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German Pages 427 [450] Year 1979
GERFRIED ENGELBERG
Ständerechte im Verfassungsstaat
Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 29
Ständerechte im Verfassungsstaat dargestellt am Beispiel der Auseinandersetzung um die Rechte der landschaftlichen Repräsentanten Ostfrieslands mit dem Königreich Hannover
Von
Dr. Gerfried Engelberg
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1979 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany
© 1979 Duncker
ISBN 3 428 04344 8
Zum Gedenken an meinen Großvater SIEBE ÜSTENDORP Zeitungeverleger in Oetfriesland Mitglied der Ostfrieeischen Landschafteversammlung von 1953 bis 1969
Vorwort Diese Arbeit lag dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Jahre 1978 als Dissertation vor. Meinem verehrten Lehrer, Professor Dr. jur. Georg-Christoph von Unruh, danke ich für die Anregung zur vorliegenden Untersuchung und für die großzügige Förderung meiner Studien bis zur Veröffentlichung. Von den zahlreichen Personen, die mit wertvollen Auskünften, Anregungen und Materialien meine Arbeit unterstützten, möchte ich insbesondere Herrn Dr. Wiemann sowie die Damen und Herren des Niedersächsischen Staatsarchives Aurich und der Ostfriesischen Landschaft dankend hervorheben. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Professor Dr. J. Broermann für die Aufnahme dieser Arbeit in die Schriften zur Verfassungs geschichte. Rhauderfehn, im Juni 1978
Gerfried Ostendorp Engelberg
Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................
1
Der Begriff "Rechte und Privilegien" ..................................
3
Erster Teil
Die Rechte und Privilegien der Ostfriesisclten Landstände im Jahre 1806 1. Kapitel
Die geschichtlichen und rechtlichen Grundlagen 1. Die Vorbereitung der Besitznahme Ostfrieslands durch Preußen
11. Das staatsrechtliche Verhältnis zu Preußen im Jahre 1744
5 9
111. Die preußische Zeit bis zum Jahre 1806 ..........................
16
IV. Die Auflösung der landständischen Verfassung im Jahre 1807 ....
22
2. Kapitel
Die Verfassung der drei Landstände 1. Die Ritterschaft .................................................
23
1. Die innere Verfassung der Ritterschaft. . . .. ... . .. . . .. . .. .. . ...
23 a) Unions-Punkte der Ritterschaft von 1650 bis 1774 .......... 23 b) Verbindlichkeit der Unions-Punkte von 1774 .............. 24 aa) Ständige Anwendung der Unions-Punkte durch die Ritterschaft ........................................... 24 bb) Anerkennung der Unions-Punkte durch die beiden übrigen Stände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 25 ce) Landesherrliche Anerkennung der Unions-Punkte ...... 26
2. Die Rezeption ................................................ a) Nachweis adeliger Abkunft bei einheimischen Adeligen
27 27
b) Nachweis adeliger Abkunft bei ausländischen Adeligen. . ..
27
x
Inhaltsverzeichnis
c) d) e) f) g) h)
aa) Aufnahme von Ausländern ............................ bb) Ahnenprobe bei Ausländern .......................... Besitz eines in der Matrikel von 1679 immatrikulierten Gutes Aufnahme von Frauen .................................... Verfahren der Rezeption ....................... '" .. . ... .. Landesherrliche Genehmigung und Bestätigung der Rezeption ....................................................... Ableistung des Homagial-Eides ........................... Ritterschaftliche Unüorm .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Das Recht der Mitglieder der Ritterschaft auf ständischen Versammlungen zu erscheinen ................................... a) Keine Bevollmächtigung eines anderen .................... b) Rechte ausländischer Mitglieder.. . .... .... ..... .... ... . ... c) Zugehörigkeit zu einer der drei christlichen Konfessionen .. d) Ausschluß bei Nachweis einer Straftat .................... e) Erfordernis der Volljährigkeit und vollen Geschäftsfähigkeit f) Ausschluß der landesherrlichen Beamten .................. g) ~usschl~ß w~~bl~cher Mitglieder und Vormünder von adelIgen MmderJährlgen ......................................
28 29 30 32 32 33 35 35 36 36 37 38 38 38 38 40
H. Der Städtestand ................................................
42
1. Vertretung der Städte durch Extraordinair-Deputierte ........
42
2. Das aktive Wahlrecht ........................................ a) in den Städten Norden und Aurich ........................ aa) Magistrat und qualifizierte Bürgerschaft der Stadt Norden bb) Magistrat und qualifizierte Bürgerschaft der Stadt Aurich b) in der Stadt Emden ....................................... aa) Magistrat und Vierziger-Kollegium der Stadt Emden.. c) Ausschluß landesherrlicher Beamter ...................... aa) Geltung der Regelung in Norden und Aurich .......... bb) Geltung der Regelung in Emden......................
43 43 43 44 45 46 46 47 47
3. Das passive Wahlrecht .. " ... ....... . .. ... . ... . . . . .. .. .... . .. a) Vermögensvoraussetzungen ................................ b) Ausschluß landesherrlicher Beamter ...................... c) Zugehörigkeit zu den drei christlichen Hauptreligionen, keine überführung wegen einer Straftat ........................ d) Geschäftsfähigkeit, eigenes bewirtschaftetes Besitztum .... e) Ausschluß von Ausländern ................................
48 48 48
4. Die Deputiertenwahlen ...................................... a) Ausschreibung ............................................ b) Wahlversammlung........................................ c) Anzahl der zu wählenden Deputierten ....................
50 50 50 50
49 49 49
Inhal tsverzeichnis
XI
5. Die Vollmachten a) Form..................................................... b) Inhalt .................................................... c) Gültigkeitsdauer ................................... . ......
51 51 52 52
IH. Der dritte Stand ................................................
52
1. Vertretung durch Extraordinair-Deputierte ...................
53
2. Das aktive Wahrecht ........................................ a) Die stimmberechtigten Kommunen ........................ aa) Identität von politischer Kommune und Kirchspiel .... bb) Verhältnisse im Amt Norden.......................... ce) Ausschluß der Herrlichkeiten, Inseln, Fehne, Polder. und Heidekolonien ........................................ dd) Die Flecken .......................................... b) Liste der stimmberechtigten Kommunen.................. c) Die stimmberechtigten Einwohner ......................... aa) Stimmberechtigung in kommunalen Angelegenheiten .. aaa) Die Interessenten ................................ bbb) Die Warfsleute .................................. bb) Stimmberechtigung in landschaftlichen Angelegenheiten aaa) in den Marsch- und Kleigegenden ................ bbb) in den Heide- und Geestgegenden ................ ccc) in den Flecken .................................. ddd) mehrfache Stimmberechtigungen ................. ce) Ausschluß von Ausländern ............................ dd) Ausschluß von landesherrlichen Beamten .....•........ ee) Überprüfung des aktiven Wahlrechts auf landständischen Versammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
53 53 53 55 56 57 58 63 63 63 64 66 66 67 67 68 69 69 69
3. Das passive Wahlrecht ................... ,.................. a) Vermögensvoraussetzungen ................................ b) Ausschluß landesherrlicher Beamter ....................... c) Zugehörigkeit zu einer der drei christlichen Hauptreligionen, keine überführung wegen einer Straftat .................. d) Geschäftsfähigkeit, eigenes bewirtschaftetes Besitztum ..... e) Ausschluß von Ausländern ................................ f) Ausschluß der Bewohner der Herrlichkeiten, Insel, Fehne, Polder und Heidekolonien ................................ g) Wohnsitz ................................................. h) Rechte der Erbeingesessenen ................... . ..........
70 70 71 72 72 72
4. Die Deputiertenwahlen .................... ~ ................. a) Einladungen .............................................. b) Ort der Wahlversammlungen ............................. c) Wahlversammlungen auf drei kommunalen Ebenen d) Einberufung und Leitung der Wahlversammlungen ........
74 74 74 75 76
72 73 73
Inhaltsverzeichnis
XII
e) Ausschluß landesherrlicher Beamter
76
f) Anzahl der zu wählenden Deputierten ................... .
76
5. Die Vollmachten ............................................ .
77
a) Form .................................................... .
77
b) Inhalt ................................................... .
77
c) Gültigkeitsdauer ......................................... .
78
3. Kapitel
Die landständischen Versammlungen I. Das Landtagsrecht ..............................................
79
1. Bewilligung und Ausschreibung eines Landtages ..............
80 a) Historische Entwicklung der Rechtsgrundlagen ............ 80 b) Bewilligung und Ausschreibung allein durch den Landesherrn 81 c) Bestimmung des Ortes durch den Landesherrn ............ 83
2. Der Landtags-Kommissar.................................... a) Anzahl der Kommissare ................................... b) Ausländer als Landtags-Kommissar ......................
83 84 84
3. Die Convocations-Patente .................................... a) Inhalt .................................................... b) Veröffentlichung ..........................................
85 85 86
4. Der Präsident der Stände (Praeses Statuum) ..................
87
5. Die Eröffnung des Landtages ................................
88
6. Die Prüfung der Vollmachten und der persönlichen Qualifikationen der Landtagsteilnehmer ...............................
90
7. Die Beratungen .............................................. a) Abwesenheit des Landtags-Kommissars .................. b) Freiheit der Beratung und Abstimmung .................. c) Beratungsgegenstand .....................................
91 91 91 92
8. Die Dauer des Landtages ....................................
93
9. Die Abstimmungen .......................................... a) in der Ritterschaft ........................................
95 95
b) c) d) e)
im Städtestand ........................................... im Dritten Stand ................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. suspendierte Vota. ..... . ... ... . . . . . . . .. . . . . . ..... . . .. . . . .. Abstimmung der gesamten Stände ........................
96 96 98 98
Inhaltsverzeichnis
XIII
10. Die Wirkung der Landtagsschlüsse ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) landesherrliche Bestätigung ............................... 99 b) Landtags-Abschied ....................................... 100 11. Die Kosten des Landtages .................................... a) Entschädigung der Deputierten und Mitglieder der Ritterschaft ..................................................... b) Entschädigung des Landtags-Kommissars .................. c) Entschädigung des Ständischen Präsidenten ................
102 102 102 103
12. Die Berichterstattung vor den Interessenten .................. 104 11. Die Landrechnungsversammlung ................................ 104 1. Die Einberufung der Landrechnungsversammlung ............ a) durch das Administrations-Kollegium ...................... b) Verlegung des Termins der Versammlung .... . ............ aa) Verlegung im Jahre 1750 .............................. bb) Verlegung im Jahre 1791 ..............................
105 105 105 105 107
2. Das Convocations-Schreiben oder Convocations-Patent ........ 107 3. Präsident der Versammlung .................................. 108 4. Der Landrechnungs-Kommissar .............................. 109 5. Die Eröffnung der Landrechnungsversammlung ............... 109 6. Die Beratung und Prüfung der Landrechnung ................ 110 7. Allgemeine Beratung und Beschlüsse ......................... 111 8. Wirksamkeit der Beschlüsse .................................. 112 9. Kosten ....................................................... 112 10. Berichterstattung vor den Interessenten ...................... 112 4. Kapitet
Die geschäftsführenden und ständigen Repräsentanten I. Das Administrations-Kollegium ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 113
1. Historische Entwicklung ...................................... 113 2. Die Wahl des Administrations-Kollegiums .................... a) Verfassungsmäßige Grundlagen ................. " ......... aa) Streitigkeiten über das Recht des Landesherrn zum Erlaß von Wahl-Regulativen ................................ aaa) Wahl-Regulativ von 1781 ........................ bbb) Wahl-Regulativ von 1788/1792 ....................
114 114 114 115 115
Inhaltsverzeichnis
XIV
b) c) d)
e)
f) g) h)
bb) Wirksamkeit des Wahl-Regulativs vom 20. November 1792 .................................................. Anzahl der Administratoren .............................. Dauer der Amtszeit ....................................... Das aktive Wahlrecht und das Wahlverfahren .............. aal Ritterschaft ........................................... bb) Städtestand ........................................... cc) Dritter Stand ......................................... Das passive Wahlrecht .................................... aal Besondere Voraussetzungen bei den einzelnen Kurien .. aaa) Ritterschaft ...................................... bbb) Städtestand ...................................... ccc) Dritter Stand .................................... bb) Befähigung zum Administrator ........................ cc) Verbot von Bestechungen und Schmausereien .......... Einführung und Vereidigung durch die Landstände ........ Entscheidung von Wahlstreitigkeiten ...................... Bestätigung der Wahlen durch den Landesherrn und Einführung in das Administrations-Kollegium ....................
116 118 118 120 120 121 123 124 124 124 125 125 125 126 126 127 128
3. Die Aufgaben des Administrations-Kollegiums ................ a) Repräsentation der Landstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Verwaltung der Landesmittel .............................. c) Sonstige allgemeine Aufgaben ............................
130 130 130 131
4. Geschäftsgang, Rang und Besoldung .......................... a) Geschäftsgang und Beratung .............................. aal monatliche Versammlung ............................. bb) Geschäftsverteilungsplan .............................. cc) Unterschriften ........................................ b) Rang ..................................................... c) Besoldung ................................................
132 132 132 133 133 133 134
5. Die Offizianten des Administrations-Kollegiums .............. a) Der Landrentmeister ..................................... b) Der Land-Syndicus ....................................... c) Die beiden Sekretäre und der Kalkulator .................. d) Die zwei Kanzlisten, der Pedell und die vier Boten ........ e) Der Agent in Berlin ...................................... f) Die landschaftlichen Rezeptoren ........................... g) Die Besoldung der Offizianten .............................
134 134 136 136 137 137 137 138
6. Die landesherrliche Oberaufsicht ............................. a) Die akkordmäßigen Grundlagen ........................... b) Die Bestellung des Inspektors durch den Landesherrn ...... c) Die Aufgaben des landesherrlichen Inspektors ............. d) Die Besoldung ............................................
139 139 140 141 143
Inhaltsverzeichnis
xv
I!. Das Kollegium der Ordinair-Deputierten
144
1. Historische Entwicklung ...................................... 144
2. Die Wahl der Ordinair-Deputierten .......................... a) Anzahl ................................................... aa) Festsetzung der Anzahl durch den Landesherrn ........ bb) Die "zwei" Ordinair-Deputierten im Emder, Greetsyhler und Auricher Amt .................................... b) Dauer der Amtszeit ...................................... c) Aktives Wahlrecht und Wahlverfahren .................... aa) Bei der Ritterschaft ................................... bb) Beim Städtestand .................................... cc) Beim Dritten Stand .................................. aaa) Berechtigung zur Abhaltung von Amtsversammlungen .......................................... bbb) Die Amtsversammlungen ........................ d) Passives Wahlrecht ....................................... e) Entscheidung von Wahlstreitigkeiten ...................... f) Einführung und Vereidigung ..............................
144 144 144 146 147 148 148 148 148 149 150 151 151 151
3. Die Aufgaben der Ordinair-Deputierten ...................... 152 4. Besoldung
153
IH. Das "collegium ordinariorum et administratorum" ............... 154 IV. Landständische Kommissionen .................................. 155 5. Kapitel
Die Kompetenzen der Ostfriesisclten Landstände I. Die Huldigungs-Reversalien und Huldigung des Landesherrn
158
1. Die Huldigungs-Reversalien .................................. 158
a) Rechtliche Bedeutung ..................................... b) Erteilung bei Einnahme der Huldigung .................... aa) Erteilung bei Einnahme der Huldigung ................ bb) Vorherige Erledigung der Huldigungs-Gravamina ......
158 159 159 160
2. Die Huldigung des Landesherrn .............................. 161 3. Die Huldigung und die Huldigungs-Reversalien der Stadt Emden 162 I!. Das Recht, ein eigenes Siegel zu führen .......................... 162 IH. Das Recht zur Verleihung des Indigenats ........................ 163 1. Der Begriff "Indigenat" ...................................... 164
XVI
Inhaltsverzeichnis 2. Der Ursprung des Rechtes .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 164 3. Die Zuständigkeit der Landstände ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 164 4. Voraussetzung für die Erteilung .............................. 165 5. Verleihung einer Urkunde .................................... 166
IV. Das Recht auf Besetzung der preußischen Verwaltungsbehörden in Ostfriesland mit Einheimischen .................................. 166 1. Historische Entwicklung des Rechtes .......................... 166
2. Das Recht in preußischer Zeit ................................ 167 a) Tatsächliche Anwendung .................................. 167 b) Modifikationen durch die Königliche Resolution von 1791 ... 168 V. Das Recht auf Vereidigung der preußischen Staatsdiener auf die Landesverfassung .............................................. 169 1. Bedeutung der besonderen Eidesleistung ...................... 169
2. Die Bestimmungen des Auricher Vergleiches von 1699 ........ 169 3. Das Recht in preußischer Zeit ................................ 170 VI. Die Rechte der Landstände in Steuer- und Finanzsachen .......... 170 1. Die Rechte der Landstände bei der Bewilligung, Ausschreibung
und Erhebung der Schatzungen .............................. a) Das Schatzungswesen am Ende der fürstlichen RegierungsPeriode .................................................. aa) Die Schatzung ........................................ bb) Die Rechte der Landstände ............................ b) Das Schatzungswesen in preußischer Zeit .................. aa) Bestätigung der Rechte in der Konvention von 1744 .... bb) Keine Abänderung der Rechte durch die übernahme der Oberdirektion über die Landesmittel, aber Neuorganisation des Schatzungswesens ............................ aaa) Abschaffung der privaten Schatzungsheber und Anstellung von Rezeptoren .......................... bbb) Revision der Schatzungs-Register ................ cc) Bestätigung der Rechte im Jahre 1791 .................
170 170 170 172 173 173 173 174 174 175
2. Die Rechte der Landstände bei der Einführung und 'Erhebung der Akzise bzw. des Surrogats ................................ 176 a) Die Akzise in fürstlicher Zeit .............................. 176 b) Bestätigung der landständischen Rechte und Ablösung der Akzise durch das Surrogat ................................ 176 3. Die Rechte der Landstände bei der Einführung und Erhebung von Imposten und Zöllen .................................... 178 a) Die Rechte in der fürstlichen Regierungs-Periode .......... 178 b) Die Rechte in preußischer Zeit ............................ 179
Inhaltsverzeichnis
XVII
4. Die Rechte der Landstände bei der Verwaltung der Landesmittel a) Die rechtlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die Verwaltung des Vermögens, insbes. der Schulden ...... c) Die Verwaltung der jährlichen Einnahmen ................ aal Aufstellung eines Competenz-Etats .................... bb) Wirkung eines genehmigten Competenz-Etats .......... cc) Darstellung des Inhaltes eines Competenz-Etats ........ aaa) Ausgaben an die Domainen- und Kriegs-Kasse .... bbb) "Zur Disposition der Landschaft" ................ ccc) "Zum Abtrag von Schulden und sonstigen Ausgaben" ddd) "Ständischer Dispositions-Fonds" ................ dd) überwachung der Ausgaben durch den Landrentmeister und den landesherrlichen Inspektor .... . . . . . . . . . . . . . . .. ee) Ablegung der Landrechnung ..........................
180 180 181 182 183 184 184 184 185 187 188 189 189
VII. Die Rechte der Landstände in Militär-Sachen .................... 190 1. Die Rechte in fürstlicher Zeit ................................ 190
2. Die Rechte in preußischer Zeit ................................ a) Freiheit von gewaltsamer Werbung und Rekrutierung ...... aal Ahndung von Verstößen durch Kriegsgerichtsverfahren bb) Abwehrrechte der Einwohner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Rechte des Magistrats der Stadt Emden ................ dd) Untersuchung von Verstößen durch die Kriegs- und Domainen-Kammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ee) Werbemanifeste von 1787 ............................. ff) Aushebung von Train-Knechten ......................
191 192 192 193 194
b) Freiheit von zwangsweiser 'Einquartierung ................ aal Erhaltung dieser Freiheit durch Bau von Kasernen und Gewährung eines Beitrages zu den Brod- und ServisGeldern .............................................. bb) übernahme weiterer Beiträge ......................... ce) Einquartierungen in Kriegszeiten ...................... c) übernahme weiterer Geld- und Natural-Leistungen ....... aal übernahme der Kosten in Desertions-Fällen .......... bb) Stellung von Artillerie-Pferden statt der Train-Knechte ce) Beitrag zur Sold erhöhung der Unteroffiziere und Soldaten ................................................ dd) Sonstige Lieferungen und Verpflichtungen .............
198
194 195 195
198 199 199 200 200 201 201 202
Zusammenfassung ............. . ................................ 202 VIII. Die Rechte der Landstände bei Erlaß neuer Gesetze und Verordnun gen 203 1. Die Rechte in Fürstlicher Zeit ................................ 203
a) in Regiminal- und Polizei-Sachen ......................... 203 b) in Justiz-Angelegenheiten ................................ 206 e) in Geistlichen Angelegenheiten ............................ 206
XVIII
Inhaltsverzeichnis 2. Die Rechte der Landstände in preußischer Zeit ... . . . . . . . . . . . .. a) Das Mitwirkungsrecht der Landstände auf dem Gebiet der allgemeinen Verwaltung und in Polizeiangelegenheiten .... aal Auffassung der bis 1749 zuständigen Ostfriesischen Regierung im Gegensatz zu den Behörden in Berlin ...... bb) Auffassung der Kriegs- und Domainen-Kammer ...... ce) Differenzen zwischen Ostfriesischer Regierung und Kriegs- und Domainen-Kammer und die Entscheidung durch Hof-Reskript ................................... dd) Meinung des Königs im Reskript vom 23. Februar 1748 ee) Antwort der Landstände .............................. ff) übertragung der Zuständigkeit auf diesem Gebiet auf die Kriegs- und Domainen-Kammer und die Einschränkung der Mitwirkungsbefugnisse der Landstände bis 1791 gg) Die Regelungen der Königlichen Resolution vom 16. Mai 1791 .................................................. b) Das Mitwirkungsrecht der Landstände auf dem Gebiet des Justizwesens ............................................. aal Die Justiz-Reform von 1749 bis 1751 .................. aaa) Einführung des Codex Fridericianus ............. bbb) Erteilung des "Privilegium de non appellando" ... ccc) Vereinigung des Hofgerichtes mit der Regierung .. bb) Die Mitwirkung der Landstände bis 1806 .............. aaa) Beschwerden der Landstände 1781/1785 ........... bbb) Mitwirkung der Landstände beim allgemeinen Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ccc) Mitwirkung der Landstände beim zu entwerfenden Provinzial-Gesetzbuch ........................... ce) Keine verfassungsmäßige Abänderung der 1744 bestätigten Rechte ......................................... c) Das Mitwirkungsrecht der Landstände in geistlichen Angelegenheiten ...............................................
207 207 207 208 208 209 212 212 214 217 217 217 218 218 219 220 220 221 222 222
Zusammenfassung .............................................. 225 IX. Die Entscheidungen von Streitigkeiten über ständische Befugnisse und Verhältnisse ............................................... 225 1. Streitigkeiten der Stände untereinander ...................... 225
2. Streitigkeiten der Landstände mit den preußischen LandesKollegien in Ostfriesland .................................... 226 3. Streitigkeiten der Landstände mit dem Landesherrn .......... 226
Inhaltsverzeichnis
XIX
Zweiter Teil
Die Gewährleistung der Rechte und Privilegien der Ostfriesischen Landstände im Art. 27 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 1. Kapitel
Vbersicht über die Ereignisse von 1806 bis 1815 I. Die holländische Zeit von 1806 bis 1810 .......................... 228 11. Die französische Zeit zwischen 1810 und 1813 .................... 229 III. Die preußische Zeit von 1813 bis zur Abtretung Ostfrieslands an Hannover im Jahre 1815 ........................................ 230 2. Kapitel
Vier auf Anforderung der Ostfriesischen Landschaft in den Jahren 1823/24 angefertigte Gutachten, über die rechtliche Bedeutung des Art. 27 der Wiener Kongreßakte von 1815 und die eventuelle Verfolgung der Gerechtsamen vor dem Deutschen Bund 1. Die Gründe für die Anforderung der Gutachten .................. 235 I!. Die vier Gutachten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 238 1. Die Hauptbegründungen ..................................... 240 2. Würdigung der Ergebnisse der Gutachten .................... 245 III. Ergebnis ....................................................... 248 IV. Die Verwirklichung der Garantie der Wiener Schlußakte von 1815 in der Verfassung von 1846 ...................................... 249
Anhang Huldigungs-Reversalien vom 23. Juni 1744
255
Konvention vom 7./31. Juli 1744
256
I. Konvention vom 7. Juli 1744
256
II. König!. Ratifikation vom 31. Juli 1744 .............................. 259 Ständische Bittschrift vom 31. Januar 1749 .... . ...................... 261
xx
Inhaltsverzeichnis
Königliche Resolution vom 6. Februar 1749 ............................ 263 Unions-Punkte der Ritterschaft vom 14. Mai 1774
264
Huldigungs-Reversalien vom 12. November 1786
272
Königliche Resolution vom 16. Mai 1791 ................................ 273 Königliche Resolution vom 3. April 1792
288
Wahl-Regulativ vom 20. November 1792
292
Huldigungs-Reversalien vom 6. Juli 1798 .............................. 295 Königliche Resolution vom 27. August 1799 ............................ 296 Friedens-Vertrag von Tilsit vom 9. Juli 1807 .......................... 301 Vertrag von Fontainebleau vom 11. November 1807 .................... 302 Gesetz über die Vereinigung Ostfrieslands mit dem Königreich Holland vom 30. Januar 1808 .............................................. 302 Additioneller Artikel zum 1. Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 .......... 304 Territorial-Vertrag vom 29. Mai 1815 .................................. 305 Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 ................................ 306 Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 307 Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820 ................................ 308 Gutachten von Hofrat Prof. Dr. Falck zu Kiel vom 26. April 1823 ........ 310 Gutachten der juristischen Fakultät Tübingen vom 12. Februar 1824 .... 328 Gutachten der juristischen Fakultät Heidelberg ....................... 359 Gutachten des Justiz-Kommissars und Notars Hüllesheim aus Emden vom 8. Mai 1824 .................................................. 372 Verfassungs-Urkunde für die Ostfriesische Landschaft vom 5. Mai 1846 .. 383 Literaturverzeiclmis A. Quellen
413
I. Aktenverzeichnis .............................................. 413
11. Handschriften ................................................. 413 III. Gedruckte Landtagsprotokolle (1744 bis 1791)
417
B. Literatur .......................................................... 419
c.
Periodische Veröffentlichungen ..................................... 427
Abkürzungsverzeichnis abgedr.
abgedruckt
Abs.
Absatz
Adm.-Koll. Administrations-Kollegium Anm.
Anmerkung
Art.
Artikel
Bd.
Band
BI.
Blatt
Dep.
Depositum
d.h.
das heißt
f.
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ff.
folgende (Seiten)
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gedr.
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Nds StA
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Nr.
Nummer
p.
perge
p.p.
perge perge
r.
rückseitig
Rep.
Repositum
Rthlr.
Reichsthaler
S.
Seite
Sch.
Schaaf
Thlr.
Thaler
usw.
undsoweiter
vgI.
vergleiche
w.
Witt
Einleitung « Les etats de la Principaute conserveront leurs droits et privileges » (Die Stände des Fürstentums behalten ihre Rechte und Privilegien) lautet der Artikel 27 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815\ in dem zugleich die Abtretung des Fürstentums Ostfriesland von Preußen an Hannover geregelt ist. Nach der am 15. Dezember 1815 erfolgten übergabe des Fürstentums Ostfriesland an Hannover war diese Bestimmung Anlaß für einen Verfassungskonflikt zwischen den ostfriesischen Landständen und dem Königreich Hannover2 • Die Landstände sahen im Art.27 der Wiener Kongreßakte von 1815 eine Garantie ihrer landständischen Verfassung in dem Umfange, wie sie im Jahre 1806, vor der Okkupation Ostfrieslands durch Napoleon und der Auflösung der Stände im Jahre 1808, bestanden hatte. Daher forderten sie vom Königreich Hannover die Anerkennung dieser landständischen Verfassung und die Anerkennung des Rechtes, daß die durch die Eingliederung des Fürstentums in das Königreich Hannover erforderlich gewordenen Modifikationen der Verfassung nur auf "verfassungsmäßigem Wege", d. h. in übereinstimmung mit den Landständen, erfolgen durften. Das Königreich Hannover legte dagegen den Art. 27 dahin aus, daß allein der Rechtszustand garantiert worden sei, der zur Zeit der Abtretung Ostfrieslands an Hannover im Dezember 1815 geherrscht habe: da sich zu diesem Zeitpunkt die landständische Verfassung nicht in anerkannter Wirksamkeit befunden habe und Ostfriesland zugleich in das Königreich Hannover, das bereits seit 1814 eine eigene Ständevemammlung habe, voll eingegliedert worden sei, habe der König von Hannover die Befugnis, die landständische Verfassung der Provinz Ostfrieslands einseitig festzusetzen, ohne darüber vorher mit den Landständen verhandeln zu müssen. Erst nach jahrzehntelangem Ringen wurde dieser Verfassungskonflikt durch die mit Zustimmung der ostfriesischen Landstände erlassene Provinzialverfassung vom 5. Mai 1846 beigelegt.
Da der Verfassungskonflikt zum Teil auch darauf beruhte, daß sowohl auf Seiten der ostfriesischen Landstände als auch auf Seiten der 1 Vgl. Klüber, Akten des Wiener Congresses, Bd.6 S. 40 f. Die übersetzung ist der amtlichen preußischen übersetzung des gleichlautenden Territorial-Vertrages vom 29. Mai 1815 entnommen. Vgl. v. Rohrscheidt, Preußen's Staatsverträge, S. 311 ff. Siehe auch den vollen Wortlaut im Anhang auf S. 308. 2 Vgl. Klein, Verfassungskonflikt zwischen der Ostfriesischen Landschaft und dem Königreich Hannover.
1 Engelberg
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Einleitung
hannoverschen Regierung Unklarheiten über die einzelnen Rechte und Privilegien bestanden, soll im ersten Teil dieser Untersuchung der verfassungsmäßige Zustand in Ostfriesland dargestellt werden, wie er im Jahre 1806 vor Beginn der napoleonischen Wirren in Ostfriesland bestanden hatte. Diese Darstellung stützt sich zum einen auf handschriftliche Zusammenfassungen aus den Jahren 1789 bis 1835, zum anderen aber hauptsächlich auf die Akten des Niedersächsischen Staatsarchivs Aurich und der Ostfriesischen Landschaft in Aurich, wobei auch die Literatur, soweit sie sich auf die Zeit um das Jahr 1800 bezieht, verwertet wurde. Gegenstand der Untersuchung des zweiten Teils soll dann die bislang noch nicht erforschte völker- und staatsrechtliche Bedeutung der Bestimmung des Art. 27 der Wiener Kongreßakte von 1815 "Die Stände des Fürstentums behalten ihre Rechte und Privilegien" sein. Grundlage dieses zweiten Teiles sind die bislang unbeachtet gebliebenen und der Allgemeinheit nicht bekannt gewordenen Gutachten des Prof. Dr. Falck aus Kiel, des Justiz-Kommissars Hüllesheim aus Emden sowie der juristischen Fakultäten Tübingen und Heidelberg, welche auf Anforderung der Landstände in den Jahren 1823/24 angefertigt wurden und sich mit der rechtlichen Bedeutung des Art. 27 der Wiener Kongreßakte von 1815 sowie mit dem Rechtsweg zur Durchsetzung dieser Rechte befassen.
