Stimmen aus dem Jenseits: David Fassmanns historisch-politisches Journal "Gespräche in dem Reiche derer Todten" (1718-1740) 9783110349566, 9783110349580, 9783110384116

Published between 1718 and 1740, Fassmann’s journal exerted a long-underestimated impact on European literature. This mo

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German Pages 640 Year 2014

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Inhalt
1 David Fassmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten. Ein Überblick
2 David Fassmann: Hofhistoriograph, Sprachlehrer und ‚Journalist‘
3 Antike und frühneuzeitliche Vorbilder Fassmanns: Gespräche und Parallelbiographien
3.1 Lukian von Samosatas Totengespräche
3.1.1 Die Totengespräche
3.1.2 Figuren der Unterwelt
3.1.3 Zeit und Ort
3.1.4 Lukians Alexander-Dialoge
3.1.4.1 Der XII. Dialog: Alexander und Hannibal
3.1.4.2 Der XIII. Dialog: Alexander und Diogenes
3.1.5 Die Rezeption der Totengespräche Lukians
3.1.5.1 Merkmale der Lukianrezeption im Humanismus
3.1.5.2 Fontenelles und Fénelons Rezeption der Totengespräche Lukians
3.2 Plutarchs Parallelbiographien
3.2.1 Auswahl der Figuren
3.2.2 Tugend und Laster
3.2.3 Charakteristika der Lebensbeschreibungen
3.2.4 Plutarchs Alexander-Biographie
3.2.5 Fassmanns Rezeption von Plutarchs Parallelbiographien
3.2.5.1 Form und Inhalt
3.2.5.2 Imitation und Transformation
3.3 Bernard de Fontenelles Nouveaux Dialogues des Morts
3.3.1 Die Widmung an Lukian
3.3.2 Die ‚Neuen Totengespräche‘ Fontenelles
3.3.3 Das ‚Jugement de Pluton‘
3.3.4 Fassmann und Fontenelle im Vergleich: Exemplarische Totengespräche
3.3.4.1 Fontenelles I. Dialog: Alexander und Phryne
3.3.4.2 Fontenelles XVII. Dialog: Agnes Sorel und Roxelane
3.3.5 Der Einfluß von Fontenelles Dialogues des Morts auf Fassmanns Gespräche
3.4 François Fénelons Dialogues des Morts anciens et modernes, composés pour l’éducation d’un prince
3.4.1 Die Erziehung des Duc de Bourgogne zum ‚guten Fürsten‘
3.4.2 Die Totengespräche Fénelons
3.4.3 Geschichte, Gesellschaft und Politik
3.4.4 Exemplarische Totengespräche
3.4.4.1 Der Dialog zwischen Alexander und Aristoteles
3.4.4.2 Der Dialog zwischen Alexander und Kleitos
3.4.4.3 Der Dialog zwischen Sokrates und Konfuzius
3.4.5 Der Einfluß von Fénelons Dialogues des Morts auf Fassmanns Gespräche
3.5 Christian Thomasius’ Scherz= und ernsthaffte Monatsgespräche
3.5.1 Der ‚Dialog‘ zwischen Text und Bild
3.5.2 Fassmanns Rezeption von Thomasius’ Monatsgesprächen
3.5.2.1 Die ‚erbaulichen Discurse‘
3.5.2.2 Die Bedeutung der Sprache
3.5.2.3 Der ‚Journalismus‘
3.5.2.4 Volkstümliche Elemente
4 Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten
4.1 Die Entstehungsgeschichte des Journals
4.1.1 Die historisch-politische Unterweisung
4.1.2 Krieg und Frieden
4.1.3 Die ethisch-moralische Didaxe
4.1.4 Positionierung und Profilierung: Leser, Neider und Tadler
4.2 Der Paratext des Journals
4.2.1 Die Vorreden an den geneigten Leser
4.2.2 Die Dedikation
4.2.3 Das Titelblatt
4.2.4 Der XVI. Band
4.2.4.1 Der Supplement-Teil
4.2.4.2 Die Summarien
4.2.4.3 Die alphabetisch geordneten Register
5 Die Totengespräche
5.1 Die Dialogform
5.2 Die Gespräche
5.2.1 Die Introduktion
5.2.2 Der Hauptteil
5.2.3 Der Nachrichtenteil
5.3 Die ‚sprechenden Toten‘
5.3.1 Fassmanns Figurenwahl am Beispiel von Louis XIV. und François-Henri de Montmorency-Bouteville
5.3.2 ‚Lust und Nutz‘ der kontrastiven Figurenpaarungen
5.3.3 Galanterie, Staatspolitik und anecdotes piquantes
6 Das Fremde in Fassmanns Unterwelt
6.1 Die Unterwelt als Insel
6.2 Konstruktionen des Orients
6.3 Dialoge mit dem Fremden: eine Auswahl
6.3.1 Ehe
6.3.2 Herrschaft
6.3.3 Körper und Geschlecht
6.3.4 Kleidung
6.3.5 Monster und andere Fabelwesen
6.3.6 Religion
6.3.7 Mord und Totschlag
6.3.8 Tyrannenmord
7 Verzeichnis aller 240 Entrevuen der Gespräche in dem Reiche derer Todten
8 Abbildungsverzeichnis
9 Literaturverzeichnis
9.1 Siglen
9.2 Quellen
9.3 Forschungsliteratur
10 Personenregister
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Stimmen aus dem Jenseits: David Fassmanns historisch-politisches Journal "Gespräche in dem Reiche derer Todten" (1718-1740)
 9783110349566, 9783110349580, 9783110384116

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Stephanie Dreyfürst Stimmen aus dem Jenseits

Frühe Neuzeit

Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext

Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Band 187

Stephanie Dreyfürst

Stimmen aus dem Jenseits David Fassmanns historisch-politisches Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten (1718–1740)

DE GRUYTER

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

ISBN 978-3-11-034956-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-034958-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038411-6 ISSN 0934-5531 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Danksagung Ich danke all jenen, die mich bei der Entstehung dieser Arbeit unterstützt haben, insbesondere meinem Doktorvater Prof. Dr. Robert Seidel, der über die Themenfindung hinaus durch seine hilfreichen Rückmeldungen großen Anteil am erfolgreichen Abschluss der Promotion hatte; PD Dr. Bernd Zegowitz für geduldiges Zuhören und gründliches Korrekturlesen; der Fritz-Thyssen-Stiftung für ein vierwöchiges Forschungsstipendium an der Forschungsbibliothek Gotha; der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel; der Universitäts-Bibliothek Johann Christian Senckenberg und der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main; meiner Familie für ihre Geduld und Unterstützung; meinen Doktorgeschwistern Susan Karr, Bianca Chen, Theo Jung, Oxane Leingang und Björn Weyand für den intellektuellen Austausch und für hilfreiches Feedback; und nicht zuletzt der Oper Frankfurt für unzählige Aufführungen, die für das nötige künstlerische Gegengewicht in der Promotionsphase gesorgt hat. Stephanie Dreyfürst, Frankfurt am Main im Dezember 2013

Inhalt 1

David Fassmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten. 1 Ein Überblick

2

David Fassmann: Hofhistoriograph, Sprachlehrer und 13 ‚Journalist‘

3

Antike und frühneuzeitliche Vorbilder Fassmanns: Gespräche und 28 Parallelbiographien 28 Lukian von Samosatas Totengespräche 28 Die Totengespräche 31 Figuren der Unterwelt 33 Zeit und Ort 35 Lukians Alexander-Dialoge 35 Der XII. Dialog: Alexander und Hannibal 39 Der XIII. Dialog: Alexander und Diogenes 42 Die Rezeption der Totengespräche Lukians 42 Merkmale der Lukianrezeption im Humanismus Fontenelles und Fénelons Rezeption der Totengespräche 44 Lukians 46 Plutarchs Parallelbiographien 46 Auswahl der Figuren 47 Tugend und Laster 51 Charakteristika der Lebensbeschreibungen Plutarchs Alexander-Biographie 52 Fassmanns Rezeption von Plutarchs Parallelbiographien 54 Form und Inhalt 54 Imitation und Transformation 57 Bernard de Fontenelles Nouveaux Dialogues des Morts 62 Die Widmung an Lukian 62 Die ‚Neuen Totengespräche‘ Fontenelles 64 Das ‚Jugement de Pluton‘ 68 Fassmann und Fontenelle im Vergleich: Exemplarische Totengespräche 71 Fontenelles I. Dialog: Alexander und Phryne 71 Fontenelles XVII. Dialog: Agnes Sorel und Roxelane 78 Der Einfluß von Fontenelles Dialogues des Morts auf Fassmanns Gespräche 84

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.4.1 3.1.4.2 3.1.5 3.1.5.1 3.1.5.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.5.1 3.2.5.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.4.1 3.3.4.2 3.3.5

VIII 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.4.1 3.4.4.2 3.4.4.3 3.4.5 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.2.1 3.5.2.2 3.5.2.3 3.5.2.4

Inhalt

François Fénelons Dialogues des Morts anciens et modernes, composés pour l’éducation d’un prince 89 Die Erziehung des Duc de Bourgogne zum ‚guten Fürsten‘ 89 Die Totengespräche Fénelons 93 Geschichte, Gesellschaft und Politik 96 Exemplarische Totengespräche 99 Der Dialog zwischen Alexander und Aristoteles 99 Der Dialog zwischen Alexander und Kleitos 103 Der Dialog zwischen Sokrates und Konfuzius 107 Der Einfluß von Fénelons Dialogues des Morts auf Fassmanns Gespräche 112 Christian Thomasius’ Scherz= und ernsthaffte Monats116 gespräche 122 Der ‚Dialog‘ zwischen Text und Bild 126 Fassmanns Rezeption von Thomasius’ Monatsgesprächen 129 Die ‚erbaulichen Discurse‘ 133 Die Bedeutung der Sprache 138 Der ‚Journalismus‘ 141 Volkstümliche Elemente

4

Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer 147 Todten 147 4.1 Die Entstehungsgeschichte des Journals 157 4.1.1 Die historisch-politische Unterweisung 181 4.1.2 Krieg und Frieden 193 4.1.3 Die ethisch-moralische Didaxe 200 4.1.4 Positionierung und Profilierung: Leser, Neider und Tadler 211 4.2 Der Paratext des Journals 215 4.2.1 Die Vorreden an den geneigten Leser 227 4.2.2 Die Dedikation 236 4.2.3 Das Titelblatt 267 4.2.4 Der XVI. Band 270 4.2.4.1 Der Supplement-Teil 277 4.2.4.2 Die Summarien 295 4.2.4.3 Die alphabetisch geordneten Register 5 5.1 5.2 5.2.1

Die Totengespräche Die Dialogform Die Gespräche Die Introduktion

302 302 320 342

Inhalt

5.2.2 5.2.3 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3

Der Hauptteil 356 Der Nachrichtenteil 372 380 Die ‚sprechenden Toten‘ Fassmanns Figurenwahl am Beispiel von Louis XIV. und 384 François-Henri de Montmorency-Bouteville 397 ‚Lust und Nutz‘ der kontrastiven Figurenpaarungen 401 Galanterie, Staatspolitik und anecdotes piquantes

6 6.1 6.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5 6.3.6 6.3.7 6.3.8

Das Fremde in Fassmanns Unterwelt 415 415 Die Unterwelt als Insel 443 Konstruktionen des Orients Dialoge mit dem Fremden: eine Auswahl 464 Ehe 482 Herrschaft 491 Körper und Geschlecht 498 Kleidung 511 Monster und andere Fabelwesen 524 Religion 534 Mord und Totschlag 545 Tyrannenmord

7

Verzeichnis aller 240 Entrevuen der Gespräche in dem Reiche derer 565 Todten

8

Abbildungsverzeichnis

9 9.1 9.2 9.3

Literaturverzeichnis 593 593 Siglen 593 Quellen 604 Forschungsliteratur

10

Personenregister

621

589

462

IX

1 David Fassmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten. Ein Überblick Der Hofhistoriograph, Journalist und Sprachlehrer David Fassmann1 (1683– 1744) begann im Jahre 1718 mit der Veröffentlichung einer regelmäßig erscheinenden Reihe von so genannten Totengesprächen: Bis 1740 ließ er in 240 fiktiven Begegnungen berühmte Persönlichkeiten unterschiedlichster Provenienz in der elysischen Unterwelt aufeinandertreffen. Die auftretenden Gesprächspartner erzählten sich dort gegenseitig ihre Lebensgeschichten, diskutierten ihre Positionen zu verschiedenen moralischen, historischen oder populären Fragen und stellten Reflexionen über zeitgenössische Entwicklungen in der ‚Oberwelt‘ an. Als eine Art frühaufklärerischer Vorläufer des New Historicism ließ der Historiograph Fassmann seine Leser „mit den Toten sprechen“.2 Am Ende der informativen, galant-witzigen oder stellenweise durchaus scandaleusen Totengespräche wurden dem Leser noch die neuesten Nachrichten übermittelt durch einen Secretarius, der neben mündlichen Informationen auch Briefe, Bücher und ähnliche handfeste Zeugnisse in die Welt der Schatten lieferte. Neben Fassmanns anderen periodisch erscheinenden Schriften3 waren es eben jene Totengespräche, die sich am längsten in der Gunst der Leser behaupten konnten. Eine Entrevue erstreckte sich durchschnittlich über etwa 80 Seiten im Quartformat; jeweils 16 Dialoge erschienen gesammelt in einem Band. Die 15 Bände, die zwischen 1718 und 1740 veröffentlicht wurden, hatten zusammen einen Umfang von ca. 20.000 Seiten.4 Die Popularität der von Fassmann in

1 Auch unter dem gräzisierenden Pseudonym Pithander von der Quelle (griech. pithos = Faß und andros = Mann) bekannt, wahrscheinlich in Anlehnung an den Herausgeber der Acta eruditorum und Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen Johann Burkhard Mencke und dessen Gesellschaftsnamen ‚Philander von der Linde‘. 2 Stephen Greenblatt, der Begründer des New Historicism begann seine Shakespearean Negotiations mit dem Satz: „I began with a desire to speak with the dead.“ Stephen Greenblatt: Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England, Berkeley 1988, S. 1. 3 Als wichtigste seien an dieser Stelle kurz erwähnt: Der reisende Chineser [1721–33], Sonderbahre Nationengespräche [1727–33], Die neu-entdeckten Elisäischen Felder [1735–42] und Der, mit historischen, politischen, und anderen importanten Sachen beschäftigte Staats-Mann [1731– 39]. Einen Überblick über Fassmanns Werk bietet Ludwig Lindenberg: Leben und Schriften David Fassmanns, Berlin 1937. 4 Zusätzlich zu den 15 Bänden, die jene 240 Begegnungen enthalten, kam 1740 noch ein sechzehnter als Ergänzungsband heraus, der neben einem General-Register aller Bände die Historie

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David Fassmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten. Ein Überblick

Deutschland neu belebten Gattung des Totengesprächs läßt sich auch an der Absatzzahl eines einzeln erschienenen Gesprächs ablesen: Von der 1719 publizierten „Plötzliche[n] Ankunft Karls XII. von Schweden in dem Reiche derer Todten“ wurden bis zum Jahr 1737 15.000 Exemplare verkauft. Die Bedeutung und die charakteristischen Elemente dieses so erfolgreichen Journals sollen im Rahmen dieser Studie herausgearbeitet werden: Das 2. Kapitel bietet einführend einen Überblick über einige biographische Stationen im Leben David Fassmanns und stellt neben einschlägigen Forschungsartikeln auch einige seiner anderen Periodika vor.5 Ein allgemeiner Teil wird sich im 3. Kapitel mit den antiken sowie den frühneuzeitlichen Prätexten für Fassmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten beschäftigen. Der Versuch, grundlegende Strukturelemente der Textsorte Totengespräch zu identifizieren, muß bei Lukian ansetzen, dessen archegetische Ausgestaltung des Modells lange fortwirkte. Seine pointiert-prägnanten, häufig satirischen Dialoge wurden durch lateinische Übersetzungen, auf die bald volkssprachliche folgten, einem breiteren Kreis von Lesern und Dichtern zugänglich gemacht. Humanisten und Reformatoren bedienten sich des Lukianischen Vorbildes, um neue Ideen in leicht verständlicher und dialektisch zugespitzter Form zu präsentieren. Fassmann schließlich rezipierte Lukian wahrscheinlich eher indirekt über seine französischen Vorbilder Fénelon und Fontenelle,6 an die er sich thematisch bis hin zur Wahl einiger seiner Protagonisten anlehnte.7 Der Abschnitt im 3. Kapitel, der der vergleichenden Analyse gewidmet ist, wird untersuchen, inwieweit sich Fassmann auch konzeptionell und stilistisch am französischen Ideal des ‚galanten Gesprächs‘8 orientierte (vgl. dazu 3.3 Bernard de Fontenelles Nouveaux Dialogues des Morts und 3.4 François Fénelons Dialogues des Morts). Von Chris-

nach denen Monarchien, Reichen und Staaten und sogenannte Summarien aller Entrevuen enthielt. 5 Die geringe Menge an einschlägiger bzw. methodisch akzeptabler Forschungsliteratur zu David Fassmann im allgemeinen bzw. zu seinen Gesprächen in dem Reiche derer Todten im speziellen macht einen eigenen Forschungsbericht überflüssig. Aus diesem Grund werden die entsprechenden Einzelstudien innerhalb der einzelnen Kapitel ausführlicher gewürdigt, genaue Angaben zu den diversen biographischen Lexikonartikeln erfolgen zu Beginn des 2. Kapitels. 6 Bernard le Bouvier, Sieur de Fontenelle: Dialogues des Morts [1683] und François de Salignac, Sieur de la Mothe-Fénelon: Dialogues divers [ab 1700]. 7 Vgl. dazu Manuel Baumbach: Lukian in Deutschland. Eine forschungs- und rezeptionsgeschichtliche Analyse vom Humanismus bis zur Gegenwart, München 2002, besonders Kapitel V: Die Lukianrezeption im 18. Jahrhundert, S. 65 ff. 8 Zum Konzept der galanterie bei Fontenelle vgl. Jörn Steigerwald: Galante Gespräche. Bernard de Fontenelles Dialogues des Morts, in: Dialog und Dialogizität im Zeichen der Aufklärung, hg. v. Gabriele Vickerman-Ribémont und Dietmar Rieger, Tübingen 2003, S. 13–30.

David Fassmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten. Ein Überblick

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tian Thomasius wiederum konnte Fassmann zum einen die Idee übernehmen, Wissenswertes in Form von periodisch erscheinenden und nunmehr volkssprachlichen Gesprächen zu vermitteln; zum anderen wurden neben den Monatsgesprächen v. a. die juristischen, staatstheoretischen und anti-pedantischen Schriften seines ehemaligen Universitätslehrers Thomasius auch zum inhaltlichen Vorbild für Fassmanns erstes regelmäßig erscheinendes Journal (vgl. dazu 3.5 Christian Thomasius’ Schertz= und ernsthaffte Monatsgespräche). Das 4. Kapitel untersucht die spezifischen Bedingungen, denen die Publikation eines historisch-politischen Journals zu Beginn der Frühaufklärung unterlag. Im Kontext zeitgenössischer Nachrichtenorgane und Lexika sollen zudem Fassmanns Verständnis von der Historie oder der Politique herausgearbeitet werden sowie die Bedeutung von Begriffen wie der Neugierde, des Schatzes, der Glückseligkeit, des Raisonnements oder der Reflexion für das Leipziger Periodikum näher beleuchtet werden. Im zweiten Teil des 4. Kapitels werden darüber hinaus die zahlreichen und bis heute unbeachtet gebliebenen paratextuellen Elemente wie Vorreden, Widmungen, Register und Titelblätter systematisch ausgewertet werden, mit denen Fassmann seine Bände bzw. Totengespräche versah. Leicht nachvollziehbar ist die für den Leser anziehende Wirkung der auf dem Titelblatt gemachten Ankündigung, man werde in dem darauffolgenden Totengespräche etwa diverse Greueltaten oder andere scandaleuse Gegenstände en detail kennenlernen (vgl. dazu 4.2 Der Paratext des Journals). Gerade das Bedürfnis der Leser nach Skandal- und Sensationsgeschichten wird von Fassmann des Öfteren bereits im Titel angesprochen, wie auch die Nachrichten, die innerhalb der Totengespräche aus der ‚Oberwelt‘ durch den schon erwähnten Secretarius übermittelt werden, durchaus nicht nur historisch-politischen Charakter hatten: Viele Neuigkeiten, die den Dialogpartnern präsentiert wurden, handelten von adeligen Hochzeiten, Geburten, Familienstreitigkeiten bis hin zu Gewaltverbrechen – Nachrichten demnach, die für den Großteil der im Gespräch auftretenden Figuren (auf der Ebene der Fiktion) belanglos sein mußten und folgerichtig eher der Unterhaltung und Information der Leserschaft dienten. Fassmann bot im Gegensatz etwa zu den zeitgenössischen Moralischen Wochenschriften ein breites Spektrum an Informationen, das sich nicht nur auf die Biographie der vorgestellten Persönlichkeiten, auf Philosophie, Geschichte, Religion oder Politik konzentrierte, sondern auch andernorts als minderwertig9 Kritisiertes mit einschloß.

9 Diese Kritik wurde nicht nur von Zeitgenossen geübt, sondern – gleichsam als Vorwurf – bis in die einschlägige Forschungsliteratur mit übernommen; vgl. etwa Käthe Kaschmieder: David Fassmanns „Gespräche im Reiche der Toten“, Diss. Breslau 1934, S. 5 ff. Fassmann gehörte ihrem Werturteil nach zur „literarischen Unterschicht“. Ebd., S. 5.

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David Fassmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten. Ein Überblick

Das 5. Kapitel nimmt in einem ersten Abschnitt die Dialogform der Gespräche in den Blick. In einer Gegenüberstellung der Leipziger Totengespräche mit zeitgenössischen Konversationslehren sowie lexikalischen Definitionen von ‚Gespräch‘ bzw. ‚Dialog‘ soll untersucht werden, aus welchen Gründen sich Fassmann zu Beginn des 18. Jahrhunderts dazu entschloß, sein historisch-politisches Bildungsprogramm in Form von Dialogen bzw. Totendialogen zu vermitteln. Daneben bieten Ansätze v. a. der historischen Diskursanalyse10 die Möglichkeit, Fragen nach dem spezifischen Vokabular, der Art der Gesprächsführung, der Verknüpfung einzelner Gesprächsschritte sowie spezifischen illokutionären Mustern zu stellen. Im zweiten Teil des 5. Kapitels werden die unterschiedlichen Abschnitte der Totengespräche genauer untersucht. Einführender Eingangsdialog, biographischer Hauptteil sowie finaler Nachrichtenteil bildeten das gleichbleibende strukturelle Gerüst, mittels dessen Fassmann seine Gespräche in verschiedene Abschnitte unterteilte. Anhand geeigneter Beispiele identifiziert dieser Teil der Arbeit wiedererkennbare Gesprächsschritte sowie typische Elemente höfisch-galanter Konversationskultur. Der dritte Teil des 5. Kapitels fokussiert abschließend die Figuren, die in den Leipziger Gesprächen erschienen. Am Beispiel von Louis XIV., König von Frankreich, und François-Henri de Montmorency, Marschall von Frankreich, werden die gleichsam dynastisch gestalteten Zusammenhänge und politischen Implikationen in einem Organ deutlich, dessen Haltung zwischen Faszination und Abwehr französischer Sitten und Politik schwankte. Die Interdependenzen zwischen den verschiedenen Dialogebenen, den unterschiedlichen Figuren und der Chronotopologie der elysischen Unterwelt standen dabei im Zentrum.11 In den einzelnen Dialogen sind markante, immer wiederkehrende Elemente der Gesprächsführung bzw. Leserlenkung zu finden: Typische Bestandteile der Dialoge, wie wir sie in der geschilderten Rahmensituation, der Gesprächseröffnung, der Überleitung zu den Lebensläufen oder im Erscheinen des Secretarius finden, wurden für diesen Abschnitt herangezogen. Hilfreich waren in diesem Zusammenhang v. a. Forschungsansätze, die sich mit dem Dialog bzw. der Dialogizität – besonders in der Frühen Neuzeit einschließlich der Aufklärung – beschäftigen. An Fassmanns Journal war anhand der neueren Dialogforschung12 zu

10 Vgl. dazu etwa einführend Jörg Kilian: Historische Dialogforschung, Tübingen 2005. 11 Zur Chronotopologie vgl. den Sammelband von Hartmut Böhme (Hg.): Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext, Stuttgart/Weimar 2005, darin zur Konstruktion literarischer Räume, zum älteren Alteritäts-Diskurs und zu Reiseberichten Daniel Weidner: Strategien des Wissens, Taktiken des Reisens. Carsten Niebuhrs Reisen im Orient, S. 100–125. 12 Zu nennen sind hier beispielsweise: Gabriele Vickermann-Ribémont u. a. (Hg.): Dialog und Dialogizität im Zeichen der Aufklärung, Tübingen 2003; Gerd Fritz und Franz Hundsnurscher

David Fassmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten. Ein Überblick

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überprüfen, inwiefern seine Gespräche einem zeitgenössischen Dialogschema13 entsprachen oder sich von ihm entfernten bzw. welche möglichen Erklärungen sich für nicht eindeutig dialogisch organisierte Passagen anboten:14 Fassmann stellte den eröffnenden dialogischen Gesprächsabschnitten in seinen Entrevuen die Lebensgeschichten der gewählten Persönlichkeiten gegenüber, die gleichsam monologisch (mit nur geringfügiger Präsenz der jeweils zweiten Person) wiedergegeben wurden. In ihrer Gestaltung und Anlage imitierten sie die Parallelbiographien Plutarchs, die Fassmann selbst als inhaltliche Quelle für einige seiner Gespräche angab.15 Weitere nicht-dialogisch strukturierte Passagen ergaben sich durch das Abdrucken von Verträgen, Briefen oder Urkunden verschiedenster Art; ihr Inhalt wurde sowohl von den Gesprächspartnern selbst (aus dem Gedächtnis oder mittels eines in die Unterwelt mitgebrachten Dokuments) als auch vom auftretenden Secretarius verlesen. Die Wirkung und Funktion dieser Fremd-Dokumente innerhalb des Journals werden im 5. Kapitel thematisiert. Das 6. Kapitel ist Fassmanns Darstellung des Fremden gewidmet. Die 24 Entrevuen, in denen ein oder zwei ‚orientalische‘ Figuren auftraten, wurden diesem Teil der Arbeit zugrunde gelegt.16 Der erste Abschnitt dieses Kapitels (Hg.): Handbuch der Dialoganalyse, Tübingen 1994; Claudia Schmölders (Hg.): Die Kunst des Gesprächs. Texte zur Geschichte der europäischen Konversationstheorie, München 21986. 13 Das Reallexikon identifiziert im Artikel zum Totengespräch fünf gattungskonstituierende Elemente, die in ihrer Gesamtheit das „Thematisierungspotential“ dieser Textsorte umreißen: 1. den fiktionalen Charakter der Gespräche und den Bezug auf mythologische Quellen, 2. die Kontrastbeziehung zwischen den Gesprächspartnern, die geeignet ist, kulturell und konzeptionell unterschiedliche Sachverhalte und Probleme zu erörtern, 3. die Darstellung abstrakter Ideen und kultureller Probleme durch ihre Personalisierung, 4. den Handlungsort außerhalb der ‚realen‘ Welt, der zeitlos und unabhängig von ständischen Gesellschaftsstrukturen funktioniert, 5. die Interessensfreiheit und die damit angestrebte Objektivität innerhalb der Handlung, die so auf die jeweilige Gegenwart bezogen werden kann. Eine Gliederung der Gattungsmerkmale bietet Herbert Jaumann: „Totengespräch“, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Jan-Dirk Müller, Bd. III, Berlin/New York 2003, S. 652 f. Ausführlich zu Ursprung, Entwicklung und Vertreter der Gattung Totengespräch vgl. Hansjörg Schelle: „Totengespräche“, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, hg. v. Klaus Kanzog und Achim Masser, Bd. IV, Berlin 1984, S. 475–513. 14 Zum problematischen Begriff der literarischen Dialogizität, der Dialoge nach ihrer Ein- bzw. Mehrstimmigkeit unterscheidet, vgl. Michail Bachtin: Das Wort im Roman, in: ders.: Die Ästhetik des Wortes, hg. und übersetzt v. Rainer Grübel, Frankfurt a. M. 1979, S. 154–300. 15 Im 16. Band nennt er im II. Abschnitt, der alle 240 Gespräche summarisch vorstellt und einige der ihnen zugrunde gelegten Quellen angibt, Plutarch an mehreren Stellen: so z. B. für die Lebensbeschreibung Alexanders (S. 98) in der 65. bis 67. Entrevue. Vgl. dazu auch Kapitel 3.2 Plutarchs Parallelbiographien. 16 Zu diesen Dialogen sind im einzelnen zu zählen: Entrevue Nr. 9 zwischen Henry VIII., König von England, und Süleyman dem Prächtigen, Sultan der Osmanen; Nr. 20 zwischen Kleo-

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David Fassmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten. Ein Überblick

erläutert zunächst den Inselcharakter der Fassmannschen Unterwelt und setzt diese in Beziehung zu anderen gegenweltlichen Konzepten. Der zweite Abschnitt liefert einen Überblick über einige historische Stationen der Orientkonstruktionen und versucht zu definieren, was der Leser zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter Orient verstand. Anhand von acht verschiedenen Lemmata werden im dritten Teil des 6. Kapitels verschiedene ‚orientalisch‘ geprägte Diskurse rekonstruiert (Ehe, Herrschaft, Körper und Geschlecht, Kleidung, Monster und andere Fabelwesen, Religion, Mord und Totschlag, Tyrannenmord). Neben europäischen Monarchen, Feldherren, katholischen und protestantischen Würdenträgern, französischen Mätressen usw. ließ Fassmann auch Tyrannen und berühmte Frauen des Orients in seinem Journal auftreten. Im Vergleich der Darstellungen von Eigenem und Fremdem17 wird deutlich werden, inwiefern sich etwa die ‚orientalischen‘ Totengespräche von den rein ‚europäischen‘ unterschieden und welche tradierten Topoi sie verwarfen bzw. welche Diskurse sie fortschrieben. David Fassmann ließ in den Gesprächen, in denen ein oder beide Dialogpartner aus dem Kulturkreis des Orients stammte bzw. stammten, das Leben und die Taten der handelnden Personen Revue passieren; daneben kamen Unterschiede in der Politik, den Sitten und der Religion zur Sprache, die je nach Konstellation unterschiedlich bewertet wurden: Einmal war es der europäische Herrscher, der dem orientalischen Tyrannen an

patra VII., Königin von Ägypten, und François-Henri de Montmorency-Bouteville, Herzog von Luxemburg und Marschall von Frankreich; Nr. 45 zwischen Herzog Ernst zu Sachsen-Gotha und Mulai Ismail, Kaiser von Marokko; Nr. 48 zwischen Kyros II., König der Perser, und Gjergj Kastrioti, genannt Skanderbeg, albanischem Fürst und Nationalheld; Nr. 54 und 55 zwischen Tamerlan, mongolischem Eroberer, und Attila, König der Hunnen; Nr. 90, 91 und 92 zwischen Louis XI., König von Frankreich, und Djem, osmanischem Sultan; Nr. 111 zwischen Caesonia, fünfter Ehefrau Caligulas, und Roxelana, Ehefrau Süleymans des Prächtigen; Nr. 113 und 114 zwischen Bayezid I., Sultan der Osmanen, und Safi I., persischem Schah; Nr. 120 zwischen Kunz von Kauffungen, Anstifter des ‚Altenburger Prinzenraubs‘, und Arudsch, genannt Barbarossa, osmanischer Korsar und Herrscher von Algier; Nr. 129 zwischen Katharina I., Zarin von Rußland, und Zenobia, Herrscherin von Palmyra und zweiter Ehefrau des Septimus Odænatus; Nr. 176 zwischen Mehmet II., osmanischem Sultan, und Ibrahim, osmanischem Sultan; Nr. 188 zwischen Artaxerxes II., persischem König, und Stephan Báthory, König von Polen und Fürst von Siebenbürgen; Nr. 227 und 228 zwischen dem indischen Groß-Mogul Shah Jahan und Ibrahim Pascha, türkischem Groß-Wesir; Nr. 239 und 240 zwischen Graf Imre Thököly, ungarischem Freiheitskämpfer und Nationalheld, und Ashraf, paschtunischem Khan (vgl. das Verzeichnis aller 240 Totengespräche am Ende dieser Studie). 17 Die Reihe der gegensätzlichen Begriffe ließe sich noch weiterführen: Gut und Böse, Mann und Frau, Christ und Moslem etc. Zur Definition der Begriffe eigen, fremd und anders vgl. die grundlegende Studie von Andrea Polaschegg: Der andere Orientalismus. Regeln deutschmorgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin 2004.

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Gottesfürchtigkeit und Gerechtigkeit überlegen schien,18 ein anderes Mal wurde ein orientalischer Potentat einem anderen aufgrund seiner politischen Klugheit und seiner Milde vorgezogen.19 Auf den ersten Blick erkennbar waren die Themen der Dialoge schon an den Titelblättern: Die 9. Entrevue etwa informierte ihre Leser, daß sich Henry VIII., König von England, und Süleyman II., türkischer Sultan, zu einem Gespräch trafen, [w]orinnen die remarquable Historie dieses Königs so wol, als des Sultans; folglich aber unter andern die zur Zeit der Reformation sich ereignete große Revolution in Engelland, nebst der wichtigen Materie der Ehe=Scheidung des Erstern von seiner Gemahlin, Catharina von Arragonien, wie nicht weniger die andern fata, welche er mit seinen übrigen fünff Weibern gehabt, vorkommen, anbey über die Frage discouriret wird, ob es besser wäre, mehr als eine Frau zu haben? Inngleichen eine genaue Erzehlung von dem Türkischen Frauenzimmer in dem Seraglio enthalten [...].20

Dieser Dialog präsentierte einen englischen König, der sich – selbst berühmt geworden durch die große Zahl an Ehefrauen – für die Gepflogenheiten eines Serails interessiert. Entgegen der Erwartung widerspricht Süleyman jedoch Henrys Vorstellungen, nach denen ein Serail vor allem für den Sultan ein Ort der ewigwährenden Freude war. Der osmanische Sultan versucht, seinem englischen Gesprächspartner zu verdeutlichen, daß die zum Aufenthalt gezwungenen Frauen Sklavinnen seien und ihrem Herrn keine wirkliche Liebe entgegenbrächten. Fassmann ließ Süleyman alle männlich-europäischen Traum- und Klischeevorstellungen von einem Harem als einer Art irdischem Liebesparadies unterlaufen; im Zusammenhang mit dem frühneuzeitlichen Ehediskurs vertrat

18 Wie im Fall des Treffens zwischen Herzog Ernst zu Sachsen-Gotha und Mulai Ismail, Kaiser von Marokko. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 45, Leipzig 1722. 19 So im Gespräch zwischen Louis XI., König von Frankreich und Sultan Djem [Zizim], Bruder des türkischen Sultans Bajazeth II. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 90, Leipzig 1725. 20 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 9, Leipzig 1720, Titelblatt. Die Titelblätter waren neben einer kurzen Vorstellung der Personen und Gesprächsthemen jeweils mit einem Titelkupfer ausgestattet, das beide Gesprächspartner in einer ihnen ‚angemessenen‘ Umgebung zeigte, und einem vierzeiligen Gedicht, das Bezug auf charakteristische Eigenschaften der Personen oder bestimmte Gesprächsthemen der Entrevue nahm. Die Unterschrift zu dem Kupferstich, der Heinrich VIII. und Süleyman II. zeigte, lautete: „Ob’s besser eine Frau, als deren viel zuhaben: / ist eine frage, die sich Disputiren läst. / Denn obgleich eine thut sehr vielen wohl behagen / So denken andre doch, es seyen viel das Best.“ ebd. Die Titelblätter wurden gesondert untersucht und ihre Ikonographie mit der barocken Emblemtradition und der ‚neuen‘ Porträt- bzw. Historienmalerei in Beziehung gebracht. Vgl. dazu 4.2.3 Das Titelblatt.

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der türkische Sultan bei Fassmann die protestantisch-pietistische Position, daß die Polygamie im Grunde verwerflich sei (vgl. 6.3.1 Dialoge mit dem Fremden: Ehe). Christ und Moslem wollen in diesem Dialog im Nachhinein ihre Plätze tauschen: Der europäische König hätte gerne zu Lebzeiten die von ihm imaginierten Vorteile der ‚unzivilisierten‘ Vielweiberei ausgekostet, der orientalische Sultan stellt im Gegensatz dazu die Vorteile der Monogamie heraus. Auch der Lebenswandel, den beide im Dialog offenbaren, zeugt von gleichsam verkehrten Verhältnissen. Henry ist in Wirklichkeit der ‚barbarische‘ Tyrann, Süleyman im Gegensatz dazu der ‚christlichere‘ der beiden Herrscher.21 In einem weiteren Dialog, der einen christlichen mit einem muslimischen Monarchen zusammenführt, fällt die moralische Bewertung jedoch zugunsten des Europäers aus: Herzog Ernst zu Sachsen-Gotha trifft auf Mulai Ismail, den Kaiser von Marokko. Letzteren wählt Fassmann ausdrücklich deswegen als Gesprächspartner, weil er so die Differenz zwischen beiden Herrschern um so deutlicher machen konnte.22 Die Ankündigung auf dem Titelblatt lautete: Fünff und Vierzigste Entrevuë zwischen Ernesto, Dem frommen und gottesfürchtigen Herzog zu Sachsen=Gotha, welcher ein rechter Spiegel tugenthaffter und löblicher Fürsten zu nennen, und dem letzten Kayser von Marocco, Muley Ismael, einem erschrecklichen Tyrannen, welcher bey nahe vierzig tausend Menschen, mit eigener Hand, umbracht haben solle. Worinnen des Erstern gottseligen Prinzens löbliches Leben und Wandel, auch ungemeine Gottesfurcht, Gerechtigkeit und Frömmigkeit; dann des Letztern grausame Tyranney und Unthaten beschrieben sind. Zur Zeigung des grossen Unterschieds, welcher sich, auf der Welt sowohl, als in der Ewigkeit, zwischen einem frommen Fürsten und einem Tyrannen befindet.23

21 Fassmann läßt den türkischen Sultan dazu Folgendes bemerken: „Wisset aber, daß gleichwie euch weiter nichts als der christliche Name verhindert einem Orientalischen oder in der Barbarey regierenden Potentaten, das ist einem Tyrannen, ganz ähnlich gewesen zu seyn: Also fehlte mir hingegen nichts als eben dieser Name, da ich dann unstreitig weit besser zu nennen seyn würde, dann viele tausend und tausend, so sich dessen rühmen“. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Toden, Entrevue Nr. 9, Leipzig 1720, S. 700. 22 Dies geschah jedoch nicht, ohne daß Fassmann mögliche Bedenken seiner Leser zu zerstreuen suchte, indem er seine eigenen thematisierte: „Zwey Dinge hätten mir Bedenken machen sollen, gegenwärtige Entrevue zu verfertigen und ich bin auch in der That, mehr als entschlossen gewesen, andere Personen darzu zu nehmen. Das erste ist, weil sich Leute finden dörfften, denen es sehr fremde vorkommen möchte, einen Christlichen, frommen und gottseligen Fürsten, mit einem unchristlichen gottlosen Tyrannen aufgeführt zu sehen“. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 45, Vorrede, S. 923. Der zweite Grund für die Bedenken bestand in der Ungewißheit über das tatsächliche Ableben des marokkanischen Kaisers. 23 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 45, Leipzig 1722, Titelblatt [Hervorhebung – SD].

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Der grausame orientalische Tyrann soll durch sein negativ besetztes Charakterbild den Glanz des vorbildlichen europäischen Herrschers verstärken; den Kunstgriff der Kontrastwirkung konnte Fassmann bei Fontenelle vorgeprägt finden, der – ähnlich wie Fassmann – von Zeitgenossen für die Zusammenführung stark differierender Charaktere in seinen Totengesprächen kritisiert wurde (vgl. dazu auch 5.3.2 ‚Lust und Nutz‘ der kontrastiven Figurenpaarungen).24 Die Forschung, die sich mit Fassmann im weiteren Sinne bzw. mit seinen Totengesprächen speziell beschäftigt, ist relativ überschaubar. Größtenteils von kaum überzeugender Qualität und methodisch veraltet, bietet sie zwar einen gewissen Einblick in Fassmanns Werk aus verschiedenen Blickwinkeln, ohne jedoch inhaltlich überzeugen zu können.25 Die Basis von Totengesprächen, die den wenigen Einzelstudien zugrunde gelegt wurde, ist relativ schmal,

24 Dem Vorwurf, die Zusammenstellung seiner Dialogpartner sei „trop bizarre“, begegnet Fontenelle, indem er ein Argument aus der bildenden Kunst für sich in Anspruch nimmt, das jene kontrastierende Konstellation begründen soll: „Ce n’est pas que je n’aie mis quelquefois ensemble des personnages assez semblables, mais encore a-t-il fallu faire naître entre eux des oppositions; il faut toujours du contraste, comme disent les peintres.“ Zit. n. Jörn Steigerwald: Galante Gespräche: Bernard de Fontenelles Dialogues des Morts, in: Dialog und Dialogizität im Zeichen der Aufklärung, hg. v. Gabriele Vickermann-Ribémont und Dietmar Rieger, Tübingen 2003, S. 23. 25 Die einschlägigen Monographien sind: Käthe Kaschmieder: David Fassmanns „Gespräche im Reiche der Toten“ [sic], Diss. Breslau 1934; Ludwig Lindenberg: Leben und Schriften David Fassmanns, mit besonderer Berücksichtigung seiner Totengespräche, Berlin 1937. Daneben bietet John Egilsrud einen Überblick über die Textsorte Totengespräch: Le „Dialogue des Morts“ dans les littératures française, allemande et anglaise (1644–1789), Paris 1934; Karl Otto Brogsitter: Das hohe Geistergespräch. Studien zur Geschichte der humanistischen Vorstellungen von einer zeitlosen Gemeinschaft der großen Geister, Bonn 1957; John Rutledge: The Dialogue of the Dead in Eighteenth Century Germany, Bern/Frankfurt 1974. Justyna Krauzes Aufsätze zu Fassmann lehnen sich passagenweise wörtlich an Lindenbergs Studie an, ohne diese Übernahmen allerdings als Zitate auszuweisen. Justyna Krauze: David Fassmanns „Gespräche im Reiche derer Todten“. Kultur- und literaturgeschichtliche Form und Wirkung, in: Studia Niemcoznawcze 22 (2001), S. 259–275. Speziell mit den ‚russischen‘ Totengesprächen Fassmanns, allerdings methodisch und inhaltlich häufig unbefriedigend, beschäftigt sich Eckhard Matthes: Das veränderte Rußland. Studien zum deutschen Rußlandverständnis im 18. Jahrhundert zwischen 1725 und 1762, Frankfurt a. M./Bern 1981 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe III, 135). Lesenswert ist dagegen der neuere Beitrag von Patrick Franke: Zwischen Pietismus und Orientalismus. Eine Begegnung im »Reiche derer Todten« zwischen Ernst dem Frommen und Mulay Ismail, in: Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2001, hg. v. Udo Sträter u. a., Tübingen 2005, S. 769–779; Ralf Georg Bogner widmet einen Teil seiner Studie zur literarischen Memorialkultur auch Totengesprächen: Der Autor im Nachruf. Formen und Funktionen der literarischen Memorialkultur von der Reformation bis zum Vormärz, Tübingen 2006, v. a. den Abschnitt „Das nekrologische Totengespräch“, S. 207–215.

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meist werden die von Ludwig Lindenberg als Beispiel gewählten Entrevuen von späteren Verfassern übernommen; eine befriedigende Gewichtung und Auswahl nach inhaltlich-thematischen Gesichtspunkten erfolgte jedoch nicht. Allgemeine Forschungsdesiderate wurden zwar an verschiedener Stelle formuliert,26 größtenteils jedoch noch nicht eingelöst: John Rutledge etwa stellte in seiner Studie zu deutschen Totengesprächen bereits 1974 fest, daß es bis dato keine Gesamtdarstellung der Textsorte des Totengesprächs gebe bzw. daß die vorhandene Literatur ein nur ungenaues Bild der Bedeutung und Charakteristika jener Gattung zeichne. Die vorliegende Arbeit wird nicht den Versuch unternehmen, diese Lücken zu schließen, aber sie wird neue Erkenntnisse vermitteln im Hinblick auf Fassmanns spezifische Behandlung und Weiterentwicklung dieser dialogisch funktionierenden Gattung, auf unterschiedliche Einflüsse antiker und frühneuzeitlicher Vorbilder, auf den zeitgenössischen literarischen Kontext seines historisch-politischen Journals und auf die Repräsentation des Eigenen und Fremden in seinen Totengesprächen.27 Darüber hinaus rückten auch Fragen nach der Topographie der Unterwelt in den Blickpunkt.28 Als semiotischer Aktionsraum, der gemäß spezifischen Regeln organisiert war, bot das Elysium Fassmann neue Möglichkeiten, sein frühaufklärerisches Bildungsprogramm zu vermitteln. Der Inselcharakter der christlich-mythologisch geprägten Unterwelt ließ Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede europäischer wie orientalischer Figuren wie unter einem Brennglas hervortreten. An den entsprechenden Dialogen war zu untersuchen, auf welche Art diese ihren Lesern Figuren aus dem Orient präsentierten und wie sie auf deren ursprüngliche Kulturräume (genauer: auf die europäisch geprägte Vorstellung von ihnen) zurückwiesen (vgl. 6.1 Die Unterwelt als Insel). Im Unterschied etwa zu zeitgenössischen Reiseberichten,29 die häufig bereits im Titel

26 So von Herbert Jaumann: „Geringe Aufmerksamkeit wurde gattungs- und mediengeschichtlichen Fragen zuteil, etwa den Übergängen zum Journalismus und zu periodischen Publikationsformen, oder Funktionsfragen wie den Interessen des Publikums. Eine Gesamtdarstellung der Lukian-Rezeption mit gebührender Aufmerksamkeit auf die Literaturen der Frühen Neuzeit fehlt bis heute.“ Jaumann, Totengespräch, S. 654 (s. Anm. 12). 27 Aus der Orientalismus-Forschung können wertvolle Anregungen für diese Arbeit gezogen werden, da dieser Ansatz bis jetzt nicht speziell bei Fassmanns Totengesprächen verfolgt wurde; einzig Winfried Weißhaupt untersucht die außereuropäische Perspektive in Fassmanns Der reisende Chineser. Winfried Weißhaupt: Europa sieht sich mit fremdem Blick. Werke nach dem Schema der „Lettres persanes“ in der europäischen, besonders der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, Frankfurt 1979, Teil II, S. 1–67 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe I, 279). 28 Zur Topographie in der Literatur vgl. Anm. 10. 29 Aus der umfangreichen Forschung zu Reiseberichten sei an dieser Stelle der Aufsatz von Dagmar Heinze genannt, in welchem eben jenes Phänomen der Fremdwahrnehmung als Ausdruck der eigenen kulturellen Vorstellungen und Konventionen (unter besonderer Berücksich-

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Authentizität behaupteten, waren die Totengespräche Fassmanns von vorne herein in einem imaginierten und gleichsam weltfremden Umfeld angesiedelt. Nichtsdestoweniger formulierten die Entrevuen wiederholt ihre Absicht, mittels verschiedener historischer Figuren über ‚reale‘ Politik und Geschichte zu unterrichten. Der solchermaßen fiktionalisierte Orient konnte auch in Fassmanns Dialogen zur Projektionsfläche europäischer Sehnsüchte und Ängste werden, zum Spiegel der in der eigenen Zivilisation empfundenen Mängel und tradierter (Vor)Urteile. Ein zentraler Aspekt des 6. Kapitels war deswegen das Verhältnis vom Eigenen zum Fremden, bzw. seine mehrfache Vermitteltheit (vgl. 6.2 Konstruktionen des Orients). In den Totengesprächen agierten die Figuren – konform mit der Gattungstradition – losgelöst von dem ihnen eigenen kulturellen Kontext.30 Personen von historischer Relevanz oder allgemeinem gesellschaftlichen Interesse wurden auf der Ebene der Fiktion in einer Sphäre präsentiert, die mythologisch-christlich geprägt war: in einer Umgebung also, in der das Fremde sowohl durch die europäische Perspektive31 als auch durch die Re-lokalisierung in der Unterwelt doppelt vermittelt wirkte. Inwiefern sich Fassmann in der Konstruktion und Präsentation des Fremden an überkommene literarische und gesellschaftliche Topoi anlehnte bzw. neue Perspektiven auf das Eigene und Fremde prägte, wurde anhand verschiedener Beispiele wie des Ehediskurses, des Herrschaftsbegriffs, der Darstellung von Körper und Geschlecht oder der Lust am ‚Monströsen‘ überprüft. Jene angenommene Fremdheit kann dabei nur im Vergleich zu dem je Eigenen verstanden werden: „Fremdheit ist [...] eine soziale Konstruktion.“ 32 Doch nicht nur das Fremde, auch das Eigene und vermeintlich Bekannte bedurfte – in Erweiterung von Werner Nells Definition – der Konstruktion und der Distanz

tigung der europäisch-männlichen Perspektive) thematisiert wird: Dagmar Heinze: Fremdwahrnehmung und Selbstentwurf. Die kulturelle und geschlechtliche Konstruktion des Orients in deutschsprachigen Reiseberichten des 19. Jahrhunderts, in: Beschreiben und Erfinden. Figuren des Fremden vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, hg. v. Karl Hölz, Victoria Schmidt-Linsenhoff und Herbert Uerlings, Frankfurt a. M. 2000, S. 45–92 (= Trierer Studien zur Literatur 34). 30 Dies gilt – mit gewissen Einschränkungen – logischerweise ebenso für die christlich-europäischen Gesprächspartner. 31 Die ‚europäische‘ Perspektive ist dabei nicht nur aufgrund der Tatsache gegeben, daß Fassmann dem westlich-christlichen Kulturkreis zuzuordnen ist, sondern auch, weil in den Gesprächen, in denen beide Personen dem Orient entstammen, meist einer der Dialogpartner die Rolle des mit Vernunft Begabten und an moralischem Verhalten Interessierten einnimmt – ein Verhalten, das traditionell eher mit den Idealvorstellungen des Okzidents von sich selbst identifiziert wurde. 32 Werner Nell: Reflexionen und Konstruktionen des Fremden in der europäischen Literatur. Literarische und sozialwissenschaftliche Studien zu einer interkulturellen Hermeneutik, St. Augustin 2001, S. 13.

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zum Anderen. In Anlehnung an und in Abgrenzung von den Sitten und Gebräuchen, der Politik und Religion wie auch tradierter Vorstellungen von dem, was das 18. Jahrhundert unter orientalisch verstand, gestaltete Fassmann ‚seine‘ Version vom Orient und Okzident. Welchen Traditionslinien er hierbei folgte, welche er verwarf und welche Meinungen er mit seinen Totengesprächen transportierte bzw. attackierte, zeigt das letzte Kapitel dieser Arbeit. In der Zusammenschau der divergenten Diskurse wird deutlich, daß Fassmanns historisch-politisches Journal zwischen barocker Lust und frühaufklärerischem Bildungswillen oszillierte. ‚Unanständige‘ Anekdoten33 standen neben aufklärerischer Fürstenschelte, ‚verschnittene‘ Mohrensklaven neben abergläubischen französischen Hofdamen. In den vermeintlichen „Mesalliancen“ 34 trat der inhomogene Charakter dieses publizistisch so erfolgreichen Journals zutage, dessen erklärtes Ziel (zumindest vordergründig) darin bestand, der Ungebildetheit seiner Leser abzuhelfen. Um die negativen Folgen der Ignoranz zu illustrieren, ließ Fassmann deswegen den indischen Groß-Mogul Shah Jahan (1592–1666) den Zustand des Orients – hier als Asien bezeichnet – wie folgt charakterisieren: Hilf Himmel! Was vor ein Unglück waltet nicht über Asien, daß es, bey all seiner Herrlichkeit und Pracht, bey seinen Schätzen, und Erstaunens=würdigen Reichthümern, an Gold und Silber, an Perlen und Edelgesteinen, an Seiden, wie auch an denen vortrefflichsten Specereyen, Gewürtzen und Früchten; desgleichen an Elephanten und mancherley andern Thieren, die insgesamt wohl zu gebrauchen, dennoch dem Barbarischen Geist beständig unterworffen bleibet, und von demselben beherrscht wird? Die Leute sind, und bleiben, tumm und faul, auch allen Lastern und Grausamkeiten ergeben. Wäre dieses nicht, könte Asien, vor denen übrigen drey Haupt=Theilen der Welt, allerdings der Allerglücklichste genennet werden.35

Weil es den „asiatischen Völckern“ an geeigneten Büchern und Lehren mangelte, wie Shah Jahans Gesprächspartner, der türkische Groß-Wesir Ibrahim (1662–1730) ausführt, seien die Europäer ihnen (noch) überlegen.36 Ein Grund mehr, so der unausgesprochene Schluß, den die deutschen Leserinnen und Leser an dieser Stelle ziehen sollten, sich mit Hilfe eines historisch-politischen Journals wie den Gesprächen in dem Reiche derer Todten im medial inszenierten Kampf der Kulturen37 einen Wissensvorsprung zu verschaffen.

33 Martin Mulsow: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit, Stuttgart/Weimar 2007. 34 Mulsow, Unanständige Gelehrtenrepublik, S. 27. 35 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1730, S. 151 f. 36 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1730, S. 153. 37 So lautete der deutsche Titel der umstrittenen Aufsatzsammlung von Samuel Philipps Huntington: The Clash Of Civilizations And The Remaking Of World Order, New York 1996.

2 David Fassmann: Hofhistoriograph, Sprachlehrer und ‚Journalist‘ Im Vorwort zum XV. Band seiner Gespräche in dem Reiche derer Todten gewährt David Fassmann seinen Lesern einen Einblick in sein Leben.1 Er zeichnet im letzten Band des Journals auf zwölf Seiten ein – mehr oder weniger wahrheitsgemäßes – Bild seiner Erziehung und seines beruflichen Werdegangs. Darüber hinaus gibt er einen Überblick über die meisten seiner zahlreichen Publikationen. Diese werden kurz thematisch charakterisiert und Fassmann erwähnt stellenweise sogar deren Auflagenhöhe bzw. Verkaufspreis. Der autobiographische Abriß erschien 1737, er konnte demnach keine Auskunft mehr geben über die letzten sieben Lebensjahre Fassmanns. Zusammen mit den Artikeln in einschlägigen Lexika und denjenigen Monographien, die sich mit Fassmanns Leben und Werk beschäftigen, sind jedoch die meisten Stationen im Leben Fassmanns nachvollziehbar und, zumindest größtenteils, auch verifizierbar.2 David Fassmann wurde am 9. September3 1683 in Wiesenthal geboren, einer Kleinstadt im sächsischen Erzgebirge. Seine Mutter stammte aus einem

1 David Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Vorrede, Leipzig 1737, S. 9– 20. 2 Die biographischen Angaben stammen aus folgenden chronologisch geordneten Nachschlagewerken und Monographien: „Fassmann, David“, in: Allgemeines Gelehrten=Lexikon, Bd. 2 (C–J), Leipzig 1787 (ND Hildesheim 1960/61), Sp. 523. „Fassmann, David“, in: Historisch-literarisches Handbuch berühmter und denkwürdiger Personen, hg. v. Friedrich Gottlob Carl Hirsching, Bd. 2 (Des–Har), Leipzig 1795/96 (ND Graz 1972), S. 192. Abschnitt „Die Hofnarren und lustigen Räthe“, in: Friedrich Wilhelm I., König von Preussen, Potsdam 1834, V. Kapitel, S. 254–298. „David Faßmann“, in: Encyclopädie der deutschen Nationalliteratur, Bd. 2 (C–F), 2. Ausgabe, Leipzig 1846, S. 310. Theodor Hirsch: „David Fassmann“, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 6, Leipzig 1877, S. 580 (auch als ND, Berlin 1968). Ludwig Lindenberg: Leben und Schriften David Fassmanns (1683–1744) mit besonderer Berücksichtigung seiner Totengespräche, Berlin 1937, S. 7–30. Wilmont Haacke: „David Fassmann“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 5, Berlin 1961, S. 28. Ludwig Lindenberg: David Fassmann (1683–1744), in: Deutsche Publizisten des 15. bis 20. Jahrhunderts, hg. v. Heinz-Dietrich Fischer, München-Pullach 1971, S. 87–97. Gerda Riedl: „David Fassmann“, in: Literaturlexikon, hg. v. Walther Killy, Bd. 3, Gütersloh 1989, S. 338. Rainer Jooß: „David Fassmann“, in: Lexikon der deutschen Geschichte, hg. v. Gerhard Taddey, Stuttgart 31998, S. 351; Gerda Riedl/Ralf Georg Bogner: „Fassmann, David“, in: Literaturlexikon, 2., vollständig überarbeitete Auflage, hg. v. Wilhelm Kühlmann, Bd. 3, Berlin/New York 2008, S. 382. 3 Die meisten Artikel neueren Datums zu Fassmanns Biographie beziehen sich auf Theodor Hirsch in der Allgemeinen Deutschen Biographie und geben den 14. Juni als sein Geburtsdatum an, da aber auch sein Todestag auf einen 14. Juni fällt, könnte es hier zu einer Verwechslung gekommen sein. Vgl. dazu Ludwig Lindenberg, Leben und Schriften David Fassmanns, S. 8.

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protestantischen Pfarrhaus, sein ebenfalls protestantischer Vater war Händler und Kaufmann mit böhmischen Wurzeln. Weil dieser schon früh verstarb, bekam Fassmann im Hause seines Großvaters Unterricht in Latein, Religion, Englisch und Französisch, bevor er das Gymnasium in Ansbach besuchte. Nach Beendigung der höheren Schule scheint er zu Verwandten nach Bayreuth übergesiedelt zu sein, von wo er im Jahr 1703 auf die Universität Altdorf ging. Schon nach einem halben Jahr habe er, wie Fassmann behauptet, wegen der Unruhen, die in Franken im Zuge des spanischen Erbfolgekriegs entstanden, seine Studien wieder aufgegeben.4 Lindenberg zufolge dürfte eher die fehlende finanzielle Unterstützung durch den mittlerweile verstorbenen Großvater der Grund dafür gewesen sein, daß Fassmann seine eben begonnenen universitären Studien so bald wieder abbrach.5 Für diese Lesart spricht der Umstand, daß Fassmann sich danach um Arbeit bemühte, die er schließlich in der Kriegsstube und der Landpflegstube in Nürnberg fand. Für ein Gehalt von 16 Talern begleitete er leitende Beamte der Stadt Nürnberg, die als Deputierte unterwegs waren, auf Reisen.6 Nach seiner Zeit in Nürnberg war er zwischen 1705 und 1709 in Regensburg und Umgebung als Schreiber für Kanzleien und Gesandtschaften tätig und besuchte in dieser Funktion mehrmals die Reichstage. 1709 wurde Fassmann für eineinhalb Jahre Quartiermeister eines Regiments von August dem Starken. Von Danzig aus wechselte er im Anschluß zu einem polnischen Regiment und sollte dem König in Dresden geheime Nachrichten im Auftrag seiner neuen Befehlshaber überbringen. Auf dem Rückweg wurde er von einer Gruppe feindlicher polnischer Soldaten gefangen gesetzt, konnte jedoch an der ungarischen Grenze fliehen und über einige Umwege im April 1711 nach Wien gelangen.7

Den 9. September 1685 nennt allein Rainer Jooß: „Fassmann“, in: Lexikon der deutschen Geschichte, hg. v. Gerhard Taddey, Darmstadt 1998, S. 351. 4 Vgl. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Leipzig 1737, Vorrede, S. 10. 5 Lindenberg, David Fassmann, S. 87. 6 Anscheinend hat Fassmann hier durchaus nicht nur innerhalb einer sicheren Stube gearbeitet, sondern sich auch auf den Schlachtfeldern bewegt, um die dort stattfindenden Ereignisse und Verhandlungen aufzuzeichnen. Lindenberg spricht von einer Verwundung Fassmanns und zahlreichen „lebensgefährlichen“ Situationen. Vgl. Lindenberg, Leben und Schriften Fassmanns, S. 9. 7 „[A]llein ich ward gar bald, mit geheimen Nachrichten, nach Dresden an den Höchstseligen König geschicket. Auf der Rück=Reise fiele ich unter die Smiegelskische Parthey, und wurde von derselben all des meinigen, was ich bey mir hatte, beraubet, worunter sich drey Pferde befunden. Sie nahmen mich auch selber mit, biß an die Ungarische Gränze, wo ich ihnen entwischte, und durch Ungarn nach Mähren, von dar aber nach Wien kam, just an dem Tag, als der Kayser Josephus mit Todt abgegangen war, nemlich den 17. Aprilis 1711.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede zu Bd. XV, S. 12.

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Nach einem kurzen Aufenthalt kehrte er nach Dresden zurück und verschaffte sich dort eine Stellung bei der kursächsischen Gesandtschaft, die zur Kaiserwahl nach Frankfurt unterwegs war. Doch anstatt nach der Wahl wieder zurück nach Dresden zu gehen, trat Fassmann im Februar 1712 eine Hofmeisterstelle an, die ihm weitaus verlockender erschienen sein mußte. Als persönlicher Lehrer eines jungen Engländers unternahm Fassmann in den nächsten Jahren eine Kavalierstour durch Europa. Sein Schützling war laut Aussagen Fassmanns „ein naher Anverwandter des Groß=Britannischen Groß=Cantzlers Mylord Cowper“.8 Seine neue Stellung ermöglichte es Fassmann neben dem Bezug eines regelmäßigen Salärs und ausgedehnten Reisen auch, weitere universitäre Studien zu betreiben: Zusammen mit seinem jungen Reisebegleiter besuchte Fassmann in Utrecht für neun Monate Vitriarius’9 Vorlesungen über Natur- und Völkerrecht sowie ein philosophisches Kolleg. Neben ihren Studien an der Universität verkehrten beide Männer mit englischen, preußischen und hannoveranischen Gesandtschaften, wodurch Fassmann weitverzweigte Kontakte aufbauen und Beziehungen zu den verschiedensten politischen Gruppierungen pflegen konnte. Anlaß für diesen regen Austausch gaben die Verhandlungen zur Beendigung des spanischen Erbfolgekrieges. Die Entwicklungen um den so genannten Frieden von Utrecht beobachtete Fassmann während seines Aufenthaltes in den Niederlanden genau; noch Jahre später erscheinen in seinen verschiedenen Journalen Verweise auf die dort geführten Verhandlungen.10 Nach ihrem Aufenthalt in den Niederlanden reisten beide Männer zusammen im Dezember 1712 über Calais, Dover und London nach Oxford, um dort ihre Studien für drei Monate fortzusetzen. Nach kurzen Aufenthalten in Gloucester, Chester und in Irland begaben sich Fassmann und sein Schüler über England nach Paris. Nach wenigen Wochen traf dort ein Schotte ein, der Fassmann in seiner Funktion als Hauslehrer und Begleiter ablöste.11 Über den

8 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Vorrede, Leipzig 1737, S. 13. 9 Johann Jakob Vitriarius (geb. 1679 in Genf, gest. 1745 in Löwen) war Rechtsgelehrter und unterrichtete an den Universitäten Heidelberg, Utrecht und später Löwen. Er war außerdem Schriftführer während der Friedensverhandlungen in Utrecht. 10 Vgl. dazu Matthes, Das veränderte Rußland, S. 188. Fassmann führt in seiner Lebensbeschreibung zu diesem Punkt aus: „Es wurde zu gleicher Zeit der weltberühmte Friedens=Congress zu Utrecht gehalten; da wir dann alle Gesandtschafften sehr wohl kennen lernen, und es bliebe uns wenig verborgen, was bey denen gehaltenen Friedens=Conferenzien, von einem zum andern, vorfiele.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Vorrede, Leipzig 1737, S. 13. 11 „Als wir uns aber etliche Wochen zu Paris aufgehalten, fande sich ein Schottländer ein, mich bey meinem jungen Herrn abzulösen, und hinführo dessen Hofmeister zu seyn.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede zu Bd. XV, S. 14.

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Grund dieser Ablösung ist nichts bekannt, sicher ist nur, daß Fassmann seine Position nach dem Tod des Schotten im Jahre 1714 schnell wieder einnahm.12 Während der junge Engländer von seinem schottischen Lehrer begleitet wurde, begab sich Fassmann laut eigenen Aussagen zuerst nach Straßburg und reiste im Anschluß an seinen Aufenthalt im Elsaß durch verschiedene deutsche Städte, um dort neue Kontakte zu knüpfen und um an – nicht weiter benannten – Fürstenhöfen nach Verdienstmöglichkeiten Ausschau zu halten. Nach dem Tod seines schottischen Nachfolgers trat er wieder in den Dienst seines Schützlings und begleitete diesen von England aus auf einer zweiten, diesmal acht Monate dauernden Parisreise, auf der sowohl der Besuch verschiedener Sehenswürdigkeiten (er nennt Versailles, Marly, Fontainebleau) als auch Studien zur Verfassung und Geschichte Frankreichs auf dem Programm standen.13 Mitte des Jahres 1715 brachen beide zu einer Italienreise auf, Fassmann und Cowper besuchten dort zuerst Rom und Neapel. Nach einer Besteigung des Vesuvs erkrankte der junge Mann plötzlich und verstarb unerwartet.14 Dessen ungeachtet (wie er selbst sagt)15 hielt sich Fassmann noch einige Zeit in Rom auf, besuchte daneben Venedig, Bologna und Florenz und verbrachte die Osterzeit wiederum in Rom und Venedig, bevor er nach Deutschland aufbrach. Auf der Überfahrt von Venedig nach Triest erlitt Fassmann zusammen mit 128 Passagieren in einem schweren Unwetter Schiffbruch und verlor dabei seine gesamte Habe. Die zu Hilfe eilenden Bewohner der dalmatischen Küste verlangten zu Fassmanns Entrüstung eine Art Entschädigung für die Rettung der Schiffbrüchigen, die er aus der noch vorhandenen Barschaft bezahlte.16 12 „Weil nun mein Engländer noch länger reisen solte und muste, bat er seinen Vetter, den Groß=Cantzler, Mylord Cowper, daß ich ihm wieder zugesellet werden möchte; und man mochte solches dem jungen Herrn nicht versagen, weil er ein so sonderbares Vertrauen in mich setzte.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Vorrede, Leipzig 1737, S. 14. 13 Fassmann betont, daß er zwar der Reisebegleiter gewesen sei, im Grunde aber eine höher anzusehende Position gegenüber dem jungen Herrn innegehabt habe. Wie um seine kurze Absetzung wieder wett zu machen, gibt Fassmann Auskunft über seine (auch finanziellen) Kompetenzen: „Also reiseten wir wieder mit einander nach Frankreich, und zwar ich meines Orts als ein Reise=Compagnon des jungen Herrn, dirigirte aber die gantze Reise, führte auch die Auszahlung und Rechnung.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede zu Bd. XV, S. 14. 14 „Als wir aber im November von Rom nach Neapolis giengen, und den Berg Vesuvium in genauen Augenschein genommen hatten; ward mein Engeländer von einem hitzigen Fieber befallen, und starb in des Englischen Consul Hause.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede zu Bd. XV, S. 15. 15 „Dieses Unfalles ohngeachtet wollte ich noch sehen, was in Italien ein Reisender sehen solle [...].“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Vorrede, Leipzig 1737, S. 15. 16 „Ja, man weiß gar wohl, daß ehemals, auch von denen geretteten Personen, eine Ranzion [Lösegeld – SD] gefordert worden, und ein jedweder von uns mußte denen Dalmatiern, welche

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Fast mittellos machte er sich auf den Rückweg, der ihn über Kroatien schließlich nach Wien brachte. Auf diesem Abschnitt seiner Reise hätte er sich zwei jungen Grafen anschließen können, was er aber unterließ, weil ihre Religion (beide waren Katholiken) ihn davon abgehalten habe.17 Nach wenigen Tagen setzte Fassmann seine Reise von Wien aus fort und gelangte schließlich nach Altenburg in Sachsen, wo er bei Verwandten Quartier bezog. Nach einer Zwischenstation in Jena beschloß er, sich nunmehr für theologische Studien an der Universität Halle einzuschreiben. Als Grund für diese Entscheidung gibt er in seiner Lebensbeschreibung an, daß er nach dem Erlebnis auf dem Schiff einen regelrechten Weltekel entwickelt habe; die durch den Schiffbruch erlittene seelische Erschütterung habe ihn mehr als ein halbes Jahr beschäftigt.18 In Halle wurde er bei August Hermann Francke19 vorstellig und bat ihn um eine Anstellung. Lindenberg bemerkt dazu: „Er hatte auch das Glück, von dem Professor Francke, bei dem er Förderung suchte, sogleich in dessen Schreibstube beschäftigt zu werden und freien Tisch im Waisenhause zu erhalten“.20 Ein regelmäßiges Einkommen sowie freie Kost waren für Fassmann somit zuerst einmal gesichert. Seine Aufgaben im Dienste des Pietisten bestanden, wie er sagt, hauptsächlich im Abschreiben verschiedener Dokumente:

uns mit Böten zu Hilfe gekommen waren, vor ihre Gefahr und Mühe, zwey Ducati, oder so viel als zwey Meißnische Gulden bezahlen, biß auf etliche wenige, die, durch vieles Bitten, mit der Hälffte, oder noch um etwas weniger loß kamen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede zu Bd. XV, S. 15 f. 17 „Allhier hätte ich wieder mit zweyen jungen Grafen reisen können, wann nicht der Religions=Unterschied eine Hinderniß in der Sache gewesen wäre.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Vorrede, Leipzig 1737, S. 16. 18 „Weil ich aber seit dem erlittenen Schiffbruch von meiner Betäubung noch nicht gantz zurücke gekommen, und mir die gantze Welt gleichsam zuwider war, fande ich Jena viel zu lustig vor mich, weshalb ich mich nach Halle wandte, des Vorhabens, Theologiam zu studieren.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede zu Bd. XV, S. 16. 19 August Hermann Francke (geb. 1663 in Lübeck, gest. 1727 in Halle), Theologe und bedeutender Vertreter des Pietismus in Halle, Gründer des Waisenhauses und verschiedener Bildungseinrichtungen in Halle („Frankesche Stiftungen“). Francke unterrichtete Theologie und Hebräisch an der Universität Halle und war daneben besonders mit seinem als innovativ begriffenen Reformprogramm seiner von ihm gegründeten Schulen und Kollegien beschäftigt. Über seine Tätigkeit als Theologe hinaus initiierte er ausgedehnte Reisen verschiedener Missionare, die im außereuropäischen Raum (bes. in Indien) den Pietismus verbreiteten. Vgl. Gustav Kramer: „Francke, August Hermann“, in: ADB, Bd. 7, S. 219–231; ders.: August Hermann Francke. Ein Lebensbild. Mit einem Vorwort von Thomas Müller-Bahlke, 2 Bde., Nachdruck der Ausgabe Halle a. d. S. 1880, Hildesheim 2004; Thomas K. Kuhn: Religion und neuzeitliche Gesellschaft. Studien zum sozialen und diakonischen Handeln in Pietismus, Aufklärung und Erweckungsbewegung, Tübingen 2003. 20 Lindenberg, David Fassmann, S. 89.

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Da bekam ich die Statuta von der Universitas Halle vor denselben abzuschreiben, desgleichen fast alle Responsa, welche von der Theologischen Facultaet zu Halle, seit ihrer Stiftung, waren eingeholet worden. Auch sind mir verschiedene Briefe, vom seligen Ziegenbalck21, und vom seligen Gründler22, von der Malebarischen Küste aus Ost=Indien zu Handen gekommen, wann sie solten zu Druck befördert, und vorhero abcopiret werden.23

Nach einem Dreivierteljahr im Dienste Franckes erweiterte Fassmann seine bis dahin ganz auf die Theologie konzentrierten Studien um juristische, philosophische und historische Vorlesungen, gab nebenher erneut Sprachunterricht und pflegte auch wieder Kontakte zu potentiellen Gönnern. Die nach dem Schiffbruch aufgetretene „Betäubung“ war offensichtlich wieder vergangen: Meine stille Lebens=Art in Halle, und der Tisch im Waysen=Hause, währete drey Viertel Jahr. Alsdann fienge ich an, wieder munterer zu werden, triebe Sprachmeisterey, speisete bey der Schwieger=Mutter des Herrn Schmausens24, welcher jetzo Prof. Historiarum zu Göttingen ist, und bald hernächst auf dem Raths=Keller zu Halle. Das währete wieder ein halbes Jahr, binnen welcher Zeit ich die Collegia des Herrn Thomasii25, des Herrn Hofraths und

21 Bartholomäus Ziegenbalg (geb. 1682 in Pulsnitz/Sachsen, gest. 1719 in Tranquebar/Indien, heute Tarangambadi) war nach seinem Theologiestudium bei Francke der erste protestantische Missionar in Indien. Er gründete dort zusammen mit Heinrich Plütschau im Auftrag des dänischen Königs Friedrich IV. eine Missionsstation. Von Indien aus korrespondierte Ziegenbalg brieflich mit verschiedenen europäischen Partnern, u. a. auch mit August Hermann Francke. Seit 1710 wurden in Halle regelmäßig verschiedene Reisebeschreibungen, Briefe oder Berichte protestantischer Missionare in den so genannten „Halleschen Berichten“ herausgegeben. Vgl. Paul Richter: „Ziegenbalg, Bartolomäus“, in: ADB, Bd. 45, S. 155–159. 22 Johann Ernst Gründler (geb. 1677 in Weißensee/Thüringen, gest. 1720 in Indien) war ebenfalls Theologiestudent bei Francke und wurde Mitarbeiter Ziegenbalgs in dessen Missionswerk in Tranquebar/Tarangambadi, Indien. Nach dem Tod Ziegenbalgs führte er diese Station weiter. Vgl. Viktor Hantzsch: „Gründler, Johann Ernst“, in: ADB, Bd. 49, S. 595 f. 23 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Leipzig 1737, Vorrede, S. 16. Die Berichte der Missionare wurden als Reihe publiziert: Der Königl. dänischen Missionarien aus Ost=Indien eingesandte ausführliche Berichte von dem Werck ihres Amts unter den Heyden, hg. v. Gotthilf August Francken, Halle: Waysenhaus 1710–1718. Der Briefwechsel scheint jedoch nicht als Einzeldruck veröffentlicht worden zu sein. Vgl. dazu die Neuedition: Johann Ernst Gründler und Bartholomäus Ziegenbalg: Die malabarische Korrespondenz. Tamilische Briefe an deutsche Missionare. Eine Auswahl, eingeleitet und erläutert von Kurt Liebau, Sigmaringen 1998. 24 Johann Jakob Schmauß (geb. 1690 in Landau, gest. 1757 in Göttingen), Publizist und Historiker, studierte in Straßburg und Halle, war mit Thomasius und Gundling gut bekannt; er habilitierte sich 1712, hielt Vorlesungen über Geschichte und gab daneben historisch-politische Zeitschriften heraus; wurde 1734 nach Göttingen (auf die professio historiarum et iuris naturae et gentium) berufen, gab daneben aber weiterhin ‚praktische‘ literarische Erzeugnisse heraus. Vgl. Ferdinand Frensdorff: „Schmauß, Johann Jakob“, in: ADB, Bd. 31, S. 628–631. 25 Zu Christian Thomasius vgl. das nachfolgende Kapitel.

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Prof. Wolffens26, des Herrn Prof. Gundlings27, und des Herrn Bodini28, gar fleißig besuchet habe, weil ich von meinem Vorhaben Theologiam zu studieren, abgegangen war.29

Im Jahr 1717 schließlich, um die Michaelismesse herum, verließ Fassmann Halle und siedelte nach Leipzig über. Zuerst widmete er sich auch dort wiederum dem Erteilen von Sprachunterricht, begann jedoch bald damit, als freier Journalist zu leben. Noch bevor er sich in Leipzig niedergelassen hatte, scheint Fassmann sein erstes publizistisches Projekt in Angriff genommen zu haben: Die Übersetzung eines französischen Werkes (Die entkappten Whigs und Torys) erschien bereits im Herbst 1717, zusammen mit einem von Fassmann eigenständig verfaßten Anhang, der auf 90 Seiten einen Überblick über die Entwicklung der englischen Geschichte gab.30 Die Übersetzung erschien bei Theophilus Ge26 Christian Wolff (geb. 1679 in Breslau, gest. 1754 in Halle), Philosoph, Jurist und Mathematiker, der zwischen 1706 und 1723 als Professor für Philosophie und Mathematik an der Universität Halle lehrte. Durch seine Mitwirkung an Menckes Acta eruditorum entstand ein brieflicher Austausch mit Leibniz, der ihn wiederum mit dessen Konzept der ‚praestabilierten Harmonie‘ vertraut machte. Wolffs eigene rationalistisch-systematische Auffassung von Philosophie und seine Forderung nach klaren Begriffen und Beweisen hatten auf Zeitgenossen und Nachfolger großen Einfluß. Fassmann lernte offenbar im Zuge seiner Studien in Halle einige zentrale Begriffe der Wolffschen Lehre kennen und übernahm diese später in seine eigenen journalistischen Erzeugnisse (vgl. hierzu besonders Fassmanns Begriff der Historie bzw. Politik und die Vorstellung von Glückseligkeit in 4.1.1 Die historisch-politische Unterweisung). Zu Wolffs Leben vgl. den umfangreichen Artikel von Wilhelm Schrader: „Wolff, Christian“, in: ADB, Bd. 44, Leipzig 1898, S. 12–28; die Wolff-Biographien von Friedrich Christian Baumeister (1738), Johann Christoph Gottsched (1755) und Heinrich Wuttke (1841) erschienen als Faksimile erneut in Christian Wolff: Gesammelte Werke, 1. Abt., Deutsche Schriften, Bd. 10, Hildesheim 1980. Zur Philosophie Wolffs vgl. besonders Werner Schneiders (Hg.): Interpretationen zu seiner Philosophie und deren Wirkung. Mit einer Bibliographie der Wolff-Literatur, Hamburg 21986. 27 Nicolaus Hieronymus Gundling (geb. 1671 in Kirchsittenbach/Franken, gest. 1729 in Halle), Neffe des mit Fassmann verfeindeten Jacob Paul Freiherr von Gundling, dessen Stelle als Hofnarr und Referent im Tabakskollegium Fassmann bei Friedrich Wilhelm I. für kurze Zeit übernahm. Nicolaus Hieronymus Gundling studierte zuerst Theologie, bis er auf Anraten von Christian Thomasius in Halle auch die Jurisprudenz, Philosophie und Rhetorik erlernte und akademische Weihen anstrebte. 1706 wurde er ordentlicher Professor für Philosophie in Halle, im darauffolgenden Jahr auch Professor für Rhetorik. Kurze Zeit später trat er zur juristischen Fakultät über und lehrte von da an auch Natur- und Völkerrecht. Vgl. Roderich von Stintzing: „Gundling, Nicolaus“, in: ADB, Bd. 10, S. 129 f. 28 Heinrich von Bode/Bodinus (geb. 1652 in Rinteln, gest. 1720 in Halle), Publizist und Jurist, studierte Theologie und Jura in Helmstedt, wurde 1693 an die Universität Halle berufen und veröffentlichte im Laufe seines Lebens zahlreiche Dissertationen zu Fragen des Römischen Rechts und der Publizistik. Vgl. Johann Friedrich von Schulte: „Bode, Heinrich von“, in: ADB, Bd. 2, S. 794 f. 29 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Leipzig 1737, Vorrede, S. 17. 30 Die entkappten Whigs und Tories, oder Dissertation über die beyden diesen Namen führenden Factiones in Groß=Britannien: worinnen ihr Ursprung, Wachsthum, Principia, Characte-

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orgi in Leipzig, genauso wie Fassmanns nächstes, diesmal selbst konzipiertes Werk Das Leben des Prinzen Eugen.31 Gewidmet hatte Fassman dieses dem Reichsgraf Jacob Heinrich von Flemming, der bis zu seinem Tod 1728 Kabinettsminister bei August dem Starken war. Als drittes und letztes Werk bei seinem Verleger Georgi wollte Fassmann 1718 die deutsche Übersetzung der englischen Lebensbeschreibung des Königs von Frankreich (Louis XIV.) herausbringen, der Druck scheint jedoch durch mißliche Umstände nicht zustande gekommen zu sein.32 Noch im selben Jahr begann Fassmann in Leipzig mit der Veröffentlichung der Gespräche in dem Reiche derer Todten, die er bis vier Jahre vor seinem Tod mit großem Erfolg fortsetzte. Lindenberg bezeichnet die Totengespräche als „wichtigste publizistische Tätigkeit“ 33 Fassmanns – ein Urteil, dem man sich aufgrund der Erscheinungsdauer und des Erfolges dieses Journals anschließen kann. Fassmann zählt im letzten Abschnitt seiner Lebensbeschreibung die wichtigsten seiner Publikationen auf und gibt jeweils eine kleine Charakterisierung sowie stellenweise auch einen Hinweis auf deren Preis bzw. die Absatzzahlen seiner verschiedenen Periodika. Besondere Erwähnung findet ein einzelnes Totengespräch, aufgrund dessen Fassmann für längere Zeit befürchten

res, Stärcke und Intriguen, genau entdecket und deutlich vorgestellet werden. [...] Aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzet [...] herausgegeben von David Fassmann, Leipzig: Georgi 1717. Diese Übersetzung ist u. a. deswegen interessant, weil sie offenbar eines der frühesten Zeugnisse der deutschen Beschäftigung mit der englischen Politik und Verfassung darstellt. Noch bevor diese in Deutschland gegen Mitte des 18. Jahrhunderts (vermittelt vor allem durch Montesquieus Vorbild) einsetzte, brachte Fassmann mit seiner Übersetzung der Studie von Paul Rapin de Thoyras einen ersten Überblick über die später weithin als ausgesprochen interessant verstandenen englischen Verhältnisse. Vgl. dazu auch Fritz Valjavec: Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770–1815, München 1951, S. 244 ff. Die Erkenntnisse aus der Übersetzung der „Whigs und Tories“ konnte Fassmann in der Entrevue Nr. 3 zwischen Gustav Adolf, König von Schweden, und Charles I., König von England, weiterverwenden. Einen guten Überblick über Fassmanns Übersetzung, seinen ‚Eigenanteil‘ sowie politischen Standpunkt im Hinblick auf die englische Politik bietet Hans-Cristof Kraus: Englische Verfassung und politisches Denken im Ancien Régime (1689–1789), München 2006, S. 345–353. 31 Der vollständige Titel lautet: Die Großen und Erstaunens=würdigen Thaten des Heldenmüthigen und unvergleichlichen Printzens Eugenii Hertzogs von Savoyen [...]: Biß zu Ende des 1717. Jahres, entworffen; Nebst dessen aus 35. Zweigen bestehenden unvergleichlichen Lorbeer=Krantz. Leipzig: Georgi 1718. 32 „Sie [die Übersetzung – SD] ist aber niemahls gedruckt zum Vorschein gekommen, weil Hr. Georgi einen Theil von der Übersetzung verlohren.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede zu Bd. XV, Leipzig 1737, S. 17. 33 Lindenberg, David Fassmann, S. 95.

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mußte, in diplomatische Schwierigkeiten zu geraten. In der 83. Entrevue,34 einem Gespräch zwischen Peter dem Großen und Iwan Wassiljewitsch, gab Fassmann auch einen Überblick über Herkunft und Leben von Katharina I., der zweiten Ehefrau Peter des Großen und amtierenden Zarin von Rußland, was einigen politischen Nachhall zur Folge hatte: Erleichtert konstatiert der Autor jedoch, daß „die Russische Kayserin Catherina, viel zu gerecht und großmüthig seye, als daß sie mich wegen dessen, was ich in der 83. Entrevue geschrieben, verfolgen sollte [...].“ Sie „hätte auch niemals Ordre gegeben, wider mich, am Königlichen Pohlnischen und Churfürstlichen Sächsischen Hofe, Klage zu erheben“.35 Sein Unterfangen, eine noch lebende Herrscherpersönlichkeit in einem seiner Totengespräche zu porträtieren, bot so viel Anlaß zu Kritik und diplomatischer Verstimmung, daß Fassmann etwas Derartiges nicht noch einmal versuchte. Mit Stillschweigen übergeht Fassmann im Gegensatz zu dieser Episode die Zeit, die er zwischen 1725 und 1731 am Hofe Friedrich Wilhelms I. verbrachte. Grund für den Weggang aus Leipzig war eben jene 83. Entrevue bzw. die ihretwegen zu erwartenden Schwierigkeiten mit der Zensurbehörde gewesen. Am Berliner Hof bot sich Fassmann die Gelegenheit, einerseits relativ geschützt sein Auskommen zu fristen und andererseits neue Kontakte zu bedeutenden Persönlichkeiten im Umfeld des Hofes zu knüpfen. Von Berlin aus setzte er die Veröffentlichung einiger seiner Periodika fort; die Gespräche in dem Reiche derer Todten etwa schrieb er bei Hofe weiter und veröffentlichte sie in Leipzig. Daneben konzipierte Fassmann auch eine neue Reihe, die Sonderbaren Nationen=Gespräche, die bis 1733 erschienen.36

34 David Fassmann: Gespräche in dem Reiche derer Todten, Drey und Achtzigste Entrevue, Zwischen Dem vortrefflichen Moscowitischen Czaar, Petro Magno, Und Dem grossen Tyrannen, Ivan Basilowiz II., Ebenfalls einem Csaaren von Moscau, Worinnen die Ankunfft des Erstern in dem Reiche derer Todten, wie auch verschiedene sonderbare Nachrichten von seiner hinterlassenen Gemahlin, und dann die entsetzliche Historie des Letztern, welche nicht ohne Erstaunen gelesen werden, ingleichen mancherley wichtige Discurse, enthalten. Leipzig: Wolfgang Deer 1725. 35 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Vorrede, Leipzig 1737, S. 19. 36 Der vollständige Titel der ersten Entrevue lautet: Nationen=Gespräche, Oder Curieuse Discurse Über die Jetzigen Conjuncturen und wichtigsten Begebenheiten [...]. Entrevue Zwischen einem Engelländer Und Einem Spanier, Da ein jedweder nach dem Sinn und Genie seiner Nation, gegen den anderen redet, discuriret, disputiret und urtheilet. Nebst einer [...] Critique, über die Sitten und Gebräuche der Englischen und Spanischen Nation. Auch wird in dieser Entrevue der Kern von der gantzen Englischen Historie mitgetheilet, [o. O.] 1727. Ab der zweiten Entrevue ändert Fassmann den Titel und nennt die Dialoge „Sonderbare Nationen=Gespräche“. Die insgesamt 32 Entrevuen erscheinen zwischen 1727 und 1733, ab der 5. Entrevue sind als Druckort und Verleger Berlin: Haude angegeben.

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Fassmanns Aufenthalt am Berliner Hof war geprägt von seiner Feindschaft zum ‚Hofnarren‘ Jakob Paul von Gundling37 und von seiner Unzufriedenheit mit den vorgefundenen Gegebenheiten. Lindenberg faßt die Aufgaben, die Fassmann am Hofe des Königs inne hat, folgendermaßen zusammen:

37 Jakob Paul Freiherr von Gundling (geb. 19. August 1673, gest. 11. April 1731 in Potsdam), Historiker und Hofmann, Onkel von Nicolaus Hieronymus Gundling, dem Hallischen Professor für Natur- und Völkerrecht. Gundlings Leben zeigt in einigen Stationen Ähnlichkeiten zu dem Fassmanns. So stammte auch er aus einem eher wenig begüterten Elternhaus und mußte früh selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Sowohl sein Interesse für Geschichte als auch seine Tätigkeit als Lehrer und Begleiter junger Adeliger auf ihren ‚Cavalierstouren‘ verbinden seinen Werdegang mit dem Fassmanns. Anders als dieser jedoch kann Gundling seine akademische Ausbildung abschließen und wird an der neu eingerichteten Adels-Akademie in Berlin im Jahre 1705 ordentlicher Professor für bürgerliches Recht, Literatur und Geschichte. Daneben wird er als Historiker an das Oberheroldsamt berufen und ist dort für genealogisch-historische Untersuchungen verantwortlich. Mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. jedoch werden zahlreiche Ämter und Positionen abgeschafft, unter ihnen auch die Gundlings am Heroldsamt. Friedrich Wilhelm I. beruft ihn als gelehrten Zeitungsreferenten für historische, politische und rechtliche Fragen in sein neu eingerichtetes Tabaks-Collegium. Laut der Allgemeinen Deutschen Biographie verwirkt Gundling seine durchaus ansehnliche Stellung als Hofrat und Zeitungsreferent dadurch, daß er seiner Neigung zum Trunk und Schabernack übermäßig huldigt. Als eine Art lächerliche Figur, vergleichbar der eines Hofnarren, sinkt sein Ansehen in den Augen anderer Hofräte in den darauffolgenden Jahren kontinuierlich. Im Laufe der Jahre übernimmt Gundling zwar aufgrund weiterer Einsparungsmaßnahmen des Königs mehr und mehr Ämter, Titel und Aufgaben am Hof, seine Einflußmöglichkeiten und seine innerhöfische Stellung scheinen jedoch nicht in gleichem Maße zu steigen. 1717 wird er Oberzeremonienmeister des Hofes, 1718 Nachfolger von Leibniz an der Akademie der Wissenschaften und wenig später sogar Mitglied des General-Direktoriums und Vorsteher des eigens für ihn eingerichteten Departements aller Seidenwürmer des Reiches. Neben seinen Verpflichtungen am Hof widmet Gundling sich jedoch auch weiterhin der Veröffentlichung eigener wissenschaftlicher Werke. Ähnlich denen Fassmanns gibt er zahlreiche Lebensbeschreibungen historisch bedeutender Persönlicheiten heraus, so u. a. „Leben und Thaten Kurfürst Friedrichs I.“ (1715) und „Leben und Thaten Alberti Ursi“ (1731). Die Allgemeine Deutsche Biographie charakterisiert seine Arbeitsweise auf wissenschaftlichem Gebiet wie folgt: „Gundling ist einer der ersten, die nach dem Vorgang des großen Samuel Pufendorf, die Bedeutung der Urkunde als Grundlage der Geschichtschreibung [sic] voll würdigten [...].“ Siegfried Isaacsohn: „Gundling, Jakob Paul Freiherr von“, in: ADB, Bd. 10, S. 128. Eine Würdigung seiner historischen Arbeiten findet sich etwa bei Franz X. von Wegele: Geschichte der deutschen Historiographie, München und Leipzig 1885, S. 712 ff. Zu Gundling siehe auch Karl-Heinz Otto: Gundling. Akademiepräsident und Hofnarr Friedrich Wilhelms I., Potsdam 2003; Martin Sabrow: Herr und Hanswurst: das tragische Schicksal des Hofgelehrten Jacob Paul von Gundling, Stuttgart 2001; Ausstellung „Gundling Meese Erzstaat“ des Malers und Performance-Künstlers Jonathan Meese im Schloß Neuhardenberg (11. 8.–18. 11. 2008), die im Jahr der Geisteswissenschaften den ‚Niedergang‘ eines angesehenen Historikers zum Hofnarren dokumentieren wollte (vgl. dazu den Ausstellungskatalog und den Artikel „Wiedergeburt des unfreiwilligen Hofnarren Gundling“ im Tagesspiegel-Online vom 9. 8. 2008 unter http://www.tagesspiegel.de/kultur/ausstellungen/ Jonathan-Meese;art2652,2354506).

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Sonst wird Faßmann die gleichen Aufgaben gehabt haben wie Gundling, der bei Tafel, in den Abendgesellschaften, im Zimmer des Königs bei dessen öfteren Krankheiten Mitteilungen aus der Geschichte oder aus interessanten neuen Büchern darzubieten und als „Zeitungsreferent“ einen Auszug aus den Zeitungen mit Erwägungen über die politische Lage vorzutragen hatte.38

Anders als sein Konkurrent Gundling versuchte Fassmann, die Erfahrungen und Kenntnisse, die er sich durch den Aufenthalt am Königshof erwerben konnte, auch außerhalb dieser Umgebung nutzbringend einzusetzen. Die Aufgaben, mit denen er bei Friedrich Wilhelm I. betraut war (also das Referat über neueste Nachrichten und selbständiges Räsonnement über dieselben), erschienen so auch als thematische Schwerpunkte in seinen zeitgleich oder wenig später veröffentlichten Publikationen. Unter Umständen mögen ihn das Interesse und die positiven Reaktionen des Königs und der Hofleute darin bestärkt haben, mit seinen historisch unterrichtenden Journalen einen ähnlichen Weg zu beschreiten. Das Schicksal seines Vorgängers Gundling zu teilen, der sich trotz fundierter Ausbildung und wissenschaftlichen Renommees zeit seines Lebens nicht mehr vom Hofe Friedrich Wilhelms I. entfernen konnte, wollte Fassmann offensichtlich mit allen Mitteln verhindern.39 Wahrscheinlich war dieses (negative) Vorbild für Fassmann der Grund, auch während seines Aufenthaltes am Hof kontinuierlich die Publikation seiner Periodika fortzusetzen bzw. sogar neue Projekte (wie die Sonderbaren Nationen=Gespräche) in Angriff zu nehmen. Bezeichnenderweise oblag es David Fassmann, nach dem Tode Gundlings auf Veranlassung Friedrich Wilhelms I. eine Leichenrede auf seinen Gegner zu

38 Lindenberg (1937), S. 23. 39 Wie sehr Fassmann sich gegen seinen Konkurrenten Gundling stellte und versuchte, diesen lächerlich zu machen, wird besonders durch die Veröffentlichung seines Gelehrten Narren (1729) deutlich, dessen Hauptfigur den Zügen Gundlings nachempfunden war und dessen reales Vorbild er verunglimpfen sollte. Anscheinend überreichte Fassmann seinem Gegner eben jenes Werk im Beisein aller versammelten Hofleute. Der vollständige Titel dieses Werkes lautete: Der Gelehrte Narr, Oder Gantz natürliche Abbildung Solcher Gelehrten, Die da vermeynen alle Gelehrsamkeit und Wissenschafften verschlucket zu haben, auch in dem Wahn stehen, daß ihres gleichen nicht auf Erden zu finden, wannenhero sie alle andere Menschen gegen sich verachten [...]. Nebst einer lustigen Dedication und sonderbaren Vorrede; Dergleichen verkehrten Gelehrten zur guten Lehre, und verhoffentlich daraus fliessenden Besserung; andern aber, so sich denen Studiis widmen, und noch Anfänger sind, zur getreuen Warnung, auch sonst jedermann zum Vergnügen geschrieben, Freiburg 1729.

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Abb. 1: Vermutlich Georg Lisiewski (1674–1750): Das Tabakskollegium Friedrich Wilhelms I., um 1737.40

40 Auf dem Gemälde ist am vorderen Ende der Tafel König Friedrich Wilhelm I. im Halbprofil mit langer Pfeife zu erkennen, von links nähern sich ihm seine beiden Söhne Heinrich und Ferdinand, während sein Lieblingssohn August Wilhelm zu seiner Rechten offenbar regelmäßig an einem der berüchtigten Treffen des Tabakskollegiums teilnehmen durfte. Am oberen Tischende sitzen zwei Figuren, bei denen man im allgemeinen annimmt, daß es sich bei ihnen um Jacob Paul von Gundling (links) und David Fassmann handelt. Ob der Hase, den der Maler zwischen die beiden Nachrichtenreferenten (‚lustige Räte‘) plaziert hat, in barocker Bildsprachlichkeit für närrische Aufschneiderei bzw. ‚Haselantentum‘ stehen soll, bleibt unklar. Bei den täglich stattfindenden Treffen, die ohne strenges höfisches Protokoll abliefen, kam es offenbar – gefördert durch den übermäßigen Genuß von alkoholischen Getränken und zum Ergötzen des Königs – häufig zu Streitereien und sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, besonders zwischen den verfeindeten Räten Gundling und Fassmann. Zum Tabakskollegium vgl. etwa Sabrow, Herr und Hanswurst, S. 159 ff.; Volker Schobeß: Die langen Kerls von Potsdam. Die Geschichte des Leibregiments von Friedrich Wilhelm I. (1713–1740), Berlin 2007, S. 30 ff. Gundling wurde noch auf einem anderen Gemälde zusammen mit zwei Hasen abgebildet, die gleichsam als Stellvertreter Gundlings ihre (närrischen) Gedanken zur Politique und zur Historie aufzuschreiben scheinen. Vgl. eine Abbildung des anonymen satirischen Doppelporträts von Jacob Paul von Gundling und seiner Frau Anne de Larrey (ca. 1725) bei Sabrow, Herr und Hanswurst, S. 128.

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verfassen.41 Dessen endgültige Nachfolge als Hofnarr und oberster Nachrichtenreferent im Tabakskollegium schlug Fassmann aus und wandte sich im Folgenden wieder ganz der freien Schriftstellerei zu.42 Noch im Todesjahr Gundlings kehrte er nach Leipzig zurück. Die Jahre zwischen 1731 und 1744 verbrachte Fassmann größtenteils dort und war wieder ausschließlich mit der Arbeit an verschiedenen Periodika, wie den Gesprächen in dem Reiche derer Todten, dem Angenehmen Passe=Tems43 oder dem Reisenden Chineser,44 beschäftigt. Die Figur seines ehemaligen Gegenspielers Gundling ließ Fassmann neben seinem Gelehrten Narren noch in den Neu=entdeckten Elisäischen Feldern erscheinen, einer fünfteiligen Reihe, die bis 1742 erschien.45 Im ersten Teil

41 Siegfried Isaacsohn, der Verfasser des Artikels über Jakob Paul von Gundling in der Allgemeinen Deutschen Biographie, versucht, jenen durchaus heiklen Umstand zu erläutern: „Charakteristisch für Gundling’s Herrn [Friedrich Wilhelm I. – SD] ist es, daß er dessen erbittertstem Gegner, dem Historiographen David Faßmann, den Auftrag ertheilte, die Leichenrede bei seiner Bestattung zu halten. Es spricht für Gundling, daß Faßmann darin dem Toten gegenüber das Geständniß ablegt, daß er nicht nur durch seine schriftstellerische Thätigkeit, sondern auch durch seine Stellung am Hofe manches Gute und Nützliche gesucht und bewirkt habe, während seine Schwächen von anderen mißbraucht und übertrieben worden seien.“ Siegfried Isaacsohn: Artikel „Gundling, Jakob Paul Freiherr von“, in: ADB, Bd. 10, S. 129. Fassmanns Leichenrede auf Gundling ist im selben Jahr noch in gedruckter Form erschienen: Parentation Wie sie, Auf allergnädigsten Befehl, Bey einer sehr Volkreichen Versammlung gehalten worden, Von D. F. Als man den, am 11. Aprilis 1731 Zu Potsdam verstorbenen, Freyherrn von Gundling, Sr. Königl. Majestät von Preussen Geheimten Rath [et]c. Den Tag nach seinem seeligen Abscheiden von der Welt, mit einer Leich=Procession, hinaus nach Bornstädt / nahe bey Potsdam gelegen, gebracht, und alda in der Kirche beerdiget [...], Potsdam 1731. Auszüge der Leichenrede finden sich auch bei Friedrich Förster: Friedrich Wilhelm I. König von Preussen, Bd. I, Potsdam 1834, S. 277–280. 42 Anscheinend erfolgt dieser Entschluß auch deswegen, weil ihm zwar das gleiche Gehalt, nicht jedoch die gleichen Titel und Ämter angeboten wurden. Vgl. dazu ADB, Bd. 6, S. 580 und Förster, Friedrich Wilhelm I., S. 280–286. 43 Der vollständige Titel lautete: Angenehmes Passe=Tems, durch welches zwey Freunde einander mit nützlichen und lustigen Discursen vergnügen, 6 Teile, Frankfurt und Leipzig 1734– 1743. Ab dem 2. Teil lautete der Titel: Angenehmes Passe=Tems, durch welches zwey Freunde den Leser mit sinnreichen und lustigen Discursen vergnügen [...]. 44 Begonnen hatte Fassmann mit der Veröffentlichung dieses Journals im Jahr 1721, also noch bevor er sich an den Hof Friedrich Wilhelms I. begab: Der, Auf Ordre und Kosten Seines Käysers, reisende Chineser, Was er Von dem Zustand und Begebnüssen der Welt, insonderheit aber der Europäischen Lande, dem Beherrscher des Chinesischen Reichs, vor Bericht erstattet, Leipzig 1721–1733. 45 Der vollständige Titel des ersten Teiles lautete: Die neu=entdeckten Elisäischen Felder, Und was sich in denenselben sonderbares zugetragen, Als Der Königliche Pohlnische und Churfürstliche Sächsische General=Lieutenant bey der Infanterie, auch Commendant der Berg=Festung Königstein, Friedr. Wilh. Freyh. v. Kyau Und der durch seine Avanturen am Königlich Preußischen Hofe in der Welt sehr bekandt gewordene geheime Rath und Freyherr /

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David Fassmann: Hofhistoriograph, Sprachlehrer und ‚Journalist‘

legt Gundling zusammen mit Friedrich Wilhelm Freiherr von Kyau46 und im zweiten mit einem Baron von Schallsack47 Zeugnis von den (hier als kritikwürdig dargestellten) Zuständen am Hofe Friedrich Wilhelms I. ab.48 In den Jahren vor seinem Tod scheint Fassmann kaum noch neue Periodika konzipiert zu haben; von seinen zahlreichen Journalen erschienen nur mehr der Staatsmann (bis 1739),49 die Gespräche in dem Reiche derer Todten (bis Jacob Paul von Gundling, daselbst einander angetroffen, Worinnen überaus merckwürdige und sinnreiche Discurse, samt der wahrhafften Lebens=Beschreibung beyder angeführten Personen enthalten, […], Frankfurt und Leipzig 1735. Die Reihe in fünf Teilen bis 1742 fortgesetzt. Strukturell und inhaltlich waren die Neu=entdeckten Elisäischen Felder den Gesprächen in dem Reiche derer Todten sehr ähnlich, auch hier unterhielten sich zwei (mehr oder weniger) berühmte Persönlichkeiten über ihre Lebensläufe. Insgesamt erscheinen diese Totengespräche im Ton satirischer und bissiger. Vgl. dazu auch Lindenberg (1937), S. 58–61. 46 Friedrich Wilhelm Freiherr von Kyau (geb. 1654 in Oberstrohwalde, gest. 1733 auf der Feste Königstein), brandenburgischer und sächsischer Offizier, der anscheinend als ‚Frohnatur‘ im Heer Augusts des Starken sehr beliebt war. Im Jahre 1715 wird er zum Kommandanten der Festung Königstein ernannt und stirbt 18 Jahre später an diesem Ort. 47 Baron von Schallsack ist angeblich ein Hofmann des preußischen Königs, tritt aber nur mit wenig individuellen Charakterzügen im Gespräch hervor. Er ist deswegen eher als fiktive Figur mit sprechendem Namen zu lesen. Ähnlich wie im ersten Teil ist es auch im zweiten eher der Freiherr von Kyau, der sich mit Gundling unterhält. 48 Fassmann wird von nachfolgenden Historikern für die schlechte Meinung, die die Nachwelt von Friedrich Wilhelm I. gehabt habe, verantwortlich gemacht. Erst mit Ranke und Droysen sei dieses ‚Fehlurteil‘ wieder korrigiert worden: „Unfähig, die geistige Bedeutung Friedrich Wilhelms I. aufzufassen, bemühte sich Fassmann, seine Leser vornehmlich durch detaillierte Mittheilungen der auffälligen Lebensgewohnheiten des Königs zu unterhalten. Unabsichtlich hat er dadurch bewirkt, daß die späteren Schriftsteller, die aus dieser Quelle hauptsächlich schöpften, sich aus jenen Aeußerlichkeiten ein völlig karrikirtes Bild des Königs zusammensetzten. Es gehört nicht zu den geringsten Verdiensten von Ranke’s und Droysen’s, diesen Irrthum vernichtet und das Wesen und den Charakter des Fürsten in seiner vollen Originalität zur Anschauung gebracht zu haben.“ Theodor Hirsch: „Fassmann, David“, in: ADB, Bd. 6, S. 580 f. Wegele urteilt in seiner Geschichte der deutschen Historiographie ähnlich über Fassmanns Werk: „Fassmann [...] ließ [ ] aber im Jahre 1735 eine Schrift über das ‚Leben und die Thaten‘ Friedrich Wilhelms erscheinen, die zwar keineswegs als ein wirkliches Geschichtswerk im würdigen und ernsten Stile betrachtet werden darf, die aber insoferne für jeden Fall bedeutend ist, als sie der korrekten Beurteilung dieses Königs von Seite der nächstkommenden Geschlechter nur allzu lange präjudizirt hat.“ Diesem negativ gefärbten Urteil steht die Erkenntnis gegenüber, daß Fassmanns Zeitgenossen durchaus eine andere Meinung über dieses Werk an den Tag legten: „Für die Zeitgenossen bestand der Wert und Reiz des Buches in einer Menge von charakteristischen Zügen, Hofgeschichten, oft indiskreten Anekdoten, die er zum erstenmale preisgab und die zu sammeln er während seines Berliner Aufenthaltes hinlänglich Gelegenheit gehabt hatte“. Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie, S. 713 f. 49 Das erste Stück dieses eher politisch orientierten Werks trug den Titel: Der mit Historischen / Politischen / und andern importanten Sachen beschäfftigte Staats=Mann, oder Gründliche Erzehlung Alles dessen, was von Höfen grosser Potentaten […] geschrieben wird, oder

David Fassmann: Hofhistoriograph, Sprachlehrer und ‚Journalist‘

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1740), die Neu=entdeckten Elisäischen Felder (bis 1742) und das Angenehme Passe=Tems (bis 1743). Einzige Ausnahme ist der 1742 und 43 erschienene Neu= eröffnete Schau=Platz der Welt, der in vier Bänden bei Johann Andreas Rüdiger in Berlin erschien.50 Auf einer zur Erholung unternommenen Reise nach Karlsbad starb der 61-jährige Fassmann schließlich am 14. Juni 1744 in Lichtenstadt an der böhmischen Grenze.

sich sonst in der Welt ereig= net und zuträget. Mit darüber beygefügten Vernünfftigen und gründlichen Raisonnemens. Erstes Stücke. Leipzig 1731. 50 Der vollständige Titel des ersten Bandes lautete: Neu=eröffneter Schau=Platz der Welt Allwo Personen aus allerley Völckern, Standes und Geschlechts erscheinen, Und sich über Staats= Hof= Kriegs= und andere wichtige Begebenheiten entreteniren. Erste Zusammenkunfft Eines Schlesiers Mit einem Oesterreicher Wobey auch die Schlesische Historie, und curiose Nach=richten, von dieser Nation sowohl, als dem Lande selber, mit einfließen. Berlin 1742.

3 Antike und frühneuzeitliche Vorbilder Fassmanns: Gespräche und Parallelbiographien 3.1 Lukian von Samosatas Totengespräche 3.1.1 Die Totengespräche Lukian von Samosata (*120–nach 180 n. Chr.) gilt allgemein als Begründer der Gattung des Totengesprächs – einer Gattung, die seit ihrer Wiederentdeckung im frühen 15. Jahrhundert in der europäischen Literatur (mit wechselnder Popularität) bis heute präsent geblieben ist. Seit Hirzels Überblick über die Entwicklung des Dialogs1 und Rentschs Studie zum Totengespräch2 gibt es in der Forschung immer wieder Anstrengungen, eine Rezeption zu beschreiben und zu analysieren, die sich formal und thematisch zunehmend von ihrer Vorlage löste, dabei jedoch nicht aufhörte, einen Bezug zu ihrem antiken Vorbild herzustellen oder ihn zumindest zu proklamieren. Über die faktische oder auch nur behauptete Abhängigkeit einzelner Nachahmer bestehen auch zwischen den einzelnen Imitatoren Beziehungen, die zeitliche, sprachliche und kulturelle Grenzen überschreiten: Fassmanns Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten (1718–1740) wäre in seiner spezifischen Ausformung weder zu verstehen noch zu erklären, wenn man nicht seine Abhängigkeit besonders von den französischen Lukian-Imitatoren deutlich machte. Daß einzelne Verfasser von Totengesprächen auch untereinander in einer Relation stehen, ist von der Forschung stellenweise erkannt und zumindest ansatzweise beschrieben worden;3 worin genau die Ähnlichkeiten und Unterschiede z. B. der französischen und deutschen Totengespräche liegen, welche Aspekte ihrer Nachahmung betont oder vernachlässigt wurden und warum gattungserweiternde bzw. -fremde Elemente für diesen Prozeß bestimmend wurden, ist im Falle des Leipziger Journals noch nicht befriedigend erklärt worden.

1 Rudolf Hirzel: Der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch, 2 Bde., Leipzig 1895. 2 Johannes Rentsch: Das Totengespräch in der deutschen Literatur, Lucianstudien II, Programm Plauen 1895. 3 Z. B. Johan S. Egilsrud: Le „Dialogue des Morts“ dans les littératures français, allemande et anglaise (1644–1789), Diss. Paris 1934; John Rutledge: The Dialogue of the Dead in EighteenthCentury Germany, Bern u. Frankfurt a. M. 1974; Manuel Baumbach: Lukian in Deutschland. Eine forschungs- und rezeptionsgeschichtliche Analyse vom Humanismus bis zur Gegenwart, München 2002.

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Hansjörg Schelle weist in seinem Artikel zum Totengespräch auf die spezifischen Voraussetzungen hin, die nötig seien, um den deutschen ‚Sonderweg‘ der Rezeption sichtbar zu machen: „Im europäischen Zusammenhang betrachtet erscheint die Geschichte der Gattung als ein Geflecht von Wechselbeziehungen und gegenseitigen Abhängigkeiten, so daß die eigentümliche deutsche Entwicklung nur im Vergleich mit den anderen Nationalliteraturen zu erfassen ist.“ 4 Im Vergleich der französischen Totengespräche Fontenelles und Fénelons mit denen Lukians sollen sowohl formale und thematische Verwandtschaften als auch intentionale Veränderungen deutlich gemacht sowie die Beziehungen offengelegt werden, die zwischen den französischen Dialogues des Morts bestehen. Fassmanns Entrevuen schließlich zeigen – im Gegensatz zur gängigen Forschungsmeinung – deutliche thematische und strukturelle Ähnlichkeiten sowohl mit den Dialogen Fontenelles als auch mit denen Fénelons. Ein weiterer Anknüpfungspunkt erschließt sich durch die Parallelbiographien Plutarchs, die inhaltlich von Lukian und besonders auch von Fénelon in ihren Gesprächen zitiert werden, bei Fassmann darüber hinaus auch als formales Strukturprinzip für den Hauptteil seiner Gespräche fungieren. Am Beispiel Alexanders des Großen soll das Verhältnis der jeweiligen Totengespräche zu denen Lukians aufgezeigt werden; die Dialoge, die den makedonischen Feldherrn als Figur enthalten, werden in diesem Kapitel zum Gegenstand des Vergleichs. Daß gerade er bei allen behandelten Autoren erscheint, muß nicht überraschen. Ausgehend von der Bekanntheit, die die Alexanderfigur durch mehrere Biographien (neben der von Curtius bzw. Pseudo-Kallisthenes besonders die des Plutarch) erreichte, erscheint der Makedonier in den Dialogen Lukians als Prototyp eines Menschen, der zu Lebzeiten ehrgeizig und arrogant war und der sich auch im Totenreich nur schwer von seinem einstigen Charakter lösen kann. Seine u. a. durch die Plutarch-Biographie beförderte historische Bedeutung und die sich an Lukian anschließende Gattungstradition fordern auch noch Jahrhunderte später dazu heraus, mittels seiner Figur bestimmte Tugenden und Laster zu exemplifizieren. Eine Voraussetzung für das Verstehen dieser Figur ist laut Schelle ein gewisses Maß an Informiertheit auf seiten des Lesers: Das ideale Götter- und Totengespräch verlangt einen Leser, der u. a. den jeweiligen vom Autor gewollten Sinn des mythologischen Rahmens erfaßt und der, wenn geschichtliche Persönlichkeiten als Charaktere gezeichnet sind, ein Vorwissen über die Urbilder mitbringt und ihre von Gespräch zu Gespräch wechselnden Rollen zu vergleichen und beur-

4 Hansjörg Schelle: Totengespräch, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 4, hg, v. Klaus Kanzog und Achim Masser, Berlin/New York 1984, S. 475–513, hier S. 480.

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teilen vermag. [...] Das Auftreten derselben mythologischen, legendären oder historischen Figuren bei Autoren unterschiedlicher Wesensart und verschiedener Epochen, d. h. die Erscheinung der stehenden Figuren in der Geschichte des Götter- und Totengesprächs [...] ist ein Anzeichen dafür, wie die Gattung dazu auffordert, sich in den Bahnen bestimmter Traditionen zu bewegen.5

Alexander ist solch eine ‚stehende Figur‘, an der je nach Intention des einzelnen Autors unterschiedliche Charakterzüge oder Verhaltensweisen betont bzw. vernachlässigt werden. An der Gestaltung seines Charakters kann die Nähe bzw. Ferne des jeweiligen Autors zu Lukian abgelesen und das weitgespannte Netz von Beziehungen innerhalb der Gattung Totengespräch sichtbar gemacht werden. *** Die νεκρικοì διάλογοι werden aufgrund ihrer Bezeichnung meist in einen Zusammenhang mit den θεὦν διάλογοι, ἔνάλιοι διάλογοι und έταιρικοì διάλογοι (Götter-, Meergötter- und Hetärengespräche) gestellt, wobei die Toten- und Göttergespräche Lukians den größten Einfluß auf nachfolgende Autoren ausübten. Charakteristisch für die (Toten-)Gespräche Lukians sind laut Forschung ihre pointierte Kürze und die „burlesk-komische“ 6 Wirkung, die sich aus dem Gespräch von meist zwei oder drei Personen ergibt. Die Dialoge, so Otto Seel, repräsentieren am reinsten den Typus oder die literarische Spezies, welche erfunden zu haben Lukian sich selbst mehrfach gerühmt hat und welcher er Wirkung und Ruhm verdankt: die Verbindung des sokratischen Dialogs mit Elementen der ‚neueren‘, also der hellenistischen Komödie, und sie spiegeln in ihrer Spannweite wohl am deutlichsten Einheit und Mannigfaltigkeit der lukianischen Thematik und Formkunst.7

Die Beziehung der Totengespräche Lukians zu ihren verschiedenen Vorbildern, den platonischen bzw. sokratischen Dialogen, dem 11. Gesang der Odyssee, dem 6. Buch der Aeneis sowie den Fröschen des Aristophanes und der menippeischen Satire, soll an dieser Stelle keine Rolle spielen. Für den Vergleich der Lukianischen Dialoge mit denen seiner (direkten und indirekten) Nachahmer werden vor allem ihre Behandlung der Figuren und die in ihnen angewandte Dialogtechnik herangezogen. Während Lukians Werk selbst sich im Spannungsfeld zwischen Imitation tradierter Formen und Themen einerseits und

5 Schelle, Totengespräch, S. 486 [Hervorhebung – SD]. 6 Schelle, Totengespräch, S. 475. 7 Otto Seel: Nachwort zu Lukian: Gespräche der Götter und Meergötter, der Toten und der Hetären, Stuttgart 1967, S. 241–252, hier S. 243.

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kreativer Innovation andererseits angesiedelt war, boten gerade seine Totengespräche mit ihrem komisch-satirischen Charakter Potential für eine Nachahmung. Christopher Robinson beschreibt den Zusammenhang, in dem Lukians Werk steht, wie folgt: The main interest of his work lies in the extent to which he has not merely used an extant genre, or even, like contemporary sophists, disguised one genre as another, but created a series of new forms whose literary merit lies essentially in the skill with which traditional elements have been combined for new comic effects. To achieve this he has used exactly the same rhetorical elements as the sophists, with one notable addition, dialogue.8

Die verschiedenen Einflüsse, die sich schon bei Lukian in seinen Totengesprächen manifestierten und dort zu einem neuen Ganzen zusammengefügt wurden, stehen paradigmatisch für den Prozeß der späteren Imitation des Genres. Die Prägung, welche die Dialoge durch rhetorische und satirische Vorbilder erfuhren, wirkte sich auch auf nachfolgende Autoren aus, die sich der gleichen Technik wie Lukian bedienten. Die durch die Rezeption populär gewordene Textsorte des Totengesprächs wurde beeinflußt und verändert nach den Bedürfnissen und Ansprüchen der jeweiligen Epoche und des jeweiligen Autors – unter Anwendung ähnlicher Prinzipien, wie sie bei Lukian schon bei der Konzeption der Gattung wirksam waren: der Imitation formaler und inhaltlicher Aspekte, der Übernahme einer satirisch-pointierten Grundhaltung sowie zahlreicher typisierter Charaktere. Je nach Intention und Zeitgeschmack wurden in Lukians Nachfolge gattungsbestimmende Elemente beibehalten bzw. verändert. Die Textsorte wurde so erweitert und transformiert, bis ihre Popularität erlosch und von einer späteren Generation wiederbelebt wurde.

3.1.2 Figuren der Unterwelt Die Vorbedingung für ein Gespräch in der Unterwelt ist bei Lukian den Gesetzen der Gattung gemäß der Tod einer Person. Sie muß zu ihren Lebzeiten jedoch nicht notwendigerweise berühmt oder bedeutend gewesen sein, um Einzug in die literarische Unterwelt zu halten. Bekanntheit ist allerdings auch kein Ausschlußkriterium: Neben typenhaften Figuren (dem sich betrogen fühlenden Erbschleicher, dem körperverliebten Athleten etc.) treten auch Figuren wie Sokrates, Diogenes, Menipp und Midas oder literarisch zu Berühmtheit gelangte wie Odysseus und Achilles im Schattenreich auf. Ob nun bekannt, unbekannt

8 Christopher Robinson: Lucian and his Influence in Europe, London 1979, S. 9.

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oder fiktiv-literarisch, alle Figurengruppen eint der Charakter des Typischen, den Lukian in seinen ironisch-pointierten Dialogen herausarbeitet: „Dem satirischen Stil der lukianischen Dialoge entsprechend sind die Gesprächspartner Komödienfiguren und als solche keine individualisierten Charaktere, sondern allgemeine Typen. Dies gilt für geschichtliche oder legendäre Gestalten ebenso wie für mythologische, d. h. für Götter, Halbgötter und Heroen, deren traditionelle Züge vielfach possenhaft verzerrt erscheinen.“ 9 Menipp nimmt (zusammen mit Diogenes)10 als Figur eine Sonderstellung unter den übrigen Toten ein. Seine explizit auch von den Richtern der Unterwelt favorisierte Präsenz in elf der dreißig überlieferten Dialoge11 markiert seinen exzeptionellen Status, dessen Bedeutung gerade durch die ablehnende Haltung der anderen Figuren betont wird. Als ständiger Quell ironischer Kritik entlockt er seinen (oft unfreiwilligen) Gesprächspartnern emotionale Reaktionen und entlarvt so ihre noch unvollständige Anpassung an ihr neues Dasein im Totenreich. Paradigmatisch steht die Figur des Menipp für Lukians Technik, actio und reactio im Dialog aufeinander folgen zu lassen.12 Ein auf ein Gegenüber gerichteter Angriff zieht zwangsläufig eine Verteidigung bzw. einen Gegenangriff nach sich. Schelle beschreibt jene Vorgehensweise wie folgt: „Lukian führt in den Götter- und Totengesprächsdichtungen mit Vorliebe zwei Figuren zusammen, deren eine die andere herausfordert und in eine Abwehrstellung drängt. Die Rolle des Angreifers ist in der Regel den Lieblingsfiguren übertragen, in der Unterwelt den Kynikern Menipp und Diogenes [...].“ 13 Diese Grundhaltung, die sich in einer fast aggressiven Beziehung zwischen den auftretenden Figuren äußern kann, ist von nachfolgenden Imitatoren der Lukianischen Totengespräche wiederaufgenommen worden: Die französischen Dialoge Fontenelles (z. B. Alexander und Phryne) imitieren diesen Ansatz, indem sie ihn in ihr witzig-galantes Spiel mit tradierten Konventionen integrieren. Die Beziehung der beiden Gesprächspartner ist bei ihm jedoch eine grundsätzlich gleichberechtigte. Fénelon dagegen verwendet zwar die actio/reactioTechnik in seinen Dialogen, verändert deren Charakter jedoch von einem satiri-

9 Schelle, Totengespräch, S. 479. 10 Diogenes erscheint in sechs verschiedenen Dialogen: I, XI, XIII, XVI, XXIV und XXVII. 11 Es sind dies die Dialoge II, III, X, XVII, XVIII, XX, XXI, XXII, XXV, XXVI und XXVIII. 12 Physik und Rhetorik gleichen sich in diesem Punkt: Dem III. Newtonschen Gesetz von „actio ist gegengleich zu reactio“ entspricht die tradierte Vorstellung von These und Antithese, wobei die darüber hinaus zu erwartende Synthese bei Lukian durchaus nicht erfolgen muß; häufig bringt die Schlußpointe nicht die sich gegenüberstehenden Positionen zu einer Einheit zusammen, sondern liefert statt dessen eine überraschende Wendung. 13 Schelle, Totengespräch, S. 479.

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schen hin zu einem deutlich moralischen (ablesbar etwa am Gespräch zwischen Alexander und Diogenes). Bei Fénelon zeigt sich Einfluß Lukians u. a. darin, daß seine Dialoge meist einen eindeutigen ‚Gewinner‘ und ‚Verlierer‘ haben. Die Technik von Angriff und Verteidigung unterstützt hier die ethischdidaktische Unterweisung, wobei für ihn offensichtlich weniger die Lust am Streitgespräch als die deutlich erkennbare Lehre im Vordergrund steht. Lukian teilt die Bewohner seiner Unterwelt mit Hilfe der oben beschriebenen Technik in zwei Lager, zu denen als dritte Partei die der drei Richter Minos, Rhadamanthus und Aiakos nebst Pluton tritt. Die Richterfiguren agieren jedoch nicht immer unparteiisch, sondern offenbaren ihre Zu- und Abneigung deutlich, wie ihre Haltung gegenüber einem Grenzgänger wie der Figur des Menipp zeigt. Die Machtverhältnisse sind im Totenreich deshalb nie wirklich ausgeglichen: Wer zu den Unglücklichen gehört, darf nicht mit Schonung rechnen. Schelle faßt diese Machtverteilung wie folgt zusammen: „Die Herausforderer sind den Angegriffenen überlegen, haben nicht nur die stichhaltigeren Gründe für sich, sondern vertreten ihre Sache auch rücksichtsloser und geschickter, während die Angegriffenen meist eine schwache Verteidigung führen, durch die unbequemen Fragen in die Enge getrieben werden und mehr oder weniger ihre Verlegenheit eingestehen müssen.“ 14 Der Tod gilt zwar in den Dialogen als der größte unter den ‚Gleichmachern‘ (wie einige Figuren immer wieder betonen), die anwesenden Toten sind deswegen aber nicht alle gleich: Ihre individuellen Züge, Laster und ihr Charakter bestimmen auch nach ihrem Ableben ihre Position innerhalb der Totengemeinschaft. Gattungslogisch wird den Neuankömmlingen deswegen der Gang zum Fluß Lethe verwehrt, der ihnen eben jene Wiedererkennbarkeit, auf welcher der satirische Witz der Dialoge beruht, rauben würde.

3.1.3 Zeit und Ort Lukians Totengespräche entwickeln vor dem Hintergrund einer mythisch geprägten Unterwelt im dramatischen Modus ihre spezifische Komik. Der irdischen Zeit zunächst enthoben finden seine Gespräche zwischen zwei oder mehreren Figuren statt – die Dialoge laufen dennoch nach einem chronologisch geordneten Prinzip ab. Sie enthalten über diese grundsätzlich zeitbezogene Struktur hinaus Hinweise auf bereits stattgefundene Gespräche oder auf Figu-

14 Schelle, Totengespräch, S. 479.

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ren, die gerade erst im Totenreich angekommen sind.15 Der örtliche und zeitliche Abstand zur ‚realen‘ Welt wird von den anwesenden Schatten durchaus wahrgenommen und thematisiert. Stellenweise betonen Lukians Figuren den Antagonismus von Ober- und Unterwelt, Gewesenem und Gegenwärtigem.16 Obwohl in der Forschung Zeitenthobenheit 17 als ein Kennzeichen der Gattung verstanden wird, ist die Unterwelt Lukians nicht wirklich ‚ohne Zeit‘: Eher könnte man von einer Eigenzeitlichkeit sprechen, deren Gesetze den Abläufen und der Logik ihrer Umgebung und damit der Gattung insgesamt angepaßt sind. Ein solch gattungsimmanenter Aspekt ermöglicht es Lukian, Figuren zusammenzubringen, die vormals örtlich und zeitlich getrennt waren. Die Unterwelt wird so zu einem Raum, in dem Zwiegespräche auf der Ebene der literarischen Fiktion real werden, die in der ‚wirklichen‘ Welt unmöglich gewesen wären. Der Bezug zur Gegenwart des Autors erklärt sich laut Schelle wie folgt: Die Darstellung der Gegenwart ist für das Götter- und Totengespräch konstitutiv, während ein bloßes Sichversetzen in eine vergangene Zeit dem Wesen der Gattung widerspräche. Götterwelt und Totenreich, seien sie geglaubte Wirklichkeit oder literarische Fiktion, sind zwar als Gegenwelten zum Diesseits geschaffen, zugleich aber auf dieses bezogen. Die Möglichkeit des Götter- und Totengesprächs, die Zeitlichkeit aus dem Abstand der Ewigkeit zu betrachten, bildet ein Hauptmotiv für die Wahl dieser Gattung.18

Das Totenreich, das dieser Auffassung nach als Gegenwelt zum Diesseits verstanden wird, ist bei Lukian trotz dessen ironisch-spöttischer Haltung von tra15 Alexander wird mehrere Male mit der Tatsache seiner Ankunft im Totenreich konfrontiert, die ihn vom Halbgott zum Sterblichen degradiert (Vgl. 3.1.4.2 Der XIII. Dialog zwischen Alexander und Diogenes). 16 Ersichtlich wird dies etwa im XI. Dialog zwischen Krates und Diogenes, der den Gegensatz von materiellem und geistigem Reichtum thematisiert: Geld werde von allen Menschen als begehrenswertes Gut verstanden, wohingegen die wirklichen und dauerhaften Güter (Weisheit, Selbstgenügsamkeit, Wahrhaftigkeit und Freiheit im Reden und Denken, S. 112) geringgeschätzt würden. Gerade diese verachteten Besitztümer seien es aber, die auch nach dem Übertritt in die Totenwelt Bestand hätten. „Krates: Dafür aber behalten wir auch hier unseren Reichtum; sie [die Geldgierigen – SD] dagegen bringen von all ihrem Gelde nichts als einen Obolos mit und auch den nur bis zu dem Fährmann.“ Lukian, Dialog zwischen Krates und Diogenes, S. 112. 17 Zu den konstitutiven Elementen der Gattung gehören laut Herbert Jaumann auch „(4) extramundaner Schauplatz, Zeitenthobenheit, ‚Gleichheit‘ unter den Toten“. Herbert Jaumann: Totengespräch, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Jan-Dirk Müller, Bd. III, Berlin/New York 2003, Seite 652–655, hier S. 652. Schelle sieht eine Verbindung zwischen der Zeitlosigkeit der Gespräche und der historischen Bezogenheit auf ihren Autor: „Das Götter- und Totengespräch, das geschichtslos scheint, weil es die chronologische Zeit außer Kraft setzt, bezieht sich paradoxerweise auf die geschichtliche Gegenwart seines Autors.“ Schelle, Totengespräch, S. 484. 18 Schelle, Totengespräch, S. 485.

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dierten Mythen geprägt. Das anwesende göttliche Personal wird, wie es auch die Göttergespräche besonders sinnfällig zeigen, zwar in seiner sehr menschlich anmutenden Fehlerhaftigkeit porträtiert, die Welt der antiken Göttergestalten ist aber bei Lukian zumindest noch insoweit intakt, daß sie seiner satirischen Behandlung standhält. Hauptschauplatz in den Gesprächen ist der Hades, in dem die Verstorbenen aufeinandertreffen. Mythische Bestandteile der Unterwelt wie die Flüsse Lethe oder Acheron werden von Lukian in seine Szenerie eingebaut. Einen besonderen Stellenwert erhält der Fluß Acheron, der im X. Dialog zur Kulisse für eine Überfahrt wird, für die verschiedene Figuren erst ihren erdenschweren Ballast ablegen müssen. Insgesamt jedoch spielt die Unterwelt als Schauplatz in den Totengesprächen eine untergeordnete Rolle. Die Konzentration liegt bei Lukian mehr darauf, die Dialoge zwischen den verschiedenen Figuren zu entwickeln, als darauf, die vom Mythos geprägte Unterwelt detailliert zu schildern. Trotz der nur vereinzelten Anspielungen auf die Umgebung ist der Hades vor allem als Ort für die Abrechnung mit Leben und Taten der anwesenden Figuren relevant: Der richtende Charakter der Gespräche, der auf nachfolgende Imitatoren eine große Anziehungskraft ausübte, wird vielleicht am auffälligsten in Fontenelles satirischem Jugement de Pluton wieder aufgegriffen werden (vgl. 3.3.3 Das ‚Jugement de Pluton‘).19

3.1.4 Lukians Alexander-Dialoge 3.1.4.1 Der XII. Dialog: Alexander und Hannibal Das erste von drei Alexander-Gesprächen läßt den makedonischen Feldherrn auf Hannibal treffen. In einem Wettstreit nach dem rhetorischen Vorbild des genos epideiktikon20 versuchen beide vor dem Richter Minos zu beweisen, daß ihnen der Vorrang vor dem jeweils anderen gebühre: Minos: Alexander: Minos: Alexander:

Wer seid ihr denn? Der hier ist Hannibal von Karthago; ich bin Alexander, Philippos’ Sohn. Beim Zeus, zwei berühmte Namen! Aber worüber entstand denn euer Streit? Über den Vorrang. Der da behauptet, ein besserer Feldherr gewesen zu sein als ich; ich hingegegen sage, daß ich in der Kriegskunst nicht nur ihn, sondern

19 „Besonderer Beliebtheit erfreuen sich in der Folgezeit die Gerichtsszenen in der Unterwelt oder im Olymp, z. B. die Szene (in der Überfahrt), wo die Schatten vor den Totenrichter geführt werden, oder die Szene (im 12. Totengespräch), wo Minos entscheiden soll, wer der größte Feldherr sei.“ Schelle, Totengespräch, S. 477. 20 Vgl. dazu Gert Ueding u. Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik, Stuttgart 1994, S. 24.

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so ziemlich alle, die vor mir gewesen sind, übertroffen habe, wie die ganze Welt weiß.21

In diesem kurzen Abschnitt werden bereits die Themen exponiert, die nicht nur bei Lukian, sondern auch beim überwiegenden Teil seiner Imitatoren im Zusammenhang mit Alexander eine Rolle spielen: erstens das seiner Identität, die hier von Alexander selbst offenbart wird (Philippos’ Sohn), zweitens das des Ehrgeizes und der Arroganz des Makedoniers, der seine Leistungen als ‚unübertrefflich‘ bezeichnet, und drittens das seines unziemlichen Verhaltens nach dem Tod, das sich unter anderem darin äußert, daß er auch hier nicht auf den Wettstreit mit seinen Gesprächspartnern verzichten kann. Diese von Lukian in seine Alexander-Gespräche eingeführten Charakterzüge werden in der Folge nur wenig variiert: Lukian gibt gleichsam die Sichtweise auf Alexander vor, die – zumindest innerhalb der Textsorte des Totengesprächs – von späteren Rezipienten zu großen Teilen übernommen werden wird. Nach einem anfänglichen Wortwechsel der beiden Eroberer, zu denen als Dritter noch Scipio tritt, beginnt Hannibal mit der Erzählung seiner Heldentaten, ohne dabei seinen Kontrahenten und dessen Lebensweg aus den Augen zu verlieren. In seine Rede flicht er zahlreiche Seitenhiebe auf Alexanders Herkunft und Taten ein: Hannibal argumentiert zunächst, daß ihm der Vorrang vor dem anderen gebühre, weil er seine anfängliche Unterlegenheit durch das Erlernen der griechischen Sprache ausgeglichen und sich gleichsam aus dem Nichts an die Spitze seines Heeres gearbeitet habe. Sein sozialer Aufstieg sei gegenüber der ererbten Position Alexanders aus diesem Grund mehr zu bewundern. Beide Gesprächspartner brüsten sich in ihren Verteidigungsreden, sie hätten durch ihre Kriege so viele Leichen in die Unterwelt geschickt, daß Charon überfordert gewesen sei bzw. die schiere Menge der Körper die Flüsse überspannt habe.22 Hannibal weist auf einen Unterschied zwischen ihnen beiden hin, den er für bedeutsam hält: Seine Taten habe er als ein einfacher Mann vollbracht und

21 Lukian, Totengespräche, XII. Gespräch zwischen Alexander, Hannibal, Minos und Scipio, S. 113. 22 „Hannibal: [Ich] machte an einem einzigen Tage so viele Feinde nieder, daß ihre Fingerringe mit Scheffeln gemessen wurden und ihre Leichname zu Brücken über die Flüsse dienten. Lukian, Totengespräche, S. 113 f. Alexander: Was dann kam, Minos, das wißt ihr sicher selbst: wie viele Leichen ich an einem einzigen Tag zu euch heruntergeschickt habe. Wenigstens versicherte der Fährmann, sein Nachen habe damals für sie nicht zugereicht, sondern die meisten hätten sich erst Flöße zurechtzimmern müssen, um überzusetzen.“ Lukian, Totengespräche, S. 115.

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nicht mit Hilfe der anmaßenden Behauptung, ein Sohn des Gottes Jupiter Ammon zu sein: Das alles tat ich, ohne mich einen Sohn Ammons nennen zu lassen und ohne für einen Gott gelten zu wollen oder Träume meiner Mutter zu erzählen. Aber, wiewohl ich zugab, nichts zu sein als bloß ein Mensch, nahm ich es doch mit den größten Meistern in der Kriegskunst und mit den streitbarsten Soldaten in der Welt auf [...].23

Er behauptet außerdem, daß die von Alexander besiegten Gegner ängstliche und leicht in die Flucht zu schlagende Männer gewesen seien – ein Argument, dessen sich auch der Lukianische Philipp in dem Gespräch mit seinem Sohn bedient: Je niedriger die Gegner sind, desto geringer ist der Sieg über sie einzuschätzen. Lukian läßt Hannibal auch die Sitten des Makedoniers kritisieren, die er den Gebräuchen der besiegten Perser anpaßte. An dieser Stelle rekurriert der Dialog inhaltlich auf Plutarch, in dessen Alexander-Biographie dieses Verhalten in ähnlicher Weise gerügt wird: Plutarch Von dort richtete er seinen Marsch in das Partherland, und bei dem Aufenthalt, den er dort nahm, legte er zum ersten Mal die barbarische Tracht an, sei es, daß er sich den Landessitten anbequemen wollte in dem Glauben, daß das Gewohnte, Stammesgemäße von großer Bedeutung für die Zähmung der Menschen sein könne, sei es, daß dies als eine probeweise Einführung der fußfälligen Verehrung den Makedonen gegenüber unternommen wurde, daß sie allmählich daran gewöhnt würden, sich seine Wandlung und sein Abweichen von der alten Lebensart gefallen zu lassen.24

Lukian Hannibal: [...] Aber kaum hatte er bei Issos und Arbela über den unglücklichen Dareios die Oberhand erhalten, so legte er die Sitten seines Vaterlandes ab, um sich nach morgenländischer Weise fußfällig verehren zu lassen, und befleckte entweder mitten unter Gastmählern seine eigenen Hände mit dem Blut seiner Freunde oder ließ sie in Ketten werfen und hinrichten.25

23 Lukian, Totengespräche, S. 114. 25 Lukian, Totengespräche, XII. Dialog, S. 114. 24 Plutarch, Alexander-Vita, S. 63. Die deutsche Übersetzung der Parallelbiographien stammt von Konrat Ziegler [1965] und soll hier zur leichteren Vergleichbarkeit der beiden Stellen verwendet werden. Fassmann selbst hat Plutarch wohl eher in der französischen Übersetzung von Jacques Amyot [1579] oder einer frühen deutschen Übertragung [z. B. von Hieronymus Boner, 1534] gekannt und nicht im griechischen Original. Laut biographischen Angaben lernte er als Schüler zwar Latein, jedoch kein Griechisch (vgl. 2 David Fassmann: Hofhistoriograph, Sprachlehrer und¸ Journalist‘).

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Das „Blut seiner Freunde“ spielt in Hannibals Zusammenfassung auf Alexanders Mord an dessen Vertrauten Kleitos an, der wiederum im nächsten Alexander-Gespräch von Diogenes erwähnt wird, als er sich dem Makedonier wütend nähert.26 In einem der Alexander-Gespräche Fénelons ist es ebenfalls Kleitos, der seinem ehemaligen Freund dessen Verfehlungen durch seine Präsenz ins Gedächtnis rufen soll (vgl. 3.4.4.2). Hannibal vergleicht in Lukians Dialog die (Un-)Taten des Makedoniers, die dieser trotz seiner privilegierten Erziehung beging, mit seinem eigenen Handeln; es habe sich fern aller hellenistischen Bildung aus seinen guten Naturanlagen ergeben. Dieser Umstand ist für ihn der Beweis, daß ihm der Rang vor Alexander gebühre. Sein letztes Argument bringt noch einmal die Eitelkeit seines Kontrahenten vor Minos zur Sprache: Wenn aber sein Vorzug nur darin bestehen soll, daß er ein Diadem um den Kopf trägt, so mögen immerhin seine Makedonier Respekt davor haben: aber wahrlich, um dessentwillen kann er einem tapferen Feldherrn nicht vorgezogen werden, der dem Glücke wenig und der Klugheit beinahe alles zu verdanken hat.27

Der Richter attestiert Hannibal, er habe – obwohl Libyer von Geburt – wie „ein braver Mann“ gesprochen. Auf die Rede Hannibals folgt die Alexanders, der sich ein solches Lob seines Gegners verbittet. Lukian läßt Alexander in seinem Plädoyer seine noble Abstammung betonen. Sie sei der Grund dafür gewesen, das ererbte Königreich zu verteidigen, die Mörder seines Vaters zu verfolgen und, nachdem er oberster Feldherrn geworden war, es auch weit über die ehemaligen Grenzen hinaus zu erweitern. Minos wird von Alexander während seiner Rede mehrmals direkt angesprochen: Er versichert sich so der wohlwollenden Aufmerksamkeit eines Richters, bei dem er die genaue Kenntnis seines Lebenslaufes voraussetzt. Aus diesem Grund streift er die Stationen seines kriegerischen Lebens nur kurz – der Alexander Lukians faßt sein eigenes Wirken wie folgt zusammen: Ich tat wohl meinen Freunden, wehrte mich gegen meine Feinde, und wenn ich den Menschen als ein Gott erschien, so ist es ihnen zu verzeihen, daß sie um der Größe meiner Taten willen dergleichen von mir glauben konnten.28

In ihren Verteidigungsreden betonen sowohl Hannibal als auch Alexander ihre Unterschiedlichkeit: Die Gegensätze von hoher und niedriger Geburt, Tugend

26 Lukian, Totengespräche, XIII. Dialog, S. 120. 27 Lukian, Totengespräche, XII. Dialog, S. 114 f. 28 Lukian, Totengespräche, XII. Dialog, S. 116.

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und Laster sowie Glück und Klugheit werden so zu zentralen Bestandteilen ihres Gesprächs. Gerade dieser von Lukian konstruierte Antagonismus mag späteren Imitatoren wie Fontenelle und Fénelon als Vorbild für die Gestaltung ihrer Gespräche gedient haben. Bei Lukian wetteifern beide Schatten noch in der Unterwelt um den Vorrang – Minos als Richter soll eine Entscheidung zwischen beiden Figuren treffen. Diese wird jedoch durch das Auftreten Scipios kurzzeitig aufgeschoben, der zwar nicht behauptet, besser als Alexander, aber doch größer als Hannibal gewesen zu sein, weil er diesen bezwungen habe. Minos schließt sich dem Urteil dieses „billig denkenden Mannes“ an, indem er die von Scipio postulierte Rangfolge der drei Männer übernimmt.

3.1.4.2 Der XIII. Dialog: Alexander und Diogenes Das XIII. Totengespräch bringt Alexander mit Diogenes zusammen, der sich von Anfang an über die schiere Anwesenheit des Feldherrn in der Unterwelt lustig macht: Diogenes: Alexander:

Wie, Alexander? Du hast auch sterben müssen wie wir übrigen alle? Wie du siehst, Diogenes! Es ist doch auch nichts Besonderes daran: Ich war ein Sterblicher, und so bin ich eben gestorben.29

Hier wird die Frage nach der Identität Alexanders, die schon im letzten Dialog zum Thema geworden war, wieder aufgegriffen. Imaginierte und reale Herkunft bilden die beiden Pole, zwischen denen der Dialog sich zu Anfang bewegt: Alexander präsentiert sich gegenüber dem Philosophen als der Einsichtige, der sich spätestens durch seine Ankunft im Totenreich davon überzeugen lassen mußte, daß auch er zu den Sterblichen gehört und die Gerüchte um seine göttliche Abstammung nicht der Realität entsprachen. Diogenes weist Alexander darauf hin, daß dieser zu seinen Lebzeiten mit eben solchen Gerüchten seine eigenen Absichten zu befördern suchte – in der Gewißheit, daß eine mythische Abstammung ihm Vorteile bei seinen Unternehmungen verschaffen würde. An den drei Alexander-Dialogen Lukians wird ein Konstruktionsprinzip sichtbar, dem beinahe alle Totengespräche des Rhetors folgen: „Bauprinzip des Buches ist die variatio; die Gespräche wandern von diesem zu jenem Thema, hier und da ergänzen sie sich – dieselbe Geschichte wird von zwei, drei oder vier Standpunkten aus erzählt [...].“ 30

29 Lukian, Totengespräche, XIII. Dialog, S. 117. 30 Egidius Schmalzriedt: „Nekrikoi Dialogoi“, in: Kindlers Neues Literaturlexikon, hg. v. Walter Jens, München 1988, S. 689–690, hier S. 690.

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Die Konfrontation Alexanders mit seiner angeblich mythischen Herkunft zeigt auch bei den Autoren Wirkung, die sich speziell an diesem Totengespräch Lukians orientierten: Fénelon übernimmt etwa in seinen Dialogues des Morts die Anfangspassage fast wörtlich: Diogène. Alexandre. Diog. Alex.

Ne vois-je pas Alexandre parmi les morts? Tu ne te trompes pas, Diogène? Hé! comment les dieux meurent-ils? Non pas les dieux, mais les hommes mortels par leur nature.31

Alexanders berechnendes Kalkül, das ihn zu Lebzeiten als ‚Gott‘ vielleicht erfolgreicher hatte werden lassen, als er es als ‚Mensch‘ gewesen wäre, sorgt in der Lukianischen Unterwelt v. a. für Erheiterung: Die stetige Sorge Alexanders um die Formalitäten seiner Beerdigung und seine Eitelkeit noch im Totenreich fordern Diogenes zum Spott heraus. Die Unumkehrbarkeit des Todes macht in seinen Augen die Bemühungen seines Gesprächpartners überflüssig, sich für die Geschicke der Oberwelt zu interessieren. Nachdem der Philosoph den Feldherrn bereits offen ausgelacht hat, bedrängt er ihn weiter, indem er ihn erst nach seinen Gefühlen fragt, um Alexander anschließend das Ausmaß seiner ‚Verluste‘ vor Augen zu führen: Aber das eine möcht ich wohl von dir wissen: Wie ist dir eigentlich zumute, wenn du daran denkst, wieviel Glück du auf Erden hast zurücklassen müssen, als du dich hierher auf den Weg machtest: all die Leibwächter und Schildknappen und Satrapen und so viel Gold und ganze Völker auf den Knien liegend [...]: Betrübt es dich nicht, wenn dir das alles so unversehens in den Sinn kommt?32

Lukian läßt seinen Alexander daraufhin in Tränen ausbrechen, was Diogenes mit einem Verweis auf die (offensichtlich) wenig erfolgreiche Erziehung des Feldherrn durch Aristoteles kommentiert. Auch dieser Aspekt wurde vom Lukian-Rezipienten Fénelon wiederaufgegriffen, indem er in einem Dialog zwischen Alexander und Aristoteles eben jenen Aspekt der Erziehung des Makedoniers thematisiert (vgl. 3.4.4.1); in dem Totengespräch des Franzosen wird am Beispiel Alexanders die Frage aufgeworfen, warum einst vielversprechende Jünglinge sich trotz ihrer guten Erziehung zu Männern entwickeln, die falsche Entscheidungen treffen. Bei Lukian nutzt Alexander Diogenes’ Stichwort dazu, seinen ehedem geschätzten Lehrer Aristoteles als berechnenden Schmeichler zu präsentieren, der es dank seiner Geschicklichkeit geschafft habe, an Alexander nicht nur die falschen Güter (Schönheit, Heldentaten, Reichtum) zu loben,

31 Fénelon, Dialogues des Morts, XXXVI. Dialog zwischen Alexander und Diogenes, S. 88. 32 Lukian, Totengespräche, XIII. Dialog, S. 119.

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sondern sich für diesen Dienst auch noch an ihm zu bereichern. Sein Fazit fällt deswegen um so negativer aus: Der ganze Ertrag seiner Weisheit für mich ist dies, daß ich mich jetzt über den Verlust aller Dinge, die du herzähltest, gräme, weil er mich gelehrt hat, sie für die größten Güter anzusehen.33

Das Bild von Alexanders Unfähigkeit, sich mit den eigenen Verfehlungen auseinanderzusetzen, ohne anderen die Schuld dafür zu geben, wird von Lukian in diesem Dialog paradigmatisch entworfen. In späteren Alexander-Dialogen wird besonders dieser Zug seines Charakters in verschiedenen Ausformungen präsentiert: Bei Fontenelle rechtfertigt der Makedonier seine Feldzüge damit, daß die Menschen sich ohne seinen übermäßigen Ehrgeiz seiner nicht erinnert haben würden. Bei Fénelon werden darüber hinaus noch die Eigenschaften Arroganz, Ruhmsucht und Dünkel illustriert. Diogenes schlägt Alexander am Ende des Gesprächs vor, Wasser aus dem Fluß Lethe zu trinken, damit er seinen Gram um alle irdischen Güter vergessen könne.34 Diesen Vorschlag verbindet er mit einem Hinweis auf die sich wütend nähernden Gestalten des Kleitos und des Kallisthenes, die er in der Unterwelt besser meiden solle. Die Alexander-Gespräche Lukians sind nicht darauf aus, „Lebensbilder zu zeichnen“,35 sondern vielmehr darauf, eine pointiert-überspitzte Charakterstudie zu präsentieren, die den Lebenslauf ihrer Figuren nicht notwendigerweise gemäß ihrer historischen Überlieferung wiedergibt. Der Aspekt der historischen Verzerrung wird speziell von Fontenelles Dialogues des Morts wieder aufgegriffen werden, in denen oft ein zuvor nur wenig beachtetes oder eher fernliegendes Merkmal einer Figur zum zentralen Thema erhoben wird. Lukian erweist sich auch hier als richtungsweisend, indem er eine Vorlage für die Behandlung historischer Figuren liefert, die seine Nachahmer entweder innerhalb ihres eigenen Dialogkonzeptes kopieren oder von der sie sich inhaltlich distanzieren.

33 Lukian, Totengespräche, XIII. Dialog, S. 119. 34 Diogenes macht diesen Vorschlag in Ermangelung des Heilmittels Nieswurz (lat. (h)elleborus), das närrische Zustände kurieren sollte. Fénelon greift dies auf, wenn er Alkibiades davon sprechen läßt, wie man mit den verschiedenen Menschen auf der Welt (Ehrlichen, Gierigen und Schurken) umzugehen habe: „On prend les honnêtes gens par les motifs de la vertu, les voluptueux par leur plaisirs, les fripons par leur intérêt. C’est la seule bonne matière de savoir vivre; tout le reste est vision, et bile noire qu’il faudrait purger avec un peu d’ellébore.“ Fénelon, Dialogues des Morts, XVII. Dialog zwischen Sokrates, Timon und Alkibiades, S. 55. 35 Plutarch, Alexander-Vita, S. 7.

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3.1.5 Die Rezeption der Totengespräche Lukians 3.1.5.1 Merkmale der Lukianrezeption im Humanismus Die 30 überlieferten Totengespräche Lukians wirkten weit über die Zeit und das Umfeld des Rhetors hinaus. Zusammen mit den Götter-, Meergötter und Hetärengesprächen bildeten sie die Grundlage für eine gesamteuropäische Lukian-Rezeption, deren Ausläufer sich bis ins 20. Jahrhundert hinein erstrecken. Wiederentdeckt in Italien am Anfang des 15. Jahrhunderts, beeinflussten seine Totengespräche zuerst die Humanisten: Erasmus von Rotterdam und Thomas More übersetzen einige Lukian-Dialoge ins Lateinische, erstmals auf deutsch erschienen einzelne Totengespräche in einer Übertragung von Reuchlin im Jahre 1495. Der Einfluß, den Lukians Werke auf Erasmus hatten, spiegelte sich u. a. in Werken wie dem Lob der Torheit oder den Colloquia familiaria. In Deutschland fand die Gattung einen ersten Widerhall in den Schriften Ulrichs von Hutten und Willibald Pirckheimers: Klassische Bildung scheint für ein Verhältnis zu diesen Gesprächsformen seit ihrer Erneuerung durch die Gelehrtenelite des europäischen Humanismus Voraussetzung zu sein, und für einen Teil der Überlieferung trifft dies auch zu. Doch wird das Götter- und Totengespräch im 16. Jahrhundert, im Anschluß an die humanistischen Bemühungen und im Dienste der Reformation eine volkstümliche Gattung: die Übersetzungen von Huttens lateinischen Dialogen Phalarismus (1517) und Inspicientes (1520) ins Deutsche [...] sind ein Schritt dazu [...].36

Angeregt durch Erasmus werden die Dialoge Lukians auch als ein geeignetes Medium für den Griechischunterricht angesehen. Wegen ihrer sprachlichen Reinheit, pointierten Kürze und (nach Erasmus) moralischen Haltung empfahlen sie sich als Schullektüre.37 Beginnend mit dem Humanismus wurde auch die Frage nach der Moralität der Gespräche Lukians immer wieder neu gestellt bzw. beantwortet. Während der Reformation gelangte die Gattung durch zahlreiche Übersetzungen vor allem bei protestantischen Autoren zu Popularität. Die Totengespräche Lukianistischer Prägung wurden offensichtlich als besonders geeignet erachtet, um jenen Unterschied zu propagieren, der zwischen den herrschenden und sich neu formierenden Glaubenspositionen bestand. Die an Lukian geschulten Autoren setzten mit Hilfe dieser Textsorte verschiedene Mißstände in Szene, die sie in übertriebenem Aberglauben und zunehmendem Verfall religiöser und sozialer Normen entdeckten. Als Reaktion auf die in den Lukianistischen Wer-

36 Schelle, Totengespräch, S. 481. 37 Vgl. dazu Baumbach, Lukian in Deutschland, S. 33 f.

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ken stellenweise nur wenig verhohlene Kritik an kirchlichen Positionen und Praktiken wurden auch die Schriften ihres antiken Vorbildes im Jahre 1554 auf den ‚Index verbotener Bücher‘ gesetzt. Die zunehmende Popularität der Gattung Totengespräch zeugt nach Baumbach zudem von einem literarhistorischen Prozeß, der sich in einer Ablösung von tradierten Formen wie der römischen Verssatire (v. a. des Horaz und Juvenal) äußere. Wie der Einfluß jener letztgenannten Gattung geringer wurde, so nahm im Gegenzug die Bedeutung der nicht-versifizierten Totengespräche bzw. der menippeischen Satire zu. Von den Dialogen wurde erwartet, daß sie ihre Inhalte in Prosaform einem (neuen und größeren) Publikum leichter näherbringen konnten.38 Entscheidend für die andauernde Beliebtheit der Lukianischen Dialoge und ihrer Nachahmungen bei Publikum und Autoren war die Möglichkeit, den pagan-mythologischen Hintergrund für neue – vor allem christlich geprägte – Inhalte nutzbar zu machen. Der heidnische Charakter der Unterweltszenen wurde dafür genutzt, einen ‚Feind‘ (etwa die katholische Kirche) zu diskreditieren und in polemischer Form als scheinheilig zu präsentieren. Dennoch waren auch die Protestanten untereinander nicht einer Meinung, was den paganen Ursprung der Textsorte anging: Luther z. B. fand die Verwendung jener ‚gottlosen‘ Gattung für christliche Zwecke problematisch.39 Erasmus wehrte sich gegen die Kritik, die wegen seiner Parteinahme für Lukian an ihm geübt wurde, indem er die Qualität und den Nutzen der antiken Gespräche hervorhob: „Dabei geht es Erasmus jedoch weniger darum, Lukian christliche Vorstellungen oder Ideen unterzuschieben; vielmehr will er ihn als heidnische Lektüre hoffähig machen, da sich viele lukianische Wertvorstellungen in seinen Augen durchaus mit den christlichen vereinbaren lassen.“ 40 Die Positionskämpfe in diesem frühen Stadium der Lukianrezeption führten in der Folge dazu, daß sich zwei Lager mit je eigenen Vorstellungen von der Qualität des antiken Vorbildes herausbildeten: Das eine sah in Lukian einen wenig erbaulichen, religionsfeindlichen Spötter, dessen moralische Position schwer faßlich war, das andere begriff vor allem seine Totengespräche als eine Gattung, mittels deren man Kritik an den Zuständen seiner eigenen Zeit äußern und so gleichsam ‚lachend die Wahrheit sagen‘41 konnte. Dadurch daß

38 Vgl. dazu Baumbach, Lukian in Deutschland, S. 37 f. 39 Vgl. dazu Baumbach, Lukian in Deutschland, S. 39 ff. 40 Baumbach, Lukian in Deutschland, S. 40. 41 „Ridendo dicere verum“ ist ein geflügeltes Wort aus den Satiren des Horaz (1, 1, 24 f.): „Quanquam ridentem dicere verum, quid vetat?“ Baumbach sieht die Vorliebe des Erasmus für die Werke Lukians mit dieser Haltung verknüpft. Vgl. ders., Lukian in Deutschland, S. 37.

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sie die kritischen Aussagen verstorbenen Figuren in den Mund legten und in vermittelter Form zum Leser sprachen, boten die Dialoge mit ihrem satirischpolemischen Grundton die Möglichkeit, die herrschende Zensur (zumindest leichter) zu passieren.

3.1.5.2 Fontenelles und Fénelons Rezeption der Totengespräche Lukians Im Frankreich des 17. Jahrhunderts wurden die in den Jahrhunderten zuvor ausgefochtenen Kämpfe zwischen Katholiken und Protestanten abgelöst von einer neuen Haltung, vor welcher der Vorwurf des paganen Charakters der Gespräche in den Hintergrund trat. Lukians Werk war durch eine Gesamtausgabe und volkssprachliche Übersetzungen (1654 durch Perrot d’Ablancourt) im klassischen Kanon verankert und vor allem seine Totengespräche erfuhren wachsende Aufmerksamkeit. An dieser Stelle setzte jedoch eine Entwicklung ein, die in der Folgezeit zum bestimmenden Faktor der Rezeption werden wurde: Der Inhalt der ‚neuen‘ Totengespräche unterschied sich zunehmend von dem ihres antiken Vorbildes, dessen Form in der Nachahmung jedoch übernommen wurde: „As the genre gained in popularity, the connexion with Lucian himself became slighter, even in writers purporting to be imitating the original. [...] For the majority of anonymous Grub-street writers, both the form and the Lucianic label were only convenient accessories to give literary status to types of satire that were already in vogue.“ 42 Prägend für die neue Sichtweise und den Umgang mit der tradierten Gattung wurden die Nouveaux Dialogues des Morts [1683] des Bernard de Fontenelle. In seiner Widmungsschrift an Lukian präsentierte er sich als ein verehrender Nachahmer der antiken Dialoge, deren Qualität er sowohl inhaltlich als auch formal anerkannte. Da Lukian sich, wie er bedauernd konstatiert, schon der ergiebigsten und interessantesten Themen angenommen habe, bleibe ihm selbst nichts anderes übrig, als sich neuen zuzuwenden.43 Der für Lukian so typische Spott und die Komik, die durch das Wechselspiel der verschiedenen Figuren entstand, wurden bei Fontenelle mit der galanten Gesprächskultur der Pariser Salons verwoben.44 Das Bedürfnis seiner Zeit nach geistreichem Witz 42 Robinson, Lucian and his influence in Europe, S. 145. 43 „[J]e suis fâché que vous ayiez épuisé toutes ces belles matières de l’égalité des Morts, du regret qu’ils ont à la vie, de la fausse fermeté que les Philosophes affectent de faire paroître en mourant, du ridicule malheur de ces jeunes gens qui meurent avant les vieillards dont ils croyoient hériter et à qui ils faisoient la cour! Mais après tout, puisque vous aviez inventé ce dessein, il étoit raisonnable que vous en prissiez ce qu’il avoit de plus beau.“ Fontenelle: Œuvres complètes. Texte revu par Alain Niderst, Paris 1990, S. 48. 44 „Fontenelle’s dialogues belong very firmly to a style of salon literature that was quite as flourishing in the eighteenth century as in his own day.“ Robinson, Lucian and his influence in Europe, S. 147.

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äußerte sich in den Gesprächen des Franzosen u. a. darin, daß bei ihm nicht mehr nur Männer, sondern auch Frauen in der Unterwelt anzutreffen waren. In seiner Version des Hades betrieben die verschiedenen Gesprächspartner ihre Konversation mit pointiertem esprit. Die zunehmende Popularisierung der Gattung führte in Frankreich dazu, daß sich allmählich diverse Untergattungen des Totengesprächs entwickelten, von denen eine in engem Zusammenhang mit der Querelle des anciens et des modernes stand. Fontenelle offenbarte mit seinen Dialogen die Absicht, jenes neue Selbstbewußtsein gegenüber dem Erbe der Antike offen zu propagieren.45 Robinson erläutert die Diversifizierung der Textsorte Totengespräch wie folgt: „[The] dialogues of the dead came to conceal a range of sub-genres quite diverse in content, manner and purpose. In the first sub-genre the form was used as a vehicle for satire on particular people and controversial topics of the day. [...] Fontenelle used some of his dialogues as preliminary shots in the skirmish of the Querelle [...].“ 46 François de Salignac de la Mothe-Fénelons Dialogues des Anciens et des Modernes [1712], die nach Robinson dem zweiten ‚Sub-Genre‘ zuzuordnen sind, verdeutlichten dagegen abstrakte Ideen innerhalb seines auf Moral ausgerichteten Erziehungsprogrammes für den französischen Thronfolger.47 Dieser Ansatz führte bei Autoren, die sich speziell an den Dialogen Fénelons orientierten, dazu, verstärkt politisch motivierte Dialoge zu verfassen – Fassmanns deutsches Journal folgte u. a. diesem Aspekt, der in den Dialogen des französischen Erzbischofs von Cambrai bereits angelegt war. Die dritte der Untergattungen, die Robinson innerhalb der französischen Totengesprächsliteratur identifiziert, wurde wiederum von Fontenelle lanciert, der mit Hilfe der antiken Gattung verschiedene zeitgenössische Entwicklungen in Frankreich kritisierte: „[...] Fontenelle was the first writer [...] to use the dialogue of the dead for a sustained critical purpose, cutting down to size contemporary pretensions about politics, religion and various forms of intellectual activity. His major successors were Voltaire, and in Germany, Wieland [...].“ 48 Fontenelles Dialoge ähnelten denen Lukians insofern, als sie keine Scheu zeigten, ‚Wahrheiten‘ und Überzeugungen ironisch zu unterminieren. Die Lust an Komik und Pointen eint die Totengespräche beider – wenn auch Fontenelle Anpassungen an den

45 Dieses neue Selbstverständnis äußert sich schon allein in dem Umstand, daß nicht mehr nur die ‚Alten‘, sondern auch die ‚Neuen‘ als Figuren Einlaß in die Dialoge finden. 46 Robinson, Lucian and his influence in Europe, S. 145 f. 47 Vgl. Robinson, Lucian and his influence in Europe, S. 146. 48 Robinson, Lucian and his influence in Europe, S. 146 f.

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Geschmack seiner Gegenwart vornahm, indem er den geistreichen Effekt sowohl in der Wahl seiner Figuren als auch in ihrer Konversation suchte. Fénelon dagegen sah in der Nachahmung der von Lukian geprägten Tetxsorte die Möglichkeit, das Angenehme (den unterhaltsamen Charakter der Gespräche) mit dem Nützlichen (der moralischen und religiösen Unterweisung) zu verbinden. Teilweise nah am griechischen Original destilliert er etwa in seinen Alexander-Dialogen den Gehalt ihres antiken Pendants, um eine didaktisch eindeutige Lehre aus ihnen zu gewinnen. Sowohl Fontenelle als auch Fénelon entwickelten in ihren Totengesprächen eine Haltung, die sich zwischen bewundernder Nähe und kritischer Distanz zum antiken Original bewegte. Beide betonten in ihren Gesprächen jeweils andere Aspekte und offenbarten ihre je eigene Sichtweise auf Lukian. Kennzeichnend für die Rezeption der Totendialoge Lukians ist auch bei den französischen Autoren die Möglichkeit, die Textsorte den eigenen Bedürfnissen anzupassen, ohne daß sie dabei gänzlich den Bezug zum antiken Vorbild verlöre. Trotz einer durchaus ehrerbietigen Haltung gegenüber der antiken Vorlage wird in den Dialogen Fontenelles und Fénelons ein neues Selbstbewußtsein deutlich, das sich die Freiheit erlaubt, eigene Themen und Figuren in die Gattung einzuführen und sie so den Anforderungen ihrer Zeit anzupassen.

3.2 Plutarchs Parallelbiographien 3.2.1 Auswahl der Figuren Plutarch (* um 45 n. Chr., † nach 120 n. Chr.) schuf mit seinen 24 Paaren von Parallelbiographien49 ein Werk, das die Leben und Charaktere berühmter Griechen und Römer einander gegenüber stellte, sie miteinander verglich und ihre Lebensläufe und Taten kritisch beurteilte. Im zeitgenössischen Kontext der römischen Herrschaft über Griechenland offenbarten die Biographien politischdiplomatische Qualität: „Plutarch will die beiden Völker einander näherbringen und die Bereitschaft erzeugen, voneinander zu lernen.“ 50 In Zeiten des Friedens brachte Plutarch in seinen Leben ‚große Männer‘ zusammen, deren bemerkenswerteste Taten meist in kriegerischen Handlun-

49 22 Paare sind davon erhalten; von den überlieferten Paarungen zeigen 18 eine kritische Zusammenfassung und Vergleich beider Leben am Ende (synkriseis). Allein stehen die Leben von Artaxerxes, Aratus, Galba und Otho. 50 Rainer Hirsch-Luipold: Plutarch, in: Metzler-Lexikon antiker Autoren, hg. v. Oliver Schütze, Stuttgart/Weimar 1997, S. 561–565, hier S. 562.

