und gibt ihnen das volle zivile Erbrecht bei Intestaterbfolge: CJ VI, 58, 15, 1 b (534). Bis dahin verläuft die Nachfolge so, wie sie Symmachus ganz selbstverständlich voraussetzt. Die zumindest begriffliche Unterscheidung von ius civile und ius honorarium im Erbrecht bezeugen ansonsten u. a. CT V, 1, 1 (318); II, 16, 2, 4 (319); II, 24, 1 (321); II, 6, 4 (338); IX, 42, 2 (356); XVI, 2, 20 (370); IV, 4, 7 (424).
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
begrifflich, immer noch zwischen hereditas und bonorum possessio, zwischen Erbfolge nach zivilem und nach prätorischem Recht unterschieden, wenn auch offen bleiben muss, ob mit der Unterscheidung auch verschiedene Inhalte verbunden werden. Die wenig stringente Begrifflichkeit der Relation 34 und auch der Relation 16 sprechen eher dagegen, dass Symmachus wirklich präzise unterschied. Symmachus unterschlägt in seinen Ausführungen allerdings, dass Orfitus sehr wahrscheinlich den Töchtern einen Teil seiner Güter, die er infolge seiner Begnadigung gegen 367 wiedererlangt hatte - vielleicht auch schon vor seiner Verurteilung - geschenkt hatte, etwa bei der Emanzipation. Sie hätten in diesem Fall sein Vermögen bzw. einen Teil davon tatsächlich übernommen. Deshalb trat man wohl auch an sie heran, denn sonst scheint kein relevantes weiteres Vermögen übriggeblieben zu sein, auf das man hätte zurückgreifen können398, was wiederum den Verdacht bestärkt, dass die Töchter schon zu Lebzeiten das väterliche Vermögen, das so gering nicht gewesen sein dürfte, weitgehend übernommen haben. Einen konkreten Anhaltspunkt in diese Richtung liefert Ep. I, 1, 5, aus dem sich ergibt, dass Symmachus eine Villa in Bauli, die ehemals Orfitus gehört hatte, zum Familienbesitz zählt. Der Brief ist um 375 geschrieben, die Villa daher möglicherweise ein Teil der Mitgift von Rusticiana399, die von ihr selbst gekommen sein könnte, nachdem ihr Vater 369/370 schon gestorben war. Orfitus hatte ihr bei ihrer Emanzipation wahrscheinlich, wie es üblich war400, erst einmal freies Vermögen zugewandt, so dass sie die Villa (und mehr) in die Ehe einbringen konnte. Aber auch sonstige Schenkungen des Orfitus unter Lebenden sind denkbar und Rusticiana hatte eventuell außerdem eigenes Vermögen aus mütterlichem Nachlass erlangt, das unangreifbar ist und nicht haftet, denn an ihrem mütterlichen Erbgut, bona materna, besaßen die Hauskinder seit Konstantin eine unangreifbare Rechtsposition401. Nicht einmal mehr der pater familias war uneingeschränkter Eigentümer dieses Vermögens, das als Sondervermögen einer Sondererbfolge unterlag und bereits den Kindern zugeschrieben wurde. Der Gewalthaber hatte nur „Nutzungseigentum“, einen qualifizierten ususfructus. Mit der Emanzipation des Hauskindes verliert der pater familias dieses Recht; die bona materna werden freies Eigentum des Kindes402. Als Belohnung für die emancipatio gewährte Konstantin dem Hausvater allerdings 1/3 der ererbten bona materna zu Eigentum (CT 398
Ein herrenloser Nachlass fällt, so zeigt Rel. 41, der res privata zu. So: Seeck, Symmachus, L; LXXIII f; ders., RE-Symmachus 16 und 17, 1145 f; Callu, Lettres I, 214 Anm. 4; Vera, Commento, 271; Liebs, Jurisprudenz im spätantiken Italien, 59. Zur Datierung der Hochzeit schon im 1. Teil, 1. Abschnitt I.: 370 oder 375. Der Anlass des Erwerbs der Villa ist nicht ganz eindeutig. 400 Vgl. FV 248 (330). 401 Ausführlich dazu: Wesener, Sondervermögen, 335 ff. 402 Dazu Wesener a.a.O., 344. 399
2. Abschnitt: Verwaltungssachen
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VIII, 18, 1, 2; VIII, 18, 2). Waren die Kinder beim Tod der Mutter bereits emanzipiert, erbten sie ab intestato Alleineigentum am mütterlichen Nachlass ohne Berechtigung des Vaters (anders dann CT VIII, 18, 9; 426). Einzelheiten sind hier unbekannt. Soweit aber Rusticiana von ihrem Vater, wie zu vermuten, etwas geschenkt bekommen hat, wäre grundsätzlich CT IX, 42, 1 (321)403 zu beachten, eine Regelung über das Vermögen Verurteilter, die jedenfalls die von Ammian berichtete Verurteilung des Orfitus wegen Pekulat betrifft. Danach wird (nur) das dem emanzipierten Kind vor der Straftat Zugewendete von der Konfiskation ausgenommen. Der zeitliche Ablauf ist vorliegend indes nicht klar. Orfitus wurde 367 begnadigt und starb 369/370, hatte evtl. erst in der Zwischenzeit emanzipiert und verschenkt. Etwaige unter die Regelung fallende Schenkungen dürften infolge der Begnadigung endgültig wirksam geworden sein, auch Schenkungen aus der Zeit nach Begehung der Tat und Verurteilung. Etwa von Orfitus verschenktes Vermögen gehörte den Töchtern damit unbelastet und endgültig, auch weil wegen des konkreten Haftungsbetrags keine Straftat ersichtlich ist, sondern nur eine Restitutionsanordnung. Dementsprechend werden die Töchter vom magister officiorum ausdrücklich (§ 8) auch nur als Erbinnen in Anspruch genommen. Insoweit ist ihre Haftung jedoch, wie gesehen, ausgeschlossen. Doch was hat es dann mit den harten leges auf sich, von denen Symmachus am Ende der Relation eine Ausnahme zu erbitten scheint? Können danach die Nachkommen etwa doch belangt werden, ohne dass sie Erben geworden sind? Das Gesuch lautet, Valentinian II. möge Milde walten lassen. Denkbar ist, wie schon angedeutet wurde, dass Symmachus die Formulierung untechnisch meint, dass der Kaiser nämlich seine Ausführungen berücksichtigen möge, insbesondere die Tatsache, dass keine der beiden Frauen geerbt hat und daher kraft Gesetzes auch keine haftet; das wäre eine verbrämte Aufforderung zu gesetzmäßigem Verhalten, ohne dass tatsächlich eine lex eine Haftung der Töchter anordnete. Etwas anderes könnte sich allerdings aus der Tatsache ergeben, dass vorliegend eine Forderung des fiscus aus Amtshaftung in Rede steht (publica debita in § 6) und in Anbetracht des daran bestehenden öffentlichen Interesses eine Haftung vielleicht doch zu bejahen sein könnte mit der Begründung, dass die Töchter im Wege der Schenkung unter Lebenden Vermögensbestandteile des Amtsschuldners erlangt haben. Es fragt sich deshalb, wie in solchen Fällen der fiscus als Gläubiger zu behandeln ist. Grundsätzlich kann nämlich der Fiskalschuldner durch Beiseiteschaffen seines Vermögens einer Haftung nicht entgehen, vgl. CT IV, 20, 1 (379/382); s. a. CT X, 16, 4 (385, Ost). Eine Haftung des Erwerbers der Vermögensgegenstände ist dort allerdings nicht vorgesehen. Auch im Titel CT X, 16: De fisci debitoribus findet sich insoweit keine Spezialregelung. Lediglich für Steuerschulden gilt CT XI, 1, 17 (371), wonach 403
S. a. CJ IX, 49, 9, 1f (396).
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
heredes scribti für fiskalische Lasten, fiscale onus, auch dann haften, wenn sie der Erbschaft entsagt haben. Sie haften in diesem Falle damit, was sie aus sonstigen Rechtsgründen vom Erblasser erlangt haben. Diese Regelung könnte auch auf andere öffentliche Forderungen angewandt worden sein. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass wir hier keinen vergleichbaren Fall haben, denn die Töchter sind zum einen nicht heredes scribti und zum anderen ist die Haftung in der Person des Orfitus begründet und haftet nicht an einem bestimmten Vermögensbestandteil. Die zuvor genannte Vorschrift betrifft speziell das Steuerrecht404, in dem bestimmte Güter Bemessungsgrundlage der Steuer sind und es ggf. zweitrangig ist, wie sie erlangt wurden. Unser Fall ist anders gelagert und deshalb nicht über steuerrechtliche Vorschriften lösbar405. Er betrifft zwar eine im Ansatz öffentliche Forderung, doch geht diese grundsätzlich, wie andere privatrechtliche Forderungen auch, nur auf wirkliche Erben über. Erbenhaftung ist nicht unausweichlich, sondern durch geschickte Gestaltung verhinderbar, was gerade bei Amtsschulden auch durchaus angemessen sein kann. Allenfalls könnte vorliegend zu berücksichtigen sein, dass Orfitus möglicherweise eine erkennbar drohende Haftung durch Beiseiteschaffen von Vermögenswerten gezielt zu umgehen suchte. Unter diesem Aspekt könnten etwaige Schenkungen unter Lebenden angreifbar und eine Haftung der Töchter wegen bewusster Bereicherung im Rahmen eines kollusiven Umgehungsgeschäftes aus besonderem öffentlichen Interesse begründbar sein. Dafür aber gibt der uns bekannte Sachverhalt nicht genügend Anhaltspunkte. Daher ist wohl, folgt man den Ausführungen des Symmachus, der von Orfitus eingeschlagene Weg, eine Haftung zu vermeiden, als rechtlich erfolgreich anzusehen. Die Töchter haften nicht erbrechtlich und da sie im rescriptum von Valentinian II. nicht selbst genannt werden, kommt auch dieses nicht als selbständiger Haftungsgrund in Betracht. Der letzte Satz der Relation, die Bitte um Milde im Einzelfall, lässt sich vor diesem Hintergrund so verstehen, dass Symmachus hier keine Ausnahme von zu strengen leges, sondern nur gesetzeskonforme Behandlung seiner Familie, Abstandnahme von jeglicher Forderung erbittet. Symmachus mahnt den Kaiser, die Gesetze zu beachten, erbittet nicht Abweichen vom Gesetz. Nach der Rechtslage scheint seine Darstellung begründet zu sein, es sei denn, er hat etwas Wesentliches verschwiegen. 404 In Rel. 30 geht es in diesem Zusammenhang um die Haftung zweier Erbinnen für Steuerschulden eines verstorbenen Senators. 405 Soweit man (jedenfalls) in der Zeit von Augustus bis Diokletian dem fiscus für bestimmte Forderungen gesetzliche, pfandähnliche Sicherungsrechte am Gesamtvermögen des Schuldners gewährte, auf die aufgrund der Anwendbarkeit der Pfandrechtsregeln auch zugegriffen werden konnte, wenn die Vermögensgegenstände in die Hand Dritter gelangt waren, scheint das nur für bestimmte Abgaben an den Staat, die hier nicht im Raum stehen, gegolten zu haben. Dazu m. N.: Kaser, Privatrecht II, 316; Wagner, Die Entwicklung der Legalhypotheken am Schuldnervermögen; vgl. zum Generalpfand des fiscus am Schuldnervermögen etwa Hermog. D 49, 14, 46, 3: fiscus habet semper ius pignoris.
2. Abschnitt: Verwaltungssachen
253
5. Der Ausgang der Angelegenheit und Ergebnis Wie die Sache ausgegangen ist, wissen wir nicht. Von Symmachus sind keine weiteren Beschwerdebriefe überliefert. Es ist daher denkbar, dass man von Forderungen gegen seine Familie tatsächlich abgesehen hat. Da er unterstützend auch Unterlagen vorgelegt hat, war jedenfalls der geforderte Betrag wohl nicht mehr zu halten. Vielleicht wurde Symmachus sogar aufgegeben, den Restbetrag bei den letztlich Verantwortlichen, nötigenfalls direkt von den Statthaltern aufgrund der professio einzutreiben. Als Fazit zu Relation 34 ist festzuhalten, dass Symmachus im Interesse seiner Familie durchaus mutig gegen eine eindeutige Anordnung des Kaisers argumentiert, diesem selbstbewusst Vorhaltungen macht, schlecht informiert und beraten zu sein, und ein fast schon rechtsstaatliches Verfahren wie Anhörung, gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen und Vertrauensschutz fordert. Nicht immer gelingt es Symmachus freilich, den Sachverhalt sachlich und präzise darzustellen. Jedes Argument scheint ihm recht, um die Interessen seiner Familie zu verteidigen. Insgesamt vermag die Darstellung, auch in juristischer Hinsicht, mangels stringenter Argumentationskette daher nicht vollends zu überzeugen. Vieles wird nur pauschal angedeutet, anderes lediglich ermüdend mehrmals wiederholt. Gewisse Rechtskenntnisse sind dabei allerdings, insbesondere im Erbrecht vorhanden, was für einen Mann seines Standes jedoch nicht überrascht. Ansonsten aber sind die juristischen Ausführungen eher oberflächlich. Im Grunde hat Symmachus nur zwei überzeugende Argumente: Die Teilerfüllung und die fehlende Erbenhaftung. Einer sachlichen Argumentation steht im Übrigen die emotional aufgeheizte Stimmung des Stadtpräfekten entgegen, die bisweilen an die Relationen 3, 21 und 23 erinnert. Am Ende steht auch hier die allgemeine Empörung über empfundene Ungerechtigkeiten und Rückzug auf die Opferrolle. Zu fragen bleibt im Hinblick darauf, ob sich Symmachus zu Recht durch Machenschaften irgendwelcher Gegner persönlich verfolgt sieht. Einige Autoren glauben, dass die Aktion tatsächlich als Schikane gegen Symmachus gemeint war406, ihn jemand gezielt in finanzielle Bedrängnis bringen wollte. Immerhin wurde beim Kaiser ein Reskript erreicht, evtl. gar erschlichen. Als Leser der Relation gewinnt man jedoch eher den Eindruck, dass sich ihr Autor selbst allzu wichtig nimmt. So abwegig ist die Forderung gegen Orfitus bzw. gegen seine potenziellen Erbinnen nicht, als dass sich Symmachus unmittelbar persönlich angegriffen fühlen müsste. Die gegenteilige Ansicht von Paschoud ist nicht aus dem Text begründbar, denn weder tritt man an Symmachus selbst mit der 406 Seeck, RE-Symmachus 18, 1149; Paschoud, Réflexions, 223; ders., Roma Aeterna, 89: christliche Gegner fordern von Symmachus Bezahlung; Vera, Commento, 261: jemand beeinflusst den Kaiser gegen Symmachus.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Forderung heran noch liegen religiöse Feindseligkeiten nahe. Valentinian II. gräbt auch nicht nach 15 Jahren urplötzlich die alte Angelegenheit wieder aus, vielmehr gab es über die ganzen Jahre hinweg Bestrebungen, die Fehlbeträge einzutreiben. Lediglich in Bezug auf den ausstehenden Betrag scheint der Kaiser tatsächlich schlecht informiert zu sein und etwas bösartig mutet auch an, dass ausgerechnet Symmachus in einem Reskript aufgefordert wird, Geld bei seiner Frau und bei seiner Schwägerin einzutreiben. Vera407 nennt in diesem Zusammenhang den magister officiorum als möglichen Gegner; er habe den Kaiser schlecht beraten. Tatsächlich hat er die beiden Frauen schon angeschrieben und sich damit in die eigentlich Symmachus im Reskript zugewiesene Aufgabe der Schuldeneintreibung eingeschaltet. Fraglich ist allerdings, ob dahinter wirklich böse Absicht und Intrigen zu entdecken sind. In Betracht käme auch der comes sacrarum largitionum, denn immerhin wird eine Forderung der sacrae largitiones geltend gemacht und es ist anzunehmen, dass Informationen über ausstehende Beträge aus diesem Ministerium an den Kaiser gelangen. Will man einen Gegner am Hof und böswillige Beratung des Kaisers ausmachen, könnte beides auch dort zu finden sein, insbesondere weil sich schon in den Relationen 14 und 20 Schwierigkeiten mit dem Amtsinhaber andeuteten. Insgesamt muss aber gesagt werden, dass die Inanspruchnahme von Orfitus respektive seiner potenziellen Erbinnen nach dem Ermittlungsstand durchaus vertretbar und keinesfalls willkürlich erscheint. Die Angelegenheit wurde zwar unter Gratian einigermaßen gerecht gelöst, doch führte die damalige Regelung nur zu teilweisem Ersatz der ausstehenden Gelder, so dass nicht ganz fern liegt, nunmehr doch den seinerzeit verantwortlichen Stadtpräfekten heranzuziehen. Überraschend ist die aktuelle Anordnung lediglich in ihrer Ausschließlichkeit, mit der man, ohne Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse, nur gegen Orfitus bzw. seine Erben vorgeht. Allenfalls mit Einschränkung lässt sich daher missgünstige Beratung des Kaisers von einflussreicher Seite vermuten, ob mit der Zielsetzung der Entlastung der wahren Verantwortlichen oder um Symmachus anzugreifen, kann indes nicht geklärt werden. Nur die Wortwahl (§ 8: molitio; § 9: contumelia, iniuria, invidia, privata odia; § 10: contumelia, fraus; § 12: iniuriae; invidia), auch hier nicht im Sinne konkreter Tatbestände, sondern Ausdruck persönlicher Entrüstung, und die Anspielung auf eine konkrete, stets ungenannte Person im Hintergrund erinnern stark an Relation 21, dem Fall einer tatsächlichen, religiös begründeten Intrige; inhaltlich dagegen drängt sich, ähnlich wie in Relation 23, eher der Eindruck auf, dass sich Symmachus nur zu gerne in der Rolle des Opfers irgendwelcher, mehr oder weniger eingebildeter Intrigen sieht, was für eine gewisse Neigung zur Selbstüberschätzung spricht. Soweit Paschoud indes kritisiert, dass es Symmachus in diesem Schreiben wieder einmal nur ums Geld gehe (vgl. schon Relation 3), sein enormes Inte407
Commento, XXXV; 256.
2. Abschnitt: Verwaltungssachen
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resse an finanziellen Dingen bewiesen würde, ist dem entgegenzuhalten, dass Symmachus ein sehr verständliches Interesse daran hat, eine seiner Ansicht nach unbegründete Forderung von seiner Familie abzuwenden. Gewiss geht es in beiden Briefen vor allem ums Geld, für Symmachus daraus aber Gier als Charakterzug oder gar eine geldgierige Gesinnung seiner Standesgenossen ableiten zu wollen, scheint unberechtigt. Seine Erregung ist insofern verständlich, als er sich ungerecht behandelt fühlt und die in Frage stehenden Geldbeträge nicht ganz unerheblich gewesen sein dürften in Anbetracht der intensiven kaiserlichen Bemühungen um ihre Eintreibung. Und ganz sind die Befürchtungen auch nicht von der Hand zu weisen, denn immerhin hatte man die Töchter von Orfitus schon vorgeladen und droht, das Vermögen seiner Familie ganz konkret zu belangen. Zum rechtlichen Hintergrund bleibt anzumerken, dass in der Relation verschiedene Rechtsquellen genannt werden: rescriptum, (sacrae) litterae, epistulae, decreta, sacrum oraculum, statutum, praeceptio, divina iussa und diese Ausdrücke weitgehend synonym in rhetorischer Variation gebraucht werden. Sie bezeichnen kaiserliche Einzelfallmaßnahmen im Sinne offizieller Dienstanweisungen, aber auch solche mit Außenwirkung an Beamte oder Privatpersonen, auf konkrete Anfrage oder von Amts wegen, und beanspruchen auch nach der Amtszeit des erlassenden Herrschers weiter Geltung. Dem werden allgemeine leges gegenübergestellt. Die lex divalis macht eine umfassendere Aussage und beansprucht stets dauerhafte Geltung, unabhängig davon, wer sie erlassen hat. Symmachus unterscheidet also zwei Stufen gesetzgeberischer Maßnahmen408. Auf leges beruft er sich immer wieder pauschal; einzig eine lex von Valentinian I. wird etwas näher umschrieben. Erkennbar wird die Anerkennung der unbedingten Geltung jeder kaiserlichen Äußerung, die auch den Kaiser bindet bzw. binden sollte. Unbedingte Beachtung fordert Symmachus immer wieder für Einzelentscheidungen Valentinians I. und Gratians. Die Zugehörigkeit zum selben Herrscherhaus spielt also eine Rolle für die Fortgeltung spezieller Anordnungen, deren Bezeichnung zwischen dem technischen rescriptum/decretum und dem allgemeinen epistulae/litterae o. ä. variiert, ohne dass verschiedene Bedeutungen erkennbar würden. Präzise juristische Begrifflichkeit ist nicht Symmachus’ Anliegen. Im Ergebnis beleuchtet Relation 34 einen etwa 25 Jahre schwelenden Verwaltungs- und Finanzskandal, der in erster Linie die Ineffektivität verschiedenster Versuche, Fehlbeträge in den öffentlichen Kassen zu beheben, zeigt. Die geltend gemachte Forderung ist zwar in der Sache unstreitig begründet, in der Praxis aber nicht durchsetzbar. Die betroffenen Beamten wussten dem offensichtlich auch bislang schon entgegenzuwirken. Im Hinblick auf Symma408
Dazu näher m. N. bei Rel. 27.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
chus selbst stellt sich sogar die Frage, ob er hier sein Amt dazu missbraucht, um in einer Privatangelegenheit an den Kaiser heranzutreten, anstatt einen privaten Brief zu schreiben. Andererseits aber erging an ihn als Stadtpräfekten ein Reskript, das von ihm verlangt, in einer Weise tätig zu werden, die er ablehnt. Daher war der offizielle Dienstweg wohl doch angebracht; Symmachus ignoriert oder umgeht das Reskript nicht insgeheim, sondern wendet sich ganz offiziell an die höchste Instanz. Auch diese Relation lässt dabei die in Relation 10 angedeuteten Schwierigkeiten spüren, die dem Stadtpräfekten - wenigstens subjektiv - das Verbleiben im Amt unerträglich machen. Im Rahmen des laufenden Verfahrens gegen seine Ehefrau und Schwägerin ist das Schreiben indes als überaus selbstbewusste Petition jenseits des ordentlichen Verfahrensganges aus Sicht des Hofes eher als fragwürdig einzuschätzen.
XIV. Relation 47: Der Sieg über die Sarmaten Symmachus gratuliert Valentinian II. zu seinem Sieg über die Sarmaten an der mittleren Donau und äußert sich begeistert darüber, dass der Triumph in Rom für alle sichtbar in alter Tradition gefeiert wurde, indem man Kriegsgefangene in der Arena kämpfen ließ. Der Spielekalender des vierten Jahrhunderts ermöglicht eine Datierung dieser Gladiatorenspiele auf Anfang Dezember 384; kurz danach dürfte Relation 47 verfasst worden sein409. Es handelt sich dabei um eine Standardgratulation zum Sieg, wie die Parallele bei Plinius Ep. X, 14 verdeutlicht. Der siegreiche, hochgelobte Feldherr, von dem in § 2 die Rede ist, könnte der magister militum Flavius Bauto gewesen sein410, allerdings nennt Symmachus keinen Namen. Ganz selbstverständlich werden Triumphe noch immer in der alten, menschenverachtenden Tradition gefeiert, der sich auch der christliche Herrscher beugt. Das Schreiben ist vom rechtlichen Standpunkt her gesehen unproblematisch, zeigt lediglich Symmachus’ (und des römischen Volkes) Sinn für die traditionelle Zelebrierung der Größe des Reiches. In § 2 wird aber auch angedeutet, dass Rom derzeit immer wieder von einfallenden Stämmen bedroht wird. Die Lage an den Grenzen ist problematisch. Relation 47 beleuchtet einen Teil des historischen Hintergrundes der Jahre 384/385411.
409
Zur Datierung: Stein, Histoire I, 528 Anm. 80; Vera, Commento, 342. So u. a.: Seeck, Geschichte V, 208; Stein, Histoire I, 204; Enßlin, REValentinianus II, 2213; Vera, Rapporti, 273; ders., Commento, 341f. 411 Zur Außenpolitik jener Jahre: Gutmann, Studien; die Beziehungen Roms speziell zu den Sarmaten untersucht anhand von Ammian Dittrich, Die Beziehungen Roms zu den Sarmaten; zum Sieg über die Sarmaten s. auch Vera, Lotta politica. 410
2. Abschnitt: Verwaltungssachen
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XV. Zwischenergebnis zu den Verwaltungssachen Symmachus erweist sich in den bislang besprochenen, weniger juristischen Relationen als aufrichtiger und unbestechlicher Beamter, zu dessen Lasten sich keine Anzeichen für ein Fehlverhalten im Amt ergeben. Die vorhandenen Rechtskenntnisse genügen für die anfallenden Aufgaben eines Stadtpräfekten. Der rechtliche Hintergrund, sofern er eine Rolle spielt (etwa in den Relationen 5, 8, 9, 12, 43, 45 und 46), ist Symmachus klar und die regelmäßigen Verwaltungsabläufe sind für ihn so selbstverständlich, dass er sie nicht immer ausformuliert, sondern sich häufig auf Andeutungen beschränkt. So zeigt er sich dem Amt grundsätzlich gewachsen. Eine Schwäche wird allerdings in den persönlichen Beschwerdebriefen, den Relationen 21 und vor allem 23 und 34 sichtbar, in denen er nicht immer selbstsicher zu argumentieren vermag. Von außen kommende Schwierigkeiten empfindet er subjektiv, nicht immer überzeugend, als persönliche Angriffe und scheint überfordert zu sein. Die Argumentation ist dort eher emotional als rational oder gar juristisch. Die Religion allerdings spielt nur in den Relationen 3 und 21 eine Rolle; ansonsten lassen sich auftretende Schwierigkeiten grundsätzlich nicht mit dem religiösen Hintergrund erklären. Konkrete Normen werden nur selten angesprochen. Doch kennt Symmachus die Verwaltungsroutine (sollemnitas, mos maiorum, consuetudo...), die mit Beispielen untermauert wird, Maßstab ist und zur Begründung von Forderungen ausreicht; um rechtliche Grundlagen bemüht er sich dann nicht weiter. Trotz allem argumentiert er immer wieder in rechtlichen Kategorien; bisweilen jedoch sind rechtliche Argumente dabei nur Mittel zum Zweck, etwa in den Relationen 3 und 34; sie bleiben oft vage und unpräzise. Kaiserkonstitutionen geben in diesen Fällen keine sichere Basis, denn sie ändern sich häufig, sind nicht leicht verfügbar und ihre Reichweite ist oftmals unsicher (vgl. dazu auch die im Folgenden behandelten Relationen). Symmachus erweist sich als erfahrener Verwaltungsbeamter, der auch in juristischen Dingen erfahren ist, nicht aber als Jurist. Erfahrung genügt für die Lösung der meisten Verwaltungsfragen und hier kann er aus seiner langjährigen Laufbahn auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Zudem schöpft er aus einem Fundus ihm bekannter Regelungen. So nennt er beispielsweise in den Relationen 14, 20, 29 und 34 Anordnungen Valentinians I. bzw. Gratians und betont ihre Geltung. Einzelmaßnahmen (decreta, rescripta) beanspruchen ebenso wie allgemeine leges grundsätzlich Allgemeingültigkeit. Der Kaiser wird unmissverständlich in die Pflicht genommen. Darüber hinaus dienen immer wieder Begriffe wie aequitas und iustitia als grundlegende Werte zur Begründung von Bittgesuchen. Auch werden bestimmte Verfahrensabläufe und das Recht auf rechtliches Gehör eingehalten (vgl. nur die Relationen 5, 8, 9, 12, 23, 25 f, 43, 45 und 46). Das führt zu Rechtssicherheit, gar Rechtsstaatlichkeit in der Amtspraxis, wozu auch die von Symmachus immer wieder eingeforderte freiwillige Selbstbindung des Kaisers an Tradition und Gesetz gehört. Andererseits wird aber auch das umständliche
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
bürokratische System mit seinen großen Reibungsverlusten sichtbar, das störungsanfällig ist, insbesondere wenn, wie Relation 17 zeigt, schwache Beamte ernannt werden. Unregelmäßigkeiten, „Störungen der Rechtslage“ gegenüber aber erweist sich Symmachus als sensibel und versucht sie aufzuklären, etwa in den Relationen 20, 23 und 25 f. Alles in allem sind keine offensichtlich überflüssigen Schreiben darunter, wenngleich Symmachus dem Kaiser bzw. den Kaisern lieber einmal zu viel als zu wenig schreibt. Meist handelt es sich jedoch um konkrete Gesuche an den Kaiser, die insofern unvermeidlich sind, als der Stadtpräfekt mangels eigener Kompetenz in einem System, in dem sich der Kaiser auch Einzelfragen zur eigenen Entscheidung vorbehält, nicht selbst entscheiden kann. Ähnlich wie Symmachus zeigte sich schon Plinius in Verwaltungsangelegenheiten mehrmals unsicher über die genaue Reichweite seiner Befugnisse und bittet Trajan darum, seine Entscheidungen oder Vorschläge zu billigen oder Anweisungen zu erteilen412. Häufige Anfragen sind Ausdruck des guten Verhältnisses zum Kaiser. Die Sachverhalte bei Symmachus und Plinius gleichen sich oft in erstaunlichem Maße. Symmachus’ Anfragen fallen mithin nicht aus dem üblichen Rahmen heraus. Für die Amtspraxis wichtig ist der Senatsbereich, wo sich der Stadtpräfekt immer wieder als Vermittler und/oder Gesandter für Wünsche und Beschwerden zu Wort meldet. Hier tritt aber auch eine gewisse Überschätzung der Bedeutung des Senats bei Symmachus zutage. Der Senat hat lediglich in eigenen Angelegenheiten Befugnisse, die allerdings nach dem Zeugnis der Relationen weitgehend respektiert werden; insbesondere hier zeigen sich auch feste Verfahrensabläufe. Symmachus vertritt loyal und engagiert die verschiedenen Interessengruppen der Senatoren und einige Male auch der Korporationen. Dies gehört zum wichtigen, ihn immer wieder beschäftigenden Bereich der Lebensmittelversorgung Roms, die eine seiner Hauptsorgen ist, weniger im Sinne von Fürsorge als um der eigenen Sicherheit willen. Das Verwaltungssystem in Rom, von dem die Relationen ein lebendiges Bild geben, funktioniert weitgehend. Nur selten sind Schwierigkeiten ersichtlich, die über das Normalmaß hinausgehen; gezeigt wird im wesentlichen Verwaltungsroutine. Auch das System der (nachträglichen) Amtshaftung tritt in den Relationen 23, 25 f und 34 als grundsätzlich funktionierend zutage; es wird versucht, aktiv Kontrolle zu üben, an deren Effizienz sich angesichts langjähriger Ermittlungen allerdings mitunter Zweifel auftun. Solche Altlasten drücken Symmachus mehrmals (Relationen 23, 25 f, 34) und ihrer wird auch er nicht recht Herr. Soweit höhere Beamte involviert sind, bewertet er zurückhaltend, allerdings ermittelt er auch dort ohne falsche Rücksichtnahme und mag sich auf diese Weise Gegner gemacht haben.
412
Man lese etwa Epp. X, 43; 45; 47; 54; 81; 116. Trajan antwortet zumeist geduldig.
3. Abschnitt: Relationen zu speziellen Rechtsfragen
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Der Kaiser erweist sich vor dem Spiegel der Relationen als offenbar kritikfähig und scheint nicht nur den Senat, sondern auch die stadtrömischen corpora als politischen Machtfaktor akzeptieren zu müssen, wozu ihn Symmachus in offenen Worten auffordert (s. nur Relation 14). Symmachus selbst erscheint bislang nicht als der ängstliche, unselbständige Beamte, der sich aus der eigenen Verantwortung zu stehlen sucht, als der er oft beschrieben wird. Seine Gesuche und Beschwerden dürften für den Kaiser bisweilen zwar lästig gewesen sein, zeigen ihn aber in erster Linie als pflichtbewussten Beamten und Interessenvertreter, der Forderungen auch in schwieriger Lage glaubwürdig deutlich macht. Feinde macht er sich dabei gerade wegen seines immer wieder überaus korrekten Verhaltens und den hohen Idealen, die er insbesondere aus dem Überkommenen schöpft. Nachdem er bereits eine erfolgreiche Karriere hinter sich hat und als Redner erfolgreich ist, bringt er das notwendige Selbstbewusstsein mit. Dem in den beiden ersten und der 17. Relation vollmundig verkündeten Berufsethos eines vorbildlichen Beamten hält Symmachus nach diesem ersten Eindruck weitgehend stand. Parteiisch ist er insofern, als er offen bestimmte Gruppeninteressen vertritt; die Pflichten und Privilegien dieser Gruppen, z. B. der Korporationen, liegen aber im öffentlichen Interesse, unlautere Verfolgung von Privatinteressen deutet sich nicht an. Soweit manche Relation allzu devot wirkt, ist das im wesentlichen darauf zurückzuführen, dass solches Geplänkel der gebotenen, ritualisierten Form in einem offiziellen Schreiben entspricht. Im Folgenden wird nun zu prüfen sein, ob sich dieser günstige Eindruck vom Stadtpräfekten Symmachus auch in den stärker juristisch geprägten Relationen bestätigt.
3. Abschnitt
Relationen zu speziellen Rechtsfragen Einzelne Rechtsfragen hindern Symmachus an einer Entscheidung.
I. Relation 22: Ämterneubesetzung und Frage der Normenhierarchie Symmachus fragt bei Valentinian II. (formal bei allen Kaisern) an, weil kaiserliches Gesetz und praktische Handhabung durch den Kaiser auseinanderklaffen. Der Kaiser soll als eine Art Schiedsrichter in Gesetzesangelegenheiten die Rechtsfrage für die Zukunft lösen und entscheiden, ob sich die lange Praxis oder das ältere Gesetz durchsetzen soll. Der genaue Zeitpunkt des Schreibens ist ungewiss.
260
Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
1. Der Sachverhalt Es geht um das Amt des tribunus fori suarii, dem leitenden Beamten in der öffentlichen Schweinefleischversorgung in Rom, der auch polizeiliche Kompetenzen besaß, den Fleischmarkt kontrollierte und hierarchisch unter dem Stadtpräfekten stand413: De tribunatu suarii fori nuper orta contentio causam mihi adtulit legum arbitros consulendi, ddd. imppp. Provectus instabat, ut delatum sibi sortiretur officium; vetus e lege, quae tempora istiusmodi actibus certa decrevit, recusabat honore decedere. Secutus morem longa aetate servatum eum, qui recens maiestatis vestrae beneficium praeferebat, admisi; sed ut deinceps, si forte usus tulerit, cunctationem iudicii absoluta forma submoveat, statui sacrum numinis vestri oraculum sciscitari, utrum fas sit novos tribunos servata lege differri an magis veteres oporteat praelata devotione removere. Der Kaiser in Mailand hatte einen neuen Mann auf diesen Posten befördert, der nun, wie es Brauch war, das offensichtlich nicht uninteressante Amt414 gleich übernehmen möchte. Dem widersetzt sich jedoch der derzeitige Amtsinhaber, der sich auf ein Gesetz beruft, das eine bestimmte Amtszeit festlege, die noch nicht abgelaufen sei. Er verweigert daher die Amtsübergabe. Symmachus entscheidet den konkreten Streit zugunsten der schon seit langem davon abweichenden kaiserlichen Praxis, also gegen die lex. Er gehorcht damit der aktuellen kaiserlichen Entscheidung, der Ernennung des Nachfolgers durch recens beneficium, die er so auslegt, dass der Kaiser einen neuen Mann ernennen wollte, der das Amt alsbald übernimmt. Noch nie hatte sich ein vorzeitig in den Ruhestand Versetzter beschwert; seit langer Zeit schon war der sofortige Wechsel üblich. Nachdem Symmachus dem Neuernannten das Amt übergeben hat, fragt er in Mailand nach, wie solche Fälle künftig gehandhabt werden sollen, und bittet um verbindliche Entscheidung, sacrum oraculum/iudicii absoluta forma. 2. Bewertung Relation 22 berichtet keinen Prozess, aber doch einen Rechtsstreit, contentio, über die Geltungskraft einer kaiserlichen Norm. Wie schon in Relation 17 wird 413 Zum Amt: Lengle, RE- tribunus 7, 2438 f; Chastagnol, Préfecture, 255 f; Herz, Wirtschaftsgesetzgebung, 277 f. Die Tagespolizei mit speziellen Beamten des officium urbanum unterstand ihm. Speziell zu den von ihm geleiteten offiziellen staatlichen Fleischverteilungen auf dem Forum Suarium durch die Korporation der suarii (zu den suarii schon Rel. 14, 3 und s. a. Rel. 33): Chastagnol, Ravitaillement. Der tribunus fori suarii sorgte mit Hilfe seiner Leute insbesondere für die Einhaltung der Marktordnung sowie die Einziehung und Verteilung des als Steuer von den Grundbesitzern aus bestimmten Regionen in Italien abzuliefernden Fleisches. Schon vor Not. Dig. IV, 10 unterstand dieses Amt, wie sich hier zeigt, dem praefectus urbi. 414 Das Amt des tribununs fori suarii dürfte finanziell interessant gewesen sein, was erklären würde, dass der Amtsinhaber es nicht aufgeben will. Die Stelle war öffentlich besoldet und mit der Amtsausübung waren wohl auch Privilegien verbunden; die Position war für Roms Versorgung und Erhaltung der öffentlichen Ordnung ziemlich wichtig. Anfang des 5. Jh. war senatorischer Rang mit ihr verbunden: Coll. Avell. XIV, 6.
3. Abschnitt: Relationen zu speziellen Rechtsfragen
261
deutlich, dass der Stadtpräfekt bei der Auswahl seiner Untergebenen keine eigenen Kompetenzen besaß. Der Stadtpräfekt muss aber die kaiserliche Personalentscheidung in die Tat umsetzen415. Die ältere lex stammt offenbar nicht vom regierenden Kaiser und sie widerspricht der herrschenden Praxis. Soll sie noch angewendet werden? Das fragliche Gesetz, das eine feste Amtszeit des tribunus fori suarii und offenbar auch weiterer Beamten im officium urbanum vorsieht, ist nicht überliefert, aber jedenfalls einige Jahre alt416. Da es nicht ausdrücklich außer Kraft gesetzt wurde, gilt es nach Ansicht von Symmachus grundsätzlich fort. Trotzdem rechtfertigt für ihn die lange gegenläufige Verwaltungspraxis, die auf dem Willen des Kaisers beruht, ihre Nichtanwendung. Langer kaiserlicher Brauch, mos, kann sich demnach gegen eine lex durchsetzen, doch ist keine Rede davon, dass eine lex durch desuetudo außer Kraft treten kann. Symmachus argumentiert hier nicht juristisch, sondern vielmehr aus seiner Verwaltungspraxis heraus, bekundet aber seine Rechtsauffassung zur Geltungskraft von Normen. Als er entscheiden muss, ob das Gesetz oder die aktuelle Ernennung gelten soll, ist sein Votum klar: Gehorsam, devotio, gegenüber der konkreten Entscheidung, d. h. für ihn Absetzung des amtierenden Amtsinhabers, hat Vorrang. Dem Leser allerdings stellt sich die Frage, ob die aktuelle Entscheidung des Kaisers wirklich der allgemeinen lex widerspricht, wie Symmachus meint, der nicht erwägt, dass die Ernennung auch anders ausgelegt werden könnte, dass nämlich der designierte tribunus fori suarii nicht notwendig sogleich das Amt übernehmen soll. Gesetzeskonforme Auslegung, dass der neue Amtsinhaber erst mit Ablauf der gesetzlichen Frist sein Amt antreten soll, zieht er nicht in Betracht, obwohl der tatsächliche Amtsantritt, an dem sich der Streit entzündet, der also die entscheidenden Vorteile, zumindest das Prestige, mit sich bringt, zweifellos unterschieden werden kann von dem Zeitpunkt, zu dem die Ernennungskodizille in Rom eintrafen. Auch Symmachus unterscheidet durchaus Beförderung und Amtsantritt, doch ist er sich sicher, dass der Kaiser mit seiner frühen Ernennung jedenfalls konkludent sofortige Entfernung des bisherigen Amtsinhabers wünscht, wenn auch nicht ausgeschlossen scheint, dass der Kaiser in seiner Antwort der Divergenz nachgeht und für die Zukunft bestimmt, 415 Die Entscheidung des Kaisers bedurfte, wie sich auch vorliegend zeigt, noch der Durchsetzung. Der Ernannte bekam die vom Kaiser unterzeichnete Ernennungsurkunde vom Stadtpräfekten ausgehändigt, wurde in die matricula eingetragen und erhielt ggf. die Amtsinsignien. Erst dann war er aktiv im Dienst und bekam sein Gehalt. Zum Verfahren im Einzelnen s. Noethlichs, Beamtentum, 20 ff. 416 Vera, Commento, 162, glaubt, es handele sich um ein Gesetz aus der Zeit vor Valentinian I., da Symmachus, der gegenüber Entscheidungen dieses Kaisers (und Gratians) immer große Ehrfurcht zeige, es sonst nicht zu brechen gewagt hätte, und verweist auf Rell. 3, 19 f; 14, 2; 21, 4; 27, 1; 30, 4; 34, 6. Doch geht es in Rel. 22 nicht so sehr darum, Symmachus die Bereitschaft zu einem Gesetzesbruch vorzuhalten, als vielmehr darum, die Bedeutung der Verwaltungspraxis für die Rechtsüberzeugung ernst zu nehmen.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
dass man künftig die neu Ernannten bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist hinhält. Daher erbittet er von Valentinian II. einen allgemeinverbindlichen Auslegungsmaßstab für künftige Ernennungen. Relation 22 liefert damit ein erstes anschauliches Beispiel zur herrschenden Unsicherheit über die Geltungskraft und Auslegung von allgemeinen Gesetzen und kaiserlichen Einzelentscheidungen in der Verwaltungspraxis. Als vorrangig werden die Anordnungen des regierenden Kaisers angesehen, die Symmachus im Sinne der Praxis auslegt und über die er sich nicht hinwegzusetzen wagt. Trotzdem wird der Kaiser als Inhaber des Rechtssetzungs- und Auslegungsmonopols angerufen. Nur er kann letztlich entscheiden, ob er Gesetze seiner Vorgänger weiterhin beachten will, und festlegen, wie eigene Entscheidungen ausgelegt werden sollen und inwieweit im Streitfall eine Verwaltungspraxis zu berücksichtigen ist. Symmachus stimmt dabei in seiner Rechtsüberzeugung mit der allgemeinen Anschauung seiner Zeit, wie sie sich insbesondere im Codex Theodosianus niedergeschlagen hat, überein. Denn der Kaiser nimmt für sich nicht nur das legislative, sondern zunehmend auch das Auslegungsmonopol in Anspruch, z. B. 317 (CT I, 2, 3/CJ I, 14, 1)417: Ubi rigorem iuris placare aut lenire specialiter exoramur, id observetur, ut rescribta ante edictum propositum impetrata suam habeant firmitatem, nec rescribto posteriore derogetur priori. Quae vero postea sunt elicita, nullum robur habeant, nisi consentanea sint legibus publicis, maxime cum inter aequitatem iusque interpositam interpretationem nobis solis et oporteat et liceat inspicere, und ruft auch immer wieder dazu auf, ihn in zweifelhaften Rechtsfragen zu konsultieren, so dass Symmachus gehalten war, nachzufragen; sein Schreiben ist nicht offensichtlich überflüssig. In der Tat scheint es vernünftig und sinnvoll, eine verbindliche kaiserliche Entscheidung in dieser Frage, die wahrscheinlich alle Ämter unter dem praefectus urbi betrifft, einzuholen, um künftigen Streit, Unsicherheit und Verzögerung (vorliegend wurde immerhin ein spezieller Entscheid des Stadtpräfekten erforderlich, der den reibungslosen Amtswechsel verzögerte) zu vermeiden. 417
Datum: Seeck, Regesten, 68; 165. Allein der Kaiser legt aus, entscheidet Analogien, schließt Lücken in der Rechtsordnung; der Beamte muss anfragen. Zum Thema s. die ausführliche Darstellung bei Gaudemet, Empereur; s. a. zur späteren Entwicklung: Bassanelli Sommariva, Imperatore, 5 ff. Die Aufforderungen werden zunehmend deutlich, vgl. CJ I, 14, 2 und 3 (426); CJ I, 14, 9/Nov. Marc. 4, 1 (454); CJ I, 14, 11 (474); CJ I, 14, 12, 3-5 (529). S. a. weitere Relationen (etwa 27, 39, 44 und 49) zu diesen Fragen und die zeitgenössische Formulierung des Themistius über den Kaiser als lex animata: Or. XVI, 213a. Doch schon Plinius war im Rahmen von Prozessen und Verwaltungsangelegenheiten bei Auslegungsfragen immer wieder unsicher und bittet Trajan, oftmals mit ganz ähnlichen Formulierungen wie Symmachus, um Hilfestellung oder Bestätigung: Epp. X, 56; 58: im Hinblick auf kais. Dokumente heißt es: nihil decernendum putavi; 65 f: Auslegung von constitutiones principum; 72; 79 f: Auslegung einer lex und des sie ergänzenden edictum; 108 f; 110 f; 112 f: Frage der Anwendung einer lex auf einen speziellen Fall, den das Gesetz eigentlich nicht erfasst; 114 f (dazu noch sogleich); 118 f: Auslegung einer kaiserlichen Anordnung: Rogo ergo, ut dubitationem meam regere, id est beneficia tua interpretari ipse digneris. Plinius bittet wie Symmachus regelmäßig um eine dauerhafte, stabile Lösung mit kaiserlicher Autorität.
3. Abschnitt: Relationen zu speziellen Rechtsfragen
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Für den Fall, dass die Frage nicht offiziell geklärt wird, droht die Anrufung des Kaisers durch den unterlegenen Kandidaten. Vorgelegt wird ein Präzedenzfall, den der Stadtpräfekt mit gutem Grund nicht definitiv entscheiden zu können glaubt. Er drückt sich nicht um eine eigene Entscheidung im konkreten Fall, sondern rechtfertigt selbstbewusst den von ihm eingeschlagenen Weg, womit er den Willen des Kaisers getroffen zu haben glaubt und wobei er sicherlich auch hofft, bestätigt zu werden. Mangelnde Entscheidungsfreude lässt sich ihm hier also nicht vorwerfen. Es fällt sogar auf, dass er im vorliegenden Fall eine eigene Entscheidungskompetenz für sich als Dienstherr des tribunus fori suarii ohne zu zögern annimmt, seine Entscheidung nicht etwa von einer kaiserlichen Billigung abhängig macht. Ungenügendes Selbstbewusstsein und mangelnde Amtsautorität des Symmachus lassen sich daher nicht feststellen; insbesondere kann das Schreiben nicht den Relationen 17 und 23 zu Seite gestellt werden418, denn es handelt von einer Rechtsfrage, nicht von Beschwerden über Amtsinhaber oder kaiserliche Personalpolitik. Und einen Anhaltspunkt dafür, dass die aktuelle Ernennung unredlich erlangt worden sein könnte, gibt es auch nicht. Vera419 hingegen beurteilt das Schreiben ungünstig und wirft Symmachus Heuchelei vor; Relation 22 sei eine Alibi-Anfrage, die verbergen solle, dass er bereit sei, Gesetze zu brechen und devot jede aktuelle kaiserliche Entscheidung durchzusetzen. Das überzeugt schon deshalb nicht, weil die Praxis, die sich eingeschliffen hat, nicht von Symmachus selbst stammt, ihm also auch nicht als persönlicher Gesetzesbruch vorgeworfen werden kann. Außerdem darf die rechtliche Bedeutung der Gewohnheit im römischen Recht, die sogar Gesetze infolge desuetudo außer Kraft setzen kann, bei der Bewertung des Schreibens nicht außer Acht gelassen werden. Symmachus’ Vorbringen ist ernst zu nehmen, denn es beschreibt ein typisches Rechtsproblem jener Zeit. Aufrichtige Unsicherheit über das anzuwendende Recht lässt sich, weil es gegenwärtig keine klaren Kriterien gibt, sehr wohl nachvollziehen und auch wenn vorgetragen wird, Mailand erwarte Gehorsam, so zeugt das nicht schlicht von devotem Verhalten, sondern im Gegenteil von Mut, denn die Anfrage äußert Zweifel an der Rechtmäßigkeit kaiserlicher Wohltaten. Zudem ist der Kaiser mittlerweile nun einmal eine Art legum arbiter, als den ihn Symmachus hier bezeichnet. Im absolutistischen System kann im Zweifelsfall damit nur er die Bedeutung von Gewohnheiten bestimmen. Zum selben Problemkreis äußern sich denn auch nicht zufällig die im Folgenden behandelten Relationen. Als Antwort erwartet Symmachus einen kaiserlichen Erlass, den er als sacrum oraculum in Form von iudicii absoluta forma bezeichnet; er wird die Frage für künftige Vergleichsfälle autoritär entscheiden, also für unbestimmt viele Fälle gelten. Die Wortwahl ist untechnisch, allgemein, während die Bezeich418 So aber Chastagnol, Fastes, 224, der es mit dieser Begründung auf Ende Oktober/November 384 datiert. 419 Commento, 163: „tono fortemente farisaico“.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
nung beneficium für die kaiserliche Beamtenbeförderung auch in Gesetzen begegnet420. Die Antwort Valentinians II. kennen wir nicht. Doch fragt sich, ob nur eine in Betracht kam und diese für Symmachus vorhersehbar war, seine Anfrage also aus diesem Grunde vielleicht doch nur eitles Geplänkel war. Symmachus gibt der kaiserlichen Praxis den Vorrang. Das wird man vielleicht auch in Mailand getan haben, denn die Anerkennung von Gewohnheitsrecht ist, wie CJ VIII, 52, 2 (319) beispielhaft zeigt, gerade den Kaisern des vierten Jahrhunderts nicht fremd421. Außerdem heißt es wiederholt, es sei das in der Verwaltung Übliche, consuetudo, sollemnitas, mos, zu achten, auch wenn dies im Einzelfall noch nicht die Bedeutung von Gewohnheitsrecht hatte. Und auf eben dieser Ebene schreibt auch Symmachus, der, ohne dies näher zu problematisieren, den langen Brauch der Verwaltung, secutus morem longa aetate servatum, als potenzielle Rechtsquelle akzeptiert. In der Verwaltung hat mos eine rechtliche und nicht nur eine moralische Bedeutung. Das Übliche ist eigenständig, ggf. sogar gleich- oder gar vorrangig gegenüber einer lex und verbindlich infolge seiner langen Anwendung. Dabei geht es Symmachus weniger um die Begründung subjektiver Rechte für die Kandidaten als um die Rechtfertigung seiner unter Berücksichtigung des vermuteten Kaiserwillens getroffenen Entscheidung. Ob aber das Kaisergesetz durch entgegenstehende Gewohnheit, also durch lange Nichtanwendung, außer Kraft gesetzt wurde, fragt sich Symmachus nicht, geht vielmehr von der Fortgeltung des Gesetzes aus. Und in der Tat ist die Frage schwer zu beantworten, ob ein allgemein akzeptierter Brauch als eigenständige Rechtsquelle auf der gleichen Stufe wie ein Gesetz steht, desuetudo sich gegen eine frühere lex durchsetzen kann422. Grundsätzlich geht Gewohnheitsrecht einem Gesetz nicht vor (vgl. CJ VIII, 52, 2) und wird auch Verwaltungspraxis contra legem nicht geschützt. Die Praxis, die dem Gesetz zuwiderläuft, ist eigentlich rechtswidrig; allenfalls durch ihre Regelmäßigkeit kann eine Änderung der Rechtslage eintreten. Interessanterweise zeigt uns der Briefwechsel zwischen Plinius d. J., Statthalter von Bithynien und Pontus in den Jahren 111-113, und Kaiser Trajan in Epp. X, 114 f einen ähnlichen Fall, der verdeutlicht, dass solche Fragen in der Verwaltung häufiger auftraten und schon damals vom Kaiser selbst gelöst werden mussten. Auch Plinius schildert einen Konflikt von lex und entgegenstehendem langen Brauch: longa consuetudo contra legem. Er führt aus, dass das Gesetz 420
Zum Beispiel in CJ I, 23, 5 (385); s. dazu bei Rel. 17. S. schon bei Relation 3. Zum Thema: Schmiedel, Consuetudo, 69 ff; Gaudemet, Formation, 114 ff; zum Verhältnis von Gewohnheit und Gesetz spez. 122 ff; ders., Coutume; Steinwenter, RE-mores, 290 ff. CJ VIII, 52: Quae sit longa consuetudo; CT V, 20: De longa consuetudine. 422 Dieser Frage widmen sich Schmiedel, Consuetudo, 96 ff; Gaudemet, Formation, 122 ff; ders., Coutume, 154 ff; Steinwenter, RE-mores, 295 f. Offiziell bejahende Antworten finden sich erst unter Justinian, vgl. Nov. Just. 89, 15 (539). CJ VIII, 52, 3 (469) und die interpretatio zu CT V, 20, 1 stellen lediglich lex und consuetudo ausdrücklich gleich. 421
3. Abschnitt: Relationen zu speziellen Rechtsfragen
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als veraltet angesehen wird und bittet um Verhaltensanweisung. Trajan gibt ihm in seiner Antwort darin Recht, dass eine Gewohnheit, die einem Gesetz zuwiderläuft in der Tat verwirrend sei: Nam et legis auctoritas et longa consuetudo usurpata contra legem indiversum movere te potuit, und entscheidet, dass künftig wieder das Gesetz beachtet werden, Vergangenes aber unangetastet bleiben soll. Trajan hat also nicht die Praxis anerkannt, etwa mit der Begründung, dass das Gesetz infolge desuetudo außer Kraft getreten sei, sondern lediglich den illegalen Brauch soweit er bereits vollzogen war, unangetastet gelassen. Die als missbräuchlich beurteilte Praxis konnte jedenfalls damals das Gesetz nicht aufheben. Das könnte Ende des vierten Jahrhunderts grundsätzlich noch immer gelten, denn die Frage ist, soweit ersichtlich, bislang nicht abweichend geregelt worden. Allerdings geht es hier um kaiserliche Praxis und so hält es Symmachus denn auch für möglich, vielleicht sogar für wahrscheinlich, dass sich nicht das Gesetz, sondern die Verwaltungspraxis durchsetzt. Den Konflikt aber kann allgemeingültig - und danach ist hier gefragt - nicht der Stadtpräfekt aus eigener Autorität entscheiden, sondern nur der Kaiser nach seinem Ermessen. Es obliegt allein ihm, über die Fortgeltung einer lex im Sinne einer allgemeingültigen Regelung, die dauerhaft gemeint war, zu befinden. Die Beantwortung der sehr grundsätzlichen Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und ihm widersprechender Gewohnheit würde Symmachus als Praktiker und Nichtjuristen überfordern. Er stellt sich diese Frage daher so auch gar nicht, sondern löst nur den Einzelfall. Seiner vorläufigen Meinung nach entscheidet der Kaiser mit seiner Ernennung im Einzelfall, wenn auch vielleicht unbewusst, gegen das Gesetz, duldet nicht nur eine Gewohnheit. Seine Entscheidung, das Übliche zu tun, erkennt also unmittelbar die kaiserliche Autorität an. Aus seiner Sicht kann er gar nicht anders entscheiden, denn als pflichtbewusster Beamter muss er eine ausdrückliche Entscheidung des amtierenden Kaisers als vorrangig auch gegenüber einer älteren, allgemeinen lex anerkennen, es sei denn es gibt Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens. Die Berufung auf mos ist nur ein stützendes Argument. Hinter der Ernennung vermutet Symmachus den Willen des Kaisers, auch hier der consuetudo folgen zu wollen. Weil aber daneben das allgemeine Gesetz solange fortgilt, bis es ausdrücklich aufgehoben wird, informiert er den Kaiser, dem die Problematik möglicherweise nicht bewusst ist. Nachdem es keine festen, allgemein formulierten Regeln gibt, die bei Beantwortung einer solchen Grundsatzfrage helfen könnten, ist diese Sichtweise zumindest vertretbar. Es fehlt Symmachus nicht an der nötigen Rechtskenntnis, sondern der ganze theoretische Unterbau für solche Fragen fehlt. Das Spannungsfeld, in dem Relation 22 steht, beleuchten anschaulich CT I, 2, 2 (315; näher dazu bei Relation 44), wonach rechtswidrige Reskripte (etwa auch ein recens beneficium?) nichtig sind, und CT I, 1, 4 (393, Ost), wonach allgemeine Gesetze dem speciale beneficium vorgehen. Vorsicht ist also angebracht. Im Interesse der Rechtssicherheit ist die Anfrage notwendig. Schon um ein außer Anwendung geratenes Gesetz wieder durchsetzen zu können, bedarf es kaiserlicher Bestätigung. Damit ist die Antwort des Kaisers auf die gestellte Frage aber ganz offen. Beide Streitparteien machen brauchbare Argumente geltend.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Wie Trajan kann Valentinian II., dem das Problem bislang nicht bewusst gewesen sein mag, das Gesetz jedenfalls für die Zukunft offiziell wieder in Kraft gesetzt haben. Fazit: Das Schreiben wirft Licht auf die Rechtslage in Rom und die Rechtsüberzeugungen des Symmachus, ohne dass dieser seine Zweifel rechtstheoretisch begründen kann und will. Als Nichtjurist äußert er sich nicht über Theorien zur Rechtsquellenlehre und zum Gewohnheitsrecht, doch kennt er, schon aus dem Vortrag der streitenden Parteien, die Verwaltungspraxis und das einschlägige Gesetz. Er neigt dazu, was seiner traditionellen Einstellung entspricht, der consuetudo zu folgen. Wie schon in früher behandelten Relationen fühlt er sich durch mos gebunden; in den Relationen 3, 4 und 42 genügte ihm sollemnitas zur Begründung eines Gesuchs. Das Schreiben ist pflichtgemäß, knapp und zumindest vertretbar begründet. Symmachus zieht sich nicht zurück, schreibt vielmehr in voller Überzeugung, richtig gehandelt zu haben an seinen Kaiser. Es geht um eine Rechtsfrage, die von weitreichendem Interesse in der stadtrömischen Verwaltung gewesen sein dürfte. Symmachus fordert mit präziser Fragestellung einen verbindlichen Rechtsentscheid für die Zukunft. Relation 22 zeigt erstmals das Problem einander widersprechender kaiserlicher Anordnungen verschiedener Reichweite und das Bedürfnis nach klaren Grundsätzen. Die Rechtssicherheit steht in Frage. Sachliche und zeitliche Reichweite verschiedener kaiserlicher Normen ist nicht klar erkennbar. Das sind Fragen, die die Kompetenz des Stadtpräfekten sichtlich übersteigen.
II. Relation 27: Streit unter den archiatri um die Hierarchie im collegium Dem Stadtpräfekten liegt ein Streit um die Rangordnung im Kollegium der Stadtärzte von Rom zur Entscheidung vor, bei dem wieder einmal widersprüchliche kaiserliche Regelungen Schwierigkeiten bereiten. Symmachus wagt keine eigene Entscheidung zwischen einer älteren allgemeinen lex und einem aktuellen oraculum und gibt die Angelegenheit, die er in Relation 27 knapp schildert, mit den nötigen Unterlagen, § 4, nach Mailand weiter. Adressat der Relation, die zeitlich nicht näher einzuordnen ist, ist Valentinian II., der in § 1 als Sohn von Valentinian I. angesprochen wird. 1. Zum Hintergrund Im Jahre 368 hatte Valentinian I. einen öffentlichen Gesundheitsdienst in Rom eingerichtet; wohl aus christlichem Gedankengut heraus sah man die medizinische Versorgung nicht mehr als reine Privatsache an und erwartete vom Kaiser insoweit auch soziales Engagement. Gemäß CT XIII, 3, 8 (ad praefectum urbi) wurde den 14 städtischen regiones je ein staatlich besoldeter Arzt, archiatrus, zugewiesen, der neben seiner normalen Tätigkeit die Aufgabe hatte,
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die Armen seines Bezirks unentgeltlich zu behandeln und Unterricht zu erteilen (medendi professores, § 1). Insgesamt drei weitere Ärzte waren den Vestalinnen, Portus und Xystus (Assoziation der Athleten) zugeteilt. In Rom und Portus arbeiteten folglich neben den vielen privat tätigen Ärzten insgesamt 17423 staatliche Ärzte, die in einem collegium zusammengeschlossen waren (collegium omne medicorum, § 2). Sie erbrachten ihre Dienste auf Kosten der kaiserlichen Kasse und unter Oberaufsicht des Stadtpräfekten, über den auch der Lohn (in Naturalien) ausbezahlt wurde. An ihn richten sich demgemäß die Konstitutionen, die die Stadtärzte betreffen. Privathonorare durften diese Ärzte nur von Geheilten kassieren (§ 1). Verboten war, sich ein Honorar von Schwerkranken aus deren Hoffnung auf Heilung heraus versprechen zu lassen. Die Aufnahme in das Kollegium bedeutete eine besondere Ehre. Zwar hatte diese Berufsvereinigung wie alle Korporationen eine spezielle öffentliche Aufgabe zu erfüllen, nämlich Armenversorgung und Unterricht, doch war dieses corpus keine erbliche Zwangskorporation (zu solchen vgl. die Relationen 14, 29 und 44). Über die Rekrutierung neuer Mitglieder hatte das collegium in einem Wahlverfahren selbst zu befinden; ihm wurde also insofern Autonomie zugestanden. Im Jahre 370 regelte Valentinian I. mit CT XIII, 3, 9 das Aufnahmeverfahren für den Fall des Todes eines Mitglieds neu. Aspiranten auf eine freigewordene Stelle müssen sich danach einer Prüfung ihrer Eignung durch die archiatri unterziehen. Um in das collegium aufgenommen zu werden, müssen mindestens sieben führende Mitglieder (primi) die Eignung des Kandidaten bejahen. In Bezug auf die 14 Ärzte der römischen Stadtbezirke hieße das, dass von den 13 verbliebenen Ärzten die absolute Mehrheit über die Eignung zu befinden hatte. Das würde allerdings voraussetzen, dass an diesem Verfahren nur diese 14 Ärzte teilnahmen, die drei Spezialärzte dagegen nicht. Diese werden denn auch in CT XIII, 3, 8 pr. vorweg ausgenommen, gehörten also vielleicht gar nicht zum collegium. Das Kollegium kooptierte also den neuen archiatrus, ob mehrheitlich oder durch einstimmiges Votum der ersten sieben, steht dahin. Dieser wurde dann auf dem letzten Posten in die matricula des collegium eingeschrieben und alle anderen Kollegen, die bisher hinter dem Verstorbenen rangierten, rückten einen Posten auf. Das Ergebnis, dem der Kaiser offensichtlich nicht zustimmen musste, hatte der Stadtpräfekt dem Kaiser mitzuteilen: CT XIII, 3, 8, 2. Kooptiert werden soll allerdings nur, wer es nach dem Urteil des Kaisers wert war. Der Stadtpräfekt hatte auf die Rekrutierung neuer Mitglieder keinen zumindest keinen offiziellen - Einfluss. Diese im Grunde klare Regelung gilt 423 Wie hier: Chastagnol, Préfecture, 290; Vera, Commento, 198 f m. w. N; Roda, Commento, 100 f. Andere Autoren rechnen 14+2 Ärzte, letztere für den Hafen von Xystus, an dem die Athleten trainieren, und für die Vestalinnen: Vigneaux, Essai, 339; Briau, Archiatrie, 84; 86 (117 ff zu den speziellen Archiatern von Xystus und den Vestalinnen); Reinach, DS-medicus, 1692 Fn. 18; Below, Arzt, 50. Zur Organisation und den Aufgaben dieses collegium: Briau, Archiatrie, 77 ff; ders., DS-Archiatrus, 373 f; Reinach, DS-medicus, 1692 f; Wellmann, RE-archiatros, 464 ff; Below, Arzt, 49 ff. Römische archiatri werden inschriftlich erwähnt in CIL VI, 9562-9565.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
nach Symmachus’ Darstellung auch im Jahre 384/385 fort: hanc formam...servavit, § 1; s. a. § 3. Trotzdem kommt es zum Streit. Festzuhalten ist, dass die Nachfolge nicht durch einen Magistrat (non gratia iudicantis, CT XIII, 3, 8, 2) oder vom Hof aus (non patrocinio praepotentium, a.a.O.) geregelt wurde, sondern durch Entscheidung der Kollegen nach einem festen Verfahren. Das sollte Fachkompetenz sichern (zum in dieser Hinsicht verbreiteten Problem bei der Beamtenauswahl s. Relation 17) und vor Patronage schützen. Dennoch blieb ein Restrisiko, dass Einflussnahme beim Kaiser versucht wurde, worauf noch zurückzukommen sein wird, denn das collegium war hierarchisch gegliedert und der Rang brachte Prestige, aber auch materielle Vorteile mit sich; mit einem höheren Rang war insbesondere eine höhere Vergütung verbunden, CT XIII, 3, 9, 1. Außerdem gab es für die römischen archiatri Privilegien, wie Befreiung von bestimmten Diensten und Steuern, die ebenfalls nach dem Rang abgestuft waren und vom Stadtpräfekten überwacht und durchgesetzt wurden424. Die angesehene und profitable Stellung als archiatrus, die ein Renommé mit sich brachte, das auch für private Dienste an den Reichen und damit zusätzlichen Verdienst nützlich war, machte diese Posten äußerst begehrt. Der Rang war, wie angedeutet, nach Dienstalter abgestuft, Aufnahme und Aufstieg innerhalb der Gruppe reglementiert. Trotzdem waren Konkurrenzkämpfe, zumal mit unlauteren Mitteln möglich. 2. Der konkrete Fall Symmachus liegt ein Streitfall vor, den er als Verantwortlicher für die Durchsetzung der eben genannten kaiserlichen Anordnungen zu entscheiden hat. Es handelt sich nicht um einen Prozess, den er als Richter zu beurteilen hat, sondern um eine Verwaltungsstreitigkeit, die er dem Kaiser zur Entscheidung übergibt. Der Skizzierung des Sachverhalts schickt er in § 1 zunächst eine allgemeine Einleitung voraus, die seine Loyalität, die sich insbesondere in Gesetzestreue ausdrücke, unterstreichen soll. Offensichtlich will er möglicher Kritik an seinem Verhalten zuvorkommen, indem er seinen Respekt für die Anordnungen, sanctiones, des amtierenden Kaisers und für die decreta (beide Begriffe stellvertretend für jede legislative Äußerung) verstorbener Kaiser, insbesondere von Valentinian I., unterstreicht. Valentinian I. habe in einer lex425 eine Nachfolgeregel für ausscheidende archiatri erlassen, die vorsieht, dass die ranghöchsten Ärzte die Kompetenz des Bewerbers beurteilen. Dieses gesetzliche Verfahren, haec forma, sei wohl bis jetzt auch stets beachtet worden: Qua lege cautum est, ut primi artis eiusdem de novorum scientia iudicarent. Hanc formam, quan424 425
Vgl. etwa CT XIII, 3, 1 (321); 2 (320); 4 (362); 10 (373). Wohl CT XIII, 3, 9.
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tum adserunt, aetas secuta servavit, ddd. imppp. Die 15 Jahre alte lex gilt also nach Symmachus; sie wurde permanent angewandt. In §§ 2 f schildert er dann den Fall: Das collegium der römischen archiatri streitet mit einem Iohannes426, einem vir perfectissimus, der bisher am kaiserlichen Hof beschäftigt, also wohl medicus palatinus war. Er möchte als Ersatz für den verstorbenen archiatrus Epictet427 in das collegium aufgenommen werden, nachdem er Epictet schon vertreten hatte, als dieser noch lebte, aber vermutlich schon krank war. Außerdem fordert er, der nach der Konstitution von 370, scita divalia, nach erfolgreichem Aufnahmeverfahren als letzter in die matricula einzutragen wäre, in die Position des Verstorbenen, die die zweithöchste war, einzurücken. Zur Begründung seiner Forderung trägt er zwei Argumente vor. Zum einen meint er, dass ihm sein bisheriger Dienst am Hof eine privilegierte Position, palatinae militiae privilegium, gegenüber gewöhnlichen Anwärtern auf die Stellung eines stadtrömischen archiatrus verleiht, und zum anderen beruft er sich auf ein speciale oraculum des Kaisers, das ihn auf die Position des Epictet ernannt hat, als dieser noch lebte, aber seinen Dienst schon nicht mehr ausüben konnte. Er macht geltend, diese Verfügung gelte auch für die Nachfolge im Todesfall, er rücke daher auf den Posten von Epictet ein. Mit der Begründung, dass Gesetz (CT XIII, 3, 9) und Brauch, lex et mos, es verlangten, beruft Symmachus daraufhin die archiatri zu sich ein, und zwar nicht nur wie üblich die Führenden, summates, sondern das gesamte collegium. Man möge die Frage diskutieren, die über eine normale Aufnahmeentscheidung hinaus reiche und in ihrer Tragweite beinahe alle archiatri persönlich betreffe: Nunc Iohannes v. p. non eum gradum, quem subrogandis dederunt scita divalia, sed summo proximum conatur adipisci fultus palatinae militiae privilegio et impetratione specialis oraculi, quo Epicteti archiatri locum tunc adhuc superstitis inpetravit. Sed quia lege et more cogentibus summates eiusdem professionis par fuit in examen acciri, adhibitum est iudicio collegium omne medicorum. Der Ablauf der Beratungen wird in § 3 geschildert: Quorum potissimi inter venerationem legis et novi beneficii reverentiam iudicare non ausi eum locum Iohanni v. p. statuerunt deferendum, quem tenere potuisset, si eo tempore, quo aulae obsequiis deputatus est, archiatrorum numero fuisset adiunctus. Sed cum ab eo palatini honoris indicia poscerentur, ut codicillorum praerogativa monstraret, quis illi inter archiatros ordo conpeteret, adseruit domestica expilatione etiam documenta dignitatis ablata. Zunächst äußern die Ranghöchsten, die potissimi, ihre Ansicht, wagen aber keine klare Stellungnahme für veneratio legis oder novi beneficii reverentia. Das erinnert an Symmachus’ eigene Unschlüssigkeit in Relation 22, die er selbst allerdings überwunden hatte. Die potissimi beschließen vielmehr einen Kompromiss, dass nämlich Iohannes 426 Ansonsten unbekannte Person; dem Namen nach wahrscheinlich ein Christ. Er ist v. p. und ex palatino, § 2. Seeck, RE-Iohannes 1, 1743; PLRE I, Iohannes 1, 459. 427 Unbekannt: PLRE I, Epictetus 1, 279.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
in die Rangstelle einrücken soll, die er jetzt (384/385) innehätte, wenn er zu der Zeit, zu der er in den Hofdienst trat, römischer archiatrus geworden wäre. Die Zeit als Palastarzt soll ihm also angerechnet werden. Man versucht offenbar, mit diesem Ansatz beiden Normen gerecht zu werden, ohne die tatsächliche Anwendbarkeit und Reichweite des speciale oraculum/novum beneficium im Detail zu diskutieren. Iohannes wird aufgefordert, seine Stellung am Hof durch Vorlage der Ernennungsurkunde nachzuweisen, damit man ihn entsprechend dem Beschluss, dem sich offenbar keiner widersetzt, einschreiben könne. Doch behauptet er, die Unterlagen seien ihm gestohlen worden. Er könnte also auch ein Betrüger sein. Symmachus wertet das indes nicht, sondern berichtet neutral das Geschehen. Er selbst ist bislang zu keiner Entscheidung berufen, vielmehr verhandeln und beschließen bis dahin unter seinem Vorsitz allein die Ärzte in einer Selbstverwaltungsangelegenheit. Da der Kompromissvorschlag nicht in die Tat umgesetzt werden kann, beruft sich nun doch ein Großteil der Ärzte auf die lex divalis von Valentinian I., § 4: At vero pars magna medicorum munita lege divali eorum exempla deprompsit, qui e palatio in hunc gradum servato ordine transierunt. Quare motus ambiguis et neque divi genitoris vestri ausus rumpere sanctionem neque obviam specialibus venire praeceptis, divino arbitrio numinis vestri subditis allegationibus partium summam negotii reservavi, opperiens, quid deliberatio augusta constituat, cui solo fas est de scitis divalibus iudicare. Es werden Präzedenzfälle angeführt, in denen Hofärzte bei ihrem Eintritt in das römische collegium keine Sonderbehandlung erfahren haben, sondern, wie es das Gesetz vorsieht, als letzte eingeschrieben wurden. Die gewünschte Privilegierung allein aufgrund des Hofdienstes wurde also in der Praxis bisher abgelehnt. Die Mehrheit der Ärzte befürwortet zwar anscheinend eine Aufnahme des Iohannes, das Quorum von sieben primi scheint erreicht, doch gibt es keine Mehrheit für eine Sonderbehandlung und damit auch nicht mehr für den Kompromissvorschlag, dessen Anforderungen Iohannes nicht erfüllt hat. Nun ist es an Symmachus, der das Verfahren aus CT XIII, 3, 9 auszuführen hat, zu entscheiden, was zu tun ist. Hin- und Hergerissen zwischen den beiden sich seiner Ansicht nach widersprechenden Regelungen, die er, wie er im ersten Satz schreibt, für gleichermaßen verbindlich hält und verwirrt durch Sachlage und widersprüchliche Ansichten, wagt er keine Entscheidung gegen das Gesetz von Valentinian I., sanctio, will sich aber auch nicht speziellen praecepta entgegenstellen. Verallgemeinernd wählt er den Plural, obwohl nur die eine Entscheidung zugunsten von Iohannes in Frage steht. Die gewählte Formulierung mag der Anfrage mehr Gewicht verleihen. Der Kaiser soll entscheiden, die Stellungnahmen der Parteien werden beigelegt. Die Kompetenz, derartige Streitfragen zu entscheiden, liege allein beim Kaiser, cui solo fas est de scitis divalibus iudicare, der also wieder einmal als Schiedsrichter in Gesetzesfragen angerufen wird. Ohne eine persönliche Ansicht zu äußern, erstattet Symmachus Bericht und erwartet eine Anweisung aus Mailand, wie zu verfahren sei.
3. Abschnitt: Relationen zu speziellen Rechtsfragen
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3. Bewertung Anders als in Relation 22 muss Symmachus den konkreten Fall nicht vorläufig entscheiden, wenn die Streitfrage auch im Übrigen ähnlich ist. Der Stadtpräfekt hört sich verschiedene Ansichten an, wagt jedoch nicht, ein eigenes Urteil abzugeben, bekundet noch nicht einmal, welcher Seite er zuneigt, sondern zieht sich aus dem Konflikt zwischen lex und novum beneficium und damit auch aus dem Konflikt zwischen dem collegium der archiatri und Iohannes zurück. Die Relation ist nicht Bestandteil des Aufnahmeverfahrens, sondern wird wegen einer speziellen Rechtsfrage aufgesetzt. Grundsätzlich muss der Kaiser nicht befragt werden, CT XIII, 3, 8; normalerweise wäre lediglich der Name des Gewählten mitzuteilen, wozu es bisher nicht gekommen ist, weil das Verfahren in rechtlichen Fragen stecken geblieben ist, die Symmachus nicht meistern zu können glaubt. Sehen wir uns die von Iohannes vorgebrachten Argumente an, um einschätzen zu können, ob Symmachus nicht doch hätte entscheiden können. Das erste Argument ist anmaßend. Iohannes versucht offensichtlich, die Ärzte und Symmachus mit seinen angeblichen Beziehungen zum Hof einzuschüchtern. Die Stellung als Hofarzt, d. h. Mitglied des collegium der archiatri sacri palatii/archiatri palatini, die als kaiserliche Leibärzte eine Vertrauensstellung hatten, verlieh zwar Privilegien428, doch auf das konkret geltend gemachte Privileg vermag sich Iohannes nur vage zu berufen. Eine Sonderbehandlung von Hofärzten ergibt sich gerade nicht aus der klaren Nachfolgeregelung in CT XIII, 3, 9, die keine Ausnahmen vorsieht. Vielmehr rückt jeder Neue auf dem letzten Platz ein. Iohannes versucht frech, unberechtigt ein Privileg in Anspruch zu nehmen und wird von den Kollegen in Rom wenigstens insofern ernstgenommen, als man ihn immerhin bittet, er möge seine Stellung als Hofarzt nachweisen; das kann aber auch als Misstrauen in seine Behauptung ausgelegt werden. Und tatsächlich gelingt Iohannes der geforderte Nachweis nicht, was ihn vollends verdächtig macht, seine Forderung aus der Luft gegriffen zu haben. Schlagend ist aber das Argument der Mehrzahl der Ärzte, dass schon andere Hofärzte in das collegium von Rom eingetreten sind, dabei aber die allgemeingültige Regelung von 370 beachtet wurde. Warum sollte vorliegend eine nicht vorgesehene Ausnahme angenommen werden? Mit diesem Ansatz kommt Iohannes also nicht weit, doch enthält sich Symmachus, der hier eigentlich klar entscheiden könnte, jeder Bewertung, als habe er vielleicht doch Respekt vor 428 Zu den privilegierten archiatri sacri palatii vgl. etwa (zum Teil östliche Regelungen): CT VI, 16, 1; XI, 18, 1; XIII, 3, 2; 12; 14-19; Hist. Aug., Alex. Sev. 42, 3. Sie haben wahrscheinlich einen höheren Rang als die römischen archiatri und werden immer wieder besonders begünstigt. Sie genießen Abgabenfreiheit, werden mit Titeln und Ämtern ausgezeichnet (häufig wurden sie mit Verwaltungsposten belohnt, zwei Beispiele bei Vera, Commento, 200) und gewiss auch gut besoldet. Zu den Hofärzten: Briau, Archiatrie, 19 ff; Wellmann, RE-archiatros, 465; Below, Arzt, 44 ff; Marasco, Medici, 280 ff.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
möglichen Beziehungen des Iohannes zum Hof. Auch die summates geben in dieser Frage bis zu einem gewissen Punkt nach. Seine Anfrage an den Hof allerdings begründet Symmachus nicht mit der Unsicherheit über mögliche Privilegien eines ehemaligen palatinus, sondern damit, dass der Kaiser möglicherweise eine spezielle Anordnung erlassen habe. Dass das erste Argument nicht ausreicht, hatte Iohannes offensichtlich selbst erkannt und daher ein zweites vorgebracht, das die eigentlich interessante Rechtsfrage erst begründet: Der Kaiser hatte Iohannes - dass es das oraculum gibt, ist unbestritten und kann von Iohannes anscheinend dargetan werden zum Vertreter des Epictet ernannt und lässt ihn auf dessen Posten seine Arbeit verrichten. Iohannes benutzt diese Anordnung nun dazu, seine Nachfolgeberechtigung auf diesen Rang contra legem geltend zu machen. Symmachus lässt uns über die Einzelheiten des kaiserlichen oraculum im Ungewissen, zumindest scheint die darin enthaltene Regelung nicht eindeutig zu sein, weil Symmachus ansonsten doch wohl wie in Relation 22 zur Befolgung des eindeutigen, wenn auch entgegen der lex lautenden novum beneficium tendieren würde. Der Kaiser hatte zur Nachfolge im Todesfall vermutlich überhaupt nichts gesagt, so dass sich die Frage stellen mochte, ob das oraculum trotzdem so weit auszulegen war. Auch hier scheint ein Auslegungsproblem vorzuliegen, das Symmachus allerdings nicht sehr klar artikuliert. So stellt er nicht die Frage, ob die Anordnung im Todesfall überhaupt gelten soll, ob eine befristete oder bedingte Vertretungsregel ergangen ist und der Kaiser Iohannes den Rang von Epictet nur einstweilen zugewiesen hat, solange jener an der Verrichtung seines Dienstes verhindert war. Auch hätte ihm auffallen müssen, dass eine Ausnahme von einem derart klar formulierten Gesetz gewährt worden sein soll, heißt es doch in CT XIII, 3, 9 eigens: quicumque fuerit admissus. Ein solches oraculum mochte unlauter erlangt worden sein. Symmachus zieht sich vor all diesen Fragen zurück. Anders wäre der Fall freilich zu beurteilen, wenn, wie einige Autoren glauben, das oraculum tatsächlich eine spezielle Nachfolgeregelung auf den Rang des Epictet enthielt429, der Kaiser also im Einzelfall vom Gesetz abgewichen wäre. Dann müsste Symmachus doch wohl die spezielle Regelung als vorrangig gegenüber dem allgemeinen Gesetz betrachten und der Fall wäre klar zu entscheiden. Wie in Relation 22 wäre er vermutlich der speziellen kaiserlichen Entscheidung gefolgt und hätte allenfalls für die Zukunft nachgefragt. Das tut er aber gerade nicht, der Sachverhalt scheint ein anderer. Vielleicht möchte Symmachus sogar fragen, ob die geltend gemachte gesetzwidrige Vergünstigung von Iohannes unrechtmäßig erlangt worden und daher ungültig ist430. Dafür gibt es in der Relation jedoch allenfalls unterschwellige Anhaltspunkte. Die 429 So wohl Briau, Archiatrie, 91; Reinach, DS-medicus, 1693; Rougé, Aspects, 246 Fn. 81; Jones, LRE, 690. 430 Zum Problem erschlichener Reskripte und deren Geltung vgl. ausführlich bei Relation 44.
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Wortwahl in § 2: impetratione specialis oraculi...inpetravit könnte eine Andeutung von Skepsis enthalten. Doch spricht auch die von den Ärzten geführte Diskussion erst einmal dafür, dass das novum beneficium lediglich nicht eindeutig war. Die summates wollen Iohannes keinesfalls auf den zweiten Rang vorrücken lassen, was sie vielleicht erwogen hätten, wenn der Wortlaut eindeutig gewesen wäre. Auch die Tatsache, dass das reguläre Aufnahmeverfahren durchgeführt wird, spricht dagegen, dass der Kaiser Iohannes einen bestimmten Posten zugewiesen hat. Nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist aber, dass das speciale oraculum zugleich als Nachfolgeregel ausgelegt werden könnte, die im Widerspruch zum allgemeinen Gesetz steht und dass Symmachus das nur deshalb nicht deutlich sagt, um nicht den Anschein zu erwecken, er kritisiere gesetzwidriges Verhalten des Kaisers. Jedenfalls wagt Symmachus es nicht, die eindeutige, unbestritten gültige Nachfolgeregel aus CT XIII, 3, 9 dem Vorbringen des Iohannes entgegenzusetzen. Er mag nicht ausschließen, dass es ein kaiserliches oraculum mit dem behaupteten Inhalt gab. Kein Wort verliert er darüber, dass eine Begünstigung von Iohannes zu bösem Blut im collegium führen könnte, und es anzuraten wäre, nach der alten Regelung vorzugehen. Man fragt sich, ob er, der doch in den Relationen 14 und 17 kein Blatt vor den Mund nimmt, dadurch eingeschüchtert ist, dass Iohannes Beziehungen zum Hof zumindest behauptet, unterschwellig vielleicht damit droht431. Andererseits ist ihm zugutezuhalten, dass er sich genau so verhält, wie man es zu seiner Zeit von einem guten Beamten erwartet, der dem Kaiser das von diesem immer wieder betonte Auslegungsmonopol für eigene und auch frühere kaiserliche Anordnungen überlässt (vgl. die Quellen bei Relation 22). Gesetzesauslegung überfordert den Verwaltungsbeamten, der formell die Sache zu Recht abgibt. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die Aufnahme eines neuen archiatrus von den Ärzten zu entscheiden ist und die Zuständigkeit des Stadtpräfekten in diesem Verfahren nur beurkundender Natur ist. Seine Unsicherheit ist insofern verständlich, als das Gesetz für einen solchen Fall, in dem die Ärzte zwar für die Aufnahme des Kandidaten votieren, aber über den zu vergebenden Rang unsicher sind, keine Regelung enthält. Vorwerfen könnte man Symmachus in diesem Zusammenhang allerdings, dass er keinerlei Erwägungen anstellt über den Inhalt des oraculum. Am nächsten liegt doch wohl, dass nur eine vorübergehende Vertretungsregel erlassen wurde. Das Gesetz, dessen Geltung nie in Frage gestellt wurde, ist sinnvoll und gerecht, warum sollte der Kaiser davon abweichen wollen? Wäre das nicht eher unwahrscheinlich? Wenn eine Ausnahme ergangen ist, läge nicht der Verdacht nahe, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zuging? All diese Fragen stellt Symmachus nicht. Stattdessen gibt er nur fremde Meinungen unkommentiert weiter. Als Stadtpräfekt hätte er durchaus anstelle des Kaisers den Streit entscheiden können. Nach seinen eigenen Worten wagt er das aber nicht, seine Kompetenz bezweifelt er also nicht. Von der Entscheidung hält ihn nur vorder431
Das betont Vera, Commento, 200.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
gründig eine Rechtsfrage ab, doch dahinter stehen offenbar auch diffuse Ängste vor Iohannes’ Beziehungen zum Hof und vor den summates der archiatri. Zwar ist Symmachus kein Vorwurf daraus zu machen, dass er die Frage dem Kaiser überhaupt vorlegt, aber die Art und Weise, in der er sich zurückzieht, mutet doch eher schwach an. Selbst wenn die Auslegungsfrage vielleicht sogar zur Vorlagepflicht führte, so war doch in solchen Fällen der Magistrat gehalten, seine eigene Rechtsauffassung darzulegen, damit der Kaiser aufgrund der Aktenlage entscheiden kann432. Insoweit fehlt jede überzeugende Erwägung. Iohannes, dessen Vorbringen nicht einmal besonders raffiniert scheint und der sich sogar der Hochstapelei verdächtig macht, nutzt geschickt die Unsicherheit der Kollegen und des Stadtpräfekten in Rom. Die Anrufung des Kaisers verschafft ihm die Chance, vielleicht doch noch mit seiner Forderung durchzukommen, vor allem wenn er tatsächlich einflussreiche Freunde am Hofe hat. 4. Eine Antwort? Wie der Kaiser reagiert hat, wissen wir nicht mit Bestimmtheit. Immerhin wird etwa zwei Jahre später die Beachtung der bestehenden gesetzlichen Regelung Valentinians I. (von 368 und 370) eingeschärft. CT XIII, 3, 13 vom Januar 387 an den Nachfolger des Symmachus im Amt des Stadtpräfekten, Pinianus, sagt: Si quid inpetratis subrepticiis in iudicio suo magnificentia tua ita viderit actitatum, ut his legibus, quae ad relationes promulgatae sunt, videatur aliquid inminutum, rescissis omnibus, quae per gratiam gesta videbuntur, eorum tenorem super archiatris ordinandis, quae a divae memoriae patre nostro constituta sunt, a nobis quoque confirmata ex huius auctoritate rescribti faciet omnifariam custodiri. Dieses Gesetz Valentinians II., das sich auch als rescriptum bezeichnet, könnte als Antwort auf die relatio ergangen sein. Zwei Jahre nach der Stadtpräfektur von Symmachus ist freilich etwas spät433. Das Gesetz zeigt jedenfalls, dass man am Hof die alte Regelung beibehalten will und dass eine Klarstellung, confirmatio, des anzuwendenden Rechts notwendig geworden ist. Es passt inhaltlich gut als Antwort auf Relation 27. Der Kaiser bestätigt die frühere lex und ordnet außerdem an, dass der praefectus urbi keine erschlichenen Begünstigungen, inpetrata subrepticia, akzeptieren dürfe, was zeigt, dass rechtswidrig erlangte Ausnahmen von den allgemeinen Gesetzen unterbunden werden müssen. Der Stadtpräfekt wird ermahnt, die Gesetze über die archiatri durchzusetzen. Wenn die Konstitution die Antwort auf die Relation war, hätte das oraculum dem Iohannes wohl tatsächlich eine Ausnahme von der allgemeinen lex ge432
Zum sog. Relationsverfahren, in dem der Beamte den Kaiser um einen Rechtsentscheid bittet, s. ausführlich bei den Prozessberichten. Dort auch Nachweise. 433 Nicht zu spät nach Chastagnol, Préfecture, 291; Pharr, Theodosian Code, 389 Anm. 41; Vera, Commento, 201, die die Konstitution als Antwort auf Relation 27 ansehen.
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währt und wäre damit nach Einschätzung des Kaisers bereits deshalb rechtswidrig erlangt worden, möglicherweise aufgrund falscher Angaben des Iohannes. Das Gesetz von 387 zeigt jedenfalls das fortdauernde Problem und den Konkurrenzkampf, der offensichtlich unter den archiatri herrschte, bei dem die eingesetzten Mittel nicht immer lauter waren. Wenn die alte Regel für die Zukunft eigens eingeschärft werden muss, hatte man sie in der Praxis offenbar nicht immer angewandt. Wie in Relation 22 macht eine dem Gesetz zuwiderlaufende Praxis eine kaiserliche Bestätigung notwendig. Am konkreten Streit ist der Kaiser selbst allerdings nicht ganz unschuldig, denn er scheint ein nicht eindeutiges oraculum erlassen zu haben und es fragt sich, ob er das Gesetz dabei bewusst ignoriert und die drohenden Konflikte unterschätzt hat. Relation 27 wäre vor diesem Hintergrund eine kritische Stimme aus der Verwaltung und einige Autoren halten es demgemäß für möglich, dass sich der Kaiser durch das Schreiben kritisiert sah und mit CT I, 6, 9 erst einmal heftig reagiert hat434. Dieses Gesetz wurde bereits im Zusammenhang mit den Relationen 17 und 21 erwähnt. Es untersagt Kritik an kaiserlicher Beamtenernennung. Doch ist hier sehr fraglich, ob Symmachus, der sich jeder Stellungnahme enthält, Kritik an einer kaiserlichen Auswahl übt; in Relation 17 ist solche Kritik sehr viel deutlicher, so dass CT I, 6, 9 eher Reaktion auf diese Relation ist. Die Frage, was die unmittelbare Reaktion in Mailand auf Relation 27 war, muss daher letztlich offenbleiben. Symmachus erwartet eine Entscheidung des Einzelfalles und geht ansonsten von Fortgeltung des Gesetzes aus, sieht also für die Zukunft keinen weitergehenden Regelungsbedarf. Auch Relation 27 beleuchtet damit im Ergebnis anhand eines Einzelfalles die allgemeine Rechtspraxis und Rechtsunsicherheit, auch das vorsichtige Herangehen des Symmachus an solche Fälle. Weniger zurückhaltend war im Vergleich dazu Relation 22, vielleicht weil der dortige Hintergrund für den Stadtpräfekten leichter überschaubar war. Offen gibt Symmachus hier zu, dass er eine eigene Entscheidung nicht wagt, und überlässt dem Kaiser den Fall. Seine Formulierung klingt beinahe wie CT I, 2, 3/CJ I, 14, 1 (s. bei Relation 22), d. h. Symmachus zieht sich auf das kaiserliche Rechtsauslegungsmonopol zurück, gedeckt durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen. Relation 27 beleuchtet aber auch, dass das gesetzlich vorgesehene, Autonomie einräumende Verfahren bei der Rekrutierung der archiatri grundsätzlich eingehalten wird. Symmachus, der sich mehrmals persönlich für Ärzte eingesetzt hat435, erweckt nicht den Eindruck, er wolle jemanden protegieren. Vielmehr geht es um das Funktionieren des öffentlichen Gesundheitswesens und Unstimmigkeiten in ei434 CT I, 6, 9 als Antwort auf Relation 27 nehmen an: Gothofredus, Komm. I, 116; Kipp, Erbschaftsstreit, 70 Fn. 10. An einen Zusammenhang dieser Konstitution mit der in Relation 27 berichteten Angelegenheit glaubt auch Briau, Archiatrie, 91: Sie sei auf den Protest des collegium gegen die Begünstigung des Iohannes hin ergangen. 435 Epp. I, 66 (Karriere eines Arztes); III, 37; IX, 4; IX, 44. Weitere Beispiele für Karrieren und gute Beziehungen von Hofärzten bei Marasco, Medici, 282 ff. Sie sind häufig soziale Aufsteiger.
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nem römischen collegium, vergleichbar den Problemen in den Relationen 14, 29 und 44. Hinter dem Streit stehen handfeste materielle Interessen und Streben nach Prestige, denn bei Einhaltung der gesetzlichen Regelung würden alle Ärzte bis auf den ersten um einen Rang nach oben rücken. Symmachus tritt hier nicht als Fürsprecher einer Seite, sondern als neutraler Berichterstatter auf, vielleicht sogar allzu neutral. Der Stadtpräfekt zeigt Rechtskenntnisse auch in diesem Schreiben. Symmachus kennt das Gesetz von Valentinian I., lex, decretum, forma, an das er sich gebunden sieht, und umschreibt seinen Inhalt recht präzise. Im selben Atemzug beruft er sich auf mos und unterstreicht damit die bisherige Geltung der lex. Von den allgemeinen Gesetzen unterscheidet er das speciale oraculum/novum beneficium, differenziert also wie die sonstige Überlieferung seiner Zeit436, zwei Arten kaiserlicher Maßnahmen: leges generales und spezielle Anordnungen oder Vergünstigungen an Privatleute oder Beamte. Der bei Symmachus zu beobachtende Sprachgebrauch achtet sehr auf rhetorische Variation der Begrifflichkeit und ist regelmäßig untechnisch zu verstehen. So verwendet er beispielsweise decretum hier als Oberbegriff jeder kaiserlichen Regelung und meint z. B. in den Relationen 34, 8 und 40, 5 denselben Begriff synonym zu rescriptum. Beide Arten von Normen sind ihm gleichermaßen verbindlich, die leges auf Dauer und die Verfügungen zumindest im Einzelfall, für den sie ergangen sind. Trotz dieser unbestreitbar juristischen Ansätze liefert Symmachus in Relation 27 keine rechtlich präzise Argumentation. Sie wird in der Verwaltungsarbeit offenbar als weniger wichtig empfunden. Der abschließende Satz der Relation ist bezeichnend und ähnlich formelhaft wie die einschlägigen Kaiserkonstitutionen. Die entscheidende Rechtsfrage, für jene Zeit typisch, ergibt sich aus der Praxis der kaiserlichen Rechtssetzung: Im Einzelfall werden mit Erfolg Ausnahmen von allgemeinen Gesetzen erbeten, oftmals auch rechtswidrig erschlichen. Solchen Einzelfallregelungen sind die Grenzen ihrer Geltung oft nur schwer zu entnehmen. Sie machen Symmachus das Leben schwer, denn wie soll er zwischen zwei, einander widersprechenden Kaiserkonstitutionen entscheiden? Soll er seinem Kaiser gehorchen, dem oraculum folgen, das unklar formuliert und möglicherweise verdächtig ist, oder das allgemeine Gesetz anwenden? Die spezielle Anordnung hat einen wenigstens formellen Geltungsanspruch, über den er sich nicht hinwegsetzen kann, selbst wenn er Zweifel hegt, vgl. dazu sofort bei Relation 44. Über solche Fragen vermag nur der Kaiser nach seinem legislativen Ermessen zu entscheiden, denn es fehlen anerkannte Entscheidungskriterien. Wenn der Beamte einen Widerspruch zwischen 436 Dazu schon bei Rel. 34 und allgemein: Gaudemet, Formation, 30 ff; Kußmaul, Pragmaticum, 45 ff; Archi, Teodosio II, 59 ff: lex generalis - rescriptum (sowie Synonyme und Varianten) an Privatleute und Beamte; s. a. Liebs, Gesetz; zur entsprechenden Gesetzestechnik: Bianchini, Caso concreto e lex generalis. In CJ V, 5, 4 (398) unterscheidet auch der Kaiser ausdrücklich leges von mandata constitutionesque principum. Vgl. zur Gegenüberstellung von lex und rescriptum auch Rell. 31, 1 und 48, 5. Eine lex und mit ihr übereinstimmende decreta finden sich in Rel. 41, 1.
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verschiedenen, grundsätzlich gleichermaßen verbindlichen Regelungen sieht, ist der Konflikt für ihn letzten Endes unlösbar. Die absolute kaiserliche Autorität macht auch die konkrete Antwort unvorhersehbar, denn der Kaiser folgt mit seinen Entscheidungen häufig keiner klaren Linie. Andererseits läuft der Beamte Gefahr, dass sein Schreiben als Kaiserkritik aufgefasst wird und zu scharfem Tadel führt. Auch das mag die bewiesene Zurückhaltung erklären, vor allem dann, wenn Symmachus die schlechte Erfahrung mit Relation 17 schon gemacht haben sollte.
III. Relation 44: Mitgliederschwund in der Korporation der mancipes salinarum Symmachus schreibt ein weiteres Mal im Interesse einer römischen Korporation an Valentinian II., wenn er in § 1 auch formal korrekt alle Kaiser anspricht: ddd. imppp. Er bittet Valentinian II., erschlichene Reskripte, die die Korporation der mancipes salinarum schwächen, für ungültig zu erklären, und einer Vereinbarung, die die mancipes salinarum mit den navicularii getroffen haben, zuzustimmen. Wann er das Schreiben abgefasst hat, ist ungewiss. 1. Der Sachverhalt Die Korporation der mancipes salinarum hatte im öffentlichen Interesse für das Funktionieren der öffentlichen Thermenanlagen in Rom zu sorgen, insbesondere das zum Heizen notwendige Holz zu liefern; ihre Mitglieder werden daher auch synonym als mancipes thermarum bezeichnet. Im Gegenzug bekamen die Mitglieder die vorteilhafte Pacht der staatlichen römischen Salinen zugestanden437. Die Aufgabe, sich um die Bäder zu kümmern, war trotzdem sehr belastend und teuer, so dass viele Mitglieder der Korporation sich ihr durch Flucht zu entziehen suchten, was dadurch erleichtert wurde, dass ein hoher kaiserlicher Beamter dabei Hilfestellung leistete. Symmachus schildert in § 1 den bisherigen Verlauf der Krise: Die mancipes salinarum sind zu seiner Zeit nur noch so wenige, dass sie sich nicht mehr in der Lage sehen, ihre öffentlichen 437 Weitreichend in den Jahren 398/405: Steuerprivilegien und Salzhandelsmonopol; s. aber schon CT XIV, 5, 1 (370). Der Titel von CT XIV, 5 lautet: De mancipibus thermarum urbis et subvectione lignorum. Von dieser Korporation ist die Rede in: CT XIV, 5, 1 (370); Ep. IX, 103: mancipes salinarum, qui exercent lavacra lignorum praebitione, und Ep. IX, 105; CT XII, 16, 1 (389); CJ IV, 61, 11 (404; Datierung: Delmaire, Largesses sacrées, 439 Fn. 73): conductores salinarum; CT XI, 20, 3 (405; Seeck, Regesten, 310). Symmachus zählt diese Korporation schon in Relation 14, 3 unter den corporati negotiatores auf: pars urenda lavacris ligna conportat. Zu ihnen: Waltzing, Lettre, 221 ff; ders., Etude II, 125 f; Steinwenter, RE-manceps, 995 f; Blümner, RE-Salz, 2099. Zur Verwaltung der öffentlichen Bäder s. Meusel, Verwaltung, spez. 123 ff zur Frage von Beheizung und Holztransport.
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Pflichten zu erfüllen: necessitatis publicae molem ferre non possent. Aus diesem Grunde richten sie eine Bittschrift, supplicatio, an den Kaiser438 (wohl Valentinian II) und erreichen eine Anordnung, dass alle Mitglieder, die sich aus der Korporation entfernt hatten bzw. irgendwie von ihren Verpflichtungen befreit worden waren, wieder eingegliedert werden sollen: ...qui ante secreti atque excusati fuerant, redderentur, und dass ihnen Verstärkung aus anderen corpora439 und durch Männer, die bisher keiner öffentlichen Dienstpflicht unterworfen waren, vacantes, zugestanden würde. Der Stadtpräfekt wird vermutlich mit der Durchführung der Anordnung, insbesondere dem Aufspüren der ausgeschiedenen mancipes betraut. Als eine praeceptio divina, eine kaiserliche Verfügung, vorgelegt wird, stellt sich heraus, dass die meisten der Männer, die sich abgesetzt haben, durch die Fürsprache (suffragium) eines gewissen Macedonius440 geschützt werden, der hoher Beamter unter Gratian war; dass sie nämlich mit seiner Unterstützung offizielle Befreiung erhalten hatten: Allegata igitur praeceptione divina, cum plerosque consortio suo ante secretos muniri Macedonii suffragio repperissent, relationem super eorum muniminibus impetrarunt. Vestrae tantum clementiae liberum est inique elicita rescripta rescindere. Durch formal ordnungsmäßige Reskripte441 wurden die Betreffenden von der Zugehörigkeit zur Korporation befreit. Diese Reskripte setzen sie zum Beweis dafür, dass sie sich rechtmäßig aus der Korporation entfernt haben, ihrer Rückberufung mit Erfolg entgegen. Symmachus, der die mancipes mit seiner Relation unterstützt, sieht keinen Weg, dieses rechtliche Hindernis aus eigener Kraft zu überwinden, denn es sei allein Sache des Kaisers, rechtswidrig erschlichene Reskripte zu annullieren. Es gilt also, das Hindernis für die Rückforderung der Abtrünnigen - die erschlichenen kaiserlichen Reskripte - zu beseitigen.
438
Die Bezeichnung des Gesuchs als supplicatio spricht dagegen, dass es sich um eine Bittschrift an den praefectus urbi handelte, wie einige Autoren (so etwa: Waltzing, Etude II, 126; Meusel, Verwaltung, 128) annehmen. Supplicatio meint üblicherweise die Bittschrift eines Privaten an den Kaiser, häufig im Rahmen eines Prozesses, vgl. nur Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 449 Fn. 27; 540; 623. Beispiele in Rell. 19; 31; 48. Vorliegend ist auch inhaltlich der Kaiser zuständig, wie parallele Anordnungen für andere Korporationen (s. u.) zeigen. 439 Symmachus spricht grundsätzlich, d. h. in Rell. 14, 29 und 44, von corpus, was dem Sprachgebrauch seiner Zeit, etwa im Codex Theodosianus entspricht. Synonym wäre collegium (so evtl. in Rel. 27, 2), vgl. dazu Cracco Ruggini, Collegium, 88 ff; spez. 92 ff. 440 Es handelt sich dem Zusammenhang nach wohl um den einflussreichen ehemaligen Minister Gratians, von dem noch bei Rel. 36 die Rede sein wird, und nicht den Macedonius, an den Epp. VII, 26-29 gerichtet sind: Seeck, Symmachus, CLXXII f. Zu ihm: Enßlin, RE-Macedonius 4, 128; PLRE I, Macedonius 3, 526; Clauss, Magister officiorum, 167. Er war 381 comes sacrarum largitionum und 382/383 magister officiorum. Nach Gratians Tod wurde er wegen Staatsdelikten vor Symmachus’ Gericht angeklagt, vgl. Rel. 36 und hier unter 2. 441 Die angeführte praeceptio könnte ein solches gewesen sein, anhand dessen die Sache auffliegt, ist aber eher die genannte kaiserliche Anordnung, die umgesetzt werden soll.
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Der weitere Ablauf wird in § 2 beschrieben. Die Krise spitzt sich zu, urgente defectu heißt es bedrohlich, und die mancipes salinarum ersuchen daher die navicularii442, die auch zum Holztransport verpflichtet sind443, aber wirtschaftlich besser dastehen, um Unterstützung und bitten darum, dass beide sich die öffentlichen Aufgaben hinsichtlich der Thermen gleichmäßig teilen: ut utriusque corporis cura coniuncta indiscretum munus agnosceret. Die navicularii ziehen es jedoch vor, einige ihrer Mitglieder zur Verfügung zu stellen, anstatt als corpus insgesamt eine so belastende Verbindung einzugehen: At illi nonnullos de turmalibus444 suis tradere maluerunt quam in societatem tanti oneris convenire. Dieser Beschluss wurde denn auch in die Praxis umgesetzt und einige Mitglieder des corpus der navicularii den mancipes zugeteilt: Itaque factum est, ut volentibus iisdem certi homines mancipibus iungerentur. Die Betroffenen scheiden dabei offenbar aus ihrer Korporation ganz aus und verlieren ihre dortigen Privilegien, werden nicht nur aufgrund des akuten Bedarfs vorübergehend durch Beschluss ihrer Korporation abgeordnet. Symmachus spricht von tradere, iungere, deputare, adiudicare, was nach Neuzuordnung klingt, und rechnet damit, dass die Betroffenen Gesuche gegen den offenbar doch harten Beschluss ihres corpus vorbringen könnten. Soweit der bisherige Verlauf. Jetzt kommt Symmachus zu seinem konkreten Anliegen: Der Kaiser möge im öffentlichen Interesse eine bindende Entscheidung in dieser Angelegenheit treffen und der Vereinbarung, die er als Stadtpräfekt gefördert hat, offiziell zustimmen, damit sie nicht unterhöhlt werden kann durch erschlichene Vergünstigungen aufgrund irgendwelcher Bittschriften: Nunc perennitatis vestrae stabilem censionem 442
Zum Aufgabenbereich der navicularii (Reeder und Frachtschiffer), die ansonsten vor allem Lebensmitteltransporte im öffentlichen Auftrag durchzuführen hatten, vgl. Waltzing, Etude II, 34 ff; Cracco Ruggini, Associazioni, 153 ff; Herz, Studien, 234 ff; 243 ff; Sirks, Food, 127; 295f. Es handelt sich um eine wichtige und einflussreiche Korporation, die aus verschiedenen regionalen Einzelkollegien bestand. Viele Regelungen zu ihrem Aufgabenbereich und zahlreiche Privilegien sind überliefert, vgl. im Titel CT XIII, 5: De naviculariis. Hier sind wahrscheinlich die römischen navicularii gemeint, für die Symmachus auch örtlich zuständig ist: Vera, Commento, 327. Anders: Waltzing, Etude II, 125 f, der glaubt, es handele sich um die africanischen navicularii. 443 Ausdrücklich nur CT XIII, 5, 10 (364), wonach die africanischen navicularii Bauund Brennholz aus Africa zu importieren haben. Nach einer Regelung von Konstantin, wiederaufgenommen von Valentinian I., waren einige navicularii von Rom speziell verpflichtet, für die Bäderversorgung zu sorgen, vgl. CT XIII, 5, 13 (369); CIL XIV, 278 (Ostia) spricht von navicularii lignarii. Eine Verpflichtung zum Holztransport bestand der Relation zufolge 384/385 offenbar fort: aeque lignorum obnoxios functioni. Symmachus formuliert, als sei die Korporation insgesamt verpflichtet. Ganz hat sich aber, wie Rel. 44 zeigt, der Aufgabenbereich der beiden Korporationen beim Holztransport nicht überschnitten. Holz zum Heizen der Thermen kam außer aus Africa auch aus Campania, wie sich aus Rel. 40 ergibt. Für dessen Transport waren, wenn nicht die Abgabepflichtigen selbst, wahrscheinlich die mancipes verantwortlich, während die navicularii Holz auf dem Wasserweg lieferten. Außerdem transportieren die mancipes wohl das Holz vom Hafen zu den Thermen in Rom. 444 Als turmales, eigentlich Reiter einer Schwadron, werden hier die einzelnen Mitglieder des corpus bezeichnet, insbesondere diejenigen navicularii, die entsprechend der Vereinbarung mit Zustimmung ihres corpus entsandt werden.
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publica causa deposcit, ne obreptivis supplicationibus subsidia integrati corporis subruantur. Nach Darstellung von Symmachus ist das eine bloße Sicherungsmaßnahme; die Vereinbarung der beiden Korporationen sieht er unabhängig von der kaiserlichen Billigung für wirksam und durchführbar an. Allein aus Gründen der Rechtssicherheit wünscht er eine offizielle Bestätigung, die dauerhafte Pflichterfüllung im öffentlichen Interesse sicherstellen soll. In § 3 fasst er sein Gesuch zusammen, das er mit beigefügten Dokumenten untermauert. Die Unterlagen zeigen die Fälle auf, in denen durch Vermittlung von Macedonius Mitglieder entlassen wurden, und belegen auch, was seitens der Stadtpräfektur unternommen wurde, welche die Vereinbarung zwischen den Korporationen vermittelt und so ohne Zwang die Versorgung der Bäder mit Holz gesichert habe: Relationi gesta coniunxi tam de iis habita, quos Macedonii interventus absolverat, quam me disceptante confecta, quibus sine vexatione cuiusquam voluntas naviculariorum nonnullos mancipibus deputavit. Der Kaiser soll die unredlich erlangte Unterstützung zurücknehmen, die zu unberechtigter Befreiung führte, also die erschlichenen Reskripte aufheben und etwaige Bittgesuche um Befreiungen von navicularii, die durch Beschluss ihrer Korporation abgeordnet wurden, schon im voraus zurückweisen: Erit iam sacrosancti numinis vestri et illorum antiquare suffragia, quos ostenditur ambitus liberasse, et his obstruere aditum supplicandi, quos sui corporis adiudicavit adsensus. Vor diesem Hintergrund schreibt Symmachus im Namen der mancipes salinarum an den Kaiser. Es geht dabei zum einen um eine Rechtsfrage, die seiner Auffassung nach nur der Kaiser lösen kann: Die Rücknahme der Befreiungen. Zum anderen fordert er offizielle Bestätigung einer zwischen zwei Korporationen in Organisationsfragen getroffenen Vereinbarung und damit Stärkung ihrer Autorität. 2. Erläuterung und Bewertung a) Organisationsfragen Die römischen corpora besaßen eine gewisse Autonomie, deren Umfang der Kaiser bestimmt hatte445. Aus § 1 ergibt sich, dass er auf eine supplicatio hin 445
Der Kaiser regelte viele organisatorische Details rund um die Korporationen. So gestattet etwa CT XIII, 9, 3, 4 (380) den africanischen navicularii, sich selbst um neue Mitglieder zu kümmern, was offenbar nicht selbstverständlich ist. Auch regelt der Kaiser (weitergehend als im konkreten Fall) die Fusion mehrerer Korporationen, vgl. CT XIV, 8, 1 (315); CT XIV, 4, 10 (419). CT XIV, 3, 8 (365) untersagt den pistores (Bäcker), durch Beschluss Mitglieder zu befreien oder auch nur örtlich zu versetzen. Die Kaiser legen Mitgliedschaft, (Zwangs-)Rekrutierung, Aufgaben, Privilegien und Befreiungen fest und lassen letztlich wenig Spielraum für wirkliche Selbstverwaltung der collegia oder selbständige Entscheidungen des Stadtpräfekten. Mitglieder werden oft autoritär zugewiesen, vgl. nur CT XII, 16, 1 (389), eine Vorschrift, auf die noch zurückzu-
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den mancipes schon Unterstützung aus anderen Korporationen zugesagt hatte. Die folgende Vereinbarung ist also nur die Durchführung dieses allgemein gehaltenen Zugeständnisses, die zur Verstärkung ihrer Geltungskraft dem Kaiser zur Billigung unterbreitet wird. Die Ausgestaltung der Kooperation oblag den Beteiligten, wobei die beiden Korporationen durch Mitgliederbeschluss zu entscheiden scheinen. Über die innere Organisation der corpora erfährt man aus Relation 44 zwar nichts446, aber in einem vergleichbaren Fall (dazu noch unten) hatten alle Mitglieder zu beschließen, CT XIII, 5, 13 (369): communis delectus. Regelmäßig antwortet der Kaiser in Fragen der Erteilung von Privilegien o. ä. auf Bittschriften der corpora. Die Antworten gehen manchmal direkt an die Korporation, in anderen Fällen an einen Beamten, der einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet hatte447. Entsprechende Anfragen finden sich auch in den Relationen 14 und 29. Dabei wird in Rom meist der praefectus urbi mit der Ausführung und Überwachung solcher Anordnungen betraut (vgl. jene, die Relation 14 auslöst); die Zuständigkeit von Symmachus als Aufsichts- und Kontrollinstanz über die stadtrömischen corpora ist im konkreten Fall unzweifelhaft. Seine Kompetenz reicht allerdings nicht so weit, dass er das kaiserliche Urteil ersetzen könnte, insbesondere war das ius edicendi des Stadtpräfekten, das einst im Korporationswesen eine Rolle spielte, zu dieser Zeit nur noch schwach ausgeprägt; es betraf vor allem Marktorganisation und Lebensmittelversorgung448, nicht aber Organisation und Verfassung der corpora selbst. Symmachus hätte daher keine eigene Regelung treffen können. Die einleitende supplicatio der mancipes war in der Tat nicht an ihn gerichtet. Rechtlich ist an der vom Kaiser abzusegnenden Kooperationsvereinbarung und Symmachus’ Darstellung hierzu nichts auszusetzen. Sie zeigt, dass die wirtschaftlich einflussreichen navicularii ihre Interessen weitgehend durchzusetzen vermochten. Die einzelnen Mitglieder werden mit Zustimmung ihres collegium abgeordnet und der letzte Satz der Relation lässt vermuten, dass eine Einwilligung der Betroffenen selbst nicht eingeholt wurde. Das collegium, das als solches für die Erfüllung des auferlegten munus verantwortlich ist, kann insoweit (im vom Kaiser vorgegebenen Rahmen) autoritativ über seine Mitgliekommen sein wird. Zur immer wieder festgeschriebenen Bindung an das jeweilige corpus s. a. die im Folgenden zitierten Konstitutionen. 446 Zur Organisation der Verbände: De Robertis, Storia delle corporazioni II, 165 ff. Die Mitgliederversammlung wählte ggf. die Funktionäre; die Aufsicht über die Korporationen führte in Rom der praefectus urbi oder der Annonapräfekt. 447 Als Beispiele seien hier genannt CT XIII, 5, 16 (380); XIII, 6, 1 (326); XIII, 6, 3 (373). In CT XIV, 26, 1 (412) wird z. B. eine Beamtenentscheidung gebilligt. Vorschläge für erwünschte Maßnahmen werden dabei wahrscheinlich, wie auch hier, bereits im Vorfeld vom collegium selbst ausgearbeitet und dann dem Kaiser, ggf. unter Mitwirkung des Stadtpräfekten, zur Billigung unterbreitet. 448 S. Chastagnol, Préfecture, 10. Zu Edikten des Stadtpräfekten bzgl. Versorgung und Verwaltung von Rom vgl. etwa CIL VI, 1770 und 1771 (361/363); VI, 1711 (399). Der praefectus urbi führte die Mitgliederlisten der Korporationen, was nicht heißt, dass er über Aufnahme und Entlassung zu befinden hatte. Dazu auch Chastagnol, a.a.O., 266.
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der verfügen. Symmachus scheint damit zu rechnen, dass die abgeordneten navicularii sich ihrer Pflichten zu entziehen suchen und Bittschriften an den Hof richten, denen der Kaiser, beeinflusst von schlechten Ratgebern, nachgeben könnte. Realistisch erkennt er die drohende Möglichkeit, dass die Vereinbarung unterlaufen werden könnte, und fordert den Kaiser deshalb mit klaren Worten auf, dem entgegenzuwirken. Eine parallele Erscheinung zum Abkommen von 384/385 findet sich möglicherweise in CT XIII, 5, 13 (369; Adressat ist der praefectus urbi): Bereits zur Zeit von Konstantin war das collegium der mancipes salinarum offenbar so geschwächt, dass es kraft kaiserlicher Anordnung eine bestimmte Anzahl von navicularii als Unterstützung zugewiesen bekam. Diese brauchten ihr collegium aber nicht zu verlassen, wurden durch eine Hauptversammlung der navicularii (communis delectus) gewählt und vom Stadtpräfekten bestätigt, der zu prüfen hatte, ob die Gewählten für die Aufgabe ausreichendes Vermögen besaßen. Mitglieder, die ihr Vermögen verloren oder starben, mussten durch geeignete Nachfolger ersetzt werden. Diese Anordnungen Konstantins wurden durch Valentinian I. in der genannten Konstitution bestätigt, nachdem sie in der Zwischenzeit außer Gebrauch gekommen waren, was zu erneuter Gefährdung des Thermenbetriebs geführt hatte. Manche Autoren glauben, dass damals eine bestimmte Anzahl, nämlich 60 navicularii abgeordnet worden seien, um die mancipes beim Holztransport direkt zu unterstützen, so dass die Vereinbarung von 384/385 der Regelung von 369 nahe käme449. Symmachus würde dann im Grunde nur Wiederaufnahme der alten Regelung verlangen, der allerdings dieses Mal eine (bedingt) freiwillige Vereinbarung zugrundegelegen hätte; sie würde also nicht allein auf kaiserlicher Anordnung basieren. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass damals einer bestimmten Zahl von navicularii (u. a) lediglich finanzielle Pflichten speziell zur Thermenversorgung auferlegt wurden. Insoweit unterscheidet sich die Maßnahme von derjenigen von 384/385, in der die Ergänzung der mancipes durch navicularii für den Holztransport, verbunden mit einem Wechsel des collegium, beschlossen wurde. Festzuhalten ist aber, dass die Entscheidung von 369 zur Zeit des Symmachus nicht mehr ausreichte, die Thermenversorgung sicherzustellen bzw. dass sie, was wohl näher liegt, nicht mehr beachtet wurde. Die einflussreichen und auch finanzstarken navicularii konnten sich wohl wieder einmal durchsetzen und sich wie schon in der Zeit zwischen Konstantin und Valentinian I. dieser lästigen Verpflichtung entziehen. Die alten Konstitutionen waren offenbar ganz außer Anwendung gekommen, denn es ist eine ganz neue Vereinbarung zwischen den beiden corpora von Nöten. Symmachus verweist nicht auf frühere Regelungen; vielleicht kennt er sie nicht einmal mehr. Immer wieder wird die angeordnete Solidarität unterlaufen und eine Kritik an diesem Verhalten, wenn es ihm denn bewusst 449
So die Interpretation dieser Vorschrift durch Waltzing, Lettre, 222; ders., Etude II, 126; Chastagnol, Préfecture, 362; Meusel, Verwaltung, 128; Jones, LRE, 705; Vera, Commento, 324; 327 ff: Der Entwurf von Relation 44 stelle eine Parallele zu CT XIII, 5, 13, dar. Anders: Sirks, Food, 295 Fn. 92 f.
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war, scheint Symmachus jedenfalls nicht angebracht. Zumindest gegenwärtig ist ja immerhin eine gewisse Kooperationsbereitschaft der navicularii auszumachen. Der Kaiser aber muss stetig für das Funktionieren der Thermenanlagen sorgen, um Unruhen im Volk zu vermeiden. Vielleicht scheint es dem Herrscher nach den bisherigen schlechten Erfahrungen vorteilhafter, den beiden collegia Spielraum zu lassen. Symmachus betont, dass die Lösung ohne Zwang zustande gekommen sei. Insgesamt sind damit wohl zwei Ursachen für die gegenwärtige Krise auszumachen: Die vielen erschlichenen Befreiungen und das Versagen des Unterstützungssystems durch die navicularii, das 369 bestätigt worden war. Symmachus erbittet vor diesem Hintergrund im Namen der mancipes eine Einzelfallregelung, keine ganz neue Politik. Aber auch diese Regelung verbessert, wie sich noch zeigen wird, die Lage nur vorübergehend. Die Krise muss auf mehreren Ebenen bekämpft werden: Rückkehr der Abtrünnigen, Durchsetzung der Vereinbarung und Neu-Rekrutierung. Die zu Letzterem vorgesehene Eingliederung von vacantes in eine Korporation wird von den Quellen häufig bezeugt450 und geschieht je nach Bedarf, ist also eine ganz übliche Maßnahme. Insoweit gibt es seitens der mancipes auch keine Rückfrage. Die kaiserliche Entscheidung ist in diesem Punkt eindeutig und Symmachus begehrt, anders als bei der etwas heiklen Vereinbarung mit den navicularii, hierfür keine kaiserliche Bestätigung. b) Das Rechtsproblem: Die Rückberufung der kraft Reskript Befreiten Zu klären ist, was genau geschehen und was speziell Macedonius vorzuwerfen ist. Symmachus spricht in § 1 von suffragium451, was im Zusammenhang erkaufte Fürsprache bedeutet. Macedonius hat offensichtlich zugunsten zahlreicher mancipes seine guten Beziehungen zum Hof spielen lassen und den Kaiser bzw. die zuständigen Kanzleibeamten dahingehend beeinflusst, dass die gewünschten Reskripte, inique elicita rescripta, ausgestellt werden. Durch seine Mithilfe, interventus, wurden mancipes befreit, § 3. Es geht um unredlich, durch ambitus, hier im Sinne von übergroßer Bemühung, erreichte Unterstützung, die zu unberechtigter Befreiung führte und die nun vom Kaiser zurückgenommen werden soll, § 3: illorum antiquare suffragia, quos ostenditur ambitus liberasse. Umstritten ist, in welchem seiner beiden hohen Ämter Macedoni450
S. etwa CT XIII, 9, 3, 4 (380). Weitere Nachweise sind zusammengestellt bei Vera, Commento, 325. 451 Vgl. schon Relation 17; dort auch Literaturnachweise. Zum Begriff etwa: Kübler, RE-suffragium, 656 ff. Suffragator ist, wer sich beim Kaiser oder einem hohen Beamten für einen anderen verwendet, um diesem ein Amt oder auch andere Vorteile zu verschaffen. In Rel. 18, 3 meint suffragium gunstvolle Hilfe, secunda suffragia. Der etwas schillernde Begriff, der ursprünglich nur Abstimmung bzw. Votum bedeutete, wird von Symmachus vorliegend jedoch in der angegebenen negativen Bedeutung gebraucht.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
us hier Einfluss genommen hat, denn weder als comes sacrarum largitionum noch als magister officiorum hatte er mit den römischen Korporationen unmittelbar zu tun. Denkbar ist, dass er sich als comes sacrarum largitionum für die mancipes eingesetzt hat, weil ihm die Salinen im Rahmen des staatlich monopolisierten Salzhandels unterstellt waren452. Doch geht es hier ersichtlich nicht um den Salzhandel, sondern ausschließlich um die Thermenversorgung und außerdem fragt sich, wie er konkret als Finanzminister auf die Freistellung einzelner Pflichtiger hingewirkt haben könnte. Besser erklärbar scheint, ihn als magister officiorum zu verdächtigen, denn in diesem Amt hatte er als Leiter derjenigen Kanzleien, die Bittschriften zu bearbeiten und die Antworten auszufertigen hatten, die Möglichkeit, Gesuche zum Kaiser weiterzuleiten bzw. Einfluss auf die Erteilung von Reskripten zu nehmen453. Wahrscheinlich haben die Betreffenden eben solche Bittschriften um Entlassung aus dem corpus eingereicht, die durch Einflussnahme von Macedonius positiv beschieden wurden. Außerdem empfing der magister officiorum auch Gesandtschaften von Kollegien und traf in diesem Rahmen Entscheidungen, nahm also vielleicht auch insoweit Einfluss auf Reskripte. Die genauen Umstände bleiben im Dunkeln, doch ließ sich Macedonius eher als magister officiorum, d. h. in dem Amt, das auch zeitlich näher liegt, bestechen bzw. protegierte. Vielleicht war er patronus der mancipes und hatte in dieser Funktion finanzkräftigen Mitgliedern mehr als nur Interessenvertretung zu bieten454. Bestechlichkeit im Reskriptwesen unter Gratian ist auch an anderer Stelle für Macedonius belegt; wahrscheinlich haben wir es hier mit einem ähnlichen Fall zu tun. Wie Sulpicius Severus berichtet455, hatte Macedonius als magister officiorum Gratians Reskripte zugunsten der Priscillianer beeinflusst: corrupto Macedonio, tum magistro officiorum, rescriptum eliciunt... . Auch vorliegend geht es wohl nicht um Reskripte von Valentinian II., was Symmachus die Kritik erleichtern dürfte. Seine Vorwürfe sind denn auch überaus deutlich, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass der Kaiser Macedonius derzeit, wie Relation 36 zeigt, auch strafrechtlich verfolgt. Ein konkreter Bezug zwischen der hier in Rede stehenden Beeinflussung und den Delikten, deretwegen er in Relation 36 als ehemaliger magister officiorum vor dem Gericht des Stadtpräfekten steht, lässt sich allerdings nicht herstellen. Doch nennt Symmachus ihn, der als magister officiorum immerhin vir illustris
452 S. Delmaire, Responsables, 84; ders., Largesses sacrées, 439 f, wonach er als comes sacrarum largitionum eben deshalb gehandelt habe. 453 Nach Ansicht zahlreicher Autoren ließ er sich als magister officiorum bestechen: Enßlin, RE-Macedonius 4, 128; PLRE I, Macedonius 3, 526; Vera, Commento, 325 ff; Clauss, Magister officiorum, 167 (allerdings mit verfehlter Darstellung des Sachverhalts); Sirks, Food, 295 Fn. 93. Zum einschlägigen Aufgabengebiet des magister officiorum s. Clauss, Magister officiorum, 16 ff; 72 (Empfang von Gesandtschaften). Zum Verfahren und Zuständigkeiten bei Reskripten s. Classen, Kaiserreskript, 17 ff; 81 ff; Voß, Recht und Rhetorik, 22 ff; s. a. im nächsten Abschnitt. 454 Zum nicht seltenen, oft illegalen, weil öffentlichen Pflichten entziehenden, patrocinium über corporati: Krause, Spätantike Patronatsformen, 203 ff. 455 Chron. II, 48, 5; 49, 3. Dazu näher bei Rel. 36.
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war456, in Relation 44 ohne Titel und Amtsbezeichnung, man scheint also bereits wegen Amtsmissbrauch zu ermitteln. Die zeitliche Abfolge im Einzelnen ist ungewiss, Relation 36 und 44 verfolgen unterschiedliche Ziele. Das engste kaiserliche Umfeld erweist sich also als bestechlich, wogegen die Kaiser damals mehr oder weniger vergeblich vorzugehen suchen457. Immer wieder müssen sie eigene Reskripte aufheben, die rechtswidrig erschlichen worden sind, aber ihre Unterschrift tragen. Symmachus distanziert sich klar von diesem korrupten Verhalten, befürchtet aber für die Zukunft neue obreptivae supplicationes. Ob Macedonius und die mancipes dafür bestraft werden, dass Reskripte erschlichen wurden458, interessiert ihn hingegen nicht. Doch fragt sich, wie die Rechtslage im konkreten Fall - unterstellt immer, dass der von Symmachus immerhin belegte (§ 3) Sachverhalt der Wahrheit entspricht - zu beurteilen ist. Flucht aus corpora, gerade auch mittels Patronage jenseits legaler Fürsprache eines patronus einer Korporation, ist zu jener Zeit sehr verbreitet, denn die auferlegten Verpflichtungen sind drückend. Kontinuierliche kaiserliche Eindämmungsversuche machen das deutlich; ihre häufige Wiederholung zeigt aber auch, wie ineffektiv die Maßnahmen und wie gering die Abschreckung trotz regelmäßiger Strafdrohungen sind. Wiederholt wird für einzelne Korporationen festgelegt, dass eine Entlassung von Mitgliedern, selbst wenn das corpus zustimmte, nicht zulässig ist459. Immer wieder muss die Zwangsmitgliedschaft mit ihren erblichen persönlichen und VermögensBindungen gegen Fluchttendenzen eingeschärft werden. Die Bindung an die jeweilige Korporation wird als unausweichlich festgeschrieben, Bitten um Erleichterung oder Befreiung ausdrücklich untersagt. In jedem Falle verboten und mit ernsten Rechtsfolgen belegt waren durch falsche Angaben erschlichene Befreiungen von Korporationsmitgliedern. Zahlreiche Einzelfälle des weitverbreiteten Problems ließen sich aufzählen. Selbst wenn die mancipes salinarum, für 456
Vgl. Rell. 24, 3; 34, 8; 38, 4 und 43, 2. Erschlichene Privilegien wurden schon bei Rel. 42 berührt. 458 Immer wieder sehen Bestimmungen wie CT XIV, 4, 1 (334); CT VI, 5, 2 (Mai 384: Anmaßung einer dignitas wird als sacrilegium verfolgt; s. a. bei Rel. 38); CJ I, 16, 1 (384, Ost - s. dazu bei Rel. 8) oder CT XIV, 3, 20 (398) für das Erschleichen von Vorteilen Bestrafung, wenigstens aber eine Geldbuße, vor. Vielleicht wäre auch hier eine Verfolgung möglich gewesen. Symmachus geht es in Rel. 44 jedoch nur um die Erfüllung der Aufgaben in Zukunft, nicht um Bestrafung vergangenen Verhaltens. Er überlässt es dem Kaiser, rechtliche Schritte einzuleiten, nachdem er offen ausspricht, was insbesondere Macedonius vorzuwerfen ist: suffragium, inique elicita rescripta, ambitus. 459 Vgl. CT XIV, 4, 1 (334): Der Aufgabe als suarius kann sich kein Pflichtiger entziehen; s. a. CT XIV, 4, 8 (408), eine Regelung, die nach § 3 im Jahre 408 für alle römischen corporati gilt. CT XIV, 3, 8, (365): Zuweisung zum corpus der pistores ist endgültig und vom Stadtpräfekten zu überwachen; keinerlei Befreiungsmöglichkeit, auch nicht bei Zustimmung aller Bäcker. Ähnliches findet sich in CT XIII, 5, 19 (390) für navicularii und in CT XIV, 3, 1 (319); 6 (364); 13 (369); 18 (386); 20 (398); 21 (403) beständig für pistores. Gemäß CT XII, 1, 156 (397) besteht eine endgültige Bindung unter anderem an Korporationen und auch nach CT XIV, 7, 2 (412) kann niemand seinem collegium entkommen, insbesondere nicht durch Gesuche an den Kaiser. 457
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die aus 384/385 keine Regelung erhalten ist460, nicht von jeder Befreiungsmöglichkeit ausgeschlossen waren, so steht nach der Darstellung der Relation doch fest, dass die gewährten Befreiungen rechtswidrig sind. Dass sie durch suffragium erlangt wurden und kein Befreiungsgrund vorliegt, macht sie unzulässig. Die Entlassung durch kaiserliches Reskript ist zwar die einzige Möglichkeit, offiziell aus einer Korporation auszuscheiden461, doch weil zu häufig solche Reskripte ungerechtfertigterweise erschlichen wurden, untersagte man entsprechende Gesuche immer wieder und erklärte unredlich erlangte Befreiungen für ungültig. Hier nur einige Beispiele: Für pistores erging CT XIV, 3, 20 (398), worin subrepticia rescripta untersagt werden und das occultis vel ambitiosis precibus Erreichte wohl als ungültig betrachtet wird. Auch nach CT IV, 3, 21 (403) sind elicita subreptione rescripta zu ignorieren. Für die suarii, deren Zahl verringert wurde, heißt es in CT XIV, 4, 1 (334; gerichtet an den praefectus praetorio), dass unzulässigerweise Entkommene zurückgerufen werden und zwecks Bestrafung an den Kaiser zu berichten sei: nos super his consuli. Ähnlich heißt es CT XIV, 4, 8 (408) gegenüber dem praefectus urbi, rescribtis elicitis Erreichtes sei ungültig; auf solche Art erwirkte Befreiungen werden widerrufen. Vergleichbare Anordnungen gibt es für die navicularii, etwa CT XIII, 5, 3 (314): wer Befreiung erreicht hat, obreptione oder sonstwie, wird nicht als befreit anerkannt; CT XIII, 5, 11 (365): navicularii, die sich dem Dienst unberechtigt entziehen, müssen zurückkehren; CT XIII, 5, 19 (390): mit ambitio Erschlichenes ist ungültig. CT XIII, 5, 22 (393; Konstantinopel) ermächtigt wiederum die Gouverneure, befreite navicularii zurückzurufen und statuiert Berichtspflichten an den Hof: ad nos referre necesse est462. Dem Kaiser obliegt die Letztentscheidung, was noch einmal zeigt, wie wenig Spielraum den Beamten blieb. Und dort hinein fügt sich Relation 44: Allein der Kaiser gewährt und widerruft im Einzelfall Befreiungen, sonstige Privilegien und Ehrungen463. Re460
S. erst CT XII, 16, 1 (389); dazu noch sogleich. Ansonsten war Lastenbefreiung nur nach Ableistung aller Pflichten im corpus erreichbar, vgl. CT XIV, 3, 7 (364) für pistores; X, 22, 3 (390); Nov. Val. 20 (445). Eine Mindestdienstzeit war auch von den Chefs abzuleisten. Selbst Eintritt in den geistlichen Stand befreit nicht: CT XIV, 3, 11 (364/365) für pistores. 462 Allgemeiner gehalten sind spätere Regelungen zu vergleichbaren Sachverhalten: CT XIV, 7, 1 (397) ordnet allgemein die Rückführung Geflohener an (s. a. CT XII, 1, 162 (399)) und CT XIV, 7, 2 (412) ruft entkommene collegiati zurück. Erreichte Begünstigungen werden für ungültig erklärt: cessante beneficio ad originem revertatur. Gemäß CT XII, 1, 156 (397) besteht eine endgültige Bindung unter anderem an Korporationen und aus testimoniales impetratas können keine Befreiungen hergeleitet werden. Desweiteren werden in CT XII, 19, 1 (400) u. a. collegiati zurückgefordert und Erschlichenes widerrufen und auch mit CT XIV, 2, 4 (412) werden geflohene corporati pauschal zur Pflichterfüllung zurückgerufen. CT XIV, 4, 8, 3 (408) wiederum ordnet an, dass für alle corpora CT XIV, 4, 8 (s. o. bei den suarii) gilt: Rückruf der rescribtis elicitis Befreiten. Privilegien werden schon für die Zukunft annulliert. 463 Einen Überblick über das Problem und eine Zusammenstellung kaiserlicher Gegenmaßnahmen in diesem Bereich liefern De Francisci, Osservazione, 146 ff; Liebs, OM 13, 1, S. 226 ff. Stellvertretend könnten genannt werden: CT I, 2, 8, (382, Ost), wo461
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lation 44 ist symptomatisch für ein weit verbreitetes Phänomen. Selbst die Wortwahl ist ganz ähnlich wie in den überlieferten Konstitutionen, wenn die Rede ist von obreptio oder subreptio464, elicita/impetrata rescripta, ambitio oder auch fraus. Zweifelhaft ist, ob Symmachus mit seiner Annahme recht hat, dass die Reskripte ein Hindernis für die Rückberufung der Befreiten darstellen. Als allgemeine Regel, dass rescripta contra ius, insbesondere erschlichene oder erpresste, d. h. zu Unrecht erlangte Reskripte keine Geltung haben sollen, wäre CT I, 2, 2 (315 ad populum)465 zu nennen: Contra ius rescribta non valeant, quocumque modo fuerint inpetrata. Quod enim publica iura perscribunt, magis sequi iudices debent. Ergänzend bestimmt es CT I, 2, 3 (317; Text bei Relation 22). Aus diesen und den oben genannten Konstitutionen, speziell denjenigen für andere corpora, könnte man schließen, dass die vorliegenden Reskripte, die unlauter durch suffragium erlangt wurden, automatisch unanwendbar sind und die Anfrage von Symmachus daher streng genommen überflüssig ist. Dieser Annahme steht jedoch die große Zahl von Nachrichten entgegen, wonach der Kaiser immer wieder in zahlreichen Einzelfällen solche Reskripte für unanwendbar erklärt. Es findet sich derzeit - CT I, 2, 2 und I, 2, 3 liegen lange zurück und allgemeinere Aussagen finden sich erst wieder ab 426 - keine eindeutige Regelung, die ein für allemal in all diesen Fällen Nichtanwendbarkeit und Annullierung anordnen würde466. Vielmehr wird immer wieder, vielleicht auf vergleichbare Anfragen hin, in Einzelfällen angeordnet, dass aus solchen Reskripten keine Rechte hergeleitet werden können und Befreite oder Beförderte zur Ausgangsposition zurückkehren müssen. Die erreichte Vergünstigung hatte formale Gesetzeskraft und nur im Einzelfall war zu entscheiden, ob tatsächlich ein unzulässiges Abweichen vom geltenden Recht und damit Ungültigkeit zu bejahen ist. Regelmäßig bestand daher Klärungsbedarf durch den Kaiser selbst, denn die Grenze zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen nach rescripta...impetrata über den Aufschub von Steuerschulden ungültig sind; CT I, 2, 9/XI, 1, 20 (385): ungültig sind erschlichene Steuerprivilegien, ...elicitum damnabili subreptione/obreptione rescriptum, manifestum est vires non posse sortiri; CT XII, 6, 25 (399) zum Steuerrecht: ...cessante responso, quod per subreptionem...elicitum est. Ein weiteres Beispiel wurde schon bei Rel. 27 erwähnt: CT XIII, 3, 13 (387). Auch dort heißt es, Erschlichenes sei nicht zu beachten. Unberechtigte Ehrungen, Beförderungen, Befreiungen werden immer wieder für nichtig erklärt und Rückkehr zum alten status angeordnet, vgl. die Auflistung bei Noethlichs, Beamtentum, 50 ff; s. a. Gaudemet, Formation, 37 ff zu Reskripten contra ius bzw. betrügerischen Reskripten sowie Sciortino, Note. 464 In der Bitte um ein Reskript wird etwas verschwiegen bzw. falsch vorgespiegelt. 465 Zu dieser Vorschrift: Simon, Konstantinisches Kaiserrecht, 11 ff. 466 Quellen zu corporati s. bereits oben. Gegenwärtig trifft nichts davon konkret die mancipes. Allgemein dann erst wieder: CJ I, 22, 5 (426): Der betrügerische Bittsteller verliert alle Rechte aus dem erschlichenen Reskript und wird ggf. bestraft; s. a. CJ I, 14, 2 und I, 19, 7 (426). Theodosius entscheidet 439 in Nov. Th. 8, 1, dass ein gesetzwidriges Reskript oder eines, das dem öffentlichen Interesse widerspricht, als nichtig anzusehen ist, weil offensichtlich sei, dass es unredlich erlangt wurde.
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Reskripten war für den mit ihnen befassten Beamten nur schwer oder gar nicht zu erkennen. Symmachus befindet sich mit der Quellenlage in Einklang, wenn er der Meinung folgt, dass die Reskripte nicht automatisch ungültig sind, sondern der Kaiser sie ausdrücklich aufheben muss, denn für die mancipes findet sich bislang keine allgemeine Anordnung und auch Reskripte Gratians gelten grundsätzlich fort. Es fragt sich allerdings, ob die Anfrage von Symmachus deshalb überflüssig war, weil der Kaiser nach § 1 aufgrund der supplicatio bereits angeordnet hatte, dass die Ausgeschiedenen (excusati) zurückgerufen werden. Erlaubt das dem Stadtpräfekten nicht, alle Betroffenen einzufordern; bedarf es trotzdem einer ausdrücklichen Annullierung der Reskripte? Symmachus meint das. Indessen hätte er im konkreten Fall, da klar erkennbar war, wie mit solchen Reskripten zu verfahren ist, als Stadtpräfekt die Reskripte wahrscheinlich selbst für unanwendbar erklären können. Andererseits ist zu berücksichtigen, welch starker Rechtsschein von solchen Reskripten, die Valentinian II. bislang nicht ausdrücklich aufgehoben hatte, ausging. Schon in Relation 22 war zu beobachten, dass die Ehrfurcht vor der einzelnen kaiserlichen Entscheidung im Zweifel stärker ist als die Scheu vor dem Verstoß gegen allgemeines Gesetz. Große Vorsicht zeigt auch Relation 19, wo im Rahmen eines Prozesses der Vorwurf erschlichener Reskripte aufkommt, Symmachus sehr zurückhaltend reagiert und den Fall am Ende ganz abgibt. Der Präfekt hatte zwar die Bittgesuche auf ihre Wahrheitstreue und das Reskript auf seine Übereinstimmung mit dem bestehenden Recht hin zu überprüfen, s. etwa CT I, 2, 6 (333). Bei aufkommenden Zweifeln war jedoch selbstverständlich dem Kaiser zu berichten, wozu dieser immer wieder ausdrücklich aufforderte467. Allein er hatte letztlich legislatives Ermessen, ob und wie er seine Reskripte fortgelten lassen wollte; sein Auslegungsmonopol ist auch hier berührt. Nur der Kaiser besitzt die notwendige Autorität, solche Fragen verbindlich zu regeln, zumal die Reskripte formal meist ordnungsgemäß waren, selten nur war die kaiserliche Unterschrift gefälscht468. Für den Beamten war daher, auch mangels gesicherter Abgrenzungskriterien, kaum erkennbar, was noch rechtmäßige Anordnung war. Nicht auszuschließen war schließlich, dass der Kaiser im Einzelfall vielleicht auch einmal bewusst aus Gründen übergesetzlicher aequitas Befreiung von einem als zu streng empfundenen allgemeinen Gesetz hatte gewähren wollen (zu einem solchen Fall etwa Relation 49). Das Dilemma für die Beamten veranschaulicht CT I, 2, 7 (356): Multabuntur iudices, qui rescripta contempserint aut distulerint, wo unter Bußdrohung zur Reskriptbeachtung angehalten wird469. Verständlicherweise entsteht vor diesem Hintergrund Unsicherheit, denn jede ungerecht467 468
Vgl. hierzu m.w.N. auch bei den Prozessberichten. Noethlichs, Beamtentum, 49. S. aber auch CT IX, 19, 3 (368: Seeck, Regesten, 71;
232). 469 CJ I, 14, 2 (426) wiederum droht dem Richter Strafe an, der bei einem erschlichenen Reskript unter dem Vorwand, er habe Zweifel, an den Kaiser berichtet, denn die Unwirksamkeit ist klar, der Betrüger verdient kein rechtliches Gehör (mehr).
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fertigte Nichtbeachtung von Reskripten droht ihrerseits wiederum bestraft zu werden. Symmachus hat daher die Befreiungen genau überprüft und ist zur Überzeugung gelangt, dass sie rechtswidrig sind. Die Unterlagen fügt er bei. Durchaus sinnvoll fordert er nunmehr eine klare Entscheidung über diese Reskripte, von denen der Kaiser in seiner Antwort auf die supplicatio nichts Konkretes gesagt hatte und die Symmachus an einer Durchführung der pauschalen Rückberufungsanordnung hindern. Schon deshalb, weil Widerstand gegen die Rückberufung zu erwarten ist, bleibt ihm nicht viel anderes übrig, als den Kaiser um Klärung anzurufen. Seine Autorität ist dem Problem in der Praxis nicht gewachsen. Es ist weniger ein rechtliches als ein machtpolitisches Problem. Symmachus macht seine Überzeugung deutlich; von Unsicherheit ist nichts zu spüren, denn Macedonius steht bereits auf verlorenem Posten. Argumentativ verpackt Symmachus seine Anfrage durchaus juristisch, ohne allerdings frühere parallele Anordnungen gegenüber anderen corpora unterstützend heranzuziehen. Konkrete Rechtsquellen nennt er nicht; er artikuliert vielmehr die herrschende Rechtsüberzeugung in einem plakativen Satz. Man wird sich in Mailand über die Relation nicht gewundert haben. Letztlich handelt es sich um ein rechtlich vielleicht nicht notwendiges, aber doch vernünftiges und nicht etwa überflüssiges, klar formuliertes Schreiben, das dem im Zusammenhang Üblichen und Erwarteten entspricht und nicht auf mangelnde Rechtskenntnisse oder besondere persönliche Unsicherheit des Verfassers schließen lässt. Wir wissen auch in diesem Fall nicht, wie die Angelegenheit ausgegangen ist. Symmachus gibt sich wie stets optimistisch. Da die mancipes salinarum mit der Sorge für die Bäder und auch im Salzhandel eine wichtige öffentliche Aufgabe zu erfüllen hatten, deren Nicht- oder Schlechterfüllung schnell Unmut in der Bevölkerung hervorrufen konnte, ist wahrscheinlich, dass der Kaiser auch dieses Mal versucht hat, der Korporation zu Hilfe zu kommen. Aus dem Jahre 389 ist CT XII, 16, 1, eine Konstitution an den Stadtpräfekten überliefert De mancipibus, die möglicherweise eine Regelung der erbetenen Art trifft: Quicumque vel rescribti adversus veteres sanctiones subreptiva defensione munitur vel de minusculis corporibus aut certe otiosis idoneus adprobatur, functioni mancipatus est addicendus. Es ist jedoch umstritten, ob mit dieser Maßnahme, die in keinem eindeutigen Zusammenhang steht, die Bäcker oder die mancipes salinarum gemeint sind470. Weil erstere zumeist als pistores bezeichnet werden und Symmachus selbst ebenso wie CT XI, 20, 3 und CJ IV, 61, 11 die Salinenpächter oft kurz mancipes nennen, spricht mehr dafür, dass die Regelung für die mancipes salinarum galt. Inhaltlich passt die Konstitution gut zu Relation 44, zeitlich jedoch trennen sie über vier Jahre von der Stadtpräfektur des Sym470
Die h. M. ordnet die Norm dem corpus der mancipes salinarum zu, s. etwa: Waltzing, Etude II, 126 Fn. 5; 324; de Robertis, Storia II, 204 mit Fn. 19; 209 Fn. 43; Meusel, Verwaltung, 129; Chastagnol, Préfecture, 362; Cracco Ruggini, Associazioni, 145; Vera, Commento, 324. Anders Steinwenter, RE-mancipatus, 1010; Sirks, Food, 295 Fn. 92 f , die glauben, es seien die Bäcker, pistores, gemeint, die mitunter (vgl. CT XIV, 3, 18; CJ XI, 24, 1 f) auch als mancipes bezeichnet wurden.
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machus, weshalb sie kaum noch als kaiserliche Antwort auszumachen ist471. Zumindest zeigt sie aber, dass das Problem fortdauert und immer wieder nach demselben Muster zu lösen versucht wird, denn es werden erneut Maßnahmen ergriffen, das collegium aufzufüllen. So wird angeordnet, dass diejenigen, die durch erschlichenes Reskript entgegen den alten Gesetzen geschützt werden, ferner Mitglieder, die aus kleinen Korporationen, minuscula corpora, kommen, und außerdem geeignete otiosi der Aufgabe der mancipes zugeordnet werden. Aufschlussreich ist, dass veteres sanctiones den mancipes offenbar grundsätzlich Befreiung verbieten. Auch für Symmachus bestünde das Problem folglich in solchen gesetzwidrigen Reskripten, die, so ist aus der Existenz von CT XII, 16, 1 zu folgern, tatsächlich solange Schutz boten, bis der Kaiser sie eigens widerrief. In Bezug auf die konkreten, befreienden Reskripte ist zumindest eine ähnliche Antwort zu erwarten. Symmachus erbittet allerdings ein Reskript, in welchem nicht nur alle rechtswidrigen Befreiungen aufgehoben werden, sondern auch die Vereinbarung mit den navicularii offiziell bestätigt wird und im voraus Bittschriften um Gewährung von Ausnahmen untersagt werden. In Bezug auf die letzten beiden Punkte gibt CT XII, 16, 1 keine Antwort auf Relation 44. Insbesondere sind die minuscula corpora nicht mit den navicularii, einem großen und wichtigen corpus, identifizierbar, die 384/385 herangezogen werden. Die otiosi entsprechen zwar den vacantes, doch gibt es gegenwärtig insoweit schon eine kaiserliche Anordnung. Die Probleme der Relation bestehen folglich fort; das vereinbarte Hilfssystem funktioniert schon kurze Zeit später nicht (mehr) ausreichend. Die Sache der mancipes salinarum beschäftigt Symmachus daher auch in seinen Privatbriefen noch zweimal. Jahre später setzt er sich als Privatmann für sie in Epp. IX 103 und 105 (401472) bei Beamten, wahrscheinlich dem damaligen Stadtpräfekten, möglicherweise auch dem praefectus annonae, ein und fordert Unterstützung für diese Korporation beim Eintreiben von Schulden (von debitores ist in Ep. IX, 103 die Rede) und anderen Beschwerden (Ep. IX, 105). Helfe man dem nicht ab, drohten Unruhen in der Stadt. Es zeigen sich fortdauernde, insbesondere finanzielle Schwierigkeiten. Alle gesetzlichen Gegen- und Hilfsmaßnahmen machen deutlich, dass man ohne klares Konzept immer nur im Einzelfall, wenn nämlich die Leistungserbringung bereits in Gefahr war, Missbräuchen und Problemen begegnete, ohne dass je ein stabiles Gleichgewicht zwischen Lasten und ausgleichenden Vergünsti471 Für Cracco Ruggini, Collegium, 93, scheint die Norm hingegen die Antwort auf Rel. 44 zu sein. Dies., Associazioni, 145 spez. Fn. 176, betont, wie auch Vera, Commento, 324 f, dann aber lediglich die starken Parallelen, ohne einen Zusammenhang herzustellen. 472 So datiert Seeck, Symmachus, CCVIII; 342. Offenlassend: Vera, Commento, 324; Roda, Commento, 237, mangels irgendwelcher Anhaltspunkte. Evtl. sind dieselben Schwierigkeiten wie in Rel. 44 angesprochen, da aber in Ep. IX, 103 die Rede von debitores ist, scheint es um einen finanziellen Hintergrund zu gehen. Der Stadtpräfekt soll wohl helfen mit vigor iudicialis, Ep. IX, 103. Möglich ist aber auch, dass mit debitores diejenigen navicularii gemeint sind, die ihre Pflichten nicht erfüllen, wie Vera, Commento, 328, glaubt. Speziell werden aber finanzielle Sorgen angesprochen. Zu diesen Briefen: Roda, Commento, 232 ff.
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gungen erreicht worden wäre (s. schon Relation 14). Da die Tendenzen zur Massenflucht angesichts wachsender Lasten durch persönliche Zwangsbindung und Verbote offensichtlich nicht zum Stillstand gebracht werden konnten, versuchte man einige Jahre später, den mancipes die Last durch Privilegien zu erleichtern. CJ IV, 61, 11 (404) gewährt ihnen als Salinenpächtern ein Salzhandelsmonopol, was ihre finanziell bedrängte Lage entschärft haben dürfte. Steuerprivilegien ergeben sich zudem aus CT XI, 20, 3 und CJ IV, 61, 11. Außerdem soll nach CT XV, 1, 32 (395 an den comes sacrarum largitionum) die Thermenheizung zum Teil extern finanziert werden, was die mancipes entlastete. Relation 44 liefert im Ergebnis wichtige Informationen über Organisation und eingeschränkte Selbstverwaltung römischer Korporationen. Besondere Rechtskenntnisse des Symmachus sind dabei nicht erkennbar, doch macht er seine Sicht, die vertretbar ist, hinreichend klar: Auch erschlichene Reskripte sind bis zum ausdrücklichen kaiserlichen Widerruf gültig. Der praefectus urbi ist Realist. Missstände benennt er unumwunden und prangert sie an. Korruption ist Bestandteil seines Verwaltungsalltags und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Kaiserliche Unfehlbarkeit wird in diesem Zusammenhang von keiner Seite mehr behauptet. Auch wenn Symmachus die für Rom nicht unwichtige Korporation der mancipes salinarum besonders am Herzen gelegen zu haben scheint, macht Relation 44 nicht den Eindruck, er habe sich übermäßig oder gar unlauter für die Interessen einer einzelnen Korporation stark gemacht473. Wie schon in den Relationen 14 und 29 vertritt er vielmehr in seinem Zuständigkeitsbereich als Stadtpräfekt engagiert Gruppeninteressen, wenn ihre Vernachlässigung die öffentliche Ordnung ernstlich gefährdet.
IV. Zwischenergebnis zu den speziellen Rechtsfragen In den drei Relationen 22, 27 und 44 wiederholen sich ganz ähnliche Probleme, die Symmachus das Leben schwer machen. Betroffen sind das öffentliche Dienstrecht und das Korporationswesen, wo sich Gesetzesanwendung und Auslegung als besonders schwierig erweisen. Bloß fehlende Rechtskenntnis führte nicht zu den Anfragen; sie sind vielmehr Ausdruck einer allgemeinen Rechtsunsicherheit, die für diese Zeit auch andere Quellen wie Ammian und der Anonymus, De rebus bellicis474, bekunden. Im Gegensatz zu den genannten Auto473
Im Gegensatz zu vielen anderen römischen Stadtpräfekten ist er nicht als patronus einer städtischen Korporation bezeugt. Beispiele dafür finden sich in CIL VI, 1696; VI, 1673; VI, 1682 u. v. m., aufgelistet bei Cracco Ruggini, Stato e associazioni, 283 f Fn. 47. Das bedeutet indes nicht, dass ihre Fürsprache, die corpora vor übermäßigen Forderungen zu schützen, stets ungesetzlich gewesen sein muss. 474 Ammian, XXX, 4, 11: Widersprüchliche Gesetze machen eine scientia iuris unmöglich. Anonymus, De rebus bellicis XXI: De legum vel iuris confusione purganda. Näheres bei den Prozessberichten und in der Diskussion im 4. Teil.
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ren problematisiert Symmachus die Schwierigkeiten allerdings nicht auf abstrakter Ebene, sondern versucht, mit den bestehenden Vorschriften praktisch umzugehen. Widersprüchliche Anordnungen, bei denen nicht klar ist, ob die ursprüngliche Regelung damit außer Kraft gesetzt werden soll und wie weit der Geltungsbereich reicht oder ob sie wegen Rechtswidrigkeit ungültig sind, überfordern den Stadtpräfekten. Der Kaiser hilft dem lediglich durch Einzelfallentscheidungen ab; eine allgemein handhabbare Anweisung und Bereinigung der Normenflut durch erkennbare Kriterien fehlen. Abhilfe durch Kodifikation gerät nicht in den Blick. Parteien und findige Anwälte können durch Anführung von Einzelfallregelungen auch einen erfahrenen Beamten wie Symmachus in Bedrängnis bringen. Die Rechtslage ist häufig ungewiss und verwirrend, denn seit Konstantin fehlt es an einer klaren Linie. Das Bedürfnis nach Systematik, wenigstens formaler Abgrenzung von Bindung und Geltungsbereich wird nicht ausgesprochen. Erste kaiserliche Maßnahmen folgen erst Jahrzehnte später: CJ I, 14, 2 und 3 (426) begründen eine neue Rechtsquellenlehre475, indem sie formal zwischen allgemeinem Gesetz und Einzelfallentscheidung abgrenzen und die begrenzte Reichweite kaiserlicher Antwortschreiben auf relationes oder sonstige, konkrete Gesuche festhalten. Sie gelten nur für den Einzelfall, dort aber verbindlich Die Kodifikation im Codex Theodosianus schafft später mehr Klarheit. In CJ I, 14, 4 (429) ordnet sich der Kaiser zudem freiwillig dem Gesetz unter, was Symmachus mehrfach angemahnt hatte, im Grundsatz also auch zu seiner Zeit gilt476, allerdings natürlich nicht erzwingbar ist. Auch in den Relationen 39 und 49 wird das entsprechende Verfassungsverständnis des absolutistischen Herrschers sichtbar, der sich als guter Kaiser freiwillig an die überlieferte Rechtsordnung hält, aber im Einzelfall aus Gründen übergeordneter aequitas, d. h. aus Gründen der Billigkeit, Ausnahmen von allzu strengen Vorschriften gewähren kann. Insofern ist der Prozess von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung überaus dynamisch, denn die Vorgaben ändern sich unter Umständen laufend, was allerdings dem Richter die Arbeit ungemein erschwert und das Recht unsicher macht. Symmachus verhält sich im Hinblick hierauf korrekt, nimmt die eigene Gesetzesbindung sehr ernst; Einschüchterung durch hochrangige Beteiligte liegt allenfalls in Relation 27 nahe. Die soeben behandelten Relationen sind ein erstes lebendiges Zeugnis für die praktische Bedeutung von Konstitutionen wie CT I, 2, 3/CJ I, 14, 1: Nur der Kaiser kann rechtliche Zweifel verbindlich klären, allein er befindet im Einzelfall zwischen Billigkeit und strengem Recht. Und so kreisen auch in den Prozessberichten mehrere Anfragen um Schwierigkeiten bei der Auslegung von Kaiserkonstitutionen.
475
Dazu Wetzler, Rechtsstaat, 87 ff. Ein erster Ansatz findet sich in der Ostregelung CT I, 2, 11 (398) zur Reichweite von Reskripten im Prozess (Geltung bloß im Einzelfall). 476 Auch Ambrosius betont das 386 gegenüber Valentinian II. in Ep. 21, 9; vgl. für 385 Libanios in Konstantinopel: Or. 50, 19; s. a. CT X, 26, 2 (426).
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4. Abschnitt
Prozesse Symmachus muss als Richter über schwierige Rechtsfragen entscheiden. Unterabschnitt 1
Verfahrensarten Die Kompetenzen des Stadtpräfekten als ordentlicher Richter erster und zweiter Instanz wurden bereits beschrieben. Die im Folgenden zu besprechenden Relationen zeigen die Praxis. Vorauszuschicken sind einige Verfahrensgrundsätze zum spätantiken Kognitionsprozess, die in den Relationen eine Rolle spielen, dort aber nicht näher ausgeführt werden. Symmachus fasst in den Begleitschreiben den jeweiligen Fall nur knapp zusammen; die einzelnen Verfahrensschritte ergaben sich lediglich aus den beigefügten, uns nicht erhaltenen Prozessakten. Ein Vergleich zwischen dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren und der praktischen Handhabung in den Relationen lässt ermessen, inwieweit sich Symmachus an das ordentliche Verfahren gehalten hat. Häufig allerdings wird man einen regulären Ablauf nur vermuten können, denn Symmachus greift immer nur das jeweils interessierende Problem heraus, ohne den Sachverhalt und den bisherigen Ablauf vollständig zu schildern.
I. Der Zivilprozess477 Der beamtete Richter entscheidet im sogenannten Litisdenuntiationsprozess, der durch halbamtliche Ladung, die litis denuntiatio, eingeleitet wird. Die litis denuntiatio ist die schriftliche Streitansage des Klägers an den Beklagten, die diesem mit Erlaubnis und meist mit Hilfe des Gerichts zugestellt wird und worin das Begehren des Klägers formuliert wird. Ab diesem Zeitpunkt läuft eine Frist von vier Monaten478, innerhalb derer, regelmäßig wohl am letzten Tag479, 477 Ausführliche Darstellungen mit Quellen bei Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III; Baron, Denuntiationsprozess, 120 ff; Kipp, Litisdenuntiation, 184 ff; Steinwenter, Versäumnisverfahren, 110 ff; Simon, Untersuchungen zum justinianischen Zivilprozeß; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 517 ff; 566 ff zur Prozesseinleitung mittels litis denuntiatio; 587 ff zum weiteren Verfahren. 478 So die h. M. (und auch die bestätigte Vermutung nach Lektüre der Relationen): Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 236 f; Kipp, Litisdenuntiation, 225 f u. a.; Steinwenter, Versäumnisverfahren, 113 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 568; anders mit interessanter Argumentation, aber nicht ganz schlüssig: Margetic, Litisdenuntiatio, 485 ff. Die Quellen enthalten insoweit kein ganz eindeutiges Bild, aber CT II, 6, 5 (340) nennt die Viermonatsfrist immerhin für Prozesse gegen den fiscus (klagt der fiscus selbst, sind
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
die Verhandlung stattzufinden hat, worauf sich der Beklagte also vorbereiten kann. Bei Säumnis der einen oder anderen Seite kann es zum Prozessverlust mit entsprechenden Kostennachteilen kommen (dazu die Relationen 19, 32, 39 und auch bei 33). Wenn sich beide Parteien zum angesetzten Termin vor dem Richter eingefunden haben, beginnt das Verfahren, das sich in drei Abschnitte unterteilen lässt: Im ersten Abschnitt können Prozesseinreden, etwa gegen die Zuständigkeit des Richters oder die Legitimation einer Partei oder ihres Vertreters, vorgebracht werden und wird darüber entschieden. Vor allem stellen dann die Parteien ihre kontradiktorischen Rechtsbehauptungen auf, vollziehen die litis contestatio480, indem sich der Beklagte auf den Streit einlässt, zur Verhandlung erscheint und das Klagebegehren bestreitet. Der zweite Abschnitt ist mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme. Der Richter kann hier unter anderem Zeugen laden und vernehmen (s. Relation 28). Am Ende steht - nach Beratung mit dem Beisitzer - die Urteilsverkündung. Das Urteil, das den Parteien zusammen mit den Verfahrensprotokollen in Abschrift mitgeteilt wird (vgl. etwa Relation 28), wird nach Eintritt der Rechtskraft, wenn also nicht fristgemäß Rechtsmittel ergriffen werden, auf Antrag amtlich vollstreckt. Die von Symmachus berichteten Prozesse kommen jedoch in der Regel nicht bis zu diesem Punkt, sondern bleiben in einem der früheren Verfahrensabschnitte stecken; über die ordnungsgemäß abgeschlossenen Prozesse war nicht nach Mailand zu berichten. Fiskalsachen (Relationen 30 und 41) wurden ebenfalls im Zivilprozess verhandelt, doch waren hier besondere Fristen und Appellationsbeschränkungen zu beachten, durch die man den Prozess zu straffen versuchte. Alle Verfahren wurden protokolliert und den beteiligten Beamten waren Gerichtsgebühren zu bezahlen, die die Prozesse, gerade vor den höheren Gerichten, für die Parteien teuer machten481. Soweit die Relationen Informationen zum Prozessverlauf enthalten, ist regelmäßig erkennbar, dass die Verfahrensvorschriften eingehalten werden. Symmachus leitet die Verhandlungen durchaus souverän mit entsprechender Rechtskenntnis, kommt allerdings in den referierten Sachen an irgendeinem Punkt aus den unterschiedlichsten Gründen mit dem Fall nicht weiter. Diese Gründe sind im Folgenden auf ihre Glaubwürdigkeit und rechtliche Relevanz zu untersuchen.
es 6 Monate) und die Relationen nennen zwar nicht ausdrücklich die Länge der Frist (s. dazu v. a. bei Rel. 19), aber immerhin beträgt die Länge der nach Säumnis reparierten Denuntiationsfrist nach Relation 39, 3 vier Monate; s. a. CT II, 6, 1 (316). Und reparatio bedeutet doch wohl, dass die ursprüngliche Frist von vier Monaten wiederhergestellt wird. Zur litis denuntiatio s. a. bei den Rell. 16, 19, 28, 32 und 39. 479 Dies legitimus in Relation 32, 1; supremo die (der reparierten Frist) in Relation 39, 3. 480 Steinwenter, Litiskontestation, 184 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 589; 593 f; dazu näher bei Rell. 19 und 32. 481 Das wird vom Kaiser mittlerweile akzeptiert und lediglich zu reglementieren gesucht. Dazu m. N. Jones, LRE, 496 ff.
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II. Der Strafprozess482 In Strafsachen wird der Richter von Amts wegen, in den Relationen und auch sonstigen zeitgenössischen Quellen regelmäßig aber aufgrund einer privaten accusatio tätig. Der Ankläger muss sich in einer förmlichen inscriptio zur Prozessführung verpflichten und ist beweispflichtig. Der Beschuldigte wird daraufhin geladen, ggf. auch festgenommen und der Richter ermittelt den Fall, erhebt Beweise und verhängt entsprechend den gesetzlichen Vorschriften die einschlägige Strafe. Einzelheiten zum spätantiken Strafverfahren ergeben sich aus Relation 49. Die besonderen Verfahren, auf die im Folgenden gleichfalls einzugehen ist, betreffen sowohl das Zivil- als auch das Strafverfahren.
III. Das Appellationsverfahren483 Im Rahmen eines genau vorgeschriebenen Instanzenzuges kann grundsätzliches jedes Urteil eines Beamten mit der Appellation (appellatio/provocatio) angegriffen werden. Der den Stadtpräfekten betreffende Instanzenzug wurde hier bereits im 4. Abschnitt des Ersten Teils behandelt. Gegen Urteile der Provinzstatthalter, die die ordentlichen Richter erster Instanz außerhalb Roms waren, wird der Vikar bzw. der praefectus praetorio angerufen. Grundsätzlich inappellabel waren nur die Urteile des praefectus praetorio. Das Rechtsmittelverfahren wird durch fristgemäßen, nämlich binnen 2 oder 3 Tagen nach Erlass bzw. Ausfertigung484 des Urteils vorgebrachten Antrag485 einer Partei eingeleitet, und zwar bei dem Richter, der das angefochtene Urteil gefällt hat; es hat grundsätzlich Suspensiveffekt486. Der erstinstanzliche Richter muss die Appel-
482
S. bei Relationen 31, 36, 38 und 49. Literatur: Mommsen, Strafrecht; Mer, Accusation, 37 ff; Santalucia, Diritto e processo, 135 ff; ders., Studi, 226 ff; Giglio, Tardo Impero, 191 ff; Scapini, Diritto, 89 ff; 150 ff; Pietrini, Sull’iniziativa, 117 ff; Pergami, In tema di appellatio. 483 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 325 ff; Kipp, RE-appellatio, 196 ff; zum Verfahren spez. 203 ff; Litewski, Römische Appellation (Verfahren spez. IV, 143 ff); Pergami, Appello; Gaudemet, Constitutions constantiniennes; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 617 ff. Die einschlägigen Vorschriften finden sich im Titel CT XI, 30: De appellationibus et poenis earum et consultationibus; s. a. CJ VII, 62. Zu Appellationen s. Rell. 16; 28; 32; 33; 38; 41. 484 Vgl. Relation 28. 485 Der Antrag wurde in der Regel schriftlich eingereicht (s. libelli in Rel. 32; s. a. 33, 3; ein Exemplar ging wohl an den Gegner), doch Relation 16 zeigt, dass offenbar auch ein mündlicher Antrag möglich war: vocis obiectu. Vgl. dazu auch CT XI, 30, 7 (317); 40 (383), und so auch Litewski, Röm. Appellation III, 381 f Fn. 5. 486 Vgl. Rell. 32, 4; 41, 7; 33, 4, d. h. keine Vollstreckbarkeit bis zum Erlass des zweitinstanzlichen Urteils, vgl. etwa CJ VII, 62, 3; CT XI, 30, 2 (314 f); 5 (316).
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
lation annehmen, wenn sie nicht ungesetzlich ist487. Unzulässig ist insbesondere die Appellation gegen Zwischenurteile und bestimmte Interdikte/Besitzurteile, womit sich die Relationen 16, 28, 33 und 38 befassen. Auch im Vollstreckungsverfahren ist die Appellation unzulässig. Der Richter a quo hat zum Antrag schriftlich knapp Stellung zu nehmen und seinen Bericht, die sogenannten litterae dimissoriae/apostoli, zusammen mit den Prozessakten binnen 30 Tagen ab Urteilsfällung der appellierenden Partei auszuhändigen. Innerhalb einer bestimmten Frist muss diese die gesamten Appellationsakten der Oberinstanz vorlegen, die über die Appellation mit den Parteien verhandelt und durch Urteil entscheidet. Dieses ist eine völlig neue Sachentscheidung, ggf. aufgrund neuer Tatsachen und Beweise, wobei Zivil- und Strafprozess im Rechtsmittelverfahren nicht unterschiedlich behandelt werden. Der unterlegene Appellant kann sich strafbar gemacht haben488. Der Ausgangsrichter darf die Parteien nicht davon abhalten, zu appellieren. Nimmt er ohne Grund das Rechtsmittel nicht an, so hat der Appellant die Möglichkeit, sich durch supplicatio489 zu beschweren. Die Appellation ist das ordentliche Rechtsmittel und von einer solchen Bittschrift (auch: preces Imperatori oblatae), die Privatpersonen an den Kaiser richten können, zu unterscheiden. Im Prozess ist eine supplicatio nur vor Prozessbeginn als Bitte an den Kaiser zulässig, die Untersuchung und Entscheidung selbst zu übernehmen oder einem delegierten Richter zu übertragen (dazu sogleich unter dem Stichwort Reskriptprozess und bei Relation 19). Sobald die Sache anhängig ist, ist jede supplicatio, die sich gegen den ordentlichen Rechtsweg richtet, verboten490 und die Parteien grundsätzlich auf das ordentliche Rechtsmittel der appellatio beschränkt. Nur bei rechtswidrigem Verhalten des Richters konnten sie eine supplicatio einbringen, wenn dieser etwa, wie schon erwähnt, die Annahme der Appellation verweigerte (dazu bei Relation 33)491. Der Kaiser antwortet in diesem Fall durch ein Reskript, worin er die Sache regelmäßig einem anderen Richter überträgt und ggf. rechtliche Anweisungen erteilt. Ist allerdings die 487 Vorschriften im Titel CT XI, 36: Quorum appellationes non recipiantur und entsprechend CJ VII, 65. Einschränkungen gibt es in zahlreichen Sonderfällen, vgl. hier bei Rell. 16; 28; 33 (allg. Zivilprozess); 30; 41 (Fiskalprozess); 38; 49 (Strafprozess). 488 CT XI, 30, 16 (331) und I, 5, 3 (331). Eine abschreckende Wirkung hatte das jedoch offenbar nicht, denn in den Relationen finden sich mehrere aussichtslose und klar unzulässige Appellationen. 489 Sog. adire; dazu m. N. bei Rell. 16; 28 und 33. Zur supplicatio allgemein: Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 338 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 623. 490 Vorschriften im Titel CJ I, 21: Ut lite pendente vel post provocationem aut definitivam sententiam nulli liceat Imperatori supplicare. CT XI, 30, 6 (316): supplicare causa pendente non licet; CT II, 4, 4 (Juni 385); s. a. Andt, Procédure, 20 ff. 491 Oder wenn er keine Abschrift der consultatio erteilte oder Akten und Urteil nicht mitteilte: CT XI, 30, 6 (316). Richter und officium werden für ihr Fehlverhalten grundsätzlich bestraft: CT XI, 30, 6; 8; 29; 32; 65; XI, 29, 5. Zudem gab es die supplicatio gegen das inappellable Urteil des praefectus praetorio: Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 623 m. N.
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Appellationsfrist abgelaufen, hilft auch eine supplicatio gegen das rechtskräftige Urteil nicht mehr492. Die Relationen zeigen, dass der Rechtsweg regelmäßig ausgeschöpft wird, denn noch gibt es keine Streitwertgrenzen für die Appellation, was die Verfahren zwar einerseits langwierig und teuer macht, aber auch zur Beseitigung von Fehlern beitragen kann. Allerdings zeigt sich gerade das Appellationsverfahren besonders anfällig für Unregelmäßigkeiten; so findet sich rechtswidrige Nichtannahme ebenso wie die Annahme unzulässiger Appellationen. Die Hintergründe werden zu untersuchen sein.
IV. appellatio more consultationis493 Für die Appellation an den Kaiser gilt seit Konstantin ein besonderes schriftliches und schnelleres Verfahren, die sog. appellatio more consultationis. Es spielt in den Relationen eine große Rolle, denn die appellatio gegen das Urteil des Stadtpräfekten geht zum Kaiser und muss daher von Symmachus nach den speziellen Vorschriften behandelt werden, vgl. dazu die Relationen 16, 28, 32, 33 und 41. Die Appellation wird hier in der unteren Instanz geprüft und dem Kaiser mit einem Bericht, der consultatio bzw. relatio494, übersandt, der eine knappe Sachverhaltsdarstellung sowie eine Entscheidungsbegründung enthält. Nur dieses Anschreiben ist uns jeweils erhalten. Im Einzelnen ist folgender Verfahrensgang einzuhalten: Die Appellation ist fristgemäß, wie gerade beschrieben, beim iudex a quo einzulegen und entfaltet auch hier Suspensiveffekt. Sie bedarf der Annahme; Zurückweisung ist wie beschrieben angreifbar. Der Unterrichter entwirft daraufhin einen vollständigen Bericht an den Kaiser, eben die consultatio, eine Art Urteilsbegründung, während die apostoli nur formalen Charakter haben und keine inhaltlichen Ausführungen enthalten. Eine Abschrift des Berichts teilt er den Parteien binnen kurzer Frist (10 Tage ab Urteilsfällung) mit. Diese reichen dazu ergänzend innerhalb von 5 Tagen beim Gericht ihre schriftlichen Anmerkungen ein, libelli refutatorii/preces refutatoriae, sprich die Begründung des Rechtsmittels seitens des 492 Dazu mit Quellen bei Rel. 48. In diesem Falle kann ggf. noch reparatio appellationum (CT XI, 31) oder in integrum restitutio (s. dazu bei Rell. 32 und 39) helfen; ein Reskript führte zur Wiederaufnahme des Prozesses, wenn die Partei etwa durch Drohung oder Gewalt des Richters von der Appellation abgehalten wurde und das rechtzeitig anzeigte, vgl. CT XI, 34, 1 f (331/355); XI, 30, 30 (362 f). 493 Verfahrensregelungen, die teilweise auch die consultatio ante sententiam betreffen, finden sich in CT XI, 30, 5; 6; 8; 9; 11; 14; 16; 18; 24; 29; 32; 34; 37; 47; 54; 61; 65; 66; XI, 29, 5. Zu Einzelheiten dieses Verfahrens: Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 332 ff; Kipp, RE-appellatio, 206 f; Litewski, Römische Appellation IV, 254 ff. Vgl. auch Epp. II, 28/30 (389) und V, 52 (397); zu ihnen s. a. im Rahmen der Behandlung der Privatbriefe und (zu Epp. II, 28/30) bei Rel. 16. 494 Die Begriffe werden synonym gebraucht, vgl. Gaudemet, Empereur, 186 m. N. Bisweilen heißt es auch opinio.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
beweispflichtigen Appellanten und die Gegenanmerkungen der anderen Seite495. Consultatio, libelli refutatorii und Prozessakten mit Abschrift des erstinstanzlichen Urteils schickt dann der Unterrichter binnen 20 Tagen496 durch Boten aus seinem officium an das zuständige kaiserliche Büro. Die Parteien bleiben während des gesamten Appellationsverfahrens in Rom bzw. in der Provinz und dürfen, auch wenn lange Zeit kein Urteil ergeht, nicht einfach am Hof erscheinen, um in der Sache nachzufragen497. Der Kaiser überprüft das bisherige Verfahren und entscheidet, nach Beratung im consistorium, aufgrund der Aktenlage, ohne einen neuen Prozess durchzuführen, durch Reskript, d. h. er verhandelt, was ihm bequemer ist, nicht persönlich und den Parteien bzw. ihren Vertretern wird der Weg an den Hof erspart. Gegen das Kaiserurteil ist kein Rechtsmittel mehr möglich (s. dazu etwa bei Relation 48). Dieses Verfahren ist nicht zu verwechseln mit der consultatio ante sententiam, die ähnlich abläuft; beide Verfahrenstypen werden z. B. in CT XI, 29, 5 von 374 behandelt. Dort freilich liegt die Entscheidung, den Fall abzugeben, im Ermessen des Richters, der sich außerstande sieht, ihn selbständig zu Ende zu bringen. Bei der appellatio more consultationis hingegen wendet sich das Ausgangsgericht nicht mit einer Rechtsfrage an das höhere Gericht, sondern es übersendet lediglich einen pflichtgemäßen Routinebericht über den erstinstanzlichen Prozess. Das Abfassen der Relation im Rahmen einer appellatio zum Kaiser gehört also zum vorgeschriebenen, regulären Verfahren, das Symmachus nicht weiter begründen muss, es sei denn es liegen spezielle Konstellationen vor wie in den Relationen 16, 28 und vielleicht auch 33, in denen er regelwidrig eine Appellation angenommen hat.