Der Begriff "Rechte und Privilegien" Der Begriff "Rechte und Privilegien" wurde Mitte des 18. Jahrhunderts von Moser dahin erläutert, daß eine Landes-Verfassung oder die Landesfreiheit auf Rechten und Privilegien beruht!. Als Rechte wurden dabei die Landes-Freiheiten angesehen, die den Landständen oder einer Kurie der Landstände durch übereinkunft mit dem Landesherrn in den Landesverträgen, Akkorden, Vergleichen, Resolutionen, Huldigungs-Reversalien und Reskripten eingeräumt worden waren. Die Privilegien wurden dagegen durch einseitigen Akt des Landesherrn oder des Kaisers als Zeichen der Gnade den Landesständen "geschenkt", ohne daß sie zugleich Verträge waren. Privilegien in diesem engen Sinne waren selten; in Ostfriesland wäre dazu allein das Diplom des Kaisers Leopold I. vom 24. Januar 1678 2 zu rechnen, durch das die Landstände das Recht erhielten, ein eigenes Siegel zu führen'. Der Begriff "Rechte und Pr.ivilegien" findet sich ebenfalls in der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts'. Aus der Art der Verwendung dieses Begriffes läßt sich entnehmen, daß er von den Verfassern des Landrechtes als gängiger tenninus technicus betrachtet wurde. Rechte wurden von ihnen als gegeben angenommen, wenn· sie seit eh und je als vorhanden angesehen wurden, während sie Privilegien auf irgendeinen Verleihungsakt zurückzuführen suchten. Generell wird man sagen können, daß Rechte auf allgemeine Gesetze zurückgeführt wurden, während Privilegien durch spezielle Hoheitsakte gewährt wurden, mithin als "besondere" oder "vorzügliche" Rechte anzusehen waren, die sich von den "allgemeinen" Rechten prinzipiell unterschieden. Danach würde man als "Privilegien" der Landstände diejenigen Rechte zu verstehen haben, die im Laufe der Geschichte aufgrund von Verträgen mit der Landesherrschaft erworben wurden, während die "Rechte" als Befugnisse oder Ansprüche zu verstehen sind, die sich aus der geltenden Rechtsordnung, etwa nach den Grundsätzen des gemeinen Rechts, für sie ergaben5 • Auch Schlosser definierte im Jahre 1789 den Begriff "Privilegien" als "gesetzmäßige Vorrechte der Stände", ohne diesen jedoch genauer ! Eine Untersuchung des Begriffes "Rechte und Privilegien" an Hand der Akten konnte nicht erfolgen, da die Akten des ehern. Geheimen Staatsarchives Berlin (jetzt in Merseburg) nicht zugänglich sind. Die Akten in Hannover sind während des 2. Weltkrieges verbrannt, und in Wien ist darüber nichts vorhanden (freundlicher Hinweis von Dr. Wiemann, Aurich). Vgl. dazu und zum folgenden: Moser, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, S. 942 ft., 1126, 1130 f.; Link, Festschrift für Geiger, S. 284 ft. t Gedr. bei Brenneysen I1, S. 973 ff. a Vgl. Moser, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen,S.1130. 4 Vgl. Einleitung ALR § 64, 82, 84. 5 Vgl. Westphal, Staatsrecht, S. 165 ft . .1'
Der Begriff "Rechte und Privilegien"
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zu erläutern8 • Da der Begriff "Privileg" im Zeitalter des ständischen Staates und des Absolutismus v,ielfach für die Gestaltung des Rechtes überhaupt benutzt wurde, weil das objektive Recht im weiten Umfange nicht durch allgemeine Gesetze gestaltet wurde7 , wird man den Begriff "Rechte und Privilegien" dahingehen zu verstehen haben, daß darunter nicht nur alle den Landständen nach dem Verständnis der Zeit zustehenden Rechte fielen, sondern auch die -ihnen im Laufe der Zeit erwachsenen oder verlioehenen "besonderen" Rechte. Zum Ende des 18. J,ahrhunderts werden die ostfriesischen Landstände daher im Einzelnen kaum noch unterschieden haben, was Rechte und was Privilegien waren. Die Art und Weise, wie der Begriff schließ1ich sowohl von den Landständen als ,auch von der preußischen Landesregierung gebraucht wurde, deutet darauf hin, daß er a1s Synonym für "landständische Verfassung" stand. Dies verdeutlicht einmal ein Vergleich mit einem im 18. Jahrhundert von den preußischen Königen in den HuldigungsReversalien gebrauchten Begriff "Privilegien und Freiheiten, altem Herkommen, Gebräuchen, Ordnungen, Rechten und Gerechtigkeiten"s. Dieser Begriff stand ganz allgemein für die "ostfriesische Landesverfassung" , was sich daraus ergibt, daß die preußLschen Beamten, die verpflichtet waren, zusätzlich zum preußischen Diensteid einen besonderen Eid auf die Ostfriesische Landesverfassung zu leisten 9 , diesen Eid nicht auf die Beobachtung der "Privilegien und Freiheiten, usw.", sondern, wie es die Königliche Resolution vom 16. Mai 1791, Buchstabe g10 vorschrieb, ",auf die Beobachtung der ... durch Se. Kgl. Majestät Huldigungs-Reversalien ... versicherten ostfriesischen Landesverfassung" ableisteten. Zum anderen ist in der Zeit nach 1815 immer von der "alten Verfassung" die Rede, wenn es um die Bedeutung des Art. 27 der Wiener Kongreßakte gehtll . Den Begriff "Rechte und Privilegien" wird man daher als Synonym für den Begriff "landständische Verfassung" anzusehen haben. Der Begriff "Rechte" deutete dabei darauf hin, daß die landständische Verfassung auf allgemeinen Gesetzen beruhte, während der Begriff "Privilegien" bedeutete, daß es sich um eine Verfassung mit "vorzüglichen", "besonderen" und "wohlerworbenen" Rechten im Sinne einer Bevorzugung handelte. Vgl. Schlosser, Briefe, S. 181. Vgl. Brockhaus, 15. Bd. S. 153/154. S Vgl. den Wortlaut der Huldigungs-Reversalien im Anhang auf S. 255 f., 272 f., 295 f. 9 Siehe dazu oben auf S. 169 f. 10 Vgl. das Gedr. Landtagsprot. von 1781 S.26; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 279. 11 Vgl. dazu Borkenhagen, Ostfr. unter der hann. Herrschaft, S. 53 ff. 6
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Erster Teil
Die Rechte uud Privilegien der O~tfrjesischen Landstände im Jahr 1806 1. Kapitel
Die geschichtlichen und rechtlichen Grundlagen Ausgangspunkt für eine Betrachtung der verfassungsmäßigen Verhältnisse Ostfrieslands l im Jahre 1806 muß das Jahr 1744 sein. Dieses Jahr brachte eine neue Entwicklung für die verfassungsmäßigen Rechte und Privilegien, in dem Preußen mit den Landständen Vereinbarungen über die rechtlichen Grundlagen ihrer Herrschaft schlossen.
I. Die Vorbereitung der Besitznahme Ostfrieslands durch Preußen Am 25. Mai 1744 erlosch mit dem Tode des Fürsten Karl Edzard das in Ostfriesland seit nahezu 300 Jahren regierende Geschlecht der Cirksenas 2• Bereits am folgenden Tage wurde die Besitznahme Ostfrieslands durch Preußen in der Stadt Emden eingeleitet, wodurch alle anderen Herrscher, die Ansprüche auf die Nachfolge geltend machen wollten, vor vollendete Tatsachen gestellt wurden 3 • Diese Besitznahme Ostfrieslands durch Friedrich den Großen war durch die im Jahre 1694 durch Kaiser Leopold dem Churfürsten von Brandenburg, Friedrich rrI. (seit 1701 als Friedrich I. König von Preußen) bei Erlöschen des ostfriesischen Mannesstammes erteilte Anwartschaft auf Ostfriesland, welche durch die Kaiser J oseph und Karl VI. mit Zustimmung aller I Nicht zu Ostfriesland gehörte bis zum Jahre 1806 das Harlingerland. Dieses aus den drei Herrlichkeiten Esens, Stedesdorf und Wittmund bestehende Gebiet hatte eine eigene Verfassung. Eine Verbindung bestand jedoch insoweit, als das Harlingerland denselben Landesherrn hatte wie das Fürstentum Ostfriesland und zu den gemeinschaftlichen Landeslasten die fünfte Quote entrichten mußte. Zur besonderen Verfassung des Harlingerlandes siehe: Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 241 ff. Erst im Jahre 1815 wurde das Harlingerland mit Ostfriesland staatsrechtlich vereinigt. 2 Vgl. Berghaus, Verfassungsgesch. S. 119; Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 85; Klein, Verfassungskonfl. S. 2; Telting, Darstellung, S. 24; Wiarda, Ostfr. Gesch. Band VIII S. 127 ff. 3 Vgl. dazu insbes. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 85 ff.
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I. Teil, 1. Kap.: Die rechtlichen und geschichtlichen Grundlagen
Churfürsten des Fürsten-Kollegiums in den Jahren 1707 und 1715 bestätigt wurde, "reichskonstitutionsmäßig" abgesichertC. Bereits seit 1736 hatte Friedrich Wilhelm I. die Besitzergreifung Ostfrieslands vorbereiten lassen und damit den aus Aurich stammenden Dr. Homfeld, der bis dahin als preußischer Direktorialrat im westphälischen Kreis tätig gewesen war, als geheimen Vermittler beauftragt5 • Dieser nutzte die in Ostfriesland zu der Zeit bestehende Spaltung der Landstände in "gehorsame Stände" und "renitente Stände" für die preußischen Ziele aus e• Ursache dieser Spaltung waren eine Anzahl Dekrete des Kaisers Karl VI. (1711-1740), durch welche die ständische Macht in Ostfriesland zugunsten des Fürsten Georg Albrechts eingeschränkt wurdeT. Dem Fürsten wurde darin die Oberaufsicht über die Verwaltung der Landesmittel zugesprochen und den Landständen die Führung einer selbständigen auswärtigen Politik verboten. Zur Spaltung der Stände kam es dann, als der Fürst unter Berufung auf diese kaiserlichen Dekrete der Bevölkerung Ostfrieslands die Zahlung der Steuern an das Emder Landschaftliche Administrations-Kollegium verbot und dieses daraufhin mit Hilfe der Emder Stadtgarnison die Steuern mit Gewalt eintrieb. Um diesen Streit beizulegen ließ der Fürst als Zeichen seiner Verhandlungsbereitschaft einen Landtag nach Aurich ausschreiben, an dem jedoch nur die mittleren und östlichen Ämter des Landes teilnahmen, da diese wegen der bisherigen fürstlichen Maßnahmen auf dem Gebiet des Steuerwesens . Vertrauen in den Fürst setzten und die Gültigkeit der kaiserlichen Dekrete anerkannten. Unter der Führung des Emder Administrations-Kollegiums und des inzwischen zum Landsyndicus avancierten Dr. Homfeld traten dagegen die Ritterschaft, die Städte Emden und Norden sowie die drei westlichen Ämter in Emden zu einem Gegenlandtag zusammen, da sie die Rechtswirksamkeit der kaiserlichen Dekrete verneinten und glaubten, nur so ihre alten verfassungsmäßigen Rechte, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerwesens, bewahren zu können. Die Folge war eine Spaltung der Landstände in die Renitenten, wie sich die in Emden versammelten Stände nannten, und die Gehorsamen, die sich in Aurich versammelt hatten. In der Folgezeit gab es daher zwei Administrations-Kollegien und zwei Ständeversammlungen in Ostfriesland. Dieser Konflikt entlud sich im AppelleKrieg, in dem die Renitenten schließlich geschlagen wurden und sich, C Vgl. dazu insbes. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 131. Vgl. Acta Borussica, Bd. VI. 2 S.717, 723, 746 ff., 756 ff.; Berghaus, Verfassungsgesch. S. 116 ff.; Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 77 ff. e Vgl. Berghaus, Verfassungsgesch. 5.116 f.; Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 77 ff. T Vgl. zum folgenden. Berghaus, Verfassungsgesch. S. 111 ff. 5
I. Die Vorbereitung der Besitznahme Ostfrieslands durch Preußen
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mit Ausnahme der Stadt Emden, dem Fürsten unterwarfen. Als Strafe wurden die Renitenten in der Folgezeit mit hohen Steuern belegt und deren Güter entweder unter Sequestration gestellt oder durch Einquartierung von Truppen planmäßig abgewirtschaftet. Als im Jahre 1734 der Fürst Georg Albrecht verstarb, hinterließ er Ostfriesland in politischer Zerrissenheit. Karl Edzard übernahm die Regierungsgewalt in Ostfriesland, ohne daß es ihm jedoch gelang, die Spannung zwischen den "gehorsamen" und "renitenten" Ständen zu beseitigen8 • Die " renitenten " Stände erlangten zwar durch die Unterstützung der Generalstaaten eine weitgehende Milderung der kaiserlichen Dekrete und schließlich eine allgemeine Amnestie, der sich die kaiserliche Resolution vom 30. September 1734 anschloß, nach der den "Renitenten" ihre beschlagnahmten Güter zurückgegeben werden mußten'. Außerdem erhielten die "Renitenten" die Zusicherung, daß fortan über ihre Beschwerden nach Maßgabe der Landesverträge entschieden werden sollte, wodurch die "Renitenten" im wesentlichen ihre früheren Rechte wieder durchsetzen konnten. Der Konflikt zwischen den "gehorsamen" und "renitenten" Ständen schwelte jedoch weiter und wurde erst zu Anfang der preußischen Regierungsperiode überwunden. In dieser Lage suchten die Stadt Emden und die "renitenten" Stände fremde Hilfe, um ihre Ansprüche durchzusetzen1o • Als abzusehen war, daß der Fürst Karl Edzard ohne männliche Erben sterben würde, nutzte Preußen diese Situation und seine durch den geheimen Vermittler Dr. Homfeld erworbenen Sympathien aus und trat im Jahr 1741 mit der Stadt Emden und Teilen der Ritterschaft in Verhandlungen über eine eventuelle Besitznahme Ostfrieslands durch Preußenll • Diese Verhandlungen verzögerten sich, da die Stadt Emden von Preußen "eine Versicherung des völligen Schutzes gegen ihre Widersacher und die sofortige Mitwirkung zur Erlangung allgemeiner freier Landtage, der überführung des Administratorenkollegiums nach Emden und Aufhebung des Sequesters; dann die Konfirmation ihrer Privilegien und Aufrechterhaltung der Stadtverfassung in ihrer bisherigen Form, die übernahme und Anerkennung der Schulden des ostfriesischen Fürstenhauses durch den König als Lehnsnachfolger und die Freiheit der Stadt von Einquartierung, Werbung und Enrollierung" verlangtelt• 8 Vgl. Berghaus, Verfassungsgesch. S.116; Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 77 ff. • Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S.l1 ff. 10 Vgl. Berghaus, Verfassungsgesch. S.116; Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 77. 11 Vgl. dazu insbes. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 82 ff. Siehe auch Berghaus, Verfassungsgesch. S. 117 ff.; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 113 ff. t: Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 82.
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I. Teil, 1. Kap.: Die rechtlichen und geschichtlichen Grundlagen
Zu diesen Forderungen meinte das Auswärtige Departement dem König gegenüber, daß man sich eine so günstige Gelegenheit, die Stadt zu gewinnen, nicht entgehen lassen dürfe, da die Stadt Emden den Ausschlag in den Angelegenheiten des Landes gebe und deren Stimme später ein großes Gewicht habe l3 • "Als der ,delikateste' Punkt erschien dem Auswärtigen Departement entsprechend seiner Amtseinstellung die außenpolitische Frage des Garantierechtes der Generalstaaten, das heißt die Stellung einer fremden Macht zu den inneren Angelegenheiten eines zukünftigen Teiles des preußischen Staates. Es schlug vor, sich in der Konvention die Anerkennung des Garantierechtes der Staaten vorzubehalten, bis sie ihrerseits das Sukzessionsrecht des Königs anerkannt hätten, und ,dans la suite il faudra prendre conseil des conjunctures'. Zu der innerpolitischen Frage der Bestätigung der Emder Privilegien und der Landesverträge, die in der zukünftigen Provinz einen der übrigen preußischen absolutistisch-einheitlichen Verwaltung heterogenen staatsrechtlichen Zustand schaffien mußte, bemerkte es, daß diese die Quelle aller Streitigkeiten zwischen Fürst und Ständen gewesen sei. ,Aber es handelt sich gegenwärtig darum, daß Herz eines Volkes zu gewinnen, das sehr eifersüchtig auf seine Freiheit ist und in diesem Gefühl durch das Beispiel seiner Nachbarn, der Holländer bestärkt worden ist'. Wenn man in diesem Punkte Schwierigkeiten machen wolle, so würde das ganze Vertrauen wieder schwinden und sich für immer verlieren. Eine weise Regierung komme auch so un~ merklich zu ihren Zielen, und die Untertanen ließen sich durch Gnaden, Titel, Würden, Ämter und andere Zuwendungen gewinnen" 14. Der König, der Ostfriesland bisher nicht als schwerwiegende Bereicherung seiner Monarchie, sondern seine Anwartschaft auf das Land als Tauschund Kompensationsobjekt ausspielen wollte (eventueller Verkauf an Holland), entschied kurz und bündig am Rande des Berichtes des Auswärtigen Departements: "Vous n'avez qu'a leur accorder tout"15. "Auch jetzt war es noch nicht an der Zeit, Fragen der inneren Verwaltung, die ja so eng mit den Verfassungszuständen verbunden waren, aufzurollen. Das Problem von Ständetum und Absolutismus war in den preußischen Ländern nicht mehr akut; überall hatte die monarchisch-zentralisierte Verwaltung gesiegt. Das Verfassungsproblem einer einzelnen Provinz konnte für den Gesamtstaat keine Rolle mehr spielen, und die Rücksichten, die in Ostfriesland nach dieser Richtung hin zu nehmen waren, konnte der preußische Staat riskieren"16. 13 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S.83; Acta Brussica, Bd. VI. 2 S. 718 Anm. 1. 14 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 83. 15 Vgl. Acta Borussica, Bd. VI. 2 S. 717; Bergbaus, Verfassungsgesch. S. 118; Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 83 f. 16 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 84.
11. Das staatsrechtliche Verhältnis zu Preußen im Jahre 1744
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Wegen Bedenken der Stadt Emden verzögerte sich der Abschluß der Konvention bis zum Jahr 1744. Am 14. März 1744 wurde schließlich die Agnitions- und Konventionsakte von Dr. Homfeld und den Deputierten des Emder Magistrates unterzeichnet; am 13. Mai 1744 wurden die vom König und Magistrat ratifizierten Urkunden ausgewechselt!7. Bereits 1742 hatte der Freiherr von Wedel die preußische Erbfolge anerkannt und auch der größere Teil der übrigen Ritterschaft war geneigt, sich der Emder Konvention anzuschließen, jedoch nicht schriftlich, sondern nur "data dextra"; allein v. Knyphausen fo1gtedem Freiherrn von Wedel und unterzeichnete die Emder Konvention '8 • Die Stadt Emden verpflichtete sich in der Konvention, das Sukzessions-Recht des preußischen Königs bei einer eventuellen Besitznahme anzuerkennen und sich diesem zu unterwerfen. Dafür versprach der preußische König, die Stadt Emden vor Widersachern zu schützen und die vor 1699 abgeschlossenen Landes verträge als allein gültige Rechtsgrundlage für die Regierung in Ostfriesland anzuerkennen.
11. Das staatsrechtliche Verhältnis zu Preußen im Jahre 1744 Kaum zwei Wochen nach Auswechselung der Ratifikations-Urkunden starb der Fürst Karl Edzard in der Nacht vom 25. zum 26. Mai ohne einen männlichen Nachfolger. Bereits am Morgen des 26. Mai 1744 begann die Besitzergreifung Ostfrieslands durch Preußen in der Stadt Emden, wodurch alle anderen Petenten, die Ansprüche auf Ostfriesland geltend machen wollten, vor vollendete Tatsachen gestellt wurden!, Sogleich wurden Kontakte mit den Holländern aufgenommen, die zwar nicht mehr den Einfluß auf die Staatsverfassung und die Angelegenheiten Ostfrieslands hatten wie im vorigen Jahrhundert, jedoch wegen ihrer Kredite, die sie Ostfriesland gewährt hatten, wegen ihrer Besatzung in Emden und Leerort und wegen der übernommenen Garantie für die Landesverträge am Schicksal Ostfrieslands sehr interessiert waren 2 • Die Stadt Emden, die wegen der Aufrechterhaltung der Landesverträge durch die Garantie der Generalstaaten, wegen der von ihr unter staatischer Garantie in Holland aufgenommenen Gelder und wegen ihres Seehandels allen Anstoß bei den Holländern vermeiden wollte, teilte bereits unter dem 26. März 1744 den Generalstaaten mit, 11 Vgl. den Text bei Schüssler, König Friedrich des Großen Vertrag mit der Stadt Emden, S. 21 ff.; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 115 ff. Siehe auch Berghaus, Verfassungsgesch. S. 117 ff.; Hinrichs, Die ostfr. Landstände,
S.84.
!8 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 84. ! Die Besitzergreifung ist im einzelnen beschrieben bei Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 85 ff. 2 Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 219 f.
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I. Teil, 1. Kap.: Die rechtlichen und geschichtlichen Grundlagen
daß der König von Preußen, zufolge der dem brandenburgischen Hause verliehenen Anwartschaft, Ostfriesland in Besitz genommen und von der Stadt Emden als Landesherr anerkannt worden sei3 • Zugleich teilte sie mit, daß in der Konvention vom 14. März 1744 die staatische Garantie der Landesverträge in keiner Weise gefährdet sein solle, wenn die Generalstaaten die preußische Besitznahme anerkennen würden t • Unter dem 6. Juni antworteten die Generalstaaten, daß diese Besitznahme wegen der ausgehandelten Bestätigung der Landesakkorde durch Preußen zu keinen Schwierigkeiten führen werde 5• Preußen trat ebenfalls mit den Generalstaaten in Verhandlungen und erreichte, nachdem der König von Preußen für die Zinszahlungen und den Abtrag der Kredite, die dem Fürsten, den Landständen und der Stadt Emden von den Holländern gewährt worden waren, die Gewähr übernommen hatte, daß die holländische Besatzung noch im Laufe des Jahres 1744 abgezogen wurde'. Da die dänischen Truppen sogleich nach der Besitznahme Ostfriesland verlassen und die kaiserliche Salvegarde sich aufgelöst hatte, waren die preußischen Truppen nunmehr die einzigen Besatzungen im Lande 7 • Unmittelbar nach der Besitznahme Ostfrieslands durch Preußen schrieb der preußische König auf Wunsch der Stadt Emden und der "renitenten" Stände für den 20. Juni 1744 einen allgemeinen Landtag nach Aurich aus8 • Der Etats-Minister Freiherr von Cocceji und der Kreis-Direktorial-Rat Dr. Homfeld wurden für diesen Landtag zu Landtags-Kommissaren ernannt und mit der Aufgabe betraut, die rechtlichen Verhältnisse zwischen Preußen und den gesamten Landständen Ostfrieslands zu regeln und die Huldigung des Königs durch die Landstände in die Wege zu leiten'. Wie schon das BesitznahmePatent, enthielt die Landtags-Proposition die Zusicherung, "daß Seine Königliche Majestät beschlossen hätten, die Stände samt und sonders bei ihren wohlhergebrachten Privilegien, guten Gewohnheiten und alten Rechte, kräftig zu schützen, und dawider nicht das geringste, weder von Ihro Selbst zu thun, noch daß es durch andere geschehen dürfe, zu verstatten, auch, was in vorigen Zeiten, etwa dawider vorgegangen, baldmöglichst zu remediren und sonsten auch alles, was zu der Stände und Unterthanen Besten gereichen kann, landesväterlich zu befördern"lo. Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 220. Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 220. 5 Vgl. den Wortlaut bei Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 220 f. 6 Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 221 ff. 7 Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 182 ff. S . Vgl. Berghaus, Verfassungsgesch. S. 123; Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 101 f.; Telting, Darstellung, S. 24; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 189 ff. a Vgl. Telting, Darstellung, S. 24. 3 4
IL Das staatsrechtliche Verhältnis zu Preußen im Jahre 1744
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Auf dem am 20. Juni 1744 eröffneten allgemeinen Landtag traten die "renitenten" und die "gehorsamen" Stände einander zunächst mißtrauisch gegenüberlI. Da jedoch jetzt, wo die gesamten Landstände zusammengetreten waren, die alte Landesverfassung, die auch das Panier der "gehorsamen Stände" geblieben war, wiederhergestellt werden sollte, bildeten sich zunächst die natürlichen Interessengegensätze zwischen den drei Kurien Ritterschaft, Städtestand und Dritter Stand, unabhängig von der vorherigen Zugehörigkeit zu den "Renitenten" oder "Gehorsamen", wieder herausI!. Zugleich wurde bei dem Ringen um die alte Landesverfassung das alle drei Stände Einigende wieder sichtbar, zumal die Landstände es mit einer mächtigen Landesherrschaft zu tun hatten. Dieses Gefühl der Einigkeit wurde bestärkt durch das Moment des "Neubeginnes nach soviel Wirren und die guten Vorsätze einer neuen Zusammenarbeit, wie sie bei der Eröffnung einer neuen geschichtlichen Epoche und dem Bewußtsein davon notwendig hervortreten mußten"u. Bereits am 23. Juni 1744 wurde das Huldigungs-Geschäft vorgenommen. Die Landstände, mit Ausnahme der Stadt Emden, verpflichteten sich im schriftlichen Huldigungs-Eid, "den preußischen König als ihren Fürsten und Herrn zu erkennen, zu
respektieren und zu gehorsamen, auch demselben getreu und hold zu sein, alles nach Einhalt der Akkorde"u. Die Stadt Emden unterzeichnete aufgrund eines ungeschriebenen Vorrechtes einen gesonderten Huldigungs-Eid, was bezeichnend war für die Sonderstellung der Stadt innerhalb der Landstände; zugleich erhielt sie auch gesonderte Huldi" gungs-Reversalien15 • Nach Unterzeichnung des Huldigungs-Eides erteilten die Landtags-Kommissare den Landständen, mit Ausnahme der Stadt Emden, die Huldigungs-Reversalien des Landesherrn. In diesen Huldigungs-Reversalien vom 23. Juni 1744 18 versprach der preußische König, daß er die Regierung in Ostfriesland nach den von den bisher regierenden Fürsten und zuletzt durch Huldigungs-Reversales des Fürsten Georg ~lbrecht vom 21. November 1708 bestätigten Grundsätzen, jedoch mit Vorbehalt der Kaiserlichen und des Heiligen Römi10 Vgl. das Landesprot. vom Juni 1744: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 = Gedr. Landtagsprot. vom Juni 1744. Siehe auch Telting, Darstellung, S.24; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 19l. 11 Vgl. zu den gesamten Landtagsverhandlungen: Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 114 ff. 12 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 120. IS- Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 120. 14 Vgl. den Huldigungs-Eid: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1090 BI. 10 ff. = Gedr. Landtagsprot. vom Juni 1744 S.23. Siehe auch Telting, Darstellung, S. 24; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 192. 15 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S.117. 18 Vgl. Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1090 BI. 18 ff. = Gedr. Landtagsprot. vom Juni 1744 S. 26 f. Siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 255 f.
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I. Teil, 1. Kap.: Die rechtlichen und geschichtlichen Grundlagen
schen Reiches Oberjurisdiktion und Hoheit ausüben werde. Ausdrücklich bestätigte er die Wirksamkeit und Verbindlichkeit aller kaiserlichen Dekrete und Resolutionen von 1589 bis zum 13. Oktober 1597, sodann alle zwischen den Landesherrn und den Landständen errichteten Kompakte, Verträge, Rezesse, Apostillen, Dezisen, Abschiede, Siegel und Briefe, die bis zum Jahre 1662 und 1663 einschließlich abgeschlossen worden waren. Speziell wurde dabei der Norder Landtags-Schluß von 1620, "so die gemeinen Landes-Stände damahls an Herrn Grafen Enno übergeben" erwähnt. Schließlich wurde noch der Hannöversche Vergleich vom 18. Februar 1693 und der Auricher Vergleich vom 18. Februar 1699 anerkannt. Um für die Zukunft das allgemeine Verhältnis der Landstände zum Landesherrn noch näher zu bestimmen und Zweifel über gewisse verfassungsmäßige Rechte der Landstände zu beseitigen, schlossen die Landstände mit den Landtags-Kommissaren die Konvention vom 7. Juli 1744, welche vom König am 31. Juli 1744 bestätigt wurde 17 • In Art. 1 der Konvention vom 7./31. Juli 1744 18 wurde nochmals deklariert, daß die Akkorde nach Anleitung des Art. 1 des Hannöverschen Vergleiches von 1693 und die damals schon ergangenen und agnoszierten kaiserlichen Dekrete für Grundfesten der ostfriesischen Regierung gehalten werden sollten. Durch die Huldigungs-Reversalien vom 23. Juni 1744 und die Konvention vom 7./31. Juli 1744 wurden daher die verfassungsmäßigen Verhältnisse, wie sie vor 1699, insbesondere vor 1693, bestanden hatten, als Grundlage der preußischen Regierung festgesetzt, soweit nicht in der Konvention selbst etwas anderes bestimmt worden war. Damit war zugleich das der Stadt Emden in der Angitions- und Konventionsakte vom 14. März/13. Mai 1744 gegebene Versprechen eingelöst. Insbesondere wurden folgende Akkorde als verbindlich angesehen: 1) 2) 3) 4)
Dekret des Kaiser Rudolf H. vom 10. Februar 1589 10 Emder Executions-Rezeß vom 10. März 1589 20 Emder Landtags-Schluß vom 21. März 159021 Norder Executions-Rezeß vom 31. August 1593 22
17 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 132 f.; Telting, Darstellung, S.25f. 18 Vgl. Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1090 Bl. 37 ff., Nr.1071 Bl. 1 f = Gedr. Landtagsprot vom Juni 1744 S. 41 ff., Gedr. Landtagsprot vom Oktober 1744 S. 24 ff. Siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 257. 19 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 2 - 6. ~o Gedr. bei Brenneysen 11, S. 7 -11. 21 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 29 - 32. 22 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 38 - 47.
11. Das staatsrechtliche Verhältnis zu Preußen im Jahre 1744
13
5) Vertrag von Delfzijl vom 15. Juli 159523 6) Kaiserliche Resolution vom 13. Oktober 1597 24 7) Concordata vom 7. November 15992a 8) Haagischer Vergleich vom 8. April 16032s 9) Emder Landtags-Schluß vom 10. November 160621 10) Norder Landtags-Schluß vom 17. Dezember 160628 11) Provisioneller Vergleich vom 10. Dezember 160728 12) Osterhusischer Akkord vom 21. Mai 1611 30 13) Emder Landtags-Schluß vom 11. September 1618/9. März 1619 3 \ 14) Staatische Resolution vom 12. Juni 16193! 15) Norder Landtags-Schluß vom 28. Mai 162033 16) Haagischer und Emdischer Vergleich von 1662/Final-Rezeß von 166334 17) Fürst Georg Christians speciale Concessiones an den Dritten Stand vom 5. Oktober 1663 35 18) Kaiserliches Diplom eines neuen Siegels vom 24. Januar 167836 19) Hannöverscher Vergleich vom 18. Februar 1693 31 20) Auricher Vergleich vom 18. Februar 1699 38 Nicht erwähnt in der Aufstellung der Akkorde ist der Norder Landtags-Abschied vom 6. Juli 162039 , der vielfach als eine Modifizierung des 23 24 25
28 21
28 29 30
3\ 32
33 34 35 36 31
38 39
Gedr. bei Brenneysen II, S.47 - 60 und Wiemann, Grundlagen, S.112 -137. Gedr. bei Brenneysen II, S. 79 - 92 und Wiemann, Grundlagen, S. 138 - 159. Gedr. bei Brenneysen H, S. 128 - 150 u. Wiemann, Grundlagen, S. 160 - 194. Gedr. bei Brenneysen H, S. 304 - 312 u. Wiemann, Grundlagen, S. 196 - 211. Gedr. bei Brenneysen H, S. 319 - 332. Gedr. bei Brenneysen H, S. 333 - 335. Gedr. bei Brenneysen H, S. 341 - 344. Gedr. bei Brenneysen H, S. 344 - 377 u. Wiemann, Grundlagen, S. 212 - 261. Gedr. bei Brenneysen H, S. 495 - 525. Gedr. bei Brenneysen H, S. 479 - 494. Gedr. bei Brenneysen II, S. 563 - 570. Gedr. bei Brenneysen H, S. 750 - 913. Gedr. bei Brenneysen H, S. 913 - 916. Gedr. bei Brenneysen H, S. 973 - 975. Gedr. bei Brenneysen H, S. 1058 - 1062. Gedr. bei Brenneysen H, S. 1083 - 1087. Gedr. bei Brenneysen H, S. 579 - 589.
14
I. Teil, 1. Kap.: Die rechtlichen und geschichtlichen Grundlagen
Norder Landtags-Schluß vom 28. Mai 1620 angesehen wird40 • Die Landstände gingen bereits bei Erteilung des Norder Landtags-Abschiedes vom 6. Juli 1620 von dessen Unwirksamkeit aus, da dieser einseitig ohne Zustimmung der Landstände die Bestimmung des Norder Landtags-Abschiedes vom 28. Mai 1620 abänderte 41 • Eine solche einseitige Abänderung galt als Verstoß gegen die Akkorde, da der Landesherr nach § 10 des Kaiserlichen Dekretes von 1589 42 , § 12 des Emder Executions-Rezeß von 159043 , § 58 der Concordata von 159944 und dem Emder Landtags-Schluß von 1619, Staat. Res. ad Grav.6 45 im Landtags-Abschied die ständischen Landtags-Schlüsse ohne jegliche Abänderung zu bestätigen hatte 46 • Demgemäß gingen die Landstände immer von der Unwirksamkeit des Norder Landtags-Abschiedes vom 6. Juli 1620 aus und wandten nur die Bestimmungen des Norder Landtags-Schlusses vom 28. Mai 1620 anu . Zwar wurde der Landtags-Abschied nie ausdrücklich aufgehoben, die Unwirksamkeit ergibt sich aber aus dem Haagischen Vergleich von 1662 und zahlreichen Hu1digungs-Reversalien48 • Im Haagischen Vergleich von 1662, Cap. VIII, Res. ad Grav.19 48 ist die Rede vom ,,§ Was ferner u. des Norder Landtags-Schlusses de anno 1620". Da allein der Norder Landtags-Schluß vom 28. Mai 1620 im § 11 mit diesen Worten beginnt, ist eindeutig, daß damit nur dieser Landtags-8chluß gemeint sein kann. Wenn nun der Haagische Vergleich allein diese Regelung anspricht, ohne auf die abweichende Regelung des § 11 des Norder Landtags-Abschiedes vom 6. Juli 1620 einzugehen, so wird deutlich, daß bereits zu dieser Zeit die Vertragsschließenden stillschweigend von dessen Unwirksamkeit ausgingen. Da außerdem in den Huldigungs-Reversalien vom 23. Juni 17445°, wie bereits in den Huldigungs-Reversalien des Fürsten Georg Christi an von 166451 und 40 VgL Berghaus, Verfassungsgesch. S.94 Fußn.7; Brenneysen I, S.170 f.; König, Verwaltungsgesch. S.328, 330, 335; Moser, Von der Te.utschen ReichsStände Landen, S.451. Die Verfasser des LandesherrL Bericht v. 1834, S. 20 ff. gehen ebenfalls von der Wirksamkeit aus, revidieren ihre Meinung jedoch in einer Anmerkung zum Ständ. Bericht von 1835: vgL Nds StA Aurich Rep.6 Nr.10794 BI. 201 r f. U Vgl. Ständ. Bericht v. 1835, S. 34 ff. U Gedr. bei Brenneysen 11, S. 4 f. 43 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 9 f. 44 Gedr. bei Brenneysen II, S. 140 und Wiemann, Grundlagen, S. 178 f. U Gedr. bei Brenneysen 11, S. 513. 46 VgL Ständ. Bericht v. 1835, S. 34 ff. 41 VgL Ständ. Bericht v. 1835, S. 34 ff. 48 VgL Ständ. Bericht v. 1835, S. 34 ff. 48 Gedr. bei Brenneysen II, S. 896. 50 VgL das Gedr. Landtagsprot. vom Juni 1744 S. 26 f.; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 255 f. Si Gedr. bei Brenneysen 11, S. 917 f.