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gen bestanden: Er wählte keine herausragenden Literaten, Künstler, Philosophen oder Bürger, sondern Kaiser, Feldherren und Könige der griechischen und römischen Vergangenheit.51 Die natürlichen Gaben und charakterlichen Voraussetzungen dieser Männer konnten, wie Plutarch es anhand ihrer Lebensläufe zeigte, zu positiven, lobenswerten oder aber negativen, tadelnswerten Handlungen führen.52 Die Technik der direkten Gegenüberstellung (synkrisis) machte sie bei Plutarch zu Ebenbürtigen – ein Aspekt, der im Kontext der zeitgenössischen römischen Herrschaft über Griechenland nicht unterschätzt werden sollte: „In Plutarch’s day, Greece could no longer bring forth generals and statesmen of heroic proportions; yet, from her past, she had great men to compare with those of Rome.“ 53 Die Paare wählte Plutarch dabei nach bestimmten Gesichtspunkten aus: Ein hervorstechendes Merkmal im Charakter oder eine bemerkenswerte Tat wurde mit denen einer anderen Person in Verbindung gebracht, deren Handlungen oder Wesen vergleichbar waren. Alexander und Caesar wurden augenscheinlich wegen ihrer großen Erfolge als Feldherren in zwei Viten einander gegenübergestellt, Theseus und Romulus waren beide Gründer von Städten und Philopoimen und Flaminius waren Zeitgenossen, die dem besetzten Griechenland zur Freiheit verhalfen.

3.2.2 Tugend und Laster Wichtiger als eine historisch exakte, chronologische Nacherzählung verschiedener Lebensläufe war bei Plutarch der moralisch-ethische Aspekt der Darstellung:54 Im Proömium der Alexander-Biographie rechtfertigt Plutarch seine Vorgehensweise, nicht alle hervorragenden Taten in dessen Vita mit aufzunehmen, sondern aus der Fülle des zur Verfügung stehenden Materials besonders jene Ereignisse herauszugreifen, die den spezifischen Charakter einer Person zu erhellen vermögen. In der von Konrat Ziegler besorgten Übersetzung der griechischen Viten heißt es hierzu:

51 „It appeared to be a safer practice to write of past events rather than those of the contemporary period.“ Martha Walling Howard: The Influence of Plutarch in the Major European Literatures of the Eighteenth Century, University of North Carolina Press 1970, S. 3. 52 Wichtig sind dabei nicht nur die Handlungen allein, sondern auch wie sich diese Taten auf die Mitmenschen, die Stadt und das Land auswirkten. 53 Howard, The Influence of Plutarch, S. 6. 54 „Plutarch, it is agreed, is a moralist, a writer who employs his persuasive rhetoric to explore ethics and point ethical truths.“ Christopher Pelling: Plutarch and History. Eighteen Studies, Llandysul/Wales 2002, S. 237.

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Denn ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder, und hervorragende Tüchtigkeit oder Verworfenheit offenbart sich nicht durchaus in den aufsehenerregendsten Taten, sondern oft wirft ein geringfügiger Vorgang, ein Wort oder ein Scherz ein bezeichnenderes Licht auf einen Charakter als Schlachten mit Tausenden von Toten und die größten Heeresaufgebote und Belagerungen von Städten.55

Anhand zahlreicher Anekdoten wird exemplifiziert, wie der jeweilige Charakter (im Positiven wie im Negativen) beschaffen war. Plutarch erläutert seine Vorgehensweise in der Demetrius-Vita (1. Kapitel) mit Hilfe der Anekdote von Ismenias dem Flötenspieler, der seinen Schülern sowohl gute als auch schlechte Musiker vorführt. Jene sollten lernen, Musik in ihrer Qualität zu unterscheiden; die Rezeption schlechter Beispiele führe dazu, daß die guten mehr geschätzt würden. Analog zu dieser Praxis sollten die Leser der Biographien durch die tadelnswerten Charaktere dazu angehalten werden, gute Leben als nachahmenswert zu beurteilen: Von Menschen, die unbesonnen mit ihren Gaben umgegangen und in großen Verhältnissen und Machtstellungen hervorstechende Muster der Lasterhaftigkeit geworden sind, ist es vielleicht nicht von Übel, ein oder zwei Paare in die Reihe der vorbildlichen Lebensläufe einzufügen, wahrhaftig nicht, um zum Vergnügen und zur Unterhaltung der Leser meine Schriftstellerei abwechslungsreicher zu gestalten, sondern wie der Thebaner Ismenias seinen Schülern das gute wie das schlechte Flötenblasen vorzuführen pflegte und dazu sagte: »so muß man flöten« und hinwieder »so muß man nicht flöten«, [...] so denke ich mir, daß auch wir noch willigere Betrachter und Nacheiferer der guten Lebensläufe sein werden, wenn wir nicht in Unkenntnis der schlechten und tadelnswerten bleiben.56

Der überwiegende Teil der Biographien zeigte also lobenswerte Griechen und Römer, einige wenige auch verurteilenswerte. Die Viten von Demetrius und Antonius wurden im oben zitierten Proömium als negative Beispiele apostrophiert; die Forschung erkennt in Nikias – Crassus, Coriolanus – Alkibiades und Pyrrhos – Marius weitere mögliche Beispiele für negativ konnotierte Charaktere.57 Generell gilt, daß kein Leben ausschließlich positiv oder negativ dargestellt wurde: Selbst jene Männer, die in den jeweiligen Vorreden explizit als Beispiele für eine gute oder schlechte Lebensweise genannt wurden, zeigten Handlungen oder Entwicklungen in ihrem Charakter, die einer eindeutigen Lesart entgegen standen.58 55 Plutarch: Berühmte Griechen und Römer, eingeleitet und übersetzt von Konrat Ziegler, 6 Bde., Zürich und Stuttgart 1965, Bd. 5, Alexander-Vita, 1. Kapitel, S. 7. 56 Plutarch, Demetrius-Vita, 1. Kapitel, S. 244 [Hervorhebung – SD]. 57 Vgl. hierzu Tim Duff: Plutarch’s Lives. Exploring Virtue and Vice, Oxford 1999, S. 55 f. 58 „But even for those few pairs of Lives whose prologues suggest that the Lives which follow should be seen as exemplars of virtue or vice, it is impossible in practice to see the protagonists as wholly good or bad.“ Duff, Plutarch’s Lives, S. 56.

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Taten, die innerhalb der Vita als gut, notwendig oder gerechtfertigt dargestellt wurden, konnten im abschließenden vergleichenden Teil des öfteren negativ beurteilt werden. Die Biographien entzogen sich so einer einseitigen Sichtweise, der Leser war aufgefordert, Handlungsweise und Charakter der vorgestellten Person in einem größeren Zusammenhang zu betrachten und seine Schlüsse daraus zu ziehen bzw. schon gefaßte Urteile wieder zu überdenken. Zwar sollten die Viten durchaus als beispielhaft und die Taten der „großen Männer“ als nachahmenswert verstanden werden, dennoch waren sie schon durch ihre relative zeitliche Ferne zum zeitgenössischen Leser und durch den unterschiedlichen Handlungs- und Lebenskontext nicht als unmittelbare ethische Anleitung zum tugendhaften Handeln zu verstehen. Über den einfacheren moralischen Impetus des „Tu dies“ oder „Laß das“ hinaus boten die Parallelbiographien die Möglichkeit, komplexere moralische Schlüsse zu ziehen – die Forschung unterscheidet deswegen zwischen einer eher ‚expositorischen‘ und einer ‚exploratorischen‘ bzw. einer ‚protreptischen‘ und einer ‚deskriptiven‘ Moral in den Viten.59 Letztere Kategorisierung verweist auf die in den Viten enthaltenen moralischen Implikationen, die – mehr oder weniger deutlich – auf den Leser bzw. Zuhörer wirkten: Über den Einzelfall einer guten oder schlechten Handlungsweise im Leben der beschriebenen Männer hinaus zielte Plutarch auf eine Beschreibung allgemeingültiger Verhaltensweisen und Lebenserfahrungen ab. Pelling betont diesen Aspekt: „The Lives are narratives of particular past events, but Plutarch, like so many Greek writers about the past, had a gift for extracting points of general, timeless significance from such details of narrative [...]“.60 Laster und Tugenden wurden bei Plutarch an einem erstrebenswerten Mittelmaß gemessen, das der aristotelischen Lehre der mesotes 61 verpflichtet war. Besonders das Feld der kriegerischen Auseinandersetzung und das des Gebrauchs der eigenen Macht eröffneten die Möglichkeit, den Charakter eines Menschen kritisch zu beurteilen: Ehrgeiz und Ehrliebe in Maßen waren Tugenden, genau wie das Streben nach militärischem Erfolg; Unterdrückung der Untertanen, Mißbrauch der verliehenen Macht und übermäßige Risikobereitschaft

59 Vgl. hierzu Pelling, Plutarch and History, S. 237 ff. 60 Pelling, Plutarch and History, S. 241. 61 Zu Aristoteles’ Vorstellung von mesotes zwischen Hyperbole und Ellipse vgl. ders.: Nikomachische Ethik (griechisch-deutsch), übersetzt von Olof Gigon, neu hg. v. Rainer Nickel, Düsseldorf 2007; Hermann Kalchreuter: Die mesotes bei und vor Aristoteles, Diss. Tübingen 1911; Harald Schilling: Das Ethos der Mesotes. Eine Studie zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles, Tübingen 1930; Ursula Wolf: Über den Sinn der Aristotelischen Mesotes-Lehre, in: Phronesis 33 (1988), S. 54–75.

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in Schlachten galten hingegen als Laster. Plutarch wählte für seine Viten Beispiele von Männern, deren Schicksal den Zuhörern aus der Geschichte bekannt gewesen sein dürfte; es erschienen kaum unmittelbare Zeitgenossen Plutarchs.62 Dies deute, so der Tenor der Forschung, auf das Streben des Autors hin, zeitlose Beispiele zu geben, deren moralischer Gehalt über einen rein protreptischen Aspekt hinausgehe und auf jene allgemeingültigen, überzeitlichen Wahrheiten abziele, die man durch die Beschäftigung mit den Leben großer Männer erkennen könne.63 Was genau also hat Plutarch bei der Auswahl und Behandlung seiner Personen motiviert? Ein grundlegender Faktor war anscheinend die Quellenlage, die Plutarch vorfand: Besonders die Auswahl der römischen Viten hing entscheidend davon ab, welches Material sich sinnvoll mit den griechischen Quellen kombinieren ließ. Innerhalb der Parallelbiographien sind außerdem einzelne Leitthemen erkennbar – Themen, die mit Hilfe der zwei gewählten Charaktere sinnfällig exemplifiziert werden konnten. Die synkrisis war bei Plutarch konstituierendes Merkmal, nicht nur durch den abschließenden Vergleich beider Personen am Ende der Viten, sondern bereits durch die Gegenüberstellung zweier Charaktere und deren wechselseitige Verbindung mit Hilfe parallel geführter ‚Leitmotive‘. Ein Charakterzug wie der des Ehrgeizes konnte ein Leben zu einem erfolgreichen werden lassen, während er in übertriebenem Maße in einem anderen zur Katastrophe führte.64 Die Wahl der zweiten Vita hing also eng mit der Thematik der ersten zusammen. Als grundlegendes Muster kann die Technik Plutarchs verstanden werden, die jeweils zweite Lebensbeschreibung als Steigerung der ersten zu gestalten, gleichsam als ‚Durchführung‘ des in der ersten eingeführten Leitthemas: „All Plutarch’s heroes are naturally individuals, but still the first Life often reflects an important normal pattern, the second Life exploits it with an interesting variation.“ 65 Dies sei eine mögliche Erklärung, warum Plutarch,

62 Mit Ausnahme der schon erwähnten Paarung Philopoimen – Flaminius. 63 „[...] Plutarch prefers the more timeless to the more particular, [...] he favors modes of historical explanation which transcend the particular period which he is describing; he likes points which transcend the particular circumstances of his own day as well.“ Pelling, Plutarch and History, S. 246. 64 „[...] [S]ynkrisis [is] a basic part of Plutarch’s techniques: a Life’s leading themes are often greatly influenced by its pair, both in the selection of material and in its presentation and interpretation.“ Pelling, Plutarch and History, S. 349. 65 Pelling, Plutarch and History, S. 357.

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entgegen dem normalen Schema, bei drei Viten ausnahmsweise die römische vor die griechische Lebensbeschreibung stelle.66

3.2.3 Charakteristika der Lebensbeschreibungen Innerhalb der einzelnen Biographie folgte Plutarch einem sich wiederholenden Schema, dessen Vorbild er zum Teil in der peripatetischen Biographie fand: Diese funktionierte als chronologische Narration von Ereignissen, zeigte gewisse künstlerische Intentionen67 und porträtierte literarische, philosophische oder politische Figuren der Zeitgeschichte. Ihr wurde ein zweiter Typus der Lebensbeschreibung gegenübergestellt, der im Umkreis alexandrinischer Philologen entstand und nur die Zeit der Jugend chronologisch behandelte, alle nachfolgenden Lebensabschnitte jedoch parallelisierend nach topischen Gesichtspunkten ordnete. Plutarch stünde demnach auf der einen Seite eher in der Tradition der peripatetischen, Sueton mit seinen Kaiserviten etwa auf der anderen in der alexandrinischen, topischen Tradition.68 Plutarchs Leben zeigten jedoch durch das Vorhandensein von ‚Leitmotiven‘ und deren Variation, daß eine rein chronologische Schilderung von Ereignissen zumindest nicht ausschließlich zu den Hauptinteressen ihres Verfassers zählen konnte: Inhaltliche Gewichtungen, exemplifizierende Anekdoten und die fortschreitende Entwicklung ausgewählter Charakterzüge funktionierten gleichsam unabhängig von der chronologischen Ordnung und wurden in den Biographien auch thematisch miteinander verknüpft.69 66 So bei Aemilius – Timoleon, Sertorius – Eumenes und Coriolan – Alcibiades; vgl. Pelling, Plutarch and History, S. 357. 67 Wohl im Gegensatz zur hauptsächlich historisch-informierenden, vgl. dazu G. H. Polman: Chronological Biography and Akmé in Plutarch, in: Classical Philology LXIX (1974), H. 3, S. 169–177, hier S. 169. 68 Zur Unterscheidung und Charakterisierung der zwei Typen der Biographie vgl. grundsätzlich Polman, Chronological Biography; grundlegend zur Biographie bereits Friedrich Leo: Die griechisch-römische Biographie nach ihrer literarischen Form, Leipzig 1901. 69 Plutarch durchbricht mancherorts die strenge Nacherzählung der Ereignisse, wenn er sowohl vorausdeutend als auch rückblickend bestimmte Entwicklungen oder Verhaltensweisen kommentiert; Antonius’ Hörigkeit gegenüber Kleopatra sieht Plutarch in dessen ‚Gewöhnung‘ an seine dominante Ehefrau begründet: „[E]r vermählte [...] sich mit Fulvia, der Witwe des Demagogen Clodius, einer Frau, die nicht Wollarbeit und Hauswirtschaft im Sinn hatte, auch sich nicht begnügte, einen einfachen Mann zu beherrschen, sondern einen führenden Mann führen und einen General kommandieren wollte, so daß Kleopatra der Fulvia eigentlich Lehrgeld schuldete für die Gewöhnung des Antonius an ein Frauenregiment, da sie ihn als einen Mann in die Hand bekam, der schon völlig gezähmt und von Anfang an dazu erzogen war, Frauen zu gehorchen.“ Antonius-Vita, 10. Kapitel, S. 310.

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In der Schilderung der produktivsten und aktivsten Phase (akmé) im Leben der ‚großen Männer‘ entwickelte Plutarch mit Hilfe der Chronologie, der thematischen Verknüpfungen und der eingefügten Passagen wörtlicher Rede eine „Einheit und dramatische Qualität“,70 die nach G. H. Polman über die Lebensbeschreibungen topisch ordnender Autoren hinausging. Oft lieferte Plutarch genau an der Stelle, an der eine Person in ihre akmé-Phase eintrat, oder an anderen signifikanten Wendepunkten eine detaillierte Wesensbeschreibung. Diese Charakerisierung konnte stattfinden a) am Beginn einer Karriere (z. B. Demosthenes), b) bei der Erlangung eines hohen Amtes (z. B. Artaxerxes), c) nach einem herausragenden militärischen Sieg (z. B. Alexander), d) bei einer Kombination von militärischem Erfolg und Erlangung eines Amtes (z. B. Flaminius) oder e) am Höhepunkt einer politischen Karriere (z. B. Cicero).71 In Analogie zur Analyse von Lukians Totengesprächen, in denen Alexander der Große auftrat, soll im Nachfolgenden kurz auf Plutarchs Alexander-Vita eingegangen werden.

3.2.4 Plutarchs Alexander-Biographie Zentrale Aspekte der Charakterisierung Alexanders waren etwa sein Temperament, sein Verhalten gegenüber Untergebenen und Fremden, seine Großzügigkeit (bzw. deren Abwesenheit), sein Umgang mit Belohnungen und Strafen, seine Ehrliebe bzw. sein Ehrgeiz, sein Verhalten gegenüber Freunden und Schmeichlern etc. Oft gab Plutarch an Stellen der Charakterbeschreibung Hinweise auf spätere Veränderungen: In der Biographie werden zu Anfang Alexanders Aussehen als Erwachsener und sein Verhalten als Knabe geschildert (4. Kapitel); bemerkenswerte Eigenschaften waren bei ihm schon in der Kindheit die Selbstbeherrschung, in der er sich trotz eines leidenschaftlichen Temperaments übte, und die Ehrliebe, die sich schon in jungen Jahren äußerte. Wesentliche Anlagen wie die Neugier auf Fremdes und das Streben nach Ruhm werden durch Anekdoten exemplifiziert (5. Kapitel). Sein Vertrauen und seine Liebe zu seinen Philosophen-Lehrern (besonders zu Aristoteles) ist ebenso Teil der Beschreibung. An der entsprechenden Stelle weist Plutarch auf eine sich voll-

70 „The gradual unfolding of character through successive deeds gave his heroes that unity and dramatic quality which put Plutarch’s biographies above those of topical writers.“ Polman, Chronological Biography, S. 172. 71 Zu der Identifizierung dieser signifikanten Wendepunkte vgl. Polman, Chronological Biography, S. 173.

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ziehende Wandlung in Alexanders Wesen hin, die sich in zunehmender Ablehnung seines Lehrers äußerte: Den Aristoteles bewunderte er im Anfang und liebte ihn, wie er selbst sagte, nicht weniger als seinen Vater, weil er durch diesen wohl das Leben habe, dank jenem aber ein rechtes Leben führe; später aber hatte er kein Vertrauen mehr zu ihm, nicht daß er ihm etwas Böses getan hätte, aber die Hulderweise, die er ihm zuteil werden ließ und die nicht mehr den Ton leidenschaftlicher Zuneigung hatten, zeigten damit die eingetretene Entfremdung.72

Die in der Biographie genannten Eigenschaften (positive wie negative) werden mit zukünftigen Taten in Beziehung gesetzt; kindlicher Ehrgeiz im Wettbewerb, Wißbegier und Streben nach Ruhm erscheinen als notwendige Voraussetzungen für Alexanders ‚Karriere‘ als Eroberer. Die Anekdoten, die Plutarch zur Veranschaulichung eines Charakters wählte, wiesen deswegen häufig auf eine später vollzogene Entwicklung voraus. Im Laufe der Vita gibt Plutarch an mehreren Stellen weitere Charakterisierungen, besonders, wenn – wie oben erwähnt – wichtige äußere Ereignisse stattgefunden hatten: Nach dem hart erkämpften Sieg über Dareios’ Truppen wird Alexander im erbeuteten königlichen Zelt bewußt, wie es sich anfühlt, König zu sein. Daran schließen sich Beschreibungen seines Verhaltens und seines Wesens an: Großzügig und edel verhält er sich den Frauen aus Dareios’ Familie gegenüber, seiner Ehefrau Barsine bleibt er trotz Verlockungen treu (21. Kapitel), entrüstet lehnt er es ab, zwei schöne Lustknaben zu kaufen (22. Kapitel), maßvoll zeigt er sich im Essen und trinkt weniger Wein als andere Feldherren. Seine Mußestunden (die er mit Jagen und Lesen verbringt) werden ebenso wie sein Verhalten als Richtender geschildert (23. Kapitel). Negativ sind Plutarchs Beschreibung gemäß sein allzu soldatisches Verhalten (Großsprecherei, Ruhmredigkeit) und sein Hang, Schmeichlern zu viel Raum zu geben (23. Kapitel). Sein Charakter wird noch einmal ausführlich beschrieben, als er sich auf dem Zenit seiner Macht befindet (39.–42. Kapitel), besonderer Wert wird dabei auf die Darstellung seines Umgangs mit Soldaten und Freunden gelegt: Alexanders außerordentliche Freigebigkeit ihnen gegenüber ist sogar Anlaß zum Tadel, wenn seine Mutter ihn in mehreren Briefen (die er allerdings vor seiner Umgebung verbirgt) der Verschwendung zeiht (39. Kapitel). Seinen Untergebenen und Freunden gegenüber übt er nur sanft Kritik, wenn sie sich nach anstrengenden Schlachten dem Luxusleben hingeben. Alexanders eigene Tapferkeit und Tatkraft setzen ihn bei seinen bequem gewordenen Freunden in ein

72 Plutarch, Alexander-Vita, 8. Kapitel, S. 15.

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schlechtes Licht, Unwillen und Murren unter seinen Gefolgsleuten sind die Folge (41. Kapitel). Plutarch weist auch auf eine zunehmende Verhärtung in Alexanders Wesen hin, die ihn – im Gegensatz zu früher – bei Gericht nicht mehr unvoreingenommen urteilen läßt, sondern dazu verleitet, auch Lügen und übler Nachrede Glauben zu schenken (42. Kapitel). Plutarch zeichnet Alexander als einen Menschen, der durch seinen obsessiven Drang nach Ruhm zunehmend den Sinn für das rechte Maß verliert: Sowohl in der Bestrafung anderer (Bessos ‚Zerschleuderung‘) als auch in seiner zunehmenden Angleichung an die Sitten der Barbaren (Alexander trägt ihre Kleidung, heiratet als zweite Frau die ‚Barbarin‘ Roxane) sehen seine Gefolgsleute Veränderungen, die ihnen wenig gefallen. In einem absteigenden Bogen führt die Entwicklung des ehemals so beliebten Feldherrn vom Gipfel seines Erfolgs hin zu seinem Ende: Sein Tod, der erst nicht zu Spekulationen Anlaß gab, wird rückwirkend als möglicher Giftmord gesehen – ein Verdacht, der Alexanders Mutter Olympia als Vorwand diente, die Personen hinzurichten, deren Beteiligung an der ‚Tat‘ sie annahm.

3.2.5 Fassmanns Rezeption von Plutarchs Parallelbiographien Plutarchs Parallelbiographien waren neben den Totengesprächen Lukians, Fontenelles und Fénelons das vielleicht bedeutsamste Vorbild für Fassmanns historisch-politischen Gespräche. Die Verwandtschaft des frühaufklärerischen Journals mit seiner griechischen Vorlage wird dabei auf zweifache Weise deutlich: Für einige Entrevuen bediente sich Fassmann nicht nur ihres Inhalts, der über weite Strecken hinweg den jeweiligen Biographien entlehnt war, sondern er imitierte auch ihre äußere Form, indem er in seinen Gesprächen zwei Leben bedeutender Persönlichkeiten einander gegenüberstellte und ihre Lebensgeschichten und ihren Charakter ausführlich beschrieb. Die inhaltliche wie formale Abhängigkeit des Fassmannschen Journals von Plutarchs Parallelbiographien wurde bis heute von der Forschung nicht erkannt; sie kann jedoch als eine mögliche Erklärung für die spezifische, von anderen Ausformungen der Gattung Totengespräch abweichende, Erscheinungsform dienen.

3.2.5.1 Form und Inhalt Als Beleg für diese These mag gelten, daß Fassmann im Ergänzungsband des Journals, der als Abschluß der Reihe 1740 herauskam, Plutarch explizit an mehreren Stellen nennt. Im II. Teil des Bandes, der den Inhalt aller 240 Entre-

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vuen in sogenannten Summarien zusammenfaßte,73 wurden die griechischen Lebensbeschreibungen als Quelle für die Leipziger Totengespräche zitiert: Die Zusammenfassung der 20. Entrevue zwischen Kleopatra, Königin von Ägypten, und François-Henri de Montmorency-Bouteville, Herzog von Luxemburg und Marschall von Frankreich, führt an als „Autores und Bücher, deren man sich bey Verfertigung dieser Entrevue bedienet: Bey der Cleopatra: 1) Plutarch, in Pomp. & Antonio“.74 Ebenso gab Fassmann für die Unterredungen, in denen Alexander (Nr. 65, 66 und 67) und Artaxerxes (Nr. 188) erscheinen, Plutarch als Quelle an. Der I. Teil dieses Ergänzungsbandes,75 in dem Fassmann in enzyklopädischer Form eine Universalgeschichte aller bekannten Staaten und Völker entwickelte, bot Verweise sowohl auf benutzte Quellen als auch auf die zugehörigen Entrevuen des Journals. Im VIII. Kapitel, das von der zweyten Haupt= Monarchie, die Persische genannt, berichtet, heißt es zum Nachfolger des grausamen Ochus76, Codomannus: Wie Ochus regierte, und Codomannus, der sich verkrochen hatte, wieder zum Vorschein kommen durffte, machte er eben sonderlich keine gute Figur. Au contraire, wir lesen, beym Plutarcho, in dem, was er vom Leben und Glücke Alexandri Magni geschrieben, es seye Codomannus, anfänglich, nicht mehr als einer von denen öffentlichen Couriers und Postillionen gewesen, so die Königlichen Befehle und Brieffe durch das gantze Reich beförderten.77

Fassmann offenbart zwar im Ergänzungsband seines Journals, daß er Plutarch als Informationsinstanz für seine Universalgeschichte und mehrere Entrevuen herangezogen hatte, gibt jedoch keinen expliziten Hinweis darauf, daß er sich

73 „II. Die Summarien, oder ein kurtzer Inhalt aller 240. Entrevüen, nach ihrer Zahl und Ordnung, samt der Chronologie, wann dieses oder jenes geschehen ist.“ Titelblatt des XVI. Bandes, Leipzig 1740. 74 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Teil, Leipzig 1740, S. 83 [Hervorhebung – SD]. 75 „I. Die Historie nach denen Monarchien, Reichen und Staaten, welche als ein Supplement zum gantzen Wercke abgehandelt, und, wo es bereits in denen Gesprächen geschehen, der Leser auf eine jede Entrevüe gewiesen wird, dergestalt, daß alles zusammen eine gar ansehnliche Universal-Historie formiret.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Titelblatt. 76 Ochus ist ein Sohn Artaxerxes’ und galt als ‚typisch orientalisch‘, weil er die meisten seiner männlichen Verwandten umbringen ließ. Laut Fassmann zeichnete er sich vor allem dadurch aus, daß er das persische Reich mit „Jammer, Mord und Schrecken“ erfüllte (S. 94), folgerichtig fand auch er ein gewaltsames Ende: Er wurde von einem ägyptischen Eunuchen vergiftet. 77 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, I. Teil, Leipzig 1740, S. 98 [Hervorhebung – SD].

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offensichtlich auch formal an den griechischen Biographien orientierte – ein Umstand, der nicht allzu überraschend ist, da derartige selbstreferentielle Aussagen von Fassmann nicht erwartet werden sollten. Wenn er überhaupt Aussagen zu etwaigen Vorbildern machte, gab er die auch von der Forschung identifizierten, eben vor allem die französischen Totengespräche von Fontenelle und Fénelon an. In der Valet=Rede des Autoris an seine Todtengespräche am Ende des XV. Bandes wird Fontenelle genannt, dessen dezidiert moralische Haltung Fassmann nur in den anfänglichen Diskursen und abschließenden Reflexionen angenommen haben will. Er unterschied jedoch in seiner Valet=Rede formal zwischen verschiedenen Teilen der Totengespräche – denen, die moralisieren, und denen, die historisch unterrichten: Gleichwie ich aber sahe, daß er [Fontenelle – SD] weit mehr darinnen moralisirte, als die Historie tractirte, dergestalt, daß es einem, der Historie Unkundigen, schwer fället, ihn wohl zu verstehen: also vermeynete ich, aus der Historie das Hauptwerck zu machen, die Moral aber, in Discursen und Reflexiones, schertz= und ernsthafft, gleichwie der berühmte Fontenelle gethan, mit einfliessen zu lassen.78

In der historischen Unterrichtung sieht Fassmann demnach seine Hauptaufgabe. In der Tat nahmen die Lebensbeschreibungen auch den weitaus größten Raum in den Entrevuen ein: Auf durchschnittlich 80 Seiten im Quartformat entfielen ca. 55–60 Seiten auf die Viten beider Gesprächspartner; die verbleibenden 20–25 Seiten boten einen einführenden Dialog, der beide Gesprächspartner zusammenführte und unterschiedliche Themen diskutieren ließ, und einen abschließenden Nachrichtenteil, in dem die neuesten Berichte aus der ‚Oberwelt‘ kommentiert wurden (vgl. 5.2 Die Gespräche). Die offensichtliche Abweichung der Fassmannschen Totengespräche von denen seiner angeführten Vorbilder kann durch die Annahme erklärt werden, daß eben genau diese historisch unterrichtende Absicht der Grund dafür war, den Mittelteil der Zusammenkünfte derartig ausführlich zu gestalten. Fassmann wurde dafür von verschiedenen Seiten kritisiert: In den meisten inhaltlich wie methodisch wenig überzeugenden Studien, die bis heute zu seinem Journal erschienenen sind, herrschte die Meinung vor, daß er in keiner Weise die stilistisch-künstlerischen Anforderungen dieser Gattung erfüllt habe.79 Was diesen Beiträgern entgangen zu sein scheint, ist Fassmanns spezifisches, über den eigentlichen Rahmen der Textsorte Totengespräch hinausreichendes Anliegen, das deren ‚atypische‘ Erscheinungsform bedingte: Als These läßt sich formulieren, daß

78 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Leipzig 1739, Valetrede, S. 1201. 79 „Die ethische und ästhetische Höhe seiner großen Vorgänger hat er natürlich nicht erreicht [...].“ Kaschmieder, Faßmanns „Gespräche im Reiche der Toten, S. 11.

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er innerhalb eines vergleichsweise neuen Mediums wie dem historisch-politischen Journal mindestens drei verschiedene Textsorten (Totengespräch, Parallelbiographie und Nachricht)80 montierte und so als ein neuartiges Genre präsentierte. Wie diese Montage verschiedener und gleichsam disparater Teile im Einzelnen funktionierte, soll anhand exemplarischer Analysen innerhalb der vorliegenden Arbeit demonstriert werden.

3.2.5.2 Imitation und Transformation Während Plutarch in seinen Lebensbeschreibungen jeweils einen Griechen und einen Römer präsentierte und miteinander verglich, weitete sich bei Fassmann der Kreis der Nationalitäten: Seine Gespräche zeigten Dialogpartner unterschiedlichster Herkunft, am häufigsten traten in den Entrevuen Deutsche auf, gefolgt von Franzosen, Engländern, Italienern, ‚Orientalen‘, Spaniern, Schweden, Österreichern, Dänen, Niederländern, Polen und Russen.81 Der äußere Rahmen der Textsorte Totengespräch, der durch seine dialogische Struktur auch auf die Präsentationsform der Biographien wirkte, bedingte bei Fassmann einen Wechsel in der Erzählhaltung; die Viten werden in seinem Journal von den Beteiligten gleichsam ‚selbst‘ erzählt, bei Plutarch (mit durchaus deutlich erkennbarem Erzählerkommentar) hingegen in der dritten Person. Fassmanns Auswahl der Personen für die Gespräche unterschied sich insofern von der Plutarchs, als er häufig Konstellationen wählte, die einen kontrastiven Effekt bewirken sollten: Ein tugendhafter christlicher Herzog traf auf einen grausamen muslimischen Despoten (45. Entrevue) oder eine schöne orientalische Königin auf einen häßlichen französischen Marschall (20. Entrevue) etc. Ein der Figurenkonstellation zugrundeliegendes gemeinsames Thema wie Schönheit, Mut oder Tugendhaftigkeit war bei Fassmann ähnlich wie bei Plutarch zwar durchaus erkennbar, ersterer präsentierte jedoch durch die Wahl der Charaktere oft zwei unterschiedliche Seiten ein und desselben Themas anstatt wie letzterer ein Thema und dessen Variation.82 80 Der die Begegnungen abschließende Nachrichtenteil wurde von Seiten der Forschung kritisiert wegen seines zu dem eigentlichen Gespräch konträren Charakters. 81 Vgl. dazu auch Kaschmieder, Faßmanns „Gespräche im Reiche der Toten“, S. 13. 82 Die Studien zu Fassmanns Journal sprechen auch in diesem Punkt seinem Autor die nötige artistische Kompetenz ab; Kaschmieder faßt das damals vorherrschende Werturteil zusammen: „Die Zusammenstellung der Unterredner wird in der bisherigen Literatur, die sich mit Faßmann beschäftigt, als wahllos und geschmacklos beurteilt. Das trifft für die meisten Entrevuen zweifellos zu.“ Kaschmieder, Faßmanns „Gespräche im Reiche der Toten, S. 13. Lindenberg bemerkt dazu: „Nicht selten [...] fehlt eine Beziehung zwischen den auftretenden Personen, oder sie ist doch allzu lose. So werden unbedenklich z. B. Kleopatra und der Marschall von Luxemburg [...] zusammengeführt. Die Bereitwilligkeit der Leute, sich in eine so lange Unter-

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Wie oben schon erwähnt, zitierte Fassmann Plutarchs Lebensbeschreibungen in den entsprechenden Entrevuen ausführlich: Artaxerxes’ Leben und Taten etwa bewegten sich über lange Strecken sehr nah an der griechischen Biographie. Bevor Artaxerxes nach dem Tod seines Vaters Darius zum König gekrönt werden soll, hat er den persischen Gebräuchen zufolge gewisse Rituale zu vollführen, deren Eigenart und Ablauf Fassmann von Plutarch (mit einigen Änderungen) übernimmt. Zum Vergleich sollen beide Abschnitte nebeneinander gestellt werden – das griechische Original links zum besseren Vergleich in der Übersetzung von Konrat Ziegler:83 Plutarch 3. Kurze Zeit nach dem Tode des Dareios begab sich der König nach Pasargadai, um von den persischen Priestern die Königsweihe an sich vollziehen zu lassen. Es ist dort das Heiligtum einer kriegerischen Göttin, die man für Athene halten möchte. Wenn der zu Weihende in diesen Tempel getreten ist, muß er seine Kleidung ablegen und die anziehen, welche der alte Kyros trug, ehe er König wurde; er muß trockene Feigen essen, Pistazien knabbern und einen Becher saure Milch trinken. Ob sie außerdem noch andere Bräuche begehen, ist den Außenstehenden unbekannt. 84

Fassmann Wenige Tage hernach, als mein Vater gestorben war, erhube ich mich nach Pasagardes, um daselbst, nach Art der Persianischen Monarchen, von denen vornehmsten Priestern des Landes gecrönet zu werden. Pasagardes war aber eigentlich ein, der Göttin Minerva gewidmeter Tempel, bey welchem herum niemand anders wohnte, als Priester mit ihren Kindern. Der neue König muste, wann er an seinem Crönungs=Tag hinein gienge, seine Kleider ab= und dargegen des alten Cyrus seine anlegen. Er muste auch von einer Tourte essen, die von Feigen, mit Terpentin=Oel gemachet gewesen, und einen Tranck, der aus Wein=Eßig und Milch bestanden. Noch andere Gewohnheiten waren ebenfalls gebräuchlich, deren Geheimnisse aber niemandem als denen Priestern bekannt gewesen.85

Fassmann übernahm meist durchgehend die chronologische Gliederung, die Plutarch in seinen Lebensbeschreibungen vorgab. Wie am zitierten Beispiel zudem deutlich wird, neigte er dazu, Orte, Personen oder bestimmte kulturelle

haltung mit einander einzulassen und ihre gegenseitigen weitläufigen Lebensgeschichten anzuhören, hält der Verfasser einer besonderen Stützung nicht für notwendig.“ Lindenberg, Leben und Schriften D. Fassmanns, S. 94 f. 83 Fassmann selbst kannte aller Wahrscheinlichkeit nach Amyots überaus populäre PlutarchÜbersetzung von 1579 oder eine der frühen deutschen Übertragungen (z. B. von Hieronymus Boner von 1534), wegen fehlender Sprachenkenntnisse jedoch auf keinen Fall das griechische Original. Vgl. dazu auch Anmerkung 111. 84 Plutarch, Artaxerxes-Biographie, 3. Kapitel, S. 348. 85 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 188 zwischen Artaxerxes und Stephan Báthory, Leipzig 1734, S. 885.

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Eigenarten ausführlicher als sein Vorbild zu erläutern. So wurden zum einen persische Rituale und Eigennamen mit zusätzlichen Erläuterungen versehen oder durch Begriffe ersetzt, die den heimischen Lesern leichter verständlich sein mußten; zum anderen paßte Fassmann die Ausdrucksweise der Redenden einem zeitgenössischen Idiom an, für das er mancherorts kritisiert wurde, weil es zu viele lateinisch flektierte und französisch-galante Lehnwörter eingebunden habe.86 Artaxerxes’ Erzählung seiner Lebensgeschichte wird bei Fassmann immer wieder durch Fragen und Kommentare seines Gesprächspartners, des polnischen Königs Stephan Báthory (1533–1586), unterbrochen. Im Unterschied zu früher erschienenen Entrevuen übernahm der zweite Tote in diesem Dialog eine aktivere Rolle in dem Abschnitt, welcher der historischen Unterrichtung diente.87 Die von Plutarch eingesetzte Technik der charakterlichen Beurteilung, die an wichtigen Wendepunkten der Lebensbeschreibungen stattfand, erscheint bei Fassmann in veränderter Form wieder: Hier ist es neben den ‚Selbstaussagen‘ eines Toten88 auch der Dialogpartner, der in einer Art Richterfunktion sowohl

86 Ein zeitgenössischer Kritiker dieser Mischung von fremder mit eigener Sprache war u. a. Johann Christoph Gottsched, der sich in der Vorrede zu seiner Fontenelle-Übersetzung folgendermaßen über diesen Stil moquierte: „Diese unnöthige Vermischung der Sprachen ist ein Übelstand und Fehler unserer täglichen Gespräche, und zeiget die Armuth der Redenden in ihrer Muttersprache, oder eine üble Angewohnheit an: Folglich darf der Scribent dieselbe nicht nachahmen; wofern er nicht im Sinne hat, diese böse Gewohnheit, als was ungereimtes vorzustellen.“ Johann Christoph Gottsched: Bernhards von Fontenelles Gespräche Der Todten und Plutons Urtheil über dieselben; zum erstenmahl ins Teutsche übersetzt, und mit einer Vorrede, von Gesprächen überhaupt, versehen, Leipzig 1727, unpaginiert. Die Fassmann-Forschung zielt auch hier in dieselbe wertende Richtung, wenn sie seine Ausdrucksweise als „schwülstig“ und „weitschweifig“ bezeichnet, vgl. Kaschmieder, Faßmanns „Gespräche im Reiche der Toten“, S. 18 ff. 87 Fassmann reagiert in seinen Gesprächen offensichtlich auf andernorts geäußerte Kritik, indem er die als zu ‚monologisch‘ empfundenen Abschnitte der Lebenserzählungen den Eingangsdialogen anzugleichen sucht. Vgl. dazu die unterschiedlichen Standpunkte in der Forschung, z. B. Kaschmieder, die durchaus eine Entwicklung innerhalb des Journals feststellt: „Während in den ersten Bänden der Dialog oft in einen bedenklich langen Monolog ausartet, wird dies später durch öftere Zwischenfragen und -bemerkungen vermieden, und die Zusammenkünfte nehmen infolgedessen einen lebhafteren Charakter an.“ Kaschmieder, Faßmanns „Gespräche im Reiche der Toten“, S. 12. Dagegen Lindenberg: „Käthe Kaschmieder findet (S. 12), daß in den späteren Bänden die unzerteilten langen Reden durch öftere Äußerungen des Zuhörers vermieden werden. Etwas Wahres mag ja daran sein, aber gründlicher Wandel ist hier nie geschaffen worden.“ Lindenberg, Leben und Schriften D. Faßmanns, S. 89. 88 Derartige Eigencharakterisierungen begegnen dem Leser des Journals häufig. Am Beginn ihrer Historie erklärt etwa Kleopatra ihrem Zuhörer François-Henri de Montmorency-Bouteville: „Ich bin eine Tochter des Königs in Egypten, Ptolomæi Acletæ, und man hat mich von Kindes=Beinen an vor einen Ausbund aller Schönheiten gehalten, auch meinen Verstand nie

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einzelne Taten als auch das Leben des Anderen beurteilt und historische Entwicklungen zusammenfaßt: Stephanus Ihr Persianischen Monarchen seyd, ein vor allemal, bey aller eurer Macht und Herrlichkeit recht elende Leute gewesen. Die Griechen, welche doch, gegen euer weitläufftiges Reich gerechnet, nur einen sehr kleinen Theil des Erdbodens besessen, haben Euch öffters angst und bang; ja letztlich euer Herrlichkeit gar ein Ende gemachet, und euch unter das Joch gebracht, nachdem Darius Codomannus, welcher der dritte von euern Nachfolgern gewesen, von Alexandro Magno ist geschlagen und überwunden worden. Euch ins besondere halte ich auch darum vor einen recht elenden Fürsten, weil Ihr nicht capable gewesen, euer Reich selber zu gouverniren, und eure Kriege mit denen Feinden zu führen, ohne dabey ein so böses Weib zu Rathe zu ziehen, wie eure Mutter ganz unstreitig zu nennen ist. Artaxerxes Ich konte meine Mutter auch darum nicht wohl entbehren, weil niemand so geschickt war, wie sie, mir die Zeit im Bret, und mit dem Würffel=Spiel zu passiren. Stephanus Ein desto elenderer Fürst seyd Ihr gewesen. Es klinget allemal recht erbärmlich, wann es heisset, daß grosse Herren müssen Favoriten oder Favoritinnen haben, mit denen sie die Zeit im Spiel passiren können. Welcher Fürst sich derer Regierungs=Affairen behörig annehmen will, der wird ganz gewiß nicht viel Zeit übrig haben, die er zum Spielen anwenden kan; und es sind im übrigen dergleichen Zeit=Vertreiber gemeiniglich sehr kostbare Leute.89

Die letzte Entgegnung Stephan Báthorys zeigt, daß Fassmann mit der Kritik, die ein Sprecher am anderen übte, eine weitere Ebene in seinen Totengesprächen eröffnete: Die negativen Äußerungen zur Lebens- und Regierungsführung des persischen Monarchen wiesen durch ihren allgemeinen Charakter über ihren eigentlichen Empfänger hinaus auf alle Fürsten und „grossen Herren“. Überhaupt zeigen die Kommentare derjenigen Figur, die der Lebensbeschreibung ihres Gegenübers zuhörte, die Tendenz, allgemeingültige und überindividuelle Weisheiten vermitteln zu wollen. Fassmann legte seinen Toten zu diesem Zweck häufig deutsche und fremdsprachige Sprichwörter in den Mund. Diese wurden auf spezifische Taten und Ereignisse im Leben des Anderen angewendet, verwiesen durch ihre allgemein gehaltene Aussage jedoch über ihren vordergründigen (manchmal etwas konstruiert wirkenden) Sinnzusammenhang hinaus auf Bereiche, die verschiedene Leserkreise berühren konn-

sattsam admiriren können.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 20, Leipzig 1720, S. 309. 89 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 188, Leipzig 1734, S. 902.

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ten:90 Als etwa der verwundete Artaxerxes auf einem kräftezehrenden Feldzug von einem „armen Mann“ Wasser zu trinken bekommt, setzt er alles daran, seinen unbekannten Wohltäter zu belohnen. Stephan Báthory entgegnet ihm: Wann man recht durstig ist, schmeckt der Tranck am besten, und es ist auch wahr, was man im Sprichwort zu sagen pflegt: Daß nemlich der Hunger ein sehr guter Koch seye, der da machet, daß die schlechtesten Speisen denen herrlichsten gleich sind, die man zur Zeit des Überflußes geniesset, ja sie noch darzu sehr weit übertreffen. Darum haben sich weise Leute in der Welt gefunden, die niemalen gegessen und getruncken haben, wann sie nicht recht hungrig, oder recht durstig gewesen sind.91

Fassmann übte durch seine Charaktere häufig Kritik an schlechten Fürsten, an den Intrigen bei Hofe und an der fehlenden Bildung einflußreicher Minister – an Umständen also, die nicht immer dem unmittelbaren Gesprächszusammenhang entstammten, aber durch den Einwurf eines Gesprächspartners als Parallele angeführt werden konnten.92 Anders als Plutarch, der oszillierende Urteile über die Charaktere und Taten seiner „großen Männer“ zuließ, zielten Fassmanns Dialoge auf eindeutigere Standpunkte ab. Durch die wertenden Kommentare der Gesprächspartner, die entweder durch Selbsterkenntnis nach ihrem Tod oder durch eine einleitende Exposition als ‚gut‘ oder ‚böse‘ charakterisiert wurden, gab Fassmann seinen Leserinnen und Lesern deutlichere Bewertungen der geschilderten Charaktere vor. Die Diskrepanzen, die sich in den griechischen Parallelbiographien zwischen Leben und abschließendem Vergleich ergeben konnten, fehlten in Fassmanns Totengesprächen. Er ließ zwar wie Plutarch zwei Leben parallel nebeneinander erscheinen (hier allerdings von den Figuren ‚selbst‘ erzählt), verzichtete aber auf eine abschließende Zusammenschau beider Personen; Vergleich und Wertung übernahm der jeweilige Partner, wobei wie bei Plutarch selbst Tyrannen positive Taten und Charakterzüge offenbaren konnten. Strebte

90 Im offensichtlichen Gegensatz zu dieser Praxis steht die Auffassung von Prutz, der laut Kaschmieder „mit großem Bedauern das Verschwinden der Sprichwörter aus der damaligen Sprache fest[stellt]“. Sie konstatiert desgleichen: „[U]nd es ist wahr, daß Sprichwörter und sprichwörtliche Redewendungen in den Totengesprächen äußerst selten anzutreffen sind.“ Kaschmieder, Faßmanns „Gespräche im Reiche der Toten“, S. 21 bzw. auch Robert Eduard Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, 1. Teil, Hannover 1845, S. 402 ff. 91 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 188, Leipzig 1734, S. 894. 92 Aus Artaxerxes’ Schilderung der intriganten und rachsüchtigen Zustände an seinem Hof leitet Báthory die Erkenntnis ab: „Wo dergleichen Principia an Höfen herrschen, da kan es nicht fehlen, sondern es müssen sich solche verfluchte Begebenheiten ereignen, woran Gott und Menschen das gröste Mißfallen tragen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 188, Leipzig 1734, S. 891.

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Plutarch in seinen Lebensbeschreibungen noch danach, die Ebenbürtigkeit von Griechen mit Römern mit Hilfe seiner Lebensbilder nachzuweisen, betonte Fassmann in seinen parallel geführten Historien den vermutlich als reizvoll empfundenen Kontrast verschieden bewerteter Charaktere. Ob er allein dadurch, daß er europäische mit orientalischen Figuren zusammen in einem Gespräch auftreten ließ, deren Ebenbürtigkeit annahm, muß anhand der jeweiligen Gespräche entschieden werden (vgl. 6 Das Fremde in Fassmanns Unterwelt). Seine Toten wiesen im Gespräch über ihre eigene Lebensgeschichte auf zeitgenössische Mißstände und Phänomene hinaus, die den Leser sowohl belehren als auch unterhalten sollten.

3.3 Bernard de Fontenelles Nouveaux Dialogues des Morts 3.3.1 Die Widmung an Lukian Bernard le Bovier, Sieur de Fontenelle (1657–1757), veröffentlichte 1683 als junger Mann auf dem Höhepunkt der Herrschaft Ludwigs XIV. einen schmalen Band, der den Titel Nouveaux Dialogues des Morts trug. Im Zeitalter des Absolutismus rief sein Werk, das das herrschende Wertegefüge satirisch karikierte und durch eine gewisse Respektlosigkeit untergrub, laut Werner Langer „ein entrüstetes Schütteln der Allonge-Perücken“ 93 hervor. Im Schutz der ImitatioTradition erklärte der Autor in seiner Widmungsschrift an Lukian, sich dessen antike Totengespräche zum Vorbild genommen zu haben, und behauptete, ihrem Schöpfer durch seine Imitation Ehre machen zu wollen: À Lucien, aux champs élysées Illustre mort, [...] J’ai quelque lieu d’espérer que le dessein qui est de vous, fera passer les choses qui sont de moi; et j’ose vous dire, que si par hasard mes Dialogues avoient un peu du succès, ils vous feroient plus d’honneur que les vôtres mêmes ne vous en ont fait, puisqu’on verroit que cette idée est assez agréable pour n’avoir pas besoin d’être bien exécutée.94

Der mögliche Erfolg (un peu du succès) dieser ‚neuen‘ Totengespräche (und sie waren in der Tat sehr erfolgreich) würde demnach – so Fontenelles Argumentation – auf die Qualität ihres Vorbildes bzw. das ingenium ihres ursprünglichen Schöpfers zurückweisen. Natürlich waren Fontenelles Dialoge ‚gut ge-

93 Werner Langer: Einleitung, in: Bernard de Fontenelle: Gespräche im Elysium, übertragen und herausgegeben v. dems., Hamburg 1989, S. 7–30, hier S. 7. 94 Bernard de Fontenelle: Œuvres complètes. Texte revu par Alain Niderst, Paris 1990, S. 47.

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macht‘ (bien exécuté), obwohl er in topischer Bescheidenheit das Gegenteil behauptete. Im Gegensatz zu Lukian verzichtete er aber in seinen Gesprächen auf das typische Personal 95 der Unterwelt und bedauerte, daß sein Vorbild die ‚lohnendsten‘ Themen (Gleichheit der ehemals Ungleichen, Sehnsucht nach dem Irdischen, Standhaftigkeit im Tod, erbschleicherische Jünglinge etc.) in seinen Gesprächen schon behandelt habe. In seiner Zueignung an Lukian markiert Fontenelle jedoch einen Punkt, den beide gemein haben: die Moral nämlich, die er als das ‚Ziel‘ (la fin) aller Totengespräche ausweist. Wären diese nicht ‚moralisch‘, so wären sie unnötig – und um unnötige Dinge auszusprechen, hätte man die Worte nicht Toten in den Mund legen müssen: Tous vos Dialogues renferment leur morale, et j’ai fait moraliser tous mes Morts: autrement ce n’eût pas été la peine de les faire parler; des Vivans auroient suffi pour dire des choses inutiles.96

Eine weitere Parallele zwischen ihm und Lukian besteht für Fontenelle in der Kürze der Gespräche: Da die Toten einen konzentrierten und aufgeklärten (éclairé) Geist besäßen, nehme es Wunder, daß sie überhaupt noch miteinander sprächen – eigentlich dürfe es im Reich der Toten gar keine Dialoge mehr geben, denn unterschiedliche Meinungen gehörten in das Reich der Lebenden; da die Menschen jedoch nicht genug Vorstellungskraft besäßen, müsse man – so Fontenelle – die Wesenszüge der Toten (zumindest der bekannten, wie er einschränkend bemerkt) ihrer ehemaligen Persönlichkeit gemäß gestalten. An dieser Stelle hebt er hervor, daß er im Unterschied zu Lukian, der erfundene Charaktere und Abenteuer aufgeboten habe, seine Figuren der ‚Wirklichkeit‘ abgeschaut habe: Ainsi je me suis attaché à rendre les Morts reconnoissables, du moins ceux qui sont fort connus. Vous n’avez pas fait de difficulté d’en supposer quelques-uns, et peut-être aussi quelque-unes des aventures que vous leur attribuez; mais je ne pas eu besoin de ce privilège. L’Histoire me fournissoit assez des véritables Morts, et d’aventures véritables, pour me dispenser d’emprunter aucuns secours de la fiction.97

Diese Behauptung ist als Selbstpositionierung ihres Autors und Leitung des Rezeptionsverhaltens insofern wichtig und bemerkenswert, als Fontenelle sich hier (vermeintlich) von der Vorgehensweise Lukians distanziert: Er habe es nicht nötig gehabt, sich erfundener Charaktere und Abenteuer zu bedienen;

95 „J’ai supprimé Pluton, Caron, Cerbère, et tout ce qui est usé dans les Enfers.“ Fontenelle, Œuvres complètes, S. 47. 96 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 48. 97 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 48 f.

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seine Dialoge spiegelten durch ihren unveränderten Bezug zu Personen und Geschichte die Wahrheit wider. Die zweifache Verwendung des Adjektivs véritable offenbart seine Absicht, einen Gegensatz zu den antiken Gesprächen zu konstruieren – einen Gegensatz, den er im erfundenen Charakter (la fiction) der Lukianischen Toten und Abenteuer begründet sieht. Die Geschichte (L’Histoire) lieferte ihm also vorgeblich genügend Stoff, um die ‚Wirklichkeit‘ mit Hilfe seiner Totengespräche abzubilden. Diese Aussage ist um so bemerkenswerter, als die Figuren in seiner Totenwelt oft genau entgegengesetzt zu ihrem Wesen zu Lebzeiten dargestellt werden.98 Wahrheit ist als Begriff bei Fontenelle, dem als unverbesserlichem Spötter und Gegner aller Dogmen nichts heilig war, mit Vorsicht zu lesen. Werner Langer bemerkt hierzu: „Fontenelle ist ein großer Zweifler. [...] Auch vor ihm stand die uralte Frage: „Was ist Wahrheit?“ Seine Antwort war letztlich die des alten Montaigne: „Que sais-je?“, „Was weiß ich?“ 99

3.3.2 Die ‚Neuen Totengespräche‘ Fontenelles Die Rezeption der 36 Totengespräche war, obwohl sie den Neffen Pierre und Thomas Corneilles „mit einem Schlage berühmt machte[n]“,100 nicht immer wohlwollend: „Entweder nahm man sie seit ihrem Erscheinen als bloße Spiele des Witzes und schnurrige Einfälle, oder man klaubte philosophische Bedeutungen heraus und bekam ein sinnloses Ganzes in die Hand. Die Zeitgenossen schüttelten den Kopf; Voltaire sagte, es sei »eine Schande für die Franzosen, daß sie dieses frivole, von dauerhafter Falschheit erfüllte Buch bestrickt habe«.“ 101 Was genau hat die Kritiker dieser „Konversationsstücke“ 102 irritiert? Fontenelle ließ sich nicht auf eine bestimmte Haltung festlegen: Sein „Satyrspiel“ 103 brach mit tradierten Mustern und Mythen, es verkehrte durch seinen ironischen Ton und die Wahl seiner Gesprächspartner gewohnte Denkweisen.

98 Vgl. etwa den Dialog zwischen Hadrian und Margarethe von Österreich, in dem die Todesarten der Figuren einer anderen Beurteilung als üblich unterzogen werden. 99 Einleitung zu Fontenelle, Gespräche im Elysium, S. 22 f. 100 Hans-Horst Henschen: Dossier „Fernglas-Phantasien“, in: Bernard de Fontenelle: Totengespräche. Aus dem Französischen übersetzt, kommentiert und mit Dossier und Nachwort versehen von Hans-Horst Henschen, Frankfurt a. M. 1991, S. 390–418, hier S. 391. 101 Einleitung zu Fontenelle, Gespräche im Elysium, S. 25. 102 Jörn Steigerwald: Galante Gespräche. Bernard de Fontenelles Dialogues des Morts, in: Dialog und Dialogizität im Zeichen der Aufklärung, hg. v. Gabriele Vickerman-Ribémont und Dietmar Rieger, Tübingen 2003, S. 13–30, hier S. 15. 103 Dossier in Fontenelle, Totengespräche, S. 390 f.

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Henschen verweist in seinem Dossier zu den Totengesprächen darauf, daß wir in den Dialogen durchaus zeittypische Figuren (er nennt sie auch „gesellschaftliche Phänotypen“) finden:104 den Weltmann, den Höfling, den Schmeichler, den Speichellecker, den Glücksritter etc. Die ebenfalls für die Zeit nicht ungebräuchlichen Themen wie Ruhmsucht, Eitelkeit, Vorurteile, Leidenschaftlichkeit usw. werden bei Fontenelle jedoch in ungewohnter Weise illustriert: Die Figuren entstammen eben nicht mehr nur einer Zeitperiode, sondern es treffen sich in zwölf Dialogen die Anciens mit den Modernes.105 Die Art der ungewohnten Zusammenstellung gab offensichtlich Anlaß zu Kritik: Fontenelle begegnet im Vorwort der Ausgabe von 1683 dem Vorwurf, seine Konstellationen seien trop bizarre, mit einer Rechtfertigung, die ihre Argumentation in der bildenden Kunst findet. Um für den nötigen esprit zu sorgen, brauchten die Gespräche neben aller Ähnlichkeit ein besonderes Element, das eine kontrastreiche Spannung entstehen lasse: Ce n’est pas que je n’aie mis quelquefois ensemble des personnages assez semblables, mais encore a-t-il fallu faire naître entre eux des oppositions; il faut toujours du contraste, comme disent les peintres.106

Die Neuheit der Fontenelleschen Dialoge besteht darin, daß zwischen den Figuren kein respektvoller Unterschied mehr gemacht wird; die Anciens sind nicht per se würdige Charaktere, die im Gespräch allein durch ihr Alter, ihre Berühmtheit oder ihre Weisheit die Oberhand behalten – und die Modernes nehmen ihnen gegenüber nicht mehr automatisch eine demütige Haltung ein, sondern sind ihren Gesprächspartnern in Tugenden wie Lastern ebenbürtig. Fontenelle stellt mittels seiner Paarungen eine Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit her, in der die Vertreter der verschiedenen Epochen in Beziehung gesetzt und zwangsläufig miteinander verglichen werden. Hier deutet sich schon im Kern die später so weite Kreise ziehende Querelle an, an deren Entstehen

104 Dossier in Fontenelle, Totengespräche, S. 394. 105 Die 36 Dialoge, die in zwei Teilen erschienen, sind ursprünglich jeweils unterteilt in die Dialogues des Morts anciens, Dialogues des Morts anciens avec des modernes und Dialogues des Morts modernes (in der französischen Edition beginnt die Numerierung in jedem Abschnitt jeweils von neuem). Henschen weist zurecht darauf hin, daß die Unterscheidung zwischen Alten und Modernen eine historische Trennlinie voraussetzt. Das ‚barbarische Zeitalter‘ zwischen dem wenig bekannten Ikasia (9. Jhdt.) auf der einen Seite und dem über das Mittelalter heraus bedeutenden Minnesänger Guillaume de Cabestan auf der anderen Seite wird bei Fontenelle ausgeblendet. Vgl. hierzu Dossier in Fontenelle, Totengespräche, S. 395. 106 Fontenelle, Œuvres complètes, hg. v. Georg Bernhard Depping, Bd. 2, Genf 1968, S. 170.

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Fontenelle beteiligt war. In der wenige Jahre nach den Nouveaux Dialogues des Morts erschienenen Digression sur les anciens et les modernes107 stellt er dann die (wissenschaftlichen und literarischen) Errungenschaften seines ‚modernen‘ Zeitalters über die des antiken: Erstes habe Erfindungen hervorgebracht, vor denen die Leistungen des letzteren verblaßten; die ‚Alten‘ sollten nicht mehr nur auf ihrem eigenen Gebiet nachgeahmt, sondern auch auf neu erschlossenen (wie z. B. den lettres galantes) übertroffen werden. Die Dekonstruktion der „normativen Idealisierung“ 108 der Antike nimmt ihren Anfang in den Dialogen Fontenelles, die in einem ersten Schritt ‚alt‘ und ‚neu‘ in Beziehung setzen.109 Hans-Horst Henschen stellt in den Gesprächen vier Elemente einer Relativierung fest: Erstens die Relativierung im Dialog (die Grundhaltung des ‚Für‘ und ‚Wider‘), zweitens in der Zeit (‚damals‘ und ‚heute‘), drittens in der Verteidigung der eigenen Position (z. B. ‚Schüchternheit‘ gegen ‚Abgefeimtheit‘) und viertens in der kontrastiven Wirkung der historischen gegenüber der im Dialog präsentierten Wahrheit.110 Fontenelle geht hier ähnlich vor wie Lukian, der vor allem in seinen Göttergesprächen die hergebrachten Mythen demontierte und in seinen göttlichen Figuren das ‚allzu Menschliche‘ betonte. In den französischen Dialogen werden die historischen Persönlichkeiten oft verzerrt und einseitig dargestellt, ein einzelner Aspekt im Leben einer Figur kann zum bestimmenden Charakteristikum werden. Henschen sieht neben der „Verbiegung eines ganzen Lebenslaufes“ vor allem die „mutwillige Isolierung eines [...] Nebenaspektes“ 111 als Kennzeichen für Fontenelles Technik, historische ‚Wahrheiten‘ und Legendenbildung zu überlagern bzw. die erste durch die letzte zu ersetzen.

107 Die Digression sur les anciens et les modernes erschien 1688, ein Jahr nach dem skandalträchtigen Auftritt von Charles Perrault vor der Académie française, deren Mitgliedern er anläßlich der Genesung Ludwigs XIV. ein Gedicht vortrug („Le siècle de Louis le Grand“), das die (französische) Gegenwart über die antike Vergangenheit stellte: „La belle Antiquité fut toujours vénérable; / Mais je ne crus jamais qu’elle fût adorable. / Je voy les Anciens sans plier les genoux, / Ils sont grands, il est vray, mais hommes comme nous; / Et l’on peut comparer sans craindre d’être injuste, / Le siècle de Louis au beau Siècle d’Auguste.“ Charles Perrault: Parallèle des anciens et des modernes en ce qui regarde les arts et les sciences. Faksimiledruck der Originalausgabe in 4 Bänden 1688–1696, hg. v. Hans Robert Jauß, München 1964, S. 165. 108 Dossier in Fontenelle, Totengespräche, S. 412. 109 Der Dialog zwischen Sokrates und Montaigne exemplifiziert seine Haltung, die – gegen alle Vorstellungen von ‚Fortschritt‘ – die immer gleichen Schwächen und Fehler in der Entwicklung der Menschheit sieht. Sokrates selbst ist es, der hier die Antike in ihrem Stellenwert herabsetzt und entidealisiert. Fontenelle, IX. Dialog zwischen Sokrates und Montaigne. 110 Dossier in Fontenelle, Totengespräche, S. 395. 111 Dossier in Fontenelle, Totengespräche, S. 396.

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Dieser Kunstgriff 112 der Verzerrung kann mehrere Funktionen erfüllen: Wenn z. B. im Leben eines Ancien ein ehemals unbedeutender (womöglich negativ konnotierter) Aspekt als besonders wichtig herausgestellt wird, mindert dies die Autorität des ‚Alten‘ und stärkt die des ‚Neuen‘ (z. B. bei Plato und Margarethe von Schottland, XXVIII. Dialog). Behauptet zudem eine Dame ihre Position gegenüber einem Herrn, wird dessen ‚natürliche‘ Überlegenheit untergraben (Alexander und Phryne, I. Dialog). Fontenelle läßt die Modernes jedoch nicht einfach ihre Position vertreten oder ihre Gesprächspartner mit Witz und Argumenten ‚besiegen‘, sondern betont hier – im Gegensatz zu späteren Werken wie der Digression – noch skeptisch die Konstanz der menschlichen Torheit. Tugendhaftes Verhalten ist in den Dialogues kein besonderes Kennzeichen der ‚Neuen‘ – im Gegenteil: Häufig siegt die Tugend (wenn überhaupt) nur deswegen, weil sie aus lasterhaften Beweggründen gewählt wurde. Dementsprechend wird z. B. Lukretia unterstellt, allein aus Ruhmsucht vorbildliche Sitten an den Tag gelegt zu haben (Lukretia und Barbara Blomberg, XXX. Dialog). Fontenelle verwendet – nach Steigerwald – mit dem Totengespräch nicht nur eine tradierte Gattung, sondern besetzt mit seinen Dialogen einen neuen Platz, der erfolgversprechend zu sein scheint.113 Das ‚Neue‘, die Herausforderung besteht für Fontenelle in der überzeugenden Kombination von alter Gattungstradition, modernen Ansprüchen und der Art ihrer Vermittlung. Eingebettet in den Kontext der ‚esthétique galante‘114 entfalten die Totengespräche ihr spezifisches Programm, dessen bewußtes Spiel mit den überkommenen Normen in Kombination mit neuen Erfindungen (im Sinne der inventio) Anlaß zu Kritik gab. Als prominenter Imitator äußerte sich auch Friedrich II. von Preußen über die Fontenellschen Dialoge und offenbarte seine Sichtweise zur Querelle: Wir können Fontenelles Dialoge und sein zauberhaftes Werk über die Mehrheit der Welten Lucians Dialogen gegenüberstellen. Zweifelsohne triumphieren Anmut und Leichtigkeit der Modernen über die satirischen und groben Scherze der Antike.115

112 Jörn Steigerwald sieht die Neuartigkeit – als Bizarrerie von der Kritik geschmäht – in eben dieser ‚Torsion‘ begründet. Vgl. Steigerwald, Galante Gespräche, S. 24. 113 Steigerwald, Galante Gespräche, S. 21. 114 Vgl. dazu Steigerwald, Galante Gespräche, S. 23 f. und S. 27 ff. 115 Friedrich II. König von Preußen: Histoire de mon temps, o. O. 1879, S. 195. Übersetzt von und zitiert nach Gerhard Knoll (Hg.): Friedrich II. König von Preußen. Totengespräch zwischen Madame de Pompadour und der Jungfrau Maria, Berlin 22000, S. 64.

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Als ständiger Gast der galant konversierenden Pariser Salons116 konnte Fontenelle den dort herrschenden Gesprächston in seine Dialoge einführen. Johan S. Egilsrud macht diesen Einfluß als bedeutenden Faktor für die kontrovers aufgenommene Erscheinungsform seiner Totengespräche verantwortlich: Les joutes d’esprit dans les salons, l’intérêt intense que l’on portait à la personnalité chez l’individu alimentèrent aussi une perspicacité de plus en plus aiguë et impitoyable. Le désir de briller et d’étonner, inévitable en société, aiguillonnait souvent les auteurs et ils modelaient leur style au goût des salons, forçaient leur esprit, abusaient des jeux de mots et des paradoxes, versaient, enfin, dans l’extravagance. Les juxtapositions recherchées et saissisantes d’interlocuteurs et l’incessant désir d’étonner – si souvent reproché aux dialogues de Fontenelle – viennent, sans aucun doute, du contact de l’auteur avec les salons littéraires.117

Die neue Mode des galanten Gesprächs hält so Einzug in die von Lukian geprägte Gattung: Fontenelle unterscheidet sich (neben den von ihm selbst behaupteten Aspekten) auch in der Art der Dialogführung von seinem Vorbild. Gerhard Hess kommentiert diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede wie folgt: So verbindet den französischen Autor in den Anschauungen nicht viel mehr mit dem Syrer als die Lust am Zerstören von Mythen und Chimären des menschlichen Geistes. Schon in der Führung des Dialogs macht sich Fontenelle recht selbständig: gegenüber seiner kasuistischen Dialektik, seiner unverbesserlichen Sucht zu verblüffen, muten Lukians Argumentation schlicht, der Ausgang der Gespräche oft fast pointenlos an.118

3.3.3 Das ‚Jugement de Pluton‘ Als Antwort auf die zeitgenössische Kritik an seinen Totengesprächen fügte Fontenelle dem Ende des zweiten Teils das satirische Jugement de Pluton119 hinzu. Die ehedem geordneten Verhältnisse der Unterwelt sind nach dem Er-

116 „Familie, Heim und Häuslichkeit waren ihm unbekannte Dinge. [...] Sein Lebenselement waren die Salons. In einigen war er jahrzehntelang der treueste Besucher, der intimste Freund, Stolz und Zierde und kostbarstes Inventarstück: so im Salon der Marquise de Lambert (1647– 1733), der Madame de Tencin (1682–1749) und der Madame Geoffrin (1699–1777).“ Langer, Einleitung zu Fontenelle, S. 17. 117 Johan S. Egilsrud: Le „Dialogue des Morts“ dans les littératures française, allemande et anglaise, Paris 1934, S. 36. 118 Gerhard Hess: Gesellschaft, Literatur, Wissenschaft. Gesammelte Schriften 1938–1966, hg. v. Hans Robert Jauss und Claus Müller-Daehn, München 1967, S. 124. 119 Fontenelle, Œuvres complètes, Jugement de Pluton sur les Dialogues des morts, S. 215–240 (Première Partie), S. 241–263 (Seconde Partie).

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scheinen der Nouveaux Dialogues des Morts einem Chaos (une confusion incroyable) gewichen: Die Kurtisanen belästigen die Helden (anstatt sich in ihrem eigenen abgeschlossenen Bereich aufzuhalten) mit zahlreichen Flegeleien (cent sottises), die Weisen geben den Fürsten die Ehre anstatt umgekehrt (les savans [...] faisoient la cour aux Princes) – kurzum, die Ordnung im Reich der Toten ist gründlich durcheinandergebracht. Pluton findet keinen Toten mehr an seinem Platz und ist besorgt um die Wiederherstellung der guten Sitten in seinem Reich: Il vit bien qu’il seroit difficile de remédier à ce mal; et en attendant qu’il pût remettre l’ordre dans son Empire, il voulut décharger sa mauvaise humeur sur le livre qui avoit causé tant de trouble. Il résolut d’en faire la critique publiquement.120

In einem ‚öffentlichen Strafgericht‘, dem Pluton, Aiakos und Rhadamantes vorstehen, klagen zuerst die Figuren der ersten 18 Dialoge ihren eigenen Autor an. In dieser Gerichtsszene ist die in den Gesprächen herrschende Aufteilung (anciens mit anciens, anciens mit modernes, etc.) aufgehoben: Die Unordnung, die Fontenelle in den ‚enfers‘ Plutons herstellt, steigert noch den Eindruck, den schon die Dialoge erwecken wollten – den, daß zwischen den Figuren verschiedener Zeitalter kein grundsätzlicher Unterschied mehr bestehe.121 Die anwesenden Schatten erheben den Vorwurf, Fontenelle habe ihre Persönlichkeiten in seinem Werk entstellt und sie ungerecht behandelt. Die (im Unterschied zu den Dialogen) anwesenden Richterfiguren sollen kraft ihrer Autorität Gerechtigkeit schaffen, indem sie den Autor zwingen, seine Darstellungen zurückzunehmen. Pluton ist jedoch mit dieser Aufgabe überfordert, schon die Lektüre des geschmähten Buches hat ihn angestrengt und ihm Kopfschmerzen verursacht: Pluton étoit assis sur son Trône, avec un air fort chagrin: il bâlloit à chaque moment, parce qu’il venoit de lire ce Livre, et il se plaignoit même d’une grosse migraine, qui lui étoit venue de ce qu’il l’avoit lu avec application.122

Nacheinander kommen bei der Versammlung die einzelnen Figuren zu Wort, wobei unter ihnen durchaus gestritten wird, ob Fontenelle ihnen überhaupt 120 Fontenelle, Œuvres complètes, Jugement de Pluton sur les Dialogues des morts, S. 216. 121 Zu diesem Punkt vgl. Steigerwald: „Den Ausgangspunkt [...] bildet die aufgrund der Veröffentlichung des ersten Teils der Dialogues entstandene Unordnung in den „enfers“, die das bis dato bestehende Distinktionssystem gänzlich aufgehoben hat. Dieses Faktum ist deswegen hervorhebenswert, da einerseits der Raum der ‚enfers‘ eine Verdoppelung der Versammlung der galanten Gesellschaft vor- und damit andererseits Möglichkeiten und Grenzen der ‚honnêteté culturelle‘ besonders für die Damen darstellen.“ Galante Gespräche, S. 24 f. 122 Fontenelle, Œuvres complètes, Jugement de Pluton sur les Dialogues des morts, S. 216.

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Unrecht getan habe: Einige Persönlichkeiten (wie etwa Kaiser Hadrian und Phryne) fühlen sich geschmeichelt, weil der Autor sie in seinen Dialogen aufgewertet habe. Cato hingegen beschwert sich bitter darüber, daß die ‚Alten‘ in den Nouveaux Dialogues in ihrer Ehre beschnitten und insgesamt respektlos behandelt worden seien. Fontenelle greift hier die Frage auf, ob sich diese Art der Sicht auf die Anciens zieme, indem er seine Figuren darüber debattieren läßt. Catos Anklage kulminiert in dem erhitzten Ausruf: „Où est le respect qu’on doit à l’Antiquité? De quel droit va-t-on dégrader ses Heros?“ 123 Kaiser Hadrian, der durch die Aufwertung seines Lebens bzw. Sterbens zu den Profiteuren der Dialoge gehört,124 entgegnet Cato, daß dieser sich an die Regel der ausgleichenden (Un-)Gerechtigkeit zu gewöhnen habe, die besage: „[...] où l’un gagne, il faut que l’autre y perde; c’est la loi commune. Les Auteurs sont maîtres de leur graces; ils les distribuent à qui bon leur semble.“ 125 Pluton befindet diese Maxime als ‚zu gefährlich‘ und erläßt ein Gesetz, das derartige Umdeutungen der Charaktere unterbinden soll und besagt: Qu’il n’etoit points permis de changer les caractères, et de faire Adrien de Caton, et Caton d’Adrien, même sous prétexte de compensation, ou pour remettre d’un coté ce qu’on ôteroit de l’autre.126

Im Folgenden erläßt der Unterweltsrichter immer mehr restriktive Gesetze, die den ‚neuen Autor‘ der Totengespräche127 davon abhalten sollen, seinen Charakteren (besonders den ‚alten‘) Schaden zuzufügen. Auf Homers Betreiben ergeht daraufhin der Beschluß, daß die Figuren nicht gezwungen werden dürfen, gegen sich selbst Zeugnis abzulegen.128 Homer weist darauf hin, daß Lukian sein schlechtes Urteil über ihn wenigstens einer anderen Figur in den Mund gelegt habe, wohingegen Fontenelle ihn sich selbst kritisieren lasse.129

123 Fontenelle, Œuvres complètes, Jugement de Pluton sur les Dialogues des morts, S. 219. 124 Vgl. den X. Dialog zwischen Hadrian und Margarethe von Österreich. 125 Fontenelle, Œuvres complètes, Jugement de Pluton sur les Dialogues des morts, S. 220. 126 Fontenelle, Œuvres complètes, Jugement de Pluton sur les Dialogues des morts, S. 220. 127 Fontenelles Name wird (augenscheinlich aus Protest) von den erregten Figuren nicht ausgesprochen; er wird stets als der zweifelhafte Nachfolger Lukians gesehen, deswegen auch die Bezeichnung als ‚Imitateur‘ oder ‚nouvel Auteur‘, z. B. S. 227. 128 Dieses Gesetz gegen die erzwungene Selbstkritik zeigt besonders gut die Absurdität der Vorwürfe, wenn Fontenelle Pluton die Ausnahme von der Regel hinzufügen läßt, die besagt, daß sie dann erlaubt sei, wenn es eine schriftliche Vollmacht der Person gebe: „Que l’on fît jamais parler personne contre soi-même, à moins que d’en avoir une procuration en bonne forme.“ Fontenelle, Œuvres complètes, Jugement de Pluton sur les Dialogues des morts, S. 227. 129 Vgl. Lukians Dialoge, die Figuren der homerischen Epen enthalten (z. B. XV., XVI.) und Fontenelles V. Dialog (Homer und Aesop), in dem Homer eine tiefere Bedeutung seiner Epen abstreitet und ihre spätere allegorische Ausdeutung ablehnt.

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Die Figuren lehnen sich im Jugement de Pluton gegen ihre vermeintliche Verunglimpfung auf; ihre widerstreitenden Positionen, vertreten von einzelnen Sprechern, spiegeln die ambivalente Rezeption der Neuen Totengespräche in der ‚realen‘ Welt wider. Fontenelles scheinbar unbekümmerte Demontage tradierter Ansichten führt hier zu einem lustvoll gestalteten Zusammenstoß der Generationen und Meinungen. In einem der von Pluton erlassenen Gesetze nimmt Fontenelle das fünf Jahre später für Furore sorgende Gedicht Perraults vorweg: Pluton ordnet an „[q]ue les Anciens seroient toujours vénérables“.130 Weil ihr Autor die eingeforderte Verehrung der Alten in seinen Dialogen nicht erfüllt, entbrennt zwischen den Figuren jener Streit. Pluton greift – überfordert von der Menge und Vielfältigkeit der Beschwerden – zu einem verzweifelten Mittel: Damit zukünftig jegliche Streitigkeiten vermieden würden, dürften einige Personen131 nicht mehr zusammen in einem Buch erscheinen. Nach dieser Maßnahme erscheint Merkur, der den anwesenden Richtern und Figuren einen Brief aus der ‚Oberwelt‘ vorliest. Fontenelle erweitert hier die satirisch angelegte Fiktion seines Jugement um ein weiteres Element, nämlich das der in die elysische Umgebung einbrechenden Realität in Form eines authentischen Fremddokuments – ein Kunstgriff, den Fassmann von Fontenelle in seinen Gesprächen übernehmen wird. Das Jugement de Pluton erfüllt als Nachsatz zu den Nouveaux Dialogues hauptsächlich zwei Funktionen: erstens die der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen (negativen) Kritik an seinen Gesprächen, und zweitens die der Selbstpositionierung in Hinblick auf Lukians Gattungsvorbild. Die satirische Wirkung des Strafgerichts wird von Fontenelle noch gesteigert, indem er die Reaktion seiner Figuren auf der Ebene der literarischen Fiktion mit der seiner Leser konfrontiert.

3.3.4 Fassmann und Fontenelle im Vergleich: Exemplarische Totengespräche 3.3.4.1 Fontenelles I. Dialog: Alexander und Phryne Fontenelle eröffnet seine Nouveaux Dialogues des Morts mit einer ungewöhnlichen Begegnung: Der berühmteste und mächtigste Eroberer in Europa, Alexander, trifft auf die berüchtigte thebanische Hetäre Phryne, um sich mit ihr über

130 Vgl. Anmerkung 15. Die Anfangszeile des Gedichtes lautete: „La belle Antiquité fut toujours vénérable [...]“. 131 Er bestimmt, „[q]ue le Duc d’Alençon, Elisabeth d’Angleterre, Smindiride et le Hollandais, ne se trouveront jamais dans un même livre.“ Fontenelle, Œuvres complètes, Jugement de Pluton sur les Dialogues des morts, S. 231.

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den Ruhm zu unterhalten. Werner Langer konstatiert in seinen Erläuterungen zu den Gesprächen im Elysium: „Von seiner so gern angewandten Methode: das Unvergleichliche zu vergleichen, gibt er hier zu Anfang bewußt ein extremes Beispiel.“ 132 Anders als Lukian, der den makedonischen Eroberer zusammen mit Männern wie Hannibal, Scipio, Minos, Diogenes oder seinem Vater Philipp auftreten läßt, wählt Fontenelle für ihn als Partner eine Frau. Und noch dazu eine, deren Eroberungen nicht auf dem Gebiet des Schlachtfeldes, sondern auf dem der käuflichen Liebe gemacht wurden. Phryne war jedoch zu ihrer Zeit keine Unbekannte, sie wurde wegen ihrer geistigen und künstlerischen Fähigkeiten als anregende Gesprächspartnerin von berühmten Männern geschätzt. In diesem Dialog zählen nicht die militärischen Siege und unzähligen Feldzüge Alexanders; der Vergleichspunkt zwischen beiden ist das (übermäßige) Streben nach einem Ruhm, der die eigene Existenz überdauert – er versucht ihn durch den endgültigen Sieg über die Perser zu erreichen, sie erkauft sich mit ihrem erworbenen Reichtum das Privileg, die von Alexander zerstörten Stadtmauern Thebens wiederaufbauen zu lassen: „Mit dialektischer Spitzfindigkeit will Fontenelle hier die Gleichheit des Lebens und Strebens beweisen bei der Hetäre wie beim Herrscher der Welt, die nach ihm beide durch Maßlosigkeit gesündigt haben.“ 133 Die Dialoge beginnen bei Fontenelle (anders als bei Fassmann) gleichsam ‚mitten im Gespräch‘, d. h. wir finden keine Beschreibung der Szenerie, der Figuren, vorausgegangener Begrüßungen etc. Das Treffen zwischen Phryne und Alexander ist – im Unterschied zu dem von Lukian beschriebenen – reduziert auf ein Gespräch zweier Persönlichkeiten (Les Ombres), die sich ohne Beistand oder Kritik des jenseitigen Personals (Charon, Minos, Pluton) unterhalten. Mit der ersten Rede Phrynes wird in das Thema des Dialogs eingeführt: Sie präsentiert sich dadurch, daß sie ihre konstruktiven Taten (Aufbau der thebanischen Stadtmauern) den destruktiven ihres Gesprächspartners (vorangegangene Zerstörung derselben) gegenüberstellt, nicht nur als eine ihm ebenbürtige Figur, sondern als die moralisch wertvollere. Alexander protestiert mit seiner Antwort nicht, wie man erwarten könnte, gegen diese Anmaßung seiner Gesprächspartnerin, sondern ignoriert scheinbar ihren direkten Angriff auf seine Taten. Statt dessen wirft er ihr Ruhmsucht vor und informiert den Leser durch einen Seitenhieb auf ihr Gewerbe über die moralisch zweifelhafte Herkunft ihres Reichtums. Der Dialog, der sich zwischen diesen beiden Schatten abspielt, zeigt, wie Fontenelle durch sie ein Thema exemplifiziert und auf witzig-satirische Weise nicht nur die Taten und Charaktere seiner Figuren kari-

132 Langer, Erläuterungen zum I. Dialog, in: Fontenelle, Gespräche im Elysium, S. 36. 133 Langer, Erläuterungen zum I. Dialog, in: Fontenelle, Gespräche im Elysium, S. 36.

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kiert, sondern auf allgemeingültige, fast stereotype menschliche Verhaltensweisen abzielt. Der Hang zur Errichtung dauerhafter Monumente, den Phryne an „allen ungewöhnlichen Menschen“ (toutes les Personnes extra-ordinaires)134 feststellt, zeugt davon. Auch seine französischen Zeitgenossinnen bleiben von Fontenelles Kritik nicht verschont: Alexander vergleicht Phryne mit der griechischen Hetäre Rhodopis, die er im Totenreich schon getroffen habe; ihre ebenfalls legendäre Schönheit und ihr Streben nach einem sie überdauernden Ruhm ließen sie ihr Vermögen (der Legende nach) in den Bau einer Pyramide in Gizeh investieren. Einige kürzlich verstorbene Damen, die sich Rhodopis als Französinnen zu erkennen gegeben hätten, beklagten dem Bericht Alexanders nach die heutigen Zustände, die es ihnen unmöglich gemacht hätten, ebensolche Reichtümer anzuhäufen – keine Pyramiden mehr für schöne Frauen.135 In seinem ersten Totengespräch bringt Fontenelle die berüchtigte Hetäre (‚die Schönheit‘) mit dem berühmten Eroberer (‚der Tapferkeit‘) zusammen, also „zwei Dinge, die bestimmt noch niemals miteinander verglichen worden sind“,136 wie die Alexander-Figur an einer Stelle des Dialogs anmerkt. Die witzigen Entgegnungen beider, die in knappster Form die entgegengesetzten Positionen ihrer Sprecher markieren, zeugen nach Henschen vom wichtigsten sprachlichen Instrument, mit dem das moralistische 17. Jahrhundert operieren konnte: den Maximen. Diese sind als kleinste artistische Bausteine eingebettet in den szenischen Kontext der Fontenellschen Gespräche.137 Nicht nur am Ende der Dialoge, sondern auch in ihrem Verlauf finden sich derlei Aperçus, die die Fähigkeit ihres Autors illustrieren, pointiert-scharfzüngige Gespräche zu verfassen. Phryne vergleicht z. B. die Macht der Schönheit mit der der Waffengewalt und behauptet: „La Beauté a un droit naturel de commander aux Hommes, et la Valeur n’en a qu’un droit acquis par la force.“ 138 Fontenelle läßt sie zur Verdeutlichung ihres Standpunktes ein weiteres Beispiel für die ‚natürliche‘ Macht der Schönheit wählen: Sowohl Alexanders Vater als auch er selbst hätten es trotz all ihrer Waffen nicht vermocht, Demosthenes zum Schweigen

134 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 51. 135 „[J]e me souviens que comme elle [Rhodopis – SD] parloit l’autre jour à de certaines Mortes Françoises, qui prétendoient avoir esté fort aimables, ces Ombres se mirent à pleurer, en disant que dans le Païs, et dans le Siècle où elles venoient de vivre, les Belles ne faisoient plus d’assez grandes fortunes pour élever des Pyramides.“ Fontenelle, Œuvres complètes, S. 51. 136 „Voila deux choses qui n’estoient jamais entreés en comparaison l’une avec l’autre.“ Fontenelle, Œuvres complètes, S. 52. 137 Dossier in Fontenelle, Totengespräche, S. 392 f. 138 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 52.

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zu bringen, der sich in legendär gewordenen Reden (den Philippika) gegen sie zur Wehr setzte. Eine andere Phryne139 jedoch hätte eine drohende Verurteilung abgewendet, als ihr Verteidiger den Schleier vor ihrem Gesicht herunterriß und so dem Richter Areopag ihre Schönheit enthüllte. Sie konstatiert: „C’est ainsi que le bruit de vos armes ne put, pendant un grand nombre d’années, faire taire un Orateur, et que les attraits d’une belle Personne corrompirent en un moment tout le sévère Aréopage.“ 140 Die Gegensätzlichkeit der Positionen ‚Schönheit‘ und ‚Gewalt‘ wird nach wiederholten Versuchen, dem anderen die eigene Überlegenheit zu beweisen, schließlich in der Erkenntnis Phrynes aufgelöst, daß sie beide in ihrer Maßlosigkeit und ihrem Streben nach Aufsehen zu viele Eroberungen gemacht hätten: „Vous et moi, nous avons fait trop de conquêtes.“ 141 Beide trennen sich in dem Einverständnis, daß sie weniger berühmt geworden (und geblieben) wären, wenn sie von ihren Talenten und Gaben nur ‚vernünftigen‘ Gebrauch gemacht hätten.

Fassmanns Totengespräch zwischen Alexander dem Großen und Karl dem Großen142 Fassmann widmet dem makedonischen Eroberer im V. Band seiner Gespräche in dem Reiche derer Todten gleich drei aufeinanderfolgende Entrevuen. Das erste der Treffen der Gesprächspartner beginnt jedoch nicht wie üblich mit einer – mehr oder weniger – zufälligen Begegnung Alexanders mit Karl zu Anfang des Dialogs, sondern findet erst zu einem späteren Zeitpunkt statt. Dem Gespräch dieser Männer geht eine Szene voraus, die Alexander – wie bei Fontenelle – mit Phryne konfrontiert: Fassmann kopiert hier (mit wenigen Ausnahmen) wörtlich sein französisches Vorbild, wie eine Gegenüberstellung beider Texte zeigen wird.

139 Gemeint ist jene namensgleiche Hetäre aus dem 4. Jahrhundert, die u. a. Praxiteles als Modell für die Aphrodite von Knidos diente; sie wurde im Jahre 340 der Schamlosigkeit angeklagt und mußte zu ihrer Verteidigung vor den Areopag treten. Der Rhetor Hyperides entblößte ihren Körper vor den Richtern – geblendet von ihrer Schönheit sprachen diese Phryne frei. Vgl. dazu Eric M. Moorman und Wilfried Uitterhoeve: Lexikon der antiken Gestalten. Mit ihrem Fortleben in Kunst, Dichtung und Musik, Stuttgart 1995, S. 562 f. 140 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 52. 141 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 53. 142 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevuen Nr. 65, 66 und 67, Leipzig 1724, S. 1–232.

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In Fassmanns Version dieser Paarung wird deutlich, wie er bestimmte Aspekte des französischen Vorbildes transformiert und für seine Absichten nutzbar macht: Die moralischen Tendenzen, die bei Fontenelle stellenweise nur angedeutet sind, werden bei Fassmann deutlicher betont. Darüber hinaus verleiht er dem ‚bloßen‘ Gespräch, das bei dem Franzosen ohne weitere Erläuterungen der Szenerie und Charaktere auskommt, mehr gefühlsmäßigen Furor. Er gestaltet die Figur der Phryne hier deutlich angriffslustiger und kommentiert auch Alexanders affektive Reaktionen auf ihre Angriffe. Phryne sehnt sich im Totenreich – so Fassmanns Introduktion – schon geraume Zeit nach der Ankunft des makedonischen Eroberers, „weil sie einen gewaltigen Trieb in sich verspührete, sich in einen Disput mit Ihm einzulassen.“ 143 Als sie ihn endlich in „einem gewissen Thal“ zu Gesicht bekommt, ist ihre erste Annäherung an Alexander eine durchaus impulsive: Sie schreit ihn an. Der Dialog zwischen beiden verläuft im Vergleich zu Fontenelles folgendermaßen: Übersetzung:144 Phryne Ihr könnt es von allen Thebanern erfahren, die zu meiner Zeit gelebt haben. Sie werden Euch bestätigen, daß ich ihnen angeboten habe, die Ruinen von Theben auf meine Kosten wiederaufzubauen, die Ihr hinterlassen habt, sofern darauf die folgende Inschrift angebracht würde: Alexander der Große hat diese Mauern geschleift, die Hetäre Phryne aber hat sie wieder aufgerichtet. Alexander Ihr hattet also große Angst, daß die künftigen Jahrhunderte nicht mehr wissen würden, welches Handwerk Ihr ausgeübt habt?

Fontenelles I. Dialog: Phriné Vous pouvez le savoir de tous les Thébains qui ont vécu de mon temps. Ils vous diront que je leur offris de rebâtir à mes dépens les murailles de Thèbes, que vous aviez ruinées, pourvu que l’on y mît cette inscription: Alexandre le Grand avoit abattu ces murailles, mais la Courtisane Phriné les a relevées. Alexandre Vous aviez donc grand peur que les Siècles à venir n’ignorassent quel Métier vous aviez fait? Phriné J’y avois excellé; et toutes les Personnes extra-ordinaires dans quelque Profession que

Fassmanns 65. Dialog: Phryné Schauet hier, grosser Alexander! Es stehet vor euch Phryné, die anders nichts als eine Courtisanin auf Erden gewesen. Gleichwohl werden alle Thebaner, welche zu meiner Zeit gelebet haben, mir das Zeugniß geben, daß ich mich offerirte, die Stadt=Mauern zu Thebä, so ihr ruiniret und übern Hauffen geworffen, auf meine Unkosten aufzubauen, woferne man diese Inscription darauf legen wolte: Alexander der Große, hat diese Mauern übern Hauffen geworffen gehabt; aber von der Courtisanin Phryné sind sie wieder aufgerichtet worden. Über diese unvermuthete und seltsame Anrede stutzete Alexander, sahe die Phryné

143 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 65, Leipzig 1724, S. 1. 144 Die Übersetzung stammt von Hans-Horst Henschen, Fontenelles Totengespräche, S. 13 f.

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Phryne ce puisse estre, ont la folie des Ein Handwerk, in dem ich im- Monumens et des Inscriptimerhin vortrefflich war; und ons. alle außergewöhnlichen Persönlichkeiten gleich welchen Berufsstandes sind ja auf Denkmäler und Inschriften geradezu versessen.

mit steiffen Augen an, und sprach: O Unverschämte! So müsset ihr dann sehr bekümmert gewesen seyn, daß man, in denen zukünfftigen Zeiten, etwa nicht wissen möchte, was vor ein Handwerck ihr getrieben habt. Phryné Allerdings hegete ich desfalls keinen geringen Kummer. Denn ich excellirte in dem, was ich triebe; alle extraordinaire Personen aber, von was Profession sie auch immer seyn mögen, haben die Thorheit im Kopffe stecken, daß sie sich nach Monumenten und Inscriptionen sehnen.

Die Textpassagen zeigen, wie sehr Fassmann sich bei seinem französischen Vorbild bedient: Über eine Übersetzung vom Französischen ins Deutsche hinaus entlehnt er der Sprache Fontenelles Wendungen, die er unverändert in sein Gespräch übernimmt (von Fassmann deutlich gemacht durch die kursive Schreibweise). Die Tatsache, daß er diese Begegnung zwischen Alexander und Phryne überhaupt in seinem Dialog mit Karl dem Großen stattfinden läßt, demonstriert, wie weit Fassmann sich an Fontenelle orientierte. Sein Bestreben, die galante Vorlage zu imitieren – die ja in Frankreich so erfolgreich war – äußert sich in sprachlicher und inhaltlicher Nähe. Obwohl der Leipziger in dem Ergänzungsband zu seinen Gesprächen eine kurze Beschreibung der drei Alexander-Dialoge nebst einer Angabe der verwendeten Quellen liefert, verschweigt er dort seine Anleihe bei Fontenelle (vgl. 4.2.4 Der XVI. Band). Die kurze Zusammenfassung des Eingangsdialoges liest sich wie folgt: Alexander M. geräth anfänglich mit der berühmten Griechischen Hure Phryne in einen hefftigen Disput, weil sie sich nicht nur on parallele mit ihme gesetzet; sondern auch prætendiret, mehr Ehre, als Alexander, in der Welt eingeleget zu haben, indem sie sich bey ihren Lebzeiten offeriret, die Mauren zu Thebæ, welche derselbe in seinem Grimm und Zorn demoliren lassen, von ihrem Huren=Lohn wieder aufzurichten. [...] Die Autores, deren man sich zu dieser Entrevuë bedienet, sind: 1) Plutarchus. 2) Curtius.145

145 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, S. 240 ff.

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Bis auf einen Einschub in der Mitte dieser Begegnung gleicht der deutsche dem französischen Alexander-Phryne-Dialog; bei Fassmann erzählt die Hetäre (nicht Alexander) die Anekdote von den unlängst verstorbenen Schönheiten, die sich über die geänderten Zeiten beklagen. Alexanders Reaktion darauf ist von Fassmann erdichtet: Seine Antwort zeigt die typische Absicht ihres Autors, allgemeine Mißstände der Gegenwart zu betonen: Alexander Indessen glaube ich schwerlich, daß nicht noch jetzo in der Welt etliche Weibs=Personen solten gefunden werden, welche von dem, was sie durch ihre Schönheit verdienet, nicht eine Mauer, um eine ziemlich große Stadt, solten aufführen lassen können, wann sie nur der Geiz nicht daran verhinderte. Ach, wie manches vortreffliche Closter, ja wie manche schöne Kirche, würde nimmermehr erbauet worden sein, wann nicht diese oder jene Courtisanin, das darum benöthigte Geld, von ihrem verdienten Lohn, fourniret hätte.146

Nach diesem Einschub kehrt Fassmann zunächst wieder zu seinem ‚Original‘ zurück, in welchem sich Phryne ihrer konstruktiven Leistungen wegen selbstbewußt über Alexander stellt. Fassmann verändert seine Vorlage erneut, wenn er z. B. die Beispiele, die Phryne gegen Alexander vorbringt, ausspart (die Reden des Demosthenes und die ‚andere‘ Phryne). Bei Fontenelle sagt Alexander an der entsprechenden Stelle (bevor er von Phryne unterbrochen wird): „Quoique vouz ayiez appellé encore une Phriné à votre secours, je ne crois pas que le parti d’Alexandre en soit plus foible. Ce seroit grande pitié, si ...“ 147 Fassmann, der die Beispiele nicht übernommen hatte, läßt den Eroberer sprechen: „Und wann auch noch so viele Phrynen in der Welt wären, als sich Pfeile in dem Heer des Darii, welches ich bei Issus geschlagen, befunden haben, so könnten sie dennoch meiner Ehre nicht den geringsten Abbruch thun. Denn das wäre schön, wann eine ...“ 148 Die Wendung „noch so viele Phrynen“ bleibt bei Fassmann dunkel und unmotiviert, da er die hinführenden Beispiele unterschlägt; dafür ergänzt er die Rede des Eroberers um den Hinweis auf dessen Sieg über Darius. Der Autor gibt hier (wie an zahlreichen anderen Stellen) der historischen Information den Vorzug gegenüber der inneren Gesprächslogik. Der abschließende Teil des französischen Gesprächs wird von Fassmann nicht wiedergegeben. Er bricht den Dialog der beiden an der Stelle ab, an der Phryne sich wegen ihrer Eroberungen rühmt, die sie – im Gegensatz zu Alexander – ohne die Hilfe großer Armeen gemacht habe. Sie läßt ihren Dialogpartner bei Fassmann buchstäb-

146 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 65, Leipzig 1724, S. 2. 147 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 53. 148 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 65, Leipzig 1724, S. 3.

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lich stehen und entfernt sich unter lautem Klatschen (als ob sie sich selbst zu ihrem Sieg gratulierte). Alexander ist durch die Begegnung mit Phryne sehr erregt und „geriet nunmehro vollends in die gröste Wuth, daß ihm die Phryné seine, auf der Welt erlangte, Ehre so gar sehr beschneiden wolte, auch mit einem grossen Gespötte auf und davon lief.“ 149 Das Ende dieser Begegnung verläuft wie ihr Anfang weitaus emotionaler als bei dem Franzosen; Fassmann spitzt die in den Dialogues nur angedeuteten Animositäten zwischen den Figuren zu. Aus diesem Grund klammert er den Schluß des originalen Dialogs aus, der die Positionen beider relativ versöhnlich nebeneinander bestehen läßt. In Fassmanns Journal wird Alexander so irritiert, daß es in der Überleitung zu der Begegnung mit Karl dem Großen heißt: „Ja es war gut, daß sich die Phryné fix auf ihren Beinen finden ließ, weil, anderergestalt, der grosse Alexander, woferne er sie erwischet hätte, übel mit ihr umgegangen seyn würde.“ 150

3.3.4.2 Fontenelles XVII. Dialog: Agnes Sorel und Roxelane In diesem Dialog trifft eine der schönsten Frauen des Okzidents ihr orientalisches ‚Pendant‘, um sich mit ihr über den Einfluß der Frauen (auf die Männer und ihre Geschicke) zu unterhalten Es sind zwei Frauen, die beide als Geliebte eines Herrschers selbst Macht ausübten: Die eine ist Agnes Sorel (ca. 1422– 1450), Mätresse Karls VII., der besonders durch die sich hinziehenden Auseinandersetzungen mit England als zaudernder und schwächlicher König galt. Die andere ist Roxelane (auch Rossolana, die „Russin“ genannt, 1505–1561), nachherige Kaiserin Hürrem, als Anastasia Lisowska in der Ukraine geboren. Sie soll Sultan Süleyman I. durch seine Liebe zu ihr dazu bewegt haben, sie zuerst aus dem Sklavinnenstand des Harems zu entlassen und danach zur rechtmäßigen Ehefrau zu nehmen. Beide Frauen galten zu ihrer Zeit und weit über ihr Umfeld hinaus als ausgesprochene Schönheiten – und als Frauen, die den Einfluß, den sie durch ihr gutes Aussehen erwarben, mit Intelligenz und Machtbewußtsein erhalten und vergrößern konnten. Beide liefern ein Beispiel dafür, daß man als Frau durch Geschick und Schönheit zu Macht gelangen konnte, auch ohne anerkannten

149 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 65, Leipzig 1724, S. 4. 150 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 65, Leipzig 1724, S. 4. Dieses komische Element des Verprügeln-Wollens erinnert eher an Lukian, in dessen Dialogen sich die Figuren im Streit etwas antun wollen – ungeachtet der Tatsache, daß sie bereits tot und körperlos geworden sind. Von einer würdevollen Gemütsruhe nach dem Tod kann in Fassmanns Unterwelt jedenfalls keine Rede sein.

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rechtlichen Status: Fontenelle „[...] hat hier den Damen eine galante Huldigung dargebracht, die sicherlich beifällig aufgenommen worden ist. Wo konnte der Gedanke, daß die Frauen die eigentlichen Herrscherinnen der Welt sind, wenn sie es nur sein wollen und die Männer bei ihren Leidenschaften packen, auf fruchtbareren Boden fallen als in jenem Frankreich des »Ancien Régime«, wo die Frau rechtlich fast nichts, tatsächlich aber alles bedeutete?“ 151 Agnes Sorel beginnt das Gespräch mit einer Kulturkritik; sie bekundet ihr fehlendes Verständnis für die orientalische Liebe, die ohne das Einverständnis der Frau funktioniere: „A vous dire le vrai, je ne comprends point votre galanterie turque“. Die Orientalen empfänden nie die Lust am Widerstand und am Sieg (le plaisir de la résistance, et [...] le plaisir de la victoire),152 die in ihrer Gesellschaft als erstrebenswertes Ideal gelte. Roxelane gibt ihr augenscheinlich recht und erklärt, daß die Türken diese Art der ‚verfeinerten Liebe‘ (les douceurs de l’amour si raffinées)153 aus politischen Gründen nicht praktizierten – aus Angst also, daß die Frauen zuviel Macht über die männliche Herrschaftssphäre erlangen könnten: eine direkte Anspielung auf die Profession ihrer Gesprächspartnerin. Agnes Sorel entgegnet, daß diese Einflußnahme ja durchaus gut (und teilweise notwendig) sein könne, wie ihre eigene Geschichte bewiesen habe. Fontenelle stellt hier die Fähigkeit unter Beweis, Witz und Komik zu vereinen, wenn er Roxelane auf Agnes’ Frage, ob sie die Geschichte der Errettung Frankreichs aus den Händen Englands kenne, antworten läßt: Oui; comme cette histoire a fait grand bruit, je sais qu’une certaine Pucelle sauva la France. C’est donc vous qui étiez cette Pucelle là? Et comment étiez-vous en même temps Maîtresse du Roi?154

Agnes korrigiert diesen Irrtum auf Seiten der Türkin und schildert dieser ihren damaligen Plan, den König mit Hilfe einer List (un stratagême) von seinem Vorhaben abzubringen, sich kampflos in die Berge zurückzuziehen. Ihrer Aussage nach war der eigentliche Beweggrund, Karl zum Bleiben und Handeln zu bewegen, ihre Unlust, ihm in eine abgelegene (unzivilisierte, wie man ergänzen möchte) Gegend zu folgen. Was beide Frauen eint und ihren Erfolg vergleichbar macht, ist eben diese Fähigkeit, Listen zu erdenken und ihre Pläne (mit der Hilfe eingeweihter Dritter)155 in die Tat umzusetzen. Roxelane beurteilt 151 Erläuterungen zum XVII. Dialog, in: Fontenelle, Gespräche im Elysium, S. 136. 152 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 119. 153 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 119. 154 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 119–120. 155 Im Falle der Agnes war dies ein Astrologe, der eine passende Prophezeiung lieferte. Bei Roxelane waren es einige Rechtsgelehrte, die dem Sultan rieten, seine ehemalige Sklavin zu heiraten, wenn er mit ihr weiterhin in liebendem Einverständnis leben wolle.

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Agnes‘ Leistung weniger positiv als diese selbst (J’admire la vanité que vous tirez de cette petite action); im Vergleich zu ihrer französischen Gesprächspartnerin sei ihre eigene Leistung weit höher einzuschätzen: „Vous allez entendre un stratagême plus fin que le votre.“ 156 Die von Agnes anfänglich geäußerte Kritik an der weniger galant-versierten Liebe der Türken wird von Roxelane dadurch kompensiert, daß sie trotz schlechterer Ausgangsbedingungen (sie war ja Sklavin) mehr als die ‚freie‘ Agnes erreicht habe: Süleyman habe sie dank ihrer ‚raffinierteren‘ List geheiratet, obwohl dies nicht den allgemeinen Gepflogenheiten entsprochen und sein Verhalten durchaus Gefahren geborgen habe. Der Dialog der beiden Frauen endet mit dem selbstbewußten Schwur Roxelanes, den herrschsüchtigsten Mann der Welt in ihre Gewalt bekommen zu können, solange sie „viel Geist, ausreichend Schönheit und nur wenig Liebe“ besäße (beaucoup d’esprit, assez de beauté, et peu d’amour)157 – so ihre berechnend-kokette Rangordnung der Gaben und Fähigkeiten, die eine nach Macht strebende Frau benötige.

Fassmanns Totengespräch zwischen Caesonia und Roxelana158 In Fassmanns 111. Totengespräch trifft die Sultanin Roxelana wieder auf eine Frau, die Macht ausübte; hier ist es statt Agnes die Gattin Kaiser Caligulas, Caesonia. Roxelana wird in Fassmanns Journal weit weniger positiv dargestellt als bei Fontenelle, der sich auf die Erwähnung ihrer List und dem damit zusammenhängenden Aufstieg von der Sklavin zur Ehefrau beschränkte. Dieser Aufstieg wird auch bei Fassmann auf dem Titelblatt als das bedeutsamste Merkmal erachtet, genau wie Caesonia durch ihren Status als Ehefrau eines römischen Kaisers ausgezeichnet wird: Gespräche in dem Reiche derer Todten, Hundert und Eilffte Entrevuë, zwischen Cæsonia, Der fünfften und letzten Gemahlin des Römischen Kaysers Caligulæ, Und der Roxelana, Die aus einer Sclavin, eine Gemahlin des Türckischen Kaysers Solimanni II. worden.

Die Frauen werden als „sonderbare Personen“ 159 eingeführt, deren Lebensgeschichte im Weiteren behandelt wird. Fassmann wiederholt diese Auszeich156 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 121. 157 Fontenelle, Œuvres complètes, S. 122. 158 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 111, Leipzig 1727. 159 Die Bezeichnung ‚sonderbar‘ wird in Fassmanns Journal auffällig oft angewendet; dies mag zum einen der positiven Leserlenkung geschuldet sein, zum anderen aber seiner Imitation Fontenelles, welcher für seine ‚sonderbaren‘ Arrangements (im Sinne von bizarr) bekannt wurde.

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nung zu Beginn des Gesprächs, wenn er in Roxelanas Leben jene bei Fontenelle so zentrale List als ‚sonderbar‘ hervorhebt. Die türkische Sultanin findet sich im Totenreich in einer prekären Lage wieder: Ihr Lebenswandel, der sich durch zahlreiche Intrigen und brennenden Ehrgeiz auszeichnete, ist der Grund dafür, daß sie hier nur als gequälte Seele existieren darf.160 Als Caesonia in einer der „wüsten Gegenden“ spazierengeht, erblickt sie eine ihr unbekannte Frau, die an den Füßen an einen Felsen geschmiedet ist. Auf die Frage nach ihrer Identität antwortet Roxelana: Wundert euch nicht, wer ihr auch seyn möget. Ich bin darum an Ketten geschmiedet, weil ich, in Ansehung weltlicher Ehren, ungemein glückselig auf Erden gewesen; aber mich keines unschuldigen Tugend=Wandels beflissen, sondern grosse Missethaten begangen habe.161

Zwischen Caesonia und Roxelana entspinnt sich im Folgenden eine Art Wettstreit, welcher von beiden Frauen der höhere Rang zukommt. Ähnlich wie Fontenelle läßt Fassmann beide darüber debattieren, wer im Leben einen höheren Status inne hatte. Hier ist es zunächst weniger die Qualität der Listen oder die Beschwerlichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs, die dies entscheiden, sondern die Stellung des jeweiligen Gatten. Caesonia fühlt sich ihrer Gesprächspartnerin überlegen, weil ihr Ehemann Caligula 1. lange vor Süleyman Kaiser gewesen sei, 2. über mehr Länder und Untertanen geherrscht habe, und 3. sie immer eine freie Bürgerin Roms gewesen sei.162 Das Gesprächsthema der beiden Frauen ist bei Fassmann erst nicht die Macht, die sie ausüben konnten, sondern allgemein verschiedene Formen von Liebe und Haß, zu denen Menschen fähig sind. Bei Fontenelle werden die Parallelen zwischen zwei Frauen hervorgehoben, die zwar aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen und keine Zeitgenossinnen sind, sich aber durch ihre natürlichen Gaben wie Schönheit, Geist und Machtbewußtsein (gepaart mit ihrer Fähigkeit zur List) ähneln. Eindeutig negative Charakterzüge werden bei ihm ausgespart, das Hauptaugenmerk liegt

160 Der Status als Ehefrau, den Roxelana schließlich erreichte, ließ sie danach streben, ihren Lieblingssohn Bajazeth auf den Thron zu bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, sät sie Zwietracht unter den zahlreichen (älteren) Söhnen Süleymans. Zwar kommen alle ‚störenden‘ männlichen Nachkommen auf verschiedene Weise um (teilweise durch die Hand ihres eigenen Vaters, der Roxelanas Einflüsterungen Glauben schenkt), aber auch ihr Sohn Bajazeth stirbt, weil er der Konspiration überführt wird. Nachfolger seines Vaters wird schließlich Selim, der mittlere Sohn Roxelanas. 161 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 111, Leipzig 1727, S. 1141. 162 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 111, Leipzig 1727, S. 1142. Der Status der Freiheit zählt hier also auf den ersten Blick mehr (im Vergleich zu Fontenelle, der gerade ihr ehemaliges Sklavinnendasein als besonders bemerkenswert heraushebt).

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auf der witzig-galanten Form des Gesprächs. Fassmann läßt ‚seine‘ Roxelana auf die Römerin Caesonia treffen und markiert schon in der Exposition des Gesprächs einen Wechsel in der Perspektive: Roxelana ist nicht nur die geheimnisvoll-schöne Orientalin, sondern ein Beispiel für eine machtgierige und lasterhafte Frau. Ihr Gegenüber ist deswegen auch nicht mehr eine Dame aus dem galant-verfeinerten Umfeld des französischen Königshofes; als Dialogpartnerin wählt er statt dessen die Gemahlin eines wegen seines mordlustigen und verrückten Verhaltens gehaßten römischen Kaisers, dessen Frau wegen ihrer eigenen Verfehlungen zusammen mit ihrem Mann umgebracht wird.163 Fassmann verwendet einen großen Abschnitt in der Biographie Caesonias darauf, das Vorleben und die Taten ihres Gemahls zu schildern;164 als Caesonia dann auf sich selbst als seine fünfte und letzte Gemahlin zu sprechen kommt, gesteht sie Roxelana: [...] Ich war geil, kühn, unverschämt und hochmüthig in dem höchsten Grad. Zur Grausamkeit bin ich ebenso geneigt gewesen, wie Caligula selber, habe auch nicht wenig zu denen blutigen Executionen contribuiret, wodurch ganz Rom in die äusserste Angst und Schrecken gesetzet worden, und welche gemachet, daß viele tausend Menschen, eine geraume Zeit unaufhörliche Thränen vergossen.165

Doch auch in Caesonias Leben wird das bei Fontenelle auftauchende Motiv von der Frau, die die Regierungsgeschäfte ihres Mannes lenkt, betont: Durch

163 Caesonia wird in Suetons Caligula-Biographie folgendermaßen eingeführt: „Caesoniam neque facie insigni neque aetate integra matremque iam ex alio viro trium filiarum, sed luxuriae ac lasciviae perditae, et ardentius et constantius amavit, ut saepe chlamyde peltaque et galea ornatam ac iuxta adequitantem militibus ostenderit, amicis vero etiam nudam“ (Die Caesonia, die weder besonders hübsch noch jung war, sondern von einem anderen Mann schon drei Töchter hatte, dafür aber in ihrem Luxus und ihren Ausschweifungen maßlos war, liebte er leidenschaftlicher und beständiger, so daß er sie häufig mit Soldatenmantel, Schild und Helm geschmückt und an seiner Seite reitend den Soldaten vorführte, seinen Freunden aber sogar nackt.). Sueton: Kaiserbiographien. Lateinisch und deutsch, hg. v. Otto Wittstock, Berlin 1993, S. 258. 164 Fassmann gibt im XVI. Band an, ein französisches „Tractærtgen“ als Quelle für ihr Leben benutzt zu haben; es trage den Titel Les Femmes de douze Cesars. Der von ihm nicht genannte Autor ist Jacques Roergas de Servies. Der vollständige Titel des Buches lautet: Les femmes des douze Cesars, contenant La Vie & Les Intrigues secretes des Imperatrices & Femmes des premiers Empereurs Romains, Où l’on voit les traits les plus interessants de l’Histoire Romaine. Tirée des Anciens Auteurs Grecs & Latins, avec des Notes historiques & critiques, Paris 1720. Für das Leben der Roxelana nennt er als Grundlage erstens Jacques-Auguste de Thous Historiarum sui temporis [2 Bde., Paris 1604–08] und zweitens Michel Baudiers Histoire générale des Turcs [Paris 1626]. 165 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 111, Leipzig 1727, S. 1166.

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den zunehmenden Wahnsinn und die emotionale Abhängigkeit ihres Gatten (beides angeblich induziert durch ein philtrum, einen Liebestrank) nimmt sie immer mehr Einfluß auf Staatsangelegenheiten. Anstatt wie zuvor eine Gattin gegen die nächste zu tauschen, scheint Caligula diese nicht nur zu dulden, sondern wirklich zu lieben. Sie bleibt nicht nur bei ihm, sondern Au contraire seine Liebe gegen mich nahm immer mehr und mehr zu, dergestalt, daß er letzlich keine Stunde mehr ohne mich seyn oder leben kunte; wie er mich dann auch in Regierungs Sachen, ziemlich frey schalten und walten ließ.166

Was die erwähnten Frauenfiguren bei Fassmann und Fontenelle eint, sind ihre Schönheit, Machtgier und Fähigkeit zur List. Auffällig ist an beiden Beispielen, daß die Frauen ihre Männer (eben durch ihre Schönheit und ihren Machtinstinkt) in eine Situation emotionaler Abhängigkeit treiben, die sie wiederum für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Je stärker die Macht der Frauen zunimmt, desto gravierender tritt der Verlust der Autorität auf seiten der Männer zutage. In einem extremen Fall wie bei Caesonia wird die Hörigkeit (der Überlieferung nach) durch einen Trank erreicht, der auch als Erklärung für Caligulas Geisteskrankheit dient.167 Beide – Roxelana und Caesonia – sind als Figuren bei Fassmann eindeutig negativ konnotiert; ihre Leben dienen als warnendes Beispiel für die Leserinnen und Leser, die sich mit deren Historie beschäftigen. Offenbar sollen die oben erwähnten Eigenschaften in dieser deutlichen Ausprägung als ausgesprochen unweiblich, ja gefährlich empfunden werden. Diese Lesart legt bereits das Gedicht zum Titelkupfer nahe: Was ist ein Weib das sich der tollen Wuth ergiebt? Ein Scheüsal wann sie zürnt, ein Affe von Geberden, Ein Crocodil, das sich auch selbst, vor Grimm nicht liebt, Ein Tÿger, wann es kan der Feinde mächtig werden.

Ein derart intrigantes und machtgieriges Verhalten macht Frauen also nicht nur häßlich, sondern verwandelt sie auch in lächerliche und gefährliche (exotische) Tiere, von denen sich jeder fernhalten würde. Grund genug für jede ‚vernünftige‘ Leserin, beider Lebensgeschichten als abschreckendes Vorbild zu begreifen.

166 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 111, Leipzig 1727, S. 1168. 167 Diese Erklärung findet sich schon bei Sueton: „creditur potionatus a Caesonia uxore amatorio quidem medicamento, sed quod in furorem verterit“ (Man glaubt auch, ihm sei von seiner Gattin Caesonia ein Liebestrank eingegeben worden, der aber zur Raserei geführt habe.). Sueton, Kaiserbiographien, S. 276.

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Antike und frühneuzeitliche Vorbilder Fassmanns

3.3.5 Der Einfluß von Fontenelles Dialogues des Morts auf Fassmanns Gespräche Die oben gezeigten Beispiele haben demonstriert, wie eng Fassmann sich in einigen seiner Dialoge an sein französisches Vorbild hielt. Waren Plutarchs Parallelbiographien für ihn ein Modell sowohl in der inhaltlichen wie auch formalen Gestaltung der biographischen Abschnitte, so wurden Fontenelles Nouveaux Dialogues des Morts vor allem eines für die der Eingangsdialoge. Fassmann bemerkt zu Fontenelle in der Valet-Rede des XV. Bandes Folgendes: Eben dieser Fontanelle ist es eigentlich, der mich zu eurer Herausgebung, ihr meine Todten= Gespräche! veranlasset hat. Denn seine Todten=Gespräche gefielen mir über die Massen wohl, ob sie gleich nur aus einem kleinen Octav=Bändgen bestehen. Gleichwie ich aber sahe, daß er weit mehr darinnen moralisirte, als die Historie tractirte, [...] also vermeynete ich, aus der Historie das Hauptwerck zu machen, die Moral aber, in Discursen und Reflexiones, scherz= und ernsthafft, gleichwie der berühmte Fontanelle gethan, miteinfliessen zu lassen. Das hat mir auch dermassen gelungen, daß ihr, ihr meine Todten=Gespräche! zu einem sehr wichtigen Werck, das aus funffzehen starcken Quartanten bestehet, worden seyd.168

Nicht zu übersehen ist, daß Fassmann hier selbst einen Unterschied macht zwischen den Abschnitten seiner Gespräche, die sich an den galant-moralisierenden Dialogen Fontenelles orientieren, und denen, die historisches Wissen (nach Art der Parallelbiographien) vermitteln sollen. Diese Unterscheidung ist von der Forschung nicht beachtet worden. Sie verglich die Totengespräche stets in ihrer Ganzheit mit denen Lukians oder Fontenelles und kam zu dem Schluß, daß Fassmanns „geruhsame ausgedehnte“ 169 Erzählweise dem Wesen des Gesprächs per se entgegenstünde. Lindenberg vertritt in seiner Studie eine Auffassung von der Textsorte Totengespräch, welche die spezifische Erscheinungsform der Gespräche Fassmanns zwangsläufig ‚unpassend‘ erscheinen lassen mußte. Darüber hinaus verkennt er den deutlichen Einfluß Fontenelles sowohl auf formal-stilistische Aspekte einzelner Abschnitte als auch auf grundsätzliche Aspekte der Imitation, die z. B. die Wahl der handelnden Figuren betreffen: Überall läßt der Zweck der Unterredung: zu urteilen, nicht zu berichten, lange Erzählung, die dem Gespräch im allgemeinen fremd ist, vermeiden. Demnach hat Faßmann, der ja die geruhsame ausgedehnte Erzählung pflegt, weder den Inhalt noch die (dadurch bestimmte) eigentümliche Form der Dialoge Fontenelles zu Vorbild genommen. Was haupt-

168 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Leipzig 1739, S. 1201. 169 Lindenberg, Leben und Schriften David Faßmanns, S. 91.

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sächlich auf ihn gewirkt hat, ist der Gedanke, historische Personen aus verschiedenen Zeitaltern im Gespräch miteinander vorzuführen.170

Auffällig ist an Fassmanns Rezeption der französischen Dialoge, daß er diejenigen Figurenkonstellationen seiner Vorlage verstärkt imitiert, die erstens genug Stoff bieten für einen historisch unterrichtenden Hauptteil, und die zweitens entweder einen Ancien mit einem Moderne oder zwei Modernes miteinander kombinieren – die Paarung Ancien – Ancien findet man weitaus seltener in seinem Journal.171 Ebenfalls erfolgversprechend scheint für Fassmann die Kontrastwirkung der Paarungen gewesen zu sein, die eben nicht nur Figuren unterschiedlicher Zeitalter, sondern unterschiedlichen Geschlechts, Herkommens oder Glaubens im Gespräch vereinen. Auf die Kritik, die deswegen bereits an den französischen Dialogen geübt wurde, weil die in ihnen gezeigten Konstellationen als allzu ‚bizarr‘ empfunden wurden, fand bereits Fassmanns Vorbild Fontenelle eine Antwort, die seinen Ansatz mittels künstlerischer Argumente erhellt und rechtfertigt: J’avoue que je n’ai pas remédié à cela; mais je prie ceux qui ont fait cette critique, de vouloir bien considérer que souvent tout l’agrément d’un Dialogue, s’il y en a, consiste de la bizarrerie de cet assortiment; qu’elle donne moyen d’offrir à l’esprit des rapports qu’il n’avait peut-être pas aperçus, et qui aboutissent toujours à quelque moralité; [...] Ce n’est pas que je n’aie mis quelque fois ensemble des personnages assez semblables, mais encore a-t-il fallu faire naître entre eux des oppositions; il faut toujours du contraste, comme disent les peintres.172

Bizarrerie ist demnach kein Makel, sondern ein Mittel, um neue Wege zu beschreiten. Jörn Steigerwald definiert Fontenelles Vorgehensweise wie folgt: „Was Fontenelle nicht ausdrücklich sagt, jedoch implizit ausweist, ist, daß die ‚bizarrerie de cet assortiment‘ einen Kunstgriff darstellt, der durch die unvorhergesehene Verbindung zweier zunächst disparater Teile, d. h. hier der Dialogpartner, ein neuer rapport für den esprit entsteht, der die Qualität des Dialogs grundsätzlich bestimmt.“ 173 Fontenelle unternehme hier den Versuch, so

170 Lindenberg, Leben und Schriften David Faßmanns, S. 91 f. 171 Es sind dies nur fünf von 240 Entrevuen: Nr. 108 zwischen Hersilia, einer der Sabinerinnen, und Octavia, der Frau Kaiser Neros; Nr. 143 zwischen Tiberius, römischem Kaiser, und Vespasian, römischem Kaiser; Nr. 154 zwischen Augustus, römischem Kaiser, und Sokrates, athenischem Philosoph; Nr. 157 zwischen Romulus, dem ersten König von Rom, und Julius Caesar, dem ersten Kaiser von Rom; Nr. 205 zwischen Marc Aurel, römischem Kaiser, und Julianus, römischem Kaiser. 172 Fontenelle, Œuvres complètes, hg. v. G.-B. Depping, Bd. 2, S. 170. 173 Steigerwald, Galante Gespräche, S. 23 f.

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Steigerwald weiter, den ehemals negativ konnotierten Begriff der bizarrerie in einen positiven umzuwandeln. Er verweist auf dessen Definition in Organen wie dem Dictionnaire universel, in welchem das Wort die Bedeutung von ‚außergewöhnlicher Sache‘ und (vom spanischen bizarro abgeleitet) ‚schön‘ bekommen kann. Fassmann wiederum imitiert diesen Kunstgriff des Franzosen und hebt desgleichen die Unterschiedlichkeit seiner gewählten Charaktere hervor. Deutlich sichtbar wird seine Anleihe dadurch, daß er die Begrifflichkeit des Franzosen in die deutsche Sprache transportiert. So werden die handelnden Figuren oder ihre Schicksale – entweder bereits auf dem Titelblatt oder zu Beginn der Entrevuen – als sonderbar bezeichnet.174 Im Unterschied zu Fontenelle kündigt Fassmann jedoch eine ‚bizarre‘ Konstellation vorher an – auf dem Titelblatt der 45. Entrevue z. B. wird der Leser über die Verfahrensweise und den spezifischen Zweck der folgenden Paarung informiert: Fünff und Vierzigste Entrevuë zwischen Ernesto, Dem frommen und gottesfürchtigen Herzog zu Sachsen=Gotha, welcher ein rechter Spiegel tugenthaffter und löblicher Fürsten zu nennen, und dem letzten Kayser von Marocco, Muley Ismael, einem erschrecklichen Tyrannen, welcher bey nahe vierzig tausend Menschen, mit eigener Hand, umbracht haben solle. Worinnen des Erstern gottseligen Prinzens löbliches Leben und Wandel, auch ungemeine Gottesfurcht, Gerechtigkeit und Frömmigkeit; dann des Letztern grausame Tyranney und Unthaten beschrieben sind. Zur Zeigung des grossen Unterschieds, welcher sich, auf der Welt sowohl, als in der Ewigkeit, zwischen einem frommen Fürsten und einem Tyrannen befindet.175

Fassmann stellt auf dem Titelblatt seiner Entrevue die Lesart sicher, die er mit der Wahl seiner Personen intendierte – Fontenelle hingegen verzichtet auf jeglichen dem Gespräch vorausgehenden Kommentar: Die Konstellationen in den französischen Dialogen sprechen ‚für sich‘.176 Fontenelle ist es bei der Wahl seiner Figuren zu verdanken, daß er nach den Asolani Bembos, dem Cortegiano Castigliones und den Colloqia familiaria des Erasmus177 wieder Frauen in seine Dialoge (und in andere Werke) einge-

174 Vgl. hierzu im Abschnitt 3.3.4.2 das Gespräch zwischen Roxelana und Agnes Sorel, in dem beider Leben mehrfach als ‚sonderbar‘ bezeichnet werden. 175 Fassmann, Gespräche aus dem Reiche derer Todten, Entrveue Nr. 45, Leipzig 1722, Titelblatt [Hervorhebung – SD]. 176 Fassmann folgt mit seiner spezifischen Gestaltung der Totengespräche nicht nur seinen unterschiedlichen Vorbildern, sondern auch den Gesetzen des Mediums Journal; deswegen hat er die Möglichkeit, zusätzliche Informationen (zur Erregung der Aufmerksamkeit und Leserlenkung o. ä.) mit Hilfe eines Titelblattes zu vermitteln. 177 Zu denken ist bei Erasmus von Rotterdams Vertraulichen Gesprächen besonders an den legendär gewordenen IV. Dialog zwischen Eulalia und Xanthippe („Die Gattin, die über die Ehe lästert oder Die Ehe“). Erasmus von Rotterdam: Vertrauliche Gespräche. Übersetzt und hg. v. Kurt Steinmann, Zürich 2000, 47–71.

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führt hat. Birgit Wagner faßt diesen Umstand wie folgt zusammen: „Es wird auch nach dem Wiederaufleben der Dialogform in der italienischen Renaissance durchaus üblich bleiben, weibliche Figuren an Gesprächen teilnehmen zu lassen, in denen es um das Wesen der Liebe oder um das höfische Verhalten geht. [...] Nicht zugetraut wird ihnen hingegen, am beginnenden Prozeß der Ausdifferenzierung der Naturwissenschaften aus dem Traditionsbestand der Naturphilosophie teilzuhaben.“ 178 Fontenelle gesteht nun den Frauen einen größeren Spielraum an Verhalten und Wissen in seinem Werk zu: Margarethe von Schottland besteht z. B. als die ‚bessere‘ Platonikerin gegen die Argumentation des Philosophen im XXVIII. Dialog. Innovativ waren zudem Fontenelles Entretiens sur la Pluralité des Mondes,179 in denen eine adelige Frau danach strebt, astronomisches und physikalisches Wissen zu erwerben. Fassmann bietet zwar kein derartig ambitioniertes Programm in seinem Journal; er übernimmt aber von Fontenelle bestimmte Figurenkonstellationen. Reizvoll schienen ihm (der Häufigkeit ihres Vorkommens nach zu schließen) besonders diejenigen zu sein, die einen Mann mit einer Frau oder zwei Frauen miteinander im Gespräch zeigen. Der Grad der Abhängigkeit der deutschen Totengespräche von den französischen läßt sich an der Menge der Figuren ablesen, die von Fassmann in sein Journal expediert werden: Eine Paarung übernimmt er zur Gänze – die zwischen Alexander und Phryne (I. Dialogue bei Fontenelle bzw. 65. Entrevue bei Fassmann) –, bei anderen tritt eine der Figuren Fontenelles (oder beide)180 mit einem neuen Partner auf (was nicht zwangsläufig bedeutet, daß sich Thema bzw. Grundkonstellation geändert haben müssen). Folgende Charaktere erscheinen sowohl bei Fontenelle als auch bei Fassmann: Sokrates (IX. Dialogue bzw. 154. Entrevue), Margarethe von Österreich

178 Birgit Wagner: Dialog, Wissen, Geschlecht. Von Platon zu Fontenelle und Diderot, in: Dialog und Dialogizität im Zeichen der Aufklärung, hg. v. Gabriele Vickermann-Ribémont u. Dietmar Rieger, S. 31–47, hier S. 35. 179 Die ‚Unterhaltungen über die Vielheit der Welten‘ erschienen 1686 und machten die Welt der Naturwissenschaften (nicht nur bei den Damen) nach Werner Langer „salonfähig“. Vgl. ders., Einleitung zu Fontenelles Gesprächen im Elysium, S. 15. Fontenelle kreiert mit der Figur der sich für Wissenschaft interessierenden Frau ein literarisches Vorbild, dessen Verkörperung in der Realität wenig später Émilie du Châtelet (1706–1749) sein wird; die Freundin Voltaires übersetzte die 1687 erschienenen Philosophiae naturalis principia mathematica Newtons nicht nur ins Französische, sondern machte sie einem breiteren Publikum durch ihre Interpretation überhaupt erst verständlich. 180 Dies ist der Fall in Fontenelles XIII. Dialog, dessen Gesprächspartnerinnen Fassmann beide auch in seinem Journal erscheinen läßt, allerdings in anderer Konstellation: Anne de Bretagne trifft im deutschen Journal auf einen ‚gewissen französischen Graf‘, Maria von England auf Maria von Schottland.

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(X. Dialogue bzw. 147. Entrevue), Anne de Bretagne (XIII. Dialogue bzw. 60. Entrevue), Maria von England (XIII. Dialogue bzw. 52. Entrevue), Karl V. (XIV. Dialogue bzw. 2. Entrevue), Elisabeth von England (XV. Dialogue bzw. 4. Entrevue), Roxelane (XVII. Dialogue bzw. 111. Entrevue), Johanna I. von Neapel (XVIII. Dialogue bzw. 167. Entrevue), Scarron (XXIV. Dialogue bzw. 23. Entrevue), Süleyman I. (XXXI. Dialogue bzw. 9. Entrevue), Molière (XXXII. Dialogue bzw. 5. Entrevue) und Maria Stuart (XXXIII. Dialogue bzw. 52. Entrevue). Zwischen einigen Figuren besteht darüber hinaus eine enge verwandtschaftliche Beziehung: Fontenelle läßt Cosimo II. de’ Medici auf Berenike treffen (XII. Dialogue), Fassmann paart Cosimo III. mit Heinrich IV. (69. Entrevue) und Katharina de’ Medici mit Sabina Poppæa (119. Entrevue). In einem der französischen Dialoge unterhält sich Kaiser Augustus mit Pietro Aretino (VII. Dialogue), in einem der deutschen mit Sokrates (154. Entrevue), und Augustus’ Tochter Julia mit Nantilda, Königin von Frankreich (95. Entrevue). Arudsch Barbarossa (XXXI. Dialogue) und Jeanne d’Arc (XVII. Dialogue), die beide in Dialogen Fontenelles als Randfiguren erwähnt werden, bekommen bei Fassmann eine eigene Entrevue (Nr. 120 bzw. Nr. 53). Zwischen den französischen und den deutschen Totengesprächen entsteht so ein Netz von Beziehungen, das auch innerhalb des Journals weiter ausgebaut wird: Fassmann entwickelt in den Jahren, in denen sein Journal publiziert wird, ein System von ‚cross-references‘, d. h. er erwähnt in zahlreichen Lebensgeschichten Personen, die an anderer Stelle im Journal selbst zu Wort kommen.181 Die deutlichen Anlehnungen, die Fassmann bei seinem französischen Vorbild machte, sind bis heute weitesgehend unbeachtet geblieben bzw. unterschätzt worden. Als ein Beispiel für transnationale Imitation und Transformation eines neu belebten Genres bietet jedoch gerade dieser Prozeß mehr als genug Anschauungsmaterial, um die Wirkweise und Stufen eines solchen Prozesses gewinnbringend nachzuvollziehen. Wie in wenig anderen regelmäßig erscheinenden Organen seiner Zeit werden diese Aneignungs- und Verwandlungsstrategien bereits existierender (erfolgreicher) literarischer Vorbilder in Fassmanns Journal zum konstituierenden Merkmal.

181 Fassmann vermittelt historisches Wissen hauptsächlich über die Biographien der gewählten Figuren; um die Geschichte eines Landes möglichst lückenlos darzustellen, läßt er häufig verschiedene Vertreter der Dynastien auftreten – manchmal auch zusammen in einer Entrevue, vgl. Nr. 39 Sigismund III., König von Polen, mit seinem Sohn Kasimir II.; Nr. 42 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz, und seinem Sohn Karl Ludwig; Nr. 139 Peter II., Zar von Rußland, und seinem Vater Alexander Petrowitz; Nr. 174 Renatus, Graf von Nassau und erster Prinz von Oranien, und seinem ältesten Sohn, Philipp Wilhelm.

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3.4 François Fénelons Dialogues des Morts anciens et modernes, composés pour l’éducation d’un prince 3.4.1 Die Erziehung des Duc de Bourgogne zum ‚guten Fürsten‘ François de Salignac de la Mothe-Fénelons 82 Dialogues des Morts182 waren ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen. Fénelon war zum Zeitpunkt ihrer Konzeption183 Erzieher des Duc de Bourgogne, Enkel König Ludwigs XIV. Die Totengespräche waren Teil seines Erziehungsprogramms, das seinem Zögling geeignete moralische, religiöse und politische Ideen vermitteln sollte. Ihr Autor, dessen eigene Erziehung in der Jugend offenbar weniger glücklich verlaufen war,184 versuchte mit Hilfe einiger seiner Schriften allgemeine Richtlinien und Beispiele für eine zweckmäßige kindliche Erziehung zu entwickeln.185 Der Glaube an einen möglichen Fortschritt des Menschen ließ jene Frage nach der ‚richtigen‘ Erziehung in den Blick seiner Zeit rücken: „L’éducation était un des premiers instruments de progrès en quoi le nouveau siècle mettait une foi entière. La confiance en la raison, éveillée par Fontenelle, Bayle et une foule d’autres écrivains, entraînait avec soi la croyance dans le pouvoir de cette force magique pour améliorer et l’individu et la société.“ 186

182 Die historisch-kritische Gesamtausgabe bietet diese Zahl als gesichert an; der Kommentar zu den Dialogues des Morts gibt einen Überblick über ihre allmähliche Veröffentlichung. Die Originalmanuskripte wurden zuerst unediert in Saint-Sulpice aufbewahrt, bis die ersten 46 Dialoge im Jahre 1712 erstmals veröffentlicht wurden (nach wenigen einzelnen Dialogen, die bereits 1700 erschienen waren). Es waren dies zuerst jedoch nur die Gespräche der Anciens, nach dem Tode Fénelons wurden 1718 dann in 2 Bänden 66 Totengespräche (Anciens und Modernes) herausgeben, ediert von Ramsay. In den zahlreichen Neueditionen wurden immer wieder einzelne Dialoge unterdrückt oder hinzugefügt; die kritische Gesamtausgabe fügt den 79 Dialogen der Pariser Ausgabe von 1850 noch drei weitere, fragmentierte bzw. unedierte, hinzu. Zur Publikationsgeschichte siehe Fénelon: Œuvres, I., Édition établie par Jacques Le Brun, Paris 1983, S. 1138–1140. 183 Wahrscheinlich zwischen 1692 und 1695. Vgl. dazu Langer, Kommentar zu Fénelon, Œuvres, I., Dialogues des Morts, S. 1336. 184 Fénelon litt damals offensichtlich unter „brutalen und autokratischen“ Erziehungsmethoden, denen jegliche positiv motivierende Wirkung fehlte. Vgl. dazu Egilsrud, Le Dialogue des Morts, S. 61. 185 Besonders zu nennen ist hier die Schrift De l’éducation des filles, erschienen im Jahr 1687, die u. a. vom Pietisten Francke ins Deutsche übersetzt wurde; Fassmann studierte bei Francke Theologie und hatte die Möglichkeit, dessen Bibliothek während seines Aufenthaltes in Halle zu nutzen. Darüber hinaus war er in seiner Schreibstube beschäftigt. Vgl. dazu Lindenberg, Leben und Schriften David Faßmanns, S. 14. Zur Franckeschen Übersetzung siehe auch Robert Spaemann: Reflexion und Spontaneität. Studien über Fénelon, Stuttgart 1990, S. 24. 186 Egilsrud, Le Dialogue des Morts, S. 59.

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Fénelons Konzept war das einer éducation attrayante,187 es glaubte an die Perfektionierbarkeit des Einzelnen (und damit der gesamten Gesellschaft) und betonte besonders den Aspekt der praktischen Übung. Seine Totengespräche müssen als ein Teil dieses pädagogischen Konzepts verstanden werden: Verfaßt zum Zweck der Übung und des Unterrichts des zukünftigen Königs, waren sie, wie oben erwähnt, weder von Beginn an zur Veröffentlichung bestimmt noch ließ ihr spezielles Anliegen eine ähnlich große Rezeption erwarten, wie sie denen seines Landsmannes Fontenelle zuteil wurden: „Leur profonde sincérité, leur élévation morale leur ont valu une place fort honorable dans la littérature française, mais leur objèt, nettement pédagogique, a restraint leur effet sur le développement du genre.“ 188 Die Dialoge sollen den Schüler mit Hilfe des Vergnügens (in dem eben jene attraction liegt) zur geistigen Arbeit und Übung führen; das Ziel dieser Erziehung ist die Tugend, in diesem Fall besonders die des ‚guten Herrschers‘ und ‚honnête homme‘.189 Glaube, Verantwortung gegenüber den Untertanen, Gesetzestreue, Liebe zu den Künsten, Friedfertigkeit, Gerechtigkeitssinn und Besonnenheit sind zentrale Bestandteile des königlichen Erziehungsprogramms. Anstatt die einzelnen Eigenschaften durch abstrakt moralisierende Theorien zu vermitteln, bereitet Fénelon sie in anschaulichen Exempeln auf.190 Die Textsorte Totengespräch bot ihm die Möglichkeit, Tugenden (bzw. Laster) zu personifizieren und für seinen Schüler begreifbar zu machen. Das Konzept der positiven Beeinflussung des jungen Thronfolgers war auch nach außen hin so erfolgreich, daß die Erziehungsmethode Fénelons breite Aufmerksamkeit erhielt: „Avoir réussi à faire de l’orgueilleux et impétueux jeune prince un idéaliste plein de maîtrise de soi était un exploit qui excita le plus flatteur intérêt envers

187 Egilsrud, Le Dialogue des Morts, S. 60. 188 Egilsrud, Le Dialogue des Morts, S. 58. 189 „Histoire et philosophie, éloquence et politique, poésie et peinture, Fénelon ne néglige rien pour faire du prince un honnête homme.“ Jeanne-Lydie Goré, L’itinéraire de Fenelon. Humanisme et spiritualité, Paris 1957, S. 460. 190 Fénelon hatte für die Erziehung des Duc de Bourgogne auch die (teilweise unedierten) Werke Bossuets zur Verfügung, der den Vater des Dauphins unterrichtet hatte. Der Kommentar zu den Abenteuern des Télémaque verdeutlicht den Zusammenhang sowohl zwischen den Werken seines Vorgängers und den seinen als auch zwischen denen innerhalb des Fénelonschen Œuvres: „Chez Bossuet déjà, dans la Politique tirée des propres paroles de l’Ècriture sainte, dont une première version avait été achevée en 1679, les préceptes étaient accompagnés d’un grand nombre d’«exemples», figures de rois et de personnages bibliques, «histoires» auxquelles leur présence dans la Bible conférait un caractère de vérité, mais dont on pouvait facilement trouver des équivalents dans l’Antiquité profane, et qui mettaient en scène des «caractères», ceux du bon roi ou du mauvais roi, du conseiller, de l’homme de guerre, etc.“ Langer, Kommentar zu Fénelon, Œuvres, II., Les Aventures de Télémaque, S. 1253.

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la méthode employée. Les Dialogues des Morts eurent leur part de cette popularité puisqu’ils avaient servi a démontrer le système.“ 191 Das Streben nach Tugend hatte bei Fénelon Vorrang vor dem Streben nach Wissen: Allgemeine Kenntnisse der griechischen Mythologie und Literatur sowie der älteren und neueren Geschichte wurden in den Dialogen teilweise vorausgesetzt, einige spezielle historische Aspekte an gegebener Stelle summarisch wiederholt.192 Daß sich besonders die Gattung des Totengesprächs für den fürstlichen Unterricht eignete,193 wurde Fénelon u. a. durch eine Schrift bestätigt, die der Marquis de Louville im Jahre 1696 verfaßte (Mémoire sur l’éducation des ducs de Bourgogne, d’Anjou et de Berri). In ihr werden die Besonderheiten und Ansprüche an diese Textsorte im Zusammenhang mit der Prinzenerziehung formuliert: Pour mieux lui faire connaître le caractère des princes qui ont régné dont tous les temps, on lui fait faire des dialogues des morts, où l’on fait venir les princes contemporaines sur le scène; il s’y disent leurs vérités; ils se reprennent fort naturellement de leurs défauts; ils se découvrent sans crainte les motifs qui les ont fait agir: on y fait aussi des portraits des leurs ministres, on les y démasque; enfin on n’omet rien de tout ce qui peut contribuer à une connaissance exacte et entière de l’histoire ancienne et moderne; et les réflexions qui succèdent à la lecture de ces dialogues aident à former l’esprit et le jugement du prince, et lui inculquent les véritables maximes qu’il doit avoir, et toujours un grand amour pour la vertu sincère et solide, et une grande horreur du vice.“ 194

Die Dialoge helfen demnach durch die Beispiele anderer Fürsten,195 den Geist des Schülers zu formen, wahre Maximen zu erkennen, die Tugend zu lieben und das Laster zu hassen.196 Bemerkenswert ist an dieser Stelle auch der Ver191 Egilsrud, Le Dialogue des Morts, S. 61. 192 So werden z. B. die Aufgaben des Herkules im II. Dialog kurz aufgezählt oder die Stationen im Leben des Kardinals Ximenes im LXXI. Dialog wiedergegeben; vgl. dazu Langer, Kommentar zu Fénelon, Œuvres, I., Dialogues des Morts, S. 1136. 193 Das Konzept sah u. a. vor, daß der Zögling selbst Totengespräche nach Anleitung seines Lehrers verfassen sollte. Die Beweggründe Fénelons, gerade jene Gattung für den Unterricht zu verwenden, erklärt Egilsrud folgendermaßen: „La variété de réactions psychologiques, de réflexions, d’insinuations, l’accent personnel qu’il était possible de glisser dans cette forme copiée sur la conversation lui parurent, sans doute, des avantages inestimables pour retenir l’attention de son élève.“ Egilsrud, Le Dialogue des Morts, S. 62. 194 Fénelon, Œuvres complètes, VII., S. 523. 195 Weil die Dialoge dem männlichen Thronfolger geeignete Verhaltensweisen mit Hilfe einschlägiger Vorbilder liefern sollen, kommen Frauen in Fénelons Totengesprächen fast überhaupt nicht vor. Die einzigen Ausnahmen sind Maria de’ Medici (LXXII) und die Duchesse de Montpensier (LXVII). 196 Ähnliches versuchte der Télémaque, der ebenfalls Teil des literarischen Erziehungsprogramms Fénelons war: „Dans le Télémaque, l’intention pédagogique est multiple: un des éléments les plus clairs est le désir du précepteur de faire connaître à son élève l’histoire de

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weis auf die Demaskierung der unlauteren Machenschaften der Minister; in der Tat bietet Fénelon einige Dialoge an, in denen französische Minister in ihrem Handeln beurteilt werden.197 Fénelons Dialogues des Morts stehen in engem Zusammenhang mit seiner Wahrnehmung des Hofes bzw. der immer mehr in Luxus, Willkür und Ausschweifung abgleitenden Regierung Ludwigs XIV. In der Lettre à Louis XIV.198 betont er den Stellenwert der Erziehung auch im Leben des amtierenden Königs: Vous êtes né, Sire, avec un cœur droit et équitable, mais ceux qui vous ont élévé199 ne vous ont donné pour science de gouverner que la défiance, la jalousie, l’éloignement de la vertu, la crainte de tout mérite éclatant, le goût des hommes souples et rampants, la hauteur, et l’attention à votre seul intérêt.200

Die Aufzählung der negativen Eigenschaften des Königs in Fénelons Brief liest sich wie der in sein Gegenteil verkehrte Tugendkatalog der Totengespräche. Fénelon betont hier wie dort die Gefahren, die durch schlechte Minister, Schmeichler und Heuchler entstehen, weil sie einen Herrscher kraft ihres Einflusses dazu verführen können, seine Regierungsgeschäfte in unziemlicher Weise und zum Schaden seines Landes zu führen. Fénelon geht mit den Ministern, die seiner Meinung nach über zu viel Macht verfügten, hart ins Gericht. In seinem Brief charakterisiert er ihren Einfluß auf Frankreich und dessen Geschicke wie folgt:

l’Antiquité, sa littérature et son art, non par des leçons de charactère scolaire, mais en rendant familières au jeune homme les mœurs, la religion, les formes esthétiques, les attitudes morales qui étaient pour un homme du XVII siècle les modèles de la culture et de l’art de son temps: les «histoires» de l’Antiquité seraient ainsi pour le duc de Bourgogne la source de connaissances utiles et d’émotions profondes.“ Langer, Kommentar zu Fénelon, Œuvres, II., Les Aventures de Télémaque, S. 1252. 197 So z. B. die vier Dialoge, die Richelieu als Gesprächspartner enthalten: Dialogue LXXI. Les Cardinaux Ximénès et de Richelieu, LXXII. La Reine Marie de Médicis et le Cardinal de Richelieu, LXXIII. Le Cardinal de Richelieu et le Chancelier Oxenstiern, LXXIV. Les Cardinaux de Richelieu et Mazarin. 198 Der Brief war nach Auffassung der Forschung weniger dazu gedacht, wirklich abgeschickt zu werden, als vielmehr eine Gedankenstütze für Madame de Maintenon zu sein, die die wichtigsten Kritikpunkte in einem persönlichen Gespräch mit dem König vorbringen sollte. Vgl. Langer, Kommentar zu diesem Brief in Fénelon, Œuvres, I., S. 1409 f. 199 Eine Anspielung auf Mazarin, den ehemaligen Lehrer und späteren Minister des Königs; spürbar wird Fénelons Ablehnung desselben in dem Dialog mit Richelieu (s. o.). Vgl. dazu Langer, Kommentar in Fénelon, Œuvres, I., Lettre à Louis XIV., S. 1411. 200 Fénelon, Œuvres, I., Lettre à Louis XIV., S. 143.

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Ils ont été durs, hautains, injustes, violents, de mauvaise foi. Ils n’ont connu d’autre règle, ni pour l’administration du dedans de l’État, ni pour les négotiations étrangères, que de menacer, que d’écraser, que d’anéantir tout ce qui leur résistait. Ils ne vous ont parlé que pour écarter de vous tout mérite qui pouvait leur faire ombrage. Ils vous ont accoutumé à recevoir sans cesse des louanges outrées qui vont jusqu’à l’idolatrie, et que vous auriez dû pour votre honneur rejeter avec indignation.201

Die Gefahr für einen Herrscher, falschen Beratern zu viel Gehör zu schenken und allen Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren, ist ein wiederkehrendes Motiv in Fénelons Totengesprächen (vgl. 3.4.4. Exemplarische Totengespräche). Um den vergiftenden Schmeichlern202 zu widerstehen, soll sein Zögling die geistige Stärke und Bescheidenheit erwerben, die er für die Regierungsgeschäfte benötigen wird.203 Auch zu diesem Zweck eignen sich in Fénelons Erziehungsprogramm die historischen Exempel berühmter Toter, die dem Thronfolger die Gefahren und Verlockungen des Ehrgeizes und der Lasterliebe vor Augen führen können.204

3.4.2 Die Totengespräche Fénelons Während Lukian und Fontenelle die Gattung des Totengesprächs eher dazu benutzten, hergebrachte Mythen und geheiligte Wahrheiten zu ironisieren und 201 Fénelon, Œuvres, I., Lettre à Louis XIV., S. 544. 202 In seinem Brief an den König wirft Fénelon diesem vor, das Land ausgehungert und praktisch zerstört zu haben; als Gegenbild zu dieser Zerstörung zeigt er die Möglichkeiten auf, die ein Land hätte, dessen König nicht auf schlechte Berater hören würde: „Voilà ce grand royaume si florissant sous un roi qu’on nous dépeint tous les jours comme les délices du peuple, et qui le serait en effet si les conseils flatteurs ne l’avaient point empoisonné.“ Fénelon, Œuvres, I., Lettre à Louis XIV., S. 147. Die Metapher von der Vergiftung (bzw. vom ‚Heilmittel‘ und dem König als Arzt, vgl. Zitat auf Seite 104) erscheint in Fénelons Œuvre häufiger; in den Abenteuern des Télémaque sind es übermäßige Macht und Luxus, die König und Untertanen vergiften können: „Souvenez-vous, ô Télemaque, qu’il ya deux choses pernicieuses dans le gouvernement des peuples, auxquelles on n’apporte presque jamais aucun remède. La première est une autorité injuste et trop violente dans le rois. [...] L’autre mal, presque incurable, est le luxe. Comme la trop grande autorité empoisonne les rois, le luxe empoisonne toute une nation.“ Fénelon, Œuvres, II., Les Aventures de Télémaque, XVIIe livre, S. 290 f. 203 Im Dialog mit Romulus betont Remus, wie wichtig die Entwicklung bestimmter Tugenden für einen Herrscher ist: „Avant que d’être grand homme, il faut être honnête homme.“ Fénelon, Dialogues des Morts, VII. Dialog zwischen Romulus und Remus, S. 21. 204 Eine Reduktion auf einen rein religiös determinierten Zweck, wie Nicola Graap sie in ihrer Studie vornimmt, scheint an den komplexeren Ansprüchen Fénelons vorbeizugehen: „Fénelon hält mit seinen Dialogues des morts dem Knaben, den er erziehen soll, dem Herzog von Burgund, den Spiegel des Todes vor Gesicht, auf daß er seine Sterblichkeit niemals vergesse und die höchste Glückseligkeit erlange.“ Nicola Graap: Fénelon. Dialogues des morts composés

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in Frage zu stellen, besonders Fontenelle dabei aber nicht allzu sehr über den Zustand der Figuren nach ihrem Tode nachdachte, betont Fénelon in seinen Gesprächen die Veränderungen, die sich für die Figuren durch ihren Übergang in die Unterwelt ergeben haben.205 Der Tod vernichtet alle irdische Macht – die zu Schatten Gewordenen begreifen, daß das ganze Leben ein Traum war, der Tod aber ein Erwachen. Pyrrhon spricht diese für die Dialoge so zentrale Auffassung vielleicht am deutlichsten aus, wenn er sagt: Toute la vie n’est peut-être qu’un songe continuel. Peut-être que le moment de la mort sera un reveil soudain, où l’on découvrira l’illusion de tout ce que l’on a cru de plus réel, comme un homme qui s’éveille voit disparaître tous les fantômes qu’il croyait voir et toucher pendant ces songes.206

In einer typisch barocken Verurteilung aller irdischen Eitelkeiten läßt Fénelon seine Figuren mehr oder weniger mit ihrem Schicksal hadern, das sie in diese unwirtliche Umgebung führte. Kaum einer der von ihm präsentierten Charaktere zeigte zu seinen Lebzeiten ein vorbildliches Verhalten, selbst an den vornehmsten Gestalten der Geschichte werden Verfehlungen entdeckt. „Le pessimisme est au fond de la vision de Fénelon: aucun héros ne trouve grâce devant lui, ni Caton, ni Marc Aurèle, ni Auguste, ni César, le «père de la patrie» (XLII); même Diogène, même Confucius, même Socrate, admirés en plusieurs dialogues, ne sont pas exempts de vanité, de vices, de ridicules.“ 207 Warum wählt Fénelon überhaupt Figuren, an denen er derart viel bemängeln muß? Durch die Dialoge soll offensichtlich ein unveränderliches (negatives) Kennzeichen der Zeitläufte im Bewußtsein seines Schülers verankert werden: Macht korrumpiert. Die Gespräche offerieren eine Vielzahl von Beispielen, in denen junge Männer die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnten oder wollten. Den schlechten Herrschern stellt er deswegen positive Verhaltensweisen und Eigenschaften gegenüber. Langer faßt in seinem Kommentar zu den Dialogues diese Absicht wie folgt zusammen: „[C]eux qui ont «la grande puissance de faire le mal» (XXII) résistent rarement à la tentation; pour dissuader le future héritier du trône, Fénelon vante la condition privée (XXIII), les

pour l’éducation d’un prince. Studien zu Fénelons Totengesprächen im Traditionszusammenhang, Hamburg 2001, S. 219. 205 Vgl. dazu Langer, Kommentar zu den Totengesprächen Fénelons in ders., Œuvres, I., S. 1337. 206 Fénelon, Dialogues des Morts anciens et modernes, Brüssel 1839, XXVIII. Pyrrhon et son Voisin, S. 94 (in der Zählung der Gesamtausgabe der XXIX. Dialog). 207 Langer, Kommentar zu Fénelon, Œuvres, I., Dialogues des Morts, S. 1137 f.

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charmes de l’humanité (VIII, XVII), les vertus de l’honnête homme (VIII, XLIV) et il loue un souverain qui est aimé des peuples (X).“ 208 Gute Eigenschaften und Verhaltensweisen können einen Herrscher formen, der – auch hier wieder als Gegenbild zu Ludwig XIV. zu verstehen – als ‚Vater des Vaterlandes‘ von seinem Volk geliebt wird. Die Kennzeichen und Folgen der verheerenden Regentschaft Ludwigs (entvölkerte Landstriche, Seuchen, Hungersnöte, Kriege etc.) lassen Fénelon nicht nur in seinen Dialogen implizit Kritik an den herrschenden Zuständen üben.209 Seine Totengespräche entwerfen das Bild einer Gegenwelt, in der bestimmte Verhaltensweisen und Laster getadelt werden. Ein anderes Werk Fénelons, das ebenfalls zur Erziehung des jungen Thronfolgers konzipiert wurde, kritisiert die Gegenwart ebenfalls mit Hilfe einer gegenweltlichen Utopie. Die Aventures de Télémaque210 zeigen diesen Ansatz besonders deutlich in der Beschreibung der ‚gereinigten‘ Stadt Salente – einer nach vielen Reformen nun friedfertigen Gesellschaft, deren Mitglieder meist in Ackerbau, Handwerk und Handel ihr Auskommen haben, deren Herrscher die einfachen, aber vernünftigen Gesetze211 beachtet und sich um das Wohl seiner Untertanen sorgt. Sowohl die Abenteuer des Télémaque als auch die Dialogues des Morts versuchen mit Hilfe praktischer Beispiele und geeigneter Figuren der antiken und neuzeitlichen Geschichte, dem jungen Thronfolger einen Begriff von jenen (abstrakten) Ideen zu geben, die sein Lehrer für gut und notwendig erachtet.

208 Langer, Kommentar zu Fénelon, Œuvres, I., Dialogues des Morts, S. 1138. 209 Fénelon zählt diese Folgen in seiner Lettre à Louis XIV. auf: „Cependant vos peuples que vous devriez aimer comme vos enfants, et qui ont été jusqu’ici si passionnés pour vous, meurent de faim. La culture des terres est presque abandonnée. La ville et la campagne se dépeuplent. Tous les métiers languissent et ne nourissent plus les ouvriers. [...] La France entière n’est plus qu’un grand hôpital désolé et sans provision.“ Fénelon, Œuvres, I., Lettre à Louis XIV., S. 547. 210 Über die genaue Datierung des Télémaque wird innerhalb der Forschung gestritten. Wahrscheinlich ist eine Konzeption zwischen 1692 und 1693. Der Duc de Bourgogne war zu diesem Zeitpunkt 10 Jahre alt. Erstmals erschienen sind die Abenteuer des Télémaque im April 1699 in Paris. Vgl. dazu und zu den zahlreichen Raubdrucken Langer, Kommentar in Fénelon, Œuvres, I., Les Aventures de Télémaque, S. 1243 ff. 211 Die Beachtung der Gesetze ist ein zentraler Punkt in Fénelons Vorstellung von einem guten und gerechten Herrscher. Vgl. dazu auch den XXII. Dialog zwischen Dion et Gélon. In der Ausgabe von 1712 wird in der Zusammenfassung gesagt: „Pour bien régner, il faut faire régner les lois. Prendre la royauté pour soi et non pour le bien des peuples, c’est en abuser. Bornes qu’un roi pour être heureux doit donner à l’autorité sans bornes dont il est revêtu.“ Vgl. Langer, Kommentar zu Fénelon, Œuvres, I., S. 1361. In der Edition von 1839 trägt der Dialog (hier XXI.) den Untertitel: Dans un Souverain ce n’est pas l’homme qui doit régner, ce sont les lois.

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Während der Télémaque stärker die politischen Leitideen Fénelons entwickelt, zeugen die Totengespräche von seinen Vorstellungen guter und schlechter Herrschertugenden. Beide ad usum delphini konzipierten Werke haben letztlich jedoch dasselbe Ziel: das Glück (le bonheur) des Volkes, das sich aus dem uneigennützigen Wesen seines Regenten und einer Neuordnung der Gesellschaft ergibt.

3.4.3 Geschichte, Gesellschaft und Politik Fénelon ist trotz seiner regierungskritischen Tendenzen und Vorstellungen nicht auf eine Revolution oder gar demokratische Staatsform aus: Seine Idealvorstellung von der Gesellschaft sieht eine monarchische Ordnung vor, die nur von wenigen auserwählten Personen hergestellt werden kann – von Personen, die sich durch ihre Geburt, ihre Erziehung zur ‚wahren Weisheit‘, ihren Respekt gegenüber den Gesetzen und ihre Liebe zum Vaterland auszeichnen: Mais être philosophe,212 suivre le beau et le bon en lui-même par la simple persuasion, et par le vrai et libre amour du beau et du bon, c’est ce qui ne peut jamais être répandu dans tout un peuple; c’est ce qui est réservé à certaines âmes choisis que le Ciel a voulu séparer des autres. Le peuple n’est capable que de certaines vertus d’habitude et d’opinion, sur l’autorité de ceux qui ont gagné leur confiance.213

Anders als zum gegenwärtigen Zeitpunkt soll in der neuen Gesellschaft einem Übel entgegengewirkt werden, das er als grundlegendes Problem des Men-

212 Fénelon setzt in diesem Dialog den guten Philosophen mit dem guten Herrscher gleich. Zu seinem Konzept des roi philosophe vgl. auch Ina Schabert: Fénelon, in: Aufbruch zur Moderne. Politisches Denken im Frankreich des 17. Jahrhunderts, hg. v. Tilo Schabert, München 1974, S. 82–113, hier S. 105. In den Abenteuern des Télémaque werden die Aufgaben eines ‚Philosophen-Königs‘ näher definiert; er soll Lügen, Täuschung und andere Laster in der Gesellschaft ausmerzen: „Mais qui remédiera à ces maux? Il faut changer le goût et les habitudes de toute une nation. Il faut lui donner de nouvelles lois. Qui le pourra entreprendre, si ce n’est un roi philosophe, qui sache, par exemple de sa propre modération, faire honte à tous ceux qui aiment une dépense fastueuse, et encourager les sages, qui seront bien aises d’être autorisés dans une honnête frugalité?“ Fénelon, Œuvres, II., Les Aventures de Télémaque, XVIIe livre, S. 291–292. 213 Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 297–98. Nicola Graap argumentiert an dieser Stelle, daß das Begriffspaar «le beau et le bon» eng mit der Augustinus-Rezeption Fénelons zusammenhängt. Diese Abhängigkeit wird jedoch in ihrer Analyse so sehr in den Vordergrund gestellt, daß sie das eigentliche Thema dieses Totengesprächs (3.4 Exemplarische Totengespräche) nahezu vollkommen ignoriert. Vgl. Graap, Fénelon, S. 129– 145, besonders S. 135 f.

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schen begreift: l’amour-propre, der Selbstliebe des Menschen und besonders der des Herrschers, dem sein eigenes Wollen und Wünschen wichtiger erscheint als das Wohl seiner Untertanen. Der schädlichen Eigenliebe wird in den Dialogen das Bild einer anderen Art von Liebe gegenübergestellt, die sich nach Fénelon besser dazu eignet, ein Volk gerecht zu regieren. Die familiale Liebe eines Vaters zu seinen Kindern soll die hedonistische Ich-Bezogenheit ersetzen. Die Familie eröffnet als Metapher in den Dialogen zwei verschiedene Bedeutungsebenen: eine göttliche, die nach Ina Schabert bei Fénelon die Vater-Kind-Beziehung zwischen Gott und Mensch bezeichnet, und eine weltliche, die sowohl das Verhältnis eines Regenten zu seinen Untertanen als auch das eines Landes zu seinen Nachbarländern214 kennzeichnen sollte.215 Die Implikationen dieser Auffassung offenbaren sich in jener Sonderstellung des Regenten, die Fénelon in seinen erzieherischen Schriften als eine besondere charakterisiert. Schabert faßt dieses Konzept von der Rolle des Regenten wie folgt zusammen: „Als »Repräsentant Gottes« (il représente les dieux)216 ist er der stellvertretende, irdische Vater, dem Gott seine Macht »anvertraut« (confié) hat, durch den er seinen Willen ausüben läßt.“ 217 Fénelon dehnt das Bild, das er von dem (falschen) amour-propre und dem (richtigen) amour pur entwirft, noch weiter aus: Er vergleicht den guten Herrscher mit einem Arzt, der die Laster der Untertanen als Krankheiten der Seele (les maladies de l’âme)218 versteht und danach strebt, diese zu heilen. Ausgehend vom Misanthropismus eines Timon macht Sokrates in einem Dialog den Vorschlag, den Haß auf die (schlechten) Menschen in einen Haß auf die schlechten Eigenschaften im Menschen umzuwandeln: [S]oyez un sage et charitable médecin qui songe à guérir son malade par amitié pour lui, loin de le haïr. Le monde est un grand hôpital de tout le genre humain, qui doit exciter votre compassion: l’avarice, l’ambition, l’envie et la colère sont des plaies plus grandes et plus dangereuses dans les âmes, que les abcès et les ulcères ne le sont dans les corps. Guérrissez tous les malades que vous pourriez guérir, et plaignez tous ceux qui se trouveront incurables!219

214 Ein gutes Verhältnis zu den Nachbarländern ist ein wichtiger Bestandteil in Fénelons Vorstellungen von einer guten Regentschaft: Unnötige und ungerechtfertigte Kriege könnten so vermieden werden. 215 Schabert, Fénelon, S. 102 f. 216 Schabert zitiert hier aus Fénelon, Œuvres III, Télémaque XVIIIe livre, Paris 1837 (Nachdruck 1882), S. 144. 217 Schabert, Fénelon, S. 103. 218 Fénelon, Œuvres, I., XVII. Dialog zwischen Sokrates, Alcibiades und Timon, S. 58. 219 Fénelon, Dialogues des Morts, XVII. Dialog zwischen Sokrates, Alcibiades und Timon, S. 58.