495
Die Fristen finden sich in CT XI, 30, 1 (313); 8 (319); 14 (327). Sie entsprechen denen bei der consultatio ante sententiam. Die libelli refutatorii dürfen nichts Neues bringen, CT XI, 30, 11 (321), insbesondere darf der Appellant nur das Rechtsmittel rechtfertigen, aber keine neuen Ansprüche, Einreden, Tatsachen oder Beweise vortragen. Diese Parteianmerkungen werden auch in den Relationen mehrfach erwähnt: 28, 11: supplementa partis utriusque; 32, 14: refutatorii; 33, 4: partium supplementa. 496
CT XI, 29, 5 (374): 20 Tage wegen Verweis auf Konstantin, d. h. CT XI, 30, 8 (319). Die Frist läuft ab Urteilsfällung, bei Fristüberschreitung und unvollständiger Aktenübersendung droht dem Richter und seine officium eine Buße. 497
Verbot, am Hof zu erscheinen: CT XI, 30, 34 (364). Erst ab dem Jahre 386 wird (jedenfalls im Osten) gestattet, nach Ablauf eines Jahres nach Einlegung der Appellation am Hof zu erscheinen, um in der Sache nachzufragen: CT XI, 30, 47 (386, Konstantinopel); 54 (395); 66 (419).
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V. Relationsverfahren - consultatio ante sententiam498 Ein Richter, der nach vollständiger Aufklärung des Sachverhalts rechtliche Zweifel hat, sei es in erster oder zweiter Instanz, kann das Relations- oder Konsultationsverfahren einleiten und die Sache dem Kaiser zur Entscheidung vorlegen, d. h. er übergibt den Fall mit allen Akten, begleitet von einem Bericht über den Stand der Sache, der relatio oder consultatio, dem Kaiser. Auf diese Weise sollen ein möglichst hohes Maß an Gerechtigkeit und Gleichheit der Rechtsanwendung im ganzen Reich verwirklicht sowie stabile, dauerhafte Lösungen in schwierigen Rechtsfällen und damit ein Stück Rechtsfrieden gefunden werden. Da die Richter ihr Ermessen allerdings naturgemäß ganz unterschiedlich handhabten, kann von einer wirklich gleichmäßigen Rechtsanwendung nicht unbedingt ausgegangen werden. Zudem führt das Relationsverfahren nicht nur zu einem potenziell höheren Niveau der Rechtsprechung und einer Fortentwicklung des Rechts, sondern birgt auch die Gefahr, dass in Einzelfällen Sonderlösungen, d. h. Ausnahmen von der gesetzlichen Regelung - aus redlichen oder unlauteren Motiven - gesucht und gewährt werden (dazu etwa bei Relation 49), was die Rechtslage wiederum verwirrte und anstatt zu mehr Rechtssicherheit zu ihrem Gegenteil führte. Die Parteien widersetzten sich mitunter (das deutet sich etwa in Relation 31 an) dem Richter solange, bis dieser die Sache zermürbt oder auch eingeschüchtert an den Hof abgab, wo sich der Betreffende ggf. mehr Chancen ausrechnete. Andererseits schützte die Möglichkeit, das Relationsverfahren einzuschlagen, den Richter wiederum vor Beeinflussung und Einschüchterung, wenn er dem durch Abgabe begegnen konnte. Speziell zu diesem Verfahren finden sich in den Relationen zahlreiche Beispiele, s. Relationen 19, 30, 38, 39, 40, 49 und die beiden Sonderfälle der Relationen 31 und 36, wo die Probleme im Tatsächlichen liegen und nicht in Rechtsfragen. Das Relationsverfahren war aber auch schon in klassischer Zeit gebräuchlich und trotz des großen zeitlichen Abstandes zeigen sich z. B. in den Pliniusbriefen deutliche Parallelen zu den von Symmachus verfassten Relationen und den hier gelieferten Begründungen dafür, den Fall abzugeben. Die Bedeutung für die Praxis war jedoch im spätantiken Kognitionsprozess besonders groß angesichts der verwirrenden Rechtslage, fehlender Zusammenfassung in Rechtsliteratur oder Kodifikation und dem weitreichenden kaiserlichen Entscheidungsmonopol in allen Rechtsfragen, insbesondere im Hinblick auf Auslegung und Geltungskraft von (möglicherweise gar erschlichenen) Kaiserkonstitutionen, wie sich bereits in den Relationen 22, 27 und 44 gezeigt hat. Vor allem seit konstantinischer Zeit wurde das Verfahren daher in vielen Einzelvorschriften immer genauer ausgestaltet und auch die nachfolgenden spätantiken 498
Regelungen in CT XI, 29 und CJ VII, 61: De relationibus; CT XI, 30 und CJ VII, 62: De appellationibus (et poenis earum) et consultationibus; s. a. CT II, 18, 1 (321). Darstellungen bei Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 90 ff; 294 f; Collinet, Procédure, 365 f; Andt, Procédure, 10 ff; Gaudemet, Empereur, 185 ff; Litewski, Consultatio ante sententiam (zum Verfahren spez. 236 ff); Maggio, Note, 300 ff; s. a. Arcaria, Referre ad principem.
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Kaiser forderten ihre Beamten zu Anfragen mittels relatio immer wieder ausdrücklich auf. Die genannten Grundsätze einzuhalten bedeutet grundsätzlich Pflichterfüllung, nicht Schwäche. Das Verfahren ist dem der appellatio more consultationis ähnlich bzw. war für dieses Vorbild und zahlreiche Konstitutionen betreffen beide Verfahren. Der Verfahrensablauf ist bei Symmachus nicht immer im Detail erkennbar, doch ist anzunehmen, dass er sich insbesondere an die Fristen auch wirklich gehalten hat. Aufmerksamkeit verdient daher weniger das „Wie“ als das „Ob und Warum“ des jeweiligen Relationsverfahrens. Das Verfahren läuft wie folgt ab: Nachdem die Sache vollständig aufgeklärt und verhandelt ist499, setzt der Richter das Verfahren durch (unanfechtbaren) Beschluss aus, erklärt den Parteien, dass er berichten werde500, schreibt einen zusammenfassenden Bericht, die relatio, und teilt den Parteien innerhalb von 10 Tagen ab Beschlussfassung eine Abschrift seines Berichts mit, wogegen diese dann binnen 5 Tagen ihre ergänzenden Einwendungen und Zusätze, jedoch ohne neues Sachvorbringen, in Form von an den Kaiser gerichteten Bittschriften, libelli refutatorii/preces refutatoriae, einreichen können501. Der Bericht, der einen vollständigen Aktenauszug enthalten muss502, die libelli refutatorii der Parteien und die Prozessakten503 werden dann vom anfragenden Richter binnen 20 Tagen durch Boten an die kaiserliche Kanzlei geschickt504. Der Richter muss sich von nun an aus der Sache heraushalten505 und den Parteien ist es unter Androhung einer Geldstrafe in Höhe des Wertes des halben Streitgegenstandes verboten, zur Betreibung des Verfahrens am Hofe zu erscheinen. Erst 386 wird ihnen, jedenfalls im Osten, gestattet, persönlich vorzusprechen, wenn nach Ablauf eines Jahres noch immer keine Entscheidung gefallen ist506. Der Kaiser entscheidet ohne Anhörung der Parteien und ohne neue Beweisaufnahme aufgrund der Aktenlage nach Beratung mit seinem consistorium durch Reskript, das vom quaestor sacri palatii mit Unterstützung des magister epistu499
Nur wenn der Fall vollständig aufgeklärt ist, kann der Kaiser nach Aktenlage urteilen. Der abgebende Richter entscheidet selbst nichts: CT XI, 30, 1 (313); CJ VII, 61, 1 (319); CT XI, 30, 9 (319); 11 (321); II, 18, 1 (321): Nec ad nos mittatur aliquid, quod plena instructione indigeat. 500 In einem Interlokut teilt er seine Absicht mit, das Relationsverfahren einzuschlagen: CT XI, 30, 1 (313); 5 (316); 8 (319); CJ VII, 61, 1 (319); CT XI, 29, 5 (374). 501 CT XI, 30, 1 (313); 8 (319); CJ VII, 61, 1 (319); CT XI, 30, 11 (321); 24 (348); XI, 29, 3 (368); 5 (374); Ep. II, 30, 3 (389); Rell. 19, 10; 30 (§ 4: supplementa); 49, 4. 502 CJ VII, 61, 1 (319); CT XI, 29, 4 (369). 503 CT XI, 30, 1 (313); 5 (316); 6 (316); 8 (319); 9 (319); 11 (321); II, 18, 1 (321); XI, 30, 24 (348); 31 (363); 35 (369 f); XI, 29, 4 (369); 5 (374). Das gesamte Material des Falles wird übersandt, vgl. auch Rell. 39, 5: gestis omnibus; 49, 4. Waren die Unterlagen unvollständig oder verspätet, wurde der Richter bestraft: CT XI, 30, 6; 8; 9; 24; 31; XI, 29, 5. 504 CT XI, 30, 8 (319); wieder in CT XI, 29, 5 (374); Boten: CT XI, 30, 31 (363). Die Frist läuft ab der Beschlussfassung, das Relationsverfahren einzuschlagen. 505 CT XI, 30, 5 (316); XI, 29, 2 (319); XI, 30, 8 (319). 506 CT XI, 30, 34 (364); 47 (386, Konstantinopel); 54 (395).
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larum erarbeitet und vom Kaiser unterschrieben wird507. Gegen das Reskript sind keine weiteren Rechtsmittel, weder Appellation noch supplicatio, zulässig508. Der Richter verliest den Parteien das im Reskript enthaltene Urteil und vollstreckt es. Diese Reskripte entfalten grundsätzlich nur für den Einzelfall Bindungswirkung. Dennoch kam es immer wieder zu Zweifeln über die Reichweite kaiserlicher Urteile, bis CJ I, 14, 2 (426 ad senatum)509 klarstellt: Quae ex relationibus vel suggestionibus iudicantium per consultationem...statuimus ...nec generalia iura sint, sed leges fiant his dumtaxat negotiis atque personis, pro quibus fuerint promulgata... . Auch bei Symmachus werden beispielsweise in Relation 41, 3 rescripta als potenziell allgemeingültige Rechtsquelle bzw. als 507
Anfragen, private preces (dazu noch unter VI) und Beamtenrelationen, werden in den kaiserlichen Kanzleien bearbeitet, deren Beamte verwaltungsmäßig und disziplinarisch dem magister officiorum unterstehen (s. bei Rel. 44). Beteiligt ist im Übrigen an verantwortlicher Stelle der quaestor sacri palatii als höchster kaiserlicher Berater in Rechtsfragen, der kein eigenes Personal unter sich hat, sondern sich der Kanzleibeamten bedient. Symmachus beschreibt seine Tätigkeit in mehreren Briefen. Ep. I, 23, 3 (375/376, an den quaestor sacri palatii Ausonius): Quaestor es, memini; consilii regalis particeps, scio; precum arbiter, legum conditor, recognosco. Er sitzt im consistorium, befindet über Bittschriften und entwirft die kaiserlichen Gesetze. Vgl. auch Zosimos V, 32, 6 (zum Jahre 408) und entsprechend auch Ep. II, 8, 2 (382, an den quaestor sacri palatii Flavianus): Neque enim te exhaurit, quod adeuntium preces indefesso absolvis adfatu, quod venerandi principis mentem loqueris oraculis. Sint ista prima nec tamen sola, d. h. er bearbeitet preces und erarbeitet die kaiserlichen Reskripte. Zu letzterem auch Ep. IV, 50 (395, an den quaestor sacri palatii Florentinus): ...quaesturae honor et condendarum sanctionum usus und Ep. V, 54, 1 (um 397 an den quaestor sacri palatii Felix): ...de augusto adyto cuius loqueris oracula. In den Kanzleien werden die Anfragen und Eingaben bearbeitet, außerdem Anstellungsurkunden ausgefertigt (Rel. 17) und Unterlagen archiviert (Rel. 24: Protokolle von Senatssitzungen; Rel. 46: professio wird dorthin geschickt). Der quaestor sacri palatii erarbeitet abschließend die konkrete Antwort, die dann dem Kaiser zur Unterschrift vorgelegt wird und zur Ausfertigung schließlich an die Kanzlei zurückgeht. Einzelheiten hierzu lassen sich den Relationen allerdings nicht entnehmen. Zu den Zuständigkeiten vgl. insoweit auch Liebs, Gesetz, 12 ff. Da der Kaiser nicht alles selbst genau überprüfen kann, waren rechtswidrig erschlichene Reskripte wie in Relation 44 nicht selten, s. a. bei Relation 19 und hier unter dem Stichwort Reskriptverfahren. In der Notitia Dignitatum wird später die Kompetenzordnung zusammengefasst, Not. Dig. Oc. XVII (vgl. Or. XIX): Magister memoriae annotationes omnes dictat, et emittit; respondet tamen et precibus. Magister epistolarum legationes civitatum, et consultationes et preces tractat. Magister libellorum cognitiones et preces tractat. Für die Beantwortung von Relationen im Relationsverfahren war demnach speziell der magister epistularum zuständig; für Relationen, die regulär im Rahmen des Instanzenzugs geschrieben wurden (appellatio more consultationis) vermutlich der magister libellorum, der auch reguläre kaiserliche Prozesse bearbeitete. Preces behandelten alle Kanzleien. 508 Keine Appellation, da mit dem Kaiser die höchste Instanz entschieden hat, vgl. etwa CT XI, 30, 8, 1 (319); 9 (319); 11 pr. (321), und auch keine supplicatio während des Verfahrens (es sei denn, der Richter verletzt seine Pflichten im Relationsverfahren, erteilt etwa keine Abschrift der relatio oder berichtet unvollständig oder falsch) oder nach Abschluss des Verfahrens durch Kaiserreskript, s. dazu bereits die unter III. und bei Rel. 48 genannten Quellen. Die Parteien konnten schließlich in den preces refutatoriae ihren Standpunkt vorbringen. 509 Für den Osten s. bereits CT I, 2, 11 (398). S. a. bei Rell. 22, 27 und 44.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Vorbild für einen anderen Fall angeführt510, strahlen sie doch höchste Autorität aus; bisweilen nahm der Kaiser solche Anfragen auch zum Anlass einer allgemeinen Neuregelung511. Das Relationsverfahren betrifft gleichermaßen Zivilwie Strafprozesse und erst Justinian verbietet mit Nov. 125 (543) die consultatio ante sententiam an das Kaisergericht. Zur Amtszeit des Symmachus konnten prinzipiell alle auftretenden Zweifelsfragen dem Kaiser zur Entscheidung vorgelegt werden. Consultationes wie die genannten Relationen haben insofern nichts Ungewöhnliches oder gar Anrüchiges an sich. Die Spannbreite und das weite richterliche Ermessen - bloße Zweifel genügten - verdeutlicht beispielhaft CT XI, 29, 5 (374 an den Stadtpräfekten Eupraxius): Quicumque iudicum vel appellatione interposita vel ipse dubitans relationem in causa vel civili vel criminali spoponderit sese missurum, exemplum opinionis edendae refutatoriorumque dandorum, sed et transmittendae relationis intra eum diem servet, qui Constantiniana lege decretus est, ita ut simul omnia ad eam de qua refertur causam pertinentia acta transmittat. Quod si qui iudicum posthac non ita observaverit cuncta in relationibus dirigendis, quae iam pridem statuta sunt, eo crimine tenebitur una cum officio, quod ordinem servandorum suggere neglexerit, quo tenentur, qui sacrilegium admiserint. Der Beamte musste lediglich, wie immer wieder eingeschärft wurde, die strengen Verfahrensregeln einhalten, denn für Richter und officium drohte ansonsten Strafe. Denkbar war auch die Bitte, bloß eine einzelne Frage zu beantworten512, doch wurde zumeist der ganze Fall an den Kaiser abgegeben. Eine Zurückverweisung an den anfragenden Richter ist in den damaligen Quellen zum Relationsverfahren nicht vorgesehen513. Anders als seinerzeit Plinius gibt denn auch Symmachus (eine Ausnahme macht allenfalls Relation 36) seine Fälle nach vollständiger Sachaufklärung mit den einschlägigen Akten regelmäßig insgesamt ab und begehrt eine dauerhafte und endgültige kaiserliche Letztentscheidung. Die uns überlieferten Relationen enthalten nur die knappe, bisweilen kaum zu entschlüsselnde Zusammenfassung des Sachverhalts mit 510
Zum oftmals untechnischen Sprachgebrauch s. allerdings auch bei Rell. 34 und 27 m. N. 511 So ergehen laut CT XIII, 3, 13 (387; s. bei Rel. 27) auf relationes ggf. auch „leges“. Vgl. zur relatio als möglichem Ausgangspunkt einer allgemeinen lex auch CJ I, 14, 3 (426). 512 Der Richter fällt dann entsprechend der kaiserlichen Antwort selbst das Urteil, das wohl grundsätzlich appellabel war, jedenfalls mit der Begründung, die Angaben in der relatio seien fehlerhaft (dazu näher unter VI). 513 Der Kaiser selbst urteilt auf der Grundlage der vollständigen Unterlagen nach Aktenlage: CT XI, 30, 9 (319); s. a. XI, 30, 6 (316); 11 (321); II, 18, 1 (321); XI, 29, 4 (369). Litewski, Consultatio, 251, vermutet sogar, dass nachklassisch der Kaiser grundsätzlich immer selbst das Urteil fällte und nicht etwa nach Beantwortung einer Einzelfrage den Fall zur Entscheidung zurückverwies. Dagegen bespricht Maggio, Note, 308 ff, auch mehrere Fälle, in denen der befragte Kaiser eine Reskriptantwort gibt und den Fall an den anfragenden Richter zurückverweist; in diesen Fällen war der Sachverhalt allerdings noch nicht entscheidungsreif aufgeklärt.
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Begründung der Abgabe und ggf. auch einem Entscheidungsvorschlag; das Verfahren ist so alltäglich, dass eine ausführliche Begründung nicht erwartet werden kann. Da sich jedoch die Begründung, warum das Relationsverfahren eingeschlagen wird, nur in der Relation selbst findet, ist diese jedenfalls insoweit aufschlussreich. Im Folgenden soll daher vorrangig untersucht werden, aus welchen Gründen Symmachus um Hilfe bittet, wann er nur um Klärung einer einzelnen Frage nachsucht bzw. wann er das ganze Verfahren an den Kaiser abgibt. Erst nach einer solchen Einzelfallbetrachtung wird es möglich sein, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob Symmachus nur Wichtiges und rechtlich Zweifelhaftes berichtet oder ob er tatsächlich, wie ihm häufig vorgeworfen wird, viele seiner Relationen aus Entscheidungsschwäche und Rechtsunkenntnis geschrieben hat oder sich gar Parteilichkeit und Bestechlichkeit andeuten, denn natürlich bot das Relationsverfahren dem Richter auch die einfache und bequeme Möglichkeit, sich eines unangenehmen Falles zu entledigen. Das Einschlagen des Relationsverfahrens verzögerte dann unnötigerweise den Abschluss des Prozesses und wurde häufig auch unzulässigerweise dazu benutzt, die Parteien von einer Appellation abzuhalten; dementsprechend war auch eine relatio post sententiam unzulässig514. Die Anforderungen an die Richter waren insgesamt zwiespältig, denn einerseits forderte der Kaiser speziell die Provinzrichter immer wieder dazu auf, großzügig anzufragen, andererseits gab es aber auch Ermahnungen, in unzweifelhaften Fällen nicht unnötigerweise abzugeben515. Ein Übermaß an Relationen und die damit verbundene Überlastung des Kaisergerichts sollten vermieden werden516. Auch ein Symmachus musste 514 CJ VII, 61, 1/CT XI, 29, 2 (319); CT XI, 30, 13 (329: Seeck, Regesten, 64; 179): Der Kaiser warnt den Stadtpräfekten vor relationes non necessariae et insolentes, die Appellationen behindern sollen; CT I, 5, 4 (342): Der Richter entscheidet nicht, sondern schlägt unzulässigerweise das Relationsverfahren ein, um eine Appellation zu verhindern; s. a. CT XI, 30, 55 (399 f). 515 CT XI, 29, 1 (313): Keine unnötigen Anfragen der Statthalter in einfachen Sachen, sondern nur in unlösbaren Fällen, denn es gibt schließlich das Appellationsrecht: Super paucis, quae iuridica sententia decidi non possunt, nostram debes consulere maiestatem, ne occupationes nostras interrumpas. CT XI, 29, 2 (319) nennt geringe Mindestvoraussetzungen für eine gerechtfertigte Relation, denn Zweifelhaftes darf berichtet werden: Si quis iudicum duxerit esse referendum, nihil pronuntiet, sed magis super quo haesitandum putaverit, nostram consulat scientiam. CT XI, 29, 4 (369) verlangt ausdrücklich Grund oder Notwendigkeit, ein kaiserliches Urteil zu erbitten: Si quando ratio aut necessitas est in negotiis nostra iudicia requirendi expectandique responsa. Eine gewisse Notwendigkeit verlangt auch CT I, 15, 8 (378: Seeck, Regesten, 72; 248) an den praefectus praetorio: si quando usus attulerit. Doch viele Probleme können nach letztgenannter Konstitution ausdrücklich allein vom Kaiser gelöst werden; Vikare sollen daher bei ihm direkt anfragen: scimus tamen aliquanta esse, quae nisi auctoritas principalis oraculi solvere non potest. CT XI, 30, 55 (399 f): Nach vollständiger Sachaufklärung soll der Richter grundsätzlich selbst entscheiden und das Verfahren nicht durch einen Bericht an den Kaiser verzögern. Etwaiger Einschüchterung durch einen Appellanten soll nicht nachgegeben, d. h. das ordentliche Appellationsverfahren nicht durch eine Relation ausgehebelt werden. 516 Wegen der Häufigkeit der Anfragen delegierte der Kaiser ggf. an den jeweiligen hierarchisch höherstehenden Richter, etwa den praefectus praetorio, den die Unterrich-
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
daher seine Relationen rechtfertigen. In manchen Fällen gab es allerdings eine gesetzliche Verpflichtung, den Kaiser zu konsultieren, so in Strafsachen gegen Senatoren vor der Verhängung schwerer Strafen517. Zu unterscheiden sind daher die freiwilligen Konsultationen von gesetzlich angeordneten Berichtspflichten, die oft mit dem Vorbehalt kaiserlicher Entscheidung verbunden waren. Die Vielzahl der zitierten Regelungen an verschiedenste Beamte verdeutlicht noch einmal die große praktische Bedeutung dieses Verfahrens im spätantiken Kognitionsprozess. Als Beispiele aus der Praxis überliefert sind allerdings außer den Relationen des Symmachus und der beiläufigen Erwähnung solcher Relationen in Relation 48 (für seinen Amtsvorgänger) und in den Privatbriefen (etwa Ep. II, 33) nur der Briefwechsel zwischen Plinius und Kaiser Trajan aus den Jahren 111-113, dem zwar eine andere Rechtslage zugrunde lag518, der aber doch bis hinein in die Formulierungen zahlreiche Parallelen zeigt und daher eine kurze Betrachtung verdient. Das Relationsverfahren betreffen etwa Epp. X, 29 f (Anfrage zum Strafmaß und Antwort, die die zu berücksichtigenden Kriterien nennt); Epp. X, 31 f (Anfrage und Anweisung im Hinblick auf Strafen); Ep. X, 58 (Plinius wagt nicht, über die vorgelegten kaiserlichen Dokumente zu entscheiden: nihil decernendum putavi, und gibt die Frage nach vollständiger Ermittlung mit den einschlägigen Unterlagen an den Kaiser weiter; er erbittet eine Anweisung, weil die vorhandene Norm möglicherweise nicht genau auf seine Provinz passt, und setzt seine Entscheidung aus) sowie Epp. X, 65 f (Frage und Antwort zu Konstitutionen, die im Prozess angeführt wurden und hinsichtlich derer Plinius unsicher ist; Trajan äußert lediglich seine Ansicht und belässt Plinius die Letztentscheidung). Eine bezeichnende programmatische Formulierung, die Symmachus mehrfach nahezu abgeschrieben zu haben scheint, findet sich im Rahmen eines Strafprozesses in Ep. X, 96: Solemne est mihi, Domine, omnia, de quibus dubito, ad te referre. Quis enim potest melius vel cunctationem meam regere vel ignorantiam instruere? Plinius berichtet über das bisherige Verfahren, setzt seine Entscheidung aus und fragt um Rat, welche Strafe zu verhängen sei mit der Begründung, dass er alles Zweifelhafte vorlege. Mit Ep. X, 97 billigt Trajan dieses Vorgehen. Auch Ep. X, 108 ersucht um Anweisung in einer Rechtsfrage (allerdings ohne Prozess) und macht einen konkreten Vorschlag, wie eine vernünftige Regelung aussehen sollte. Plinius fordert - wie häufig auch Symmachus - eine dauerhafte Lösung mit kaiserlicher
ter (Provinzstatthalter) einzuschalten hatten, anstatt den Kaiser direkt anzuschreiben, vgl. dazu CT I, 15, 8 (378). Der Stadtpräfekt allerdings muss sich in Zweifelsfragen an den Kaiser als seinen Oberrichter wenden. 517 Vgl. etwa CT IX, 21, 2, 3 (321); CT IX, 40, 10 (367); IX, 1, 13 (376); CJ XII, 1, 16 (442f). Näheres bei den Relationen 31, 36, 38 und 49. 518 So gibt Plinius den Fall regelmäßig nicht ganz ab, sondern erbittet lediglich Anweisungen, und auch Trajan zieht den Fall nicht an sich, sondern gibt entsprechend der Rechtslage in klassischer Zeit nur den Entscheidungsrahmen vor, vgl. hierzu auch D XLVII, 9, 4, 1; D XLVIII, 15, 6 pr.; D XL, 12, 27 pr. Zu Parallelen bei Symmachus s. a. schon bei Rel. 22.
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Autorität, denn Rechtssicherheit gewährleistet erst und nur der Kaiser. In Ep. X, 110 stehen kaiserliche mandata in Frage. Plinius setzt die Entscheidung aus und erbittet eine Anweisung, denn die Gesetzeslage scheint ihm zu hart zu sein. Einen vergleichbaren Fall behandelt Relation 49 und auch sonst formuliert Symmachus mehrfach ganz ähnlich wie Plinius (vgl. auch Plinius, Ep. X, 31: Salva magnitudine tua, Domine, descendas oportet ad meas curas cum ius mihi dederis referendi ad te, de quibus dubito) und damit ebenso pauschal wie etwa CT XI, 29, 5, wenn er sich schlicht darauf beruft, dass er sich mit Zweifeln an den Kaiser wenden dürfe. Beispielhaft seien genannt: Relationen 19, 10: nam in rebus dubiis una salubritatis est via, ut divina quaeque vel deo proxima consulantur; 30, 4: nos venerari potius quam interpretari oracula divina consuevimus; 39, 5: sed quod unum remedium convenit rebus ambiguis, fortunam curiosi luctaminis augustissimis legum arbitris reservavi; 40, 6: Ergo ut in rebus dubiis fieri amat, ad clementiae vestrae salubre iudicium convolamus. Es handelt sich dabei demnach um übliche Floskeln, die nicht überzubewerten, aber doch zu überprüfen sind.
VI. Das sogenannte Reskriptverfahren519 Als besondere Verfahrensart wird häufig der sogenannte Reskriptprozess behandelt, obwohl es sich im Grunde genommen nicht um eine spezielle Verfahrensart, sondern lediglich eine besondere Art der Prozesseinleitung handelt520, im Rahmen derer sich die rechtssuchende Partei vorab an den Kaiser wendet, anstatt gleich an den zuständigen Richter. Beispiele finden sich in den Relationen 19, 31 und 33 (s. a. Relation 48). Auch diese Beteiligung des Kaisers an der Rechtsprechung diente wie das Relationsverfahren in erster Linie der Qualitätssicherung. Das Verfahren wird durch Einreichung einer Supplik beim Kaiser mit der Bitte um rechtliche Begutachtung des Falles eingeleitet. Die Sache darf nicht bereits anhängig oder schon entschieden sein (dazu m. N. bereits unter III), d. h. der ordentliche Rechtsweg darf nicht umgangen werden. In der Supplik ist der Sachverhalt vollständig darzustellen; Beweise müssen allerdings nicht beigefügt werden, weil der Kaiser keine Tatsachenprüfung vornimmt, sondern sein Reskript unter dem Vorbehalt der Wahrheitstreue der Supplik erteilt521. Das Reskript wird vermutlich schon damals522 vom quaestor sacri palatii mit Unterstützung eines magister scriniorum ausgearbeitet und vom Kaiser unterschrieben. In dem Reskript ergeht ein rechtsverbindliches Gutachten, sel519 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 92 ff; 350 ff; Andt, Procédure; Simon, Konstantinisches Kaiserrecht, 8 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 633 ff; Maggio, Note critiche; Wesener, RE Suppl. X: Reskriptsprozeß, 866 ff. 520 Weitergehend Maggio, Note, der ein besonderes Reskriptverfahren insgesamt ablehnt. S. a. bei Rel. 19. 521 Vgl. Formulierungsbeispiele bei Andt, Procédure, 51 f. 522 S. schon oben unter V.; eindeutig dann CJ I, 23, 7, 1 (477).
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ten schon ein Urteil. Der Fall wird in der Regel an den ordentlichen523, bisweilen aber auch an einen besonders delegierten Richter verwiesen und diesem werden ggf. Anweisungen zur Sachbehandlung und richtigen Rechtsanwendung erteilt. Dem Bittsteller wird das Reskript zugestellt524. Will er davon Gebrauch machen, muss er es mit dem Text seiner Bittschrift dem Richter einreichen, der es daraufhin überprüft, dass es nicht gefälscht, erschlichen oder gesetzwidrig ist, und dann die Ladung des Beklagten veranlasst525. Die Zustellung einer beglaubigten Reskriptabschrift an den Beklagten entspricht der unter I. beschriebenen litis denuntiatio und setzt die Viermonatsfrist in Gang526. Das Verfahren verläuft im Übrigen nach den allgemeinen Regeln. Der Richter hat unter Berücksichtigung des Reskripts zu entscheiden, vorausgesetzt die in der Supplik enthaltenen Angaben waren wahrheitsgemäß und vollständig; andernfalls war das Reskript mit der Einrede der Unwirksamkeit angreifbar, vgl. dazu bei Relation 19. Die Relationen 19 und 44 zeigen beispielhaft die entstehende Unsicherheit, wenn der Vorwurf falscher Angaben in der Supplik, also der Reskripterschleichung erhoben wurde. Der Richter hatte zwar Prüfungspflichten, die Verwerfungskompetenz lag im Zweifelsfall aber allein beim Kaiser. Hier zeigt sich auch die Kehrseite des Reskriptwesens, das zu einer unüberschaubaren Masse kaiserlicher Einzelfallentscheidungen führt, die ggf. im Widerspruch zueinander oder zu allgemeinen Gesetzen stehen. Der Stadtpräfekt ist in solchen Fragen regelmäßig überfordert. Auch die Appellation gegen das nach und aufgrund Reskripterteilung erlassene Urteil war wohl grundsätzlich möglich, jedenfalls mit der Begründung, die in der Supplik enthaltenen Angaben seien unwahr oder unvollständig; so konnte das Reskript erschüttert werden. Abgesehen von dieser Begründung aber durfte sich die Appellation nicht unmittelbar gegen die Reskriptanweisung richten, da der Kaiser mit höchster Autorität insoweit eine endgültige Entscheidung getroffen hatte; nur gegen seine unrichtige Anwendung oder gegen unrichtige Beweiswürdigung konnte man vorgehen527.
523 Zumeist wird das Verfahren dem ordentlichen Richter übertragen, vgl. Beispiele bei Andt, Procédure, 52 ff. S. aber auch bei Rel. 31. 524 CJ I, 23, 3 (292). 525 Zur Einreichung: CT IV, 22, 2 (380); CJ VIII, 4, 6 pr. (382); CT IV, 14, 1, 1 (424). Der Richter hatte dann die Pflicht, die Wahrheitstreue der Supplik und das Reskript auf seine Übereinstimmung mit dem bestehenden Recht zu prüfen, CT I, 2, 6 (333); II, 4, 4 (Juni 385). Ein auf falschen Voraussetzungen beruhendes oder dem geltenden Recht widersprechendes Reskript galt als erschlichen und war ungültig; Quellennachweise im 2.Teil 3. Abschnitt III. (Relation 44). 526 Vgl. Titel CT II, 4: De denuntiatione vel editione rescripti; CT II, 4, 2 (322); IV, 22, 2 (380); II, 4, 4 (Juni 385); 5 (389). 527 Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 635 Fn. 23; vgl. dazu auch CJ VII, 62, 2; D XLIX, 1, 1, 1; XLIX, 4, 3. S. aber auch bei Rel. 33.
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Unterabschnitt 2
Die Prozessberichte Die folgenden Relationen behandeln Rechts- und Sachfragen im Rahmen von Prozessen. Zivil- und Strafprozesse werden getrennt behandelt, da das Verfahren unterschiedlich ist. Ausführliche, grundsätzlich vollständige (mit Ausnahme bloßer Einleitungsfloskeln) Textzitate sollen die Darstellung nachvollziehbar machen, worin der Versuch unternommen wird, eine Vorstellung vom zugrundeliegenden Sachverhalt zu gewinnen. Dass das nicht immer ganz einfach ist, manche Frage offenbleibt und manches nur hypothetisch angedeutet werden kann, liegt in der Natur der prozessrechtlichen Relationen begründet, die nur Begleittext zu den eigentlichen Prozessakten sind. So sagen sie zwar stets, warum sich der Stadtpräfekt an den Kaiser wendet, doch kann allein daraus der bisherige Prozessverlauf regelmäßig nur unvollständig erschlossen werden. Da das besondere Augenmerk jedoch auf der Begründung der Vorlage liegt, sind die Relationen die einzige und daher eine wertvolle Quelle dafür, mit welchen Problemen der Stadtpräfekt als Richter konfrontiert war.
A. Zivilprozesse
I. Relation 16: Annahme einer unzulässigen Appellation Symmachus wendet sich in einem Erbrechtsstreit an den Kaiser, indem er das Verfahren der appellatio more consultationis einschlägt, obwohl es, wie er sogleich anmerkt, im vorliegenden Fall eigentlich unzulässig ist. Dass tatsächlicher Adressat der Westkaiser Valentinian II. ist, ergibt sich hier und den im Folgenden behandelten Relationen, die alle wie Relation 16 nur mit „DDD. NNN.“ oder überhaupt nicht überschrieben sind, aus dem Inhalt der Schreiben, in denen der römische Stadtpräfekt seinen Kaiser mit Rechtsfragen konfrontiert, die sich ihm im Rahmen von Prozessen stellen. Genauer datieren lässt sich Relation 16 aufgrund der Tatsache, dass eine Konstitution vom 29. November 384, CT XI, 30, 44, damals offensichtlich noch nicht galt. Der Bericht datiert also mit aller Wahrscheinlichkeit vor dem 29. November 384. 1. Der Fall Der vor einiger Zeit verstorbene Senator Euphasius, um dessen Nachlass vor dem Stadtpräfekten gestritten wird, hatte ein Testament hinterlassen, in dem mehrere, von Symmachus nicht genannte Erben eingesetzt waren. Diese heredes scripti hatten schon vor längerer Zeit den Nachlass in Besitz genommen;
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
der Prätor528 hatte ihnen auf Antrag die bonorum possessio secundum tabulas gewährt, nachdem er wohl jedenfalls die formale Ordnungsmäßigkeit des Testaments festgestellt hatte. Nun aber tauchen zwei nicht im Testament eingesetzte Verwandte des Euphasius auf, die proximi Priscianus und Polemonianus529, und klagen vor dem Gericht des Stadtpräfekten gegen die Gültigkeit des Testaments. Offenbar haben sie erst jetzt von einer möglichen eigenen Erbberechtigung Kenntnis erlangt. Sie scheinen die nächsten lebenden Verwandten zu sein, die als gesetzliche Erben in Betracht kommen; der Grad der Verwandtschaft wird allerdings nicht einmal angedeutet. Symmachus ist mit dem Fall regulär als örtlicher Zivilrichter nach dem Grundsatz des actor rei forum sequitur befasst, d. h. die beklagten heredes scripti hatten entweder ihren Wohnsitz in Rom oder im Umkreis von Rom oder waren Senatoren. Ungeduldig fordern die proximi beim Stadtpräfekten für die Zeit des Prozesses außerdem auch gleich den Besitz der Nachlassgegenstände und beantragen bonorum possessio ab intestato. Sie erbitten von Symmachus ein Besitzurteil, sententiam de possessione, konkret wohl das interdictum quorum bonorum530, um dann in der Hauptsache im Rahmen der Erbschaftsklage eine günstige Ausgangsposition zu ha-
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Der Prätor wird in Rel. 16 (“beneficio praetoris“) entgegen der Ansicht von Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 539 Fn. 74, ausdrücklich genannt als derjenige, der die bonorum possessio gewährt hat. Gemäß CJ VI, 9, 9 (320: Seeck, Regesten, 169) konnten inzwischen allerdings verschiedene Beamte mit solchen erbrechtlichen Fragen befasst werden. Zur verbliebenen Kompetenz des Prätors in Rechtsangelegenheiten vgl. v. a. CT VI, 4, 16 (359); zum Erbrecht s. a. CT II, 19, 1 (319) und zur Rechtspraxis die Relationen 19 und 39. Ihm oblagen u. a. Vormundschaftssachen, in integrum restitutio (s. Rel. 39), Freiheitsprozesse, Freilassungen und Emanzipationen. Ausführlich zum verbliebenen Kompetenzbereich des Prätors: Chastagnol, Observations, 237 ff, der, 243, vermutet, in Erbschaftsangelegenheiten sei der praetor triumphalis zuständig gewesen. 529 Die Beteiligten sind ansonsten unbekannt: PLRE I, Euphasius, 298; PLRE I, Polemonianus, 710; PLRE I, Priscianus 3, 728. Letztere sind offenbar keine Senatoren, denn Symmachus nennt sie ohne Titel. 530 Dieses Interdikt dient dem Schutz dessen, dem die bonorum possessio erteilt wurde. Mit ihm kann tatsächliche Besitzverschaffung an den körperlichen. Nachlassgegenständen von jedem Besitzer verlangt werden, der sich nicht auf einen Einzelerwerbsgrund beruft, sondern entweder pro herede oder pro possessore besitzt. Dazu Kaser, Privatrecht I, 740; II, 548 f. Die proximi beantragen bei Symmachus Erteilung der bonorum possessio und vermutlich das Interdikt bzw. eine Entscheidung nach Art des Interdikts, d. h. vorläufige Vollstreckung der behaupteten Rechtsposition. Die Quellen belegen das Fortbestehen des interdictum quorum bonorum auch Ende des 4. Jh., vgl. CT XI, 36, 22 (374): Appellationsverbot gegen das interdictum quorum bonorum; CT IV, 21, 1 (395); s. a. den Titel CJ VIII, 2. Zum entsprechenden Antrag der proximi schon Kipp, Erbschaftsstreit, 72; 86 ff; ders., RE-appellatio, 197; Ubbelohde, Die Interdicte, 449 ff; ders., Die erbrechtlichen Interdicte, 100 Fn. 2; Steinwenter, Briefe, 22 f; Raggi, Studi sulle impugnazioni, 158; Chastagnol, Préfecture, 117 f (seiner Meinung nach hätte allerdings der Prätor das Interdikt zu erlassen); Litewski, Zwischenbescheide, 215; s. a. Levy, WRVL, 264 Fn. 371; Kaser, Privatrecht II, 548 Fn. 36; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 569 Fn. 34: interdictum quem fundum. Gegen die Vermutung, die proximi hätten ein Interdikt beantragt, äußert sich hingegen Timbal, Questions, 379 ff.
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ben531. Vor der Entscheidung über das Erbrecht wollen sie sich rasch eine günstige Position verschaffen, ohne die Fristen der litis denuntiatio einhalten zu müssen, denn das Verfahren quorum bonorum wurde offenbar ohne die langwierige ordentliche Litisdenuntiation eingeleitet532. Das interdictum quorum bonorum dient dem vorläufigen Rechtsschutz und verteilt die Parteirollen für den petitorischen Erbschaftsprozess533. In der Hauptsache geht es den beiden Klägern um das Erbrecht, das ihnen wegen Ungültigkeit des Testaments als gesetzlichen Erben zustehe. Nicht deutlich wird allerdings, ob sie die querella inofficiosi testamenti534 erheben oder einfach eine hereditatis petitio anstrengen. Jedenfalls wird nicht nur der Pflichtteil eingefordert, sondern der ganze Intestaterbteil. Doch spricht das nicht gegen die querella inofficiosi testamenti, die im Falle vollständiger Übergehung des Pflichtteilsberechtigten ebenfalls zur gesetzlichen Erbfolge führte. Allerdings wissen wir nichts darüber, ob die Kläger nahe genug mit Euphasius verwandt waren, um als Pflichtteilsberechtigte die querella inofficiosi testamenti erheben zu können; anders als in Relation 19 drückt sich Symmachus hier nicht klar aus. Denkbar ist daher, dass die petitores, wie Symmachus die Kläger bezeichnet, im Rahmen einer hereditatis petitio die Gültigkeit des Testaments z. B. wegen eines Formfehlers (vgl. für einen Beispielsfall Relation 41) angegriffen haben. Die Formulierung super testamenti iure actio verteretur, erhoben durch die proximi, deutet allerdings auf die Querel hin535. Denkbar ist schließlich auch, dass hereditatis petitio und querella inofficiosi testamenti damals nicht mehr deutlich unterschieden wurden536. Beides war möglicherweise zu ei531 Zur Erbschaftsklage jener Zeit: Kaser, Privatrecht II, 545 ff. Die hereditatis petitio ist Gesamtklage auf Feststellung des Erbrechts des Klägers und Herausgabe aller, auch der nichtkörperlichen Erbschaftsgegenstände, die der Beklagte in Händen hat. Mit der Klage siegt, wer beweist, dass ihm die Erbschaft eher zusteht; außerdem ist Zugehörigkeit der beanspruchten Gegenstände zur Erbschaft zu beweisen. Kläger ist der zivile Erbe oder der bonorum possessor (dann eigtl. hereditatis petitio possessoria), Beklagter derjenige, der sich auf Befragen vor Gericht als possessor pro herede oder pro possessore bekennt, der behauptet Erbe zu sein oder Benennung eines Erwerbsgrundes verweigert. 532 Symmachus verhandelt sofort und lehnt das geforderte Besitzurteil nicht etwa deshalb ab, weil insoweit die offizielle Prozesseinleitung fehle. Anders Timbal, Questions, 382, der litis denuntiatio für erforderlich hält. 533 S. in diesem Zusammenhang auch die Vorschrift in CT IV, 21, 1 (395) und unten 2d). 534 So, ohne nähere Begründung: Chastagnol, Préfecture, 119; Barrow, Prefect, 95 Fn. 2. Ein Beispiel für diese Klage liefert Relation 19. Dort auch Ausführungen zu Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Querel. 535 Ein Argument dafür wäre auch CT II, 19, 4 (361): Die querella inofficiosi testamenti heißt dort super testamento querella. 536 Nach Kaser, Privatrecht II, 516, fließen hereditatis petitio und querella inofficiosi testamenti ineinander. Zeugnis dafür ist evtl. Rel. 19, wobei allerdings dort nach überwiegender Ansicht die Querel noch explizit auftaucht und auch die Rechtsquellen (vgl. die jeweiligen CT-/CJ-Titel) unterscheiden beide Klagen formal noch.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
ner einheitlichen Klage zusammengeflossen: Die proximi machen die Ungültigkeit des Testaments geltend und fordern Herausgabe des Intestaterbteils. Die hereditatis petitio aber setzt, ebenso wie (damals noch537) die querella inofficiosi testamenti, Verfahrenseinleitung mittels Litisdenuntiation mit ihren mehrmonatigen Fristen bis zur Verhandlung voraus, so dass die Kläger versuchen, für diese Zeit wenigstens den vorläufigen Besitz zu erhalten. Über diesen Antrag entscheidet Symmachus in seinem Zwischenentscheid: Er lehnt den Antrag auf Besitzzuweisung ab, denn der Prätor hatte nach Vorlage des Testaments den eingesetzten Erben bereits die bonorum possessio secundum tabulas zugesprochen, was einer Gewährung der nachrangigen bonorum possessio ab intestato entgegensteht538; das Verfahren wird bis zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens mittels litis denuntiatio ausgesetzt. Symmachus prüft nicht in der Sache, ob die Entscheidung des Prätors richtig war, denn allein die Tatsache, dass bereits - und wohl jedenfalls formal korrekt entsprechend dem Wortlaut des Testaments - bonorum possessio secundum tabulas gewährt worden war, steht einer gegenteiligen Entscheidung entgegen. Die Besitzfrage ist nicht eigentlich rechtskräftig, aber unanfechtbar entschieden. Offen bleibt das petitorische Verfahren, die Entscheidung über das Erbrecht, und so fordert er Priscianus und Polemonianus auf, das Hauptsacheverfahren ordnungsgemäß einzuleiten; es ergeht keine Sachentscheidung, kein grundsätzlich appellables, weil Endurteil, im Besitzstreit, insbesondere erlässt er kein interdictum quorum bonorum, das übrigens einem eigenen Appellationsverbot unterliegt; vielmehr lehnt Symmachus genau das - jedenfalls konkludent - ab. Dieses Vorgehen ist wohl als korrekt hinzunehmen539. Symmachus verweigert die erbetene sententia de possessione, fällt kein Endurteil, sondern spricht lediglich ein Prozessurteil, praeiudicium, mit dem er direkt zum Hauptsacheverfahren übergeht. 537 Erst CT II, 4, 6 (406) verzichtet auf die litis denuntiatio bei der querella inofficiosi testamenti; noch ist sie aber erforderlich, wie auch Relation 19 zeigt. 538 Vgl. Ulp. D XXXVIII, 6, 1, 2: Ita autem ab intestato potest competere bonorum possessio, si neque secundum tabulas neque contra tabulas bonorum possessio agnita sit. Dem entspricht der Wortlaut bei Symmachus. Anders die Interpretation von Kipp. Dazu unter 2d). 539 Zweifelnd: Kipp, Erbschaftsprozeß, 88f, der auf CT IV, 17, 4 vermutlich aus der kaiserlichen Antwort auf Relation 16, dazu unter 2c), verweist, worin der Kaiser, ausgehend von Rel. 16, den Stadtpräfekten möglicherweise darauf hingewiesen habe, dass er das Interdikt mittels formrichtigen Endurteils hätte abweisen müssen, und daneben in CT XI, 30, 44 angeordnet habe, dass Appellationen im Übrigen auch gegen Entscheidungen, die der Richter als praeiudicium ansehe, anzunehmen seien. Tatsächlich ist festzuhalten, dass Symmachus die Ablehnung der Entscheidung über den Besitz letztlich als unselbständigen Teil des Hauptsacheverfahrens behandelt. Nach der Formulierung in der Relation hatte sein Zwischenentscheid jedenfalls den Inhalt, dass er das Verfahren bis zur ordentlichen Verfahrenseinleitung mittels litis denuntiatio aussetzte. Eine Ablehnung des Besitzurteils erging darin wohl nur konkludent. Dass aber dieses Vorgehen verfahrensrechtlich verfehlt wäre, lässt sich nicht aus der kaiserlichen Antwort ersehen (unten 2c). Sowohl Erlass des erbetenen interdictum quorum bonorum (vgl. CT XI, 36, 22 (374)) als auch seine Ablehnung mittels Interlokut waren inappellabel, was eine Verzögerung der vorläufigen Besitzeinweisung verhindern sollte und konnte.
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Ungeduldig legen Priscianus und Polemonianus gegen diese Zwischenentscheidung nun jedoch (mündlich) Appellation zum Kaiser ein. Nach ihren Gründen dafür gefragt, antworten sie, andere hätten sie dazu gebracht. Wie Symmachus vermerkt und zahlreiche Konstitutionen dieser Zeit bestätigen, ist jedoch eine Appellation gegen ein praeiudicium, non extante sententia, unzulässig und rechtswidrige Einlegung sogar mit Geldstrafe bedroht540. Damit soll unnötiger Prozessverschleppung vorgebeugt werden; die Appellation gegen das Endurteil bietet hinreichenden Rechtsschutz. Korrekterweise erinnert ihn das officium sogleich an die vorgesehene multa praeiudicii (dazu auch bei Relation 38) gegen Priscianus und Polemonianus, doch Symmachus tut sofort im Einleitungssatz seiner Relation kund, was er stattdessen getan hat und ihm berechtigterweise vorgeworfen werden könnte: Profiteor ultro, quod scio clementiam vestram posse rescribere: verecunde potius quam iure suscepi provocationem non extante sententia, ne existimarer offensus liberae quidem sed inmaturae vocis obiectu, ddd. imppp. Er hat, was eigentlich unzulässig und grundsätzlich auch für den Richter mit Strafe bedroht ist, die Appellation angenommen, anstatt sie zurückzuweisen und die vorgesehene Geldstrafe zu verhängen. Mit der relatio schlägt er das Verfahren der appellatio more consultationis ein. Seine Begründung lautet, das Rechtsmittel sei unvorsichtigerweise eingelegt worden und verdiene daher ausnahmsweise Beachtung, um die Partei zu schützen. Er habe nicht voreingenommen erscheinen wollen gegenüber einer der Parteien wegen einer zwar freimütig, aber verfrüht eingelegten Appellation. Lieber nimmt Symmachus also eine unzulässige Appellation an, als sich dem Vorwurf auszusetzen, Rechtsschutz verweigert zu haben. Das noch näher zu beleuchtende Hauptargument ist ihm dabei die Tatsache, dass die proximi schlecht beraten worden seien. Vor allem deshalb leitet Symmachus den Fall an den Kaiser weiter, erachtet es für sachdienlich, ihm die Entscheidung darüber zu überlassen, die einschlägige Konstitution ggf. doch noch anzuwenden und die multa zu verhängen. Alles weitere ergebe sich aus den mitgeschickten Prozessakten, heißt es dann nur noch knapp. Bewusst nimmt der Stadtpräfekt hier also contra legem das Rechtsmittel an, sich einer Strafe, jedenfalls aber Tadel aussetzend. Offen nennt er seine Motivation: Nicht aus Rechtsgründen, sondern aus Rücksichtnahme bzw. Anstandsgefühl (verecunde) habe er so entschieden. Eher kurz fällt das Schreiben, vor allem die Begründung aus. Anschließend an den bereits zitierten einleitenden Satz heißt es nur noch: Nam cum inter proximos Euphasii c. m. viri itemque heredes scriptos, qui olim beneficio praetoris corporibus defruuntur, super testamenti iure actio verteretur et sententiam de possessione inpatienter exigerent, quibus ab intestato bonorum possessio minime conpetebat, quia heredibus scriptis secundum tabulas docebatur indulta, Priscianus et Polemonianus ad denuntiationem dilato negotio provocarunt, et cum ab iis ratio quaereretur, alios vocis suae incentores fuisse testati sunt, ut gesta litteris conexa monstrabunt. Nec officium partibus defuit ad multam praeiudicii sug-
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Nachweise dazu unter 2 a).
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gerendam, sed iudicem vestri saeculi decuit vim constitutionis541 sacro oraculo reservare, cum allegaverint petitores, quod se ad incautam provocationem alienus hortatus inpulerit. Symmachus nimmt also sehenden Auges, vorgeblich aus Ehrfurcht gegenüber dem Kaiser, und um nicht in Verdacht zu geraten, er fühle sich durch die Appellation persönlich angegriffen und mit dem Hinweis darauf, dass ein schlechter Rat der Auslöser gewesen sei, das Rechtsmittel an, obwohl die Gesetze für solche Fälle gerade keine Ausnahme vorsehen. Das gesteht er offen ein und bemüht sich nicht weiter um eine ausgefeilte, juristische Begründung. 2. Einzelfragen Symmachus entscheidet hier erstmals bewusst wider die gesetzliche Regelung. Da sich auch in den Relationen 28 und 33 ähnliche Fälle von unzulässiger (so jedenfalls in Relation 28) oder doch bedenklicher Annahme von Appellationen finden, sollen speziell zu dieser Frage einige Punkte im Folgenden aufgegriffen, näherer Betrachtung unterstellt und in den historischen Kontext eingeordnet werden. Aber auch im Hinblick auf erbrechtliche Fragen lässt die Relation interessante Schlüsse zu. a) Die Appellation gegen das praeiudicium: Theorie und Praxis Seit der Zeit Kaiser Konstantins wird wiederholt, wahrscheinlich ausgelöst durch verbotswidrige Praxis, wie sie gerade auch Relation 16 belegt, das Verbot des appellare ante sententiam eingeschärft und dieses Verbot galt auch unter Valentinian II., jedenfalls zunächst fort. Die Appellation gegen Zwischenurteile war unter Androhung von Strafen für den Appellanten und den rechtswidrig annehmenden Richter verboten, wie zahlreiche Konstitutionen dieser Jahre belegen542. Ziel der Regelung war es, Verzögerung und Verteuerung der Prozesse durch viele Appellationen im laufenden Verfahren zu verhindern; der Rechtsschutz gegen das Endurteil sollte ausreichen. Ein Beispiel dafür, dass das Verbot auch befolgt wurde, liefert Relation 38, doch selbst dort fragt der mit dem Fall befasste Richter vorsichtshalber nach, bevor er die Geldstrafe ver541 Seeck, Symmachus, 292, schlägt vor, vim durch vindictam zu ersetzen oder stattdessen exerendam nach constitutionis einzufügen. 542 Beispielhaft sei etwa CT XI, 36, 16 (364), gerichtet an den Stadtpräfekten von Rom, den Vater unseres Stadtpräfekten, herausgegriffen, wonach ein ausnahmsloses Verbot mit präziser Strafdrohung i. H. v. 50 Pfund Silber für den Appellanten und das officium, das den Richter nicht auf das Verbot hingewiesen hatte, galt. Der verbotswidrig annehmende Richter machte sich des litem suam facere schuldig. Ausführlich zum Thema mit weiterer Literatur und Quellenanalyse: Raggi, Studi sulle impugnazioni, 148 ff; Vincenti, Per uno studio, v. a. 91 ff ; ders., Ante sententiam appellari potest, 41 ff; zu Valentinian II. spez. 77 ff; Litewski, Röm. Appellation II, 241 ff; ders., Zwischenbescheide, 278 ff.
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hängt. Und in der Tat schwankte die gesetzliche Regelung im Detail von Kaiser zu Kaiser, was dazu beigetragen haben mag, dass die Richter zu Übertretungen geneigt waren. Die aktuelle Rechtslage war nicht immer ganz leicht zu überblicken. Doch Symmachus und sein Amt sind sich sicher: Ihnen liegt eine unzulässige, derzeit mit Strafe bedrohte543 Appellation gegen ein praeiudicium vor; eine gesetzliche Ausnahme544 wird gar nicht erst in Betracht gezogen. Vorbehaltlos wird vielmehr eine constitutio545 angeführt und für grundsätzlich einschlägig erachtet, die die Appellation gegen praeiudicia unter Strafe verbietet. Derzeit galt, wie Relation 38 bestätigt, vermutlich ein allgemeines Verbot des appellare ante sententiam. Obwohl die proximi durch ihre voreilige Appellation also eigentlich eine Geldstrafe verwirkt haben, schlägt Symmachus einen anderen Weg ein. Immerhin stellt er fairerweise klar, dass ihn das officium auf die Vorschriften hingewiesen hat, also nicht bestraft werden kann. Dass ihm selbst wegen Missachtung des Verbotes nun möglicherweise Strafe, jedenfalls aber Tadel, droht, nimmt er gelassen hin, hält aufgrund der Angaben in der Relation seine Entscheidung offenbar für hinreichend begründet. Er überlässt es
543 Die Höhe der Strafe schwankte und zeitweise sah man von einer Strafe ab, CT XI, 36, 23 (378): nur Zurückweisung. Eine Geldstrafe ist für 383 wieder belegt und wird von den Relationen 16 und 38 bestätigt: CT XI, 30, 40 (Höhe unbenannt). Zur Neuregelung 384 siehe unter c). 544 Nach dem umfassenden Verbot in CT XI, 36, 16 (364) kam es zu zahlreichen Ausnahmen und Milderungen, weil das Verbot in der Praxis offenbar als zu hart empfunden wurde, vgl. insbesondere CT XI, 36, 18 (364: Seeck, Regesten, 85), wonach die Appellation ausnahmsweise zulässig war, wenn der Richter nicht zuständig war oder wenn in dem Interlokut die Zulassung einer Klage, einer Einrede oder die Vertagung zwecks Herbeischaffung von Beweismitteln aus inpatientia vel iniquitate iudicum verweigert worden war. Gerade diese Formulierung aber dürfte zu erheblicher Unsicherheit geführt haben, denn wie leicht konnte einem ablehnenden Richter inpatientia vorgeworfen werden. CT XI, 36, 23 f und XI, 30, 37 (378) nehmen dann nur noch die Entscheidung über peremptorische Einreden vom allgemeinen Verbot aus und verzichten auf die Strafe. Ein strafbewehrtes Verbot, jedenfalls für Steuerprozesse, sieht dann wohl CT XI, 30, 39 (381) wieder vor. Wann genau die übrigen Ausnahmen von 378 zurückgenommen wurden, ist im Einzelnen ungewiss (s. a. bei Rel. 38). 545 Um welche Konstitution es sich dabei handelte, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Gemeint sein könnte CT XI, 30, 40 (383), wonach mündliche Entscheidungen als praeiudicium eingestuft und unter Androhung von Strafen als inappellabel behandelt werden. Eine Strafe mag in der genannten Höhe von 50 Pf. Silber wieder gegolten haben; dieser Betrag ist auch in CT XI, 36, 30 (November 385) vorgesehen. Chastagnol, Préfecture, 117 (der im Übrigen irrig glaubt, dass Symmachus die multa auferlegt und den Fall dann auf Antrag der petitores weitergeleitet habe), und Barrow, Prefect, 95 Fn. 1, führen zu Unrecht CT XI, 36, 26 (379) an. Diese Konstitution trifft den vorliegenden Fall nicht. Vielmehr ist dort geregelt, dass Appellationen, die eine Testamentseröffnung oder die Besitzeinweisung der testamentarisch eingesetzten Erben verhindern sollen, bestraft werden. Symmachus aber stellt klar, dass es hier um das Verbot der Appellation gegen praeiudicia geht. Er hat in seinem Interlokut entschieden, dass eine Besitzeinweisung nicht ergehen könne, sondern die Sache bis zur Litisdenuntiation aufgeschoben sei. Schon Steinwenter, Briefe, 11, meinte, dass sich Symmachus auf CT XI, 30, 40 (383) bezogen haben könnte.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
dem Kaiser, den Appellanten doch noch die eigentlich vorgesehene multa aufzuerlegen. Die ständige Wiederholung des Verbots und Einschärfung des Strafdrohungen macht deutlich, wie schwer es offenbar war, die Regelung durchzusetzen, und Relation 16 liefert den passenden Beispielsfall dafür, wie die Praxis aussah; sie zeigt anschaulich die Divergenz zwischen restriktiver Theorie und milder Praxis. Das Risiko für den Richter, der bewusst litem suam facere begeht und sich haftbar macht, wenn er solche unzulässigen Appellationen annimmt, war anscheinend gering. Eine mögliche Erklärung - außer der im Detail schwankenden Rechtslage - dafür, dass Richter es vorzogen, rechtswidrige Appellationen vorsichtshalber anzunehmen, liegt im Verfahren des sogenannten adire. Im Appellationsverfahren galt die Regelung (s. a. bei Relation 33)546, dass der Ausgangsrichter, der eine Appellation als unzulässig zurückweist, binnen kurzer Frist einen Bericht verfassen muss, in welchem er die Zurückweisung ausformuliert und begründet. Eine Abschrift dieses Berichts muss er dem Appellanten geben, der dann eine kurze Frist für eine Beschwerde, das sogenannte adire, an das Appellationsgericht hat; war Appellationsinstanz der Kaiser, dann konnte dort eine Supplik mit derselben Wirkung eingelegt werden. Die Nichtannahme einer Appellation durch den Stadtpräfekten rechtfertigte also eine supplicatio an den Kaiser, die während des laufenden Verfahrens ansonsten unzulässig war, damit nicht der reguläre Verfahrensgang ausgehebelt würde. Mit dem Rechtsmittel des adire, das Suspensiveffekt entfaltete, sollte der Appellant gegen unbegründete Zurückweisung seiner Appellation gesichert werden, indem das Obergericht zum einen über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung zu entscheiden hatte, aber auch in der Sache prüfte und zwar so, als ob ihm tatsächlich die Appellation vorliegen würde. Siegte dabei der Appellant, dann wurde der Ausgangsrichter bestraft, obwohl die Appellation vielleicht unzulässig war, denn am Ende war sie ja begründet. Der Appellant, der den Streit verlor, wurde, obwohl die Appellation vielleicht zulässig war, mit Infamie belegt. Diese strenge Vorkehrung gegen unberechtigte Zurückweisungen dürfte in der Praxis sehr wahrscheinlich häufiger zu Fällen wie dem vorliegenden geführt haben, dass ein Richter nämlich eine Appellation lieber einmal zuviel als zu wenig annahm, denn das brachte ein geringeres Risiko mit sich als das adire der Partei gegen die Ablehnung des Rechtsmittels. Das galt jedenfalls dann, wenn die Appellanten in der Sache möglicherweise zu obsiegen drohten. Würden sie sich voraussichtlich ohnehin an den Oberrichter bzw. Kaiser wenden, dann behielt der Richter die Fäden lieber in der Hand und legte, wie Symmachus, die Karten auf den Tisch. Die Ausgestaltung des adire, mit der fehlenden Trennung von Verfahrens- und Sachfragen, forderte geradezu dazu heraus, dass die Vorschriften gegen die Annahme unzulässiger Appellationen unterlaufen wurden. Die Briefe und Relationen des Symmachus zeigen mehrfach, wie 546 Darstellungen bei Litewski, Röm. Appellation IV, 175 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 619 f; Noethlichs, Beamtentum, 162 ff m. N. Als Quelle ist insbesondere CT XI, 30, 16 (331) zu nennen. Weitere Quellen bei Rel. 33.
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Richter - nicht nur er selbst - unzulässige und aussichtslose Appellationen annehmen und sich damit direkt an den Kaiser wenden, ihm ihr Urteil gleich selbst begründen anstatt ein adire in Kauf zu nehmen. Beispiele finden sich nicht nur hier, sondern auch in den Relationen 28, (wohl) 33 (s. auch die Diskussion bei Relation 41) und in Epp. II, 28 und 30 (389)547. Diese Beispiele richterlichen Fehlverhaltens, die keine Einzelfälle gewesen sein dürften, erklären auch die Notwendigkeit wiederholter Verbotskonstitutionen. Die Richter sahen sich im Einzelfall im Spannungsfeld zwischen den wiederholten und mit Strafe bewehrten Geboten, unzulässige Appellationen zurückzuweisen und den ebenfalls mit Strafe bedrohten Vorschriften für den Fall, dass eine Appellation unberechtigterweise abgewiesen oder die Ausübung des Appellationsrechts sonst behindert wurde (dazu die Quellen bei Relation 33). Unter Umständen, jedenfalls aber in Zweifelsfällen, die im Hinblick auf die Vielzahl schwankender Einzelvorschriften nicht selten gewesen sein dürften, bestand für den Unterrichter ein erhebliches Risiko, bestraft zu werden, was immer er tat. Annahme und Zurückweisung waren riskant, abhängig von der Rechtsauffassung des Oberrichters. Das Sicherste mochte da oftmals erscheinen, anzunehmen und die eigenen Überzeugungen darzulegen. Die schwankende Höhe der Strafen und wechselnden Ausnahmen machte den Richtern andererseits auch Mut, Ausnahmen zu erfragen. Zahlreiche Konstitutionen könnten auf Einzelentscheidungen ähnlicher Anfragen wie den Relationen des Symmachus zurückgehen. Die geltende Rechtslage bot auf diese Weise erhebliche Missbrauchsmöglichkeiten, denn die Parteien werden häufig versucht haben, auf den Richter Einfluss zu nehmen, versprach das verbotswidrige Verhalten doch durchaus Erfolg, wie Regelungen in der Art von CT XI, 30, 44 (dazu unter c) zeigen, und Erfolgschancen rechnet sich ersichtlich auch Symmachus aus, der lange Ausführungen in seiner Relation für entbehrlich hält. Den Richtern im Osten wird damals immerhin offiziell empfohlen, auch aussichtslos erscheinende Appellationen, superfluae, anzunehmen, CT XI, 30, 42 (31.3.384). Schwammig formulierte Ausnahmen vom allgemeinen Verbot, gegen Zwischenurteile zu appellieren, wie sie sich in einigen der oben angeführten Konstitutionen finden, dürften zusätzlich dazu beigetragen haben, dass sich die Unsicherheit vergrößerte und die Hoffnung auf neue Ausnahmen stärkte. Geschickte Anwälte konnten sich daher auch für eine eigentlich unzulässige Appellation gute Erfolgsaussichten, wenigstens aber eine Verzögerung des Verfahrens ausrechnen und auf diese Weise immer wieder die Effizienz der ein547 In den beiden Briefen geht es um einen von Symmachus geführten Erbschaftsprozess. Aus Ep. II, 30, 2 ergibt sich, dass der Statthalter von Sicilia unrechtmäßigerweise eine Appellation (des Symmachus selbst) gegen ein praeiudicium zur Frage der Gültigkeit eines Testaments angenommen hatte; der damalige Stadtpräfekt verhandelt den Fall und schickt zur Frage der Bestrafung und auch deshalb, weil gegen sein Urteil eine weitere Appellation eingelegt wurde, eine relatio an den Kaiser im Verfahren der appellatio more consultationis. Zum Fall: Chastagnol, Préfecture, 117 f; 376; 383 f; Callu, Lettres I, 235 Anm. zu S. 171 Nr. 2.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
schlägigen gesetzlichen Regelungen unterlaufen. Symmachus, der mehrfach unzulässige Appellationen annimmt, legt das gegenteilige Fehlverhalten seines Vorgängers Bassus an den Tag, das er in Relation 33 aufdeckt. Unzulässige Annahme wurde tatsächlich, im Gegensatz zur Missachtung von Appellationen, wie sie Bassus vorzuwerfen ist, „nur“ mit einer Strafe in Pfund Silber (und nicht in Gold) bedacht548, was bedeutet, dass das Fehlverhalten auch unterschiedlich gewichtet wurde. Fest steht indes, dass nicht nur Symmachus bereit war, die Vorschriften zum Appellationsverfahren zu missachten, sondern dies ein verbreitetes Problem der Zeit war. Und so hat auch die Gesetzgebung Valentinians II. nicht zufällig einen ihrer Schwerpunkte auf dem Gebiet der Ausgestaltung des Appellationsverfahrens549. Die Relationen zeigen mehrfach anschaulich den hier bestehenden Regelungsbedarf auf. Nicht übersehen werden darf jedoch für Relation 16, dass die Rechtslage in diesem Fall eindeutig ist, jedenfalls nach allem was Symmachus berichtet. Eine Zurückweisung der Appellation dürfte für ihn daher eigentlich mit keinem Risiko verbunden gewesen sein, und es stellt sich die Frage, weshalb der Stadtpräfekt trotzdem entgegen der eindeutigen Rechtslage vorlegt. Im nächsten Abschnitt soll daher die von Symmachus gegebene Begründung etwas näher beleuchtet werden. Festzuhalten ist zunächst, dass Symmachus offen die Anwendung einer Norm, an der es, wie er zugibt, im Grunde nichts zu deuteln gibt, verweigert und vom Kaiser eine Einzelfallentscheidung erbittet. b) Die gesetzwidrige Entscheidung des Stadtpräfekten und die Suche nach Ursachen Symmachus nimmt die verbotene Appellation an und reicht den Fall an den Kaiser weiter mit der fragwürdigen Begründung, die Berufungskläger seien schlecht beraten worden und er wolle nicht voreingenommen, offensus, erscheinen, denn sie seien unerfahren und daher schutzwürdig. Zunächst fällt auf, wie knapp die Begründung des Stadtpräfekten ausfällt, der seinen Ungehorsam als ein Zeichen der Hochachtung vor dem Kaiser hinzustellen versucht, gerechtfertigt durch die Schutzbedürftigkeit der appellierenden Partei; es fragt sich, welche Gründe wirklich hinter der Entscheidung, die constitutio im Einzelfall in Frage zu stellen, stehen, ob es wirklich die genannten oder nicht vielleicht doch eher politische, soziale oder wirtschaftliche sind. Offen gesteht 548
Die Nichtannahme einer zulässigen Appellation wird 364 in CT XI, 30, 33 für den Richter mit 20 Pf. Gold belegt (s. a. die weiteren Quellen bei Rel. 33). In CT XI, 36, 15 (364/365) ist die Rede von 50 Pf. Silber für denjenigen, der das Verbot der Appellation gegen praeiudicia missachtet. Damit ist ggf. auch der Richter gemeint. In CT XI, 36, 16 (364) und XI, 30, 40 (383) wird für den Richter allerdings keine ausdrückliche Geldstrafe mehr angedroht. In CT XI, 30, 48 (387) taucht dann aber die Strafe von 50 Pf. Silber wieder auf, die für Richter und officium fällig sind, wenn sie eine unzulässige Appellation aus gratia annehmen. 549 Eine Zusammenstellung der Gesetzgebungsaktivität unter Valentinian II. findet sich bei Honoré, Law, 182.
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Symmachus immerhin ein, in seiner Entscheidung weniger von ius als vielmehr von Rücksichtnahme (verecunde) beeinflusst worden zu sein. Gebeten um Rechtfertigung ihres Rechtsmittels antworten die Appellanten, sie seien durch den Ratschlag unbenannter alii (am Ende der Relation ist die Rede von alienus) verleitet worden, unvorsichtigerweise zu appellieren. Näheres ergebe sich aus den beigefügten Unterlagen. Dort, und damit für uns nicht mehr zu verifizieren, fand sich vermutlich der Schlüssel zum wahren Verständnis des Falles. Dennoch seien einige Anmerkungen gestattet. In der Relation lässt Symmachus das Argument der schlechten Beratung unerfahrener Prozessparteien genügen, um eine Ausnahme vom gesetzlichen Verbot zu machen. Dass seitens der alii womöglich Druck ausgeübt wurde, wird zwar ausgeschlossen: die Entscheidung sei frei getroffen worden, jedoch klingt am Ende der Relation doch an, dass die Appellanten fremdbestimmt zur Einlegung des Rechtsmittels gedrängt wurden. Wer aber könnten diese alii gewesen sein? Sollte sich hier die - letztlich erfolgreiche - anwaltliche Taktik zeigen, den Mandanten den Rat zu geben, trotz des bestehenden Verbots ruhig ein Rechtmittel einzulegen, weil das nicht selten Erfolg versprach? Der Stadtpräfekt belässt es insoweit bei einer etwas dunklen Andeutung. Als offizielle Begründung genügt offensichtlich das, was er in der Relation schreibt, um dem Kaiser Anlass zu geben, aus Gründen der Billigkeit eine Ausnahme vom Verbot zu machen. Ohne nähere Erklärung im offiziellen Schreiben stellt Symmachus immerhin eine Kaiserkonstitution in Frage. Sein Anliegen ist dabei freilich nicht, das Verbot der Appellation gegen Zwischenentscheidungen insgesamt zu kritisieren, sondern ihm erscheint lediglich im Einzelfall ein Abweichen angebracht. Will aber der Stadtpräfekt jemanden vor der Härte des Gesetzes schützen, kann grundsätzlich nur der Kaiser eine Ausnahme machen, der daher vor der Entscheidung zu befragen ist (vgl. zum rechtstheoretischen Konzept ausführlich bei Relation 49 und auch schon bei den Relationen 22, 27 und 44). Korrekterweise hätte Symmachus also vor der Annahme der Appellation das Verfahren aussetzen und anfragen müssen, was zu tun sei. Stattdessen schlägt er erst nachträglich den offiziellen Weg ein und rechtfertigt seine Milde im Einzelfall mit der Unvorsichtigkeit und fehlenden Reife der ungeduldigen Appellanten. Es fällt auf, dass der Stadtpräfekt, der sich sonst in Fragen der Rechtsauslegung eher vorsichtig verhält, es hier wagt, selbst eine Ausnahme vom gesetzlichen Verbot zu machen, indem er die Appellation annimmt. Bloße Unvorsichtigkeit der Appellanten allein kann sein weitgehendes Entgegenkommen kaum rechtfertigen, denn zu ihrem Schutz würde ein Absehen von der Strafe unter Zurückweisung der appellatio genügen. Hätte er die Appellanten vor der Geldstrafe bewahren wollen, hätte es genügt, den Kaiser insoweit um Milde zu bitten (ähnlich wie er es in Relation 49 in einem Strafprozess tut). Doch Symmachus will mehr: Der Kaiser soll die Sache selbst prüfen. Obgleich eigentlich hinreichender Rechtsschutz gewährleistet wäre, nämlich gegen das Endurteil, akzeptiert der Stadtpräfekt daher das Vorgehen der Appellanten. Es bleibt mithin die Frage, warum Symmachus den Prozess nicht einfach bis zum
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Endurteil durchführt, gegen das immer noch Appellation zum Kaiser eingelegt werden könnte. Aus einer solchen Entscheidung hätte ihm kaum der Vorwurf der Voreingenommenheit, den er ja angeblich vermeiden will, gemacht werden können. Symmachus, der entgegen der Norm eine Appellation annimmt, begeht hier immerhin eine, wenngleich offengelegte Amtspflichtverletzung und nimmt in Kauf, möglicherweise wegen lis sua facta zur Verantwortung gezogen zu werden550. Er verzögert bewusst und eigenmächtig, entgegen der gesetzgeberischen Intention der Verfahrens-beschleunigung den vorgesehenen Verfahrensgang. Dafür nimmt er auch die Verantwortung auf sich, indem er klarstellt, dass ihm aus dem officium pflichtgemäß ein Hinweis gegeben wurde, dass die Appellation unzulässig und strafbar ist. Von schlechtem Fachpersonal, über das er sich in Relation 17 bitter beklagt, ist hier nichts zu spüren. Noch einmal: Unvorsichtigkeit und Unerfahrenheit (inmaturae vocis) rechtfertigen laut Symmachus eine Sonderbehandlung551. Ein ganz ähnliches Argument findet sich in Relation 49: Jugend und Unerfahrenheit rechtfertigen auch dort besondere Milde. Dieses Argumentationsmuster wirkt jedoch in beiden Relationen allzu floskelhaft, um ohne weiteres überzeugen zu können. Das gleiche gilt für die Formulierung verecunde potius quam iure, die zwar von Unrechtsbewusstsein des Stadtpräfekten zeugt, der Gewissensgründe über die strenge Rechtsanwendung stellt, doch bleibt das seltsam blass. Steckt etwas hinter den etwas rätselhaften Andeutungen? Die Entscheidung des Stadtpräfekten könnte darauf zurückzuführen sein, dass er sich der Rechtmäßigkeit seines Zwischenentscheids doch nicht ganz sicher ist und ein adire der Appellanten fürchtet, vielleicht aber auch darauf, dass ihn die Appellanten (er nennt sie auch petitores), die als Verwandte eines Senators einflussreiche Personen gewesen sein mögen, darum gebeten haben, ihn vielleicht gar unter Druck gesetzt bzw. eingeschüchtert haben. Der senatorische Nachlass jedenfalls war interessant genug, um darüber lange zu streiten. In den Privatbriefen des Symmachus gibt es immer wieder ähnliche Fälle, dass nämlich gerade senatorische Erbschaften mit oftmals zweifelhafter Begründung beansprucht werden. Ein Beispiel ergibt sich aus Ep. IX, 146, wonach der unbekannte Adressat die Erbschaft des verstorbenen Senators Aerius einklagte. Symmachus rät mangels jeder Aussicht auf Erfolg von der Weiterverfolgung der Klage ab, um einen Ansehensverlust zu vermeiden. Nach Ep. VII, 127 wird ein gewisser Herennius, vir laudabilis, der Erbschaft beraubt und muss sie (erfolgreich) vor Gericht verteidigen. Und auch der Fall, der sich aus Epp. V, 54 und 66 (gegen 397; zu diesen Briefen bei Relation 41) ergibt, zeigt, dass Erbrechte immer wieder bestritten werden. 550 Der Richter, der seine Amtspflicht verletzt, haftet der geschädigten Partei für lis sua facta, vgl. CT XI, 36, 16 (364) und s. dazu Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 532 i.V.m. 196. In CT XI, 30 40 (383) ist zwar keine Rede mehr von einer Bestrafung des Richters, doch konnte der Richter, der sich nicht an die Gesetze hielt, nach den allgemeinen Vorschriften bestraft werden, vgl. die Quellen bei Rel. 49. 551 Die in Relation 38, 2 berichtete Appellation gegen ein praeiudicium war dagegen inconsulta und eine Geldstrafe schien gerechtfertigt.
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Symmachus müht sich selbst mehrmals, das Erbe von Kindern verstorbener Senatoren gegen unberechtigten Zugriff zu sichern: Epp. IX, 34; 48; 50; VII, 116. Möglicherweise gehört Relation 16 zu diesen Fällen, in denen mehr oder weniger dreist versucht wird, den eigenen Besitz zu erweitern. Doch gibt die Relation nichts her, um Symmachus eindeutig Parteilichkeit, gar zugunsten von Senatoren, anlasten zu können. Nicht einmal die Frage, ob die Appellanten in der Hauptsache keine Erfolgsaussichten hatten und daher den Prozess bereits in der Frage des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuhalten versuchten oder ob Symmachus nicht vielmehr ihr Anliegen in der Hauptsache für berechtigt hielt und daher außerordentlichen Rechtsschutz ermöglichen möchte, lässt sich aus der Relation beantworten. Das Vorgehen von Symmachus ist letztlich so außergewöhnlich nicht, dass ein politisch brisanter Hintergrund zu vermuten wäre, denn die bereits unter a) skizzierten allgemeinen Überlegungen können das Verhalten der Appellanten, der alii und des Stadtpräfekten erklären. Er betont, dass er sich durch die Appellation nicht angegriffen fühlt, dass er nicht voreingenommen erscheinen möchte und daher lieber eine rechtswidrige Appellation annimmt, als sich diesem Vorwurf auszusetzen. Die einschlägigen Konstitutionen aus der Zeit vor und nach der Stadtpräfektur des Symmachus erklären genau dieses Argumentationsmuster insofern, als offensichtlich häufig zulässige Appellationen abgelehnt wurden, weil sich Richter durch sie beleidigt und persönlich angegriffen fühlten552. Genau darauf nimmt Symmachus Bezug, davon will er sich abgrenzen. Die Gefahr, wegen Ablehnung der Appellation als voreingenommen angeprangert zu werden, scheint jedenfalls deutlich größer und unangenehmer als das Risiko, einen Tadel des Kaisers wegen rechtswidriger Annahme zu bekommen. Das wirkt auf den ersten Blick umso erstaunlicher, als die Konstitutionen mehrfach genau solche und ähnlich rechtswidrige Annahme von Appellationen aus Nachsicht, coniventia, ausdrücklich unter Strafe stellen: CT XI, 36, 2 (315) und CT XI, 36, 26 (379). Auch Appellationen aus inpatientia, wie sie Symmachus vorliegend konstatiert, werden ausdrücklich untersagt und bestraft: CT XI, 36, 3 (315553). Die genannten Vorschriften und die klare Regelung in CT XI, 30, 40 (383) lassen die Entscheidung des Stadtpräfekten daher auf den ersten Blick tatsächlich bedenklich erscheinen. Möglicherweise aber lässt sich doch eine Erklärung finden, wenn nämlich die etwa zur gleichen Zeit im Osten des Reiches stattfindende Entwicklung bei der Behandlung der Annahme rechtswidriger Appellationen vergleichsweise herangezogen und auf Parallelen hin untersucht wird. Eine erste Neubewertung in der einschlägigen Gesetzgebung von Kaiser Theodosius zeigt sich in der bereits genannten Konstitution CT XI, 30, 42 (31.3.384). Dort heißt es: Probamus verecundiam iudicantis, si superfluam quoque recipiat provocationem, ne interim reliquum negotium audiret. Der Richter handelt demnach gewissenhaft, wenn er eine superflua provocatio annimmt und das Verfahren im Übrigen aussetzt. 552 553
Vgl. nur CT XI, 30, 11 (321); 15 (329). S. a. Quellen bei Rel. 33. Seeck, Regesten, 163.
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Wie CT XI, 30, 39 (383) zeigt, kann superflua sogar eine strafbare Appellation sein. Die Annahme auch unzulässiger Appellationen war damit nicht mehr ohne weiteres strafbar, sondern wurde sogar positiv vermerkt. Vincenti554 weist vor diesem Hintergrund zu Recht auf sprachliche Parallelen zu Relation 16 hin. Der Unterrichter wird bestätigt, wenn er aus verecundia, eben jener Begriff, den auch Symmachus verwendet, Appellationen annimmt. Gemäß CT XI, 30, 43 (20.10.384) behält sich dann Theodosius die Verhängung der multa wegen rechtswidriger Appellation vor: Provocantibus multas nisi ex nostris decretis non patimur inponi. Ob Symmachus diese Konstitution(en) oder entsprechende, ihnen vorausgehende Überlegungen bereits gekannt hat, muss offenbleiben. Jedenfalls CT XI, 30, 42 erging Monate vor seinem Amtsantritt. Auch die alii, vielleicht findige Anwälte, könnten Kenntnis von der Rechtsentwicklung im Ostteil des Reiches gehabt haben und einschlägige Konstitutionen bereits vorgelegt haben. Beide zitierten Konstitutionen behandeln zwar nicht explizit die Appellation gegen Interlokute, sind jedoch so allgemein formuliert, dass sie auch insoweit grundsätzlich einschlägig gewesen sein müßten. Der Zwiespalt, in dem sich Symmachus dann verständlicherweise befunden haben muss, könnte sein Vorgehen erklären: Im Osten des Reiches zeigte sich bei der Behandlung rechtswidriger Appellationen eine neue Tendenz und es dürfte unklar gewesen sein, ob Valentinian II. weiterhin der bisherigen restriktiven Linie folgen oder sich ebenfalls neu orientieren würde. Zwar hatte er sich schon einmal geäußert, als Kaiser Gratian gerade einmal fünf Tage tot war, und dabei keine eigene Richtung eingeschlagen, sondern zunächst die alte fortgeführt (CT XI, 30, 40 vom 30.8.383), die auch Relation 38 bestätigt. Doch bedeutete das nicht, dass dies ein für allemal beibehalten würde. Symmachus jedenfalls zögert nicht, die Anwendung der constitutio auszusetzen. Eine Erklärung der Relation wäre also, dass der Stadtpräfekt von der Gesetzgebung des Ostkaisers erfahren hat, mit der er allerdings nicht offiziell die Relation begründet. Jedenfalls hat seine Entscheidung, die Appellation anzunehmen und die Verhängung der Geldstrafe dem Kaiser vorzubehalten, eine Entsprechung in den genannten Konstitutionen aus dem Ostteil des Reiches; die Rechtspraxis im Westen spiegelt diese Vorschriften - vielleicht zufällig - wider. Fest steht, dass die genannten Regelungen des Theodosius im Westteil des Reiches nicht ohne weiteres galten. Relation 16 ist zu entnehmen, dass Ostgesetze im Westen zwar nicht galten, aber doch Einfluss auf die dortige Rechtspraxis und Rechtsentwicklung (dazu auch c) haben konnten. Für den Richter bedeutete das freilich einen weiteren Unsicherheitsfaktor für seine Rechtsprechung. Es mögen also durchaus ehrenwerte Motive die Relation veranlasst haben; doch war in jedem Fall die Bereitwilligkeit des Stadtpräfekten, eigenmächtig von einer als einschlägig erkannten Konstitution abzuweichen, bedenklich. Er geht weiter als nötig wäre, um schlecht beratene Parteien vor drohenden Vermögensnachteilen zu schützen.
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Ante sententiam, 79 f.
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c) Die Antwort des Kaisers Wir wissen nicht mit Sicherheit, wie der Kaiser auf Relation 16 reagiert hat. Die einschlägigen Konstitutionen jener Zeit zeigen, dass er in solchen Fragen einmal streng und ein anderes Mal eher milde verfuhr. Das zum Zeitpunkt der relatio geltende Verbot der Annahme einer Appellation gegen ein Zwischenurteil wurde jedoch durch CT XI, 30, 44 vom 29. November 384 geändert und die Anweisung ausgegeben, auch Appellationen gegen praeiudicia anzunehmen und dem Oberrichter, dem Kaiser bzw. dem vice-sacra urteilenden Richter, zur Entscheidung vorzulegen. Das strafbewehrte Verbot der Appellation gegen Interlokute bleibt zwar grundsätzlich aufrechterhalten, die Geldstrafe gegen den Appellanten wird aber erst nach der Entscheidung des Oberrichters ggf. nachträglich verhängt: Obiecta appellatione, etiamsi a praeiudicio interposita dicatur, vel ad nos vel ad cognitorem sacri auditorii sollemniter causa mittatur, cum, si ea provocatio adversum leges fuerit emissa, facile post iudicium sacri examinis ab huiusmodi litigatoribus multa possit exculpi. Sehr wahrscheinlich erging diese Regelung, die an unseren Stadtpräfekten Symmachus adressiert ist, auf Relation 16 hin555; trug wenigstens ihre Argumentation zur Neuregelung bei. Absender, Adressat, Zeitpunkt und Inhalt passen genau zu Relation 16. Symmachus wäre demnach für seine gesetzwidrige Entscheidung nicht bestraft worden, sondern der Kaiser hätte das Problem umfassend, d. h. nicht nur für den konkreten Fall, neu geregelt. Der Kaiser prüft fortan die Zulässigkeit der Appellation gegen eine Entscheidung des Stadtpräfekten selbst und erlegt ggf. die Geldstrafe auf. Und genau das erhoffte sich Symmachus mit seiner Relation. Das zeigt, dass ein irreguläres Vorgehen wie das der Parteien und des Stadtpräfekten durchaus Aussicht auf Erfolg hatte. Der Kaiser, potenziell schwankend in seinen Entscheidungen, ließ sich von solchen Schreiben und den beigefügten Unterlagen beeinflussen, was es für Anwälte tatsächlich lohnenswert machen konnte, auf eine eigentlich unzulässige Appellation zu dringen. Zur zitierten Norm vom 29.11.384 gehört als weiteres Fragment CT IV, 17, 4: Sententia non valeat, quae ex libello data non fuerit. Auch diese Vorschrift steht wohl in direktem Zusammenhang mit Relation 16. Valentinian II. hält hier noch einmal fest, was eine (appellable) sententia - im Unterschied zum praeiudicium - ausmacht, dass sie nämlich schriftlich niedergelegt und verkündet werden muss556. Ein konkreter Tadel an dem Vorgehen des Symmachus ist dar555 So bereits Gothofredus, Komm. I, 437; IV, 274; Seeck, Symmachus, CCX; Kipp, Erbschaftsstreit, 70 f; 83; Wenger, Quellen, 221 Fn. 167; Timbal, Questions, 379; Steinwenter, Briefe, 11; Chastagnol, Préfecture, 117 f; ders., Fastes, 224; Raggi, Studi sulle impugnazioni, 159; Padoa Schioppa, Ricerche I, 48 Fn. 20; 51 mit Fn. 27; Litewski, Röm. Appellation II, 247 Fn. 57; 252 Fn. 73; III, 381 f Fn. 5; Martínez-Fazio, Basílica, 238 f; Barrow, Prefect, 95 Fn. 2; Vera, Commento XLVII; 131; Vincenti, Ante sententiam, 81. 556 Schon in CT XI, 30, 40 (383) hatte Valentinian II. in der Frage, ob eine richterliche Entscheidung appellabel sei oder nicht, auf das äußerliche Merkmal verwiesen, ob sie durch Verlesung oder bloß mündlich verkündet worden ist. Auf Appellationen gegen
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
aus nicht ersichtlich, wenngleich auch im vorliegenden Fall (wie auch CT XI, 30, 44 andeutet) Zweifel aufgeworfen worden sein mögen, ob wirklich ein praeiudicium vorlag. Trotz allem zeigt sich aber in CT XI, 30, 44 doch ein gewisses Misstrauen gegenüber dem Stadtpräfekten (und sonstigen Unterrichtern) insofern, als sich der Kaiser die Entscheidung künftig insgesamt vorbehält und auf diese Weise die Durchsetzung des Appellationsverbots abzusichern versucht. Festzuhalten bleibt damit, dass es in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit Relation 16 zu einer Neubewertung der darin angeschnittenen Fragen durch Valentinian II. kommt, die vermutlich (auch) Symmachus zu verdanken ist und die sich möglicherweise an CT XI, 30, 42/43 anlehnt, denn sie steht inhaltlich genau in einer Linie mit diesen, kurz zuvor ergangenen Ostkonstitutionen. Parallelen sind nicht zu übersehen, so dass die Vermutung, die bereits oben angedeutet wurde, noch einmal aufgegriffen werden soll, dass nämlich die Entwicklung aus dem Osten einwirkte. In der stadtrömischen Rechtspraxis werden, wie sich auch in anderen Relationen zeigen wird, Rechtsentwicklungen, die sich erst später in den überlieferten Konstitutionen niederschlagen und derzeit zu Unsicherheit führen, vorweggenommen. Nicht immer lässt sich eine entsprechende, vorangehende Entwicklung im Osten dartun, doch zeigt sich, dass die Praxis oftmals der Rechtsentwicklung den Weg bahnte. Daran beteiligt waren vielleicht nicht zuletzt geschickte Anwälte, hier die alii, die sich über neue Tendenzen auch im Ostteil des Reiches frühzeitig informierten. Die Relation liegt im Spannungsfeld zwischen dem Verbot in CT XI, 30, 40 (383), den Ostregelungen in CT XI, 30, 42 und 43 und der Neubewertung in CT XI, 30, 44. Im Ostteil des Reiches gab es vergleichbare Probleme und Vorreiter ihrer Lösung war Theodosius. Im Westen wurde die Regelung des Theodosius aber nicht einfach übernommen, sondern Valentinian II. erließ eine eigenständige Konstitution für den Sonderfall der Appellation gegen praeiudicia. Relation 16 wäre also ein Beispiel dafür, wie die Rechtsentwicklung im Ostteil des Reiches auf den Westen übergreifen konnte (vgl. dazu auch die Ausführungen bei Relation 8). Jedenfalls ist sie Beispiel dafür, dass Relationen des römischen Stadtpräfekten durchaus Einfluss beim Kaiser und seinen Beratern hatten und Anlass für neue Gesetze sein konnten. Allerdings bedeutet auch CT XI, 30, 44 nur eine vorübergehende Neuregelung557. In den Folgemonaten und -jahren ergehen nämlich weitere, uneingeschränkte und strafbewehrte Verbote der Annahme einer appellatio ante sententiam, worüber offensichtlich der jeweilige Richter wieder selbst zu befinden hatte, z. B. CT XI, 36, 29 (15.2.385 an den westlichen comes rei privatae): In Fiskalsachen ist AppellatiEntscheidungen letztgenannter Art sollte die multa praeiudicialis angewendet werden. Die Verkündung ex libello war nur für das Endurteil vorgeschrieben. CT XI, 30, 40 umschreibt insoweit nur, dass das Endurteil appellabel sein soll und das Interlokut nicht, wiederholt also die allgemeine Regel. Im Reskript auf Rel. 16 wird darauf Bezug genommen und schriftliche Abfassung des Endurteils eingeschärft. 557 Wie schon früher die Ausnahmeregelungen in CT XI, 36, 18 (365); 23 (378); XI, 30, 37 (378). Die weitere Entwicklung zeigt Vincenti, Ante sententiam, 83 ff, ausführlich auf.
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on nur gegen ein Endurteil zulässig; CT XI, 36, 30 (25.11.385 an den westlichen comes sacrarum largitionum): Appellationsverbot gegen praeiudicia, Bezug nehmend auf ein schon länger geltendes allgemeines Verbot; der Appellant wird mit 50 Pf. Silber bestraft; CT XI, 30, 50 (393): praeiudicialis multa für die Partei; CT XI, 36, 33 (406): verfrühte Appellationen sind verboten; CT XI, 30, 65 (415): die praeiudicialis multa ist zu verhängen, wie es die priscae sanctiones vorsehen. Das Verbot gilt also fort, doch bestand offensichtlich Bedarf, es immer wieder einzuschärfen. Erhofftes und nach den obigen Ausführungen wohl auch erreichtes Ergebnis der Relation 16 aber war, dass der Kaiser das Vorgehen des Stadtpräfekten akzeptieren und über die Appellation gegen das Zwischenurteil entscheiden würde. Sofern die Einschätzung des Stadtpräfekten am Hofe geteilt wurde, wird die Appellation als unbegründet zurückgewiesen und jedenfalls nachträglich die multa praeiudicialis von den Appellanten eingefordert worden sein. Die Hauptsache aber dürfte bei Symmachus anhängig geblieben sein558. Insoweit hing der weitere Verlauf davon ab, dass die proximi (nach der Entscheidung des Kaisers, auf die Symmachus gewartet haben wird) ordnungsgemäß Klage einleiteten. Nach Ablauf der Viermonatsfrist kam es dann ggf. zum Verhandlungstermin, dessen Ausgang nach dem Zeugnis der Relation offen bleibt. d) Erb- und verfahrensrechtliche Fragen Wie schon in Relation 34 und Ep. IX, 150 zeigt sich auch hier - ebenso wie in den bei Relation 34 zitierten zeitgleichen Rechtsquellen - das Fortbestehen der bonorum possessio. Sie wird in Rom vom Prätor, dem also noch eine gewisse Kompetenz geblieben ist, oder dem Stadtpräfekten auf Antrag erteilt. Die alten Formen bestehen insoweit fort, doch lässt sich nach dem Zeugnis der Relation 16 nicht mit Bestimmtheit klären, wie weit sie auch mit den alten Inhalten verbunden waren559. So vermutet Kipp im vorliegenden Fall sogar, dass der Antrag der proximi auf Erteilung der bonorum possessio verstanden worden sei als bloßer Antrag auf tatsächliche Besitzeinweisung560. Dagegen spricht allerdings die technisch präzise Bezeichnung als bonorum possessio ab intestato, die der bonorum possessio secundum tabulas gegenüber gestellt wird. Wahrscheinlicher ist tatsächlich eine fortbestehende Differenzierung. Das Testament scheint 558
Zu weit geht Steinwenter, Briefe 22 f, der meint, Symmachus habe sich des gesamten Falles entledigt und sich des Eingehens in das meritum der Sache entzogen. Symmachus gibt lediglich die Appellation gegen das praeiudicium weiter, in dem er die Erteilung der bonorum possessio ab intestato ablehnt, das interdictum quorum bonorum verweigert und die Hauptsache bis zur litis denuntiatio aussetzt. 559 Dazu ausführlich, jedoch nicht in allem überzeugend: Timbal, Questions, 365 ff. 560 Nach Kipp, Erbschaftsstreit, 91 f, meint ab intestato bonorum possessio minime conpetebat hier tatsächliche possessio und nicht die Rechtsstellung des bonorum possessor.
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nach prätorischem Recht errichtet worden zu sein (dazu näher bei Relation 41). Allerdings gebraucht Symmachus den Begriff heres, wie es auch andere Quellen seiner Zeit tun561, umfassend, ohne ihn vom bonorum possessor abzugrenzen: Der Prätor gewährt den heredes scripti die bonorum possessio secundum tabulas, was ihnen die rechtmäßige - und vorläufig endgültige - Inbesitznahme des Nachlasses ermöglicht, um den es bereits Streit gegeben haben mag562. Die einmal verliehene bonorum possessio sichert die Fortdauer der Besitzstellung im petitorischen Prozess. Die proximi begehren daher vergeblich Erteilung der bonorum possessio ab intestato und Vollstreckung dieser Rechtsposition durch vorläufige Besitzeinweisung, vermutlich mittels Interdikt, der sententia de possessione. Ein Fortbestehen des interdictum quorum bonorum zeigen auch andere Quellen563. Es wird als Besitzurteil zum Schutz des bonorum possessor, ggf. auch des zivilen Erben, verstanden. Es ermöglicht rasche (ohne Fristen der litis denuntiatio), vorläufige Besitzeinweisung in den Nachlass, ohne definitive Entscheidung der Erbrechtsfrage. Die Parteirollen für den nachfolgenden petitorischen Erbschaftsprozess werden verteilt. Inappellabilität des Interdikts ebenso wie seiner Verweigerung durch Interlokut sichern die grundsätzliche, hier allerdings unterlaufene Effektivität des einstweiligen Rechtsschutzes. Deutlich wird in Relation 16, ebenso wie auch in Relation 28, die klare Unterscheidung zwischen der Besitzfrage und der Frage der materiellen Berechtigung in der Hauptsache. Symmachus differenziert super testamenti iure actio und sententia de possessione. Possessorium und Petitorium können jedoch, wie eine laut Relation 28, 8 verlesene, aber wohl nicht überlieferte (zur möglichen Identifizierung s. dort) Konstitution bestätigt, in Erbschaftssachen verbunden werden. Vorliegend wird beides gleichzeitig anhängig gemacht und so geht Symmachus unmittelbar zum Petitorium über, nachdem er das Possessorium, jedenfalls konkludent, in seinem Zwischenentscheid abschlägig beschieden hat. Nach dem Zeugnis der Relation ist die Verweigerung des Interdikts lediglich ein unselbständiger, durch bloßen Zwischenentscheid zurückgewiesener, erster Schritt in einem einheitlichen Erbschaftsstreit. Der Prätor hatte das Testament vermutlich schon auf sichtbare Fehler geprüft. Die endgültige Entscheidung über die Wirksamkeit des Testaments bleibt nach Symmachus jedoch der Hauptsache vorbehalten. Einmal gewährte bonorum possessio secundum tabulas hat, so bestätigt es die alte Regel, inzwischen Bestand. Symmachus prüft die Gültigkeit des Testaments daher bislang nicht. Zur Frage, wem die Erbschaft rechtlich letztlich zusteht und weshalb Zweifel an der Gültigkeit des Testaments bestehen, kommt er konsequenterweise noch nicht. Ihn beschäftigen vorerst allein Verfahrensfragen; es geht um Klärung der Appellation und Offenle561
Vgl. bereits Diokletian. Dazu: Kaser, Privatrecht II, 472 Fn. 21. Relation 16 gibt insoweit keine eindeutige Antwort auf die von Kaser, Privatrecht II, 473 Fn. 25, aufgeworfene Frage, ob sich die Bitte um Erteilung der bonorum possessio auf Fälle bezieht, in denen der Besitz streitig ist und darum obrigkeitlich geregelt werden muss. 563 Vgl. CJ VIII, 2, 3 i.V.m. CT IV, 21, 1 (395). 562
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gung seines verbotswidrigen Verhaltens. Allenfalls ganz schwach lässt er vielleicht ahnen, dass er tatsächlich von einer Erbberechtigung der Kläger ausgeht, argumentiert er doch, dass sie nur voreilig - aber inhaltlich durchaus berechtigt? - gehandelt hätten. 3. Bewertung Relation 16 ist lebendiges Beispiel für eine auch durch die Rechtsquellen belegte, verbreitete rechtswidrige Praxis bei der Behandlung von Appellationen, Ursache für die permanente Wiederholung der Verfahrensvorschriften. Insoweit ist sie neben Relation 28 und ggf. auch Relation 33 repräsentativ für die damalige Rechtspraxis564. Obwohl das Appellationsverfahren ausführlich geregelt war, führten zahlreich ergehende, im Detail voneinander abweichende Neuregelungen ohne explizite Aufhebung früherer Vorschriften zu Unübersichtlichkeit der Materie und damit zu potenzieller Rechtsunsicherheit bei den Gerichten. Die sich ändernde Kasuistik der Kaiserkonstitutionen verhindert, dass eine klare Linie eingehalten wird; sie zeigt, dass am Hof der Wille fehlt, bislang geltendes Recht kontinuierlich durchzusetzen, und animierte Anwälte und Richter, sich rechtswidrig zu verhalten, versprach es doch potenziell Erfolg. Das Relationsverfahren, hier im Sinne einer eigentlich unstatthaften appellatio more consultationis, mag zwar die Möglichkeit bieten, im Einzelfall zu gerechten Ergebnissen zu kommen und übermäßige Härte des Gesetzes auszugleichen, doch fördert es andererseits auch missbräuchliches Verhalten. Es ist Einfallstor für unredliche Einflussnahmeversuche auf Richter, die bereit sind, Ausnahmen zu machen, was dazu führen konnte, dass sich schließlich die finanzkräftigere Partei durchsetzte, denn langwierige, durch mehrfache Appellationen verzögerte Verfahren waren teuer, das Durchhaltevermögen der Gegenseite ggf. begrenzt. Erfolgreiche Verfahrensverzögerung konnte daher Erfolg allein aus wirtschaftlichen Gründen bedeuten. Verzögerungstaktik in unterschiedlicher Ausprägung zeigt sich auch mehrmals in den im Folgenden behandelten Relationen. Immer wieder wird dadurch erfolgreich von inhaltlichen Fragen abgelenkt. Auch hier ist diese Taktik wohl, jedenfalls vorläufig, aufgegangen: Die Entscheidung in der Hauptsache verzögert sich wenigstens solange, bis die Antwort des Kaisers in Rom eingeht. Erfolgreich wird damit der Gesetzeszweck des Appellationsverbots, das Verfahren zu beschleunigen, unterlaufen. Für das Vorgehen des Stadtpräfekten gab es, wie gesagt, plausible Gründe. Zusammenfassend bleibt jedoch anzumerken, dass sich Symmachus in Relation 16 jedenfalls als Richter zeigt, der bereit ist, im Einzelfall vom geltenden Gesetz abzuweichen. Er bittet dabei nicht etwa untertänig um Gewährung einer 564 Noethlichs, Beamtentum, 176 ff, nennt zahlreiche weitere Beispiele und Quellen zu illegaler Zulassung bzw. Verweigerung und Behinderung von Rechtsmitteln im Zusammenhang mit richterlichen Amtsdelikten.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Ausnahme von einem als zu streng empfundenen Gesetz wie etwa in Relation 49, sondern wagt selbst eine Entscheidung. Auffälligstes Merkmal der Relation ist, dass sie trotz der Bedenklichkeit des Vorgehens der kürzeste Prozessbericht ist. Dabei ist weder Unsicherheit565 des Stadtpräfekten noch jene Inkompetenz festzustellen, die Noethlichs566 für vergleichbare Fälle pauschal konstatiert, der den Grund für die Missstände auf dem Gebiet der Rechtsprechung in der unzulänglichen Ausbildung und fachlichen Inkompetenz der Richter sieht. Dem ist hier und auch bei den weiteren Relationen entgegenzuhalten, dass von mangelnden Rechtskenntnissen im Regelfall keine Rede sein kann. Dass Symmachus insbesondere die Verfahrensregeln beherrscht, ist aufgrund seiner langjährigen Beamtenlaufbahn und auch aufgrund der Tatsache, dass ihm in Rom geschulte Berater zur Verfügung stehen, meist und so auch hier anzunehmen. Nicht nur die verfahrensrechtlichen, sondern auch die erbrechtlichen Kenntnisse des Stadtpräfekten sind nach dem Zeugnis der Relation 16 bemerkenswert. Der Verfahrensgang ist klar strukturiert, das Vokabular präzise. Die Relation erweist sich als Wegbereiter einer Rechtsentwicklung, ihrerseits möglicherweise angeregt durch Rechtsentwicklungen im Ostteil des Reiches. Einzelfälle wie der vorliegende bilden - im Positiven (mehr Einzelfallgerechtigkeit) wie im Negativen (größere Rechtsunsicherheit) - das Kaiserrecht fort.
II. Relation 19: Pflichtteilsrecht - Marciana senior gegen Marciana junior In einer anderen erbrechtlichen Auseinandersetzung wendet sich Symmachus mittels relatio ante sententiam an Valentinian II. mit der Bitte um Entscheidung, weil er sich mit einer Rechtsfrage überfordert sieht. Das Schreiben datiert spätestens gegen Oktober 384, wie sich aus Fristen im Sachverhalt ermitteln lässt, auf die noch zurückzukommen sein wird. Der Stadtpräfekt ist als ordentlicher örtlicher Zivilrichter erster Instanz und nach kaiserlichem Reskript mit dem Fall betraut. Auf Kläger- und auf Beklagtenseite sind nur Personen senatorischen Standes beteiligt. Mit großem Ehrgeiz und Ausdauer wird um senatorisches Vermögen gestritten, das nicht unerheblich gewesen sein kann und das insbesondere wohl auch Ländereien außerhalb Roms umfasste. Symmachus wird mit dem Fall befasst, nachdem vorher offenbar schon andere Richter verhandelt hatten, unter anderen sein Vorgänger im Amt Aventius. Er schildert den bisherigen Prozessverlauf und schickt Relation 19 mit den (wie stets nicht erhaltenen) Prozessakten und ergänzenden Anmerkungen der Parteien nach Mailand, damit dort entschieden werde; zu heikel sind die aufgetretenen Schwie565
So aber Vincenti, Ante sententiam, 82. Nicht überzeugend auch die Wertung von Vera, Commento, 131, wonach Relation 16 die Schwäche und Unfähigkeit des Stadtpräfekten sowie des Kaisers zeige, Gesetze effektiv durchzusetzen. Es zeigt sich eher Unwillen als Unfähigkeit. 566 Beamtentum, 181.
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rigkeiten. Mit Relation 19 gibt Symmachus den Fall zur Entscheidung endgültig ab, denn er sieht sich vor einem Problem, das er nicht alleine entscheiden zu können glaubt. Zu fragen wird sein, ob persönliche Entscheidungsschwäche des Stadtpräfekten oder wirklich, wie Symmachus geltend macht, handfeste Rechtsgründe die Relation veranlasst haben. 1. Der Erbschaftsprozess Prisca, um deren Vermögen hier gestritten wird, hatte den Großteil ihres Vermögens ihrem Sohn Placidianus und dessen Nachkommen zugewandt, teils durch großzügige Schenkungen unter Lebenden an Placidianus selbst, teils, indem sie, nachdem Placidianus gestorben war, einige seiner Töchter, darunter Placida, testamentarisch zu Erbinnen einsetzte. Nicht als Erbin eingesetzt war offenbar Marciana junior, auch sie eine Tochter des Placidianus. Doch hatte diese als Erbin ihres Vaters das geschenkte Vermögen jedenfalls teilweise bekommen und außerdem ihre Schwester Placida zu einer bestimmten Quote beerbt. Damit war Marciana junior im Besitz eines großen Teils des Vermögens ihrer Großmutter Prisca567. Dadurch sieht sich nun Marciana senior, die Tochter der Prisca und Tante der Marciana junior, benachteiligt und erhebt Klage, weil sie meint, dass ihr mehr zustehe als sie bisher bekommen hatte. Sie klagt gegen ihre Nichte mit der Begründung, dass sowohl das Testament ihrer Mutter Prisca als auch deren Schenkungen an Placidianus ihren Pflichtteil übergehen568, d. h. sie macht ihren Pflichtteil am Vermögen ihrer Mutter geltend. Anfänglich lässt sie sich von einem gewissen Principius im Prozess vertreten, später wird Liberius ihr procurator569. Im weiteren Verlauf des Prozesses stirbt Marciana senior
567 Soweit hier Vermögen von der Mutter bzw. der mütterlichen Verwandtschaft einem Hauskind zugekommen sein sollte (bona materna), wäre dies seit Konstantin nicht uneingeschränktes Eigentum des paterfamilias geworden, sondern bildete Sondervermögen und unterlag einer Sondererbfolge. Dazu: Wesener, Sondervermögen, und schon bei Rel. 34. Rel. 19 enthält dazu nichts weiter, würde dem aber auch nicht widersprechen. 568 Klägerin und Beklagte sind beide senatorischen Standes, ansonsten jedoch, wie alle weiteren genannten Personen auch, unbekannt, vgl. PLRE I, Marciana 1-2, 553; Placida 2, 704; Placidianus 1, 704; Prisca 3, 726. Sie können zu dieser Zeit als (gewaltfreie) Frauen den Prozess grundsätzlich selbständig führen, bedürfen dafür insbesondere keines Vormundes (vgl. auch Rel. 30), können sich aber natürlich nach Belieben eines Prozessvertreters bedienen. Näheres bei Kaser, Privatrecht II, 222; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 559 f. Clarissimae feminae (Töchter bzw. Ehefrauen von Senatoren) genossen damals die Privilegien des Senatorenstandes, weshalb auch der Stadtpräfekt für ihre Belange nach dem Prinzip des domicilium dignitatis zuständig war. Dazu Chastagnol, Législation, 18 m. N. 569 Pezzana, Osservazioni, 44 f, glaubt zu Unrecht, der procurator werde in § 3 auch als cognitor bezeichnet, womit aber der mit dem Fall früher befasste Richter gemeint ist.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
und der Prozess wird von ihrem procurator für ihre ungenannten Erben weitergeführt. Die Beklagte, Marciana junior, wird im Prozess durch ihren Pfleger, den curator Gaudentius vertreten570. Das bedeutet, dass sie noch minderjährig ist, d. h. über 12 aber noch keine 25 Jahre alt571.
Cognitor ist auch sonst in den Relationen nie der Prozessvertreter, sondern stets der rechtsprechende bzw. die jeweilige Untersuchung leitende Beamte, vgl. Rell. 21, 3; 21, 12; 26, 6; 33, 2; 38, 2; 39, 1; 39, 3; 48, 2. Prozessvertreter heißen stets procurator: Rell. 28, 4; 28, 6; 28, 9; 28, 10; 32, 1; 39, 4. Auch Bischoff/Nörr, Eine unbekannte Konstitution, 33, weisen darauf hin, dass zur Zeit des Symmachus cognitor nicht mehr üblich gewesen sei als Bezeichnung für den Prozessvertreter (eine Ausnahme macht lediglich CT II, 12, 7; 424). Dazu auch Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 560 m. N. Zu Prokuratoren wurden häufig Anwälte bestellt; so wohl auch hier, denn in § 3 wird der procurator auch als defensor bezeichnet. Anwälte werden bei Symmachus auch sonst als defensor bezeichnet: Rell. 19, 3; 19, 6; 28, 4; 28, 6; 28, 8; 28, 10; 41, 2 (Vertreter der res privata); in Rel. 23, 3 heißt der Anwalt causidicus; in Rel. 28, 4 wird die Anwaltstätigkeit auch mit patrocinia umschrieben und in Rel. 19, 7 heißt es patrocinium curatoris. Der procurator führt den Prozess anstelle des Klägers und erhält, wie die Formulierungen in der Relation deutlich machen, selbst die Stellung der Prozesspartei; das Klagerecht des Vertretenen wird konsumiert. Er bekommt sein Mandat entweder dadurch, dass der Vollmachtgeber ihn vor dem Gegner bei Gericht als seinen Vertreter bezeichnet und diese Ermächtigung in den Akten beurkunden lässt (procurator apud acta factus) oder ihm außergerichtlich eine Ermächtigungsurkunde erteilt wird, die er dem Gericht vorlegt: Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 560 f und näher unten 2 c). Die Argumentation des procurator in der Relation zeigt, dass er juristisch geschult ist, allerdings von der Gegenseite in die Defensive gedrängt wird, d. h. reagiert und nicht agiert. 570 Nach § 1 sind Gaudentius und Liberius sogar die Prozessparteien, d. h. sie führen den Prozess im eigenen Namen. 571 Der Minderjährige zwischen 12 (bzw. 14 bei Knaben) und 25 Jahren, der nicht unter patria potestas stand, unterstand regelmäßig der cura minorum, um ihn vor Nachteilen aufgrund geschäftlicher Unerfahrenheit zu schützen (s. a. bei Rel. 39). Der curator nahm seine Vermögensinteressen wahr und führte ggf. auch, wie hier, als Prozessvertreter Prozesse für seinen Pflegling. Er wurde auf Antrag des Minderjährigen, ggf. auch des Prozessgegners oder von Amts wegen vom Stadtpräfekten bzw. dem Prätor nach einem bestimmten Verfahren bestellt (vgl. etwa CT III, 17, 3; 389) und vom Prätor registriert. Ist ein curator bestellt, kann der Minderjährige nur noch mit dessen Einverständnis prozessieren. Näheres bei Kaser, Privatrecht II, 116 ff; 234 ff. Marciana junior, deren Vater seit längerem verstorben war, hatte vielleicht schon vor dem Prozess einen curator, vielleicht war Gaudentius aber auch speziell für das Verfahren bestellt worden. Seine geschickte Prozesstaktik spricht dafür, dass er recht gute Rechtskenntnisse hatte; allenfalls sind §§ 6 f so zu interpretieren, dass der curator seinerseits anwaltlichen Beistand hatte (vgl. den defensor in § 6 und das patrocinium curatoris in § 7), der äußerst spitzfindig und professionell argumentiert.
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Aus der Relation lässt sich folgender Stammbaum erschließen: 572 Prisca † (2)
Placidianus † (1)
X572
Placida † (3)
Marciana senior † (4) (procurator: Principius, später Liberius) Marciana junior Erben der (curator: Gaudentius) Marciana senior
Marciana senior bzw. ihr procurator richtet zunächst eine supplicatio an den Kaiser und erhält ein Reskript, worin sie bzw. er an den Stadtpräfekten als dem ordentlichen Richter verwiesen wird. Relation 19 liefert ein Beispiel einer Prozesseinleitung im sogenannten Reskriptprozess. In Rom bringt Marciana senior daraufhin zwei Klagen vor: Zum einen wohl die querella inofficiosi testamenti, die Klage wegen lieblosen Testaments, § 6, und zum anderen die querella inofficiosae donationis, die Klage wegen pflichtwidriger Schenkung, § 7: immodicarum donationum causa. Sie macht geltend, das Testament der Prisca sei inoffiziös gewesen und auch die Geschenke, die die Beklagte aus dem Vermögen der Prisca über ihren Vater erhalten habe, übergingen ihren Pflichtteil. Marciana junior wird also als Erbin ihres Vaters Placidianus und ihrer Schwester Placida verklagt. Bevor Symmachus mit dem Fall befasst wird, haben schon andere Verhandlungen stattgefunden, mindestens eine davon vor seinem Vorgänger im Amt, Aventius. Der Prozess dauert, wie Symmachus einleitend bemerkt, schon mehrere Jahre. Was während dieser Jahre im Einzelnen geschah ist ungewiss, der Prozess kam jedenfalls nie über das Anfangsstadium hinaus. Der Fall wird unter Symmachus fortgesetzt, nachdem Aventius reparatio temporis gewährt hatte, d. h. es sind seither maximal vier Monate vergangen, so dass die Relation spätestens vier Monate nach Amtsende des Aventius bzw. Amtsantritt des Symmachus datiert, bei Amtsantritt des Symmachus Ende Juni/Anfang Juli 384 also spätestens gegen Oktober 384. Gaudentius, der in der Sache selbst offenbar nicht viel vorbringen kann, setzt - nicht ohne Erfolg - auf Verschleppung und macht bereits zur Frage der Prozessvoraussetzungen verschiedene Einwendungen: Zunächst wird vorgebracht, die Vollmacht des Liberius sei ungültig, d. h. es wird die exceptio invalidae procuratonis erhoben, §§ 2-4. Als er damit jedoch keinen Erfolg hat, bringt er den nächsten Einwand vor, dass nämlich die supplicatio der Klägerseite an den 572 Mindestens ein weiteres, namentlich nicht genanntes Enkelkind Priscas wird im Rahmen der praescriptio mendaciorum erwähnt. Wenigstens ein weiteres Kind des Placidianus ist in Priscas Testament eingesetzt worden, denn es ist die Rede von mehreren Töchtern, wobei feststeht, dass Marciana junior nicht eingesetzt ist. X steht also für mindestens eine weitere Tochter Placidians.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Kaiser nicht wahrheitsgemäß gewesen sei: praescriptio mendaciorum, §§ 5-8. Mit diesem Einwand aber ist Symmachus überfordert. Er schlägt das Relationsverfahren ein und übergibt den Fall dem Kaiser zur endgültigen Entscheidung: Sollte in der prozesseinleitenden Supplik tatsächlich gelogen worden sein, mit der Folge, dass das Reskript ungültig und dem Verfahren damit der Boden entzogen wäre? Außerdem scheint ihm, so begründet Symmachus seine Relation ergänzend, die gesetzliche Frist, innerhalb derer eine Schätzung des Nachlasses hätte vorgelegt werden müssen, zu kurz bemessen. Über die Frage, ob Testament und Schenkung wirklich angreifbar waren, wurde bislang noch gar nicht verhandelt. Über die materiellrechtliche Rechtslage erfährt der Leser der Relation nichts.
2. Der Text § 1. Difficilis est exitus veterum iurgiorum; res enim multis agitata iudiciis et actionum varietate et cognoscentium motu et personarum mutationibus inplicatur, ddd. imppp. Ut mihi nunc venit usus, cum inter Gaudentium curatorem Marcianae clarissimae feminae itemque Liberium procuratorem amitae eius, eodem nomine dum viveret nuncupatae, annosum luctamen audirem. § 2. Nam in ipso limine quaestionis, cum procuratio, quam c. m. f. senior Marciana mandaverat, invalida diceretur, quod ante cuidam Principio esset iniuncta, ubi refusas in dominam conperimus actiones atque actis praetoriis in Liberium denuo iure translatas, obiectum cassae praescriptionis amovimus. § 3. Tunc defensio partis adversae negavit stare personam, cuius procurationem superioris gesta iudicii non tenerent. Contra neque exactam prius mandati recitationem et inter partes tributum procuratori beneficium reparationis aiebant. Huic parti longius quam oportuit inmorata contentio est. Sed quia prior cognitor ut iusto defensori restituerat temporum cursum, qui per actores non potest impetrari, et procuratio legebatur praetoris allegata iudicio, haec quoque praescriptio conquievit. § 4. Successit aliud, ut obitu Marcianae c. m. f. mandatum diceretur extinctum. Sed contra venerabilis Iuliani sanctio stare procuratorum iussit officia causarum dominis viventibus inchoata. Ergo cum et reparationem superstite Marciana et conventionem partis adversae super aestimandis bonis Liberius impetrasset, pronuntiavimus non perisse mandatum. § 5. Dehinc petitore properante, ut ex constitutione numinis vestri servandi debiti causa in materna corpora mitteretur, quod adversaria aestimationem bonorum conventa facere noluisset, responsum est, de supplicationis fide prius esse tractandum. Id quia probabile videbatur, admisi. § 6. Facto autem aditu de precibus disputandi defensor c. f. Marcianae notare sibi visus est mendacium supplicantis, quod, cum Priscae matris suae testamento neptes eius ex Placidiano genitas hereditatem cepisse dixisset, non omnes neptes ab ea scriptas probaret heredes. Responsum est, de iis tantum, quas avia heredes instituit, supplicatum nec usquam factam omnium mentionem sed earum, quibus fuerat delata successio. § 7. His deiectum curatoris patrocinium coepit exigere, ut petitor ediceret, ex quibus nominibus propositae descenderent actiones. Tunc e diverso veniens ex Placidiani c. m. viri nomine, qui pater adultae fuit, inmodicarum donationum causam manasse respondit; supplementum vero unciarum ut ab herede Placidae, cui soror Marciana successit, adseruit postulari. Haec adversarius eatenus refellebat, ut diceret c. f. juniorem Marcianam non Placidiani tantum patris successionem sed etiam Placidae germanae suae pro certis unciis consecutam, nec tamen ullam Placidae mentionem precum serie contineri. § 8. Sed cum allegatio
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diversae partis adstrueret, rem se obnoxiam persequi designatis titulis actionum et id, quod in litem venit, pro certa parte Marcianam c. f. possidere eiusque nomen cum designatione causarum doceret precibus conprehensum, stetit iudicii mei deliberatio, hoc adserente, personam Placidae supplicationi adici debuisse, illo negante, post designationem rei et eius personae, quae hodie possessione corporum defruitur, quidquam esse quaerendum. § 9. Accessit cunctationi meae causa vehementior, quod iubente lege, ut intra quattuor menses ad aestimationem bonorum possessor petitori teneatur, nunc, ut gesta monstrabunt, angustum nimis ex conventione tempus fuisse visum est peregrinis corporibus aestimandis. § 10. Et ideo motus ambiguis oraculo numinis vestri discingenda cuncta servavi; nam in rebus dubiis una salubritatis est via, ut divina quaeque vel deo proxima consulantur. Coniunctae paginae allegationes partium et supplementa sumpserunt; quae cum maiestatis vestrae iustitia perpenderit, precor, ut metas curiosae liti absoluta definitione ponatis.
3. Verfahrensrechtliche Fragen: Der Ablauf im Einzelnen a) „Reskriptprozess“ Relation 19 liefert ein erstes praktisches Beispiel für die Prozesseinleitung mittels Reskript573: Im Vorfeld des Prozesses hat sich Marciana senior wie gesagt mit einer supplicatio an den Kaiser gewandt, um von ihm ein Rechtgutachten in ihrer Angelegenheit zu erbitten574, ein übliches und in den Kaiserkonstitutionen auch vorgesehenes und durchaus erwünschtes Verfahren. Man wollte dadurch den Kaiser so früh wie möglich in den Fall einbeziehen, was besonders für Senatoren galt, die genügend Geld und Selbstbewusstsein besaßen, um sich sogleich an den Hof zu wenden und dem später mit dem Fall befassten Richter ein Warnsignal zu setzen, dass nämlich von höchster Ebene bereits vorentschieden wurde und man sich nicht scheuen würde, sich ggf. wieder mit Beschwerden an den Hof zu wenden. Insoweit diente das Verfahren auch zur Ein573
Zu dieser Art der Verfahrenseinleitung s. schon oben 4. Abschnitt A VI.; s. a. Rell. 31 und 33. Zur Frage des Reskriptprozesses äußert sich kritisch Maggio, Note; zu Rel. 19 spez. 298 f. Maggio zitiert speziell Rel. 19, 5f, um seine Ansicht zu belegen, dass es einen besonderen Reskriptprozess nicht gegeben und sich das Verfahren nach den allgemeinen Regeln abgespielt habe. 574 Dass ein kaiserliches Reskript erbeten worden war ergibt sich jedenfalls indirekt aus den §§ 5 ff: Es wird eingewandt, das Reskript sei durch falsche Angaben in der Supplik/den preces erschlichen worden. Zu dieser konkreten Verfahrenseinleitung mittels Reskript schon Bethmann-Hollweg, Civilprozess III, 357; Pezzana, Osservazioni, 40; 47; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 634 Fn. 4. Nach Vera, Commento, 143; 146, richtete die Klägerin hingegen eine Supplik an den Stadtpräfekten mit dem Ziel, den Erben von Marciana senior die umstrittene Erbschaft anzuvertrauen, servandi debiti causa, §§ 5-8, hinsichtlich der dann später die exceptiones mendacii erhoben worden seien. Auch Timbal, Questions, 392, spricht von einer Bittschrift an den Magistrat. Dagegen spricht, dass eine Supplik sich regelmäßig an den Kaiser richtete und die genannte exceptio typischerweise zum Reskriptverfahren gehörte. Mit ihr konnte - mit Aussicht auf Erfolg (s. a. bei Relation 44) - die Gültigkeit des Reskripts angegriffen werden, indem dargelegt wurde, dass es auf falschen Tatsachenangaben beruhte; s. a. unten e).
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
schüchterung, was sich auch vorliegend anzudeuten scheint. Grundsätzlich aber hatte diese Art der Verfahrenseinleitung nichts Anstößiges an sich. Vielmehr barg sie die durchaus willkommene Möglichkeit zur Rechtfortentwicklung in sich, zugleich aber natürlich auch die Gefahr, dass auf diese Weise versucht wurde, geltende Regelungen zu umgehen und Ausnahmen zu erschleichen (vgl. ausführlich zur Reskripterschleichung bei Relation 44). Die Bittschrift, supplicatio, des Klägers an den Kaiser leitete das Verfahren ein, begründete allerdings noch kein Prozessrechtsverhältnis zum Beklagten. Eine solche supplicatio konnte jede Privatperson einbringen. Einschränkungen ergaben sich nur, wenn das Verfahren bereits anhängig oder das Urteil schon rechtskräftig geworden war. In diesen Fällen waren Bittgesuche an den Kaiser verboten. In der Supplik war der Sachverhalt genau darzustellen, ohne dass Beweise, etwa Urkunden, vorzulegen waren, denn der Kaiser sollte nur seine Rechtsansicht äußern. Er entschied nicht über bestimmte Tatsachen, sondern ging von dem Vorgetragenen aus, weshalb die Reskriptantwort unter dem Vorbehalt stand, dass die Angaben in der Supplik wahrheitsgemäß waren. In eben diesem Zusammenhang ist denn auch die vorgebrachte praescriptio mendaciorum zu sehen: Es sollte die Grundlage des Reskripts und damit dessen Wirksamkeit erschüttert werden, denn Reskripte, die auf falschen Angaben beruhen, sind unwirksam. Die supplicatio wurde in der kaiserlichen Kanzlei bearbeitet und dort ein Reskript ausgefertigt. Darin enthalten war ein verbindliches Gutachten über den Fall, ggf. mit weiteren Verfahrensanweisungen an den Richter, dem der Fall übertragen wurde, etwa darüber, wie bestimmte Vorschriften auszulegen sind. Regelmäßig wurde in dem Reskript der nach den allgemeinen Vorschriften zuständige, der ordentliche Richter, nicht etwa ein Ausnahmegericht mit dem Fall betraut, wie auch hier575: Der Stadtpräfekt ist im Zivilprozess ordentlicher erstinstanzlicher Richter über Senatoren. Das domicilium dignitatis gilt, wie Relation 19 und 48 zeigen, damals offenbar noch ausnahmslos, auch dann, wenn wie hier die umstrittenen Güter weit entfernt liegen. CJ III, 24, 2 spielt noch keine Rolle. Der Richter, der zuletzt als prior cognitor mit dem Fall befasst war, muss Symmachus’ Amtsvorgänger Aventius gewesen sein, der seinerseits den Prätor lediglich in einer Hilfsfunktion zur Klärung einer Einzelfrage (Gültigkeit der Vollmacht) herangezogen hatte. Der Kaiser verwies in seinem Reskript an den zuständigen Richter und damit an den Stadtpräfekten. Symmachus als Amtsnachfolger ist automatisch mit dem Fall befasst, wie er im ersten Satz der Relation deutlich macht, in dem er auf den Amtswechsel an575
Verfehlt Pezzana, Osservazioni, 40; 42, wonach der Stadtpräfekt hier als außerordentlicher Richter mit dem Fall befasst worden sei. Pezzana glaubt, der Prozess habe zunächst vor dem Prätor als dem prior cognitor begonnen, dann habe sich die Klägerseite an den Kaiser gewandt und ein Reskript erhalten, in dem der praefectus urbi als außerordentlicher Richter benannt worden sei. Dagegen spricht, dass der Prätor in einem solchen Fall sicherlich nicht ordentlicher Richter war, denn seine richterlichen Aufgaben beschränkten sich zu dieser Zeit auf Hilfstätigkeiten und den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit (s. bei Rell. 16 und 39 m. N.). Senatorische Erbrechtsprozesse hat er nicht mehr geleitet.
4. Abschnitt: Prozesse
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spielt. Das Reskript wurde dem Bittsteller mitsamt Bittschrift zugestellt, der dann beides an den Richter weiterleiten konnte. Dann folgte die eigentliche Streitansage, die litis denuntiatio, indem der Kläger den Beklagten von seinem Begehren in Kenntnis setzt. Das geschah auf halbamtlichem Wege mit behördlicher Hilfe und Zustellung. Im sogenannten Reskriptverfahren wurde vermutlich das Reskript mitsamt Supplik dem Beklagten einfach zugestellt, wodurch die viermonatige Frist zu laufen begann, in der (in der Regel am letzten Tag, vgl. dazu die Relationen 32 und 39) die Verhandlung vor dem Richter stattfinden musste. Die vorliegend von Aventius gewährte reparatio temporis zeigt, dass auf eine Verfahrenseinleitung nach Art der litis denuntiatio nicht verzichtet wurde. Der sogenannte Reskriptprozess ist nach dem Zeugnis der Relationen also lediglich eine besondere Art der Verfahrenseinleitung nämlich durch Zustellung des Reskripts an den Beklagten, nicht aber eine eigentlich spezielle Prozessart. b) Das Reskript Der genaue Inhalt der Reskripts ist der Relation nicht zu entnehmen. Wahrscheinlich verwies es die Klägerin lediglich an den Stadtpräfekten, der in der Sache der ordentliche Richter war. Es muss für die Beklagtenseite, die es angreift, nicht notwendig inhaltlich ungünstig gewesen sein. Der Einwand der Reskripterschleichung versprach in jedem Falle einen Verzögerungserfolg. Einige Autoren576 vermuten allerdings, dass in dem Reskript außerdem auch die Anordnung, eine Schätzung der streitbefangenen Güter vorzulegen, ergangen war. Der Kaiser habe der Besitzerin der Erbschaft Schätzung binnen vier Monaten auferlegt und für den Fall der Weigerung translatio possessionis/missio in bona zugunsten der Klägerseite vorgeschrieben. Darauf wird unter d) noch näher einzugehen sein. c) Die exceptio invalidae procurationis Vor dem Gericht des Symmachus erhebt Gaudentius gleich zu Beginn die Einrede mangelnder Bevollmächtigung des Liberius, §§ 2-4. Liberius soll als Vertreter zurückgewiesen und die Klage abgewiesen werden. Nach und nach bringt Gaudentius drei Argumente dafür vor, dass die Vollmacht des Liberius ungültig sei: Die procuratio, die ihm die verstorbene Marciana senior erteilt hatte, sei unwirksam, weil sie zuvor bereits einem gewissen Principius übertragen worden war. Liberius habe von Marciana senior überhaupt nicht als Vertreter eingesetzt werden können, weil noch die Vollmacht des Principius bestehe. Tatsächlich 576 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 352 Fn. 14; 361; s. aber auch 359 (dazu unten d); Pezzana, Osservazioni, 40; 46 f; Maggio, Note, 298 f; Andt, Procédure, 23 Fn. 1.
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war Principius der frühere procurator der Klägerin, doch weist Symmachus den Einwand mit der Begründung zurück, dass die Vollmacht des Principius erloschen sei. Er habe erfahren, dass die Prozessführung an Marciana senior zurückgelangt und dann regulär dem Liberius übertragen worden sei. Das ergebe sich aus den Akten des Prätors. Warum die Vollmacht erloschen war, wird allerdings nicht deutlich. Mehrere Gründe kommen in Betracht. Zum einen könnte die Vollmacht durch Marciana senior widerrufen worden sein. Allerdings ist ein Widerruf im laufenden Verfahren nicht ohne weiteres möglich, sondern erfordert einen wichtigen Grund (vgl. etwa CJ II, 12, 22 (319)), denn der procurator ist Prozesspartei. Vorliegend gibt es keine Anhaltspunkte für einen solchen Widerruf. Nach dem Wortlaut der Relation ist vielmehr wahrscheinlicher, dass Principius die Vollmacht zurückgegeben, auf sie verzichtet und das Mandat niedergelegt hat577. Das würde seine Vollmacht zum Erlöschen bringen und es Marciana senior ermöglichen, einen anderen zu bevollmächtigen, denn sie wäre wieder Herrin über das Verfahren. Barrow578 glaubt freilich, die Vollmacht sei erloschen, weil Principius gestorben sei. Doch hätte Symmachus einen so eindeutigen Grund für einen Wechsel wohl angeführt. Auch schreibt er von Principius als einer lebenden Person. Seine Ansicht, dass Marciana senior den Liberius wirksam als neuen procurator einsetzen konnte, hat Symmachus aus den Unterlagen des Prätors gewonnen. Gaudentius hatte diesen Einwand möglicherweise schon früher bei Aventius vorgebracht, der den Prätor damit beauftragt hatte, die Gültigkeit der Vollmacht festzustellen579, denn es existiert eine Entscheidung, iudicium, des Prätors (§ 3), die eine formal korrekte Bevollmächtigung des Liberius bestätigt. Der Einwand wird von Symmachus daher ohne langes Zögern abgelehnt. Das Mandat des Principius war nachweislich beendet, so dass Liberius beauftragt werden konnte. Daraufhin folgt das nächste Argument: Liberius habe keine gültige Vertretungsmacht, weil die früheren Prozessakten keine Aufzeichnungen darüber enthielten. Es fehle die erforderliche gerichtliche Registrierung seiner Bevollmächtigung. Gegen diesen Einwand aber bringt die Klägerseite sofort zwei Gegenargumente vor: Die Verlesung des Mandats sei damals nicht gefordert worden und zudem habe der procurator bereits eine reparatio temporum erhalten und sei insoweit legitimiert. Über diese Frage wird die Auseinandersetzung 577
So auch Bethmann-Hollweg, Civilprozess III, 358: das frühere Mandat sei erloschen; Pezzana, Osservazioni, 41; 44; Vera, Commento, 144. 578 Prefect, 238. 579 Zu dieser Vermutung auch Chastagnol, Préfecture, 118; Vera, Commento, 145, der allerdings mit CT VI, 4, 16 eine hier nicht einschlägige Quelle zitiert, denn der Prätor bescheinigt die ordnungsgemäße Vollmacht des procurator, prüft aber nicht die Stellung des curator. Der Prätor wird hier in einer Hilfsfunktion eingesetzt. Zu diesem Aufgabenbereich eingehend Chastagnol, Observations, 237 ff. Er überprüft den formalen Akt der Bevollmächtigung, vermutlich ist er sogar selbst die protokollierende Behörde und befindet ggf. - wie hier - in einem iudicium über die Gültigkeit der Mandate. Insoweit bezeugt Relation 19, 3 entgegen Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 539 Fn. 74, mehr als eine bloße Beurkundungsfunktion des Prätors.
4. Abschnitt: Prozesse
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nach Einschätzung von Symmachus unangemessen lange hingezogen, der andeutet, dass der Prozess offensichtlich verzögert werden soll. Für ihn ist die Sachlage klar: Auch der zweite Einwand ist haltlos. Der frühere Richter (Aventius) hatte Liberius eine Fristerneuerung gewährt, die von bloßen actores nicht erlangt werden kann und ihn also als rechtmäßigen defensor anerkannt. Außerdem ist die wirksame Erteilung der procuratio aus der Entscheidung des Prätors ersichtlich, der sie für gültig befunden hat. Grundsätzlich aber gewährte das Fehlen einer Protokollierung der Bestellung zum procurator offenbar die Einrede fehlender Bevollmächtigung. Als bevollmächtigter procurator galt regelmäßig nur, wessen Bestellung zu Prozessbeginn aktenkundig gemacht wurde. Entweder wurde die apud-acta-Bestellung aus der den Parteien erteilten Abschrift von ihnen verlesen und zu den Akten genommen oder der dominus litis erschien zu Prozessbeginn und legitimierte den procurator ausdrücklich, was wiederum protokolliert wurde580. Dass es vorliegend eine reguläre, formgerechte Bevollmächtigung gab, wird durch die Entscheidung des Prätors erwiesen, die sich aus den Akten ergibt. Die Verlesung der Bevollmächtigung vor dem Hauptsachegericht war demgegenüber offenbar nicht konstitutiv. Liberius wurde von Marciana senior erst im Laufe des Verfahrens, vermutlich durch eine außergerichtliche Urkunde bzw. zu Protokoll des Prätors (vgl. § 2), zum Vertreter legitimiert. Diese Ermächtigungsurkunde musste dann wohl nur zu Beginn des Verfahrens dem Gericht vorgelegt werden. Dass eine wirksame Vollmacht vorlag, bestätigt der Prätor. Eine Notwendigkeit, dass sie dabei nochmals verlesen wurde, bestand ersichtlich nicht. Der Nachweis wirksamer Bevollmächtigung konnte auch anders geführt werden, etwa wie hier durch tatsächliche Anerkennung durch den Richter, der zur Prüfung der Vollmacht ausdrücklich verpflichtet war581. Symmachus geht denn auch gar nicht weiter auf die Frage der fehlenden Beurkundung in den Gerichtsakten ein. Gaudentius wird weiter entgegengehalten, dass Liberius im vorigen Verfahren vor Aventius konkludent als rechtmäßiger procurator anerkannt worden war. Dies zeige sich darin, dass Aventius ihm die Vergünstigung der reparatio temporis zugestanden hat, § 3. Das überzeugt Symmachus. Als Gegenbeispiel nennt er den actor, einen untergeordneten Vertreter, der eine solche reparatio nicht erhalten könne. Liberius sei also, auch wenn seine Vollmacht vielleicht nicht in den Prozessakten des Vorprozesses enthalten ist, dort als rechtmäßiger Vertreter anerkannt worden und das gilt vor seinem Gericht fort. Der Einwand ist präkludiert. Damit ist auch der zweite Einwand des Gaudentius gescheitert.
580
Dazu Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 560; Simon, Untersuchungen, 71 ff, der auf CT II, 12, 3 (382, Ost) verweist. Die Konstitution passt in der Tat auch auf die Rechtslage im Westen, wie sie Symmachus beschreibt. 581 Dazu insbesondere die bereits genannte Konstitution CT II, 12, 3, die im Übrigen eine besondere Protokollierung nicht vorsieht.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Exkurs: Die reparatio temporis Aventius hatte als früherer Richter (prior cognitor) der Klägerseite Fristerneuerung gewährt, ein Rechtsinstitut, auf das im Rahmen der Relationen 32 und 39 noch ausführlich zurückzukommen sein wird (dort auch die Rechtsquellen). Aus irgendwelchen Gründen hatte die Klägerseite die (wohl) viermonatige Frist, binnen derer die Verhandlung stattfinden musste, versäumt. Auf Antrag wurde ihr, weil sie sich offensichtlich hinreichend für die Säumnis entschuldigen konnte, Wiedereinsetzung gewährt und so einem Prozessverlust durch Versäumnisurteil vorgebeugt. Als die reparatio temporis gewährt wurde, lebte Marciana senior noch, ihr Tod war also nicht582 der Grund für das Gesuch, § 4. Näheres ist jedoch der Relation nicht zu entnehmen; möglicherweise gab es Schwierigkeiten mit Principius, der schließlich sein Mandat niederlegte; der Wechsel des procurator mag der Grund der Säumnis gewesen sein. Antragsgemäß wurde Liberius Erneuerung der versäumten Frist erteilt. Erst CT II, 4, 6 (406) erlässt die Litisdenuntiation für die querella inofficiosi testamenti, damals aber galt sie noch, wie Relation 19 verdeutlicht (s. a. schon bei Relation 16). Für höchstens vier Monate konnte eine neue Frist gewährt werden, den Fall zu Ende zu führen. Dass grundsätzlich vier Monate gewährt wurden, zeigt Relation 39 und ergibt sich auch aus CT II, 6, 1 (316583). Ob hier diese vier Monate auch im Zusammenhang mit der Schätzung der Güter stehen, wird unter e) näher zu erörtern sein. Aufgrund der erneuerten Viermonatsfrist ist aber jedenfalls die oben bereits angedeutete Datierung der Relation möglich. Nun wird der dritte Einwand vorgebracht, dass nämlich das Mandat mit dem Tod der Marciana senior erloschen sei. Aber diesem Einwand steht, das bringt Symmachus von sich aus sogleich vor, eine Konstitution, sanctio, Kaiser Julians entgegen, die anordnet, dass ein procurator weiter zur Vertretung berechtigt sein soll, wenn der Prozess zu Lebzeiten des Auftraggebers begonnen hatte. Da Liberius zu Lebzeiten der Marciana sowohl die reparatio temporis als auch die conventio der Gegenseite über die Schätzung der Güter erreicht hatte, entscheidet Symmachus, dass das Mandat nicht erloschen ist. Die genannte sanctio ist uns sehr wahrscheinlich in CT II, 12, 1 (363) überliefert: Nulla dubitatio est post causam in iudicio publicatam utpote dominum litis procuratorem effectum etiam post excessum eius, qui defensionem mandaverat, posse incoatam litem iurgiumque finire, quippe cum et procuratorem posse eum instituere et ad heredes suos incoata transmittere veteris iuris voluerint conditores. Nachdem der Prozess eingeleitet wurde und der procurator dominus litis geworden ist, schadet auch der Tod dessen, der ihm den Auftrag zur Prozessführung gegeben hat, nicht; der procurator kann den begonnenen Prozess zu Ende führen, da er schon nach Ansicht der alten Rechtsgelehrten auch seinerseits einen procurator 582
So allerdings Chastagnol, Préfecture, 118; 377. Mittlerweile konnte allerdings auch der Stadtpräfekt, nicht mehr nur der Kaiser reparatio gewähren. 583
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bestellen konnte und, wenn er es war, der starb, der Prozess auf seine Erben überging. Giglio584 beschäftigt sich ausführlich mit dieser Regelung im Zusammenhang mit Relation 19. Sie gehört zu den Regelungen Julians gegen Prozessunterbrechung und Prozessverschleppung; ein bereits begonnener Prozess wird weitergeführt, der bereits tätig gewordene procurator behält seine Legitimation. Die angeführte sanctio scheint unstreitig fortzugelten, denn die Gegenseite bringt keine Einwände gegen das schlagkräftige Rechtsargument vor und Symmachus ist selbstsicher bei der Rechtsanwendung. Zwar wurde der eigentliche Rechtsstreit noch nicht durch Sacheinlassung eröffnet, doch genügt für eine lis incoata offensichtlich die Tatsache, dass reparatio temporis erzielt worden und eine conventio geschehen waren585. Symmachus lehnt daher mit klarer Begründung auch den dritten Einwand des Gaudentius ab. Nach einigem Hin und Her wird Liberius als rechtmäßiger procurator anerkannt, die exceptio invalidae procurationis zurückgewiesen. Bis dahin überzeugt die Prozessführung des Stadtpräfekten, er argumentiert klar und entscheidet einigermaßen zügig nach Gewährung rechtlichen Gehörs für beide Seiten. d) Der Antrag auf Besitzeinweisung Die Klägerseite beruft sich nun, § 5, auf eine Konstitution Valentinians II. und fordert von Symmachus, dass ihr der Besitz der Güter Priscas zur Sicherheit übertragen werde, da die Gegenseite die in der conventio vorgesehene Schätzung der Güter nicht hatte vornehmen wollen. Gaudentius scheint die Schätzung des Nachlasses zu verzögern. Eine genaue Berechnung des Pflichtteils war der Klägerseite bislang daher wohl noch nicht möglich. Auf diesen Antrag entgegnet Gaudentius jedoch ausweichend, dass zuerst die Wahrheitstreue der supplicatio geprüft werden müsse. Das erscheint Symmachus nun plausibel und er nimmt dieses Gesuch an, ohne weiter über die beantragte missio in corpora zu verhandeln.
584
La relatio 19, 208; spez. 227 ff. Schon Gothofredus, Komm. I, 166 f, identifizierte die von Symmachus zitierte Konstitution mit CT II, 12, 1 (= CJ II, 3, 23). So auch Bethmann-Hollweg, Civilprozess III, 358 Fn. 20; Steinwenter, Litiskontestation, 190; ders., Briefe, 5; 11; Levy, Obligationenrecht, 291; Timbal, Questions, 393; Chastagnol, Préfecture, 118; Barrow, Prefect, 105 Fn. 3; 238; Pezzana, Osservazioni, 41; 44; Andreotti, Problemi, 193; Vera, Commento, 146, und so im Ergebnis auch Bischoff/Nörr, Eine unbekannte Konstitution, 33. 585 Nicht überzeugend ist die Argumentation von Steinwenter, Litiskontestation 190, wonach Symmachus die Norm falsch ausgelegt habe, weil er verkannt habe, dass es an der erforderlichen litis contestatio fehlte. Wie auch Relation 32 zeigt, war zur Amtszeit des Symmachus unter einer lis incoata nicht mehr die klassischen litis contestatio zu verstehen. Bereits die Gewährung der reparatio temporis ohne Sacheinlassung ermöglichte den Übergang des Prozesses auf Erben der Partei. Man wird von einem Wandel der Rechtsvorstellung ausgehen müssen, statt mehrfach falsche Rechtsanwendung durch den Stadtpräfekten zu unterstellen. Die Relationen zeigen die Rechtspraxis, bei der kein rechtlicher Zweifel des - juristisch beratenen - Stadtpräfekten spürbar ist. S. a. unten f).
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
aa) Die conventio Es stellt sich die Frage, was es mit besagter conventio auf sich hatte. Handelt es sich um eine Abrede mit der Gegenseite, um eine offizielle Aufforderung des Gerichts oder gar des Kaisers in dem prozesseinleitenden Reskript? Einerseits wird vertreten, dass der Kaiser auf die einleitende Supplik der Klägerseite hin die von Symmachus angeführte constitutio numinis vestri erlassen habe, in der er der Beklagten auferlegte, eine Schätzung der Güter vorzulegen, und, so jedenfalls einige Autoren, für den Fall der Nichterfüllung die missio in bona zugunsten der Klägerin androhte586. Dass es sich bei der genannten Konstitution um das konkrete Reskript handele, zeige die vorgetragene praescriptio mendaciorum, mit der die Gegenseite einwendet, das Reskript beruhe auf falschem Tatsachenvortrag in der supplicatio. Überzeugender aber scheint folgende Auslegung: Liberius bittet den Stadtpräfekten unter Berufung auf eine sonst unbekannte, allgemeingültige Konstitution Valentinians II. um Einweisung in den Besitz587, nachdem die richterliche Aufforderung zur Schätzung der Erbschaft nicht erfüllt worden ist. Diese constitutio sah für den Fall der Weigerung oder Säumnis eine einstweilige Besitzeinweisung, missio in bona servandi debiti causa, vor. Dafür spricht auch der in der Relation geschilderte Ablauf: Die Klägerseite erbittet beim Stadtpräfekten eine missio in corpora (§ 5) nach der Weigerung der Beklagten, eine Schätzung vorzulegen. Dass der Einwand der Lüge auf das Gesuch um Einweisung in das Vermögen hin vorgebracht wird, bedeutet nicht, dass die missio im Reskript vorgesehen war. Der Vorwurf unwahrer Angaben bezieht sich vielmehr, wie die folgenden Abschnitte der Relation zeigen, auf andere Fragen, nämlich auf die Bestimmtheit des Klagevortrags. Sollte der Einwand der Lüge erfolgreich sein, würde das in jedem Falle dem Prozess seine Grundlage entziehen, da das Reskript mit der Zuweisung des Falles an den Stadtpräfekten Ausgangspunkt und Prozessvoraussetzung des Rechtsstreits ist. Laut Relation ergibt sich die Verpflichtung zur Schätzung aus einer conventio, die Liberius erreicht hatte. Conventio meint damals regelmäßig588 die Ladung zum Verfahren, die mit Zustellung der Klagschrift bzw. des Reskripts erfolgte. Sie kann hier als gerichtliche Belangung im Sinne einer offiziellen Aufforderung durch den Richter verstanden werden: Die conventio 586
S. schon oben 3b). Bethmann-Hollweg, Civilprozess III, 352 Fn. 14; 361: Das kaiserliche Reskript enthielt die Anordnung, eine Schätzung binnen vier Monaten vorzulegen, und schrieb im Weigerungsfalle die translatio possessionis vor (s. aber auch die folgende Fn.). Pezzana, Osservazioni, 40 ff; 46 f: In dem Reskript wird Schätzung angeordnet binnen vier Monaten und bei Nichterfüllung die missio in bona angedroht. Entsprechend dem Reskript sei dann die Besitzeinweisung gefordert worden; s. a. Maggio, Note, 298 f Fn. 46. 587 So schon Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 359 (der die Konstitution allerdings irrig Theodosius I. zuschreibt). S. a. Chastagnol, Préfecture, 118 f; Vera, Commento, 146, und schon Timbal, 393 f (der wie Bethmann-Hollweg die constitutio irrig Theodosius zuordnet), die ebenfalls annehmen, es handele sich bei der von Symmachus erwähnten constitutio um eine nicht überlieferte lex generalis. 588 Vgl. schon bei Rell. 23 und 34; s. a. Rel. 30, 1 und Epp. VI, 29, 2 (397); VII, 83 (399/400). Zur conventio als einer Ladung auch Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 567.
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wird, so Symmachus, (erst) erreicht durch den procurator Liberius. Die Parteien haben nicht etwa eine Vereinbarung über die vorzunehmende Schätzung getroffen, sondern Aventius, der - wie beschrieben - die reparatio temporis gewährt hat, hatte auf Antrag des Liberius auch die Beklagte aufgefordert, eine Schätzung vorzulegen, damit der Pflichtteil berechnet werden kann. Das Verfahren war offenbar noch von Principius eingeleitet worden, dem die (zumindest) ungenau formulierte Supplik zuzuschreiben sein dürfte. Er hatte das Verfahren mittels des Reskripts offiziell eingeleitet und wurde dann durch Liberius ersetzt, dessen erste Amtshandlung es war, reparatio und conventio zu fordern und beides auch erreichte. Das forderte er beim zuständigen Richter Aventius, nicht beim Kaiser, der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit dem Fall befasst war. Die conventio war also vermutlich eine gerichtliche Anweisung mit gesetzlichen Rechtsfolgen. bb) missio in bona Die beantragte missio in corpora war, wie schon angedeutet, vermutlich eine standardisierte Regelung, die sich aus einer allgemeinen Konstitution Valentinians II. ergab. Insbesondere auch die formelhafte Umschreibung in § 5 legt das nahe. Bei Nichtvorlage der Schätzung erfolgte auf Antrag grundsätzlich ohne Weiteres Einweisung in den Besitz der umstrittenen Güter, um die Klägerseite gegen Vermögensverschiebungen abzusichern. Eine solche missio in possessionem ist die Ermächtigung einer Partei durch einen Magistrat, das Vermögen oder einen bestimmten Vermögenskomplex des Gegners zu ergreifen589. Symmachus bezeichnet diese Einweisung als (missio in corpora) servandi debiti causa, § 5. Sie ist als Einweisung in den Besitz einer Erbschaft nach Ansicht einiger Autoren möglicherweise auf die missio in possessionem legatorum servandorum causa zurückzuführen590, die diejenigen Vermächtnisnehmer beantragen konnten, bei denen die Erfüllung eines Vermächtnisses von einer Bedingung oder Befristung oder auch dem Ausgang eines Rechtsstreits abhing. Solche Vermächtnisnehmer konnten vom Erben eine Sicherheit für den späteren Erhalt ihres Anteils in Form einer Kaution, cautio legatorum servandorum causa, fordern. Wurde ihnen diese nicht gewährt, konnten sie zur Sicherheit Einweisung in den Besitz der Erbschaft verlangen. In unserem Fall befindet sich Marciana junior zur Zeit des Prozesses im Besitz des Vermögens, auf das Marciana senior bzw. ihre Erben Anspruch erheben. Erst durch das Endurteil wird über diese Ansprüche entschieden. Bis dahin aber begehrt die Klägerseite Absicherung gegen nachteilige Verfügungen der Marciana junior und damit zugleich Sicherung der Berechnungsgrundlage ihrer Ansprüche, denn Marciana junior hatte nicht, wie angeordnet, Schätzung der Güter vorgelegt, was einer 589
Vgl. dazu m. N. Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 427 ff; 626 f (dort spez. missio in possessionem im Rahmen des Versäumnisverfahrens und der Gesamtvollstreckung). 590 Dazu: Timbal, Questions, 395; Vera, Commento, 146; D XXXVI, 4; CJ VI, 54 (CJ VI, 54, 6 (439) sieht eine Sechsmonatsfrist zur Sicherheitsleistung vor). Zum Rechtsinstitut s. Kaser, Privatrecht I, 743 f; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 428.
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cautio gleichkäme. Liberius erbittet daher die Einweisung in Priscas Erbschaft. Beantragt wird insoweit einstweiliger Rechtsschutz: Einweisung in den Besitz vor einer endgültigen Entscheidung in der Sache, vergleichbar dem Verfahren in den Relationen 16 und 28, in welchen ein der Hauptsacheentscheidung vorgeschaltetes Besitzurteil erbeten wird, um eine günstige Ausgangsposition für die Hauptsache zu erlangen und zum Schutz vor Beiseiteschaffen durch die Gegenseite. cc) Die zu knapp bemessene Viermonatsfrist Der possessor ist verpflichtet, dem petitor innerhalb von vier Monaten eine Schätzung der Güter vorzulegen. Doch im vorliegenden Fall scheint, wie sich aus den Akten ergibt, diese Frist, ex conventione tempus, unzureichend gewesen zu sein, um die Schätzung des weit entfernt liegenden Vermögens, corpora peregrina, vorzunehmen, § 9. Die Frist, innerhalb derer eine Schätzung der Güter vorzunehmen gewesen wäre, ist also abgelaufen. Da sie aber in einer lex vorgegeben ist, sind Symmachus, dem sie zu knapp bemessen scheint, die Hände gebunden; er kann sie nicht einfach verlängern. Er gibt den Fall auch aus diesem Grunde an den Kaiser ab, ohne die erbetene missio zu gewähren, § 9. Zur Argumentation des Stadtpräfekten wird noch etwas zu sagen sein. Vorher soll jedoch geklärt werden, woraus sich die Viermonatsfrist ergeben hat. Zu denken wäre zunächst an die allgemeine Viermonatsfrist, gerechnet ab der litis denuntiatio591, die hier von Aventius bereits erneuert worden und daher grundsätzlich nicht mehr verlängerbar ist (vgl. CT II, 6, 1 sowie Relation 39). Dem steht jedoch entgegen, dass Symmachus reparatio und conventio, von der ab sich die hier relevante Frist bemisst, klar trennt. Die Rede ist von ex conventione tempus, anscheinend eine spezielle Frist, die zufällig auch vier Monate betrug. Nach der Formulierung in § 9 der Relation ist die Rede von einer Frist zur Schätzung, nicht aber der allgemeinen Verfahrensfrist. Gerechnet von der Aufforderung zur Schätzung an, der conventio, lief eine viermonatige gesetzliche Frist. Der Begriff der lex in § 9 spricht noch einmal dagegen, dass es sich um eine im kaiserlichen Reskript bestimmte Frist gehandelt hat. In Frage stand vielmehr eine Standardfrist, die dem konkreten Fall gerade nicht angepasst war. Gut möglich ist, dass die Konstitution Valentinians II. aus § 5 und das in § 9 zitierte Gesetz, das dem Beklagten auferlegte, die Schätzung der Güter binnen vier Monaten vorzunehmen, dasselbe sind592. Lex und constitutio werden von Symmachus auch sonst gleichbedeutend gebraucht593. Das nicht überlieferte 591
So: Chastagnol, Préfecture, 376 Fn. 4. Vera, Commento, 146, vermutet, bei der constitutio und der später angesprochenen lex, die Schätzung binnen vier Monaten verlangt, handele es sich um dieselbe Vorschrift; s. a. schon Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 359 Fn. 21. 593 Synonym verwendet er lex und constitutio in Rel. 39, 3-5. Constitutio als Bezeichnung für eine allgemeingültige gesetzliche Regelung findet sich in Rell. 16 a. E.; 28, 8 und 33, 4; zum Sprachgebrauch auch bei Rell. 27 und 34. 592
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Gesetz beinhaltete also die gesetzlichen Rechtsfolgen einer conventio: Fristlauf und das Druckmittel der missio in bona. Allerdings drohte auch die zugunsten der Klägerseite reparierte Frist von vier Monaten, binnen derer grundsätzlich verhandelt und entschieden werden musste (vgl. CT II, 6, 1), abzulaufen, war vielleicht sogar schon wieder abgelaufen, wenn nämlich Liberius reparatio und conventio gleichzeitig erreicht haben sollte. Zu berücksichtigen ist allerdings insoweit, dass Marciana senior nach Erteilung der reparatio gestorben war. Ihre Erben erhielten daher eine eigene Fristerneuerung, um den Prozess ihrerseits vorzubereiten, gerechnet vom Tag des Erbschaftsantritts, CT II, 6, 3 f (dazu auch bei Relation 32). Für die Klägerseite drohte daher wohl derzeit noch kein Prozessverlust wegen Säumnis. e) Vorwurf der Reskripterschleichung durch unwahre Angaben in der Bittschrift: praescriptio mendaciorum Gaudentius wehrt die befürchtete missio in possessionem mit diesem Einwand ab und behauptet, §§ 5 ff, in der supplicatio seien falsche Angaben gemacht worden. Sie sei in zweifacher Hinsicht unrichtig gewesen: Zum einen habe sie die Erben der Prisca nicht genau bezeichnet und zum anderen die erbrechtliche Beziehung von Marciana junior zu ihrer Schwester Placida nicht angegeben. Symmachus gibt diesem Einwand ohne Zögern nach. Sollte das Reskript ungültig sein, würde schließlich das gesamte Verfahren platzen, das auf der Einleitung durch dieses Reskript basierte. Eine missio in possessionem wäre dann nicht mehr gerechtfertigt. aa) Der Einwand der Reskripterschleichung Wegen der Gefahr erschlichener Reskripte, wie sie in Relation 44 deutlich wird, hatte der Richter, der ein Reskript anzuwenden hatte, grundsätzlich von Amts wegen die Wahrheitstreue der zugrundeliegenden preces zu untersuchen, CT I, 2, 6 (333) und schon CJ I, 22, 2 (294); und so nimmt auch Symmachus in Relation 33 eine solche Überprüfung vor. Entsprechend beliebt war denn auch der Einwand der Reskripterschleichung vor Gericht, setzte er doch den Richter gehörig unter Druck, wie sich auch vorliegend zeigt. Diejenigen Richter, die Beschwerden über Bittschreiben, die die Unwahrheit enthielten, zurückwiesen, wurden immerhin mit Strafen von 10 Pfund Gold belegt (CJ I, 22, 3 (313)). Reskripterschleichung war auch unter Valentinian II. akut, wie etwa CT II, 4, 4 vom Juni 385 zur Frage von Fristverlängerung in Prozessen oder CT I, 2, 9 und XI, 1, 20 vom September 385 zu Steuerbegünstigungen zeigen. Der Kaiser prüfte auf eine Bittschrift hin wie gesagt nur die Rechtsfragen, nicht den in der Supplik vorgetragenen Sachverhalt; ein auf falschen Angaben beruhendes Reskript galt als erschlichen und war ungültig (dazu ausführlich mit Quellen bei Relation 44). Jedes Reskript stand also unter dem Vorbehalt, dass es auf wahren Angaben beruhte. Wie der Vortrag des Gaudentius in Relation 19
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
deutlich macht, schadete schon, wenn Angaben unvollständig oder ungenau waren, gleichgültig, ob das Reskript auf diese Angaben inhaltlich auch Bezug nahm. Eine regelrechte Lüge durch Angabe falscher Tatsachen war nicht einmal nötig. Symmachus genügt daher der Vorwurf, der Sachverhalt sei ungenau geschildert, um den Einwand sehr ernst zu nehmen, denn die einleitende supplicatio musste den Sachverhalt vollständig wiedergeben, auf den die Klage gestützt werden sollte. Jede Ungenauigkeit machte sie angreifbar. Alles für den Prozess und das Urteil Relevante musste in ihr enthalten sein. Der Kaiser musste allein nach Aktenlage entscheiden können. Der Einwand, der einen heiklen Bereich betraf, weil er die Kaisersphäre berührte und ein Fehlverhalten von den Kaisern scharf geahndet wurde, dürfte die Richter regelmäßig verunsichert haben, wie Relation 19 ebenso wie Relation 44 zeigen. Im Grunde konnte nur der Kaiser selbst entscheiden, was bei einem entsprechenden Verdacht geschehen sollte. Es zeigt sich, wie geschickt Gaudentius bzw. seine Berater taktieren. Symmachus sieht sich gezwungen, den Vortrag sorgfältig zu prüfen, hält sich am Ende aber bedeckt und mag nicht entscheiden, ob der Einwand tatsächlich durchgreift. Konsequenterweise gibt er den Fall daher nach Mailand ab. bb) Der Vorwurf im Einzelnen Es werden zwei Punkte vorgetragen: In der Supplik soll fälschlich behauptet worden sein, dass alle Kinder des Placidianus in Priscas Testament als Erben eingesetzt seien, und außerdem sei unklar, aus welchem Rechtsgrund die Klägerseite gegen Marciana junior vorgehe; insbesondere sei ihre Stellung als Erbin ihrer Schwester Placida nicht genannt worden. Der erste Vorwurf geht dahin, es sei nur angegeben worden, dass aufgrund des Testaments der Prisca deren Enkelinnen, die Kinder des Placidianus, die Erbschaft übernommen hätten, es sei aber nicht wahr, dass sie in ihrem Testament wirklich alle Enkelkinder eingesetzt hätte. Gaudentius wirft der Gegenseite hier vor, fälschlich angegeben zu haben, dass alle Kinder des Placidianus in Priscas Testament eingesetzt worden seien, obwohl, so lässt sich aus den folgenden Ausführungen erkennen, Marciana junior in Wahrheit nicht bedacht worden war. Darauf wird ihm von Liberius zur Antwort gegeben, die Supplik habe nur die Enkel betroffen, die Prisca als Erben eingesetzt hatte. In der Supplik seien nirgendwo alle Enkelinnen genannt, sondern nur diejenigen, die tatsächlich testamentarisch bedacht waren. Prisca hatte also nicht alle Enkelkinder eingesetzt und das war auch nie behauptet worden. Der erste Einwand war also ein leicht zu entkräftendes Scheinargument. Er wird von Symmachus denn auch zurückgewiesen; auch aus den Akten ging offensichtlich hervor, dass die Klägerseite nur die tatsächlich testamentarisch bedachten Erben genannt hatte594.
594 Wenngleich wohl nicht im Einzelnen namentlich benannt, jedenfalls nicht Placida, vgl. im Folgenden.
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In diesem Punkt geschlagen, fordert nun der Rechtsbeistand des curator (curatoris patrocinium, § 7), die Klägerseite möge erklären, woraus im Einzelnen sie klage. Liberius antwortet, die Klage stütze sich auf übermäßige Schenkungen Priscas an den verstorbenen Vater der Marciana junior, Placidianus, während Ergänzung des Erbteils bzw. das Übrige (dazu sogleich) von ihr als Erbin ihrer Schwester Placida gefordert werde. Dem wiederum entgegnet die Beklagtenseite, dass Marciana junior zwar nicht nur die Erbschaft des Vaters, sondern auch einen bestimmten Teil der Erbschaft ihrer Schwester Placida erhalten habe, dass die Gegenseite in ihren Gesuchen Placida aber nie erwähnt habe. Die Supplik sei insoweit falsch. Darauf antwortet Liberius, § 8, dass er aus den genannten Klagetiteln all das (res) fordere, was Marciana senior zustehe und was sich zu einem Teil im Besitz von Marciana junior befinde. Außerdem sei ihr Name in der Supplik auch genannt worden, ebenso wie die Gründe der Klage. An diesem Punkt gibt Symmachus auf. Er kann sich nicht entscheiden, wem er recht geben soll. Die eine Seite behauptet, Placida hätte in der Supplik ausdrücklich genannt werden müssen, die andere Seite verneint eben das: Nachdem der Streitgegenstand und die Person, die derzeit die Sachen in Besitz hat, genau bezeichnet worden sind, seien weitere Ergänzungen nicht nötig; es müsse nur irgendetwas gefordert werden. Symmachus ist unsicher. Ist das, was Gaudentius als Lüge bezeichnet, nicht bloßer Formalismus? Scheint nicht hinreichend klar, was gemeint ist? Sicherheitshalber schickt er daher einen weiteren Grund für seine Entscheidung, das Relationsverfahren einzuschlagen, hinterher. Sein Zögern habe einen weiteren, noch schwerer wiegenden Grund: Die Viermonatsfrist zur Schätzung des Vermögens scheint ihm vorliegend zu knapp bemessen. Bevor jedoch auf die Frage der zu kurzen Frist einzugehen ist, stellt sich hier zunächst einmal die Frage, um was die Parteien im Rahmen des zweiten Einwandes unwahrer Angaben eigentlich streiten. Gaudentius bemängelt, dass aus der Supplik nicht klar geworden sei, mit welchem Grund man gegen Marciana junior im Einzelnen klage. Sie hatte von Prisca ja nichts geerbt und nichts geschenkt bekommen. Liberius versucht daher zu erläutern: Der Prozess sei gegen Marciana junior gerichtet einerseits als Erbin ihres Vaters im Hinblick auf die übermäßigen Schenkungen Priscas und zum anderen als Erbin ihrer Schwester, die im Testament der Prisca bedacht worden war. Die angestrengten Klagen dürften im Hinblick auf diese Erläuterung wohl wirklich, wie schon eingangs angedeutet, mit der querella inofficiosae donationis und der querella inofficiosi testamenti zu identifizieren sein (näher dazu unter f) und g). Gaudentius bestreitet die Erbenstellung nicht, meint aber, dass dann jedenfalls der Name der Placida in der supplicatio fehle. Er stellt sich also auf den Standpunkt, dass aus der supplicatio die Passivlegitimation der Marciana junior nicht hervorgehe. Marciana junior war als Erbin der eigentlichen Prozessgegner beklagt. Die Klägerin hätte daher beide Erb-Verbindungen in der Supplik angeben müssen. Angegeben wurde aber offensichtlich nur die zu Placidianus, nicht aber die zu Placida. Liberius meint dagegen, da er Ansprüche auf Güter im Besitz der Marcia-
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
na junior geltend mache, genüge es, ihren Namen und den Klagegrund - wie geschehen - in der Supplik anzugeben. Sie ist Besitzerin der streitgegenständlichen, testamentarisch bzw. schenkweise vermachten Güter und daher eindeutig beklagt. Musste also Placida benannt werden oder genügte es, das streitige Vermögen und seine derzeitige Besitzerin anzugeben? Infrage steht insoweit das Problem der Passivlegitimation bei der querella inofficiosi testamenti, über das Symmachus und offensichtlich auch sein juristisch geschulter Ratgeber in Zweifel geraten. Um zu verstehen, ob dieses Problem aus den Rechtsquellen erklärt werden kann, müssen zunächst einmal die Grundsätze der angestrengten Klagen deutlich gemacht werden. Erst dann kann die Argumentation der Parteien auf ihre Haltbarkeit geprüft und die Reaktion des Symmachus bewertet werden. f) querella inofficiosi testamenti Marciana senior meint, das Testament ihrer Mutter Prisca verletze ihr Pflichtteilsrecht. Als Tochter stand ihr ein Viertel des Intestaterbteils als Pflichtteil am Nachlass der Erblasserin zu595 und die Verletzung dieses Pflichtteilsanspruchs konnte mit der querella inofficiosi testamenti geltend gemacht werden596. Die nächsten Angehörigen des Erblassers, die grundlos nichts oder weniger als den Pflichtteil erhalten haben, können das Testament mit der querella anfechten. Das Testament war also nicht automatisch ungültig, sondern lediglich angreifbar. Stellte sich im Prozess heraus, dass das Testament tatsächlich inoffiziös war, es also keinen Grund dafür gab, weshalb dem Kläger nichts oder zu wenig zugedacht war, wurde es regelmäßig vollständig entkräftet und die Pflichtteilsberechtigten zur Intestaterbfolge berufen, jedenfalls nach überwiegender Ansicht597, der hier gefolgt werden soll. Aus Relation 19 ergeben sich dazu keine zusätzlichen Gesichtspunkte. Für die erlittene Kränkung sollte dem Enterbten nicht nur der Pflichtteil598, sondern der volle Intestaterbteil zuteil werden, zur Genugtuung. Der Pflichtteilsberechtigte kann also mit seiner Klage die Pflicht595 Die Pflichtteilsberechnung erfolgte nach der fortentwickelten Lex Falcidia: Quarta Falcidia - ein Viertel des gesetzlichen Erbteils (quarta debitae portionis); vgl. Kaser, Privatrecht II, 514 ff; s. etwa CJ III, 28, 8 (223); III, 29, 2 (256). 596 S. a. den Titel CT II, 19. Zu Einzelheiten: Kaser, Privatrecht II, 514 ff; Krüger, Querela inofficiosi; ders., Zum römischen Pflichtteilsrecht; ders., Nachträge; Marrone, Sulla natura; Samper, „Pars debita“; Kreuter, Römisches Privatrecht, 126 ff; BauerGerland, Erbrecht, 119 ff; 123 f; Sanguinetti, Dalla querela, 31 ff. 597 So die h. M., vgl. etwa Krüger a.a.O.; Kaser, Privatrecht II, 515 ff; TellegenCouperus, Some remarks, 399 ff; Wesener, Vorjustinianische Ansätze, 149; Kreuter, Röm. Privatrecht, 126 ff; Bauer-Gerland, Erbrecht, 123 f; Sanguinetti, Dalla querela, 31; 78. Man beruft sich insbesondere auf CJ III, 28, 22/24; CT II, 19, 2/3. Relation 16 ist hinsichtlich der angestrengten Klageart nicht ganz eindeutig. 598 So aber: Samper, „Pars Debita“, 76 ff; 97 ff m. N. Danach soll die querella inofficiosi testamenti ebenso wie die querella inofficiosae donationis (dazu unter g) dem Kläger nur den Pflichtteil bringen, was mit CT II, 21, 1 begründet wird.
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widrigkeit und damit Ungültigkeit des Testaments feststellen lassen und dann ggf. die hereditatis petitio auf Herausgabe erheben. Beides wurde wohl häufig in einer Klage verbunden (vgl. schon bei Relation 16). Ob, wie Kaser vermutet, eine Verschmelzung beider Klagen stattfand und ob sich diese vielleicht sogar vorliegend andeutet, wird im Folgenden (h) noch zu untersuchen sein. Die Klage verjährte in fünf Jahren ab dem Erbfall (vgl. CT II, 19, 5 (383)). Das spielt vorliegend offensichtlich keine Rolle. Obwohl sich die Angelegenheit seit Jahren (§ 1) hinzieht, scheint der Einwand der Verjährung nicht in Betracht zu kommen, d. h. die Klagen wurden offenbar rechtzeitig eingeleitet, was genügte (vgl. Itp. CT II, 19, 5: incoata). Keine Rolle spielte auch die Tatsache, dass Marciana senior im Verlauf des Prozesses gestorben ist, wohl kurz bevor Symmachus mit dem Fall befasst wird. Ihre Erben führen die Klage weiter. Klagen, wie die querellae inofficiosae, die Genugtuung für persönliche Kränkung gewähren sollen, sind zwar nicht auf die Nachkommen vererblich599; den begonnenen Prozess fortzuführen ist jedoch möglich, wenn der Kläger nach Prozessbeginn, nach der litis contestatio, stirbt. Die Klage geht in diesem Fall auf die Erben über. Bislang wurden zwar nur die Prozessvoraussetzungen geprüft, reparatio temporis gewährt und verschiedene Einwendungen diskutiert, doch genügte das offensichtlich zur Amtszeit des Symmachus, wie auch Relation 32 bestätigt. Schon vor der Sacheinlassung, während diese erst vorbereitet wird, wird die Klage als vererblich angesehen600. Und auch die Gültigkeit des Reskripts ist zeitlich nicht beschränkt; es gilt auch für die Erben der Marciana senior (CT I, 2, 4 (319)) in dem zu ihren Lebzeiten begonnenen Prozess. Mögliches Ziel der Klage war also, Marciana senior ihren gesetzlichen Erbteil von der Hälfte des Nachlasses der Prisca zu verschaffen. Nach der gesetzlichen Erbfolge erbten alle Kinder nach der Mutter zu gleichen Teilen, vorverstorbene wurden von ihren Nachkommen repräsentiert. Die gesetzliche Erbfolge nach Prisca wäre daher wie folgt gewesen:
599 Die Querel ist grundsätzlich aktiv unvererblich, s. Kaser, Privatrecht II, 517 und auch 516 Fn. 12. 600 Jedenfalls wird daran nicht gezweifelt. Wäre die Frage zweifelhaft, so hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten auch hier angesetzt. Vgl. auch CT II, 4, 4 (Juni 385) zur Definition von litis exordium. Der Prozessbeginn wird früh angesetzt (vgl. schon D V, 2, 6, 2; Vorbereitung der Einlassung zur Sache bei Gericht genügte: coepta controversia vel praeparata; s. a. D V, 2, 6, 7; CJ III, 28, 5 (211): Prozess durch Erben des Klägers fortführbar nach der litis contestatio (causa coepta)). Offenbleiben muss, ob und wie der Begriff der litis contestatio damals im Einzelnen verstanden wurde. CT I, 2, 10 (396, Ost) stellt für die Vererblichkeit schon die oblatio precum im Reskriptprozess ausdrücklich der litis contestatio gleich, doch in der entsprechenden Diskussion über die procuratio des Liberius stellt Symmachus auf die Erteilung der reparatio temporis ab.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Prisca †
1/2 Placidianus †
1/6 X
1/6 Placida
1/2 Marciana senior
1/6 Marciana junior
Marciana senior hätte nach der Intestaterbfolge Prisca zur Hälfte beerbt. Ihr Pflichtteil betrug damit ein Achtel von Priscas Nachlass. Dieser Pflichtteil müsste durch das Testament grundlos unterschritten worden sein. In nachklassischer Zeit gab es allerdings auch Bestrebungen, die Vernichtung des Testaments zu verhindern, indem man dem Pflichtteilsberechtigten nur noch dann, wenn er vollständig enterbt worden war, einen Anspruch auf den Intestaterbteil einräumte. Hatte er nur zu wenig erhalten, wurde ihm gegen die Erben lediglich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch eingeräumt601. Das Testament wurde auf diese Weise so weit wie möglich aufrechterhalten. Nach Lektüre des § 7 der Relation könnte man geneigt sein, hier einen solchen Pflichtteilsergänzungsanspruch zu vermuten: supplementum...unciarum…postulari. Eine Pflichtteilsergänzungsklage? Erst Kaiser Justinian schafft im Jahre 528 eine allgemeine Pflichtteilsergänzungsklage (CJ III, 28, 30), actio ad implendam legitimam, und beschränkt die querella inofficiosi testamenti auf die Fälle, in welchen der Pflichtteilsbe-rechtigte nach dem Testament überhaupt nichts erhalten sollte. Die nunmehr stets unterstellte Ergänzungsklausel im Testament aber war keine Neuerung Justinians, sondern hat Vorläufer in CT II, 19, 4 (361) und PS IV, 5, 7. Insbesondere Wesener und Sanguinetti haben sich ausführlich mit diesen vorjustinianischen Ansätzen zur Pflichtteilsergänzungsklage beschäftigt602. So wird bereits in CT II, 19, 4 die Möglichkeit einer suppletorischen Klausel im Testament angesprochen: Hat der Erblasser seinen Kindern weniger als den Pflichtteil zugewandt, aber im Testament bestimmt, dass arbitratu boni viri die Zuwendung auf ein Viertel des Intestaterbteils ergänzt werden soll, so sind querella inofficiosi testamenti und querella inofficiosae donationis ausgeschlossen. Der Erbe hatte stattdessen die Ergänzungszahlung zu leisten, die von einem bonus vir festgelegt wurde. Das Testament galt fort; 601 Im Einzelnen umstritten, vgl. Kaser, Privatrecht II, 517 f, und die folgenden Ausführungen. 602 Wesener, Vorjustinianische Ansätze; Sanguinetti, Dalla querela, 78 ff; s. a. Samper, Pars debita, 78 Fn. 22; 98 ff.