11. Das staatsrechtliche Verhältnis zu Preußen im Jahre 1744
15
des Fürsten Georg Albrecht von 1708 52 , ausdrücklich der "Norder Landtags-Schluß de anno 1620, so die gemeinen Land-Stände damahls an Herrn Grafen Enno übergeben" bestätigt wird, war auch für die preußische Zeit klargestellt, daß allein die Bestimmungen des Norder Landtags-Schlusses vom 28. Mai 1620 als verbindlich anzusehen waren 53 • Nicht in der Aufstellung der Akkorde erwähnt wurden weiterhin alle Akkorde, Kaiserlichen Dekrete, Reskripte und Resolution zwischen 1664 und 1693. Diese Akkorde wurden in den Huldigungs-Reversalien vom 23. Juni 174454 nicht zu den rechtlichen Grundlagen für die preußische Regierung in Ostfriesland gezählt. Anzumerken ist dabei, daß die kaiserlichen Dekrete vom 1. Oktober 168855 und 3. November 1691 56 bereits in Art. 14 des Hannöverschen Vergleichs von 1693 57 aufgehoben wurden. Damit war durch die Huldigungs-Reversalien vom 23. Juni 1744 und die Konvention vom 7./31. Juli 1744 vorerst das rechtliche Verhältnis der Landstände zum Königreich Preußen festgestellt und Ostfriesland zu einer preußischen Provinz geworden, "wenn auch nicht durch eine innere Kongruenz mit diesem Staate, so doch durch staatsrechtliche Bindungen, die nicht wieder zu lösen waren"58. Paradox daran war jedoch, daß der übergang Ostfrieslands an einen der fortschrittlichsten europäischen Staaten unter dem Zwang der Verhältnisse dazu führte, daß die Folgen der absolutistischen Anwandlungen des einheimischen Herrscherhauses wieder beseitigt und eine alte, lange heiß umstrittene Ständeverfassung wiederhergestellt wurdeSt. Die neue Landesregierung wurde nach den "geheiligten Akkorden" übernommen, die königlichen Beamten sollten auf diese Akkorde vereidigt werden und der Betrieb der Landtage war gesichert, da der König versprach, alles was auf den Landtagen durch Mehrheit beschlossen wurde, ohne die geringste Abänderung zu bestäHgen, sofern dadurch nicht die in den Akkorden normierte landes fürstliche Hoheit beeinträchtigt werde, sowie versprach, sich nicht ohne erhebliche Ursache zu weigern, die Landtage auf Ansuchen der Landstände zu prorogieren80 • Das Administrations-Kol52 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 1087 fi. 53 So auch Ständ. Bericht v. 1835, S.3411.; Anmerkung der Verfasser des Landesherrl. Bericht v. 1834 in Nds StA Aurich Rep. 6 Nr. 10794 BI. 201 r f. 54 Vgl. das Gedr. Landtagsprot. vom Juni 1744 S. 26 f.; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 255 f. 55 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 1009 - 1013. 51 Gedr. bei Brenneysen II, S. 1025 - 1058. 57 Gedr. bei Brenneysen II, S. 1062. 58 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 135. 58 Vgl. Hinrichs, Dieostfr. Landstände, S. 136; Hinrichs, Der Einbau Ostfrld. in den Friderizianischen Staat, S. 136. eo Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 136 f.
1. Teil, 1. Kap.: Die rechtlichen und geschichtlichen Grundlagen
16
legium, Hort der ständischen Macht, war wieder ganz im Sinne der alten Stände besetzt und hatte seinen Sitz in Emden, wo es dem Einfluß und der Aufsicht der preußischen Behörden entzogen warB!. Die Macht des. landesherrlichen Inspektors war durch die Regelung der Konvention, daß ihm nur das Recht zustand, seine Einwendungen gegen die Rechnungslegung des Administrations-Kollegiums auf der nächsten landständischen Versammlung den Landständen zur Begutachtung zu übergeben, bei deren Entscheidung er es jedoch belassen mußte, beschränkt und seine Aufsichtsfunktion leicht zur bloßen Formalität herabzudrücken 62 • Die Bindung des landesherrlichen Verordnungsrechtes an die Zustimmung der Landstände, ein Problem, welches man bei der Abfassung der Konvention übergangen hatte, ließ sich von Fall zu Fall immer noch durch Anführung der bestätigten Akkorde, erreichen63 . Die Erhebung und Verwaltung der Steuern, "Angelpunkt und Keim der ganzen ständischen Verfassung", war ganz allein die Aufgabe der Landstände geblieben6~. Friedrich der Große übernahm daher außer der völkerrechtlichen Souveränität nur den fürstlichen Domainen-Besitz und die fürstlichen Schulden65 . Diese Besitzergreifung Ostfrieslands machte er dem Kaiser bekannt und erhielt darüber ein reichsoberhauptliches Manutenz-Dekret66 . Außerdem ließ er seine Besitzergreifung sämtlichen Reichständen eröffnen, legitimierte seine Gesandschaft mit dem ostfriesischen Voto, nahm die Gratulation der Reichstände entgegen und ließ sich am 16. September 1745 von dem Churfürsten von Bayern, als damaligen Reichsverweser, mit Ostfriesland belehnen67 . Damit war der König von Preußen auch reichskonstitutionsmäßig rechtmäßiger Herrscher in Ostfriesland geworden.
III. Die preußische Zeit bis zum Jahre 1806 Nachdem die preußischen Behörden sich in Ostfriesland eingerichtet und mit den lokalen Verhältnissen vertraut gemacht hatten, begannen sie, das Verwaltungs-, Justiz- und Finanzwesen nach preußischem Vorbild zu reformieren. Bei der Durchführung dieser Reform kam es, zum Vorteil der Landstände, zu Ressort-Konflikten zwischen den beiden preußischen Behörden, dem Regierungs-Kollegium und der Kriegs- und 61 62 63 64
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. 65 Vgl. 66 \"gl. 6. Vgl.
Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 136. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 136 f. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 136. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 167. Hinrichs, Der Einbau Ostfrld. in den Friderizianischen Staat, S. 140. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 176. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 176.
IH. Die preußische Zeit bis zum Jahre 1806
17
Domainen-Kammer, die aus dem Geist und Herkommen der beiden Behörden zu erklären sind1 • Das Regierungs-Kollegium in Ostfriesland unterstand dem Auswärtigen Departement, welches die rechtliche Einhaltung der durch ständische Vorrechte eingeschränkten Landeshoheit in Ostfriesland überwachte 2 • "Dieses Regierungs-Kollegium stellte in allen Provinzen einen älteren, bodenständigen, mit einheimischen Beamtenpersonal besetzten Behördentypus dar, dessen Entwicklung mit der der ehemals selbständigen Territorialstaaten zusammenfällt, ihr Geist war rückständig und ihre Beamten vom alten ständisch-engen Sonder geist erfüllt"; bei aller Loyalität zum Landesherrn wurden sie dadurch zum Hüter der lokalen Sonderverfassung3. Die Kriegs- und Domainen-Kammer, die dem Generaldirektorium unterstand, "war etwas bewußt geschaffenes und den aus der Territorialzeit stehen gebliebenen Regierungen an die Seite gestellt"4. "Einheitlich, ohne Unterschiede in ihrer Organisation von Provinz zu Provinz, mit einem einheitlich in modernen großstaatlichen, verwaltungstechnischen und wirtschaftlichen Gedankenkreisen erzogenen, in seinem Wirkungskreis meist nicht mit eingeborenen und daher mit den Interessen der führenden Schichten nicht verbundenen Beamtenturn, das keine anderen Interessen hatte, als ,den Dienst des Königs', ihm genug zu tun und vor seinen großen scharfen Ansprüchen zu bestehen", versuchte diese Behörde, die Verwaltung der Provinz "nach den Grundsätzen des ausgebildeten Absolutismus mit seiner unbedingten Staatsautorität, seiner obrigkeitlichen Fürsorge und Wirtschaftspolitik, in Berlin im Generaldirektorium und dem königlichen Kabinett streng zentralisiert und beaufsichtigt", umzubilden5 • Damit kam sie jedoch in Konflikt mit dem Regierungs-Kollegium in Ostfriesland, welches noch aus der fürstlichen Zeit vor 1744 Kompetenzen besaß, die in anderen Provinzen zur Zuständigkeit der Kriegs- und Domainen-Kammer gehörten6 • Dieser Konflikt wurde durch den Versuch der Kammer ausgelöst, das Gebiet der inneren Verwaltung unter ihre Kompetenz zu bringen7• Durch das Ressort-Reglement vom 18. August 1746 wurden die Differenzen vorerst geregeW. Dieses Regle1 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 141; Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 335 ff. e Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 141. 3 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 143, 144. Siehe dazu auch Acta Borussica, Bd. VI. 1 S. 201 H. 4 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 143 f. • Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 144. 6 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 145. 7 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 145. 8 Vgl. Nds StA Aurich Rep. 5 Nr. 92.
2 Engelberg
18
1. Teil, 1. Kap.: Die rechtlichen und geschichtlichen Grundlagen
ment, ein Komprorniß zwischen Ständeturn und Absolutismus, der "im preußischen Absolutismus jener Zeit fremd und archaisch anmutete"9, erklärte ausdrücklich die Ranggleichheit von Regierungs-Kollegium und Kriegs- und Domainen-Kammer; es beließ aus verfassungspolitischen Gründen jedoch die in anderen Provinzen zum Ressort der Kammer gehörenden Sachen bei der Regierung und räumte der Kammer ein umfangreiches Mitwirkungsrecht ein, wozu die wöchentlichen Konferenzen beider Kollegien dienen solltenlO • Unter dem Schutz des Präsidenten der Regierung, des Regierungskanzlers Dr. Homfeld, waren die Landstände vorerst vor Eingriffen in die Landesverfassung geschützt und konnten sich bis zum Jahre 1748 im Sinne der alten Landesverfassung wieder einrichtenl l . Da die Mißstände in der ständischen Verwaltung nicht beseitigt wurden und auch die in der Konvention vom 7./31. Juli 174412 bewilligten Gelder nicht in Preußen einkamen, weil das Steuerwesen völlig in Unordnung war, beauftragte der König den Kriegs- und Domainen-Rat Lentz, möglichst auf verfassungsmäßigem Wege, d.h. mit Zustimmung der Landstände, die Unordnung im Lande zu beseitigen und die Landstände dazu zu bewegen, dem König die Oberaufsicht über die Landesmittel anzutragen 13 • Auf dem am 16. Januar 1749 eröffneten Reform-Landtag, der als Gegenstand der Beratungen die Abstellung der bei der Verwaltung der Landesmittel eingeschlichenen Unordnungen und Mißbräuche hatte, gelang es Lentz mit Unterstützung breiter Schichten der Bürger und Bauern gegen den Widerstand des Adels und des städtischen Patriziats, daß die Mehrheit der Landstände in der Bittschrift vom 31. Januar 174914 den Landesherrn um die Verlegung der Landeskasse nach Aurich, die übernahme der Oberaufsicht über die Verwaltung der Landesmittel und um die völlige Neueinrichtung des Steuerwesens unter Einbeziehung der Stadt Emden baten. Durch die Königliche Resolution vom 6. Februar 1749 15 entsprach Friedrich der Große dem von ihm so gewollten Wunsche der Landstände in Gnaden. Damit hatte Preußen innerhalb kurzer Zeit das erreicht, "was die Cirksena und ihre Beamten zuvor durch Generationen hoffnungslos erstrebt und erträumt hat9 Vgl. Hubatsch, Friedrich der Große, S. 91. 10 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 236. 11 Vgl. Hinrichs, Der Einbau Ostfrld. in den Friderizianischen Staat, S. 140. 12 Vgl. das Gedr. Landtagsprot. vom Juni 1744 S. 41 ff.; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 258. 13 Vgl. Hinrichs, Der Einbau Ostfrld. in den Friderizianischen Staat, S. 142 ff. 14 Vgl. das Gedr. Landtagsprot. von 1749 S. 53 ff.; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 261 ff. 15 Vgl. das Gedr. Landtagsprot. von 1749 S. 61 f.; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 263 f.
III. Die preußische Zeit bis zum Jahre 1806
19
ten"lS. Die Organisation der Steuer erhebung, die Verwaltung und Ausgabe der Landesmittel blieb zwar, den Landesverträgen gemäß, weiterhin das Recht der Landstände, stand jedoch unter sicherer Kontrolle der Kriegs- und Domainen-Kammer und hatte sich fortan an preußischen Maßstäben messen zu lassen l7 • Zugleich hatte sich die Stadt Emden dem Landesherrn unterworfen, womit deren Eigenleben, bisher ein Hort der ständischen Freiheiten, aufhörte18 • Diese Veränderungen erfolgten formal auf der Linie des überlieferten Ständerechtes, so daß den Landständen immer noch das Bewußtsein der eigenen Freiheit verblieb 19 • Die extreme ständische Freiheit hatte sich jedoch dem Absolutismus untergeordnet; Ostfriesland konnte jetzt preußisch verwaltet werden 20 • Mit Erlaß des neuen Ressort-Reglements vom 19. Juni 1749 wurden die Kompetenzen zwischen dem Regierungs-Kollegium und der Kriegsund Domainen-Kammer neu verteilt und der Kammer die Kompetenzen eingeräumt, die ihr auch in den übrigen preußischen Provinzen zukamen21 • Die Regierung wurde, wahrscheinlich schon im Hinblick auf die geplante und im Jahre 1751 durchgeführte Vereinigung des Hofgerichtes mit der Regierung unter dem Namen "Ostfriesische Regierung", hauptsächlich zum Justiz-Kollegium. Die Kriegs- und Domainen-Kammer nahm ihre neue Kompetenz zielstrebig wahr, und begann, Ostfriesland, insbesondere auf dem Gebiet der inneren Verwaltung und des Polizeiwesens, ohne große Rücksicht auf die Landstände und deren Mitwirkungsrechte zu nehmen, nach preußischem Vorbild zu verwalten. Da die Kriegs- und Domainen-Kammer durch den bei ihr angestellten landesherrlichen Inspektor zugleich die 1749 übertragene Oberaufsicht über die Landesmittel im Administrations-Kollegium wahrnahm, nutzte sie diese Oberaufsicht, um die landständische Steuerverwaltung zu reformieren und die Ausgabenpolitik der Landstände zum Wohle der Finanzen des Landes so weit einzuschränken, daß die Tätigkeit des Administrations-Kollegiums eher der einer landesherrlichen denn einer ständischen Behörde entsprach22 • Als im Jahre 1765 der letzte Landtag, der unter Friedrich dem Großen stattfand, geschlossen wurde und die ständische Wirksamkeit sich auf die alljährlichen Landrechnungsversammlungen beschränkte, war die Verwaltung Ostfrieslands, obwohl die alte Landesverfassung theoretisch in Kraft geblieben war, zum 16 17
18 IV 20
21 22
2*
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 339. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 338 f. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 339 f. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 340. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 339 f. Nds StA Aurich Rep. 5 Nr. 92. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 362.
20
1. Teil, 1. Kap.: Die rechtlichen und geschichtlichen Grundlagen
Wohle des Landes nach preußischem Vorbild weitgehend umgestaltet23 • Die preußischen Behörden verwalteten Ostfriesland nach Prinzipien preußischer Staatsführung und als preußischen Provinz2'. Die Landstände fanden zwar gelegentlich Anlaß zu Protesten gegen Verstöße des Landesherrn gegen die Landesverfassung, sahen sich aber nicht in der Lage, diese unausweichlich erscheinende Entwicklung zu ändern2s . "Sie waren ohne Macht, ohne die einstigen Auswege zu ausländischen Allierten, schließlich aber auch ohne echte innere überzeugung von der Zeitgemäßheit ihrer 1749 so tief ausgehöhlten Akkorde"28. Der Tod Friedrich des Großen im Jahre 1786 brachte für die Landstände Ostfrieslands eine Wende. Der neue König von Preußen, Friedrich Wilhelm lI., berief die ostfriesischen Landstände zu einem Huldigungs-Landtag nach Aurich. Nach Einnahme der Huldigung erteilte der Landtags-Kommissar den Landständen Huldigungs-Reversalien in der Art, wie sie bereits 1744 von Friedrich dem Großen erteilt worden waren. In diesen Huldigungs-Reversalien vom 12. November 178627 bestätigte der König die alte Landesverfassung mit den Änderungen, die diese durch die Konvention vom 7./31. Juli 1744 und durch die 1749 übertragenen Oberdirektion sowie durch die Landtags-Schlüsse und Landtagsabschiede erhalten hatte. Zugleich versicherte der LandtagsKommissar, daß die Landesbeschwerden über etwaige, während der letzten Regierung eingetretene konstitutionswidrige Vorfälle (Gravamina) erörtert und nach Bewandnis der Umstände abgestellt werden sollten28 . Die Erörterung der Gravamina ließ jedoch auf sich warten. Erst im Jahre 1789 belebte sich die ständische Aktivität, als ab 1. Mai 1789 auf die Einfuhr ausländischen Torfes ein Zoll gelegt wurde (Torf-Impost)2D. Da Ostfriesland zu etwa 30 Prozent vom Torfimport abhängig war, traf die Verteuerung des Torfes die Masse der Einwohner Ostfrieslands, mit Ausnahme der Fehnbewohner, deren wirtschaftliche Existenz dadurch geschützt werden sollte30 • Die Erregung, die dieser Impost auslöste, wurde von den Landständen aufgenommen. Sie entsandten eine Deputation nach Berlin, die neben der Abschaffung des Torf-Impostes gleichzeitig auf die Erörterung der bisher unerledigt gebliebenen Gravamina 23 Vgl. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 362 f. 24 Vgl. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 363. 25 Vgl. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 363. !O Vgl. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 363. 27 Vgl. das Gedr. Landtagsprot. von 1786 S.ll f.; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 272 f. 28 Vgl. das Landtagsprot. von 1786: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1556 BI. 11 r, 12r. 28 Vgl. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 363. 30 Vgl. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 363.
IH. Die preußische Zeit bis zum Jahre 1806
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und die Ausschreibung eines Landtages zur Erörterung aller Beschwerden drängen sollten31 . Dieses erwachende Selbstbewußtsein der Landstände ist untergründig auf die Französische Revolution zurückzuführen. Zwar fehlte jegliche Orientierung an den Ereignissen in Frankreich - die in Berlin weilende Deputation versuchte den als Reaktion auf den Torf-Impost zu sehenden Sturm auf das Haus des Torf-Impost-Hebers in Norden Mitte Juli 1789 herab zuspielen und distanzierte sich von diesen Ereignissen -, die Landstände setzten jedoch diese Unruhe, "den eigenen Landesgegebenheiten gemäß, in eine energischere Akzentuierung ständischer Anliegen und überhaupt ständischer Existenz um"32. Es ging ihnen bei den Verhandlungen in Berlin aber nicht um eine Rückkehr zur alten Landesverfassung, sondern um eine dem Geist der Zeit entsprechende Erneuerung der Verfassung, damit die Landstände verstärkt wieder an den öffentlichen Angelegenheiten des Landes teilhaben konnten33 • Auf das Ansuchen der Deputation bewilligte der König für das Jahr 1790 einen Landtag, auf dem unter anderem über Vorschläge der Landstände über die nach Aufhebung des Torf-Impost im Jahre 1789 erforderliche Förderung der Fehne beraten wurde 34 . Da die Landtags-Kommissare zugleich mit der Erörterung aller noch unerledigt gebliebener Gravamina beauftragt worden waren, begannen nach Abschluß des Landtages die Verhandlungen mit einer von den Landständen dazu beauftragten Kommission35 . Zur förmlichen Publikation der Königlichen Entscheidung über die Gravamina wurde für das Jahr 1791 ein weiterer Landtag ausgeschrieben, auf der die Königliche Resolution vom 16. Mai 1791 36 publiziert und, da die Resolution zu ihrer Zufriedenheit ausfiel, von den Landständen genehmigt wurde 37 . Die Königliche. Final-Resolution des Landtags von 1791, die unter dem 3. April 179238 erging und von den Landständen auf der Landrechnungsversammlung von 1792 genehmigt wurde, enthielt schließlich noch einige Bestimmungen über die zur weiteren Untersuchung angesetzten Gegenstände39. 31 Vgl.Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S.363; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd.X S.39ff. 32
Vgl. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 363 f.
33 Vgl. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 364 f. 34 Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 64 ff. 35 Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 72 ff. 36 Vgl. das Gedr. Landtagsprot. von 1791 S. 21 ff.; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 273 ff. 37 Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 80 ff. 38 Vgl. das Gedr. Landtagsprot. von 1791 S. 37 ff.; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 288 ff.
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I. Teil, 1. Kap.: Die rechtlichen und geschichtlichen Grundlagen
Nach dem Regierungsantritt des König Friedrich Wilhelm IH. im Jahre 1797 erhielten die Landstände bei der Huldigung am 6. Juli 1798 ebenfalls Huldigungs-Reversalien40 in der Art, wie sie 1744 und 1786 erteilt worden waren. Auch diesmal sollten die Gravamina erörtert werden41 • Auf die von den Landständen eingereichten Gravamina, die weniger die Verfassung betrafen als spezielle Gesuche und Desiderien, erging die Resolution vom 27. August 1799 42 • Da die Landstände nicht mit allen Entscheidungen des Königs einverstanden waren, wurden ihnen auf ihre Beschwerden hin schließlich noch weitere Ausführungen ihrer Erinnerungen nachgelassen, ohne daß jedoch bis zum Jahre 1806 eine abändernde Entscheidung des Königs erfolgte 43 • IV. Die Auflösung der landständischen Verfassung im Jahre 1807 Nach der Niederlage der Preußen im Krieg gegen Frankreich bei Jena und Auerstedt besetzten Ende Oktober 1806 Holländische Truppen Ostfriesland. Im Frieden von Tilsit vom 9. Juli 18071 mußte Preußen Ostfriesland an Frankreich abtreten, das es im Vertrag von Fontainebleau vom 11. November 18072 an das Königreich Holland übertrug. Der letzte Landtag wurde am 9. März 1807 und die letzte Landrechnungsversammlung am 10. Mai 1807 eröffnet3 • Mit der endgültigen Besitznahme durch das Königreich Holland am 11. März 1808 trat die ostfriesische Landesverfassung außer Kraft!. Die letzte Sitzung des Administrations-Kollegiums fand am 17. Mai 1807 staUS.
Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 101 ff. Vgl. Nds StA Aurich Dep. I Nr.5373; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 295 f. 41 Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 227 f. 42 Vgl. Nds StA Aurich Rep.6 Nr.10712; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 296 ff. 43 Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 244. 1 Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 419 ff.; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 301 f. 2 Vgl Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 424 f.; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 302 ff. 3 Vgl. Reinicke, Landstände im Verf.-staat, S.97; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 405 ff., 410. 4 Vgl. Berghaus, Verfassungsgesch. S. 175; Reinicke, Landstände im Verf.staat, S. 97; Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 368 f.; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 446 ff. S Vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 458 ff. 39 40
2. Kapitel
Die Verfassung der drei Landstände Die ostfriesische Landschaft bestand aus der Ritterschaft, dem Städtestand und dem Dritten Stand. Die Ritterschaft war die Interessenvertretung der Adeligen des Landes, der Städtestand vertrat die Interessen des selbständigen Gewerbes und der Dritte Stand wahrte die Interessen der Grundeigentümer des flachen Landes.
I. Die Ritterschaft Die ostfriesische Ritterschaft repräsentierte den Adel des Fürstentums in Ostfriesland. Zu ihr zählten nur diejenigen Adeligen, die nach gehöriger Erfüllung bestimmter Voraussetzungen auf einem Rittertag durch eine "Rezeption", wie die förmliche Aufnahme in die Ritterschaft genannt wurde, Mitglied der Ritterschaft geworden waren. Erst dann waren diese Mitglieder berechtigt, auf Rittertagen und landständischen Versammlungen zu erscheinen. 1. Die innere Verfassung der Ritterschaft
Die Aufnahme eines neuen Mitgliedes in die Ritterschaft war von bestimmten Voraussetzungen abhängig, die kurz zusammengefaßt lauteten: ein ritterschaftliches Mitglied mußte adelig (ortu nobilis) sein und ein immatrikuliertes adeliges Gut (castrum nobilis) besitzen1 • a) Die Voraussetzungen für die Rezeption waren seit jeher in den "Unions-Punkten" der Ritterschaft geregelt. Bereits auf dem Rittertag vom 1. Januar 1650 vereinbarte die Ritterschaft sog. "Unions-Punkte", in denen Einzelheiten über die Verfassung und Verwaltung der Ritterschaft geregelt waren 2 • Hinsichtlich der Rezeption eines neuen Mitglie1 VgL Appelius/Boddien, Bericht v. 1815, S. 31; Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 60 r f.; LandesherrL Bericht v. 1834, S. 26 ff.; SethejTelting, über die Landesverf., S. 85 f.; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 11 r; Ständ. übersicht von 1808, S. 15; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7 f. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 98 f.; Borkenhagen, Ostfr. unter der hann. Herrschaft, S.51; Klein, Verfassungskonfi. S.6; König, Verwaltungsgesch. S. 312 f.; Reinicke, Landstände im Verf.-staat, S. 93. 2 VgI. das Original der Unions-Punkte von 1650: Nds StA Aurich Dep. XXVIIIb, Nr. 7.
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
des war in § 11 dieser Unions-Punkte bestimmt, daß künftig niemand in die Ritterschaft aufgenommen werden sollte, der nicht von adeligen Voreltern geboren, ein immatrikuliertes adeliges Gut besaß und auf einem allgemeinen Rittertag einstimmig oder wenigstens mit Stimmenmehrheit für richtig qualifiziert befunden worden war 3 • Diese UnionsPunkte erweiterte die Ritterschaft auf dem Rittertag vom 23. Mai 1682 dahin, daß von Vater- und Mutterseite acht adelige Ahnen beizubringen waren, um in die Ritterschaft aufgenommen zu werden·. Auf dem Rittertag vom 23. Juni 1696 wurde beschlossen, die Anzahl der adeligen Ahnen auf 10 zu erhöhen5 • Am 16./17. Mai 1710 errichtete die Ritterschaft neue Unions-Punkte und bestätigte darin unter anderem die 1696 beschlossene RegelungS. Indessen wurden diese Unions-Punkte auf dem Rittertag vom 7. Mai 1714 ersatzlos wieder aufgehoben7 • Am 14. Mai 1774 beschloß die Ritterschaft dann erneut UnionsPunktes. In diesen Unions-Punkten von 1774, die bis 1806 gültig blieben, wurde die innere Verfassung der Ritterschaft völlig neu geregelt.
b) Die Verbindlichkeit dieser Unions-Punkte von 1774 wird jedoch von Bley, den Verfassern des Landesherrlichen Berichts von 1834 und Sethe/Telting mit der Begründung in Frage gestellt, daß die Ritterschaft nicht um eine landesherrliche Anerkennung der Unions-Punkte nachgesucht habe und diese auch niemals angewandt worden seienD. aal Was das Argument betrifft, daß die Unions-Punkte nicht angewandt worden seien, so läßt sich das Gegenteil sehr schnell nachweisen. Aus den Protokollen der Rittertage nach Erlaß der Unions-Punkte von 1774 ergibt sich, daß, wie § 26 der Unions-Punkte von 177410 vorschrieb, 3 Vgl. die Unions-Punkte v. 1650: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7. Siehe dazu auch Berghaus, Verfassungsgesch. S. 99; König, Verwaltungsgesch. S.313, der jedoch die bis zum Aussterben des Fürstenhauses im Jahre 1744 erfolgten Änderungen nicht berücksichtigt. 4 Vgl. das Original der Unions-Punkte: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7. 5 VgI. das Prot. des Rittertages v. 1696: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.12. ft Vgl. das Prot. des Rittertages v. 1710: Nds. StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.112 sowie Abschriften dieser Unions-Punkte: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 7 und 12. 7 Vgl. das Prot. des Rittertages v. 1714: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.114. 8 Vgl. das Prot. des Rittertages v. 1774: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.161. - Originale dieser Unions-Punkte: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7 und 54; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 264 fi. S Vgl. Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 61; Landesherrl. Bericht v. 1834, S.33; Sethe/Telting, über die Landesverf. BI. 87, mit der dort genannten Jahreszahl 1744 dürfte das Jahr 1774 gemeint sein. 10 Vgl. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 271.
1. Die Ritterschaft
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ein neues Mitglied nur dann in die Ritterschaft aufgenommen wurde, wenn es diese Unions-Punkte durch eigenhändiges Schreiben bzw. durch Schreiben eines speziellen Bevollmächtigten für sich verbindlich erklärte und deren Beachtung gelobtell. Außerdem wurde auf den Rittertagen vom 1./2. September 1791 und 21. Mai 1792 der Antrag des Freiherrn von Rehden auf Rezeption in die Ritterschaft mit der Begründung abgelehnt, daß er die zu dieser Würde erforderliche Anzahl von 16 adeligen Ahnen nicht gehabt habe l2 • Auch sah sich die Ritterschaft nicht in der Lage, einen Dispens zu erteilen, um einer "Verletzung der Ritterschaftlichen Unions-Punkte" vorzubeugen13 • Damit wurde die Regelung der §§ 3, 8 der Unions-Punkte von 177414 angesprochen, so daß sich feststellen läßt, daß die Unions-Punkte nicht nur für die Ritterschaft verbindlich waren, sondern auch tatsächlich angewandt wurden. bb) Auch die beiden übrigen Kurien haben diese Unions-Punkte als verbindlich angesehen und angewandt. In der Landrechnungsversammlung des Jahres 1801 vertrat der Ritter von der Osten, als das im Rezeptionsalter folgende Mitglied der Ritterschaft, den erkrankten ständischen Präsidenten. Hinsichtlich seiner Berechtigung, diesen zu vertreten, erklärte er: "Nach den Unions-Punkten der Ritterschaft wäre
bestimmt, daß das älteste Mitglied nach der Reception bei Abwesenheit des Präsidenten oder einer Vacanz den Vorsitz übernehme; indessen litte diese Regel bei einem Ausländerl5 insoweit eine Ausnahme, daß darüber votiert werde, ob das ausländische, oder aber das nach den Jahren der Reception darauf stehende einheimische ritterschaftliche Membrum das Präsidium zu übernehmen habe. Gerade dieser Fall hätte ihn als Ausländer betroffen. Indessen hätten die Herren der hochlöblichen Ritterschaft ihm die Ehre erzeiget, ihres Zustimmens zu würdigen, und ihm den Vorsitz in dieser so angesehenen Versammlung zu übertragenIG ." Worauf dann der Ritter von der Osten das Amt des Präsidenten ohne Widerspruch der beiden übrigen Kurien übernahm 17 •
11 VgI. das Original der Unions-Punkte von 1774 nebst beigehefteten schriftlichen Erklärungen aller in den Jahren 1774 bis 1804 aufgenommenen Mitglieder (lediglich die Erklärung des Jahres 1784 liegt als Abschrift bei): Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 7 und 54. 12 VgI. die Prot. der Rittertage von 1791 und 1792: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 191 und 193. 13 VgI. die Prot. der Rittertage von 1791 und 1792: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 191 und 193. 14 VgI. Nds. StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 7; siehe auch unter den Wortlaut im Anhang auf S. 265 f. 15 Ausländer waren nicht in Ostfriesland Geborene; der Gegensatz waren die Einheimischen und die diesen durch die Verleihung des Indigenats gleichgestellten Personen; vgI. dazu weiter unten auf S. 163 ff. 16 VgI. das Landrechnungsprot. von 1801: Nds StA Aurich Dep. I Nr.2190 BI. 2, 2 r.
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1. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
Diese angesprochene Regel der Vertretung des erkrankten Präsidenten, wie überhaupt die Regelung, daß das nach dem Rezeptionsalter älteste Membrum der Ritterschaft den Vorsitz auf ständischen Versammlungen führte, ist in § 15 der Unions-Punkte von 1774 18 enthalten. Damit wurden auch von den übrigen bei den Kurien die Unions-Punkte anerkannt und angewandt. cc) Die Ritterschaft hat nie um eine Anerkennung der UnionsPunkte bei der landesherrlichen Regierung nachgesucht19 • Eine solche Genehmigungspfiicht ließe sich aus dem Haagischen Vergleich von 1662, Cap. V, Res. ad. Grav. 520 herleiten, wonach der Landesherr der Ritterschaft niemanden aufdringen soll, der nicht in einer noch zu erstellenden Matrikel aufgeführt war. Mit dieser Matrikel war die Liste der adeligen Güter gemeint, deren Besitzer, sofern sie adelig waren, zu Landtagen zu laden waren 2 \ Brenneysen folgert aus dieser Regelung, daß die Prüfung der Qualifikation des Bewerbers vom Landesherrn durchgeführt werden müsse22 • Mithin hätte die Ritterschaft keineswegs die Bedingungen alleine festlegen können. Indessen ging die Entwicklung nach 1662 dahin, daß dem Landesherrn lediglich noch ein Genehmigungsrecht bereits erfolgter Rezeptionen blieb. Nach ständiger Observanz hatte die Ritterschaft allein über die Voraussetzungen der Rezeption zu entscheiden23 • Sie wurde als eine "Domestiksache" der Ritterschaft angesehen, so daß auch den beiden übrigen Kurien keine Mitwirkungsbefugnisse zukamen!4. Dementsprechend war auch in der preußigen Regierungszeit die Rezeption lediglich dem Landesherrn zur Genehmigung vorzulegen25 • Ein Protest gegen die Anwendung der Unions-Punkte wurde nicht eingelegt, obwohl die Regierung spätestens seit 1789 von der Anwendung der Unions-Punkte Kenntnis hatte 26 • Nicht einmal im Jahre 1795, als sie bei der Rezeption des Freiherrn 17 VgI. das Landrechnungsprot. von 1801: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 2190 BI. 3 f. 18 VgI. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 267 f. 19 VgI. BIey, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 61; LandesherrL Bericht v. 1834, S. 33; Sethe/Teiting, über die Landesverf., BI. 87. 20 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 852. 21 VgL dazu unten S. 30 . .,., VgL Brenneysen I, S. 168. 23 Nach König, Verwaltungsgesch. S.313, der sich auf H. B. von Appelle bezieht. 24 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 20; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 98. 25 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 31 ff. 26 So hatte der Kriegs- und Domainenrath Bley bereits 1789 davon Kenntnis, vgl. seine Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 61.