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Die Kranken, deren Leiden (d. h. moralische Verfehlungen) heilbar sind, sollen also kuriert, andere, deren Krankheiten nicht zu beheben sind, bedauert werden. Ein guter Herrscher muß nach Fénelons Auffassung neben einem guten Charakter auch Enthusiasmus und Weisheit besitzen, um für den bestmöglichen Dienst an seinem Volk gerüstet zu sein. Im Fürsten soll ‚göttliche Beseeltheit‘ herrschen, die ihn befähigt, seine Staatsgeschäfte weitsichtig zu führen. Weitsicht bedeutet hier, daß der Fürst über eine profunde Kenntnis der Vergangenheit und Gegenwart verfügt, um die zukünftigen Geschicke eines Staates zum Guten wenden zu können.220 Auch an dieser Stelle wird der Zusammenhang zwischen beiden Werken deutlich: Die Dialogues des Morts und die Abenteuer des Télémaque vermitteln dem Enkel Ludwigs durch ihre sprechenden Charaktere ein lebhaftes Bild von der näheren und ferneren Vergangenheit, was ihn zu Verständnis und Weisheit im Handeln und Denken bewegen soll. Über diese Weisheit hinaus soll eine Verbindung zum Göttlichen im Herrscher jenes Genie zu entzünden, das den Unterschied zwischen ihm und schlechten Herrschern (bzw. den Untergebenen) ausmache: Le vrai génie, qui conduit l’État, est celui qui [...] pense, qui invente, qui pénètre dans l’avenir, qui retourne dans le passé, qui arrange, qui proportionne, qui prépare de loin [...].221

Rationalität und Weisheit sollen die ‚göttlichen Eingebungen‘ bzw. den Enthusiasmus des Herrschers kontrollieren und für Ausgeglichenheit und Maßhaltung im Denken und Handeln sorgen. Im Télémaque versucht Mentor, die Wechselwirkung beider Kräfte zu erklären, indem er den guten Herrscher mit einem Maler vergleicht, der seine Imaginationskraft zwar für seine Arbeit braucht, sie aber nicht ungezähmt herrschen läßt: À cette espèce d’enthousiasme il faut qu’il joigne une sagesse qui le retienne, que tout soit vraie, correct, et proportionné l’un à l’autre. Croyez-vous, Télémaque, qu’il faille moins d’élévation de génie et d’effort de pensée, pour faire un grand roi que pour faire un grand peintre?222

Fénelons Dialogues des Morts exemplifizieren anhand der gewählten Figuren der nahen und fernen Geschichte eben jene Tugenden und Laster, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die ihr Autor für geeignet hält, den zukünftigen Thronfolger auf die Erfüllung seiner Pflichten vorzubereiten. Einige Stimmen (dar-

220 Schabert, Fénelon, S. 105 f. 221 Fénelon, Œuvres, II., Les Aventures de Télémaque, XVIIe livre, S. 294. 222 Fénelon, Œuvres, II., Les Aventures de Télémaque, XVIIe livre, S. 295.

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unter auch Fénelon selbst) befürchteten, daß die Erziehung des Dauphin zu einem frommen und friedliebenden Menschen tatsächlich zu gut gelungen war:223 Den Beweis, daß der Duc de Bourgogne einmal ein besserer König als sein Großvater geworden wäre, konnte Fénelon jedoch nicht mehr erbringen, denn der Herzog starb 1712 im Alter von 30 Jahren. Im Folgenden sollen drei der Totengespräche Fénelons exemplarisch untersucht werden: In zwei Gesprächen unterhält sich Alexander der Große mit wechselnden Partnern, ein weiteres Gespräch konfrontiert den Europäer Sokrates mit dem Orientalen Konfuzius.

3.4.4 Exemplarische Totengespräche 3.4.4.1 Der Dialog zwischen Alexander und Aristoteles Der erste Dialog, in dem Fénelon den makedonischen Feldherrn auftreten läßt, wird in der Ausgabe von 1712 wie folgt zusammengefaßt: „Les jeunes gens sont sages, vertueux, raisonnables, magnanimes tant qu’ils écoutent et pratiquent les leçons de leurs maîtres. Ils deviennent déréglés en s’abandonnant à leur présomption, à leurs passions et aux flatteurs.“ 224 In diesem Gespräch trifft der Lehrer des Alexander, Aristoteles, auf seinen ehemaligen Schüler – eine Konstellation, die Fénelon dafür nutzen kann, seinem eigenen Zögling vor Augen zu führen, welche Funktionen er selbst im Leben des Dauphin erfüllen kann bzw. könnte. Gleich der Figur des Mentor im Verhältnis zu Télémaque findet man bei Fénelon mehrere Gespräche, die ein

223 „Fénelons Erziehungsbemühungen zeitigten beim Enkel Ludwigs XIV. erhebliche Erfolge, und zwar in ambivalenter Weise. Der Herzog von Saint-Simon verzeichnet in seinen Erinnerungen zum Jahr 1710, daß durch die Wirkung Fénelons und seiner Miterzieher Hochmut und Jähzorn beim Herzog von Burgund in eine tugendbeflissene Frömmigkeit verwandelt worden waren.“ Graap, Fénelon, S. 266. Den positiven Effekten gegenüber steht eine Entwicklung im Duc de Burgogne, die aus eben jener gewollten Frömmigkeit erwächst und die sein „problematisches, weil zu zögerliches und skrupulöses, Verhalten als Kommandeur in der französischen Nordarmee in Flandern“ zur Folge hat. Graap weist auf die Befürchtungen seines ehemaligen Lehrers hin: „Die Briefe an den Herzog [Saint-Simon – SD] und an den vertrauten Herzog von Chevreuse verraten überdeutlich Fénelons Sorge, daß sein Zögling seinen Aufgaben in der Armee und bei Hofe nicht gewachsen sein könnte.“ Graap, Fénelon, S. 266. 224 Langer, Kommentar zu Fénelon, Œuvres, I., XXV. Dialog zwischen Alexander und Aristoteles, S. 1363. Die Ausgabe von 1839 trägt die Unterschrift: „Quelque grandes que soient les qualités naturelles d’un jeune prince, il a tout à craindre s’il n’éloigne les flatteurs, et s’il ne s’accoutume de bonne heure à résister à ses passions et à aimer ceux qui auront le courage de lui dire la vérité.“ Fénelon, Dialogues des Morts, XXIV. Dialog zwischen Alexander und Aristoteles, S. 83.

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Lehrer-Schüler-Verhältnis zeigen, bzw. Fénelons Idealvorstellung eines solchen.225 Der Philosoph ist in diesem Gespräch die dominante Figur, er beginnt das Gespräch, stellt in dessen Verlauf die meisten Fragen an seinen Gesprächspartner und nimmt auch eine abschließende Bewertung des Gesprächs und seines Gegenübers vor. Thema des Dialogs ist die Diskrepanz zwischen dem Verhalten eines Menschen in seiner Jugend und im Erwachsenenalter. Fénelon versucht hier seinem Schüler verständlich zu machen, warum les jeunes gens ein besseres Verhalten zeigen als im Alter: Die Korrektur des Charakters und Verhaltens werde durch die leçons de leurs maîtres sichergestellt, im Gegensatz zum Erwachsenen, der seine Entscheidungen vermeintlich frei von anderen Einflüssen treffe – in Wirklichkeit aber einer liederlichen Unordentlichkeit (dérèglement) nachgebe, weil er von Dünkel, Leidenschaften und Schmeichlern beeinflußt werde (présomption, passions, flatteurs). Dieser allmähliche Verfall der Sitten wird von Fénelon am Beispiel des makedonischen Feldherrn und dessen Lehrer gezeigt, wobei letzterer sich zu Anfang des Gesprächs nur den Ruhm zugesteht, der wegen der herausragenden Taten seines Schülers auf ihn zurückfällt. Alexander erscheint als Figur in vier Dialogen.226 Die Tatsache, daß Fénelon gerade dieser Figur soviel Aufmerksamkeit widmete, ist deren Popularität im Umfeld des französischen Königshofes zuzuschreiben: Ludwig XIV. etwa verglich sich gerne mit dem makedonischen Feldherrn und ließ mehrere Gemälde und Teppiche mit Szenen aus dessen Leben anfertigen, die er in Versailles ausstellte.227 225 Dieses Verhältnis charakterisiert Le Brun im Kommentar zu den Abenteuern des Télémaque wie folgt: „Dans Les Aventures de Télémaque, le précepteur lui-même entre dans l’œuvre et reste aux côtés du héros jusqu’au dénouement. L’auteur ne se contente donc pas de présenter un exemple, il place dans le texte une voix autorisée qui exprime le sens et la force de cet exemple. La position du pédagogue et celle de l’auteur deviennent ainsi fort ambiguës, comme l’est d’ailleurs la figure de Mentor elle-même, homme et divinité, masculin et féminin, avec des traits paternels sans être père lui-même, guidant vers le père mais disparaissant avant la rencontre décisive du père.“ Langer, Kommentar zu Fénelon, Œuvres, II., Les Aventures de Télémaque, S. 1254. 226 Dies sind die Dialoge zwischen Alexander und Aristoteles, Alexander und Diogenes, Alexander und Kleitos und zwischen Alexander und Caesar. Auf die Analyse des letzten Alexander-Dialoges wird in diesem Abschnitt zugunsten der Analyse des Dialogs zwischen Sokrates und Konfuzius verzichtet. 227 Eric M. Moormann bemerkt dazu im Lexikon der antiken Gestalten: „Unter Ludwig XIII. und Ludwig XIV. genoß Alexander in der Literatur und bildenden Kunst große Aufmerksamkeit. [...] Nachdem C. Le Brun 1661 mit der Schilderung der Großmut und der Selbstbeherrschung Alexanders gegenüber der Familie des Dareios Erfolg gehabt hatte, malte er zwischen 1665 und 1671 vier große Gemälde für Ludwig XIV.: die Schlachten am Granikos, bei Arbela, gegen Poros und der Einzug in Babylon. [...] Daß sich der König gern mit Alexander verglei-

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Alexander begegnet Aristoteles zuerst durchaus freundlich und einsichtig; auf die Frage, ob er sich seiner liebenswerten Jugend noch entsinne, entgegnet er: „Oui, il me semble que je suis encore à Pella ou à Pydne; que tu viens de Stagyre pour m’enseigner la philosophie.“ Aristoteles kritisiert seinen ehemaligen Schüler vorsichtig, indem er ihm entgegenhält: „Mais tu avais un peu négligé mes préceptes, quand la trop grande prospérité enivra ton cœur.“ 228 Fénelon versucht auch in diesem Gespräch, unterschiedliche Aspekte seines Erziehungsprogramms miteinander zu kombinieren: Zum einen exemplifiziert er ein bestimmtes menschliches Verhalten (ein vielversprechender Charakter endet nicht selten in Liederlichkeit) anhand eines aussagekräftigen Beispiels (Aristoteles und Alexander), zum anderen vermittelt er auf knappem Raum Wissen über das Leben seiner Figuren. Die Quelle für letzteren Aspekt ist auch bei Fénelon Plutarch, dessen Viten er für mehrere Gespräche benutzt.229 Deutlich bleibt während des ganzen Dialogs der Bezug zu seinem adeligen Leser: Die Taten und die charakterliche Entwicklung des Feldherrn werden von Aristoteles kritisch beurteilt, abstrakte Begriffe (gloire, superbe, magnanime) mit Sinn erfüllt und leicht nachvollziehbare Schlußfolgerungen aus dem gewählten Exempel gezogen. Alexander, der sich von den Fragen seines Lehrers zunehmend unter Druck gesetzt sieht, wird im Laufe des Gesprächs aggressiver; sein Temperament, für das er als Mensch bekannt war, ist auch als Schatten nicht gänzlich verschwunden.230 Drohend klingt seine Aussage, die dem Aristoteles bedeutet, daß dieser zu seinen Lebzeiten nicht ungestraft seine Kritik hätte äußern können: Tu me dis toutes mes vérités, comme si nous étions encore à Pella. Il n’aurait pas été trop sûr de me parler si librement sur les bords de l’Euphrate. Mais sur les bords du Styx, on

chen ließ, zeigt auch die Dekoration des Salon de Mercure in Versailles: Zur Verherrlichung der kulturpolitischen Taten Ludwigs malte P. de Champagne zwischen 1670 und 1680 Alexander, wie er sich lernbegierig mit den indischen Brahmanen unterhält und Aristoteles den Auftrag erteilt, die fremden Tiere zu beschreiben.“ Moormann, Lexikon der antiken Gestalten, S. 49. 228 Fénelon, Dialogues des Morts, S. 83. Fénelon spielt mit dem Verb enivrer auf einen wichtigen Aspekt im Leben des Alexander an, dem vorgeworfen wurde, aus Trunksucht schändlich gehandelt zu haben. 229 Vgl. dazu z. B. Langer, Kommentar zum Dialog zwischen Alexander und Aristoteles in Fénelon, Œuvres, I., Dialogues des Morts, S. 1363 f. 230 Egilsrud faßt das Wesen und die Wirkung des makedonischen Feldherrn in diesem Dialog wie folgt zusammen: „Alexandre, prototype du roi de droit divin, est là, comme toujours dans le genre, forcé de reconnaître la vanité de sa superbe et de sa gloire devant l’égalité qui regne parmi les Ombres.“ Egilsrud, Le Dialogue des Morts, S. 69.

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écoute un censeur plus patiemment. Dis-moi donc, mon pauvre Aristote, toi qui sait tout, d’où vient que certains princes sont si jolis dans leur enfance, et qu’ensuite ils oublient toutes les bonnes maximes qu’ils ont apprises, lorsqu’il serait question d’en faire quelque usage?231

Der Philosoph bestätigt die vielversprechenden Anlagen seines ehemaligen Schülers, dessen Verhalten gegenüber anderen und Vorliebe für die Literatur zunächst zu großer Hoffnung Anlaß gegeben hätten; im Gegensatz zu seinem späteren Verhalten werden von Aristoteles besonders diese Liebe zu den schönen Künsten und die Begeisterungsfähigkeit für das Gute als lobenswert herausgehoben: „[T]u aimais les lettres, tu lisais les poëtes, tu étais charmé d’Homère, ton cœur s’enflammait au récit des vertus et des grandes actions des héros.“ 232 Die Fähigkeit, sich von positiven, tugendhaften Beispielen der (Literatur-)Geschichte entzünden zu lassen (s’enflammer), wird hier in einen Gegensatz zu Alexanders späterem Drang gesetzt, sich an Ehrgeiz, Arroganz und Laster zu berauschen (enivrer).233 Nachdem Aristoteles die guten Eigenschaften und Taten seines ehemaligen Schülers aufgezählt hat, unterbricht er sich zunächst: „Mais le reste je ne l’ose le dire.“ 234 Alexander drängt ihn, auch den – offensichtlich weniger angenehmen – Teil seiner Meinung über ihn zu offenbaren: Alex.

Dis, dis, mon cher Aristote; tu n’a pas plus rien à ménager. Arist. Ce faste, ces mollesses, ces soupçons, ces cruautés, ces colères, ces emportements, furieux contre tes amis, cette crédulité pour les lâches flatteurs qui t’appelaient un dieu.235

Der makedonische Feldherr gibt seinem Lehrer gegenüber zu, daß die Eroberung des Orients erkauft war mit einem Verlust von Menschlichkeit (avoir oublié la condition humaine); erneut stellt er die Frage, warum die Weisheit der Jungen so oft der Unvernunft der Erwachsenen weiche. Aristoteles antwortet ihm zum Abschluß des Gesprächs: „C’est que dans la jeunesse on est instruit,

231 Fénelon, Dialogues des Morts, S. 84. Alexander spielt hier auf die Episode mit Kleitos an, den er im Rausch umbrachte, weil dieser ihn offen kritisierte. Vgl. den nächsten Dialog zwischen Alexander und Kleitos. 232 Fénelon, Dialogues des Morts, S. 84. 233 Noch deutlicher wird Alexanders Hang zum Rausch im nachfolgenden Dialog mit Kleitos thematisiert. 234 „Le reste“ bezieht sich auf das Leben Alexanders nach der Überwindung des Dareios und dessen Truppen; sein Verhalten gegenüber der Familie des Besiegten wird von Aristoteles noch deutlich lobend hervorgehoben. 235 Fénelon, Dialogues des Morts, S. 85.

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excité, corrigé par des gens de bien.“ 236 Deutlich läßt Fénelon ihn drei Arten von Feinden (trois sortes d’ennemis) benennen, denen man sich als Herrscher zu Lebzeiten ausgesetzt sehe: Dünkel, Leidenschaften und Schmeichler. Alexander ist in diesem Totengespräch der Unterlegene: Sein ehemaliger Lehrer erscheint ihm selbst als derjenige, den man um Rat ersuchen muß. Bis auf wenige Ausnahmen,237 die dem Dauphin den in sein Negatives verkehrten Charakter des Makedoniers verdeutlichen sollen, unterwirft sich der Eroberer der größeren Weisheit seines Gegenübers. Dies markiert einen deutlichen Umschwung gegenüber der Lesart Fontenelles, der in seinem Alexander-Dialog den geistreichen Austausch zwischen zwei sehr unterschiedlichen Figuren suchte; Phryne bietet, obwohl sie gesellschaftlich weit unter Alexander rangiert, ihrem Gesprächspartner die Stirn – der verbale Schlagabtausch zwischen den beiden Figuren Fontenelles endet mit einem Remis; bei Fénelon hingegen besteht während des gesamten Dialogs kein Zweifel an der Überlegenheit des Philosophen. Aus didaktischen Gründen beugt sich Alexander hier den weiseren Argumenten und dem kritischen Urteil seines ehemaligen Lehrers. Der Feldherr fungiert so als mahnendes Beispiel für die Folgen einer sich selbst vergötternden Arroganz und für die Gefahr, die demjenigen droht, der sich von Leidenschaft und schlechten Beratern regieren läßt.

3.4.4.2 Der Dialog zwischen Alexander und Kleitos Das Gespräch, das auf die Begegnung des Feldherrn mit seinem ehemaligen Lehrer folgt, ist thematisch eng mit dieser verwandt. Es tadelt die schädliche Empfindlichkeit ‚großer Herren‘, die sich nur ungern ihre eigenen Fehler vor Augen führen lassen und sich statt dessen lieber mit Menschen umgeben, die sie unkritisch umwerben: „Funeste délicatesse des grands qui ne peuvent souffrir qu’on leur fasse connaître leurs défauts. Qu’ils n’ont point de plus grands ennemis que ceux qui les flattent.“ 238 236 Fénelon, Dialogues des Morts, S. 85. 237 So wirft Alexander dem Aristoteles vor, in seiner Großzügigkeit (magnanime) zu weit gegangen zu sein („Ton Magnanime n’est qu’un pédant: il n’a rien de vrai et de naturel; il est guindé et outré de tout.“) Aristoteles wiederum kontert mit der Feststellung, daß der Feldherr in seinem Heroismus, seinem Ehrgeiz und in seiner Anmaßung weit schlimmer als er selbst in seiner Großherzigkeit gewesen sei („Tu est plus outré que mon Magnanime.“). Fénelon, Dialogues des Morts, S. 84. 238 Langer, Kommentar zum XXVI. Dialog zwischen Alexander und Kleitos, in Fénelon, Œuvres, I., S. 1364. Die Ausgabe von 1839 variiert diese Zusammenfassung wie folgt: „Funeste délicatesse des grands, qui ne peuvent souffrir leurs véritables serviteurs, lorsque ceux-ci veulent leur faire connaître leurs défauts.“ Fénelon, Dialogues des Morts, XXV. Dialog zwischen Alexander und Kleitos, S. 86.

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Alexander wird in diesem Dialog mit Kleitos konfrontiert, den er während eines Zechgelages umbringen ließ, weil dieser offen seine (schlechte) Meinung über ihn und sein Verhalten äußerte. Die Begegnung der beiden ist – der Aussage Kleitos’ nach – durch einen Ratschluß Plutons initiiert worden: eine gerechte Strafe in der Unterwelt für die irdischen Verfehlungen des Makedoniers.239 Die ständige Präsenz des von ihm Ermordeten soll Alexander an seine Verbrechen erinnern und ihm Schmerz zufügen. Dies möchte Alexander unter allen Umständen vermeiden; Kleitos weigert sich jedoch, den offensichtlich von Skrupeln befallenen Feldherrn zu verlassen, und tadelt ihn wegen seiner Empfindlichkeit: Clit.

Alex.

Il n’est plus temps d’être délicat sur les bords du Styx. Il fallait quitter cette délicatesse en quittant cette grandeur royale. Tu n’as plus rien à donner ici, et tu ne trouveras plus de flatteurs. Ah quel malheur! Sur la terre j’étais un dieu; ici je ne suis plus qu’un ombre, et l’on m’y reproche sans pitié mes fautes.240

Fénelons Figur des Kleitos steht in diesem Gespräch stellvertretend für die Menschen, denen Alexander zu seinen Lebzeiten geschadet hat, seine Präsenz stellt für den nun aller Macht beraubten Schatten eine schwer zu ertragende Schmach dar.241 Kleitos fungiert so gleichzeitig als Ankläger für die bereits begangenen Taten des Alexander wie auch als mahnendes Beispiel für den Leser, der die Folgen seines eigenen Handelns zu bedenken lernen soll: Das Dasein nach dem Tod bietet für einen erfolgreichen Eroberer wie Alexander nicht die Fortsetzung seines bevorzugten Lebensstils, sondern zwingt ihn dazu, begangene Fehler und Sünden einzugestehen. Spätestens in der Unterwelt – so die Botschaft dieses Gesprächs – wird man von seinen Missetaten eingeholt und mit der Wahrheit über sich selbst konfrontiert. Fénelon läßt Kleitos nach dem Grund für seine Ermordung fragen: Alexander antwortet ihm, daß er zu diesem Zeitpunkt zu viel getrunken hätte („Quand je te tuai, j’avais trop bu.“).242 Wie schon im Dialog zuvor spielt Fénelon mit der Bedeutung des Rausches, der hier sowohl wörtlich als Anlaß für Alexanders Verbrechen als auch als Metapher für seine Gier nach Ruhm verstanden wird:

239 „Pluton veut que je demeure devant tes yeux, pour te punir de m’avoir tué injustement.“ Fénelon, Dialogues des Morts, XXV. Dialog zwischen Alexander und Kleitos, S. 86. 240 Fénelon, Dialogues des Morts, XXV. Dialog zwischen Alexander und Kleitos, S. 86. 241 Fénelon wandelt an dieser Stelle ein Motiv aus dem II. Totengespräch Lukians ab: Menipp enerviert die Toten Kroisos, Midas und Sardanapal mit seiner andauernden Kritik, weswegen sie ihn gerne loswerden möchten; Pluton weist dies jedoch zurück. Lukian, Gespräche der Götter, Meergötter, der Toten und der Hetären, S.91. 242 Fénelon, Dialogues des Morts, XXV. Dialog zwischen Alexander und Kleitos, S. 86.

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Clit. Voilà une belle excuse pour un héros et pour un dieu! Celui qui devait être assez raisonnable pour gouverner la terre entière, perdait par l’ivresse toute sa raison, et se rendait semblable à une bête féroce. Mais avoue243 de bonne foi la vérité: tu étais encore plus enivré par la mauvaise gloire et par la colère que par le vin.244

Alexander erweist sich in diesem Dialog gegenüber Kleitos weniger lernfähig als gegenüber Aristoteles; die andauernde kritische Präsenz seines ehemaligen Vertrauten erregt ihr derart, daß er die zuvor schon halb akzeptierte Einsicht in die Natur seines Schattendaseins wieder verdrängt: Mehrere Male droht er damit, entweder den Kleitos erneut zu töten oder sich selbst umzubringen, um seinen Vorwürfen zu entgehen.245 Fénelon läßt Kleitos als Beispiel für einen aufrechten und schonungslosen Kritiker eines Herrschers auftreten, dessen Verhalten der Korrektur bedarf. In Plutarchs Alexander-Vita hingegen legte Kleitos ein Verhalten an den Tag, das seine Ermordung zwar nicht rechtfertigt, aber zumindest nicht überraschend erscheinen läßt: Betrachtet man aber im Zusammenhang [...] die Ursachen und Zeitumstände, so findet man, daß der König die Tat nicht mit Vorsatz, sondern zufolge eines unglücklichen Zusammentreffens vollbracht hat, indem Wut und Trunkenheit dem bösen Dämon des Kleitos freie Bahn schufen.246

243 Der oft verwendete Ausdruck j’avoue (und dessen Abwandlungen) weist laut Nicola Graap angeblich auf den christlichen Kontext hin, in dem auch die Totengespräche Fénelons zu verstehen seien, die als „Texte geistlicher Unterweisung“ gelesen werden sollten: „Die Totengespräche Fénelons enthalten vielfach Gesprächspassagen, die an die geistliche Gewissensforschung erinnern.“ (S. 213) Und weiter: „Auffällig in den Totengesprächen ist der häufige Gebrauch der Formel „j’avoue“. Sie leitet beichtähnliche Bekenntnisse, confessiones, ein und steht damit im engen Zusammenhang mit dem Gespräch der Gewissenserforschung. [...] Es handelt sich um ein beichtähnliches Eingeständnis von Schuld, das vor einem Zuhörer abgelegt wird [...].“ Graap, Fénelon, S. 214. Dieser Reduktion auf die christliche Perspektive ist an dieser Stelle zu widersprechen: Mitnichten leitet diese Formel immer zu „beichtähnlichen Geständnissen“ über; sie stellt vielmehr eine häufig gebrauchte Wendung dar, die eher dialogimmanenten als genuin christlichen Ansprüchen gehorcht. Fénelon wählt für diese Formel eben nicht das Verb confesser, das tatsächlich im christlichen Sinn verstanden werden könnte, sondern das weniger starke avouer, das die Bedeutung von eingestehen oder zugeben hat. 244 Fénelon, Dialogues des Morts, XXV. Dialog zwischen Alexander und Kleitos, S. 86 f. 245 Fénelon greift hier auf absurd-komische Elemente einiger Totengespräche Lukians zurück, in denen jene Weigerung, die eigene Machtlosigkeit nach dem Tod anzuerkennen, thematisiert wird. Vgl. z. B. den XVI. Dialog zwischen Diogenes und Herakles, in welchem Herakles dem Philosophen Gewalt androht, weil dieser seinen göttlichen Ursprung in Frage stellt. Lukian, Gespräche der Götter, Meergötter, der Toten und der Hetären, S. 126. 246 Plutarch, Alexander-Vita, S.69 f.

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Bei Plutarch erhebt Kleitos – von Natur ein jähzorniger und hochfahrender Mann247 –, betrunken und voller Wut die Stimme gegen seinen Herrscher, der daraufhin dessen dreiste Reden mit seinem Schwert unterbricht. Die Ermordung Kleitos’ steht für Plutarch in Zusammenhang sowohl mit dem Temperament als auch mit dem berauschten Zustand beider Männer. Bei Fénelon werden die genauen Umstände dieses Ereignisses vereinfacht, die Schuld liegt hier ausschließlich auf der Seite des Makedoniers. Diese Simplifizierung läßt die intendierte Botschaft des Dialogs (wirkliche Diener eines Herrn sagen diesem schonungslos die Wahrheit) deutlich hervortreten. Doch auch die ambivalentere Version dieser Episode bei Plutarch zeigt in dieselbe Richtung, wenn, kurz bevor er zum Schweigen gebracht wird, Kleitos noch einmal gegen Alexanders Arroganz aufbegehrt: Kleitos aber gab nicht nach, sondern rief, Alexander aber solle ihn offen heraussagen lassen, was er wolle, oder er solle nicht freie Männer, die ein freies Wort redeten, zu sich laden, sondern unter Barbaren und Sklaven leben, die seinen persischen Gürtel und sein purpurdurchwirktes Gewand fußfällig verehren würden.248

Die Arroganz, die schon in Plutarchs Alexander-Vita deutlich benannt wird, liefert auch in Fénelons Dialog den Grund für den Widerwillen des Feldherrn, sich von einem vermeintlich gemeinen Mann (un homme vil)249 kritisieren zu lassen. Kleitos beharrt jedoch darauf, den großen Alexander nicht schonen zu können, eben weil er ihn liebe und ihn wegen seiner ehemals guten Taten schätze.250 Wie Aristoteles sieht auch Kleitos das Wesen Alexanders zum Schlechten gewendet nach seinem Sieg über Dareios. Danach hätte ihn der Wohlstand seine Sorge um den rechten Ruhm vergessen lassen.251 Die Lust am Spott und die komplexe Komik, die sich bei Lukian aus der Wechselwirkung der beiden unterschiedlichen Charaktere ergab, werden bei dem Franzosen durch einen leichter verständlichen Antagonismus von ‚gutem‘ und ‚schlechtem‘ Verhalten ersetzt. Alexander versucht zwar auch in den Dialogen Fénelons, sich argumentativ den Angriffen seiner Gesprächspartner zu widersetzen, sie sind ihm jedoch moralisch stets überlegen; in keinem der Dialoge behält

247 Plutarch, Alexander-Vita, S.70. 248 Plutarch, Alexander-Vita, S.71. 249 Fénelon, Dialogues des Morts, XXV. Dialog zwischen Alexander und Kleitos, S. 87. 250 „Alex. Si tu m’aimes, épargne-moi. / Clit. Parce que je t’aime, je ne t’épargnerai point.“ Fénelon, Dialogues des Morts, XXV. Dialog zwischen Alexander und Kleitos, S. 88. 251 Vgl. dazu auch Plutarchs Beschreibung der Reichtümer, die durch den Sieg über Dareios in Alexanders Besitz übergehen. Ihre greifbare Präsenz vermittelt dem Feldherrn zum ersten Mal eine Ahnung davon, was es heißt, König zu sein. Plutarch, Alexander-Vita, S. 31.

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der Feldherr bei Fénelon die Oberhand – seinen Kritikern gebührt sowohl das Privileg, das Gespräch zu beginnen, als es auch zu beenden.

3.4.4.3 Der Dialog zwischen Sokrates und Konfuzius Das Gespräch, das neben dem XVII. zwischen Sokrates, Alcibiades und Timon das umfangreichste von Fénelons Dialogues des Morts ist, bringt Sokrates mit Konfuzius zusammen. Es nimmt laut Kommentar der historisch-kritischen Gesamtausgabe eine Sonderstellung innerhalb der Totengespräche Fénelons ein: „Ce dialogue, qui n’est pas conservé en autographe, a un caractère différent des autres. Assez bien documenté, il ne doit pas être apocryphe, mais faire partie d’un ensemble de dialogues, peut-être postérieurs aux autres, qui tiennent plus de l’essai philosophique que de l’exercice pédagogique.“ 252 Die einleitenden Worte des Konfuzius installieren eine während des gesamten Dialogs wirksame Opposition von Europa auf der einen und dem Orient (hier: Asien) auf der anderen Seite: J’apprends que vos Européans vont souvent chez nos Orientaux, et qu’ils me nomment le Socrate de la Chine. Je me tiens honoré de ce nom.253

Konfuzius zeigt in seiner Anrede ehrerbietigen Respekt gegenüber seinem Gesprächspartner, der sich jedoch alle Schmeicheleien verbittet, da der Ort der Unterhaltung nicht nach ihnen verlange.254 Gefragt nach dem Grund für die behauptete Ähnlichkeit beider, antwortet jener ‚Sokrates von China‘, daß sie beide fast genau derselben Epoche angehört, beide arm und bescheiden gelebt und voller Eifer danach gestrebt hätten, die Menschen tugendhafter zu machen. Bezeichnend für die Struktur dieses Gesprächs ist Sokrates’ konstant geäußerter Widerspruch, der reflexartig auf jede Behauptung des Konfuzius folgt. Thema des Gesprächs ist das Land China, seine Vergangenheit, Leistungen, Erfindungen und Eigenarten, gesehen aus der kritischen Perspektive des Europäers Sokrates.255 Einen komischen Zug erhält dieser Dialog dadurch, daß 252 Langer, Kommentar zum VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, in Fénelon, Œuvres, I., S. 1347. 253 Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 295 [Hervorhebung – SD]. 254 „Socrate: Laissons les compliments, dans un pays où ils ne sont plus de saison.“ Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 295. 255 Der Kommentar gibt einen Überblick über die Quellen, die Fénelon zum Leben des Konfuzius und dem Land China benutzte; es ist z. B. die von P. Intorcetta, C. Herdtrich, F. Rougemont und P. Couplet verfaßte Abhandlung Confucius Sinarum philosophus sive scientia Sinensis latine exposita, Paris 1687. Vgl. dazu Langer, Kommentar zum VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 1347.

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beide Figuren ihr (teilweise oberflächliches) Wissen über das Herkunftsland und die Person des anderen äußern und sogleich von ihrem Gegenüber verbessert werden: Keine Behauptung, keine Wahrheit bleibt unkorrigiert. Besonders Sokrates strebt danach, die Errungenschaften und Sitten Chinas zu diskreditieren; eine Frage oder Behauptung seines Gegenübers wird von ihm mit Hilfe ausführlicher Argumente beantwortet bzw. widerlegt. Positive Anspielungen auf sein eigenes Wirken weist er brüsk zurück: Sokrates offenbart in diesem Gespräch sein Bestreben, in keinem der behandelten Punkte mit seinem Partner übereinzustimmen. Eine große Zahl von Schülern habe er nicht unterrichten und seine Lehre auch nicht in toten Büchern überliefern wollen.256 Seine Eigenwahrnehmung und die der Zustände in der Welt (und besonders ihrer Bewohner) sind pessimistisch geprägt: Un homme ne peut presque rien sur les autres hommes. Les hommes ne peuvent rien sur eux-mêmes, par l’impuissance où l’orgueil et les passions les tiennent. [...] L’exemple, et la raison insinué avec beaucoup d’art, font seulement quelque effet sur un fort petit nombre d’hommes mieux nés que les autres. Une réforme générale d’une république me paraît enfin impossible, tant je suis désabusé du genre humain.257

Sokrates ist, wie er im ersten Abschnitt 258 des Dialogs mehrfach sagt, enttäuscht vom Menschengeschlecht allgemein und von einzelnen Vertretern desselben (wie z. B. Alkibiades);259 enttäuscht ist er deshalb, weil viele Menschen 256 „[J]e me suis borné à l’instruction d’un petit nombre de disciples d’un esprit cultivé, et qui cherchaient les principes des bonnes mœurs. Je n’ai jamais voulu rien écrire [...]. Un livre est une chose morte qui ne répond point aux difficultés imprévues et diverses de chaque lecteur; un livre passe dans les mains des hommes incapables d’en faire un bon usage; un livre est susceptible de plusieurs sens contraires à celui de l’auteur.“ Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 295. Graap behauptet, an dieser Stelle drücke Fénelon seine Ablehnung gegenüber den volkssprachlichen Bibelübersetzungen aus: Diese würden es auch den weniger ‚Fähigen‘ ermöglichen, die heiligen Texte auszulegen. Zu diesem m. E. problematischen Ansatz vgl. Graap, Fénelon S. 136 f. Auch meint sie, an Sokrates’ Kritik der von Konfuzius schriftlich überlieferten Maximen ablesen zu können, daß Fénelon sich hier wiederum mit Augustinus auseinandersetzt: „In Sokrates bzw. Fénelons [!] Ablehnung der konfuzianischen Moralmaximen spiegelt sich Augustinus’ Kampf gegen eine Theologie der guten Taten; d. h. gegen den Pelagianismus.“ Graap, Fénelon, S. 132. 257 Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 296. 258 Der erste Abschnitt des Gesprächs behandelt zuerst das Leben und die Wirkung beider Figuren (S. 295–297). Der zweite und längste Abschnitt leitet über zu der Betrachtung Chinas aus der Perspektive des Europäers Sokrates (S. 297–305); im dritten und letzten Teil des Gesprächs vergleicht Sokrates die griechische Geschichtsschreibung mit der chinesischen und liefert Gründe für seine Theorie von der babylonischen Abstammung der Chinesen (S. 305– 306). Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 295–306. 259 Vgl. die Dialoge XV. und XVI. zwischen Sokrates und Alcibiades und XVII. zwischen Sokrates, Alcibiades und Timon. Fénelon, Dialogues des Morts, S. 42–62.

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ihre guten Anlagen nicht nützlich einsetzten bzw. einsetzen wollten und sein Einfluß auf andere sich als wenig nachhaltig erwiesen habe. Schon die Meinungsverschiedenheiten seiner Schüler Platon und Xenophon führen ihn zu der oben zitierten Erkenntnis (Les Académiciens formés par Platon se sont divisés entre eux; cette expérience m’a désabusé de mes espérances sur les hommes.260). In diesem Gespräch ist es (von wenigen Ausnahmen abgesehen) Konfuzius, der seinem Gegenüber Fragen stellt – Sokrates reagiert auf sie mit ausführlichen Belehrungen. Fénelon läßt Sokrates so mehr als Sophist denn als Mäeutiker agieren – als einen Mann, der seine Behauptungen als unumstößliche Wahrheiten präsentiert und ihren Gehalt nicht kritisch hinterfragt.261 Ist der Philosoph schon gegenüber seiner eigenen Stellung, den meisten Vertretern des Menschengeschlechts und der Geschichte Griechenlands bzw. Europas pessimistisch eingestellt, so betrachtet er die Bedeutung und Verläßlichkeit der historischen Quellen Chinas noch mißtrauischer. Die Fremde erscheint ihm durch die kulturelle und geographische Distanz noch ferner: Confucius: Socrate:

Peut-être avons-nous été plus heureux que vous: car la vertu a été grande dans la Chine. On le dit; mais pour être assuré par une voie non suspecte, il faudrait que les Européans connussent de près votre histoire, comme ils connaissent la leur propre.262 Quand le commerce sera entièrement libre et fréquent, quand les critiques européans auront passé dans la Chine pour examiner en rigueur tous les anciens manuscrits de votre histoire, quand ils auront séparé les fables et les choses douteuses d’avec les certaines, quand ils auront vu le fort et le foible du détail des mœurs antiques, peut-être trouvera-t-on que la multitude des hommes a été toujours foible, vaine et corrompue chez vous comme partout ailleurs, et que les hommes ont été hommes dans tous les pays et dans tous les temps.263

Ferne bedeutet hier Unwissen – ein Mangel, der nur durch Anstrengungen der Europäer beseitigt werden könnte. Sokrates zählt die dafür notwendigen Maß-

260 Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 296. 261 Graap behauptet an dieser Stelle das Gegenteil: Sokrates kritisiere den Konfuzianischen Sophismus; davon abgesehen, daß sie Fénelon mit der Figur des Sokrates gleichsetzt, verkennt sie in ihrer Analyse das ungleiche Verhältnis der beiden Dialogpartner: Sokrates ist derjenige, der über den größten Redeanteil verfügt. Graap, Fénelon, S. 131 f. 262 An dieser Stelle scheint Sokrates davon auszugehen, daß die Europäer ihrer eigenen Geschichte gewahr sind; am Ende des Gesprächs beklagt er jedoch, daß es vor Herodot keine Aufzeichnungen der griechischen Historie gebe und die meisten Aufzeichnungen Fabel und Wahrheit mischten. Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 305. 263 Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 298.

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nahmen auf, allerdings nimmt er an, daß die genaue Kenntnis der Geschichte die gleichen Untugenden, die er an Griechenland bemerkt habe, auch an China festzustellen sein würden. Zwingend erforderlich sei es, so Sokrates’ Forderung, daß zahlreiche europäische Gelehrte die chinesische Sprache lernten, die Bücher des Landes läsen und alle Originalquellen zu Gesicht bekämen, so daß am Ende „die ganze Sache vollkommen erhellt würde“ (la chose pût être pleinement éclaircie).264 Fénelons Sokrates ist in diesem Punkt weniger optimistisch als in einem anderen Gespräch (Sokrates und Alcibiades), in dem er die Nützlichkeit von Reisen in fremde Länder grundsätzlich anerkennt und die Gleichwertigkeit anderer Kulturen (zumindest per se) nicht ausschließt: Alc. Socr.

[...] Vous ne sauriez nier qu’un homme n’apprenne bien des choses quand il voyage, et qu’il étudie sérieusement les mœurs de tant de peuple. Il est vraie que cette étude, si elle était bien faite, pourrait beaucoup agrandir l’esprit: mais il faudrait un vraie philosophe, un homme tranquille et appliqué, [...] un homme sans passion et sans préjugé, qui chercherait tout ce qu’il y aurait de bon en chaque peuple, et qui découvrirait ce que les lois de chaque pays lui ont apporté de bien et de mal.265

Die im Gespräch mit Alkibiades geforderte Vorurteilsfreiheit läßt Sokrates im Dialog mit Konfuzius vermissen; sein Standpunkt erscheint im Vergleich zu dem früheren Gespräch ins Pessimistische verschoben.266 Ein Austausch mit seinem Gesprächspartner findet nicht statt, da Sokrates sich weigert, vor der Erfüllung der genannten Bedingungen irgendeine Qualität des Landes China anzuerkennen: „Jusque-là votre nation me paraît un spectacle beau et grand de loin, mais très douteux et équivoque.“ 267 Fénelon versucht in diesem Gespräch nicht, durch Sokrates und Konfuzius Informationen und Errungenschaften jenes ‚fernen‘ Landes zu präsentieren – anders als Fassmann, der in seinem Journal die Lebens- und Landesgeschichte seiner exotischen Figuren auch als Möglichkeit begreift, dem Leser Auskunft über die Lebensgewohnheiten und spezifischen Umstände eines Landes zu ge-

264 Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 299. 265 Fénelon, Dialogues des Morts, XVI. Dialog zwischen Sokrates und Alcibiades, S. 47 [Hervorhebung – SD]. 266 Der Kommentar zu den Totengesprächen argumentiert, daß der Dialog mit Konfuzius wahrscheinlich später als die anderen verfaßt wurde, weil Fénelon in ihm weniger auf erzieherische als auf allgemein philosophische Themen abzielt. Insofern erscheint es gerechtfertigt, von einer gedanklichen Entwicklung einer Figur (und der Ansichten des Autors) auszugehen. 267 Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 299.

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ben (vgl. 6 Das Fremde in Fassmanns Unterwelt). In diesem französischen Totengespräch trifft zwar der Okzident auf den Orient, die Begegnung beider führt jedoch nicht zu einem wirklichen Dialog: Sokrates als der Vertreter Europas entzieht sich einem echten Austausch, indem er alle Argumente, die Konfuzius im Laufe des Gesprächs vorbringt, als nichtig abtut. Detailliert spricht er allen Errungenschaften Chinas ihren Wert ab, indem er die von Konfuzius aufgezählten Aspekte der fremden Kultur für wertlos erklärt: Dies sind die Kunst des Buchdrucks, das Schießpulver, die Geometrie, die Malerei, die Architektur, die Porzellanherstellung und die Schrift.268 Die Buchdruckerkunst hätten die Europäer ‚besser‘ erfunden, weil sie Lettern entwickelten; das Schießpulver ist nach Sokrates eine an sich verderbliche Erfindung, weil sie dem Krieg diene; die Mathematik der Chinesen weise zu viele Fehler auf und die Malerei sei zwar teilweise recht artig, aber insgesamt zu formlos und überladen. Das Porzellan sei weniger der Erfindungskunst der Chinesen als dem Reichtum ihrer Erde geschuldet und ihre Architektur habe keine angenehmen Proportionen. Das Alter der fremden Kultur sei zwar beeindruckend (Votre antiquité est grande),269 ihr Ursprung aber liege im Dunkeln. Fénelon läßt Sokrates die Theorie äußern, daß das Gebiet Chinas von den Babyloniern besiedelt wurde; diese Folgerung ergibt sich für ihn nach dem Ausschlußprinizip, mittels dessen er die Möglichkeiten der Ausbreitung (zu Lande, nicht zur See), die Eigenschaften der Chinesen (die Tartaren z. B. seien zu gewalttätig und wild) und ihre Sitten (Künste, Wissenschaften und Religion) den Babyloniern zuordnet. Am Ende des Gesprächs äußert Sokrates noch einmal seine Skepsis gegenüber der Zuverlässigkeit der Quellen, die die eigene Vergangenheit behandeln:

268 Zunächst beurteilt Sokrates die chinesische Schrift durchaus positiv, weil sie allen Ländern die Möglichkeit gebe, sich mittels einer einzigen Sprache zu verständigen – ein Aspekt, den er schon vorher erwähnt, wenn er von der Notwendigkeit des freien Handels in der Welt spricht. Letztlich erklärt er die Anstrengung, die jene Völker aufzuwenden hätten, wenn sie ihre Kinder die chinesische Schriftsprache lehrten, für zu groß; dies sei eine „étude sèche“, die niemand ernsthaft in Betracht zöge, weil sie von ‚wichtigeren Dingen‘ ablenke. Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 303. 269 Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 305. Sokrates vergleicht die Chinesen an einer anderen Stelle mit den Ägyptern. Anders als Graap es in ihrer Analyse nahelegt, kritisiert Sokrates den Aberglauben und die Liebe zu Äußerlichkeiten der Ägypter und (zumindest nicht direkt) die der Chinesen, die für ihn nur Ähnlichkeit mit jenem Volk haben (Les Chinois [...] me paraissent assez semblables aux Egyptiens.): „C’est un peuple [...] superstitieux jusqu’ à la superstition la plus grossière et la plus ridicule, malgré sa politesse; [...] c’est un peuple grave, mystérieux, composé et rigide observateur de toutes ses anciennes coutumes pour l’extérieur, sans y chercher la justice, la sincérité et les autres vertus interieures.“ Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 299 f.

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Socr.

Tout ceci n’est qu’une conjecture, mais elle pourrait être vraie. [...] Pour moi, je ne me fie ni à Cécrops, ni à Inachus, ni à Pélops, pas même aux Héros d’Homère, sur nos antiquités.270

Sokrates offenbart in diesem Dialog eine deutliche Skepsis gegenüber historischen Quellen und ihren Verfassern. Die eigene Vergangenheit könne – wenn sie denn überhaupt durch schriftliche Zeugnisse greifbar ist – nur mit Vorbehalt erschlossen werden. Ist schon die Geschichte des eigenen Landes in einer Art mythischem Dunkel verborgen, so erscheint ihm die einer fremden (und in diesem Fall besonders fernen) Nation noch zweifelhafter. Sokrates’ Kulturpessimismus271 dehnt sich über die eigene Sphäre auf die seines Gesprächspartners – und damit stellvertretend auf alle ‚exotischen‘ Länder, ihre Geschichtsschreibung und Selbstwahrnehmung – aus.

3.4.5 Der Einfluß von Fénelons Dialogues des Morts auf Fassmanns Gespräche Wenn Fontenelle Fassmann dahingehend beeinflußt hat, daß der Deutsche die französisch-galante Konversationstechnik zu imitieren versuchte, so wirkte Fénelon mit seinem pädagogischen Anspruch auf die Konzeption des Journals. Der Ansatz Fénelons, mittels der Gattung Totengespräch historisches Wissen und moralische Wertvorstellungen zu transportieren, findet sich auch in Fassmanns Dialogen wieder: Markiert durch die zahlreichen Verweise auf den historisch-didaktischen Charakter seiner Entrevuen, offenbart ihr Autor seine Beziehung auch zu diesem französischen Vorgänger.272 Daß Fassmann auch andere Werke Fénelons bekannt waren, kann darüber hinaus durch seine Verbin-

270 Fénelon, Œuvres, I., VII. Dialog zwischen Konfuzius und Sokrates, S. 306. 271 Graap interpretiert diesen Pessimismus einseitig und verengt ihre Sichtweise auf eine rein christliche Perspektive: „Sokrates’ Pessimismus in diesem Dialog reflektiert in seiner Radikalität die augustinische Erbsündelehre, nach der die Prädestinaton der Massen zum Unheil kein göttlicher Akt, sondern Folge des Sündenfalls ist. Der Verlauf der Weltgeschichte, der bestimmt ist vom Kampf widerstreitender Staaten und politischer Ordnungen, von Leidenschaften und bösen Affekten, der Verlust also des amor imperturbatus in Deum, ist für Augustinus Folge des Sündenfalls.“ Graap, Fénelon, S. 136. 272 In der Vorrede zum II. Band seiner Gespräche in dem Reiche derer Todten erwähnt Fassmann Fénelons Dialoge explizit. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede zu Bd. II, Leipzig 1720.

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dung zum Fénelon-Übersetzer Francke und Fassmanns deutsche Übersetzung von Fénelons Abenteuer des Telemach bewiesen werden.273 In den Leipziger Gesprächen in dem Reiche derer Todten wirken Elemente der ethischen und politischen Ideen Fénelons weiter, seine Vorstellung von der Erziehung des Menschen zum ‚Guten‘ und seine Absicht, dem Leser mit Hilfe von Dialogen bestimmte moralische Werte zu vermitteln. Obwohl der Kreis der Rezipienten bei Fassmann um ein Vielfaches erweitert wird, ist der Anspruch, den Fénelon an seine Dialogues des Morts stellte, auch im deutschen Journal spürbar. Fassmann übernahm etwa die Technik des Franzosen, komplexe Sachverhalte oder ambivalente Situationen zu vereinfachen, wie Fénelons Umgang mit der Figur des Kleitos beispielhaft gezeigt hat. Die Tendenz zur Simplifikation, die eine eindeutigere Lesart und moralische Beurteilung der Personen ermöglichen soll, kommt in den Gesprächen in dem Reiche derer Todten häufig zur Anwendung.274 Darüber hinaus war Fénelon wie schon Fontenelle Vorbild für die Auswahl bestimmter Personen, wie z. B. die große Zahl von geistlichen Würdenträgern, französischen Ministern und Königen zeigt. Zwei Begegnungen übernimmt Fassmann von Fénelon zur Gänze: das Gespräch zwischen Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, und François I., König von Frankreich (LXVI. Dialogue275 bzw. 2. Entrevue), und das zwischen Kardinal Richelieu und Kardinal Mazarin (LXXIV. Dialogue276 bzw. 17. Entrevue). Die folgenden Figuren erscheinen sowohl bei Fénelon als auch bei Fassmann: Papst Sixtus V. (LXX. Dialogue bzw. 5. Entrevue), Heinrich VIII., König von England (LXIII. Dialogue bzw. 9. Entrevue), Henri IV., König von Frankreich (LXVIII.–LXX. Dialogue277 bzw. 19. Entrevue), Philipp II., König von Spanien (LXXVII. Dialogue bzw. 26. Entrevue), Kardinal Ximenes (LXXI. Dialogue278 bzw. 62. Entrevue), Maximilian I., Kaiser des HRR (LXXV. Dialogue bzw. 81. Entrevue), Louis XI., König von Frankreich (LVII.–LXI. Dialogue279 bzw. 90. En-

273 Der deutsche Titel von Fassmanns Übersetzung lautete: Wundersame Erzehlungen aus dem Reiche derer Poeten, als Telemaque, Vlyssis Sohn, und der berühmte Engländer, Robinson Crusoe, einander daselbst angetroffen, [...] Von dem Autore der bekandten Todten=Gespräche, 2 Teile, Frankfurt und Leipzig 1739 und 1740. 274 Besonders augenfällig ist dies, wenn sowohl Fénelon als auch Fassmann auf Plutarchs Parallelbiographien (Alexander, Alkibiades, Pyrrhus etc.) rekurrieren, deren Ambiguität sie aufzulösen suchen. 275 In der Ausgabe von 1839 erscheint er als der XII. Dialogue entre les Modernes. Karl V. tritt bei Fénelon außerdem noch im LXV. Dialog auf. 276 Dieses Gespräch wird in der Ausgabe von 1839 als XIX. Dialog geführt. 277 In der Ausgabe von 1839 der XIV.–XVI. Dialog. 278 In der Zählung der Ausgabe von 1839 ist dies der XVII. Dialog. 279 Die fünf Ludwig XI.-Dialoge sind in der Ausgabe von 1839 die Dialoge IV.–VIII.

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trevue), Nero (XLIX. Dialogue280 bzw. 130. Entrevue), Sokrates (VII., XVI.–XVIII. Dialogue281 bzw. 154. Entrevue), Romulus und Julius Caesar (VIII.–X. Dialogue282 bzw. 157. Entrevue), Scipio Africanus (XXXVII.–XXXIX. Dialogue283 bzw. 165. Entrevue), Numa Pompilius (X. Dialogue284 bzw. 177. Entrevue) und Marc Aurel (L. Dialogue285 bzw. 205. Entrevue). Die Kritik an schlechter Herrschaft, die bei Fénelon erzieherisch auf den Enkel des französischen Königs einwirken sollte, erscheint bei Fassmann vielerorts als allgemeingültiges Problem; die Laster sowohl der Könige als auch ihrer Minister sind bei beiden ein zentraler Aspekt ihrer Totengespräche.286 In Fassmanns I. Entrevue, die den französischen König Ludwig XIV. im Gespräch mit dem österreichischen Kaiser Leopold I. zeigt, erscheinen zahlreiche Aspekte, die auch in den Dialogues Fénelons immer wieder betont werden: Ludwig XIV. ignoriert (wie der Alexander Fénelons) zuerst sein Schattendasein und möchte zurück auf die Erde, um seine Nachfolger zu züchtigen – eine Drohung, die Leopold als „grosse Schwachheit“ bezeichnet.287 Gefragt nach dem Grund für die Feindschaft zwischen den Häusern Österreich und Bourbon, antwortet Ludwig, daß er durch das „Gifft der Schmeicheley“ zu übertriebenem Ehrgeiz getrieben worden sei: Ludovicus [...] Das Gifft der Schmeicheley hatte mein gutes Naturel gleich von Jugend an vergifftet, und man machte mir weiß, daß, gleichwie nur eine Sonne am Himmel ist, also auch nur ein Monarch auf der Erden seyn müste, wozu aber niemand geschickter wäre / als ich / weiln ich der Reichste, der Mächtigste und Schlaueste, auch von Person, in meiner Jugend / der Ansehnlichste genennet ward.

280 In der Ausgabe von 1839 der XLVI. Dialogue entre des Anciens. 281 Der Dialog Sokrates – Konfuzius ist nicht in der Ausgabe von 1839 enthalten, die anderen Sokrates-Dialoge tragen die Nummern XV.–XVII. der Dialogues entre des Anciens. 282 In der Ausgabe von 1839 sind dies die Dialoge VII.–IX. 283 XXXVI. und XXXVII. Dialog in der Ausgabe von 1839. 284 Der Dialog von Romulus und Numa Pompilius ist der IX. in der Ausgabe von 1839. 285 In der Ausgabe von 1839 ist dies der XLVII. Dialogue entre des Anciens. 286 Fassmann nutzt etwa das Gespräch zwischen Artaxerxes und Stephan Báthory (188. Entrevue, Bd. XII) für eine Kritik an schlechten Fürsten. 287 „Ludovicus: Oui je fremis de depit quand j’y pense, & je voudrais bien pouvoir retourner au monde, & chatier ceux, qui ont tant de hardiesse. [...] / Leopoldus: Was haben Ew. Majest. vor eitle Gedancken? Wissen denn dieselben nicht, daß sich nach unserm Tode niemand vor uns fürchtet, und daß es eine grosse Schwachheit ist / wenn man solchen Personen / die, wann wir verstorben / unsere Stellen vertreten sollen, etwas zum Præjudix disponiret; noch viel grösser aber ist die Schwachheit, wann man als ein Verstorbener, noch unwillig seyn und drohen will.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 1, Leipzig 1718, S. 7.

François Fénelons Dialogues des Morts anciens et modernes

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Leopoldus Das Gifft der Schmeicheley hat manchen braven und grossen Prinzen in der Welt verderbet / auch wol endlich gar gestürzet. Glückselig sind die Prinzen, so jederzeit gute und getreue Räte, und andere Personen, um sich haben / welche sich nicht scheuen, die Wahrheit auf der Zunge, vor dem Angesicht ihrer Herren zu tragen; die ihnen frei heraus sagen, ob auch die Gerechtigkeit auf der Seite einer Sache ist, so man unternehmen wil, und die Noth / welche öffters unter denen armen Unterthanen ist, nicht verschweigen, sondern, wann es möglich, die Gallen=Träncke derer Elenden, in eine süsse Milch verwandeln.288

Fassmann offenbart in diesem Eingangsdialog seine Nähe zu den Maximen Fénelons, die jenes Diktum von der Schädlichkeit der Schmeichler besonders in den Alexander-Dialogen propagieren. Die Notwendigkeit von ‚guten und getreuen‘ Räten, die ihrem Herrscher die Wahrheit sagen, wird hier wie dort betont. Fassmann übernimmt diesen Gedanken, der bei Fénelon in der Figur des Kleitos seinen exemplarischen Ausdruck findet; in den Totengesprächen des Leipzigers ähnelt so der französische König in Verhalten und Rede dem Alexander Fénelons, der ja wiederum – historisch verbürgt – für seine eigene Alexander-Begeisterung bekannt war. Fassmann und Fénelon eint zudem, daß sie – im Gegensatz zu Fontenelle – das Leben ihrer Figuren gleichsam instrumentalisieren: Der Zweck der Dialoge liegt bei beiden nicht mehr allein darin, den Leser durch satirische oder galante Gespräche zu unterhalten, sondern sie werden als ein Medium verstanden, das spezifische Vorstellungen und Werte vermitteln soll. Gerhard Hess kritisiert an den Totengesprächen Fénelons genau jene Absicht, die über die eigentliche Funktion der Gattung hinausgehe: „Der didaktische Zweck mag es rechtfertigen, daß dieser Fürstenspiegel in Form von Totengesprächen vor dem Schüler selbst die Ahnherrn auf dem französischen Thron als Vorbilder oder Warnung vorüberziehen läßt: der satirisch-revolutionäre Kern der alten Gattung, den Fontenelle bewahrte, ist damit deutlich preisgegeben.“ 289 In dieser Kritik drückt sich die Ablehnung aus, die auch Zeitgenossen gegenüber den Totengesprächen Fassmanns äußerten – die zeitgenössischen Ansprüche der Leserschaft und des Autors kollidieren dieser Auffassung nach mit der traditionellen Überlieferung der ‚alten Gattung‘. Alle Aspekte, die über den satirischrevolutionären Kern der Totengespräche hinausgehen, werden als problematisch angesehen: Bei Fénelon ist dies die dezidiert moralisch-religiöse Erziehung eines jungen Thronfolgers, bei Fassmann v. a. der große Umfang seiner Dialoge in Journalform, mittels deren er Wissen, Nachrichten und Unterhaltung vereinen will.

288 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 1, Leipzig 1718, S. 8. 289 Hess, Gesellschaft, S. 126.

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3.5 Christian Thomasius’ Scherz= und ernsthaffte Monatsgespräche Während die vorhergehenden Abschnitte zuvor hauptsächlich Fassmanns Imitation und Transformation von Totengesprächen und Parallelbiographien aufzeigten, werden nunmehr die Einflüsse periodisch erscheinender Organe wie etwa der Monatsgespräche des Christian Thomasius in den Blick genommen. Die Ansprüche und Intentionen der Leipziger Totengespräche sollen anhand zeitgenössischer Quellen und neuer Forschungspositionen herausgearbeitet und mit den spezifischen Erscheinungsformen seiner Vorbilder in Beziehung gesetzt werden. Es geht hier und v. a. auch im nächsten Kapitel weniger um eine Definition des Journals an sich (deren Nutzen vielerorts zurecht in Zweifel gezogen wurde),290 sondern mehr um eine sich nah an den Texten bewegende Analyse spezifischer Eigenheiten und um erkennbare Bezüge einzelner Periodika untereinander. Die für eine Definition des Mediums traditionell herangezogenen Parameter wie Aktualität, Periodizität, Universalität und Publizität versprechen über ihre Identifizierung hinaus wenig Erkenntnisgewinn.291 Als Grundlage sind sie im folgenden Kapitel zwar relevant, darüber hinaus sollen aber vor allem die formalen, inhaltlichen und intentionalen Eigenheiten des Leipziger Journals und dessen Bezüge zu anderen zeitgenössischen Journalen im Vordergrund stehen. Entscheidend sind hierbei die Fragen wie, aus welchen Gründen und vor welchem Hintergrund die Gespräche in dem Reiche derer Todten von ihrem Autor konzipiert und publiziert bzw. wie sie von ihren Lesern rezipiert wurden. Als ebenso interessant wie ergiebig erweist sich neben dem Vergleich der Leipziger Totengespräche mit den Monatsgesprächen des Thomasius ein Blick auf zeitgenössische fremdsprachige Journale: Fassmann orientierte sich bei der Konzeption seiner Dialoge durchaus an andernorts erfolgreich publizierten Organen bzw. an deren ‚modischen‘ Themen. Er integrierte so in sein Periodikum einige gleichsam international funktionierende Elemente. Fassmanns Arbeitsweise war durch das kontinuierliche Arbeiten an mehreren Journalen zwangsläufig von Kompilation bzw. Montage disparater Elemente bestimmt. Thomasius stand auch bei der erfolgreichen Integration unterschiedlicher Textsorten in

290 Vgl. Herbert Jaumann: Bücher und Fragen. Zur Genrespezifik der Monatsgespräche, in: Christian Thomasius (1655–1728). Neue Forschungen aus dem Kontext der Frühaufklärung, hg. v. Friedrich Vollhardt, Tübingen 1997, S. 395–404, hier S. 397 ff. 291 Zu dieser Definition vgl. z. B. Hans-Albrecht Koch: „Zeitschrift“, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. III, hg. v. Jan-Dirk Müller, Berlin 2003, S. 884–886.

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seine Monatsgespräche Pate für Fassmanns Konzeption. Als erstes regelmäßig und erfolgreich publiziertes Journal in deutscher Sprache lieferten die Monatsgespräche mit ihrer Themen- und Textsortenvielfalt zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten für den noch am Beginn seiner Tätigkeit als freier Journalist stehenden Fassmann. Beide Männer verkehrten zudem zumindest zeitweise in demselben Kreis: Der Einfluß des Halleschen Pietisten Francke ist sowohl bei Thomasius wie auch bei Fassmann für eine bestimmte Zeit auch in deren Schriften nachweisbar. Bei ersterem führte eine Hinwendung zur pietistischen Bewegung, die durch seine Ablehnung der sächsischen Orthodoxen gefördert wurde, zu einer Freundschaft mit Francke und zu einer gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Pietismus,292 bei letzterem waren sowohl seine in Halle unternommenen theologischen und juristischen Studien als auch seine Tätigkeit als Schreiber für Francke der Grund, daß er mit dem pietistischen Umfeld und Thomasius selbst in Berührung kam. Thomasius’ Thesen und Ideen sind, so wird sich zeigen, an zahlreichen Stellen in Fassmanns Totengesprächen und in anderen seiner Periodika wiederzuerkennen und nachzuweisen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die zwischen nur wenig früher oder zeitgleich publizierten Journalen und dem Periodikum Fassmanns konstatiert werden können, helfen dabei, eine genauere Definition und mögliche Ansätze zur Erklärung der im Zeitkontext durchaus ungewöhnlichen Form und des eklektizistischen Inhalts des Leipziger Periodikums zu liefern. Als Teil einer noch jungen Publikationsform weisen die Fassmannschen Dialoge auf Entwicklungen hin, die seit der Herausgabe der lateinischen Acta eruditorum und mehr noch der deutschen Monatsgespräche stattgefunden hatten. Die Intentionen der Journalisten änderten sich im Laufe weniger Jahrzehnte zwangsläufig, weil sie u. a. die Bedürfnisse eines bereits bestehenden Marktes respektive Leserkreises befriedigen mußten. Neue Ansprüche, ein zeitabhängiger Geschmack sowie an früheren Erzeugnissen ausgebildete Lesegewohnheiten führten so zwangsläufig auch zu neuen formalen und inhaltlichen Konzepten für regelmäßig erscheinende Publikationen wie die Totengespräche Fassmanns. Um finanziell unabhängig und erfolgreich arbeiten zu können, mußte ein freier Journalist wie Fassmann den Geschmack und die Vorlieben seines heterogenen Leserkreises kennen und befriedigen. Daß ihm dies außerordentlich gut gelang, beweisen die hohen Verkaufszahlen, mehrere Neuauflagen und die lang andauernde Imitation seines Periodikums, die bis weit ins 19. Jahrhundert hinein andauerte.

292 Vgl. dazu Hanns Freydank: Christian Thomasius der Journalist, in: Christian Thomasius. Leben und Lebenswerk, hg. v. Max Fleischmann, Halle 1931 [ND Aalen 1979], S. 345–382, hier S. 357.

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Als ein weiterer Indikator für den Erfolg seines Journals kann daneben dessen zeitgenössische Übersetzung ins Englische gelten: Im selben Jahr, in dem Fassmann in Leipzig mit der Veröffentlichung seines Journals begann, erschien bereits in London sein erstes Gespräch in englischer Übersetzung.293 Obwohl auch dort ein ähnliches System der Distribution geplant war (bevorzugt als Subskription, daneben auch als Einzelverkauf), wird die Veröffentlichung jedoch bald wieder eingestellt. Einer Bemerkung des Übersetzers nach zu schließen muß der Plan einer monatlichen Veröffentlichung nach dem dritten Interview wegen des erheblichen Aufwandes wieder aufgegeben werden.294 Somit wurden nur die Gespräche zwischen Leopold I. und Louis XIV., Karl V. und François I. sowie Gustav Adolf und Charles I. ins Englische übertragen; nichtsdestoweniger zeugt jedoch das Unternehmen an sich von den Hoffnungen der Verleger und des Übersetzers, mit Hilfe der in Deutschland bereits erfolgreichen Totengespräche auch in England zu reüssieren. Fassmanns Journal muß – obwohl es durchaus singulären Erfolg hatte – in den medialen Kontext seiner Zeit gestellt werden. Jenseits von Anregungen, die Fassmann von antiken und frühneuzeitlichen Totengesprächen sowie anderen Textsorten bezog, konnten auch zeitgenössische Periodika eine Vorbildfunktion übernehmen bzw. dem Journalisten die Möglichkeit geben, seinen Standpunkt gewinnbringend zu vermarkten. Christian Thomasius’ Monatsgespräche, die zwischen 1688 und 1690 erschienen, offenbarten sowohl formal als auch inhaltlich das Bestreben ihres Autors, neue Wege zu beschreiten. Mit dem Medium eines regelmäßig erscheinenden Journals schaffte sich Thomasius über seine juristischen Abhandlungen und Vorlesungen hinaus ein neuartiges Forum und erschloß damit auch einen anderen Leserkreis. Und zwar einen, der erst durch das Medium selbst geschaffen, ausgebildet und geschult werden mußte.295 Im Gegensatz zu Tho-

293 Der Titel der englischen Version lautete: Interviews in the Realms of Death: or, Dialogues of the Dead: between several great personages deceas’d [...]. Written originally in High-Dutch. Printed by W. Hunter for J. Hooke, R. Ford, J. Graves, London 1718. Die drei übersetzten Interviews sind auch als elektronische Ressource der Datenbank „Eigtheenth century collection online“ abrufbar unter http://galenet.galegroup. com. 294 Dort heißt es: „The delaying to publish this Interview has been owing to many Causes that are not needful to be mention’d here. But the Translator assures the Subscribers, he will do the Justice with all possible Expedition, tho‘ he cannot publish the Work Monthly, as he at first intended, it being very laborious.“ Interviews in the Realms of Death, Bemerkung vor dem III. Interview, London 1718. 295 Eine Generation nach Thomasius wird vor allem Gottsched eben diesen Aspekt der Leserschulung noch erweitern, indem er mit Hilfe fingierter Briefe seine Leser zu einer Reaktion auf seine periodisch erscheinenden Organe ermutigt.

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masius’ lateinischen Spezialabhandlungen zu verschiedenen rechtlichen Fragen konnte sich sein Journal nunmehr in deutscher Sprache an eine erheblich größere Zahl von Lesern wenden und mit einem sehr viel breiteren Themenspektrum aufwarten. Die Forschung hat vielfach den Aspekt betont, daß die Monatsgespräche das erste deutschsprachige literarische Rezensionsorgan gewesen seien;296 andere Untersuchungsansätze hingegen öffneten den Blick darüber hinaus für die Spezifika des von Thomasius neu definierten Genres sowohl auf inhaltlicher wie auch auf formaler Ebene.297 Zutreffend ist, daß die zwei von Thomasius veröffentlichten Jahrgänge eine Vielzahl von literarischen Werken vorstellten und mit Hilfe verschiedener Figurenperspektiven kritisch beleuchteten. Darüber hinaus bot ihr Autor seinen Lesern die Möglichkeit, die Art, in der er diese ausgewählten Beispiele präsentierte, nachzuahmen und zum Gesagten selbst kritisch Stellung zu nehmen. Anhand seiner regelmäßig erscheinenden Figuren, die Thomasius als Typen gemäß ihrer Rolle und Funktion agieren ließ, schaffte er so ein fiktives Abbild einer mehr oder weniger heterogenen, dabei aber durchaus gebildeten Gesellschaft. Diese Gruppe stellte so eine gesellige Gesprächssituation her, in der die unterschiedlichen Temperamente und Positionen beim Leser für Amüsement und Belehrung sorgen konnten. Die Charaktere mochten dem bildungswilligen Rezipienten als figürliche Beispiele dienen und ihm mit Hilfe der entwickelten Gesprächsstrategien innerhalb der Dialoge Orientierung bieten: Die in den Monatsheften vorgeführten Gesprächssituationen konnten so auch zur Anleitung für ein gebildetes Literaturgespräch im eigenen Lebensumfeld werden. In den Gesprächen des ersten Jahrgangs unterhielten sich Figuren, die – ob nach ‚realen‘ Vorbildern gestaltet oder nicht – unterschiedliche Typen mit eigenen Vorlieben und Charaktereigenschaften darstellten und so verschiedene Meinungen zu einzelnen Themen vertraten:298 Der pedantische Schulmann David, der Handel treibende Chri-

296 Wie z. B. Robert E. Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, Bd. 1, Hannover 1845; Thomas Woitkewitsch: Thomasius’ Monatsgespräche. Eine Charakteristik, in: Archiv für die Geschichte des deutschen Buchhandels 10 (1970), S. 657–678. 297 Vgl. dazu den Aufsatz von Herbert Jaumann zur „Genrespezifik der Monatsgespräche“, in: Christian Thomasius (1655–1728). Neue Forschungen aus dem Kontext der Frühaufklärung, Tübingen 1997, S. 395–404. 298 Die Händel und Streitigkeiten, die Thomasius wegen seiner Figuren mit beleidigten Zeitgenossen hatte, trugen letztlich auch dazu bei, daß er die Fortführung der Gespräche aufgab. Herausstechendster Kritiker, dessen Beschwerden bis hin zu diplomatischen Verstimmungen führten, war der dänische Hofprediger Masius. Aber auch die Leipziger Persönlichkeiten aus dem direkten Umfeld des Christian Thomasius fühlten sich durch die Figuren verunglimpft: Valentin Alberti, Augustin Pfeiffer sowie Johann Benedikt und Samuel Carpzov strebten danach, die Veröffentlichung der Monatsgespräche zu unterbinden. Vgl. dazu auch Frank Gru-

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stoph, der gelehrte Benedict und der weltmännische Augustin gaben ihre divergenten Urteile und Haltungen im gemeinsamen Gespräch zum Besten. Thomasius erreichte durch seine Figurenwahl eine größtmögliche Vielfalt an Stimmen und somit – wie Grunert dazu ausführt – eine gleichsam polylogische Annäherung an die ‚Wahrheit‘.299 Dies bedeutete im Vergleich zu anderen literarischen Erzeugnissen, daß hier eine wie auch immer geartete Meinung oder Information nicht durch eine einzige Perspektive dargeboten wurde, sondern durch einen gleichsam als Chor agierenden Kreis von Gesprächsteilnehmern, der dem Leser einen Sachverhalt, ein Streitthema oder eine literarische Neuerscheinung unter verschiedenen Gesichtspunkten präsentierte. Die ersten beiden Hefte des ersten Jahrgangs der Monatsgespräche boten im Unterschied zu den später erschienenen mit Hilfe jener mehrstimmigen Gespräche ihre Themen und die dazu gehörigen Meinungen dar. Der Dialog der typisierten Charaktere war in eine Rahmenhandlung eingebettet, in der wiederum mehrere Figuren erschienen: Thomasius ließ die fiktive ‚Gesellschaft der Müßigen‘ darüber debattieren, auf welche Art man in deutscher Sprache über Literatur sprechen könne; die Gesellschaft, die sich aus einem „Cavalier“, einem „Licentiatus Juris“ und einem „Rentenierer“ zusammensetzte, gelangt zu dem Schluß, daß eben jene vier oben genannten Figuren sich auf einer Kutschenfahrt über Literatur unterhalten sollten. Der Leser sah sich so mit zwei fiktiven Rednergruppen konfrontiert, deren Zusammensetzung verdeutlichte, welchen Ansatz Thomasius in seiner Gesprächsstrategie verfolgte: Keine der anwesenden Figuren war ein ausgewiesener ‚Fachmann‘ auf dem Gebiet der Literatur. In seiner Abneigung gegen die Pedanterey ließ Thomasius hier interessierte Laien zu Wort kommen, deren Diskursniveau auch von nicht allumfassend gebildeten und ebenfalls nicht spezialisierten Lesern nachvollzogen werden konnte.300 In den folgenden Monatsheften nahm der Grad an Mehrstimmigkeit immer weiter ab. Frank Grunert beschreibt in seinem Beitrag, wie die anfängliche polylogische Gesprächsgestaltung in eine dialogische überging und schließlich in einer monologischen mündete. Als charakteristisch für Thomasius’ Ansatz

nert: Von polylogischer zu monologischer Aufklärung. Die Monatsgespräche des Christian Thomasius, in: Die Philosophie und die Belles-Lettres, hg. v. Martin Fontius und Werner Schneiders, Berlin 1997, S. 21–38, hier S. 29. 299 Vgl. Grunert, Von polylogischer zu monologischer Aufklärung, S. 30 f. 300 Grunert bemerkt zu der Charakterisierung der fiktiven Verfassergesellschaft als interessierte Laien: „[S]ie [die Charakterisierungen – SD] machen ausdrücklich darauf aufmerksam, daß die ‚Gesellschaft der Müßigen‘ aus interessierten und gebildeten, sowohl praxisorientierten wie praxisbewährten Angehörigen verschiedener Berufsgruppen besteht und eben nicht aus Gelehrten.“ Grunert, Von polylogischer zu monologischer Aufklärung, S. 30.

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zu Beginn der Reihe versteht er jedoch die generelle Offenheit des mehrstimmig gestalteten Dialogs, die auch als Gegenbild zum pedantischen Beharren auf der eigenen Meinung verstanden werden könne: Dieser der Form nach offene Polylog weist über die Grenzen seiner literarischen Struktur hinaus, indem er notwendig auf die Position des literarisch nicht gestalteten Lesers zielt. Denn das offene Gespräch kann seine Funktion nur dann erfüllen, wenn der Leser selbstdenkend und selbsttätig seine eigene Position zu bestimmen versucht und damit seine Rolle als impliziter fünfter Gesprächspartner wahrnimmt.301

Ist Thomasius als Autor anfangs noch hinter seinen mehrschichtig angelegten Erzähl- und Figurenperspektiven verborgen, so läßt er im Laufe der Zeit immer mehr dieser schützenden Hüllen wegfallen. Die Gespräche der ‚Gesellschaft der Müßigen‘ dienen ab dem dritten Heft nicht mehr als Rahmenhandlung, die Anzahl der Figuren wird reduziert und schließlich tritt Thomasius selbst zu Anfang des zweiten Jahrgangs namentlich als Autor in Erscheinung. Die Tatsache, daß die Anzahl der Stimmen abnimmt, kann als Reaktion auf die kritische Aufnahme seiner Monatsgespräche interpretiert werden – je heftiger der Widerwillen und die Anfeindungen seiner Gegner ausfielen und je mehr sich Thomasius der Angriffe seiner sich karikiert fühlenden Widersacher erwehren mußte, desto weniger hielt er an der fiktiven Mehrstimmigkeit und der Existenz seiner Figuren fest. Auch die Tatsache, daß er das Erscheinen der Hefte bereits nach dem zweiten Jahrgang einstellte, mag dafür sprechen, daß sich seine Auffassung über deren Nutzen gewandelt hatte bzw. er den generellen Aufwand bei der dialogischen Gestaltung seiner Gespräche für zu groß erachtete. Im Schlußwort seines letzten Heftes bemerkt er dann auch, daß er die satirische Schreibart, die er zu Anfang der Veröffentlichung noch als ein geeignetes Mittel betrachtete und die eigentlich dazu gedacht war, dem Leser Laster und Pedanterie als abschreckende Beispiele vor Augen zu führen, nunmehr als nutzlos ansieht. Er konstatiert, daß die Satyrische und belustigende Schreibart zu rechtschaffener Ausbesserung des Verstandes und Willens nicht zulänglig sey / sondern derselben nur ein wenig den Weg bahne. Die meisten Menschen lesen die anmuthigen Straff=Schrifften mehr aus Begierde anderer Leute Irrthümer und Laster / als ihre eigene darinnen abgebildet zu sehen / und die Pedanten und Heuchler werden durch selbige nur närrischer und boßhafftiger.302

Thomasius sah seinen Ansatz für die Veröffentlichung der Monatsgespräche also letztlich gescheitert. Er zog daraufhin die Konsequenz und wandte sich 301 Grunert, Von polylogischer zu monologischer Aufklärung, S. 32. 302 Thomasius, Monatsgespräche, Bd. IV (Juli–Dezember) 1689, „Beschlus und Abdanckung des Autoris“, S. 1153 f.

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stattdessen der Arbeit an seiner 1691 bzw. 1696 erscheinenden Vernunft- und Sittenlehre zu. Inwieweit die Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern, seine Hinwendung zum Pietismus oder veränderte Interessen der Grund für seine neue Haltung gegenüber der satyrischen Schreibart bzw. seinen Monatsgesprächen insgesamt gewesen sein mögen, bleibt unklar. Nichtsdestoweniger wirkte seine anfängliche Absicht, mithilfe fiktiver Dialogpartner Wissen, Gesprächskultur und Aufklärung zu verbreiten, im zeitgenössischen Kontext innovativ und wurde von nachfolgenden Journalistengenerationen als nachahmenswert verstanden.

3.5.1 Der ‚Dialog‘ zwischen Text und Bild Der Vorbildaspekt der dialogisch organisierten Monatsgespräche, der für Thomasius am Beginn seines Periodikums noch im Vordergrund stand, wird u. a. dadurch ersichtlich, daß die typisierten Figuren die Identifikationsmöglichkeit, Gebrauchswirksamkeit und letztlich auch die Attraktivität der Hefte beförderten. In seiner mit Ironie und Witz angereicherten Erklärung im I. Heft des Jahrgangs 1688 nahm Thomasius zudem Bezug auf die Kupferstücke, welche die Leser zum Amüsement mittlerweile als Beigabe verlangten und mit denen auch er jetzt seine Gespräche anreichern wolle. Als zusätzliches Element wurden sie den Dialogen an die Seite gestellt und sollten eine zugleich erläuternde und unterhaltende Funktion übernehmen. Thomasius sah sich jedoch scherzhaft mit dem Problem konfrontiert, welche der vielfältigen Actions der Dialoge sich am ehesten mit einem Kupfer abbilden ließen – andere Publikationen seien mit ihren Illustrationen ja bereits andere Wege gegangen: Die Menschen bildern doch durchgehends gerne. Also habe ich mich beflissen / diesen Defect noch re integra zu suppliren / und zu einen ieden Monat ein Kupffer noch beystechen zu lassen. Was aber sollte ich machen? Mit Triangeln / Würmern / Müntzen und dergleichen Sachen sind andere Schrifften schon angefüllet / und handeln auch meine Gespräche von solchen tieffsinnigen Materien nicht [...]. Also musste ich wohl auf was anders bedacht seyn. Die Menschen finden ihre gröste Belustigung bey andern Menschen. Dannenhero afficiren uns die Comoedien und Operen so sehr / weil sie uns menschliche Actions vorstellen. Solcher gestalt habe ich mich resolviret / bey ieden Monat eine dergleichen Action, die in dem Gespräche erkläret würde / darzu stechen zu lassen.303

Thomasius will offensichtlich (erkennbar auch in seiner satirischen Absetzung von „anderen Schrifften“) mit den Titelkupfern durchaus einen inhaltlichen Be-

303 Thomasius, Monatsgespräche Bd. I (Januar–Juni) 1688, Erklärung des Kupfer=Titels, S. 3 f.

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zug zu seinen Monatsgesprächen herstellen. Der Unterhaltungswert der Hefte soll also durch die Beifügung einer visuellen Wiederaufnahme eines Gesprächsthemas oder einer besonders darstellungswürdigen Szene erhöht werden. Welche Darstellungen fanden demnach Eingang in die veröffentlichten Gespräche? Thomasius wählt entweder ein Ereignis, das sich in der Rahmenerzählung zuträgt, oder ein Thema, das innerhalb der Gespräche oder im Vorwort erwähnt wird. Im Januarheft des ersten Jahrgangs erblickt der Leser auf dem Titelblatt eine winterliche Landschaft, in der es offenbar eine Art Unfall mit einem Fuhrwerk gegeben hat, denn die Fahrgäste der Kutsche befinden sich in verschiedenen Stadien des Fallens und der Kutscher versucht, seine aufgeregten Pferde zu beruhigen. Die Abbildung stellt auf den ersten Blick keinen inhaltlichen Bezug zum Januarheft her, sondern illustriert – was jedoch erst am Ende des Gesprächs deutlich wird – das von außen durch ein Mißgeschick herbeigeführte Ende des Dialogs: Und hiermit lagen sie alle vier in Schnee / weil der Kutscher / der vornen auff den Pferden schlieffe / die guten Leute umschmisse. Daß also ihr angefangener Discours dasmahl ein unangenehmes Ende nehmen muste / oder damit ich nach der invention vieler deutscher Scribenten die Sache zierlicher gebe; Ihr Discours nahme ein beschneites Ende.304

Thomasius beendet sein erstes Monatsgespräch durch eine komisch-burleske Szene, in der die Gesprächsteilnehmer also eher unsanft an einer Fortführung ihres Dialogs gehindert werden; gleichzeitig durchbricht der Erzähler den fiktionalen Rahmen, indem er ironisch auf die „viele[n] deutsche[n] Scribenten“ hinweist, deren Einfälle er so ‚zierlich‘ umsetze. An zahlreichen Stellen weist er auf die Konstruiertheit seiner Gespräche hin und schaltet sich in die Dialoge ein. Bereits bei der ersten Einführung seiner Figuren auf der eben genannten Kutschfahrt bemerkt der Erzähler zu Beginn des Gesprächs: Diese vier Personen nun / als von so unterschiedenen Professionen, schienen anfänglich wenig Vergnügen aneinander zu haben [...] weil keiner dem anderen trauete / noch sich bald auff einem Discurs besinnen kunte / woran sie allerseits ein Vergnügen gehabt hätten / und würde es vielleicht nicht einen ieden leicht ankommen / dergleichen geschicklich in ein anmuthig Gespräch zu verwickeln / wiewohl insgemein die Gespräch=Schreiber bey uns sich darum wenig bekümmern / als welche zum öfftern Bauren einführen / die von dem gemeinen Wesen nachdenklich judiciren / oder Handwercksleute die aus denen Schrifften derer Philosophen unterschiedenes anzuführen wissen.305

304 Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 115. 305 Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 2.

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Die Ausgangssituation, die Thomasius entworfen hatte, wird als nicht einfach beschrieben. Die Gesprächsteilnehmer sind offenbar wegen ihrer Unterschiedlichkeit nicht dazu prädestiniert, ein interessantes Gespräch miteinander führen zu können bzw. sich überhaupt auf einen Discurs einzulassen. Um so höher mag der Leser also Thomasius’ Fertigkeit einschätzen, die Herren in ein artiges Gespräch zu verwickeln und der Fiktion den Anschein von Glaubwürdigkeit zu verleihen – im Unterschied zu den anderen Gesprächs=Schreibern, deren Einfälle und Personenwahl einiges zu wünschen übriglasse. Der Autor der Monatsgespräche beansprucht so mit leisem Spott Anerkennung für sein Journal, dessen Anlage und Ausführung er als vergleichsweise gelungen und anmutig verstanden wissen möchte. Der Pflicht zum illustrativen Amüsement kommt er zu Anfang eines jeden Jahrgangs und Gespräches nach, doch ähnlich wie die selbstreflexiven Bemerkungen müssen auch die bildlichen Darstellungen als ironische Erzählerkommentare verstanden werden. Was Thomasius zeigt, hat, wie oben erwähnt, genauso oft mit Ereignissen in der Rahmenhandlung wie mit inhaltlichen Aspekten der ‚eigentlichen‘ Dialoge zu tun. Wenn sich ein Kupfer auf ein im Gespräch erwähntes literarisches Werk bezieht, so wählt Thomasius eine möglichst auffällige Szene. In der Einleitung zum I. Jahrgang ist dies eine Szene aus dem Tartuffe des Molière, in der Damis, versteckt unter einem Tisch, die Annäherungsversuche des vermeintlich frommen Tartuffe an Elmire beobachtet. Das Bild soll „nach Art der Komödien“ die Heuchelei illustrieren.306 Im II. Band seiner Monatsgespräche mag der Autor sich anfänglich nicht entscheiden, welche Eigenschaft und welche Figur aus einer Komödie sich zur Bebilderung eigneten. Er habe sich schließlich (weil Monsieur Barbon wegen seiner Ungestalt kleinen Kindern nur Angst eingejagt haben würde) für den „ehrlichen Francion“ entschieden:307

306 „Was das Kupffer beym Titul anlangt / so wird ieder / der die Comoedie des Moliere von Tartuffe gelesen oder gesehen / im ersten Anblick alsbald gewahr werden / daß es eine Vorstellung aus derselben / und also nicht mal à propos angebracht ist / weil die Vorrede vor dem Januario weiset / daß man sich fürgenommen die heut zu Tage im Schwang gehende Heucheley durch einen zugelassenen feinen Scherz etwas zu railliren / deren ideam Mons. Tartuffe exprimiret.“ Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, Erklärung des Titelkupfers, S. 5 f. (unpag.). 307 Barbon bezeichnet eine komische Figur nach Art des Hagestolzes. Thomasius, der sich in diesem Fall für die pikantere Szene aus dem Tartuffe entscheidet, nennt im II. Band Balzacs Version des Barbon zu „erschrecklich“, um ihn abbilden lassen zu wollen. Monatsgespräche II. Teil, Erklärung des Kupferblattes, S. 1 (unpag.). Der Francion und der ebenfalls erwähnte Hortensius sind Figuren einer Komödie von Charles Sorel, Histoire comique de Francion, [ED] Paris 1623.

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Abb. 2: Christian Thomasius: Lustige und ernsthaffte Monatsgepräche 1688, II. Teil, Titelblatt.

Und siehe da das Kupfferblat bildet dir die Historie ab / wie Francion durch eine artige Erfindung dem guten Pedanten eine bouteille mit Sect abpartiret.308

Das Beispiel des Francion exemplifiziert, ähnlich wie zuvor der Tartuffe, eine Eigenschaft, die Thomasius kritisiert wissen möchte – in diesem Fall die der Pedanterie (vgl. Abb. 2). Die Kupferstücke können so neben den Dialogen eine sowohl illustrierende als auch kritisierende Funktion übernehmen und auf einer weiteren Ebene

308 Thomasius, Monatsgespräche, Vorwort zum II. Teil 1688, Erklärung des Kupferblattes, S. 6 (unpag.).

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Themen abhandeln, die der Autor seinen Lesern mittels seines Journals präsentieren will. Thomasius setzt Ironie, Humor und volkstümliche Schwankelemente auch auf bildlicher Ebene ein, um sein Programm noch eindringlicher zu vermitteln. Die Bekanntheit und Popularität der gewählten Beispiele garantierten, daß zumindest eine große Anzahl seiner Leser die Andeutungen auch verstand. Diejenigen, für die der literarische Bezug unklar war, wurden durch die Erklärung zu den Kupferstücken, die jedem Titelblatt beigefügt waren, über die Absichten der Illustration aufgeklärt. Thomasius schafft so einen zusätzlichen Anreiz für die Lektüre seines Journals und eine weitere Möglichkeit, das Gelesene zu reflektieren. Sein Konzept der inhaltlichen Verknüpfung der Elemente Text und Bild eröffnet zusammen mit der jedem Gespräch beigefügten Erklärung eine weitere Ebene der Rezeption.309

3.5.2 Fassmanns Rezeption von Thomasius’ Monatsgesprächen Aufgrund der Popularität von Thomasius’ Monatsgesprächen und wegen des um sie entstandenen Aufruhrs kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß Fassmann diese kannte. Nicht nur dieser Umstand, sondern auch Fassmanns persönliches Umfeld sprechen dafür, daß er sowohl mit diesem Journal als auch mit anderen Schriften seines Vorgängers in Berührung gekommen ist. Während seiner Zeit in Halle bewegte sich Fassmann im Hause Franckes, zu welchem auch Thomasius über längere Zeit Kontakt hatte. Die Figur August Hermann Franckes ist gleichsam ein Bindeglied zwischen beiden Autoren, deren Schriften zumindest zeitweise pietistische Ideen und Vorstellungen widerspiegelten. Bei Thomasius bewirkte seine zeitweilige Hinwendung zum Pietismus eine Abkehr von der Satire, die er bis dato als adäquates Mittel in einigen seiner Schriften gelobt und eingesetzt hatte. Seit seinem Umzug nach Halle und dem Beginn seines Kontakts mit den Pietisten Spener und Francke im Jahre 1690 kann man in Thomasius’ Schriften eine Beschäftigung mit pietistisch-mystischem Gedankengut ausmachen.310 Er kam mit Francke erstmals in Kontakt, als dieser ihn um ein wohlwollendes Gutachten und eine Verteidigung im

309 Diese Verknüpfung wird von ihm selbst als besonders bemerkenswert hervorgehoben, vgl. das Vorwort zum I. Band der Monatsgespräche, S. 2 ff. (unpag.). 310 Thomasius begriff die Pietisten als Mitstreiter im Kampf gegen eine strenge Orthodoxie. Er verband sich mit ihnen, um ein undogmatischeres, praktisches Laienchristentum zu fördern. Vgl. dazu auch Werner Schneiders: Naturrecht und Liebeslyrik. Zur Geschichte der praktischen Philosophie im Hinblick auf Christian Thomasius, Hildesheim 1971, S. 229 f.

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Kampf um die deutsche Sprache als Mittel im universitären Unterricht bat. Beide Männer einte ihr Bestreben, das Deutsche gegenüber dem Lateinischen zu stärken und letzerem den Status als alleinige Sprache der Gelehrten zu nehmen. Fassmanns Aufenthalt in Halle wiederum begann mit einer Beschäftigung in der Schreibstube Franckes, in die er auf seine briefliche Bitte hin aufgenommen wurde.311 Über diese Tätigkeit hinaus besuchte er an der dortigen Universität theologische, philosophische und auch juristische Vorlesungen, letztere gehalten von Thomasius. Fassmann erwähnt diesen Abschnitt seines Lebens in der Vorrede zum XV. Band seiner Totengespräche, in welcher er den Lesern seinen Lebenslauf schildert. Nach einer unglücklich verlaufenden Italienreise, auf der sein englischer Zögling verstarb und in deren Verlauf er sein Hab und Gut bei einem Schiffsunglück verlor, kam Fassmann im Jahre 1716 mittellos in Halle an. Aufgrund des wenig glücklichen Ausgangs seiner Unternehmungen war er erneut gezwungen, mit minder anspruchsvollen Diensten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und vor allem nach einer Anstellung zu suchen, die ihm freie Kost und Logis versprach. Daneben strebte er jedoch weiterhin nach universitärer Bildung und Austausch mit Gelehrten – ein Bedürfnis, für dessen Befriedigung sich die Stadt Halle und ihr gelehrtes Umfeld anboten: Meine stille Lebens=Art in Halle, und der Tisch im Waysen=Hause, währte drey Viertel Jahr. Allsdann fienge ich an, wieder munterer zu werden, triebe Sprachmeisterey, speisete bey der Schwieger=Mutter des Herrn Schmausens, welcher jetzo Prof. Historiarum zu Göttingen ist, und bald hernach auf dem Raths=Keller zu Halle. Das währte wieder ein halbes Jahr, binnen welcher Zeit ich die Collegia des Herrn Thomasii, des Herrn Hofraths und Prof. Wolffens, des Herrn Prof. Gundlings, und des Herrn Bodini, gar fleißig besuchet habe, weil ich von meinem Vorhaben, Theologiam zu studieren, abgegangen war.312

Die Themen und Wissensgebiete, mit denen Fassmann dank seiner Kontakte zur Universität Halle in Berührung kam, tauchten an vielen Stellen auch in seinem Leipziger Journal wieder auf, mit dessen Veröffentlichung er nur ein Jahr später begann. Der Bildungscharakter seiner Totengespräche wird an den Stellen besonders deutlich, an denen Fassmann offensichtlich auf eigene Erfahrungen aus seiner kurzen universitären Zeit rekurriert bzw. den geistigen Einfluß verschiedener Gönner, Lehrer und Bekannter reflektiert. Besonders die Darstellung sozialer, religiöser und rechtlicher Gegenstände und Fragen ist in

311 Vgl. dazu auch 2 David Fassmann: Hofhistoriograph, Sprachlehrer und ‚Journalist‘. 312 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Vorrede, Leipzig 1739, S. 17. Zu den im Zitat genannten Personen vgl. 2 David Fassmann: Hofhistoriograph, Sprachlehrer und ‚Journalist‘ (Anmerkungen 24 ff.).

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den Gesprächen vom Einfluß seines ehemaligen Umfelds bestimmt. Ein Beispiel dafür zeigt sich u. a. in Fassmanns (stellenweise pietistisch gefärbter) Darstellung der Ehe als schützenswertes Gut und als Kirche im Kleinen oder in seinem wiederholten Eintreten für ein friedliches Nebeneinander sowohl der christlichen Religionen untereinander als auch der Weltreligionen (selbstverständlich unter dem Primat des abendländischen Christentums). Als Beispiel für Fassmanns Thomasius-Rezeption kann daneben die 9. Entrevue zwischen Henry VIII. und Sultan Süleyman gelten, in der Thesen aus Thomasius’ Abhandlung De crimine bigamiae313 erscheinen. Fassmann wiederholt hier die für seine Zeit gewagt formulierte Ansicht des Rechtsgelehrten, nach der die Vielehe kein Verbrechen gegen das Gesetz darstelle, sondern nach dem ius naturae durchaus im Bereich des Erlaubten liege. Allein die Vernunft und der zu erwartende Ärger hielten viele Männer davon ab, eine solche Praxis zu pflegen. Fassmanns Kenntnis der Schriften des Christian Thomasius erstreckte sich auch auf Traktate, welche die Frage behandeln, ob es möglich sei, daß zwei Menschen mit lutherischen bzw. reformierten Glauben einander heiraten könnten. Der Traktat erschien 1689 zur Verteidigung der Eheschließung zwischen dem lutherischen Herzog Moritz von Sachsen-Zeitz und der reformierten Prinzessin Maria Amalia von Brandenburg.314 In ihm plädiert Thomasius für die Toleranz gegenüber unterschiedlichen (protestantischen) Glaubensrichtungen, er wurde jedoch für seine Thesen, die sich im Besonderen gegen den Jenaer Professor und Magdeburger Propst Philipp Müller richteten, scharf angegriffen.315 Nach Thomasius’ Auffassung sollten unterschiedliche Bekenntnisse nicht als Hinderungsgrund für eine Eheschließung geltend gemacht werden. Fassmann greift diesen Gedanken in seinem Journal wieder auf. In der 125. Entrevue tritt ein gewisser Ictus (Thomasius’ Pseudonym in jener Abhandlung) für die Freiheit in Glaubensfragen ein und propagiert dort die gleichen Thesen, wie sein Alter ego es in der juristischen Abhandlung tat.316

313 Thomasius, De crimine bigamiae, Halle 1685. Einige Jahre später erscheint eine weitere Dissertation mit dem Titel ‚De concubinatu‘, Halle 1713 (vgl. 6.3.1 Dialoge mit dem Fremden: Ehe). 314 Der Titel des Traktats lautete: Rechtmäßige Erörterung der Ehe= und Gewissens=Frage, ob zwey Fürstliche Personen im Römischen Reich, deren eine der Lutherischen, die andere der Reformirten Religion zugehörig ist, einander mit guten Gewissen heyrathen können, Halle 1689. 315 Vgl. dazu Stephan Buchholz: Eherecht bei Christian Thomasius, in: Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990). Beispiele, Parallelen, Positionen, hg. v. Heinz Mohnhaupt, Frankfurt a. M. 1991, S. 402–425, hier S. 412. 316 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 125 zwischen dem letzt= verstorbenen regierenden Herzog zu Sachsen=Zeitz Mauritio Wilhelmo und Ernst Grafen von Metternich, Gewesenen Königl. Preußischen Staats=Ministre, und Gesandten auf dem Reichs=

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3.5.2.1 Die ‚erbaulichen Discurse‘317 Die Monatsgespräche des Christian Thomasius wurden zu Anfang vor allem durch ihre Mehrstimmigkeit bestimmt – unterschiedliche Charaktere unterhielten sich über verschiedene, oft literarisch geprägte Themen.318 Ein Charakteristikum der bewußt offen gehaltenen und durch die profilierten Figuren abwechslungsreich angelegten Gesprächsstruktur (und damit auch ein publizistisch nicht unwesentlicher Vorteil) besteht Manfred Beetz zufolge in der generellen Schwierigkeit, eine dezidierte Autormeinung auszumachen;319 der Kanon der Charaktere erschwere eine eindeutige Festlegung auf eine Position, was die Kritiker zumindest teilweise in ihren Angriffen behindert haben mußte. Thomasius steigert durch die Vielzahl der Stimmen außerdem die Attraktivität seines Periodikums, indem er seine Themen von unterschiedlichen Figuren darbieten läßt. Das Gehörte wird, wie es im Text selbst heißt, durch seine anmutige Form bemerkenswerter und erhöht den Reiz, sich mit der vorgestellten Materie überhaupt über längere Zeit hinweg zu beschäftigen320 – was für den Rezipienten der Monatsgespräche bedeuten würde, sich auch nach der Lektüre mit den dort vorgefundenen Büchern und Themen auseinanderzusetzen, die kritisierten Werke unter Umständen zu erwerben, die Gespräche im privaten Rahmen fortzusetzen o. ä. Der methodische Ansatz der Monatsgespräche wird von der Figur des Herrn Christoph indirekt erläutert, wenn er auf die Frage von Herrn Benedict antwortet, welche Bücher am besten in der eigenen Muttersprache geschrieben werden sollten. Seiner Meinung nach dienten vor allem gut erdichtete, historisch fundierte Liebesgeschichten dazu, dem Leser mit Lust ein Thema näherzubringen. In einem Roman, der die Geschichte einer ganzen Nation am Beispiel eines geeigneten Liebespaares erkläre, würden sowohl das Bedürfnis nach Be-

Tage zu Regensburg, Worinnen, nebst gantz sonderbaren Discursen von der Gewissens=Freyheit, und der Tolerantz in Religions=Sachen, auch andern Dingen mehr, das remarquable Leben des aufgeführten Grafen enthalten, Leipzig 1728. 317 Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 45. 318 Vgl. dazu vor allem Grunert, Von polylogischer zu monologischer Aufklärung, S. 30 ff. 319 Manfred Beetz: Konversationskultur und Gesprächsregie in den Monatsgesprächen, in: Thomasius im literarischen Feld. Neue Beiträge zur Erforschung seines Werkes im historischen Kontext, hg. v. dems. u. Herbert Jaumann, Tübingen 2003 (= Hallesche Beiträge zur Europ. Aufklärung, 20), S. 35–60, hier S. 47. 320 Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 45 ff. Thomasius läßt Herrn Christoph über ‚erbauliche Discurse‘ in deutscher und französischer Sprache referieren, die anhand verschiedener Personen (Octavia, Kleopatra, Herkules usw.) unterschiedliche Wissensgebiete, Tugenden und Laster ‚anmuthig abmahlen‘ . Der Leser „[erlernet] den Welt Lauff als in einem Spiegel ohne Verdruß [ ].“, S. 46.

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lustigung als auch nach Schärfung des Verstandes befriedigt. Der Roman wird hier durch seine anschaulichen, verlebendigten Exempel über die reine Historie gestellt. Der Charakter der letzteren scheint Herrn Christoph weniger dazu geeignet, die Wißbegierde des Lesers aufrecht zu erhalten, [w]eil denn des Menschen Verstand auff dieser Welt so geartet ist / daß er alle Künste und Wissenschaften mehr durch Exempel als Regeln erlernet / und sich imprimiret; [...] 321

Die größere Artigkeit und den besseren Nutzen findet der Leser dieser Argumentation nach in den erdichteten Werken wie den von Herrn Christoph angeführten Romanen. Wissen aller Art soll besonders durch Discurse im Gedächtnis des Lesers verankert werden. Ein Ziel solcher Veranschaulichung des zu vermittelnden Wissens besteht Thomasius’ Auffassung nach darin, dem allgemein menschlichen Widerwillen vor zu langatmiger und gleichsam trockener Materie entgegenzuwirken. Dies gelte, so Herr Christoph weiter, im Besonderen für junge Leser, deren Aufmerksamkeit gerade durch geeignete Gesprächsthemen und Figuren geweckt und vor allem dauerhaft erhalten werden müsse: Was aber die weitläuftigen Wercke absonderlich anlanget / so ist bekandt / daß in solchen nicht alleine die wahrhafftigen Geschichten / so sich in allen Seculis zugetragen / meistentheils mit vorgestellet werden / welche denn / weil sie mit anmuthigen Erfindungen ausgespickt seyn / in dem Gedächtnüß besser kleben bleiben; sondern auch Politische / Moralische / ja auch sonsten Philosophische und Theologische Discurse gar vielfältig mit eingebracht werden / welche sodann ein junger Mensch so auff Lesung solcher Geschichten erpicht ist / mit grosser Begierde lieset / und in seyn Gedächtnüß schliesset / die er wohl sonsten / wenn sie bloß und ohne Vermischung der anmuthigen Umstände wären vorgebracht worden / würde ungelesen gelassen / und einen Eckel davor empfunden haben.322

„Discurse“ sind demnach dazu geeignet, jedwede Materie – sei sie theologischer, historischer, politischer oder philosophischer Natur – auf angenehme Art im Gedächtnis des Lesers zu verankern. Den so hergestellten Zusammenhang zwischen Wissen und Amüsement, der in Thomasius’ Monatsgesprächen innerhalb des Diskurses hergestellt wird, wird von Fassmann für sein eigenes Periodikum übernommen. Historisches (und anderes) Wissen soll auch bei ihm mittels geeigneter, anschaulich verlebendigter Figuren für den Leser auf angenehme Art präsentiert und erinnerbar gemacht werden. Die formale und inhaltliche Gestaltung der Dialoge mußte sich dementsprechend an diesem Ziel (der Belehrung und Belustigung) orientieren.

321 Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 45. 322 Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 45.

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Thomasius’ Kunstgriff der zweifach ineinander verschränkten fiktiven Personengruppen illustriert ein Prinzip, nach welchem Wissen (und vor allem auch die Art seiner Vermittlung) an den Leser weitergegeben wird. Herbert Jaumann faßt diesen Ansatz wie folgt zusammen: „Die Gesprächsform des ersten Jahrgangs führt vor, wie man praktisch, d. h. im sozialen Kontext, mit Büchern und dem daraus geschöpften Wissen umgehen kann.“ 323 Die typisierten Charaktere, deren Naturell jedoch nur oberflächlich betrachtet fiktiv ist, führen in den Gesprächen unterschiedliche Arten vor, mit deren Hilfe man Wissen erwerben, über das Erlernte sprechen und es beurteilen kann.324 Die Unterscheidung, welche die Figuren des Christian Thomasius zwischen der Arbeitsweise des Historikers und der des Romanciers treffen, berührt im Kern genau den Ansatz, den Fassmann seinem Journal zugrunde legt: Anstatt historische Fakten in chronologisch-systematischer Art darzubieten, kleidet auch er seine ‚Lektionen‘ in fiktive Gespräche. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Fassmanns Rechtfertigungen vor seinen Kritikern und den immer wieder erwähnten Neidern, die sich an der Gesprächsform stören und ihn für die Wahl seiner Figuren kritisieren: Einige [Kritiker – SD] aber geben vor, ob fingirte ich viele Dinge in meinen Gesprächen, und solches ist allerdings wahr. Allein das, was ich fingire, ist so beschaffen, daß es ein jeder mit Händen greiffen kan. Was hingegen nur Historisch ist, i. e. zu dem Leben und den Thaten derer aufgeführten Personagen an und vor sich selbst gehörig, ist gar nicht fingiret.325

Fassmann unterscheidet hier also zwischen den Ereignissen, die im Leben seiner Figuren historisch verbürgt (und somit nicht „fingiret“) sind, und den Details, die zum Zweck der Unterhaltung erfunden wurden. Der Inhalt, der durch die Diskurse transportiert werden soll, und die Art seiner Vermittlung werden als voneinander getrennte Bereiche dargestellt. Dieses dem Journal zugrundeliegende Schema gleicht grundsätzlich dem der Monatsgespräche; ein Unterschied zeigt sich jedoch in der thematischen Gewichtung und dem Fiktionalisierungsgrad der Figuren: Während Thomasius zwar der Wirklichkeit abgeschaute, letztlich aber typisierte Charaktere auftreten läßt, erheben die

323 Herbert Jaumann, Zur Genrespezifik der Monatsgespräche, S. 402. 324 Jaumann bemerkt dazu: „[D]ie Teilnehmer [...] [sind] zwar wie Komödienfiguren der Zeit stark typisiert, aber doch mit leicht wiedererkennbaren, hochrepräsentativen und dabei sehr konkreten Eigenschaften, Accessoires, Argumentationsformen, Sprachgewohnheiten usw. ausgestattet.“ Jaumann, Zur Genrespezifik der Monatsgespräche, S. 402. 325 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. III, Vorrede, Leipzig 1722, S. 3 (unpag.).

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Fassmannschen Toten zumindest vordergründig den Anspruch, ‚sie selbst‘ (also real und glaubwürdig) zu sein und historisch Wahres zu erzählen.326 Thomasius hatte mit seinen Monatsgesprächen ein Modell für einen medial vermittelten Erwerb von Wissen geliefert, das Fassmann fast 30 Jahre später nachahmte. Letzterer konzentrierte sich im Unterschied zu Thomasius jedoch auf die Geschichte und ließ das jeweilige Gesprächsthema fast durchgehend von nur zwei Personen erörtern. Trotz dieser Verschiebung hin zum historischen Wissen und der Eingrenzung auf zwei Dialogpartner sind die Abhängigkeiten des später erschienenen Journals von den Monatsgesprächen offensichtlich. Fassmanns Periodikum formulierte zumindest theoretisch den Anspruch, über den ersten Leseeindruck und die reine Unterhaltung hinaus einen positiven Effekt auf die allgemeine Gesprächskultur und den Wissensaustausch seiner Rezipienten untereinander zu haben. Er erläutert diesen Anspruch in der Vorrede zum X. Band, wenn er auf die Bildung seiner Leser zu sprechen kommt: In Summa, es solle der, nach Standes=Gebühr angesehene und geehrte Leser, er mag zum gelehrten oder ungelehrten Stande gehören, mit meiner Arbeit vergnügt seyn, und ich bitte, nicht zu zweiffeln, daß nicht noch sehr viele schöne Dinge im Fasse seyn solten, über die man sich wundern wird, wann sie nach und nach zum Vorschein kommen werden, ja, welche capable, zu machen, daß auch Ungelehrte, indem sie solche lesen, unter denen Gelehrten mit passiren, und als Politici und Moralisten discutiren können.327

Die Leipziger Totengespräche wollen offensichtlich auch einen weniger gebildeten Leser für sich gewinnen. Im Vorwort zum X. Band formuliert Fassmann den Anspruch, daß diejenigen Menschen, die sonst bei zahlreichen Themen ihre Unkenntnis zur Schau stellen müßten, durch die kontinuierliche Lektüre seines Periodikums im Gespräch mit Dritten zumindest als gelehrt und informiert „passiren“ könnten – sich also zumindest den Anschein der Gelehrsamkeit zu geben vermochten. Letztlich weist Fassmann aber auch immer wieder darauf hin, daß sich seine Rezipienten auch de facto zu Wissenden entwickeln

326 Den historischen Fakten kann der Leser in den Fassmannschen Dialogen unabhängig von der charakterlichen Disposition der einzelnen Figuren Glauben schenken, bei der moralischen Interpretation der Lebensläufe hingegen muß jedoch unterschieden werden zwischen ‚zuverlässigen Erzählern‘ (also ‚guten‘ Figuren) und eher unzuverlässigeren Erzählern (den ‚schlechten‘ Figuren). Die Dialoge geben dem Leser (sei es durch das gerechte Urteil des Gesprächspartners, sei es durch die neu gefundene Einsicht einer Figur in das eigene Handeln nach dem Tod) eindeutige Hinweise darauf, wie glaubwürdig eine Aussage war. Zum unzuverlässigen Erzählen vgl. z. B. Matias Martinez u. Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, München 32002, S. 100 ff. 327 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Vorrede, Leipzig 1730, S. 16.

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würden. Zwingend notwendig für einen derartig formulierten Bildungsanspruch waren einerseits eine anziehende inhaltliche Gestaltung seiner Gespräche und andererseits eine geeignete Darbietungsform, bei deren Anlage er sich ebenfalls am Vorbild der frühen Monatsgespräche orientieren konnte: Thomasius hatte bereits vor ihm erkannt, daß besonders die Wahl der Sprache einen entscheidenden Faktor darstellte und darüber entscheiden konnte, wie viele Leser ein Periodikum gewinnen und wie weit es sich dadurch ausbreiten konnte. Ein weiterer Unterschied zwischen den Monatsgesprächen und den Leipziger Totengesprächen zeigt sich in der Entwicklung der jeweiligen Dialogstruktur: Während Thomasius von der mehrstimmigen Gesprächsorganisation zur einstimmigen gelangt, beschreitet Fassmann in seinen Entrevuen den umgekehrten Weg. Motiviert u. a. durch die Kritik an längeren monologischen Abschnitten in den Vitae seiner Figuren, bemüht sich Fassmann, seine Figuren auch in den biographischen Abschnitten mehr miteinander diskutieren und den Redefluß der einen häufiger durch die andere unterbrechen zu lassen. Die Erfahrungen, die Thomasius mit seinen Gesprächen machte – von einer komplexen Vielstimmigkeit hin zu einer weniger aufwendigen Einstimmigkeit –, mögen Fassmann gezeigt haben, daß eine derartige Reduktion gleichzeitig auch eine abnehmende Attraktivität bedeuten konnte (sowohl für den Autor als auch für den Rezipienten).

3.5.2.2 Die Bedeutung der Sprache Thomasius konstatiert in seiner Abhandlung über die Nachahmung der Franzosen,328 daß die Gelehrten im Nachbarland im selbstverständlichen Gebrauch ihrer Muttersprache sehr viel weiter fortgeschritten seien. Die Deutschen wiederum ahmten in ihrer Alltagssprache ‚wie die Narren‘ alles Französische nach, um ganz à la mode zu sein und als fortschrittlich zu gelten, während die Gelehrten sich überhaupt gegen die notwendige und wünschenswerte Öffnung hin zur Muttersprache sperrten. Als Reaktion auf eine negative Kritik des Jesuitenpaters Dominique Bouhours, die den Deutschen generell die Gelehrsamkeit und das Vorhandensein von bel esprit absprach, entwickelte Thomasius seine Verteidigung.329 Nacheinander wurden in ihr zentrale Begriffe und Eigenschaf328 Der Titel lautet: Christian Thomasius eröffnet Der Studirenden Jugend zu Leipzig in einem Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen in gemeinem Leben und Wandel nachahmen solle? Ein Collegium über des Gratians Grund=Reguln / Vernünfftig / klug und artig zu leben. Zufinden bey Moritz George Weidemannen, Leipzig 1688. 329 Vgl. dazu auch Thomas Borgstedt: ›Tendresse‹ und Sittenlehre. Die Liebeskonzeption des Christian Thomasius im Kontext der ›Preciosité‹, in: Christian Thomasius. Neue Forschungen

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ten der Franzosen mit denen der Deutschen verglichen und bewertet: Le bon gout, l’honnête homme, l’homme scavant, le bel esprit und la galanterie markierten die Stationen seines Diskurses. Nicht überraschend erfolgte ein erneuter Angriff von Thomasius auf die falsche Gelehrsamkeit, den Hochmut der Pedanten und sein Lob der französischen Haltung gegenüber der Wissenschaft im Allgemeinen: Was aber die Gelehrsamkeit betrifft, so ist wohl kein Zweiffel, daß es heut zu tage unter denen Frantzosen mit denen Gelehrten auff das höchste kommen, in Ansehen dieselbigen durch die Magnificentz des Königs und die Hochachtung derer Grossen bey Hoffe angefrischet ins gesampt embsig bemühet sind, anmuthige und nützliche Wissenschafften fortzupflantzen, und die ohnnöthigen Grillen derer Schulfüchse auszutilgen und aus dem Lande zu jagen.330

Fassmann und Thomasius eint ihre Parteinahme für die deutsche Sprache. Ein Bezugspunkt ist für beide Frankreich bzw. die französische Kultur und Literatur. Mit etwas neidischem Blick verweist Thomasius auf die fortschrittlicheren Zustände im Nachbarland und auf dessen Umgang mit der Volkssprache, die dort sowohl in der Wissenschaft als auch in der gehobenen Konversation und Literatur eingesetzt würde. Jenseits der Grenze würden seiner Meinung nach notwendige sprachliche wie sittliche Verbesserungen schon deutlich, die er in seinem Heimatland noch vermisse. Thomasius analysiert die Haltung der Deutschen gegenüber den alten Sprachen und ihrer eigenen Volkssprache, indem er den allgemeinen Umgang mit Sprache beschreibt. Dieser zeuge von einer gewissen Unsicherheit und von fehlendem nationalen Selbstbewußtsein: So ist auch offenbahr, daß wir in Deutschland unsere Sprache bey weiten so hoch nicht halten als die Frantzosen die ihrige. Denn an statt, daß wir uns befleissigen solten die guten Wissenschafften in deutscher Sprache geschickt zu schreiben, so fallen wir entweder auff die eine Seite aus, und bemühen uns die Lateinischen oder Griechischen Terminos technicos mit dunckeln und lächerlichen Worten zu verhuntzen, oder aber wir kommen in die andere Ecke, und bilden uns ein, unsere Sprache sey nur zu denen Handlungen im gemeinen Leben nützlich, oder schicke sich, wenn es aufs höchste kömmt, zu nichts mehr, als Histörgen und neue Zeitungen darinnen zu schreiben [...].331

im Kontext der Frühaufklärung, hg. v. Friedrich Vollhardt, Tübingen 1997 (= Frühe Neuzeit 37), S. 405–428, hier S. 405. 330 Christian Thomasius: Von Nachahmung der Franzosen, in: Friedrich der Grosse. De la littérature allemande. Unverändert. Nachdruck nach d. Ausg. v. 1687 u. 1701, Darmstadt 1969, S. 213–259, hier S. 225. 331 Thomasius, Von Nachahmung der Franzosen, S. 227 f.

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Falscher Umgang mit Sprache wird bei Thomasius immer auch mit Pedanterie bzw. Schulfüchserei assoziiert, ungelenke ‚Verdunckelung‘ von Fachbegriffen und geschraubte Ausdrucksweise in der Muttersprache kritisiert. Fassmanns Gespräche, die ja eben jene oben zitierten „Histörgen und neuen Zeitungen“ übermitteln, zeigen genau jene Mischung von deutscher Sprache und (französischen, lateinischen) Fremdwörtern, die Thomasius in seiner Abhandlung über die Nachahmung der Franzosen tadelt. Aber auch in Thomasius’ Monatsgesprächen finden sich Anzeichen dafür, daß er nicht auf modisch-passende Ausdrücke und Wendungen aus fremden Sprachen verzichten möchte oder kann – im Vergleich zu Fassmann finden sich bei Thomasius proportional mehr lateinische Ausdrücke, die in die Rede seiner Figuren einfügt sind. Das Lateinische steht bei Thomasius’ Figuren dann auch stärker im Vordergrund, wenn sie sich im gewählt wirkenden Gespräch austauschen und ihren Bildungsanspruch ausdrücken sollen. Herr Benedict bemerkt etwa zum Nutzen und zur Belustigung durch die Colloquia des Erasmus: Der Herr hat nicht zu unebene Gedancken [...], iedoch stehet es dahin / ob nicht auch hierinnen ihrer viel applicationes machen würden / weil doch ebenfals der Autor in exprimirung des characters öffters an die action einer gewissen Person gedacht hat.332

Die Durchmischung der Muttersprache mit fremdsprachigen Ausdrücken zeigt hier auch an, vor welchem Bildungshintergrund die jeweilige Figur spricht. Die Sprache gerät so in den Monatsgesprächen zum Indikator für die soziale Zugehörigkeit des Sprechers, seiner Absichten und des Stellenwerts des Gesagten im Gesprächsgefüge. Die Figuren werden in ihrem Dialogverhalten und Vokabular von Thomasius unterschiedlich behandelt: Benedict zeigt als die Personifikation eines Gelehrten ein anderes Sprachgebaren als etwa der weitgereiste Augustin oder der Handel treibende Christoph. Während Benedict seine Gedanken gerne und oft mit lateinischen Sentenzen und Lehnwörtern ausschmückt, tendiert Christoph, wenn er sich nicht-deutscher Ausdrücke bedient, zum (moderneren) Französischen. Alter habitus und neue mode treffen bei Thomasius in ein und demselben Gespräch aufeinander und zeigen so einen Ausschnitt möglicher Sprechformen in einer fiktionalen Dialogsituation gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Fassmanns Figuren dagegen zeigen in den Entrevuen keine derart auffällige Unterscheidung in ihrer Wortwahl: Abgesehen von der Problematik der differierenden Muttersprachen (s. u.) bedienen sich seine Figuren auf der fiktionalen Gesprächsebene einer relativ homogen wirkenden Ausdrucksweise. Diese

332 Thomasius, Monatsgespräche, Februar 1688, S. 206.

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wird neben den gebräuchlichen lateinischen Wendungen und Flexionsformen vor allem durch zahlreiche französische Einsprengsel geprägt. Der Status der meist adeligen (oder zumindest zu Lebzeiten bekannten) Schatten spiegelt sich in den Leipziger Totengesprächen insofern, als die Charaktere in der Unterwelt einen ähnlichen Sprachduktus aufweisen: Artig-galantes Vokabular, witziges Parieren verbaler Angriffe und gewählte Ausdrucksweise sind ihnen allen gemein. Bei Fassmanns Schatten wird im Unterschied zu Thomasius’ Figuren im Gespräch nicht auf Anhieb unterschieden, welche Position seine Figuren einnehmen. Der Leser kann hier nicht wie in den Monatsgesprächen schon anhand der Sprache einschätzen, wie der Charakter des Sprechenden zu beurteilen ist: In den Leipziger Gesprächen sind es vor allem die wechselseitige Beurteilung der Sprechenden selbst und die Elemente, die den Dialogen zur Seite gestellt sind, die eine moralisch-sittliche Distinktion ermöglichen (Vorworte, Titelillustrationen, Epigramme und Motti etc.). Auf sprachlicher Ebene zeigt Fassmann vielmehr sein Bestreben, einem zeitgenössischen (und hier positiv verstandenen) à la mode-Ideal zu entsprechen. Dieses Ideal, wie es der Autor der Totengespräche versteht, äußert sich zwar in einem selbstverständlichen Gebrauch der Muttersprache, zeigt aber daneben einen hohen Anteil an französischen Lehnwörtern und idiomatischen Wendungen. Trotz der Kritik zeigen Thomasius’ Gespräche, daß gewisse Wendungen Einzug in die Dialoge zwischen seinen fiktiven Figuren halten, die sich über Literatur austauschen. Seine eher kulturkritische Haltung äußert Herr David wie folgt: Ich verstehe kein Frantzösisch / [...] weiß ich aber wohl / daß es leyder mit uns Teutschen dahin gerathen / daß [...] ietzo alles von Frantzösischer Galanterie angefüllet seyn muß / so gar / daß unter uns Teutschen welche gefunden werden / die denen Frantzosen augenscheinlich flattiren / daß sie dieselben zum Muster teutscher Sitten machen wollen / gleich als ob die Teutschen bißhero Narren und tumme Eselsköffe gewesen wären / ehe sie von der Frantzösischen Galanterie was gewust hatten.333

Während Thomasius eine Generation vor Fassmanns Journal in seinen Monatsgesprächen noch eine Lanze brechen muß für die richtige und selbstverständliche Verwendung der Muttersprache, hat dieses Bestreben – zumindest vordergründig – in den Leipziger Gesprächen sein Ziel erreicht: Man spricht im Elysium deutsch. Selbst die Monarchen und Mätressen, die zeit ihres Lebens nie mit dieser Sprache in Berührung gekommen sind, befleißigen sich ihrer (mehr oder weniger) bereitwillig, wenn sie andere Schatten in der Unterwelt zum Gespräch treffen. Wenn überhaupt, wird die Wahl der Verkehrssprache mit der

333 Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 32.

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Aversion einer der Figuren gegen das Französische begründet, wie im Fall des Königs Leopold I. in der Entrevue Nr. 1, der den französisch sprechenden Louis XIV. deswegen erst einmal ignoriert: Louis XIV O! Grand Leopold, Ah! qu’il plaise à votre Majesté de s’arreter un petit moment. [...] Weilen aber Leopoldus eben kein sonderlicher Liebhaber der Frantzösischen Sprache war, indeme bekannt, daß man am Wienerischen Hofe grösten Theils Spanisch, oder Italiänisch, spricht; so stellete er sich als ob er ihn nicht hörete, sondern passirete ein wenig weiter.334

Die deutsche Sprache übernimmt in diesem Fall eine Art Mittlerfunktion, da einer der Dialogpartner den Gebrauch der französischen verweigert. Leopolds einmal gewählte Umgangssprache bleibt auch für die Figuren der folgenden 240 Totengespräche verbindlich. Über die grundsätzliche Entscheidung für eine einzige Sprache hinaus erscheinen zahlreiche Entlehnungen aus der Nachbarsprache in den Reden der Figuren Fassmanns. Längere französische Abschnitte wie in dem oben angeführten Zitat Louis’ XIV. werden von Fassmann im Anschluß auch auf deutsch wiedergegeben, kürzere und geläufigere Ausdrücke bleiben jedoch unübersetzt – wenn sie auch typographisch als Lehnwörter gekennzeichnet sind. Thomasius kommentiert in seiner Abhandlung über die Nachahmung der Franzosen jene allgemein verbreitete Praxis, die eigene Sprache mit Wendungen und Begriffen aus der Nachbarsprache zu versehen.335 Dies sei eine Praxis, deren Ausübung er in Frankreich im umgekehrten Fall vermisse: In Frankreich redet niemand teutsch, ausser etwan die Teutschen untereinander, so sich darinne aufhalten: Alleine bey uns Teutschen ist die Frantzösische Sprache so gemein worden, daß an vielen Orten bereits Schuster und Schneider, Kinder und Gesinde dieselbige gut genug reden.336

Erst durch diese allgemeine Verbreitung erlernter Floskeln und Begriffe konnte Fassmann, der sein Journal ausdrücklich für alle Schichten konzipiert hatte, sich darauf verlassen, daß die Sprache seiner Figuren von seinen Lesern größtenteils verstanden wurde.337 Regelmäßig erscheinende Wendungen wie „au 334 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 1, Leipzig 1718, S. 3. 335 Die Kritik an dieser Praxis argumentierte nicht gegen den Gebrauch der französischen Sprache an sich, nur die modische Mischung beider Idiome war in Thomasius’ Augen verurteilenswert. 336 Thomasius, Von Nachahmung der Franzosen, S. 19. 337 In der 1728 erschienenen Ceremoniel=Wissenschaft des Julius Bernhard von Rohr wird etwa die weitverbreitete Praxis angegriffen, französische und andere fremdsprachige Ausdrükke auch dann zu verwenden, wenn deren Bedeutung gar nicht oder doch nur ungenügend bekannt war: „Es ist eine schändliche Sache, wenn einige, die der Frantzösischen, Italiäni-

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contraire“ oder „capable“ waren seinen Rezipienten höchstwahrscheinlich vertraut, während ein weiterer Aspekt den Gebrauch auch komplexerer Ausdrücke und Lehnwörter beförderte: Fassmanns Absicht, seine Leser zu bilden und zu befähigen, sich im Gespräch mit Dritten gewählt und ‚artig‘ auszudrücken, mag ebenso zu der spezifisch modischen Gestaltung der Dialoge beigetragen haben. Darüber hinaus war seine Auffassung von einer höfisch-galanten Sprache, die sich in einer solchen Mischung deutscher und französischer Wendungen äußerte, ein Mittel zum Zweck (dem Verkauf seines Journals): Wenn er auch in adeligen oder dem Hof nahestehenden Kreisen gelesen werden wollte, mußte er sich auch sprachlich am modischen Ideal seiner Zeit orientieren. Sein Hang, mit Hilfe der Figurenrede eine gewisse Gelehrsamkeit unter Beweis zu stellen, äußert sich auch in den lateinischen Flexionsformen, die besonders bei Eigennamen und termini technici zur Anwendung kommen. Im Unterschied zu Thomasius’ Monatsgesprächen erhebt Fassmann den Anspruch, mit seinem Periodikum hauptsächlich historisches Wissen zu transportieren. Seine Dialogpartner pflegen deswegen nach einem anfänglichen Gespräch über diverse Themen historische und biographische Informationen auszutauschen. Der zu Anfang offenere Charakter der Dialoge weicht aus diesem Grund einem eher informativen Ansatz. Dieser zeigt sich besonders deutlich in den monologisch strukturierten Passagen, in denen der artig-galante Ansatz zu Anfang des Zwiegesprächs in den Hintergrund trat.

3.5.2.3 Der ‚Journalismus‘ Thomasius war für Fassmann nicht nur ein Vorbild in Bezug auf den in den Monatsgesprächen entwickelten Ansatz, mit Hilfe von Gesprächen ein bestimmtes Wissen zu vermitteln oder ein Themengebiet abzustecken, sondern auch in Bezug auf die Textorganisation bzw. strukturelle Diversität innerhalb der Gespräche. In den Werken beider Autoren fällt die generelle Offenheit gegenüber Fremdtexten auf, die in die Gespräche mit eingebunden oder ihnen zur Seite gestellt wurden. In den Monatsgesprächen wurde das zu transportierende Wissen nicht nach Art einer wissenschaftlichen Abhandlung systematisch aufbereitet und

schen, oder andern ausländischen Sprachen unwissend sind, sich dennoch mit einigen Flüchen, Schwüren, oder gar mit einigen unflätigen Wörtern, die daraus erhascht, sich so breit machen zu wollen, als ob sie noch so viel Frantzösisch, Italiänisch u.s.w. könten, und solche überall in ihrer Conversation mit vorbringen, es mag sich schicken oder nicht.“ Julius Bernhard von Rohr: Einleitung zur Ceremoniel=Wissenschafft der Privat=Personen, hg. u. kommentiert v. Gotthardt Frühsorge, Leipzig 1990 [ED 1728], II. Theil, 2. Cap., S. 280.

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dem Leser in einer geschlossenen Form dargebracht, sondern im weitesten Sinne dialektisch und damit anti-pedantisch. Im Kontext dieser Haltung müssen die stellenweise eingefügten Exkurse einzelner Gesprächsteilnehmer und mehr noch die über den Dialog hinausgehenden Textelemente wie beispielsweise die Vorreden und Widmungen als paradigmatisch für Thomasius’ Absicht stehen, mit seinem Journal neue Wege zu beschreiten. Die Durchlässigkeit seines Journals gegenüber anderen, textsortenfremden Elementen schuf innerhalb der Monatsgespräche Raum für alternative und komplexe Lese- und Rezeptionsformen. Borgstedt beschreibt diesen Ansatz der „disziplinsprengenden Intertextualität“,338 der für Thomasius’ Schriften als stilbildend verstanden werden könne, wie folgt: „Im Überschreiten von Textsorten ergeben sich unverhoffte Kombinationen, die sich der theoretischen Vorhersehbarkeit entziehen.“ 339 Es ist hierbei zu fragen, ob das noch relativ junge Medium Journal, begünstigt durch das Fehlen verbindlicher Gattungsvorschriften, nicht per se dazu geeignet war, neuartige Ansätze zu verfolgen und dem eigenen Leserkreis anzubieten. Sowohl in Thomasius’ als auch in Fassmanns Periodikum finden sich zahlreiche Belege dafür, wie unterschiedliche Textsorten nebeneinander gestellt werden und aufeinander einwirken konnten. Die Bedeutung der sich so ergebenden „komplexen Kommunikationsstruktur“ 340 in den Monatsgesprächen faßt Manfred Beetz wie folgt zusammen: Vorreden, Widmungen, Erzählerrollen, szenische Darstellungen und Bericht, Bildinterpretationen, Rezensionen knüpfen auf mindestens vier unterschiedlichen Kommunikationsebenen Gespräche an, betten Gespräche in Gespräche ein, Gespräche zwischen fiktiven und historisch verbürgten Personen; Masken- und Rollenspiele werden inszeniert.341

Beetz’ Analyse der komplex strukturierten Kommunikationsangebote der Monatsgespräche läßt sich ebenso auf Fassmanns Totengespräche übertragen, da diese dem Leser mit Hilfe ihrer montageähnlichen Struktur gleichermaßen unterschiedliche Textsorten und Dialogebenen anboten. Auch hier zeigt sich eine Vorgehensweise, die sich ganz zentral im Zusammenstellen heterogener Texte und Textsorten äußerte. Sowohl bei Thomasius als auch bei Fassmann wurde die Montage disparater Textelemente so zum bestimmenden Charakteristikum. Sie zielte darauf ab, den Leser zu unterhalten und sein Interesse am jeweiligen Medium wachzuhalten. Der Ansatz, der solche unterschiedlichen Textelemente innerhalb eines

338 339 340 341

Borgstedt, Tendresse und Sittenlehre, S. 407. Borgstedt, Tendresse und Sittenlehre, S. 407. Beetz, Monatsgespräche, S. 36. Beetz, Monatsgespräche, S. 37.

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Mediums kombiniert, sollte deswegen in eine Journaldefinition miteinbezogen werden – und nicht etwa als Beleg dafür herangezogen werden, daß sich die Medien beider durch ‚untypische‘ Textelemente außerhalb der Gattungsgrenzen stellen. Beide Journale zeigen eine deutliche Tendenz zur Integration vielfältiger Textbausteine und Quellen – letztere reichen von wörtlichen und inhaltlichen Zitaten fremder Texte (historischer, literarischer, philosophischer usw.), Sprichwörtern bis hin zu schwankartigen oder piquanten Anekdoten. Zusätzlich zur vielschichtigen textuellen Struktur versuchten beide Autoren durch ihr Streben nach Raffinement und sprachlichem Witz der historisch tradierten Dialogform innerhalb ihres Mediums neue Impulse zu geben. Die Komplexität, die durch die abwechslungsreich strukturierten Diskurse entstand, trug zur Attraktivität der Journale bei. Durch ihr regelmäßiges Erscheinen waren diese auf die zahlungsbereite Gunst ihrer Rezipienten angewiesen. Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, warum beide Autoren unterschiedliche Textsorten mit ihren Dialogen kombinieren und sich besonderer sprachlicher Mittel bedienten: Innovative und überzeugend gestaltete Dialoge sowie abwechslungsreiche strukturelle Bezüge erlaubten es ihnen, über die gewählte Textsorte (Dialog) hinaus, in ihrem Medium (Journal) größere Freiheiten zu erlangen. Der Vorteil dieser Offenheit gegenüber Fremdtexten und formalen Experimenten bestand u. a. darin, immer wieder Neues bieten zu können. Die jeweiligen Hefte konnten so thematisch, strukturell und formal ihren Ansprüchen angepaßt werden, ohne daß die Darbietungsform grundsätzlich verändert werden müßte – formal Wiedererkennbares wurde so mit variablen Elementen kombiniert. Obwohl beide Journale durchaus unterschiedliche Themen und Schwerpunkte aufwiesen, zeigten sie im Hinblick auf jene oben erwähnte Offenheit gegenüber gattungsfremden Einflüssen eine vergleichbare Vorgehensweise. Die Essenz dieser ‚journalistischen‘ Ansätze besteht also zum einen in einer formalen Flexibilität und zum anderen in sprachlich abwechslungsreich strukturierten Dialogen, die durchaus kontrovers diskutierte Themen aufgriffen. Die Kontroverse diente in beiden Journalen dazu, die Gespräche inhaltlich zu pointieren. Entgegengesetzte Meinungen und Charaktere wurden so zu einem gestalterischen Mittel, dessen sich beide Autoren oft bedienten. Thomasius entwickelte zu diesem Thema eine Art Medientheorie: In seinen Monatsgesprächen erläutert er seine Vorstellung von einem idealen Journal, dessen Programmatik auch Pate gestanden haben könnte für die Leipziger Entrevuen: Ich vermeynte dannenhero / es wäre nicht undienlich / wenn man in dem Teutschen Journal so wol die einfältigen als vernünfftigen / Judicia mit berühret / und / damit die Sache desto besser von statten ginge / solte es sich nicht übel schicken / wenn man dergleichen Journal in Form eines Gesprächs verfertigte / und einen oder ein Paar alberne Kerl einführete / die

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ihr einfältig Bedencken mit vortrügen / die andern aber mit vernünfftigen Ursachen ihre Meinung vorbrächten [...] So würde auch denen Autoribus, die verständig wären / nicht unangenehm fallen / wenn sie höreten / daß die Leute pro & contra von ihren Büchern censireten. Ja weil es unmöglich / daß ein Autor zwey widerwärtige Meinungen zugleich behaupten könte / würden die Autores, von denen man die iudicia gesetzet / selten den Journalisten anlasten können / wenn derselbe nichts gewisses determiniret hätte.342

Der Kunstgriff der unterschiedlich „vernünfftigen“ Figuren erschwerte es demnach, den Journalisten mit den in seinen Gesprächen vorgeführten („widerwärtigen“, d. h. widerstreitenden) Meinungen in eins zu setzen; ein nicht zu unterschätzender Vorteil für Autoren, die mittels gewagterer Figurenkonstellationen und Themen befürchten müssen, mit der Zensur oder kritisierenden Kollegen in Konflikt zu geraten. Zum bestimmenden Charakteristikum in Fassmanns Totengesprächen wurde auch das von Thomasius propagierte Ideal des pro & contra, das mittels der unterschiedlichen Figuren in beinahe jedem Gespräch plastisch vorgeführt wurde. Der Kunstgriff der „vernünfftigen“ und der „albernen“ Figur weist an dieser Stelle auf die späteren Entrevuen Fassmanns voraus. Im Leipziger Journal wurde diese Technik allein schon wegen der Reduktion auf nur zwei Personen zum grundlegenden kontrastierenden Schema.

3.5.2.4 Volkstümliche Elemente Sowohl Thomasius’ als auch Fassmanns Journale zeugen von den Bemühungen beider, neben durchaus gelehrten Themen auch volkstümliche Elemente in ihre Gespräche einzubinden. Thomasius versetzt die Diskussionen zwischen seinen Figuren stellenweise mit satirisch angelegten Passagen, durch die der allzu geradlinige Verlauf eines Gespräches gleichsam ausgesetzt wird.343 Mit fast slapstickartiger Wirkung unterbricht beispielsweise der Hund des Herrn Augustin, der vor einer Katze zurückschreckt, das Gespräch zwischen den anwesenden Herren in einem Wirtshaus. Sowohl die Beschreibung der Szenerie (halbausgetrunkene Weinflaschen, diverse Biergläser usw.)344 als auch der „erschröckliche Tumult“ zwischen der Wirtshauskatze und dem Hund ähneln bild-

342 Thomasius, Monatsgespräche, Februar 1688, S. 244 f. 343 Vgl. dazu auch das Ende des ersten Heftes, wo die Unterredner wegen einer Unachtsamkeit des Kutschers aus ihrem Gefährt in den Schnee fallen. Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 115. 344 Dazu heißt es an der entsprechenden Stelle: „Die auff dem thresor sich befindende etliche wenige Wein= und Brantewein=Gläser / welche nicht so wohl Zieraths halber / als zum Gebrauch der Säfte waren dahin gesetzet worden / fielen herunter und wolten gleichsam die Anwesenden der Gebrechlichkeit des menschlichen Lebens erinnern;“ Thomasius, Monatsgespräche, Februar 1688, S. 215.

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lichen Darstellungen von burlesken Wirtshausszenen. Thomasius öffnet das Gespräch in Richtung volkstümlicher Komik, wenn er dieses Schwankmotiv in die Unterhaltung Einzug halten läßt. Zusätzlich zu dem lebhaft geschilderten Vorfall ist dieser auch noch als Kupferstück neben dem Text abgebildet. Der komische Eindruck, der durch den Text evoziert werden soll, wird so noch auf der bildlichen Ebene verstärkt. Nicht zufällig ereignet sich der Vorfall gerade in dem Moment, als Herr Christoph zu einer Verurteilung der „satyrischen Schreibart“ ansetzt. Als ein von außen herbeigeführter Einbruch in die sonst intime Runde der Unterredner läßt sich die Szene als Kommentar auf das eben noch diskutierte Thema bzw. als humorvolle Unterbrechung der Christoph’schen Kritik an der Satire interpretieren. Neben derartig ausgearbeiteten Szenen flocht Thomasius auch wiederholt volkstümliche Ausdrücke und Redewendungen in seine Schriften ein; sie bildeten gleichsam den Gegenpol zu seinen gelehrten und (sich an einen fachlich gebildeten Leserkreis richtenden) fremdwortreichen Abhandlungen. Die teilweise recht derben Aussprüche und Sprichwörter innerhalb seiner Monatsgespräche unterstützten zum einen die plastische Wirkung der Gespräche, zum anderen loteten sie die Möglichkeiten aus, die sich für ein deutschsprachiges Journal boten, das sich an einen heterogenen Leserkreis wandte. Neben durchaus erhabenen Themen mit dem dazugehörigen Vokabular fand so auch der niedere Stil Eingang in Thomasius’ Werk. Als es etwa um die Kritik an den universitären Verhältnissen geht, bemerkt ein Professor über Studenten, die er eigentlich zu hervorragenden Wesen erziehen wollte, daß sie gar offte auff Schulen Affen / auff Universitäten Schweine / und im Amte geitzige Wölffe / und lastbare Esel seyn / die / wenn sie endlich für ihre Seele Frieden haben wollen / durch gantz widrige Wege in die Einfalt sich begeben müssen.345

Volkstümliche Redewendungen und Metaphern dienten hier besonders der Anschaulichkeit und der Verlebendigung des Gesagten. Bedingt durch den typisierten Charakter der Figuren konnte so die Sprache dafür sorgten, daß die Dialoge zwischen den einzelnen Gesprächsteilnehmern nicht zu lebensfern und damit unglaubwürdig und uninteressant wirkten.346

345 Thomasius, Monatsgespräche, Summarische Nachrichten, Bd. II, S. 422. 346 Herr Christoph zitiert z. B. das eher volkstümliche Sprichwort „Wer nicht ist wie der Himmel / den holt der Teuffel auffn Schimmel.“ Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 5. Über die schlechte Qualität mancher deutscher Gedichte erregt er sich wenig später und fügt folgendes Beispiel an: „Wenn man von den Meer thut fragen / Wie sich da die Winde jagen / Fehlet dir der Reim auf Sud / Nur das πρέπον zu erzwingen / Sag / ein Christe sey ein Jud / Und der Esel könnte singen.“ Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 5 f.

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In Fassmanns Entrevuen bestand zwar augenscheinlich im Hinblick auf die Typenhaftigkeit seiner Figuren nicht die Gefahr einer zu abstrakten Wirkung, dennoch bemühte auch er sich, die Sprache seiner berühmten Toten mit idiomatischen Wendungen anschaulich und abwechslungsreich zu gestalten. Die der Wirklichkeit abgeschauten und auf der Ebene der Fiktion als ‚real‘ zu verstehenden Figuren mußten in den Totengesprächen zwar auch gemäß der ihnen zugedachten Rollen agieren, der Anspruch auf Wahrheit (historische Exaktheit) war in ihrem Fall jedoch ungleich höher. An einigen Stellen ließ auch Fassmann typisiert wirkende Charaktere in seinen Gesprächen erscheinen; besonders dann, wenn es um die Kritik am Aberglauben im Volk geht, traten Figuren auf, deren Bekanntheitsgrad dafür sorgte, daß die Botschaft vom Rezipienten verstanden wurde. In der 20. Entrevue etwa, in der sich Kleopatra und der Herzog von Luxemburg, François-Henri Montmorency-Bouteville zum Gespräch treffen, tritt Hanns Simplex zu ihnen und fesselt für einige Zeit die Aufmerksamkeit des Lesers. Kleopatra schweigt, während sich der wegen seiner Ungestaltheit sowie seines angeblichen Paktes mit dem Teufel berüchtigte General Louis’ XIV. und der ‚typisch‘ deutsche Einfaltspinsel Grimmelshausen’scher Prägung über Aberglauben, Hexereien und Bündnisse mit dem Teufel unterhalten.347 Ob-

347 Das Thema Hexen- und Teufelswerk sowie der Aberglauben in allen Varianten erscheinen des öfteren in den Gesprächen, etwa in den Entrevuen Nr. 154 und 161. Bei Thomasius vgl. dazu auch De crimine magiae, Halle 1701. Der französische Marschall und Gesprächspartner Kleoptras, François-Henri de Montmorency-Bouteville (1628–1695), stand wegen seiner zahlreichen militärischen Erfolge im Verdacht, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben. Zahlreiche zeitgenössische Quellen befaßten sich mit der Legende, die sich zum einen auf die Grausamkeit und Unerbittlichkeit des Herzogs, zum anderen auf dessen angeblichen Schwur gründeten, er wolle sich dem Teufel gern anheim geben, wenn sein König dadurch siegreich bliebe. Zur Legende des ‚teuflischen‘ Herzogs vgl. etwa: Des Welt=beruffenen Hertzogs von Luxenburg, Gewesenen Königl. Frantzösischen Generals und Hof=Marschalls Pacta, Oder Verbündniß Mit dem Satan, Und das darauf erfolgte Erschreckliche Ende: Worbey Auch dessen bey seinem Leben verübte Tyrannische Mord= und Frevel=Thaten kürtzlich erzehlet werden; Nebst einer Vorrede, Worinnenn gezeiget wird, 1. daß es Teufel gebe, 2. auch daß Bündnisse mit demselben gemacht werden, 3. wie Menschen von solchem Bündnisse können wieder frey werden; Allen und jeden, so keine Teufel gläuben wollen, zum Exempel wieder ans Licht gestellet, Frankfurt und Leipzig: ca. 1725; Kurtzer Bericht, darinen das Verbündniß enthalten des in der Bastille zu Pariß in Verhafft sitzenden Duc de Luxenbourg, so er mit dem leidigen Satan im Jahr 1659 biß 1695 und also in die 36 Jahr getroffen und dessen erschreckliches Ende / dargetan durch dessen damaligen Cammer=Diener, [o. O.] ca. 1695; Anton Kippenberg: Die Sage vom Herzog von Luxemburg und die historische Persönlichkeit ihres Trägers, Diss. Leipzig 1901 [ND Niederwalluf 1970]; Henri Pigaillem: Le Tapissier de Notre-Dame. Vie du maréchal de Luxembourg, Monaco 2002. Zum Herzog vgl. auch 5.3.1 Fassmanns Figurenwahl am Beispiel von Louis XIV. und François-Henri de Montmorency-Bouteville.

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wohl der Glauben an derartige Phänomene vom mittlerweile durch seinen Tod geläuterten Franzosen als unsittlich und rückständig gebrandmarkt werden, verleihen die bildhaften Anekdoten und sensationsheischenden Exempla des Simplex dem Gespräch seinen besonderen Charakter. Die zum Dialog zwischen Kleopatra und dem Herzog hinzugetretene Figur des Hanns bringt seinen beiden Zuhörern verschiedene Beispiele für Hexen- und Aberglauben zu Gehör, die der ehemalige General und Feldherr des französischen Königs mittels seiner Vernunft zu entkräften sucht. Nach diesem Muster kann Fassmann – neben der aufklärerischen Vorurteilskritik – von der anziehenden Wirkung der gewählten Beispiele des einfältigen Hanns Simplex profitieren und sich ihre effektvolle Wirkung zunutze machen. Sprachlich verfährt Fassmann nach einem ähnlichen Schema wie Thomasius: Neben durchaus gelehrten Floskeln läßt auch er diverse Sprichwörter und Redewendungen aus dem eher volkstümlichen Bereich in seine Entrevuen mit einfließen.348 Obwohl von der Forschung teilweise negiert, ist es gerade diese Mischung verschiedener Stilebenen, die den besonderen Charakter der Gespräche Fassmanns ausmacht.349 Der Einsatz plastischer Ausdrücke und bekannter Sprichwörter garantiert in beiden Journalen, daß sich die heterogene Leserschaft von den verschiedenen Stilebenen angesprochen fühlen kann. Das à la mode-Ideal der Leipziger Entrevuen, dem Fassmann mit seinem Stil huldigt, bedingt bei ihm eine größere Zahl an fremdsprachigen Ausdrücken, Lehnwörtern und Zitaten. Dennoch sind auch bei Fassmann Tendenzen zu muttersprachlicher Idiomatik zu erkennen, die er – unabhängig von der realen Herkunft – seinen berühmten Toten in den Mund legt. Sprache diente bei beiden sowohl zur Identifizierung der verschiedenen Figuren, die durch sie ihren Standpunkt verdeutlichen konnten, als auch dazu, dem Leser eine bestimmte Vorstellung von der Vielseitigkeit der eigenen Muttersprache zu vermitteln. *** Fassmanns Gespräche stellten sowohl inhaltlich als auch formal einen Bezug zu den Monatsgesprächen des Christian Thomasius her. Sie verdeutlichten in

348 Hanns Simplex ruft z. B. an einer Stelle aus: „Potz Stern ja.“ Fassmann, Totengespräche, Entrevue Nr. 20, Leipzig 1720, S. 275. Im Gespräch zwischen Caesonia und Roxelana erklärt letztere den Begriff „Stockfisch“ anhand einer bäuerlich-humoresken Anekdote. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 111, Leipzig 1727, S. 1147 f. 349 Zum Thema der angeblich fehlenden Sprichwörter vgl. besonders Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus, I. Buch, II. Kapitel, S. 402.

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ihrer Konzeption und Ausführung, daß ihr Autor sowohl die Monatsgespräche als auch andere Werke seines ehemaligen Universitätslehrers kennengelernt und rezipiert hat. Diese Vertrautheit äußerte sich nicht nur darin, daß einzelne Topoi, Gedanken und Thesen in den Gesprächen wiederaufgenommen und erneut propagiert wurden, sondern auch darin, daß sie sich dezidiert am Stil ihres Vorgängers orientierten. Fassmann beherzigte einige der von Thomasius in seinen Gesprächen aufgestellten Forderungen an ein gutes Periodikum: Im Hinblick auf die Sprachwahl, Dialogizität, Charakterzüge der Figuren, historischen Exempel, die Mischung von Unterhaltung und Didaxe sowie den kontinuierlichen Angriff verurteilenswerter Eigenschaften und Laster zeigte sich, daß die Entrevuen die Monatsgespräche als vorbildhaftes Medium nachzuahmen suchten. Sowohl Thomasius als auch Fassmann benutzten ihre Zeitschriften unter anderem dazu, Kritik an tadelnswerten Zuständen oder mißliebigen Eigenschaften anderer zu üben. Beide gingen dafür über den eigentlichen bzw. auf den ersten Blick intendierten thematischen Rahmen ihrer Gespräche hinaus. Aufgrund häufiger Anspielungen und wiederholter Angriffe auf vermeintliche oder wirkliche Gegner erscheint die Kritik als ein konstituierendes Element beider Organe. Die Verwerflichkeit der Pedanterie z. B. wurde in beiden Periodika zu einem immer wiederkehrenden Thema. Thomasius kritisierte diese und andere ‚Laster‘ (zumindest zu Beginn der Reihe) mittels der Satire, wohingegen sich Fassmann mehr in den paratextuellen Elementen seines Journals ironisch gegen Neider, Heuchler und Pedanten zur Wehr setzte. Thomasius’ Monatsgespräche sind aus obengenannten Gründen nicht nur als eine literaturkritische Zeitschrift bzw. als ein Rezensionsorgan zu verstehen, sondern darüber hinaus auch als ein Manifest gegen pedantische Weisheit und Engstirnigkeit. Sein Streben nach einer kosmopolitischen Bildung und sein Kampf gegen eine verschulte, überwiegend lateinisch geprägte Bildung, die allein von wenigen Experten beherrscht ist, wurde durch die Dialoge seiner unterschiedlichen Figuren verkörpert. Schwankelemente und Komik dienten ihm im Unterschied zu anderen, gelehrten Journalen dazu, neue Wege zu gehen und andere Leserkreise anzusprechen. Fassmann benutzte seine auf den ersten Blick der historischen Unterrichtung verpflichteten Totengespräche ebenfalls dazu, volkstümlich geprägte Anekdoten zu vermitteln. Auch er wandte sich in seinem Journal dezidiert an alle Schichten, die sich historisch weiterbilden wollten.350 Darüber hinaus dienten ihm seine Gespräche dazu, sich von 350 Anscheinend war es besonders dieser Ansatz, der seinen Dialogen zu einer derartig lang anhaltenden Beliebtheit verhelfen konnte. Sein Rezeptionskreis wird von Wilmont Haacke wie folgt beschrieben: „Die Zeitgenossen, Fürsten wie gebildete Bürger, verschlangen seine historischen Porträts und ließen sich von seiner geschickt verkleideten Kritik der herrschenden Zu-

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seinen Gegnern abzusetzen, europäische Einigkeit gegen die ‚unchristlichen‘ Feinde zu beschwören, herrschende Mißstände zu kritisieren und für Religionsfreiheit zu argumentieren. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Periodika besteht in der thematischen Gewichtung bzw. in der Bedeutung der historischen Exempel: Fassmann legte (zumindest vordergründig) vergleichsweise mehr Wert auf den bildenden Charakter seines Journals. Sein genuin historischer Ansatz bedingte deswegen auch eine größere Faktenlastigkeit seiner Dialoge; im Gegensatz dazu betonten die Monatsgespräche über die in ihnen vorgestellten Meinungen hinaus besonders die sprachlichen Eigenheiten und Charakterzüge ihrer Figuren. Fassmann versuchte zwar auch in diesem Punkt seinen Vorgänger zu imitieren, sein Ansatz der moralischen Didaxe spitzte das Zwiegespräch jedoch häufig auf eine eindeutig lesbare pro- und contra-Position zu. Die Figuren in Thomasius’ Dialogen hingegen boten ihren Lesern schon wegen der höheren Anzahl der dargebotenen Standpunkte eine größere Vielfalt und zeigten so innerhalb eines Gespräches auch mehr denkbare Haltungen zu einem bestimmten Thema auf. Fassmann griff seinem Konzept entsprechend diejenigen Elemente aus den 30 Jahre zuvor erschienenen Monatsgesprächen auf, die ihm zur Ausführung seines Unternehmens vielversprechend und nachahmenswert erschienen mußten. Angepaßt an den Geschmack seines heterogenen Leserkreises tauchten so in den Leipziger Entrevuen zahlreiche Thesen und Gedanken seines ehemaligen Lehrers wieder auf. Die mit seinem eigenen Erfolg verglichene relative Kurzlebigkeit von Thomasius’ Zeitschrift mag ihm außerdem gezeigt haben, welcher Ansatz für sein Journal größeren Erfolg bei den Lesern und weniger Schwierigkeiten mit Zensur und ungehaltenen Zeitgenossen versprach. So kann die Konzentration auf berühmte und berüchtigte Tote, die (im Gegensatz zu den sich karikiert fühlenden lebenden Kollegen) keine Händel stiften konnten, als geschäftstüchtige Umsicht eines Autors interpretiert werden, der aus den negativen Erfahrungen seines Vorgängers seine Schlüsse zu ziehen wußte. Trotz einiger spezifisch neuartiger Ansätze in Fassmanns Journal müssen die Monatsgespräche des Thomasius neben den zahlreichen inhaltlichen Rekursen besonders in Bezug auf die formale Gestaltung, so die Erkenntnis aus dem Vergleich beider Medien, in ihrer Bedeutung und Vorbildfunktion neu betrachtet und gewürdigt werden.

stände faszinieren“. Wilmont Haacke: „Fassmann, David“, in: Neue Deutsche Biographie, hg. v. der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. V, Berlin 1961, S. 28.

4 Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten 4.1 Die Entstehungsgeschichte des Journals David Fassmann begann im Jahr 1718 in Leipzig mit der Arbeit an einem neuen Werk, das im Gegensatz zu seinen zuvor erschienenen Einzelpublikationen als mehrteilige Reihe angelegt war. Nachdem der Leipziger Verleger Georgi von Fassmann bereits zwei Übersetzungen fremdsprachiger Werke zum Druck angenommen hatte (eine dritte jedoch offenbar wegen vom Verleger verlorener Manuskriptseiten nicht veröffentlicht worden war), plante er nun eine neue, diesmal selbständig konzipierte Publikation.1 Seinen bereits veröffentlichten Einzelbiographien bedeutender Persönlichkeiten nicht unähnlich, verlegte sich Fassmann diesmal auf die Herausgabe eines regelmäßig erscheinenden Journals, das die Lebensläufe und historische Bedeutung zweier Figuren zugleich zeigen sollte. Die Gespräche in dem Reiche derer Todten waren darauf angelegt, den Leser auf lehrreiche Art und Weise in Dialogform zu unterhalten und ihm die vorgestellten Figuren mitsamt deren geschichtlichem Hintergrund zu präsentieren. Daneben sollten in ihnen laut den Titelblättern aller Ausgaben auch „der Kern neuester Merckwürdigkeiten“ sowie eine „Reflexion“ über diese enthalten sein.2 Fassmann begann also am Anfang seiner Tätigkeit als freier Schriftsteller mit der Herausgabe eines Periodikums, dessen Erfolg jedoch zuerst eher zweifelhaft erschien: Sowohl die nicht unwesentliche Geldsumme, die Fassmann sich von Freunden für den Druck hatte leihen müssen, als auch die geringen Verkaufszahlen der ersten beiden Entrevuen ließen ihren Autor zuerst nicht an eine Fortsetzung der Publikation denken.3 Fassmann brach die Arbeit an den Totengesprächen aus diesem Grund erst einmal ab und begab sich auf eine Reise nach Wien, von wo aus er nach kurzem Aufenthalt nach Zittau zu einer

1 Die Titel der Übersetzungen lauteten: Die entkappten Whigs und Tories [1717], Die [...] Thaten des Heldenmüthigen und unvergleichlichen Printzens Eugenii Hertzogs von Savoyen [1717]. Die nicht publizierte Übersetzung war eine Lebensbeschreibung des kurz zuvor von seinem Urenkel abgelösten Königs Louis XIV., die 1718 veröffentlicht werden sollte. Alle Werke sind bei Georgi in Leipzig erschienen bzw. sollten dort erscheinen. 2 Die nur wenig veränderte Formel auf den Titelblättern zu allen 240 Entrevuen lautete: „Nebst dem Kern derer neuesten Merckwürdigkeiten, und darüber gemachten sehr wichtigen Reflexionen [...].“ Der Ausdruck „sehr wichtig“ wird ab dem 3. Totengespräch ersetzt durch „curieusen“. 3 Vgl. dazu Matthes, Das veränderte Rußland, S. 189.

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seiner Gönnerinnen, einer Baronin von Gersdorf,4 aufbrach. Wenig später verließ er diese jedoch bereits wieder, um im Januar 1719 nach Berlin zu gehen. Dort erfuhr er, daß während seiner Reise eine große Nachfrage nach den ersten beiden Nummern seiner Totengespräche eingesetzt hatte. Seine von diesem unerwarteten Erfolg überraschten Gläubiger und sein neuer Leipziger Verleger Wolfgang Deer5 hatten sich von Fassmanns zwischenzeitlicher Abwesenheit jedoch nicht beirren lassen: Fassmanns Gläubiger lösten die von ihm versetzten Kupferplatten und Exemplare ein und baten bereits einen anderen Autor, die dritte Entrevue zu verfassen, als Fassmann sehr schnell reagierte und, zurückgekehrt, seine neu begonnene Zeitschrift fortsetzte.6

Fast wären die Gespräche also gar nicht von Fassmann selbst fortgesetzt worden. Als Reaktion auf die plötzliche Nachfrage übernahm er nun wieder selbst die Konzeption neuer Totengespräche. Er arbeitete an seiner Reihe auch zwischen 1725 und 1731, während seiner Zeit am Hofe Friedrich Wilhelms I., wohl auch im Bewußtsein, daß sich sonst wieder ein Konkurrent seines nunmehr sehr erfolgreichen Journals hätte bemächtigen können. Wenn Fassmann nicht gezwungen war, sich als Historiograph und Nachrichtenreferent an einem Fürstenhof oder als Sprachlehrer für junge Adelige zu verdingen, versuchte er, seinen Lebensunterhalt allein durch seine Tätigkeit als freier Journalist zu bestreiten, was zu seiner Zeit keineswegs die Norm für die noch überschaubare Gruppe der Journalisten darstellte.7 Diese Freiheit von 4 Henriette Catharina Freifrau von Gersdorf (geb. 1648 in Sulzbach, gest. 1726 od. 28 in Hennersdorf), Dichterin und Unterstützerin der evangelisch-pietistischen Reformbewegungen, außerdem Förderin Herrnhuts, vgl. den gleichnamigen Artikel zu von Gersdorf von Carl Bertheau, in: ADB, Bd. 9, S. 53–55. 5 Obwohl er auf den Titelblättern der Entrevuen 1–73 zuerst nicht namentlich erwähnt wird, ist es Deer, der diese und weitere Journale Fassmanns in Leipzig herausbringt. Als Druckort und Verleger wird bis zur 50. Entrevue angegeben: „Leipzig, in Commission bey denen Cörnerischen Erben auf dem Neuen Neu=Marckt“. Ab der 51. bis einschließlich der 72. Entrevue lautet die Angabe: „Leipzig, bey denen Cörnerischen Erben, unter Hrn. Johann Schwabens Haus in der Grimmischen Gasse“. Erst ab dem Jahr 1724 erscheint der Name Deer auch auf dem Titelblatt. Vgl. dazu auch Lindenberg, Leben und Schriften David Faßmanns, S. 19 ff. 6 Matthes, Das veränderte Rußland, S. 189. 7 Und selbst diese Freiheit war nur eine relative, keine absolute: Fassmanns Aufenthalt am Hofe zeigt unter anderem, das er (zumindest zeitweise) eben nicht vollständig von seinen Publikationen leben konnte, ein Schicksal, das er mit den allermeisten seiner Nachfolger im 18. Jahrhundert teilte. Winfried Müller bemerkt hierzu: „[A]uch jene, die ohne ein Amt als freier Schriftsteller durchhalten wollten, waren zumindest vorübergehend auf einträgliche Pfründe oder mäzenatische Förderung angewiesen.“ Müller, Aufklärung, S. 34. Dennoch gebührt Fassmann die Ehre, als einer der ersten freischaffenden Journalisten auf dem sich zunehmend spezialisierenden Markt der tagesaktuellen und historisch-politischen Journale behauptet zu

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äußeren Zwängen konnte jedoch nur unter gewissen Bedingungen erreicht und aufrechterhalten werden: Als freier Schriftsteller mußte Faßmann Jahr für Jahr die Erzeugnismenge auf den Markt werfen, die ihm das nötige Einkommen brachte, da er doch bei den damaligen Geschäftsgewohnheiten im Buchverlag mit Einnahmen aus dem Absatz früher veröffentlichter Werke kaum rechnen konnte.8

Fassmann war also gezwungen, möglichst viele und erfolgreiche journalistische Erzeugnisse zu publizieren. Zum einen war dies notwendig, weil – wie nach der zweiten Entrevue bereits geschehen – ein Konkurrent seine Reihe fortsetzen konnte, und zum anderen, weil er nunmehr als Freischaffender allein durch seine Publikationen seinen Lebensunterhalt verdienen wollte. Wie aus seinem Lebenslauf bereits ersichtlich wurde, gelang es Fassmann auch trotz anderweitiger Verpflichtungen (wie etwa als Nachrichtenreferent am Hofe des ‚Soldatenkönigs‘ Friedrich Wilhelms I.), die Veröffentlichung einzelner Reihen nicht nur am Leben zu halten, sondern darüber hinaus auch deren Menge zu erhöhen. Von seinen insgesamt sechs regelmäßig erscheinenden Journalen publizierte Fassmann 1731, also in seinem letzten Jahr als Hofhistoriograph, tatsächlich vier gleichzeitig. Und auch in den darauffolgenden Jahren zwischen 1735 und 1741 arbeitete er parallel an vier verschiedenen Periodika. Entsprachen die Einnahmen, die durch den Verkauf der Einzelnummern erzielt wurden, nicht seinen Erwartungen, war Fassmann anscheinend in der Lage, weitere Journale zu konzipieren und zeitnah zu publizieren. So konnte er einerseits sicherstellen, daß er als Schriftsteller sein Auskommen haben, und andererseits, daß er seinen Lesern als zuverlässiger Journalist in Erinnerung bleiben würde.9

haben: „Als einer der ersten professionellen, ausschließlich von den Erzeugnissen seiner fleißigen Feder lebenden Schriftsteller in Deutschland erreichte er ein großes, weit verstreutes Publikum.“ Kraus, Englische Verfassung, S. 345 f. 8 Lindenberg, Leben und Schriften David Faßmanns, S. 29. 9 Fassmann spielt stellenweise durchaus ironisch auf seinen Status als freier Journalist an. Diese Unabhängigkeit war oft genug nur eine bedingte, wenn man, wie es üblich war, eine Publikation einem reichen Gönner widmete, der einen dafür im Gegenzug finanziell belohnte. Der V. Band der Gespräche in dem Reiche derer Todten ist z. B. Aesop gewidmet. Eine Entscheidung, die Fassmann mit einem Augenzwinkern begründet: „Hätte ich ihn [den Band – SD] einem Fürsten oder anderm grossen Herrn dediciret, dörffte ich vielleicht mit ein paar Duzent Specie-Ducaten beschencket worden seyn; allein ich habe einen philosophischen Geist, der nicht nach Gold und Silber strebet. Indessen bist du [Aesop – SD] mir gleichwohl schuldig, mir zu erlauben, daß ich eine Bitte an dich thue, und hoffe du werdest mir solche, als einen Recompens, vor diese meine Dedication, gewähren.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. V, Dedikation, Leipzig 1724, S. 4 (unpag.). Die Bitte bestand darin, daß Fassmann

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Fassmann bediente mit seinen unterschiedlichen Periodika einen Markt, der – ganz im Geschmack der Zeit – nach immer Neuem, immer Aktuellem im Stil der jeweiligen Mode verlangte. Je besser er diesen Geschmack traf und je mehr verschiedene Publikationen er auf diesen ‚neu-gierigen‘10 Markt brachte, desto besser konnte er davon auch finanziell profitieren. Winfried Müllers Analyse des freien Schriftstellertums, die er auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts bezieht, kann berechtigterweise auch auf die Situation angewendet werden, in der sich Fassmann mit der Publikation seiner Periodika im ersten Drittel desselben Jahrhunderts befand:

mit Erlaubnis Aesops einige seiner Fabeln in seine Gespräche mit einfließen lassen möchte, um vom „muntern und aufgeweckten Geist“ des verstorbenen Dichters zu profitieren. 10 Zu einigen Modeworten und Vorlieben der Zeit vgl. etwa den Artikel von Georg Steinhausen: Galant, curiös und politisch. Drei Schlag- und Modeworte des Perrücken-Zeitalters, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 9 (1895), S. 22–37. Die Neugierde der Leserschaft ist in diesem Zusammenhang als zentraler Begriff anzusehen. Zedlers Universal-Lexicon definiert die Neugierde wie folgt: „Neugierigkeit, Curiositas, ist eine Art der Wollust, da man nach neuen und ungewöhnlichen Sachen begierig ist, um sich dadurch zu belustigen, und die Zeit hinzubringen.“ Zedler, Universal-Lexicon, „Neugierigkeit“, Sp. 172–174, hier Sp. 172. Die Neugierde wird in dem Artikel zuerst in fünf verschiedene Untergruppen unterteilt. Eine Ordnung, die jedoch sogleich wieder verworfen wird, da „diese Arten nicht recht voneinander unterschieden und hinlänglich zu seyn“ scheinen. Letztlich seien nur zwei verschiedene Arten von Neugierde relevant, die der „gemeinen“ und die der „gelehrten“: „[...] [B]ey der gemeinen Curiosität ergötzet man sich an solchen Dingen, welche die äusserliche Sinnen, das Gedächtniß und Ingenium angehen, als wenn man immer gern was sehen, angenehme Histörichen [sic] hören, sinnreiche und lustige Schrifften lesen will. [...] [D]ie gelehrte Curiositas ist, wenn man sich an scharffsinnigen Erfindungen ergötzt.“ Zedler, Universal-Lexicon, „Neugierigkeit“, Bd. 24 (Neu–Nz), Halle und Leipzig 1740, Sp. 173. Die (gemeine) Neugierde trug dieser Auffassung nach immer schon den Aspekt der zeitvertreibenden Unterhaltung in sich, ein Zustand, der besonders durch die Lektüre hinreichend interessanter „Histörichen“ und anderer belustigender Schriften erreicht werden konnte. Trotz dieser eher negativen Beurteilung wurde die Curiositas, wenn sie sich in „gehörigen Schranken“ bewegte, auch als etwas Begrüßenswertes verstanden. Besonders die gelehrte Neugierde würde zum Nachdenken und letztlich zu „scharffsinnigen Wahrheiten“ und Vergrößerung des Nutzens einer Sache beitragen. Zedler, UniversalLexicon, „Neugierigkeit“, Bd. 24, Sp. 173 f. Adelungs Wörterbuch definiert die Neugierde ähnlich, bemerkt jedoch, daß häufig die Neugierde und die Wißbegierde (im Sinne der Zedler’schen „gelehrten Neugierde“) in eins gesetzt würden. Grundsätzlich gelte: „Am häufigsten ist es im engern und nachtheiligen Verstande üblich, und da ist es die merkliche Begierde, eine uns unbekannte Sache bloß um ihrer Neuigkeit, oder aber aus sinnlichem Vergnügen an Veränderungen zu wissen.“ Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, III. Theil, Leipzig 1798, Sp. 478. Bemerkenswert ist an dieser Stelle der Hinweis auf das „Vergnügen an Veränderungen“, das jedem neugierigen Menschen innewohne. In der zeitgenössischen lexikalischen Definition der Begriffe „Historie“ bzw. „historisch“ wurde eben die Veränderung zu einem der wichtigsten Definitionsmerkmale von Geschichte überhaupt erklärt (vgl. 4.1.1 Die historischpolitische Unterweisung).