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das beim Tod hinterlassene Vermögen war zu schätzen (taxatio in CT II, 19, 4) und daraus die Quote von einem Viertel zu berechnen (s. a. Itp. CT II, 19, 4). In der Praxis kam die Klausel wahrscheinlich häufig vor, entsprach es doch regelmäßig dem Interesse des Erblassers, das Testament möglichst aufrechtzuerhalten, auch wenn er tatsächlich weniger als den Pflichtteil hinterlassen haben sollte, was ja auch ohne Absicht geschehen konnte, aber genügte, um das Testament mit der Inoffizialklage vollständig zu vernichten. Die Klausel rettete das Testament (und die Schenkungen). Wenn ein benachteiligter Sohn mehr nicht beanspruchte, bedurfte es dieser Klausel nicht und gewährte man ohne weiteres einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung, PS IV, 5, 7: Filius iudicio patris si minus quarta portione consecutus sit, ut quartam sibi a coheredibus citra inofficiosi querelam impleatur, iure desiderat. Auch Wesener603 kommt zu dem Schluss, dass nach PS IV, 5, 7 auch ohne suppletorische Klausel dem ungenügend bedachten Pflichtteilsberechtigten ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung zugestanden habe. Nach dieser Vorschrift aber war die Querel nicht ausgeschlossen, vielmehr scheint es für das zu gering bedachte Kind ein Wahlrecht gegeben zu haben zwischen der zeitlich befristeten Querel, mit der ggf. die Drohung von Erbunwürdigkeit bei Unterliegen verbunden war604, die also ein gewisses Risiko in sich barg, und der Ergänzungsklage gegen die Miterben605. Es zeigt sich insoweit eine Rechtsfortbildung zwischen CT II, 19, 4 und PS IV, 5, 7606. PS IV, 5, 7 wäre dann eher nach 361 zu datieren. Jedenfalls richtete sich die Regelung von 361 an Beamte in Africa, von wo auch die Paulussentenzen kommen. Denkbar wäre, dass sich ausweislich von Relation 19 auch in Rom im Jahre 384 eine entsprechende Praxis bereits etabliert hatte, dass also die sich in PS IV, 5, 7 andeutende Wahlmöglichkeit der Ergänzungsklage für das zu gering bedachte Kind grundsätzlich akzeptiert wurde. Die Relation sagt jedenfalls 603
Vorjust. Ansätze, 150. Eine Parallele macht er, a.a.O., 151, in der interpretatio zu Codex Gregorianus III, 8, 2 (FIRA II, 661 f) aus, wonach im Falle einer inoffiziösen Schenkung ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung unter Geschwistern gegeben wird. Anders: Tellegen-Couperus, Testamentary Succession, 156 f; Balis, Die Natur der actio suppletoria, 272 f, die die Klausel stets für notwendig erachten. Schon im klassischen Recht kannte man evtl. die Ergänzungsklage, ohne dass eine Klausel im Testament nötig gewesen wäre: Ulp. D V, 2, 25 pr. Viele Autoren halten die Stelle allerdings für interpoliert. Dazu: Kaser, Privatrecht I, 711 Anm. 20; Wesener, a.a.O., 150; Sanguinetti, a.a.O., 85. 604 Die Querel barg das Risiko in sich, bei Unterliegen als erbunwürdig angesehen zu werden, vgl. Ulp. D V, 2, 8, 14. 605 Zum vermuteten Wahlrecht auch Kreuter, Röm. Privatrecht, 138. Nach Kreuter scheint die nachklassische Praxis CT II, 19, 4 zu einer Vermutung verallgemeinert zu haben: Wer seine Abkömmlinge testamentarisch zu Erben einsetzte, erklärte zugleich stillschweigend, dass ein versehentlich zu geringer Erbteil ergänzt werden möge, s. a. IP PS IV, 5, 7; IP III, 11, 3. CJ III 28, 30 (528) war evtl. nur Ausdruck einer schon länger bestehenden Praxis. Auch Sanguinetti, 88 f, vermutet, es habe sich nach der Regelung von 361 eine Praxis entwickelt, die ein Wahlrecht zwischen querella und der Ergänzungsklage gab, wenn eine Klausel im Testament fehlte. PS IV, 5, 7 würde diese Praxis zeigen, vgl. das „iure“. 606 S. a. Liebs, Römische Jurisprudenz in Africa, 102.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
nichts darüber, ob das Testament die Ergänzungsklausel enthielt. Man mag sie stillschweigend unterstellt haben, wenn einem Pflichtteilsberechtigten zu wenig zugewandt worden war. Wenn man eine noch nicht gefestigte Praxis annimmt, ließe sich auch die Unsicherheit des Stadtpräfekten erklären. Fraglich ist jedoch, ob in Relation 19 wirklich Ergänzung des Pflichtteils von einem Achtel des Nachlasses der Prisca in Geld gefordert wird. Schon Gothofredus607 glaubte wegen der Formulierung supplementum unciarum, dass damals eine Klage auf Ergänzung des Pflichtteils anerkannt gewesen sei. Verlangte Marciana senior also nur, dass ihr Pflichtteil ergänzt wird, und zwar von der beklagten Marciana junior, die Erbin ihrer Schwester Placida geworden war? Dann müsste man annehmen, dass Prisca sie zwar in ihrem Testament bedacht, ihr Erbteil aber unter einem Achtel gelegen hatte. Bei erwiesener Pflichtwidrigkeit des Testaments der Prisca könnte Marciana senior von den Erben der Prisca bzw. - mittlerweile - deren Erben, u. a. Marciana junior, die Ergänzung auf ein Achtel fordern. Dem steht allerdings entgegen, dass Marciana senior im Testament ihrer Mutter nach dem Zeugnis der Relation offenbar vollständig übergangen wurde. Es waren, so deutet sich in § 6 an, nur wenngleich nicht alle - Töchter Placidians als Erbinnen eingesetzt. Symmachus nennt in § 7 namentlich nur Placida, doch muss es daneben noch mindestens eine weitere bedachte Tochter gegeben haben, da die beklagte Marciana junior testamentarisch nichts von Priscas Vermögen erhalten hatte. Sie ist in der Frage des Testaments nur als Erbin der Placida beklagt. In § 6 aber ist die Rede von mehreren testamentarisch bedachten Enkelinnen, neptes, d. h. Placidianus muss wenigstens eine weitere Tochter (X) gehabt haben. Da damit aber Marciana senior allem Anschein nach vollständig übergangen worden war, kommt eine Ergänzungsklage, unabhängig von der Frage, ob das Testament überhaupt eine Ergänzungsklausel enthielt und ob diese in der Praxis damals noch für erforderlich gehalten wurde, im Ergebnis wohl doch nicht in Betracht. Eine Ergänzung scheidet bei Übergehung bereits dem Begriff nach aus. Der fragliche Abschnitt in § 7 der Relation dürfte deshalb schlicht dahingehend zu interpretieren sein, dass Marciana senior den ihr im Verhältnis zur Beklagten zustehenden Anteil am Nachlass der Prisca fordert, einen Teil im Hinblick auf Placidianus, den Rest im Hinblick auf Placida, und zwar im Verhältnis der unciae, des Teils, zu welchem Marciana junior ihre Schwester beerbt hatte608. Da es noch mindestens eine weitere Erbin der Prisca gab, ist auch Pla607
Kommentar zu CT II, 20, 1, Bd. I, 211. Die Ergänzungsklage soll danach jedenfalls hinsichtlich der pflichtwidrigen Schenkung erhoben worden sein (dagegen auch unter g). Auch Timbal, Questions, 393; 394 f, glaubt an Ergänzungsklage und verweist (was allerdings nicht überzeugt) auf D 31, 87, 3. Auch Chastagnol, Préfecture, 118, spricht von Pflichtteilsergänzung; s. a. Vera, Commento, 407 (Übersetzung); 143. 608 Vgl. auch die Übersetzung von Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 360 Fn. 24. Dem folgen auch Steinwenter, Briefe, 23 Fn. 94; Wesener, Vorjust. Ansätze, 153. Auch Sanguinetti, Dalla querela, 93, lässt die Frage nach einer Ergänzungsklage in Relation 19 im Ergebnis offen, weil die Relation zu vage formuliert sei.
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cida im Rahmen der querella inofficiosi testamenti nur ein Teilansatz der Berechnung. Nur ihre Erbin, die sie zudem ihrerseits nur zu einer Quote beerbt hat, ist beklagt. Es wird der mit der Inoffizialklage grundsätzlich forderbare Intestaterbteil daher wohl auch nur anteilig, entsprechend der Beteiligung der Beklagten am Nachlass der Prisca, geltend gemacht. Warum weder X noch die anderen Erben der Placida beklagt sind, ist unklar. Möglicherweise hatte X selbst nur den Pflichtteil erlangt oder aber freiwillig schon etwas herausgegeben; dann wäre auch das supplementum erklärbar: Was noch fehlte, wird nunmehr gefordert. Richtige Beklagte, um den eigentlich mit der Querel erzielbaren, vollen Intestaterbteil zu erhalten, wären grundsätzlich alle testamentarisch bedachten Erben (s. etwa CJ III, 28, 10 (223)). Aus CJ III, 28, 13 (239) beispielsweise ergibt sich jedoch, dass die querella inofficiosi testamenti in der Praxis nur gegen den- oder diejenigen eingesetzten Erben gerichtet worden sein dürfte, die tatsächlich pflichtteilsverletzend zu viel erhalten hatten; bei anderen Erben drohte Klageverlust. Dementsprechend wohl forderte Marciana senior nur einen entsprechenden Bruchteil der Erbschaft609 von Marciana junior. Hatte die Klage Erfolg, so bedeutete das für das Testament auch nur Annullierung soweit der Beklagte eingesetzt war, d. h. es trat Intestaterbfolge nur insoweit ein610 und im Übrigen blieb das Testament in Kraft. Die angeordnete Schätzung spricht ebensowenig zwingend für eine auf Geld gerichtete Ergänzungsklage. Die Schätzung ermöglicht die Berechnung der Ansprüche im Einzelnen, wieviel der Intestaterbteil ausmachte und wie die Beteiligung der Marciana junior an der Erbschaft zu beziffern war. Die Klägerseite geht im Übrigen ausdrücklich gegen die Besitzerin der Güter vor, scheint also auch nicht Geld, sondern konkrete Gegenstände zu fordern (dazu noch unten). Obwohl also supplementum auf den ersten Blick an eine Ergänzungsklage denken lässt, ist sie im Ergebnis wohl doch abzulehnen. Was 384/385 hinsichtlich der Möglichkeit, Ergänzung zu fordern, genau galt, muss insoweit offen bleiben. Erhoben wurde vorliegend vermutlich eine gewöhnliche, wenngleich in der Relation nicht näher ausformulierte querella inofficiosi testamenti. Symmachus hatte daher zu prüfen, ob die Enterbung der Marciana senior gerechtfertigt und eine Anfechtung deshalb ausgeschlossen war (vgl. CT II, 19, 2 (321)); beweisbelastet, dass sie ungerechtfertigterweise übergangen worden war, war die Klägerin. Bis zu dieser Prüfung aber kommt Symmachus nicht, denn er bleibt vorher stecken.
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Zum teilweisen Obsiegen nur gegenüber einzelnen Testamentserben und entsprechender bloßer Bruchteilsberechtigung des Klägers s. a. mit Quellen: Kaser, Privatrecht I, 712; s. a. die nächste Fn. 610 Möglich war, dass die Klage z. B. nur gegen einen von mehreren Miterben erfolgreich war, vgl. Pap. D V, 2, 15, 2; Ulp. D V, 2, 24. Die vindicatio war demgemäss mit einem entsprechenden Anteil erfolgreich (D V, 2, 15, 2). Zu einem Teil wurde der Kläger gesetzlicher Erbe, im Übrigen blieb es bei der testamentarischen Erbfolge. Diese Aufspaltung war bei dieser Konstellation ausnahmsweise möglich, vgl. Dig. a.a.O.
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g) querella inofficiosae donationis Marciana senior klagt außerdem wegen pflichtwidriger Schenkungen: causa inmodicarum donationum, § 7. Mit einer solchen Klage, die als querella inofficiosae donationis zu identifizieren sein dürfte, konnten Schenkungen angefochten werden, die den Pflichtteil verkürzen611. Eine Pflichtteilsverletzung kann auch durch Schenkung unter Lebenden ausgelöst werden, wenn die Schenkung, wäre sie in derselben Art mortis causa gemacht worden, den Pflichtteil verkürzt hätte. Die Klage richtet sich gegen den Beschenkten, bzw. hier gegen dessen Erbin, und ist parallel zur querella inofficiosi testamenti geregelt612. Das Pflichtteilsrecht beschränkte den Erblasser zwar grundsätzlich nicht in seiner Verfügungsfreiheit zu Lebzeiten, doch gilt, wenn die Schenkung, sei es absichtlich oder aus Unüberlegtheit, den Pflichtteil schmälerte, eine Ausnahme. Wie beim inoffiziösen Testament werden pflichtteilsschmälernde Schenkungen als pflichtwidrig angesehen und können im Klagewege angefochten werden. Anfechtungsberechtigt sind die pflichtteilsberechtigten Angehörigen. Der Kläger muss den Nachweis erbringen, dass die Schenkung zu dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt ist, seinen Pflichtteil verletzt hat und dass diese Pflichtteilsverletzung auch noch beim Tod des Schenkers bestand. Festgestellt werden muss außerdem, dass der Kläger nicht undankbar gegenüber dem Schenker gewesen war, dass also sein Pflichtteil grundlos verletzt worden ist. Auch diese Klage verschaffte dem Kläger den Intestaterbteil am um die Schenkung vermehrten Nachlass613. Die Schenkung wurde, jedenfalls nach überwiegender Ansicht, nicht nur in Höhe des Pflichtteils als unwirksam behandelt, dem Kläger nicht nur sein Pflichtteil verschafft614. Wie bei der querella inofficiosi testamenti das Testament, wurden Schenkung und Rechtsübertragung möglicherweise sogar
611
Dazu: CT II, 20; CJ III, 29; Kaser, Privatrecht II, 521; Krüger, Die unmäßige Schenkung, 80 ff; Zoz de Biasio, I rimedi, 77 ff; Tellegen-Couperus, Some remarks; Bauer-Gerland, Erbrecht, 120 ff. 612 Es gelten dieselben Grundsätze, vgl. CJ III, 29, 1 (245); 2 (256); 6 ( 286); 8 (294); CT II, 20, 1 und CT II, 19, 4, die beide vom 19.5.361 datieren und vermutlich ursprünglich Teil einer einheitlichen Konstitution waren. 613 Aus CJ III, 29, 8 pr. (294) könnte man allerdings schließen, dass sie nur den Pflichtteil verschaffte: pro ratione quartae heißt es dort. Doch weist Tellegen-Couperus, Some remarks, 413 f, mit Recht darauf hin, dass ein Pflichtteilsergänzungsanspruch im Jahre 361 kaum eingeführt worden wäre, wenn schon über die querella nur der Pflichtteil zu erreichen war. Die genannte Vorschrift dürfte interpoliert sein, dazu eingehend Tellegen-Couperus, 411 ff; 512 f. Anders Wesener, Vorjust. Ansätze, 152, der CJ III, 29, 8 als nachklass. Glossem aus dem 4./5. Jh. (nach 361) auffasst, das zu PS IV, 5, 7 passt. 614 So aber Kreuter, Röm. Privatrecht, 132 ff; s. a. Samper, Pars debita, 96. Argument wäre insbesondere CJ III, 29, 8 pr., vgl. dazu aber schon obige Anmerkung und Kaser, Privatrecht I, 713; ders., Privatrecht II, 521. Nach Kreuter soll die querella inoff. testamenti den Intestaterbteil, die querella inoff. donationis dagegen nur den Pflichtteil gewähren.
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insgesamt615 unwirksam, jedenfalls aber erhielt der Pflichtteilsberechtigte den vollen Intestaterbteil616 und war die Schenkung insoweit unwirksam, als sie diesen schmälerte, denn CT II, 20, 1 (361) stellt beide Klagen ausdrücklich gleich. Soweit die pflichtwidrige Schenkung unwirksam war, fiel das Geschenkte in den Nachlass und konnte im Rahmen der hereditatis petitio herausverlangt werden. Der eigentliche Klagegegner war hier Placidianus, den Marciana junior beerbt hatte, entweder allein oder aber, was wahrscheinlicher ist, zusammen mit ihren Schwestern. In diesem Fall wurde daher wohl auch nur ein entsprechender Teil des geschenkten Vermögens eingeklagt. Placidianus seinerseits war selbst pflichtteilsberechtigt gegenüber Prisca gewesen. Auch im Hinblick darauf mögen die Schenkungen teilweise aufrechterhalten worden sein617. Relation 19 ist jedoch hinsichtlich der geltend gemachten unmäßigen Schenkungen kein eindeutiges Zeugnis zur Frage der Rechtsfolgen der Querel. Zu denken wäre auch hier grundsätzlich an eine Pflichtteilsergänzungsklage, die in CT II, 19, 4 für beide querellae geregelt wird. Eine suppletorische Klausel im Testament des Schenkers würde auch die Schenkung retten und gegen den Beschenkten einen Geldanspruch bloß auf die Pflichtteilsquote begründen. In den Quellen findet sich die Anfechtung der pflichtwidrigen Schenkung (CT II, 20, 1) ebenso wie die Pflichtteilsergänzung618. Die Tendenz entspricht der oben zur Testamentsklage dargestellten Entwicklung. Hier eine Ergänzungsklage anzunehmen ist aber ebenso abzulehnen wie beim Testament. Im Hinblick auf die Schenkungen weist außerdem die Klageumschreibung in § 7 der Relation deutlich auf die querella hin, vgl. die ähnliche Formulierung etwa in CT II, 20, 1: inmodicarum donationum querella. Eine Ergänzungsklage aber würde nach CT II, 19, 4 beide querellae ausschließen. Der Begriff des supplementum wird von Symmachus im Übrigen hinsichtlich der Schenkungen auch nicht ins Spiel gebracht, sondern nur bzgl. Placida, d. h. der testamentarischen Einsetzung. Wahrscheinlich wurden daher zwei gewöhnliche Inoffizialklagen erhoben, gerichtet an sich gegen den Beschenkten und die testamentarisch Bedachte, tatsächlich dann aber gegen deren Erbin, die im Besitz der geschenkten und vererbten Güter 615 So Krüger, Unmäßige Schenkung, 87 ff; Sanguinetti, Dalla querela, 17 ff; 81. Angeführt werden kann insoweit FV 270 (294); 293, 2 (293); CT XV, 14, 9 (395): inmodicarum donationum rescissio; Itp. CT II, 20, 1: donatio vacuetur; s. a. Itp. zu CT VIII, 12, 1: non valebunt . Nach Tellegen-Couperus, Some remarks, 399 ff; 413, führt dagegen die querella inofficiosae donationis zur Aufhebung der Schenkung (nur) bis zur Verschaffung des Intestaterbteils. Dafür, dass die pflichtwidrige Schenkung nur als teilnichtig behandelt wurde, könnten etwa CJ III, 29, 5 (286); CJ III, 29, 7 (286): widerrufen wird, quod immoderate gestum est, und CJ III, 29, 8 (294) angeführt werden. 616 S. auch: Zoz de Biasio, I rimedi, 77; 91 ff; 115 f; 173; Tellegen-Couperus, Some remarks, 399 ff; 406 ff; Bauer-Gerland, Erbrecht, 122 f. 617 Man denke an die in CJ III, 29, 5 (286) und CJ III, 29, 8 (294) sich andeutende Berechnung. 618 Vgl. auch Itp. zu Cod. Greg. III, 8, 2 (FIRA II, 661 f); s. Kaser, Privatrecht II, 521. Zur Ergänzungsklage gegen den Beschenkten ausdrücklich dann Nov. Just. 92.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
(wenigstens teilweise) war. Marciana senior forderte von Marciana junior als Erbin von Placida und Placidianus vermutlich nur das, was anteilig ihrem gesetzlichen Erbteil entsprach. Die für beide Inoffizialklagen geltende fünfjährige Verjährung (CT II, 19, 5 (383); II, 20, 1 (361) mit Itp.), gerechnet ab dem Erbfall und nicht etwa der schon lange zurückliegenden Schenkungen, wurde wie gesehen eingehalten. Obwohl viele Einreden bemüht werden, ist die Verjährungseinrede nicht darunter. Zur Fortführung durch die Erben der Klägerin gilt das beim Testament dazu Ausgeführte. In der Sache hätte Symmachus prüfen müssen, ob die Schenkungen der Prisca an Placidianus übermäßig waren und den Pflichtteil der Marciana senior in Höhe eines Achtels von Priscas Vermögen beeinträchtigt haben. Sollte Prisca mehr als sieben Achtel ihres Vermögens verschenkt haben und ist dieses Zuviel auch nicht durch Zugänge ausgeglichen worden, so kann Marciana senior bzw. können ihre Erben gegenüber Marciana junior, die als Erbin des Placidianus in den Besitz eines Teiles der übermäßigen Schenkungen gekommen ist, die Schenkungen insoweit für ungültig erklären lassen und Herausgabe verlangen. Doch auch zu dieser Prüfung kommt es nicht. h) Der Streit um die Passivlegitimation und das Verhältnis zur hereditatis petitio Der zur Relation führende Streit entzündet sich an einer Frage, die die Passivlegitimation der Marciana junior betrifft. Die Parteien sind sich uneins darüber, was zur querella inofficiosi testamenti619 in der Supplik anzugeben war. Zählte der Besitz der Erbschaftsgüter oder wäre die Stellung als Erbin der Placida anzugeben, d. h. Placida zu nennen gewesen? In dieser Streitfrage, die Symmachus nicht beantworten kann oder will, zeigen sich unterschiedliche Rechtsauffassungen von der Rechtsnatur der querella inofficiosi testamenti, die sich vielleicht mit folgenden Erwägungen erklären lassen. Die Querel war darauf gerichtet, das pflichtwidrige Testament für ungültig erklären zu lassen. In einem nächsten Schritt konnte dann mit hereditatis petitio Herausgabe des Nachlasses verlangt werden. Beide Klagen wurden grundsätzlich klar unterschieden620, beiden ist in den Codices (CT und CJ) ein eigener Titel gewidmet. In der Sache zeigen jedoch die Rechtsquellen für die hier interessierende Zeit, dass die hereditatis petitio - anders als die querella - damals nicht weiter ausgeformt wurde; so enthält der Titel De hereditatis petitione in CT II, 22, der freilich nur im Breviarauszug erhalten ist, viel umfangreicher ausweislich CJ III, 31 aber nicht gewesen sein dürfte, lediglich eine einzige Konstitution, die inhaltlich über das damalige Verständnis der Klage keinen Aufschluss gibt. CJ III, 31, 11 datiert erst von 396 aus Konstantinopel und regelt Fragen der Beweislast. 619 Im Hinblick auf die querella inofficiosae donationis entsteht insoweit kein Streit; der Name des Placidianus war in der Supplik offenbar gefallen. 620 Vgl. etwa Sanguinetti, Dalla querela, 32.
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Die hereditatis petitio wurde in klassischer Zeit als actio in rem aufgefasst621, d. h. für die Beklagtenrolle zählte der Besitz der Erbschaftsgegenstände. Der actio in rem lag das Zugriffsrecht des dinglich Berechtigten auf den Gegenstand zugrunde. Sein Herrschaftsrecht richtete sich gegen jedermann, folglich wurde der Beklagte in der Klage nicht benannt622. Der Anspruch richtete sich insoweit gegen den Gegenstand selbst, die Klage war rein sachbezogen, eben so, wie es die Klägerseite für den vorliegenden Fall behauptet. Der Gegensatz zwischen actio in rem und in personam, der Klage aus persönlichem Anspruch, verwischte sich jedoch in nachklassischer Zeit623. Erstere war nurmehr eine Klage, die auf einen Gegenstand, letztere eine solche, die auf eine Geldsumme gerichtet war. Die Klägerseite scheint sich aber im Ansatz insoweit noch auf die Unterscheidung zu berufen, als sie für sich Formalien einer actio in rem geltend macht, die eine Benennung der Beklagten in ihrer Rolle als Erbin der Placida, d. h. eine Nennung auch des Namens der Placida, entbehrlich machte. Ihrer Ansicht nach genügt die Bezeichnung der Klagegründe, der streitigen Güter und ihrer derzeitigen Besitzerin, § 8. In dieser Argumentation verschwimmt die Unterscheidung zwischen querella inofficiosi testamenti und hereditatis petitio. Die Klägerseite greift zwar das Testament an, stützt sich aber bereits auf den Besitz der Gegenseite, richtet die Klage also auf Bestandteile eines bestimmten Vermögens und fordert den ihr zustehenden Anteil an der Erbschaft, wenngleich vermutlich noch ohne nähere Bezeichnung einzelner Gegenstände, wie in § 8 durch quidquam esse quaerendum zum Ausdruck kommt; es fehlte ja noch die Schätzung. Diese Beobachtung könnte Kasers Vermutung stützen, beide Klagen seien um diese Zeit zusammengeflossen und in einem einheitlichen Verfahren aufgegangen624: Der Pflichtteilsberechtigte begehrte Entkräftung des Testaments und aufgrund dessen - innerhalb derselben Klage - die Herausgabe des Intestaterbteils, hier wenigstens eines Teils davon. Im Wandel war nicht nur die klassische Unterscheidung zwischen actio in rem und actio in personam, sondern ganz konkret auch die zwischen Querel und Erbschaftsklage. Hinzu kommt die beschriebene Tendenz, statt der Querel einen Anspruch auf Ergänzung in Geld, also eine actio in personam im nachklassischen Sinne, zuzubilligen, dessen Ausgestaltung und Ausformung derzeit noch nicht ganz eindeutig gewesen sein mag. Die formalen Anforderungen an eine Querel und die mit ihr regelmäßig einhergehenden, nicht mehr immer streng unterschiedenen oder an ihrer Stelle erhobenen Klagen waren, so deutet sich in der Relation an, unsicher geworden: 621
Kaser, Privatrecht I, 735 ff; zur Differenzierung actio in rem und actio in personam im Formularverfahren, 331 ff. 622 Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 332 m. N.; Kaser, Privatrecht I, 224 f. 623 Levy, WRVL, 219 ff; Kaser, Privatrecht II, 66 f; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 578. Eine Unterscheidung macht z. B. CJ III, 19, 3 (Juni 385, Ost): eine actio in rem ist gegen den Besitzer zu richten; es gilt ein spezieller dinglicher Gerichtsstand. 624 Kaser, Privatrecht II, 516 mit Fn. 12 zu Rel. 19; 518; 545 m. Hinweis auf PS. Auch Rel. 16 könnte das bezeugen.
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Unklar war, ob die erhobene Klage, die von Symmachus vielleicht nicht zufällig nur undeutlich umschrieben und nicht etwa als querella inofficiosi testamenti bezeichnet wird, rein dinglich und den formalen Anforderungen damit Genüge getan war, oder ob nicht vielmehr auch die zugrundeliegende Beziehung zur eigentlich bzw. ursprünglich einmal passiv legitimierten Placida anzugeben war, weil Marciana junior nur in ihrer Eigenschaft als Erbin beklagt war. Die Unsicherheit des Stadtpräfekten könnte vor diesem Hintergrund darauf zurückzuführen sein, dass die Praxis insoweit noch nicht oder nicht mehr gesichert war. Beide Seiten können für ihre Ansicht gute Gründe beibringen. Insbesondere kann der Einwand der Beklagtenseite nicht als reiner Formalismus und Verzögerungstaktik abgetan werden. Sie kann sich darauf berufen, dass die Querel selbst eigentlich keine actio in rem war. Gegen Marciana junior persönlich konnte eine querella inofficiosi testamenti, da sie selbst nicht im Testament eingesetzt war, eigentlich nicht gerichtet werden; sie war passivlegitimiert nur als Erbin der angeblich pflichtwidrig eingesetzten Erbin. Es geht um Erbenhaftung, die aus der Supplik hätte hervorgehen müssen; insoweit war sie allemal unvollständig625. Wenn aber die Querel mittlerweile mit der Erbschaftsklage zu einer einheitlichen dinglichen Klage zusammengeflossen war oder gar alles, was nicht auf Geld ging, actio in rem mit entsprechend geringen Anforderungen war, wäre der Ansicht der Klägerseite zu folgen. Es ginge dann nicht um Erbenhaftung, sondern um eine dingliche Klage gegen die Besitzerin als solche, wie ehemals bei der klassischen hereditatis petitio. Die Angaben in der Supplik hätten genügt. Noch im Jahre 384 deutet sich damit eine Unterscheidung von actio in rem und in personam an, wenigstens im Hinblick auf die Formalien der Supplik. Die Parteien gehen, nimmt man die Argumentation der Parteivertreter ernst, offenbar von unterschiedlichen Konzeptionen der erhobenen Klage aus626. Auch Symmachus ist sich nicht sicher. Er schließt keinen der beiden Ansätze aus, was nach unserer Quellenlage (s. bei Kaser a.a.O.) durchaus begreiflich erscheint, da sich bei der Querel etwa in jener Zeit tatsächlich ein Wandel vollzog. Was 384 genau galt, ist nicht zu sagen. Fest steht aber, dass sich Principius, der wohl noch die Supplik für Marciana senior formuliert hatte, unabhängig von den angedeuteten unterschiedlichen Konzeptionen vorwerfen lassen muss, dass er den Sachverhalt tatsächlich nicht vollständig dargestellt hatte. Der Prozessausgang hing ja davon ab, ob und mit welcher Quote Marciana junior Erbin 625
Unwahrscheinlich ist, die Beklagtenseite meine, die Klage sei auf Geldzahlung zu richten und deshalb handle es sich um eine actio in personam. In dieser Richtung wird die Wahrheitstreue der Supplik nicht angegriffen. 626 S. a. Pezzana, Osservazioni, 49 f: Die Beklagte verstehe die querella inofficiosi testamenti als eine actio in personam, weshalb die Angabe der Erbfolge von Placida zu Marciana junior für die Passivlegitimation der Marciana junior wichtig war, die nur als Erbin der Erbin aus dem pflichtteilsverletzenden Testament beklagt wird. Die Klägerseite sehe die Klage dagegen als eine analoge Klage zur hereditatis petitio, mit Ähnlichkeiten zu einer actio in rem. Zur Zeit des Symmachus hätten beide Vorstellungen nebeneinander existiert. Die Relation sollte zur Klärung beitragen.
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der Placida war. In der Supplik durften daher Angaben darüber und damit auch der Name der Placida nicht fehlen, musste diese doch alle klagebegründenden Tatsachen und eine vollständige Sachverhaltsschilderung enthalten. Daran aber fehlte es bei strenger Betrachtung hier tatsächlich, wie Gaudentius herausgefunden hat. Der Sachverhalt mag zwar beiden Seiten im Grunde klar gewesen sein, doch genügte potenziell ein solcher formeller Fehler, um das Reskript in den Augen des Kaisers angreifbar zu machen und Symmachus demgemäß zu verunsichern. Obwohl das Reskript den Fall nicht entschied, musste dem Kaiser doch vollständig vorgetragen werden, um jede Gefahr einer Fehlentscheidung auszuschließen. Diese formale Strenge sollte der Rechtssicherheit dienen627. Der Stadtpräfekt jedenfalls ist vorsichtig: Nicht nur, dass die Konzeption der erhobenen Klage fraglich war, zudem war der heikle Bereich der Erschleichung von Reskripten betroffen. Relation 19 zeigt die Schwierigkeiten und Unsicherheit der richterlichen Praxis in Fragen, die den Bereich kaiserlicher Kompetenz betrafen. Solange eine Rechtsentwicklung nicht vom Kaiser allgemeinverbindlich geklärt war, fehlte dem Richter die Entscheidungssicherheit und auch über die Frage erschlichener Reskripte vermochte er in zweifelhaften Fällen nicht selbst zu entscheiden, auch insoweit war das legislative Monopol des Kaisers betroffen. Welcher Partei letztlich Recht zu geben war, ist, wie gesehen, auch aus heutiger Sicht nicht zu beantworten. Nach traditioneller Auffassung der querella inofficiosi testamenti hätte man wohl der Beklagtenseite Recht zu geben gehabt, was allerdings Symmachus nicht ganz zu überzeugen scheint; der Einwand, dass der Name der Placida fehle, klingt wirklich etwas formalistisch. Sollte das Fehlen ihres Namens wirklich eine Lüge, das einleitende Reskript deshalb ungültig und Prozessverlust die Folge sein? Vielleicht würde der Kaiser die Frage nicht so eng sehen. 4. Was steckt hinter der Entscheidung, den Fall abzugeben? Nach den bisherigen Ausführungen wird die Relation aus zwei Rechtsgründen geschrieben: a) Eine nicht auszuschließende Lüge in der Supplik Zum einen schlägt Symmachus auf den Vorwurf der unredlichen Supplik hin das Relationsverfahren ein, nimmt den Einwand ernst, ohne allerdings seine eigene Meinung dazu zu äußern. Er überlässt die Entscheidung vielmehr ganz dem Kaiser, ohne zur Frage, ob falsche Angaben gemacht wurden, Stellung zu nehmen. Mit einem solchen Einwand war ein Richter, wie sich zeigt, relativ leicht zu verunsichern. Der Stadtpräfekt wagt keine eigene Beurteilung; offenbar durfte er keinesfalls den Verdacht aufkommen lassen, den Einwand nicht 627 Die allerdings, wie die Relation zeigt, dadurch, dass relativ leicht Rechtsunsicherheit gesät werden kann, wieder in Frage gestellt wird.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
ernst zu nehmen. Mit Abgabe des Falles mittels Relation dürfte in solchen Fällen zu rechnen gewesen sein. Zwar hätte Symmachus die Frage wohl auch selbst entscheiden können, doch drohte sein Urteil dann im Berufungsverfahren aufgehoben und er selbst der Kritik ausgesetzt zu werden, ein kaiserliches Reskript zu Unrecht angewandt oder nicht angewandt zu haben. Das Vorbringen des Gaudentius, dessen Taktik sehr geschickt ist, zurückzuweisen, wagt er daher nicht. Der Prozess droht für Liberius aus formalen Gründen verlorenzugehen und unter Umständen war für die Beklagtenseite auf diese Weise, wenn das einleitende Reskript von Anfang an nichtig war, auch eine Verjährung der Klagen und damit ein endgültiger Erfolg in der Sache erreichbar. Dass Gaudentius hier tatsächlich taktiert, zeigt sich daran, dass der Einwand der Reskripterschleichung erst vor Symmachus erhoben wird, obwohl das Verfahren schon lange läuft. Erst nachdem die anderen Einwendungen zurückgewiesen worden sind, kommt der Einwand gegen das am Anfang des Verfahrens stehende Reskript. Symmachus kann hier also durchaus nachvollziehbare rechtliche Gründe anführen, die die Relation tragen. Dass er sich der Verantwortung hätte entziehen wollen, wäre eine zu schlichte Erklärung. Die Relation und die einschlägigen Rechtsquellen geben nicht her, dass die Supplikfrage klar entscheidbar wäre und die Fristfrage nur vorgeschützt würde, um keine missio in bona anordnen zu müssen. b) Die Frist ist zu kurz Als zweiten, noch dringenderen (vehementior, § 9) Grund, den Fall abzugeben, nennt Symmachus die Frist zur Schätzung des Nachlasses; sie sei zu kurz. Unklar ist, ob er darauf von selbst gekommen ist oder ob die Beklagtenseite das vorgetragen und um Fristverlängerung gebeten hat. Jedenfalls ist auch dieser Einwand ein triftiger Grund für die Relation. Die Viermonatsfrist ist gesetzlich bestimmt und eine Verlängerung offensichtlich nicht vorgesehen. Der Stadtpräfekt war daher außer Stande, eine Ausnahme zu machen. Eine ähnliche Problematik findet sich in Relation 49 (und im Ansatz auch in Relation 39): Symmachus hält die gesetzliche Regelung im Einzelfall für unangemessen und erwartet vom Kaiser eine Ausnahmeentscheidung. Ob Symmachus damit vorliegend redliche Motive verfolgt, kann indes nicht abschließend beurteilt werden; jedenfalls ist das eingeschlagene Verfahren korrekt, denn eine Supplik der Partei an den Kaiser zwecks Verlängerung gesetzlicher Fristen war untersagt628. Allenfalls der Richter konnte sich mit einer Relation der Frage annehmen. Die Anrufung des Kaisers war vermutlich die einzig legale Möglichkeit, im Einzelfall eine Ausnahme zu erlangen. Von einer lex kann nur er Befreiung erteilen, um aequitas walten zu lassen (dazu ausführlich bei Relation 49), wenn dem Richter eine Norm im Einzelfall zu mild oder zu hart erschien. Dem Kaiser wird in der Relation eine plausible Begründung geliefert, um im konkreten Fall 628
Vgl. etwa CT II, 6, 1 (316) und CT II, 4, 4 (Juni 385).
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von der Härte des Gesetzes eine Ausnahme zu machen. Allerdings schlägt sich Symmachus hier im Ergebnis mit seiner Argumentation auf die Seite der Partei, die sichtlich um Prozessverschleppung bemüht ist und zur Sache selbst nichts vorbringt. Anstatt die eigentlich vorgesehene missio in bona zu erklären629, erwartet der Stadtpräfekt zu Gunsten der Marciana junior eine Fristverlängerung. Ob die Frist zur Schätzung der corpora peregrina tatsächlich zu kurz bemessen war, kann aus heutiger Sicht nicht beurteilt werden630. Symmachus verweist immerhin auf Unterlagen, die das belegen sollen. Die Formulierungen der Klägerseite (s. § 5) und der nachgeschobene Einwand der Reskripterschleichung deuten freilich eher auf eine Verweigerungshaltung bei Gaudentius als auf Zeitdruck. Festzuhalten bleibt gleichwohl, dass auch das Argument der zu knapp bemessenen Frist das Relationsverfahren aus Rechtsgründen rechtfertigt, denn eine Fristverlängerung über die gesetzliche Grenze hinaus kann nur der Kaiser, nicht aber der Stadtpräfekt gewähren. 5. Fazit Relation 19 zeigt den Gang eines Relationsverfahrens nahezu vorbildlich und liefert Einzelheiten zum Ablauf des spätantiken Zivilprozesses. Die Ausführungen des Stadtpräfekten sind zwar, wie auch in anderen Relationen mit prozessualem Schwerpunkt, nicht so präzise, wie man sich das wünschen würde, doch erscheint es unangebracht, im Zusammenhang mit Relation 19 wie Steinwenter631 von „kläglicher Praxis, die die Relationen enthüllen“ zu sprechen. Der Ablauf ist differenziert; das Verfahren ist straff gegliedert und die einschlägigen Regelungen sind bekannt632. Symmachus will nicht über den Denuntiationsprozess belehren, sondern deutet in den Relationen den Hergang nur an. Seine Sachverhaltsschilderung ist für uns zwar schwer verständlich, ergab sich aber für den Kaiser aus den mitgeschickten Begleitakten. Ohne langes Zögern entscheidet Symmachus nach Gewährung rechtlichen Gehörs über die nach und nach vorgebrachten Einwendungen durch Zwischenentscheide. Dabei leitet er die Verhandlung durchaus souverän, bis er im Hinblick auf das Reskript nicht mehr weiter weiß. Der Prozess wurde viele Jahre verschleppt und auch vor Symmachus versucht Gaudentius, mit immer neuen 629 Sollte das Reskript aber tatsächlich erschlichen sein, würde auch das die missio in bona ungerechtfertigt machen. Dass er die beantragte Besitzeinweisung nicht erklärt, ist im Rahmen des eingeschlagenen Relationsverfahrens korrekt. Eine Wertung ist nicht möglich. 630 Häufig allerdings waren gesetzliche Fristen zu jener Zeit zu knapp bemessen. Das Bemühen um Prozessbeschleunigung drückte sich in vielen Fristen überscharf im Sinne einer Überbeschleunigung aus. 631 Litiskontestation, 197; s. a. ders., Briefe, 22, wonach sich Symmachus hier wie schon in Relation 16 jeder Verantwortung entziehe. 632 Deutlich wird etwa die Fortgeltung julianischer Gesetzgebung: Die sanctio ist Symmachus offensichtlich wohlbekannt.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Einwänden, die zum großen Teil leicht zu entkräften sind, das Verfahren zu verzögern. Der Prozess dauert schon einige Jahre und noch immer ist man nicht zu den eigentlichen Klagen und ihren materiellen Fragen gekommen. Anfänglich werden sogar die gleichen Argumente, etwa der fehlenden Bevollmächtigung des Liberius, wie schon vor Symmachus’ Amtsvorgänger Aventius vorgetragen. Aventius scheint über sie noch nicht endgültig entschieden zu haben633. Die hier sichtbar werdende anwaltliche Taktik, das Verfahren zu verzögern, war ein häufiges Problem jener Zeit, wie Rechtsquellen mit Gegensteuerungsversuchen und weitere Relationen zeigen. Symmachus berichtet nüchtern und deutet Verzögerungsinteressen in § 3 nur an, ohne jedoch Kritik zu üben. Er hat es, wie er in § 1 sogleich deutlich macht, mit einer Altlast zu tun, die sich seit Jahren hinzieht, mit der schon verschiedene Richter befasst waren, in deren Verlauf eine der Prozessparteien stirbt und die außerdem verschiedene Klagen in einer nicht einfach zu durchschauenden Konstruktion umfasst. Er versucht daher, den Fall endlich abzuschließen. Verwirrt über die mehreren Unsicherheiten des Falles überlässt er jedoch am Ende die Entscheidung dem Kaiser, denn in Zweifelsfällen gebe es nur ein Heilmittel, nämlich Rat beim Kaiser zu suchen. Der Kaiser, an dessen iustitia er appelliert, möge den Fall gründlich erwägen und, so bittet Symmachus, endgültig entscheiden, der langwierigen und undurchsichtigen Angelegenheit damit ein Ende bereiten. Er bittet also um ein Endurteil und gibt mit dem pauschalen Hinweis ab, dass für Zweifelsfragen der Kaiser zuständig sei. Das mag zwar allzu floskelhaft klingen, war jedoch die übliche Formulierung, wie sie auch die einschlägigen Konstitutionen zum Relationsverfahren gebrauchen634. Ähnlich allgemein gehalten ist etwa die Begründung in Relation 39, in der sich auch dieselben Begriffe (ambiguus/curiosus) wiederfinden wie in Relation 19. Solche Floskeln sind nicht überzubewerten und einem knappen Begleitschreiben durchaus angemessen. Sie entbinden allerdings nicht davon, den Hintergrund der Relation genauer zu ermitteln. Die Überprüfung aber hat gezeigt, dass sich Symmachus nicht kurzerhand aus der Affäre zieht, sondern dass er tragfähige Rechtsgründe vorbringt, die das Relationsverfahren erklären. Auch dass er nicht etwa eine Zwischenanfrage stellt, sondern das ganze Verfahren abgibt, ist nicht ungewöhnlich, denn der Kaiser forderte grundsätzlich, nach vollständiger Sachverhaltsaufklärung alle Unterlagen zu übersenden, um selbst entscheiden zu können635. Das ist das für eine relatio ante sententiam damals übliche Verfahren. Mangels Schätzung war die Klage zwar noch nicht wirklich entscheidungsreif, doch erwartet Symmachus trotzdem nicht, die Sache noch einmal zurückzubekommen. In der Sache selbst ergreift Symmachus nicht Partei. Doch scheint die Klage der Marciana senior begründet gewesen zu sein. Zum einen hatte Prisca offen633
Nicht ersichtlich ist, dass Aventius hier nachlässig gewesen wäre; zu einem problematischen Verfahren s. insoweit allerdings Relation 38. 634 Dazu m. N. schon oben 4. Abschnitt A V. 635 S. mit Nachweisen im 4. Abschnitt A V.
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sichtlich ihre Tochter in ihrem Testament tatsächlich übergangen und zum anderen ließe sich so auch der Energieaufwand des Gaudentius erklären, der verschiedene Einwendungen zum Verfahren hartnäckig verfolgt, um es nicht zur Verhandlung in der Sache selbst kommen zu lassen. Zunächst einmal aber war tatsächlich die Verfahrensfrage der unredlichen Supplik streitentscheidend. Der Kaiser mochte ausgehend von einer solchen Fallkonstellation eine allgemeinverbindliche Regelung treffen. Der konkrete Ausgang des Prozesses, die Antwort des Kaisers ist allerdings nicht bekannt. Einschlägige Konstitutionen im zeitlichen Zusammenhang mit der Relation finden sich nicht. Doch nachdem der Stadtpräfekt die Frist zur Schätzung für zu kurz erachtet hatte, wird sie der Kaiser verlängert haben. Ob wirklich ein Reskript erschlichen wurde, scheint dagegen offen und hängt von der damaligen Formenstrenge und der Klagekonzeption am Hofe ab. Natürlich können auch politische Gründe den Stadtpräfekten veranlasst haben, den Fall abzugeben. Vielleicht war Rücksicht auf den Status der Beteiligten angebracht, vielleicht war Symmachus eingeschüchtert worden. Da der Prozess jedoch innerfamiliär geführt wird, lässt sich kein Anhaltspunkt dafür ausmachen, dass etwa auf der Beklagtenseite, die Symmachus in der Fristfrage tendenziell bevorzugt, einflussreichere Personen standen. Dass auf seine Entscheidung Einfluss genommen worden sein könnte, deutet sich nicht an. Mit Bestimmtheit lässt sich daher nur festhalten, dass Symmachus zwei Rechtsgründe für seine Relation vorbringt, die verständlich sind. Die aufgeworfenen Rechtsfragen rechtfertigen auch nach unserer sonstigen Quellenkenntnis die Relation, ohne dass Symmachus übermäßige Ängstlichkeit oder gar Parteilichkeit vorzuwerfen wäre. Das Relationsverfahren ist für genau solche Fälle wie den vorliegenden vorgesehen, wenn es auch vom Rechtsbewusstsein des einzelnen Beamten, des jeweiligen Kaisers und seiner Berater abhing, deren Niveau durchaus unterschiedlich war636. Die Relation steht, wie auch einige andere, im Spannungsfeld fortschreitender Entwicklung in der Praxis, die kaiserlicher Bestätigung noch bedarf. Sie scheint das Zusammenfließen von querella inofficiosi testamenti und hereditatis petitio zu bezeugen und verdeutlicht die in der Übergangsphase entstehenden Unsicherheiten. Symmachus verhält sich systemkonform, wie die Kaiserkonstitutionen es von einem zuverlässigen Beamten fordern. Das kaiserliche Rechtsetzungsmonopol und die strikte Bindung des Richters an das Gesetz wird in beiden zur Abgabe führenden Punkten tangiert und beachtet. Gewiss ermöglichte das Relationsverfahren dabei auch, lästige Fälle elegant loszuwerden. Dass auch das Symmachus bewegte, kann man annehmen. Dass er aber durch Einschlagen des Relationsverfahrens etwa eine drohende Appellation verhindern wollte637 und eine eigentlich entscheidungs636
Zum (unbekannten) quaestor sacri palatii von Valentinian II. vgl. Honoré, Law, 185 f; 189, der ihm ein eher bescheidenes Niveau und Einfallslosigkeit bescheinigt. S. dazu bereits im Ersten Teil, 3. Abschnitt VI. 637 Das scheint häufiger vorgekommen zu sein, vgl. die Gegenmaßnahmen: CT XI, 30, 13 (329: Seeck, Regesten 64; 179); CT I, 5, 4 (342).
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reife und für ihn ohne weiteres entscheidbare Sache nicht hätte entscheiden mögen, ist nicht anzunehmen. Der Fall ist kompliziert, die Rechtsfrage schwierig.
III. Relation 28: Landraub und eine weitere unzulässige Appellation Dem Stadtpräfekten liegt ein Fall von Landraub zur zivilrechtlichen Entscheidung vor. Als Täter werden Leute eines hochangesehenen christlichen Senators beschuldigt. Das Opfer ist ein einfacher Gutsbesitzer, sein Gegner ein einflussreicher Senator. Ein gewisser Scirtius638 macht geltend, er sei von seinem Besitz an einem Landgut in der Nähe von Praeneste, der massa Caesariana639, von Männern des vir illustris640 Olybrius vertrieben worden. Er zieht vor das Gericht des Stadtpräfekten und fordert das Gut, das ihm, so trägt er vor, wenigstens zur Hälfte noch gehöre, zurück. Der berichtete Vorfall liegt etwa zwei Monate zurück (§ 5 a. E), datiert also aus dem Jahre 384, da Symmachus spätestens Anfang Februar 385 aus dem Amt schied. Da der Prozessgegner ein Senator ist, ist der Stadtpräfekt nach dem Grundsatz vom domicilium dignitatis zuständig. Außerdem aber liegt der Ort des Geschehens, die massa Caesariana, bei Praeneste, dem heutigen Palestrina, ca. 40 km östlich von Rom, d. h. im Hundertmeilenbezirk, so dass Symmachus auch deshalb zuständig ist, denn CJ III, 16, 1 (366) eröffnet, zwecks rascher Restitution, einen besonderen Gerichtsstand an dem Ort, an dem solch eine Gewalttat geschehen ist. Am Deliktsort wäre Symmachus au638
Er ist vir perfectissimus, § 2. Über ihn ist weiter nichts bekannt: Seeck, REScirtius, 826; PLRE I, 810. Das Perfectissimat (dazu Enßlin, RE-perfectissimus, v. a. 668 ff und schon bei Rel. 42) bezeichnet einen bestimmten Rang, der mit bestimmten zivilen und militärischen Ämtern verbunden war bzw. bei Dienstende als Auszeichnung verliehen wurde (s. bei Rel. 42). Außerdem war das Perfectissimat eine Auszeichnung für Männer der Munizipalverwaltung und des Kurialenstandes. Vera, Commento 208, vermutet, Scirtius sei vielleicht ein Honoratiore von Praeneste gewesen. Sein sozialer Status war jedenfalls gegenüber dem des illustren Senators Olybrius relativ bescheiden. 639 Die massa (in §§ 3 und 6 ist auch die Rede von praedia) war wohl ein relativ großer Grundbesitz, dessen Erträge auch dem vermögenden Senator Olybrius offenbar interessant schienen. Die Gegend bei Praeneste war fruchtbar; Wein, Zwiebeln, Nüsse und Blumen wurden dort angebaut und in Rom abgesetzt. Dazu Vera, Commento, 208 f. Die Villa der massa Caesariana scheint sogar ausgegraben: Im Gebiet des antiken Praeneste wurden an einem Ort, der heute noch La Casarina heißt, etwa 35 km östlich von Rom, Reste einer größeren Villa gefunden. Dazu: Vera, Commento, 209. 640 So der offizielle Titel des Ex-Präfekten, den Symmachus ganz überwiegend korrekt gebraucht. Olybrius gehörte, wie Symmachus selbst, der höchsten senatorischen Klasse an. Nur ausnahmsweise verwendet Symmachus in §§ 4 und 9 (wie auch in Rell. 34, 7 und 38, 3 für ehemalige Präfekten) ungenau die rangniedrigere Bezeichnung spectabilis. Unwahrscheinlich ist, dass sich der Stadtpräfekt mit der offiziellen Titulatur nicht ausgekannt hätte. Es dürfte sich um Versehen oder auch Fehler der Kopisten handeln. Symmachus mag die Titel abgekürzt haben. Zu Olybrius ausführlich unter 5 b).
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ßerdem auch künftiger Strafrichter des Senators, ggf. im Rahmen eines quinquevirale iudicium. Auf violentia steht regelmäßig die Todesstrafe. Doch das interessiert bislang nicht. Symmachus gibt Scirtius nach ausführlicher Beweiserhebung in der Frage des Besitzes einer Hälfte der massa Recht. Gegen das Urteil, das (einstweilige) Wiedereinsetzung in den Besitz gewährte, legt die Gegenseite Berufung ein, die Symmachus entgegen den gesetzlichen Bestimmungen annimmt und im Rahmen einer appellatio more consultationis an Valentinian II. weitergibt. Relation 28 ist das erhaltene Begleitschreiben, in dem Symmachus den bisherigen Prozessverlauf schildert und den Kaiser um Entscheidung bittet. Die Akten und ergänzenden Parteianmerkungen fügt er bei. Symmachus hat also wie schon nach Relation 16 erneut eine rechtswidrig eingelegte Appellation angenommen. Einleitend räumt er sofort ein, dass man ihm das mit Recht vorwerfen könne. Das Augenmerk wird daher auch hier darauf zu richten sein, mit welcher Begründung und aus welchem wahren Grund Symmachus ein weiteres Mal bereit ist, vom gesetzlich vorgesehenen Verfahren eine Ausnahme zuzulassen. 1. Der Text § 1. Quid possint iusti principes culpare, praesentio: in causis etenim, quibus momenti reformatio postulatur, appellationes recipi non oportet. Sed consulto nunc obiectum provocationis admisi, ut in examen clementiae vestrae et invasionis indignitas et modus iudicii perveniret, ddd. imppp. § 2. Nam Scirtius v. p. ereptam sibi partem Caesarianae massae crebra aditione conquestus, cum integrationem status, quem amiserat, inpetrasset, heredes Thesei, qui reluctarentur, obiecti sunt, dum revera641 Artemisius Olybri clarissimi atque inlustris viri actor executur(o)642, ut ipse professus est, obviavit, et cum ad pernoscendum possessionis statum loci habitatores adesse iussissem, in iniuriam legum Rufino officiali iussa curanti, qui deducebantur, abrepti sunt. Gesta indicabunt facti incivilis auctores. Interea distuli vindictam iudiciorum et rursus officio negotium dedi, ut necessarios evocaret. § 3. Tunc cessantibus actoribus clarissimae domus ceterisque subtractis ad contradicendum Thesei subrogantur heredes, uno tantum exhibiti, qui se adsereret libertum esse defuncti. Is interrogatus, quo abissent incolae praediorum, delituisse nonnullos, Scirti vero mancipia ad (sub)643urbanam villam, quae est clarissimi et inlustris viri Olybrii, translata respondit. Cetera ut a liberto Thesei dicta praetereo, licet in eum praescriptio ista non conpetat, cum a patre minorum beneficium libertatis acceperit. § 4. His ita positis Praenestini curia641
So emendiert Seeck, Symmachus, 302. Tum vero Artemisius heißt es bei Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 363; bei Liebs, Landraub, 95: ruro vero Artemisius. 642 Seeck, Symmachus 302, emendiert hier so, als hätte Scirtius selbst vollstreckt. Executori heißt es richtigerweise bei Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 363. Der ex(s)ecutor war ein Beamter des officium urbanum, der mit Zustellungen und Vollstreckungsaufgaben befasst war: Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 520; 553 f Fn. 61; 625; vgl. etwa in CT XI, 36, 25 (378). 643 Seeck, Symmachus 302, emendiert unnötigerweise entgegen der Manuskriptüberlieferung suburbanam anstelle urbanam.
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les, quorum in regione Caesariana possessio iacet, missis apparitoribus exhibentur. Tunc demum v. c. et spectabilis Olybrii procurator emergit. Adest etiam defensor minorum tandem cogentibus iudiciis postulatus644. Scirtio adversum duos pugna proponitur, quamvis patrocinia clarissimae domus et successorum Thesei quadam specie dissiderent. § 5. Itur in quaestionem possessionis; quae partium variis agitata conflictibus ad interrogationem testium iure transivit. Admoveri singillatim, ut mos est, iubeo curiales; nominum et dignitatis ab uno quoque posco responsa; tunc locorum iustos possesores requiro; dehinc percontor, quis annuas functiones aut indicta persolverit. Cum secundum Scirtium testimonia cuncta procederent atque eam possessionem cum Theseo tenuisse constaret, quando et per quos deiectus esset examino. Secundum fere vel tertium mensem manere consentiunt, ut eum clarissimae atque inlustris domus homines expulerunt. § 6. Auditis optimatum testimoniis denuo cum defensoribus admitto iurgantes; quaesita et responsa partibus intimantur. Ibi Tarpeius v. c. procurator inlustris viri Olybrii adseruit, ei sex uncias praediorum Thesei morte quaesitas. Contra Scirtius de sex unciis, quas minores etiam se consentiente retinebant, non ibat infitias nec sua interesse dicebat, actores clarissimae domus an heredes Thesei eadem parte fruerentur. § 7. Tunc actionibus copulatis Scirtium urguere coeperunt, quod secundum mandatum c. m. feminae Farianae sex uncias Theseo per epistulam reddidisset, sex vero alias in eius liberos contulisset spontanea largitate. Ad haec Scirtius idem litteris familiaribus quod donationibus in Theseum vel parvulos transfusum esse dicebat ipsius petitu, ut actorum fides beneficium roboraret. Et re vera cum posteriora gesta pro indiviso sec uncias massae in eos conlatas esse testentur, intelleximus partem donatoris exceptam. Cur enim pro indiviso daret, si nihil resederat, quod ipse retineret? § 8. Sed haec cum ad proprietatis causam dicerem pertinere, recitata est a defensoribus constitutio, quae iudicibus tribuit copiam, non inponit necessitatem, ut quotiens de possessione successionis iudicant, continuo, si casus tulerit, etiam de iure cognoscant. Qua actione confessi sunt ad aliam causam se malle transire. Praeterea non solus Scirtius proprietatis quaestione videbatur urguendus, cum ipsi quoque inter se super hac parte quodammodo dissiderent. § 9. Quare de possessione secundum documenta Scirtii et principalium testimonia iudicavi, adversariis eius sex unciarum retentione et iure firmatis; principalem vero causam salvis allegationibus partium futuro examini reservavi, et mox sententiae exemplar emisi, cum eius editionem procurator spectabilis viri continuo postulasset. § 10. Tunc Scirtius optulit sanctiones, quibus doceret in reformatione momenti nullum esse appellationibus locum. Postridie procurator clarissimi et inlustris viri ac defensor minorum, qui putabantur in iudicio discrepare, concordiam suam iunctis provocationibus indicarunt. § 11. Haec est omnis summa luctaminis; nunc oraculum numinis vestri fortuna litis expectat. Gesta et supplementa partis utriusque subieci; quibus instructa perennitas vestra exemplo unius causae securitati omnium dignabitur commodare.
644 Seeck, Symmachus, 302, emendiert hier ohne zwingenden Grund iudiciis in indiciis und versetzt tandem cogentibus iudiciis postulatus hinter procurator emergit; ihm folgend Vera, Commento, 214. Wie hier Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 364; gegen die Änderung von iudiciis in indiciis schon Ubbelohde, Die Interdicte, 435 Fn. 44; s. a. Liebs, Landraub, 96.
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2. Was genau ist passiert? Scirtius hatte sich bereits mehrfach beim Gericht des Stadtpräfekten darüber beschwert, dass er eines Teils des caesarianischen Landguts beraubt worden sei und schließlich Wiedereinsetzung in das, was ihm entzogen worden war, integrationem status (§ 2), erhalten. Symmachus gewährte ihm also Besitzrestitution, vermutlich ein interdictum unde vi (dazu unten 3.. Die Vollstreckung dieses Restitutionsbefehls konnte jedoch nicht durchgesetzt werden. Dem widersetzten sich nämlich die minderjährigen Kinder und Erben eines gewissen Theseus645, die offensichtlich noch auf dem Gut lebten. Sie werden offenbar von Olybrius bzw. dessen Vertreter vorgeschickt, während sich der Verwalter des Olybrius, Artemisius, wie er selbst zugibt, dem Vollzugsbeamten vor Ort, der die Wiedereinsetzung in den Besitz bewirken sollte, entgegenstellte. Der Vollstreckungsbeamte muss daher unverrichteter Dinge wieder abziehen. Die Kinder des Theseus konnten - ihnen warf Scirtius seine Vertreibung auch nicht vor - vortragen, dass sie das Interdikt nicht betreffe, und an den wahren Störer Olybrius kam der executor offenbar nicht heran. Symmachus versucht daher, die genauen Besitzverhältnisse des Landguts zu erkunden und ordnet an, dass die dort wohnenden Leute (etwa Pächter, Verwalter oder Landarbeiter, seien sie frei oder unfrei) vor ihm erscheinen sollen. Sein Geschäftsstellenbeamter Rufinus646 wird mit der Ausführung der Anordnung beauftragt und führt die Bewohner vor Gericht, als sie ihm gewaltsam entrissen werden. Zum zweiten Mal wird also ein Beamter der Stadtpräfektur am Vollzug eines dienstlichen Auftrags gehindert. Aus den Akten war ersichtlich, wer die Urheber dieser rechtswidrigen Handlungen, facti incivilis, waren. Es handelte sich offensichtlich um Leute des Olybrius. Symmachus aber stellt die Ahndung dieser Missachtung des Gerichts fürs erste zurück und erteilt erneut Anweisung an seine Leute, die notwendigen Zeugen zu laden. Die Verwalter des Olybrius halten sich nun zurück, sie erscheinen auch nicht vor Gericht, und nachdem die übrigen Zeugen beiseite geschafft worden waren, werden nun wieder die Erben des Theseus als Gegner vorgeschoben. Ein einziger Zeuge erscheint vor Gericht und stellt sich als Freigelassener des verstorbenen Theseus vor. Auf die Frage, wo die Bewohner des Landguts geblieben seien, antwortet er, dass sich einige versteckt hätten, während die Sklaven647 des Scirtius in ein Landhaus, (sub)urbana villa, des Olybrius gebracht worden seien; vielleicht schon gleich bei dem Überfall, jedenfalls aber mittlerweile. Olybrius wird auch hier als Urheber der Tat und des Bemühens um Beweisvereitelung deutlich erkennbar. Symmachus verzichtet eigens darauf, auf die weiteren Aussagen des Freigelassenen des Theseus einzugehen, obwohl, wie er anmerkt, das Beweisverbot, einen Freigelassenen 645
Über ihn ist sonst nichts bekannt: Enßlin, RE-Theseus 3, 14; nichts in PLRE I. Sonst unbekannt: PLRE I, Rufinus, 774. Er ist officialis, also ein einfacher Beamter im officium urbanum. 647 Auch die Verwalter solcher Landgüter, actores, waren in der Regel Sklaven, vgl. z. B. Ep. IX, 6 und Krause, Spätantike Patronatsformen, 146 ff. 646
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als Zeugen gegen seinen Freilasser zu vernehmen648, nicht wirklich einschlägig war, da er noch vom Vater der Minderjährigen freigelassen worden war. Er durfte also gegen die Kinder aussagen. Trotzdem zweifelt Symmachus am Beweiswert der Aussage und verwertet sie nicht, jedem Vorwurf, unzulässig oder einseitig Beweis erhoben zu haben, vorbeugend. Er unterstreicht seine sorgfältige, unparteiische Prozessleitung, erweist sich als vorsichtig649, befürchtet offenbar Einwendungen. Seit Konstantin genügte ein einziger Zeuge sowieso nicht mehr650. So erhebt Symmachus weitere Beweise: Die Stadträte von Praeneste, in dessen Gebiet das cäsarianische Landgut lag, werden vor Gericht geladen; jedenfalls einige von ihnen651. Jetzt endlich taucht auch ein Vertreter, procurator, des Olybrius vor Gericht auf, ein Mann senatorischen Ranges namens Tarpeius652, nun doch aus der Reserve gelockt. Symmachus hatte ihn bzw. Olybrius vermutlich längst vor Gericht geladen, inzwischen war ihm wohl die Klage auch zugestellt worden653. Seine Anwesenheit vor Gericht wird bereits erwartet, er bzw. Olybrius war also offiziell beklagt. Auf gerichtlichen Druck erscheint auch ein Vertreter der Minderjährigen, ein defensor654. Gegen 648 Der libertus kann nicht gegen den patronus Zeuge sein, vgl. schon D XXII, 5, 4; XXII, 5, 3, 5; Collatio IX, 3, 3/PS V, 15, 3. Erst später wurde das Verbot auf die Erben des Patrons ausgedehnt: CT IV, 10, 2 (423). 649 Bonfils, Prassi, 153, meint, Symmachus habe aus Rücksichtnahme auf den Standesgenossen Olybrius keine genaueren Angaben gemacht. Tatsächlich aber nimmt Symmachus hier weniger Rücksicht auf Olybrius als auf die Erben des Theseus und den Freigelassenen. Er will rechtlichen Einwendungen dieser Seite vorbeugen. Olybrius’ Verantwortlichkeit macht Symmachus an mehreren Stellen der Relation deutlich, von Rücksichtnahme ist insoweit wenig zu spüren. 650 CT XI, 39, 3 (334); s. a. Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 605. Nach der genannten Konstitution beurteilt sich die Glaubwürdigkeit des Zeugen nach dessen sozialer Stellung. 651 In §§ 6 bzw. 9 ist die Rede von optimates bzw. principales. Vergleichbar ruft Symmachus in Rel. 49 die summates von Aricia zu Zeugen an. Es wird sich dabei um die führenden Kurialen gehandelt haben, die sich etwa um die Steuereinziehung kümmerten; als Kuriale hafteten sie auch für Steuerausfälle (vgl. zur Kurialenflucht bei Rel. 38). Vera, Commento, 212, spricht sich hier für die decemprimi von Praeneste aus. Dagegen entnimmt Liebs, Landraub, 96, den Worten Praenestini curiales, quorum in regione ..., dass es sich um diejenigen Stadtväter von Palestrina gehandelt habe, deren Besitz im Gebiet von La Casarina lag. 652 Tarpeius wurde von Olybrius zum procurator, d. h. Prozessvertreter (zu dieser Funktion bei Rel. 19), bestellt. Seit CJ II, 12, 25 (391: Seeck, Regesten, 279; galt wohl auch im Westen) wäre Olybrius als illustris sogar rechtlich gezwungen gewesen, einen procurator zu bestellen, und hätte selbst gar nicht mehr vor Gericht auftreten dürfen. Tarpeius ist offensichtlich Anwalt, der die Sache vor Gericht vertreten soll; mehrfach ist in der Relation von defensores die Rede, so auch bei ihm. Sonst ist über ihn nichts bekannt: PLRE I, 875. 653 Entgegen Steinwenter, Briefe 15, kann insoweit von einem korrekten Verfahrensgang ausgegangen werden. In der Relation als bloßem Begleitschreiben geht Symmachus nicht auf unproblematische und daher überflüssige Einzelheiten einer Klagezustellung ein. 654 Die Kinder des Theseus waren minderjährig, also über 12 (soweit Mädchen) bzw. 14 und unter 25 Jahre alt, brauchten also keinen Vormund mehr, wohl aber einen Pro-
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Scirtius treten also zwei gegnerische Parteien auf und machen Ansprüche an der massa geltend. Obwohl die Vertreter des Olybrius und der Erben des Theseus in Einzelheiten unterschiedlicher Meinung sind, kämpfen sie doch im Wesentlichen zusammen gegen Scirtius. Die Kinder werden dabei nach dem Zeugnis der Relation zunächst nur vorgeschoben, waren also anfänglich wohl nicht beklagt. Scirtius beschuldigt nur Olybrius des Landraubs, doch treten auch die Kinder bzw. ihr Vertreter schließlich vor Gericht gegen Scirtius auf. Sie wurden offensichtlich vor Gericht geladen und legen gegen das Urteil dann auch Rechtsmittel ein, sind also inzwischen Partei geworden. Tarpeius könnte ihnen den Streit verkündet, ihre Nebenintervention begründet haben oder Scirtius könnte sie auf Anregung des Gerichts doch noch mitverklagt haben655. Symmachus schreitet nun zur Untersuchung der Besitzfrage, die zwischen den Parteien, d. h. Scirtius, der bis zum Ende ohne Anwalt streitet, auf der einen und den beiden Prozessvertretern auf der anderen Seite, streitig ist, und geht dann rechtmäßig, wie Symmachus betont, zur Befragung der Zeugen über. Symmachus ordnet an, dass die Stadträte - wie es üblich sei - ihm einer nach dem anderen vorgeführt werden und befragt sie einzeln nach Namen, Stand und dann zur Sache. Er erfragt die rechtmäßigen Besitzer der Grundstücke und erkundigt sich danach, wer die jährlichen Steuern und Abgaben bezahlt hat. Es stellt sich heraus, dass Scirtius die Grundsteuer und sonstigen regelmäßigen656 Abgaben an die Kurie entrichtet hatte. Alle Zeugnisse fallen zugunsten des Scirtius aus. Damit stand fest, dass er gemeinsam mit Theseus657 das Gut in Besitz gehabt hatte. Symmachus untersucht daraufhin, wann und von wem er aus dem Besitz gesetzt worden ist. Die Zeugen sagen übereinstimmend, es sei ungefähr zwei Monate her, dass ihn Männer des Olybrius vertrieben haben (expulerunt, § 5). Ganz anders als in Relation 49 knicken die Kurialen hier also nicht ein vor dem Einfluss (und der möglichen Rache) des Senators, sondern machen zu seinen Lasten eine klare Aussage. Scirtius hatte die invasio (§ 1), die von Olybrius angezettelt worden war, also rechtzeitig binnen der von der zessvertreter. Bei Symmachus und in anderen Quellen ist defensor regelmäßig der Parteivertreter, vgl. Nachweise bei Rel. 19 und Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 563 mit Fn. 56. Vgl. auch Kaser, Privatrecht II, 223: Auch der curator minoris wird als defensor bezeichnet. 655 Vgl. zu diesen Vermutungen Liebs, Landraub, 96 Fn. 43. Zur Nebenintervention s. Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 484. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 372, spricht von Streitgenossenschaft bzw. (gemischter) Intervention: Scirtius ist Kläger, Olybrius der wahre Beklagte; die Kinder sind mit beiden im Streit, verbünden sich aber mit Olybrius zur gemeinsamen Verteidigung gegen Scirtius. 656 Laut Vera, Commento, 215, sind mit functiones außerordentliche Abgaben gemeint. Dagegen spricht jedoch, dass Symmachus nach den jährlichen, also regelmäßigen Steuern fragt. 657 Er war wohl zwar Mitinhaber, von der Verpflichtung zur Entrichtung der anfallenden Steuern nach der Schenkungsvereinbarung (dazu unten) aber wohl freigestellt. Jedenfalls hatte, wie Symmachus feststellt, (nur?) Scirtius Steuern auf das Grundstück bezahlt und war daher als Besitzer erwiesen.
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Vertreibung an laufenden Jahresfrist658 angezeigt. Nachdem Symmachus die Kurialen659 angehört hat, lässt er erneut die Streitenden mit ihren Anwälten vor und gibt ihnen die Beweisaufnahme bekannt. Die Zeugenvernehmung hatte also in Abwesenheit der Parteien stattgefunden660; sie wurde vermutlich protokolliert und den Parteien eine Abschrift ausgehändigt661. Auf diese für ihn ungünstigen Aussagen hin, geht nun Tarpeius in die Offensive, lenkt von der Frage des Besitzes, die so eindeutig zu seinen Ungunsten ausgegangen war, ab und wendet sich der Eigentumsfrage zu, um damit die Vertreibung zu begründen und die drohende Verurteilung in Sachen Besitz zu vermeiden. Er behauptet, Olybrius habe die Hälfte des Gutes durch den Tod des Theseus erworben. Dem entgegnet Scirtius, dass er hinsichtlich der Hälfte, die die Minderjährigen auch mit seinem Einverständnis in ihrem Besitz hatten, dem nicht entgegentrete und dass es ihm gleichgültig sei, ob die Verwalter (actores) des Olybrius oder die Erben des Theseus diesen Teil nutzen. Scirtius widerspricht also der Aussage des procurator nicht, sondern gesteht hinsichtlich der einen Grundstückshälfte unumwunden ein, dass sie ihm nicht mehr gehöre. Offenbar war diese eine Hälfte nie Streitgegenstand gewesen, denn von Anfang an hatte Scirtius nur seinen Teil der massa zurückgefordert, vgl. § 2. Nun aber beginnen die Vertreter des Olybrius und der Minderjährigen mit aufeinander abgestimmten Vorstößen, den Scirtius in die Enge zu treiben, indem sie anführen, dass Scirtius eine Hälfte des Landgutes im Auftrag der mittlerweile verstorbenen Senatorin Fariana662 brieflich dem Theseus übertragen habe, nach dessen Tod sie dann wohl Olybrius erworben habe, berücksichtigt man das bisherige Vorbringen des Tarpeius; die andere Hälfte aber habe er den Kindern des Theseus freiwillig geschenkt, spontanea largitate. Die Beklagtenseite versucht also, die Vertreibung letztlich zu rechtfertigen, indem sie behauptet, Scirtius habe sein gesamtes Eigentum weggegeben und sei daher selbst unrechtmäßig im Be658
CJ VIII, 4, 2 (293); Itp. CT IV, 22, 1 und 6; Itp. CT II, 4, 5; s. a. FV 312. Bonfils, Prassi, 158, meint, er habe auch Zeugen des Olybrius angehört, deren Aussagen aber nicht mitgeteilt. Das aber ergibt sich nicht aus der Relation und ist Spekulation. 660 Anders aber Bethmann-Hollweg, Civilprozess III, 369 Fn. 41; ihm folgend Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 606 Fn. 75. 661 Vgl. CJ IV, 20, 20 (530); § 6: quaesita et responsa partibus intimantur, d. h. Symmachus unterstreicht auch hier noch einmal die Ordnungsmäßigkeit seines Verfahrens. 662 Sie ist sonst unbekannt: PLRE I, Fariana, 324. Welche Beziehung sie zu Scirtius bzw. Theseus hatte, geht aus der Relation nicht hervor. Bonfils, Prassi, 154; ebenso Vera, Commento, 216, vermuten, Scirtius sei nicht Eigentümer des Gutes gewesen, sondern nur berechtigter Besitzer. Die massa hätte ursprünglich der Fariana gehört. Er habe nur ihren Auftrag vollzogen und die andere Hälfte möglicherweise bei ihrem Tod erworben. Dagegen spricht aber, dass im Laufe des Verfahrens vor Symmachus durchaus das Eigentum des Scirtius diskutiert wird. Er war offensichtlich nicht nur rechtmäßiger Besitzer, sondern ursprünglich auch Alleineigentümer des Gutes. Vielleicht war er Schuldner der Fariana und Theseus wiederum ihr Gläubiger und traf man eine Verrechnungsabrede. 659
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sitz eines mittlerweile fremden Gutes gewesen. Scirtius entgegnet darauf, es handele sich in den Privatbriefen um dasselbe, was er auf Theseus und die Kinder übertragen habe; auf Bitten des Theseus hin habe er an die Kinder geleistet, so dass seine Wohltat durch das Zeugnis der Akten bekräftigt werde, § 7. Beide Vorgänge beträfen dieselbe Grundstückshälfte. Es gab also tatsächlich zwei dokumentierte Schenkungsvorgänge, die der Gegenseite Anlass gaben zu behaupten, es sei in zwei Schenkungen insgesamt das Ganze weggegeben worden. Ihrer Behauptung widerspricht aber die durchaus plausible Darstellung des Scirtius: Er hatte auf Geheiß der Fariana die Hälfte der massa brieflich - und damit nicht wirksam nach Schenkungsrecht663 - dem Theseus geschenkt und später auf Bitten des Theseus den Kindern diese Schenkung durch offizielle Erklärung zu den Akten der Gemeinde vollzogen, d. h. eben diese Hälfte nunmehr formwirksam verschenkt, indem er sie auf die damals offenbar noch unmündigen, d. h. unter 12 bzw. 14 Jahre alten Kinder des Theseus, dessen spätere Erben664, übertrug. Offenbar, so vermutet Liebs665, wünschte Theseus, dass seine damals noch kleinen Kinder und späteren Erben in den Gemeindeakten von vornherein als Eigentümer erscheinen, zunächst notgedrungen neben ihm; denn solange er lebte, war er nicht nur ihr pater familias, sondern dadurch rechtlich auch Inhaber des Eigentums der Kinder. Die Ersparnis von Erbschaftssteuer sei allerdings kaum das Motiv der Einbeziehung der Kinder gewesen, da die Kinder wohl weder emanzipiert noch Peregrine waren; nur dann wären sie schon damals rechtsfähig - gemeint: eigentumsfähig - gewesen. Symmachus lässt sich zunächst tatsächlich auf die Eigentumsdiskussion ein und nimmt Einsicht in das Schenkungsprotokoll (gesta), wohl die Gemeindeakten von Praeneste, wo seit den Zeiten Kaiser Konstantins aus Beweis- und nicht zuletzt aus fiskalischen Gründen Grundstücksschenkungen zu registrieren waren. Da die späteren Protokolle der Übertragung auf die Kinder tatsächlich belegen, dass die Hälfte des Gutes zu ideellem Bruchteil, pro indiviso, auf sie übertragen worden ist, stellt Symmachus fest, dass der Schenker Scirtius sich offensichtlich einen Teil vorbehalten hatte. Denn, so fragt Symmachus, wes663 Die litterae familiares genügten nicht den konstantinischen Schenkungsvorschriften, die außer der Beurkundung und körperlichen Sachübergabe vor Zeugen auch eine behördliche Registrierung forderten. Die Schenkung bewirkte dann zugleich den Eigentumsübergang, vgl. FV 249 (323: Seeck, Regesten 88; 172), verändert in CT VIII, 12, 1 (pr. = III, 30, 2), teilw. = CJ VIII, 53, 25; zu den konstantinischen Schenkungsvorschriften s. a. Simon, Konstantinisches Kaiserrecht, 84 ff; Dupont, Donations, v. a. 298 ff; Kaser, Privatrecht II, 394 f; 280 f. Insbesondere die Registrierung wird in verschiedenen Konstitutionen im Titel CT VIII, 12 immer wieder eingeschärft; die Praxis neigte offenbar zu Lockerungen. Eine Schenkung ohne Einhaltung der konstantinischen Formvorschriften war nichtig: CT VIII, 12, 6 (341); 7 (355). 664 So zutreffend Liebs, Landraub, 93. Verfehlt Chastagnol, Préfecture, 106, und Bonfils, Prassi, 147, wonach beim Tod bzw. infolge des Todes von Theseus Scirtius die Schenkung den Kindern und Erben bestätigt habe. Laut Text der Relation handelt es sich nicht um eine Übertragung nach dem Tod des Theseus. 665 Landraub, 93.
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halb hätte er einen ideellen Bruchteil weggegeben, wenn nichts übriggeblieben wäre, was er für sich selbst zurückbehielt? Die Akten scheinen Scirtius also recht zu geben und allzu blass klingen in der Tat die Formulierungen des Tarpeius: spontanea largitate gegenüber den Kindern und Eigentumserwerb des Olybrius durch den Tod des Theseus. Zutreffend weist in diesem Zusammenhang Liebs666 darauf hin, dass der procurator (selbst wahrscheinlich kein Jurist) hier Abläufe vorträgt, die rechtlich kaum vorstellbar, wenn nicht ausgeschlossen waren: Grundstücksschenkung durch Brief, Eigentumsübertragung auf gewaltunterworfene Kinder und unspezifizierter Erwerb von Todes wegen667, die alle zusammen eher unwahrscheinlich und unglaubwürdig anmuten. Olybrius’ Vertreter scheint Verwirrung stiften zu wollen, wozu ihm jedes Argument recht ist. Das hat insofern Erfolg, als Scirtius und Symmachus sich geduldig auf sein Vorbringen einlassen. Offenbar hat Olybrius nach dem Tod des Theseus die Kinder für sich eingenommen, um Scirtius um seine verbliebene Hälfte zu bringen. Schließlich hat er, mehr oder weniger im Einvernehmen mit den Kindern, dem Scirtius seine Hälfte einfach wegnehmen lassen. Faktisch beherrschte er auch die Hälfte der Kinder weitgehend, wie sich im Prozess zeigt, denn mehrfach schiebt er die Kinder vor, um seine Interessen zu verteidigen, wenngleich an mehreren Stellen der Relation (§§ 4, 8 und 10) auch deutlich wird, dass diese bzw. ihre Prozessvertretung in der Frage der Eigentumsverhältnisse an der massa nicht mit der Darstellung des Tarpeius einverstanden sind. Auch die Prüfung der Eigentumsverhältnisse verlief also bislang für Olybrius negativ. Im Ergebnis lässt Symmachus die Frage allerdings offen und weist zutreffend darauf hin, dass all das ja die Eigentumsfrage betreffe, ad proprietatis causam...pertinere, § 8. Zunächst sollte jedoch die Besitzfrage geklärt werden und insoweit stand bereits fest, dass Scirtius Mitbesitz gehabt hat, von dem er gewaltsam durch Männer des Olybrius vertrieben worden ist. Bei Symmachus verfängt also das Ablenkungsmanöver (doch) nicht und er hält sich an die alte Regel668 der Trennung des Possessorium vom Petitorium. Darauf führen die Beklagtenanwälte, die sich in der Eigentumsfrage offenbar doch Erfolg versprachen, eine Kaiserkonstitution an (zur Identifizierung s. unten 3b), die den Richtern gestattete, sie aber nicht verpflichtete, dass sie, wenn sie über den Besitz an einer Erbschaft669, de possessione successionis, § 8, urteilen, sogleich, jedenfalls wenn der Fall es zulässt, auch über das Recht, de iure, entscheiden. Mit diesem Vorbringen erklären die Anwälte, zu dem anderen Streitpunkt übergehen zu wollen, d. h. sie wollen die Frage des Eigentums entschieden haben und die Besitzfrage übergehen. Allerdings, so fährt Symmachus in § 8 fort, 666
Landraub, 94. Ein Rechtsgrund wird nicht genannt; Vermächtnis, Fideikommiß, Schenkung von Todes wegen aber hätten allesamt bestimmte Formerfordernisse zu erfüllen und Erben waren bereits die Kinder. 668 Vgl. etwa CJ VIII, 1, 3 (293); III, 32, 13 (293) und unten 3 b). 669 Ungenau hier Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 370: „wenn sie über den Besitz erkennen“. Dazu noch unter 3. 667
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sollte offenbar nicht nur Scirtius wegen der Eigentumsfrage bedrängt werden, denn auch sie selbst hatten untereinander über diesen Punkt Meinungsverschiedenheiten. Es scheint unklar, ob jeder dieselbe Hälfte für sich beanspruchte oder zusammen das Ganze von den Beklagten in Anspruch genommen wurde; sie verweigern jedenfalls Herausgabe an Scirtius, ohne sich aber untereinander über das Eigentum einigen zu können. Symmachus akzeptiert zwar die angeführte Konstitution, fällt aber trotzdem ein Urteil nur in der Besitzfrage, de possessione...iudicavi, § 9, entsprechend den Urkunden des Scirtius und den Aussagen der Kurialen, d. h. er verurteilt zu (einstweiliger) Rückgabe der entrissenen Hälfte an Scirtius, momenti reformatio, während seinen Gegnern die andere Hälfte tatsächlich und rechtlich bestätigt wird. Symmachus entscheidet offenbar auch über das Eigentum insoweit mit, als es nicht streitig war. Da es Scirtius gleichgültig war, ob die Kinder des Theseus oder Olybrius die andere Hälfte innehatten, wird sie ihnen, d. h. Olybrius bzw. den Kindern (über mehr entscheidet Symmachus nicht), zuerkannt. Die Hauptsache, principalem...causam, die Frage des Eigentums an der anderen Hälfte aber behält Symmachus künftiger Untersuchung vor. Er erteilt alsbald eine Ausfertigung seines Urteils, wie es Tarpeius sogleich verlangt hat, der dann - siegesgewiss auftrumpfend? - anzeigt, sogleich Berufung einlegen zu wollen. Um das abzuwehren, bringt Scirtius nun seinerseits gesetzliche Bestimmungen, sanctiones, vor, wonach in einem Fall von Wiederherstellung des gegenwärtigen Besitzes kein Raum für Appellationen sei, in reformatione momenti nullum esse appellationibus locum, § 10. Davon unbeeindruckt zeigen der procurator des Olybrius und der Anwalt der Minderjährigen, von denen man während des Prozesses noch geglaubt hat, dass sie unterschiedlicher Meinung sind, am folgenden Tag ihre Eintracht, denn sie legen gemeinsam Berufung an den Kaiser ein, rechtzeitig aber unzulässig. Olybrius ist es also gelungen, die Minderjährigen bzw. ihren Vertreter auf seine Seite zu ziehen, obgleich sie eigentlich in der Hauptsache gegenläufige Interessen hatten. Erst hat er sie in den Prozess hineingezogen, an dem sie im Grunde kein Interesse hatten, da Scirtius ihnen ihre Hälfte nicht streitig machte, und nun erreicht er auch in Sachen Berufung ein gemeinsames Vorgehen. Er instrumentalisiert die Kinder für seine Zwecke, wird sie wahrscheinlich auch unter Druck gesetzt haben. Olybrius beansprucht letztlich das gesamte Landgut für sich und dazu ist es erforderlich, dass auch die Kinder Rechtsmittel einlegen. Allerdings waren auch die Kinder durch das Urteil des Stadtpräfekten belastet, da ihnen darin keine eindeutigen Rechte an dem Landgut, das ihnen zur Hälfte jedenfalls einmal gehört hatte bzw. noch immer gehörte, zuerkannt wurden. Symmachus hatte ihnen und Olybrius gleichermaßen Rechte an einer Hälfte eingeräumt; ihr hälftiges Alleineigentum wurde damit zur Disposition gestellt. Wenn sie außerdem derzeit faktisch das Gut auch nur zum Teil in Besitz haben sollten, wären sie insoweit jedenfalls zur Einräumung hälftigen Mitbesitzes an Scirtius verurteilt worden. Sie waren potenziell ebenso wie Olybrius betroffen. Auch die Kinder sind als Verfahrensbeteiligte also durch das Urteil beschwert und wären damit an-
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fechtungsberechtigt, sofern eine Anfechtung überhaupt in Betracht kommt. Ihr Appellationsrecht wird von Symmachus auch nicht in Frage gestellt. Verfehlt ist die Erklärung von Bonfils670, der meint, die Kinder, die nicht senatorischen Standes waren, hätten kein eigenes Appellationsrecht gegen das Urteil des Stadtpräfekten gehabt und sich daher dem Rechtsmittel des Olybrius anschließen müssen. Jede Partei, gleich welchen sozialen Status sie hatte, konnte grundsätzlich gegen das Urteil des Stadtpräfekten appellieren, wie auch andere Relationen zeigen. Die Relationen 16, 19, 32, 33 und 41 betreffen Senatoren ebenso wie Nicht-Senatoren. Symmachus erkennt zwar an, dass Scirtius recht hat; die Berufung gegen sein Besitzurteil wäre eigentlich nach der eindeutigen Rechtslage als unzulässig zurückzuweisen; er nimmt die unzulässige Berufung aber trotzdem an und übergibt den Fall dem Kaiser, indem er das Verfahren der appellatio more consultationis einschlägt. Dass die Appellation unzulässig ist, ist unstreitig, beeindruckt die Berufungsführer und auch den Richter aber nicht. Symmachus ist nicht willens, vielleicht auch zu schwach, das Rechtsmittel zurückzuweisen, und gibt dem einflussreichen und reichen Standesgenossen nach. Der vom Gesetz für solche Fälle eigentlich vorgesehene rasche und effektive Besitzschutz ist damit faktisch außer Kraft gesetzt. Die Dreistigkeit der Beklagtenseite, die Gesetze einfach zu ignorieren, hat zunächst einmal Erfolg und erreicht wenigstens Aufschub. Die erzwungenen Besitzverhältnisse bleiben erst einmal unangetastet und es ist mehr als fraglich, ob die Gewalttat in überschaubarer Zukunft rückgängig gemacht wird. Eine Begründung für seine rechtswidrige Annahme der Berufung gibt Symmachus am Anfang seiner Relation: Der Kaiser solle selbst über die verwerfliche Gewalttat urteilen. Er soll von der üblen Tat erfahren und sehen, wie maßvoll Symmachus entschieden hat, ihn also bestätigen und (§ 11) anhand dieses Falles die allgemeine Sicherheit schützen. Damit schließt Symmachus seinen Sachbericht. Nun hänge das Schicksal des Rechtsstreits von der kaiserlichen Entscheidung ab. Die Protokolle und ergänzenden Parteianmerkungen habe er beigefügt; dadurch informiert werde der Kaiser geruhen, am Beispiel eines Falles für die Sicherheit aller zu sorgen, d. h. eine Präzedenzentscheidung treffen, um dem Rechtsfrieden aller zu dienen. Im Folgenden sind nun die konkreten juristischen Verfahrensabläufe genauer zu betrachten, vor allem aber wird zu fragen sein, warum Symmachus eine rechtswidrige Berufung bewusst annimmt. Seine dürren Worte in der Relation sind allzu blass für eine befriedigende Erklärung.
670
Prassi, 170 f.
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3. Der Verfahrensgang im Einzelnen a) Besitz- und Eigentumsfrage: reformatio momenti und principalis causa Relation 28 zeigt, wie auch die damaligen Rechtsquellen zur gewaltsamen Besitzentziehung671, dass vom Streit um Eigentum Besitzschutzverfahren zu unterscheiden sind. Der Besitz, die tatsächliche Sachherrschaft, wird vom Recht, dem Eigentum, unterschieden; Possessorium und Petitorium sind, wie schon in Relation 16, klar abgegrenzt. Das Besitzschutzverfahren begann ohne Anhörung der anderen Partei allein auf (hier mehrfaches672, zunächst offenbar erfolgloses) Gesuch des im Besitz Gestörten mit integratio status, Wiederherstellung des Besitzstandes. Da die Störung hier eine gewaltsame Entziehung war, wohl ein interdictum unde vi673, eine amtliche Aufforderung, den Besitz zurückzugeben; jedenfalls eine richterliche Aufforderung nach Art eines interdictum unde vi. Ohne Prüfung der materiellen Berechtigung wird aufgrund glaubhaften Sachvortrags auf Restitution erkannt. Scirtius wird damit einstweiliger Rechtsschutz zuteil, ohne die Fristen der Litisdenuntiation. Symmachus betraut einen seiner Beamten mit der Vollstreckung. Als diese aber scheitert, wird das Besitzverfahren fortgesetzt und nun auch Beweis erhoben. Das Verfahren endet mit einem Besitzurteil. Aus der Relation ergibt sich somit ein zweistufiges Besitzschutzverfahren vor dem Stadtpräfekten: Zunächst ergeht 671 Klar unterschieden wird Wiedereinsetzung in den Besitz und Entscheidung über das Recht, s. etwa CT IX, 10, 3 (319: Seeck, Regesten, 58; 169; für 317 hingegen Chastagnol, Préfecture, 91 Fn. 5); II, 18, 3 (325); IV, 22, 1 (326); II, 26, 1 (330); XI, 37, 1 (386). Zum Thema: Kaser, Privatrecht II, 256 ff (Besitzschutz); 292 ff (Eigentumsschutz); Levy, WRVL, v. a. 243 ff. 672 Bonfils, Prassi, 164; ihm folgend Solidoro Maruotti, La tutela del possesso, 112 Fn. 14, schlagen hingegen vor, das crebra mit drängend oder nachdrücklich zu übersetzen. 673 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 346 Fn. 20; 366 f; 372; Kipp, Erbschaftsstreit, 87; Steinwenter, Briefe, 15; Malafosse, Interdit, 66 f, der von einem interdictum unde vi ausgeht, ohne allerdings die Zweistufigkeit des possessorischen Verfahrens vor Symmachus zu unterscheiden; Chastagnol, Préfecture 105: Interdikt momentariae possessionis oder unde vi; Kaser, Privatrecht II, 257 Fn. 4; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 619 Fn. 12; 638 Fn. 15; Bonfils, Prassi, 164 f; Liebs, Landraub, 95. Dagegen: Ubbelohde, Die Interdicte, 430 ff, der meint, es habe zu jener Zeit kein Interdiktenverfahren mehr gegeben. Er sieht in Relation 28 eine reine Polizeiangelegenheit und keinen Zivilprozess. Das widerspricht jedoch dem von Symmachus berichteten Gerichtsverfahren mit Rechtsmitteleinlegung. Die Relation beschreibt eindeutig den Ablauf eines Zivilverfahrens, nicht aber ein polizeiliches Verfahren. Dass es Interdikte auch im nachklassischen Kognitionsprozess noch gab, wurde bereits bei Relation 16 für das interdictum quorum bonorum gezeigt (s. a. bei Rel. 33). Die Quellen belegen für jene Zeit auch ein Fortbestehen des interdictum unde vi als Entscheidungsform im Besitzschutzverfahren, vgl. etwa CJ VIII, 4, 2 (293); 4 (294); FV 312; CT IX, 20, 1 (378); in CT II, 1, 8 (395) ist die Rede vom interdictum momentariae possessionis, das (auch) für Fälle von vis einschlägig ist; s. a. CT IV, 22/CJ VIII, 4-Titel: und vi. Das Besitzverfahren wurde jedenfalls nach Art des Interdikts geführt, vgl. schon CJ VIII, 1, 3 (293).
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ein Restitutionsbefehl ohne Anhörung der Gegenseite; daran schließt sich ein gerichtliches Verfahren mit Beweiserhebung und mündlicher Verhandlung an. Petitorische Einwendungen spielen hier keine Rolle; insbesondere wird nicht über Eigentum des Olybrius an dem Gegenstand des entzogenen Mitbesitzes befunden. Das Verfahren schließt mit einer sententia, die inappellabel ist und reformatio momenti gewährt: Besitzrestitution nach bloßer Feststellung gewaltsamer Besitzentziehung. Im Rahmen des Besitzprozesses wird der durch verbotene Eigenmacht geschaffene Zustand beseitigt. Die unterlegene Partei mag dann einen Eigentumsprozess führen674. Zur Entscheidung steht eine gewaltsame Grundstücksentziehung und damit eine klassische Situation unde vi. Das interdictum unde vi diente dem Schutz des Grundstücksbesitzers gegen Entziehung des Besitzes. Dieses Besitzverfahren wird, wohl seit Konstantin, auch als Streit um die momentaria possessio oder das momentum bezeichnet675, weil der augenblickliche Besitz, wie er zur Zeit der Störung bestanden hatte, wiederhergestellt werden soll. Das Verfahren griff, wie sich bereits in der Begrifflichkeit niederschlägt, einem Eigentumsstreit nicht vor. Der in der actio/causa momentaria/momentanea/momenti Unterlegene konnte trotzdem noch einen Eigentumsstreit beginnen, jetzt causa principalis genannt. Das ist auch der Sprachgebrauch in Relation 28, §§ 1 und 10: momenti reformatio meint Gewährung von Besitzschutz in einem Fall von gewaltsamer Grundstücksentziehung676; unterschieden in § 9 von der principalis causa677, der Eigentumsfrage. Nach Anhörung der Parteien und Beweisaufnahme wird in einer sententia über die Wiedereinräumung des „augenblicklichen Besitzes“ (momentum) entschieden. Scirtius leitete wohl, nachdem die 674 Ähnlich dem Besitzschutz nach §§ 861 ff BGB gegen Besitzentziehung und -störung bei verbotener Eigenmacht: Rasche Wiederherstellung des gewaltsam entzogenen Besitzes, ggf. einstweilige Verfügung auf Herausgabe. Das Eigentum kann dann in einem selbständigen Verfahren geprüft werden. 675 Kaser, Privatrecht II, 257; s. CT IV, 22, 1 (326); CJ III, 16, 1 (366): momentaria possessio postulanda est; CT XI, 37, 1 (386); II, 1, 8, 1 (395); IV, 22, 4 (396); II, 4, 6 (406). Momentum/momentaria possessio bezeichnet den einstweiligen Besitz; dazu: Cannata, Possessio 91 ff m.w.N.; Solidoro Maruotti, La tutela del possesso, 132 ff; Levy, WRVL, 245 ff: die Besitzklage sei momentum. 676 Offen kann bleiben, ob das nur für solche Fälle galt oder ob momentum damals schon allgemein einstweiligen Besitzschutz gewährte, nicht nur in Fällen gewaltsamer Besitzentziehung, sondern auch bei bloßer Besitzstörung half. Das interdictum momentariae possessionis in CT II, 1, 8 (395) scheint jedenfalls umfassenden einstweiligen Besitzschutz zu gewähren; es erfasst mehr als das (frühere, reine) unde vi (vgl. auch bei Rel. 33). Zweifelhaft die These von Malafosse, Interdit, 33 ff; 146 ff (152 f), der ein spezielles interdictum momentariae possessionis vom unde vi unterscheidet, das er aus CT IV, 22, 1 (326) ableitet. Dagegen: Levy, WRVL, 262; s. schon Bruns, Besitzklagen, 88 ff. 677 Vgl. den parallelen Wortlaut in einschlägigen Kaiserkonstitutionen: negotium principale in CT IX, 10, 3 (319) und XI, 36, 14 (361); negotium in CT IV, 22, 2 (380: Seeck, Regesten, 86; 254); principalis quaestio in CT II, 18, 3 (325); CJ III, 19, 2 (331) oder causa in CT IV, 22, 1 (326); II, 14, 1 (400).
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Wiedererlangung des Besitzes zunächst gescheitert war, offiziell das Besitzschutzverfahren ein678, ohne Litisdenuntiation mit Viermonatsfrist, denn nach der Zeugenaussage ist der Vorfall keine drei Monate her. Über die reformatio momenti wurde also offensichtlich ohne formelle Litisdenuntiation verhandelt und entschieden679. Der durch gewaltsame Besitzentziehung geschaffene Zustand wurde rasch und nach dem Willen des Gesetzgebers, der Berufungen ausschloss, erst einmal endgültig rückgängig gemacht. Auf diese Weise sollte effektiver zivilrechtlicher Besitzschutz680 gewährleistet werden. Es handelte sich nach dem Zeugnis der Relation nicht um ein bloß summarisches Verfahren, sondern Symmachus prüft die Rechtsfragen ausführlich, sieht Unterlagen ein, lädt Zeugen vor und vernimmt sie. Die Eigentumsherausgabeklage, eine rei vindicatio in ihrer nachklassischen Gestalt681, war solange untunlich. Festgestellt wurde nur die gewaltsame Besitzentziehung, die unbestreitbar feststand. Daher versucht die Beklagtenseite, sogleich auf das Petitorium zu rekurrieren. b) Die constitutio Die Beklagtenseite führt eine constitutio an, § 8, die den Richtern gestattete, sie aber nicht verpflichtete, dass sie, wenn sie de possessione successionis urteilen, sogleich, wenn der Fall dies zulässt, auch über das Recht, de iure, entscheiden. Damit wollen sie zur Eigentumsfrage übergehen, in der sie sich offenbar mehr Erfolg versprachen, jedenfalls wenn sie die Beklagtenrolle bekommen. Diese Konstitution wurde verschiedentlich682 mit CT II, 18, 3 (325; verändert in CJ III, 1, 10), gerichtet an den Stadtpräfekten, identifiziert: Nulli prorsus audientia praebeatur, qui causae continentiam dividit et ex beneficii praerogativa id, quod in uno eodemque iudicio poterat terminari, apud diversos iudices voluerit ventilare: poena proposita, si quis contra hanc supplicaverit sanctionem atque alium super possessione, alium super principali quaestione iudicem postulaverit, ut, rei quae petebatur integra aestimatione subducta, 678
Nicht überzeugend hier Chastagnol, Préfecture, 105: nach Erlass des Interdikts hätten die Erben des Theseus und der procurator des Olybrius reformatio momenti im Sinne einer Aufhebung der Zwischenentscheidung gefordert und dann habe der Stadtpräfekt das possessorische Verfahren wieder aufgenommen. Das von Scirtius eingeleitete possessorische Verfahren ist einheitlich. 679 Die Quellen verlangen dementsprechend ausdrücklich eine rasche Besitzrestitution: CT IX, 10, 3 (319): protinus; CT II, 4, 5 (389) richtet sich gegen jede prozesseinleitende Verzögerung in solchen Fällen: celeri reformatione; CT II, 1, 8 (395): mox audiri; CT IV, 22, 4 (396): celeri. Vergleichbar auch Relation 16 und das dort vermutete interdictum quorum bonorum. 680 Strafrechtliche Möglichkeiten interessieren bislang nicht; dazu unten. 681 Dazu: Kaser, Privatrecht II, 292 ff. 682 Steinwenter, Briefe, 11: vermutlich CT II, 18, 3 (325; gehörte wohl zusammen mit CT I, 2, 5 zu einer einheitlichen Konstitution); Malafosse, Interdit, 66: sicher diese Konstitution; grundsätzlich identifizierend auch Chastagnol, Préfecture, 104-106; Solidoro Maruotti, La tutela del possesso, 153. Auch Levy, WRVL, 243 Fn. 241, nennt CT II, 18, 3 im Zusammenhang mit Rel. 28, 8.
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quintam portionem rei publicae eius civitatis inferat, in cuius finibus res de qua agitur constituta est. Danach sind Possessorium und Petitorium vor demselben Richter zu verhandeln und wenn möglich wohl auch in einem Verfahren abzuschließen. Die Konstitution schneidet insoweit tatsächlich den Streitpunkt an. Trotzdem kann diese Konstitution hier nicht gemeint sein683, denn nach Symmachus’ Darstellung betraf die vorgelegte constitutio die possessio successionis. Sie handelte vom Besitz eines Nachlasses. Diese Frage aber wird weder in CT II, 18, 3 noch in den sonst von diesem Gesetz erhaltenen Bruchstücken behandelt. Die vor Symmachus zitierte Konstitution scheint nicht überliefert zu sein. Sie war zudem im vorliegenden Fall gar nicht einschlägig, denn um Erbschaftsbesitz wurde hier nicht gestritten684, sondern um die an Scirtius begangene invasio. Doch akzeptiert er trotzdem die angeführte Konstitution, hält sie offenbar für einschlägig, lässt sich auf das rechtlich unhaltbare Ausweichmanöver der Parteivertreter also ein, das er offensichtlich nicht durchschaut. In der Sache allerdings entscheidet er dessen ungeachtet gegen Olybrius, und zwar zunächst nur die Besitzfrage. Sein Vorgehen entspricht den überlieferten gesetzlichen Regelungen solcher Verfahren um gewaltsame Grundstücksentziehung, die rasche Besitzrestitution unabhängig von der Verhandlung und Entscheidung über das Eigentum vorsehen, damit auch in Fällen von Selbstjustiz effektiver Besitzschutz gewährt wird. Possessorium und Petitorium werden zwar vor demselben Richter verhandelt (CT II, 18, 3), aber nacheinander685. Es gilt damit noch immer die konstantinische Ausgestaltung des Verfahrens. Zwar ermöglichte CT II, 18, 3, Possessorium und Petitorium in ein und demselben Verfahren zu beurteilen, d. h. ohne possessorisches Urteil sogleich über das Petitorium zu entscheiden, doch blieb auch nach dieser Vorschrift dem Richter zweifellos genügend Spielraum, um sachdienlich vorzugehen. In dieser Konstitution geht es in erster Linie darum, Verfahrensverzögerungen zu vermeiden, die sich einstellen, wenn eng miteinander zusammenhängende Sachen vor verschiedene Richter gebracht werden. Sie steht der Auslegung des Symmachus nicht entgegen; auch CT II, 18, 3 trennt die Besitz- von der Eigentumsfrage. Symmachus behält sich demgemäß, nachdem er die Eigentumsverhältnisse nur kurz angeschnitten hat, diese Frage zur Entscheidung vor. Die Trennung ist hier in Anbetracht des komplexen Falles zur Gewährung effektiven Besitzschutzes angebracht. Die Besitzverhältnisse sind geklärt, das Eigentum noch nicht; die Beklagtenseite wird dazu vermutlich noch mehr vortragen. Die getroffene Entscheidung steht damit auf dem Boden des damals geltenden Rechts. 683
So auch Kipp, Erbschaftsstreit, 87; Bonfils, Prassi, 167-169; Liebs, Landraub, 97; offenlassend Vera, Commento, 217. 684 Nicht überzeugend glaubt Ubbelohde, Die Interdicte, 437, hier einen Streit um das Erbrecht der Kinder zu erkennen, so dass die vorgelegte constitutio passe. Zwar behauptet Olybrius, er habe durch den Tod des Theseus die Hälfte der massa erworben, macht also Rechte am Nachlass geltend, doch handelt die Klage des Scirtius davon nicht. Es geht nicht um den Besitz der Erben des Theseus, sondern den des Scirtius. Die constitutio passt hingegen auf Rel. 16, wo Symmachus in einem Erbrechtsstreit sogleich zum Petitorium übergeht. 685 CT IX, 10, 3 (319); IV, 22, 1 (326); II, 26, 1 (330); XI, 37, 1 (386).
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Doch versucht die Gegenseite, nicht ohne den Stadtpräfekten unsicher zu machen, die Eigentumsfrage einzubeziehen, und spätere Gesetze kommen in der Tat dieser Tendenz entgegen. Wohl ab 389 (CT IV, 22, 3) kam es nämlich zu einer Neubewertung686: Wenn die gewaltsame Besitzentziehung zur Selbsthilfe, d. h. Durchsetzung eines behaupteten Rechts, geübt worden war, so kommt es in einem erweiterten Besitzverfahren auch auf diese Rechtsfrage an. War der Täter der Eigentümer, muss er den entrissenen Besitz zurückgeben und verliert außerdem sein Eigentum an den Gegner; die verbotene Eigenmacht wird sanktioniert. War er nicht der Eigentümer, muss er die Sache gleichfalls zurückgeben und außerdem eine Geldbuße im Wert der entzogenen Sache leisten. Der Richter musste in diesem Verfahren also auch das Eigentum prüfen. Für einen weiteren Eigentumsprozess war kein Raum mehr687. Nach dieser Regel wäre die geraubte Hälfte an Scirtius gegangen, selbst wenn Olybrius Eigentümer gewesen wäre. Dies galt schon seit 380688 (CT IV, 22, 2), aber nur erst für den hier nicht vorliegenden Sonderfall, dass die Eigenmacht während eines vom Eigenmächtigen angestrengten Verfahrens verübt wurde, und wohl erst ab 389 (CT IV, 22, 3) allgemein689. Dafür kann auch unsere Relation angeführt werden, denn die Beklagtenseite verspricht sich gerade in der Hauptsache Erfolg. Sie versucht, das Vorgehen der Leute des Olybrius gerechtfertigt erscheinen zu lassen, indem sie Eigentum an der massa geltend macht. Zwar kann sie der Feststellung der gewaltsamen Besitzentziehung nichts entgegensetzen, doch durch Berufung auf Selbsthilfe wollte sie ihre Lage verbessern. Das Petitorium war in solchen Fällen also noch relevant, Verfall und Buße in Höhe des Sachwertes noch nicht vorgesehen690. Die Relation zeichnet damit den Verfahrensgang von CT IX, 10, 3 (319) nach, mit klarer Trennung von Zivil- und Strafverfahren, ersteres wiederum zweigeteilt in Possessorium und Petitorium. Dass Zivil- und Strafklage in solchen Fällen damals nacheinander durchgeführt werden konnten, bestätigt auch CT IX, 20, 1 (378): ...per vim possessione deiectus..., und so handelt auch Relation 38 in einem Fall gewaltsamer Besitzentziehung vom Strafprozess wegen violentia. Vorliegend steht zunächst nur der Zivilprozess an; eine Anklage vor
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Dazu Levy, WRVL, 250 ff; ihm folgend Kaser, Privatrecht II, 258. Anders: Malafosse, Interdit, 51; wie hier: Levy, WRVL, 251; 255 f; Kaser, Privatrecht II, 258 f. 688 Seeck, Regesten, 86; 254. 689 Vgl. auch Kaser, Privatrecht II, 258 mit Fn. 18 f. Liebs, Landraub, 97 mit Fn. 48, hält dagegen für möglich, dass dies schon seit 381 (380) galt, und verweist auf CT Itp. IV, 22, 2 und IX, 10, 3 S. 2, die den Anwendungsbereich von CT IV, 22, 2 sinnvollerweise in diesem weiten Sinne verstünden, wenn auch der Wortlaut eng gefasst sei. Im Ergebnis so wohl auch die Auslegung von Chastagnol, Préfecture, 108 f. 690 Dem steht auch CT IV, 18, 1 (369) nicht entgegen, wonach in der Hauptsache der unberechtigte invasor alienae rei die Sache zurückgeben und das Doppelte der ab der invasio erzielbaren Früchte erstatten muss. 687
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dem Gericht des Stadtpräfekten691 wegen crimen violentiae, das auch Landraub erfasste, konnte sich anschließen. CT IX, 10, 3 sieht eben diese Reihenfolge in Selbsthilfefällen vor, wie er hier behauptet wird. Offensichtlich gilt die konstantinische Regelung der invasio/violentia fort (s. a. unter 5 c) und bei Relation 38 und 49). Selbst wenn Olybrius Eigentümer der geraubten Hälfte gewesen wäre, wogegen vieles spricht (dazu schon oben692), hätte er nach der genannten Konstitution dem Scirtius jedenfalls zunächst einmal den gewaltsam entzogenen Besitz restituieren müssen und dann im Rahmen des Petitoriums, wenn dort sein Eigentum festgestellt werden sollte, wegen seiner unerlaubten Selbsthilfe nur die Hälfte davon zurückerhalten. Die andere Hälfte, ein Viertel der massa, wäre an den Fiskus gegangen. Sollte sich dagegen in der Hauptsache herausstellen, dass Olybrius gar nicht Eigentümer war, wäre die gewaltsame Besitzentziehung als crimen violentiae mit Deportation und Vermögenseinziehung strafbar. Auch konkrete Straffolgen waren also vom Ausgang des Petitoriums abhängig. Das Vorbringen des Olybrius konnte danach das Besitzurteil nicht ändern. Etwaige Selbsthilfe wurde im Verfahren um reformatio momenti jedenfalls damals nicht geprüft. Es genügte vielmehr die Feststellung, dass seine Leute dem Scirtius den Besitz gewaltsam entzogen hatten, um ihn zur Restitution zu verurteilen. Offensichtlich sollte der Stadtpräfekt durch das Verlesen der constitutio in erster Linie schlicht verwirrt und die Diskussion der Hauptsache doch noch erreicht werden. Dem aber beugt sich Symmachus trotz kurzen Zögerns letztlich nicht, sondern entscheidet entschlossen auf Rückgabe des früheren Mitbesitzes. Insoweit bringt er das Verfahren zu einem ersten Abschluss und widersetzt sich dem - juristisch wenig tragfähigen - Störmanöver der Beklagtenvertreter. In Fragen des Besitzschutzes widerfährt Scirtius damit zunächst einmal Gerechtigkeit. 4. Die rechtswidrige Appellation Nach Ansicht zahlreicher Autoren693 ist Relation 28 wie Relation 16, nach einigen von ihnen auch Relation 33, ein weiteres Beispiel für eine rechtswidrige Berufung gegen eine Zwischenentscheidung, ein praeiudicium. Das Schreiben datiere daher ebenso wie Relation 16 vor dem 29. November 384, d. h. vor CT XI, 30, 44. In Wahrheit aber hat Symmachus hier, anders als in Relation 16, 691 CT IX, 1, 1 (316/317): Der Stadtpräfekt ist auch bei einer Anklage gegen Senatoren zuständiger Richter am Deliktsort (s. zur Konstitution bei Rel. 31). Gerade auch Senatoren begingen, wie die genannte Konstitution verdeutlicht und Relation 28 bestätigt, invasiones. Dazu auch unter 5 c). 692 Nach Aktenlage (Gemeindeakten); außerdem hatte Scirtius auch die Steuern auf das Gut entrichtet, wie die Kurialen übereinstimmend aussagen. 693 So: Seeck, Symmachus, CCX (s. a. bei Rel. 33); Barrow, Prefect, 16; 95 Fn. 2; 153; s. a. 174; Bonfils, Prassi, 176 f; Martínez-Fazio, Basílica, 239. Auch Raggi, Studi sulle impugnazioni, 160, nennt Rel. 28 neben Rell. 16 und 33 als Beispiel einer verbotenen Appellation gegen ein praeiudicium; ebenso Vera, Commento, 129; 218; s. a. 204 (zweifelnd hinsichtlich der Datierung).
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nicht eine rechtswidrige Appellation gegen ein praeiudicium angenommen, sondern eine solche gegen ein Besitzurteil; in § 9 heißt es ausdrücklich: de possessione...iudicavi und es ist die Rede von einer sententia, einem Endurteil. Die Annahme der Appellation gegen die im Urteil ausgesprochene Besitzrestitution, momenti reformatio, ist, wie Scirtius mit Nachweisen einwendet und Symmachus sofort anerkennt, unzulässig. Die vorgebrachten sanctiones sind uns nicht überliefert. Ihr Inhalt wird in § 10 deutlich gemacht: in reformatione momenti nullum esse appellationibus locum (s. a. § 1). Ein Rechtstext mit diesem Inhalt aber fehlt, findet sich insbesondere nicht in den Konstitutionen CT IX, 10, 3; IV, 22, 1; IX, 20, 1, die ansonsten ja wie gesehen einen Verfahrensgang wie hier vorsehen. CT XI, 37, 1 (18. November 386) ist zu spät, enthält außerdem nicht das Verbot, sondern erlaubt in solchen Fällen (momentum), vielleicht einer rechtswidrigen Praxis wie in Relation 28 nachkommend, die Appellation wieder, spricht ihr nur Suspensiveffekt ab. Festzuhalten ist, dass im Jahre 384 die Berufung gegen ein possessorisches Urteil im Rahmen des interdictum unde vi unzulässig war. Erst gegen eine petitorische Entscheidung waren Rechtsmittel u. a. zum Kaiser erlaubt. Die Formulierung in §§ 1 und 10 lässt allerdings offen, ob nicht sogar jedes Besitzschutzurteil inappellabel war (kritisch insoweit bei Relation 33). Die Unzulässigkeit steht für den Stadtpräfekten fest; er räumt das sogleich im ersten Satz seines Schreibens ein. Rechtsunsicherheit als Anlass für die Relation ist auszuschließen. Dem Zweck der sanctiones, ohne Verzögerung effektiven Besitzschutz zu gewähren, läuft Symmachus’ Verhalten damit jedoch zuwider. Statt zur Vollstreckung seines Urteils zu schreiten, nimmt er das rechtswidrige Rechtsmittel an und setzt das Verfahren aus. Lieber eine unzulässige Appellation zu viel annehmen, ist wie in den Relationen 16 und 33 seine Devise. Das Risiko, dafür getadelt oder gar bestraft zu werden, scheint gering. Ohne große Worte gibt Symmachus den Fall weiter. Er ist sich sicher, der Kaiser werde sein Vorgehen billigen. 5. Warum nimmt Symmachus die rechtswidrige Appellation an? Es bleibt die spannende Frage, was der Hintergrund der Entscheidung war, die rechtswidrige Berufung anzunehmen. Korrekt wäre gewesen, die Berufung zurückzuweisen und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung über die Eigentumsfrage zu entscheiden. Das aber hätte verlangt, sich dem Olybrius und seinem procurator entgegenzustellen, der selbstbewusst auftrumpfend sogleich ankündigte, die Niederlage nicht zu akzeptieren. Statt dem aus eigener Autorität entgegenzutreten, zieht es Symmachus vor, das Verfahren gesetzwidrig fortzuführen und die Sache nach Mailand zu verweisen. Zwar macht er den Fall auf diese Weise dort bekannt, doch fragt sich, ob das kaiserliche Interesse an einem solchen Vorfall damit nicht überschätzt und Rechtsschutz für Scirtius am Ende nicht doch in erster Linie verhindert statt befördert wird. Die offizielle Begründung des Stadtpräfekten in der Relation ist floskelhaft: Er habe bewusst die
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rechtswidrige Berufung angenommen, damit der Kaiser selbst sowohl die Würdelosigkeit, indignitas, der invasio, als auch seine eigene maßvolle Entscheidung in der Sache prüfe, § 1. Und in § 11 verweist er darauf, dass durch diesen Präzedenzfall der allgemeinen Rechtssicherheit gedient werden könne. Der Kaiser soll ein Exempel statuieren. Symmachus hält sich auf seine Zurückhaltung also noch etwas zugute. Doch nachdem in der Relation mehrfach die Schwäche des Stadtpräfekten, seine Amtsautorität durchzusetzen, deutlich geworden ist, drängt sich auch hier der Verdacht auf, dass eben diese Schwäche und ausgeprägte Zurückhaltung der Auslöser dafür waren, am Ende das Verfahren der appellatio more consultationis einzuschlagen. Symmachus wehrt sich nicht gegen den Widerstand, der seinem executor entgegengesetzt wird, lässt auch die Zeugenentführung ungesühnt und akzeptiert widerspruchslos eine offensichtlich nicht einschlägige constitutio. Man fühlt sich an Relation 23 erinnert; auch dort wurden Zeugen entführt und Symmachus wehrte sich nicht. Ähnlich hilflos steht er auch in Relation 31 dem offenen senatorischen Widerstand gegenüber. Obwohl er beteuert, dem Affront später nachzugehen, sind doch wohl erhebliche Zweifel daran angebracht. Wiederholte Regelungen zur invasio auf zivil- und strafrechtlicher Ebene zeigen nicht nur, dass das Problem gewaltsamer Übergriffe damals weit verbreitet war, sondern auch, dass die Gegensteuerungsversuche mehr oder weniger erfolglos waren (dazu noch unter c). Relation 28 passt genau dort hin. Symmachus musste trotz eindeutiger Rechtslage (ihm drohte nicht wie Bassus in Relation 33 der Vorwurf, eine rechtmäßige Appellation zu Unrecht abgelehnt zu haben) eine Beschwerde des Olybrius beim Kaiser fürchten, wenn er das Rechtmittel ablehnte oder doch fürchten, dass sein Urteil nicht durchzusetzen war, nachdem bereits Widerstand gegen seinen Vollstreckungsbeamten geübt worden war. Die selbstbewusst auftretende Beklagtenseite droht latent und nicht ohne Aussicht auf Erfolg (dazu unten b), in jedem Falle den Kaiser anzurufen. Dem kommt Symmachus zuvor. a) Eine Rechtsfrage? Zu denken wäre auch daran, dass die verlesene constitutio bei Symmachus vielleicht doch Rechtsunsicherheit hervorgerufen hat und er vielleicht seine Auslegung, jetzt sei nur über den Besitz zu entscheiden, bestätigt haben wollte. Der Vertreter des Olybrius meinte, der Richter müsse zum Petitorium übergehen, während Symmachus richterliches Ermessen sah. Möglicherweise geht es daher auch um die Interpretation einer nicht einschlägigen, aber von Symmachus doch akzeptierten Konstitution, die sich Symmachus letztentscheidend nicht zutraut. So mag die oben angedeutete Entwicklung aus CT IV, 22, 2 und 3 (380/389) damals schon eine Verunsicherung über die Reichweite der zu treffenden Entscheidung herbeigeführt haben. Doch bleibt dieser rechtliche Erklärungsversuch eher schwach und eine Rechtsfrage wird auch von Symmachus mit keinem Wort angedeutet. Das Problem des Falles lag eher auf tatsächlicher als auf rechtlicher Ebene. Deshalb ist nunmehr ergänzend der historische Hintergrund näher zu beleuchten.
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b) Wer war Olybrius? Olybrius tritt in der Relation zwar nie persönlich in Erscheinung, wird aber als Urheber und Auftraggeber der Übergriffe und des Amtswiderstandes benannt. Seine Leute haben Scirtius vertrieben. Der Vorwurf ist bewiesen; die Akten sind beigefügt. Quintus Clodius Hermogenianus Olybrius694 war vir illustris, gehörte also wie Symmachus zur höchsten senatorischen Rangklasse. Er hatte einige Jahre vorher eine ähnliche Karriere wie Symmachus gemacht695 und war unter Valentinian I. in den Jahren 368-370 als Nachfolger des Praetextatus (zu ihm bei den Relationen 10-12 und 24) Stadtpräfekt von Rom gewesen. Bereits sein Vater war wie der des Symmachus Stadtpräfekt gewesen. Beide hatten also einen vergleichbaren sozialen Hintergrund. Olybrius war ein Sohn der christlichen Dichterin Faltonia Betitia Proba und gehörte zur christlichen696 Minderheit im Senat. Er war verheiratet mit Tyrannia Anicia Juliana aus der einflussreichen Familie der Anicii, einer Tochter des Stadtpräfekten von 382 Anicius Auchenius Bassus. Die gemeinsame Tochter Anicia Faltonia Proba hatte vor einigen Jahren den mächtigen christlichen Senator und vierfachen praefectus praetorio Sextus Claudius Petronius Probus697 geheiratet. Ammian bescheinigt Olybrius geschickte Verwaltung als Stadtpräfekt698 und beschreibt ihn als beruflich integer. Trotz allem war er eine etwas schillernde Persönlichkeit. Während eines brisanten Prozesses etwa wurde er krank699; die Krankheit mag vorgeschoben gewesen sein. In der antisenatorischen Politik Valentinians I. spielte er jedenfalls eine etwas unklare Rolle, billigte sie möglicherweise. 378 wurde er praefectus praetorio von Illyrien, dann für kurze Zeit (noch 378) praefectus praetorio Orientis, 379 ordentlicher Konsul. Seit 380 ist er nur noch Privatmann und stirbt gegen 395. Ammian tadelt ihn für seine privaten Laster; er habe eine 694
Zu ihm: Chastagnol, Fastes, 178 ff; Seeck, RE-Anicius 40, 2203 f; PLRE I, Olybrius 3, 640 ff (Stammbaum: 1144); zur polit. Karriere auch Vera, Commento, 204 ff. 695 Beide waren proconsul von Africa, Stadtpräfekt und Konsul. Allerdings war Symmachus im Gegensatz zu Olybrius nie Prätorianerpräfekt. 696 Coll. Avell. 8-10; Prudentius, Contra Symm. I, 554 ff. 697 CIL VI, 1753: Anicianae domus culmen; zu ihm etwa Novak, Anicianae domus culmen; PLRE I, Probus 5, 736 ff. 698 XXVIII, 4, 1. Er bescheinigt ihm humanitas; er sei ein Kenner von Recht und Unrecht, ein guter, gemäßigter Richter: iustorum iniustorumque distinctor et arbiter plenus in subiectos admodum temperatus. 699 Amm., XXVIII, 1, 8 f. Ammian wirft ihm das allerdings nicht vor, hält sich vielmehr sehr zurück, erwähnt etwa auch nicht, dass einer der Beschuldigten, Alypius, der Bruder des Stadtpräfekten Olybrius war. Zum Fall: Chastagnol, Préfecture, 431; ders., Fastes, 183 f. Weitere Beispiele dafür, dass sich andere hohe Richter heiklen Fällen durch Untätigkeit entzogen haben, nennt Liebs, Landraub, 98 Fn. 50. Symmachus’ Amtsvorgänger Bassus jedenfalls blieb bei Appellationen mehrfach untätig, wie Relation 33 zeigt.
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Schwäche für Luxus, Theater und Liebesabenteuer700. Sein Bedürfnis nach Luxus und Reichtum mag die in Relation 28 gezeigte Besitzgier erklären. Ammian allerdings belegt für ihn persönlich nichts Verbotenes, wenngleich er die Familie der Anicii und besonders Petronius Probus, seinen Schwiegersohn, in eben diesem Zusammenhang scharf angreift. Ammian701 beschuldigt sie der unersättlichen Habgier, zumal Ausbeutung der Provinzialen und deutet an, dass speziell Probus nicht alles zu Recht besaß. Er verschaffte seinen Freunden hohe Stellungen und sicherte sich so Macht und Einfluss. Seine Amtsführung als Präfekt war laut Ammian kriecherisch, gierig, maßlos und auch intrigant. Seine Verwandten und Freunde entzog er der Strafverfolgung, auch wenn ihre Schuld evident war. Er nahm also als potens Einfluss auf die Rechtsprechung; im Gegensatz zu Symmachus702 wohl auf eindeutig illegale Weise. In eben diese den Anicii (pauschal) bescheinigte unersättliche Gier nach Vergrößerung ihres Besitzes703 passt der vorliegende Fall genau hinein704. Symmachus macht ihn öffentlich. Dabei war Olybrius bereits reich705. Auch im Gebiet von Praeneste hatte er offenbar Grundbesitz; in § 3 ist von seiner Villa die Rede. Diesen fruchtbaren Boden gedachte er offenbar zu arrondieren, als er Scirtius vertreiben ließ. Seine Familie hatte in der Gegend einen angesehenen und guten Namen706, den er vielleicht hoffte, besser nutzen zu können707. Offenbar rechnet er nicht mit 700
XXVIII, 4, 2. XVI, 8, 13; XXVII, 11, 1-7; XXIX, 6, 9-11; XXX, 5, 4-10. Nicht nur der Heide Ammian rügt die Skrupellosigkeit des Probus; das tut auch Hieronymus in seiner Chronik zum Jahre 372: Eusebius, Werke 7, 246. 702 Zu dessen Privatbriefen in Rechtsangelegenheiten zugunsten von Freunden und Verwandten s. im Dritten Teil. 703 Amm. XVI, 8, 13; XXVII, 11, 3. 704 Liebs, Landraub, 101, meint sogar, dass Ammian an beiden Stellen auf unseren Fall zu sprechen kam, ohne allerdings den Namen des Olybrius zu nennen, den er möglicherweise habe schonen wollen. 705 Reicher wohl als Symmachus, der selbst Grundbesitz in nicht unerheblichem Umfang sein eigen nannte. Auch Symmachus besaß in dieser Gegend bei Praeneste Grundbesitz mit einer Villa, in der er seinen Sommerurlaub verbrachte: Epp. III, 50 (379); VII, 35 (397); IX, 83; s. a. I, 5 (375). Zu seinem Besitz im Einzelnen: Vera, Simmaco e le sue proprietà. 706 Olybrius selbst war vor 361 consularis von Campania gewesen und ist inschriftlich als Patron u. a. von Formia bezeugt (CIL X, 6083). Auch Anicius Auchenius Bassus war zwischen 379 und 382/383 proconsul Campaniae. Praeneste hatte ihm, dem Schwiegervater des Olybrius, ob merita eius inlustria eine Statue gewidmet (CIL XIV, 2917). Weitere Verbindungen (wie Statueninschriften und Patronatsverhältnisse) zwischen campanischen Städten und der Familie des Olybrius und der Anicier nennt Vera, Commento, 213. 707 Um so mutiger erscheinen die Aussagen der Kurialen, die sich nicht eingeschüchtert zeigen. Klientelbeziehungen wie die zwischen der Familie des Olybrius und campanischen Städten wie Praeneste sind ersichtlich nicht überzubewerten. Olybrius wird gewiss versucht haben, seinen Einfluss geltend zu machen; hier jedoch ohne Erfolg. 701
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ernsthaftem Widerstand seines Opfers und des zuständigen Richters, sondern glaubt zunächst, es würde genügen, das eingeleitete Verfahren einfach zu ignorieren, nötigenfalls Zeugen zu entführen. Erst durch die einstimmige Aussage der Kurialen zu seinen Ungunsten lässt er sich aus der Reserve locken. Selbstbewusst legt er, nachdem er klar überführt worden ist, gegen das ihn belastende Urteil eine eigentlich aussichtslose Berufung ein, nicht bereit, den Widerstand hinzunehmen, den ihm das Opfer, unterstützt vom Stadtpräfekten, entgegenbringt. Dabei konnte er auf gute Beziehungen zum Hof bauen. Probus war zwar inzwischen wohl nicht mehr im Amt708, sein Einfluss, etwa in der von Ammian beschriebenen unlauteren Weise, war jedoch nicht zu unterschätzen. Auch im vorliegenden Prozess gegen seinen Schwiegervater konnte er am Hof seine Beziehungen spielen lassen und ebenso hatten wohl Olybrius und Probus gute Beziehungen zum einflussreichen Bischof Ambrosius in Mailand709. Doch bedeutet das nicht, dass Olybrius und seine Familie persönliche Gegner von Symmachus waren710. Es gab durchaus freundliche, insbesondere aber gesellschaftliche Beziehungen zwischen beiden Familien. Symmachus korrespondierte jedenfalls mit Probus in freundschaftlichem Ton711. Chastagnol712 vermutet sogar ver708 Dazu bereits im Ersten Teil, 3. Abschnitt VI. Auch Cameron, Polyonomy, 178 ff, lässt seine vierte und letzte Präfektur bereits im Frühjahr 384 enden. CT VI, 30, 6 allerdings bezeugt ihn für den 26.10.384 noch als praefectus praetorio. Als (möglicherweise noch) amtierender praefectus praetorio hätte er dem Konsistorium angehört, so war er aber wenigstens als ehemaliger Präfekt einflussreich und evtl. auch als ehemaliger Präfekt noch immer Mitglied des Konsistoriums, vgl. dazu Liebs, Landraub, 99 Fn. 54. 709 Olybrius hatte sich Ambrosius vermutlich zwei Jahre zuvor verpflichtet, weil er ihm wahrscheinlich den Beschluss des Senats, bei Kaiser Gratian wegen des Victoriaaltars vorstellig zu werden, frühzeitig gemeldet hatte: Liebs, Landraub, 99 mit Fn. 55. Probus seinerseits hatte Ambrosius gefördert, bei dessen Wahl zum Bischof von Mailand eine entscheidende Rolle gespielt (dazu Kolb, Bußakt, 57 f) und auch beim „Streit um den Victoriaaltar“ (dazu bei Rel. 3) seinen Part gehabt. Olybrius, Probus oder beide zusammen hatten mit anderen christlichen Senatoren im Bund mit dem Papst gegen die erste Gesandtschaft der heidnischen Senatoren unter Symmachus im Jahre 382 bei Ambrosius intrigiert, so dass diese beim Kaiser gar nicht erst vorgelassen wurden: Klein, Streit, 175 f. 710 Vera, Commento, XL; 204 ff, meint dagegen, dass Symmachus mit Relation 28 möglicherweise Olybrius als seinen (und des Praetextatus‘) persönlichen, christlichen Gegner treffen wollte. Er sieht alte Rivalitäten der Anicii-Probi zu den heidnischen Symmachi-Nicomachi und verweist auf Amm., XXVIII, 1, 24 f, Ep. X, 2 und Or. IV. Persönliche Gegnerschaft zwischen Symmachus und den Anicii macht auch Novak, Anicianae domus culmen, 489 f, aus. Er verweist insbesondere auf Rell. 23; 28; 34 und Ep. II, 83 (393), in welchem die Rede von alten Rivalitäten zu einem Familienangehörigen des Probus ist. Novak nennt aber auch die Briefe, die zwischen den Familien gute gesellschaftliche Beziehungen und gleichgerichtete wirtschaftliche Interessen zeigen. Auch Liebs, Landraub, 92, spricht von Olybrius als einem persönlichen Feind des Symmachus, lehnt dann aber zu Recht einen raschen Schluss auf Parteilichkeit des Symmachus ab. 711 Eine Korrespondenz mit Olybrius selbst scheint Symmachus allerdings nicht geführt zu haben. An Probus gerichtet sind Epp. I, 56-61 und wohl auch Ep. IX, 112: Roda, Commento, 247 ff. Symmachus nennt Probus wohl auch in Ep. II, 30, 2 (389, d. h. später als die vorigen Briefe, die vermutlich aus den 370er Jahren stammen). Das Ver-
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wandtschaftliche Beziehungen zwischen den Familien des Symmachus und des Olybrius. Beide gehörten zur selben gesellschaftlichen Klasse und trotz religiöser Unterschiede und unterschiedlicher politischer Interessen sind gleichgerichtete, insbesondere wirtschaftliche Interessen der heidnischen und der christlichen Senatsfraktion nicht zu unterschätzen. Persönliche Feindseligkeit zwischen Symmachus und Olybrius lässt sich auch der Relation 28 nicht entnehmen, ebensowenig eine falsche Rücksichtnahme auf einen Standesgenossen, denn Symmachus benennt die Tat ohne beschönigende Worte. Der Stadtpräfekt erweist sich in Fragen der Appellation zwar hilflos, nicht aber begünstigend und auch nicht überscharf. Der politische und der religiöse Aspekt, die hinter der Relation immer wieder vermutet wurden713, spielten keine so große Rolle. Es geht weniger um persönliche Gegnerschaft, als um die weitverbreitete Erscheinung der invasio, die Symmachus deutlich benennt. Nicht auszuschließen ist freilich, dass Symmachus und Olybrius aus einem anderen Grunde nicht gut aufeinander zu sprechen waren, wie sich aus den Relationen 3 und 21 bzw. 23 und 33 mutmaßen lässt. Sie zeigen zum einen, welch schwierigen Stand der heidnische Stadtpräfekt derzeit gegenüber einflussreichen Christen hatte, und belegen zum anderen, dass Symmachus eine Untersuchung gegen seinen Amtsvorgänger Bassus, den Schwiegervater des Olybrius führte. Zudem betrieb Kaiser Valentinian II. eine eher heidenfreundliche Personalpolitik, die speziell den Anicii ein Dorn im Auge gewesen sein mag (vgl. dazu auch bei den Relationen 1 und 2). Spannungen zwischen der christlichen Minderheit im Senat und der heidnischen Mehrheit um Symmachus bestanden also in jedem Falle, die auch eine kritische Untersuchung der Relation 28 nahelegen, ohne dass jedoch allein daraus Parteilichkeit des Symmachus zulasten des Olybrius abgeleitet werden kann. Allenfalls mag ihm Genugtuung bereitet haben, Olybrius beim Kaiser gewissermaßen vorzuführen. Politische, gar religiöse Gegnerschaft sind hier zweitrangig gegenüber der juristischen und wirtschaftlichen Interessenlage. Zu Unrecht konstatiert Bonfils bei Symmachus einen Zwiespalt, über einen gleichrangigen, hochangesehenen, dazu noch christlichen Senator zu urteilen, obwohl er als Stadtpräfekt Senatorenrechte zu verhältnis scheint mittlerweile durch einen Erbschaftsprozess belastet (zu diesem m.N. bei Rel. 16). Auch in diesem Prozess wurde die Kompetenz des Stadtpräfekten angegriffen, sehr zur Empörung von Symmachus. Auch der damalige Stadtpräfekt gab den Fall an den Kaiser ab. 712 Fastes, 280; 291 f (Stammbaum). Er vermutet eine Ehe zwischen dem Sohn des Bruders des Symmachus und einer sonst unbekannten Tochter des Olybrius. Dagegen Vera, Commento, 207 f. Feststellen lässt sich nur, dass der Sohn des Bruders des Symmachus vermutlich eine Anicia heiratete; reine Spekulation ist aber die Vermutung, dass sie eine Tochter des Olybrius war. Bezeugt ist nur eine Tochter des Olybrius, und die war mit Probus verheiratet. 713 Vgl. bereits oben und v. a. Bonfils, Prassi, 148 ff, der die politische und religiöse Dimension der Relation überzeichnet. Nicht überzeugend sieht Chastagnol, Fastes 184, Relation 28 als Zeichen christlicher Opposition gegen den Heiden Symmachus. Dagegen zu Recht schon Liebs, Landraub, 101.
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teidigen habe. Als Verteidiger senatorischer Vorrechte ist Symmachus in den Prozessberichten nirgendwo anzutreffen714 und ein Prozessausgang zugunsten oder zulasten eines Senators erlaubt keine Schlüsse. Von Klassenjustiz oder unterschwelliger Parteilichkeit kann gerade hier keine Rede sein. Symmachus schützt und verteidigt seinen Standesgenossen nicht, sondern prangert dessen Verstöße mir klaren Worten an. Natürlich ist der Fall pikant, weil einer der angesehensten römischen Senatoren beteiligt ist, aber das hindert den Stadtpräfekten nicht daran, den Fall außerhalb Roms bekannt zu machen, aber ohne übermäßigen Belastungseifer. Trotz allem aber verdeutlicht Relation 28, wie im Übrigen auch Relation 31, Selbstbewusstsein und Skrupellosigkeit von Senatoren gegenüber dem Gericht des Stadtpräfekten. Olybrius hat keine Hemmung, sich dem vorgesehenen, rechtmäßigen Verfahrensgang zu widersetzen und trotzig an den Kaiser zu appellieren, nachdem das Urteil gegen ihn ausgefallen ist. Unregelmäßigkeiten und Störung der Rechtspflege, resultieren hier aus Macht und Selbstbewusstsein des Olybrius und der Schwäche des Symmachus, seine Autorität zur Geltung zu bringen. Diese Schwäche gegenüber selbstbewusst auftretenden Beamten und/oder Senatoren zeigt sich in mehreren Relationen, die Rechtsfragen behandeln, als Leitmotiv715. Diese Schwierigkeiten sind tatsächlicher, nicht rechtlicher Art. c) Landraub (invasio) als weitverbreitetes Übel Das Thema invasio, invasor und violentia ist zu jener Zeit sehr aktuell. Zahlreiche Konstitutionen, die nicht zufällig häufig an den Stadtpräfekten gerichtet sind716, befassen sich damit seit der Zeit Kaiser Konstantins und wiederholen immer wieder den Willen des Gesetzgebers, Übergriffe streng zu verfolgen717. Landraub ist ein verbreitetes Mittel, Besitz zu vergrößern, nicht zuletzt für mächtige Senatoren, deren Opfer kleine Landbesitzer sind. Die Täter zeigen 714
Abgesehen natürlich von Relation 48, wo er indes explizit Standesinteressen verteidigt. 715 Zu denken ist insbesondere an die Relationen 23 und 31. In Verwaltungssachen hingegen ist der Stadtpräfekt viel selbstbewußter. 716 Offenbar trat das Problem in und um Rom häufig auf bzw. waren häufig Senatoren beteiligt, so dass der Stadtpräfekt zuständig war. Einige Konstitutionen wenden sich auch an africanische Beamte, d. h. auch in Africa waren solche Übergriffe häufig. Die westlichen Quellen datieren schwerpunktmäßig von 316-330 und 380-395 und finden sich insbesondere in den Titeln CT IX, 10 und IV, 22. 717 Dem Thema invasio haben Pierre Jaillette und Roland Delmaire Aufsätze gewidmet, die genau unsere Zeit betreffen. Jaillete, Les atteintes aux biens fonciers, analysiert die Begriffe invasio und invasor insbesondere im Codex Theodosianus. Verschiedene Gewaltakte, die als violentia verfolgt werden können, fallen darunter, besonders häufig Landraub. Die einschlägigen Konstitutionen finden sich dort, 17 ff, mit französischer Übersetzung; zum Begriff der invasio, 61 ff. Delmaire, Invasor, untersucht entsprechend die literarischen Quellen. Zum Thema der violentia auch Coroï, Violence, 303 ff; Niedermeyer, Crimen plagii und crimen violentiae, 409 ff; Dupont, Droit criminel, 72 ff; Wesener, RE-violentia, 157 ff; Mayer-Maly, RE-vis, 311 ff.
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keine Scheu, sich ihre Wünsche mit Gewalt zu erfüllen; das Risiko bestraft zu werden, scheint trotz der hohen angedrohten Strafen nicht groß und abschreckend genug gewesen zu sein. Die Relationen 28, 38 (zu einem ähnlichen Fall dreister invasio, die strafrechtlich als violentia verfolgt wurde) und vielleicht auch 49 (zwei Senatoren sollen sich wegen violentia strafbar gemacht haben) zeigen beispielhaft die praktische Bedeutung dieses Themas und auch, dass die konstantinischen Vorschriften grundsätzlich weiterhin galten. Unrechtmäßiger Besitzentziehung, verübt auf mehr oder weniger gewalttätige und raffinierte Art und Weise, vermochte man kaum effektiv zu begegnen, wie die wiederholten Einschärfungen nahelegen. Delmaire hat die literarischen Quellen zum Thema untersucht und die verschiedenen Praktiken der invasio bonorum beschrieben718, die von Besetzung brachliegenden Landes, Protektion für Scheinkäufe719, Verkauf von Patronage gegen Güterabtretung, Inbesitznahme wegen angeblicher kaiserlicher Erlaubnis, Kollusion mit dem Richter, Fälschung von Unterlagen, Petition konfiszierter Güter (s. a. bei Relation 41), heimlicher Grenzverschiebung720 bis hin zur offenen Gewalt reichen. Oftmals versuchte man sich wenigstens den Deckmantel rechtmäßigen Handelns umzuhängen und einen Vorwand zu finden, indem man etwa eine kaiserliche Erlaubnis zur Besitzergreifung erschlich (vgl. den Verdacht bei Relation 41). Doch nicht einmal das hielt man hier für nötig. Olybrius versucht erst dann eine Begründung nachzuschieben, als er beim Richter (unerwartet?) auf Widerstand stößt. Gehäuftes Auftreten von invasiones konnte sogar zu einer neuen Bodenordnung beitragen, weil durch sie Großgrundbesitz und Patronatsverhältnisse721 befördert wurden. Krause722 zitiert im Zusammenhang mit Relation 28 denn auch ei718 Invasor, 82 ff; 86-88 die einzelnen Fundstellen. Er bezeichnet, 85, als größten invasor bonorum den Kaiser. Der versuchte allerdings zumeist den Schein rechtmäßigen Vorgehens zu wahren, wenn er konfiszierte und erblose Güter an sich zog (s. Rel. 41). Als literarische Quellen sind insbesondere Ambrosius und Augustinus zu nennen, bei denen mehrfach von invasio die Rede ist. Der Begriff invasor genügte dem damaligen Leser offenbar, um den Sachverhalt einer rechtswidrigen (Grund-)Besitzergreifung hinreichend zu beschreiben. 719 Vgl. auch das Vorgehen, das CT II, 14, 1 (400) beschreibt: Strittige Grundstücke wurden als Eigentum eines potens (mit oder ohne dessen Wissen) ausgegeben, um den Prozessgegner von der Verfolgung seiner Ansprüche abzuhalten. 720 Dass überbordende Grenzstreitigkeiten vor den Gerichten auch damals regelungsbedürftig waren, zeigt CT II, 26, 4 von Valentinian II. vom Juli 385. 721 Kleine Landbesitzer begaben sich unter den Schutz von Großgrundbesitzern, die die entstehenden Abhängigkeitsverhältnisse wiederum für sich zu nutzen versuchten. Krause, Spätantike Patronatsformen, beleuchtet anschaulich die vielfältigen Patronatsverhältnisse jener Zeit, zu denen außer der Einflussnahme der potentes/potentiores auf die Rechtsprechung etwa durch Einschüchterung der Richter (a.a.O., 34 ff; zum Thema s. a. Gaudemet, Les abus des «potentes» m. Quellen) auch das Patronat der Großgrundbesitzer gehörte, die ihre Güter durch actores (meist Sklaven, aber auch Freigelassene und Freie) verwalten ließen, a.a.O., v. a. 146 ff. Die Quellen belegen immer wieder Übergriffe und Gewalttaten der Verwalter. Vorliegend widersetzt sich der Verwalter des Olybrius der Vollstreckung des Restitutionsbefehls und lässt Zeugen verschwinden. 722 Spätantike Patronatsformen, 45 Fn. 264.
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ne Vorschrift, die illegales Gerichtspatrocinium bekämpfte: CJ VIII, 36, 3 (380, Ost). Darin wurde untersagt, eine res litigiosa einem potentior zu vererben, der größere Chancen hatte, den ihretwegen geführten Prozess zu gewinnen. Der Gewinn wurde bei solchen Absprachen, dass nämlich eine Prozesspartei ihre Rechtsansprüche einem Mächtigeren vererbt, um die Gewinnchancen zu erhöhen, zwischen den rechtmäßigen Erben und dem potens aufgeteilt. Krause vermutet, Olybrius habe den Schutz der Erben des Theseus übernommen und als Entgelt für sich die eine Hälfte des Grundstücks reserviert. Das wäre grundsätzlich denkbar, ist aber aus der Relation nicht herauszulesen. Danach ist Olybrius der Aggressor, der in der Folge die Erben für sich einspannt. Ganz passt die Vorschrift auf unseren Fall also nicht. Oftmals wurde jedoch in solchen und ähnlichen Fällen auch der Richter eingeschüchtert, der daher dem Kaiser berichten darf723. Andererseits versprach ggf. auch eine Bittschrift der unterlegenen Partei an den Kaiser Erfolg724. Das hätte wohl auch Olybrius kaum unversucht gelassen; hatte er doch wie vermutet gute Kontakte in Mailand. Insoweit kommt ihm Symmachus mit seinem Bericht an den Kaiser zuvor, in welchem er sein Urteil begründet und den Sachverhalt sowie seine Überzeugung von der Schuld des Senators aus seiner Sicht klarstellt. Olybrius nimmt in seiner Gier sogar einen Prozess in Kauf und verteidigt dort dreist entgegen übereinstimmenden Zeugenaussagen und dem Zeugnis der Gemeindeakten seine Position. Dafür lässt er sogar Zeugen entführen und beeinflusst offenbar auch die Erben des Theseus, schiebt sie vor, sich demjenigen zu widersetzen, der einst ihrem Vater etwas geschenkt hatte, und zieht sie in den Prozess hinein. Der Vertreter der Kinder schwenkt am Ende gar auf seine Linie ein und legt ebenfalls Berufung ein. Auch die Kinder werden wohl unter Druck gesetzt, Olybrius spielt sich als ihr Beschützer auf. Der gemeinsamen Appellation liegen jedenfalls ursprünglich keinesfalls gleichlaufende gemeinsame Interessen zugrunde. Die Kinder hatten eigentlich kein eigenes Interesse an dem Prozess, außer dem, sich mit dem Nachbarn Olybrius gut zu stellen. Olybrius kann dabei auf die Hilfe seines geschickt vortragenden Prozessvertreters bauen, dessen Verschleierungstaktik nicht einmal Symmachus, geschweige denn Scirtius und die Kinder, ganz durchschauen. Auch die Unerfahrenheit des Opfers Scirtius, der bis zuletzt ohne Rechtsbeistand ficht und sich gutmütig auf jedes
723 CT I, 16, 4 (328: Seeck, Regesten, 69; 178), s. a. bei Relation 31. In der Regel werden Provinzrichter eingeschüchtert, aber manchmal vermag auch der Stadtpräfekt sich nicht durchzusetzen, vgl. Rell. 23 und 31. 724 Zwar schärft auch Nov. Val. 8, 1 (440 an den praefectus urbi) de invasoribus am konkreten Beispiel noch einmal ein, die gesetzlichen Rechtsfolgen (s. insbes. CT IV, 22, 3; 389) zu beachten. Auch dort waren aber illustres beteiligt, die sich an den Kaiser wandten, als der Fall sich zu ihren Ungunsten wendete. Es zeigt sich, dass der Kaiser durchaus beeinflussbar war und ggf. die Richtung änderte - je nach Vortrag des Betroffenen. Zwar gilt formal Strenge fort, im Einzelfall war aber der Kaiser auf eine Bittschrift hin einer Abschwächung nicht abgeneigt. In Nov. Val. 8, 2 (441 an den praefectus urbi) wird die vorige Entscheidung sogar aufgehoben.
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Vorbringen, und sei es noch so weit hergeholt, einlässt sowie der Kinder macht er sich zunutze. Trotz der eher beunruhigenden Quellenlage lässt sich den Relationen 28, 38 und 49 entnehmen, dass gewaltsame Übergriffe tatsächlich zivil- und/oder strafrechtlich verfolgt wurden und dass sich Symmachus stets müht, die Täter einer Verurteilung zuzuführen. Die für die Relationen relevanten Gesetze wurden bereits angesprochen (s. a. bei Relation 38). Es zeigt sich, dass Symmachus diese Vorschriften kennt und grundsätzlich auch anwendet725. Häufig jedoch werden die Täter auf milde Richter gehofft haben, die vielleicht sogar (wie in Relation 28) aus demselben sozialen Stand kamen und daher verständnisvoll ein Auge zudrücken mochten. Dieser Vorwurf jedenfalls lässt sich Symmachus nicht machen, der das Problem, dass seine entfernt liegenden Ländereien Übergriffen von Plünderern oder unzuverlässigen Verwaltern ausgesetzt waren, selbst erfahren hat. In seinen Privatbriefen fürchtet er mehrfach solche und ähnliche invasiones, warnt Freunde und Bekannte vor derartigen Übergriffen726. Nicht einmal Senatoren wie Symmachus waren also davor gefeit. Der abwesende Grundbesitzer, egal welchen Standes er war, hatte große Mühe, seinen Besitz, der (wie auch hier) von actores verwaltet wurde, zu sichern727. Nicht nur seitens einfallender Banden, sondern auch von den eigenen Verwaltern, örtlichen Beamten oder auch Nachbarn (hier dem Senator Olybrius) drohte Be725
Zu Unrecht meint Bonfils, Prassi, 163; ebenso Solidoro Maruotti, La tutela del possesso, 98, Symmachus habe vorliegend die konstantinische Gesetzgebung ignoriert. Das ist nicht richtig. In Übereinstimmung mit den konstantinischen Gesetzen erkannte er bislang nur auf Besitzrestitution. Damit ist weder der Eigentumsstreit, noch eine Verurteilung wegen violentia präkludiert. 726 In Ep. V, 18 fürchtet er eine invasio auf eines seiner Güter und bittet einen Freund, dem vorzubeugen: Suades ut redeam, ne ius praedii nostri violenta perturbet inruptio. Auch Ep. IX, 123 spricht gegenüber einem betroffenen Freund das Problem gewaltsamer Landentziehung an: facinorosus invasor. In einem Vergleichsfall zu unserer Relation schreibt Symmachus in Ep. I, 74 (vor 381; s. a. im Dritten Teil), dass sich Leute des Celsinus Titianus (servili ausu), wohl ohne dessen Wissen, eines fremden, senatorischen Grundstücks bemächtigt haben. Von Übergriffen gegenüber abwesenden Grundbesitzern ist auch in Ep. III, 53 die Rede: Der Senator Ausonianus hatte sich bei Symmachus über die Übergriffe der Leute des Eutropius auf seine Ländereien in Asien beklagt. Symmachus leitet die Klagen an Eutropius weiter und bittet um Wiedergutmachung des Schadens, wenn der Vorwurf berechtigt sein sollte. Zu weiteren (befürchteten) Übergriffen zulasten Abwesender s. a. Epp. III, 69; IX, 40; IX, 129. Ein anderes Mal bittet Symmachus den vicarius Africae, die örtlichen Beamten besser zu kontrollieren, denn auch von dort drohten dem abwesenden Grundbesitzer Übergriffe, vgl. Ep. VII, 66. In Ep. VII, 116 schreibt er an einen kaiserlichen Beamten, um das Land der verwaisten Kinder des vir illustris Severus vor regelmäßig drohenden Angriffen zu schützen. Ihnen drohen Raub und Unrecht; sie brauchen daher Schutz durch hohe Beamte. Das erinnert daran, dass auch vorliegend der Besitz von Waisen durch Übergriffe des Senators Olybrius gefährdet ist. Ep. II, 91 äußert die Bitte an den damaligen praefectus praetorio Nicomachus Flavianus, einem Senator beizustehen, dem offenbar durch Betrügereien rechtswidrig Ländereien entzogen worden waren (vgl. auch dazu im Dritten Teil). 727 Abwesende Grundbesitzer wurden nicht zufällig immer wieder speziell geschützt, s. CT IV, 22, 1 (326) und IV, 22, 4 (396).
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sitzentziehung. Der Betroffene konnte im Vorfeld allenfalls versuchen, wie es Symmachus in seinen Briefen immer wieder tut, seine Beziehungen zu den örtlichen Behörden bzw. Freunden vor Ort zu nutzen, und dort um Beistand bitten. Wirklichen Schutz aber gewährleisteten auch die Gerichte, wie Relation 28 erweist, nur bedingt. Nicht zufällig hofft Symmachus in § 11 darauf, dass der Kaiser ein Exempel statuiere. Im konkreten Fall interessiert bislang nur der Zivilprozess. Die gewaltsame Besitzentziehung war daneben aber, wie schon angedeutet, auch mit schwersten Strafen bedroht (s. zu einem solchen Strafprozess mit den einschlägigen Quellen bei Relation 38). Ein Strafprozess hätte sich hier also grundsätzlich anschließen können, denn ein Hauptfall des crimen violentiae ist die gewaltsame Vertreibung. Kaiser Konstantin, dessen Regelungen damals wie gesehen noch immer galten, bedroht das gewaltsame Eindringen in ein fremdes Grundstück mit der Todesstrafe, CT IX, 10, 2 (318728). Milder geahndet wird allerdings Gewaltanwendung zur Durchsetzung eines (vermeintlichen) Rechts, CT IX, 10, 3 (319)729, und darauf baut auch Olybrius, wenn er sich darauf beruft, selbst Eigentümer der entrissenen Hälfte zu sein. Eine geschickte Einkleidung als Selbsthilfe konnte so, jedenfalls wenn niemand zu Tode gekommen war, vor der Todesstrafe schützen. In Betracht kommt hier gegen Olybrius allerdings nicht nur Landraub, sondern auch Widerstand gegen die Amtsgewalt der Stadtpräfektur. Zu denken ist insoweit an vis publica, Aufruhr, weil er dem Gerichtsbeamten Rufinus Zeugen entrissen hat, was nach CT IX, 10, 1 (317730) als manifesta violentia mit der Todesstrafe bedroht war731. Zu denken wäre wegen der Verschleppung und Einsperrung der Bewohner des Gutes auch an Menschenraub, plagium, für den ihm nach PS V, 30b, 1 als honestior lebenslängliche Verbannung, relegatio perpetua, und Einziehung des halben Vermögens drohte. Olybrius stellt es insofern allerdings geschickt an, als der Auftraggeber einer Gewalttat wenigstens im Strafprozess regelmäßig besser davonkam als der unmittelbar Ausführende. Levy732 zeigt auf, dass die Gesetzgeber des Vierten Jahrhunderts zwar den invasor hart straften, aber relative Milde übten, wenn die invasio im Auftrag Dritter begangen wurde. Begünstigt von dieser Gesetzgebung wurden insbesondere Invasoren hohen Ranges wie Olybrius, die sich eigener Handlanger (etwa ihrer Verwalter, der actores) bedienen konnten und nicht selbst in Erscheinung treten mussten. Geschah die gewaltsame Besitzergreifung durch die Leute eines anderen ohne dessen Wissen, konnte man zwar Restitution verlangen (Olybrius also zur Herausgabe wie geschehen verurteilt werden), vgl. Ep. I, 74 (vor 381: Sklaven begehen eine invasio ohne Wissen ih728
Seeck, Regesten, 68; 166. Zu den Rechtsfolgen im Einzelnen schon unter 3 b). 730 Seeck, Regesten, 67; 165. Für 318: Chastagnol, Préfecture, 92 Fn. 4. 731 Zuständig, in Kapitalsachen über einen Senator zu befinden, wäre der Stadtpräfekt mit fünf ausgelosten Senatoren, dem quinquevirale iudicium. Dazu schon im Ersten Teil, 4. Abschnitt II., und näher bei den Relationen 31, 36 und 49. 732 WRVL, 259 ff m. Quellen. 729
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
res Herrn), der gutgläubige „Hintermann“ konnte aber nicht bestraft werden. Zwar galt auch derjenige, der durch seinen Befehl oder Auftrag vertreiben lässt, als Täter733, doch war ihm Kenntnis der Tat häufig nicht nachzuweisen und er damit straflos734. Darauf sich herauszureden, hätte auch Olybrius versuchen können. Bislang aber behauptet er noch nicht einmal, nichts gewusst zu haben, sondern macht Eigentums- und damit Selbsthilferechte geltend, wäre also für den Landraub nach CT IX, 10, 3 wie gesehen strafbar. Nach der Relation erscheint er als Auftraggeber einer vorsätzlichen, rechtswidrigen invasio. Symmachus lässt keinen Zweifel daran, dass er sich strafbar gemacht hat. Allerdings ist trotzdem zu vermuten, dass ein Strafprozess gegen Olybrius gar nicht erst eingeleitet wurde. Es wird sich kein Ankläger735 gefunden haben, denn die Opfer Scirtius und Rufinus werden sich wohl gehütet haben, ein Risiko wie Africanus in Relation 49 einzugehen. Sollte die Schuld des Olybrius nicht erwiesen werden können, was durchaus möglich war, weil er Dritte die Tat hatte ausführen lassen, so drohte dem erfolglosen Ankläger selbst die entsprechende Strafe, s. etwa CT IX, 10, 3. Das dürfte die Geschädigten davon abgehalten haben, Strafrechtsschutz zu suchen. Olybrius wurde jedenfalls nicht ernsthaft belangt, denn 395 gedenkt Claudian736 des Verstorbenen in allen Ehren. Dass schuldige Senatoren und straffällig gewordene Beamte mittels Fürsprache und Einflussnahme auf die Rechtsprechung häufig straflos davonkamen, berichtet Ammian mehrfach737 und die Gefahr schwebte nach dem Zeugnis der Relationen 31, 38 und 49 auch für diese Zeit. CT IX, 10, 4 (390) schärft zwar Beachtung des Gesetzes in Fällen von violentia für den Richter unter Androhung von Infamie nochmals ein, doch, wenn ein Ankläger fehlte, war wenig auszurichten. Auch die spätere Einleitung eines Kriminalverfahrens von Amts wegen ist unwahrscheinlich, da bei privaten Streitigkeiten regelmäßig nur das Anklägerverfahren überliefert ist (s. bei Relation 49). Untersuchungen gegen Senatoren und ehemalige höchste Beamte wurden zwar, wie die Relationen 23, 34 und 36 zeigen, unter Valentinian II. durchaus geführt und ggf. auch Strafen ausgesprochen, wenn staatliche Interessen verletzt waren. An einem manifesten staatlichen Verfolgungsinteresse fehlt es hier aber gerade. Der Fall droht daher ungesühnt zu bleiben, weil Olybrius einflussreich und Scirtius unbedeutend war und niemand die Konfrontation mit dem System, d. h. der Regierung, zu der Olybrius noch immer gute Beziehungen unterhalten haben dürfte, gesucht haben wird. Vor Erledigung des Streits um das Eigentum, was nach CT IX, 10, 3 733
S. schon Ulp. D XLIII, 16, 1, 11 f. Vgl. zu solcher Konstellation CT II, 26, 1 (330); IV, 22, 1 (326); IX, 10, 3 (319); 4 (390). Hier wird genau unterschieden: Begehen Sklaven ohne Wissen ihres Herrn die Gewalttat, werden nur sie bestraft. Begehen sie aus Furcht vor dem Herrn (gezwungen) oder angestiftet durch diesen die Gewalttat, wird der Herr nach der lex Iulia mit Infamie belegt ohne Rücksicht auf seinen Status, d. h. honestiores wie Olybrius trifft Infamie. 735 Formalien und Risiko zeigt anschaulich die Relation 49. 736 Anlässlich des Konsulatsantritts zweier Enkel des Olybrius: Claudianus, Carm. 1 = Panegyricus dictus Probino et Olybrio consulibus, 30. 737 Vgl. etwa XXVII, 9, 1-4; XXVIII, 6, 24; XXIX, 5, 2. 734
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vor einem Strafverfahren erfolgen musste, trifft Symmachus jedenfalls kein Untätigkeitsvorwurf. 6. Ergebnis und Einschätzung Ein bekannter Senator lässt einem sonst unbekannten, wenn auch in seiner kleinen Gemeinde als vir perfectissimus angesehenen Grundbesitzer den Grundbesitz gewaltsam entreißen. Dieser zieht vor Gericht und bekommt zunächst, für den Täter vielleicht sogar unerwartet, Recht. Symmachus fällt ein rechtmäßiges Urteil zu seinen Gunsten. Doch gewährt er den gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutz nur halbherzig. Er spricht zwar Recht, setzt es aber nicht durch. Anstatt die Berufung gegen sein Besitzurteil zurückzuweisen, dieses zu vollstrecken, zur Untersuchung der Hauptsache, d. h. der Eigentumsverhältnisse, überzugehen und dort ein Endurteil zu fällen, nimmt er bewusst vorschriftswidrig das Rechtsmittel an und schlägt, im Übrigen formal korrekt, das Verfahren der appellatio more consultationis ein. Der Senator erhält insoweit faktischen Schutz seiner angemaßten Position. Der Besitz bleibt zunächst dort wo er ist; die Vollstreckung des Urteils wird vermutlich ausgesetzt, denn noch einmal will sich Symmachus gewiss nicht bloßstellen lassen; es stand nämlich zu befürchten, dass Olybrius versuchen würde, auch die Vollstreckung des Besitzurteils zu unterlaufen. Symmachus tut im Ergebnis damit genau das, was das Appellationsverbot eigentlich verhindern soll: Er stabilisiert die rechtswidrig geschaffene Besitzlage. Auf den ersten Blick klingt es zwar gut, wenn er in seiner Begründung darum bittet, der Kaiser möge anhand eines Präzedenzfalles allgemeine Rechtssicherheit herstellen. Doch zu passiv verhält sich Symmachus im Verlauf des ganzen Verfahrens, als dass man nicht dort den wahren Hintergrund vermuten würde738. Auch, dass er den Fall dem Kaiser bekannt machen will, ehrt ihn zwar, dürfte aber das kaiserliche Interesse an dem Fall über-, den möglichen Einfluss des Olybrius am Hof unterschätzen und ändert nichts an dem Eindruck, dass er selbst mit dem Fall überfordert ist. Der eigentliche Grund für die rechtswidrige Entscheidung des Stadtpräfekten liegt in der Person des Olybrius und der eigenen Schwäche.Olybrius droht sich jeder Vollstreckung weiterhin zu widersetzen, indem er, kaum ist das Urteil verkündet, sogleich Rechtsmittel ankündigt. Symmachus’ Autorität aber wurde bereits mehrfach missachtet und anstatt darauf zu reagieren, ist er darauf bedacht, immer wieder sein korrektes Verfahren herauszustellen. Zwar sichert er den ordentlichen Verfahrensgang739, zwingt Olybrius mit seiner beharrlichen Unter738 Anders offenbar die Einschätzung von Bonfils, Prassi, 179, der Symmachus verteidigt und meint, aus Standesinteressen und Schutz des eigenen Amtes sei es korrekt, den Kaiser anzurufen. 739 Symmachus führt eine durchaus strukturierte Untersuchung durch, zeigt auch eigenständige Rechtsauslegung und Rechtsanwendung, wenngleich hinsichtlich der constitutio erfolgreich Verwirrung bei ihm gestiftet wird; er kommt zu einem nachvollziehbaren Ergebnis. Vorsichtig berichtet er dem Kaiser jeden Verfahrensschritt, so dass
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
suchung auch aus der Reserve, beugt sich also insoweit nicht den Versuchen, sein Verfahren zu torpedieren, und kommt auch zu einem doch wohl richtigen und gerechten Urteil, doch zeigt er an keiner Stelle wirkliches Durchsetzungsvermögen, sich Olybrius entgegenzustellen. Dazu fügt sich, dass er die Berufung nicht als unzulässig zurückweist, sondern auf Unterstützung von oben hofft. Symmachus mag sich in letzter Konsequenz doch nicht gegen einen der einflussreichsten Männer im Lande exponieren oder gar blamieren, wenn seine Autorität weiter in Frage gestellt würde. Das Appellationsverfahren erweist sich erneut als anfällig für Unregelmäßigkeiten. Symmachus ist wie in Relation 16 (und wohl auch Relation 33) ohne große Worte bereit, ein gesetzliches Appellationsverbot zu übergehen. Das für den Richter unter Umständen gefährliche Verfahren des adire (dazu ausführlich bei Relation 16) liefert dafür auch hier keine überzeugende Erklärung, denn die Rechtslage ist unstreitig. Eine Ablehnung der Berufung dürfte für den Stadtpräfekten daher im Grunde kein Risiko bedeuten. Trotzdem nimmt er sie lieber an, um nicht wegen Nichtannahme angegriffen zu werden, und nutzt damit auch die Chance, den lästigen Fall auf scheinbar elegante Art los zu werden und sich selbst vor weiteren Angriffen auf die eigene Amtsautorität zu schützen. Tadel oder gar Haftung für seine Amtspflichtverletzung740 befürchtet Symmachus offensichtlich nicht. Langwierige Erklärungen scheinen überflüssig. Die Akten sprachen augenscheinlich für sich. Wie in Relation 16 rechnet er fest damit, beim Kaiser auf Verständnis zu stoßen, und schiebt rechtliche Gründe gar nicht erst vor. Sein Verhalten ist klar rechtswidrig, wie er gleich einleitend einräumt. Der Ausgang des Prozesses ist ungewiss; wir hören nichts mehr von dem Fall. Symmachus erwartet fest eine Bestätigung seines Urteils und damit Stärkung seiner Position. Nicht unwahrscheinlich ist, dass der Kaiser tatsächlich auch hier die Berufung ohne negative Folgen für den Richter akzeptiert hat. Erinnert sei zum einen an CT XI, 30, 42 (März 384, Ost, s. bei Relation 16), wonach überflüssige, eventuell auch unzulässige Appellationen anzunehmen sind, und zum anderen war Appellation in Fällen wie dem vorliegenden (gegen eine momentum-Entscheidung) etwa zwei Jahre später nicht mehr unzulässig, wenngleich ohne aufschiebende Wirkung: CT XI, 37, 1 (386, an den praefectus praetorio), d. h. belegt ist ein rechtlicher Wandel entsprechend dem Verhalten des Symmachus, ähnlich der Entwicklung zum praeiudicium, wie sie für Relation 16 aufgezeigt wurde. Die konkrete Antwort des Kaisers auf Relation 28741 ist allerdings nicht bekannt. CT XI, 37, 1 passt weder zeitlich noch im Hinblick auf den Adressaten. Unter Valentinian II. ist aber eine Tendenz erkennbar, Appellationsverbote abzumildern, so dass man vermuten kann, dass er wie im Fal-
wir hier ausnahmsweise auch Details erfahren, die in anderen Relationen routinemäßig übergangen werden. 740 Als iudex qui litem suam fecit, der eine Rechtsverletzung begangen und jemanden geschädigt hat. Dazu schon m. N. bei Rel. 16. 741 Jedenfalls nicht CT XI, 30, 44, s. dazu bereits unter 4.
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le der Relation 16 auch diese rechtswidrige Appellation akzeptiert hat742. Ob er aber auch die in CT XI, 37, 1 vorgesehene rasche Restitution angeordnet hat, ist zweifelhaft. Nach dem Zeugnis der Relationen verwundert jedenfalls nicht, dass sich in jenen Jahren Regelungsbedarf gerade im Bereich des Appellationsverfahrens auftut. Trotz klarer Verbote werden immer wieder Ausnahmen gemacht, die auch der Kaiser ggf. akzeptierte, was die Rechtsunsicherheit noch vergrößerte. Ungewiss ist auch, ob und wie der Kaiser, wenn er die Berufung akzeptiert hat, in der Sache entschied. Ob er das Urteil bestätigte und Symmachus die Hauptsache noch verhandelte, wissen wir nicht. Liebs jedenfalls bezweifelt, dass letztlich das Recht gesiegt hat743. Die Beklagtenseite freilich versprach sich von der Berufung offensichtlich Erfolg auch in der Sache. Nicht auszuschließen ist, dass Olybrius seine guten Beziehungen, die er unbestreitbar zur Verwaltungsspitze in Mailand gehabt hat, ausspielte, obwohl seine Appellation eigentlich nach den Aussagen des Freigelassenen und der Kurialen auch in der Sache völlig aussichtslos gewesen sein muss. Möglicherweise setzte sich Olybrius also auch beim Kaiser mit der Unverfrorenheit, die er während des ganzen Verfahrens vor dem Stadtpräfekten gezeigt hatte, durch. Die Tat entspricht dem negativen Bild, das Ammian von der Familie des Olybrius entwirft. Brachiale Gewalt, politischer Einfluss und wirtschaftliche Macht schüchtern selbst einen Stadtpräfekten wie Symmachus ein. Nicht nur grober Rechtsbruch und Bestechlichkeit, sondern auch übermäßige Vorsicht des Richters erweisen sich als gefährlich und wirken sich zumindest faktisch zulasten des sozial Schwächeren aus. Zwar entzieht sich Symmachus dem gewiss unangenehmen Fall nicht durch schlichte Untätigkeit wie einst Olybrius, der erkrankte, aber doch durch Nachgiebigkeit. Nur deshalb erfahren wir überhaupt von dem Fall. Auch ein solches Verhalten aber ist geeignet, das Vertrauen in die Justiz zu erschüttern; es führt zu Rechtsunsicherheit und bewirkt auch nicht die gewünschte Abschreckung, sondern ist vielmehr eine Aufforderung an solche Täter, sich den zuständigen Behörden zu widersetzen. Unabhängige und durchsetzungs742
Quellen bei Relation 16. Auch Liebs, Landraub, 98 f mit Fn. 51, meint, der Kaiser habe bei diesem Rechtsbruch mitgespielt. Er werde diese Berufung (ebenso wie die von Rel. 33) nicht als unzulässig zurückgewiesen haben, weil die Berichte des Symmachus sonst später wohl nicht veröffentlicht worden wären. Eine sofortige Vollstreckung hätte Symmachus nicht übergangen. 743 Landraub, 99. Dass dafür allerdings ein Indiz sei, dass Symmachus wegen allerhöchster Kritik an seiner Amtsführung vorzeitig von der Stadtpräfektur zurückgetreten sei, scheint nicht zwingend. So schlecht war der Stand des Stadtpräfekten in Mailand wohl nicht, dass man daraus auf einen entsprechend ungünstigen (aus Sicht des Symmachus) Prozessausgang schließen könnte und dass der Fall wegen eines Amtswechsels in der Stadtpräfektur im Sande verlief, ist ebenfalls nicht zwingend zu vermuten. Auch Symmachus beendet mehrfach Verfahren, die noch vor seinen Amtsvorgängern begonnen hatten. Sollten sich allerdings die Hoffnungen des Stadtpräfekten, Olybrius beim Kaiser vorzuführen, nicht erfüllt haben, dürfte dies in der Tat zusammen mit den anderen Rückschlägen, über die bereits berichtet wurde, zu (weiterer) Frustration geführt haben, die ein Aufgeben nahe legen könnte.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
kräftige Rechtsprechung war schon damals um so schwieriger, als einflussreiche Persönlichkeiten an der Tat beteiligt sind, die ohne Skrupel das System für sich zu nutzen wissen. Da hilft auch entschiedene Gesetzgebung wenig, zumal die Beweislast des Anklägers im Strafprozess eine zusätzliche Hürde gerade in solchen Fällen schaffte, in denen Zeugenbeeinflussung und Beweismanipulation drohten. Der wirtschaftlich und politisch Stärkere, der zudem auf Seiten der aufsteigenden Religion steht, vermag sich hier gegenüber dem vorsichtigen Richter, dessen Stand in Mailand derzeit wohl auch nicht der Beste war, durchzusetzen. Relation 28 spiegelt im Ergebnis symptomatisch die allgemeine Rechtssituation wieder: invasio ist weitverbreitetes Übel, gegen das die Kaiserkonstitutionen und die befassten Richter mehr oder weniger vergeblich ankämpfen. Das zeigt sich hier erstmals, doch werden uns noch weitere Fälle begegnen. Olybrius fürchtet, ähnlich wie der Senator Valerianus in Relation 31, nicht den Kaiser und schon gar nicht den Stadtpräfekten von Rom, der, obwohl er sozial auf derselben Stufe steht, dem nicht mehr entgegensetzen kann als einen eigenen Rechtsbruch, nachdem er immerhin die Machenschaften in deutlichen Worten benannt und ein Urteil gefällt hat. Landraub erweist sich als faktisch erfolgreich. Nicht fehlende Rechtskenntnisse des Richters, sondern fehlende Durchsetzung des Rechts, etwa weil einflussreiche Personen im Hintergrund stehen, sind das Problem. Relation 28 gehört zu den vielfach belegten Fällen von Unfähigkeit und Unwillen, solche Geschehnisse wirksam zu verfolgen und - wie es die Gesetze fordern - sogleich rückgängig zu machen.