I. Die Ritterschaft
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von Rehden mit den Unions-Punkten, wenn auch nicht unter ausdrücklicher Nennung derselben, sondern unter Hinweis auf die "Verfassung der Ritterschaft", konfrontiert wurde, bestand sie letztlich weder auf eine Mitteilung dieser "ihr unbekannten Gewohnheiten und Statuten" noch verlangte sie eine Vorlage zwecks Genehmigung27. Durch Schreiben des General-Direktoriums in Berlin vom 15. Dezember 1795 wurde vielmehr angeordnet, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen28 • Diese Entscheidung wird als Anerkennung des Rechts der Stände zu werten sein, allein zu bestimmen, wen sie für genügend qualifiziert erachteten, landständische Versammlungen zu besuchen29 • Da das Fehlen der Genehmigung demnach ohne Bedeutung ist und die Unions-Punkte stets von der Ritterschaft und den übrigen Ständen anerkannt und angewandt wurden, sind sie als die bis 1806 gültigen Bestimmungen über die innere Verfassung und Verwaltung der Ritterschaft anzusehen30 • 2. Die Rezeption
a) Ein Mitglied der Ritterschaft mußte adeliger Abkunft (ortu nobilis) sein31 • Der Nachweis einer bestimmten Anzahl adeliger Ahnen (Ahnenprobe oder Nachweis alten Adels) war nach §§ 1, 2 der Unions-Punkte von 177432 für Kinder und Abkömmlinge, die von standesgemäß verheirateten Mitgliedern der ostfriesischen Ritterschaft abstammten, nicht erforderlich. b) Begehrten dagegen Ausländer die Rezeption in die Ritterschaft, so hatten diese nach § 3 der Unions-Punkte 33 ihre untadelhaftige adelige Abkunft von 16 rittermäßigen Ahnen förmlich nachzuweisen 34 • 27 VgI. dazu den Schriftwechsel in: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910 BI. 109 - 128 r, sowie den LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 31 f. 28 Abschrift dieses Schreibens in: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr. 910 BI. 128 und Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.199. 29 Siehe dazu weiter unten auf S. 90. 30 So auch ohne jegliche Begründung: v. Knyphausen, Bemerkungen, S. 11 f.; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7. 31 VgI. Appelius/Boddien, Bericht v. 1815, S. 31; Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 61; LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 29 ff.; Sethe/Telting, über die Landesverf. BI. 87; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 11 r; Ständ. übersicht v. 1808, S. 15; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7. - Borkenhagen, Ostfr. unter der hann. Herrsch. S.52; Klein, Verfassungskonfl. S.6; König, Verwaltungsgesch. S. 312; Reinicke, Landstände im Verf.-staat, S. 93. 32 VgI. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 265. 33 VgI. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 265. 34 Auf den Rittertagen von 1791 und 1792 wurde wegen des fehlenden
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
Konnte dieser förmliche Nachweis nicht erbracht werden, so konnte die Ritterschaft gemäß § 8 der Unions-Punkte 35 mit Stimmenmehrheit einen Dispens erteilen36 • Bewerber, die Ausländer waren oder denen ein Dispens erteilt wurde, nicht aber, wie Sethe/Tlting meinen, jede Bewerber37 , hatten nach § 9 der Unions-Punkte 38 100 Dukaten in die ritterschaftliche Kasse zu zahlen und dem Präsidenten der Ritterschaft, der nach § 15 der Unions-Punkte39 das nach dem Rezeptionsalter älteste Mitglied der Ritterschaft war, darüber eine Quittung vorzulegen40 • aa) Dem Ständischen Bericht von 1835 zu folge sollen dagegen Ausländer überhaupt nicht in die Ritterschaft aufgenommen werden dürfen 41 • Diese Meinung wird mit folgendem begründet: Da die Deputierten des Dritten und des Städtestandes einheimische Ostfriesen zu sein hätten, müsse dies auch für die Mitglieder der Ritterschaft gelten, da es inkonsequent sei, wenn ein Ausländer zum wichtigen und einflußreichem Amt des Präsidenten der Ständeversammlung zugelassen werde, dessen übrige Mitglieder Einheimische sein müßten42 • Aus der Tatsache, daß die Stände auf der Landrechnungsversammlung von 1801 einen Ausländer, den 1777 in die Ritterschaft aufgenommenen Ritter von der Osten43 als Vertreter des erkrankten Präsidenten ohne Widerspruch duldetenU, ergibt sich jedoch, daß im Gegenteil Nachweises die Rezeption verweigert; vgl. dazu die Prot. der Rittertage: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 191 und 193. So auch Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 61; Landesherrl. Bericht v. 1834, S.33; Sethe/Telting, über die Landesverf. BI. 87; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7, wobei jedoch die ersten drei Verfasser die Wirksamkeit dieser Regelung bezweifeln. 35 VgI. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 266. 36 Auf dem Rittertag von 1795 wurde ein solcher Dispens erteilt, wenn auch mit großen Bedenken; vgI. dazu das Prot. des Rittertages: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 198. So auch der LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 33, der jedoch die Wirksamkeit der Regelungen insgesamt bezweifelt, und Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7. 37 VgI. Sethe/Telting, über die Landesverf., BI. 87. 38 VgI. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 266. 39 Vgl. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 267 f. 40 Vgl. dazu beispielsweise die Prot. der Rittertage von 1777, 1778, 1779 und 1795: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 165 166, 168 und 198. 41 Vgl. Ständ. Bericht v. 1835, S. 33 ff. 42 Vgl. Ständ. Bericht v. 1835, S. 33 f. 43 Vgl. das Prot. des Rittertages von 1777: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.165. 44 Vgl. das Landrechnungsprot. v. 1801: Nds StA Aurich Dep. I Nr.2190 BI. 2 ff.; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282 r; siehe auch die bereits angeführte Rede des Ritter von der Osten oben auf S. 25.
1. Die Ritterschaft
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durchaus Ausländer, wie sie auch die Unions-Punkte in § 3~5 vorsehen, in die Ritterschaft aufgenommen werden konnten46 • Dementsprechend wurden auch 1777, 1779 und 1790 Ausländer in die Ritterschaft aufgenommen~7. Diese Aufnahme von Ausländern war dabei auch nicht von der vorherigen Verleihung des Indigenats48 abhängig, so wenig wie auch in der Rezeption eines Ausländers die stillschweigende Verleihung des Indignats gesehen werden konnte, da dieses allein von den Ständen in ihrer Gesamtheit bewilligt werden konnte 48 • Ein Mitglied der Ritterschaft wurde vielmehr mit der Rezeption "pro indigenam" gehalten50 • Den Bedenken des Ständischen Berichtes von 1835 ist im übrigen dadurch Rechnung getragen, daß nach § 15 der Unions-Punkte:>' ein Ausländer nur dann das Präsidentenamt übernehmen durfte, wenn die Ritterschaft ihn aufgrund eines besonderen Beschlusses damit betraut hatte 52 • bb) Entgegen dem Landesherrlichen Bericht und Borkenhagen53, war durchaus alter Adel bzw. eine Ahnenprobe erforderlich5'. Bei Abkömmlingen von Mitgliedern der ostfriesischen Ritterschaft galt nur deren alter Adel als bekannt. Wenn daher in den Anträgen der Ritterschaft an die Kriegs- und Domainenkammer wegen der Bestätigung der Rezeptionen 55 teils erwiesener alter Adel, teils aber nur adelige Abkunft 45 VgI. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 265. 48 So auch v. Knyphausen, Bemerkungen, S.l1; LandesherrL Bericht v 1834, S. 18 f. 47 VgL die Prot. der Rittertage von 1777, 1779 und 1790: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 165, 168 und 189. So auch der Landesherr!. Bericht v. 1834, S.18f. 48 Zum Indigenat siehe unten S. 163 ff. 49 VgL Landesherrl. Bericht v. 1834, S.19; unentschieden v. Knyphausen, Bemerkungen, S. 11. 50 VgL Acta vom Indigenat: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1262, BI. 2 r. 5' VgL Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 267 f. 52 So wurde auf der Landrechnungsversammlung von 1801 das Präsidentenamt von einem Ausländer durch besonderen Beschluß der Ritterschaft übertragen, vgl. das Landrechnungsprot. von 1801: Nds StA Aurich Dep. I Nr.2190 BI. 2 f. Siehe auch die oben auf S.25 aufgeführte Rede zu diesem Problem; so auch Telting, Vertretung der Provinz BI. 282 r. 53 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 30 ff. Borkenhagen, Ostfr. unter der hann. Herrsch., S. 52. 54 So Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7. VgI. auch das Prot. des Rittertages von 1777: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.165, in dem beim einheimischen Bewerber der alte Adel als bekannt angenommen wurde und beim ausländischen Bewerber festgestellt wurde, daß "an adeliger Abkunft nichts auszusetzen" sei; sowie die Prot. der Rittertage von 1791, 1792 und 1795: Nds StA Aurich Dep.XXVIIIb, Nr.191, 193 und 198, aus denen ersichtlich wird, daß die Ahnenprobe besondere Schwierigkeiten bereitete. 55 Zur Bestätigung der Rezeption durch den Landesherr siehe unten S. 33 ff.
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
erwähnt wird 56 , so ist dies auf die unterschiedliche Regelung in den Unions-Punkten hinsichtlich der Aufnahme von Einheimischen und Ausländern zurückzuführen. Daraus kann aber nicht, wie im Landesherrlichen BerichtS7 , hergeleitet werden, daß kein alter Adel bzw. keine Ahnenprobe erforderlich gewesen sei. c) Zur adeligen Abkunft mußte als weitere Voraussetzung gemäß § 5 der Unions-PunkteS" der eigentümliche Besitz eines landtagsfähigen adeligen Gutes hinzukommen. Ein adeliges Gut war dann landtagsfähig, wenn es in der ritterschaftlichen Matrikel vom 23. Januar 1679 59 immatrikuliert war. Diese Matrikel verzeichnete folgende 29 landtagsfähige Güter 60 : Inn-und Knyphausen Middelstewehr Grimersum, Osterburg Gödens Grimersum, Westerburg Oldersum Dornum, Osterburg Petkum Uphusen Nesse Rysum Arle Lütetsburg Uttum Midlum Jennelt Dornum Hinte Loppersum Borsum Leer, Hajo Uniken Haus Uplewerd Upgant Groothusen Leer, Claes Fresen Haus Hamswerum Lange Hus Visquard Uiterstewehr Diese Matrikel von 1679 wurde von der Ritterschaft entsprechend dem Auftrag des Haagischen Vergleiches von 1662, Cap. V Res. ad. Grav. 561 auf dem Rittertag vom 23. Januar 1679 zu Leer verabschiedet62 • Eine ausdrückliche landesherrliche Bestätigung ist jedoch nicht erfolgt63 • 56 Vgl. dazu die gesammelten Anträge der Ritterschaft: Nds StA Aurich Rep. 21 a Nr. 910, sowie den Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 30 ff. 57 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 30 ff. 58 Vgl. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 266. 59 Vgl. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.24. Abdruck bei Brenneysen I, 167 f. und König, Verwaltungsgesch. S. 315. Zur Vorgeschichte dieser Matrikel siehe König, Verwaltungsgesch. S. 313 ff. 60 Schreibweise der Ortsnamen nach Camp, Bunnik, v. d. Linden, Ostfr.Karte: Nds StA Aurich Rep. 244 C, 2665. - König: Verwaltungsgesch. S.314 und Reinicke, Landstände im Verf.-staat, S.93 zählt nur 28 Güter; wahrscheinlich haben sie die beiden Güter Grimersum als ein einziges Gut angesehen. 61 Gedr. bei Brenneysen II, S. 852. 62 Vgl. den Schluß der Matrikel vom 23. Januar 1679, gedr. bei Brenneysen I, S. 168. 63 Vgl. Brenneysen I, S. 168; Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 28 f. König, Verwaltungsgesch. S. 314.
I. Die Ritterschaft
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Indessen wurde dieselbe in fürstlicher und preußischer Regierungszeit stets als Grundlage der Landtags-Ausschreibungen anerkannt6t • Diese immatrikulierten Güter unterschieden sich je nach der Jurisdiktionsbefugnis des Besitzes in zwei Arten. "Die Besitzer der Herrlichkeiten, der übriggebliebenen Häuptlingsterritorien, besaßen die Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit der ihnen unterstehenden Liegenschaften, ja, sie beanspruchten sogar das jus territoriale. Sie waren meist Kirchenpatrone. Weiterhin besaßen sie das Zoll-, Wege- und Mühlenrecht und übten in ihrem Bezirk die hohe und niedrige Jagd aus. Die Eingesessenen der Herrlichkeit standen in keinem Hörigenoder Hintersassenverhältnis zu ihnen, sondern hatten als Bauern teils ganze Höfe, teils Einzelland von der Herrschaft in freier Pacht. Sie waren aber in der Regel zu einigen Naturallasten und Diensten, wie Torffahren und Heuschwelen, verpfl:ichtet65 ." "Die Besitzer der zweiten Art immatrikulierter Güter besaßen keine Herrlichkeiten, sondern nur immatrikulierte adelige Güter. Sie hatten keine Jurisdiktionsbefugnisse, nicht einmal über ihre Meier und Pächter. Verfassungsrechtlich und rangmäßig bestand zwischen ihnen und dem Herrlichkeitsbesitzer kein Unterschied, beide zusammen bildeten die Kurie der Ritterschaft66 ." Ein neues Gut konnte im übrigen nach den Bestimmungen der ritterschaftlichen Matrikel von 1679 67 und § 7 der Unions-Punkte 68 nur mit Zustimmung der Landesobrigkeit und sämtlicher Mitglieder der Ritterschaft (nemine ex iisdem dissentiente) in die Matrikel aufgenommen werden 69 • Dabei durften aber nach § 6 der Unions-Punkte von 177470 bisherige immatrikulierte Güter nicht geteilt werden. Bis zum Jahre 1806 ist jedoch keine Verleihung der Matrikel erfolgt. Erst im Jahre 1824 wurde die Matrikel von 1679 durch die Aufnahme des Gutes 64 VgL AppeliusjBoddien, Bericht v. 1815, S. 31; Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 60 r f.; LandesherrL Bericht v. 1834, S. 26 ff.; SethejTelting, Über die Landesverf. BI. 85 f.; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 11 r; Ständ. übersicht v. 1806, S. 15; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7 f. - Borkenhagen, Ostfr. unter der hann. Herrsch. S.52; Brenneysen I, S.168; Klein, Verfassungskonfl. S.6; König, Verwaltungsgesch. S. 313 f.; Reinicke, Landstände im Verf.-staat S. 93. 65 VgL König, Verwaltungsgesch. S. 311 f. 66 VgL König, Verwaltungsgesch. S. 312. 67 Gedr. bei Brenneysen I, S. 168. 68 VgL Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 266. 69 So auch v. Knyphausen, Bemerkungen, S.12; Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 29; Ständ. Bericht v. 1835, S. 38. - Berghaus, Verfassungsgesch. S.98; König, Verwaltungsgesch. S. 314 f. 70 Vgl. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 266.
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
Herrenbehr erweiteret. Dabei soll nach Klein ein Gut dann eintragungsfähig gewesen sein, wenn es die Größe von 150 Grasen (243 3 /, Morgen) hatte72 • d) Weitere persönliche Voraussetzungen für die Rezeption in die Ritterschaft bestanden nicht. Es konnten daher auch Frauen in die Ritterschaft aufgenommen werden73 • Dies beweist bereits die ritterschaftliche Matrikel von 1679, in der als Besitzer der Güter Dornum (Westerburg), Groothusen, Grimersum, Dornum (Oster burg) , Arle, Leer (Hajo Uniken Haus) und Upgant Frauen aufgeführt waren7'. Dann mußten diese aber die immatrikulierten Güter selbst besitzen und nicht, wie die Matrikel von 1679 bei Uiterstewehr ausweist, als Vormünderin minderjähriger Kinder7ä • Im letzteren Fall wurden die Vormünder nicht in die Ritterschaft aufgenommen, hatten jedoch bis zur Volljährigkeit ihrer Kinder ein Stimmrecht auf den Rittertagen76 • In den Jahren 1784 und 1787 wurden daher zwei Frauen in die Ritterschaft aufgenommen77 • e) Die Rezeption eines neuens Mitgliedes in die Ritterschaft erfolgte auf den Rittertagen, die, wie § 16 der Unions-Punkte von 1774 7s bestimmte, alljährlich Anfang Mai abgehalten werden sollten79 • über den Antrag eines Bewerbers wurde zunächst in dessen Abwesenheit beraten. Dabei wurde dessen Qualifikation, insbesondere die Abstammung von altem Adel und der Besitz eines immatrikulierten Gutes geprüft. Sodann wurde über die Rezeption und, wenn alter Adel il Zur Aufnahme des Gutes Herrenbehr siehe: Nds StA Aurich Rep.6, Nr. 10720. So auch der Landesherr!. Bericht v. 1834, S. 29. 72 Vgl. Klein, Verfassungskonfl. S.6; die in Anm.6 dafür angegebene Quelle in den Akten der Ostfr. Landschaft Aurich V 1.4 enhält hauptsächlich die Ständ. Ausarbeitung von 1823, die jedoch keinen Hinweis auf die angegebene Größe enthält, so daß sich diese Größenangabe nicht belegen läßt. 73 Vgl. v. Knyphausen, Bemerkungen, S. 12; Landesherr!. Bericht von 1834, S. 34. - König, Verwaltungsgesch. S. 314. 74 Gedr. bei Brenneysen I, S. 167 f. 7S Gedr. bei Brenneysen I, S. 168. 76 So bestand die Frau von Freese 1779 darauf, Vormünderin ihrer Kinder zu bleiben; vgl. das Prot. des Rittertages von 1779: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 168. Die weibl. Vormünder traten jedoch nie selbst auf, sondern ließen sich durch andere ritterschaftliche Mitglieder vertreten; vgl. z. B. die Protokolle der Ritterschaft von 1777, 1779, 1796: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 165, 168, 199. 77 Vgl. die Prot. der Rittertage von 1784 und 1787: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 175,181. 78 Vg!. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 268. 79 Vgl. zum folgenden Verfahren die Prot. der Rittertage von 1777 bis 1804, auf denen neue Mitglieder aufgenommen wurden: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 165, 166, 168, 175, 176, 181, 187, 189, 193, 198, 201 und 211.
1. Die Ritterschaft
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nicht hinreichend nachgewiesen werden konnte, über die Erteilung eines Dispenses (§ 8 der Unions-Punkte) abgestimmt. Die Abstimmung erfolgte gemäß § 15 der Unions-Punkte der Reihe nach von dem, nach dem Rezeptionsalter, jüngsten bis zum ältesten Mitglied der Ritterschaft. Ein neues Mitglied wurde aufgenommen, bzw. ein Dispens gemäß § 8 der Unions-Punkte erteilt, wenn sich die Mitglieder der Ritterschaft mit Stimmenmehrheit dafür aussprachen. Bei Stimmengleichheit, die Stimme des Präsidenten der Ritterschaft mitgerechnet, gab nach § 15 der Unions-Punkte die Stimme des Präsidenten den Ausschlag. War ein neues Mitglied mit Mehrheit in die Ritterschaft aufgenommen, so wurde der Bewerber durch den Pedellen in die ritterschaftliche Versammlung eingeladen. Ihm wurden sodann die ritterschaftlichen Unions-Punkte vom 14. Mai 1774 vorgelesen, dessen Einhaltung es durch eine besondere schIÜftliche Erklärung zu geloben hatte 80 • f) Die Rezeption eines neuen Mitgliedes mußte vom Landesherrn genehmigt und bestätigt werden81 • Daß nicht lediglich eine Anzeige oder ein Bericht über die geschehene Rezeption82 , sondern eine ausdrückliche Genehmigung und Bestätigung erfolgte, läßt sich aus den "Approbations-Reskripten", wie sich die landesherrlichen Genehmigungsschreiben nannten, entnehmen, in denen ausdrücklich von einer Genehmigung gesprochen wurde 83 • Auch im Königlichen Resk~ipt vom 15. Dezember 179584 , worin die Kompetenz der Kriegs- und Domainenkammer und der Ostfriesischen Regierung hinsichtlich der Rezeptionen geregelt wurde, ist von einem Ersuchen um Genehmigung und Bestätigung seitens der Ritterschaft die Rede. Die Ritterschaft "berichtete", wie es in den Schreiben an die Landesobrigkeit lautete, von der geschehenen Rezeption der Kriegs- und Domainenkammer und der Ostfriesischen Regierung und bat, das neue Mitglied zu Landtagen und sonstigen landständischen Versammlungen zu laden85 • Daß beide Kollegien für die Genehmigung der Rezeption zuständig waren und nicht nur die Ostfriesische Regierung, wie Telting 80 Siehe dazu das Original der Unions-Punkte nebst beigehefteter schriftlicher Erklärungen aller in den Jahren 1777 bis 1804 aufgenommenen Mitglieder: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7. 81 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S.40. In fürstlicher Zeit verweigerte die Ritterschaft dem Landesherrn noch dieses Recht: vgI. König, Verwaltungsgesch. S. 313,315; Reinicke, Landstände im Verf.-staat S. 93 Anm. 704. 82 So Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7 r; vgI. auch die Mitteilungen der Ritterschaft hinsichtlich der Rezeptionen: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910. 83 VgI. die Genehmigungsschreiben in: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910. 84 Original: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910 BI. 131; Abschrift im Prot. des Rittertages von 1796: N ds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 199.
3 Engelberg
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
ausführt86 , ergibt sich aus den Protokollen der Rittertage zwischen 1777 und 1804, wonach die Rezeption immer beiden Behörden berichtet wurde87 • Zwar wird auch im Königlichen Schreiben vom 22. September 179588 an die Kriegs- und Domainenkammer eine gewisse Unsicherheit festgestellt, weil, wie es im Schreiben lautete, sich aus den Akten ergebe, daß in alten Zeiten teils die Regierung, teils beide Behörden und ab 1769 die Kriegs- und Domainenkammer, wenn auch nach Beratung mit der Regierung, zur Genehmigung der Rezeptionen zuständig gewesen sei. Durch das Königliche Schreiben an die Ostfriesische Regierung und die Kriegs- und Domainenkammer vom 15. Dezember 179589 wurde jedoch dann die Kompetenz beider Behörden festgestellt; vor einer Berichterstattung nach Berlin hätten sich jedoch beide Behörden untereinander abzustimmen und einen gemeinsamen Beschluß zu fassen9o • Den Anträgen der Ritterschaft waren Dokumente beizufügen, woraus sich die persönliche Qualifikation sowie der rechtmäßige Besitz eines immatrikulierten Gutes ergab 91 • Da die Ladungen zu den Landtagen allein durch den Landesherrn erfolgten, wobei gemäß den Bestimmungen des § 57 des Concordats von 1599 92 und des § 37 des Osterhusischen Akkordes von 1611 93 die Matrikel der immatrikulierten Güter als Grundlage diente, wurde meist die Bitte hinzugefügt, den neu Auf-
genommenen hinfort zu Landtagen zu verschreiben94 •
Die Anträge der Ritterschaft wurden von der Ostfriesischen Regierung an das Justiz- und Lehns-Departement in Berlin und von der Kriegs- und Domainenkammer an das General-Direktorium in Berlin gesandtgs • Von dort wurden die Approbations-Reskripte getrennt an 85 VgI. dazu die Schreiben der Ritterschaft in: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910. 88 VgI. Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282. 87 VgI. die Prot. der Rittertage von 1777 bis 1804: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.165, 166, 168, 175, 176,181,187,189,193,198,201,211. 88 Original: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910 BI. 120; Abschrift im Prot. des Rittertages von 1796: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.199. 89 Original: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910 BI. 131; Abschrift im Prot. des Rittertages von 1796: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.199; so auch der LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 41 f. 90 Siehe dazu auch den LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 41 f. 91 So auch der LandesherrI. Bericht von 1834, S.41. Brenneysen I, S.168. 92 Gedr. bei Brenneysen II, S. 139 f. und Wiemann, Grundlagen, S. 178. 93 Gedr. bei Brenneysen II, S. 362 und Wiemann, Grundlagen, S. 239. 84 VgI. die Mitteilungen der Ritterschaft: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910. So auch der LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 40 f.; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7 r. - König, Verwaltungsgesch. S. 313. us Vgl. LandesherrI. Bericht v. 1834, S.41. Siehe dazu auch die Berichte in: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr. 910.
1. Die Ritterschaft
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die beiden Behörden in Aurich zurückgesandt, die diese wiederum getrennt der Ritterschaft zustelltenv6 • Weiterhin wurden die Mitteilungen über die Genehmigung der Rezeption untereinander mitgeteilt sowie den Landtags-Kommissarien und später dem landesherrlichen Inspektor, der zugleich Landrechnungs-Kommissar war, zugefertigt97 . Außerdem teilte die Kriegs- und Domainenkammer dem landschaftlichen Administrations-Kollegium die Rezeption mit, damit dieses die Ladungen zu den jährlichen Landrechnungsversammlungen entsprechend versenden konnten'8. g) Nach Telting und Wiarda war nach der Mitteilung der Rezeption an den Landesherrn der Homaginal-Eid (Eid der Untertänigkeit) dem jeweiligen Landesherrn abzuleisten9'. Dieser Homaginal-Eid hatte jedoch mit der Rezeption eines neuen Mitgliedes in die Ritterschaft nichts zu tun, sondern war unabhängig davon abzulegenloo • Diese Ablegung des Homaginal-Eides war durch die Circular-Verordnung vom 1. September 1772 101 eingeführt worden. Nach § 1 der Verordnung war der Eid von sämtlichen Eigentümern adeliger Güter Ostfr:ieslands unabhängig davon, ob ein solches Gut in der ritterschaftlichen Matrikel registriert war oder nicht, in dem Zeitpunkt zu leisten, in dem sie ein adeliges Gut in Besitz nahmen; dabei war es ohne Bedeutung, ob der Besitzer adelig oder bürgerlich war. h) Durch Hof-Reskript vom 14. Februar 1790 wurde den Mitgliedern der RJitterschaft das Tragen einer Uniform bewilligtl02 • Diese Uniform "bestand in einem scharlachroten Rock, mit in Gold gestickten, dunkelblauen Rabatten, Aufschlägen und Kragen, wie auch zwei goldenen Epouletten; ferner in weißen Unterkleidern und einem goldenen mit roth- und dunkelblau gemischte, Port d'epee I03 ." Auf der Landrech98 Vgl. Landesherrl. Bericht von 1834, S. 41. 97 Siehe dazu die Verfügungen in den Akten: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910. 98 Vgl. dazu die Verfügungen: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910; sowie die einzige auffindbare dahingehende Mitteilung: Nds StA Aurich Dep. I, Nr. 3350 BI. 1. V9 Vgl. Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 7 r. JlOO So auch der Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 42 f. Zwar war in der Regel vor der Rezeption bereits die Ableistung des Homaginal-Eides nachzuweisen, indessen erfolgte eine Rezeption auch ohne Ableistung des Eides; vgI. dazu das Prot. des Rittertages von 1790: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.189. 101 Abgedr. in: Wöchentliche OstFriesische Anzeigen und Nachrichten 1772, S. 531 f. 102 VgI. dazu: Nds StA Aurich Rep.6, Nr.10725 sowie Dep. XXVIII b, Nr. 65, 66. - Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X, S. 62 f. 103 VgI. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X, S. 62.
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nungsversammlung von 1790 erschien die Ritterschaft erstmalig in dieser Uniform, was keinen allgemeinen Beifall fand, weil eigentlich jeder Stand die gleichen Rechte hatte l04 . Durch Reskript vom 29. Februar 1804 wurde dann auch den ständischen Offizianten eine gleiche Uniform, jedoch ohne Stickerei, bewilligtlO5 • Da das Tragen der Uniform den ständischen Offizianten, die alljährlich neu gewählt werden mußten, nicht zur Pflicht gemacht wurde, haben diese das Tragen einer Uniform abgelehntlO6 • 3. Das Recht der Mitglieder der Ritterschaft auf ständischen Versammlungen zu erscheinen
Die Mitglieder der Ritterschaft erschienen kraft ihrer Zugehörigkeit zur ersten Kurie auf landständischen Versammlungen ohne besondere Vollmacht (proprio nomine oder propruo jure)107. a) Nach § 11 der Unions-Punkte lOS waren die ritterschaftlichen Mitglieder, insbesondere die Einheimischen, zum Erscheinen auf den landständischen Versammlungen verpflichtet. Bei höchstwichtigen Hindernissen hatten sie dem Präsidenten davon Mitteilung zu machen und ein anderes ritterschaftliches Mitglied gehörig zu bevollmächtigen. Ob diese Regelung der Unions-Punkte über die Bevollmächtigung, die nach dem Wortlaut des § 11 sowohl für landschaftliche Versammlungen als auch für Rittertage gelten sollte. auch für landständischen Versammlungen anwendbar war, erscheint zweifelhaft. Nach v. Knyphausen, den Verfassern des Ständischen Berichtes von 1835 und Berghaus soll es altes Herkommen gewesen sein, daß Mitglieder der Ritterschaft stets nur persönlich hätten erscheinen dürfen, mithin Bevollmächtigungen ausgeschlossen wärenl09 . Dementgegen folgert der Landesherrliche Bericht von 1834 daraus, daß die Ladungen 104 VgL Wiarda, Ostfr. Gesell. Bd. X, S. 62. 105 VgL dazu die 30. Relation des Adm.-Kollegium, welche auf der Landrechnungsversammlung von 1804 verlesen wurde: Nds StA Aurich Dep. I Nr.2191 BI. 105 r f.; sowie Nds StA Aurich Rep.6 Nr.10725. - Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X, S. 62 f. 106 VgL Äußerung der Ordinair-Deputierten auf der Landrechnungsversammlung von 1804: Nds StA Aurich Dep. I Nr.2191 BI. 37 f. - Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X, S. 63. 107 VgL Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 11; LandesherrL Bericht v. 1834, S. 24; SethejTelting, über die Landesverf., BI. 85 r; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 11 r; Ständ. übersicht v. 1808, S.15; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r. - Berghaus, Verfassungsgesch., S.98 Fußn. 19; Borkenhagen, Ostfr. unter der hann. Herrschaft, S. 52; Klein, Verfassungskonfl. S. 6. lOS VgI. Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.7; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 266 f. 109 VgL v. Knyphausen, Bemerkungen, S. 12; Ständ. Bericht v. 1835, S. 38 f. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 98 Anm.19.