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Ästhetischen und intellektuellen Rigorismus konnten sich [...] nur die wenigsten leisten. Viel eher waren marktorientierte Anpassung an den Publikumsgeschmack, der Zwang zur Vielschreiberei oder ein Nebenerwerb als Übersetzer kennzeichnend für die in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts schreibenden freien Autoren.11

Zuweilen wurde Fassmanns Arbeitsweise und Publikationsvolumen tatsächlich abfällig als Vielschreiberei apostrophiert oder wurden die Ergebnisse seiner emsigen Mühe als literarisch minderwertig und deswegen wenig erinnerungswürdig verurteilt. Diese Haltung, die nicht nur bei Fassmanns Zeitgenossen, sondern bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Forschungsliteratur zu finden ist, geht jedoch am eigentlichen Kern der Sache vorbei:12 Sein Kunstgriff, das Totengespräch als eine tradierte Textsorte innerhalb eines relativ neuen Mediums wie eines periodisch erscheinenden Journals einzusetzen, kann als bedeutende und folgenreiche Neuerung nicht hoch genug eingeschätzt werden.13 Anhand von Fassmanns Publikationen läßt sich nachvollziehen, wie in der Anfangszeit des Journalismus die Entwicklung von anspruchsvollen, teilweise noch lateinisch verfaßten Periodika (wie etwa den Acta eruditorum), die nur von einer kleinen Anzahl von Lesern rezipiert wurden, zu Zeitschriften fortschreitet, die aufgrund ihrer Volkssprachlichkeit und ihrer populären Themen von Bevölkerungsschichten gelesen wurden, die sich zuvor nicht für Journale interessiert hatten oder keine geeigneten Organe vorfanden.14 11 Müller, Die Aufklärung, S. 34. Bezeichnenderweise war Fassmann ja tatsächlich besonders zu Beginn seiner Karriere als Übersetzer tätig bzw. verdiente seinen Lebensunterhalt sowohl mit Kanzleitätigkeiten als auch als Sprachlehrer (vgl. 2 David Fassmann: Hofhistoriograph, Sprachlehrer und ‚Journalist‘). Zur Entwicklung vom ‚ständischen‘ zum sogenannten ‚freien‘ Schriftsteller vgl. auch Wolfgang von Ungern-Sternberg: Schriftsteller und literarischer Markt, in: Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution, hg. v. Rolf Grimminger, München 1980, S. 133–185, hier S. 158–173. 12 Vgl. dazu etwa Kaschmieder, David Fassmanns „Gespräche im Reiche der Toten“, besonders S. 18 ff. Lindenberg urteilt über die bekanntesten Journale Fassmanns wie folgt: „Man sieht, ‚Der reisende Chineser‘, das umfangreiche Werk, ist nichts weiter als eine Kompilation. Der schriftstellerische Anteil des Urhebers daran ist so verschwindend, daß man seine Tätigkeit hier im wesentlichen als Abschreiben bezeichnen muß.“ Lindenberg, Leben und Schriften, S. 41. 13 Vgl. dazu auch Wilhelm Damberg: Die politische Aussage in den Totengesprächen David Fassmanns. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der politischen Zeitschrift, Diss. Münster 1952, S. 141. 14 Dies wurde dazu noch begünstigt vom gleichzeitigen Anwachsen desjenigen Kreises, der sowohl alphabetisiert als auch interessiert genug war, die periodisch publizierte Literatur regelmäßig zu kaufen und zu rezipieren. Als weitere begünstigende Elemente, auf die an dieser Stelle nur kurz verwiesen sei, sind die Verbesserung der technischen Reproduzierbarkeit, die Homogenisierung der Handelsbedingungen und die Ausweitung der Distributionswege zu ver-

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Fassmanns Periodika lagen sowohl chronologisch als auch thematisch zwischen den Polen der gelehrten, noch lateinisch publizierten Zeitschrift auf der einen Seite und der volkssprachlichen, spezialisierten auf der anderen: In den Gesprächen in dem Reiche derer Todten, aber auch in seinen anderen Reihen finden sich zahlreiche Belege für deren besondere Stellung innerhalb der noch relativ jungen Zeitschriftenliteratur. Zum einen zeigen die Totengespräche das Bemühen ihres Verfassers, Bildung und Wissen zu vermitteln. Dies wird nicht nur durch selbstreferentielle Aussagen, wie wir sie in den Vorreden finden, deutlich, sondern auch durch Fassmanns Bestreben, sein Periodikum mit Hilfe alphabetisch geordneter Register und eines umfangreichen Ergänzungsbandes als historisches Nachschlagewerk und Quelle lehrreicher Bildung zu propagieren.15 Zum anderen bindet Fassmann speziell volkstümliche, populärere und stellenweise ‚unanständige‘ Elemente in sein Periodikum mit ein, das so auch – zumindest partiell – als eine Art Chronique scandaleuse16 gelesen werden kann. Beinahe alle Werke, die Fassmann zwischen 1717 und 1744 konzipierte, erschienen beim Leipziger Verleger Wolfgang Deer, so auch sein erstes Periodikum, die Gespräche, deren Erscheinungszeitraum zwischen 1718 und 1740 fast die gesamte Schaffensperiode Fassmanns abdeckte.17 Die Entrevuen oder ‚Begegnungen‘ erschienen zuerst als einzelne Nummern und wurden wegen der großen Nachfrage regelmäßig erneut aufgelegt. Bei den einzelnen Totengesprächen war es offenbar eher die Regel als die Ausnahme, daß zwei, drei oder auch vier Neuauflagen erschienen.18 Ein sogenanntes ‚Extra=ordinaires Totenstehen. Diese Faktoren fungierten gleichsam als Rahmenbedingungen für die sogenannte ‚Leserevolution‘ des 18. Jahrhunderts. Zu den erwähnten Elementen vgl. auch von Ungern-Sternberg, S. 133–147. 15 Fassmann selbst bezeichnet in der Vorrede zum V. Band sein Journal als „grosse[n] Historische[n] Schatz“. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. V, Vorrede, Leipzig 1724, S. 1 (unpag.). 16 Über die Gespräche in dem Reiche derer Todten heißt es etwa: „Wichtige Fundgrube zur Chronique scandaleuse und von nicht geringem politischen und culturgeschichtlichen Interesse.“ Bibliotheca Germanorum Erotica & Curiosa, hg. v. Hugo Hayn u. Alfred N. Grotendorf, München 1913, S.602. 17 Am Ende des 1741 veröffentlichten Kriegsprotocols zeigt der Verleger eine Liste aller Titel an, die Fassmann bei ihm publizierte. David Fassmann: Allgemeines Kriegs=Protocol. Worinnen Die blutigsten, schweresten und merckwürdigsten Kriege enthalten, so in der Welt biß auf den heutigen Tag geführet worden. Bey Gelegenheit Des jetzt durchgehends allarmirten, auch fast allenthalben gewaltig armirten Europas. Nebst einigen Betrachtungen über die gegenwärtige Kriegs=Verfassung, und den weit=aussehenden Zustand derer Europaeischen Staaten, Frankfurt und Rudolstadt 1741. 18 Vgl. dazu Damberg, Die politische Aussage in den Totengesprächen, S. 65, und Matthes, Das veränderte Rußland, S. 194. Fassmann bemerkt in der „Valet=Rede des Autoris an seine

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gespräch‘ wie das der Plötzliche[n] Ankunft Karls XII. von Schweden in dem Reiche derer Todten erreichte zwischen 1719 und 1737 eine beeindruckende Auflagenstärke von 15.000 Exemplaren.19 Die Auflagenhöhe der regulären Totendialoge kann laut Damberg bei etwa 3000 angesetzt werden.20 Eine Zahl, die sich dank der zahlreichen Neuauflagen auf ein Vielfaches erhöhen konnte und so die Ausnahmestellung eines Periodikums unterstreicht, das in einer Zeit erschien, „in der unter 100 Zeitschriften kaum eine zur zweiten Auflage kam“.21 Fassmann bezifferte sein Einkommen durch seine Tätigkeit als freier Schriftsteller und Publizist einmal auf ungefähr 1000 Taler, eine vergleichsweise hohe Summe.22 Um seinen Platz in der Lesergunst dauerhaft zu sichern, sah sich Fassmann offenbar gezwungen, seine Entrevuen ungefähr im monatlichen Abstand auf den Markt zu bringen.23 Bedenkt man einerseits den Umfang eines einzelnen Gesprächs (ca. 80 Seiten im Quartformat)24 und andererseits den Umstand, daß der Autor zeitgleich noch mehrere andere Periodika unterhielt, offenbart sich sowohl der schriftstellerische als auch der publizistische Druck, dem Fassmann während seiner Zeit als freier Schriftsteller ausgesetzt war. In der Vorrede zum III. Band heißt es zu diesem Thema: Meine geringe Arbeit, nach Standes=Gebühr angesehener und geehrter Leser! gestattet mir nicht, daß ich, zwey biß drey Monate, auch wohl ein halbes Jahr Zeit, auf ein paar Bogen

Todten=Gespräche“: „Das complete Werck ist zu kostbar vor die, so es nicht von Anfang her haben, sondern euch, ihr meine Todten=Gespräche! jetzo erst, auf einmal, gerne anschaffen möchten; und gleichwohl solle doch bald diese, bald jene, Entrevuë immer wieder neu aufgeleget werden; welches dann euerm Herrn Verleger ein wenig beschwerlich fället.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Valet=Rede, Leipzig 1740, S. 1202. 19 Matthes, Das veränderte Rußland, S. 194 f. 20 Damberg, Die politische Aussage in den Totengesprächen, S. 66. 21 Damberg, Die politische Aussage in den Totengesprächen, S. 66. 22 Förster, Friedrich Wilhelm I., S. 283. Förster druckt eine von Fassmann verfaßte Aufstellung seiner Unkosten für einen Aufenthalt in Potsdam ab. In dem Brief, der offenbar an den König gerichtet war, werden die 1000 Thaler als diejenige Summe genannt, über die er seit mehreren Jahren als Jahreseinkommen verfügt habe. Vgl. dazu auch Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus, S. 405. 23 Vgl. dazu auch Matthes, Das veränderte Rußland, S. 194. Die monatliche Publikation kann Fassmann nicht durchgehend aufrechterhalten, meist erscheinen durchschnittlich sieben bis maximal sechzehn neue Gespräche pro Jahr. Siehe dazu auch Ulrich Schmid: Gespräche in dem Reiche derer Todten (1718–1739), in: Deutsche Zeitschriften des 17. bis 20. Jahrhunderts, hg. v. Heinz-Dietrich Fischer, München 1973, S. 49–59, hier S. 50. 24 Das Format konnte durchaus auch einen Hinweis geben auf die Absichten bzw. die Leserschaft eines Journals. War es wie die Gespräche nur im Quartformat erhältlich, könnte man als These formulieren, daß es sich eher an ‚ernsthaften‘ Lexika und Journalen orientierte als an populäreren Kleinformaten im Oktavformat. Vgl. dazu auch Müller, Die Aufklärung, S. 32.

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wende, sondern es müssen, in sechs Monaten, bey nahe so viel Buch Papier von mir zum Druck befördert werden.25

Im Unterschied zu den vielen (Pseudo-)Gelehrten, die für ihre wissenschaftlichen Disputationen sehr viel Zeit aufwendeten, sei es ihm nicht vergönnt, so der durchaus polemische Unterton des Autors, so lange bis zur Publikation seiner Werke warten zu können.26 Im Gegensatz zu jenen, die mit ihren Disputationen „so rechte Profession aus der Grillen=Fängerey“ 27 machten, distanziere er sich von dieser Art der falschen Gelehrsamkeit und trachte allein danach, mit seinen Entrevuen gesichertes historisches Wissen zu verbreiten, was durchaus nicht immer leicht sei, „denn die Autores sind, wie bekannt, nicht gar selten einander contrair“.28 Im Gegensatz zu den besserwisserischen Kritteleien aus dem sich als gelehrt betrachtenden Umfeld habe er keine Scheu davor, mögliche Fehlinformationen und Irrtümer zuzugeben, und vertraue daneben besonders auf die Vernunft seiner Leser, die sich nicht von übertriebener und hämischer Kritik anderer in ihrem Urteil beeinflussen lassen würden.29 Dieses Plädoyer an die Unvoreingenommenheit seiner Leser wird am Ende der Vorrede zum III. Band noch einmal wiederholt: Jedoch, nach Standes=Gebühr angesehener und geehrter Leser! wir wollen uns, weder durch boßhaffte Urtheile derer Neider von gegenwärtigen Gesprächen, noch auch durch das, was andere davon sagen, denen sie nicht gefallen, gar nicht irre machen lassen.30 25 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. III, Vorrede, Leipzig 1721, S. 2 (unpag.). Lindenberg wertet Fassmanns Arbeitsweise wie folgt: „Wenn man bedenkt, daß Faßmann während der Dauer des „Chinesers“ noch eine Reihe anderer Schriften von nicht geringem Umfang veröffentlicht mußte, wenn er leben oder in der Lebenshaltung nicht allzu sehr sinken wollte, so kann man sich nicht wundern, daß er die Arbeiten, zu denen er weniger Neigung hatte, sich bis aufs äußerste erleichterte. Die Herbeischaffung des Stoffes, seine Auswahl und Zusammenstellung und die Niederschrift, zu welch letzterer sich allerdings Hilfskräfte gebrauchen ließen, kostete immer noch Zeit und Mühe genug.“ Lindenberg, Leben und Schriften, S. 41. 26 Zum Aspekt der Schnelligkeit vermerkt Lindenberg: „Trotz anderweitiger Belastung aber konnte unser Schriftsteller überraschend schnell mit seinem Werke auf dem Plan sein, wenn ihm ein auf die Politik einwirkendes Zeitereignis einen Stoff gewährte, der gerade die allgemeine Aufmerksamkeit fesselte und für eine Bearbeitung guten Absatz versprach.“ Lindenberg, Leben und Schriften, S. 41. 27 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. III, Vorrede, Leipzig 1721, S. 2 (unpag.). 28 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. III, Vorrede, Leipzig 1721, S. 3 (unpag.). 29 „[A]llein kluge Leute lassen sich durch die Narrheit anderer nicht inficiren, sondern wissen selbst ein Urtheil über diejenigen Dinge zu fällen, welche sie lesen, ohne daß sie es erst von andern lernen dörffen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. III, Vorrede, Leipzig 1721, S. 3 (unpag.). 30 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. III, Vorrede, Leipzig 1721, S. 4 (unpag.).

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Geschickt verknüpft Fassmann hier seine Interessen mit dem Appell an die Neutralität und Klugheit seiner Leser, mit denen er sich durch das „wir“ identifiziert. Als besonderen Anreiz zum Kauf führt er kurz darauf den Wert seiner Totengespräche ins Feld, der seit deren erstem Erscheinen statt abzunehmen eher noch zugenommen habe: Wer die bereits heraus gegebenen 32 Entrevuën sich angeschaffet, hat nunmehro zwey Bücher, die, ungebunden, nachdem der Ort nahe oder weit von Leipzig entlegen, vier biß sechs Rthlr. gelten, und das Werck wird nicht wohlfeiler, sondern, von einem Monat zum andern, oder nach dem Maas, als die Entrevuën heraus kommen, immer theurer.31

Für den Gegenwert von 4 bis 6 Reichsthalern, das entsprach ungefähr dem durchschnittlichen Lohn von 14 bis 20 Arbeitstagen eines Handwerkers,32 erhielt der geneigte Leser der Entrevuen also ein Werk, das im Gegensatz zu den eher kurzlebigen Medien wie den Zeitungen auch nach der Lektüre noch des Aufhebens wert war, wie an dieser Stelle besonders betont wird. Inhaltlich breiter und abwechslungsreicher angelegt als zeitgenössische politisch-historische Bücher, war Fassmanns Journal im Anschaffungspreis sogar vergleichsweise günstiger als diese. Wie die Vorrede bereits andeutet, konnten die mit einem Titelkupfer ausgestatteten Totengespräche vom Leser nicht nur einzeln, sondern auch gesammelt erworben werden bzw. nach dem Erwerb auf eigene Kosten zu einem Band zusammengebunden werden.33 Nach wiederholten Neuauflagen der einzelnen

31 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. III, Vorrede, Leipzig 1721, S. 4 (unpag.). 32 Vgl. zu den Durchschnittslöhnen in den verschiedenen Regionen Wolfgang Trapp: Kleines Handbuch der Münzkunde und des Geldwesens in Deutschland, Köln 2005, S. 223 ff. 33 Fassmann geht auf das Binden der einzelnen Totengespräche im Zusammenhang mit dem Supplementband und dessen General-Register ein, das er als besonders hilfreich herausstellt: „Ein dergleichen General=Register ist gut, so wohl vor diejenigen, welche die Gespräche gesammlet und sie richtig von einem Band zum andern haben binden lassen, als auch vor andere so selbige zwar gekauffet, und sie nicht aufgehoben, sondern wieder von Händen haben kommen lassen. Denn wann sie das General=Register durchgehen, so besinnen sie sich aller Dinge, so sie in denen Entrevuën selber gelesen, und es bleibet folglich desto besser im Gedächtnuß kleben.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 13. Zu den Veränderungen des Buchmarkts im Hinblick auf die Vorlieben der Leserschaft und einer sich neu formierenden Handelspraxis bemerkt Winfried Müller: „Die im Übergang zum Nettohandel erkennbar werdende Marktorientierung des Buchhandels fand ihre Fortsetzung in einer publikumsfreundlichen Buchgestaltung. Nicht mehr die rohe Lage, sondern das gebundene Exemplar lag in denen Buchhandlungen aus – aufgrund reproduktionstechnischer Verbesserungen vielfach mit Vignetten und Kupferstichen einladend und attraktiv gestaltet.“ Müller, Die Aufklärung, S. 31.

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Gespräche erschienen jeweils ca. 16 Gespräche einmal jährlich auch gesammelt in einem Band, der die ca. 80 Quartseiten umfassenden Dialoge zusammen mit einer Vorrede, einer Widmung und einem alphabetisch geordneten Gesamtregister auf ca. 1200 Seiten präsentierte. Die Bände waren darüber hinaus auch als Subskriptionsexemplare zu einem ermäßigten Preis erhältlich. Die Tatsache, daß Fassmann seine Entrevuen überhaupt in gesammelter Form noch einmal neu herausbringen (und gewinnbringend verkaufen) konnte, sprach für den großen Erfolg seines Journals und die Wertschätzung, die ihm seitens seiner Leser entgegengebracht wurde.34 Die Gespräche in dem Reiche derer Todten zeigten so bereits durch ihre Publikationsform, daß es sich bei ihnen um ein Periodikum handelte, dessen Gebrauchswert sich nicht nur an tagespolitischen, aktuellen Nachrichten, sondern an Themen und Wissensgebieten orientierte, die den Leser auf längere Zeit begleiten und unterhalten sollten. Wolfgang Griep verdeutlicht dieses Phänomen am Beispiel eines anderen Periodikums Fassmanns, des Reisenden Chinesers, der wie die Totengespräche lange in der Gunst der Leser stand und auch auf eine ähnliche Weise publiziert wurde: 13 Jahre konnte die Zeitschrift – mit einigen Stockungen – etwa im Halbmonatsabstand erscheinen, und noch 1737 wurde eine zweite Auflage des Reisenden Chinesers nötig. Nicht immer hat das Lesepublikum die Intentionen des Schreibers so honoriert wie hier, aber daß es den Zeitschriftenredakteuren grundsätzlich weniger um Tagesaktualität als um längerfristigen Gebrauch zu tun war, zeigen [...] auch solche Praktiken wie die nachträgliche Zusammenfassung der Stücke zu Bänden mit neuen Vorreden und Registern.35

Zweimal jährlich, jeweils zur Oster- und zur Michaelismesse, erschienen laut gedruckten Messkatalogen die einzelnen Nummern der Gespräche in Leipzig

34 In der Vorrede zum XI. Band werden neben auch an anderer Stelle erwähnten Kritikern und Neidern auch die Rezipienten des Leipziger Journals in den Blick genommen: „Und was solte wohl den Verleger bewegen, mit der fernern Continuation dieses so beliebten Werckes innen zu halten, sogar aufzuhören, da der Nach Standes=Gebühr angesehene und geehrte Leser dasselbe noch biß dato mit eben so gütigen Augen ansiehet, als anfänglich geschehen, und obgleich einige müde werden oder absterben, sich doch immer andere Liebhaber an deren Stelle wieder finden, ja da die Quelle, daraus unsere Gespräche ihren Zufluß haben, unerschöpfflich; auch unser Vorrath von denen besten Alten und Neuen Autoribus, und herrlichsten, sowohl in Lateinischer, als andern Sprachen abgefassten Manuscriptis dergestalten beschaffen ist, daß man die Curiosité derer Herren Liebhabere ins künfftige vielleicht noch besser als bißhero, wird vergnügen können.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XI, Vorrede, Leipzig 1732, S. 7. 35 Wolfgang Griep: Geographische Zeitschriften und Reisejournale, in: Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700–1800, hg. v. Ernst Fischer u. a., München 1999, S. 62–70, hier S. 64.

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und Frankfurt.36 Meist wurden mehrere Dialoge auf einmal angeboten, beginnend mit dem neuesten seit der letztvergangenen Messe.37 Zusammen mit seinem Verleger Deer konnte Fassmann nicht nur die einzelnen Entrevuen fortlaufend veröffentlichen, sondern auch 15 Bände der Gespräche in dem Reiche derer Todten in gesammelter Form herausbringen. Zu diesen trat als letzter im Jahr 1740 noch ein Ergänzungsband. In ihm fand der interessierte Leser eine ausführliche Universalgeschichte der wichtigsten inner- und außereuropäischen Länder sowie ein alphabetisch geordnetes Generalregister mit Verweisen auf die entsprechenden Themen im Supplement-Teil bzw. in den jeweiligen Entrevuen. Im dritten und letzten Teil des XVI. Bandes gab Fassmann seinen Rezipienten außerdem in Form von Summarien kurze Zusammenfassungen aller 240 Totengespräche und einen Überblick über die in den Totengesprächen zitierten Autoren und die dort verwendeten Quellen (vgl. 4.2.4 Der XVI. Band).

4.1.1 Die historisch-politische Unterweisung Wie das 3. Kapitel gezeigt hat, waren für Fassmann sowohl antike als auch zeitgenössische französische sowie deutsche Quellen ein Vorbild für seine periodisch erscheinenden Totengespräche. Die eigentliche Neuerung bestand vor allem in dem Umstand, daß er die tradierte Textsorte in Form eines regelmäßig erscheinenden Journals einsetzte und sie zusammen mit neuen Elementen wie der Vermittlung geschichtlichen Wissens und dem Räsonnement über Politik und neueste Nachrichten kombinierte.38

36 Zum ersten Mal auf der Messe erschienen die Entrevuen Nr. 1 und 2 zu Michaelis im Jahr 1718. Vgl. dazu: Catalogus Universalis, [...] Verzeichnis derer Bücher, So in der Frankfurther und Leipziger Michaelis=Messe des jetzigen 1718ten Jahres entweder gantz neu, oder sonsten verbessert, wieder auffgeleget und gedrucket worden sind, auch ins künfftige noch heraus kommen sollen. In der Großischen Buch=Handlung unter Herrn Doct. Sulzbergers Hause in der Grimmischen Gasse zu finden. [...] Leipzig In Verlegung Johann Großen seel. Erben. Zur Michaelis-Messe im darauffolgenden Jahr wurden die Totengespräche Nr. 7 bis 10 zum Kauf angeboten. 37 Offenbar ausgelöst durch den hervorragenden finanziellen Erfolg der Gespräche, kam es schon bald zu unautorisierten Nachdrucken. Fassmann läßt sich über dieses an sich nicht ungewöhnliche Phänomen an mehreren Stellen kritisch aus, besonders auffällig aber tut er dies auf dem Titelblatt zum 13. Totengespräch: „Avertissement: Die Exemplaria dieser Gespräche, worauf Nürnberg, Franckfurth, Leipzig und Hamburg stehet, sind ein untauglicher und übereilter Nachdruck derjenigen Arbeit, welche zu Leipzig in Commission bey denen Cörnerischen Erben aufn Neuen Neu=Marckte zu haben.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 13, Bd. 1, Titelblatt, Leipzig 1720. 38 Vgl. dazu auch Damberg, Die politische Aussage in den Totengesprächen, S. 141 f.

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Die Absicht, mit Hilfe von Totengesprächen sowohl historisch zu unterrichten als auch neueste Nachrichten zu verbreiten, bildete zusammen mit den unterhaltenden und räsonnierenden Elementen die Basis nicht nur für die Konzeption seiner Zeitschrift, sondern auch für deren großen Erfolg im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Periodika. Wolfgang Griep beschreibt die unterschiedlichen und stellenweise schwer faßbaren Ursachen für die Beliebtheit mancher Journale: Über Erfolg und Mißerfolg all dieser Periodika entschied ein kaum zu durchschauendes Konglomerat verschiedenster Faktoren, auf der Produktions- und Distributionsebene ebenso wie in Bezug auf die konzeptionelle Arbeit der Redakteure, ihr Geschick oder ihr Renommee. Das Publikum, soweit es sich nicht um Fachgelehrte handelte, honorierte offensichtlich den Neuigkeitswert der Beiträge, die interessante Mischung und die belehrende Unterhaltung eher als die Häufung topographisch-statistischer Details.39

Offensichtlich gelang es Fassmann bereits mit seinem ersten selbständig konzipierten Periodikum, den Geschmack seiner Zeit zu treffen. Im Unterschied zu anderen historisch-politisch orientierten Journalen bot es über den Informationsgehalt auf sachlicher Ebene hinaus eine breite Palette an Nachrichten und Elementen eher populärer Natur. Prutz geht in seiner „Geschichte des deutschen Journalismus“ näher auf die Rezeption der Gespräche in dem Reiche derer Todten ein und faßt darüber hinaus die erfolgreiche Mischung von historischem Wissen, Anekdoten und volkstümlich-unterhaltsamen Geschichten in Fassmanns Journal zusammen: Dies nämlich [...] ist der eigenthümliche Charakter dieser Schriften, daß sie Alles, was die Zeit damals an pikanten und lockenden Effecten einzeln hervorgebracht hatte, auf eine geschickte Weise in sich vereinigten; sie waren eine Musterkarte gleichsam von Allem, was damals für interessant, für modern und von gutem Geschmacke galt. Sie strotzten vor Belesenheit und historischem Wissen: aber zugleich wußte die Gelehrsamkeit sich so artig hinter allerlei novellenartige Verkleidungen, in Gesprächsform und dramatische Situationen zu verstecken, daß der Leser sich unterhielt, indem er zu lernen glaubte, und umgekehrt.40

Bereits mit der ersten Entrevue wurde dieses Konzept der Mischung unterschiedlicher Themen und Textsorten eingeführt und in den nachfolgenden 239 Totengesprächen fast unverändert beibehalten. Lediglich in der Dialogführung zwischen den jeweiligen Gesprächspartnern sind einige Veränderungen zu erkennen, deren mögliche Ursachen im 5. Kapitel erläutert werden sollen. In der

39 Griep, Geographische Zeitschriften und Reisejournale, S. 69. 40 Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus, S. 399.

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Vorrede zum X. Band seiner Gespräche in dem Reiche derer Todten nimmt Fassmann eine Beurteilung seines ersten Periodikums vor, indem er es in Beziehung zu anderen Werken setzt. Seine Einschätzung soll als längere Passage zitiert werden, weil in ihr mehrere zentrale Aspekte der Konzeption angeführt werden: Denn es ist und wird ein Historisches Werck, das, ohne Ruhm zu melden, noch wenig seines gleichen gehabt, oder bey unseren Zeiten so leichtlich haben wird, wannenhero auch, in Ansehung der neuern Historie, solche Dinge darinnen stehen müssen, welche man in öffentlichen Zeitungen, und in denen besten Journalen lieset. Ich führe sie ja hiernechst nach meiner Schreib=Art, und nach meinem Stylo aus, suche mithin denen Historischen Erzehlungen, durch solide Reflexiones, durch Moralisiren und Raisonniren, eine gantz besondere Lebhafftigkeit zu geben, dergestalt, daß es sich so leichtlich niemand verdrießen lassen mag, nur die ärgsten Grillenfänger ausgenommen, in meinen Gesprächen noch einmal zu lesen, was er anderswo schon gelesen hat. Wiewohl ich kan auch versichern, daß ich schon manches, was solche Personen betrifft, die vor funffzig, hundert, zweyhundert und mehr Jahren gestorben, aus Manuscriptis heraus gezogen, die als ein Schatz in Bibliothequen verborgen liegen; in Betrachtung derer aufgeführten neuern Todten aber viele Dinge mit einfliessen lassen, die sonst sehr wenig Leuten in der Welt bekandt gewesen, mir aber aus vornehmen Häusern, und von respectablen Händen, communiciret worden sind.41

Fassmann betont also zunächst den singulären Stellenwert seines Journals im Vergleich mit anderen zeitgenössischen Medien wie Zeitungen und Journalen. Dies ließe sich als obligates und verkaufsförderndes Selbstlob abtun, wenn es sich bei den Gesprächen in dem Reiche derer Todten nicht um eine Publikation handelte, die ihre Leser tatsächlich auf genuin neue Weise ansprach. Dem Vorwurf, er schreibe bereits Bekanntes aus Zeitungen und Journalen ab, begegnet Fassmann an dieser Stelle mit zwei unterschiedlichen Argumenten: Zum einen rechtfertigt er die Übernahme aktueller Informationen aus anderen (wohlgemerkt qualitativ hochwertigen) Medien mit dem Umstand, daß er diese nicht einfach abschreibe, sondern in seiner eigenen Schreibart bzw. in seinem ihm eigenen Stil präsentiere; der Vorwurf des bloßen Abschreibens wäre dieser Lesart nach also hinfällig. Zum anderen seien die angeführten Informationen nicht unreflektiert wiedergegeben, sondern sowohl durch eine moralische Lehre als auch durch Raisonnements aufgewertet. Sie bieten dieser Argumentation nach also im direkten Vergleich mit ihren Quellen mehr: Das ‚vernünftige‘ Raisonnieren über neuste Nachrichten erhebt demnach sein Journal über andere Nachrichtenorgane, die dieses Mehr nicht bieten können. Gerade dieser letzte Aspekt, der über die Vermittlung der reinen Nachricht hinausgeht, scheint in den Augen des Autors ein wichtiger Grund für die anzie-

41 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Vorrede, Leipzig 1730, S. 11.

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hende Wirkung und den Erfolg seines Journals zu sein. Der Effekt der „Lebhafftigkeit“, der seiner Argumentation nach durch das Räsonnieren und Moralisieren hervorgerufen werde, sorge dafür, daß bereits an anderem Ort gelesene Nachrichten ihren Reiz auch beim zweiten Lesen nicht verlören. Ein weiterer Effekt, der durch jene unterhaltsame Lebhaftigkeit hervorgerufen werden konnte, bestand darin, daß der Leser sich einem solchermaßen gestalteten Medium mehr und für eine längere Zeit verbunden fühlte, als dies unter Umständen bei anderen thematisch verwandten Journalen der Fall gewesen wäre. Interesse, Bildung und Unterhaltung auf seiten der Leserschaft waren die Voraussetzungen dafür, daß Autor und Verleger ihre Reihe nutz- und gewinnbringend fortführen konnten. Fassmann unterscheidet in der oben zitierten Vorrede zum X. Band zwischen denjenigen Toten, die erst seit kurzem verstorben sind, und denen, deren Tod schon längere Zeit zurückliegt („fünffzig, hundert, zweyhundert oder mehr Jahre“). Er rechtfertigt sein Vorgehen, Informationen aus anderen, bereits erschienenen Publikationen entnommen zu haben, damit, daß er den Inhalt schwer zugänglicher Manuskripte für seine Leser nutzbar gemacht und so lang verschollene „Schätze“ aus den Bibliotheken wieder ans Tageslicht gebracht habe.42 Seine Darstellung vermittelt hier das Bild des unermüdlich forschenden Gelehrten, der zum Wohl und Wissen der Allgemeinheit fast schon verlorengegangene Fakten und Ereignisse aus der ferneren Vergangenheit wieder nutzbar (und somit „lebendig“) macht und vor dem Vergessen bewahrt. Dieser Argumentation nach werden sowohl die Leserschaft als auch der Autor selbst vor Dritten ausgezeichnet: Die Leser profitieren von der Wichtigkeit und Relevanz der ihnen dargebrachten Informationen, während der Autor seine Arbeitskraft, seine Gelehrsamkeit und seine Fähigkeit, verschüttet geglaubtes Wissen wieder an die Oberfläche zu bringen, unter Beweis zu stellen sucht.43

42 Fassmann erklärt dazu genauer in der Vorrede zum IX. Band: „Meine obige Versicherung aber, wie ich nemlich einen gantz neuen Historischen Schatz entdecket, beruhet noch auf einem andern Grund. Es haben mir nemlich hohe und vornehme Personen versprochen, gewisse herrliche Historische Manuscripta, die in ihren vortrefflichen Bibliothequen verborgen liegen, zu communiciren, damit sie, durch meine Feder und Schreib=Art, der Welt zum Nutzen, können ferner mitgetheilet und lebendig gemachet werden, an statt, daß sie bißhero, so zu reden, todt gewesen, sonder Nutzen im Grabe gelegen, und selten jemanden zu Gesichte gekommen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX, Vorrede, Leipzig 1728, S. 2 (unpag.). 43 Daß Fassmann diesen Eindruck nicht ungern hervorrief, mag anzunehmen sein, wenn man bedenkt, daß er seinen angestrebten Universitätsabschluß nie erreichte. Sein Journal kann mit seinem didaktischen Anspruch und seinen gelehrten Versatzstücken auch als eine Art Kompensation für diesen Mangel gelesen werden.

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Bei den „neuern“ Toten führt Fassmann das Argument der Exklusivität in leicht abgewandelter Form an. Die neuesten Nachrichten, die in den Gesprächen vorgestellt, und die Informationen, die dort über die jüngere Vergangenheit bzw. Gegenwart gegeben werden, sind seiner Darstellung nach als ebenso wertvoll einzustufen wie das Wissen, das über die vor längerer Zeit Verstorbenen vermittelt wird. Der Gedanke, daß der Leser durch die Lektüre der Totengespräche Informationen sammeln könne, die es in dieser Form und Ansammlung an keinem anderen Ort gebe, fungiert in Fassmanns Journal als ein immer wiederkehrender Topos.44 Oft verweist Fassmann in den Vorworten zu seinen gesammelt publizierten Totengesprächen auf seine langjährige diplomatische Erfahrung im Dienst verschiedener Monarchen und auf seinen persönlichen Umgang mit Politikern und Gesandten verschiedener Länder. Die „vornehmen Häuser“ und „respectablen Hände“, die er als Ursprung seiner Nachrichten anführt, sollen so einerseits die Exzellenz seiner Informationen unter Beweis stellen, andererseits aber wiederum den Autor aus der Masse der Journalisten und Nachrichtenschreiber herausheben. Weil nur wenige Menschen auf der Welt, wie Fassmann schreibt, die in seinen Totengesprächen angeführten Informationen kennten, könne sich der Leser als eine Art Eingeweihter im Kreis der Mächtigen und Wissenden fühlen. Dem oben angeführten Argument, er – Fassmann – habe lang verschollene historische Fakten aus Bibliotheken ans Licht geholt, gleicht die Behauptung des Autors, er beschreite mit seiner Arbeit Wege, die noch kaum ein Mensch vor ihm gegangen sei:

44 In vielen Fällen scheint die von Fassmann immer wieder propagierte Exklusivität auch wirklich bestanden zu haben. Dies war zum einen dem Umstand geschuldet, daß er sich mit seinen journalistischen Erzeugnissen, die biographische und politisch-diplomatische Nachrichten verbreiteten, stellenweise auf publizistisches Neuland begab und so seinen Lesern etwas Neues bieten konnte. Zum anderen aber scheint besonders Fassmanns eigener Lebenslauf mit den dazugehörigen Reisen in unterschiedliche Teile Europas und seine Tätigkeit für verschiedene Höfe, Kanzleien und Gesandtschaften dafür verantwortlich gewesen zu sein, daß er in seinen Publikationen Informationen liefern konnte, die über die reine Kompilation und Zitation fremder Quellen hinausging. Dieser Umstand scheint den Ausführungen Kraus’ in „Englische Verfassung und politisches Denken im Ancien Régime“ gemäß bereits bei den frühesten Veröffentlichungen Fassmanns erste Früchte getragen zu haben. Über die bis zu diesem Zeitpunkt in Deutschland relativ unbekannten Verhältnisse in England habe Fassmann detailreich, kundig und sozusagen exklusiv berichtet. Über das 1717 erschienene Werk Fassmanns, das die englischen Whigs und Torys porträtierte, heißt es dort: „[...] Fassmanns Text [enthält] allerdings auch einige erstaunlich präzise Anmerkungen zur britischen Verfassungswirklichkeit dieser Zeit. Bemerkenswert ist vor allem eine sehr detaillierte Schilderung der Kostspieligkeit eines Parlamentssitzes, die sich in dieser Art bei keinem anderen zeitgenössischen deutschen Autor findet.“ Kraus, Englische Verfassung, S. 348.

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Was die neuere Historie betrifft, davon noch wenig bekant gewesen, und worzu fast niemand die Bahn gebrochen, oder doch nur einen gar schlechten Anfang damit gemachet gehabt, dabey hat die eigene Erfahrung des Autoris, und seine, von dreyßig Jahren her, zusammen gebrachten Historischen Collectanea vornehmlich, dann auch neue Journale und Zeitungen, freylich das meiste thun müssen.45

Die solcherart formulierte Exklusivität kompensiert darüber hinaus den Umstand, daß ein primär an der Vergangenheit orientiertes Journal sein Hauptaugenmerk nicht ausschließlich auf aktuelle Entwicklungen und – obwohl auf dem Titelblatt stets angekündigt – neuesten Nachrichten legen konnte. Fassmann verortet sein Journal in dieser Aussage als ein Medium, das sowohl (fast vergessenes) historisches Wissen über die fernere Vergangenheit darbietet als auch sich des noch weitgehend unbestellten Feldes der jüngsten Vergangenheit annimmt. Der Leser soll darauf zählen können, alles Wissenswerte aus dem In- und Ausland, aus der lang vergangenen Historie sowie der unmittelbaren Gegenwart innerhalb dieses einen Periodikums zu erfahren (vgl. 4.1.2 Krieg und Frieden). Fassmann war sich in der Ausgestaltung seiner Gespräche durchaus der Tatsache bewußt, daß er besonders bei den ‚neuern‘ Toten mit Vorsicht vorge-

45 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Supplement-Band, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 4 (unpag.). Als besonders wichtig ist hierbei Fassmanns Betonung der eigenen Erfahrung anzusehen, die – anders als beispielsweise die staubtrocknenen Weisheiten der pedantischen Gelehrten – eben nicht nur das Studium von Büchern, sondern durch eigene Anschauung zustande gekommen sei. Im Umfeld der immer größer werdenden publizistischen Konkurrenz auf dem sich spezialisierenden Markt mußte neben der Verläßlichkeit und Nützlichkeit des Inhalts auch die Eignung des Autors in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden. In Julius Bernhard von Rohrs Einleitung zur Ceremoniel=Wissenschafft, die jungen Männern (d. h. vornehmlich den interessierten Cavalieren) die Grundbegriffe richtigen und geschickten Verhaltens bei zahlreichen gesellschaftlichen Ereignissen nahe bringen wollte, wird in der Vorrede gerade dieser Aspekt des ‚in der Welt Seins‘ und der eigenen Erfahrung im Unterschied zu angesammeltem Bücherwissen betont. Die von Rohr formulierten Argumente zeigen symptomatisch für die gesamte publizistische Situation, in der sich Fassmann und seine Zeitgenossen befanden, wie man die Güte des eigenen publizistischen Erzeugnisses zum weiteren Nutzen, den der Leser aus der Lektüre gerade dieses Werkes ziehen würde, hervorheben konnte: „Julius Bernhard von Rohr: Einleitung zur Ceremoniel=Wissenschafft Der Privat= Personen / Welche Die allgemeinen Regeln / die bey der Mode, den Titulaturen / dem Range / den Complimens, den Geberden, und bey Höfen überhaupt, als auch bey den geistl. Handlungen, in der Conversation, bey der Correspondenz, bey Visiten, Assemblee, Spielen, Umgang mit Dames, Gastereyen, Divertissemens, Ausmeublirung der Zimmer, Kleidung, Equipage u.s.w. Insonderheit dem Wohlstand nach von einem jungen teutschen Cavalier in Obacht zu nehmen / vorträgt, Einige Fehler entdecket und verbessert, und sie hin und wieder mit einigen moralischen und historischen Anmerckungen begleitet, abgefast von Julio Bernhard von Rohr, Berlin 1728.

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hen mußte. Im Gegensatz zu den Schwierigkeiten, die ihn mit den Anforderungen der Zensurbehörden, der Diplomatie oder familiär-dynastischen Kreisen bei erst kürzlich verstorbenen Zeitgenossen erwarten konnten, versprachen die ‚alten‘ Toten eine größere Freiheit von den oben genannten Zwängen. Der Aspekt aktueller Nachrichtenvermittlung trat bei diesen letztgenannten ‚Schatten‘ in den Hintergrund, während der der historischen Belehrung an Bedeutung gewann. Fassmann verglich diese beiden Pole in der Vorrede zum VII. Band der Gespräche in dem Reiche derer Todten und ordnete auch sein eigenes Schreiben in diesen Kontext ein: Man bedenke hiernechst ja wohl, daß ich von einer Person des Alterthums weit freyer, als von einer, welche zu unsern Zeiten gestorben, oder noch stierbet, schreiben kan. Führe ich jemanden aus dem Alterthum auf, kan ich seine Laster sowohl als seine Tugenden, gantz ungeheuchelt abmahlen. Kommet aber eine Person von unsern Zeiten zum Vorschein, muß man gemeiniglich mit der Wahrheit zurücke halten. [...] Wer anders thut, der muß es sich gefallen lassen, wann er wacker auf die Finger geklopfet wird. [...] Die allzugroße Vorsichtigkeit wird nur in Ansehung solcher Personen erfordert, mit deren Häusern derjenige Herr, in dessen Gebiete ich schreibe, oder meine Sachen gedrucket werden, in einem guten Vernehmen, in Allianz und Freundschafft stehet.46

Rücksichtnahme sei also, so Fassmann, nur in den Fällen geboten, in denen er jüngst Verstorbene in sein Periodikum aufnehme, die mit einem Gastgeber, an dessen Hof er sich befinde, oder mit dem jeweiligen Landesherrn „in Allianz und Freundschafft“ stünden. Wie bereits erwähnt, sorgte besonders die 83. Entrevue für diplomatische Verstimmung, weil dort zu freimütig über die Herkunft der Zarin Katharina I. berichtet wurde. Obwohl die Zensurbehörde dieses Gespräch aus dem Handel entfernte und Fassmann zur Sicherheit für einige Zeit in Berlin weilte, blieb dieser Zusammenstoß mit russischen Diplomaten und der Zensur der einzige nennenswerte (oder zumindest bekannt gewordene) Zwischenfall dieser Art. Dies scheint, gemessen an der langen Erscheinungsdauer und der Anzahl der aufgeführten Toten, eine jedoch vergleichsweise reibungslos verlaufene Publikationsgeschichte gewesen zu sein. Dennoch verfolgte Fassmann trotz allen Interesses am aktuellen Zeitgeschehen die Absicht, seiner Leserschaft auch anhand geeigneter Biographien die fernere Vergangenheit näher zu bringen und so auf den ersten Blick auch weniger unmittelbar nützliches Wissen zu vermitteln. Dem Vorwurf, es sei nicht zeitgemäß, ‚alte‘ Tote in seinen Gesprächen auftreten zu lassen, begegnet der Autor wie folgt: Dieses Vorurtheil aber ist, daß mancher sich einbildet / es seye etwas abgeschmacktes, und bereits abgedroschenes, wenn bißweilen eine Person aus dem Alterthum, die vor etlichen

46 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VII, Vorrede, Leipzig 1726, S. 6.

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Seculis, oder wohl gar vor 2. bis 3000. Jahren gelebet, aufgeführet wird. Es ist solches wahrhafftig eine gantz falsche Meynung. Ist gleich manchmal eine Person aus dem grauen Alterthum hervor gesuchet; so ist doch ihre Historie vors erste gar vielen Augen und Ohren etwas neues. Hernach werden auch gantz neue Discurse darüber formiret, und es fließen folglich neue herrliche, auf unsere Zeiten sich schickende Lehren daraus.47

Seine Rechtfertigung ist also eine dreigeteilte: Erstens sei das in seinem Journal ausgebreitete Wissen für viele seiner historisch wenig vorgebildeten Leser ganz und gar unbekannt.48 Zweitens seien die Dialoge und Themen, die zwischen den Figuren geführt bzw. erörtert würden, neu und somit lesenswert, und drittens könne man aus den lange zurückliegenden Ereignissen Lehren ziehen, die auch in der Gegenwart nichts von ihrer Aktualität und Validität verloren hätten. Interessanterweise greift Fassmann nicht auf eine gattungsimmanente Rechtfertigung zurück, die besagen könnte, daß ja bereits Vorgänger wie Fontenelle oder Fénelon zahlreiche Personen der ferneren Vergangenheit in ihren Totengesprächen hatten auftreten lassen. Fassmann bezieht die Kritik hier eher auf das noch vergleichsweise junge Medium des historisch-politischen Journals anstatt auf die ältere literarische Tradition des Totengesprächs und unterstreicht so den lehrreichen Charakter seines Periodikums und dessen besondere Stellung innerhalb der sich neu formierenden Medienlandschaft. Daß dieser oben angeführte Anspruch Fassmanns an sein Journal nicht nur als ein Wunsch, sondern durchaus als ernstzunehmendes Programm zu verstehen war, läßt sich erstens anhand der inhaltlichen Ausrichtung der Totengespräche und zweitens anhand der zahlreichen selbstreferentiellen Passagen in den Paratexten nachweisen. Die Gespräche in dem Reiche derer Todten bewegten sich thematisch zwischen den beiden Polen Historie und Politique, die jedoch im Verständnis der Zeit nicht als etwas grundsätzlich Verschiedenes, sondern als eng zusammengehörig verstanden wurden. Über Geschichte und Politik hinaus konnten auch andere Disziplinen wie die Geographie oder die Genealogie, unterschiedliche Aspekte der Morallehre, aktuelle Diskussionen

47 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VII, Vorrede, Leipzig 1726, S. 5 f. 48 In der Frühzeit der historisch-politischen Journale konnten die Autoren bzw. Herausgeber tatsächlich nicht von vor-informierten Lesern ausgehen und waren deshalb in der inhaltlichen Gestaltung der Journale noch vergleichsweise frei. Im Laufe des 18. Jahrhunderts änderte sich dies jedoch: Die Leserschaft wurde um einiges anspruchsvoller und gebildeter, einige Zeitschriften gerieten immer mehr zu Spezialmedien für wenige, sehr gut informierte Leser, die nicht mehr über die Grundlagen eines Wissensgebietes aufgeklärt werden mußten. Vgl. dazu Horst W. Blanke, Historische Zeitschriften, S. 75 und 81 f. Blanke stellt heraus, wie im Zuge der medialen Weiterentwicklung und thematischen Ausdifferenzierung der historisch-politischen Journale besonders das aktuelle Zeitgeschehen an Bedeutung gewann, die fernere Vergangenheit dementsprechend zunehmend in den Hintergrund trat.

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oder Themen allgemein menschlicher oder philosophischer Natur in den Vordergrund treten.49 Als interessant und erinnernswert definierte Fassmann in seinem Journal offensichtlich diejenigen Abschnitte der näheren oder ferneren Vergangenheit, die aufgrund ihres Nachrichtenwertes, ihrer allgemeinen Bedeutung oder ihres Wertes für die Bildung seiner Leser eine Rolle spielen konnten. Er unterschied, wie dies schon an seiner Verteidigung der ‚ältern Todten‘ deutlich wurde, zwischen einer frühen, mittleren und jüngsten Vergangenheit und bediente sich aus deren reichhaltigem Vorrat, um passende Ereignisse, Lebensläufe und Anekdoten für seine Totengespräche zu finden.50 Die Begriffe Historie bzw. historisch und Politique bzw. politisch sollen im Folgenden anhand einiger Quellen in ihrem Bedeutungsfeld näher erschlossen werden. Beide Begriffe müssen als zentrale Bezugspunkte für die Gespräche verstanden werden. Fassmann verwendet sie gemäß der gängigen Vorstellung, die (Staats-)Geschichte und politische Klugheit nicht weit voneinander entfernt ansiedelte und thematisch eng miteinander verband. Zedlers Universal-Lexicon kann an dieser Stelle als eine wichtige referentielle Instanz (unter anderen möglichen) herangezogen werden; es liefert eine zeitgenössische Definition der oben genannten Begriffe, einen Überblick über deren Verwendung, im Falle des Wortes ‚politisch‘ auch neue Bedeutungsebenen und zeigt darüber hinaus mögliche Grenzen der Begrifflichkeit im Kontext der Zeit auf.51

49 Daß Fassmann in seinem zuerst an der Historie und Politik interessierten Journal auch andere Themen und Disziplinen ins Spiel brachte, war nichts Ungewöhnliches. Ganz im Verständnis der Zeit argumentiert auch Zedlers Universal-Lexicon: „Es ist nicht genug, daß man die Geschichte eintzig und allein vor sich erkenne, sondern es ist auch nöthig zu wissen, wo und wenn eine Sache geschehen ist. Dahero muß sich ein Liebhaber der Geschichte zugleich um die Geographie, Chronologie und Genealogie bekümmern.“ Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 281–286, hier Sp. 282. 50 Der Autor der Totengespräche faßte dabei den Geschichtsbegriff durch die Auswahl seiner Figuren weiter als dies z. B. Zedlers Universal-Lexicon tut, wenn es auf die drei Abschnitte der deutschen Geschichte (Die alte Historie von ca. 100 v. Chr–484 n. Chr., die mittlere Historie von 484 n. Chr.–1493 und die neuere Historie von 1493 bis 1744) eingeht. Dadurch, daß Fassmann in seinem Journal so viele Figuren erscheinen ließ, deren Leben sich außerhalb der nationalen Historie abgespielt hat, verschob sich zwangsläufig auch die Grenzen dessen, was hier unter älter subsumiert wird. Zum Begriff der „Teutschen Reichs=Historie“ siehe Zedler, Universal-Lexicon, „Teutsche Reichs=Historie“, Bd. 43, Sp. 117–128. 51 Es ist durchaus denkbar, daß Fassmann selbst für Zedlers Universal-Lexicon Artikel verfaßt hat; leider gibt es hierzu noch keinen Nachweis, der etwa durch stilistische Analysen erfolgen könnte. Nichtsdestoweniger kann der mehr oder weniger zeitgleich publizierte Artikel zur „Historie“ als ein Hinweis auf die Grenzen von Fassmanns Geschichtsbegriff verstanden werden. Zum Stand der Forschung und Problem der „Anonymität“ im Universal-Lexicon vgl. Ulrich Johannes Schneider: Zedlers Universal-Lexicon und die Gelehrtenkultur des 18. Jahrhunderts, in: Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld, hg. v. Hanspeter Marti, Basel 2004, S. 195–

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Der Artikel im Universal-Lexicon definiert Historie als eine Disziplin, die mit ihrer die Erkenntnis befördernden Kraft sowohl dem Menschen an sich als auch allen Wissenschaften nütze. Da kein Mensch allein alles wissen könne, sei die Kenntnis der Vergangenheit eine unbedingte Notwendigkeit: Alle unsere Wissenschafften gründen sich auf die Erfahrung. Es ist aber sowohl in Betrachtung des gegenwärtigen als des vergangenen schlechterdings unmöglich, daß ein Mensch alle Sachen zu seiner eignen Erfahrung bringen könne. Nichts destoweniger ist doch die Vorstellung sehr vieler Sachen zu Ergänzung derer Wissenschafften unentbehrlich, und man kann den Grund derer Veränderungen, die wir noch ietzo täglich vor uns sehen, nicht entdecken, wenn wir nicht in die vergangenen Zeiten zurück gehen, und daraus die wahren Ursachen begreiffen. 52

Die Kenntnis der Historie ermöglicht es also, zu den ‚wahren Ursachen‘ und dem Kern aller Veränderung vorzudringen. Ziel des Studiums der Geschichte ist es hiernach, von den Erfahrungen Dritter zu lernen und dieses erworbene Wissen in der eigenen Gegenwart zum Wohl der Allgemeinheit und zur Beförderung der eigenen Erkenntnis umzusetzen. Was genau wird dieser Auffassung nach unter dem Begriff ‚Historie‘ subsummiert? Der Artikel zieht die Grenzen dessen, was darunter zu verstehen sei, wie folgt: Wenn nun andere etwas zeugen, oder wenn wir selber etwas aufzeichnen, das in der That geschehen ist, so wird solches die Historie genennet. Die Historie ist also nichts anderes als Erfahrungen, welche wir von andern bekommen, und wegen ihres Zeugnisses davor halten, daß sie würklich geschehen sind. Alles was geschiehet, gehöret in die Historie.53

Diese Definition versteht Geschichte zuerst als ein Zeugnis von tatsächlich geschehenen Ereignissen, die von einem selbst oder von Dritten aufgezeichnet 213. Schneider erwähnt, daß es offenbar von verlegerischer Seite den Plan gab, ein Verzeichnis zu veröffentlichen, in dem sowohl die Subskribenten (im Universal-Lexicon „Pränumeranten“ genannt) als auch die Namen der Autoren aufgeführt werden sollten. Zur Publikation dieser Listen im letzten Band kam es aber offenbar nicht, wohl aus Angst vor sonst leichter einzureichenden Klagen, ein nicht zu unterschätzendes finanzielles Risiko für die verlegerische Seite. Schneider, Zedlers Universal-Lexicon, S. 197 f. Zu dem Bild von Historie und Politik, welches das Universal-Lexicon vermittelt, vgl. auch Dietrich Führmann: Die Auffassung von Recht, Staat, Politik und Gesellschaft in Zedlers Lexikon, Diss. Erlangen u. Nürnberg 1978. 52 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 281. Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch betont ebenfalls den Aspekt der Veränderung in der (vergleichsweise eher vage gehaltenen) Definition von Geschichte: „1.) Was geschehen ist, eine geschehene Sache, so wohl in weiterer Bedeutung, eine jede, so wohl thätige als leidentliche Veränderung, welche einem Dinge widerfähret, als auch in engerer, und gewöhnlicherer, von verschiedenen mit einander verbundenen Veränderungen, welche zusammen genommen ein gewisses Ganze [sic] ausmachen.“ Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, II. Theil, Leipzig 1796, Sp. 605. 53 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 281.

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wurden, wobei Geschehenes hier auch gleichbedeutend sein kann mit den Erfahrungen anderer. Zwingend zu dieser Definition gehört, daß jene Erfahrungen bzw. Ereignisse in irgendeiner Form für die Nachwelt festgehalten werden. Dieser Definition nach gilt ein Ereignis, gerade weil es aufgezeichnet wurde, als ‚wirklich geschehen‘ und damit auch als wahr. Es besteht also ein Zusammenhang zwischen dem Geschehenen, dessen Aufzeichnung und der eben dadurch angenommenen Faktizität des Geschehenen. Die Geschichtsschreibung wirkt, wenn man so möchte, allein durch ihre Existenz auf die Geschichte zurück. Die Tradierung erzeugt so ihren Gegenstand gleichsam selbst. Der Geschichtsbegriff wird hier so weit wie möglich ausgedehnt auf „alles, was geschiehet“, wie es das oben angeführte Zitat formuliert. Dies bedeutet, daß theoretisch alle Ereignisse letztlich durch unser oder das „Zeugnis“ Dritter Gegenstand der Geschichte werden bzw. geworden sind. Der Artikel in Zedlers Universal-Lexicon schränkt diese solchermaßen generierte Valenz der nun theoretisch unendlich großen Menge historischer Ereignisse wieder ein, indem er betont, daß nur von denjenigen Ereignissen berichtet werden solle, die sich „wegen ihres zukünfftigen Nutzens“ 54 vor anderen auszeichneten. Zu dieser erinnerns- und überliefernswerten Kategorie werden diejenigen Dinge gezählt, die erstens einen Einfluß auf die Zukunft oder zweitens allein aufgrund ihrer Singularität Nachrichtenwert besäßen.55 Im Folgenden werden in dem Artikel kurz die Unterarten der Historie aufgezählt und erläutert.56 Fazit dieser Aufzäh-

54 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 281. 55 Der Artikel geht nicht auf die Problematik ein, nach welchen Gesichtspunkten und zu welchem Zeitpunkt entschieden werden konnte, welche Ereignisse einen Einfluß auf zukünftige Entwicklungen haben würden und deshalb für die Nachwelt festgehalten werden sollten. 56 Unter Kirchenhistorie subsumiert der Verfasser des Artikels alle Veränderungen, die sowohl in den kirchlichen Lehren als auch in den „äusserlichen Anordnungen der Kirchen Gottes“ stattfänden. Die Politische Historie dagegen vermittele einen Eindruck von der „Einrichtung eines Staates“, d. h. seiner „innerlichen Anordnung“ und seinen Beziehungen zu „auswärtigen Reichen“ (er unterscheidet also letztlich zwischen Innen- und Außenpolitik). Die Gelehrte Historie begreife in sich alles das, was es von der Geschichte als Wissenschaft zu wissen gebe. Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten unter den Gelehrten zeugten von der Schwierigkeit bei der Erforschung der ‚Wahrheit‘, der sich die Betreiber dieser Wissenschaft verschrieben hätten. Die Geschichte der Künstler und die Historie der Natur finden ebenso Erwähnung wie die als letzter Punkt aufgeführte historia miscellanea, unter die all jenes gezählt würde, was nicht den oben genannten Klassen zuzurechnen sei. Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13 (Hi–Hz), Halle und Leipzig 1735, Sp. 281 f. Auch Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch unterteilt die Historie in verschiedene Bereiche: „Die politische Geschichte, Kirchengeschichte, gelehrte Geschichte. [...] In sehr uneigentlichem Verstande wird es in dem Worte Naturgeschichte gebraucht, das Verzeichniß und die Beschreibung der zu dem Naturreiche gehörigen Körper zu bezeichnen.“ Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, II. Theil, Leipzig 1796, Sp. 606.

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lung ist die Schlußfolgerung, daß die Bedeutung aller Bereiche der Historie, ob es sich dabei nun um Kirchengeschichte oder um Politik handele, nicht überschätzt werden könne: Wer nun erweget, daß die gegenwärtigen Dinge in dem vorhergehenden ihren Grund haben, und daß ferner eine Sache, die uns unbekannt ist, zu einem Mittel der Glückseligkeit werden kann, wenn wir dieselbe nur wissen, derselbige wird an dem Nutzen der Historie nicht zweifeln. [...] Wir müssen also die Historie lernen.57

Dieser Argumentation nach mußte also jeder, der sich mit den unterschiedlichen Bereichen der Geschichte beschäftigt, erkennen, daß in der genauen Kenntnis der Vergangenheit ein möglicher Schlüssel zu nicht weniger als der „Glückseligkeit“ liege. Das Glück der Menschen konnte, so der Eindruck, der durch den Artikel hervorgerufen wird, nicht etwa nur mehr durch religiöse Pflichtausübung, Glaubensfestigkeit oder die Erwartung einer wie auch immer imaginierten Glückseligkeit in himmlischen Sphären hergestellt werden, sondern bereits durch das Wissen um die bedeutenden Ereignisse der irdischen Vergangenheit und deren Ursachen. Die Geschichte sollte (wenn der Lernwillige nur verständig genug war) die Menschen bereits auf Erden in einen Zustand der Zufriedenheit und des allgemeinen Wohlbefindens überführen. Die Tatsache, daß sowohl Fassmanns Journal als auch Zedlers Universal-Lexicon den vernünftig denkenden Menschen dazu aufforderten, sich der Ursachen vergangener und gegenwärtiger Ereignisse bewußt zu werden, zeugt bereits vom tendenziell aufklärerischen Impetus beider Organe.58 Das didaktische und letztlich utopische Moment, das dem Gedanken der irdischen Glückseligkeit des Menschen zugrunde liegt, verdeutlicht den zeitgenössischen Bildungswillen.59 57 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 282 [Hervorhebung – SD]. 58 Der Gedanke, daß der Mensch sich besonders durch die Kenntnisse der Vergangenheit irdische Glückseligkeit erlangen könne, findet sich u. a. auch bereits bei Christian Weise. In seinem „Drey Klügsten Leuten in der gantzen Welt“ heißt es zu diesem Thema: „Das Glücke ist dreyerlei. Das Ewige / das Politische / welches in guter Versehung seines öffentlichen Ambtes bestehet / und endlich das also genante Privat=Glücke / welches in einem wohlblühenden Hauswesen genossen wird. Das Ewige wird durch einen Gottgefälligen Wandel zwar nicht erworben / doch / weil es allbereit erworben ist / erhalten und zugeeignet. Das Politische / ob es zwar ein Gottgefälliges Leben erfodert / so wil doch Gott nicht durch bloßes Beten / sondern auch durch Arbeiten / die Welt gebauet und fortgebracht haben. Also bedarf es die gute Wissenschafft / wie das Vergangene wohl erwogen / das Gegenwärtige wohl gebrauchet / und das Zukünfftige wohl erwartet werde.“ Christian Weise: Die Drey Klügsten Leute in der gantzen Welt [...], Leipzig 1675, in: ders., Sämtliche Werke, hg. v. Hans-Gert Roloff, Berlin 2005, IV. Buch, Cap. IV, S. 211. 59 Auch Fassmann verwendet den Begriff der Glückseligkeit im Zusammenhang mit der Historie bzw. den Lebensläufen ‚seiner‘ Toten: „Wer nun klug ist, der nimmet nicht wenig daraus. Er ahmet die Tugend nach, und bestrebet sich, auf solchen Wegen zu wandeln, welche zur

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Journalistische und lexikalische Medien wie die Leipziger Totengespräche oder Zedlers Universal-Lexicon plädierten für eine Ausweitung der historischen Kenntnisse. Zwangsläufig entwickelte sich dieser populär gewordenen Auffassung nach auch ein breiteres, im Laufe des Jahrhunderts immer spezialisierteres Angebot passender Medien, das dem vernünftigen Leser die als sinnvoll erachteten geschichtlichen Kenntnisse vermitteln konnte.60 Rolf Grimminger bemerkt zum Thema der irdischen Glückseligkeit: Der praktische Endzweck der Vernunft ist die ›vollkommene Glückseligkeit‹ der Menschen, das ungestörte ›Gemeinwohl‹ von Gesellschaft und Staat. Sie sind nur dann möglich, wenn Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Vernunft die lebensweltliche Praxis auch umfassend steuern. Die Glückseligkeit des Gemeinwohls entsteht also vernünftigerweise dort, wo Widersprüche und Konflikte ausgeschaltet oder nur an der Oberfläche einer tiefen, ›prästabilierten‹ Harmonie, eines grundsätzlich geregelten Zusammenhangs vorhanden sind; wo die Kontinuität der Vernunft im ständigen Wechsel der Zeit und der Umstände erhalten werden kann.61

Um die im Leibniz’schen Sinne prästabilierte Harmonie dauerhaft zu erhalten, also jene oben konstatierte Kontinuität der Vernunft herzustellen, bedurfte es eines allgemein ausgeprägten historischen Bewußtseins. Geschichtswissen hatte diesem Verständnis nach immer auch ein konservatives, bewahrendes Moment, das über die jeweilige (politische) Gegenwart hinaus eine gleichbleibende Ordnung erhalten sollte.62 Der Zedler’sche Artikel benennt daneben auch ein Problem, auf das er im Folgenden genauer eingeht: Wie kann der Mensch, der sich in jenen ersehnenswerten Zustand des Wissens versetzen möchte, sicher gehen, daß sein erworbenes Wissen und die bereits weiter oben erwähnten Zeugnisse Dritter der Wahrheit entsprachen? Sind Überlieferungen

Ehre und zur Glückseligkeit führen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 2 (unpag.). Vgl. dazu auch 4.1.3 Die ethisch-moralische Didaxe. 60 Fassmann will dies durch sein Journal selbst besorgen; der Zedler macht unter dem jeweiligen Stichwort zahlreiche bibliographische Angaben, die dem interessierten Rezipienten die passende Literatur empfahlen. 61 Rolf Grimminger: Aufklärung, Absolutismus und bürgerliche Individuen. Über den notwendigen Zusammenhang von Literatur, Gesellschaft und Staat in der Geschichte des 18. Jahrhunderts, in: Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution (1680–1789), hg. v. dems., München/Wien 1980 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart 3), S. 15–99, hier S. 17. 62 Dieses eher konservativ-bewahrende Moment stand dem zuvor konstatierten aufklärerischutopischen gegenüber, wobei das eine das andere nicht ausschloß. Der Willen, die Allgemeinheit durch ein größeres Geschichtswissen ‚selig‘ zu machen, sollte ja nicht bedeuten, daß im Zuge dessen zwangsläufig die Staatsform verändert werden mußte.

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als vertrauenswürdig anzusehen oder besteht grundsätzlich die Gefahr, ‚falsches‘ Wissen zu erwerben (und somit die gewollte Ordnung in Gefahr zu bringen)? Der Artikel im Universallexikon geht durchaus kritisch mit dem Problem der Wahrheit um, indem er etwa darauf verweist, daß der Geschichtsschreibung tatsächlich stets ein Moment der Unsicherheit innewohne. Man sei in dieser Wissenschaft oft auf die nicht ohne weiteres verifizierbaren Aussagen Dritter angewiesen: Man theilet die Historie nicht nur in die ertichtete und in die wahre Historie, sondern da man in derselben jederzeit andern glauben muß, so entstehet daher überhaupt ein Zweifel, ob einige Gewißheit in der Historie zu haben sey. [...] Ob man es nun zwar in der Historie zu einer vollkommenen Gewißheit nicht bringen kan, so hat doch dabey die Wahrscheinlichkeit, welche gleichfalls eine Art der Wahrheit ist, statt.63

Wahrscheinlichkeit muß also, so das etwas resigniert klingende Fazit des Artikels, in vielen Fällen ein Surrogat für Wahrheit sein. Obwohl bereits die Trennung in ‚erdichtete‘ und ‚wahre‘ Geschichte als ein Unterscheidungsmerkmal gelten kann, bleibt der Zweifel am generellen Wahrheitsgehalt der Geschichtsschreibung bestehen. Wissen gründet sich immer auch auf den Glauben an Dritte bzw. deren Zeugnis über vergangene Ereignisse. In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie wichtig es für Organe wie die historisch-politischen Journale war, auf die Authentizität und Verläßlichkeit ihrer Quellen zu verweisen. Dem (womöglich bereits vorgebildeten) Leser mußte klar werden, daß das ihm vorliegende Medium es rechtfertigte, gelesen zu werden, weil seine in ihm dargebotenen Überlieferungen und Zeugnisse vertrauenswürdig und damit letztlich der Mühe wert waren, rezipiert und memoriert zu werden. Im Universal-Lexicon erfolgt im Anschluß an die bereits ebenso historisch gewordene Tradition der Wahrheits-Diskussion der Hinweis, nach welchen Kriterien („Regeln“) der bildungswillige Mensch sich der Wahrheit oder zumindest der historischen Wahrscheinlichkeit nähern könne: Zuerst müsse man die Person des Geschichtsschreibers kritisch betrachten, um dann in einem zweiten Schritt die eigentliche Historie danach zu beurteilen, ob sie möglich sei oder nicht.64 Die Historiographen seien anhand ihres Verstandes und ihres Willens zu beurteilen. Oft schrieben sie geschichtliche Ereignisse auf, denen sie selbst nicht beigewohnt hätten. Der Verständige unter den Rezipienten würde aber (im Unter-

63 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 282 f. 64 „Wenn wir eine Historie beurtheilen wollen, so müssen wir zwey Dinge betrachten, einmahl die Person, deren Zeugnisse wir folgen, oder den Geschichtschreiber, und hernachmahls die Geschichte selber, inwieferne dieselbe möglich ist oder nicht.“ Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 283.

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schied zum Leichtgläubigen) diese Punkte in Betracht ziehen und alles Unwahrscheinliche, offensichtlich Erdichtete und Unmögliche verurteilen. In einem weiteren Schritt trifft der Artikel eine Unterscheidung zwischen den beiden Bereichen, die die Geschichtsschreibung berührt: Die eine Art der Historiographie erzähle von öffentlicher, die andere von heimlicher Geschichte: Es ist eine gedoppelte Art der Historie, worauf wir bey einem Geschichtsschreiber zu sehen haben. Das eine wird die öffentliche Historie genennet, bey welcher die Handlungen alle frey und offenbar vorgenommen worden sind. Die heimlichen Geschichte [sic] hingegen reden von geheimen Handlungen. Es stehet in einem Kriegs=Manifeste offtermahls eine wichtige Ursache des Krieges, da doch der wahre Grund desselben gar etwas anders und manchmal was ganz geringes ist. Sehr wenige Leute wissen hievon die wahren Umstände.65

Gerade bei der heimlichen Geschichte sei es noch um ein Vielfaches schwieriger zu entscheiden, ob der Historiograph die Wahrheit sage oder nicht, da die geschilderten Ereignisse und geheimen Ursachen vieler Dinge (wie z. B. der oben zitierten Kriege) noch weniger verifizierbar seien, als dies bereits bei der so genannten öffentlichen Historie der Fall sei.66 In den Gesprächen in dem Reiche derer Todten wird gerade der Aspekt der geheimen Informationen und der dadurch postulierten Exklusivität hervorgehoben: Fassmann möchte den Leser in seinem historisch-politischen Journal von der Qualität und Zuverlässigkeit seiner Schilderungen überzeugen, indem er an geeigneter Stelle betont, einige der Fakten und Ereignisse durch eigene Anschauung zu schildern, durch literarische Quellen erfahren oder zumindest aus berufenem Munde gehört und unverfälscht wiedergegeben zu haben.67 Der Artikel des Universal-Lexicons nennt innerhalb dieser Diskussion die beiden gegensätzlichen Meinungen derjenigen Gelehrten, die dafür plädieren, nur der so genannten öffentlichen Historie Glauben und Aufmerksamkeit zu schenken, und derer, die (mit Vorsicht) für das Erforschen auch der geheimen Ursachen historischer Ereignisse eintreten. Johann Burkhard Mencke,68 Johann 65 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 283. 66 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 283 f. 67 Besonders auffällig tut Fassmann dies im Hinblick auf seine tatsächliche (wenn auch kurze) Begegnung mit dem russischen Zar, Peter dem Großen. Auch die Begegnungen mit weniger ‚prominenten‘ Zeitgenossen oder die Anwesenheit des Autors bei bestimmten Ereignissen (wie etwa dem Friedensschluß zu Utrecht) werden immer wieder zur Unterstützung seiner Argumente herangezogen. Zur Begegnung Fassmanns mit dem Zaren vgl. die Schilderung der Begegnung im Nachwort zur 83. Entrevue. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 83, Leipzig 1725, Nachwort, S. 232 f. 68 Johann Burkhard Mencke wird hier nicht in seiner Funktion als Herausgeber der Acta eruditorum oder der Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen aufgeführt, sondern vor allem als Ins-

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Peter von Ludewig69 und Christian Thomasius70 werden mitsamt einschlägiger Veröffentlichungen zum Thema geheime Geschichte angeführt und ihre Position derjenigen Tobias Pfanners71 gegenübergestellt, der eher die Unzulänglich-

tanz zur Historiographie. In diesem Punkt weist der Artikel in Zedlers Universal-Lexicon auf dessen Dissertation De Comentariis historicis hin. Der Titel des Werkes lautete: Schediasma De Comentariis Historicis, Qvos Galli Memoires Vocant. Sub Praesidio Jo. Burchardi Menckenii, [...] Publico Eruditorum Examini D. XIX. Apr. MDCCVIII [...] exponet A. et R. Henricus Augustus Hanses, Magdeburgensis, Leipzig 1708. Die Forschungsliteratur zu Mencke ist relativ überschaubar und bezieht sich meist auf die von ihm herausgegebenen Zeitschriften bzw. die satirisch angelegten Vorlesungen De charlataneria eruditorum. Außer den Artikeln über seine Person in der ADB bzw. NDB seien an dieser Stelle genannt: Agnes-Hermine Hermes: Johann Burkhard Mencke in seiner Zeit, Diss. Frankfurt 1934; Werner Flaschendräger: Johann Burkhard Mencke (1674–1732), in: Bedeutende Gelehrte in Leipzig, hg. v. Max Steinmetz, Bd. 1, Leipzig 1965, S. 15–24; Ivan Gombocz: ‚De charlataneria eruditorum‘. Johann Burkhard Mencke as a forerunner of the enlightened satire, in: Daphnis 28 (1999), H. 1, S. 187–200. Fassmann scheint sich in der Wahl seines Pseudonyms („Pithander von der Quelle“) an Menckes Gesellschaftsnamen „Philander von der Linde“ orientiert zu haben. Unter letztgenanntem Namen führte Mencke den Vorsitz der Teutsch-übenden Gesellschaft (später: Deutsche Gesellschaft) in Leipzig, der u. a. auch Gottsched angehörte. 69 Johann Peter von Ludewig war Jurist, Historiker und Universitätskanzler in Halle. Er verfaßte auf Zedlers Bitte hin das Vorwort zu dessen Universal-Lexicon. Letzteres zitiert ihn an dieser Stelle als eine der ‚heimlichen‘ Geschichte eher zugeneigte Instanz. Der Artikel nennt von Ludewigs direkte Antwort auf Tobias Pfanners Bedenken gegenüber der ‚heimlichen‘ Geschichte: Johann Peter Ludewigs zulängliche Antwort auf die liederlige Zunöthigung Herrn Tobias Pfanners [...] In dem so genannten Veranlaßten Bedencken de Principio fidei historicae, wie selbiges auf denen Gesandschaffts und andern Acten gegründet, Halle 1698. Zu Johann Peter von Ludewig vgl. Notker Hammerstein: Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und 18. Jahrhundert, Göttingen 1972; Walter Ludwig: Der zweite Hallesche Universitätskanzler Johann Peter von Ludewig: Ein Beispiel für soziale Mobilität im 18. Jahrhundert, Halle 1995. Fassmann war Ludewig (wahrscheinlich von seiner Zeit an der Universität) bekannt. In der Vorrede zum XIV. Band der Gespräche erwähnt er ihn namentlich und zitiert dessen Haltung zur Pasquille. Siehe dazu Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIV, Vorrede, Leipzig 1737, S. 10. 70 Der Artikel in Zedlers Universal-Lexicon nennt hier gleich drei einschlägige Veröffentlichungen von Thomasius zu dem Thema: Naevi iurisprudentiae Romanae antiiustinianeae praemissa, Halle 1707; Cautelae circa praecognita iurisprudentiae, hg. und mit einem Vorwort versehen von Friedrich Vollhardt, [ED Halle 1710], ND Hildesheim 2006; De fide iuridica, Halle 1699. Zu den Cautelen vgl. Merio Scattola und Friedrich Vollhardt: „Historia litteraria“. Geschichte und Kritik: das Projekt der ‚Cautelen‘ im literarischen Feld, in: Thomasius im literarischen Feld, hg. v. Manfred Beetz, Tübingen 2003, S. 159–186. Zur Thomasius-Literatur allgemein vgl. Jörn Steigerwald: Bibliographie der Thomasius-Literatur, in: German literature, history and the nation. Papers from the conference ‚The Fragile Tradition‘ [Cambridge 2002], hg. v. Christian Emden, Oxford 2004, S. 119–139. 71 Tobias Pfanner: Veranlaßtes Bedencken von dem Principio Fidei Historicae: zumahlen wie selbiges auf denen Gesandschaffts und andern Acten gegründet, [o. O.] 1698. Pfanner war His-

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keit und Unzuverlässigkeit dieser Art der Historie betonte. Pfanners Auffassung nach sollte die Historiographie sich vornehmlich auf öffentlich zugängliche und beweiskräftige Dokumente stützen (acta publica und diplomatica). Der Artikel konzediert hierzu: Und freylich haben dergleichen öffentliche Schrifften ein grosses Gewichte, und sind sie in höchst ungewissen Fällen die einzige Zuflucht eine Sache zu entscheiden; ob man sie gleich nicht vor gantz untrügliche Zeugnisse ausgeben kann. Es muß also ein geschickter Historien=Schreiber die Archive zur Hand haben, wenn er etwas wichtiges zu liefern im Stande seyn will.72

Getreu dieser Auffassung lieferte auch Fassmann in seinen Gesprächen eine große Anzahl an öffentlichen Dokumenten und anderen ‚Beweisen‘ für seine Lehren. Innerhalb der zeitgenössischen Diskussion um historische Validität und Faktizität kam diesen im Leipziger Journal auf den ersten Blick gattungsfremd anmutenden acta publica eine gewichtige Rolle zu. Sie konnten erstens unterstreichen, daß der Autor und Herausgeber des vorliegenden Mediums sich in oben zitierten „Archiven“ bestens auskannte. Zweitens vermochten sie die Aussage- und Überzeugungskraft der dargebotenen Geschichte zu verstärken. Und sie trugen außerdem drittens dazu bei, dem Leser innerhalb einer längeren, homogen strukturierten Textsorte durch die kontrastive Wirkung Abwechslung zu bieten (vgl. 5 Die Totengespräche). *** Der andere für Fassmanns Journal so zentrale Begriff, die Politik, wurde hauptsächlich synonym mit der ‚Staats=Klugheit‘ gebraucht.73 Zedlers Universal-Lexicon erläutert im Artikel ‚Politick‘ in einer längeren Aufzählung zuerst alle diejenigen Gebiete, welche die Prudentia civilis umfasse: Politique, heisset in einer Schul=Bedeutung, die Wissenschafft, die da anweiset, den Grund der menschlichen Gesellschafften, und eines wohl gefasseten Regiments, die verschiedenen Arten der Regierungen, worauf eine jede beruhe, wie sie erhalten und kluglich geführet werden müsse, worauf die Macht eines Regiments beruhe, und wie dieselbe innerlich durch

toriker und Archivdirektor in Weimar. Zu Pfanner vgl. Jöcher, Gelehrtenlexikon, Bd. 3, Sp. 1485 f. 72 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 284. 73 Das Grimmsche Wörterbuch erläutert: „Politik, [...] entlehnt aus franz. politique [...], wofür im 17. Jahrhundert auch die deutschen Ausdrücke Regir- oder Weltkunst [...], die Staatsklugheit [...], die Staatsvorsicht [...] vorkommen.“ Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 7, Sp. 1979.

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heilsame Gesetze, Handhabung der Gerechtigkeit, Nahrung und Gewerbe, äusserlich durch gute Kriegs=Verfassung und vortheilhaffte Bündnisse zu befestigen, u.s.w.74

Über dieses Bedeutungsfeld hinaus verstehe man unter Politik bzw. politisch im zeitgenössischen Sprachgebrauch aber auch die Klugheit, die einen Fürsten oder Staat dazu in die Lage versetzten, durch geheime Wege für seinen eigenen Vorteil zu sorgen.75 Auf dieser Definition aufbauend, würde der Begriff auch auf die Handlungen von Privatpersonen bezogen, so der Artikel im UniversalLexicon. Unterschieden wird des weiteren zwischen einer wahren und einer falschen Politik. Erstere folge der so genannten ‚Goldenen Regel‘ und „siehet zu förderst auf das allgemeine Gesetz der natürlichen Billigkeit, einem andern nicht zu thun, was man nicht gerne von ihm leiden wolle“.76 Letztere verkehre alle Elemente, die eine wahre und gute Politik ausmachten (Schadlosigkeit, allgemeiner Nutzen, Versprechens- und Bündnistreue), in ihr Gegenteil und suche nur den eigenen Vorteil. Wo die wahre Politik der einzige Garant dafür sei, daß die Ordnung im Staat aufrecht erhalten werde, sei die falsche eine Gefahr für diese.77 Der in diesem Artikel eröffnete Antagonismus zwischen wahrer und falscher Politik berührt im Kern genau jene Dialektik, die auch Fassmann in seinem historisch-politischen Journal entfaltet: Gute und schlechte Herrscher, gelungene und weniger gelungene politische Taten, lobenswerte und verurteilungswürdige Entscheidungen werden dort einander gegenübergestellt und miteinander verglichen. Die so genannte gute Politik setzt dabei den allgemeingültigen Maßstab und markiert das zu erreichende Ziel, während die schlechte als ein warnendes Beispiel sowohl für Fürsten als auch für Privatleute zu dienen hat. Worin besteht nun aber das Schlechte in der falschen Politik? Das Universal-Lexicon nennt hierzu folgende Punkte:

74 Zedler, Universal-Lexicon, „Politick“, Bd. 28, Sp. 1526–1527, hier Sp. 1526. 75 Bereits an dieser Stelle wird deutlich, wie viele Anknüpfungspunkte es zwischen historischen und politischen Belangen zwangsläufig geben mußte: Beispielsweise konnte ein Leser, der sich für die „geheimen Ursachen“ von Ereignissen und Entscheidungen interessierte, besonders bei den historisch-politischen Medien fündig werden. 76 Zedler, Universal-Lexicon, „Politick“, Bd. 28, Sp. 1526. 77 Die Trennung zwischen Ordnung und Anarchie würde, so der Artikel, nur durch die Einhaltung dieser ‚wahren‘ Politik sichergestellt: „Sie [die ‚wahre‘ Politik – SD] trachtet für allen Dingen, das Band der menschlichen Gemeinschafft, Treu und Glauben, so wohl gegen die auswärtigen, durch Vesthaltung öffentlicher Versprechen und Bündnisse, als zu Hause, durch Aufrechterhaltung der gemeinen Gesetze, Rechte und Freyheiten zu bewahren, als ohne welches kein menschlicher Umgang mehr bestehen kan, sondern in einen wilden Thierischen Raub, und reissende Gewalt verfallen muß.“ Zedler, Universal-Lexicon, „Politick“, Bd. 28, Sp. 1526.

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Sie misset ihre Anschläge nicht nach Recht und Billigkeit, sondern nach ihren unartigen Begierden: Sie setzt alles andere Absehen an die Seite, und hat allein ihren Eigennutz vor Augen, was auch für Schade und Unrecht andern dadurch entstehen möchte: Und zu denselben zu gelangen, achtet sie nicht, ob sie gerade oder krumme Wege, durch Betrug, Hinterlist, Untreu, oder offenbare Gewalt einschlagen müsse.78

Alle genannten Charakteristika der falschen Politik finden sich in ähnlicher Form in Fassmanns Journal wieder. Als Spiegel der wahren können sie durch ihre augenfällige Schlechtigkeit der Kontrastschärfe und letztlich der Leserbildung dienen.79 Negative Beispiele, wie sie durch die offensichtlich zu verurteilende Conduite eines schlechten Politikers gegeben wurden, boten dem Historiographen die Möglichkeit, sein Anliegen auf interessante und lehrreiche Art darzubieten. Im Artikel „Politicus“ offenbart das Universal-Lexicon eine weitere Bedeutungsebene des Wortes politisch, die jedoch, so der Tenor, nur durch allfälligen Mißbrauch entstanden sei: Anders als die sozusagen hauptberuflich arbeitenden „Politici“ würden auch Menschen mit diesem Begriff bezeichnet, die „von Flatterien Handwerck machen“, d. h. „nicht nur allen Leuten nach dem Maul reden, sondern auch auf eine rechte sclavische Art sich gegen andere demüthigen, als wären Fuchsschwänzer und Politici Leute von gleicher Sorte“.80 Desgleichen würden auch arglistige Leute so genannt, die ihren unlauteren Absichten den Anschein von vernünftigen geben wollten, und sogar Menschen, die sich in Mode und Geschmack nach denjenigen richteten, die zu den galan-

78 Zedler, Universal-Lexicon, „Politick“, Bd. 28, Sp. 1526. Als herausragendstes Beispiel für eine solchermaßen charakterisierte ‚falsche‘ Politik wird Machiavelli genannt, „der aber wider seine Meynung Schüler gehabt, die ihren Meister weit übertroffen.“ Ebd., Sp. 1526. 79 Als negatives Beispiel dient z. B. in der 91. Entrevue die Politik Ludwigs XI., die nur wenig verklausuliert bereits auf dem Titelblatt als grimmig dreinschauende, dreigesichtige Frau abgebildet wird. Das Kupfer ist überschrieben mit dem Titel „Die Falsche Politica“ und zeigt neben der allegorisierten Politik einiges als unzuverlässig und teuflisch apostrophiertes Getier (Drachen, Schlangen, Katzen), einen listigen Fuchs (vgl. Ludwigs Beinamen „le rusé“) und am Ende der Seite den Vierzeiler: „Ein Monstrum stehet hier, in scheußlicher Figur / und heist Politica – denn so wird sie genennet. / Die Klugheit solt es seyn; wird aber leicht zur Hur, / Wann deßen Absicht falsch, der sich mit ihr vermenget.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VI, Titelblatt, Leipzig 1725. 80 Zedler, Universal-Lexicon, „Politicus“, Bd. 28, Sp. 1528–1529, hier 1528. In Adelungs Grammatisch-kritischem Wörterbuch heißt es zum Stichwort „Politisch“: „[D]er Politik gemäß, in derselben gegründet. Ingleichen in weiterer Bedeutung, doch nur im gemeinen Leben, der gesellschaftlichen Klugheit gemäß, und in noch weiterem Verstande, oft für listig, verschlagen, schlau überhaupt. [...] Auch im Englischen ist Politik und Policy List, Verschlagenheit.“ Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, III. Theil, Leipzig 1798, Sp. 804.

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ten Leuten zu rechnen seien.81 Zwar komme die Praxis, solche Menschen Politiker zu nennen, auch in diesen Fällen zur Anwendung, sie gehe aber am wahren Wesen der Politik und des Politikers ganz vorbei, so der Artikel. Allgemein sei festzustellen, daß diejenigen Männer mit dieser Bezeichnung belegt würden, die ein weltliches Amt (im Gegensatz zu einem geistlichen) ausfüllten.82 An den zeitgenössischen Definitionen von Historie bzw. historisch und Politik bzw. politisch kann abgelesen werden, wie weitgefächert die Bedeutung und allgemeine gesellschaftliche Relevanz beider Begriffe war. Anhand neu hinzugetretener Bedeutungsebenen läßt sich außerdem feststellen, daß sich besonders die Vorstellung davon, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen der Politik zugerechnet werden konnten, veränderte. Ausgehend von der Bedeutung der Staats=Kunst wurden nun auch vorher als ‚privat‘ markierte Bereiche oder bestimmte Verhaltensweisen als ‚politisch‘ verstanden.83 81 Auch in Adelungs Wörterbuch wird unter dem Stichwort „Politik“ vermerkt, daß es sich bei ihr in einer Bedeutung um „die Klugheit“ handele, „so fern sie sich im Umgang mit andern äußert“. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, III. Theil, Leipzig 1798, Sp. 803. Auf die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs weist auch Andrea Wicke in ihrem Beitrag zu politischen Romanen des späten 17. Jahrhunderts hin: Andrea Wicke: Beer und die Bestseller. Historische und literaturtheoretische Überlegungen zu den Politischen Romanen, in: Johann Beer. Schriftsteller, Komponist und Hofbeamter (1655–1700), Beiträge zum Internationalen Beer-Symposium in Weißenfels Oktober 2000, hg. v. Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff, Bern u. a. 2003 (=Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, Kongressberichte 70), S. 421–442. 82 Der Artikel führt hierzu aus: „Im gemeinen Leben, nennt man diejenigen, welche in öffentlichen Bedienungen, so nicht geistlich sind, stehen, Politicos, da man alle Aemter in geistliche und weltliche eintheilet, und wer ein weltliches bekleidet, wird von dem Pöbel ein Politicus, und im Deutschen ein Weltmann genennet [...].“ Zedler, Universal-Lexicon, „Politick“, Bd. 28, Sp. 1526. 83 Die „Politick“ in der Bedeutung von Geschick im Umgang mit anderen Menschen und dem eigenen Schicksal geriet dabei zusehends in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit. Nicht mehr nur die fürstliche, auch die bürgerliche Fähigkeit zur geschickten Conduite verlangte nach neuen Bildungswegen, wie sie u. a. auch in den historisch-politisch orientierten Journalen gefunden werden konnten. Der Hallesche Philosophieprofessor und Theologe Johann Franz Buddeus (1667–1729) bemerkt zu diesen Neuerungen: „Unser gegenwärtiges Seculum, praetendiret von allen jungen und alten Leuten, besonders aber von denen Gelehrten eine sattsame und hinlängliche moralische und politische Klugheit, so daß fast keiner bey der heutigen Welt wohl fortkommen kann, der sich nicht täglich in dieser Kunst perfectioniret.“ Johann Franz Buddeus: Kürtzester und leichtester Weg Die Grundsätze und Beschaffenheit Einer gründlichen Moral und Politic zu erlernen, Leipzig 1723, S. 2 (zitiert nach Georg Steinhausen, Galant, curiös und politisch, S. 31). Zu Buddeus vgl. Johann Lorenz Schmitt: „Buddeus, Johann Franz“, in: ADB, Bd. 3, S. 500 f.; Kurt Aland: „Buddeus, Franz Johann“, in: NDB, Bd. 2, S. 715; „Buddeus, Johann Franz“, in: Biographische Enzyklopädie der deutschsprachigen Aufklärung, München 2002, S. 48; Friederike Nüssel: Bund und Versöhnung. Zur Begründung der Dogmatik bei Johann Franz Buddeus, Göttingen 1996.

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In den Leipziger Gesprächen lag das Hauptaugenmerk auf der Verbindung von Geschichte mit der „Staats=Kunst“ bzw. auf den wechselseitigen Beziehungen dieser beiden Bereiche. Bereits auf den jeweiligen Titelblättern, d. h. an exponiertester Stelle, wurde das Feld, das beide Disziplinen abstecken, umrissen. Beide Begriffe wurden mittels verschiedener Formulierungen und wiederkehrender Floskeln miteinander verknüpft. Der Leser konnte so bereits durch die Gestaltung der Titel erkennen, welches Thema ihm in einem bestimmten Totengespräch nähergebracht werden würde. Nicht nur, daß in der Ankündigung des Gesprächs bzw. Vorstellung beider Dialogführenden häufig die „Historie und Politic“ 84 Erwähnung fanden, auch die gereimten Unterschriften unter den Titelkupfern verdeutlichten die Stoßrichtung des Journals. Im Gespräch des Père Lachaise85 mit der Duchesse de Fontanges86 etwa erläutert die Bildunterschrift das Verhältnis des Klerus zur „Staats=Kunst“ wie folgt: 84 So z. B. auf den Titelblättern der Entrevuen Nr. 2, 3, 4 und 11. 85 François d’Aix de Lachaise, besser bekannt als Père Lachaise (1624–1709), war Jesuit und stieg unter dem Protektorat der Madame de Maintenon zum persönlichen Beichtvater von Louis XIV. auf. 86 Marie-Angélique de Scoraille de Rousille, spätere Duchesse de Fontanges (1661–1681), war Hofdame und für kurze Zeit auch eine der favorisierten Mätressen König Louis XIV. Fassmann spielt passend zum höfischen Hintergrund, der durch die Wahl der Figuren bestimmt wird, bereits in der Ankündigung auf dem Titelblatt auf die Kopfbedeckung der Herzogin an, die nach ihr benannt wurde („Von welcher die grossen Kopff=Aufsätze des Frauenzimmers den Namen haben [...]“). Der modische, haubenartige Kopfputz wurde zuerst von anderen Hofdamen und später über die Landesgrenzen hinaus nachgeahmt. Fassmann kritisierte des öfteren zu sehr an der Mode interessierte Frauen; seiner Meinung nach war dies eine Unsitte, die es möglichst oft zu tadeln galt. Gegen die spezielle Mode der „Fontangen“ regte sich auch bei zeitgenössischen Sittenwächtern Widerstand, der offenbar sofort auch mit der Kritik am Liebhaber der Fontange, dem französischen König, verknüpft wurde: Das bißher weit und breit herumb gegangene / auch offt gedruckt und abgeschriebene Fontangen=Lied: Anitzo mit etlichen Anmerckungen / Denen Fontangen=Trägern zu desto mehr Abscheu / denen Einfältigen aber zu besserm Verstande desselben / und Haß=Erweckung gegen diß Laster / durch den öffentlichen Druck ans Tage=Licht geleget, [o. O.] 1693. In dem Spottlied heißt es über die zeitgenössischen Trägerinnen des Kopfschmuckes, deren Vorbild und den französischen König: „3. Sehet / wie die Eulen=Köpffe / aufgeblasen lang und breit / Schütteln ihre bunde Zöpffe / voller Stoltz und Eitelkeit / Beelzebub und Lucifer / bringen diese Monstra her. 4. Meister Lovis, der die Teutschen / itzt für die Galanterey / Muß mit Stahl und Flammen peitschen / groß von List und Wüterey / Meister Lovis, den die Welt für den andern Nero hält. 5. Der die stolzen Ottomannen / samt dem wilden Tartar=Heer / Ja die Teufel selbst kan bannen / daß die Sebel / Pfeil und Speer / Baden in der Christen Blut / mästen sich durch Glut und Wut. 6. Dieses ist der rechte Vater / zu dem wüsten Ungeheuer / Frau Fontange ist die Mater / ein etcætera voller Feur / Eine Grace und Cloac, die sich füllet Nacht und Tag.“ Fontangen= Lied, S. 3. Es ist durchaus denkbar, daß Fassmann sich von dieser nur wenige Jahre zuvor erschienenen Kritik an der Putzsucht der Herzogin und an der gleichzeitigen Verurteilung der „Politic“ von Louis XIV. zu seinem Dialog inspirieren ließ.

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Der Ordens=Mann soll auch die Politic verstehen, Auf daß er, wann es Noth, zu simuliren weiß: Dem diese Kunst gebricht darf nicht nach Hofe gehen, Denn er erlangt allda gewißlich schlechten Preiß.87

Im Zusammenspiel mit den Gesetzmäßigkeiten, die bei Hofe galten, verwendete Fassmann den Begriff politisch auch in der Bedeutung des geschickten Lavierens und gekonnten Ränkespiels. Ähnlich den weiter oben angeführten zeitgenössischen Definitionen unterscheidet Fassmann explizit zwischen der geistlichen und weltlichen Sphäre der Politik. Dem Angehörigen des Klerus, der sich im höfischen Geflecht bewähren und auf Dauer eine Machtposition sichern wollte, sei es angeraten, so die Lesart hier, sich politisch zu verhalten (und sich im Notfall geschickt zu verstellen); sonst drohe er an den Gepflogenheiten und Bedingungen der höfischen Gesellschaft zu scheitern. In Anlehnung an typische zeitgenössische Auffassungen vom Hof als einem gefährlichen und zum „Simuliren“ anstiftenden Ort markiert Fassmann auch in seinen Gesprächen die verschiedenen Bedeutungsebenen dieses Begriffs.88 Der Ausdruck Historie wiederum wird besonders in den Ankündigungen der Gespräche synonym mit Biographie verwendet. Die bereits oben erwähnte Wendung „Historie und Politic“ oder auch „Historie / Intriguen und Politic“,89 die wiederholt in der inhaltlichen Beschreibung der Entrevuen verwendet wurden, verdeutlichen die Absicht ihres Autors, die Lebensläufen und (Un-)Taten seiner Figuren in einen nach außen hin sichtbaren weltmännischen Kontext zu stellen. Sowohl die Historie als auch die Politik markieren den thematischen Rahmen, an dem die Totengespräche insgesamt ausgerichtet waren. Fassmann

87 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 14, Bd. 1, Titelblatt, Leipzig 1720. In der 5. Entrevue heißt es zum Thema Politik: „Wer nicht politisch ist, der fleugt nicht durch die Lufft, / Und alles, was er thut, das wird ihm schlecht belohnt. / Drum wer nicht bleiben will ein Miserabler Schufft, / Entdecke nimmermehr, was in den Hertzen wohnt.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 5, Titelblatt, Leipzig 1720. 88 Von dieser Auffassung zeugt die reichhaltige zeitgenössische Literatur, die sich mit dem Thema ‚Hofleben‘ bzw. ‚Hofmann‘ auseinandersetzte. Stilprägend waren neben den zahlreichen Beispielen für die Vorteile des Landlebens gegenüber dem Hofleben sicherlich der Cortegiano Castigliones [1528] und Gracians Oraculo manual y arte de prudentia, besser bekannt als Homme de Cour [1647], den erst Daniel Casper von Lohenstein und später Christian Thomasius ins Deutsche übersetzt hatten. 89 Dieser Wendung taucht bemerkenswerterweise vornehmlich in den Gesprächen auf, in denen eine oder beide Figuren dem weiblichen Geschlecht angehören, so z. B. in der Entrevue Nr. 4 zwischen Elisabeth, Königin von England, und Christina, Königin von Schweden. Fassmann variiert die Ankündigungen jedoch auch im Laufe der Zeit: Die „Historie und Politic“ kann u. a. zu „Avanturen und Historie“ (z. B. in der Entrevue Nr. 52) oder zu „Leben / Thaten und Fata“ (z. B. in der Entrevue Nr. 28) verändert werden.

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macht dies an mehreren Stellen in den Paratexten der 15 gesammelt erschienenen Bände deutlich. In der Vorrede zum X. Band geht der Autor auf die Absichten und darüber hinaus auch auf den Wert seiner Totengespräche ein: Gleichwie ich mich nun iederzeit bestrebet, den nach Standes=Gebühr angesehenen und geehrten Leser zu contentiren, und zu machen, daß ihm sein Geld, welches er vor meine Gespräche ausgiebet, nicht gereuen möge; also kan man sicherlich glauben, daß ich noch fernerhin, bey der Continuation, alle meine Kräfte anspannen werde, daß ein iedweder, welcher dereinstens das gantze Werck beysammen hat, einen recht Historischen Schatz daran besitze, der den Kern, und das wichtigste von der alten, mittlern und neuen Historie, folglich das Leben und die Thaten grosser Käyser, Könige, Fürsten, Päbste und anderer berühmten Männer, dergleichen ihre Politique und merckwürdigen Reden, die meisten wundersamen Begebenheiten und Erstaunens=würdige Revolutiones, eine herrliche Morale, auch treffliche Reflexiones und gesunde Urtheile in sich führet.90

Sollte der Leser, so wird ihm hier bedeutet, eines Tages alle Teile des Journals erworben haben, werde er im Gegenzug einen „recht Historischen Schatz“ in den Händen halten, der ihm das Leben und die Taten der vornehmsten Männer (die zahlreich auftretenden Frauen finden an dieser Stelle keine Erwähnung) vorstelle. Dieser Gedanke wurde im Paratext des Journals immer wieder aufgegriffen.91 Wer die Entrevuen regelmäßig erwarb, der konnte dieser Argumentati-

90 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Vorrede, Leipzig 1730, S. 16 [Hervorhebung – SD]. 91 Zedlers Universal-Lexicon erläutert den Schatz-Begriff wie folgt: “Schatz, heisset insgemein ein ansehnlicher Vorrath werther und kostbarer Sachen.“ Zedler, Universal-Lexicon, Bd. 34, S. 503. Zum Schatz-Begriff vgl. u. a. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 8, Sp. 2274–2279. Das Grimmsche Wörterbuch zählt die tradierten Bedeutungen von ‚Schatz‘ als ein Vermögen, Reichtum und Gewinn auf und setzt diese Vorstellung in Beziehung zu der Idee vom Schatz als etwas Kostbarem, Bewahrenswertem und „Gegenstand der Sorgfalt und vorsichtigen Aufbewahrung“ (Sp. 2276). Fassmann verwendet den Begriff durchaus absichtsvoll im Zusammenhang mit Geld. Er verleiht einem Medium wie den Gesprächen in dem Reiche derer Todten dadurch, daß er deren Schatz-Charakter immer wieder betont, einen besonderen Stellenwert, der durch die Nebenbedeutung von Schatz als einer besonders geliebten Person emotional erhöht wird. Die einzelnen Entrevuen werden als Teile eines größeren Ganzen verstanden und besonders auch durch die Publikation in Sammelbänden als eine wertvolle Einheit propagiert. In der Argumentation des Autors erhält das Journal so den Status einer geschlossenenen Sammlung: „Also sind die Entrevuën, und das Supplement, zusammen ein solches Historisches Corpus, das mit lauter merckwürdigen Erzehlungen angefüllet.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 2 (unpag.). Noch deutlicher wird das Bild vom Journal als einem kostbaren Wertgegenstand in der Vorrede zum XIV. Band gezeichnet: „[W]ir wollen unser Bestes thun, daß diese Gespräche, deren Vierzehender Band sich mit der gegenwärtigen Zweyhundert und Neundten Entrevuë anfänget, noch ferner, als ein Schatz= Kasten, mit Historischen Kleinodien angefüllet seye, folglich die, so die Gespräche kauffen, einen reichen und wahren Historischen Schatz daran besitzen, und sich, so offt sie solche in

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on nach sicher sein, eines Tages eine Art Thesaurus zu besitzen, dessen Wert den anderer (kurzlebigerer) Medien wie z. B. Zeitungen um ein Vielfaches überstieg. Aufbewahrung, Lesertreue und Wertschätzung wurden so zu wichtigen Elementen im Verhalten der Leser bzw. der gegenwärtigen und zukünftigen Käufer. Das Journal sollte als ein Medium verstanden werden, das gesichertes Wissen über die frühe, mittlere und neue Geschichte und rechte Staatskunst vermitteln konnte, wie das oben angeführte Zitat deutlich macht.92 Fassmann wehrt sich in diesem Zusammenhang auch gegen den Vorwurf, daß seine Totengespräche in ihrer Qualität nachließen, vielmehr sei das Gegenteil der Fall: Von der ersten bis zur letzten Entrevue hätten die Gespräche ihren Wert nicht nur behalten, sondern sogar noch gesteigert: Falsch ist es demnach, wann man vorgiebet, ob wären die ersten Entrevuën viel besser und schöner verfertiget als die Letztern; und ich meines Orts bin erbötig, es mit einem jedweden anzunehmen und darzuthun, daß in denen letztern eben so viele, ja noch weit gründlichere, Historische Nachrichten als in denen Erstern enthalten sind.93

Die Ursache für die hohe Qualität, so die Vorrede, läge darin, daß der Autor sich nicht etwa auf seinem Erfolg ausgeruht, sondern seine Kenntnisse in der Geschichte und der Politik durch stetiges Bemühen erweitert habe. Die Lektüre der Totengespräche verspreche deswegen um so bereichernder zu sein, je weiter man sie vorantreibe: Je weiter man kommet, desto besser sollen die Gespräche werden. Denn ich habe seit der ersten Entrevuë manches Buch durchgegangen, auch noch manches gelernet und erfahren, das mir sonst unbekannt gewesen.94

Der Leser sollte also begreifen, daß sich ein Periodikum wie die Gespräche in dem Reiche derer Todten über einen längeren Zeitraum hinweg weiterentwickelte. Dadurch, daß sich der Autor der Totengespräche beständig bildete, so die Argumentation in dieser Vorrede, konnte die Reihe nicht nur mit gleichbleibender, sondern sogar mit steigender Qualität erscheinen. Weil das Journal seine Form beibehielt (Erscheinungsart und Textsorte änderten sich ja nicht), mußte der Inhalt an dieser Stelle als Kriterium für eine Weiterentwicklung und

die Hände nehmen, daran ergötzen mögen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIV, Vorrede, Leipzig 1737, S. 7. 92 Im Unterschied zu anderen regelmäßig erscheinenden Periodika Fassmanns wie dem Staats=Mann, der hauptsächlich Gegenwärtiges zu berichten suchte, umfaßten die Gespräche in dem Reiche derer Todten eine größere Zeitspanne (vgl. Abschnitt 4.1.2 Krieg und Frieden). 93 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XII, Vorrede, Leipzig 1733, S. 12. 94 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XII, Vorrede, Leipzig 1733, S. 111 f.

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Verbesserung angeführt werden. Der Stoff, so Fassmann in der Vorrede zum IX. Band, ginge ihm dabei nicht aus, denn die Zeit selbst arbeite für ihn, den Historiographen. Sie sei die wahre Schirmherrin seines Werkes: Ich habe ja nicht nöthig, meiner Arbeit wegen Wind zu machen; allermassen die bereits gedruckte Historie, an und vor sich, eine unerschöpfliche Quelle ist, woraus man die, so begierig darnach sind, beständig träncken kan, ohne daß jemals ein Mangel zu besorgen. Denn sie hat einen unaufhörlichen neuen Zufluß, und zwar von der Zeit, die continuellement beschäfftiget ist, den Historicis neue Materie zu fourniren, worüber sie schreiben können, wannenhero auch die Zeit eine recht grosse Patronin von dieser Profession zu nennen ist, der sie, auf ihren schnellen Flügeln, stets etwas zuträget. 95

Der Schatz der „gedruckten Historie“ neige sich also niemals dem Ende zu und der Geschichtsschreiber könne sich seiner bedienen, um die nie versiegende Neugier derer zu stillen, die an historischem Wissen und Ereignissen interessiert seien. Doch trotz dieser Gewißheit mußte es – gerade in Friedenszeiten – für Fassmann mitunter schwierig gewesen sein, die durchschnittlich 80 Seiten seines Journals sinnvoll zu füllen. Die teilweise wiederholten Begegnungen der selben Gesprächspartner und die Schilderungen auch länger zurückliegender Ereignisse lassen darauf schließen, daß Fassmann durchaus auf aktuelle Neuigkeiten und politische Ereignisse angewiesen war, auch wenn er dies seinem publizistischen Selbstverständnis nach nicht offenbaren wollte und konnte.96

4.1.2 Krieg und Frieden In den Paratexten der Gespräche in dem Reiche derer Todten gibt Fassmann in bewährter Anrede seiner ‚geneigten Leser‘ Auskunft darüber, wie die histo95 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX, Vorrede, Leipzig 1728, S. 1 f. (unpag). 96 Einige Rezipienten scheinen sich beschwert zu haben, daß gewisse Nachrichten, Personen und historische Ereignisse mehrmals in den Totengesprächen erschienen. Fassmann bemerkt zu diesem Thema in geschickter Argumentation: „Ein oder zweymal ist es geschehen, daß gewisse Materien in meinen Gesprächen, wiederum berühret worden, von denen man sonst auch schon, in diesem Wercke, einiger massen, gehandelt hat. [...] [U]nd das hat mir von einigen als etwas ungebührliches ausgelegt werden wollen. Allein ich habe das Vertrauen zu bescheidenen und unpassionirten Lesern, welche die Sache recht einsehen und erkennen, daß sie ein gerechtes Urtheil davon fällen werden. [...] Bey grossen und weitläufftigen Wercken, wie nunmehro diese Todten=Gespräche werden, gereichet es hiernechst der Memoriae zu einem nicht geringen Dienst, daferne wichtige Dinge zum andernmal mit guter Manier angebracht, auch mit noch mehrern Umständen erläutert werden können, weil man sich derselben alsdann desto besser erinnern kan. Jedoch werde ich mich, um derer Vorurtheile willen, worinnen viele Menschen stecken, so viel als möglich davor hüten, und niemalen eine schon vorge-

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risch-politischen Journale im allgemeinen und seines im besonderen auch in Friedenszeiten genug Themen finden konnten, um ihre Seiten zu füllen: Denn obgleich der Krieg in denen Landen, wo Mars sein Theatrum wirklich aufschläget, und seine blutigen Scenen eröffnet, das gröste Unglück ist, so sich ereignen kan; so ist er es doch nicht in Ansehung derjenigen Federn, welche von der Historie Profession machen. Au contraire, vor diese ist der Krieg profitable, und fourniret ihnen stattliche Materie zu schreiben. 97

Nüchtern wird an dieser Stelle die Situation analysiert, in der sich die Journalisten befinden, die ihre Themen vornehmlich der Geschichte und Politik entlehnen: Kriegerische Auseinandersetzungen, ob auf nationaler oder internationaler Ebene, waren auch im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts und damit zu Beginn des medialen Aufschwungs der periodisch publizierten Journale ein immer wieder gern aufgegriffenes Thema. Obgleich, wie die Vorrede hier zugibt, der Krieg für die unmittelbar Betroffenen das ‚gröste Unglück‘ sei, so bedeutete er für Journalisten und Publizisten sowohl eine unerschöpfliche Stoff- als auch, wie ergänzt wird, vor allem eine lohnende Einnahmequelle. In Abwandlung einer modernen PR-Weisheit mag man ergänzen: war sells. Wenn in heimischen Gefilden aufgrund ausbleibender politischer Konflikte keine aktuelle Kriegsberichterstattung möglich war, so wich man, wie Fassmann am Beispiel der spanischen Belagerung Gibraltars in der oben zitierten Vorrede deutlich macht, einfach auf andere, weiter entfernt liegende Regionen aus. In der so genannten ‚windstillen‘ Phase nach den Friedensverträgen von Utrecht im Jahr 1713 und dem ersten Schlesischen Krieg im Jahr 1740 war es deswegen nicht ungewöhnlich, daß auch länger zurückliegende Ereignisse und Personen in den Blickpunkt historisch-politischer Journale wie der Gespräche in dem Reiche derer Todten rückten. In der Vorrede zum VI. Band der Totengespräche wird das Fehlen kriegerischer Auseinandersetzungen (und damit der Rückgang an möglichen Themen) halb satirisch, halb ernsthaft beklagt. Fassmann widmet diesen Band dem Kriegsgott Mars, der für seinen Geschmack schon zu lange im Schlaf gelegen habe: Holla, Mars! Heraus ins Feld! Schläffest du noch immer, und wilt gantz und gar nicht wieder erwachen? Bedenkest du nicht, daß dein Handwercks=Geräthe, nämlich Mörser und Pöller [...] verrosten, Pulver und Bley aber verderbe? Hörest du auch das Geschrey deiner Söhne nicht, welche müßig herum gehen, und dir unaufhörlich zurufen, daß du sie wiederum in

kommene Sache zum Zweytenmal berühren; es seye dann, daß es die Umstände absolument erfordern.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VIII, Vorrede, Leipzig 1727, S. 10 f. 97 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VIII, Vorrede, Leipzig 1727, S. 10.

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fette feindliche Länder führen, und ihnen Gelegenheit verschaffen solltest, Ehre und Beute zu erlangen?98

Am Anfang der Widmung wird Mars aufgefordert, seinen ungeduldigen Söhnen endlich die Gelegenheit zu geben, sich auf dem Schlachtfeld Ruhm und Ehre zu erwerben. Kurz darauf macht der Autor dann jedoch die Einschränkung, daß es keineswegs unwichtig sei, an welchem Ort Mars denn nun erscheine. Der Kriegsgott möge zwar sein „Theatrum“ wieder aufschlagen, dies jedoch nicht zu sehr in der Nähe tun, denn das würde großes Elend im eigenen Lande bedeuten.99 Statt dessen macht er Mars einige Vorschläge, nach denen der Gott in Gebieten wüten könne, die mit angenehmen Gefilden und schönen Frauen lockten.100 Nach dieser Einschränkung bittet der Autor um die Erfüllung einer weiteren Bedingung, die für ihn fast ebenso wichtig scheint wie der Krieg an sich: Erwachest du aber, und machest dich auf, deine blutigen Comoedien zu spielen, so eröffne dein Theatrum weit von uns; jedoch so, daß wir, von einer Zeit zur andern, richtige und zuverlässige Nachrichten davon erlangen können.101

Deutlich wird in der Dedikation eine Parallele zwischen dem Krieg und der Berichterstattung über diesen gezogen. Die Schilderung militärischer Ausein98 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VI, Dedikation, Leipzig 1725, S. 4. 99 Dazu heißt es: „Du bist ein alter schlauer Gast, der alle Gegenden von Europa, ja von der gantzen Welt, fleißig durchstrichen, folglich gar wohl weist, wo du deine Tummel=Plätze am bequemsten nehmen kannst. Nichts destoweniger wird es erlaubt seyn, die ein und andere Gegenden vorzuschlagen, wo du dich wacker tummeln könntest.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VI, Dedikation, Leipzig 1725, S. 5. 100 Fassmann spielt hier offensichtlich auf das benachbarte Frankreich an: „An der L.. an der R.. und an der S.. und wiederum an der S.. an welchem letztern Fluß das große P. lieget, wäre es auch gut mit Arméen zu agiren. Car il fait beau vivre toujours dans tous ces pays là, denn es ist gut seyn in allen selbigen Landen. Der Wein ist gut und wohlfeil, das Brod weiß und schmackhafft, die Weiber und Mädgen sind verliebt, und scheinen, mit ihren feurigen und schwartzen Augen, einen jeden zu invitiren, auch mitten unter dem Getöse der Waffen, Amitié mit ihnen zu machen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VI, Dedikation, Leipzig 1725, S. 5 f. 101 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VI, Dedikation, Leipzig 1725, S. 5. Am Ende der Dedikation kommt der Autor noch einmal auf diesen Aspekt zurück und konstatiert: „Ich ruffe dir zu, o Mars! in der Meynung, als ob du in eine tieffe Schlaffsucht gefallen seyest; und siehe da! du befindest dich in Persien, allwo du dein Theatrum aufgeschlagen, und nun schon etliche Jahre agirest. Allein weil wir keine sonderlichen und gewissen Zeitungen von dannen, auch wenig Europaeische Puissancen Interesse bey denen dortigen Kriegen haben, so wirst du es mir nicht verdencken, daß ich dich vor schlaffend gehalten, und dir zugeruffen habe: Holla Mars! Heraus ins Feld!“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VI, Dedikation, Leipzig 1725, S. 6.

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andersetzungen würde, so der ironische Unterton der Widmung, durch blutige Comoedien in der Welt befördert und bedürfe ihrer in hohem Maße. Anders als die Kanonen und Säbel sollte dieser Argumentation nach zumindest die Feder nicht verrosten und zur Untätigkeit verdammt sein, sondern von neuen Kriegshandlungen berichten, so weit diese auch immer entfernt sein mochten.102 Doch auch, wenn es im eigenen Land scheinbar wenig Aktuelles zu berichten gab, das historisch und politisch relevant zu sein schien, bzw. wenn von den einzelnen Kriegen in weiter entfernt liegenden Gebieten nur spärliche Informationen zu erhalten waren, verspricht der Autor in der Vorrede zum VIII. Band, das Erscheinen seines historischen Journals dennoch nicht einstellen zu müssen: Denn die Historie ist noch lange nicht erschöpffet, und die Zeit brütet, wann gleich die Degen in der Scheide stecken bleiben, und gäntzlich darinnen verrosten, doch immer andere Dinge aus, womit ich meine Gespräche bereichern kan.103

Die „anderen Dinge“, von denen an dieser Stelle die Rede ist, konnten in zunehmendem Maße auch Neuigkeiten einschließen, die nichts mit Politik oder Krieg zu tun hatten. So wurden im Schlußteil der Totengespräche auch Nachrichten vermeldet, die strenggenommen wenig bis keine Berührungspunkte mit den Biographien der vorgestellten Persönlichkeiten oder mit aktuellen politischen Fragen hatten.104 Horst W. Blanke faßt diese langsam vonstatten gehende Veränderung in den historisch-politischen Periodika wie folgt zusammen: In diesen zeitgeschichtlich orientierten Organen trat im Zuge des 18. Jahrhunderts die

102 Über die Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung gibt die Vorrede zum IX. Band Aufschluß: „Was hiernechst das Leben der neuern, und zu unsern Zeiten sterbenden, Personen betrifft, welche meritiren aufgeführet zu werden, so bekenne ich gar gerne, daß sehr leichtlich ein Fehler damit kan begangen werden. Es ist etwas schweres von entlegenen Orten accurate Nachrichten desfalls einzuziehen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX, Vorrede, S. 3 (unpag.). 103 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VIII, Vorrede, Leipzig 1727, S. 10. Wie weiter oben bereits angeführt, spannt Fassmann auch hier die Historie mit der Zeit zusammen; beide sorgen seiner Argumentation nach dafür, daß die Feder der Journalisten stets etwas zum Schreiben finde. 104 Fassmann zeigt im Schlußteil seiner Totengespräche, welche Nachrichten er für interessant und remarquable genug erachtet, um die verbleibenden Seiten seines Periodikums zu füllen und das Interesse des Lesers an Neuigkeiten zu befriedigen. So gibt der Secretarius regelmäßig auch Meldung von Katastrophen (Erdbeben, Feuersbrünsten, Überschwemmungen) und von adeligen Hochzeiten, Taufen oder Krönungen.

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Berichterstattung über das Geschehen an den Fürstenhöfen immer weiter zurück bzw. diese Welt wurde immer kritischer gesehen; nun dominierten Nachrichten aus der Gesetzgebung, Wirtschaft, gesellschaftlichem Leben und Kultur – kurz, die Themengebiete der sich neu formierenden bürgerlichen Gesellschaft.105

Über diese neuerschlossenen Themengebiete hinaus beeinflußten auch Medien wie die aktuell arbeitenden Zeitungen den Charakter der Journale. Bereits an Fassmanns Entrevuen läßt sich ablesen, wieviel Wert er dem Nachrichtenteil zumaß, der am Ende eines jeden Totengespräches angefügt wurde (vgl. 5.2.3 Der Nachrichtenteil). Die von der Merkurfigur des Secretarius vorgebrachten vergleichsweise aktuellen Meldungen wurden offensichtlich vom Autor (und seinen Lesern) als so zentral begriffen, daß sie bei jedem Erscheinen auch auf dem Titelblatt angekündigt wurden („Samt dem Kern derer neuesten Merckwürdigkeiten, und darüber gemachten curiösen Reflexionen“).106 Wenn die im Schlußteil von den Toten diskutierten Nachrichten auch nicht immer von neuester Art waren, so bestand der Anreiz und die Besonderheit darin, daß zwei Verstorbene unterschiedliche Meinungen zu einem Thema mehr oder weniger kontrovers vorstellten. Für den Leser, der sich in der Anfangszeit der historisch-politischen Journale noch mit den besonderen Gegebenheiten dieses Mediums vertraut machen mußte, stellten die kommentierten Nachrichten eine nicht zu unterschätzende Attraktion dar. Blanke wiederum konstatiert zu dieser Entwicklung: „Die Zeitschriften waren nicht mehr beschränkt auf die Vermittlung von Information, sondern ein Medium der öffentlichen Meinungsbildung.“ 107 Waren die Gespräche in dem Reiche derer Todten insgesamt weniger abhängig vom aktuellen Zeitgeschehen und „remarquablen“ Entwicklungen, so gab es daneben andere Periodika Fassmanns, die zu einem weit größeren Teil zeitgenössischer politischer Nachrichten und Ereignisse bedurften: Der Staats= Mann, der von Fassmann öfters in den Paratexten seiner Totengespräche beworben wird, zeichnete sich besonders dadurch aus, daß er aktuelle politische Ereignisse aufgriff und kommentierte. Fassmann nimmt in der Vorrede zum XIII. Band ausführlicher Bezug auf sein anderes politisch-historisches Journal. Aus publizistischer Sicht seien die aufbrechenden Konflikte in der polnischen

105 Blanke, Historische Zeitschriften, S. 82 f. 106 Die Ankündigung der Nachrichten erfolgt zu Anfang noch mit einer leicht abgewandelten Formulierung: „Nebst dem Kern derer neuesten Merckwürdigkeiten, und darüber gemachten sehr wichtigen Reflexiones [...]“. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. 1, Titelblatt der Entrevue Nr. 1 und 2, Leipzig 1720. 107 Blanke, Historische Zeitschriften, S. 83.

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Thronfolge zu begrüßen, ihre Auswirkungen auf seine Journale (und besonders den mehr mit der Gegenwart beschäftigten Staats=Mann) positiv: Nachdem man also gebeten, daß der Geneigte Leser dem gegenwärtigen Werck ferner möge gewogen bleiben, [...] so nimmt man sich auch die Freyheit, den so betitelten Staats=Mann, welcher bey eben dem Verleger zu haben, bestens zu recommendiren. Denn die jetzigen Zeiten, da in Europa, an unterschiedenen Orten, ein gewaltiges Kriegs=Feuer angefangen, ist über die massen reich von wichtigen Begebenheiten. Was sich nun aber Wichtiges und Sonderbares ereignet und zuträget, das wird in dem Staats=Mann alles treulich rapportiret. Man machet gründliche und vernünfftige Reflexiones darüber, und verschiedene Stellen werden durch historische Anmerckungen erläutert. Auch wird ein jedwedes Stücke des Staats=Mannes mit der Historie eines Landes ausgezieret, und von denen Europäischen Höfen findet man die schönsten Nachrichten darinnen. Vor allen Dingen aber befleißiget man sich der Wahrheit, und hütet sich mit der grösten Sorgfalt, daß keine Lügen darinnen mögen anzutreffen seyn, weil es ein Werck ist, welches hauptsächlich die Historie der jetzigen Zeiten in sich fassen solle; obgleich allemal die besondere Historie eines Landes darinnen mit vorkommet.108

Während also die Gespräche dem Leser sowohl die weiter zurückliegenden als auch die erst vor kurzem stattgefundenen Ereignisse unterbreiteten, konzentrierte sich der Staats=Mann auf das aktuelle Geschehen und auch, wie Fassmann an oben zitierter Stelle betont, auf die Darstellung der Landesgeschichte (die, sollte es wenig Brisantes zu berichten geben, ausführlicher behandelt werden konnte). Die Totengespräche aber sollten, obwohl sie auch die ältere Geschichte darboten, nicht den Kontakt zum aktuellen Zeitgeschehen und somit zu den Interessen ihrer Leser verlieren. Aus diesem Grund betonte Fassmann wiederholt, daß auch in den Entrevuen Diskussionen und Entwicklungen der Gegenwart aufgegriffen würden. Dies war möglich, weil er seine jeweiligen Figuren über Themen der jüngsten Vergangenheit diskutieren und ihnen (und so eigentlich dem Leser) durch den Secretarius im Nachrichtenteil Wissenswertes und Aktuelles aus dem In- und Ausland übermitteln ließ. Wie an oben angeführtem Zitat zu erkennen ist, bedeutete es dem Autor sowohl der Totengespräche als auch des Staats=Manns viel, den Wahrheitsgehalt der in den Periodika präsentierten Nachrichten hervorzuheben. Gerade weil das Medium Journal nicht dem gleichen zeitlichen Druck unterworfen war, dem die Zeitungen aufgrund ihrer häufigeren Veröffentlichung ausgesetzt waren, konnte Fassmann mit diesem Argument die Qualität seiner literarischen Erzeugnisse noch einmal besonders hervorheben.109 Beide Periodika zeichne108 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 13 f. 109 Fassmann tat dies häufiger in den paratextuellen Elementen seines Journals, besonders auffällig in der Vorrede zum XIII. Band, in der Rezensionsorgane Dritter als Vergleichsinstanz herangezogen werden: „In denen Leipziger Zeitungen, welche von gelehrten Sachen handeln, hat man No. LXXVII. des Staats=Mannes mit folgenden Worten gedacht. Ferner ist, in Wolf-

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ten sich, so die Argumentation, jedoch nicht nur gegenüber den schnellebigeren (und unzuverlässigeren) Zeitungen aus, sondern auch gegenüber anderen Zeitschriften, die ebenso dem historisch-politischen Geschehen verpflichtet waren. Zu diesen medialen Aspekten bemerkt dieselbe Vorrede weiter: Man beleget dergleichen Piecen, wie der Staats=Mann ist, zwar mit dem Namen eines Journals, und man muß sich solchen Namen auch gefallen lassen. Man hoffet aber, er werde sich von andern Journalen, sowohl durch die gründlichen Raisonnemens, als auch durch seine in sich haltende wahre Nachrichten, gar sehr distinguiren. [...] Allein vor offenbare Unwahrheiten solle man sich bey Journalen allerdings hüten, daferne sie anders vor eine richtige Historie der Zeit, in welcher sie geschrieben werden, wollen angesehen seyn.110

Wenn sich Organe wie der Staats=Mann, so der leicht abschätzige Tenor dieses Zitats, schon zu den Journalen zählen lassen müßten, dann sollten sie sich jedoch durch ihre vergleichsweise hohe Qualität auszeichnen und eine „richtiges“ Bild der Historie vermitteln. Fassmann richtet an dieser Stelle sein Augenmerk auf eine aktuelle, gleichsam medientheoretische Diskussion, die er argumentativ für sich entscheiden möchte. Die eigenen literarischen Erzeugnisse präsentiert er seinen Lesern sowohl durch eigene positive Aussagen und Vergleiche als auch durch die Zitation geeigneter Organe (wie den Leipziger Zeitungen von gelehrten Sachen) in einem positiven Licht. Wenn es darum ging, die Gunst wertender (und zahlender) Käufer zu gewinnen, mochte sich eine solche Vorgehensweise als erfolgreich erweisen. Da die Journale besonders den schnelleren Zeitungen im Hinblick auf aktuelle Nachrichten unterlegen waren, mußten Argumente ins Feld geführt werden, die die Zuverlässigkeit und Qualität der etwas behäbigeren Organe wie der Journale betonten. Alle historischpolitisch orientierten Periodika wie der Staats=Mann oder die Gespräche taten gut daran, diesen augenscheinlichen Nachteil in einen Vorteil zu wenden und sich gegen andere, konkurrierende Journale geschickt in Szene zu setzen: Es bleibet demnach dabey, daß gute Journale, wann sie eine Historie ihrer Zeit heissen wollen, auf die man sich verlassen kan, von allen groben Fehlern und Unwahrheiten sollen

gang Deerens Buchladen, zu haben des Historischen Staats=Mannes Zweyter Band, so aus 6. Stücken, jedwedes 15. biß 16. Bogen in 8vo, zusamt einem Register über selbigen bestehet. Solcher Staats=Mann erzehlet den jetzigen und vorherigen Zustand derer meisten Europäischen Höfe kurtz und deutlich, raisonniret auch aus Erfahrung davon gantz gründlich; und da er keine ungewissen Dinge, sondern lauter geschehene Sachen in sich fasset, so wird man selbigen künfftig als ein compendioses Chronicon mit Nutzen gebrauchen können.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 14. 110 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 14 [Hervorhebung – SD].

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befreyet seyn. Zeitungen hingegen ist es gar nicht zu verdencken, wann man bißweilen Lügen und gantz falsche Erzehlungen in denselben findet. Denn die Zeitungen haben ihre gewissen Tage, an welchen die Blätter voll seyn müssen, die Materie mag kommen woher sie will. Sollten aber die Zeitungen lauter Wahrheiten führen, würden die Blätter öffters über die massen leer aussehen. Mit Journalen hingegen solle es, wie gesagt, gantz anders gehalten werden, weil man ja die Zeit erwarten kan, biß dieses oder jenes zur Genüge confirmiret ist, und man nicht Ursache hat, sich zu übereilen; es geschehe dann um Gewinnstes und Eigennutzes willen.111

In der Vorrede zum XIII. Band kritisiert Fassmann alle Nachteile und Fehler, die er an Zeitungen findet. Er geht davon aus, daß „ansehnliche und feine Leute“ Journale lesen sollten, weil in ihnen zuverlässigere Nachrichten von den bedeutsamen politischen und historischen Ereignissen zu finden seien.112 Die Kritikpunkte, die im Zuge dieser Vorrede an den Zeitungen geäußert werden, lauten: 1.) Zahlen wie Heerstärken oder Tote während einer kriegerischen Auseinandersetzung sind häufig übertrieben. 2.) Katastrophen und Ereignisse werden schlimmer dargestellt, als sie waren, oder haben niemals stattgefunden. 3.) Fakten und Hintergründe sind schlecht und fehlerhaft recherchiert. Anhand zahlreicher Beispiele aus verschiedenen nicht namentlich bezeichneten Zeitungen versuchte Fassmann, seine Position in diesem medialen Wettkampf um die Gunst der Leser zu stärken.113 Er wendete sich hier dezidiert gegen diejenigen, die den Zeitungen oder Novellen rein positiv gegenüberstanden. In öffentlich publizierten Parteinahmen, wie sie bei Christian Weise114 oder Caspar Stieler115 gefunden werden konnten, war nur kurze Zeit vor dem

111 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 17. Fassmann widerspricht sich hier in gewissem Sinne, weil er an anderer Stelle schon betont hatte, daß er es sich im Gegensatz zu manch behäbigem (Halb)Gelehrten leisten könne, sich ein halbes Jahr für jede Publikation Zeit zu lassen. Vgl. dazu Bd. III, Vorrede, S. 2 (unpag.). 112 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 18. 113 Fassmann nennt zwar keine Namen, sagt jedoch, daß der geneigte Leser die einschlägigen Erzeugnisse wahrscheinlich wiedererkennen würde: „Die Namen solcher Zeitungen, und den Ort, wo sie gedrucket werden, will ich zwar ménagiren; doch aber sie ein wenig so beschreiben, daß man dieselben gar leichtlich erkennen kan.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede, Leipzig 1734, S. 18. 114 Christian Weise: Curiöse Gedancken von den Novellen oder Zeitungen. Denen, ausser der Einleitung, wie man Novellen mit Nutzen lesen solle, annoch beygefügt sind, Der Kern der Zeitungen vom Jahr 1660 bis 1702. Eine kurtzgefasste Geographie, Eine Compendieuse Genealogie aller in Europa regierenden hohen Häuser, und Ein sehr dienliches Zeitungs=Lexicon, Frankfurt 1703. Zu Weise siehe: Gerhard Dünnhaupt: Christian Weise (1642–1708), in: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, Bd. 6, Stuttgart 21993, S. 4179–4250. Weises Werke erschienen u. a. auch unter den Pseudonymen Catharinus Civilis und Orontes. 115 Caspar Stieler: Zeitungs Lust und Nutz oder derer so genannten Novellen oder Zeitungen wirckende Ergetzlichkeit, Anmuth, Nothwendigkeit und Frommen, auch was bey deren Lesung

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Erscheinen der Leipziger Totengespräche und des Staats=Mannes noch der Tenor vorherrschend, daß Zeitungen für den interessierten Leser von großem Nutzen sein konnten. Fassmann distanzierte sich mitsamt seinem neueren Medium, dem historisch-politischen Journal, verständlicherweise von der anfänglich durchaus weitere Kreise ziehenden Begeisterung für Zeitungen. Er stellte den Gewinn heraus, der sich zwangsläufig für den vernünftig denkenden Leser aus der Journallektüre ergeben mußte. Zeitungen wurden von ihm zwar nicht als völlig nutzlos verurteilt, aber wegen der fehlenden Zuverlässigkeit und übertriebenen Darstellung als weniger beständig und wertvoll beurteilt. Die Vorteile der Journale lagen seiner Argumentation nach auf der Hand: Wer demnach ein richtiges Concept von denen Conjuncturen und allen wichtigen Begebenheiten haben will, der solte billig, nebst denen Zeitungen, auf die er seine Affection geworffen, ein aufrichtiges Journal lesen. Erwehlet aber jemand hierzu den Staats=Mann, welchen ich recommendiret; so findet man, nebst wahren Nachrichten, gründlichen Raisonnemens und Historischen Erläuterungen, auch allemal, daß er mit einem satyrischen Kupffer versehen. 116

Die Werbung für Fassmann anderes historisch-politisches Journal, den Staats= Mann, faßt auf knappstem Raum die Absichten des Autors zusammen: Der interessierte Leser konnte sich durch den Kauf eines „aufrichtigen“ Journals erstens ein exaktes Bild von allen wichtigen Ereignissen machen, zweitens eine gründliche Reflexion über jene Begebenheiten erwarten, drittens historisch bedeutsame Ereignisse kennenlernen und viertens, sich an witzig-satirischen bildlichen Darstellungen zum Thema ergötzen, so der an dieser Stelle formulierte Anspruch an das eigene Medium. Die Absicht, seine Leser im Falle der Gespräche aus dem Reiche derer Todten mit Hilfe von Dialogen historisch und politisch zu unterrichten, schloß nicht aus (wie es stellenweise schon deutlich wurde), zugleich auch neueste Nachrichten mit teilweise durchaus ‚skandalösem‘ bzw. gewagtem Inhalt zu präsentieren. Besonders die Eingangsdialoge und der die Gespräche abschließende Nachrichtenteil waren die Orte, an denen Fassmann seinen Lesern besondere Informationen und aktuelle oder allgemein interessante Diskurse vorstellen konnte, da der Mittelteil vornehmlich der Parallelerzählung der Biogra-

zu lernen, zu beobachten und zu bedencken sey; samt einem vermehrten Anhang bestehende in Erklärung derer in den Zeitungen vorkommenden fremden Wörter [...], entworffen von dem Spaten, Hamburg 1697, ND Bremen 1969. ‚Spaten‘ war Stielers Pseudonym. Zu Stielers Werkeverzeichnis siehe Gerhard Dünnhaupt: Kaspar Stieler (1632–1707), in: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, Bd. 6, Stuttgart 21993, S. 3951–3972. 116 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 21. (zu der Bedeutung des Titelkupfers vgl. 4.2.3 Das Titelblatt).

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phien seiner Figuren vorbehalten war. Seine bewußt abwechslungsreich gestaltete Mischung von Themen war sicherlich ein wichtiger Grund, warum gerade dieses Journal auf Dauer derart große Leserzahlen aufweisen konnte. Trotz (oder gerade wegen) seines Erfolges sah sich Fassmann gezwungen, seine eklektizistische Vorgehensweise öffentlich zu rechtfertigen. Die eigentliche Absicht (nämlich historisch-politisches Wissen zu vermitteln) und das faktische Vorhandensein so vieler anders gewichteter und stellenweise gewagter Inhalte mußten vom Autor argumentativ in Einklang gebracht werden. Fassmann beschreibt die Schwierigkeit, zunächst einmal den unterschiedlichen Erwartungen seiner Leserschaft gerecht zu werden, in der Vorrede zum VII. Band seiner Totengespräche: Von Herzen wünschte ich, daß ich allen und jeden Liebhabern und Lesern meiner Entrevüen möchte recht thun, und sie vollkommen vergnügen können. Allein dieses ist eine schwere Sache. Dem einen sind sie bißweilen zu lustig; dem andern zu traurig. Der eine ergötzet sich, wann er etwas von Liebes=Streichen höret; und der andere schüttelt den Kopff darzu. Jedoch bitte ich diese letztern, wohl zu bedenken, ob nicht derer Liebes=Streiche eine unzehlige Menge, in der heiligen Historie sowohl, als in der Profan=Historie anzutreffen sind.117

Die Rechtfertigung für seine Themen scheint allem Anschein nach weniger einem inneren Bedürfnis als der Kritik durch Dritte geschuldet zu sein, die sich negativ über sein Journal äußerten. In einer längeren Passage aus jener schon oben zitierten Vorrede zählt Fassmann einige sowohl antike als auch biblische Autoritäten auf, die Werke überliefert hätten, deren Inhalt thematisch und vor allem sittlich strenggenommen als zweifelhaft anzusehen sei. Gleichwohl zählten sie mittlerweile zu den kanonischen Texten. Der Allgemeinplatz (nämlich daß auch ‚die Alten‘ von der körperlichen Liebe geschrieben hätten) wird an dieser Stelle als Rechtfertigung herangezogen, die sowohl dem unterschiedlichen Leser- als auch Kritikergeschmack Rechnung tragen soll. Als richtende Instanz und entscheidendes Kriterium führte Fassmann in dieser Vorrede die Autorität der historischen Lexika an, in denen eben auch die (Un)Taten mythischer Gestalten wie denen des Zeus oder der Pasiphae aufgeführt seien. Folglich könne auch er in seinem Journal die venerischen Abenteuer verschiedener Zeiten und Menschen schildern. Dies sei nicht nur zulässig, so Fassmanns Ausführungen weiter, sondern geradezu notwendig, wenn man die Geschichte nicht verfälschen und grob entstellen wollte.118 Die Lektionen, die durch jene

117 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VII, Vorrede, Leipzig 1726, S. 3. 118 Zu den Liebesgeschichten bemerkt die Vorrede zum VII. Band: „Endlich, was stehet nicht hin und wieder, in vielen herrlichen Autoribus, von dem unkeuschen Dienst angemercket, welchen man der Göttin Venus in verschiedenen, ihr gewidmeten, Tempeln geleistet. Gleichwohl hat sich noch niemand gefunden, der alle diese Dinge hätte auskratzen wollen; und es würde

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„Liebes=Streiche“ erteilt würden, gehörten seinem Konzept nach durchaus zum Bildungsprogramm seines an der Historie ausgerichteten Periodikums. Durch die emotionale Wirkung der Liebesgeschichten und die dadurch entstehende Anteilnahme des Lesers würde die Geschichte ihre ureigene Funktion als „Lehrmeisterin“ noch besser ausüben können. Dies wäre jedoch unmöglich, würde das Thema der menschlichen Liebe schamhaft ausgespart: Zu beklagen wäre sodann die Historie, welche doch eine vortreffliche Lehrmeisterin vor alle diejenigen, so sie lesen, und darinnen studieren. Sie ist es, welche die Menschen unterrichtet, und machet, daß man Menschen kennen lernet, indem dieselbe zeiget, was Menschen zu thun capable sind; was sich vor Revolutiones in der Welt ereignen; wie die Absichten, Anschläge und Hoffnung derer Menschen, vielfältig, durch die Hand des Himmels zernichtet werden; wie der Himmel die Menschen hohe sowohl als Niedrige, zu straffen pfleget; und wie sich die Menschen Glücks= und Unglücks=Fälle, Freud und Leid gefallen lassen, auch sich haben comportiren müssen. Kurtz zu sagen, die Historie mag eine Cynosur119, Regel und Richtschnur genennet werden, wonach ein jedweder, absonderlich Leute von guter Condition, und hohen Standes, ihr Leben und gantzes Wesen anordnen können.120

Noch deutlicher als zu Beginn der Vorrede formulierte Fassmann hier also seinen weit gefaßten Anspruch an seine Totengespräche: „Jedweder“, der lesen konnte, war aufgefordert, durch die Lektüre in der Geschichte gute Lehren für sein eigenes Leben und Handeln finden. Nicht nur diejenigen, die den niederen Ständen angehörten, sollten durch das Studium der Dialoge zu einem besseren Leben angeregt werden, sondern gerade diejenigen, die von „guter Condition“ waren, wurden an dieser Stelle herausgehoben.121 In seiner Parteinahme für die „Liebes=Streiche“ machte Fassmann erneut deutliche Anleihen bei Thomasius’ Monatsgesprächen, in denen Herr Christoph sich über eben jenes Thema mit Herrn Benedict stritt. In der Januarausgabe der Monatsgespräche von 1688 wurde von erstem der Umstand hervorgehoben, daß geschichtliches Wissen am besten anhand eines geeigneten Liebespaares vermittel- und erinnerbar

auch, in der That, mancher herrlicher Autor zernichtet, ja die gantze Historie zerstümmelt seyn, wann man das ausmertzen wolte, was von Liebes=Streichen und Buhlereyen darinnen enthalten.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede zu Bd. VII, Leipzig 1726, S. 4. 119 Cynosura (griech. Schwanz des Hundes) ist eine seltenere Bezeichnung für den Polarstern, der traditionell zur Orientierung herangezogen wurde. 120 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VII, Vorrede, Leipzig 1726, S. 4 f. 121 In diesem Punkt orientiert sich Fassmann argumentativ an Fénelons Bildungsprogramm für den Dauphin, das ausdrücklich die Totengespräche als geeignetes Mittel ansah, adeligen Männern geschichtliches und genealogisches Wissen zu vermitteln (vgl. 3.4.1 Die Erziehung des Duc de Bourgogne zum ‚guten Fürsten‘).

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wäre, während Herr Benedict diese Haltung deutlich ablehnte.122 Von Thomasisus’ Argumentation übernahm Fassmann hier neben dem Thema und den kontrovers geführten Meinungen besonders den Aspekt der Lebendigkeit. Sie diente ihm wiederholt als Rechtfertigung, in seinen Gesprächen Figurenpaarungen zu zeigen, die über den eigentlichen Wissensstoff hinaus in ihren Dialogen durchaus auch strittige Themen und gewagte Nachrichten ansprechen konnten. Die Bildung stellte für Fassmann einen der wichtigsten Aspekte im Programm seines Periodikums dar.123 Damit die in seinem Journal vorgestellten Wissensgebiete im Gedächtnis der Leser blieben, sollte seiner Argumentation nach eben jene Lebhafftigkeit die gedankliche Auseinandersetzung der Rezipienten mit den vorgestellten Themen befördern.124 Mit ihrer Hilfe mochte auch, so kann man ergänzen, die allgemeine Attraktivität der Dialoge erhöht werden. Diese als zwingend erforderlich dargestellte Eigenschaft der Texte (eben ihre Lebhafftigkeit) konnte durch verschiedene Kunstgriffe vom Autor gleichsam hergestellt werden. Es galt also z. B., wenig spannende Figurenkonstellationen zu vermeiden oder innerhalb der Entrevuen für abwechslungsreiche Dialoge zu sorgen (vgl. 5.3.2 ‚Lust und Nutz‘ der kontrastiven Figurenpaarungen). Der politisch-historische Charakter der Gespräche in dem Reiche derer Todten wurde so ergänzt durch weitere, diesem Themenkreis nicht von vornherein angehörende Elemente.125 Konsequent entwickelte Fassmann ein Konzept wei-

122 Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 43 ff. 123 Dem Bildungsgedanken und didaktischen Anspruch der Gespräche gemäß erklärte Fassmann mit der lateinischen Sentenz: „Historiarum Ignari semper sunt Pueri.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIV, Vorrede, Leipzig 1736, S. 8. 124 Fassmann befindet sich mit dieser Vorstellung im Einklang mit zeitgenössischen Konzepten wie sie z. B. in der Wolffschen Psychologia empirica [1732] entwickelt wurden, die davon ausgingen, daß eine lebhafte Darstellung von Sachverhalten dazu führte, daß diese den Scharfsinn (acumen) und die Einbildungskraft (imaginatio) der Rezipienten anregten und sich dadurch besser in das Gedächtnis einprägten. Vgl. dazu Robert Seidel: Zwischen rhetorischer Poetik und philosophischer Ästhetik. Johann Georg Bocks Königsberger Dissertatio de pulchritudine carminum [1733] im Kontext zeitgenössischer Diskurse, in: Die Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit, hg. v. Hanspeter Marti u. Manfred Komorowski, Köln u. a. 2008, S. 139– 171, hier bes. S. 153 ff. 125 Die systematische Erforschung der historisch-politischen Zeitschriften steht bis heute noch ganz am Anfang. Horst W. Blanke unterscheidet grundsätzlich zwei Kategorien von historischen Periodika: die Historischen und Geographischen Zeitschriften und die Historisch-Politischen Zeitschriften. Bei der letztgenannten Kategorie, unter die auch Fassmanns Gespräche zu zählen sind, werden noch einmal neun verschiedene Typen klassifiziert, die den unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten der zahlreichen periodischen Neuerscheinungen im 18. Jahrhundert Rechnung tragen sollen (z. B. Rezension, Genealogie, Numismatik, Regionalgeschichte, Quellenedition, allgemeine Zeitgeschichte). Über den weiterführenden Nutzen sol-

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ter, dessen Bestandteile sowohl in den Textsorten Totengespräch und Parallelbiographie als auch im Medium Zeitschrift nur in Ansätzen oder zumindest weniger prominent zu finden waren: Immer unter der Prämisse, daß jene Lebhafftigkeit oberstes Gebot sein sollte, gesellten sich zur historisch-belehrenden Intention des Journals weitere Aspekte hinzu, deren Merkmale und Bedeutung im Folgenden aufgezeigt werden sollen.

4.1.3 Die ethisch-moralische Didaxe Fassmann wollte mit seinen Gesprächen in dem Reiche derer Todten nicht nur Wissen verbreiten, das im weitesten Sinne historische und politische Belange berührte, sondern er wollte darüber hinaus seine Leser noch auf anderen Gebieten bilden: Neben der Vermittlung neuester Nachrichten und den über diese gemachten Reflexionen war es vor allem auch die ethisch-moralische Didaxe, die in den Dialogen der ‚Schatten‘ eine wichtige Rolle spielte. Fassmann sah sein Periodikum auch als ein Mittel an, die Sinne seiner Leser zu schärfen in Bezug auf allgemein menschliche bzw. moralische Fragen.126 Ausgehend vom geschichtlich-belehrenden Charakter des Periodikums erläutert das Vorwort zum Supplement-Band diese Ansprüche noch einmal genauer: Also sind die Entrevuën, und das Supplement, zusammen ein solches Historisches Corpus, das mit lauter merckwürdigen Erzehlungen angefüllet. Man lernet daraus die Welt kennen, und die Menschen, ersiehet auch, was Ambition, Interesse, Haß, Feindschafft, Lügen und Verleumdungen anzurichten vermögend sind; auch was mancher Mensch vor wundersame Fata, Glücks= oder Unglücks=Fälle, haben kan. Ja daß die Höchsten und Gewaltigsten auf Erden in den tiefsten Abgrund des Verderbens fallen; geringe Leute hingegen zu dem höchsten Gipffel der Glückseligkeit und Ehre gelangen können.127

cher Klassifizierungen ließe sich streiten, dennoch vermittelt die Aufteilung der historischpolitischen Journale in einzelne Typen einen ungefähren Eindruck von der Vielfältigkeit und beginnenden Ausformung spezialisierter Interessen im 18. Jahrhundert. Zu den verschiedenen Typen vgl. Blanke, Historische Zeitschriften, S. 75 ff. 126 Fassmann folgte hier der gängigen Vorstellung, daß der Mensch mit auch mit Hilfe neuer Medien wie den Journalen moralisch zu disziplinieren sei. Rolf Grimminger bemerkt zur Rolle der Sittenlehre: „Die bürgerliche Moral des 18. Jahrhunderts verstärkt die autonome Selbstkontrolle, die vernünftige Selbstbeherrschung der Individuen. Dies wiederum ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß sie die kreatürlichen ›Neigungen‹ ihrer Affekte mindestens zu disziplinieren, wenn schon nicht nahezu gänzlich zu unterdrücken lernen.“ Rolf Grimminger, Aufklärung, Absolutismus und bürgerliche Individuen, S. 22. 127 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 2 (unpag.).

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In diesem kurzen Abschnitt werden sechs unterschiedliche Aspekte zusammengefaßt, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen: Zuerst ist festzuhalten, daß diese Vorrede noch einmal den Gesamtcharakter des Leipziger Periodikums bestimmt, und zwar als ein „Historisches Corpus“. Diese Charakterisierung steht an erster und exponiertester Stelle und bestimmt rückwirkend (nach 22-jähriger Erscheinungsdauer) noch einmal den Anspruch, mit Hilfe dieser Reihe wichtige historisch-politische Kenntnisse zu verbreiten. Zweitens sind für den Autor der Vorrede die „merckwürdigen Erzehlungen“ ein bestimmendes Merkmal dieser Publikation. Er verweist hier noch einmal kurz auf den Modus, in welchem die Entrevuen dem Leser dargeboten werden, und damit auf die Erzählstruktur der Dialoge. Ihr Gehalt sollte durch eine ansprechend gestaltete, d. h. unterhaltsame und abwechslungsreiche Gesprächsstruktur im Gedächtnis des Lesers verankert werden. Der dritte und vielleicht ambitionierteste Aspekt, der in dieser Vorrede herausgestellt wird, ist der Nutzen, den die Leser in den Gesprächen des Journals finden sollten. Durch die Lektüre und das kontinuierliche Studium der Totengespräche lerne man „die Welt [...] und den Menschen“ kennen. Das Periodikum erfüllt dieser Behauptung nach den Anspruch, sowohl die bedeutendsten politischen und historischen Zusammenhänge im Weltgeschehen zu beleuchten und begreifbar zu machen, als auch die Taten und den Charakter einzelner Individuen in einen größeren ethisch-moralischen Zusammenhang zu stellen. Rückblickend sieht Fassmann in seinem Supplement-Band genau diese Intention als eine der wichtigsten seiner publizistisch so erfolgreichen Totengespräche an. In diesem Diktum treffen sich die für den Autor der Totengespräche bestimmenden Faktoren: Zum einen verdeutlicht er noch einmal das Ziel, seine Leser an den bedeutendsten Ereignissen und Entwicklungen teilhaben zu lassen. Zum anderen zeigt er damit seine Methode auf, nach der er Historie am Beispiel realer menschlicher Figuren lehrt, die ihre (mehr oder weniger bedeutsamen) Taten in einem zweiten Schritt neben den moralischen, sittlichen und allgemein menschlichen Aspekten in den Blickpunkt der Leser rücken. Geschichte wird in den Gesprächen immer anhand geeigneter Figuren vermittelt, die das bereits erwähnte Konzept der Lebhafftigkeit vielleicht am besten verdeutlichen. Der vierte Aspekt, der im oben genannten Zitat angeführt wird, besteht in Fassmanns Absicht, seine Intentionen (hier besonders die ethisch-moralische Didaxe) anhand konkreter Beispiele faßbar zu machen: Die durch die (mehr oder weniger) berühmten Toten gezeigten menschlichen Eigenschaften, Gefühle und Taten wie „Ambition, Interesse, Haß, Feindschafft, Lügen und Verleumdungen“ sollen mit Hilfe der Totengespräche beispielhaft vorgeführt werden. Der Leser soll dem Konzept des Journals nach in der Lage sein, richtige von

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falschen Verhaltensweisen zu unterscheiden und sein eigenes Handeln danach auszurichten. Ähnlich wie die guten und schlechten Eigenschaften und Taten der im Journal vorgeführten Figuren sind fünftens menschliches Glück und Unglücksfälle im Leben der Verstorbenen wichtige Themen. Die unterschiedlichen Schicksale oder „fata“ spielten in der Konzeption der Dialoge eine wichtige Rolle, weil anhand dieser exemplifiziert werden konnte, wie man sich als Individuum im Guten wie im Schlechten moralisch zu verhalten habe – oder, wenn man den rechten Weg verfehlte, welche Konsequenzen aus dem eigenen Fehlverhalten logischerweise zu erwarten waren. Der Gedanke von „Glücks= und Unglücks=Fällen“ mündet in dem oben zitierten Abschnitt in eine Behauptung, die einen populären Ton anschlägt: Gleichsam als ausgleichende Gerechtigkeit soll der Leser den Umstand begreifen, daß oft gerade die am höchsten Stehenden den tiefsten Fall erleiden mußten (und müssen) und die weniger Glücklichen angeblich zum höchsten „Gipffel der Glückseligkeit und Ehre“ gelangen konnten.128 Wer also die Totengespräche Fassmanns regelmäßig las, konnte durch aufmerksames Studium zu dem tröstlichen Schluß gelangen, daß sich – unabhängig von hoher oder niederer Geburt – das rechte Verhalten am Ende auszahlen konnte; wer sich hingegen auf seine gute Abstammung verließ, alle ehedem erlernten Grundsätze und Weisheiten ignorierte und sich statt dessen seinen Begierden und Leidenschaften hingab, der konnte sich früher oder später auf ein unsanftes Ende gefaßt machen.129 Dies suggerierten zumindest viele Lebensläufe und Anekdoten aus Fassmanns Periodikum, nach denen eine untadelige Lebensführung bedeutete, auch nach dem Tod angenehm zu logieren, ein moralisch zu tadelnder Lebenswandel jedoch negative Auswirkungen hat-

128 Der Mensch, dem dies nicht vergönnt war, könne durch die Lektüre der Gespräch getröstet werden: „Wird er aber, wider sein Verschulden, ja in der Welt unglückselig, so gereicht es ihm zum Trost, wann er aus dieser Historischen Schatz=Kammer ersiehet, daß es vielen andern, die vielleicht weit höher, besser und gerechter gewesen als er, ebenfalls nicht besser ergangen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Vorbericht, Leipzig 1740, S. 2 (unpag.). 129 Der Gedanke des Trostes spielt in Fassmanns Argumentation eine wichtige Rolle. Um den moralisch-lehrhaften Charakter seines Periodikums zu betonen, erklärt Fassmann im Vorbericht zum XVI. Band seiner Gespräche sein Periodikum zu einem fast religös anmutenden ‚Heilmittel‘: „Endlich erlernet man, aus dem Supplement, und denen Entrevüen, wie man auch sonst in grossen Nöthen, Betrübniß, Creutz, und schweren Anliegen, Gedult haben müsse. Denn man ersiehet, was das Kräutlein Patientia, so keineswegs in allen Gärten wächset, für eine herrliche Medicin, und was es schon vor eine wundersame Wirckung gethan hat, wann man den Zucker der Klugheit damit vermischet; im übrigen aber Gott vertrauet, die die, so ihre Zuversicht auf ihn setzen, nicht verlässet.“ Fassmann, Gespräche in dem Reich derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 2 f. (unpag).

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te: Wer auf Erden ein Tunichtgut und Wüstling war, durfte auch in der Welt der Toten nicht in den elysischen Gefilden weilen, sondern mußte sein Quartier in den weniger attraktiven Gegenden des Totenreiches aufschlagen (vgl. auch 6.1 Die Unterwelt als Insel). Unabhängig vom ehemaligen weltlichen Status einer Figur nahm diese den ihr gebührenden Platz in der Unterwelt ein. In Anlehnung an Fénelons Dialogues des morts entwickelte Fassmann mit seinen Entrevuen verschiedene erzieherische Strategien: Die erste orientierte sich im weiteren Sinne an der abendländisch-christlich geprägten Tradition, nach der auch ein durchschnittlich gebildeter Leser bemerken sollte, daß die Taten eines Menschen zu seinen Lebzeiten Auswirkungen auf seine Daseinsform nach dem Tod hatten. Die parallel erzählten Lebensläufe der Toten waren Fassmanns Konzept gemäß dazu gedacht, bestärkendes Vorbild oder abschreckende Warnung für seine Leser zu sein: Inzwischen werdet ihr, Allerdurchlauchtigste [...] Todte / erlauben, daß ich euer Leben und Thaten mit solchen Farben abmahle, die darzu gehören, die Heucheley hingegen gäntzlich auf die Seite setze. Car il faut toujours rendre justice à la verité, man muß absolument der Wahrheit Gerechtigkeit wiederfahren [sic] lassen, und ihr seyd theils pure Tugend= theils grosse Laster=Spiegel. Wer demnach klug ist wird euch in dem guten imitiren, aus euer Historie aber die Laster hassen lernen, weil ihr durch solche vielmals in grosse Gefahr gestürtzet worden, auch zum Theil darinnen umgekommen.130

Der vernünftige und kluge Leser konnte also durch die Lektüre gute und schlechte Lebensläufe verfolgen und die Konsequenzen der verschiedenen Handlungsweisen nachvollziehen. Wie bei Plutarchs Parallelbiographien ließ Fassmann sowohl positive als auch negative Figuren auftreten, deren Kontrastwirkung einen interessanten und lehrreichen Effekt abgeben sollte (vgl. 5.3.2 ‚Lust und Nutz‘ der kontrastiven Figurenpaarungen).131 130 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. II, Dedikation, Leipzig 1720, S. 2 (unpag.). 131 In Anlehnung an Plutarchs Viten mögen Fassmann Personen als besonders reizvoll erschienen sein, deren Taten und Charakter nicht nur eine einzige Lesart vorgaben, sondern sowohl als gut als auch als schlecht interpretiert werden konnten. In der Dedikation des VII. Bandes seiner Gespräche in dem Reiche derer Todten läßt Fassmann Ovid zu einer solchen ambivalenten Figur werden: Einerseits würde er von den Gelehrten wegen seiner Literatur geliebt und verehrt, andererseits sei er wegen seiner Laster zu tadeln: „[...] so bist du doch einer von denenjenigen glückseligen Männern, die, ob sie sich schon unter der Zahl derer Todten befinden, nichts destoweniger, den [sic] Namen und Gedächtniß nach leben; ja deren Ruhm so lange, als die Welt selber, bestehen wird. [...] Gleichwie aber, o du ungemeiner Ovidius! niemals nur allein von denen Tugenden und guten Qualitäten eines Menschen, sondern auch von dessen Fehlern und anklebenden Schwachheiten geredet wird; also gehet es dir ebenfalls nicht besser. Viele nennen dich einen excessiven Weinsäuffer, der die Bouteille, nebst dem Wein Glaß, stets zu seiner Seite und an der Hand stehen gehabt; ja sich alle Tage toll und

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Die zweite Strategie, die Fassmann in seinen Gesprächen verfolgte, bestand darin, den Leserinnen und Lesern zu zeigen, daß auch die mächtigsten Herrscher von der Kritik durch die Nachwelt nicht verschont blieben. Das bedeutete, daß die in den Totengesprächen entworfene Welt eine besondere Form des Nachlebens konstruierte, nach der der Leser Rückschlüsse ziehen konnte auf das reale, d. h. historisch faßbare Leben einer Figur. Fassmanns Totengespräche boten so die Möglichkeit (je nach Lebenswandel auch die Gefahr), eine neue Art von Andenken zu erschaffen, das durch seine Form a priori dialektisch-kritisch angelegt war. Auch wenn es sich bei den Schatten meist um hochgestellte Persönlichkeiten handelte, konnte der Leser begreifen, daß sich auf der Ebene der literarischen Fiktion eine Instanz formierte, durch die ein Lebenslauf öffentlich kritisch beurteilt und des Öfteren auch verurteilt wurde. Die Dialoge funktionierten in Anlehnung an Fénelons Konzept so auch als eine Art Fürstenspiegel, denn – ob übertrieben dargestellt oder nicht – auch Adelige gehörten seinem Vernehmen nach zu den Lesern seiner Dialoge und bedurften, auch wenn sie vom Alter her Fénelons Schüler, den Dauphin, weit übertrafen, der ethisch-moralischen Unterweisung. Die Tatsache, daß die Biographien zahlreicher Monarchen, Würdenträger und anderer wichtiger Persönlichkeiten innerhalb eines derart weitverbreiteten Mediums wie dem Journal kritisch diskutiert wurden, zählt mit Sicherheit zu den subversivsten und aufklärerischsten Elementen in Fassmanns Werk. Diesem tendenziell aufklärerischen Ansatz gegenüber steht eine abendländisch-christlich tradierte Morallehre, nach der Fassmann in seinen Totengesprächen bestimmte Tugenden und Laster als erstrebenswert bzw. verwerflich darstellt. Besonders deutlich wird dies immer dann, wenn die Sprache auf allgemein menschliche Schwächen und ablehnenswerte Verhaltensweisen kommt. In der Widmung zum IX. Band wird etwa Demokrit als „vortrefflicher Weltweiser und grosser Lacher“ angesprochen. Sein Schicksal nimmt sich Fassmann zum Vorbild, um zu zeigen, welche Übel in der Welt zu tadeln (und auszulachen) seien.132 In langer Folge zählt die Dedikation Eigenschaften und Verhaltensweisen auf, die es lächerlich zu machen gelte: den allgemeinen Zustand der Welt, diejenigen Menschen, die einen baldigen Krieg prophezeit hatten, den spanischen General Torres, der Gibraltar besetzt hatte, unsinnige Plä-

voll gesoffen habe.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VII, Dedikation, Leipzig 1726, S. 10. 132 An dieser Stelle heißt es: „Aus deinem Lachen erschallet die Weißheit, und du lachest über nichts, als solche Dinge, welche unter die Thorheiten zu rechnen, und Auslachens=würdig sind“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX, Dedikation, Leipzig 1728, S. 4 (unpag.).

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ne und vergebliche Hoffnungen, böse Gemüter, Neider und Eingebildete, Verleumder, Heuchler, Spieler, Huren, Geizige, Verschwender, Hoffärtige, eitle Frauenzimmer etc.133 An dieser Reihe wird erkenntlich, wie Fassmann versucht, verschiedene Bereiche sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Er erwähnt in dieser Vorrede aktuelle politische Ereignisse (wie die spanische Belagerung Gibraltars), kritisiert in seinen Augen fehlgeleitete Haltungen (z. B. derjenigen, die einen Krieg vorhergesagt hatten), prangert allgemein verwerfliches Verhalten an (Ehrgeiz, Verschwendung, Trunksucht usw.) und stellt darüber hinaus einmal mehr persönliche Bezüge zu seinem Journal her, indem er die Neider, Heuchler und Verleumder nennt, die in den Paratexten immer wieder negativ dargestellt werden. Demokrit wird stellvertretend als ein Weiser angesprochen, der sich über all die angeführten Laster und Fehler der Menschen lustig machen soll; der Leser kann sich entscheiden, ob er sich auf die Seite des klugen „Weltweisen“ stellt oder seine eigenen Verfehlungen in der aufgezählten Reihe wiedererkennt (und, so die Hoffnung des Autors, auch bereut). Die Eigenschaften und Taten, die Fassmann an dieser Stelle in einer Art Lasterkatalog präsentiert, sind, abgesehen von den aktuellen historisch-politischen und persönlichen Bezügen, konform mit gängigen christlich geprägten Vorstellungen. Gegen Ende der Widmung erfolgt ein Rückgriff auf den barocken Vanitas-Gedanken, nach dem der allen menschlichen Gebrechen unterworfene Leib endlich vergehen muß und alle Eitelkeiten dieser Welt mit ihm. Demokrit soll, so der abschließende Wunsch der Widmung, nicht aufhören mit seinem Lachen über die menschliche Vermessenheit: Ja Democrite! Du vortrefflicher Weltweiser und grosser Lacher! Lache über alle Narrheiten, Thorheiten und Eitelkeiten, die in allen Ständen, und in allen Classen derer Menschen, anzutreffen sind. Lache darüber, und werde des Lachens nicht eher müde, biß die Menschen klug werden, wie sie seyn sollen, und auch einige unter ihnen sind, ob sie schon den geringsten Theil ausmachen.134

An dieser Stelle wird Fassmanns Bestreben deutlich, seine Leserschaft von der moralisch-ethischen Qualität seines Journals zu überzeugen. Die Dedikation des Bandes an Demokrit dient als programmatischer Appell an die Vernunft und das sittliche Empfinden seiner Leser, die sich nach der Lektüre der Totengespräche sicher sein sollten, auch etwas zu ihrer Erbauung getan zu haben.