IV. Relation 30: Ein Prozess um senatorische Abgaben Im Zusammenhang mit der Einziehung des vom Senat beschlossenen aurum oblaticium (s. das Beispiel in Relation 13) kommt es im Rahmen einer Erbfolge zu einem jahrelangen Streit darüber, wer wieviel bezahlen muss und inwieweit Zahlungspflichten bereits erfüllt wurden. Die Staatskasse, vertreten durch advocati fisci, verklagt zwei Frauen senatorischen Standes auf Zahlung. Zuständiger Richter ist Symmachus, der sich, nachdem er den Sachverhalt weitgehend aufgeklärt hat, schließlich an Valentinian II. (der in § 3 als Sohn Valentinians I. angesprochen wird) wendet und um Entscheidung bittet, weil ihm der Fall, in dem die Auslegung eines kaiserlichen Reskripts in Frage steht, zu heikel erscheint. Es handelt sich damit um einen Fall von consultatio ante sententiam in erster Instanz im Rahmen eines Fiskalprozesses. Eine genaue Datierung des Prozesses und der Relation ist nicht möglich; insbesondere wird nicht um die vor dem 22. November 384 beschlossene oblatio für die Decennalienfeier Valentinians II. gestritten, sondern um eine schon seit vielen Jahren ausstehende Summe.
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1. Der Sachverhalt Zwei Finanzbeamte der sacrae largitiones, die palatini munerationum sacrarum Avitus und Castor744, haben die öffentlichen Steuereinnahmen untersucht und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse unter anderem die Erbinnen des Senators Postumianus wegen ausstehender Zahlungen vor das Gericht des Stadtpräfekten Symmachus gebracht. Im Namen der Staatskasse, die sich durch advocati fisci vertreten lässt, verklagen sie die Frauen auf Zahlung ausstehender Beiträge zum aurum oblaticium. Aus dem officium censuale hatten die Steuerfahnder vom früheren Sachbearbeiter Lucianus745 die Auskunft erhalten, dass die Familie des Postumianus zur Zahlung des aurum oblaticium - oblativae functiones/munus/oblativa munera schreibt Symmachus746 - verpflichtet war. Die Familie ist als steuerpflichtig registriert und hat, wie es aussieht, ihre 744 Die beiden sind sonst unbekannt: PLRE I, Avitus 2, 127; Castor 1, 185. Sie sind Finanzbeamte der sacrae largitiones unter dem comes sacrarum largitionum, denn eben dorthin fließt, wie Relation 13 zeigt, das aurum oblaticium. Palatini sind häufig, so auch hier, Beamte eines der beiden Finanzminister. Sie kümmern sich darum, dass die Steuern ordnungsgemäß eingezogen werden und werden dazu ggf. in die Provinzen bzw. nach Rom geschickt, wo sie die Zensus-Register (zu den Registrierungen s. Rel. 46) kontrollieren. Dort überprüfen sie die Einnahmen, lassen sich die Abrechnungen vorlegen und mahnen Zahlungen an, erheben aber nicht selbst die Steuern. Zu palatini s. schon bei Rel. 23 und später bei Rel. 48; s. a. Enßlin, RE-palatini, 2539; 2550 ff; Delmaire, Largesses sacrées, 131; 377 Fn. 73; 408. 745 Lucianus ist 384/385 schon nicht mehr im Amt. Als Beamter im officium censuale untersteht er dem Stadtpräfekten. Dazu schon bei den Rell. 23, 45, 46 und Sinnigen, Officium, 70 ff; Chastagnol, Préfecture, 76 ff. Die Person ist sonst unbekannt: Seeck, RELucianus 7, 1615; PLRE I, Lucianus 5, 516. Im officium censuale werden die Vermögensangaben der Senatoren registriert und die Steuerpflichten auf dieser Grundlage festgesetzt, vgl. Rel. 46 zur gleba. Auch Steuerrückstände lassen sich dort und auch in den Palastarchiven anhand der dorthin übermittelten (s. Rel. 46) Registerauszüge feststellen. Die censuales treiben das aurum oblaticium von den in den Provinzen lebenden Senatoren ein, CT VI, 2, 16 (395); VI, 2, 20 (397). In Rom erfolgt die Zahlung an den Stadtpräfekten, vgl. bei Rell. 13 i.V.m. 23. 746 Die Begrifflichkeit ist nicht fest. Welche senatorische Abgabe hier gemeint ist, ist daher nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Am wahrscheinlichsten ist das aurum oblaticium, denn nicht viele andere senatorische Zahlungspflichten an die sacrae largitiones kommen in Betracht; insbesondere die gleba wird grundsätzlich (vgl. Rel. 46) speziell benannt. Diese senatorische Zahlungspflicht zu Ehren des Kaisers, die oft (s. CT VI, 2, 25; Rell. 13, 2; 23, 12) auch einfach oblatio genannt wird, wurde schon bei den Relationen 13 und 23 berührt. Allerdings kann auch oblatio verschiedene Abgaben meinen, s. Quellen bei Relation 13. So ist etwa in CT VI, 4, 17, einer Konstitution, auf die hier noch zurückzukommen sein wird, die Rede von oblatio, was dort jegliche senatorische Last meinen kann, und auch CJ X, 16, 5 (339) spricht allgemein von jedermann verpflichtenden öffentlichen Abgaben: ad oblationem functionum publicarum. In Anbetracht des wiederholten Gebrauchs von oblativus ist aber letztlich doch sehr wahrscheinlich das aurum oblaticium gemeint, wenn auch nicht das soeben beschlossene. So schon: Lécrivain, Sénat, 86; Karayannopulos, Finanzwesen, 142 Fn. 11; Jones, LRE III, 106 Anm. 50; Chastagnol, Famille, 253; ders., Préfecture, 129; ders., Fastes, 171; ders., Sénat, 308; Barrow, Prefect, 165; Vera, Commento, 239; Gera/Giglio, Tassazione, 149 Fn. 79; Delmaire, Largesses Sacrées, 408; Giglio, Giurisdizione e fisco, 199 ff.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Pflichten nicht erfüllt. Die genannten palatini leiten daher den Prozess ein. Vor Gericht sollen nun die genauen Zahlungspflichten geklärt werden. Der Fall allerdings hatte eine lange Vorgeschichte. Es handelt sich um eine alte Schuld, daher wird auch der frühere censualis befragt. Drei Frauen senatorischen Standes werden schließlich als Schuldnerinnen ausgemacht: Lolliana, Cattianilla und Severilla, die Erbinnen des Postumianus747. Lolliana war wohl seine Tochter, die beiden anderen Enkelinnen anstelle eines zweiten, vorverstorbenen Kindes (s. die Vermutung bei Chastagnol, der auch die Namen der Familie daraufhin untersucht), denn die Hälfte des Fehlbetrags soll Lolliana und je ein Viertel sollen Cattianilla und Severilla tragen. Verklagt werden drei Frauen aus einer einflussreichen senatorischen Familie, worauf bei der Fallbewertung noch zurückzukommen sein wird. Das Verfahren gegen Lolliana wird in der Folge allerdings abgetrennt. Von ihr hört man weiter nichts mehr, vielleicht zahlte sie freiwillig. Möglicherweise wurde das Verfahren gegen sie aber auch eingestellt. Die beiden anderen Frauen wehren sich gegen die Einforderung der Steuer, die sie zu je einem Viertel zahlen sollen. Von dem Prozess gegen sie handelt die Relation. Sie werden vor das Gericht des Stadtpräfekten Symmachus geladen und verteidigen sich dort mit einem Reskript, § 2: Interea sequestrato Lollianae c. f. nomine, quam pro sex unciis stringit exactio, harum orta refragatio est, quas pro singulis bonorum quadrantibus solutionis cura mordebat. Conperendinato plerumque iudicio res eo deducta est, ut fisci patrocinium securitates a clarissimis personis inpleti per vices muneris flagitaret, Cattianillae vero ac Severillae defensio rescripto ad relationem divi principis niteretur. Nach einigem Hin und Her vor Gericht mit mehreren Vertagungen tat sich die Frage auf, ob die Zahlung entgegen der Ansicht der Klägerseite nicht bereits erfolgt, die Schuld schon untergegangen ist, 747
Zu den beteiligten Personen: Enßlin, RE-Postumianus 1, 889 f; PLRE I, Postumianus 1, 718 (doch geht es in Relation 30 nicht um das aurum oblaticium von 384). Postumianus ist einige Zeit vor 366/367 verstorben, denn schon vor dieser Zeit, der Amtszeit des Stadtpräfekten Viventius, liefen die Ermittlungen gegen seine Erbinnen, § 3. Seeck, Briefe, 243, vermutet, dass ihm möglicherweise die Postumianensis res gehörte, ein Landgut, das Symmachus um 397 erwerben wollte und das ihm ein Leo streitig machte, Ep. IX, 30. Darin folgen ihm Enßlin a.a.O.; PLRE I, Postumianus 1, 718, und auch Roda, Commento, 154, hält dies für möglich, stellt aber zutreffend fest, dass es keine konkreten Belege dafür gibt. Festzuhalten ist, dass es zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise Kontakte zwischen den Familien gegeben hat. Lolliana wird nach überwiegender Ansicht identifiziert mit Caecinia Lolliana, der Ehefrau von C. Caeionius Rufius Volusianus Lampadius, einem heidnischen Senator und Stadtpräfekten von 365/366 (s. Chastagnol, Fastes, 164 ff): Seeck, RE-Ceionius 25, 1863; PLRE I, Lolliana, 511; Volusianus 5, 978 ff (Stammbaum der Familie, 1136); Vera, Commento, 233 ff. Zu den auch hier angedeuteten Familienverhältnissen äußert sich ausführlich Chastagnol, La famille de Caecinia Lolliana, 249 ff. Die genannten späteren Autoren haben sich dem weitgehend angeschlossen und tatsächlich hat diese Identifikation einiges für sich und ist auch zur Erklärung der Hintergründe der Relation möglicherweise von Bedeutung (dazu unter 3. Über Cattianilla und Severilla, den mutmaßlichen Nichten von Lolliana, wissen wir sonst nichts: PLRE I, Cattianilla, 187; Severilla, 830.
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wie die Anwälte der Senatorinnen vortragen. Die Zahlungspflicht selbst und auch ihre Höhe waren offensichtlich unstreitig. Die Vertreter des fiscus fordern als Beweis der angeblich erfolgten Zahlung Vorlage der Einzahlungsquittungen, während die Verteidigung der beiden Frauen sich auf ein kaiserliches Reskript beruft, in dem Valentinian I. die Zahlung bescheinigte. Dabei stellt sich heraus, dass sich vor etwa 20 Jahren schon verschiedene Stadtpräfekten mit dem Fall auseinandergesetzt hatten. Viventius, Stadtpräfekt von 366/367748, war nicht der erste, der mit dem Fall befasst war; er hatte seinerzeit Valentinian I. in einer Relation befragt, wie zu verfahren sei. Der Kaiser hatte in seinem Antwortschreiben, dem genannten Reskript, (u. a) die rechtzeitige Erfüllung der jeweiligen Zahlungspflichten durch Cattianilla und Severilla bestätigt. Die beiden haben nach Ausweis des Reskripts bei den verschiedenen Gelegenheiten ihren Beitrag zum aurum oblaticium erbracht. Der umstrittene Steuerbetrag betrifft demnach eine Summe, die bis 366/367 entstanden war, spätere oblationes stehen dagegen nicht in Rede. Der Reskriptinhalt deckt die umstrittenen Summen zeitlich ab. Um spätere Zahlungsanlässe wird nicht gestritten. In § 3 heißt es dazu: Vetus enim quaestio et cognitionibus praefecturae frequenter agitata usque ad inclyti semperque verendi genitoris vestri cucurrit arbitrium, qui Viventii clarissimae et inlustris memoriae viri tunc praefecti urbis insinuatione consultus quadam rescripti parte signavit, suis quibusque temporibus a Cattianilla ac Severilla clarissimis feminis oblativa munera soluta constare. Man sollte glauben, dass der Streit damit erledigt war, denn immerhin hatte sich die höchste Instanz eindeutig geäußert. Trotzdem gibt es offenbar Zweifel. Symmachus unterstreicht in § 4 zunächst, dass er in solchen Fällen eigentlich immer schriftliche Zahlungsnachweise fordere, also Vorlage der Einzahlungsquittungen. Das hatte er auch hier vor, doch halte ihn davon das Reskript ab, das höhere Beweiskraft habe als jeder andere Beleg. Doch so ganz will oder wagt er nicht, auf Zahlungsnachweise zu verzichten, und sieht daher keinen anderen Weg, als den Kaiser anzurufen und ihm den Fall mit allen Unterlagen und Schriftsätzen der Parteien vorzulegen. Seine Begründung lautet, dass Reskripte stets unbedingte Beachtung heischen, dass aber ihre Auslegung allein dem Kaiser zustehe. Der Beamte verehre die oracula divina, interpretiere sie aber lieber nicht. Er macht sich klein; der Kaiser möge seiner Unsicherheit abhelfen und selbst entscheiden. Damit unterstreicht Symmachus noch einmal seine Loyalität und liefert wenigstens formell ein rechtliches Argument, das wir auch aus anderen Relationen kennen, dass nämlich Gesetzesauslegung allein Sache des Kaisers sei, § 4. Mit diesen Worten gibt Symmachus den Fall ab und erwartet nun ein Urteil von höchster Stelle: Hic me nodus iam promptum atque declivem ad efflagitanda inlationum documenta defixit, cum videretur omnibus securitatibus esse vehementior imperatoris adsertio. De cuius responsis iugi 748
Viventius ist von Oktober 366 bis Mai 367 im Amt belegt und war zur Amtszeit von Symmachus bereits verstorben, Rel. 30, 3. Er war nach der freundlichen Schilderung Ammians Pannonier und wurde von Valentinian I. sehr gefördert. Wahrscheinlich war er Christ. Zu ihm: Chastagnol, Fastes, 170 f; Ammian, XXVI, 4, 4; XXVII, 3, 11 ff.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
honore mansuris vestrae clementiae fas est esse iudicium; nos venerari potius quam interpretari oracula divina consuevimus. Praesto sunt monumenta gestorum, partium quoque supplementa non desunt. Aequum est, ut maiestatis vestrae informetur arbitrio humana cunctatio. 2. Das Verfahren im Einzelnen a) Der Fiskalprozess Vor Symmachus wird ein Prozess um Steuerschulden begonnen, die viele Jahre zurückliegen. Die umstrittenen Beiträge zu oblationes betreffen Ehrungen früherer Kaiser, einige Zeit vor 366/367. Da Valentinian I. erst 364 auf den Thron kam, könnte man an Jovian (363/364), Julian (361-363) oder Constantius II. (im Westen 352-361, im Osten ab 337) denken, die anlässlich ihrer Thronbesteigung, letzterer vielleicht auch anlässlich seines 10- oder 20-jährigen Regierungsjubiläums, geehrt worden sein könnten. Zunächst fanden mehrere cognitiones, Voruntersuchungen, statt, bis es 366/367 zu einer kaiserlichen Entscheidung kam. Seither ruhte das Verfahren offenbar, bis anlässlich einer Kontrolle der Steuerregister der alte Fehlbetrag wieder entdeckt wird und in weiteren Prozessen auch andere Rückstände gerichtlich eingetrieben werden, wie § 1 zeigt. Die Steuerprüfung scheint insoweit jedenfalls zu funktionieren, wenngleich die Zeiträume zwischen den Kontrollen recht lange anmuten. Die Familie des Postumianus konnte offensichtlich von Anfang an keine Quittungen vorlegen, um zu beweisen, dass sie ihren Pflichten tatsächlich nachgekommen war. In den Registern wurde nichts über das Reskript vermerkt, so dass sorgfältigen Kontrolleuren zu Recht der jedenfalls formal fortbestehende Fehlbetrag auffiel. Damit ergaben sich Unregelmäßigkeiten, die Symmachus vorsichtig machen. Mit dem Verfahren sind von Anfang an die Stadtpräfekten befasst und so ist dann auch Symmachus unbestritten zuständiger erstinstanzlicher Richter in dem 384/385 angestrengten Fiskalprozess um Steuerforderungen. Relation 30 liefert einen Beleg dafür, dass für Senatoren im Fiskalprozess besondere Kompetenzregeln galten, denn ordentlicher erstinstanzlicher Richter ist in Prozessen des fiscus gegen Privatleute sonst der rationalis, ein Finanzbeamter, wie Relation 41 und andere Quellen zeigen749. Privilegiert werden, wie hier deutlich 749 Die Konstitutionen zur oblatio richten sich an den Stadtpräfekten, enthalten aber keine Kompetenzzuweisung. Hier käme der örtliche rationalis der sacrae largitiones in Betracht. Zur Rechtslage vgl. CJ III, 26, 5 (315): ad fiscum pertinentes causas rationalis decidat; CT XI, 30, 14 (327 an den rationalis urbis Romae in Steuersachen); 18 (329: Seeck, Regesten, 48; 179): der Stadtpräfekt ist erst zweite Instanz; X, 1, 7 (357): der rationalis summarum ist Richter erster Instanz im Fiskalprozess; XI, 30, 28 (359): der Stadtpräfekt ist allenfalls zweite Instanz im Steuerprozess; 36 (374): der Stadtpräfekt oder der Vikar ist (erst) zweite Instanz in Steuersachen; 41 (383): der Stadtpräfekt ist allenfalls zweite Instanz oberhalb des rationalis; 45 (15.2.385): der rationalis ist erste In-
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wird, alle Mitglieder des senatorischen Standes, d. h. auch Frauen oder Töchter von Senatoren. Ihr Wohnort ist unbekannt; er muss nicht im Hundertmeilenbezirk von Rom gelegen haben. Zugunsten von beklagten Senatoren gilt offensichtlich wie im gewöhnlichen Zivilprozess die Regel vom domicilium dignitatis bzw. die Zuständigkeit des Stadtpräfekten für causae pecuniariae, CJ III, 24, 2 (376?)750. Diesen Befund bestätigt auch ein Privatbrief von 397/398 an Paternus, den damaligen comes sacrarum largitionum, wonach eine (angebliche) Steuerforderung gegen Senatoren in einer italienischen Provinz geltend gemacht wird. Symmachus fordert in seinem Brief, Ep. V, 63, 3, Verweisung des Falles an den Stadtpräfekten anstelle des örtlich entfernten Provinzrichters, weil es um Senatoren und eine geringe Summe gehe. Eine Kompetenzverschiebung weg vom Stadtpräfekten hin zu den Finanzministern zeigt sich allerdings in zweiter Instanz in Relation 41751. Der Prozess zwischen fiscus und Steuerpflichtigem um Bestand und Höhe der Steuerforderung läuft im Übrigen grundsätzlich wie ein gewöhnlicher Zivilprozess ab, doch gelten einige Besonderheiten. So wird die Staatskasse von advocati/patroni fisci vertreten - fisci patrocinium heißt es in § 2 -, besonders erfolgreichen Anwälten, die, um ihre Unparteilichkeit zu gewährleisten, nur eine gewisse Zeit amtierten, staatlich besoldet und privilegiert waren752. Die Klage muss regelmäßig binnen kurzer Fristen abgewickelt werden, vgl. etwa CT X, 1, 13 (September 385), wonach die Frist für den Regelfall auf zwei Monate festgelegt wird. Nicht selten gab es Verzögerungsversuche im Rahmen von Fiskalprozessen, denen verschiedene Konstitutionen entgegenzuwirken suchen753. Auch im konkreten Fall haben wir es mit einer Altlast zu tun; woher die Verschleppung des Falles rührt, erfährt der Leser der Relation allerdings nicht. Dem Stadtpräfekten Symmachus lässt sich wohl kein Verzögerungsvorwurf machen. Der Fall begann lange vor seiner Zeit und er müht sich sichtlich, ihn nun endlich abzuschließen, und steht dabei wohl unter nicht unerheblichem Zeitdruck. Noch wird indes nicht geltend gemacht, dass die umstrittene Steuerforderung verjährt sein könnte. Auch das Verfahren ist zwar alt, aber offensichtlich noch nicht verfristet.
stanz; s. a. bei Rel. 41. Der rationalis summarum urbis Romae wird auch in Not. Dig. Occ. XI, 13 erwähnt. Zur Fiskalgerichtsbarkeit: Pieler, Gerichtsbarkeit, 415; 447 ff. 750 Dazu schon ausführlich im Ersten Teil, 4. Abschnitt II. 751 S. a. Epp. V, 54; 66 (um 397; dazu bei Relation 41) und die Diskussion zu Relation 48. 752 CJ II, 7, 16 (474): priores advocati; Vorschriften finden sich u. a. im Titel De advocatis fisci, CT X, 15 bzw. CJ II, 8. Zu dieser Funktion: Chastagnol, Préfecture, 373 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 564; Wieling, Advokaten, 452 ff. 753 S. etwa CT X, 15, 3 von 340: advocati fisci verzögern unberechtigterweise die Entscheidung. Speziell in Bezug auf die advocati fisci gibt es zahlreiche Missstände, die im Titel CT X, 15 belegt sind, wie etwa die Führung unberechtigter Klagen, ungeeignetes Personal, Kollusion mit den Steuereinnehmern und Verfahrensverzögerung. Beschleunigungsgebote speziell für den Fiskalprozess werden auch 385 nochmals eingeschärft: CT I, 10, 3; X, 1, 13. Relation 30 beleuchtet im Hinblick auf die Länge des Verfahrens verbreitete Missstände.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Symmachus schlägt, nachdem er den Sachverhalt vollständig ermittelt hat, das Relationsverfahren ein und schickt die Prozessakten sowie zusätzlich Anmerkungen der Parteien, supplementa, an den Hof. Die Verfahrensvorschriften scheinen alle eingehalten, doch fragt sich, ob die von Symmachus gelieferte Begründung überzeugt. Unumstritten ist, dass die beiden Erbinnen für Steuerschulden des Erblassers haften. Hierzu ließe sich CT VI, 4, 17 (368/370754) heranziehen: Igitur quando evenerit non solum masculos successores esse patri suo, verum etiam feminas hereditario iure succedentes advenire, tam praeturam quam etiam oblationes, (unive)rsas personis earundem nullo modo concedas, si(ve) plenae aetatis sive adultae constitutae fuerint. Sed (iu)xta portionem hereditariam singularum perso(n)arum adtributa paterna subire et ipsas conpellere (c)urabis. Danach haften Töchter nominierter, aber vor Ausrichtung der Spiele verstorbener Prätoren, wenn sie volljährig geworden sind, im Verhältnis ihres Erbteils für Kosten des Amtes und ebenso haften sie, wenn der Vater vor seinem Tod seine Schulden auf dem Gebiet der oblationes nicht erfüllt hat. Relation 30 zeigt genau das an einem praktischen Beispiel, was die genannte Vorschrift unter Verweis auf eine frühere konstantinische Anordnung bestätigt, dass nämlich auch Erbinnen eines Senators steuerpflichtig werden. Oblatio wird dabei in CT VI, 4, 17 zwar pauschal für senatorische Abgaben allgemein gebraucht, meint häufig aber das aurum oblaticium (zur Begrifflichkeit schon oben und bei Relation 13). Die Konstitution passt daher inhaltlich genau auf den vorliegenden Fall. Die senatorischen Frauen haften mit dem übernommenen senatorischen Vermögen für angefallene Abgabepflichten. Sie haben in den Registern verzeichnete (Relation 46) senatorische Güter755 geerbt, an die die Steuerpflicht geknüpft ist, wobei sich die geforderte Quote wohl proportional zum Erbteil errechnet. Sie haften zu je einem Viertel mit den ererbten Gütern für den Steuerfehlbetrag. Die palatini machen demnach eine nach Auskunft der Register berechtigte Forderung geltend. Seitens der Familie des Postumianus standen formal ganz erhebliche Summen aus. Die Familie hatte den Steuerregistern zufolge über längere Zeit die immer wieder bei verschiedenen Feierlichkeiten fällig werdenden Beträge nicht bezahlt.
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Die Konstitution datiert von 368 oder 370. Seeck, Regesten, 31; 238, spricht sich für 370 aus. Adressat ist der Stadtpräfekt Olybrius, der von Oktober 368 bis August 370 im Amt belegt ist (zu ihm m. N. bei Rel. 28). Er ist zweiter Nachfolger nach Viventius (dazwischen ist Praetextatus Stadtpräfekt). Im Zusammenhang mit Relation 30 mag die genaue Datierung dahinstehen. Schon zur Amtszeit des Viventius wird unstreitig eine Haftung der Töchter angenommen, d. h. bereits bevor die Konstitution erlassen war, die an den übernächsten Amtsinhaber adressiert ist. CT VI, 4, 17 verweist auf eine entsprechende Vorschrift von Kaiser Konstantin. Die Haftung der verwaisten Töchter galt also schon länger, es war nur eine zusätzliche Klarstellung notwendig geworden. Fälle wie der vorliegende machten vielleicht eine wiederholte Einschärfung der Erbinnenhaftung notwendig. 755 Für das aurum oblaticium zählt der Grundbesitz, vgl. CT VI, 2, 16 (395) und bei Relation 13.
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b) Eine Rechtsfrage? Die den Prozess entscheidende Frage lautet, ob die Beklagten Erfüllung ihrer Steuerpflichten beweisen können. Symmachus ist sich nicht sicher. In aller Regel, darin ist ihm Recht zu geben, ist ein Nachweis von Steuerzahlungen allein durch Vorlage der bei Einzahlung ausgestellten Quittung möglich. Mit seiner Zahlung erwirbt der Steuerschuldner grundsätzlich einen Anspruch auf Erteilung einer Quittung. Kann im Steuerprozess diese Quittung vorgelegt werden, wird Erfüllung der Forderung vermutet, was aber auch widerlegt werden kann. Gibt es keine Quittung, spricht die Vermutung zunächst einmal für Fortbestand der Schulden. Von Anfang an scheint es hier an einer solchen Quittung gefehlt zu haben, wodurch ein kaiserliches Reskript überhaupt erst notwendig geworden war. Doch könnte dieses den erforderlichen Beweis erbringen. Wie Symmachus selbst schreibt, hat das Reskript höchsten Beweiswert und auch an Eindeutigkeit scheint es nichts zu wünschen übrig zu lassen. Noch nicht einmal eine Widerlegung des Reskripts wird von der Klägerseite versucht. Dass es etwa erschlichen sein könnte, was häufig vorkam, wird nicht einmal angedeutet. Nichts scheint daher einfacher, als die Klage des fiscus unter Berufung auf das Reskript abzuweisen. Warum hält Symmachus nun den vorgelegten Reskriptbeweis nicht für zureichend? Rechtsakte von Valentinian I. hält er sonst756 hoch und wendet sie diskussionslos, ohne sie je in Frage zu stellen, an. Anders hier. Allein, dass das Reskript schon viele Jahre alt ist, erklärt das nicht, denn die wiederholt geäußerte Auffassung von der Fortgeltung früherer kaiserlicher Anordnungen entspricht durchaus der politischen Lage. Valentinian II. lässt Rechtsakte seines Vaters auch ohne ausdrückliche Bestätigung weitergelten. Aber trotz des auch hier noch einmal betonten Geltungsanspruchs entscheidet Symmachus nicht nach dem Reskriptinhalt, sondern entzieht sich der Entscheidung mit der Begründung, allein dem Kaiser sei die Auslegung von divina oracula vorbehalten. Wenigstens auf den ersten Blick scheint diese Argumentation ein bloßer Vorwand und Allgemeinplatz zu sein, dass nämlich der Stadtpräfekt divina oracula verehren, aber nicht interpretieren könne. Eine Interpretation verlangt der Fall nach allem was wir wissen nicht, denn die Aussage des Reskripts ist ganz offensichtlich eindeutig. Symmachus will den Fall ersichtlich loswerden. Woran mag das liegen? Ihm wohlgesonnene und weniger freundliche Erklärungen bieten sich an. Vielleicht deuten sich doch irgendwelche Missstände an, von denen das spätantike Steuerwesen viele Beispiele bietet. Nicht selten haben palatini ihr Amt dazu missbraucht, unberechtigte Forderungen zu erheben. Zahlreiche Konstitutionen richten sich gegen ihre Amtsvergehen, im Rahmen derer sie ungerechtfertigte Steuern erhoben, sie gar selber eingetrieben haben. Denkbar wäre ein Fehlverhalten der beiden palatini auch hier, doch wird von keinem Beteiligten das Bestehen der Steuerpflicht als solche angezweifelt, son756
Vgl. etwa die Relationen 3, 19 f; 14, 2; 20, 4; 21, 4; 27, 1 und 34, 6.
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dern es geht allein darum, ob bewiesen werden kann, dass sie erfüllt worden ist. In diesem Zusammenhang ist daher eher an den verbreiteten Missstand zu denken, dass immer wieder Steuerquittungen verweigert oder missbräuchlich von den Steuerbeamten viele Jahre später zur Vorlage eingefordert wurden, in der Hoffnung, den Steuerpflichtigen, der sie längst nicht mehr aufbewahrte, nochmals zur Kasse bitten und sich selbst bereichern zu können757. Hatte man also vielleicht Postumianus einst eine Quittung verweigert oder zur Amtszeit des Viventius plötzlich gefordert, die alten, inzwischen verlorenen Quittungen vorzulegen? Will Symmachus das jetzt endlich auf den Tisch bringen, ohne jemanden direkt zu beschuldigen? Dass es auch gegenüber Senatoren unberechtigte Steuerforderungen gab, zeigt die bereits angesprochene Ep. V, 63, wonach mit falsis syngraphis unberechtigte Forderungen geltend gemacht wurden758. Das Quittungswesen war für Manipulationen anfällig. Es wurden daher genaue Vorschriften erlassen, wie Steuerzahlungen zu quittieren seien759, um unberechtigte Mehr- und Mehrfachforderungen zu verhindern. Im Regelfall war die Quittung der einzige Zahlungsnachweis, nur selten gab es ein Reskript wie hier. Quittungen sollen nach einer Anordnung aus dem Jahre 400, CT XI, 26, 2, in öffentliche Steuerbücher, polyptycha/ratiocinia publica, eingetragen werden, 757 Missstände im Bereich der res privata schildert ausführlich Monks, Administration, 763 ff; 766 ff spez. auch zu Aufgaben und Amtsmissbräuchen der palatini. Dem vergleichbar war der hier relevante Bereich der sacrae largitiones. Das von Monks entworfene Bild ist bisweilen freilich allzu apokalyptisch. Auch Noethlichs, Beamtentum, 104 ff; 116 ff; 134 ff, hat zahlreiche Amtsdelikte im Steuerbereich anhand der vorhandenen Gegenmaßnahmen zusammengestellt. Die Problematik wurde schon im Zusammenhang mit Rel. 34 angedeutet. Es wird zu viel gefordert, CT XI, 8: De superexactionibus; Nov. Val VII, 1 (durch palatini); Zensuslisten werden verfälscht: Nov. Just. XXX, 3. Missstände offenbaren auch die Vorschriften, wonach palatini nichts als das ihnen Aufgetragene tun dürfen, CT VIII, 8, 7 (395); nichts Falsches fordern dürfen und schnellstmöglich ihre Pflichten erfüllen müssen, CT VII, 8, 10 (413); I, 10, 8 (428). Weitere Delikte gehören zum Bereich der Unregelmäßigkeiten bei Erteilung der Quittung. Quittungen werden verweigert: CT V, 15, 20 (366); XI, 1, 32 (412) oder Finanzbeamte fordern alte Quittungen, die verloren waren: CT XI, 26, 2 (400); Ammian, XXVI, 6, 17 (alte Schulden werden wieder ausgegraben); Nov Val I, 3, 2 (450); s. a. die übernächste Fn. Vgl. auch CT VIII, 4, 6 (358); 9 (368, West); 17 (385, Ost) und 27 (422, Ost); dazu: Liebs, Privilegien, 317. 758 S. a. Ep. IX, 10 (um 394). Dazu der Kommentar von Roda, Commento, 110 ff. 759 Zum Quittungswesen: Karayannopulos, Finanzwesen, 90 f. Steuereinziehung sollte nur gegen Quittung erfolgen, sog. cautio in CT XI, 1, 2 (315); IX, 42, 16 (399); securitas in CT V, 15, 20 (366) oder apocha in CT XII, 6, 27 (400). Symmachus spricht von securitates, §§ 2; 4 bzw. documenta, § 4. Genaue Formvorschriften für (Steuer-)Quittungen sollen Betrügereien verhindern, CT XI, 1, 19 (384); CT XII, 1, 173 (410). Unter Strafdrohung sind Name, Datum, Anlass der Zahlung und der Betrag einzutragen, s. etwa (für den Osten) CT XII, 6, 18 (383); CT XII, 1, 173 (409). Die Steuerpflichtigen mussten die Quittungen den tabularii zugehen lassen, CT XI, 1, 2 (315). Diese Quittungen gingen dann an die ratiocinia publica, CT XI, 26, 2 (400). Die genannte Vorschrift verbietet den discussores, alte Steuerquittungen zu fordern, die in den öffentlichen Aufzeichnungen, polypticha, registriert waren, die der Steuerzahler aber verloren hatte. Auf diese Weise versuchte man, die Steuerzahler gegen unberechtigte Mehrfachforderungen abzusichern.
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was auch bei Verlust der Quittung die Prüfung ermöglichen sollte, ob gezahlt worden war. All das fehlt vorliegend offensichtlich, war vielleicht 384/385 noch nicht im Detail so vorgeschrieben, doch eine Bezahlung ohne Quittung war auch damals jedenfalls ein Wagnis. Unregelmäßigkeiten deuten sich in der Tat an. Doch hätte Symmachus vielleicht doch etwas deutlichere Ausführungen gemacht, wenn Störungen auf dieser Ebene behauptet worden wären. Er hätte schließlich nach dem Reskript entscheiden können und auf Missstände zusätzlich hinweisen. Irgendetwas stimmt nicht, der Fehler muss aber nicht allein bei den palatini oder den Steuereinnehmern gesucht werden. In Frage gestellt wird von Symmachus letztlich die Autorität eines kaiserlichen Reskripts. Er spitzt den Fall zur Entscheidung über das Reskript zu. Das erinnert an die vielen Regelungen, wonach erschlichene Steuerprivilegien unwirksam sind. Reskripte wurden auch im Steuerwesen erschlichen und immer wieder für ungültig erklärt760. Steuerpflichtige versuchten, sich in offizieller Form ihren Verpflichtungen zu entziehen und gerade Senatoren gelang es eher als dem kleinen Steuerzahler, sich vom Kaiser etwas offiziell bescheinigen zu lassen. Das in Frage stehende Reskript könnte also durchaus von den senatorischen Frauen unberechtigterweise erlangt worden sein. Die Tatsache, dass von Anfang an keine Quittung vorgelegt werden konnte, erweckt Verdacht. Wie hatten die beiden vor Valentinian I. Beweis führen können, dass die Zahlungen erbracht worden waren? Irgendwelche zusätzlichen Argumente, dass die Zahlungen tatsächlich erfolgt waren oder Quittungen verloren wurden, führt auch Symmachus nicht an. Gut vorstellbar ist daher, dass die Frauen oder einflussreiche Freunde die entscheidenden Personen am Hof, etwa den magister officiorum (vgl. Relation 44), hatten bestechen können. Eine Erklärung für Relation 30 könnte folglich sein, dass das Reskript von Valentinian I. der Rechtswidrigkeit verdächtig ist und Symmachus deshalb, wie in den Relationen 38 und 44, dem Kaiser als der obersten und einzigen legislativen Autorität die Entscheidung über seine Gültigkeit vorbehält. Wenn dem so sein sollte, dann will Symmachus das allerdings noch nicht einmal andeuten. Auf die Frage der fehlenden Quittung geht er nicht weiter ein, sondern lässt diese Unregelmäßigkeit bei seinen Ausführungen beiseite. Entweder liegen die Umstände der Rechtswidrigkeit des Reskripts auf der Hand oder er will sehr diskret sagen, dass Valentinian I. betrogen wurde. Letzteres ist allerdings vor dem Hintergrund der Relation 44 vielleicht doch eher unwahrscheinlich, denn dort scheut er sich nicht, die Reskripterschleichung in deutlichen Worten anzuprangern. Gegen die Annahme, dass das Reskript rechtswidrig erlangt wurde, spricht zudem, dass Symmachus seinen Geltungsanspruch besonders unterstreicht. Er hält es für einschlägig, wagt aber aus einem ungenannten Grunde nicht, es anzuwenden. Subtilere Gründe als Unregelmäßigkeiten bei der Erlangung des Reskripts 760 Eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen hat Noethlichs, Beamtentum, 50 ff, zusammengestellt. Beispielhaft seien CT XI, 1, 20 (385); XI, 1, 30 (399); XI, 7, 15 (400) genannt. Vgl. auch die Parallelfälle in anderen Sachbereichen bei den Rell. 38 und 44.
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scheinen daher hinter der Relation und der Unsicherheit von Symmachus zu stehen. Eine wirkliche Rechtsfrage liegt dem Schreiben wohl nicht zugrunde. 3. Bewertung Die palatini bringen den Prozess zwar ordnungsgemäß in Gang, doch fragt man sich, warum gerade jetzt. Die Ereignisse liegen Jahrzehnte zurück. Vera761 vermutet politische Implikationen und glaubt, dass sich antisenatorische und antiheidnische Tendenzen gegen die Symmachus-Fraktion im Senat zeigen. Gegner am Hofe oder in Rom hätten Symmachus in Bedrängnis bringen wollen, indem sie einen alten, eigentlich gelösten Fall wieder aufgriffen und ihn zum Richter über Mitglieder einer befreundeten Familie machten, um ihn dann später wegen seines - zu erwartenden - positiven Urteils dafür angreifen zu können, parteiisch zugunsten dieser Familie entschieden zu haben. Vor diesem Hintergrund könnte Symmachus es vorgezogen haben, auf eine eigene Entscheidung zu verzichten, um nicht in die von seinen Gegnern gestellte Falle zu tappen. Vera glaubt zudem, dass sich in Relation 30 wieder einmal der comes sacrarum largitionum als Gegner des Symmachus andeutet, und verweist auf weitere Beispiele in den Relationen 14, 20 und 34. Insbesondere sieht er sich an die Orfitus-Affäre aus Relation 34 erinnert. Auch dort seien Angriffe gegen Symmachus aus der Ecke der sacrae largitiones gekommen. Schlüssig allerdings lässt sich das alles aus Relation 30 nicht herleiten und auch die anderen genannten Relationen geben es, wie gesehen, nicht her. Gegnerschaften am Hofe sind aus keiner der genannten Relationen und auch nicht aus Relation 30 abzulesen. Symmachus ist hier ordentlicher Richter, wird also nicht etwa speziell zum Richter über eine befreundete Familie gemacht. Dass man ihn gar persönlich angreifen wollte, liegt ebensowenig nahe und wird von ihm, der sich sonst in dieser Frage nicht zurückhält, auch nicht angedeutet. Registerkontrollen erfolgten so häufig und gründlich vielleicht doch nicht, als dass der Fehlbetrag früher hätte auffallen müssen. Vielleicht fand 384 eine Überprüfung im Zusammenhang mit der aktuellen oblatio statt. Aus irgendeinem Grunde wurde früher versäumt, das Reskript zu registrieren; eine böse Absicht muss nicht dahinterstecken. Die Klage entspricht jedenfalls der Registerlage. Trotzdem fällt auf, dass der Ausgangspunkt des Falles schon lange zurückliegt und er bereits eindeutig entschieden war. Tatsächlich könnte sich daher der Verdacht aufdrängen, dass jemand im Bereich der sacrae largitiones der Familie des Postumianus nicht wohlgesonnen gewesen sein könnte, denn die Steuerforderung wird überraschend nach vielen Jahren wieder vorgetragen und jetzt auch förmlich eingeklagt. Selbst als das Reskript vorgelegt wird, pochen die Vertreter des fiscus auf Quittungsvorlage. Politische Implikationen sind vorstellbar. Warum aber zieht sich Symmachus dann mit einer fadenscheinigen 761
Commento, 237 f.
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Begründung aus dem Fall zurück? Lohnenswert scheint es in diesem Zusammenhang, die Kontakte von Symmachus zur Familie der Beklagten zu betrachten. Das hat vor einiger Zeit bereits Vera unternommen762, der eine Verbindung zwischen der Familie des Symmachus und jener der Lolliana herzustellen suchte, indem er Lolliana wie Chastagnol als Caecinia Lolliana identifizierte, was für sich plausibel erscheint. Die beklagten senatorischen Frauen kommen demzufolge aus einer einflussreichen heidnischen Familie, die (unter anderem Lollianas Sohn, der Stadtpräfekt von 388-391) von Macrob in seinen Saturnalien763 mit dem Lager von Symmachus und Praetextatus in freundschaftliche Beziehung gesetzt wird. Ein mutmaßlicher Neffe unseres Postumianus desselben Namens war um jene Zeit Rechtsanwalt in Rom und spielt in den Saturnalien eine wichtige Rolle. Möglicherweise ist er es sogar, der von Symmachus in Ep. III, 48 (nach 377/378) empfohlen wird764. Symmachus hatte demnach persönliche, vielleicht sogar freundschaftliche Beziehungen zur betroffenen Familie; unbestreitbar gab es mehr als den vagen Kontakt von Ep. IX, 30. Trotzdem, vielleicht sogar gerade deshalb, bemüht sich Symmachus um unparteiische Darstellung. Lieber einmal zuviel mag er in solchen Fällen die Entscheidung abgegeben haben, um jeden Verdacht von Parteilichkeit zu vermeiden. Naheliegend war zwar die Entscheidung zugunsten der Familie der Lolliana, doch stattdessen zeigt er sich besonders streng, indem er Jahrzehnte nach dem Steuerfall trotz des Reskripts zusätzlich Quittungen für grundsätzlich notwendig erklärt. Diese Interpretation käme Symmachus sehr entgegen. In einem Prozess gegen Mitglieder einer heidnischen, vielleicht befreundeten Familie vermeidet er jeden Anschein von Voreingenommenheit und Einflussnahme. Anstatt sich für befangen zu erklären und den Fall ganz abzulehnen, übergibt er ihn dem Kaiser mit einer wackligen rechtlichen Begründung, enthält sich sogar eines klaren Vorschlags, wie zu entscheiden sei. Die Relation ließe sich damit erklären, dass sich Symmachus nicht der Kritik der palatini und advocati fisci, d. h. dem Bereich des comes sacrarum largitionum, aussetzen möchte, die auf die übliche Praxis pochen. Obwohl es ihm möglicherweise unberechtigt scheint, in Anbetracht des Reskripts Vorlage der Quittungen zu verlangen, widersetzt er sich deren Forderung daher nicht, sondern zieht sich mittels einer Relation aus der Affäre. Das lässt sich als Entscheidungsschwäche auslegen, wie es Mc Geachy765 getan hat, aber auch als bewusst neutrales Verhalten in einem ihm 762
Commento, 235 f. Familienbeziehungen ausführlich bei Chastagnol, Famille. I, 2, 16; VI, 1, 1; 4, 1; s. a. I, 2, 15. Vera, Commento, 236 m. N., vermutet auch Briefkontakte von Symmachus zur Familie von Lolliana. Zu nennen wären Ep. VIII, 25 (396), evtl. an ihren Sohn gerichtet, und die Epp. VII, 35-41, die wohl an ihren Enkel, den Stadtpäfekten von 402, gerichtet sind. Zur Familie der Lolliana zählen aktive Heiden, die die orientalischen Kulte verehren, aber auch solche, die wie Symmachus die traditionellen Bräuche pflegen. 764 Macr., Sat. I, 1, 7; 2, 1; 5, 13; 6, 2. Zur Frage der Identifizierung: Chastagnol, Famille, 254 ff. Laut PLRE I, Postumianus 3, 719, wird er von Symmachus in Ep. III, 48 (nach 377/378) empfohlen. Anders: Vera, Statue, 392 Fn. 58; s. a. ders., Commento, 236. 765 Symmachus, 30 Fn. 3. 763
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
nahestehenden Fall, in dem er sich nicht dem Verdacht der Parteinahme aussetzen will. Man muss sich vor diesem Hintergrund allerdings auch fragen, was mit der beträchtlichen Steuerforderung gegen Lolliana geschehen ist, über die Symmachus schweigt. Sollte Lolliana etwa erreicht haben, dass das Verfahren gegen sie eingestellt wurde? Zu ihren Gunsten könnten die Beziehungen ihres Mannes gewirkt haben, denn der mutmaßliche Ehemann von Lolliana, C. Caeionius Rufius Volusianus Lampadius, war Vorgänger von Viventius als Stadtpräfekt, hatte also vielleicht schon die günstige Entscheidung Valentinians I. beeinflussen können. Zweifellos war er zu jener Zeit ein einflussreicher Mann766 und ganz unvoreingenommen mag auch Symmachus vielleicht doch nicht gewesen sein, macht er sich doch in ähnlichen Fällen selbst zum Fürsprecher von Senatoren. So scheut er sich nicht, in einem Privatbrief von 401/402, Ep. VII, 126, den comes sacrarum largitionum Patruinus um Steuererleichterung zugunsten der Töchter eines verstorbenen Senators und ehemaligen Stadtpräfekten zu bitten. Deren Ländereien in Apulia seien mit drückenden onera publica überlastet; es drohe ihnen Insolvenz, wenn sie nicht entlastet würden. Dieser Brief zeigt zum einen parallel zu Relation 30 die erhebliche Steuerlast, die senatorische Erbinnen tragen müssen, zum anderen aber auch das durchaus übliche System von Bittgesuchen in solchen Fragen767. Auch Relation 8 zeigt, dass Symmachus sich für Senatoren zur Erleichterung von Lasten einsetzt, und Relation 23 veranschaulicht, wie sehr Senatoren sich mühten, Ausgaben zu vermeiden. Auch zugunsten von Lolliana könnte vor diesem Hintergrund Einfluss genommen worden sein, dem sich Symmachus nicht widersetzt haben mag. Möglich ist damit auch eine für Symmachus weniger schmeichelhafte Interpretation der Relation 30. Ihn könnte die Beteiligung von palatini und anderen Vertretern des fiscus schlicht eingeschüchtert haben, zeigte sich doch bereits in Relation 23, in der ebenfalls palatini auftreten, wie vorsichtig er sich im Einzelfall gegenüber dem Hofbereich verhält. Vielleicht fürchtet er auch, dass gegen sein Urteil appelliert werden könnte, ihm vielleicht gar Befangenheit vorgeworfen würde, und versucht das bereits im Vorfeld zu verhindern, indem er sich selbst an den Kaiser wendet. In diesem Falle müsste ihm der Vorwurf gemacht werden, den er in den Relationen 16, 28 und wohl auch 33 zu vermeiden sucht, dass er nämlich unzulässigerweise eine Appellation vermeiden will und dafür lieber eine relatio anfertigt. Seine Begründung jedenfalls trägt die Relation nicht aus Rechtsgründen, sie ist in sich sogar widersprüchlich, weil er das Reskript, obwohl er den Geltungsanspruch ausdrücklich unterstreicht, nicht anwendet. Obwohl der Fall eigentlich lösbar scheint und eine Abweisung der Steuerforderung zu erwarten wäre, ist der Stadtpräfekt auffallend vorsichtig. Das Relationsverfahren verzögert die zu erwartende Entscheidung. Wir wissen zwar nicht sicher, wie der Fall 766 Ammian beschreibt ihn als eitel, XXVII, 3, 5 ff. Zu seinen zweifelhaften Methoden bei der Baufinanzierung vgl. bei den Relationen 20 und 34. 767 S. a. Ep. IX, 40. Dazu näher in der Analyse der Privatbriefe im Dritten Teil.
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ausgegangen ist, doch ist zu vermuten, dass auch Valentinian II. der von Symmachus nahegelegten Auffassung von der Fortgeltung des Reskripts gefolgt ist, das Reskript seines Vaters bestätigt und die Forderung des fiscus zurückgewiesen hat. In Relation 30 haben wir es mit einem alten Fall zu tun. Jahrzehnte nach der eigentlichen Lösung des Steuerstreites wird eine Forderung gegen eine einflussreiche heidnische Familie wieder aufgegriffen, die Hälfte der Forderung dann allerdings kommentarlos abgetrennt. Einiges ist ungewöhnlich und auch Symmachus deutet vorsichtig seine Ratlosigkeit an, als er in § 3 davon spricht, dass der Fall schon vielfach behandelt wurde. Unabhängig vom politischen Beiklang zeigen sich konkret Unstimmigkeiten und Missstände im Steuerwesen in Bezug auf Senatoren. Steuerforderungen werden nach langjähriger Verzögerung eingeklagt und nur dem Kaiser traut man, traute schon Viventius, in Anbetracht der Unregelmäßigkeiten die Entscheidung einer Frage zu, über die dem Herrscher zu berichten kein hinreichender Grund besteht768. Insgesamt hinterlässt der Prozess gegen die senatorischen Frauen einen merkwürdigen Beigeschmack. Selbst wenn Symmachus’ Verhalten von Sensibilität gegenüber Befangenheitsvorwürfen zeugt und er um eine unabhängige Rechtsprechung bemüht gewesen sein sollte, zeigt sein Vorgehen doch zugleich große Unsicherheit. Der Stadtpräfekt scheint unter starkem Druck zu stehen, muss offenbar befürchten, dass seine Entscheidung angegriffen wird, und wagt es ersichtlich nicht, die wahren Gründe für die Abgabe des Falles offen zu nennen. Stattdessen zieht er sich auf ein Argument zurück, das nur vordergründig überzeugend klingt, dass Rechtsauslegung nämlich allein dem Kaiser zustehe. Und wirklich könnte es ein für ihn unlösbares Problem darstellen, dass das vorgelegte Reskript im Widerspruch zur sonstigen Verwaltungspraxis steht, die Zahlungsnachweis durch Vorlage einer Quittung fordert. Das Reskript beinhaltet tatsächlich eine Unregelmäßigkeit, weil es von der üblichen Praxis offensichtlich eine Ausnahme macht und deshalb der Rechtswidrigkeit und damit Nichtigkeit verdächtig ist. Auf den ersten Blick verständlich verweigert Symmachus seine Anwendung und stellt dem Kaiser anheim, ob die Einzelanordnung im Reskript oder die übliche Praxis gelten soll. Doch fällt auf, dass er nicht, wie in anderen Relationen (etwa Relation 22), im Zweifelsfall als braver Beamter im Sinne der Einzelanordnung urteilt, obgleich er gegen das Reskript keinerlei Verdacht äußert. Seine Entscheidung, den Fall abzugeben, begründet er zwar plakativ mit Formulierungen, wie wir sie aus den Kaiserkonstitutionen seiner Zeit (und ähnlich auch aus Pliniusbriefen an Kaiser Trajan) kennen, doch mangels nachvollziehbarer näherer Begründung gebraucht er nur Worthülsen, die in anderen Fällen, wie den Relationen 22, 27, 38 und 44, fundiert sind, hier aber vorgescho768 CT XI, 30, 18 (329) regelt zwar Berichtspflichten im Fiskalprozess, gilt aber erst nach einem zweitinstanzlichen Urteil des Stadtpräfekten, passt hier also nicht. Zudem ist dort nur der Regelbericht über abgeschlossene Fiskalprozesse gemeint. Vorliegend nimmt Symmachus hingegen seine allgemeine Berechtigung in Anspruch, dem Kaiser schwierige Fälle zu berichten.
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ben scheinen. Das Problem ist nur auf den ersten Blick mit jenen aus den genannten Relationen vergleichbar. Geschickt nutzt Symmachus die übliche Rechtssprache, um einen unbequemen Fall abzugeben. Festzuhalten ist, dass Rechtsunsicherheit auch einmal vorgeschobenes Argument sein kann, um das Relationsverfahren einzuschlagen, denn nach allem, was wir erfahren, fällt Symmachus hier kein Urteil, entgegen und trotz klarer Rechtslage. Das ist bedenklich, auch wenn die möglichen Hintergründe in dieser und jener Richtung interpretierbar sind. Immerhin aber verlässt er nicht den legalen Bereich, nimmt nicht Einfluss zugunsten von Standesgenossen. Nachdem der Prozess jahrelang verschleppt wurde, versucht er, den Fall nunmehr endlich zu einem Abschluss zu bringen. Die Relation liefert uns daneben Informationen zum aurum oblaticium, die jene aus Relation 13 ergänzen. Die Zahlungspflichten wurden in Rom im officium censuale registriert und bei Zahlung üblicherweise Quittungen ausgestellt. Die Zahlung verlief unterschiedlich, je nachdem, ob die pflichtigen Senatoren in Rom oder in den Provinzen lebten. Diese zahlten vor Ort an censuales und in Rom erfolgte die Zahlung beim Stadtpräfekten, vgl. die Relationen 23 i.V.m. 13. Nur bestimmte Familien waren zahlungspflichtig, was sich nach der Vermögenslage gerichtet haben dürfte. Die Zahlungspflicht ging mit dem Vermögen anteilig auf die Erben über. Auch Frauen waren daher ggf. steuerpflichtig, wurden wie hier in Prozesse verwickelt, sind voll im Rechtsleben integriert und prozessfähig. Dabei bestätigt sich, was schon Relation 13 und CT VI, 2, 16 erweisen, dass die Abgabe an die sacrae largitiones floss. Ausstehende Forderungen werden vom fiscus, vertreten durch advocati fisci, als Steuer eingeklagt. Deutlich wird dabei noch einmal, wie wenig das angebliche Geschenk in der Praxis freiwillige Gabe war. Relation 30 zeigt beispielhaft die nicht geringe finanzielle Belastung des ansonsten eher privilegierten Senatorenstandes. Auch Missstände bei der Steuererhebung kamen häufig vor. Senatoren versuchten, sich ihren Pflichten zu entziehen, und Beamte versuchten sich zu bereichern, indem sie überzogene Zahlungen erzwangen oder das Quittungswesen missbrauchten. Störungen gibt es auch im vorliegenden Fall, doch werden sie von Symmachus unter Verschluss gehalten. Die bisherigen Verzögerungen liegen zwar nicht in seiner Schuld, doch überzeugt seine Begründung für sein Aufgeben nicht, die zwischen Verehrung der Reskripte des verstorbenen Kaisers und Unwillen, sie tatsächlich ernst zu nehmen, schwankt. Unser Stadtpräfekt erweist sich als wenig entscheidungsfreudig. Unsicherheit, aber keine wirkliche Rechtsunsicherheit, stört den regulären Prozessablauf.
V. Relation 32: reparatio temporum für einen saumseligen ex protector? Symmachus berichtet im Rahmen einer appellatio more consultationis an den Kaiser und legt seine Rechtsauffassung in einem Zivilprozess dar, der bereits vor einem Jahrzehnt begonnen hat und in dem sich ihm die Frage nach den
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Folgen einer Fristversäumnis und einer Rechtsnachfolge während des Prozesses stellt. Seiner Überzeugung nach verspricht die Appellation keinen Erfolg. Es sei, so seine einleitenden Worte, überhaupt schwierig, dass ein Fall gut ausgehe, wenn die Klage aus schierer Verzweiflung einem anderen übertragen wird, und genau das zeige der vorliegende Fall, § 1: Difficile est, ut bona causa sit, cuius actio in ius alterius desperatione transfertur. Id adeo res probavit, ddd. imppp. Damit wird vermutlich bereits auf das später nur noch knapp angedeutete Vorgehen einer jungen Frau angespielt, Anniana, die offenbar aus einem Gefühl der Verzweiflung heraus dem Theodorus eine Forderung gegen Flavianus zur gerichtlichen Geltendmachung übertragen hat. Dieser macht dann aber schwere Fehler, die schließlich zum Prozessverlust führen. 1. Der Stand der Dinge Der ehemalige protector (jedenfalls behauptet er das zu sein) Theodorus769 hat eine Klage gegen einen gewissen Flavianus770 angestrengt. Der konkrete Gegenstand der Klage bleibt im Dunkeln, die beigefügten (§ 4) Prozessakten gaben darüber hinreichend Auskunft. Wir wissen nur soviel, dass Theodorus procurator in rem suam der Anniana ist, die ihm vermutlich eine Forderung gegen Flavianus abgetreten hatte, die er dann gerichtlich verfolgte771. Aus dieser Forderung geht er gegen den Besitzer einer Sache, vielleicht eines Grundstücks, vor; vom possessor Flavianus ist in § 2 die Rede. Es geht also vermutlich um einen Besitzprozess. Die Klage wurde schon vor langer Zeit beim
769 Er ist sonst unbekannt: PLRE I, Theodorus 15, 898. Die Stellung als ex protector wurde ihm vielleicht ehrenhalber verliehen, vgl. den Fall eines ehemaligen Beamten im officium urbanum in Rel. 42. Jedenfalls wird sein Rang von Symmachus nur unter Vorbehalt angegeben: ut adseruit. Als „ordentlicher“ protector wäre er Soldat gewesen, der mit Spezialaufträgen betraut werden konnte, Befehle überbrachte, Kontrollen in den Provinzen durchführte u. a. m. (s. bei Rell. 42; 36); er hätte eine durchaus interessante, mit Privilegien verbundene Position bekleidet, die sein hier gezeigtes Selbstbewusstsein erklären könnte. Wie es dazu kommt, dass er als procurator in rem suam der Anniana agiert, wissen wir nicht; vielleicht war er ein Verwandter. 770 Beide sind sonst nicht bekannt und fehlen in RE und PLRE I. Seeck, Symmachus 345, versucht, Flavianus mit dem Adressaten von Ep. IX, 19 zu identifizieren. Dagegen wendet sich Roda, Commento, 133, und in der Tat fehlen jegliche Anhaltspunkte für eine Identifizierung. Alle Beteiligten sind nicht-senatorischer Abstammung. 771 Er ist nicht nur Prozessvertreter wie die procuratores in den Relationen 19, 28 und 39, sondern procurator in rem suam. Zum procurator in rem suam, der zu Zwecken der Forderungsabtretung oder Schuldübernahme bestellt wird: Kaser, Privatrecht I, 653; ders., Privatrecht II, 451 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 215; 562. Er ist auch, aber eben nicht nur Prozessvertreter. Irrig denkt Baron, Denuntiationsprozess, 167, im Hinblick auf den Einleitungssatz der Relation an eine Anspielung auf das Verbot der Zession an einen potentior (s. CJ II, 13). Doch ist dieses Verbot, wie er selbst erkennt, nicht einschlägig im Falle eines ex protector und ist von Symmachus hier auch kaum gemeint. Was Symmachus in seiner Einleitung tatsächlich meint, wurde bereits zu umschreiben versucht und gehört zu seiner Urteilsbegründung.
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Stadtpräfekten Eupraxius, d. h. Ende 373/Anfang 374772, erhoben. Der Beklagte, der ebensowenig wie die Klägerseite zum Senatorenstand gehört, muss demnach seinen Wohnsitz im Hundertmeilenbezirk gehabt haben. Der Prozess wurde ordnungsgemäß mittels litis denuntiatio eingeleitet, der Tag der Verhandlung festgelegt, doch erschien Theodorus nicht. Die Frist, in der die Verhandlung stattzufinden hatte773, läuft ab. Der Prozess endet, wie in solchen Fällen vorgesehen: Durch Versäumen des dies legitimus wird der Kläger sachfällig, d. h. er verliert den Prozess, causae lapsus: Nam Theodorus, ut adseruit, ex protectoribus ab Anniana quadam in rem suam procurator creatus iam pridem clarissimo atque emendatissimo viro Eupraxio urbanis tribunalibus praesidente Flavianum quendam denuntiata lite pulsavit, sed diem legitimum causae lapsus excessit. Mittlerweile sind Flavianus und auch sein Erbe gestorben und Theodorus774 versucht nun 384/385 vor dem Stadtpräfekten Symmachus, die Klage wieder aufzunehmen und gegen den Erbeserben775 von Flavianus vorzugehen. Er beantragt daher zehn Jahre nach Verfahrensbeginn reparatio temporum, bittet also um eine neue Viermonatsfrist, um den Prozess fortsetzen zu können. Über diesen Wiedereinsetzungsantrag wird vor Symmachus verhandelt, der die Streitparteien zur Untersuchung vorlädt, § 2: Longo intervallo a me petita reparatio cum partes ad necessarium contraxisset examen, post multas allegationes, quas iudicia ut invalidas respuerunt, orta praescriptio est, quae adsereret novari tempora possessore mortuo debuisse; nam constabat non modo Flavianum, qui propositam legibus quaestionem primus exceperat, sed etiam successorem eius finem fecisse vivendi. Es wird Verschiedenes vorgetragen - Theodorus wird versucht haben, seine Säumnis zu entschuldigen -, was von Symmachus aber in mehreren Zwischenentscheiden als unerheblich verworfen wird. Daraufhin wendet Theodorus ein, orta praescriptio est, dass der Prozess gegen den Erben des Beklagten neu eröffnet werden müsse, wenn dieser - der Besitzer der Streitsache - im Laufe des Prozesses gestorben sei. Es müsse also eine neue Frist gewährt werden, denn tatsächlich waren sowohl Flavianus, der als erster gesetzliche Einwendungen gegen die Klage vorgebracht, sich also offenbar zum geltend gemachten Anspruch oder wenigstens zu prozessualen Fragen ge772 Flavius Eupraxius ist als Stadtpräfekt für Februar 374 belegt. An ihn richten sich vermutlich Epp. IV, 64 f. Zur Person: Chastagnol, Fastes, 190 f; PLRE I, Eupraxius, 299 f; Honoré, Law, 12; 17 f. Ammian betont sein Selbstbewusstsein und seine Standhaftigkeit auch gegenüber dem Kaiser, XXVII, 6, 14. Er ist ein Mann Valentinians I. und wohl Christ: Amm., XXVII, 7, 6. Zur Amtszeit von Symmachus scheint er noch zu leben. 773 Mit Zustellung der Klageschrift beginnt eine (wohl, s. 4. Abschn. A I) viermonatige Frist zu laufen, in der sich die Parteien zur Verhandlung vor dem Richter einzufinden haben. Am festgelegten Tag, spätestens am letzten Tag der Frist, am dies legitimus des § 1, hat die Verhandlung stattzufinden. Erscheint eine Partei nicht, treffen sie Säumnisfolgen. Die Länge der Frist kann der Relation allerdings nicht entnommen werden. Dazu auch bei Rel. 39. 774 Er lebt noch. Anders Legohérel, Reparatio, 89, der meint, sein Nachfolger habe sich an Symmachus gewandt. Ungenau auch seine Textinterpretation zum Vorbringen der beiden Seiten. 775 Vgl. die Einzahl in § 3.
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äußert hatte, als auch sein Nachfolger gestorben. Dagegen wird jedoch von der Gegenseite vorgebracht, dass nur der Erbe des Klägers reparatio erlangen könne, dass, mit anderen Worten, nur der Tod des Klägers für dessen Erben einen Reparationsgrund darstelle, Theodorus daher keine Wiedereinsetzung bekommen dürfe. Zur Untermauerung dieser Behauptung wird die Verlesung gesetzlicher Vorschriften in Aussicht gestellt776, die beweisen sollen, dass reparatio nur dem Erben des Klägers zugestanden wird. Doch die verheißenen Konstitutionen, sanctiones, können schließlich doch nicht beigebracht werden, vielmehr wird die Behauptung durch Theodorus widerlegt, der ein Gesetz, lex777, verliest, das das Gegenteil besagt, dass nämlich beide Seiten reparatio verlangen können. Auch der Kläger kann also, wenn wie hier der Beklagte im laufenden Prozess gestorben ist, Reparation beantragen. Der Antrag des Theodorus war also zulässig. Symmachus akzeptiert die Gültigkeit der scita manifesta, womit die zitierte lex gemeint sein dürfte, die seither auch nicht durch neuere kaiserliche Verfügungen, responsa, aufgehoben worden sei, urteilt aber dennoch, dass die Angelegenheit abgeschlossen sei und lehnt den Antrag auf reparatio ab. Das Verfahren könne nicht fortgesetzt werden, weil eine Klage, die gegen jemanden erhoben, denuntiata, wurde, nicht gegen einen anderen (fort-)geführt werden könne, zumal auch die Fristen abgelaufen seien, um eine Wiedereinsetzung, novatio, zu erhalten. Der Prozess geht für Theodorus also verloren. Dazu § 3: Ad hoc promissa est lectio veluti probatura indiciis, novationem tantum petitoris heredi esse decretam; quod verbo quidem adsertum sed sanctionibus non probatum contrariae legis recitatione conpressum est. Secutus igitur scita manifesta et nullis principum vacuata responsis cessare processum negotii iudicavi, cum lis alteri denuntiata aliam personam temporibus novationis etiam exactis tenere non posset. Gegen die Entscheidung des Stadtpräfekten legt Theodorus sogleich Berufung ein; die Urteilswirkung wird damit zunächst einmal suspendiert. Symmachus nimmt das Rechtsmittel an und schlägt das vorgesehene Verfahren der appellatio more consultationis ein. Zusammen mit Relation 32 legt er dem Kaiser die Prozessakten vor. Dieser möge nach Durchsicht der Akten und den zusätzlichen Anmerkungen der Parteien entscheiden, möglichst sein Urteil bestätigen, das er in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen gefällt habe: Tunc oblatis provocationis libellis suspensa sententia. Cuius meritum perennitas vestra lectis gestis ac refutatoriis cohaerentibus aestimabit: ego in referendo prolixus 776
Vielleicht versucht man sich auf CT II, 6, 4 (338) zu stützen, s. Seeck, Symmachus, 305; Baron, Denuntiationsprozess, 168 f Fn. 3; Barrow, Prefect, 173 Fn. 2. Die Vorschrift könnte in der Tat so interpretiert werden, als gelte sie nur für den Fall, dass die Erben des Klägers den Prozess gegen den Beklagten fortsetzen wollen. Näheres in der Auswertung. 777 Wahrscheinlich CT II, 6, 3 (318: Seeck, Regesten, 62; 167), eine Vorschrift, die beiden Seiten reparatio erlaubt: ...altero ex litigatoribus in lite defuncto; s. a. Seeck, Symmachus, 305; Kipp, Litisdenuntiation, 292; Barrow, Prefect, 173 Fn. 3; Vera, Commento, 246. Steinwenter, Briefe, 11, verweist auf CT II, 6, 3 (318) und 4 (338). Näheres unter 2.
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esse non debui, cum paene in ipso actionum vestibulo repulsa legibus causa constiterit. Fast entschuldigend stellt er fest, dass sich ein längerer Bericht erübrigt habe, doch sei die Klage aus Rechtsgründen gleich zu Verfahrensbeginn zurückzuweisen gewesen, daher habe er sich kurz fassen können. Auf inhaltliche Fragen sei nicht mehr einzugehen gewesen. Mit diesen Worten beugt er sogleich möglicher Kritik des ex protector vor, er habe die Gegenseite begünstigt. Leges hätten seine Entscheidung eindeutig erfordert. Ohne Umschweife macht Symmachus seine Überzeugung klar, gibt nicht etwa aus Unsicherheit heraus den Fall weiter, sondern im Rahmen des regulären Rechtsmittelverfahrens. Relation 32 zeigt uns einen eher unauffälligen Fall, der aber doch veranschaulicht, dass der spätantike Zivilprozess gut funktionierte, wenn der zuständige Richter bereit war, sich an die bestehenden und für das konkrete Problem auch hinreichend klar formulierten Verfahrensvorschriften zu halten. So hört sich Symmachus beide Seiten geduldig an, um dann gesetzeskonform gegen Theodorus, der sich für seine selbstbewusste, freche Forderung offensichtlich durchaus Erfolg versprach, zu entscheiden. Das Urteil wird aus verfahrensrechtlichen Gründen, die im Folgenden noch etwas näher beleuchtet werden sollen, getroffen; zur materiellrechtlichen Untersuchung kommt es gar nicht. Für Symmachus bestand daher auch keine Notwendigkeit, auf den zugrundeliegenden Sachverhalt einzugehen. 2. Säumnis des Klägers und Voraussetzungen einer reparatio temporum Erscheint der Kläger am dies legitimus, am festgesetzten Tag der Verhandlung, nicht, wird er, wie gesehen, ohne Sachprüfung sachfällig778 und es bleibt ihm nur die Möglichkeit, beim Kaiser oder dem zuständigen Richter Wiedereinsetzung, reparatio temporum, zu beantragen. Kann er Gründe für sein Nichterscheinen beibringen, aus denen er schuldlos, necessitate vel casu, verhindert gewesen ist, wird ihm, nachdem das Gericht die Angaben geprüft hat, ein neuer Verhandlungstermin zugestanden779. Zudem kann Reparation beim Tod einer Partei gewährt werden und eben damit hat Theodorus seinen Antrag 778 Zum Prozessverlust für den säumigen Kläger s. vor allem auch Rel. 39. Weitere Anhaltspunkte liefern CT II, 6, 1 (316); 2 (318: Seeck, Regesten, 56 f; 167) und eine Spezialvorschrift für den petitor von bona vacantia findet sich in CT X, 13, 1 (386). Ausführlich: Kipp, Litisdenuntiation, 281f; Steinwenter, Versäumnisverfahren, 117; Aru, Processo civile contumaciale, 178 f; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 568 f. Nicht überzeugend insoweit: Bellodi Ansaloni, Ricerche, 160 ff. 779 Dazu auch bei Rell. 19 und 39. So wird in Rel. 39 eine neue Viermonatsfrist bewilligt. Maßgebende Vorschrift ist CT II, 6, 1 (316): Der Kaiser gewährt Erneuerung, redintegratio (gleichbedeutend mit reparatio), und der Richter muss dann binnen vier Monaten urteilen. Reparation kann mittlerweile auch der ordentliche Richter gewähren wie vorliegender Fall und Rel. 19 zeigen. In Rel. 39 gewährt sie der Kaiser, wie es CT II, 6, 1 vorsieht; eine zweite reparatio wird dann allerdings beim zuständigen Richter beantragt. Zur reparatio in ihren verschiedenen Erscheinungsformen: Baron, Denuntiationsprozess, 133 ff; Kipp, Litisdenuntiation, 283 ff (ausführlich zu Rel. 32 auf S. 290 ff); Legohérel, Reparatio, 79 ff.
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begründet, denn er kann offensichtlich keine tragfähige Begründung dafür liefern, dass ihm ein Erscheinen am dies legitimus unmöglich war. Vielmehr macht er geltend, der Beklagte sei gestorben und ihm stehe daher reparatio zu. Sehen wir uns also die einschlägigen Vorschriften an. Die Grundregel findet sich in CT II, 6, 3 (318), an den Stadtpräfekten gerichtet: Altero ex litigatoribus in lite defuncto cursum temporis esse reparandum latis iam dudum legibus continetur. Wenn eine der beiden Prozessparteien während des Prozesses stirbt, ist reparatio zu gewähren. Gleichgültig ist, welche Partei gestorben ist. Eine Änderung trifft CT II, 6, 4 (338): Für den Fall, dass eine Partei vor Prozessende stirbt, si quis iurgantium ante litis terminum ultimum diem obierit, ist nicht mehr, wie bislang, der Todestag Anfangspunkt der neuen Frist, sondern die neu zu gewährende Frist wird ab dem Erbschaftsantritt berechnet. Spätestens am letzten Tag einer von diesem Zeitpunkt an laufenden neuen Frist war der Prozess zu eröffnen bzw., wenn schon verhandelt worden war, wiederzueröffnen und ggf. sogar das Urteil zu fällen. Kann Theodorus also mit der Begründung, sein Prozessgegner sei gestorben, reparatio verlangen? Die Gegenseite widerspricht dem mit der Behauptung, eine neue Frist stehe nur dem Erben des Klägers zu. Auf welche Vorschrift sie sich dafür berufen will, wird allerdings nicht geklärt, denn die eigenen Zweifel scheinen schließlich doch zu überwiegen und die angekündigte Verlesung unterbleibt. Wie bereits angedeutet, könnte erwogen worden sein, sich auf CT II, 6, 4 zu berufen, und so vermutet auch Kipp780, dass die Vorschrift sich nur auf die Klägererben bezogen habe. Doch schon damals scheint diese Auslegung nicht überzeugt zu haben, denn es wird keine Vorschrift angeführt und gegen sie spricht nicht nur die interpretatio, sondern auch der Umstand, dass mit dieser Konstitution offensichtlich nur der Berechnungszeitpunkt, sonst aber nichts von der früheren Regelung, auch nicht von CT II, 6, 3, abgeändert werden sollte. CT II, 6, 3 enthielt weiterhin die Grundregelung781. Das meint auch Symmachus in § 3, wenn er klarstellt, dass es keine Neuregelung der Frage gegeben habe. Es bleibt bei dem Grundsatz von CT II, 6, 3, dass bei Versterben einer der beiden Parteien reparatio verlangt werden kann. Darin ist Theodorus also Recht zu geben und es ist in der Tat zu vermuten, dass er sich auf CT II, 6, 3 gestützt hat und sich Symmachus an die beiden genannten Vorschriften hält als den scita manifesta. Die Formulierung der Relation ähnelt sogar der in CT II, 6, 4, wo von tempora renovari die Rede ist; in § 2 der Relation heißt es tempora novari. Theodorus meint vermutlich diese Vorschrift bei Erhebung der praescriptio und ergänzt sein Vorbringen dann durch Verlesung einer lex, eben CT II, 6, 3, wonach auch der Kläger bei Versterben des Beklagten gegen dessen Erben 780 Litisdenuntiation, 289. Kipp stellt allerdings, 291 f, den Ablauf, wie er in der Relation beschrieben wird, nicht ganz präzise dar, ordnet insbesondere die Parteianträge nicht überzeugend zu. 781 Auch wenn der Tod während eines Appellationsverfahrens eintritt, gelten die Vorschriften von CT XI, 35, 1 (318: Seeck, Regesten, 62; 166) für beide Prozessparteien gleichermaßen.
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reparatio erhalten könne. Reparatio kann beantragt werden, egal welche Partei gestorben ist. Die damals nicht vorgelegten sanctiones bestanden hingegen (auch) nach unserer Quellenkenntnis nicht. Relation 32 zeigt, dass trotz des gesetzlich festgelegten Fristbeginns ein Antrag auf reparatio notwendig ist und jede Seite ihn stellen kann, auch der Kläger, der seinen Prozess gegen den Erben des Beklagten fortsetzen will. Auch der Kläger ist schutzwürdig, insofern er den Prozess zunächst nicht wie geplant fortführen kann, wenn sein Gegner gestorben ist. Das gilt, wenn der Tod der Partei während des Laufs der ersten Frist, also vor dem dies legitimus, eingetreten ist, aber auch, wenn der Tod erst nach Eröffnung der Verhandlung eintritt782. Der Relation ist zwar nicht zu entnehmen, wann genau Flavianus gestorben ist, doch hat er, wie § 2 zeigt, noch Einwendungen gegen die Klage vorgebracht, war am dies legitimus also anscheinend sogar anwesend. Theodorus behauptet nicht etwa nachträglich, dass auch der Beklagte damals nicht anwesend gewesen sei, erklärt auch nicht sein damaliges Nichterscheinen mit dem Tod der Gegenseite, sondern beruft sich kommentarlos auf die Vorschriften, die jeder Seite reparatio wegen des Todes einer Partei ermöglichen und ihm dazu verhelfen könnten, über die Folgen seiner Säumnis doch noch hinwegzukommen. Der Beklagte starb also eventuell erst nach der bereits eingetretenen Säumnis des Klägers, der das in seinem Antrag freilich übergeht. Der Prozess war in jedem Falle trotz eingetretenem causae lapsus noch nicht endgültig abgeschlossen. Man befand sich noch in lite, als der Beklagte starb, denn es gab nach dem Sachurteil gegen den säumigen Kläger noch Rechtsbehelfe; eine Wiederaufnahme war begründbar sowohl mit Entschuldigungsgründen für die eigene Säumnis als auch mit dem Tod des Beklagten. Sinn und Zweck der Fristerneuerung ist es jedoch nach dem Gesetzeswortlaut, dem Erben der verstorbenen Partei eine eigene Frist zuzubilligen, um sich in den Prozess einzuarbeiten, und wohl auch für den Gegner, sich auf einen neuen Gegner einzustellen. Die neue Frist beträgt wahrscheinlich vier Monate; vermutlich handelte es sich sogar wie in CT II, 6, 1 (dazu bei Relation 39) um die Frist, in der der Richter das Urteil zu fällen hatte, vgl. auch CT XI, 35, 1 mit interpretatio und die interpretatio zu CT II, 6, 4: ...actionis tempora, quae auctori ad litem constituta fuerant, renoventur. Der Richter entscheidet auf Antrag, ob die neue Frist erteilt wird, die dann ab Erbschaftsantritt berechnet wird. Daraus aber ergibt sich mittelbar eine Frist für die Erlangung der Reparation: Sie muss bewirkt werden, bevor die erzielbare Frist abgelaufen ist, die damit, jedenfalls indirekt, zugleich zur Frist für die Erlangung der Reparation wird. So lässt sich auch das Argument von Symmachus verstehen, nach zehn Jahren könne nicht mehr erfolgreich reparatio beantragt werden, weil die entscheidende Frist ab782 So auch Kipp, Litisdenuntiation, 287. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 238 mit Fn. 28, verlangt dagegen den Tod der Partei während des Laufs der Frist. Der Tod muss jedenfalls vor dem endgültigen Sachverlust eingetreten sein, vgl. auch CT XI, 35, 1 (318): qui ante labsum negotium in lite defecit; CT II, 6, 4 (339): ante litis terminum ultimum diem obierit.
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gelaufen sei783. Auch wenn eine ausdrückliche Vorschrift, d. h. eine Frist, in der Reparation beantragt und erteilt werden muss, nicht überliefert ist784, lässt sich eine Antragsfrist doch aus dem gesetzlich festgelegten Fristlauf in CT II, 6, 4 erschließen. Zudem liegt auf der Hand, dass ein solcher Antrag nicht noch nach Jahren gestellt werden kann, war man doch stets um Straffung der Gerichtsverfahren bemüht. Stirbt also eine Partei in lite, so läuft ab dem Erbschaftsantritt eine neue Viermonatsfrist, innerhalb derer reparatio bewirkt werden muss. Das ergibt unsere Relation 32 und ist bei Appellationsverfahren entsprechend geregelt, CT XI, 35, 1 (318): Wenn während des Appellationsverfahrens eine Partei stirbt, sollen vom Erbschaftsantritt an vier Monate zusätzlich, d. h. neue Fristen und Verhandlungstermine gewährt werden. Theodorus hat deshalb die Frist, reparatio zu bewirken, versäumt und jedenfalls diese zweite Säumnis (vielleicht sogar noch eine dritte gegenüber dem Erbeserben) führt zu irreparablem Anspruchsverlust. Symmachus verweigert konsequenterweise die Reparation, denn diese Säumnis ist endgültig (s. Relation 39 zu einem Sonderfall); reparatio dieser versäumten Frist ist nicht möglich. Deshalb verwirft der Stadtpräfekt in seinem Urteil das Gesuch um reparatio mit der ergänzenden Begründung, dass der Prozess unübertragbar sei: cum lis alteri denuntiata aliam personam temporibus novationis etiam exactis tenere non posset. Die Aussage, die gegen eine Person begonnene Klage könne nicht gegen eine andere fortgeführt werden, klingt auf den ersten Blick so, als handele es sich um eine höchstpersönliche, unvererbliche Angelegenheit. Vermutlich meint Symmachus aber nur, dass die Sache endgültig verfristet ist, weil nicht rechtzeitig gegen den Erben bzw. später den Erbeserben ein Antrag auf reparatio gestellt wurde und der Rechtsnachfolger aus diesem Grunde nicht mehr im Prozess ist. Baron785 versteht den Satz allerdings dahin, dass es an der litis contestatio fehle und die Litisdenuntiation an den Erblasser für den Erben selbst dann nicht gegolten hätte, wenn die Reparation erfolgt wäre. Die Ungültigkeit lag, so Baron, daran, dass die Litiskontestation nicht erfolgt sei, denn die translatio iudicii erfolge erst nach geschehener Litiskontestation. Ist sie noch nicht geschehen, ist die Klage gegen den Erben von Neuem anzustellen. Die Litiskontestation sei vorliegend insbesondere deshalb noch nicht geschehen, weil es bei Symmachus nur lis denuntiata und nicht contestata heiße. Tatsächlich ist in § 1 die Rede von actio...transfertur, womit dieses Problem gemeint sein könnte, vorausgesetzt, dort ist nicht, wie oben vermutet, von einer Abtretung durch Anniana die Rede, sondern vom Übergang eines Prozessverhältnisses auf einen anderen (hier: Erbeserben). Besteht das Problem des Falles also darin, dass Theodorus verzweifelt versucht, gegen jemanden vorzugehen, der mangels litis contestatio notwendig Außenstehender bleibt? Zu einer Verhandlung zwi783 Zu eng daher Baron, Denuntiationsprozess, 168 Fn. 2, wonach es keine Frist für den Antrag gegeben habe, weil eine entsprechende Vorschrift fehle. 784 Anders, aber nicht einfach übertragbar, für die Reparation der Appellationsfrist: CT XI, 31, 1; 3-7. 785 Denuntiationsprozess, 169. Er verweist dazu auf CJ V, 53, 4, 1 (238).
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schen den Parteien, die üblicherweise die litis contestatio bewirkt786, kam es in der Tat nicht, weil Theodorus am dies legitimus ausgeblieben und Flavianus gestorben ist. Aber immerhin hatte sich Flavianus zuvor auf exceptiones eingelassen, so dass litis contestatio wohl, wie auch Relation 19 zeigt, nicht (ohne weiteres) verneint werden kann. Zudem gelten CT II, 6, 3 f gerade dann, wenn eine Partei in lite, d. h. vor Prozessende, stirbt; das ermöglicht die Einbeziehung der Erben. Wahrscheinlich meint Symmachus daher nur, dass der Erbeserbe mangels rechtzeitigen Antrags auf reparatio unbeteiligt ist, so dass sein entscheidendes Argument die Verfristung bleibt, weshalb die gegen Flavianus begonnene Klage nicht fortgesetzt werden kann. Der Prozess wurde nicht rechtzeitig gegen die Erben des Beklagten (wieder-)aufgenommen, besteht ihnen gegenüber daher nicht fort, da sie selber auch nichts unternommen haben, in den Prozess einzutreten. Nicht anzunehmen ist jedenfalls, dass es bereits am Antritt des Erben oder Erbeserben fehlt, denn dann wäre (s. bei Relation 34) eine Haftung sowieso ausgeschlossen und passten die Ausführungen von Symmachus nicht. Die Diskussion in initium, z. B. die Gewährung von reparatio oder das Vorbringen von (prozessualen) exceptiones vor einer Verhandlung zur Sache, wird damals offensichtlich bereits als Verfahrensbeginn gewertet und macht, wie auch Relation 19 verdeutlicht, den Prozess vererblich. Das Verfahren ist in lite und damit grundsätzlich übertragbar. Ansonsten wäre hier auch die ganze Argumentation über eine Verfristung überflüssig. Die Argumentation Barons haftet zu sehr am klassischen Formularprozess. Die Relationen enthalten zwar keine konkreten Aussagen zur damaligen Vorstellung von der Litiskontestation, doch zeigt jedenfalls Relation 19 anschaulich den Übergang einer lis incoata auf Erben einer Prozesspartei zu einem Zeitpunkt, zu dem vorerst lediglich reparatio temporis gewährt und über Prozesseinreden verhandelt worden war, es aber an einer Sacheinlassung noch fehlte. Die Bedeutung der litis contestatio mag sich gewandelt haben; die damalige Rechtslage ist jedenfalls unbestritten und auf den vorliegenden Fall insofern übertragbar, als das Einlassen auf exceptiones vor dem eigentlichen Prozessbeginn, d. h. einer Verhandlung über die Hauptsache, für eine lis incoata offensichtlich genügte. Symmachus dürfte sich daher in § 1 tatsächlich, wie bereits eingangs angenommen, auf eine Übertragung durch Rechtsgeschäft beziehen. 3. Ergebnis: Eine reguläre appellatio more consultationis Auf der Grundlage der für einschlägig befundenen Vorschriften entscheidet Symmachus in seinem Urteil, die beantragte reparatio temporum zu verweigern, und beendet den Prozess mit einem Endurteil (Sachurteil) gegen den wie786 Zur litis contestatio jener Zeit: Steinwenter, Litiskontestation, 186 ff. Sie ist grundsätzlich am Beginn der kontradiktorischen Streitverhandlung, der Eröffnung der Verhandlung, anzusetzen, noch nicht mit Zustellung der Streitansage, der Ladung; s. a. Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 589; 593 f: Vererblichkeit ist an die litis contestatio geknüpft, nicht schon an die Ladung, s. a. CT I, 2, 10 (396, Ost).
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derholt säumigen Theodorus. Die dagegen sogleich eingelegte Berufung nimmt er ohne Zögern an und gibt die Unterlagen mit seinem Begleitschreiben an den Hof weiter. Die Appellation scheint fraglos zulässig zu sein, obwohl im Säumnisverfahren der Säumige grundsätzlich auch sein Appellationsrecht verlor. Doch kann die Partei, wie auch Relation 39 zeigt, durch Appellation geltend machen, dass sie zu Unrecht als säumig behandelt wurde. Der Antrag auf reparatio wird wie in Relation 39 durch appellables Endurteil zurückgewiesen. Relation 32 zeigt daher den Routinefall einer rechtmäßigen appellatio more consultationis787. Die Appellation ist sogar so vorbildlich beschrieben, dass Relation 32 als Quelle zum Ablauf des spätantiken Appellationsverfahrens herangezogen werden kann. Der Fall ist unauffällig bis auf das übergroße Selbstbewusstsein des Theodorus, dem Symmachus aber nicht nachgibt. Er berichtet sachlich und lässt sich bei seiner Entscheidung allein von Rechtsargumenten leiten, nachdem er beide Seiten geduldig angehört hat. Die Ablehnung der beantragten reparatio ist nach den uns zur Verfügung stehenden Quellen richtig788; schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass ein bereits im ersten Termin säumiger Kläger nicht nach zehn Jahren den Prozess wiederaufnehmen kann. Einzig richtige Entscheidung war also in der Tat, den Antrag abzulehnen, was für Theodorus mit dem endgültigen Rechtsverlust verbunden war. Nicht anzunehmen ist, dass er, wie manche Autoren glauben789, eine neue Klage gegen den Erbeserben anstrengen konnte; vielmehr führt die erneute Säumnis zum endgültigen Prozessverlust. Andernfalls hätte er doch wohl gleich eine neue Klage erhoben und sich nicht verzweifelt auf den alten Prozess bezogen. Nur so, d. h. nur bei Sachverlust, nicht bei bloßem Terminsverlust mit Kostenfolge, wird der unentschuldigt Säumige wirksam sanktioniert. Die beantragte Reparation war daher für Theodorus die einzige Chance. Der Kaiser wird die Entscheidung des Stadtpräfekten aller Voraussicht nach bestätigt haben.
787 Verfehlt insoweit Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 326 Fn. 2, und Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 618 Fn. 4, die Relation 32 als Beispiel einer unzulässigen (vgl. Rell. 16 und 38) Appellation gegen ein Zwischenurteil anführen. Symmachus fällt ein unbestritten appellables Endurteil, sententia, mit dem die reparatio in der Sache abgelehnt wird. Auch in Rel. 39, 4 wird gegen ein Urteil, das reparatio ablehnt, appelliert und ist die Zulässigkeit unproblematisch. 788 Die Entscheidung von Symmachus, die reparatio abzulehnen, beruht wie gezeigt auf CT II, 6, 3 f. Vera, Commento, 246 f, nennt dagegen CT II, 6, 1 und 2 (316/318), doch behandelt Relation 32 nicht die dort geregelte Art von reparatio, sondern den Spezialfall von CT II, 6, 3 f. 789 So offenbar Margetic, Litisdenuntiatio, 508 f, der nur von Kostennachteilen, nicht aber von einem Sachurteil ausgeht, schließlich sei die Klage noch nicht verjährt gewesen. Auch Kipp, Litisdenuntiation, 293, und Baron, Denuntiationsprozess, 170, vermuten, dass der Kläger mit einer neuen Klage direkt gegen die Nachkommen vorgehen konnte. Dagegen spricht, dass die Endgültigkeit einer zweiten Säumnis auch aus Rel. 39 eindeutig hervorgeht. Auch Kipp meint daher letztlich, dass die Sachfälligkeit, die gegenüber Flavianus eingetreten ist, auch dessen Erben einen materialen Verteidigungsgrund geboten habe.
Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
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Der konkrete, der Klage zugrundeliegende Sachverhalt bleibt leider vollständig im Dunkeln. Inhaltliche Fragen hatten Symmachus nicht zu interessieren; er konnte und musste sich auf die prozessuale Problematik beschränken. Ob Flavianus in den angedeuteten exceptiones auch materiellrechtliche Einwendungen vorgebracht hat, ist daher unklar; Symmachus äußert sich dazu nicht, bezeichnet das Vorbringen aber immerhin als gesetzmäßig (§ 2). Mitleid für Anniana, die die Auswirkungen des verlorenen Prozesses vielleicht am härtesten trafen, kommt bei ihm nicht auf. Sie musste sich ggf. an ihren saumseligen Vertreter halten, der möglicherweise eine Notlage von ihr (§ 1) einst ausgenutzt hatte. So ist der ganze Fall von der Dreistigkeit des Theodorus geprägt, der auch Symmachus mit viel Geduld begegnet. Letztendlich geht es aber allein um verfahrensrechtliche Fragen ohne politische oder standesrechtliche Implikationen. Der ex protector mag zwar versucht haben, auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen, ist aber jedenfalls bei Symmachus damit nicht erfolgreich, der sich nicht beeindrucken lässt und das Gesuch mit eindeutiger Begründung ablehnt. Eine Sonderbehandlung des ex protector ist nicht ersichtlich; zu Unrecht meint Barrow790, Symmachus habe trotz seiner ablehnenden Haltung die Appellation vielleicht deshalb weitergeleitet, weil Flavianus ein protector gewesen sei. Dagegen spricht, dass Symmachus lediglich die offensichtlich zulässige Appellation annimmt, pflichtgemäß weiterleitet und sich auch sonst kein Verdacht aufdrängt, er sei von der Position des Flavianus eingeschüchtert gewesen, wenngleich dessen großes Selbstbewusstsein durchaus ins Auge sticht; das zeigt sich ähnlich in Relation 38 bei einem (angeblichen) strator. Ein Antrag auf Reparation und sei er noch so unbegründet, verspricht jedenfalls Verzögerung, mag in anderen Fällen sogar erfolgreich gewesen sein, wenn ein Richter sich leichter beeindrucken ließ. Symmachus setzt dem eine routinierte, gesetzmäßige Entscheidung entgegen. Der Fall, der sich über Ämter- und Kaiserwechsel lange Jahre hinzieht, an dessen Verzögerung ihn aber keine Schuld trifft, ist einer der typischen Altfälle, mit denen es der Stadtpräfekt immer wieder zu tun hat.
VI. Relation 33: Irreguläre Annahme einer appellatio zum Ausgleich früher verweigerten Rechtsschutzes? Im Rahmen einer appellatio more consultationis berichtet Symmachus von einem Fall, der ihm vom Kaiser übertragen worden war, nachdem Fehlverhalten seines Amtsvorgängers Bassus Unregelmäßigkeiten ausgelöst hatte. Das ist für Symmachus nun besonderer Anlass zu Vorsicht. Er nimmt daher eine Appellation lieber einmal zuviel als zu wenig an, auch wenn sie keinerlei Aussicht auf Erfolg verspricht. In Fällen von Appellation ziehe er es vor, eher die Autorität seines Amtes herabzusetzen, als eine womöglich zweifelhafte Interpretation aufrechtzuerhalten, denn eine gerechte, billige Entscheidung erhalte durch 790
Prefect, 171.
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kaiserliche Bestätigung ein höheres Maß an Ansehen, § 1: In causis appellationum malo ius potestatis infringere quam interpretationum dubia sustinere, praesertim conscius haud iniquae iudicationis, cui nonnihil honoris eveniet, si aeternitatis vestrae oraculo roboretur, ddd. imppp. Der Stadtpräfekt nimmt mit dieser Begründung in den einleitenden Worten der Relation die Appellation gegen sein Urteil an und gibt, auf Bestätigung hoffend, die Prozessakten weiter. Mutmaßlich geht es in dem vorliegenden Prozess demnach um rechtliche Auslegungszweifel und es wird einerseits zu fragen sein, inwieweit Symmachus die Appellation als potenziellen Angriff auf die eigene Amtsautorität auffassen konnte, denn nach der negativen Vorgeschichte des Falles müsste er eigentlich bemüht sein, seine positive Einstellung gegenüber Appellationen unter Beweis zu stellen. Andererseits wird untersucht werden müssen, ob Symmachus hier nicht am Ende bereit ist, wieder einmal (vgl. Relationen 16 und 28) eine eigentlich unzulässige Appellation anzunehmen, denn von der appellierenden Partei wird ein Urteil angegriffen, das lediglich die ausdrückliche Anweisung eines Kaiserreskripts umsetzt. 1. Die Prozessgeschichte791 Der suarius Constantius, ein Schweinefleischhändler792, klagt gegen einen gewissen Theodosius793 auf Herausgabe einiger Vermögensgegenstände794. Worum es sich handelt, erfahren wir nicht, nur, dass später mobilia und fructus des Streitgegenstandes, der wohl auch Immobiliarvermögen betraf, ansonsten aber nur als res/corpora/facultates umschrieben wird, von Symmachus in Gewahrsam genommen werden. Auch was den Streit im Einzelnen ausgelöst hat, erfährt der Leser der Relation nicht, nur einmal ist in § 3 die Rede von turbatae possessionis querella, die Symmachus zu untersuchen hatte. Die Untersuchung 791 Der Fall wurde schon verschiedentlich einem Interpretationsversuch unterzogen, doch wird der prozessuale Ablauf in aller Regel nur ungenau wiedergegeben. Darstellungen finden sich bei Muther, Sequestration, 289 ff; Ubbelohde, Die Interdicte, 440 ff; Malafosse, Interdit, 67 f Fn. 4 (weitgehend nicht nachvollziehbar); Chastagnol, Préfecture, 106 f; 378; Bonfils, Prassi giudiziaria; ders., Sulla „relatio“ 33; Vera, Commento, 247 ff. Hier soll ein neuer Ansatz versucht werden. 792 Zum Schweinefleischmarkt und den dort tätigen Händlern, die in einer Korporation zusammengeschlossen sind, s. schon bei Rel. 22 m. Lit. Der suarius holt die Tiere bzw. die entsprechenden Geldbeträge bei den Beitragspflichtigen ab, verteilt Fleisch an die Berechtigten auf dem Forum Suarium und handelt auch auf dem freien Fleischmarkt. Die suarii erhalten zum Ausgleich für ihr munus im Bereich der öffentlichen Versorgung Privilegien; dazu bei Rel. 14 und etwa CT XIV, 4, 6 (389). 793 Beide Prozessbeteiligten sind sonst unbekannt und jedenfalls nicht senatorischen Standes. Sie finden sich weder in RE noch in PLRE I. 794 In der Relation ist, jedenfalls in Bezug auf die Entscheidung des Symmachus, nur die Rede vom Besitzprozess. Zunächst wurde nur über den Besitz, wie schon in Relation 28, entschieden und eine etwaige vindicatio späterer Entscheidung vorbehalten. Keinen Anhaltspunkt gibt es für die Vermutung von Muther, Sequestration, 289, von Constantius sei die hereditatis petitio angestrengt worden.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
dieser Beschwerde durch Symmachus betrifft allerdings erst ein späteres Prozessstadium, sie muss nicht notwendig schon im Ausgangsprozess relevant gewesen sein. Chastagnol vermutet, es gehe wie in Relation 28 um eine gewaltsame Besitzentziehung, doch lässt sich das der Relation nicht entnehmen. Geklagt wird vor dem zuständigen Richter am Wohnsitz des nicht-senatorischen Beklagten, dem Stadtpräfekten von Rom795. Amtierender Stadtpräfekt war damals, d. h. im Jahre 382/383, Bassus, der Vor-Vorgänger des Symmachus796. Der urteilt zugunsten von Constantius, wogegen Theodosius sogleich an den Kaiser appelliert. Wäre alles ordnungsgemäß verlaufen, hätte Bassus die Appellation annehmen, das Verfahren der appellatio more consultationis einschlagen und dem Kaiser den Fall übergeben müssen. Doch Bassus unterlässt all das, ignoriert vielmehr das Rechtsmittel, woraufhin Constantius die Güter in Abwesenheit des Theodosius in Besitz nimmt, d. h. es kam noch nicht einmal zu einer ordnungsgemäßen Vollstreckung unter Bassus797. Daraufhin weiß sich Theodosius nicht anders zu helfen, als Bittschriften direkt beim Kaiser einzureichen, in denen er außer der Tatsache, dass seine Appellation unzulässigerweise missachtet worden sei, auch noch vorträgt, er sei im erstinstanzlichen Prozess überhaupt nicht anwesend gewesen. Der Kaiser erlässt daraufhin ein Reskript, in dem er anordnet, dass Symmachus, der mittlerweile im Amt ist, in einer kurzen Untersuchung überprüfen soll, ob die Angaben des Theodosius in der supplicatio auch der Wahrheit entsprechen, denn es muss ausgeschlossen werden, dass die Supplik unzulässigerweise in einem laufenden Verfahren vorgebracht wurde, und ob Theodosius tatsächlich in Abwesenheit verurteilt worden war. Außerdem soll Symmachus, wenn sich die Angaben als wahr herausstellen sollten, d. h. Theodosius in Abwesenheit verurteilt, seine Appellation missachtet und die Besitzverhältnisse eigenmächtig verändert worden sein sollten, die ursprüngliche Besitzverteilung wiederherstellen. Der Kaiser behält sich vor, die Hauptsache, die bei Bassus anhängig gewesen war, selbst zu entscheiden und überträgt Symmachus nur die Untersuchung über die Appellation.
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Der Beklagte hatte seinen Wohnsitz offensichtlich im Hundertmeilenbezirk, so dass der Stadtpräfekt ordentlicher, erstinstanzlicher Richter war. Verfehlt Vera, Commento, 246; 249, wonach erstinstanzlicher Richter ein Provinzgouverneur gewesen und die Berufung an den Stadtpräfekten gegangen sei. Er verkennt den Ablauf des Appellationsverfahrens, in dem der Richter a quo das Rechtsmittel annehmen muss. Eben das versäumt Bassus (§ 2 a. E). 796 Symmachus nennt den Namen zwar nicht, doch bezeichnet er den Vorgänger in § 2 wie in den Relationen 20, 1 (dort und bei Rel. 23 auch Nachweise zur Person) und 25, 3 mit prodecessor. Damit ist wohl auch dieses Mal Bassus gemeint, wie schon MartínezFazio, Basílica, 219 Fn. 13; 222 Fn. 29, die den Sprachgebrauch bei Symmachus systematisch untersucht, schlussfolgert; so auch Vera, Commento, 249. Chastagnol, Préfecture, 107; 378; ders., Fastes, 216 Fn. 92, und Bonfils, Prassi giudiziaria, 144 ff; ders., Sulla „relatio“, 289 ff, denken dagegen an Aventius. 797 Ungenau daher Muther, Sequestration, 291 f; Ubbelohde, Die Interdicte, 441 f; Vera, Commento, 247, wonach Bassus dem Constantius die possessio corporum im Rahmen der Urteilsvollstreckung zugestanden habe. Der Formulierung in § 2 lässt sich entnehmen, dass Constantius die streitigen Güter eigenmächtig an sich nimmt.
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Symmachus vermutet, dass der Fall mit hineingehören könnte in eine ganze Reihe von Prozessen, in denen Bassus mutmaßlich ungerechtfertigterweise Appellationen nicht angenommen hatte und versucht daher, den Vikar an der ihm aufgetragenen Untersuchung zu beteiligen, weil wegen der anderen Vorfälle bereits wegen des Verdachts von Amtspflichtverletzungen gegen Bassus ermittelt wird und diese Ermittlungen neben Symmachus einem weiteren Richter anvertraut worden waren, eben dem Vikar798. So würde der Stadtpräfekt es daher auch vorliegend gerne halten. Eine gewisse Zeit verschiebt Symmachus sogar die Untersuchung und erwartet den Vikar, um mit ihm den Fall zu untersuchen, der eigentlich ihm alleine übertragen worden war. Doch aus irgendeinem Grunde ist der Vikar so schnell nicht erreichbar799 und Symmachus am Ende gezwungen, die Untersuchung alleine zu leiten. Seine Ermittlungen ergeben, dass die Angaben des Theodosius durchweg der Wahrheit entsprechen, jener also im Prozess vor Bassus abwesend und seine Appellation missachtet worden war. Auch Constantius kann das nicht widerlegen. Den weiteren Instruktionen des Reskripts nachkommend, spricht Symmachus daher den Besitz der Streitgegenstände dem Bruder und Erben des Theodosius zu, da angesichts des langwierigen Verfahrens (wieder einmal) eine Prozesspartei gestorben war. Faktisch wird also das Urteil von Bassus annulliert. Gegen diese Entscheidung legt Constantius nun seinerseits Berufung zum Kaiser ein. Symmachus hält das für wenigstens unüberlegt, vielleicht sogar unzulässig, nimmt das Rechtsmittel aber gleichwohl an, reicht die Prozessakten mit der Relation 33 an die kaiserlichen Kanzleien weiter800 und ordnet sicherheitshalber noch die Sequestration der beweglichen Sachen und Früchte an. In der Relation fasst Symmachus den Sachverhalt in den §§ 2-4 zusammen: Tuli igitur Constantium suarium temere provocantem, cum ex rescripto numinis vestri statum, quem Theodosio absenti ademerat, reformassem. Mota enim vestra clementia supplicationibus querulis brevi examine iussit inquiri, an Theodosio extra conflictum locato ac deinde, ne rebus excederet, provocante possessionem corporum Constantius esset indeptus. Allegata igitur praeceptione divina primo cognitionem totius negotii, quamvis speciatim mihi tranquillitatis vestrae delegatione mandatam, viri clarissimi vicarii praesentiae reservavi. Siquidem videbatur haec causa ceteris provocationibus esse coniuncta, quae v. c. prodecessori801 meo negabantur admissae et alterum mecum sumpserant cognitorem. § 3. Dehinc ubi eam par798 Er habe keinen Mitarbeiter mehr heißt es in § 3, als der Vikar nicht erreichbar ist, ursprünglich waren also die beiden befasst. Zur Identifizierung des vicarius urbis Romae s. schon im Ersten Teil, 3. Abschnitt VI. Der Amtsinhaber ist unbekannt. 799 Entgegen den Darstellungen bei Muther, Sequestration, 292; Malafosse, Interdit, 67 Fn. 4, und Chastagnol, Préfecture, 107, erreicht Symmachus ihn nicht. 800 Obwohl sich unterdessen auch ein Beamter im officium erinnert, dass ihm die Appellationsunterlagen des Theodosius bereits seinerzeit vorgelegen haben, ordnet Symmachus umfassende Aktenvorlage an. 801 So Seeck, Symmachus, 306, während zwei der Manuskripte prodecessore haben. Vera, Commento, 250 f, schließt sich dem an, schlägt aber alternativ vor, es könne auch quae a geheißen haben.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
tem, quae ad illius temporis iudicem pertinebat, vestro retinuistis examini, appellationis inquisitione discreta, cum iam participem iudicii non haberem, turbatae possessionis querellam rescripto obsecutus audivi; et quia Theodosium iudicio non interfuisse constabat, quo sibi demptas questus est facultates, nec ulla precum mendacia Constantius detegebat, executus sum circa germanum supplicatoris heredem caeleste iudicium reformato statu, quem claruit mox proposita appellatione defensum, licet cultus802 subditus quaestioni libellos, quos Theodosius publicavit, apud se resedisse memoraverit. Nihilominus oboediens imperatis statui, ut fides gestorum superiorum ad augusta scrinia mitteretur. § 4. Hinc orta est provocatio, cuius vel iustitia vel contumacia sacro expendetur arbitrio. Interea constitutionis memor sequestrari mobilia fructusque praecepi, ne medii temporis usurpatio abutatur indebitis. Omnium gestorum fida documenta cum supplementis partium relationi ex more sociata sunt, ut diu fluctuanti causae tandem stabilem terminum divino ore ponatis. 2. Versuch einer Auswertung Entscheidend für die Bewertung der Relation ist letztlich die Frage, ob Symmachus erneut eine unzulässige Appellation angenommen hat. Zunächst sollen daher einzelne Angaben zum Sachverhalt einer näheren Betrachtung unterzogen werden, um dann besser beurteilen zu können, weshalb Symmachus so und nicht anders entscheidet. a) Der Prozess vor Bassus aa) Die Abwesenheit des Beklagten im Prozess Bassus verurteilt Theodosius auf Herausgabe des Besitzes an den streitgegenständlichen Gütern, woraufhin dieser in seiner Supplik gegen die Rechtmäßigkeit des Urteils unter anderem geltend macht, er sei extra conflictum locatus gewesen und den Erkenntnissen von Symmachus zufolge war er tatsächlich im Verfahren nicht anwesend, iudicio non interfuisse constabat, § 3. Es fragt sich 802
So die Manuskripte. Seeck, Symmachus, 306, schlägt vor, es habe geheißen cornicularius oder cognitionalis. Vera, Commento, 253 f, vermutet ersteres; der Begriff sei vielleicht von den Kopisten derart missverstanden abgekürzt worden. Gemeint ist offensichtlich einer der Kanzleibeamten im officium urbanum, der für die Prozessakten zuständig war und Akten weiterleitete. Für den cornicularius spricht in diesem Zusammenhang, dass er in dem angesprochenen Bereich im officium urbanum tätig war. Er assistierte dem Stadtpräfekten eventuell sogar speziell bei der Untersuchung von Berufungen als Mitglied des secretus ordo: CT I, 5, 8 (378). Dazu Chastagnol, Préfecture, 230; anders Sinnigen, Officium, 85 ff, der den cornicularius dort nicht angesprochen sieht. Jedenfalls war der cornicularius Berater des Stadtpräfekten auch in Rechtsangelegenheiten, s. bei Rel. 42 m. Lit. und kommt daher auch hier als zuständiger Beamter in Betracht. Vera nennt a.a.O. auch den commentariensis oder den Leiter der cura epistularum. Auch die Satzzeichen sind so nicht zwingend, s. schon Ed. Meyer, Relationes, 46: Punkt nach defensum, Satzbeginn mit licet, den nihilominus-Anschluss einbeziehend.
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nun, was es mit diesem Vorbringen auf sich hat, zu dem einige Autoren vermutet haben803, Bassus habe ein Versäumnisurteil gefällt und der Kläger sei in die bona des Beklagten mittiert worden. Das allerdings würde mehrfache Ladung des Beklagen voraussetzen, der dann erst contumax war und nach einseitiger Verhandlung verurteilt werden konnte804. Gegen ein Versäumnisurteil wäre dann Appellation nur mit der Begründung möglich, zu Unrecht als säumig behandelt worden zu sein. Die Tatsache, dass gerügt wird, dass ein Urteil gegen einen Abwesenden gesprochen wurde, klärt zunächst einmal die Parteirollen im Ausgangsprozess, die aus der Relation auf den ersten Blick nicht deutlich werden. Wäre nämlich Theodosius Kläger gewesen, hätte seine Abwesenheit unproblematisch Sachfälligkeit zur Folge gehabt (vgl. hierzu die Relationen 32 und 39) und er hätte Wiedereinsetzung beantragen müssen. Da der Ablauf hier anders ist, muss Theodosius im erstinstanzlichen Prozess Beklagter und kann nicht Kläger gewesen sein. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob gegen ihn Säumnisfolgen verhängt wurden. Bonfils805 bemängelt in diesem Zusammenhang, dass Symmachus nicht aufgegeben worden sei, zu prüfen, ob Theodosius eine Begründung für seine Abwesenheit vortragen kann und meint, hierin eine Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben erkennen zu können, denn der Kaiser hätte korrekterweise Anweisung erteilen müssen, das Vorliegen der Säumnisvoraussetzungen zu prüfen. Dieser Vorwurf hieße aber wohl doch, die Anforderungen an die Ausführlichkeit einer solchen Relation zu überzeichnen. Symmachus hat keinen Anlass, in der Relation detaillierte Ausführungen zu machen, zumal sich alles Weitere aus den beigefügten Unterlagen ergab. Anzunehmen ist vielmehr, dass er geprüft haben wird, ob die Voraussetzungen für ein Säumnisurteil vorlagen, aber zu dem Ergebnis kam, dass das nicht der Fall war. Die Wortwahl der Relation zeigt, dass Theodosius nicht contumax war. Ob Bassus allerdings tatsächlich, wie vermutet wird, die Form des Versäumnisurteils gewahrt hat, ist zu bezweifeln. Es scheint eher, als verteidige sich Theodosius nicht damit, er sei zu Unrecht als contumax behandelt worden, stützt nicht, wie Muther806 meint, seine Appellation darauf, sondern er trägt offenbar vor, ganz ohne Anhörungsmöglichkeit, ohne mehrfache Ladung verurteilt worden 803
Muther, Sequestration, 289 f; sich anschließend Ubbelohde, Die Interdicte, 441 f. Vera, Commento, 249, vermutet, es habe sich um einen Fall nach CJ III, 19, 2, 1 (331) gehandelt: Der Richter gesteht bei Abwesenheit des Beklagten den Besitz der Güter dem Kläger zu, ohne über das Eigentum, principalis quaestio, zu entscheiden. Auch diese Spezialvorschrift für Grundstücksprozesse verlangt jedoch contumacia des Beklagten, die erst zur missio in possessionem führt, s. dazu etwa Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 569. 804 Zum Versäumnisverfahren gegen den Beklagten (contumax): Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 568 m. N. Der Beklagte wird dreimal oder stattdessen einmal amtlich durch Edikte geladen und bei weiterem Ausbleiben antragsgemäß verurteilt. S. a. Epp. VII, 81; 83 (crebra conventio); 89 (399) und bei Rel. 31. 805 Prassi, 299 ff; Sulla relatio 33, 148 f. 806 Sequestration, 291.
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zu sein. Er war unfreiwillig absens und nicht etwa (bewusst) contumax. Die Verurteilung in Abwesenheit wird von Symmachus mit Erstaunen und doch wohl als Rechtsverstoß festgestellt. Man hat den Beklagten ungerechfertigterweise nicht angehört und offensichtlich noch nicht einmal die Form des Säumnisverfahrens gewahrt. Das gegen eine abwesende Partei gesprochene Urteil aber ist nichtig, wenn nicht die Voraussetzungen für ein Versäumnisurteil gegeben sind807. Was aber soll die verurteilte, nicht angehörte Partei tun, wenn, wie hier, aus dem nichtigen Urteil vollstreckt zu werden droht? Relation 33 zeigt, dass auch gegen ein solches Urteil zunächst appelliert, schließlich aber Rechtsschutz nur über Supplik und Reskript erlangt wird. Bereits die Appellation gegen das Urteil des Stadtpräfekten Bassus war jedoch nach den Feststellungen von Symmachus zulässig und hätte Rechtsschutz gegen die Verletzung des rechtlichen Gehörs gewähren müssen. Theodosius wurde zu Unrecht nicht gehört, hätte nicht in Abwesenheit verurteilt werden dürfen und war daher auch zur Appellation berechtigt. Bassus ist bereits hier verdächtig, Rechte einer Partei missachtet zu haben. Sein Urteil war wahrscheinlich nichtig. bb) Die Nichtannahme der Appellation und die supplicatio des Theodosius Die nächste Unregelmäßigkeit liegt darin, dass Bassus die Appellation des Theodosius nicht annimmt, so dass sich Constantius ermuntert sieht, in Abwesenheit des Theodosius in eigenmächtiger Vollstreckung des Urteils die umstrittenen Güter in Besitz zu nehmen. Es kam häufig vor, dass Richter Appellationen nicht annahmen und überprüft werden musste, ob die Ablehnung berechtigt war. Die Rechtsvorschriften halten in diesem Zusammenhang zahlreiche Regelungen bereit, wonach dem Richter und seinem Amt (das ihn nicht auf die Vorschriften hingewiesen hat) Strafe drohte, wenn eine zulässige Appellation nicht angenommen wurde808. Dabei galt das bereits bei den Relationen 16 und 807
Damit wird die Pflicht, rechtliches Gehör zu gewähren abgesichert. Dazu m. N. Apelt, Urteilsnichtigkeit, 71 ff; s. a. Wacke, Audiatur et altera pars, 379 ff. 808 Den Rechtsquellen lässt sich entnehmen, dass Richter immer wieder Appellationen einfach nicht annahmen, sie gar gewaltsam zu verhindern suchten, weil sie sie als Beleidigung und Angriff auf sich persönlich betrachteten. Zahlreiche Gegensteuerungsversuche halten deshalb dazu an, eingelegte Rechtsmittel anzunehmen und drohen Strafen für grundlose Zurückweisungen an. So wird in CT XI, 30, 11, 1 (321) dem Stadtpräfekten ins Gewissen geredet, der keine Appellation verweigern dürfe, die nicht den Richter beleidige, sondern die Partei schützen solle. S. a. CT XI, 30, 15 (329): Die Richter fühlen sich durch Appellationen zu Unrecht angegriffen und reagieren ablehnend. In zahlreichen, wiederholten Vorschriften wird die nicht ordnungsgemäße Annahme und Weiterleitung von Appellationen mit Geldstrafe in wechselnder Höhe für Richter und officium bedroht, s. etwa CT XI, 30, 16 (331); 22 (343); 25 (356); 33 (364 und vielleicht derzeit einschlägig): 20 Pf. Gold für den Richter bzw. 30 für das officium; 51 (393): 30 Pf. Gold für den Richter, 50 für das officium. Spezielle Regelungen gab es auch für den Fall, dass der Berechtigte an der Einlegung des Rechtsmittels durch den Richter a quo womöglich mit Gewalt gehindert wird oder Furcht die Appellation verhindert, vgl. CT XI, 30, 30 (362 f). Selbst Verzögerungen bei der Aktenübersendung wurden bestraft: CT XI, 30, 8 (319); 29 (362); 31 (363); 32 (364 f); 34 (364). Umfassend die Vorschrift in CT XI, 29, 5 (374 an den Stadtpräfekten), wonach jeder Verfahrensfehler im Verfahren der appella-
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28 beschriebene Verfahren, das auch hier eingehalten worden sein dürfte: Der Richter, der eine Appellation zurückwies, musste einen begründeten Bericht darüber verfassen und diesen dem Appellanten aushändigen, der sich an die nächsthöhere Instanz wenden konnte. Auf diese Weise konnte sich jeder abgewiesene Appellant beim höheren Richter beschweren, wenn er sich in seinem Recht auf den vorgesehenen Rechtsschutz verletzt sah. Eine Beschwerde war auch möglich, wenn der Bericht verweigert oder eine Abschrift der consultatio im Rahmen des Verfahrens more consultationis nicht (rechtzeitig) erteilt wurde. Der Appellant wird mit diesem Rechtsbehelf, der Suspensiveffekt entfaltet, gegen unbegründete Zurückweisung seiner Appellation abgesichert; er kann sich direkt an das Appellationsgericht wenden. Das Obergericht entscheidet dann über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung und prüft auch in der Sache, so, als ob die Appellation angenommen worden wäre809. Auf diese Weise wird Rechtsschutz gegen Verfahrensunregelmäßigkeiten der unteren Instanzen gewährt. Allerdings ist das adire bzw. die supplicatio (falls nächsthöhere Instanz der Kaiser war) dadurch, dass der Richter ad quem in der Sache umfassend prüfen muss, aufwendig und langsam. Im konkreten Fall delegiert der Kaiser daher einen Teil der Prüfung an den Stadtpräfekten, nämlich die Frage, ob die Supplik berechtigt war, ob die Angaben die dort gemacht wurden der Wahrheit entsprechen. Dieser Anweisung nachkommend stellt Symmachus fest, dass die ungerechtfertigte Nichtannahme der Appellation durch Bassus die supplicatio an den Kaiser rechtfertigt, die sonst verboten war, weil mit ihr der reguläre Verfahrensgang umgangen würde810. Relation 33 zeigt anschaulich die Umsetzung der angesprochenen Vorschriften zum Appellationsverfahren in der Praxis. Der zuständige Beamte im officium urbanum, der mit der Streitsache schon früher befasst war, sagt aus, er könne sich erinnern, dass die von Theodosius vorgelegten Berufungsunterlagen, libelli, durch sein Amt gegangen seien. Jener hatte also nachweislich gegen das erstinstanzliche Urteil appelliert, doch hatte Bassus ihm keinen Rechtsschutz gewährt, was die Einreichung einer Bittschrift an den Kaiser erforderlich machte. Bassus bzw. sein Amt, das die Unterlagen offen-
tio more consultationis (und im Relationsverfahren) wie sacrilegium bestraft wird. Zu den verbreiteten Missständen und Gegenmaßnahmen im Appellationsverfahren: Noethlichs, Beamtentum, 176 ff; zahlreiche Beispiele auch bei Litewski, Röm. Appellation, spez. IV, 166 ff; 297 ff. 809 Die Ablehnung einer Appellation wurde so überprüft. Stellte sich heraus, dass das Rechtsmittel Erfolg hatte, ist dem Kaiser zu berichten, damit der den erstinstanzlichen Richter und sein officium, das ihn nicht darauf hingewiesen hat, bestraft. Regelungen finden sich in CT XI, 30, 6 (316); v. a. aber in XI, 30, 16 (331); s. a. XI, 34, 2 (355). Auch wenn der Richter die Kopie seines Urteils verweigert oder Akten nicht weitergibt, ist außerordentlicher Rechtsschutz vorgesehen. Ebenso, wenn aus Furcht keine Appellation eingelegt wurde. Ausführlich zu Vorstehendem: Litewski, Röm. Appellation IV, 175 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 619 f. S. a. unter b). 810 S. schon im 4. Abschnitt A. III. und auch bei Rel. 48.
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sichtlich nicht weitergeleitet hat811, gerät damit unter Verdacht: Mehrfach wurden zu seiner Amtszeit Appellationen nicht ordnungsgemäß untersucht. Des Öfteren gab es offenbar schon ähnliche Beschwerden wie jene des Theodosius, denn wie sich herausstellt, wird wegen derartiger Vorwürfe gegen Bassus bereits ermittelt. Das zeigt, dass das Kontrollsystem durchaus funktionierte. Dem Kaiser war es ernst damit, Amtsvergehen auf dem Gebiet der Rechtsprechung zu verfolgen und die Vorschriften, die freilich immer wieder eingeschärft werden mussten, auch durchzusetzen. In der Zusammenschau der Relationen stellt sich die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen den hier deutlich werdenden Unregelmäßigkeiten und bereits laufenden Ermittlungen und den Untersuchungen gegen Bassus, von denen Relation 23 berichtet, besteht. Aus Relation 23 geht der konkrete Vorwurf, der gegen Bassus erhoben wird, nicht hervor812, denkbar wäre also durchaus, dass es sich um Unregelmäßigkeiten im Richteramt handelte. Allerdings spricht eine Beobachtung dagegen, dass die Untersuchung von der in Relation 23 die Rede ist, mit jener identisch ist, von der Symmachus in Relation 33 berichtet: Die Untersuchung aus Relation 23 scheint ausschließlich dem Vikar anvertraut, während Symmachus in Relation 33 davon berichtet, dass Untersuchungen gegen Bassus vom Stadtpräfekten gemeinsam mit dem Vikar geführt werden und den vorliegenden Fall untersucht er sogar alleine. Trotzdem scheint ein Zusammenhang der Untersuchung aus Relation 23 mit dem konkreten Fall entgegen der Ansicht von Vera813 nicht ausgeschlossen, denn Symmachus untersucht hier bei genauer Betrachtung nicht die Vorwürfe gegen Bassus, sondern nur die konkreten Umstände der Appellation, unabhängig von einem möglicherweise später weiterverfolgten strafrechtlichen Vorwurf gegen Bassus, der ihm wohl auch für den konkreten Fall gemeinsam mit dem Vikar überlassen geblieben sein wird. Auch aus Relation 23 ergibt sich, dass sich letztlich die beiden Beamten zusammensetzen. Fest steht jedenfalls, dass gegen Bassus bereits umfangreiche Ermittlungen angestellt wurden und in Bezug auf Unregelmäßigkeiten im Richteramt lässt sich der Verdacht aufgrund von Relation 33 auch bestätigen. Bassus muss sich vorwerfen lassen, den suarius Constantius begünstigt zu haben, indem er das zulässige Rechtsmittel der Gegenseite nicht angenommen hat. Symmachus macht das zwar deutlich, ohne aber mögliche Konsequenzen anzudeuten. Was gegen Bassus in der Folge unternommen wird, bleibt 811 Die Appellationslibelle scheinen verschwunden, aber jemand erinnert sich (§ 3), dass tatsächlich appelliert worden ist. Bassus hatte wahrscheinlich die Unterlagen beiseite schaffen lassen. 812 Es heißt lediglich in Rel. 23, 4: ad examinandos actus v. c. Bassi ex praefecto urbi potestas vicaria ad secretarium commune prodiisset... und in Rel. 23, 6 ist die Rede von crimen/crimina des Bassus. Was der Belastungszeuge Memorius zu berichten wusste, wissen wir nicht, doch hatte es nicht zwingend etwas mit Appellationsfragen zu tun; vielleicht wusste er von anderen, kriminellen (finanziellen?) Machenschaften des Bassus. 813 Commento, 251.
4. Abschnitt: Prozesse
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im Dunkeln, wird sowohl in Relation 23 als auch hier offengelassen. Symmachus enthält sich jeden Antrags auf Bestrafung814, gewiss auch mit Blick auf die heikle Situation, die Relation 23 offenbart, in der die einflussreiche Familie der Anicii ihre Interessen auch gegenüber dem Stadtpräfekten durchaus effektiv durchzusetzen weiß. In Beschränkung auf seinen Auftrag stellt Symmachus in der Relation lediglich fest, dass die Supplik an den Kaiser nach der regelwidrigen Missachtung der Appellation zulässig war. Mit Vorwürfen gegen Bassus hält er sich zurück, wenngleich er nicht verhehlt, dass die Nichtannahme rechtswidrig war. Symmachus will mit Relation 33 nicht Bassus schaden, sondern nur den Fall erledigen815. Relation 33 zeigt, dass die Nichtannahme zulässiger Appellationen ebenso Realität in Rom war wie der gegenteilige Fall, den die Relationen für Symmachus selbst mehrere Male belegen, der sich dadurch, dass auch die Annahme unzulässiger Appellationen bestraft wurde, nicht abschrecken ließ, genau das zu tun. Gegenbeispiele für den hier von Bassus gezeigten Verstoß liefern die Relationen 16 und 28 und nach Ansicht zahlreicher Autoren auch Relation 33 selbst: Symmachus nimmt unzulässige Appellationen an. Ob er das auch hier getan hat, wird zu untersuchen sein. b) Das Reskript Theodosius wendet sich in seiner Verzweiflung direkt an den Kaiser und erhält ein Reskript, in dem der amtierende Stadtpräfekt mit der Untersuchung des Falles betraut wird. Relation 33 liefert damit einen weiteren Beispielsfall für das sogenannte Reskriptverfahren, in dem der Richter kraft ausdrücklicher Delegation seine Zuständigkeit erhält. Verschiedentlich wurde in diesem Zusammenhang vermutet, dass sich aus Relation 33 ableiten lasse, dass dem Stadtpräfekten vorübergehend die Zuständigkeit in Besitzstreitigkeiten entzogen gewesen sei und Symmachus nur ausnahmsweise anstelle des eigentlich zuständigen Vikars mit dem Fall betraut worden sei816. Doch lässt sich das aus dem Text der Relation nicht bestätigen, vielmehr war Bassus ordentlicher Richter und wird auch Symmachus als sein Nachfolger im Amt als nächster zuständiger Richter mit dem Fall befasst. 814 Bassus droht Haftung für die Verweigerung der Appellation etwa nach CT XI, 30, 33 (364): Strafe von 20 Pf. Gold für den Richter, 30 für sein officium. 815 Nicht berechtigt ist der Vorwurf von Bonfils, Prassi, 289 f; ders., Sulla relatio 33, 146, der meint, Symmachus habe in der Relation sein schlechtes Verhältnis zu Aventius (um den es hier im Übrigen gar nicht geht und mit dem er eher befreundet war, vgl. Ep. VIII, 40) zum Ausdruck gebracht und als angeblichen weiteren Beleg Ep. II, 55 nennt. Doch bezieht sich genannter Brief von 385/386 auf Symmachus’ eigenen Nachfolger, an dessen Versorgungspolitik er Kritik übt. Weder in dieser noch in anderen Relationen zeigt sich ein schlechtes Verhältnis von Symmachus zu seinen Vorgängern, weder zu Bassus noch zu Aventius, wenngleich es unbestreitbar kritische Momente gab, vgl. nur Rel. 38 in Bezug auf Aventius. Ein feindseliger Ton gegen Bassus ist aus Rel. 33 und auch sonst nicht zu belegen; kritische Distanz gewiss, nicht aber persönliche Gegnerschaft. 816 Dazu m. N. unter c).
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Sobald ein Prozess anhängig war, durften die Parteien wie gesehen unter Androhung von Strafen für den Fall des Zuwiderhandelns den ordentlichen Rechtsweg nicht mittels einer supplicatio an den Kaiser durchbrechen. Eine Ausnahme galt nur, wenn der Richter verhinderte, dass der Fall auf regulärem Wege zum Kaiser gelangte. Nur in diesem Fall durfte die betroffene Partei zur supplicatio greifen und der Richter wurde wegen seines gesetzwidrigen Verhaltens belangt. Weil also die Durchbrechung des ordentlichen Rechtsweges strafbar wäre, mussten die Angaben des Theodosius in seiner Supplik genau geprüft werden und eben das ordnet das Reskript an. Symmachus wird aufgegeben, eine kurze Untersuchung zu führen und Theodosius muss darlegen, dass er rechtzeitig und zulässigerweise appelliert hatte und damit nicht gehört worden war. Constantius versucht mit Blick darauf, die Gültigkeit des Reskripts zu erschüttern, indem er die praescriptio mendaciorum erhebt und behauptet, allerdings nicht beweisen kann, es sei unter falschen Angaben erschlichen worden und daher ungültig (vgl. hierzu ausführlich bei den Relationen 19 und 44). Symmachus überprüft pflichtgemäß817 diese Behauptung und kommt zu dem Ergebnis, dass Theodosius die Wahrheit gesagt hat, die Supplik an den Kaiser daher berechtigt und das Reskript gültig war. Für diesen Fall, dass die Angaben des Theodosius wahrheitsgemäß sein sollten, ordnet das Reskript an, dass jenem der Besitz der streitbefangenen Güter zu restituieren sei, verlangt also im Ergebnis Rückgängigmachung der Vollziehung des Urteils, das Bassus erlassen hatte. Und genau das tut Symmachus. Der genaue Inhalt seines Urteils wird noch näher zu betrachten sein. Zunächst stellt sich aber die Frage, wie die Reskriptanordnung rechtlich einzuordnen ist. Bonfils818 spricht davon, der Kaiser habe wegen der Abwesenheit des Beklagten im Prozess restitutio in integrum contra sententiam gewährt und sieht darin eine weitere Unregelmäßigkeit im Verfahren, nachdem schon die Säumnisvoraussetzungen nicht geprüft worden seien. Valentinian II. habe Vorschriften zum Appellationsverfahren missachtet und ein nicht mehr appellables Urteil restituiert. Doch gibt das die Relation nicht her. Der Kaiser gewährt keine förmliche in integrum restitutio gegen das rechtskräftige Urteil819, stellt nicht einfach das verlorene Appellationsrecht wieder her, das infolge der Nichtannahme des Bassus verfristet war. Relation 33 zeigt keine Missachtung der Appellationsregeln durch das kaiserliche Reskript, sondern vielmehr einen ordentlichen Verfahrensgang nach der durch Bassus entstandenen Unregelmäßigkeit. Im Reskript wird lediglich faktisch Wiedereinsetzung angeordnet, nämlich reformatio der Folgen des erstinstanzlichen Urteils; von statum reformare ist denn auch die Rede. Die supplicatio erweist sich für die Prozesspartei als reguläres, letztes Mittel, sich gegen 817 CT I, 2, 6 (333) verlangt ausdrücklich eine Überprüfung von Supplikangaben auf Wahrheitstreue durch die Beamten. 818 Sulla relatio 33, 147 ff; Prassi, 297 ff. 819 Vielmehr bestätigt sich letztlich das bei Relation 39 festzustellende enge Anwendungsgebiet der spätantiken in integrum restitutio. Levy, Zur nachklass., 398 ff, legt ausführlich anhand der Quellen dar, dass es im nachklassischen Recht grundsätzlich keine Restitution außer jener zum Schutze Minderjähriger mehr gab (s. dazu bei Rel. 39).
4. Abschnitt: Prozesse
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Verfahrensunregelmäßigkeiten zu wehren und es zeigt sich der umfassende kaiserliche Ermessensspielraum, der Einzelanweisungen ermöglicht, ohne sich an starre Formen halten zu müssen. Ende des vierten Jahrhunderts wird verlangt, gegen Urteile zunächst einmal rechtzeitig zu appellieren und im Appellationsverfahren auch die Urteilsnichtigkeit vorzutragen und erst falls es nötig werden sollte, konnte auf die supplicatio zurückgegriffen werden. Der Kaiser gewährt in seinem Reskript daher zwar einen außerordentlichen, aber letzten Endes doch den verfahrensmäßig vorgesehenen Rechtsschutz. Darin wird nicht einfach das Appellationsrecht wiederhergestellt, vielmehr behält sich der Kaiser die Hauptsache vor und lässt Symmachus lediglich vorläufig sichernde Maßnahmen treffen. c) Die versuchte Einbeziehung des Vikars Die Ansichten darüber, weshalb in der Relation auf den Vikar Bezug genommen wird, gehen weit auseinander. Wie wir wissen, ist er üblicher Gehilfe des Stadtpräfekten auch in Prozessen und hat eine eigene, ggf. konkurrierende Gerichtsbarkeit, wie sich für die zweite Instanz beispielsweise in Relation 38 zeigt. Geht es vorliegend also darum, dass ihm für solche Fälle üblicherweise eine eigene Rechtsprechungskompetenz zukam und Symmachus ihn aus diesem Grunde einzubeziehen suchte? In diese Richtung stellt Chastagnol Überlegungen an, der aufgrund der Lektüre von Relation 33, 2 vermutet, dass der Vikar jedenfalls für eine gewisse Zeit für Appellationen in Fällen von Besitzentziehung zuständig gewesen sei, nachdem dem Stadtpräfekten diese Kompetenz vorübergehend entzogen worden sei. Symmachus sei nur kraft spezieller Delegation mit dem Fall befasst gewesen, da der Kaiser 383/384 eigentlich dem Vikar solche Besitzprozesse anvertraut hatte. Vor diesem Hintergrund habe Symmachus den Vikar als den derzeit für solche Fälle eigentlich zuständigen Beamten beizuziehen versucht, dies womöglich sogar tun müssen820. Doch bei genauem Hinsehen lässt sich eine eigene Zuständigkeit des Vikars in Besitzprozessen aus Relation 33 nicht entnehmen. Symmachus unterstreicht, dass allein er mit dem Fall betraut ist und den Vikar lediglich aus eigenem Ermessen einzubeziehen sucht. Dieses Ansinnen steht, und das sagt Symmachus in § 2 deutlich, nicht im Zusammenhang mit der Frage der Kompetenzverteilung im Besitzprozess, sondern beruht auf der freiwilligen Entscheidung des Stadtpräfekten. Aus der Relation lässt sich daher nicht schließen, dass dem Stadtpräfekten zeitweise Rechtsprechungskompetenzen zugunsten des Vikars entzogen waren. Die Übertragung des Verfahrens an Symmachus ergibt sich aus den Besonderheiten des Falles und ist Bestandteil des Reskriptprozesses. Der Kaiser beauftragt den Stadtpräfekten als den nächstzuständigen Richter, schließlich ist er amtierender Nachfolger von Bassus als dem seinerzeit ordentlichen Richter. Eine für derartige Fälle sonst bestehende, eigene Rechtsprechungskompetenz 820 Chastagnol, Préfecture, 107 ff; 134 f; ihm folgend: Barrow, Prefect, 174; Pieler, Gerichtsbarkeit, 419; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 538 Fn. 65.
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des Vikars ist nicht ersichtlich. Der Stadtpräfekt macht lediglich von seiner Befugnis Gebrauch, dem Vikar Kompetenzen zuzuweisen, wenn es ihm angebracht erscheint, und zieht ihn dabei auch zu gerichtlichen Untersuchungen nach eigenem Ermessen bei. Zu fragen bleibt, warum er das versucht. Einen Vorschlag hierzu äußert Vera821, der vermutet, die streitigen Güter hätten vielleicht im Vikariat gelegen, so dass der Amtsbereich des Vikars territorial betroffen wäre und ihn Symmachus vielleicht wegen seiner Ortskunde beiziehen wollte. Abgesehen davon, dass es für diese Annahme keinerlei Anhaltspunkt in der Relation gibt, sollte jedoch zunächst versucht werden, die von Symmachus gelieferte Begründung ernst zu nehmen, der den Fall einer Reihe von nicht angenommenen Appellationen zuordnet, an deren Untersuchung der Vikar offiziell beteiligt ist. Eben diese Zuständigkeit möchte er auf den ihm vorliegenden Fall, in dem er ebenfalls eine nicht angenommene Appellation zu untersuchen hat, übertragen. Darin lässt sich die Absicht erkennen, gleich im Vorfeld sich andeutender Amtsdelikte im Interesse objektiver Ermittlungen einen zweiten Beamten einzuschalten. Wie wir bereits in Relation 23 gesehen haben, ist es durchaus Aufgabe des Vikars, Untersuchungen gegen (ehemalige) Stadtpräfekten anzustellen und speziell wegen der Nichtannahme verschiedener Appellationen ermitteln Vikar und Stadtpräfekt bereits gemeinsam gegen Bassus. Allemal glaubwürdig ist daher die von Symmachus gelieferte Erklärung für den Versuch, den Vikar beizuziehen, dass nämlich der vorliegende Fall mit hineinzugehören scheint in diese Appellationen, die von Bassus offenbar zu Unrecht nicht angenommen worden waren und deren Untersuchung ihnen beiden gemeinsam anvertraut worden war. Weil auch dieser Fall ein mögliches weiteres, später dann auch tatsächlich bestätigtes, Amtsvergehen seines Amtsvorgängers betrifft, will Symmachus den Vikar vorsichtshalber gleich beteiligen, um jeden bösen Anschein zu vermeiden und sich so ersparen, dass man ihm später möglicherweise vorwirft, er habe eventuell etwas vertuscht, um Bassus oder das Amt vor Verdächtigungen zu schützen. Jedem Verdacht von Voreingenommenheit soll auf diese Weise aus dem Weg gegangen und die Unabhängigkeit der Untersuchung dadurch gewährleistet werden, dass nicht nur der Amtsnachfolger desjenigen ermittelt, der die Unregelmäßigkeiten verursacht hat. Das Umfeld des Falles ist Gemeinschaftssache und daher will Symmachus den Vikar einbeziehen. Bei günstiger Betrachtung bezeugt Symmachus hier von sich aus, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, ein vielleicht sogar rechtsstaatlich zu nennendes Bewusstsein und das ungeachtet seiner Schwierigkeiten mit dem amtierenden Vikar, die Relation 23 aufzeigt. Freilich zeigt sich darin auch eine gehörige Portion Vorsicht. Offensichtlich sucht er Rückhalt, befürchtet gar mögliche Beschwerden (der Parteien? des Vikars? des Bassus und seiner Familie?) über seine Untersuchung in der Frage der Appellation. Dazu mögen die negativen Erlebnisse, die in Relation 23 geschildert werden, beigetragen haben. Die dort auftretenden Spannungen spielen un821
Commento, 250.
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ausgesprochen auch in Relation 33 mutmaßlich eine nicht unerhebliche Rolle, schließlich wird Symmachus bzw. seinem Amt dort der Vorwurf der Voreingenommenheit gemacht und werden Beschuldigungen wegen conludio vel iniquitate erhoben. Vor diesem Hintergrund liegt es für den Stadtpräfekten nahe, den Vikar einzubeziehen, obwohl oder gerade weil jener nach dem Zeugnis der 23. Relation ein potenzieller Gegner ist. Statt in dem Beteiligungsversuch also bloß persönliche Entscheidungsschwäche des Stadtpräfekten zu vermuten822, lässt sich ihm durchaus zugute halten, dass er um Objektivierung bemüht ist und den zuständigen Mitarbeiter rechtzeitig einzubinden sucht. Auch Relation 23 zeigt, dass die gegenseitige Beteiligung der beiden Amtsinhaber üblich war, vielleicht sogar erwartet wurde. Andererseits verzögert Symmachus, indem er auf den Vikar wartet, zugleich die ihm eigentlich aufgetragene Aufklärung eine gewisse Zeit und das nicht aus rechtlicher Notwendigkeit, denn die Untersuchung wurde ihm ausdrücklich persönlich übertragen und die Ermittlungen gegen Bassus laufen unabhängig vom vorliegenden Verfahren weiter, sondern freiwillig. Der Vikar scheint indes gar nicht in Rom gewesen zu sein. Symmachus wartet eine Weile auf ihn, doch schließlich bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Untersuchung wie angewiesen alleine durchzuführen, denn der Vikar kommt nicht, was Symmachus ohne weiteren Kommentar hinnimmt. Sollte jener seine Anreise bewusst verzögert haben? Zwar könnte er durch Amtsgeschäfte verhindert gewesen sein, doch hätte Symmachus das dann nicht entschuldigend angeführt? Nach der Lektüre früher behandelter Relationen kann man zu dem Verdacht kommen, dass sich auch hier das eher gespannte Verhältnis zwischen Symmachus und dem Vikar andeutet, denn nicht ganz abwegig ist die Annahme, dass dieser nicht bereit ist, dem Stadtpräfekten in dem heiklen Fall beizustehen, sich also wie schon in den Relationen 23 und (wenngleich weniger) 26 eine Rivalität zwischen den beiden Amtsinhabern zeigt. Alle drei Schreiben erweisen ein eher schwieriges Verhältnis zwischen unserem Stadtpräfekten und einem seiner wichtigsten Mitarbeiter, der auch hier nicht aus einem besonderen Vertrauensverhältnis heraus, sondern aus Vorsicht beigezogen werden soll: Symmachus sucht Absicherung, Öffentlichkeit. Das Geschehen aus Relation 23, sofern es bereits Vergangenheit sein sollte - was nicht ausgeschlossen ist, denn Relation 23 stammt vom Anfang der Amtszeit -, wird freilich ausgeblendet. Sollte tatsächlich ein Zusammenhang zwischen beiden Episoden bestanden haben, würde das allerdings zeigen, wie ernst es Symmachus mit der versuchten Einbeziehung des Vikars war und das Nichterscheinen des Vikars in einem spannungsreichen Licht erscheinen. Doch unabhängig von der Frage, inwieweit Relation 23 im Zusammenhang mit dem hier behandelten Fall zu sehen ist, ist festzuhalten, dass Relation 33 im Hinblick auf Bassus und seine (einflussreiche) Familie sowie die Beteiligung 822
Wenngleich die Einschätzung von Bonfils, Prassi 290 ff; ders., Sulla relatio 33, 146, nicht von der Hand zu weisen ist, Symmachus habe sich aus dem komplexen Problem möglichst heraushalten wollen. Das aber lässt sich nicht nur negativ, sondern auch mit gewissem Verständnis bewerten.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
des Vikars einen nicht zu unterschätzenden politischen Hintergrund hat, der auch für Symmachus weiteres Verhalten, speziell die Frage der Annahme der Appellation, eine Rolle gespielt haben könnte. d) Das Urteil des Stadtpräfekten Symmachus stellt fest, dass gegen Theodosius ein Urteil in Abwesenheit gefällt und die daraufhin von jenem eingelegte Appellation zu Unrecht nicht angenommen worden, die Vollziehung des Urteils daher unzulässig, die Supplik also fundiert war und stellt gemäß der Anweisung im Reskript den Besitzstand wieder her, den Constantius dem abwesenden Theodosius eigenmächtig entzogen hatte: ...cum ex rescripto numinis vestri statum, quem Theodosio absenti ademerat, reformassem. Der Supplikant bzw. sein Rechtsnachfolger (es handelt sich um den Bruder und Erben von Theodosius, der im Laufe des Verfahrens gestorben war823) wird mittels Besitzrestitution in die Situation vor dem Urteil zurückversetzt, ohne dass geprüft wird, wem die Streitgegenstände materiellrechtlich zustehen. Lediglich die widerrechtliche Besitzstörung, turbata possessio824, wird festgestellt und rückgängig gemacht, denn der Kaiser hat sich selbst die Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten. Dem Stadtpräfekten war nur die Untersuchung über die Frage der Appellation gegen das Urteil von Bassus delegiert. Symmachus führt die Reskriptanweisung schlicht aus, entscheidet genau wie ihm darin aufgegeben worden war, § 3: executus sum circa germanum supplicatoris heredem caeleste iudicium reformato statu. Umstritten ist, ob Relation 33 ein Beispiel dafür ist, dass das Interdiktenverfahren zu jener Zeit fortbestand. Aus dem Text der Relation lässt sich darüber keine eindeutige Aussage treffen. Ersichtlich wird ein Besitzurteil (zweimal ist die Rede von statum reformare825) gefällt, der frühere Besitzstand wiederhergestellt und das könnte in der Tat durch Interdikt geschehen sein. Insbesondere Malafosse und Chastagnol vertreten diese Auffassung, legen Relation 33 allerdings insgesamt nur unzureichend aus826. So glaubt Chastagnol, Symmachus habe am Ende des possessorischen Verfahrens dem Theodosius das Interdikt momentariae possessionis erteilt, wogegen Constantius dann unzulässigerweise 823 Verfehlt daher Chastagnol, Préfecture, 107, der meint, es handele sich um den Erben von Constantius. Jener ist nach dem Zeugnis der Relation noch sehr lebendig und appelliert gegen das Urteil von Symmachus. 824 Was nicht gewaltsame Besitzstörung bedeuten muss. Eine solche ist vielleicht sogar eher unwahrscheinlich, denn gegen einen Abwesenden ist Gewalt gerade unnötig. Anders offenbar Bruns, Besitzklagen, 98. Begrifflich ist jedoch mit turbare nicht zwangsläufig Einsatz von Gewalt verbunden, vgl. auch den Titel CJ VIII, 5: Si per vim vel alio modo absentis perturbata sit possessio. 825 Diese Begrifflichkeit für ein Besitzurteil findet sich ähnlich in Relation 28 und wörtlich in CJ VIII, 5, 1/CT IV, 22, 1 (326). Am Vorliegen eines possessorischen Urteils zweifelt Bonfils, Prassi, 305. 826 Malafosse, Interdit, 67 f Fn. 4; Chastagnol, Préfecture, 106 f; 378.
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appelliert habe. Zusätzlich habe Constantius eine Supplik mit der Behauptung, er sei zum Besitz berechtigt, eingereicht, die der Kaiser angenommen und Symmachus mit der Wiederaufnahme der Untersuchung betraut habe, sich selber das Petitorium vorbehaltend. Diese Darstellung bringt den in der Relation geschilderten Hergang durcheinander, denn die supplicatio stammt nicht von Constantius und sie richtet sich auch nicht gegen Symmachus’ Entscheidung, sondern betrifft das frühere Verfahren und ist der Befassung von Symmachus vorgeschaltet. Im Ablauf nicht haltbar ist auch Chastagnols weitere Annahme, wonach in der folgenden Untersuchung das Interdikt aufgehoben und der Besitz dem Erben des Constantius zugestanden worden sei, wogegen Theodosius (zulässigerweise) appelliert habe. Das in der Relation geschilderte Geschehen ist ein anderes, Chastagnol vertauscht weitgehend die Rollen. Allerdings bleibt dessen ungeachtet die Frage, ob Constantius wirklich unzulässigerweise gegen das Besitzurteil des Symmachus, das jener in Interdiktform erlassen haben könnte, appelliert hat. In Frage steht allerdings nur diese eine mit der Relation weitergeleitete Appellation. Festzuhalten bleibt damit, dass nicht auszuschließen ist, dass sich Symmachus der Interdiktform bedient hat, um eine rasche Entscheidung wegen eigenmächtiger Besitzentziehung zu treffen, wenngleich wohl nicht des klassischen interdictum unde vi827, denn im Rahmen seiner Prüfung ist keinerlei Gewaltanwendung ersichtlich. Zu denken ist eher an eine Besitzentscheidung im Sinne eines momentum (dazu bei Relation 28 und hier unter f). Für Constantius ergibt sich durch die „reformierte“ Besitzverteilung eine schlechtere Ausgangsposition für das folgende Hauptsacheverfahren vor dem Kaiser, daher legt er Berufung ein. e) Die Sequestration der mobilia fructusque Nachdem Symmachus sich entschlossen hat, die Appellation anzunehmen und weiterzuleiten, nimmt er die beweglichen Bestandteile und Früchte des Streitgegenstandes in öffentliche Verwahrung, um zu verhindern, dass von ihnen in der Zwischenzeit bis zum rechtskräftigen Endurteil ungebührlich Gebrauch gemacht wird. Eingedenk dessen, was eine Kaiserkonstitution vorschreibt, habe er die Sequestration verfügt: Interea constitutionis memor sequestrari mobilia fructusque praecepi, ne medii temporis usurpatio abutatur indebitis. Die Sequestration der Streitsache bzw. ihrer beweglichen, beiseitezuschaffenden Bestandteile dient der Absicherung der Ansprüche des Appellaten während des Appellationsverfahrens, der zunächst ein Urteil auf seiner Seite hat828. Nach Ansicht einiger Autoren829 bezieht sich Symmachus in der Erwäh827 Darin ist Ubbelohde, Die Interdicte, 440 ff, Recht zu geben, der allerdings (s. schon oben) meint, Symmachus habe eine Entscheidung im Rahmen der Vollstreckung gefällt. Auf diese Frage wird unter e) und f) näher einzugehen sein. 828 Die Appellation hat grundsätzlich Suspensiveffekt, währenddessen einstweilige Sicherung angebracht ist. Dazu auch Muther, Sequestration, 283 ff; Litewski, Röm. Appellation III, 402 f.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
nung der constitutio auf CT XI, 36, 25 (378), wonach die beweglichen Sachen und Früchte, wenn ein Grundstück Streitgegenstand ist, während des Appellationsverfahrens zu sequestrieren seien. Dort wird allerdings nur der Spezialfall einer ausnahmsweise - weil nämlich die Vollstreckung über das Urteil hinausgeht - zulässigen Appellation im Vollstreckungsverfahren behandelt. Die von Symmachus erwähnte Konstitution scheint hingegen allgemeinen Charakter gehabt zu haben830, denn Symmachus vollstreckt nicht einfach ein Urteil in erschwerender Weise831, sondern fällt ein eigenes Besitzurteil gegen das appelliert wird. Jedenfalls aber geht er in seiner „Vollstreckung“ 832 ersichtlich nicht über die Reskriptanweisung hinaus, so dass CT XI, 36, 25 auch aus diesem Grunde nicht einschlägig gewesen ist. Eine Sicherung im Rahmen des Appellationsverfahrens scheint damals eine allgemeine Regel gewesen zu sein, denn Symmachus handelt ausdrücklich nach dem Gesetz; die constitutio ist allerdings nicht eindeutig zu identifizieren. f) Symmachus nimmt die Appellation an Nun gilt es, den vielleicht wichtigsten Punkt der Relation zu untersuchen: Hat Symmachus einmal mehr eine eigentlich unzulässige Appellation angenommen? In § 1 schreibt er dazu selbst: In causis appellationum malo ius potestatis infringere quam interpretationum dubia sustinere, praesertim conscius haud iniquae iudicationis, cui nonnihil honoris eveniet, si aeternitatis vestrae oraculo roboretur, ddd. imppp. Nach eigenen Angaben hat er eine wenigstens unbesonnene Appellation gegen sein Urteil, in dem er Besitzwiederherstellung angeordnet hat, angenommen: Tuli igitur Constantium suarium temere provocantem..., § 2. Anders als in den Relationen 16 und 28 gesteht er jedenfalls nicht ausdrücklich zu, dass er ein unzulässiges Rechtsmittel angenommen hat. Doch erfordert seine Entscheidung offensichtlich eine Begründung. Er hat sich zu der 829
Muther, Sequestration, 287; 294; Ubbelohde, Die Interdicte, 443 Fn. 53; Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 337 Fn. 83; Steinwenter, Briefe, 10 Fn. 45. Auch Vera, Commento, 254, schließt einen Bezug nicht aus. Seeck, Symmachus, 306, denkt an das in D XLIX, 1, 21, 3 erwähnte Reskript (s. a. die nächste Fn.). 830 Vergleichbar vielleicht D XLIX, 1, 21, 3; s. a. PS V, 43, 1 f: Quotiens possessor appellat, fructus medii temporis deponi convenit. Quod si petitor provocet, fructus in causa depositi esse non possunt nec recte eorum nomine satisdatio postulatur. Si propter praedia urbana vel mancipia appelletur, pensiones eorum vel mercedes, vecturae etiam, si de navi agatur, deponi solent. 831 Weder das von Bassus noch ein Endurteil des Kaisers, der in seinem Reskript in der Sache noch nicht selbst urteilt, sondern nur inhaltliche Vorgaben macht. 832 Executus sum...caeleste iudicum heißt es zwar in § 3, meint aber wohl nicht eine executio im engeren Sinne, denn nach § 1 fällt Symmachus eine eigene iudicatio. In der Vollstreckung wäre die Appellation eindeutig unzulässig, vgl. dazu Raggi, Studi, 166 ff. Nach CT XI, 36, 3 (315) ist speziell die als temere bezeichnete Appellation gegen die Vollstreckung eines Urteils verboten und strafbar. Hier gebraucht Symmachus zwar dieselbe Wortwahl, doch steht dennoch wohl nicht dieses Appellationsverbot konkret in Frage.
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Annahme der Appellation nur herabgelassen, über deren iustitia oder contumacia nun der Kaiser befinden möge. Was mit der vorsichtigen Ausdrucksweise gemeint ist, ist im Folgenden zu überprüfen. Insbesondere fragt sich, weshalb die Appellation als Angriff auf die eigene potestas gewertet werden könnte. Zahlreiche Autoren rechnen Relation 33 mit unterschiedlicher Begründung zu den Beispielen der Annahme unzulässiger Appellationen. Für einige von ihnen ist die Vermutung entscheidend, dass Symmachus ein Interdikt in Besitzsachen erteilt habe, gegen das die Appellation unzulässig gewesen sei833. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass Appellation gegen Interdikte wohl nur in den gesetzlich genannten Fällen verboten war, etwa im Falle des unde vi (dazu bei Relation 28) und des quorum bonorum (dazu bei Relation 16). Dass es sich vorliegend nicht um das interdictum unde vi gehandelt haben dürfte, wurde bereits erläutert834. Relation 28 könnte allerdings Zeugnis dafür sein, dass die Appellation in vorab entschiedenen Besitzschutzsachen allgemein unzulässig war. Dann wäre Relation 33 in eine Reihe mit den Relationen 16 und 28 einzureihen, Fällen klar unzulässiger Appellation. Die Rede ist in Relation 28, 1 und 28, 10 von momenti reformatio, wofür ein Appellationsverbot gelte. Unklar ist allerdings, ob von dieser recht allgemein gehaltenen Formulierung nicht vielleicht doch nur der dort einschlägige unde-vi-Bereich, d. h. der Fall gewaltsamer Besitzentziehung erfasst wird. Im konkreten Fall heißt es statum reformare, eine Formulierung die wiederum in CT IV, 22, 1/CJ VIII, 5, 1 (326) auftaucht: reformato statu als Besitzrestitution im Sinne einer (inappellablen) Vorabentscheidung. Auch das könnte ein Hinweis darauf sein, dass vorliegend doch eine Parallele zu ziehen ist. Allerdings ist Ausgangspunkt für CT IV, 22, 1 wieder die Situation unde vi. Wie Relation 28 ist auch diese Stelle daher kein Beleg für ein allgemeines Appellationsverbot in Besitzschutzsachen. Speziell gegen Selbsthilfe im laufenden Verfahren (possessorem...turbaverit), wie sie von Constantius geübt wird, wendet sich CT IV, 22, 2 (380; dazu bei Relation 28), doch enthält diese Vorschrift nichts zur Frage der Appellabilität und gilt zudem wohl ebenfalls nur für Fälle von violentia. Ausdrücklich allgemein gefasst ist hingegen das interdictum momentariae possessionis aus CT II, 1, 8 (395) und auch der Titel CJ VIII, 5: Si per vim vel alio modo absentis perturbata sit possessio ist weiter gefasst als das Unde vi von CT IV, 22835 und passt genau auf den vorliegenden Fall der Besitzstörung zu Lasten eines Abwesenden. Auch CT XI, 37, 1 (386) könnte ein Anhaltspunkt sein für ein umfassen833
Malafosse und Chastagnol wurden bereits genannt. Auch Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 638 Fn. 15, nennen Rel. 33 als Beispiel einer verbotenen Appellation gegen ein Interdikt. Erst mit CT XI, 37, 1 (386) sei die Appellation wieder zugelassen worden, wenngleich ohne Suspensiveffekt; so offenbar auch Liebs, Landraub, 99 Fn. 51. 834 Nicht überzeugend führt Bethmann-Hollweg, Civilprozess III, 327 Fn. 8, Rel. 33 neben Rel. 28 als Beispiel einer unzulässigen Appellation gegen das interdictum unde vi an. 835 Weiter dann allerdings auch CT IV, 22, 4 (396): erfasst auch schlichte perturbata possessio gegenüber Abwesenden.
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des Appellationsverbot in Fällen vorläufiger Besitzentscheidung, momentum. Ein allgemeines gesetzliches Verbot, gegen Entscheidungen in Besitzstreitigkeiten zu appellieren, ist damit zwar nicht überliefert, ergibt sich auch nicht zwingend aus letztgenannter Regelung, die von einigen der angeführten Autoren als angeblicher Beleg für ein bisheriges Verbot angeführt wird, denn aus ihr geht streng genommen nur hervor, dass die Appellation gegen ein Besitzurteil keinen Suspensiveffekt (mehr) entfaltet. Die Konstitution zeigt lediglich, dass offenbar häufig (erlaubterweise?) in Besitzsachen appelliert wurde und man sich daher um Beschleunigung bemühte. Andererseits steht CT XI, 37, 1 als einzig überlieferte Konstitution unter dem Sondertitel Si de momento fuerit appellatum (CJ VII, 69, 1: Si de momentaria possessione fuerit appellatum)836 und lockert deshalb vielleicht doch ein bislang bestehendes striktes Appellationsverbot in Besitzschutzsachen837. Rasche Besitzrestitution ist hier wie in Relation 28 gewollt und spricht für ein Appellationsverbot. Die Appellation bringt nur unnötige, weitere Verzögerung mit sich, denn Symmachus setzt vermutlich die Vollstreckung seines Urteils bis zur Kaiserentscheidung aus und setzt sich damit in Widerspruch zu den bestehenden gesetzlichen Beschleunigungstendenzen. Die Situation stellt sich nach Symmachus’ Restitutionsanordnung eigentlich so dar, als hätte Bassus die Appellation ordnungsgemäß weitergeleitet und auch den Suspensiveffekt beachtet. Constantius hätte daher wohl die Hauptsache abwarten und vor dem Kaiser seine Forderung wiederholen und beweisen, Symmachus das Rechtsmittel wohl als unzulässig ablehnen müssen. Die Formulierung, die Appellation sei temere, also unbesonnen oder voreilig, steht dieser Auslegung nicht entgegen, denn temere meint in CT XI, 36, 3 (315) ebenfalls eine unzulässige Appellation. In Relation 38 ist die unzulässige Appellation gegen ein Zwischenurteil inconsulta; in Relation 16 ist die Rede von inmaturae vocis bzw. incauta provocatio. Die Begrifflichkeit ist der vorliegenden durchaus vergleichbar, steht der Annahme von Rechtswidrigkeit jedenfalls nicht entgegen. Nach den allgemeinen Regeln dürfte das von Constantius gegen die Besitzschutzentscheidung des Symmachus eingelegte Rechtsmittel damit in der Tat unzulässig gewesen sein. Zugunsten des Stadtpräfekten ist allerdings zu berücksichtigen, dass er kraft spezieller Delegation mit dem Fall befasst wird und im Rahmen seiner Restitutionsanordnung lediglich eine Reskriptanweisung umsetzt, sich das Verfahren also außerhalb des üblichen Rahmens bewegt. Die Zulässigkeit mag deshalb vielleicht doch zweifelhaft gewesen sein. Der Fall ist nicht so eindeutig wie in den Relationen 16 und 28. Die Annahme einiger Autoren838 allerdings, es han836 Nicht etwa unter Unde vi; sie hat also vermutlich einen weitergehenden Anwendungsbereich. 837 So: Liebs, Landraub, 99 mit Fn. 53. 838 Seeck, Symmachus, CCX; ihm folgend Martínez-Fazio, Basílica, 204 Fn. 68; Barrow, Prefect, 17; 95 Fn. 2; 153; 174; s. a. Raggi, Studi, 59 Fn. 50; 160. Gegen diese Argumentation schon Ubbelohde, Die Interdicte, 443 f; Kipp, Erbschaftsstreit, 82 Fn. 41; dann wieder Bonfils, Sulla relatio 33, 149 f; ders., Prassi, 286; 288; 305-308, der den
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dele sich in Relation 33 um eine (unzulässige?) Annahme einer (unzulässigen?) Appellation gegen ein Zwischenurteil in Besitzsachen lässt sich nicht bestätigen. Zum einen hätte Symmachus wie in Relation 16 wohl darauf hingewiesen und zum anderen erlässt er nach eigenen Angaben nicht etwa nur ein Zwischenurteil, sondern setzt die kaiserliche Reskriptanweisung in einem eigenen Endurteil (iudicatio in § 1) um. Daher ist auch die von einigen der genannten Autoren vorgenommene Datierung der Relation 33 nach dem 29. November 384, d. h. nach CT XI, 30, 44 (vgl. zu dieser Konstitution bei Relation 16), mit der Argumentation, dass sich Symmachus hier, anders als noch in Relation 16, nicht für die Annahme entschuldigt habe, nicht haltbar. Unter e) wurde bereits ausgeführt, dass es entgegen der Ansicht von Muther und anderen auch nicht um die Frage einer bloßen Vollstreckungsmaßnahme des Symmachus geht, gegen die grundsätzlich keine Appellation zulässig gewesen wäre. Der Stadtpräfekt erlässt ein eigenes Urteil, vollstreckt nicht schlicht ein Kaiserurteil. Doch liegt vermutlich trotzdem genau in diesem Bereich das Problem der Appellation. Letztlich tut Symmachus in seinem Urteil nämlich nichts anderes, als das Reskript umzusetzen. Fragwürdig dürfte daher folgendes gewesen sein: Die Entscheidung, was geschehen soll, wenn sich die Angaben in der Bittschrift des Theodosius als wahr herausstellen sollten, hat bereits der Kaiser getroffen, dessen Vorgaben in § 3 nicht zufällig als iudicium bezeichnet werden. Insofern richtet sich die Appellation jedenfalls indirekt gegen die kaiserliche Anweisung und könnte daher unzulässig, vielleicht sogar strafbar gewesen sein, weil der Instanzenzug nach der Vorgeschichte des Falles gar nicht mehr eröffnet war. Symmachus ist kraft ausdrücklicher kaiserlicher Delegation mit dem Fall befasst; eine Appellation zum Kaiser gegen sein Urteil war damit zunächst noch nicht grundsätzlich unzulässig, denn er wird kraft Spezialanweisung zur ersten Instanz, entscheidet nicht etwa anstelle des Kaisers als zweite Instanz über das Urteil des Bassus. Das Reskript weist ihn lediglich an, die damalige Appellation zu untersuchen und ggf. den Besitz zu restituieren. Symmachus tut wie geheißen und kommt zu dem Ergebnis, dass die appellatio von Bassus hätte angenommen werden müssen, gibt selbst aber nicht diese frühere Appellation weiter, sondern jene gegen sein eigenes Besitzurteil, das er aufgrund der Reskriptanweisung erlassen hat. Das Problem ist also nicht, dass in derselben Sache zweimal appelliert worden wäre, sondern die Frage, inwieweit hier der allgemeine Grundsatz von Bedeutung ist, dass gegen eine Kaiserentscheidung unter Strafdrohung grundsätzlich kein Rechtmittel zulässig ist839. Gegenstand der Appellation ist zwar das Beamtenurteil, das aber beruht auf der Reskriptvorgabe und stellt die Rechtmäßigkeit des Reskripts sogar ausdrücklich fest. Für die Bewertung des Rechtsmittels als unzulässig dürfte dieser indirekte AnAngriff auf das Reskript in den Mittelpunkt stellt (dazu auch sogleich). Vera, Commento, 248 f, schließt sich wohl Bonfils an, nennt allerdings, 129, Rel. 33 neben Rel. 16 auch als (angebliches) Beispiel für eine Appellation gegen ein praeiudicum. 839 Keine Appellation oder Supplik gegen ein Reskript, vgl. dazu etwa CT XI, 30, 6 (316); 8 (319); 9 (318 f); 11 (321); s. a. D XLIX, 1, 1 und bei Rel. 48.
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griff auf das Reskript bereits genügen, denn die Appellation gegen ein nach und aufgrund Reskripterteilung ergangenes Urteil840 ist allenfalls zulässig mit der Begründung, das Reskript beruhe auf falschen Angaben in der Supplik und sei daher nichtig. Das aber wird von Constantius offenbar nicht (mehr) vorgetragen und verspricht schließlich auch keinen Erfolg, da Symmachus diese Frage gerade geprüft hatte. Die Appellation war daher vermutlich (auch) unzulässig als Angriff auf das Reskript. Jedenfalls aber bedeutete sie einen Affront gegenüber dem Kaiser. Fraglos ist Symmachus daran gelegen, zu erfahren, ob seine Ermittlungen zum Sachverhalt vor dem Auge des Kaisers Bestand haben. Dass ihm dabei allerdings auch bewusst gewesen ist, dass seine Entscheidung, das Rechtsmittel anzunehmen, am Hof kritisiert werden könnte, zeigt seine Wortwahl. Man erinnere nur die einleitenden Worte, wonach er bereit sei, im Falle einer Appellation sogar die eigene potestas herabzusetzen, um Interpretationszweifeln zu begegnen. Mögliche Kritik im Rahmen der Appellation richtet sich, so hebt er damit hervor, gegen seine eigene Reskriptauslegung und die will er vom Kaiser abgesichert wissen, mit dieser Argumentation tunlichst unterstreichend, dass durch die Appellation nicht etwa die kaiserliche Anweisung, sondern nur seine eigene Verfahrensweise angegriffen werde. Indirekt gesteht Symmachus damit aber auch ein, dass er möglicherweise rechtlich zweifelhaft entscheidet, wenn er das Rechtsmittel annimmt; warum sonst sieht er durch die Appellation und ihre Annahme die eigene potestas überhaupt herabgesetzt? Bemüht versucht er zu kaschieren, dass im Grunde weniger die Verletzung der magistratischen potestas als vielmehr ein Angriff auf die kaiserliche Autorität im Raum steht. Das Problem war ihm also bewusst. Anstatt sich aber irgendwelchen Anfeindungen auszusetzen, fügt er sich lieber und gibt die Sache ab. Lieber nimmt er eine zweifelhafte Appellation an und zieht sich zurück, als die eigene Autorität gegen den möglicherweise im Raum stehenden Vorwurf, das Reskript nicht richtig umgesetzt zu haben, aufs Spiel zu setzen. Das scheint übervorsichtig, denn Interpretationszweifel hinsichtlich des Reskripts, die nur der Kaiser kraft seines Auslegungsmonopols klären könnte, stehen keineswegs im Raum841. Die Argumentation erinnert ein wenig an Relation 23, 15, wonach er sich vor Angriffen lieber beuge, statt seine Amtsautorität einzusetzen und es drängt sich der Eindruck auf, dass Entscheidungskriterium hier wie dort weniger juristische Gründe als subjektiv geprägte Erwägungen aus politischer Vorsicht und persönlicher Unsicherheit sind. Symmachus erhofft sich zusätzliche Bestätigung und Unterstützung für seine offiziell recht selbstbewusst als haud iniquus eingestufte Entscheidung in einem heiklen Fall. Die angeführte Unüberlegtheit, temeri840 Dazu bereits m. N. im Rahmen der Einleitung zum Reskriptverfahren im 4. Abschnitt A. VI. 841 Unproblematisch dürfte insbesondere gewesen sein, dass die Anweisung des Reskripts gegenüber dem Rechtsnachfolger des Theodosius ausgeführt wird, denn das Reskript gilt auch für und gegen den Erben, s. etwa CT I, 2, 4 (319); 10 (396, Ost) und schon bei Rel. 19.
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tas, der Appellation des Constantius dient dabei nicht der Rechtfertigung einer Sonderbehandlung. Anders als in den Relationen 16 und 49 bittet Symmachus hier nicht etwa um Milde für unvorsichtiges Verhalten, sondern unterstreicht mit seiner Formulierung, dass er das Rechtsmittel als Affront empfindet (ähnlich insoweit Relation 41), was der Kaiser bestätigen möge. Auch in diesem Zusammenhang mag noch einmal CT XI, 30, 42 (384, Ost) das Dilemma des spätantiken Richters veranschaulichen, der ausdrücklich auch überflüssige, superflua, Appellationen annehmen soll. Auch hier tut Symmachus das lieber einmal mehr, um zu vermeiden, dass sich Constantius beim Kaiser beschwert, man habe ihm Rechtsschutz verweigert, worauf schließlich empfindlich reagiert wurde, wie die offizielle Untersuchung gegen Bassus verdeutlicht. In Anbetracht der Vorgeschichte des Falles will er sich vom Fehlverhalten seines Amtsvorgängers abheben. Dass nicht nur dem Appellanten, sondern auch dem Richter, der unzulässigerweise eine Appellation annimmt, Strafe drohte (s. bei Relationen 16 und 28), nimmt er in Kauf. Lieber setzt er sich möglicher Kritik des Kaisers aus und bringt selbst die entdeckten Unregelmäßigkeiten auf den Tisch, nachdem es ihm schon nicht gelungen war, den Vikar zu beteiligen. Da sich der Kaiser bereits ausdrücklich vorbehalten hatte, in der Sache selbst zu befinden, überlässt er gleich alles der kaiserlichen Endentscheidung. So drängt sich am Ende doch der Verdacht auf, dass Symmachus in erster Linie die Angelegenheit endgültig loswerden will. Der Kaiser soll daher selbst über Begründetheit, iustitia, oder Arroganz bzw. Widerspenstigkeit, contumacia, der Berufung befinden und eine stabile Lösung für den langwierigen, wechselvollen Fall finden. Obwohl die einschlägigen Unterlagen seit der supplicatio bereits am Hof liegen, reicht sie Symmachus sicherheitshalber noch einmal ein, fügt dem Aktenbündel, das sein officium gemäß der Reskriptanweisung gerade nach Mailand schickt, damit der Kaiser über die Hauptsache befinden kann, eine weitere Abschrift bei. Er betont, dass er sich genau an die Vorgaben zum Appellationsverfahren halte; der Relation werde daher gemäß der üblichen Praxis eine genaue Abschrift aller Akten und die Anmerkungen der Parteien beigefügt. Das jedoch ist nicht nur üblich, sondern sogar gesetzliche Pflicht, vgl. CT XI, 30, 9 (319). Dass Symmachus hier aber sein pflichtgemäßes Verfahren so herausstreicht und den Fall offenbar doppelt belegt, mag seine Unsicherheit und große Vorsicht zusätzlich verdeutlichen. Festzuhalten ist damit, dass sich die eingangs gestellte Frage, ob Symmachus hier ausnahmsweise eine regelwidrige Appellation annimmt, um früher verweigerten Rechtsschutz auszugleichen, vorsichtig bejahen lässt. Die Appellation war jedenfalls bedenklich, vermutlich sogar verboten, denn Rechtswidrigkeit lässt sich sogar aus zweierlei Gründen annehmen. Andererseits ist aber eine gewisse (Rechts-) Unsicherheit des Stadtpräfekten damit erklärbar, dass eine Sonderkonstellation vorliegt. Relation 33 veranschaulicht nach Relation 19 einmal mehr die große Vorsicht des Stadtpräfekten im Rahmen des Reskriptverfahrens, die sogar die Bereitschaft zum Rechtsbruch zu begründen vermag. Die Parteien können einen Richter leicht verunsichern durch den Vorwurf, dass das Reskript entweder
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erschlichen sei oder der Richter es nicht richtig umgesetzt habe. In Fragen der Geltungskraft und Auslegung von Rechtsvorschriften gilt schließlich im Zweifelsfall der Kaiservorbehalt und richterliche Zurückhaltung scheint angebracht. 3. Bewertung der Relation Zu überlegen bleibt, wie die Sache ausgegangen sein könnte und wie ihr politischer Hintergrund einzuschätzen ist. Symmachus ist optimistisch, der Kaiser werde die Appellation zurückweisen als wenigstens unbegründet, wenn nicht bereits als unzulässig, und sein Urteil bestätigen. Vielleicht hält er die leichtsinnige Appellation sogar für strafwürdig, doch überlässt er diese Einschätzung dem Kaiser und auch irgendwelche Überlegungen zur Hauptsacheentscheidung stellt er nicht an. Wir wissen nicht, wie der Fall am Ende ausgegangen ist, denn es bleibt nach Lektüre der Relation unklar, ob die Appellation des Theodosius materiell-rechtlich begründet war, ob ihm etwa die streitigen Güter gehörten. Sicher ist nur, dass seine Anhörungsrechte verletzt wurden und die Sache neu verhandelt werden muss. Vielleicht hat sich der Kaiser nach der Vorgeschichte des Falles sogar noch einmal auf die Besitzfrage eingelassen. Nicht ganz abwegig scheint aber auch die andere Reaktion, dass Symmachus nämlich dafür getadelt wurde, die Appellation, die nach seinen eigenen Worten völlig aussichtslos, vermutlich aber sogar unzulässig war, angenommen zu haben. Unregelmäßigkeiten im Appellationsverfahren sind für Bassus - dessen Sachentscheidung zweifelsfrei appellabel war - hier klar belegt, für Symmachus immerhin zu vermuten. Doch ist auch festzustellen, dass gegen Bassus schon ermittelt wird, dass also die gesetzlichen Vorgaben überprüft und Vergehen ggf. geahndet wurden. Die Ermittlungen gegen Bassus werden vermutlich fortgesetzt worden sein842, Symmachus hält das aus Relation 33 allerdings heraus und es sei die Vermutung gestattet, dass er nicht zuletzt Kritik der mächtigen Familie der Anicii scheut. Der Stadtpräfekt scheint verunsichert in Anbetracht der Tatsache, dass ein Mitglied einer einflussreichen Senatorenfamilie in den Verdacht von Amtsdelikten gerät und der Vikar nicht errreichbar ist. Bereits im Eingeständnis der eigenen Passivität drängt sich die Parallele zu den Relationen 23 und 28 auf. Ein gewisses Einschüchterungspotential ist zu vermuten und auch die Begrifflichkeit der temeritas bleibt seltsam blass. Wenngleich die Anicii zur christlichen Fraktion im Senat gehörten, lässt sich hier wie in den genannten Relationen allerdings kein religiöser Hintergrund konstruieren. Festhalten lässt sich jedoch, dass unser Stadtpräfekt ein weiteres Mal ein gewisses Maß an Unsicherheit bei Problemen zeigt, die über juristische Routine und reine Verwaltungsfragen hinausgehen. Symmachus hat es hier mit einem Altfall zu tun, für den er sich eine endgültige Lösung nur und erst vom Kaiser verspricht.
842 Zweifel an einer späteren Bestrafung des Bassus sind jedoch insofern angebracht, als überhaupt nichts darüber bekannt ist - ähnlich wie im Zusammenhang mit Relation 23 und seinem Verwandten Olybrius aus Relation 28.