I. Die Ritterschaft
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an die Ritterschaft nicht unbedingt zum persönlichen Erscheinen aufforderten, und es auch keine ausdrückliche entgegenstehende Regelung gebe, daß Bevollmächtigungen durchaus zulässig gewesen seienllo . Da auf landständischen Versammlungen unbestritten die Regelung galt, daß ein Mitglied bei Abstimmungen immer nur eine einzige Stimme abgeben durfte 111 , und dies für ritterschaftliche Mitglieder selbst dann galt, wenn sie Besitzer mehrerer immatrikulierter adeliger Güter waren l12 , erscheint unter diesen Gesichtspunkten eine Bevollmächtigung überhaupt überflüssig zu sein, da der Bevollmächtigte die Interessen seines Vollmachtgebers stimmenmäßig nicht wahrnehmen konnte. Dementsprech€nd ist auch, ganz im Gegensatz zu den Rittertagen, wo Bevollmächtigungen und damit die Abgabe mehrerer Stimmen die Regel waren113 , kein einziger Fall einer Bevollmächtigung für landständische Versammlungen aktenkundig geworden l14 • Es kann daher davon ausgegangen werden, daß eine Bevollmächtigung nicht zulässig war, sondern ein ritterschaftliches Mitglied nur persönlich auf landständischen Versammlungen erscheinen durfte. b) Ausländische Mitglieder der Ritterschaft hatten auf den landständischen Versammlungen dieselben Rechte wie einheimische Mitglieder115 • Zwar wird es in einer Anmerkung zum Ständischen Bericht von 1835 für möglich gehalten, daß die Erteilung des Indignats Voraussetzung für die Teilnahme an landständischen Versammlungen gewesen sein könnte llS • Diese Ansicht und die gegenteilige Ansicht des v. Knyphausen und der Verfasser des Ständischen Berichts von 1835 117 ist jedoch dadurch widerlegt, daß, wie bereits oben angeführt118 , auf der Landrechnungsversammlung von 1801 ein Ausländer sogar das wichtige Präsidentenamt ohne Widerspruch der beiden übrigen Kurien übernahm llG • VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 39 f. VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 38 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 38 f. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 98 Anm. 19. 112 VgL AppeliusjBoddien, Bericht v. 1815, S. 31; LandesherrL Bericht v. 1834, S. 38 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S.38. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 98 Anm. 19. 113 VgL die Prot. der Rittertage ab 1774, insbes. von 1777, 1787 und 1791: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.165, 181, 191. So auch v. Knyphausen, Bemerkungen S. 12; Ständ. Bericht v. 1835, S.39. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 98, Anm. 19. 114 So auch v. Knyphausen, Bemerkungen, S.12; LandesherrL Bericht v. 1834, S. 39. 115 So auch LandesherrL Bericht v. 1834, S. 18 f.; unentschieden v. Knyphausen, Bemerkungen, S. 11. 116 VgL Nds StA Aurich Rep. 6, Nr. 10794 BI. 201. 117 VgL v. Knyphausen, Bemerkungen, S. 22 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S.33f. 118 Siehe oben auf S. 25. 110 1'11
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c) Nicht zu den landständischen Versammlungen zugelassen waren die Mitglieder der Ritterschaft, die keiner der drei christlichen Konfessionen - der katholischen, lutherischen und reformierten - angehörtenl2o • Eine ausdrückliche Bestimmung darüber :ist nicht vorhanden. Diese Regelung wird jedoch darauf beruhen, daß durch den Westphälischen Frieden von 1648 nur die Mitglieder der katholischen und der bei den evangelischen Konfession im Hinblick auf die Staatsrechte gleichgestellt warenl21 • Auf den Landtagen von 1655 und 1786 wurden daher Mennoniten zur Versammlung nicht zugelassen122 • d) Nach dem Haagischen Vergleich von 1662, Cap. IV, Res. ad Grav.38 123 war weiterhin derjenige von landständischen Versammlungen ausgeschlossen, dem die Begehung einer Straftat nachgewiesen worden war124 • Nicht ausreichend dagegen war der bloße Verdacht, damit niemand unter dem Vorwand eines angeschuldigten Verbrechens von Landtagen ausgeschlossen werden konnte 125 • e) Ein Mitglied der Ritterschaft war weiterhin ausgeschlossen, wenn es unter väterlicher oder vormundschaftlicher Gewalt stand oder in Konkurs gefallen warm. Es war daher Volljährigkeit und volle Geschäftsfähigkeit erforderlich. f) War ein ritterschaftliches Mitglied zugleich landesherrlicher Beamter oder Diener, so war ihm ein Erscheinen auf landständischen Versammlungen nach §§ 7, 14 des Norder Executions Rezeß von 1593127 119 Vgl. das Landrechnungsprot. von 1801: Nds StA Aurich Dep. I, Nr.2190 BI. 2 f. Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282 r. 120 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 23 f.; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 12 r; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 281 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 6. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 93; Klein, Verfassungskonfl. S.7; König, Verwaltungsgesch. S. 311 Fußn. 3. 121 VgI. dazu insbesondere den Art. VII, § 1 des Westphälischen Friedens von 1648: abgedr. bei Müller, Instrumenta Pacis Westphalicae S.46 und 132 (Übersetzung). So auch LandesherrI. Bericht v. 1834, S.23; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 6. 122 VgI. das Landtagsprot. von 1655: abgedr. bei Brenneysen II, S.740 und das Landtagsprot. von 1786: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1556 BI. 9 r Gedr. Landtagsprot. von 1786 S. 5. 123 Gedr. bei Brenneysen II, S. 826. lU So auch der LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 25 f. - König, Verwaltungsgesch. S. 311 Fußn. 3. 125 Siehe dazu die Erklärung des Emder Administrator auf dem Landtag von 1725 bei: Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VII, S. 250 f. 126 Vgl. dazu das Landtagsprot. von 1727: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1454 Bl. 7 r und das Landrechnungsprotokoll von 1793: Nds StA Aurich Dep. I, Nr.2182 BI. 62; sowie Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 24 f.; Telting, Vertretung der Provinz, Bl. 282; Wiarda, Repräsentation der Landstände, Bl. 6 r f. 127 Gedr. bei Brenneysen H, S. 44, 46.
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und dem Emder Landtagsschluß von 1618/19 Cap.III, Staat. Res. ad. Grav. 12 126 und dem § 11 des Norder Landtagsschluß vom 22. Mai 1620129 , der trotz des Wortlautes nicht nur für den Dritten Stand, sondern für alle drei Stände gleichmäßig angewandt wurde130, nicht erlaubt131 • Auf der Landrechnungsversammlung von 1793 wurde die Ritterschaft ausdrücklich auf dieses Verbot hingewiesen132 • Im Grundsatz war die Geltung dieses Verbotes auch unbestritten. Indessen war nicht eindeutig festgelegt, wer überhaupt zu den landesherrlichen Beamten zu rechnen war. Nicht zu den landesherrlichen Beamten wurden trotz der Bestimmung des § 11 des Norder Landtagsabschiedes vom 6. Juli 1620133 , wonach die Landtagskomparenten in keinem anderen als Untertanen-Eid und Pflichten stehen sollen, die ständischen und kommunalen Beamten und Offizianten der einzelnen Kurien, als da waren die Administratoren, Ordinair-Deputierte, Ratsherren und Syndici der Städte, Bürgermeister, Deichrichter, Sielmeister und Kirchenverwalter, gerechnet, da diese Bestimmung ungültig war und demgemäß von den Ständen nie angewandt wurde134 • Auch die Drosten wurden nicht zu den landesherrlichen Beamten gezählt135 • Die Drosten waren unter fürstlicher Zeit nach Art.30 des Osterhusischen Akkordes von 1611 136 von landständischen Versammlungen ausgeschlossen, da sie die Kommandanten der Festungen der Ämter waren und neben der allgemeinen Oberaufsicht im Amt mit dem Amtmann und Rentmeister die Militär-, Polizei-, Finanz- und sonstige Verwaltung leiteten137 • Da die Drostenstellung in preußischer Zeit zu einer Ehrenstellung wurde, die zum Teil an Persönlichkeiten übertragen wurde, die keinerlei Residenzpflicht mehr auszuüben hatten138, ließen die Stände auf dem Landtag von 1749 erstmalig die Drosten zum, Gedr. bei Brenneysen II, S. 515. Gedr. bei Brenneysen II, S. 568. 130 Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 20 ff.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 33 ff. 131 Ausführlich dazu Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 9 ff.; ebenso LandesherrL Bericht v. 1834, S. 20 ff.; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 281 r; Wiarda, Kurze übersicht, Bl. 43 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 5 r. - Berghaus, Verfassungsgesch. S.93. 132 Landrechnungsprot. v. 1793: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 2181 BI. 6 r. 133 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 584. 134 Zur Ungültigkeit siehe oben S. 14 f. Siehe auch LandesherrL Bericht v. 1834, S. 20 ff.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 34 f. 135 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S.22; Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 17. 136 Gedr. bei Brenneysen II, S. 360 f. und Wiemann, Grundlagen, S. 234. 137 VgL Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 13. Von Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 5. 138 VgI. Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 17. Von Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 5. 128
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womit sie zukünftig auf den landständischen Versammlungen erscheinen durften. Ebensowenig wurden die Regierungs-Referendare, Auskultatoren, Regierungs-Räte und Assessoren als landesherrliche Beamte angesehen uo . Diese galten als reine Justiz-Offizianten und waren, trotz der Eingliederung in die Ostfriesische Regierung l41 , zugelassen, weil sie unter anderem in Fiskal-Angelegenheiten gegen die Landesobrigkeit entscheiden konnten und damit deren Vertrautheit mit den ständischen Privilegien und Rechten wünschenswert erschien142 • Die Advokaten oder Justiz-Kommissäre wurden zugelassen, weil sie als frei und unabhängig galten143 • Ausgeschlossen waren dagegen die landesherrlichen Beamten, die mit der Militär-, Polizei-, Steuer-, Post- und sonstigen Hoheitsverwaltung zu tun hatten l44 • Dazu wurden die Amtmänner, Vögte, Kanzler, Geheime Räte und Postmeister gezählt145 • Uneinigkeit besteht lediglich hinsichtlich der Zulassung von pensionierten Beamten146 • Aus der Ratio der Vorschrift über den Ausschluß landesherrlicher Beamten, nämlich ein freies Votum zu garantieren und jeglichen, auch den indirekten, Einfluß des Landesherrn auf landständische Versammlungen zu vermeiden147 , müssen jedoch auch diese als ausgeschlossen angesehen werden. g) Zweifelhaft ist die Frage, ob Frauen, die in die Ritterschaft aufgenommen worden waren, und die Witwen von Mitgliedern der Ritterschaft, die immatrikulierte Güter im Namen von Minderjährigen besaßen, auf landständischen Versammlungen erscheinen durften. 139 VgI. das Landtagsprot. von 1749: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1545, BI. 185 f. = Gedr. Landtagsprot. von 1749 S. 33. 140 VgI. das Landrechnungsprot. von 1793: Nds StA Aurich Dep. I Nr.2182 S. 89 f.; sowie LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 22; Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 22 r f. 141 Die Hofrichter und Hofgerichts-Assessoren waren von landständischen Versammlungen nie ausgeschlossen; erst mit der Vereinigung des Hofgerichts mit der Ostfriesischen Regierung im Jahre 1751 (vgl. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII, S. 325 ff.) wurde die Zulassung der vormaligen Hofrichter und jetzigen Regierungs-Räte zweifelhaft. VgI. dazu insbes. Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 14 r, 15, 15 r, 18 ff. 142 VgI. Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 12 r. 143 VgI. Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 15 r. 144 VgI. Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, Bl. 13 r, 16 r, 17f. 145 VgI. Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 13 r, 16 r, 17 f. 146 Für den Ausschluß: Ständ. Bericht v. 1835, S.37; dagegen: Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 23. 147 VgI. Ständ. Bericht v. 1835, S.37; Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten. BI. 10 r, 16.
1. Die Ritterschaft
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Eine ausdrückliche Bestimmung darüber gibt es nicht. Jedoch war in Art. 37 des Osterhusischen Akkordes von 1611 148 den Vormündern adliger begüterter Personen, deren Vorfahren auf Landtagen zu erscheinen pflegten, Ladungen zu landschaftlichen Versammlungen zuzusenden. Darunter müßten dann auch die Witwen fallen, die als Vormünder ihrer Kinder auf Rittertagen erscheinen durften l49 • Diese Bestimmung verlor jedoch bereits im Laufe des 17. Jahrhunderts ihre Gültigkeit, als nur noch die Adeligen auf den landständischen Versammlungen erscheinen durften, die gemäß den Unions-Punkten von 1650 in die Ritterschaft aufgenommen worden waren. Daher sind auch Anwendungsfälle dieser Vorschrift nicht bekannt '5o . Etwas Gegenteiliges läßt sich auch weder daraus herleiten, daß den weiblichen Mitgliedern sowie den Witwen Ladungen zu den Landrechnungsversammlungen von 1788 bis 1790 zugesandt wurden15l , noch daraus, daß es im königlichen Schreiben vom 9. Juni 1784 an die Ostfriesische Regierung hinsichtlich der Genehmigung der Rezeption der Freifrau von Uxkull-Gyllenband heißt, daß "derselben Verschreibungen zu den dersigen Land-Tagen und Ständischen Versammlungen mit den übrigen membren der Ritterschaft nach hergebrachter Observanz" zu senden seien152 • Das Königliche Genehmigungsschreiben an die Kriegs- und Domainenkammer wegen der Genehmigung der Reception der Freifrau von Uxkull-Gyllenband enthielt hingegen diesen Zusatz ebensowenig, wie die Genehmigung der Rezeption der Frau von Feringa im Jahre 1787, in dem von einer Ladung keine Rede war l53 • Zu den Landtagen von 1790 und 1791 wurden von der ostfriesischen Regierung auch keine Ladungen an Frauen versandt154 • Die Ladungen des Administrations-Kollegiums zu den drei Landrechnungsversammlungen werden, da ein Unterschied hinsichtlich der Teilnehmer zwischen Landtagen und LandGedr. bei Brenneysen II, S. 362 und Wiemann, Grundlagen S. 239. V gl. dazu beispielsweise das Prot. des Rittertages von 1791: N ds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 191. 150 VgI. v. Knyphausen, Bemerkungen, S. 12; LandesherrI. Bericht v. 1834, S.36f. 151 V gl. die Landesverfügungen in den Landrechnungsprot. von 1788, 1789 und 1790: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 2177,2178 und 2179. 152 VgI. die Abschrift dieses Schreibens im Prot. des Rittertages von 1784: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 175. 153 VgI. das Genehmigungsschr. v. 1. Juni 1784: Nds StA Aurich, Rep. 21 a, Nr. 910 BI. 68; sowie die Genehmigungsschr. v. 1787: Nds StA Aurich Rep. 21 a, Nr.910 Bl. 86 und als Anlage zum Prot. des Rittertages von 1788: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 184. Der Landesherrl. Bericht v. 1834, S.35 konnte daher nur unter Berufung auf die Schreiben an die Kriegs- und Domainenkammer durchaus der Meinung sein, daß von einer Ladung keine Rede gewesen sei. 154 Nach dem Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 35 ff. 148
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
rechnungsversammlungen nicht besteht, als ein Versehen zu werten seinI55• Dafür spricht auch, daß bereits in der Ladungsverfügung für die Landrechnungsversammlung von 1791 die aufgeführten Namen der Frauen wieder gestrichen wurden156 • Ebenso wird das Schreiben an die Regierung vom 9. Juni 1784 ein Versehen gewesen sein. Da niemals weibliche Mitglieder der Ritterschaft noch Witwen, als Vormünderinnen von adeligen Minderjährigen, auf landständischen Versammlungen erschienen waren und auch nach 1791 nicht mehr geladen wurden, wird ihnen auch das Recht zur Teilnahme an landständischen Versammlungen nicht zugestanden habenI57 •
11. Der Städtestand Den Städtestand in der ostfriesischen Landschaft bildeten die drei Städte Emden, Norden und Aurich1 • Diese zweite Kurie verstand sich hauptsächlich als Vertretung der Interessen des selbständigen Gewerbes!. 1. Vertretung der Städte durch Extraordinair-Deputierte
Die Städte wurden auf den landständischen Versammlungen durch besonders gewählte und mit besonderen schriftlichen Vollmachten ausgestattete Extraordinair-Deputierte vertreten3 • Diese ExtraordinairDeputierten, im folgenden kurz Deputierte genannt, wurden nach den teils übereinstimmenden, teils aber auch unterschiedlichen Observanzen einer jeden Stadt gewählt'. Diese Unterschiedlichkeit beruht darSo auch: Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 36; Ständ. Bericht v. 1835, S. 38. VgI. die Ladungsverfügung in der Anlage zum Landrechnungsprot. von 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 2180. 157 So auch: v. Knyphausen, Bemerkungen, S.12; LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 36; Ständ. Bericht v. 1835, S.38. - Nach König, Verwaltungsgesch. S. 314 galt dies seit jeher. 1 VgI. AppeliusjBoddien, Bericht v. 1815, BI. 31; LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 43; SethejTelting, über die Landesverf. BI. 85 r f.; Ständ. übersicht v. 1808, S.15; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 283; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 8. - Borkenhagen, Ostfr. unter hann. Herrsch., S. 51; König, Verwaltungsgesch., S.325; Reinicke, Landstände im Verf.-staat S.94; v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörffer, Emder Jahrb. Bd. 24, S.121. 2 Vgl. das Landtagsprot. von 1749: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1545 S. 43 f. - Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. § 26: abgedr. bei von Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 14. 3 VgI. Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 104; LandesherrI. Bericht v. 1834; S. 43 ff.; SethejTelting, über die Landesverf. BI. 85 r; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 11 r f.; Ständ. übersicht v. 1808, S. 15 f.; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 283; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 8 r. - Klein, Verfassungskonflikt S.7; König, Verwaltungsgesch. S. 326. , VgI. SethejTelting, über die Landesverf. BI. 85 r; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 283; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 8 r. 155
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11. Der Städtestand
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auf, daß in den Landesverträgen und Akkorden nur wenige ausdrückliche Bestimmungen über die Deputiertenwahl in den Städten vorhanden waren. 2. Das aktive Wahlrecht
über das aktive Wahlrecht war im Haagischen Vergleich von 1662 Cap. VII, Res. ad Grav.19 5 lediglich bestimmt, daß diejenigen, die auf dem Rathause in Landes- und Stadtsachen zu stimmen erscheinen wollen, qualifiziert und begütert sein sollen, wie es in Ansehung des Dritten Standes im Norder Landtagsschluß von 1620, § "Was ferner u", bestimmt worden war. Mit dem ,,§ Was ferner u" ist der § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 16208 gemeine. Dort wurde festgesetzt, daß 25 Grasen8 eigenes bzw. 50 Grasen gepachtetes Land oder ein eigener Heerd9 oder aber 1000 Reichsthaler Vermögen erforderlich war. Welche Bürger der Städte demgemäß für qualifiziert erachtet wurden, war in den drei Städten durchaus unterschiedlich. a) Für die Städte Norden und Aurich war in § 10 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 162010 bestimmt, daß die Wahl der Deputierten vom Magistrat und der gemeinen Bürgerei ordentlich erkorenen Ausschuß geschehen solll1. In Norden und Aurich wurden daher die Deputierten vom Magistrat und der sog. qualifizierten Bürgerschaft in gemeinsamer Versammlung gewählt12 • aa) Der Magistrat der Stadt Norden bestand aus drei Bürgermeistern, von denen jeweils zwei amtierten, drei Ratsherrn und einem Sekretär, welche insgesamt vom Landesherrn ernannt wurden, jedoch aus der Stadtkasse besoldet wurden13 • Die qualifizierte Bürgerschaft wurde in allen wichtigen Stadtangelegenheiten zu Rate gezogen und galt als Vertretung der Bürger der Gedr. bei Brenneysen II, S. 896. Gedr. bei Brenneysen H, S. 568. 7 So auch Ständ. Bericht v. 1835, S. 34 ff. s 25 Grasen sind 40 5/8 Morgen, siehe dazu weiter unten auf S. 66 Fußn. 82. g Der bäuerliche Hof wurde in der Rechssprache mit Heerd bezeichnet; siehe dazu weiter unten auf S. 66 Fußn. 84. 10 Gedr. bei Brenneysen II, S. 568. 11 Der von Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 8 rangeführte § 12 des Emder Landtagsschluß von 1620 existiert nicht. 12 VgI. Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 13; LandesherrI. Bericht v. 1834, S.45, 48; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 283. - Berghaus, Verfassungsgesch., S.99; Borkenhagen, Ostfr. unter hann. Herrsch. S. 51; Reinicke, Landstände im Verf.-staat S. 94. 13 VgI. Bley, Beschreibung Ostfr. S. 35 r; Sethe/Telting, über die Landesverf. BI. 86. - Vgl. dazu auch König, Verwaltungsgesch. S. 360 f., insbes. S.362. 5
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
StadtU. Das ordinaire Bürgerrecht stand den Söhnen von bisherigen Bürgern der Stadt sowie allen in der Stadt geborenen zu, ohne daß ein Bürgereid zu leisten oder eine Gebühr für die Einschreibung in das "album civium" zu entrichten war t5 • Aus diesen ordinairen Bürgern wählte die qualifizierte Bürgerschaft vermögende Einwohner in ihr Kollegium u . Ein größeres Vermögen war erforderlich, da "die qualifi-
zierten Bürger wegen ihrer mehreren Vorzüge auch mehrere Abgaben zu geben und Lasten tragen" als die übrigen Bürger der Stadt17• So
mußten die qualifizierten Bürger zur Kapital- und Personalschätzung jährlich wenigstens 10 Reichsthaler beitragen1s • Durch Hof-Reskript vom 16. Januar 1781 und Reskript der Kriegs- und Domainenkammer vom 19. Februar 1781 war hinsichtlich der Wahl zum qualifizierten Bürger weiter vorgeschrieben, ,,1) wer sich zum wahlberechtigten (qualifizierten) Bürger recipiren lassen wolle, müsse solche im Januar nachsuchen, 2) der einmal in die qualifizierte Bürgerschaft aufgenommen,
könne nicht darauf verzichten, sondern müsse beständig (lebenslänglich) die Lasten eines qualifizierten BürgeTs tragen, so lange nicht gänzlicher Verfan und Armut solches unmöglich mache I9 ."
bb) Der Magistrat der Stadt Aurich bestand aus zwei Bürgermeistern, zwei Ratsherren und einem Stadtssekretär, welche, wie in Norden, vom Landesherrn ernannt und aus der Kämmereikasse besoldet wurden20 • In allen wichtigen Stadt angelegenheiten wurde die qualifizierte Bürgerschaft als Repräsentant der Einwohner der Stadt zu Rate gezogen2 !. Die Zugehörigkeit zur qualifizierten Bürgerschaft richtete sich, wie in der Stadt Norden, nach dem Vermögen eines Bürgers. Jeder Einwohner der Stadt, dem das Bürgerrecht verliehen worden war und der ein eigenes, wenn auch kein volles Haus in Aurich besaß, konnte bei der 14 VgI. Protocollum, den Aufsatz von denen in der Stadt Norden herrschenden Observanzen, Statuten, Willkühren, Rollen pp. enthaltend, vom 20. März 1793: Nds StA Aurich Rep. 5 Nr. 579 BI. 22 ff. 15 VgI. das obige Protocollum vom 20. März 1793: Nds StA Aurich Rep.5 Nr. 579 BI. 22 r. 16 VgI. das obige Protocollum vom 20. März 1793: Nds StA Aurich Rep.5 Nr. 579 BI. 22 r, 24. 17 VgI. das obige Protocollum vom 20. März 1793: Nds StA Aurich Rep.5 Nr. 579 BI. 24. 18 VgI. Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 13; LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 46; SethejTelting, über die Landesverf. BI. 86. 19 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 29l. 20 VgI. Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 25; SethejTelting, über die Landesverf. BI. 85 r f. - Borkenhagen, Ostfr. unter hann. Herrsch. S. 51; König, Verwaltungsgesch. S. 355 ff., insbes. S. 356. 21 VgI.: Anderweitiger Bericht des Magistratsrates zu Aurich, die Einsendung der Statuten und Gewohnheits-Rechte betreffend vom 7. September 1793: Nds StA Aurich Rep. 5 Nr. 650 BI. 26 r f.
II. Der Städtestand
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jährlichen Revision der Schatzung vom Magistrat und der qualifizierten Bürgerschaft oder von einem Ausschuß von 8 qualifizierten Bürgern gewählt werden22 • Um eine solche Wahl hatte sich, wie die bereits oben bei der Stadt Norden angeführten Reskripte vom 16. Januar/19. Februar 1781 vorgeschrieben, jeder Bürger im Januar eines jeden Jahres zu bewerben23 • Die Wahl erfolgte, wie in der Stadt Norden, auf Lebenszeit und nur bei gänzlichem Verfall des Vermögens wurde ein Mitglied entlassen24 • Die qualifizierten Bürger hatten 7 Gulden oder 2 Rthlr. 16 Schilling zu jedem doppelten Kapital- und Personalschatzungstermin zu entrichten25 • Dafür waren sie von allen übrigen Schatzungen ihrer in Aurich gelegenen Häuser, auch wenn sie von anderen bewohnt wurde, befreit26 • b) In der Stadt Emden wurden die Deputierten von den Mitgliedern des Magistrates und des Vierziger-Kollegium in getrennten Versammlungen gewählt, wobei jedes Kollegium die gleiche Anzahl Deputierte aus ihrer Mitte wählte!7. Eine dahingehende ausdrückliche Bestimmung gab es nicht. Die Berechtigung von Magistrat und Vierziger-Kollegium zur Wahl von Deputierten entwickelte sich zum Ende des 16. Jahrhunderts28 • Ursprünglich war allein der Magistrat zur Entsendung der Deputierten berechtige 8 • Nach der Veränderung der Emder Stadtverfassung durch die Bestimmung des § 11 des Delffsyhlischen Vergleich von 159530 und des § 30 der darauf erfolgten Kaiserlichen Resolution von 1597 31 , als dem Vierziger-Kollegium das Recht zur alljährlichen Wahl der MagistratsMitglieder bestätigt wurde, nahm sich dieses das Recht, neben dem 22 VgI. den obigen Bericht vom 7. September 1793: Nds StA Aurich Rep.5 Nr.650 BI. 26 f., sowie Bericht vom 12. Mai 1795: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 15 BI. 13 ff. 23 VgI. den obigen Bericht vom 7. September 1793: Nds StA Aurich Rep.5 Nr. 650 BI. 26. So auch LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 291. 24 VgI. den obigen Bericht vom 7. September 1793: Nds StA Aurich Rep.5 Nr. 650 BI. 26 r. So auch LandesherrI. Bericht v. 1834. S. 291. 25 VgI. den obigen Bericht vom 7. September 1793: Nds StA Aurich Rep.5 Nr.650 BI. 26; LandesherrI. Bericht v. 1834, S.46. Siehe auch König, Verwaltungsgesch., S. 359, der dem LandesherrI. Bericht v. 1834 folgt. - Nach Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 13 und Sethe/Telting, über die Landesverf., BI. 86 sollen 35 Gulden zu entrichten gewesen sein. 26 VgI. den obigen Bericht vom 7. September 1793: Nds StA Aurich Rep.5 Nr. 650 BI. 26. 27 VgI. Landesherrl. Bericht v. 1834, S.45, 48. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 99; Borkenhagen, Ostfr. unter hann. Herrsch. S. 51; König, Verwaltungsgesch. S. 326; Reinicke, Landstände im Verf.-staat S. 94. 28 Vgl. dazu insbes. König, Verwaltungsgesch. S. 380 ff. 28 VgI. Brenneysen I, S. 169. 30 Gedr. bei Brenneysen II, S. 51 und Wiemann, Grundlagen S. 123. 31 Gedr. bei Brenneysen II, S. 87 und Wiemann, Grundlagen S. 151.
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1. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
Magistrat eigene Deputierte zu entsenden32 • Diese Regelung galt bis 1806. aa) Der Magistrat der Stadt Emden bestand aus vier Bürgermeistern, sieben Ratsherren, einem Syndicus, drei Sekretären und sonstigen Subalternen; er wurde alljährlich vom Vierziger-Kollegium gewählt und mußte vom Landesherrn bestätigt werden33 • Das Vierziger-Kollegium selbst galt als Vertreter der Bürgerschaft und bestand aus 40 qualifizierten Bürgern der Stadt. Diese wurden anfangs von der gesamten Bürgerschaft auf Lebenszeit gewählt und hatten späterhin durch § 13 des Delffsyhlischen Vergleiches von 159534 und des § 32 der darauf erfolgten Kaiserlichen Resolution von 159735 das Recht der Selbstergänzung36 • Nach der Erringung dieser Vorrechte schlossen sich die Vierziger im Laufe der Zeit immer mehr von der übrigen Bevölkerung der Stadt ab und ergänzten sich ausschließlich aus denselben Schichten und Familien der Stadt Emden37 • Eine besondere Vermögensqualifikation bestand jedoch nicht38 • Im Jahre 1749 wurde dann jedoch der Bürgerschaft durch das Königliche Reskript vom 27. August 1749, ad. Grav.4 wieder die Wahl der Mitglieder des Vierziger-Kollegiums übertragen3g • Bei der Wahl eines Vierziger in den Magistrat hatte dieser im übrigen seine Stelle im Vierziger-Kollegium zur Verfügung zu stellen40 • c) Nicht aktiv wahlberechtigt waren in allen drei Städten die landesherrlichen Beamten und Diener41 • Der Haagische Vergleich von 1662, Cap. VII, Res. ad. Grav.8 42 , der für das Wahlverfahren insgesamt eine große Bedeutung hatte, mithin auch für das aktive Wahlrecht, bestimmte, daß landesherrliche Beamte und Diener sich weder um die Wahl der Deputierten kümmern noch darin mengen sollten; diejenigen Deputierten aber, die durch Intervention der landesherrlichen Beam32 Vgl. Brenneysen I, S.169; da die Magistratsratsmitglieder meist aus den Mitgliedern des Vierziger-Kollegiums gewählt wurden, hatte dieses ohnehin entscheidenden Einfluß auf den Magistrat. VgI. dazu König, Verwaltungsgesch. S. 382. 33 VgI. Sethe/Telting, über die Landesverf. BI. 85 r. König, Verwaltungsgesch. S. 376. 34 Gedr. bei Brenneysen II, S. 52 und Wiemann, Grundlagen, S. 125. 35 Gedr. bei Brenneysen II, S.87 und Wiemann, Grundlagen, S. 152. 36 Vgl. auch König, Verwaltungsgesch. S. 382. 37 VgI. König, Verwaltungsgesch. S. 382. 38 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 46. 3g Vgl. dazu auch Berghaus, Verfassungsgesch. S. 146; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 307. 40 VgI. Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S. 307. U VgI. Ständ. Bericht v. 1835, S. 39 ff. 42 Gedr. bei Brenneysen II, S. 788.
H. Der Städtestand
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ten gewählt wurden, sollten bei den landständischen Versammlungen nicht angenommen werden. aa) Als landesherrlicher Beamter war in der Stadt Norden der Königliche Amtsverwalter oder Drost, dem durch Art. 49 des Osterhusischen Akkordes von 1611 43 das Recht eingeräumt worden war, in allen wichtigen Angelegenheiten der öffentlichen Verhältnisse der Stadt (statuum publicum) mitzuberaten und nach seinen Belieben an den Magistratssitzungen teilzunehmen, von der Teilnahme an den Wahlen der landschaftlichen Deputierten ausgeschlossenu . Zwar rügte der königliche Landtags-Kommissar bei der Prüfung der Vollmachten der Norder Deputierten auf den Landtagen von 1744, 1748 und 1749, daß der Norder Amtsverwalter nicht zu den Wahlen hinzugezogen worden sei und die Vollmacht nicht unterschrieben habe45 • Indessen wurden die Deputierten der Stadt Norden in preußischer Zeit immer ohne Mitwirkung des Amtsverwalters gewählt, ohne daß weitere Proteste erfolgten46 • Nicht ausgeschlossen waren dagegen die Bürgermeister, da sie trotz der Ernennung durch den Landesherrn als reine städtischen Offizianten angesehen wurden. Es haben demgemäß in der Stadt Norden niemals landesherrliche Beamte und Diener an den Wahlen teilgenommen47 • Ebensowenig haben auch in Aurich landesherrliche Beamte an Wahlen teilgenommen. bb) Lediglich in der Stadt Emden nahm ein städtischer Bediensteter, der zugleich Kriegs-Kommissar (Licent-Inspektor) war, mithin einen vom Landesherrn verliehenen Titel trug, als Mitglied des Vierziger-Kollegium an den Deputiertenwahlen ab 1763 teil f8 • Aus diesem einzelnen Fall kann jedoch nicht, wie im Landesherrlichen Bericht von 183449 , geschlossen werden, daß landesherrliche Beamte in Emden das aktive Wahlrecht besaßen. Vielmehr waren auch in der Stadt Emden die landesherrlichen Beamten ausgeschlossen. Nur wird dieses Mitglied des Vierziger-Kollegiums in diesem Fall als städtischer Offiziant angesehen worden sein, da es Kontrolleur der städtischen Zollverwaltung war und aus der Stadtkasse besoldet wurde 50 • Gedr. bei Brenneysen H, S. 366 und Wiemann, Grundlagen S. 245. Vgl. Protocollum des im Norder Amt geltenden Gewohnheitsrecht vom 19. Dezember 1792: Nds StA Aurich Rep.5 Nr.579 Bl.16 f.; v. Knyphausen Bemerkungen S.13; Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 50 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 40. 45 Vgl. die Landtagsprot. von 1744, 1748 und 1749: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1536 S. 20, Nr. 1544 S. 15; Nr. 1545 S. 22. 48 Vgl. Landesherr!. Bericht v. 1834, S. 50 f. 47 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 46 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 40. 48 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 47; Ständ. Bericht v. 1835, S. 39. 4V Vg!. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 46 f. 50 So auch v. Knyphausen, Bemerkungen, S.12; Ständ. Bericht v. 1835, 43 44
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
3. Das passive Wahlrecht
a) Ein Deputierter des Städtestandes muß in der Regel in Kirchenund Gemeindesachen stimmberechtigt sein51 • In allen drei Städten konnten daher nur die Mitglieder des Magistrates und der qualifizierten Bürgerschaft bzw. des Vierziger-Kollegiums zu Deputierten gewählt werden 52 • Dabei bestand in der Stadt Emden die Besonderheit, daß der Stadtsyndicus kraft seines Amtes ohne eine besondere Wahl zu den gewählten Deputierten hinzukam53 • Die Ständische Ausarbeitung von 1823, ihr folgt Klein, führt hinsichtlich der Wählbarkeit zum Deputierten als besondere Voraussetzung an, daß ein Vermögen von 1000 Reichsthalern oder der Besitz eines Hauses erforderlich gewesen sei54 • Zwar ist zuzugeben, daß der Besitz eines bestimmten Vermögens oder eines Hauses in der Regel Voraussetzung für das passive Wahlrecht war. Indessen ist kein anderweitiger Hinweis auf das Bestehen eines solchen Erfordernisses auffindbar, so daß keine weiteren Voraussetzungen hinsichtlich des Vermögens oder des Grundbesitzes hinzukamen. Aktives und passives Wahlrecht entsprachen sich somit weitgehend. b) Nicht zum Deputierten gewählt werden durften, entsprechend dem aktiven Wahlrecht, die landesherrlichen Beamten und Diener5,. Diese waren auf Grund der Bestimmungen des § 7 des Norder Executions-Rezeß von 159356 , des Emder Landtagsschluß von 1618/19, Cap.IH, Stat. Res. ad. Grav.12 57 und § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 1620 58 , der trotz des Wortlautes nicht nur für den Dritten Stand, sondern für alle drei Stände gleichmäßig angewandt wurde 59 , vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Welche Titel und Amtsstellungen im S. 39; sowie eine Anm. der Verf. des LandesherrI. Bericht v. 1835 in: Nds StA Aurich Rep. 6 Nr. 10794 BI. 204 r. 51 VgI. TeIting, Vertretung der Provinz, BI. 283 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r. 52 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S.47; Ständ. Übersicht v.1808, S.16; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 283 r. - König, VerwaItungsgesch. S.326. 53 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 48. 54 VgI. Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 12. Klein, Verfassungskonft. S.7. 55 Ausführlich dazu Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 9 ff. Siehe auch Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 20 ff.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 36 f.; TeIting, Vertretung der Provinz, BI. 281 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 5 r. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 93. 56 Gedr. bei Brenneysen II, S. 44. 57 Gedr. bei Brenneysen II, S. 515. 58 Gedr. bei Brenneysen II, S. 568. &9 VgI. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 20 ff.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 33 f.