133 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX, Dedikation, Leipzig 1728, S. 4– 10. 134 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX, Leipzig 1728, Dedikation, S. 10 (unpag.).

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Diese zweite Intention verdeutlicht ein weiteres Mal den tendenziell aufklärerischen Impetus Fassmanns. Ähnlich den zeitgenössischen Moralischen Wochenschriften wie dem Hamburger Patriot oder Gottscheds Vernünfftigen Tadlerinnen richten auch die Gespräche ihr Augenmerk auf die ethisch-moralische Bildung der Rezipienten. Winfried Müller bemerkt zur Rolle der ethischen Erziehung in den populären Zeitschriften der Epoche, vor allem den Moralischen Wochenschriften: Angelehnt an englische Vorbilder, hatten sie [die Moralischen Wochenschriften – SD] sich vor allem an das gehobene Bürgertum bzw. – schichtenunspezifischer ausgedrückt – an all jene gerichtet, die sich dem Paradigma der Bürgerlichkeit zuordnen ließen, die unermüdlich darüber belehrt wurden, daß die Tugend erstrebenswert und die Laster abscheulich seien. Diese permanente Didaxe mag den heutigen Leser befremden. Doch gilt es zur Kenntnis zu nehmen, daß das aus den Beiträgen der Moralischen Wochenschriften sprechende Vertrauen in die Erziehbarkeit des Menschen und der Appell an seine Vernünftigkeit Audruck einer zunehmend auf theologische Begründungen verzichtenden innerweltlichen Morallehre waren.135

Obwohl Fassmanns Bildungsanspruch stellenweise durch die populär-skandalöse Natur der vermittelten Kenntnisse und die Auswahl der dargebotenen Lebensläufe und Nachrichten von Zeitgenossen in Zweifel gezogen werden konnte, blieb der grundsätzliche Anspruch des Journals an die Bildung und Moral seiner Leser bestehen. Die Vorrede zum XVI. und damit letzten Band betont noch einmal den Vorbildcharakter der unterschiedlichen Lebensläufe in den Totengesprächen: Wer nun klug ist, der nimmet nicht wenig daraus. Er ahmet die Tugend nach, und bestrebet sich, auf solchen Wegen zu wandeln, welche zur Ehre und zur Glückseligkeit führen; wogegen er sich an denen Lastern anderer, und der darauff erfolgten Straffe spiegelt, einen Abscheu dafür bekömmet, und alles zu vermeiden trachtet, was ihn ebenfalls lasterhafft und straffbar machen könte.136

Trotz des volkstümlich-derben Charakters vieler Passagen kann man die Absicht ihres Verfassers erkennen, mit Hilfe eines Massenmediums unter seinen zahlreichen Lesern neues Wissen, eindeutige Werturteile und ‚vernünftige‘ Meinungen zu verbreiten.137 Da dies nur unter den wachsamen Augen der Zen135 Müller, Die Aufklärung, S. 29. 136 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 2 (unpag.). Zur Bedeutung des Begriffes „Glückseligkeit“ vgl. weiter oben den Abschnitt zum Begriff Historie in Zedlers Universal-Lexicon. 137 Mit großer suggestiver Kraft wiederholt Fassmann oft, daß der kluge Leser es schon verstünde, dieses Journal richtig zu gebrauchen und die geeigneten Lehren aus der Lektüre zu ziehen (vgl. auch das vorhergehende Zitat aus der Dedikation im IX. Band).

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sur stattfinden konnte, mußte Fassmann sich, so er zeitgenössische Mißstände kritisieren wollte, einiger Hilfsmittel bedienen. Vergleichbar den fast zeitgleich erschienenen Lettres persanes Montesquieus vermochte es der Leipziger, seine Absichten in seinem Journal mit Hilfe längst verstorbener und ‚exotischer‘ Figuren an den Leser zu bringen.

4.1.4 Positionierung und Profilierung: Leser, Neider und Tadler Fassmanns Konzept, das in den Gesprächen in dem Reiche derer Todten historisches Wissen mit neuesten und durchaus auch ‚sensationellen‘ Nachrichten zu verbinden suchte, wies auf spätere Journale voraus, die den universalen Bildungscharakter der gelehrten Journale zugunsten einer thematischen Spezialisierung aufgaben. Mit der Beschränkung auf ein bestimmtes, eng umgrenztes Themengebiet konnte jedoch, so zeigt der Vergleich mit später publizierten monothematischen Zeitschriften, auch ein Verlust an Leserzahlen einher gehen. Im Unterschied zu diesen spezialisierten Journalen138 gelang es Fassmann noch mit seinem zwar primär historisch orientierten, darüber hinaus aber inhaltlich breit angelegten Periodikum, einen großen und anscheinend durchaus heterogenen Leserkreis anzusprechen. In der „Epistel des Autoris an die Toten“, so die Überschrift über der Widmung zu Beginn des II. Bandes, werden im ersten Abschnitt die unterschiedlichen Leserkreise und die Wertschätzung, die den Totengesprächen entgegengebracht würde, angesprochen: Viele grosse Printzen und Standes=Personen, Ministri und Generals, auch sonst eine ziemliche Anzahl anderer Leute, von allerley Condition, aestimiren eure, von mir herausgegebene Gespräche, und es scheinet, als seyen sie ein Werck, welches recht nach dem Goût der curieusen Welt gewürzet.139

Fassmann unterscheidet in dieser Vorrede in Fontenelle’scher Manier zwischen den Gesprächen der Toten und der Rolle des Herausgebers, nach welcher letzterem nur die Ehre gebühre, die illustre Schar der Konversierenden mitsamt ihren Dialogen zum Druck gebracht zu haben. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt (um 1720) schätzt der Autor bzw. Herausgeber die Wirkung der ‚abgelauschten‘ Dialoge ganz richtig ein: In der Tat war das Journal in seiner speziel-

138 Man denke hier etwa an den sich entwickelnden Zweig der Erziehungsliteratur in Journalform, an die speziell sich an Frauen richtenden Journale wie die Vernünfftigen Tadlerinnen Gottscheds, an die diversen Einzeldisziplinen wie Musik, Medizin oder Jurisprudenz. 139 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. II, Dedikation, Leipzig 1720, S. 1 (unpag.).

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len Machart ganz nach dem Geschmack der ‚neu-gierigen‘ Welt und der stetige Absatz der Entrevuen gab dem Konzept ihres Autors und Herausgebers recht. Die Neue Deutsche Biographie konstatiert in ihrem Artikel zu Fassmann: Die Zeitgenossen, Fürsten wie gebildete Bürger, verschlangen seine historischen Porträts und ließen sich von seiner geschickt verkleideten Kritik der herrschenden Zustände faszinieren.140

Aufgrund fehlender (zeitgenössischer) Quellen sind Fassmanns Aussagen über seine Leserschaft eine der wenigen Möglichkeiten, etwas über deren Herkunft und Haltung gegenüber dem Journal zu erfahren. Horst W. Blanke geht auf die Frage nach den Lesern der frühneuzeitlichen Journale, der Identität von deren Autoren und Herausgebern ein und umreißt ein Problem in der Zeitschriftenforschung wie folgt: Es bedarf noch detaillierter Untersuchungen, wer die sozialen Träger des historischen Zeitschriftenwesens waren, doch scheint die Quellenlage sehr prekär zu sein. Es gibt jedenfalls große Schwierigkeiten, Herausgeber, Autoren und Leser sozialgeschichtlich präzise zu verorten.141

Im Fall der Gespräche in dem Reiche derer Todten stellt sich die Frage nach der Identität des Autors und Herausgebers zwar nicht in dem Maße wie bei anderen Periodika der Zeit, doch sind auch hier die Rezipienten nicht im Einzelnen zu eruieren.142 Wie man jedoch aus den Paratexten des Journals herauslesen kann, wurde Fassmann offenbar gerade für die große Popularität seines Periodikums bei nicht-adeligen Lesern angegriffen. Im Jahre 1740, also am Ende der Reihe, nimmt die Vorrede zum XVI. Band Bezug auf den Neid seiner Kritiker: An die Neider und ungerechten Feinde hingegen wird man sich im geringsten nicht kehren, [...] solten sie auch gleich ihren Gifft [...] so auslassen, wie sie schon, gegen die Entrevuën von zwey und zwantzig Jahren her es getrieben, da man sie immerfort vor etwas einfältiges ausgeschrien. Das haben entweder die unbilligen Feinde und Neid=Hammel selber gethan,

140 Wilmont Haacke: „David Faßmann“, in: NDB, Bd. 5, Berlin 1961, S. 28. 141 Blanke, Historische Zeitschriften, S. 85. 142 Blanke macht diesen Umstand anhand des Beispiels des Journals von und für Franken deutlich, das offenbar eine vollständige Subskribentenliste veröffentlichen wollte, dies dann aber nicht tat. Blanke, Historische Zeitschriften, S. 85. Zusätzlich zu dem Fehlen einer Einzelaufstellung der Subskribenten tritt noch die Tatsache, daß historisch-politische Journale gerne von größeren Gruppen, wie z. B. Lesegesellschaften, rezipiert wurden. Blanke, Historische Zeitschriften, S. 74.

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weil ihre Arbeit, oder ihr Verlag, keinen solchen Applausum und Abgang gefunden, oder andere darzu angestifftet. 143

Fassmann machte also vor allem die Popularität seines Journals und den finanziellen Erfolg, den er und sein Verleger mit diesem hatten, dafür verantwortlich, daß es während der gesamten Zeit, in der die Reihe veröffentlicht wurde, zu Angriffen und Schmähungen sowohl seiner Person als auch seiner Publikation(en) kam. Er versuchte deswegen besonders in den Paratexten seiner Gespräche in dem Reiche derer Todten, den Angriffen seiner Kritiker auf geeignete Art zu begegnen und sie, wenn möglich, unter Zuhilfenahme von eindringlichen, immer wiederkehrenden Argumenten zu widerlegen.144 Seine Kritiker unterschied Fassmann in folgende Kategorien: Die Feinde meiner Arbeit aber sind eigentlich einer dreyfachen Gattung, nemlich erstlich solche Leute, die mit Pedanterey angefüllet, dergestalt, daß ihnen keine andern, als diejenigen Schrifften gefallen, wo bald eine Arabische, bald eine Hebräische, bald eine Griechische, bald eine Lateinische und bald eine Teutsche Zeile stehet. Zweytens solche Leute, denen alles zuwider ist, womit bißweilen nur der allergeringste Scherz vermischet; und drittens solche, denen es wehe thut, wann sie hören, daß ein Werck Applausum findet, welches nicht aus ihrer Feder geflossen, oder ihr eigener Verlag ist, wannenhero sie es unaufhörlich mit einem gifftigen Dunst anzuhauchen beflissen sind; der jedoch, meiner gegenwärtigen Arbeit = dem Himmel seye Dank! noch keinen Schaden thun können.145

143 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede zum XVI. Band, Leipzig 1740, S. 5 (unpag.). 144 Bereits in der Vorrede zum II. Band läßt Fassmann sich über die Neider und deren Verleumdungen aus. Auch die möglichen Beweggründe für die Kritik durch seine ‚Feinde‘ werden bereits zu diesem frühen Zeitpunkt in den Blick genommen. In einer direkten Anrede der Toten konstatiert die Vorrede: „Ferner haben [...] eure Gespräche etliche abgesagte Feinde. Allein solche sind Neider, denen sie nicht in ihren Cram dienen, indem sie wollen, die Welt solle nur solche Bücher lesen und kauffen dabey sie interessiert sind, auf daß fein aller Profit in ihren Beutel alleine fliessen möge.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. II, Dedikation, Leipzig 1720, S. 2 (unpag.). 145 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VI, Vorrede, Leipzig 1725, S. 1 f. [Hervorhebungen – SD]. Eine weitere Einteilung der Neider in verschiedene Typen und Klassen erfolgt in der Widmung des XII. Bandes: Die Unterweltsrichter Minos, Rhadamantus und Aeacus sollen ein Urteil fällen, das gerechterweise (so die Hoffnung des Autors und Klägers) die „Neid=Hammel“, „Tadelsüchtigen“, „Verleumder“, „Lügner“, „Heuchler“, „erbarmungswürdige Zweifler“ und schließlich minderwertige „Totengespräch-Schreiberlinge“ zur Rechenschaft zieht. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XII, Dedikation, Leipzig 1733, S. 5–11.

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In Anlehnung an die frühneuzeitliche Debatte um die ‚Pedanterey‘146 und an Thomasius’ satirische Angriffe auf diese in seinen Monatsgesprächen nennt Fassmann hier zuerst den bereits an anderen Orten in seinem Journal kritisierten Typ des (halb)gelehrten und besserwisserischen Pedanten, der an seinem Journal angeblich vor allem die fehlende fremdsprachliche Komponente der Texte kritisieren würde – ein Vorwurf, der von späteren Rezipienten und Literaturwissenschaftlern, die eben gerade die vielen (lateinischen und französischen) Einsprengsel in den Totengesprächen tadelten, in sein Gegenteil verkehrt wurde.147 Auch mit dem zweiten Typ greift Fassmann eine Diskussion aus den Monatsgesprächen des Christian Thomasius auf, in denen von den Schwierigkeiten berichtet wird, den unterschiedlichen Erwartungen der Leser gerecht zu werden: Dem einen behagten Scherz und Satire, dem anderen seien sie in jeglicher Ausformung zuwider.148 Zu einem dritten Typus zählt Fassmann neidische Kollegen, die sich prinzipiell gegen alles wendeten, was nicht aus ihrem nächsten Umfeld käme. Hier berührt Fassmann den Bereich des zeitgenössischen medialen Konkurrenzkampfes, der besonders auch mit Hilfe der Verlage bzw. Verleger geführt werden konnte und in dessen Zuge man seine eigene Position (und die des Verlegers) zu stärken und zu verteidigen suchte. Dem Vorwurf eines einzelnen, besonders hartnäckigen und offensichtlich eher dem Typus des Pedanten zuneigenden Kritikers nach (der in der Vorrede zum XVI. Band von Fassmann „Hanns Ohnebart“ genannt wird)149 seien die

146 Fassmann befand sich sowohl mit den paratextuellen Elementen zu seinen Gesprächen als auch mit mehreren anderen Publikationen (wie bspw. dem Gelehrten Narr) inmitten der zeitgenössischen Pedanterie-Kritik. Besondere Aufmerksamkeit erhielten neben Thomasius’ Angriffen auf die falsche Gelehrsamkeit die beiden Reden De charlataneria eruditorum [1713/ 1715] des Acta eruditorum-Herausgebers Johann Burkhard Mencke, aber auch andere Autoren zielten mit unterschiedlichen Textsorten in dieselbe Richtung. Zur Entwicklung und zum Kontext der Gelehrtensatire im 18. Jahrhundert vgl. etwa das ergiebige Nachwort von Alexander Kosenina, in: Charlataneria eruditorum. Satirische und kritische Texte zur Gelehrsamkeit, St. Ingbert 1995, S. 83–91. 147 Vgl. zum negativen Urteil auf sprachlicher Ebene die einschlägige Forschung zu Fassmanns Journal bei Kaschmieder, D. Faßmanns ‚Gespräche im Reiche der Toten‘, S. 18–21, Egilsrud, Le Dialogue des morts, S. 120 ff. 148 Thomasius, Monatsgespräche, Bd. I Januar–Juni 1688, S. 42 ff. Der Titel von Thomasius’ Monatsgesprächen spiegelt ja bereits diesen Aspekt wider (Lustige und ernsthaffte [...] Gedankken oder Monaths=Gespräche). Vgl. auch Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VII, Vorrede, Leipzig 1726, S. 3. 149 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Vorrede, Leipzig 1740, S. 5 (unpag.). Über „Hanns Ohnebart“ heißt es an dieser Stelle: „Darunter [unter den Kritikern – SD] hat sich bißweilen Hanns Ohnebart befunden, unter welchem Namen man einen thörichten unbesonnenen jungen oder sonst einfältigen Menschen verstehet, welcher thut, als ob er alle Weisheit, Gelehrsamkeit und Klugheit in einer Pille eingenommen und verschlucket hätte

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Entrevuen sowieso „nur für Schuster und Schneider“ 150 als Lektüre geeignet. Ein Urteil, dem Fassmann naturgemäß widersprechen mußte, wären seine Gespräche doch „von viel tausend Menschen allerley Standes“ 151 für nützlich und ergötzlich befunden worden. Zu der an sich interessanten Frage, wie sich Fassmanns Leserkreis denn nun eigentlich zusammensetzte, läßt sich weder im Journal selbst noch in dessen näherem Umfeld viel in Erfahrung bringen. Außer den oben bereits zitierten Stellen vermittelt Fassmann nur an wenigen anderen Stellen einen (wenn auch recht vagen) Eindruck von der Art seiner Leserschaft.152 Im Widmungstext

[...]“. Die Gelehrsamkeit des Hanns Ohnebart bestünde, so der Autor weiter, „in lauter Windbrüchen und Thorheiten“. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Vorbericht, Leipzig 1740, S. 5 f. 150 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Vorrede, Leipzig 1740, S. 6 (unpag.). Bemerkenswerterweise geht ein Artikel in Zedlers Universal-Lexicon gerade auf diese Bevölkerungsgruppe ein, die aufgrund der ihr zugeschriebenen Neigung zur übermäßigen, als Wollust verstandenen Curiositas getadelt wird: „Auch die Handwercks=Leute sind mit diesem Laster beschmutzet. Viele Schuster, Schneider etc. müssen sich nothwendig um den Staat bekümmern und bezahlen jährlich vor die politischen Tage=Bücher, Zeitungen u.d.g vieles Geld, wobey sie überdem noch durch Lesung dergleichen Schrifften und durch den Umgang mit ihres gleichen in der Absicht, um mit ihnen ihre Glossen über das gelesene oder die sonst erschnappten Erzehlungen machen zu können, viele Zeit verschwenden.“ Zedler, UniversalLexicon, „Curiositas“, Bd. 24, Sp. 173. Die Kritik setzt also an zwei Punkten an: Erstens gäben Handwerker regelmäßig für die historisch-politisch ausgerichteten Journale (hier in der ursprünglichen Bedeutung „Tage=Bücher“ genannt) sehr viel Geld hin und zweitens würden sie sowohl durch die Lektüre als auch durch die offensichtlich mehr oder minder institutionalisierte Diskussion des Gelesenen wertvolle Zeit verschwenden. Diese Art von Neugier führt dieser Argumentation nach also zu Verschwendung und Tändelei, befördert durch die Attraktion, die von den politischen Journalen ausgeht. 151 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Band XVI, Vorrede, Leipzig 1740, S. 5 f. (unpag.). Der kritische Unterton, der häufig im Zusammenhang mit den immer beliebter werdenden (politischen) Journalen herrschte, griff besonders gern die niedere Herkunft der Rezipienten auf und damit die inflationäre Verbreitung politischen Wissens auf (vgl. oben die „Schuster und Schneider“). Bereits Christian Weise bemerkt zu diesem Thema: „Es ist itzo ein kluges Seculum, ein iedweder Hundsjunge bekümmert sich umb die Welthändel: doch man muß den Leuten die Freude lassen / sie nehmen doch nur die Schalen / und lassen den Kern dahinten: Also thun sie den Politicis schlechten Schaden.“ Christian Weise: Die Drey Klügsten Leute in der gantzen Welt [...], Leipzig / verlegts Johann Fritzsche 1675, in: ders.: Sämtliche Werke, hg. v. Hans-Gert Roloff, Berlin 2005, S. 67. 152 Dennoch kann auch aus der relativ egalitären Haltung, die Fassmann seinen Lesern gegenüber zeigt, geschlossen werden, daß sich der Autor durchaus bewußt an breitere Bevölkerungsschichten wandte, als dies in der Frühzeit der periodisch publizierten Literatur üblich gewesen war. Fassmanns Streben nach einer größeren Allgemeinbildung seiner Leser, seine Abneigung gegenüber dem Pedantentum und der falschen Gelehrsamkeit begünstigten eine Entwicklung, die im Laufe des 18. Jahrhunderts zu voller Blüte gelangen sollte: „Die Aufhe-

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zum X. Band z. B. verteidigt der Autor sich ein weiteres Mal gegen seine Neider, in diesem Fall gegen einen ganz besonderen: den als „Momus“ angesprochenen Kritiker der Totengespräche.153 Im letzten Viertel der Vorrede kommt er auch auf diejenigen Leser seiner Totengespräche zu sprechen, die sich nicht von Kritikern wie dem hier genannten beeinflussen ließen: Genug, daß eine grosse Anzahl vernünfftige, brave und rechtschaffene Personen allerley Standes,154 Patronen, Freunde und Liebhaber meiner Gespräche sind, und also bekümmert man sich um kein Neiden und Tadeln.155

bung der strikten Trennung von Gelehrten und Ungelehrten ermöglichte die Bildung eines neuen Publikumsbegriffs [...].“ Von Ungern-Sternberg, Schriftsteller und literarischer Markt, S. 162. 153 Momus stand nicht nur bei Fassmann als eine Art personificatio für all jene, die sich (über Gebühr) kritisch zu einem Sachverhalt oder Werk äußerten. Auch bei Thomasius findet sich dieser Ausdruck in der Vorrede zu seiner Übersetzung von Gracians Homme de Cour, in der er sich gegen die Kritik an der vermeintlichen Dunkelheit der Gracian’schen Gedanken verwehrt. Balthasar Gracians, Homme de Cour, Oder: Kluger Hof= und Welt=Mann, Nach Monsieur Amelot De La Houssaie, seiner französischen Version ins Teutsche übersetzet, von Silentes. Nebst (S. T.) Herrn Christiani Thomasii, Judicio vom Gracian. Andere Auflage, welche durchgehends mit grossen Fleiß aufs neue übersehen, und an vielen Orten verbessert worden [...]. Augsburg 1715, Vorrede, S. 3 (unpag.). 154 Unter seinen Lesern spricht Fassmann in der Vorrede zu Band IX. die Katholiken als gesonderte Gruppe an und betont, daß er mit den Totengesprächen, die hohe katholische Würdenträger im Gespräch zeigten, keinesfalls den katholischen Glauben kritisieren, strittige Glaubensinhalte berühren oder die Geistlichkeit im Allgemeinen verunglimpfen wolle: „Wer Römisch=Catholischer Religion ist, und diese meine Arbeit lieset, dem verspreche ich, daß gleichwie ich nie gesonnen gewesen, Controversen in Religions=Sachen zu tractiren, noch einigen Glaubens=Artickel der Römisch=Catholischen Kirche zu attaquiren, oder gar deswegen jemanden zu lästern und zu verdammen, ausser daß ich nur, bey gewissen Fällen, ein wenig über diesen und jenen Punct discuriret habe; also ich mich noch ferner enthalten werde sie auch auf Seiten derer Glaubens=Artickel anzugreiffen, oder doch zum wenigsten allemahl mit gehöriger Bescheidenheit davon reden. Dargegen flattire ich mir, daß wann ich etwa wiederum einmahl einen, wegen seines Lebens und Wandels, im schwarzen Register stehenden Pabst aufführen solte, sie mir nicht zumuthen werden, ihn als einen heiligen Engel abzumahlen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX, Vorrede, Leipzig 1728, S. 2 f. (unpag.). Interessant ist der Wandel in der Anrede: Werden die katholischen Leser zuerst noch direkt angesprochen, wechselt die Anrede in dieser Passage über zu einem distanzierteren „sie“. Der hier erwähnte, „im schwarzen Register stehende“ Papst ist Alexander VI., wie weiter unten ausgeführt wird. Fassmann benutzt ihn dort als Nachweis für die Verblendung und die Dummheit eines katholischen Priesters, der einer seiner schärfsten Kritiker war und der in einer Kanzelrede wider Fassmanns Totengespräche eben jenen Papst als Beispiel dafür herangezogen hatte, wie in dem Leipziger Journal angeblich die katholische Kirche und deren höchste Würdenträger lächerlich gemacht würden. Vgl. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX, Vorrede, Leipzig 1728, S. 3 (unpag.). 155 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Dedikation, Leipzig 1730, S. 8.

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Fassmann konstruiert hier (wie an vielen weiteren Stellen) einen Gegensatz zwischen den bösen Neidern und Kritikern der Totengespräche und den guten Lesern, Gönnern und Liebhabern derselben. Bereits an der Wortwahl wird deutlich, daß Fassmann eine scharfe Trennlinie zwischen diesen beiden Parteien zieht; den Autor sieht er naturgemäß als Anführer einer treuen Lesergemeinschaft und als das zu Unrecht angegriffene Opfer seiner Kritiker. Die „Grillenfänger“,156 „Tadler“ 157 und „Neider“ 158 stehen den „unpartheyische[n], rechtschaffene[n] und vernünfftige[n] Leuten“ 159 unversöhnlich gegenüber. Diese solchermaßen konstruierte Gegensätzlichkeit von Anhängern und Kritikern konnte (als eine positive Nebenwirkung) die Leserbindung an sein Journal unterstützen. Zusätzlich zu der vielerorts propagierten Exklusivität und Güte der in den Gesprächen verbreiteten Nachrichten konnte der Leser sich geschmeichelt fühlen, weil er in den Paratexten wiederholt zu der Gruppe der fortschrittlichen und vernünftig handelnden Menschen gezählt wurde – solange jedenfalls, wie er oder sie auf der Seite des Herausgebers stand und die Totengespräche regelmäßig käuflich erwarb. Zu den nützlichen Gegenmitteln gegen das „Gifft“ 160 der Neider werden in den Paratexten der Humor und das Lachen gezählt, obwohl dies dem Autor der Gespräche (gemessen an der Häufigkeit der Verteidigungen) stellenweise durchaus schwer gefallen sein mag.161 Man kann die wiederholten Rechtferti-

156 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Leipzig 1730, Vorrede, S. 11. 157 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Dedikation, Leipzig 1730, S. 8. 158 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Dedikation, Leipzig 1730, S. 8; Bd. XIII, Dedikation, Leipzig 1734, S. 11 und S. 22; Bd. XVI, Vorbericht, Leipzig 1740, S. 5 f. (unpag.). 159 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Dedikation, Leipzig 1730, S. 8 (vgl. Zitat weiter oben). 160 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. II, Dedikation, Leipzig 1720, S. 2 (unpag.); Bd. XV, Vorrede, Leipzig 1737, S.9; Bd. XVI, Vorbericht, Leipzig 1740, S. 5 (unpag.). 161 Zum Beweis für die teilweise bis in persönliche Belange hineinreichende Kritik wird in der Dedikation des VII. Bandes an Ovid folgende kuriose Anekdote angeführt: „Mir meines Orts, o du ungemeiner Ovidius! gehet es, bey lebendigem Leibe, fast eben so, wie es dir noch jetzo, eine so lange Zeit nach deinem Todt, zu gehen pfleget. Es finden sich böse Leute, die mich aus= und beschreyen, als einen Mann, der nichts thue, dann daß er Wein= und Sauff= Häuser frequentire, Tag und Nacht sauffe, und dabey ein sehr verliebtes Naturel blicken lasse; welches letztere man absonderlich aus meinen Schrifften erzwingen will. Noch gantz neulich kam ich in einen gewissen Buchladen, woselbst ein Raisonneur stunde, der alle Weißheit und Klugheit wolte gefressen haben. Er zog, in weniger dann einer Viertel Stunde Zeit so viele Bücher durch die Hechel, als der arme Stümper in zehen Jahren nicht hätte lesen können. Endlich fieng er an auch mich und meine Schrifften zu taxiren, wannenhero der Diener im Buchladen denselben fragte, ob er mich kenne? Der Raisonneur war mit der Antwort geschwinde fertig und sprach: Ach ja, ich kenne ihn gar wohl, habe denselben zu Leipzig und Halle

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gungen seiner publizistischen Bemühungen nicht nur als obligatorisch bezeugtes Selbstbewußtsein verstehen, sondern auch als einen durchaus folgerichtigen Schritt in einer medial geführten Auseinandersetzung, aus welcher der Autor der Gespräche als Sieger hervorgehen wollte. Daß ihn die vielfältigen Schmähungen seiner Periodika trotzdem eher zum Lachen als zum Hadern brachten, lag wohl vor allem an der zwangsläufig verkaufsfördernden Wirkung dieser Tiraden. Fassmann erkannte diesen Mechanismus schon früh und bemerkt dazu in der Vorrede zum II. Band, die er seinen berühmten Toten widmet: Jedoch besorget nichts, Allerdurchlauchtigste [...] Todte: Denn der Gifft, den man gegen eure Gespräche auslässet, wird machen, daß sie desto mehr aestimiret, und die Leute desto curieuser darnach werden.162

Ganze 14 Jahre nach dieser Erkenntnis sind weder die Verleumdungen der Kritiker, noch Fassmanns Klage über diese abgeebbt. 1734 widmet der Autor der Totengespräche den XIII. Band der Reihe „scherzhaft“, wie er in der Vorrede an den geneigten Leser vorsorglich bemerkt, der Rachegöttin Nemesis.163 Sie soll dafür Sorge tragen, daß sein Periodikum Früchte trage, die Schelte seiner Gegner jedoch ins Leere laufe:

gesehen, kan auch versichern, daß er capable in einem Tage mehr als zwantzig Kannen Runnenburger Bier auszusauffen. Jetzo aber ist er in Ratenow, allwo ich in vor drey Wochen gesehen. Ich meines Orts hörte diesen unverschämten Lügner mit Verwunderung an, und ärgerte mich in meinem Herzen über seine Reden; absonderlich, da ich mit GOtt bezeugen kan, daß ich niemals weder einen Tropfen Runnenburger Bier gekostet, noch Ratenow mit Augen gesehen habe. Gleichwohl hielte ich an mich, gab mich gegen den Raisonneur nicht zu erkennen, sondern belachte vielmehr, nachdem er weggegangen, seine unverschämten Lügen und seine Thorheit.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VII, Dedikation S. 11 f. Der Autor gibt zwar kurz darauf zu, dem Alkohol nicht abgeneigt zu sein und gelegentlich in angenehmer Compagnie auch zu viel Wein zu trinken, sucht aber die übertriebenen Vorwürfe des abfällig als „Raisonneur“ bezeichneten Mannes durch folgendes Argument zu entkräften: „Denn, wann ich alle Tage wäre wie der Himmel, nemlich Stern=voll [...], wer gäbe dann meine Arbeit heraus, da ich mir weder Gesellen noch Jungen darzu nehmen oder halten kan.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VII, Dedikation S. 13. 162 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. II, Dedikation, Leipzig 1720, S. 2 (unpag.). In der Vorrede zum XI. Band bemerkt der Autor zum selben Thema: „Je hefftiger unsere Todten=Gespräche ehedem von dem Neid verfolget worden, desto stärckern Abgang haben dieselben gefunden.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XI, Vorrede, Leipzig 1732, S. 5 f. 163 Dort heißt es: „Man wird mir hoffentlich den Schertz, welchen ich eben jetzo, mit meiner Dedication an die, ehemals von denen Heyden erdichtete, und hoch verehrte, Göttin Nemesis gemachet, nicht verargen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 12.

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Räche endlich auch alle Verleumdungen, welche die Neider gegenwärtiger Todten=Gespräche, von ihrem Anfang her, nun schon gantzer sechzehn Jahre lang, wider dieselben ausgespien haben. Mache ihr Toben noch ferner zu Schanden, und lasse ihnen zum Trotz die unschuldigen Todten=Gespräche allezeit floriren.164

Besonders der weiter oben bereits erwähnte Prediger, der regelmäßig in seinen Kanzelreden wider die Totengespräche wetterte, scheint als Kritiker zu den unermüdlichsten gehört zu haben. Dieser als „Momus“ karikierte Gegener der Totengespräche muß sich hier als einen antiken „Gott des Tadels“ 165 bezeichnet sehen, der selbst an Minerva, Vulkan und Neptun Dinge kritisiert habe, auf die ein vernünftig Denkender nie verfallen wäre. Auch in heutiger Zeit, so der Erzähler weiter, gäbe es Wiedergänger jenes unsäglich Kritiksüchtigen, die eine „Profession vom Tadeln“ 166 gemacht hätten und ihre Argumente durch die sich oft widersprechenden und unvernünftigen Behauptungen selbst ad absurdum führten. Auch werde er durch die Bemühungen der Kritiker nicht etwa entmutigt, sondern noch darin bestärkt, mit seinem Journal in unveränderter Weise fortzufahren. Die Argumentation mündet in der Behauptung, daß die Leser in einem sachlichen Vergleich seiner Totengespräche mit den Behauptungen der „Neider und Tadler“ nur zu einem einzigen Ergebnis kommen könnten: [I]ch kan, auch durch euch Neider und Tadler, nur mehr und mehr angefrischet werden, mein äusserstes zu thun, damit die Patronen, Freunde und Liebhaber dieser Gespräche, durch Hervorsuchung derer trefflichsten Materien, wie auch durch solide Discurse, schöne Reflexiones, scherz= und ernsthaffte Gedancken und Erzehlungen, mögen contentiret werden, dergestalt, daß, wann sie meine Arbeit gegen die Reden und Urtheile derer Neider und Tadler halten, sie sich genöthiget sehen auszuruffen und zu sagen; Pfuy du abgeschmackter Mome, mit deiner gantzen Tadel=Rotte! und du häßlicher Neid, mit deinem gantzen unartigen Geschlechte! Schämet euch eurer Unvernunfft, eurer Boßheit und eures Neides, und packet ein damit, biß daß ihr selber etwas verfertiget, das besser ist als das, was ihr tadelt und aus Neid anfeindet.167

164 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Dedikation, Leipzig 1734, S. 11. 165 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Dedikation, Leipzig 1730, S. 5. 166 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Dedikation, Leipzig 1730, S. 5 ff. Fassmann bemerkt dazu: „Wäre aber dieses Pfäffel in der Historie bewandert und wüste, daß Pabst Alexander VI. selbsten von denen berühmtesten Römisch=Catholischen Historicis, ja gar von dem Cardinal Baronio, in die Zahl derer bösen, unartigen und unlöblichen Päbste gesetzet worden, würde es sich vielleicht besser moderiret haben.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX., Vorrede, Leipzig 1728, S. 3 (unpag.). 167 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Dedikation, Leipzig 1730 S. 8. Die „scherz= und ernsthafften Gedancken und Erzehlungen“ sind ein beinahe wörtliches Zitat des Titels der Monatsgespräche von Thomasius.

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An diesem Zitat wird einmal mehr deutlich, welche argumentativen Kämpfe Fassmann während der 22 Jahre ausfechten mußte, in denen seine Totengespräche erschienen. Der wohl tatsächlich immer wieder aufflammenden Kritik an seinen Publikationen (der wohlgemerkt auf der anderen Seite eine große Anzahl an Imitatoren und Anhängern gegenüberstand) wollte und mußte der Autor der Totengespräche auf eine geeignete Art entgegentreten. In der Vorrede zum X. Band treffen die Kritik an der Gesamtheit der ‚Tadler‘ und die Verteidigung der Gespräche argumentativ aufeinander: Mürbe und verdrießlich möchte man allerdings werden, wann einer bedencket, daß fast noch keine Entrevuë heraus gekommen, an der nicht die Tadelsucht und der Neid etwas auszusetzen gehabt, da ich der Autor doch versichert bin, alle Mühe angewandt zu haben, die ich dem Wercke schuldig bin, um eine iedwede Entrevuë so zu elaboriren, daß sie schwerlich von iemanden, nach der, vom Anfang her, ihr zugetheilten Maaß, Stärcke und Grösse, mag besser gemacht werden: Dessen rühme ich mich ungescheuet, weil die Historie iederzeit mein Haupt=Werck gewesen, auch ich hiernechst einen gantz sonderbaren Trieb und ausserordentliche Liebe zu dieser Arbeit habe.168

Die ungerechtfertigte Kritik verbittet sich der Autor ausdrücklich in der Dedikation zum XII. Band, in der die drei Unterweltsrichter Aeacus, Rhadamantus und Minos angerufen werden. Sie sollen das „übermäßige Schmähen und Lästern derer Neid=Hammel“ 169 gerecht beurteilen und sich für die richtige Seite, d. h. für die des Klägers, entscheiden. Als wichtigsten Punkt führt der Autor ins Feld, daß seine Kritiker es nicht vermocht hätten, selbst bessere oder doch zumindest gleich gute Totengespräche auf den Markt zu bringen. Die Fehlerhaftigkeit in der Argumentation seiner Kritiker und der immer wieder konstatierte Neid sollten für die Richter Grund genug sein, die Kritik insgesamt zu verurteilen und nicht zu beachten. Die Rolle der Richter wird so von den Lesern selbst eingenommen, die letztlich diejenigen waren, die sich für oder gegen den Kauf der Gespräche entscheiden mußten. Daß Fassmann sich durchaus der Tatsache bewußt war, nicht unfehlbar zu sein, wird an mehreren Stellen deutlich, wenn er einen Überblick über bereits gedruckte Falschinformationen gibt.170 Durchaus selbstkritisch merkt die Autorfigur an einer Stelle im Paratext zu den Gesprächen an: 168 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Vorrede, Leipzig 1730, S. 9. 169 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XII, Dedikation, Leipzig 1733, S. 7. 170 Dies tut Fassmann beispielsweise in der Vorrede zum IX. Band, in der er jedoch zugleich anmerkt, daß der Hauptteil der Fehler auf Falschinformationen durch Dritte (also nicht etwa durch den Autor selbst) zurückzuführen sei. Zur Abhilfe empfiehlt er seinen Lesern: „Schleichet sich aber dergleichen Fehler bißweilen mit ein, so kan er doch sehr leichtlich repariret werden, wann nur die, welche er angehet, geruhen wollen, den Verleger oder Autorem des Wercks eines bessern zu berichten.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX,

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Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

Denn ich bin freylich ein Mensch, der vielen Schwachheiten unterworffen ist, auch durch die Zeit, wann ich geschrieben, durch den Ort, wo ich geschrieben, und durch die Umstände, um welcher willen ich geschrieben, vielleicht zu dem, was ich geschrieben, unvermerckt verleitet worden bin. Das meiste wird doch hoffentlich seinen guten Nutzen haben, auch in der Historie, Politic und Moral, wohl gegründet seyn.171

Der Leser sollte sich also der Tatsache bewußt sein, daß ein grundsätzlich sehr sorgfältig arbeitender Autor in seinen gesammelten Entrevuen einen Wissensschatz präsentierte, der dem Rezipienten inhaltlich von großem Nutzen sein konnte und daneben auch eine im Wert steigende Anschaffung darstellte. Den XVI. und letzten Band seiner Gespräche eröffnet Fassmann mit einem Titelkupfer, auf dem dies noch einmal benannt wird: Was die Historie vor Nutz und Vortheil hat, Mit wieviel Zeit und Müh sie vorgetragen worden, Das zeiget dieses Buch, weitlaüffig in der That, Der Neid liegt endlich hier in seiner Thorheit Orden.172

Zum Ende der 22-jährigen Publikation seiner Reihe sieht der Autor und Herausgeber der Totengespräche sich als publizistischen Sieger: Der immer wieder in den Paratexten angeführte Neid der Kritiker mußte sowohl durch die Güte des „Historischen Corpus“ 173 selbst als auch durch die gleichbleibende Gunst der Leser zum Verstummen gebracht werden, so die Argumentation. Nach Veröffentlichung des XVI. Bandes wandte sich Fassmann anderen Projekten zu, die er jedoch größtenteils nicht mehr zum Abschluß bringen konnte, weil er zwei Jahre nach Beendigung der Gespräche in dem Reiche derer Todten starb.174 Vorrede, Leipzig 1728, S. 4 (unpag.). Wie der Autor eines anonym erscheinenden Periodikums allerdings über etwaige Fehler in Kenntnis gesetzt werden konnte, verschweigt die Vorrede. Als ‚Ausgleich‘ für die selten eingestreuten selbstkritischen Passagen erfolgen an anderer Stelle Verweise auf die Unzuverlässigkeit und Fehlerhaftigkeit anderer deutscher Journale. Siehe dazu z. B. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 14 ff. 171 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XII, Dedikation, Leipzig 1733, S. 7. 172 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Titelblatt, Leipzig 1740. 173 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Vorrede, Leipzig 1740, S. 2 (unpag.). 174 In der Vorrede zum XVI. Band heißt es zu den weiteren Plänen des Autors: „Er wird auch nicht unterlassen, seine übrige Lebens=Zeit ferner zum Nutzen, und zu einem erlaubten Vergnügen solcher Leute anzuwenden, die gerne Historische und Politische Bücher lesen. Ja es liegen schon Emendata, die er über ein Historisches Werck gemachet, in einem vornehmen Hause parat, und dörfften, vielleicht ehestens, zum Druck befördert werden. Denn dergleichen hat dieses sonst nach seiner Einrichtung und Ordnung nicht unrechte Werck gar sehr von nöthen, und man hat, schon vor mehr als sechzehn Jahren, über vierhundert darinnen enthaltene, starcke Historische Schnitzer, und offenbare Widersprechungen angemercket, welche bil-

Der Paratext des Journals

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4.2 Der Paratext des Journals Fassmann publizierte seine Gespräche in dem Reiche derer Todten, wenn sie in gesammelter Form als Band erschienen, zusammen mit verschiedenen paratextuellen Elementen. Letztere konnten unabhängig vom Inhalt der jeweiligen Entrevuen, die in einem Band versammelt waren, in unterschiedlicher Gestalt auftreten. Zum Para- bzw. Peritext 175 sind neben den Titelblättern vor allem die alphabetisch geordneten Register eines jeden neu erschienenen Bandes sowie die Dedikationen und Vorreden zu zählen, die unterschiedlichen Figuren zugeeignet waren. Im Folgenden sollen die unterschiedlichen peritextuellen Bestandteile unterschieden nach ihrer formalen Struktur, Bedeutung und Aussagekraft in Bezug auf die Totengespräche bzw. das Journal vorgestellt und systematisch ausgewertet werden. Anhand selbstreferentieller Verweise und Bemerkungen in den Peritexten lassen sich Rückschlüsse auf die Konzeption und Bedeutung dieser Texte im Zusammenhang mit den Entrevuen ziehen. Im zeitgenössischen publizistischen Kontext der regelmäßig erscheinenden Journale spielten die ‚Nebentexte‘ eine besondere Rolle, da sie über den eigentlichen thematischen Fokus eines Periodikums hinaus trans- bzw. metatextuelle Bezüge eröffnen und den Haupttext argumentativ geschickt innerhalb eines bestimmten medialen und literarischen Diskurses positionieren konnten. Für Fassmanns Technik, eine große Anzahl inhaltlich, formal und stilistisch unterschiedlich gestalteter Textsorten miteinander zu kombinieren, existierten zu diesem Zeitpunkt wenige Vorbilder. Es gab keine verbindliche Norm, an der sich die Autoren periodisch und in der Volkssprache erscheinender Journale zu Beginn des 18. Jahrhunderts orientieren oder deren Regeln sie fortschreiben, ignorieren oder gar brechen konnten. In Anlehnung an zeitgenössische Zeitungen, die zuneh-

lig ausgemertzet seyn solten.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Vorrede, Leipzig 1740, S. 6 (unpag.). 175 Zum Begriff vgl. Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt 1992. Genette scheidet den Paratext in Peritext (Titel, Vorwort etc.) und Epitext (Rezensionen, Interviews), wobei im Folgenden besonders die Bezeichnung Peritext auf die Vorreden und Widmungen angewendet werden soll, da letztere als Begleittexte im jeweils selben Band wie die Totengespräche erschienen. Grundsätzlich läßt Fassmanns Gestaltung seines Journals zahlreiche Verweise auf andere Medien und Texte erkennen. Während die Gespräche an sich eher intertextuelle Bezüge durch die zahlreichen wörtlichen Übernahmen und inhaltlichen Anspielungen eröffnen, stellen die Peritexte, wie im Folgenden gezeigt werden soll, vor allem metatextuelle Bezüge zu anderen Periodika und Gattungsvorbildern her, wobei Fassmanns selbstreferentielle Hinweise auf die Tradition des Totengesprächs bzw. die spezifische Ausformung der Leipziger Gespräche durchaus auch als Versuch einer architextuellen Positionierung im Sinne Genettes verstanden werden können.

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mend unterschiedliche Textinstanzen wie Kommentar, Leserbrief, Nachrichten etc. entwickelten, mögen die verschiedenen textuellen Bausteine in Fassmanns Journal auch dazu gedient haben, so eine vorläufige These, die gleichbleibende (und dadurch unter Umständen auch gleichförmige) Struktur der monatlich erscheinenden Totengespräche aufzubrechen. Die Vorreden und Dedikationen waren durch ihre große Variabilität in Bezug auf den jeweiligen Adressaten sowie ihren Inhalt u. a. dazu angelegt, die Neugier des Lesers anläßlich des Erscheinens eines neuen Bandes auf abwechslungsreiche Art zu wecken. Dadurch daß Fassmann in einigen Peritexten explizit Stellung nimmt zu verschiedenen Aspekten der literarischen und medialen Tradition, zeigt er einerseits, welche Bedeutung er den Vorreden und Dedikationen zumaß, und andererseits, wie und in welchem Kontext er seine periodisch erscheinenden Totengespräche verstanden wissen wollte. Dirk Niefanger verdeutlicht im Zusammenhang mit der wegen ihrer angeblichen Innovationsarmut lange zu unrecht als defizitär angesehenen Phase der deutschen Literatur zwischen Barock und Aufklärung, welche Bedeutung der programmatischen Selbstpositionierung eines Werkes mit Hilfe des Paratextes zukam.176 An ihm kann abgelesen werden, so Niefanger, in welchem Verhältnis zur Tradition bzw. Innovation ein Text stand. Als Möglichkeit, sich im literarischen Feld 177 zu positionieren, kam den paratextuellen (hier besonders den peritextuellen) Elementen eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu. Niefanger unterscheidet in seinem Beitrag zwischen Tradition und literarischem Traditionsverhalten: Letzteres meint, daß Texte entweder explizit oder implizit auf Vorbilder und Traditionen rekurrieren, um – so die Perspektive, die bei Niefanger eröffnet wird – innerhalb eines bestimmten literarischen Feldes zu agieren. In Bezug auf die Leipziger Totengespräche erklärt dies sinnfällig Fassmanns immer wieder unternommene Versuche, im Peritext sowohl auf ältere literarische Traditionen zu verweisen als auch neuere mediale Kontexte zu propagieren bzw. überhaupt erst zu installieren. Fassmann versuchte mit Blick auf seine Rezipienten, das „symbolische Kapital“ 178 seiner Publikation im medialen und literarischen Kontext zu erhöhen und sich von anderen, thematisch ähnlich orientierten Konkurrenzorga-

176 Dirk Niefanger: Die Chance einer ungefestigten Nationalliteratur. Traditionsverhalten im galanten Diskurs, in: Der galante Diskurs. Kommunikationsideal und Epochenschwelle, hg. v. Thomas Borgstedt und Andreas Solbach, Dresden 2001, S. 147–164. 177 Zum Begriff des ‚champ littéraire‘ vgl. Pierre Bourdieu: Les règles de l’art: genèse et structure du champ littéraire, Paris 1992 (Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt 1999); ders.: Le champ littéraire, in: Actes de la recherche en Sciences Sociales 89 (1991), S. 4–46; ders.: Sozialer Raum und ‚Klassen‘. Zwei Vorlesungen, Frankfurt 1985. Niefanger verwendet den Begriff ‚literarisches Feld‘ im Bourdieuschen Sinne. 178 Bourdieu, Sozialer Raum, bes. ab S. 22. Vgl. dazu auch Niefanger, Nationalliteratur, S. 152.

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nen positiv zu unterscheiden. Als besonders bedenkenswert erscheint in diesem Zusammenhang die Definition dessen, was Traditionsverhalten meint: „Traditionsverhalten ist nicht nur eine Verankerung literarischen Handelns in der Vergangenheit; es hat in bezug auf das sich stets verändernde literarische Feld einen programmatischen Charakter für die Zukunft.“ 179 Anders als der große Kritiker der Fassmannschen Dialoge, Gottsched, ist jener jedoch kein Literaturtheoretiker, der mit Hilfe der Kritik und eigener Beispiele bestimmte Gattungsnormen einrichten möchte. Der hauptsächlich an der Historie und Politik interessierte Publizist Fassmann agiert besonders in den peritextuellen Elementen seines Periodikums zwar als ein Autor, der sich seiner Absichten im literarischen Kontext seiner Zeit durchaus bewußt war, dennoch darf man seinen Texten nicht die poetologisch-normative Durchsetzungskraft zugestehen, die beispielsweise Gottscheds Äußerungen zu Übersetzungen, Dialogen oder dem zeitgenössischen Drama hatten. Zu Beginn eines jeden neuen Bandes wandte sich eine Autorfigur in einem meist als ‚Vorrede an den geneigten Leser‘ betitelten Abschnitt an die Rezipienten der Totengespräche. Die Überschrift scheint in fast wörtlicher Übersetzung einem anderen Periodikum entlehnt worden zu sein, von dessen gelehrter Ausstrahlung sich Fassmann in der volkssprachlichen Version vielleicht einen Abglanz herbeiwünschte: In den von Otto Mencke seit 1682 monatlich herausgegebenen Acta eruditorum war das Grußwort stets mit „Lectori benevolo salutem“ überschrieben und eröffnete die jeweilige neueste Ausgabe.180 Neben den Vorreden erschien in den meisten Bänden auch eine Dedikation, die bei Fassmann nicht an einen vermögenden Gönner gerichtet, sondern meist entweder einer bereits verstorbenen Figur (z. B. Aesop, Demokrit), einem allegorisch verstandenen Begriff oder einer mythologischen Figur (z. B. der Gelehrsamkeit, dem Kriegsgott Mars) oder einer ganzen Personengruppe gewidmet war (z. B. dem ‚Frauenzimmer‘). Fassmann ließ eine Autorfigur an einer Stelle betonen, daß der Ton in den Vorreden und Widmungen durchaus satirisch sein konnte, die Texte also vom Leser nicht mißverstanden und zu ernst genommen werden sollten:

179 Niefanger, Nationalliteratur, S. 152 f. 180 Nach Otto Menckes Tod im Jahre 1707 übernahm sein Sohn Johann Burkhard Mencke die Publikation der Acta. Dieser wurde im Jahre 1732 wiederum von seinem Sohn Friedrich Otto Mencke abgelöst, der die mittlerweile als Nova acta eruditorum betitelte Zeitschrift bis 1734 herausgab, bevor Karl Andreas Bel dies bis 1782 (also genau 100 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen) übernahm. Zur Geschichte der Acta vgl. etwa Augustinus H. Laeven: The ‚Acta eruditorum‘ under the editorship of Otto Mencke (1644–1707). The History of an international learned journal between 1682 and 1707, Amsterdam 1990.

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Vorrede Geneigter Leser! Derselbe wird es mir nicht übel nehmen, wann er gesehen, daß ich in der vorherstehenden Dedication [an die Gelehrsamkeit – SD] gescherzet habe. Doch ist es nicht lauter Schertz, sondern auch Wahrheit und Ernst damit vermischet. Nach dem ersten Plan dieser Gespräche aber sollen dieselben schertz= und ernsthafft, auch die Moral mit der Historie vermischet seyn. Den Anlaß zu solcher Dedication, und zu der Vorrede, durch die ich mich an den Geneigten Leser addressire, giebet mir die gegenwärtige 225. Entrevuë, als die Erste des Funffzehenden Bandes dieser Gespräche, bey welcher Gelegenheit, wann sich ein neuer Band anfänget, ich gemeiniglich eine Dedication und Vorrede voran zu setzen pflege.181

Fassmann offenbart an dieser Stelle, wie groß die konzeptuelle Nähe seiner Gespräche zu Thomasius’ Monatsgesprächen war: Die Mischung von „scherzund ernsthafften“, moralischen und geschichtlich orientierten Themen und Schreibarten, auf die Fassmann hier verweist, legt diesen intertextuellen Bezug nahe. Dem oben konstatierten Konzept gemäß boten die Vorreden und Widmungen über den intertextuellen Diskurs hinaus die Möglichkeit, Themen vorzubringen, die von besonderem Interesse für den Autor bzw. seine Leser waren. In den Vorreden tadelte die Autorfigur beispielsweise wiederholt die Mißgunst und Tadelsucht ihrer Kritiker (vgl. 4.1.4 Positionierung und Profilierung: Leser, Neider und Tadler), die den Absichten und dem Erfolg der Gespräche in Fassmanns Augen entgegenstanden. So nahmen die Vorreden oft mit Hilfe der Satire Bezug auf die Äußerungen Dritter und beleuchteten diese kritisch. Gegenstand der sich stellenweise recht angriffslustig gerierenden Erörterungen waren neben der Mißgunst anderer beispielsweise die Wahl der Textsorte oder die Figuren des Journals,182 der Gebrauch der lateinischen bzw. deutschen Sprache183 und nicht zuletzt die Werbung für andere publizistische Erzeugnisse Fassmanns wie den Reisenden Chineser, den Staats=Mann oder auch die Sonderbaren Nationen=Gespräche.184 181 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Vorrede, Leipzig 1737, S.9 182 Vgl. dazu etwa die Epistel des „Autoris an die Verstorbene“ zum II. Band, Leipzig 1721, S. 1 f. (unpag.), die Vorrede zum X. Band, Leipzig 1732, S. 2 f., die Dedikation an Minos, Rhadamantus und Aeacus, Bd. XII, Leipzig 1734, S. 10 und die Vorrede zum XIII. Band, Leipzig 1736, S. 12. 183 Die Wahl der geeigneten Sprache wird bei Fassmann, wie bereits erwähnt, mit zeitgenössischen Diskussionen zur Gelehrsamkeit und Pedanterie verknüpft. Vgl. hierzu besonders die Vorrede zum VI. Band, Leipzig 1726, S. 1 f., die Vorrede zum X. Band, Leipzig 1732, S. 7 f. u. S. 14 und die Vorrede zum XV. Band, Leipzig 1739, S. 7 f. 184 „Avertissements“ für Fassmanns andere Periodika findet man beispielsweise in der Vorrede zum V. Band, Leipzig 1725, S. 2, in der Vorrede zum VI. Band, Leipzig 1726, S. 2, in der

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Die immer noch recht überschaubare Forschung zu Fassmanns Gesprächen ließ die zahlreichen peritextuellen Elemente bis heute nahezu unbeachtet. Bei Bedarf wurden aus ihnen einzelne Informationen (besonders zur Biographie Fassmanns) herangezogen. Eine systematische Auswertung nach inhaltlichen und medienbezogenen Aspekten fehlt jedoch bis heute. Wie sich weiter oben gezeigt hat, verweisen jedoch gerade die Nebentexte auf eine Fülle an interessanten Aspekten zu Publikation, Intention und Konzeption des Leipziger Journals. Darüber hinaus bieten die zahlreichen Verweise auf zeitgenössische Diskurse und Publikationen die Möglichkeit, ein Periodikum, das über einen derart langen Zeitraum erfolgreich publiziert wurde, literarisch und medial zu verorten. Fassmann vergrößerte dadurch, daß er seinen Dialogen weitere Textsorten hinzufügte, die Reichweite seines Organs und eröffnete sich durch sie einen argumentativen Raum, in welchem er gleichzeitig für die Qualität der eigenen Publikation werben sowie die Angriffe seiner Kritiker parieren konnte. Im Folgenden sollen die unterschiedlichen Funktion dieser verschiedenen Textinstanzen und einige ihrer Charakteristika in den Blick genommen werden.

4.2.1 Die Vorreden an den geneigten Leser Die Vorreden, die Fassmann bis auf den ersten Band allen 15 Bänden seiner insgesamt 240 Totengespräche voranstellte, dienten u. a. dazu, bestimmte Personen- und Lesergruppen anzusprechen, Stellung zu verschiedenen Streitfragen und aktuellen Themen zu beziehen oder literarische Erzeugnisse zu bewerben, die er seinen Leserinnen und Lesern nahebringen wollte.185 Eine Autorfigur wendet sich in der Vorrede zum II. Band der Gespräche allerdings nicht an die Leser, sondern an die berühmten Toten des Journals und folgt so dem Vorbild Fontenelles, der mit seinem Jugement de Pluton in seinen Dialogues Ähnliches unternommen hatte. Anders als bei den französischen Totengesprächen werden die Figuren bei Fassmann jedoch von einer Autorfigur angesprochen, während sich bei Fontenelle die Toten ‚selbst‘ an die Richter der Unterwelt wandten; die Figur des Autors war bei Fontenelle nur indirekt durch die Aussagen der Schatten präsent und wurde mit Hilfe ihrer

Vorrede zum VII. Band, Leipzig 1727, S. 6, in der Vorrede zum VIII. Band, Leipzig 1728, S. 11 usw. 185 Bereits in Harsdörffers Frauenzimmer Gesprechpielen [1643] heißt es zu den Vorreden: „Du gehst nicht durch die Thür / du steigst zum Fenster ein / Wann du das Buch anfällst / und läst die Vorred seyn.“ Harsdörffer, Gesprechspiele, S. 435.

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Aussagen auf satirische Art kritisiert.186 Als symptomatisch für die thematische Ausrichtung der Vorreden in den deutschen Totengesprächen erscheint Fassmanns Vorgehensweise, bereits im zweiten Band des Periodikums zur Kritik Stellung zu nehmen, die von Dritten an der von ihm gewählten Textsorte geäußert wurde. Die Kritik bezog sich laut der Vorrede u. a. auf den Umstand, daß ‚ehrwürdige Figuren‘ zum Gegenstand des Interesses in einem Medium wie seinem historisch-politischen Journal werden konnten. Der Autor beruft sich in Reaktion auf diese Angriffe auf diejenigen antiken und frühneuzeitlichen Autoritäten, die sich der Textsorte des Totengesprächs bedient hätten und dafür nicht gescholten worden wären (er nennt hier v. a. Fénelon, Fontenelle und Lukian). Das Abwehren von vermeintlichen oder realen Angriffen auf die eigenen literarischen Erzeugnisse stellte aber nur eine von vielen Möglichkeiten dar, die sich dadurch ergaben, daß Fassmann jedem neu erscheinenden Band einen oder mehrere Texte voranstellte. Letztere konnten je nach Bedürfnis oder aus gegebenem aktuellem Anlaß für die eigenen Zwecke eingesetzt werden. Eine Übersicht über die Titel und Themen der Vorreden aller sechzehn Bände ergibt dabei folgendes Bild:187 I. Band:

„Vorbericht“ Einführung zum ersten Totengespräch;188 Erklärung des Titelkupfers

186 Ähnlich dazu läßt Fassmann in der Dedikation zum X. Band eine Autorfigur die drei Unterweltsrichter Minos, Rhadamantus und Aeacus anrufen, die sich bei diesen über die Angriffe neidischer Kritiker zu beschweren. Im Unterschied zu Fontenelles Jugement tritt hier der Autor als Kläger auf, nicht die Toten. Dieser beschwert sich in den deutschen Totengesprächen vor den Richtern über das Fehlverhalten seiner Kritiker und Neider. Im Vergleich dazu klagten die Toten in den französischen Dialogues vor dem richterlichen Rat über ihre verzerrte Darstellung durch den Autor der Dialogues, also über Fontenelle ‚selbst‘. 187 Wenn man nur die Überschriften zu den 15 Bänden der Gespräche ansieht, zeigt sich, daß Fassmann offenbar für sein erstes Periodikum zunächst noch auf der Suche nach einer geeigneten Anredeform war (vgl. die wechselnden Adressaten und Bezeichnungen von Bd. I–IV), bevor er zu einer vergleichsweise konstanten Formel gelangt („Nach Standes=Gebühr Angesehener und geehrter Leser!“), die – einmal mit dem Zusatz „Vorrede“, einmal ohne – für neun der 16 Bände eingesetzt wurde (15 Gesprächs-Bände und ein Supplement-Band). Ab dem XIII. Band geht Fassmann (mit Ausnahme des XIV. Bandes) zu der verkürzten Anrede „Geneigter Leser!“ über. Dies zeigt, daß Fassmann sich offenbar sicher war, die peritextuellen Elemente wie die Vorreden ausreichend bei seinen Lesern eingeführt zu haben, so daß die längere Anredeformel vom Beginn der Reihe durch eine kürzere ersetzt werden konnte. 188 An das Ende des kurzen Vorberichts setzte Fassmann seine Initialen, er unterzeichnete hier ausnahmsweise mit „D. F. v. W.“ (David Fassmann von Wiesenthal) und bot so zumindest ansatzweise die Möglichkeit, den Autor zu identifizieren. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. I, Leipzig 1720, Vorbericht, S. 2 (unpag.).

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II. Band:

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„Epistel des Autoris an die Verstorbene“ Rezeption der Gespräche; literarische Vorbilder; Neider und Tadler; Totengespräche als Tugend- und Lasterspiegel III. Band: „Nach Standes=Gebühr Angesehener und geehrter Leser!“ Neider und Tadler; Kritik an falscher Gelehrsamkeit; Arbeitsweise des Autors; Exklusivität der historischen Quellen IV. Band: „An Das sämtliche Frauenzimmer, welches gegenwärtige Todten= Gespräche des Durchlesens würdiget.“ Anrede des „Frauenzimmers“; Klassifizierung aller Frauen in schöne und häßliche, tugend- und lasterhafte (Kombination von Vorrede und Dedikation) V. Band: „Nach Standes=Gebühr angesehener und geehrter Leser!“ Wahl der Figuren für die Totengespräche; Werbung für den Reisenden Chineser VI. Band: „Nach Standes=Gebühr angesehener und geehrter Leser!“ Klassifizierung der „Feinde“ der Totengespräche (Pedanten, Sauertöpfe, Neider); Werbung für den Reisenden Chineser VII. Band: „Vorrede. Nach Standes=Gebühr angesehener und geehrter Leser!“ Neider und Tadler; Erwartungen der Leser; Rolle der Historie; Bedeutung der „ältern“ Toten VIII. Band: „Vorrede. Nach Standes=Gebühr angesehener und geehrter Leser!“ Krieg als ergiebiges Feld für den Journalisten; Redundanzen in den Totengesprächen; Werbung für den Reisenden Chineser IX. Band: „Vorrede. Nach Standes=Gebühr angesehener und geehrter Leser!“ Die Totengespräche als „Historischer Schatz“; katholische Leser und Kritiker der Totengespräche; Liste der Errata in den bereits publizierten Entrevuen; Nachahmer der Totengespräche X. Band: „Vorrede. Nach Standes=Gebühr angesehener und geehrter Leser!“ Neider und Tadler; Vergleich mit anderen europäischen Journalen; Selbstverständnis des Autors und Charakteristika der Gespräche; Pedantentum und falsche Gelehrsamkeit; Fremdsprachen; Nachahmer; zukünftige Projekte XI. Band: „Nach Standes=Gebühr angesehener und geehrter Leser!“ Neider und Tadler; Verlust alter und Gewinn neuer Leserschichten; Hinweis auf ein alphabetisch geordnetes Register; Werbung für den Reisenden Chineser XII. Band: „Vorrede. Nach Standes=Gebühr angesehener und geehrter Leser!“ Qualität der Entrevuen; die Totengespräche als „Historischer Schatz“; falsche Gelehrsamkeit auf der einen und „gesunde Vernunft“ auf der anderen Seite

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Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

XIII. Band: „Vorrede. Geneigter Leser!“ Satirischer Charakter der Dedikation; Figurenwahl in den Gesprächen; Hinweis auf ein General-Register; Werbung für den StaatsMann; Zitat positiver Reaktionen auf den Staats-Mann; Wahrheit und Unwahrheit in deutschen Journalen; Beispiele für Falschinformationen anderer Periodika XIV. Band: „Vorrede. An alle diejenigen, so diesen Gesprächen günstig seynd, und sie lesen.“ Die Totengespräche als „Historischer Schatz“; Auswahl der Figuren; Neider und Tadler; Dank an Freunde und Gönner; Verurteilung von polemischen Pasquillen; Werbung für den Staats=Mann, die Neu=entdeckten Elisäischen Felder und das Passe=tems XV. Band: „Vorrede. Geneigter Leser!“ Anonymisierter Lebenslauf Fassmanns XVI. Band: „Geneigter Leser!“ Erläuterung der Systematik und der Gebrauchsmöglichkeiten des Supplement-Bandes; zitierte Quellen der Totengespräche; Neider und Tadler; Ausblick auf zukünftige Projekte Die Vorreden boten Fassmann die Möglichkeit, sich mehr oder weniger offen an seine Leserschaft zu wenden und für oder wider ein Thema zu streiten. Dank dieser Texte, die über das eigentliche Programm des Journals hinausgingen, konnte er Sachverhalte darlegen, für die im Rahmen der Dialoge kein Raum war. Offenbar erkannte Fassmann bereits früh, daß ihm besonders die Vorreden und Widmungen die Möglichkeit boten, sich von anderen publizistischen Erzeugnissen seiner Zeit abzusetzen. Er nutzte die peritextuellen Elemente, die anläßlich der Publikation eines neuen Bandes erschienen, als willkommenes Mittel, die eigene Position zu stärken. Gerade weil es sich bei den Gesprächen um ein regelmäßig erscheinendes Journal handelte, dessen Dialoge auch in gesammelter Form publiziert wurden, war es besonders wichtig, das mediale und intertextuelle Profil sowie die längerfristige Leserbindung im Auge zu behalten. Weil Fassmann zudem durch seine ausgedehnten Reisen Erfahrungen mit der journalistischen Literatur anderer Länder sammeln konnte und wußte, welche Themen und Vorgehensweisen erfolgversprechend und beliebt waren, darf man davon ausgehen, daß er auch durch die bewußte Gestaltung des Paratextes eine Möglichkeit sah, den dauerhaften Erfolg seines Periodikums zu befördern. Im zeitgenössischen medialen Kontext konnte es Autor und Verleger nur zum Vorteil gereichen, sich gegenüber anderen Publikationen argumentativ ins rechte Licht zu rücken. Die ‚vergleichende Werbung‘ stellte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine willkommene Möglichkeit

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dar, die eigenen literarischen Erzeugnisse im Vergleich zu anderen als besonders gelungen herauszustellen. Unabhängig vom eigentlichen Thema einer Publikation (war sie nun periodisch oder nicht) konnten so Aspekte wie der Umgang mit Fremdquellen (z. B. vermeintlichen Autoritäten), die geeignete Sprache und der Stellenwert der eigenen Erfahrung im Vergleich zu bereits kanonisiertem Buchwissen thematisiert werden. Unter dem Einfluß der sich immer schneller wandelnden Vorlieben, Moden und Aversionen der Zeit sowie der exponentiell zunehmenden Menge an Neuerscheinungen wurde es für Fassmann zusehends wichtiger, die eigene Position und Fortschrittlichkeit hervorzuheben. Höfische Sitten, politisches Verhalten, À-la-mode-Manieren und die Freude an allem, was auf irgendeine Weise französisch-kultiviert oder zumindest neu wirkte, drangen in zunehmendem Maße auch in Kreise vor, die auf den ersten Blick nichts oder nur wenig mit den oben genannten Erscheinungen zu tun hatten. Dadurch, daß auch im privaten Bereich immer mehr Menschen mit der Aufgabe konfrontiert waren, sich in Fragen der Mode, Konversation und Sitten weiterzubilden und dem galanten Zeitgeschmack anzupassen, wurde es notwendig, zu diesem Zweck geeignete Informationsquellen zu finden. Solchermaßen an der Stil- und Geschmacksbildung ausgerichtete Ratgeber (zu denen besonders auch die Journale zu zählen sind) konnten ihre Leser auf mindestens zwei verschiedene Arten unterrichten: Die eine bestand bei Organen wie den Gesprächen in dem Reiche derer Todten darin, ihre Rezipienten mit Gesprächsstoff für diverse gesellschaftliche Ereignisse zu versorgen.189 Die andere demonstrierte in Konversations- und Sittenlehren im Unterschied dazu die richtige Form, nach der man sich bei den verschiedensten gesellschaftlichen Anforderungen zu unterhalten hatte. Dem universalen Anspruch Fassmanns entsprechend sollten seine Publikationen beide Arten der Unterweisung (die inhaltliche wie die formale) zugleich liefern: Er versuchte mit seinen informativen Dialogen gleichzeitig auch die galant-modische Form der Unterhaltung zu vermitteln. Für viele seiner Leser mußte gerade dies den besonderen Reiz des Journals ausmachen, denn so konnten sie durch den Kauf eines einzigen Werkes mehrere Bedürfnisse stillen. Offenbar vermochte Fassmann diesen Bedarf seiner Zeitgenossen sehr gut einzuschätzen und war darüber hinaus auch fähig, seine publizistischen Erzeugnisse dem Geschmack dieses neu-gierigen Marktes anzupassen. In diesem Zusammenhang wird verständlich, warum er die gesellschaftliche und praktische Relevanz seiner Gespräche hervorhob und betonte,

189 Fassmann weist auf diesen Aspekt dezidiert in der Vorrede zum XVI. Band seiner Gespräche hin (vgl. nachfolgendes Zitat).

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Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

daß das Supplement, und die Entrevüen, absonderlich auch für denjenigen sehr dienlich seye, welche sich durch Historische, Geographische, Chronologische, Genealogische, oder sonst sinnreiche Discurse, bey vornehmen und ansehnlichen Gesellschafften hören lassen, und beliebt, oder sonst in der Welt berühmt machen wollen, daran wird wohl niemand zweiffeln, der die Art und Natur dieses grossen und schönen Historischen und Politischen Wercks recht einsiehet und erkennet.190

Fassmanns Ansatz, den Lesern neuen Gesprächsstoff zu liefern, stieß offenbar bei seinem Lesepublikum auf wohlwollende Aufnahme. Diese Lesart wird wiederum durch die bereits weiter oben erwähnte Ceremoniel=Wissenschafft des Julius Bernhard von Rohr unterstützt, welche die bei Fassmann angesprochenen Bedürfnisse im Kontext gesellschaftlicher Anlässe noch einmal benennt: Weil die meisten Menschen neubegierig sind, so ist gut, wenn man etwas neues zu erzehlen weiß, daß den andern etwan noch nicht bekandt, es sey nun von öffentlichen Handlungen, oder andern Erzehlungen, die Privat=Personen angehen, und dadurch niemand einig Nachtheil zugezogen wird, alsdenn kan man schon sehen, auf was vor Materien, die mit diesen einige Verwandtschafft haben, die andern nachgehends fallen, und das Gespräch wird sodann von andern weiter fortgesetzt werden.191

Der politische Umgang mit anderen Menschen und das galant geführte Gespräch gewannen in immer größeren Bevölkerungsschichten an Bedeutung, ein Befund, der durch die zahlreichen Publikationen, die zu diesem Thema von Zeitgenossen Fassmanns auf den Markt gebracht wurden, unterstützt wird. Julius Bernhard von Rohr nahm sich der von ihm in seiner Vorrede formulierten Aufgabe an, die vielen unerfahrenen jungen Cavaliers zu unterrichten, die sich in zunehmendem Maße in der Öffentlichkeit zu bewähren hatten. Seiner Ceremoniel=Wissenschafft ist wie den unterschiedlichen Bänden der Totengespräche eine Vorrede beigestellt, die die oben erwähnten Aspekte (Kritik fremder Quellen, Wert der eigenen Erfahrung, allgemeiner und spezieller Nutzen für den Leser) den Vorstellungen der Zeit gemäß herausstellte. Den Anforderungen vergleichbar, denen der Autor der Leipziger Gespräche mit Hilfe seiner Vorreden Genüge tun konnte, finden sich auch in diesem Text Anzeichen für die wachsende Bedeutung der Selbststilisierung und positiven Werbung für die eigene Publikation: Nachdem sich die Galanterien / die Moden und die Welt Manieren bey der heutigen Welt fast über die göttlichen und natürlichen Rechte erheben wollen / und ein grosser Theil der

190 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorbericht, Bd. XVI, Leipzig 1740, S. 3 (unpag.). 191 Rohr, Ceremoniel=Wissenschafft, II. Theil, II. Capitul „Von der Conversation“, S. 283.

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Menschen sich mehr befleißiget / seine Handlungen nach dem Wohlstand und dem Gefallen der Höhern einzurichten / als den Sätzen der Tugend=Lehre Folge zuleisten / so ist auch kein Wunder / daß so viele Autores von einigen Zeiten her / und sonderlich von dem Eingang dieses jetzigen Jahrhundert an / sich angelegen seyn lassen / mancherley hieher gehörige Schrifften auszuarbeiten. [...] [I]nzwischen glaub ich doch / daß die Ceremoniel=Regeln / dem Wunsch und Verlangen vieler Welt= und Staats=Leute nach / etwas accurater, ordentlicher und vollständiger vorgetragen werden können / als von andern bißher noch nicht geschehen.192

Trotz der bereits vorhandenen Fülle an thematisch verwandten Publikationen, so Rohr in seiner Vorrede, sei sein Werk als unbedingt notwendig anzusehen und qualitativ höherwertig im Vergleich zu anderen, die sich des gleichen Themas angenommen hätten. Die Beteuerung der herausragenden Qualität der eigenen Publikation gehörte wahrscheinlich seit der Einführung von Vorreden überhaupt zu den beliebtesten Mitteln der Leserlenkung und zielgerichteten Werbung; dennoch zeigt sich anhand eines Vergleichs beispielsweise der Vorreden von Fassmanns Gesprächen mit Rohrs Ceremoniel=Wissenschafft, daß in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts einige Argumente wichtiger wurden, andere jedoch zunehmend in den Hintergrund traten. So wie etwa Fassmann in verschiedenen Paratexten der Gespräche Auskunft gibt über die von ihm zitierten Quellen, offenbart auch Rohr in seiner Vorrede, auf welche Autoritäten er sich in seiner Arbeit gestützt bzw. welche er wegen ihrer Unvollständigkeit oder Nachlässigkeit gemieden habe. So geraten zusehends die Nachprüfbarkeit von Fakten, Auffindung ähnlicher Werke und thematische Spezialisierung in den Blick sowohl des Autors als auch der Rezipienten. Die Entwicklung hin zum (zumindest bedingt) wissenschaftlichen und informativen Spezialwerk zeigte seine ersten Spuren in Journalen wie dem Fassmanns oder in Rohrs Ratgeber zum gesellschaftlichen Umgang. Eine besondere Bedeutung kam in beiden Publikationen den französischen Vorbildern zu, die zwar grundsätzlich als norm- und stilbildend verstanden und in vielen Aspekten imitiert wurden, die im Vergleich mit den ‚einheimischen‘ Publikationen jedoch auch durchaus kritisch beurteilt wurden:193 192 Rohr, Ceremoniel=Wissenschafft, Vorrede, S. 1 f. (unpag.). 193 Angeblich hat sich Rohr nur „wenig fremder Schrifften“ bedient, eine Behauptung, die einem auch in Fassmanns Journal immer wieder begegnet. Anders als in der Vorrede zur Ceremoniel=Wissenschafft propagiert wird, finden sich im Text jedoch mehr Quellen und Vorbilder, als Rohr zunächst angibt. In der Vorrede nennt er nur 1.) den Getreuen Hofmeister von Tschirnhaus, 2.) den Sejour de Paris von Nemeitz und 3.) die Instructions „des ehemaligen Groß= Cantzlers in Frankreich / Monsieur de Chevergny“ als zitierte (und letztlich empfehlenswerte) Werke. Rohr, Ceremoniel=Wissenschafft, Vorrede, S. 7 f. (unpag.). Die vollständigen Titel der von Rohr angegebenen Werke lauten: Wolf Bernhard von Tschirnhauß auf Hackenau, Getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen / Welcher Hn. Ehrenfried Walthers von Tschirnhauß

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In den Französischen Schrifften / die von dieser Materie [den Manieren – SD] abgefaßt / findet man viel Gutes / aber auch zugleich unterschiedene Mängel. Viele von ihren Regeln [...] sind bey uns Teutschen / ob sie gleich ziemlich Französisch geworden / wegen ihrer eigenthümlichen Verfassungen und Gebräuche nicht anzubringen. [...] Uber dieses fehlet in ihren Schrifften meistentheils die Ordnung / sie setzen den unterschiedenen Materien keine gewisse Abtheilungen oder abgesonderte Classen / sondern werffen in ihren Anmerckungen alles untereinander.194

Interessant sind an der Vorgehensweise Rohrs zweierlei Aspekte: Zum einen wird an dem oben angeführten Zitat deutlich, wie sich die Kritik an anderen zum eigenen Vorteil verwenden ließ. Diese Technik war zwar nicht neu, konnte aber im zunehmenden medialen Konkurrenzkampf zu einem notwendigen und gern eingesetzten Mittel werden. Zum anderen lassen sich in seiner Argumentation Anzeichen für den Versuch einer Emanzipation der deutschen Literatur von ihren französischen Vorbildern erkennen;195 der Kontext, in dem dieses

[...] Für Studierende und Reisende [...] zu einer sichern Anleitung zur anständigen Conduite auf Universitäten und Reisen / in Manuscripto hinterlassene XXX. Nützliche Anmerckungen mit XLVI. Erläuterungen und XII Beylagen vermehrter, wohlmeynend ans Licht stellet, Hannover 1727; Joachim Christoph Nemeitz: Sejour de Paris, oder getreue Anleitung, welchergestalt Reisende von Condition sich zu verhalten haben, wenn sie ihre Zeit und Geld nützlich und wohl zu Paris anwenden wollen [...], Frankfurt 1718; Deß Herrn Philippi Hurault, Graff von Cheverny / und vormahls Cantzler deß Königreichs / Frankreich Treuer Unterricht / und Vatterliche Ermahnung: Die er seinem Herrn Sohn hinterlassen, aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzt, [o. O.] 1711. Zur Tradition der Kavalierstour vgl. u. a. Mathis Leibetseder: Die Kavalierstour. Adlige Erziehungsreisen im 17. und 18. Jahrhundert, Köln 2004 (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 56). 194 Rohr, Ceremoniel=Wissenschafft, Vorrede, S. 3 (unpag.). Rohr demonstriert hier augenfällig den Versuch deutscher Publizisten, den immer mehr zur Mode werdenden französischen Sitten argumentativ etwas entgegenzusetzen. In der Nachfolge Thomasius’ und dessen Kritik an der Nachahmung der Franzosen (vgl. 3.5.2.2 Die Bedeutung der Sprache) sind die Argumente Rohrs zu verstehen, die auf die angeblich fehlende systematische Denkart und kritikwürdige Ordnungsweise der Franzosen aufmerksam machen wollten. Die meisten der französisch geprägten Sitten werden bei ihm zwar gutgeheißen, sie sollen jedoch ganz im Sinne Thomasius’ im Kontext der eigenen Kultur uminterpretiert und mit neuem Sinn erfüllt werden. Zu verschiedenen publizistischen Aspekten und Medien der französischen Kulturkritik vgl. beispielsweise York-Gothart Mix: Nationale Selbst- und Fremdbilder in der Mode- und Alamodekritik des ›Hinkenden Boten‹ und anderer populärer Kalender des 18. Jahrhunderts, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 26 [2001], Heft 2, S. 56–71; Ingo Stöckmann: Die Gemeinschaft der Aufrichtigen. Die Sprache der Nation und der redliche Grund des Sozialen im 17. Jahrhundert, in: Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jahrhundert, hg. v. Claudia Benthien und Steffen Martus, Tübingen 2006, S. 207–230. 195 In der Vorrede zum XIII. Band setzt Fassmann zu einer ausführlichen vergleichenden Kritik an, indem er auf Fehler und Ungenauigkeiten in anderen (und eben auch französischen) Journalen hinweist; während er die deutschen Zeitschriften nicht mit Namen bezeichnet, gibt

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Werk (und zahlreiche andere Werke) erschien bzw. erschienen, wurde dadurch zwangsläufig über die eigenen Landesgrenzen ausgedehnt – zumindest auf diejenigen fremden Texte, die auf die jeweilige Publikation vorbildlich wirkten oder von denen man sich absetzen wollte. Die hier zum Vergleich angeführte Vorrede zur Ceremoniel=Wissenschafft Rohrs verdeutlicht so ein weiteres Charakteristikum für den besonderen medialen Kontext, in dem auch Fassmanns Gespräche angesiedelt waren: Diese richteten sich einerseits an publizistisch bereits erfolgreichen Vorgängern aus; andererseits setzten sie Thomasius’ Forderung in die Tat um, wonach deutsche Autoren französische Vorbilder nicht unverändert in ihren Werken imitieren, sondern sich an den spezifischen Bedürfnissen des eigenen Landes orientieren sollten. Im transtextuellen Diskurs sollten sie von der imitatio zur aemulatio gelangen. Der als besonders kultiviert geltenden (französischen) Vorlage gesellten sich so deutsche Ableger zur Seite, die (was sowohl Fassmann als auch Rohr immer wieder betonen) auf die besonderen landestypischen Gegebenheiten Rücksicht genommen und einige der als typisch französisch geltenden Marotten ausgelassen hätten. Ein Kennzeichen dieser durchaus einem nationalen Selbstbewußtsein verwandten Haltung bestand folgerichtig auch darin, vorbildliche deutsche und französische Quellen im Text zu benennen – auch hier zeigen sich in den Vorreden Parallelen, die für diese Lesart sprechen. Obwohl man hätte vermuten können, daß sich durch die Entscheidung, Werke in der jeweiligen Muttersprache zu verfassen, der Einfluß fremder Publikationen verringerte, war das Gegenteil der Fall. Dem überkommenen (und überholten) Argument, daß nur die lateinische Sprache den Austausch von Gedanken und Texten ermögliche, wurde so auf praktische Art widersprochen.196 Schriftsteller und Publizisten wie beispielsweise von Rohr und Fass-

er im Fall der Lettres historiques auch den genauen Namen der zu kritisierenden Publikation an. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Leipzig 1734, S. 14 f. 196 Fassmann bemerkte zu diesem Thema, daß der Glaube, Latein sei als ein internationales Verständigungsmittel geeignet, auf einem Irrtum beruhe; aus eigener Erfahrung könne er dies nicht bestätigen, denn zumindest bei einem Treffen von Angesicht zu Angesicht versage diese Sprache: „Kommet ein gelehrter Teutscher nach Engeland, kan er mit einem gelehrten Engeländer nicht einmal Lateinisch reden. Der Engeländer wird ihn so wenig verstehen, als ob er Teutsch redete, und der Teutsche so wenig den Engeländer, als ob dieser Englisch redete. Das rühret daher, weil die Engeländer das Latein nach ihrer Mutter=Sprache pronunciren; und also sprechen Veisni, an statt Visne; und Sceisni, an statt Scisne &c. [...] Ja, man muß sich wundern, wann man gelehrte Teutsche mit Frantzosen, Italiänern, Spaniern &c. beysammen siehet. Verstehet einer des andern Mutter=Sprache nicht, und sie müssen Latein reden, so haben sie allemal einige Mühe, einander zu verstehen, weil ein jedweder das Latein ein wenig, und mancher gar sehr, nach dem Genie seiner Mutter=Sprache ziehet und drehet. Ein Gelehrter solle demnach in unterschiedenen Sprachen und Wissenschafften wohl versiret seyn, auf daß er

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Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

mann begriffen ihre Werke in einem größeren, eher ‚europäisch‘ orientierten Gesamtkontext.197 Besonders Frankreich, welches für einen langen Zeitraum tonangebend war in allem, was als kultiviert, neu und galant galt, geriet in den Fokus einer gleichsam komparatistisch funktionierenden Publizistik. Diejenigen Leser, die sich durch eigene Fremdsprachenkenntnisse,198 Reisen in

sich mit einer andern zu helffen wisse, wann etwa die eine nicht gehen will.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Leipzig 1737, Dedikation, S. 7. 197 Obwohl sich Rohr argumentativ vom (negativen) Einfluß „fremder Schrifften“ (siehe Zitat weiter oben) entfernen wollte, begab er sich durch eine ähnliche Konzeption und Zielrichtung in deren Nähe. In der Vorrede formuliert er die Gesetzmäßigkeiten, nach denen er sein Werk konzipierte, wie folgt: „Nachdem die Ceremoniel=Regeln grossen Theils nach dem Unterschied der Europæischen Provinzien von einander unterschieden / so ist diese Anleitung größtentheils unserm Teutschland gewidmet / ich bin ein Teutscher / und schreibe bloß vor meine Landsleute.“ Rohr, Ceremoniel=Wissenschafft, Vorrede, S. 9 (unpag.). Zum ‚europäischen Bewußtsein‘ zu Beginn des 18. Jahrhunderts vgl. Heinz Duchhardt: Europabewusstsein und politisches Europa. Entwicklungen und Ansätze im frühen 18. Jahrhundert am Beispiel des Deutschen Reiches, in: Der Europa-Gedanke, hg. v. August Buck, Tübingen 1992, S. 120–131. 198 Rohr hebt in seiner Ceremoniel=Wissenschafft zum einen hervor, daß die Menschen keine Sprachkenntnisse vortäuschen sollten, und zum anderen, daß sie eine Sprache nicht durch modische fremdsprachige Wendungen verunzieren dürften: „Es ist eine schändliche Sache, wenn einige, die der Frantzösischen, Italiänischen, oder andern ausländischen Sprachen unwissend sind, sich dennoch mit einigen Flüchen, Schwüren, oder gar mit einigen unflätigen Wörtern, die sie daraus erhascht, sich so breit zu machen wissen, als ob sie noch so viel Frantzösisch, Italiänisch u.s.w. könten, und solche überall in ihrer Conversation mit vorbringen, es mag sich schicken oder nicht. [...] Die Liebe zur Galanterie und zur Frantzösischen Sprache ist so eingerissen, daß es vielen Teutschen fast gantz unmöglich fallen will, ohne Frantzösische Wörter mit einzumischen, Teutsch zu reden; Es wäre aber wohl am besten, wenn man eine jede Sprache in der Verbindung ihrer eigenthümlichen Wörter redete, die man reden wolte.“ Rohr, Ceremoniel=Wissenschafft, II. Theil, II. Capitul „Von der Conversation“, S. 280 f. An Fassmanns Gesprächen läßt sich eben jene von Rohr kritisierte Mischung von Muttersprache und fremsprachlichen Wendungen beobachten. Fassmann, dem von zeitgenössischen Kritikern zum einen vorgeworfen wurde, er verwende zuwenig (gelehrte) Fremdsprachen, und zum anderen, er verwende deren zuviel, bemerkt zum Thema: „Mit Latein werde ich indessen meine Gespräche, führohin, eben so wenig anwürtzen, saltzen und schmaltzen, als bißhero geschehen. Denn ich bleibe dabey, daß ein Autor, der in der Teutschen Sprache schreibet, so wenig Latein, als nur möglich, mit einmischen solle. Zum wenigsten werde ich denenjenigen es nimmermehr nachthun, welche Teutsche Historische Wercke herausgeben, und darinnen gleichwohl denen ärgsten Barbaren, die niemals ein Wort Latein gewußt, wie z. E. dem Attila, dem Tamerlan, und dem Bajazeth II. oder wohl gar Barbarischen alten gemeinen Weibern, Lateinische Discurse und Reden ins Maul legen. Ich meines Ortes halte es vor etwas ungereimtes, und noch vor ungereimter, wann ich meine Gespräche mit Hebräischen, Griechischen, Arabischen und Malabarischen Wörtern und Phrasibus bepfeffern wolte, wann ich gleich aller solcher Sprachen vollkommen mächtig wäre, oder mir von andern desfalls die Hand bieten lassen solte.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Leipzig 1730, Vorrede, S. 14. Das Malabarische gilt Fassmann an mehreren Stellen als Inbegriff des (negativ verstandenen,

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die entsprechenden Länder und durch ein zunehmend weitreichendes Subskriptionssystem einen Überblick über die Moden und publizistischen Neuerungen in Europa geschaffen hatten, konnten eine eigene Meinung zu den in den Vorreden propagierten Argumenten der einheimischen Schriftsteller und Journalisten ausbilden.199 Der Aspekt der eigenen Anschauung und persönlichen Erfahrung war es auch, der auf Seiten der Autoren zunehmend zu dem der Bücherweisheit und des kanonischen Wissens trat: Sowohl von Rohr als auch Fassmann betonten in den Vorreden zu ihren Publikationen, durch eigene Erfahrungen gleichsam exklusive und qualitativ hochwertige Informationen an ihre Leser weitergeben zu können; dies hebe sie positiv von denjenigen Autoren ab, die ihr gesamtes Wissen allein aus Büchern (und somit nur aus zweiter Hand) bezögen:200 da abseitigen) Exotischen. Die heute als Tamilisch bezeichnete Sprache der Region im Südwesten Indiens wurde in Europa vornehmlich durch Handelsbeziehungen und Missionarstätigkeiten bekannt. Zu zeitgenössischen Vorstellungen und sprachgeschichtlichen Aspekten vgl. etwa Johann Christoph Adelung: Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten [...], Erster Theil, Berlin 1806, S. 209–214. Adelung liefert neben einem kurzen geographischen Überblick auch eine Aufzählung der geläufigsten Nachschlagewerke und Grammatiken des 18. Jahrhunderts, welche die malabarische Sprache thematisierten. 199 Fassmann war sich aber durchaus des Heimvorteils bewußt, den er besaß, denn der einigermaßen umständliche Transport, die damit verbundene zeitverschobene Lektüre, der erhöhte finanzielle Aufwand und die darüber hinaus durch die Fremdsprachlichkeit beschwerlichere Rezeption ließen ausländische Zeitungen und Journale vergleichsweise unattraktiv erscheinen. Zur durchschnittlichen Lesebildung seiner Rezipienten und den wichtigsten europäischen Blättern merkt er an: „[S]o muß er [der Leser – SD] bedencken, daß derer Zeitungen vielerley Gattungen sind, die nicht alle über einen Leisten geschlagen, sondern daß man zu Wien gantz anders als zu Amsterdam und London schreibet; ein einziger Mann aber gar nicht alle solche unentschiedene Gattungen von Zeitungen, sondern gemeiniglich nur die wenigsten, oder wohl gar nur eine oder zwey Sorten zu lesen pfleget. Mit denen Journalen hat es gleiche Bewandtniß. Sie werden nicht von iedermann, und auch nicht alle von einem iedweden gelesen. Wer z. E. la Clef du Cabinet des Princes de l’Europe, den Schlüssel zum Cabinet derer Europäischen Fürsten lieset, so zu Luxembourg gedrucket wird, der unterlässet gemeiniglich, le Mercure Galant, oder les lettres historiques & Politiques, so beyde in Holland heraus kommen, zu durchlesen. Gleichwohl sind diese Piecen gar sehr von einander unterschieden, und man schreibet zu Luxembourg viel anders vom Päbstl. Hofe, von der Constitutions=Affäre, von dem was in Religions=Sachen zu Regensburg passiret, von denen Religions=Beschwerden, ja von allem, was die Römische Catholische Religion und die darzu gehörige Clerisey angehet, als in denen Holländischen Journalen und in anderen Piecen, so in Protestantischen Landen gedrucket werden, geschiehet.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Leipzig 1730, Vorrede, S. 10 f. 200 An dieser Stelle sei noch einmal auf Fassmanns Lebenslauf verwiesen, den er in der Vorrede zum XV. Band schildert. Die Erlebnisse und Erfahrungen, die er in seiner Arbeit für unterschiedliche Kanzleien und Gesandtschaften machte, sowie die ausgedehnte Kavalierstour, die

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Ceremoniel=Wissenschafft [W]o wollen diejenigen / die noch nicht in der grossen Welt gewesen / die Erkänntniß hernehmen / zu beurtheilen / welche von den Regeln / die sie vorgeschrieben finden / altfränkisch oder neumodisch / pedantisch oder hofmäßig / vernünfftig / oder unvernünfftig / practicable oder nicht practicable seyn?201 Die Regeln / die ich dir in folgenden Blättern vorschreibe / sind nicht aus Büchern zusammen gestoppelt / sondern aus dem Umgange mit der Welt erlernet worden.202 Gespräche in dem Reiche derer Todten Was die neuere Historie betrifft, [...] dabey hat die eigene Erfahrung des Autoris, und seine von dreißig Jahren her, zusammen gebrachten Historischen Collectanea vornehmlich, dann auch neue Journale und Zeitungen, freylich das meiste thun müssen. Doch hat es dem Autori nicht an Gelegenheit gefehlet, hohe Standes=Personen, Staats=Ministre, Generals, oder sonst in ansehnlichen Bedienungen stehende Männer, die gewißlich etwas gewußt, über die wichtigsten Begebenheiten und Conjuncturen discuriren und urtheilen zu hören; wobey es ihm frey gestanden, sie verschiedener Sachen wegen noch weiter zu fragen, und gar schöne Nachrichten von ihnen einzuziehen.203

Selbst der Aspekt des eigenhändigen Sammelns historischer Informationen konnte, wie an oben stehenden Zitaten deutlich wird, zu einem positiven Wesensmerkmal im Vergleich mit anderen Publikationen werden. Naturgemäß war das persönliche Erlangen historischen Wissens und die Teilnahme an wichtigen Ereignissen auf die jüngere Geschichte beschränkt, nahm jedoch in der Argumentation einen vergleichsweise prominenten Platz ein. Sowohl von Rohr als auch Fassmann stellen ihre jeweilige Publikation als fortschrittlich (im Sinne von ‚anti-pedantisch‘) dar, weil in ihnen eben nicht nur bereits bekanntes Buchwissen wiederaufbereitet würde. Aus dem Vergleich der Vorreden kann geschlossen werden, daß peritextuelle Elemente mehr waren als reine ‚Anhängsel‘ des Haupttextes, die den Umfang des Journals künstlich strecken sollten. Nachdem die Ära der untertänigen Widmungen sich dem Ende zuneigte und viele Autoren seltener genötigt waren, die Gunst einer adligen und vermögenden Gönnerin oder eines Gönners

er mit dem jungen Cowper unternahm, wurden von Fassmann ausführlich beschrieben. Die Stationen seines bisherigen Lebens dienten gleichsam als Ausweis seiner diplomatischen und gesellschaftlichen Fertigkeiten, die er – so der dieser Argumentation zugrunde liegende Gedanke – für sein Periodikum auf gewinnbringende Art und Weise einzusetzen gedachte. 201 Rohr, Ceremoniel=Wissenschafft, Vorrede, S. 4 (unpag.). 202 Rohr, Ceremoniel=Wissenschafft, Vorrede, S. 6 (unpag.) [Hervorhebung – SD]. 203 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 4 (unpag.).

Der Paratext des Journals

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zu suchen, konnten die Vorreden und Widmungen zur Erfüllung anderer Absichten genutzt werden. Mit größer werdendem publizistischen Volumen, wachsender Lesefähigkeit potentieller Rezipienten, neuen Vertriebsmöglichkeiten für die verschiedensten publizistischen Erzeugnisse und einem allumfassenden Interesse der Leser an Neuem wurde es zunehmend wichtiger, sich argumentativ in eine geeignete Stellung zu bringen.

4.2.2 Die Dedikation Ähnlich wie die Vorreden konnten auch die zahlreichen Widmungen zu einem zentralen Instrument der Leserlenkung werden. Waren die Totengespräche selbst auf ein bestimmtes didaktisches Ziel und auf die angenehme Unterhaltung des Lesers ausgerichtet, so konnten die Dedikationen, die dem jeweiligen neu erscheinenden Band vorangestellt waren, davon abweichende Ziele verfolgen. Eine der wichtigsten Aufgaben der peritextuellen Elemente bestand darin, das „symbolische Kapital“ 204 und den literarisch-künstlerischen Status des Periodikums zu erhöhen und Dritten gegenüber anzupreisen. Wenn Fassmann (wie die Vorreden wiederholt anführen) von einigen Kritikern fehlende Gelehrsamkeit und verurteilenswerte Frivolität vorgeworfen wurde, konnten die Nebentexte einerseits die Bildung des Autors unter Beweis stellen, andererseits aber auch dafür Sorge tragen, daß der Leser von der Attraktivität und Qualität des gesamten Journals überzeugt wurde. Fassmann wählte als Adressaten für einige seiner Dedikationen statt der ehedem üblichen adligen Gönner antike Philosophen und Autoren wie etwa Heraklit, Demokrit, Ovid und Aesop oder etwa die Unterweltsrichter Minos, Rhadamanthus und Aeacus. Indem er innerhalb der peritextuellen Elemente eine in seinen Gesprächen fast völlig fehlende Instanz in Gestalt der drei Richter der Unterwelt ansprach, stellte er sowohl einen Bezug zur antiken, Lukianisch geprägten Gattungstradition sowie zu seinen zeitgenössischen französischen Vorbildern her. Letztere orientierten sich mehr, als Fassmann dies in seinen Gesprächen tat, am antiken, mythologisch geprägten Hintergrund der Gattung. Die Dedikationen erfüllten somit eine Aufgabe, welche die Entrevuen allein nicht leisten konnten, weil diese primär zur unterhaltsamen Vermittlung historischen und politischen Wissens dienten. Jene sorgten durch ihre Adressaten (etwa die Richter der Unterwelt) dafür, daß ein gleichsam architextueller Bezug zu den antiken bzw. ‚modernen‘ Totendialogen hergestellt wurde. Fassmann

204 Vgl. dazu Dirk Niefangers Lesart von Pierre Bourdieus Begriff. Niefanger, Nationalliteratur, S. 152 f.

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Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

gedachte so offenbar, die Qualität der Leipziger Totengespräche im Vergleich mit berühmten Vertretern der Textsorte aufzuwerten. Durch die Anrede literarisch angesehener antiker Autoren wurde über die hauptsächlich verwendete Textsorte des Journals hinaus eine größere literarische Perspektive eröffnet, die den Stellenwert und die Wahrnehmung der Gespräche positiv beeinflussen sollte. Die Dedikationen waren im einzelnen folgenden Figuren gewidmet:

Bd. I: Bd. II:

Bd. III: Bd. IV:

Bd. V: Bd. VI: Bd. VII:

Bd. VIII: Bd. IX: Bd. X: Bd. XI: Bd. XII:

Bd. XIII:

Bd. XIV:

Bd. XV:

Dedikation fehlt „Epistel des Autoris an die Verstorbene. Allerdurchlauchtigste, Durchlauchtigste, oder sonst, durch ihr Leben, Thaten und Fata, berühmt gewordene Todte“ Dedikation fehlt „An das sämtliche Frauenzimmer, welches gegenwärtige Todten-Gespräche des Durchlesens würdiget. Ihr schönen und vortrefflichen, ihr mittelmäßigen, wie auch ihr garstigen und häßlichen Gesichter!“ „An den Aesopum. Sinnreicher und vortrefflicher, obschon ziemlich bucklichter und ungestalt Aesope!“ „An den Schlaffenden Martem.“ „Der Autor an Den Ovidium. Vortrefflicher Poët, galanter Staats= und Hofmann, auch weltberühmter Weintrincker, und ungemeiner Liebhaber des schönen Frauenzimmers.“ „An den weinenden Heraclitum! Grosser und weltberühmter Greiner!“ „An den Democritum, Den Welt=berühmten Philosophum, Und Grossen Lacher. Vortrefflicher Weltweiser / und grosser Lacher!“ „Dedication An Momum den Ertz=Tadler“ Dedikation fehlt „Dedication An Die drey gerechten, strengen und unerbittlichen Richter Im Reiche derer Todten, genannt: Minos, Rhadamanthus, und Æacus.“ Bericht von der Göttin Nemesis. „Durchlauchtigste Nemesis! Du Vergelterin alles Guten, und Rächerin alles Bösen! Vortreffliche Tochter der Gerechtigkeit!“ „Dedication an den Frieden, an die Einigkeit, und an die Freude. O Edler Friede, du Güldene Zeit! O Süsse Einigkeit! Und du o Freude! in welcher eigentlich die Seele des gantzen menschlichen Wesens bestehet.“ „Dedication an die Gelehrsamkeit. Erleuchte und Weise, Hoch=Edle, Gerechte und Vortreffliche Gelehrsamkeit! Du Tochter des Himmels,

Der Paratext des Journals

Bd. XVI:

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und Mutter vieler, aber sehr unterschiedener, wohlgerathener und ungerathener Kinder!“ Dedikation fehlt

Der Überblick über die unterschiedlichen Dedikationen zeigt, welche Bandbreite an Themen und Adressaten Fassmann mit seinen Widmungen anzusprechen gedachte. In der Dedikation des IV. Bandes wendet er sich etwa dezidiert an seine Leserinnen und redet diese wie folgt an: „An das sämtliche Frauenzimmer, welches gegenwärtige Todten-Gespräche des Durchlesens würdiget. Ihr schönen und vortrefflichen, ihr mittelmäßigen, wie auch ihr garstigen und häßlichen Gesichter!“ Obwohl sich die Autorfigur sogleich für diese nur bedingt galante Anrede bei den Leserinnen des Journals entschuldigt, sei die Einteilung derselben in drei verschiedene ‚Klassen‘ dennoch notwendig und sinnvoll; gleichsam als Vergeltung für das Verhalten derjenigen, die sich über die unpassenden „Histörgen“ des Journals echauffierten, in denen der mitunter sehr zweifelhafte Lebenswandel einiger Frauen eine zentrale Rolle gespielt habe, fungiere die Widmung als eine Art kritische Kontrollinstanz. Die Dedikation möchte, so die Autorfigur weiter, einerseits den Zorn dieser Leserinnen besänftigen,205 andererseits aber für das Recht streiten, weiterhin ‚lasterhafte‘ Frauen in den Totengesprächen vorstellen zu dürfen. Die ästhetische Klassifizierung aller weiblichen Leser in schöne, mittelmäßige und häßliche sowie die gleichzeitige moralische Beurteilung ihrer Charaktere diente Fassmann dazu, ein möglichst systematisch und sachlich wirkendes Bild der vermeintlich naturgegebenen Eigenschaften des ‚Frauenzimmers‘ im allgemeinen bzw. seiner Rezipientinnen im besonderen zu zeichnen. Fassmann vermochte so in der Tradition der humanistischen Weibersatire auch außerhalb der entsprechenden Dialoge Kritik an weiblichem Fehlverhalten zu üben.206 Die Einteilung der Frauen in qualitativ unterschiedene Klassen in der

205 Sollte dem Autor dies nicht gelingen, sei das Schlimmste zu befürchten, so die satirisch gehaltene Einleitung: „In solchem Vertrauen, ihr schönen und vortrefflichen, ihr mittelmäßigen, wie auch ihr garstigen und häßlichen Gesichter! fahre ich fort, mit euch ferner zu reden, und zu sagen, welchermassen ich gehöret, als ob sich einige unter euch, über gewisse Histörgen vom Frauenzimmer, welche in meinen bißherigen Gesprächen zu finden, dergestalt entrüstet haben sollen, daß es um mein armes Leben wäre geschehen gewesen, woferne sie mich in ihren Händen und Macht gehabt hätten, mich umzubringen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IV, Leipzig 1723, Dedikation, S. 4. 206 Fassmanns Haltung gegenüber Frauen ist nicht immer eindeutig auf einen einzigen Standpunkt festzulegen. Auf der einen Seite drängte ihn seine protestantisch-pietistische Gesinnung dazu, gewisse als ‚typisch weiblich‘ verstandene Eigenschaften und Verhaltensweisen anzuprangern, auf der anderen Seite war er bestrebt, die Gunst seiner zahlreichen Leserinnen

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Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

Dedikation wird dazu verwendet, das programmatische Vorgehen innerhalb der Gespräche zu rechtfertigen. Wenn Fassmann jedoch nicht einen Teil seiner Leserschaft verärgern wollte, tat er gut daran, ein Szenarium zu entwerfen, nach dem es seinen Leserinnen argumentativ unmöglich gemacht wurde, sich gegen die Auswahl und Art der Darstellung weiblicher Figuren im Journal aufzulehnen – zumindest nicht auf eine Art, durch die sie (die Leserinnen) in den Ruch geraten wären, selbst zu denjenigen zu gehören, deren Lebenswandel einer kritischen Betrachtung nicht standhalten würde: Weil ich dann gesonnen bin ferner zu schreiben, und mich noch einiger über die Massen lasterhafften Weibs=Personen erinnere, die vielleicht, zum Theil, in diesem Band, werden auftreten müssen: als habe ich das gesamte Frauenzimmer, welchem meine Gespräche vor Augen kommen, inständigst bitten wollen, sich nicht darüber zu erzürnen, wann sie, ins künfftige, von noch mehrern lasterhafften Bildern ihres Geschlechts werden reden hören, und ihre gespielten schlimmen Streiche mit angeführet sehen. Die Guten und Tugendhafften nun, können solche meine Bitte darum desto leichter statt finden lassen, weil sie keine Historie einer lasterhafften Person etwas angehet. Die Bösen und Lasterhafften aber werden wohl thun, wann sie sich durch keinen unzeitigen Eyfer und Zorn verrathen, daß sie durch dergleichen Historien getroffen, und nicht besser sind als wie die Personen, von denen man eigentlich redet.207

Die „tugendhafften“ Frauen hätten dieser Argumentation nach also keinen Grund, sich über die im Journal dargestellten „lasterhafften“ Frauenleben zu erregen, und die „bösen“ müßten ebenso Stillschweigen bewahren, wenn sie sich nicht durch emotionale Reaktionen („unzeitigen Eyfer und Zorn“) selbst verraten wollten. Dieser zwar simplen, aber effektiven Begründung nach konnten sich die Leserinnen nur zufrieden mit den von Fassmann gewählten Figuren zeigen – ein geschicktes Manöver, das er im Folgenden noch moralisch zu verstärken sucht, indem er die zu Anfang angedeutete charakterliche Antithetik (gute und schlechte Frauen) um die Kategorie der mittelmäßigen Frauen erweiterte, um so auch eine ästhetische Beurteilung seiner Rezipientinnen bzw. des weiblichen Geschlechts vornehmen zu können. Wenig überraschend ist Fassmanns Strenge in der Beurteilung besonders schöner Frauen. Diese Gruppe wird im Vergleich zu den beiden anderen Klassen am ausführlichsten behandelt und in drei Untergruppen geteilt: Die erste Untergruppe der „schönen und vortrefflichen Frauenzimmer“ besteht aus denjenigen, die schön und tugendsam zugleich (und deswegen verehrungswürdig) sind, die zweite aus denjenigen, die zwar schön, aber charakterlich verdorben und deswegen „die elend-

auf der Ebene der Konversation durch vorbildliches Verhalten zu gewinnen, das am Ideal der galanten conduite orientiert war. 207 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IV, Leipzig 1723, Dedikation, S. 4 f.

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sten Creaturen auf Erden sind“ 208, und die dritte schließlich aus denjenigen Frauen, die zwar schön, aber noch verführbar sind und deswegen in ständiger Gefahr schweben, „inwendig eine weit häßlichere Gestalt als der Teufel selbst“ 209 anzunehmen. Besonders für die letzte der drei Untergruppen seien die Totengespräche eine geeignete Lektüre, denn durch das abschreckende Beispiel der zahlreichen böse endenden Frauenschicksale seien hier noch die besten Ergebnisse zu erzielen. Durch die Anfechtungen des Teufels, die Wollust der Männer und die eigene Neigung zum Schlechten verdorben, benötigten gerade diese ‚Frauenzimmer‘ eine besonders gründliche moralische Unterweisung: Weil es nun noch gar vielen schönen Gesichtern eben so gehen wird, ist zu wünschen, daß ein jedes, welches noch zur Zeit unschuldig, so offte es eine Historie von einer schönen, aber doch lasterhafften Person seines Geschlechtes höret oder lieset, herzlich zum Himmel seuffzen möge, daß er sie vor allen Fall=Stricken des Teufels und wollüstiger geilen Böcke, wie auch vor die Reitzung ihres eigenen, kützlichen schönen Fleisches und Blutes, jederzeit in Gnaden bewahren, und stets auf dem Wege der Tugend erhalten wolle!210

Je mehr Lebensläufe „lasterhaffter“ Frauen Fassmann seinen Leserinnen präsentierte, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, so die hier vordergründig propagierte Hoffnung, noch einige der wankelmütigen und gefährdeten Seelen auf den Pfad der Tugend zurückzubringen. Mit Hilfe dieser Argumente gelang es Fassmann, die Wahl moralisch zweifelhafter und charakterlich ‚verdorbener‘ Frauenfiguren nutzbringend zu rechtfertigen. Daß seine Leserschaft (Männer wie Frauen) sich vermutlich insgeheim am meisten an eben diesen Figuren ergötzte, muß nicht gesondert hervorgehoben werden. Gerade die von Fassmann immer wieder geschickt inszenierte Fallhöhe im Leben schöner Frauen mußte auf die meisten seiner Leser eine anziehende Wirkung ausüben.211 Fassmann beschließt seine Dedikation an das ‚Frauenzimmer‘ mit dem Wunsch: „[H]ütet euch vor alle schlimmen Streiche, die ihr in diesen Gesprächen von lasterhafften Personen eures Geschlechts aufgezeichnet findet, und ahmet hingegen denen nach, die als Tugend=Spiegel darinnen stehen.“ 212

Moralkritik und Satire wurden nicht nur in dieser, sondern in zahlreichen Widmungen eng miteinander verknüpft. Auch wenn die Dedikation durch die

208 209 210 211 212

Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IV, Leipzig 1723, Dedikation, S. 6. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IV, Leipzig 1723, Dedikation, S. 6. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IV, Leipzig 1723, Dedikation, S. 8 f. Vgl. hier besonders die Entrevuen Nr. 25, 59, 78, 89, 93, 95, 100, 111, 119. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IV, Leipzig 1723, Dedikation, S. 10.

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Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

Überschrift eine bestimmte Figur oder Personengruppe als Adressaten identifizierte, mußte dies in Fassmanns Periodikum nicht zwangsläufig bedeuten, daß sich die Anrede auf diese beschränkte. Sei es, daß der Autor den stets weinenden Heraklit anredete und dabei eigentlich die Uneinigkeit unter den europäischen Herrschern kritisierte, sei es, daß sein lachender Gegenpart, Demokrit, angerufen und der „verwirrte Zustand der Welt“ in Gestalt verschiedener „Narren“ und „böser Gemüther“ 213 verurteilt wurde: Fassmann instrumentalisierte in den Dedikationen die von ihm angesprochenen Figuren, um dem Leser (und der Leserin) seine Absichten auf geeignete rhetorische und didaktische Weise zu vermitteln. So diente meist eine bestimmte Eigenschaft eines Widmungsempfängers dazu, ein vom Autor gewähltes Thema sinnfällig zu exemplifizieren und es, wenn möglich, gründlich zu erklären. Dabei verfuhr Fassmann ähnlich wie in den biographischen Abschnitten seiner Totengespräche: Figuren wie Heraklit, Demokrit oder Ovid wurden anhand eines kurzen Lebenslaufes vorgestellt. Seinen unter Umständen nicht ausreichend vorgebildeten Leserinnen und Lesern wurden so die nötigen Kenntnisse vermittelt, die zum Verständnis des Ganzen nötig waren. Dabei schreckte Fassmann auch nicht vor gewissen Stereotypen bzw. klischeehaften Darstellungen zurück. Je nachdem, welche Eigenschaft oder Handlungsweise zu einem Thema paßten, wählte er einen ihm geeignet erscheinenden Aspekt aus dem Leben oder dem Charakter einer Figur aus. An Ovid etwa hob er nicht vornehmlich dessen überzeitlichen literarischen Nachruhm hervor, sondern dessen Hang zum Trunk und zur körperlichen Liebe. Heraklit und Demokrit als berühmte „Welt=Weise“ standen für das Weinen bzw. das Lachen, Aesop in seiner Ungestaltheit für den Sieg der künstlerischen Idee über die Unbilden des Lebens, und die Götterfiguren Mars und Nemesis exemplifizierten durch die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften die Themen Krieg sowie die Vergeltung von Ungerechtigkeiten. Analog zu den detaillierten Einführungen in das Leben der gewählten Figuren bzw. zu deren mythologischer oder historischer Bedeutung wurden ironische oder satirische Verweise vergleichsweise deutlich markiert. Fassmann konnte so vermeiden, daß seine Leserschaft Anspielungen und Scherze falsch oder womöglich überhaupt nicht verstand. Gemäß dem didaktischen Ansatz der Gespräche bemühte er sich, auch die Peritexte des Journals zum größtmöglichen Nutzen und zur Belustigung aller Leser verständlich, bildend und unterhaltsam anzulegen. Zusätzlich zu der Möglichkeit, bestimmte Themen und Lesergruppen gezielt anzusprechen, war es Fassmann möglich, unter dem Deck-

213 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX, Leipzig 1729, Dedikation, S. 4 f. (unpag.).

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mantel der (relativen) Anonymität die literarische Qualität seines historischpolitischen Periodikums zu erhöhen. Besonders augenfällig wird dies im Fall der Widmungen an Ovid und Aesop.214 Erstere stellte den ewig währenden Nachruhm des Verstorbenen heraus und setzte sich – zumindest auf der Ebene des wohlwollenden Vergleichs – mit diesem in eine Beziehung. Ovids Schriften würden, so die Argumentation der Dedikation, auch nach so vielen Jahrhunderten mit unveränderter Hingabe und Verehrung gelesen und vor allem in Erinnerung behalten. Und dies trotz Ovids „Fehlern und anklebenden Schwachheiten“, für die auch der Verfasser der Totengespräche (also Fassmann) getadelt würde. Die Widmung an Aesop diente Fassmann vor allem dazu, den nützlichen Charakter seiner Gespräche analog zu dem der antiken Fabeln hervorzuheben. Darüber hinaus suchte Fassmann um die Erlaubnis des antiken Dichters nach, sich gelegentlich aus dessen Fabelschatz zu bedienen, wenn es der Gang seiner Totengespräche erforderlich machen sollte. Nur der ungestalte Buckel seines antiken Vorbildes, so Fassmanns satirische Bitte, möge ihm, dem über seine Gespräche gebeugt sitzenden Nachfahren, erspart bleiben.215 Satire wird von Fassmann in den Peritexten der Gespräche sowohl als ein Mittel in der Auseinandersetzung mit Dritten als auch zur Unterhaltung seiner Leser eingesetzt. Darüber hinaus vermochte es gerade die satirische Schreibart, den häufig eher ernsten Ton der Gespräche komplementär zu ergänzen. In Anlehnung an Thomasius’ Konzept der „scherz- und ernsthafften“ Gespräche mag Fassmann die Nebentexte seines Periodikums bewußt abwechslungsreich gestaltet haben, um für Abwechslung bei der Lektüre zu sorgen. In diesem Kontext wird ersichtlich, warum er zum einen mit wenigen Ausnahmen beim Erscheinen eines neuen Bandes sowohl eine Vorrede als auch eine Widmung verfaßte, und zum anderen, weshalb die Peritexte mit immer neuen Themen und Adressaten aufwarteten. Einige der Nebentexte ähneln stilistisch und inhaltlich einer Streitschrift, während andere, wie oben bereits angedeutet wurde, eher wie satirisch-witzige Kommentare auf das aktuelle Tagesgeschehen gele-

214 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VII, Leipzig 1727, Dedikation, S. 9– 16 und Bd. V, Leipzig 1725, Dedikation, S. 3 f. (unpag.). 215 Die legendenhafte Überzeugung, daß Aesop als besonders häßlicher phrygischer Sklave trotz seines ästhetischen Nachteils die besten Fabeln hervorgebracht habe, dient Fassmann hier als Aufhänger für eine persönlich gestaltete Passage: „Um deinen Buckel, sinnreicher und vortrefflicher Æsope! und wann er auch der schönste oder allerbest=formirteste in der Welt gewesen wäre, bitte ich dich nicht, dieweil ich ihn nicht mag. Au contraire, es ist mir ohne diß immer bange, daß mir nicht etwa noch ein Buckel, aus meinem biß dato, dem Himmel seye Dank! annoch geraden, Rücken heraus wachse, falls ich noch einige Jahre so sitze, und so viel schreibe, wie ich bißhero gesessen bin, und geschrieben habe.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. V, Leipzig 1725, Dedikation, S. 2 (unpag.).

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sen und verstanden werden konnten.216 Fassmann wies indirekt auf diese besondere Funktion dieser Texte hin, wenn er sich an einer Stelle gegen den Vorschlag eines Lesers verwehrte, Pasquille auf seine zahlreichen Gegner zu verfassen; sein Journal sei kein Ort, an dem andere auf diese verachtenswerte Art angegriffen werden sollten.217 Verweise auf andere Textsorten wie die kritischen Predigten und Schmähschriften eines katholischen Priesters218 oder die negativ konnotierten „Raisonnements“ 219 gelehrt wirken wollender Zeitgenossen unterstrichen diesen Standpunkt.

216 Die Satire stellte für Fassmann anders als die Pasquille eine erlaubte Schreibart dar. Auch auf einigen Titelblättern erscheint sie zwar als angriffslustige, aber auch als gleichsam notwendige Haltung gegenüber bestimmten menschlichen Verhaltensweisen: „Satyren freuen sich, wann sie was können finden / Das auszusetzen ist, an andrer Leute Thun. / Allein wär’ dieses nicht, so stund noch weit dahinten, / Was in die Welt gebracht, Klugheit, Conduit und Ruhm.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 23, Leipzig 1720, Titelblatt. 217 Seine Argumentation gegen das Abfassen von Schmähschriften liest sich wie folgt: „[V]on dergleichen Sachen bin ich gar kein Freund. Ich könte deren selber mehr als zu viel verfertigen, und meine Feinde damit regaliren, wann ich es thun wolte. Aber der Himmel bewahre mich vor dergleichen Schelm= und Buben=Stücken, die in denen Augen Gottes, und der gantzen rechtschaffenen Welt ein Greul sind. Pasquillanten sind infame Hunde, ja [...] Schelm= Diebes= und Canaillen=Pack.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIV, Leipzig 1737, Vorrede, S. 10. Zum zeitgenössischen Begriff Pasquillanten bzw. zu dessen Ursprung vgl. unter eben jenem Stichwort z. B. Zedler, Universal-Lexicon, Bd. 26, Halle 1740, Sp. 1147; Adelung, Wörterbuch, „Pasquill“, Bd. 3 (M–Scr), Leipzig 1798, Sp. 663 f. 218 Vgl. dazu z. B. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IX, Vorrede, Leipzig 1729, S. 2 f. (unpag.). Die Pasquille des Momus wird wiederum in Johann Christophs Gottscheds „Vorrede von Gesprächen überhaupt“ zu dessen Übersetzung der Fontenellschen Totengespräche (Leipzig 1727) namentlich erwähnt: Anonym: Abgenöthigte Critique der sogenanten Gespräche in dem Reiche derer Todten [...], Halle (Saale) 1721. Auf diese Pasquille erfolgte wiederum eine für Fassmann streitende Erwiderung durch den sächsischen Staatssekretär Johann Zacharias Gleichmann, der im Titel bereits seine Abneigung gegen den Angriff auf die Leipziger Totengespräche mehr als deutlich macht: Abgenöthigte und rechtmäßige Retorsion, Auff ein schändliches Pasquill, So ohnlängst wider die Gespräche im Reiche der Todten, Absonderlich wider die Vierte Fortsetzung evomiret worden [...], Frankfurt 1727 (zu diesen beiden Streitschriften vgl. auch den Abschnitt 5.2.2 Der Hauptteil). 219 Der Begriff wird in den Peritexten vor allem negativ verwendet. Vgl. Bd. VII, Dedikation, S. 11 f. und Bd. XII, Vorrede, S. 12 und 14. Positiv erscheint der Begriff nur an der Stelle, an welcher Fassmann die verschiedenen Absichten und Bestandteile seiner Totengespräche erläutert: „Ich führe sie ja hiernechst nach meiner Schreib=Art, und nach meinem Stylo aus, suche mithin denen Historischen Erzehlungen, durch solide Reflexiones, durch Moralisiren und Raisonniren, eine gantz besondere Lebhafftigkeit zu geben [...].“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Leipzig 1732, S. 11. Zum Begriff des Raisonnements erläutert Zedlers Universal-Lexicon: „Raisonnement, ist eine Gegeneinanderhaltung der Gedancken, die man bey einer Sache hat.“ Zedler, Universal-Lexicon, „Raisonniren“ und „Raisonnement“, Bd. 30, Sp. 710. Der „Raisonneur“ aber, der auch von Fassmann wiederholt im Negativen verwendet

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Fassmann nutzte die Gelegenheiten, welche die peritextuellen Elemente ihm während des 22 Jahre währenden Erscheinens der Gespräche boten, geschickt für seine Zwecke aus. Er durchbrach mit den unterschiedlichen Nebentexten sowohl inhaltlich als auch formal das Schema, nach dem der Haupttext geordnet war. Titelblätter, Vorreden, Dedikationen, Register und Avertissements konnten dem Leser thematisch Abwechslung bieten und das formale Ordnungsprinzip der Totengespräche ergänzen. Er nahm so die Arbeitsweise später erscheinender Organe vorweg, die sich vor allem durch abwechslungsreich gestaltete Schreibformen und unterschiedliche Textelemente auszeichneten. Verschiedene Textsorten innerhalb ein und desselben Mediums konnten dem Leser die Langeweile vertreiben und darüber hinaus durch ihr regelmäßiges Erscheinen den Wiedererkennungswert eines Periodikums und damit auch die Leserbindung steigern. Im Unterschied zu später erschienenen Organen verfaßte Fassmann alle Texte seines Periodikums allein. Nichtsdestoweniger sind an seiner Gestaltung bereits eben jene Elemente zu erkennen, die für die Entwicklung der periodisch publizierten Literatur bestimmend werden sollten. Sein publizistischer Instinkt für das Verlangen seiner Leser nach Abwechslung, Neuigkeiten, Bildung und modischen Themen fand seinen Ausdruck deswegen auch in der Gestaltung derjenigen Abschnitte, die sich vom obligatorischen ornamentalen Beiwerk hin zu einem wichtigen Bestandteil des Journals entwickeln und zu einer argumentativen Nebenbühne werden konnten. In den Vorreden und Widmungen thematisierte Fassmann verschiedene Textsorten und Schreibarten, deren er sich in seinem Journal bediente, bzw. gab Auskunft auch über diejenigen, die er grundsätzlich ablehnte, weil er sie nicht mit seinem Selbstverständnis als Autor vereinbaren könnte. Zu letzteren gehörten beispielsweise die oben genannte Pasquille, die einige Leser von ihm in der Auseinandersetzung mit seinen Kritikern angeblich gefordert hatten. Die Tatsache, daß derart unterschiedliche Schreibarten und -formen in seinem Journal genannt bzw. angewendet wurden, zeigt, daß Erscheinungsform und Systematik der periodischen Organe selbst zu diesem Zeitpunkt noch verhältnismäßig wenig normiert waren. Erschien Fassmann ein Thema aus gegebenem Anlaß als hinreichend interessant, hatte er die Freiheit, es auf verschiedene Arten in seinem Periodikum zu präsentieren. Durch die Repetition verschie-

wurde, weist in Zedlers Universal-Lexicon einen Verweis zum Begriff „Stencker“ auf. Dort fand der interessierte Leser folgende zeitgenössische Definition: „Stencker, Frantz. Raisonneur, heißt bey den Soldaten derjenige, der murret und brummet, auch viel Wesens und Worte macht, [...] der über alles critisiret und tadelt, was sich seiner Meynung nach nicht gleich reimet.“ Zedler, Universal-Lexicon, „Stencker“, Bd. 39, Sp. 1821.

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dener Textelemente gelang es Fassmann, seinem Journal ein wiedererkennbares Profil zu verleihen. Zu den verschiedenen Titelblättern, Vorreden und Widmungen traten in jedem Band noch ein alphabetisch geordnetes Register und einzelne in den Totengesprächen abgedruckte Fremdtexte. Wörtliche Abschriften offizieller Dokumente und Verträge, zahlreiche Gedichte anderer Autoren, illustrierende Anekdoten, derbe Schwänke, deutsche wie fremdsprachige Sentenzen und Maximen erschienen sowohl in den Totengesprächen selbst als auch in den Peritexten. Die grundlegenden Bestandteile der Reihe blieben zwar während der zweiundzwanzig Jahre, in denen sie erschien, gleich; ihre Ausgestaltung jedoch vermochte Fassmann so erfolgreich zu variieren, daß sein Periodikum auch noch nach mehrmaligem Lesen bzw. beim Kauf eines neuen Bandes durch seinen lehrreichen und unterhaltsamen Charakter anziehend wirken mußte.

4.2.3 Das Titelblatt Zu Beginn jeder Entrevue erklärte ein Titelblatt Interessenten und Lesern, welche Figuren sie im nachfolgenden Totengespräch kennenlernen würden. Die Blätter waren stets nach dem gleichen emblematischen Schema aufgebaut: Auf der linken Seite befanden sich ein in Kupfer gestochenes Frontispiz, das in den meisten Fällen die beiden Gesprächspartner der nachfolgenden Entrevue abbildete, sowie darunter ein zum Thema des Kupfers passendes vierzeiliges Gedicht. Auf der rechten Seite wurden zuerst der Titel des Periodikums, danach der Name und die Titel beider Gesprächspartner genannt und meist einige der wichtigsten Themen angekündigt (Abb. 3). Darüber hinaus wies das Titelblatt auch auf die „neuesten Merckwürdigkeiten“ und die von den Figuren über diese angestellten „Reflexionen“ hin. Am Ende der Seite wurden Verleger, Druckort und Erscheinungsjahr der jeweiligen Entrevue vermerkt. Diese Systematik, die einige Ähnlichkeit mit ihren gelehrten Vorläufern wie Reimmanns Historia literaria bzw. den Acta eruditorum (Abb. 4 und 5) aufwies, blieb während der gesamten Erscheinungsdauer des Periodikums unverändert, das Darstellungsprinzip schien sich in den Augen des Autors und Herausgebers also bewährt zu haben. Vor Beginn der ersten Entrevue erklärte Fassmann seinen Lesern, wie sie das Frontispiz zu verstehen hätten; in den darauffolgenden Gesprächen verzichtete er jedoch auf zusätzliche Informationen zu den

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Abb. 3: Titelblatt der Entrevue Nr. 1: Leopold I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, und Louis XIV., König von Frankreich.220

Abbildungen. Die Titelankündigung, die Illustration sowie das vierzeilige Gedicht gaben in den folgenden 22 Jahren vor allem Auskunft über die Stellung der Figuren, ihren Charakter sowie ihre herausstechendsten Merkmale. Bevor die Leser sich jedoch mit den Eigenarten des Fassmannschen Totenreichs vertraut machen konnten, lieferte der Autor eine kurze ekphrastische Einführung zum ersten Titelkupfer seiner Reihe: Erklärung des Kupffers Der Käyser Leopoldus I. in einem Spanischen Habit, siehet sich um, zu wissen wer auf ihn ruffet. Der König von Frankreich Ludovicus XIV. welcher auf den Käyser ruffet, und ein Compliment gegen ihn machet.

220 Die Unterschrift unter der Illustration lautete: „Was uns verhinderte im Leben Freund zu seyn, / Der Rang, Ehr und Gewalt insonderheit die Cronen, / Ist unsern Augen iezt nur Schatten dunckler Schein, / Drum können wir in Fried nun wol beysammen Wohnen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 1, Leipzig 1718, Titelblatt. Die lateinischen, gelehrten Bezeichnungen auf dem Titel gab Fassmann bei der zweiten Entrevue bereits wieder auf.

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Abb. 4: Jacob Friedrich Reimmann: Versuch einer Einleitung In die Historiam Literariam Derer Teutschen, 3. Teil, Titelblatt, Halle 1710.221

Der Ort wo diese Monarchen einander sprechen, ist ein Cypressen=Wald; dieweiln die Cypressen das Sinn=Bild des Todes sind.222 Ferner praesentiret sich Mercurius in der Lufft, und überreichet einem Secretario ein Paquet, derer neuesten Merckwürdigkeiten aus dem Reiche der Lebendigen, welche sich die

221 Zu Reimmanns Historia literaria siehe v. a. Frank Grunert u. Friedrich Vollhardt (Hg): Historia literaria. Neuordnungen des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2007. 222 Das „Compliment“ wird auf der Illustration ( Abb. 3) durch die leichte Verbeugung des französischen Königs angedeutet, die anfängliche, durchaus hierarchisch geprägte Gesprächssituation also auch durch die bildliche Darstellung transportiert. Der Ort, an dem die Begegnung dieser beiden ersten Gesprächspartner stattfindet, ist ein Zypressenhain. Dieser wurde allein aus dem Grund als Treffpunkt ausgewählt, „dieweiln die Cypressen das Sinn=Bild des Todes sind“. Die Landschaft und der Grund für das Zusammentreffen werden an dieser Stelle kausal verknüpft. Im Zuge der weiteren Veröffentlichung wird Fassmann dieses Schema zwar grundsätzlich beibehalten, die Details der Szenerie aber zumeist mehr an den Charakter und den Lebenswandel der einzelnen Figuren anpassen.

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Abb. 5: Otto Mencke: Deutsche Acta Eruditorum, Titelblatt, Leipzig 1717.

beyden Potentaten, nach deme sie einander ihre Historie erzehlet, vorlesen lassen, und sonderbare Reflexiones darüber machen.223

Fassmann erläutert hier sowohl das Äußere eines der beiden Gesprächspartner („Spanischer Habit“), den Moment ihrer ersten Begegnung („welcher auff den Kayser ruffet“), die Umgebung, in der die Unterhaltung der beiden stattfindet („Cypressen=Wald“), als auch die Bedeutung der im Bildhintergrund sichtbaren Figuren des „Mercurius“ und „Secretarius“. Darüber hinaus gibt er an, wodurch sich sein Journal im Besonderen auszeichnet, nämlich durch die Nachrichten und die Kommentare, welche die Figuren dazu machten (die erwähnten „neuesten Merckwürdigkeiten“ und die darüber gemachten „sonderbare[n] Reflexiones“). Die Erklärung des ersten Titelkupfers gab potentiellen Lesern so

223 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. I, Leipzig 1720, Vorbericht, S. 2 (unpag.).

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auf knappem Raum einen Überblick über den ungefähren Aufbau eines Totengesprächs und ermöglichte ihnen eine leichtere Orientierung in dem neu erschienenen Periodikum. Der Kupferstecher, der für die zu Beginn des 18. Jahrhunderts immer noch vergleichsweise kostspieligen Illustrationen der Gespräche verantwortlich zeichnete, wurde zu Anfang der Publikation nicht namentlich erwähnt, die Illustrationen wurden ohne Signatur abgedruckt. Neben dem vierzeiligen Gedicht erschien jeweils nur ein Verweis auf die Nummer des Totengesprächs, zu dem die Abbildung gehörte.224 Erst auf dem Frontispiz der 212. Entrevue findet sich die Signatur des Leipziger Künstlers Johann Georg Mentzel, der in den letzten Jahren der Reihe einige der Illustrationen besorgte.225 Der Erwartung

224 Einige, jedoch nicht alle regelmäßig erscheinenden (gelehrten) Journale brachten Porträts auf ihren Titelblättern. Aus Kostengründen verzichteten viele Periodika auf diese illustratorische Zugabe. Beispielsweise zeigten die Titelblätter der Acta eruditorum oder die der Zuverlässigen Nachrichten vom gegenwärtigen Zustande der Wissenschafften zahlreiche Abbildungen bekannter Figuren. Diese waren jedoch, anders als auf Fassmanns Titelblättern, nicht vor einer detailliert ausgestalteten Szenerie, sondern meist als Solitär in einer Medaillonfassung dargestellt (vgl. Abb. 5). Durch die fortschreitende Digitalisierung der gelehrten Zeitschriften des 17. und 18. Jahrhunderts können ikonographische und stilistische Analysen mittlerweile vergleichsweise leicht vorgenommen werden. Vgl. dazu etwa die Seite http://idrz18.adw-goettingen. gwdg.de/portraets.html [11. 2. 2009], die eine profunde Übersicht über die verschiedenen Porträt-Kupfer, deren Künstler und die dazugehörigen Quellen gibt. Die Digitalisate stammen aus den Beständen der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen sowie aus der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Zu den Porträts vgl. auch Peter Mortzfeld (Bearb.): Katalog der graphischen Porträts in der HAB (1500–1850), Reihe A, Bd. 1–37, München 1986– 2004. Eine eingehendere Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Porträts, Abbildungen und deren Erscheinungsformen in der Frühen Neuzeit fehlt jedoch bis heute. 225 Die Signatur bestand entweder aus „Mentzel“ oder aus „Mentzel sc. Lips“ (= M. hat es gestochen in Leipzig). Stilistisch und qualitativ unterscheiden sich die Illustrationen der später erschienenen Gespräche deutlich von denen aus der Anfangszeit der Reihe: Die Hintergründe sind detailreicher und realistischer gestaltet, die Figuren plastischer, die Perspektiven stimmig und mit Tiefenschärfe angelegt. Die Signatur Mentzels findet sich unter den Illustrationen zu den Entrevuen Nr. 212, 225, 227, 235, 237, 238, 239, 240 sowie unter der Illustration zum Titel des Ergänzungsbandes. Zu Johann Georg Mentzel (* 29. 5. 1677 in Leipzig, † 3. 4. 1743 in Leipzig) vgl. Ulrich Thieme und Felix Becker (Hg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, 37 Bde., Leipzig 1907–1950, hier Bd. 24, S. 403. Heute noch identifizierbare Werke Mentzels sind beispielsweise Stadtansichten von Görlitz, Kamenz und Zittau, Illustrationen zu einem Münzkabinett, Porträts z. B. des Herausgebers der Acta eruditorum Johann Burkhard Mencke, des Stettiner Theologen Balthasar Bleccius, des Gothaischen Geheimrates Johann Jacobs, der Anna Maria Goeschel und ihres Mannes, des Justizrats Bernhard Goeschel, des Leibarztes und Chemikers Paul Luther, des Grafen Christoph August von Wackerbarth, des Leipziger Arztes Johannes Bohn, des Nürnberger Theologen Andreas Mühldorf [Myhldorf] und des Juristen Johannes Friedrich Pfeffinger. Auch für die Zeitschrift Neuer Bücher-Saal der gelehrten Welt besorgte Mentzel einige Porträts, wie etwa das von Jean-Paul Bi-

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Fassmanns, nämlich mittels der Titelkupfer den Inhalt seiner Gespräche ansprechend ins Bild zu setzen, wurde jedoch auch durch die Darstellungen des namenlosen Kupferstechers entsprochen, wenn sie sich stilistisch auch nicht mit denen der späteren Jahre messen konnten. 226 Eine Auswertung aller 240 Abbildungen hat gezeigt, daß der Bildhintergrund meist entweder aus einer mehr oder weniger fiktiv-idealisierten Landschaft, einem herrschaftlich ausgestatteten Innenraum oder aus einer Szene aus dem Leben einer der beiden dargestellten Figuren bestand.227 Mit Hilfe der stellenweise noch deutlich ‚barock‘ und weniger ‚aufklärerisch‘ anmutenden Emblematik gelang es Fassmann, bereits auf dem Titel Aussagen zu treffen, die verhältnismäßig einfach zu verstehen waren, wenn man wie im Fall der Gespräche von einem durchschnittlich gebildeten und medial nicht ganz unerfahrenen zeitgenössischen Rezipientenkreis ausgeht.228 Wenn in der tradierten emblematischen Darstellung inscriptio, pictura und subscriptio die Erwartungen und Interpretationsansätze des Betrachters leiteten, so orientierte sich Fassmann durchaus deutlich an dieser Tradition. Anders als bei traditionellen Emblemen erhielt das Zusammenspiel zwischen ausführlichem Titel, Illustration, Gedicht und Motto hier jedoch ein vergleichsweise sehr viel höheres Gewicht. War ein Emblem vormals häufig nur mit einem knappen moralisierenden Motto überschrieben, so nahm bei Fassmann die inscriptio die

gnon und Johann Franz Buddeus. Mentzel war es auch, der für den Fassmann-Kritiker und gleichzeitigen Nachahmer Ludvig Holberg die Illustration zu dessen auf Latein und in deutscher Übersetzung erschienener Unterirdischer Reisebeschreibung erledigte. Vgl. Ludvig Holberg: Niels Klims Unterirdische Reise worinnen eine ganz Neue Erdbeschreibung wie auch eine umständliche Nachricht von der fünften Monarchie [...] enthalten ist, Kopenhagen und Leipzig 1741. 226 Ein Grund für die aufwendige Illustration der Totengespräche lag zum einen in der verkaufsfördernden Wirkung der Abbildungen; zum anderen wurden der ursprünglichen Bedeutung gemäß historische Begebenheiten und moralische Werturteile mit Hilfe aussagekräftiger bildlicher Darstellungen erhellt, d. h. zusätzlich zur Text- auf der Bildebene erklärt. 227 Der Bildhintergrund ähnelte besonders dann eher dem Reich der Lebenden als dem der Toten, wenn ‚exotische‘ Figuren in einem Gespräch auftraten. Offenbar versprach sich Fassmann eine noch größere Wirkung von den Kupferstichen, wenn er statt elysischer exotischorientalische Elemente in die Darstellung einfließen ließ. Vgl. dazu die Entrevuen Nr. 9, bei der im Hintergrund eine stilisierte Süleymaniye zu sehen ist, Nr. 48, auf der ein Diener mit Sonnenschirm den persischen König Kyros vor der Hitze beschützt, Nr. 92, bei der ein dunkelhäutiger Sklave neben dem osmanischen Sultan Djem steht, Nr. 123, auf der Kamele, Elefanten und Palmen abgebildet sind. 228 Zur Thematik des bildtextlichen Gestaltungshorizontes in der Emblematik (besonders des 16. und 17. Jahrhunderts) vgl. verschiedene Beiträge in Johannes Köhler u. a. (Hg.): Das Emblem im Widerspiel von Intermedialität und Synmedialität [Symposium an der Universität Hildesheim 2004], Hildesheim 2007 (= Philosophische Texte und Studien 89).

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gesamte rechte Hälfte der ersten Doppelseite ein. Getrennt von der Bildsphäre bot die solchermaßen erweiterte Überschrift dem Leser die Möglichkeit, genauere Informationen zu den Figuren, den Gesprächsthemen und dem Ablauf des nachfolgenden Totengesprächs zu erhalten – die ehedem kunstvoll verrätselte Überschrift, die Hinweise auf die Lesart eines Emblems gab, wurde gemäß den Ansprüchen des neuen Mediums Journal durch einen ausführlich gestalteten Titel ersetzt und den neu entstandenen Bedürfnissen angepaßt.229 Die pictura und die ihr zugeordnete subscriptio wiederum entsprachen in Anlage und Machart durchaus der tradierten emblematischen Form. Daß hier neben den neuen, ‚modernen‘ medialen und ikonographischen Ansprüchen noch eine dem Barock verhaftete Bildtradition wirksam war, zeigt sich besonders an den zahlreichen Illustrationen, die mit einem Lemma überschrieben waren, das auf die Thematik des jeweiligen Totengesprächs Bezug nahm.230 Im Unterschied zur älteren Emblemtradition lag Fassmann jedoch nichts an einer zeitaufwendigen Entschlüsselung eines kunstvoll verrätselten Bildinhalts, anstatt dessen gedachte er dem Leser mit Hilfe der Titelblätter so viel (historische, politische, moralisierende) Informationen wie möglich mitzuteilen.231 Die Abbildungen zeigen bei Fassmann nicht mehr sinnbildliche Objekte, die es mit Motto und subscriptio in Einklang zu bringen galt, sondern sie porträtierten die im Journal auftauchenden Figuren vor einer Szenerie, die dem Betrachter Bedeutung, Lebenswandel und Charakter der Dargestellten näher erläutern

229 Ein Grund für die mitteilsamen Titelblätter lag in der Praxis begründet, die gedruckten Exemplare eines Werks in unaufgeschnittenen Bögen zu verkaufen. Wollte der potentielle Leser etwas über den Inhalt eines Druckes erfahren, war er deswegen auf möglichst umfangreiche Titel angewiesen. Diese sollten – je nach Ausstattung und Ausrichtung – die Aufmerksamkeit und das Interesse der Käufer erregen. 230 Vgl. dazu die Entrevue Nr. 8 zwischen Henry VIII., König von England, und Süleyman dem Prächtigen, türkischem Sultan, in welcher der unverhältnismäßig häufige Wechsel der Ehefrauen des Königs mit dem lateinischen Lemma „variatio delectat“ kommentiert wird. Spruchbänder, Fahnen mit Aufschriften, aufgeschlagene Bücher und ähnliche Elemente zieren zahlreiche Titelillustrationen (vgl. z. B. die Entrevuen Nr. 1, 2, 3, 7, 8, 10, 19, 25, 27, 29, 47, 48, 55, 62, 65, 82, 83, 97, 105, 112, 117, 121, 123, 145, 151, 157, 173, 179, 180, 183, 184 usw.). Nicht von ungefähr bedient sich Fassmann offenbar gerne dieser Tradition, die dem Betrachter die moralischen Implikationen seiner Gespräche noch einmal bildlich vor Augen führen konnte. Die Lesart seiner emblematischen Titelblätter wurde so noch eindeutiger und klarer, als dies bereits durch die ebenfalls häufig wertenden Gedichte der Fall war. 231 In diesem Punkt unterscheidet sich Fassmanns Konzeption seiner Illustrationen deutlich von der Thomasius’ in dessen ca. dreißig Jahre vorher erschienenen Monatsgesprächen. Im Vorwort zur Ausgabe von 1689 heißt es, daß ein Kupfer=Stück „sich aber auf keine in den Discursen enthaltene Historie beziehen / sondern ein ænigma fürstellen sol.“ Thomasius, Monatsgespräche, Bd. III, Januar–Juni 1689, S. 32.

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sollte. Während in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Interesse an überkommenen Emblemformen langsam erlosch und dafür andere – politisierende wie allegorisierende – Illustrationsformen favorisiert wurden, zeigte sich am Beispiel der Gespräche, auf welche Weise die Titelbilder dieses frühaufklärerischen Journals die tradierten Lese- und Sehgewohnheiten der Rezipientinnen und Rezipienten mit neuen ikonographischen Elementen konfrontierten. Zusammen mit dem Gedicht und der Ankündigung des nachfolgenden Totengesprächs vermochten die Illustrationen auf dem Titelbogen verschiedene Aufgaben zu erfüllen: Zum einen halfen sie der Einbildungskraft der Leser, indem sie ihnen die Personen, die in den Totengesprächen auftraten, plastisch vor Augen führten und, analog dem Programm der Gespräche, auf bildlicher Ebene dialogisierten, d. h. mittels bestimmter ikonographisch vorgeprägter Codes miteinander in eine kommunikative Beziehung setzten.232 Zum anderen stellten die Illustrationen die Figuren der Gespräche nicht nur vor, sondern interpretierten deren Taten und Charaktere als Teil der „bild-textlichen Gesamtform der Emblemata“.233 Die Abbildungen boten dem Leser die Möglichkeit, Informationen, die er durch die Lektüre der Gespräche erhalten sollte, von vorneherein in einem bestimmten ethisch-moralischen Kontext zu verstehen oder sie sich im nachhinein noch einmal anhand eines eindeutigen Bildes in Erinnerung zu rufen. Zum dritten offerierten die Abbildungen anhand ihrer zwei unterschiedenen Bildbereiche, den Figuren im Bildvordergrund und der Szenerie im Bildhintergrund, Deutungsmöglichkeiten, die mit Hilfe des Textes nicht eröffnet werden konnten. Besonders grausame, anzügliche oder sonstwie bemerkenswerte Taten und Charakterzüge konnten durch die Illustrationen auffälliger versinnbildlicht werden als durch die Textebene allein. Kriegsverheerungen, Naturkatastrophen, prächtige Gartenanlagen und bukolische Landschaften dienten im Zusammenspiel mit den Porträts, aber auch mit den zahlreichen Darstellungen von Leichen, Enthaupteten, mythologischen Figuren, Allegorien verschiedener Tugenden und Laster sowie unterschiedlichen Insignien der Macht dazu, die Attraktivität und Anschaulichkeit der Dialoge zu erhöhen. Im Folgenden sollen beispielhaft einige wichtige Aspekte der bildlichen Darstellungen genannt und im Hinblick auf ihre Funktion im Gesamtzusammenhang erläutert werden.

232 Die wegen ihrer stilistischen Ähnlichkeit zu Fassmanns Schreibart offenbar von ihm selbst verfaßten Vierzeiler sollen an dieser Stelle nicht weiter thematisiert werden, obwohl auch diese durchaus Einblicke in den bild-textlichen Gesamtzusammenhang bieten. Damberg urteilt ohne weitergehende Analyse pauschal über die Qualität der Gedichte und Illustrationen: „Kunstlos, aber deutlich wie die Kupfer, sind auch die Vierzeiler unter jedem Bild“. Damberg, Politische Aussage in den Totengesprächen, S. 69. 233 Johannes Köhler u. Wolf Christian Schneider: Vorwort, in: Emblem im Widerspiel, S. IX.

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Die etwas weniger als eine halbe Seite im Quartformat messenden Illustrationen zeigten die Gesprächspartner der Entrevuen im Unterschied zu traditionellen Doppelporträts auf einer einzigen Abbildung.234 Die Figuren wurden entweder als stehende Ganzfiguren, sitzend in Frontalansicht oder im Dreiviertelprofil, seltener in Profilansicht 235 vor dem Hintergrund einer Landschaft oder eines Innenraums präsentiert. Dadurch daß die Figuren meist sowohl dem Betrachter zugewandt als auch durch Gesten und Körperhaltung aufeinander bezogen waren, wurde ihnen ein spezielles Gepräge verliehen, das zwischen Theatralik, Höflichkeit und galantem Habitus wechseln konnte. Bei aufeinanderfolgenden Treffen derselben Gesprächspartner widmeten sich die Illustrationen entweder nur einer der beiden Persönlichkeiten oder zeigten statt eines Porträts allegorische oder in selteneren Fällen auch reine Landschaftsdarstellungen.236 In einigen Fällen traten noch weitere Figuren zur Szenerie hinzu. 234 Anders als bei Darstellungen, auf denen die Porträtierten aus familiären oder dynastischen Gründen zu zweit abgebildet waren, befanden sie sich bei Fassmann nur aus dem Grund zusammen auf einer Illustration, weil sie im nachfolgenden Totengespräch aufeinander trafen. Die tradierten Regeln zu Doppel- oder Herrscherporträts kamen aus diesem Grund nicht im gleichen Maße zur Anwendung. Auf dem illustrierenden Titel eines historisch-politischen Journals traten andere Aspekte in den Vordergrund als beispielsweise bei Auftragsporträts adeliger oder reicher Kaufmannsfamilien. Beispiele wie Piero della Francescas Doppelbildnis des Herzogs von Urbino, Frederico da Montefeltros, und seiner Frau, Battista Sforzas (um 1472), oder Jan van Eycks Doppelporträt von Giovanni Arnolfini und seiner Frau Giovanna Cenami (1434) exemplifizieren diesen Traditionsstrang der Porträtmalerei. Untergattungen des Doppelporträts wie Lucas Cranachs d. J. Porträt von Martin Luther und Philip Melanchthon (um 1543) weisen dagegen durch die Wahl der Personen, deren Haltung und die Gestaltung des Bildhintergrunds größere Ähnlichkeiten mit Fassmanns Bildprogramm auf. An typischen Vertretern der Bildgattung wie Frans Hals’ Doppelporträt des Isaac Massa und der Beatrix van der Laen (um 1622), Arthur Devis (1712–1787) Doppelporträt von Alicia und Jane Clarke vor einer Waldlandschaft oder Alexander Roslins Doppelporträt des Architekten Jean Rodolph Perronet mit seiner Frau (1750) werden einerseits die Bandbreite und Entwicklung der Bildgattung und andererseits die Unterschiede zu den illustratorischen Ansprüchen eines Mediums wie dem historisch-politischen Journal deutlich. Beispiele wie Nicolas Verkoljes Darstellung von Willem dem Flamen (um 1700), van Dycks Porträt der 10-jährigen Prinzessin Maria Henrietta Stuart mit ihrem zukünftigen Ehemann, William II., Prinz von Oranien und Nassau (1. Drittel des 17. Jhdts), markieren in diesem Zusammenhang die Vielfältigkeit und den öffentlichkeitswirksamen Bildtypus des Herrscherporträts, das jedoch zunehmend von Darstellungen mit ‚privaterem‘ Charakter ergänzt wurde. 235 Im Falle der Porträts von Romulus und Julius Caesar gab sicherlich das markante Profil des Letzteren den Ausschlag für die Entscheidung, ihn von der Seite zu zeigen (vgl. Abb. 11). Seine Darstellung auf dem Titelblatt weist große Ähnlichkeit mit Nicolas Coustous Skulptur des römischen Imperators auf, die 1696 zusammen mit einer Hannibal-Figur in den Gärten von Versailles aufgestellt wurde. 236 Letzteres ist beispielsweise auf dem Titelblatt zur 210. Entrevue der Fall, das beim zweiten Treffen des sächsischen Kurfürsten Johann Georg II. mit dem Herzog zu Sachsen-Altenburg,

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Diese konnten sowohl Personifikationen bestimmter Tugenden und Laster als auch reale Figuren der Zeitgeschichte sein.237 Ob Mann oder Frau, beide Geschlechter führten zur besseren Identifikation und Illustration ihrer Stellung meist typische Gegenstände oder Insignien mit sich. Nur wenn diese Hinweise allein nicht ausreichten, die jeweiligen Figuren sich von Statur und Habit zu ähnlich oder offenbar zu unbekannt für ein sofortiges Erkennen waren, wurden wie im Fall der erwähnten 75. Entrevue die Namen der Porträtierten in die Darstellung eingefügt.238 Es ist hierbei durchaus von Interesse, ob Fassmann in der Art der Darstellung seiner Figuren bereits bekannten und vorgeprägten Mustern folgte oder ob er für das verhältnismäßig neue Medium der historisch-politischen Zeitschrift auch illustratorisch neue Wege beschritt.239 Vergleiche mit historischen und zeitgenössischen Porträts ergaben, daß die Darstellungen in den Gesprächen zum überwiegenden Teil in der Tradition der repräsentativen Herrscherporträts standen. Fassmann setzte offenbar bewußt auf bereits bekannte und somit ikonographisch leichtverständliche Bildtraditionen, um seinem Periodikum die gewünschte Breitenwirkung und den Illustrationen die größtmögliche Verständlichkeit zu sichern.

Friedrich Wilhelm II., statt zweier Porträts eine blühende und kultivierte Landschaft zeigt. Markiert durch das überquellende Füllhorn und die wohlgeordnete Schönheit der Landschaft unterstützen die Illustration und das vierzeilige Gedicht die These des Gesprächs, daß ein Land unter guter Herrschaft „florirt“. 237 Besonders augenfällig wird dies in der 75. Entrevue, auf deren Titelbild verschiedene namentlich gekennzeichnete Gesandte als Bittsteller vor Papst Innozenz XIII. treten. 238 Dies ist zum Beispiel der Fall in den Entrevuen Nr. 54, 62, 68, 75, 89, 95, 110, 169 und 204. Ganz erschließt sich diese Praxis der Untertitelung jedoch nicht, denn alle Illustrationen funktionierten nach dem Prinzip, daß diejenige Figur, die in der Ankündigung des Gesprächs zuerst genannt wird, auf der Illustration links zu sehen ist, während die Zweitgenannte auf die rechte Seite der Illustration plaziert wurde; die untertitelten Abbildungen machen hier keine Ausnahme. 239 Darüber hinaus wäre es von Interesse, seine Quellen (bzw. die des Kupferstechers) zu identifizieren und den Informations- und Distributionsweg der bildlichen Vorlagen nachzuvollziehen. Aufschlüsse darüber könnte eine Beschäftigung mit Fassmanns Verleger Deer bzw. dessen Umfeld in Leipzig bieten, bis heute sind hierzu jedoch noch keine einschlägigen Studien erschienen. Einzelne Arbeiten berühren zwar diesen Aspekt, bieten jedoch im Hinblick auf den verlegerischen ‚Mikrokosmos‘ in Leipzig zu wenig Aufschluß. Deer, ein Schwiegersohn Moritz Georg Weidmanns, und dessen Verlagsprogramm werden beispielsweise erwähnt in Gerd Quedenbaum: Der Verleger und Buchhändler Johann Heinrich Zedler (1706–1751). Ein Buchunternehmer in den Zwängen seiner Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert, Hildesheim u. a. 1977, S. 52 f. Einen guten Überblick zu Publizistik, Ökonomie und Entwicklung der Zeitungen, Zeitschriften und Intelligenzblätter im 18. Jahrhundert bietet Holger Böning: Aufklärung und Presse im 18. Jahrhundert, in: Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, hg. v. Hans-Wolf Jäger, Göttingen 1997, S. 151–163.

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Nichtsdestoweniger kam auch in diesem Fall sein Instinkt für publikumswirksame Neuerungen zum Tragen, denn Fassmann nutzte zwar einerseits die bekannte Ikonographie des Herrscherporträts, kombinierte diese aber andererseits mit Elementen, die über das reine Porträt hinausgingen. Fassmann griff auf Darstellungskonventionen zurück, die einen – meist männlichen – Herrscher mitsamt dessen Insignien und in einer bestimmten majestätischen Körperhaltung abbildeten, versetzte den Porträtierten jedoch in ein neues Medium (das der ‚neumodischen‘ Journale) und in eine neue Szenerie.240 Wo auf traditionellen Herrscherbildnissen der Porträtierte oft inmitten eines seiner Stellung entsprechend repräsentativ gestalteten Innenraumes gezeigt wurde, so wird er auf den Illustrationen zu den Gesprächen auch außerhalb dieses Rahmens, also unter freiem Himmel, präsentiert. Im Unterschied zu denjenigen repräsentativen Fürstenporträts, die im Zuge der Weiterentwicklung des Genres besonders in England verstärkt auf Darstellungen inmitten einer Freilichtszene setzten, bestimmt bei den Gesprächen der eigentliche Zweck, nämlich die aussagekräftige Abbildung des Aussehens, des Charakters und der historischen Bedeutung zweier bedeutender Figuren, die Art der Darstellung.241 So erscheinen die Figuren auf den Illustrationen zu den Entrevuen – zumindest dann, wenn sie en plein air gezeigt werden – gleichsam aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang herausgelöst. Fassmann bzw. sein Kupferstecher montierten analog zur textkombinatorischen Arbeitstechnik in den Gesprächen auf den Titelillustrationen verschiedene ikonographische Darstellungskonventionen und fügten sie nach Art der Lévi-Strausschen bricolage zu einem neuen Ganzen zusammen.242 So stammte etwa die Darstellung des 240 Die Darstellung weiblicher Figuren folgt, zumindest wenn es sich um Herrscherinnen handelte, ähnlichen Regeln. Bei anderen im Journal vertretenen Frauentypen, vor allem bei den zahlreichen Mätressen, werden andere Aspekte der Darstellung wirksam. Beispielsweise werden an letztgenannten Frauen trotz der gesprächsimmanenten Kritik an ihrem Verhalten auf den Abbildungen eher ihre Körperlichkeit und deren Wirkung auf den (männlichen) Betrachter in den Vordergrund gerückt. Vgl. dazu z. B. die Entrevuen Nr. 78, 89, 92, 93, 95. Typische, positiv konnotierte Eigenschaften, die an Frauen gelobt und hervorgehoben werden konnten, waren die antiken bzw. später christlich besetzten weiblichen Tugenden und Eigenschaften wie Treue, Keuschheit, Liebe zum Ehegatten, Frömmigkeit und Mildtätigkeit. 241 Die Darstellung aller Figuren (seien sie nun Herrschende oder nicht) folgte grundsätzlich dem gleichen Prinzip, nämlich aussagekräftige Attribute und Szenerien zu zeigen sowie Hinweise auf den Charakter und die moralische Wertung desselben zu liefern. Bei Gelehrten wurden beispielsweise die Bibliothek im Hintergrund, Bücher und Schreibgerät im Vordergrund oder ähnliche gelehrte Attribute zu wichtigen darstellerischen Elementen (Bibliotheken finden sich etwa auf den Illustrationen zu den Entrevuen Nr. 31, 62, 128, 205 und 224. 242 Bricolage beschreibt nach Lévi-Strauss eine nicht vordefinierte Montagetechnik divergenter Zeichen oder Verhaltensweisen. Vgl. dazu Claude Lévi-Strauss: La pensée sauvage, avec 11 illustrations dans le texte et 13 illustrations hors texte, Paris 1962. Lévi-Strauss’ Konzept, das

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marokkanischen Kaisers Mulai Ismail aus der Reisebeschreibung des englischen Gesandten Carl Stuart. Die Reise nach Nordafrika wurde von John Windus begleitet und von diesem in Form eines Reiseberichts mit diversen Illustrationen dokumentiert.243 Die Darstellung des für seine Grausamkeiten berüchtigten marokkanischen Sultans wurde auf Fassmanns Titelblatt zur 45. Entrevue nahezu unverändert übernommen: Kleidung, Körperhaltung und Attribute stimmen exakt mit der Vorlage überein (vgl. Abb. 6 und 7).244 Die Darstellung von Ernst „dem Frommen“, Herzog von Sachsen-Gotha, orientierte sich hingegen, wie Vergleiche ergaben, zum großen Teil an der Endter-Bibel von 1641. Die Bibel war von Ernst selbst zu seinen Lebzeiten bei der Nürnberger Drucker-Familie Endter in Auftrag gegeben worden. Sie zeigt die Bildnisse zahlreicher Herzöge des Geschlechts der Herzöge von Sachsen-Gotha (vgl. Abb. 8 und 9), verschiedener Kurfürsten und ein Bildnis Martin Luthers, des Übersetzers der Bibel. In der Darstellung des Herzogs in Fassmanns Journal werden jedoch wiederum zwei unterschiedliche Porträts verschmolzen: Zum einen übernimmt der Illustrator bis auf die Handhaltung des linken Armes die oben erwähnte Version der Endter-Bibel; zum anderen bezieht er sich auf Jacob von

sein Hauptaugenmerk besonders auf die Neuverbindung vorgefundener Materialien (fast im Sinne der ‚objets trouvés‘ Kurt Schwitters) legt, ist grundsätzlich auch auf Fassmanns Arbeitstechnik übertragbar. Für letztere war vor allem von Bedeutung, welche textlichen und bildlichen Elemente erreichbar und für die Gespräche verwertbar waren. Angelehnt an Derridas Deutung des Lévi-Strausschen Konzeptes wiederum kann konstatiert werden, daß Fassmann die „relative Wirksamkeit“ der vorgefundenen Materialien und Traditionsmuster für seine Zwecke nutzbar machte und sie gleichsam ausbeutete, um einen neuen bild-textlichen Konnex zu erschaffen. Vgl. dazu Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main 1985, S. 430. 243 Der Titel der bald ins Deutsche übersetzten Reisebeschreibung lautete: Reise nach Mequinetz Der Residentz des heutigen Käysers von Fetz und Marocco: Welche der Herr Commandeur, Carl Stuart, als Groß-Britannischer Gesandter, Anno 1721 zu Erledigung der dortigen Gefangenen abgeleget hat, Und in diesen 1725. Jahre zu London durch John Windus herausgegeben; Auch mit saubern Kupfern erläutert worden ist, Aus dem Englischen übersetzet Durch F. C. Weber, Hannover 1726. Fassmann muß also, da das Totengespräch 1721 zum ersten Mal erschien, die Illustration aus der Reisebeschreibung bereits vor der ersten Veröffentlichung der deutschen Übersetzung gekannt haben. 244 Ein auffälliger Unterschied ist jedoch der Umstand, daß die englische Vorlage Mulai nur von der Taille aufwärts zeigt, der Kupferstecher der Entrevuen jedoch die komplette Figur des Kaiser wiedergibt und, so die Vermutung, die fehlende Hälfte der Vollständigkeit halber imaginiert. Erkennbar wird dies u. a. daran, daß der zepterähnliche Stab, den Mulai in der englischen Vorlage in seiner rechten Hand hält, vom Bildrand beschnitten wird, was der deutsche Kupferstecher in seiner Illustration einfach übernimmt, anstatt ihn in seiner vollen Länge abzubilden.

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Abb. 6: Ernst der Fromme, Herzog von Sachsen-Gotha, und Mulai Ismail, König von Marokko, Titelblatt zur Entrevue Nr. 45, Leipzig 1722.

Sandrarts Abbildung aus der Wohlverdienten Ehren=Seule245 von 1678, die einen älteren Ernst zeigt, der in repräsentativer Rüstung und mit längerem, bereits ergrautem Haar dargestellt ist (vgl. Abb. 10). Kennzeichnend für die Illustrationen der Leipziger Gespräche war die Zusammenschau zweier Figuren, die sich zu ihren Lebzeiten meist nicht kennengelernt hatten. Erst auf den Titelblättern zu den jeweiligen Entrevuen wurden sie nach Art eines Doppelporträts zusammengebracht. Wie das Beispiel des

245 Der vollständige Titel des Werkes lautete: Jacob von Sandrart: Wolverdiente Ehren-Seule, Dem weyland Durchläuchtigsten Fürsten und Herrn / Herrn Ernst Hertzogen zu Sachsen, Jülich, Cleve und Bergk, Landgrafen in Thüringen, Marckgrafen zu Meissen, Gefürsteten Grafen zu Henneberg, Grafen zu der Marck und Ravensberg, Herrn zu Ravenstein, [et]c. Aufgerichtet zum Friedenstein, Gotha 1678.

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Abb. 7: Mulai Ismail, aus: Reise nach Mequinetz, Hannover 1726 und Detail des Titelblatts der 45. Entrevue.

sächsischen Herzogs und des marokkanischen Tyrannen zeigt, wurden zusätzlich zu den ‚reinen‘ Porträts noch weitere Bildkomponenten hinzugefügt: Über dem im Totengespräch als tyrannisch und mordlustig beschriebenen Mulai, dessen Aussehen und Haltung im Vergleich zur englischen Vorlage nicht verändert wurde, erscheint auf dem Titelblatt in einer Art Höllenvision sein von Blitzen gemarterter Leib, der sich in Schmerzen zu winden scheint. Der von Engelsfiguren flankierte Herzog Ernst hingegen steht vor einer Fensteröffnung, die den Blick freigibt auf ein herrschaftliches Gebäude inmitten eines wohlgeordneten barocken Schloßparks (vgl. Abb. 6).246 Seine deutlich heller gezeichnete Bildsphäre wird von der des Tyrannen durch eine mittig plazierte Säule abgetrennt. Die so inszenierte Aufteilung in einen hellen und einen dunklen Bildbereich sollten den Betrachter zusammen mit den Gegenständen und Sym-

246 Das Gebäude ähnelt dem vom Herzog in Auftrag gegebenen Schloß Friedenstein in Gotha nur sehr bedingt. Fassmanns Kupferstecher scheint hier nicht auf eine direkte Vorlage zurückgegriffen zu haben.

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Abb. 8: Friedrich IX., Herzog zu Sachsen-Jülich-Cleve aus der Endter-Bibel [1641].

bolen, die den Figuren beigeordnet sind, die Orientierung erleichtern bzw. die Einordnung des Gesehenen in den historischen, politischen bzw. auch moralischen Gesamtzusammenhang des Totengesprächs ermöglichen.247 Darüber hinaus konnten die Illustrationen auch noch eine weitere Funktion der Totengespräche imitieren: Gegenstände, architektonische Details, Wappen oder Szenen aus dem Leben einer Figur oder beider Figuren korrespondierten mit dem jeweiligen Lebenslauf und vermittelten auf der Ebene der bildlichen Darstellung nicht nur den Lesern der Entrevuen, sondern bereits den Betrachtern des Titelblattes spezifische Kenntnisse und Informationen. Während Ernst und Mulai auf dem Titelbild dieser Entrevue in einem Innenraum abgebildet wurden, der deutlich in zwei unterschiedliche Sphären

247 Die Titelbilder, die solchermaßen eindeutige Einteilungen in Gut und Böse aufwiesen, lassen sich durchaus mit Abbildungen des Jüngsten Gerichts vergleichen, die auf ähnliche Weise die lasterhaften von den tugendhaften Seelen schieden.