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Welche Tendenz aber haben die Urteile der beiden Stadtpräfekten und lässt sich vielleicht daraus eine Schlussfolgerung ziehen? Bassus hat Constantius immerhin klar begünstigt und auch Symmachus trifft seine Annahmeentscheidung zugunsten des suarius. Beide Stadtpräfekten legen ein, wenn auch in unterschiedlichem Maße, vorwerfbares Verhalten zugunsten des Schweinehändlers an den Tag, was mit dem sensiblen Lebensmittelbereich und der eigenen Verantwortung als jeweils amtierender Stadtpräfekt zu tun gehabt haben könnte. Bonfils843 zieht jedenfalls aus der Relation den Schluss, dass nicht nur Bassus, sondern auch Symmachus den suarius aus Interesse an der Lebensmittelversorgung Roms begünstigt habe. Speziell Bassus habe mit seiner Entscheidung zugunsten des Constantius forciert, dass jenem bzw. mittelbar der Korporation neue Güter zufließen. Richtig ist, dass die suarii wichtige Patrone hatten und es aufhorchen lässt, wenn einem Mitglied rechtswidrig Vorteile erhalten werden, doch nicht jede Entscheidung zugunsten eines suarius lässt sich schlicht mit Parteilichkeit begründen und hier ist zu berücksichtigen, dass der vorliegende Fall in eine ganze Reihe von Verfahren hineingehört, die Bassus fehlerhaft behandelt hat und das nicht notwendig mit dem Ziel, jemanden zu begünstigen, denn auch bloße Nachlässigkeit könnte dahintergestanden haben. Ein einziger Schweinefleischhändler vermochte kaum die Versorgung Roms zu gefährden und ob sich die ganze Korporation für seine Sache einsetzen würde, scheint doch eher zweifelhaft. Ein Versorgungsengpass auf dem Fleischmarkt ist für Symmachus Amtszeit jedenfalls nicht belegt; ein Verdacht, er habe begünstigen wollen, liegt nicht nahe. Der Stadtpräfekt scheint sich eher vor Zweifeln an seiner Auslegung vor dem Hintergrund der früheren Unregelmäßigkeiten verwahren zu wollen, als dass ihn Sorge um den Fleischmarkt bewegt. Das Reskript gibt dem Fall bereits ein besonderes Gewicht und kann seine Vorsicht erklären. Relation 33 liefert so im Ergebnis nach den Relationen 16 und 28 ein weiteres Beispiel dafür, dass Symmachus im Appellationsverfahren potenziell bereit ist, von den gesetzlichen Vorgaben abzuweichen. Unbestreitbar stehen bei Relation 33 jedoch die vom Vorgänger ererbten Störungen im Vordergrund. Dem Prozess lag ansonsten ein Sachverhalt zugrunde, wie ihn zahlreiche Konstitutionen jener Zeit als üblich zeigen: Besitzentziehung zu Lasten Abwesender (s. Nachweise bei den Relationen 28 und 38). Die Abwesenheit der Grundbesitzer wurde häufig ausgenutzt, um eigene Besitzstände zu mehren, ohne direkt zu Gewaltanwendung greifen zu müssen. Bedenklich mutet das Vorgehen des Symmachus insoweit an, als nach Relation 28 erneut (angebliche) Selbsthilfe, wenigstens für einige Zeit, vielleicht sogar endgültig, entgegen den gesetzlichen Gegensteuerungsversuchen Fakten zu schaffen vermag.
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Prassi, 308-310.
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VII. Relation 39: Wiederholte Fristversäumnis einer jungen Frau Der Kaiser wird im Rahmen einer consultatio ante sententiam gebeten, Klarheit zwischen zwei in ihrer Tendenz widersprüchlichen Konstitutionen zu schaffen. Symmachus wendet sich an Valentinian II. (s. die Anspielung in § 4 auf dessen kaiserliche Vorfahren) mit der Bitte um Entscheidung in einem Zivilprozess, mit dem er in zweiter Instanz befasst ist, mit der Begründung, dass er sich konkret überfordert sehe, weil sich, wie es in Prozessen häufig geschehe, eine Partei auf aequitas und die andere auf ius berufen könne. Offenbar haben wir es mit einem weiteren Konfliktfall zwischen ius als dem strengen Gesetzeswortlaut und aequitas als einer übergesetzlichen und daher dem Kaiser zustehenden Gerechtigkeit zu tun. In einem solchen Fall ist laut Symmachus der schwache menschliche Verstand überfordert und wendet sich ein vernünftiger Richter an den Kaiser mit der Bitte um Entscheidung und genau das erfordere die vorliegende Angelegenheit: Facit plerumque ratio aut fortuna causarum, ut in controversiis alter aequitate alter iure nitatur; tunc humano labante consilio deliberatio cognitoris ad clementiae vestrae recurrit oraculum, ddd. imppp., quod etiam praesentis negotii qualitas depoposcit. 1. Was bisher geschah844 Eine junge Waise namens Musa, deren Vermögen bis zu ihrer Volljährigkeit, d. h. bis sie 25 Jahre alt war, von einem curator verwaltet wurde, geht nach Beendigung der Pflegschaft845 gerichtlich gegen ihren ehemaligen Pfleger Acholius vor, der einen gewissen Syntrophius fälschlich als ihren Bruder anerkannt und ihm einen Teil des Nachlasses ihres Vaters erschlichen hatte. Musa war also während ihrer Minderjährigkeit, nachdem ihr Vater gestorben war, Opfer des Acholius geworden, der betrügerisch den Synthropius zur Erbfolge zugelassen hatte, indem er ihn als ihren Bruder ausgab. Nun klagt sie gegen Acholius bzw.,
844
Vgl. auch die abweichende Darstellung bei Baron, Denuntiationsprozess, 171-174, der annimmt, dass Musa zwei Prozesse geführt habe. Zunächst habe sie nachgewiesen, dass Syntrophius nicht ihr Bruder war und sich als Alleinerbin ihres Vaters anerkennen lassen. Dann habe sie den in der Relation berichteten Prozess gegen Acholius geführt und auf Herausgabe des Teils des väterlichen Nachlasses geklagt, den er dem Syntrophius zugewiesen hatte. Das aber lässt sich so der Relation nicht entnehmen. Auch Kipp, Litisdenuntiation, 260 ff, und Chastagnol, Préfecture, 114; 378, haben sich, wenngleich nicht in allem überzeugend, mit dem Fall auseinandergesetzt. Vera, Commento, 293 ff, ist juristisch ungenau. 845 Minderjährige unter 25, die nicht unter patria potestas standen, bekamen zur Verwaltung ihres Vermögens und anderen Rechtsgeschäften sowie der Prozessführung einen curator minoris (vgl. Rel. 19), der sie vertrat bzw. ihren Geschäften zustimmen musste. Mit Vollendung des 25. Lebensjahres waren sie volljährig. Ab diesem Zeitpunkt können sie, auch junge Frauen, selbständig, d. h. insbesondere ohne curator oder tutor, einen Prozess führen. Zur cura m. N.: Cervenca, Studi sulla cura minorum; Kaser, Privatrecht II, 234 ff. Musa lässt sich im Prozess freiwillig von einem procurator vertreten.
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weil dieser mittlerweile gestorben ist, gegen dessen Erben Faustinus846 aus ihrem Erbrecht und vielleicht auch wegen seiner schlechten Geschäftsführung. Vom Prätor847 wird ihr zunächst die übliche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, in integrum restitutio (in der Relation: integri restauratio) gewährt848, d. h. sie wird so gestellt, als habe es das ihr nachteilige und betrügerische Vorgehen nicht gegeben und ihr damit der Prozess in der Hauptsache eröffnet, konkret auf Herausgabe des ihr entzogenen Erbteils, den mittlerweile wohl Faustinus in Besitz hatte, nachdem ihn Acholius von Syntrophius, der wahrscheinlich nur Strohmann gewesen war, erhalten und dann offenbar vererbt hatte. Um diesen Prozess in der Hauptsache, den Musa sogleich einleitet, geht es vorliegend. Er wird vermutlich vor dem Prätor in Rom849 geführt, vielleicht aber auch vor einem Provinzstatthalter im Vikariat (dort, wo der Beklagte seinen Wohnsitz hatte), falls der Prätor zu jener Zeit nur noch in integrum restitutio gewähren, nicht aber den ganzen Prozess führen konnte. Aus der Relation ist kein Kompetenzwechsel ersichtlich, vielmehr wirkt das ganze erstinstanzliche Verfahren sehr einheitlich. Es sei daher die Vermutung geäußert, dass der Prätor beide Abschnitte geleitet hat. Kaum hat Musa das Verfahren eingeleitet, wird sie jedoch behindert durch zahlreiche Appellationen und weitere Verfahren, multa provocationes und varia iudicia, und ist nicht in der Lage, ihre Klage fristgemäß zu führen. Unerfahren wie sie ist, vielleicht auch schlecht oder zu diesem Zeitpunkt möglicherwei846
Alle beteiligten Personen sind ansonsten unbekannt und erscheinen weder in RE noch in PLRE I. Einzig zu Acholius wird vertreten, er sei möglicherweise identisch mit dem Vikar von Asia aus Hell. IV, 35-47.: Syme, Bogus, 318 Fn. 22. Kein Anhaltspunkt findet sich dazu in PLRE I, Acholius, 9 f. Alle drei sind offensichtlich, da Symmachus keine Titel nennt, nicht senatorischen Standes. 847 Der Prätor wird von Symmachus nicht ausdrücklich genannt, doch die Gewährung von in integrum restitutio gehört zu den wenigen Befugnissen im Justizbereich, die dem Prätor zu jener Zeit verblieben waren und es ist anzunehmen, dass der Prätor, konkret der praetor tutelaris von Rom, auch vorliegend tätig wurde. Zu dieser Funktion des Prätors: CT VI, 4, 16 (359); Levy, Zur nachklassischen, 379 f; Chastagnol, Observations, 239. S. a. CT II, 16, 2 (319 an den Stadtpräfekten: Seeck, Regesten, 55; 168): iudices, qui Romae sunt gewähren in integrum restitutio. 848 Ausführlich zur in integrum restitutio in der Auswertung der Relation. 849 So auch Chastagnol, Préfecture, 114; Vera, Commento, 295 f. In der Relation ist allerdings sehr allgemein nur die Rede vom cognitor, dem sein Nachfolger bereits im voraus die Amtsgewalt entzieht. Damit könnte auch der Statthalter als ordentlicher, örtlicher Richter gemeint sein. Doch scheint der praetor tutelaris bei Mündel- und Pflegschaftssachen, jedenfalls dann, wenn - wie hier - nicht Senatoren beteiligt waren, durchaus umfassend zuständig gewesen zu sein, vgl. CT III, 32, 2 (326: Seeck, Regesten, 63; 128; 177): der Prätor entscheidet gewisse Fälle, an denen Minderjährige beteiligt sind, und Prozesse gegen suspecti tutores; CT VI, 4, 16 (359): er ernennt Tutoren und Kuratoren; in CT III, 17, 3 (389) ist die Rede vom Prätor qui tutelaribus cognitionibus praesidet; s. a. CT III, 17, 4 (390). Vor diesem Hintergrund fand auch die Klage von Musa gegen ihren früheren curator bzw. dessen Erben mutmaßlich vor dem Prätor statt. Kipp, Litisdenuntiation, 266 Fn. 13, scheint dagegen den Statthalter als erstinstanzlichen Richter zu vermuten. S. a. 2 c).
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se noch gar nicht beraten, wird sie verwirrt durch prozessuale Manöver der Gegenseite und durch weitere Prozesse850 abgelenkt. Faustinus versucht offensichtlich, sie vor verschiedene Gerichte zu ziehen, greift vielleicht auch die Gewährung der in integrum restitutio an851, appelliert ggf. gegen Zwischenentscheidungen, macht die Sache für sie undurchschaubar, verzögert jedenfalls so lange, dass die Frist abläuft, die bis Prozessbeginn einzuhalten wäre, § 2: Nam Musa annos egressa legitimos, cum in partem rerum paternarum Syntrophium quereretur admissum, quem veluti adultae suae fratrem dolus Acholii curatoris adsciverat, integri restaurationem suffragio iuris accepit, sed multis provocationibus variisque tracta iudiciis intra metas iusti temporis nequivit exequi propositas actiones. Nichterscheinen des Klägers innerhalb der vorgeschriebenen Frist bedeutet aber, wie wir in Relation 32 gesehen haben, Sachfälligkeit. Musa schafft es allerdings, mittels einer Supplik an den Kaiser, reparatio temporum zu erlangen, und bekommt damit die Möglichkeit, die gewährte in integrum restitutio auch tatsächlich zu nutzen, denn sie hat ohne Verschulden, casu vel necessitate, den Termin versäumt. Offensichtlich handelt es sich um einen Anwendungsfall von CT II, 6, 1 (vgl. dazu schon bei Relation 32)852. Doch hindert sie nun ein weiteres unvorhergesehenes, zufälliges und unverschuldetes Geschehen, idem casus, daran, die Wohltat des kaiserlichen Reskripts auch wirklich auszukosten. Die reparierte Frist läuft ungenutzt ab, sie ist ein zweites Mal
850 Möglicherweise war sie in mehrere Prozesse gleichzeitig verwickelt und daher überfordert. Vielleicht hatte sich auch ihr Prozessvertreter übernommen, vgl. CT II, 10, 2 (319), wonach Anwälte überfordert waren, weil sie zu viele Prozesse an verschiedenen Orten führten und dadurch Säumnisfolgen auslösten; s. a. CT X, 15, 3 (340). Kipp, Litisdenuntiation, 265, vermutet, sie habe keinen Termin erhalten, weil der Richter überlastet gewesen sei mit den angesprochenen Appellationen und weiteren Verfahren. Doch ist in der Relation die Rede davon, dass sie selbst es nicht schafft, den Prozess rechtzeitig zu führen. Die Schuld an der Säumnis scheint hier (noch) nicht beim Richter zu liegen. 851 Litewski, Römische Appellation IV, 162: Die Entscheidung hinsichtlich der in integrum restitutio konnte gesondert durch Appellation angefochten werden. S. a. unten 2 c). 852 Es handelt sich wohl um einen Fall, wie wir ihn aus Relation 32 kennen. Die Klägerin kann die Verhandlung nicht rechtzeitig führen, erscheint nicht am dies legitimus, jedenfalls nicht innerhalb der geltenden Frist, wie lange sie auch immer war, und wird sachfällig. Wie hier im Ansatz auch Kipp, Litisdenuntiation, 263 ff; Steinwenter, Briefe, 12; Legohérel, Reparatio, 88; Vera, Commento, 293 f. Wieding, Libellprozess, 459 f, denkt dagegen an eine Prozessverjährungsfrist; es sei die Frist versäumt worden, die Klage zu Ende zu bringen; Levy, Zur nachklass., 380, meint, das Verfahren habe von Musa nicht innerhalb der gemäß CT II, 16, 2 (319) für Fälle der in integrum restitutio geltenden Fristen zu Ende gebracht werden können. Danach sei bei in integrum restitutio innerhalb bestimmter Frist die Klage zu führen gewesen, finire/decidere causas. Und wirklich könnte die Formulierung bei Symmachus auch so zu verstehen sein: intra metas iusti temporis nequivit exequi propositas actiones. Doch ist der Fortgang der Relation zu berücksichtigen; dort geht es offensichtlich um reparatio denuntiationis, speziell um CT II, 6, 1. Musa versäumt also die Frist, die mit der Litisdenuntiation verbunden ist. Näher dazu unter 2 a).
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säumig. Nachdem man sie nämlich vier Monate lang aufgehalten hatte853, konnte am entscheidenden, letztmöglichen Tag, supremo die, der gewährten Viermonatsfrist (vgl. CT II, 6, 1) nicht verhandelt werden, weil der mit dem Fall befasste Richter854 durch ein vorausgesandtes Interdikt seines Nachfolgers, der selbst offensichtlich noch nicht eingetroffen war (adveniens: er war unterwegs), der Amtsgewalt enthoben worden war. Musa wird Opfer einer kurzfristig auftretenden Vakanz auf dem Richterstuhl, die im Rahmen des Amtswechsels offenbar zufällig entstand, denn wir haben keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Richter an der Verzögerung absichtlich beteiligt gewesen sein könnten. Der Amtswechsel verläuft nicht fließend, der Nachfolger ist nicht rechtzeitig vor Ort, um den Prozess zu übernehmen. Für Musa bedeutet das aber erneut causae lapsus, sie wird sachfällig. Wodurch sie während der vier Monate im Einzelnen hingehalten wurde, wird nicht gesagt, doch wird die Gegenseite vermutlich ihre Aktionen fortgesetzt haben. Die zweite Fristversäumnis ist am Ende dem Gericht zu verdanken. Durch eine unglückliche Verkettung von Umständen ist Musa erneut gehindert, dem Verfahren rechtzeitig Fortgang zu geben. Sie versucht wiederum Abhilfe zu schaffen und beantragt, beim inzwischen eingetroffenen Amtsnachfolger, eine zweite reparatio855, doch wird ihr von der Gegenseite (vgl. § 4) ein Gesetz Kaiser Konstantins856 entgegengehalten, wonach eine schon einmal ausnahmsweise gewährte Frist nicht weiter ausgedehnt werden könne. Die lex verbietet offensichtlich eine zweite reparatio einer schon einmal 853 Relation 39 wird häufig als Argument dafür herangezogen, dass die Frist ab der denuntiatio bis zum Prozessbeginn vier Monate gedauert habe. Tatsächlich zeigt aber Relation 39 in Übereinstimmung mit CT II, 6, 1 nur, dass die durch die reparatio gewährte Frist vier Monate betrug. Innerhalb dieser Frist musste verhandelt und entschieden werden; entscheidend war der letzte Tag, § 3: supremo die. Doch aus der Tatsache, dass „reparatio“ einer versäumten Frist gewährt wird, lässt sich in der Tat schlussfolgern, dass wohl auch die ursprüngliche Frist eben diese vier Monate betrug. Dazu bereits im 4. Abschnitt A I. 854 Es geht nicht um einen Richterwechsel in der Stadtpräfektur, wie Chastagnol, Préfecture, 114 (in der Darstellung der Relation insgesamt ungenau), und ihm folgend Barrow, Prefect, 201, glauben, wonach Symmachus seinem Vorgänger die Amtsgewalt entzogen habe. Der Fall kommt zu ihm erst in zweiter Instanz. Der erstinstanzliche Richter, also der Prätor (vielleicht auch der Statthalter), wechselte. Das Prätorenamt wurde nämlich jährlich neu besetzt (zum Verfahren bei Rel. 45). 855 Das wird von Baron, Denuntiationsprozess, 172 f, zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, ein solcher Antrag hätte beim Kaiser gestellt werden müssen. Sie habe daher beim Unterrichter erbeten, die Frist nachträglich zu verlängern. Symmachus schreibt jedoch ausdrücklich von einem Gesuch auf reparatio und dass auch der zuständige Richter reparatio gewähren konnte, zeigte schon Relation 32. Hier ist es sogar der niedere, erstinstanzliche Richter; der Antrag wird nicht etwa wegen Unzuständigkeit abgelehnt. CT II, 6, 1 war nicht insoweit abschließend, dass es eine alleinige Kompetenz des Kaisers gegeben hätte, reparatio zu gewähren. 856 Sehr wahrscheinlich CT II, 6, 1 (316). So schon Gothofredus, Komm. I, 125 f; Wieding, Libellprozess, 460; Kipp, Litisdenuntiation, 243; 266; 281; Baron, Denuntiationsprozess, 172; Steinwenter, Briefe, 11; Legohérel, Reparatio, 88; Barrow, Prefect, 203 Fn. 1; Vera, Commento, 295; Bellodi Ansaloni, Ricerche, 163 Fn. 109. Näheres in der Auswertung.
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verlängerten Frist. Der Antrag von Musa wird mit dieser Begründung denn auch abgelehnt und die Klage insgesamt abgewiesen. Wir erfahren von Symmachus nur, dass gegen die Entscheidung (das immerhin rechtzeitig) appelliert wird857, § 3: Ut res monebat, amissum beneficium remedio integravit supplicationis; sed idem mulierem casus etiam rescripti sacri humanitate fraudavit. Siquidem mensium quattuor dilata curriculis supremo die temporis impetrati excidit; cognitorem namque858 successor adveniens praemisso interdicto potestate privaverat. Post haec cum vellet infelicem causae lapsum reparatione sarcire, obiectu Constantinianae legis explosa est, quae extra ordinem temporibus indultis longiorem negavit excursum. Der Fall kommt in zweiter Instanz vor das Gericht des Stadtpräfekten859, der den Antrag auf reparatio erneut prüft. Faustinus zitiert erneut860 die konstantinische Vorschrift, die mehrfache Fristverlängerung untersagt, während der procurator, dem Musa ihre Prozessvertretung, mittlerweile anvertraut hat, vorträgt, dass die Klägerseite an der Säumnis keine Schuld treffe und sich auf eine Vorschrift, sanctio, eines Vorfahren von Kaiser Valentinian II.861 beruft, die unter anderem einer Partei eine Reparation auch dann gewährt, wenn die Frist durch Umstände, die in der Person des Richters liegen, nicht eingehalten werden kann und der Prozess deshalb verloren geht, § 4: Secuta est provocatio iudicatum. Ubi ventum ad sacrae sedis examen et eadem constitutio a Faustino herede Acholii curatoris rursus ingesta est, pars procuratoris, cui actiones Musa mandaverat, non suo vitio causam cecidisse temporibus adprobavit. Ad hoc parentum numinis vestri divorum principum protulit sanctionem, quae inter reliquas exceptiones reparationem iurgantibus tribuit, si per cognitorem causa labatur. Symmachus gerät ins Schwanken. Genau dieser Fall scheint hier einschlägig. Trotzdem glaubt er, nicht einfach zugunsten von Musa entscheiden zu können und erläutert den Zwiespalt, den die angeführten Vorschriften seiner Überzeu857 Musa appelliert gegen die Ablehnung ihres Antrags, die wie in Rel. 32 im Rahmen eines Endurteils, in dem ihre Klage abgewiesen wird, ergangen ist. Es ergeht nicht etwa eine inappellable (dazu Rell. 16 und 38) Zwischenentscheidung. Musa kann vielmehr mittels Appellation geltend machen, zu Unrecht als säumig behandelt worden zu sein, vgl. zu einem Parallelfall Rel. 32. 858 In den Manuskripten heißt es cognitorem quem bzw. cognitor eamque. Hier die Korrektur, die Seeck, Symmachus, 311, vorschlägt; s. a. Vera, Commento, 294 f. 859 Dass er oberhalb des Prätor als dem niederen Richter in Rom zuständig ist, ergibt sich aus CT XI, 30, 13 (329), s. a. CT III, 32, 2 i. V. m. CJ VII, 62, 17 (326). 860 So ausdrücklich die Relation. Verfehlt daher Baron, Denuntiationsprozess, 173 Fn. 2, der meint, diesmal sei nicht CT II, 6, 1, sondern CT XI, 32, 1 angeführt worden. 861 Zu denken wäre an CT XI, 31, 2 (365), eine Regelung, die von Valentinian I. an Symmachus d. Ä. als Stadtpräfekten gerichtet wurde. So schon Gothofredus, Komm. I, 127; Baron, Denuntiationsprozess, 173 Fn. 3; Levy, Zur nachklass., 380; Steinwenter, Briefe, 12; Legohérel, Reparatio, 88; Barrow, Prefect, 203 Fn. 2; Vera, Commento, 296. Kipp, Litisdenuntiation, 267, hält es zwar für durchaus wahrscheinlich, dass dieses Gesetz gemeint sei, verweist aber berechtigterweise darauf, dass sich sein Inhalt nicht genau mit dem deckt, was Symmachus in der Relation darüber schreibt. Näheres in der Analyse der Relation.
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gung nach mit sich bringen: Zum einen gibt es das grundsätzlich fortgeltende konstantinische Gesetz, das eine reparatio verbietet, wenn sie schon einmal in außerordentlicher Weise, d. h. wegen besonderer Umstände im Einzelfall, zugestanden worden war, das keine Ausnahme macht für Fälle wie dem vorliegenden. Zum anderen gibt es neuere Konstitutionen, recentiora scita, die genau dann eine reparatio vorsehen, wenn der Richter beispielsweise das Verfahren verlässt. Einerseits wird in einem konstantinischen Gesetz eine zweite Reparation grundsätzlich ausgeschlossen, andererseits existieren spätere Vorschriften, wonach eine Prozesspartei dann Anspruch auf Reparation hat, wenn sie aus Gründen, die den Richter selbst betreffen, die Frist nicht einhalten konnte. Symmachus meint, vor diesem Hintergrund weder der einen noch der anderen Seite Recht geben zu können. Weil es für solche Zweifelsfälle nur ein Heilmittel gebe, entscheidet er, die Lösung dieses schwierigen Prozesses dem Kaiser als der maßgebenden Instanz in Gesetzesfragen zu überlassen. Wie üblich fügt er die Akten bei, damit ihre Lektüre die Wahrheitstreue seines Berichts erweise, § 5: Cum igitur et in Constantiniana lege, qua reparatio adimitur temporibus extra ordinem datis, casus iste cessantis disceptatoris non sit exceptus et recentiora scita divorum cunctis negotiis reparatione subvenerint, si forte a iudice deserantur, facilis in alteram partem esse non potui, sed quod unum remedium convenit rebus ambiguis, fortunam curiosi luctaminis augustissimis legum arbitris reservavi gestis omnibus de more subiectis, ut eorum lectio insinuationis meae adstruat veritatem. Das klingt ähnlich pauschal wie in den Relationen 19, 30 und 40862: Alles Zweifelhafte sei dem Kaiser als legum arbiter863 zu überlassen. Es wird daher auch hier zu prüfen sein, ob es sich Symmachus nur leicht macht, um einen unbequemen Fall loszuwerden, oder ob die Relation nicht vielleicht doch Hand und Fuß hat. Auf den ersten Blick jedenfalls könnte man den Eindruck gewinnen, dass der Stadtpräfekt aufgrund der neueren Vorschriften durchaus eine Entscheidung zugunsten von Musa hätte treffen können. Es fragt sich, worin genau sein Zweifel begründet ist, denn aus der Relation wird zunächst nicht deutlich, ob sich die von den Parteien angeführten Konstitutionen unlösbar widersprachen oder es eine Regelungslücke für Fälle wie den vorliegenden gab, die Symmachus nicht selbst zu schließen vermochte. Nicht zu vergessen ist schließlich, dass es einleitend heißt, dass sich eine Partei auf ius, die andere auf aequitas berufe. Letzterer soll nach Symmachus der Vorzug gebühren, doch stehe diese Entscheidung allein dem Kaiser zu. Als Beamter sieht er sich mit einer Rechtsfrage überfordert.
862
Ähnlich pauschal oftmals auch Plinius und so auch die Vorgabe für das Relationsverfahren in CT XI, 29, 5 (374), vgl. im Einzelnen die Zitate oben 4. Abschnitt A. V. 863 Dieselbe Formulierung findet sich in Rel. 22. Der Kaiser ist der Schiedsrichter, der Rechtsfragen nach eigenem Gutdünken nach Billigkeit zu entscheiden hat und sich in dieser Entscheidungsfreiheit vom beamteten iudex abhebt.
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2. Die Einzelheiten Relation 39 beleuchtet anschaulich einen Fall von Erbschleicherei durch Ausnutzen der Stellung als curator. Der Täter weiß seine Position zu sichern, die junge Frau wird zum Opfer raffinierter Prozessführung und unglücklicher gerichtsorganisatorischer Umstände, so dass der von ihr angestrengte Prozess in prozessualen Problemen stecken bleibt. Symmachus setzt sich, soviel lässt sich zunächst festhalten, für eine junge, unerfahrene Frau ein, die nicht senatorischen Standes ist und seiner Überzeugung nach unschuldig der Gunst der kaiserlichen reparatio beraubt wurde. Im Folgenden sollen zunächst einige prozessuale Einzelfragen behandelt werden, um dann zu einer Bewertung der Relation und der von Symmachus gezeigten Konzeption zu gelangen. a) Die in integrum restitutio am Ende des vierten Jahrhunderts864 Mittels des Instituts der in integrum restitutio wird der ehemals Minderjährige gegen die nachteiligen Folgen von Geschäften, die er selbst oder Dritte während der Minderjährigkeit zu seinen Lasten abgeschlossen haben, geschützt. Auf Antrag erhält er Wiedereinsetzung in den ursprünglichen Zustand und kann dann in einem zweiten Schritt865 auf Rückerstattung und tatsächliche Wiederherstellung der früheren Rechtslage klagen. So weist Musa nach, dass sie als Minderjährige geschädigt wurde und erhält vorschriftsgemäß (suffragio iuris) vom Prätor integri restauratio. Symmachus gebraucht damit zwar nicht den zu seiner Zeit üblichen Fachausdruck integri restitutio, doch lässt sich seinen Ausführungen entnehmen, dass es um eben dieses Institut geht. Musa wurde durch die Art und Weise, in der ihr curator den väterlichen Nachlass verwaltet hat, geschädigt und erlangt die für solche Fälle vorgesehene Wiedereinsetzung in den früheren Stand, d. h. den nachteiligen Rechtsakten wird die Wirksamkeit entzogen. Verschiedenste Gründe konnten in früherer Zeit ein solches Restitutionsgesuch rechtfertigen, darunter wohl auch dolus, was hier in Anbetracht des
864 Levy, Zur nachklassischen in integrum restitutio, 375 ff (zu Rel. 39 spez. 380 f); Cervenca, Studi vari, 127 ff; ders., Studi sulla cura minorum, v. a. 247 ff zu früheren und weiteren Quellen; Kaser, Privatrecht II, 117 f; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 581 f. S. a. bei Rel. 33. 865 Bei Symmachus lässt sich trotz des sich sprachlich bereits andeutenden Wandels noch immer die klassische Trennung zwischen in integrum restitutio und den daraus erwachsenden Klagen, dem Hauptsacheverfahren, erkennen. Cervenca, Studi vari, 141 ff, geht dagegen für jene Zeit schon von einer Vermischung aus, übersieht aber offensichtlich den gegenteiligen Beleg in Rel. 39. Zur fortdauernden Unterscheidung s. a. CT II, 16, 2 (319); III, 32, 1 (322: Seeck, Regesten, 143; 172); II, 16, 1 (326); VI, 4, 16 (359); XV, 14, 9 (395). Die spätere Vermischung zeigen die bei Levy angeführten Quellen des 5. Jh.: Es wird direkt auf Rückerstattung geklagt und nur implizit innerhalb dieser Klage Restitution gewährt, wenn Minderjährigkeit zur Zeit des Rechtsgeschäfts und Schädigung dargetan werden.
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betrügerischen (vgl. dolus in § 2) Verhaltens von Acholius in Frage käme866. Doch Ende des vierten Jahrhunderts scheint es nur noch, wie Levy nachgewiesen hat, den Antrag wegen minor aetas gegeben zu haben. Die einschlägige Vorschrift in CT II, 16, 1 (326) sieht allerdings beide Elemente vor, dass der Minderjährige nämlich von seinem tutor oder curator hintergangen wurde: In integrum restitutione minoribus adversus commenticias venditiones et adversus tutorum (seu curatorum867) insidias sanctionum praesidio cautum esse non dubium est... . Bösgläubigkeit war also ggf. neben der Minderjährigkeit zusätzliche Voraussetzung der in integrum restitutio gegen Handeln von Tutoren oder Kuratoren, s. a. Itp. zu CT II, 16, 2, wonach Gegenstand der Hauptforderung im Rahmen einer restitutio pro aetatis infirmitate sein könne: ea, quae in annis minoribus...per tutoris vel curatoris vitium male acta sunt... . Relation 39 zeigt jedenfalls, dass integri restitutio gegen den dolosen curator gewährt wurde. Das Verfahren wird durch den Antrag des ehemals Minderjährigen eingeleitet und unter Kaiser Konstantin wird mit CT II, 16, 2 (319) dazu eine besondere Fristregelung getroffen. Die Frist für den Antrag auf Restitution, ad interponendam contestationem, läuft ab Vollendung des 25. Lebensjahres und beträgt in Rom und dem Hundertmeilenbezirk fünf Jahre, d. h. Musa musste vor Ende ihres 30. Lebensjahres den Antrag stellen und binnen dieser Frist war auch über das Restitutionsgesuch zu befinden, d. h. die Minderjährigkeit zur fraglichen Zeit festzustellen und zu entscheiden, dass die während dieser Zeit erlittenen Verluste rückgängig zu machen sind. Nach Ablauf dieser Frist wird jeder Schutz durch in integrum restitutio versagt: Quo transacto tempore manifeste omnes sciant legum sibi deinceps praesidia denegari, quandoquidem contestationis necessitate depulsa finiendas integri restitutionum decidendasque causas certo genere clauserimus. Fraglich ist, ob damit gemeint ist, dass binnen der Fünfjahresfrist auch über die Hauptsache zu befinden ist, wie etwa Levy meint868. Für die Beantwortung der Frage, um welche Frist es in CT II, 16, 2 geht, lassen sich außer der soeben zitierten Textstelle die im Anschluss daran geregelten Fallkonstellationen heranziehen. Aus § 1 der genannten Konstitution ergibt sich, dass es um die Frist geht ad persequendas in integrum restitutiones 866
So Timbal, Questions, 396 f Fn. 2, wonach es sich um eine restitutio in integrum ob dolum gehandelt habe. Anders Levy, Zur nachklass., 398 ff; 410 ff, wonach es seit Konstantin keine Restitution mehr wegen dolus gegeben habe, wobei bereits umstritten ist, ob es eine solche überhaupt je gegeben hat. 867 Dieser Zusatz findet sich nicht in CT II, 16, 1, sondern nur in der Parallelregelung CJ II, 27, 2. Cervenca, Studi sulla cura minorum, 266, schließt nicht aus, dass von Konstantin auch der curator gemeint gewesen sei, denn die Begrifflichkeit sei nicht immer genau gewesen (mit Beispielen). Zur begrifflich nicht mehr strikten Trennung zwischen tutela und cura auch Kaser, Privatrecht II, 223 m. N. Relation 39 wäre potenzieller Anwendungsfall für diese Vermutung und die meisten Vorschriften jener Zeit wurden in der Tat einheitlich für Tutoren und Kuratoren getroffen, warum sollte also ausgerechnet CT II, 16, 1 nur für den Vormund gegolten haben? 868 Zur nachklass., 380 f, wonach innerhalb der genannten Frist das Verfahren bis zum Endurteil zu erledigen gewesen sei. S. schon oben unter 1.
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finiendasque causas. In § 3 heißt es von der fraglichen Frist: ad exponendas integri restitutiones decidendasque causas. Etwas aufschlussreicher ist demgegenüber die Formulierung in § 4: examinando integri restitutionis negotio solida...tempora subputentur. Offenbar geht es also doch nur um die Entscheidung über das Restitutionsgesuch. Binnen der genannten Frist ist der Antrag zu stellen und das Verfahren durchzuführen, auf Grund dessen dann erst das Hauptsacheverfahren eröffnet werden kann, vgl. auch die Interpretatio: ...si contestatus fuerit, integra ei salvo principali negotio quae male amiserat, reformentur. Die Frist aus CT II, 16, 2 scheint demnach nur für das Restitutionsverfahren zu gelten869 und das Zeugnis von Relation 39 erweist, dass der Prozess in der Hauptsache nach den allgemeinen Regeln ablief, die allerdings durch CT II, 7, 2 (327) modifiziert werden, wonach dem Kläger in Fällen der in integrum restitutio eine Verlängerung laufender Fristen wohl keinesfalls über die fünf Jahre hinaus zugestanden werden darf. Insoweit spielt die Fünfjahresfrist im Hauptsacheverfahren also ggf. doch eine Rolle. Die vier Monate, die Musa vom Kaiser erhält, finden sich allerdings nur in CT II, 6, 1. Sie folgen aus den Vorschriften zur reparatio temporis und haben nichts mit der integri restauratio zu tun, deren Frist offensichtlich noch nicht abgelaufen ist. Aus der Relation ergibt sich vielmehr, dass Musa sogleich mit Volljährigkeit ihren Antrag stellt, der offenbar auch bald beschieden wird. Zum Problem wird für sie erst die viel knapper bemessene Litisdenuntiationsfrist, denn der Prozess wird vermutlich vier Monate nach Erhebung der Klage in der Hauptsache angesetzt. Dabei geht es nicht um dilatio, d. h. Aufschub einer laufenden Frist gemäß CT II, 7, 2, sondern um reparatio, Wiederherstellung einer versäumten Frist, genauer der Litisdenuntiationsfrist, und dafür gilt CT II, 6, 1. Das Problem des Falles liegt nicht in der Frist aus CT II, 16, 2, sondern in der Frage, ob in der Hauptsache mehrfach reparatio gewährt werden kann. Zur integri restitutio lässt sich damit im Ergebnis festhalten, dass die Vorschriften Kaiser Konstantins zum Minderjährigenschutz noch in Gebrauch sind und routiniert angewandt werden. b) Worum wird gestritten? Die Gewährung der in integrum restitutio bedeutet, dass Musa so gestellt wird, wie sie ohne das missbräuchliche Verhalten des Acholius stünde. Den für 869 Auch in CT II, 16, 2 und Itp. werden die beiden Verfahrensabschnitte getrennt. CT II, 16, 2 regelt schon nach dem Titel von CT II, 16: De integri restitutione nur das Restitutionsverfahren, nicht die Frist bis zum Endurteil. Die Entscheidung über die Hauptsache, über die Rückerstattung des verlorengegangenen Vermögens, bleibt den später erhobenen Klagen vorbehalten. In diesem Zusammenhang betrifft CT II, 7, 2 (327) die Frage, wie weit Fristen in der Hauptsache aufgeschoben werden können (dilatio) in einem Fall, in dem in integrum restitutio gewährt worden war. Dort ist festgehalten, dass jedenfalls nicht über die Fristen von CT II, 16, 2 hinausgegangen werden darf. Auch Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 581 mit Fn. 47, interpretieren wie schon Kipp, Litisdenuntiation, 262 f, die Frist aus CT II, 16, 2 als Frist, innerhalb derer über den Antrag auf restitutio entschieden sein muss. Das Restitutionsverfahren muss fristgemäß beendet werden.
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sie nachteiligen Rechtsgeschäften wird die Rechtswirksamkeit entzogen. Im Hauptsacheverfahren werden dann aus der Wiederherstellung des früheren Zustandes die materiellen Folgen gezogen und wird auf Rückgabe des durch die nachteiligen Geschäfte des curator verlorenen Vermögens geklagt. Das bedeutet, dass die Zuweisung der Erbschaft an Syntrophius kraft der Restitution als unwirksam gilt und Musa mittels hereditatis petitio Herausgabe des väterlichen Nachlasses fordern kann, der sich mittlerweile bei Acholius bzw. dessen Erben zu befinden scheint, weil Syntrophius allem Anschein nach nur als Strohmann für Acholius, der sich letztlich selbst bereichern wollte, fungierte. Zu vermuten ist daher, dass Musa in der Hauptsache den ihr arglistig vorenthaltenen Erbteil870 herausverlangt. Im Prozess wäre dann ihre Erbberechtigung zu prüfen. Doch kommt es so weit gar nicht. Außerdem kann Musa gegen Acholius wegen seiner schlechten Geschäftsführung vorgehen. Er haftet für den ihr entstandenen Schaden mit der actio negotiorum gestorum871. Dass der dolose Tutor und wohl ebenso der Kurator auch aus dem eigenen Vermögen für Missverwaltung haften, zeigt die bereits behandelte Konstitution CT II, 16, 1. Musa kann auf volle Entschädigung klagen. Möglich ist, dass sie sogleich mehrere Ansprüche vorträgt, vgl. actiones in § 2. Die integri restitutio ist allerdings nur für die dingliche Klage relevant, denn sie ermöglicht erst die Sachverfolgung. Insoweit ist die Darlegung Timbals872 zu eng, wonach Musa hier (nur) aus der negotiorum gestorum gegen ihren ehemaligen curator geklagt und ihn für sein betrügerisches Verhalten zur Verantwortung gezogen habe. Dafür war die in integrum restitutio gerade nicht notwendig. Im Übrigen wäre grundsätzlich auch eine deliktische Haftung des Acholius 870
Es geht um den gesetzlichen Erbteil. Musa wurde vermutlich die Hälfte des Nachlasses vorenthalten. 871 Der curator kann für seine schuldhaft schlechte Geschäftsführung mit der actio negotiorum gestorum zur Verantwortung gezogen werden. Ausführlich dazu m. N. Seiler, Der Tatbestand der negotiorum gestio, 279 ff; Kaser, Privatrecht II, 236. Zu nennen wäre etwa CJ V, 51, 7 (293), wonach der curator für jegliches Verschulden haftet; s. noch CJ V, 37, 26, 1 (531). Ganz ähnlich schon CJ II, 24, 3 (286), wonach bei schlechter Geschäftsführung des Tutor oder Kurator in integrum restitutio gewährt wird neben der Möglichkeit, ihn persönlich wegen schlechter Geschäftsführung zu verklagen. Auch CJ II, 24, 5 (294) stellt in integrum restitutio und Schadensersatzforderung gegen den Pfleger, der Güter des Minderjährigen weggegeben hat, nebeneinander. Es bestehen insoweit Wahlmöglichkeiten. Auch CT IV, 22, 2 (380: näher dazu bei Rel. 28) zeigt beispielhaft Missbräuche durch Kuratoren zulasten Minderjähriger und bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten, wenn sich ein Kurator gewaltsam des Gutes eines Minderjährigen bemächtigt: sofortige Rückgabe des Besitzes sowie Konfiskation der Güter des Kurator, der außerdem deportiert wird. Vorliegend wurde allerdings keine Gewalt angewandt. Einzelne Pflichtenregelungen für den Kurator und Rechtsfolgen bei Pflichtverstößen finden sich im Übrigen im Titel CT III, 30: De administratione et periculo tutorum et curatorum. Nach CT III, 30, 1 (314) besteht ein pfandähnliches Recht zugunsten des Minderjährigen am Vermögen des Pflegers für die Folgen aus der Pflegschaft; dazu auch Kaser, Privatrecht II, 233 f; 317. 872 Questions, 396 f Fn. 2. So wohl auch Legohérel, Reparatio, 88.
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wegen seines Betrugs in Betracht zu ziehen, s. dazu die konstantinische Regelung der actio doli in CT II, 15, 1 (319), die strenge Fristen aufstellt. Die Frist, diese Klage zu führen, wird kraft der in integrum restitutio vermutlich erneuert. Doch ist hier zu berücksichtigen, dass Acholius gestorben ist und eine deliktische Haftung des Erben grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Es bleibt für Musa daher bei der beschriebenen Klagemöglichkeit wegen schlechter Geschäftsführung. Allem Anschein nach klagt sie gleich gegen Faustinus, der zivilrechtlich wie der Erblasser Acholius haftet873, nachdem er die Erbschaft angetreten hat (s. zu dieser Frage schon bei Relation 34). Der Todesfall trat offensichtlich nicht erst während des Prozesses ein, weil Musa ansonsten wohl versucht hätte, aus diesem Grunde reparatio zu beantragen (vgl. Relation 32). Tatsächlich wird für Musa die Erhebung der hereditatis petitio im Vordergrund gestanden haben, die es ihr ermöglichte, das ihr zustehende väterliche Erbe endlich vollständig zu erlangen. c) Die provocationes et iudicia und der Richterwechsel Musa erlangt zwar die rechtlich vorgesehene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wird aber durch prozessuale Ablenkungsmanöver des Gegners und einen unvorhergesehenen Richterwechsel daran gehindert, das Hauptsacheverfahren innerhalb der gesetzlichen Fristen zu führen. Nach Symmachus handelt es sich beide Male um Zufall, um von der Klägerin unverschuldete Verzögerung: idem casus, § 3. Zu den provocationes wurden bereits Vermutungen angestellt. Ergänzend dazu lässt sich ein ganz ähnlicher Fall, der allerdings viele Jahrzehnte früher spielte, anführen, der zeigt, wie leicht im Verfahren der in integrum restitutio Verzögerung erreicht werden konnte und wie gerne diese Möglichkeit genutzt wurde, indem alle zulässigen, ggf. auch unzulässigen Rechtsmittel ausgeschöpft wurden in der Hoffnung, dass Ausschlussfristen ablaufen würden und das Verfahren für den ehemals Minderjährigen doch noch verloren geht. Gemeint ist Scaev. D IV, 4, 39 pr.: Fristgemäß haben minores um in integrum restitutio nachgesucht und ihre Minderjährigkeit nachgewiesen. Nachdem die Minderjährigkeit durch Urteil festgestellt worden war, appellierte die Gegenseite an den Kaiser, um die weitere Untersuchung des erstinstanzlichen Richters zu verhindern. Dieser schiebt denn auch die weitere Untersuchung bis zum Ausgang des Berufungsverfahrens auf. Im weiteren Verlauf entsteht daraus die Frage, was geschehen soll, wenn bis dahin - nachdem die Berufung für unbegründet erklärt worden ist - die Minderjährigen die Altersgrenze überschritten haben. Können sie das Wiedereinsetzungsverfahren weiterführen, weil es nicht an ihnen lag, dass die Sache nicht rechtzeitig beendet werden konnte? Scaevola meint, dass die Untersuchung genau so fortzusetzen wäre, als sei die Altersgrenze noch nicht überschritten; die Minderjährigen seien schutzwürdig. Auch vorliegend erreichen die eingelegten Rechtsmittel Verfristung zu 873 Zur Haftung der Erben des grob schuldhaft oder dolos handelnden curator vgl. schon CJ II, 18, 17 (293).
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Lasten der Minderjährigen, der aber mit Hilfe einer supplicatio begegnet werden kann. Auch Musa erreicht zunächst einmal Rechtsschutz. Doch wird sie kurz darauf Opfer eines sich nur schleppend vollziehenden Amtswechsels. Weil der Nachfolger im Richteramt schon vor seiner tatsächlichen Ankunft in Rom seinem Vorgänger die Amtsgewalt mittels eines Interdikts entzieht, kann die Verhandlung nicht rechtzeitig stattfinden und Musa wird erneut sachfällig. Dass der in der Relation beschriebene Ablauf durchaus üblich war, zeigt eine Anordnung Justinians von 539, in der er solchen Missständen beim Amtswechsel entgegenzuwirken versucht: Nov. Just. XCV, 1, 2. Weil Vakanz anlässlich eines Amtswechsels häufig vorgekommen zu sein scheint, wird angeordnet, dass der Amtsinhaber künftig bis zur Ankunft des Nachfolgers im Amt bleiben muss und dieser seinerseits keine Anordnungen treffen darf, bevor er nicht vor Ort ist, insbesondere den Vorgänger nicht anweisen darf, das Amt niederzulegen. Amtsantritt und Entzug der Amtsgewalt sollen gleichzeitig erfolgen. Der Richterwechsel vollzieht sich vorliegend also wohl ganz regulär und der auftretende Missstand war auch kein Einzelfall, wie der spätere Gegensteuerungsversuch deutlich macht. Relation 39 zeigt den üblichen Ablauf mit all seinen negativen Begleiterscheinungen. Für Musa realisieren sich ganz konkret die Nachteile eines solch unabgestimmten Wechsels, wobei nach dem unter 1. zur erstinstanzlichen Zuständigkeit Gesagten angenommen werden muss, dass sich auch der jährliche Prätorwechsel auf diese Art und Weise vollziehen konnte. Für Musa wirkt sich die dadurch verursachte zweite Säumnis, für die sie unzweifelhaft nichts kann, als prozessentscheidend aus und damit kommt Symmachus zum entscheidenden Punkt. d) Die Rechtslage bei zweimaliger Säumnis des Klägers Musa bekommt vom Kaiser vier Monate zugestanden, den Prozess zu führen. Doch wird sie die gesamten vier Monate lang hingehalten und am letzten Tag kann aus dem genannten Grund nicht verhandelt werden. Möglicherweise wollte sie den Termin schon früher ansetzen, doch scheint man sie vertröstet zu haben, so dass nur der letzte Tag blieb. Jedenfalls ist sie laut Symmachus unschuldig an der Säumnis, der sie mit einem neuerlichen Antrag auf reparatio temporis abzuhelfen versucht. Die entscheidende Frage lautet nun, ob eine reparatio gewährt werden kann, nachdem der Kaiser bereits einmal vier Monate zugestanden hatte. Die Gegenseite verneint und trägt zur Unterstützung ein Gesetz Kaiser Konstantins vor, bei dem es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um CT II, 6, 1 (316) handelt. Dort heißt es: Cum semel negotium necessitate vel casu temporibus fuerit exemptum ac postea per indulgentiam clementiae nostrae redintegratio praestetur, intra quattuor menses iudicantis arbitrium, non ulterius, litigatoribus praeberi oportet, etiamsi per obreptionem aliquid a nobis iterata supplicatione meruerint. Der Kaiser hat wie vorgesehen eine viermonatige redintegratio/reparatio gewährt, weil ihm die Säumnis der Klägerin gerechtfertigt necessitate vel casu schien. Binnen der reparierten vier Monate muss der
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Prozess deshalb entschieden werden und ausdrücklich vermerkt wird, dass eine weitere Verlängerung nicht möglich ist. Anderslautende Reskripte gelten als erschlichen und sind zu ignorieren. Eine weitere, richterlich verfügte Reparation ist demzufolge erst recht nicht zulässig, s. a. die Interpretatio, wonach der zuständige Richter keinesfalls über vier Monate hinausgehen dürfe: non amplius ad definiendum negotium iudices quam quattuor menses litigatoribus praestent. Quibus exactis, etiamsi aliud dominorum beneficio obtinuerit, nullatenus audiatur. Wird also wie hier der supremus dies versäumt, kann der Richter den Kläger nicht mehr zulassen, selbst wenn jener ein zweites Reskript erwirkt haben sollte. Das bedeutet, die vier Monate sind, genau wie Faustinus vorträgt, endgültig. Jede darüber hinausgehende, weitere Verlängerung wäre erschlichen und nicht zu beachten. Das angeführte konstantinische Gesetz scheint also gefunden. Danach kann nur einmal Fristverlängerung bzw. Erneuerung erbeten werden und so beträgt auch die Maximalfrist einer dem Kläger gewährbaren dilatio (Vertagung zwecks Herbeischaffung von Beweismitteln) gemäß Itp. zu CT II, 7, 2 (327), die allerdings verschiedene Elemente von CT II, 6, 1 und II, 7, 2 miteinander vermischt und für unsere Zwecke im Übrigen nicht brauchbar ist, vier Monate. Fraglich ist aber, ob nicht wenigstens dann eine Ausnahme gemacht werden kann, wenn der Kläger schuldlos an der Wahrnehmung der schon einmal reparierten Frist gehindert war. Kann mittels reparatio der causae lapsus doch noch einmal beseitigt werden, wenn ein weiterer Zufall, idem casus, die Säumnis verursacht hat? Das genau meint der procurator von Musa und trägt vor: non suo vitio causam cecidisse temporibus adprobavit. Ad hoc parentum numinis vestri divorum principum protulit sanctionem, quae inter reliquas exceptiones reparationem iurgantibus tribuit, si per cognitorem causa labatur. Musa bittet um weitere Fristverlängerung unter Berufung auf eine Vorschrift eines nahen Verwandten von Valentinian II., in der (unter anderem) reparatio gestattet wird, wenn die Säumnis wie hier vom Richter verursacht wurde. Wie bereits angedeutet, könnte man an eine Konstitution Valentinians I. denken, CT XI, 31, 2 (365): Etsi post iteratum temporis labsum nulli reparationem praescribtio legis indulgeat, tamen his iuris beneficia subveniunt, quorum non studio aut culpa, sed aegritudo iudicis vel rei publicae interveniens negotium, ne persequerentur, obstiterit. Dort wird Bezug genommen auf ein Gesetz, vielleicht CT II, 6, 1, wonach niemandem bei wiederholtem labsus temporis eine reparatio gewährt werden dürfe, und ergänzt, dass trotz dieses grundsätzlich fortgeltenden Verbots diejenigen zu schützen seien, die schuldlos an einer Sachverfolgung wegen Krankheit des Richters oder wegen Staatsgeschäften gehindert waren. Ausnahmsweise kann dann offenbar vom Richter eine weitere Reparation gewährt werden. Sollte genau diese Vorschrift zitiert worden sein? Tatsächlich findet sich dort eine mögliche Ausnahme vom Verbot weiterer Reparation für den Fall der Säumnis aus Gründen, die in der Person des Richters liegen. Was aber hält Symmachus dann davon ab, zugunsten von Musa zu entscheiden?
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Tatsächlich geben einige Punkte Anlass zu Zweifel. Zunächst ist festzustellen, dass CT XI, 31, 2 unter dem Titel zur reparatio appellationum steht, also wohl nur einschlägig war, wenn Appellationsfristen versäumt wurden, was hier nicht der Fall ist. Zum anderen ist fraglich, ob die Vakanz auf dem Richterstuhl einer Erkrankung des Richters vergleichbar ist, denn ob sich die zweite angeführte Ausnahme, die Verhinderung wegen Staatsgeschäften, auch auf den Richter und nicht nur auf die Verhinderung der Partei durch öffentliche Pflichten bezieht, ist nicht klar. Zudem ist die Abberufung des Richters, der Verlust der Jurisdiktionsgewalt, kaum ein Staatsgeschäft im angesprochenen Sinne und kann als offizieller Hinderungsgrund allenfalls mit etwas Phantasie unter diesen gesetzlichen Ausnahmefall subsumiert werden. Der Umschreibung der Relation nach müsste es sich eigentlich um eine Vorschrift handeln, die Reparation gewährt, wenn die Säumnis vom Richter verursacht wurde. So allgemein aber ist CT XI, 31, 2 nicht gehalten, wo im Übrigen nicht noch mehrere andere Ausnahmen genannt sind, wie sie sich angeblich in der sanctio finden. Möglicherweise ist uns daher die zitierte Konstitution oder jedenfalls der hier vor Gericht zitierte Teil von CT XI, 31, 2 nicht überliefert. Bevor allerdings diese Vermutung aufgestellt wird, soll untersucht werden, ob nicht vielleicht andere, überlieferte Vorschriften in unserem Fall einschlägig sein könnten. Da sticht zunächst die Rubrik CT XI, 32: De secundo labsu ins Auge. Eigentlich müsste sich dort die Regelung finden, die unseren Fall trifft, unabhängig davon, in welcher Instanz Säumnis aufgetreten ist und welche Frist versäumt wurde. CT XI, 32, 1 stammt ebenfalls von Valentinian I. und wendet sich im Jahre 365 an den Stadtpräfekten, den Nachfolger von Symmachus’ Vater. Die Vorschrift datiert damit nach CT XI, 31, 2. Dort heißt es: Si culpa iudicis gemino labsu causa fuerit evoluta, iuxta divi Constantini praeceptum ipse ad redhibitionem eius aestimationis, quanto res valet, de qua iurgium est, debet adtineri. Der Fall endet mit der zweiten Säumnis, wenn der Richter die Schuld daran trägt, der entsprechend konstantinischer Regelung in Höhe des Streitwerts für den verlorenen Prozess haftet. Damit wird wahrscheinlich Bezug genommen auf CT II, 6, 2 (319), wonach der Richter, der per neglegentiam atque desidiam die Verhandlung trotz beständiger Anrufe verzögert und so den Prozessverlust des Klägers herbeiführt, in Höhe des Streitwerts haftet. Das bedeutet, wenn der Richter die Säumnis verschuldet hat, gibt es keine, schon gar nicht eine zweite reparatio, sondern Schadensersatz. Auf diese Vorschrift beruft sich Musas Vertreter nicht, und in der Tat ist zu berücksichtigen, dass sie Opfer eines normalen Amtswechsels wird und dem Richter wohl keine Nachlässigkeit vorgeworfen werden kann. Was aber gilt dann für diesen Fall? Nach unserer Quellenlage bleibt es dabei, dass nur im Rahmen des Appellationsverfahrens eine zweite reparatio vorgesehen ist und dass sich nur dort ergänzende Regelungen zu besonderen Reparationsgründen finden. So werden auch in CT XI, 31, 3 (370874 an den Stadtpräfek874
Seeck, Regesten, 31; 238.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
ten gerichtet) necessitas publica vel aegritudo iudicis als Säumnisgründe anerkannt, die zur reparatio berechtigen. Diese Vorschrift betrifft allerdings, anders als der Wortlaut von CT XI, 31, 2, ausdrücklich nur die zweite Instanz, ebenso wie CT XI, 31, 4 (369 an den Stadtpräfekten), wonach occupatio iudicis des zweitinstanzlichen Richters möglicher Reparationsgrund ist. CT XI, 31, 9 (423, Ost) sieht ganz selbstverständlich mehrfache reparatio im Appellationsverfahren vor, wenn hinreichende Gründe für die Säumnis dargetan werden, als welche in Betracht kämen aegritudo vel occupatio actuum publicorum aliaque necessitas, quam iudex aut litigator differre non potuit... . Festzuhalten ist vor diesem Hintergrund, dass zugunsten von Musa am ehesten noch CT XI, 31, 2 in Betracht kommt, sofern die Vorschrift entgegen ihrem Regelungszusammenhang auch für die erste Instanz einschlägig gewesen sein sollte, wofür sprechen mag, dass dort auch CT II, 6, 1 als Regelung zur reparatio denuntiationis herangezogen zu werden scheint; dass jedoch nach der Beschreibung in der Relation eher eine andere, nicht überlieferte Konstitution vorgelegt wurde, die dann wahrscheinlich ebenfalls von Valentinian I. stammte, der als erster nach Konstantin umfassende Neuregelungen getroffen hat, die eine Verursachung der Säumnis durch den Richter neben anderen Gründen als Reparationsgrund in der ersten Instanz anerkannten. Der Amtswechsel gehörte ohne weiteres dazu. Was aber begründet dann den Zweifel von Symmachus, was stört ihn an der vorgelegten sanctio? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns noch einmal genau ansehen, was Symmachus über sie und seine Zweifel darüber, ob sie vorliegend Anwendung finden kann, schreibt. Seine Begründung dafür, den Fall nicht zu entscheiden, basiert darauf, dass die beiden angeführten Vorschriften ihrer Tendenz nach widersprüchlich bzw. unvollständig seien: Cum igitur et in Constantiniana lege, qua reparatio adimitur temporibus extra ordinem datis, casus iste cessantis disceptatoris non sit exceptus et recentiora scita divorum cunctis negotiis reparatione subvenerint, si forte a iudice deserantur, facilis in alteram partem esse non potui. Nach allem, was sich der Relation entnehmen lässt, hatte Valentinian I. offenbar eine teilweise Neuregelung getroffen, ohne CT II, 6, 1 aufzuheben. Hatte der Richter durch sein Ausscheiden aus dem Amt die Säumnis verursacht, so konnte danach grundsätzlich reparatio gewährt werden, doch sagen die recentiora scita offensichtlich nichts zum Fall einer durch den Richter verursachten zweiten Säumnis. Damit war hier ein Reparationsgrund durch den Richterwechsel dem Grunde nach zwar gegeben, doch fehlt eine ausdrückliche Erlaubnis einer zweiten reparatio. Dieser stand weiterhin CT II, 6, 1 entgegen und anders als CT XI, 31, 2 scheint die sanctio nichts über das Verhältnis zu CT II, 6, 1 gesagt zu haben. Auf diese Weise ließe sich erklären, warum Symmachus die neueren Vorschriften nicht diskussionslos anwendet: Keine Vorschrift sieht bei einer Konstellation wie der vorliegenden eine zweite reparatio vor. Wären hingegen die späteren Vorschriften einschlägig, wie es zunächst den Anschein hat, wäre das Vorgehen des Stadtpräfekten unverständlich, denn Neueres, zumal eine Regelung des Vaters des amtierenden Kaisers, wäre vorrangig anzuwenden. Nachdem aber der Gesetzgeber das Problem immerhin gesehen hat, dass eine Partei geschützt werden muss, wenn die
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Säumnis allein durch Umstände am Gericht hervorgerufen wird, und auch eine zweite Reparation in Ausnahmefällen jedenfalls in zweiter Instanz vorgesehen ist, sieht Symmachus eine potenzielle Regelungslücke. Er will sich nicht dem konstantinischen Verbot fügen, das dem Fall nicht gerecht wird, und die neueren Vorschriften kommen ihm dabei gelegen, die sich von dem strikten Verbot etwas entfernen, nur eben nicht alle in Betracht kommenden Fälle erfassen. Und hier wird auch der einleitende Satz der Relation verständlich, wonach eine Seite von ius, die andere von aequitas gestützt werde. Offensichtlich meint Symmachus, dass Musa sich jedenfalls auf aequitas berufen kann. Ihr Fall ist gesetzlich nicht geregelt und eine großzügige Auslegung der recentiora scita traut sich Symmachus nicht zu. Zu klar ist das konstantinische Verbot, auf das sich auch Valentinian I. mehrfach ausdrücklich beruft und von dem er lediglich enumerativ Ausnahmen zulässt. Will Symmachus das im Übrigen fortgeltende Verbot nicht ignorieren, so bleibt ihm nur das Relationsverfahren. Der Fall wäre für ihn nach dem strengen Gesetzeswortlaut nur mit einem Urteil gegen Musa zu lösen gewesen875. Auch nach unserer Quellenkenntnis lässt sich diese Begründung nachvollziehen. Danach ist eine zweite reparatio, wenn die Denuntiationsfrist versäumt wurde, weil der Richter das Amt verlassen hat, in der Tat nicht vorgesehen. CT XI, 31, 2, so verlockend die Konstitution für unseren Fall auf den ersten Blick scheint, trifft ihn nicht wirklich. Das Problem des Falles besteht nicht darin, dass der Stadtpräfekt nicht zwischen zwei gleichrangigen, widersprüchlichen Gesetzen zu entscheiden wagt, sondern es fehlt an einer gerechten Regelung für den konkreten Sachverhalt. Die einschlägigen Vorschriften, die lex respektive constitutio Konstantins bzw. die sanctio respektive scita Valentinians I., stehen als Rechtsquellen gleichrangig nebeneinander, beanspruchen gleichermaßen Geltung. Nicht Normenhierarchie ist das Problem, sondern eine Regelungslücke. Und genau das dürfte gemeint sein mit den Ausführungen darüber, dass menschliche Rechtsunsicherheit ein Kaiserurteil erfordere und dass die Sache ambiguus, zweifelhaft, zwiespältig, zweideutig sei, weil es nämlich an einer einschlägigen Regelung fehlt, obwohl es entsprechende gesetzgeberische Tendenzen gibt. Gesetzliche Lückenschließung aber ist Kaisersache. So genau nimmt Symmachus es in seiner Argumentation freilich nicht, vielmehr macht er lediglich deutlich, was er vom Kaiser erwartet, ohne das dahinterstehende Rechtsproblem im Detail auszuführen. Er könnte wohl unter strenger Beachtung der Rechtslage entscheiden und die weitere reparatio ablehnen, doch geht es ihm um aequitas jenseits des Wortlauts der vielleicht planwidrig unvollständigen sanctio. Symmachus setzt daher das Relationsverfahren gezielt ein, um für den Einzelfall eine gerechte Lösung zu erreichen.
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Ungerechtfertigt daher Vera, Commento, 296, der Symmachus übermäßige Vorsicht („eccesso di scrupolo“) vorwirft, weil die Rechtslage klar gewesen sei und er zugunsten von Musa auf der Grundlage von CT XI, 31, 2 hätte entscheiden können. Das hieße, Symmachus mit seinen Bedenken nicht ernst nehmen.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Die Schutzbedürftigkeit von Musa lässt sich auch von unserer Warte aus nachvollziehen, denn sie ist bei der zweiten Säumnis unschuldig Opfer schlechter Organisation geworden. Vernünftig mutet die Argumentation an, dass ein Richterwechsel nicht zu Lasten einer Partei gehen soll, gleich was vorher passiert ist, und dass Musa die Chance verdient, die vom Kaiser bereits reparierte Frist auch tatsächlich nutzen zu können, woran sie nur durch eine Verkettung unglücklicher Umstände, die vom Gesetz so nicht vorhergesehen wurde, gehindert war. Ein Verdacht, Symmachus habe die junge Frau begünstigen wollen und daher um eine Ausnahmeentscheidung gebeten, liegt in Anbetracht des für Musa wirklich ungünstigen Verlaufs nicht nahe. Symmachus schöpft vielmehr das ihm gerade für solche Zweifelsfälle zur Verfügung stehende legale Mittel aus, das Relationsverfahren einzuschlagen. Damit hält er sich pflichtgemäß im Rahmen der ihm auferlegten gesetzlichen Bindung und scheut nicht die zusätzlich Mühe, offiziell um eine gerechte Entscheidung zu bitten in einem Fall, in dem ihm die gesetzliche Regelung unzureichend erscheint. Nur so kann verhindert werden, dass die Erbschaft für Musa wegen des zweiten causae lapsus und des damit verbundenen endgültigen Anspruchsverlusts dauerhaft verloren geht. Die Relation ist notwendig, um über die strenge Gesetzeslage hinweg zu kommen. Der Fall ähnelt dem in Relation 49: Will Symmachus nicht gesetzwidrig entscheiden und Musa trotzdem schützen, so muss er anfragen. Das Relationsverfahren lässt sich aus Rechtsgründen rechtfertigen. Ordnungsgemäß wird der Fall bis zur Entscheidungsreife aufgeklärt und deutlich gemacht, welche Lösung vorzugswürdig erscheint. Im nächsten Abschnitt soll vor diesem Hintergrund die hinter der Anfrage stehende Konzeption zu ius und aequitas etwas näher beleuchtet werden. e) Das rechtstheoretische Konzept Symmachus gibt den Fall ab, weil er einen Widerspruch zwischen der strenggesetzlichen Rechtslage, an die er als Beamter gebunden ist, und dem, was ihm billig erscheint, sieht. Rechtsfortbildung und Rechtsauslegung sind Kaisersache, insbesondere hat allein der Kaiser darüber zu befinden, ob im Einzelfall aus Gründen der aequitas eine Ausnahme vom strengen Gesetzeswortlaut gemacht werden kann. Es fragt sich, worauf diese Konzeption basiert. Zur Beantwortung dieser Frage lassen sich einige Konstitutionen zitieren, aus denen sich Anhaltspunkte zur damaligen Vorstellung vom Verhältnis zwischen ius und aequitas speziell im Rahmen von Prozessen entnehmen lassen. Anhand eines Vergleichs dieser Vorschriften mit der Relation lässt sich aufzeigen, inwieweit sich Symmachus in Übereinstimmung mit den an ihn als kaiserlichem Beamten gestellten Erwartungen befand. Als Ausgangspunkt ist CJ III, 1, 8 (314) zu nennen, wonach Gerechtigkeit und Billigkeit über dem strengen Recht stehen sollten: Placuit in omnibus rebus praecipuam esse iustitiae aequitatisque quam stricti iuris rationem. Schon bald wird in diesem Zusammenhang ein Kaiservorbehalt formuliert: CT I, 2, 3/CJ I, 14, 1 (316): ...inter aequitatem ius-
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que interpositam interpretationem, nobis solis et oporteat et liceat inspicere. Zweifel zwischen Billigkeit und strengem Recht kann nur der Kaiser beseitigen, denn er hat als alleiniger Gesetzgeber das Interpretationsmonopol zwischen aequitas und ius. In CT I, 5, 3 (331) werden aequitas und ius iustitiaque ausdrücklich gleichgestellt. Das Richterurteil müsse getragen sein a iure iustitiaque und soll entsprechend den leges in Übereinstimmung mit aequitas ergehen. Und so heißt es in CT XI, 31, 5 (370 an den Stadtpräfekten Olybrius gerichtet876) zum Maßstab richterlicher Entscheidung: ...examine sententia proferatur ea, quam aequitatis ratio et iuris praescribta dictaverint. Grundsätzlich sollen ius und aequitas parallel laufen877, doch im Konfliktfall gilt, das zeigen auch die Relationen, dass aequitas vorzugswürdig ist, die in den Quellen denn auch als vorbildhafte Verhaltensweise und Tugend des rechtsetzenden und rechtsprechenden spätantiken Kaisers ausgestaltet wird. Der Kaiser weicht ggf. aus Gründen der aequitas vom althergebrachten Recht ab, vgl. z. B. CT XI, 39, 1 (325) und CT VIII, 18, 4 (339), wonach aequitas eine Neuregelung rechtfertige. Kaiser Konstantin hat die entscheidenden Maßstäbe gesetzt, an die sich auch Symmachus gebunden sieht, wie etwa die Relationen 22, 27, 44 und insbesondere auch 49 verdeutlichen. Aequitas ist regelmäßig Leitbild des Stadtpräfekten, der immer wieder beteuert, bei Differenzen zwischen dem, was ihm billig erscheint, und strengem Recht nicht selbst entscheiden zu können878. Dabei ist ius bei ihm das Kaisergesetz, nicht etwa das alte Juristenrecht, das in den Relationen regelmäßig keine Rolle spielt (dazu auch bei Relation 41). Die Konzeption, die bereits in den Relationen 22, 27 und 44 beobachtet wurde, gilt auch in den Prozessberichten und ist, jedenfalls in den wirklich problemorientierten Relationen, nicht leere Wortklauberei879, sondern verfassungsmäßige Grundüberzeugung, die die Erwartungen, die in den Kaiserkonstitutionen vor allem Konstantins aufgestellt werden, widerspiegelt. Dieses Konzept fordert keine christ-
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Datierung: Seeck, Regesten, 36; 107; 240. Zu Olybrius bei Rel. 28. Vgl. etwa Ep. IV, 48 (s. a. in der Auswertung der Privatbriefe im Dritten Teil) zu so einem Fall: Symmachus unterstützt einen Freund, dessen Bitte um rechtliche Hilfe aus allen entscheidenden Kriterien - aequitas, ius und iustitia - gerechtfertigt sei: Petitio ab aequitate non discrepat. Quin potius iure atque iustitiae munitur auxiliis. 878 Eine Ausnahme bilden insoweit die Entscheidungen, unzulässige Appellationen anzunehmen in Rell. 16, 28 und wohl auch 33. Wohlweislich spricht Symmachus in diesem Zusammenhang nicht davon, die jeweilige Entscheidung sei aus Gründen der aequitas erforderlich gewesen. 879 Natürlich werden auch in den Prozessberichten aequus und aequitas nicht immer als reine Rechtsbegriffe verwendet, vielmehr überwiegt bisweilen, jedenfalls auf den ersten Blick, das rhetorische Element, s. etwa die Rell. 31, 3 (aequitas als kaiserliche Tugend) und 48, 5 (aequitas als Eigenschaft des Zeitalters). Doch auch in diesen Relationen wird sehr ernsthaft an eine billige Entscheidung des Kaisers appelliert; aequitas ist selbst dort nicht bloß rhetorisches Stilmittel. 877
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
lichen Vorstellungen880, sondern Symmachus sieht darin traditionell überkommene Billigkeitserwägungen ganz selbstverständlich verwirklicht. Er hat das aequitas-Konzept konstantinischer Prägung verinnerlicht, das nicht wirklich neu ist und daher auch von den Heiden vorbehaltlos akzeptiert wird. Es ist, wie Relation 39 deutlich macht, vom Gedanken einer angemessenen und fairen Behandlung geprägt: Musa soll keinen Nachteil aus der schlechten Gerichtsorganisation erleiden. Die genannten Kaisergesetze sind also nicht reine Theorie, sondern Rechtspraxis, nicht leere Worte und bloße Rhetorik, sondern werden umgesetzt in ernstgemeinte Gesuche, im Einzelfall der aequitas Vorrang vor der strikten Gesetzesanwendung zu geben. Dabei ist aequitas nicht mit uferlosen Billigkeitserwägungen verbunden, sondern berücksichtigt die konkreten Umstände des Einzelfalles, die ggf. ein Abweichen vom als zu streng oder lückenhaft empfundenen Gesetz rechtfertigen. Dem Kaiser werden Argumente geliefert, die nach Überzeugung des Richters eine Entscheidung aus aequitas tragen können. Der Kaiser soll und darf, will er nicht despotisch wirken, nicht willkürlich, sondern muss gerecht und billig entscheiden. Allein Gründe der aequitas können im Einzelfall ein Abweichen vom Gesetz legitimieren, denn es gilt auf diese Weise übergesetzliche Gerechtigkeit zu verwirklichen. Aequitas wird so zum Korrektiv lückenhafter oder überscharfer Gesetze und gewinnt als Rechtsgrundsatz aus dem Einzelfall der jeweiligen Relation an Kontur. Im Idealfall wird damit auch nicht kaiserlicher Willkür Tür und Tor geöffnet, denn gemeint ist mit einer billigen Entscheidung gerade nicht willkürliches Abweichen vom strengen Gesetzesrecht, sondern erwartet werden Erwägungen darüber, was im Einzelfall verhältnismäßig ist. Aequitas ist insoweit sogar das, jedenfalls theoretisch, die kaiserliche Willkür begrenzende Kriterium; auch die kaiserliche Entscheidung muss sich an ihr messen lassen. Infolge des großen Freiraums des absolutistischen Kaisers ist diese Konzeption zwar potenzielles Einfallstor für Einflussnahme und Willkür sowie uferlose Billigkeitsrechtsprechung, aber eben auch, und das zeigen einige Relationen deutlich, für Einzelfallgerechtigkeit. Symmachus hat diese theoretische Basis verinnerlicht und begnügt sich mit einigen floskelhaften Anspielungen, letztlich ist seine Anfrage aber genau aus dem gerade umrissenen theoretischen Konzept heraus begründet. Er hat als Beamter das „strictum ius“ anzuwenden und kann allenfalls den Kaiser um günstige Einzelfallentscheidung unter begründetem - weil aequus - Abweichen von dem als zu hart empfundenen Gesetz bitten. An diesen einzigen legal gangbaren Weg hält er sich. Ohne dass Symmachus ein theoretisches Konzept dazu 880 Zum Thema der aequitas in den Konstitutionen der christlichen Kaiser: Pringsheim, Römische aequitas; ders., Jus aequum und jus strictum; s. a. Kaser, Privatrecht II, 60 ff zur „Ethisierung des Rechts“. S. a. Silli, Mito e realtà, 17 ff; 162 f (Zusammenfassung), der die „aequitas christiana“ in den gesetzgeberischen Maßnahmen Konstantins untersucht. Dass aequitas schon seit dem 2. Jh. kaiserlicher Auslegungs- und Handlungsmaßstab ist, zeigt die Untersuchung von Gaudemet, Empereur, 194 ff m. zahlreichen Nachweisen.
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entwirft, was er unter aequitas versteht, wird aus der Relation zum einen deutlich, was die billige Entscheidung ist, zum anderen aber auch, dass dem Richter eine Einschätzungsprärogative darüber zukommt, ob der Kaiser eingeschaltet wird. Dem Stadtpräfekten schlicht vorzuhalten, er habe aus Schwäche881 abgegeben, ist (auch) in diesem Fall nicht angemessen, bewegt er sich doch innerhalb der ihm vorgegebenen Grenzen. Milde zu üben, ist nicht Sache des Beamten, das zeigt im Rahmen eines Strafprozesses auch Relation 49882. Der Beamte ist an das Gesetz gebunden, hat wenig Spielraum und an eben diese Vorgaben, wie sie vor allem in CT I, 2, 3/CJ I, 14, 1 deutlich werden, hält sich Symmachus, wenn er anmerkt, dass es in Relation 39 um ein Rechtsproblem gehe, das ihn als Menschen und Beamten überfordere. Aus der Zusammenschau der einschlägigen Vorschriften zu mehrfacher Reparation und jenen zum Kaiservorbehalt und aequitas-Verständnis lässt sich damit aus unserer Sicht sagen, dass Symmachus’ Entscheidung, den Fall aus rechtlicher Erwägung abzugeben, tragfähig ist. Festzustellen ist allerdings auch, dass Symmachus lediglich Klärung des Einzelfalles, etwa durch erweiternde Auslegung bzw. Analogiebildung, fordert und nicht etwa um eine allgemeine Gesetzesreform für ähnliche Fälle bittet. Das interessiert ihn nicht. Er ist weit davon entfernt, ein Reformer oder gar kritischer Geist zu sein. Das Relationsverfahren dient ihm lediglich dazu, Gerechtigkeit im Einzelfall zu verwirklichen. 3. Ergebnis Wieder einmal wissen wir nicht, wie der Fall ausgegangen ist, ob der Kaiser sich der Überzeugung des Symmachus angeschlossen hat, dass Musa schutzwürdig ist, und ihr eine weitere Reparation zugebilligt hat, indem er die Wertung der recentiora scita auf den konkreten Fall übertragen hat. Die Rechtquellen der Folgejahre zeigen keine Lockerung der strengen Fristregelungen und der restriktiven Handhabung der Reparation. Vielmehr werden die gesetzlichen Fristen eingeschärft und deutlich gemacht, dass keine Verlängerung über das erlaubte Maß hinaus gewährt werden darf883. Das mag gegen die Erfolgsaussichten für Musa sprechen. Dass der Kaiser den Fall gar zum Anlass einer Neuregelung gemacht hätte, ist noch weniger wahrscheinlich. Vermutlich wird es bei CT II, 6, 1 geblieben und allenfalls eine Ausnahme im Einzelfall zugunsten 881 McGeachy, Symmachus, 30 Anm. 3, nennt Relation 39 als ein (weiteres) Zeichen von Symmachus’ Entscheidungsschwäche neben den Rell. 30, 31 und 38. Er habe alles Schwierige weitergegeben. In dieser Einschätzung fehlt jedoch jede rechtliche Bewertung und Berücksichtigung der Umstände der jeweils skizzierten Einzelfälle. Zu einseitig daher auch Steinwenter, Briefe, 22 (unter Verweis auch auf Rell. 16 und 19), wonach sich Symmachus hier jeder Verantwortung entzogen habe, indem er dem Kaiser den Fall überträgt. 882 Dort auch weitere Vorschriften und Vergleichsfälle. Die Frage betrifft nicht nur das Strafrecht, sondern steht im Zusammenhang mit dem spätantiken Verfassungsverständnis. 883 Vgl. CT II, 4, 4 vom Juni 385.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
von Musa gemacht worden sein, um die Richter nicht zu animieren, Verzögerungen hinzunehmen. Symmachus hätte im Falle einer solchen Ausnahmegewährung für Musa, d. h. der Zubilligung einer weiteren reparatio, dann in der Hauptsache entscheiden müssen, was angesichts der offenbar klaren Beweislage zugunsten der Klägerin ausgegangen sein dürfte. Symmachus setzt sich hier für eine junge, unerfahrene Frau ein, damit deren Klage nicht an formalen Fristfragen scheitert, nachdem sich auch die mit dem Fall bislang befassten Richter nicht um Straffung bemüht zu haben scheinen. Für Musa war das Relationsverfahren die letzte Rettung, um im Hauptsacheverfahren doch noch an den ihr betrügerisch entzogenen Erbteil zu gelangen. Dass sie vom Stadtpräfekten in zweifelhafter Weise begünstigt werden soll, liegt wie bereits angedeutet nicht nahe, denn Symmachus kann alles belegen. Nicht bestätigen lässt sich auch die Vermutung, dass der Stadtpräfekt (auch) aus Furcht vor Gegenreaktionen nicht zu entscheiden wagt, denn dass die unterlegene Prozesspartei irgendeinen Einfluss auf die Stimmung in Rom oder am Hof gehabt hätte, ist nicht erkennbar, zumal keine Seite senatorischen Standes ist oder irgendein Amt innehatte. Deutlich ist vielmehr der Gegensatz zu dem in Relation 32 geschilderten Prozess, in dem der Kläger selbstbewusst für sich reparatio geltend macht, obwohl er keine tragfähige Begründung vortragen kann. Hier eine junge Frau, unerfahren, schlecht oder jedenfalls zu spät beraten, dort ein selbstbewusster ex protector, der glaubt, sich durchsetzen zu können, vielleicht dank seiner Kontakte, die er in zweiter Instanz am Hof meint geltend machen zu können. Ansonsten aber zeigt Relation 39 den ganz normalen Prozessverlauf, in dem wieder einmal geschickt Verzögerungstaktik angewandt wird884. So schafft es die Beklagtenseite beinahe, den Prozess infolge Verfristung zu gewinnen. Erst werden alle Rechtsmittel ausgereizt und dann kommt auch noch der Zufall zur Hilfe. Auch die etwas unübersichtliche, nicht durchgeregelte Rechtslage behindert den Rechtsfindungsprozess nicht unerheblich. Allzu knapp bemessene Fristen, von Konstantin überscharf885 festgelegt und unter Valentinian I. nur teilweise neu geregelt, fordern solche und ähnliche Probleme heraus. Symmachus erweist sich vor diesem Hintergrund als redlicher, wortgetreuer Anwender der Kaiserkonstitutionen.
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Eine gewitzte Prozesstaktik konnte so durchaus prozessentscheidend sein und dem Verzögerungsinteresse kam dabei im Einzelfall ggf. auch zugute, dass häufig Prozessparteien im Laufe des Prozesses starben, was die Aufklärung zusätzlich erschwerte. Solche Todesfälle berichten etwa die Rell. 19, 32 und 33. 885 Vgl. auch die z. T. überscharfen Denuntiationsverbote, die in den Relationen 41 und 49 im Bereich von bona vacantia und Strafprozessen eine Rolle spielen. Auch in Relation 49 dient das Relationsverfahren dazu, die überschießende Schärfe speziell konstantinischer Regelung zu mildern.
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VIII. Relation 40: Ein Prozess zwischen Puteoli und Tarracina Symmachus soll in zweiter Instanz in einem Prozess zwischen zwei campanischen Städten um Getreidelieferpflichten urteilen, hält es aber für angebracht, dem Kaiser die Entscheidung zu überlassen, mit der vielsagenden Begründung, dass eine Auseinandersetzung zwischen Städten und ganzen Einwohnerschaften, anders als eine solche zwischen Privatleuten, ein erhabeneres Urteil als sein eigenes erfordere, zumal beide Parteien gute Argumente auf ihrer Seite hätten, § 1: Urbium populorumque luctamina, quoniam sunt maiora privatis, iudicio augustiori cedenda sunt, ddd. imppp. Merito Puteolanorum ac Tarracinensium causam, quae post Campani moderatoris examen ad sacrum auditorium ex provocatione migravit, cum perspicerem pari lance libratam, maiestatis vestrae arbitrio reservavi. Der Stadtpräfekt gibt mit seiner Relation im Verfahren der consultatio ante sententiam den gesamten Fall ab. Es wird die Frage zu stellen sein, ob die von ihm gelieferte, pauschal klingende Begründung rechtlich nachvollziehbar ist. Streitgegenstand sind öffentliche Getreidelieferpflichten aus einer vom Kaiser nicht ratifizierten Verwaltungsanordnung, die lange unbestritten in Anwendung war. Symmachus kämpft ein weiteres Mal mit der Frage der Geltungskraft und Auslegung kaiserlicher Vorschriften. Valentinian II. wird in § 4 als Bruder Gratians unmittelbar angesprochen. Zeitlich ist das Schreiben nicht näher einzuordnen. 1. Der Fall Symmachus holt weit aus: Kaiser Konstantin hatte seinerzeit dem Volk von Puteoli 150.000 Scheffel, modii886, Getreide pro Jahr als staatliche Unterstützung zugestanden, in alimoniam civitatis indulsit. Das Getreide kam entweder aus der Rom zugeteilten Menge, d. h. letztlich großteils aus Africa oder aber direkt aus Campania887. Puteoli war für Rom noch immer eine relativ wichtige Hafenstadt und besonders unterstützungswürdig. Kaiser Constans allerdings halbierte diese Subvention. Constantius II. wiederum, der in einer supplicatio aus Puteoli gebeten worden war, die Liefermenge zu erhöhen, gewährte zusätzliche 25.000 modii, so dass Puteoli seit jener Zeit 100.000 modii Getreide jährlich kraft kaiserlicher Anordnung zustanden, § 2. Symmachus schildert in § 3 den weiteren Verlauf und die Entstehung der aktuellen Auseinandersetzung: Während der Regierungszeit von Kaiser Julian geriet die Stadt Tarracina, eine weitere Hafenstadt in Campania, in Schwierigkeiten, angustiae, weil die zu ihrer Getreideversorgung beitragspflichtigen Städte lange Zeit nichts geliefert 886 Modius = Getreidemaß = 8,754 Liter. Ein Maß von 3,5 - 5 modii monatlich pro Person sind im 4. Jh. bei den Getreideverteilungen anzusetzen. Nachweise bei Vera, Commento, 299. 887 So wird Tarracina durch benachbarte Städte in Campania versorgt, s. sogleich. Weshalb sollte man also die Versorgung Puteolis nicht ähnlich ortsnah organisiert haben?
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
hatten888, quod nihil subsidii decreta dudum oppida conferebant, was den Zusammenbruch der dortigen Versorgung befürchten ließ, defectu subito exhausta succumberet, woraus zusätzlich die Gefahr erwuchs, dass Tarracina, um Druck auf die Verwaltung auszuüben, eigene Lieferpflichten gegenüber Rom vernachlässigen könnte, denn Tarracina bekam das Getreidekontingent im Ausgleich für die eigene Verpflichtung, Holz für die öffentlichen Bäder und Kalk zu öffentlichen Bauzwecken nach Rom zu liefern889. Der damalige Statthalter von Campania, der consularis Lupus890, hatte denn auch genau diese Befürchtung, dass es nämlich infolge der Versorgungsschwierigkeiten zu Problemen bei den Holz- und Kalklieferungen von Tarracina nach Rom kommen könnte. Sofern diese Stadt aber in Streik treten sollte, drohte dies in Rom zu Unruhen zu führen (vgl. zum Holz schon bei Relation 44). Eine schnelle und wirksame Reaktion schien angebracht. Symmachus zeigt sich verständnisvoll und stellt die Lage als dramatisch dar. Lupus entscheidet, dass 5.700 modii/Jahr des für Puteoli vorgesehenen Getreides von dort891 (dauerhaft) an Tarracina zu liefern seien: Lupus...quinque milia et septingentos modios Puteolanis municipibus derogatos Terracinensium usui deputavit et amplissimae praetorianae sedi statuta et definita suggessit. Die sonst zu Tarracinas Versorgung verpflichteten Städte scheinen zu jener Zeit nicht leistungsfähig genug gewesen zu sein, um von dort ausstehende Lieferungen wirksam realisieren zu können. Gedacht ist daher an ein neues Ausgleichssystem innerhalb von Campania mit einer besonderen, wenn auch nicht sehr hohen Zuwendung an Tarracina. Diese Entscheidung wird dem amtierenden 888 Es gibt Schwierigkeiten im Versorgungssystem der Provinzstädte untereinander. Unbenannte Städte, wahrscheinlich in Campania, hatten an Tarracina Getreide zu liefern, kommen dieser Verpflichtung, wohl aufgrund eigener Engpässe, jedoch nicht nach. 889 Abgabe, die bestätigt wird durch CT XIV, 6, 1-4 und um die sich der Stadtpräfekt zu kümmern hat (vgl. zum Baubereich bei Rel. 34). Die Kalklieferungen waren speziellen Zwecken zugewiesen, CT XIV, 6, 3 (365): Hoc autem excepto a Tarracinensis praestationis canone suggera, quae vetusto praeberi fari ac Portus usibus more consuevit. So geht der Beitrag gewöhnlich an den Leuchtturm und Porto. Symmachus spricht hier ganz allgemein von Kalk für moenia, synonym wohl für öffentliche Gebäude, nicht nur Stadtmauern. Die Stadt ist verpflichtet gegenüber Rom; die Erfüllung geschieht intern durch die Grundeigentümer. Zur Holzversorgung der Bäder vgl. schon Rel. 44. 890 Lupus war, wie Rel. 40, 3 belegt, consularis Campaniae unter Julian zwischen 361 und 363. Zur ansonsten unbekannten Person: Chastagnol, Consulaire, 304 f, der sich insbesondere gegen eine von manchen Autoren (Seeck, Symmachus, 347; Hanslik, REVirius 10, 238; Cracco Ruggini, Relazioni, 136 f Fn. 12; Barrow, Prefect, 207 Fn. 1) vertretene Identifizierung mit einem Virius Lupus (Victorius) aus CIL X, 3858 (s. a. CIL XIV, 2928) ausspricht. S. a. Vera, Commento, 300 f: nicht Flavius Lupus aus CIL IX, 1580; eventuell aber doch Virius Lupus. Lupus kümmert sich als örtlich zuständiger Beamter in erster Linie um die Versorgung Tarracinas, berücksichtigt dabei aber zugleich die Interessen Roms, wobei vermutlich auch der damalige Stadtpräfekt eingeschaltet wurde. 891 Das ergibt sich aus der folgenden Auseinandersetzung. Lupus weist mittels Verwaltungsanweisung ein bestimmtes Getreidekontingent neu zu.
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praefectus praetorio Italiae Mamertinus892 mit den entsprechenden Unterlagen übergeben. Dieser bestätigt 363, während Kaiser Julian mit dem Feldzug gegen die Perser beschäftigt ist, den Transfer der Getreidesubvention, behält aber dem Kaiser die endgültige Entscheidung vor: Is cum disposita roborasset, nihilominus arbitrium imperiale consuluit neque ullum responsum, quod eo tempore bello Persico rector imperii tenebatur, accepit. Julian allerdings stirbt Ende Juni 363 auf seinem Feldzug, so dass es nicht mehr zur vorgesehenen Einverständniserklärung kommt, was nichts daran ändert, dass die Maßnahme auch ohne kaiserliche Zustimmung umgesetzt wird. Ein Problem des Falles deutet sich hier bereits an: Wie ist mit einer nicht ratifizierten Entscheidung des praefectus praetorio zu verfahren? Geplant war ein vorbildliches, dreistufiges Verfahren vom Provinzstatthalter von Campania über den praefectus praetorio Italiae zum Kaiser. Die letzte Stufe konnte nicht verwirklicht werden, wobei sie, wie es scheint im Ermessen des Präfekten lag, der die Anordnung von sich aus unter den Vorbehalt kaiserlicher Zustimmung stellt. Trotz des Schwebezustandes wurde sie daher auch umgesetzt, die kaiserliche Billigung in der Praxis als bloß deklaratorisch angesehen. Etwa 20 Jahre lang erfolgt die jährliche Lieferung der 5.700 modii wie geplant und ohne irgendwelchen Protest aus Puteoli gegen die Abgabe, § 4: Exhinc per aliquot annos cucurrit ista praebitio. Bis es zum Streit kommt. Dem ging voraus, dass Vertreter der Stadt Capua bei Gratian vorsprachen und Defizite beklagten. Offensichtlich gab es schlechte Ernten und wurden eigene Lieferpflichten als zu belastend empfunden. Die legatio Capuana trat daher beim Kaiser für die Interessen ihrer Stadt und (zumindest mittelbar) weiterer Städte in Campania893 ein und erreichte, dass die Getreidemenge, die ein gewisser Cerealis, als Stadtpräfekt wohl (352-353)894, zahlreichen campanischen Städten 892 Claudius Mamertinus war comes sacrarum largitionum im Frühjahr 361, von Herbst 361 bis 365 praefectus praetoriae Italiae, Illyrici et Africae und Konsul 362. Er wird wegen Pekulat angezeigt und Mitte 365 abgelöst: Ammian, XXVI, 5, 5; XXVII, 7, 1 f. Zu ihm: PLRE I, Mamertinus 2, 540 f; Delmaire, Responsables, 36 ff. 893 Capua war Provinzhauptstadt und Sitz des consularis. 894 Zu Neratius Cerealis s. PLRE I, Cerealis 2, 197 ff; Chastagnol, Fastes, 135 ff; Kohns, Versorgungskrisen, 112; Vera, Commento, 303. Umstritten ist, ob er als Stadtpräfekt oder als Getreidepräfekt handelte. Er war praefectus annonae Romae im Jahre 328 (CT XIV, 24, 1), Stadtpräfekt von Rom 352-353 und 358 ordentlicher Konsul. Manche Autoren glauben, dass er die Maßnahme der Getreidelieferungen nach Rom durch campanische Städte als praefectus annonae erließ. So: Chastagnol, Préfecture, 61; 301; ders., Fastes, 136, der auf CIL VI, 1747 verweist, wonach für (wohl) konstantinische Zeit, freilich ohne Namensnennung, Nahrungslieferungen aus Campania nach Rom berichtet werden. Dieser Ansicht folgen auch Pavis d’Escurac, Préfecture, 376 f; Hannestad, Evolution, 17 f, und Barrow, Prefect, 209 Fn. 6. Das hieße, dass die Maßnahme etwa zeitgleich zu Konstantins Anordnung zugunsten von Puteoli einzuordnen wäre und einen außerordentlich großen Kompetenzbezirk außerhalb Roms des praefectus annonae zeigen würde, der nach Überzeugung von Chastagnol zu jener Zeit im Bereich der Getreide- und Ölversorgung noch nicht dem Stadtpräfekten unterstand. Diese Auffassung könnte durch Ep. IX, 58 (396/397) gestützt werden, der viele Jahre später noch immer
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
auferlegt hatte, nach Rom zu liefern, all diesen Städten wieder erstattet werden soll: Capuana legatio apud...Gratianum...sua tantum damna deplorans eum frumenti numerum, quem Cerealis ex multis urbibus Romano populo vindicarat, restitui omnibus impetraret. Rom bekam also zeitweise Getreide aus Campania, weil Cerealis anlässlich von wohl akuten Versorgungsproblemen Capua und einer Vielzahl weiterer campanischer Städte eine Getreideabgabe auferlegt hatte. Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Ansicht einiger Autoren895, die glauben, Gratian habe Capua und anderen campanischen Städten Subventionen aus Rom - aus dem römischen Getreidekontingent -, die von Cerealis um einen festgelegten Teil gekürzt worden seien, wieder im ursprünglichen Umfang gewährt. Dagegen steht der Wortlaut der Relation, wonach bereits erhobene Abgaben wiedererstattet werden sollen. Die Städte waren beitragspflichtig, nicht subventionsberechtigt896. Im Übrigen erscheint es überhaupt unwahrscheinlich, dass Rom eine Vielzahl von Städten in Campania regelmäßig subventioniert haben sollte. Die abgabepflichtigen Städte waren nach etwa 30 Jahren an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gelangt, es drohte Überforderung und Gratian versucht, mittels einer augenscheinlich recht komplizierten Lösung Abhilfe zu schaffen.
weitreichende Kompetenzen des praefectus annonae zeigt. Dort soll die Ölversorgung aus Africa für Formiae gesichert werden, wofür sich Symmachus als Privatmann bei Caecilianus, dem praefectus annonae, einsetzt, der sich also auch um die Versorgung von Städten außerhalb der 100 Meilen zu kümmern hatte. Dazu Roda, Commento, 191 f. Doch zwingt dieses Argument nicht, Cerealis die Maßnahme in dieser Funktion zuzuschreiben. Nach Ansicht von Seeck, Symmachus, 344; Kohns, Versorgungskrisen, 70 Fn. 191a; Cracco Ruggini, Relazioni, 139 ff; 144; Camodeca, Ricerche, 70 Fn. 27; 71; Vera, Commento, 304; s. a. PLRE I, 198, hat Cerealis diese Maßnahme eher als Stadtpräfekt getroffen. Nur dieser habe inhaltlich und territorial derart weitreichende Kompetenzen gehabt, um eine Abgabe einzufordern, damals eben im erweiterten Bezirk außerhalb sogar der 100 Meilen. Die permanente Sorge des Stadtpräfekten um die römische Versorgung zeigt sich anschaulich in den Relationen 9, 18, 35 und 37. Gut vorstellbar ist deshalb, dass Cerealis aus dieser Sorge heraus als Stadtpräfekt entschieden hat. Im Übrigen liegt es näher, dass Gratian sich an eine Abgabe, die nur 30 und nicht 50 Jahre zurückliegt, erinnert. Gezeigt wird daher wohl der weite Kompetenzbereich, den der Stadtpräfekt damals hatte, der schon zu jener Zeit hierarchisch höher stand als der praefectus annonae und dem folglich eher eine so weitreichende Kompetenz wie die Auferlegung einer Abgabe zukommen konnte. Ein weiterer Beitrag aus Campania außer jenem, von dem CIL VI, 1747 spricht (der zudem nicht Getreidelieferungen betreffen muss und dessen Datierung auf 328 außerdem zweifelhaft ist, wie Camodeca, Ricerche, 71, zeigt, der einen Zusammenhang mit der Erhöhung durch Constantius II. vermutet), und der möglicherweise auch vom Stadtpräfekten erhoben wurde, ist nicht ungewöhnlich, denn Campania lag nahe für Rom und besaß noch immer recht fruchtbares Gebiet, auf das man bei Engpässen sicherlich immer wieder gerne zurückgriff. 895 Heitland, Agricola, 408; McGeachy, Symmachus, 79; Hannestad, Evolution, 17 f; Jones, LRE, 709 f; s. a. PLRE I, Cerealis, 198. 896 So auch Chastagnol, Préfecture, 61; 301 f; Kohns, Versorgungskrisen, 70 Fn. 191 a; letztlich auch, nach ausführlicher Diskussion: Cracco Ruggini, Relazioni, 139 ff; 143 f; Vera, Commento, 297; 300; 304; Camodeca, Ricerche, 70 Fn. 27; 71.
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Diese Anordnung Gratians mittels rescriptum brachte jedoch im Ergebnis nur 38.000 modii aus den römischen Speichern ein, die von Rom an die Provinzialen zurückgegeben wurden. Nur das tatsächlich gelieferte Getreide ging zurück897. Nun weigern sich aber die Bürger von Puteoli, weil nur so wenig zurückgegeben wurde und indem sie Gratians Anordnung großzügig zu ihren Gunsten auslegen, in dem Sinne nämlich, dass alles zurückzugeben sei und daher auch alle Lieferpflichten aufgehoben seien, die 5.700 modii wie bisher an Tarracina zu liefern: Sed occasione rescripti cum sola triginta et octo milia modium, quae horreis aeternae urbis accesserant, provincialium recuperasset alimoniae, etiam quinque milia et septingentos modios Puteolani municipes Tarracinensibus abnuerunt. Streitgegenstand sind die 5.700 modii898 über die es nun, da die Stadtverwaltung von Tarracina die Lieferung einklagt, zum Prozess kommt (§ 5), der in erster Instanz vor dem örtlich zuständigen Provinzstatthalter von Campania, dem consularis, geführt wird899: Cum igitur haec 897 Die Abgabe selbst war vielleicht höher angesetzt und lediglich 38.000 modii davon sind tatsächlich nach Rom gelangt, denn die genannte Menge ist doch eher gering (sie entspricht einer Jahresration für etwa 630-900 Personen) im Vergleich zu dem, was allein Puteoli erhält. Ein Teil der Abgabe wurde vielleicht gleich umgeleitet, möglicherweise sogar innerhalb von Campania - bekam doch Puteoli um jene Zeit 25.000 modii Getreide zusätzlich zuerkannt. Umstritten ist, ob es sich um einen regelmäßigen Beitrag nach Rom handelte, den Gratian zurückgenommen hat. Chastagnol, Préfecture, 61, und Vera, Commento, 297, 300, 304, glauben, 382 seien reguläre Beiträge von 38.000 modii/Jahr abgeschafft worden, was erhebliche Transportkosten eingespart hätte. Kohns, Versorgungskrisen, 234, denkt dagegen an eine einmalige, außerordentliche Inanspruchnahme. Letzteres scheint nach der relatio und den tatsächlichen Umständen (Campania war nicht sehr leistungsstark zu jener Zeit) wahrscheinlicher. Gratian hebt keine allgemeine Abgabepflicht auf, sondern fordert die Rückerstattung einer überschaubaren Liefermenge. Vielleicht gab es aufgrund Cerealis’ Anordnung aber auch mehrere Einzellieferungen, die insgesamt 38.000 modii in Rom einbrachten. 898 Die genannte Menge dürfte für Puteoli nicht ganz unerheblich gewesen sein, das zu jener Zeit keine sehr bedeutende Stadt mehr war, s. Frederiksen, RE-Puteoli, 2043 ff. Doch selbst wenn der Beitrag eher gering gewesen sein sollte, nutzte man jede sich bietende Chance, um Lieferungen einzustellen. 899 Die Person ist unbekannt. Symmachus verschweigt diesen Namen im Gegensatz zu all den anderen Beamtennamen. Das erstinstanzliche Urteil muss jedenfalls nach 380 ergangen sein, denn 378-380 gibt es keinen consularis, sondern einen proconsul in Campania (378/379 Anicius Paulinus und 379/380 Anicius Auchenius Bassus). Chastagnol, Fastes 213; Vera, Commento, 298, glauben sogar, es habe bis 382, d. h. bis gegen Ende der Regierungszeit Gratians, proconsules in Campania gegeben, der erstinstanzliche Prozess wäre dann erst nach dieser Zeit anzusetzen. Dagegen ist einzuwenden, dass wir nicht wissen, ob der Amtsinhaber von 381/382, der wahrscheinlich Meropius Pontius Paulinus hieß, proconsul oder consularis war; zu ihm: PLRE I, 681 ff. Zum Gouverneursamt von Campania: Hülsen, RE-Campania, 1434 ff. Interessant, wenn auch hypothetisch, ist der Ansatz von Cracco-Ruggini, Relazioni, 134 f; Vera, Commento, 298 f, und Camodeca, Ricerche, 72 f, die eine Identifizierung der unbenannten Person mit Nicomachus Flavianus jr. versuchen, der consularis Campaniae war, bevor er 383 proconsul Asiae wurde: CIL VI, 1783. Symmachus, der den consularis hier kritisiert, habe rücksichtsvoll nicht den Namen seines Verwandten und Freundes (und späteren Schwiegersohnes) genannt. Camodeca glaubt sogar, das für die Puteolaner günstige Urteil des consularis möglicherweise mit der engen Bindung der Nicomachi senior und iunior an
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
causa in iudicium provinciale venisset, v. c. consularis non considerata summa, quae rescripto divi principis tenebatur, iudicatione generali omnia Puteolanis reddenda decrevit. Dieser entscheidet zugunsten der Puteolaner, dass ihnen alles zurückzuerstatten sei, sie also auch nicht lieferpflichtig sind. Symmachus kritisiert bereits an dieser Stelle das seiner Ansicht nach allzu pauschale Urteil, das die Reichweite des Reskripts nicht berücksichtigt habe. Tarracina legt gegen diese Entscheidung Berufung zum Gericht des Stadtpräfekten ein und Symmachus beurteilt die Lage anders. Seiner Überzeugung nach ist die innercampanische Verpflichtung zur Lieferung von 5.700 modii in Kraft geblieben, denn es sei zu berücksichtigen, dass Tarracina das Getreide im Ausgleich für eigene Leistungen an Rom erhalte. Der umstrittene Beitrag stelle eine Entschädigungsregel für öffentliche Pflichten dar und sei daher nicht in dem Getreidebeitrag, der den Campanern durch Gratian erlassen wurde, enthalten. Das decretum Gratians900 erfasst diesen Beitrag nach Ansicht von Symmachus nicht: Verum post appellationem cognitio auditorii sacri, cum illum frumenti modum, qui Campanis fuerat restitutus, a quinque milibus et septingentis modiis, quos ob necessitates urbis aeternae civitas Tarracinensis accepit, secretum esse perspiceret, manente decreto divalis oraculi ea subsidia, quae Tarracinenses iudicio Lupi et Mamertini praefecti confirmatione capiebant, nec roborare potuit, cum responsi sacri nulla extaret auctoritas, nec demere civitati, ne populus utilitatibus aeternae urbis obnoxius iustis commodis indigeret. Trotzdem hält er sich nicht für ermächtigt, die Subvention Tarracina tatsächlich auch zuzusprechen, weil die Maßnahme nicht vom Kaiser ratifiziert worden war. Es geht ihm darum, dass das Verfahren erst abgeschlossen werden muss, nun eben durch Valentinian II., um von einer unangreifbar wirksamen Abgabepflicht ausgehen zu können. Die nötigen Argumente, insbesondere für die Wichtigkeit der Abgabe, liefert Symmachus gleich mit, indem er betont, dass sein Gericht andererseits eine solche Subvention auch nicht aufheben zu können glaubt, weil Tarracina wegen seiner Lieferungen für Rom so wichtig sei und seinerseits von den Lieferungen abhänge. Möglicherweise entscheidet er diese Stadt erklären zu können, die dort eine Villa hatten (vgl. Ep. VIII, 23, 3 - 396) und dort einige Jahre später wohl auch heftig bauten. Dem ist entgegenzuhalten, dass wir nicht einmal wissen, wann genau Nicomachus Flavianus im Amt war, ob vor oder nach Paulinus und auch für die Annahme eines parteiischen Urteils zu wenig Informationen besitzen jenseits der pauschalen Kritik von Symmachus, der consularis habe das Reskript nicht ordentlich ausgelegt. Wie wir noch sehen werden, ist vielmehr eine gegenteilige Rechtsauffassung zu dem was Symmachus ausführt, nicht so ganz abwegig. Vorsichtiger ist zu Recht Mazzarino, Era costantiniana I, 308 Fn. 27, der den consularis nicht identifizieren zu können glaubt. S. a. PLRE I, Anonymus 77, 1018. Festzuhalten ist, dass nach 380 in erster Instanz ein consularis urteilt, von dem die Berufung im ordentlichen Rechtsweg - anders als vom proconsul - nicht zum Kaiser, sondern zum Stadtpräfekten geht. Das Verfahren scheint einigermaßen zügig abgelaufen zu sein, der erstinstanzliche Prozess dürfte daher gegen 382 stattgefunden haben. 900 Symmachus verwendet rescriptum und decretum hier synonym für die verbindliche kaiserliche Einzelfallentscheidung, die außerhalb eines Prozesses auf ein Gesuch hin ergangen ist, vgl. zum Sprachgebrauch auch bei den Rell. 27 und 34.
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hier also (auch) aus Gründen politischer Opportunität nicht; der Kaiser soll eine solch heikle Frage besser selbst entscheiden. Daneben aber geht es um Klärung einer durchaus ernstzunehmenden Verfahrensfrage. Die Abgabe der Prozessentscheidung nach Mailand dient zum einen dazu, mit Hilfe kaiserlicher Autorität die öffentliche Ruhe in Rom zu sichern, zum anderen stellt sich Symmachus eine aus eigener Kompetenz nicht lösbar scheinende Rechtsfrage, denn um das Verfahren wie vorgesehen regulär abzuschließen, bedarf es nach seiner Überzeugung kaiserlicher Entscheidung. In § 6 fasst Symmachus sein Anliegen noch einmal zusammen und erläutert, warum er es für richtig hält, das Urteil dem Kaiser zu überlassen: In Zweifelsfällen wie diesem sei es angebracht, den Kaiser anzurufen, um endlich eine stabile Lösung der Frage auf festem rechtlichen Fundament nach der langen Zeit der Unsicherheit zu erlangen, obgleich die Verteidigung von Puteoli eine Appellation bereits für aussichtslos hielt, nachdem Symmachus versprochen hatte, eine relatio zu schicken. Die notwendigen Unterlagen sind beigefügt: Ergo ut in rebus dubiis fieri amat, ad clementiae vestrae salubre iudicium convolamus, licet defensio Puteolana post promissam relationem in cassum crediderit provocandum. Praesto est gestorum fides, quae perennitatem vestram possit instruere. In Puteoli erwog man also offenbar bereits, gegen das zu erwartende negative Urteil des Stadtpräfekten Appellation zum Kaiser einzulegen, hielt dieses Vorgehen aber für aussichtslos901, nachdem Symmachus eine Relation zu schreiben versprach. Damit soll angedeutet werden, dass in Puteoli bereits mit einem ungünstigen Ausgang gerechnet wurde. Insofern zeigt Symmachus dem Kaiser den einzuschlagenden Weg noch einmal auf, indem er klarstellt, dass in Puteoli schon berechtigte Resignation herrsche, mit großem Widerstand gegen eine belastende Entscheidung also nicht zu rechnen sei. Das Schreiben endet mit einer inständig formulierten, persönlichen Bitte902: Quaeso atque obsecro, ut negotio multa aetate nutanti tandem stabile remedium deferatur. 2. Eine Rechtsfrage? Symmachus ist als ordentliche zweite Instanz im südlichen Vikariat von Italien oberhalb des consularis Campaniae als Richter vice sacra (vgl. §§ 1 und 5: sacrum auditorium) mit einem komplexen Fall befasst. Rechtsstreitigkeiten zwischen Städten um öffentliche Verpflichtungen, die wir heute als öffentlichrechtliche Streitigkeiten bezeichnen würden, werden nach den allgemeinen zivilprozessualen Verfahrensregeln ausgetragen. Es gelten insbesondere die allgemeinen Zuständigkeitsregeln. Die beklagte Stadt Puteoli liegt außerhalb des 901
Eine Appellation gegen die bloße Zwischenentscheidung, das Relationsverfahren einzuschlagen, wäre sogar unzulässig. 902 Die bei Symmachus allerdings eine fast schon stereotype Formel ist, vgl. das oro atque obsecro in den Relationen 2, 2; 14, 4 und 25, 4; das oro quaesoque in Relation 18, 2 und das häufige quaeso bzw. oro in anderen Relationen.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Hundertmeilenbezirks in Campania. Der Stadtpräfekt ist daher erst zweite Instanz im Vikariat oberhalb des örtlich zuständigen campanischen Provinzstatthalters. Die Gemeinden sind parteifähig und werden im Prozess durch actores bzw. ihre Organe vertreten903, worüber Symmachus allerdings keine genaueren Ausführungen macht. In § 6 schreibt er lediglich von der defensio Puteolana, die sich über das weitere prozessuale Vorgehen Gedanken macht. Wenn er im Übrigen von municipes spricht, meint er vermutlich die Bürger selbst und nicht etwa die Ratsherren, denn mehrfach ist die Rede von der Gesamtheit der Bürgerschaft, die Träger der streitigen Rechte und Pflichten (Steuerlasten) ist. Der Stadtpräfekt hat vice sacra umfassende Rechtsprechungskompetenz; seine Gerichtsbarkeit kraft ständiger Delegation soll das Kaisergericht schließlich entlasten. Der eingeschlagene Weg der consultatio ante sententiam im Sinne von Abgabe der Entscheidung an den Kaiser verkehrt insoweit die gewollte Entlastung in ihr Gegenteil und bedarf daher einer guten Begründung, um nicht als zusätzliche, vermeidbare Belastung des Kaisergerichts und als Zeichen von Entscheidungsschwäche des Stadtpräfekten beurteilt zu werden. Auch hier stellt sich daher die Frage, ob Symmachus die Abgabe des Falles an den Kaiser rechtlich nachvollziehbar begründen kann. Anstatt, wie eigentlich vorgesehen, den Prozess in zweiter Instanz durch Urteil abzuschließen, klärt er den Sachverhalt lediglich bis zur Urteilsreife auf und übergibt den Fall wegen auftretender Fragen mitsamt den Prozessakten dem Kaiser, damit dieser selbst entscheiden möge. Verfahrensrechtlich korrekt wird in der Relation Bericht erstattet vom Prozessstand unter Darlegung der eigenen Rechtsauffassung. Obwohl Symmachus klar auf der Seite von Tarracina steht, urteilt er nicht. Sehen wir uns seine Begründung näher an: Der Stadtpräfekt sieht sich außerstande, das Urteil des consularis zu bestätigen, weil er es für inhaltlich falsch hält. Andererseits sieht er sich auch nicht in der Lage es aufzuheben, weil die streitgegenständliche Getreideabgabe auf einer Anordnung beruht, die in ihrer Rechtsgeltung zweifelhaft ist. Symmachus, der hier zugunsten von Roms Bedürfnissen argumentiert, scheut sich, einen lange angewandten präfektischen Beschluss für rechtswirksam zu erklären, mit der Begründung, dass ihm die notwendige kaiserliche Bestätigung fehle. Damit stellen sich zwei Rechtsfragen: Zum einen die Frage, ob der consularis das Reskript Gratians fehlerhaft ausgelegt hat und zum anderen die Frage nach dem regulären Abschluss eines Verwaltungs- bzw. Gesetzgebungsverfahrens. Die erste Frage wagt Symmachus noch selbst zu entscheiden, obwohl es um die Auslegung einer kaiserlichen Verfügung geht. Er ist der Überzeugung, dass das Urteil erster Instanz den Geltungsbereich des Reskripts missachtet. Nach dem, was Symmachus in seiner Relation über das Reskript schreibt, ist ihm darin recht zu geben, denn Gratian ordnet lediglich an, die von Cerealis auferleg903 Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 563; 218; Kaser, Privatrecht II, 153; s. a. ders., Privatrecht I, 306 f.
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ten Lieferungen, die an Rom erbracht wurden, zurückzuerstatten. Die Abgabe von 5.700 modii wurde aber nicht von Cerealis, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt angeordnet. Der consularis würde insofern tatsächlich die Anordnung Gratians missdeuten, wenn er von einer Aufhebung und Rückabwicklung aller Steuerlasten der campanischen Städte, also auch der Abgabe von 5.700 modii ausgeht. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie es bei dieser vermeintlich klaren Entscheidung Gratians überhaupt zu einem Streit über die Reichweite der Rückabwicklung kommen konnte. Insoweit ist die Begründung aus Puteoli interessant, mit der die weitere Entrichtung der Abgabe verweigert wird: Es sei nur wenig aus Rom zurückgegeben worden. Auch Puteoli war also, trotz seiner fortwährenden Begünstigung, die unter Constantius II. sogar um 25.000 modii erhöht wurde, verpflichtet, unter Cerealis etwas abzugeben904 und nimmt nun einen Zusammenhang von Gratians Anordnung mit den eigenen Lieferpflichten an, was sich möglicherweise daraus erklären lässt, dass die 5.700 modii als Abgabe an Rom galten, die statt „über’s Dreieck“ direkt nach Tarracina zu liefern waren, daher von Gratians Beschluss umfasst sein könnten und nun an Puteoli zurückzugeben wären. Puteoli unterbricht folglich die Lieferung an Tarracina. So ganz abwegig scheint das Urteil des consularis nicht. Dieser Argumentation ist allerdings mit Symmachus entgegenzuhalten, dass die Anweisung Gratians einen offensichtlich anderen Wortlaut gehabt hat und die innercampanischen Lieferpflichten, die auf eigenständiger Beschlussfassung beruhen, d. h. nicht von Cerealis stammen, unangetastet lässt. Nur das in Roms Speichern vorhandene Getreide war zurückzugeben. Symmachus argumentiert insofern durchaus überzeugend, dass die spezielle Subvention an Tarracina durch das Reskript nicht angetastet wurde. Was von ihm allerdings nicht berücksichtigt wird, ist die weitere, möglicherweise von Puteoli vorgebrachte, eher teleologische Auslegung, dass die Lieferpflicht an Tarracina mitaufgehoben worden sei, weil (auch) die an Tarracina beitragspflichtigen Städte durch Gratians Maßnahme entlastet werden und wieder ausreichend liefern können. Mit gewisser Berechtigung könnte man in Puteoli zugunsten wenigstens konkludenter Aufhebung der Verpflichtung argumentieren, denn sie war schließlich ursprünglich nur als Notfallhilfe gedacht, um einen akuten Engpass zu überbrücken. Da die schon länger bestehende Verpflichtung der campanischen Städte gegenüber Tarracina nie aufgehoben worden und nun wieder erfüllbar war, könnte Puteoli nun berechtigterweise von seiner Verpflichtung entbunden sein. Dagegen ließe sich freilich wiederum vorbringen, dass eine derartige Auslegung weit über den von Symmachus berichteten Wortlaut der Anordnung Gratians hinausginge, so dass die Einschätzung des Stadtpräfekten im Ergebnis doch auf einer für uns nachvollziehbaren Auslegung beruht. Auch er argumentiert letztlich teleologisch, wenn er meint, Gratians Anordnung erfasse nur all-
904 Das System erweist sich als kompliziert: Unter Constantius II. (Cerealis) ist Pueoli in erhöhtem Umfang berechtigt und zugleich nach Rom lieferpflichtig.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
gemeine Abgabepflichten, nicht aber Entschädigungsregeln für konkrete Gegenleistungen wie die hier umstrittene an Tarracina. Trotzdem hält er sich nicht für kompetent, dementsprechend zu urteilen, Puteoli also zur Weiterlieferung an Tarracina zu verurteilen, weil dafür infolge des damaligen, nicht abgeschlossenen Verfahrens eine gesicherte Rechtsgrundlage fehlt. Seit mehr als 20 Jahren steht die kaiserliche Bestätigung der Entscheidung von Lupus und Mamertinus aus. Obwohl man damals den Beschluss des Präfekten sofort in Vollzug gesetzt, die kaiserliche Zustimmung also nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung betrachtet hatte, sieht Symmachus in ihrem Fehlen ein unüberwindbares Hindernis und stellt den ursprünglich geplanten, verfahrensabschließenden Kaiserentscheid als konstitutiv dar. Dem ließe sich entgegenhalten, dass eine reine Beamtenanordnung offensichtlich auch bei Cerealis wirksam war, ohne dass der Kaiser hätte entscheiden müssen, und außerdem die Lieferpflichten in der Praxis ohne Kaiserzustimmung jahrelang klaglos erfüllt wurden, so dass der verfahrensmäßig von Mamertinus ursprünglich einmal vorgesehene Kaiservorbehalt vermutlich - dafür spricht auch die Formulierung in § 3 - eher deklaratorischer und freiwilliger Natur war. Hinreichende Kompetenz des Prätorianerpräfekten zur Auferlegung von Abgaben bestand jedenfalls in der Rechtspraxis, die kein bestimmtes Verfahren vorsah. Zu denken wäre auch daran, dass Wirksamkeit inzwischen jedenfalls kraft langer Gewohnheit eingetreten ist. Symmachus geht es jedoch weniger um juristische Argumentation als darum, eine praktikable, ausdrückliche und unangreifbar verbindliche Rechtsgrundlage für künftige Forderungen an Puteoli zu erreichen. In dieser Hinsicht ist ihm jedenfalls aus tatsächlicher Sicht Recht zu geben. Um künftige Prozesse zu vermeiden, erscheint eine endgültige kaiserliche Entscheidung zumindest sinnvoll, denn Puteoli wird ansonsten immer wieder vorzutragen versuchen, dass keine wirksame Rechtsgrundlage für die Forderung vorliegt. Schließlich war das formell vorgesehene Verfahren nicht eingehalten worden. Aus rechtlicher Sicht hätte Symmachus allerdings durchaus Argumente finden können, den Fall in seinem Sinne zu entscheiden. Übermäßige Entscheidungsfreude des Stadtpräfekten lässt sich nicht konstatieren, doch ist sein Entschluss, den Fall dem Kaiser zu übergeben, ohne weiteres nachvollziehbar und die gelieferten Argumente sind zweifelsfrei rechtlicher Natur. Der streitigen Getreidelieferpflicht fehlt die unangreifbare Autorität und im Interesse künftiger Rechtssicherheit sollte der Kaiser über die Frage befinden. Eine eigene Kompetenz, Abgabepflichten jenseits der 100 Meilen aufzuerlegen, hat Symmachus als Stadtpräfekt nicht. Regelmäßig befindet der Kaiser selbst über Steuerpflichten und Subventionsberechtigungen (vgl. die Lieferungen an Puteoli und die Entscheidung Gratians)905, ist also für Zweifelsfälle die grundsätzlich 905 Die Auferlegung von Abgaben durch den praefectus urbi Cerealis 352/353 ist eher ungewöhnlich. Sie dürfte einer besonderen Notlage entsprungen sein und beruhte außerdem auf der damals örtlich weitreichenden Kompetenz des Amtes.
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richtige Entscheidungsinstanz. Auch eine Konsultation des praefectus praetorio, der möglicherweise befugt wäre in der Sache eine Entscheidung zu treffen wie seinerzeit Mamertinus (der aber auch den Kaiser einbezogen hat), würde die Unsicherheit nicht beseitigen. Symmachus will das alte Verfahren abschließen und nicht ein neues mit ungewissem Ausgang beginnen. An diesem Punkt öffnet sich der politische Hintergrund des Falles: Symmachus geht es nicht zuletzt darum, eine für Rom günstige Entscheidung zu erreichen. Würde er dem Urteil des consularis folgen, müssten langjährige Lieferungen rückabgewickelt werden, was Auswirkungen auf die Versorgung Roms haben könnte. Insoweit hat das Verfahren erhebliche politische Brisanz, die Symmachus nicht motiviert haben dürfte, selbst zu entscheiden. Tatsächlich versucht er, die politischen Implikationen anzudeuten, indem er unterstreicht, dass es sich im Streitfall um eine Entschädigungsregel und nicht um eine allgemeine Abgabe handele und dass Tarracina an Rom wichtige Leistungen erbringe. Als entscheidend stellt er freilich die Rechtsfrage in den Vordergrund, die nur der Kaiser klären könne. Diese Auffassung ist jedenfalls vertretbar. Vera906 verdächtigt Symmachus hingegen, wegen seiner persönlichen Bindungen zur Stadt Puteoli, in der er Besitz hatte907, nicht entschieden Position ergreifen zu wollen. Aus Feigheit habe er nicht gegen Puteoli geurteilt. Diese Vermutung ist überzogen, denn aus dem genannten Brief ergibt sich lediglich, dass Symmachus eine Villa in der Stadt besaß. Aus der Relation lässt sich das Bemühen erkennen, eine stabile Lösung zu finden, indem ein einmal eingeschlagenes Verfahren zum Abschluss gebracht und dadurch Rechtssicherheit erreicht wird. Symmachus macht seine Rechtsüberzeugung klar; daraus Parteilichkeit schließen zu wollen scheint unangebracht. Im Übrigen ließe sich Symmachus, der in der Sache zugunsten von Tarracina argumentiert, ebenso gut Voreingenommenheit zugunsten dieser Stadt, die ihm als geschätzter und wenigstens gelegentlicher Aufenthaltsort vermutlich gleichermaßen nahe stand908, unterstellen. Wie viele seiner Standesgenossen hatte Symmachus Häuser und Grundstücke in verschiedenen campanischen Städten und daher ein gewisses Interesse an deren Wohlergehen. Doch ist er nicht etwa als patronus einer der beiden Gemeinden nachgewiesen. Obwohl er sich in seinen Privatbriefen immer wieder beim Provinzstatthalter oder anderen Amtsträgern persönlich für Städte eingesetzt hat, insbesondere in Gebieten, in denen er auch Ländereien besaß wie in Campania909, scheint er doch in der Lage gewesen zu sein, Amt 906
Commento, 305. Ep. VI, 66, 3. S. a. Epp. I, 8 (Puteoli sei schön zur Erholung); II, 26, 1 (möglicherweise 385 geschrieben: Seeck, Symmachus, CXXI f; Callu, Lettres I, 169. Danach schätzt er zu jener Zeit Puteoli als Aufenthaltsort sehr); s. a. Ep. V, 93 (396). 908 Auch dort hatte er möglicherweise Ländereien: Ep. II, 3 (383?). Die Lage von Tarracina und ihre Bäder ziehen reiche Römer an: Epp. II, 3 und 6. 909 Zum Städtepatronat: Krause, Spätantikes Städtepatronat; spez. zu Symmachus, 45 f; ders., Spätantike Patronatsformen, 70 ff; s. a. bei Rel. 49. Beispiele für den persönlichen Einsatz von Symmachus zugunsten einzelner Gemeinden finden sich etwa in Epp. 907
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
und Privatinteressen zu trennen. Soweit wir ihn in den Relationen bislang kennen gelernt haben, liegt das jedenfalls näher als die Vermutung, dass er hier aus Privatinteresse gehandelt hat. Eher noch ließe sich vermuten, dass die erstinstanzliche Bevorzugung von Puteoli, deutlich über den Wortlaut der gratianischen Anordnung hinaus, auf Patronat beruhte910. Auch irgendeine Scheu des Stadtpräfekten, gegen das Urteil des consularis zu entscheiden, liegt in Anbetracht der scharfen Kritik am erstinstanzlichen Urteil nicht nahe. Hinter Symmachus’ Argumentation lassen sich eher wirtschaftspolitische als private Interessen vermuten, nämlich die Sorge um die Versorgung Roms, die ihn als Stadtpräfekten besonders bewegen musste. Tarracina ist, wie er unterstreicht, für die römische Versorgung wichtig und (weil das Gebiet eher sumpfig ist) auf Unterstützung aus Nachbarstädten wie Puteoli angewiesen, denn andernfalls würde die Versorgung Roms und Portos mit Holz und Kalk gefährdet. 3. Ergebnis Relation 40 beleuchtet anschaulich das komplexe und oftmals komplizierte Versorgungssystem innerhalb Italiens911 mit seinen vielfältigen Abhängigkeiten, die auch Symmachus in seiner Entscheidung nicht außer acht lassen kann, wenngleich er sich müht, die Problematik juristisch solide zu verpacken. Als unmittelbar betroffener Verwaltungsbeamter und zugleich zuständiger Richter befindet er sich im Dilemma fehlender Gewaltenteilung, müht sich aber, einen IX, 58; 136 (Formiae) und IX, 138 f (Suessa). Er setzt sich als Privatmann für die Bevölkerung ein; s. a. Roda, Commento, 304 ff. Da er Ländereien im jeweiligen Gebiet hat, ist ein gewisser Eigennutz häufig nicht abzustreiten. Doch besitzt er andererseits so großes Ansehen, dass man ihn allein aus diesem Grunde immer wieder um Hilfe bat, die er nicht nur aus rein egoistischen Motiven oder gar rechtlich unkorrekt geleistet hat. Patroni von Capua waren um 380 herum Mitglieder der Familie der Anicii. Nicht auszuschließen ist, dass sie, die unter Gratian großen Einfluss hatten, seinerzeit dessen günstige Entscheidung beeinflusst hatten. Angehörige dieser Familie waren 378-380 außerdem proconsules von Campania (s. o.). Einflussnahmeversuche liegen also nicht gänzlich fern. 910 Speziell Puteoli besaß einflussreiche Fürsprecher unter den Senatoren; man besaß Villen und Grundbesitz dort. Vgl. hierzu: Camodeca, Ricerche, 95 ff. 911 Zu diesem Versorgungssystem: Ruggini, Economia; Cracco Ruggini, Relazioni fiscali, 133 ff; Chastagnol, Préfecture, 301 ff. Bestimmte Getreidekontingente mussten jährlich nach Rom geschickt werden zur Versorgung der Stadtbevölkerung. Dazu kam andererseits das Subventionssystem, d. h. Rom selbst gab wieder etwas ab, ggf. gegen Gegenleistung wie bei Tarracina. Der Kaiser legt die Abgabepflichten in der Regel selbst fest. Die Lebensmittel kamen, wie sich hier zeigt, zu einem Teil aus Campania (neben Getreide auch Fleisch, s. CT XIV, 4, 3 f, und Wein, s. bei Rel. 34), großteils jedoch aus Africa und notfalls gab es Sonderzuwendungen etwa aus Spanien und Ägypten, vgl. schon bei den Relationen 9, 18, 35 und 37. Das System wurde dem jeweiligen Bedarf angepasst, was einerseits Flexibilität bedeutete, andererseits aber auch Instabilität und Unsicherheit. Beispielhaft zeigt sich in Rel. 40 die Lage in Campania, das zu jener Zeit nicht mehr allzu fruchtbar war; reguläre Abgabepflichten konnten daher schnell in Leistungsunfähigkeit umschlagen.
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rechtlich korrekten Weg zu finden. Eine Lösung des Falles mit höchster kaiserlicher Autorität ist wünschenswert, um so mehr als die Entscheidungen der Kaiser in diesen Fragen immer wieder, auch unlauter912, beeinflusst zu werden drohten. Die einzelnen Städte hingen in hohem Maße vom Wohlwollen des jeweiligen Kaisers ab, Unregelmäßigkeiten und Streitereien waren häufig und Symmachus sorgt sich daher verständlicherweise um eine offizielle und nachhaltige Entscheidung. Wie der Fall ausgegangen ist, wissen wir nicht. Valentinian II. wird aufgrund der Aktenlage ein Urteil gesprochen und darin, so hofft Symmachus, Puteoli unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung dauerhaft zur Lieferung von 5.700 modii Getreide jährlich an Tarracina verpflichtet haben. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Provinz dauerten jedoch offensichtlich an, denn im Jahre 395 gibt es in Campania umfassende Steuererleichterungen für eine Vielzahl von Grundeigentümern: CT XI, 28, 2. In Ep. IV, 46 (gegen 395) ist von einer weiteren Gesandtschaft aus Campania die Rede, die damit möglicherweise im Zusammenhang stand. Insbesondere kam es wohl auch zu Landflucht, doch kann kein konkreter Bezug zwischen der steuerlichen Maßnahme und der erneuten Gesandtschaft und dem vorliegenden Prozess zwischen Tarracina und Puteoli hergestellt werden, der gegen 385 entschieden worden sein dürfte. Vom umstrittenen Getreidekontingent ist zwar nichts weiter überliefert, doch ist eine für Rom günstige Lösung wie sie Symmachus vorschlägt nicht unwahrscheinlich. Zugunsten von Symmachus bleibt festzuhalten, dass er es nicht bei der pauschalen Argumentation aus den §§ 1 und 6 seiner Relation belässt, dass nämlich Rechtsstreitigkeiten zwischen Gemeinden grundsätzlich vom Kaiser zu entscheiden seien und Zweifelhaftes wie üblich abzugeben sei. Formulierungen, die auf den ersten Blick dazu geeignet scheinen, Vorurteile gegen Symmachus, als jemanden der sich passiv verhält und nicht wagt, gegen eine widerspenstige Stadt ein Urteil zu fällen, zu bestätigen. Dagegen steht der übrige Inhalt der Relation. Symmachus arbeitet die rechtlichen Fragen heraus, leitet sein Schreiben lediglich stereotyp ein bzw. schließt es rhetorisch ab. Betont werden soll die eigene Unvoreingenommenheit. Die Formulierung in § 6 erinnert nicht zufällig an zwei Pliniusbriefe913; sie ist Standardformulierung auch in anderen Prozessberichten des Symmachus, die nicht davon entbindet, sich den Fall genau anzusehen. Hinter aller Rhetorik verbirgt sich in Relation 40 ein schönes Beispiel eines Relationsverfahrens mit, soweit dies erkennbar ist, korrektem Verfahrensablauf. Nach Auslegung der Anordnung Gratians, zu der Symmachus hier genügend Selbstbewusstsein besitzt, weil sie einfach ist und keine weiteren 912 Vgl. CT XIV, 15, 3 (397 an den Senat): Widerrufen wird jegliche dem Kaiser entlockte Reduzierung der Getreide- und Ölzuteilung von Rom; s. a. CT XIV, 15, 5 (399). Buhlen um kaiserliche Gunst versprach also durchaus Erfolg und führte ggf. zu unausgewogenen Begünstigungen. Dem will Symmachus mit seinem Schreiben nicht zuletzt vorbeugen. 913 Epp. X, 31 und 96 (111-113), vgl. die Zitate oben im 4. Abschnitt A. V. (Relationsverfahren) und auch die ähnlichen Formulierungen in Rell. 19, 30 und 39.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Zweifel auslöst914, verbleibt ein gewichtiges Problem: Es fehlt ein legislativer Verfahrensschritt. Unübersichtliche, im Detail vielleicht auch schlecht formulierte Steuergesetze machen dem Stadtpräfekten das Leben schwer und auch die Kompetenzen für die Auferlegung von Steuerlasten scheinen nicht zweifelsfrei geklärt. Symmachus ist auf der Suche nach Rechtssicherheit durch Einhaltung des einmal offiziell vorgesehenen förmlichen Verfahrens und verharrt nicht in Furcht vor einer weitreichenden Entscheidung. Dazu hat er sich, wie seine Ausführungen belegen, umfassend informiert und kennt eine Vielzahl einzelner Regelungen, die im konkreten Fall relevant sind und sich im Detail aus den beigefügten Akten ergaben. Zur Einleitung eines solchen Relationsverfahrens enthält Relation 40 daneben eine ergänzende Information: Der Stadtpräfekt verspricht den Parteien, eine relatio an den Kaiser zu schreiben. Das lässt vermuten, dass Richter häufig gebeten wurden, dem Kaiser Gerichtsverfahren zu übertragen, was es ihnen gegebenenfalls leicht machte, sich hinter dieses Versprechen zurückzuziehen. Insoweit bestand die Gefahr, dass Richter durch das Versprechen einer Relation vom Einreichen einer Appellation abzuschrecken bzw. ihr zuvorzukommen versuchten, was unzulässig war915. Dieser Verdacht lässt sich hier jedoch insofern entkräften, als Symmachus einen guten Grund hat, das Relationsverfahren einzuleiten, anstatt selbst zu urteilen. Ihm geht es, das zeigt die Untersuchung der relatio, nicht (vorrangig) darum, eine Appellation916 bereits im Vorfeld zu unterbinden. Im Hinblick auf seine Berechtigung, den Kaiser einzuschalten, ließe sich in diesem Zusammenhang auch CT XII, 12, 9 (382) heranziehen, wonach Provinziale den Kaiser in wichtigen Fragen anrufen können. Symmachus wäre als Sprecher einer ganzen Gemeinde auch insoweit legitimiert, denn der Kaiser fordert zu Bittgesuchen ausdrücklich auf. Doch im Verfahrensgang ist Relation 40 in erster Linie als consultatio ante sententiam rechtlich fundiert. Man wird sich in Mailand über das Schreiben nicht gewundert haben. Tatsächlich haben 914 Insoweit besaß der Richter durchaus eigene Auslegungskompetenz. Der Kaiservorbehalt greift nur und erst im Zweifelsfall (Quellen und Beispiele u. a. bei Rell. 22, 27, 44 und 39). Der Verfahrensgang hängt damit weitgehend von der jeweiligen richterlichen Einschätzung ab. Will der Richter ein Verfahren loswerden, ist es relativ einfach, sich auf Auslegungszweifel zu berufen. Hier zeigt sich Symmachus selbstbewusst, was anderswo nicht immer der Fall ist. 915 Quellen im 4. Abschnitt A. V. (Relationsverfahren). Der Richter muss, weil eine solche relatio nicht gerechtfertigt ist, das Verfahren stattdessen zu Ende führen und dann die Appellation akzeptieren. Promittere im Zusammenhang mit einer relatio ist nach den einschlägigen Rechtsquellen zum Relationsverfahren ein feststehender Ausdruck, vgl. Rel. 23, 7 und CT XI, 30, 5 (316); 8 (319); CJ VII, 61, 1/CT XI, 29, 2 (319; dort auch: polliceri); CT XI, 30, 31 (363); 34 (364); s. a. XI, 29, 5 (374): spondere. Gemeint ist der bindende Beschluss, eine relatio abzufassen. Die Formulierung ist für sich genommen unverfänglich. 916 Die von Puteoli ursprünglich geplante Appellation gegen sein vice sacra ergangenes zweitinstanzliches Urteil wäre vermutlich zulässig gewesen. Dazu schon im Ersten Teil 4. Abschnitt II. 3. Auch in Rel. 41 ist eine weitere Appellation lediglich inusitata, also wohl nur unüblich und selten.
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beide Prozessparteien ein Argument auf ihrer Seite, weil Gratians Reskript einerseits nichts über die streitige Pflicht sagt, andererseits aber auch keine eindeutige Rechtsgrundlage vorhanden ist.
IX. Relation 41: bona vacantia - Die Gültigkeit eines Testaments und Kompetenzfragen Symmachus hat in zweiter Instanz in einem Prozess um das Vermögen der verstorbenen Aggarea, einer ansonsten unbekannten Frau917, zu entscheiden. Gegen sein nach reiflicher Überlegung gefälltes Urteil legt die unterlegene Seite Berufung ein und obwohl diese zweite Appellation in derselben Sache gegen die zweitinstanzlich vice sacra gefällte Entscheidung vielleicht unzulässig, jedenfalls aber außergewöhnlich ist, nimmt Symmachus sie an und gibt den Fall, indem er das Verfahren der appellatio more consultationis einschlägt, an Valentinian II. (den Bruder Gratians, § 1) ab. Die Relation beleuchtet das Verfahren und mögliche Missstände in Fällen von (angeblich) erbenlosen Nachlässen. 1. Der Sachverhalt Erst nach einer formelhaften Einleitung, wonach nichts den Gesetzen so sehr entspreche wie die Dekrete des eigenen Kaisers, eine Gefahr allerdings in der falschen Auslegung durch Beamte liege, die Bittsteller begünstigen, wodurch die kaiserlichen Anordnungen entstellt würden, kommt Symmachus zum eigentlichen Fall: Certum atque dilucidum est, nihil esse tam familiare legibus quam vestra decreta, ddd. imppp., sed executorum prava interpretatio, dum supplicantibus favet, plerumque iussa corrumpit. Offenbar bekommt es der Kaiser mit einem Fall von Begünstigung und Rechtsauslegungsfehlern zu tun. Dem lag Folgendes zugrunde: Der ehemalige protector918 Marcianus hatte vor einiger Zeit bei Beamten der Finanzverwaltung (res privata) Güter einer gewissen Aggarea, die um das Jahre 379 gestorben war919, als bona vacantia, also erbenlose Güter, für sich erbeten, die ihm seinerseits von einem unbenannten de917
Sie wird weder in RE noch in PLRE I erwähnt. Offensichtlich ist sie nicht senatorischen Standes, doch lohnt ihr Nachlass langwieriges Prozessieren. In solchen Prozessen ging es meist um Landbesitz; Symmachus schreibt in § 7 unbestimmt von bona bzw. facultates. 918 Protectores, Leute der kaiserlichen Wache, die mit Spezialaufträgen betraut werden können, begegnen auch in den Relationen 32, 36 und 42. Literatur zu dieser Funktion s. bei Relation 42. Marcianus ist ansonsten unbekannt: Enßlin, RE-Marcianus 23, 1512 f; PLRE I, Marcianus 11, 555. Als ex protector ist er ehemaliger Beamter des Hofes, der ehrenvoll aus dem Amt geschieden ist und weiterhin Privilegien genießt (s. bei Rel. 42). 919 Ihr Testament war etwa sechs Jahre vor Abfassung der Relation eröffnet worden, § 2.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
lator (vgl. § 3) angezeigt worden waren. Von Kaiser Gratian war ihm 382/383920 in einem Reskript beschieden worden, dass die Güter dem fiscus921 zugeschrieben werden sollten, falls weder testamentarische noch gesetzliche Erben vorhanden seien, und dass ein Finanzbeamter, rationalis922, ein Inventar dieser Vermögensgegenstände zu errichten habe. Danach könne Marcianus ggf. mit einer Belohnung kraft kaiserlicher Großzügigkeit rechnen: Statuerat receptus in caelum germanus numinis vestri, cum Marcianus dudum protector Aggareae bona tamquam vacantia postulasset, ut, si ea hereditas scriptum successorem vel legitimum non haberet, in ius fisci tamquam domino nuda concederet; tunc insinuato per rationalem patrimonii modo opperiretur petitor, quid ei sacra deferret humanitas. Marcianus war also in Aussicht gestellt worden, er könne die Güter oder jedenfalls einen Teil davon erhalten, falls der Nachlass tatsächlich ohne Erben sein sollte. Seiner Bitte wurde grundsätzlich entsprochen, ihm allerdings zunächst Abwarten auferlegt, indem festgesetzt wurde, dass eine vorherige Untersuchung und Inventarisierung durch einen rationalis durchgeführt werden müsse, um sicherzustellen, dass tatsächlich weder testamentarische noch gesetzliche Erben vorhanden sind. Tatsächlich findet sich im Rahmen der nachfolgenden Ermittlungen ein Testament, in dem Marcellus, Bizias und Heliodorus923 von Aggarea zu Erben eingesetzt worden waren. Der Nachlass war wohl von den Dreien auch in Besitz genommen worden (vgl. § 7). Den Vertretern der res privata bleibt daher nur der Weg, das Testament anzuzweifeln: Seit mehr als einem Jahr, so fährt Symmachus in § 2 fort, werden die testamentarischen Erben der Aggarea von rationales und defensores, d. h. den
920 Beinahe zwei Jahre vor der Relation, § 2, jedenfalls vor dem Tod Gratians am 25. August 383. 921 Die res privata heißt bei Symmachus bzw. in Gratians Reskript auch fiscus (§§ 1 und 7); s. a. Rel. 48, 4. Dass es hier um die res privata geht, zeigen § 6 und der Sachzusammenhang (näher unter 2a). Fiscus wird auch in den thematisch einschlägigen Rechtsquellen für die res privata verwendet, vgl. z. B. CT X, 10, 8; 11; 15. In den Rell. 3, 13; 3, 18; 20, 2; 30, 2; 34, 12 steht fiscus dagegen für die sacrae largitiones. 922 Der rationalis, hier wahrscheinlich der rationalis von Rom (die streitigen Güter lagen vermutlich in der Nähe von Rom; zu Kompetenzfragen später), ist Finanzbeamter unter dem jeweiligen Finanzminister, hier dem comes rei privatae. Er ist ordentlicher Richter erster Instanz in Fiskalprozessen, s. dazu bei Relation 30, zudem speziell mit dem Verfahren der Einziehung von herrenlosen Nachlässen betraut, und vertritt in seinem Amtsbezirk die Interessen der res privata. Die rationales sind auf die einzelnen Diözesen verteilt. Not. Dig. Oc. XII, 9 erwähnt im Ressort des comes rei privatae den rationalis rei privatae per urbem Romam et suburbicarias regiones cum parte Faustinae, der auch hier gemeint sein könnte. Zur Funktion: Delmaire, Largesses sacrées, 178 ff; 196 ff. 923 Alle drei sind sonst unbekannt: Enßlin, RE-Marcellus 18, 1492; er fehlt in PLRE I. Bizias und Heliodorus werden nicht einmal von RE und PLRE I angeführt. Sie gehören erkennbar weder dem senatorischen Stand noch besonderen Berufsgruppen an und sind, weil sie als gesetzliche Erben nicht in Betracht gezogen werden, nicht mit Aggarea verwandt, denn Symmachus deutet nichts dergleichen an, jedenfalls nicht näher.
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Vertretern der res privata, den advocati fisci924, im Widerspruch zu der gerechten Anordnung Gratians belästigt: Annus fere secundus est, ut per defensores et rationales augustissimae domus contra iustitiam sollemnis oraculi scripti fatigantur heredes. Wider die iustitia sei das Vorgehen. Symmachus vermutet Böswilligkeit dahinter, dass das Testament nach so langer Zeit mit empörender Begründung angegriffen wird. Als Schuldige macht er die rationales und defensores aus, die seiner Überzeugung nach Gratians Anordnung fehlerhaft auslegen, den Sachverhalt parteilich zugunsten der res privata und damit letztlich auch des Marcianus beurteilen und sich dessen Kenntnisse über Entstehung und Form des Testaments zunutze machen. Das Testament war bereits vor über fünf Jahren verlesen worden und erst so viel später kommt es zur Untersuchung, was Symmachus offen als schändlich bezeichnet: Licet iam sextus annus a testamenti recitatione numeretur, novissime fortuna causae inpetibilem scopulum foedae cognitionis incurrit. Nam cum apud virum perfectissimum rationalem Bassianum primo delator bonorum secundum sacra scita proderetur925, novo ausu calcata praescriptio est. Das angeordnete Untersuchungsverfahren hatte zunächst einen regulären Verlauf genommen. Wie gesetzlich vorgeschrieben926, wurde der ursprüngliche Informant, der die Güter als bona vacantia ausgemacht hatte, der delator, zunächst vor den Untersuchungsbeamten, den rationalis Bassianus927, geführt. Der Gegenvortrag allerdings, der von den Erben gegen die Behauptungen des delator vorgebracht wird, wurde bereits dort ignoriert. Symmachus ist empört. Obwohl die Gültigkeit des Testaments durch Verlesung öffentlich gemacht worden sei und damit auch die Hinfälligkeit des Gesuchs von Marcianus, wird schließlich sogar Klage erhoben. Als calumnia bezeichnet Symmachus das, also Schikane, wissentlich falsche (An-)Klage (s. bei Relation 49). Damit stellt sich die Frage, wie es zum Prozess gekommen ist, wer mit welchem Inhalt Klage erhoben hat. Vera glaubt 928, Marcianus habe aus einer bedingten Schenkung im kaiserlichen Reskript auf Übertragung der bona vacantia geklagt. Argument hierfür könnte § 6 sein, wonach das Verfahren von den preces des Marcianus und der kaiserlichen largitas ausgehe, was auf eine bereits erfolgte Schenkung hindeuten könnte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass zunächst die advocati fisci 924
Zur Funktion s. schon bei Relation 30. Im Verfahren der Einziehung von bona caduca bzw. vacantia und sich daraus entwickelnden Prozessen vertreten sie die Staatskasse, vgl. CT X, 10, 3 (335). 925 So Seeck, Symmachus, 313. Die Manuskripte haben peteretur. 926 Zum vorgeschriebenen Verfahren unten 2a). 927 Die Person ist sonst unbekannt: Seeck, RE-Bassianus 7, 106; PLRE I, Bassianus 4, 150. 928 Commento, 305. Vera hält Marcianus allerdings zu Unrecht zugleich für den delator. Symmachus unterscheidet wie die einschlägigen Rechtsquellen (2a) petitor und delator. Präziser: Delmaire, Largesses sacrées, 629 (u. a). Wie Vera geht auch Barrow, Prefect, 215 Fn. 6, von einer bereits im Reskript ergangenen, bedingten Schenkung aus. Jones, LRE, 492, lässt die Frage offen.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
auf Herausgabe des gesamten Nachlasses zwecks Zuschreibung der Güter zur res privata klagen, denn das Reskript, soweit wir es aus der Relation kennen, begründet für Marcianus derzeit noch keine konkreten Ansprüche. Ihm ist bislang eine Belohnung lediglich in Aussicht gestellt worden, seine künftige Rechtsposition abhängig von der vorherigen Zuordnung der umstrittenen Güter zur res privata. Erst danach kann er auf Grund des ergangenen Reskripts mit Aussicht auf Erfolg einen konkreten Antrag auf Zuweisung dieses Vermögens bzw. eines Anteils daran stellen, dessen endgültige Bescheidung dann aber noch einmal im kaiserlichen Ermessen steht. Er wird sich bis dahin mit einer Klage daher zurückgehalten und lediglich die notwendigen Informationen geliefert haben. Geführt wird deshalb wohl ein Fiskalprozess seitens der res privata vor dem rationalis929 und nicht eine allgemeine Herausgabeklage des „petitor930“ Marcianus. Von Symmachus werden als Störer der Erben nur die rationales und defensores ausgemacht, die die Rechtslage zugunsten der res privata beurteilen. Auch das zeigt, dass offenbar nicht Marcianus geklagt hat. Die Berufung gegen Symmachus’ Urteil wird denn auch am Ende vom defensor der res privata eingelegt, § 7. Er ist Parteivertreter, Marcianus nur mittelbar betroffen und begünstigt. Dafür spricht auch der in § 7 referierte Inhalt des zweitinstanzlichen Urteils: Es geht um Einziehung der Güter durch die res privata. Die Zuschreibung zur res privata wird geprüft, nicht eine etwaige Herausgabe an Marcianus. Nachdem die eingesetzten Erben Widerspruch gegen die Forderung der res privata auf den Nachlass der Aggarea erheben, kommt es zum Prozess. Geklagt wird seitens der res privata auf Herausgabe der Güter als bona vacantia. Vermutlich wurde die vindicatio bonorum vacantium erhoben und die Gültigkeit des Testaments bestritten (zum Klagetyp noch näher unter 2a). Vor dem Gericht des rationalis (Bassianus?) wird geltend gemacht, das Testament sei formunwirksam, weil die Testamentszeugen unzulässigerweise kleine Vermächtnisse erhalten haben. Zur Unterstützung werden kaiserliche Reskripte angeführt931, die anordnen, dass das Zeugnis derjenigen ungültig ist, die aus dem Testament selbst etwas erhalten, die also im eigenen Interesse Zeugnis abgelegt haben. Da tatsächlich einige Zeugen Zuwendungen erhalten haben, scheint Aggareas Testament mangels ausreichender rechtsgültiger Anzahl von Zeugen unwirksam zu sein. Marcellus, Bizias und Heliodorus würden sich damit unberechtigt im Besitz der Güter befinden und in Ermangelung ge929 Es klagt wohl schon deshalb die res privata gegen die Besitzer und nicht etwa ein Privatmann (Marcianus) gegen Privatleute bzw. die res privata, denn (auch) letzterenfalls wäre nach CT II, 1, 5 (365) der ordentliche Richter zuständig und der rationalis lediglich anwesend. Zur Kompetenzfrage näher unten 2c). 930 Was hier nicht den Kläger bezeichnet, denn Marcianus ist schon petitor im Reskript, d. h. vor Klageeinleitung. Als petitor hat er eine bestimmte Funktion im Verfahren der Einziehung von bona vacantia (dazu unter 2a), ist aber nicht notwendig der Kläger. Dem steht auch die Formulierung in § 6 nicht entgegen. Er ist Auslöser des eingeleiteten Verfahrens, derzeit aber (noch) nicht selbst Partei, obgleich er in seiner Supplik sogleich Forderungen geltend gemacht hat, wie § 1 zeigt. 931 Unter anderem vielleicht CT II, 2, 1 (376). Näheres in der Auswertung des Falles.
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setzlicher Erben wäre das Gesuch von Marcianus erfolgversprechend. Doch Symmachus verwirft diese Rechtsauffassung als unangemessen, weil Fälle wie der vorliegende mit der Regelung nicht gemeint seien. Das grundsätzliche Verbot, Zeugnis in eigener Sache abzulegen, zweifelt er zwar nicht an, doch seien die genannten Reskripte hier keinesfalls einschlägig, weil kleine Freundschaftsbeweise nicht imstande seien, die durch Verlesung publik gemachte Rechtsgültigkeit des Testaments in Frage zu stellen. Ansonsten wäre es sicherer, seine Feinde statt seiner Freunde zu Zeugen zu machen, weil Feinde nichts erwarten dürften und den Erblasser nicht sittlich verpflichteten, seine Anerkennung auszudrücken. Symmachus meint, Gesetze mit der Intention, kleine Freundschaftsbeweise zu strafen, könne es nicht geben, das sei zutiefst ungerecht, § 3: Dehinc cum testamenti iure confecti fidem recitatio publicaret, calumnia inanis obiecta est, quod signatores nescio quid legati ex eadem voluntate cepissent. Adduntur etiam rescripta divalia, quibus adstipulatio cuiusdam remota est, qui suam iuvisse causam testimonio diceretur, quasi vero simile esset exemplum aut tenuis honor, quo subscriptores ob amicitiam defunctus adsperserat, legitimum posset abolere iudicium. Nam si his legibus viveremus, inimicis signatoribus tutius uteremur, quorum offensa nihil de testatore humanitatis exigeret. Damit kommt er auf den konkreten Fall zurück. Er ist empört vom Vortrag der Klägerseite, denn in Frage stünden Nichtigkeiten. So habe der am großzügigsten bedachte Zeuge lediglich fünf solidi erhalten und die anderen sogar noch so viel weniger, dass Symmachus das ihnen Zugewandte gar nicht mehr als finanziellen Vorteil fassen will. Sie seien nur ehrenhaft erwähnt worden. Ein winziges legatum aber könne nicht den gesamten Vermögensübergang in Frage stellen, gleichgültig ob es sich um eine große oder eine kleine Erbschaft handele. Dahinter steht die Überlegung, dass eine kleine Erbschaft wirtschaftlich uninteressant und daher auch das Legat unverdächtig ist, und bei einer großen Erbschaft spielt ein kleines Vermächtnis erst recht keine Rolle, ist also ebenso unverdächtig. Jeder wolle, so fährt Symmachus fort, ihm Nahestehende zu Testamentszeugen machen, womit offenbar zwangsläufig kleine Aufmerksamkeiten verbunden sind, heißt es doch weiter, dass man selbstverständlich diesen besten Freunden gegenüber auch seine Wertschätzung zum Ausdruck bringen können müsse. Freunde erwarten zu Recht ein Zeichen der Zuneigung. Ohne die angeführten Reskripte grundsätzlich in Frage zu stellen, legt Symmachus sie einschränkend aus und hält sie für jedenfalls vorliegend unanwendbar, § 4: Piget dicere in quinque numero solidis potissimum subscriptoris fuisse legatum; ceteris enim magis commemoratio honesta quam pecuniae quaestus accessit. Ergo aut extremae paupertatis successio fuit, si putatur exiguus honor fidem legitimi iudicii sauciasse, aut si census hereditarius existimatur uberior, aliena est a suspicionibus brevis summa legati. Quis non familiarissimum quemque signandis adhibet, cum extrema conduntur? Iam quid mirum est, si in oculis positus mereatur aliquod monumentum religionis, qui meruit advocari? In § 5 stellt er klar, dass er damit keinesfalls die gesetzlichen Formvorschriften ignorieren wolle. Größere Vermächtnisse, die einen beträchtlichen Vermögens-
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teil an Zeugen zuweisen, akzeptiere auch er nicht, denn sie seien für einen anständigen Zeugen ehrenrührig. Demgegenüber könne man, so fasst Symmachus noch einmal zusammen, Aggareas Zuwendungen wegen ihrer Geringfügigkeit und der Tatsache, dass sie nur Zuneigung bzw. Respekt ausdrücken sollen nicht anzweifeln. Sie begründen keine relevante Teilhabe an der Erbschaft. Im Übrigen gebe es keine neuen Gesetze, die diesen schönen Brauch aus Pflichtgefühl, religio, unterbinden wollten. Der Brauch, usus, bleibe gerade auch unter den herrschenden Kaisern in Kraft, die bewahrten, was recht und richtig sei. Symmachus stützt seine Argumentation auf das Recht, iura, das Valentinian II. zu schützen habe. Entkräftet also der (angeblich) übliche Brauch die Strenge der angeführten, auch von ihm im Grundsatz unbestrittenen Reskripte? Eine ausführliche rechtliche Diskussion scheint vonnöten, doch Symmachus begnügt sich mit knappen Ausrufen. Usus ist ihm ausreichendes Argument, um die dem Wortlaut nach offensichtlich strengen Reskripte für nicht einschlägig zu erklären: Non fero signatorem, cui pars bonorum magna defertur, nam etsi integra conscientia non tamen sincero pudore ditatur; at vero haec levia pignora aut amoris gratia aut testatoris verecundia relinquuntur. Nihil huic religioni novis legibus derogatum est; manet iste usus et vobis iura servantibus semper manebit: unus et solus post humani (generis932) memoriam rationalis emersit, qui exemplum novae iudicationis induceret. Jetzt endlich wird mitgeteilt, wie sich der Fall bislang entwickelt hat: Der rationalis hatte zugunsten der res privata geurteilt, das Testament also für ungültig erklärt. Diese Entscheidung wertet Symmachus als erst- und einmalig; es sei eine neue Rechtsprechung eingeschlagen worden. Dahinter steht der Vorwurf, das erstinstanzliche Urteil sei wider religio, usus und ius ergangen und könne sich nicht auf leges stützen. Gegen das Urteil haben die testamentarisch bedachten Erben inzwischen Rechtsmittel eingelegt933 und aufgrund dieser Appellation ist nunmehr Symmachus als Stadtpräfekt, d. h. als ordentlicher Richter zweiter Instanz, mit dem Fall befasst, denn der Instanzenzug beurteile sich, wie er ausdrücklich betont, nach einer entsprechenden kaiserlichen lex. Während seiner Untersuchung wird nun aber, als er die Testamentsfrage anders als der rationalis zu entscheiden droht, genau hiergegen ein seines Erachtens völlig unbegründeter Einwand vorgebracht: Um zu verhindern, dass der Fall vor seinem Gericht entschieden wird, wird seine Kompetenz bestritten. Spätestens als deutlich wird, dass Symmachus zugunsten der eingesetzten Erben urteilen wird, trägt die Gegenseite vor, dass der rationalis das Verfahren erster Instanz kraft Delegation durch den comes rei privatae geleitet habe, der deshalb in zweiter Instanz berufen, dem der Prozess also abzugeben sei934. Symmachus wendet 932
Einfügung von Seeck, Symmachus, 313. Verfehlt ist die Darstellung bei Chastagnol, Préfecture, 134, wonach Marcianus appelliert habe. Seine Rechtsauffassung war erstinstanzlich erfolgreich. Chastagnols Sachverhaltsdarstellung ist insgesamt ungenau. 934 Vera, Commento, 305f, glaubt irrig, die Kompetenzrüge sei erst in der späteren Berufung gegen Symmachus’ Urteil vorgebracht worden. Tatsächlich wird der Einwand 933
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dagegen ein, dass das Verfahren, das sich aus den preces des Marcianus und der Großzügigkeit des Kaisers entwickelt habe, in zweiter Instanz sehr wohl der Gerichtsbarkeit des Stadtpräfekten unterfalle, und beruft sich dazu auf eine erst kürzlich ergangene Konstitution, proxima sanctio935, die den Richtern vice sacra allgemein die Rechtsprechung oberhalb der rationales zuerkenne und ihre schon lange bestehende Zuständigkeit nochmals bestätige. Symmachus macht deutlich, dass er die Kompetenzrüge für ein Verzögerungsmanöver hält. Die Vertreter der res privata versuchen, so glaubt er, sein Verfahren mit vorgeschobenen Argumenten zu behindern, § 6: Hinc orta est provocatio, quae ubi auditorium sacrum decreto etiam vestrae legis intravit, rursus eludendi iudicii causa propositum est inane commentum, ut ab inlustri viro privatae rei comite delegata cognitio diceretur rationalis examini atque ideo rursus ad eiusdem iudicium debere transferri, cum omnis quaestio ex precibus Marciani dudum protectoris et vestrae clementiae largitate descendens sacro potius auditorio ex provocatione conpeteret, accedente etiam proxima sanctione, quae indiscrete huiusmodi appellationes sedi, quae vicem principum tuetur, prisco iure commisit. Symmachus untersucht den Fall noch einmal genau und fällt dann ein Urteil, § 7. Er entscheidet, dass das Reskript den Nachlass der Aggarea nicht tangiere, weil der Kaiser (Gratian) darin angeordnet habe, dass die Erbschaft nur dann vom fiscus eingezogen werden dürfe, wenn es keine testamentarischen oder gesetzlichen Erben gebe. Die umstrittenen Güter aber seien Marcellus, Bizias und Heliodorus nach dem wirksam geäußerten letzten Willen der Aggarea vermacht worden. Symmachus unterstreicht, dass er das Reskript genau beachtet und die Voraussetzungen geprüft habe, und weist die Klage auf Herausgabe des Nachlasses ab. Gegen dieses Urteil aber legt der Vertreter des fiscus sogleich Berufung ein, die Symmachus als ungewöhnlich oder sogar unerhört, inusitata, bezeichnet: Examinatis igitur omnibus pronuntiavi bona obnoxia non esse rescripto, cum vestri numinis aeterna iustitia, si scriptis aut legitimis successoribus vacaret hereditas, fiscum statuisset admitti, has autem facultates Marcellus Bizias et Heliodorus iusta defuncti voluntate cepissent. Tunc sententiam meam defensor venerabilis domus inusitata provocatione suspendit. Damit kommt Symmachus zum Ende seines Schreibens, § 8. Obwohl der cognitionalis (vermutlich sein Rechtsberater936) meint, dass es für eine solche Berufung bzw. ihre schon früher vorgetragen und entscheidet Symmachus über die Kompetenzfrage zunächst selbst, indem er die eigene Zuständigkeit bejaht. Unzutreffend auch Jones, LRE, 492, und Barrow, Prefect, 211, die glauben, Symmachus habe auf die Kompetenzrüge hin kein eigenes Urteil mehr gefällt, weil er sich außerstande gesehen habe, über die Kompetenzfrage zu befinden. Dagegen steht § 7: sententia mea. Er ist sich seiner Sache sicher. 935 Sehr wahrscheinlich erhalten in CT XI, 30, 41 (383). Zur Identifizierung dieser Konstitution unten 2c). 936 Hier scheint ein Berater des Stadtpräfekten einmal ausdrücklich erwähnt zu werden. Der cognitionalis dürfte zum richterlichen Hilfspersonal gehört haben und hat vielleicht auch die Gerichtsakten in Ordnung gehalten.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Annahme keinen Präzedenzfall gibt, ist Symmachus bereit, das Rechtsmittel ohne Widerspruch, sogar gerne wie er betont, anzunehmen. Obwohl sie wenigstens ungewöhnlich ist, nimmt Symmachus die provocatio an und übergibt den Fall an Valentinian II., indem er das Verfahren der appellatio more consultationis einschlägt, den Fall in seiner relatio zusammenfasst und mitsamt den Prozessakten an den Hof schickt. Hier wird die Frage zu stellen sein, ob es überhaupt ein zulässiges Rechtsmittel gegen die vice sacra ergangene Entscheidung des Stadtpräfekten gibt oder ob Symmachus es nur nicht wagt, sich den Vertretern des fiscus weiterhin entgegenzustellen. Ausdrücklich vertraut er darauf, dass der Kaiser sein Urteil billigen werde, das er in Übereinstimmung mit den Gesetzen und im öffentlichen Interesse, also nicht aus Eigennutz, gefällt habe: Sed cum huius rei nullum exemplum cognitionalis extare suggereret, nihilo minus obiectam vocem libenter admisi et relatione summatim cuncta conplexus gestorum quoque documenta subtexui, praesumens bonis placitura principibus, quae secundum leges pro fama temporum iudicavi. 2. Die Einzelheiten Relation 41 gibt Gelegenheit, einige Fragen der Fiskalgerichtsbarkeit und der Beurteilung erbrechtlicher Sachverhalte zu erörtern. Wenigstens zwei Rechtsfragen tun sich in diesem Bericht auf und es wird zu fragen sein, wie Symmachus mit der Problematik umgeht, wie er argumentiert: Was ist zur Frage der Gültigkeit des Testaments zu sagen und was zur Zuständigkeit des Stadtpräfekten oberhalb des rationalis? Zunächst sind allerdings einige Punkte zum Verfahren um bona vacantia herauszugreifen, womit der Fall begonnen hat. a) bona vacantia Dem Prozess liegt die Frage zugrunde, wie mit herrenlosen Nachlässen zu verfahren ist, sogenannten bona vacantia et caduca937. Güter, für die es weder testamentarische noch gesetzliche Erben gab, und solche, deren Erben erbunfähig oder erbunwürdig waren, verfielen, ebenso wie die bei Straftätern konfiszierten Güter, der res privata. Diese Vermögensmassen wurden schon seit früher Zeit nach einem bestimmten Verfahren der kaiserlichen Kasse einverleibt, was allerdings Prozesse wie den vorliegenden nicht ausschloss. Marcianus bzw. die Vertreter der res privata meinen, es gebe für das Vermögen der Aggarea keine wirksam eingesetzten Erben, es handele sich um eben 937
Bona caduca waren im Gegensatz zu den bona vacantia, als den Gütern, die ohne Erben geblieben sind, eigentlich nur Güter, deren Erben erbunfähig oder erbunwürdig waren und solche aus strafprozessualer Konfiskation. Doch werden beide Arten von Vermögen im Grundsatz gleich behandelt und ist der Sprachgebrauch nicht immer präzise: Kaser, Privatrecht II, 533 f. Symmachus freilich ist präzise, wenn er in § 1 von bona vacantia als erblosem Vermögen spricht.
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solche bona vacantia. Die Staatskasse war, damit ihr solche Vermögensmassen nicht entgingen, darauf angewiesen, dass sie von Privatleuten Informationen darüber erhielt, welche Güter keine Erben fanden. Sogenannte delatores zeigten daher den zuständigen Beamten der Finanzverwaltung solche Nachlässe an und hofften im Gegenzug darauf, für ihre Informationen eine Entschädigung zu erhalten. Oder sie verkauften ihr Wissen an petitores, die es übernahmen, zusammen mit der Information über die herrenlosen Güter auch ein Gesuch einzureichen, dass ihnen vom Kaiser zur Belohnung ein Anteil an dem Vermögen überlassen werde. Mit einem solchen Fall haben wir es hier zu tun: Marcianus reicht als petitor ein Gesuch beim Kaiser ein und behauptet, dass Marcellus, Bizias und Heliodorus unrechtmäßig Staatseigentum im Besitz haben, weil das Testament nichtig sei. Er kann im Laufe des Verfahrens auch den delator vorweisen, um seine Behauptung zu stützen. Der petitor Marcianus kann als ex protector mit Aussicht auf Erfolg auch vor Gericht auftreten, während der namenlose, sozial schlechter gestellte delator nur anzeigt und dafür eine Belohnung erwartet. Die Funktion des delator war verpönt, die Arbeitsteilung (gegen Gewinnbeteiligung) daher beliebt. Sie ermöglichte Bessergestellten, ihr Vermögen ohne Ansehensverlust aufzubessern, denn der Kaiser zeigte sich großzügig im Umgang mit bona vacantia. Um seine Großzügigkeit938 unter Beweis zu stellen verschenkte er häufig dem Fiskus verfallene Güter von Straftätern oder solche aus dem Nachlass von Menschen, die ohne Erben gestorben waren. Die Besitztümer der res privata wurden als kaiserliches Sondervermögen behandelt, über das der Kaiser freigebig verfügte. Die Anzeige solcher Güter war wegen der erhofften Belohnungen dementsprechend beliebt. Unter Konstantin hatte das Denunziantentum solche Auswüchse angenommen, dass es zeitweilig verboten und mit dem Tode bestraft wurde939. Es wurden Leute etwa des Hochverrats bezichtigt, um sich später an den konfiszierten Gütern bereichern zu können. Auch hohe Beamte und Senatoren wirkten immer wieder mit den Beamten der res privata kollusiv zusammen. Ein schlechter Ruf haftete den delatores und (wenngleich weniger) den petitores auch später, als ihre Tätigkeit wieder geduldet wurde, noch an und das zeigt sich auch in der Haltung von Symmachus gegenüber Marcianus, dessen Gesuch er für gänzlich unangebracht hält, denn er fordert fremdes Vermögen für sich, ohne ein eigenes Recht dafür vortragen zu können, indem er allein auf die kaiserliche Großzügigkeit hofft.
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Humanitas (§ 1) bzw. largitas (§ 6) bei Symmachus. Alte kaiserliche Tugenden. S. a. die Begriffsuntersuchung für jene Zeit bei Honig, Humanitas. Die Begrifflichkeit ist, wie das Beispiel Symmachus zeigt, nicht notwendig christlich geprägt. Es geht Symmachus vorrangig um Rhetorik und eher um eine moralische als juristische Kategorie. 939 Vgl. CT X, 10, 1-3 (313-335). Dazu speziell Spagnuolo Vigorita, Exsecranda pernicies; Pietrini, Delazione. Das Problem der delatio betrifft allerdings auch die Anzeige von Straftaten (dazu noch Relation 49), und nicht immer ist klar, in welchem Zusammenhang die Quellen vom delator sprechen; dazu speziell Pietrini. Umstritten sind CT X, 10, 1 und 2, s. Wieling, Constantinische Schenkungen, 273. CT X, 10, 3 (335) richtet sich hingegen unstreitig gegen delatores im Fiskalbereich: Wieling, 275.
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Die Konstitutionen jener Zeit enthalten genaue Verfahrensregeln, um Missständen zu begegnen, wie sie sich immer wieder und vielleicht auch hier zeigten. Häufig wurden Güter wider besseres Wissen als vakant angezeigt und in der Hoffnung erbeten, dass sie ohne genaue Sachverhaltsprüfung zugesprochen würden. Berechtigten Erben drohte auf diese Weise der Nachlass verloren zu gehen, denn an Gegenständen, die der Kaiser verschenkte, erwarb der Empfänger Eigentum, auch wenn sie dem Kaiser, respektive der res privata, in Wirklichkeit nicht gehörten940. Staatliche Verleihung verschafft unangreifbares Eigentum und Bestechlichkeit hoher Beamter war das Einfallstor, das sich professionelle Denunzianten zunutze machten, um sich zu bereichern. So schildert Ammian, dass der Hof von Bittstellern um solche Güter geradezu umlagert war, XXXI, 14, 3: ut sunt in palatiis nonnulli alienarum rerum avidi, si qui caducum vel aliud petisset ex usu, cum magna iustorum iniustorumque distinctione contradicturis copia servata donabat ei, qui petierat... . Ammian lobt Kaiser Valens, der sehr freigebig war, wenn jemand nach altem Brauch etwa um ein herrenloses Gut bat. Er habe Recht und Unrecht genau abgewogen, die Möglichkeit des Einspruchs offengehalten und das Gut dann ggf. dem Bittsteller geschenkt oder es auch aufgeteilt. Deutlich wird aus diesen Worten die drohende und offenbar nicht selten realisierte Gefahr, dass in anderen Fällen, unter anderen Herrschern, erfolgreich fremdes Eigentum erbeten wurde. Einflussreichen Bittstellern vermochte sich der Kaiser oftmals nicht zu entziehen und Schenkungsreskripte wurden häufig auch erschlichen. Bei Ammian finden sich weitere Beispiele für solche Petitionen und die kaiserliche Vergabepraxis941. Zosimos V, 24, 1 berichtet von Missständen am Hof des Arcadius, wonach beim Tod einer Person auf die Erbschaft Zugriff genommen werde ohne Rücksicht auf die Erben. Mittels Denunzianten gelang es vielen, Reskripte zu erlangen, die fremdes Vermögen zuwiesen. Die Hofeunuchen scheinen beteiligt zu sein. Sogar Vermögen noch Lebender konnte offenbar erwirkt werden. Detaillierte, ständig überarbeitete Verfahrensvorschriften zur Frage der Einziehung von bona caduca et vacantia und der Frage des Umgangs mit Petitionen sollten die Berechtigten gegen diese Missbräuche schützen, doch schwankende Vorgaben und Kompetenzen unter wechselnden Kaisern bringen für die Beamten immer wieder Unsicherheit mit sich in der Frage, wie im Einzelnen zu verfahren ist. So ist für 384/385 der Stand der Dinge in Rom aus den vielen Einzelregelungen an verschiedenste Beamte kaum zu rekonstruieren. Das vorgeschriebene Verfahren lief zur Amtszeit von Symmachus etwa folgendermaßen ab und wird so auch in der Relation näherungsweise nachge-
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CT X, 8, 3 (326): Die Schenkung gilt und die eigentlich Berechtigten werden allenfalls entschädigt; s. a. CT X, 10, 6 (339/342). 941 Ammian, XVI, 8, 11-13: Konstantin und vor allem Constantius werden dafür kritisiert, mit welch rücksichtsloser Gier unter ihnen Güter verurteilter Straftäter eingezogen werden; s. a. XXII, 4, 3 und XXVI, 10, 13 f.