11. Der Städtestand
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Einzelnen unter diese Vorschriften fielen, ist bereits oben bei der Ritterschaft ausgeführt worden60 • c) Die Deputierten des Städtestandes mußten, ebenso wie die Mitglieder der Ritterschaft, einer der drei christlichen Hauptkonfessionen angehören und durften nicht, wie der Haagische Vergleich von 1662, Cap. IV, Res. ad. Grav.38 61 , bestimmte, wegen einer Straftat überführt worden sein62 • d) Die Deputierten des Städtestandes mußten, ebenso wie die Mitglieder der Ritterschaft, voll geschäftsfähig und volljährig sein63 • Sie mußten ein eigenes bewirtschaftetes Besitztum (separatarn oeconomia) haben und durften nicht mit dem Vater im selben Hause wohnen; mithin durften sie auch weder unter väterlicher oder vormundschaftlicher Gewalt stehen noch in Konkurs gefallen sein84 • e) Ausländer durften an ständischen Versammlungen nur dann als Deputierte teilnehmen, wenn ihnen das Indigenat von den versammelten Ständen verliehen worden war 65 • Die für die Deputierten des Dritten Standes dem Wortlaut nach geltende Vorschrift des § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 162066 , wonach diese "eingeborene Landsassen" sein sollten, galt für den Städtestand entsprechend61 • Die Ausländereigenschaft eines Deputierten war jedoch kein absoluter Ausschlußgrund, denn die Stände konnten noch während der Prüfung der Vollmachten das Indigenat erteilen. So wurden beispielsweise dem Emder Deputierten Maurenbrecher, der Präses des Vierziger-Kollegium war, auf dem Landtag von 1786 noch während der Beratung über dessen Ausschluß das Indigenat verliehen G8 • Es ist daher nicht richtig, wenn Wiarda und die Verfasser des Landesherrlichen Berichts von 1834 mit Hinweis auf das gedruckte Landtagsprotokoll des Landtages von 1786 Siehe dazu oben auf S. 39 f. Gedr. bei Brenneysen 11, S. 826. 82 Siehe auch oben auf S. 38. 63 Siehe auch oben auf S. 38. 64 VgI. Landtagsprot. von 1727: Nds StA Aurich Dep.1 Nr.1454 BL7rf. und das Landrechnungsprot. von 1793: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 2182 BI. 62. So auch LandesherrI. Bericht von 1834, S. 24 f.; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 6 r f. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 93; König, Verwaltungsgesch. S. 311 Fußn. 3. 65 Zur Erteilung des 1ndigenats siehe unten auf S. 163 ff. 66 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 568. 61 VgI. LandesherrL Bericht v. 1834, S.17 f.; Ständ. Ausarbeitung v.1823, BI.12 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S.34; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 281 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 5 f. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 93; Klein, Verfassungskonti. S. 7; König, Verwaltungsgesch. S. 311 Fußn. 3. 68 VgI. das Landtagsprot. von 1786: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1556 BI. 10 f. = Gedr. Landtagsprot. von 1786 S. 5. 80 61
4 Engelberg
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
behaupten, daß der Emder Deputierte wegen seiner Ausländereigenschaft abgewiesen wurde 69 • 4. Die Deputiertenwahlen
a) Zur Wahl von Deputierten wurden die Magistrate der Städte durch besondere, ihnen direkt zugesandte Konvokations-Patente zu den landständischen Versammlungen eingeladen70 • Daneben wurde dieses Patent in die Provinzial-Blätter eingerückt und von den Kanzeln verlesen71 • In der Stadt Emden wurde dazu das Konvokations-Patent dem Prediger vom Magistrat vermittelt, in den Städten Aurich und Norden wurden die Prediger direkt angewiesen72 • b) Die Versammlungen zur Wahl der Deputierten wurden in allen drei Städte vom Magistrat einberufen und im Rathaus abgehalten73 • Bei diesen Wahlversammlungen durften, wie der § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 162074 und der Haagische Vergleich von 1662, Cap. IH, Res. ad. Grav. 875 bestimmten, landesherrliche Beamte weder direkt noch indirekt irgendwelchen Einfluß nehmen. Die Deputierten galten als gewählt, wenn sie die relative Stimmenmehrheit auf sich vereinigten76 • c) Die Anzahl der Deputierten, die jede Stadt auf eigene Kosten zu den landständischen Versammlungen entsenden durften, war nirgends vorgeschrieben77 • Diese Regelung wirkte sich jedoch auf die Mehrheitsverhältnisse bei den Abstimmungen nicht aus, da jede Stadt nur eine Stimme innerhalb des Städtestandes führte, und die Deputierten einer Stadt sich somit untereinander einig werden mußten, welches Votum sie gemeinschaftlich abgeben wollten78 • Aus diesem Grunde entsandte 69 So: Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 5 rf.; LandesherrL Bericht v. 1834, S.18. VgL auch das Gedr. Landtagsprot. von 1786 S. 5. 70 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S.l04; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 287 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 44. - Klein, Verfassungskonfl. S. 8; König, Verwaltungsgesch. S. 329. 71 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 104; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 287 r. - Klein, Verfassungskonfi. S. 8. 72 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 104. Klein, Verfassungskonfi. S. 8. 73 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 47 f. 74 Gedr. bei Brenneysen H, S. 568. 75 Gedr. bei Brenneysen H, S. 788. 76 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 48. 77 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S.43; Sethe/Telting, über die Landesverf. BI. 87 r; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 11 r f.; Ständ. übersicht v. 1808, S.15 f.; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 283; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43. - Klein, Verfassungskonfl. S. 6 f.; König, Verwaltungsgesch. S. 326; Reinicke, Landstände im Verf.-staat S. 94. 78 VgL Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 11 r f. Zum Abstimmungsmodus siehe auch unten auf S. 96 f.
11. Der Städtestand
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die Stadt Emden immer eine ungerade Anzahl von Deputierten, die dadurch zustande kam, daß Magistrat und Vierziger-Kollegium jeweils die gleiche Anzahl Deputierte aus ihrer Mitte wählten, zu denen dann der Stadtsyndicus kraft seines Amtes ohne eine besondere Wahl hinzukam7v • Meistens entsandte die Stadt Emden daher drei Deputierte zu den landständischen Versammlungen8o • Lediglich auf den Landtagen von 1744 und 1786 war die Stadt durch sieben Deputierte vertreten81 • Die Anzahl der von den Städten Norden und Aurich entsandten Deputierten war dagegen unbestimmt und pflegte zu wechseln82 • Sie schwankte zwischen drei und sechs Deputierten83 • 5. Die Vollmachten
a) Die gewählten Deputierten mußten mit einer vom Magistrat und der Bürgerschaft in "forma probati" verfaßten Vollmacht versehen werden, die bei Beginn der landständischen Versammlung abgegeben werden mußte 84 • Dies war in § 12 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 162085 vorgeschrieben86 • Die Städte Norden und Aurich richteten sich danach und erteilten die Vollmachten im Namen des Magistrats und der qualifizierten Bürgerschaft. Der Stadtsekretär stellte die Vollmachten namens der Vollmachtgeber unter beigedrücktem Stadtsiegel aus und verwandte dabei die Formeln: "Bürgermeister und Rath auch qualificirte Bürgerschaft, quorum jussu et nomine" oder "jussu Magistrato et nomine civium qualificatorum" bzw. nur "senatus et civium"87. 79 Vg!. Landesherr!. Bericht v. 1834, S.48. Berghaus, Verfassungsgesch. S. 99. 80 Vg!. dazu insbes. die Landtagsprot. von 1790 und 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1557 S.7, Nr. 1560 S.5. So auch der Landesherr!. Bericht v. 1834, S. 43 fl. 81 Vg!. die Landtagsprot. v. 1744 und 1786: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 S.17 f., Nr.1556 B!. 4. Unrichtig insoweit der Landesherr!. Bericht v. 1834, S. 44, wonach auch 1786 nur drei Deputierte entsandt worden sein sollen. 82 Vg!. Landesherr!. Bericht v. 1834, S. 43 fl. Berghaus, Verfassungsgesch. S. 99. 83 Vg!. dazu insbes. die Landtagsprot. von 1744, 1786, 1790 und 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1536 S. 18 fl., Nr. 1556 BI. 4 fl., Nr. 1557 S. 8 fl., Nr. 1560 S. 5. 84 Vg!. Landesherr!. Bericht v. 1834, S. 48 fl.; Ständ. übersicht v. 1808, S.16; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 11 f. - König, Verwaltungsgesch. S. 326. 85 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 568. 88 Der von den Verfassern des Landesherr!. Bericht v. 1834, S.49 und König, Verwaltungsgesch. S.326 Fußn. 1 (Br. 11, 585) angeführte Norder Landtagsabschied vom 6. Juli 1620 (gedruckt bei Brenneysen 11, S.585) ist zwar inhaltlich gleich, er kann aber nicht herangezogen werden, da er, wie bereits oben auf S. 14 f. festgestellt, unwirksam ist. 87 Vg!. die gesammelten Vollmachten der Landtage von 1786, 1790 und
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1. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
Dementgegen wurden die Vollmachten der Deputierten der Stadt Emden allein im Namen des Magistrates ausgestellt. Der Stadtsekretär erstellte die Vollmachten unter der Formel "ex mandato senatus" oder "ex mandato senatus speciaH" und drückte das Stadtsiegel bei88 • b) Nach Art.III der Königlichen Resolution vom 3. April 1792 89 war es den Städten überlassen, ob die Deputierten mit einer vollständigen Instruktion zur Abgabe ihres Gutachtens versehen wurden, mithin eine beschränkte Vollmacht erhielten, oder ob ihnen eine unbeschränkte Vollmacht erteilt wurde, so daß sie nach ihrem Gutdünken stimmen konnten9o • Die Vollmachten der Städte Emden und Norden pflegten, da die Deputierten von den Vollmachtgebern zu entschädigen warenD', die Zusicherung zu enthalten, daß die Deputierten wegen ihrer Teilnahme an landständischen Versammlungen eine Entschädigung aus der Stadtkasse genießen sollten92 • c) Die Gültigkeit der Vollmachten erstreckte sich auf einen Landtag, wozu auch ein prorogierter Landtag93 gerechnet wurde, oder eine Landrechnungsversammlung, so daß die Deputierten jeweils neu zu wählen waren94 • Immerwährende Vollmachten waren nach Art. 59 der Concordata von 1599 95 untersagt.
111. Der Dritte Stand Der ostfriesische Dritte Stand, der ursprünglich auch der Hausmannsstand genannt wurde, umfaßte die Einwohner der in den acht ostfriesischen Ämtern Emden, Greetsyhl, Leer, Aurich, Norden, Berum, Stickhausen und Friedeburg gelegenen stimmberechtigten Kommunen'. 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1638 BI. 40, Nr.1640 BI. 2, 3 rund Nr.1641 BI. 2, 4. So auch der LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 49 f. 88 VgI. die gesammelten Vollmachten der Landtage von 1786, 1790 und 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1638 BI. 37 r, Nr.1640 BI. 1 und Nr.1641 BI. 1. So auch der LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 49. 89 VgI. das Gedr. Landtagsprot. von 1791 S.37. Siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 288 f. 90 So auch Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 10 r. 01 Zur Entschädigung siehe unten auf S. 102. 92 VgI. insbes. die gesammelten Vollmachten der Landtage von 1790 und 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1640 BI. 1, 2, Nr.1641 BI. 1, 2. So auch der LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 52. 93 Zum prorogierten Landtag siehe unten auf S. 93 ff. 94 Vgl. LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 51 f.; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 11 r. 95 Gedr. bei Brenneysen II, S. 140 und Wiemann, Grundlagen, S. 179. 1 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 52 f.; Ständ. Ausarbeitung v. 1808, S.16; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 283 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 8 r f. - König, Verwaltungsgesch. S. 327.
III. Der Dritte Stand
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1. Vertretung durch Extraordinair-Deputierte
Dieser Stand verstand sich als Vertretung der Interessen der Grundeigentümer. Zu den landständischen Versammlungen entsandte er besonders gewählte und mit besonderen Vollmachten ausgestattete Extraordinair-Deputierte (im folgenden kurz Deputierte genannW. Der Dritte Stand war daher, wie der Städtestand, eine Deputiertenvertretung. 2. Das aktive Wahlrecht
Wahlberechtigt bei den Deputiertenwahlen waren diejenigen Einwohner des platten Landes, die einerseits in einer stimmberechtigten Kommune wohnten und andererseits besonders qualifizierte Landsassen waren. a) Kommunalbezirke, die berechtigt waren, unter dem Namen dieses Bezirkes eigene Deputierte zu entsenden, zählten zu den stimmberechtigten Kommunen. Dazu gehörten hauptsächlich die Kirchspiele, die zugleich die politischen Kommunen darstellten4 • Diese bestanden in den Marschgegenden in der Regel aus einer Bauernschaft, während auf der Geest die Kirchspiele in mehrere Bauernschaften zerfallen konnten5 • Kirchspiele, die mit einzelnen städtischen Rechten ausgestattet waren, nannte man Flecken oder, sofern sie das Marktrecht besaßen, Marktflecken6 • aa) Da die Verwaltung von kirchlichen und allgemein dörflichen Angelegenheiten vielfach ineinander übergriffen, war die politische Kommune weitgehend mit den Kirchspielen identisch7 • Diese Identität von Kirchspiel und politischer Kommune herrschte besonders in den Ämtern Emden, Greetsyhl, Leer, Berum und Aurich, in denen die Kirchspiele die Deputierten entsandten8 • Lediglich im Amt Aurich galt eine Ausnahme. Dort gehörte die Kommune "Die Neun Loogen" zum 2 VgL das Landtagsprot. von 1749: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1545 S. 43 f.; sowie LandesherrL Bericht von 1834, S. 73 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 44. 3 VgL Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 10 r; LandesherrL Bericht v. 1834, S. 52 ff.; SethejTelting, über die Landesverf. BI. 87 r; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 11 r f.; Ständ. übersicht v. 1808, S. 16; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 283 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 8 r f. - König, Verwaltungsgesch. S. 327; v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörffer, Emder Jahrb. Bd. 24 S. 122. 4 VgL Acta Borussica Bd. VI, 1 S.609; König, Verwaltungsgesch. S. 205 f.; v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.5. 5 VgL König, Verwaltungsgesch. S. 205; v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.5. 6 VgL König, Verwaltungsgesch. S. 205. 7 VgL Ebel, Rechtsgesch. d. Landgemeinden in Ostfr. S.311; König, Verwaltungsgesch. S. 206. 8 VgL die Aufstellung der stimmberechtigten Kommunen unten auf S. 58 ff.
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
Kirchspiel Aurich, entsandte aber eigene Deputierte, da sie nicht von der Stadt Aurich mit vertreten wurden9 • Diese im Amte Aurich als Ausnahme bestehende Regelung herrschte dagegen in den Ämtern Stickhausen und Friedeburg vor. Dort war die Identität von Kirchspiel und politischer Kommune vielfach aufgehoben10 • Zum Landtag von 1744 entsandten für das Amt Stickhausen die zum Kirchspiel Bakemohr gehörenden Bauernschaften Schatteburg und Bakemohr, die zum Kirchspiel Breinermohr gehörenden Bauernschaften Nettelburg und Breinermohr, die zum Kirchspiel Rhaude gehörenden Bauernschaften Holte und Rhaude sowie die zum Kirchspiel Filsum gehörenden Bauernschaften Ammersum und Filsum und zur Landrechnungsversammlung von 1796 die zum Kirchspiel Holtland gehörenden Bauernschaften Brinkum und Holtland, jeweils nebeneinander, eigene Deputierte 11 • Im Amt Friedeburg gehörten die Kommunen Abikhave, Dose, Hesel, Hohe Esche, Reepsholt zum Kirchspiel Reepsholt12 • Trotzdem entsandte nicht das Kirchspiel, sondern die einzelnen Kommunen nebeneinander, eigene Deputierte13 • Gründe für die Aufhebung der Identität von politischer Kommune und Kirchspiel mögen darin zu suchen sein, daß in den Geestgegenden, wozu auch die Ämter Stickhausen und Friedeburg gehörten14 , in großen Kirchspielen mehrere Bauernrichter amtierten15 und sich die Eigenständigkeit der Bauernschaften so verstärkte, daß sie eine eigenständige Verwaltungseinheit bildeten. Ein Beispiel für dieses Bestreben nach Eigenständigkeit mag die zu den zehn Bauernschaften des Kirchspiels Lengen18 gehörende Bauernschaft Bühren sein. Diese Bauernschaft entsandte zum Landtag von 1744 einen eigenen Deputierten, obwohl das Kirchspiel Lengen bereits Deputierte entsandt hatte17 • Dieser Deputierte g Vgl. das Landtagsprot. von 1744: Nds StA Aurich Dep. I Nr.153fl S. 51, in dem diese kommunale Einheit ausdrücklich erwähnt wurde. - Siehe auch Bertram, Geogr. Beschr. Ostfr. s. 59. 10 Vgl. die Aufstellung der stimmberechtigten Kommunen unten auf S. 58 ff. 11 VgI. das Landtagsprot. von 1744 und das Landrechnungsprot. von 1796: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1536 S. 31 f., Nr. 2185 BI. 4. - Siehe auch Bertram, Geogr. Beschr. Ostfr. S. 205 ff. 12 VgI. das Verzeichnis des Ordinair-Deputierten Steinmetz vom 22. November 1827: Ostfriesische Landschaft Aurich V. 1. 12. BI. 75. - Siehe auch Bertram, Geogr. Beschr. Ostfr. S. 221. 18 Vgl. das Landtagsprot. von 1744 und die gesammelten Vollmachten des Landtags von 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 S. 31 f., Nr.1641 BI. 45, 47. 14 Nach Stüve, Wesen und Verf. der Landgem. S. 75. 15 VgI. Ebel, Rechtsgesch. d. Landgemeinden in Ostfr. S. 317,319. 18 Nach Klopp, Gesch. OstfrI. Bd. II S. 589. 17 VgI. das Landtagsprot. von 1744: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 S. 33.
IH. Der Dritte Stand
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aus Bühren wurde mit der Begründung vom Landtag abgewiesen, daß bereits das Kirchspiel einen Deputierten entsandt habeIs. Trotzdem war auf der Landrechnungsversammlung von 1796 wieder ein Deputierter aus Bühren vertreten, ohne daß jedoch dessen Berechtigung zur Teilnahme bezweifelt wurde19 • Grund dafür wird gewesen sein, daß dieser Deputierte als Vertreter des Kirchspiels angesehen wurde, da das Kirchspiel als solches keine Deputierten zu dieser Landrechnungsversammlung entsandt hatte. Dennoch hat die Bauernschaft Bühren den Status einer stimmberechtigten Kommune nicht erlangt. bb) Eine weitere Ausnahme bildeten die Verhältnisse im Amt Norden, das in seinem gesamten Umfange, mit Ausnahme der Insel Juist, zu einem Kirchspiel gehörte 20 • Dieses Amt bestand aus den drei Vogteien Westermarsch, Lintelermarsch und Süderneyland21 • Ein Verzeichnis der stimmberechtigten Kommunen aus dem Jahre 1828 und der Landesherrliche Bericht von 1834 weisen im Amt Norden in jeder Vogtei eine stimmberechtigte Kommune, und zwar Westermarsch, Lintelermarsch und Sürlerneyland aus 22 • Dagegen verweisen die Verfasser des Ständischen Berichtes von 1835 auf eine Äußerung eines Norder Ordinair-Deputierten, wonach das Amt immer nur eine stimmfähige Kommune gebildet habe23 , worauf auch die Verfasser des Landesherrlichen Bericht in einer Anmerkung sich dieser Auffassung anschlossen2'. Bei der im Ständischen Bericht von 1835 zitierten Äußerung handelt es sich um den Bericht des Ordinair-Deputierten Wellenkamp vom 30. November 1827 und eine Erklärung desselben auf der Landrechnungsversammlung von 1828, wonach das Amt Norden immer nur eine stimmberechtigte Kommune gewesen sei25 • Den von den Ständen von ihm mehrfach angeforderten Nachweis für seine Behauptung blieb er hingegen schuldig28 • Da er in seinem Bericht vom 30. November 1827 zugleich den Beschluß der Norder Amtsversammlung vom 25. April 1797 vorlegte, durch den bestimmte wurde, "daß die Extraordinair18 19
BI. 4.
VgI. das Landtagsprot. von 1744: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1536 S. 51. VgI. das Landrechnungsprot. von 1796: Nds StA Aurich Dep. I Nr.2185
20 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S.76. Siehe auch Bertram, Geogr. Beschr. Ostfr. S. 59. 21 VgI. den Bericht des Ordinair-Deputierten Wellenkamp vom 30. November 1827: Ostfriesische Landschaft Aurich VI. 12 BI. 77. 22 VgI. das Verzeichnis: Ostfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 89 ff.; Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 81. 23 VgI. Ständ. Bericht v. 1835, S. 42. U VgI. die Anm. zum Ständ. Bericht v. 1835: Nds StA Aurich Rep.6 Nr. 10794 BI. 206 r. 25 VgI.: Ostfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 77 f., 96. 26 Vgl.: Ostfriesische Landschaft Aurich VI. 12 BI. 96 ff.
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
Deputirten wechselweise aus den 3 Voigteien gewählet, und zur Vermeidung eines weitläufigen Amts-Beitrages diejenige Voigtei, welche die Extraordinair-Deputirten nach dem Turno ernannt, denselben auch allein ohne Zuthun der beiden anderen Voigteien für das Jahr beköstigen solle lm , und auch das Amt Norden immer nur durch Amts-Deputierte vertreten war 28 , ist dessen Äußerung wohl dahingehend zu verstehen, daß die Deputierten immer vom Amt Norden als solchem entsandt wurden und insoweit das Amt als die alleinige stimmberechtigte kommunale Einheit anzusehen war. Da die Deputierten des Amtes Norden nicht von einzelnen stimmberechtigten Kommunen noch von den Vogteien entsandt wurden, sondern allein das Amt dazu berechtigt war, ist letztlich die Frage, welche Ortschaften die stimmberechtigten Kommunen bildeten, aus den Protokollen der landständischen Versammlungen nicht zu klären. Aus einer Stimmliste des Amts Norden vom 7. Mai 1793 und den "Statistisch-topographischen Nachrichten von dem Amte Norden" von 1794 ergibt sich jedoch, daß allein die Vogtei Süderneyland aus einer Kommune mit gleichem Namen bestand; die Westermarscher Vogtei wurde hingegen in 9 stimmberechtigte Rotts und die Lintelermarscher Vogtei in 8 stimmberechtigte Rotts unterteilt29 • ce) Nicht zu den stimmberechtigten Kommunen gehörten die in der der ritterschaftlichen Matrikel von 1679 30 verzeichneten Herrlichkeiten, da deren Bewohner von der Ritterschaft vertreten wurden31 • Das galt auch dann, wenn eine Herrlichkeit mangels eines qualifizierten adeligen Besitzers nicht in der der Ritterschaft vertreten war. So waren die von der Stadt Emden mit dem Ziel, sich in der Ritterschaft eine Stimme zu verschaffen, gekauften "Emder Herrlichkeiten" in keiner der drei Kurien vertreten32 • Auch die Kommunen des gesam27 VgI. die Abschrift des Beschlusses vom 25. April 1797: Ostfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 78. 28 VgI. die Landtagsprot. von 1744, 1786, 1790 und die gesammelten Vollmachten des Landtages von 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 S.30, Nr. 1556 BI. 7 r, Nr. 1557 S. 11, Nr. 1641 BI. 32. 29 VgI. die Stimm liste des Amts Norden vom 7. Mai 1793: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr.283; Hoppe, Statistisch-topographische Nachrichten von dem Amte Norden von 1794: Nds StA Aurich Rep.241 Msc Nr. B 39 BI. 2 r ff. Zu den Namen der einzelnen Rotts siehe unten auf S. 92. 30 Gedr. bei Brenneysen I, S. 167 f. 31 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 53 f.; Sethe/Telting, über die Landesverf. BI. 87 r; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 12 f.; Ständ. übersicht v. 1808, S.16; Telting Vertretung der Provinz, BI. 282; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 6 f. - Borkenhagen, Ostfr. unter hann. Herrsch. S. 52; Reinicke, Landstände im Verf.-staat S. 94. 32 VgI. Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 6 r. König, Verwaltungsgesch. S. 413 f.; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. IV S. 423 ff.
111. Der Dritte Stand
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ten Amtes Pewsum waren ausgeschlossen, da dieses Amt ursprünglich eine vom Landesherrn gekaufte Herrlichkeit war33 • Das Amt Pewsum hätte demnach in der Ritterschaft vertreten sein müssen, doch wurde dem Landesherrn ein Vertretungsrecht von den Ständen nicht eingeräume4 • Ebenfalls nicht zu den stimmberechtigten Kommunen gehörten die in den Ämtern gelegenen Inseln, Fehne, Polder und Heidekolonien35 • Der Grund für diesen Ausschluß ist darin zu suchen, daß die Inseln verwaltungsmäßig unmittelbar der uneingeschränkten Herrschaft des Landesherrn unterworfen waren und, was auch für die Fehne, Polder und Heidekolonien galt, nicht zu den alten Kommunen gehörten und nicht zu den Landeslasten beitrugen 36• dd) Nicht klärbar ist die Frage, welche Orte als Flecken im Sinne der ständischen Gerechtsamen anzusehen waren. Die Kirchspiele Greetsyhl, J emgum, Leer und Weener wurden unzweifelhaft zu den Flecken gerechnet37 • Ungeklärt muß diese Frage bei den Kirchspielen Bunde, Detern, Hage, Marienhafe und Nesse bleiben3B • Diese Orte galten politisch als Flecken, wurden aber wahrscheinlich hinsichtlich der landschaftlichen Wahlen nicht dazu gerechnet39 • 33 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 54; Sethe/Telting, über die Landesverf. BI. 87 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 6 r. - Freese, Verhältn. Ostfriesland S. 78 f.; König, Verwaltungsgesch. S. 327. 34 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S.54. König, Verwaltungsgesch. S.327. 35 VgL zum Ausschluß der Fehnbewohner das Landtagsprot. von 1790: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1557 S.8; zum Ausschluß der Polderbewohner das Landtagsprot. von 1807: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1576 BI. 16 r; zum ganzen siehe auch v. Knyphausen, Bemerkungen S. 13; LandesherrL Bericht v. 1834, S. 53; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 12 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 41 f.; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282 f., 283 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 6 r. - Klein, Verfassungskonfl. S.7; König, Verwaltungsgesch. S.327; Reinicke, Landstände im Verf.-staat S. 94. 36 Vgl. v. Knyphausen, Bemerkungen S.13; LandesherrL Bericht v. 1834, S.53; Ständ. Bericht v. 1835, S. 41 f. - Klopp, Gesch. OstfrL Bd.1I S.601, 603; König, Verwaltungsgesch. S. 327. 37 Vgl. LandesherrL Bericht v. 1834, S. 64 f.; Sethe/Telting, über die Landesverf. BI. 112, 112 r, 114; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 284 r. König, Verwaltungsgesch. S.205 Fußn.7; Berghaus, Verfassungsgesch. S.96 führt den Flecken Leer nicht auf und beruft sich in der Fußn. 10 auf die Materialien zum LandesherrL Bericht v. 1834, der indessen auch Leer bis zur Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1823 dazu zählte. 38 VgL dazu LandesherrL Bericht v. 1834, S.64. Siehe auch Ahrend, Erdbeschr. S. 130, 184, 245, 416 und 425; Gittermann, Beschr. OstfrL S. 19, 21 und 24, wonach alle genannten Orte zu den Flecken gerechnet wurden. Nach Bertram, Geogr. Beschr. Ostfr. S. 94 f., 113, 115 und 205 gehörte nur der Ort Nesse nicht zu den Flecken. Der Ständ. Bericht v. 1835 zählt keinen der Orte dazu. König, Verwaltungsgesch. S. 205 Fußn. 7 läßt dies offen. 39 VgL die Anmerkung der Verfasser des LandesherrL Berichts zum Ständ. Bericht v. 1835: Nds StA Aurich Rep. 6 Nr. 10794 BI. 207 r.
58
I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
Ob die Orte Dornum, Godens, Oldersum und Pewsum ebenfalls zu den Flecken gezählt wurden, kann offen bleiben, da diese Orte zu den Herrlichkeiten gehörten, die allein von den Herrlichkeitsbesitzern, die in der Ritterschaft Sitz und Stimme hatten, vertreten wurden und damit nicht zu den stimmberechtigten Kommunen gehörten4o • b) Es ergibt sich daher folgende Zusammenstellung der stimmberechtigten Kommunen in den acht Ämtern des Fürstentums Ostfriesland41 • Amt Emden42
Hinter Vogtei
1) 2) 3) 4) 5) 6)
Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp.
Canhusen Hinte Loppersum Marienwehr Osterhusen Suiderhusen
Midlumer Vogtei
1) 2) 3) 4) 5) 6)
Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp.
Canum Circkwerum Fre€psum Grot-Midlum Westerhusen Wolzeden
Larrelter Vogtei
1) 2) 3) 4)
Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp.
LarreLt Logumer Vorwerk Twixlum Wibelsum
Jemgumer Vogtei
1) 2) 3) 4) 5)
Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp.
J emgum (Flecken) Klein Midlum Kritzum Mariencoer Neuerhammrich
40 So auch der LandesherrL Bericht v. 1834, S.64. König, Verwaltungsgesch. S. 327. 41 VgL das Verzeichnis der stimmberechtigten Kommunen des Ostfr. Dritten Standes vom 14. Februar 1828: Ostfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 89 ff. = Nds StA Aurich Rep.6 Nr.10794 = LandesherrL Bericht v. 1834, S. 80 ff. Die Schreibweise der Ortsnamen wurde aus der Ostfrieslandkarte von Camp, Bunnik, v. d. Linden: Nds StA Aurich Rep. 244 C Nr. 2665 entnommen. Die Zuordnung der Orte zu den einzelnen Vogteien erfolgte nach Bertram, Geogr. Beschr. Ostfr. S. 75 - 108 (Amt Aurich), S. 109 - 121 (Amt Berum), S. 122 - 134 (Amt Norden), S. 134 - 151 (Amt Greetsyhl), S. 155 - 180 (Amt Emden), S. 180 - 202 (Amt Leer), S. 202 - 214 (Amt Stickhausen), S. 214 - 255 (Amt Friedeburg) sowie nach einer Stimmliste des Amtes Norden vom 7. Mai 1793: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 283. 42 VgL insbes. dazu das Landtagsprot. vom Juni 1744: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 S. 21 - 25; siehe auch die Amtsbeschreibung Emden von 1794: Nds StA Aurich Rep.241 Msc Nr. B 34 sowie das Verzeichnis des OrdinairDeputierten B. v. Scharrel zu Midlum vom 26. September 1826: Ostfriesische Landschaft Aurich VI. 12 BI. 19.
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IH. Der Dritte Stand Ditzumer Vogtei
1) Kirchsp. Ditzum, inkl. Ditzumer Hammrich 2) Kirchsp. Hatzum 3) Kirchsp. Nendorp 4) Kirchsp. Nesserland 5) Kirchsp. Oldendorp 6) Kirchsp. Pogum
Amt Greetsyblf3 Wester Vogtei
1) 2) 3) 4) 5) 6)
Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp.
Greetsyhl (Flecken) Groothusen Hamswerum Manslagt Pilsum, inkl. Schloot Uplewert
Oster Vogtei
1) 2) 3) 4) 5)
Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp.
Eilsum Grimersum Uttum Visquard Wirdum
Amt Leer4( Leerer Vogtei oder Moormerland
1) Kirchsp. Leer (Flecken)C5 2) Kirchsp. Nehrmohr inkl. Terborg's 3) Kirchsp. Nüttermohr inkl. Thedinga Kloster 4) Kirchsp. Veenhusen
Weener Vogtei
1) 2) 3) 4)
Bunder Vogtei
1) Kirchsp. Boemerwold 2) Kirchsp. Bunde
Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp.
stapelmohr Velge und Halte Weener (Flecken) Weenigermohr
U Vgl. insbes. dazu das Landtagsprot. von 1786: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1556 BI. 4 r/5; siehe auch die Amtsbeschreibung Greetsyhl von 1794: Nds StA Aurich Rep. 241 Msc Nr. B 37 sowie das Verzeichnis des Ordinair-Deputierten J. C. Dieken zu Wirdum vom 13. September 1826: Ostfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 13. 44 Vgl. insbes. dazu die Landtagsprot. vom Juni 1744 und von 1786: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 S. 25 - 27, Nr.1556 BI. 5 - 6; siehe auch die Beschreibung des Amtes Leer von 1794: Nds StA Aurich Rep. 241 Msc Nr. B 38 a, 38 b sowie das Verzeichnis des Ordinair-Deputierten C. Jesse zu Weener: Ostfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 18. 45 Der Flecken Leer fehlt in der Zusammenstellung von 1828 (vgI. den Landesherrlichen Bericht von 1834, S. 80 f.), da er ab 1823 zur Stadt erhoben wurde, dafür sind die zum Kirchspiel Leer gehörigen Ortschaften Heisfelde und Hohegaste verzeichnet. 46 Die in der Zusammenstellung von 1828 aufgeführte stimmberechtigte Kommune Terborg (vgI. den LandesherrI. Bericht von 1834, S. 81) ist nicht gesondert aufgeführt, da sie erstmals zum Landtag von 1807 einen eigenen Deputierten entsandte, vgl. das Landtagsprot.: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1576 BI. 7 r.
60
I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände 3) Kirchsp. St. Georgiwold 4) Kirchsp. Wymeer inkI. Boene
Overledinger Land
1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)
Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp.