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Abb. 9: Detail des Titelblatts der Entrevue Nr. 45.

geteilt war, zeigten die ersten Dutzend Totengespräche die Gesprächspartner meist unter freiem Himmel. Verständlich wird diese Vorgehensweise, wenn man sich vor Augen führt, daß zu Beginn der Reihe der Leser vor allem an den Handlungsort der Entrevuen, also das Totenreich, herangeführt werden sollte. Die Illustrationen konnten neben den Erzählerkommentaren zu Beginn eines Gesprächs für die notwendige Evokation der jenseitigen Szenerie sorgen. Den literarischen Traditionen entsprechend mußten darüber hinaus auch auf der

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Abb. 10: Porträt Herzog Ernsts aus Sandrarts Wohlverdienter Ehren=Seule [1678].

Ebene der bildlichen Darstellung Ausdrucksformen und -formeln gefunden werden, die einerseits eine ikonographisch ansprechende Verortung der Gespräche vornahmen, andererseits aber auch deren inhaltlichen Absichten entsprachen. Die Illustrationen auf den Titelblättern bewegten sich in einem Beziehungsfeld zwischen der älteren Emblemtradition auf der einen Seite, die im Medium des gedruckten Buches, Flugblattes, der Zeitschrift usw. heimisch war, und den Darstellungskonventionen der sich zunehmend emanzipierenden ‚freien‘ Malerei auf der anderen Seite, die besonders das Genre des repräsentativen Herrschaftsporträts besetzt hielt. Sowohl die Darstellungskonventionen einschlägiger Druckwerke (vgl. besonders die zahlreichen Porträts in Medaillonform der Acta eruditorum) wie auch entsprechender Gemälde sahen im Regelfall vor, eine Person abzubilden und nicht zwei, wie es bei den Leipziger Totengesprächen der Fall war. Das Genre des Doppelbildnisses wiederum war, wie weiter oben bereits erwähnt wurde, mit wenigen Ausnahmen auf Personen beschränkt, die miteinander in einer familiären oder dynastischen Beziehung standen und aus eben

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diesem Grund zusammen abgebildet werden sollten.248 Zu der Zeit, in der die periodisch erscheinenden Organe wie die Moralischen Wochenschriften verstärkt auf einen ‚bürgerlichen‘ Markt gebracht wurden, emanzipierte sich auch das Porträt und drang in neue Gebiete vor: Waren es vormals vor allem Auftragswerke adeliger Familien, die für besondere Gelegenheiten wie Verlobungen oder zum Totengedächtnis Bildnisse ihrer Familienangehörigen anfertigen ließen, so vergrößerte sich im 18. Jahrhundert der Kreis der Auftraggeber. Gelehrte, Kaufleute und bürgerliche Familien wünschten in Anlehnung an adelige Gepflogenheiten und Moden nunmehr selbst repräsentative Porträts und verlangten diese auch von den entsprechenden Künstlern. Über diese einzelnen primären Gruppen und Individuen hinaus benötigte auch der sich weiter ausdifferenzierende Zeitschriftenmarkt geeignete Illustrationsmöglichkeiten. Aus diesem Grunde galt es für die Menge der sekundären Betrachter von Herrschafts- oder Standesporträts, also die Leser der immer populärer werdenden Periodika, geeignete Themen und Figuren für die Titelillustrationen zu finden. Über die moralisierenden, religiös konnotierten oder sprachspielerischen, noch von der barocken Symbolwelt geprägten Emblemata hinaus bedurften vor allem die sich thematisch spezialisierenden Periodika einer großen Zahl möglichst aussagekräftiger Motive.

248 Als eine Art Vorstufe zum Doppelbildnis ist das einzelne Porträt dann anzusehen, wenn es in der Absicht in Auftrag gegeben wurde, dem zukünftigen Gemahl oder der Gemahlin das jeweilige Gegenüber vor Augen zu führen. Neben der seit langem bekannten euphemisierenden Malweise, die besonders bei alten Adelsgeschlechtern wie den Habsburgern markante körperliche Makel zu verschleiern suchte, dienten Porträts in Ermangelung anderer Gelegenheiten vor allem dazu, den Partner kennenzulernen und sich über dessen Aussehen und mögliche Charaktereigenschaften zu informieren. Fassmann geht in dem Totengespräch zwischen dem französischen Marschall Charles de Gontaut, Duc de Biron und dem englischen Grafen Robert Devereux, 2nd Earl of Essex auf die Praxis ein, nach der Verlobte sich vor einer Heirat nur durch die jeweiligen Bildnisse kennengelernt haben: „Biron: Es wird vielen Leuten wunderlich düncken, daß die meisten Prinzeßinnen, wann sie Bräute sind, bey ihrer Ankunff [sic], sogleich in die Kirche geführet und copuliret werden, ohne daß sie zuvor, ihre Bräutigams anders als im Portrait gesehen, und noch weniger mit ihm, gesprochen ausser was in einer Zeit von ungefähr einer Viertel=Stunde, bey der Ankunfft und Empfahung, geredet werden kan. Denn die meisten Menschen halten vor billig und raisonable, daß Braut und Bräutigam, wo nicht länger, doch zum wenigstens ein paar Tage, vor ihrer ehelichen Zusammenhaltung, miteinander umgehen und bekannt werden solten. // Essex: Ich meines Orts aber sage, daß es gut, wann Braut und Bräutigam, nachdem sonst alles richtig, und sie einander im Portrait gesehen haben gleich den ersten Tag ihrer Zusammenkunfft copuliret und in das Bette gewiesen werden. Denn sie sind alsdann recht voller Liebes=Feuer und Flammen, und empfinden in ihrer Umarmung mehr Vergnügen, als wann sie einander schon etliche Tage vor denen Augen herum gegangen seyn.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 43, Leipzig 1722, S. 840 f.

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Nicht nur die historisch-biographischen Organe wie die Gespräche Fassmanns, sondern auch die zahlreichen literarischen Rezensionsorgane, Moralischen Wochenschriften oder (in geringerem Maße) gelehrten Journale griffen bei ihren Abbildungen gerne auf Porträts zurück. Aufgrund des häufigen Erscheinens und des gesteigerten Anspruchs der Leser genügte es nicht mehr, eine einzelne Person wie den Autor oder den Widmungsträger abzubilden. Die periodisch Journale mußten, wenn sie sich im medialen Verdrängungswettbewerb bewähren wollten, mit immer neuen Kupferstichen auf ihren Titelblättern aufwarten. Dem Verständnis und Geschmack der Zeit nach hieß dies vor allem, anthropozentrische Darstellungen zu zeigen. Als besonders ansprechende bildliche Ausstattung hielten so identifizierbare Porträts bekannter (Herrscher)Figuren, die mehr oder weniger mit dem Thema und dem Inhalt der jeweiligen Publikation verbunden waren, Einzug auf den Titelblättern. Thomasius hatte in diesem Zusammenhang in einer Vorrede zu seinen Monatsgesprächen bereits hellsichtig bemerkt: Die Menschen bildern doch durchgehends gerne. Also habe ich mich beflissen / diesen Defect noch re integra zu suppliren / und zu einen ieden Monat ein Kupffer noch beystechen zu lassen. Was aber sollte ich machen? Mit Triangeln / Würmern / Müntzen und dergleichen Sachen sind andere Schrifften schon angefüllet / und handeln auch meine Gespräche von solchen tieffsinnigen Materien nicht [...]. Also musste ich wohl auf was anders bedacht seyn. Die Menschen finden ihre gröste Belustigung bey andern Menschen. Dannenhero afficiren uns die Comoedien und Operen so sehr / weil sie uns menschliche Actions vorstellen. Solcher gestalt habe ich mich resolviret / bey ieden Monat eine dergleichen Action, die in dem Gespräche erkläret würde / darzu stechen zu lassen.249

Weil das neu entstandene Genre der herrschaftsillustrierenden bzw. auch -kritisierenden Titeldarstellung sich nicht auf eine im entsprechenden Medium vorgeprägte Bildsprachlichkeit beziehen konnte, fiel es dem Illustrator und Herausgeber der Gespräche aus dem Reiche derer Todten offenbar zumindest zu Beginn der Reihe schwerer, in einem geschlossenen Raum eine Binnenteilung vorzunehmen, welche die beiden Machtsphären der dargestellten Figuren unterschied. Der Gewinn, der mit dem Ausweichen auf den Außenraum erzielt werden konnte, bestand unter anderem darin, mit Hilfe der Natur neue und weitergehende Bedeutungsebenen zu eröffnen: Wohlgestaltete Parks, düstere Zypressenwälder, architektonische Details, herrschaftliche Schlösser, elysischpittoreske Haine und diverse Szenen aus dem Leben der Figuren konnten zu-

249 Thomasius, Monatsgespräche Bd. I (Januar–Juni) 1688, Erklärung des Kupfer=Titels, S. 3 f. Zu Thomasius’ Gestaltung seiner Titel bzw. dem Verhältnis von Text und Bild in den Monatsgesprächen vgl. 3.5.1 Der ‚Dialog‘ zwischen Text und Bild.

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sätzlich zur äußerlichen Darstellung der Figuren weitere Informationen vermitteln und einen atmosphärisch ansprechenden Kontext herstellen. Fassmann ergänzte so das in den Gesprächen entwickelte Programm auf anschauliche Weise.250 Ein genauerer Blick auf die Wechselwirkungen der einzelnen Bildkomponenten erscheint deswegen lohnend, weil diese zusammen mit den Textelementen des Journals die Ideen und Intentionen Fassmanns auch auf der Bildebene transportieren konnten. Wenn man Gedicht, Überschrift und Bildteil auf dem Titelblatt als eine sinnhafte Einheit auffaßt, lassen sich neben den Informationen, die der Leser diesen Komponenten entnehmen konnte, insgesamt vier elementare Bestandteile des Bildteiles identifizieren: erstens die Figuren (in Form von mehr oder weniger aussagekräftigen Porträts)251, zweitens der Hintergrund (eine Landschaft oder ein Innenraum), drittens zusätzliche Figuren und Objekte (mythologische oder allegorische Figuren, Spruchbänder mit Text o. ä.) und viertens die Attribute, die den Figuren zugeordnet waren (typische Gegenstände, Abzeichen des Standes usw.). Zusätzlich zu dieser Unterscheidung erfüllten die Darstellungen beispielsweise durch die Kleidung, Gestik und Mimik der Porträtierten deiktische Funktionen, die dem aufmerksamen Betrachter Aufschluß über den so eröffneten Symbolraum der Totengespräche und über die Charaktere der abgebildeten Personen geben sollten.252

250 Anders als bei vielen Beispielen der Emblemkunst stellt Fassmann jedoch keine Divergenzen zwischen den verschiedenen textuellen und bildlichen Komponenten her: Die Aussagen, die der Leser über den Charakter und die historische Bedeutung der Figuren in den Totengesprächen vermittelt bekam, standen in keinem Gegensatz zur inscriptio, pictura und subscriptio der Titelblätter. Allein die Art der Darstellung auf den Illustrationen bot, wie im Nachfolgenden ausgeführt werden soll, im Hinblick auf den Text weitergehende und stellenweise ‚skandalösere‘ Blicke auf die Figuren und deren Handeln. 251 Daß die Darstellungen tatsächlich von Fassmann dazu gedacht waren, aussagekräftige und wiedererkennbare Porträts zu liefern, die dem Leser einen realistischen Eindruck vom Aussehen (und auch von dem Charakter) einer Figur liefern konnten, zeigt die Vorrede zum X. Band, in der Fassmann sich gegen schlecht gemachte Nachahmungen seiner Totengespräche zur Wehr setzt und dabei anmerkt: „Bei einigen [Imitationen der Gespräche – SD] aber, welche noch wohl passiren könten, hintergehet man das Publicum mit denen Kupffern, indem man elende falsche Bildgen hinsetzet, an statt, daß man die wahren Kupffer=Abdrucke, oder Portraits, derer berühmten Männer oder gar hohen Personen, so man aufführet und durch falsche elende Kupffer nicht wenig beschimpffet, mit leichter Mühe habhafft werden könte.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Band X, Leipzig 1732, Vorrede, S. 15. 252 Die ausgeprägte Körpersprachlichkeit der dargestellten Figuren zeugt analog zur barocken Emblemtradition ebenfalls von einer älteren Überlieferung, die im Laufe des 18. Jahrhunderts aufgegeben wurde. Zunehmend traten die vormals ‚sprechenden‘ Hände und vielsagenden Körperhaltungen zurück und wurden durch eine neue Definition von Physiognomik ersetzt, die sich mehr auf den mimischen Ausdruck konzentrierte. Anhand genauerer Bild-

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Waren im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit die Herrscherporträts auch dazu gedacht, den Körper des Regenten gleichsam stellvertretend in der Öffentlichkeit zu vergegenwärtigen, so trat diese Bedeutung im Laufe der Zeit mehr und mehr in den Hintergrund. Die Vertretung des Herrscherkörpers auf der bildlichen Ebene funktionierte auch nur so lange, wie der Abgebildete tatsächlich am Leben war, nach seinem Tod erfüllte das herrschaftliche Porträt meist nur mehr den Zweck des ehrenden Gedenkens.253 Es konnte im Nachhinein zwar noch ein Echo der zuvor im Bildnis re-präsentierten Macht evozieren, war jedoch nicht mehr dazu in der Lage, die ihm ehedem zugestandene, gleichsam mythisch erhöhte Stellvertreterfunktion des Herrscherkörpers einzunehmen.254 Die in Fassmanns Titelillustrationen häufig an einer Mittelachse ausgerichteten Darstellungen zeigten die Körper der Figuren entweder in einer höflichhierarchischen Begrüßungsszene oder in einer Situation, welche die Taten oder den Charakter einer oder beider Figuren verdeutlichen sollte. Wer zum Beispiel

analysen wäre beispielsweise zu untersuchen, inwiefern besonders die Körper- und Handhaltung der Porträtierten deiktische, die Leidenschaften illustrierende oder auch ‚politische‘ Funktionen übernehmen sollte. Zu diesem Themenkomplex vgl. beispielsweise Marcus Mrass: Gesten und Gebärden. Begriffsbestimmung und -verwendung im Hinblick auf kunsthistorische Untersuchungen, Regensburg 2005; Barbara Pasquinelli: Körpersprache. Gestik, Mimik, Ausdruck, Berlin 2007; Gabriele Groschner (Hg.): Beredte Hände. Die Bedeutung von Gesten in der Kunst des 16. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Salzburg, 2004; Martin Warnke: Politische Kunst. Gebärden und Gebaren, Berlin 2004 (= Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 3); Ulrich Rehm: Stumme Sprache der Bilder. Gestik als Mittel neuzeitlicher Bilderzählung, München und Berlin 2002 (= Kunstwissenschaftliche Studien 106); Nicole Rouillé: Peindre et dire les passions. La gestuelle baroque aus XVIIe et XVIIIe siècles. L’exemple du Musée Fesch d’Ajaccio, Ajaccio 2006; Gottfried Boehm: Die Hintergründigkeit des Zeigens. Deiktische Wurzeln des Bildes, Göttingen 2007. 253 Zwischen diesen beiden Funktionen, der Stellvertretung des Herrscherkörpers und der nachträglichen ‚reinen‘ Abbildung im Porträt, sind beispielsweise die Totenmaske oder das Totenbildnis anzusiedeln, die sich beide auf der Grenze zwischen der noch gegenwärtigen Macht des eben erst verstorbenen Herrschers und dessen nunmehr vergangenem Leib bewegen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch besonders die von der Frühen Neuzeit bis heute beliebte Tradition der Wachsfiguren bzw. effigies, die den täuschend ähnlich nachgebildeten Leib des verstorbenen Herrschers öffentlich zur Schau stellen. Siehe dazu bereits Julius von Schlosser: Die Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs. Ein Versuch, Wien 1911. 254 Zum Thema Herrschaft, Geschlecht und Repräsentation vgl. z. B. Regina Schulte (Hg.): Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt ab 1500, Frankfurt am Main 2002. Zur zwei-Körper-Lehre des Herrschers vgl. Ernst Hartwig Kantorowicz: The King’s Two Bodies, Princeton 1953; ders.: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, aus dem Englischen übersetzt v. Walter Theimer, Stuttgart 1992. Siehe auch den Abschnitt 6.3.2 Herrschaft und 6.3.3 Körper und Geschlecht.

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für seinen ausschweifenden Lebenswandel bekannt war und folgerichtig in der Entrevue für diesen getadelt wurde, der konnte auf der Titelseite auf kompromittierende Art und Weise abgebildet werden.255 Überhaupt setzten Fassmann und sein Illustrator häufig auf plakative und verhältnismäßig leicht verständliche Motive, die, ähnlich wie die Ankündigungen auf dem Titel, die Neugier und Sensationslust der Leserinnen und Leser ansprechen und befriedigen konnten. Begegnungen, die diese Kriterien erfüllten, besaßen das Potential für eine Anteilnahme seitens der Leserschaft (im Sinne des movere): Seien es nun Ekel, Furcht, Neid, Neugier oder Erregung, mit Hilfe der Illustrationen vermochte Fassmann die emotionale Wirkung seiner Gespräche jedenfalls zu steigern – um so mehr, als deren Plazierung auf dem Titel für größtmögliche Aufmerksamkeit und Skandalwirkung sorgen konnte. Nichtsdestoweniger scheint er als Herausgeber und Autor den richtigen Ton und das richtige Maß in der Darstellung gefunden zu haben, denn von zensierten Titeln ist bei ihm an keiner Stelle die Rede (im Gegensatz zu einigen Gesprächen, deren Inhalt von den Behörden beanstandet wurde). Die Hintergründe, vor denen die handelnden Figuren der Gespräche abgebildet werden, erscheinen oft vergleichsweise diesseitig. Szenen aus dem Motivkreis der Unterwelt bzw. des Elysiums stellen eher die Ausnahme als die Regel dar. Grundsätzlich muß jedoch unterschieden werden zwischen Abbildungen, welche die Figuren vor einer Landschaft, und denjenigen, die sie in einem Innenraum präsentieren. Bei Illustrationen, auf denen die Gesprächspartner en plein air abgebildet sind, kann man wiederum differenzieren zwischen naturnahen und von Menschenhand gestalteten Landschaften. Die unbelassenen, ‚wilden‘ Szenerien fallen dabei deutlich weniger ins Gewicht als diejenigen, die beispielsweise nach französischer Manier gestalteten Parks (vgl. Abb. 12) oder italienisch-antikisierenden Landschaften (vgl. Abb. 13) ähneln.256

255 Wie beispielsweise im Falle der „Schlangen=listigen Livia, Des grossen Römischen Kaisers Augusti Gemahlin und Der Welt=berüchtigten Fredegunda, Des Frantzösischen Königs Chilperici I. gottlosen Gemahlin“. Beide Porträtierten sitzen mit entblößter Brust und gerafften Röcken vor einer idealisierten Landschaft. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 93, Leipzig 1726, Titelblatt. 256 Der Park war, so Lemasson, „der Inbegriff der Naturvorstellung“ des 18. Jahrhunderts. Lemasson, Naturgefühl im 18. Jahrhundert, S. 167. Im Laufe der Zeit veränderten sich die Darstellungen des Außenraums. Besonders diejenigen Ausschnitte der wohlgestalteten Natur, die mittels einer Fensteröffnung gleichsam als ‚Bild im Bild‘ präsentiert wurden, entwickelten mehr und mehr eigenes künstlerisches Profil. Durch die mittelzentrierte Bildkomposition wurde der Blick des Betrachters auf dieses Gestaltungselement gelenkt. Vgl. dazu besonders die Illustrationen, die herrschaftliche Schloßanlagen inmitten eines Barockparks zeigten, so z. B. die Titelblätter zu Nr. 211, 217, 229, 231, 234, 236, 237 und 238. Vgl. dazu Abb. 11.

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Abb. 11: Titelblatt zur Entrevue Nr. 32, Leipzig 1721.

Analog zum Konzept französischer Barockgärten unterlag die Sphäre der Natur und deren Bändigung durch den Menschen denselben Gesetzen wie die herrschaftliche und an Repräsentation orientierte Architektur. Im Unterschied zu Auffassungen der zeitgenössischen Malerei, wie wir sie beispielsweise anhand von Jean-Antoine Watteaus „Liebesfest“ (um 1718) bis hin zu Jean-Honoré Fragonards „Liebesbriefen“ (1771) nachvollziehen können, verfolgten die Landschaftsdarstellungen in Fassmanns Journal andere Absichten: Im medialen Kontext des historisch-politischen Journals im besonderen sowie dem der Buch- bzw. Journalillustration im allgemeinen waren Natur und Landschaft mehr Mittel zum Zweck denn eigenständiges Ausdrucksmittel. In ihrer Formensprache konnten sich im Gegensatz zur zeitgleich voranschreitenden Entwicklung ältere ikonographische Traditionen halten, die auf anderem Gebiet bereits als démodé galten. Während die Landschaftsmalerei sich im Rokoko hin zu

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Abb. 12: Titelblatt zur Entrevue Nr. 148, Leipzig 1730.

galanten Schäfer- oder Festszenen inmitten bewußt als gleichwertig verstandener Naturszenerien entwickelte, waren die Illustrationen der Gespräche an der Vermittlung anderer Eindrücke und Inhalte interessiert: Natur blieb – bis auf wenige Ausnahmen – auf den Hintergrund der Darstellungen und auf die flankierende Unterstützung der Bildaussage beschränkt.257

257 An den wenigen Ausnahmen von dieser Regel ist abzulesen, welche neueren Tendenzen neben älteren Traditionen in der Naturwahrnehmung und -darstellung Einzug in das Medium des illustrierenden Kupferstichs hielten. Wenn Fassmann auf einigen Titelblättern Unwetter auf hoher See abbilden läßt oder den Nordpol, wie er zeitgenössischen Vorstellungen gemäß aussah, zeigt sich, daß sowohl Aspekte wie die noch barock anmutende dramatisch-emotionale Wirkung von Natur als auch die ‚wissenschaftlich‘ orientierte Topographie und Geographie die Journalleser im 18. Jahrhundert interessierten mußten. Vgl. beispielsweise die Entrevuen Nr. 28 (Poseidon thront über einer bewegten See), Nr. 30 (ein im Fluß Ertrinkender), Nr. 69, 72, 84, 94, 97 (Stadtansichten im Hintergrund), Nr. 85 (Meeres- und Schiffsmetaphorik), Nr. 88 (dramatisch geschilderte Landschaft als Verdeutlichung feindlicher Angriffe), Nr. 89 (das ‚Las-

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Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

Abb. 13: Titelblatt zur Entrevue Nr. 157, Leipzig 1731.

Fassmanns Figuren befanden sich häufig vor einem Hintergrund, der in der Gartenbautradition André Le Nôtres sowie italienischer Renaissancegärten stand. In ihrer mittelzentrierten Ausrichtung erinnern die Abbildungen an Gartenanlagen wie die von Versailles, Nymphenburg oder der Villa Gamberaia. In Form geschnittene Bäume und Sträucher, klar gegliederte Sichtachsen, Wegkreuzungen, Wasserspiele, Skulpturen, Obelisken, Architekturelemente und Knotengärten reflektierten noch deutlich barocke Vorstellungen von gebändigter und schön gestalteter Natur. Letztere konnte durch ihre anthropozentrische Ausrichtung Auskunft geben über den Charakter und die Bedeutung der dargestellten Figuren und war deswegen in ihrer Darstellung nicht Selbstzweck, sondern ordnete sich durchaus einem in den Gesprächen entworfenen Sittenbild unter.

termeer‘), Nr. 107 (Gewitter, Brände), Nr. 126 (Schiffsmetaphorik mit idealisierter KüstenstadtAnsicht) und Nr. 160 (Nordpol).

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Anknüpfungspunkte zwischen Fassmanns Vorstellungen einer für das Programm seines Journals idealen Landschaft und der Gartenbaukunst seiner Zeit gab es viele: Seinem Hang, Kritik und Lob in Form allegorischer und mythologischer Figuren sowie bestimmter architektonischer und landschaftlicher Elemente auszudrücken, entsprach die Vorliebe barocker Gartenbauer, mit Hilfe von Pflanzen, Skulpturen, architektonischen Elementen und Sichtachsen sinnhafte Zusammenhänge herzustellen.258 Bevor auch in der Landschaftsdarstellung des 18. Jahrhunderts das bukolische Genre an Bedeutung gewann, während die repräsentative bzw. die heroische Bändigung der Natur an Bedeutung verlor, zeigten die funktional an das Bildungsprogramm seiner Totengespräche gebundenen Kupferstiche, daß Fassmann versuchte, die Bildgattungen der Historien- und Porträtmalerei auf der Ebene der Titelillustration zu verbinden. Die hier noch häufig barock anmutende, moralisierende und durch die symmetrisch an einer Mittelachse ausgerichteten Gartenanlagen bisweilen gleichsam zentralistisch anmutende Naturdarstellung trat auf den Kupferstichen in einen Dialog mit einer parallel zur galanten Malerei entstehenden Historienmalerei, die an der geschichtlichen und politischen Bedeutung ihrer Sujets interessiert war. Natur wurde bei Fassmann häufig mit der Lebensgeschichte und dem Charakter der Porträtierten verknüpft und wies auf diese zurück, Landschaft fungierte in ihrer stilisierten Künstlichkeit als Ausdruck für die Herrschaft und Macht derer, die vor ihr abgebildet wurden. In diesem Sinn kann Natur auf den Titelillustrationen auch als eine Art verlängerter Innenraum verstanden werden.259 Zusätzlich zu den bereits genannten Orten der Darstellung, dem Außenbzw. Innenraum260, trat ein dritter hinzu, der beide Szenerien in unterschiedli-

258 Daß diese Anknüpfungspunkte auf dem Höhepunkt der Gartenbaumanie durchaus sehr greifbar waren, zeigt sich besonders augenfällig am Beispiel einiger Gartenbaukünstler, die etwa einzelne Gemälde des im 18. Jahrhundert immer noch geschätzten Nicolas Poussins in Parkanlagen übersetzten und so gleichsam ‚nachbauten‘. Vgl. dazu Patrick Lemasson: Das Naturgefühl im 18. Jahrhundert, in: Geist und Galanterie. Kunst und Wissenschaft im 18. Jahrhundert aus dem Musée du Petit Palais (Paris), Leipzig 2002, S. 119–205, hier S. 165 f. 259 Vgl. dazu auch Lemasson, Naturgefühl im 18. Jahrhundert, S. 165. 260 Die Entrevuen Nr. 13, 14, 17, 21, 26, 27, 31, 39, 41, 42, 44, 45, 46, 51, 52, 57, 62, 65, 69, 70, 71, 73, 75, 79, 80, 82, 87, 94, 101, 106, 108, 115, 122, 123, 127, 128, 129, 140, 141, 142, 149, 151, 154, 159, 161, 165, 173, 176, 178, 179, 180, 186, 187, 188, 191, 193, 195, 197, 201, 202, 204, 205, 209, 211, 214, 216, 219, 222, 224, 226, 227, 230, 231, 236 und 240 zeigen Innenansichten. Auffällig ist, daß die Anzahl dieser Darstellungen im Lauf der Zeit zunahm. Gegen Ende der Reihe zeigte nahezu jede zweite Illustration einen Innenraum. Ein Grund dafür könnte darin liegen, daß das ‚klassische‘ Herrscherporträt durch politisch und historisch bedeutsame Bildelemente für Fassmann an Bedeutung gewann, während moralisierend-barocke Landschaftsdarstellungen zunehmend in den Hintergrund traten.

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chen Graden miteinander kombinierte.261 Beispielsweise konnten die Figuren innerhalb eines geschlossenen Raumes gezeigt werden, der den Blick durch eine Fenster- oder Maueröffnung auf eine im Hintergrund befindliche Landschaft freigab. Letztere konnte, so der Eindruck, den einige Illustrationen hervorrufen, mit dem Leben bzw. Sterben einer der beiden Figuren zu tun haben. Während also der Teil der Abbildung, der einen Innenraum zeigte, beispielsweise auf den Lebenszusammenhang der einen Figur zurückweist, konnte der Außenraum das Schicksal der anderen Figur thematisieren. Darüber hinaus findet man zahlreiche Beispiele dafür, daß die Sphären beider Figuren innerhalb eines Raumes aufeinanderstießen und stellenweise einander dialektisch gegenübergestellt wurden.262 Zum leichteren Verständnis warteten die Abbildungen mit zahlreichen interpretatorischen Hinweisen auf, nach denen die Leser ein gerechtes Urteil über die Leben und Taten der vorgestellten Figuren fällen konnten. Die Abbildungen sollten beispielsweise nicht mehr wie in den Jahrhunderten zuvor Leseunkundigen als Ersatz für die Textlektüre dienen, sondern vielmehr den Eindruck verstärken, der durch die Lektüre der Gespräche hervorgerufen wurde. Nicht nur, daß auf den Titelbildern eindeutig positiv oder negativ besetzte Symbole eingesetzt wurden, sondern auch, daß mit ihrer Hilfe zusätzliche Informationen angeboten wurden, spricht für die Lesart, daß Fassmann die Rezipienten des Journals auch mit Hilfe der eigens entworfenen Bildgeschichte unterhaltsam zu belehren suchte. Im Sinne der seit Leon Battista Albertis Traktat über die Malerei 263 kontrovers diskutierten Vorstellung von istoria vermochten 261 Diese Mischform findet sich beispielsweise in den Entrevuen Nr. 51, 69, 125, 144, 170, 173, 187, 189, 190, 198. 262 So etwa bei der Gestaltung der bereits erwähnten Illustration zur 45. Entrevue (vgl. Abb.), die die Sphäre des ‚guten‘ Herzog Ernsts von der des ‚bösen‘ Mulai Ismails mittels einer Säule in der Bildmitte trennt. Ismails Hälfte liegt im Schatten, während Ernsts Hälfte in helles Licht getaucht ist. 263 Leon Battista Alberti: De Pictura, 1435; ders.: De Pictura/Über die Malkunst, hg., eingel., übers. u. komm. v. Otto Brätschmann und Sandra Gianfreda, Darmstadt 2002. Alberti versuchte in seinem Traktat als einer der ersten, die Malerei auf Basis der antiken Rhetorik als eine mit kunsttheoretischen Mitteln beschreibbare Disziplin zu fassen. Die künstlerische Qualität der Malerei äußere sich, so Alberti, vor allem in der Wahl des geeigneten Gegenstandes. Der Kommentar zur Neuübersetzung des Traktates von 2002 versucht den Begriff wie folgt zu fassen: Istoria „ist demnach sowohl ein großes Gemälde, das alle Fähigkeiten des Malers in Anspruch nimmt, wie auch die Darstellung eines Vorgangs unter Menschen, wobei dieser ‚Vorgang‘ nicht näher definiert wird und keinesfalls auf eine Handlung, ein Ereignis oder eine Erzählung eingeschränkt werden darf, sondern vielmehr als eine kohärente Darstellung einer Gruppe von menschlichen Figuren in körperlichen und seelischen Bewegungen verstanden werden muss“ (S. 185). Ziel aller Malerei war Alberti gemäß vor allem die emotionale Anteilnahme des Betrachters am Dargestellten und die Gewinnung geistiger Erkenntnis durch die Rezeption des

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es gerade die Illustrationen zu den Totengesprächen, historische Figuren und deren Lebenslauf, der durch die Dialoge vermittelt werden sollte, auf bildlichpersonifizierter Ebene zu vergegenwärtigen. Einerseits waren die Illustrationen thematisch an die jeweilige Entrevue gebunden, andererseits vermochten sie es, eine formal durchaus eigenständige ‚Geschichte‘ zu erzählen. Wenn beispielsweise in der 25. Entrevue Papst Innozenz X. auf seine Schwägerin Olimpia Maidalchini trifft und die Schwäche des Kirchenfürsten gegenüber der machtbewußten und als ‚Mannweib‘ verunglimpften Frau getadelt wird, so wird diese Nachricht nicht nur durch die Ankündigung auf dem Titel und das vierzeilige Gedicht transportiert, sondern auch durch die Illustration, auf der die beiden Figuren in ausgeprägt lebhafter, aufeinander bezogener Haltung gezeigt werden (vgl. Abb. 14).264 Die Abbildung zeigt neben dem gewohnten Doppelporträt verschiedene Bauten der Stadt Rom, die dem Leser offenbar als so wichtige Zusatzinformation vorgestellt werden sollten, daß sie trotz maßstäblicher Schwierigkeiten auf der Abbildung untergebracht wurden (vgl. Abb. 15 und 16).265

jeweiligen Kunstwerks: Eine Vorstellung, die über die Literatur hinaus nunmehr auch auf die bildliche Kunst übertragen wurde. Der kaum zu übersetzende Begriff der ‚istoria‘, dessen komplexe Interpretationsgeschichte an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden kann, meinte bei Alberti u. a. die künstlerisch-bildliche Narration von Sujets, die in enger Verbindung zu Texten meist biblischer oder antiker Herkunft standen und diese auf geeignete Weise in Bildwerke ‚übersetzten‘. Im II. und III. Buch seines Traktats geht Alberti auf die vielschichtige Bedeutung der ‚istoria‘ ein und auf deren Wirkung auf den Betrachter: Ein Bild verfüge, wenn es den komplexen Prinzipien der ‚istoria‘ gemäß gemalt worden sei, über eine eigene Art von Rhetorik (Eloquenz) und somit auch über die Macht, den Geist und die Sinne des Rezipienten zu fesseln. Zum Begriff der ‚istoria‘ vgl. einführend und mit ausführlicher Bibliographie Joachim Hahn: „Istoria“, in: The Dictionary of Art, hg. v. Terukazu Akiyama u. a., Bd. 16, London 1996, S. 613– 615. Am Beispiel eines 1446 entstandenen Marienbildes in Arezzo erklärt Anthony Grafton die Funktionsweise der von Alberti geprägten ‚istoria‘: Historia and Istoria. Alberti’s Terminology in Context, in: I Tatti Studies: Essays in the Renaissance 8 [1999], S. 37–68. 264 Das Gedicht unter der Abbildung lautete wie folgt: „Hier Leser! siehest du, was sonst noch nie erhöret, / Ein Schwaches Werckzeug herrscht so Über Kirch als Staat; / Wo Ehrfurcht, Stoltz und Geitz ein Frauenbild bethöret, / Da steigt die Tyranney biß auf den höchsten Grad.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 25, Leipzig 1720, Titelblatt. An dieser Stelle zieht die Bildunterschrift eine deutliche Parallele zwischen dem ‚sehen‘ und dem ‚hören‘, letztlich dem Bild und dem Text. Die Abbildung vermag dem Gedicht nach ein ‚unerhörtes‘ Ereignis abzubilden und dem Leser nahezubringen. 265 Nicht näher zu identifizierende Architekturelemente zeigen sich auf den Illustrationen in den zahlreichen Terrassen, Balkonen, Mauern, Säulen und Balustraden. Darüber hinaus finden sich Häuser, Tempel, Kirchen, Türme, Schlösser und Villen eingebettet in die verschiedenen Landschaften und Parkanlagen. In bestimmten Fällen stehen die dargestellten Gebäude jedoch in enger Beziehung zu den jeweiligen Figuren. Die erwähnte Darstellung Papst Innozenz X. zeigte u. a. den Petersdom (vgl. Abb. 14 und 15), die Illustration zur Entrevue Nr. 26

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Abb. 14: Papst Innozenz X. und Olimpia Maidalchini, Entrevue Nr. 25, Leipzig 1720.

Ein Zeichen für die auf der bildlichen Ebene häufig hergestellte Verbindung zum Diesseits sind die zahlreichen architektonischen Details, die neben den Naturszenerien dazu dienten, einen Bezug zum Leben (oder Sterben) der dargestellten Figuren herzustellen oder thematisch interessante Ansichten zu bieten.266 Anders als es die literarische Tradition auf der Textebene vorgab, bezog sich Fassmann in den Illustrationen sowohl auf das Aussehen als auch

zeigt eine Innenansicht des deutlich bezeichneten Pantheon und das Titelblatt zur Entrevue Nr. 56 deutet die Mauern an, hinter denen Thomas Cranmer auf dem ebenfalls abgebildeten Scheiterhaufen sein Leben lassen mußte. 266 Fassmann und sein Illustrator gaben häufig Szenen den Vorzug, die zum größtmöglichen Gewinn an Information und Unterhaltung beitrugen. Darstellungen des Scheiterhaufens, auf dem Thomas Cranmer verbrannt wurde (Nr. 56) oder beispielsweise die Darstellung enthaupteter Figuren (Nr. 10, 19, 43, 57, 103) belegen diese Praxis.

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Abb. 15: Giuseppe Vasi: Basilica di San Pietro Vaticano, Delle magnificence di Roma antica e moderna, Libro terzo (1753), Nr. 41.

auf die Taten und den Charakter seiner verstorbenen Persönlichkeiten. Er ordnete die Illustrationen seiner Absicht unter, den Lesern seines Journals möglichst viele unterschiedliche Informationen zu vermitteln. Im Gegensatz zu Lukian, in dessen Totengesprächen die Verstorbenen allen irdischen Ballast ablegen mußten, um als gesichts- und körperlose Schatten ins Elysium zu gelangen, wurden sie in Fassmanns Journal in ihrer ehemaligen Erscheinungsform und häufig sogar inmitten einer Szenerie präsentiert, die ihrem Lebensumfeld ähnelte. Das Totenreich und dessen mythologisch-christlich geprägte Szenerie waren zwar nach wie vor präsent und darüber hinaus auch interessant genug, um verschiedentlich zitiert zu werden, dennoch bestimmte vor allem der Zweck, den Fassmann mit seinem Journal verfolgte, die Mittel des bildlichen Ausdrucks. Allegorische oder mythologische Figuren begegnen dem Betrachter auf den Illustrationen des öfteren. Beispielsweise erscheinen im Laufe der 240 Totengespräche die Tugend (Nr. 61), Neptun (Nr. 28), Fortuna (Nr. 68, 96, 138, 202, 217, 132, 221, 224), Mars (Nr. 31), die Weisheit/Minerva (Nr. 22, 37, 80), die Gerechtigkeit (Nr. 37) und Victoria (Nr. 81) auf den Titelbildern, je nach Thema und Anlaß des Gesprächs allein oder im Zusammenspiel mit den Dialogpartnern auf der jeweiligen Abbildung. Neben unzähligen pausbäckigen Putti sorgte vor allem mythologische Figurenarsenal (Minerva, Mars, Neptun, Pegasus, Charon und Faunus) für ei-

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Abb. 16: Detail des Titelblattes der Entrevue Nr. 25.

nen Bezug zur antiken Gattungstradition. Gleichsam instrumentalisiert und zur atmosphärischen Verdichtung eingesetzt, verwiesen diese mythologischen Figuren jedoch nur mehr als Versatzstücke auf den Ideenraum, der im Zusammenhang mit den Totengesprächen besonders durch Lukian und seine französischen Nachahmer geprägt wurde. Ihnen kam – vergleichbar den abendländischen christlichen Symbolen – die Bedeutung zu, für ansprechende Staffage und passende Illustration zu sorgen. Vor einem ähnlichen Hintergrund sind die Attribute zu verstehen, die den Figuren auf den bildlichen Darstellungen zugeordnet werden. Sowohl als mögliche Identifikationshilfe wie auch als schmückendes Beiwerk konnten sie das symbolische Kapital und den Informationsgehalt eines Bildes erhöhen. Schlüssel, Sensen, Hermelinmäntel, Musikinstrumente, Bücher, Manuskripte, Kronen, Wappen, Waffen, Masken usw. fanden so ihren Platz auf beinahe allen 240 Illustrationen des Journals. Meist befanden sich die Attribute jeweils am Körper oder neben einer Figur (vgl. die Entrevuen Nr. 16, 17, 27, 72, 73, 74, 102) oder sie wurden von einer ‚göttlichen‘ Hand über den Kopf einer Figur gehalten (etwa in den Entrevuen Nr. 31, 64, 81, 82, 86).

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Auf der Ebene der bildlichen Darstellung wurden die Hauptfiguren des jeweiligen Totengesprächs eng miteinander verknüpft. Die Titelillustrationen boten dem Betrachter so die Möglichkeit, die in den Totengesprächen hergestellte sprachliche Verbindung zweier häufig sehr gegensätzlicher Gesprächspartner auch auf der bildlichen Ebene herzustellen. Dem Anspruch an die literarische Überzeugungskraft eines Treffens zweier berühmter Verstorbener wurde so durch die Illustration zumindest teilweise entsprochen. Anstatt diese Begegnungen in einer literarisch wie ikonographisch vorgeprägten jenseitigen Szenerie anzusiedeln, entschied sich Fassmann häufig dafür, die Figuren vor Hintergründen abbilden zu lassen, die deren ehemaligem Lebensumfeld ähnelten. Die Illustrationen folgten dem historisch-politisch unterrichtenden sowie moralisierenden Charakter der Gespräche. In den meisten Fällen fanden sich die Figuren deswegen in einem durchaus diesseitig gestalteten Umfeld wieder, das durch seine stilisierte Formensprache und theatralisch-dramatisierte Staffage auf seine Funktion im Zusammenhang mit dem Journal verwies. Durch die ikonographische ‚Faktizität‘ einer Begegnung der dargestellten Figuren erhöhte Fassmann die Überzeugungskraft der in den Entrevuen behaupteten Gesprächswirklichkeit. Die Illustrationen konnten so auch als eine Art spielerischer Beweis verstanden werden, der die literarische Fiktion auf der Bildebene evident machte. Im Ganzen entwickelten die Illustrationen im Laufe der 22 Jahre währenden Publikation eine durchaus eigene Formensprache. Fassmann konnte mit ihrer Hilfe eine Art Ikonographie seines literarisch-fiktiven Totenreichs und seiner Figuren erschaffen. Im Umfeld der Messen und Buchhandlungen, bei denen Periodika zum Kauf angeboten wurden, stellten die Illustrationen vergleichsweise mühelos sicher, daß sich potentielle Leserinnen und Leser für die dargestellte Szene interessierten – und somit auch eher dazu geneigt waren, sich für den Kauf des gedruckten Werkes zu entscheiden.

4.2.4 Der XVI. Band Im Jahre 1740, nachdem die Reihe der seit 1718 regelmäßig herausgegebenen Gespräche beendet war, publizierte Fassmann noch den bereits mehrfach erwähnten XVI. Band, der als „ein ansehnliches, wichtiges und beliebtes Werck“ 267 die Reihe der Totengespräche sinnvoll ergänzen sollte. Der Band bestand aus mehreren Teilen, deren Form und jeweilige Aufgabe im Folgenden erläutert

267 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Leipzig 1739, Valet=Rede, S. 1204.

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werden sollen. Das Titelblatt des Bandes benennt die verschiedenen Abschnitte und deren Funktionen wie folgt: I. Die Historie nach denen Monarchien, Reichen und Staaten, welche als ein Supplement zum gantzen Wercke abgehandelt, und, wo es bereits in denen Gesprächen geschehen, der Leser auf eine jedwede Entrevüe gewiesen wird, dergestalt, daß alles zusammen eine gantz ansehnliche Universal-Historie formiret. II. Die Summarien, oder ein kurtzer Inhalt aller 240. Entrevüen, nach ihrer Zahl und Ordnung, samt der Chronologie, wann dieses oder jenes geschehen ist. III. Ein General-Register, über alle sechzehen Bände, welches nach Maßgebung seines besondern Tituls, als ein compendieuses Historisches Lexicon, oder als eine Concordantz, nach welcher alle Materien weitläufftiger nachgeschlagen werden können, zu gebrauchen. Samt einer Vorrede, von der weitern Beschaffenheit und Ausarbeitung des gantzen Wercks, und von dessen Nutzen, auch dem Autori zugestossenen Verdrüßlichkeiten und angewendeten vielen Mühe.268

Fassmann unterteilte diesen letzten Band also in drei Teile, zu denen wie bei den vorherigen fünfzehn Bänden noch eine Vorrede trat. Er sollte zum einen, wie das oben zitierte Inhaltsverzeichnis nahelegt, durch seinen historischen Supplementteil und sein alphabetisch geordnetes Register wie ein enzyklopädisches Nachschlagewerk genutzt werden, zum anderen konnte er zur Erinnerung und systematisch geordneten Zusammenfassung aller 240 Totengespräche dienen. Daß der sechzehnte Band nicht das Produkt einer nachträglichen Eingebung war und etwa nur den Verkaufserfolg des Journals gewinnbringend verlängern sollte, legt die bereits mehrfach erwähnte Valet=Rede des vorletzten Bandes nahe, in der Fassmann bereits auf die Form und den Inhalt des Supplements269 eingeht. Er wollte offenbar ein Werk schaffen, dessen Charakter und Inhalt einerseits den Gebrauchswert des Journals erhöhen und andererseits dessen wissenschaftliche Bedeutung und nachhaltige Qualität hervorheben sollte. Darüber hinaus, so die Argumentation in der Valet=Rede, konnte der Abschlußband mittels seines geordneten und gründlichen Aufbaus gleichsam für sich selbst stehen und dem Leser dazu dienen, seine historischen und politischen Kenntnisse zu vertiefen und etwaige Wissenslücken zu schließen. In der Abschiedsrede an seine Totengespräche, in der das Ende der Reihe ange-

268 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Titelblatt. 269 Fassmann bezeichnet einmal den gesamten Band als ein „Supplement“ und ein anderes Mal nur den ersten Teil des Bandes. Im Folgenden soll sich die Bezeichnung nur auf den ersten Abschnitt des XVI. Bandes beziehen.

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kündigt wird, weist Fassmann auf eine besondere Funktion des letzten Bandes hin: Indessen seyd ihr [die Totengespräche – SD] geendiget und beschlossen. Doch kan euch dieses hierbey zum Trost gereichen, daß deswegen euer Gedächtniß nicht aufhören, sondern noch gar lange bestehen wird, absonderlich wann ihr mit einem stattlichen Supplement, welches jetzo wircklich in der Arbeit ist, secundiret, und dadurch desto herrlicher gemachet werdet.270

Der XVI. Band sollte, so die Erkenntnis, die der Leser aus der Rede ziehen konnte, auch die Erinnerung an die Gespräche wachhalten. Für den Kauf sprach der Argumentation des Autors nach neben dieser gedächtnisstützenden Funktion des Bandes dessen eigenständiger Charakter. Zu dem Zeitpunkt, an dem Fassmann die oben zitierte Rede an seine Totengespräche veröffentlichte, sah die Abfolge des sechzehnten Bandes jedoch anders aus als in der wenig später publizierten Version. Die Autorfigur erläutert den geplanten Aufbau des Bandes und erklärt noch einmal genauer, woraus die einzelnen Teile bestanden: Erstlich in kurtzen Summarien einer jedweden Entrevue, worinnen der Inhalt nach der Chronologie oder Ordnung derer Jahre erzehlet, auch die Autores, woraus eine jedwede genommen, beygefüget werden. Zweytens, in Historischen Supplementen, nach allen Reichen und Landen, in welchen derer Regenten, so ausser denen aufgeführten Personen, in einem jedweden Reiche und Lande gelebet, vornehmste Thaten beschrieben, und die gantze Historie in systematische Ordnung gebracht wird. Drittens, in einem, mit allem Fleiß gefertigten, General=Register derer vornehmsten Materien aller funffzehen Bände, welche besser als ein Historisches Lexicon zu gebrauchen, indem alle Materien, gleich nach Belieben, können nachgeschlagen, und weitläufftig nachgelesen werden.271

Fassmann hebt in seiner Ankündigung besonders die systematische Ordnung einzelner Teile und deren allgemeinen sowie speziellen Nutzen für den interessierten Leser hervor. Als zusätzlichen Anreiz (und in Abgrenzung zu den Vorwürfen, einige der Entrevuen würden bereits bekanntes Wissen wiederholen) verspricht der Ergänzungsband einen Überblick über das Leben und die Taten historisch bedeutsamer Personen, die nicht als Dialogpartner im Journal erschienen waren. War das Journal vor allem dazu gedacht, Wissen in Form von unterhaltsam zu lesenden Gesprächen zu vermitteln, so setzte Fassmann an dieser Stelle auf eine Systematik, welche die Zuverlässigkeit und Wissenschaft-

270 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Leipzig 1739, Valet=Rede, S. 1203. 271 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Leipzig 1739, Valet=Rede, S. 1204.

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lichkeit zeitgenössischer Lexika zu imitieren suchte. Der nach inhaltlichen, chronologischen bzw. auch alphabetisch-systematischen Aspekten geordnete Band sollte, den selbst formulierten Absichten des Autors nach, einer möglichst allumfassenden Bildung seiner Leser dienen und das Programm des Periodikums sinnvoll abrunden.272

4.2.4.1 Der Supplement-Teil Im Vorbericht, der den XVI. Band eröffnet, geht Fassmann auf die Konzeption und Bedeutung von dessen drei Teilen ein. Zur Ordnung, Bedeutung und zum Umfang des ersten Teiles heißt es dort: Das Supplement ins Besondere betreffende, so enthält es zwey und funffzig Capitel in sich, und man hat sich bestrebet, es so einzurichten, daß man, ohne eine Groß=Sprecherey oder Prahlerey zu begehen, davon sagen kan, es habe der, so es besitzet, die gantze Welt in seinen Händen. Denn man hat alle bekannte Winckel des Erdkreises durchsuchet, und die vornehmsten Begebenheiten aufgezeichnet, die sich auf diesem grossen Schau=Platz zugetragen.273

Fassmanns hier ganz wörtlich verstandener universeller Anspruch (der Leser halte durch das Studium des Supplements „die gantze Welt“ in Händen) ist bereits am umfangreichen Inhaltsverzeichnis ablesbar. Die erwähnten 52 Kapitel boten in der Tat einen Überblick über alle dem durchschnittlich gebildeten Europäer bekannten Länder, deren Bewohner, Sitten sowie über die wichtigsten Ereignisse, die sich dort zugetragen hatten. Allerdings handelte es sich, anders als es Fassmann im Vorbericht behauptete, durchaus nicht nur um die „vornehmsten Begebenheiten“. Ähnlich wie die Totengespräche zeigten auch die Kapitel des Supplementes die Tendenz, Historie sowohl anhand einzelner Lebensläufe als auch zahlreicher wenig vornehmer Anekdoten zu erläutern. Das bescheiden wirkende „man“ („man hat alle bekannte Winckel des Erdkreises durchsuchet“) suggerierte darüber hinaus eine aktive Teilnahme des Autors am Prozeß der Faktensuche und Materialbeschaffung. Unter Durchsuchung

272 Daß der letzte Band als ein ‚krönender Abschluß‘ wahrgenommen werden sollte, zeigt bereits das Motto über der emblematischen Titelillustration: „Finis Coronat Opus“. Die Unterschrift unter der allegorischen Darstellung lautete: „Was die Historie vor Nutz und Vortheil hat / Mit wieviel Zeit und Müh sie vorgetragen worden, / Das zeiget dieses Buch, weitläuffig in der That, / Der Neid liegt endlich hier in seiner Thorheit Orden.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Titelblatt. 273 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 1 (unpag.).

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verstand der zeitgenössische Leser jedoch v. a. die Auswertung von gedruckten Werken, weniger tatsächliche Reisen. Nur in einigen Ausnahmefällen, beispielsweise durch seine Teilnahme an den Friedensverhandlungen von Utrecht, war Fassmann persönlich bei historisch relevanten Ereignissen zugegen.274 Der Autor betont im Vorbericht zum XVI. Band den erheblichen Aufwand und die herausragende Bedeutung des Supplement-Teils, eine Technik, die er mehrfach in den paratextuellen Elementen seines Journals anwendete. Gerade weil Fassmann seinen historischen Überblick über alle bekannten und bedeutenden Länder der Erde nicht aus eigener Erfahrung liefern konnte, sondern seine Informationen ‚nur‘ aus zweiter Hand bezog, vermochte er mit Hilfe der Anekdoten eine unmittelbarere Wirkung in seinen Lesern hervorzurufen. Wie angekündigt spart er beispielsweise im Überblick zu Ägyptens Geschichte das Leben und die Taten Kleopatras aus, weil er diese bereits in der Entrevue Nr. 20 behandelt hatte. An der Art, wie er den Gang der Geschichte und die dynastische Folge der ägyptischen Herrscher schildert, wird deutlich, wie sein Konzept der anekdotenhaften Anschaulichkeit funktionierte. Zum Leben von Ramses II. (hier als „König Rapsaces“ bezeichnet) bemerkt er beispielsweise: Wieder hundert und zwantzig Jahre nach diesem König [Amenophis III. – SD], welcher das berühmte Labyrinth hat anlegen lassen, regierte in Egypten ein König, Namens Rapsaces. Von solchem lesen wir, er seye zehen Jahre nach einander blind gewesen. Da habe ihm das Oraculum die Versicherung gegeben, wann er sich mit dem Urin einer Frauen waschen würde, die bey keinem andern Mann, als bey ihrem eigenen, geschlaffen hätte, so solte er wieder sehend werden. Die erste Probe hätte nun seine eigene Gemahlin machen müssen; allein das habe nichts geholffen. Darnach habe er eine vornehme Dame nach der andern, um dergleichen Augen=Salbe, ansprechen lassen; seye aber blind geblieben wie zuvor. Endlich wäre eine Gärtners=Frau gefunden, und ihm durch ihren Urin sein Gesichte restituiret worden. Diese arme Frau habe der König, aus Danckbarkeit, zu seiner Gemahlin genommen; worgegen er seine vorige Gemahlin, nebst allen Damen, die so übel bestanden, verbrennen lassen. 275

274 Daß Fassmann der Frieden und die Einigkeit in Europa wichtig waren, stellte er sowohl durch die zahlreichen Totengespräche unter Beweis, die direkt oder indirekt mit den Vertragsparteien zu tun hatten, als auch durch die an verschiedenen Stellen vorgebrachten Appelle, welche die Wichtigkeit der in Utrecht ausgehandelten Beschlüsse hervorhoben. Vgl. dazu besonders die Widmung an Nemesis. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Leipzig 1736, Dedikation. Ein anderes Beispiel, das von Fassmann selbst immer wieder als Referenz herangezogen wurde, war seine kurze persönliche Begegnung mit dem russischen Zar Peter I., auf die er in einem der Entrevue Nr. 83 beigefügten Nachwort eingeht. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 83, Leipzig 1725, Nachwort, S. 232 f. 275 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Kap. III, S. 13. Fassmann signalisiert an dieser Stelle deutlich den Fremdbezug seiner Informationen. Von Rapsaces, sagt er, „lesen wir, er seye zehen Jahre nach einander blind gewesen.“ Sowohl da-

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Diese Anekdote schreibt Fassmann Ramses II. zu, wohingegen andere Quellen offenbar Pheros bzw. Sesostris als den von Blindheit geschlagenen Herrscher identifizierten.276 Abgesehen von etwaigen historischen Fehlinformationen zeigt die Tatsache, daß Fassmann ein solches Beispiel für seinen historischen Überblick über die Geschichte Ägyptens auswählte, mit Hilfe welcher Art von Informationen er seiner Leserschaft besonders die ‚exotischen‘ Länder und die Lebensverhältnisse ihrer Bewohner näherbringen wollte. Am Inhaltsverzeichnis des ersten Teils läßt sich überdies eine bestimmte geographische Orientierung des Supplements ablesen. Während die Entrevuen des Journals zum überwiegenden Teil europäische Herrscher und Herrscherinnen, Mätressen und Kleriker gezeigt hatten, konzentrierte Fassmann die Aufmerksamkeit im Ergänzungsband auf die weiter entfernt liegenden und dem durchschnittlichen Leser aller Wahrscheinlichkeit nach auch weniger bekannten Länder und weniger prominenten Biographien: Es sind auch viele Geographische Beschreibungen von solchen Reichen und Landen mit eingeflossen, die von uns Europæern am weitesten entfernet liegen, und von denen wir sonst sehr wenig zu hören, zu sehen und zu lesen bekommen.277

Erst im letzten Fünftel dieses Teiles, ab Kapitel 41, treten mit den Kaisern des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Europa bzw. in kurzen Kapiteln auch Afrika und Amerika auf den Plan. Die vorangegangenen vier Fünftel des Supplements widmet Fassmann hauptsächlich den bedeutendsten Ländern des Altertums (Assyrien, Ägypten, Griechenland, Rom, Karthago usw.), Arabien, Persien, dem Osmanischen Reich, Syrien und Indien. Ein Überblick über den Inhalt des Supplements zeigt, nach welchen Kriterien (Geographie, Chronologie, Religion) Fassmann die einzelnen Kontinente, Länder, Bewohner und Religionen aufeinander folgen ließ:

durch, daß die Rezeptionshaltung des Autors hier transparent gemacht wird, als auch durch die durchgehende Verwendung des Konjunktivs erscheint das Zeugnis der Anekdote durch Dritte vermittelt. 276 Bei Herodot (Historien, II, III. Kap.) bzw. Diodor (Diodori Bibliotheca historica I, 59) finden sich von Fassmanns Lesart abweichende Angaben über diese Anekdote. Zu der in Ägypten offenbar häufig angewendeten Therapie bei Blindheit vgl. Hugo Magnus: Die Augenheilkunde der Alten, Breslau 1901, S. 12. 277 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 1 (unpag.). Zu den weiteren Parametern bei der Beschreibung der außereuropäischen Länder und besonders deren Bewohner vgl. 6 Das Fremde in Fassmanns Unterwelt.

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Anzeige Des Inhalts aller Capitel, in welche das Supplement abgetheilet ist Cap. I. Cap. II.

Cap. III. Cap. IV. Cap. V. Cap. VI. Cap. VII. Cap. VIII. Cap. IX.

Cap. X. Cap. XI.

Cap. XII.

Cap. XIII.

Von der ersten Haupt=Monarchie, die Assyrische genannt, fänget sich an Von Königreichen und Staaten, die sich neben der Assyrischen Monarchie formiret haben, und in denen ältesten Zeiten am bekanntesten gewesen sind ; Von Egypten Von denen Hebräern, und ihrem errichteten Reiche Vom Israelitischen Königreich ins Besondere Vom Königreich Juda ins Besondere Von denen Reichen, welche aus Zertheilung der ersten Haupt=Monarchie entstanden sind Von der zweyten Haupt=Monarchie, die Persische genannt Von der berühmten Secte der Magier, welche zu der Zeit, als die Persische Monarchie bestanden, sich so gewaltig darinnen ausgebreitet Von Griechenland und der Griechischen Monarchie, die dritte Haupt=Monarchie genannt Von solchen Begebenheiten, die annoch mit der alten Historie Griechenlands vermischet, und darzu gehören Vom Zustand von Italien, vor Erbauung der Stadt Rom. Von Erbauung dieser weltberühmten Stadt, und ihren ersten Königen. Von denen Römischen Bürgermeistern, und verschiedenen Kriegen, welche unter denselben geführet worden Von Erbauung der Stadt Carthago in Africa, auch verschiedenen dahin gehörenden Nachrichten. Vom ersten und zweyten Punischen Krieg. Von grossen Begebenheiten nach solchen Kriegen, da gantz Griechenland unter die Römer gekommen, samt vielen andern benachbarten Provintzien. Vom dritten Punischen Krieg, und was die Römer, nach desselben Endigung, sonst noch vor Kriege geführet, auch was vor Erstaunens=würdige Conquêten dieselben in Europa, Asien und Africa gemachet

pag. 1

5 11 16 40 43 54 62

100 113

136

153

169

274 Cap. XIV.

Cap. XV. Cap. XVI.

Cap. XVII.

Cap. XVIII. Cap. XIX. Cap. XX.

Cap. XXI.

Cap. XXII. Cap. XXIII. Cap. XXIV.

Cap. XXV.

Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

Von denen innerlichen Unruhen im Römischen Gebiete, auch selber zu Rom, und denen Veränderungen, welche sich im Regiment ereignet, von dem Ende des dritten Punischen Krieges an, biß auf die Zeit, da sich die Römische Republic in eine Monarchie verwandelt hat Von der Römischen Monarchie, und denen ersten Römischen Kaysern, Heydnischer Religion Von denen ersten Christlichen Kaysern, zur Zeit der unzertheilten Römischen Monarchie, und dieser erfolgten Theilung Von dem Orientalischen oder Griechischen Kayserthum, dessen gehabten kläglichen Fatis, und endlich erfolgten gäntzlichen Untergang Von Arabien, biß auf die Zeiten des falschen Propheten Mahomeds Vom Lügen=Propheten Mahomed, dessen Geburt, Lehre, Lügen, Leben, Thaten und Todt Von denen Caliphen, oder Nachfolgern, in dem von Mahomed gestiffteten Reiche. Wie sie solches auf eine gantz Erstaunens= würdige Art erweitert; samt dem erfolgten Untergang dieses Reiches Von verschiedenen alten Königreichen und Republiquen, welche in Natolien [sic], oder Klein=Asien, und in dessen Nachbarschafft entstanden, auch wie dieselben wieder zu Grunde gegangen sind. Desgleichen von dem Schicksal und Verhängniß verschiedener Asiatischen, uns Europæern am nechsten gelegenen Inseln Von Syrien Von dem Verhängniß, welches Egypten gehabt, seit dem die Persische Monarchie zu Grunde gegangen ist Von dem Schicksal und Verhängniß, welches die Hebräer, oder Jüden, von der Zeit an gehabt, da sie aus der Babylonischen Gefängniß wieder in das Gelobte Land zurücke gekommen, und von ihrer Zerstreuung in alle Welt Von denen Schrifftgelehrten. Desgleichen von denen Jüdischen Secten, die Pharisæer, Saducæer und Essæer genannt.

183 193

217

220 269 279

289

353 401 411

422

468

Der Paratext des Journals

Cap. XXVI. Cap. XXVII.

Von denen Samaritern, oder Samaritanern Von dem sogenannten Heil. Krieg, und denen fünff unter=schiedenen Heeres=Zügen, welche die Occidentalischen Christen ins Gelobte Land gethan haben Cap. XXVIII. Von denen Christlichen Königen, welche entweder zu Jerusalem wirklich regieret, oder doch, so lange als der sogenannte Heil. Krieg gewähret, den Titel davon geführet haben Cap. XXIX. Von denen dreyen Ritter=Orden, derer Hospitalier, Tempel= Herren und Creutz=Herren, welche im Gelobten Lande entstanden sind, und ihren gehabten Fatis Cap. XXX. Von der Ottomannischen Pforte, oder dem heutigen Türckischen Reiche Cap. XXXI. Von Persien, nach dem Untergang der Griechischen Haupt= Monarchie, biß auf den heutigen Tag Cap. XXXII. Von Indostan, oder dem Reiche des Grossen Mogols Cap. XXXIII. Von denen alten Scythen, und dem Lande, welches heutiges Tages die grosse Asiatische Tartarey genannt wird Cap. XXXIV. Von denen Tartarn, welche unter der Bothmäßigkeit der Ottomannischen Pforte stehen Cap. XXXV. Von denen Cosacken Cap. XXXVI. Vom Reiche China Cap. XXXVII. Vom Reiche Japon, oder Japan Cap. XXXVIII. Von denen Asiatischen Königreichen, Tonquin, Laos und Siam Cap. XXXIX. Von denen Asiatischen Königreichen Pegu, Ava und Arracan Cap. XL. Noch von verschiedenen andern Asiatischen Königreichen, Küsten und Inseln Cap. XLI. Von denen ersten Occidentalischen Kaysern; von denen Römischen Kaysern Teutscher Nation, und von Teutschland en général Cap. XLII. Von denen Churfürsten des Römischen Reiches ins Besondere pag. Cap. XLIII. Von denen weltlichen Fürsten ins Besondere, so Sitz und Stimme in dem Fürstlichen Collegio auf dem Reichs=Tage haben Cap. XLIV. Von denen geistlichen Fürsten des Reichs, welche Sitz und Stimme im Fürstlichen Collegio haben

275 481

487

494

497 511 669 722

728 736 739 743 774 782 806 812

835 918

954 974

276

Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

Cap. Cap. Cap. Cap. Cap.

XLV. XLVI. XLVII. XLIVIII. XLIX.

Cap. L. Cap. LI. Cap. LII.

Von Frankreich Von Spanien und Portugall Von Engelland, Schottland und Irrland Von denen Niederlanden und von der Schweitz Von denen dreyen Nordischen Königreichen, Dänemarck, Schweden und Norwegen Vom Rußischen Reiche, von Ungarn, von Pohlen, und vom Herzogthum Curland Vom heutigen Italien Von Africa und America

987 997 1003 1009 1011 1014 1019 1021

Daß der Anspruch, Wissen über die ganze Welt zu vermitteln, von Fassmann tatsächlich als universell verstanden wurde, illustriert eine der wichtigsten programmatischen Passagen aus der Vorrede zum XVI. Band: Man lernet daraus die Welt kennen, und die Menschen, siehet auch, was Ambition, Interesse, Haß, Feindschafft, Lügen und Verleumdungen anzurichten vermögend sind; auch was mancher Mensch vor wundersame Fata, Glücks= oder Unglücks=Fälle, haben kan.278

Unterschiedliche „Fata“ und die (häufig negativen) Konsequenzen menschlicher Emotionen sind neben historischen Ereignissen diejenigen Themen, die Fassmann in seinem Werk abhandeln möchte. Die Parallelität von „Welt“ und „Menschen“ zu Beginn des Zitates verdeutlicht, wie sehr die Leipziger Totengespräche der früh-aufklärerischen Vorstellung verpflichtet waren, die in der Rezeption geeigneter (auf den Menschen bezogener) Materien den besten Weg zur sittlichen Erziehung und kognitiven Urteilsbildung aller Menschen („ein jedweder, der es nur durchblättern will, einen gar guten Begriff, und eine gerechte Idée, von der gantzen Welt erlanget“ 279) sah. Das gesamte historische und moralische Wissen der Welt wird, so der hier formulierte Anspruch, nicht nur auf der Ebene des Dialogs vermittelt, sondern auch auf der Ebene der thematisch unterschiedlich gewichteten Kapitel des Ergänzungsbandes.280 278 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 2 (unpag.). 279 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 2 (unpag.). 280 Fassmann bediente sich an dieser Stelle zwar tatsächlich ‚aufklärerisch‘ anmutender Konzepte, seine Art der Wissensvermittlung zielte jedoch, im Unterschied zu wenig später entwickelten Auffassungen bei Kant oder Rousseau, nicht ab auf die kritische Urteilskraft seiner Leserschaft ab, sondern darauf, bestimmte vorformulierte (gleichsam vorgedachte) Meinungen und Urteile zu vermitteln. Die Lebensläufe der im Journal und im Ergänzungsband präsentierten Figuren sollten eben nicht die Fähigkeit zur praktischen Urteilskraft stärken, sondern vom Autor ausgewählte ‚Wahrheiten‘ und historische Lehren anhand praktischer und vor allem

Der Paratext des Journals

277

Im Unterschied zu den Entrevuen, die ihr Bildungsprogramm vor dem Leser gleichsam en parlant ausbreiteten, funktionierte der Ergänzungsband als eine Art enzyklopädisches Gegenmodell. Er bot Fassmann durch seine Anlage und Ordnung die Möglichkeit, Material darzubieten, das in den Totengesprächen keinen Platz gefunden hatte. Die Leser wiederum konnten sich mit Hilfe des Supplement-Teiles eingehender mit der Geschichte besonders (im geographischen wie im zeitlichen Sinn) exotisch-ferner Länder auseinandersetzen. Während die Totengespräche also sowohl literarischen als auch medialen Traditionen folgten, konnte Fassmann mit dem Supplement-Teil eine Verbindung schaffen zu den immer populärer werdenden zeitgenössischen Enzyklopädien und systematisch geordneten Fach-Lexika, von deren gelehrter Ausstrahlung er mittels dieses Bandes zu profitieren suchte.

4.2.4.2 Die Summarien Im Vorbericht zum letzten Band seiner Reihe nannte Fassmann verschiedene Gründe, die ihn dazu bewegt hätten, über den Supplement-Teil hinaus auch kompendiöse Zusammenfassungen zu allen Totengesprächen erscheinen zu lassen. Ein wichtiger Aspekt bestand laut des Vorberichts im leserorientierten Charakter des letzten Bandes. Durch die Summarien bleibe es dem Leser erspart, noch einmal all jene Gespräche eigens aufsuchen zu müssen, die thematisch zu den im Supplement abgehandelten Ländern und deren Bewohnern paßten. Als Kurzfassung der Totengespräche konnten die Summarien dazu dienen, dem interessierten Leser die Zusammenhänge zwischen der Historie eines Landes, dem Lebenslauf einer bestimmten Figur und deren Taten in Erinnerung zu rufen. Fassmann beschreibt die Beziehung zwischen den Summarien und den Totengesprächen wie folgt: [D]ie Summarien stehen mit denen Entrevüen in einer gleichen Zahl und Ordnung. Sie enthalten die Begebenheiten, oder Geschichte, derer aufgeführten Personen kürtzlich in sich, und sind gleichsam der Kern zu nennen; wobey man die Chronologie, oder Zeit=Rechnung, wann dieses oder jenes geschehen, meistentheils bemercket, auch die Discurse berühret hat, welche sonst noch denen Personen in den Mund geleget worden, so in denen Entrevüen erscheinen.281

nachvollziehbarer Beispiele exemplifizieren. Erkenntnis wurde diesem Konzept nach im Leser vor allem dadurch erreicht, daß er dem Urteil des Autors folgte – nicht etwa dadurch, daß er sich sein eigenes bildete. 281 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 3 (unpag.).

278

Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

Tatsächlich faßten die Summarien auf durchschnittlich ca. 4 Seiten im Quartformat nicht nur den Inhalt der Totengespräche zusammen, sondern imitierten auch deren dreiteilige Struktur (vgl. 5 Die Totengespräche): Der Anfang bestand auch in den Summarien aus einer Einführung der jeweiligen Gesprächspartner sowie aus einem kurzem Überblick über das Thema des Eingangsdialogs. Der sich daran anschließende Mittelteil ahmte in Form und Gliederung die aufeinander folgenden Lebensläufe der Dialoge nach. Fassmann gab in den Summarien auch die Seitenzahlen an, auf denen die Vita einer Figur im Journal zu finden war.282 Seine biographischen Überblicke ordnete Fassmann chronologisch. Der Lebenslauf Henry VIII. (Summarie zur Entrevue Nr. 9) beispielsweise erhielt durch die Nennung der jeweiligen neu angetrauten Ehefrau des englischen Königs eine besondere Binnenstruktur.283 In einer langen, syntaktisch gleich geordneten Reihung gibt Fassmann sowohl bei Henry als auch bei seinem orientalischen Gegenüber, Süleyman dem Prächtigen, einen Überblick über die wichtigsten Lebensstationen.284 Vorfahren, Geburt, Erziehung, Aussehen, Charakter, Taten, Ehestand, Nachkommen und Sterben sind auch in den Summarien die topoi, die Aufschluß geben sollen über den Charakter und die Lebensführung der Figuren. Die Gesichtspunkte, die für die Auswahl der Gesprächspartner im Journal bestimmend waren, wurden auch in den Summarien deutlich gemacht. Fassmann betont an Henry und Süleyman v. a. deren komplementäre Handlungsweisen und Charaktereigenschaften. Während der englische König beispielsweise zu Verschwendung und Ausschweifungen geneigt habe, zu „grosse[r] Gemüths=Unbeständigkeit [...] und [..] Debauchen“ 285, zeichnete sich der türkische Sultan der Beschreibung nach durch das genaue Gegen-

282 Da die einzeln erschienenen Entrevuen und die in den 15 Bänden gesammelt publizierten die gleichen fortlaufenden Numerierungen aufwiesen, konnte Fassmann überhaupt nur an dieser Stelle die Seitenzahlen angeben. 283 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, II. Teil, Summarie zur Entrevue Nr. 9, S. 30–34. 284 Die Aufzählungen wirkten durch die sich wiederholenden Elemente verhältnismäßig gleichförmig und hatten ersichtlich nicht den Zweck, den Leser über die sachliche Ebene hinaus auch stilistisch zu erfreuen. Über eine halbe Seite lang bediente sich Fassmann derselben Konstruktion, um die im Gespräch aufeinanderfolgenden biographischen Stationen kursorisch abzuhandeln: „Von Pag. 644 biß 700 findet sich die remarquable Historie obgedachten König Henrici in Engeland, und darinnen unter andern: [...] Daß er, nach dem Absterben seines Vaters, in seinem 17den Lebensjahr zur Regierung gelanget [...]; Daß er eine starcke Leibes=Constitution [...] gehabt; [...] daß er obgedachten, von seinem Vater ihme hinterlassenen Schatz, binnen einer Zeit von 3 Jahren, völlig despensiret und verprasset.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, II. Teil, Summarie zur Entrevue Nr. 9, S. 30 f. 285 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, II. Teil, Summarie zur Entrevue Nr. 9, S. 30 f.

Der Paratext des Journals

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teil aus, nämlich durch seine Treue, Tapferkeit und Maßhaltung, eben als ein „Feind aller Débauchen“ 286 und somit als der wahre honnête homme.287 Deutlich markiert werden die einzelnen Stationen im Leben der beiden Gesprächspartner im Text abgehandelt und dem Leser in komprimierter Form präsentiert. Den Schluß bildete wie in den Entrevuen ein Überblick über die aktuellen Nachrichten, die den Verstorbenen im Gespräch von der Secretarius-Figur präsentiert wurden. Der Inhalt der Nachrichten wurde im Summarien-Text explizit erwähnt, die über sie gemachten Reflexionen aus dem Journal aus Platzgründen jedoch nicht. Am Ende aller 240 Summarien gab Fassmann diejenigen Quellen an, deren er sich bei der Erstellung der jeweiligen Entrevuen bedient hatte. Indem er dies tat, nahm er rückwirkend Bezug auf die Angriffe einiger Kritiker, die, so ein Hinweis aus den Vorreden zu den Gesprächen, ein Fehlen dieser Angaben im Journal selbst negativ beurteilt hatten.288 Zu den Quellenangaben merkt er an: Was hingegen bey einem jedweden Summario, wegen derer Autorum und Quellen erinnert ist, aus welchen die Entrevüen gezogen worden, oder hergeflossen sind, so wird sich der

286 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, II. Teil, Summarie zur Entrevue Nr. 9, S. 33. 287 Debauchen meinten zeitgenössischen Definitionen nach vor allem auschweifende Verhaltensweisen. Zedlers Universal-Lexicon definiert den Begriff wie folgt: „Unmäßigkeit, vornemlich in Essen und Trincken, unordentliches Leben. Daher kömt debauche machen, welches so viel heist als debauchiren, ein unmäßiges und liederliches Leben führen.“ Zedler, UniversalLexicon, „Debauche“, Bd. 7, Halle 1734, Sp. 293. Im Galanterie-Diskurs der Zeit befand sich der Débauché am weitesten entfernt vom Ideal des ‚honnête homme‘. Vgl. dazu besonders Emanuel Peter: Galanterie als Modernisierungskonzept in den frühen Schriften Fontenelles, in: Der galante Diskurs, S. 166. In diesem Sinne zeichnet Fassmann den englischen König Henry VIII. als einen besonders verurteilenswerten Wüstling, der sich im Vergleich mit dem ‚exotischen‘ orientalischen Sultan geschlagen geben muß, was seine conduite angeht. 288 Zu diesem Thema heißt es in der Vorrede zum X. Band: „Wegen derjenigen, welche so gar sehr schreyen, und verlangen, daß ich doch meine Autores anführen möchte, aus welchen ich dieses oder jenes genommen hätte, kömmen mir fast die Gedancken in den Kopff, daß sie mit gleicher Arbeit schwanger gehen müssen. Zum wenigsten habe ich solches einmal an einem gewissen Mann erfahren, der öffters mit mir über meine Gespräche discurirte, und allemal sagte, es wäre Schade, daß ich die Autores, die mir zum Grund und zur Quelle dienten, nicht mit benennete und anführete. [...] Endlich, wann es Zeit ist, werde ich auch nicht ermangeln, mit einer Specification aller Autorum aufzuwarten, derer ich mich bey meiner Arbeit bedienet, damit die, so es thun wollen, weiter darinnen nachschlagen und nachlesen können.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Leipzig 1732, Vorrede, S. 15 f. In einem weiteren Periodikum Fassmanns, den Sonderbaren Nationen=Gesprächen, lieferte Fassmann – wahrscheinlich als Reaktion auf die oben genannte Kritik Dritter – die Angaben zu den im Journal verwendeten Quellen gleich an Ort und Stelle mit. Vgl. dazu auch Matthes, Das veränderte Rußland, S. 193.

280

Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

Geneigte Leser um desto mehr gefallen lassen, daß man sie nur mit Namen genennet, nicht aber in die Stellen selber hineingewiesen hat, weil man sich bey Rechtfertigung derer Summarien aller Kürtze befleißigen müssen, auch bey denen Entrevüen sich ein anderer Autorum Worte am wenigsten bedienen können; massen anderergestalt die Historie vielmahls allzulang, und der Vortrag gar unangenehm geworden wäre.289

Fassmann gibt an dieser Stelle sowohl Auskunft darüber, wie er bei der Angabe der Autoren vorging („nur mit Namen genennet“ und „in aller Kürtze“), als auch darüber, in welchem Ausmaß er die rezipierten Quellen in sein Journal einarbeitete. Seiner Darstellung nach hat er die Vorbilder hauptsächlich inhaltlich, nicht jedoch wörtlich zitiert. Dieser Lesart widersprechen allerdings der schiere Umfang seiner zahlreichen parallel publizierten Periodika und der damit verbundene Zwang, die passenden Informationen für den jeweiligen Zweck auf kompilierende Weise zu gewinnen. Durch diese zeitsparende Arbeitstechnik wurden die Lebensläufe vieler Figuren der Gespräche im Vergleich zu ihren Vorbildern in nur wenig veränderter Form wieder aufbereitet.290 Trotz seiner stellenweise lückenhaften Angaben offenbart allein die Tatsache, daß Fassmann seine Quellen für den Leser erschließbar macht, daß sein Rezipientenkreis über die fiktionale Gesprächsebene des Journals hinaus ein Interesse entwickeln sollte für die Herkunft und Qualität der dort präsentierten Informationen. Im Zuge der sich ausdifferenzierenden wissenschaftlichen Einzeldisziplinen konnte so auch ein durchaus auf Unterhaltung angelegtes historisch-politisches Journal wie die Gespräche den (theoretischen) Anspruch formulieren, nachprüfbare Informationen zu liefern. Das im Journal ausgebreitete Bildungsprogramm erhielt so einen überzeugenderen und glaubwürdigeren Charakter. Zeitgenössische Debatten zur Rolle des umsichtigen Historiographen, der seine Quellen zu offenbaren hatte, zeigen, daß Fassmann sich mit seinen Zielen und seiner Vorgehensweise innerhalb dieses ‚wissenschaftlichen‘ Diskursraumes positionierte.291 Dem interessierten Leser sollte es durch die 289 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 3 (unpag.). 290 Exemplarisch wurde dies bereits an Fassmanns Umgang mit Plutarchs Parallelbiographien deutlich, die er immer wieder als Quelle in den Summarien angab (vgl. 3.2.4 Plutarchs Alexander-Biographie). Fassmanns Instinkt für die Vorlieben und Bedürfnisse seiner Leserschaft sorgte dafür, daß er einerseits versuchte, den historischen Gehalt der Lebensläufe zu emotionalisieren, und andererseits, daß er komplexe Wendungen und spezifische Fachtermini in eine sprachliche Form brachte, von der er glaubte, daß sie von seinen Leserinnen und Lesern verstanden und geschätzt würde. 291 Zum Geschichtsbegriff Fassmanns vgl. 4.1.1 Die historisch-politische Unterweisung; zur Konzeption von Geschichtsschreibung und zum Wissenschaftsbegriff in der Frühaufklärung vgl. grundlegend Ulrich Muhlack: Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung, München 1991.

Der Paratext des Journals

281

Quellenangaben ermöglicht werden, eine kritische Auseinandersetzung mit den Nachrichten und Informationen des Journals, dessen Vorbildern und Konkurrenten zu führen.292 Der Artikel „Historie“ in Zedlers Universal-Lexicon spiegelt die zeitgenössische Haltung zu diesem Thema wider und erklärt zur Rolle des Historiographen: Gründen sich seine Erzählungen auf vorhergehende Scribenten, so muß er dieselbe so wohl getreulich anzeigen, damit denen Lesern ein freyes Urtheil verbleibe, als auch seine Vorgänger mit eben derjenigen Schärfe beurtheilen, mit welcher die Leser hernachmahls seine Nachrichten zu untersuchen haben.293

Die Ausdrücke „getreulich“ und „freyes Urtheil“ markierten den kontextuellen Rahmen, innerhalb dessen die hier formulierte Auffassung von Integrität und Verläßlichkeit des Geschichtsschreibers funktionieren sollte. Bemerkenswert ist die doppelte historische Perspektive, die an dieser Stelle eröffnet wird: Zum einen sollte historisch Vergangenes auf redliche Weise präsentiert werden, zum anderen wird die Präsentation selbst Teil der Geschichtsschreibung. „Hernachmahls“, so die Erkenntnis (und Warnung) des Artikels, würden auch die Aussagen des Historiographen zum Gegenstand kritischer Beobachtung.294 Die bereits erwähnte Summarie zum Totengespräch zwischen Henry VIII. und Süleyman kann exemplarisch zeigen, welche Quellen Fassmann zu den Biographien der beiden Herrscher verwendete und auf welche Art er diese angab. Der entsprechende Abschnitt der Summarien nennt für den Lebenslauf Henrys die

292 Darüber hinaus bestimmte offenbar auch der unterschiedliche Bildungsstand seiner Rezipienten Fassmanns Vorgehensweise. Als seine Totengespräche von einem „hochtrabenden Schul=Monarchen“ wegen fehlender Quellenangaben getadelt wurden, habe sie ein „Freund“ verteidigt: „Der Autor [also Fassmann – SD] schreibet vor Gelehrte und Ungelehrte. Diese Letztern bekümmern sich nicht um die Anführungen derer Autorum, und jenen, nemlich denen Gelehrten, welche die Schul= und Universitäten=Jahre zurücke geleget, müssen sie ohne diß schon bekannt seyn. Will nun ein Gelehrter wissen, ob der Autor derer Todten=Gespräche die Wahrheit schreibet oder nicht, so darff er nur die besten Autores, so über die eine oder die andere Materie geschrieben, nachschlagen, und alsdann urtheilen, wie weit die Todten=Gespräche damit überein kommen oder nicht.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Vorrede, Bd. X, Leipzig 1732, S. 13. 293 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 284. 294 Die Wortwahl der Passage zeigt, wie ernst der Anspruch an die Glaubwürdigkeit des Historiographen genommen wurde: Wie bei einem rechtlich bindenden Schwur („getreulich“) sollte sich der Geschichtsschreiber mit seiner Arbeit dem unabhängigen („frey“) und kritischen Urteil seiner Rezipienten und Nachfolger stellen, die „[seine Nachrichten] mit [...] Schärfe beurtheilen“. In diesem Zusammenhang werden Fassmanns Versuche, mit Hilfe der paratextuellen Elemente des Journals seine Leser in eine bestimmte, ihm wohlgesonnene Richtung zu lenken, noch schlüssiger.

282

Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

Quellen „Larrey Histoire d’Angleterre“ und „Herbert de Cherbury Vit. Henrici VIII“. Die biographischen Informationen zu Süleyman lieferten „Paul. Jovius in Solim“ und „Thomas Artus Contin. Chalcondil.“ Die aus Platzgründen, wie Fassmann im oben angeführten Zitat erklärt, vergleichsweise knapp gehaltenen bibliographischen Angaben bezogen sich auf:295 a.) Isaac de Larrey: Histoire | d’Angleterre, d’Ecosse, | et d’Irlande; | avec un abrégé des évenements les | plus remarquables arrivez | dans les autres etats; | [...] 4 Bände, Rotterdam: Leers 1697–1713. Band 1: Qui comprend les règnes de Henri VII., | Henri VIII., Édouard VI, Jeanne Gray, & Marie, | [...] Rotterdam 1697.296 b.) Herbert of Cherbury: The | Life | And | Raigne | Of | King Henry | The Eighth. | [Linie] Written | By the Right Honourable | Edward | Lord Herbert of Cherbury, London 1649.297 c.) Paolo Giovio: H. Pavli Iovi | Von der Türckischen Keyse= | ren hærkommen / aufgang / vnnd Regiment mit sampt allen | Historien [...] so sich von jrem ersten Keyser | Ottomanno / biß auff den letsten Solyman [...] | zugetragen. | Demnach von der statt Rom letsten eroberung / durch | Keysers Caroli deß Fünfften kriegsvolck [...] | Anno 1527. | beschehen. | Vnd zu letst von der Moscouiteren art vnd eigenschafft / | [...] Alles zu erst in Latein auff das kürtzeste fleyssig be= | schrieben: Jetzmalen [...] erstlich durch D. Heinrich Panta= | leon auff das treüwlichest verteütschet / vnd in den | truck verfertiget, Basel 1564. d.) Thomas Artus: Histoire | générale | des Turcs, | contenant l’Histoire | de Chalcondyle, | Tradvite Par Blaise De Vigenaire, | Auec les illustrations du mesme Autheur. | [...] De Plvs, | L’Histoire Dv Serail Par Le Sievr Bavdier. | Les Figvres Et Descriptions Des Principavx Officiers | Et autres Personnes de l’Empire, par Nicolai. | Les Tableavx Prophetiqves Svr La Rvine Dv Mesme Empire | Et La Tradvction Des Annales Des Tvrcs, Piece Tres | necessaire pour l’intelligence de tout le corps de cette Histoire, mise du Latin | en François, par l’edit De Mezeray. | 2 Βde., Paris 1662.

Der Leser, der an den Informationsquellen der Totengespräche interessiert war, konnte nach den Angaben in den Summarien die entsprechenden Autoren aufsuchen und, soweit er der jeweiligen Sprache mächtig war, Fassmanns Vorgehensweise gemäß der Forderung in Zedlers Universal-Lexicon kritisch am Original überprüfen. Einige Aspekte, auf die Fassmann in den Quellen für seine

295 Da sich im Einzelfall nicht immer entscheiden ließ, welche Ausgabe Fassmann für sein Journal verwendete, habe ich im Folgenden den frühesten ermittelbaren Druck mitsamt Druckort und Verleger und, soweit vorhanden, Nachdrucke sowie Online-Ressourcen angegeben. 296 Die vier Bände sind online abrufbar bei ECCO (Eighteenth Century Collection Online). Der Autor, Isaac de Larrey (1638–1719), war französischer Jurist und zeitweilig als Legationsrat am preußischen Hof tätig. Er mag Fassmann durch diese Tätigkeit bekannt geworden sein. 297 Die Biographie Henrys kann in mehreren Ausgaben auch als Online-Ressource bei EEBO (Early English Books Online) eingesehen werden.

Der Paratext des Journals

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Gespräche stieß, kehrten in nur wenig veränderter Form im Journal wieder. So bot beispielsweise die oben angeführte, von Thomas Artus unternommene Fortsetzung von Chalcondyles’ Histoire générale des Turcs auch einen Überblick über die Geschichte des Serails.298 Auf dem Titelblatt zum Dialog zwischen Henry VIII. und Süleyman wurde eben diese als ein skandalöser und exotisch-anziehend wirkender Bestandteil der sich anschließenden Entrevue präsentiert („Worinnen [...] / Ingleichen / Eine genaue Erzehlung von dem Türckischen Frauenzimmer / in dem Seraglio enthalten“ 299). Fassmann nannte in den Summarien zwar meist mindestens zwei Quellen, in einigen Fällen waren seine Angaben jedoch nicht vollständig: Beispielsweise unterschlug er in der Summarie Fontenelles Dialog, der in der Entrevue Nr. 65 Pate stand für das Eingangsgespräch zwischen Phryne und Alexander (vgl. 3.3.4.1 Fontenelles I. Dialog: Alexander und Phryne). Die Summarie schweigt sich über die Herkunft des galant-witzigen Eingangsdialogs aus. Fassmann vermochte mit seiner fast wörtlichen Übertragung des Fontenelleschen Dialogs dessen in Frankreich erprobte Popularität für sein Journal auszunutzen: Als gewagter Einstieg in die Historie Alexanders des Großen trug die stillschweigende Übernahme des französischen Vorbildes in den Augen Fassmanns offenbar zum unterhaltsamen Charakter der Entrevue bei. Matthes bemerkt zu Fassmanns Praxis, die von ihm verwendeten Quellen anzugeben, grundsätzlich: Diese Quellenhinweise Fassmanns sind teilweise unpräzise, geben aber einen ungefähren Einblick in die von ihm benutzten Zeitschriften und Einzeluntersuchungen.300

Wie bereits an den Vorreden deutlich wurde, offenbarte Fassmann auch in den Summarien, daß er sich unterschiedlicher Autoren und Medien bediente, um

298 Die Geschichte des Serails wurde von Michel Baudier (1589–1645) verfaßt, einem französischen Historiker, der während seiner Tätigkeit als Hofhistoriograph unter Louis XIII. u. a. eine Geschichte Chinas und des Osmanischen Reiches publizierte. Darüber hinaus brachte er die Geschichte des Kardinal Ximenes heraus, der als Figur sowohl in Fénelons (XVII. Dialogue) als auch in Fassmanns Totengesprächen erschien (Entrevue Nr. 62). Der Originaltitel des Baudierschen Werkes lautet: Histoire généralle du serrail, et de la cour du Grand Seigneur, Empereur des Turcs, Paris 1624. Der Text ist auch in einer von Edward Grimestone vorgenommenen englischen Übersetzung (The history of the serrail, and of the court of the Grand Seigneur, Emperour of the Turkes [...], London: printed by William Stansby, 1635) erschienen und online abrufbar bei EEBO (Early English Books Online). 299 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 9, Leipzig 1720, Titelblatt. Eine Beschreibung der „Frauenzimmer in dem Seraglio“ gibt Süleyman auf den Seiten 718–722 des Gesprächs. 300 Matthes, Das veränderte Rußland, S. 202.

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Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

Material für die Historien und Anekdoten seiner Gespräche zu finden. Seine Quellen bestanden sowohl aus zeitgenössischen und älteren historischen Abhandlungen zu einzelnen Ländern und Monarchen als auch aus antiken Lebensbeschreibungen, verschiedenen, häufig im Ausland erschienenen Journalen, Fest- und Leichenreden und schließlich aus persönlich geführten Gesprächen mit verschiedenen Diplomaten, Würdenträgern, Hofleuten etc., die laut seiner Aussage nicht in schriftlicher Form überliefert wurden.301 An den Angaben in den Summarien ist ablesbar, welche Werke Fassmann mehrmals zu Rate zog, um passendes Material sowohl für die Biographien seiner Figuren als auch für die verschiedenen Gesprächsthemen in seinen Totengesprächen zu finden. Besonders bei den ‚exotischen‘ Lebensläufen bediente er sich immer wieder derselben Quellen, doch auch für die europäischen Potentaten, Kleriker und Mätressen griff er wiederholt auf bestimmte Titel zurück. Sei es, daß er einige Quellen als besonders nützlich und zuverlässig empfand, sei es, daß diese in Ermangelung von Alternativen für ihn am einfachsten erreichbar waren, ein Überblick über die von Fassmann verwendeten Werke zeigt, daß er gewisse Vorlieben entwickelte. Für die Männer der griechischen und römischen Antike waren beispielsweise Plutarchs Lebensbeschreibungen eine seiner wichtigsten Quellen, für die Lebensläufe antiker Frauen griff er dagegen vor allem auf zeitgenössische Werke, wie z. B. auf Les Femmes des douze Cesars302 des französischen Historikers Jaques Roergas de Serviez, zurück. Überhaupt wählte Fassmann überdurchschnittlich häufig Werke französischer Autoren bzw. französische Übersetzungen lateinischer Werke. Neben zahlreichen Monographien stellten die in französischer Sprache erscheinenden Journale eine vergleichsweise große Gruppe unter den zu Rate gezogenen Quellen:

301 Fassmann wies an mehreren Stellen auf seine Erfahrung mit bedeutenden Politikern und Monarchen hin, die ihm wichtige Informationen gleichsam hinter vorgehaltener Hand zukommen ließen. In der Summarie zur Entrevue Nr. 129 bermerkt er zu den Informationen, die er für die kürzlich verstorbene Katharina I. herangezogen habe: „Die Historie der Rußischen Kayserin bestehet aus solchen Nachrichten, die man theils aus allen Frantzösischen und Teutschen Journalen unserer Zeit heraus gezogen; theils aber der Author, durch Conversation mit berühmten und vornehmen Personen, erlanget“. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Teil, Summarie zur Entrevue Nr. 129, Leipzig 1740, S. 433. 302 Jaques Roergas de Serviez: Les Femmes Des Douze Césars, contenant la vie et les intrigues secretes des Impératrices & Femmes des premiers Empéreurs Romains; Ou l’on voit les traits les plus intéressants de l’Histoire Romaine; Tirée des Anciens Auteurs Grecs & Latins, avec des Notes historiques & critiques, Paris 1718. Die englische Übersetzung, die 1723 erstmals erschien, ist bei ECCO seit 2004 als Online-Version einsehbar unter dem Titel: The lives and amours of the empresses: consorts to the first twelve Cæsars of Rome [...]. Taken from the ancient Greek and Latin authors. With historical and explanatory notes, by Monsieur de Serviez. London 1723.

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Fassmann nennt hier neben den nicht weiter spezifizierten „Frantzösischen [...] Journalen unserer Zeit“ 303 vor allem „la Clef du Cabinet des Princes de l’Europe“ 304 und „le Mercure Historique & Politique“ 305, die er eigenen Angaben nach beispielsweise für die biographischen Informationen zum türkischen Groß-Wesir Ibrahim Pascha verwendete. Die zeitgenössische französische Literatur zur Geschichte Englands, Ungarns oder Frankreichs selbst stellte einen großen Anteil unter Fassmanns Quellen. Dies mag um so weniger überraschen, als Fassmann sich sowohl konzeptuell als auch inhaltlich an den Totengesprächen und historisch-politischen Journalen seiner Nachbarn orientierte.306 Der Vorreiterrolle, die Frankreich im Hinblick auf die volkssprachliche, politische und mediale Entwicklung im 18. Jahrhundert inne hatte, trug Fassmann in den Summarien explizit Rechnung.307 So wurde der ‚Vorsprung‘, den beispielsweise die französischen Übersetzer antiker und historisch-biographisch ausgerichteter Quellen gegenüber den deutschen hatten, noch einmal betont. Nicht nur, daß Fassmann die Quellen des Nachbarlandes zu einzelnen Themen und Figuren der Zeitgeschichte offenbar mehr zusagten, sondern auch die Tatsache, daß Vergleichbares in Deutschland zu dieser Zeit überhaupt nicht oder nur sehr vereinzelt existierte, führte dazu, daß er häufig aus französischen Quellen schöpfte (bzw. schöpfen mußte).308 Sowohl durch seine Reise- und Diploma303 Vgl. Anmerkung 738 zum Lebenslauf Katharinas I. 304 Der vollständige Titel des in Luxemburg erschienenen Journals lautete: La Clef du cabinet des princes de l’Europe ou recueil historique et politique sur les matières du temps: contenant aussi quelques nouvelles de littérature & autres remarques curieuses, Luxembourg 1704–1773. 305 Mercure historique et politique: contenant l’état présent de l’Europe, ce qui se passe dans toutes les Cours, l’interêt des Princes, leurs brigues, & generalement tout ce qu’il y a de curieux [...], Parme [La Haye] 1686–1782. 306 Zur Entwicklung der Journalliteratur in Frankreich vgl. u. a. Jean Sgard: Journale und Journalisten im Zeitalter der Aufklärung, in: Sozialgeschichte der Aufklärung, hg. v. Hans Ulrich Gumbrecht u. a., Teil II: Medien. Wirkungen, Wien 1981, S. 3–34. 307 Zum Vergleich Frankreichs und Deutschlands im Hinblick besonders auf politische, nationalstaatliche und mediale Aspekte vgl. Wolfgang Hardtwig: Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland (1500–1914). Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1994. 308 Beispiele für wiederholt zitierte französische Autoren und Werke sind die Historia sui temporis Jacques-Auguste de Thous, die Histoire de France François Eudes de Mazerays und die bereits oben erwähnte Histoire générale de la religion des Turcs Michel Baudiers. Fassmann hatte unter Umständen eine frühe deutsche Übersetzung der zwischen 1604 und 1607 erschienenen Historia de Thous zur Verfügung: Jacobi Augusti Thuani, Historische Beschreibung deren Namhafftigsten, Geistlichen und Weltlichen Geschichten, so sich beydes in- und ausser dem Römischen Reich [...] nun über die 100 Jahr hero, denckwürdig zugetragen [...], 2 Bände, Frankfur 1621–22; François Eudes de Mazeray: Histoire de France, depuis Faramond jusqu’au règne de Louis le juste, 3 Bde., Paris 1643–1651. Neben dieser Ausgabe war eine populäre Zusammenfassung weit verbreitet: Abrégé chronologique ou Extrait de l’histoire de France, Paris 1608, 3 Bde. Häufig zitierte Fassmann auch die Mémoires Philippe de Commynes’ zur französi-

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tentätigkeit als auch durch seine Fremdsprachenkenntnisse war Fassmann dazu prädestiniert, die von ihm zu Rate gezogenen divergenten Quellen und Medien wie Journale, historische Nachschlagewerke, Biographien und Reisebeschreibungen in sein Periodikum zu integrieren: Einzelstudien könnten hier den Versuch unternehmen, diesen für die mediale Entwicklung im 18. Jahrhundert typischen Prozeß am Beispiel von Fassmanns thematisch weit gefaßtem und durch seine Arbeitsweise durchaus innovativem Periodikum nachzuvollziehen und sichtbar zu machen. Denn obwohl Fassmann sich Informationen besonders der englisch- und französischsprachigen Nachbarn zu eigen machte und in seinen eigenen Publikationen verwendete, mußte er diese zwangsläufig transformieren. Während beispielsweise französische Quellen ein historisches Ereignis, eine kriegerische Auseinandersetzung oder die politischen Entscheidungen eines Monarchen auf eine Art darstellten, so konnte der deutsche Publizist Fassmann diese Darstellungsweise nicht einfach unverändert übernehmen. Für den Autor galt es, die von ihm gesammelten Informationen zu filtern, dem Geschmack und der politischen Meinung seines Leserkreises anzupassen sowie den Auflagen der heimischen Zensur Genüge zu tun.309 Über diesen eher allgemeinen kulturellen Kontext hinaus galt es für Fassmann, unterschiedliche Positionen innerhalb seines Rezipientenkreises gegeneinander abzuwägen. Hinweise auf Spannungen gab es an verschiedenen Stellen in den Vorreden (wenn Fassmann sich, wie bereits erwähnt, beispielsweise dagegen verwahrte, den Katholiken durch seine Papstkritik einen tort getan zu haben). Über den faktischen Gehalt der Informationen hinaus mußte Fassmann sein Material in ein protestantisch-pietistisch geprägtes, frühaufklärerisches Weltbild integrieren. Zu den vor allem durch konfessionelle Unterschiede verursachten gegensätzlichen Meinungen innerhalb seines Leserkreises nahm Fassmann in der Vorrede zu einem Totengespräch Stellung, das er außerhalb der regulären Reihe veröffentlichte. Dort heißt es: Finden nun die Herren Römisch=Catholischen, daß ich etwa nicht, in allen Stücken, ihren Gedancken beypflichte, so bitte ich sie ganz höflich, zu bedencken, daß ich ein Lutheraner bin. Wollen mir aber einige von meinen Glaubens=Genossen vorwerffen, als ob ich mich nicht eyfrig und passionirt genug, wider die Herren Römisch=Catholischen erwiesen hätte, so thue ich ihnen hiermit gantz freundlich zu wissen, wie ich festiglich glaube und davor halte, daß alles Lästern, Schmähen und Schänden, eine, denen Christen gantz unerlaubte

schen Geschichte: Philippe de Commynes: Les memoires de messire Philippe de Commines, chevalier, seigneur d’Argenton, sur les principaux faicts et geste de Louis onzieme et de Charles huictieme, son fils, roys de France, Paris 1552. Die Mémoires erschienen zuletzt 2007 als Neuedition, herausgegeben von Jöel Blanchard. 309 Siehe dazu das Zitat Fassmanns in diesem Kapitel, Anmerkung 636.

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Sache seye, und daß man auch seinen Widersacher glimpfflich tractiren, mithin seine Raisons, und alles, was er vorbringen will, mit Bescheidenheit anhören, und mit Moderation beantworten müsse.310

Ganz der protestantischen, frühaufklärerisch geprägten Lehre gemäß stehe es einem wahren Christen (eben auch dem Katholiken) schlecht an, wenn er seine Widersacher mit unerlaubten Mitteln angreife und ihre „Raisons“ pauschal verurteile. Die Form, in der Fassmann unterschiedliche Positionen in seinem Journal darstellte, begünstigte den Prozeß des hier geforderten moderaten Abwägens: Durch die Möglichkeit, zwei Gesprächspositionen in gleichsam dialektischer Form einander gegenüberzustellen, konnte er die Aussagen einer Figur durch ihren jeweiligen Dialogpartner kritisch hinterfragen, kommentieren, entkräften oder dem klassisch aristotelischen Schema gemäß in eine abschließende Synthese überführen lassen (vgl. 5.1 Die Dialogform). Während Fassmann also bereits durch die Auswahl seiner Figuren und deren jeweilige Gesprächshaltung kontroverse Positionen exemplarisch vorführen konnte, hatte die Wahl bestimmter Quellen als Grundlage für die in einer Entrevue präsentierten Informationen einen mindestens ebenso großen Einfluß auf den Verlauf eines Gesprächs. Matthes beurteilt Fassmanns Vorgehensweise bei der Kompilation und Präsentation von Informationen wie folgt: Für Fassmann war nicht die Tatsache interessant, daß er – und teilweise sogar ganze Passagen aus irgendeinem Werk abschrieb. Ihm war wesentlicher, was er übernahm. So bekommt [...] jede Schilderung, die er auch unkommentiert gibt, ihre Bedeutung in dem bewußten Willen, durch dargereichte Fakten Meinung zu bilden und die Beobachtung der Leser in eine bestimmte Richtung zu lenken und zu schärfen.311

Fassmann gelang es mittels seiner Arbeitsweise, die historischen und politischen Informationen, die er den zahlreichen disparaten Quellen entnahm, in einer Form aufzubereiten, die dem Geschmack seiner Leser entsprach, diesen darüber hinaus jedoch zusammen mit dessen Urteilsvermögen weiter formte. Die Summarien im zweiten Teil des XVI. Bandes zeigten (zumindest ausschnittsweise) die große Anzahl und unterschiedliche Herkunft der von ihm aufgesuchten Quellen; über seine Vorgehensweise bei deren Auswertung und Integration in sein Journal erfuhr der ‚geneigte Leser‘ beim Studium dieses Abschnittes jedoch naturgemäß nichts. Dennoch boten die Angaben in den Sum-

310 Fassmann, Extraordinäres Totengespräch in dem Reiche derer Todten [...] zwischen dem Thornischen Ober=Praesidenten Roessner [...] und Dem Stamm=Vater, auch Stiffter des Jesuiter Ordens, Ignatio Loyola, [o. O.] 1725, Vorrede, S. 3 (unpag.). 311 Matthes, Das veränderte Rußland, S. 202.

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marien die Möglichkeit, die Vorgehensweise des Journalisten und Publizisten Fassmann ansatzweise nachzuvollziehen und die im Journal vorgebrachten Meinungen und Fakten auf ihre Herkunft hin zu prüfen. Über den Summarienteil hinaus thematisierte Fassmann die Auswahl und Qualität seiner Quellen stellenweise auch in einzelnen Totengesprächen. In der zweiten Begegnung Attilas mit Tamerlan (Entrevue Nr. 55) bemerkt ersterer im Hinblick auf die Quellen zum Leben des zweiten: Ist euch wohl bekannt, sprach Attila, als er und Tamerlan, der letzthin genommenen Abrede gemäß, wieder zusammen kamen, daß Bücher verhanden sind, welche von eurem Herkommen, Leben und Thaten handeln, darinne aber behauptet werden will, daß ihr ein gebohrner Tartarischer Printz gewesen wäret? Hierauf antwortete Tamerlan: Ich weiß es gar wohl, mein Freund Attila! Allein dieselben Bücher sind von Mahometanern geschrieben, die mir gewogen gewesen. Gleichwie ihnen nun eine so gar geringe Gebuhrt, in Ansehung derjenigen Majestät und Hoheit, zu der ich gelanget, etwas schimpffliches zu seyn geschienen: also haben sie sich beflissen solche zu unterdrucken, und mir einen höhern Vater, als einen Schäfer, zu geben [...] Die Partheylichkeit solcher Autorum, die mich zu einem gebohrnen Printzen gemachet, erhellet auch daraus, wann sie vorgeben, ich seye ein geschwohrner Feind derer Christen gewesen, und hätte sie auf keine Weise in meinen Diensten erleiden können.312

Timur Lenk bzw. Tamerlan kritisiert an dieser Stelle die Haltung seiner eigenen Biographen. Fassmann zeigt hier exemplarisch, wie quellenkritische Gesichtspunkte und kulturkritische Aspekte auf der Ebene des Dialogs miteinander verknüpft werden konnten. Ein als grausamer Tyrann bekannter Eroberer macht die schönfärberische Vorgehensweise der „Historici“ 313 transparent; er tut dies jedoch wie so häufig in Fassmanns Journal unter der Prämisse, daß seine im Totenreich erlangten Überzeugungen nunmehr konform mit christlich-abendländischen Normen sind. Einige der in den „mahometanischen“ Quellen angeführten Anekdoten werden so von einer Figur im Gespräch als unwahr oder mythisch überhöht identifiziert, angeblich falsche Behauptungen der Historio-

312 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 55, Leipzig 1723, S. 479. 313 Am Ende der zweiten Begegnung korrigiert Timur die Angaben, welche die Geschichtsschreiber über die Stärke seines Heeres gemacht hatten. Fassmann läßt Attila fragen, ob es wahr sei, daß Timur über eine Million Menschen in seiner Streitmacht verfügen konnte. Dieser antwortet ihm: „Wann dergleichen Historici von Menschen reden, haben sie eben so unrecht nicht, weil sich in der That bißweilen bey meiner Armée so viele Menschen befunden. Indessen sind solche Menschen nicht lauter Combattanten, sondern viele Weiber, Kinder und ander Troß dabey, vornehmlich bey einer Tartarischen Armée, da mancher Tartar mit seiner gantzen Familie zu Felde zieht.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 55, Leipzig 1723, S. 549.

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Abb. 17: Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Teil, Summarie zur Entrevue Nr. 54, S. 207.

graphen nach Möglichkeit entkräftet und stellenweise in ihr Gegenteil verkehrt. Fassmann rekurriert in der entsprechenden Summarie zu diesem Gespräch ausschließlich auf seine ‚abendländischen‘ Quellen. Dort nennt er folgende Autoren für die Biographie des tartarischen Eroberers: Eine Figur wie Timur bedurfte der charakterlich eindeutigen Beurteilung. Die Leserinnen und Leser des Journals sollten sich, angeregt durch das Vorgehen der Figur im Dialog, an einer Neubewertung überkommener Meinungen versuchen. Um diesen Prozeß zu erleichtern (d. h. ohne daß man die originalen oder zitierten Quellen aufsuchen mußte), gibt Fassmann seinen Rezipienten durch die Haltung seiner nunmehr geläuterten Figur geeignete Interpretationsansätze vor. In Anlehnung an das durch seine schlechte Reputation große emotionale Potential Timurs (vgl. Abb. 18) vermochte Fassmann mittels eingestreuter Bewertungen des Quellenmaterials, geeignete Lesarten der Taten und des Charakters seiner Figuren anzubieten. Timur und Attila (vgl. Abb. 19) wurden, so die Aussage des letzteren im Dialog, aufgrund ihrer zahlreichen Ähnlichkeiten als Gesprächspartner ausgewählt („Zwischen euch und mir insonderheit, ist eine gar grosse Aehnlichkeit.“ 314). Die Figuren werden auf dem Titelblatt zur Entrevue Nr. 54 in vergleichsweise angriffslustiger Art mit gezückten Waffen und in herrschaftlicher Rüstung dargestellt (vgl. Abb. 20). Das vierzeilige Gedicht unter der Illustration lautet: „Erzittre Mensch vor Gott, und nicht vor diesen Fürsten. / Ob man sie gleich den Zorn und Geißel Gottes nennt. / Sie pflegten grausam zwar, nach Krieg und Blut zu dürsten, / Doch machte Gott der Noth durch ihren Todt ein End.“ Die Summarie zu den Begegnungen zwischen Attila und Timur faßt die bereits auf dem Titelblatt vorgegebene Lesart der Charaktere der beiden Männer noch einmal auf knappem Raum zusammen. Fassmann bemerkt dort, daß das Totengespräch Nr. 54 schildere,

314 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 54, Leipzig 1723, S. 407.

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Abb. 18: Tamerlan, Les vrais pourtraits des hommes illustres [1584], seconde tome, S. 630.315

315 Durch die Bezeichnung „Zorn und Geißel Gottes“ für Timur bzw. Attila werden die beiden Gesprächspartner über die geographische Nähe ihrer Geburtsorte hinaus in eine enge Beziehung miteinander gesetzt. Neben den diversen künstlerischen Ansätzen zur Verarbeitung des ‚Traumas‘ Attila, von denen die Figur des Etzel im Nibelungelied wahrscheinlich die am häufigsten rezipierte sein dürfte, beflügelte auch Timur Lenk die Phantasie der europäischen Künstler. Neben Perondinos „Vita Magni Tamberlanis“ (Florenz, 1551) und Christopher Marlows „Tamburlaine The Great“ (London, ca. 1587) bzw. dessen wegen des großen Erfolges im selben Jahr verfertigter Fortsetzung „Tamburlaine II“ (Tamburlaine’s and his Wife’s Deaths) sind es vor allem Händels Oper „Tamerlano“ (1724) bzw. die thematisch verwandte Oper „Bajazeth“ Antonio Vivaldis (1735), die bis heute von der Faszination des Abendlandes mit ausgesprochen blutrünstigen Herrschern und deren Taten zeugen. Besonders die Episode mit Timur Lenks besiegtem Kontrahenten, dem osmanischen Sultan Bayezid I. [Bajazeth], wurde in abendländischen Zeugnissen immer wieder aufgegriffen und als Nachweis für die barbarische Verhaltensweise des tartarischen Eroberers verstanden. Zu Timur siehe Tilman Nagel: Timur

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Abb. 19: Attila, Schedelsche Weltchronik [1493], Blatt CXXXVII.

der Eroberer und die islamische Welt des späten Mittelalters, München 1993. Eine zeitgenössische Quelle zu Bayezid I. bzw. Timur findet sich in den Aufzeichnungen Johann Schildtbergers, der nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft zuerst im Heer Bayezids und nach dessen Niederlage auch in dem Timurs zu dienen hatte, bevor er im Jahre 1427 wieder zurück in seine Heimatstadt München kam und dort seine Erinnerungen schriftlich niederlegen konnte. Der 1476 erschienene ‚Bericht‘ über seine Erlebnisse ist in einer Faksimile-Ausgabe im Jahr 1969 neu erschienen und von der HAB Wolfenbüttel digitalisiert einsehbar unter http://diglib.hab.de/ drucke/li-sbd-278-1s/start.htm. Der vollständige Titel der Ausgabe lautet: Hans Schildtbergers Reise=Buch / Ein wunderbarliche unnd kürtzweylige Histori, wie Schiltberger, einer auss der Stat München in Bayern, von de Türcken gefangen, in die Heydenschafft gefüret und wider heym kommen ist, Augsburg: Anton Sorg um 1476. Eine Übertragung aus dem Frühneuhochdeutschen und einen Kommentar bietet Markus Tremmel: Johann Schiltbergers Irrfahrt durch den Orient: der aufsehenerregende Bericht einer Reise, die 1394 begann und erst nach über 30 Jahren ein Ende fand, Taufkirchen 2006.

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Abb. 20: Tamerlan und Attila, Entrevue Nr. 54, Leipzig 1723.

wie entsetzlich er [Attila – SD] auf seinem Zug durch Teutschland nach Frankreich, aller Orten, mit Morden, Sengen und Brennen, gehauset; was ihme Anlaß gegeben, daß er sich eine Geissel Gottes genennet.316

Timur wird in derselben Summarie vorgestellt und sein Name etymologisch erklärt: Tamerlan wäre von den Europäern aus Temur-Lanc, also aus seinem Beinamen Temur der Lahme gebildet worden, den dieser nach einem Beinbruch bekommen habe. Darüber hinaus zählt Fassmann besonders die ihm wichtigen charakterlichen Stärken und Schwächen seiner Figur auf. Im Unterschied zum grausamen

316 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 54, S. 205.

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Attila erscheint Timur in der Beschreibung als jemand, der sich zwar in seiner Jugend verurteilenswerten Vorlieben hingab („Freude am Schlagen, Balgen und Hezereyen, seine gewaltige Inclination zum Stehlen“ 317), der sich jedoch später hauptsächlich durch seine geschickten Feldzüge, besonders gegen Moskau, auszeichnete. Von besonderer Härte gegenüber seinen Feinden ist in der Summarie zu der Entrevue Nr. 54 nicht die Rede. Im Gegenteil, durch die Neubewertung der Quellen werden an Timur andere Qualitäten lobend hervorgehoben: Seine Bildung, politische Versiertheit und physische Stärke rücken in den Vordergrund, während die sonst häufig kritisierte Grausamkeit des Eroberers in den Hintergrund tritt. Fassmann bemerkt, man ersehe aus dem Dialog, wie trefflich er sich in den Königlichen Staat zu richten, und die Regierungs=Kunst, als ob er von Kindes=Beinen an darinnen unterrichtet worden, zu exerciren gewußt, wie fleißig er sich, nach dem Antritt seiner Königlichen Regierung, auf das Lesen, Schreiben und Rechnen, wie auch auf verschiedene Historische, Mathematische und Astrologische Wissenschafften appliciret; und dann, was er vor ein Majestätisches Ansehen, wohlgestalten Leib und ungemeine Stärcke in denen Gliedern gehabt. Nach diesem geschiehet Meldung, von seinen an denen Mogulischen Gräntzen gemachten Conqueten; von der wider die Moscowiter befochtenen herrlichen Victorie, und darauff mit denen geschlossenen vorteilhafften Frieden; [...] von seiner Liebe zu klugen und gelehrten Leuten.318

Die oben zitierte Summarie war zusammen mit dem dazugehörigen Totengespräch durchaus darauf ausgerichtet, bereits bestehende Meinungen über den Lebenslauf und die charakterlichen Eigenschaften Timurs zu entkräften und dessen Leben und Taten in einem neuen, positiveren Licht zu zeigen. Anhand der Summarien kann nachvollzogen werden, 1. welche Kriterien Fassmann bei der Auswahl seiner Informationen anlegte, 2. welche unterschiedlichen Quellen für ihn überhaupt in Frage kamen und 3. auf welche Art er die von ihm ausgewählten Informationen, Nachrichten und Meinungen für seine eigene Publikation nutzbar machte. Einzelstudien könnten anhand dieses Auswahl- und Transformationsprozesses zeigen, welche Beziehungen zwischen einem Journal wie den Gesprächen und dessen (antiken wie zeitgenössischen) Quellen bestanden, welche Lesarten bestimmter Ereignisse transportiert und welche überkommenen Meinungen verworfen wurden. Die Gespräche konnten sich, wie bereits weiter oben erwähnt wurde, sowohl durch ihren Entstehungszeitpunkt als auch durch ihren spezifischen Traditionszusammenhang naturgemäß (noch) nicht an Kants Auffassung vom frei

317 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 54, S. 206. 318 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 54, S. 206.

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gebildeten, kritischen Urteil orientieren. Dennoch zeigen sie exemplarisch, welche Gesichtspunkte bei der Ansammlung und Weitergabe von Wissen im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts im Vordergrund standen. Martin Gierl bemerkt zu eben dieser Arbeitsweise und zum Verhältnis unterschiedlicher zeitgenössischer Medien: Was also steht anstelle von Kants Gerichtshof der reinen Vernunft? Die Antwort scheint mir zu sein: Die Stelle wird im gelehrten Kommunikationsgefüge des frühen 18. Jahrhunderts von institutionaliserter, d. h. autoritätstradierender Kompilation besetzt. Damit sind nicht nur die offensichtlich – russischen Puppen gleich – kompilierenden litterärhistorischen Kompendien gemeint und auch nicht Kompilation im engen Sinn von Abschreiben, sondern das systematische Zusammenspiel der Kompendien, Lexika und Zeitschriften.319

Fassmann gelang es inmitten dieses „systematischen Zusammenspiels“, Informationen aus heterogenen Quellen und Medien zu extrahieren und diese nach Art der bereits erwähnten bricolage-Technik zu einem neuen Ganzen zusammenzusetzen. Dabei schuf er ein Netz von Verweisen, das sowohl chronologisch, geographisch als auch medial weit verzweigt war. Da die Gespräche wiederum selbst konzeptionell und inhaltlich von Journalisten in ganz Europa imitiert wurden, ergibt sich so eine weitere Stufe der Imitation und Wiederaufbereitung von bereits re-präsentierten Informationen. Im Sinne des von Nicolaus Hieronymus Gundling in seiner Historie der Gelahrtheit formulierten Gedankens,320 daß der Gelehrte bei der unüberschaubaren Menge verschiedenster Bücher und Lehren dazu angehalten war, aus den vorhandenen Quellen gezielt zu exzerpieren, kann auch Fassmanns Arbeitsweise als Versuch gelesen werden, nach Art eines früh-aufklärerischen Reader’s Digest bestimmte Informationen und Meinungen zu sammeln, aufzubereiten und sie entweder innerhalb eines gewählten Mediums wiederzugeben oder, wenn sie nicht in den jeweiligen Kontext paßten, zu modifizieren bzw. zu unterdrücken. Sowohl Gundling als auch Fassmann sahen in der Historie eine Disziplin, die bei geeigneter Vermittlung dazu fähig war, dem Rezipienten zu einem vernünfftigen Urteilsvermögen zu verhelfen. Merio Scattola bemerkt zu Gundlings Haltung: „Die Historie im allgemeinen soll das ›iudicium‹ oder das Urteilsvermögen des

319 Martin Gierl: Historia literaria. Wissenschaft, Wissensordnung und Polemik, in: Historia literaria, S. 113–128, hier S. 125. 320 Nicolaus Hieronymus Gundling: Vollständige Historie der Gelahrtheit [...], 6 Teile, Frankfurt am Main: C. F. Hempel, 1734–1746. Zu Gundlings Historie der Gelahrtheit vgl. auch Merio Scattola: ›Historia literaria‹ als ›historia pragmatica‹. Die pragmatische Bedeutung der Geschichtsschreibung im intellektuellen Unternehmen der Gelehrtengeschichte, in: Historia literaria, S. 37–63.

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einzelnen Menschen anhand der Erzählung von Begebenheiten der Vergangenheit ausbilden und verbessern.“ 321 Die Summarien waren, so ein vorläufiges Fazit, innerhalb der verschiedenen peritextuellen Instanzen des Journals geeignet, den Lesern ein kritisches Urteil über das im Journal dargebrachte Wissen zu ermöglichen. Dadurch, daß sie die Quellen und Materialien für die Gespräche (zumindest ansatzweise) offenlegten und den Weg der Information und deren Transformation sichtbar machten, eröffnete sich eine neue Perspektive in der kritischen Beurteilung des Gelesenen: Ob beabsichtigt oder nicht, der Leserkreis konnte anhand dieser Texte sowohl die Informationen selbst und die Art ihrer Präsentation als auch die Verläßlichkeit des Scribenten bzw. Historiographen kritisch prüfen.

4.2.4.3 Die alphabetisch geordneten Register Zusätzlich zu den bereits erwähnten peritextuellen Elementen wie Vorrede, Dedikation und Titelblatt stattete Fassmann seine Reihe auch mit alphabetisch geordneten Indices aus. Dies geschah offenbar (so zumindest der Eindruck, den Fassmann erwecken wollte) aufgrund der wiederholten Nachfrage zahlreicher Rezipienten. Fassmann kündigte das Register, das nach der 16. Entrevue zum ersten Mal erscheinen sollte, im Avertissement des 14. Totengesprächs wie folgt an: Nachdeme viele Herren Liebhabere dieser Arbeit sich erkundigen lassen, ob nicht bald ein Index darzu heraus kommen würde? So giebet der Autor hiermit gehorsamst zur Nachricht, daß solches mit, oder gleich nach der 16. Entrevuë unfehlbar geschehen solle, weil es sodann einen rechten starcken Quart=Band geben wird. Es werden zwar verschiedene, die Entrevuën sonst nach ihrem Belieben, entweder 4. und 4. oder 6. und 6. auf einmal, auch wohl 10. bis 12. zusammen haben binden lassen; jedoch dem seye wie ihm wolle, so kan der Index gleichwohl nicht schädlich, sondern allezeit nützlich seyn, er werde hingebunden wo er wolle, wann er nur hinter der 16. Entrevuë zu stehen kommet.322

Das Register, das Fassmann nach dieser Ankündigung auf die 16. Begegnung folgen ließ (vgl. Abb. 21), zeigte unter der Überschrift die Warnung, daß etwaige Käufer der in „Franckfurth, Hamburg und Nürnberg“ unautorisiert gedruckten Exemplare den alphabetischen Index nicht gebrauchen könnten, denn die „liederlichen und nichtswürdigen“ Diebe seiner Arbeit hätten zahlreiche Seiten eingefügt. Aus diesem Grund würden die Seitenangaben des nun erscheinen-

321 Scattola, Historia literaria, S. 42. 322 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 14, Leipzig 1720, S. 1130.

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Abb. 21: Gespräche in dem Reiche derer Todten, Registertitel nach der Entrevue Nr. 16, Bd. I, Leipzig 1720, S. 1315 (unpag.).

den Registers nicht mit den falschen Gesprächen übereinstimmen, die Ausgabe sich also für den derart betrogenen Leser nicht lohnen.323

323 Fassmann drohte den Kopisten ganz offen mit rechtlichen Schritten, mittels deren er einen weiteren Verdienstausfall verhindern wolle: „[M]an versichert, wie noch gantz andere Mittel verhanden seyn zu machen, daß ein ieder sein Geld, so er an den Nachdruck dieser Gespräche wendet, bereuen wird; wiewohl auch billige, und, wegen guter Administration der Justiz, in hohem Ruhm stehende Obrigkeiten, dem Unfug des Nachdruckes, hoffentlich gar bald steuren und wehren werden.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 16, Leipzig 1720, S. 1314. Fassmann riet allen Käufern der unautorisierten Nachdrucke, vom jeweiligen Verkäufer ihr Geld wieder zurückzufordern, da das ganze Werk durch die entstandene Unordnung und Verfälschung „defect“ sei. Ebd., S. 1314.

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Der Index führte in angekündigter Weise alphabetisch geordnete Stichwörter auf. Die Angabe des Fundortes erfolgte mittels der zugehörigen Seitenzahl, während die entsprechende Entrevue nicht explizit genannt wurde. Dieses Ordnungssystem konnte nur deshalb funktionieren, weil Fassmann die Seiten der einzelnen Totengespräche fortlaufend nummerierte und nicht bei jedem neuen Gespräch wieder von neuem beginnen ließ. Anhand der Seitenangaben konnte auch derjenige Leser (so er denn keine unautorisierten Exemplare erworben hatte) die entsprechende Stelle wiederfinden, der die Gespräche nicht in gebundener Form, sondern als lose Sammlung besaß. Die Argumentation bei der Publikation des Registers war im Hinblick auf die Gebrauchsfähigkeit und Leserbindung nicht zu unterschätzen, denn Fassmann vermochte auch mit einem heute vergleichsweise unbedeutend erscheinenden Element wie einem alphabetischen Register, den Kauf aller Totengespräche als logisch und zwingend notwendig erscheinen zu lassen. Jürgen Wilke bemerkt zu Fassmanns Journal und dessen Supplement: „Faßmann hat in den Totengesprächen eine Unmenge an Wissens- und Bildungsstoff verarbeitet und diesen über Register erschließbar gemacht.“ 324 Angelehnt an zeitgenössische Lexika und Periodika wie die Monatsgespräche eines Christian Thomasius ließ der Register-Index das gesamte Korpus wissenschaftlicher und systematisch geordnet erscheinen.325 Selbst die zahlreichen schwankhaften Anekdoten in den Gesprächen, die Fassmann oft zu eher populären Themen wie Aberglauben, Wunderdingen und dergleichen anbrachte, wirkten durch ihre Eingliederung in den sachlich strukturierten Kontext der alphabetischen Verweise weniger banal. So nahmen beispielsweise die Einträge „Altes Frauenzimmer, wie desselben Affection zu gewinnen“ 326 oder „Blonde, ob selbe einer schwartzen

324 Jürgen Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, Köln 22008, S. 101. 325 An den alphabetischen Registern am Ende eines Jahrgangs der Monatsgespräche lässt sich ablesen, wie sehr Fassmann sich an Thomasius’ Vorgehensweise orientierte. Neben dem einzelnen Begriff, der sich alphabetisch aufführen ließ, wurden auch kleine Ausschnitte aus dem jeweiligen Gesprächskontext oder die passende Frage mit angeführt, um die die entspechende Stelle kreiste. So heißt es etwa unter dem Eintrag Gestirne: „Gelehrte Gedanken von dem Einfluß der Gestirne in das Thun der Menschen“ (Thomasius, Monatsgespräche, 1688, II. Register, S. 822 (unpag.)) oder unter dem Eintrag Liebe: „Einschärffung der Liebe und guten Wandels 719 sqq. / Ob man Liebes=Dienste auch Leuten von unterschiedener Religion erweisen solle. 733 / Brünstiger Liebhaber löscht eine glüende Kohle mit der Hand aus. 432 / Exempel eines unbeständigen Liebhabers an Mons. Prilaurens. 438 / In der Liebe ist ein grosses Vergnügen, dieselbe der geliebten Person zu erkennen zu geben 434.“ Thomasius, Monatsgespräche, 1688, II. Register, S. 827 (unpag.). 326 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. I, Leipzig 1720, Register, S. 1317 (unpag.).

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Schönheit vorzuziehen sei“ 327 durch die Nähe zu den historisch, geographisch oder biographisch orientierten Stichworten mehr den Charakter einer informativen Nachricht an. Historische Fakten, schwankartige Anekdoten und meinungsbildende Kommentare wurden nicht nur auf der Ebene des Gesprächs, sondern auch auf der des Registers miteinander in Beziehung gesetzt.328 Das Nebeneinander von Information, Anekdote und Meinung wurde durch die Struktur des Indexes noch augenfälliger, als dies im Haupttext des Periodikums der Fall war. Durch die neu aufgekommene alphabetische und dadurch grundsätzlich unhierarchische Ordnung wurde auf kleinstem Raum die Themenfülle des Journals sichtbar. In der Vorrede zum XIII. Band wurde schließlich auch die Entstehung eines abschließenden General-Registers thematisiert, das verschiedenen Bedürfnissen der interessierten Leser Rechnung tragen sollte: In solchem General=Register findet man den Summarischen Inhalt von einer jedweden Entrevuë samt Chronologischen Anzeigungen, wann und zu welcher Zeit die Begebenheiten, von denen geredet wird, sich zugetragen haben.329

Bei Erscheinen des XII. Bandes (also ein Jahr vorher) dachte Fassmann noch, daß er ein solches Register bald auf den Markt bringen würde. Wenn man den Aussagen in der darauffolgenden Vorrede zum XIII. Band Glauben schenken kann, gab es offenbar Verzögerungen, was die Publikation des Registers anging.330 Anders als es Fassmann in der oben zitierten Passage ankündigte, war das General-Register zum Zeitpunkt seines Erscheinens nicht mehr dazu ge-

327 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. I, Leipzig 1720, Register, S. 1318 (unpag.). 328 Als eine Art Vorgriff auf die stellenweise bissig-ironische Haltung Diderots und d’Alemberts in ihrer Encyclopédie erschien beim Buchstaben A ein unauffällig plazierter Eintrag im Register zum XV. Band der Gespräche: „Aberglauben, davor hält ein vornehmer Printz an seinem Ende die Römisch-Catholischen Ceremonien.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XV, Leipzig 1739, Register S. 1205 (unpag.). In der 12 Jahre später erschienenen Encyclopédie gab es unter dem Stichwort „Anthropophage“ einen von der Zensur nicht entdeckten Verweis auf den Begriff „Eucharistie“. Fassmann nahm an dieser Stelle zwar keinen dezidiert religionskritischen oder gar atheistischen, durch die Aufnahme dieses Stichwortes aber einen anti-katholischen Standpunkt ein. 329 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 13. 330 In der Vorrede heißt es dazu: „Das ehemals versprochene General=Register über die zwölff ersten Bände des gegenwärtigen Wercks betreffende, welche 192. Entrevuën in sich halten, so ist der Herr Verleger annoch feste entschlossen, es verfertigen, und eine gewisse Anzahl davon drucken zu lassen; wie dann auch schon wirklich die meiste Arbeit, welche von der Feder dependiret, fertig ist, und ehestens zur Presse befördert werden wird.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 13.

Der Paratext des Journals

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dacht, auch kurze Zusammenfassungen der Entrevuen zu liefern. Stattdessen war es gleichsam der Sammelpunkt aller zuvor erschienenen Einzelindices, und der Summarienteil des Ergänzungsbandes übernahm nunmehr die Aufgabe, die Totengespräche zusammenzufassen. Mit Hilfe der Argumente, die Fassmann für ein solches General-Register vorbrachte, gelang es ihm über die Sachebene hinaus auch, das Verhalten seiner Leser zu bewerten und im gleichen Zug (wenn möglich) positiv zu beeinflussen. Die Vorrede zum XIII. Band erklärt zum Register: Ein dergleichen General=Register ist gut, so wohl vor diejenigen, welche die Gespräche gesammlet und sie richtig von einem Band zum andern haben binden lassen, als auch vor andere, so selbige zwar gekauffet, und sie nicht aufgehoben, sondern wieder von Handen kommen lassen. Denn wann sie das General=Register durchgehen, so besinnen sie sich aller Dinge, so sie in den Entrevuën selber gelesen, und es bleibet folglich desto besser im Gedächtniß kleben. 331

Der Index sollte demnach auch für diejenigen als gedankliche Stütze dienen, die es zuvor versäumt hatten, die einzeln erschienenen Entrevuen ordentlich binden zu lassen und in empfohlener Manier aufzubewahren. Das neu erschienene Register konnte Fassmanns geschickter Argumentation nach dem Käufer (und letztlich auch dem Autor und Herausgeber) somit nur Vorteile bringen. Als umfangreiche Ergänzung zum historisch-politisch orientierten Gesamtkorpus der Gespräche sollte es durch seine systematische Ordnung und seine Begriffe die Qualität des Periodikums erhöhen und seinen Lesern darüber hinaus das Memorieren historisch relevanter Ereignisse erleichtern. Zwar gab es am Ende aller fünfzehn Bände der Gespräche jeweils ein alphabetisch geordnetes Einzel-Register, doch das oben angekündigte GeneralRegister erschien zusätzlich als III. und letzter Teil im Abschlußband der Reihe. Im Vorbericht heißt es hierzu: Bey dem dritten Haupt=Theil dieses sechzehenden Bandes, nemlich dem General-Register, über alle Entrevüen, und über das Supplement, hat man sich aller möglichen Kürtze und Deutlichkeit beflissen. Es wird auch hoffentlich dasjenige ausdrücken, was davon auf seinem

331 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 13. Dieser Punkt wird noch weiter ausgeführt: „Es wird das General=Register über die zwölf ersten Bände überhaupt zum Vergnügen gereichen, absonderlich denenjenigen, welche das Werck complet haben, weil es zu dessen Zierde, und dem Gedächtniß zu keinem geringen Nutzen gereichet, auch die Entrevuën insgesamt, wegen derer allegirten, authentisch machet, weil es doch Leute giebet, die es so haben wollen; obgleich andere gar nichts darnach fragen. Es wird aber dieses General=Register zum wenigsten 3 Alphabete starck werden.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIII, Vorrede, Leipzig 1734, S. 13.

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Das historisch-politische Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten

eigenen Titel gemeldet worden, wie es nemlich zwar als ein compendieuses, aber doch hinlängliches Historisches Lexicon zu gebrauchen, oder als eine Concordantz, nach welcher alle Materien in denen Entrevüen, oder im Supplement, weitläufftiger nachgeschlagen werden können.332

Als peritextueller Abschluß der gesamten Reihe sollte der Index die wichtigsten Stichworte sowohl aller sechzehn Bände der Gespräche als auch des Ergänzungsbandes einschließen. Deutlich zog Fassmann an dieser Stelle noch einmal die Parallele zu zeitgenössischen historischen Lexika und stellte so erneut unter Beweis, in welchem Kontext sein Periodikum verstanden werden sollte. Trotz der zahlreichen populären Elemente in den Gesprächen strebte er besonders in den Nebentexten danach, sein Journal als ein ernsthaftes und wissenschaftlich fundiertes Organ zu propagieren, dessen Stellenwert im Umfeld der historisch und politisch orientierten Medien auch durch die verschiedenen Register noch erhöht wurde. In ihm wird die Parallelisierung von ernsthafter Historie und populären Anekdoten durch die enge Nachbarschaft der alphabetisch geordneten Einträge besonders augenfällig. Unter dem Buchstaben M erfährt der Leser etwa von der Existenz folgender Themen im Journal:

Miracul, werden aus natürlichen Dingen gemacht. IX. 211. Mißgeburt, mit Pferde=Schwäntzen VII. 386.; mit 4. Köpffen wird dem Neroni præsentirt IX. 93. Mohrin, eine dergleichen wird von einer Königin in Frankreich gebohren I. 33. III. 215.; wird von einer Adelichen gebohren. VII. 1233.333

Noch bevor sich die Journalliteratur ab der Mitte des 18. Jahrhunderts weiter in Richtung der Spezial- bzw. Populärzeitschriften entwickelte, gab Fassmann seinen Lesern mittels der zahlreichen Vorreden, Dedikationen und Registereinträgen bestimmte Rezeptionshaltungen vor. Im Gegensatz zu Zeitschriften späterer Dekaden, die sich beispielsweise ausschließlich der Genealogie334 oder 332 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 5 (unpag.). 333 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, General-Register (unpag.). 334 Vorreiter für das neuerwachte mediale Interesse an der Ahnenforschung war Johann Cristoph Gatterers Handbuch der neuesten Genealogie und Heraldik, das in Zeitschriftenform zwischen 1759 und 1763 in Nürnberg als eine Fortsetzung Der durchläuchtigen Welt neu-vermehrter und verbesserter curieuser Geschichts-, Geschlechts- und Wappen-Calender [1723–1757] erschien. Zu den zahlreichen historisch-genealogischen Nachrichten, die im 18. Jahrhundert verstärkt in diversen Zeitschriften erschienen, gibt es bis heute offenbar wenig systematische Studien. Zur Geschichte der Genealogie vgl. Christiane Klapisch-Zuber: Stammbäume. Eine illustrierte Geschichte der Ahnenkunde, München 2004. Daß sich die genealogischen Forschungen von

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der Ökonomie335 widmeten, wollte Fassmann mit seinen Totengesprächen eine möglichst breite Leserschaft ansprechen. Er versuchte aus diesem Grund auch mit Hilfe des alphabetisch geordneten und umfangreichen Generalregisters, die Lesehaltung seiner Leser positiv zu beeinflussen, was die unterhaltsame Vielfalt und historische Glaubwürdigkeit der in den Gesprächen besprochenen Themen anging.

Fassmanns Zeitgenossen ausschließlich auf Adelsgeschlechter und nicht auf bürgerliche Familien bezogen, muß nicht betont werden. 335 Hier wäre beispielsweise zu nennen: Der Sorgfältige, Neuvermehrte Haus- und Wirthschafts-Verwalter: Welcher durchs gantze Jahr zeiget: Was so wohl in Wirthschaffts=Rechnungen, Als auch im Haußwesen, Acker=Bau, Vieh=Zucht, Gärtnerey und andern Oeconomischen Sachen, in acht zu nehmen und zu verrichten ist, damit ein guter Nutzen daraus erfolget; Nebst einem wohl approbirten Vieh= Roß= und Artzeney=Buche und dienlichen Haus=Mitteln versehen ; Alles aus eigener Erfahrung [...] zusammen getragen, Und mit einem wohl eingerichteten Koch- und Trenchier=Büchlein, Ingleichen wohl unterwiesenen Brandtewein=Brenner, Destilirer, und Confect=Backer versehen, Breslau und Leipzig 1751–1764.

5 Die Totengespräche 5.1 Die Dialogform „Der Dialog gehört zur Aufklärung wie der Begriff der Vernunft.“ 1 Was Joachim Dyck und Jutta Sandstede in der Einleitung zu ihrer Quellenbibliographie zur Rhetorik im 18. Jahrhundert in aller Kürze konstatieren, entspricht der kaum zu überschätzenden Bedeutung einer Textsorte, deren vielfältige Funktionen und Erscheinungsformen nicht nur, aber besonders auch zu Beginn der Aufklärung zutage traten. Ein Versuch, die komplexen Traditionslinien des Dialogs nachzuzeichnen bzw. ihn als „eigenständigen Text in Gesprächsform“ 2 von der Menge derjenigen Textsorten abzugrenzen, die sich dialogischer Strukturen bedienen, soll und kann an dieser Stelle nicht unternommen werden.3 In der Gegenüberstellung von Fassmanns Totengesprächen mit zeitgenössischen Konversationslehren sowie verschiedenen lexikalischen Definitionsversuchen soll dieser Abschnitt statt dessen zeigen, welche Überlegungen einen Autor wie David Fassmann im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts dazu veranlaßt haben könnten, das Bildungsprogramm seines ersten Periodikums in Form von Dialogen, genauer gesagt von Totendialogen, darzubieten. Zu diesem Zweck soll der wechselseitige Einfluß, den die dialogische Form und der durch den Dialog vermittelte Inhalt aufeinander ausübten, in den Blick genommen werden.4 Dabei ist grundsätzlich anzumerken, daß Ansätze wie der Michail M. 1 Joachim Dyck und Jutta Sandstede: Quellenbibliographie zur Rhetorik, Homiletik und Epistopgrahie des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, Bd. 1, Stuttgart 1996, S. XVII. 2 Thomas Fries und Klaus Weimar: „Dialog“, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Klaus Weimar, Bd. 1, Berlin 1997, S. 354–356, hier S. 354. 3 Zum Dialog bzw. Gespräch vgl. grundsätzlich Rudolf Hirzel: Der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch, Leipzig 1895 [ND Hildesheim 1963]; Claudia Schmölders (Hg.): Die Kunst des Gesprächs. Texte zur Geschichte der europäischen Konversationstheorie, München 21986; KarlHeinz Göttert: Kommunikationsideale. Untersuchungen zur europäischen Konversationstheorie, München 1988; Karl-Heinz Stierle und Rainer Warning (Hg.): Das Gespräch, München 1996; Alexandra Kleihues: Der Dialog als Form. Analysen zu Shaftesbury, Diderot, Madame d’Épinay und Voltaire, Würzburg 2002. 4 Daß Dialoge (Ideendialoge, Totengespräche, Lehrgespräche usw.) auch integrale Bestandteile neuer Medien wie den Moralischen Wochenschriften oder wie in diesem Fall der historischpolitischen Periodika waren, scheint bis heute bis auf wenige Ausnahmen in der Forschung eher vernachlässigt worden zu sein. Dabei böten Fragen nach der Wechselbeziehung zwischen Medium und Schreibart bzw. nach damit einhergehenden rhetorischen Strategien genug Möglichkeiten, das ‚Phänomen‘ Dialog in verschiedenen Kontexten zu untersuchen. Siehe dazu z. B. Annett Volmer: Der Dialogcharakter der Presse. Zum Einbezug des Lesers in den öffentlichen Raum, in: Dialog und Dialogizität, S. 201–216. Volmer konstatiert zum Befund, daß der Dialog als Gattung innerhalb des Pressewesens im 18. Jahrhundert bis heute weitestgehend

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Bachtins,5 der zwischen dem reinen Dialog zweier (realer) Sprecher und dem grundsätzlich ambiguösen, mehrstimmigen Charakter jeder Art von verbalen Äußerungen unterscheidet, weniger dazu geeignet erscheinen, die Spezifika der Fassmannschen Totengespräche zu beschreiben, als dies entsprechende (theoretische wie praktische) zeitgenössische Beispiele vermögen. Gerade das 18. Jahrhundert versuchte in zunehmendem Maße, den Dialog als Schreibart bzw. Gattung zu beschreiben und systematisch zu definieren – ein Versuch, der im 19. Jahrhundert nicht nur größtenteils ignoriert, sondern generell als sinnlos erachtet wurde.6 Zusätzlich zu zeitgenössischen Positionen zeigen heutige Ansätze wie die der historischen Dialogforschung mögliche Wege auf, Dialoge in ihrem sprachhistorischen, kulturellen und intertextuellen Umfeld zu beschreiben. Die Unterscheidung von Gesprächen nach unterschiedlichen „Dialogsorten“ bzw. „Dialogtypen“ 7 kann – bei aller gebotenen Skepsis vor einer vereinfachenden Typisierung – dazu beitragen, Aufschluß über den gattungsimmanenten bzw. medienhistorischen Kontext zu erlangen, in dem Dialoge wie die Leipziger Gespräche angesiedelt waren.8 Anhand von Fragen nach dem spezifischen Vokabular, der Art der Gesprächsführung sowie der Verknüpfung einzelner Gesprächsschritte lassen sich zudem Aussagen über illokutionäre Muster und die damit zusammenhängende Performativität 9 eines Dialogs in einem größeren Zusammenhang treffen.

ignoriert wurde: „Dieser gattungsspezifische und textsortenorientierte Zugang zum Zeitschriftentext ist m. W. in der Presseforschung bisher kaum praktiziert worden.“ Volmer, Dialogcharakter, S. 203. 5 Michail M. Bachtin: Die Ästhetik des Wortes, Frankfurt am Main 1979; ders.: Probleme der Poetik Dostoevskijs, Frankfurt 1985; ders.: Untersuchungen zur Poetik und Theorie des Romans, Berlin 1986; Julia Kristeva: Dialog und Roman bei Bachtin, in: Literaturwissenschaft und Linguistik, Bd. 3, hg. v. Jens Ihwe, Frankfurt a. M. 1972, S. 345–375. 6 Vgl. dazu auch Fries, Dialog der Aufklärung, S. 4 ff. Was Fries in seiner breit angelegten Studie zur Theorie des Dialogs jedoch unterschätzt, ist die Rolle, welche die Textsorte in Deutschland auch vor dem von ihm angesetzten Zeitpunkt der 1750er Jahre spielt. Für ihn beginnt der Dialog (mit wenigen Ausnahmen) erst mit Wieland, Schelling, Fichte, Schlegel und Kleist interessant zu werden, wie er sagt. Das ‚Ende‘ der Gattung setzt er bei Karl Wilhelm Ferdinand Solger im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts an. 7 Dazu vgl. Jörg Kilian: Historische Dialogforschung. Eine Einführung, Tübingen 2005, bes. S. 86 ff. 8 Alexandra Kleihues bemerkt zu Recht in ihrer Wiedergabe des Forschungsstandes zum Dialog: „Das Bestreben um eine Einordnung aber birgt Gefahren, liegt doch die Spezifik des Genres Dialog gerade in seiner Querstellung zu allen Gattungen.“ Kleihues, Dialog als Form, S. 13. 9 Zum Konzept der Performativität bzw. Performanz vgl. die verschiedenen Ansätze von John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1972; Judith Butler: Haß spricht. Zur Politik des Performativen, Berlin 1998; Erika Fischer-Lichte u. Christoph Wulf (Hg.): Theorien des Performativen, Berlin 2001; Uwe Wirth (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kul-

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Wie wenige andere Textsorten vermochte besonders der literarisch-fiktive Dialog, unterschiedliche Positionen, Meinungen und Diskussionsthemen in einer formal auf den ersten Blick leicht nachvollziehbaren Struktur zu präsentieren. Nach Ausbildung und Tradierung unterschiedlicher Dialogsorten in Antike und Früher Neuzeit, als der Dialog sich mit je unterschiedlichen Zielsetzungen zwischen anderen Gattungen behauptete,10 wurde er zu Beginn der Aufklärung erneut als Mittel zur Verbreitung ‚unerhörter‘ Gedanken und für die vernunftbezogene Meinungsbildung genutzt. Johann Christoph Adelung behandelt in der 1785/86 erschienenen Abhandlung Über den Deutschen Styl 11 das Gespräch im Allgemeinen und definiert es wie folgt: Das Gespräch ist eine wörtliche Unterredung zweyer oder mehrerer Personen. Es theilet sich in das mündliche, und in das künstliche oder nachgeahmte Gespräch.12

Adelung unterscheidet also zwischen „mündlichen“ (= natürlichen) und „künstlichen oder nachgeahmten“ (= schriftlichen) Gesprächen, respektive Dialogen, die jeweils von zwei oder mehr Personen geführt würden. Adelung konstatiert weiter, daß die [mündliche – SD] Sprache, wegen der wenigen Zeit, welche sie zur Ueberlegung und Wahl der Ausdrücke und Verbindungsarten hat, sich hier nicht allemahl in der Reinigkeit zeigen kann, deren sie fähig ist, und daß man ihr wegen des engen Wirkungskreises und der unmerklich kurzen Dauer ihrer Töne, manche Nachlässigkeit vergeben kann, welche man dem Schriftsteller, bey welchem ganz andere Umstände eintreten, nicht verzeihet.13

turwissenschaften, Frankfurt am Main 2002; Doris Bachmann-Medick: Performative Turn, in dies.: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2006, S. 104– 143. 10 Einen profunden Überblick über die verschiedenen Formen der antiken ars dialogica sowie über die frühneuzeitlichen Dialogtypen bietet Ernest W. B. Hess-Lüttich in seinem Artikel „Dialog“ im Historischen Wörterbuch der Rhetorik. Dort heißt es: „In der antiken Rhetorik schon gewinnt die ars dialogica etwa der Partei- und Gerichtsrede, aber auch der literarischen Wechselrede gattungsprägendes Gewicht. Sie begegnet als rhetorisch-ästhetisches Bauelement der mimetischen Gattungen wie als eigenständige Kunstform (z. B. im dialektischen, protreptischen, peripatetischen Dialog; im Totengespräch), als rhetorische Figur (dialogismus) ebenso wie als Strukturprinzip gelehrter oder theologischer Disputationen, mittelalterlicher Lehrgespräche und Streitschriften, erkenntniskritisch-dialektischer Erörterung und analytischer Logik [sowie] als Ausdrucksform geselliger Konversation [...].“ Ernest W. B. Hess-Lüttich: „Dialog“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Sp. 606–621, hier Sp. 607. 11 Johann Christoph Adelung: Über den Deutschen Styl, 3 Teile, Berlin 1785 f. [ND Hildesheim 1974]. 12 Adelung, Über den Styl, II. Teil, S. 318. 13 ebd. Da beim schriftlichen Dialog das spontane Moment mündlicher Konversationen wegfalle, müsse der Verfasser, so Adelung, besonders penibel bei der Wahl seiner Worte sein: „Das

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Der schriftliche Dialog galt dadurch, daß ihm gemäß zeitgenössischer Vorstellungen die Fähigkeit zugeschrieben wurde, mündlich geführte Konversationen nachzuahmen, auch als Vorbild für eine gute Gesprächsführung.14 Als Mittel, um die vielfältigen Ansprüche einer geistigen Strömung zu erfüllen, die danach strebte, vor allem die Urteilsfähigkeit des einzelnen Menschen zu befördern und neue Denkweisen zu installieren, wurde der Dialog in seiner philosophisch-sokratischen Form, als Nachahmung witzig-pointierter, mündlich geführter Konversationen, als gelehrter Ideendialog oder als populärer Vermittler zeitgenössischer Diskurse eingesetzt.15 Sei es, daß er als Teil eines größeren Ganzen in verschiedene Gattungen eingebettet war, sei es, daß er ohne weiteres Beiwerk auf Flugblättern, in Zeitschriften oder als Sammlung publiziert wurde, der Dialog wurde sowohl als strukturelles Element innerhalb einer bestimmten Gattung wie dem Drama, als eigenständige Textsorte sowie als Methode zur Hervorbringung der Wahrheit geschätzt.16 Zedlers Universal-Lexicon

nachgeahmte schriftliche Gespräch hat alle wesentlichen Erfordernisse mit dem mündlichen Gespräche gemein, nur daß es, als ein schriftstellerisches Product, einen höhern Grad der Reinigkeit und eine strengere Wahl des Ausdrucks erfordert, als das mündliche, weil die Entschuldigungsgründe, welche diesem zu Statten kommen, bey jenem wegfallen.“ Ebd, S. 323. 14 Zum „Inszenierungspotenzial“ des Dialogs, also seiner Fähigkeit, das, was inhaltlich ausgesagt wird, auch formal vorzuführen, vgl. Kleihues, Dialog als Form, S. 9. Gabriele Kalmbach weist in ihrer 1996 erschienenen Dissertation zum Dialog im Spannungsfeld zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit allerdings zurecht darauf hin, daß die Quellenlage es im Grunde nicht gestatte, die Zunahme an galanten Salongesprächen mit dem gleichzeitigen Anstieg schriftlicher Dialoge in eins zu setzen bzw. letzteres mit ersterem zu begründen. Kalmbach sieht besonders in der Erforschung von Gesprächen, die traditionell zur ‚niederen‘ Dialogliteratur gerechnet wurden, die Möglichkeit, ihre These zu verifizieren, daß der Dialog eben nicht nur Mündlichkeit fingierte, sondern der schriftliche Ausdruck der neu einsetzenden Sprachkritik im 18. Jahrhundert war. Kritik an der Schrift äußere sich, so Kalmbachs Fazit, eben auch paradoxerweise mittels schriftlicher Gattungen, die Mündlichkeit imitierten. Gabriele Kalmbach: Dialog im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen 1996, S. 96 ff. 15 Hans-Georg Coenen umreißt die Bedeutung des Dialogs wie folgt: „In ›dialogischen‹ Epochen – wie Renaissance und Aufklärung – durchbricht der literarische Diskurs (der sich dann auch öfters des förmlichen Dialogs bedient) sklerosierte Denksysteme.“ Coenen, Dialektik, Sp. 594. 16 Was mancherorts als Problem des Dialogs verstanden wurde, d. h. seine vielseitige Verwendbarkeit im Hinblick auf die Absichten seiner Verfasser bzw. die damit verbundene Schwierigkeit, ihn als einheitliche Gattung mit zumindest ansatzweise eindeutig beschreibbaren formalen wie inhaltlichen Elementen zu fassen, führte in der Forschung gelegentlich dazu, Dialoge hinsichtlich ihrer vermeintlichen Echtheit (= Ergebnisoffenheit) bzw. Unechtheit zu unterscheiden; letzteres bedeutete, daß ein Dialog die Meinung seines Verfassers in nur scheinbar kontrovers diskutierter Weise exemplifiziere, sein Ergebnis stand diesem Verständnis nach bereits im Vorhinein fest. Lehrhafte Dialoge wie beispielsweise Fontenelles Pluralité wären demnach nicht zu den echten, sondern den Pseudo-Dialogen zu rechnen. Vgl. dazu

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definiert die „dialogische Methode“ in einem philosophisch-literarischen Kontext: Methode (Gesprächs=) Methodus dialogistica, wird genennet, wenn eine vorgenommene Materie in einem Gespräche, so zwischen geschickten Personen angestellet worden, erörtert und abgehandelt wird. Diese Methode läßt sich hauptsächlich auf solche Materien anwenden, die von Seiten sich disputiren lassen. Ihr erster Erfinder ist der Socrates, daher sie auch den Namen der Socratischen Methode (Methodi Socraticae) erhalten hat [...]. So viel kan hier noch erinnert werden, daß der Frantzösische Polyhistor, der Herr von Fontenelle, durch sein Gespräche von mehr als einer Welt, dieser Methode einen neuen Glantz gegeben habe.17

Über die „Disputation“ verschiedener Themen hinaus verwiesen Dialoge in ihrer schriftlich fixierten Form immer auch auf ideale mündliche Konversationen. Zahlreiche zeitgenössische Abhandlungen und Stilkunden unternahmen den Versuch, die vielfältigen Funktionen der Textsorte bzw. Schreibart darzulegen. Der schriftliche Dialog bot sich nahezu unabhängig vom Inhalt, der durch ihn transportiert werden sollte, durch seine Verwandtschaft mit mündlichen Konversationen auch als Mittel für die geschmackliche Bildung seiner Rezipientinnen und Rezipienten an.18 Neben der Unmenge an stilbildenden Konversati-

auch Alexandra Kleihues in ihrer Bewertung von Roland Mortiers Ausführungen zu Diderots echten Dialogen in dies., Dialog als Form, S. 14 f. 17 Zedler, Universal-Lexicon, „Methode (Gesprächs=)“, Bd. 20, Halle 1739, Sp. 1299. 18 Das grundsätzliche Problem, trennscharf zwischen den Begriffen Dialog und Gespräch zu unterscheiden, bleibt trotz zahlreicher neuerer Definitionsversuche bestehen. Thomas Fries geht u. a. in seiner Einleitung zum Dialog der Aufklärung auf diesen Aspekt ein und bemerkt: „Es lässt sich zwar eine Tendenz erkennen, den Begriff Gespräch für die mündliche Wechselrede (Konversation, Sprachpragmatik) zu reservieren, den Begriff Dialog hingegen für das dargestellte (Textsorte Dialog, Dialog im Drama) oder zum Gegenstand einer Theorie gewordene (Philosophie, Linguistik) Gespräch zu verwenden. Die enge Verbindung der beiden Begriffe erschwert oder verunmöglicht jedoch die säuberliche Trennung in jedem einzelnen Fall.“ Fries, Dialog der Aufklärung, S. 8. Ernest W. B. Hess-Lüttich konstatiert zum selben Thema: „Schon die Abgrenzung der Grundbegriffe – ›Dialog‹, ›Gespräch‹, ›Konversation‹, ›Diskurs‹ – voneinander ist bis heute uneinheitlich geblieben und hat zu konkurrierenden Zweigen der Analyse mit einer jeweils spezifischen Benennung der Phänomene geführt.“ Hess-Lüttich, Dialog, Sp. 606. Neben der gleichsam gattungsimmanenten Schwierigkeit, zwischen mündlicher und schriftlicher Wechselrede zu unterscheiden, wirft Fassmanns Verwendung des Begriffs Gespräch für seine literarisch-fiktiven Dialoge die Frage auf, welche Vorstellung er mit seiner Bezeichnung verband: War der Begriff Totengespräch nur mehr eine Übersetzung des griechischen Originals, der Lukianischen Nekrikoi dialogoi, oder der französischen Dialogues des Morts? Sollte also ein ‚eingedeutschtes‘ Wort anstelle eines Lehnwortes die Gattung bezeichnen? Oder wollte Fassmann mit der Betonung auf dem Wort Gespräch gerade die Überzeugungskraft seiner literarischen Fiktion erhöhen, indem er auf mündliche Konversationen anspielte? Fries versucht seine These, daß der Dialog als Gattung in Deutschland im Vergleich zu Frankreich erst sehr spät zu Geltung gekommen sei, u. a. damit zu untermauern, daß im

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onsbüchern vermochten auch einzelne Dialoge, zeitgenössische Vorstellungen von vorbildlich geführten Gesprächen zu transportieren. Thomas Fries und Klaus Weimar konstatieren in diesem Zusammenhang: „Dialoge dienen neben der jeweiligen sachlichen Erörterung [...] immer auch als Illustration einer idealen Praxis geselligen Betragens, bis hin zu den Mustergesprächen des 17. Jahrhunderts (Harsdörffer Frauenzimmer Gesprächspiele, 1641–1649).“ 19 In Anlehnung an die preziösen bzw. galanten Gespräche französischer Salons zeigten einige Dialoge auch, worüber und vor allem auf welche Weise man sich in Gesellschaft zu unterhalten hatte, wenn man mit der Mode gehen wollte. Da für den größten Teil der Leser die aktive Teilnahme an den Gesprächen der französischen Salon- und Hofkultur nicht sehr wahrscheinlich war, gaben gedruckte Gespräche, so vielleicht die unausgesprochene Hoffnung der Rezipienten, zumindest einen Abglanz der nachahmenswerten fremden Konversationskultur wieder. Neben dieser eher normativen Wirkung vorbildlicher Gespräche darf jedoch der logisch-inhaltliche Aspekt bzw. die rhetorische Fundierung der an Sokrates, Platon und Xenophon geschulten Lehrgespräche20 nicht übersehen

Deutschen der Bezug des Dialogs zum Alltagsgespräch im Gegensatz zum Französischen nicht gegeben sei. Zedlers Universal-Lexicon, so Fries, verstehe unter Dialog rein schriftliche Formen, nicht aber das mündlich geführte Gespräch. Laut seinen Ausführungen zeugt die Tatsache, daß man im Französischen zwischen conversation, entretien und eben dialogue unterscheiden konnte, vom Vorsprung der Gattung im Vergleich zum ‚zurückgebliebenen‘ Deutschland. Dort sei dialogue als reiner Fachbegriff verstanden worden, der allerdings nur sehr selten als Titel für literarische (d. h. schriftliche) Dialoge verwendet worden sei. Als Gegenargument sei jedoch auf Fassmanns Praxis verwiesen, seine Gespräche auf dem Titel stets auch als Entrevuen, also Begegnungen, zu bezeichnen. In Annäherung an d’Alemberts Definition mündlicher entretiens zeugt die alternativ verwendete Bezeichnung vom Bemühen Fassmanns, den konversationellen, anti-fiktiven und unterhaltsamen Charakter seiner Gespräche zu proklamieren. Zu einer Zeit, die zwischen der Bewunderung französischer Kultiviertheit und der Entwicklung eines eigenständigen (literarischen) Selbstbewußtseins schwankte, kann das Fehlen eines deutschen Fachbegriffs in einem Lexikon nicht wirklich überraschen; zumindest sollte dies nicht als Beweis für einen angeblich defizitären Zustand herangezogen werden. Darüber hinaus bietet das Universal-Lexicon zahlreiche Einträge zur Unterredung, die (analog zum franz. entretien) als Übertragung des lateinischen colloquium unterschiedliche Bedeutungen annehmen konnte. Einige Artikel verweisen sogar bereits auf die periodische Dialogliteratur. Vgl. Zedler, Universal-Lexicon, „Monatliche Unterredungen“ (Bd. 21), „Neue Unterredungen“ (Bd. 24), „Unterredung, lat. Colloquium“ (Bd. 49) und „Unterredungs-Disputation“ (Bd. 49). 19 Fries u. Weimar, Dialog, S. 355. 20 Zum Lehrgespräch auch Jörg Kilian: Lehrgespräch und Sprachgeschichte: Untersuchungen zur historischen Dialogforschung, Tübingen 2002; Karl Pestalozzi (Hg.): Der fragende Sokrates, Leipzig 1999; Gabriele Vickermann-Ribémont u. Dietmar Rieger (Hg.): Dialog und Dialogizität, Tübingen 2003.

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werden: Gerade der Bildungscharakter eines Journals wie der Gespräche in dem Reiche derer Todten macht deutlich, daß Dialoge, und besonders Totendialoge, auch außerhalb des humanistisch geprägten Schulunterrichts zu Beginn des 18. Jahrhunderts als geeignet erachtet wurden, Wissenswertes auf angenehm zu lesende, rhetorisch geschickte Art und Weise zu vermitteln.21 Obwohl die Forschung, wie oben erwähnt, gelegentlich dazu neigte, Dialoge, die eine dezidiert didaktische Funktion hatten, als ‚Pseudo-Dialoge‘ oder minderwertig abzutun, zeigen diese doch gerade (und dies vielleicht in höherem Maße als echte, d. h. vermeintlich ergebnisoffene), daß die Textsorte inhaltlich wie strukturell nicht ohne weiteres auf eine einzige Bedeutungsebene eingegrenzt werden kann. Interessanter als die Diskussion über die Echtheit bzw. Unechtheit von Dialogen ist die Frage nach dem Erwartungshorizont und der intendierten Wirkung auf den jeweiligen Rezipientenkreis: Welche Inhalte wurden durch den Dialog übermittelt? Stellte er überkommene Meinungen in Frage? Und wenn ja, auf welche Weise und mit welchen sprachlichen Mitteln? Wenn man in diesem Zusammenhang die Gespräche als absichtsvoll gestaltete schriftliche Rede (mit der dazugehörigen Gegenrede) liest, werden die zahlreichen Bezüge zur Rhetorik deutlich. Dialoge, und unter ihnen auch die Fassmanns, wurden zu Beginn der Aufklärung nicht nur als Mittel verstanden, einzelne Ideen und philosophische Erkenntnisse zu transportieren, sondern auch als Anknüpfungspunkte zur materiell faßbaren Wirklichkeit. Diese bedurfte aber nunmehr einer (zumindest ansatzweise) verifizierenden Interpretation. Kleihues argumentiert in ihrer Studie zum Dialog als Form überzeugend, daß besonders die zahlreichen Zitate authentischer Berichte und (Fremd-)Dokumente sowie das Erscheinen ‚realer‘ Personen in Dialogen von dieser Absicht zeugen.22 Analog dazu dokumentiert Fassmanns Technik, Dokumente, Briefe, Urkunden, Verträge oder Protokolle wichtiger Ereignisse in seine Gespräche aufzunehmen, dessen Bestreben nach Authentizität und nach einer spezifischen

21 Darbietungsform und Inhalt ergänzen sich in Fassmanns Journal. Seine Auffassung von Geschichte, die sich zwischen einer eher humanistisch-rhetorischen auf der einen und enzyklopädischen auf der anderen Seite bewegt, äußert sich u. a. im moralisch-lehrhaften sowie historisch-systematischen Charakter seiner Gespräche. Die Tradition des Lehrgesprächs, die in den Leipziger Gesprächen nachwirkt, verlangte nach memorablen sowie reproduzierbaren Fakten. Lehrhafte Dialogtradition und Historie teilen sich in Fassmanns zeittypischer Konzeption die dezidierte Bildungsfunktion. Zu den verschiedenen Auffassungen von Historik vgl. Horst Walter Blanke, Dirk Fleischer und Jörn Rüsen: Historik in akademischer Praxis. Zur Tradition geschichtstheoretischer Reflexion in Deutschland von 1750 bis 1900, in: Aufklärung und Historik, hg. v. Horst Walter Blanke u. Dirk Fleischer, Waltrop 1991, S. 1–32, hier S. 6 ff. 22 Kleihues, Dialog als Form, S. 17 f.