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zeichnet942: Petitores wie Marcianus durften erblose Vermögensmassen für sich als Geschenk erbitten. Doch musste der delator am sich anschließenden Verfahren zusammen mit dem petitor teilnehmen, CT X, 10, 8 (346943), und der Name des delator war vom petitor öffentlich bekanntzugeben, CT X, 10, 9 (364), um Heimlichkeiten zu verhindern; s. a. CT X, 10, 4 (338). Auf die Einhaltung dieser Vorschriften weist Symmachus in § 2 hin, als der delator vor den rationalis geführt wird. Symmachus beruft sich auf entsprechende sacra scita, die möglicherweise mit den genannten Konstitutionen von 346 und 364 identifiziert werden können. Steinwenter944 nennt zudem CT X, 10, 12 (380), doch handelt es sich hierbei um eine Ostregelung, die sich nicht ohne Weiteres auf den Westteil des Reiches übertragen lässt. Gleiches gilt für CT X, 10, 13 (380) und 18 (383). In einem speziellen Verfahren waren dann die Eigentumsverhältnisse an den fraglichen Gütern festzustellen. Nach CT X, 10, 7 (345 an den comes rei privatae gerichtet) hatte (noch) der ordinarius iudex, also der Provinzstatthalter, die Vermögenslage zu klären und dem comes rei privatae Bericht zu erstatten. Keinem palatinus, an die sich also die Bittsteller wandten, war es erlaubt, Anzeigen, delatorios libellos, über Güter, die als angeblich herrenlos zur res privata gehören sollen, anzunehmen, ehe diese nicht vom Statthalter geprüft worden waren und sein Bericht am Hof eingegangen war. Kein delator bekam Zugang zum Hof oder zum comes rei privatae, bevor nicht der ordentliche Richter vor Ort eine Untersuchung angestellt hatte, die die Wahrheitstreue der Behauptung des delator erwies und er die Sache dem comes rei privatae berichtet hatte. Weiter heißt es in CT X, 10, 8 (346) an den comes rei privatae: Wenn jemand etwas aus kaiserlicher Großzügigkeit erhalten hat, soll er mit seinem delator ad iudicia kommen und dort seinen Fall verfolgen, damit die Behauptung des delator bewiesen wird und sich zeigt, dass das Eigentum tatsächlich dem fiscus zusteht. Der delator ist unter Strafdrohung beweispflichtig. Sich als rechtswidrig erweisende Petitionen werden abgelehnt, berechtigte Besitzer haben daher (eigentlich) nichts zu befürchten. Noch mehrfach wird festgehalten, dass der endgültigen kaiserlichen Zuwendung an den petitor eine sorgfältige Prüfung der Eigentumsverhältnisse und des genauen Umfangs des in Frage stehenden Vermögens vorausgehen muss. Stellt sich heraus, dass es sich tatsächlich um bona vacantia handelt, werden diese zunächst dem Staatsschatz zugeschrieben und dann ganz oder teilweise dem petitor zum Geschenk gemacht. Die Gefahr unbedachter Schenkungen und missbräuchlicher Forderun942 Ausführlich Provera, Vindicatio caducorum, 171 ff; 176 ff (zur Zeit nach Konstantin); Monks, Administration, 752 ff, der vor allem auch die Missstände schildert; zu Missständen und Gegenmaßnahmen auch Gaudemet, Répression, 1068 ff; zum Verfahren: Delmaire, Largesses sacrées, 615 ff; speziell zur petitio: 626 ff; Wieling, Constantinische Schenkungen, 271 ff; Mercogliano, Petitores, 449 ff. Vorschriften finden sich vorwiegend in den Titeln CT X, 8: De bonis vacantibus; CT X, 9: De incorporatione; CT X, 10: De petitionibus et ultro datis et delatoribus; CJ X, 10: De bonis vacantibus et de incorporatione. Ein Verbot der petitio gab es erst 444: NT 17, 2/CJ X, 12, 2. 943 Seeck, Regesten, 42; 195. 944 Briefe, 12; sich anschließend Barrow, Prefect, 211 Fn. 1.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
gen sollte so verringert werden. Nicht immer wurde dieser Ablauf freilich genau eingehalten, und auch vorliegend ergeht bereits ein kaiserliches Reskript, bevor noch die Vermögensverhältnisse geklärt sind. Doch wird darin zur Bedingung einer etwaigen Schenkung gemacht, dass zuvor eine eingehende Prüfung und Registrierung stattfindet. Zunächst ist die Zugehörigkeit des fraglichen Vermögens zur res privata zu klären, wie es zahlreiche Konstitutionen vorsehen. Der beschrieben Ablauf entspricht CT X, 10, 8 (346); 12 f (380, Ost) und 20 (392). Der rationalis hat nicht nur hier, sondern auch sonst das Inventar zu erstellen, CT X, 8, 2 (319). Er schickt dieses an den comes rei privatae, der dann das Vermögen zur res privata einzieht. Vorher durfte einem begünstigten petitor keinesfalls Besitz eingeräumt werden. Nach CT X, 9, 1 (369, an den comes rei privatae) geschieht die Inkorporation solcher Güter förmlich durch den comes rei privatae bzw. die rationales in den verschiedenen Provinzen. Vorgeschrieben ist die offizielle Registrierung und Einziehung nach sorgfältiger Prüfung; eigenmächtige Anmaßung wird bestraft. Hier wird vermutlich der rationalis Romae betraut, denn die Güter lagen wohl in der Nähe von Rom. In einer Ostvorschrift, CT X, 10, 11 (369, an den comes rei privatae), werden noch einmal genaue Verfahrensregeln eingeschärft, weil der Kaiser übermäßig mit gierigen Gesuchen um bona caduca et vacantia bedrängt wurde. Danach muss der comes rei privatae Bericht erstatten, bevor eine Entscheidung ergehen kann. Zunächst ist eine Untersuchung anzustellen, zuverlässige Leute (rationales oder palatini etwa) haben die Rechtslage zu erkunden. Wenn sich die Berechtigung des fiscus zeigt, sollen die Güter (notfalls klageweise) eingezogen, das Inventar erstellt und der Kaiser informiert werden, so dass er am Ende entscheiden kann, ob etwas abgegeben wird. Nimmt man diesen Ablauf zum Vorbild, müsste Marcianus den Kaiser, sollte es beim erstinstanzlichen Urteil bleiben, unter Vorlage des Reskripts erneut anrufen, um zu erfahren, wieviel er von dem eingezogenen Vermögen tatsächlich erhalten soll. Das passt zu dem unbestimmten Wortlaut des Reskripts, wie ihn Symmachus berichtet. Der Kaiser behält sich vor, nur einen Teil an den petitor weiterzugeben. Kaiser Gratian leitet das entsprechende Verfahren ein, um die Berechtigung des fiscus zu klären und dann im Einzelnen über Marcians Gesuch befinden zu können. Dieser Verfahrensgang findet sich in etwa in folgender Westregelung wieder, die sich an den comes rei privatae richtet, CT X, 9, 2 (395): Wer bona vacantia et caduca mitsamt Gold und Silber (was selten war, denn üblich waren wohl Teilschenkungen) vom Kaiser erhält, hat das Reskript zu allegieren. Daraufhin soll das Vermögen zunächst dem fiscus einverleibt und ihm alles ausgeliefert werden. Die einzelnen Gegenstände sind im officium palatinum zu inventarisieren und dem Kaiser genau zu berichten. Nichts davon darf an irgendeinen petitor gehen, bis nicht der Kaiser durch den offiziellen Bericht des comes rei privatae über Art und Umfang des Vermögens informiert worden ist und in einer weiteren Entscheidung seine Großzügigkeit bestätigt. Erst dann erhält der Petent die Güter und wird das erste Reskript vollgültig, s. a. CT X, 10, 14 (380, Ost). So könnte es auch hier ablaufen. Marcianus hat dieses
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vorgeschaltete Verfahren abzuwarten und kann dann auf Neubescheidung hoffen. Noch in CT X, 9, 3 (418) wird gegenüber dem proconsul von Africa angeordnet, dass in Übereinstimmung mit lange schon bestehendem Brauch die Inkorporation zum fiscus abgeschlossen sein muss, bevor einer Petition auf diese Güter stattgegeben werden kann. Außerdem ist die Angelegenheit dem comes rei privatae mitzuteilen. Die Gewährung dieser Güter an den petitor geschieht dann auf eine zweite supplicatio hin, allerdings inzwischen direkt durch den comes rei privatae. Der Kaiser muss nicht mehr zweimal gebeten werden. Damit kann man sich das Verfahren in Relation 41 folgendermaßen vorstellen: Die Petition des Marcianus auf Übertragung des Vermögens der Aggarea wird an das officium des comes rei privatae übermittelt, der sie, vermutlich nach einer ersten Prüfung, an den Kaiser (Gratian) weiterleitet. Dieser antwortet durch Reskript und stellt dem petitor in Aussicht, das Erbetene bzw. einen Teil davon zu erhalten, wenn die Zugehörigkeit dieser Güter zum fiscus festgestellt werden kann. Wie im Reskript und gesetzlich vorgeschrieben, prüft der rationalis zunächst die Rechtsverhältnisse in Anwesenheit des petitor und seines delator, erstellt ein Inventar und reicht es beim comes rei privatae ein945. Da sich seitens der Besitzer Widerstand gegen das Interesse der res privata an den Gütern erhebt, kommt es zum Prozess, der von der res privata bzw. ihren Vertretern geführt wird. Schon CT X, 10, 3 (335) sieht vor, dass bona caduca durch eine Klage, die die advocati fisci erheben, vindiziert werden. Die Besitzer werden mittels der vindicatio caducorum/vacantium auf Herausgabe verklagt946. Der delator bzw. petitor hat in diesem Prozess eine Art Zeugenstellung und trägt zudem für die klagende res privata die Beweislast d. h. er muss hier die Ungültigkeit des Testaments beweisen. Zeigt sich die Erblosigkeit, ist das Vermögen zu registrieren und dem Kaiser davon zu berichten, der die Einziehung anordnet. Petitores wie Marcianus werden erst dann auf einen zweiten Antrag hin endgültig beschieden. Sie liefern verfahrenseinleitend lediglich die notwendigen Informationen, auf die hin der fiscus seine mutmaßlichen Güter (nämlich den gesamten Nachlass) zunächst selbst einklagt. Der petitor kann und darf keine Forderungen aus dem Reskript geltend machen, bevor nicht die Rechte des fiscus rechtskräftig festgestellt sind. Es sind zwar auch Konstellationen denkbar, in denen ein beschenkter petitor aus dem Reskript unmittelbar auf Herausgabe klagt947; insbesondere aus einem unbedingten, am Ende des 945 Palatini werden ggf. ausgeschickt, um dieses Inventar zu bestätigen und die Güter der res privata offiziell einzugliedern. 946 Vindicatio caducorum und vindicatio vacantium verlaufen gleich. Mit dieser zivilprozessualen Klage macht der fiscus sein Recht auf die ihm verfallenen Güter geltend bzw. klagt der beschenkte petitor auf Herausgabe: Provera, Vindicatio, 177; 182 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 543. 947 Auf Herausgabe von bona vacantia konnte (s. schon die vorige Fn.) auch der bereits unmittelbar beschenkte petitor und nicht nur ein Vertreter des fiscus klagen. Provera, Vindicatio caducorum, 179, nennt CT X, 10, 8 (346), doch wird dort nicht ganz deutlich, wer im Einzelnen klagt. Zum möglichen Klagerecht des petitor sind vor allem spätere Rechtsquellen zu nennen: CT X, 10, 12, 1 (380 an den östlichen comes rei priva-
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Verfahrens stehenden Schenkungsreskript konnte der Beschenkte zweifellos selbst klagen. So weit aber ist der Fall in Relation 41 bislang nicht gediehen und Marcianus scheint nicht überstürzt aus dem Reskript geklagt zu haben. Bis dahin verläuft alles gesetzmäßig. Man mag sich lediglich die Frage stellen, ob der fiscus seine Rechte rechtzeitig geltend macht, denn immerhin sind seit Eröffnung des Testaments annähernd sechs Jahre (§ 2) vergangen. Dazu ist festzustellen, dass dem fiscus damals wohl vier Jahre Zeit blieben, sich bona vacantia anzueignen: CJ VII, 37, 1 (355948). Fünf Jahre sind es in CT IV, 15, 1 (421). Wenn jemand so lange Zeit ununterbrochen und unbestritten im Besitz von bona vacantia war, konnte der fiscus darauf keine Ansprüche mehr erheben. Hier sind seit der Testamentseröffnung zwar schon mehr als fünf Jahre vergangen, doch wurde die Verjährung noch rechtzeitig unter Gratian unterbrochen; seit fast zwei Jahren (§ 2) sind defensores et rationales mit der Angelegenheit befasst. Verjährung, die ein schlagendes Argument böte, um die Forderung der res privata auf das Vermögen der Aggarea abzulehnen, wird denn auch zu keinem Zeitpunkt vorgetragen. Welche der genannten Fristen 384/385 tatsächlich galt, ist Relation 41 allerdings nicht zu entnehmen, denn die Jahresangaben sind unbestimmt. Etwa vier Jahre nach Verlesung des Testaments wird die vindicatio bonorum vacantium erhoben. Die Lösung des Falles hängt damit entscheidend davon ab, ob das Testament wirksam ist949. Auf diese Frage soll im nächsten Abschnitt eingegangen werden und danach wird zu klären sein, was es mit der Kompetenzrüge auf sich hat. b) Das Testament Symmachus muss entscheiden, ob Aggareas Testament gültig ist. Ist es formunwirksam, dann sind die umstrittenen Güter mangels gesetzlicher Erben bona tae); X, 13, 1 (386 an den comes rei privatae); s. a. X, 10, 20 (392); X, 10, 27, 5 (418); X, 10, 30, 1 (421); X, 10, 31 (422); X, 10, 32, 2 (425). 948 CJ VII, 37, 1 stammt von Konstantin oder Constantius II. Zum Datum: Seeck, Regesten, 128. Die Vierjahresfrist findet sich auch in Ulp. D XXIX, 4, 6, 7; Pap. D XLIV, 3, 10; Call. D XLIX, 14, 1, 2. Zur umstrittenen Frage, was wann galt und welche Interpolationsvermutungen erhoben werden: Amelotti, Prescrizione, 140 f; Vera, Commento, 307 f. Relation 41 hilft in dieser Frage nicht weiter. 949 Verfehlt ist die Auffassung von Delmaire, Largesses sacrées, 629, wonach sich Symmachus beklagt habe, dass der rationalis die Frist (in der Regel ein Jahr) nicht beachtet habe, die für den beschenkten petitor zur Klageerhebung vorgeschrieben war (CT X, 10, 31 (422)), bzw. die Frist für die Besitzer, ihre Rechte zu verteidigen (CT X, 10, 27; 30 f (418/421/422) und s. schon CT X, 1, 1 (315)). Abgesehen davon, dass fraglich ist, ob die genannten Fristen 384/385 überhaupt galten, geht es hier zum einen nicht um eine Klage des petitor und zum anderen wehren sich die Besitzer offenbar sofort. Symmachus beklagt sich ausschließlich über die erbrechtliche Frage, die er für falsch entschieden hält, und behandelt den Fall als offensichtlich rechtzeitig. Problematisch ist nicht der Ablauf der Jahresfrist, sondern, wenn überhaupt, die eben diskutierte 4- bzw. 5-jährige Frist für die res privata.
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vacantia, die Klage der res privata wäre erfolgreich, die Appellation der Besitzer und testamentarisch eingesetzten Erben vor dem Stadtpräfekten erfolglos. Wir erfahren nur, dass mehrere Zeugen, die Symmachus signatores bzw. subscriptores nennt, das Testament unterschrieben haben. Aus anderen Quellen wissen wir, dass das nachklassische Testament schriftlich unter Beteiligung von fünf bzw. sieben Zeugen abgefasst wurde. Der Erblasser schrieb es selbst oder diktierte es und unterschrieb es vor den anwesenden Zeugen. Die Zeugen ihrerseits unterschrieben und siegelten es950. Der Testamentsinhalt musste den Zeugen nicht bekannt sein951. Formfehler machten, das beweist Relation 41, das Testament grundsätzlich unwirksam, s. a. NT XVI, 5 (439). Die unterschiedlichen Zeugenzahlen ergeben sich aus der Tatsache, dass noch immer zivile und prätorische Form unterschieden wurden. Symmachus, der in Relation 34 entsprechend differenziert (s. aber auch bei Relation 16), spricht hier ausdrücklich von hereditas bzw. heredes in §§ 1, 2 und 7. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es sich wohl um ein ziviles Testament gehandelt hat und fünf Zeugen beteiligt waren. Die entscheidende Frage lautet, ob das Testament deshalb unwirksam ist, weil mindestens ein Zeuge mit einem Legat in Höhe von fünf solidi bedacht wurde und weitere Zeugen auch irgendetwas erhalten haben, auf das Symmachus allerdings nicht näher eingeht. Diese Ansicht wird von der einen Seite vertreten, die sich auf rescripta divalia stützt, in welchen vorgeschrieben sei, dass niemand etwas wirksam zu eigenen Gunsten bezeugen könne. Mangels genügend gültiger Zeugenunterschriften sei das Testament daher unwirksam. Zu überlegen ist, um welche Quellen es sich handeln könnte. Einige Autoren952 nennen CT II, 2, 1 (376 an den Stadtpräfekten gerichtet), wonach niemand in eigener Sache Zeugnis ablegen kann. Unter dem Titel CT II, 2: Ne in sua causa quis iudicet heißt es da: Promiscua generalitate decernimus neminem sibi esse iudicem debere. Cum enim omnibus in re propria dicendi testimonii facultatem iura submoverint, iniquum ammodum est licentiam tribuere sententiae. Anders als Vera a.a.O. meint, wendet sich diese Vorschrift nicht nur an Richter, die nicht in eigener Sache urteilen dürfen, sondern zur Begründung wird der allgemeine Satz angeführt, dass niemand wirksam in eigener Sache Zeugnis ablegen kann. Das passt auf den konkreten Fall. Aus der Umschreibung in § 3 der Rela950 David, Über die Form: Unterscheidung nach ius civile (5 Zeugenunterschriften) und ius praetorium (7 Zeugenunterschriften). Worin der Unterschied damals im Einzelnen lag, ist ungewiss. David vermutet, dass das zivile Testament eigenhändig geschrieben und selbst unterschrieben sein musste, das andere diktiert werden konnte. Zur Testamentsform jener Zeit s. a. Kaser, Privatrecht II, 479 ff; 555 ff zu den Vermächtnissen. 951 Vgl. CT IV, 4, 3, 2 (402, Ost: Seeck, Regesten, 27; 305), wo auf diese schon alte, u. a. konstantinische Regelung erneut verwiesen wird. 952 Seeck, Symmachus, 313; Steinwenter, Briefe, 12; vorsichtig: Barrow, Prefect, 213 Fn. 2; Giglio, Giurisdizione e fisco, 199; kritisch: Vera, Commento, 309, der allerdings den Anwendungsbereich dieser Konstitution zu sehr eingrenzt.
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tion wissen wir, dass in den besagten rescripta divalia das Zeugnis in eigener Sache wohl allgemein für ungültig erklärt wurde: Adduntur etiam rescripta divalia, quibus adstipulatio cuiusdam remota est, qui suam iuvisse causam testimonio diceretur. Diese Reskripte müssen nicht speziell Testamente betroffen haben, sondern waren möglicherweise so allgemein gehalten wie CT II, 2, 1. Symmachus gesteht ein, dass die angeführten rescripta tatsächlich ein Verbot aussprechen, in eigener Sache Zeugnis abzulegen, argumentiert aber mit der Geringfügigkeit und Üblichkeit solcher Zuwendungen und ihrer Zwecksetzung, beschränkt sich also darauf, die Reskripte, deren Geltung er anerkennt953, einschränkend auszulegen. Festzuhalten ist, dass Relation 41 eine Information zum Testamentszeugen liefert, der 384/385 nach dem strengen Gesetzeswortlaut keine Zuwendungen, also grundsätzlich auch keine Vermächtnisse erhalten durfte. Dieser Grundsatz findet sich schon bei Pomp. D XXII, 5, 10: Nullus idoneus testis in re sua intellegitur. Niemand kann Zeuge in eigener Sache sein. Doch wird diese klassische Rechtsquelle weder von den Vertretern der res privata noch von dem urteilenden rationalis oder gar von Marcianus angeführt. Die Verfechter der Nichtigkeit des Testaments stützen sich ausschließlich auf den Wortlaut von Kaiserreskripten jüngeren Datums. Symmachus seinerseits beruft sich mit seiner Gegenansicht ebenso wenig auf ältere Rechtstexte, die seiner Überzeugung hätten Nachdruck verleihen können. Legate an Testamentszeugen waren nicht zu allen Zeiten unzulässig, Inst. Just. II, 10, 10: Der heres scriptus kann lediglich hodie kein Zeuge mehr sein. Früher war das nicht verboten, doch haben die alten Juristen, veteres, bereits geraten, dass es keine Zeugen in eigener Sache geben solle. Die veteres erlaubten dem Erben zwar, das Testament zu bezeugen, rieten aber, dieses Recht nicht zu missbrauchen. Justinian macht diesen Rat nun zum Gesetz, nimmt Vermächtnisnehmer und Fideikommisare von dem Verbot allerdings weiterhin aus: Inst. Just. II, 10, 11. Auch die justinianische Neuerung erlaubt also, dass Testamentszeugen zugleich Vermächtnisnehmer sind. Ein gutes Argument hätte Symmachus, wenn der Passus nicht interpoliert ist954, auch bei Ulp. D XXVIII, 1, 20 pr. finden können: Auch ein Vermächtnisnehmer kann Zeuge sein. So auch die Praxis bei Plinius, Ep. II, 20, 10 f: Ein Zeuge lässt sich ein Vermächtnis versprechen, ohne dass dadurch die Gültigkeit des Testaments in Frage gestellt würde; vgl. zur Diskussion auch Marc. D XXXIV, 5, 14, der sich wie Trebaz und Pomponius dafür ausspricht, dass ein Vermächtnis an ei953 Mit rescripta bezeichnet Symmachus hier allgemeingültige gesetzliche Regelungen; in § 3 setzt er sie mit leges gleich. Anders als in Rell. 31 und 48 und dem sonst üblichen Sprachgebrauch (vgl. dazu m. N. bei Rell. 27 und auch 34) unterscheidet er rescriptum hier nicht als Einzelfallregelung von der allgemeinen lex. Auch Einzelfallentscheidungen des amtierenden Kaisers beanspruchen potenziell allgemeine Gültigkeit und werden in Prozessen mehr oder weniger pauschal angeführt. Dass Reskripte nur für den Einzelfall Geltung beanspruchen, wird ausdrücklich erst einige Jahre später festgeschrieben: CT I, 2, 11 (398, Ost) und für den Westen CJ I, 14, 2 (426). 954 So Steinwenter, Briefe, 7 Fn. 36; Kaser, Privatrecht I, 683 Fn. 27.
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nen Zeugen gültig sein soll. Das klassische Recht wird weder von der einen noch der anderen Partei herangezogen. Es findet keinen Eingang in die Rechtspraxis in Rom 384/385, obwohl sich dieser Fall dafür angeboten hätte. Rechtsanwendung und -auslegung beschränken sich auf die von der einen Seite angeführten Kaiserkonstitutionen. Nur auf sie geht Symmachus ein und rechtfertigt ausführlich, weshalb es trotzdem zulässig sei, Testamentszeugen mit kleinen Legaten zu bedenken. Schauen wir uns an, welche Argumente er vorträgt. Zunächst führt er aus, dass es in seinem Fall um die interpretatio von rechtmäßigen kaiserlichen decreta gehe und dass die Beamten, die diese iussa auszuführen haben, d. h. insbesondere die mit dem Fall befassten rationales, Bittsteller durch falsche, korrumpierende Auslegung begünstigen. Die rechtmäßigen Erben würden vor diesem Hintergrund seit Jahren rechtswidrig belästigt. Damit kommt Symmachus zum erbrechtlichen Sachverhalt: Ein Testament, dessen Rechtsgültigkeit durch Verlesung vor über fünf Jahren (§ 2) öffentlich gemacht worden sei, werde völlig ungerechtfertigterweise angegriffen, was als calumnia zu werten sei, § 3. Was aber hat es mit dieser recitatio auf sich; liefert sie tatsächlich einen Beweis für die Rechtsgültigkeit des Testaments? Symmachus scheint das nahelegen zu wollen. Die recitatio markiert die Testamentseröffnung, in der das Testament amtlich eröffnet und verlesen wird 955. Mit der diskussionslosen Verlesung und entsprechenden Vollstreckung (die Legate sind verteilt worden) wird tatsächlich eine gewisse Vermutung aufgestellt, das Testament sei formgültig, denn bei der Verlesung konnte jeder hören, dass auch einige Zeugen bedacht worden waren. Trotzdem kann die Verlesung eine eventuelle Formnichtigkeit des privatschriftlichen Testaments nicht beseitigen. Die Einwände gegen die Gültigkeit des Testaments werden durch die bloße recitatio nicht ausgeschlossen, wie das in Relation 41 beschriebene Verfahren verdeutlicht, denn es gab noch keine verbindliche (gerichtliche) Überprüfung der Formwirksamkeit. Mit seinem nur auf den ersten Blick zwingenden, rechtlichen Argument von der öffentlich erwiesenen Gültigkeit will Symmachus wohl nur ausdrücken, wie ungerecht es ist, die im Testament eingesetzten Erben nach vielen Jahren plötzlich zu behelligen. Der Begriff der calumnia, den er schon früh in den Raum stellt, zeigt, wie emotional er hier argumentiert. Die eigentliche, rechtlich entscheidende Frage, wie es sich mit den Legaten an Testamentszeugen verhält, muss trotz der recitatio, die keinen endgültigen Beweis erbringt, ausführlich diskutiert werden. Das erkennt auch Symmachus, der aus der lange zurückliegenden, unangefochtenen Verlesung lediglich vorab den Anschein der Rechtsgültigkeit ableitet, um dann auf die materiell-rechtlichen Fragen einzugehen. Wie geht er nun mit der Tatsache um, dass einige Zeugen trotz des formal strengen Verbotes, in eigener Sache Zeugnis abzulegen, kleine Vermächtnisse erhalten haben? Eigentlich ist der Beweis der Formwidrigkeit des Testaments 955
Zur Testamentseröffnung: Kaser, Privatrecht II, 484 f.
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erbracht. Symmachus stellt hingegen darauf ab, dass die Zuwendungen finanziell unbedeutend sind: tenuis honor/exiguus honor/brevis summa/levia pignora in Höhe von maximal fünf solidi. Dieser Sachverhalt sei nicht vom Gesetzeszweck der rescripta erfasst, diese seien im Ergebnis nicht einschlägig. Erst die Verleihung einer pars magna, was auch immer das konkret wäre, könne Anlass zu Zweifel geben, § 5. Doch selbst insoweit spricht Symmachus nicht davon, dass ein solch umfassendes Vermächtnis an einen Zeugen rechtswidrig sein könnte, sondern räumt lediglich ein, dass es im Interesse von Ehrgefühl, pudor, zu vermeiden sei. Man fragt sich, ab welcher Summe er das Verbot akzeptiert und ob er je bereit wäre, es anzuwenden, wenn allein die doch sehr unbestimmte, persönliche Anständigkeit eine Einschränkung auferlegt. Wenn Symmachus hier von pudor spricht, kommt er der obigen Argumentation der veteres, wie sie in Inst. II, 10, 10 überliefert ist, nahe, die dazu raten, das Recht des Zeugen, Erbe (Vermächtnisnehmer) zu werden, nicht zu missbrauchen. Trotzdem beruft er sich nicht auf sie, deren Ansichten er nicht gekannt haben wird. Tatsächlich geht Symmachus sogar weiter als die veteres, die etwas grundsätzlich Erlaubtes einschränken wollen, indem er sich über ein ausdrückliches gesetzliches Verbot hinwegsetzt. Gerade er, der sich häufig zurückzieht, wenn es um Auslegung von kaiserlichen Gesetzen geht, zeigt sich hier selbstbewusst, was daran gelegen haben mag, dass er sich auf erbrechtlichem Gebiet, auf dem er schon mehrfach seine Kenntnisse unter Beweis stellen konnte, sicher fühlt. So schreibt er einfach, dass es nicht angehen könne, dass solch kleine Legate verboten sein sollen, die, und damit kommt er zum nächsten Punkt, lediglich ein bescheidenes Zeichen von Freundschaft und Ausdruck von Dankbarkeit seien, von amicitia bzw. humanitas; ein monumentum religionis, das vergeben werde aut amoris gratia aut testatoris verecundia. Dieses Argument wiederholt Symmachus mehrfach, wendet es hin und her und kommt zu dem Schluss, dass auch irgendwelche novae leges an dieser Sicht, die von einer geradezu sittlichen Verpflichtung ausgeht, sich gegenüber seinen als Zeugen auftretenden Freunden erkenntlich zu zeigen, nichts ändern. Das klingt, als stünden auf seiner Seite auch leges, die eben unangetastet bleiben sollen. Tatsächlich beruft er sich aber ausschließlich auf die genannten Werte und besonders auf religio, was eine sittliche Verpflichtung anklingen lässt, und nicht zuletzt auf usus. Alter Brauch, die traditionell übliche Befugnis, befreundeten Zeugen im Testament die eigene Wertschätzung auszudrücken, ist stärker als das ausdrückliche gesetzliche Verbot: manet iste usus et vobis iura servantibus semper manebit. Der Brauch ist ius, das vom Kaiser gegen die schlechte nova iudicatio des rationalis zu schützen ist. So bittet Symmachus den Kaiser am Ende, gesetzmäßig zu entscheiden, d. h. entsprechend dem konkreten Einzelfallreskript Gratians, aber auch entsprechend seiner eigenen, zuvor ausgeführten Überzeugung, die streng genommen gerade nicht dem Gesetz entspricht bzw. erst durch eine einschränkende Auslegung der rescripta divalia zustande kommt. Seine Auslegung wendet sich gegen starre Wortauslegung, hin zur Willensauslegung956. Er versucht, 956
Eine allgemeine Tendenz jener Zeit, wie Kaser, Privatrecht II, 82 ff; s. a. 489 ff, ausführt und die speziell bei Testamenten eine Rolle spielt (84 f m. N.). Symmachus be-
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den Erblasserwillen aufrecht zu erhalten, indem er argumentiert, Aggarea habe ihre Dankbarkeit und Zuneigung gegenüber den befreundeten Zeugen ausdrücken und sie nicht durch Legate bereichern wollen. Für diesen Fall seien die Formvorschriften nicht einschlägig. Symmachus erörtert seine teleologisch reduzierende Auslegung nicht rechtstheoretisch, sondern pocht schlicht auf das traditionell Überkommene, auf alte Werte. Relation 41 ist Zeugnis seiner traditionellen Einstellung, der er so verhaftet ist, dass ihm eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Kaiserkonstitutionen überflüssig erscheint. Geringer Umfang, nützliche Zwecksetzung und Üblichkeit der Vermächtnisse an Testamentszeugen rechtfertigen ohne weiteres die einschränkende Auslegung der rescripta divalia. Es fällt auf, wie sicher der Stadtpräfekt hier seiner Sache ist. Er meint, mit diesen Argumenten den Kaiser ohne weiteres von seiner Sichtweise überzeugen zu können, obgleich die Gegenauffassung sich auf rescripta stützen kann, die sich durchaus gegen einen alten Brauch durchzusetzen vermögen und deren Gültigkeit auch Symmachus grundsätzlich anerkennt. Die strenge, am Wortlaut orientierte Auffassung des rationalis erscheint nicht abwegig. Leider wissen wir nicht, ob die angeführten strengen Formvorschriften noch neu waren und in der Praxis daher vielleicht noch nicht voll etabliert, doch könnte man diesen Eindruck gewinnen, denn Symmachus zeigt nur vordergründiges Rechtsbewusstsein. Sinn und Zweck des einleuchtenden gesetzlichen Verbotes, überhaupt Legate an Testamentszeugen zu verteilen, um Ausübung von Druck auf den Erblasser oder auch nur eine Erwartungshaltung zu verhindern, spielen in seinen Überlegungen keine Rolle. Fünf solidi sind keine ausführliche Diskussion wert, sondern einfach nur (zu) geringfügig. Zwar dürfte dieser Betrag in der Tat nicht allzu hoch gewesen sein, entsprach aber doch immerhin einem durchschnittlichen Gehalt von ca. 280 Tagen oder ca. 150 modii (= 1.312,5 Liter) Getreide957. Wo soll die Grenze zwischen noch vertretbarer Auslegung und Rechtsbeugung gezogen werden? Zur erbrechtlichen Fragestellung ist im Ergebnis festzuhalten, dass Symmachus hier weniger juristisch als emotional ergebnisorientiert argumentiert und dabei Billigkeitserwägungen zugunsten der im Testament eingesetzten Erben wiederholt. Das bislang Übliche, usus, legitimiert auch künftig das Abweichen von den im Wortlaut strengen Reskripten leuchtet den Willen von Aggarea und den der rescripta. Dass die Zielsetzung eines Gesetzes entscheidend sei, sagt ähnlich dann ausdrücklich NT 9, 1/CJ I, 14, 5 (439, Ost). 957 Vgl. Pankiewicz, Fluctuations, 103-105; 122 f zu Warenwert und Preisen im 4. Jh.: 1 modius (8,75 Liter, vgl. bei Rel. 40) Getreide kostete auf dem Markt etwa 1/30 solidus (s. a. Ammian, XXVIII, 1, 18), d. h. etwa 0,15 g Gold, denn 1 solidus bestand aus 4,55 g Gold. Ein Durchschnittsgehalt brachte etwa 1/56 solidus pro Tag ein. Nach Ammian, XX, 4, 18, verspricht Kaiser Julian seinen Soldaten in großer Bedrängnis 5 Goldstücke (aureus/solidus) und 1 Pfund Silber. In Rel. 15 erhält der Kaiser als Neujahrsgeschenk des Senats bzw. des Stadtpräfekten die üblichen Schalen mit 5 solidi, die nicht belastend seien. Nach Rel. 13 verspricht der Senat dem Kaiser eine Zahlung anlässlich seines Dienstjubiläums von 1.600 Goldpfund. Rel. 29 (Wechselkurs) enthält keinen Anhaltspunkt zum damaligen Wert eines solidus; der Kurs war jedenfalls inflationär.
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und ist ius und damit vom Kaiser besonders zu schützen, eine echt symmachianische Konzeption. In § 7 stellt er die Gültigkeit des Testaments schlicht fest: iusta defuncti voluntate. Dass seine Auffassung zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen kann, interessiert Symmachus nicht. Die gezeigte Empörung muss man ihm wohl abnehmen, denn Marcianus macht sich geschickt Kenntnisse über Einzelheiten des Testaments zunutze, die er einige Jahre nach dessen Eröffnung wohl eher zufällig bekommen habe dürfte. Ihn dafür auf Kosten der von Aggarea willentlich benannten Erben zu belohnen, mag ungerecht erscheinen, ist aber Konsequenz aus den strengen Vorschriften zu Testamenten und dem Umgang mit bona vacantia. Andererseits ist Symmachus zugute zu halten, dass die testamentarischen Formvorschriften in diesem Punkt tatsächlich schwankten. Ältere Quellen, die ein Testament auch dann für gültig halten, wenn die Zeugen mit Legaten bedacht wurden, wurden schon genannt. Einige Jahre nach Symmachus’ Stadtpräfektur ändert sich die Rechtslage möglicherweise erneut, eben in die von Symmachus geforderte und angeblich auch derzeit der Rechtspraxis entsprechende Richtung. Der Testator darf danach, jedenfalls für den Osten ist das überliefert, die Zeugen (wieder) frei wählen und sie auch bedenken: CT IV, 4, 3, 3 (402, an den proconsul Asiae, unter Berufung auf die Rechtsauffassung des Juristen Scaevola) und CJ VI, 23, 22 (480 an den praefectus praetorio). Legate an Testamentszeugen waren nicht zu allen Zeiten unzulässig und wurden in der Praxis wahrscheinlich selten angezweifelt, was die Empörung des Stadtpräfekten über die strenge Auslegung des rationalis erklären könnte. Seine Einschätzung mag sich schon bald wieder durchgesetzt haben. Man könnte sich allerdings auch fragen, ob er nicht die Erben, notfalls contra legem, schützen will. So wissen wir nicht, ob Symmachus vielleicht mit der Familie der Aggarea befreundet war. Dann müsste der Fall neu bewertet werden. Doch gibt es dafür keinerlei Anhaltspunkte, vielmehr lässt sich Symmachus’ Empörung ohne weiteres verstehen, wenn man annimmt, dass solche Legate in der Praxis häufig vorkamen und wenn man sich die Missstände bei den Delationen und Petitionen vor Augen führt. Marcians Gesuch ist rechtlich zwar raffiniert eingefädelt und erhält auch Unterstützung von den Vertretern der res privata, doch spricht Symmachus vielleicht nicht zufällig von calumnia. Wie viele andere scheint ihm auch dieses Gesuch böswillig vorgebracht und soll sich beim Kaiser Verdacht gegen die Lauterkeit der defensores und rationales erheben. Symmachus hält mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg. Zu oft wurden gierige958 Bittsteller vorschnell belohnt. Er argumentiert nicht zugunsten des fiscus, sondern zugunsten von Privatleuten, die sozial nicht besonders hochgestellt sind, verteidigt ihre Interessen, pocht auf Einhaltung ihrer Anhörungsrechte im Rahmen des laufenden Verfahrens, prangert Verstöße an (§ 2) und zeigt in diesen Fragen beachtliches Rechtsbewusstsein. In seinem Schreiben erbittet er nicht etwa eine Ausnahme vom Gesetz, sondern hofft auf Bestä958
Solche aviditas taucht ausdrücklich z. B. in CT X, 10, 11 (369) auf.
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tigung seines Urteils, durch das er die eigene Auslegungskompetenz nicht überschritten sah. Seine Auslegung der rescripta divalia führt konsequent zum Urteil, dass das Testament gültig ist, die eingesetzten Erben nichts herausgeben müssen und folglich Marcianus auch nichts bekommen kann, da die Bedingungen des gratianischen Reskripts nicht erfüllt sind. Ob der Kaiser diese Einschätzung teilte, ist offen. Symmachus sieht jedenfalls einen beträchtlichen Begründungbedarf, schließlich profitiert die res privata des Kaisers bei der Gegenauffassung. c) Die Kompetenzfrage Es bleibt die Frage, was es mit der Kompetenzrüge auf sich hat, die vorgebracht wird, als Symmachus das Testament als gültig zu beurteilen sich anschickt. Die defensores fisci tragen vor, dass in zweiter Instanz nicht der Stadtpräfekt, sondern der comes rei privatae zuständig sei, weil der rationalis das Verfahren erster Instanz kraft seiner Delegation geleitet habe. Der Prozess sei dem Delegierenden wieder zu übergeben959. Symmachus beruft sich demgegenüber auf eine erst kürzlich ergangene Konstitution, proxima sanctio, die den Richtern vice sacra die Rechtsprechung oberhalb der rationales zuerkenne und ihre schon lange bestehende Zuständigkeit noch einmal bestätige. Sehr wohl sei daher der Stadtpräfekt zuständig. Seine Kompetenz ergebe sich aus einer lex, einer neuen proxima sanctio und entspreche überhaupt „prisco iure“, § 6. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Rechtsauffassung ist zu klären, was die Gesetze tatsächlich sagten, insbesondere, welche Rechtsprechungsbefugnisse der comes rei privatae damals hatte960. 959 Dem entspräche Ulp. D XLIX, 3, 1pr., wonach gegen die Entscheidung des Delegierten an den Delegierenden appelliert werden kann. Die defensores fisci begründen ihre Behauptung allerdings nicht näher. 960 Mit keinem Wort problematisiert Symmachus in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Kompetenzrüge noch rechtzeitig vorgebracht wird. Prozesseinreden wie die Unzuständigkeit des Richters sind grundsätzlich vor der litis contestatio vorzubringen: Bethmann-Hollweg, Civilprozeß III, 264; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 584 f; 587589; s. a. bei Rel. 38; CJ III, 13, 4 (331); CT XI, 30, 65 (415). Der Beklagte muss der Ladung des Richters folgen und kann dann dessen Unzuständigkeit geltend machen. Lässt er sich sachlich auf die Klage ein, unterwirft er sich stillschweigend dessen Gerichtsbarkeit und verliert den Einwand der Unzuständigkeit. Möglicherweise wird hier erst nachdem bereits zur Sache verhandelt wurde, nach der Diskussion über das Testament, die angebliche Unzuständigkeit des Stadtpräfekten geltend gemacht. Symmachus könnte den Einwand in diesem Fall mit gutem Recht als verfristet zurückweisen. Der Sachverhalt ist an dieser Stelle allerdings nicht eindeutig. Symmachus’ Einschätzung in der Sache zeichnet sich zwar schon ab, doch untersucht er wohl doch erst nach der - damit doch rechtzeitigen - Zuständigkeitsrüge den Fall, § 7. Er lässt sich auf das Vorbringen ein und weist die Rüge mit inhaltlicher Argumentation zurück. Dass er einschlägige Präklusionsvorschriften nicht kannte, wird sich daraus nicht herleiten lassen; ihm war daran gelegen, seiner Empörung Ausdruck zu verleihen, indem er seine Zuständigkeit mit Rechtsargumenten in der Sache verteidigt und so das Vorbringen noch deutlicher als bloßes Verzögerungsmanöver zu enttarnen sucht.
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Die Zuständigkeiten in Fiskalsachen wurden bereits bei Relation 30 angesprochen und sollen hier lediglich kurz skizziert werden: Richter erster Instanz ist in Fiskalsachen der rationalis, über dem, jedenfalls in Rom und dem Hundertmeilenbezirk, grundsätzlich der Stadtpräfekt berufen ist. Das ist die überlieferte Rechtslage, auf die sich auch Symmachus beruft. Zu nennen ist hierzu zunächst CT XI, 30, 18 (329961 an den praefectus urbi): Quotiens rationalis vel officii necessitate poscente vel ex praerogativa rescribti inter privatos iudicaverit, si a sententia fuerit provocatum, non ad nostram scientiam referendum est, sed apostolis datis, quod iuxta observatam rationem postulari sufficiet, ad auditorium gravitatis tuae, cui ad vicem nostram delata iudicatio est, partes pervenire oportet, in fiscalibus causis servato priscae consuetudinis more, ut opinione edita universa ad nostram scientiam referantur. Relation 41 scheint einen Anwendungsfall genau hierfür zu liefern. Der rationalis ist ordentlicher Richter im Fiskalprozess und reguläre zweite Instanz ist der Stadtpräfekt als Richter vice sacra, der dann nachträglich dem Kaiser berichten muss. Insoweit verweist Symmachus auf eben diese allgemeine Regel als priscum ius bzw. Inhalt der in § 6 einleitend genannten lex, die er allerdings Valentinian II. zuschreibt, unter dem sie weiterhin in Kraft gewesen zu sein scheint, vielleicht sogar ausdrücklich bestätigt wurde962. Zusätzlich beruft er sich auf eine proxima sanctio. Diese könnte in CT XI, 30, 41 (wohl noch von Kaiser Gratian 383 an seinen comes rei privatae Ammianus963 gerichtet) zu finden sein964: Rationales privatae rei causis vel sacri aerarii praesidentes examen praesente fisci advocatione suscipiant. Ac si eorum sententia forte fuerit appellatione suspensa, ad eos iudices disceptationis fata transeant, ad quos privatorum hominum cau961
Seeck, Regesten, 48; 179. Sie entspricht, wie Symmachus ausführt, dem priscum ius, vgl. dazu ergänzend CT XI, 30, 28 (359); s. a. XI, 36, 6 (342); 9 f (353/360); 13 (358); 18 (364); 21(374) zur zweitinstanzlichen Zuständigkeit des allgemeinen Zivilrichters im Fiskalprozess oberhalb des rationalis. 963 Zu Gratians Urheberschaft: Honoré, Law, 183 f; zu Ammian oben bei Rel. 36: Er wird nach dem Ende seiner Amtszeit wegen Staatsdelikten vor dem Gericht des Stadtpräfekten Symmachus angeklagt. Aus Rel. 41 ist jedoch kein Vorwurf gegen ihn zu entnehmen, der strafrechtlich relevant wäre. Er hat vermutlich als Berater die Reskriptantwort Gratians an Marcianus bewirkt, deren Geltung und Rechtmäßigkeit Symmachus unterstreicht. 964 Steinwenter, Briefe, 12; Martínez-Fazio, Basílica, 239 Fn. 19; Barrow, Prefect, 215 Fn. 4; Vera, Commento, 309 f; Delmaire, Largesses sacrées, 88, verweisen ebenfalls auf CT XI, 30, 41 als der proxima sanctio. Sie ist „proposita“ am 16. Dez. 383. Das Verfahren ist ca. 2 Jahre alt, die Konstitution wäre also in der Zwischenzeit publiziert worden. Die Eingrenzung von proxima ist unbestimmt, kann auch ein Jahr betragen. Eine Datierung der Relation aufgrund dieser Angabe auf den Beginn der Amtszeit des Symmachus, wie es Seeck, Symmachus, CCX, versucht hat, ist deshalb wohl nicht möglich. Auch der selbstbewusste Ton des Schreibens ist kein sicherer Anhaltspunkt für eine solche Datierung. Soweit Giglio, Giurisdizione e fisco, 196, in diesem Zusammenhang CT X, 1, 9 (365 an den praefectus urbi) nennt, vermag dies nicht zu überzeugen, da die Frage der Zuständigkeit im Appellationsverfahren dort nicht geregelt wird. Allerdings nennt auch er, auf S. 211, CT XI, 30, 41 dann wohl als proxima sanctio. 962
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sae referri ex provocatione consuerunt, ita ut, si ab illis quoque fuerit provocatum, mansuetudinis nostrae expectetur arbitrium, vel sinceritate tua vel sacrarum remunerationum comite, prout ad quem negotium pertinebit, quid super his, de quibus referatur, gestum sit, scribtis currentibus instruente, ut, sive athuc superest nostra cognitio, mansuetudinem nostram facta suggestione commoneat, sive adquiescentibus partibus terminum negotio datum esse constiterit, plenam rei inquisitionem notitiamque eius accipiat. Sane tempora tantum volumus privatis fiscalibusque causis non esse communia, ut antiquo iure fiscalia negotia intra duos menses in eadem provincia, intra quattuor in contigua, intra sex in transmarina dicantur. Das Urteil des rationalis kommt danach in zweiter Instanz vor den ordentlichen Zivilrichter, in Rom also den Stadtpräfekten, genau wie Symmachus ausführt. Dem comes rei privatae stehen lediglich Informationspflichten zu, wenn an den Kaiser appelliert wird (dazu unter d). Doch fragt sich, was sich aus den Vorschriften zur Einziehung von bona vacantia ergibt. Danach ist der rationalis mit der Einziehung dieser Güter zur res privata befasst965 und diese Funktion weist ihm auch das Reskript Gratians zu. Er prüft, ob die angezeigten Güter der Staatskasse zustehen, erstellt ein Verzeichnis und informiert den comes rei privatae von seinem Untersuchungsergebnis (s. schon oben). Eine Rechtsprechungskompetenz des rationalis für den Fall, dass sich Widerspruch erhebt, wird in diesem Zusammenhang gesetzlich nicht geregelt. Vielmehr ist dafür nach CT X, 10, 7 (345) der ordentliche Richter, iudex ordinarius, d. h. der jeweilige Statthalter der Provinz, in der sich die umstrittenen Güter befinden, zuständig966 und CT XI, 30, 26 (355) erlaubt gegenüber dem praefectus praetorio ausdrücklich die Appellation gegen eine sententia quae pertinet ad bona vacantia et caduca. Zuständig ist oberhalb des Statthalters also der Prätorianerpräfekt. Diese Vorschriften sind hier jedoch nicht einschlägig. In Rom bzw. der Hundertmeilenzone, d. h. dem Gebiet des Stadtpräfekten, das keinem Statthalter untersteht, ist der erstinstanzlich mit dem Fall befasste Richter der ordentliche Richter in Fiskalsachen, der rationalis von Rom, und das nicht erst aufgrund des Reskripts von Kaiser Gratian, in dem der rationalis, nach dem, was uns Symmachus mitteilt, lediglich mit der Inventarisierung beauftragt wird. Der Wohnsitz der Beklagten bzw. die Lage des streitgegenständlichen Vermögens war offensichtlich in Rom bzw. der Hundertmeilenzone. Nur für diesen Bezirk steht denn auch die zweitinstanzliche Kompe965 CT X, 8, 2 (319): Der rationalis verzeichnet die Güter, nimmt sie in Besitz und schickt dem comes rei privatae die vollständige Liste; s. a. X, 10, 7 (345), dazu schon oben; X, 9, 1 (369): Der comes rei privatae und die rationales haben die der Staatskasse verfallenen Güter einzuziehen und genau zu verzeichnen. Zu vermuten ist auch ihr Einfluss auf etwaige Schenkungsreskripte des Kaisers, die sie dann auch vollziehen. Dazu auch CT X, 8, 1 (313); X, 10, 5 (340) an den rationalis; X, 10, 12-14 (380, Ost) zur Zuständigkeit des comes rei privatae. 966 So auch CT X, 12, 2, 1 (368: Seeck, Regesten, 232) für den Fall von herumstreifenden Sklaven, die ebenfalls über eine petitio erworben werden können.
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tenz des Stadtpräfekten in Frage; sie erstreckte sich wohl nicht auf das gesamte Vikariat wie in allgemeinen Zivilsachen, sondern nur auf den schon erstinstanzlich besonderen Zuständigkeitsbezirk. Außerhalb war der jeweilige Statthalter und darüber der Prätorianerpräfekt zuständig. Es bleibt die Frage, ob der rationalis kraft Delegation durch den comes rei privatae oder aus eigener Zuständigkeit befasst war. Eine ausdrückliche Rechtsprechungskompetenz des comes rei privatae findet sich in den überlieferten, in den Jahren 384/385 in Rom geltenden Vorschriften über bona vacantia nicht. Ihm sind lediglich Informationsrechte und -pflichten zugewiesen, s. etwa CT X, 10, 7 (345) und die in der vorletzten Fußnote genannten Quellen. Der zuständige Richter hat dem comes Bericht zu erstatten und dieser berichtet dem Kaiser über einzelne Einziehungsverfahren und Bittgesuche. CT X, 10, 8 (346) wendet sich an den comes rei privatae und ordnet an, dass petitor und delator ihre Behauptung vor Gericht beweisen müssen. Vor wessen Gericht, wird nicht gesagt. Dasselbe gilt für CT X, 13, 1 (386, an den comes rei privatae). Lediglich zwei Ostregelungen von 380 weisen dem comes möglicherweise Rechtsprechungsbefugnisse zu, jedenfalls ist bei ihm das Schenkungsreskript zu allegieren: CT X, 10, 12 f. Die Kompetenzen änderten sich in den Folgejahren mehrfach: CT X, 10, 20 (392) nennt alternativ Vikare und ordinarii cognitores (wohl Provinzstatthalter); CT X, 10, 27, 1 f (418) den ordentlichen Richter (den Statthalter vor Ort) und auch den comes rei privatae; CT X, 10, 30 (421) spricht pauschal von Richtern im Range eines illustris, Adressat ist der praefectus praetorio; CT X, 10, 31 (422) wendet sich an den comes rei privatae; und nach CT X, 10, 32, 1 (425, Konstantinopel) ist zuständiger Richter (zweiter Instanz?) der comes rei privatae oder der Provinzstatthalter. Eindeutig ist NT 17, 2, 4 (444), wonach die gesamte Rechsprechung über bona caduca et vacantia dem praefectus praetorio übertragen wird. Dieser Streifzug durch die einschlägigen Vorschriften zeigt, wie stark die Schwankungen in Ost und West waren. Unstimmigkeiten waren vorprogrammiert. Festzuhalten ist, dass für die Jahre 384/385 keine erstinstanzliche Rechtsprechungskompetenz des comes rei privatae in Prozessen um bona vacantia überliefert ist, die er dem rationalis hätte delegieren können. Denkbar ist allerdings, dass sich der comes rei privatae zunehmend in Prozesse eingemischt hat, die Rechte der res privata betrafen. Aus seinen Informationsrechten und -pflichten (er ist häufig Adressat der einschlägigen Kaiserkonstitutionen, so auch von CT XI, 30, 41) sowie seiner Disziplinargewalt über die rationales versuchte er möglicherweise eine Rechtsprechungskompetenz abzuleiten. Größere Fälle mag er an sich gezogen haben, indem er bestehende Unsicherheiten in der Frage der Zuständigkeit ausnutzte. Wenige Zeit später bestätigt sich in den Rechtsquellen tatsächlich seine, ggf. konkurrierende, Kompetenz967. Einzelne 967 Einige Vorschriften wurden bereits genannt. Literatur zur Fiskalgerichtsbarkeit s. bei Rel. 30; zum Instanzenzug s. a. Jones, LRE, 485 f. Zur Entwicklung der Rechtsprechungsbefugnisse von comes rei privatae und comes sacrarum largitionum vgl. Delmai-
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Verfahren wird er nun an die ihm unterstellten rationales abgegeben haben. Zweifelhaft bleibt aber, ob der rationalis hier wirklich kraft Delegation durch seinen Dienstherrn tätig geworden ist, denn nach der Überlieferung hatte der rationalis 384/385 wohl (noch) eine eigene, allgemeine Zuständigkeit in Fiskalsachen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Gratians Reskript, das dem rationalis zusätzlich die einleitende Sachverhaltsuntersuchung überträgt. Symmachus geht auf diese Frage denn auch nicht weiter ein, sondern macht nur geltend, dass reguläre Appellationsinstanz oberhalb des rationalis jedenfalls er selbst sei. Gleichgültig, ob der rationalis kraft Delegation des comes rei privatae oder aus eigener Zuständigkeit geurteilt hat, ist der comes jedenfalls nicht zweitinstanzlicher Richter. Dafür führt der Stadtpräfekt nicht nur die proxima sanctio an, sondern macht weiter geltend, dass das Verfahren aufgrund der preces des Marcianus und der kaiserlichen largitas entstanden sei. Daher sei er als Richter vice sacra in Rom berufen. Besonders deutlich ist das letzte Argument nicht, doch scheint er sich auch insoweit noch einmal auf die allgemeinen Kompetenzvorschriften im Fiskalprozess, die auch im Streit um erbetene bona vacantia gelten, zu berufen. CT XI, 30, 18 und 41 wurden bereits angeführt und die Vorschriften zur Einziehung von bona vacantia enthalten für 384/385 insoweit keine Neuerung. Zweite Instanz war damit der Prätorianerpräfekt (CT XI, 30, 26) bzw. in Rom der Stadtpräfekt. Der comes rei privatae ist (noch) nicht als zweite Instanz für solche Fälle überliefert. Im Gegensatz zur Einschätzung des Symmachus lässt sich die Gegenauffassung nicht belegen. Schon bald zeigt sich aber eine neue Tendenz zugunsten des comes rei privatae; kurze Zeit nach, vielleicht auch gerade noch während der Stadtpräfektur des Symmachus ist ein beachtlicher Kompetenzzuwachs belegt. So heißt es in CT XI, 30, 45 vom 15. Februar 385 an den comes rei privatae Pelagius968: Cum post sententiam discussoris vel rationalis fuerit provocatum, ad sinceritatem tuam negotium transferatur, ut, si mediocritas negotii aut longinquitas regionis ad iudicium tuum litigatores venire non patitur, iudici provinciae, quem ipse probaveris, negotium deleges. CT XI, 36, 29 aus derselben Gesamtregelung ergänzt diese Verfügung um Verfahrensanweisungen für das Appellationsverfahre, Largesses sacrées, 80 ff; 86 ff: Das Jahr 385 markiert insoweit einen Wendepunkt. Vor dem Jahr 380 gab es keine allgemeine Rechtsprechungskompetenz der comites, die in Prozessen lediglich Berater des Kaisers waren, vgl. noch Ambrosius, Ep. 74, 27 an Kaiser Theodosius (388): de causis pecuniariis comites tuos consules... . Erstmals taucht der comes sacrarum largitionum im Steuerprozess als Richter auf, z. B. CT XI, 30, 39 (381); 40 (383) und s. schon XI, 30, 28 (359) zu möglicher erstinstanzlicher Zuständigkeit des comes im Steuerprozess anstelle des rationalis. Der comes rei privatae erhält ab Ende des 4. Jh. außerdem die Strafrechtsprechung über sein Personal und Anfang des 5. Jh. auch die Zivilrechtsprechung, s. schon bei Rel. 23 und Masi, Giurisdizione. S. a. unten 3. 968 Dieser ist möglicherweise schon zur Zeit der Stadtpräfektur des Symmachus im Amt und würde im vorliegenden Fall dann selbstbewusst seine (angebliche) Zuständigkeit geltend machen. Über Pelagius ist nichts weiter bekannt: Delmaire, Responsables, 100; PLRE I, Pelagius 2, 686.
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ren. In zweiter Instanz ist das Verfahren oberhalb des rationalis dem comes rei privatae zu übertragen, genau wie hier gefordert wird. Kleinere und weit entfernte Fälle kann er an den jeweiligen örtlichen Provinzstatthalter delegieren. Die Konstitution stammt (data) vom 15.2.385. Am 24.2.385 aber war Symmachus bereits aus dem Amt geschieden. Die Argumentation der Gegenseite kann sich daher noch nicht auf diese Konstitution gestützt haben. Von dieser Seite werden denn auch keine Rechtsvorschriften angeführt; keine Vorschrift gibt dem comes bislang eine Rechtsprechungskompetenz in solchen Fällen. Symmachus ist recht zu geben. Die Behauptung, der Fall sei dem rationalis delegiert worden, scheint ein dreister Versuch des comes rei privatae, die Zuständigkeit in zweiter Instanz an sich zu ziehen. Denkbar ist allerdings, dass die Regelung vom 15. Februar 385 eine Reaktion auf Relation 41 war969, dass die Relation also zum Anlass genommen wurde, einen neuen Instanzenzug zu schaffen und dem Stadtpräfekten Zuständigkeiten zugunsten des comes rei privatae zu nehmen, wie dieser gefordert hatte. Sie gilt auch für bona vacantia, ist aber allgemein gefasst und insofern keine Entscheidung in der konkreten Sache, die allenfalls Anlass für eine umfassendere Neuregelung war. Der rationalis ist aber auch hiernach nicht kraft Delegation, sondern aufgrund eigener Kompetenz berufen. Nach der Quellenlage trifft die Argumentation von Symmachus zu. Der Stadtpräfekt ist nach wie vor ordentliche zweite Instanz oberhalb des rationalis Romae und CT XI, 30, 18 und 41 sind noch geltendes Recht. In der Praxis allerdings wird ihm die Zuständigkeit bereits streitig gemacht, wogegen Symmachus erbittert Widerstand leistet. Am Hof wird der Sonderstatus Roms immer weniger akzeptiert und die Waage neigt sich zugunsten des comes rei privatae, wie sich wenig später zeigt. Relation 41 blieb insoweit vermutlich ohne Erfolg. Im Gegenteil festigen sich die Kompetenzen des comes rei privatae und auch des comes sacrarum largitionum in den Folgejahren sogar noch. 389 bekommt der Stadtpräfekt für den Bereich der res privata zwar eine begrenzte Zuständigkeit in zweiter Instanz oberhalb des rationalis zurück, denn CT XI, 30, 49 (389) weist ihm die Appellation in Rom zu, wenn der Streitwert nicht über 200 Silberpfund liegt; beträgt er aber mehr, ist der comes rei privatae berufen. Die Kompetenzverschiebung in der Fiskalgerichtsbarkeit zulasten des Stadtpräfekten bleibt endgültig, s. auch bei Relation 48. Die Sonderstellung Roms wird weitgehend beendet. Relation 41 beleuchtet in diesem Zusammenhang die Spannungen im Vorfeld dieser Kompetenzentwicklung, die in Mailand vielleicht schon diskutiert wurde, was die Selbstsicherheit der Gegenseite erklären könnte. Immer wieder gibt es auch in den Folgejahren Diskussionen um die Zuständigkeiten in der Fiskalgerichtsbarkeit, wie einige Privatbriefe verdeutlichen. So 969 So auch die Vermutung von Delmaire, Largesses sacrées, 88. Vera, Commento, 310, hält es für möglich, dass Rel. 41 mitursächlich war.
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beleuchten Epp. V, 54 und 66 gegen 397 einen Fall, in dem sich Parallelen zu Relation 41 auftun970: In einem Prozess um senatorisches Eigentum an einem Haus in Rom droht dem Stadtpräfekten die Zuständigkeit entzogen zu werden, wogegen sich Symmachus als Privatmann empört an den Hof, konkret an den comes sacri palatii und den comes sacrarum largitionum, wendet, auf senatorische Vorrechte und das Ansehen der Stadtpräfektur pocht. Der Prozess wurde zunächst vor dem Stadtpräfekten eröffnet, doch floh der Kläger und der Fall konnte nicht abgeschlossen werden. Später eröffnet eine Supplik den Fall wieder. Der comes rei privatae lässt den Sachverhalt durch seine Leute prüfen, denn die res privata macht Ansprüche aus einer früheren Konfiskation geltend und bestreitet deshalb die Wirksamkeit eines lange zurückliegenden Kaufvertrages. Der Stadtpräfekt droht zugunsten des comes rei privatae, vielleicht auch des Provinzrichters, von der Entscheidung ausgeschlossen zu werden. Der Fall zeigt, dass es in Rom weiterhin Kompetenzstreitigkeiten gab, wenn die Staatskasse Ansprüche auf Privatvermögen anmeldete. Noch immer sind die Zuständigkeiten, hier in erster Instanz, nicht klar abgegrenzt und ein Schreiben von Symmachus an den Hof, so glaubt er jedenfalls, vermag möglicherweise sogar die Gerichtszuständigkeit zu beeinflussen. Und so fordert er auch in Ep. V, 63 (s. schon bei Relation 30) in einem weiteren Fiskalprozess gegen Senatoren engagiert die Zuständigkeit des Stadtpräfekten ein, die wieder einmal in Frage gestellt worden war. Auch hier bahnt sich möglicherweise ein allgemeiner Wandel an, weg vom ordentlichen Richter hin zum Ressortfachmann, jedenfalls in größeren Fällen. Insbesondere die Zuständigkeit des Stadtpräfekten über Senatoren wird immer wieder in Frage gestellt, s. zum Thema auch Relation 48. In der Praxis und den Rechtsquellen jener Jahre zeigt sich eine Zunahme von Sondergerichtsbarkeit. Fachgerichte etablieren sich im Fiskalprozess auch in zweiter Instanz, was einerseits zu einer sachkompetenten Rechtsprechung beiträgt, andererseits aber zu Parteilichkeit führen kann, gerade in Fällen wie dem vorliegenden, wenn der comes rei privatae darüber zu befinden hat, ob Güter seinem Ressort zuzuordnen sind. Symmachus versucht sich dieser Tendenz entgegenzustellen, seine Kompetenzen zu wahren, und lässt sich nicht beirren. Handfeste Rechtsargumente tragen sein Schreiben derzeit (noch). Trotzdem wird der Fall in der Kompetenzfrage wie gesehen vermutlich zugunsten der Gegenansicht ausgegangen sein. Valentinian II. mag ihn an den comes rei privatae verwiesen haben, der wie der rationalis zugunsten der res privata und damit des Marcianus entschieden haben dürfte. Vielleicht aber hat der Kaiser auch nur seine künftige Zuständigkeit in solchen Fällen festgestellt und den konkreten Fall gleich selbst, beraten durch den comes rei privatae, dem Symmachus offensichtlich keine neutrale Entscheidung zutraut, zugunsten der res privata entschieden, das Urteil von Symmachus aufgehoben und das Testament für ungültig erklärt. Marcellus, Bizias und Heliodorus, die bislang dank des
970 Zum Fall: Chastagnol, Préfecture, 119 f; Callu, Lettres II, 242 f; 244 f Anm. 190 und 203. S. a. bei Rel. 16 und in der Bewertung der Privatbriefe im Dritten Teil.
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Suspensiveffekts der Appellation971 noch im Besitz des Nachlasses der Aggarea waren, mussten ihn in diesem Fall an die res privata herausgeben und Marcianus hatte alle Chancen, mit einem Teil des umstrittenen Vermögens belohnt zu werden. Im Ergebnis steht Relation 41 wie auch die Relationen 38 und 48, die ähnliche Tendenzen zeigen, an der Schwelle zur eingeforderten und zunehmend akzeptierten Fachgerichtsbarkeit der Hofminister. Gegen Ende des Jahrhunderts vollzieht sich ein Wandel im Instanzenzug und in eben diese Umbruchszeit fällt die Stadtpräfektur von Symmachus972. Der Umbruch begann vermutlich 383 mit dem Tode Gratians973. Der junge Valentinian II. war im besonderen Maße von seinen Beratern abhängig, die ihre Interessen erfolgreich durchsetzen und ihre Kompetenzen vergrößern konnten. Einschlägige Neuregelungen gab es Anfang 385. Als problematisch erweist sich die fehlende Gewaltenteilung gerade auch hier. Der rationalis ist zum einen Verwaltungsbeamter, der Vorermittlungen zum Sachverhalt durchzuführen hat, und zum anderen der ordentliche, mit dem Fall befasste erstinstanzliche Fachrichter im Fiskalprozess. Selbst wenn es in der Zwischenzeit einen Amtswechsel gegeben haben sollte und Bassianus abgelöst worden wäre, behindert die Interessenlage eine unabhängige Rechtsprechung, sprachen der rationalis und - jedenfalls später - in zweiter Instanz auch der comes rei privatae doch in eigener (wenn auch nicht in persönlich eigener) Sache Recht. d) Die zweite Appellation Der defensor der res privata legt eine inusitata provocatio ein, § 7. Es fragt sich, was Symmachus damit meint. Zunächst könnte man daran denken, dass eine Appellation gegen das zweitinstanzliche Urteil des Stadtpräfekten, das vice sacra erging, unzulässig ist, weil damit ein anstelle des Kaisers gefälltes Urteil und damit indirekt auch der Kaiser selbst angegriffen wird. Dann würde Relati971 Die Vollstreckung ist ausgesetzt. S. a. die spezielle Schutzvorschrift für Fälle der vindicatio durch den fiscus in CT X, 1, 5 (326). 972 CT XI, 30, 45 und 49 wurden schon angesprochen. Die Regelung zur Appellation fehlt in CJ II, 8, 4, das CT XI, 30, 41 aufnimmt; sie bestand nicht mehr lange. Weitere Vorschriften aus dem Jahre 385 weisen den beiden Finanzministern Kompetenzen zu: Nach CT XI, 30, 46/ XI, 36, 30 (Nov. 385) ist der comes sacrarum largitionum in zweiter Instanz im Prozess um Steuerschulden zuständig. Nach CT X, 1, 13 und I, 10, 3 (Sept./Nov. 385) hat der comes sacrarum largitionum neuerdings eine erstinstanzliche Rechtsprechungskompetenz extra ordinem in omnibus fiscalibus causis. Diese Neuregelung entspreche aber veteres mores, d. h. die Praxis eilte auch dort voran. Ähnlich verläuft die Entwicklung vielleicht beim comes rei privatae: Dem in der Praxis üblich Gewordenen wird die gesetzliche Regelung mit der ausdrücklichen Kompetenzzuweisung 385 nachgeschoben. Jedenfalls wird vorliegend versucht, eine neue Praxis zu etablieren. Die Spezialisierungstendenzen setzen sich in den Folgejahren fort; Nachweise bei Delmaire, Largesses sacrées. 973 Vgl. dazu auch Delmaire, Largesses sacrées, 87.
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on 41 zu den Fällen der Relationen 16, 28 und wohl auch 33 gehören, in denen Symmachus unzulässige Appellationen angenommen hat974. Tatsächlich aber ist eine solche zweite Appellation zum Kaiser im Fiskalprozess ausdrücklich vorgesehen, wie CT XI, 30, 41 (383) zeigt. Oberhalb des zweitinstanzlich zuständigen ordentlichen Zivilrichters kann der Kaiser angerufen werden975. Dann wird auch der comes rei privatae oder, je nach Sachzusammenhang, der comes sacrarum largitionum beteiligt, der den Kaiser schriftlich über den bisherigen Verfahrensverlauf informieren und ihm offiziell bei der Entscheidungsfindung beistehen muss. Zweifache Appellation ist zulässig, kommt aber offenbar selten vor, denn nach Auskunft des cognitionalis ist kein Präzedenzfall bekannt. Schließlich fällt der Stadtpräfekt eine Entscheidung vice sacra. Die Vertreter der res privata scheuen sich hier freilich nicht, den Rechtsweg voll auszuschöpfen. Sie mögen den sich unter Valentinian II. andeutenden Zuständigkeitswandel geahnt haben und außerdem war die Entscheidung des Stadtpräfekten in der erbrechtlichen Frage durchaus angreifbar. Symmachus hält, so ist aus seiner Formulierung zu schließen, die Appellation wohl nicht für unzulässig. Sie ist allerdings ein Affront insoweit als er vice sacra entschieden hat und sich seiner Sache sicher ist976. Und so nimmt er ohne weitere Erklärung die ungewöhnliche, seiner Überzeugung nach wenigstens völlig unbegründete und unangemessene, aber fristgemäß eingelegte Appellation pflichtgemäß an und schlägt, wie es sich gehört, das Verfahren der appellatio more consultationis ein. Relation 41 ist Routinebericht, der die wesentlichen Verfahrensschwerpunkte erläutert und dem Kaiser zusammen mit den Prozessakten zur Letztentscheidung vorgelegt wird. Bei aller Ungewöhnlichkeit der zweiten Appellation hätte Symmachus auch hier die proxima sanctio, sofern er damit tatsächlich CT XI, 30, 41 gemeint hat, heranziehen können, die den beschrittenen Rechtsweg vorgibt. Damit gehört Relation 41 nicht wie die Relationen 16, 28 und wohl auch 33 zu den Beispielsfällen unzulässiger Appellationen. Sie ist auch kein Regelbericht des Stadtpräfekten nach seinem Urteil im Sinne von CT XI, 30, 18, sondern Bestandteil der appellatio more consultationis. Ergänzend wird der Kaiser vom comes rei privatae informiert worden sein, der seine eigene Zuständigkeit verteidigt haben wird und damit auch zur neuen Gesetzgebung im Februar 385 beigetragen haben dürfte. Zum Verfahrensgang, wie ihn Symmachus berichtet, ist festzuhalten, dass er sich anhand der Rechtsquellen nachzeichnen lässt.
974 So etwa Vera, Commento, 248 (bei Rel. 33); ohne nähere Begründung auch Raggi, Studi, 59 Fn. 50. 975 Nur der praefectus praetorio urteilt wirklich anstelle des Kaisers, sein Urteil ist inappellabel, s. nur CT XI, 30, 16 (331). Eine zweite Appellation ist oberhalb des Stadtpräfekten nicht grundsätzlich verboten, vgl. CT XI, 38, 1 (391 an den Stadtpräfekten) und m. N. schon im Ersten Teil, 4. Abschnitt II. 3. Auch in Rel. 40 wird eine zweite Appellation erwogen, die nicht grundsätzlich unzulässig ist. 976 Zu einem ähnlichen Fall vgl. Ep. II, 30 (389): Die Appellation gegen das zweitinstanzliche Urteil des Stadtpräfekten in einer Erbschaftsangelegenheit wird als Affront aufgefasst. Zu diesem Brief bereits bei Rel. 16.
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3. Ergebnis Relation 41 zeigt uns einen selbstbewussten Stadtpräfekten, dessen Schreiben kein Zeichen von Entscheidungsschwäche ist. Mutig stellt er sich Begehrlichkeiten der res privata entgegen. Allenfalls in der Frage der Gültigkeit des Testaments lassen sich seine Argumentation und das Urteil angreifen. So eindeutig wie Symmachus meint, ist die Rechtslage wohl nicht. Nicht zuzustimmen ist Barrow977, der meint, Symmachus habe keinen Widerstand gegenüber dem comes rei privatae gewagt, wie oft gegenüber hohen Hofbeamten. Vielleicht war er in anderen Fällen zurückhaltend, hier nicht. Die Relation ist verfahrensrechtliche Pflicht des Stadtpräfekten, in der er sich mit Kritik an den Finanzbeamten und Anwälten nicht zurückhält, sich auch nicht scheut, von Machenschaften und Schikane zu sprechen und den Kaiser in die Pflicht zu nehmen. So vermutet er böse Absicht hinter der Klage, prangert Verzögerungsmanöver an und in § 1 ist gar die Rede von favor zugunsten des Marcianus, denn die mit dem Fall befassten Beamten hätten kaiserliche decreta falsch ausgelegt und das rechtliche Gehör der rechtmäßigen Erben verletzt. Der gegen ihn vorgetragene Einwand fehlender Kompetenz schließlich wird als bloßes Ausweichmanöver angeprangert und der Kaiser unmissverständlich zu rechtmäßiger Entscheidung aufgefordert. Was hinter der Empörung über das jedenfalls erbrechtlich nicht eindeutig rechtsmissbräuchliche Gesuch um bona vacantia steht, wissen wir nicht. Monks vermutet, dass Symmachus mit den eingesetzten Erben befreundet gewesen sei und sie daher so vehement verteidigt habe978. Das aber ist reine Spekulation, denn es gibt wie gesehen keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Stadtpräfekt mit Aggarea und den von ihr eingesetzten Erben irgendwelche persönlichen Kontakte hatte. Standesinteressen verteidigt er jedenfalls nicht, vielmehr deuten sich in dem Schreiben Missstände im Verfahren der Einziehung und Vergabe von (angeblichen) bona vacantia an, auch Missstände auf dem Gebiet der Rechtsprechung. Relation 41 könnte zu den unguten Beispielen gehören, die zahlreiche Konstitutionen jener Jahre zu bekämpfen suchen, in denen Güter wider besseres Wissen entzogen werden sollen979, ohne brachiale Gewalt wie 977
Prefect, 211. Gegen die (u. a) von Barrow vorgetragene Annahme einer consultatio ante sententiam s. schon oben. 978 Monks, Administration, 761 Fn. 81, spricht von „friends“, zugunsten derer Symmachus dem Kaiser berichtet habe. 979 Strafdrohungen v. a. gegen den beweisfälligen delator, aber auch Amtshaftung werden in diesem Bereich häufig angeordnet, s. schon oben und etwa CT X, 10, 16 (382, Ost): Strafdrohung gegenüber dem officium des comes rei privatae, das mittels falscher Angaben gemeinsame Sache macht mit dem ungerechtfertigterweise Fordernden, der sich so Begünstigung erschleichen konnte. Gefälligkeitsurteile der rationales zugunsten unberechtigt Fordernder kamen ebenfalls vor und wurden bekämpft, vgl. CT V, 15, 21 (368-370). Unschuldige Besitzer wurden ggf. in einen Prozess verwickelt und mussten sich verteidigen. Die eigenmächtige bzw. offiziell erschlichene Besetzung angeblich herrenloser Güter war eine Möglichkeit, den eigenen Besitz auf Kosten anderer zu ver-
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sie die Relationen 28 und 38 zeigen. Solche Missbräuche sind häufig, das Vorgehen wäre hier immerhin raffiniert eingefädelt und erbrechtlich vertretbar. Vielleicht verärgert Symmachus gerade das, denn er ist gezwungen, ausführlich zu erläutern, weshalb eine streng formale Anwendung der Rechtsvorschriften zu unverhältnismäßigen Ergebnissen führt. Symmachus macht Marcianus dabei weniger einen Vorwurf, stellt aber klar, dass er das Gesuch um Zuweisung der angeblichen bona vacantia für erbrechtlich haltlos hält980. Der ehemalige protector konnte bislang von voreingenommenen Beamten profitieren, hatte also möglicherweise gute Beziehungen zur Finanzverwaltung. Dem Hof bot sich durch das Verfahren um bona vacantia eine einfache Möglichkeit, Beamte zu belohnen, indem man solche Güter großzügig versprach. Auch Marcianus konnte so für seine Dienste als protector gewürdigt werden. Neben Senatoren wie in Relation 28 waren es vornehmlich Beamte (s. bei Relation 38), die die verschiedenen Wege, den eigenen Besitz zu mehren, geschickt für sich zu nutzen wussten. So bekommt Marcianus ohne lange Diskussionen ein Reskript von Gratian, das zwar eine Bedingung aufstellt, aber doch den Rechtsschein für sich hat, dass der Kaiser grundsätzlich bereit ist, etwas zu verschenken, und dazu führt, dass die Besitzer der umstrittenen Güter in einen langwierigen Prozess verwickelt werden und sich verteidigen müssen. Und nicht immer werden die Voraussetzungen eines solchen Reskripts genau geprüft worden sein. Ob sich allerdings aus der in § 3 in den Raum gestellten calumnia981 gegenüber Marcianus (der selbst nicht klagt) und den beteiligten Beamten ein rechtlich greifbarer Vorwurf von Betrug bzw. Begünstigung und Amtsmissbrauch machen lässt, steht dahin; Symmachus geht es hier eher um moralisch verwerfliches Verhalten als um rechtliche Kategorisierung. So ist letztlich nicht zu entscheiden, ob der rationalis tatsächlich ein Gefälligkeitsurteil gesprochen hat, das ggf. strafbar wäre. Symmachus will den Kaiser in erster Linie aufrütteln und den Fall zu größern, ohne zu Gewaltanwendung greifen zu müssen, eine Möglichkeit zur usurpatio (zum Thema s. Relationen 28 und 38), vgl. die Begrifflichkeit in CT X, 9, 1 (369). Jeder petitor, der vor der offiziellen Entscheidung (gewaltsam) Besitz an solchen Gütern ergreift, wird daher gezwungen, die Güter an den ursprünglichen Inhaber zurückzugeben und muss eine Summe in Höhe des Sachwertes zahlen, CJ VIII, 4, 7/CT IV, 22, 3 (389). Wirksamer Schutz abwesender Grundbesitzer ist auch hier schwierig. 980 In PLRE I, Marcianus 11, 555 und auch bei Vera, Commento, 306, ist die Rede davon, er habe versucht, auf betrügerische Weise Vermögen zu erhalten. Das aber lässt sich so wohl nicht sagen, denn sein Gesuch bewegte sich durchaus im Rahmen des Erlaubten und war erbrechtlich auch begründbar. Das System der delatio und petitio ist an sich bedenklich und fordert Denunziantentum heraus, war aber damals genau so vorgesehen. 981 Eine griffige Definition findet sich in PS I, 5, 1: Calumniosus est qui sciens prudensque per fraudem negotium alicui comparat. Calumniosus ist die wissentlich falsche, jedenfalls unbeweisbare Klage, s. zum Strafrecht m. N. bei Rel. 49. Auch im Zivilprozess ist calumnia als leichtfertige, schikanöse Klage relevant, vgl. dazu Hitzig, REcalumnia, 1419-21. So gibt es (s. die folgende Fn.) spezielle Haftungsregeln bei Beweisfälligkeit im Rahmen der Anzeige und Forderung von bona vacantia. Symmachus könnte mit calumnia darauf anspielen, gebraucht den Begriff hier aber nicht eindeutig streng rechtlich.
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einem ordentlichen Abschluss bringen. Dabei interessiert ihn weniger, ob sich einer der Beteiligten möglicherweise strafbar gemacht hat. Folgt man seinem Urteil, müsste zumindest der delator bestraft werden, denn er hat keinen Beweis dafür erbringen können, dass die angezeigten Güter tatsächlich vakant waren982. Symmachus deutet immerhin calumnia an, also eine schikanöse Klage, was möglicherweise die Aufforderung beinhaltet, die Schuldigen bzw. Beweisfälligen zu bestrafen983. Zwar spielt sich das Verfahren formal weitgehend in Übereinstimmung mit den einschlägigen Vorschriften ab, in Anbetracht der Langwierigkeit kommen allerdings Zweifel an der Effizienz der Schutzmaßnahmen zugunsten unbescholtener Besitzer auf und erhebt sich der Verdacht, dass im Zweifelsfall die finanzstärkere Seite, die alle Rechtsmittel ausschöpfen konnte, d. h. hier die res privata, alle Chancen hatte, die eigenen Interessen durchzusetzen, insbesondere wenn nun auch noch die Kompetenz des comes rei privatae mit Erfolg ins Feld geführt werden kann. Der Grund für sich andeutende Unregelmäßigkeiten ist nicht bei Symmachus zu suchen, vielmehr ergeben sich diese aus dem komplizierten, für Missbräuche anfälligen Verfahren. Symmachus zeigt sich um eine gewissenhafte Rechtsentscheidung bemüht und hofft am Ende fest auf eine Bestätigung durch den Kaiser: praesumens bonis placitura principibus, quae secundum leges pro fama temporum iudicavi. Dass er in Gesetzesgehorsam geurteilt hat, ist ihm noch einmal zu betonen wichtig, denn genau das könnte in der Frage des Testaments bestritten werden. Trotz der Formelhaftigkeit des zitierten Satzes wird deutlich, welche Vorwürfe Symmachus fürchtet, dass er nämlich das Gesetz gebrochen habe, dessen Auslegung er sich dieses Mal so selbstsicher zutraute. Wie der Fall ausgegangen ist, wissen wir nicht, doch spricht wie gesehen vieles dafür, dass Symmachus eine Niederlage einstecken musste und dass der comes rei privatae mit Erfolg eigene Kompetenzen beim jungen Kaiser einfordern konnte, denn die Konstitutionen von Anfang 385 bestätigen, was vor Symmachus noch erfolglos vorgetragen wird, dass nämlich der comes rei privatae Richter zweiter Instanz oberhalb des rationalis ist. Die neue Kompetenzverteilung bahnt sich erst an. 982 Delatores legen die Beweise vor, sind aber nicht (wie früher) Kläger, sondern nur Informanten, deren Angaben vor Gericht überprüft werden. Sie werden bei Misslingen des Beweises scharf, regelmäßig sogar mit dem Tode bestraft. Spätestens die dritte delatio - egal, ob sie gutgläubig vorgetragen wurde - wird bestraft, womit professionelles Anzeige(un)wesen bekämpft werden sollte: CT X, 10, 3; 7 (Beweislast); 8 (schwere Strafe); 10 (Todesstrafe); 12 f (380 Ost: Strafdrohung bei Beweisfälligkeit und Todesstrafe für die dritte delatio); 18 (383 Ost: Beweislast); 19 (387); 28 (418). Auch der Begriff der calumnia taucht in eben diesem Zusammenhang auf: CT X, 10, 2; 12; 30. Die Appellation zum Kaiser ist hier für den delator die letzte Hoffung, einer Bestrafung zu entgegen. Der petitor Marcianus ist nach diesen Vorschriften in einer besseren Situation und muss nicht haften, jedenfalls nicht ohne weiteres. 983 Dabei wäre auch an die advocati fisci zu denken, die sich, wie die Quellen zeigen, nicht immer korrekt verhalten haben und dafür auch einstehen müssen: CT X, 15, 1 (313); 3 f (340/367).
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Der sich andeutende Kompetenzwandel, der die spätere Rechtsänderung wieder einmal (vgl. bei Relation 38 zur Rechtsprechung des magister officiorum über seine Leute) in einem praktischen Fall vorwegzunehmen sucht, beleuchtet die unsichere Rechtslage auf dem Gebiet der Kompetenzverteilung zur Amtszeit von Symmachus. Die Konstitutionen segnen oftmals die bereits eingerissene (nicht immer werden sich die bisher zuständigen Richter so selbstbewusst widersetzt haben) Praxis der Spezialisierung nur noch ab, was einen Mechanismus der Rechtfortbildung jener Zeit veranschaulicht. Die offensive Einforderung von Kompetenzen seitens der Minister ist beim jungen Kaiser erfolgreich. Das gilt jedenfalls für die beiden Finanzressorts und für den magister officiorum. Diese drei wichtigen Berater erreichen eine kontinuierliche Erweiterung des eigenen Zuständigkeitsbereichs984. Symmachus kann dieser allgemeinen Entwicklung von Rom aus nur wenig entgegensetzen. Der Stadtpräfekt verliert, wie verschiedene Relationen und Kaiserkonstitutionen zeigen, beginnend unter dem jungen Valentinian II., dauerhaft Kompetenzen und Einfluss zugunsten der Fachleute. Die Zuständigkeitsrüge als beliebtes anwaltliches Argument verspricht wegen der im Einzelnen unklaren Kompetenzabgrenzungen und den sich ändernden Zuständigkeiten Erfolg, verzögert jedenfalls das Verfahren, treibt die Kosten in die Höhe und entscheidet so ggf. auf ganz legalem Wege den Prozessausgang. Parallelen zeigen sich in den Relationen 38 und 48. Als besonders problematisch erweist sich das komplexe Nebeneinander von Fachgerichten und ordentlichen Gerichten im Fiskalprozess vor allem in Rom mit seinen besonderen Zuständigkeiten. Bei Relation 41 kommt außerdem das schwer zu durchschauende, in den Details sich ständig verändernde Verfahren bei der Einziehung von bona vacantia hinzu. Sich andeutende Rivalitäten zwischen Mailand und Rom, zwischen Hofbereich und Stadtpräfekten resultieren insoweit weniger aus einer persönlich schlechten Beziehung zwischen Symmachus und dem amtierenden comes rei privatae als vielmehr aus diesen allgemeinen Verhältnissen. Jede Seite will eigene Kompetenzen sichern bzw. ausweiten. Es geht Symmachus in Relation 41 nicht nur um den Schutz der Erben, sondern nicht zuletzt um Behauptung seiner eigenen Position. Zugunsten von Symmachus ist am Ende festzuhalten, dass er in ehrlicher Empörung gegen empfundene Ungerechtigkeit argumentiert und dass seine Rechtsauffassung in der Kompetenzfrage aus den uns bekannten Quellen zu bestätigen ist. Er legt seine persönliche Rechtsansicht engagiert dar und begründet sie ausführlich. Normauslegung traut er sich, anders als in Relation 30 (u. a), selbst zu, wobei er erbrechtliche Billigkeitserwägungen anstellt, die weniger juristisch als gefühlsmäßig vorgetragen werden und deren Tragfähigkeit in den Augen des Kaisers bezweifelt werden muss. Rechtskenntnisse des Stadtpräfekten zeigen sich im Erb- und Prozessrecht. Das klassische Recht allerdings scheint Symmachus nicht gekannt zu haben. Es spielt in der Gerichtspraxis 384/385 keine Rolle und ist vollständig von den Kaiserkonstitutionen, die in ihrer Vielfalt verwirrend 984 Sie erhalten Kompetenzen über ihr Personal und leiten Prozesse zu Fragen, die ihr Ressort betreffen. Vgl. zu den jeweiligen, noch weiter wachsenden Kompetenzen die Darstellungen m. N. bei Rell. 23 und 38.
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genug waren, verdrängt worden. Im Ergebnis bietet Relation 41 so neben den Relationen 28 und 38 ein weiteres Beispiel für Besitzstörungen zulasten von Nicht-Senatoren, hier raffiniert initiiert von einem ehemaligen Hofbeamten. Trotz aller Bemühung um Straffung gerade der Fiskalprozesse985 gibt es immer wieder Verzögerungen und Störungen, nicht zuletzt ausgelöst durch die unter Valentinian II. zunehmende Spezialisierung der Gerichtszuständigkeiten. X. Relation 48: Ungewöhnliche Wiederaufnahme eines Zivilprozesses gegen Senatoren und die Frage der Zuständigkeit des Stadtpräfekten Symmachus schreibt als Fürsprecher in senatorischen Angelegenheiten an Valentinian II., den er in §§ 4 f als Sohn von Valentinian I. anspricht, und bittet um Klärung einer verfahrensrechtlichen Frage, die sich in einem Zivilprozess gegen Senatoren stellt. Relation 48 ist erläuterndes Begleitschreiben zu einem Gesuch, das eine senatorische Prozesspartei an den Kaiser in einem Eigentumsprozess richtet, der Jahre nach seiner eigentlichen Beendigung wieder aufgerollt wird und in dem nicht zuletzt die richterlichen Kompetenzen umstritten sind. Symmachus übermittelt dieses Gesuch. Schließlich gehöre es zu seiner Aufgabe als Stadtpräfekt, die Rechte von Senatoren zu schützen; daher habe er sich ihrer berechtigten Forderungen annehmen müssen: Certa officia sunt omnium potestatum: praefecturae urbanae proprium negotium est senatorum iura tutari, ddd. imppp. Quare partium mearum conventus necessitate allegationibus clarissimorum virorum iusta poscentium deesse non potui. Das sind die einleitenden Worte, mit denen Symmachus ohne Umschweife seine Parteilichkeit kundtut, was Anlass zu sorgfältiger Prüfung seiner Funktion in diesem Fall gibt; denn als Richter wäre es nicht seine Aufgabe, die Angehörigen eines bestimmten Standes besonders zu schützen, sondern ohne Ansehen der Person möglichst unabhängig Recht zu sprechen. 1. Der Sachverhalt986 Zur Regierungszeit von Valentinian I. starb ein gewisser Catulus987, ein Senator, dessen Vermögen in irgendeiner Provinz des Westreiches lag. Einige Sena985 Auch Symmachus musste sein Urteil zügig fällen, denn die Appellation ist nach CT XI, 30, 41 regelmäßig in zwei Monaten (je nach Entfernung auch in vier oder sechs Monaten) abzuschließen. 986 Der Ablauf ist im Einzelnen hypothetisch, denn Symmachus berichtet nicht chronologisch und liefert auch keinen Prozessbericht, sondern übermittelt eine supplicatio mit einem Begleitschreiben - der Relation 48 -, das sich auf grobe Anhaltspunkte zum Ablauf beschränkt. Bei Chastagnol, Préfecture, 127, und Vera, Commento, 343-345, finden sich etwas abweichende, teilweise ungenaue Rekonstruktionsversuche, zumal bei Chastagnol. 987 Er ist nur aus Rel. 48 bekannt: PLRE I, Catulus, 188. Er war zur Regierungszeit von Valentinian I. (364 -375) schon tot und sein Nachlass lohnt immerhin einen jahrelangen Streit. Die Senatoren, die bis auf Hilarianus nicht benannt werden, waren evtl. seine Verwandten.
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toren und auch die res privata meldeten Ansprüche auf den Nachlass an, woraufhin es zum Prozess zwischen diesen Senatoren und der res privata988 um die Erbschaft kam, die wahrscheinlich von den Senatoren in Besitz genommen worden war. Welche Stellung die Senatoren hatten, erfahren wir aus der Relation nicht, doch waren sie möglicherweise testamentarische, vielleicht sogar, wenngleich Symmachus keinerlei Verwandtschaftsverhältnisse andeutet, gesetzliche Erben von Catulus. Ihre Erbenstellung mag bestritten worden sein. Der Sachverhalt ähnelt möglicherweise jenem von Relation 41, falls die res privata auch hier Ansprüche auf angebliche bona vacantia gegenüber den Besitzern und vermeintlichen Erben geltend gemacht hat. Vielleicht aber waren die Senatoren auch gemeinschaftlich klagende petitores (vgl. auch dazu Relation 41), die etwas aus dem Vermögen des Catulus einforderten. Eine weitere Möglichkeit ist, dass Kaiser und Senatoren gemeinsam im Testament eingesetzt waren und um die Erbquote bzw. einzelne Vermächtnisse prozessiert wurde. Jedenfalls endete der Prozess in letzter Instanz mit einem Urteil von Kaiser Valentinian I.989 (also zwischen 364 und 375), in dem das Vermögen zwischen den Senatoren und der res privata aufgeteilt wurde. Die res privata zog ihren Teil des Vermögens von Catulus ein (§ 4) und die Senatoren behielten (u. a) einige Sklaven in Besitz. Der Rechtsgrund wird nicht genannt; vielleicht wurde der Nachlass tatsächlich für vakant befunden und zwischen petitores und res privata aufgeteilt990. Diese Theorie hat insofern einiges für sich, als Senatoren, die bei der Finanzverwaltung ihre Interessen wirksam durchzusetzen wussten, nicht selten als Petitoren auftraten991. Symmachus mag den Rechtstitel der von ihm vertretenen Senatoren schamhaft verschwiegen haben, denn ein Erwerb als petitor war nicht das Ehrenhafteste. Falls hingegen beide Prozessparteien in einem Testament eingesetzt gewesen sein sollten, wäre dies jedenfalls so undeutlich geschehen, dass es zu einem langwierigen Prozess kam, als der Kaiser das ihm Vermachte zur res privata einzuziehen versuchte. Da aber die Senatoren in der Relation nie als Erben bezeichnet werden, waren sie vielleicht doch eher petitores im vorgenannten Sinne. 988
Bei Symmachus wie schon in Rel. 41 fiscus genannt, § 4. Chastagnol, Préfecture, 127, denkt irrig an Gratian. Barrow, Prefect, 230 (Einleitung), folgt ihm kommentarlos. Dagegen stehen §§ 4 f der Relation, in welchen auf den Vater des amtierenden Kaisers angespielt wird. Richter unterhalb des Kaisers war zu jener Zeit wohl der damalige Stadtpräfekt als ordentlicher Richter über Senatoren, der den Kaiser im Relationsverfahren angerufen hatte, § 4. Nur falls senatorische Vorrechte schon damals unberücksichtigt geblieben sein sollten, könnte man an den örtlichen Statthalter bzw. in zweiter Instanz den praefectus praetorio, der dann den Kaiser angerufen hätte, denken oder auch (schon), falls die Klage auf Herausgabe von bona vacantia lautete, den comes rei privatae bzw. erstinstanzlich den rationalis vor Ort; dazu Rel. 41 (für einen Fall ohne Senatorenbeteiligung). Die Argumentation in § 2, wonach der Fall beim Stadtpräfekten bleiben müsse, spricht allerdings dafür, dass wenigstens damals dessen Kompetenz gewahrt worden war. 990 Eine Aufteilung zwischen petitores und res privata zeigen Quellen wie CT X, 10, 32 (425). Sie kam sicher auch schon vor dem Jahre 425 vor. 991 Vgl. die Literatur zu Verfahren um bona vacantia bei Rel. 41. 989
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Die Angelegenheit war iudicationibus sacrisque responsis (§ 1) eigentlich abschließend entschieden, doch viele Jahre später bricht zur Amtszeit von Symmachus trotzdem neuer Streit aus. Die Sache wird wieder aufgerollt, als einige Sklaven, die wohl zum Nachlass von Catulus gehörten und bislang den Senatoren zugewiesen waren, eine Petition, supplicatio, bei Valentinian II. einbringen, die offensichtlich den Nachlass von Catulus und ihre eigene Rechtsstellung betrifft und die den Kaiser veranlasst, das Verfahren wiederzueröffnen. Der genaue Inhalt der Supplik bleibt im Dunkeln. Der Kaiser betraut mit der Angelegenheit einen speziellen cognitor (§ 2), vielleicht den Provinzstatthalter der Provinz, in der sich der Nachlass befindet, vielleicht aber auch den comes rei privatae992 in Mailand. In § 5 zeigt sich, dass der Richter seinen Sitz außerhalb Roms hat. Der palatinus Eusebius993, ein Beamter der res privata, erhält vom Kaiser bzw. seinem Chef, dem comes rei privatae, der zumindest auf diese Anweisung Einfluss genommen haben dürfte, den Befehl, sich die Sklaven von den Senatoren ausliefern zu lassen (s. a. § 5) und sie dem cognitor vorzuführen, damit die Untersuchung über den Nachlass des Catulus wiederaufgenommen werden könne, § 1: A quibus pleraque servitia palatinus Eusebius iussus eruere, ut bonorum Catuli clarissimae memoriae viri quaestio iudicationibus sacrisque responsis consumpta repetatur, optimatium querimonias, qui dudum partis fruuntur, excivit. Die Rechtsverhältnisse an den Sklaven und den übrigen Nachlassgegenständen sollen in einem neuen Verfahren noch einmal geprüft werden. Konkretes erfahren wir von Symmachus nicht. Irgendwie war es den 992
So die Vermutung von Seeck, der die Relation in § 2 dahingehend ergänzt (vgl. die folgende Fn.). Auch Barrow, Prefect, 231, und Vera, Commento, 344; 436 (anders 343: dort spricht er vom Provinzgericht), vermuten den comes rei privatae hinter dem Richter. Zweifel an dieser Theorie lässt allerdings die Formulierung bei Symmachus aufkommen, denn die allgemeine Bezeichnung als cognitor und als peregrinum forum spricht eher für den Provinzrichter, der für bona vacantia, wie wir aus Rel. 41 wissen, regelmäßig zuständig war. Für den comes rei privatae mag freilich sprechen, dass ein palatinus eingeschaltet wird und dass, wie wir - ebenfalls aus Rel. 41 - wissen, die Rechtsprechung des comes derzeit im Aufschwung ist. Rel. 48 würde in diesem Fall mit hineingehören in die Relationen, die ein kritisches Verhältnis von Symmachus zum amtierenden comes zeigen. Möglich ist allerdings auch, dass der Kaiser den rationalis vor Ort mit dem Fall befasst hat. 993 Dieser Eusebius ist möglicherweise mit dem gleichnamigen vetus privati miles aerarii aus Ep. IV, 43 (397/398) zu identifizieren, der lange wegen Krankheit seinem Dienst fernblieb und für den sich Symmachus beim damaligen comes rei privatae Minervius persönlich einsetzt. So: Seeck, RE-Eusebios 13, 1369; PLRE I, Eusebius 29, 306; Callu, Lettres II, 124 Fn. 3 (die Identifizierung sogar ausdehnend auf den Eusebius, familiaris des Symmachus, aus Ep. V, 22). Name, Amt und Zeit lassen diese Identifizierung vertretbar erscheinen. Skeptisch wegen der besonderen Häufigkeit des Namens (PLRE I verzeichnet 41 Eusebii) ist Vera, Commento, 343. Zu Ep. IV, 43 vgl. Roda, Un Caso di assenteismo (s. schon bei Rel. 17 und in der Bewertung der Privatbriefe im Dritten Teil). Palatini als Finanzbeamte unter dem jeweiligen Finanzminister begegneten bereits in den Relationen 23 und 30 (m. N.). Sie werden vom comes rei privatae unter anderem in Verfahren der Einziehung von bona vacantia zur res privata eingesetzt, sie sind z. B. die zuverlässigen Untersuchungsbeamten aus CT X, 10, 1 von 369, die der comes rei privatae beauftragen soll; s. a. CT X, 8, 5 von 435.
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Sklaven gelungen, den Kaiser davon zu überzeugen, dass der Fall wiederaufgerollt werden muss, obwohl er eigentlich längst endgültig durch Gerichtsurteile und kaiserliche responsa Valentinians I. (s. a. §§ 4 f) abgeschlossen worden war. Eusebius fordert daraufhin die Sklaven bei den Senatoren ein und verlangt, den Fall dem im Reskript Valentinians II. vorgesehenen Gericht außerhalb Roms vorzulegen. Die Senatoren aber widersprechen ihm in einer contradictio und wenden sich mit ihren Beschwerden an Symmachus mit dem Argument, dass doch wohl er zuständiger Richter sei, wenn Senatoren in einen Prozess involviert sind. Sie berufen sich auf Vorschriften von Valentinian II.994, die es verbieten, Fälle, an denen Senatoren beteiligt sind, vom Gericht des Stadtpräfekten auf andere Gerichte zu übertragen. In § 2 heißt es dazu: Ventum est igitur ad leges executore cupiente (, ut causa ad cognitionem v. c. et inlustris comitis rerum privatarum ex sacro rescripto transferretur995) quem contradictio repellebat, inplorataeque vestri numinis sanctiones, quae senatorum controversias transferri ab urbano foro ad peregrina vetuerunt. Sed cum adsererem, non eandem praerogativam esse (in causa996) servorum, quibus supplicantibus certum perennitas vestra detulit cognitorem, responsum est, quod fortunas clarissimarum personarum precatio subtilis incesserit. Symmachus prüft den Sachverhalt, muss aber einräumen, dass Valentinian II. in seinem Reskript auf die supplicatio der Sklaven hin ausdrücklich eine spezielle Kompetenzzuweisung ausgesprochen hat, die dem allgemeinen, unbestreitbaren Privileg vom domicilium dignitatis vorgeht. Damit waren die Senatoren mit ihrem Ersuchen eigentlich abzuweisen. Dagegen wenden diese ein, dass die precatio (der Sklaven) immerhin das Vermögen von Senatoren betreffe, genauer: von Mitgliedern des senatorischen Standes, clarissimae personae, und es sich bei ihr um einen subtilen Angriff auf ihr Vermögen handele. Daher müsse das Privileg doch gelten. Dieses Vorbringen bringt Symmachus nun in der Tat dazu, der Sache im Interesse der Senatoren nachzugehen, und dabei entdeckt er einige Auffälligkeiten. Er vernimmt, § 3, einen gewissen Donatus997, der zusammen mit anderen als Bittsteller im sacrum oraculum von Valentinian II. genannt worden war, und fragt ihn zunächst, um zu gewährleisten, dass an seiner Stelle nicht ein anderer gleichen Namens vorgeschoben würde, wie es üblich sei, was seine Stellung sei und ob er es gewesen sei, der die supplicatio eingebracht habe: Inter haec cum Donatus adsisteret ceteris preca994
Zur möglichen Identifizierung s. die Auswertung der Relation. Einfügung durch Seeck, Symmachus, 316, die kritiklos akzeptiert wird von Barrow, Prefect, 231, und Vera, Commento, 344; 436. Dazu schon oben. Danach wird vom ausführenden Beamten gefordert, den Fall an das Gericht des comes rei privatae zu übertragen, so wie es das kaiserliche Reskript angeordnet haben soll. Diese Rekonstruktion aber ist keineswegs zwingend. Peregrina sind auch zahlreiche andere Gerichte außerhalb Roms. Der comes rei privatae wird in der Relation, so wie sie überliefert ist, mit keinem Wort angesprochen. 996 So die nicht zwingende Ergänzung von Seeck, Symmachus, 316. 997 Donatus findet sich weder in RE noch in PLRE I. 995
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
toribus sacro iunctus oraculo, quaesivi, ut mos est, ne eodem nomine alius subderetur, quae hominem condicio haberet et an ipse de Catuli iudicio supplicasset. Tunc ille Hilariani clarissimi viri servum professus ab illarum precum conscientia, quas dicitur obtulisse cum ceteris, alienum se constanter adseruit; atque ita visa est supplicationis fides etiam de auctore nutare. Donatus sagt aus, er sei Sklave des Senators Hilarianus998 und habe mit der fraglichen supplicatio, die ihm gemeinsam mit anderen Sklaven zugeschrieben wird, überhaupt nichts zu tun, habe noch nicht einmal etwas von ihr gewusst. Auf diese unbefriedigende Aussage hin zieht Symmachus die Glaubwürdigkeit des ganzen Ersuchens, auch hinsichtlich ihres (angeblichen) Urhebers in Zweifel. Im Übrigen, so fährt er in § 4 fort, werde von den Senatoren vernünftig und rechtlich zutreffend vorgetragen, dass nach mehreren gerichtlichen Verfahren und zahlreichen Reskripten, die auf eine Relation hin ergangen sind, das Vorbringen einer supplicatio verboten sei und ein strafbares Vergehen darstelle: Adiecta sunt alia plena iuris atque rationis, quod post crebras cognitiones et rescripta ad relationem numerosa poenam legis inciderint, qui denuo contra vetitum supplicarunt. Extant quippe sententiae, quas cum provocatio temptasset inhibere, consultus relatione divus genitor clementiae vestrae finem posuit quaestioni. Cui victoriae fiscus accessit emolumentum bonorum Catuli clarissimae memoriae viri, ut adsertum est, pro certa parte sortitus. Es gab in dem Fall bereits mehrere Urteile, die man versucht hatte, mit einer Appellation anzugreifen, doch hatte Valentinian I., in einer Relation befragt, in einem letzten Reskript ausdrücklich erklärt, dass der Fall abgeschlossen sei. Schließlich hatte auch der fiscus aus dem für die Senatoren erfolgreichen Verfahren einen Vorteil gezogen und einen gewissen Teil des Vermögens von Catulus eingezogen. Symmachus schließt sich den Senatoren an und moniert, dass eine Wiederaufnahme des rechtskräftig entschiedenen Falles unzulässig sei. Die supplicatio der Sklaven hätte ignoriert werden müssen. Damit kommt er in § 5 zum Abschluss des Schreibens und macht seine eigene Rolle im Verfahren deutlich: Cum igitur senatorum allegatio rescriptis ac legibus niteretur, maluerunt causam suam vestrae per me aperire iustitiae quam legitimo vindicare iudicio, securi decretorum, quae et necessitate iuris et divi patris veneratione servabitis. Itaque servos bona fiducia tradiderunt; quos in praeiudicium absentium post consummationem negotii aequitas temporum, quantum praesumimus, non patietur audiri. Da sich das Vorbringen der Senatoren auf Reskripte und Gesetze stützen könne, zögen sie es vor, über Symmachus den Fall unmittelbar der kai998
Seeck, RE-Hilarianus 3, 1599 schlägt vor, ihn mit dem heidnischen Senator Caelius Hilarianus zu identifizieren, der 377 in Rom eine religiöse Widmung machte: CIL VI, 500. Dem folgt Martínez-Fazio, Basílica, 233 Fn. 34. Skeptisch ist Vera, Commento, 344, denn Namensgleichheit und zeitliche Nähe seien keine zwingenden Anhaltspunkte. PLRE I, 433, unterscheidet unseren Hilarianus, über den sonst nichts bekannt ist, als Nr. 2 von Caelius Hilarianus als Nr. 1. Die Frage muss letztlich offenbleiben. Symmachus steht jedenfalls auf der Seite des Senators. Dessen etwaiges Heidentum ist dafür jedoch kaum das Entscheidende, denn die Religion spielt für Symmachus in seinen Briefen und Relationen zugunsten bestimmter Personen grundsätzlich keine Rolle.
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serlichen iustitia zu unterbreiten, anstatt ihre Position im regulären Verfahrensgang zu verteidigen und den normalen gerichtlichen Weg zu gehen. Statt sich auf einen erneuten Prozess mit der res privata einzulassen, vertrauen sie auf die decreta, die Valentinian II. aus Rechtsgründen bestätigen möge, in Gehorsam gegenüber den Gesetzen und aus Respekt für den verstorbenen Vater. Dementsprechend haben sie sich vertrauensvoll bereit erklärt, die Sklaven auszuliefern. Symmachus schreibt vor diesem Hintergrund seine Relation in ihrem Auftrag, übermittelt ihre Stellungnahme und nimmt selbst Stellung. Im letzten Satz formuliert er sogar in der Wir-Form: Man (die Senatoren und er) gehe fest davon aus, dass der Kaiser aus Gründen der aequitas nicht erlauben werde, dass die Sklaven nach dem bereits erfolgten Abschluss des Gerichtsverfahrens zum Nachteil von abwesenden Personen, d. h. zum Nachteil der Senatoren, angehört werden. Die in der Relation nur vorsichtig ausgedrückte Erwartung geht dahin, dass Valentinian II. das Verfahren endgültig beendet, alles beim Alten belässt und wohl auch die Sklaven letztlich den Senatoren zurückgibt, sie jedenfalls nicht außerhalb Roms vernehmen lässt. 2. Verfahrensfragen Symmachus tritt in Relation 48 in einer für uns neuen Rolle auf. Er unterbreitet dem Kaiser den Antrag einer Prozesspartei in einem Fall, in dem er seine eigene Zuständigkeit anzweifelt, aber trotzdem im Interesse seiner Standesgenossen Untersuchungen angestellt hat. In offener Parteilichkeit vertritt er ihre Position und wir müssen uns nun ansehen, welche Argumente er anführt und ob sie juristisch tragfähig sind. Symmachus fordert im Namen und Auftrag der Senatoren, das Verfahren für abgeschlossen zu erklären und die Supplik der Sklaven nicht zu beachten, und trägt dafür Verschiedenes vor: Zum einen sei grundsätzlich der Stadtpräfekt und nicht ein entfernter cognitor zuständig, wenn senatorisches Vermögen betroffen ist, vor allem aber sei das Verfahren längst endgültig abgeschlossen, die supplicatio, deren Verfasser noch nicht einmal feststehe, müsse daher ignoriert werden. Das in § 4 zusammengefasste bisherige Verfahren zeigt, dass der Fall komplex war und sich aus mehreren Einzelverfahren (crebrae cognitiones) und Teilurteilen (sententiae) zusammensetzte, in denen verschiedene kaiserliche responsa/rescripta numerosa ergangen waren. Das Relationsverfahren erweist sich einmal mehr als üblich; es wurde nicht nur von Symmachus in Zweifelsfällen eingeschlagen. Der Fall war von Anfang an heikel, schon der frühere Richter befragte offenbar den Kaiser. Schließlich hatte Valentinian I. die Letztentscheidung zum ganzen Fall getroffen, so jedenfalls Symmachus. Die Einzelverfahren waren zusammengezogen und die dort ergangenen Urteile mit einer provocatio angegriffen worden. Auf eine letzte Relation hin, mutmaßlich eine relatio more consultationis des Stadtpräfekten, bestätigte Valentinian I. die Entscheidungen. Mit der jetzigen Wiederaufnahme des Verfahrens wird das Urteil (bzw. werden die Urteile) des damaligen Stadtpräfekten, das vom Kaiser bestä-
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
tigt worden war, in Frage gestellt. Auch das erklärt die Empörung von Symmachus als dem aktuellen Amtsinhaber. Nun zu den einzelnen Punkten des senatorischen Vorbringens. a) domicilium dignitatis Die Senatoren berufen sich im Hinblick auf die Frage der Zuständigkeit des Stadtpräfekten auf Konstitutionen Valentinians II.999, die es verbieten, dass Fälle, in denen Senatoren Partei sind, „senatorum controversias“, anderen als dem Gericht des Stadtpräfekten übertragen werden. Das klingt fast, als sei es gleichgültig, auf welcher Seite Senatoren beteiligt sind. Doch ein derart umfassendes senatorisches Privileg ist uns für keine Zeit überliefert und daher muss die etwas ungenaue Formulierung von Symmachus wohl auf die altbekannte Regel vom domicilium dignitatis in Verbindung mit dem Grundsatz vom actor rei forum sequitur bezogen werden, zumal Relation 48 kein Beispiel für ein erweitertes Privileg bei jeglicher Senatorenbeteiligung wäre, denn die Senatoren stehen hier auf der Beklagtenseite und sollen Vermögensgegenstände (Sklaven) herausgeben. Damit bestätigt Relation 48 das alte senatorische Privileg1000, dass grundsätzlich der Stadtpräfekt von Rom Zivil- und damit auch Fiskalprozesse zu entscheiden hat, in denen westliche Senatoren beklagt sind, gleich wo diese
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Diese sanctiones, die in § 2 angesprochen werden, sind nicht überliefert, doch handelt es sich wohl um Bestätigungen der alten Vorschriften (s. die folgende Fn.) bzw. um Vorläufer von CT I, 6, 11 (423), s. schon Steinwenter, Briefe, 12. Nicht zu überzeugen vermag hier Giglio, Giurisdizione e fisco, 206, der CT XI, 30, 41 nennt. Dort wird dem Stadtpräfekten entgegen seiner Einschätzung keine Kompetenz über Senatoren in Fiskalsachen zugewiesen. 1000 Zu dieser weitreichenden Kompetenz s. schon im Ersten Teil, 4. Abschnitt II. 1. und die praktischen Anwendungsfälle in den Relationen 19; 28; 30 und 31. Das Privileg gilt nicht, wenn die Senatoren Kläger oder strafrechtlich Angeklagte sind. Relation 48, 1f bestätigt damit die Regelung von 364 (CT II, 1, 4), deren Fortgeltung auch später noch mehrfach bezeugt wird; so in den Jahren 390 (CJ X, 40, 8) und 423 (CJ I, 6, 11); noch 511 heißt es bei Cassiodor, Var. VI, 4, 1 (in der formula praefecturae urbanae): Grande est quidem procerem esse, sed multo grandius de proceribus iudicare. Eine Kompetenzeinbuße bedeutet demgegenüber CJ III, 24, 2, wonach bei Lage des Vermögens in den Provinzen der örtliche Richter auch gegenüber Senatoren berufen ist. Diese Vorschrift, die sich auf pecuniariae causae bezieht, ist hier grundsätzlich einschlägig, insbesondere wird in der Relation genau darauf abgestellt, dass senatorisches Vermögen angegriffen werde. Die Formulierung in Rel. 48 spricht jedoch dagegen, dass die Regel des CJ III, 24, 2 schon 384/385 galt, denn das Vermögen von Catulus befand sich wahrscheinlich (s. o.) in einer entfernten Provinz und trotzdem wird das domicilium dignitatis eingefordert unter Berufung auf aktuelle Vorschriften. Eine Regelung wie CT II, 1, 4 (364) scheint Leitbild gewesen zu sein. CJ III, 24, 2 ist demnach erst später als 376 ergangen bzw. interpoliert, wie Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht 537 Fn. 48 („wohl 390, itp.“), vermuten. Im Jahre 390 wurde das domicilium dignitatis durch CJ X, 40, 8 ausdrücklich bestätigt, daher ist CJ III, 24, 2 wohl interpoliert. Zur Diskussion auch bei Rell. 19 und 30.
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tatsächlich wohnen1001, also auch einen Eigentumsstreit um entfernt liegende Güter in senatorischem Besitz. Im Jahre 384/385, so kann festgehalten werden, galt nach dem Zeugnis von Relation 48 diese Regel noch umfassend zugunsten aller Mitglieder des senatorischen Standes1002. Bereits der einleitende Satz der Relation, wonach sich der Stadtpräfekt in seiner Funktion als Beschützer senatorischer Interessen gezwungen sehe, hier vorstellig zu werden, macht das deutlich. Die Senatoren sind infolge der supplicatio vermögensmäßig belastet, der Prozess wird gegen sie wiederaufgerollt und von ihnen wird Herausgabe von Nachlassgegenständen verlangt. Obwohl sie bislang noch nicht vorgeladen wurden, stehen sie doch grundsätzlich auf der Beklagtenseite und lautet daher rechtlich nachvollziehbar ihre auch von Symmachus unterstützte Argumentation, dass die senatorische praerogativa hier gelten müsse, also der Stadtpräfekt als ordentlicher Richter zuständig sei. Mit den einleitenden Worten umschreibt Symmachus das gesetzlich geregelte Privileg des domicilium dignitatis und die eigene allgemeine Schutzfunktion als Stadtpräfekt, womit er einen der beiden Streitpunkte andeutet. Hieraus lässt sich (noch) kein Vorwurf der Parteilichkeit zugunsten von Standesgenossen ableiten, denn Symmachus wiederholt lediglich die geltende Rechtslage, dass nämlich die Rechtsprechung über Senatoren und die Vertretung ihrer Interessen zum Aufgabenbereich des Stadtpräfekten gehören, was ihn nicht davon abhält, ggf. auch gegen Senatoren zu entscheiden (s. nur die Relationen 28 und 31). Die Fortgeltung des besonderen Gerichtsstandes für Senatoren hindert den Kaiser, wie unser Fall zeigt, freilich nicht, im Einzelfall einen speziellen Richter vor Ort zu benennen. Das Privileg wurde nicht zu allen Zeiten ausnahmslos gehandhabt und nicht nur 384/385 in der Praxis verkürzt1003. Die spezielle Zuweisung aber setzt sich gegen die allgemeine Kompetenzregel durch, denn wie etwa Relation 22 zeigt, beansprucht die aktuelle Einzelfallentscheidung grundsätzlich Vorrang vor der allgemeinen Regel. Kraft kaiserlicher Delegation ist 1001 Der tatsächliche Wohnort der Senatoren in Rel. 48 ist ungewiss, doch haben sie engen Kontakt zu Symmachus; und Donatus, der Sklave des Senators Hilarianus, ist immerhin vor Ort. Vielleicht lebten sie nahe Rom. 1002 Die Formulierung in Rel. 48, 2, wo ausdrücklich die Rede von clarissimae personae ist, zeigt den Geltungsbereich des Privilegs für alle Mitglieder des senatorischen Standes. Einen praktischen (und unumstrittenen) Anwendungsfall zugunsten von Frauen senatorischen Standes lieferte für den Fiskalbereich bereits Rel. 30. Der Ausdruck „Senatorum controversias“ in § 2 bezieht sich folglich auf Mitglieder des Senatorenstandes, nicht nur der Versammlung. S. a. die Anmerkungen zum üblichen Sprachgebrauch für Senatoren i.w.S. bei den Relationen 5 und 45 f. 1003 Zum 3. Jh. mit Beispielen: Chastagnol, Préfecture, 120. Obwohl Kaiser wie Julian, Gratian und auch Valentinian II. senatorische Vorrechte grundsätzlich achten, kommt es auch unter ihnen zu Spezialzuweisungen aus den verschiedensten Gründen. Der vorliegende Fall ist kein Einzelfall. Vgl. auch die ganz ähnliche Argumentation zugunsten des Stadtpräfekten in Epp. V, 54 und 66 (gegen 397) und Ep. V, 63 (397/398); dazu schon bei Rel. 41. Auch CJ III, 24, 2 (390?; dazu schon oben) zeigt die Möglichkeit, dass der Kaiser etwa den magister officiorum mit Prozessen gegen Senatoren befasste.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
hier der cognitor zuständiger Richter. Das erkennt auch Symmachus an und erklärt sich gegenüber den Senatoren zunächst für unzuständig, was ihn in der Folge aber nicht davon abhält, der Sache im Interesse der Senatoren doch noch nachzugehen, deren Beschwerde zu übermitteln und den Kaiser in die Pflicht zu nehmen. Auf den ersten Blick zeigt er damit Gehorsam, ignoriert die Zuweisung an den cognitor im Verlauf seines Schreibens aber immer mehr, betrachtet sie als eine Art Versehen von Valentinian II., indem er deutlich macht, dass sie dessen eigene Zuständigkeitsregelungen und weitere Verfahrensvorschriften (dazu unter b) verletzt. Der Kaiser hatte den Fall einem außerordentlichen Richter zugewiesen, den normalen Rechtsweg durchbrochen und die Senatoren ihrem ordentlichen Richter entzogen. Symmachus kritisiert das zwar nicht so deutlich, stellt jedoch ohne Umschweife die allgemeine Regel vom domicilium dignitatis in den Raum und läßt Tadel, jedenfalls aber Unverständnis über die Missachtung der eigenen sanctiones durch Valentinian II. in der Relation mitschwingen. Die Wirksamkeit der Zuweisung als eventuell erschlichen anzuzweifeln, gibt es für ihn aber offensichtlich keinen Anlass. Dessen ungeachtet fragt sich, wer die Entscheidung zu Lasten der Senatoren beeinflusst haben und wem die Kritik des Stadtpräfekten gelten könnte. Die supplicatio der Sklaven erreicht Wiederaufnahme zu Lasten der Senatoren, d. h. zugunsten der res privata und ein Mann der res privata, der palatinus Eusebius, wird mit dem Fall befasst. Warum sollte also nicht seitens der res privata auch auf die Richterernennung Einfluss genommen worden sein? Das schwierige Verhältnis des Stadtpräfekten zum comes rei privatae und dessen Machtbewusstsein und Einfluss beim jungen Kaiser zeigten sich bereits in Relation 41. Gut vorstellbar ist, dass auch hier der comes im Hintergrund seine Fäden gezogen hat. Zwar macht er dieses Mal nicht, jedenfalls nicht eindeutig, eigene Kompetenzen geltend, irgendwie erreicht er bzw. seine Seite aber Wiederaufnahme und Einschaltung eines palatinus vor Ort. Im Verfahren der Einziehung von bona vacantia deutete sich bereits in Relation 41 ein Kompetenzwandel an, der auch hier relevant geworden sein könnte, ging es doch möglicherweise auch hier um bona vacantia. Grundsätzlich galt der privilegierte Gerichtsstand von Senatoren zwar auch in diesen Fällen (einen praktischen Anwendungsfall zum Fiskalverfahren liefert Relation 30), doch hatte der comes gegenwärtig einen guten Stand und könnte seine Interessen mit Erfolg ins Spiel gebracht haben, um den Fall von Rom fernzuhalten. Unter Valentinian II. kann sich hier antisenatorischer Einfluss durchsetzen, wenngleich aus Relation 48 nicht auf eine allgemein antisenatorische Tendenz unter seiner Herrschaft geschlossen werden kann. Dagegen spricht schon das Zeugnis aus Relation 8 und die genannten sanctiones zeigen, dass er grundsätzlich senatorische Privilegien achtete; auch in den Folgejahren wird das domicilium dignitatis mehrfach bestätigt. Relation 48 markiert in dieser Frage daher keinen allgemeinen Umbruch. Der Hofbereich macht jedoch unter dem jungen Kaiser, wie mehrere Relationen zeigen und einschlägige Konstitutionen in einigen Fällen auch bestätigen, seinen Einfluss immer wieder mit Erfolg geltend und erreicht Kompetenzveränderungen,
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zum Teil allgemeiner Art (s. bei Relationen 41 und 38), zum Teil im Einzelfall wie hier. Relation 48 zeigt ein weiteres Mal, dass die Rechtsprechungskompetenzen in den Jahren der Stadtpräfektur des Symmachus im Wandel, jedenfalls aber unsicher waren. Dem Stadtpräfekten werden immer wieder Fälle zugunsten der Minister des jeweiligen Fachbereichs oder auch örtlicher Richter entzogen bzw. drohen ihm solche Fälle entzogen zu werden. Der Kaiser nutzt die ihm zur Verfügung stehende Möglichkeit, Prozesse nach Belieben an einen Richter seines Vertrauens zu delegieren, was, wie die Relation veranschaulicht, die allgemeine Rechtssicherheit beeinträchtigte, zu Unübersichtlichkeit und Unzufriedenheit führte und den Vorwurf der Willkür nach sich ziehen konnte. Symmachus verteidigt demgegenüber standhaft die alte Rechtslage und beruft sich auf die nicht lange zurückliegenden allgemeinen Kompetenzzuweisungen in kaiserlichen sanctiones, die ihn als Stadtpräfekten für zuständig erklären und die gegenwärtig in Frage gestellt werden. Zudem verweist er in § 5 pauschal auf leges und Reskripte, die im vorliegenden Fall erlassen worden seien, und gemahnt den Kaiser an das geltende Recht. In vollstem Verständnis übermittelt er daher auch die senatorische Beschwerde, betont zwar die eigene Loyalität zur kaiserlichen Anordnung, hofft aber nichtsdestotrotz auf Neubewertung des konkreten Falles auch im eigenen Interesse als Stadtpräfekt. Doch ist mehr als fraglich, ob der Kaiser dieser Argumentation, die sich vermutlich einflussreichen Interessenvertretern am Hofe entgegenstellte, gefolgt ist. b) supplicatio und Wiederaufnahme des Verfahrens Das entscheidende Argument der Senatoren, das auch von Symmachus energisch unterstützt wird, lautet, dass der Fall bereits durch Kaiserurteil endgültig entschieden sei, eine supplicatio daher unzulässig war und die Sklaven hätten abgewiesen werden müssen. Dieser Argumentation ist grundsätzlich recht zu geben, denn wiederholt heißt es in Kaiserkonstitutionen, dass eine Supplik nach einem rechtskräftig abgeschlossenem Prozess unzulässig ist. Speziell gegen ein Kaiserurteil, gleichgültig ob es aufgrund einer Relation oder als Appellationsurteil im ordentlichen Verfahrensgang ergangen ist, gibt es keine weiteren Rechtsmittel, keine Appellation und auch keine supplicatio. Auf eben diese Vorschriften1004 beruft sich Symmachus, wenn es heißt, die supplicatio sei contra vetitum vorgebracht worden und daher die poena legis fällig, und indem
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S. schon m. N. im 4. Abschnitt A. III-VI. Zu nennen wäre der Titel CJ I, 21: Ut lite pendente vel post provocationem aut definitivam sententiam nulli liceat imperatori supplicare; CT XI, 30, 6 (316) unter Androhung einer Geldstrafe; 8, 1 (319), 9 (319); 11 (321); 17 (331) mit Strafdrohung einer Deportation; 30 (363); s. a. CT IV, 16, 1 (319); II, 9, 1 (352: Seeck, Regesten, 20; 199): Litigia sententiis vel transactionibus terminata non sinimus restaurari; CJ I, 14, 2 (426). Eine Strafe, wie sie § 4 nennt, wird in CT XI, 30, 6 und XI, 30 17 ausgesprochen. Rel. 48 bestätigt die Geltung dieser Vorschriften und § 4 liefert den Beweis dafür, dass sie Symmachus bekannt waren, wenn er sie auch nur umschreibt.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
er sich pauschal auf leges und rescripta beruft und den Kaiser an das rechtskräftige Urteil seines Vaters erinnert, an das er sich gebunden fühlen möge1005. Aus irgendeinem Grunde hatte sich Valentinian II. davon überzeugen lassen, den Fall viele Jahre nach dem offiziellen Prozessende wieder aufzunehmen, indem er eine gegen gesetzliche Verbote verstoßende supplicatio von Sklaven gegen ein rechtskräftiges Kaiserurteil annahm. Der Inhalt dieser supplicatio ist uns nicht bekannt, führt aber zur Wiederaufnahme im Interesse der res privata und Beauftragung eines ihrer Beamten. Die Sklaven beklagen sich in ihren preces ( § 3) vermutlich über die Senatoren bzw. zweifeln deren Rechtsposition an1006. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass die res privata die Sklaven für sich benutzte und sie vorschob, um dem Kaiser einen Grund zur Wiederaufnahme zu liefern. Ein Mann der res privata, nicht etwa ein neutraler Gerichtsdiener, wird mit der Eintreibung der Sklaven beauftragt. Symmachus schweigt sich dazu aus, merkt nur, nachdem er Donatus vernommen hat, an, dass der wahre Urheber der Supplik ungewiss sei. Er meint, dass es bei der bereits endgültig entschiedenen Aufteilung der Güter zwischen der res privata und den Senatoren bleiben müsse, die durch das Gesuch offenbar in Frage gestellt wurde. Die res privata scheint weitere Forderungen auf den Nachlass anzumelden und man mag die Sklaven angestachelt haben, eine Supplik gegen die Senatoren vorzubringen. Ein merkwürdiger Fall: Sklaven erreichen mit einer supplicatio Wiederaufnahme eines Prozesses gegen ihre Herren und der Fall wird einem außerordentlichen Richter1007 vor Ort übertragen. Die Beschwerden der Senatoren scheinen verständlich. Symmachus nimmt es auf sich, den Kaiser auf diese Unregelmäßigkeiten hinzuweisen, denn nicht ausgeschlossen ist, dass jenem die Entscheidung von seinen Beratern entlockt oder gar untergeschoben worden war; ein nachvollziehbarer Wiederaufnahmegrund wird nicht genannt. Zwar stand es im kaiserlichen Ermessen, sich auf solche Gesuche wie das der Sklaven einzulassen, doch versucht Symmachus dessen ungeachtet, den Kaiser unter das allgemeine Gesetz zu rufen und fordert ihn auf, die einschlägigen Verbote zu beachten und das Vorbild des eigenen Vaters zu befolgen. Die Senatoren verweigern sich einem zweiten Prozess mit der res privata vor dem cognitor und berufen sich auf Rechtsvorschriften, die als decreta am Ende der Relation nur allgemein umschrieben sind. Ob sie sich auch in der materiell1005 Zweifelnd allerdings Vera, Commento, 344 f, wonach unklar sei, ob Valentinian I. den ersten Prozess entschieden habe. Gegen diesen Zweifel spricht das Zeugnis der Rel. 48. 1006 Streitigkeiten um Sklaven waren nicht ungewöhnlich, vgl. Ep. IX, 121: Symmachus wurde vom unbekannten Adressaten in einem Fall um Hilfe gebeten, in dem jenem das Eigentum an einem Sklaven bestritten wurde. 1007 Da eine solche Wiederaufnahme gesetzlich nicht vorgesehen ist, gibt es im Grunde auch keinen ordentlichen Richter, doch wäre nach den allgemeinen Regeln, um den privilegierten Gerichtsstand für Senatoren nicht zu verletzen, in jedem Falle am ehesten der Stadtpräfekt berufen.
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rechtlichen Frage auf Rechtsvorschriften berufen können, bleibt ungewiss, denn der eigentliche Sachverhalt wird ausgeklammert. Symmachus versucht, den Fall auf verfahrensrechtlicher Ebene abzuwenden, ohne ein Wort über etwaige Rechtsansprüche zu verlieren. Die Rechtsposition der Senatoren mag nicht sehr sicher gewesen sein, doch können sie verfahrensrechtliche Argumente ins Feld führen, die nicht von der Hand zu weisen sind. Sie wenden sich daher über Symmachus als ihrem üblichen Vermittler an den Kaiser, schlagen letztlich selbst den Weg der Petition ein, was durch die Relation allerdings geschickt getarnt wird, denn auch eine senatorische Supplik ist verfahrensrechtlich nicht vorgesehen, sie durchbricht ihrerseits den vorgegebenen Rechtsweg. Das gestehen die Senatoren selbst ein, wenn es in § 5 heißt, dass sie sich lieber direkt an den Kaiser wenden, anstatt ihre Ansprüche im eigentlich vorgesehenen Verfahren zu verfolgen. Im Gegenzug erklären sie sich bereit, die Sklaven auszuliefern1008, in einer Art Vertrauensvorschuss dafür, dass ihre Bitte berücksichtigt wird, dass nämlich die rechtskräftig entschiedene Vermögenslage unangetastet bleibt, man die Sklaven auch nicht gegen sie als Abwesende verhören wird und der Kaiser letztlich die Argumentation, die Symmachus in seiner relatio ausführt, akzeptiert, also von der Wiederaufnahme des Verfahrens insgesamt absieht. Mit keinem Wort problematisieren die Senatoren bzw. Symmachus, dass die Supplik von Sklaven stammt und vielleicht schon deshalb überhaupt nicht hätte berücksichtigt werden dürfen. Auch die anstehende Vernehmung der Sklaven gegen die Senatoren wird nur insofern angesprochen, als es der aequitas temporum widerspreche, Sklaven gegen Abwesende anzuhören. Dabei könnte es durchaus unzulässig sein, Sklaven überhaupt gegen ihre Herren zu verhören. Doch war hier die Frage zu klären, wer überhaupt ihr Herr ist. Zu dieser Frage aber können Sklaven vernommen werden, denn in Prozessen um das Eigentum an dem betreffenden Sklaven, insbesondere in Erbschaftsprozessen, gilt das Verhörverbot nicht. Es gilt lediglich dann, wenn es nur um die Höhe der Beteiligung an der Erbschaft, zu der der Sklave gehört, geht, Miteigentum der Prozessparteien also schon feststeht1009. In Vermögensstreitigkeiten bleiben Sklaven damit zulässiges Beweismittel ihrer Herren. Hier soll der ganze Fall wieder aufgerollt, die Berechtigung der Senatoren insgesamt angezweifelt werden; damit war ein Verhör der Sklaven gegen die Senatoren grundsätzlich zulässig und auch eine Supplik offenbar wirksam. Die Senatoren fordern dementsprechend nur, dass die Sklaven nicht in ihrer Abwesenheit an einem entfernten Ort 1008
Die Sklaven sollen vermutlich nur ausgeliefert und nicht etwa an die res privata übereignet werden, denn es geht vorerst nur darum, sie zu verhören, die Sache neu zu untersuchen. Dazu soll Eusebius sie ausfindig machen und herbeischaffen (vgl. § 1). Die Senatoren wollen mit diesem Entgegenkommen bekunden, dass sie die kaiserliche Anweisung nicht völlig ignorieren. 1009 Die Quellen sind CJ IX, 41, 13 und 14 (293/294). Zum Thema: Liebs, Schutz der Privatsfäre, spez. 166 f. Diese Regeln scheinen fortzugelten; die Quellen ab Konstantin beschäftigen sich mit dem Denuntiationsverbot im Strafprozess: Liebs, 185 ff.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
vernommen werden. Konkrete Rechtsvorschriften werden nicht angeführt. Aequitas temporum meint hier Selbstbindung des Kaisers an ungeschriebene Grundsätze dessen, was gerecht und angemessen ist. Der Begriff der aequitas wird in den Relationen nicht einheitlich gebraucht. Er gemahnt bisweilen an bestehende Normen, dient ggf. aber auch nur als rhetorische Floskel oder auch als Grund, von einem als zu streng empfundenen Gesetz abzuweichen (dazu bei den Relationen 39 und 49). Hier meint aequitas nichts Übergesetzliches. Symmachus selbst vernimmt denn auch, als ihm die Regelwidrigkeit des Verfahrens bewusst wird, einen der Sklaven, ohne den Fall an sich zu ziehen, und stellt eigene Untersuchungen an, über deren Ergebnis er dem Kaiser in seiner Relation berichtet, um ihn über die Auffälligkeiten aufzuklären. Dabei beruft er sich auf mos, um die von Misstrauen geprägte Befragung des Donatus zu rechtfertigen, mit der er eine Personenverwechslung verhindern wolle. Er rechnet offenbar damit, dass ihm jemand untergeschoben werden könnte. Ob die Befragungsmethode wirklich üblich war, ist schwer zu überprüfen, jedenfalls sieht Symmachus für sich Rechtfertigungsbedarf. Donatus wird im sacrum oraculum von Valentinian II. genannt, sagt aber aus, nichts von dem Gesuch zu wissen. Das ist in der Tat merkwürdig und könnte Anhaltspunkt dafür sein, dass Donatus möglicherweise (von Hilarianus oder seitens der res privata?) eingeschüchtert wurde und sich aus diesem Grund von der Supplik distanziert. Er fällt um. Warum, so fragt man sich, befragt Symmachus dann aber nicht weitere, ebenfalls in dem Reskript benannte Sklaven. Um vollständige Aufklärung ist er nicht bemüht, er will nur die Supplik erschüttern: Man wisse nicht einmal, wer genau ihr Urheber sei. Das ist insofern nicht ungeschickt, als es dem Kaiser mit dieser Begründung leichter gemacht wird, von der Wiederaufnahme des Falles doch noch abzusehen, ohne eingestehen zu müssen, bei der Wiederaufnahmeentscheidung selbst regelwidrig gehandelt zu haben, vielleicht schlecht beraten gewesen zu sein. Symmachus hofft, den Kaiser mit seinem Schreiben auf den rechten Weg zurückrufen zu können, ohne ihm mit Kritik allzu nahe zu treten. 3. Einschätzung und Ergebnis Wie der Fall ausgegangen ist, wissen wir nicht, doch sind Zweifel angebracht, ob der Kaiser vom einmal eingeschlagenen Weg wieder abgerückt ist, zumal ihn der comes rei privatae anderweitig beraten haben mag. Dass dieser großen Einfluss auf den Kaiser hatte, zeigte sich bereits in Relation 41. Das grundsätzliche Verbot einer supplicatio nach einem Kaiserurteil bleibt zwar ebenso bestehen wie das Privileg vom domicilium dignitatis, beides wird aber nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Symmachus’ Amtszeit offiziell eingeschärft. Falls der Kaiser allerdings erkennen musste, dass ihm hier etwas untergeschoben wurde, könnte er dem Gesuch der Senatoren doch nachgegeben, die Wiederaufnahme als rechtswidrig bewertet und sie wieder zurückgenommen haben. Symmachus jedenfalls hofft mit den Senatoren, dass das Verfahren endgültig eingestellt und die unzulässige supplicatio ggf. auch bestraft wird.
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Der Fall zeigt, wie leicht der Kaiser durch den Erlass von Einzelanordnungen, die dem regulären Instanzenzug zuwider laufen, (Rechts-)Unsicherheit schaffen kann. Relation 48 liefert ein anschauliches Beispiel für eine Durchbrechung des regelmäßigen Verfahrensganges. So wie Symmachus selbst immer wieder unzulässige Appellationen annimmt, nimmt der Kaiser hier, bewusst oder unbewusst, eine rechtswidrige Supplik an. Trotz offenkundiger Gesetzwidrigkeit der Anordnung ist der ausführende Beamte zur Beachtung angehalten (s. etwa bei den Relationen 22, 27 und 44) und Symmachus versucht, dieser Gehorsamspflicht trotz aller Kritik dadurch gerecht zu werden, dass er sich bemüht, keinen Zweifel an seiner Loyalität aufkommen zu lassen, obwohl er den Fall eigenmächtig untersucht hat. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass sein offenes Schreiben trotzdem Unmut bei Hofe erregt hat. Unregelmäßigkeiten im Verfahrensgang sind jedenfalls nicht abzustreiten. Symmachus trifft dabei kein Vorwurf, denn er ist nur Mittler1010 und deutet vorhandene Missstände offen an. Er versucht, den Kaiser zur freiwilligen Gesetzesbindung zurückzurufen, indem er Beachtung des Gesetzes statt willkürlicher Ausnahmeentscheidungen fordert. In der Relation führt er das Supplik-Verbot und das senatorische Gerichtsstandsprivileg näher aus, die sich beide durch Quellen belegen lassen. Seine Parteilichkeit ist rechtlich fundiert. Der Kaiser wird in die Pflicht genommen, senatorische Vorrechte und Prozessregeln zu beachten. Dafür ist der Stadtpräfekt, der in den Relationen regelmäßig als Sprecher des Senats auftritt, der richtige Mann. Symmachus stellt in seiner Argumentation konsequent auf rechtliche Erwägungen ab. In § 2 werden leges als Inbegriff der einschlägigen Verfahrensvorschriften angesprochen; in § 5 heißt es, dass rescripta ac leges das Vorbringen der Senatoren stützen, das der kaiserlichen iustitia unterbreitet wird. Der Kaiser wird aufgefordert, die einschlägigen decreta, die schon angesprochenen leges und rescripta, aus necessitas iuris und Familientreue zu bewahren und zu beachten. Der Kaiser möge sich, wie sonst auch, an die väterliche Wertung gebunden fühlen. Zuletzt folgt die Berufung auf die aequitas temporum, die nach dem bisherigen Vorbringen keine bloße Phrase ist. An den Kaiser richtet sich ein geballter rechtlicher Appell an seine iustitia, an aequitas und Selbstbindung an decreta. Die einschlägigen Normen sind Symmachus geläufig, wenngleich er sie nicht präzise benennt. Es werden allgemeine leges und Einzelfallrescripta/responsa/sacrum oraculum unterschieden. Beides erhebt Geltungsanspruch und wird vom allgemein gebrauchten1011 Begriff der decreta umfasst. Die Relation entspringt einem Rechtsproblem, das nicht auf eine Einflussnahme des Stadtpräfekten zurückzuführen ist, insbesondere ist er nicht parteilich in einem von ihm zu entscheidenden Prozess, denn Relation 48 ist nicht consulta1010
Insofern ist die Formulierung bei Klein, Streit, 23 Fn. 13, der Relation 48 als „Bitte um Rechtsvorteile für die Senatoren“ betitelt, ungenau und missverständlich. 1011 Decretum umfasst insoweit jegliche verbindliche Kaiserentscheidung, sei es ein Urteil (decretum im technischen Sinne), ein (sonstiges) Reskript oder ein allgemeines Gesetz. Zum Sprachgebrauch m.w.N. bei Rell. 27 und 34.
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tio ante sententiam, keine Abgabe des Falles aus Schwäche oder Unsicherheit, sondern der Stadtpräfekt kommt lediglich einer allem Anschein nach begründeten Bitte nach1012 und unterbreitet Verfahrensunregelmäßigkeiten. Zwar verhehlt er sein Standesbewusstsein nicht1013, doch führt das nicht zu bedenklicher Voreingenommenheit; vielmehr bemüht er sich, dem Fall gerecht zu werden, wie er das auch sonst getan hat, wenn keine Senatoren beteiligt waren oder wenn Senatoren aus Rechtsgründen auf der Verliererseite standen. Daneben sieht sich Symmachus in der schwierigen Lage, dass wieder einmal Kompetenzen des Stadtpräfekten in Frage gestellt werden, hier sogar der so wesentliche Grundsatz des domicilium dignitatis. Da bleibt kein anderer Weg, als dem Kaiser die Frage noch einmal vorzulegen, in der Hoffnung, ihn umzustimmen. Hierzu führt er tragfähige Rechtsgründe an und zeigt sich sensibel gegenüber Störungen der Rechtslage. Er verteidigt senatorische Privilegien, schützt senatorisches Vermögen, verteidigt aber zugleich die eigene Kompetenz als Stadtpräfekt, im Zivilprozess über Senatoren zu urteilen. Trotz der anfänglich geäußerten Vorbehalte muss Symmachus aufgrund dieser Relation am Ende ein gutes Zeugnis ausgestellt werden, denn mit guten rechtlichen Argumenten nimmt er den Kaiser in die Pflicht. Im ganzen Verfahren zeigen sich freilich Unregelmäßigkeiten und der comes rei privatae ist bereits zum zweiten Mal mutmaßlich in einen heiklen Fall verwickelt. Wiederholt deuten sich Missstände in der res privata an, denn sowohl in Relation 41 als auch in Relation 48 wird zugunsten der res privata der reguläre Verfahrensgang durchbrochen und potenziell Einfluss auf die Rechtsprechung genommen. Symmachus ist ebensowenig wie die betroffenen Senatoren bereit, das klaglos hinzunehmen, und macht die Sache auch zu seiner eigenen.
XI. Zwischenergebnis zu den Zivilprozessen Einzelheiten zum Denuntiationsprozess lassen sich den bisher behandelten Relationen nur unscharf entnehmen. Symmachus berichtet nur die wesentlichen Streitpunkte und der Leser muss davon ausgehen, dass sich die Prozesse im Übrigen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen abgespielt haben. Nicht angebracht ist es, wie es manche Autoren getan haben1014, pauschal von einer kläglichen Praxis, von der die Relationen angeblich Zeugnis ablegen, zu sprechen; vielmehr bewegt sich der Zivilprozess auf einem beachtlichen Niveau. Natürlich hätte man vieles gerne genauer gewusst, doch gab es für Symmachus keinen Anlass, Lehrstücke über den üblichen Verfahrensgang zu schreiben. Wir 1012
Vgl. ähnlich schon Plinius Ep. X, 59 (Antwort Trajans in X, 60): Er gibt Parteigesuche (libelli) in einem Strafprozess weiter, wie die Parteien wünschten. Es handelt sich nicht um ein eigentliches Relationsverfahren. 1013 Auch in seinen Privatbriefen verteidigt er mehrfach senatorische (Rechtsprechungs-)Privilegien, s. etwa die bei den Relationen 30 und 41 angeführten Briefe. 1014 Vgl. die Zitate im Ersten Teil, 2. Abschnitt IV.
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erfahren daher nur etwas zu den wesentlichen Fragen des jeweiligen Falles. In der Mehrzahl der Fälle stehen Verfahrensfragen im Mittelpunkt; insbesondere Fragen des Appellationsrechts und Kompetenzfragen beschäftigen den Stadtpräfekten mehrmals. Hier zeigen sich eine Neigung zu Unregelmäßigkeiten bei der Appellation, auch bei Symmachus, sowie Kompetenzgerangel und Einflüsse des Hofes. Im Hinblick darauf liegt die Stadtpräfektur des Symmachus in einer Zeit des Umbruchs. Die Sonderstellung Roms wird, jedenfalls in einzelnen Bereichen, von den jeweiligen Fachleuten am Hof zunehmend in Frage gestellt. Der römische Stadtpräfekt versucht dem entgegenzuwirken und kann sich dabei noch auf das bislang geltende Recht stützen. Mehrmals ist in den Prozessberichten auch Rechtsunsicherheit festzustellen, begünstigt durch eine undurchsichtige Rechtslage, ggf. aber auch durch allzu große persönliche Zurückhaltung des Stadtpräfekten vor autoritativem Durchgreifen. Materiellrechtlich bilden das Erbrecht, Besitz- und Eigentumsfragen einen deutlichen Schwerpunkt, wobei die Prozesse regelmäßig in Verfahrensfragen steckenbleiben und Symmachus den Sachverhalt weitgehend ausblendet. Insgesamt führt Symmachus differenziert zu bewertende Einzelfälle vor, ein Pauschalurteil ist daher unangebracht. Eine endgültige Einschätzung bleibt dem Gesamtergebnis vorbehalten.
B. Strafprozesse
I. Relation 31: Ein widerspenstiger Senator Symmachus bittet den Kaiser um Beistand, weil es ihm nicht gelingt, sich kraft eigener Autorität gegen einen aggressiv auftretenden Senator aus Epirus durchzusetzen. Der Stadtpräfekt ist erstinstanzlicher Richter in einem Prozess gegen den Senator Valerianus1015, der seit längerem wegen seiner Vergehen gerichtlich belangt werden soll und bereits die Vorladungen verschiedener Gerichte missachtet hat, zuletzt die des Symmachus, dessen Beamte er sogar körperlich attackiert bzw. von seinen Leuten attackieren lässt. Symmachus sieht sich mit dem Fall überfordert, weil sich der Angeklagte bislang noch jedem Versuch, ihn zu ergreifen, erfolgreich widersetzt hat und er auch künftige Ge1015 Valerianus lebt 384/385, so sagt man jedenfalls (§ 1), auf seinen Ländereien in Epirus (nördliches Griechenland). Er ist sonst unbekannt (PLRE I, Valerianus 9, 939), insbesondere wohl nicht identisch mit dem Valerianus, vicarius von Spanien von 365/366, der seinerseits wahrscheinlich identisch ist mit dem Stadtpräfekten von 381 und Korrespondenten von Symmachus aus Epp. VIII, 69 (388/389) und IX, 13 (398401); mit ihm war Symmachus freundschaftlich verbunden: Nagl, RE-Valerianus 14, 2286; Chastagnol, Fastes, 208; Roda, Commento, 119 f.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
ringschätzung seiner Autorität befürchtet. Mit der etwas stereotypen Begründung, es sei Sache des Kaisers, einen Senator zu disziplinieren, gibt er den Fall deshalb nach Mailand ab und bittet den Kaiser um Entscheidung. Relation 31 ist relatio ante sententiam, Abgabe des Falles an das Kaisergericht unter Darlegung des Sachverhalts und der eigenen Rechtsüberzeugung. Aus der Formulierung, dass es Sache des Kaisers sei, Vergehen eines Senators zu strafen, lässt sich die Vermutung aufstellen, dass Symmachus als Strafrichter mit dem Fall befasst ist bzw. er den Fall jedenfalls insoweit dem Kaiser überträgt. Doch wird das im Einzelnen zu prüfen sein. Tatsächlich steht Valerianus nämlich auch zivilrechtlich vor Gericht. Der Stadtpräfekt ist als ordentlicher Richter erster Instanz gegen einen westlichen Senator zivilrechtlich stets zuständig, als Strafrichter aber grundsätzlich nur dann, wenn der Begehungsort des Delikts im Hundertmeilenbezirk liegt1016. 1. Die Relation Wem es einmal gelungen sei, ungestraft davonzukommen, werde darauf auch ein zweites Mal hoffen: Cur enim secundum desperet effugium, qui laqueos criminis prioris evasit? Um eben so einen Fall geht es, denn Valerianus versuchte schon mehrmals erfolgreich, sich gerechter Bestrafung zu entziehen. Der beschriebene Missstand, dass Straftaten ungesühnt bleiben, scheint nach der allgemeinen Einleitung kein Einzelfall gewesen zu sein. Einleitend umreißt Symmachus ein Stück Rechtswirklichkeit und scheut sich nicht, seiner Empörung Ausdruck zu verleihen. Valerianus, der wohl in Epirus lebte, ist für ihn der Inbegriff eines schlechten Menschen, denn er achte weder spezielle Reskripte, noch allgemeine, strenge Gesetze, noch private Vereinbarungen oder richterliche Autorität: Siquidem Valerianus vir clarissimus, cui lar in Epiro esse suggeritur, neque rescriptorum veneratione neque legum severitate vel pactionum fide aut iudiciorum reverentia permovetur. Soweit die Einleitung in § 1. Damit kommt Symmachus zum konkreten Fall: Valerianus wurde auf Klagen des Senators Iunior hin zunächst zum praefectus praetorio vorgeladen. Zeitpunkt und Gegenstand der Klage sind unbekannt; es handelte sich, denn Symmachus schreibt in § 1 von inpunitas und crimen, wahrscheinlich um eine Strafklage1017, deren Zuständigkeit sich grundsätzlich nach dem Begehungsort richtet. Der Strafprozess wurde durch private Anzeige des Senators Iunior1018 1016
Zum Gerichtsstand des Begehungsortes vgl. CT IX, 1, 1 (316/317) und schon im Ersten Teil 4. Abschnitt II. 2. 1017 Für eine Zivilklage wäre der Stadtpräfekt von Rom kraft des domicilium dignitatis ordentlicher Richter gewesen. Selbst wenn über die Zuständigkeit hier in einem kaiserlichen Reskript entschieden wurde (s. sogleich), ist unwahrscheinlich, dass der Stadtpräfekt als Zivilrichter übergangen worden sein sollte. Eher wurde der Provinzstatthalter am Begehungsort des Delikts übergangen. 1018 Sonst unbekannt: PLRE I, Iunior 3, 486. Zum Akkusationsverfahren s. Einzelheiten bei Rel. 49.
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eingeleitet, der den Weg des sogenannten Reskriptverfahrens eingeschlagen hat: Iunior hatte eine Bittschrift, supplicatio, an den Kaiser gerichtet und ein Reskript erhalten, in dem Valerianus vermutlich unmittelbar vor den praefectus praetorio zur Untersuchung einbestellt wurde. Dieser Anordnung und der Aufforderung des Prätorianerpräfekten, vor Gericht zu erscheinen, kam er jedoch nicht nach: Qui primo in examen praetorianae sedis iussus acciri ad supplicationem v. c. Iunioris vim rescripti, statutum praecelsae potestatis elusit. Gemeint ist vermutlich der Prätorianerpräfekt von Italien, Africa, Illyrien, der in Mailand sitzt und in dessen Zuständigkeitsbezirk damals wohl auch Epirus lag, wo das Verbrechen begangen worden sein könnte1019. Coster hat die supplicatio zunächst insoweit missverstanden, als er glaubte, Valerianus sei angeklagt, weil er die Teilnahme an einer religiösen Zeremonie in Rom unter Anwendung von Gewalt verweigert habe1020. Supplicatio meint die Prozesseinleitung mittels Bittschrift an den Kaiser, der den Fall dann durch Reskript dem ordentlichen oder einem außerordentlichen Richter überträgt1021. Nachdem sich Valerianus nicht vor dem praefectus praetorio einfand, wurde er öffentlich vom proconsul1022 mittels edicta, wohl weil sein Aufenthaltsort nicht genau bekannt war, vorgeladen: dehinc proconsularibus evocatus edictis leges pari arte frustratus est. Doch auch dort erscheint er nicht, was Symmachus als Missachtung der Gesetze verurteilt. Da Valerianus in Epirus lebte, 1019 Der Name des Amtsinhabers ist unbekannt, denn der Verfahrensbeginn ist zeitlich nicht genau auszumachen, liegt aber wohl nicht allzu lange zurück. Zu beachten sind allerdings verwaltungstechnische Besonderheiten und territoriale Zuständigkeitsveränderungen im fraglichen Gebiet. Die Zugehörigkeit zum Westreich schwankte, ist im konkreten Zeitraum nach dem Zeugnis der Relation aber offensichtlich zu bejahen, denn in Rel. 31 deuten sich keine Probleme hinsichtlich der Reichsgrenzen an. Zum wechselvollen Schicksal von Epirus (bzw. Griechenland), das in der Kaiserzeit zeitweise zur Provinz Achaia gehörte, bis es in zwei eigene Provinzen aufgeteilt wurde, s. Vera, Commento, 242 ff. Die Provinzen Epirus vetus im Süden und Epirus nova im Norden sowie Achaia gehörten damals zur Diözese Macedonia (vgl. auch Festus, Breviarium 8) unter dem vicarius Macedoniae und diese wiederum gehörte wohl vollständig zur Westregierung und unterstand dem praefectus praetorio Italiae, Africae, Illyrici. Zur speziellen Frage von Illyrien, das zeit- und teilweise zur Osthälfte des Reiches gehörte (bis es 395 endgültig geteilt wird), s. Vera, 240 m. N. Die (vorübergehende) Zugehörigkeit von Macedonia zum Ostteil belegt noch CT VI, 2, 14 vom Januar 384 (Seeck, Regesten, 103; 265; Vera, 243), wurde mittlerweile aber geändert: Vera, 243 f. Zum Zeitpunkt der Rel. 31 gehörte vermutlich ganz Macedonia zum westlichen Reichsteil. Jedenfalls aber gehörten die beiden Provinzen von Epirus sowie Achaia zum Westteil, d. h. Macedonia war evtl. zeitweilig aufgeteilt. Der Fall jedenfalls spielt im Westen des Reiches, die Kompetenz des römischen Stadtpräfekten wird zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt und Symmachus schreibt so selbstverständlich doch wohl nur von „seinem“ Prätorianerpräfekten. 1020 Coster, Iudicium, 29 f; 175 Fn. 122 f. Auf den Fehler haben schon Radin, Bspr. Coster, 490 f; Enßlin, Bspr. Coster, 440; Steinwenter, Bspr. Coster, 512 Fn. 5 u. a. m. hingewiesen. Coster berichtigte seine Auffassung in Synesius, 172 Fn. 64. 1021 Zum Reskriptverfahren schon im 4. Abschnitt A. VI. und v. a. bei Rel. 19. 1022 Mangels Zeitangaben in der Relation ebenso wenig nicht zu identifizieren.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
handelt es sich wahrscheinlich um den proconsul von Achaia, den Statthalter der benachbarten Provinz in derselben Präfektur. Es fragt sich allerdings, wie der Rechtsweg vom praefectus praetorio zum proconsul zustande gekommen ist. Verfehlt ist hier die Ansicht von Chastagnol1023, der glaubt, Relation 31 zeige, dass der praefectus praetorio oberhalb des proconsul gemäß CT IX, 1, 13 (376) eingeschaltet worden sei. Es habe sich um einen Kapitalprozess gegen einen Senator gehandelt, in dem der proconsul nur die Voruntersuchung zu führen hatte und dann den Fall zur Aburteilung abgegeben habe. Auf die Frage, ob die genannte Vorschrift über das quinquevirale iudicium hier eine Rolle spielt, wird noch einzugehen sein, doch zeigt die Relation genau den dort nicht vorgesehenen, umgekehrten Weg vom praefectus praetorio zum proconsul. Eine Berichtspflicht oder Verfahrensübergabe in dieser Richtung sieht keine Norm vor, vielmehr unterstand der proconsul von Achaia hierarchisch dem praefectus praetorio per Illyricum1024. Vera1025 macht in diesem Zusammenhang den interessanten Vorschlag, dass sich vor dem praefectus praetorio ursprünglich der Statthalter von Epirus oder einer anderen Provinz als ordentlicher Richter des Begehungsorts mit dem Fall befasst und sich im Rahmen des in CT IX, 1, 13 vorgesehenen Verfahrens, nachdem er selbst ermittelt hatte, an den praefectus praetorio gewandt habe, damit dieser das Urteil fällen möge. Der praefectus praetorio sei also möglicherweise schon die zweite Stufe im Verfahren gewesen. Doch was soll dann in dem Reskript gestanden haben, gegen das Valerianus nach Aussage von Symmachus unmittelbar verstoßen haben soll, als er nicht vor dem praefectus praetorio erschien? Typischer Inhalt der Reskripte im sogenannten Reskriptverfahren ist die Kompetenzzuweisung (vgl. Relation 19). Das kaiserliche Reskript übertrug daher den Fall sehr wahrscheinlich unmittelbar dem Prätorianerpräfekten. Da der Beklagte Senator war und vielleicht schon von Anfang an mit Widerstand gerechnet wurde, übergab der Kaiser nicht dem Provinzstatthalter am Begehungsort des Delikts (etwa dem praeses von Epirus oder vielleicht auch dem proconsul von Achaia) das Verfahren, sondern sogleich dem höheren Richter. Für Veras Ansicht enthält die Relation keinen Anhaltspunkt. Vom Statthalter von Epirus oder einer anderen Provinz als Ausgangsrichter ist keine Rede. Aus dem Schreiben deutet sich zudem mit keiner Silbe an, dass Valerianus anfänglich wegen eines Kapitaldelikts vor Gericht stand, so dass fraglich ist, ob CT IX, 1, 13 überhaupt beachtlich ist. Es bleibt daher dabei, dass der praefectus praetorio wohl als außerordentlicher Richter mit dem Fall betraut worden ist. Möglicherweise hielt der Kaiser den Statthalter für überfordert. Wie kommt es dann aber später zur Vorladung durch den proconsul? Ein Rechtsweg vom praefectus praetorio zum proconsul ist nicht vorgesehen und 1023
Préfecture, 125 f. Anders als die proconsules von Africa und Asia, die direkt dem Kaiser unterstanden. Vera, Commento, 242 m. N.; Jones, LRE, 375; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 533 m. N. 1025 Commento, 243. 1024
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letzterer wird denn auch nicht als Rechtsmittelinstanz, sondern unmittelbar im Anschluss an die erste, erfolglose Ladung tätig. Der ordentliche Rechtsweg dagegen verliefe allenfalls umgekehrt. Denkbar ist, aus Symmachus´ Bericht zu folgern, dass Valerianus verschiedene Vergehen zur Last gelegt wurden. Ein weiteres hat er vielleicht in Achaia begangen und wird dort vom ordentlichen Richter, dem proconsul, vorgeladen, deutet Symmachus doch einleitend an, dass der Fall ein Beispiel davon gebe, wie jemand schon mehrfach ungestraft davongekommen sei. Wenn es sich aber um denselben Fall handeln sollte, könnte der proconsul Valerianus auf Ersuchen des Prätorianerpräfekten vorgeladen haben, weil Valerianus seinen Aufenthaltsort nach Achaia verlegt hatte, vielleicht dorthin, in die Nachbarprovinz von Epirus, geflohen war. So glaubt Vera1026, der proconsul sei in dieser Weise, also eher zufällig und nicht als Ermittler, sondern als lokale Autorität am Fluchtort mit der Sache befasst. Denkbar ist auch, dass er als der eigentlich anstelle des praefectus praetorio gesetzlich zuständige Richter am Begehungsort um Amtshilfe gebeten wird. Der Begehungsort lag möglicherweise in dieser Provinz und gar nicht in Epirus, wo Valerianus, der auch Güter in Achaia gehabt haben mag, nach § 1 nur wohnen soll. Der proconsul könnte von der ihm übergeordneten Instanz beauftragt worden sein, Valerianus vorzuladen. Es fragt sich dann allerdings, ob der Fall dem proconsul insgesamt übergeben wurde. Festzuhalten ist, dass Valerianus bereits von zwei Richtern vor Gericht geladen wurde, dem von Symmachus zusammenhängend geschilderten Ablauf nach und vor dem Hintergrund des weiteren Geschehens vermutlich in derselben Sache. Mittlerweile liegt der Fall bei Symmachus und Valerianus ist zivil- und strafrechlich beklagt: nunc cum et actione civili et criminali accusatione premeretur, statutis inciviliter repugnavit, ut apparitores praefecturae urbanae partim notoriis partim suggestione signarunt. Symmachus ist als Zivilrichter über beklagte Senatoren nach den allgemeinen Regeln zuständig. Gegenstand des Zivilverfahrens könnte nach den einleitenden Worten ein Vertragsbruch sein, denn ausdrücklich heißt es, dass Valerianus noch nicht einmal private Abmachungen beachte, es fehle an pactionum fide. Vielleicht hat Iunior auch aus Vertrag gegen ihn geklagt. Vera1027 glaubt, dass sich das Zivilverfahren aus dem Strafverfahren entwickelt habe. Die Weigerung, vor dem Strafrichter zu erscheinen, habe das Zivilverfahren losgetreten, denn aufgrund der Säumnis habe man eine Buße auferlegt. Tatsächlich erlaubt CT II, 18, 2 (322), dem vorwerfbar Säumigen eine Geldstrafe aufzuerlegen, und tatsächlich spricht Symmachus in § 3 von contumacia senatoris, was sich technisch als Säumnis auslegen lässt, dem Zusammenhang nach aber eher auf den bislang insgesamt gezeigten Widerstand und Ungehorsam des Senators gegenüber der Staatsgewalt anspielt. Nichterscheinen auf dreifache Ladung bzw. eine amtliche Ladung mittels edicta hin, ermöglicht im Zivilprozess Verurteilung im Säumnisverfahren 1026 1027
Commento, 243. Commento, 244.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
(vgl. die Nachweise unter 2.a). Sofern ein solches Versäumnisverfahren gegen Valerianus eingeleitet worden sein sollte, beträfe das allerdings den Zivilprozess, denn im Strafverfahren führt Nichterscheinen regelmäßig zur Zwangsvorführung des Angeklagten, nicht zu einem derartigen Säumnisverfahren1028. Es gab daher vermutlich doch zwei voneinander unabhängige Verfahren; im Mittelpunkt der Relation steht aber allein der Strafprozess1029. Die Relation kreist um Bestrafung wegen eines Verbrechens, nicht nur um bloße Geldstrafe wegen des Nichterscheinens vor den früheren Richtern. Es bleibt die Frage, weshalb nunmehr Symmachus auch als Strafrichter mit Valerianus befasst ist. Valerianus erscheint nicht nur nicht, vielmehr berichten Beamte des officium urbanum schriftlich und mündlich weitere Verfehlungen. Valerianus widersetzt sich den Anordnungen (Vorladungen) des Stadtpräfekten und gegen einen seiner apparitores soll er sich gar vergangen haben: Der Kaiser hatte einen agens in rebus damit beauftragt, Valerianus nach Rom zu bringen, doch war dieser, bevor er die kaiserliche Anordnung, sacrum praeceptum, ausführen konnte, gestorben1030 und einer der Männer aus dem officium urbanum musste seine Aufgabe übernehmen. Dieser berichtet, er habe schwere Verletzungen durch Valerianus erlitten: Quorum unus agente in rebus eo mortuo, ad quem sacri praecepti executio pertinebat, adfectum se a Valeriano gravibus iniuriis indicavit. Vor diesem Hintergrund scheint nun Symmachus auch als Strafrichter zuständig zu sein. Bereits aus dem Einleitungssatz ergibt sich, dass die Bestrafung eines Senators in Frage steht, der wegen eines früheren Delikts schon einmal ungestraft davongekommen war. Aus dem gesamten Zusammenhang der Relation wird deutlich, dass es Symmachus in erster Linie darum geht, die Bestrafung des Senators für die von ihm begangenen crimina sicherzustellen. Der Kaiser soll möglichst alles bislang Vorgefallene zur Verurteilung bringen. Valerianus steht bei Symmachus (nunc...) zivil- und strafrechtlich vor Gericht, sei es, weil er ein weiteres, nicht näher erläutertes Delikt begangen hat, sei es bereits wegen der Verletzung des römischen Beamten, die als Körperverletzung, als iniuria oder auch violentia vor dem Stadtpräfekten als dem örtlich zuständigen Richter verfolgt worden sein könnte. Das Relationsverfahren jedenfalls bezieht sich auf das Strafverfahren. Der Geschädigte bringt querellae vor, § 3, erhebt vielleicht sogleich förmlich Anklage1031. 1028 Contumacia im Strafprozess wird anders behandelt, wenngleich CT II, 18, 2 dem Wortlaut nach auch im Strafprozess Anwendung finden könnte. Näher dazu unter 2a). 1029 Chastagnol, Préfecture, 126, meint hingegen, Symmachus schreibe hier (nur) als Zivilrichter. So auch Vera, Commento, 244. 1030 Zu Unrecht glauben McGeachy, Symmachus, 85, und MacMullen, Roman Bureaucratese 364 f, der agens in rebus sei von Valerianus getötet worden. Davon sagt Symmachus nichts; er scheint eines natürlichen Todes gestorben zu sein. Er ist unbekannt: PLRE I, Anonymus 176, 1031. 1031 Vielleicht aber handelt es sich auch um bloße formlose Beschwerden. Ein Verfahren wegen Beamtenverletzung kann von Amts wegen eingeleitet worden sein. Zur Akkusation bzw. dem Amtsverfahren näher bei Rell. 49 und auch 36.
4. Abschnitt: Prozesse
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Die besondere Vorschrift zum Kriminalprozess gegen Senatoren wegen eines Kapitaldelikts, CT IX, 1, 13, ändert nichts an der örtlichen Ermittlungskompetenz. Der Stadtpräfekt ist auch nach dieser Vorschrift nicht allgemein für Prozesse gegen Senatoren zuständig, sondern allenfalls im Gebiet des südlichen italischen Vikariats. Das bislang „verhandelte“ Delikt kann nicht auf dem üblichen Rechtsweg zu Symmachus gelangt sein, der erstinstanzlich grundsätzlich nur für Delikte zuständig ist, deren Begehungsort in Rom und seinem Umland (Hundertmeilenbezirk) liegt und auch als zweite Instanz nicht im Bezirk des proconsul zuständig ist. Es gibt keinen Rechtsweg von Griechenland bzw. dem praefectus praetorio zum römischen Stadtpräfekten. Symmachus schweigt sich über den genauen Ablauf vollständig aus. Möglicherweise ist ihm inzwischen das alte Verfahren wegen der zu vermutenden Tat gegen Iunior im Wege der Amtshilfe übertragen worden, das schon vom praefectus praetorio zum proconsul auf ungewissem Wege gelangt war, weil möglicherweise Valerianus seinen Aufenthaltsort gewechselt hatte. Der Vorwurf mag vor Symmachus erweitert worden sein wegen der Widerstände, die Valerianus den beiden vorherigen Richtern entgegengebracht hatte und die Symmachus als (strafbaren?) Bruch von leges vermerkt. Es könnte allerdings auch ein Fall wie in Relation 28 bzw. CT IX, 20, 1 (378) vorgelegen haben: Landraub, der im Zivil- und im Strafprozess verfolgt werden konnte. Möglicherweise hatte sich Valerianus gewaltsam über den im Raum stehenden Vertrag hinweggesetzt. Beide Verfahren waren eventuell vor dem Stadtpräfekten aus prozessökonomischen Gründen verbunden worden, da er zivilrechtlich gegen Senatoren stets zuständig war. Vielleicht wurden aber auch, wie gesagt, verschiedene Sachverhalte zivil- bzw. strafrechtlich untersucht. Mittlerweile interessiert sich jedenfalls Mailand für den Fall und schickt einen agens in rebus. Dieser wurde formal vom Kaiser, intern aber wahrscheinlich von seinem Chef, dem magister officiorum, beauftragt1032, Valerianus in Gewahrsam zu nehmen und nach Rom zu überführen. Agentes in rebus wurden häufig mit solchen Spezialaufträgen betraut und auch in Relation 38 wird der Angeklagte dem Gericht auf Befehl des magister officiorum von einem agens in rebus überstellt. Der Einsatz dieses Beamten zum Zwecke zwangsweiser Vorführung unterstreicht noch einmal, dass in erster Linie der Kriminalprozess gegen Valerianus zur Debatte steht, da im Zivilprozess der nicht erschienene Beklagte bei Vorliegen der Säumnisvoraussetzungen in Abwesenheit verurteilt werden konnte. Die Ablösung des agens in rebus durch einen römischen Beamten lässt sich damit erklären, dass auch der princeps officii von Rom zu den agentes in rebus gehörte. Doch nicht nur die Vorladung 1032
Dieser Auftrag wird als sacrum praeceptum dem Kaiser zugeschrieben. Vera, Commento, 244, hält es dagegen für möglich, dass er von einem vice sacra auftretenden Beamten wie dem praefectus urbi oder dem praefectus praetorio stammte. Dagegen spricht jedoch, dass Symmachus als (sacrum) praeceptum auch sonst nur kaiserliche Anordnungen bezeichnet, vgl. Rell. 25, 4 und 29, 2. Zudem wird ein agens in rebus nicht vom Stadt- oder Prätorianerpräfekten ausgesandt, der über diese Beamten nicht selbst verfügt, sondern vom Hof. Letztlich glaubt auch Vera an einen Befehl des magister officiorum, Valerianus zu verhaften, der auf Gesuch der mit dem Fall befassten Richter hin ergangen sei.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
von Symmachus, sondern auch die entsprechende Anordnung des Hofes ignoriert Valerianus, er beantwortet sie sogar mit Gewalt und lässt den apparitor des Stadtpräfekten durch seine Sklaven körperlich misshandeln. Symmachus ist entrüstet angesichts dieser, auch seine Autorität demütigenden Vorfälle, befürchtet aber, dass die von ihm nun eigentlich zu ergreifenden strengen Maßnahmen von Valerianus wieder missachtet und lächerlich gemacht werden könnten. Um weiteren Autoritätsverlust zu vermeiden, hält er es daher für das Beste, die Entscheidung dem Kaiser zu überantworten. Nur er bestrafe nämlich mit Recht Verbrechen, die von Senatoren begangen wurden. Das klingt, als fehle Symmachus die Kompetenz, den Fall zu Ende zu bringen. Vor dem gegebenen Kontext fehlt ihm aber zunächst einmal die Durchsetzungskraft; das rechtliche Argument wird dem Eingeständnis der eigenen Schwäche nachgeschoben und noch näher zu untersuchen sein, § 3: Motus igitur indignitate talium querellarum, cum viderem rursus inludi posse iudiciis, si quid severius censuissem, factu optimum credidi, ut aeternitati vestrae causae istius pontificium reservarem; soli enim iure corrigitis admissa potissimae dignitatis... . Quaeso aeternam clementiam vestram, ut omnibus solita aequitate perpensis evagari ulterius frustratorem tot iudicum non sinatis. Resigniert gibt Symmachus den Fall ab. Die notwendigen Unterlagen seien beigefügt und der apparitor, der die contumacia des Senators und den Angriff seiner Sklaven, serviles impetus, bezeugen könne und mittlerweile wieder in Rom sei, werde festgehalten1033 und stehe zur Aussage bereit, sofern man ihm nur die Gelegenheit dazu gebe. Symmachus bittet den Kaiser inständig, nach Kenntnisnahme des Sachverhalts und der schriftlichen Dokumente, etwas gegen diesen Mann zu unternehmen und weitere Verfehlungen nicht zuzulassen. Es gehe um aequitas und Wiederherstellung des Ansehens der verhöhnten Beamtenschaft. 2. Die Einzelheiten Ein frustrierender Fall. Valerianus werden Gesetzesübertretungen vorgeworfen, die in Anbetracht der gezeigten Fluchtbereitschaft und des hartnäckigen Widerstandes begründet und schwerwiegend scheinen. Der Angeklagte erscheint auf keine Ladung und lässt außerdem einen Beamten der Stadtpräfektur durch seine Sklaven verletzen. Symmachus fällt darauf nichts anderes ein, als den Fall abzugeben und sich über den erlittenen Autoritätsverlust bitter zu beklagen. Damit stellt sich die Frage, ob dem Stadtpräfekten nicht auch eigene Möglichkeiten in solchen Fällen zur Verfügung standen; was also Symmachus gegen Valerianus hätte unternehmen können.
1033 Das Opfer wird als Zeuge in Gewahrsam genommen. Vgl. die Zeugenfestnahme in Rel. 23, 8.
4. Abschnitt: Prozesse
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a) Nichterscheinen und Widerstand gegen die Staatsgewalt Im Zivilprozess kann gegen den vorwerfbar (contumax) nicht erschienenen Beklagten ein Versäumnisverfahren eingeleitet werden1034. Der Beklagte wird dreimal oder stattdessen einmal amtlich durch Edikte geladen und bei weiterem grundlosen Ausbleiben gemäß dem Klagantrag verurteilt; ggf. wird die oben genannte Geldstrafe verhängt. Ob dieser Weg hier eingeschlagen wurde, ergibt sich aus dem Schreiben nicht. Eine amtliche Ladung vor den proconsul lag zwar vor, doch interessiert Symmachus die zivilrechtliche Verurteilung Valerians in der Relation nicht. Er will Bestrafung erreichen und die kann er selbst nicht ohne weiteres in Abwesenheit des Angeklagten aussprechen, denn eine strafrechtliche Verurteilung des abwesenden Angeklagten war allenfalls bei kleineren Sachen zulässig, wenn er nach drei erfolglosen Ladungen oder offizieller Ladung mittels Edikt (wenn der Aufenthaltsort unbekannt war) contumax war1035. Zwar gibt es edicta des Prokonsuls und die Rede ist von statuta repugnavit; der Angeklagte widersetzt sich bewusst dem Verfahren und den Ladungen. Doch um ein kleines Vergehen scheint es nicht zu gehen, insbesondere zählt die im Raum stehende violentia, die mit Todesstrafe bedroht ist, nicht zu den crimina minora. Die Möglichkeit einer Verurteilung in Abwesenheit zieht Symmachus denn auch gar nicht erst in Betracht. Es geht ersichtlich um schwerwiegende Vorwürfe. Der Prozess kann nicht einfach eröffnet und infolgedessen auch kein Urteil gegen den Nichterschienenen gesprochen werden1036. Symmachus hält zwar weitere eigene Anordnungen, etwa weitere Vorladungen und Androhung von Zwangsmaßnahmen, für möglich, aber nicht für erfolgversprechend. Wer einer Vorladung nicht nachkommt, kann auch im Strafverfahren Versäumnisfolgen zu spüren bekommen. Der nicht erschienene Angeklagte kann durch staatliche Organe zwangsweise vor Gericht gebracht werden: exhibitio. Für schwerere Delikte, insbesondere auch Kapitalprozesse, steht zudem das Verfahren der adnotatio zur Verfügung, um das Erscheinen zu for-
1034 Dazu: Steinwenter, Versäumnisverfahren, 110 ff; Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 568 i.V.m. 477 ff. S. a. bei Rel. 33. 1035 Zu den Rechtsfolgen und Zwangsmitteln gegen den nicht erschienenen Angeklagten: Mer, Accusation, 379 ff; 402 ff; Brasiello, Sull’assenza, 9 ff m. N., der Digestenstellen auf nachklassische Eingriffe hin untersucht; s. a. Mommsen, Strafrecht, 335 f zum strafrechtlichen Contumacialverfahren in der Kaiserzeit. S. a. CT XI, 39, 9 (Dez. 384, Ost): Beide Seiten müssen grundsätzlich angehört werden. Schwere Verbrechen von Subalternen dürfen ausnahmsweise in deren Abwesenheit abgeurteilt werden: CT IX, 40, 14 (1.6.385). Das ist ein Sonderfall; grundsätzlich gibt es keine Verurteilung in Abwesenheit, so auch nicht in Rel. 36. 1036 Vgl. CT IX, 1, 17 (390): Auch potentiores vires müssen im Strafprozess grundsätzlich persönlich anwesend sein. Sie müssen dazu besonders angehalten werden, entzogen sich also offenbar häufig.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
cieren1037: Der Vorzuladende wird auf einer Liste der requirendi eingeschrieben und damit als öffentlich zu Ladender offiziell bezeichnet. Ist sein Aufenthaltsort unbekannt, wird dies mittels offiziellem Aushang kundgetan, ansonsten ist er zu benachrichtigen. Die adnotatio erlaubt dem fiscus, um Druck auszuüben, nach einem Jahr Konfiskation des Vermögens, d. h. wenn der Angeklagte nicht binnen Jahresfrist, gerechnet von der adnotatio an, vor Gericht erscheint, werden seine Güter vom fiscus endgültig eingezogen. Während der Jahresfrist wird das Vermögen versiegelt und von einem Sequester verwaltet und nur bei Erscheinen des Angeklagten und Unschuldsnachweis freigegeben. Wird der Angeklagte hingegen gefunden und als schuldig verurteilt, wird die Strafe gegen ihn wegen des Ausbleibens verschärft; auch wenn er seine Unschuld erweisen kann, sich aber nicht freiwillig gestellt hat, verbleibt das Vermögen dem fiscus. Symmachus schlägt diesen Weg nicht ein, versucht aber immerhin eine Zwangsvorführung, exhibitio, denn der Aufenthaltsort von Valerianus scheint bekannt zu sein. Zu beachten war hinsichtlich der Festnahme von Senatoren zwar das senatorische Privileg, nicht verhaftet zu werden, bevor ein Urteil ergangen ist, CT IX, 2, 1 (362). Doch können Senatoren in gemäßigten Gewahrsam (custodia) genommen werden, jedenfalls dann, wenn ihnen ein schweres Delikt zur Last gelegt wird. Das belegen zum einen die Relationen 36 und 49 und zum anderen CT IX, 2, 2 (365). Auch eine zwangsweise Vorführung ist möglich1038. Hier soll ein Senator auf besondere kaiserliche Anordnung hin in Gewahrsam genommen und vor Gericht geführt werden, was nach ordentlicher Verfahrenseinleitung und offizieller Vorladung fraglos zulässig war und keine Vermutung über das konkret verfolgte schwere Delikt erlaubt. Zusätzlicher Druck auf Valerianus durch sofortige Vermögensversiegelung und spätere Beschlagnahme über den Weg der adnotatio wäre daneben möglich, doch ist das langwierig und scheint Symmachus schwer durchsetzbar zu sein. Weitere Zwangsmittel dürften den Senator nicht beeindruckt haben. Eine Zwangsvorführung wurde bereits erfolglos versucht; von höchster Stelle wurden sogar ein 1037
Mer, 409 ff; Brasiello, a. a.O. Zu den Quellen vgl. D XLVIII, 3, 6, 1; D XLVIII, 17: De requirendis reis vel absentibus damnandis; CJ IX, 2, 6 (243); CJ IX, 40: De requirendis; v. a. CJ IX, 40, 2/CT IX, 1, 2 (319) zur endgültigen Konfiskation nach Ablauf der Jahresfrist. Das Verfahren galt wohl ohne Einschränkung auch gegenüber angeklagten Senatoren. 1038 Zwangsvorführung vor Gericht (exhibitio) und Festnahme auch von Senatoren war zu jener Zeit nicht grundsätzlich unzulässig, wie auch Ep. II, 41 (390-394) belegt: Nicagoran clarissimum virum Siciliae fascibus functum sub custodiam adesse iussisti...postulo ut sanctissimo iuveni in bonum vertat exhibitionis occasio. Auch Ammian, XXVIII, 1, 49, berichtet davon, dass angeklagte flüchtige Senatoren vom Gerichtsdiener offenbar rechtmäßig in Gewahrsam genommen werden. Die Festnahme und zwangsweise Vorführung wird vom Richter angeordnet, in Ep. II, 41 vom Prätorianerpräfekten gegenüber dem ehemaligen Statthalter von Sicilia wegen eines nicht näher bezeichneten Delikts. Dementsprechend schickt Symmachus auch hier seine Leute aus und auf diese Weise lässt er auch in Rel. 23, 8/11 durch seine Leute Verhaftungen vornehmen. Zur möglichen (drohenden) exhibitio gegenüber (wohl) Senatoren auch Ep. VI, 29, 2 (397). Zu Ladung, Erscheinungspflicht, Bewachung, Festnahme und Zwangsvorführung des Angeklagten im spätantiken Strafprozess näher Mer, Accusation, 337 ff.