Esculum Driver Grotegaste Grotwolde Ihrhove Mittling und Mark Steenfelde Völlen
Bingumer Vogtei
1) Kirchsp. Bingum 2) Kirchsp. Holtgaste inkI. Saltbarge 3) Kirchsp. Karkborgum
Amt Aurich47
Middelster Vogtei
1) Kirchsp. Ardorf 2) Kirchsp. Middels 3) Die Neun Loogen48 bestehen aus Sandhorst, Walle, Rahe, Haxtum, Extum, Karkdorp, Egels, Popens, Wallinghusen
Holtropper Vogtei
1) Kirch'sp. Auricholdendorf 2) Kirchsp. Holtrop inkl. Felde 3) Kirchsp. Weene inkI. Ostersander u. Schinum 4) Kirchsp. Wisens
Backbander Vogtei
1) Kirchsp. Backband 2) Kirchsp. Hatzhusen inkl. Ayenwolde 3) Kirchsp. Strackholt 4) Kirchsp. Timmel
Riepster Vogtei
1) 2) 3) 4) 5)
Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp.
Bangstede Barstede Ochtelbuhr Riepe Westerende inkl. Fahne
Südbrockmer Vogtei
1) 2) 3) 4) 5)
Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp. Kirchsp.
Bedecaspel Forlitz und Blaukarken Engerhave Victorbuhr Wiebelsbuhr
47 Vgl. insbes. dazu die Landtagsprot. vom Juni 1744 und 1786: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1536 S. 27 - 30, Nr. 1556 BI. 6 - 7 r; siehe auch Amtsbeschreibung Aurich von 1794: Nds StA Aurich Rep. 241 Msc Nr. B 32 sowie das Verzeichnis des Ordinair-Deputierten Dinkgraeve zu Engerhafe vom 16. Oktober 1826: Ostfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 26 fI. 48 Gehören zum Kirchspiel Aurich, unterfallen aber nicht der Jurisdiktion der Stadt: vgl. Nds StA Aurich Rep.11 Nr.2 BI. 346 f.; Amtsbeschreibung Aurich von 1794: Nds StA Aurich Rep.241 Msc Nr. B 32 BI. 9 sowie Bertram, Geogr. Beschr. Ostfr. S. 59.
III. Der Dritte Stand Nordbrockmer Vogtei
61
1) Kirchsp. Marienhave 2) Kirchsp. Osteel 3) Kirchsp. Siegelsum
Amt Norden'9 LinteZermarscher Vogtei
1) Ekeler Rott
2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)
Westgaster Rott Ostlinteler Rott Westlinteier Rott Lintelennarscher 1. Rott Lintelennarscher 2. Rott Ost- und Westeriooger Rott Westerstraße und die 5 Riegen
Westermarscher Vogtei
1) 1. Rott 2) 2. Rott 3) 3. Rott 4) 4. Rott 5) 5. Rott 6) 6. Rott 7) Gastmarscher Rott 8) Itztendorper Rott 9) Neuteicher Rott
SüderneyZandeT Vogtei
1) SüderneyLand
Amt Berum50 HageT Vogtei
1) Kirchsp. Hage (11 Rotten)51
NessumeT Vogtei
1) Kirchsp. Nesse (8 Rotten)
ATZeT Vogtei
1) Kirchsp. ArIe (6 Rotten)
OsteTmaTscheT Vogtei 5 !
1) Ostennarsch (3 Rotten) 2) Junkersrott (1 Rott)
49 VgI. die Stimmliste des Amts Norden vom 7. Mai 1793: Nds StA Aurich Dep. XXVIII b, Nr. 283 sowie Hoppe, Statistisch-topographische Nachrichten von dem Amte Norden v. 1794: Nds StA Aurich Rep.241 Msc Nr. B 39. Das Verzeichnis des Ordinair-Deputierten Wellenkamp vom 30. November 1827 enthält nur die drei Vogteien und das Verzeichnis der stimmberechtigten Kommunen vom 14. Februar 1828 verzeichnet nur die drei Kommunen Lintelennarsch, Westennarsch und Süderneyland: Ostfriesische Landschaft Aurich VI. 12 BI. 77, 89 f. "Kirchspiele sind in diesem Amt nicht vorhanden, da das ganze Land nach Norden zur Kirche geht" vgI. Nds StA Aurich Rep. 11 Nr. 2 BI. 349. 50 VgI. insbes. dazu das Landtagsprot. von 1786: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1556 BI. 7 r; siehe auch die Amtsbeschreibung von 1794: Nds StA Aurich Rep.241 Msc Nr. B 33 sowie das Verzeichnis des Ordinair-Deputierten H. B. Petersen zu Hage vom 18. September 1826: Ostfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 16. Zur Unterteilung in einzelne Rotten vgl. Arends Erbeschr. S.421; Bertram, Geogr. Beschr. Ostfr. S.118 f.; König, Verwaltungsgesch. S.206. 51 Ohne die in der Ostermarscher Vogtei liegenden Rotten. 52 Die 5 östlichen Rotten (Junkersrott, Hagennarsch, Thener) gehören zum Kirchspiel Haage, die übrigen 3 zum Kirchspiel Norden, vgI. die Amtsbeschreibung v. 1794: Nds StA Aurich Rep. 241 Msc Nr. B 33 BI. 2 r.
62
I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
3) Hagermarsch (3 Rotten) 4) Thener (1 Rott) Amt Sticldlausen53 Filsumer Vogtei
1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11)
Stickhauser-OverZedinger Vogtei oder OverZedingerZand
Kommune Ammersum Kommune Barge Kommune Brinkum Kirchsp. Detem ohne Barge und Felde Kommune Felde Kirchsp. Filsum ohne Ammersum Kirchsp. Hesel Kirchsp. Hollen Kirchsp. Holtland ohne Brinkum Kirchsp. Nortmohr Kirchsp. Uplengen inkl. Bühren
1) Kirchsp. Amdorp 2) Kirchsp. Bakemohr ohne Schatteburg 3) Kirchsp. Breinermohr ohne Nettelburg 4) Kirchsp. Colldnghorst 5) Kommune Holte 6) Kommune Nettelburg 7) Kirchsp. Neuburg 8) Kirchsp. Potshusen 9) Kirchsp. Rhaude ohne Holte 10) Kommune Schatteburg
Amt Friedeburg54 ReepshoZter Vogtei
1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)
Kommune Abikhave Kommune Dose Kommune Hesel Kommune Hohe Esche Kirchsp. Leerhafe 55 Kommune Reepsholt Kommune Wisede
53 VgI. insbes. dazu das Landtagsprot. vom Juni 1744 und das Landrechnungsprot. von 1797: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 S. 31 - 33, Nr.2186 S. 6 f., 10; siehe auch statistisch-topographische Beschreibung des Amt Stickhausen von 1794: Nds StA Aurich Rep.241 Msc Nr. B 41 sowie das Verzeichnis der Ordinair-Deputierten W. Janssen zu Jübberde vom 12. September 1826: Ostfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 15. M VgI. insbes. dazu das Landtagsprot. vom Juni 1744 und die gesammelten Vollmachten des Landtags von 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 S. 33 f., Nr.1641 BI. 45,47; siehe auch die Amtsbeschreibung von 1794: Nds StA Aurich Rep. 241 Msc Nr. B 36 sowie das Verzeichnis des Ordinair-Deputierten G. H. Steinmetz zu Etzel vom 10. und 25. Oktober 1826: Ostfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 22 ff., 29. 55 Das Kirchspiel Leerhafe soll, da es aus zwei Teilen bestand, auch zwei Stimmen gehabt haben (vgI. den Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 82) Eine solche Regelung ist für die Zeit um 1806 jedoch unwahrscheinlich, da jede Kommune immer nur eine Stimme hatte, siehe dazu auch unten auf S. 73.
ur. Horster Vogtei
Der Dritte Stand
63
1) Kirchsp. Etzel 2) Kirchsp. Horsten 3) Kirchsp. Marx
c) In den stimmberechtigten Kommunen waren nur die sog. "Interessenten" wahlberechtigt, nicht aber die Landbevölkerung in ihrer Gesamtheit56 • aa) Der Ausschluß eines großen Teils der Landbevölkerung von den politischen Rechten lag daran, daß die alten Kommunen Ostfrieslands reine Realgemeinden, im Gegensatz zu den modernen Personalgemeinden, waren57 • Politische Rechte innerhalb der Realgemeinden gründeten sich auf die Heerdverfassung 58 , wonach nur die Besitzer der ursprünglich ganzen, halben und viertel Heerde oder Plätze als selbständige Staatsbürger angesehen wurden, da nur diese in der Lage waren, ihren Besitzer samt seiner Familie zu ernährenSg • Diese selbständigen Staatsbürger waren allein stimmberechtigt und galten als die alleinigen Vertreter der Kommune6o • Von ihnen wurden auch alle Gemeindeabgaben bestri tten61 • aaa) Sie pflegten sich daher die "Interessenten" einer Kommune zu nennen&!. Bis zum Jahre 1803, als die im Preußisch€n Allgemeinen Landrecht vorgesehene Gemeinheitsteilung ernsthaft in Angriff genommen wurde63, wußten sich die Interessenten als die genossenschaftlichen Eigentümer des jeweiligen Gemeindevermögens, der Allmende oder Meene Meente 64 • Aus ihrem Kreis kamen auch die Schüttmeister, 56 Vgl. dazu insbes. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf.: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.9 - 14; Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 341. Siehe auch die Mitteilungen der Gemeinden Ostfrieslands aus den Jahren 1780 ff. über deren Statuten und Rechte, die aufgrund der Cabinets-ordre vom 14. April 1780, die Collection der Ostfr. Statuten und besonderen Rechte betreffend, verfaßt wurden: Nds StA Aurich Rep. 5 Nr.579, 580, 649, 651, 652, 655, 658. . 57 Vgl. v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.5; Koolman, Gemeinde und Amt S.93. Die Realgemeinde wurde erst 1819 im Zuge der Kommunalreform durch die Personalgemeinde abgelöst. 58 Mit Heerd wurde der bäuerliche Hof benannt, siehe dazu weiter unten auf S. 66 Fußn. 84. 59 Vgl. Stüve, Wesen u. Verf. der Landgemeinde, S. 9 f.; v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 5. 60 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S.72. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr S.341; Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. §§ 9 -12, 20: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 9, 12. 61 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S.72. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S.341; Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindverf. § 12: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.9. 62 Vgl. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. § 20: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 11; Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S.341. 63 Vgl. dazu: Nds StA Aurich Rep. 5 Nr. 483. 64 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 72. v. Unruh, Unser Ostfries-
64
I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
Bauernrichter und Poolrichter, welche die in den bäuerlichen Rechtsbereich fallende Aufsichtsfunktion wahrnahmen65 • In Gemeindeversammlungen, in welchen mit Stimmenmehrheit über die Gemeindeangelegenheit entschieden wurde, hatte jeder Besitzer eines ganzen Heerdes eine Stimme66 • Waren die Heerde in viertel oder halbe Heerde geteilt, so hatten die Besitzer eines solchen geteilten Heerdes eine ihrem Anteil am gesamten Heerd entsprechende Stimme, wobei die Besonderheit bestand, daß die Besitzer eines geteilten Heerdes sich darüber einigen mußten, wie sie gemeinsam die Stimme für den ganzen Heerd abgeben wollten67 • Kam keine Einigung zustande, so ruhte die Stimme dieses Heerdes 6B • Das Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten war daher immer an den ganzen Heerd gebunden. Diese Regelung beruhte darauf, daß ursprünglich die Heerde unteilbar gewesen waren69 • bbb) Nicht als selbständige Staatsbürger und damit nicht als stimmberechtigt in Gemeindeangelegenheiten wurden die sog. "Warfsleute" und die sog. "Bürgerei", wie die Warfsleute in der Kleigegend genannt wurden, angesehen70 • Zu diesen gehörten die vielen Handwerker, Tagelöhner und Gastwirte7l • Diese hatten, um größere Gerechtsame in der Kommune zu erlangen, einzelne Stücke von ganzen Heerden, die an land 1961, Nr.5; v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörffer, Emder Jahrb. Bd. 24 S.120. 65 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 72. Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S.341; Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. § 12: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 9. 86 Vgl. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. §§ 9, 10: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.9. Diese Verhältnisse dürfen nicht mit dem Stimmrecht bei Prediger- und Schulmeisterwahlen verwechselt werden, wonach eine Person durchaus 2 Stimmen führen konnte, siehe dazu auch unten auf S. 68 f. 67 Vgl. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. §§ 9, 10: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.9; v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörffer, Emder Jahrb. Bd. 24 S. 121. 68 Vgl. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. § 10: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 9. 69 Zur Unteilbarkeit siehe Stüve, Wesen u. Verf. der Landgem. S.23 Fußn. 1; v. Wicht, Ostfr. Land-Recht S. 394. 70 Vgl. dazu insbes. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. §§ 14,26; abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.9, 14; Mitteilungen der Gemeinden Ostfrieslands aus den Jahren 1789 ff. über deren Statuten und Rechte: Nds StA Aurich Rep.5 Nr.579, 580, 649, 651, 652, 655, 658; so auch Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 71; Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 341; Stüve, Wesen u. Verf. der Landgem. S. 39 f.; v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 5; v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörffer, Emder Jahrb. Bd. 24, S.120. 71 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S.72; Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. §§ 14, 26: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.9, 14; Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S.341; v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörffer, Emder Jahrb. Bd. 24, S.120.
IH. Der Dritte Stand
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ältere Söhne abgeteilt worden waren, oder Teile von gänzlich zerstükkelten Heerden sowie nicht benutzte gemeine Weiden aufgekauft oder gepachtet'2. Trotz des Grundbesitzes nahmen sie an den politischen Rechten und Pflichten der Kommune nicht teil, obwohl sie als Zugehörige der Kommune betrachtet wurden73 • Die Rechte dieser Warfsleute bestanden teilweise in der Berechtigung der Nutzung der Gemeindeweiden und des Gemeindestieres, wofür sie jedoch vielfach ein Entgeld zu zahlen hatten74 • Daneben mußten sie jedoch teilweise Handdienste bei der Unterhaltung der gemeindlichen Wege und Wasserleitungen sowie der Errichtung gemeindlicher Gebäude leisten, Boten laufen, Einquartierungen dulden und zu etwaigen Geldleistungen, welche die Kommune aus ihren Einkünften nicht allein bestreiten konnte, anteilig beitragen75 • Dabei waren diese Rechte und Pflichten nicht gleich, sondern durchaus unterschiedlich auf die Warfsleute verteilt78 • Mit der ernsthaften Durchführung der Gemeindheitsteilungen im Jahre 1803 erfolgte eine Aufteilung der Gemeindeweiden und Gemeindetrifte nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts 1. Teil, 17. Titel, §§ 311 ff. 77 • Die Inhaber der Heerde und die Warfsleute erlangten dadurch das Privateigentum an den auf sie anteilsmäßig entfallenden Landstücke18 • Infolgedessen vollzog sich, wenn auch zögernd, eine Wandlung der gemeindlichen Selbstverwaltung, und die Warfsleute erlangten die Gleichberechtigung mit den Interessenten79 • In Ausnahmefällen erlangten die Warfsleute bereits früher die Gleichberechtigung mit den Interessenten. So hatten bereits die Gemeinden Bakemohr, Breinermohr und Midlum in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Regelungen getroffen, nach denen die Warfsleute in der Gemeinde gleichberechtigt waren80 • 72 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S.72. - Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. § 14: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.9. 73 Vgl. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. § 14: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 9; v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörffer, Emder Jahrb. Bd. 24, S. 120. 74 Vgl. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. § 14: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 9; Schmidt, Pol. Gesch. Ostfr. S. 341; v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörffer, Emder Jahrb. Bd. 24, S.120. 75 VgI. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. § 14: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 9. 76 Vgl. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. § 14: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.9. 77 Vgl. zur Gemeinheitsteilung: Nds StA Aurich Rep.5 Nr.483 sowie v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 5; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. X S. 309. 18 Vgl. v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.5. 7g Vgl. v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 5. 80 Vgl. die Mitteilungen der Statuten der Gemeinden Bakemohr vom 29. Juli 1792 (Art. 1) und Breinermohr vom 28. Juli 1792 (Art. 1): Nds StA Aurich Rep.5 Nr.530 BI. 8, 16; siehe auch Koolman, Gemeinde und Amt, 5 Engelberg
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
bb) Bei den Wahlen der Deputierten waren, anders als bei den Wahlen in der Kommune, die Voraussetzungen für das aktive Wahlrecht im § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 1620 s1 näher festgelegt. In Anlehnung an die Heerdverfassung bestimmte der § 11, daß in den Marsch- und Kleigegenden der Besitz von 25 GrasenS2 eigenes Land oder 50 Grasen beheerdisches Land, wie sich das Erbpachtland nannte S3 , in den Heide- und Geestgebieten der Besitz eines vollen Heerdes s4 und in den Flecken der Besitz von 25 Grasen eigenen Landes oder vom 1000 Reichsthalern Vermögen erforderlich waren. aaa) In den Marsch- und Kleigegenden, wozu das gesamte Amt Greetsyhl und Teile der Ämter Emden, Leer und Norden gezählt wurdensS, waren durch den § 11 des Norder Landtagsschluß die Besitzer von eigenem Land, die sog. Eigenbeerbte, den Besitzern von "beheerdischen" Ländereien gleichgestellt. Unter "beherdischen" Ländereien S. 88. - Dagegen waren in der zum Kirchspiel Bakemohr gehörenden Kommune Schatteburg nur die Interessenten stimmberechtigt, wie Art. 1 der Mitteilung vom 29. Juli der Kommune Schatteburg zeigt: Nds StA Aurich Rep. 5 Nr. 580 BI. 8, 12, 16. - Die erst 1819 vollzogene Wandlung von der Realgemeinde zur Personalgemeinde deutete sich bereits 1763 an. Bei den Prediger- und Schulmeisterwahlen waren, wie ein unter dem 31. August 1763 erlassenes Reskript über die Aufstellung von Votandenregister (abgedr. im Wortlaut bei Dirksen, über das Predigerwahlrecht, S. 26 ff.) beweist ,,1. Die würklich im Amt stehende Aeltesten, Kirchenvögte, und Kirchenvorsteher der votierenden Gemeinde, und zwar ohne Unterschied, ob sie buchhaltende oder assistirende Vorsteher sind, haben das Recht, ein votum ratione offtcii vel muneris bey Prediger- und Schulmeisterwahlen zu führen. 2. Ein gleiches Votum haben auch die Prediger, da sie als Aufseher und Mit-Aeltesten der Gemeinde zu consideriren sind, nicht nur bey den Schulmeister-Wahlen, sondern auch an denjenigen Orten, wo zwey oder mehr Prediger sind, bey den Wahlen ihrer Collegen ..." SI Gedr. bei Brenneysen II, S. 568. S2 25 Grasen hatten nach der Umrechnungsvorschrift des Preuß. Allg. Landrechts, Teil II, §§ 706, 708, wonach 1 Gras gleich 300 rhL Quadrat-Ruthen bzw. 15/s Morgen waren, die Größe von 40 5/s Morgen (VgL Schnedermann, Ostfr. Landrecht S. 135); ebenso Klein, Verfassungskonft. S.7 Fußn.4; anders Appelius/Boddien, Bericht v. 1815, S.31, wonach 25 Grasen lediglich 12 1/2 Morgen groß sein sollen. - Da die Größenangaben für ein Gras in Ostfriesland landschaftlich unterschiedlich waren, was vermutlich daher kommt, daß die Ländereien ursprünglich nach ihrer örtlichen Gegebenheit und Bodengüte gemessen und geschätzt wurden (VgL Uphoff, Ostfr. Masze I, S. 30 ff. und Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. VIII S.351 sowie v. Wicht, Ostfr. Land-Recht S. 915 Anm. z) sind die obigen Größenangaben nur als Anhaltspunkte anzusehen. 83 Zur Erbpacht siehe unten S. 67. 84 Heerd wurde ein Landstück genannt, welches von seiner Größe und Güte her in der Lage war, seinen Besitzer zu ernähren. Die Größe war nach der örtlichen Gegebenheit und Bodengüte durchaus verschieden und belief sich auf 20, 100 und auch 200 Grasen (vgL Uphoff, Ostfr. Masze I, S.49 und v. Wicht, Ostfr. Land-Recht S. 393 Anm. n); die von Klein, Verfassungskonft. S. 7 Fußn. 5 gemachte Anmerkung: ein "Heerd" besteht aus 25 "Grasen" darf daher nur im obigen Sinne verstanden werden. 85 VgL Stüve, Wesen u. Verf. der Landgem. S. 75 f.
III. Der Dritte Stand
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verstand man die Erbpachten88 . Diese Erbpachten entwickelten sich daraus, daß im 16. Jahrhundert die Marschbauern die vom eigenen Heerd, wie der bäuerliche Hof genannt wurde, entfernt liegenden Ländereien abstießen und günstigere beim Heerd gelegene Ländereien hinzupachteten87. In vielen Fällen überwog schließlich das gepachtete Land den Eigenbesitz88. "Man nannte diese fremden, aber günstig gelegenen Ländereien, weil sie mit dem Heerd eine geschlossene Wirtschaftseinheit bildeten, "beheerdische" Länder, und die Pächter dieser beheerdischen Länder trafen sich mit den reinen Pächtern in dem Verlangen zur Erbpacht"89. Die Pachtzeit lief ursprünglich 8 Jahre, wurde aber in der Regel ohne weiteres verlängert9o . Aus diesen Pachtverträgen entstanden dann im Laufe der Zeit die Erbpachten91 • Damit verwischte sich der soziale Unterschied zwischen Heuermann und Eigenbeerbten und es entstand ein einheitlicher Bauernstand mit gemeinsamen Interessen 92 • Der § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 1620 trug diesen Gegebenheiten Rechnung. bbb) In den Heide- und Geestgegenden, wozu die Ämter Aurich, Berum, Stickhausen und Friedeburg sowie Teile der Ämter Emden, Leer und Norden gezählt wurden93, waren allein die Heerdbesitzer stimmberechtigt. Die Besitzer von halben und viertel Heerden waren daher in der Geest, im Gegensatz zur Stimmberechtigung in Gemeindeangelegenheiten, vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen. ccc) Hinsichtlich der Flecken ist anzumerken, daß nach Ansicht der Landstände die 1000 Reichsthaler Vermögen in liegenden Gründen bestehen mußte 94, während Sethe/Telting in ihrer Darstellung der Landesverfassung von Kapitalvermögen sprechen85• Der ersteren Ansicht wird in diesem Fall zu folgen sein, da der § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 162098 als allgemeine Voraussetzung für das aktive 88 VgI. BIey, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 63 r. - Acta Borussica Bd. VI 1 S. 565. 87 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 24. 88 VgI. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 24. 89 Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 24. - So auch Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 63 r; Acta Borussica Bd. VI 1 S. 565. 90 VgI. Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 63 r. Acta Borussica Bd. VI 1 S. 565. 91 VgI. Bley, Beschreibung Ostfr. v. 1789, BI. 63 r. Acta Borussica Bd. VI 1 S. 565; Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 24. 92 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S. 24. 93 VgI. Stüwe, Wesen u. Verf. der Landgem. S. 75 f. 94 VgI. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 68; Telting, Vertetung der Provinz, BI. 284 r. 95 VgI. Sethe/Telting, über die Landesverf. BI. 88. 96 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 568.
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Wahlrecht bestimmte, daß nur "Landsassen", d. h. mit Grundvermögen Angesessene, wahlberechtigt sein sollten97 • ddd) Den Besitzern mehrerer Heerde bzw. den Besitzern mit der mehrfachen Größe an Stücklanden, wie die zugepachteten Ländereien auch genannt wurden, standen ebensowenig mehrere Stimmen zu, wie das aktive Wahlrecht an den Besitz bestimmter Heerde gebunden war 98 • Zwar läßt sich dies nicht urkundlich belegen, da das Schriftenwesen der Gemeinden vor 1800 nur mangelhaft ausgebildet war99 • Indessen ergibt sich dies daraus, daß der Wortlaut des Norder Landtagsschluß insoweit eindeutig ist und auch beim aktiven Wahlrecht in allen drei Ständen eine mehrfache Stimmabgabe einer einzigen Person nicht üblich war 100 • Etwas Gegenteiliges ließe sich aus einem Verzeichnis der stimmberechtigten Einwohner der Gemeinden Bunde und Wymeer aus dem Jahre 1828 und einer Liste der stimmberechtigten Einwohner der Gemeinde Campen aus dem Jahre 1843 schließen101 • Die Stimmliste der Gemeinden Bunde und Wymeer gibt bei einzelnen Einwohnern mehrfach 2 Stimmen, einmal drei Stimmen und sogar eine Stimmteilung von 1/3 zu 2/3 an102 • Da zweifelhaft ist, ob diese Stimmliste auch für die Wahlen zu landständischen Versammlungen gelten sollte, ist sie nicht beweiskräftig. Die Stimmliste der Gemeinde Campen hingegen soll nach der überschrift für Gemeindewahlen und landschaftliche Wahlen gelten. Unter Nr. 1 hatte der Besitzer eines Platzes, wie der Heerd auch genannt wurde, mit einer Größe von 126 Grasen sowie 65 1/2 Grasen Stücklanden insgesamt vier Stimmen. Hinsichtlich der Berechnung der Stimmenzahl heißt es: "Falls von jeden 20 Grasen Stücklanden eine Stimme geführt werden kann, und auch eine von dem Platze, so kommen hier 4 (Stimmen)". Unter Nr.2, 3, 6 und 7 hatten die dort genannten jeweils 2 Stimmen, wobei unter Nr. 7 der Graf v. Inn- und Knyphausen als Stimmberechtigter aufgeführt ist. Da Adelige bei den Wahlen der Deputierten des Dritten Standes keinesfalls stimmberechtigt waren, ist es bereits äußerst zweifelhaft, daß diese Liste für die Wahlen zu landschaftlichen Versammlungen gegolten hat. So auch der Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 68 f. So auch v. Knyphausen, Bemerkungen, S.14; Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 63 f. und 69 f., der sich auf einen Bericht des AdministrationsKollegium an die Landdrostei vom 27. April 1830 beruft; dieser Bericht ist jedoch nicht auffindbar. Ebenso ein Aktenstück, die stimmberechtigten Kommunen betreffend, vom 16. Juli 1826: üstfriesische Landschaft Aurich V 1. 12 BI. 53. 99 VgI. Koolman, Gemeinde und Amt, S. 36 f. 100 Vgl. dazu auf S. 37, 50, 73. 101 VgI.: Nds StA Aurich Rep. 33 Nr.1510; ühling, Campen S. 162. 102 VgI.: Nds StA Aurich Rep.33 Nr.151O; als Stimmberechtigte wurde sogar eine Frau aufgeführt. 97
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III. Der Dritte Stand
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Diese Zweifel werden dadurch verstärkt, daß die Berechnung der Stimmen sich an die Vorschrift über die Aufstellung eines Votandenregisters vom 31. August 1763 anlehnt103 • Nach § 2 dieser Vorschrift hatten Edelleute und Eingesessene in den Marschländern für ihren Platz eine Stimme und für nicht zum Heerd gehörige Stücklande über 20 Grasen eine weitere Stimme, ohne daß jedoch für jede weiteren 20 Grasen eine weitere Stimme hinzukamen. Da diese Vorschrift nur für die Prediger- und Schulmeisterwahlen galt, und auch die Berechnung der Stimmen im Stimmregister von Campen durch das Wort "Falls" relativiert wird, ist es anzunehmen, daß diese Liste hinsichtlich mehrfacher Stimmen nicht für landschaftliche Wahlen gegolten hat. ce) Der § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 1620 104 bestimmte weiter, daß die Stimmberechtigten gute, ehrliche, redliche und vernünftige und eingeborene Landsassen se~n sollten. Daher waren Ausländer nicht aktiv wahlberechtigt, es sei denn, daß ihnen das Indigenat verliehen worden wäre. Ebenso ausgeschlossen waren daher diejenigen, die keine "separate oeconomia", d. h. diejenigen, die keine eigene Wirtschaft führten und in väterlichem Haus wohnten. dd) Nicht aktiv wahlberechtigt waren weiter nach § 11 des Norder Landtags'Schluß vom 28. Mai 1620105 die der Obrigkeit oder einem anderen Stande mit Spezial-Eiden verbundene Männer. Diese Regelung wurde durch den Haagischen Vergleich von 1662, Cap.III, Res. ad. Grav. 8106 dahin verstärkt und bestätigt, daß die durch Intervention landesherrlicher Beamter gewählten Deputierten bei landständischen Versammlungen nicht angenommen werden sollten. Damit waren die landesherrlichen Beamten ebenso ausgeschlossen wie auch solche Personen, die durch die beiden übrigen Stände vertreten wurden. ee) Diese Vorschriften des aktiven Wahlrechts wurden auf den landständischen Versammlungen im Grunde nicht überprüft107 • In den Vollmachten, die von den aktiv Wahlberechtigten ausgestellt wurden, nannten sich diese lediglich Erbeingesessene, Einwohner, Interessenten oder qualifizierte Eingesessene 108 • Daher ist anzunehmen, daß, wenn über103 Vgl. den Abdruck bei Dirksen, über das Predigerwahlrecht, S. 26 ff.; diese Regelung beruht auf dem Final-Rezeß von 1663, Res. ad Grav. 6 (Gedr. bei Brenneysen II, S. 747). 104 Gedr. bei Brenneysen II, S. 568. 105 Gedr. bei Brenneysen II, S. 568. 106 Gedr. bei Brenneysen II, S. 788. 107 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 61 f.; lediglich auf dem Landtag vom Juni 1749 wurde bei den Vollmachten bemängelt, daß die Subscribenten disqualifizierte Personen gewesen seien, vgl. das Landtagsprot.: Nds StA Aurich Dep. I Nr. 1545 S. 14, 39 ff. 108 Vgl. die gesammelten Vollmachten der Landtage von 1786, 1790 und
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haupt, die Einhaltung dieser Vorschriften bei den einzelnen Wahlversammlungen erfolgte10D • 3. Das passive Wahlredlt Das passive Wahlrecht entsprach weitgehend dem aktiven WahlrechtllO • Diese übereinstimmung beruhte vornehmlich auf dem § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 1620111 , in dem gleiche Voraussetzungen für das aktive und passive Wahlrecht festgelegt wurden. Es galten daher die zuvor beschriebenen Voraussetzungen des aktiven Wahlrechts entsprechend. a) Nach § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 1620 mußten demgemäß die Deputierten in den Marsch- und Kleingegenden 25 Grasen eigenes Land oder 50 Grasen Erbpachtsland, in den Heide- und Geestgebieten einen ganzen Heerd eigenen Landes und in den Flecken 25 Grasen eigenes Land oder ein Vermögen von 1000 Reichsthalern besitzen, welches aus liegenden Gründen bestehen mußte 112 • Demgegenüber werden von Berghaus und König hinsichtlich des passiven Wahlrechts die Ansichten vertreten, daß diese Regelung durch den § 11 des Norder Landtagsabschiedes vom 6. Juli 1620113 dahin modifiziert worden sei, daß in den Heide- und Geestgebieten bereits der Besitz eines halben Heerdes für die Wählbarkeit ausreichend gewesen sein S011114 • Dieser Landtagsabschied, den der Graf Enno den Ständen übergab, wird vielfach unter Verkennung seines wahren Charakters als Landtagsschluß bezeichnet115• Indessen handelt es sich dabei nicht um 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1638, 1641, 1648. So auch der Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 61 f. 108 Lediglich im Amt Norden sollen Mennoniten und Ucovallisten an den Amtsversammlungen teilgenommen haben, wobei jedoch nicht ganz eindeutig ist, daß sie auch bei der Wahl der Deputierten teilgenommen haben. Vieles deutet darauf hin, daß diese nur nach abgehaltener landständischer Versammlung der Berichterstattung der Deputierten beiwohnten. Vgl. Cremer, Beschreibung der Stadt und des Amts Norden von Herrmann Wichmann Grems, S. 37. 110 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S.57; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 12; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 284. 111 Gedr. bei Brenneysen II, S. 568. 112 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 59 ff.; SethejTelting, über die Landesverf., BI. 88; Ständ. übersicht v. 1808, S.16; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 284; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 9 - Brenneysen I, S. 170; Freese, Verhältnisse OstfrL S. 75 f.; Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverf. § 11: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr.9; v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörffer, Emder Jahrb. Bd. 24 S.121. 11S Gedr. bei Brenneysen II, S. 584. 114 VgL Berghaus, Verfassungsgesch. S.96; König, Verwaltungsgesch. S. 327 f. 115 So z. B. LandesherrL Bericht v. 1834, S.49, 59, 70. Berghaus, Verfassungsgesch. S. 96; König, Verwaltungsgesch. S. 327.