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Interpretation von Historie. Um die realitätsnahe Wirkung der historischen Figuren im Gespräch noch zu erhöhen, ließ Fassmann seine Schatten nach Art eines locus communis Sentenzen oder Sprichwörter anführen, die einzelne Charaktereigenschaften oder Ereignisse aus dem Leben der Figuren illustrierten und dabei meist der unmittelbaren Lebenswelt seiner Leser entstammten. Somit vermochte er die Distanz, die aufgrund des großen sozialen Gefälles zwischen den im Journal porträtierten Figuren und seinen Lesern bestand, um ein Weniges zu verringern – ohne damit den Reiz, der für die meisten seiner Leser gerade durch die Fremdheit der Biographien und Lebensläufe bedingt war, zum Verschwinden zu bringen. Allgemeingültige Maximen, besondere Taten oder Argumente wurden im Journal miteinander verknüpft; meist in dem Sinne, daß eine allgemein bekannte Sentenz einen Charakterzug auf unterhaltsame Art exemplifizieren oder ein Argument innerhalb einer kontroversen Diskussion bekräftigen sollte.23 So führte Fassmann in seiner Typologie „sämtlicher Frauenzimmer“, die er in der Vorrede zum IV. Band entwirft, u. a. diejenigen Frauen an, die zwar „schöne und vortreffliche Gesichter“ hätten, deren Seelen aber, so die Vorrede, trotz ihrer besonderen Schönheit nichts taugten: Auf diese beziehet sich das Italiänische Sprichwort: La donna è come la Castagna, bella da fuori, mà dentrò ha la mancagna; das Frauenzimmer gleichet einer Castanie, die zwar schön von aussen aussiehet, inwendig aber gantz verdorben ist. 24

Das Verhalten einer bestimmten Gruppe, in diesem Falle Frauen bzw. schöne Frauen, wird mit Hilfe eines Sprichwortes näher beschrieben, das moralisches 23 Diese Vorgehensweise ließe sich ohne weiteres auch mit der antiken Gattung der Diatribe vergleichen, mittels derer Moralphilosophen gegen den allgemeinen Sittenverfall anzugehen versuchten. Derbe Anekdoten, satirische Verweise und offene Kritik an gegenwärtigen Zuständen waren Kennzeichen dieser Gattung, die im Humanismus als Streitschrift eine regelrechte Renaissance erlebte. Zur Bedeutung der Diatribe als rhetorische Figur, die u. a. dazu verwendet wurde, kurze Gedanken über den Charakter einer Figur festzuhalten, damit sie den Zuhörenden im Gedächtnis blieben, vgl. den gleichnamigen Artikel von Stanley K. Stowers, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. v. Gert Ueding, Bd. 2 (Bie–Eul), Tübingen 1994, Sp. 627– 633. 24 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IV, Leipzig 1726, Vorrede, S. 6. Die sprichwörtliche Redensart wird im Italienischen meist wie folgt zitiert: La donna è come la castagna: bella di fuori, dentro è la magagna. Vgl. dazu auch Leopold Carl Maximilian Giani: Italienische Sprichwörter in deutschem Gewande, Stuttgart 1876, S. 571. Laut Ida von Düringsfelds Verzeichnis deutscher und romanischer Sprichwörter ist die besagte Redensart neapolitanischen Ursprungs; von ihr existieren zahlreiche Variationen im Sinne des ‚außen schön und innen verdorben‘. Im Deutschen wurde die Kastanie jedoch meist mit positiven Assoziationen verbunden, gemäß dem Motto ‚harte Schale, weicher Kern‘ etc. Vgl. dazu Ida von Düringsfeld und Otto von Reinsberg-Düringsfeld: Sprichwörter der germanischen und romanischen Sprachen vergleichend zusammengestellt, Leipzig 1878, S. 52.

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Urteil und Bildungsgedanken miteinander verbindet. Wer unter den Lesern nicht zu den ‚schönen, aber inwendig verdorbenen‘ Frauen gehörte, lernte in der Vorrede nicht nur ein italienisches Sprichwort kennen, sondern konnte sein eigenes Urteil mit dem vergleichen, was Fassmann in Bezug auf die verschiedenen Klassen der „sämtlichen Frauenzimmer“ anmerkte. Im Anschluß an das oben zitierte Sprichwort führte die Vorrede noch weitere Vergleiche an, die das einmal gefällte Urteil über die Verderbtheit jener Frauen bekräftigen sollen. Dem Status ihrer außergewöhnlichen Schönheit wurde durch die Wahl „extra= ordinärer“ Vergleichsmittel Rechnung getragen: Ja sie gleichen denen ehemaligen Egyptischen Tempeln, welche von aussen ungemein schön, und herrlich ausgesehen, inwendig aber das Bildniß eines abscheulichen Drachens oder Crocodills umschlossen gehabt. Solche schöne und vortreffliche Gesichter müssen wissen, daß sie, ihrer Schönheit und vortrefflichen Exterieurs ungeachtet, die elendesten Creaturen auf Erden sind, die mit aller Gewalt trachten sollen, aus denen Stricken des Satans, worein sie durch ihre Schönheit gerathen, zu kommen, und wieder auf den Weg der Tugend zu gelangen.25

Neben einheimischen Sprichwörtern und fremden Lebensweisheiten dienten Fassmann auch unterschiedlich motivierte Exkurse dazu, dem Bildungsauftrag seiner Totengespräche nachzukommen. Bei mehr oder weniger geeigneter Gelegenheit ließ Fassmann häufig eine Figur die Rede der anderen unterbrechen. Auf eine Frage nach den Gründen oder genaueren Umständen eines Sachverhalts erfolgte in den Dialogen eine mehr oder weniger ausführliche Antwort durch das jeweilige Gegenüber. Durch diese immer wieder angewandte Technik lieferte Fassmann den Lesern Wissenswertes zu einem bestimmten Stichwort. So erwähnt Henry VIII. in der Erzählung seines Lebenslaufs die Stadt San Sebastian. Im abschließenden Nachrichtenteil nimmt sein Gesprächspartner, der türkische Sultan Süleyman, die Nachricht von der Belagerung der Stadt zum Anlaß, nach genaueren Informationen über diesen Ort zu verlangen: Solimannus A propos. Es ist bereits in eurer Historie Erwehnung von St. Sebastian gethan worden. Geruhet doch, mein lieber Heinrich, mir eine etwas genauere Erzehlung von dessen Situation zu geben.26

Auf Süleymans Bitte hin liefert Henry ihm aufs Stichwort die gewünschten geographischen sowie historischen Informationen und mehrt somit die Kenntnisse derjenigen Leser, die aller Wahrscheinlichkeit nach keine genaueren Vorstel-

25 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IV, Leipzig 1726, Vorrede, S. 6. 26 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 9, Leipzig 1719, S. 724.

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lungen von der erwähnten Stadt und den dort herrschenden Zuständen hatten. In der Introduktion zur 45. Entrevue nutzt Fassmann hingegen weniger die aktuellen Nachrichten, sondern die kontrastiven Charaktere seiner Figuren Mulai Ismail und Herzog Ernst dazu, verschiedene Elemente christlicher Vorstellungen vom Jenseits bzw. der griechischen Mythologie zu erörtern. Ernst, der im Gegensatz zum grausamen marokkanischen Tyrannen in einer angenehm lieblichen Gegend der Unterwelt logieren darf, ruft sich während eines Spaziergangs eine Geschichte in Erinnerung, in der Apoll sich für die störend lauten Donnerschläge Jupiters an den Zyklopen rächen möchte. Er tut dies Fassmanns Version des Mythos gemäß jedoch nicht, um sich (indirekt) an seinem Vater Jupiter für die Ermordung seines Sohnes Asklepios zu rächen. Der Grund für Apolls Vergeltungswut wird hier damit begründet, daß die Zyklopen jene Keulen herstellten, mit denen der Göttervater an den angenehmsten Sommertagen verheerende Gewitterstürme hervorzurufen vermochte und damit die allgemeine Ruhe störte. Im Folgenden erinnert sich Herzog Ernst an Apolls Leben als Hüter der Herden von König Admetus. Die von Ernst wiedergegebene mythische „Fabel“ wird von Fassmann an dieser Stelle mit dem wiederum selbst zum topos gewordenen Lob des idyllisch-einfachen Schäfer- und Landlebens verknüpft. Laut Ernst sind die Schäfer „weit glückseliger, als die Könige in ihren Pallästen“. Am Ende dieser Passage heißt es: Diese Fabel erzehlete Ernestus gantz laut her, und sprach: Sie hat mir vor tausend andern, zu wissen erlaubten Heydnischen Gedichten wohl gefallen. Wer ist aber, fragte Ernestus, den einen bey ihm seyenden Engel, dieser Apollo eigentlich gewesen?27

Trotz des zuerst als Selbstgespräch inszenierten Exkurses befindet sich Ernst offenbar in (all-)wissender Gesellschaft: Der „bey ihm seyende Engel“ vermag ihm (und damit dem Leser) genauere Informationen über die Figur des Apoll zu liefern. Fassmann führt diesen anfänglichen Monolog in einen Dialog über, der neben dem Ausweis der charakterlichen Vorzüglichkeit des sächsischen Herzogs vor allem belehrende Funktion hat. In Anlehnung an tradierte LehrerSchüler-Gespräche dient an dieser Stelle das Frage-Antwort-Schema zwischen Herzog Ernst und der anwesenden Engelsfigur dazu, ein bestimmtes, in diesem Fall mythologisch-literarisch geprägtes Thema durch einen Exkurs weiter zu vertiefen. Die Tatsache, daß Fassmann in seinen Totengesprächen häufig derartige Exkurse initiierte bzw. auf die lebensnahe Wirkung von Sprichwörtern zurückgriff, unterstützt die weiter oben angeführte These von Kleihues, wonach zeit-

27 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 45, Leipzig 1722, S. 929.

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genössische literarisch-fiktive Dialoge die ‚Wirklichkeit‘ ihrer Leser mit externen (v. a. nachprüfbaren) Zeugnissen zu erklären suchten. Auf die Rhetorik angewendet bedeutet dies, daß dem exemplum innerhalb der Argumentation größere Bedeutung zugemessen wurde. Eine im Dialog verhandelte causa erhielt durch die außerhalb dieser causa liegenden exempla bzw. deren Quellen ihren Bezug zur Realität. Das wäre mit den der causa zugehörigen argumenta nicht ohne weiteres herzustellen gewesen.28 Die exempla stellen in Analogie zu den ‚unkünstlichen Beweisen‘ außerdem den Bezug zu den res gestae her, die in der Schilderung der Historie bzw. Biographien eine wichtige Rolle einnahmen. An Fassmanns Dialogen wird ersichtlich, an welchen Stellen die externen, d. h. causa-unabhängigen historischen Beispiele den Vorzug vor den causa-abhängigen Argumenten erhielten.29 Das exemplum sollte jedoch nicht nur im rhetorischen Kontext verstanden werden: Die zahlreichen oben erwähnten Fremddokumente, die Fassmann in seine Dialoge implementierte, zeigen, wie weit er den Begriff des Beispiels faßte und in welchen Aspekten er sich beispielsweise von zeitgenössischen Vorstellungen entfernte, so z. B. im Hinblick auf die Frage, welche exempla geeigneterweise die res gestae einer Figur verdeutlichen konnten.30 Im Zusammenhang mit dem Bildungsanspruch, den er mit seinen Totengesprächen verfolgte, kam der amplifizierenden Schilderung durch Dokumente, Sprichwörter und Anekdoten, die Fassmann außerhalb der literarischen Fiktion seiner Dialoge fand, eine wichtige Rolle zu. Hierfür konnte in den Gesprächen alles das dienen, was einen Erkenntnisgewinn oder zumindest einen gewissen Unterhaltungswert im Hinblick auf die jeweilige causa besaß; mithin fanden die Reihe der „considerablesten“ Städte der „Provintz Holland“ Eingang in das Gespräch zwischen dem Engländer Stanhope und dem

28 Vgl. dazu Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik, Stuttgart 31992, Abschnitt C. III. γ. Exempla, S. 228. 29 Lausberg bietet in seinem Handbuch zur literarischen Rhetorik auch einen systematischen Überblick über die verschiedenen Arten der exempla und den dazugehörigen Quellen. Die historischen exempla würden vorzugsweise aus dem Grund angeführt, weil ihre Quellen gemäß tradierten Vorstellungen auf Wahrheit beruhten und deswegen als besonders glaubwürdig erachtet würden. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, S. 228. 30 Vgl. hierzu etwa Balthasar Kindermanns Redner, in welchem er zu verschiedenen Redeanlässen Beispiele anführt, die in geeigneter Weise die Taten und Tugenden eines Menschen belegen sollen. Balthasar Kindermann: Der Deutsche Redner / In welchen unterschiedene Arten der Reden auff allerley Begebenheiten / Auff Verlöbnüsse / Hochzeiten/ Kind=Tauffen / Begräbnüsse / auf Empfah=Huldig=Glückwunsch=Abmahn= und Versöhnungen / Klag und Trost [...], Frankfurt (Oder) 1660. In Fassmanns Dialogen standen, bedingt durch die Ansprüche einer historisch-politischen Zeitschrift, noch andere Aspekte im Vordergrund als bei den deutlich religiös konnotierten Leich=Abdanckungen, deren regelgerechte Abfassung Kindermann in seinem Redner behandelt.

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Niederländer Heinsius31 oder die vierzeiligen Gedichte, die Herzog Ernst im Jahre 1650 anläßlich einer Friedensfeier mit eigens geprägten Münzen unter seinen Untertanen verteilen ließ.32 Weiteren Aufschluß über die verschiedenen Absichten, die Fassmann mit Hilfe der dialogischen Schreibart zu erfüllen suchte, erlangte der Leser u. a. in der Vorrede zu einem Extraordinären Totengespräch zwischen dem Bürgermeister der Stadt Thorn, Johann Gottfried Rösner, und dem Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola. Dort heißt es zu den Beweggründen des Autors, ein Gespräch über die so genannte Thorner Affäre33 zu verfassen, über die bereits in unzähligen widersprüchlichen „Schrifften und Chartequen“ berichtet worden sei: Ich habe dannenhero die Feder gleichfalls ergriffen, und, nach langer Überlegung, endlich den decollirten Thornischen Ober=Præsidenten, Herrn Johann Gottfried Rößnern, und den, durch Päbstliche Autoritæt, mit dem Prædicat eines Heiligen belegten, Ignatium von Loyola, miteinander redende aufgeführet, weil ich vermeynet, auf diese Weise, von dieser wichtigen Sache, pro & contra discuriren, und endlich einen unpartheyischen Schluß darüber machen zu können.34

Fassmann berührt in diesem Abschnitt den Kern der Sache: Er habe sich für den Dialog als Darstellungsform entschieden, um das Für und Wider in einer kontrovers diskutierten Affäre behandeln zu können. Die Vermittlung verschiedener Standpunkte zu einem Thema (und der hier proklamierte „unpartheyi-

31 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Leipzig 1721, S. 1163 f. 32 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 45, Leipzig 1722, S. 945. 33 Auslöser für die bereits früh als Thorner Blutgericht bezeichnete Affäre war ein Handgemenge zwischen einigen Katholiken und Protestanten anläßlich einer katholischen Prozession, die im Jahre 1724 in der polnischen Stadt Thorn stattfand. Nachdem der Streit eskaliert war und schließlich in anti-jesuitische Angriffe auf das örtliche Gymnasium mündete, wurden fast ein Dutzend Protestanten, unter ihnen auch Johann Gottfried Rösner, zum Tode verurteilt. Durch die europaweite Verbreitung der Nachrichten von diesem Ereignis in Form von Depeschen, später auch in Nachrichtenjournalen, erhielt die Auseinandersetzung in der polnischen Stadt größtmögliches politisches Gewicht und avancierte zur Affäre, mit der sich ein knappes Jahr später auch David Fassmann in seinem „extraordinären“ Totengespräch beschäftigte. Zur ‚Thorner Affäre‘ vgl. Stefan Hartmann: Die Polenpolitik König Friedrich Wilhelms I. von Preußen zur Zeit des „Thorner Blutgerichts“ (1724–1725), Berlin 1995 (= Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 5). 34 David Fassmann: Extraordinaires Gespräche in dem Reiche derer Todten, bestehende in einer Entrevue zwischen dem Thornischen Ober=Praesidenten Roessner, welcher, im Decembr. des letztverwichenen 1724ten Jahres decolliret worden, und dem Stamm=Vater, auch Stiffter des Jesuiter Ordens, Ignatio von Loyola [...], o. O. [Berlin] 1725, Vorrede, S. 2 f. (unpag.).

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sche Schluß“) erfolgte im Dialog im allgemeinen durch die Personifikation der unterschiedlichen Meinungen, im Totendialog im besonderen durch zwei (mehr oder weniger) berühmte Verstorbene. Trotz der dialogischen Form konnte der Leser keine ‚echte‘ Mehrstimmigkeit (im Unterschied zur Bachtinschen Dialogizität) erwarten. Die Entrevuen gaben gemäß den Regeln der Gattung keine mündliche Konversation zweier oder mehrerer Personen wieder, sondern illustrierten unterschiedliche Meinungen zu einem bestimmten Sachverhalt.35 Die Wiedergabe erfolgte im Journal mittels der „äußerlichen Mehrstimmigkeit“ 36, die Fassmann mit der Rede und Gegenrede seiner Figuren erzeugte. Gemäß der literarischen Konvention reichte diese artifiziell-fiktive („fingirte“) Stimmen- und Meinungsvielfalt jedoch aus, um im Verständnis der Zeit die Diskussion kontroverser Themen und Meinungen überzeugend darzustellen. Hans Georg Coenen weist im Historischen Wörterbuch der Rhetorik auf den grundsätzlich dialektischen Charakter literarischer Dialoge hin und konstatiert: „Beim Studium jedes literarischen Dialogs sind zwei Kommunikationsebenen zu unterscheiden: einerseits verkehren die fiktiven Personen des Dialogs miteinander, andererseits spricht der Autor durch Vorlage des Dialogtextes mit seinem Leser. [...] Beide Ebenen lassen eine dialektische Analyse zu.“ 37 Über den Aspekt der mehrfachen Kommunikationsebenen hinaus stellt die Art des von Fassmann gewählten Dialogs, das literarisch-fiktive Gespräch zweier Toter, nur einen der bereits erwähnten institutionalisierten Gesprächstypen dar. Im Kontext zeitgenössischer Konversationsformen (schriftlicher wie mündlicher, fiktiver wie ‚realer‘) müssen die Leipziger Gespräche als eine mögliche

35 Fassmanns Zeitgenossen waren sich des Problems bewußt, daß die Unparteilichkeit der Autoren häufig eher von einer angenommenen denn von einer tatsächlich neutralen Haltung zeugte. Besonders bei der Vermittlung der Historie (samt deren zahlreichen Teildisziplinen) mit Hilfe neuartiger Journale mahnten zahlreiche Stimmen zur Vorsicht. Andreas Westphal beispielsweise bemerkt zu diesem Thema in seiner 1729 erschienenen Kurtzen Anleitung zur Erlernung der Historie, in der er Bezug nimmt auf die Vermittlung der Historiae librorum: „Jedennoch aber wird auch bey dem Gebrauch der Journale eine grosse præcaution erfodert / sintemahl viele zum öfftern sehr partheyisch / und mit einer bittern und stachlichten Schreib= Art abgefasset; derselben concipienten die hierzu erfoderte Geschicklichkeit und capacité nicht besessen / noch die recensiones der Bücher behöriger massen eingerichtet haben.“ Andreas Westphal: Kurtze Anleitung zur Erlernung der Historie [1729], in: Aufklärung und Historik, hg. v. Horst Walter Blanke und Dirk Fleischer, Waltrop 1991, S. 290–347, hier S. 301. 36 Zum Begriff der äußerlichen Mehrstimmigkeit vgl. Thomas Fries: Dialog der Aufklärung. Shaftesbury, Rousseau, Solger, Basel 1993, S. 8. 37 Coenen, Dialektik, Sp. 593. Die Kommunikation des Textes mit dem Leser kann wiederum mit dem Stichwort der Dialogizität in Verbindung gebracht werden. Dazu vgl. auch Renate Lachmann (Hg.): Dialogizität, München 1982.

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Form des Dialogs unter vielen gelesen werden. Jörg Kilian bemerkt in seinem Überblick über die Ziele und Methoden der historischen Dialogforschung zu diesem Aspekt: [D]ie prototypischen Funktionen einer bestimmten historischen Dialogsorte [sind] nur dann hinreichend sprachpragmatisch zu beschreiben, wenn [...] auch die typischen sprachstrukturellen Handlungsmittel und -formen dieser Dialogsorte bekannt sind und wenn die sprachsoziologischen Bedingungen der Realisierung dieser Dialogsorte in die dialogtypologische Bestimmung einfließen; und schließlich kann auch die kulturhistorische Verortung eines Dialogexemplars, einer Dialogsorte und erst recht eines ganzen Dialogtyps im Gesamt eines Diskurses oder gar im Gesamt des gesellschaftlichen Dialogrepertoires nur dann erfolgreich geleistet werden, wenn die Strukturen und Funktionen einzelner dialogischer Handlungsmittel und -formen dieser Dialogsorte bekannt sind.38

Die Gespräche in dem Reiche derer Todten bieten durch ihre spezifische Gestaltung Einblick in einen Teil des von Kilian dargelegten „gesellschaftlichen Dialogrepertoires“ in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Fassmanns Leser sind über ihre Kenntnis tradierter Dialogtypen hinaus auch dazu aufgefordert, sich mit Hilfe ihrer Fähigkeit zum weiter oben zitierten „unpartheyischen Schluß“ ein Urteil über die in den Gesprächen vorgestellten Figuren und deren Taten zu bilden. Im Kontext des aufklärerischen Diktums der ‚gerechten‘ Darstellung unterschiedlicher Standpunkte fordert Zedlers Universal-Lexicon von den Rezipienten vor allem derjenigen Organe, die historische Ereignisse und politische Entscheidungen darstellen: Der Leser muß auch selber von keinen Vorurtheilen eingenommen seyn, und etwan nur diejenigen bemercken, welche mit seiner Meynung überein stimmen, und die andern vorbey gehen. Wer ein Urtheil fällen will, muß beyde Partheyen hören, und alsdenn nach der Wichtigkeit derer Zeugnisse den Entschluß fassen.39

Eine kritisch geführte (fiktive) Diskussion eines Ereignisses oder einer Tat auf der einen Seite und die ausgebildete Fähigkeit der Rezipienten zum rechten Urteil auf der anderen sollen demnach idealerweise zu dem Ergebnis führen, das Zedlers Universal-Lexicon an dieser Stelle fordert: zu einer profunden Auseinandersetzung mit einem historisch bedeutsamen Thema und einem abschließenden gerechten Urteil. Der Dialog als dialektisch argumentierende Schreibart war – zumindest für viele an der Historie interessierte Scribenten – ein probates Mittel, um die rechte Art von Informationsvermittlung und vor allem auch Meinungsbildung zu

38 Kilian, Historische Dialogforschung, S. 54. 39 Zedler, Universallexikon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 285.

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betreiben. Fassmann bemerkt im Hinblick auf die Dialogtradition im Gespräch zwischen den römischen Kaisern Marc Aurel und Julianus Apostata: Es ist wahr, daß sich vor Zeiten die weisesten Leute auf Unterredungen und Gespräche geleget, die sie geschrieben und heraus gegeben; wie es dann auch wahrhafftig die leichteste Art, sich wohl zu expliciren, und einem andern einen richtigen Begriff von dem, was man sagen will, beyzubringen. Heutiges Tages aber giebet es Leute in der Welt, welche das, was man per Modum Dialogi, oder Gesprächs=weise, geschrieben und ausgeführet, mit verächtlichen Augen ansehen, und ihr Gespötte darüber treiben. Das nun sind gemeiniglich so hoch=weise und hochgelahrte Herren, die vor lauter Gelehrsamkeit und Weisheit strotzen, wie ein Sack, wann er vor lauter Quirl und Rühr=Löffel stecket. Wann sie indessen ihres Orts selber etwas schreiben und heraus geben, ist es dermaßen dunckel, daß man bißweilen viele Seiten lieset, ja wohl eine Sache vom Anfang biß zum Ende durchgehet, ohne daß man weiß, oder errathen kan, was sie eigentlich sagen wollen? Solches nennen sie eine hochgelahrte Schreib=Art. 40

Dialoge stellten Fassmanns Auffassung gemäß die „leichteste Art sich zu expliciren“ dar bzw. die geeignete Art, seinen Lesern den „richtigen“ Begriff von einer Sache zu vermitteln. Der Hochmut der Pedanten und „Schulfüchser“, welche die dialogische Schreibart verächtlich machen wollten und ihre eigenen Versuche für qualitativ hochwertiger erachten, wird hier deutlich verurteilt. Im Gegensatz zu diesen zwar negativ konnotierten, aber nicht näher bezeichneten Schreibversuchen der „hoch=gelahrten Herren“ sollten seine Dialoge für klare Begriffe sorgen. Im Kontext der Zeit versteht Winfried Müller das Gespräch (sprich: den schriftlichen Dialog) nicht nur als eine unter vielen literarischen Gattungen, sondern vielmehr als prototypisches Ausdrucksmittel: Das Gespräch als das dynamische Wechselspiel von Frage, Antwort und Widerspruch, durch das Vorurteile aufgeweicht, Anregungen vermittelt sowie Meinungen und Mitteilungen multipliziert wurden, war [...] das Ferment der Aufklärung.41

Innerhalb der gleichbleibenden Dialogstruktur, nach der Fassmanns und andere Totengespräche organisiert waren, konnten unterschiedliche Gesprächsthemen behandelt werden, verschiedene Anschuldigungen entkräftet oder auf diverse Gerüchte eingegangen weren, die sich um eine historische Figur rankten. Ralf Bogner hebt in seiner Studie42 zu literarischen Nachrufen die Vorteile hervor, die sich für die Autoren zu Beginn der Aufklärung ergaben, wenn sie sich

40 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 206, Leipzig 1736, S. 1111 f. 41 Müller, Aufklärung, S. 26. 42 Ralf Bogner: Der Autor im Nachruf. Fromen und Funktionen der literarischen Memorialkultur der Reformation bis zum Vormärz, Tübingen 2006 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 111).

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dialogischer Textsorten bedienten: Anders als trockene lateinische Abhandlungen versprachen die nunmehr auf Deutsch publizierten Totengespräche mehr Lebendigkeit und Abwechslungsreichtum bei der Lektüre. Doch entgegen dem aristotelischen Schema von These, Antithese und abschließender Synthese ermöglichten es Dialoge – und eben auch Totendialoge –, eine bestimmte Position zu stärken und rhetorisch als Sieger dastehen zu lassen. Bogner gemäß ging es in vielen Gesprächen weniger darum, diplomatisch zwischen verschiedenen (politischen, religiösen etc.) Positionen zu vermitteln, sondern eine bestimmte Lesart im Bewusstsein der Leserschaft festzuschreiben. Am Beispiel eines anonym erschienenen zweiteiligen Totengesprächs zwischen dem Pietisten Francke und dem Rechtsphilosophen Christian Thomasius (beide zeitweilig Lehrer bzw. Gönner Fassmanns) macht Bogner deutlich, wie Meinungsbildung in Totengesprächen funktionierte und wogegen man als Autor schriftlich opponieren konnte.43 Besonders Thomasius hatte als Rechtsgelehrter immer wieder mit dem Vorwurf der Häresie zu kämpfen (vgl. dazu auch den Abschnitt 3.5). Ein Autor konnte einer Figur gleichsam posthum argumentative Schützenhilfe leisten und eine bestimmte Lesart einer strittigen Frage propagieren, wie Bogner ausführt: Das Totengespräch steht mithin in dieser Hinsicht im Dienste der Richtigstellung von verbreiteten Falschmeinungen, der Ausräumung gängiger Klischees und der Korrektur kursierender lügnerischer Unterstellungen über die beiden Verstorbenen beim Publikum (und gewiß auch im Dienste der Unterhaltung und Belustigung desselben hinsichtlich der umlaufenden gerüchte und Verleumdungen).44

Es ging in Dialogen deswegen nicht immer darum, beide Seiten gleichberechtigt miteinander über verschiedene Themen diskutieren zu lassen, vielmehr diente die Textsorte u. a. auch dazu, die eigene Position durch den Kontrast zu einer Gegenposition zu schärfen. Für die Auswahl der Figuren in einem Totengespräch hieß dies gemäß Bogner, daß in solchen Fällen weniger die Persönlichkeit einer Figur im Vordergrund stand, sondern vielmehr ihre inhaltliche Einstellung zu bestimmten Themen. Im Falle von Francke und Thomasius bedeutete dies, daß beide Männer nach ihrem Tod theologische bzw. philosophische Streitfragen erörtern und ihr Gespräch sich inhaltlich eher der akademisch geprägten Textsorte der Disputatio annäherte. Ein Vorteil der Gattung

43 Die beiden Totengespräche, die Bogner als Beleg für seine These der ‚einseitigen Meinungsbildung‘ heranzieht, sind zwar anonym erschienen, jedoch kann man aufgrund der Figurenwahl und des Stils mit einiger Sicherheit Fassmann als Autor vermuten. Vgl. dazu auch Rutledge, Dialogue of the Dead, S. 32. 44 Bogner, Autor im Nachruf, S. 214.

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Totengespräch lag nach Bogner auch darin, daß in ihm auch Aspekte angesprochen werden konnten, die in anderen Textsorten notgedrungen keine Erwähnung finden konnten: Darüber hinaus eröffnete die Gattung aber auch die Möglichkeit einer ethisch unangreifbaren Erwähnung der negativen Eigenschaften eines verstorbenen Menschen [...]: Der Tote konnte als Figur im Jenseits Selbstkritik üben.45

Gleichsam in Oppositon zum Diktum de mortuis nil nisi bene, das bei Texten wie etwa Leichenreden eine positive Haltung gegenüber dem Verstorbenen vorschrieb, verfügten die Autoren von Totengesprächen über die Freiheit, über den Umweg der fiktiven Selbstkritik der Figuren bestimmte Verhaltensweisen, Charaktereigenschaften und Handlungen als deplatziert oder falsch zu brandmarken. Gerade in Bezug auf die historisch-politische Ausrichtung von Fassmanns Totengesprächen enstand so ein tendenziell herrschaftskritischer Raum, in dem Kritik am Verhalten von Monarchen geübt und verbreitet werden konnte. Wenn das Gespräch bzw. im engeren Sinne auch das Totengespräch gemäß zeitgenössischen Forderungen nach eindeutigen Meinungen, Positionsbestimmungen und klaren Begriffen eben auch als geeignetes Mittel für die Wiedergabe und kritischen Würdigung historischer Ereignisse verstanden wurde, so blieb die Frage nach der passenden Publikationsform für solche Texte. Thomasius behauptete bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts, daß das noch junge Medium des periodischen Journals besonders dazu geeignet wäre, von verschiedenen und kontrovers zu diskutierenden Themen zu handeln. Im ersten Band seiner Monatsgespräche bemerkt er zu diesem Thema: Ich vermeinte dannenhero / es wäre nicht undienlich / wenn man in dem Teutschen Journal so wol die einfältigen als vernünfftigen / Judicia mit berührte / und / damit die Sache desto besser von statten ginge / solte es sich nicht übel schicken / wenn man dergleichen Journal in Form eines Gesprächs verfertigte / und einen oder ein Paar alberne Kerl einführete / die ihr einfältig Bedencken mit vortrügen / die andern aber mit vernünfftigen Ursachen ihre Meinung vorbrächten / iedoch solcher Gestalt / daß sie meistentheils / dieselben mehr per modum objectionum, als eines judicii decisivi setzten.46

Thomasius gemäß war ein Journal in Dialogform dazu angetan, verschiedene Positionen und Meinungen zu einem Thema vorzustellen. Die Periodizität von Journalen erschien in diesem Zusammenhang als Vorteil gegenüber anderen, nicht-periodischen Medien besonders im Hinblick darauf, daß aus den Positio-

45 Bogner, Autor im Nachruf, S. 215. 46 Thomasius, Monatsgespräche, Bd. I, Februar 1688, S. 244 f.

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nen kontrovers diskutierender Figuren gelernt werden konnte, wie richtige Schlußfolgerungen aus einer kontroversen Diskussion gezogen werden konnten. Inhalt, Intention und Publikationsform wurden von Thomasius miteinander in Beziehung gesetzt. Der Dialog erschien durch seine thematische Flexibilität und seine dialektische Funktionsweise als ideale Schreibart für die Bedürfnisse der (Früh-)Aufklärung; das regelmäßig erscheinende Journal wiederum als geeignete Publikationsform, weil die regelmäßige Wiederholung (unter Beibehaltung der formalen Struktur) das Einüben bestimmter Rezeptions- und Reaktionsweisen förderte.47 Die Tatsache, daß sowohl Thomasius als auch später Gottsched 48 die Vorteile des Dialogs gegenüber trockenen Abhandlungen herausstellten, kann als Ausweis dieser Überzeugung gelesen werden. Dem „Ekel“, den Abhandlungen laut den Ausführungen beider Autoren in den meisten Lesern hervorriefen, konnte im Verständnis der Zeit durch die, obschon künstlich hergestellte, so doch erwartete „Lebhafftigkeit“ fiktiver Dialoge begegnet werden. Manfred Beetz weist in diesem Zusammenhang auf die zweifache Wirkung der Textsorte hin und konstatiert: Gegenüber der Traktatform hat die Gesprächsform den Vorzug, die didaktische Funktion zu verdoppeln: Die als Unterhaltungen inszenierten Texte belehren durch den Inhalt wie die formale Gestaltung. Die schriftlich fixierten Dialoge wollen ihre Herkunft aus der mündlichen Gesprächskultur in Erinnerung rufen.49

Auch wenn Totengespräche durch ihren literarisch-fiktiven Charakter eine nur behauptete Gesprächswirklichkeit abzubilden suchten, boten sie im Vergleich mit anderen auf Meinungsbildung oder Lehrhaftigkeit ausgerichteten Textsorten den Vorteil, durch ihre zumindest theoretische Ergebnisoffenheit dem in-

47 Das Verhalten, das die Figuren in Fassmanns Journal an den Tag legen, muß in diesem Kontext verstanden werden. Die Dialogstrukturen und Diskussionstechniken offenbaren, welche Absichten Fassmann mit seinem Journal verfolgte. Jörg Kilian bemerkt zu diesem Thema in seiner Studie zur historischen Dialogforschung: „[D]as die politische Ohnmacht des Bürgertums kaschierende (halb)öffentliche Debattieren, Diskutieren, Räsonieren hat leider bislang noch keine dialoghistorische Untersuchung erfahren.“ Kilian, Historische Dialogforschung, S. 35. Kilian bemerkt darüber hinaus jedoch zurecht, daß bei sprachhistorisch ausgerichteten Untersuchungen von Dialogen der näheren und ferneren Vergangenheit ‚moderne‘ methodische Ansätze durchaus problematisch sein können: „[Es] ist [...] jedoch auch im Rahmen des Neuhochdeutschen methodologisch nicht unbedenklich, dialoglinguistische Kategorien, die auf der Grundlage technisch aufbereiteter Korpora der Gegenwartssprache erprobt wurden, ohne Abstriche auf Dialoge aus der jüngeren Vergangenheit zu übertragen.“ Ebd. 48 Vgl. das Zitat Gottscheds weiter unten, in dem er auf die eintönige Wirkung von Schriften eingeht, die mehrere Seiten lang ununterbrochen von einem Thema handeln. 49 Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 65.

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tendierten Nutzen auch den intellektuellen wie ästhetischen Reiz hinzuzufügen, der sich durch die Lektüre ergab. In der zweifachen Bedeutung der Unterhaltung treffen also Dialog bzw. ästhetischer Genuß auf einen (mitunter auch nur vorgeschobenen) Nutzen. Fries geht in seiner Studie zum Dialog auch auf die gattungsimmanente Vielschichtigkeit des Dialogs ein: „Zugleich soll der Dialog, der sich als Text das Gewand des Gesprächs gibt, die Vorteile der mündlichen Konversation (Unterhaltung, Abwechslung) und des schriftlichen Texts (Ordnung, Zielgerichtetheit) miteinander verbinden und damit der Konversation wie dem Schreiben ein Ideal vorsetzen.“ 50 Fassmann wollte zwar mit seinem Periodikum keine wie auch immer gearteten idealen Dialoge (im Sinne Gottscheds) präsentieren; der Anspruch, sowohl inhaltlich als auch formal überzeugende Gespräche zu verbreiten, blieb jedoch bestehen.

5.2 Die Gespräche Bevor Fassmann sein von ihm entworfenes Figuren- und Bildungsprogramm überhaupt vermitteln konnte, mußte er sich entscheiden, in welcher Form er dies tun wollte. Zwar gab es kein weiteres Periodikum, das in Konzeption, Inhalt und Form dem seinen vollkommen glich, dennoch boten sich ihm neben den zahlreichen Beispielen für ‚gelungene‘ Dialoge auch verschiedene periodisch publizierten Organe an, die er sich zum Vorbild nehmen konnte: Als mögliche Inspirationsquellen sind hier neben den älteren, humanistisch geprägten und noch lateinischen Dialogen eines Erasmus oder den deutschsprachigen eines Hutten vor allem jüngere Beispiele zu nennen, an denen sich Fassmann in der Gestaltung seines ersten Periodikums orientieren konnte. Neben einigen dialogisch strukturierten Moralischen Wochenschriften51 konnte er vor allem in Harsdörffers populären vierbändigen Frauenzimmer Gesprechspielen52, Montanus’ Wegkürtzer53 mit seiner unterhaltsamen Anekdotensamm50 Fries, Dialog der Aufklärung, S. 20. 51 An dieser Stelle ist neben den zahlreichen periodisch publizierten Journalen, die ihr Hauptaugenmerk auf die Historie und die Politik legten, besonders auf Organe wie die Europæische Fama hinzuweisen, die durch ihre Mischung von historisch-politischen Nachrichten, Berichten über neueste Ereignisse an europäischen Königshöfen und dergleichen mehr Vorbildfunktion für die thematische Ausrichtung der Leipziger Gespräche übernehmen konnten. 52 Georg Philipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprechspiele: so bey Ehr- und Tugendliebenden Gesellschaften / mit nutzlicher Ergetzlichkeit / beliebet und geübet werden mögen [...] Aus Italiänischen / Frantzösischen und Spanischen Scribenten angewiesen / und jetzund [...] mit einer neuen Zugabe gemehret / Durch Einen Mitgenossen der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft, 4 Bde., Nürnberg 1644–1649. 53 Martin Montanus: Wegkürtzer. Ein sehr schön lustig unnd auß dermassen kurtzweilig Büchlein / der Wegkürtzer genandt: Darinn viel schöner / lustiger unnd kurtzweiliger Histori-

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lung, Wickrams Rollwagen54 mit den ebenfalls zum Zeitvertreib geeigneten Gesprächen und Schwänken, Zeillers historisch-erbaulichen Ein hundert Dialogi 55 oder auch in den Historischen politischen und philosophischen Krieg- und Friedens-Gesprächen56 von Johann Georg Schiele Anregungen finden, wobei der Titel des letztgenannten Organs das Programm der 35 Jahre später publizierten Leipziger Gespräche bereits in ähnlicher Form vorwegnahm. Nicht zufällig erscheinen an dieser Stelle vor allem deutschsprachige Publikationen, denn obwohl Fassmann sich besonders an der zeitgenössischen französischen Literatur orientierte, so waren es auch die sich parallel zu diesen entwickelnden deutschen Medien, die sich zumindest teilweise zur Nachah-

en / in Gärten / Zechen / und auff dem Feld / sehr lustig zu lesen / geschrieben / und newlich zusammen gesetzt. Durch Martinum Montanum von Straßburg, 1607. 54 Jörg Wickram: Der Rollwagen. Ein hübsch / lustig und kurtzweilig Büchlein / darinnen viel guter Schwenck und Historien / von allerhand frölichen Gesprech / Schimpffreden / Speywerck und Possen begriffen. Auff den Rollwagen oder in Schiffen die langweilige zeit und unmuth damit zuvertreiben. Jetzo von newem ubersehen / und gemehret / sampt einem ordentlichen Register, Magdeburg 1607 [ED 1557]. 55 Martin Zeiller: Ein Hundert Dialogi, oder Gespräch / Von unterschiedlichen Sachen / zu erbaulicher Nachricht / auch Nutzlichem Gebrauch / und Belustigung: Auß Vornehmer und berühmter Leuten Schrifften/ und sonderlich etlichen Neuen Historischen Büchern / so in unterschiedlichen Sprachen außgangen seyn/ zusammen getragen/ und also eingetheilter verfertigt / Durch Martin Zeillern, Ulm 1653. 56 Johann Georg Schielen: Historische / Politische / und Philosophische Krieg= und Friedens= Gespräch / Auf / Das jetzt neu=eingehende 1683. Jahr. Worinnen auch allerley leß= und merckwürdige Discursen, / Unter dem so genannten / Frantzsösischen Kriegs= / Simplicissimo, / In den / Elisäischen Feldern / Aller Monarch deß gantzen Jahrs / abgehandelt werden [...], 5 Teile, Ulm 1683. Schieles Gespräche waren eine Fortsetzung seines sogenannten Frantzösischen Kriegs=Simplicissimi Lebens=Lauf, der 1682–83 in Freiburg erschienen war. Dessen vollständiger Titel lautete: Deß Frantzösischen Kriegs=Simplicissimi, Hoch=verwunderlicher Lebens=Lauff: Darinnen Historischer Weiß vorgebildet, und dargestellet werden, I. Allerley Stands-Persohnen geübte Tugenden, wie auch hingegen deroselben Laster und Untugenden. II. Unterschiedliche und tieffsinnige Staats=Discursen, von jetziger Zeit seltzamen Welt=Händlen. III. Denckwürdige Erzehlungen und wunderliche Begebenheiten deß Frantzösischen Kriegs-Wesens, so sich in Europa, von Anno 1672. an begeben und zugetragen. IV. Wie auch [...] Krieg und Friedens etc. betreffende Sachen; Aufs anmuthigste, so wol dem Lesenden nutzlich, als dem Zuhörenden lustig, und annemlich, beschriben, Freiburg 1682–83. Man beachte die den später erschienenen Leipziger Totengesprächen ähnelnde Konzeption der dialektisch angelegten Persönlichkeiten („Laster und Untugenden“), die politisch ausgerichteten Themen sowie die bereits im Titel genannte nützliche und unterhaltende Absicht des Werkes. Der Kriegs=Simplicissimus ist mittlerweile digitalisiert als Online-Ausgabe abrufbar im Rahmen des Wolfenbütteler Projekts Dünnhaupt Digital. Einige Seiten der Kriegs= und Friedensgespräche vom Januar und Februar 1683 sind auch über die Universität Halle einsehbar unter http:// vd17.bibliothek.uni-halle.de/pict/2005/39:122854F/.

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mung anboten. Ging man bei der Erforschung der Zeitschriftenliteratur lange davon aus, daß besonders die deutschsprachigen politisch-räsonnierenden Journale reine Ableger bzw. Weiterentwicklungen gelehrter französischsprachiger Zeitschriften wie des Journal des sçavans waren, so plädiert beispielsweise Johannes Weber in seinen Studien57 zur politischen Zeitschrift in der Frühen Neuzeit dafür, die Anfänge des politischen Räsonnements auch unabhängig von den französischen Vorbildern zu betrachten.58 Fassmann, so kann man vermuten, war sowohl die französische als auch die deutsche Tradition des politischen Räsonnements bekannt. Eine Zeitschrift wie „Der verkleidete Götter=Both Mercurius“ 59 [1674/75] von Wolf Eberhard Felsecker kann allein durch ihre titelgebende Figur Zeugnis von der Beziehung der Leipziger Gespräche zu ihr ablegen. Am Ende einer jeden Entrevue trat im Leipziger Journal die Figur des Secretarius auf, der den Toten in Merkurs Auftrag wichtige Nachrichten aus dem Reich der Lebenden übermitteln sollte (vgl. auch die Titelabbildung der 1. Entrevue). Die bereits oben erwähnten Kriegs= und Friedensgespräche Johann Georg Schielens sind dem heutigen Forschungsstand nach eine der frühesten deutschsprachigen Zeitschriften, die ihren Lesern in monatlichem Abstand politische Räsonnements bot. Als bedeutsam erscheint neben der thematischen Vorbildfunktion, welche die oben genannten Zeitschriften einnahmen, besonders die Form, in der Informationen dort präsentiert wurden. Ein Zweck der zahlreichen raisonnierenden Journale bestand eben darin, interessante neue Nachrichten zu sammeln, sie zu verbreiten und dabei gleichzeitig von verschiedenen (fingierten oder nichtfingierten) Figuren kommentieren und bewerten zu lassen. Von dieser Art des Kommentars war es dann nur ein kleiner Schritt zur dialektisch angelegten Gesprächssituation,60 mittels deren Fassmann den Lesern sein Bildungspro-

57 Johannes Weber: Götter-Both Mercurius. Die Urgeschichte der politischen Zeitschrift in Deutschland, Bremen 1994; ders.: Deutsche Presse im Zeitalter des Barock. Zur Vorgeschichte öffentlichen politischen Räsonnements, in: Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, hg. v. Jans-Wolf Weber, Göttingen 1997, S. 137–150. 58 Weber, Deutsche Presse, S. 147 f. 59 Wolf Eberhard Felsecker: Der Verkleidete Götter=Both / Mercurius / Welcher durch Europa wandernd / einige wichtige Discoursen / Muthmassungen und Meynungen / so bey denen Teutschen / als Benachbarten dieses Welt=Theils begriffenen / und in jetzigem Krieg mit interessirenden Höffen und Ständen [...] warhafftig der Welt zum Nachricht entdecket / und verlässet, 4 Teile, Marburg 1674–75. 60 Nicht von ungefähr zieht das Historische Wörterbuch der Rhetorik eine Parallele zwischen Dialektik und (literarischen wie nicht-literarischen) Dialogen. Die Dialektik argumentiert in der aristotelischen Tradition ‚ex endóxon‘, d. h. vor allem auf der Grundlage bereits akzeptierter Meinungen. Dialektisch geführte Behauptungen werden im literarischen Dialog, und dort berühren sich tradierte Auffassungen der Dialektik mit der Fassmanns in seinen Dialogen, vor

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gramm und eben auch neueste Nachrichten und an diese anschließende Diskussionen über Entwicklungen in der Oberwelt präsentierte.61 Fassmann steht mit der Konzeption seines Journals in der Tradition jener Anschauung, die von der Welt als einem Schauplatz ausging, auf dem vor allem eitle Taten zu beobachten waren. Tugendhaftes Handeln wurde in der literarischen Nachfolge von Sebastian Brants Tugent Spyl oder Pedro Calderóns El grand teatro del mundo im Sinne des memento mori als Gegenentwurf zu und Warnung vor dem eitlen Treiben der Welt verstanden.62 Harsdörffer wiederum zeigte mit seiner Sammlung verschiedener, Cervantes’ Novelas ejemplares entlehnter Anekdoten, welchen lehrreichen Charakter einzelne Fata haben konnten. Er nennt seine Anekdotensammlung in der Theatrum mundi-Tradition Der grosse Schau=Platz lust= und lehrreicher Geschichte.63 In ihm finden ähnlich allem mittels „Spezifikation und Konkretisation“ einer Glaubwürdigkeitsprüfung unterzogen. Je mehr sachbezogene Fragen und überzeugende Beweise für eine These eine Partei oder ein Sprecher für sich beanspruchen konnte, desto wahrscheinlicher erschien es, daß sie bzw. er argumentativ die Oberhand behalten würde. Hans-Georg Coenen: „Dialektik“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Sp. 559–606, hier Sp. 591 f. 61 Der Neuigkeitswert in Fassmanns periodischem Organ war zumindest im Vergleich zu den Zeitungen, die in weitaus kürzeren Abständen publiziert wurden, eher unbedeutend. Fassmann entschuldigt diesen Nachteil, indem er ihn argumentativ in einen Vorteil uminterpretiert: Auf seine Nachrichten, so seine Rechtfertigung, sei durch den etwas größeren zeitlichen Abstand wenigstens Verlaß; manches andere Medium vermelde etwa das Ableben eines Monarchen, bevor dieser wirklich verstorben sei. Vgl. beispielsweise die 45. Entrevue zwischen Herzog Ernst und Mulai Ismail, zu der Fassmann in einem Vorwort auf das Problem eingeht, das sich aus der Frage ergeben hatte, ob der marokkanische Tyrann denn nun bereits tot oder noch am Leben sei. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 45, Leipzig 1721, S. 923 f. 62 Vgl. zu Brant Hans-Gert Roloff: Theatrum mundi. Sebastian Brants ‚Tugent Spyl‘, in: ders.: Kleine Schriften zur Literatur des 16. Jahrhunderts, Amsterdam 2003, S. 141–155; Calderons Mysterienspiel erschien auf deutsch u. a. in einer Übersetzung durch Joseph von Eichendorff. Siehe dazu auch Ansgar Hillach: ‚Welttheater‘ und seine Wiederkehr in der Romantik, in: Klaus Garber (Hg.), Europäische Barock-Rezeption, Teil 1, Wiesbaden 1991, S. 491–511. 63 Der vollständige Titel des zweibändigen Werkes lautet: Der Grosse Schau=Platz Lust= und Lehrreicher Geschichte: mit vielen merckwürdigen Erzehlungen / klugen Sprüchen / scharffsinnigen Hofreden / neuen Fabeln / verborgenen Räthseln / artigen Schertzfragen / und darauff wolgefügten Antworten, 2 Bände, Hamburg 1651. Die Bände sind als Nachdruck der Frankfurter Ausgabe von 1664 in Hildesheim 1978 noch einmal aufgelegt worden. An dieser Stelle kann nur kurz auf die Tradition des ‚Welttheaters‘ verwiesen werden. Einzelstudien zu den vielfältigen Bezügen, besonders in der periodischen Journalistik, könnten an diesem Punkt ansetzen. Werke wie u. a. die unter dem Pseudonym Johann Philipp Cuspinian herausgegebene Monatszeitschrift Fama Mundi Oder Welt Trommeter [1620], der Neue lust=und lehrreicher Schauplatz [1685], Heinrich Anshelm von Ziegler und Kliphausens Täglicher Schau= Platz der Zeit [1695], Christian Matthias’ aus dem Lateinischen übertragener Nutz- und Lehrreicher Historischer Schau-Platz [1699] oder das Theatrum Malorum Mulierum [ca. 1700] könn-

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wie in dem später erschienenen Leipziger Journal unterschiedliche Textsorten wie „Erzehlungen“, „Hofreden“ und rätselhafte „Fabeln“ ihren Platz Fassmanns Unterwelt ist als Gegenentwurf und gleichsam jenseitige Spiegelung der ‚Weltbühne‘ zu sehen. Er formuliert aus dieser Tradition heraus den bereits zitierten Anspruch, daß man aus seinem historisch-politischen Journal „die Welt [...] und den Menschen kennen[lerne]“.64 Als Beleg für diesen sowohl von historischen als auch moralischen Aspekten bestimmten Anspruch dienen die Figuren, die folgerichtig aus allen bekannten Ländern der Oberwelt stammen und Beispiele sowohl guter als auch schlechter Charaktere zur Schau stellen. Gesprächsweise sollten sie den Rezipienten des Journals ein Bild vom politischen Schauplatz der Welt und vom richtigen (und falschen) Verhalten der Bewohner vermitteln.65 Gleichermaßen in Erweiterung des Programms des zwischen 1618 und 1738 erschienenen, zeitweise von Matthäus Merian herausgegebenen Historienwerks Theatrum Europæum66 bot Fassmann seinen Lesern ei-

ten hierzu herangezogen werden. Harsdörffer veröffentlicht im Anschluß an seinen Schauplatz noch einen weiteren Band mit lehrreichen Exempeln, dieses Mal mit dem Fokus auf weniger moralisch handelnden Subjekten: Der große Schau=Platz jämmerlicher Mord=Geschichte, Hamburg 1649. Das Werk erschien in zahlreichen Nachdrucken und wurde 1975 in Hildesheim in der Hamburger Ausgabe von 1656 neu aufgelegt. Zu Harsdörffer vgl. Hans-Joachim Jakob u. Hermann Korte (Hg.): Harsdörffer-Studien: mit einer Bibliografie der Forschungsliteratur von 1847 bis 2005, Frankfurt u. a. 2006; Misia Sophia Doms: „Wann ein Frantzos [...] ein teutsches Kleid anziehet“. Die Behandlung konfessioneller Fragen bei der Übersetzung von Jean-Pierre Camus’ „L’Amphithéâtre sanglant“ in Harsdörffers „Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte“, in: Deutsch-französische Literaturbeziehungen. Stationen und Aspekte dichterischer Nachbarschaft vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. von Marcel Krings, Würzburg 2007, S. 51–69; Hania Siebenpfeiffer: Narratio crimen. Georg Philipp Harsdörffers „Der Grosse Schau-Platz Jaemmerlicher Mord-Geschichte“ und die frühneuzeitliche Kriminalliteratur, in: Harsdörffer-Studien, S. 157–176. 64 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorbericht, S. 2 (unpag.). Fassmann verwendet den Begriff Theatrum an mehreren Stellen, z. B. wenn er auf den Kriegsgott Mars zu sprechen kommt, der (zum ‚Glück‘ der Historiographen) des öfteren auf seinem „Theatrum“ blutige „Scenen“ zeige. Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. VIII, Vorrede, Leipzig 1727, S. 10. Eine weitere Stelle findet sich z. B. in Bd. VI, Dedikation, Leipzig 1725, S. 5 f. 65 Vgl. allgemein dazu Annette Graczyk: Theatrum und Tableau als intermediale und interdisziplinäre Formen einer komprimierenden Weltdarstellung, in: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft: Interkulturalität und Alterität, betreut v. Ortrud Gutjahr, Bern (u. a.) 2003, S. 175–178; José Gonzalez Garcia: Zwischen Literatur, Philosophie und Soziologie. Die Metapher des „Theatrum mundi“, in: Philosophie in Literatur, hg. v. Christiane Schildknecht, Frankfurt am Main 1996, S. 87–108. 66 Zur langen Reihe der verschiedenen Autoren vgl. bereits Franz von Wegele: Geschichte der deutschen Historiographie, München und Leipzig 1885, S. 353 f. und 429 f.; Lucas Heinrich Wüthrich: Theatrum Europæum, in ders.: Das druckgraphische Werk von Matthaeus Merian

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nen Überblick über die Taten und Lebensläufe bedeutender Personen, die nicht mehr nur vornehmlich dem europäischen Kulturraum entstammten, sondern auch Nachricht geben sollten von ‚exotischen‘ Fata, fremden Ländern und den dort herrschenden Landessitten (vgl. 6 Das Fremde in Fassmanns Unterwelt). Neben dem in Journalform erschienenen Theatrum Europæum konnten thematisch ähnlich orientierte Organe wie das Diarium Europæum [1659–1683]67 oder die später erschienene einflußreiche Europæische Fama [1702–1735]68 vorführen, welche Anziehungskraft Nachrichten ausstrahlen konnten, die auf der ‚Weltbühne‘ (oder zumindest auf dem enger umgrenzten Schau=Platz Europa) angesiedelt waren. Besonders die Europæische Fama war durch ihre unterhaltsamen und gleichzeitig belehrenden Kommentare zur europäischen Außenpolitik geeignet, vorbildlich auf Fassmanns Konzeption seines ersten eigenen Periodikums zu wirken.69 Jürgen Wilke faßt Charakter und Inhalt der Fama in seiner Studie zur Medien- und Kommunikationsgeschichte wie folgt zusam-

dem Älteren, Band 3: Die großen Buchpublikationen, Teil 1, Hamburg 1993. Zahlreiche Titelkupfer von Fassmanns Gesprächen erinnern an die aufwendigen Illustrationen des Merianschen Theatrum, ohne an diese freilich künstlerisch heranzureichen. Davon abgesehen verdeutlicht dieser zweifache Bezug den Vorbildcharakter des Periodikums in Bezug auf das Leipziger Journal. Zu den Illustrationen und der Rolle des Theatrums innerhalb der Konstruktion politischer Identität in Europa siehe Gerd Dethlefs: Schauplatz Europa. Das Theatrum Europæum des Matthaeus Merian als Medium kritischer Öffentlichkeit, in: Europa im 17. Jahrhundert. Ein politischer Mythos und seine Bilder, hg. v. Klaus Bußmann, Stuttgart 2004, S. 149–179. Das Theatrum wurde von Fassmann neben anderen Periodika als Quelle für neue Nachrichten und Informationen zum Leben einzelner, meist jüngst verstorbener Personen benutzt. So nennt Fassmann das Organ explizit beispielsweise in den Summarien zu den Entrevuen Nr. 3, 13, 15, 46. 67 Zum Diarium Europæum vgl. Sonja Schultheiss: Das ‚Diarium Europæum‘ (1659–1683). Verleger und Autoren, Aufbau und Inhalt, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 48 (1997), S. 315–346. 68 Der vollständige Titel lautetet: Europæische Fama, welche den gegenwärtigen Zustand der vornehmsten Höfe entdecket. Die Zeitschrift erschien als Neue Europæische Fama zwischen 1735 und 1756 und als Neueste Europæische Fama in den Jahren 1760 bis 1765. 69 Franz von Wegele beschreibt die Eigenart der Fama wie folgt: „Über ein halbes Jahrhundert hat sie als solche bestanden und allen Konkurrenzunternehmen den Rang abgelaufen. [...] Daß Abbildungen, vorzugsweise Porträts angesehener Persönlichkeiten, hier wie sonst nicht fehlen durften, braucht wohl nicht erst ausdrücklich erwähnt zu werden.“ Wegele, Historiographie, S. 494. Kirchner stellt den Stellenwert der Fama in seiner Studie zum Zeitschriftenwesen ebenfalls heraus und bemerkt: „Zu den wertvolleren Erscheinungen historisch-politischer Journalistik, die den Ehrgeiz hatten, Überdurchschnittliches zu bieten und gebildete Kreise an sich zu ziehen, gehörte die in Leipzig im Jahre 1702 von Philipp Balthasar Sinold v. Schütz gegründete Europäische Fama, die zu den besten Erscheinungen unter den historisch-politischen Journalen gehörte.“ Kirchner, Zeitschriftenwesen, Bd. I, S. 33.

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men: „Eine Mischung von Dokumenten, Hofklatsch und Berichten über Katastrophen sowie von moralisierenden Betrachtungen bot Philipp Balthasar Sinold von Schütz in seiner Zeitschrift ‚Die europäische Fama [...]‘.“ 70 Anders als die rein informativen, kommentarlosen Berichte eines Organs wie der von Wilke zum Vergleich angeführten Staats-Cantzley [1697–1760], das Friedensverträge, noble Festivitäten oder politische Handlungen europäischer Herrscher und deren Ministri wiedergab, räsonnierte die Europæische Fama in persönlicher gehaltenem Ton über die von ihr geschilderten Ereignisse. Waren in der Fama die Nachrichten kapitelweise nach einzelnen europäischen Ländern unterschieden, so vermochte Fassmann in seinen Totengesprächen die Informationen zu dem jeweiligen Land mit Hilfe von Figuren zu präsentieren, die aufgrund ihrer jeweiligen Herkunft dazu prädestiniert waren, Auskunft über die Zustände in ihrem ehemaligen Herkunftsland zu geben. Im Gegensatz zur Fama wurde die historische, politische oder genealogische Nachricht im Leipziger Journal durch die Dialogform in einen persönlich gehaltenen Bericht verwandelt, der von Personen geliefert wurde, die mehr oder weniger direkt an den wiedergegebenen Ereignissen beteiligt waren. Fassmann gab kurz vor seinem Tod ein neues Periodikum in vier Teilen heraus, das bereits durch seinen Titel auf die Vorbildfunktion der oben genannten Journale verweist: Neu=eröffneter Schau=Platz der Welt, Allwo Personen aus allerley Völckern, Standes und Geschlechts erscheinen, Und sich über Staats= Hof= Kriegs= und andere wichtige Begebenheiten entreteniren. Dieses Journal ist, obwohl durch die Vorrede eindeutig Fassmann zuzuordnen, bis dato von der einschlägigen Forschung kaum beachtet worden, was u. a. daran liegen mag, daß Ludwig Lindenberg das Werk in seiner Fassmann-Monographie als „nicht nachweisbar“ kennzeichnete71 und nachfolgende Generationen sich offenbar nicht die Mühe gemacht haben, eigene Forschungen anzustellen.72 Als ein wichtiger Bezugspunkt für Fassmanns Konzeption seiner eigenen Publikationen müssen neben den historisch-politisch orientierten Journalen auch die zeitgenössischen Moralischen Wochenschriften begriffen werden mit ihrem vielfältigen Programm, dem sittlich-moralischen Fokus und deren text-

70 Wilke, Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 101. Einen Überblick über die Verwendung des Begriffs ‚Fama‘ im Zeitschriftenwesen bietet auch der oben bereits genannte Beitrag Gert Dethlefs zum Theatrum Europæum, bes. S. 160, Anm. 41. 71 Lindenberg, Leben und Schriften Fassmanns, S. 79. 72 Mittlerweile ist der Schau=Platz in digitalisierter Form bei Google books abrufbar; offenbar liegt dem Digitalisat eines der wenigen noch existierenden Exemplare, das in diesem Fall aus den Beständen der Harvard University stammt, zugrunde. Deutsche Bibliotheken verzeichnen keinen der vier Teile in ihren Katalogen.

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sortenreicher Gestaltung. Helmuth Kiesel benennt in Anlehnung an Wolfgang Martens die besonderen Merkmale Moralischer Wochenschriften wie folgt: Zu den allgemeinen Merkmalen von Zeitschriften: periodische Erscheinungsweise bei ideell unbegrenzter Dauer, allgemeine Zugänglichkeit (Publizität), Kontinuität der äußeren Form und des Programms, Mannigfaltigkeit des Inhalts kamen bei den Moralischen Wochenschriften als besondere Merkmale hinzu: origineller und programmatischer Titel (Der Einsiedler, Der Weltbürger, Die mühsame Bemerkerinn der menschlichen Handlungen), zumeist wöchentliche Erscheinungsweise, besonders enges Verhältnis zum Leser, der durch Anredeform, Bericht des Verfassers über sich selbst und die Intimität des Mitgeteilten zum Vertrauten gemacht wird, Mangel an spezieller Aktualität, vorwiegend sittlichlehrhafter Inhalt, aus didaktischen Gründen Neigung zu Wiederholungen, bestimmte Vortragsformen wie moralische Abhandlung, Satire, Traum, Fabel, Allegorie, Brief, Gespräch einer erdichteten Gesellschaft. 73

Bis auf die wöchentliche Erscheinungsweise (Fassmanns Journal erschien ungefähr einmal im Monat) gelten die oben genannten Merkmale auch für die Leipziger Gespräche: Besonders im Hinblick auf die formale Kontinuität bei ständig wechselndem Inhalt, auf die sittlichen Lehren und auf die verschiedenen Textsorten und Schreibarten zeigt Fassmanns Periodikum, wie sehr es dem Vorbild der deutschen und französischen Moralischen Wochenschriften bzw. dem der englischsprachigen moral weeklies wie dem Tatler und dem Spectator verpflichtet war.74 Wie letztere richtete sich sein Organ an ein gebildetes oder 73 Helmuth Kiesel: Absolutistischer Staat und bürgerliche Gesellschaft, in: Wilfried Barner und Gunter E. Grimm u. a. (Hg.): Lessing. Epoche, Werk, Wirkung, München 51987, S. 63–69, hier S. 67. 74 Wenn man von bedeutenden Vorbildern wie den Monatsgesprächen des Christian Thomasius absieht, waren es vor allem Übersetzungen der englischen ‚Originale‘ und Organe wie die Erbaulichen Ruhstunden eines Johann Frisch, die ein interessiertes Lesepublikum zum Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts rezipieren konnte. So erschien 1713 erstmals der von Johann Mattheson übersetzte Vernünfftler, der die englischen weeklies Tatler und Spectator für deutsche Leser zugänglich machte. Der vollständige Titel der Schrift lautete: Der Vernünfftler. Das ist: Ein teutscher Auszug / Aus den Engeländischen Moral-Schrifften Des Tatler Und Spectator / Vormahls verfertiget / Mit etlichen Zugaben versehen / Und auf Ort und Zeit gerichtet Von Joanne Mattheson, Secretario des Königl. Groß-Brittanischen Ministri im NiederSächsischen Kreise [...], Hamburg 1713 f. Mit Gottscheds Vernünfftigen Tadlerinnen [1725–27], dem einflußreichen Patriot [1724–26], den Discoursen der Mahlern [1721–23] der Schweizer Breitinger und Bodmer oder dem im letzten Drittel des Jahrhunderts erscheinenden Wielandschen Teutschen Merkur [1773–89] erweiterte sich in der Nachfolgezeit das Angebot an thematisch und stilistisch unterschiedlich gewichteten Periodika. Vgl. dazu u. a. Wolfgang Martens: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften, Stuttgart 1971; Ernst Milberg: Die deutschen moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts, Meißen 1980; Elke Maar: Bildung durch Unterhaltung. Die Entdeckung des Infotainment in der Aufklärung. Hallenser und Wiener Moralische Wochenschriften in der Blütezeit des Moraljournalismus 1748–1782, Pfaffenweiler 1995; Helga Brandes: Moralische Wochenschriften,

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zumindest bildungswilliges Publikum, dessen aufgeklärte Urteilskraft durch die Lektüre gefördert werden sollte. Fassmanns Journal zeichnete sich – ähnlich, wie Helmuth Kiesel es für die Wochenschriften formuliert hat – neben der dem englischen Vorbild abgeschauten Dialogizität des weiteren durch eine starke Bindung an seine Leser aus. Dies gelang vor allem durch die zahlreichen an den „geneigten Leser“ gerichteten Vorreden und Dedikationen sowie die immer wieder unternommenen direkten Anreden und Bezugnahmen in den verschiedenen Textinstanzen des Leipziger Periodikums. Die durch die dialektisch angelegten Dialoge angestrebte meinungsbildende Wirkung der Gespräche wurde wie in den Wochenschriften auch durch die Wiederholung bestimmter zentraler Themen hergestellt: Diese zeigten sich hier wie dort vor allem in der Kritik am Pedantentum und der falschen Gelehrsamkeit sowie, bei Fassmann besonders ausgeprägt, an schlechter Herrschaft, amoralischem Verhalten und mißlungener Politik. Während die Moralischen Wochenschriften wegen ihres geringeren Umfangs ungefähr 52 Mal im Jahr erscheinen konnten, verursachten die Totengespräche Fassmanns aufgrund ihrer Länge und der Menge an Informationen, die an den Leser weitergegeben werden sollte, erheblich mehr Aufwand und erschienen deswegen nur etwa monatlich. Der Aspekt der Reflexion75 und der Einordnung dessen, was der Leser in Totengesprächen lesen konnte, in einen bestimmten historisch-politisch und ethisch-moralisch definierten Kontext wurde in der medialen und sozialgeschichtlichen Entwicklung des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts zusehends wichtiger. Fassmanns Entscheidung, verschiedene Informationen, Meinungen sowie aktuelle Nachrichten durch zwei historisch wie charakterlich eindeutig definierte Figuren vermitteln zu lassen, zeugt davon. Konform mit den sich ausbildenden Vorlieben eines lesewilligen und vor allem auch lesefähigen Rezipientenkreises, der weit größere Schichten in sich einschloß, als es die doch vergleichsweise eng umgrenzte res publica literaria tat, schlug

in: Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700–1800, hg. v. Ernst Fischer (u. a.), München 1999, S. 225–232. 75 Fassmann umgeht häufig den Begriff des Raisonnements, der für ihn größtenteils negativ konnotiert war, wie an mehreren Stellen in den paratextuellen Elementen der Gespräche deutlich wird (Dedikation, Bd. VII, S. 11 f., Vorrede, Bd. XII, S. 12/14). Anstatt dessen bezeichnet er das, was die Dialogpartner am Ende einer jeden Begegnung tun, meist als „solide Reflexiones“ (diverse Titelblätter, Vorrede, Bd. X, S. 11). Zu Fassmanns Haltung gegenüber dem Raisonnement vgl. dazu den Abschnitt 4.2.2 Die Dedikation. Zedlers Universal-Lexicon sieht in der Reflexion ein „Uiberdencken“, mittels dessen man zu deutlichen Begriffen und Vorstellungen einer Sache käme. Ohne die Reflexion gebe es schlechterdings keine Vernunft und keine exakten Unterscheidungen. Zedler, Universal-Lexicon, „Uiberdenken, Reflectiren, Reflexion“, Bd. 48, Halle 1746, Sp. 581 f.

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Fassmann einen Bogen vom rein informativen, unpersönlichen politischen Räsonnement zur individualisiert-unterhaltsamen Schreibart seiner Totengespräche. Über die alltägliche Erfahrung hinaus, daß Gespräche an sich eine elementare Form der Verständigung waren, wurde parallel zu den unterschiedlichen schriftlichen Dialogtraditionen der anspruchsvoll geführten Konversation einige Aufmerksamkeit entgegengebracht. Ältere Traditionen, wie beispielsweise die an Platon bzw. Sokrates ausgerichteten Lehr- und Unterrichtsgespräche an Schulen und Universitäten, und zeitgenössische à-la-mode geführte Konversationen standen so neben verschiedenen schriftlichen Formen von Dialogen.76 Neben den in Frankreich kultivierten, als vorbildlich verstandenen Formen der galant-witzigen oder politisch geschickt geführten Konversation, die eine dem Alltag enthobene Salon- bzw. Hofkultur repräsentierte, versuchten auch neue Medien wie die Moralischen Wochenschriften, ihre Themen mit Hilfe der dialogischen Schreibart zu vermitteln. Diese Vermittlung geschah auf unterschiedlichen stilistischen Ebenen. Sie war u. a. abhängig von der jeweiligen inhaltlichen Ausrichtung eines Mediums bzw. von dessen spezifischem Leserkreis. Die Rezipienten von Fassmanns Journal kannten Dialoge somit nicht nur aus eigener lebenspraktischer Erfahrung, sondern (zumindest zum Teil) auch bereits aus anderen, vornehmlich schriftlichen Quellen, die sowohl antike und humanistische Texte als auch zeitgenössische Gesprächsformen miteinschließen konnten. Iwan-Michelangelo D’Aprile und Winfried Siebers merken im Hinblick auf die Weiterentwicklung der zunehmend auch mit aufklärerischen Themen und Absichten besetzten Textsorte an: Dialogische Formen [im] aufklärerischen Sinn benutzte Christian Thomasius bereits Ende des 17. Jahrhunderts [...], doch als eigenständige Gattung entwickelte sich der Dialog erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts, zunächst in den 1710er-Jahren erscheinenden Moralischen Wochenschriften. Hier diente er zur Darlegung moralischer Fragen, zur Kontrastierung gegensätzlicher Charaktertypen oder zur Illustration der leichten Konversation, d. h. der Kunst des Gesprächs, im bürgerlich-geselligen Kreis.77

Eben weil der Dialog dazu geeignet war, derart unterschiedliche Absichten, Redeanlässe, Themen und Figurenkonstellationen in sich zu vereinen, bot er sich für den Publizisten Fassmann als Schreibart für sein Periodikum an. Der Dialog bzw. im engeren Sinn auch der Totendialog stellte über den unterhaltsa-

76 Zur Unterscheidung verschiedener Dialoge vgl. auch Kilian, Historische Dialogforschung, bes. S. 86 ff. 77 Iwan-Michelangelo D’Aprile und Winfried Siebers: Das 18. Jahrhundert: Zeitalter der Aufklärung, Berlin 2008, S. 136.

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men, ‚modisch‘ wandelbaren und praktisch applizierbaren Zweck hinaus jedoch auch ein Bindeglied zu den gelehrten Aufgaben dar, die Fassmann ebenfalls mit Hilfe dieser Textsorte erfüllt wissen wollte. Ein Kennzeichen dafür, daß sich die Verhältnisse im medialen Gefüge zunehmend veränderten, ist der im Vergleich zu den (lateinischen) gelehrten Zeitschriften vergrößerte Leserkreis von Fassmanns Journal. Letzteres sprach durch seine spezifische Konzeption neue Schichten an: Ganz offenbar wollte Fassmann sowohl durch die Volkssprachlichkeit als auch durch die formale und inhaltliche Gestaltung seiner Gespräche einen anderen Rezipientenkreis an einem vordem nur Gelehrten vorbehaltenen Wissensspektrum teilhaben lassen. Seine Aussage, daß durch die aufmerksame Lektüre der Totengespräche auch „Ungelehrte, indem sie solche lesen, unter denen Gelehrten mit passiren, und als Politici und Moralisten discutiren können“,78 verdeutlicht diesen Aspekt. Heinrich Bosse erläutert in seiner Studie zur „gelehrten Republik“ die unterschiedlich ausgeprägten Kommunikationssysteme verschiedener Bildungsstände. Er bemerkt zum Verhältnis der illiterati zu den journalistischen Erzeugnissen der res publica literaria: „Die Unstudierten, für die der Markt eigene Textsorten pflegt, können und sollen durchaus an der Zirkulation der Kenntnisse teilnehmen. Hierfür ist der Codewechsel vom Lateinischen zur Volkssprache notwendig, wenngleich keineswegs hinreichend.“ 79 Es steht zu vermuten, daß Fassmann durch Imitation der kommunikativen Strukturen des Gelehrtenstandes (zu dem er selbst mit Einschränkungen zu zählen war) seine eigenen Publikationen als eine im wörtlichen Sinne gewinnbringende Erweiterung eines bereits existierenden Kommunikationssystems verstand. Dadurch, daß er die Wissensgebiete, die er in seinem Journal vorstellte, mit Hilfe seiner historischen Figuren personalisierte und popularisierte, gelang es ihm, die Reichweite seines Journals zu vergrößern. Während sich die lateinischsprachige periodische Literatur mit weniger Lesern zufrieden geben mußte und im Laufe des 18. Jahrhunderts mehr und mehr an Bedeutung verlor, nahm die volkssprachliche im Vergleich dazu exponentiell zu.80 Obwohl viele

78 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. X, Vorrede, Leipzig 1732, S. 16. 79 Heinrich Bosse: Die gelehrte Republik, in: Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, hg. v. JansWolf Weber, Göttingen 1997, S. 51–76, hier S. 62. 80 Aufschluß über dieses veränderte mediale Gefüge bieten überblicksartige Untersuchungen zur Zeitschriftenlandschaft im 18. Jahrhundert. Vgl. dazu u. a. Klaus Schmidt (Hg.): Index deutschsprachiger Zeitschriften: 1750–1815, 10 Bde., Hildesheim u. a. 1997; Jürgen Wilke: Literarische Zeitschriften des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1978. Zur Geschichte der Gelehrsamkeit und zum Zusammenhang von Wissensvermittlung und medialen Veränderungen vgl. Frank Grunert u. Friedrich Vollhardt (Hg.): Historia literaria. Neuordnung des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2007; Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur

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von Fassmanns Rezipienten keine gesellschaftlich herausragenden Positionen innehatten oder universitär gebildet waren, konnten sie, der Argumentation Fassmanns nach, durch die Lektüre des Journals zumindest so tun, als ob sie über ‚traditionell‘ erworbene Bildung verfügten. Darüber hinaus wurden sie durch die Totengespräche dazu angeregt, die Hintergründe und Mechanismen zu begreifen, die historisch und politisch bedeutsamen Entwicklungen zugrunde lagen. Die tatsächliche Teilhabe an Machtpositionen oder eine mühsam an Universitäten erworbene eruditio wurden letztlich ersetzt durch ein medial vermitteltes politisches und historisches Wissen bzw. durch Gespräche mit Dritten über dieses Wissen. Wenn Fassmanns Journal als ein Versuch gelesen werden kann, Teil eines neuen Kommunikationssystems zu werden, das auch in Konkurrenz zu dem der gelehrten Gemeinschaft errichtet wurde, so eröffnet seine wiederholt in den peritextuellen Elementen des Journals geäußerte Kritik an der ‚falschen Gelehrsamkeit‘ und Pedanterie weitere Bedeutungsebenen. Im Verdrängungswettbewerb, der auf dem Markt der zunehmend populärer werdenden Zeitschriften herrschte, mußte sich ein Journal wie das der Gespräche auch noch gegenüber der gelehrten periodischen Literatur argumentativ beweisen und den eigenen Stellenwert lobend hervorheben, und dies um so mehr, als ihr Konzept von Dritten durchaus deutlich kritisiert wurde. In seiner Kurtzen Anleitung zur Erlernung der Historie ermöglicht Andreas Westphal durch seine Argumentation einen Blick auf zeitgenössische Auseinandersetzungen über den „rechten Weg“ in der Vermittlung historischer Kenntnisse. Im II. Kapitel seiner Anleitung kommt er auf die Rezipienten historischer Werke zu sprechen: Diejenige handeln gar thöricht / welche die Historie nur bloß zur Lust und zum Zeitvertreib lesen / oder dieselbe nur in der Absicht studiren / damit sie dadurch beredt werden mögen / oder in Gesellschafften von allerhand Dingen plaudern / oder auch über moralische und politische Fragen zancken können. Weit vernünftiger sentiren diejenige / welche die Historie deswegen lesen / damit sie daraus erkennen lernen / durch welche Mittel das gemeine Wesen in einem beständigen Flore zu erhalten / und wie der verfallene Zustand desselben zu retabliren sey.81

Westphal nimmt hier fast – wenn auch mit genau entgegengesetztem Urteil – Fassmanns weiter oben zitiertes Argument vorweg, nach welchem „Ungelehrte“ durch die Lektüre von Historienwerken „unter denen Gelehrten mit passiren,

Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts, Bremen 2007. 81 Westphal, Anleitung zur Erlernung der Historie, S. 303.

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und als Politici und Moralisten discutiren können“. Die Absicht vieler, Beredsamkeit zu erlangen, um am politischen oder historischen Diskurs teilnehmen zu können, wird von Westphal als „thöricht“ und oberflächlich verurteilt. Allein die Lektüre zum Zweck der moralischen Urteilsbildung verdient es in seinen Augen wertgeschätzt zu werden. Ähnlich kritisch wie Westphal diskutiert Zedlers Universal-Lexicon Fassmanns Anspruch, Historie mit Hilfe der Gattung Totengespräch zu lehren. In einem eigenen Eintrag zu Fassmanns Journal heißt es über dessen Werk: Toden, (Gespräche in dem Reiche der) ist eine bekannte Monats=Schrifft, welche 1719 zu Leipzig ihren Anfang genommen, und mit der 240 Entrevüe geschlossen worden, nachdem sie 23 Jahre lang von einem Verfasser und Verleger fortgesetzet worden, so daß sie 15 Quart= Bände ausmachen, zu welchem noch der XVI Band gekommen ist [...]. Dieser XVI Band ist 1740 ebenfalls in 4 zum Vorschein gekommen. Die Absicht dieser Schrifft ist, daß in einem Gespräche zwey verstorbene Potentaten oder Staats=Männer, aus den alten und neuern Zeiten, aufgeführet werden, die einander in einem Gespräche ihre Leben erzehlen. Welche Personen in einem Theile miteinander reden, deren Bildnisse stehen auch auf dem Titel=Blatte. Sie fanden bey ihrem Anfange sehr viele Liebhaber; jedoch wurden sie mehr von den Ungelehrten als Gelehrten gekauffet, weil sie wohl zu einer Gemüths=Ergötzung dienen, nicht aber als bewährte Quellen der Historie angesehen werden können. Es wird ein Geschichts= Schreiber sich ziemlich lächerlich machen,wenn er in seinen Schrifften sich auf diese Gespräche beruffen wolte, so wenig der Verfasser selber die Schrifften anzeiget, aus welchen er die Materialien seiner Gespräche hergeholet. Es ist aber der Verfasser dieser Gespräche der durch mehrere Schrifften bekannt gewordene Faßmann, welcher ohnlängst verstorben.82

Der Verfasser des Artikels kannte offenbar den Supplementband mit den in ihm enthaltenen Summarien nicht durch eigenes Ansehen, denn sonst wären ihm die Quellenangaben, die Fassmann dort zu den Gesprächen liefert, bekannt gewesen. Als besonders tadelnswert erscheint neben den vermeintlich fehlenden Quellenangaben die „Gemüths=Ergötzung“, zu deren Zweck Fassmanns Leser dessen Totengespräche erworben hätten. Einige Jahre bevor dieser Artikel den Vorwurf der fehlenden historischen Verläßlichkeit äußerte, zeigte Fassmann u. a. in der Summarie zur 31. Entrevue sein Bemühen, aktuelle Quellen zu Nachrichten der jüngsten Vergangenheit aufzutun und darüber hinaus selbst als Gewährsmann für die Richtigkeit der historischen Nachrichten anerkannt zu werden: Bey Verfertigung dieser Entrevuë hat man sich bedienet: 1) La Clef du Cabinet des Princes de l’Europe. 2) Le Mercure Historique & Politique. Doch rühren die meisten Nachrichten, welche in dieser und der nechst=folgenden Entrevuë von diesen beyden grossen Männern

82 Zedler, Universal-Lexicon, „Toden“, Bd. 44, Sp. 665 f.

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verhanden, von derjenigen Känntniß her, welche der Autor auf seinen Reisen, in Engelland und Holland, ihrentwegen erlanget hat.83

Obwohl sich die Leipziger Totengespräche durch ihr ungefähr monatliches Erscheinen im Vergleich zu anderen Medien (wie beispielsweise dem Buch) durch ihre leichtere Konsumierbarkeit und größere Reichweite auszeichneten, bedurften sie, wie das oben angeführte Zitat von Westphals Anleitung zur Erlernung der Historie und der durchaus kritische Artikel im Universal-Lexicon deutlich gemacht haben, einer gewissenhaften und nachhaltigen Profilierung – zumindest, wenn sie ihre große Popularität auf Dauer erhalten wollten. Angeregt durch die erfolgreiche Neuauflage der Lukianischen Gespräche durch Fénelon und Fontenelle, durch zahlreiche jüngere deutschsprachige unterhaltsame Gespräche und die im Humanismus unter Beweis gestellte lehrhafte Wirkung der Textsorte, entschied sich Fassmann dafür, seine erste historisch-politische Zeitschrift in Form von Totengesprächen zu publizieren. Ein Grund für den außerordentlichen publizistischen Erfolg, den Fassmann mit seinem ersten Journal hatte, ist in eben dieser Entscheidung zu sehen. Im Sinne der von Manfred Beetz so bezeichneten „Leitfäden für Aufstiegsbeflissene“ 84 gelang es Fassmann mit Hilfe seiner dialogisch strukturierten Publikation, dem weitverbreiteten Bedürfnis breiter Schichten seines Rezipientenkreises nach gesellschaftlicher Anerkennung durch das Vorführen passender Verhaltensideale Rechnung zu tragen.85 Das oben angeführte programmatisch zu lesende Zitat Fassmanns macht deutlich, daß er den Bildungscharakter seiner Gespräche eben nicht nur an deren politischem Inhalt, sondern auch an der Form festmachte, nach der diese gestaltet waren und die von seinen Lesern gesprächsweise reproduziert werden sollten. Obwohl Fassmanns Totendialoge strenggenommen nicht zur Ratgeberliteratur im allgemeinen bzw. zu den Konversationsbüchern im speziellen gezählt werden können, weisen sie – und dies bezieht sich in den meisten Fällen vor allem auf die Eingangsdialoge, weniger auf den Hauptteil oder den Schluß – zahlreiche Merkmale jener oben erwähn-

83 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 31, Leipzig 1740, S. 118. 84 Manfred Beetz: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum, Stuttgart 1990, S. 44 f. 85 Zu Aspekten einiger Verhaltensideale siehe Andrea Wicke: Politisches und galantes Verhaltensideal im frühen 18. Jahrhundert: Überschneidungen und Differenzen, in: Der galante Diskurs, S. 313–330. Wicke bietet besonders durch den Überblick über die Positionen des Thomasius-Schülers Gundling (des bereits erwähnten Bruders Jakob Paul Gundlings, den Fassmann des öfteren verunglimpfte) eine interessante Perspektive auf zeitgenössische Vorstellungen von Politica und galanterie.

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ten Ratgeberliteratur auf. Beetz unterscheidet in seiner Studie zur frühmodernen Höflichkeit (1.) ‚eigentliche‘ Konversationsratgeber, (2.) Werke, die sich zwar kolloquialer Formen bedienen, aber nicht die Dialogform selbst zum Thema haben, und (3.) Umgangslehren, die das Gespräch nur am Rande behandeln. Fassmanns Dialoge können vor allem in den Eingangsdialogen auch als Anleitung für die Kunst, Gespräche zu führen, gelesen werden. Gerade weil sich die Totengespräche aufgrund der stetig wechselnden Figurenkonstellationen unterschiedlicher Themen, Gesprächsanfänge, Umgangsformen und sprachlicher Wendungen bedienten, läßt Fassmanns Gestaltung besonders dieses Abschnittes erkennen, daß hier der Dialog nicht nur als Vehikel für bestimmte Informationen eingesetzt, sondern auch die Form des Gesprächs in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden soll. Derjenige, der bei gesellschaftlichen Anlässen nicht nur als „gelehrt passiren“, sondern auch als jemand gelten wollte, der sich auf angenehme Weise zu unterhalten wußte, tat gut daran, so der Eindruck, den der Leser aus der Lektüre des Periodikums gewinnen sollte, sich auch einen eleganten Konversationsstil anzugewöhnen. Wiewohl Fassmann es an dieser Stelle nicht explizit ausspricht, galt neben den inhaltlichen Aspekten, die dem politisch, moralisch oder historisch informierten Sprecher geläufig sein mußten, auch die Art, nach der diese vorgebracht wurden, als bedeutsamer Bestandteil von Gesprächen. Tatsächlich erfreuten sich die diversen Ratgeber, die in der Nachfolge von Thomasius’ Discours über die Nachahmung der Franzosen in deutscher Sprache erschienen waren, größter Beliebtheit. Anstatt jedoch wie beispielsweise die bereits erwähnte Ceremoniell=Wissenschafft eines Julius Bernhard von Rohr oder die deutsche Übersetzung von François de Callières’ Kentnüs der Welt 86 einzelne Aspekte des gesellschaftlichen, galanten oder ‚politischen‘ Umgangs mit anderen Menschen hervorzuheben, nahm Fassmann, und das erscheint als eine der wichtigsten Neuerungen seiner Gespräche, diese Elemente in sein Periodikum auf und verwob sie besonders in den Eingangsdialogen zu einem neuen Ganzen. Je nach thematischer Gewichtung konnten durch die wechselnden Figurenkonstellationen immer wieder neue Aspekte des gesellschaftlich geschickten (bzw. in seiner negativen Spiegelung auch des ungeschickten) Umgangs betont werden. Insofern erwies sich die Dialogform als ein entscheidender Faktor in der Leserbildung, weil sich die ‚rechte‘ Art der Konversation sozusagen mittels ihrer Gestalt selbst erklärte und in diesem Sinne auch als praktische Anleitung gelesen werden konnte.

86 François de Callières: Unterricht von der Kentnüs der Welt, und von den Wissenschafften, die zu Führung eines welt-klugen Lebens dienlich sind. Aus dem Frantzösischen ins Deutsche übersetzt und mit nützlichen Anmerkungen von Friedrich August Müller, Leipzig 1718.

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Zusätzlich zum didaktischen Anspruch der Gespräche beanspruchen so auch die galante conduite und die politisch kluge Argumentation ihren Platz in den Leipziger Dialogen. Im Einklang mit ihrer Zeit machen die Gespräche deutlich, welche unterschiedlichen Haltungen, Moden und Ideale zugleich propagiert bzw. kritisiert werden konnten. Thomas Borgstedt und Andreas Solbach bemerken zur Gleichzeitigkeit verschiedener Strömungen und ‚Moden‘ in ihrem Vorwort zum Galanten Diskurs: Die galante Bewegung dominierte [...] in Deutschland für nahezu ein halbes Jahrhundert den literarischen Geschmack, parallel zum Zeitalter der frühen Aufklärung und zur pietistischen Erneuerung des Glaubens.87

Fassmanns Biographie und Werk zeigen, wie stark er mit all diesen oben zitierten Bewegungen verbunden war. Sein Journal kann als nahezu prototypisch für die als ‚Schwellenepoche‘ apostrophierte Zeit des beginnenden 18. Jahrhunderts verstanden werden. In den Gesprächen treten vor einem zeitgenössischen gesellschaftsethischen Hintergrund Entwicklungen zutage, die stellenweise konkurrierende Haltungen und Moden der Zeit reflektieren. Fassmann versuchte mit seinem Periodikum einerseits, dem Geschmack und den Bedürfnissen seiner heterogenen Leserschaft Rechnung zu tragen; andererseits bemühte er sich, den eigenen Vorstellungen von ‚guter‘ historisch-politischer Literatur einen passenden Ausdruck zu verleihen. Seine vielfältigen Erfahrungen im europäischen In- und Ausland als Lehrer, Reisebegleiter sowie als Diplomat, seine Studien bei Thomasius, Gundling und Francke sowie seine Kenntnis der einschlägigen (Dialog)Literatur hinterließen neben zeitgenössischen Diskursen und Moden ihre Spuren sowohl in der theoretischen Konzeption als auch in der praktischen Umsetzung seines Periodikums. Ein zeitgenössischer, normativ geprägter Definitionsversuch nicht nur von Dialogen, sondern auch von Totengesprächen, findet sich bei Johann Christoph Gottsched. Dieser bemerkt zu Fontenelles Dialogues des Morts, die er den deutschen Lesern mit Hilfe seiner Übersetzung bekannt zu machen suchte, daß sie die „lautere Vernunfft“ und den „lebhafften Geist“ ihres Verfassers zeigten.88

87 Thomas Borgstedt und Andreas Solbach: Vorwort, in: dies. (Hg.): Der galante Diskurs. Kommunikationsideal und Epochenschwelle, Dresden 2001, S. 9. Im Anschluß an diese Feststellung bemerken die Herausgeber, daß „[i]n der Forschung diesen Verbindungen [...] bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden [ist]. Überhaupt fehlt es an einer übergreifenden monographischen Darstellung und an Projekten, die in interdisziplinärer und kulturgeschichtlicher Perspektive die verschiedenen Stränge dieses typischen Zeitgeist- und Schwellenphänomens aufeinander zu beziehen suchen.“ Ebd., S. 10. 88 Gottsched, Gespräche, Widmung, S. 5. (unpag.).

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Fontenelle sei, so Gottscheds Fazit in der Widmungsvorrede zur Übersetzung der französischen Dialogues, ein „Meister“ 89 einer Gattung gewesen, die zur Kunst der Beredsamkeit zu zählen sei. Aus diesem Grund sei es ihm, Gottsched, ein Leichtes gewesen, „von diesem Theile der Wohlredenheit einige Grundsätze zu entwerffen“.90 Im „Discurs des Übersetzers [...], darinnen von Gesprächen überhaupt gehandelt wird“, gibt Gottsched einen historischen Abriß der Gattung.91 Er beginnt seinen Überblick beim Buch Hiob und leitet von den biblischen Dialogen über zur griechischen Antike, an der er besonders die Dialoge aus Homers Ilias und Aesops Fabeln lobend hervorhebt. Im Folgenden geht Gottsched über zu den philosophischen Dialogen Platons und Xenophons bis hin zu Lukian, in dessen unterschiedlichen Dialogen er das platonische Vorbild wiedererkennt. Als bemerkenswerteste Vertreter der römischen Antike nennt er Plautus, Terenz, Seneca und vor allem Cicero, den er als „den Römischen Plato“ bezeichnet.92 Als letzte in der Reihe der römischen Dialogautoren zählt er Tacitus und Quintilian auf, bevor er von Boethius aus zu den Renaissancebzw. Humanismusdialogen überleitet. Gottsched führt als herausragendste Vertreter Joan Lluís Vives [Ludovicus Vives], Balthasar Cordier [Corderus], Sébastien Châtillon [Castellio] sowie Erasmus von Rotterdam auf. Gerade die Bestrebungen Erasmus‘, der „verfallenen Gelehrsamkeit in Europa wieder aufzuhelfen“,93 seien ausdrücklich zu loben. Zu diesem Zweck stelle die dialogische Schreibart, so Gottsched, die besten Mittel zur Verfügung: Die Lebhafftigkeit, so darinnen befindlich ist, vergnüget ihre [der Jugend – SD] natürliche Munterkeit: und die beständige Abwechslung zweyer redenden Personen, kommt ihrem Eckel zuvor; der sich gar leicht einstellet, wenn sie eine Schrifft lesen sollen, die etliche Blätter lang, immer in einem fortgehet.94

Gottscheds Auffassung, daß sich die Rede und Gegenrede zweier „redender Personen“ im stetigen Wechsel befinden sollte, macht dessen negatives Urteil über Dialoge nach Art der Fassmannschen verständlich, in denen besonders diejenigen Abschnitte, in denen der Lebenslauf einer Figur wiedergegeben wird, über weite Passagen hinweg monologische Züge annehmen. Im Zusam-

89 Gottsched, Gespräche, Widmung, S. 5. (unpag.). 90 Gottsched, Gespräche, Widmung, S. 7 f. (unpag.). 91 Naturgemäß findet der Dialog als eigenständige (Prosa)Gattung keine weitere Erwähnung in Gottscheds später veröffentlichten Schriften wie der Critischen Dichtkunst. Vgl. dazu auch Kalmbach, Dialog, S. 10 f. und 35 f. 92 Gottsched, Gespräche, Discurs, S. 15 (unpag.). 93 Gottsched, Gespräche, Discurs, S. 18 (unpag.). 94 Gottsched, Gespräche, Discurs, S. 18 (unpag.).

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menhang mit Gottscheds Bestreben, verbindliche Normen für das Abfassen guter Dialoge zu installieren, muß deswegen alles, was diesen Kriterien nicht entsprach, abgelehnt werden. Gottsched versucht an dieser Stelle, die formale Offenheit der dialogischen Schreibart und ihre vielfältige Gestaltbarkeit als minderwertig und letztlich als atypisch darzustellen. Kleihues merkt hingegen zum Thema der formalen Varianz im literarisch-fiktiven Dialog an: Zu den am häufigsten genannten Gründen für die Verwendung des Dialogs gehört die Offenheit seiner Form. Die Bezugnahme auf das reale Vorbild weist zwar auf das Abbildungsverhältnis zu einer mündlichen Gesprächssituation hin, rechtfertigt aber textuelle Verfahren der Abschweifung, des ungeordneten Vorgehens oder der assoziativen Gedankenverkettung, mithin alles dessen, was sich in Opposition zum System, zur Strenge eines Traktats in Anschlag bringen läßt.95

Das Streben nach einer ‚totalen Perspektivierung‘, das Kleihues in ihrer Studie beispielsweise an den Dialogen des englischen Philosophen und Locke-Schülers Anthony Ashley-Cooper, 3rd Earl of Shaftesbury,96 feststellt, läßt sich grundsätzlich auch auf die Gespräche Fassmanns übertragen, der, wie oben zitiert, ganz im aufklärerischen Sinn den „unpartheyischen Schluß“ in seinen Dialogen zu vermitteln suchte. Kleihues gemäß muß die ‚eigentliche‘ Autormeinung in der Aufklärung hinter den Aussagen der Figuren zurücktreten. Als Beleg für diese Sichtweise mögen Fassmanns Beteuerungen im Paratext seines Journals herangezogen werden: In der sogenannten Valet=Rede an ihre Totengespräche behauptet die Autorfigur, daß sie – obwohl selbst protestantischen

95 Kleihues, Dialog als Form, S. 42 f. 96 Anthony Ashley-Cooper, 3rd Earl of Shaftesbury, * 26. Februar 1671 (London), † 4. Februar 1713 (Neapel), war Politiker, Philosoph und Schriftsteller. Erzogen von John Locke, studierte der Aufklärer in jungen Jahren besonders die Literatur der ‚Alten‘ und betätigte sich zeitweise aktiv in der englischen Politik. Er veröffentlichte zahlreiche einflußreiche philosophische Essays (Characteristics), in denen er beispielsweise für eine gemäßigte Religionsausübung und gegen Fanatismus eintritt. Seine Philosophie, besonders was Fragen des praktischen Denkens, die Vorstellung vom harmonischen Universum, die Verbindung von Schönem und Gutem oder die Rolle des Schriftstellers als Erzieher der Gesellschaft betraf, fand großen Nachhall. Seine Essays wurden u. a. von Diderot, Hegel, Mendelssohn und Leibniz geschätzt und bereits früh (zumindest teilweise) in die jeweilige Landessprache übersetzt. Zu Shaftesbury vgl. Erwin Wolff: Shaftesbury und seine Bedeutung für die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. Der Moralist und dessen literarische Form, Tübingen 1960; Thomas Fries: Dialog der Aufklärung. Shaftesbury, Rousseau, Solger, Tübingen und Basel 1993; Lawrence E. Klein: Shaftesbury and the Culture of Politeness. Moral Discourse and Cultural Politics in Early 18th-Century England, Cambridge UP 1994; Alexandra Kleihues: Im Dialog mit den Toten. Herders Auseinandersetzung mit Shaftesbury und Lessing in der literarischen Form des Gesprächs, in: Euphorion 100 (2006), S. 131–160.

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Glaubens – durch die diversen kritischen Kommentare der Figuren zur Kurie oder zu einzelnen Päpsten keineswegs die katholischen Leser zu verprellen gesucht habe. Ihm, dem Autor, sei allein an der richtigen Darstellung eines Ereignisses oder Sachverhaltes gelegen gewesen, auch wenn dies manchmal bedeutete, der eigenen Seite ebensolche Vorwürfe zu machen wie der anderen.97 Als Beispiel für eine kritische Position gegenüber zeitgenössischen Dialogen zitiert Gottsched in seinem Discurs den bereits oben erwähnten Shaftesbury. Dessen Reflexionen über den Dialog aus dem Soliloquy: or Advice to an Author übersetzt Gottsched für seine deutschen Leser wie folgt: Wir sind mit jenen Alten fast in keinem Stücke mehr zu vergleichen. Waren sie frey; so sind wir Sclaven. Philosophirten sie ohn alle Furcht, nach dem Vermögen ihres natürlichen Lichtes; so sind wir von Jugend auf durch viel tausend Vorurtheile erfüllet, die uns im Gebrauche der Vernunfft hindern. Am wenigsten sind wir ihnen im Absehen auf die ungezwungene Art im Umgange zu vergleichen. Was vor Complimenten, was vor verstellte Freundschaffts=Bezeugungen, was vor unnütze Höflichkeiten hat nicht ein vermeynter Wohlstand bey uns eingeführet? Und wie schön würde es klingen, wenn man ein Gespräche, so wie es heute zu Tage zwischen einem Paare artiger Weltleute gehalten wird, schrifftlich verzeichnen wollte? Ein Bogen Papier würde kaum zulangen, bloß die Anfangs=Ceremonien und häufigen Schmeicheleyen zu fassen, die man bey Bewillkommungen nach den Regeln der Galanterie einander saget: des Abschiedes nicht zu gedencken.98

Während Shaftesbury also ein vergleichsweise harsches Urteil über zeitgenössische Dialoge fällt, argumentiert Gottsched dafür, die ‚klassische‘ Schreibart der Alten auf die Gespräche der Gegenwart anzuwenden, um eben solche Phänomene wie die oben zitierten übermäßigen Begrüßungsformeln zu vermeiden:

97 Die Autorfigur beteuert ihre Neutralität: „[...] [D]a ich doch, in meinen Todten=Gesprächen, niemals einen Römisch=Catholischen, um seiner Religion willen, gelästert, verletzet, verfluchet und verdammet; ob ich gleich sonst von einigen Päbsten, Cardinaelen, Ertz= und Bischöffen, mit einiger Freyheit geschrieben, wann es ihr Leben und Wandel betroffen, eben so, wie ich es mit denen Protestanten gehalten, sie mögen Lutheraner oder Reformirte gewesen seyn.“ Fassmann, Gespräche in den Reiche derer Todten, Valet=Rede, Bd. XIV, Leipzig 1737, S. 1203. 98 Zitiert nach Gottsched, Gespräche, S. 22 (unpag.). Zu Shaftesburys Reflexionen über den Dialog vgl. ders.: Soliloquy: or an Advice to an Author [ED 1710], z. B. in: Characteristicks of Men, Vol. I, London: Darby 41727. Das ‚Selbstgespräch‘ ist digitalisiert abrufbar bei Eighteenth Century Collection Online. Ders.: The Moralists, A Philosophical Rhapsody [ED 1709], deutsche Übersetzung und Anmerkungen in ders.: Standard-Edition, hg., übers. und komm. v. Wolfram Benda, 2. Moral and political philosophy, Stuttgart/Bad Cannstatt 1987.

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Wer könnte denn unsere Scribenten nöthigen, unserer heutigen Art umzugehen, auch in schrifftlichen Gesprächen so genau zu folgen? Und wer wollte es ihnen wehren, die edle Einfalt der Alten in diesem Stücke beyzubehalten?99

Während Gottsched in seinem Discurs versucht, Dialoge, die seiner Meinung nach nicht den Anforderungen der tradierten Gattung entsprechen, als ungekonnt zu brandmarken, mußte er miterleben, wie gerade die von ihm kritisierten Totengespräche nach Art der Fassmannschen nicht nur weiter Bestand hatten, sondern in Popularität und Ausbreitung noch weiter zunahmen.100 Die

99 Gottsched, Gespräche, Discurs, S. 23 (unpag.). 100 Zu den zahlreichen Periodika und einzelnen Dialogen, die sich an Fassmanns Gespräche anlehnten, zählten etwa: Besonders curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, bestehend in einer Entrevuë zwischen den An. 1724. in Dressden decollirten so genannten Schwedischen Obrist=Lieutenant Joh. Koch von Güllenstein, und den 1726. ebenfalls in Dressden aufn Alten= Marckt mit dem Rade zerschlagenen Priester-Mörder Frantz Laublern, Worinnen beyder Personen begangene boßhaffte Ubelthaten, und die darauff erfolgten wohlverdienten Executiones ausführlich dargestellet werden, Halle und Zerbst 1726; Gespräch im Reiche der Todten, zwischen dem P. Angelo, einem Jesuiten, und dem Ritter von Moncada, eine ehemaligen Tempelherren, [o. O.] 1774; Plato und Leibnitz jenseits des Styx. Ein Gespräch über die Persönlichkeit der Seele nach dem Tod, Halle 1775; Gespräche im Reiche der Todten über d. Commercium des Vaterlandes, Frankfurt und Leipzig 1776; Noch ein Gespräch im Reiche der Lebendigen zwischen einem Amtmann und einem Schultzen, über die Handlungsfreyheit und die Landesindustrie, [o. O.] 1779; Gespräche im Reiche der Todten zwischen einem Schergen, und einem aus Verzweiflung bey der Herunterwürdigung der Besoldung mit einem halben Eimer Bier sich selbst ertränkten Oberschreiber, dann einem Beamten und Rentmeister nebst einem Bauern, der seinen Tod beweint, und untröstlich sich auf die Oberwelt wünscht, [o. O.] 1779; Herr und Frau Wachs, oder ein lustiges Gespräch zwischen zwey wächsernen Opfermänneln, Wien 1782; Gespräch im Reiche der Todten zwischen Maria Theresia und Friedrich II., worinnen dieser hohen Personen Leben und Merckwürdigkeiten bis zu ihrem Tode unpartheyisch erzählet werden, Istes bis Vtes Stück, Maltha 1786 [wahrscheinlich Ulm]; Gespräch im Reich der Todten zwischen Pater Cochem, weiland Kapuziner und dermaligen Ceremoniarius in der Geisterwelt, und S. T. Hrn M. Schönberg, dann einem Incognito, (war zuletzt gar Buchhändler) bey ihrem Eintritt in die Geisterwelt, Augsburg 1787; Gespräch im Reiche der Todten, zwischen Ludwig XVI., Leopold II. und Gustav III., Augsburg 1793; Moritz Flavius Trenk von Tonder (Hg.): Reich der Todten, eine Zeitschrift, enthaltend politische Gespräche der Todten, politische Reden nebst geheimen Briefwechsel zwischen den Lebendigen und den Todten, Frankfurt 1796–1814 [?]; Gespräch im Reiche der Todten zwischen Voltaire und Mably, in: Minerva 2 (1804), S. 549– 554; Gespräch zwischen der Königin Christina von Schweden und dem Lord Whitelocke, Ambassadeur Oliver Chromwells am Schwedischen Hofe, in: Minerva 1 (1806), S. 467–479; Gespräch im Reiche der Todten zwischen August von Kotzebue und Carl Sand unter vier Augen, Karlsruhe 1819. Dies sind nur einige Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum, im europäischen Ausland gab es daneben ebenfalls zahlreiche Übersetzungen der Fassmannschen Dialoge, zum größten Teil unauthorisiert. Eines der aufwendigsten und langlebigsten unter den fremdsprachigen Übertragungen scheint folgende niederländische Version gewesen zu sein: Maandelyksche Berichten Uit de andere Waerelt Of de spreekende Dooden, [...] Amsterdam

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Textsorte Totengespräch erlebte im 18. Jahrhundert eine regelrechte Renaissance. Dies war jedoch zu einem großen Teil nicht den Bemühungen Gottscheds bzw. seiner eigenen literarischen Produktion zu verdanken. Die Gespräche in dem Reiche derer Todten Fassmanns gehörten, wenn man die nur ungefähr zu schätzende Zahl der direkten Nachahmungen zum Vergleich heranzieht, zu den am meisten kopierten ihrer Zeit. Dieser Umstand wird unter anderem dadurch unterstrichen, daß noch Jahrzehnte, nachdem die erste Welle der Fassmann-Imitation abgeebbt war, Totengespräche jener Ausprägung als besonders geeignet erachtet wurden, historische Wahrheit und moralischethische Maximen auf ansprechende Art zu verbreiten. Die langanhaltende Rezeption der Leipziger Totengespräche, auf die an dieser Stelle nur kurz verwiesen werden soll, sorgte sowohl mit großem zeitlichen als auch räumlichen Abstand dafür, daß die Gattung zunächst als äußerst fortschrittlich, spätestens gegen Ende des Jahrhunderts jedoch als überholt galt.101 Im Vorwort zu George Lytteltons Dialogues of the Dead, die im Jahr 1760 erschienen, geht Lyttelton sowohl auf die verschiedenen Vorbilder für seine eigenen Dialoge als auch auf die allgemein zu konstatierenden Vorteile dieser Textsorte im Vergleich zu in Prosa verfaßten Historien oder Dissertationen ein. Totengespräche zu schreiben, so Lyttelton, is, perhaps, one of the most agreeable Methods, that can be employed, of conveying to the Mind any Critical, Moral, or Political Observations; because the Dramatic Spirit, which may be thrown into them [the dialogues – SD], gives them more Life, that they could have in Dissertations, however well written. And sometimes a new Dress may make an old Truth more pleasing [...].102

Totengespräche ermöglichen es dem Leser demnach, auf die angenehmste („agreeable“) Weise politische, moralische oder kritische Beobachtungen nachzuvollziehen. Den Grund sieht Lyttelton ähnlich wie Fassmann im drama-

1721–1754. Die Zeitschrift übertrug bis ins Jahr 1754 die Leipziger Dialoge ins Niederländische, ab 1755 bis 1771 tauchten dann auch andere Gespräche in dieser langlebigen Zeitschrift auf. 101 Sowohl die Imitation als auch die Kritik und Parodie der Fassmannschen Dialoge verdienten es, gründlich aufgearbeitet und entsprechend dargestellt zu werden. An dieser Stelle sei deswegen nur angemerkt, daß sich über die deutsche Sprachgrenze hinaus sowohl in den Niederlanden als auch in Schweden zahlreiche Beispiele für die (meist positive) Rezeption der Leipziger Totengespräche nachweisen lassen. 102 George Lyttleton: Dialogues of the Dead, London 1760, preface, S. 4. Zu Lord Lytteltons Leben (1709–1773) und Werk, das auch Persische Briefe im Stile Montesquieus enthielt, vgl. das kurze Vorwort Henry Morleys zu Lytteltons Dialogues of the Dead in der Ausgabe von 1889 sowie Robert Phillimore (Hg.): Memoirs and correspondence of George Lord Lyttelton, from 1734 to 1773, 2 Bde., London 1845.

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tischen Modus und der damit verbundenen großen Lebhaftigkeit der dialogischen Schreibart überhaupt. So wie die Fabeln, in denen Tiere dem Menschen bittere Wahrheiten schmackhaft machen, könnten die Toten alte Weisheiten in einem neuen, interessanten Gewand präsentieren und ihre Leser leichter für eine bestimmte Sichtweise einnehmen. Für die Leser im 18. Jahrhundert stellte der Dialog, so darf behauptet werden, eine angemessene und populäre Form dar, Themen aller Art kennenzulernen; und dies um so mehr, als man es von diversen gesellschaftlichen Anlässen gewöhnt war, sich mittels (galanter, philosophischer, kontrovers geführter etc.) Konversationen zu verständigen. Winfried Müller bemerkt zum Totengespräch im 18. Jahrhundert: Wie wichtig der Epoche die Gesprächsform war, ist auch daran ablesbar, daß sie ihre fiktionale Fortsetzung fand. [...] Auffallend ist es aber allemal, wie viele Publikationen des 18. Jahrhunderts allein schon durch die Titelwahl zu erkennen gaben, daß ein Wortgefecht über physikalische, medizinische, ästhetische oder religiös-moralische Probleme stattfand. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich nicht zuletzt die in der Tradition von Lukians Totengesprächen bzw. Fontenelles ›Dialogues des morts‹ (1683) stehenden ›Gespräche in dem Reiche derer Toten‹, wo sich berühmte Persönlichkeiten vergangener Epochen mit kritischem Gegenwartsbezug über historische und politische Probleme unterhielten.103

Fassmann unterteilte (im Unterschied etwa zu den kurzen, pointierten Gesprächen der Franzosen) seine Gespräche in verschiedene Abschnitte, die zwar auf den ersten Blick alle formal der Struktur des Dialogs unterworfen waren, im Gesamtgefüge jedoch unterschiedliche Funktionen zu übernehmen hatten. Neben den bereits angeführten peritextuellen, nicht-dialogisch strukturierten Elementen des Journals, wie wir sie im Titelblatt, in den zahlreichen Vorreden, Widmungen und unterschiedlichen Registertypen finden, waren die Entrevuen selbst meist durchgängig dialogisiert. Alle 240 Entrevuen waren nach demselben dreiteiligen Schema aufgebaut:104 Nach einer Einführung, die nach Art eines exponierenden Vorspiels beide Figuren im Kontext des Totenreiches vorstellte, vermittelte ein Gespräch im Hauptteil vor allem die Biographie einer oder beider Figuren. Im dritten und letzten Teil trat die bereits mehrfach erwähnte, von Merkur ausgesandte Secretarius-Figur zu den Dialogpartnern und präsentierte ihnen verschiedene – mehr oder weniger aktuelle – Nachrichten, die von den Figuren kontrovers diskutiert und zur Erhellung des Lesers kommentiert wurden. Im Folgenden sollen die einzelnen Abschnitte der Gespräche

103 Müller, Aufklärung, S. 26. 104 Zum inneren Aufbau der Totengespräche vgl. beispielsweise auch Matthes, Das veränderte Rußland, S. 196 ff.

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in Form und Funktion erläutert und ihre Besonderheiten anhand einiger Beispiele vorgestellt werden.

5.2.1 Die Introduktion Während der überwiegende Teil eines jeden Gesprächs größtenteils im dialogischen Modus gestaltet war, gab der einführende Abschnitt zu Beginn einer Entrevue einige Hinweise auf die Umgebung, in der eine Begegnung stattfand. Über eine erste Identifikation und kurze Charakterisierung beider Gesprächspartner hinaus lieferte die Introduktion auch eine Beschreibung ihres Aussehens und der Art ihres ersten Zusammentreffens. Fassmann gab der Hinführung zu den Gesprächen je nach Anlaß und Bedarf mehr oder weniger Raum. Der Eingangsteil gab den Lesern zusätzlich zu den oben genannten Informationen auch Aufschluß über die Beziehung, welche die beiden Dialogpartner im Leben gehabt (oder nicht gehabt) hatten, und konnte so gewissermaßen den Ton vorgeben, in dem die Begegnung in der Unterwelt stattfand.105 Anders als Fontenelle und Fénelon konstruierte Fassmann für seine Gespräche eine Art narrativen Rahmen, der – vergleichbar den Regieanweisungen im Drama – die Dialoge innerhalb eines spezifischen Kontexts verortete. Dieser lieferte ein Bild sowohl der Figuren als auch der Landschaft, vor der eine Unterhaltung stattfand.106 In der Introduktion wurden bei Bedarf Diskussionen

105 Wenn beide Figuren sich zu Lebzeiten nicht kannten bzw. zeitlich zu weit voneinander entfernt gelebt hatten, ‚imaginierte‘ Fassmann passende Umgangsformen. Während er sich bemühte, galante Begrüßungsformeln dort einzusetzen, wo sie der jeweiligen Paarung gemäß angebracht schienen, waren daneben hierarchisch bedingte Höflichkeitsfloskeln mindestens ebenso wichtig. Offensichtliche Brüche mit tradierten Formen der Höflichkeit signalisierten dem Leser bereits zu Beginn eines Totengesprächs, daß eine Figur bzw. deren Lebenswandel negativ zu beurteilen war (vgl. dazu beispielsweise die Entrevue Nr. 65, in der Phryne Alexander den Großen zur Begrüßung angriffslustig anschreit). 106 Besonders die einleitende Passage zur Entrevue Nr. 45, in der die Ankunft des marokkanischen Tyrannen Mulai Ismail in der Unterwelt geschildert wird, bietet einigen Aufschluß über Fassmanns Gestaltung derselben (zur Darstellung des Tyrannen vgl. Kap. 6). Mulai muß diverse Stationen auf seinem jenseitigen Leidensweg durchlaufen, ehe er auf seinen vorbildlichen Gesprächspartner, den frommen Herzog Ernst zu Sachsen-Gotha, treffen darf. In der Introduktion zum 45. Totengespräch heißt es: „Nachdem der grausame Kåyser und Tyrann zu Marocco, Muley Ismael, lange genug gewütet und getobet, [...] muste er endlich, gleich andern Menschen, von der Welt, und in das Reich derer Todten wandern. Gleichwie ihm nun als einem Mahometaner, Barbar und grausamen Tyrannen, der gräßlichste Ort in dem Reiche derer Todten, so die Hölle ist, zu seiner künfftigen Wohnung bestimmet gewesen: also wartete seiner bereits eine höllische Furie, [...]. Von solcher wurde derselbe augenblicklich angepacket, und mit ihrer Geissel unaufhörlich gepeitschet, auch öffters, wann er nicht gutwillig gehen wolte,

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geführt, die als unabhängiges ‚Gespräch im Gespräch‘ zunächst nichts mit den Lebensläufen oder Charakteren der teilnehmenden Dialogpartner zu tun haben mußten. Die Bedeutung der in den Einführungen behandelten Themen wurde auch dadurch markiert, daß Fassmann diese häufig auf den Titelblättern ankündigte: So verspricht die Entrevue Nr. 8, daß Philipp II., König von Spanien, und Wilhelm von Nassau, Prinz von Oranien, über die Frage diskutieren würden, ob „ein einäugigtes Frauenzimmer auch capable sey zu charmiren“.107 Eine andere Begegnung thematisiert wiederum die Frage, ob „eine Schwartze Schönheit einer Blonden, oder diese jener / vorzuziehen“ 108 sei oder „ob es besser wäre, mehr als eine Frau zu haben“.109 Abgesehen von diesen eher amourös konnotierten Fragestellungen wurde in den Eingangsdialogen auch diskutiert, welche Gründe es für die Einrichtung eines Konklave bei einer neuen Papstwahl geben könne (Nr. 34) oder inwiefern die wiederholt milden Winter in Deutschland von einem allgemeinen Klimawandel zeugten (Nr. 67).110 Fassmann gelang es mittels dieser in sich abgeschlossenen Binnendialoge, andere Themen anzusprechen als in den historisch-biographisch orientierten Hauptteilen seiner Gespräche. Analog zum Nachrichtenteil am Ende eines jeden Totengesprächs wurde so eine Textinstanz geschaffen, die auf aktuelle, modische oder sonstige Themen von allgemeinem Interesse Bezug nehmen konnte. Der Fokus des Periodikums, welches primär historisches, biographisches und politisches Wissen transportierte, konnte so auf Gebiete ausgedehnt werden, die zunächst nichts oder nur wenig mit dem jeweiligen Hauptthema einer Begegnung zu tun haben mußten. Je nach Eigenschaften oder Lebenslauf einer Figur wurde der Leser im Eingangsteil eines Gesprächs auf unterschiedliche Gesichtspunkte aufmerksam gemacht. Dabei lenkte Fassmann den Blick seiner Rezipienten häufig zuerst

gantz entsetzlich in dem Koth, ingleichen auf rauhen Steinen, Dorn und Disteln fortgeschleppet, biß er auf dem Ufer des Flusses Acherons anlangete, und von dem alten Charon in seine Barque eingenommen ward.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 45, Leipzig 1721, S. 924 f. 107 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 8, Leipzig 1719, Titelblatt. 108 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 6, Leipzig 1720, Titelblatt. 109 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 9, Leipzig 1720, Titelblatt. 110 Diese vergleichsweise aktuell wirkende Frage muß im Zusammenhang mit Auswirkungen der damals herrschenden ‚Kleinen Eiszeit‘ verstanden werden. Fassmann läßt Alexander den Großen und Karl den Großen zu Beginn der Entrevue die vergangenen und gegenwärtigen schnee- und frostarmen Winter diskutieren. Karl argumentiert, daß diese keinesfalls für einen Klimawandel sprächen, denn „[d]ie Welt wird sich niemals verrucken, und folglich ein iedes Land sein Clima gar wohl behalten; obgleich die Witterungen derer Jahres=Zeiten gantz anders als sonsten sind.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 67, Leipzig 1724, S. 150.

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auf den Charakter der Figuren und lieferte als Einstieg in den Dialog eine kurze Bewertung ihres Lebenswandels. Kleopatra etwa wurde dem Leser in der 20. Entrevue wie folgt vorgestellt: Die weltberühmte Cleopatra, Königin von Egypten, lag neulich in einem Dorn=Strauch, worauf aber gleichwohl, ihrer sonderbaren Schönheit zu Ehren, einige Rosen blüheten. Solche Königin nun ward von dem Marschall von Luxembourg erblicket, wannenhero er sich vollends näherte und sie also anredete. Madame, es zeiget Dero gantzes Wesen, daß Sie in der Welt keiner geringen Herrlichkeit und Glücke gestanden haben müssen; ungeachtet auch einige traurige Minen zu verstehen geben, daß sie von unglücklichen Fatis nicht unangefochten geblieben. 111

Konform zu den kanonisierten ikonographischen und literarischen Überlieferungen zeigt der Dialog die ägyptische Königin in einer Haltung und Szenerie, die gleichzeitig ihrem Charakter und ihrer historischen Bedeutung entsprechen sollten. Fassmann transportiert und reproduziert zu Anfang eines jeden Gesprächs eingängige und leicht verständliche Beschreibungen seiner gewählten Figuren, wobei jene meist in Einklang mit zeitgenössischen bzw. tradierten Meinungen standen. Nicht nur, daß er dabei die Persönlichkeit mit Hilfe eindeutig wertender Adjektive beschrieb (der „grosse Tyrann“ oder der „vortreffliche Chur= Fürst“), sondern auch, daß er zur gleichen Zeit eine historisch-mediale Perspektivierung entwickelte (die „weltberühmte Königin“, der „welt=bekanndte

111 Fassmann, Gespräch in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 20, Leipzig 1720, S. 259. Die verbale Beschreibung am Anfang des Totengesprächs korrespondiert mit der bildlichen Darstellung Kleopatras auf dem Titel. Im Zusammenhang mit Fassmanns Präferenz wirkungsmächtiger Bilder und Symbole ist auch die ikonographische Tradition zu verstehen, welcher der Illustrator in seiner Darstellung folgte: Die ägyptische Königin wird nach dem Vorbild von Guido Renis Porträt vom Beginn des 17. Jahrhunderts mit entblößter Brust dargestellt, der sich der Liebestod-Legende gemäß eine Schlange näherte. Daß die Assoziation sowohl mit den dargestellten Rosen als auch mit der Schlange (bzw. der dazugehörigen nackten Brust) nicht nur in Fassmanns Journal über großes Attraktionspotential verfügte, sondern dies in verhältnismäßig wenig veränderter Form bis in heutige Tage tut, beweisen populäre Titel wie „Die Rosen der Kleopatra. Ein Spaziergang durch die Gärten der Geschichte“, Düsseldorf 2008 oder die Kriminalgeschichte „Kleopatra und der Biss der Kobra. Ein Krimi aus dem alten Ägypten“, Ravensburg 2009, für welche die vielfach kolportierte Darstellungstradition erneut herhalten muß. Zur Darstellung der Kleoptara in verschiedenen Medien und Epochen vgl. u. a. Sabine Poeschel: Handbuch der Ikonographie: Sakrale und profane Themen der bildenden Kunst, Darmstadt 2007; Diana Wenzel: Kleopatra im Film, Remscheid 2005; Carola Hilmes: Kleopatra. Das versteinerte Frauenbild und die Geschichten eines verteufelten Eros, in: Don Juan und Femme fatale, hg. v. Helmut Kreuzer, München 1994, S. 99–116.

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Monarch“, der „berüchtigte Rebell“ usw.), markiert eine Metaebene innerhalb der Dialoge.112 Die im Journal geschilderten Begegnungen beanspruchten zumindest vordergründig, ‚wirkliche‘ Unterhaltungen zwischen verstorbenen Personen zu sein. Fassmann durchbrach diese von ihm erschaffene Illusion einer unmittelbaren Gesprächsgegenwart immer wieder mittels vorgeschobener Texte und einleitender Bemerkungen, welche zunächst die Überzeugungskraft der Dialoge erhöhen sollten. Als Rechtfertigung vor seinen Kritikern bemühte er sich beispielsweise, den Vorwurf zu entkräften, seine Gespräche seien übertrieben und unrealistisch. Bevor sich der Dialog zwischen Marie Aimée de RohanMontbazon, Duchesse de Chevreuse, und dem Grafen von Clermont entwickeln kann, äußert sich eine Autorfigur zum Thema des fehlenden Realismus in einem dem Gespräch vorgeschalteten Vorwort und bemerkt: Ist jemand, der einen Zweiffel heget, ob denen beyden allhie aufgeführten Personen alles so begegnet sey, wie es beschrieben wird? dessen Gedancken will ich gantz unangefochten lassen. Nichts destoweniger aber habe ich vermeinet vielen einen Gefallen zu thun, wann ich sie allhie in dem Reiche derer Todten mit auftreten liesse, weil dergleichen Dinge, als von ihnen zu lesen, doch ein vor allemahl nicht unmöglich sind, und sich wohl noch viel seltsamer zugetragen haben, auch die Stärcke der Liebe und der Eyfersucht samt ihrer entsetzlichen Wirckung in denen Gemüthern derer Menschen, dermassen darinnen abgeschildert, daß man wenig bessere Portraits davon antreffen wird.113

Im oben angeführten Zitat wird ein weiteres Mal Fassmanns Auffassung von Historie deutlich. In fast identischer Form erscheint diese wenig später in Zedlers Universal-Lexicon, nunmehr als allgemeingültiges Prinzip formuliert (Vgl. 4.1.1 Die historisch-politische Unterweisung). Entscheidend ist an dieser Stelle die von Fassmann als Rechtfertigung herangezogene Möglichkeit der in den Entrevuen geschilderten Vorgänge. Fassmann beharrt nicht auf einer Form von faktischer Gewißheit (auf welchem Wege letztere überhaupt zu erreichen sei, bleibt auch unerwähnt), sondern präsentiert als Begründung für die Überzeu-

112 Fassmann entwickelt gewisse Vorlieben für einige Ausdrücke: Die Adjektive „gross“ und „Welt=berühmt“ (mit seinen Varianten „sehr berühmt“, „Welt=bekandt“ und „fameuse“) erscheinen vor allem bei den positiv besetzten Figuren mit Abstand am häufigsten, bei den verurteilenswerten Charakteren zählen die Begriffe „erschrecklich“ und „grausam“ zu den gebräuchlichsten. Als eher neutral erweisen sich die von Fassmann häufig verwendeten Ausdrücke „sonderbar“ bzw. „remarquable“, die erst einmal kein Charakterurteil implizieren, sondern – ähnlich wie die oben erwähnten Varianten von „Welt=berühmt“ – vor allem den ‚Nachrichtenwert‘ einer Figur betonen. 113 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 38, Leipzig 1721, Vorwort, S. 383 [Hervorhebung – SD].

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gungskraft seiner Dialoge die Annahme, die geschilderten Vorgänge seien „nicht unmöglich“. Zedlers Universal-Lexicon erläutert die Historie bzw. das notwendige Urteil über die Glaubwürdigkeit derselben: Wenn wir eine Historie beurtheilen wollen, so müssen wir zwey Dinge betrachten, einmahl die Person, deren Zeugnisse wir folgen, oder den Geschichtsschreiber, und hernachmahls die Geschichte selber, inwieferne diesselbe möglich ist oder nicht.114

Die Unterscheidung in ‚tatsächlich Geschehenes‘ und nur ‚Mögliches‘ berührt im Kern das Dilemma der zeitgenössischen Historiographie bzw. ihrer literarischen Erzeugnisse: Um seine eigens geschaffene Fiktion im Dienste der historischen Bildung zu verteidigen, muß sich Fassmann des Kunstgriffs bedienen, nicht auf die Faktizität seiner Totengespräche, sondern auf deren Plausibilität zu verweisen. Aufgrund fehlender anderer Möglichkeiten war die Wahrscheinlichkeit einer der wenigen Parameter, um historische Ereignisse als richtig oder falsch zu bewerten. Das Universal-Lexicon stellte darüber hinaus die Forderung, nicht nur ein strenges Urteil über die geschilderten Ereignisse zu fällen, sondern auch über die Glaubwürdigkeit des Historiographen selbst. Das am zeitgenössischen Wissenschaftsbegriff orientierte Bildungsprogramm des Journals auf der einen Seite und die lebhaffte und unterhaltende Fiktion auf der anderen bedeuteten für den Autor letztlich eine schwierige Gratwanderung. Um die Qualität seiner Gespräche und die eigene Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen, betont Fassmann an oben zitierter Stelle, daß die tatsächlichen Ereignisse „noch viel seltsamer“ gewesen seien, als er sie in seinem Journal dargestellt habe. Die Fiktion bedeutet also in diesem Fall, so die Argumentation Fassmanns, sogar eine Abschwächung des Gewesenen und nicht etwa, wie es die Kritiker des Gesprächs nahelegten, eine Übertreibung und unzulässige Ausschmückung historischer Tatsachen. Mit seinem zweiten Argument versucht Fassmann, die Bedenken seiner Kritiker weiter zu zerstreuen: Nahezu unabhängig von der Frage, wie wahrscheinlich das Gespräch bzw. die Begegnung von Personen sei, die sich zu Lebzeiten niemals hätten treffen können, sei die Schilderung emotionaler ‚Geißeln‘ wie der Liebe und der Eifersucht dazu geeignet, den Lesern eine nützliche Lektion zu erteilen. Ohne auf das von Fassmann häufiger verwendete Argument der Nützlichkeit näher eingehen zu wollen, das sich in seinem Funktionszusammenhang selbst häufig genug als nützlich erwies, bietet die Wortwahl der oben zitierten Passage einen weiteren Hinweis auf seine Vorgehensweise. In

114 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13 (Hi–Hz), Halle und Leipzig 1735, Sp. 283.

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Anlehnung an Plutarch, der in seinen Viten nicht Geschichte schreiben, sondern „Lebensbilder“ zeichnen wollte, spricht Fassmann davon, daß er die Wirkung verschiedener Emotionen in den Gemütern der Menschen „abgemahlet“ habe und der Leser nur wenig bessere „Portraits“ dieser Gemütsbewegungen finden könne.115 Gleich einem Maler, der ein Antlitz dem Verständnis der Zeit nach nur so darstellen („abmahlen“) konnte, wie es sich ihm ‚wirklich‘ darstellte, übertrage der Autor die Gemütszustände seiner Figuren und die Auswirkungen starker Gefühle auf seine zwar erdachten, aber dennoch lebensechten Dialoge. Es überrascht wenig, daß Fassmann in seiner Argumentation unterschlägt, welche Prinzipien der Idealisierung und Verfälschung im Prozeß des Abbildens zwangsläufig zum Tragen kommen mußten. Die bei Plutarch bereits vorgeprägte Metapher aus dem Bereich der bildenden Kunst, die besonders bei der Darstellung der menschlichen Persönlichkeit Analogien ermöglichte, diente auch Fassmann als Möglichkeit, die eigene Vorgehensweise zu rechtfertigen. Trotz aller Versuche, seine Gespräche gegenüber Kritikern zu verteidigen, gelang es Fassmann nicht, das seinem Journal letztlich zugrundeliegende konzeptuelle Problem verschwinden zu lassen. Gerade weil die Gespräche zu dem Zweck geschaffen waren, historisch relevante Tatsachen und Ereignisse realitätsnah und ‚wahrheitsgemäß‘ zu schildern, bereitete dem Autor der fiktionale Rahmen der Totengespräche mit deren prinzipiell ahistorischer Ausrichtung einige argumentative Schwierigkeiten.116 Um diesen zu entkommen, mußte Fassmann auf den Kunstgriff der postulierten Möglichkeit der geschilderten Ereignisse ausweichen und auf die ansprechende Wirkung und Überzeugungskraft seiner unterhaltsam dargebrachten Fiktion vertrauen. Der Hinführung zu den Gesprächen im Eingangsteil kam aus diesem Grund eine besondere Bedeutung zu: Je abwechslungsreicher und überzeugender diese gestaltet war, desto

115 Plutarch spricht in der Alexander-Vita von seinen Absichten und erklärt: „Denn ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder, und hervorragende Tüchtigkeit oder Verworfenheit offenbart sich nicht durchaus in den aufsehenerregendsten Taten, sondern oft wirft ein geringfügiger Vorgang, ein Wort oder ein Scherz ein bezeichnenderes Licht auf einen Charakter als Schlachten mit Tausenden von Toten und die größten Heeresaufgebote und Belagerungen von Städten.“ Plutarch, Alexander-Vita, 1. Kapitel, S. 7 (vgl. 3.2.4). 116 Man denke an den mythischen Ursprung der Totengespräche, der von den Verstorbenen verlangte, daß sie aus dem Fluß Lethe trinken sollten, um ihre irdischen Erinnerungen und ihren weltlichen Besitz abzulegen. Obwohl Fassmann sich mit seinem Konzept weit über diesen mythologisch geprägten Rahmen hinaus bewegte, griffen auch seine Vorgänger zu dem Mittel, ihre Figuren mitsamt deren ehemaligen Eigenschaften darzustellen. Da bereits die Lukianischen Dialoge mit der auch nach dem Tod weiterbestehenden Identität der Figuren operierten, scheint der Bruch mit den Regeln des Mythos der Textsorte bereits von Anfang an eingeschrieben gewesen zu sein.

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sicherer konnte sich der Autor sein, daß sein Bildungsprogramm im fiktionalen Mantel der Totengespräche akzeptiert würde – wenn schon nicht von seinen Kritikern, dann zumindest von weiten Teilen seiner zahlenden Leserschaft. Daß die unterhaltsame Vermittlung historischen Wissens auch dem „Historien= Schreiber“ ein wichtiges Anliegen war, wird bereits in Zedlers Universal-Lexicon deutlich, in dem es zum Thema der Wahrscheinlichkeit auf der einen Seite, der unterhaltsamen Vermittlung von historischen Informationen auf der anderen heißt: Es muß also ein Historien=Schreiber ein in der historischen Wahrscheinlichkeit sehr geübter Mann seyn. Weil aber ein allzu genauer Vortrag trocken ist, so muß ein Scribente seine Leser auch durch etwas annehmliches zu unterhalten wissen.117

Um seine Gespräche nicht zu „trocken“ wirken zu lassen, variierte Fassmann den Einstieg in die einzelnen Begegnungen und versuchte, durch immer neue Zugänge und Abläufe das gleichförmige Schema der Entrevuen aufzubrechen. Die Introduktion zur 31. Entrevue lieferte beispielsweise noch vor dem ausführlichen biographischen Hauptteil einen Überblick über das Leben und Sterben einer ihrer Hauptfiguren, des laut dem Titelblatt „vortrefflichen, weltberühmten Englischen General[s] und Ministre[s]“ Earl James Stanhope. Dieser traf sich in der Unterwelt mit dem niederländischen „Rath und Pensionario“ Anthonie Heinsius. Bevor dieses Treffen jedoch stattfinden konnte, schildert die Einleitung auf zwei Seiten zuerst die Verdienste und Taten des englischen Ministers sowie die genaueren Umstände seines Todes (er starb 1721, nachdem ihn im House of Lords ein heftiger Kopfschmerz befallen hatte – ein Schlaganfall, wie sich später herausstellte). Der Erzählerkommentar rühmt ihn zu Beginn wegen seiner hohen Qualitäten, durch die er „im Feld eine Armée commandiren, im Cabinet aber einen grossen Ministre, und bey Hofe einen galanten Hofmann agiren“ 118 konnte. Fassmann verknüpft in der Introduktion darüber hinaus die verhältnismäßig ausführliche Beschreibung der Tätigkeiten Stanhopes zu dessen Lebzeiten mit seinem Erwachen im Totenreich und dem neu zu erlangenden Bewußtsein für die veränderten Verhältnisse dort: Als er nun im Reich der Todten anlangete, war derselbe, weil es mit seinem Todt ziemlich geschwind und plötzlich zugegangen, noch gantz betäubet. Erstlich dünckete ihm, ob gienge

117 Zedler, Universal-Lexicon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 284. Zur Rhetorik heißt es dort weiter: „Es ist eben nicht nöthig, daß er nach dem Exempel derer Griechischen und Lateinischen Geschicht=Schreiber seine Stärcke in der Rede=Kunst dabey sehen lasse: Die meisten machen dadurch nur ihre Erzählung verdächtig.“ Ebd. 118 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Leipzig 1726, S. 1151.

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er, in dem Garten zu Hamptoncourt, in tiefen Gedancken herum spatzieren, fieng er auch an zu reden, und stellete einige Ordre wegen seiner Equippage, die er, als ernannter Groß= Britannischer Gesandter zu dem Congress in Cambray, mit dahin nehmen wolte. Hernach aber hielt er davor, als läge er in einem schweren Traum, aus dem er sich mit aller Gewalt heraus wickeln wolte, biß er endlich allgemach vermerckte, daß er seinen Cörper eingebüsset habe, und zu einem puren Schatten geworden sey.119

Stanhope wird hier als eine Figur geschildert, die sich in einem Zustand der Betäubung und Täuschung befindet. In drei aufeinanderfolgenden Phasen, die im Text jeweils deutlich markiert werden („Erstlich dünckete ihm [...], hernach aber hielt er davor [...], biß er endlich allgemach vermerckte [...].“), gelangt die Figur zur Erkenntnis, daß sie sich nunmehr im Reich der Toten aufhält. An dieser Stelle scheinen deutliche Parallelen zu den Lukianischen Totengesprächen auf, in denen die Schatten häufig ebenfalls einige Anpassungsschwierigkeiten an ihren neuen Zustand haben (vgl. besonders das X. Totengespräch bei Lukian). Ähnlich wie der medische Satrap Arsakes in Lukians XXVII. Totengespräch, der sich Krates’ Erzählung nach im Totenreich nach Landessitte hoch zu Roß fortbewegen möchte, verlangt auch der Earl of Stanhope bei Fassmann seiner ursprünglicher Lebensweise gemäß zuerst nach einer Equipage. Auch das Schlaf- und Traummotiv, das von Ferne an Aeneas’ Reise in die Unterwelt oder Ciceros Somnium Scipionis gemahnt, erscheint an dieser Stelle;120 darüber hinaus weist die Verwendung des von Odysseus’ Fahrt in die Unterwelt geprägten Begriffs „Schatten“ in Richtung der antiken Gattungstradition, die in Hades den Herrscher über das Schattenreich sah und seine Untertanen als körperlose Wesen. In Fassmanns Entrevue verharrt Stanhope jedoch nicht im Zustand der Verwirrung und des Traumes (bzw. in der Annahme, es handele sich um einen solchen), sondern wird von selbst gewahr, welcher Art sein Zustand ist. Diese Realisation geht mit der Erkenntnis einher, daß der eigene Tod nicht nur Nachteile mit sich bringt: Jedoch da er sich, zu gleicher Zeit, als er anfieng zu vermercken, wie ihm das wiederfahren, was allen Menschen wiederfähret, sehr wohl, auch von Chagrin, Sorge, mühsamen Denken und Nachsinnen, gäntzlich befreyet befand, gab er sich zufrieden, und sprach nur so viel: à Dieu dann! à Dieu! Du tolles Welt=Getümmel!121

119 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Leipzig 1726, S. 1152. 120 Zur Traum- und Schlafmotivik besonders bei Platon, Aristoteles und Cicero vgl. PeterAndré Alt: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit, München 2002. 121 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Leipzig 1726, S. 1152.

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Stanhopes Erwachen im Totenreich bedeutet für die Figur zwar einen durchaus wörtlich zu verstehenden substantiellen Verlust (nämlich den des Körpers), aber gleichzeitig auch einen Gewinn an Sorglosigkeit und vor allem an Freiheit von allen irdischen Pflichten. Die im Eingangsteil dieses Gesprächs heraufbeschworene Szene bot dem vorgebildeten Leser zahlreiche Verweise auf antike Vorbilder. Wie so häufig wurden diese Anspielungen jedoch nicht um ihrer selbst willen gemacht: Fassmann benutzt die tradierten literarischen Motive dazu, um sie mit neuem Sinn zu erfüllen. Der nach seiner Equipage verlangende englische Earl evoziert (zumindest beim literarisch versierten Leser) eben nicht nur die Erinnerung an den persischen Satrapen Lukians, sondern vermittelt dadurch, daß Fassmann im gleichen Atemzug den Zweck der Kutschfahrt nennt, weitergehende Informationen: Stanhope möchte mit seinem Fuhrwerk „als ernannter Groß=Britannischer Gesandter zu dem Congress in Cambray“ 122 reisen. An diesem Beispiel zeigt sich, auf welche Art Fassmann mit literarischen Vorbildern und Motiven verfuhr. Unabhängig von der Vorbildung seines Rezipientenkreises bot die Zitation geeigneter populärer literarischer Erzeugnisse die Möglichkeit, die Intentionen des Journals auf angenehm zu lesende Weise zu unterstützen. Sobald sich eine Gelegenheit bot, griff Fassmann in seinen Gesprächen auf unterschiedliche literarische Vorlagen zurück: Sei es, daß er sich aufgrund der monatlichen Herausgabe seines Journals zu dieser Handlungsweise genötigt sah, sei es, daß er als Historiograph dankbar die motivischen und stilistischen Vorlagen seiner literarisch versierten Vorgänger übernahm. Die intertextuellen Bezüge konnten dem literarisch vorgebildeten Leser jedenfalls einiges über die imitatorischen Kunstgriffe des Autors verraten. Kennzeichnend für Fassmanns Gestaltung des Eingangsteils ist der typische Handlungsablauf, nach dem Stanhope hier noch damit beschäftigt ist,

122 Der 1725 in Cambrai stattfindende Kongreß wurde von Frankreich initiiert und sollte die Konflikte in Europa auf friedlichem und diplomatisch-multilateralem Wege lösen. Die Initiative scheiterte an den konträren Positionen der erbitterten Gegner Spaniens und Österreichs, die ihre jeweiligen Interessen im Hinblick auf die Erbfolge und Gebietsansprüche ohne die Einmischung Dritter durchsetzen wollten. Stanhope war in seiner Funktion als Secretary of the State der ‚Architekt‘ der so genannten Quadrupelallianz (1718) zwischen England, Frankreich, Österreich und den Niederlanden, deren Bemühungen um ein Zurückdrängen der spanischen Macht in der Mediterranée allerdings nicht mit (friedlichem) Erfolg gekrönt waren. Zu verschiedenen sozialen, ökonomischen und politischen Aspekten im Zusammenhang mit dem Erbfolgekrieg vgl. Friedrich Edelmayer (Hg.): Der Spanische Erbfolgekrieg, Wien 2008 (= Studien zur Geschichte und Kultur der Iberischen und Iberoamerikanischen Länder 13); zur Entwicklung der Allianz und der Bedeutung des Kongresses im Zusammenhang mit dem Spanischen Erbfolgekrieg siehe Heinz Duchhardt: Barock und Aufklärung, München 2007, S. 108 ff.

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über seine neugewonnene Freiheit und Sorglosigkeit im Totenreich nachzusinnen, als sich ihm sein Gesprächspartner, in dieser Entrevue der Niederländer Anthonie Heinsius, nähert.123 Je nachdem, ob die beiden Figuren bereits zu Lebzeiten miteinander in Kontakt getreten waren oder nicht, bereitete den Schatten das gegenseitige Kennenlernen bzw. Wiedererkennen mehr oder weniger Schwierigkeiten. Da die Figuren in Fassmanns Unterwelt ihr irdisches Aussehen behielten und mit den Abzeichen und Attributen ihrer ehemaligen Profession versehen waren, konnte das (Wieder)Erkennen meist ohne größere Irritationen erfolgen.124 Die erste Begegnung der beiden Figuren in der 31. Entrevue verläuft nach dem von Fassmann entwickelten Schema: Die Gesprächspartner treffen aufeinander, als Stanhope noch mit der Kontemplation seines neuen Zustandes beschäftigt ist: Mittlerweile näherte sich der weltberühmte Heinsius, Holländischer Rath=Pensionarius, dem Ort, wo sich Stanhope befand. Heinsius kunnte sich kaum einbilden, daß er diesen vortrefflichen Engeländer schon in dem Reiche derer Todten vor sich sehen solte. Auf daß er nun dessen recht gewiß werden möchte, redete er ihn an und sprach: Wie? Mylord! Seyd ihr es oder seyd ihr es nicht? Stanhope Freylich bin ich es, werther Heinsius! und freue mich, euch zu sehen. Heinsius Und ich gratuliere euch zu dem Stand, den ihr nunmehro betreten, vortrefflicher Stanhope! wiewohl ich mich nicht entbrechen kan, die so in Europa wohlgesinnet, nebst der Englischen

123 Anthonie Heinsius (* 22. November 1641, † 03. August 1720) war ein einflußreicher niederländischer Staatsminister im Dienste Wilhelms III. Der Prinz von Oranien übertrug dem Delfter die Position des Großen Pensionarius von Holland, die er während der Auseinandersetzungen mit Frankreich bzw. mit Spanien im Zuge des Erbfolgekrieges erfolgreich bis zu seinem Tod 31 Jahre lang ausfüllte. Zu Heinsius vgl. Jan A. F. de Jongste und Augustus J. Veenendaal (Hg.): Anthonie Heinsius and the Dutch Republic 1688–1720. Politics, War and Finance, Den Haag 2002. 124 In der zweiten Begegnung Stanhopes mit Heinsius tritt beispielsweise noch eine dritte Person zu den beiden Unterrednern hinzu. Fassmann schildert das Wiedersehen der beiden Verstorbenen und die Ankunft des ‚Neuankömmlings‘ wie folgt: „Stanhope und Heinsius fanden sich, vermöge genommener Abrede, nach Verfliessung einiger Zeit, wieder an dem vorigen Ort ihrer Unterredung ein. Sie setzten sich nieder an ein kleines Täfelgen. Indem sie aber anfangen wolten aufs neue zu discouriren, erschien ein Schatten vor ihnen, welcher dem Pabst Clementi XI. dessen Portrait ein jeder von diesen Ministris offtmahls gesehen, sehr ähnlich war. Daher urtheilten sie, er müste es in der That seyn, und würde Abschied aus der Welt genommen haben, in welcher Meinung sich auch dieselben gar nicht betrogen; allermassen

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Nation zu beklagen, daß sie euch zu einer Zeit verlohren, in welcher die Conjuncturen ein sehr weites Aussehen haben. Ihr hättet der Welt noch gar lange wichtig dienen können, admirable Stanhope! 125

Heinsius erkennt wie Stanhope auch sein Gegenüber sofort. Er wundert sich, den Earl bereits in dessen 50. Lebensjahr in den Elysischen Feldern antreffen zu müssen, wo England seiner im gegenwärtigen Zustand doch sehr bedürfe. Nachdem das erste Aufeinandertreffen samt des Austausches höflicher Ehrbezeugungen vonstatten gegangen ist, wenden die beiden Männer sich einem ihnen genehmen Gesprächsthema zu.126 Die beiden Figuren unterhalten sich über das frühe Ableben des englischen Ministers, das wahrscheinlich dem Umstand zu verdanken war, daß dieser der Gewohnheit des typischen Hofmanns gemäß regelmäßig bis zu sechs Flaschen Wein (Tockayer, wie Fassmann präzisiert) während einer einzigen Mahlzeit getrunken habe. Fassmann benutzt den Eingangsdialog zwischen den beiden Figuren dazu, auf einige seiner bevorzugten Themen zu sprechen zu kommen, u. a. auf den ausschweifenden Lebenswandel bei Hofe, der in diesem Falle Stanhope, so dessen eigenes Fazit, ungefähr 30 Lebensjahre gekostet habe. Heinsius, der konstatiert, daß es gut wäre, „wann das starcke Trincken von allen Höfen gäntz-

besagter Pabst am 19. Martii dieses 1721. Jahres wirklich gestorben.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 32, Leipzig 1721, S. 1231. 125 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Leipzig 1726, S. 1152 f. Typisch für die Gesprächsmuster, die Fassmann für die Anfänge seiner Gespräche ausbildet, ist beispielsweise die Verwendung von verschiedenen Interjektionen wie wir sie hier im überrascht klingenden „Wie?“ des Niederländers Heinsius finden. Sprachhandlungspartikel wie das zustimmende „Freylich“ sollen darüber hinaus die Lebensnähe und Unmittelbarkeit des Gesagten signalisieren. 126 Gemäß zeitgenössischer Höflichkeitsmaximen belegen sich die beiden Gesprächspartner mit zahlreichen lobenden Wendungen („werther Heinsius“, „vortefflicher Stanhope“ etc.). Um den gattungsimmanenten Ansprüchen Genüge zu tun bzw. um die Überzeugungskraft des fiktiven Gesprächs in der Unterwelt zu erhöhen, widmet Fassmann den emotionalen und sozialen Äußerungen im Moment der ersten Begegnung große Aufmerksamkeit. Die dem Gespräch zwischen Alexander dem Großen und Karl dem Großen vorangestellte Szene zwischem der berüchtigten Hetäre Phryne und dem makedonischen Feldherrn zeigt eine Ausnahme von den ansonsten häufig ausgesprochen höflich verlaufenden Begrüßungszeremonien zu Beginn eines neuen Dialogs. Phryne hatte seit geraumer Zeit „einen gewaltigen Trieb in sich verspüret, sich in einen Disput mit Ihm [Alexander – SD] einzulassen. Endlich aber fügete es das Schicksal, daß sie ihn rencontrirte, als er in einem gewissen Thal herum spazierete; da sie dann, denselben unverzüglich anschrie, und sprach: Schauet hier, grosser Alexander!“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 65, Leipzig 1724, S. 1 (unpag.). Laut Jörg Kilian wird durch die ritualisierten Begrüßungen zu Beginn eines Gesprächs ein idealisierter „Dialograum“ eröffnet, in welchem die Kommunikation stattfindet. Kilian, Historische Dialogforschung, S. 129.

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lich verbannet wäre“,127 pflichtet Stanhope bei und unterstützt dessen Urteil, daß ihm bei größerer Zurückhaltung noch mehr Zeit verblieben wäre, seiner politischen Mission im Zuge der Auseinandersetzungen in Europa nachzugehen. Stanhope setzt im Folgenden zu einer längeren Erzählung über die (Trink)Gewohnheiten bei Hofe an, deren Verbesserung er für nahezu „impracticable“ hält.128 Nach einigen Anekdoten des Earls über die Gewohnheit zahlreicher Minister, ihren Gästen Wein, sich selbst aber Wasser vorsetzen zu lassen, kommt Heinsius zu dem Schluß, daß man trotz aller verurteilenswerten Handlungsweisen der Hofmänner im Sinne des ‚chacun à son goût‘ „einem jeden seine Weise, Maximen und Gewohnheiten lassen muß“.129 Fassmann läßt Stanhope nach diesem anfänglichen Austausch über die Sitten bei Hofe das Thema wechseln („Wohlan! Es seye das Trincken bey Seite gesetzet.“ 130). Der Earl fragt seinen Gesprächspartner im Folgenden, ob dieser der Meinung sei, daß Staatsminister notwendigerweise studiert haben müssen, um anspruchsvolle Aufgaben versehen zu können. Heinsius legt im Anschluß an diese Frage seine Auffassung einer geeigneten Ausbildung für diejenigen dar, die sich auf dem Feld der Staatsgeschäfte hervortun möchten. Universitäre Bildung, so das zweite Thema des Eingangsdialogs, sei letztlich nicht nur meistens unnötig, sondern darüber hinaus geradezu hinderlich und schädlich im Hinblick auf den Umgang mit anderen Menschen, wie Heinsius ausführt. Anstatt im häuslichen Umfeld guten Unterricht zu genießen, der mehrere Sprachen, Mathematik, Geschichte und Philosophie umfassen solle, kämen die jungen Menschen in den Kollegien mit Dingen in Berührung, deren sie nicht bedürften und die ihrer Entwicklung eher hinderlich seien: [A]uf den Universitäten [haben] öffters braver Leute Kinder das Unglück [...], daß sie in einen Umgang und Compagnie gerathen, wo sie das gantze Jahr hindurch nicht ein einiges nützliches und rechtschaffenes Wort, sondern lauter Zotten, Thor= und Boßheiten hören. 131

Heinsius führt in der Erörterung des zweiten Themas mehrere Anekdoten zum Beweis an, daß sich selbst hochstehende Minister, die an Universitäten studiert hätten, durch ihre peinliche Unwissenheit in Fragen der Geographie und Historie bloßgestellt hätten. Stanhopes gewagte These, daß „[a]uch aus Pagen [...] vortreffliche Staats=Ministre werden“ 132 können, wird so durch ein extremes Beispiel untermauert. 127 128 129 130 131 132

Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31,

Leipzig Leipzig Leipzig Leipzig Leipzig Leipzig

1726, 1726, 1726, 1726, 1726, 1726,

S. 1153 S. 1154. S. 1154. S. 1155. S. 1156. S. 1156.

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Fassmann plädiert in diesem Eingangsdialog wie so oft durch die Maske seiner Figuren für einen soliden Unterricht, der auch fernab von den Collegiis der Universitäten den Menschen (hier: Männern) zum Nutzen gereichen soll. Der Nachweis für die Richtigkeit der These, daß auch Menschen geringerer Herkunft gute Staatsdiener abgeben können, wird durch die Beispiele erbracht, die Heinsius und Stanhope in der Folge anführen. Besonders die Unkenntnis der Geographie und Historie wird von beiden dann als besonders fatal angesehen, wenn Personen mit derartigen Materien eigentlich von Berufs wegen vertraut sein müßten; aber auch die Unwissenheit im ‚normalen‘ Volk sei erschrekkend, wenn man, so Stanhopes Urteil, die zahlreichen falsch kolportierten historischen Anekdoten genauer betrachte, die in der Vorstellung vieler als Wahrheit gälten. Heinsius kommt deswegen zu dem traurigen Schluß: Ach! Es regieret leider! noch Tummheit genug, auch so gar bey vielen, die doch sonsten unter die Gelehrten gerechnet werden.133

Im Eingangsteil dieser Entrevue läßt Fassmann seine Figuren einige der Themen aufgreifen, die auch an anderer Stelle (in Vorreden, Dedikationen und anderen Totengesprächen) erscheinen. Sowohl das erste Thema (die Ausschweifungen bei Hofe) als auch das darauffolgende (die weitverbreitete Dummheit universitär Gebildeter) erscheinen in dieser oder ähnlicher Form immer wieder im Leipziger Journal. Fassmann kritisiert mit ihnen bestimmte Verhaltensweisen und Zustände, die er zum einen für verurteilenswert hält und zum anderen für interessant genug, um sie wiederholt in seinem Periodikum aufzugreifen. Das dritte und letzte Thema dieser Introduktion wird schließlich von Stanhope eingeführt, der sich bei seinem Gesprächspartner erkundigt, warum gerade die als gelehrt, gesittet und tolerant geltenden Niederländer häufig so unhöflich und bäuerlich wirkten. Heinsius führt im Folgenden seine Argumente ins Feld, warum seine Landsleute zwar (zumindest für deutsche Ohren) ungeschlacht und rüde klängen,134 in Wirklichkeit aber, so sein Fazit nach einer 133 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Leipzig 1726, S. 1158. 134 Fassmann mischt an dieser Stelle ein weiteres Mal sachliche Informationen mit farbigdeftigen Beispielen, indem er als Beleg für diese These den Umstand anführt, daß die Niederländer Ausdrücke in ihrer Sprache verwendeten, die für den Deutschen (nicht etwa den anwesenden Engländer) eine andere, gewagtere Bedeutung hätten. Heinsius konstatiert: „Ich bekenne, daß, wann man in der Stellung und Geberden derer meisten Holländer nichts ungeschlachtes finden solle, ein langer Umgang darzu gehöre. An unflätigen Worten ist gleichfalls ein guter Vorrath unter ihnen vorhanden. Ja sogar die unschuldigen Worte der Holländischen Sprache choquiren die Ohren eines Hochteutschen, der ihrer nicht gewohnet. Wann z. E. ein solcher Hochteutscher gleich Anfangs, bey seiner Ankunfft höret und lieset: Der Herr Hurer und der Herr Verhurer, wie muß daß nicht in seinen Ohren lauten? und dennoch bedeutet es

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ausführlichen Schilderung der Staatsform und geographischen Ordnung des Landes, in einem „wahre[n] irdische[n] Paradies“ 135 lebten. Unterbrochen von einigen Einwürfen und Fragen Stanhopes läßt Fassmann den Niederländer auf fast 40 Seiten dessen ehemaliges Heimatland vorstellen, bevor Stanhope schließlich den Lebenslauf seines Gegenübers hören möchte, womit der Eingangsteil seinen ritualisierten Abschluß findet.136 Nach dem Schema der oben als Beispiel angeführten Begegnung läßt sich folgender prototypischer Ablauf für das erste Zusammentreffen zweier Figuren rekonstruieren: 1.) Vorstellung der ersten Figur und der Szenerie (Erzählerkommentar) 2.) Monolog der ersten Figur 3.) Auftritt der zweiten Figur (Erzählerkommentar) 4.) Gegenseitige Begrüßung und Beginn des Eingangsdialogs mit einem Thema oder mehreren Themen 5.) Überleitung zum Hauptteil (Biographien) Anders als der Hauptteil, der auf breitem Raum vor allem die Lebensläufe seiner Protagonisten vorstellte, war der Anfangsdialog dazu geeignet, mehrere unterschiedliche Themen dialektisch zu erörtern bzw. kritisch zu kommentieren. Im Anfangsteil eines Gesprächs konnte Fassmann auf das aktuelle Zeitgeschehen reagieren und ähnlich wie im Schlußteil Bezüge zu neuesten Nachrichten und Diskursen herstellen. Dies war mit den umfangreicheren und dadurch deutlich schwerfälligeren Hauptteilen seiner Gespräche nicht ohne weiteres möglich. Darüber hinaus konnte das ‚Gespräch im Gespräch‘ dazu dienen, potentielle Leser durch gewagte oder anziehende Gegenstände zur Lektüre einer Entrevue gleichsam zu verlocken, was einen nicht zu unterschätzenden Faktor im medialen Verdrängungswettbewerb darstellen mußte. Wenn Fassmanns Periodikum sowohl auf den Messen in Frankfurt und Leipzig als auch in den zahlreichen Buchhandlungen als anziehendes Journal mit lesenswerten Themen wahrgenommen werden wollte, konnte ein inhaltlich bewußt abwechslungsreich gestalteter, aber formal wiedererkennbarer Beginn mit ‚skandalösen‘ Diskursen für Aufmerksamkeit und letztlich auch für höhere Absatzzahlen sorgen.

in Holländischer Sprache gar nichts böses, sondern heisset: Der Herr Miether und der Herr Vermiether.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Leipzig 1726, S. 1158 f. 135 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Leipzig 1726, S. 1198. 136 Stanhope beschließt die Introduktion mit folgender strukturell institutionalisierter Überleitung: „Jedoch will ich eben ietzo [...] aber das, was euer Leben und geführten Wandel betrifft, mit sonderbaren Vergnügen anhören, woferne ihr es mir erzehlen wollet.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Leipzig 1726, S. 1199.

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Als Vorbild für spätere Journale mit meinungsbildenden, kommentierenden oder informierenden Textteilen konnten Eingangsdialog, Haupt- und Nachrichtenteil in Fassmanns Gesprächen jeweils unterschiedliche Funktionen übernehmen. Die Unterteilung der Dialoge in verschiedene Abschnitte ermöglichte es, divergente Themen und konträre Figuren unter der Prämisse zusammenzufassen, daß sie auf der Ebene der literarischen Fiktion überzeugende Gespräche führten. Dabei nahm Fassmann in Kauf, daß einige Gegenstände und Figurenkonstellationen eben dadurch, daß sie innerhalb einer einzigen Textsorte präsentiert wurden, von Rezipienten und Kritikern als zu abwegig oder aufgesetzt beurteilt wurden.

5.2.2 Der Hauptteil Der Beginn des jeweiligen Hauptteils wurde, wie das oben angeführte Zitat des Earl of Stanhope gezeigt hat, stets deutlich mittels strukturell ritualisierter Gesprächsakte markiert („Jedoch will ich eben ietzo [...] aber das, was euer Leben und geführten Wandel betrifft, mit sonderbaren Vergnügen anhören, woferne ihr es mir erzehlen wollet.“ 137). Verglichen mit den beiden anderen Abschnitten nahm der Hauptteil den weitaus größten Raum im Journal ein: Während sich der Eingangsdialog zu Beginn eines Gesprächs und der Nachrichtenteil an dessen Ende meist auf ca. 10 Seiten beschränkten, umfaßte die Schilderung eines oder beider Lebensläufe meist bis zu 70 Seiten im Quartformat. Die ausführlichen Biographien innerhalb der Textsorte Totengespräch boten Dritten eine besondere Gelegenheit, die literarische Qualität des Journals bzw. dessen Konzept und Umsetzung zu kritisieren.138 Die Gestaltung gerade dieses Teils wurde sowohl von Zeitgenossen im 18. Jahrhundert als auch von der Literaturwissenschaft im 20. Jahrhundert immer wieder getadelt, die literarische Qualität dieses Abschnittes in Frage gestellt, sein Umfang als viel zu groß und die Dialoge an sich als Fremdkörper im Vergleich zu den umfangreichen Biographien abgetan. Gottsched, der in seinem Discurs des Übersetzers

137 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 31, Leipzig 1726, S. 1199. 138 In Wolffs Encyclopädie der deutschen Nationalliteratur heißt es zu Fassmann: „F. war [...] nicht ohne Witz und Laune, hatte viel erlebt und gesehen und wußte daher über manches mitzusprechen, artete jedoch zu leicht in Gemeinheit aus und kann eigentlich nur zu den literarischen Abentheurern gezählt werden, welche damals hin und wieder in Deutschland ihr Wesen trieben.“ Oskar Ludwig Bernhard Wolff: „David Fassmann“, in: Encyclopädie der deutschen Nationalliteratur: oder biographisch-kritisches Lexicon der deutschen Dichter und Prosaisten seit den frühesten Zeiten; nebst Proben aus ihren Werken, 7 Bde., hier Bd. 2, Leipzig 1837, S. 310.