4. Abschnitt: Prozesse
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agens in rebus und dann officiales ausgeschickt, ohne jeden Erfolg. Über bewaffnete Kräfte verfügte der Stadtpräfekt nicht und andere erfolgversprechende Möglichkeiten, des Senators Herr zu werden, gibt es nicht. Symmachus scheitert aus tatsächlichen Gründen am offensiven Widerstand des Senators. Anstatt aber die Sache aufzugeben, wie vor ihm vielleicht der praefectus praetorio und der proconsul, ruft er den Kaiser als nächste und höchste Instanz um Hilfe an, will die Verfolgung nicht endgültig scheitern und auf sich beruhen lassen. Er gibt den Fall insgesamt ab, nicht aus Rechtsgründen, denn rechtlich hat er weitere Handhaben, zwar nicht ein Urteil zu fällen, aber doch den Druck zu verstärken, sondern aus praktischen Gründen. b) Eine notwendige Relation im Strafprozess? Im Hinblick auf die Bestrafung, das Ergehen des Endurteils, meint Symmachus am Ende, dass das nur dem Kaiser mit Recht zustehe. Dieses, jedenfalls auf den ersten Blick rechtliche Argument soll im Folgenden etwas näher betrachtet werden. Welche (Sonder-)Regeln gelten im Kriminalverfahren gegen Senatoren. Darf der Stadtpräfekt möglicherweise kein Urteil über clarissimi fällen, muss er stets den Kaiser anrufen? Dagegen spricht die überlieferte Rechtslage, speziell CT IX, 1, 13, wonach der Stadtpräfekt sogar Kapitalprozesse gegen Senatoren selbständig führen kann und nur zur Verurteilung das Fünfmännergericht einberufen muss. Nicht einmal eine Berichtspflicht an den Kaiser ist dort vorgesehen. Welche Straftat Valerianus vorgeworfen wird, wissen wir zwar nicht, insbesondere auch nicht, welchen Inhalt die Klage des Iunior hatte. Die hartnäckige Weigerung, vor Gericht zu erscheinen, und Symmachus’ dringendes Verfolgungsinteresse sprechen allerdings, wie bereits ausgeführt, für einen gravierenden Vorwurf, nicht nur das nach CT II, 18, 2 strafbare Nichterscheinen. Gegenüber dem Beamten der Stadtpräfektur müsste sich Valerianus wegen Gewaltanwendung, crimen violentiae, zu verantworten haben, worauf in der wohl einschlägigen Erscheinungsform der manifesta violentia grundsätzlich die Todesstrafe stand1039. Damit befinden wir uns, jedenfalls was das Strafverfahren vor Symmachus anbelangt, und sofern bereits wegen der Beamtenverletzung ein Verfahren eingeleitet wurde, im potenziellen Anwendungsbereich von CT IX, 1, 13 (376). Doch wird das quinquevirale iudicium in Relation 31 mit keinem Wort angesprochen. Daraus aber lässt sich kein Argument zur Frage ableiten, ob CT IX, 1, 13 noch in Kraft und wie der Anwendungsbereich der Vorschrift war. Der Prozess befindet sich nämlich noch im Stadium der Vorermittlungen, die der Stadtpräfekt und auch die beiden anderen Richter vor ihm selbständig führen können. Erst im Anschluss daran wäre ggf. das Gremium der fünf Männer zur Urteilsfindung heranzuziehen. So weit aber ist es nicht gekommen; der Angeklagte erschien 1039 CT IX, 10, 1 (317); s. zum Tatbestand im Einzelnen bei den Relationen 28, 38 und 49.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
nicht zur Verhandlung. CT IX, 1, 13 führt in diesem Fall nicht weiter. Zweifel an der Anwendbarkeit von CT IX, 1, 13 sind zudem deshalb angebracht, weil sich Valerianus jedenfalls im Hinblick auf den Beamten der Stadtpräfektur wohl nicht selbst die Hände schmutzig gemacht hat, sondern seine Sklaven den Übergriff durchführen ließ. Zwar werden in § 2 „gravibus iniuriis“ des Senators selbst beklagt, doch ist in § 3 dann nur noch die Rede von der contumacia senatoris und serviles impetus. CT IX, 10, 4 (390 an den Stadtpräfekten) behandelt eben diese Konstellation, dass Sklaven auf Geheiß ihres Herrn violentia üben. Sie ist für den Hintermann günstiger, dem nicht (mehr) die Todesstrafe, sondern lediglich Infamie droht. Diese Besserstellung könnte bereits für Valerianus gegolten haben. Das (Relations-)Verfahren im Kriminalprozess gegen Senatoren verläuft ansonsten nach den allgemeinen Regeln, die für den Stadtpräfekten durch CT IX, 40 10 (366) und IX, 16, 10 (371) ergänzt werden. Außerdem war, wie gesehen, das senatorische Folter- und Festnahmeprivileg zu beachten1040. Nach CT IX, 40, 10 muss der Stadtpräfekt dem Kaiser vor jeder schwereren Bestrafung von Senatoren, austerior ultio, berichten, damit dieser die einschlägige Norm und damit die zu verhängende Strafe festlegen kann. Der Kaiser entscheidet nur über das anzuwendende Recht; die Vorschrift beinhaltet also keine neue Kompetenzzuweisung. Sie gilt immer dann, wenn der Stadtpräfekt nach der Regel vom Begehungsort zuständig ist. Die Grenze der schweren Bestrafung ist freilich unklar. Nach dem Erlass von CT IX, 1, 13 war bei drohender Todesstrafe die neue Regelung wahrscheinlich spezieller und der Kaiser grundsätzlich nicht mehr heranzuziehen. In CT IX, 16, 10 werden dem Stadtpräfekten ausdrücklich (auch) Prozesse wegen Zauberei, maleficium, gegen Senatoren anvertraut (s. bei Relation 36). Dieser kann, so wird festgeschrieben, wenn er sich mit der Entscheidung überfordert fühlt, etwa wegen irgendwelcher Versuche von Einflussnahme angeklagter potentes, dem Kaiser berichten und den Fall übergeben. Umstritten ist das Verhältnis der genannten Vorschriften zur Regelung in CT IX, 1, 13, die nach der hier vertretenen Auffassung nur Kapitalprozesse gegen Senatoren (im Sinne von Mitgliedern des ordo) betrifft. Neu geregelt wird 376 nur die Urteilskompetenz; nichts wird hingegen über Berichtsrecht oder -pflicht des Stadtpräfekten an den Kaiser gesagt. Für nicht kapitale Prozesse wird es daher bei den älteren Regeln geblieben sein1041 und auch CT IX, 1, 13 bedeutet 1040 S. schon im Ersten Teil 4. Abschnitt II. 2. und bei den Relationen 36, 38, 49. Zu den Privilegien der Senatoren im Strafprozess s. Giglio, Tardo Impero, 197 ff; Vincenti, Praescriptio Fori; ders., Partecipazione. 1041 Vincenti, Praescriptio fori; ders., Partecipazione, 69 ff zur Frage, was nach CT IX, 1, 13 mit den früheren Regelungen zur Kriminalrechtsprechung über Senatoren geschieht. Er kommt zu dem überzeugenden Ergebnis, dass CT IX, 1, 1 (316/317) lediglich für einen bestimmten Bereich geändert worden sei und sich der Kaiser weiterhin Majestätsprozesse vorbehalten habe. Nicht zu überzeugen vermag hingegen Giglio, Tardo Impero, 199; 201, der an eine umfassende Neuregelung bzw. Reform von CT IX, 1, 1 durch CT IX, 1, 13 für alle Delikte glaubt. Dagegen spricht der hier angenommene enge Anwendungsbereich von CT IX, 1, 13 auf Kapitalprozesse (dazu schon im Ersten Teil 4.
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nur, dass der Kaiser nicht mehr regelmäßig eingeschaltet werden will. Eine Relation war auch im Anwendungsbereich dieser Norm, d. h. in Kapitalsachen, nicht verboten, bedurfte allerdings einer guten Begründung. Festzuhalten ist, dass sich aus Relation 31 nichts für eine abschließende Regelung durch CT IX, 1, 13 entnehmen lässt. Vielmehr zeigen andere Zeugnisse, dass der Stadtpräfekt auch in späterer Zeit bei Zaubereiprozessen, d. h. Kapitalprozessen und zugleich Fällen von CT IX, 16, 10, den Kaiser befragen konnte, s. Cassiodor, Variae IV, 22 f zum Prozess gegen die beiden Senatoren Basilius und Praetextatus wegen Zauberei1042. Der Kaiser bzw. damals König Theoderich konnte den Fall auf Anfrage übernehmen. Theoderich freilich verwies im Jahre 510/511 den Fall mit kleinen Abweichungen von CT IX, 1, 13 an das quinquevirale iudicium. CT IX, 1, 13 schließt demnach eine Anfrage im Anwendungsbereich von CT IX, 16, 10 nicht aus, was zu Zurückverweisung führen kann, ggf. auch unter Neuerungen. Anfragen kommen in der Praxis weiterhin vor. Im Fall von Basilius und Praetextatus waren die Angeklagten geflohen, der Stadtpräfekt befürchtete wohl weiteren Widerstand gegen die Festnahme und bat um Anweisung. Der Fall ist in Bezug auf den geleisteten bzw. erwarteten Widerstand dem aus Relation 31 vergleichbar, weshalb anzunehmen ist, dass CT IX, 1, 13, IX, 16, 10 und IX, 40, 10 nebeneinander anwendbar waren. Abzulehnen ist in diesem Zusammenhang die Vermutung von Coster1043, der Relation 31 als Beweis dafür heranzieht, dass das Schreiben die Anwendung von CT IX, 16, 10 für clarissimi in einem Fall zeige, der von CT IX, 1, 13 nicht erfasst sei. Dagegen ist Zweierlei einzuwenden: Zum einen ist die Anwendbarkeit von CT IX, 1, 13 im Hinblick auf die im Raum stehende violentia nicht auszuschließen und zum anderen handelt es sich hier kaum um einen Fall von Zauberei oder ähnlichem. Coster folgert die Anwendung von CT IX, 16, 10 aus seiner Fehlinterpretation von supplicatio und denkt an ein Delikt mit religiösem Einschlag, auf das er CT IX, 16, 10 anwenden zu können glaubt. Dafür aber
Abschnitt II. 2.). Coster, Iudicium, 28; 31, glaubt zum einen, dass CT IX, 40, 10 Kapitalprozesse gegen Senatoren meint und hält zum anderen CT IX, 1, 13 für einschlägig und abschließend für „echte“ Senatoren. Nur für sonstige Mitglieder des ordo sei es daher bei CT IX, 40, 10 geblieben, denn CT IX, 40, 10 und CT IX, 16, 10 gelten seiner Überzeugung nach nur insoweit fort, als CT IX, 1, 13 nicht eingreift. Gegen diese Auffassung spricht schon die hier abgelehnte Unterscheidung zwischen „echten“ Senatoren und bloßen Mitgliedern des ordo. Die genannten Vorschriften sollten vermutlich den gesamten Senatorenstand privilegieren. Dazu bereits im Ersten Teil 4. Abschnitt II. 2. Nicht überzeugend ist daher auch die Einschätzung Costers, a.a.O, 30, zu Rel. 31, wenn er bezweifelt, dass Valerianus überhaupt ein echter Senator gewesen sei. 1042 Einer der wenigen Beispielsfälle für das Fortbestehen und die praktische Relevanz des iudicium quinquevirale. Zu diesem Prozess: Coster, Iudicium quinquevirale reconsidered, 31 ff; Vincenti, Partecipazione, 92 ff; Flach, Iudicium quinquevirale, 372 f. Theoderich ändert die Vorgaben von CT IX, 1, 13, was zeigt, dass Anfragen Bedeutung haben konnten. 1043 Iudicium, 29 f; 31 Fn. 132. Ohne nähere Begründung folgt ihm Vincenti, Partecipazione, 73.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
gibt das Schreiben nichts her; eine Anwendung von CT IX, 16, 10 ist abzulehnen. Relation 31 zeigt, dass der Stadtpräfekt den Fall auch im möglichen Anwendungsbereich von CT IX, 1, 13 an den Kaiser abgeben kann. Die Begründung lässt CT IX, 40, 10 anklingen, dass nämlich über strenge Bestrafungen von Senatoren grundsätzlich der Kaiser befinden müsse. Kann sich Symmachus hier also auf CT IX, 40, 10 stützen? Diese Vorschrift ordnet gegenüber dem damaligen Stadtpräfekten an, dass nach vollständiger Sachverhaltsermittlung der Kaiser einzuschalten ist, wenn einem Senator ein schwerwiegendes Delikt zur Last gelegt wird. So weit ist Symmachus mit seiner Untersuchung aber nicht gekommen, denn er hat Valerianus noch nicht einmal angehört. Er gibt ab, weil er der Sache nicht Herr wird. Es fragt sich, ob CT IX, 40, 10 auch auf solche Fälle zugeschnitten ist. Wen sollte das Gesetz schützen? Zum einen wurden natürlich die Senatoren privilegiert (anders insoweit ausdrücklich noch CT IX, 1, 1), indem ihnen zugesichert wurde, dass nur der Kaiser und nicht etwa ein einfacher Beamter gegen sie schwere Strafen verhängen konnte; zum anderen aber sollte auch der Richter vor möglichen Einschüchterungen durch mächtige Senatoren geschützt werden. In Fällen wie dem vorliegenden könnte der angeklagte Senator versuchen, Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen, um für sich ein mildes Urteil zu erwirken. Der Kaiservorbehalt bedeutet Absicherung vor solcher Einflussnahme auf die Rechtsprechung und der Möglichkeit, sich dem gesetzlichen Richter zu entziehen, und dient insoweit auch der kaiserlichen Kontrolle des Senatorenstandes und der örtlichen Richter1044. In gleicher Absicht erlaubt CT I, 16, 4 (3281045) den Provinzstatthaltern, dem Kaiser oder dem praefectus praetorio Prozesse gegen potiores zu übergeben bzw. den Namen des Widerspenstigen anzuzeigen, um sich vor Einschüchterung durch Senatoren zu schützen. Und auch CT IX, 2, 2 (365) zeigt die Befürchtung, dass Angeklagte sich der Bestrafung zu entziehen suchen unter Berufung auf ihre (angebliche) Position. Der Statthalter hatte daher dem Kaiser oder notfalls auch dem Prätorianerpräfekten über den Fall und den Status des Festgenommenen Bericht zu erstatten, ...vel causae meritum vel personae qualitatem ad nos referat. Ganz ähnliche Probleme zeigen sich in Relation 31 (s. a. Relation 36) sogar vor dem Stadtpräfekten als einem der höchsten Richter im Reich. Auch er ist nicht imstande, sich effektiv durchzusetzen. Symmachus’ Argumentation läuft vor diesem Hintergrund nicht so sehr darauf hinaus, dass er nicht kompetent sei, eine schwere Strafe gegen einen Senator zu verhängen, sondern, dass er fürchtet, nochmals in seiner Autorität gedemütigt zu werden. Der Stadtpräfekt sähe am Ende gerne eine schwere Strafe gegen Valerianus verhängt, traut sich das selbst
1044 Die Tendenz der Richter, insbesondere des Stadtpräfekten, z. B. das crimen violentiae - aus welchen Gründen auch immer - nicht wirksam zu bestrafen, veranschaulicht beispielhaft CT IX, 10, 4, 1 (390). S. a. bei Rel. 49. 1045 Seeck, Regesten, 69; 178.
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aber nicht zu. Insofern nähert sich der Fall nur bedingt CT IX, 40, 10 an1046. Symmachus greift zwar den Gedanken auf, dass es Spezialregeln für Strafprozesse gegen Senatoren gibt, stützt sich dabei aber nicht auf konkrete Normen und ganz passt tatsächlich keine der überlieferten Vorschriften auf den Fall. Ein allgemeiner Kaiservorbehalt, wie ihn Symmachus andeutet, lässt sich den Quellen jedenfalls nicht entnehmen. In problematischen Fällen allerdings waren Anfrage und Abgabe an den Kaiser weiterhin möglich, wie auch das Beispiel bei Cassiodor zeigt. Die Möglichkeit, das Relationsverfahren einzuschlagen, ist systemimmanent. Richter können sich immer an den Kaiser wenden, wenn sie nicht weiter wissen; äußerstenfalls werden sie dafür getadelt und die Sache wird zurückverwiesen. Auch CT IX, 1, 1 richtet sich lediglich gegen einen Regelbericht allein aus Statusgründen, nicht aber gegen sachlich und/oder rechtlich begründete Anfragen. Wenn der praefectus urbi hier allerdings den Fall an den Kaiser abgibt, führt das - um noch einmal darauf zurückzukommen, dass es sich möglicherweise um einen Kapitalprozess handelte - dazu, dass der Anwendungsbereich von CT IX, 1, 13 in der Praxis ggf. verkürzt wird, was wiederum erklären mag, weshalb so wenige Beispiele für die tatsächliche Einberufung des quinquevirale iudicium überliefert sind und weshalb mit CT II, 1, 12 (423) eine Bestätigung des Verfahrens nötig wurde. Die mit CT IX, 1, 13 auch erstrebte Entlastung des Kaisergerichts wird durch Relationen wie diese in ihr Gegenteil verkehrt. Der regulär vorgesehene Weg der eigenständigen Ermittlung des Sachverhalts und Urteilsfällung durch den Stadtpräfekten bzw. das Fünfmännergericht und ggf. Appellation zum Kaiser droht umgangen zu werden. Eine tragfähige Begründung dafür, das Relationsverfahren einzuschlagen, war daher erforderlich. Symmachus hält am Ende weitere, eigene Anordnungen (Ladungen o. ä.) zwar für möglich, aber aussichtslos; daher sei es das Beste, den Fall abzugeben. In Übereinstimmung mit dem eben erläuterten rechtlichen Hintergrund gesteht auch er also letztlich, wenn auch nicht ganz offen, ein, dass er nicht rechtlich verpflichtet ist, den Fall abzugeben, sondern dass die äußeren Umstände ihn dazu zwingen. Die Formulierung von der ausschließlichen kaiserlichen Berechtigung („iure“) ist Gefühls-, nicht Rechtsargument. Mangels ausreichend eigener Autorität vermag Symmachus Valerianus nicht einmal der Verhandlung, geschweige denn der verdienten Verurteilung und Bestrafung zuzuführen. Dabei ist ihm zugute zu halten, dass er nicht der erste hohe Beamte ist, dessen Autorität mit Füßen getreten wird, er aber der einzige ist, der in der Sache etwas unternimmt und sie nicht auf sich beruhen lässt. Unwahrscheinlich ist, dass er nicht gewusst haben sollte, welche Möglichkeiten ihm gegen den säumigen Angeklagten bzw. zivilrechtlich Beklagten zustanden; das werden seine rechtlichen Berater ihm schon gesagt haben. Das Problem liegt nicht im Bereich fehlender Rechtskenntnis, sondern im tatsächlichen Bereich der eigenen Machtlo1046 Lécrivain, Sénat, 92 spez. Fn. 4, sieht hingegen in Rel. 31 einen unmittelbaren Anwendungsfall von CT IX, 40, 10.
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sigkeit in Anbetracht ungeheuren senatorischen Selbstbewusstseins. Symmachus weiß nicht, wie er eigene Entschließungen durchsetzen soll. Das Problem sprengt den Rahmen von CT IX, 1, 13 und CT IX, 40, 10. Der zuständige Richter kann wirksame eigene Ermittlungen gar nicht erst beginnen und aus diesem Grunde das eigentlich vorgesehene Verfahren bereits zu Verfahrensbeginn nicht einhalten. Symmachus hat nicht etwa Skrupel, gegen einen Senator schwere und verdiente Strafen zu verhängen. Der Fall ist auch nicht materiellrechtlich zu kompliziert. Im Vordergrund steht vielmehr die nackte Angst, noch einmal bloßgestellt zu werden. Symmachus wird des Angeklagten nicht Herr. Die Argumentation, es sei Sache des Kaisers, über Senatoren zu befinden ist bloße Schutzbehauptung; Ohnmacht, die er hinter einem vorgeschobenen Rechtsargument zu verstecken sucht.
3. Ergebnis Relation 31 zeigt das formal reguläre Verfahren einer consultatio ante sententiam unter Zusammenfassung des Sachverhalts, Darlegung der eigenen Überzeugung und Übersendung der Prozessakten. Symmachus hat mit der versuchten Zwangsvorführung nach eigener Einschätzung das seinerseits Mögliche getan, um den Kriminalprozess voranzubringen. Ein Urteil gegen den Abwesenden kann er nicht fällen und weitere Vorladungen und Zwangsmaßnahmen versprechen keinen Erfolg. Was sollte ihm da Sinnvolleres einfallen, als dem Kaiser zu berichten? Seine Intention ist nicht, sich zugunsten eines Standesgenossen einzusetzen, sondern im Gegenteil, gerechte Bestrafung eines Senators sicherzustellen. In unverblümter Empörung prangert er in offenen Worten dessen Vergehen an. Trauriges Ergebnis der Relation ist aber zugleich, dass sich deutliche Schwächen der Rechtsprechung auftun, wenngleich sie nicht (allein) Symmachus zuzuschreiben sind. Ein Senator missachtet offen Anordnungen des praefectus praetorio und des proconsul und attackiert officiales des Stadtpräfekten. Die beiden ersten Richter unternehmen offensichtlich nichts weiter und Symmachus verspricht sich nur vom Kaiser Beistand. Ein wenig erinnert die Situation an Relation 23 und auch die Relationen 28 und 36 zeigen Parallelen: Senatoren zeigen sich ungemein selbstbewusst. Dementsprechend belegen auch andere Quellen, dass gerichtliche Erscheinungspflichten von Senatoren immer wieder missachtet wurden, so außer bereits genannter CT IX, 1, 17 (390) auch die Relationen 28 und 36 sowie Cassiodor (oben). Bei der Taktik der Prozessverschleppung des Valerianus handelt es sich nicht um einen Einzelfall, sondern die Relation verdeutlicht verbreitete Missstände, denen man mehr oder weniger hilf- und erfolglos zu begegnen suchte, wenngleich die mit offener Gewaltanwendung verbundene Hartnäckigkeit des Valerianus außergewöhnlich dreist gewesen sein dürfte. Die Abgabe des Falles durch Symmachus aus tatsächlichen Gründen scheint nachvollziehbar, nachdem selbst ein kaiserliches Reskript Valerianus nicht beeindruckt hatte.
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In Zusammenschau mit den genannten Quellen beleuchtet die Relation anhand eines Einzelfalles die Schwäche einiger der ranghöchsten Richter des Reiches gegenüber Selbstbewusstsein und Anmaßung eines Senators. Es fehlt ein Instrumentarium, solche Fälle effektiv zu bewältigen, so dass am Ende kein Ausweg bleibt, als dem Kaiser den Fall zu übergeben. Die Relation ist damit zwar ein Ausdruck von Schwäche, zeigt aber keine Störung der Rechtslage im Sinne von Rechtsbeugung, Begünstigung oder Rechtsunsicherheit, sondern vielmehr die tatsächliche Schwäche der Position u. a. des Stadtpräfekten, unterstützt von der bereits bekannten eher passiven Haltung des Symmachus, der sich auch hier in Klagen über die Missachtung der eigenen Autorität ergeht. Doch vor dem Hintergrund, dass nicht nur er am Widerstand des Valerianus scheitert und er anders als offenbar seine Vorgänger den Fall nicht auf sich beruhen lässt, verdeutlicht sich insgesamt weniger persönlich fehlendes Durchsetzungsvermögen oder persönliche Charakterschwäche1047 als vielmehr ein systemimmanentes Problem. Dazu kommen mögliche politische Implikationen des Falles, die Vorsicht gebieten könnten, denn zum einen ist der bisherige Verfahrensgang vom praefectus praetorio über den proconsul zum praefectus urbi zumindest ungewöhnlich und zum anderen zeigte der Hof bereits Interesse an dem Fall, erließ ein Reskript und schaltete einen agens in rebus ein. Vor diesem Hintergrund ist die Relation zwar kein mutiges, aber doch ein aufrichtiges Schreiben. Symmachus verbirgt seine Schwäche und Resignation nicht, die dadurch verstärkt worden sein dürfte, dass dem Stadtpräfekten keine bewaffneten Polizeikräfte zur Verfügung standen, die derartigen senatorischen Widerstand hätten brechen können1048. Der Einsatz des vom Hof geschickten agens in rebus ist bezeichnend zum einen für die mögliche Brisanz des Falles, zum anderen aber auch für den offensichtlichen Fachkräftemangel in Rom. Die Hilflosigkeit ist auch insoweit nicht speziell Symmachus zuzuschreiben. Es fehlt an Personal und vermutlich auch an reibungsloser Amtshilfe über den lokalen Amtsbereich hinaus. Möglicherweise macht sich Valerianus sogar bewusst die für jene Zeit angedeuteten territorialen Kompetenzverschiebungen in und um Epirus zunutze. Wie lange sich der Fall insgesamt hinzieht, erfahren wir nicht, und auch eine zeitliche Einordnung des Schreibens ist nicht möglich. Symmachus ist als dritter Richter mit dem Fall befasst, ob er aber (auch) das Ausgangsverfahren übernommen hat, wissen wir nicht mit Bestimmtheit. Vielleicht schildert er es nur, um die Bedeutung des Falles und die Schwere der Vergehen des Valerianus aufzuzeigen. Auch wie der Fall ausgegangen ist, wissen wir nicht. Valentinian II. mag seinem Stadtpräfekten beigestanden und energisch durchgegrif1047
So aber offenbar McGeachy, Symmachus, 30 Fn. 3, mit Blick auf § 3 der Relati-
on. 1048
Dazu schon im Ersten Teil 4. Abschnitt I. und Jones, LRE, 693, mit Beispielen für hilflose Reaktionen auf Unruhen unter Symmachus’ Amtsvorgängern (Lebensmittelkrisen und Papstwahlen). Auch Symmachus zeigt große Vorsicht und Furcht vor Krisen speziell im Bereich der Nahrungsmittelversorgung (s. bei Rell. 9, 18, 35 und 37).
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fen haben, vielleicht aber - was allerdings wohl nur selten vorkam - die Sache auch unter Erteilung einer Anweisung zurückverwiesen haben (ggf. an das quinquevirale iudicium). Symmachus erhofft sich nicht nur personellen Beistand, sondern eine Endentscheidung, nötigenfalls gegen den abwesenden Angeklagten. Als Zivilrichter hatte er mehr Spielraum, den er, so ist anzunehmen, wohl ausgeschöpft haben wird, indem er die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils herbeiführte und die mit dem ersten Nichterscheinen bereits fällige Strafe auferlegte. Probleme dürfte auch hier die Vollstreckung bereitet haben. Dazu aber äußert sich Symmachus nicht, denn die Relation handelt vom Strafverfahren. Das offene Eingeständnis der eigenen Schwäche gipfelt so am Ende in der persönlichen Bitte (§ 3 a. E.: Quaeso...), Valerianus nicht noch einmal und weiterhin ungestraft davonkommen zu lassen, wie ihm das vor den früheren Richtern also offenbar gelungen war. Im Interesse übergeordneter Gerechtigkeit, der aequitas, möge der Kaiser den Machenschaften nicht länger tatenlos zuzusehen, die dem Ansehen bereits so vieler Beamten geschadet haben. Nach den Relationen 23 und 28 ist Relation 31 ein weiteres Eingeständnis der eigenen Machtlosigkeit gegenüber einflussreichen Senatoren. Berichtsrecht und Relationsverfahren an den Kaiser erweisen sich einmal mehr als notwendig, um die örtliche Rechtsprechung zu unterstützen, die allzu häufig an faktischen Machtverhältnissen scheitert. Erkennbar wird hinter all dem und einiger Rhetorik aber auch das symmachianische Ideal eines strengen Legalitätsprinzips, das Respekt vor Reskripten und allgemeinen Gesetzen genauso wie vor privaten Abmachungen und richterlichen Anordnungen fordert, § 1: ...neque rescriptorum veneratione neque legum severitate vel pactionum fide aut iudiciorum reverentia permovetur. Übertretung der Gesetze und Missachtung richterlicher Autorität gehören streng geahndet. Der Vorwurf, der Valerianus zu machen ist, wird vor diesem Hintergrund in der Relation nur als Chiffre angedeutet: Bruch der Gesetze als Inbegriff schlimmen Verhaltens. Die Schuld des Senators scheint erdrückend und weitere Erläuterungen sind in der Relation deshalb nicht von Nöten.
II. Relation 36: Verzögerungsmanöver in einem Strafprozess gegen zwei ehemalige Minister In einem knappen Schreiben erstattet Symmachus dem Kaiser Bericht über den aktuellen Stand in einem Prozess, dessen Eröffnung sich verzögert hat, weil die Beschuldigten bislang nicht erschienen sind. Im Ansatz handelt es sich auch hier, denn Symmachus bittet in § 3 um Anweisung in einer konkreten Frage, um eine erstinstanzliche consultatio ante sententiam, mit der allerdings nicht, wie sonst, das gesamte Verfahren an den Kaiser übergeben wird. In erster Linie will Symmachus mit seinem Schreiben jeglicher, möglicherweise aufkommender Kritik an seiner Prozessführung vorbeugen. Er befürchtet, in dem politisch brisanten Prozess persönlich für die eingetretenen Verzögerungen verantwort-
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lich gemacht zu werden und versucht daher, dem Kaiser in seiner Relation die besonderen Umstände des Falles zu erläutern. Das Verfahren zieht sich bereits seit längerem hin; eine genauere zeitliche Einordnung ist allerdings nicht möglich.
1. Der Sachverhalt Symmachus fasst sich kurz: § 1. Dies noctesque sollicitor, ut prompto obsequio divinae clementiae vestrae iussa promoveam; siquidem non licet longa conperendinatione differri iustitiae ac legibus amica decreta, ddd. imppp. Unde cauto opus est, ne existimationem meam per alios adlata praeceptis tarditas devenustet. § 2. Nam cum de Macedonio secus de re publica merito itemque Ammiano dudum mihi iudicium perennitas vestra legaverit, Ammianum quidem protectorum adtestatione cognovi, cum urbis vicina contingeret, languore consumptum; de Macedonio varia iactantur, quem iam pridem debuit custodum sollicitudo perducere. § 3. Quaeso igitur mansuetudinem vestram, ne mihi fraudi sit mora alieno studio aut torpore contracta, simulque deprecor, ut venerabilis aeternitas vestra singulatim quaerenda distinguat, si forte designatum reum cognitioni meae prosequentium cura tradiderit.
Dem Stadtpräfekten liegt in erster Instanz ein Strafprozess gegen zwei ehemalige hohe Beamte Kaiser Gratians zur Entscheidung vor. Kraft spezieller kaiserlicher Delegation ist er zuständiger Richter über Macedonius und Ammianus, die sich um den Staat schlecht verdient gemacht haben sollen und die ihm schon seit längerem hätten vorgeführt werden sollen, mittlerweile immerhin festgenommen worden sind. Nun aber hat Symmachus von protectores die Auskunft erhalten, dass Ammianus, kurz bevor man Rom erreichte, gestorben sei; das Verfahren gegen den einen Beschuldigten scheint sich erledigt zu haben. Über Macedonius, der ihm von den Wachen schon längst hätte übergeben werden sollen, heißt es in der Relation nur vielsagend, dass Verschiedenes geredet werde. Es kursieren also Gerüchte. Symmachus als dem zuständigen Richter wird der in amtlichen Gewahrsam Genommene offenbar vorenthalten. Dass er etwas dagegen unternommen hätte und auch, wo sich Macedonius derzeit befindet, sagt Symmachus nicht. Er bittet den Kaiser lediglich, etwaiger Kritik an seiner Prozessführung keinen Glauben zu schenken. Ohne eigenes Verschulden sei es ihm bislang nicht möglich gewesen, das Verfahren zu eröffnen, weil sich die Auslieferung an sein Gericht verzögert habe. Symmachus deutet an, dass es gezielte Einflussnahme zugunsten der Beschuldigten geben könnte. Allerdings bleibt seine Formulierung in § 3 vage. Er bittet darum, dass ihm bewusste Verschleppung oder auch nur Nachlässigkeit anderer, unbenannter Personen nicht schaden mögen. Am Ende ergreift er die Gelegenheit, sich vom Kaiser Anweisung darüber zu erbitten, was im Einzelnen untersucht werden soll für den Fall, dass der Angeklagte irgendwann vielleicht doch ausgeliefert werden sollte. Der Gegenstand der Anklage scheint nicht ganz klar zu sein. Im Hinblick auf diese Anfrage ist Relation 36, wie einleitend bereits angedeutet, consultatio ante sententiam, mit der allerdings nur um Beantwortung der
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Einzelfrage gebeten wird. Insgesamt ein ziemlich merkwürdiger Fall, dessen Hintergründe es nun zu beleuchten gilt. 2. Die Einzelheiten a) Wer und was ist Gegenstand des Verfahrens vor dem Stadtpräfekten? Macedonius ist uns bereits aus Relation 44 bekannt; er ist ehemaliger comes sacrarum largitionum und magister officiorum Gratians1049. Fraglich ist allerdings, wessen er genau beschuldigt wird, heißt es doch nur reichlich unbestimmt: secus de re publica merito. Er hat sich offensichtlich eines Vergehens im Amt schuldig gemacht, dem Staat in irgendeiner Weise Schaden zugefügt. Möglicherweise lässt sich insoweit ein Bezug zu Relation 44 herstellen, in der sich Bestechlichkeit des ehemaligen magister officiorum in Form von Einflussnahme auf den kaiserlichen Reskripterlaß andeutete. Allerdings sehen die Rechtsquellen jener Zeit für derartige, erkaufte Fürsprache1050 nicht zwingend eine Bestrafung vor. Zwar wird das rechtswidrig Erschlichene regelmäßig rückgängig gemacht bzw. für unwirksam erklärt, doch ist keineswegs ebenso regelmäßig eine Bestrafung desjenigen, der sich hatte bestechen lassen vorgeschrieben. Symmachus’ Umschreibung als Staatsdelikt meint daher möglicherweise doch mehr als die bloße Reskripterschleichung aus Relation 44. Nachdem Macedonius gemeinsam mit Ammianus, dem ehemaligen comes rei privatae1051, vor Gericht gestellt werden soll, könnte das ein Anhaltspunkt dafür sein, dass beide einer Finanzmanipulation, etwa der Unterschlagung öffentlicher Gelder, beschuldigt werden, die Macedonius seinerseits als comes sacrarum 1049 S. m. N. schon bei Rel. 44. Macedonius war unter Gratian auf dem Höhepunkt seiner Karriere als comes sacrarum largitionum von 381 und magister officiorum von 382/383. Vera, Commento, 27, vermutet, er sei damals als amtierender magister officiorum möglicherweise derjenige gewesen, der der senatorischen Gesandtschaft unter Symmachus um den Victoriaaltar keine Audienz bei Gratian gewährt hatte (s. bei Rel. 3). Das hätte für den vorliegenden Fall den Beigeschmack, dass der Kaiser mit Symmachus möglicherweise einen Gegner des Macedonius zum Richter gemacht hätte. Dafür aber haben wir zu wenige Anhaltspunkte. Obgleich Rel. 44 eine durchaus negative Einschätzung des Macedonius zeigt, bedeutet das noch nicht, dass Symmachus voreingenommen war. 1050 Zu suffragium im Sinne von verbotener, erkaufter Fürsprache s. bei Rell. 17 und 44 m. N. zur Behandlung der Erschleichung von Vorteilen (zur Begrifflichkeit auch: obreptio, subreptio, fraus, ambitio). Es handelt sich regelmäßig um Einzelfallentscheidungen, nicht um abstrakte Tatbestände. 1051 Der comes rei privatae Ammianus von 383 ist wahrscheinlich identisch mit Ammian aus Rel. 36. Es muss sich um eine allgemein bekannte Persönlichkeit gehandelt haben, denn Symmachus hält es nicht für nötig, Ammian genauer zu kennzeichnen. Über die Person besitzen wir sonst keine Kenntnisse: Seeck, RE-Ammianus 3, 1845; PLRE I, Ammianus 4, 54; Delmaire, Responsables, 99. Barrow, Prefect, 193 Fn. 2, hält Ammian irrig für einen der unbenannten protectores. Zu diesem, auf Chastagnol zurückgehenden Missverständnis s. a. unten. Zu Ammian s. a. bei Rel. 41.
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largitionum begangen haben könnte1052, wobei er zur Amtszeit von Ammianus als comes rei privatae bereits magister officiorum war, also, wenn beide zusammengewirkt haben sollten, vielleicht doch eher in dieser Funktion straffällig wurde. Die Formulierung von Symmachus lässt aber auch an ein schweres Staatsdelikt wie Hochverrat, crimen maiestatis, oder, was aufgrund der übrigen Quellenlage zu Macedonius vielleicht am nächsten liegt, an ein Religionsdelikt denken. Hat er doch als magister officiorum die religiöse Gruppe um Priscillian unterstützt und zu ihren Gunsten, indem er sich, wie Sulpicius Severus berichtet, bestechen ließ, bei Gratian ein Reskript erwirkt1053. Wegen dieser religionspolitischen Einmischungen, d. h. nicht (nur) im Zusammenhang mit den Geschehnissen aus Relation 44, sondern (auch) auf religiösem Gebiet, mag er unter Valentinian II. in Ungnade gefallen sein; dem Gebiet, auf dem Bischof Ambrosius, wie wir aus Relation 3 wissen, großen Einfluss auf den jungen Kaiser hatte, zu dem aber gerade Macedonius ein eher gespanntes Verhältnis hatte1054. Nachdem die Rücknahme der Maßnahmen gegen die Priscillianer durch Gratian gegen den Willen von Ambrosius und Damasus geschehen war, ist denkbar, dass die Einflussnahme des Macedonius zugunsten dieser Glaubensrichtung nun unter Einfluss des Ambrosius von Valentinian II. umfassend verfolgt wurde. Genau wie Priscillian und einige seiner Anhänger, die Anfang 385 in Trier auf Anweisung des Magnus Maximus wegen maleficium zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden1055, könnte auch Macedonius etwa gleichzeitig in einem der Folge- oder Parallelprozesse in Rom vor Gericht geladen worden sein. Die Quellen schweigen sich hierüber allerdings aus. Damit ließe sich der Ablauf aus den Bruchstücken, die Relation 36, Sulpicius Severus und Paulinus bieten, hypothetisch so rekonstruieren: Macedonius ist 1052 Delmaire, Responsables, 99, glaubt, beide seien wegen Finanzdelikten vor Gericht gestellt worden, Macedonius als ehemaliger comes sacrarum largitionum. 1053 Gratian trifft Maßnahmen gegen die angeblichen Manichäer: Sulp. Sev., Chron. II, 47, 6; führende Priscillianer werden verbannt. Durch Bestechung des magister officiorum Macedonius entlocken Priscillianus und Salvianus Kaiser Gratian 382 ein Reskript, das ihnen ihre Kirchen zurückgibt und unter anderem Priscillian die Rückkehr nach Spanien erlaubt: ...corrupto Macedonio, tum magistro officiorum, rescriptum eliciunt, quo calcatis quae prius donata erant restitui ecclesiis iubebantur..., Sulp. Sev., Chron. II, 48, 5 f. Macedonius lässt sich dann sogar noch weiter bestechen und nimmt im Vorfeld des Trierer Prozesses Einfluss auf die Richterauswahl: Chron. II, 49, 3 f. 1054 Macedonius weigerte sich als magister officiorum, Bischof Ambrosius, der sich bei ihm für jemanden einsetzen wollte, zu empfangen: Paulinus, Vita Ambrosii 37, 1. 1055 Priscillianus wird in Trier in einem Kriminalprozess wegen maleficium vom praefectus praetorio Evodius, der nach seinem Schuldspruch über die zu verhängende Strafe mittels relatio beim Kaiser, dem Usurpator Maximus, Anweisung eingeholt hatte, zum Tode verurteilt und Anfang 385 mit einigen seiner Anhänger hingerichtet. Zum Trierer Prozess 384/385: Girardet, Trier 385; Vollmann, RE Suppl. XIV-Priscillianus, 512 ff.
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als magister officiorum in die Auseinandersetzung um die Priscillianer verwickelt, wird deshalb wegen Manichäismus1056, maleficium1057 oder auch crimen maiestatis1058 angeklagt, flieht und versucht vergeblich in einer Kirche in Mailand unterzukommen1059. Er wird verhaftet und soll nun dem Richter in Rom vorgeführt werden, dem er sich aber bislang erfolgreich entzieht. Einige Autoren glauben an diesen oder einen ähnlichen Ablauf, d. h. an einen Zusammenhang der Anklage gegen Macedonius mit seinem Engagement zugunsten der Priscillianer1060 und tatsächlich könnte die für Macedonius belegte Unterstützung dieser Glaubensrichtung ihm als eigenes Religionsverbrechen oder gar Hochverrat (mittels erkaufter Einflussnahme auf den Kaiser) ausgelegt worden 1056 Manichäismus war der eigentliche Vorwurf gegen Priscillian (s. a. Coll. Avell. 40, 4), doch hat man ihn wohl, so vermutet Girardet, Trier, 599, aus vermögensrechtlichen Gründen wegen maleficium verurteilt, was mit der Todesstrafe verbunden war, vgl. CT IX, 16, 3 (321/4); 5 (357); 6 (358); 7 (364). Manichäismus wurde seit Diokletian strafrechtlich geahndet, s. etwa CT XVI, 5, 3 (372);18 (389); XVI, 7, 3 (383). Als Strafe wird Verbannung angeordnet. Mit der kriminellen Bestrafung von Magie und anderen „übernatürlichen Tätigkeiten“, Zukunfts- und Gegenwartsdeutung im 4. Jh. befasst sich Fögen, Enteignung. Die Maßnahmen gegen Häretiker ab Valentinian I. finden sich bei Noethlichs, Die gesetzgeberischen Maßnahmen, 79 ff. 1057 Die Zuständigkeit für Prozesse wegen maleficium gegen Senatoren hat nach CT IX, 16, 10 (371) grundsätzlich der Stadtpräfekt; ein praktisches Beispiel dieser Kompetenz liefert noch 510/511 Cassiodor, Variae, IV, 22 f, vgl. näher bei Rel. 31. Dem steht hier die spezielle Delegation durch den Kaiser aber insoweit nicht entgegen, als der Kaiser gegen ehemalige höchste Beamte im Status von illustres wohl selbst eine vorrangige Zuständigkeit gehabt haben dürfte (dazu unter b). 1058 Eine gewisse Beliebigkeit der Verurteilung in vergleichbaren Verfahren kann nicht geleugnet werden. Bei Ammian (dem Historiker) finden sich zahlreiche Verurteilungen wegen crimen laesae maiestatis im Zusammenhang mit magischen und religiösen Praktiken (Beispiele bei Fögen, Enteignung der Wahrsager, 151 ff) und in CT XVI, 1, 4 (386) wird schließlich festgehalten, dass die Verletzung der kaiserlichen maiestas auch religiöse Gründe haben könne. Es war häufig eine politische Entscheidung, welcher Straftatbestand für einschlägig erachtet wurde; davon abhängig war dann die jeweilige Strafe, sei es Vermögenseinziehung, Verbannung oder auch die Todesstrafe. Für Majestätsverbrechen jedenfalls war wohl auch nach Erlass von CT IX, 1, 13 grundsätzlich der Kaiser zuständig, der hier das Verfahren an den römischen Stadtpräfekten delegiert hätte. 1059 Nach Gratians Tod flieht Macedonius in eine Kirche, deren Eingang er nicht findet, wie ihm Ambrosius vorhergesagt haben soll: Paulin., Vita Ambr. 37. Die Kirche verweigert ihm die Zuflucht. Sein Fluchtgrund ist unbekannt, vielleicht drohte ihm der vorliegende Prozess, vielleicht sogar die Todesstrafe. Über die Art des vorgeworfenen Delikts liefert diese Information allerdings keinen Aufschluss derart, dass er sich bei einem religiös motivierten Vorwurf kaum in eine christliche Kirche geflüchtet hätte. Macedonius hofft auf neutrales Kirchenasyl, wie auch Symmachus seinerzeit. 1060 Vera, Commento, 277 f; wohl auch Enßlin, RE-Macedonius 4, 128; evtl. auch Clauss, Magister officiorum, 167, der aber auch Rel. 44 nennt; 82 ff und 91 f zum kirchenpolitischen Aufgabenbereich des magister officiorum mit dem Beispiel Macedonius. Offenlassend PLRE I, 526: „accused of official misconduct“. Nach Ansicht von Seeck, Symmachus, CLXXII, wird Macedonius wegen crimen maiestatis verurteilt und Sinnigen, Officium, 58, nimmt ohne nähere Begründung einen Hochverratsprozess an; s. a. Barrow, Prefect, 193 Fn. 3: „treason“.
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sein. Nicht beantworten lässt sich damit freilich die Frage, weshalb Ammian zur gleichen Zeit vor Gericht gestellt werden soll. War auch er Fürsprecher der Priscillianer? Beide Beschuldigten werden von Symmachus ohne Titel genannt. Man hatte ihnen, die aufgrund der bekleideten höchsten Ämter zu den illustres zählten, schon im Vorfeld des Prozesses die Senatorenwürde aberkannt. Unwahrscheinlich ist, dass Symmachus hier, wie im Übrigen auch in Relation 44 (Macedonius), versehentlich die Titel weggelassen haben sollte1061, nachdem er nicht einmal in Relation 31 vergisst, dass der widerspenstige Valerianus Senator ist. Valentinian II. hat die beiden Beamten nicht nur abgesetzt, sondern scheint ihnen bereits im Zuge der Einleitung des Kriminalverfahrens den Titel entzogen zu haben1062, denn die Senatorenwürde konnte grundsätzlich nur mit kaiserlicher Zustimmung entzogen werden: CT IX, 35, 1 (369). Großzügiger war allerdings die Handhabung beim Vorwurf der maiestas, bei dem alle Beschuldigten gleich behandelt, insbesondere auch der Folter unterworfen werden konnten. Vielleicht stand hier also doch dieser Vorwurf im Raum, der zum Rangverlust bereits im Vorfeld einer Verurteilung des Schuldigen führen konnte. Denkbar wäre zwar auch, dass Symmachus durch Weglassen der Statusbezeichnung seine besondere Missachtung ausdrücken wollte, doch hätte er dann nicht auch in Relation 31 den Titel weggelassen? Ein Rangverlust bedeutet jedenfalls, dass man die Beschuldigten festnehmen konnte, ohne auf senatorische Privilegien Rücksicht nehmen zu müssen, die untersagten, einen Senator präventiv in einem Gefängnis einzusperren oder gar zu foltern, denn ein Senator blieb grundsätzlich bis zur Verurteilung auf freiem Fuß, CT IX, 2, 1 (362), es sei denn, es handelte sich um einen besonders schweren Vorwurf wie crimen maiestatis1063. Doch hat es den Anschein, als seien Ammian und Macedonius bislang nur der Bewachung unterstellt worden, was auch gegenüber Senatoren zulässig war, CT IX, 1061 Dass es sich bei Ammian und Macedonius womöglich gar nicht um die beiden ehemals hohen Beamten handelt, sondern um zwei Unbekannte, ist nicht anzunehmen, denn der Kaiser hätte dann den Fall kaum speziell nach Rom delegiert. Zudem sticht ins Auge, dass zwei Personen dieses Namens zur gleichen Zeit im Amt waren und gleichzeitig vor Gericht gestellt werden sollen. Symmachus erachtet daher auch jegliche Umschreibung der Personen für entbehrlich, wie im Übrigen auch in Rel. 44 im Hinblick auf Macedonius. 1062 In einer Art Vorverurteilung, weil ihre Schuld überwältigend war? Vom Statusverlust im Zuge von Kriminalverfahren ist auch die Rede in CT IX, 2, 1 (362: erst nach einer Überführung als schuldig) und IX, 35, 1 (369); im Zusammenhang mit Religionsdelikten s. a. CT XVI, 5, 46 (409). Der Kaiser entkleidet ggf. von Posten und Status. Dass der Senat dabei ein Mitspracherecht hatte, ist nicht anzunehmen (zum Aufnahmeverfahren in den Senat s. insoweit bei Rel. 5). In Rel. 49 werden angeklagte Senatoren freigesprochen, behalten daher auch ihren Status. Zur Degradierung als einem eher seltenen Mittel, das schwerpunktmäßig für behördeninterne Amtspflichtverletzungen - und insoweit wohl auch konkret einschlägig - eingesetzt wurde s. a. Noethlichs, Beamtentum, 223. 1063 Zum senatorischen Festnahmeprivileg: Giglio, Tardo impero, 191 ff; zu den Ausnahmen bei schweren Delikten: Krause, Gefängnisse, 180 ff m. N.
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2, 2 (365). Auf diese Weise werden auch in Relation 49, 2 die angeklagten Senatoren unter ausdrücklicher Berufung auf die Rechtslage in custodia militaris festgehalten. Aus der Einschaltung der protectores und custodes lässt sich demnach nichts über die Schwere der Anklage und den Status der Beschuldigten entnehmen. Dass selbst eine Zwangsvorführung von Senatoren zulässig ist, zeigt der, allerdings vergebliche, Versuch in Relation 31 und das praktische Beispiel in Ep. II, 41 (390-394; dazu näher bei Relation 31). Nur soviel ist damit gesichert: Beide Minister werden nach Gratians Tod abgesetzt und 384/385 gemeinschaftlich vor Gericht gestellt. Über Macedonius ist bekannt, dass er sich mehrmals bestechen ließ. Dabei könnte ihm Ammian in seinem Finanzressort geholfen haben. Die Quellen ermöglichen es zwanglos, in Relation 36 lediglich einen Kriminalprozess wegen Beamtenbestechlichkeit zu vermuten; Macedonius hatte nicht nur die Erlasse zugunsten der mancipes salinarum aus Relation 44 bei Gratian erwirkt, sondern noch weitere Anordnungen. Als Argument gegen eine religiöse Anklage mag außer der dünnen Quellenlage ins Feld geführt werden, dass die in Trier verhängten Todesurteile sogar in Kirchenkreisen Kritik erregten und die Priscillianer unter Valentinian II. nicht weiter blutig verfolgt wurden. Das könnte auch für Macedonius von Bedeutung gewesen sein, dem man weniger eine eigene religiöse Verstrickung als seine Korruption vorgeworfen haben mag. Selbst Symmachus, der den Sachverhalt nur vage umschreibt, ist sich, wie er am Ende eingesteht, nicht ganz im Klaren über den Vorwurf, der Macedonius gemacht wird. Möglicherweise weiß er von der Reskripterschleichung noch nichts oder ist sich nicht sicher, ob sie (alleiniger) Klagegrund ist. b) Die Zuständigkeit kraft kaiserlicher Delegation Der Begehungsort des Delikts dürfte Mailand gewesen sein, der damalige Amtssitz der Beschuldigten. Symmachus wird nicht als ordentlicher, örtlich zuständiger Richter im Hundertmeilenbezirk tätig, sondern aufgrund besonderer kaiserlicher Anordnung in einem politisch brisanten Fall gegen zwei der höchsten Beamten Gratians. Ein Missverständnis Chastagnols1064 kann hierbei ausgeräumt werden, der meint, dass Relation 36 ein Beispiel dafür sei, dass dem Stadtpräfekten im Einzelfall die Kompetenz, über protectores zu befinden, übertragen worden sei. Richtig ist zwar, dass Symmachus kraft spezieller Delegation berufen ist, doch ist er das nach dem eindeutigen Wortlaut nicht als Richter über die protectores (als Ausnahmerichter etwa anstelle des magister officiorum), sondern über den ehemaligen comes sacrarum largitionum/magister officiorum Macedonius und den ehemaligen comes reí privatae Ammianus. Die protectores sind nicht Angeklagte, sondern bloße Begleiter und Bewacher der Beschuldigten auf der Reise nach Rom; eine Funktion, in der 1064
Préfecture, 130 Fn. 4; 383.
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auch der Historiker Ammian sie regelmäßig nennt1065. Verfehlt ist in diesem Zusammenhang auch die Ansicht von Enßlin, der meint, dass sich aus Relation 36 ergebe, dass ein senatorisches Gericht unter der Führung des Stadtpräfekten mit dem Fall befasst war1066. Davon ist nicht die Rede, vielmehr ist Symmachus nach seinen eigenen Worten der Fall persönlich übertragen worden, mihi iudicium...legaverit, § 2. Zur möglichen späteren Einschaltung des quinquevirale iudicium siehe sogleich. Es fragt sich, weshalb ausgerechnet der römische Stadtpräfekt mit dem Fall betraut wird. Eigentlich zuständig, über ehemalige Minister im Range von illustres wegen Dienstvergehen zu urteilen, ist der Kaiser als ehemaliger Dienstherr1067 und nicht etwa der örtliche Statthalter. Der Kaiser hat indes solche Verfahren zur Entlastung seines Gerichts regelmäßig delegiert, mittels iussa, decreta, praecepta, wie es in der Relation heißt; alles Synonyme für die Anordnung, 1065 Ammian, XXIX, 3, 8 und XXIX, 5, 7. Die kaiserlichen Leibwächter nehmen im Übrigen Verhaftungen vor: Ammian, XV, 3, 10; XXIX, 3, 8, und bewachen Gefangene: XIV, 7, 12; XXIX, 5, 7. Zur Funktion der protectores als kaiserlichen Vertrauensleuten, die häufig mit besonderen Missionen betraut werden, s. auch m. N. bei Rel. 42. (Ehemalige) protectores begegnen auch in den Rell. 32 und 41. 1066 Enßlin, RE- Macedonius 4, 128. Ihm folgend Vera, Commento, 27, der, 278 f, dann aber offen lässt, ob ein allgemeines Senatsgericht oder das quinquevirale iudicium eingeschaltet wurde, sich aber sicher ist, dass Symmachus nicht alleine befasst war. Zur Argumentation um das Fünfmännergericht s. sogleich. Zum Senatsgericht ist anzumerken, dass in keiner der Relationen von einer Rechtsprechungskompetenz des Senats die Rede ist, weder von regulärer Kompetenz noch von solcher kraft kaiserlicher Delegation. Zur spätantiken Senatsrechtsprechung: Vincenti, Note, 56 ff; ders., Ancora, 293 ff m.w.N.; ders., Partecipazione, spez. 49 ff; Tellegen-Couperus, Did the senate. Der Kaiser hat dem Senat nur noch selten Rechtsfälle übertragen. Aus der Zeit nach Konstantin wird ein einziges Beispiel für Senatsrechtsprechung kraft Delegation für das Jahr 370 berichtet: Ammian, XXVIII, 1, 23. Damals wurde der Prozess gegen den ehemaligen proconsul Africae Hymetius, wahrscheinlich wegen crimen maiestatis im Zusammenhang mit Wahrsagerei (der Fall: Amm., XXVIII, 1, 17 ff), von Valentinian I. an den Senat verwiesen. Allerdings erst, nachdem sich Stadtpräfekt und Vikar bereits mit dem Fall befasst hatten. Die damaligen Delikte könnten hier zwar auch einschlägig gewesen sein, doch gab es keine allgemeine Regel, die eine Übertragung an den Senat nahelegen würde. Nichts spricht daher für die Einsetzung eines Senatsgerichts. Im genannten Beispielsfall ist das besondere Verhältnis von Valentinian I. zum Senat zu berücksichtigen; dazu Alföldi, Conflict, spez. 70 ff. Valentinian I. versuchte möglicherweise, seine ansonsten eher antisenatorische Politik abzuschwächen. Der Fall wurde zwar 384/385 auch nach Rom verwiesen, aber, jedenfalls bislang, (nur) an das Gericht des Stadtpräfekten. Zur allenfalls geringfügigen ordentlichen Rechtsprechungskompetenz des Senats Ende des 4. Jh. lässt sich Ep. IV, 5, 2 f (397) anführen, wo es den Anschein hat, als hätte der Senat ohne Ermächtigung des Kaisers überhaupt keine (Rechtsprechungs-)Kompetenz (mehr) gehabt: ...neque enim sine legitimo ordine iudicii auctoritas stare potuisset... . Anlass dieser Aussage ist die hostis-Erklärung des Senats gegen Gildo von 397, wobei fraglich ist, inwieweit man dort von Rechtsprechungskompetenz sprechen kann, denn wir erfahren nicht, ob es einen Prozess gegen Gildo gegeben hat. Ungewiss hinsichtlich etwaiger Senatsrechtsprechung ist Ep. III, 41 (vor 402). Dazu im Dritten Teil. 1067 Vgl. schon bei Rell. 23 und 34 zum Kaiser bzw. dem jeweiligen Dienstherrn als zuständigem Richter über ehemalige höchste Beamte (wie etwa dem Stadtpräfekten) wegen Dienstvergehen.
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den Prozess gegen die beiden Beschuldigten zu führen1068. Allenfalls hochpolitische Prozesse etwa wegen Majestätsverletzung hat er selbst entschieden, was wiederum dagegen sprechen mag, dass hier ein solcher Vorwurf im Raum stand. Als Adressat einer kaiserlichen Kompetenzübertragung in Fällen wie dem vorliegenden liegt dann aber das Gericht des Stadtpräfekten von Rom durchaus nahe, um über westliche Senatoren zu befinden. Der praefectus urbi ist neben dem praefectus praetorio der auf der hierarchischen Ebene der illustres vorrangig in Frage kommende Richter, denn die Nachfolger im jeweiligen Amt der Beschuldigten gewährleisten kaum hinreichende Unabhängigkeit. Dass der Kaiser in solchen Fällen auf den Stadtpräfekten zurückgriff, kam immer wieder vor, ist also nichts Außergewöhnliches1069. Der Kaiser sorgt vielmehr für ein hohes Maß an Unabhängigkeit, wenn er an einen räumlich von Mailand und dem engen Hofumfeld entfernten Richter delegiert, der auch sonst in Prozessen gegen Senatoren Sonderkompetenzen besitzt. Insofern handelt es sich nicht um ein politisch brisantes Ausnahmegericht, das dem Vorwurf der Willkür ausgesetzt wäre; der Kaiser hatte weites Auswahlermessen, musste weder den Senat noch den praefectus praetorio notwendigerweise berücksichtigen. Selbst wenn man annimmt, dass Macedonius wegen seiner religiösen Verwicklungen vor Gericht gestellt wird, ist es nicht ungewöhnlich, dass ein heidnischer Stadtpräfekt mit dem Fall befasst wird. Dass nach der damaligen Auffassung ein Heide zuverlässig über Christen und erst recht über Häretiker befinden kann, ist nicht anzuzweifeln; immer wieder standen vor Symmachus´ Gericht auch Christen (s. nur Relation 28), deren Anliegen er ohne Voreingenommenheit behandelt hat. Auch dieser Fall dürfte ihn nicht in einen religiös motivierten Gewissenskonflikt gebracht haben. Jedenfalls traut der Kaiser Symmachus die Lösung des kritischen Falles zu. Der Stadtpräfekt kann normalerweise nur in den Grenzen, die ihm die Vorschrift über das quinquevirale iudicium, CT IX, 1, 13 (376), einräumt, über Senatoren ein Strafurteil sprechen. Im Falle spezieller Delegation wie hier allerdings, kann er ggf. sogar über Leben und Tod von Senatoren befinden, ohne das Fünfmännergremium einzuberufen, wenn ihm nämlich umfassende Strafbefugnis verliehen ist. Ohnehin wäre CT IX, 1, 13 nur dann zu berücksichtigen, wenn das Delikt im südlichen Vikariat von Italien begangen worden ist und Macedonius und Ammianus überhaupt noch in den Genuss der senatorischen Privilegien kommen. Beides ist zweifelhaft. Unabhängig davon lässt sich der Anwendungsbereich der Konstitution1070 aus Relation 36 nicht entnehmen, denn wir befinden uns noch im Vorfeld des Prozesses. Nach CT IX, 1, 13 wäre 1068
Synonyme mithin für kaiserliche Anordnungen/Gesetze im Einzelfall. Beispielsweise hat Kaiser Valentinian I., unter dem zahlreiche Prozesse gegen Senatoren wegen Zauberei (maleficium) geführt wurden, dem Stadtpräfekten die Zuständigkeit für diese Fälle insgesamt übertragen: CT IX, 16, 10 (371). 1070 Die ja nach Ansicht von Giglio in jedem Kriminalprozess gegen Senatoren gelten soll: Tardo impero, 199; 201; ders., Giurisdizione, 224 ff. Dagegen bereits im Ersten Teil 4. Abschnitt II. 2. und bei Rel. 31. 1069
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das quinquevirale iudicium erst nach den eigenständigen Ermittlungen des Stadtpräfekten beizuziehen, die bislang ausstehen. Sofern am Ende ein Todesurteil gegen einen Senator anstand, etwa wenn die Anklage doch auf maleficium oder crimen maiestatis gelautet haben sollte, wird Symmachus pflichtgemäß das Fünfmännergremium einberufen haben. Relation 36 liefert aber keinen positiven Anwendungsfall für CT IX, 1, 131071. Bisher ist selbst Symmachus noch nicht klar, was genau er untersuchen soll. Zur Kompetenz des Stadtpräfekten bleibt festzuhalten, dass er kraft Delegation umfassende Ermittlungskompetenzen gehabt hat. Selbst im Falle eines Kapitalprozesses gegen Senatoren fordert CT IX, 1, 13 von ihm keine relatio an den Kaiser. In schwierigen Fällen allerdings wird man davon ausgehen müssen, dass der praefectus urbi berechtigt und vielleicht sogar verpflichtet war, dem Kaiser vor der Verurteilung Bericht zu erstatten, das zeigt für den praefectus praetorio der Trierer Prozess gegen Priscillian. CT IX, 40, 10 (366) und IX, 16, 10 (371) gestatten dem Stadtpräfekten Anfragen im Strafprozess speziell gegen Senatoren vor der Verhängung von schweren Strafen und für den Sonderfall der Zauberei. Hierbei wird es, so zeigte bereits die Diskussion im Zusammenhang mit Relation 31, auch nach dem Erlass von CT IX, 1, 13 geblieben sein. Doch sind nicht so sehr die besondere Schwierigkeit des Falles oder gar das Auftreten rechtlicher Fragen Anlass und Anliegen der 36. Relation, sondern widrige äußere Umstände im Vorfeld des eigentlichen Prozesses. Für solche Probleme gibt es keine spezielle Ermächtigung, dem Kaiser zu berichten, sondern es bleibt bei der stets gültigen Regel, dass Beamte sich mit ihren Problemen an den Kaiser wenden dürfen. Ob sie diese Möglichkeit aus persönlicher Schwäche ausnutzen, ist im Einzelfall zu hinterfragen. 3. Einschätzung und Ergebnis Der Kaiser hat das Verfahren vor einiger Zeit in Gang gebracht; es handelt sich, anders als in den Relationen (31), 38 und 49, um einen Strafprozess, der nicht durch private Anzeige eingeleitet wurde, sondern es ist nach Anstoß des Verfahrens durch den Kaiser Amtsermittlung gefragt, zu der Symmachus sich mit seinem Schreiben bereit zeigen möchte. Ohne Erscheinen des Angeklagten allerdings kann das Verfahren nicht eröffnet werden und ein Urteil in Abwesenheit ist schon gar nicht möglich1072. Das Dilemma entspricht insoweit jenem aus Relation 31, wenngleich der Beschuldigte hier immerhin schon in behördli1071 Vera, Commento, 279, der hier zumindest ein außerordentliches (weil das Delikt nicht im Vikariat begangen wurde) quinquevirale iudicium sehen will, kann nicht beigepflichtet werden. Es fehlt hierfür jeglicher Anhaltspunkt in der relatio. Symmachus kann alleine entscheiden, wenn CT IX, 1, 13 nicht greift. 1072 Dazu m. N. bei Rel. 31 unter 2. Auch die Säumnis im Strafprozess setzt mehrfache, vergebliche Ladung und schuldhaftes Nichterscheinen des Angeklagten voraus. Hierfür aber liefert die Relation keine Anhaltspunkte.
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chem Gewahrsam ist, wobei offenbleibt, ob sich Symmachus um Zwangsvorführung des oder der Beschuldigten überhaupt selbst bemüht hat. Das Schreiben erweckt eher den Eindruck, dass man ihm den verbliebenen Beschuldigten schlicht vorenthält, er dem ohnmächtig und passiv zusieht und sich vor diesem Hintergrund mit seiner Relation in erster Linie vor Kritik vom Hofe schützen will, ohne selbst aktiv zu werden. Ammianus und Macedonius wurden in Mailand festgenommen und sollen von Leuten der Palastgarde, den protectores, nach Rom gebracht werden, um dort vor Gericht gestellt zu werden. Doch Symmachus wartet vergebens und befürchtet, man könne ihm die Schuld an der Verzögerung der Eröffnung des angeordneten Verfahrens geben. Aus der Besorgnis des Stadtpräfekten lässt sich schließen, dass sich die Sache schon einige Zeit hinzieht. Die protectores waren von ihrem Chef, wahrscheinlich dem magister officiorum1073, ausgeschickt worden, um die Beschuldigten festzunehmen und nach Rom zu bringen. Sie berichten aber, dass Ammianus auf dem Weg nach Rom kurz vor dem Ziel gestorben sei und über die Auslieferung von Macedonius äußern sie sich überaus unbestimmt. Das Wachpersonal hätte ihn schon längst ausliefern müssen. Die Formulierungen sind vage. Unter möglichen Verdacht geraten die protectores. Das plötzliche Verscheiden von Ammian lässt Symmachus unkommentiert im Raum stehen, berichtet nur, was man ihm mitgeteilt hat. Doch wählt er wohl nicht zufällig die Formulierung languore consumptum; Ammian sei von Mattigkeit verzehrt worden. Sollte Symmachus Skepsis äußern wollen hinsichtlich der Wahrheitstreue der Mitteilung, tut er das zurückhaltend. Noch weniger gibt er preis über Macedonius. Der sollte längst von custodes gebracht werden, ist mittlerweile vielleicht schon in Rom angekommen und von den protectores an das örtliche Wachpersonal übergeben worden. Symmachus selbst lässt Macedonius, so wird jedenfalls vertreten1074, möglicherweise bereits in Rom bewachen. Das allerdings scheint unwahrscheinlich, denn das für diesen Fall anzunehmende mangelnde Durchsetzungsvermögen mag man dem Stadtpräfekten nun doch nicht unterstellen. Längst hätte er dann Leute seines Vertrauens schicken und die eigene Autorität einsetzen müssen. Zudem würde sich Symmachus kaum in so offener Kritik über eigenes Personal äußern; sagt er doch deutlich, dass die custodes ihre Pflichten missachten. Schuld an der Verzögerung sind außerdem alii, also Leute außerhalb des eigenen officium. Macedonius scheint noch nicht vor Ort zu sein, sondern wird Symmachus´ Amtsgewalt vorenthalten und der Stadtpräfekt offenbar noch nicht einmal über den genauen
1073
Die Palastgarde unterstand vermutlich dem magister officiorum. Dazu Vera, Commento, 280 m. N. aus späterer Zeit. Alternativ wäre an den magister militum als möglichem Chef auch dieser Spezialeinheit zu denken. 1074 Das nimmt Sinnigen, Officium, 58, an. Er hält die custodes für Beamte des officium urbanum.
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Aufenthaltsort des Beschuldigten informiert. Die aufgeführten custodes könnten zusätzliches Begleitpersonal aus Mailand sein1075. Mehr ist bislang nicht passiert. Symmachus hat nichts weiter unternommen, sondern teilt dem Kaiser nur mit, was man ihm selbst berichtet hat bzw. was ihm zu Ohren gekommen ist. Mit konkreten Vorwürfen hält er sich zurück, deutet aber an, dass er sich vorstellen könnte, dass nicht allein Nachlässigkeit bei der Durchführung der Auslieferung hinter dem Problem, des Beschuldigten habhaft zu werden, steckt, sondern dass jemand seine Hände bewusst im Spiel hat. Er gibt die Schuld irgendwelchen alii, die seinem eigenen Ruf zu schaden drohen. Ob er mit diesen anderen (nur) die protectores bzw. custodes, die dubiose Auskünfte geben und nicht das gebotene Pflichtbewusstsein zeigen, die Beschuldigten wie vorgesehen sofort auszuliefern, oder aber Dritte, deren Vorgesetzte etwa, meint, wird nicht deutlich. Es drängt sich der Eindruck auf, dass er bewusst Vorsicht walten lässt, irgendwen konkret zu kritisieren. Symmachus ist auf der Hut. Damit stellt sich die Frage, wer hinter den angedeuteten Verzögerungsmanövern stecken könnte. Ammianus und Macedonius waren vor gar nicht langer Zeit einflussreiche Beamte am Mailänder Hof. Mit gutem Grund lässt sich daher vermuten, dass sie dort noch immer Einfluss hatten. So sind die eingesetzten protectores vielleicht schon unter dem magister officiorum Macedonius im Dienst gewesen und ihm noch immer treu ergeben. Macedonius wusste seinen Einfluss schon früher nutzbringend geltend zu machen und tut das offenbar auch jetzt. Ohne Zustimmung des amtierenden magister officiorum werden die protectores wohl nicht aktiv geworden sein, insofern ist auch an ihn als potenziellen Hintermann zu denken1076. Wie wir aus anderen Relationen vermuten können, hatte Symmachus nicht das beste Verhältnis zu ihm und lässt vielleicht deshalb auch hier nur vielsagende Andeutungen fallen. Keine Vermutung stellt er allerdings dahingehend an, dass möglicherweise er selbst und seine Amtsführung durch die Machenschaften in Misskredit gebracht werden sollen. Ziel der Verzögerungsmanöver ist es, wie er selbst erkennt, Macedonius dem Prozess zu entziehen. Anders als in den Relationen 21, 23 und 34 fühlt sich Symmachus hier nicht persönlich angegriffen, befürchtet aber doch, in ein schlechtes Licht zu geraten, denn Gegner am Hofe, die es in der Tat gibt, wie wir aus Relation 21 wissen, vielleicht Vertraute von Macedonius, jedenfalls jemand der das Ohr des Kaisers hat, könnten ihm die Schuld daran geben, dass der Fall verschleppt zu werden droht. Anders als in den genannten Relationen schlägt er keinen beleidigten Ton an, sondern bleibt sachlich. Im Dunstkreis des Hofes äußert er zwar keine konkreten Verdächtigungen, hofft allerdings beim Kaiser auf offene Ohren zu stoßen, denn schließlich wird auch die Auslieferungsanordnung des 1075 Als ausführende Organe neben den protectores als der höhergestellten Ebene des Geleitschutzes. 1076 Der amtierende magister officiorum wird insbesondere von Vera in den Brennpunkt der Machenschaften gerückt: Commento, 280.
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Kaisers möglicherweise gezielt hintertrieben. Noch gibt sich Symmachus optimistisch, ist aber sichtlich in Bedrängnis und befürchtet üble Nachrede oder jedenfalls, einen schlechten Eindruck zu hinterlassen. So sicher ist sein Stand am Hofe nicht und der Prozess heikel, weil ehemals hohe Politiker involviert sind mit möglicherweise noch immer guten Beziehungen zum Mailänder Hof, denen Symmachus von Rom aus nur wenig entgegensetzen kann. Sein Misstrauen gegenüber den dubiosen Aussagen der beteiligten Beamten und vielleicht sogar hinsichtlich des Todes von Ammianus ist begreiflich, denn dass es sich bei der eingetretenen Verzögerung um eine reine Verwaltungspanne handelt, liegt nach den Umständen und der früheren Stellung der Beschuldigten tatsächlich fern. In einigen Facetten ähneln die in Relation 36 berichteten Ereignisse jenen aus Relation 23 und auch Relation 31. Der Stadtpräfekt reagiert vergleichbar vorsichtig, vermag sich auch hier nicht aus eigener Kraft gegen äußere Widerstände durchzusetzen, sondern bittet um Geduld und unterstreicht bloß das eigene pflichtgemäße Verhalten und seine Unvoreingenommenheit. Schließlich drohte dem Richter, der einen Kriminalprozess nicht zügig durchzog Bestrafung1077, so dass es angeraten gewesen mag, diesem Vorwurf rechtzeitig vorzubeugen. Symmachus zeigt sich redlich bemüht, aber überfordert und wohl auch ein wenig eingeschüchtert. Mit dem Schreiben sucht er Öffentlichkeit, was für sein Bemühen, die Sache doch noch in den Griff zu bekommen spricht, wie auch die Tatsache für ihn spricht, dass die Beschuldigten augenscheinlich große Furcht vor seiner Gerichtsbarkeit haben. Von ihm droht offenbar ein unvoreingenommenes, strenges Urteil ohne Hoffnung auf Sonderbehandlung und Nachsicht. Andererseits aber zeigt sich Symmachus schlecht informiert, wie die Frage am Ende der Relation deutlich macht, die eine gewisse Ratlosigkeit ausdrückt. Bedenklich ist, dass der delegierte Richter nicht genau weiß, worauf der Vorwurf lautet. Sollte der Kaiser das Verfahren so überraschend eingeleitet haben oder ist Symmachus doch nur ein Alibirichter, dem man den undankbaren Fall zuschieben wollte und bei dem man auf Versandung hoffte? Wir wissen es nicht. Trotz dieser Unsicherheiten bleibt es dabei, dass Valentinian II. versucht hat, unter den Ministern seines Vorgängers aufzuräumen und sie nachträglich zur Rechenschaft zu ziehen. Immerhin wissen wir aus Relation 44 und von Sulpicius Severus, dass Macedonius sich tatsächlich im Amt vergangen hat. Das Verfahren wurde vom Kaiser formal ordnungsgemäß eingeleitet. Die Tatsache, dass er das Verfahren im Einzelfall einem Richter seiner Wahl delegiert hat, ist zwar grundsätzlich geeignet, Verdacht an einer unabhängigen Rechtsprechung zu erregen, doch erweist sich dieser Verdacht wenigstens vorliegend als unbegründet. Mit dem römischen Stadtpräfekten wird der wohl sachnächste Richter befasst und nicht etwa willkürlich ein möglicherweise parteiischer Richter, etwa aus den Hofkreisen, ernannt. Zu kurz geschlossen wäre es, allein aus der 1077 Vgl. etwa CT IX, 1, 7 (338). Der Richter stand ab der Festnahme des Angeklagten unter erheblichem Zeitdruck und musste das Verfahren binnen vorgegebener kurzer (Monats-)Frist zu Ende bringen.
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Tatsache der Delegation auf Störungen der Rechtslage schließen zu wollen. Störungen kommen vielmehr von außen; von dort wird versucht, Einfluss auf die Rechtsprechung zu nehmen. Symmachus scheitert nicht an fehlender Rechtskenntnis, sondern an den Widerständen eines einflussreichen Beschuldigten. Ein Umstand, der auch in der heutigen Zeit in politisch brisanten Prozessen immer wieder eine Rolle spielt. Die Justiz muss in Anbetracht der Raffinesse der Beschuldigten und ihrer mächtigen Freunde, sich ihren Fängen zu entziehen, kapitulieren. Das Problem liegt, wie schon in Relation 31, auf tatsächlicher Ebene. Symmachus mag als passiv kritisiert werden, doch an seinem Willen, Macedonius unvoreingenommen dem Prozess zuzuführen, kann nicht gezweifelt werden. Trotz der Schwierigkeiten ist er nicht bereit, aufzugeben. Nachdem ihm eigene bewaffnete Kräfte nicht zur Verfügung stehen, ist er auf die Hofbeamten angewiesen, die den Beschuldigten aus unbekannten Gründen bislang nicht vorgeführt haben. Symmachus muss warten. Programmatisch zeigt er sich dabei einmal mehr in § 1: Die Übereinstimmung der kaiserlichen Dekrete mit Gerechtigkeit und Gesetz verlange ihre prompte Befolgung, um die er sich selbst bemühe: iustitiae ac legibus amica decreta. Das ist unterwürfige Rhetorik, zeigt aber auch ein Stück eigener Wertvorstellung. Nicht zum ersten Mal vertritt Symmachus ein strenges Legalitätsprinzip. Der Kaiser handelt durch gerechte Gesetze, die es uneingeschränkt zu befolgen gilt. Dazu signalisiert er als pflichtbewusster Beamter seine stete Bereitschaft und stellt sie in Gegensatz zu dem Verhalten der alii, die rechtmäßige kaiserliche Anordnungen nicht, wie es sich eigentlich gehört, rasch ausführen. Symmachus hofft, dass der Kaiser dagegen etwas unternehmen wird, ersucht darum aber nicht ausdrücklich, sondern bittet ihn nur inständig, die Schuld nicht ihm, sondern den wahren Verantwortlichen zu geben. Der Ausgang des Verfahrens ist unbekannt. Über Macedonius sind keine weiteren Nachrichten überliefert. Einige Autoren glauben, er sei zum Tode verurteilt worden1078. Anzunehmen ist, dass der Kaiser, jedenfalls wenn er weiterhin an dem Verfahren interessiert war, die Sache bald nach Erhalt der Relation in die Hand genommen hat und Macedonius, sofern er greifbar war, zwangsweise vorführen ließ und Symmachus den konkreten Gegenstand der Anklage mitteilte. Symmachus wird sich, wenn man ihm den Fall nicht entzogen hat, bemüht haben, ein angemessenes Urteil zu fällen. Über die in diesem Fall verhängte Strafe lässt sich nicht spekulieren, weil die Bandbreite der in Betracht kommenden Delikte zu groß ist. Etwaige Religions- und Hochverratsvorwürfe dürften mit der Verurteilung zum Tode geendet haben. Wegen der Reskripterschleichung oder möglicher Finanzmanipulationen ist eher mit Vermögenskonfiskation und eventuell auch Exil1079 zu rechnen. 1078
Seeck, Symmachus, CLXXII; Enßlin, RE-Macedonius 4, 128; Barrow, 193 Fn. 3, stellen das als Tatsache dar. Etwas vorsichtiger Vera, Commento, 277, der ein späteres Todesurteil nur vermutet. 1079 Vgl. als Anhaltspunkt etwa die Verurteilung von Symmachus’ Schwiegervater Orfitus wegen Pekulat; dazu bei Rel. 34.
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Als Ergebnis von Relation 36 ist festzuhalten, dass sie einen politisch interessanten Fall beleuchtet und den schweren Stand des römischen Stadtpräfekten zeigt, juristisch allerdings nicht viel hergibt. Obwohl Symmachus gehörig unter Druck steht, will er den Fall nicht abgeben, sondern holt sich lediglich Rat ein, um sich abzusichern. Dass Symmachus dem Kaiser Bericht erstattet, ist angesichts der Vorgeschichte nachvollziehbar und der vorsichtig geäußerte Verdacht, der gar auf den magister officiorum fallen könnte, zeigt durchaus Selbstbewusstsein. Der Fall ist politisch heikel, wenn auch nicht religiös oder persönlich gegen Symmachus motiviert. Inwieweit seine Furcht vor übler Nachrede begründet war, lässt sich nicht beurteilen. Nimmt man Symmachus ernst, kümmert er sich redlich, den Prozess möglichst rasch abzuwickeln, begegnet aber subtilem Widerstand, gegen den er sich nicht anders als mit diesem etwas devoten Brief zur Wehr setzen zu können glaubt. Eigene Leute schickt er gar nicht erst aus, wartet geduldig auf die custodes, macht aber den Fall immerhin öffentlich. Strafprozesse gegen ehemals hohe Beamte, die immer noch einflussreiche Freunde haben, waren schon damals schwer zu führen. Nicht Rechtsgründe machen das Schreiben erforderlich, insbesondere wird es nicht wegen der etwaigen Anklage gegen Senatoren verfasst, denn der eigentliche Prozess hat noch gar nicht begonnen. Die Relation zeigt ein Stück bittere Realität, die nicht an mangelnder Rechtskenntnis oder mangelnden verfahrensrechtlichen Möglichkeiten, sondern an den tatsächlichen Machtverhältnissen und zu vermutender Protektion von höchster Stelle scheitert. Sie ist nicht repräsentativ für das ganze Rechtssystem, sondern beleuchtet den besonderen Fall eines politischen Prozesses. Eine wirksame Kriminalrechtsprechung des Stadtpräfekten, der sich selbst rechtstreu verhält, wird durch äußere Umstände behindert. Insoweit gibt es „Störungen der Rechtslage“. Nach dem Zeugnis der Relation läuft in dem Strafverfahren manches schief: Der eine Beschuldigte stirbt während des Auslieferungsverfahrens überraschend, der andere verschwindet und der Richter ist sich über den Anklagegegenstand noch nicht einmal im Klaren. Der Prozess lässt sich damit in die Reihe der Verfahren einordnen, die gezielt verzögert werden, allerdings nicht durch Verschulden des Stadtpräfekten. Ähnlich wie in Relation 31 und erinnernd auch an die Relationen 23 und 28 erbittet Symmachus kaiserliche Unterstützung bzw. vergewissert sich des kaiserlichen Vertrauens vor Einflussnahme bzw. Versuchen, sich dem Verfahren zu entziehen seitens einflussreicher (ehemaliger) Senatoren. Störungen der Rechtslage gründen sich auch in diesem Fall auf tatsächliche Schwierigkeiten, die eigene Autorität durchzusetzen. III. Relation 38: Kompetenzfragen im Kriminalprozess gegen einen angeblichen strator Symmachus gibt einen Prozess mittels relatio an den Kaiser ab, weil er sich in Anbetracht des ungewöhnlichen Sachverhalts und unklarer Rechtslage überfordert fühlt. Bereits in seinen einleitenden Worten schickt er jedoch die Einschätzung voraus, dass Verfahren, die durch Zeitablauf und Urteil beendet
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worden sind, als endgültig akzeptiert werden sollten und daher auch keiner langen Ausführung bedürfen: In negotiis tempore ac iudicatione finitis cessare aequum est longae orationis excursum... . Er werde sich kurz fassen; der Fall scheint eigentlich abgeschlossen zu sein. 1. Der Fall Vor dem Gericht des Stadtpräfekten wird ein Prozess wegen crimen violentiae verhandelt, der sich schon seit mindestens ein bis zwei Jahren hinzieht. Ein gewisser Marcellus behauptet, gewaltsam von seinem Besitz in Apulia vertrieben worden zu sein und erhebt Klage gegen den angeblichen - ut ipse confirmat heißt es von seiner Funktion - strator Venantius und dessen Schwester Batrachia1080: ...se deiectum possessione questus est, § 2. Es handelt sich um einen ähnlichen Fall wie in Relation 28, nur wird hier durch Anzeige des Geschädigten Strafklage erhoben1081. Mit dem Prozess ist in erster Instanz der örtlich zuständige, ordentliche Richter am Begehungsort des Delikts, der Statthalter von Apulia, befasst, moderator Apulus, provincialis cognitor bzw. rector heißt es von ihm in der Relation. Im Laufe dieses Verfahrens kommt es jedoch zu Kompetenzstreitigkeiten, denn die beiden Angeklagten fordern, vom Vikar angehört zu werden. Mit welcher Begründung sie das tun erfährt man nicht, doch vermutlich pocht Venantius auf seine Position als strator1082, die eine Behandlung vor dem höheren Richter rechtfertigen soll. Der corrector1083 verspricht 1080 Alle drei sind unbekannt und fehlen in RE und PLRE I. Keiner der Beteiligten gehört dem Senatorenstand an. 1081 Zu Einzelheiten der Verfahrenseinleitung s. bei Rel. 49. 1082 Stratores sind Soldaten, die sich um die Pferde und Ställe zu kümmern hatten und auch als Aufsichtspersonal für Gefangene eingesetzt werden konnten, s. Lammert, REstrator, 329 f; Cagnat, DS-strator, 1530; Clauss, Magister officiorum, 21. Man findet sie bei der Armee, bei hohen Beamten und am Hofe. Auch bei den Palasttruppen gibt es diese Funktion. Die stratores sind am Hof in einer schola organisiert und ihr Chef ist der tribunus stabuli. Disziplinarisch und zunehmend wohl auch rechtsprechungsmäßig unterstehen diese Soldaten, wie Rel. 38 zeigt, dem magister officiorum. Nachdem hier der magister officiorum seine Zuständigkeit geltend macht, war Venantius ein solcher strator am Hof, was auch durch § 5 bestätigt wird: ad palatina castra transisset. Krause, Gefängnisse 252 ff; 264 ff; 341, behandelt die stratores in ihrer Funktion als militärisches Gefängnispersonal, s. etwa CT IX, 3, 1, 1. Sie fungieren als Gefängniswärter, nehmen Inhaftierungen vor und überstellen Gefangene, so wie in Rel. 36 die protectores/custodes und in Rel. 38 ein agens in rebus. Die stratores waren auch als Aufkäufer von Pferden für das Heer tätig und wurden unter den Soldaten rekrutiert, vgl. Ammian, XXX, 5, 19 zu einem strator miles, einem Reitknecht des Kaisers, dem der tribunus stabuli beisteht und CT VI, 31 und CJ XII, 24: De stratoribus. Sie überprüfen die als Steuer gelieferten Pferde und mustern Militärpferde, s. a. Amm., XXIX, 3, 5. 1083 Offizieller Titel des erstinstanzlichen Richters ist corrector Apuliae et Calabriae: CIL IX, 329; 333; 430; 687; 1115-7; Not. Dig. Oc. I, 80; XIX, 8, s. Cantarelli, Diocesi, 154 ff. Apulia et Calabria ist Provinz im suburbikarischen Vikariat, im Stiefelabsatz von Italien. Der damalige Amtsinhaber ist unbekannt: PLRE I, Anonymus 83, 1018f; 1095; Vera, Commento, 289. Einzig bekannter Amtsinhaber Ende des 4. Jh. ist Flavius Sexio zwischen 379 und 394 (CIL IX, 333; s. PLRE I, 838), den Symmachus in Ep. II, 43
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ihnen, den Vikar schriftlich zu informieren, behält aber die begonnene Untersuchung an seinem Gericht. Der Antrag auf Übergabe des Verfahrens an den Vikar wird also, jedenfalls konkludent, zurückgewiesen, wogegen Venantius und Batrachia unüberlegt und ohne Rechtsrat einzuholen Appellation einlegen, provocatio a reis inconsulta processit. Da bislang nur ein Zwischenentscheid, das Versprechen, dem Vikar zu berichten, ergangen war, ist die Appellation unzulässig1084. Der corrector fragt nach, wie zu verfahren sei. Der Vikar1085 erteilt pflichtgemäß die Auskunft, dass das für unzulässige Appellationen gegen praeiudicia vorgesehene Bußgeld zu verhängen sei1086 und verweist den Fall zurück zum Provinzstatthalter zur weiteren Verhandlung und Strafvollstreckung: Tunc auditorii sacri iudex rectoris adfatu super appellatione consultus et praeiudicialem multam statuit a provocatoribus inferendam et ipsum quaesitorem crimini dedit cum executione vindictae. Der Vikar wird als mögliche, zum Stadtpräfekten konkurrierende, ordentliche zweite Instanz im Vikariat oberhalb des corrector Apuliae et Calabriae tätig. Prozessual verläuft bis dahin alles korrekt, die Berufung wird zurückgewiesen. Der weitere Ablauf ist dann aus der Relation nur noch bruchstückhaft zu rekonstruieren. Symmachus fährt in § 3 fort: Post haec obreptionibus partium nonnulla gesta sunt, ut iudicatio consummata traheretur. Nam et vir spectabilis decessor meus, cum multam didicisset exactam, quam decreto sacri auditorii appellatio praeiudicialis agnoverat, statuit causam criminis ad se debere transferri, et ego idem secutus partes in examen accivi. Der corrector beendet das Verfahren und verurteilt, wie § 4 zeigt, einige Personen zum Tode. Da auf vio(379-394; gesichert ist nur die Datierung nach 379: Callu, Lettres I, 183) empfiehlt. Eine Identifizierung mit dem unbenannten Statthalter hier ist mangels irgendwelcher Anhaltspunkte in Rel. 38 nicht möglich. Symmachus zeigt sich aber einverstanden mit der Arbeit des corrector. 1084 Vgl. dazu ausführlich bei Relation 16. Dort auch die Quellen. Das Zeugnis der Rel. 38 spricht dafür, dass damals ein ausnahmsloses Verbot der appellatio ante sententiam galt (vgl. etwa CT XI, 30, 40 von 383) und die in CT XI, 36, 18 (364) zugelassenen Ausnahmen mittlerweile aufgehoben worden waren. Letztgenannte Vorschrift hätte nämlich die Appellation gegen Zwischenurteile zur Frage der Zuständigkeit, die hier im Raum stand, vermutlich erlaubt. Auch Zuständigkeitsrügen konnten inzwischen nur noch im Rahmen der Appellation gegen das Endurteil vorgebracht werden. 1085 Nicht der amtierende Stadtpräfekt Aventius, wie Vera, Commento, 288 f; 290; 428 (in der Übersetzung), glaubt. Richtig: Jones, LRE, 518; Barrow, Prefect, 197. Auch der Vikar ist Richter vice sacra und nur so umschreibt ihn Symmachus hier. Der weitere Ablauf ist ansonsten nicht nachvollziehbar. Nachdem Venantius die Zuständigkeit des Vikars ausdrücklich eingefordert hat, liegt nahe, dass der corrector ihn um Rat gefragt hat, wie vorzugehen sei. Der Stadtpräfekt Aventius ist bislang nicht beteiligt und schlägt später eine ganz andere Richtung als der Vikar ein. Zur Kompetenzverteilung und dem möglichen Konkurrenzverhältnis zwischen Vikar und Stadtpräfekt s. sogleich. Der Vikar bleibt unbenannt und der damalige Amtsinhaber ist auch sonst nicht bekannt, war aber womöglich noch unter dem Stadtpräfekten Symmachus im Amt. Symmachus ist mit seinem Vorgehen jedenfalls im vorliegenden Fall zufrieden. 1086 Vermutlich 50 Pfund Silber, vgl. bei Rel. 16 und CT XI, 30, 40 (383) i.V.m. CT XI, 36, 16 (364); 30 (Nov. 385).
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lentia die Todesstrafe steht1087, war nichts anderes zu erwarten. Nach Ergehen des Urteils werden nun aber Verzögerungsmanöver eingeleitet. Aufschub bringt den Verurteilten schließlich die Tatsache, dass Symmachus’ Amtsvorgänger Aventius, vir spectabilis decessor meus1088, den Strafprozess an sich zieht, als er erfährt, dass das vom Vikar angeordnete Bußgeld wegen der unzulässigen Appellation tatsächlich eingefordert wird. Symmachus hat den Fall als Amtsnachfolger übernommen und lädt die Parteien zur Untersuchung vor. Seine Erkenntnisse hält er in § 4 fest: Sed cum et tempus reparationis esset emensum, et poenam provocationis aut expectaret aut sumpsisset aerarium, violentiae quoque causam Venantii ac Batrachiae professio ac quorundam capitalis damnatio terminasset, pronuntiavi cognitionem sacri cessare iudicii et Venantium, quem v. c. et inlustris officiorum magister iusserat exhiberi, censui agenti in rebus Decentio, quo prosequente venerat, esse reddendum. Symmachus stellt bei seiner Nachforschung fest, dass die Frist, Wiedereinsetzung bzw. Fristverlängerung (der Rechtsmittelfristen) zu verlangen, tempus reparationis1089, abgelaufen ist, d. h. es gibt keine ordentlichen Rechtsschutzmöglichkeiten mehr. Das Verfahren ist, wie er bereits in § 1 andeutete, durch Zeitablauf endgültig beendet. Außerdem hat die Staatskasse die verhängte Geldbuße schon eingezogen bzw. ist damit demnächst zu rechnen. Weiter stellt er fest, dass Venantius und Batrachia eine Aussage, professio, gemacht und wahrscheinlich ein Geständnis abgelegt haben. Das heißt, das Urteil des corrector hält auch materiell-rechtlich der Überprüfung stand; die Verurteilten sind überführt und das endgültig. Gewisse, unbenannte Personen waren zum Tode verurteilt worden. Möglicherweise waren in den Fall noch andere involviert. Jedenfalls aber hatte der corrector wohl die beiden Angeklagten von denen bislang die Rede war, Venantius und Batrachia, rechtskräftig zum Tode verurteilt. Symmachus erklärt nach diesen Feststellungen das Verfahren vor der höheren Instanz, sacrum iudicium, d. h. Vikar bzw. Stadtpräfekt, ohne weitere Verhandlung zur Sache für beendet. Er stellt das als geschehen und ordnungsgemäß fest und fällt kein neues Urteil. Nun hatte aber der magister officiorum den strator Venantius nur unter Geleit eines agens in rebus nach Rom überführen lassen und fordert jetzt seine Auslieferung nach Mailand, weil er als Soldat am Hofe ihm unterstehe. Symmachus akzeptiert diese Forderung als berechtigt und will ihm den Fall, jedenfalls aber
1087
Dazu schon bei Rel. 31 und vor allem bei Rel. 49. Näher unter 2. Symmachus meint wie in Rell. 23, 4 und 34, 3 mit decessor seinen Vorgänger von 383/384 Aventius, nicht dessen Vorgänger Bassus, wie Jones, LRE, 518, und Clauss, Magister officiorum, 77, glauben, die den Sachverhalt auch sonst nur ungenau wiedergeben. Bassus wird in Rell. 20, 1 und 25, 3 als prodecessor bezeichnet. Die Betitelung als spectabilis könnte hier bewusst despektierlich gebraucht sein. Auch in Rel. 34, 7 betitelt Symmachus Aventius als spectabilis; in Rel. 23, 4 allerdings korrekt mit inlustris. Sein Sprachgebrauch schwankt und ist eher untechnisch. 1089 Zur Wiedereinsetzung und Fristverlängerung im Zivilprozess s. bei Rell. 19, 32 und 39 m. N. 1088
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
die Vollstreckung, übertragen. Venantius soll dem agens in rebus Decentius1090 mitgegeben werden, der beauftragt ist, ihn wieder nach Mailand zurückzubringen. Doch nimmt der Fall an dieser Stelle eine unvorhergesehene Wendung. Es stellt sich nämlich heraus und der Kläger Marcellus kann das auch mit entsprechenden Unterlagen beweisen, dass Venantius eigentlich ein Kuriale ist, dem es gelungen war, sich in die Position eines strator am Hofe einzuschleichen. Er ist nach wie vor im album seiner Kurie eingeschrieben und rechtswidrigerweise in die militia gelangt; der magister officiorum ist also vielleicht doch nicht für ihn zuständig. Jedenfalls hatte er die Stellung als strator illegal erlangt und darüber mag Symmachus nicht schweigend hinwegsehen. Er bricht deshalb an dieser Stelle ab, mit der Begründung, dass er seine Kompetenz in diesem Punkt überschritten sehe und übergibt dem Kaiser den Fall mit dem Antrag, dieser, der erhabener sei als die Gesetze, die er schütze, der über und zugleich unter dem Gesetz stehe, möge in dieser Sache entscheiden. Mit dieser juristisch klingenden Begründung übergibt er den Fall mitsamt den Begleitakten an Valentinian II., § 5: Sed cum Venantii stratoris inlicitam usurpatamque militiam Marcellus argueret, quod decurionum adscriptus albo, ut gesta docuerunt, adversum leges ad palatina castra transisset, non debui obiecta reticere, ut in ea re, quae modum mei egrediebatur examinis, aeternitas vestra ipsis legibus, quas tuetur, augustior iudicaret. 2. Die Einzelheiten Relation 38 berichtet einen langwierigen, unübersichtlichen Kriminalprozess, in dem häppchenweise neue Probleme auftauchen. Symmachus hat den undankbaren Fall von seinem Vorgänger übernommen und versucht redlich, ihn zu Ende zu bringen, wobei er keinen Hehl daraus macht, dass er ihn eigentlich für längst abgeschlossen hält und die Übernahme durch Aventius als jedenfalls überflüssig erachtet. Die ersten Verzögerungen entstanden bereits vor seiner Amtszeit dadurch, dass sich Aventius und der amtierende Vikar nicht über das richtige Vorgehen einigen konnten und lagen vielleicht auch darin begründet, dass schon damals auch der magister officiorum seine Kompetenz über den strator geltend machte. Venantius gelang es bislang erfolgreich, seine Position dazu zu nutzen, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Auch Symmachus ist unsicher, wie er mit jemandem verfahren soll, der unberechtigterweise strator geworden ist, eigentlich aber dem Kurialenstand angehört und als solcher den allgemeinen Regeln unterfällt. 1090 Seeck, RE-Decentius 3, 2269, und Martínez-Fazio, Basílica, 233 Fn. 34, vermuten, es handele sich um den gleichnamigen Senator, an dessen Sohn Pansophius Bischof Ambrosius in Florenz während der Usurpation des Eugenius eine Wunderheilung vollbracht haben soll: Paulinus, Vita Ambr. 28. Für diese Identifizierung gibt es allerdings jenseits der Namensgleichheit keinen Anhaltspunkt. Decentius ist nach der Relation kein Senator. Zur daher wohl unbekannten Person s. PLRE I, Decentius 2, 244; Giardina, Aspetti, Decentius, 119.
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a) Das Verfahren im Einzelnen und die Frage, wie es eigentlich hätte ablaufen müssen Der Prozess beginnt ordnungsgemäß vor dem corrector als dem ordentlichen erstinstanzlichen Richter am Begehungsort des Delikts1091. Über ihm ist im südlichen Vikariat Italiens der Stadtpräfekt oder aber der Vikar reguläre Appellationsinstanz, denn wie CT XI, 30, 36 (374) für den Steuerbereich formuliert, gibt es nicht immer eine klare Abgrenzung zwischen den beiden Ämtern im Hinblick auf ihre jeweiligen (Rechtsprechungs-)Kompetenzen zweiter Instanz. Dass sich dieses Prinzip auf das Strafrecht übertragen lässt, zeigt der vorliegende Fall. Der Vikar ist von Amts wegen der offizielle Vertreter des Stadtpräfekten und weil auch er vice sacra urteilt, verhandelte er im Kompetenzbereich des Stadtpräfekten vermutlich regelmäßig die kleineren Fälle1092. Nachdem hier keine Senatoren beteiligt waren, dürfte der Fall unter eben diese „kleinen“ Prozesse einzuordnen gewesen sein, für die sich der Vikar zuständig fühlen konnte. Seine Kompetenz wird denn auch von den Angeklagten nicht zufällig eingefordert. In der Sache aber ist ihre Forderung nicht gerechtfertigt, denn weshalb sollte ein strator erstinstanzlich vom Vikar verurteilt werden? Insoweit handelte es sich um einen ersten, dreisten Versuch, das Verfahren zu verzögern durch verfrühte Appellation an einen Richter, von dem sich Venantius vielleicht wohlwollendere Beurteilung versprach. Schon im Vorfeld versuchte er möglicherweise, den Vikar gegen den Stadtpräfekten auszuspielen; vielleicht schätzte er den Vikar als wohlgesonnen gegenüber dem Hofpersonal ein, was nach dem Zeugnis der Relation 23 für die Amtszeit des Symmachus nicht ausgeschlossen wäre. Doch setzt sich der Vikar mit seiner korrekten Rechtsauffassung zunächst durch. Das Eingreifen von Aventius, der den Fall an sich zieht, zeigt dann aber, dass der Stadtpräfekt im Zweifelsfall die höhere Autorität hatte und seine Interessen unter Übergehung des Vikars durchsetzen konnte. Festzuhalten bleibt aus dieser Episode, dass die sich überschneidenden Zuständigkeitsbezirke, hier als Strafrichter zweiter Instanz im Vikariat außerhalb des Hundertmeilenbezirks, leicht zu Rivalität zwischen Vikar und Stadtpräfekt führen und solch unkoordiniertes Verhalten wie hier auslösen konnten1093.
1091
CT IX, 1, 1 (316/317). Sacra auditoria sind die kaiserlichen Appellationsgerichte und vice sacra urteilen außer den Stadtpräfekten unter anderem, entgegen der Ansicht von Vera, Commento, 290, auch die vicarii, wie etwa CT I, 15, 7 (377) zeigt; s. a. Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht, 530; 538. Dort wird allerdings Rel. 38 insoweit falsch interpretiert, als es auf S. 531 Fn. 52 heißt, dass Rel. 38, 2 ein Beispiel liefere für eine Delegation des Verfahrens durch den Stadtpräfekten an den corrector Apuliae. Im Strafprozess ist der Stadtpräfekt erstinstanzlich nur in Rom und dem Hundertmeilenbezirk zuständig. 1093 Für die Strafrechtsprechung lehnt de Robertis, Repressione penale, 90 ff, eine Konkurrenzsituation in Rom ab; der Vikar habe dort keine eigene strafrechtliche Kompetenz gehabt. Rel. 38 zeigt jedoch die Konkurrenz in zweiter Instanz außerhalb Roms und des Hundertmeilenbezirks. 1092
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Keine Auswirkung auf die Rechtsprechungskompetenz hatte im bisherigen Verfahren, dass Venantius, jedenfalls formal, als strator wohl Soldat war. Und das, obwohl nach CT II, 1, 2, 2 (355) sämtliche Delikte der Soldaten eigentlich vor ihren militärischen Vorgesetzten und nicht vor den zivilen Richter gehörten. Der corrector wie auch der Stadtpräfekt konnten einen Soldaten grundsätzlich nicht verurteilen, selbst wenn der Begehungsort des Delikts in ihrem Bezirk lag; der Prozess war dem zuständigen Richter, dem magister militum, zu übergeben. Trotzdem ist eben das nicht geschehen, obgleich auch der strator am kaiserlichen Hof Soldat ist, wie die Formulierungen aus dem Militärbereich in § 5 zeigen, wo von militia und palatina castra die Rede ist. Militia kann zwar auch den Dienst eines zivilen Beamten meinen (vgl. Relation 42), doch spricht castra für eine militärische Position. Allerdings gehört Venantius zu den palatina castra, er ist Palastbeamter, und für diese galten spezielle Regeln. An einer Kompetenz der ordentlichen Richter wird demgemäß bis zuletzt nicht gezweifelt, was auch daran gelegen haben dürfte, dass Venantius kein Vergehen im Dienst vorgeworfen wurde. Unwahrscheinlich ist, dass sowohl der corrector als auch der Vikar und Aventius übersehen haben sollten, dass sie einen Soldaten vor sich haben, für den sie keine Zuständigkeit besitzen, denn Venantius scheint von Anfang an versucht zu haben, seine Funktion ins Spiel zu bringen. Insoweit scheint die Kompetenz des ordentlichen, zivilen Richters auch nach CT IX, 2, 2 (365) unangetastet geblieben zu sein. Danach hat der Statthalter, wenn ein Soldat in seiner Provinz ein Verbrechen begangen hat, ihn unter Bewachung zu nehmen und über den Fall bzw. den status der Person an den Kaiser oder den magister militum zu berichten1094. Erst ganz am Ende der Relation kommt eine etwaige Zuständigkeit des magister officiorum ins Spiel. Der lässt den strator, der zunächst in Apulia verurteilt worden war, unter Geleit nach Rom bringen und fordert ihn nun für sich zurück. Was aber hat es mit diesem Auslieferungsbegehren des magister officiorum auf sich? Eine offizielle Rechtsprechungsbefugnis desselben ist für jene Zeit noch nicht überliefert. Relation 38 wäre die erste Quelle dafür, dass der magister officiorum Rechtsprechungskompetenz über seine Untergebenen bekommen hat. Bisher hat man, dieser Überzeugung folgend, überwiegend angenommen, dass Venantius tatsächlich dem magister officiorum als dem zuständigen Richter überstellt werden sollte1095. Spätere Quellen bestätigen diese
1094 Zur Militärrechtsprechung: Mommsen, Strafrecht, 288 f; Jones, LRE, 487 f; Taubenschlag, RE-Militärstrafrecht, 1668 ff; Sander, RE Suppl. 10-Militärrecht, 402 ff. S. a. CJ I, 29, 1 (386/387): der Prätorianerpräfekt hat keine Kompetenzen über Soldaten; CT I, 7, 4 (414, Ost): der magister militum hat Kompetenzen über seine apparitores in Zivil- und Strafsachen. Zur Militärzuständigkeit s. a. Ammian, XIV, 10, 4; XVI, 8, 13; XXI, 16, 2/9. 1095 Boak, Master, 39; 65; Jones, LRE, 518; Barrow, Prefect, 197; Vera, Commento, 288; 290; Clauss, Magister, 77 f; 201. Zu der ab dem 5. Jh. regelmäßig belegten Rechtsprechungskompetenz des magister officiorum über das Hofpersonal ausführlich m. N. Clauss, 76 ff. Nach CJ XII, 26, 2 (444 an den praefectus praetorio orientis: Seeck, Re-
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Kompetenz als Strafrichter über das Hofpersonal bzw. einzelne Ämter, die über eine bloße Disziplinargerichtsbarkeit hinausgeht. Doch aus der Relation wissen wir genaugenommen nur, dass der magister officiorum Auslieferung des strator fordert, iusserat exhiberi, und dass Symmachus demgemäß entscheidet, ihn dem agens in rebus wieder zu übergeben: censui...esse reddendum. Das zwingt nicht zu der Annahme, dass sich der magister officiorum hier als (quasi) zweite Instanz in das Verfahren eingeschaltet hat; vielmehr will er möglicherweise nur das nach Überzeugung von Symmachus rechtskräftige Urteil des corrector vollstrecken. Nach der Darstellung der Relation wird die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Venantius, der offenbar kein Amtsdelikt begangen, sondern „private“ Gewalt geübt hatte, zu keinem Zeitpunkt von offizieller Seite in Zweifel gezogen. Geschildert wird auch am Ende keine förmliche Kompetenzrüge, sondern lediglich das Auslieferungsbegehren nach Abschluss des Strafverfahrens1096. Eine etwaige Rechtsprechungskompetenz des magister officiorum, die Symmachus diskussionslos anerkannt hätte, wäre in jedem Falle ganz neu gewesen, denn die bisher mit dem Fall befassten Richter zweifelten nicht an der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Eine Parallele dazu lässt sich möglicherweise in den Relationen 41 und 48 finden, in denen die Kompetenz des comes rei privatae im Streit steht. In der Tat gab es etwa um die Zeit der Stadtpräfektur von Symmachus bzw. wenig später, in der Praxis aber wohl bereits eingefordert, eine neue Kompetenzentwicklung im Sinne von sachgebietsorientierter Spezialisierung und die Ressortchefs am Hof erhielten in diesem Zusammenhang auch Zivil- und Strafrechtsprechung über ihre Leute1097. Aus der disziplinarischen Zuständigkeit erwuchsen zunehmend Forderungen nach eigener Rechtsprechungsgewalt. Vielleicht wollte Venantius schon in seiner anfänglichen Appellation zum Vikar letztlich die Zuständigkeit des magister officiorum geltend machen, was jedenfalls nicht so abwegig wäre, wie die Forderung, erstinstanzlich vor dem Vikar zu verhandeln. Die Rechtsquellen hinkten der Praxis mögligesten, 138; 375) hat der magister officiorum schon länger die Rechtsprechungsgewalt über die Mitglieder der scholae palatinae. 1096 Zwar meint exhibitio häufig die zwangsweise Vorführung vor Gericht zwecks Verurteilung, vgl. etwa bei Rell. 31 und 36; Ep. II, 44 (364/365); CT IX, 1, 8 (366), doch schließt die Formulierung in Rel. 38 nicht aus, dass hier erst die spätere Auslieferung zur Strafvollstreckung gemeint ist. 1097 Dass es um eben jene Zeit bzw. wenig später neue Rechtsprechungskompetenzen für die Fachminister am Hofe gab, zeigte sich für den Finanzbereich bereits bei den Relationen 41 und 48 und bestätigt sich in den Rechtsquellen wenig später auch für den magister officiorum: CJ III, 24, 2 (wohl 390; s. dazu ausführlich im Ersten Teil, 4. Abschnitt II. 1. gewährt dem magister officiorum Kompetenzen im Zivilprozess gegen Senatoren aufgrund spezieller kaiserlicher Anordnung, d. h. er steht insoweit in direkter Konkurrenz zum Stadtpräfekten. Das bedeutet Konfliktpotential, das sich schon jetzt angedeutet haben mag. Eine eigene Kriminalrechtsprechung von comes sacrarum largitionum und comes rei privatae über ihre palatini nimmt Masi, Giurisdizione, seit etwa 371 an (dazu m.w.N. bei Rel. 23), etwa gleichzeitig mag sich auch die Kriminalrechtsprechung des magister officiorum über sein Personal entwickelt haben.
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cherweise nach und in der Übergangsphase gab es Konkurrenzstreitigkeiten mit den ordentlichen Gerichten wie dem des Stadtpräfekten. Das zeigen für die Finanzgerichtsbarkeit die Relationen 41 und 48 und das deutet sich unter Umständen hier auch für den magister officiorum an. Gezeigt würde damit ein weiteres Mal der Mechanismus der Rechtsfortbildung, nach dem die Gesetze der bereits eingerissenen Praxis nur noch nachfolgten. Auch damit ließe sich der bisherige Ablauf und die Bereitwilligkeit von Symmachus, Venantius dem magister officiorum auszuliefern, ob zur Vollstreckung oder Neuverhandlung oder Einleitung nun auch des Zivilverfahrens, erklären. Trotz allem ist Relation 38 keine sichere Quelle für eine bereits bestehende Rechtsprechungsgewalt des magister officiorum über seine Leute. Zunächst wurde der Fall vom corrector verhandelt, der ihn mit mehreren Todesurteilen abschließt. Nicht ganz deutlich wird aus der Schilderung der Relation, ob auch Venantius und seine Schwester zum Tode verurteilt wurden, was manche Autoren1098 in der Tat bezweifeln. Doch sind die beiden immerhin Hauptangeklagte und die einzigen, mit denen sich Symmachus in seinem Schreiben befasst, deshalb betrifft doch wohl gerade sie auch das Urteil. Ihr Fall ist abgeschlossen, § 4. Nach Symmachus’ eigenen Untersuchungen und seinen einleitenden Worten ist der ganze Fall abgeschlossen; das heißt doch, dass er auch die beiden benannten Angeklagten als endgültig verurteilt ansieht. Venantius soll dem magister officiorum erst nach erfolgter Verurteilung ausgeliefert werden, der das Verfahren wiederaufnehmen oder das Urteil vollstrecken mochte. Wegen der Verurteilung kommt es überhaupt erst zu den verzweifelten Verzögerungsmanövern, § 3, die sich damit erklären lassen, dass eine Appellation gegen eine Verurteilung wegen violentia wohl keine aufschiebende Wirkung hatte und damit keinen effektiven Rechtsschutz bot, zumal violentia regelmäßig mit dem Tode bestraft wurde1099. Eine Appellation war, wenn nicht unzulässig, so doch nutzlos, weil die Todesstrafe weiterhin vollstreckt werden konnte. Manche Autoren1100 glauben zwar, dass es (nach) 361 eine Neuregelung gegeben habe und 384/385 eine Appellation wieder regulär möglich gewe1098 Barrow, Prefect, 197; s. a. Vera, Commento, 291 f: Mangels Zuständigkeit über den Soldaten habe der corrector kein Urteil gefällt, auch nicht über die Schwester, die von der Stellung des Bruders profitiert habe. Dagegen spricht jedoch der von Symmachus beschriebene Ablauf; etwaige Kompetenzrügen wurden bislang gerade nicht weiter beachtet. 1099 CT IX, 10, 1 (317: Seeck, Regesten, 67; 165; für 318: Chastagnol, Préfecture, 92 Fn. 4). Daran änderte wohl auch CT XI, 36, 14 (361) nichts; dazu noch im Folgenden. 1100 Wesener, RE-violentia, 159 f; Chastagnol, Préfecture, 93 f. Vera, Commento, 291, glaubt an eine grundsätzlich bestehende, wenn auch verfristete und nur für denjenigen, der als Eigentümer der Ländereien festgestellt worden war, eingeschränkte Appellationsmöglichkeit zum Stadtpräfekten und nennt zusätzlich CT IX, 38, 4 (370: Seeck, Regesten, 8; 35; 240). Doch betrifft diese Konstitution Osteramnestien, nicht aber eine Einschränkung der Appellationsmöglichkeit. Sie zeigt, dass violentia als besonders schweres Delikt eingestuft wurde, das von der Amnestie ausgenommen war. Der Gesetzgeber signalisiert die entschlossene Verfolgung von Gewalttaten.
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sen sei, weil man die Einschränkung als zu streng empfunden habe. Doch spricht dagegen das Zeugnis von Relation 38 und wohl auch Relation 49. Die Angeklagten hätten sich vermutlich anders verhalten, d. h. nicht bereits gegen das praeiudicium appelliert, vor allem aber Rechtsmittel gegen das Endurteil versucht und nicht alle Fristen verstreichen lassen. Mit dem Urteil des corrector betrachtet Symmachus das Verfahren als endgültig abgeschlossen; alles Folgende ist für ihn bloße Verzögerung. Eine Appellation gegen das Endurteil des corrector wäre zwar vielleicht möglich gewesen, versprach aber offensichtlich keine Abhilfe1101 und ist mittlerweile jedenfalls verfristet. Die Parteien greifen daher auf nicht näher ausgeführte Verzögerungsmanöver zurück, um die Vollstreckung zu verhindern und sehen von einer ordentlichen Appellation nach dem Misserfolg mit der Anrufung des Vikars ab1102. Daher kommt der Fall auch nicht regulär zu Symmachus als zweiter Instanz, denn Aventius nimmt keine Appellation an, sondern zieht das Verfahren als quasi-zweite Instanz an sich (evocatio) und in dieser Funktion übernimmt Symmachus den Fall. Die Einschränkungen des Appellationsrechts bei violentia bestanden 384/385 offensichtlich fort und auch die nachfolgende violentia-Regelung in CT IX, 10, 4 (390) ändert daran nichts. Obwohl das Leben der Angeklagten auf dem Spiel steht, wird für dieses Delikt besondere Härte gezeigt. Die Verzweiflung des Venantius und seiner Schwester dürfte entsprechend groß gewesen sein, zumal sich auch ein für die Angeklagten äußerst ungünstiger Verfahrensablauf vorstellen lässt: Venantius wird als strator vor dem unzuständigen Provinzialrichter anstatt vor dem magister officiorum angeklagt, mit seiner Zuständigkeitsrüge zurückgewiesen und die Appellation gegen den Zwischenentscheid mit einer Geldbuße bestraft. Gegen das Endurteil aber gibt es keine effektive Rechtsschutzmöglichkeit. Die ganze Härte des Systems der Bestrafung von violentia würde so deutlich1103. Symmachus zeigt sich davon allerdings unbeeindruckt
1101 Sollten die Angeklagten tatsächlich ein Geständnis (confessio) - in der Relation ist die Rede von einer professio, auf die hin es offenbar unmittelbar zu einer Verurteilung kam - abgelegt haben, wäre wohl auch deshalb die Appellation im Strafverfahren ausgeschlossen gewesen, vgl. etwa CT XI, 36, 18, 2 (364: Seeck, Regesten, 85; 220). 1102 Anders Jones, LRE, 518. Danach hat der Stadtpräfekt, den er fälschlich als Bassus identifiziert, eine verfristete Appellation angenommen. Dagegen spricht jedoch die Formulierung in der Relation. Aventius lässt sich den Fall unabhängig von der Einlegung eines förmlichen Rechtsmittels übertragen. 1103 Zur großen Härte der Gesetze in Verfahren um violentia vgl. auch bei Rel. 49. Für andere Delikte stellen sich die Rechtsschutzmöglichkeiten nicht ganz so beschränkt dar. CT XI, 36, 1 (314/315) und CT XI, 36, 7 (348: Seeck, Regesten, 95; 196; 442) schränken das Appellationsrecht für eindeutig überführte Täter im Einzelnen aufgezählter, schwerer Verbrechen zwar ein, doch war die Appellation abgesehen von diesen Ausnahmefällen auch gegen Todesurteile grundsätzlich zulässig: CT XI, 30, 20 (353: Seeck, Regesten, 199; 434); CT XI, 30, 58 (399: Seeck, Regesten, 296; 434). CT XI, 36, 7 (348) verbietet die Appellation bei eindeutiger Überführung etwa durch ein Geständnis, doch ist unklar, ob diese Vorschrift im Falle der violentia überhaupt anwendbar war. Nur die
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und willens, das Gesetz genau anzuwenden. Venantius und Batrachia haben lediglich vorübergehend das Glück, dass Aventius den Fall an sich zieht. Ob er sich von ihnen bitten oder gar bestechen ließ, Symmachus spricht immerhin von aktiven Verzögerungsmanövern, oder ob er dem Vikar, der sich korrekt verhalten hat, zeigen wollte, wo es lang geht oder ob sich gar der magister officiorum eingemischt hatte, wissen wir nicht. Jedenfalls nimmt er die Einforderung der Geldstrafe zum Anlass, in den regulären Verfahrensgang einzugreifen, den Parteien Aufschub zu gewähren und Hoffnung zu schüren. Symmachus beschreibt das kritisch, nimmt den Fall gezwungenermaßen auf, nachdem Aventius aus dem Amt geschieden war, ohne ihn abzuschließen, prüft ihn und kommt zu dem Ergebnis, dass er endgültig entschieden ist. Die beiden Angeklagten sind der Tat eindeutig überführt1104. b) Das crimen violentiae Violentia, wie sie in CT IX, 10, 1-4 unter dem Titel ad legem Iuliam de vi publica et privata überliefert ist, wird seit der Zeit Kaiser Konstantins als Straftat verfolgt und kann Gewalt in den verschiedensten Erscheinungsformen gegen Personen (s. bei Relation 31) oder Sachen meinen. Der Tatbestand ist unbestimmt und abstrakt gefasst, um möglichst viele Ausprägungen von Gewalthandlungen zu erfassen. Unter Konstantin erfährt er eine Ausgestaltung, die sich noch zur Amtszeit des Symmachus in den Relationen 28, 38 und 49 wiederfindet. Ein Hauptanwendungsfall ist die gewaltsame Besitzentziehung. Jede Anwendung körperlicher Gewalt zur Brechung von Widerstand, ob unter Bewaffnung, mittels Zusammenrottung oder in schwächerer Form kann violentia sein. Die alte Lex Iulia de vi wird in den Hintergrund gedrängt. Ihre einzelnen Tatbestände, darunter auch die zwangsweise Wegnahme von Grundstücken, gehen im neuen Delikt der violentia auf; vis publica und vis privata werden nicht weiter unterschieden. Unter Konstantin wird ausdrücklich auch das gewaltsame Eindringen in ein fremdes Grundstück nach CT IX, 10, 2 (3181105) mit dem Tode bestraft und Relation 38 ist, nach allem was Symmachus berichtet, ein Anwendungsfall für diese Konstitution. Violentia spielt häufig eine Rolle im Zusammenhang mit der Usurpation von Ländereien, der invasio. Einen Beispielsfall dazu schildert anschaulich Relation 28 und auch im vorliegenden Fall ist sehr wahrscheinlich, dass widerrechtlich Grundbesitz entzogen wurde. So gebraucht Symmachus in § 2 mit seinem se deiectum possessione questus est nahezu wörtlich die Formulierung von CT IX, 10, 2: vi deicere possidentem. Solch gewaltsame Besitzergreifung wird in den veränderte Überlieferung in CJ VII, 65, 2 nennt manifesta violentia ausdrücklich als Anwendungsfall dieser Regelung. 1104 Die Beweislage ist auch für ein Todesurteil eindeutig genug; vgl. hierzu die Anforderungen in CT IX, 40, 1 (314). 1105 Seeck, Regesten, 68; 166.
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zeitgenössischen Quellen regelmäßig dokumentiert; sie geschieht in Relation 28 durch Leute eines Senators, hier durch einen angeblichen Soldaten vom Hofe. Der historische Hintergrund wurde bereits bei Relation 28 erläutert. Landraub war ein verbreitetes Phänomen, dem man kaum wirksam zu begegnen vermochte, wie die wiederholten gesetzlichen Einschärfungen seit der Zeit Kaiser Konstantins nahelegen. Die einschlägigen Relationen zeigen die herrschende Selbstsicherheit der Täter in ganzer Deutlichkeit, die unter anderem auch darin begründet gewesen sein mag, dass die Richter nicht immer so konsequent um Ahndung bemüht waren wie Symmachus. So zeigen sich Unregelmäßigkeiten im Verfahrensablauf auch hier. Häufig scheinen Richter auf den Verfahrensgang unredlich Einfluss genommen zu haben, indem sie sich etwa bestechen ließen. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls Delmaire, der die literarischen Quellen zum Thema untersucht hat und anhand von Beispielen die verschiedenen Erscheinungsformen der invasio bonorum beschreibt1106. Anders als in Relation 28 versuchen die Täter hier noch nicht einmal, eine Begründung für ihre Gewalttat nachzuliefern. Sie sind eindeutig überführt. Die Opfer wurden von Konstantin und seinen Nachfolgern nachdrücklich auf den Rechtsweg verwiesen, jede Selbsthilfe wurde mit schwerer Strafe bedroht und dafür umfassender Rechtsschutz in Aussicht gestellt. Die gewaltsame Besitzentziehung konnte nicht nur strafrechtlich, sondern auch zivilrechtlich verfolgt werden1107. Wie die Relationen zeigen, wird das Spektrum genutzt, indem entweder zivil- oder strafrechtlich geklagt wird (eine parallele Klage findet sich allenfalls in Relation 31), was nicht ausschließt, dass die jeweils andere Seite zu einem späteren Zeitpunkt noch verhandelt wurde. CT IX, 20, 1 (378) jedenfalls erlaubt in Fällen wie dem vorliegenden, ...per vim possessione deiectus..., ausdrücklich die Erhebung einer Zivil- ebenso wie einer Strafklage. Beide Verfahren können nacheinander geführt werden; es besteht ein Wahlrecht, welches Verfahren zuerst eingeleitet wird. Nur in Selbsthilfefällen gibt CT IX, 10, 3 eine Reihenfolge vor, nach der erst am Ende das Strafurteil steht. Einen solchen Fall behandelt Relation 28, nicht aber Relation 38. Für den Zivilprozess interessiert sich Symmachus hier nicht und auch Aventius fordert in § 3 ausdrücklich nur den Strafprozess für sich ein. Ob Marcellus ein Zivilverfahren je angestrengt hat, wissen wir nicht. Verfehlt ist deshalb die Ansicht von Clauss1108, der meint, Venantius und seine Schwester seien bereits zur Rückgabe des Besitzes verurteilt worden. Diese Entscheidung ist nicht Gegenstand des vorliegenden Strafprozesses. Damit noch einmal zurück zum konkreten Klagegegenstand: Aus Relation 38 wissen wir nur, dass Venantius und Batrachia gewaltsam Besitz entzogen haben und daher wegen violentia verfolgt und zum Tode verurteilt wurden. Der ge1106
Invasor, 82 ff; 86-88 die einzelnen Fundstellen. S. schon bei Rel. 28. Vgl. Rel. 28 und CT IX, 10, 3 (319); IX, 20, 1 (378). 1108 Magister officiorum, 77. 1107
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naue Anwendungsbereich des crimen violentiae im Sinne von CT IX, 10, 1 f, das nach stark vertretener Auffassung1109 voraussetzt, dass bei der Gewaltanwendung auch jemand zu Tode gekommen ist, lässt sich hieraus nicht entnehmen. Doch ist von einem Todesfall nicht die Rede; entscheidend und ausreichend scheint die gewaltsame Besitzentziehung. Dem widerspricht die überlieferte Rechtslage nicht: CT IX, 10, 1 (317) verlangt lediglich unbestimmt manifesta violentia, lässt jede offene bzw. auf frischer Tat ertappte und vor Gericht bewiesene Gewaltanwendung, ob gegen Personen oder Sachen, ob im privaten oder öffentlichen Bereich, genügen1110 und nennt nur beispielhaft einige spezielle Erscheinungsformen von violentia, die nicht notwendigerweise mit einem Todesfall einhergehen. CT IX, 10, 2, adressiert an den Stadtpräfekten, verlangt ebenfalls kein Todesopfer, sondern bestraft, wie der erste Satz deutlich macht, jedes gewaltsame Eindringen in ein fremdes Grundstück mit dem Tode: Si quis per violentiam alienum fundum invaserit, capite puniatur. Der Folgesatz enthält nur eine Klarstellung für den Fall, dass auf einer Seite jemand zu Tode gekommen sein sollte: Et sive quis ex eius parte, qui violentiam inferre temptaverit, sive ex eius, qui iniuriam repulsaverit, fuerit occisus, eum poena adstringat, qui vi deicere possidentem voluerit. Für den hier naheliegenden Landraub einschlägig wäre damit wie gesehen CT IX, 10, 2, was die Einschränkung des Appellationsrechts aus der vorangehenden Konstitution unberührt lässt. CT IX, 10, 3 (319) und CT XI, 36, 14 (361) ändern an diesem Ergebnis nichts, denn danach wird nur der Spezialfall gewaltsamer (vermeintlicher) Selbsthilfe anders behandelt, milder bestraft und die Appellation zugelassen1111. Nachdem Marcellus hier den Rechtsweg beschreitet und nicht etwa Selbsthilfe übt und die Täter, anders als Olybrius in Relation 28, Selbsthilfe nicht etwa versuchen geltend zu machen, bleibt es bei CT IX, 10, 2, dessen Formulierung Symmachus vielleicht nicht zufällig nahezu wörtlich in seiner Relation verwendet. Dass tatsächlich die Todesstrafe verhängt wurde, zeigt § 4. Die Relationen 38 und 49 sind Zeugnis dafür, dass nach wie vor jede „gewöhnliche“ violentia, (Land-) Raub etwa, mit der Todesstrafe geahndet wurde und die Appellation wohl jedenfalls keine aufschiebende Wirkung hatte. Auch in Relation 49 steht auf violentia wohl die Todesstrafe, ohne dass jemand zu Tode gekommen ist. Die Begehungsweise des Delikts in jenem Fall, ob Gewalt gegen Personen oder Landraub verübt wurde, ist allerdings unbekannt. Damit wäre auch für Relation 28, in der es keinen Todesfall gab, grundsätzlich CT IX, 10, 2 einschlägig, wenn 1109 Vgl. Coroï, Violence, 316 f; 320; Niedermeyer, Crimen, 414; Dupont, Droit Criminel, 75; s. aber auch 77; Jaillette, Atteintes, 73. 1110 Dieser entscheidende erste Satzteil fehlt erst in CJ IX, 12, 6. 1111 Auch Coroï Violence, 319 f; 323 f, sieht in CT IX, 10, 3 die Neuregelung nur eines Spezialfalles, die 361 bestätigt wird, wenn auch wohl zu eng begrenzt auf den Hypotheken-/Gläubiger, der gewaltsam Güter des Schuldners ergreift. Es werden wohl allgemein Selbsthilfefälle erfasst. Richtig insofern Dupont, Droit criminel, 76-78. Fraglich dagegen Niedermeyer, Crimen, 410; 414, wonach die mildere Strafe aus CT IX, 10, 3 für die gewaltsame Besitzstörung gelten soll, bei der niemand zu Tode kam. Nicht überzeugend vor dem Hintergrund der Relationen ist auch die Auffassung von Wesener, REviolentia, 160.
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nicht die (vorgebliche) Selbsthilfe im Sinne von CT IX, 10, 3/XI, 36, 14 schützen und eine mildere Strafe vorsehen würde. Dementsprechend wird violentia auch in anderen Rechtsquellen als eines der schwersten Delikte behandelt und beispielsweise von einer umfassenden Osteramnestie ausgenommen, CT IX, 38, 4 (368). Auch das spricht für die grundsätzliche Beibehaltung der Todesstrafe. Eine nach der Amtszeit von Symmachus datierende Konstitution von 390, CT IX, 10, 4, betrifft Spezialfälle und trifft eine Unterscheidung der Straffolgen abhängig von der sozialen Stellung des Täters und schärft den Richtern noch einmal strikte Normbeachtung ein. Gegen häufige Verzögerungsmanöver im Falle von Besitzentziehung, ...possessione deiectus..., wie wir sie hier und in Relation 28 sehen, wendet sich CT II, 4, 5 (389). Die Relationen erweisen sich als repräsentativ für die allgemeine Rechtssituation. Den Adressaten der verschiedenen Konstitutionen nach zu folgern, tritt das Problem vornehmlich in Africa und Italien auf. Die einschlägigen Normen sind Symmachus bekannt und werden auch von den bislang mit dem Fall befassten Richtern mit Ausnahme von Aventius angewandt. Gesetzeskonform will Symmachus mit Relation 38 keine weitere Verzögerung bewirken, sondern die Vollstreckung vorantreiben. Trotzdem entscheidet er den Fall nicht autoritativ. c) Die Kurialenflucht Obwohl die Sach- und Beweislage eindeutig scheint, hat man in Rom Mühe, die Verurteilung durchzusetzen und fast hätte Venantius es geschafft, noch einmal Aufschub zu erhalten. Das aber versucht Symmachus im letzten Moment zu unterbinden. Zunächst ist er zwar bereit, dem Gesuch des magister officiorum nachzugeben, dann aber weist Marcellus nach, dass Venantius in das album decurionum seiner Gemeinde1112, vermutlich einer Stadt in Apulia, als Kuriale eingeschrieben ist und den Posten eines strator zu Unrecht bekleidet. Curiales hafteten persönlich für das ihrer Gemeinde auferlegte Steuersoll, sie hatten teure Zwangsdienste, munera, zu erbringen und waren in ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit erheblich eingeschränkt1113. Dem standen zwar einige Privilegien gegenüber, doch wurde das Dekurionat zunehmend als erblicher Zwangsstatus ausgeformt, die Stellung sogar zur Strafe verhängt, so dass Fluchttendenzen verbreitet waren. Kurialen, die sich ihren Pflichten zu entziehen suchten, indem sie sich etwa in den Staatsdienst oder auch den Sena-
1112 Aus der africanischen Stadt Timgad ist in CIL VIII, 2403 ein Kurialenregister inschriftlich überliefert. Dazu: Chastagnol, Album municipal. 1113 Zu den Lasten der Kurialen im 4. Jh: de Salvo, Munera curialia; Schubert, Rechtliche Sonderstellung, 309 ff.
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torenstand einschlichen, mussten immer wieder zurückgerufen werden1114. Relation 38 zeigt anhand eines konkreten Beispieles die sich in der Praxis trotz der Vielzahl von Verboten ergebenden Schwierigkeiten, wenn sich ein Kuriale in den Hofdienst eingeschlichen hatte. Zwar schärften eine Vielzahl von sich wiederholenden Konstitutionen eben das ein, was auch Symmachus für 384/385 bestätigt (...adversum leges ad palatina castra transisset), dass nämlich den Kurialen der Dienst in der Militär- und Zivilverwaltung untersagt war. Doch obwohl vor jeder Einstellung geprüft werden musste, ob der Kandidat nicht vielleicht Kuriale war1115, erreichten immer wieder Kurialen Aufnahme in die Verwaltung, war es doch interessant, eine militia zu bekleiden, weil das Amt seinerseits davon entband, in einer Kurie eingeschrieben und entsprechend verpflichtet zu werden und darüber hinaus wurden Beamte immer wieder von munera befreit. Der Eintritt in die Zivilverwaltung oder das Militär gelang über bestechliche Beamte; insbesondere reichere Kurialen konnten sich den rechtlichen und sozialen Aufstieg bzw. Ausstieg erkaufen. Das Problem lässt sich vergleichen mit der ebenfalls häufig durch Bestechung erreichten Flucht aus den Zwangskorporationen, die wir aus Relation 44 kennen. Auch die Hilflosigkeit der zahllosen gesetzlichen Gegensteuerungsversuche im Westen ebenso wie im Osten zeigt Parallelen. Auf eben diese Weise mag sich Venantius in die Position als strator eingekauft haben; Symmachus schreibt von inlicita usurpata militia. Was ist aber genaue Rechtsfolge, wenn jemand illegal in eine militia gelangt war? Schauen wir uns an, was Symmachus schreibt und vergleichen wir seine Ausführungen mit den aus jener Zeit überlieferten Konstitutionen: Venantius behauptet nur, strator zu sein; ut ipse confirmat heißt es in § 1 von seiner Position. Allerdings hat er tatsächlich, wenn auch unberechtigterweise, Aufnahme gefunden in die militia am Hofe, d. h. er ist formal als strator ausgewiesen und kann wohl auch eine Ernennungsurkunde vorlegen. Gleichzeitig ist er weiterhin als Kuriale registriert und für Symmachus scheint sich der Kurialenstatus gegenüber der als ausdrücklich illegal bezeichneten Position durchzusetzen; er liefert Venantius daher nicht dem magister officiorum aus. Trotzdem meint er, die Frage mangels hinreichender Kompetenz nicht abschließend klären zu können. Formal ist Venantius schließlich zugleich strator und Kuriale. Seine Einschätzung stimmt im Grundsatz mit den einschlägigen Kaiserkonstitutionen
1114 Sie wurden in ihren Status zurückgeführt und ggf. bestraft; einige Vorschriften sogleich. S. a. den Überblick zu den einschlägigen Normen bei Noethlichs, Beamtentum, 60 ff (Verbote, ein Verwaltungsamt zu bekleiden); 72 ff; Schubert, Rechtliche Sonderstellung, 291 ff m. N. zu den Rückführungsanordnungen; Horstkotte, Steuerhaftung, 105 ff; zum Thema auch Veyne, Clientèle, 340 ff. 1115 S. nur CT XII, 1, 10 (325); die Kandidaten mussten nachweisen, dass sie nicht dem Kurialenstand angehören: CT VII, 13, 1 (326: Seeck, Regesten, 177); CT VII, 2, 1 (383, Ost). CT VII, 2, 2 (Juli 385) enthält eine erneute Klarstellung wenige Zeit nach der Stadtpräfektur des Symmachus. Auf diese Regelung wird noch zurückzukommen sein.
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überein, die beide Positionen1116 ebenfalls für unvereinbar halten, aber in den angeordneten Rechtsfolgen schwankten. Im Titel CT XII, 1: De Decurionibus finden sich zahlreiche Einzelanordnungen. Grundsätzlich galt, dass verbotswidrig erlangte Ernennungen widerrufen wurden bzw. unwirksam waren und der Kuriale zu seiner Kurie zurückberufen wurde. Allerdings wurden immer wieder Fristen aufgestellt, nach deren Ablauf ein Rückruf in die Kurie nicht mehr angeordnet werden konnte. Insofern bestand eine gewisse Aussicht, sich durch langjährige Dienste vom Geburtsstand als Kuriale freizudienen. Die Fristen freilich schwankten. Einige Regelungen mögen die Spannbreite der angeordneten Rechtsfolgen beispielhaft veranschaulichen: CT XII, 1, 13 (326): Kurialen sind per supplicationem in die zivile oder militärische militia gelangt. Es wird Rückberufung aller, die weniger als 20 Jahre im Dienst sind, angeordnet. CT XII, 1, 22 (336): Kurialen, die in eine militia geflüchtet sind, werden zurückberufen, mit Ausnahme derer, die im Palast tätig sind. CT XII, 1, 24 (338): Kurialenpflichten werden vernachlässigt und es wird nach adumbratae nomina dignitatis gestrebt. Es wird eine Geldstrafe angeordnet. CT XII, 1, 31 (341): Dekurionen dürfen in keinem officium arbeiten. Sie werden fünf Jahre lang zurückberufen, selbst wenn sie im Palastdienst arbeiten. CT XII, 1, 37 (344): Rückberufung ohne Rücksicht auf geleistete Dienstzeiten. CT XII, 1, 38 (3571117): Kurialen sind illegal in Hofpositionen gekommen. Sie werden zurückberufen, doch wird auf die geleistete Dienstzeit Rücksicht genommen. Fünf Jahre Tätigkeit in bestimmten Funktionen befreit vom Kurialenstatus. CT XII, 1, 42, 2 (3461118): Deutlich und allgemein (officia diversa) formulierte Rückführung. Auch das ist aber nicht der letzte Stand der Dinge. Spätere Gesetze werden nicht müde, gegenüber den verschiedensten Adressaten einzelne Anordnungen zu treffen, mit zwar ähnlichen, aber im Detail leicht variierten Inhalten. CT XII, 1, 65 (365): Jegliche vor Pflichterfüllung in der Kurie durch gratia erlangte usurpata dignitas wird aufgehoben und der Betreffende zurückberufen. CT XII, 1, 82 (380, Ost): Kurialen entziehen sich ihrer Aufgabe durch Eintritt in den Senatorenstand oder in officia. Sie werden zurückgerufen, sofern sie nicht durch Verdienste entschuldigt sind, si tamen allegationum meritis deseruntur. CT XII, 1, 88 (382 an den westlichen praefectus praetorio): 30 Jahre in einer dignitas palatina und fünf Jahre in einer armata militia befreien von Rückkehrpflichten. CT XII, 1, 94 (383, Ost): Dekurionen versäumen ihre Pflichten per furtivam militiam et fraudes varias und per ambitum. Sie werden zurückberufen und müssen ihre Pflichten erfüllen. CT XII, 1, 95 (Februar 383 an den proconsul Africae): Kurialen sind unerlaubt im Staatsdienst (militia). Sie dürfen, wenn sie schon 15 Jahre im Dienst waren und sich bewährt haben, bleiben: Viri ordini1116 Ohne, dass es allerdings für den strator eine spezielle Regelung gibt. Er unterfällt den allgemeinen Vorschriften, die Kurialen die Ausübung einer militia untersagen. S. Beispiele sogleich. 1117 Seeck, Regesten, 41; 204. 1118 Seeck, Regesten, 45; 195.
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bus nati ad militiae non debent sacramenta confugere. Post XV vero stipendia vinculo prioris ordinis liberetur, qui se tribus lustris adsidue militasse et neque bellicis necessitatibus neque muneribus militaribus ostenderit defuisse. CT XII, 1, 100 (April 383 an den praefectus praetorio Italiae Hypatius): Alle Kurialen, die unerlaubt in den Staatsdienst gelangt sind, werden zurückberufen mit Ausnahme derjenigen, die bereits durch eine frühere lex wegen Ableistung einer bestimmten Dienstzeit privilegiert werden: Omnes, qui ex origine curialium se diversis gradibus inseruere militiae, reddi propriis ordinibus oportebit, exceptis his, quibus legis vetustae, quae certum numerum stipendiorum vel palatinae militiae viris statuit, opitulatur auctoritas. Die beiden letztgenannten Gesetze könnten für Symmachus einschlägig sein. Der Stadtpräfekt beruft sich allerdings nur unspezifisch darauf, dass Venantius rechtswidrigerweise, adversum leges, strator geworden sei und nennt keine bestimmte lex. Am nächsten zu seiner Dienstzeit und im örtlichen Geltungsbereich steht CT XII, 1, 100. Angenommen, diese Konstitution ist einschlägig, stellt sich die Frage, was sie genau anordnet. Das aber ist nicht zu beantworten, denn wir wissen nicht, auf welche lex vetusta dort verwiesen wird. Sie muss einige Zeit zurückliegen, so dass vielleicht eher die fünfjährige Verjährungsfrist nach CT XI, 1, 31/38 als die 15jährige Frist nach CT XII, 1, 95 einschlägig war. Eine bestimmte Anzahl von Dienstjahren hätte Venantius danach zum Vorteil gereichen können. Die genauen Fristen schwankten allerdings und in der Relation spielen die geleisteten Dienste keine Rolle. Vielleicht war Venantius erst kurze Zeit im Amt. Symmachus kennt zwar die einschlägigen Vorschriften, die einem Kurialen verbieten, ein Amt zu bekleiden, etwa CT XII, 1, 95/100, doch vollzieht er die genauen Rechtsfolgen nicht nach, sondern überlässt dem Kaiser die Einzelfallentscheidung. Im folgenden Abschnitt soll der Versuch einer Erklärung unternommen werden. Die genannten Konstitutionen, die im Abstand weniger Wochen unterschiedliche Rechtsfolgen gegenüber verschiedenen Beamten aussprechen, zeigen, wie kurzfristig sich die Rechtslage ändern konnte. Nun stammen die beiden letztgenannten Konstitutionen noch von Kaiser Gratian. Welchen Weg Valentinian II. in der Frage der Kurialenflucht einschlagen würde, war ungewiss, denn er scheint sich zum Thema bislang nicht geäußert zu haben. Dass er tatsächlich eine neue Richtung einschlägt, wird 385 deutlich: CT VII, 2, 2 (10. Juli 385 an den praefectus praetorio Italiae Neoterius): Quisquis cinguli sacramenta desiderat, in ea urbe, qua natus est vel in qua domicilium conlocat, primitus acta conficiat et se ostendat non patre, non avo esse municipe penitusque ab ordinis necessitatibus alienum, sciturus se in perpetuum revocandum nec temporis nec militiae praerogativa, si ita non gesserit, defendendum. Ordines etiam urbium noverint, si cuiquam praestitisse se gratiam doceantur ac non vera actis promendo per mendacium quemquam abire permiserint, se periculo subiacere. Valentinian II. stellt für Kurialen ein strenges Verbot auf, in Ämter zu gelangen. Vor der Einstellung muss jeder Bewerber den Beweis führen, dass er nicht Ku-
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riale ist. Rückberufung droht jederzeit und aus jedem Rang und sogar die jeweilige Kurie wird mit Strafe bedroht, falls sie die Flucht ermöglicht bzw. erleichtert, indem sie etwa Gefälligkeitsauskünfte erteilt. Das strenge Verbot, eine militia zu bekleiden, setzt sich auch später fort, etwa mit CT XII, 1, 113 (386): Kurialen, die in den Zivil- bzw. Militärdienst gelangt sind, werden zurückgerufen ohne Rücksicht auf ihre Dienstzeit, wenn Vater oder Großvater Kurialen waren. Die Kurie, die sich nicht um Rückführung kümmert, wird mit Strafe bedroht. Weitere Konstitutionen könnten aufgezählt werde, doch ist bereits deutlich geworden, dass immer wieder ähnliches wiederholt wird. Festzuhalten ist damit, dass 383 eine fünfzehnjährige Verjährung bzw. eine solche nach einer bestimmten Anzahl von Jahren angeordnet wird und 385 jede Verjährung abgeschafft wird. Symmachus schreibt genau zwischen diesen beiden Zeitpunkten. Die Konstitution von 385 ist zwar keine unmittelbare Antwort auf seine Relation, zeigt aber, dass seine Zurückhaltung berechtigt war; war doch eine Neubewertung des Problems nicht auszuschließen. Die jeweiligen Kaiser entschieden häufig Einzelfälle, regelten einzelne Ämter, dann wieder pauschal jede Art von militia. Zweifel und Unsicherheit der Verwaltung sind die vorhersehbaren Folgen. Die Vielzahl der Einzelanordnungen und die daraus resultierende Rechtsunsicherheit erinnern an die bei Relation 44 aufgezeigte Reaktion auf die häufige Flucht aus den Korporationen. Zudem verschafft der Rechtsschein einer formal korrekten Ernennung zum strator Venantius eine gewisse Legitimation, egal wie sie erreicht wurde. Der Stadtpräfekt sieht auch deshalb keinen Weg, die kaiserliche Ernennungsurkunde1119 einfach zu übergehen, wenngleich er von einem grundsätzlichen Verbleib des Venantius in seiner Kurie ausgeht. Nachdem eine Befreiung aufgrund geleisteter Dienste offenbar nicht in Betracht kam, steht im Grunde zwar fest, dass Venantius in Zukunft nicht mehr als strator behandelt wird, doch trotzdem entscheidet Symmachus, den Fall nicht etwa zur Vollstreckung bei sich zu behalten, sondern ihn dem Kaiser zu überlassen. Der Fall ist auch insoweit mit Relation 44 vergleichbar, als es darum geht, erschlichene kaiserliche Anordnungen, hier die Ernennung, zu widerrufen. Darüber kann auch hier letztlich nur der Kaiser befinden. Wie die Quellen zeigen, steht die Entscheidung auch im Einzelfall dem Kaiser zu; es gibt keinen eindeutigen, automatischen Rückruf zur Kurie, jedenfalls nicht für einen strator. Insbesondere Hofbeamte werden in der Frage der Rückberufung immer wieder privilegiert (s. nur die Konstitution von 336); wie sollte sich Symmachus sicher sein, wie im konkreten Fall zu verfahren ist? Die Bitte um ausdrückliche Rückberufung durch den Kaiser erscheint in Anbetracht der aufgezeigten Rechtslage im Interesse der Rechtssicherheit wenn nicht zwingend, so doch sinnvoll. Es herrscht berechtigte Unsicherheit, die im Zweifel allein der Kaiser aus seinem legislativen Monopol heraus klären kann. 1119 Aus der Relation geht nicht hervor, unter welchem Kaiser Venantius die Ernennung zum strator erlangt hatte.
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Das vorgebrachte Rechtsargument trägt mithin eine Anfrage, wie mit dem angeblichen strator zu verfahren ist. Die Vielzahl von Vorschriften hat, nicht nur hier1120, den negativen Effekt, zu erheblicher Rechtsunsicherheit zu führen. Dauernde, in der genauen Anweisung leicht variierende Verbote führen nicht zu wirksamer Umsetzung des kaiserlichen Willens, konsequent durchzugreifen, sondern eher zu Missachtungen, sei es aus Rechtsunkenntnis, sei es aus Rechtsunsicherheit, und damit ihrerseits wiederum zu Wiederholungen. Ein fehlender inhaltlicher Abgleich der Anordnungen macht den zuständigen Beamten die mögliche Entscheidung des Kaisers im Einzelfall kaum vorhersehbar und nicht immer werden sie sich so wie Symmachus die Mühe gemacht haben, nachzufragen, wenn sie unsicher waren. Relation 38 beleuchtet anhand eines Einzelfalles anschaulich die Gründe mangelhafter Rechtsdurchsetzung. Im Grundsatz bekannte Normen werden nicht angewandt, weil die Unsicherheit über ihren genauen Geltungsumfang in Anbetracht der Masse von Einzel(fall)regelungen und inhaltlichen Widersprüchen zu groß ist. Immer wieder ergehen zur selben Fragestellung neue Anordnungen, teils ergänzend, teils neu, ohne dass frühere Maßnahmen ausdrücklich aufgehoben würden. Die Anfrage ist vor diesem Hintergrund weniger Zeichen persönlicher Entscheidungsschwäche, als Zeichen berechtigter Rechtsunsicherheit, die Symmachus offiziell klären möchte. In der Sache tut er, wie es das Relationsverfahren von ihm verlangt, seine Überzeugung von der richtigen Entscheidung kund: Venantius ist zu seiner Kurie zurückzuführen und unterfällt daher auch nicht der Zuständigkeit des magister officiorum. Insoweit vertritt Symmachus eine klare Linie, übergibt dem magister officiorum auch nicht den Fall. Der Kaiser möge selbst entscheiden: ...ut in ea re...aeternitas vestra ipsis legibus, quas tuetur, augustior iudicaret. Jedenfalls die Einzelfrage des wahren Status von Venantius soll der Kaiser beantworten, am besten soll er aber den ganzen Fall übernehmen, das Urteil also auch vollstrecken. Symmachus rechnet nämlich nicht damit, mit dem Fall noch einmal befasst zu werden, obwohl er über einen Kurialen selbst entscheiden könnte. Die Abgabe des gesamten Falles ist eigentlich eine überschießende Reaktion. Symmachus mag froh gewesen sein, den lästigen Fall auf so elegante Weise loszuwerden. Auch Furcht, dem magister officiorum allzu direkt entgegenzutreten, mag eine Rolle dabei gespielt haben, dass er die eigene Kompetenz nicht einfordert. Möglicherweise war mit dessen Widerstand zu rechnen. In etwas positiverer Einschätzung kann Symmachus allerdings zugute gehalten werden, dass er dadurch, dass er auf eine Rückverweisung verzichtet, eine weitere Ver1120 Dass es auch in der Frage der Zuständigkeit immer wieder Zweifel gegeben hat, zeigt CT XII, 1, 110 (Mai 385, ebenfalls an den praefectus praetorio Neoterius). Zuständig, über Kurialen zu urteilen, ist danach stets der ordentliche, örtliche Richter. Aufschlussreich zur Frage der bestehenden Unsicherheit ist auch CT XII, 1, 162 an den Vikar von Rom 399: Kurialen sind zurückzuführen und die vorgesehenen Strafen zu vollstrecken, ohne an den Kaiser zu berichten: ...non referre, d. h. Anfragen und Berichte wie der des Symmachus kamen offenbar häufiger vor trotz eigentlich, aus Sicht des Kaisers, klarer Rechtslage. Der Kaiser beruft sich darauf, es gebe schließlich genügend einschlägige Gesetze: ...tot existentibus leges. Genau in dieser Vielzahl ist die Rechtsunsicherheit begründet, nicht nur bei Symmachus.
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zögerung des langwierigen Prozesses verhindert. Der Fall ist nach seiner Überzeugung schließlich längst rechtskräftig entschieden. Der Kaiser, der erhabener sei als die Gesetze, die er schütze, soll eine Entscheidung treffen: Der letzte Satz der Relation zeigt ein weiteres Mal die staatsrechtliche Konzeption des Symmachus. Der Kaiser steht zugleich über und unter dem Gesetz, er ist erhabener als ein bloßer Beamter, hat das legislative Monopol und entscheidet Rechtsfragen autoritativ, ist jedoch zugleich Wahrer bestehender Gesetze. Die Aufforderung ist eindeutig: Der Kaiser soll eine gesetzmäßige Entscheidung treffen, indem er, wie seine Vorgänger, entflohene Kurialen zu ihrem Status zurückberuft. Symmachus verpackt seine Erwartungshaltung geschickt. Ohne die kaiserliche Autorität und Allmacht in Frage zu stellen, fordert er Valentinian II. sehr bestimmt auf, eine gesetzmäßige Entscheidung zu treffen und versucht, ihn in das bestehende und bekannte Rechtsgefüge einzubinden. Mit diesen etwas theoretisierenden Worten übergibt er den Fall, erwartet kein neues Urteil, sondern hofft auf Bestätigung seiner Einschätzung. Nicht viel Aufhebens macht Symmachus von der offen zutage tretenden, alltäglichen Korruption. Gesetzesbruch, wahrscheinlich Bestechung durch einen Kurialen und merkwürdige Verfahrensabläufe animieren ihn nicht dazu, Bestrafung der Beteiligten zu fordern. Insoweit entwickelt Symmachus kein Rechtsbewusstsein über die ihm vorliegende Frage hinaus. Zugegebenermaßen hätte eine zusätzliche Bestrafung des bereits zum Tode verurteilten Venantius auch wenig Sinn. Dass die Flucht des Kurialen Venantius strafbar gewesen sein dürfte, legt allerdings die Formulierung von der inlicita usurpata dignitas nahe. Die Konstitutionen zum Erschleichen von Vorteilen durch suffragium und ambitio sind freilich, wie schon im Zusammenhang mit Relation 44 ausgeführt wurde, in dieser Hinsicht nicht konsequent. Der Kaiser hatte ein weites Ermessen und nicht immer wurde Bestrafung der flüchtigen Kurialen bzw. der Kurie, die sich nicht um Rückberufung kümmerte, angeordnet. Als Beispiel für die zu Symmachus’ Amtszeit unter Valentinian II. aber vermutlich übliche Bestrafung könnte außer den oben genannten Konstitutionen CT VI, 5, 2 (Mai 384) an den praefectus praetorio Praetextatus angeführt werden: Wer sich eine nicht zustehende dignitas unberechtigterweise anmaßt (usurpare), ist des sacrilegium schuldig. d) Symmachus und der magister officiorum Ganz überraschend bringt Marcellus erst am Ende das entscheidende Argument vor, dass Venantius in Wirklichkeit überhaupt kein strator ist. Er kann damit verhindern, dass der Fall zum magister officiorum gelangt, von dem womöglich eine milde Entscheidung bzw. Nachgiebigkeit bei der noch ausstehenden Strafvollstreckung zu befürchten war. Marcellus scheint den wahren Sachverhalt vorher nicht gekannt zu haben; offensichtlich hat er ihn erst in letzter Sekunde auf seine eigenen Nachforschungen hin erfahren und überrascht und überfordert nun Symmachus damit. Venantius seinerseits wartet nicht bis zu
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
seiner Verurteilung, bis er seine Stellung als strator ins Spiel bringt1121, sondern pocht schon in erster Instanz auf daraus angeblich folgende Vorrechte. Der wahre Sachverhalt kommt erst heraus, als der magister officiorum bereits Ansprüche auf ihn erhebt. Manche Autoren haben vertreten, dass Symmachus von der Autorität des magister officiorum eingeschüchtert gewesen sei und den Fall deshalb abgegeben habe. Vera zieht Relation 38 außerdem als weiteres Beispiel neben den Relationen 24, 34 und 36 für die sich angeblich andeutende Rivalität zwischen Symmachus und dem amtierenden magister officiorum heran1122. Zugegebenermaßen ist erstaunlich, wie bereitwillig Symmachus den rechtskräftig entschiedenen Fall zu übergeben bereit ist, obwohl vorher eine etwaige Kompetenz des magister officiorum nicht in Betracht gezogen worden war. Trotzdem überlässt er es letztendlich gerade nicht, was durchaus bequem gewesen wäre, dem magister officiorum, die Statusfrage zu beantworten. So groß kann die Furcht also nicht gewesen sein und allzu großes Vertrauen in eine unabhängige, neutrale Beurteilung des Falles durch diesen Mann kann er auch nicht gehabt haben. Nicht der formale Dienstherr des strator, sondern der Kaiser soll entscheiden. Tatsächlich findet sich eine offizielle Kompetenzzuweisung in solchen Fragen erst 389 mit CT XII, 1, 120: Der Kaiser überlässt es seinen Ministern, u. a. dem magister officiorum, Leute, die sich in indebita militia eingeschlichen haben, zu entlassen und ihrer Kurie zuzuführen. Symmachus übt hier (noch) keine Zurückhaltung, erkennt gerade keine Kompetenz des angeblichen Dienstherrn, die Statusfrage zu klären an, sondern akzeptiert nur solange widerspruchslos seine Zuständigkeit über den strator, als dessen Stellung nicht in Frage stand. Eine Einschüchterung des Stadtpräfekten gegenüber dem Hof, wie sie gerne unterstellt wird, kann damit auch aus Relation 38 nicht abgeleitet werden. Vielmehr gelingt es Symmachus, seine Relation rechtlich nachvollziehbar zu begründen und einen selbstbewussten Ton anzuschlagen, ohne dass sich gegen den magister officiorum ein Verdacht der Parteinahme zugunsten des angeblichen strator auftut oder auftun müsste. e) Die Rolle des Aventius Ein Vorwurf von Parteinahme lässt sich eher dem Stadtpräfekten Aventius machen, der sich überraschend in den Fall eingeschaltet und den ordentlichen Verfahrensablauf durcheinandergebracht hat, ohne dass es dafür einen ersichtlichen Grund gibt. Als Stadtpräfekt konnte er sich zwar kraft seiner Befugnis, Fälle an sich zu ziehen, der sogenannten evocatio, von den unter ihm stehenden Richtern, also auch vom Vikar, Prozesse übertragen lassen, doch unterläuft sein Vorgehen hier das Verbot, Appellation gegen das praeiudicium und gegen die erstinstanzliche, rechtskräftige Verurteilung wegen violentia einzulegen. Aventius missbraucht sein Recht auf evocatio dazu, um einen bereits vom corrector 1121 1122
Das allerdings glaubt Vera, Commento, 292. Vera, Commento, XXXV; 288 f; s. a. Jones, LRE, 518.
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entschiedenen Fall, in dem keine Rechtsmittel (mehr) zulässig waren, in quasizweiter Instanz an sich zu ziehen. Der Vikar hatte sich korrekt verhalten, die verfrühte Appellation zurückgewiesen und die gesetzlich vorgesehene Buße verhängt. Aventius geht dazwischen, als die Strafe tatsächlich eingetrieben werden soll und man wird den Verdacht nicht los, dass es Auseinandersetzungen und Kompetenzgerangel zwischen den beiden Beamten gegeben hat. So ist in § 3 die Rede von obreptiones der Parteien, die sich um Verzögerung bemühen, nachdem bereits das Urteil ergangen war. Auf eben diese Verzögerungsmanöver hin schaltet sich Aventius ein und übernimmt den Fall. Die Begrifflichkeit verrät ihn: Obreptio meint regelmäßig das Erschleichen von irgendwelchen Vorteilen, wie bereits Relation 44 zeigte. Dort war mit demselben Begriff die Befreiung von mancipes salinarum mittels erschlichener Reskripte gemeint, hier das irgendwie erreichte Eingreifen von Aventius. Venantius hat unzulässigerweise auf den Verfahrensgang Einfluss genommen und bei Aventius doch noch mit Erfolg seine Position als strator geltend machen können. Symmachus hält sich nicht mit Kritik am Verhalten seines Amtsvorgängers zurück, der den ordentlichen Rechtsweg durchbricht und weitere Verzögerungen auslöst. Aventius hat sich, wie schon sein Vorgänger Bassus (s. bei den Relationen 23 und 33), Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem Verbot der appellatio ante sententiam zuschulden kommen lassen, die Symmachus ausbaden muss. Allem Anschein nach nutzen Venantius und seine Schwester mit Erfolg die zwischen Vikar und Stadtpräfekt bestehende Konkurrenz. Das Vorgehen von Aventius ist nicht mit dem Verhalten des Vikars, der eigentlich sein Gehilfe sein sollte, im Einklang, sondern der Stadtpräfekt als der höherstehende Beamte setzt sich autoritativ durch, entweder, um den Vikar in die Schranken zu weisen oder aber, um die Angeklagten zu begünstigen. Das problematische Verhältnis von Symmachus zu „seinem“ Vikar aus Relation 23 ist kein Einzelfall und wird hier wie dort von den Beteiligten geschickt genutzt, um die jeweiligen Amtsinhaber gegeneinander auszuspielen. 3. Ergebnis Symmachus sieht sich verpflichtet, die vom Vorgänger eingebrockte Suppe auszulöffeln; im Grunde völlig überflüssig, denn der Fall war eigentlich längst abgeschlossen. Er betrachtet die Sache streng gesetzmäßig und sieht keinen Anlass, eine Ausnahme zu machen von den harten Folgen einer Verurteilung, gegen die kein Rechtsmittel (mehr) möglich war, zumal die Angeklagten eindeutig überführt sind. Um sich vom zweifelhaften Vorgehen seines Amtsvorgängers abzugrenzen, ist er besorgt, seine eigene Zuverlässigkeit und Unvoreingenommenheit hervorzuheben. Symmachus arbeitet sich in den Fall gründlich ein, ist nicht bereit, den unter seiner Leitung erst ans Licht gekommenen wahren Sachverhalt stillschweigend hinzunehmen, sondern sucht bewusst die Öffentlichkeit und versucht, den Verzögerungsmanövern endlich ein Ende zu bereiten. Lästigerweise tun sich dabei aber Schwierigkeiten auf, so dass er nicht ein-
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fach nur das Urteil des corrector bestätigen kann, das er für richtig hält. Die Parteien versuchen dreist, und anderswo wahrscheinlich erfolgreich, die Kompetenz des Richters anzuzweifeln und auch irreguläre Appellationen versprechen im Einzelfall Erfolg darin, einer Verurteilung vielleicht doch noch zu entgehen. Wie wir aus den Relationen 16, 28 und wohl auch 33 wissen, haben rechtswidrige Appellationen auch bei Symmachus bisweilen Erfolg. Hier allerdings wird deutlich, dass die Verbote durchaus auch angewandt wurden, denn Relation 38 zeigt das Beispiel einer zunächst jedenfalls nahezu vorbildhaften Ablehnung einer appellatio ante sententiam. Daneben ist die Relation ein weiteres, mögliches Beispiel für die Problematik einer sich andeutenden neuen Kompetenzverteilung. Die Zuständigkeiten des Hofes in Strafsachen über das eigene Personal scheinen im Umbruch und wohl noch nicht eindeutig geklärt, was den Parteien erfolgversprechende Möglichkeiten bot, Verfahren durch die Erhebung von Kompetenzrügen in die Länge zu ziehen. Für Symmachus und seine Kollegen bedeutet das zusätzliche Erschwernis und Unsicherheit in der eigenen Rechtsprechungstätigkeit. Zwar wird die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte über den strator zunächst nicht in Frage gestellt, doch vermag sich am Ende der magister officiorum beinahe mit Erfolg einzuschalten, um Vollstreckung, vielleicht aber auch Wiederaufnahme zu betreiben. Auf diese oder ähnliche Weise konnte sich in der Praxis eine Sonderrechtsprechung entwickeln, die später durch Konstitutionen gestützt und ausgeweitet wird, die einen zweifelhaften Beigeschmack hat, denn die Zuständigkeit über die eigenen Leute dürfte einer unabhängigen Rechtsprechung eher abträglich gewesen sein. Zwar ist Relation 38 letztlich kein sicheres Zeugnis für eine bereits bestehende Rechtsprechungskompetenz des magister officiorum über stratores, doch ist die durch solche und ähnliche Umwälzungen ausgelöste Unsicherheit in Kompetenzfragen ein aktuelles Problem wie der Blick auf die Relationen 41 und 48 zeigt, so dass durchaus auch Relation 38 in diese Problematik mit hineingehören könnte. Wie der Fall ausgegangen ist, wissen wir nicht1123, doch wird man sich in Mailand über die Anfrage nicht gewundert haben, waren es die Kaiser doch seit langem gewohnt, immer wieder Anordnungen über flüchtige Kurialen zu treffen. Die Haltung Kaiser Valentinians II., die 384/385 im Hinblick auf Ämtererschleichung und Kurialenflucht erkennbar wird, ist streng. Wahrscheinlich ordnete er auch für Venantius Rückführung in seine Kurie an, wie lange dieser auch immer gedient haben mag. Nach den Unterlagen, und den eigenen Aussagen scheint auch die Schuldfrage zulasten von Venantius und seiner Schwester eindeutig geklärt zu sein. Da es mithin keinen Grund gab, das Urteil aufzuheben, wird es vermutlich auf kaiserliche Anordnung hin bald vollstreckt worden sein. Batrachia spielt in der Relation zwar keine eigenständige Rolle, doch 1123 Symmachus erbittet kein kaiserliches Urteil in der Sache (crimen violentiae). Da er den Fall für bereits abgeschlossen hält, handelt es sich streng genommen um keine consultatio ante sententiam.
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scheint auch gegen sie das Todesurteil bislang noch nicht vollstreckt worden zu sein. Der vorgebliche Status ihres Bruders und Mittäters kommt auch ihr vorläufig zugute. Vermutlich wird das Urteil des corrector auch gegen sie bald vollstreckt worden sein, nachdem ihr Bruder als Betrüger entlarvt worden war. Relation 38 zeigt in verschiedenen Facetten die tatsächliche Rechtssituation zur Zeit der Stadtpräfektur des Symmachus mitsamt der herrschenden Rechtsunsicherheit. Es gibt verschiedene Störungen der Rechtslage. Der ordentliche Rechtsweg wird zunächst durchbrochen, weil sich Vikar und Aventius nicht auf ein einheitliches Vorgehen einigen können. Dann kommt der magister officiorum ins Spiel und zu allem Überfluss stellt sich am Ende auch noch die Frage der Kurialenflucht. An dieser Stelle kapituliert Symmachus. Angesichts der schwierigen Rechtslage bei Kurialenflucht zieht er sich zurück und sucht beim Kaiser um Bestätigung für seine Überzeugung nach, dass der Fall endgültig erledigt ist und das Urteil vollstreckt werden kann. Relation 38 beschreibt verschiedene Versuche von Einflussnahme durch den Angeklagten und auch durch Beamte auf den ordentlichen Rechtsgang. Nicht abzustreiten ist, dass Venantius mit seiner Taktik ziemlich erfolgreich ist; mehrere Male kann er das Verfahren aufhalten, obwohl alle Beweise gegen ihn sprechen. Dem Opfer Marcellus wird dadurch, und auch das ist repräsentativ wie ähnliche Quellen zeigen, vor Augen geführt, wie schwierig es ist, im Falle von violentia in Form von mutmaßlicher invasio effektiven Rechtsschutz zu erhalten. Von ähnlichen, also durchaus üblichen Vorgehensweisen im Strafprozess berichten die Relationen 36 und 31, wobei sich in letzterer eher direkte Aggression als der subtile Versuch von Einflussnahme zeigt. Symmachus lässt sich auch hier nicht auf diese Taktiererei ein, sondern versucht, die geltenden Verfahrensvorschriften ordnungsgemäß anzuwenden, stößt dabei aber auf Widerstände, denen er nur wenig entgegenzusetzen vermag. Daher nimmt er den Kaiser in die Pflicht, indem er ihn auf die geltende Rechtslage verweist, die von ihm Bestätigung im Einzelfall erwarte. Nicht Fürsprache für eine Prozesspartei, sondern Bemühen um korrekte und effiziente Verfahrensbeendigung sind Motivation für die Relation, mit der der Stadtpräfekt seine allgemeine Befugnis in Anspruch nimmt, dem Kaiser in schwierigen Fällen Bericht zu erstatten, denn spezielle Berichtsrechte oder -pflichten gibt es für Strafprozesse gegen Nicht-Senatoren nicht. Allenfalls CT IX, 2, 2 (366) ließe sich nennen, wonach die Statthalter im Kriminalprozess (u. a) gegen Soldaten Berichtspflichten über den Status des Angeklagten hatten, um zu verhindern, dass diesem unter dem Vorwand einer (angeblichen) Stellung eine privilegierte Behandlung zuteil wurde, doch geht es in der Relation nicht um einen solchen Routinebericht wegen einer (vorgeblichen) Stellung, sondern Anlass ist eine konkrete Rechtsfrage, mit der sich der Stadtpräfekt überfordert sieht. Die aufgetretene Rechtsfrage kann das Schreiben wie gesehen rechtfertigen, das deshalb nicht unter die Rubrik „unnötig“ fällt1124. Probleme 1124 Ungerechtfertigt insoweit der Vorwurf von McGeachy, Symmachus, 30 Fn. 3, der allein aus der für sich betrachtet schematisch anmutenden Formulierung in § 5 auf Entscheidungsschwäche des Symmachus schließt.
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bereitet dem Stadtpräfekten nicht fehlende Rechtskenntnis, sondern die Tatsache, dass die Entscheidungsfindung durch diffuse Rechtsunsicherheit behindert wird.
IV. Relation 49: Bitte um Milde für einen erfolglosen Ankläger Die 49. Relation berichtet einen weiteren Kriminalfall, der interessante Informationen zum spätantiken Strafprozess, insbesondere der Verfahrenseinleitung, liefert. Symmachus bittet den Kaiser um Milde gegenüber einem jungen und unvorsichtigen agens in rebus, der zwei Senatoren des crimen violentiae bezichtigt hatte, dafür aber keinen Beweis erbringen konnte. 1. Der Strafprozess Der junge agens in rebus Africanus hatte die beiden Senatoren Campanus und Hyginus wegen eines Gewaltverbrechens angeklagt1125. Der Prozess kam in erster Instanz vor den Stadtpräfekten Symmachus; der mutmaßliche Begehungsort des Delikts muss in Rom oder dem Hundertmeilenbezirk gelegen haben. Für das Umland spricht die Tatsache, dass als Zeugen die Kurialen von Aricia aufgerufen werden, einer Stadt, die südlich von Rom in eben diesem Umland liegt1126. Die Umstände des Falles werden in der Relation nicht erläutert, doch könnte es sich wie in den Relationen 28 und 38 um einen Fall von gewaltsamer Besitzentziehung gehandelt haben, dem von den Quellen häufig belegten Fall von violentia1127. Wahrscheinlicher aber, und darauf wird später zurückzukommen sein, ging es um die Erregung öffentlicher Unruhe, um vis publica. Das Verfahren wird ordnungsgemäß mittels inscriptio eingeleitet. Africanus erklärt den genauen Gegenstand seiner Anklage sowie die Namen der Beteiligten und Zeugen zu den Akten des Gerichts und verspricht förmlich, dass er, falls er beweisfällig werden sollte, dieselbe Strafe, die den Angeklagten für den 1125 Alle Beteiligten sind sonst unbekannt: PLRE I, Africanus, 5, 27 (nicht in RE); Giardina, Aspetti, agens in rebus Nr. 44, 120; PLRE I, Campanus, 178 (nicht in RE); PLRE I, Hyginus 1, 446: vielleicht verwandt mit Fl. Hyginus 5, 446, christlicher Senator, comes et praeses Mauretaniae Caesariensis; Seeck, RE-Hyginus 3, 97, vermutet hingegen, dass keine Verwandtschaftsbeziehungen unseres Senators mit Fl. Hyginus bestanden (a.a.O., Hyginus Nr. 1); skeptisch auch Vera, Commento 347. 1126 Aricinus (§ 3) ist der Einwohner von Aricia, vgl. Hülsen, RE-Aricia, 822 f. Die Relation zeigt, dass auch gegenüber angeklagten Senatoren grundsätzlich der Begehungsort die Zuständigkeit bestimmte, vgl. CT IX, 1, 1 (316/317). 1127 Chastagnol, Préfecture, 93, und Jaillette, Atteintes, 70 f, vermuten, den Senatoren sei eine gewaltsame Entziehung von Grundbesitz vorgeworfen worden. Aus der Relation geht dazu nichts Eindeutiges hervor, noch nicht einmal, ob Africanus vorträgt, selbst Opfer der Gewalttat gewesen zu sein. S. a. unten 2.
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Fall ihrer Verurteilung drohte, erleiden will. Mit diesem Versprechen, das gegen Ende des 4. Jahrhunderts immer wieder eingeschärft wurde, versuchte man böswillige oder auch nur leichtsinnige Ankläger abzuschrecken, denn jedem Ankläger, der, ob verschuldet oder nicht, seine Behauptungen nicht beweisen konnte, drohte die Talion; er wurde kraft des gegebenen Versprechens mit spiegelnder Strafe bestraft. Ohne dass der Begriff fällt, hat dieses Verfahren die frühere Bestrafung wegen calumnia abgelöst bzw. ergänzt. Calumniosus in diesem Sinne ist nicht mehr nur die wissentlich falsche Anklage, sondern jede unbegründete, nicht bewiesene, also erfolglose Anklage1128. Der Ankläger übernimmt die Gefahr der Talionsstrafe durch ausdrückliche Erklärung in der inscriptio. Dazu schreibt Symmachus in § 1: Quid habeat condicionis inscriptio, prae ceteris nostis iuris publici conditores, ddd. imppp. Valentiniane Theodosi et Arcadi inclyti victores ac triumphatores semper Augusti. Provisum est enim, ne quis temere in alieni capitis discrimen irrueret, ut se eiusdem prius poenae sponsione vinciret. Der Kaiser (formal korrekt werden alle amtierenden Kaiser namentlich angesprochen) kenne als Gesetzgeber besser als jeder andere die Formalitäten der Verfahrenseinleitung mittels inscriptio. So sei vorgeschrieben, um zu verhindern, dass leichtsinnig Anschuldigungen zu Lasten anderer vorgebracht werden, dass der Ankläger zu Verfahrensbeginn feierlich verspreche (sponsio), ggf. dieselbe Strafe selbst zu erleiden. Entsprechend diesen gesetzlichen Vorgaben habe der agens in rebus Africanus formgerecht eine Anklage gegen die Senatoren Campanus und Hyginus wegen crimen violentiae vorgebracht und mit der gebotenen Strenge seien die Senatoren daraufhin, trotz ihres hohen Ranges, in custodia militaris genommen worden. Das senatorische Festnahmeprivileg1129 wurde beachtet, § 2: Secundum haec scita legum agens in rebus Africanus accusationem professus Campano et Hygino clarissimis viris violentiae crimen obiecit. Continuo, ut severitas exigebat, reos custodia militaris dissimulata dignitatis (reverentia1130) circumdedit; sed ubi partes sub examine constiterunt, multo luctamine patronorum decursa cognitio oratione magis quam probationibus redundavit. Als aber die Verhandlung begann, ergingen sich die Anwälte in verschiedensten Diskussionen, ohne dass wirklich Beweiskräftiges vorgebracht würde. Wie so oft beschränkt sich die anwaltliche Taktik wieder einmal auf Wortgefechte und Verzögerungsmanöver. Der Fall zieht sich dadurch bedenklich lange hin. Symmachus versucht schließlich, konkrete Erkenntnisse zu erlangen, indem er die wichtigsten Stadträte, summates, von Aricia einberuft, die Africanus als 1128 Calumnia ist zwar immer noch die wissentlich falsche Anklage und ein spezieller Straftatbestand im Titel CT IX, 39; s. a. CT VI, 29, 1 (355) und unten 2a). Die spiegelnde Strafe als calumnians trifft aber auch den bloß beweisfällign Ankläger, vgl. CT IX, 1, 19 (423). Bei Beweisfälligkeit wurde eine böswillige Anklage ohne weiteres unterstellt, vgl. auch CT IX, 37, 3 (382, Ost). 1129 Dazu schon die bereits behandelten Strafprozesse in Rell. 31, 36 und 38. Näheres in der Auswertung. 1130 Einfügung von Seeck, Symmachus, 317.