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einen Landtagsschluß, womit ein Beschluß der gesamten Stände auf einer landständischen Versammlung bezeichnet wurde, sondern um einen landesherrlichen Landtagsabschied. Ein solcher Abschied sollte am Ende eines Landtages die von den Ständen gefaßten Beschlüsse zusammenfassen und bestätigentl6 • Da aber der Landtagsabschied vom 6. Juli 1620 vom Landtagsschluß vom 28. Mai 1620 abwich, wurde der erstere von den Ständen und den späteren Landesherren, wie bereits oben erläutert, nicht als verbindlich angesehen117 • Daher blieb allein die Regelung des § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 1620 bis 1806 wirksam. Eine weitere, wenn auch durch nichts belegte Modifikation des § 11 des Norder Landtagsschlusses vom 28. Mai 1620, ist in Wiarda's Übersicht von 1819, der Ständischen Ausarbeitung von 1823 und bei Klein, der sich auf die letztere bezieht, enthalten118 • Danach soll in den Flecken der Besitz eines eigenen Hauses oder 1000 Reichsthalern Vermögen Voraussetzung für die Wählbarkeit gewesen sein. Diese Abänderung, daß an die Stelle von 25 Grasen eigenen Landes allein der Besitz eines eigenen Hauses als Voraussetzung getreten ist, läßt sich nicht belegen. Wiarda selbst führt tn seiner Zusammenfassung von 1821 über die "Repräsentation der Landstände" wieder als alleinige Voraussetzung die 25 Grasen eigenen Landes oder 1000 Reichsthaler Vermögen auf119• Es handelt sich daher entweder um ein Versehen, oder der Besitz eines eigenen Hauses fiel unter den Begriff ,,1000 Reichsthaler Vermögen". b) Nicht zum Deputierten gewählt werden durften, entsprechend dem aktiven Wahlrecht, die landesherrlichen Beamten und Dienerl2o • Diese waren aufgrund der Bestimmungen des § 7 des Norder Executions-Rezeß von 1593121 , des Emder Landtagsschluß von 1618/19, Cap. IIr, Stat. Res. ad. Grav.12 122 und des § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 1620123 vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Welche Titel Siehe dazu insbes. unten auf S. 99 ff. So auch im Ergebnis v. Knyphausen, Bemerkungen, S. 15; Landesherr!. Bericht v. 1834, S. 60 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 34 f., 43; siehe auch oben auf S.14f. 118 VgI. Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 12; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r. - Klein, Verfassungskonfl. S. 7. 119 VgI. Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 9. 120 Ausführlich dazu: Wiarda, Unmaßgebliches Gutachten, BI. 9 ff.; vgI. auch LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 20 ff.; Ständ. Bericht v. 1835, S.37; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 281 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 5 r; - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 93; König, Verwaltungsgesch. S. 328. 121 Gedr. bei Brenneysen H, S. 44. 122 Gedr. bei Brenneysen H, S. 515. 123 Gedr. bei Brenneysen H, S. 568. 11S
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1. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
una Amtsstellungen im Einzelnen unter diese Vorschriften fielen, ist bereits oben bei der Ritterschaft ausgeführt worden124 • c) Die Deputierten des Dritten Standes mußten, ebenso wie die Mitglieder der beiden übrigen Stände, einer der drei christlichen Hauptkonfessionen angehören und durften nicht, wie der Haagische Vergleich von 1662, Cap. IV, Res. ad. Grav.38 125 bestimmte, wegen einer Straftat überführt worden sein126 • d) Die Deputierten des Dritten Standes mußten weiterhin, wie die beiden übrigen Stände, ein eigenes bewirtschaftetes Besitztum (separatarn oeconomia) haben und durften nicht im Haus des Vaters wohnen 127 • Dies ergibt sich indirekt aus dem § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 1620128 , wonach die Deputierten gute, ehrliche, redliche, vernünftige und eingeborene Landsassen sein mußten. Weiterhin durften sie weder unter väterlicher oder vormundschaftlicher Gewalt stehen noch in Konkurs gefallen sein; sie mußten mithin voll geschäftsfähig und volljährig sein129 • e) Da die Deputierten eingeborene Landsassen sein mußten, waren nach dem obigen § 11 auch Ausländer von den landständischen Versammlungen ausgeschlossen, es sei denn, daß ihnen das Indigenat von den versammelten Ständen verliehen worden war130 • f) Entsprechend dem aktiven Wahlrecht waren die Bewohner des Amtes Pewsum, der Herrlichkeiten sowie der Inseln, Fehne, Polder und Heidekolonien nicht wählbar131 • Siehe dazu oben auf S. 38 ff. Gedr. bei Brenneysen II, S. 826. 126 Siehe dazu oben auf S. 38. 127 VgI. das Landtagsprot. von 1727: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1454 BI. 7rf.; so auch, LandesherrI. Bericht v.1834, S. 24 f.; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 6 r f. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 93; König, Verwaltungsgesch. S. 311 Fußn.3. 128 Gedr. bei Brenneysen II, S. 568. 129 VgI. zum Konkurs das Landrechnungsprot. von 1793: Nds StA Aurich Dep. I Nr.2182 BI. 62; LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 24; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 281 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 6 r f. Berghaus, Verfassungsgesch. S. 93; König, Verwaltungsgesch. S. 311 Fußn. 3. 130 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S.17 f.; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 12 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S.34; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 281 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 5 f. - Berghaus, Verfassungsgesch. S. 93; Klein, Verfassungskonfl. S. 7; König, Verwaltungsgesch. S. 311 Fußn. 3. 131 VgI. die Landtagsprot. von 1790 und 1807: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1557 S.8, Nr.1576 BI. 16 r; so auch LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 53 f.; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BI. 12 f.; Ständ. übersicht v. 1808, S.16; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 282; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 6 f. - Berghaus Verfassungsgesch. S.93; 124
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III. Der Dritte Stand
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g) Ein Deputierter des Dritten Standes mußte daher in einer der stimmberechtigten Kommunen angesessen sein. Erforderlich war dabei jedoch nicht, daß der Deputierte in der Kommune angesessen war, aus der er entsandt wurde, es reichte aus, wenn er in dem Amte, aus dem er entsandt wurde, angesessen warm. Zwar wurde auf dem Landtag von 1744 festgelegt, daß keine Deputierten gewählt werden durften, die nicht mindestens ein ganzes Jahr in der Kommune, aus der sie entsandt wurden, gewohnt und die Personal-Schatzung dem Schüttmeister gezahlt hatten133 • Da jedoch auch Deputierte von den Versammlungen der stimmberechtigten Einwohnern eines ganzen Amtes entsandt werden konnten134 , ging man von dieser Regelung ab und verlangte nur noch, daß ein Deputierter in dem Amte mit Landbesitz angesessen sein mußte, aus dem er entsandt wurde. Es war auch illicht verboten, daß ein Deputierter sich von zwei Kommunen gleichzeitig bevollmächtigen ließ 135. Ein solcher Deputierter führte jedoch in diesem Fall trotzdem nur eine einzige Stimme bei einer Abstimmung l36 • h) Der Freiherr v. Vincke deutet in seinem 1808 erstellten Gutachten über die ständische Verfassung Ostfrieslands an, daß neben den Deputierten jeder "Erbeingesessene" auf den Landtagen erscheinen durfte und ein Stimmrecht hatte 137 • Eine ähnliche Regelung enthielt der § 12 des Norder Landtagsabschied vom 6. Juli 1620138 , nur daß dem "Erbeingesessenen" kein Stimmrecht eingeräumt wurde. Da dieser Landtagsabschied jedoch unwirksam war139 , eine anderweitige Regelung über die Zulassung der "Erbeingesessenen" nicht vorhanden war und auch eine Teilnahme eines Erbeingesessenen nicht bekannt geworden ist, durften nur Deputierte mit entsprechenden Vollmachtenerscheinen uo . MögFreese, Verhältnisse OstfriesI. S. 78 f.; Klein, Verfassungskonft. S.7; König, Verwaltungsgescll. S.311 Fußn. 3; Reinicke, Landstände im Verf.-Staat, S.94. Siehe dazu auch oben auf S. 56 f. 132 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 62 f.; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 284 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 10. 133 VgI. das Landtagsprot. vom Juni 1744: Nds StA Aurich Dep. I N.1536 S. 52 f.; das von Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 10 angegebene Landrechnungsprot. von 1749 ist nicht einschlägig. 134 Siehe dazu unten auf S. 75. 135 Vgl. Ständ. Bericht v. 1835, S.46; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 285 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 9 r f. 138 Vgl. Ständ. Bericht v. 1835, S.46; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 285 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 9 r f. 137 VgI. v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörf'fer, Emder Jahrb. Bd. 24 S. 122. 138 Gedr. bei Brenneysen II, S. 584. 139 Siehe oben auf S. 14 f. 140 So auch v. Knyphausen, Bemerkungen, S.15; LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 70; Ständ. Bericht v. 1835, S. 45 f. - König, Verwaltungsgesch. S. 330.
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I.
Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
licherweise war aber mit dieser Äußerung auch nur gemeint, daß die Eingesessenen an den öff.entlichen Sitzungen teilnehmen durften, was allgemein anerkannt war14l • 4. Die Deputiertenwahlen
a) Der Dritte Stand wurde durch Publikation von sog. "Convocations-Patenten" zu den landständischen Versammlungen und damit zur Deputiertenwahl eingeladen. Diese Publikation erfolgte in den Provinzial-Blättern und von allen Kirchen des platten Landes mit Ausnahme der Herrlichkeiten, Fehne, Polder, Inseln und Heidekolonien142 • Zur Verlesung in den Kirchen wurden den Predigern die ConvocationsPatente von den Vögten zugesandt l43 • Die Vögte, die die Patente von den Amtsgerichten zur Weitergabe erhielten, attestierten deren Weitergabe an die Prediger, die nach erfolgter Verlesung die Patente mit einem Verlesungsvermerk versahen und den Vögten zurücksandten l44 • Diese gaben die Convocations-Patente an die Amtsgerichte zurück, damit sie bei der landständischen Versammlung vorgelegt werden konnten H6 • Im Amt Norden, in dem die Extraordinair-Deputierten in einer Amtsversammlung gewählt wurden, ließ der Amtsverwalter den Amts-Eingesessenen die Convocations-Patente durch die Amtsvögte bekannt machen, die die Abschriften des Patentes verteilten und die Wahlberechtigten ins Amtshaus einluden14S • b) Die Wahl der Deputierten war öffentlich und wurde meist in einer Kirche abgehalten l47 • Die hier eigentlich einschlägige Bestimmung des § 12 des Norder Landtagsabschied vom 6. Juli 1620148 kann unberücksichtigt bleiben, da sie, wie bereits oben dargestellt, unwirksam war149 • VgI. v. Knyphausen, Bemerkungen, S.15; siehe auch unten auf S. 89. VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S.104; TeIting, Vertretung der Provinz, BI. 287 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 44. - Freese, Verhältnisse Ostfrl. S. 78; Klein, Verfassungskonfl. S. 8; König, Verwaltungsgesch. S. 329. \43 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S.104. Klein, Verfassungskonfl. S.8; König, Verwaltungsgesch. S.329. Siehe dazu die einzigen auffindbarer< schriftlichen Aufzeichnungen für den Landtag von 1807 im Amt Leer: Nds StA Aurich Rep. 31 Nr. 172. 144 VgI. Verfahren für den Landtag von 1807 im Amt Leer: Nds StA Aurich Rep. 31 Nr. 172. 145 VgI. Verfahren für den Landtag von 1807 im Amt Leer: Nds StA Aurich Rep. 31 Nr. 172. 146 VgI. Cremer, Beschreibung der Stadt und des Amtes Norden von Herrmann Wichmann Grems, S. 66. 147 VgI. LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 74; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 284 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 10 f. 148 Gedr. bei Brenneysen H, S. 584. UD Siehe dazu oben auf S. 14 f. 141
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111. Der Dritte Stand
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Im Kirchspiel Twixlum hatten die Interessenten eine Strafe zu entrichten, wenn sie zur Wahlversammlung nicht erschieneni50 • c) Die Deputierten des Dritten Standes wurden auf drei verschiedenen kommunalen Ebenen, den stimmberechtigten Kommunen, den Vogteien, welche mehrere Kommunen umfaßten, und den Ämtern, die aus mehreren Vogteien bestanden, gewählt. Grundsätzlich wurden die Deputierten von den Einwohnern der stimmberechtigten Kommunen entsandtl5l • Die zu einer solchen Kommune gehörenden Bauernschaften waren nicht berechtigt, eigene Deputierte zu wählen, obwohl doch jede Kommune eine beliebige Anzahl von Deputierten entsenden konnte 152 • Weiterhin konnten die Deputierten aber auch auf einer Versammlung der Deputierten der stimmberechtigten Kommunen einer Vogtei gewählt werden t53 • Für diesen Fall war es den einzelnen stimmberechtigten Kommunen nicht erlaubt, daneben noch eigene Deputierte zu entsenden. Schließlich wurden die Deputierten auch auf einer Amtsversammlung, die aus den Deputierten der stimmberechtigten Kommunen oder allen Amtseingesessenen bestand, gewähltt54 • In diesem Fall waren weder Deputierte der Vogteien noch einzelner Kommunen des Amtes bei landständischen Versammlungen zugelassent55 • Aus den Protokollen der landständischen Versammlungen ergibt sich dabei folgendes Bild156 : In den Ämtern Emden und Berum wurden die Deputierten auf allen drei Ebenen gewählt, wobei jedoch die Ebene der Vogtei bevorzugt wurde. Das Amt Norden, das zugleich ein Kirchspiel bildete, entsandte dagegen immer nur Amtsdeputierte. Die Ämter Greetsyhl, Leer, Aurich, Stickhausen und Friedeburg entsandten ent150 Vgl. die Aufstellung der Statuten der Kommune Twixlum vom 22. Oktober 1792: StA Aurich Rep. 5 Nr. 655 BI. 36 (Art. 5). 151 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 76; Telting, Vertretung der Provinz, Bl. 284 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, Bl. 10 f. 152 Vgl. das Landtagsprot. vom Juni 1744: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 S. 33,50 f. 153 Vgl. Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 76. m Vgl. Bericht des Adm.-Kollegium über die Amtsversammlungen 1824 H.: Nds StA Aurich Rep.6 Nr.10638; Landesherrl. Bericht v. 1834, S.76; Ständ. Bericht v. 1835, S.46; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 284 r. Zur Amts· versammlung allgemein siehe unten auf S. 149 ff. 155 Vgl. die Landtagsprot. von 1727 und 1749: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1454 Bl. 6 r f.; Nr.1545 S. 28 - 36; so auch Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 76; Telting, Vertretung der Provinz, Bl. 284 r f. 156 Vgl. dazu insbes. die Landtagsprot. v. 1744, 1786, 1790 sowie die gesammelten Vollmachten der Landtage von 1786, 1790 und 1791 und die Landrechnungsprot. von 1795 bis 1806: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536, 1556, 1557, 1638, 1641, 1648, 2185 - 2191, 2259 - 2261, 2265.
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1. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
weder Deputierte aus den einzelnen Kommunen oder aber Amtsdeputierte. Die Ebene der Vogteien wurde ausgelassen. d) Die Versammlungen selbst wurden auf der Ebene der stimmberechtigten Kommunen vom Ortsvorsteher (Schüttmeister oder Bauernrichter) einberufen und geleitet1S7 • Die Vogteienversammlungen und dj,e Amtsversammlungen wurden vom Ordinair-Deputiertenl58 einberufen und geleitet159 • Lediglich die Amtsversammlung des Greetsyhler Amtes hatte einen eigenen besonderen Vorsitz,enden I60 • Im Amt Norden bestand die Besonderheit, daß die Amtsversammlung vom Amtsverwalter einberufen wurde, der dann den Erschienenen das Convocations-Patent im Original vorzeigte, es vorlas und ihnen empfahl, auf die Beförderung des Besten des Landes und des Amtes zu achten l6l • Daraufhin trat der Amtsverwalter ab und ließ die Wahlberechtigten bei ihrer Beratschlagung allein. Diese wählten entweder die alten Extraordinair-Deputierten oder einen oder zwei neue. Waren sie sich über die Wahl nicht einig, so wurden zwei oder drei Personen nominiert und deren Namen auf einen Bogen Papier gesetzt, auf welchem durch Unterschrift für einen der drei Kandidaten gestimmt wurde. Wer die meisten Unterschriften erhielt, war dann gewählt und diesem wurde die Vollmacht ausgestellt. Zum Schreiben wurde, sofern erforderlich, ein Procurator geholt. e) Bei den Wahlversammlungen durften, wie der § 11 des Norder Landtagsschluß vom 28. Mai 1620162 , der Haagische Vergleich von 1662, Cap. III, Res. ad Grav. 8163 und des Fürst Georg Christians speciale Concessiones an den Dritten Stand von 1663 164 bestimmten, landesherrliche Beamte und Diener weder direkt noch indirekt irgendwelchen Einfluß nehmen165 • f) Die Anzahl der Deputierten, die von den Kommunen, Vogteien oder Ämtern zu den landständischen Versammlungen entsandt werden durften, war nicht festgelegt und pflegte zu wechseln l66 • Diese RegeVgL LandesherrL Bericht v. 1834, S. 76 f. Siehe dazu unten auf S. 150. 159 VgL Ständ. Bericht v. 1835, S. 46. Jhering, Kurze übersicht der Ostfr. Gemeindeverfassung § 11: abgedr. bei v. Unruh, Unser Ostfriesland 1961, Nr. 9; Klopp, Gesch. Ostfr. Bd. 11 S. 589. 160 VgL Ständ. Bericht v. 1835, S. 46. 161 VgL zum folgenden: Cremer, Beschreibung der Stadt und des Amts Norden von Herrmann Wichmann Grems, S. 36. 162 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 568. 163 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 788. 164 Gedr. bei Brenneysen II, S. 914. 165 So auch LandesherrL Bericht v. 1834, S.75; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 285 r f. 166 VgL Landesherrl. Bericht v. 1834, S.55; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, 157 158
IIr. Der Dritte Stand
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lung wirkte sich jedoch auf die Mehrheitsverhältnisse bei den Abstimmungen nicht aus, da j·ede stimmberechtigte Kommune immer nur eine einzige Stimme führte, gleich wieviele Deputierte si'e entsandte l61 • 5. Die Vollmachten
a) Die Vollmachten wurden in unbeglaubigter Form durch Unterschrift aller Wähler in öffentlicher Versammlung abgefaßt l68 • Durch die Statische Resolution von 1619, Res. ad Grav. 6 und 7m war es verboten, Vollmachten von Haus zu Haus zu tragen und dort privatim unterzeichnen zu lassen17o • Die in dem § 12 des unwirksamen Landtagsabschiedes vom 6. Juli 1620 111 vorgesehene Ausfertigung der Vollmachten durch Notare oder Pastoren ist nie durchgeführt worden172 • Im übrigen wurden jegliche Vorschriften über die notariellen Ausfertigungen durch Art. 9 der Konvention vom 7./31. Juli 1744173 abgeschafft. Wurden mehrere Deputierte von einer Kommune, einer Vogtei oder einem Amte entsandt, so durften diesen keine separate Vollmachten ausgestellt werden, sondern nur eine einzige Vollmacht, in der alle Deputierte aufgeführt waren174 • b) Nach Art.III der Königlichen Resolution vom 3. April 1792 175 war es den Kommunen, Vogteien oder Ämtern überlassen, ob sie die Deputierten mit einer vollständigen Instruktion zur Abgabe ihres Gutachtens versahen, mithin die Deputierten eine beschränkte Vollmacht erBI. 11 r f.; Ständ. übersicht v. 1808, S.16; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 284 r; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 9 r. - Berghaus, Verfassungsgesch. S.97; König, Verwaltungsgesch. S.327; Reinicke, Landstände im Verf.-staat, S. 94. 167 Siehe dazu unten auf S. 96 ff. 168 VgI. die gesammelten Vollmachten der Landtage von 1786, 1790 und 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1638, 1641, 1648; so auch LandesherrI. Bericht v. 1834, S. 74 f.; Ständ. Bericht v. 1835, S. 46; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 284 r. 169 Gedr. bei Brenneysen II, S. 478. 170 VgI. das Landrechnungsprot. von 1793: Nds StA Aurich Dep. I Nr.2182 BI. 61 f. Siehe auch Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 74 ff.; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 10 r; König, Verwaltungsgesch. S.328, die sich jedoch auf den § 12 des unwirksamen Norder Landtagsabschieds v. 6. Juli 1620 (gedr. bei Brenneysen II, S. 584) berufen. 171 Gedr. bei Brenneysen II, S. 584. Zur Unwirksamkeit s. u. S. 14 f. 172 Anderer Ansicht: König, Verwaltungsgesch. S. 328. 173 Gedr. Landtagsprot. von 1744 S. 42; vgI. auch den Wortlaut im Anhang auf S. 258. 174 VgI. das Landtagsprot. vom Juni 1744: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1536 S.50; so auch Telting, Vertretung der Provinz, BI. 285 f.; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 9 r, der sich auf das Landtagsprot. von 1749 bezieht. 175 Vgl. das gedr. Landtagsprot. von 1791 S. 37; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 288 f.
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I. Teil, 2. Kap.: Die Verfassung der drei Landstände
hielten, oder ob ihnen eine unbeschränkte Vollmacht erteilt wurde, so daß sie nach eigenen Gutdünken stimmen konnten176 • Häufig enthielten die Vollmachten noch die Zusicherung, daß die Deputierten wegen ihl1er Teilnahme an landständischen Versammlungen eine Entschädigung von ihren Vollmachtsgebern erhalten sollten177 • c) Die Gültigkeit der Vollmachten erstreckte sich auf einen Landtag, wozu auch der prorogierte Landtag178 gerechnet wurde, oder eine Landrechnungsversammlung179 • Immerwährende Vollmachten auszustellen war durch Art. 59 der Concordata von 1599180 untersagt.
176 So auch Telting, Vertretung der Provinz, BI. 286; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 10 r. 177 VgI. die gesammelten Vollmachten der Landtage von 1786, 1790 und 1791: Nds StA Aurich Dep. I Nr.1638, 1641, 1648; so auch Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 77 f. 178 Zum prorogierten Landtag siehe unten auf S. 93 fi. 179 VgI. Landesherrl. Bericht v. 1834, S.77, 114; Wiarda, Repräsentation der Landstände, BI. 11 r. 180 Gedr. bei Brenneysen 11, S. 140 und Wiemann, Grundlagen, S. 179.
3. Kapitel
Die landständischen Versammlungen Die ostfriesischen Stände versammelten sich auf zwei verschiedenen Arten von landständischen Versammlungen, den Landtagen und den Landrechnungsversammlungen. Ein Landtag fand nur auf spezielle Bewilligung und Ausschreibung durch den Landesherrn statt, wenn wichtige Angelegenheiten, insbesondere die Verfassung der Stände, beraten werden mußten. Die Landrechnungsversammlungen fanden dagegen alljährlich am 10. Mai statt und dienten der Prüfung und Abnahme der Landrechnung sowie der Beratung anderer ständischer Angelegenheiten.
I. Das Landtagsrecht Vorläufer der ostfrilesischen Landtage waren die Versammlungen des Upstalsboomverbandes, der sich im 12. J,ahrhundert gebildet hattel. Alljährlich am Dienstag nach Pfingsten traten je zwei Bevollmächtigte der im Upstalsboomverband vertretenen friesischen Länder beim Upstalsboom, einem bei Aurich gelegenen vorgeschichtlichen Grabhügel, zusammen, um über Fragen der Interessen des gesamten Stammes zu beraten2 • Das Wirken dieses Verbandes endete jedoch im 14. Jahrhundert'. Nachdem die allgemeinen Landtage beim Upstalsboom aufgehört hatten, versammelten sich in jeder friesischen Provinz die Stände zu besonderen Landtagen, so daß der Landtag als Nachfolger der Versammlungen des Upstalsboomverbandes anzusehen ist'. Zwar fand der erste erwähnte Landtag erst im Jahre 1516 staUS. Zu dieser Zeit war er jedoch bereits eine feststehende Einrichtung6 • Ein 1 Vgl. Klinkenborg, Die Upstallsboomer Geschworenen des 13. Jhd.: Emder Jahrb. Bd. 16 S. 326 ff.; König, Verwaltungsgesch. S. 22. 2 Vgl. König, Verwaltungsgesch. S.22; Reinicke, Landstände im Verf.staat, S. 91 f.; Wiemann, Großreich S. 77. 3 Vgl. König, Verwaltungsgesch. S.22; Reinicke, Landstände im Verf.staat, S. 92. 4 Vgl. Telting, Darstellung, S.36; Buttjer, Gesch. d. Verf. S.35, dessen 1. Teil im wesentlichen wortgleich mit der Darstellung von Telting ist. 5 Vgl. König, Verwaltungsgesch. S.306; Reinicke, Landstände im Verf.staat, S. 92; Wiemann, Abriß, S. 151. 6 Vgl. König, Verwaltungsgesch. S.307, der auf den Reimers Nachlaß im Nds StA Aurich verweist; Reinicke, Landstände im Verf.-staat, S. 92 f.; Telting, Darstellung, S. 36 f.
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I. Teil, 3. Kap.: Die landständischen Versammlungen
festes Landtagsrecht gab es am Anfang des 16. Jahrhunderts noch nicht, dieses entwickelte sich erst im Laufe der Zeit, wie auch die Bezeichnung "Landtag" erst Mitte des 16. Jahrhunderts aufkam7 • 1. Bewilligung und Ausschreibung eines Landtages
a) Das Recht, einen Landtag zu bewilligen und auszuschreiben, war seit jeher ein Streitpunkt zwischen den Ständen und dem Landesherrn8 • Ein Landtag wurde ursprünglich entweder vom Landesherrn aus eigenem Beweggrund oder auf Antrag der Stände vom Landesherrn bewilligt und ausgeschrieben9 • Beantragten die Stände die Abhaltung eines Landtages, so war der Landesherr verpflichtet, diesem Ersuchen nachzukommen1o • Der § 10 des Kaiserlichen Dekretes vom 10. Februar 158911 bestätigte diese Verpflichtung des Landesherrn. Durch § 17 des Kaiserlichen Dekretes vom 13. Oktober 159712 wurde das 1589 bestätigte Recht der Stände dahin erweitert, daß dann, wenn der Landesherr sich weigern sollte, einem Ersuchen der Stände nachzukommen, die Stände das Recht hatten, wie von Alters her, auch ohne Bewilligung und Ausschreibung zusammenzukommen. Die Obliegenheit des Landesherrn bestimmte der § 13 des Haagischen Vergleiches von 160313 noch näher dahin, daß der Landesherr in den die gemeine Wohlfahrt des Landes betreffenden Angelegenheiten auf Ersuchen der Stände einen Landtag innerhalb eines Monats auszuschreiben habe; andernfalls hätten die Stände das Recht, auf das Anschreiben der Ritterschaft, einer Stadt oder sonstigen Stelle, die nach dem Herkommen um einen Landtag ersuchen konnte, sich in Abwesenheit des Landesherrn zu versammeln14. Mit der Berufung des Emder Landtages von 1618 durch die Ritterschaft und die Stadt Emden machten die Stände von diesem Recht Gebrauch, und der auf diesem Landtag gefaßte Landtagsschluß wurde als verbindlich angesehen l5 • Die Statistische Resolution von 1619, Cap.III, 7 Vgl. Hinrichs, Die ostfr. Landstände, S.16; König, Verwaltungsgesch. S.308. 8 Siehe dazu die Zusammenstellung bei Telting, Darstellung, S. 36 ff. Wortgleich: Buttjer, Gesch. der Verf. S. 35 ff., der im folgenden nur bei Abweichungen von der "Darstellung" von Telting zitiert werden soll. D Vgl. Telting, Darstellung, S.37; Reinicke, Landstände im Verf.-staat, S.96. 10 Vgl. Telting, Darstellung, S.37; Reinicke, Landstände im Verf.-staat, S.96. 11 Gedr. bei Brenneysen II, S. 4 f. 12 Gedr. bei Brenneysen II, S. 84 und Wiemann, Grundlagen, S. 146 f. 13 Gedr. bei Brenneysen H, S. 310 und Wiemann, Grundlagen, S. 209. 14 So auch Reinicke, Landstände im Verf.-staat S. 96. 15 Vgl. Telting, Darstellung, S. 39; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. IV, S. 69 ff.
I. Das Landtagsrecht
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Res. ad. Grav. 116 sowie der Emder Landtagsschluß von 1619, Cap.III, Stat. Res. ad. Grav. 117 bestätigten den Ständen, daß sie mit der Berufung dieses Landtages in übereinstimmung mit den Akkorden gehandelt hatten. Im Art. 8 des Hannöverschen Vergleiches von 169318 wurde das Recht der Landtage erneut dahingehend bestätigt, daß der Landesherr verpflichtet war, innerhalb eines Monats auf Ersuchen der Stände einen Landtag auszuschreiben. über -ein Recht der Stände, widrigenfalls selbst einen Landtag einzuberufen, schweigt dagegen dieser Vergleich. Die Vorschriften des Kaiserlichen Dekretes vom 1. Oktober 1688 19 können inhaltlich unerwähnt bleiben, da dieses Dekret durch den Art. 14 des Hannöverschen Vergleiches von 169320 aufgehoben wurde 21 • Dieser Hannöversche Vergleich wurde durch den Art. 1 der Konvention vom 7./31. Juli 174422 namentlich bestätigt. Dennoch kam es auch unter preußischer Regierungszeit zu Streitigkeiten, insbesondere wegen der Weigerung des Landesherrn, in den Jahren 1784/85 den beantragten Landtag auszuschreiben23 • Diese Streitigkeiten wurden durch die Königliche Resolution vom 16. Mai 1791 24 beigelegt. b) Die Königliche Resolution vom 16. Mai 1791, Buchstabe b, deren Regelungen hinsichtlich des Landtagsrechtes bis 1806 maßgeblich blieben, schränkte die Rechte der Stände in erheblichem Umfange ein: Der König fand sich geneigt, in wichtigen, die gemeine Landeswohlfahrt betreffenden Sachen und besonders in solchen, welche auf die Landesverfassung, das Steuer- und Schuldenwesen einen erheblichen Einfluß haben, entweder aus eigener Bewegung oder auf gebührendes Ansuchen der Stände oder Namens derselben, des Administrations-Kollegiums, einen Landtag zu bewilligen und ausschreiben zu lassen, jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß solche Landtage nicht zur Benachteiligung der Königlichen Regalien und der Landeshoheit mißbraucht, sondern nur zur Beförderung des Besten des Landes und der Gedr. bei Brenneysen II, S. 476. Gedr. bei Brenneysen H, S. 511. 18 Gedr. bei Brenneysen II, S. 1061. 19 Gedr. bei Brenneysen H, S. 1009. 20 Gedr. bei Brenneysen H, S. 1062. 21 Unrichtig insoweit der Landesherrl. Bericht v. 1834, S. 95 f., der aus diesem Dekret Pflichten und Rechte herleitet. Auch König, Verwaltungsgesch. S.328 Fußn.3 läßt einen Hinweis auf die Unwirksamkeit dieses indirekt mit Br. H, 1009 zitierte Dekret vermissen. 22 Vgl. das gedr. Landtagsprot. vom Juni 1744, S. 41; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 257. 23 Vgl. Telting, Darstellung, S. 41; Wiarda, Ostfr. Gesch. Bd. IX S. 196 f., Bd.X S.41. 24 Vgl. das gedr. Landtagsprot. von 1791, S. 21- 23; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 275 f. 16
17
6 Engelberg
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I. Teil, 3. Kap.: Die landständischen Versammlungen
allgemeinen nützlichen Einrichtungen angewendet werden sollen. Die Stände hatten dem Gesuch die Ursachen für den Landtag beizufügen. Dem Landesherrn war die Beurteilung der Erheblichkeit der Ursachen allein vorbehalten; er gab jedoch den Ständen die Versicherung, daß er die Motive der Stände landesväterlich erwägen und einen Landtag nicht ohne erhebliche Ursache verweigern wolle. In Fällen der LandesOeconomie und Polizeisachen2S , die entweder eines besonderen Landtages nicht bedurften oder wegen der Geheimhaltung dort nicht erörtert werden konnten, sowie bei dringenden Angelegenheiten, die keinen Zeitaufschub duldeten, versprach der König, mit dem AdministrationsKollegium, welches die Ordinair-Deputierten hinzuziehen durfte, zu verhandeln. Diese Einschränkung der ständischen Rechte durch die Königliche Resolution von 1791 wurde jedoch dadurch mehr als ausgeglichen, daß gleichzeitig bestimmt wurde, daß den auf Landrechnungsversammlungen gefaßten Beschlüssen dieselbe Verbindlichkeit zukommen sollte, wie den Landtagsschlüssen28 • Mit dieser Königlichen Resolution von 1791 lag letztlich die Entscheidung über die Bewilligung und Ausschreibung eines Landtages allein beim Landesherrn27 • Die Meinung der Verfasser des Ständischen Berichts von 1835, daß die Beurteilung der Erheblichkeit der Ursachen für einen Landtag nicht allein dem Landesherrn, sondern auch den Ständen zugestanden habe28 , ist daher in letzter Konsequenz nicht richtig. Dagegen kann von einem Recht der Stände oder des AdministrationsKollegiums, einen Landtag von sich aus zu bewilligen und auszuschreiben, wie es die Ständische Übersicht von 1808 und Klein feststellen 29 , keine Rede sein. Die Ständische Übersicht von 1808 bezieht sich bei ihrer Ansicht auf die vor 1693 abgeschlossenen Landesverträge und unterschlägt die Königliche Resolution vom 16. Mai 1791 30 • Die von Klein angeführte Quelle, die Ständische Ausarbeitung von 1823 und der Landesherr!. Bericht von 1834, enthalten eine gegenteilige Aussage3t • 25 Zum Begriff Landes-Oeconomie und Polizeisachen in Preußen siehe Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen, S. 89 ff., 97 ff. 26 VgL das gedr. Landtagsprot. von 1791, S.23; siehe auch den Wortlaut im Anhang auf S. 275 f. 27 VgL LandesherrL Bericht v. 1834, S.95; Ständ. Ausarbeitung v. 1823, BL12 r, 17; Telting, Vertretung der Provinz, BI. 287 r; Wiarda, Kurze übersicht, BI. 43 r, 50. - Borkenhagen, Ostfr. unter der hann. Herrsch., S.52; Freese, Verhältnisse Ostfr. S. 77 f.; v. Vincke, Denkschr. über die ständ. Verf.: abgedr. bei Kochendörffer, Emder Jahrb. Bd. 24, S.121. 28 VgL Ständ. Bericht v. 1835, S. 52 f. 29 VgL Ständ. übersicht v. 1808, S. 18. - Klein, Verfassungskonfl. S. 8. 30 Die Ständ. übersicht v. 1808, S. 18 bezieht sich nur auf Brenneysen H, S. 84, 318 und 5