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Zeugen1131 benannt hatte. Er befragt sie zum Ablauf der Ereignisse, doch sagen sie übereinstimmend aus, dass keine Unruhe erregt worden sei. Die Angaben von Africanus werden also nicht bestätigt, sein Beweis misslingt; die Angeklagten sind einstimmig entlastet. Um das nun drohende Urteil weiter hinauszuzögern, die eigene Bestrafung doch noch zu verhindern, bittet die Anklägerseite um Einberufung einer weiteren Person, die nicht in der Anklageschrift benannt worden war. Symmachus lehnt das aber ab, entweder mit dem Hinweis darauf, dass eine weitere Zeugenvernehmung keinen Erfolg verspreche und nichts beweisen könne, oder aber, weil es unzulässig war, Zeugen, die nicht in der inscriptio aufgeführt waren, noch nachträglich zu benennen. Jedenfalls tut er den Antrag letztlich als bloßes Verzögerungsmanöver ab, mit dem Africanus nur das Urteil vereiteln wolle. Africanus bittet daraufhin in schierer Verzweiflung darum, die Klage, die keine Aussicht auf Erfolg mehr versprach, fallen lassen zu dürfen. Doch eine solche Klagerücknahme war nicht (mehr) möglich, jedenfalls nicht mit Wirkung zugunsten des beweispflichtigen Anklägers. Symmachus geht auf das Gesuch gar nicht weiter ein, sondern stellt bloß fest, dass ihm nun nur noch bleibe, den beweisfälligen Ankläger spiegelnd zu strafen, § 3: Cum longa verborum serie causa traheretur, summates Aricinae urbis, quos ut conscios accusator exciverat, adhibuimus quaestioni, gestorum ordinem sciscitamur: omnium convenit adsertio, nihil turbarum esse conflatum. Tunc ad eludendum iudicium praesentia cuiusdam coepit exposci, quem non tenebat inscriptio. Eo denique res rediit, ut a partibus Africani accusationis omissio desperatione peteretur. Supererat ut crimine non probato in accusatorem formidata reis poena transiret. Africanus droht am Ende, weil Symmachus die Senatoren mangels Beweisen freisprechen muss bzw. sie deshalb nicht verurteilt, weil die Anklage fallengelassen wurde1132, die Strafe, die den Angeklagten gedroht hätte. Anstatt aber Africanus mit der für violentia vorgesehenen Strafe zu belegen, setzt Symmachus seine Entscheidung - er muss urteilen, nicht nur vollstrecken - aus und übergibt den Fall nach Mailand mit der Bitte um Milde wegen Africans Verdiensten um den Staat und seiner Jugend, die ihn zu der unüberlegten Anklage hingerissen habe. Die in der sponsio versprochene Strafe scheint dem Stadtpräfekten im Einzelfall zu hart zu sein; da sie aber gesetzlich vorgeschrieben ist, bleibt ihm, wenn er sie nicht verhängen will, ohne das Gesetz zu brechen und sich Vorwürfen wegen Rechtsbeugung auszusetzen, nur der Ausweg, die Entscheidung dem Kaiser zu überlassen. Daher fasst er den Fall in einer Relation zusammen, die er mit den Prozessakten und den ergänzenden Anmerkungen der Parteien an den Hof schickt. Die Hauptsache hat er noch selbst entschieden bzw. eingestellt; in Bezug auf die gesetzlich vorgesehene Verurteilung des er1131
Verfehlt ist die Interpretation von Mer, Accusation, 230, wonach die Würdenträger von Aricia als mögliche Komplizen der Tat gefoltert worden seien. Dem steht die Formulierung in der Relation entgegen; zum Sprachgebrauch s. a. Giglio, A proposito, 586 f. 1132 Zu dieser Frage unten 2 a).
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folglosen Anklägers aber gibt er das Verfahren mittels consultatio ante sententiam mit einer konkreten Bitte ab. Er bittet den Kaiser, von der gesetzlich vorgesehenen Bestrafung mit Rücksicht auf die amtliche Stellung und die Jugend und Unerfahrenheit des Anklägers abzusehen. Er selbst sei hierzu nicht kompetent und würde sich nur dem Vorwurf der Korruption aussetzen, § 4: Sed cum me Africani militia pariter atque incauta adolescentia permoveret, malui iudicium de eo clementibus reservare. Alia est enim condicio magistratuum, quorum corruptae videntur esse sententiae, si sint legibus mitiores, alia est divinorum principum potestas, quos decet acrimoniam severi iuris inflectere. Relationi gesta subtexui, partium quoque subplementa sociavi. Quaeso augustissimam perennitatem vestram, ut perpensis omnibus sequenda iubeatis. Der Fall hätte eigentlich problemlos und gesetzestreu entschieden werden können, doch in Anbetracht der Stellung des agens in rebus und der jugendlichen Unüberlegtheit seines Handelns will Symmachus ihn schützen, zeigt sich sogar persönlich bewegt und übergibt daher dem Kaiser, der kaiserlichen clementia, den Fall, überlässt diesem das Urteil, iudicium de eo, denn nur der Kaiser stehe insoweit über dem Gesetz, als er Milde üben könne gegenüber übermäßiger Härte der Gesetze. Das schicke sich sogar geradezu. Und so bittet Symmachus um sorgfältige Abwägung der vorgetragenen Argumente und um Anweisung, wie er verfahren soll; erkennbar in der Erwartung, dass er mit dem Fall nicht mehr befasst und Africanus begnadigt wird. 2. Die Hintergründe a) Verfahrensrechtliche Fragen: Der spätantike Strafprozess Ein juristisch interessanter Fall: Der Stadtpräfekt bittet den Kaiser offiziell darum, eine Ausnahme vom Gesetz zu machen. Es wird die Frage zu stellen sein, welche Erwägungen hinter dieser Bitte stehen und ob die von Symmachus vorgebrachten Gründe überzeugen. Zunächst aber soll der spätantike Strafprozess, wie er sich in Relation 49 darstellt, etwas näher betrachtet werden. Der Prozess gegen die Senatoren wird bis zum Ende in nahezu vorbildlicher Weise durchgeführt. Die einzelnen Verfahrensvorschriften werden zwar nicht präzisiert, doch lässt sich aus den zeitgenössischen Quellen bestätigen, dass die Prozesseinleitung mittels inscriptio und das darin gegebene Versprechen des Anklägers, sich bei Nichterweislichkeit der Tat der spiegelnden Strafe zu unterwerfen, Ende des vierten Jahrhunderts, jedenfalls für schwere Delikte wie dem crimen violentiae, üblich war1133. Die einschlägigen Konstitutionen, die 1133 Ausführlich dazu Wlassak, Anklage, 83 ff; Mer, Accusation, 189 ff; 210 ff; Pietrini, Sull’ iniziativa, 71 ff; 91 ff zum Strafversprechen des Anklägers. Der Ankläger reicht schriftlich oder mündlich Anzeige, delatio, ein und erklärt zu den Akten des Ge-
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von Symmachus in §§ 1 f nur allgemein mit dem Begriff des ius publicum, das vom Kaiser geschaffen werde, und mit scita legum1134 angesprochen werden, werden in der Praxis also angewandt. Für den Fall der violentia ist sogar schon früh eine spezielle Regelung getroffen worden: CT IX, 10, 3 (319 an den Stadtpräfekten Bassus), wonach das Opfer, das wegen gewaltsamer Besitzentziehung klagt, bei Nichterweisbarkeit der Klage spiegelnd zu strafen sei: ...aut impleta sollemnitate iuris crimen violentiae obponat, non ignarus eam se senrichts, codex publicus, den Gegenstand seiner Anklage, die Namen der Beteiligten und Zeugen (s. § 3) und vor allem, dass er für den Erfolg seiner Klage einstehen werde. Diese schriftliche, jedenfalls aber unterschriebene (Gesamt-)Erklärung ist die, zumindest für schwere Verbrechen wie violentia notwendige, verfahrenseinleitende inscriptio (zu eng Wlassak, 85 Fn. 9; 94, wonach inscriptio nur das Versprechen, sich der Talion zu unterwerfen, meine; dagegen stehen § 3 unserer Relation und die Quellen bei Mer. Mehrfach wiederholt wird das Verbot einer Verfahrenseinleitung aufgrund schlichter Anzeige, delatio; es wird vom vinculum inscriptionis gesprochen: CT IX, 7, 2 (326); IX, 1, 11 (368: Seeck, Regesten, 111; 235); 14 (383); 19 pr. (423). Die entsprechenden Vorschriften werden immer wieder eingeschärft und finden sich seit Ansätzen in CT IX, 1, 5 (320: Seeck, Regesten, 52; 64; 170) kontinuierlich seit der Mitte des 4. Jh. in West und Ost, zum Teil beschränkt auf einzelne Deliktstypen, zum Teil allgemein formuliert: CT IX, 1, 8 (366); 9 (366); 11 (368); 14 (383: Tötungsdelikte); 17 (390); 19 (423); IX, 19, 4 (376 spez. für falsum); IX, 2, 3 (380); 5 (409); 6 (409); IX, 3, 4 (365); IX, 36, 1 (Juli 385); IX, 37, 2 (369); II, 1, 8 (395: nur in kleinen Fällen ist die inscriptio entbehrlich). Calumnia meinte ursprünglich nur die wissentlich grundlose Klageerhebung, die schon in früherer Zeit (und im spez. Fall noch in CT IX, 39, 2 (Mai 385, Ost)) mit Infamie bestraft wurde, inzwischen aber einem Bedeutungswandel unterworfen war. Den privaten Ankläger trifft mittlerweile eine verschuldensunabhängige Erfolgshaftung. Anders noch die Definition in PS I, 5, 1: calumniosus est, qui sciens prudensque per fraudem negotium alicui comparat (s. schon bei Rel. 41 zur calumnia im Zivilprozess) und nach Marc. D. XLVIII, 16, 1, 1 war gemeint: falsa crimina intendere. Die Entwicklung des Instituts des calumnia-Verfahrens beschreiben Camiñas, Lex Remmia; Centola, Crimen calumniae; s. a. Mommsen, Strafrecht, 491 ff; 496 ff zur Talion in nachkonstantinischer Zeit; Hitzig, RE-calumnia, 1414 ff, 1417-1419 für unsere Zeit; Levy, Anklägervergehen, 152 ff; 173 ff; Lauria, Calumnia, 110 ff (Entwicklung); 119 ff zu den Gesetzen der christlichen Kaiser; Mer, Accusation, 412 ff; 437 ff. Die Neuregelungen, die den Angaben in der Relation entsprechen, finden sich in o.g. Konstitutionen, teils ganz allgemein gehalten, teils speziell für einzelne Delikte; ausdrücklich genannt seien (darunter auch den vorliegenden Fall treffende Ostvorschriften): CT IX, 1, 9 (366); 11 (368: congrua poena); 14 (383); 19 pr. (423); CT IX, 37, 4 (409); IX, 2, 3 (380: Versprechen in poenam reciproci). Eine Anklage, für die kein Beweis erbracht werden kann, führt nach der allgemeinen Formulierung der Relation zwangsläufig, ohne weiteren Prozess zur Verurteilung des Anklägers. Zwei mögliche Beispiele aus der Praxis liefert Ammian, XVI, 8, 6; XXII, 3, 11: beweisfällige Denunzianten werden mit dem Tode bestraft. S. aber auch das Gegenbeispiel in XXVI, 10, 12: der Kaiser akzeptiert rechtswidrige Strafanzeigen (delationes). 1134 Steinwenter, Briefe, 12, identifiziert sie mit CT IX, 2, 3 (380). Diese Vorschrift passt in der Tat auf den von Symmachus beschriebenen Verfahrensgang und Wortlaut, doch handelt es sich um eine Ostvorschrift. Ähnliches galt offensichtlich im Westteil des Reiches, jedenfalls für schwerwiegende Delikte, ohne dass wir wissen, welche der in der vorigen Fußnote genannten Vorschriften im Jahre 384/385 im Einzelnen Anwendung fanden, vgl. dazu auch Giglio, A proposito, 582 ff. Verfehlt sind die Zitate bei Barrow, Prefect, 235 Fn. 1. Symmachus formuliert so allgemein wie beispielsweise außer CT IX, 2, 3 auch CT IX, 1, 11 (368); 19. Die Westregelung in CT IX, 1, 14 (383) galt speziell für Tötungsdelikte; ein solches stand hier aber wohl nicht zur Debatte.
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tentiam subiturum, si crimen obiectum non potuerit conprobare, quam reus debet excipere. Die Relation zeichnet diese Vorgaben ziemlich genau nach. Der Automatismus der Anklägerbestrafung wurde mittlerweile mit der formalen Prozesseinleitung mittels inscriptio verbunden und auf andere Delikte ausgedehnt. So erklärt Symmachus das Strafversprechen zu einer der Bedingungen der inscriptio. Noch immer wurde, wie das Zeugnis der Relationen 31, 38 und 49 zeigt, Ende des vierten Jahrhunderts der Kriminalprozess regelmäßig durch private Anklage und nicht von Amts wegen eingeleitet1135. Die Anklage kann nicht nur der Verletzte selbst, sondern auch ein Außenstehender erheben1136, der zur Selbstverpflichtung bereit ist. Auf den ersten Blick ist unklar, ob Africanus behauptet, selbst Opfer der Gewalttätigkeit geworden zu sein. Zweifel könnten sich daraus ergeben, dass agentes in rebus häufig und immer wieder auch missbräuchlich Straftaten anzeigten1137. Ein agens in rebus ist als Ankläger inso1135 Manche Autoren glauben dagegen, was die Relationen als Beispiele der Praxis gerade nicht bestätigen, das Amtsverfahren habe sich durchgesetzt: Lauria, Accusatio, 318 ff; 334; Santalucia, Diritto e processo, 138 f; ders., Studi, 229 ff; w. N. bei Pergami, Processo criminale, 501-503. Die Quellen zeigen, in Übereinstimmung mit der bei Symmachus überlieferten Praxis, eine Koexistenz von Amtsverfahren und privatem Anklägerverfahren, s. etwa CT IX, 3, 1 (320): ...sive accusator exsistat sive eum publicae sollicitudinis cura perduxerit.... . Zahlreiche Beispiele für das Nebeneinander liefern Pietrini, Sull’ iniziativa, 71 ff; 117 ff; Pergami, Processo criminale, 503 ff; und schon Mer, Accusation, 37 ff, betonte die Bedeutung des Akkusationsverfahrens. In den Relationen berichtet nur Rel. 36 einen Prozess, der wohl von Amts wegen eingeleitet wurde mittels kaiserlicher Delegation an den Stadtpräfekten, was sich damit erklären lässt, dass es dort um Amtsvergehen ging und der Fall politische Bedeutung besaß. Auch die Ermittlungen gegen ehemalige Stadtpräfekten nach den Relationen 23 und 34 wurden direkt vom Kaiser angeordnet. Und so zeigen auch die von Pietrini, 120 ff, ausgewerteten Ammianstellen eine offizielle Verfahrenseinleitung in erster Linie im Bereich politischer Delikte und das Anklägerverfahren als Normalfall: Ammian, XIV, 1, 5; XIV, 9, 6. Mer, Accusation, 37 ff, sah dagegen noch Amtsermittlung, inquisitio, bei Ammian. 1136 Pietrini, Sull’ iniziativa, 150 ff; Pergami, Processo criminale, 507 ff. In der Praxis fehlte dafür aber meist das nötige Interesse. 1137 Die agentes in rebus (s. bei Rell. 23, 31 und 38) haben im Rahmen ihrer regulären Tätigkeit auch Delikte aufzuspüren und die Anzeige von Straftaten gehört durchaus zu ihrem Aufgabenbereich, s. etwa CT VI, 29, 4 (359), doch gab es unbestreitbar Missstände in Form von Spitzeltätigkeit und Denunziantentum, die harte Gesetze auslösten. Zu nennen wäre CT VI, 29, 1 (355), wonach curiosi und curagendarii (im Postdienst Tätige), die den Richtern Delikte anzeigen, ausdrücklich beweispflichtig sind und mit Strafdrohung vor falschen Anklagen, calumnia, gewarnt werden. Sie dürfen auch nicht mehr einfach Festnahmen vornehmen (s. offiziell angeordnetes Geleit in Rell. 31 und 38); s. a. CJ XII, 21, 1 (386, Ost). Bösartige falsche Anschuldigungen berichtet insbesondere Ammian, XVI, 8, 3-7 (zum Jahre 356/357): Falschbeschuldigung einer Majestätsbeleidigung wird auf kaiserliche Initiative hin mit dem Tode bestraft. Gegen falsche Anschuldigungen wird dort mit aller Härte durchgegriffen. Noch mehrmals berichtet Ammian von Schnüffeleien und hinterhältigem Denunziantentum durch agentes in rebus: XV, 3, 5-11; XXII, 7, 5. Seeck, RE-agentes in rebus, 779, liefert weitere Beispiele für oftmals missbräuchliche Anzeigen und Gegenmaßnahmen. Maßnahmen gegen anonyme Anzeigen, libelli famosi (s. im Titel CT IX, 34), ergänzen das Bild des häufigen Miss-
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weit, jedenfalls auf den ersten Blick, potenziell verdächtig und Sinnigen1138 hat in der Tat vermutet, Africanus habe vorliegend in seiner Funktion als agens in rebus geklagt und der Fall gehöre mit zu den Negativbeispielen von übereifrigen oder falschen Anzeigen durch agentes in rebus. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass Africanus von Symmachus wie ein privater Ankläger behandelt wird, dessen Amtstätigkeit gesondert und positiv hervorgehoben wird. Er soll wohl nicht nach CT VI, 29, 1 (355) belangt werden, sondern ihm droht die übliche Talion aller privaten Ankläger. Die genannte Vorschrift betrifft zum einen nur Postbedienstete und zum anderen geht es dort darum, dass den agentes in rebus unter unbestimmter Strafdrohung auferlegt wird, ihre Behauptungen auch zu beweisen. Böswillige falsche Anzeigen werden als calumnia bestraft, geregelt wird aber nicht die Talionsstrafe, um die es hier geht. Africanus ist, jedenfalls nach der Darstellung der Relation, eher Opfer als Täter; seine Dienste als agens in rebus sollen seinen Ruf günstig beeinflussen, sind also gerade nicht verdächtig. Die Tat könnte Africanus daher persönlich betroffen haben, was die Eingehung des erheblichen Risikos durch Erhebung einer förmlichen Anklage rechtfertigen könnte. Eher unwahrscheinlich ist nach dem Wortlaut der Relation allerdings, dass es sich, wie einige Autoren vermutet haben, bei der violentia um einen Landraub im Sinne der Relationen 28 und 38 gehandelt hat1139, der auch zivilrechtlich verfolgt werden konnte. Heißt es doch, es sei keine Unruhe erregt worden: nihil turbarum esse conflatum, § 3. In Betracht kommt eher eine unbestimmte vis publica, ein öffentlicher, gewalttätiger Aufruhr, auf den nach CT IX, 10, 1 (manifesta violentia) die Todesstrafe stand und den Africanus, der in Aricia möglicherweise Untersuchungsaufgaben zu erfüllen hatte, zur Anzeige gebracht hatte, vielleicht weil er auch persönlich von den Angeklagten unter Druck gesetzt worden war1140. Die Zuständigkeit des Stadtpräfekten über den agens in rebus ergibt sich daraus, dass er als Richter in der Hauptsache auch über den Ankläger, gleich welche Position dieser bekleidete, zu befinden hat. Africanus steht nicht speziell als agens in rebus vor seinem Gericht, sondern wie ein beliebiger privater Ankläger; so mischt sich hier auch nicht der magister officiorum, sein Chef, ein (vgl. dazu bei Relation 38). brauchs; natürlich nicht nur, aber eben auch seitens der agentes. Seit Konstantin wird gegen solche libelli famosi streng vorgegangen (dazu: Santalucia, Costantino) und dieselbe Strenge zeigt sich in der Entwicklung des strafverfahrensrechtlichen Talionsversprechens. 1138 Officium, 29, wonach die Vorschrift von 355 genau passen würde. Africanus habe sich über den princeps officii, auch ein agens in rebus, an die Stadtpräfektur gewandt. An dieser Argumentation äußerte schon Chastagnol Zweifel in seiner Besprechung des Buches, Bspr. Sinnigen, 39. Aber auch Clauss, Magister officiorum, 30, scheint Africanus zu jenen agentes in rebus zu rechnen, die falsche Anklagen vorbringen und ihre Position schamlos ausnutzen. 1139 Nach Niedermeyer, Crimen, 415, fiel unter crimen violentiae, wie es unter Konstantin geregelt wird, nur die Dejektion vom Grundstück. Damit wäre der Sachverhalt klar. Doch lässt CT IX, 10, 1 auch eine weite Interpretation zu. Die Relation schweigt darüber; fest steht lediglich, dass den Senatoren irgendein Gewaltakt vorgeworfen wird. 1140 Das vermutet Giglio, A proposito, 589. Dazu auch unten.
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Zurück zum Verfahrensgang: Symmachus nimmt Africanus das förmliche Versprechen ab, für den Erfolg seiner Klage einzustehen, und nimmt die beiden Senatoren daraufhin in Gewahrsam. Sponsio meint im Rahmen der inscriptio die einseitige Unterwerfungserklärung bei der offiziellen Anklageerhebung vor dem Gerichtsbeamten, die dem Ankläger sein Risiko vor Augen führt, und nicht etwa einen zivilrechtlichen Vertrag1141. Nach der ordnungsgemäßen Verfahrenseinleitung mittels inscriptio konnten der Prozess eröffnet, die Angeklagten festgenommen, die Zeugen geladen werden. Sogar Senatoren können, jedenfalls bei schwerwiegenden Vorwürfen wie der violentia, sobald der Ankläger die erforderlichen verfahrenseinleitenden Erklärungen abgegeben hat, bis zur Urteilsfällung unter Bewachung, custodia militaris, genommen werden, wie Relation 49 mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass der sozialen Stellung damit Rechnung getragen werde, zeigt. Es handelte sich dabei um Untersuchungshaft in Form einer Art Hausarrest, bewacht von einem Beamten des officium urbanum, die milder als Gefängnis war1142. Der Stadtpräfekt hatte die Möglichkeit, bewaffnete Wächter einzusetzen, sobald er der Angeklagten habhaft wurde (worin freilich bei den Relationen 31 und 36 das Problem besteht), um so die Durchführung des Verfahrens (Vorführung) zu sichern, denn eine Verurteilung Abwesender war gerade bei schweren Delikten nicht möglich, wie Relation 31 verdeutlicht. Senatorische Privilegien werden vom Stadtpräfekten sorgfältig beachtet, wobei der Senatorentitel, wie Relation 49 zeigt, mit Anklage und Festnahme nicht verloren ging und spätestens mit dem hier erfolgten Freispruch wieder zuerkannt war. Relation 36 zeigt hingegen den Statusverlust zu einem Zeitpunkt, zu dem die angeklagten Senatoren (noch) nicht entlastet waren. Bei der Beschreibung des Prozessverlaufs zeigt sich, dass der richterlichen Amtsermittlung im Rahmen der privaten Anklage durch den Inhalt der inscriptio offenbar Grenzen gesetzt sind; neue Beweise können nicht ohne weiteres nachgeschoben werden. Das wird bei der Bitte um Zeugenvernehmung deut1141
Zum allgemeinen Begriffswandel s. schon bei Rel. 6. CT IX, 2, 2 (365) erlaubt, auch senatorische Angeklagte in custodia zu nehmen, und verlangt eine Routinemitteilung des Statthalters über den Rang des Festgenommenen. Rel. 49 hat allerdings eine andere Intention, will nicht in erster Linie über senatorische custodia informieren, die aber jedenfalls zulässig ist, s. a. Ep. II, 41 (bei Rel. 31). Bei der Festnahme werden den Angeklagten die Anklageunterlagen übergeben: CT IX, 1, 6 (362: Seeck, Regesten, 94; 211). Die einschlägigen Vorschriften gestatten die Festnahme ab dem Zeitpunkt der inscriptio: CT IX, 3, 4 (365); IX, 1, 8 (366); 9 (366); 19 pr. (423: der Rang des Angeklagten sei zu beachten); IX, 2, 3 (380); 5 f (409). Die Angeklagten, die nicht in Rom leben, werden unter Aufsicht der lokalen Behörden genommen und können binnen einer bestimmten Frist ihre Angelegenheiten ordnen, bevor sie vor Gericht geführt werden. Zu Gefängnis und custodia in der Spätantike auch Krause, Gefängnisse, 180 ff speziell zu Senatoren; Lovato, Carcere, 186 ff (ab Konstantin); Mer, Accusation, 338 ff speziell zum Festnahmerecht im Rahmen der Einleitung eines Kriminalverfahrens. Die inscriptio unterwirft den Ankläger derselben Behandlung wie den Angeklagten: CT IX, 2, 3; 5; 1, 19; Mer, Accusation, 364 ff. Auch er kann daher gleichermaßen in Gewahrsam genommen werden. Symmachus sagt dazu allerdings nichts. 1142
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
lich, die als Verzögerungsmanöver gebrandmarkt wird; der Betreffende sei in der inscriptio nicht genannt worden. Die inscriptio scheint für den Richter insoweit bindend und abschließend gewesen zu sein, denn Symmachus vernimmt den Zeugen nicht, obwohl er Africanus eigentlich entgegenkommen möchte. Nachdem die Benennung eines weiteren Zeugen keinen Erfolg gebracht hat, bittet Africanus verzweifelt um omissio. Es fragt sich daher, ob der Ankläger nach der inscriptio das Verfahren noch niederschlagen konnte. Die einschlägigen Vorschriften ermöglichen nur unter engen Voraussetzungen ein solches Fallenlassen der Klage, die so genannte abolitio, insbesondere kann der Ankläger nach erfolgter inscriptio mit sponsio nicht mehr ohne weiteres seine Anklage zurücknehmen, wenn sich ihr Misserfolg abzeichnet, sondern muss den Prozess in der Regel bis zu seinem Abschluss fortsetzen. Ungerechtfertigtes Fallenlassen der einmal erhobenen Anklage durch den Ankläger wurde als tergiversatio bestraft1143. Bestraft wurde auch der Richter, der eine Strafklage wegen crimen violentiae entgegen der Beweislage ungerechtfertigterweise fallenließ (omiserit): CT IX, 10, 4 (390). Im vorliegenden Fall dürfte es jedenfalls an der notwendigen Einwilligung der Angeklagten in eine abolitio gefehlt haben. Ein von der eigenen Haftung des Anklägers befreiendes Fallenlassen der Klage war wohl schon deshalb nicht möglich, weil dadurch die Wirksamkeit der sponsio unterlaufen würde, in der der Ankläger versprochen hatte, den Prozess auf eigenes Risiko durchzuführen. Auch im Westteil des Reiches wird es eine Vorschrift ähnlich CT IX, 37, 3 (382, Konstantinopel) gegeben haben, wonach nach Vorführung der Angeklagten keine abolito mehr zu gewähren sei und der 1143 Leonhard, RE-abolitio, 105: abolitio privata ist die Aufhebung eines schwebenden Anklageverfahrens auf Wunsch des Anklägers. Wer bloß die Klage fallen ließ, ohne diese offizielle Aufhebung, die durch den Richter gewährt wird, erwirkt zu haben, wurde wegen tergiversatio bestraft. Zur tergiversatio: Mommsen, Strafrecht, 498 ff; Mer, Accusation, 460 ff; 464 ff; 475 ff. Allenfalls bei einem anerkannten Irrtum oder Zustimmung des Angeklagten ist Aufgeben möglich. Daran fehlt es hier offensichtlich; die abolitio war abzulehnen. Die einschlägigen Vorschriften finden sich in den Titeln CT IX, 37 und CJ IX, 42. CJ IX, 42, 2 (319): Niederschlagung war damals möglich, wenn der Ankläger Gründe dartun konnte wie Irrtum, Unbesonnenheit, Hitzigkeit, error, temeritas, calor, und klagende Opfer konnten auch sonst niederschlagen. Hier schützt die von Symmachus angedeutete temeritas Africanus jedoch nicht vor der spiegelnden Strafe. Als spätere, hier ggf. relevante Vorschriften wären zu nennen: CT IX, 37, 2 (369): keine Möglichkeit der abolitio, wenn der Angeklagte aufgrund der inscriptio schon Nachteile, iniuria, erlitten hat, wie etwa Gefängnis oder Folter. Unter diese Nachteile fiel die custodia zwar (jedenfalls später) nicht, wie CT IX, 37, 4 (409) und CJ IX, 42, 3 (369, interpol.) zeigen, aber ohne eine Einwilligung des Angeklagten war abolitio nach der inscriptio wohl keinesfalls möglich. Bei zahlreichen, nicht im Einzelnen aufgezählten, schweren Delikten gibt es zudem keine Möglichkeit der abolitio, nicht einmal bei Einwilligung, vgl. CT IX, 37, 2; violentia mag dazugehört haben. Interessant ist CT IX, 37, 4 (409): abolitio kann auch ohne Einwilligung des Angeklagten gewährt werden, wenn sie binnen 30 Tagen nachdem der Angeklagte in custodia genommen wurde, vom Ankläger erbeten wird. Nach Ablauf dieser Frist kann sie nur noch mit Zustimmung des Angeklagten erreicht werden. Die Frist von 30 Tagen findet sich schon in CJ IX, 42, 3 (369), was aber daraus resultieren dürfte, dass in dieser Vorschrift CT IX, 37, 2 und 4 kombiniert wurden. Die Frist galt 384/385 wohl noch nicht. Mangels Einwilligung dürfte Symmachus die abolitio vorschriftsmäßig verweigert haben.
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Ankläger das Beweisrisiko vorher abwägen müsse. Leichtfertige Ankläger durften nicht geschützt werden, sondern wurden bei Beweisfälligkeit als falsche Ankläger streng bestraft. Nur mit dieser strengen Auslegung glaubte man wirksam vor vorschnellen Anklagen abschrecken und den jeweiligen Angeklagten schützen zu können. Zwar werden von Symmachus keine Vorschriften zitiert, doch widerspräche es der abschreckenden Wirkung des gegebenen Versprechens, wenn dem Ankläger bei absehbarem Scheitern seiner Klage noch erlaubt würde, sie fallenzulassen. Symmachus geht auf das Gesuch um omissio gar nicht weiter ein, und so endete der Prozess für die Senatoren vermutlich mit einem Freispruch mangels Beweisen, nicht mit einer Verfahrenseinstellung wegen Rückzugs des Anklägers1144. Der Stadtpräfekt wird das Gesuch um abolitio pflichtgemäß abgelehnt haben, nachdem Africanus zu diesem Zeitpunkt seine Strafe schon verwirkt hatte und die Senatoren auf einem Freispruch bestanden haben werden. Das Hauptsacheverfahren wird von Symmachus endgültig abgeschlossen; er bittet den Kaiser insoweit nicht um eine Entscheidung. Aus dem Freispruch für die Angeklagten aber folgte automatisch die Haftung des beweisfälligen Anklägers. Die für violentia drohende Strafe geht nach der Formulierung der Relation auf ihn über; sie muss in einem Urteil nur noch festgestellt werden. Der Stadtpräfekt muss den erfolglosen Ankläger förmlich verurteilen, was allerdings kein umfassendes neues Verfahren erfordert, sondern im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren steht. Die Verurteilung des beweisfälligen Anklägers erfolgt von Amts wegen ohne Gegenanklage des ursprünglich Angeklagten. Symmachus sieht sich zur Verhängung der spiegelnden Strafe über den Ankläger strikt verpflichtet. Die Tatsache, dass das crimen violentiae regelmäßig mit der Todesstrafe belegt wird1145, erklärt die desperatio, mit der in § 3 die Bitte um omissio begründet wird und bereits die Formulierung in § 1: in alieni capitis discrimen deutet die Todesgefahr für die Angeklagten und damit auch für den Ankläger an. Wenn nicht die Todesstrafe drohen würde, wäre auch die Eindringlichkeit, mit der Symmachus argumentiert, kaum erklärlich. Das Schreiben ist für Africanus vermutlich lebensnotwendig und die Relation die einzig erfolgversprechende 1144 Eher unwahrscheinlich ist die Rekonstruktion von Chastagnol, Préfecture, 93; ders., Sénat, 324, wonach Africanus seine Klage zurückgezogen habe, nachdem ihm der Beweis misslungen war. Das wird Symmachus ihm kaum zugestanden haben. Jedenfalls aber hätte ihm auch eine Verfahrenseinstellung nicht genutzt. Einen anderen Vorschlag macht Camiñas, Lex Remmia, 117 Fn. 3, der „Ep. 10“ (womit er offensichtlich Relation 49 meint) als Beispiel für eine Anwendung der poena calumniae auf die tergiversatio nennt. Das aber würde voraussetzen, dass Africanus die Anklage eigenmächtig fallengelassen hätte, was deshalb unwahrscheinlich ist, weil die Rede ist von einem Übergang der den Angeklagten drohenden Strafe und nicht etwa von einem eigenen Strafgrund aus einem eigenständigen Delikt. Wenn Africanus’ Antrag auf Fallenlassen der Anklage abgelehnt wird und die Angeklagten freigesprochen werden, verfällt er dem gegebenen Versprechen der spiegelnden Bestrafung. 1145 Vgl. CT IX, 10, 1 f; s. zu Einzelheiten und Text schon bei den Relationen 28, 31 und 38.
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Rettung, denn eine Appellation, die bei violentia grundsätzlich zulässig war, verspricht keine Abhilfe, weil sie zum einen, wie bei Relation 38 bereits ausgeführt wurde, wohl keine aufschiebende Wirkung entfaltete1146 und daher keinen effektiven Rechtsschutz gewährleistet, und zum anderen die Entscheidung für Symmachus gesetzlich vorgegeben war. Er hat die Senatoren zu Recht mangels Beweisen freigesprochen und damit steht das Urteil gegen Africanus fest. Der Verweis auf eine Appellation gegen das gesetzlich vorgesehene Todesurteil des Stadtpräfekten würde nicht ausreichen, um das Leben des Anklägers mit Aussicht auf Erfolg zu schützen, denn auch das Obergericht müsste ihn verurteilen. Es bedarf deshalb eines Sonderwegs zum Kaiser und die Relation des Beamten verspricht dabei weitaus mehr Erfolg als der Versuch einer außerordentlichen supplicatio seitens des Africanus, der zwar auch selbst ein Gnadengesuch an den Hof einreichen könnte, damit aber abgewiesen zu werden droht1147. Die Relation ist der einzig gangbare Weg, der das Leben von Africanus noch retten kann. Ihm kann nur die Ausnahme vom gesetzlich vorgesehenen Verfahrensgang helfen. Symmachus setzt daher die Entscheidung aus. Die Motive für dieses Vorgehen werden zu hinterfragen sein. Zum Verfahrensgang ist festzuhalten, dass Symmachus streng nach Beweislastgrundsätzen entscheidet. Die gesetzlichen Vorgaben werden, ohne dass sie Symmachus genauer benennt, in der Praxis befolgt. Das strenge Prinzip der Anklägerbestrafung entfaltet für den Richter Bindungswirkung, der nicht aus eigener Machtvollkommenheit davon abweichen darf, und daran hält sich auch Symmachus. Er wählt daher den einzig legalen Ausweg der Relation. Nur kaiserliche Gnade kann Milderung verschaffen und an sie appelliert er, indem er das Urteil gegen Africanus dem Kaiser vorbehält. Der Fall wäre für Symmachus lösbar, will er aber eine Sonderbehandlung im Einzelfall, dann bleibt nur der Weg der relatio. b) Die Begründung der consultatio: rechtstheoretischer und tatsächlicher Hintergrund Symmachus reserviert dem Kaiser freiwillig das Urteil über Africanus, beruft sich auf die eigene strenge Bindung an die Gesetze und hofft auf clementia, Begnadigung kraft kaiserlicher Autorität, die über dem Gesetz stehe. Relation 49 beruht ganz auf dem richterlichen Ermessen des Stadtpräfekten, sich in Zweifelsfragen an den Kaiser zu wenden, und ähnliche Relationsanfragen finden sich schon bei Plinius1148, wenngleich das System damals ein anderes war, 1146 Vgl. CT IX, 10,1, was wahrscheinlich auch für den spiegelnd zu strafenden Ankläger galt. 1147 Vgl. CT IX, 40, 4 (346: Seeck, Regesten, 40; 194), wonach die Supplik bei schweren Verbrechen und eindeutiger Beweislage für die Zukunft ausdrücklich untersagt wird. 1148 Ep. X, 29: Anfrage, welches Strafmaß konkret zu verhängen sei. Ep. X, 31: Frage zur Durchsetzung von Strafen. Plinius setzt, nachdem er den Sachverhalt ermittelt hat,
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weil der Provinzrichter einen eigenen Entscheidungsspielraum hatte, der dem Richter in den Jahren 384/385, jedenfalls bei den allermeisten Delikten, versagt war. Die Strafe stand in der Regel kraft Kaisergesetz fest. Im Folgenden ist zu fragen, welches staatsrechtliche Konzept hinter dem Schreiben steckt und ob die von Symmachus gegebene Begründung das Gesuch wirklich trägt oder ob nicht ungenannte Motive hinter dem Schreiben zu vermuten sind. Nicht zu überzeugen vermag in diesem Zusammenhang die Auffassung von Bethmann-Hollweg1149, der Relation 49 als Beispiel dafür zitiert, dass dem Kaiser wichtige Fälle zu berichten waren, vgl. CT IX, 16, 10 bzw. CT IX, 40, 10 (zu diesen Vorschriften bei Relation 31). Symmachus beendet den Prozess gegen die Senatoren selbständig und müsste hier keineswegs in Bezug auf Africanus berichten, vielmehr entscheidet er sich bewusst dafür, nicht dem vorgesehenen Weg zu folgen, und erst daraus ergibt sich die Berichtspflicht, denn eine Ausnahme vom Gesetz kann nur der Kaiser gewähren. Die Relation lässt sich nicht mit senatorischen Sonderrechten begründen. Auch über das Fortleben des quinquevirale iudicium und die Reichweite von CT IX, 1, 13 in der Rechtspraxis jener Jahre lässt sich wie schon bei den zuvor behandelten Strafrechtsfällen der Relationen 31, 36 und 38 nichts entnehmen. Relation 49 betrifft zwar den Anwendungsbereich des quinquevirale iudicium, denn Senatoren sind im Hundertmeilenbezirk wegen violentia angeklagt, einem Delikt, auf das die Todesstrafe steht, doch werden die Senatoren freigesprochen (oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt). Die Einberufung des Fünfmännergerichts zur Verurteilung erübrigte sich damit. In den anderen Fällen steckte Symmachus noch in den Vorermittlungen, so dass es schon deshalb zu einer Einberufung des Gremiums bislang nicht gekommen war. Der Stadtpräfekt hält sich in den Relationen somit im Rahmen seiner durch das Fünfmännergericht wohl auch derzeit beschränkten Kompetenz als Strafrichter über Senatoren. Vor diesem Hintergrund beleuchtet Relation 49 anschaulich die Strafrechtspraxis Ende des vierten Jahrhunderts in Rom und die Schwierigkeiten des Richters bei seiner Suche nach Gerechtigkeit im Einzelfall. Das Akkusationsverfahren ist detailliert ausgeformt, Tatbestände und Strafmaß der einzelnen Delikte sind in den Konstitutionen genau vorgegeben1150. Das Verfahren ist geprägt von Formenstrenge und enger Bindung des Richters an das Gesetz, jeglicher Ermessensspielraum wird ihm versagt, womit ein Stück Kontrollierbarkeit sowie Schutz vor Willkür und Korruption gewährleistet werden soll, auch deshalb, weil die Richter speziell in den Provinzen juristisch oft wenig geschult waren die Entscheidung aus, formuliert seine Zweifel und fragt um Rat. Die Antwort findet sich in Ep. X, 32: Genaue Anweisung, wobei ein gewisser Tadel an mangelnder Entscheidungsfreude anklingen könnte. Ep. X, 59 gibt in Strafsachen ein Gesuch der Parteien weiter (s. bei Rel. 48). 1149 Civilprozeß III, 61 Fn. 20. 1150 Das betont de Robertis, Arbitrium iudicantis; ders., Sulla efficacia, 187 ff; ders., Variazione, 661 ff mit Beispielen seit Konstantin; s. a. Levy, Gesetz und Richter, 152 ff.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
und sich anders als ein Symmachus nicht immer erfahrener Rechtsberater bedienen konnten. Darin zeigt sich einerseits das damals vorherrschende geringe Vertrauen in die Richterschaft, der nur noch die schematische Rechtsanwendung zugetraut wird; andererseits ist diese Ausgestaltung aber nicht schlicht ein Zeichen des Niedergangs der Rechtskultur1151, sondern eben auch der Versuch, ein Stück Rechtssicherheit und Schutz vor Einflussnahme durch genaue, strafbewehrte Verfahrensvorschriften mit Fristen und Appellationsmöglichkeiten zu gewährleisten, die, wie in den Relationen zu sehen ist, grundsätzlich auch beachtet wurden. Freilich basiert diese Methode, für Rechtssicherheit zu sorgen, zunehmend auf Einschüchterung und Abschreckung durch Androhung schwerster Strafen für Täter, Ankläger und Richter, worin sich eine gewisse Hilflosigkeit zeigt, mit auftretenden Missständen umzugehen. Die genauen Vorgaben gehen zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit, denn die Umstände des Einzelfalles dürfen vom Richter nicht berücksichtigt werden und genau das ist hier das Dilemma. Nicht einmal der Stadtpräfekt als einer der höchsten Richter im Reich hat beim crimen violentiae und den dafür gültigen Talionsvorschriften Entscheidungsspielraum; er kann keine eigenen Billigkeitserwägungen anstellen. Auch die negative Seite der Ausgestaltung des spätantiken Strafverfahrens zeigt sich in Relation 49 in aller Deutlichkeit: Weil die hier fragliche violentia mit dem Tode zu bestrafen ist und eine Appellation nicht einmal Suspensiveffekt besaß, ist eine im Einzelfall überschießende Härte, Symmachus spricht von acrimonia severi iuris, vorhersehbar. Einzelfallgerechtigkeit hängt davon ab, ob der mit dem Fall befasste Richter bereit und gewillt ist, eine Relation mit ausführlicher Begründung abzufassen. Eine dem Verschulden im Einzelfall angemessene Strafe konnte nur über den Kaiser erreicht werden, hing vom kaiserlichen Willen zur sorgfältigen Prüfung ab, zunächst aber vom Richter, der einen gewissen Aufwand auf sich zu nehmen bereit sein, sich ggf. auch Tadel aussetzen musste, wenn die Begründung am Hofe Missfallen erregen sollte. Bequemer war allemal die schnelle, schematische Lösung nach dem Gesetz, ohne Rücksicht auf den Einzelfall. Viele Richter werden den bequemen Weg vorgezogen haben. Symmachus gibt insofern ein Beispiel persönlicher Einsatzfreude, deren Motive noch zu untersuchen sein werden. Festzuhalten ist jedoch, dass das starre Strafrechtssystem in der Relation deutlich zutage tritt. Anders als im Zivilprozess traut sich Symmachus kein eigenständiges Abweichen von den Vorschriften zu. Das Risiko war für den Richter angesichts der drakonischen Strafen, die ihm drohten, ungleich höher. Außerdem drohten die Senatoren zu protestieren, wenn er Milde walten ließe. Demgegenüber waren die Geldstrafen, die in den Relationen 16, 28 und vielleicht auch 33 für den Verfahrensverstoß drohten, hinnehmbar.
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Abträglich dagegen die Bewertung bei De Robertis, Variazione, 670 ff, der ein geringes Niveau in der Strafrechtspflege, die unflexibel und mechanistisch sei, konstatiert. Diese Betrachtungsweise spiegelt jedoch nur einen Teilaspekt der Rechtswirklichkeit wider und kann durch das Zeugnis der Relationen so nicht bestätigt werden.
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Die Gesetze verlangen vom Richter strengen Gehorsam. Die Argumentation des Symmachus lässt sich nicht als vorgeschobene Ausrede abtun, vielmehr vertritt er hier ein strenges Gesetzlichkeitsprinzip und befindet sich damit im Einklang mit den geltenden Vorschriften. Fehlende richterliche Interpretationsbefugnis ist immer wieder Thema in den Relationen und die einschlägigen Vorschriften und Untersuchungen wurden bei den Relationen 22, 27, 44 und 39 bereits zitiert. Hier sei lediglich exemplarisch noch einmal CT I, 2, 3/CJ I, 14, 1 (317) angeführt, wonach dem Kaiser das Entscheidungsmonopol vorbehalten ist, wenn es im Einzelfall um die Auslegung von Rechtsvorschriften zwischen der Strenge des Gesetzes und Billigkeitsüberlegungen (aequitas) geht. Die Konstitution ist an den damaligen Stadtpräfekten gerichtet und die Relationen, gerade auch Relation 49, zeigen die praktische Bedeutung und Beachtung dieser und ähnlicher Vorschriften: Ubi rigorem iuris placare aut lenire specialiter exoramur, id observetur, ut rescribta ante edictum propositum impetrata suam habeant firmitatem, nec rescribto posteriore derogetur priori. Quae vero postea sunt elicita, nullum robur habeant, nisi consentanea sint legibus publicis; maxime cum inter aequitatem iusque interpositam interpretationem, nobis solis et oporteat et liceat inspicere. Milde zu üben ist kaiserliches Privileg. Zur strikten Gesetzesbindung des Beamten gehört auch CT I, 2, 7 (356): Multabuntur iudices, qui rescripta contempserint aut distulerint und CT IX, 10, 4, 1 (390, gerichtet an den Stadtpräfekten) mahnt den Richter eigens beim crimen violentiae, sich strikt an die Vorschriften zu halten, andernfalls drohe ihm Infamie. Darin zeigt sich, dass die von Symmachus geschilderte Problematik häufiger auftrat und andere Richter sich nicht immer an die Regeln gehalten haben. Etwas anders klingt freilich Augustinus, Ep. 139, 2 (geschrieben zwischen 410 und 413, als er Bischof von Hippo und der Empfänger Marcellinus hoher Beamter in Karthago war): Soleo enim audire in potestate esse iudicis mollire sententiam et mitius vindicare quam iubeant leges. Der Richter soll selbst Milde üben. Allerdings ist der Bezug dieser Äußerung - eine Religionsangelegenheit1152 - zu berücksichtigen, weshalb sie die Darstellung von Symmachus letztlich nicht entkräftet, die sich auf die genannten Rechtsvorschriften stützen lässt und der auch Augustinus an anderer Stelle durchaus nahe kommt. In De vera religione 31, 58 sagt er nämlich: Cum (leges temporales) fuerint institutae atque firmatae non licebit iudici de ipsis iudicare, sed secundum ipsas. In diesem Zusammenhang könnte auch Ambrosius angeführt werden, der ebenfalls die Gesetzesbindung des kaiserlichen Beamten als bloßem Rechtsanwender unterstützt1153: Constitue iudicem de hoc saeculo: numquid potest adversus imperialis formam venire rescripti? Numquid potest normam Augustae definitionis excedere? Symmachus gibt in seiner Relation mit eigenen Worten die geltende Rechtslage wieder und hält sich strikt an die genannten Vorgaben. Dass die Begnadigung von Straftätern kaiserliches Privileg ist, zeigt etwa die Begnadigung 1152 S. insoweit auch Epp. 133 und 138 an denselben zum Streit zwischen Katholiken und Donatisten. Augustinus wehrt sich gegen blutige Vergeltung im Rahmen des durchzuführenden Strafprozesses. 1153 Expositio Psalmi, CXVIII, 20, 39, 1.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
(zum Exil) von Arvandus, dem gallischen Präfekten, den eine Senatskommission 469 wegen crimen maiestatis zum Tode verurteilt hatte, Sid. Apoll. Ep. I, 7, 1-13. Relation 49 liefert vor diesem Hintergrund einen weiteren, vorbildlichen Beispielsfall zum kaiserlichen Begnadigungsrecht und dessen rechtlicher Begründung1154. So umschreibt Symmachus in § 4 präzise das kaiserliche Monopol, im Einzelfall bei Vorliegen mildernder Umstände überscharfe Gesetze in der Praxis abzumildern, und spricht bereits in § 1 den Kaiser in seiner Funktion als alleiniger Gesetzgeber an: Der Kaiser könne, anders als der Beamte, der sich dem Vorwurf der Korruption aussetze, milder als es die Gesetze vorsehen entscheiden. Gleichzeitig appelliert er in § 4 an die clementia principis. Das kaiserliche Begnadigungsrecht ist Ausprägung des absolutistischen Systems und nicht nur leere Worthülse. Clementia, die bei Symmachus meist nur Rhetorik ist, spricht er doch in nahezu allen Relationen den Kaiser mit clementia an1155, ist hier ernst gemeint und für Africanus eine Sache von Leben und Tod. Sie ist altrömische, d. h. nicht erst christliche, kaiserliche Tugend, an die in dieser Relation ausdrücklich appelliert wird. Symmachus gebraucht das zu seiner Zeit übliche Vokabular, um sein Gesuch zu rechtfertigen. Der aus § 4 zitierte Satz ist dafür programmatisch und klingt beinahe rechtstheoretisch; der Stadtpräfekt hat das Argumentationsmuster des spätantiken Kaisertums verinnerlicht. Zwar liefert er keine juristische Ausarbeitung der dahinterstehenden staatsrechtlichen Konzeption, argumentiert aber doch sehr ernsthaft mit traditionellem Gedankengut, das sich nach wie vor mit konstantinischer Gesetzgebung untermauern ließe. Ein ähnliches Argumentationsmuster, nach dem der Kaiser in seiner Milde über den Gesetzen steht, findet sich bei Ammian, XVI, 5, 12 f.: ...incusent iura clementiam, sed imperatorem mitissimi animi legibus praestare ceteris decet. Nur der Kaiser als oberste, über den Gesetzen stehende Instanz kann Gnade üben; einem Beamten würde Nachsicht als Rechtsbruch vorgeworfen, seine Urteile würden korrupt erscheinen, er kann und darf daher keine Milde jenseits der Vorschriften üben. Der Stadtpräfekt zieht sich auf die immer wieder eingeschärfte Gesetzesbindung des Beamten zurück, die jedoch nicht für den Kaiser gilt, jedenfalls dann nicht, wenn er aus Gründen der clementia abweichen will. Der Kaiser steht insoweit über dem Gesetz, als er Milde gegenüber übermäßiger Härte der Gesetze üben kann, ja sogar soll. Valentinian II. soll deshalb auf Bestrafung verzichten, jedenfalls von der Todesstrafe abse1154 Zum Begnadigungsrecht: Waldstein, Begnadigungsrecht, 158 ff; 175 ff: Begriffsuntersuchung zu den literarischen und juristischen Quellen; Gaudemet, Indulgentia principis, 252 ff (dort v. a. Beispiele zum Steuerrecht); Kleinfeller, RE-indulgentia, 1378-80, speziell zur kaiserlichen Begnadigung: 1379 f m. N. Im Titel CT IX, 38 De indulgentiis criminum finden sich vor allem Generalamnestien etwa zu Ostern. S. a. zu erschlichenen Begnadigungsreskripten: Nov. Val. 19 (445). Ein Beispiel für eine erhoffte kaiserliche Begnadigung liefert auch Ep. III, 35 (vor 398 an Ambrosius): remedium veniae imperialis. Auch am Ende von Rel. 34 nimmt Symmachus auf die kaiserliche Milde in decreta gegenüber der Härte von leges Bezug. 1155 Clementia ist kaiserliche Tugend, vergleichbar der indulgentia, humanitas (s. in Rel. 41), venia, benignitas, liberalitas (s. Rel. 41) und ähnlichen Formulierungen.
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hen. Das wäre aequus. Aequitas taucht bei Symmachus hier, anders als in einigen anderen Relationen, die um Einzelfallentscheidung bitten, insbesondere Relation 39, zwar nicht auf, doch strebt er genau danach, kann sie selbst aus Rechtsgründen nicht verwirklichen. Der Stadtpräfekt hält sich damit, jedenfalls formal korrekt, an den vorgegebenen Rahmen und gibt lieber ab, als sich dem Vorwurf auszusetzen, seine Befugnisse überschritten zu haben. Und wirklich: Hätte er ein Urteil bewusst entgegen den Kaiserkonstitutionen gefällt, hätte er sich strafbar gemacht1156. Der Kaiser, der gleich eingangs der Relation als Gesetzgeber angesprochen wird, steht zwar über dem Gesetz, doch benötigt auch er, will er vom geltenden Recht abweichen und nicht despotisch auftreten, eine überzeugende Begründung, die Symmachus in der Relation liefert. Nur eine Begründung, die als gerecht empfunden wird, rechtfertigt ein Abweichen vom Gesetz, ist willkommen und unbedenklich. Der Kaiser selbst ist nicht völlig frei in seiner Entscheidungsfindung. CT I, 2, 3/CJ I, 14, 1 ist deutlich. Auch er darf nicht Willkür bei Gesetzgebung und Auslegung üben1157, sondern hat sein Monopol zum Nutzen der Allgemeinheit einzusetzen, will er als guter Kaiser gelten. Eine Entscheidung in Abweichung zu geltenden Vorschriften darf er zwar legitimerweise treffen, wird darum sogar ausdrücklich gebeten, doch muss sie der aequitas dienen, ist jedenfalls nach außen hin zu rechtfertigen und die von Symmachus gelieferten Argumente dienen genau dazu. Auch der Kaiser, der über dem Gesetz steht, ist erst dann legitimiert, wenn die Abweichung begründet wird und sei es nur formal. In jedem Fall muss ein faires Verfahren eingehalten und darf nichts erschlichen werden1158. Symmachus wählt daher den offiziellen Weg. Zwar ist es letztlich der Kaiser selbst, der definiert, was die aequitas fordert1159, 1156 Dazu: De Robertis, Sentenze contra constitutiones, spez. 214 ff m. N; ders., Sulla efficacia, 191 Fn. 3 (Quellen); Noethlichs, Beamtentum, 159 ff mit einer Vielzahl von Vorschriften zu den durchweg schweren Strafen, die Richtern u. a. wegen Rechtsbeugung angedroht wurden. Genannt sei CJ I, 54, 6, 6 (399, West): Richter sind an Strafgesetze eng gebunden, der vorgegebene Strafrahmen ist einzuhalten unter Strafdrohung für den Richter, der abweicht. CJ I, 54, 6, 5 nennt verschiedene Richtervergehen, die zu verurteilen sind. CT IX, 27, 6 (386, Konstantinopel) bestraft erkaufte Strafmilderung. Ziel ist die probitas des (Provinz-)Richters. Für das crimen violentiae sei an CT IX, 10, 4, 1 (390, Theodosius I) erinnert. Der Richter, der sich nicht an die Gesetze hielt, wurde bestraft, vgl. anschaulich PS V, 25, 4: Iudex qui contra sacras principum constitutiones contrave ius publicum, quod apud se recitatum est, pronuntiat, in insulam deportatur. 1157 Dazu auch CT I, 2, 2 (315): Der Kaiser will sich selbst an das geltende Recht halten und nicht willkürlich Reskripte erlassen (s. dazu schon bei Rel. 44). Eben dieses Konzept findet sich zur Zeit des Symmachus auch im Osten des Reiches bei dem Redner Themistius, Or. 1, 15 b-c (350), wonach der menschenfreundliche Herrscher berufen sei, die Härte des geschriebenen Gesetzes zu glätten. 1158 Sonst geriete er unter den schändlichen Verdacht der Bestechlichkeit wie in dem Fall, den Ammian, XXVI, 3, 4, berichtet, in dem sich ein Senator von der Todesstrafe freikaufen konnte. 1159 So bestraft Kaiser Julian Richter, die gegen die aequitas verstoßen haben, wofür ihn Ammian lobt, XVIII, 1, 1. Greifbar ist der stark von der Person des Kaisers abhängi-
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doch zwingt das genannte und bei Symmachus erkennbare Konzept ihn wenigstens dazu, sich zu rechtfertigen, was Willkür im Einzelfall verhindern kann, wenngleich es sich natürlich nicht um eine kontrollierbare Entscheidung handelt, sondern um kaiserliches Ermessen, das nur im Idealfall von Erwägungen der aequitas motiviert ist. An die kaiserliche Selbstbindung kann nur vorsichtig appelliert werden, wie auch die Kritik in einigen anderen Relationen zeigt, in denen der Kaiser vom allgemeinen Gesetz, jedenfalls nach Meinung von Symmachus, grundlos abgewichen ist. Gnadenakte aus dem Beweggrund der clementia sind hingegen tugendhaft und unterscheiden sich von Willkürakten. Unser Stadtpräfekt erweist sich vor diesem Hintergrund, jedenfalls in der Wortwahl seiner Relation, als gehorsamer, wortgetreuer Rechtsanwender. Er macht dem Kaiser einen konkreten Vorschlag mit wenigstens formal tragfähiger Begründung. Vom Gesetz abzuweichen lässt sich nur auf diese Weise rechtmäßig erreichen. Insoweit bezeugt Relation 49 ein vorbildliches Relationsverfahren1160. Trotzdem lohnt es sich, einige Überlegungen über die möglichen Hintergründe des Falles anzustellen. Schließlich muss Symmachus dem Kaiser nicht nur formal, sondern auch in der Sache eine tragfähige Begründung für das Gnadengesuch liefern. c) Die genannten und mögliche ungenannte Beweggründe der Relation Symmachus liefert zwei Argumente für seine Bitte um Milde: Die Amtsstellung und die jugendliche Unvorsichtigkeit von Africanus rühren ihn an. Gerade gegen solch unvorsichtige Anklagen zielen nun aber die Talionsvorschriften1161; Symmachus spricht in § 1 selbst von temere, unüberlegten Anklagen, die nach dem Willen des Gesetzes unterbunden werden sollen. Der Ankläger wird schließlich gewarnt, gibt er doch bewusst eine sponsio ab. Es muss also ein außergewöhnlicher Fall vorliegen, wenn Symmachus trotz der eindeutigen Rechtslage um Gnade bittet. Die große Härte der Gesetze, die den beweisfälligen Ankläger schematisch bestrafen, ist beabsichtigt, um das verbreitete Denunziantenwesen wirksam einzudämmen, und die Strenge auch gegenüber einem gutgläubigen accusator wurde damit gerechtfertigt, dass jede erfolglose Anklage moralisch bedenklich erschien; war es doch vorwerfbar, die kaiserliche Autorität mit einer Beschuldigung, die man nicht beweisen kann, zu stören. Nur wenn die Vorschriften strikt eingehalten werden, kann das gesetzgeberi-
ge Maßstab zwar kaum, doch geht auch Ammian ersichtlich davon aus, dass es in erster Linie darum geht, die geltenden Gesetze einzuhalten und richtig anzuwenden. 1160 Ähnliche Gesuche werden häufiger vorgekommen sein. 1161 Vgl. CT IX, 5, 1 (320-323 für das crimen maiestatis): ausgesprochener Gesetzeszweck ist es, temeritas, Unbesonnenheit, der Ankläger zu verhindern; s. a. CT IX, 39, 2 (Mai 385, Ost) und CT IX, 1, 5 (320: Seeck, Regesten, 170). Nach CT IX, 37, 3 (382, Ost) rechtfertigt nichts das Fallenlassen einer Anklage nach der exhibitio. Der Ankläger muss sich seiner Beweise sicher sein, Milde gibt es nicht: ...non specialis indulgentia. Gerade das aber erbittet Symmachus hier.
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sche Ziel der Abschreckung erreicht werden. Um so mehr stellt sich deshalb die Frage, inwieweit die Argumentation der Relation die Bitte um Abweichen vom Gesetz rechtfertigt. Zunächst lässt sich feststellen, dass die von Symmachus betonten Amtsverdienste des Anklägers, die er sich ja erst einmal durch eine nicht allzu kurze Dienstzeit erworben haben muss, der Angabe, dass der agens in rebus noch jung sei, entgegenstehen. Die von Symmachus angeführte Begründung bleibt blass, wenn nicht sogar widersprüchlich und verlangt nach ergänzenden Erklärungen. Was rechtfertigt wirklich das Ausnahmegesuch von Symmachus? Welche Fallkonstellation könnte man sich vorstellen, der das Gesetz von der spiegelnden Strafe nicht gerecht wird? Wann wäre die Verhängung der Todesstrafe gegen Africanus unverhältnismäßig? Kaum vorstellbar ist, dass der agens in rebus es gewagt haben sollte, Senatoren aus heiterem Himmel wegen eines schweren Verbrechens, auf das gar die Todesstrafe stand, anzuklagen, d. h. ohne die Überzeugung, hierfür auch den Beweis erbringen zu können. Das wäre todesmutig; an schlichte Unüberlegtheit mag man daher nicht glauben. Eine Erklärung könnte sein, die von Symmachus angesprochene jugendliche Unvorsichtigkeit darin zu erblicken, dass Africanus nicht damit rechnen musste, seine Zeugen würden zugunsten der Angeklagten aussagen. Offensichtlich misslingt seine Beweisführung überraschenderweise. Sollten die Zeugen umgefallen sein, sind sie vielleicht von den Senatoren unter Druck gesetzt worden? Hatte Africanus als Ortsfremder die örtlichen Machtverhältnisse falsch eingeschätzt? Diese Hypothese könnte jedenfalls erklären, warum Symmachus zögert, Africanus zu bestrafen. Der Fall ist anders als erwartet verlaufen, und die wahren Gründe scheut er sich möglicherweise zu nennen. Macht und Einfluss von Senatoren, die sich schon mehrere Male gezeigt haben, könnten auch in diesem Fall eine Rolle gespielt haben. Mit keinem Wort deutet Symmachus an, was er von dem Fall hält, was wirklich passiert ist. Allenfalls lässt er Missstände im Verfahren insoweit anklingen, als er von Verzögerungsmanövern der Anwälte der Senatoren1162 spricht, doch einen konkreten Verdacht lässt er auf die Senatoren nicht fallen. Die jugendliche Unvorsichtigkeit könnte sich also darauf beziehen, dass Africanus in Unkenntnis der örtlichen Machtverhältnisse nicht damit gerechnet hatte, dass die Zeugen, die er doch wohl als sichere Belastungszeugen betrachtete, umfallen könnten. Interessant, wenngleich spekulativ, sind in diesem Zusammenhang die Überlegungen, die Giglio1163 zu Relation 49 anstellt, der ver1162 Die sich zu profilieren suchen, ohne etwas Handfestes vorzutragen. Nach CT IX, 1, 7 (338) hat der Richter unter Strafdrohung von der Festnahme (custodia) an, für seine Untersuchung nur einen Monat Zeit. Das macht den Zeitdruck deutlich, dem Symmachus ausgesetzt war, und erklärt seine Ungeduld und sein Bemühen, jegliche Verzögerung zu vermeiden. 1163 Patrocinio, 153; ders., A proposito, 580; 588 ff. Zusätzlich zieht er, A proposito, 593 ff, Ep. IX, 10 heran, um ein positives Bild von Symmachus zu zeichnen, der sich
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
mutet, dass die Senatoren ein Patronatsverhältnis über Aricia ausgeübt hätten, das die summates dazu veranlasst habe, zu ihren Gunsten auszusagen, um den senatorischen Schutz nicht zu verlieren. Er sieht in Relation 49 ein Beispiel für das sogenannte patrocinium und versucht, einen Zusammenhang zwischen der Rolle der agentes in rebus als politischer Polizei1164 und dem gleichzeitigen Aufkommen des illegalen patrocinium Ende des vierten Jahrhunderts herzustellen. Nach seiner Einschätzung wollte Africanus mit seiner Klage gegen illegale, gewaltsame Aktionen der Senatoren aus ihrem Patronatsverhältnis vorgehen, wobei er auf das Zeugnis der summates zählte, aber mit den örtlichen Machtverhältnissen zu wenig vertraut war und den Einfluss der Senatoren unterschätzte, so dass seine Klage unrühmlich scheiterte. Die Senatoren hätten aufgrund ihrer Stellung als Patrone über die Stadt und ihre Umgebung auf den Verfahrensgang Einfluss genommen und die Zeugen beeinflusst; diesen sei das Risiko zu groß gewesen, sich mit den Senatoren zu überwerfen, von deren Schutz sie abhängig waren. Die wahren Hintergründe habe Symmachus bewusst nicht genannt. Versuche der Einflussnahme von potentes auf die Rechtsprechung, d. h. Versuche, sich persönliche Beziehungen zunutze zu machen, finden sich auch in den Privatbriefen von Symmachus (dazu im Dritten Teil). Nicht auszuschließen ist deshalb, dass die Senatoren tatsächlich auf den Ausgang des Prozesses Einfluss genommen haben, weil sie mit der Stadt verbunden waren und direkt oder indirekt Druck auf die Ratsherren ausüben konnten. Im Rahmen von mehr oder weniger förmlichen Patronatsverhältnissen gewährten einflussreiche Senatoren, unzulässigem patrocinium mehrfach widersetzt und seinerseits die Grenze der Legalität nicht verlassen habe, wenn er seine eigenen Interessen durchsetzen wollte. Den genannten Brief (dazu auch Roda, Commento, 110-113) schreibt Symmachus um 394 an den mutmaßlichen vicarius von Rom bzw. Africa in eigener Sache und berichtet dort von unzulässigen Steuerforderungen gegen ihn als Senator. Die missbräuchlichen Forderungen würden seitens städtischer principales, die sich selbst zu entlasten suchten, gedeckt. Das Schreiben gehört zu den Beispielen, in denen ein einflussreicher Senator, hier Symmachus, seine eigenen Interessen beim zuständigen örtlichen Beamten offensiv vertritt, indem er ihm das richtige Vorgehen genau vorgibt, geradezu in den Mund legt. Symmachus scheut sich nicht, in eigener Sache Missstände beim Namen zu nennen und seine Beziehungen zu nutzen, doch tut er das legal; er fordert gerade Einhaltung der gesetzlichen Regeln. Dieser Fall ist durchaus typisch für den privaten Symmachus, denn in zahlreichen weiteren Briefen zeigt sich, dass er immer wieder versucht hat, seine Beziehungen spielen zu lassen; vgl. hierzu die Auswertung seiner Privatbriefe im Dritten Teil. Das sagt aber nichts über das Geschehen, das Rel. 49 möglicherweise zugrunde liegt, über das Giglio sich doch sehr spekulativ äußert. Ep. IX, 10 eignet sich als Vergleichsfall zu Rel. 49 allenfalls bedingt. Allgemein zu Patronatsverhältnissen und patrocinium jener Zeit: Gera/Giglio, Tassazione, 105 ff; Giglio, Patrocinio, 267 ff; Krause, Spätantike Patronatsformen. S. a. CT VI, 4, 22, 3 (373) zum Problem des patrocinium: potentiores nehmen Einfluss auf die Rechtsprechung. Auch Ammian berichtet von illegalen Freisprüchen aufgrund von praesidia potiorum: XV, 2, 9. Diesen Vorwurf will Symmachus hier vermeiden und geht den offiziellen Weg einer Relation. 1164 Dabei verweist er auf die angeblich politisch brisante Rolle der agentes in rebus in den Relationen 31 und 38.
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die in der Regel Großgrundbesitzer am Ort waren, „ihren“ Gemeinden Schutz und ließen sich im Gegenzug von den Bewohnern Treue und Gehorsam versprechen. Auf diese Weise beherrschten solche potentes ganze Städte mittels Parentel-, Freundschafts- oder Patronatsbeziehungen, die sich in fließenden Übergängen zwischen sozial üblichen Beziehungen bis hin zu Zwangsbündnissen bewegten, s. a. den Titel CT XI, 24: De patrociniis vicorum. Diese Patrone verlangten schlimmstenfalls unter Androhung von Gewalt die Abgabe von Land gegen Schutzgewährung; eine der bei Relation 38 genannten Möglichkeiten, eigene Besitzstände zu vergrößern. Auf den ersten Blick könnte man daher geneigt sein, auch hier einen solchen Fall von violentia zu vermuten, dem Africanus entgegenzuwirken versuchte. Allerdings steht dem, wie bereits ausgeführt, die Tatbeschreibung in der Relation entgegen, die auf Erregung öffentlicher Unruhe abstellt, wozu eine gewaltsame Erpressung von Land schwerlich führt. Insgesamt bleibt der Ansatz von Giglio eine Vermutung, denn patrocinium war zu jener Zeit zwar eine soziale Realität, wird in den Relationen aber nirgendwo greifbar1165. Sofern es hier eine Rolle gespielt haben sollte, hätte Symmachus dazu mit gutem Grund nichts angedeutet, um sich nicht noch größerem Unmut der Senatoren auszusetzen. Stattdessen liefert er dem Kaiser formale Gründe, die eine Gnadenentscheidung nach außen rechtfertigen können. Unabhängig davon ist der Status der Angeklagten für den Ausgang des Prozesses nicht ganz gleichgültig, denn Senatoren konnten sich dank guter Prozessvertreter und finanziellen Durchhaltevermögens häufig besser als andere Parteien durchsetzen. Insbesondere war bei ihnen die Gefahr, dass Zeugen beeinflusst wurden, ungleich größer als bei sozial niedrig gestellten, wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Angeklagten. Zudem waren sie durch das Folterverbot schwerer zu überführen, denn ein Geständnis konnte nicht erzwungen werden. All das machte eine Anklage gegen Senatoren besonders riskant und Africanus vielleicht deshalb besonders schutzwürdig. Keinen Anhaltspunkt liefert Symmachus hingegen für die auch denkbare Vermutung, dass Africanus ein gekaufter Ankläger gewesen sein könnte. Zwar kam es durchaus vor, dass Ankläger von einflussreichen Hintermännern gegen Belohnung vorgeschickt wurden und bei Nichterweisbarkeit den Kopf hinhalten mussten, doch ist hier nicht zu vergessen, dass Symmachus das Amt des Anklägers in den Vordergrund stellt. Eben daraus ließe sich nun auch eine Interpretation der Relation ableiten, die Symmachus weniger schmeichelt als die bisherigen Überlegungen, denn dass die Stellung als Beamter ein Milderungsgrund, ein Grund für Sonderbehandlung sein soll, mutet durchaus fragwürdig an. Die Privilegierung von beamteten Anklägern ist gefährlich, will man Denunziantentum auch in Bezug auf die agentes in rebus als potenziellen Berufsspitzeln wirksam bekämpfen. Nicht ausgeschlossen sind vor diesem Hintergrund politische Implikationen um den agens in rebus, der ein Kollege des princeps officii im officium urbanum des 1165 So ist beispielsweise das Städtepatronat nach dem Zeugnis der 28. Relation nicht überzubewerten.
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Stadtpräfekten war und dessen Funktion vielleicht den magister officiorum als seinen Chef erweichen sollte. Die endgültige Einschätzung hängt aber von der nicht zu beantwortenden Vorfrage ab, ob Symmachus die konkrete Position für schutzwürdig hält oder nur die Tatsache hervorheben will, dass Africanus dem Staat dient, und das als pauschales Argument nutzt, das beim Kaiser nie schaden kann. Ebensogut könnte das Bittschreiben aber auch aus persönlichen Beziehungen heraus motiviert sein. Nicht ganz abwegig, aber ebenfalls hypothetisch meint Vera, als ein mögliches Motiv könnte hinter den von Symmachus ausdrücklich genannten stehen, dass er Africanus persönlich verbunden war und ihn begünstigen wollte; er habe häufig agentes in rebus empfohlen1166. Tatsächlich pflegten die römischen Senatoren ein gutes Verhältnis zu diesen Beamten, die immer wieder in Verruf gerieten. Doch wissen wir nicht, ob Symmachus eine persönliche Bindung zu Africanus hatte und ihn daher schützen will, indem er sich für ihn, ähnlich wie in Ep. II, 41 (s. dazu ausführlicher im Dritten Teil) zugunsten eines ihm bekannten, ehemaligen Beamten, in einem Strafprozess einsetzt. Allerdings sollte man sich davor hüten, alle agentes in rebus in eine fragwürdige und verdächtige Ecke zu stellen. Symmachus macht sich weder hier noch in seinen Privatbriefen verdächtig, einen von ihnen unrechtmäßig begünstigen zu wollen. Festgehalten werden kann vielmehr, dass er hier aus persönlicher Überzeugung um Gnade für einen Ankläger bittet, der sozial nicht besonders hochgestellt war, obwohl es für ihn ein Leichtes gewesen wäre, die Talionsstrafe zu verhängen. Dass ihn emotionale Gründe bewegen, sagt er offen und schiebt nichts Rechtliches vor. Die Senatoren konnten ihre Interessen im Prozess mit Erfolg wahren, doch ob Symmachus sie wirklich für unschuldig hält, sagt er wohlweislich nicht. In der Tat dürfte das zu bezweifeln sein, denn Africanus war sich seiner Sache offensichtlich sicher und auch die Akten mögen für sich gesprochen haben. Der wahre Hintergrund des Falles bleibt bewusst im Dunkeln. Dem Kaiser wird lediglich eine knappe offizielle Begründung geliefert, die keinen Widerstand seitens der Senatoren provozieren dürfte. 3. Versuch einer Bewertung Wir wissen nicht, wie der Fall ausgegangen ist1167 und ob Symmachus beim Kaiser Gehör fand. Dessen Entscheidung wird nicht zuletzt davon abhängig gewesen sein, was sich aus den Akten ergab. Gerade das eher bedenkliche Argument der Amtsverdienste, die eine Sonderbehandlung rechtfertigen sollen, 1166 Commento, 349. S. die Empfehlungen in Epp. II, 14; 62 f; 80; III, 187; V, 34; VI, 30; 53; VII, 34; 59; 107; IX, 16; 64. 1167 Verfehlt Coroï Violence, 328 Fn. 4, der glaubt, dass Africanus mit einer leichteren Strafe belegt worden sei. Dagegen steht der Sachverhalt: Symmachus entscheidet nicht und nichts deutet den Ausgang des Falles an. Der Stadtpräfekt bittet um Schonung, die in Strafmilderung bestanden haben mag oder auch in einem Freispruch.
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mag am Hof den größten Erfolg, insbesondere beim magister officiorum, gehabt haben. Africanus erhielt vielleicht nur einen öffentlichen Tadel oder eine Geldbuße. Möglich ist aber auch, dass das Gesuch abgelehnt und Symmachus mit der Vollstreckung der Talionsstrafe beauftragt wurde. Der Stadtpräfekt hofft jedenfalls, der Kaiser werde selbst urteilen, ihn nicht nur ermächtigen, nach eigenem Ermessen zu befinden. Festzuhalten ist, dass sich Symmachus formal vorbildlich verhält, die eigene Bindung an das Gesetz akzeptiert, damit den Anschein von corruptae sententiae vermeidet und einen Fall aus humanitären und vielleicht auch anderen Motiven an den Kaiser übergibt. Er nutzt den Kaiservorbehalt, um im Einzelfall Gerechtigkeit zu erbitten, was zunächst einmal kein Zeichen von Feigheit, sondern gesetzes- und systemkonform ist und Rechts- und Problembewusstsein des Stadtpräfekten zeigt. Er kann nicht anders, will er nicht heimlich Recht beugen oder eine als zu hart empfundene Strafe verhängen. Dem Kaiser werden Argumente geliefert, die ein offizielles Abweichen vom Gesetz tragen könnten. Relation 49 füllt, wie schon einige andere Relationen, die Ausführungen in den Kaiserkonstitutionen zur kaiserlichen Allmacht in Fragen der Gesetzgebung und Gesetzesauslegung mit Leben. Mit einem eindeutigen Gesuch gibt Symmachus den Fall, nachdem er die Sach- und Rechtslage klargestellt hat, mittels consultatio ante sententiam ab1168. Ob dieses Gesuch, mit dem dem agens in rebus außerordentlicher Rechtsschutz gewährt wird, weil eine Appellation keine Erfolgsaussichten hat, gerechtfertigt ist, kann nicht abschließend beurteilt werden, doch nach allem was wir aus den übrigen Relationen von Symmachus als Richter wissen, sei die Vermutung gestattet, dass auch hier eine freundliche Auslegung näher liegt als der Verdacht von Begünstigung zugunsten eines Beamten. Symmachus zeigt sich offen parteilich zugunsten des agens in rebus, nicht etwa zugunsten seiner Standesgenossen. Dieser ist eher Opfer als bösartiger Spitzel und Denunziant. Dem Stadtpräfekten missfällt die übermäßige gesetzliche Härte, acrimonia, er übt also durchaus Rechtskritik, wenngleich nicht allgemeiner Art. Die übergroße Schärfe der Strafgesetze wird lediglich im Einzelfall thematisiert und der Gesetzesvollzug selbstbewusst verweigert. Entgegen der Einschätzung von Chastagnol1169 ist daraus aber keine allgemeine Tendenz zu erkennen, die harten Strafgesetze nicht mehr anzuwenden. So wird beispielsweise in Relation 38 ohne Diskussion die Todesstrafe für violentia verhängt. Zum spätantiken Strafprozess ist aus Relation 49 festzuhalten, dass der Richter durch die vorgegebenen Strafen zwar entlastet wird, allerdings dadurch auch keinen Spielraum hat, dem Einzelfall gerecht zu werden. Häufig wird das System der Abschreckung auch unbeabsichtigte Erfolge gehabt haben, derart näm1168 Es handelt sich nicht etwa um eine unzulässige relatio post sententiam, mit der von einer Appellation abgehalten werden soll, denn das Urteil gegen Africanus steht noch aus. 1169 Préfecture, 93.
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lich, dass berechtigte Anklagen angesichts harter Strafen vorsichtshalber unterblieben sind, insbesondere wenn wie hier Senatoren anzuklagen waren und den Prozess beeinflussen konnten. Das System der Anklägerbestrafung als Mittel gegen missbräuchliche Anklagen führte ungewollt auch dazu, dass tatsächlich begangene Straftaten ungesühnt blieben.
V. Zwischenergebnis zu den strafrechtlichen Relationen Die in den zuletzt behandelten Relationen angesprochenen Probleme liegen auf ganz verschiedenen Ebenen. In den Relationen 31 und 36 geht es um Durchsetzung; Symmachus fehlt die notwendige Autorität, um die Angeklagten zu verurteilen. Der in Relation 38 geschilderte Fall ist hingegen aus rechtlichen Gründen nicht lösbar und das gilt im Ergebnis auch für Relation 49. Diesen Fall könnte Symmachus zwar grundsätzlich selbst beenden, doch weil er eben das nicht will, muss er rechtlich korrekt ein Abweichen vom Gesetz eigens erbitten. Dabei macht Symmachus keinen Unterschied, ob es sich bei den Angeklagten um Senatoren handelt, sondern versucht stets, den Prozess ordnungsgemäß durchzuführen, scheitert jedoch regelmäßig an Macht- und Selbstbewusstsein von Senatoren und Beamten, amtierenden oder ehemaligen, sogar angeblichen, dem er nicht viel mehr entgegenzusetzen vermag als ein Gesuch an den Kaiser. Verfahrensrechtlich verhält sich der Stadtpräfekt nahezu vorbildlich; die einschlägigen Vorschriften werden, soweit ersichtlich, konsequent angewandt, nur fehlen Möglichkeiten, manchmal vielleicht auch die Bereitschaft, Hinhaltemanöver der Parteien und ihrer Prozessvertreter effektiv zu unterbinden. Symmachus reagiert nicht mit Härte, wenn er seine Autorität angetastet sieht, sondern eher defensiv. Das Bemühen, die Verfahren zügig durchzuführen, ist zwar zu spüren, doch hat der Stadtpräfekt immer wieder mit Altfällen zu kämpfen, mit denen er sich nicht ganz leicht tut. Die Strafrechtsprechung ist geprägt von violentia-Delikten, gegen die auch die scharfen Gesetze wenig ausrichten können, wenn im Hintergrund selbstbewusste Täter (vgl. dazu ergänzend auch Relation 28) stehen. Die geschilderten Strafprozesse liefern, ohne den Anspruch zu erheben, repräsentativ zu sein, ein überaus lebendiges und anschauliches Bild zur Strafrechtspraxis jener Jahre; etwaige „Verrohungstendenzen“ im spätantiken Strafprozess sind in den Relationen nicht auszumachen. Vielmehr ist trotz der oft überscharfen Strafen durchaus ein Bemühen um Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zu erkennen. Detaillierte Verfahrensvorschriften1170, feststehende Tatbestände, gesetzlich be1170 Dazu gehören auch bestimmte Beweisanforderungen vor Verhängung schwerer Strafen in CT IX, 40, 1 (314/315) oder humanitäre Mindestanforderungen an Gefängnisse im Titel CT IX, 3. Zu den Verfahrensvorgaben mit rechtsstaatlichem Einschlag gehört auch die Einrichtung des quinquevirale iudicium, wenngleich darin auch besondere Standesprivilegien zum Ausdruck kommen.
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stimmte, eindeutige Rechtsfolgen, klare Zuständigkeiten und ein vorgegebener Instanzenzug vermögen zu Rechtssicherheit und Schutz vor Willkür beizutragen. Dazu gehört auch, dass sich der Kaiser nicht direkt einmischt, gar eine bestimmte Bestrafung anordnet oder Sonderrichter ernennt. Eine unabhängige Strafrechtspflege war grundsätzlich gewährleistet. Allerdings zeigt sich in dem im wesentlichen auf Abschreckung basierenden System auch Hilflosigkeit. Die Einzelfallgerechtigkeit wird zugunsten schematischer Lösungen zurückgestellt und allzu weit gefasste Tatbestände wie die violentia führen zu Unsicherheit bei der Auslegung und Rechtsanwendung. Eben diese Probleme kommen auch in den Relationen zum Ausdruck, doch ist Symmachus weit davon entfernt, grundlegende Reformen vorzuschlagen. Ihm geht es nur um den konkreten Fall. Das Relationsverfahren erweist sich dabei in der Hand eines verantwortungsbewussten Richters als ein Mittel, in einem vorgegebenen Verfahren mit rechtsstaatlichen Zügen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit durch „höchstrichterliche“ Klärung zu erreichen und ggf. auch eine überschießende Schärfe des Gesetzes auszugleichen; andererseits aber ist es auch ein praktisch nicht kontrollierbares Einfallstor für Willkür, Bestechlichkeit, Standesdenken und im Ergebnis auch Rechtsunsicherheit. In welche Richtung sich die Waage im Einzelfall neigte, hing vom jeweiligen Beamten, aber auch vom Kaiser und seinem Umfeld ab. Auch die Bewertung der Relationen hängt insoweit davon ab, inwieweit die von Symmachus gegebene Begründung für glaubwürdig erachtet wird.
Unterabschnitt 3
Ergebnis zu den Prozessberichten Stichwortartig zusammengefasst, lässt sich folgende Übersicht entwerfen: Relation - Gegenstand - Instanz - Verfahrenstyp - Störung der Rechtslage. I. Zivilrecht Relation 16: Besitz/Erbrecht/Verfahrensfragen - 1. Instanz - appellatio more consultationis - Störung (+): rechtswidrige Annahme einer Appellation. Relation 19: Erbrecht/Verfahrensfragen - 1. Instanz - relatio ante sententiam (ganz abgebend) - Störung wohl (-): Abgabe rechtlich plausibel begründbar. Relation 28: Besitz/Eigentum/Verfahrensfragen - 1. Instanz - appellatio more consultationis - Störung (+): rechtswidrige Annahme einer Appellation.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
Relation 30: Fiskalprozess/Senatorensteuer - 1. Instanz - relatio ante sententiam (ganz abgebend) - Störung unklar, wohl aber Entscheidungsschwäche angesichts eines verschleppten Verfahrens. Relation 32: Besitzrecht/Verfahrensfragen - 1. Instanz - appellatio more consultationis - Störung (-): rechtlich fundierte Argumentation. Relation 33: Besitzprozess nach entsprechender Reskriptanordnung - speziell delegiert als quasi 1. Instanz - appellatio more consultationis - Störung wohl (+): rechtswidrige Annahme einer Appellation, aber rechtlich schwierige Frage. Relation 39: Erbrecht/Verfahrensfragen - 2. Instanz oberhalb des Prätor - relatio ante sententiam (ganz abgebend) - Störung (-): Bitte um Milde wird rechtlich nachvollziehbar begründet. Relation 40: „öffentlich-rechtliche“ Streitigkeit um Getreidelieferpflichten/formelle Fragen - 2. Instanz oberhalb des consularis Campaniae - relatio ante sententiam (ganz abgebend) - Störung (-): rechtlich tragfähig. Relation 41: Fiskalprozess um bona vacantia/materielles Erbrecht und Verfahrensfragen - 2. Instanz oberhalb des rationalis - appellatio more consultationis - Störung fraglich: zweifache Appellation ist inusitata, aber wohl rechtmäßig; zweifelhaft ist hingegen die erbrechtliche Entscheidung. Relation 48: Erbrecht/Verfahrensfragen - Wiederaufnahme eines eigentlich abgeschlossenen Verfahrens; Symmachus ist nicht als Richter befasst, sondern verfasst die relatio im Auftrag von Senatoren und zur Verteidigung seiner Kompetenzen als Stadtpräfekt - Störungen (+), aber nicht bei Symmachus, sondern im Vorfeld. Die Relation selbst ist rechtlich tragfähig.
II. Strafrecht Relation 31: (Zivil- und) Strafrecht/Verfahrensfragen - 1. Instanz - relatio ante sententiam (ganz abgebend) - keine rechtliche Störung, aber tatsächliche Hilflosigkeit des Stadtpräfekten. Relation 36: politischer Prozess - 1. Instanz kraft kaiserlicher Delegation - relatio ante sententiam zur Information des Kaisers (nur Anfrage/Rechenschaftsbericht, keine Abgabe des Falles) - rechtliche Störung (-): Schwierigkeiten auf rein tatsächlicher Ebene. Symmachus will möglicher Kritik vorbeugen. Relation 38: crimen violentiae/Kurialenflucht/Verfahrensfragen - irreguläre 2. Instanz oberhalb des corrector Apuliae Calabriae - relatio „ante sententiam“ (den Fall ganz abgebend, aber ohne Erwartung eines Kaiserurteils) - Störung
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(+): vom Amtsvorgänger übernommen. Die Relation selbst ist rechtlich tragfähig. Relation 49: crimen violentiae/Anklägerverfahren - 1. Instanz - relatio ante sententiam (ganz abgebend) - Störung wohl (-): Die Rechtsfrage trägt die Relation grundsätzlich. Ohne die abschließende Bewertung der Relationen vorwegzunehmen, lässt sich angesichts dieser Übersicht zusammenfassend feststellen, dass in den Relationen 28, 31 und 36 eher Sachfragen (dazu gehören auch Autoritätsprobleme des Stadtpräfekten) behandelt werden, in den Relationen 16, 19, 30, 32, 33, 38, 39, 40, 41, 48 und 49 hingegen eher Rechtsfragen (rechtliche Zweifel oder Bitte um Abweichen vom allzu strengen Gesetz) im Vordergrund stehen. Insgesamt haben die Prozessberichte einen deutlich zivilrechtlichen Schwerpunkt, der vor allem in Besitzstreitigkeiten und Erbrechtsprozessen zum Ausdruck kommt. Diese Rechtsgebiete haben, insbesondere für Senatoren, nach wie vor große Bedeutung für die Praxis. Mehrere Male wurde auch Gewalt, insbesondere im Zusammenhang mit Landraub zur Vergrößerung von (Groß-)Grundbesitz angewandt; gerade in diesen Fällen (den Relationen 28, 31, 38, 49, evtl. auch 33) gibt es Unregelmäßigkeiten im Verfahren und sind Personen beteiligt, die eine Sonderbehandlung wegen ihres sozialen Status oder eines Amtes für sich rechtlich oder tatsächlich - beanspruchen. Auch ein Symmachus ist daher nicht gänzlich frei von dem Vorwurf, dass Widerstand einflussreicher Leute bei ihm faktisch Einfluss auf die Entscheidung gehabt hat. Auffallend häufig begegnen unzulässige Appellationen. „Störungen der Rechtslage“ im Sinne von rechtlich zweifelhaftem oder sogar klar rechtswidrigem Verhalten des Richters sind hier sogar mehrere Male zu konstatieren, sei es durch Amtsvorgänger des Symmachus (vgl. Relationen 33 und 38), sei es durch ihn selbst. So zeigt sich Symmachus mehrmals geneigt, unzulässige Appellationen anzunehmen (s. die Relationen 16, 28 und 33). Das Appellationsverfahren erweist sich insoweit als besonders störungsanfällig. Dazu dürfte nicht zuletzt die unübersichtliche Rechtslage in diesem Bereich beigetragen haben, die dazu führt, dass gesetzliche Beschleunigungsversuche in der Praxis häufig leerlaufen und Richter kaum Hemmungen haben, Gesetze nicht anzuwenden oder sogar offen zu brechen, um sich unangenehmer Fälle zu entledigen. Hier bleibt auch die Bewertung der Relationen zwiespältig. Eine konkrete Einflussnahme von außen auf die Rechtsprechung des Stadtpräfekten ist selbst in diesem Zusammenhang allerdings nie greifbar, kann allenfalls in Einzelfällen vermutet werden1171. Deutlich zutage tritt hingegen, etwa in den Relationen 1171
So fehlen insbesondere konkrete Anhaltspunkte für ein patrocinium im Prozess, d. h. für missbräuchliche Beeinflussungsversuche von potentiores auf den Verfahrensgang (dazu etwa bei Rel. 49). Dass es das, insbesondere auf der Ebene der Provinzrichter immer wieder gab und man auch versuchte, das mehr oder weniger erfolgreich abzuwehren, zeigt die Untersuchung von Santucci, potentiores e abusi processuali; Quel-
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28, 31 und 36, die Schwierigkeit des Stadtpräfekten, sich ihm selbstbewusst widersetzender Senatoren und/oder Beamten Herr zu werden oder Verzögerungs- und Verschleppungsversuchen geschickter Anwälte effektiv zu begegnen. So verspricht eine gewiefte Prozesstaktik durchaus Erfolg und sei es durch das größere wirtschaftliche Durchhaltevermögen insbesondere senatorischer Parteien. Hier zeigt sich der Stadtpräfekt häufig allzu geduldig und geht auch auf offenkundige Ablenkungsmanöver ein, um erst in seiner Relation seiner Empörung doch noch Ausdruck zu verleihen. Das geschieht freilich eher aus persönlicher Schwäche als um Standesgenossen zu begünstigen. Störungen zeigen sich dort nicht so sehr im Sinne einer tendenziösen Rechtsprechung, sondern in einem übermäßigen Nachgeben. Auch insoweit sind die Relationen Spiegel eines weit verbreiteten Problems1172. Regelmäßig bleibt das Verfahren dadurch bereits in prozessualen Fragen stecken; zur Sachbehandlung kommt es häufig gar nicht mehr. Nicht bestätigt hat sich aber trotz dieser Vorbehalte das von vielen Autoren gezeichnete Bild des sich aus der Verantwortung stehlenden, eingeschüchterten Stadtpräfekten. Jenseits der rhetorischen Floskeln zeigt sich bei näherem Hinsehen vielmehr, dass die Relationen in aller Regel einen rechtlichen oder auch handgreiflichen sachlichen Hintergrund haben, der sich weder pauschal mit Entscheidungsschwäche noch mit Korruption im Rechtswesen, Standesrechtsprechung oder gar einem religiösen Hintergrund der Beteiligten erklären lässt. Im Gegenteil, mehrmals tritt Symmachus sogar für die Sache der sozial Schwächeren ein1173. Es finden sich kaum Routineberichte, vielmehr sind die Fälle besonders kompliziert, wurden häufig schon von einem Amtsvorgänger behandelt. Die Prozessberichte sind weder Lehrbeispiele für das damals übliche Routineverfahren, noch Fundgrube für abstrakte Ausführungen und juristische Reflexionen zum jeweiligen Verfahrensgang oder gar für materiell-rechtliche Fragen. Das bedeutet indes nicht, dass sie nicht auch zahl- und lehrreiche, und bisweilen auch verallgemeinerbare, Erkenntnisse zum spätantiken Kognitions-
len und Gegenmaßnahmen zu den verbreiteten Missständen in der Gerichtsbarkeit auch bei Noethlichs, Beamtentum, u. a. 162 ff; 204 f. Senatoren kauften sich Richter oder deren adsessores mit Geld oder schüchterten sie ein. So lobt etwa ein Augustinus, Conf. VI, 10, 16 den Alypius, Rechtsberater des comes largitionum Italicianarum, ausdrücklich dafür, dass er dem standhält. Zu diesem Problembereich m.w.N. auch im Dritten Teil. 1172 So beklagt auch Ammian, XXX, 4, 9 ff, langwierige und dadurch oftmals ruinöse Verfahren. Anwälte nutzen (Rechts-) Unsicherheit der Richterschaft geschickt aus, überhäufen den überforderten Richter mit Anträgen, spielen Gerichte und ihre oft streitigen Kompetenzen gegeneinander aus und erzielen dabei Gebühren. Zwar mag diese Darstellung überspitzt sein, doch finden sich Ansätze für all das auch in den Relationen. Insbesondere gegen Prozessverschleppung werden daher immer wieder Fristen gesetzt und bei Verstoß Strafen angedroht: Quellen bei Noethlichs, Beamtentum, 165 ff. Die Ursachen liegen bisweilen aber auch beim Richter und seinem officium, vgl. etwa CT II, 1, 6 (April 385). 1173 Man denke nur an Relation 39 oder auch an Relation 49.
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prozess konstantinischer Prägung lieferten. Im Wesentlichen aber sind sie lebendiges, stark von Person, Rechts- und Amtsauffassung des Symmachus geprägtes Zeugnis der stadtrömischen Rechtspraxis und der möglichen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten in einigen wenigen, besonders problematischen Fällen. Dass aber diese Fälle dessen ungeachtet die Praxis durchaus wiedergeben, zeigt sich etwa darin, dass die Schwerpunkte der Relationen und der zeitgenössischen Gesetzgebung Valentinians II. und seiner Vorgänger häufig parallel verlaufen. Hier wie dort geht es, wie die Zusammenstellung der Gesetzgebungstätigkeit Valentinians II. in jenen Jahren bei Honoré1174 zeigt, oft um Appellationsfragen und Verfahrensbeschleunigung gegen verbreitete Verzögerungstaktiken, um Personal- und Kompetenzfragen, aber auch um das Erschleichen von Vorteilen. Die Relationen scheinen mehrmals Ausgangspunkt einer Rechtsänderung gewesen zu sein, zugleich aber trugen sie, wenn sie den Kaiser um ein Abgehen vom Gesetz im Einzelfall bitten, auch wiederum zur verbreiteten Rechtsunsicherheit bei. Die Qualität von Rechtsprechung und Verwaltung hing sehr von Interesse und Fähigkeiten des Kaisers und seiner engsten Berater ab. Trotz der nicht sehr großen Zahl der Prozessberichte, also ohne statistisch abgesicherte Wahrscheinlichkeit, lassen sich so Schlüsse auf die allgemeine Rechtslage ziehen. In der Zusammenschau mit der Verwaltungspraxis, wie sie in den zuvor behandelten Relationen zutage getreten ist, werden diese Beobachtungen noch deutlicher, zumal sie sich aus weiteren zeitgenössischen Quellen ergänzen lassen. Diese Schlüsse werden im Vierten Teil der Arbeit zu ziehen sein. Insgesamt erweist sich das Niveau der römischen Prozesspraxis als bemerkenswert hoch, auch wenn man berücksichtigt, dass die Relationen eine bloße Zusammenfassung zu den mitgeschickten Prozessakten und kein Verfahrensprotokoll enthalten. Als Entscheidungsgrundlage werden vor allem Kaiserkonstitutionen aus jüngerer Zeit (seit Konstantin) und einige unspezifische leges herangezogen, die zum Teil der Stadtpräfekt anführt, zum Teil aber auch die Parteien bzw. ihre Vertreter vorlegen. Grundlage der Rechtsprechung ist nahezu ausschließlich die Kaisergesetzgebung, ganz selten auch einmal der überkommene Brauch und ungeschriebenes Gewohnheitsrecht. Mit keinem Wort erwähnt finden sich hingegen die klassischen Juristenschriften1175; sie haben in der Rechtspraxis jener Jahre ersichtlich keine maßgebende Bedeutung mehr und fallen bei Symmachus auch nicht unter den häufig gebrauchten Begriff des 1174
Honoré, Law, 180 ff; 183, stellt er zur Gesetzgebung Valentinans II. fest: „Valentinian’s laws are conservative and tidy, like those of an administrator anxious to make clear distinctions.“ In dieses Umfeld passen die Relationen bestens hinein. Auch Symmachus zeigt eine ordentliche Verwaltung und Rechtsprechung, ist aber wie sein Chef weit davon entfernt, ein Reformer zu sein (dazu noch im Folgenden). 1175 In Rel. 41 wäre das klassische Recht eine nützliche Argumentationshilfe gewesen, doch Symmachus und sein rechtskundiger Berater kennen es offenbar nicht. Allenfalls schwache Andeutungen finden sich in Rel. 3, 13: romana iura; Rel. 39, 2: suffragio iuris sowie in Rel. 41, 6: prisco iure. Rel. 16 erwähnt zwar das beneficium praetoris als Grundlage der bonorum possessio secundum tabulas, zitiert aber das Edikt selbst nicht.
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Zweiter Teil: Die einzelnen Relationen
ius. Dieses meint vielmehr alle gültigen Rechtsregeln des Kaiserrechts. Immer wieder kommt es aber gerade in diesem Zusammenhang zu Zweifeln über die richtige Auslegung, die Auflösung von Widersprüchen, Bitten um Gewährung einer Ausnahme im Einzelfall, aber auch die Behandlung erschlichener Vergünstigungen. Als drängend erweist sich die Frage nach dem Verhältnis von Einzelfallreskripten zum allgemeinen Gesetz, aber auch zum Gewohnheitsrecht. Das Bedürfnis, alles detailliert zu reglementieren, führt nach dem Zeugnis auch der Prozessberichte häufig nicht zu einem mehr, sondern zu einem weniger an Rechtssicherheit, weil eine Vielzahl von Einzelvorschriften mit zum Teil unklarer Reichweite in Betracht kommen. Darauf wird im letzten Teil der Arbeit näher einzugehen sein, weil dieses Problem Verwaltungs- und Richteramt gleichermaßen betrifft. Symmachus bemüht sich, jedenfalls in der ganz überwiegenden Zahl der Prozessberichte, ersichtlich darum, gesetzmäßig zu handeln, und fragt lieber einmal zu viel als zu wenig um Interpretation nach. Andererseits macht er auch offene Vorschläge, wenn es ihm angemessen erscheint, im Einzelfall von der Norm abzuweichen. Im Prozessrecht - abgesehen vom Appellationsverfahren - hängt er einem strengen Legalitätsprinzip1176 besonders deutlich an. Etwas anders stellt sich die Beurteilung materiellrechtlicher Fragen dar, etwa in Relation 41 zur Frage der Gültigkeit eines Testaments. Hier argumentiert Symmachus stärker gefühlsmäßig und hier zeigt sich auch eher der ihm häufig vorgeworfene Traditionalismus, der sonst in Rechtsdingen eigentlich keine Rolle spielt. Insgesamt aber sind die Prozessberichte weniger Ausdruck eigener rechtswissenschaftlicher Durchdringung von Einzelfällen1177 als vielmehr stark rhetorisch und im Einzelfall durchaus plakativ verpacktes allgemein-rechtliches Gedankengut. Das bedeutet keineswegs, dass sie Zeichen einer beliebigen Billigkeitsrechtsprechung sind; viel eher sind sie Ausdruck herrschender Rechtsvorstellungen, aber zugleich auch herrschender Rechtsunsicherheiten im absolutistischen, von der Bindung an das Kaiserrecht geprägten System. Der Kaiser ist in die stadtrömische Rechtsprechung über das Appellations-, insbesondere aber das Relationsverfahren stark eingebunden. Der vorgeschriebene Instanzenzug wird grundsätzlich eingehalten, d. h. der Kaiser zieht Verfahren nicht einfach willkürlich an sich - mit Ausnahme vielleicht von Relation 48. Ein Umdenken zugunsten von Fachkompetenzen, zunehmender Spezialisierung und Zentralisierung am Hof in den Finanzressorts und im Beamtenrecht zulasten der stadtrömischen Kompetenzen deuten sich in den Relationen 38, 41 und 48 an; dazu wurden die möglichen Muster der Rechtsfortbildung bereits 1176 Zum von ihm vertretenen Gesetzlichkeitsprinzip vgl. auch Ep. V, 66, 5 (gegen 397): leges honoribus esse potiores. Dazu im Dritten Teil bei Ep. V, 54. 1177 Nicht gefolgt werden kann allerdings der pauschalen und niederschmetternden Einschätzung Wieackers, Recht und Gesellschaft, 91, dass nämlich die Wiedergabe der rechtlichen Streitfälle in den Relationen in der Sache Ungenauigkeit, mangelnde Konzentration und große Unsicherheit im juristischen Urteil zeige. Diese Bewertung verkennt nicht zuletzt den Rechtscharakter der Relationen als bloßen Begleitschreiben.
4. Abschnitt: Prozesse
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angesprochen. Symmachus versucht standhaft, aber mit geringer Aussicht auf Erfolg, die überkommenen Zuständigkeiten des römischen Stadtpräfekten und auch senatorische Privilegien gegenüber den stärker werdenden Zentralisierungstendenzen zu wahren. Ob es ein Zeichen schwindenden senatorischen Einflusses oder Zufall ist, dass sich in den Relationen kein Hinweis auf eine Rechtsprechung des Senats und des quinquevirale iudicium findet, muss offenbleiben, denn das Fünfmännergericht trat, wie zu den strafrechtlichen Relationen ausgeführt wurde, möglicherweise noch zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens in Erscheinung. Im Ergebnis lässt sich somit aus den Prozessberichten weder eine juristische Hochkultur noch ein allgemeiner Niedergang ausmachen, vielmehr zeigen sie eine solide funktionierende Justiz mit systemimmanenten Schwächen, die durch einen starken oder schwachen Beamten bzw. Kaiser abgemildert oder verstärkt werden. Um aber dieses System und auch die Rechtsansichten des Symmachus weiter zu verdeutlichen, sollen im nächsten Teil einige Privatbriefe des Symmachus, die Rechtsangelegenheiten betreffen, näher betrachtet werden. Eine abschließende Gesamtbewertung wird dann im Vierten Teil der Arbeit versucht.
Dritter Teil
Ergänzende Privatbriefe Im Folgenden sollen, wenngleich nur kursorisch und beispielhaft, einige Privatbriefe von Symmachus herangezogen werden, die im Gegensatz zu den Relationen eine Gelegenheit bieten, seine private Rechtsauffassung näher zu beleuchten. Es handelt sich hierbei um Briefe, die Rechtsangelegenheiten betreffen. Außerdem hat sich Symmachus in zahlreichen weiteren, mehr oder weniger allgemeinen Empfehlungsschreiben, die im Zusammenhang mit einigen Relationen bereits behandelt worden sind, für andere, insbesondere für Standesgenossen eingesetzt. Der jeweils zugrundeliegende Sachverhalt lässt sich allerdings häufig nur erahnen1. Aus einer Zusammenschau von Briefen und Relationen mag sich das Bild, das bislang nur den Stadtpräfekten gezeigt hat, abrunden. Immer wieder hat sich Symmachus für Verwandte, Freunde und Bekannte in Rechtsangelegenheiten eingesetzt und dabei versucht, Beamte, auch in ihrer Funktion als Richter, bei ihrer Entscheidungsfindung mit Hilfe seines persönlichen Ansehens, zu beeinflussen. Obgleich unlautere Methoden, etwa Ausübung von Druck oder gar Bezahlungen, nicht sichtbar werden, sondern in aller Regel 1
So finden sich unter den Briefen des Symmachus außer den unten angeführten noch zahlreiche weitere, hier nicht zitierte Empfehlungsschreiben, deren Hintergrund sich nicht eindeutig erschließen lässt. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang eine Reihe von Briefen, die Roda in einem Aufsatz (Un caso di assenteismo) untersucht hat. In mehreren Briefen setzt sich Symmachus für einen (vielleicht auch zwei verschiedene) Eusebius ein (Epp. IV, 43; VII, 53; IX, 55; IX, 59), der über lange Zeit dem Dienst fern geblieben ist (zu solchen Missständen s. bei Rel. 17 und zu einem Eusebius auch Rel. 48). Roda kommt zu dem Schluss, dass Symmachus u. a. beim Dienstherrn, dem comes rei privatae, um Milde zugunsten seines Schützlings, der wohl Beamter der res privata war, bittet, um Ausnahme vielleicht gar von gesetzlich vorgesehenen (vgl. CT VII, 12, 2 (379); VII, 12, 3 (395)) Folgen langer Abwesenheit vom Dienst. Rechtlich waren solche Empfehlungsschreiben nicht immer unbedenklich, hatten aber aus damaliger Sicht offenbar nichts Anrüchiges an sich. So bittet Symmachus noch mehrfach bei hohen Beamten um Sonderbehandlung von häufig senatorischen Freunden oder Bekannten und dabei mehr oder weniger direkt um Abweichung vom Gesetz. So enthält Ep. IX, 133 eine Bitte an einen (ungenannten) einflussreichen Adressaten, evtl. einen hohen Beamten, sich beim Kaiser zugunsten eines Freundes für eine Ausnahme vom gesetzlichen Heiratsverbot zwischen Verwandten (Cousin und Cousine) einzusetzen. Mit diesem Fall befasst sich Roda, Matrimonio und ders., Commento, 297-301. Zu weiteren Empfehlungsschreiben, darunter auch juristisch interessanten: Roda, Polifunzionalità. Häufig geht es um die Verteidigung finanzieller Interessen, etwa von Steuerprivilegien; beispielhaft seien hier Epp. IX, 10 und VII, 126 genannt.
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Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
ausdrücklich eine gesetzeskonforme Lösung erbeten wird, finden sich doch einige interessante Äußerungen, die nicht über jeden Zweifel an eine von Einflussnahme freie Rechtsprechung und Verwaltung erhaben sind. Nur im weitesten Sinne Rechtsangelegenheiten betreffen die zahlreichen Empfehlungsschreiben zugunsten von Anwälten und/oder Juristen2 an verschiedenste Adressaten. Hier äußert sich Symmachus bisweilen durchaus zwiespältig über die Arbeitsweise der Juristen bzw. Anwälte: So empfiehlt er in Ep. II, 42 (390-394) dem Adressaten zum wiederholten Male einen Senatorensohn als Rechtsanwalt (causidicus). Distanziert über die Tätigkeit der Juristen (forenses ravolas) äußert er sich hingegen gegenüber einem Rechtslehrer in Ep. III, 23, 2 (vor 383). Laut Ep. V, 16 (vor 382), in dem sich Symmachus für einen Anwalt einsetzt, fördert die Tätigkeit als causidicus die Karriere, aber auch ein tugendhaftes Leben: ad spem processus et ad bonam viam morum causidicinam credidi profuturam... . In Ep. V, 41 (gegen 382) bittet Symmachus um eine zweite Chance für Epiktet, einen (ehemaligen) causidicus und vir clarissimus, der - offenbar zu Recht - wegen Fehlverhaltens seinen Beruf nicht mehr ausüben darf3. Allgemeiner Natur sind schließlich die Empfehlungen in Ep. V, 74 (400) und Ep. IX, 32. Jener Brief ist an den comes sacrarum largitionum Limenius gerichtet zugunsten zweier junger Juristen, die wegen ihrer Rechtskenntnisse, scientia iuris, die sie sich nach dem anscheinend ungetrübten Urteil ihres ungenannten Lehrers (praeceptor vir prudens et nescius gratificationis) angeeignet haben, zu Anwälten ernannt werden sollen. Der letztgenannte Brief empfiehlt Anwärter auf den Anwaltsberuf, causidicinae candidati. Diese persönlichen Empfehlungsschreiben scheinen insgesamt unbedenklich zu sein und entsprechen der Konvention des damals Üblichen. Aussagekräftiger sind demgegenüber die folgenden Empfehlungsschreiben in Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten. Ep. I, 69 (380) an den damaligen vicarius Africae Celsinus Titianus, den Bruder des Symmachus: Dieser setzt sich in einem Rechtsstreit für Dritte ein und übermittelt deren Bitte um Verweisung der Sache an den consularis von Numidia oder noch lieber an den Adressaten selbst, um die Sache schnellstmöglich zu erledigen. Die Bitte sei völlig berechtigt und widerspreche den Gesetzen nicht, doch will er die Neigung zu einer günstigen Entscheidung fördern: ...a legibus causa non discrepat et interventus meus libram tui favoris inclinat. Symmachus fordert also nichts Ungesetzliches, hat aber auch keine Scheu, in einem laufenden Verfahren offen Fürsprache zu äußern. Ep. I, 70 (380) an denselben: Bestimmte senatorische Personen verdienen Unterstützung in einem Prozess, dessen Umstände nicht näher genannt werden. 2
Anwälte hatten zumeist nur eine Rhetorikausbildung, s. m. N. bei Rel. 23. Zu diesem Epiktet s. a. Ep. IX, 31 mit der Bitte um eine zweite Chance und Rehabilitierung des Schützlings. Dazu: Roda, Commento, 154-156. Zu möglichen Folgen eines anwaltlichen Fehlverhaltens s. auch bei Rel. 23. 3
Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
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Symmachus wurde um diese Unterstützung gebeten und gibt die Bitte gerne an die zuständige Stelle weiter, denn die Betroffenen verdienten das: ...esse personas, quibus haec gratia magis ex suo merito quam ex meis litteris debeatur. Rechtliche Argumente spielen ersichtlich keine Rolle, sondern allein Symmachus’ Ansehen und Fürsprache zählen: ...cum reverentia mei fecerit, ut nostro suffragio potius uterentur. Empfehlungsschreiben auch in laufenden Prozessen haben demnach grundsätzlich nichts Anrüchiges an sich. Ep. I, 74 (vor 381) an denselben: Bitte um Rückerstattung eines durch Sklaven des Adressaten gewaltsam entzogenen Besitzes (s. bei Rell. 28 und 38) an eine Frau senatorischen Standes in einem konkret beschriebenen Fall. Die erwartete Reaktion, nämlich unauffällige Bereinigung der Sache, wird genau vorgezeichnet und für den Fall, dass das scheitern sollte, bereits angekündigt, dass im Streitfalle trotz seiner persönlichen Betroffenheit andere Richter als der angeschriebene abgelehnt würden: ...quae secura iustitiae tuae recusat alios cognitores. Es handelt sich um eine unverdächtige Fürsprache auf Bitten der Betroffenen hin im Vorfeld eines drohenden Prozesses. Ep. I, 77 (vor 381) an Hesperius4: Ein Freund habe ihn in einer Frage von aequitas um Hilfe gebeten. Ein befreundeter Senator soll tutor der Kinder seines Bruders werden und wehrt sich mit Symmachus’ Unterstützung dagegen. Symmachus trägt seine rechtlichen Argumente vor und fordert letztlich eine gesetzeskonforme Entscheidung5, für die er aber fast drohend zusätzlich sein eigenes Ansehen in die Waagschale wirft. Ep. II, 10 (nach 382) an Virius Nicomachus Flavianus6: Empfehlung einer befreundeten Prozesspartei. Es handelt sich um einen Freundschaftsdienst, um den man ihn gebeten hat. Ohne rechtliche Argumente bittet er schlicht um eine rasche, günstige Entscheidung: Iustitia quidem suffragium non requirit, sed amicitiarum plerumque respectu causarum celeritas adiuvatur. Solche Empfehlungen könnten den Prozess wenigstens beschleunigen: ...sed intellegere cessurum sibi aliquid ad promerendum studium cognitoris, si meis litteris fulciatur. Quaeso igitur, ut eius quem fraterna adfectione conplector orata promoveas. Quae ideo commendanda suscepi, quia mores petentis expendens aequa esse praesumpsi. Allein die Person des zu Empfehlenden rechtfertigt die 4 Decimius Hilarianus Hesperius, ein Sohn des damals einflussreichen Dichters und Prinzenerziehers Ausonius, erhielt Epp. I, 75-88. Er war 378/379 Prätorianerpräfekt von Italien und Gallien und 379/380 praefectus praetorio Italiae et Africae. Ausweislich der 23. Relation wurde er 384 als comes nach Rom geschickt (Rel. 23, 1). Zu ihm: PLRE I, 428. 5 Zu diesem Brief s. a. Steinwenter, Briefe, 17. Symmachus kennt die rechtlich relevanten Exkusationsgründe und fordert sie zu beachten. 6 Ein enger Freund von Symmachus und Adressat von Epp. II, 1-91. Er war quaestor sacri palatii 389/390, praefectus praetorio Italiae 390-392 und 393-394, consul 394. Zu ihm und seiner Ämterlaufbahn: PLRE I, 347-349.
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Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
Fürsprache, ohne dass eine genaue inhaltliche Prüfung für erforderlich gehalten wird, denn es gilt die Vermutung, dass das Gesuch aequus ist. Ep. II, 14 (nach 382) an denselben: Empfehlungsschreiben für Aurelianus, dem damaligen princeps officii des Stadtpräfekten. Symmachus spricht bei Virius Nicomachus Flavianus wegen der rechtswidrigen Taten vor, die von Aurelianus’ Schwiegervater begangen worden sind. Das Gesuch des Schützlings rühre von eben diesen Schwierigkeiten seines Schwiegervaters her, dessen gesetzwidriges Tun nicht beschönigt werden solle, der aber vor dem Sturz bewahrt werden möge; ggf. möge der Adressat Milde walten lassen: Facito quod soles rogantis intuitu, et si quid negotio iustitiae deest, remitte pietati. Das Gesuch bleibt letztlich zwar unbestimmt, doch wird ein Abgehen vom Gesetz in diesem Einzelfall jedenfalls angedeutet (vgl. hierzu auch Relation 49 und unten Ep. IX, 40). In Epp. II, 28 und 30 (389 an den quaestor sacri palatii Flavianus) setzt sich Symmachus vehement in eigener Sache ein und bittet den Adressaten, sich für ihn beim Kaiser in einem Erbschaftsprozess zu verwenden7. Zwar hatte er selbst unrechtmäßig eine Appellation gegen ein praeiudicium eingelegt, doch fühlt er sich trotzdem ungerecht behandelt. Der Ton ist tief beleidigt, rechtliche Argumente fehlen. Ep. II, 33 (393/394 an den praefectus praetorio Flavianus) appelliert an die iustitia tua des Adressaten und bittet um angemessene, schwere Bestrafung eines Verbrechens, über das wir nichts Näheres erfahren. Ep. II, 41 (390-394) an denselben: Bitte für einen wohl wegen eines Amtsdelikts beschuldigten Senator, den ehemaligen Statthalter von Sicilia Nicagoras, dessen Vorführung vom Adressaten angeordnet worden ist. Symmachus bittet darum, ihm zuliebe Milde zu üben: in gratiam meam. Für seinen Schützling sprächen unter anderem die Verdienste seines Bruders, denn ihn empfehlen suae vitae integritas et merita fraterna. Symmachus appelliert an die beneficientia des Adressaten und beruft sich auf probitas des Schützlings. Das Gesuch enthält darüberhinaus keine inhaltlichen Ausführungen, kein Sach- oder Rechtsargument, sondern nur die unverblümte Bitte an den Adressaten, günstig zu entscheiden. Ep. II, 75 (383/390-394) an denselben betrifft eine famosa causa wegen Diebstahls gegen Senatoren vor dem Präfekten. Symmachus bittet den Adressaten um Unterstützung bei der Verfolgung des flüchtigen delator8 zum Schutz 7
Zum Fall schon bei Rell. 16 und 28. Dazu auch Callu, Lettres I, 235. Vgl. hierzu bei Rell. 49 und auch 41. Ein delator zeigt Straftaten lediglich formlos an, ohne die vorgeschriebene Verpflichtung, auch die Beweislast zu tragen, auf sich zu nehmen. Das wird streng bestraft. 8
Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
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der unschuldigen Senatoren. Diese knappe Bitte scheint unverdächtig und bedarf offenbar keiner Erläuterung. Ep. II, 87 (393-94) an denselben bittet zugunsten von Helpidius9 um aequitas. Es geht um einen Grundstücksverkauf in Spanien; der Käufer zahlt nicht ordnungsgemäß. Flavianus möge sich daher um die Angelegenheit kümmern. Das sei insbesondere wegen der Verdienste des Helpidius gerechtfertigt. Dessen unterstützenswerte Rechtsansprüche scheinen eindeutig und müssen nicht weiter kommentiert werden. Ep. II, 91 (vor 395) an denselben setzt sich für den Sohn eines Senators ein, dem sich Symmachus verbunden und vor allem verpflichtet fühlt. Das Schreiben wird allein mit dieser persönlichen Bindung zum Vater gerechtfertigt, die eine Art Schuldverhältnis auch gegenüber dem Sohn begründe (nexum debiti). Der Adressat könne ihn aus dieser Verbindlichkeit befreien, indem er ihm in einer Rechtssache helfe. Erbeten wird dann ganz konkret schnelle, unkonventionelle Hilfe gegen die Verzögerungstaktik der Gegner, damit ein langer Prozess vermieden werde. Inhaltlich sei das Recht, leges et aequitas, auf der Seite des Schützlings. Weitergehende Ausführungen sind entbehrlich, da der Adressat mit dem Fall bereits als Richter befasst ist. In Ep. III, 36 (um 397 an Bischof Ambrosius) versucht Symmachus zugunsten eines beklagten Freundes, des Senators und damaligen praefectus annonae Caecilianus10, auf Ambrosius dahingehend einzuwirken, dass er als Bischof den Fall nicht verhandeln solle, der grundsätzlich den staatlichen Gerichten obliege. Symmachus zeigt sich kritisch gegenüber der bischöflichen Gerichtsbarkeit in pecuniariae actiones. Diese Kompetenz des Bischofs sei ungewöhnlich und zweifelhaft, doch stellt er sie nicht grundsätzlich in Frage. Zugunsten des abwesenden und beschäftigten Freundes soll Ambrosius aber jedenfalls von einer Verhandlung und Entscheidung absehen. Ep. III, 41 (vor 402 an Hilarius, der im Jahre 396 Präfekt in Gallien war): Symmachus hat die Anweisungen seines Adressaten zugunsten des Sohnes eines Senators befolgt. Das nicht näher präzisierte Gesuch beruhe auf aequitas und amicitia. Möglicherweise geht es um einen senatorischen Strafprozess11. Doch tatsächlich wissen wir nur, dass der Adressat an Symmachus eine postulatio gerichtet hatte, dass es um absolutio des Senators bzw. seines Sohnes geht und dass der Senat beteiligt wurde: Venient in manus tuas commentaria curiae nostrae super eius absolutione confecta. Es könnte also außer um einen Frei9
Sein Amt in den Jahren 393/394 ist unbekannt. Er war 396 consularis Campaniae (vgl. Ep. V, 93; s. a. Epp. V, 78 und 79). Zu ihm: PLRE II, 535 f. 10 Zu dessen Gunsten schreibt er auch Epp. VII, 108 f. 11 Das jedenfalls glaubt Vincenti, Partecipazione, 76, der an das quinquevirale iudicium denkt. Symmachus sei mindestens Mitglied, wenn nicht sogar Leiter des Gremiums gewesen. Dafür aber gibt der Brief nichts her.
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Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
spruch auch um eine Befreiung von senatorischen Lasten bzw. Ämtern gehen, von denen etwa im Zusammenhang mit Relation 46 die Rede war. Das dürfte wohl sogar näher liegen, denn es wurde der Senat insgesamt befasst, und zwar nicht etwa urteilend, sondern eher beratend und gleichermaßen vorangegangene Anweisungen des Adressaten befolgend. Der Senat scheint sich mit dem Vater des Senators (Baebianus) gemäß den Angaben des Adressaten befasst zu haben. Eine abschließende Beantwortung der Frage, ob hier Einfluss auf die Rechtsprechung genommen werden soll, ist damit zwar nicht möglich, jedenfalls aber vertritt Symmachus Senatoreninteressen. Ep. IV, 46 (an den magister epistularum Minervius gegen 395) gibt Aufschluss über die Frage, wo die Abgrenzung zwischen offiziellen Vergünstigungen und erschlichenen Vorteilen verlief. Symmachus unterstützt gegenüber dem Hofbeamten die Bitte einer Delegation von campanischen curiales um Steuererleichterungen. Ihr Gesuch entspreche der iustitia und der aequitas. Das Gesuch war offenbar auch erfolgreich, sieht man in CT XI, 28, 2 das Ergebnis12. Es handelt sich um ein offenes, offenbar unverdächtiges Empfehlungsschreiben, das von dem Versuch einer erschlichenen Begünstigung klar abzugrenzen ist. Ep. IV, 48 (nach 398 an den comes sacrarum largitionum Minervius): Fürsprache für einen befreundeten Senator in einer Rechtsangelegenheit unter besonderer Betonung der Rechtmäßigkeit des Gesuchs: Petitio ab aequitate non discrepat. Quin potius iure atque iustitiae munitur auxiliis. Nicht nur aequitas, sondern auch Recht und Gerechtigkeit stünden auf seiner Seite. Im Folgenden wird der Sachverhalt kurz umschrieben und die Bitte etwas näher begründet. Es geht um die Rückführung eines flüchtigen Sklaven. Die zu treffende günstige Entscheidung liegt nunmehr in der Hand des Adressaten: ...erit iustitiae et benignitatis tuae in favorem clarissimi viri divinum provocare iudicium. Ep. IV, 68 (386/387) an den praefectus praetorio Eusignius: Fürsprache für eine befreundete und wohl auch verwandtschaftlich verbundene Frau senatorischen Standes, der der Adressat als Richter in der Sache beistehen soll. Es gehe um iustitia. Die Senatorin hat Probleme mit jemandem, dem sie Speicher vermietet hat, der sie jedoch schlecht verwaltet, weshalb es zum Prozess kam. Der Pächter hatte den Prozess zunächst gewonnen und das laut Symmachus mit Hilfe provincialium patronorum und interventu quorundam. Symmachus setzt sich nun seinerseits als Fürsprecher der Klägerin beim praefectus praetorio als dem zweitinstanzlichen Richter ein und übermittelt das ganz präzise gefasste Gesuch der Freundin auf Herausgabe und Schadensersatz, § 3: Nunc opis indiga geminum benificium vestri favoris exoptat... . Cum igitur aequa poscamus, credo confore ut utilitatibus parentis meae favor vester adrideat. Symmachus zeigt sich optimistisch, da die Forderungen nur recht und billig seien. 12
So: Matthews, Letters, 64 mit Fn. 26.
Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
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In Ep. V, 52 (397) bittet Symmachus in einem laufenden Prozess den quaestor sacri palatii Felix, schnell einen kaiserlichen Bescheid herbeizuführen. Der Stadtpräfekt hat im Rahmen einer appellatio more consultationis an den Kaiser berichtet: Nec laboro pro adsertione iustitiae cuius tibi cura praecipua est, sed hoc tantum audeo postulare, ut quamprimum responsa caelestia robur adferant iudicatis. Symmachus gibt dem Überbringer der relatio sein Schreiben mit. Der Kaiser soll das Urteil bestätigen. Symmachus schreibt hier im Interesse des Opfers eines tutor, der in 1. Instanz vom Stadtpräfekten verurteilt wurde13. Selbstverständlich stehe iustitia auf Seiten seines Schützlings; Symmachus bittet lediglich um beschleunigte Erledigung. Ep. V, 54 (gegen 397) an denselben handelt von Ungerechtigkeiten, die einem Senator widerfahren seien. Symmachus ergreift Partei in einem Eigentumsprozess vor dem Stadtpräfekten und bittet um Unterstützung seines Schützlings. Zugleich verteidigt er die Zuständigkeit des Stadtpräfekten, die in einer supplicatio an den Kaiser angezweifelt worden ist. Darin sieht er eine empörende Rechtsverletzung, droht dadurch doch auch ein senatorisches Vorrecht, nämlich das der besonderen Zuständigkeit des Stadtpräfekten, verletzt zu werden, dignitatis senatoriae praerogativa14. In Ep. V, 60 (vor 399) an den comes sacrarum largitionum Paternus empfiehlt Symmachus einen befreundeten vir probabilis - offenbar kein Senator -, der zu unrecht in einen Prozess verwickelt sei. Er bittet sehr direkt um Gunst und Hilfe für ein, so betont er, rechtmäßiges Gesuch: Tuere igitur aequa poscentem. Der Gegenstand des Prozesses bleibt im Dunkeln. Der Adressat soll aus humanitas für einen guten Ausgang sorgen, sei es unmittelbar selbst als Richter, sei es durch Fürsprache beim Kaiser. Ep. V, 63 (397/398) an denselben fordert in einem laufenden Fiskalprozess die Übertragung der Zuständigkeit auf den Stadtpräfekten zugunsten eines befreundeten Senators15. Es geht um eine rechtswidrige Steuerforderung gegen Senatoren. Symmachus gibt sich auch um den guten Ruf des Adressaten besorgt und schildert ihm die aus seiner Sicht zu beklagenden Missstände. Das Gesuch stütze sich auf aequitas. Daneben aber findet sich kein rechtliches Argument im eigentlichen Sinne, keine Bezugnahme etwa auf Rechtsgrundlagen zur Kompetenzfrage. Symmachus hofft, dass der Adressat seinen Einfluss beim Kaiser, bei dem der Fall mittlerweile im Rahmen des eingeschlagenen Relationsverfahrens liegt, geltend macht.
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Vgl. zugunsten eines vom Tutor geschädigten Mündels auch Ep. VII, 65 (397) an den magister epistularum Patricius. 14 S. zu diesem Prozess auch Ep. V, 66 (gegen 397 an den comes sacrarum largitionum Paternus); Chastagnol, Préfecture, 119 f; Callu, Lettres II, 242 f; 244 f und hier bereits bei Rell. 41 und 48. 15 Zum Fall ausführlicher schon bei Rell. 30 und 41.
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Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
Ep. VII, 49 (401/402) empfiehlt, wohl dem praefectus praetorio Italiae Hadrianus, jemanden in einer Rechtsangelegenheit16; von iniuria ist die Rede. Zuneigung sei sein Beweggrund, die Bittschrift zu unterstützen; der Sachverhalt ist unbekannt. Erwartet wird humanitas, möglicherweise eine finanzielle Unterstützung, umschrieben als suffragium tui favoris. Es geht wohl nicht um einen Prozess, sondern Symmachus schreibt ein eher allgemeines Bittgesuch; vielleicht liegt uns auch nur der Begleitbrief dazu vor. In Ep. VII, 62 (vor 402) an den magister epistularum Patricius unterstützt Symmachus das Bittgesuch (supplicatio) eines befreundeten Ehepaares, das formell und materiell berechtigt sei. Einleitend betont er das Nützlichkeitsprinzip bei Freundschaft: Ideo amicitia conparatur, ut officiorum vicibus mutua gubernetur utilitas. Den nicht weiter ausgeführten Rechtsfall beurteilt er optimistisch und rechnet fest mit dem Wohlwollen des Adressaten: ...cui et aequitas desiderii et usitata inpetrationis forma suffragio est. Quando igitur nihil obstat oratis, admove iuvandis precibus benivolentiam... . Ep. VII, 81 (399) an den praefectus praetorio Italiae Messala: Ein sehr direkter Versuch, einen Prozess zugunsten eines Freundes zu beeinflussen. Erbeten wird unter Berufung auf die aequitas, die richterliche Zuständigkeit in dem vorliegenden Zivilprozess auf den Vikar zu übertragen. Symmachus schreibt im Interesse des Beklagten, den der Adressat bereits nach Mailand geladen hat, und meint, dass auch der Prozessgegner nicht benachteiligt werde, wenn der Vikar anstelle des Prätorianerpräfekten den Fall entscheide: Nec deerit ius adversantis petitioni, si ad vicarium tuum disceptatio transferatur. Zur Begründung führt er aus, die Reise zum Gericht des praefectus praetorio sei dem kranken Beklagten nicht zuzumuten, daher solle das örtlich nähere Gericht des Vikars in Rom entscheiden. Ganz offen wird hier versucht, beim eigentlich zuständigen Richter auf die Bestimmung des Gerichts Einfluss zu nehmen. Allerdings ist das Gewünschte im Rahmen der Delegationsmöglichkeit des praefectus praetorio rechtlich zulässig. Wie ernst es Symmachus mit seiner Bitte ist, zeigen zwei weitere Schreiben in derselben Angelegenheit. In Ep. VII, 83 (399400) wiederholt er gegenüber Messala noch einmal eindringlich seine Bitte. Die Krankheit habe sich schon wegen der wiederholten Vorladung vor Gericht weiter verschlimmert: Inpensius igitur quaeso ut vicarii foro saepe in his iudiciis agitata causa reddatur... . Symmachus ist enttäuscht, dass man sein Gesuch missachtet hat, zumal mittlerweile auch eine kaiserliche Verfügung den Bittsteller von der Reise entbunden habe. Es gehe nur noch um die Durchführung dieses Reskripts. Und trotzdem muss er noch einen weiteren Brief an Messala schreiben, Ep. VII, 89 (399). Der Freund würde gerne vor seinem Gericht erscheinen, doch verschlimmere sich die Krankheit täglich und daher wiederhole er das Gesuch noch einmal, um ein drohendes Säumnisurteil zu vermeiden. Die 16 Nicht auszuschließen ist aber auch, dass Symmachus hier zugunsten seines Neffen an den quaestor sacri palatii schreibt, s. dazu Honoré, Law, 226.
Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
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Übertragung an den Vikar vermeide iniuria an dem Kranken und bedeute humanitas. Der von Symmachus angeschlagene Ton ist zunehmend beleidigt. Die drei Schreiben, in denen sich Symmachus sehr engagiert für einen Freund einsetzt, sind entgegen seinen Beteuerungen insofern nicht ohne Beigeschmack, als der damalige Amtsinhaber des römischen Vikariats (399-400) wohl Turranius Decentius Benignus war, der Symmachus freundschaftlich verbunden war17. Ep. VII, 94 (401/402) an den Stadtpräfekten Longinianus: Sein Amt erlaube und gebiete es geradezu, Wohltaten zu gewähren; deshalb richtet er eine entsprechende Bitte an ihn in einem nicht näher umschriebenen Rechtsfall über eine Vermögenssache zugunsten eines (wohl) nicht-senatorischen Freund namens Desiderius, für den sich Symmachus noch mehrfach bei anderen Adressaten18 einsetzt. Der Präfekt möge seinem Schützling kraft seines Amtes helfen und ein Ende des Prozesses herbeiführen. Ep. VII, 108 (398-402) wendet sich an Patruinus, der in der Verwaltung großen Einfluss hatte19. Symmachus vergewissert sich zugunsten eines wohl wiederum nicht-senatorischen Schützlings der Gunst des Adressaten in einem Rechtsstreit über einen Vertragsbruch, dessen Fakten aus einem früheren Verfahren bekannt seien. Der Adressat war der Sache schon im ersten Prozess günstig gesonnen und möge sich auch nun wieder entsprechend einsetzen: Hoc tantum de sancto animo tuo inpetratum volo, ut iisdem viribus quibus pro eo luctamina prima sedasti repetitae medearis iniuriae, quia iustitiam tuam debet acrius incitare adversum fidem placiti rupta concordia. Ep. VII, 109 (398-402) an seinen Bruder Petronius20 ergänzt den Fall und bittet auch diesen, an dessen iustitia eindringlich appelliert wird, um Unterstützung, suffragium bzw. favor: Nam reducitur in longinqua iudicia quibus facile, si suffragium tuleris, eruetur. Est enim in te atque in fratre portus omnium quos fortuita sollicitant. Auch dieser Adressat vermag offenbar auf den Prozessausgang Einfluss zu nehmen, beim Kaiser und dem Bruder. Besonders interessant im Hinblick auf Symmachus’ Vorstellung von Recht und Gerechtigkeit aber ist Ep. IX, 4021, definiert Symmachus hier doch in einem beinahe programmatischen Einleitungssatz sein Gerechtigkeitsideal: Ratio 17 Vgl. das Empfehlungsschreiben zu seinen Gunsten Ep. IX, 42; dazu Roda, Commento 168; s. a. PLRE II, 224. 18 Vgl. die eher allgemeinen Empfehlungen in Epp. IV, 40; VII, 46; VII, 103. 19 Er war 401-408 comes sacrarum largitionum; sein derzeitiges Amt ist unbekannt. Zu ihm: PLRE II, 843 f. 20 Vgl. die Anspielung in Ep. VII, 109. Sein damaliges Amt ist unbekannt. Zu ihm: PLRE II, 862 f. Er war vicarius Hispaniarum 395-397 und praefectus praetorio Galliarum 402/408. In den Jahren 398-401 hielt er sich in einflussreicher Position am Hofe auf und wird dort ebenso wie sein Bruder von Symmachus verschiedentlich angeschrieben. 21 Zu diesem Brief: Roda, Commento, 164 ff.
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Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
quidem semper habenda iustitiae est, sed circa nobiles probabilesque personas plus debet esse moderaminis, ut perspiciatur in discretione iudicium. Hoc eo proloquor, ut interventum meum generalitate commendem. Demnach muss zwar die Gerechtigkeit immer gebührend beachtet werden, doch ist gegenüber Senatoren besondere Mäßigung zu üben und muss die zu treffende Entscheidung auf den sozialen Rang Rücksicht nehmen. Mit diesem Satz leitet Symmachus seine Fürsprache zugunsten einer befreundeten Frau senatorischen Standes ein, für die er unter Berufung auf den sozialen Status über die normalen Privilegien der Senatoren hinausgehende, zusätzliche Steuererleichterungen begehrt22. Symmachus bittet seinen Adressaten, wohl ein Provinzstatthalter, seine iudiciaria auctoritas einzusetzen. Die nicht mehr bewirtschafteten Ländereien der ortsabwesenden inlustris femina Italica sind von übergroßen öffentlichen Lasten bedroht. Dass dagegen etwas unternommen werden wird, hat Symmachus der Senatorin fest versprochen, auf die von aequitas erfüllte Gesinnung des Adressaten vertrauend, der ihn nicht im Stich lassen könne. Selbstbewusst bittet Symmachus um favor. Jenseits aller Rhetorik zeugt dieses Schreiben vom ungebrochenen senatorischen Selbstbewusstsein, aus dem heraus der Senatorenstand auf die besondere Gunst der zuständigen, ihrerseits ebenfalls senatorischen Beamten in Verwaltung und Rechtsprechung und die Berücksichtigung von Klassenunterschieden, unter Umständen auch dann, wenn sie gesetzlich nicht vorgesehen sind, vertraut. Und eben dieses Selbstbewusstsein kommt auch in einigen Relationen offen zum Ausdruck. Mit einer solchen Rechtsauffassung aber lässt sich vieles rechtfertigen, was nicht mehr unparteiischer Rechtsprechung und Rechtslage entspricht. Eine solche Auffassung ist letztlich das Einfallstor für offene, aber auch für rechtswidrig erschlichene Einflussnahme auf Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Die Grenze zwischen den gesetzlich ohnehin vorgesehenen Klassenunterschieden, rechtlich unbedenklicher Fürsprache und gesetzlich bekämpfter rechtswidriger Einflussnahme, Rechtsbeugung und Klassenjustiz wird dadurch fließend23. Weniger ergiebig ist demgegenüber Ep. IX, 50 an Caecilianus, möglicherweise gerade Provinzstatthalter. Symmachus setzt sich für den Sohn des befreundeten Malers Lucillus ein, der in einen Steuerrechtsstreit verwickelt ist24. Gleiches gilt für Ep. IX, 51 (399/400), wo Symmachus den Prokonsul von Africa, Apollodorus, um eine günstige Entscheidung wahrscheinlich in einem 22 Vgl. zu einem entsprechenden Fall auch Ep. VII, 126 (401/402), der im Zusammenhang mit Rel. 30 behandelt wurde. 23 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Untersuchungen von Mazzarino, Aspetti sociali, 103 ff; Garnsey, Social status, und Jones, LRE, 494 ff, zur Problematik einer Rechtspflege, die vom sozialen Status der Parteien abhängt. Insbesondere die Länge der Verfahren, von der auch einige Relationen Zeugnis ablegen, die die Kosten in die Höhe treibt, führt zu einer Rechtsprechung, die sozial und wirtschaftlich Bessergestellte privilegiert, die sich eine Ausschöpfung des Instanzenzuges und Verzögerungstaktik leisten können. 24 Vgl. dazu auch Roda, Commento, 178 ff.
Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
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Prozess zugunsten von zwei Kurialen bittet. Das Gesuch ist vage formuliert, der Hintergrund bleibt offen. In Ep. IX, 116 setzt sich Symmachus für Bulephorus, den consularis Campaniae von 364/365, ein und bittet den ungenannten Adressaten um Unterstützung in einem Rechtsstreit25. Dabei beklagt er einleitend häufige Korruption und Missachtung der Gesetze durch Beamte: Atque utinam leges aeque mecum valerent, quarum sanitas ab ipsis plerumque corrumpitur quibus curanda mandatur. Genau so ergehe es seinem Freund Bulephorus. Er bittet daher um Unterstützung bei seinem Bemühen, die Gesetze durchzusetzen. Sachverhalt und Verfahrensstand werden nicht näher ausgeführt, denn Bulephorus werde dazu selbst noch vortragen. Auch diese programmatische Einleitung ist in ihrer Bedeutung nicht überzubewerten, doch spiegelt auch sie wenigstens ansatzweise die Rechtszustände der Relationen und anderer Quellen jener Jahre wider. Nicht zuletzt aber trägt gerade das System von Empfehlungsschreiben, wie es Symmachus in seinen Privatbriefen selbstverständlich praktiziert, zu solchen Missständen bei. Reflexion darüber findet sich bei Symmachus naturgemäß nicht. Ep. IX, 143: Der ungenannte Adressat hat Symmachus um Fürsprache in einem Prozess gebeten, in den er verwickelt ist. Symmachus schreibt dem Freund aber nur ein Empfehlungsschreiben, das dieser, wenn nötig, dem Richter vorlegen könne. In diesem Fall unterlässt er direkte Einflussnahme auf den Richter zugunsten des Adressaten. Seine Begründung: aliud enim salubritatis genus condicio temporum non permittit adhiberi. Mehr könne er gegenwärtig nicht tun. Der Fall mag brisant gewesen sein26. Doch zeigt auch er noch einmal, dass Bitten um Fürsprache, auch während eines laufenden Prozesses, nicht ungewöhnlich oder per se anrüchig waren, und wohl auch nicht ohne jede Aussicht auf Erfolg, denn immer wieder wird Symmachus um solche Fürsprache beim zuständigen Richter oder einflussreichen Beamten gebeten und er kommt diesen Bitten auch regelmäßig nach. Ungeachtet aber der - nicht zu überschätzenden27 - Erfolgsaussichten handelte es sich, wie gerade das zuletzt zitierte Beispiel zeigt, bei solchen Empfehlungsschreiben im wesentlichen um übliche Freundschaftsdienste, wie sie auch andere berühmte Autoren, etwa ein Libanios oder ein Gregor von Nazianz, in Briefen an Richter und hohe Beamte ganz ähnlich um dieselbe Zeit erwiesen oder erbaten28. Je nach persönlicher Bindung 25
Dazu: Roda, Commento, 259 f. Zu diesem Brief: Roda, Commento, 311 f. 27 S. etwa die wiederholten Bitten in Epp. VII, 81; 83 und 89. 28 Beispielhaft seien hier etwa Libanios, Epp. 38 (1169) und 56 (66); Gregor v. Nazianz, Epp. 22-24, 105, 146-148 sowie Basilius d. G., Epp. 107, 109, 177-190 genannt; w. N. finden sich bei Jones, LRE, 503 f mit Fn. 76. Auch Plinius empfiehlt in mehreren offiziellen Schreiben an Kaiser Trajan Freunde und Bekannte für den Senatorenstand, die Verleihung des Bürgerrechts oder bestimmte Ämter und Beförderungsposten, vgl. nur Epp. X, 4; 5; 11; 12; 26; 85; 86 a; 86 b; 87; 94 und 104. Das tut er - wie Symmachus 26
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Dritter Teil: Ergänzende Privatbriefe
zum Bittsteller waren die Schreiben engagiert oder aber als reine Formbriefe abgefasst. Die vorgenannten Privatbriefe des Symmachus zeigen, wie selbstverständlich es war, Standesinteressen auch offensiv zu verteidigen und seine Schützlinge in den verschiedensten Lebenslagen zu protegieren. Dabei ist der Verweis auf die soziale Stellung häufig das stärkste Argument zur Rechtfertigung der Empfehlung. Symmachus ist insoweit kein Einzelfall, allerdings sind von ihm besonders viele Zeugnisse überliefert. Die Untersuchungen von Krause zum spätantiken Patronat belegen, wie verbreitet und üblich solche Einflussnahmen durch potentes waren, nicht erst ein Phänomen der Spätantike oder gar der Person des Symmachus; sie spielen sich auf der ganzen Breite zwischen legaler Fürsprache als Freundschaftsdienst innerhalb des sozialen und gesellschaftlichen Beziehungsgeflechts und illegaler Einflussnahme über Druck oder Bestechung und Rechtsbruch ab29. Unverdächtig ist im allgemeinen der mehrfach gebrauchte, schillernde Begriff des suffragium, womit, anders als im Zusammenhang mit den Relationen 44 und 17, nicht erschlichene Einflussnahme, sondern einfache Fürsprache gemeint ist. Symmachus schreibt an den zuständigen Richter oder andere Beamte, die Einfluss auf den Verfahrensgang nehmen können, und bittet sie in der Regel in allgemein gehaltenem Ton um Unterstützung. Kaum vorstellbar ist allerdings entgegen den wiederholten Beteuerungen, dass Recht und Gerechtigkeit stets eindeutig auf Seiten des Schützlings waren. Letztlich hatte man wohl wenig Skrupel, zugunsten eines Standesgenossen eine günstige Entscheidung notfalls auch gegen die Gesetze zu erbitten. Eine solche Fürsprache aber war mitnichten stets mit der Erwartung eines Rechtsbruchs verbunden, vielmehr war sie Teil des bestehenden Gesellschafts-, Wirtschafts- und auch Rechtssystems. Zugleich bedeutete sie aber auch einen Angriff auf die Unabhängigkeit des mit dem jeweiligen Fall befassten Richters und Beamten. Auch die Gerichte als abhängiger Teil der kaiserlichen Verwaltung erwiesen sich insoweit als potenziell beeinflussbar. Insbesondere niedrigere Richter und Verwaltungsbeamte vermochten sich den Einflussnahmeversuchen hochgestellter Personen nicht immer zu entziehen, deren Gunst für die eigene Karriere noch wichtig werden konnte. Je nach Beamtenpersönlichkeit bestand damit die mehr oder weniger große Gefahr, dass die vorhandenen rechtsstaatlichen Verfahrensansätze, insbesondere die strafbewehrte Bindung des Beamten an das Gesetz, aber auch feste Kompetenzregelungen unterlaufen wurden, so dass das zu-
- bisweilen mit sehr allgemeinen Worten, manchmal aber auch mit persönlichem Einsatz. 29 Krause, Spätantike Patronatsformen, 34 ff, insbesondere auch zum Gerichtspatrocinium m.w.N.; zu Missständen und Gegenmaßnahmen auch die Quellen bei Noethlichs, Beamtentum, u. a. 162 ff; 204 f. So zeigt etwa CT I, 15, 1 (325) die Gefahr, dass ein potentior Einfluss auf den einfachen Richter nimmt. Deutlich wird in dieser Frage auch Ammian, der mehrmals Freisprüche auf Fürsprache oder Bestechung zurückführt und feststellt, dass Straftäter gedeckt werden und reiche Angeklagte sich Schutz der Mächtigen erkaufen: XIV, 7, 7; XV, 2, 9; XXVIII, 1, 27 und 48.
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nächst unverdächtige System der Empfehlungsschreiben doch stets auch ein Einfallstor für Korruption und Rechtsbeugung30 war. Nicht zuletzt trugen die zahlreichen Bitten um Ausnahmen vom Gesetz zu einer größeren Rechtsunsicherheit bei aufgrund der möglichen Vielzahl einander widersprechender Einzelfallentscheidungen. Obgleich sich nach der Lektüre der Privatbriefe der Verdacht aufdrängen könnte, liefern die Relationen keinen greifbaren Anhaltspunkt für unlautere Standesrechtsprechung und Parteilichkeit zugunsten bestimmter, protegierter Personen, auch wenn Symmachus dort immer wieder zugunsten von Senat und einzelnen Senatoren auftritt, etwa als offener Interessenvertreter in Relation 48, und auch offizielle Empfehlungen für Einzelpersonen wie in den Relationen 5 und 42 ausspricht. Man kann klar unterscheiden, ob eine Bitte um übergesetzliche Sonderbehandlung wegen aequitas, d. h. aus Rechtsgründen wie in den Relationen 39 und 49 ausgesprochen oder ob eine ungesetzliche Sonderbehandlung aus Statusgründen, amicitia oder gratia erbeten wird. In den Relationen finden sich nur offizielle Gesuche aus Rechtsgründen; im Übrigen stehen Senatoren oder Beamte schlicht auf der Seite des Rechts, ohne dass es konkrete Anhaltspunkte für einen Verdacht der Begünstigung gibt. Allerdings sollte man bei der Lektüre der Relationen in Rechnung stellen, dass auch ein Symmachus als Stadtpräfekt mit solchen Empfehlungsschreiben und Einflussnahmeversuchen konfrontiert gewesen sein wird. Soweit wir das erkennen können, vermochte er jedoch Amt und Privates zu trennen. Aus seiner Amtszeit finden sich denn auch keine privaten Empfehlungsschreiben in Rechtsangelegenheiten.
30 Der nicht zufällig zahlreiche Konstitutionen entgegenzusteuern suchten, vgl. dazu etwa de Robertis, Le Sentenze contra constitutiones.
Vierter Teil
Ergebnis und Diskussion Die Relationen insgesamt sind ohne Zweifel eine bedeutende Quelle städtischen Rechtslebens im Rom des ausgehenden vierten Jahrhunderts unter dem subjektiven Blickwinkel ihres Autors. Nicht nur die Prozesspraxis, sondern auch die juristischen Hintergründe des Sozial- und Wirtschaftslebens jener Jahre gewinnen durch das Zeugnis der Relationen ebenso an Lebendigkeit wie die individuelle Rechtsanwendung und Rechtskenntnis des amtierenden Stadtpräfekten, der sich als erfahrener Verwaltungsbeamter bewährt, dabei aber - wie die Untersuchung bestätigt - weder Jurist ist noch abstrakte Rechtsverhältnisse schildert. Rechtliche Argumente versucht er freilich immer wieder auch in den Verwaltungsschreiben heranzuziehen, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen; ein beachtliches Rechtsbewusstsein zieht sich als Leitfaden durch die überwiegende Zahl der Relationen hindurch. Die Berichte sind sachlich distanziert formuliert bis auf wenige Ausnahmefälle, in denen sich Symmachus - wie in den Relationen 21, 23 und 34 - persönlich angegriffen fühlt. Rechts- und Gerichtswesen funktionieren weitgehend, viele rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze werden anstandslos gehandhabt, insbesondere die Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften; es gibt auch Ansätze zu einem formalisierten, mehrstufigen Gesetzgebungsverfahren in Relation 8. Symmachus nutzt die Freiräume, die das absolutistische Kaisertum einem stadtrömischen Beamten noch lässt, und versucht immer wieder, den kaiserlichen Ermessensspielraum in die seines Erachtens richtige Richtung zu lenken. Verwaltungs- und Richteramt sind nicht voneinander zu trennen; vielmehr wiederholen sich ähnliche Probleme hier wie dort. Insbesondere macht sich immer wieder die verbreitete Rechtsunsicherheit bemerkbar. Die Relationen fügen sich auch in das politische Umfeld ihrer Zeit ein. Bereits in den beiden ersten Relationen skizzierte Symmachus das Staats- und Verfassungsmodell des spätantiken absolutistischen Kaisertums. Dieses und das eben dort und in Relation 17 geäußerte Amtsethos, das auch in seiner Rede Or. IV, 13 zum Ausdruck kommt, die er 376 im Senat hielt, ziehen sich durch alle Relationen hindurch. In dieser Rede heißt es: Tantum potestatibus quantum legibus licet, nach der Übersetzung von Pabst1: Den Mächtigen ist nur soviel erlaubt, wie die Gesetze zugestehen. Im Ergebnis lässt sich sagen, dass er diesem rechtsstaatlichen Prinzip der Bindung des Beamten an das Gesetz zumeist 1
Reden, 109.
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Vierter Teil: Ergebnis und Diskussion
gerecht wird und auch vom Kaiser immer wieder die freiwillige Bindung an das Gesetz fordert2. Das macht freilich abweichende Einzelfallentscheidungen nicht anrüchig, vorausgesetzt sie sind nicht willkürlich, sondern beruhen auf einem offiziellen Verfahren und sind sachlich, d. h. im weitesten Sinne moralisch fundiert. Vor diesem Hintergrund erweisen sich auch die kaiserlichen Tugenden von clementia und aequitas nicht nur als Rhetorik und beliebige Billigkeitsrechtsprechung oder -verwaltung, sondern als gelebte Rechtspraxis. Dabei zeigt sich Symmachus weder als origineller Rechtsdenker noch gar als Visionär oder Reformer, aber doch als solider, oftmals selbstbewusster und unbequemer Pragmatiker. Unterschiede zwischen Verwaltungs- und Rechtsprechungsangelegenheiten lassen sich allenfalls insoweit ausmachen, als sich Symmachus als Richter eher vorsichtig zeigt und lieber einen Fall zu viel als zu wenig an den Kaiser abgibt; in Verwaltungsfragen dagegen kann er gegenüber dem Kaiser durchaus energisch protestieren, man erinnere nur die Relationen 14, 17 und 21. Hier zeigt sich Verantwortungsbewusstsein ebenso wie Mut, dem Kaiser Ratschläge zu erteilen und auch Missstände offen anzuprangern. Speziell in Verwaltungsdingen zögert Symmachus nicht, Maßnahmen des Kaisers zu kritisieren, wenn er sie für schädlich für die Interessen der Bürger oder der Korporationen und damit für sozial unverträglich hält. Insgesamt zeigt sich darin eine vertrauensvolle, aber auch kritisch offene Beziehung zum Hof und den höchsten Beamten dort, die häufig die wahren Adressaten des Stadtpräfekten sind. Das aber darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Verhältnis zum Hof trotz allem bisweilen auch als schwierig erweist und Symmachus gegenüber höheren Chargen in diesen Fällen in aller Regel Zurückhaltung übt. Widerstand gegen seine gewiss oftmals unbequeme Amtsführung und Persönlichkeit zeigt sich in mehreren Relationen. Soweit jedoch Rom und mit ihm der amtierende Stadtpräfekt ausweislich der Relationen in Kompetenzangelegenheiten zunehmend in die Defensive geraten, ist das eher der Beeinflussung des Kaisers durch seine Berater als Symmachus persönlich anzulasten3. Am Ende überwiegt allerdings, glaubt man seinen Privatbriefen, die Frustration: Ep. II, 7 (384 an Flavianus) drückt die aufgeheizte Stimmung in Rom angesichts von Hungersnot und Fremdenvertreibung am Ende seiner Amtszeit aus. Das Amt erscheint Symmachus als Last, er sieht sich isoliert: Ep. II, 36 (385 an Flavianus4). Auch die Relationen lassen Enttäuschungen erkennen. Ausweislich Relation 21 greift man 2
Der Kaiser ist Vorbild der Beamten, vgl. auch Or. III, 10. Diese freiwillige Selbstbindung formuliert schließlich Valentinian III. in CJ I, 14, 4 (429). 3 Insbesondere die Religion spielt (auch) in den rechtlich geprägten Berichten keine Rolle. Paschoud, Roma Aeterna, 101, vertritt dagegen die Auffassung, dass sämtliche Rivalitäten und Probleme in den Relationen einen religiösen Hintergrund haben, weil die Heiden ihre Privilegien hätten sichern wollen und damit Widerstand erregten. Diese Auffassung erwies sich bereits bei den einzelnen Relationen als nicht haltbar. 4 In einer Religionsangelegenheit wegen Errichtung einer Statue für Praetextatus; dazu bei Rel. 12. Symmachus steht als Traditionalist zwischen den Fronten.
Vierter Teil: Ergebnis und Diskussion
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ihn an, verleumdet ihn, nach Relation 17 stellt man ihm unfähiges Personal zur Seite, unterstützt ihn der Senat in Versorgungsfragen nicht und in Relation 3 scheitert er mit einer Herzensangelegenheit. Trotz allem zieht er sich nach seinem Ausscheiden aus dem Amt nicht völlig zurück, sondern kritisiert offen die Politik seines Amtsnachfolgers in Ep. II, 55 (385/386 an Flavianus) und nimmt damit weiterhin Anteil am politischen Geschehen in der Stadt. Trotz aller Bedenken gegenüber der Praxis des Relationsverfahrens in Verwaltungs- und Justizsachen lässt sich nach dem Zeugnis der Relationen festhalten, dass es jedenfalls dann, wenn es verantwortungsbewusst eingesetzt wird, einen Weg zu größerer Einzelfallgerechtigkeit eröffnet und die Chance zu Rechtsfortbildung und Schließung von Gesetzeslücken entsprechend den Bedürfnissen der Praxis bietet. Letzteres offenbart aber auch die Kehrseite. Das Verfahren kann je nach Qualität und Interessenlage des anfragenden Beamten und antwortenden Kaisers auch Willkürentscheidungen begründen und zu unjuristischer, rein pragmatischer Entscheidungsfindung verkommen. Indes sind die Relationen zwar nicht durchweg, aber doch die überwiegende Zahl Belege für die Leistungsfähigkeit dieser Art von Rechtsfindung. Einzelfälle ermöglichen kaiserliche Rechtsfortbildung durch Typisierung des auftretenden Problems. In den Konstitutionen jener Zeit zeigt sich, dass der Kaiser immer wieder solche Einzelfälle und Einzelanfragen zum Anlass für umfassende Neuregelungen und praxisbezogene Reformen genommen hat5. Die Relationen erweisen sich als Angebot der Exekutive und Jurisdiktion zum Dialog mit dem Kaiser als dem einzigen Inhaber der Legislative. Zugleich verdeutlichen sie aber auch die beschriebene Kehrseite. Unter Umständen entsteht eine unübersichtliche Kasuistik und fehlt es an gesetzgeberischer Bereinigung, drohen Widersprüche und lückenhafte Regelungen. Rechtsunsicherheit ist der Tribut für die Ermöglichung von Einzelfallgerechtigkeit. Überraschenderweise finden sich trotz unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen im Briefwechsel zwischen Plinius und Kaiser Trajan ganz ähnliche Rechtsunsicherheiten wie im spätantiken Absolutismus6. Dort ist immer wieder zweifelhaft, für welche Provinzen welche Regelungen gelten sollen, 384/385, welche Regelung wie weit gelten soll und wie sie auszulegen ist. Zwar wurde das Relationsverfahren seit Konstantin genau geregelt und institutionalisiert, doch fehlt es angesichts der unübersichtlichen Gesetzeslage an einer Gesamtdarstellung, an klaren, dogmatisch untermauerten Auslegungs5
Ursprünglich auf einen Einzelfall zugeschnittene Konstitutionen werden allgemein formuliert. Einzelnen Konstitutionen zugrundeliegende konkrete Sachverhalte rekonstruiert Wetzler, Rechtsstaat, 98 ff. 6 Vgl. hierzu die Aufzählungen mit Zitaten im 3. Abschnitt unter I. 2. bei Rel. 22 und im 4. Abschnitt unter A.V. (Relationsverfahren). Auch Plinius hat man im Übrigen seine vielen Anfragen als Entscheidungsunfähigkeit und fehlende Verantwortungsbereitschaft angelastet, vgl. Gaudemet, Juridiction provinciale, 338 ff; s. aber auch, 351, zu der bereits damals oftmals schwer durchschaubaren Rechtslage.
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Vierter Teil: Ergebnis und Diskussion
grundsätzen oder etwa einer Lehre vom Gewohnheitsrecht. So gelingt Symmachus zwar regelmäßig wörtliche Anwendung des Gesetzes, nicht jedoch eine eigenständige Auslegung. Das ist aber angesichts der auch aus unserer Quellenkenntnis anzutreffenden Rechtsunsicherheit kein Zeichen von Schwäche; schon damals nicht bei Plinius und erst recht nicht im spätantiken Absolutismus. Der Kaiser wird diese Anfragen denn auch ganz normal gefunden haben7. Damit aber sind auch die Relationen des Symmachus exemplarisch für Recht und Rechtsdurchsetzung seiner Zeit. Zahlreiche, wenn auch nicht alle Relationen dokumentieren das, insbesondere die Bitten um Interpretation und Klarstellung einer unklaren Rechtslage in den Relationen 22, 27, (30) und 39, in einem weiteren Sinne aber auch die Relationen 19, 38, 40, 44, 48 und 49. Gesetzgebung und Gesetzesauslegung obliegen allein dem Kaiser; der Beamte ist hier vorsichtig und häufig überfordert. Das wiederum entspricht dem, was bereits die konstantinischen Konstitutionen vorschreiben. Nimmt man das ernst, dann sind die von Symmachus in den genannten Relationen angeführten Gründe in aller Regel tragfähig und das für solche Rechtsfragen vorgesehene Verfahren ist in der Tat das Relationsverfahren. Gefährlich für eine wirksame Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung sind nicht nur bestechliche Beamte und sonstiger Amtsmissbrauch, sondern ebenso mindern verbreitete Rechtsunsicherheit und damit einhergehende Probleme der Akzeptanz und Durchsetzbarkeit geltender Vorschriften die Qualität von effektiver Verwaltung und Rechtsprechung. Die Relationen veranschaulichen diese Gefahr. Sie werfen Licht auf eine Flut von widersprüchlichen, unklar formulierten oder in ihrer Reichweite überhaupt ungewissen oder gar erschlichenen Normen. Insbesondere das Reskriptwesen führt zu großer Rechtsunsicherheit. Das wird vom Kaiser zwar einerseits erkannt und bekämpft, andererseits aber fördert er es durch Verfahrensanreize, zu denen auch das Relationsverfahren gehört. Die Einzelfallentscheidungen entfalten aufgrund der kaiserlichen Autorität wenigstens die Wirkung von Präzedenzfällen und so ist wie schon im Prinzipat der Unterschied zwischen lex und rescriptum auch im Sprachgebrauch der Relationen fließend. Das System ist insgesamt kasuistisch; manche Kaiserkonstitution seit Konstantin führt Symmachus selbst in das Verfahren ein, manches wird von den Parteien vorgetragen. Bisweilen tragen auch findige Anwälte dazu bei, Unsicherheit im Prozess zu säen, indem sie plötzlich eine vorgeblich einschlägige Konstitution anführen. Wie gut die römischen Archive bestückt waren, wissen wir nicht und auch Hinweise auf die Privatsammlungen des Codex Gregorianus und des Codex Hermogenianus finden sich nicht. Nicht zuletzt dürfte auch die fehlende Verfügbarkeit des Kaiserrechts ein
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Auch Trajan wundert sich nicht über banale Anfragen, sondern antwortet geduldig und sehr ernsthaft, selbst wenn nur um Bestätigung einer schon getroffenen Entscheidung gebeten wird. Lediglich in Epp. X, 117 und 82 klingt Tadel wegen unnötiger Anfragen an und in Ep. X, 76 wird die Angelegenheit zurückverwiesen.
Vierter Teil: Ergebnis und Diskussion
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Problem gewesen sein8. Dieses wird zunehmend unanwendbar, trotz der bei Symmachus ersichtlichen Bereitschaft, sich danach zu richten. Die klassische Tradition hat dagegen wie gesagt in der Praxis des Stadtpräfekten keine Rolle gespielt9. Das Zitiergesetz von 42610 ist ein Versuch, auch hier ein Stück Rechtssicherheit zu schaffen, indem dem Richter ein fester Leitfaden im Hinblick auf die noch gültigen Rechtsansichten der klassischen Juristen an die Hand gegeben und sein Ermessen eingeschränkt wird. Das passt zu der in den Relationen zum Ausdruck kommenden Rechtslage, die zeigt, dass das klassische Recht in Vergessenheit zu geraten droht und die Richter ohne greifbare Rechtsquellenlehre überfordert sind. Das Zitiergesetz lässt sich vor diesem Hintergrund auch als Schutzmaßnahme begreifen, als ein Ansatz, wenigstens ein Stück klassischer Rechtskultur in der Praxis wieder zur Anwendung zu bringen und Rechtssicherheit durch gezielte Einschränkung des richterlichen Entscheidungsspielraums zu geben. Symmachus fasst das alles freilich nicht in Worte, doch drücken die Relationen das zeitgenössische drängende Bedürfnis nach Klärung verwirrender Rechtszustände und Straffung von Verfahrensabläufen mehrmals deutlich aus. Ohne das Problem als solches herauszuarbeiten, schildert Symmachus die tatsächlichen Verhältnisse und die herrschende Rechtsanschauung mit all ihren Ungereimtheiten und ihrer Unübersichtlichkeit. Kritik übt er aber allenfalls einmal im Einzelfall, nie zweifelt er an dem System als solchem. Vielmehr ist er Teil dieses Systems, gerade wenn er sich bereit zeigt zu Ausnahmen im Einzelfall, mit denen er aber womöglich weitere Störungen auslöst. Symmachus ist kein Vordenker, sondern im Überkommenen verhafteter Realist. Damit ist er weit entfernt von den Reformvorschlägen des wohl etwa um dieselbe Zeit oder nicht viel später schreibenden Anonymus De rebus bellicis11, s. Kap. XXI: De 8
So zeigt CT I, 1, 2 (391), wonach jeder die kaiserlichen constitutiones kennen müsse, sowohl das Problem ihrer Verfügbarkeit als auch die Notwendigkeit, ihren Geltungsanspruch zu unterstreichen. 9 In keiner Relation wird die klassische juristische Literatur, die das klassische Recht darstellt, genutzt, anders als in den Gesetzen des 4. Jahrhunderts, s. CT IX, 43, 1 u. CT I, 4, 1 (321 an den Stadtpräfekten: Seeck, Regesten, 61; 171); CT I, 4, 2 (328 an den praefectus praetorio: Seeck, Regesten, 69; 178); CT IX, 20, 1 (378, West an den praefectus praetorio); CT IV, 4, 3, 3 (391, Ost an den proconsul Asiae). Das sind freilich verschwindend wenige, doch s. a. Honoré, Law, 6-9 u. passim. Zu den genannten Konstitutionen Konstantins als Vorläufern des sog. Zitiergesetzes: De Robertis, Un precedente Costantiniano. 10 CT I, 4, 3 (West). 11 Ein unbekannter Autor entwirft dort Reformvorschläge für einen ungenannten Kaiser. Die zeitliche Einordnung des Werkes ist umstritten. Brandt, Zeitkritik, 125 ff; 147 ff, datiert den Text gegen Ende der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Damit stünde er in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Kodifikation im CT und wäre weniger revolutionär als vielmehr zeitgemäß. Als revolutionär fällt dagegen die Bewertung des Werkes aus, wenn man es mit den älteren Autoren früher ansetzt. Mazzarino, Aspetti sociali, 72 ff; 87 ff, denkt an die Regierungszeit von Constantius II.; Thompson, Roman reformer, 1ff, vermutet ganz konkret einen Autor aus dem Kurialenstand, wohl zwischen
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legum vel iuris confusione purganda. Dieser macht konkrete Reformvorschläge zur Verbesserung der Rechtslage und appelliert an den Kaiser, durch ein Machtwort Licht in die verwirrenden und widersprüchlichen Rechtsvorschriften zu bringen und unredlicher Prozessführung ein Ende zu bereiten: ...ut confusas legum contrariasque sententias, improbitatis reiecto litigio, iudicio augustae dignationis illumines. Quid enim sic ab honestate consistit alienum quam ibidem studia exerceri certandi ubi, iustitia profitente, dicernuntur merita singulorum? Die Suche nach iustitia soll (wieder) im Vordergrund richterlicher Entscheidung stehen; gefragt sind ausgewogene Urteile im Einzelfall. In Kapitel II, 2 f prangert er darüber hinaus gewaltsame Übergriffe zulasten der sozial- und wirtschaftlich Schwachen an, wie wir sie aus den Relationen 28, 31, 38 und evtl. auch 49 kennen. In Kap. XXI, 1 ruft er auf zur Reinigung von der Verwirrung in Gesetz und Recht: de legum vel iuris confusione purganda. Und er ist nicht allein in seinem Bedürfnis nach Kodifikation und Verbesserung der Rechtszustände. Ammian beklagt immer wieder in deutlichen Worten bestehende Missstände. Der von ihm geschilderte Verfall der Rechtskultur12 lässt sich aus den Relationen zwar - wie gesehen - so nicht bestätigen, wohl aber das Problem der Rechtsfindung angesichts einer unübersichtlichen Rechtslage, das bei Ammian, XXX, 4, 11 zum Ausdruck kommt. Miteinander unvereinbare, widersprüchliche Gesetze behindern die Rechtsprechung und verhindern eine scientia iuris: Secundum est genus eorum, qui iuris professi scientiam, quam repugnantium sibi legum aboleuere discidia... . Auch in Ammians Lob Kaiser Julians kommt das Problem der unübersichtlichen Rechtslage zum Ausdruck. Danach äußert sich Julian über die Gesetzgebung Konstantins dahin, er habe durch Neuerungen alte Gesetze und Bräuche verwirrt und Unordnung im Recht geschaffen (XXI, 10, 8); er, Julian aber habe durch Beseitigung von Zweideu-
366 und 375, jedenfalls aber nach 337 und vor 378; Nörr, Zu den geistigen und sozialen Grundlagen der spätantiken Kodifikationsbewegung, datiert das Werk in die Jahre 366377. Der Autor sei vermutlich eine Privatperson aus dem Westteil des Reiches, wohl ein Heide und Kuriale gewesen, a.a.O., 114 ff m.w.N. In die Mitte des 4. Jh. datiert den Text auch Fusco, Rechtspolitik, 258; s. dort auch, 258 ff, zum Vorfeld der Kodifikation in Ost und West mit detaillierten quantitativen Angaben zur Masse der Konstitutionen in beiden Reichsteilen. 12 S. a. Ammian, XXIII, 6, 82, zur Rechtsunkundigkeit und mangelnden Bildung des spätantiken beamteten Richters. Rechtlose Zustände und Willkür prangert er auch für die Jahre 371/372 an: Amm., XXIX, 2, 3. Als besonders schlimm aber schildert er die Zustände unter Kaiser Valens im Osten: XXX, 4, 1 ff; XXXI, 14, 5 f. Verzögerungstaktik in Prozessen, Rechtsunkenntnis, Bestechlichkeit, Ungebildetheit von Richtern und Anwälten, aber auch ungesetzliches Vorgehen des Kaisers selbst. Eines der wenigen positiven Gegenbeispiele erblickt Ammian in Praetextatus, den er in XXVII, 9, 8-10 für seine Redlichkeit und Unbestechlichkeit, aber auch seine Autorität und Gerechtigkeit als Stadtpräfekt und Richter (367-368) besonders lobt. Deutlich schildert auch der wenige Jahrzehnte später in Gallien schreibende Salvian in seinem Werk De gubernatione Dei die Missstände, die seiner Überzeugung nach den Untergang des Reiches fördern, nämlich Verwaltungs- und Justizverfall, Korruption, Bestechlichkeit, Ämterkauf und Ausbeutung der sozial und wirtschaftlich Schwachen. Vgl. hierzu: Badewien, Geschichtstheologie und Sozialkritik im Werk Salvians von Marseille, v. a. 103 ff.
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tigkeiten Gesetze verbessert und klar gesagt, was gemeint ist; seine Gebote und Verbote waren klar gefasst (XXII, 10, 7). Die vom Anonymus propagierte Planung einer Kodifikation wird seit 429 im Osten realisiert. Im Westen setzt sich zunächst das System der Einzelfallentscheidungen noch Jahrzehnte lang fort. Von den Kaisern werden wie bisher wenig vorausblickende tagespolitische Antworten mit wenig Rücksicht auf Dogmatik gegeben. Drängend wird die Klarstellung der Reichweite von Reskripten. Arcadius schafft bereits 398 eine Regelung für den Osten, wonach rescripta ad consultationem emissa vel emittenda nur in dem Fall, für den sie erlassen wurden, gelten sollen, CT I, 2, 11 (398). Im Westen dagegen reagiert man trotz des bereits in den Relationen deutlich erkennbaren Bedürfnisses nach Klarstellung erst 426 mit CJ I, 14, 2 und 3 (an den Senat). Es werden formale Abgrenzungskriterien kaiserlicher Normen aufgestellt, die den Richtern bei der Entscheidungsfindung helfen sollen. Allgemeines Gesetz, generalia iura/leges generales, und Einzelfallreskripte, die auf Berichte und Anfragen im Einzelfall hin ergehen und nur dafür verbindlich sind, werden formal voneinander abgegrenzt unter Betonung des jeweiligen unbedingten Geltungsanspruchs. Um die Rechtssicherheit zu verbessern, wird schließlich auch ein formalisiertes Gesetzgebungsverfahren ausformuliert13. Doch erst viele Jahre nach der Amtszeit des Symmachus und der Kritik eines Ammian wird die erste Kommission zur offiziellen Kodifizierung des geltendem Rechts in einem Codex Theodosianus mit Blick auf die unübersichtliche Rechtslage eingesetzt: CT I, 1, 5 (429 ad senatum) und 435 bedarf es dazu noch eines zweiten Anlaufes, einer zweiten Kommission, die Widersprüche beseitigen und Rechtssicherheit schaffen soll; CT I, 1, 6, 1 wiederholt noch einmal das Ziel der brevitas und claritas. Dem Auftrag an die Kommission, das geltende Recht zu sichten, zu entschlacken und zusammenzustellen, folgt eine langjährige Sammelarbeit. Nicht alles war auch für Symmachus ja nicht - leicht greifbar. Erst 438 wird der Codex Theodosianus in beiden Reichsteilen in Kraft gesetzt, vgl. NT I, 1, wonach die beklagte obscuritas nunmehr beseitigt sei, und für den Westen die Gesta senatus14. Das Bedürfnis der Praxis nach Systematisierung und Kodifizierung aber zeigt sich schon länger, wird im Westen jedoch von der Regierung noch längere Zeit nicht befriedigt. Zu viele mögen von der Rechtsunsicherheit und der Beeinflussbarkeit von Beamten und Gesetzgeber profitiert haben. In den Relationen wird somit lebensnah die Rechtslage, in der sich insbesondere die westliche Reichshälfte befand, beleuchtet. Außer der vorherrschenden Rechtsunsicherheit zeigen sich immer wieder Kompetenzgerangel, Macht und Selbstbewusstsein von Senatoren und Beamten, drängende Versorgungsprob13
Vgl. CJ I, 14, 8 (446) und insbesondere hierzu Wetzler, Rechtsstaat, 87 ff, und hier schon bei Rel. 8 m. N. 14 Das Schaffen von Rechtssicherheit ist das erklärte und nicht zuletzt vor dem Zeugnis der Relationen nicht nur rhetorische und ideologische Ziel der Kodifikation, s. a. die Quellen bei Nörr, Zu den geistigen und sozialen Grundlagen, 110 ff.
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leme, aber auch Intrigen und Korruption. Angesichts dieser Tätigkeitsbereiche wahrt Symmachus das Bild des pflichtbewussten Beamten, den er in Relation 17 für sich selbst als Mitarbeiter fordert, der sich redlich um Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung müht, aber immer wieder Autoritätsprobleme hat, wenn ihm Widerstand entgegenschlägt, etwa in den Relationen 23, 28 und 31. Oftmals und öfter als bisher allzu pauschal angenommen aber liefert er eine Begründung, die juristisch tragfähig ist. Allzu rosig ist das Bild nicht, doch lässt sich feststellen, dass die Beurteilung unseres Stadtpräfekten einer freundlicheren Neubewertung bedarf, wozu sich Ansätze schon bei Vera finden. Seine Persönlichkeit bleibt trotz allem schillernd. Die Privatbriefe zeigen ihn durchaus auch als Kind seiner Zeit, das anfällig ist für Einflussnahmeversuche der mächtigen und selbstbewussten Familienclans, die auch in den Relationen bisweilen eine Rolle spielen oder im Hintergrund agieren. In den Relationen freilich benennt er die Probleme immerhin, schaut nicht weg und macht sich in der Regel nicht zur Marionette solcher Machtstrukturen. Ein Kind seiner Zeit ist er auch in der gelebten Konzeption des absolutistischen Kaiserreichs, der Stellung des Beamten und der Reichweite seiner Kompetenzen in rechtlichen Zweifelsfällen. Die in den Relationen beschriebenen Rechtszustände weisen insoweit über die Zeit des Symmachus weit hinaus. Über Symmachus selbst aber ergibt sich aus ihnen ein zwiespältiges Urteil. Wir haben ihn einerseits kennengelernt als einen Mann, der sich mit hehren und regelmäßig rechtlich tragfähigen Argumenten und Worten um gute Rechtsanwendung bemüht und mit einem hohen Maß an geistiger Unabhängigkeit insbesondere in Verwaltungsangelegenheiten auch vor Kritik an höchster Stelle nicht zurückschreckt, andererseits aber auch als jemanden, der sich angesichts von Widerständen gegen seine Autorität allzu passiv verhält und mehrmals Rechtsbrüche zulässt. Symptomatisch werden in den Relationen die allgemeine Rechtslage und - wenngleich seltener - Störungen dieser Rechtslage in subjektiv geprägten Einzelfällen deutlich. In der Tat ist die Rechtslage gestört und weniger der Einzelfall. Das System krankt nicht an religiösen oder politischen Anmaßungen oder einem allgemeinen Niedergang, sondern zu Unsicherheiten und Fehlern führen in erster Linie die unübersichtliche Rechtslage, dazu das auf verschiedenen Ebenen auferlegte Zwangssystem, das zu unlauteren Fluchtversuchen wie in den Relationen 38 und 44 führt, aber natürlich auch die - aus welchen Gründen auch immer - Bereitschaft des einzelnen Richters und Verwaltungsbeamten zu Rechtsbruch.
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