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von Gesprächen überhaupt vehement für das Verfassen guter Dialoge eintrat, kritisierte Totengespräche nach Art der Fassmannschen, weil sie seiner Ansicht nach die strenge Lukianische Form aufgaben. Anstatt kurz und prägnant verschiedene Gegenstände auf möglichst ‚natürliche‘ Weise vorzubringen, würden die Leipziger Totengespräche eine einfache Frage mit ausufernden Erklärungen beantworteten: Es klingt sehr wunderlich, wenn der eine den andern gleich im Anfange des Gesprächs fragt: Wer er sey? dieser aber anfängt: Ich heiße N. N. und bin im Jahr 4640 nach der Erschaffung der Welt gebohren. Mein Vater hieß so, und meine Mutter so, u.s.w. und dieses so vier bis fünf Bogen lang nacheinander fortsetzet, bis sein gantzer Lebens=Lauf mit dem darauf erfolgten Tode und allen Begräbnis=Ceremonien endlich ein Ende hat. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die andre Person in währender Zeit eingeschlafen sey, und diesen Schwätzer indessen habe ausreden lassen. Solche Lebensläufe schicken sich sehr wohl nach geendigten Leichenpredigten abzulesen, wo die Zuhörer hübsch stille seyn müssen : nicht aber in Gesprächen, wo die andre Person das Recht und die Freyheit hat, auch ein Wort dazu zu sagen.139

Gottsched sieht davon ab, Fassmanns Dialoge an dieser Stelle explizit zu erwähnen, und lobt statt dessen neben den zahlreichen, in seinen Augen weitaus gelungeneren antiken Beispielen ausdrücklich die neueren Dialoge von Thomasius, Tentzel 140 und Tilesius141; der Verfasser der Leipziger Totengespräche

139 Gottsched, Gespräche, S. 42 (unpag.). Zu Gottscheds Kritik an schlechten Dialogen, insbesondere den Gesprächen in dem Reiche derer Todten vgl. auch Baumbach, Lukian in Deutschland, S. 67 ff. 140 Gottsched spielt hier auf die Monatlichen Unterredungen Wilhelm Ernst Tentzels (1659– 1707) an, die zwischen 1689 und 1698 erschienen: Die monatlichen Unterredungen Einiger Guten Freunde Von Allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten; Allen Liebhabern der Curiositäten Zur Ergetzligkeit und Nachsinnen Heraus gegeben, Leipzig 1689–1693 und 1689–1698. 141 M. Tilesius: Gespräche in dem Reiche derer Welt=Weisen, Jn Acht verschiedenen Theilen zusammen gefasset Und mit einer Vorrede Von Dem Vorzuge der Neuern Welt=Weisen vor den alten begleitet, nebst einem zulänglichen Register, Halle 1722. Gottsched identifiziert einen M. [Magister] Tilesius als den anonymen Verfasser der insgesamt 37 Conversationen. Dabei handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den Hallenser Rechtsordinarius Balthasar Heinrich Tilesius (1673–1735), der bei dem Universitätsverleger Hendel in Halle noch ein weiteres Werk publiziert hatte, eine Disputation über die Art zu urteilen in der Philosophie und Mathematik (1721). Tilesius besorgte u. a. die deutsche Übersetzung von Descartes’ Tractat von den Leidenschafften der Seele, die 1723 bei Ernst Gottlieb Krug in Frankfurt und Leipzig erschien. Zu Gottscheds Beispielen für verschiedene Dialoge vgl. auch den betreffenden Abschnitt im Kommentar in J. Ch. Gottsched: Ausgewählte Schriften, Bd. 10,2: Kleinere Schriften, hg. v. Philipp Marshall Mitchell, Berlin/New York 1980, S. 598. Über die Disputation hinaus publizierte Tilesius ein weiteres, thematisch den Gesprächen in dem Reiche derer Welt=Weisen verwandtes Werk mit dem Titel: Curieuse Reflexiones einiger guten Freunde über die neuesten Begeben-

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wird von ihm zwar in der Folge namentlich erwähnt, die Qualität seiner literarischen Bemühungen jedoch in Zweifel gezogen. Unter Verweis auf jene bereits weiter oben erwähnte zeitgenössische „Critique“ erklärt Gottsched in seinem Discurs: Wir haben endlich die beruffenen Gespräche im Reiche der Todten die eine Nachahmung der Lucianischen Todten=Gespräche seyn sollen, und ausser diesen noch viel Historisch= Politische Staats=Assembleen der curieusen Eva, Gespräche im Vorhofe des Reichs der Todten u.s.w. Ich schreibe keine Critic über alle diese Sachen: folglich bin ich nicht verbunden, meine Gedancken von den Tugenden und Fehlern derselben zu entdecken. Soviel ist gewiß, daß die ersten drey Scribenten [Thomasius, Tenzel und Tilesius – SD] das innere Wesen eines guten Gespräches wohl verstanden, und den Character der redenden Personen wohl in acht genommen. Ob dies auch von dem vierten [Fassmann – SD] gelte, hat ein gelehrter Mann in seiner abgenöthigten Critique der sogenannten Gespräche im Reiche der Todten überaus gründlich erörtert, welche also von Liebhabern nachgesehen werden kan.142

Fassmanns Gesprächen wird in dieser Aufzählung und stellenweise polemischen Bewertung grundsätzlich die Berechtigung abgesprochen, als richtige, d. h. regelgerechte, Dialoge zu gelten. Im Zusammenhang mit Gottscheds Bestrebungen, verbindliche Gattungsnormen und allgemeine Beurteilungskriterien für gute bzw. gut gemachte Literatur zu entwickeln, kann sein Urteil über die Qualität der Totengespräche als ein notwendiger Schritt gelesen werden, die eigenen Vorstellungen als normbildend durchzusetzen.143 Mischformen

heiten in der gelehrten Welt, insonderheit inder Weltweißheit, in einigen Gesprächen abgefasset und Herrn M. Strählern in Halle dediciret, Jena 1723. 142 Gottsched, Gespräche, S. 34 f. (unpag.). Gottsched verweist hier auf folgendes anonym erschienenes Werk: Abgenöthigte Critique der sogenanten Gespräche in dem Reiche derer Todten, darin 1. Unterredung einiger Todten, 2. Gründliche Vertheidigung der Geschichten des Reichs der Todten, auch einige Satyren aus Menantes Gedichten, beurtheilt, 3. Anwort auf die 30ste Entreviie [sic], Halle (Saale) 1721. Auf diese Kritik erfolgte eine für Fassmanns Gespräche sich einsetzende Antwort des sächsischen Staatssekretärs Johann Zacharias Gleichmann, der sich als Schriftsteller mehrerer Pseudonyme bediente (bspw. Johannes Sperans oder Clarus Michael Hellemond): Abgenöthigte und rechtmäßige Retorsion, Auff ein schändliches Pasquill, So ohnlängst wider die Gespräche im Reiche der Todten, Absonderlich wider die Vierte Fortsetzung, Von Bellerophonte, Und einem, Der sich unter folgenden Buchstaben: G. B. R. O. P. W. verborgen [...]. Ans Licht gegeben, Frankfurt 1727. Gleichmann verfaßte darüberhinaus ein Gespräch, das seinen Lesern seine eigenen, unter Pseudonym herausgegebenen Totengespräche näherbringen sollte: Gespräche im Reiche der Lebendigen, von denen Gesprächen im Reiche der Todten: welche bisshero unter dem Nahmen, Sperantis und Veramandi, an das Licht gekommen [...], Frankfurt und Leipzig 1730. 143 Gottscheds Bemühungen, die Figurenrede zu reformieren, geriet wiederum selbst in die Kritik. Lessing sah die Dialoge in vielen zeitgenössischen Dramen (Kilian gemäß spielt Lessing hier vor allem auf Gottscheds Dialogführung an; dies scheint jedoch nicht gesichert) mehr „Maschinen“ ähnlich als nach der Natur gestaltet. Vgl. Lessing, Werke, hg. v. H. G. Göpfert,

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und – so Gottsched – Erweiterungen der Textsorte waren im Zuge dieser Bestrebungen einzudämmen und ein für allemal zu verwerfen. Wie sehr sich Gottscheds Diktum in der Beurteilung einzelner Autoren (wie in diesem Falle Fassmanns), ganzer Gattungen bzw. Epochen halten konnte und für lange Zeit als gültige ‚Wahrheit‘ verstanden wurde, zeigt Dirk Niefanger in seinem Beitrag zur Entwicklung der deutschen Nationalliteratur am Beispiel des galanten Diskurses. Niefanger gibt einen Überblick darüber, wie vergleichsweise unkritisch die Literaturgeschichtsschreibung Gottscheds Urteil über den Zustand und die Qualität des literarischen Feldes übernahm. Er konstatiert im Zusammenhang mit Gottscheds Vorgehensweise, die über öffentliche Kritik und Polemik neue Positionen zu besetzen suchte: „Zu dieser Neubesetzung gehört notwendigerweise die Abwertung derjenigen Literatur, die vorher die entsprechende Position innehatte. So erklärt sich die zum Teil heftige Kritik an den barocken Autoren und vor allem auch an den galanten Dichtern.“ 144 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache, daß sich Fassmanns Gespräche konform mit zeitgenössischen Auffassungen offen gegenüber textsortenfremden und darüber hinaus auch fremdsprachigen Einflüssen zeigten. An der Kritik an seinen Dialogen war ablesbar, wie schlecht sie mit einem eng gefassten Gattungsbegriff oder mit normativen Vorstellungen von ‚guter Literatur‘ in Einklang gebracht werden konnten. Die disparaten Gegenstände, die in dem Leipziger Journal behandelt wurden, und die verschiedenen Textbausteine, die in Ton und Schreibart deutlich von den dialogisch strukturierten Passagen abwichen, hinterließen offenbar einen so inhomogenen und unnatürlichen Eindruck, daß Gottsched die Leipziger Gespräche gleichsam ablehnen mußte. Der galante Hintergrund der Totengespräche spielte insofern eine nicht zu vernachlässigende Rolle, als er (wie auch der Dialog selbst) Niefanger gemäß eine generelle Offenheit gegenüber anderen Literaturen aufwies. Dagegen mußte sich Gottsched, der an der Installation normativer Strukturen und an der Förderung einer Rhetorik der Natürlichkeit interessiert

Bd. IV – Dramaturgische Schriften, 59. Stück, München 1973, S. 505. Zur etwas gewagt erscheinenden Identifikation Gottscheds als alleinigem Adressaten der Lessingschen Kritik vgl. Kilian, Historische Dialogführung, S. 34. Wie Gottsched als emsiger Erneuerer der deutschsprachigen Literatur bzw. wie die Qualität der literarischen Erzeugnisse allgemein im nachhinein beurteilt wurde, zeigt neben den oft reproduzierten zeitgenössischen Debatten im Umfeld der Schweizer Bodmer und Breitinger u. a. eine Passage aus Lemckes 1871 erschienener Geschichte der deutschen Dichtung, in der Gottsched als „steifer Hercules im poetischen Augiasstall“ bezeichnet wird. Carl Lemcke: Geschichte der deutschen Dichtung neuerer Zeit, Bd. 1, Leipzig 1871, S. 385. 144 Niefanger, Nationalliteratur, S. 149.

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war, in seinem Urteil absetzen, wenn er im deutschsprachigen literarischen Feld neue und erfolgsversprechende Positionen besetzen wollte.145 Wie ging nun Fassmann in der Gestaltung seiner biographisch orientierten Haupteile vor? Bestimmend für diesen Abschnitt waren die mit Hilfe typischer Gesprächsstrukturen vermittelten Informationen zum Leben der Figuren. Diese sollten dem Leser Auskunft über den Charakter und die Taten der vorgestellten Personen geben. Anders als in anderen Dialogen wurden in den Leipziger Gesprächen die Charakterzüge einer Figur nicht für sich allein, d. h. als Selbstzweck oder zur witzigen Unterhaltung geschildert. Anhand eines tradierten Tugendkatalogs wurden an den einzelnen Figuren (besonders an den Herrschern und Herrscherinnen) vielmehr bestimmte Eigenschaften hervorgehoben und gelobt. Der Zweck bestand hierbei v. a. in der Einordnung der Lebensläufe in einen über-individuellen, von der Staats-Klugheit bestimmten Kontext. Obwohl Fassmann besondere Ereignisse in der Geschichte und vorbildliche bzw. verurteilenswerte politische Handlungsweisen mit Hilfe seiner Figuren sichtbar machte, wurden die Taten dieser Individuen an einem ihnen übergeordneten Ideal des guten Herrschers (bzw. der guten Fürstin, des guten Seelsorgers etc.) gemessen. Das Leben einer Figur wurde so mit Hilfe eines Maßstabs beurteilt, dessen Parameter Fassmann naturgemäß nicht im einzelnen offenlegte, auf die jedoch im Verlauf eines Gesprächs durch die Rede und Gegenrede der Gesprächspartner angespielt wurde. In der Begegnung des schwedischen Königs Johann II. mit dem polnischen König Kasimir IV. etwa erzählt ersterer vom verurteilenswerten Lebenswandel seines Halbbruders Erik, nachdem Kasimir zunächst die abergläubischen und heidnischen Bräuche derjenigen getadelt hatte, die in die Zukunft schauen möchten. Johann entgegnet darauf: Johannes Ihr redet gantz recht, werthester Casimirus! und ich erinnere mich hierbey, was vor lose Händel mein Halb=Bruder Ericus, welcher vor mir den Schwedischen Thron besessen, sich zugezogen, indem er sich in der Astrologie vertieffet, und das Zukünfftige daraus erforschen wollen. Solches werdet ihr noch besser aus meiner Historie hören. Indessen sind dieses die besten und vernünfftigsten Menschen, welche niemals andere als gute und gerechte Absichten hegen, einen löblichen und richtigen Lebens=Wandel führen, anbey ihr eintziges Vertrauen auf Gott setzen, und hiernechst stets getrost, auch eines freudigen Hertzens sind.

145 Bereits im Jahre 1725 formulierte Gottsched in seinen Vernünftigen Tadlerinnen drei Hauptregeln, an denen sich ein „guter Scribent“ orientieren sollte: „1. Ein guter Scribent muß natürlich schreiben. 2. Ein guter Scribent muß vernünfftig schreiben. 3. Ein guter Scribent muß in Vergrösserungen und Verkleinerungen Maaß halten.“ Gottsched, Vernünftige Tadlerinnen, 37. Stück [12. 9. 1725], S. 290 f. Das Zitat macht deutlich, warum etwa die ‚unnatürlich‘ langen biographischen Hauptteile in Fassmanns Totengesprächen bei Gottsched auf wenig Gegenliebe stießen.

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Casimirus Glückselig ist der Mensch zu preisen, mit dem es also beschaffen, wie Ihr, liebster Johannes! eben ietzo saget. Wer ein solcher Mann ist, der gleichet einem Löwen, der von keiner Furcht etwas weiß, und es erschrecket ihn auch der Todt nicht, er mag sich zeigen zu welcher Zeit und Stunde er will.146

Die Gespräche funktionierten im Kontext zeitgenössischer Medien und Vorstellungen als eine Art Weiterentwicklung des Fürstenspiegels bzw. des historischen Panegyricus. In den biographischen Teilen, die eine deutliche Tendenz zur Monologisiserung aufwiesen, wurden bestimmte charakterliche Aspekte gelobt oder getadelt, das moralische Verhalten und politische Tun eines Herrschenden anhand bestimmter Kriterien vorgeführt und einem vergleichsweise heterogenen Leserkreis zur Beurteilung vorgelegt. Trotz aller anekdotenhaften Individualisierung (und stellenweisen Skandalisierung) der in den Gesprächen vorgestellten Biographien wird offenbar, in welchem Maß Fassmann die häufig kontrastiv einander gegenübergestellten Biographien in einen größeren staatspolitischen Zusammenhang stellte. Dieser Kontext wurde, und das erscheint als eine der bedeutendsten Eigenschaften des Journals, im Kontext des Theatrum Mundi-Diskurses nahezu auf alle bekannten Gebiete des Erdkreises ausgedehnt. Fassmanns Ansatz, Figuren mit unterschiedlicher Herkunft und aus verschiedenen Epochen im Totenreich miteinander zu konfrontieren, sollte letztlich den Druck auf die zeitgenössischen Herrscher aus der ‚Oberwelt‘ erhöhen. Obwohl es nach außen hin primär den Anspruch vertrat, vergangene Ereignisse und Taten abzubilden, bekam Fassmanns Periodikum gerade durch dessen massenweise Verbreitung und dialogisch-kritischen Ansatz zusätzliche aktuelle Brisanz. Daß sich Fassmann dieses Wirkprinzips bewußt war, beweisen diejenigen Stellen in seinem Periodikum, an denen historische Taten und Anekdoten als Beispiele für aktuelle Mißstände dienen. Immer wieder führt Fassmann in seinen Gesprächen Beispiele an, die erzieherisch auf seine Zeitgenossen (Herrschende wie Untertanen) wirken sollten. So gibt beispielsweise Alexander der Große im Dialog mit Karl dem Großen die bekannte Fabel Aesops wieder, in welcher der Wolf das Lamm zuerst zu Unrecht beschuldigt, sein Wasser zu trüben, es dann der üblen Nachrede zeiht und es schließlich, als er auch zum dritten Mal vom Lamm wegen seiner falschen Anschuldigungen widerlegt wird, auffrißt. Diese bereits im Original herrschaftskritische Fabel wird von Karl in ihrer Wirkungsweise erklärt. Der verstorbene Herrscher entgegnet seinem Gesprächspartner:

146 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 150, Leipzig 1730, S. 374.

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Die Fabel ist schön, und zeiget, wie gottloß es in der Welt herzugehen pfleget. Denn da finden sich bißweilen strenge Fürsten, oder gewaltige Ministri, welche Appetit nach denen Güthern und Vermögen derer ansehnlichsten und reichsten ihrer Unterthanen bekommen, und alsdann mit ihnen verfahren, wie der Wolff mit diesem Lamm.147

Die Gier gottloser Fürsten und Minister nach Reichtum ist demnach der Grund dafür, daß besonders den reichen Untertanen Teile ihres Vermögens entzogen wurden und in den persönlichen Besitz des Herrschers oder hochstehender Beamter übergingen. Alexander führt Karls Gedanken zur Gier einiger Herrscher fort und faßt die in seinen Augen nächstliegende Lesart der antiken Fabel noch einmal zusammen: Am allerbesten aber lässet sich diese Fabel auf mächtige Potentaten appliciren, welche kleinen Fürsten und Herren, welche zwar nicht ihre Unterthanen, aber ihnen doch benachtbart [sic] sind, und deren Ländereyen sie zu verschlingen suchen, gerne in die Haare wollen; da dann ein Vorwand desfalls heraus kommen muß, und wann er auch noch so lächerlich klinget.148

Der Starke schluckt den Schwächeren also unter Zuhilfenahme fadenscheiniger Ausreden: Diese usurpatorische Handlungsweise illustriert Fassmann mit Hilfe der Aesopischen Fabel und läßt seine Figuren die richtige Interpretation gleich mitliefern. Als geeignete Art des Umgangs mit den übrigen Fabeln und Anekdoten, die im Journal wiedergegeben werden, bezeichnet Alexander das „[A]ppliciren“, das Anwenden des Gehörten (bzw. Gelesenen) auf einen zeitgenössischen Kontext, der sich von dem des geschilderten Ereignisses oder Beispiels unterscheidet, auf diesen jedoch aufgrund ähnlicher Umstände oder gleichbleibender Prinzipien des menschlichen Handelns übertragbar erschien.149 Deutlich wird an dieser Stelle die Notwendigkeit einer rechtlichen Fundierung allen politischen Handelns betont. Vor dem Hintergrund des ius publicum Europæum tadelt das Journal bevorzugt an weiter entfernt agierenden Potentaten unbotmäßiges (und letztlich eben unrechtmäßiges) Verhalten. Fassmann

147 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 67, Leipzig 1724, S. 151. 148 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 67, Leipzig 1724, S. 151. 149 Zur Rolle der Fabeln und anderer eingestreuter Erzählungen heißt es in der Vorrede zum XVI. Band: „Was die lustigen Discurse und Erzehlungen betrifft, die in einigen Entrevüen befindlich, so hat man sie, mit grossem Fleiß, darum mit einfliessen lassen, auf daß der Leser dadurch desto mehr aufgemuntert und erweckt werden möchte; von welchem allem [sic] ein vernünfftiger und unpartheyischer Mann den guten Nutzen gar leichtlich einsehen und erkennen wird.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, Vorrede, S. 5 (unpag.).

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bezeichnet etwa das politische Handeln der russischen Fürsten im allgemeinen bzw. des für seine Grausamkeiten berüchtigten russischen Zaren Ivan IV. im besonderen als barbarisch. Er begründet sein Urteil damit, daß er das politische Handeln der Herrscher dieses Landes als eine Verletzung sowohl des ius naturae als auch des ius gentium interpretiert: Wie gesagt, es ist kein Wunder, daß die Moscowiter sonst als rechte Barbaren, ja ärger als Türcken und Tartarn ausgeschrien gewesen, weil sich ihre Groß=Fürsten und Czaare nicht gescheuet, das natürliche und Völker=Recht so gröblich zu violiren.150

Im Kontext der verschiedenen Länder und politischen Systeme schneiden die russischen Zaren demnach noch schlechter ab „als Türcken und Tartarn“, die sonst als Beispiele für besonders grausame oder andere verurteilungswürdige Herrscher herangezogen werden können. Gottgegebene Macht besitzen die (europäischen) Herrscher zwar auch in Fassmanns Augen, diese gestattet es ihnen jedoch nicht, das von Menschen installierte Recht zu verletzen oder zu ignorieren. Insofern wird der Allmachtsanspruch absolutistischer Herrschaft in den Leipziger Gesprächen bereits deutlich relativiert. Letztlich zeichnen die Beispiele und Anekdoten, die Fassmann seinen Figuren in den Mund legt, ein vergleichsweise aufgeklärtes Bild von Macht, die auf verantwortungsvolle und vor allem auf rechtmäßige Art und Weise gebraucht werden sollte (vgl. 6.3.2 Herrschaft). Welche Eigenschaften wurden nun an den Figuren im Hauptteil der Gespräche hervorgehoben? Zu den laudes defuncti, den Tugenden, die an Verstorbenen im allgemeinen gelobt werden sollen, zählen gemäß Christian Weises Politischem Redner von 1681 vornehmlich utilitas, aequitas, actio, dignitas, pietas und odor bonae famae. Bei Ministern ist darüber hinaus besonders deren eruditio, virtus und prudentia hervorzuheben, Eigenschaften und Tugenden also, mittels deren sie die Staatsgeschäfte eines Herrschers in positiver Weise unterstützen konnten.151 Fassmanns Totengespräche orientieren sich an diesem tradierten Katalog, wenn sie auch gemäß der spezifischen Konzeption des Journals nicht nur lobenswerte Charaktere aufbieten: Gerade an der Darstellung der negativ besetzten Figuren, durch die sich die Gespräche in deutlicher Weise von den Maßgaben bei der Abfassung von Leich=Abdanckungen unterscheiden, läßt sich erkennen, welchen Zweck Fassmann mit Hilfe seiner kontrastiv angelegten Paarungen verfolgte. War der eine Schatten im Sinne tradierter Vorstellungen geduldig und strebsam, so war der andere aufbrausend und

150 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 83, Leipzig 1725, S. 213. 151 Weise, Politischer Redner, III. Abtheilung 2. Cap., S. 496 f.

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unstet, zeichnete sich die eine Verstorbene durch Frömmigkeit und Sittsamkeit aus, führte die andere gottlose Reden oder schockierte zu Lebzeiten durch einen unkeuschen Lebenswandel. Das Laster ist bei Fassmann eine in ihr Gegenteil verkehrte Tugend, die allerdings ohne ihr Gegenüber nicht existieren darf. Sie belebt als böses Pendant die sonst allzu eintönige Wirkung der Lebensläufe vorbildlicher Figuren. Anstatt also dem antiken Grundsatz „De mortuis nil nisi bene“ 152 entsprechend nur von Menschen zu handeln, die sich durch eine untadelige und lobenswerte Lebensart auszeichnen, entschließt sich Fassmann – gestützt sowohl durch die Vorbilder Lukian, Plutarch und Fontenelle –, auch grausame, liederliche, berüchtigte oder sonstwie verurteilenswerte Charaktere in sein Periodikum aufzunehmen: Eine Entscheidung, die sicherlich zu einem nicht zu geringen Teil für den merkantilen Erfolg des Journals verantwortlich war.153 Im XII. Band unterhält sich Kaiser Konstantin mit Karl, Landgraf zu Hessen-Kassel über die Frage, ob man tatsächlich nur Gutes von den Toten reden müsse. Konstantin fragt den hessischen Landgrafen, ob diese Konvention noch ihre Gültigkeit besäße: Berichtet mich doch, löblicher Fürst! wie es eigentlich zu verstehen ist, wann heutiges Tages die, so auf Erden leben, sprechen: Daß man lauter Gutes von denen Todten reden müsse? Denn ich meines Orts besinne mich nicht, daß vor Zeiten diese Regel, weder unter denen Christen, noch unter denen Heyden, observiret worden wäre, sondern wer etwas Gutes oder Löbliches in der Welt gethan gehabt, dem ist auch der desfalls gebührende Ruhm nach dem Todt allemal geblieben; und wer dargegen Böses gestifftet, oder Laster an sich gehabt, dem ist es ebenfalls nicht vergessen worden. So hat man es absonderlich mit hohen Personen und andern berühmten Leuten gehalten, deren Laster sowohl, als ihre Tugenden, an vielen Orten aufgezeichnet stehen. Jedoch ist vielleicht die Welt jetzo besser, frömmer und tugendhaffter, als sie ehedem, zu meiner Zeit und vor mir gewesen, so, daß man von denen Leuten nichts Böses und Lasterhafftes mehr zu sagen oder zu schreiben weiß.

152 Zu dieser Konvention vgl. Rudolf Lenz: De mortuis nil nisi bene? Leichenpredigten als multidisziplinäre Quelle unter besonderer Berücksichtigung der Historischen Familienforschung, der Bildungsgeschichte und der Literaturgeschichte, Sigmaringen 1990 (= Marburger Personalschrift-Forschungen 10). 153 Als konsequenteste (allerdings von Fassmann verurteilte) Vertreter dieser Figurenwahl erwiesen sich diejenigen Autoren, die in ihren Totengesprächen mit Vorliebe Diebe, Mörder sowie anderweitig verwerfliche Individuen auftreten ließen. So erschien 1729 [ED 1726] folgender Dialog: Besonders=Curieuses Gespräch Jn dem Reiche derer Todten, Zwischen Zweyen im Reiche der Lebendigen weitberuffenen und bekannten Ziegeuner=Spitzbuben Hemperla Und Gabriel: Darinnen nicht allein ihre beyderseitige Räuber= Mörder= Diebes= und Liebes=Händel aufrichtig entdecket / sondern auch noch 23. ihrer Mit=Consorten im Leben gehabte Fata und seltsame Begräbnisse, samt der an ihnen insgesamt zu Giessen ergangenen grausamen Execution [...] deutlich vorgestellet und beschrieben werden, Hamburg 1729 [Das Gespräch wurde von der HAB Wolfenbüttel digitalisiert und kann unter http://diglib.hab.de/drucke/rm-69/ start.htm abgerufen werden].

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Der Land=Graf. Solches bildet Euch nur keineswegs ein, Grosser Kayser! daß die Menschen, so heutiges Tages in der Welt leben, frömmer und tugendhaffter seyn solten, als sie ehemals gewesen. Au contraire, ich wolte fast glauben, daß jetzo kaum so viel löbliche, fromme und tugendhaffte Christen in mancher bewohnten Stadt auf einmal anzutreffen, als vor diesem, ebenfalls auf einmal, löbliche Heyden zu Athen, Licedæmon, oder in andern Städten Griechenlands, wo eine gute Policey geherrschet, zu finden gewesen. Also sehe ich nicht, wie man prætendiren mag, als ob man lauter Gutes von Todten reden müsse. Vielmehr halte ich dafür, es seye Sünde, und streite wider die Gerechtigkeit, daferne ich einem Menschen, der in offenbaren Untugenden und Lastern gewandelt, anders nichts als Gutes nachreden wolte. Denn wie klinget es doch, wann ich von einem offenbaren Wucherer, der beständige Profession davon gemachet, das Armuth zu schinden, auch wohl zwantzig und noch mehr falsche Eyde geschwohren, sagen wolte: Es seye ein feiner und gerechter Mann gewesen, den der Segen des HErrn reich gemacht habe? Nimmermehr kan man, meinem Erachten nach, mit gutem Gewissen, so von ihm reden, sondern ist schuldig die Wahrheit zu sagen. Eben so wenig mögen diejenigen gelobet werden, welche das Recht beugen, und ungerechte Urtheile sprechen, oder veranlassen, daß sie gesprochen werden. Am allerwenigsten aber kan man Gutes von solchen Leuten reden, von denen man weiß, daß sie Meuchelmorde, Blut=Schande, gräßliche Spitzbuben=Streiche und Betrügereyen, oder andere schwere Missethaten, auf ihrem Sünden=Register stehen haben, wann sie gleich bißweilen in grossen Pallästen gewohnet, auch viel Geld und Guth hinterlassen, ja gar vornehme Standes=Personen sind. In Summa, ich halte es vor ein absurdes Verlangen, wann es heisset: Daß man lauter Gutes von Todten reden solte. Wer aber diese Regel observiret, der betrieget die Welt mit Unwahrheiten, und machet, daß die Posteritaet die Guten von denen Bösen nicht zu unterscheiden weiß. Ja man würde, unter denen Lebendigen auf Erden, eben so wenig von denen löblichen Thaten und der Gütigkeit des grossen Kaysers Augusti, als von der Grausamkeit, welche Caligula, Nero und andere mehr ausgeübet, zu sagen wissen. Billig ist es demnach, daß man einem jedweden Recht wiederfahren lasse, wann man von ihm redet, und weder im Leben, noch in Erzehlung derer Laster, über die Schnur schreite, ja sich sehr wohl hüte, die Wahrheit im geringsten zu beleidigen. Der Kayser. So bin ich dann eurer Meynung vollkommen, löblicher Fürst! und glaube, daß die meisten Leute darum die Wahrheit hassen, und wollen, daß man nur schmeicheln, auch alles, was schändlich ist, loben, oder, wie viele zu reden pflegen, mit dem Mantel der Christlichen Liebe bedecken solle, weil an ihnen selber wenig Gutes, sondern sie denen Lastern ergeben sind. 154

In der zweiten Begegnung von Konstantin und Karl läßt Fassmann ersteren noch einmal den Diskurs über die Darstellung von Tugenden und Lastern der Toten aufgreifen. Konstantin führt als ein extremes Beispiel für den Umgang mit verstorbenen Herrschern die ägyptische Sitte an, nach der die Untertanen

154 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 183, Leipzig 1733, S. 481 ff. [Hervorhebungen im Original].

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sich nach dem Tode eines Pharaos zusammengefunden hätten und nach einer Verlesung sowohl der guten als auch der schlechten Taten des letztverstorbenen Herrschers entschieden hätten, ob der Leichnam begraben werde dürfe oder (wegen der irdischen Verfehlungen) tatsächlich unbestattet bleiben solle. Karl verurteilt diesen Brauch und relativiert insofern die deutlich herrschaftskritischen Argumente aus dem vorhergehenden Totengespräch, in denen auch die Herrscher in die allgemeine Forderung nach wahrheitsgemäßer Darstellung von Lebenswandel und Charakter einbezogen worden waren. Nun bemüht er sich um eine deutlich apologetischere Haltung und konzediert: Das ist eine Gewohnheit gewesen, die ich meines Orts nicht billige. Denn es ist was erschreckliches einen König unbegraben liegen zu lassen, oder sonst einen regierenden Fürsten, der, bey denen schweren Functionen seines Standes und Amtes, auch allerdings manchen Fehler begehen kan. [...] [A]llein es ist eine schlimme Sache, wann auch in diesem Stücke [die Beerdigung betreffend – SD] ein Landes=Herr dem Urtheil seiner Unterthanen unterworffen seyn solte, weil er manchmal viele unbarmherzige Richter finden möchte. 155

Karl sieht hier die „erschrecklichste“ aller Perspektiven eröffnet, die, zumindest vom absolutistisch-monarchischen Standpunkt aus gesehen, tatsächlich Ungeheuerliches bedeuten würde: Die Vorstellung, daß der königliche Leichnam und mit ihm als buchstäbliche Verkörperung die Herrschaft selbst dem Urteil der Untertanen unterworfen sein könne, läßt die Figur des Landgrafen schaudern. Was wenige Jahrzehnte nach diesem fiktiven Gespräch zwischen zwei verstorbenen Herrschern in die Tat umgesetzt werden würde – nämlich die gewaltsame Aneignung von Macht auch über den fürstlichen Körper –, erscheint hier durch den Vergleich mit den ‚barbarischen‘ Ägyptern als ferne, aber dennoch erschreckende Vision mit gleichsam undenkbaren Folgen für die Gesellschaft. In beiden aufeinanderfolgenden Entrevuen wird offenbar, wo Fassmann die Grenze seiner protestantisch-pietistisch geprägten bzw. aufklärerischen Herrschaftskritik zieht: Die Fürsten hatten sich den Bekundungen seiner Figuren gemäß an den allgemeingültigen Gesetzen und tradierten Tugenden zu orientieren. Sie sollten sich, so die Botschaft des Journals, bereits zu Lebzeiten bewußt sein, daß Verfehlungen und Laster durch eine sie überlebende Öffentlichkeit, und zu dieser gehören nunmehr eben auch Journale wie das

155 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 184, Leipzig 1733, S. 553 f. Fassmann läßt Karl die Gelegenheiten, bei denen Dritte sich über eine Person äußern, wie folgt charakterisieren: „Sobald ein Mensch gestorben, wird ohne diß gemeiniglich sehr viel von ihm geredet, und es muß alles herfür, was man von ihm weiß. Bey nahe eben so gehet es zu, wann man sich verheyrathet; und das sind diejenigen zwey Zeiten, da man denen Leuten am meisten über die Zunge springen muß.“ Ebd., S. 554.

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der Leipziger Totengespräche, festgehalten werden würden. Allerdings, so die nachträgliche Einschränkung, die Fassmann stellvertretend durch den Landgrafen vornimmt, endet diese Kontrolle fürstlicher Macht dort, wo sich der unantastbare Leib des Herrschers befindet – eine Grenze, die knapp 60 Jahre später nicht nur, aber besonders auffällig mit dem Einsatz der Guillotine endgültig überschritten wurde.156 Wer zu seinen Lebzeiten schlecht geherrscht hat, der soll Fassmanns gemäßigt früh-aufklärerischer Auffassung zufolge zwar für sein Fehlverhalten kritisiert und so den Nachgeborenen (Herrschern wie Untertanen) als mahnendes Beispiel vor Augen gehalten werden dürfen; wenn es aber um christliche Gebote, Bestattungsriten und um die Wahrung der letzten Entscheidungsgewalt über den fürstlichen Körper als unmittelbarer Repräsentation von Macht geht, negiert Fassmann die Möglichkeit, dies überhaupt in Frage zu stellen. Er läßt den Landgrafen betonen, daß den vielerorts anzutreffenden „unbarmherzigen Richtern“ die Entscheidung, ob ein Fürst nach seinem Tod ein Begräbnis verdiene, eben nicht anstehe. An den Summarien im Ergänzungsband läßt sich ablesen, welche Gewichtung Fassmann bei der Beschreibung des Lebens und der Taten seiner Figuren vornahm. In der Zusammenfassung der jeweiligen Entrevue beschreibt er, welche Ereignisse und Eigenschaften in den biographischen Abschnitten Erwähnung fanden. In der Summarie zum dritten Totengespräch etwa heißt es zur Lebensbeschreibung des englischen Königs Charles I.: Von Pag. 156. bis 171 findet man die Lebens=Beschreibung Königs Caroli I. von Engeland. Folglich wird allda von seiner Geburt, und Vermählung, auch dem Antritt seiner durchgehends so unruhig, als unglücklich gewesenen Regierung, und von dem mit Spanien und Frankreich zu schlechtem Vortheil der Crone Engeland geführten Kriege geredet. Hierauf wird von denen Ursachen derer in seinen Königreichen entstandenen innerlichen Unruhen,

156 Nicht umsonst machten sich die Forderungen der Revolutionäre besonders dadurch bemerkbar, daß sie ganz unmittelbar mit Körpern zu tun hatten. So zeugt die Abschaffung der Leibeigenschaft (neben den zahlreichen gewalttätigen Angriffen auf den Leib privilegierter Adliger) vielleicht am deutlichsten davon, welche grundlegenden Umwälzungen die neue Verfassung verfolgte. Wer die Macht über die Körper innehat und, was als besonders bedeutsam erscheint, auch konstitutionell, d. h. öffentlich festschreibt, der handelt als Souverän. Als Zeichen dessen, was Fassmann noch als unvorstellbar und „erschrecklich“ tabuisieren muß, mag die zumindest äußerliche Ruhe derjenigen gelten, die bei der Enthauptung von König Louis XVI. auf der Place de la Révolution zugegen waren: „Dieses Schweigen eines ganzen Volkes beim Tod seines Königs beweist, wie tief der Bruch mit den jahrhundertealten Empfindungen der Menschen schon ist. Der Gesalbte Gottes, der mit allen Heilskräften Begabte wird ein für allemal mit Ludwig XVI. zu Staub. Man kann zwar zwanzig Jahre später die Monarchie wieder aufrichten, nicht aber die Mystik des geweihten Königs.“ François Furet und Mona Ozouf: Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1996, S. 239.

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von der Königin Elisabeth und ihres Nachfolgers Jacobi I. gehegten und ein ander schnurstracks zuwider gewesenen Maximen, von dem Ursprung derer Puritaner oder Presbyterianer und derer Episcopalen oder Bischöfflichen, von des Englischen Parlamentes Widerspenstigkeit gegen den König, und dieses letztern eigenmächtiger Steigerung derer Alten und Anlegung neuer Imposten, und endlich von denen, wegen Ausrottung des Puritanismi in Schottland, An. 1637. entstandenen Troublen Meldung gethan.157

Die Parameter, denen Fassmann in der Lebensbeschreibung des englischen Königs folgt, sind seiner Aufzählung in der Summarie gemäß zunächst die Geburt und die Heirat des Herrschers sowie dessen „unglücklich gewesene Regierung“.158 Weiter unten bezeichnet Fassmann die Taten von Charles I. als „höchst-præjudicirliche Unternehmungen“ 159 – die parlamentarische Gewalt müsse sich trotz schwieriger Situationen nach dem allgemeinen Recht richten, um den Frieden und den Wohlstand eines Landes nicht zu gefährden. Nachdem Fassmann in der Entrevue Charles von der „Neu=entstandenen Secte der Independenten“ 160 und deren Anführer Oliver Cromwell berichten läßt, werden in der Lebensbeschreibung einige der tradierten topoi abgehandelt. Charles I. schildert gegen Ende seines autobiographischen Exkurses, wie er vom Parlament als „Feind des Vaterlandes“ zum Tode verurteilt und enthauptet wurde; Fassmann faßt in der Summarie zu diesem Gespräch die Ausführungen seiner Figur zusammen und bemerkt hierzu: Schlüßlichen berühret Carl noch mit wenigen [Worten – SD] die Treue gegen seine Gemahlin, erwehnet seine beyden mit derselben erzeugten Printzen, Carolum und Jacobum, seine Enthaltung von Debauchen, und grosse Liebe zu gelehrten Sachen, sonderlich aber zur Theologie.161

Im Vergleich zu zeitgenössischen Leichenpredigten bzw. parentationes werden in Fassmanns Totengesprächen neben allen Unterschieden, die sich textsortenbedingt ergeben, naturgemäß nicht primär religiös konntotierte Aspekte in der Lebensbeschreibung hervorgehoben. Die Figuren, die in Fassmanns Journal ihren Lebenslauf wiedergeben, hatten durch Position, Geburt oder Heirat zu Leb-

157 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 3, Leipzig 1740, S. 8. 158 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 3, Leipzig 1740, S. 8. 159 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 3, Leipzig 1740, S. 8. 160 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 3, Leipzig 1740, S. 9. 161 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 3, Leipzig 1740, S. 9.

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zeiten meist mehr oder weniger großen politischen Einfluß, der sich auch in der Gestaltung der biographischen Abschnitte niederschlug. Auch an (meist katholischen) Würdenträgern, deren Lebensläufe primär durch die Erfordernisse ihres geistlichen Standes bestimmt waren, kritisiert Fassmann ähnliche Handlungsweisen wie an ihren weltlichen Gegenübern. Zur Lebensbeschreibung Papst Innozenz’ X. im entsprechenden Totengespräch heißt es in der Summarie: pag. 685 fänget sich die Historie des Pabsts Innocentii X. an, und erstrecket sich biß pag. 698. Aus solcher ersiehet man seine Alt=Adeliche Herkunfft, seinen rechten Nahmen, und daß er vor der Besteigung des Päbstlichen Throns Jean Baptista Pamphilius geheissen; seine Studia, ingleichen seine Bedienungen und Ehren=Stellen, so er am Päbstlichen Hofe, von der Charge eines Consistorial-Advocatens, biß zu der von Pabst Urbano VIII. erhaltenen Cardinals=Würde bekleidet. Hierauf wird von seiner Politique und Dissimulation, auf welche er sich, während seines 15.=jährigen Cardinals=Standes, geleget, nicht weniger von seiner vertrauten Conversation mit seines leiblichen Bruders Gemahlin, der Donna Olimpia, durch deren klugen Rath er erst recht verschlagen und witzig worden, geredet, und folglich erzehlet, wie er nach Urbani VIII. Tod Anno 1644 zum Pabst erwehlet [...] worden.162

Unabhängig davon, ob es sich nach Auffassung Fassmanns bei einer Figur um einen guten oder um einen bösen Menschen handelte, wird der Schilderung der res gestae vergleichsweise große Bedeutung beigemessen. Fassmann bedient sich des tradierten Tugendkatalogs (und der Menge der spiegelbildlichen Laster), um die Taten einer Figur schlüssig erklären und moralisch bewerten zu können. Seine Intention, die vornehmlich darin bestand, die Leser mit lehrreichen und unterhaltsamen Exempeln aus der Geschichte zu bilden, verlangte nach einer Anpassung der ‚herkömmlichen‘ Lebensbeschreibungen an die Bedürfnisse des neuartigen Mediums der historisch-politischen Zeitschrift. Aus diesem Grund waren die Hauptteile der Gespräche zum einen bemüht, die res gestae einer Figur und die damit zusammenhängenden (historischen, politischen usw.) Nachwirkungen zu schildern; zum anderen galt es, das Verhalten und den Charakter einer Figur mittels gewohnter topoi zu erklären.163 Zum Drit162 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 25, Leipzig 1740, S. 94. 163 In den Biographien der Frauen wurden traditionell andere Eigenschaften als bei den Männern hervorgehoben, besonders dann, wenn es sich bei der Verstorbenen nicht um eine Monarchin handelte. In der Summarie zur 38. Entrevue gibt Fassmann einen Überblick über diejenigen topoi, die in der Lebensbeschreibung der Herzogin von Montbazon eine Rolle spielten: „Von pag. 391 biß 447 findet man die Historie der Hertzogin von Montbason, und zwar erstlich eine Nachricht von ihrer vornehmen Herkunfft, extraordinairen Schönheit, trefflichen Verstand, muntern Geist und ungemeinen Feuer; von ihrer anfänglich gehegten Unempfindlichkeit gegen alle, so ihr eine Liebes=Declaration gethan.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Theil, Summarie zur Entrevue Nr. 31, Leipzig 1740, S. 139. Der Lebenslauf der Herzo-

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ten schließlich war der Leser dem aufklärerischen Anspruch gemäß dazu angehalten, ein gerechtes Urteil nach der Lektüre der Lebensbeschreibungen zu fällen. Einer der bedeutsamsten Effekte, die sich aus Fassmanns Entscheidung für das Totengespräch als Gattung ergaben, war der Umstand, daß im Unterschied zu anderen biographisch orientierten Textsorten wie der Lebensbeschreibung oder der Leichenrede die Beteiligten in Fassmanns Journal ‚selbst‘ zu Wort kamen. Der (Toten-)Dialog verlangte gemäß tradierter literarischer Konventionen danach, daß die Gesprächspartner sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ohne den Eingriff einer Erzählinstanz unterhielten und ihre Geheimnisse wie von selbst preisgaben.164 Die Figuren hatten ihr Urteil über sich selbst und ihre Gesprächspartner zu fällen, wobei die bereits erwähnten paratextuellen Bestandteile des Journals wie die Vorreden, Titelkupfer und Ankündigungen der Gespräche einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Leserlenkung hatten. Nach ihrem Tod und dem erneuten Erwachen in der Unterwelt erkennen Verstorbene mit einem Mal, welcher Art ihre Verfehlungen im Leben waren. Caesonia, die Gemahlin des römischen Kaisers Caligula, und mit ihr der „geneigte Leser“ können deswegen zu dem Schluß gelangen: Ich war geil, kühn, unverschämt und hochmüthig in dem höchsten Grad. Zur Grausamkeit bin ich ebenso geneigt gewesen, wie Caligula selber, habe auch nicht wenig zu denen blutigen Executionen contribuiret, wodurch ganz Rom in die äusserste Angst und Schrecken gesetzet worden, und welche gemachet, daß viele tausend Menschen, eine geraume Zeit unaufhörliche Thränen vergossen.165

Caesonia beichtet ihrer Gesprächspartnerin Roxelana (und damit dem Leser) an dieser Stelle ihre zahlreichen Laster. Sie erlangt in Fassmanns Unterwelt nach ihrem Tod die Fähigkeit zur Einsicht und benutzt diese sogleich dazu, ihr Gegenüber über ihre Missetaten aufzuklären. Unter dem Deckmantel der

gin kann als ein Prototyp für die amourös konnotierten Gespräche gelten, in denen vor allem Liebeshändel und unglücklich endende Leidenschaften im Vordergrund standen. 164 Christian Weise verknüpft in der Erklärung des Titelkupfers zur Ausgabe seines Politischen Redners von 1696 die rhetorisch versierte Rede und das Sehen mit Hilfe einer Licht- und Schattenmetaphorik: „Drum lerne dich zur Rede schicken / Die muß des Geistes Bote seyn / So läst man sich mit Ruhm erblicken / So nimmt man Licht und Mittag ein. / Daß man auch in der finstern Nacht / Die Straßen um sich lichte macht. // Die Zunge muß sich treu gewehnen / Der Mund muß in der Arbeit stehn. / So kan das Werck den Meister kröhnen, / Daß wir in vollen Lobe gehn. / Nun fange was zu reden an / Daß ich dich besser sehen kan.“ Weise, Poltischer Redner, „Gedancken über das Kupfferblat“, Leipzig 1696, S. XXI [Hervorhebung – SD]. Vgl. dazu Fassmanns Bezeichnung der Gespräche als ‚Entrevuen‘. 165 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 111, Leipzig 1727, S. 1166.

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literarischen Fiktion gelingt es Fassmann so einerseits, anziehende und skandalöse Lebensschicksale darzubieten, andererseits erlaubt sie ihm, Kritik an moralisch zu verurteilendem Verhalten und schlechter Politik zu üben. Das Wissen um die Vergangenheit, das Fassmann mit seinen historischpolitischen Totengesprächen vermittelte, sollte einerseits dazu dienen, politische Fehlentscheidungen der Herrschenden zu benennen und diese andererseits, so die unausgesprochene Hoffnung, bei zukünftigen Regenten zu verhindern. Zur Bedeutung der historisch-politischen Zeitschriften konstatiert Helmuth Kiesel: „Dem 17. Jahrhundert entstammen die historisch-politischen Zeitschriften, die dem Interesse der Leserschaft an Hof- und Staatsangelegenheiten entgegenkamen, über Feldzüge, Verträge, Feste etc. berichteten.“ 166 Neben den aufklärerischen und tendenziell herrschaftskritischen Zielen des Journals stand v. a. die Wissbegier der Leserschaft im Zentrum. Nützliche Nachrichten wurden deswegen häufig durch ‚skandalöse‘ oder auf den ersten Blick nebensächliche Anekdoten ergänzt. Am Beispiel russischer Herrscherinnen und Herrscher verdeutlicht Matthes exemplarisch Fassmanns Vorgehensweise bei der Darstellung der spezifischen Eigenheiten einer Herrscherfigur, der Bewohner eines Landes und der dort herrschenden Landessitten. Matthes zeigt in seiner Studie auf, welchem Darstellungsschema Fassmann in seinen Totengesprächen folgte bzw. nach welchen Parametern er seine Informationen zu Politik, Geschichte und sonstigen Wissensgebieten ordnete: [E]s wird zunächst gefragt nach der Geschichte des Landes, nach seiner Regierungsform, der Zeit der Christianisierung und danach, welche Religionen eventuell neben dem Christentum existieren. Betrachtet wird sodann die Stellung des Herrschers im Vergleich zu den bekannten westeuropäischen Potentaten, und auch der Vergangenheit von Rang- und Titelstreitigkeiten wird größte Aufmerksamkeit gewidmet. Genealogie der Herrscher und genealogische Verbindungen zwischen den Herrscherhäusern fanden Beachtung. Ordensstiftungen und Ordensverleihungen interessierten ebenso wie Rang- und Protokollfragen bei Staatsbesuchen. Größte Verbreitung fand jede Form von Hofklatsch, d. h. Berichte über Bräuche und Vorkommnisse an fremden Höfen.167

Die Fragen, mit denen Fassmann sich bei der Darstellung der Lebensläufe beschäftigte, gingen konform mit zeitgenössischen Auffassungen und wurden stereotyp bei allen Figuren gestellt. Dabei zeugten die Versuche Fassmanns, überkommene Meinungen über eine bestimmte Person oder ein Land zu korri-

166 Helmuth Kiesel: „Absolutistischer Staat und bürgerliche Gesellschaft“, in: Wilfried Barner u. Gunter E. Grimm u. a. (Hg.): Lessing. Epoche, Werk, Wirkung, München 51987, S. 63–69, hier S. 66. 167 Matthes, Das veränderte Rußland, S. 200.

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gieren, vom tendenziell aufklärerischen Impetus seines Periodikums. Was bereits am Beispiel Timurs [Tamerlan] deutlich wurde, läßt sich mit Matthes auch auf die Darstellung anderer Figuren in den Gesprächen übertragen: Wo dies [die Revision hergebrachter Meinungen – SD] geschieht [...], versucht er mit der Argumentation der Aufklärung und im Bestreben, die Wahrheit gegenüber bisher verbreitetem Aberglauben herauszufinden, von seinen Vorlagen abzuweichen. 168

Matthes läßt an dieser Stelle allerdings unerwähnt, daß dieses Bestreben sich trotz aller aufklärerischen Absichten den Gehalt und die Wirkung des vordergründig kritisierten Aberglaubens zunutze machte.169 Fassmanns Haltung zeigt insofern Zeichen der zeitgenössischen Ambivalenz des Schon-Aufgeklärten und des Noch-Abergläubischen. Sonderbare Anekdoten und bedeutsame politische Nachrichten stehen in Fassmanns Gesprächen nahezu gleichberechtigt nebeneinander, sowohl in der Beschreibung heimischer Herrscher als auch in der Schilderung exotisch-fremder Länder und der Sitten ihrer Bewohner. Das simultane Ausbreiten von Nachricht, Information, Anekdote, Sprichwort, Schwank und allgemeiner Lebensweisheit wurde zum Charakteristikum einer Reihe, die für eben dieses Vorgehen von Zeitgenossen wie Gottsched harsch verurteilt wurde. Ihre stilistische wie inhaltliche Uneinheitlichkeit hat jedoch offenbar der Popularität der Gespräche keinen Abbruch getan – das Gegenteil war der Fall, wenn man die Absatzzahlen dafür als Maßstab heranzieht.

5.2.3 Der Nachrichtenteil Fassmann gelang es, innerhalb der von ihm gewählten Textsorte des Totengesprächs verschiedene stilistische wie inhaltliche Schwerpunkte auszubilden, was in später erscheinenden Journalen und Zeitungen durch deutlicher voneinander getrennte Textinstanzen wie den Kommentar, die vermischten Nachrichten o. ä. übernommen werden würde. Im Eingangsdialog konnte Fassmann seine Figuren Themen diskutieren lassen, für die in den parallel erzählten Biographien im Hauptteil kein Raum war, weil sie mit dem Leben der Gesprächspartner nichts oder nur wenig zu tun hatten; aber auch der abschließende

168 Matthes, Das veränderte Rußland, S. 200 f. 169 So kritisieren die Entrevuen einerseits die schlechte Regierung und unglückliche Politik eines Herrschers wie Charles I., König von England, bieten aber andererseits, wie das GeneralRegister verrät, Anekdoten zu eher volkstümlichen und ‚abergläubischen‘ Themen. Vgl. dazu Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, General-Register, unpag.

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Nachrichtenteil bot Fassmann aufgrund seiner spezifischen Gestaltung die Möglichkeit, verschiedenartige Informationen an ein und demselben Ort zu vermitteln. Trotz des inhomogenen und, zumindest für heutige Leser, stellenweise etwas kurios anmutenden Charakters der dort angeführten Nachrichten gelang es Fassmann auch mit diesem Abschnitt, die Möglichkeiten der von ihm gewählten Textsorte für seine Zwecke zu erweitern. Das dreiteilige Schema, nach dem Fassmann seine Gespräche ordnete, half seinen Rezipienten, sich innerhalb der verschiedenen Begegnungen zu orientieren. Offenbar bot die strukturelle Kontinuität darüber hinaus den nicht zu unterschätzenden Vorteil, die Grenzen dessen, was innerhalb einer einzigen Textsorte präsentiert werden konnte, um ein Vielfaches auszudehnen. Was Fassmann von späteren Rezipienten als eine Art monströse Aufblähung einer ehedem witzig-pointierten und vor allem kurzen Textsorte ausgelegt wurde, stellte für ihn und viele seiner Nachahmer eine folgenreiche mediale Innovation dar. Dadurch, daß er die tradierte Gattung des Totengesprächs im Rahmen eines regelmäßig erscheinenden Journals einsetzte, gelang es ihm, ein durch seine Themenvielfalt durchaus ambitioniert zu nennendes Bildungsprogramm zu vermitteln. Eben weil er vom dreiteiligen Schema seiner Gespräche nicht abwich, konnte er derart disparate Themen und unterschiedliche Charaktere innerhalb eines einzigen Mediums vereinen. Der von ihm gewählte strukturelle Rahmen vereinte somit nicht nur die Lebensläufe orientalischer Tyrannen, schwedischer Könige, ungarischer Rebellen, französischer Mätressen, katholischer Würdenträger und sächsischer Kurfürsten, sondern kombinierte zugleich deren Viten mit zeitgenössischen Debatten, offiziellen Dokumenten wie Verträgen oder Briefen sowie aktuellen Nachrichten aus aller Welt. Dem üblichen Ablauf der Gespräche folgend leitete am Ende einer Biographie einer der beiden Gesprächspartner (meist derjenige, der gerade die Erzählung seines Lebenslaufs beschließen wollte) zum finalen Nachrichtenteil über. Wie beim Hauptteil wird auch der Beginn des dritten und letzten Textabschnittes auf der Ebene des Dialogs deutlich markiert. Die Bedeutung und der Stellenwert gerade dieses Abschnittes wird durch den Umstand hervorgehoben, daß auch dann ein Nachrichtenteil eine Entrevue abschloß, wenn nur eine von beiden Biographien vorgestellt worden war und sich die beiden Gesprächspartner noch ein weiteres Mal treffen mußten, um dem Leser auch den zweiten Lebenslauf nahezubringen. Zar Ivan IV., genannt „der Schreckliche“, bedeutet seinem Gegenüber, Zar Peter I., daß er nunmehr mit der Erzählung seiner eigenen Historie für dieses Mal zum Ende gekommen sei, und erklärt: Den Rest meiner Historie, will ich, biß auf ein andermal lassen ausgesetzt seyn, mein lieber Peter! weil wir ohne diß, eurer eigenen Historie wegen, öffter als einmal werden müssen zusammen kommen; und es im übrigen, allhier in dem Reiche derer Todten, gewöhnlich

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ist, daß man, beym Beschluß einer jeden Unterredung, einige aus der Welt eingelauffene Neuigkeiten mit anhöret, auch seine Gedancken darüber eröffnet, zu welchem Ende wir uns zu dem, zu denen Neuigkeiten bestellten Secretario erheben wollen.170

Die „aus der Welt eingelauffenen Neuigkeiten“ sollen wie gewöhnlich, so Ivans Erläuterung, mit passenden „Gedancken“ kommentiert werden.171 Peter der Große pflichtet seinem Gesprächspartner bei und begehrt vom Secretarius zu wissen, was sich in Rußland nach seinem Ableben zutragen habe („Denn mich verlanget ohne diß zu wissen, was doch ferner, aus meinen, in der Welt hinterlassenen Landen, eingelauffen seyn mag?“ 172). Die stets wie auf ein Stichwort erscheinende Figur des Secretarius erstattet folgsam Bericht über die festlichen Abschiedszeremonien anläßlich des Todes Peters und über die ersten Amtshandlungen seiner Ehefrau und Nachfolgerin Katharina I. Der Secretarius verhielt sich zum einen wie ein neutraler Übermittler von Nachrichten über einen nicht anwesenden Dritten; zum anderen war er jedoch mit dem Problem konfrontiert, daß derjenige, von dem einige der dargebrachten Nachrichten handelten, als Figur vor ihm stand. Zunächst heißt es im Bericht des Secretarius: Petersburg. Nachdem der Czaar [der ‚anwesende‘ Peter II. – SD], am 8ten Februarii dieses 1725ten Jahres, frühe zwischen 4. und 5. Uhr verschieden war, haben so gleich, der Senat und die Vornehmsten, sowohl Civil- als Militair-Bediente, Rath gehalten, und darinnen Ihro Majestät, die Czaarin Catharina, zur regierenden Kayserin und Selbst Erhalterin von gantz Rußland, zu erklähren beschlossen;173

Nach einer Schilderung der Begräbnisfeierlichkeiten, der kostspieligen Trauerdekorationen etc. präzisiert die Secretarius-Figur ihre Angaben und berichtet im darauffolgenden Satz, wie sie [die Bedienten – SD] dann auch kurz darauf, gegen 8 Uhr, insgesamt, sich nach dem Pallast begeben, und, nachdem der Fürst Menzikoff die Czaarin ihnen praesentiret, dieselbe sowohl münd= als schrifftlich declarirten, und Sie ihrer Treue versicherten [...] und die Czaarin vor ihre gnädigste Landes=Mutter ausruffeten.174

170 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 83, Leipzig 1725, S. 222. 171 Im Gespräch zwischen dem englischen König Henry VIII. und dem türkischen Sultan Süleiman, genannt der Prächtige, beschließt Letztgenannter seine Ausführungen zum „Zustand des Frauenzimmers in dem Seraglio“ (S. 718) wie folgt: „Doch genug hiervon. Wir wollen nunmehro ein wenig hören, was die Zeitungen aus der Welt neues besagen, und einander unsere Gedancken darüber eröffnen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 9, Leipzig 1719, S. 722. 172 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 83, Leipzig 1725, S. 222. 173 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 83, Leipzig 1725, S. 222. 174 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 83, Leipzig 1725, S. 222.

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Beleg für die eher distanziert-sachliche Haltung des Nachrichtenboten ist der sich an diese Passage anschließende Verweis auf die öffentliche Aufbahrung des königlichen Körpers, dessen Schatten sich während der Schilderung der Begräbnisfeierlichkeiten vor dem Secretarius befindet und diesem aufmerksam zuhört. Letzterer merkt zum darauffolgenden Tag am Hofe des Zaren an: Am 9ten Februarii gegen Mittag ward der Leichnam des Czaaren, nach dem grossen Saal des Pallastes gebracht, und auf einem Parade=Bette gezeiget: Die Czaarin, Prinzeßinnen und Grossen des Hofs begleiteten diesen Transport.175

Obwohl der Secretarius Ivan IV. und Peter I. als – zumindest vordergründige – Adressaten seiner Nachrichten vor sich stehen sieht, spricht er sie nur an wenigen Stellen ‚persönlich‘ an. Statt dessen schildert er den Großteil der Ereignisse so, als seien die anwesenden Toten nicht Gegenstand der von ihm vorgebrachten Meldungen. Auch nimmt der Secretarius an dieser Stelle keine direkte Zuordnung der oben aufgeführten Personen zum anwesenden Zaren (bspw. als Eure Gemahlin, Eure Töchter o. ä.) vor, obwohl dies durchaus möglich wäre. Erst als Peter der Große eine bestimmte Nachricht kommentiert, werden die erwähnten Personen aus dem Umfeld des Zaren in ihrer verwandtschaftlichen oder beruflichen Stellung zum Sprecher von diesem selbst gekennzeichnet. Peter spricht von „meine[n] Enckel[n] und meine[n] Enckelinnen“, den „Prinzeßinnen meines Bruders“, „meinen Schwestern“ und schließlich von den „Händen und der Gewalt meiner Gemahlin“,176 die auch in Zukunft durch ihre bereits unter Beweis gestellte Staats-Klugheit für beständige politische Verhältnisse und fortdauernden Ruhm des Zarenhofs sorgen werde. Nach der Diskussion weiterer Nachrichten aus dem russischen Zarenreich läßt Fassmann Ivan zum Abschied folgenden Wunsch aussprechen: Gehabt euch hiermit fein wohl, mein lieber Peter! und seyd versichert, daß ich mich ehestens wiederum, auf ein neues Gespräche, bey euch einfinden werde.177

175 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 83, Leipzig 1725, S. 223. Der verstorbene Zar Peter führt im Folgenden aus, warum er sich entgegen der Sitte nicht habe einbalsamieren lassen: Falls er nämlich nur scheintot gewesen wäre, hätte sich das Wiedererwachen und Weiterleben ohne innere Organe ungleich schwieriger dargestellt. Vgl. ebd., S. 226. 176 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 83, Leipzig 1725, S. 224. 177 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 83, Leipzig 1725, S. 228. Direkt an das Ende dieses Dialogs anschließend läßt Fassmann eine Ankündigung folgen: „Avertissement. / Die übrigen Entrevuën, so zur Ausführung der vortrefflichen Historie des Czaaren, Petri Magni, annoch nötig seyn werden, sollen zwischen hier und der Oster=Messe völlig heraus kommen.“ In der Tat folgten auf diese erste Begegnung der beiden russischen Zaren noch drei weitere Fortsetzungen (Nr. 84, 85 und 86, Leipzig 1725).

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Die Totengespräche

Neben der Floskel, wie sie Ivan an dieser Stelle gebraucht, markieren ähnliche, gleichsam ritualisierte Wendungen, daß ein Gespräch sich seinem Ende zuneigte. Trotz der vermeintlich gattungsimmanenten „Zeitenthobenheit“ 178 der Textsorte Totengespräch verweisen sowohl die zwangsläufig konsekutive Abfolge der einzelnen Redebeiträge als auch die zahlreichen gesprächsinternen Bemerkungen über das Verstreichen der Zeit auf die Abhängigkeit der Gespräche von chronologisch ablaufenden Prozessen.179 Am Ende des Nachrichtenteils signalisieren die Schatten regelmäßig ihren Wunsch oder zumindest die Notwendigkeit, das Gespräch zu beenden: Sei es, daß die Zeit angeblich schon zu weit fortgeschritten sei, sei es, daß einer der Gesprächspartner Ermüdungserscheinungen verspürt, Fassmann läßt seine Figuren mit Hilfe wiederkehrender Wendungen die jeweilige Unterredung zu einem Abschluß bringen.180 Henry VIII. läßt beispielsweise auf seine Überlegungen zu der vom Secretarius überbrachten Nachricht aus Kalabrien, daß sich die Stadt Messina den kaiserlichen Truppen ergeben hätte, den Ausspruch folgen: Wohlan! die Zeit ist verstrichen. Befindet euch allezeit fein wohl mein lieber Solimann! Solimannus Und ihr gleichfalls mein werther Heinrich! wir haben vor diesesmal genug geredet und disocuriret [sic].181

178 Im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft faßt Herbert Jaumann in seinem Artikel zum Totengespräch fünf konstituierende Elemente der Gattung zusammen: Neben dem fiktiven Charakter und der meist kontrastiven Figurenkonstellation nennt er u. a. auch jene Zeitenthobenheit als besonderes Kennzeichen. Herbert Jaumann: Totengespräch, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Harald Fricke u. a., Berlin/New York 2003, S. 652–655, hier S. 652. 179 Beispielsweise bemerkt Attila zu den Nachrichten über den Arrest des russischen ReichsVizekanzlers, des Freiherrn von Shapiroff, daß er „[v]on dem Fall und Arrest, dieses grossem und habilen Ministers, [...] bereits vor etlichen Tagen etwas gehöret“ habe. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 55, Leipzig 1723, S. 556. 180 Des öfteren kündigt eine der beiden Figuren an, daß man sich wegen der Vielzahl möglicher Gesprächsthemen noch einmal wiedersehen sollte. Wenn die Erzählung eines Lebenslaufes eines der beiden Schatten darüber hinaus sehr viel ‚Zeit‘ in Anspruch genommen hatte, war ein zweites Treffen ohnehin die Regel, bei dem dann auch die andere Biographie vorgestellt werden konnte. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und des offensichtlichen Erschöpfungszustandes seines Gegenübers redet etwa Pater Quesnel seinen ehemaligen Widersacher Papst Clemens XI. wie folgt an: „Jedoch ich merke, daß Ew. Heiligkeit ermüdet sind, jetzo weiter zu reden, wannenhero wir abbrechen, und uns ein andermal wieder zusammen finden wollen, von dem Rest der Historie Ew. Heiligkeit, und andern curieusen Dingen mehr, zu reden; worauf Clemens XI. und der Pater Quesnel von einander gingen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 33, Leipzig 1721, S. 76. 181 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 9, Leipzig 1719, S. 727. In der Unterredung zwischen Eleonore Magdalena Theresia (1655–1720), der zweiten Frau Leo-

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Die freundlich-höfliche Anrede des jeweiligen Gesprächspartners („mein lieber Peter!“, „mein lieber Solimann!“, „mein werther Heinrich!“) zeugt samt der durch die Ausrufungszeichen typographisch markierten Emphase von Fassmanns Bestreben, den authentischen Gesprächscharakter seiner fiktiven Dialoge zu erhöhen. Besonders an den gesprächsimmanenten Gelenkstellen, wie wir sie in den Übergängen von der Introduktion zum Hauptteil, vom Hauptteil zum Nachrichtenteil und vom Nachrichtenteil zur Verabschiedung finden, zeigt sich, welchen Gesprächston Fassmann in den fiktiven Unterredungen anzuschlagen beabsichtigte. Er setzt an diesen Stellen Wendungen wie die oben zitierten ein und plaziert diese an den Anfang und an das Ende seiner Gespräche sowie an die beiden Binnenschlüsse nach der Introduktion bzw. dem Hauptteil. Solchermaßen institutionalisierte Floskeln vermochten zum einen, gemäß zeitgenössischen Konventionen den Charakter einer Begegnung genauer zu bezeichnen, und zum andern, die innerdialogische Hierarchie zwischen zwei Gesprächspartnern zu kennzeichnen.182 Zum dritten erleichterten sie den Übergang eines Gesprächsabschnittes in den nächsten, was angesichts des großen Umfangs der verschiedenen Teile eine nicht zu unterschätzende Lesehilfe

polds I. und Interims-Kaiserin, und Maria Theresia (1638–1683), der Königin von Frankreich, beendet letztere den Dialog mit den Worten: „Jedoch weil die Zeit verflossen, werde ich mich bey Ew. Majestät beurlauben, und von Ihnen scheiden.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 35, Leipzig 1721, S. 228. In der Fortsetzung des Totengesprächs zwischen Papst Clemens und Pater Quesnel, das als 34. Entrevue direkt vor dem letztgenannten Dialog erschienen war, bemerkt der verstorbene Papst zum Einfluß der Zeit: „Jedoch die Zeit leidet nicht ferner zu discurien [sic], wannenhero ich wünsche daß ihr euch, mein Pater! jederzeit wohl gehaben möget.“ Quesnel antwortet diesem Wunsch entsprechend: „So wünsche ich dann Ew. Heiligkeit ein gleiches, und bitte mich jederzeit in guten Andencken zu erhalten.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 34, Leipzig 1721, S. 152. Über die Dauer der Treffen gibt der Erzählerkommentar zu Beginn der 150. Entrevue Auskunft. Dort heißt es in der Introduktion: „Als neulich in dem Reiche derer Todten, der König von Pohlen, Casimirus IV. und der König von Schweden, Johannes, einander antraffen, entdeckte einer dem anderen seinen hohen Stand. Sie embrassirten sich hiernechst recht herzlich, und beschlossen, etliche Stunden beysammen zu bleiben, auch sich mit allerley Discursen und Erzehlungen zu entreteniren.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 150, Leipzig 1730, S. 373 (unpag.). 182 Die floskelhaft wiederkehrenden Wendungen verweisen einmal mehr auf zeitgenössische Konversationslehren und deren Vorstellungen von regelgerechter conversation und geschickten compliments, denn obwohl das Totenreich gemäß tradierten Vorstellungen eigentlich die Gleichheit unter den Schatten zu propagieren hatte, zeugen gerade die Begrüßungen und Verabschiedungen vom ‚irdischen‘ Zeremoniell, von dem auch Fassmanns Tote nicht entbunden waren. Dadurch, daß er die zu Lebzeiten seiner Figuren verliehenen Titel und Ehrbezeugungen in seine Dialoge mit aufnimmt, setzt er Ratschläge etwa aus Christian Weises Politischen Redner um, der die rechten „Formuln und Redensarten“ zu verbreiten suchte.

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für die Rezipienten darstellen mußte. Durch das mehr oder weniger höfliche Wechselspiel der jeweiligen Gesprächspartner konnte Fassmann innerhalb eines Dialogs von einem Thema zum nächsten fortschreiten und so zumindest formal eine sinnvolle Gliederung herstellen. Jörg Kilian faßt Phänomene, die wie der Sprecherwechsel und die Gesprächsschrittverknüpfungen auf der Mesoebene von Gesprächen angesiedelt werden, in seinem Überblick über die historische Dialogforschung wie folgt zusammen: „[D]ie Erscheinungsformen des Sprecherwechsels im Rahmen eines Gesprächsexemplars folgen in der Regel normativen Vorgaben der Gesprächssorte im Rahmen eines Gesprächstyps.“ 183 Zum einen verlangte die Gattungstradition des Totengesprächs (Gesprächstyp) seit Lukian bzw. Fontenelle nach pointiert-witzigen Redebeiträgen zweier mehr oder weniger kontrovers diskutierender Dialogpartner, zum anderen bedingte die Art der Publikation der fiktiven Dialoge (Gesprächssorte) in Form eines Journals eine gewisse Regelmäßigkeit. Die Publikationsform begünstigte somit die Ausprägung charakteristischer Sequenzmuster, wie wir sie beispielsweise in den Schlußformeln der Gespräche finden. War der Raum, den Fassmann bogentechnisch zur Verfügung hatte, ausgefüllt, mußte er die Unterredung seiner Figuren zu einem Ende kommen lassen, wenn er nicht unwirtschaftlich Platz auf einem weiteren Bogen verschenken wollte.184 Die formell-ritualisierten Gesprächsschrittpaare185 wie Gruß und Gegengruß sowie die beiderseitige Verabschiedung signalisierten dem Leser, wie ein Dialog gemäß den gattungs-

183 Kilian, Historische Dialogforschung, S. 69. Der Begriff der mittleren oder Mesoebene, den Kilian in seiner Studie verwendet, meint die „Analyse der Strukturen der Gesprächsorganisation“; dieser schließt auch Gesprächsschritte sowie Rückmeldungsakte des Sprechers bzw. der Sprecher ein. Ebd., S. 68. 184 Die Tatsache, daß Fassmann gemäß der drucktechnischen Konventionen im Einzelfall die Schriftgröße dem noch zu vermittelnden Stoff anpaßte, zeugt von seinem Bestreben, die Bögen ganz auszunutzen. Aus diesem Grund waren die Nachrichten am Ende einer Entrevue teilweise um einiges schwerer zu lesen als die vorhergehenden Textabschnitte. Der Prinz Johann Wilhelm zu Gotha spielt in der 44. Entrevue auf die Dauer der Totengespräche an, indem er seinem Gesprächspartner und Cousin, dem sächsischen Herzog Bernhard von Weimar, auf der 80. Seite der Begegnung sagt: „Jedoch, geliebtester Vetter! die Zeit, welche sonst auf Unterredungen im Reiche derer Todten gewendet wird, ist schon ziemlich verflossen, wannenhero ich mich euch bestens empfehle. / Bernhardus / Und ich mich euch gleichfalls, werthester Vetter! Gehabt euch jederzeit fein wohl!“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 44, Leipzig 1722, S. 920. 185 Hess-Lüttich, Dialog, Sp. 614. Hess-Lüttich zählt im Historischen Wörterbuch der Rhetorik die wichtigsten Elemente der mittleren Gesprächsebene auf, unter ihnen auch die Gesprächsschritte und Redebeiträge sowie, in Analogie zu den genannten Gesprächsschrittpaaren, Gruß und Gegengruß, Frage und Antwort, Einwand und Rechtfertigung oder Entgegnung und die Bedingungen ihrer Verkettung.

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immanenten und sozialen Konventionen begonnen bzw. beendet werden konnte. Über die Anspielung auf überkommene Höflichkeitsrituale in mündlichen Konversationen hinaus konnte die Verabschiedung auch dazu dienen, die charakterliche Bewertung der beiden Gesprächspartner noch einmal zu verdeutlichen. So läßt Fassmann Attila am Ende seiner Unterhaltung mit Timur sagen: Nunmehro, liebster Tamerlan! ist es Zeit, daß wir unser Gespräche endigen, und ich wünsche, daß ihr euch iederzeit wohl gehaben möget! Tamerlan Und ich wünsche hinwiederum, mein Freund Attila! daß der Himmel mehr Barmherzigkeit an euch ausübe, als ihr meritiret!186

Als charakteristische Äußerungen zeugen sowohl der fromme Wunsch als auch die abschließende charakterliche Beurteilung des Gesprächspartners von der Absicht des Verfassers, der mündlichen Konversation nachgebildete Strategien für eine geeignete Art der Verabschiedung zu entwickeln. Ganz im Sinne von Fassmanns Streben nach der bereits erwähnten „Lebhafftigkeit“ dienten ihm Gesprächswörter187 wie die zahlreichen in die Rede seiner Figuren eingestreuten Gliederungs- und Sprechhandlungspartikel dazu, Strukturen mündlicher Konversationsskultur zu imitieren.188 In Anlehnung an tradierte illokutionäre Gesprächsmuster wie dem von Frage und Antwort, Behauptung und Widerle-

186 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 55, Leipzig 1723, S. 556. 187 Jörg Kilian weist darauf hin, daß die Lexika und Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts zwar nicht den Terminus des Gesprächswortes verwendeten, der zeitgenössischen Sprachforschung die Funktion dieser „lexikalischen Einheiten“ jedoch vollkommen bewußt war. So bezeichnen Kilian gemäß die Definitionen von „Interiectiones“ bzw. „Bewegwörtern“ aus Wolfgang Ratkes zwischen 1612 und 1630 erschienenen Schriften zur Teutschen Grammatik, der Eintrag „Zwischenwörter“ aus Justus Georg Schottelius’ 1663 publizierter Ausführlicher Arbeit Von der Teutschen Haubt=Sprache, Kaspar Stielers Artikel zu „Triebwörtern“ aus dessen 1691 erschienenem Wörterbuch und die Definition von „Empfindungswörtern“ in Adelungs Grammatisch-kritischem Wörterbuch von 1782 diesen Begriff der neueren Sprachforschung. Vgl. dazu Kilian, Historische Dialogforschung, S. 78. 188 An einer Stelle ihrer Unterhaltung ruft Karl XI., König von Schweden, gegenüber seinem Gesprächspartner Christian I., König von Dänemark, Norwegen und Schweden, aus: „Hilff Gott! Was vor ein erbärmlicher Zustand ist doch dieses in Schweden gewesen [...].“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 145, Leipzig 1730, S. 40. Bei der ersten Begegnung Domitia Longinas, Ehefrau des römischen Kaisers Domitian, mit Margaretha, der verstoßenen Gattin Heinrich VI., fragt Erstere ihr Gegenüber, ob sie Maragretha, sei, die sich „eines Königs Tochter, dreyer Könige Schwester, und eines Königs Gemahlin“ nenne. Daraufhin bekräftigt die solchermaßen Angeredete: „Ja, Madame! Es ist diese unglückselige Prinzeßin, mit der Ihr jetzo redet.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 147, Leipzig 1730, S. 150.

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gung vermochte Fassmann die jeweiligen Standpunkte und Themen mit unmittelbarer und somit möglichst überzeugender Wirkung vorzubringen.

5.3 Die ‚sprechenden Toten‘ Während Fassmann an zeitgenössischen sowie tradierten (Toten)Dialogen beobachten konnte, mit welchen sprachlichen Mitteln ein bestimmter Zweck erreicht werden konnte, mußte er für sein erstes eigenes Periodikum noch eine geeignete Positionierung finden. Auf dem sich zunehmend schneller entwikkelnden medialen Markt, bei dem man sich als Autor und Verleger nicht immer sicher sein konnte, nach welchen Regeln und Gesetzen er funktionierte, war eine gelungene Selbstinszenierung unter Umständen der entscheidende Faktor, wenn es um die Erschließung neuer Rezipientenkreise ging. Der nur bedingt berechenbare Lesergeschmack, die unterschiedlichen Ansprüche von Autor und Herausgeber sowie der Balanceakt zwischen überkommenen und neuen literarischen Formen waren nur einige Aspekte, die in Fassmanns erstem Periodikum zu berücksichtigen waren. Um sein historisch-politisches Bildungsprogramm erfolgreich vermitteln zu können, sah sich Fassmann vor die Aufgabe gestellt, seine Totengespräche auf geeignete Weise zu bewerben. So konnten etwa die zahlreichen peritextuellen Vorreden und Dedikationen dafür sorgen, daß die Leipziger Gespräche als gelungene Fortführung literarischer Traditionen wahrgenommen werden würden; gleichzeitig sollten sie den Lesern daneben als neu, lehrreich und nützlich erscheinen. In dieser gleichsam paradox anmutenden Situation mußte ein Autor wie der an der Historie geschulte Fassmann auf die Vorbildfunktion antiker wie herausragender zeitgenössischer Dialogschreiber verweisen und gleichzeitig die Qualität seiner eigenen Schöpfung hervorheben. Als offenbar besonders erfolgversprechend erschien Fassmann die Methode, den vermeintlichen oder echten Angriffen seiner Kritiker, welche die Textsorte Totengespräch an sich ablehnten, zu widersprechen. Die Sprecherinstanz der Dedikation zum XII. Band wendet sich zu diesem Zweck an die drei Richter der Unterwelt Minos, Rhadamantus und Aeacus und versucht zu erläutern, warum die Kritik an der Gattung unverständlich und verurteilenswert sei: Hierauf kommen gewisse Leute, die fast Erbarmungs=würdig sind. Denn sie bilden sich ein, es seye absurd, oder gar unverantwortlich, Todte redende mit einander aufzuführen, und bedencken nicht, daß etliche von denen berühmtesten Gelehrten des Alterthums dergleichen gethan, von denen auch Ihr selber, Ihr Durchlauchtigsten Personen! zu Richtern im Reiche derer Todten seyd gemachet worden. Sie wissen oder erwegen auch nicht, daß zu unsern Zeiten der berühmte Fontanelle [sic], welcher noch ietzo lebet, und Director von der Königli-

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chen Societæt derer Wissenschafften zu Paris ist, Todten=Gespräche heraus gegeben; gleichwie der Autor des Telemaques, welches ohnstreitig Fenelon, der verstorbene Ertz= Bischoff zu Cambray ist, sich nicht geschämet, in solchem seinem berühmten Tractat Todten=Gespräche mit einfliessen zu lassen, zwischen Dir, Durchlauchtigster Minos! und einem Babylonischen König, wie auch zwischen diesem und etlicher seiner Sclaven, die man getödtet, und sie ihm zu seiner Bedienung in das Reich derer Todten mitgegeben hat.189

Berufene Autoritäten sind es demnach, die sich zur Verteidigung der Textsorte heranziehen lassen: Lukian, Fontenelle und Fénelon dienen Fassmann neben Minos selbst als Gewährsmänner für die Überzeugungskraft und letztlich auch die Daseinsberechtigung der Gattung. In ähnlicher Manier versuchte Fassmann bereits beim Erscheinen des zweiten Bandes seiner Gespräche, den Auftritt historischer Figuren in seinem Journal zu verteidigen. Die Vorrede fragt rhetorisch: [M]uß nicht erlaubet seyn, diejenigen parlierende aufzuführen, welche sich durch ihren Mund öffters so wohl, als durch andere Thaten, einen unsterblichen Ruhm erworben? Der Welt=beruffene Fénelon, Erz=Bischoff zu Cambray, hat Todten=Gespräche heraus gegeben, auch vermittelst solcher seinem Durchl. Disciple, dem damaligen Duc de Bourgogne, welcher als Dauphin von Frankreich gestorben, die Historie beygebracht; und Monsieur Fontanelle, ein Mit=Glied de l’Academie française, ist durch eben dergleichen Dialogues berühmt worden. Der, allen Gelehrten bekannte, Lucian, hat seine Wercke nicht weniger mit solchen Gesprächen gezieret, anderer grossen Männer zu geschweigen. Ja in der Schrifft selbst, zeiget sich Lazarus mit dem reichen Manne in einem Discours begriffen.190

Die Autoritäten, die Fassmann hier anführt, dienen ihm dazu, mögliche Einwände gegen die Gattung zu abzuwehren. Er betont an dieser Stelle sowohl die „Welt=beruffene“ Exzellenz der zitierten Autoren als auch die nützliche Wirkung der Totendialoge: Wenn der Dauphin mit ihrer Hilfe seine Geschichtskenntnisse erwarb (und behielt), wer sollte dann ernsthaft etwas gegen die Gattung einwenden können? Das Argument, Historie durch den Mund Toter vermitteln zu lassen, konnte auch durch Zedlers Universal-Lexicon gestützt werden, das zur größtmöglichen Autorität der Historiographie Folgendes bemerkt:

189 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XII, Dedikation, Leipzig 1733, S. 10. 190 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. II, Epistel des Autoris an die Verstorbene, Leipzig 1720, S. 1 f. (unpag.). An dieser Stelle sei noch einmal auf die unterschiedlichen Bezeichnungen verwiesen, die Fassmann im oben angeführten Zitat synonym verwendet: Er nennt zuerst Fénelons „Todten=Gespräche“, darauf Fontenelles „Dialogues“ und Lukians „Gespräche“, bis er zum Schluß auf die Bibel zu sprechen kommt, in der Lazarus sich mit einem reichen Mann im „Discours“ befunden habe.

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Wer selber bey einer Sache gewesen ist, von dem empfängt man den Bericht gleichsam aus der ersten Hand.191

Weil die Möglichkeiten, den Wahrheitsgehalt einer Nachricht oder historischen Begebenheit zu verifizieren, äußerst begrenzt waren, kam dem Augenzeugenbericht als Quelle für die Historiographie eine besondere Rolle zu (vgl. 4.1.1 Die historisch-politische Unterweisung). Wenn Fassmann nun die Toten in seinem Journal Zeugnis von ihrem Leben in Form eines ‚Tatsachenberichts‘ ablegen läßt, zeugt dies davon, welche Überzeugungskraft er dieser Form der fiktionalisierten ‚historischen Überlieferung‘ zuschrieb. Auch wenn sich seine Leser der Tatsache bewußt waren, daß die Totengespräche keine echten Augenzeugenberichte vorstellten, war die Fiktion in den Augen des Autors, des Verlegers und der Leser offenbar immer noch überzeugender und unterhaltsamer als eine historische Abhandlung zum gleichen Thema. Um seine Gespräche gegenüber seinen Kritikern als ernstzunehmende historische Quelle darzustellen, wendet sich Fassmann in der oben zitierten Epistel des Autoris an die Figuren seines Journals. In einer von zahlreichen Höflichkeitsfloskeln durchzogenen Rede stellt er unter anderem einen Vergleich zu anderen literarischen Erzeugnissen seiner Zeit an, die im Vergleich mit seinen Entrevuen weitaus gewagtere Eigenheiten aufwiesen: Ingleichen sind, Allerdurchlauchtigste, Durchlauchtigste / oder sonst, durch ihr Leben, Thaten und Fata, berühmt gewordene Todte / serieuse, oder dem Ansehen nach ganz heilige Männer vorhanden, denen eure Gespräche vorkommen, als stäcke zuviel ergötzendes und Zeit=vertreibendes darinnen, wannenhero sie darüber eyfern, eben ob lägen nicht, eine grosse Anzahl, andere, tausend mal freyere Schrifften, hin und wieder öffentlich zum Verkauff herum, welche eher als eure Gespräche meritiren angefochten zu werden.192

Fassmann entkräftet die Angriffe seiner Gegner nicht, indem er behauptet, seine Gespräche seien gar nicht nur zum Zeitvertreib gedacht, sondern er begnügt sich damit, darauf hinzuweisen, daß andere Werke noch viel „freyere Schrifften“ seien und wegen ihrer rein ergötzenden Natur angegriffen werden könnten. Der von Fassmann zitierte Vorwurf der zu großen Freiheit bezog sich nicht nur auf das, was die Figuren miteinander besprachen, sondern vor allem darauf, wer in den Dialogen als handelndes Subjekt auftrat. Die Kritik an bizarren Figurenkonstellationen oder charakterlich ungeeigneten Figuren war späte-

191 Zedler, Universallexikon, „Historie“, Bd. 13, Sp. 284. 192 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. II, Vorrede, Leipzig 1720, S. 2 (unpag.) [Hervorhebungen – SD].

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stens seit Fontenelles Dialogues keine Seltenheit mehr; in Thomasius’ Monatsgesprächen diskutieren die Figuren des Herrn David und Herrn Benedict die Vorteile, welche die gleichsam personalisierte Form der Historienerzählung im Vergleich zu den ungleich trockeneren Traktaten habe; Herr David wundert sich, wie es sein könne, daß besonders diejenigen Charaktere, die andernorts als wenig glaubwürdig und verurteilenswert abgetan würden, sich zur Vermittlung historischer Weisheiten eigneten. Zu einem Roman, der neben der Figur der Octavia auch das Leben und den Charakter von Locusta und Messalina zum Thema hatte, bemerkt Herr Benedict: Absonderlich aber hat mich die Geschichte von der Messalina und Locusta unbeschreiblich vergnügt / derer beyden Unschuld diese Hohe Hand so wahrscheinlich dargethan / daß man / wenn man es lieset / über die sinnreichen inventiones erstaunen muß. Wie kan aber dieses möglich seyn / fragte Herr David / da doch alle Historici die Messaline als eine der grösten Huren / die Locusta aber als eine Hexe und Gifftmischerin beschrieben? Eben darinne bestehet das Kunststück / antwortete Herr Benedict, daß alles das / so man ihnen beyden schuld gegeben / behalten worden / und dennoch durch Zusetzung glaubwürdiger Umstände sie beyde zu keuschesten und andächtigsten Frauens=Personen gemacht worden.193

Das „Kunststück“ eines geschickten Autors besteht Herrn Benedict gemäß also vor allem darin, eigentlich als unpassend geltende Figuren zu Vermittlern von Wissen und Unterhaltung zu machen; dabei seien Schuld und Unschuld auf geschickte Weise miteinander in Einklang zu bringen – auch, wenn dies manchmal dazu führe, so der satirische Seitenhieb, daß ansonsten als charakterlich verdorben geltende Personen zu „keuschesten und andächtigsten“ Figuren umgedeutet würden. Auf der einen Seite wurden, so der erste Tabubruch, unlautere Charaktere zu Akteuren in Dialogen; auf der anderen wurde diesen und allen anderen Figuren die Autorität zugesprochen, über ihre eigene Historie glaubhaft Auskunft geben zu können. Im Vergleich zu Traktaten oder anderen belehrenden Textsorten wurde den Dialogen so eine zumindest ebenbürtige, wenn nicht gar höhere Stellung zugewiesen. Das antike Vorbild der Parallelbiographien Plutarchs, in denen eine schlechte Figur den Glanz der guten noch verstärken sollte, bot neben zeitgenössischen Beispielen, wie Fassmann sie in den unterschiedlichen Figurentypen in Thomasius’ Monatsgesprächen194 oder den ‚bizar-

193 Thomasius, Monatsgespräche, Januar 1688, S. 47. 194 Thomasius’ Idee, daß er durch prototypische Figuren Ärger mit noch lebenden Zeitgenossen vermeiden könnte, erwies sich aus bekannten Gründen als irrig; der Kunstgriff, mißliebige Gegner mit Hilfe seiner Monatsgespräche zu karikieren, führte im Gegenteil dazu, daß sich ihr Autor von der Vorstellung verabschiedete, Satire als geeignete Schreibart anzusehen.

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ren‘ Konstellationen in Fontenelles Dialogues finden konnte, die Möglichkeit, Gesprächspaarungen zu bilden, die auf den ersten Blick gewagt erschienen.

5.3.1 Fassmanns Figurenwahl am Beispiel von Louis XIV. und François-Henri de Montmorency-Bouteville Kontrastiv angelegte Figurenkonstellationen besaßen den Vorteil, moralisch eindeutige Urteile auf unterhaltsame Weise zu präsentieren. Während die Figuren in Thomasius’ Monatsgesprächen als nur wenig verhüllte Karikaturen seiner Zeitgenossen zum Widerspruch herausforderten, wird an der Aussage einer seiner Figuren deutlich, welcher Weg statt dessen der erfolgversprechendere hätte sein können. Dem Problem, daß sich Leser wegen der gewählten Figuren und deren Verhalten brüskiert fühlten, könne entgegengewirkt werden, so Herr Christoph: Diese[m] könte man vielleicht entgehen, sprach Herr Christoph, wenn man seine Satyren nicht nach der Art der gemeinen Satyricorum einrichtete [...]; sondern wenn man es in der Form eines Gespräches thäte / und in demselben lasterhaffte und tugendhaffte Personen mit einführete. Denn auf diese Art würde ein Leser nicht von Nöthen haben / sich nach andern individuis umzuthun / bey denen er sich die Laster / so getadelt werden / vorstellete [...].195

Auf reale, aber bereits verstorbene „lasterhaffte und tugendhaffte“ Figuren zurückzugreifen, bot im Vergleich mit den möglichen Alternativen (noch lebende Personen der Zeitgeschichte bzw. wenig maskierte Karikaturen Lebender) den Vorteil, Schwierigkeiten mit der Zensur zu vermeiden. Im Unterschied zu dem Aufruhr, den die in den Monatsgesprächen nur wenig maskierten Zeitgenossen Thomasius’ verursachten, blieb Fassmann offenbar weitestgehend von Angriffen Lebender verschont. Wie bereits in Bezug auf die Entstehungsgeschichte des Leipziger Journals deutlich wurde, hatte Fassmann meist nur dann mit Repressalien von behördlicher Seite zu rechnen, wenn er in seinen Entrevuen entgegen seiner sonstigen Gewohnheit auf noch nicht verstorbene Personen verwies (wie im Fall der russischen Zarin Katharina I., deren Lebenslauf Fassmann im Gespräch der verstorbenen Zaren Ivan IV. und Peter I. behandelt hatte). Während Thomasius zu Beginn der Publikation seiner Monatsgespräche noch glaubte, mit Hilfe der satirischen Schreibart mehr oder weniger deutliche Porträts seiner Zeitgenossen abliefern zu können, wurde er bald eines Besseren belehrt. Fassmann, der in dieser Hinsicht von seinem ehemaligen Universitäts-

195 Thomasius, Monatsgespräche, Bd. I, Februar 1688, S. 205.

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lehrer lernen konnte, erkannte am Anfang seiner eigenen journalistischen Karriere, daß ein solches Vorgehen den längerfristigen Erfolg seines Periodikums gefährden konnte. Schwierigkeiten mit der Zensurbehörde bzw. den Gerichten waren um so wahrscheinlicher, je einflußreicher und bedeutender die im Dialog Porträtierten waren; aber welchen Leser hätten Dialoge wenig bedeutender Personen der Zeitgeschichte über einen längeren Zeitraum fesseln können? Die Entscheidung also, Tote statt Lebende im Gespräch zu zeigen, versprach neben der hinreichenden Rechtfertigung durch die literarische Tradition auch eine größere journalistische Freiheit als die notwendig vorsichtigere Präsentation noch lebender Zeitgenossen.196 Nichtsdestoweniger boten auch die Biographien verstorbener Personen die Möglichkeit, zeitgenössische Entwicklungen zu verhandeln und, wenn nötig, auch zu kritisieren. Wie weiter oben bereits am Beispiel der deutlich herrschaftskritischen Aesopischen Fabel von Wolf und Lamm deutlich wurde, konnten unter dem Deckmantel der mehr oder weniger fernen Vergangenheit zahlreiche Verweise auf aktuelle Ereignisse erfolgen bzw. Herrschaftskritik geübt werden. Welche Figuren fanden demnach Eingang in Fassmanns erstes historischpolitisches Periodikum? Gemäß seiner Auffassung, wie man historisch Relevantes am besten vermitteln könne, sucht er die Geschichte einzelner Länder anhand ihrer herausragenden Vertreter zu erklären. Dabei beließ er es nicht bei einem oder zwei aufeinanderfolgenden Herrschern eines Landes, sondern bemühte sich über einen längeren Zeitraum hinweg, verschiedene Vertreter einer Dynastie, Minister, Mätressen, nähere und fernere Verwandte sowie politische Gegner zu Wort kommen zu lassen. Über die 22 Jahre währende Periode, in der die Totengespräche publiziert werden, entstand so ein Geflecht politischer, historischer sowie auch familiärer Verbindungen der Figuren untereinander. Ein bestimmtes Thema (etwa der Spanische Erbfolgekrieg), Land oder historisches Ereignis konnte so gleichsam polyperspektivisch dargestellt werden. Trotz der mancherorts geäußerten Kritik an redundanten Informationen verteidigt Fassmann sein Konzept gegenüber Dritten.197 Konform mit der Auffassung seiner Zeit, daß Historie und Politique anhand einzelner Figuren erklärt werden sollten, entschied sich Fassmann dafür, mehrere Mitglieder einer Herrscherfamilie und deren Umfeld in seinem Journal auftreten zu lassen. Wichtigstes Beispiel für diese Praxis ist der französische König Louis XIV. (1638–1715), der zusammen mit Kaiser Leopold I. (1640–1705) die lange Reihe der Totengespräche eröffnete. Zwar erschienen auch einige französische Figuren in den Totengesprächen, die nichts mit Louis XIV. zu tun hatten, dennoch

196 Vgl. dazu die Vorrede zu Bd. VII, S. 5 f. 197 Vgl. dazu Vorrede zu Bd. VIII, S. 11.

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bestritt der nur drei Jahre vor dem ersten Erscheinen des Journals verstorbene französische König zusammen mit seinen direkten Vor- und Nachfahren, Ehefrauen und Mätressen, Ministern, politischen Verbündeten sowie Gegnern einen bedeutenden Teil der insgesamt 240 Gespräche. Neben Louis XIV. selbst traten folgende Personen, die mit ihm in direkter Beziehung standen, in Fassmanns Journal auf: Herrscherfiguren – Leopold I. (1640–1705), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches – Charles II. (1630–1685), König von England – Friedrich Wilhelm I., der Große Kurfürst (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen – Joseph I. (1678–1711), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches – Philipp IV. (1605–1665), König von Spanien, Vater Maria Theresias, Ehemann der Anne d’Autriche und der Elisabeth de Bourbon sowie Schwiegervater von Louis XIV. – Maximilian II. Emanuel, der Großmütige (1662–1726), Kurfürst von Bayern, Verbündeter Frankreichs im Spanischen Erbfolgekrieg – Caterina de’ Medici (1519–1589), Königin von Frankreich, Gemahlin von Henri II., Regentin für ihre minderjährigen Söhne François II., Charles IX. und Henri III. – Georg Ludwig I. (1660–1727), König von England Familienmitglieder – Philipp II. (1527–1598), König von Spanien, Urgroßvater mütterlicherseits von Louis XIV. – Louis II. de Bourbon, Le Grand Condé (1621–1686), Nebenlinie der Bourbons – Henri IV., König von Frankreich (1553–1610), Großvater väterlichererseits von Louis XIV. – Philipp III., König von Spanien (1578–1621), Großvater mütterlicherseits von Louis XIV. – Anne d’Autriche, Anna Maria Mauricia (1601–1666), Königin von Frankreich, Mutter von Louis XIV., Ehefrau von Louis XIII., Tochter von Philipp III. und Schwiegertochter Maria de’ Medicis – Louis de Bourbon, Le Grand Dauphin (1661–1711), Sohn Louis’ XIV. und Maria Theresias – Philippe II. de Bourbon, duc d’Orléans (1674–1723), Regent zwischen 1715 und 1723 und Neffe von Louis XIV. – Louis II. de Bourbon, Le Grand Vendôme (1654–1712), Nebenlinie der Bourbons, Feldherr und General unter Louis XIV.

Entrevue 1 18 36, 37 49, 50 59

105, 106, 107

119

123, 124 Entrevue 8 15 19 26 60, 61

68 68 76

Die ‚sprechenden Toten‘

– Luis I. (1707–1724), König von Spanien aus dem Hause Bourbon, Sohn Philipps V. von Spanien, heiratete 1722 Prinzessin Louise Elisabeth d’Orléans – Marguerite de Valois (1553–1615), Königin von Frankreich, verstoßene Ehefrau Henris IV. und Tochter Caterina de’ Medicis – Louis Auguste de Bourbon, duc du Maine (1670–1736), legitimierter Sohn von Louis XIV. und seiner Mätresse Françoise-Athénaïs de Rochechouart, marquise de Montespan

79

Minister, Kleriker und Höflinge – François d’Aix de Lachaise (1624–1709), jesuitischer Beichtvater von Louis XIV. – Armand-Jean I. du Plessis, duc de Richelieu (1585–1642), Kardinal und einflußreicher Minister unter Louis XIII. – Jules Mazarin (1602–1661), Kardinal und regierender Minister nach dem Tode Louis’ XIII., Erzieher des noch minderjährigen Louis XIV. – Guillaume Dubois (1656–1723), Kardinal und Minister unter der Regentschaft Philipps II. de Bourbon, des späteren Herzogs von Orléans – Michelangelo Conti di Poli, Papst Innozenz XIII. (1655– 1724) – Henri II. de Lorraine (1614–1664), duc de Guise, Erzbischof von Reims und Großkammerherr unter Louis XIV. – Henri Coiffier de Ruzé, marquis de Cinq-Mars (1620–1642), ein von Richelieu am Hofe von Louis XIII. eingeführter Höfling, der sich später an der Verschwörung gegen R. beteiligte und dafür zum Tode verurteilt wurde

Entrevue 14

147

217, 218

17 17

62, 63

73, 74, 75 167 172

Mätressen und Ehefrauen – Louise Françoise de La Baume Le Blanc, duchesse de la Vallière (1644–1710) – Marie Angélique de Scoraille de Rousille, duchesse de Fontanges (1661–1681) – Françoise d’Aubigné, Madame de Maintenon (1635–1719), Ehefrau des Romanciers und Komödienautors Paul Scarron – Maria Theresia von Spanien (1638–1683), Königin von Frankreich, Ehefrau und Cousine väter- sowie mütterlicherseits von Louis XIV.

Entrevue 6

Maréchals de France – Henri de la Tour d’Auvergne-Bouillon, vicomte de Turenne (1611–1675), Maréchal de France im Jahre 1643

Entrevue 6

14 23, 24 35

387

388

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– François-Henri de Montmorency-Bouteville, duc de PineyLuxembourg (1628–1695), Maréchal de France im Jahre 1675 – Louis-François, duc de Boufflers (1644–1711), Maréchal de France im Jahre 1693 – François de Neufville, duc de Villeroy (1644–1730), Maréchal de France im Jahre 1693 – Henri II., duc de Montmorency et de Damville (1595– 1632), Maréchal de France im Jahre 1630 – James Fitz-James, duc de Berwick oder 1st Duke of Berwick-upon-Tweed (1670–1734), Maréchal de France im Jahre 1706 – Claude Louis Hector, duc de Villars (1653–1734), Maréchal de France im 1702 und Generalmarschall der königl. Armeen im Jahre 1733 – Philibert de Gramont, General und Bruder von Antoine III. de Gramont – Antoine III. de Gramont, duc de Gramont (1604–1678), Diplomat und Maréchal de France im Jahre 1641 Sonstige – Jean-Baptiste Poquelin, Molière (1622–1673), zeitweilig Dramatiker am Hofe Louis’ XIV. – Paul Scarron (1610–1660), Komödienautor und Ehemann der späteren Mätresse Louis’ XIV., Madame de Maintenons – Marie Aimée de Rohan-Montbazon, duchesse de Chevreuse (1600–1679), Vertraute der Anna von Österreich, Geliebte von La Rochefoucauld und Gegnerin Richelieus und Mazarins – Anne-Marie de la Trémoille, Prinzessin von Orsini (1641– 1722), Vermittlerin des franz. Hofes in Rom, Vertraute der Madame de Maintenon und erste Hofdame der Königin von Spanien – Marie-Catherine de Beauvilliers (1574–1667), Äbtissin von Montmartre, Geliebte von Henri IV., dem Großvater Louis’ XIV. – François de Bonne de Créquy, duc de Lesdiguières (1543– 1626), letzter Connétable unter Henri IV. und Louis XIII. – Fernando Álvarez de Toledo (1507–1582), Herzog von Alba, General Philipps II. von Spanien und dessen Brautwerber um die Hand der Isabel Valois, Tochter Caterina de’ Medicis – Concino Concini, marquis d’Ancre (1576–1617), während der Regentschaft von Maria de’ Medici einflußreicher Marschall am Pariser Hof – Gaston Jean Baptiste du Roquelaure, duc de Roquelaure (1615/17–1688), Pair von Frankreich und Gouverneur von

20

72 148 171 193, 194

195, 196

212, 213, 214, 215, 216 234, 235

Entrevue 5 23, 24 38

53

70

76 130, 131, 132

138

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Guienne, in den Herzogstand erhoben und bei Louis XIV. als witziger Gesellschafter beliebt – Frédéric-Maurice de La Tour d’Auvergne, duc de Bouillon (1605–1652), General und Anführer der Fronde

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220, 221

Die Aufstellung zeigt, daß insgesamt 49 Figuren in 66 unterschiedlichen Totengesprächen auftraten, die mehr oder weniger direkt mit Louis XIV. in Verbindung standen. Auf die Summe der insgesamt 240 Entrevuen umgerechnet bedeutet dies, daß rund 27,5 % aller Dialoge eine oder mehrere Figuren aus dem Umkreis des französischen Hofes enthielten: eine Zahl, welche die herausragende Bedeutung nicht nur des verstorbenen Königs, sondern auch der französischen Politique und Geschichte im Vergleich zur deutschen deutlich macht. Fassmanns Leser interessierten sich offenbar besonders für Themen, die mit Frankreich, der französischen Politik, seinen herausragenden Herrscherfiguren und Sitten zu tun hatte – dies mag zwar im zeitgenössischen frankophilen Kontext wenig überraschen, verdient jedoch aufgrund des eindeutigen Befundes festgehalten zu werden. Neben den zahlreichen deutschen Figuren, die Fassmann in seinem Periodikum porträtierte, stellten die Männer und Frauen des westlichen Nachbarlandes die größte Gruppe unter den Gesprächsfiguren. Auch wenn die einschlägigen Studien zu Fassmanns Journal nicht müde wurden, die angeblich willkürliche Paarung der Figuren in den Totengesprächen zu kritisieren, zeigt die Übersicht über die ‚französischen‘ Entrevuen, welche Gewichtung er im Laufe der 22 Jahre währenden Publikation seiner Dialoge vornahm: Beginnend mit dem vielleicht bedeutendsten Herrscher seiner Zeit, der zwischen seiner Thronbesteigung im Jahre 1643 und seinem Tod im Jahre 1715 regierte, ließ Fassmann dessen Familienmitglieder, politische Verbündete und Gegner sowie Minister, Marschälle und Mätressen auftreten. Das Netz von Beziehungen, das er damit innerhalb seines Journals spann, ahmte auf fiktionaler Ebene die weitreichenden dynastischen Verwandtschaftsverhältnisse und komplexen politischen Strukturen der wirklichen Welt nach. Getreu dem Anspruch, seinen Lesern mit Hilfe der Dialoge ein Abbild der Weltbühne zu bieten, konnte Fassmann anhand der Taten und Leben seiner Figuren Nachricht von Ereignissen wie dem Dreißigjährigen Krieg, dem Spanischen Erbfolgekrieg, der Hugenottenverfolgung, dem englischen Bürgerkrieg, dem Niederländischen Krieg oder verschiedenen Friedensschlüssen in Europa geben. Daneben boten die Lebensläufe naher oder fernerer Verwandter des verstorbenen französischen Königs, seiner zahlreichen Mätressen sowie legitimer wie illegitimer Nachkommen die Möglichkeit, Themen wie die europäische Heiratspolitik, das königliche Eheleben oder allgemein die tadelnswerte oder vorbildliche conduite der porträtierten Figuren anzusprechen. In Anlehnung an Fénelons Figuren, die dieser in seinen zu Lehrzwecken verfaßten Dialogues porträtierte,

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Die Totengespräche

traten bei Fassmann verschiedene Vertreter einer durch Heiraten weitverzweigten Familie auf. So wie Fénelon in seinen Dialogues entre les Modernes einen Monarchen etwa zusammen mit seinem Nachfolger auftreten ließ (z. B. Dialogue XIV. Henri III. et Henri IV.), erschienen bei Fassmann etwa (allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge) Felipe II. von Spanien (Nr. 8), sein Sohn Felipe III. (Nr. 26), seine Enkelin Anne d’Autriche (Nr. 60 und 61) und als Ausgangspunkt sein Urenkel, Louis XIV. (Nr. 1).198 Zusammen mit den Nachkommen des Letztgenannten bot Fassmann seinen Lesern einen Überblick über bis zu sechs Generationen einer Herrscherdynastie. Die Bourbonische Linie wurde darüber hinaus durch die der Habsburger und der Medici ergänzt: Durch die Lebensläufe von Henri IV. (Nr. 19), Caterina de’ Medici (Nr. 119) und Marguerite de Valois, der Tochter Caterina de’ Medicis und verstoßenen Gattin von Henri IV. (Nr. 147), erschloß Fassmann für seine Leser weite Teile der bedeutendsten europäischen Herrschaftshäuser. Heiraten wie die von Louis XIV. und Maria Theresia von Spanien konnten leichter in ihrer Tragweite nachvollzogen werden, da den Lesern durch die ausführliche Behandlung der Familienverhältnisse in mehreren Gesprächen bewußt war, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis der französische König mit seiner Gemahlin stand: Louis XIV. war durch seinen Großvater väterlicherseits, Henri IV., und dessen Tochter Isabella de Bourbon (seine Tante) ein Cousin väterlicherseits von Maria Theresia, der Enkelin Henris bzw. Tochter Isabellas. Weil Louis’ Mutter, Anne d’Autriche, gleichzeitig die Schwester von Isabellas Ehemann Felipe IV. von Spanien war, wurde Louis auch zum Cousin mütterlicherseits seiner zukünftigen Ehefrau. Als Beispiel für Fassmanns Vorgehensweise bei der Vermittlung historischen und dynastischen Wissens mag eine Stelle aus der ersten Entrevue zwischen Kaiser Leopold I. und Louis XIV. dienen, an der letztgenannter zum Einfluß Kardinal Mazarins, zu den Eroberungen Frankreichs und zu seiner Nachkommenschaft in einer langen Reihung bemerkt: Denn durch seine [Mazarins – SD] Kunstgriffe erlangte ich [...] durch den Westfälischen Friedens=Schluß die Landgraffschafft Elsaß, das Rebellions=Feuer wurde nach und nach ersticket, und 1659. erschnapte ich in dem Pirenäischen Frieden die Spanische Infantin, Maria Theresia, welche meine Gemahlin, und der Dauphin Ludovicus von ihr gebohren ward, dessen Sohn und mein Enckel / Philippus von Anjou, deromaln auf dem Spanischen / sein Enckel und mein Ur=Enckel Ludovicus XV. aber auf dem Frantzösischen Throne pranget: Denn er verheyrathete sich an eine Printzessin aus Bayern, mit welcher er den Duc de

198 Ebenfalls von Fénelon übernahm Fassmann die Begegnungen zwischen Königen und Kardinälen (Dialogues IV. und V.) oder einem Papst (Dialogue XVI.) sowie die Begegnung zwischen Richelieu und Mazarin (Dialogue XIX.); vgl. dazu auch 3.4.4.5.

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Boulogne, so auch als Dauphin gestorben / und dessen Sohn mein Successor ist, ferner den Duc d’Anjou König von Spanien, und den Duc de Berry gezeuget.199

Fassmann verknüpft in dem Gespräch dynastische Informationen mit historischen Ereignissen wie den verschiedenen Friedensschlüssen oder Feldzügen Louis’ XIV. Obwohl Fassmann selbst Protestant war und sowohl die Verfolgung der Hugenotten als auch die Kriege etwa gegen die niederländischen Provinzen hätte verurteilen können, hielt er sich bei der negativen Bewertung der französischen Politik merklich zurück. Zwar klagt Louis XIV. in der Schilderung seiner Taten darüber, welcher „Marter und Drangsal“ die Hugenotten durch die Jesuiten und „gestiefelten Apostel“ (er meint die Dragoner) ausgesetzt gewesen seien, dies alles sei jedoch, so die Beteuerung des französischen Königs, ohne sein Wissen und seinen Befehl vonstatten gegangen: Ich habe in meinem Leben nichts von so gar grosser Quaal gehöret, womit man sie geängstiget, noch weniger ist von mir dazu Ordre gegeben worden: Wann mir auch mein gewesener Beicht=Vater la Chaise, oder ein anderer, so mir zu dieser Verfolgung gerathen, zu Gesichte kommen solte, würde es eine derbe Reprimande setzen, ja ich glaube / ich kratzte ihnen die Augen aus; alleine biß diese Stunde, habe ich noch keinen von ihnen allen, allhie erblicken noch erforschen können.200

Auch das Benehmen seiner Generäle, Marschälle und Soldaten in den Niederlanden, mit denen sich Louis zwischen 1672 und 1679 als Vergeltung für die Teilnahme des Landes an der Tripelallianz im Krieg befand, wird bei Fassmann in dieser Entrevue nur sehr versteckt kritisiert. Der Krieg sei zu seiner – Louis’ – Avantage in den Niederlanden „mit großer Gewalt“ 201 geführt worden, so dessen knappe Zusammenfassung in der Schilderung seines Lebens. In der Vita des Hauptbefehlshabers in diesem auf Expansion und Wiedergutmachung ausgerichteten Krieg, des duc de Luxembourg, François Henri de MontmorencyBouteville, geht Fassmann zwar durchaus ausführlich auf die Ereignisse in den Niederlanden ein, hütet sich aber davor, zu kritische Urteile über das Verhalten der Franzosen zu fällen. Der duc de Luxembourg war als oberster Befehlshaber der französischen Truppen ob seiner Härte, seines grausamen Handelns, seines Wagemutes und Ehrgeizes berüchtigt. Weil er zudem durch gewagte Äußerungen Gerüchte schürte, nach denen er zum Wohle seines Vaterlandes mit dem Teufel einen Pakt geschlossen hätte, bot gerade seine Figur Material für zeitgenössische Kritik an den Franzosen und ihrem vermeintlichen Verhalten in den

199 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 1, Leipzig 1718, S. 10. 200 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 1, Leipzig 1718, S. 15. 201 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 1, Leipzig 1718, S. 17.

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niederländischen Provinzen. Wie diese Kritik aussehen konnte, zeigt etwa der 1677 erstmals erschienene Soldaten=Teuffel Johann Samuel Zenckers, der nach dem Vorbild eines niederländischen Pamphlets die Taten des französischen Herzogs als dämonisch und die seiner Soldaten als bestialisch brandmarkte.202 In Zenckers Werk, das sich ähnlich wie dessen niederländisches Vorbild gleichsam universell-stereotyper Anschuldigungen gegenüber den Franzosen bedient, heißt es über den Herzog von Montmorency-Bouteville: Die Tyranney und Grausamkeit hat weit überhöhet die grausame und Tyrannische Herrschafft des Ferdinandi de Toledo / Herzogs von Alba / welchen der Hertzog von Luxemburg / Guverneur zu Utrecht / in seinen grausamen Verfahren noch fromm gemacht: Denn dieser hat sich nicht gescheuet öffentlich zu sagen; Er danke Gott / daß er sonder Barmherzigkeit und Mitleiden gebohren worden / damit er um so viel desto bequemer und tüchtiger wäre / seinem Könige und Herrn zu dienen / und sein Vornehmen auszuführen. Er wird sich vielleicht besorget haben / es möchte ihm gehen wie jener Stratiol sagte: An einen barmhertzigen Soldaten wischet der Teuffel den A.203

Auch Fassmann zitiert den Ausspruch des Marschalls von Frankreich, allerdings relativiert er die Härte der oben zitierten Schrift Zenckers ein wenig. In der Entrevue Nr. 20 schätzt der Herzog sein Wesen und Verhalten wie folgt ein: Es zeigete sich in allen meinen Actionen, daß eine grausame Seele in meinem ungestalt gewordenen Leibe wohnete; wie ich dann auch vielmals zu sagen pflegete, ich danckete GOtt, daß er mich ohne Mitleyden und Barmhertzigkeit hätte lassen gebohren werden. Doch war ich nicht etwa gegen diejenigen, so unter meinem Commando stunden, wann sie sich nur tapffer hielten, grausam, au contraire diesen connivirte ich auf alle Weise / und gestattete ihnen alle Büberey und Muthwillen, welche denenselben von dem Satan inspiriret werden kunte.204

Der Marschall gibt bei Fassmann zwar auch zu, grausam und streng gewesen zu sein, jedoch schreibt er die als „Bübereye und Muthwillen“ bezeichneten

202 Der vollständige Titel des deutschen Werkes lautet: Frantzösischer Soldaten-Teuffel Welcher Auf dem Schau= Und Muster=Platz Andern annoch florirenden Teutsch-Ländern zu einem Beyspiel vorgestellt Und In Demuth dedicirt und überreicht wird / Von Johann Samuel Zenckern, [ED 1677] Wittenberg 1693. Die Vermutung, daß die von Zencker veröffentlichte Schrift in weiten Teilen an ein entsprechendes niederländisches Werk angelehnt war, ergibt sich aus einem Beitrag Wolfgang Cilleßens, in welchem dieser einen 1647 erschienenen Jugendspiegel vorstellt, der die Grausamkeiten und Kriegsverbrechen der Franzosen anprangern und im kollektiven (historischen) Gedächtnis verankern sollte. Wolfgang Cilleßen: Der Spiegel der jeugd. Ein Kinderbuch als Medium der Geschichtserinnerung in den Niederlanden (1614–1813), in: Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen, hg. v. Hans Peterse unter Mitarbeit von Veronika Marschall, Göttingen 2006, S. 51–134. 203 Zencker, Soldaten=Teuffel, S. 28. 204 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 20, Leipzig 1720, S. 296.

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Taten seinen eigenen Soldaten zu, die sich dabei von den Einflüsterungen des Teufels haben leiten lassen; er selbst hingegen habe sich durchaus großzügig gegenüber seinen Soldaten erwiesen, wie er nicht müde wird zu betonen. Das zweite berühmt gewordene Zitat, das die Nachwelt dem Herzog zuschrieb, stellt Fassmann dem oben angeführten voran. Es legte den Grundstein zu Luxembourgs Ruf als Mann, der aufgrund seines anhaltenden militärischen Erfolges ganz offensichtlich einen Pakt mit dem Teufel eingegangen sein mußte. Fassmann läßt seine Figur dazu Folgendes bemerken: Von der Zeit an [nach 1688 – SD] ließ ich mich öffters verlauten, welchergestalt ich hertzlich gerne wolte verdammet werden, woferne ich nur dadurch den Grossen Ludwig recht groß, und zum Herrn der Welt machen heissen könte. Solche Worte wurden dem König zu Ohren gebracht / und es war mir lieb. Denn ich hatte selbige deswegen gesprochen / daß sie ihm wieder gesaget werden solten, wohlwissende / es würden demselben solche nicht unangenehm zu hören seyn.205

Während also andere zeitgenössische Quellen das Zitat des Herzogs ‚für bare Münze‘ und als Beweis für seine Verderbtheit nehmen, betont Fassmann daran den politischen Zweck und markiert so einen deutlichen Unterschied zwischen den propagandistischen Schriften seiner Vorgänger und seinem eigenen Journal. Der oben zitierte Dialog zwischen dem Herzog von Luxemburg und Kleopatra – bzw. an dieser Stelle dem hinzugetretenen abergläubisch-unaufgeklärten Hanns Simplex – zeigt, welche Strategien Fassmann mit Hilfe bestimmter Figuren verfolgte. Montmorency ist hier nicht (nur) der dämonische Menschenschinder, als der er in vielen anderen Quellen gezeichnet wird: Fassmann läßt ihn zwar dessen charakterliche Verfehlungen und dessen hartes, ja grausames militärisches Vorgehen thematisieren, sein Fokus liegt jedoch in diesem Dialog vor allem auf der Vorurteilskritik. Letztere vermag er um so besser zu vermitteln, als seine Hauptfigur einen ausgesprochen schlechten Ruf genießt. Durch den Kunstgriff, in diesem Totengespräch den unbedarften Hanns Simplex auftreten zu lassen, vermochte Fassmann den Dämonenglauben gleichsam zu personalisieren und lächerlich zu machen. Dies erreicht er, indem er den Herzog vier vernünftige Gründe anführen läßt, die dazu geführt hätten, daß alle Welt dachte, der Marschall von Frankreich hätte mit dem Teufel einen Pakt geschlossen: Um eben diese Zeit lieff ein starckes Gerücht / als seye ich ein Schwarz=Künstler, und stünde mit dem Teuffel in einem Bund. Darzu gaben eines Theils die Zauber=Bücher, welche ich

205 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 20, Leipzig 1720, S. 296.

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hatte aussuchen lassen, Anlaß; andern Theils aber verursachte es mein ruchloses Leben, ingleichen die verübten Grausamkeiten, und weil gantze Ströme leichtfertiger und lächerlicher Worte aus meinem Munde flossen.206

Fassmann nutzt in dem Gespräch einerseits die durch zahlreiche Pamphlete entstandene ‚satanische‘ Aura des Herzogs dafür, die Sensationslust seiner Leser zu befriedigen; andererseits betont der durch seinen Tod geläuterte Marschall von Frankreich, daß alle erwähnten Geschichten auf die Imaginationskraft und Dummheit der Menschen zurückzuführen seien – aller Teufelsglaube sei zu verurteilen und habe letztlich nur seinem militärischen Erfolg gedient, weil die Menschen aus Angst vor ihm das Kämpfen verlernt hätten. Die „Beweisthümer“, die Hanns Simplex noch zu Beginn seines Auftrittes gegen den Herzog in der Hand zu haben meinte, hat dieser im Folgenden entkräftet. Die Buchstabengläubigkeit derjenigen, die alle gedruckten Geschichten als ‚wahr‘ ansähen, wird so durch die Aussagen des ehemals gefürchteten Marschalls von Frankreich ins Lächerliche gezogen. Stellvertretend für alle Leichtgläubigen muß sich Hanns Simplex Folgendes anhören: O ihr verdammten Vorurtheile! Wie grausam verfahret ihr doch mit denen menschlichen Sinnen / indem ihr sie öffters dergestalt verblendet, daß von ihnen unmöglich einige Raison, und vernünfftiges Einwenden, angenommen werden kan. [...] Höret doch mein lieber Hanns Simplex! Müsset ihr nicht bekennen, daß vielmals dasjenige, wovon Herr Omnis, das ist, der gemeine Haufen am allermeisten spricht / am allermeisten erlogen ist?207

Trotz dieser vergleichsweise eindeutigen Vorurteilskritik gelingt es Fassmann selbst nicht, alle propagandistischen Erzählungen aus seiner Biographie des Herzogs zu verbannen. Obwohl der Marschall weiter oben noch betonen durfte, daß seine Soldaten vor allem aus eigenem Antrieb satanische Taten an der Zivilbevölkerung ausgeübt hätten und er, Luxembourg, diese nicht zu verantworten habe, rekurriert Fassmann wenig später auf eben jene ‚abergläubische‘ Sichtweise derjenigen, die im ehemaligen Befehlshaber der französischen Truppen denjenigen sahen, der seine Soldaten zu schrecklichsten Handlungen animiert habe. Immer wiederkehrende Elemente aus zeitgenössischen Pamphleten beschreiben Kriegsgreuel, die dem Leser auch bei Fassmann wiederbegegnen – wenn auch in deutlich abgemilderter und verkürzter Form. Fassmann bezieht sich offenbar entweder auf den bereits oben zitierten niederländischen Jugendspiegel bzw. Zenckers daran angelehnten Soldaten= Teuffel, denn er führt wie diese dieselben Orte und dieselben Beispiele für die

206 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 20, Leipzig 1720, S. 299 f. 207 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 20, Leipzig 1720, S. 274 f.

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Taten der Franzosen an. Der 1674 im Amsterdamer Courant gedruckten niederländischen Nieuwe spiegel der jeught, of Fransche tyrannye ist ein typisches Beispiel dafür, wie Schreckensnachrichten über vermeintliche Greueltaten eines Aggressors im kollektiven Gedächtnis der Betroffenen festgeschrieben werden sollten. An den Franzosen wird vor allem das Unmenschliche, TeuflischDämonische ihrer Handlungsweise betont. Der Autor des Spiegels Jacobus Boumann führt zu diesem Zweck vor allem solche Begebenheiten an, die zum allgemeinen Sinnbild kriegerischer Grausamkeiten geworden waren. Wolfgang Cilleßen bemerkt hierzu in seinem Beitrag: Im Zentrum seines Jugendspiegels standen die von den Franzosen bei einem Überfall auf die Dörfer Bodegraven und Zwammerdam vermeintlich verübten Massaker, die der Vater in ihren grausamen Details seinem Sohn erzählt. Es ist das gleiche stereotype Repertoire von Grausamkeiten, das schon in früheren, antispanischen Spiegeln und Tyranneien ausgebreitet wurde: Menschen werden in ihren Häusern verbrannt oder erschossen, andere im eisigen Wasser ertränkt, in den brennenden Kamin gehängt oder mit den Füßen ins Feuer gehalten, um Geldverstecke zu verraten, anderen schneidet man Ohren, Nasen und Gliedmaßen sowie die Köpfe ab, mit denen man Ball spielt; Frauen werden vergewaltigt und verkauft, man schneidet ihnen die Brüste ab und reibt Salz und Pfeffer hinein; Kinder werden in das Kaminfeuer geworfen und in ihren Wiegen getötet, man schneidet ihnen die Gliedmaßen ab oder die Kehlen durch.208

Der niederländische Jugendspiegel und der deutsche Soldaten=Teuffel gleichen sich in ihren Schilderungen der angeblichen Taten der französischen Angreifer. Beide bringen dieselben Beweise für die „Belialiten“ 209 der einfallenden Soldatenhorden und deren Befehlshaber und beide nennen dieselben Beispiele, wenn es um die Verbrechen an Männern, Frauen, Kindern, Kirchengebäuden, Pfarrern und den Toten geht.210 Die propagandistischen Schriften schildern die Franzosen und mit ihnen den Herzog von Luxembourg als so unmenschlich und bestialisch, „daß auch Türken und Tartern / und andere Heidnische / Barbarische Völker es nicht ärger machen können!“ 211 Was als kaum steigerbare Anschuldigung zu lesen ist, scheint auch in Fassmanns Totengespräch wieder auf: allerdings ohne den Verweis auf nicht-europäische Völker und deren Verhalten im Krieg. Obwohl Fassmann also vorher ausdrück-

208 Cilleßen, Spiegel der jeugd, S. 73 f. 209 Zencker, Soldaten=Teuffel, S. 31. 210 Der Autor des deutschen Soldaten=Teuffels bemerkt allerdings, daß ihm eine solche sachliche Ordnung für derartig unmenschliche Taten widerstrebe. Im Grunde gingen ihm „Zeit / Zunge / Feder / Dinten und Pappier“ aus (S. 24), wenn er all jene Grausamkeiten beschreiben wolle, welche die Franzosen in den Niederlanden und Deutschland begangen hätten. 211 Zencker, Soldaten=Teuffel, S. 29.

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lich die Abergläubischkeit des „Herrn Omnis“ durch den Mund des geläuterten Herzogs tadelt, führt er in der Schilderung des Französisch-Niederländischen Krieges genau jene oben von Cilleßen zusammengefaßten Greueltaten an. In deutlicher Analogie zur oben zitierten Stelle heißt es bei Fassmann: Im übrigen habe ich [...] die entsetzlichsten Grausamkeiten verüben lassen / worzu ich die wütenden Soldaten selbst animirete. Denn zu Niewerbroug und Swammerdam ist jung und alt, theils massacriret, theils blessiret, alle Weibs=Personen aber, von denen zartesten Mädgen an, die Töchter in denen Armen der Mütter, und die Weiber in denen Armen ihrer Männer, violiret und genothzüchtiget worden. Ich ließ diese und andere Orte mit Feuer anstecken, da es dann geschehen, daß man viele kleine Kinder in das Feuer geschmissen, andere hingegen in die Höhe geworffen und mit Piquen aufgefangen, über welche Unmenschlichkeiten sich ein ieder billig verwundern wird; allermassen diese kleinen unschuldigen Creaturen, durch ihr freundliches Lächeln in denen Händen ihrer Mörder, nicht nur die grausamsten Hertzen / sondern auch Steine und Eisen zum Mitleyden hätten bewegen sollen.212

Wenn auch nicht durchgängig, so doch stellenweise werden diejenigen Quellen und die dort transportierten Behauptungen reproduziert, von denen sich Fassmann nur wenige Seiten vorher noch distanziert hatte. Diese Inkonsequenz sollte im zeitgenössischen medialen Kontext zwar nicht über Gebühr überraschen, dennoch soll sie an dieser Stelle festgehalten werden. Offenbar wollte Fassmann zwar mit den Biographien seiner Figuren althergebrachte (falsche, abergläubische, unvernünfftige) Meinungen widerlegen, doch kann sein Journal nicht gänzlich auf die anziehend-schockierende Wirkung eben jener als ‚rückständig‘ gebrandmarkten Positionen verzichten. Obwohl Fassmann der Vorurteilskritik das Wort redet, widerlegen ihn seine Figuren in gewisser Weise: Sie zementieren Überzeugungen, die der zeitgenössischen Auffassung von Geschichtsschreibung gemäß nicht die Bedingung der ‚Wahrscheinlichkeit‘ erfüllten. Wolfgang Cilleßen bemerkt in diesem Zusammenhang: Die Geschichtsschreibung hat die niederländischen Schreckensberichte schon im 18. Jahrhundert mit dem Aufkommen der aufgeklärten Quellenkritik in Frage gestellt und relativiert. Die permanente Wiederholung eines zum Klischee gewordenen Feindbildes stand im Widerspruch zu der Erkenntnis, dass die zeitgenössischen Berichte im Dienste der Propaganda die französischen Greuel übertrieben hatten.213

In Bezug auf die Charaktere und Handlungen der Figuren, die mit dem französischen König Louis XIV. in Verbindung standen, wird ein besonderes Dilemma offenbar: Gerade weil Fassmann sein Journal in Form von Totengesprächen an

212 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 20, Leipzig 1720, S. 298. 213 Cilleßen, Spiegel der jeugd, S. 77.

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französischen Vorbildern ausrichtete und in seinen Dialogen eine große Anzahl französischer Figuren auftreten ließ, war es schwierig, eine dezidiert frankreichkritische Position einzunehmen – und dies trotz der Tatsache, daß Fassmann als Protestant und kaisertreuer Diplomat eigentlich allen Grund zur Kritik an Frankreich gehabt hätte. Eingedenk jedoch der Tatsache, daß seine Leser die französischen Sitten und Moden schätzten, wäre eine zu deutliche Verurteilung gerade der französischen Figuren wenig hilfreich gewesen, zumindest was die verkaufsfördernde Wirkung seiner Gespräche anging.

5.3.2 ‚Lust und Nutz‘214 der kontrastiven Figurenpaarungen Auf welche Art gelang es Fassmann, die Dialoge, die sich zwischen seinen Figuren entspannen (und eben nicht die Überzeugungskraft ‚realer‘ Konversationen in Anspruch nehmen konnten), so zu gestalten, daß sie trotz ihres fiktiven Charakters als Informationsinstanz akzeptiert wurden? Fassmann nutzt in seinen Gesprächen den deiktischen Charakter von Sprechakten, der, unabhängig von dem Fiktionalitätsgrad seiner Figuren und dem Inhalt ihrer Rede, auf die jeweiligen Sprecher zurückwies. Alexandra Kleihues zufolge liegt besonders in dieser hinweisenden Funktion einer der Gründe, warum der Dialog in der Aufklärung als geeignetes Mittel verstanden wurde, objektgebundenes Wissen mit einem (fiktiven) handelnden Subjekt zu verknüpfen. Nicht-propositionales Wissen und Sprecher werden miteinander in eine Beziehung gesetzt und deiktische Ausdrücke wiederum ermöglichen es, Äußerungen in einen größeren Kontext einzuordnen, der über den ‚eigentlichen‘ Gesprächsinhalt hinausweise. Kleihues konstatiert: Der Dialog stellt also schon deshalb eine bevorzugte Gattung für diese Form von Mitteilung dar, weil hier jede Äußerung zunächst einmal auf ihre Sprecher, die jeweilige Dialogfigur, »zeigt«. Diese Eigenschaft prädestiniert ihn zugleich für die Darstellung subjektgebundenen Wissens [...].215

Im Kontext dieser Gebundenheit an ein Subjekt zeigt Fassmann, daß er in seinem Journal eben nicht nur Figuren wählt, die dem Leser Wissenswertes zur Historie und Politik nahebringen sollen, sondern daß er darüber hinaus auch Charaktere einführt, die gleichsam nur „zur Lust“ des Lesers auftreten. Auf diesen Figurentypus weist Fassmann in der Vorrede zum fünften Band seiner

214 So lautete der Titel eines Werks von Kaspar Stieler: Zeitungs Lust und Nutz, Hamburg 1665. 215 Kleihues, Dialog als Form, S. 37.

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Gespräche hin. Dort fordert er vom Leser, daß dieser die verschiedenen Funktionen der Figuren zu unterscheiden und in den historischen Kontext einzuordnen habe: Indessen ist es doch nöthig, daß ein ieder, so diese Gespräche lieset, die aufgeführten Personen wohl unterscheide, und sich nicht so genau um diejenigen bekümmere, welche, ihrer sonderbaren Avanturen wegen, dem Leser bloß zur Lust vorgestellet sind; wie dann in dem letzten Bande sind die Donna Scorella, und dann der, mit der Anna von Oesterreich, Königin von Frankreich, redende Frantzösische Graf. Denn wann gleich diejenigen, so ihre Avanturen am ersten beschrieben, etwas darzu erdichtet hätten, so thut es doch nichts zur Sache, und es ist genug, daß die Dinge an und vor sich lustig zu lesen. Was hingegen andere Personen betrifft, wie z. E. Könige und Königinnen, Printzen und Printzeßinnen, deren Leben und Thaten, entweder gantz oder zum Theil, zur allgemeinen Staats=Historie gehören, damit ist es gantz anders bewand, und es muß alles, was von ihnen erzehlet und angeführet wird, dermassen richtig seyn, daß es, im Fall der Noth, aus denen besten und bewehrtesten Scribenten, dargethan und erwiesen werden könne.216

Fassmann unterstreicht den Nutzen der Dialoglektüre, indem er neben der weiter oben zitierten „Zeit=vertreibenden“ und „ergötzenden“ Wirkung besonders den moralisch-didaktischen Charakter seines Journals hervorhebt. In Anlehnung an Plutarchs Parallelbiographien bzw. Fontenelles Dialogues sollten kontrastierende Charaktere für die nötige moralische Eindeutigkeit und gleichzeitig für abwechslungsreiche Unterhaltung sorgen. Die Leser können am Beispiel der vom Autor gewählten Figuren, so die Argumentation im Paratext der Totengespräche, sinnfällige Beispiele für verschiedene Tugenden und Laster finden: Sie [die Leser – SD] können Lehren und Regeln daraus ziehen, wie man sich vor Bosheit und Betrug hüten, der Tugend aber nachahmen, oder sich auch im Creutz, und den Widerwärtigkeiten, aus dem Exempel anderer trösten mag. Denn da trifft man bald kluge, gerechte und löbliche Thaten, bald gottlose und leichtfertige Streiche beschrieben an. Bald sind tugendhaffte Personen, bald gottlose und böse aufgeführet, die entweder ihre Belohnung, oder ihre Straffe empfangen. Bald aber solche, die aller ihrer Tugend, und des geführten gerechten Wandels ohngeachtet, dennoch unglücklich in der Welt haben seyn müssen.217

Dieser Argumentation nach erscheint die auf Kontrast angelegte Figurenauswahl gleichsam zwingend logisch. Um dem Anspruch gerecht zu werden, seine Leser umfassend historisch zu bilden, mußte Fassmann – so seine immer wiederholte Schlußfolgerung – neben den tugendhaften Lebensläufen auch die oben zitierten „gottlose[n] und leichtfertige[n] Streiche“ schildern. Andreas

216 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. V, Vorrede, Leipzig 1724, S. 1 f. (unpag.). 217 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XIV, Vorrede, S. 7 f. (unpag.).

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Westphal erläutert die Funktion kontrastiv angelegter exempla in seiner 1729 erschienenen Anleitung zur Erlernung der Historie wie folgt: Die allerbeste Absicht aber hegen diejenige / welche die Historie als ein Bild der Weisheit und Thorheit ansehen / in derselben eine Abbildung der Tugenden und Laster suchen / und sie als eine Vorbereitung zur politischen Klugheit durch Betrachtung und Ausbesserung ihrer selbst gebrauchen. Daher sollen uns die Historische exempla dererjenigen / bey welchen wir eine tugendhaffte und kluge conduite antreffen / zu einer Nachfolge aufmuntern / und uns Regeln einer löblichen und tugendhafften Aufführung an die Hand legen: Hingegen aber sol die Vorstellung lasterhaffter Personen uns von dem Wege der Laster und Thorheiten abführen.218

Gemäß Plutarchs Argument, daß nur das Schlechte den Wert des Guten richtig zur Geltung bringe, geraten besonders im Hinblick auf die Erlernung der Historie die lasterhaften Figuren in den Blick der Geschichtsschreibung. Wenn den Historikern ‚böse‘ Figuren aus der Zeitgeschichte für die Lehren, die man aus der Vergangenheit ziehen sollte, geeignet erschienen, so taten sie dies um so mehr für einen Journalisten (und Historiographen) wie David Fassmann, der sein historisch-politisches Periodikum mit geeigneten Figuren zu bevölkern hatte. Die bereits an sich dialektische Konstellation des Zwiegesprächs vereinfachte den Rückgriff sowohl auf ältere Argumentationsmuster, wie Plutarch sie lieferte, als auch auf zeitgenössische Vorstellungen, die in dezidierten Anleitungen wie die des oben zitierten Andreas Westphal mündeten. Fassmanns Zeitgenossen wollen in der Fort- und Umschreibung tradierter Argumente den historischen und daneben besonders auch den damit verbundenen moralischen Nutzen betonen, der aus dem kontrastiv angelegten Wechselspiel von Gut und Böse entsteht. Die noch deutlich barock anmutende Antithetik einiger Konstellationen in Fassmanns Journal verdeutlicht diese Bestrebungen. Auf dem Titelblatt der 100. Entrevue wird in diesem Zusammenhang der universelle dialektische Charakter der menschlichen Natur konstatiert. Auf dem Titelblatt zu dem Gespräch zwischen Calpurnia (* 77 v. Chr), der letzten Frau Julius Caesars, und Marozia (892–932 n. Chr.), selbsternannter Senatorin von Rom, heißt es in der subscriptio: Beym menschlichen Geschlecht ist dieses wundersam, Daß obgleich eines gut, daß andre böse ist. In diesem herrschen Lust, im andern lauter Grimm, Bey jenen Redlichkeit, in diesem Schlangen=List.219

218 Westphal, Anleitung zur Erlernung der Historie, S. 303 f. 219 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 100, Leipzig 1726, Titelblatt.

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In der häufig antithetisch angelegten Konstellation seiner Figurenpaarungen findet Fassmann darüber hinaus eine willkommene Rechtfertigung, warum er bestimmte Figuren, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemein zu haben scheinen, aufeinandertreffen läßt: Während die eine Figur sich der oben zitierten Charakterisierung nach durch „Redlichkeit“ auszeichnete, wendete die andere (nicht untypisch bei der Charakterisierung weiblicher Figuren) dagegen „Schlangen=List“ an, um ihre Ziele zu erreichen. In einer direkten Anrede seiner Leserschaft wehrt sich Fassmann zu Beginn des 38. Totengesprächs gegen den Vorwurf, seine Gespräche seien unrealistisch und die Figuren wenig überzeugend. Vor allem in Hinblick auf starke menschliche Gefühle wie die zu verurteilende Eifersucht seien die Entrevuen das geeignete Mittel, um vor den verheerenden Folgen ihrer Gewalt zu warnen. Zu Beginn der Begegnung der Herzogin Montbazon mit dem Grafen de Clermont erklärt eine Autorfigur dem interessierten Rezipienten: Nach Standes=Gebühr Angesehener und geehrtester Leser! Ist jemand, der einen Zweiffel heget, ob denen beyden allhie aufgeführten Personen alles so begegnet sey, wie es beschrieben wird? dessen Gedancken will ich gantz unangefochten lassen. Nichts destoweniger aber habe ich vermeinet vielen einen Gefallen zu thun, wann ich sie allhie in dem Reiche derer Todten mit aufftreten liesse, weil dergleichen Dinge, als von ihnen zu lesen, doch ein vor allemal nicht unmöglich sind, und sich wohl noch viel seltsamer zugetragen haben, auch die Stärcke der Liebe und der Eyfersucht samt ihrer entsetzlichen Wirckung in denen Gemüthern derer Menschen, dermassen darinnen abgeschildert, daß man wenig bessere Portraits davon antreffen wird. Zudem kan sich mancher eine gute Lehre daraus ziehen, die nicht undienlich zum Überwinden, wann einem dereinstens von der Liebe und Eyfersucht ein Kampff angeboten werden solte.220

Die lehrreiche sowie unterhaltsame Kontrastwirkung unterschiedlicher Charaktere sollte in den Leipziger Totengesprächen dafür Sorge tragen, daß sowohl das ‚Gute‘ als auch das ihm entgegengesetzte ‚Böse‘ durch sein jeweiliges Gegenteil stärker zur Geltung kam. Fassmann war sich dieses Effektes sehr bewußt, denn er betont an mehreren Stellen, seine Figuren aus eben diesem Grund in einem Gespräch vereint zu haben. In der Entrevue Nr. 45 zwischen Herzog Ernst und Mulai Ismail rechtfertigt er die durchaus ‚gewagte‘ Paarung der beiden Männer wie folgt: Hiernechst geschahe es auch darum, weil die Tugend und Frömmigkeit am hellesten und schönsten gläntzet, wann sie, auf eine Zeit=lang mit dem, was ihr recta entgegen stehet, nemlich mit dem Laster und der Gottlosigkeit, recht nahe zusammen gestellet wird; da man

220 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 38, Leipzig 1721, S. 384.

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dann von dem großen Unterschied, welcher sich zwischen diesen beyden Stücken befindet, am besten urtheilen kan.221

Im Zusammenhang mit dem oben zitierten Vorwurf, Totengespräche schilderten Unrealistisches, mag Lord George Lyttletons Vorrede zu seinen Dialogues of the Dead herangezogen werden. Der Umstand, daß im Totenreich Figuren unterschiedlicher Zeitalter und Herkunft aufeinandertreffen und sich trotzdem als Gleiche unter Gleichen unterhalten könnten, sei kein Zeichen für die Fehlerhaftigkeit des vom Autor entworfenen Szenariums, so Lyttleton, sondern ein notwendiger Kunstgriff. Dieser ermögliche es überhaupt erst, jene kontrastiven Begegnungen stattfinden zu lassen. Dem Leser solcher Dialoge erklärt er: It will be proper to observe to the Reader, that in the above-mentioned Authors [Lukian, Fontenelle und Fénelon – SD] the Dead are supposed to know what has past, in subsequent times, and other Nations, as well as their own: without which Supposition no Conversations between Persons who lived in different Ages and different Countries could well be carried on. 222

Ebenso, wie der Leser von Totengesprächen sich mit den aus dieser „Supposition“ entstehenden Abweichungen von der Wahrscheinlichkeit abfinden müsse, habe er die Situierung der Gespräche in der heidnischen Unterwelt zu akzeptieren (vgl. dazu auch 6.1 Die Unterwelt als Insel). Elysium, Minos, Mercurius, Charon und Styx seien wenn auch unchristliche, so doch notwendige Elemente der Gattung, die dem verständigen Leser als das erscheinen sollten, was sie seien: „only the Sports of a poetical Pen, not the Sentiments of a Catholic Mind“, wie Lyttelton einen italienischen Verfasser von Totengesprächen zitiert.223

5.3.3 Galanterie, Staatspolitik und anecdotes piquantes Einige der wenigen Untersuchungen, die Fassmanns Totengespräche genauer untersucht haben, stammen von Ludwig Lindenberg. Sein Beitrag von 1971 221 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 45, Leipzig 1721, S. 932. 222 Lyttelton, Dialogues, preface, S. V. Als ein aussagekräftiges Beispiel führt er Fénelons Gespräch zwischen Platon und Aristoteles an: „The former speaks as having read the works of the latter, which were not composed till after his Death.“ Ebd. 223 Lyttelton, Dialogues, preface, S. VI. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum sich Fassmann an vielen Stellen Mühe gab, den dezidiert heidnischen Ursprüngen der Gattung christlich konnotierte Symbole, Figuren und Themen zu implementieren: Sei es, daß er besonders tugendhaften Figuren Engel zur Seite stellte, sei es, daß die Tyrannen ihren Untaten gemäß Spiegelstrafen zu erdulden hatten, in den Entrevuen erwarteten den Leser zahlreiche Verweise auf den abendländisch-christlichen Kontext, in welchem Fassmann seine Gespräche verstanden wissen wollte.

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geht u. a. auch auf die Unterschiede ein, die seiner Auffassung nach zwischen Bernard de Fontenelles Toten und denen Fassmanns bestehen. Erstere würden trotz ihrer Unterschiedlichkeit sofort durch ihr gemeinsames Gesprächsthema bzw. die abschließende Moral geeint, während letztere vor allem dadurch Aufnahme in das Journal fänden, weil sie hinlänglich berühmt oder eben als Gegensatzpaar einigermaßen interessant gewesen seien: Während Fontenelle die sich jeweils Unterredenden so auswählt, daß ihre Taten oder Schicksale im Sinne eines zu gewinnenden Lehrsatzes der Lebensweisheit in Vergleich zu ziehen sind – der Gegenstand des Gespräches eint die fremdesten Partner sofort –, läßt sich bei Fassmann als unverbrüchliche Regel für die Wahl oder Zusammenstellung seiner Personen nur erkennen, daß sie von hohem Stande oder wenigstens berühmt sein müssen. Natürlich werden solche Partner bevorzugt, die etwas Gemeinsames oder Gegensätzliches haben, das ein Interesse begründen kann [...]. Nicht selten jedoch fehlt eine Beziehung zwischen den auftretenden Personen, oder sie ist doch allzu lose.224

Lindenberg verkennt sowohl einige Aspekte in Fontenelles als auch in Fassmanns Dialogen. Die Totengespräche des Franzosen, die, wie bereits deutlich wurde, einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Konzeption des Leipziger Journals hatten, wurden zu einem ebenso großen Teil vom Bedürfnis nach einem gemeinsamen Gesprächsgegenstand wie vom Ideal der conduite galante bestimmt. In den Dialogues Fontenelles (und nicht nur dort, wenn man beispielsweise an die Ausgangssituation der Pluralité denkt) begegnen dem Leser zahlreiche Spielarten des galant geführten Gesprächs. Gemäß Emanuel Peters Feststellung,225 daß sich im Frankreich des 17. Jahrhunderts die Ideale sowohl von galanterie als auch von urbanité zu einem umfassenden verhaltensethischen und eben auch zu einem rhetorischen Konzept vereinigten, bot gerade die Textsorte des Totengesprächs neue Möglichkeiten, literarisch-fiktive Dialoge zwischen Männern und Frauen auf zeitgemäße Weise zu gestalten. Die Vorstellung, daß die vernünftige Liebe (im Gegensatz zur eifersüchtigen, leidenschaftlichen) „zu innerer Zufriedenheit, zu dauerhafter Treue und zu gesellschaftlichem Ansehen führe“,226 wird bei Fontenelle gepaart mit der Lust am doppeldeutigen Spiel und an der verfeinerten Inszenierung witziger Wortwechsel. Fassmann orientiert sich zwar durchaus an Fontenelles Konzeption von Totengesprächen sowie an dessen Vorstellung, daß die ungezügelte, rohe Liebe

224 Lindenberg, David Fassmann (1971), S. 92. 225 Vgl. Emanuel Peter: Galanterie als Modernisierungskonzept in den frühen Schriften Fontenelles, in: Der galante Diskurs, hg. v. Thomas Borgstedt und Andreas Solbach, S. 165–179, hier S. 165. 226 Peter, Galanterie als Modernisierungskonzept, S. 166.

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verurteilenswert und zu zähmen sei, bei seiner Personenwahl treten jedoch zum Ideal der conduite galante noch andere Aspekte hinzu, die die erstgenannten stellenweise überdecken oder ganz ersetzen: In den Leipziger Gesprächen wird das Ideal der vernünftigen Liebe nicht auf ‚direktem‘ Weg propagiert, sondern vielmehr durch eine Verkehrung desselben in sein Gegenteil. Indem Fassmann beispielsweise zwei Personen für seine Gespräche wählt, deren Lebenslauf die verheerende Wirkung der leidenschaftlichen, alle Vernunft negierenden Liebe exemplifizieren, entscheidet er sich letztlich gegen sein französisches Vorbild. Der Grund für diese Vorgehensweise mag darin bestanden haben, daß im Unterschied zu den französischen die Leipziger Dialoge Absichten verfolgten, die nicht primär im galanten Gespräch bzw. in der Vermittlung witziger Maximen lagen. Dadurch, daß Fassmann mit der von ihm gewählten Textsorte vergleichsweise heterogene Ansprüche zu erfüllen suchte, konnte er sich bei der Wahl seiner Figuren nicht in dem Maße am Ideal der Galanterie orientieren, wie Fontenelle dies tat. Der selbst auferlegte Zwang, historisch, politisch und zugleich moralisch Bedeutsames zu vermitteln, bedingte eben auch die Notwendigkeit, Figuren in der Unterwelt auftreten zu lassen, deren Leben und Verhalten die Menge der verschiedenen Absichten auf bestmögliche Weise erfüllen konnte. Gerade an der Konstellation Mann – Frau wird in Fassmanns Dialogen deutlich, welche Auffassung von ‚vernünftiger Liebe‘ und angemessenen Verhaltensweisen zwischen den Geschlechtern er ihnen zugrunde legte. Anhand von negativen Beispielen vermittelte Fassmann bestimmte moralische Kategorien und Urteile: Es wurde etwa gewarnt vor zügelloser Leidenschaft (unter der besonders bei männlichen Herrschern die Staatsgeschäfte leiden können), vor ausschweifender Genußfreude, unmäßiger, vor allem sexueller Gier, unbescheidenem Geschmack, intellektueller Hochmütigkeit und (besonders bei Frauen) vor übertriebener Putzsüchtigkeit sowie unangebrachtem Verhalten dem anderen Geschlecht gegenüber. Das Bild des französisch geprägten honnête homme wiederum wird bei Fassmann häufig durch dessen Gegenteil, den ungezähmten Wüstling, verdeutlicht.227 Anders als die betont kunstvollen und

227 Zu zeitgenössischen Auffassungen der (platonischen) Liebe, die idealerweise in einer „civilité spirituelle et galante“ (Scudéry) münden soll, vgl. Peter, Galanterie als Modernisierungskonzept, S. 166 f. Peter zitiert in seinem Beitrag u. a. Ancillon (Mémoires concernant la vie et les ouvrages de plusieurs modernes célèbres, 1709), der in seiner Gegenüberstellung vom honnête homme und Wüstling genau jene Opposition offenbart, die einem in Fassmanns Journal häufig begegnet. Fassmanns Wortwahl, mittels derer er besonders die negativen Eigenschaften und Verhaltensweisen einiger seiner Figuren kritisiert, stimmt mit der zeitgenössischen französischen Bezeichnung eines „caractère d’un débauché“ (Peter, S. 166) überein. Zum Beleg sei der schlechte Herrscher Henry VIII. (laut der entsprechenden Summarie ein Mann „voller Dé-

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anspielungsreichen conversations der französischen Salons sollten Fassmanns literarisch-fiktive Dialoge häufig eher die fehlgeleiteten Absichten und Laster ihrer Figuren offenlegen. Der Fokus lag nun nicht mehr in dem Maße wie bei Fontenelle auf dem ironisierten und doppelbödigen Austausch zweier gegensätzlicher Gesprächspartner, die sich zum Zweck des witzigen Austauschs treffen, sondern auf der ‚angemessen‘ gestalteten Vermittlung historischer Tatsachen und vor allem moralisch eindeutiger Wahrheiten. Trotz aller Unterschiede konnte Fassmann von seinem französischen Vorbild lernen, wie anziehend ein Dialog durch die Paarung zweier sehr unterschiedlicher Personen wirken konnte. Das galante, nach der neuen Mode gezähmte Verhaltensideal war bei ihm durchaus präsent; es wurde jedoch ergänzt durch die oben genannten Ansprüche und geriet somit zu einem Aspekt unter vielen. Ähnlich wie Fontenelles Dialogues übte auch das Journal Mercure galant, an dem Fontenelle als Autor mitwirkte, einen deutlichen Einfluß auf die Leipziger Totengespräche aus.228 Begünstigt durch die mediale Verwandtschaft und die Vorbildfunktion des Mercure in Bezug auf seine Rezeption innerhalb heterogener Bevölkerungsschichten, zeigten der textuelle Reichtum und die galantwitzige Haltung des französischen Journals Fassmann, welchen Weg man publizistisch in der Vermittlung divergenter Inhalte einschlagen konnte. Peter arbeitet in seinem Beitrag zu den frühen Schriften Fontenelles heraus, welchen unterschiedlichen Erwartungen der Mercure begegnete: Die Lesererwartungen gegenüber den galanten ‚anecdotes piquantes‘ mit ihrem Wirklichkeitsbezug, dem Überraschenden, Einzigartigen und Unvorhersehbaren des Abenteuers benutzt er [Fontenelle – SD] für weitreichende, intellektuelle und politische Überzeugun-

bauchen“) angeführt, und sein Gegenstück, der ‚gute Orientale‘ Süleyman („ein Mann ohne Débauchen“). 228 Das zuerst zwischen 1672 bis 1674 und zwischen 1678 bis 1714 monatlich erscheinende Journal wurde zunächst mit folgendem Untertitel veröffentlicht: Le Mercure Galant / Contenant Plusieurs Histoires Veritables, / Et tout ce qui s’est passé depuis le premier Janvier 1672. jusques au Depart du Roy. Das Periodikum erschein bereits im Jahre 1700 in einer deutschen Übersetzung. Der deutsche Titel lautete: Mercure Galant, Oder Außbündiger Entwurff unterschiedlicher curieusen Materien / so in allerhand Wissenschafften / derselben zweiffelhafften Quaestionibus und Lehrsätzen / gelehrten Missiven / geheimbt und natürlicher Dinge prüff= und Untersuchung / Moralisch= und Politischen Discursen [...] bestehen [...] von den [...] berühmtesten Frantzösischen Staat= und Weltweisen / gestellet / untersuchet und auffgezeichnet hinterlassen / Nunmehro aber der Teutschen und curieusen Welt [...] mit Anhang der denkwürdigsten Conjuncturen unserer Zeit herfür gegeben, Leipzig ca. 1700. Ein ausführliches Verzeichnis aller Artikel des Mercure galant ist 1998 erschienen: Monique Vincent: Mercure galant. Extraordinaire. Affaires du temps. Table analytique contenant l’inventaire de tous les articles publiés 1672–1710, Paris 1998.

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gen und sprengt die bisherige, auf die Geschlechterbeziehung eingeengte Thematik von Liebeswerben und gehässiger Abrechnung auf [...].229

Fassmann rekurrierte mit den zahlreichen anecdotes piquantes in seinem eigenen Journal sowohl auf eine ältere deutsche Tradition, die sich durch die Nähe zum derben Schwank auszeichnete, und gleichzeitig auf vom galanten Ideal bestimmte zeitgenössische französische Positionen. Eben weil alles Französische in Mode war und trotz Thomasius’ Plädoyer für eine gezielte Adaption der Sitten und Moden des Nachbarlandes vergleichsweise unkritisch übernommen wurde, konnte Fassmann in seinem historisch-politischen Journal zu Beginn des 18. Jahrhunderts Elemente aufgreifen, die auf den ersten Blick als unvereinbar sowohl mit der Textsorte als auch mit dem vordergründigen Bildungsanspruch des Mediums erschienen. Die von seinen Figuren wiedergegebenen ‚gewagten‘ Anekdoten stehen so in Zusammenhang mit der von Peter gemachten Beobachtung, daß Fontenelle mit Hilfe dieser die Grenzen des vordem enger gezogenen Begriffs der Galanterie zu erweitern vermochte. Wie sein französisches Vorbild benutzte Fassmann Anekdoten häufig dazu, die Wirkung der von ihm gewählten Textsorte zu erhöhen und seinen Lesern überraschende Abwechslung zu bieten. Obwohl Fassmanns Dialoge sich besonders an dem von Fontenelle geprägten Konzept der Galanterie orientierten, bedingte die thematische Ausrichtung des Leipziger Periodikums, daß dem galanten Verhaltensideal eine historische bzw. staatspolitische Perspektive hinzugefügt wurde. Weil Fassmann durch seine Lehrer Christian Thomasius und Nikolaus Hieronymus Gundling sowie durch seine Tätigkeit als Diplomat und Historiograph v. a. der staatspolitischen Klugheit größte Bedeutung zumaß, wurden in seinen Totengesprächen verschiedene Bereiche des menschlichen Handelns exemplifiziert. Andrea Wicke weist in ihrem Beitrag zu Gundlings Haltung gegenüber dem politischem wie dem galanten Verhaltensideal nach, daß sich zeitgenössische Rechtsgelehrte vom französischen Ideal der Galanterie abzusetzen suchten. Als bedeutsam erscheint der Umstand, daß Gundling in seiner Lehre die moralische streng von der rechtlichen Sphäre schied. In Ablehnung von Callières Ausführungen zur Staatenbildung230 negiert er den Einfluß der Manieren („verstellte Freundlich229 Peter, Galanterie als Modernisierungskonzept, S. 171. 230 François de Callières: De la Science du Monde; et des Connaissances utiles a la Conduite de la Vie. Nouvelle Edition revûe & augmentée des Conseils au Avis sur la veritable Education. Brüssel 1729 [ED 1717]. Dieses Werk wurde neben dem vielleicht bedeutendsten des Diplomaten und Autors, der Manière de négocier avec les souverains [1716], bereits früh ins Englische übersetzt und drang bis nach Amerika vor, wo es u. a. von Thomas Jefferson und John Kenneth Galbraith wohlwollend rezipiert wurde. Zu de Callières vgl. u. a. Karl. W. Schweizer: François de Callières: Diplomat and Man of Letters, 1645–1717, Lewiston 1995.

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keit“ 231) und sieht in der historisch bedingten Erkenntnis der Menschen, daß sie nach dem Sündenfall der Herrschaft bedürften, den entscheidenden Faktor in der Gestaltung des gesellschaftlichen Umgangs. Freiheit wird in Gundlings Auffassung, so Wicke, eingetauscht gegen Sicherheit und Ordnung innerhalb eines staatlichen Körpers. Erst in dessen Grenzen hätten Manieren und höfliches Verhalten ihren Platz und ihre Bedeutung: „Ein freundlicher und anständiger Umgang miteinander ist demnach nur innerhalb einer staatlichen Ordnung und diesseits der staatlichen Verfassung relevant.“ 232 In diesem Zusammenhang wird deutlich, nach welchen Gesichtspunkten Fassmann seine Totengespräche verfaßte: Im Fokus seines Journals stand zuerst die politische Dimension menschlichen Handelns. Entsprechend häufig wählte Fassmann deswegen auch Figuren für sein Periodikum aus, die in irgendeiner Form politische Funktionen ausübten oder zu bedeutenden Figuren der näheren und ferneren Zeitgeschichte wurden. Demgegenüber stand als weitere Kategorie die des moralischen Handelns. Während Gundling als Rechtsgelehrter vornehmlich die Dominanz der ersten betonte, versuchte Fassmann in seinem Journal, eine Art Synthese dieser unterschiedlichen Bereiche zu erzielen: Gute Herrschaft konnte es seiner Auffassung nach nicht ohne gute, d. h. honnête und in geringerem Maße auch galante, conduite geben. Dem bon sens gemäß erfüllte sich der vom Volk tolerierte Herrschaftsauftrag erst in der gelungenen Verbindung dieser Sphären. Galanterie und Politique erschienen aus diesem Grunde wie zwei nicht voneinander getrennt zu denkende Aspekte menschlichen Handelns. Dies wurde insoweit unterstützt von der Nebenbedeutung, die sich aus dem Begriff politisch herausbildete. Zedlers Universal-Lexicon, das auch hier stellvertretend als Referenz für Fassmanns Auffassungen herangezogen werden kann, brachte beide Bereiche in der Definition der Politici zusammen. Dort wird das sozialpolitische, von zeitgenössischen Höflichkeitsformen bestimmte Handeln in Beziehung gesetzt zum allgemein politischen Handeln. Ersteres sei in letzterem enthalten. Die Praxis, Menschen als Politici zu bezeichnen, die sich nur um das eigene (gesellschaftliche) Fortkommen bemühten, sei jedoch zu verurteilen.233 Manfred Beetz, der verschiedene Funktionen von Höflichkeit in der Frühmoderne untersucht hat, geht in seinem Beitrag auf die Distinktionsfunktion höflicher Verhaltensweisen ein und markiert damit, welche öffentlichkeitswirksamen Auswirkungen dadurch entstehen konnten: „Untrennbar mit den sozialen sind die politischen Funktionen des Abstand nehmenden und Abstände

231 Zitiert nach Wicke, Politisches und Galantes Verhaltensideal, S. 325. 232 Wicke, Politisches und Galantes Verhaltensideal, S. 325. 233 Zedler, Universal-Lexikon, „Politicus“, Bd. 28, Sp. 1528.

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markierenden gesellschaftlichen Verhaltens verknüpft. Wie die soziale Distinktion übernimmt das frühneuzeitliche Höflichkeitsverhalten insgesamt einesteils gesellschaftspolitische andernteils individualpolitische Aufgaben.“ 234 Beetz gemäß zeugen die zahlreichen Konvenienzregeln im Absolutismus von deren tendenziell konservativer und soziale Ungleichheiten festschreibender Natur. Im Unterschied zu Thomasius’ und Rohrs Ratschlägen, nach denen man keine Kritik an den Obrigkeiten üben solle,235 forderte Fassmann durch den spezifischen Charakter seiner auf kontroverse Diskussionen ausgerichteten Dialoge geradezu zur kritischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen von Herrschaft heraus. Dieser Schluß erscheint um so zwingender, als die Figuren in Fassmanns Periodikum, ihre Lebensläufe und die Anekdoten, die sie einander (und damit dem Leser) erzählten, eine distinkte Stellungnahme des Lesers forderten. Obwohl Fassmann nicht darauf abzielte, die Monarchie als Staatsform abzulösen, dienten die nach den zeitgenössischen Regeln der Höflichkeit geführten Dialoge bei ihm dazu, politische und historische Handlungen einzelner, zum Teil längst verstorbener Herrscher und Herrscherinnen in einen zeitgenössischen Kontext einzuordnen. Nicht untypisch für das grundsätzliche Dilemma seiner Zeit, schwankte sein Periodikum zwischen dem geschickten Imitieren normierter Höflichkeitsformeln zwecks Beförderung des gesellschaftlichen Fortkommens und dem durchaus ernstzunehmenden Anspruch, nach Art der Fürstenspiegel öffentlich Kritik an schlechter Herrschaft zu üben. Diese Ambivalenz läßt sich letztlich auf die Diskrepanz zwischen dem persönlichen politischen Verhalten des Einzelnen und dem überindividuellen, staatspolitischen Handeln der Gemeinschaft zurückführen. Durch die Entscheidung für bestimmte Figuren, die Fassmann in seinen Dialogen auftreten ließ, wurden beide Bereiche (der persönliche wie der staatspolitische) in eins geführt. In der spezifischen Gestaltung dialogischer Strukturen mit den dazu gehörigen mehr oder weniger höflichen Interaktionen spielte Fassmann nicht nur auf zeitgenössische Verhaltensideale an, sondern eben auch auf den gleichsam überindividuellen politischen Kontext, in welchem sich die im Journal auftretenden Toten bewegten. Gerade mit Hilfe der von zahlreichen Höflichkeitsfloskeln und Ehrbezeugungen durchzogenen Eingangs- und Schlußszenen vermochte Fassmann in seinen literarisch-fiktiven Gesprächen einen Bezug zur hierarchisch geprägten politischen Sphäre der ‚Oberwelt‘ herzustellen. Manfred Beetz bemerkt im Zusammenhang mit Thomasius’ conduite-Konzept im Hinblick auf den ständisch bestimmten Umgang:

234 Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 185. 235 Vgl. dazu Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 186.

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Das Umgangs- und Konversationsverhalten von Interaktionspartnern ist im Höflichkeitsdiskurs durch die Statusrelation bestimmt. Sie wird in der frühmodernen Ständegesellschaft in erster Linie von der Standeszugehörigkeit festgelegt. Die Benimm- und Komplimentierbücher vom 16. bis zum 18. Jahrhundert geben mit Vorliebe Auskünfte über das gebotene Verhalten gegenüber Gleichrangigen, Niedriger- und Höhergestellten.236

Der Höflichkeitsdiskurs und die literarische Tradition des Totengesprächs stehen sich in diesem Punkt diametral gegenüber. Es bestand eine Diskrepanz zwischen der Lukianisch geprägten Gattungstradition, die gerade die Gleichheit der Toten betont, und den zeitgenössischen, ständisch bestimmten Benimmregeln, nach denen die hierarchische Stellung und höfliche conduite gerade in der mündlichen Konversation von größter Wichtigkeit waren. Fassmann stand mit seinen Gesprächen deswegen in einem gleichsam selbst erzeugten Spannungsfeld: Einerseits verlangten die Gesetze der Unterwelt nach einer egalitären Gesellschaft, in der allein nach Art der irdischen Verfehlungen bzw. Leistungen unterschieden wurde, andererseits durften sich die Figuren nicht zu weit außerhalb von zeitgenössischen Vorstellungen von ‚gutem Benehmen‘ bewegen. Gerade der letzte Aspekt zeigt, wie sehr Fassmann seine Dialoge an seiner eigenen Gegenwart und deren Vorstellung von vorbildlichem (Gesprächs-)Verhalten orientierte. Die Lehre vom guten politischen Verhalten, Konventionen der Höflichkeit und die Dialog- bzw. Totendialogtradition wurden in Fassmanns Journal thematisch gleichsam enggeführt. Die dabei entstehenden Inkongruenzen, auf die einige ältere Studien kritisch hingewiesen haben, können und sollen an dieser Stelle nicht aufgelöst werden, denn sie zeugen exemplarisch von eben jenen unterschiedlichen Ansprüchen, mit denen zeitgenössische Medien sich nicht nur, aber besonders auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts auseinandersetzen mußten. Konservative Kräfte stritten mit fortschrittlichen, absolutistische Überzeugungen mit aufklärerischen Ideen, protestantische Positionen widersprachen katholischen oder orthodox-pietistischen, die Gelehrsamkeit stritt gegen die Pedanterie, die alten ‚teutschen Sitten‘ mit der neuesten französischen Mode und die moralische Lehre mit dem Ergötzen an Skandalösem. Die Bildunterschrift unter dem Titelkupfer zur 33. Entrevue zwischen dem Pater Quesnel und dem Papst Clemens XI. geht beispielhaft auf die Diskrepanz ober- und unterweltlicher Hierarchien ein: Auf der Welt ist freylich jetzt, Papst und Pastor Zweyerley, Und der Unterschied ist groß, wie er zwischen Herr und Knecht.

236 Manfred Beetz: Ein neuentdeckter Lehrer der Conduite. Thomasius in der Geschichte der Gesellschaftskritik, in: Christian Thomasius, hg. v. Werner Schneiders, Hamburg 1989, S. 197– 222, hier S. 215.

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In dem Reich der Todten aber sind die meisten einerley, Da genießet offt der Kleine, mit dem Großen gleiches Recht.237

Ähnlich wie die Frage nach dem irdischen Status verdeutlicht auch die gleichsam anti-mythische Emotionalität der Figuren, welche Eigenschaften und Zustände Fassmann mit Hilfe seiner Totengespräche abzubilden suchte. Im Folgenden soll eine längere Passage aus der Introduktion zum 33. Totengespräch zitiert werden, in welcher der oben bereits erwähnte Pater Quesnel über verschiedene Emotionen und den geeigneten Umgang der Toten in der Unterwelt nachsinnt. In seinem längeren Anfangsmonolog macht der Pater sich zunächst Gedanken über die fatale Rolle des „Neides und Privat-Interesses“.238 Beide Gefühle seien auf Erden dafür verantwortlich, daß rechtschaffene und gelehrte Männer sich beständig dem Angriff ihrer Feinde ausgesetzt sähen. Eingedenk der Angriffe seines Widersachers, Papst Clemens XI., macht sich Quesnel auf die Suche nach dem nunmehr ebenfalls verstorbenen Papst. Als er ihn nach einiger Zeit unter den anderen Toten endlich allein antrifft, grüßt Quesnel Clemens mit einem gemessen an irdischen Gepflogenheiten einfachen „Pax tecum“. Fassmann läßt den so informell angeredeten Clemens auf den offenbar wenig beeindruckenden äußeren Anblick des Paters wie folgt reagieren: Clemens XI. diesen Gruß hörende, und aus dem Habit des Pater Quesnels, der im übrigen von Person gar nicht wohl gewachsen gewesen, sehr alt und etwas geduckt, auch mager aussahe, urtheilende, daß der ein schlechter Priester der Römisch=Catholischen Kirche, auf der Welt gewesen seyn müste, wunderte sich nicht wenig, daß der Anredende so schlechte Ceremonien mit ihm machte. Ja es verdroß ihn solches recht, weil er noch immer den Respect im Kopffe stecken hatte, welchen ihm die gantze Römisch=Catholische Welt, so lange, als er den Päbstlichen Stuhl besessen, erwiesen. Gleichwohl verbiß er seinen Verdruß, und sprach mit gantz gelinden Worten: Wie heisset ihr mein Freund? und aus welcher Nation seyd ihr entsprossen? Hierauf antwortete Quesnel. Ich bin Quesnel, derjenige arme Pater, der von Ew. Heiligkeit so sehr verfolget worden. Clemens XI. hatte, gleich bey seiner Ankunfft in dem Reiche derer Todten, St. Petro versprochen, sich moderat und bescheiden aufzuführen. Gleichwie sich aber manche Todte mit ihren Affecten noch immer schlagen, plagen und quälen müssen: also wachete der Zorn Clementis XI. auch jetzo gantz plötzlich auf, da er nicht nur den Namen eines ihm im Leben gantz verhassten Paters nennen hörete, sondern ihn auch in Person vor sich stehen sahe. Clemens XI. hatte accurat ein Buch in denen Händen, worinnen seine Constitution Unigenitus, samt andern in der Quesnellischen Sache gewechselte Streit=Schrifften, zusammen ge-

237 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 33, Leipzig 1721, Titelblatt. 238 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 33, Leipzig 1721, S. 2.

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hefftet waren, und es fehlete gar nicht viel, daß er solches Buch dem Pater, im Zorn, nicht an den Kopff warff; jedoch er bedachte sich eines bessern und that auch sehr wohl daran.239

Der ärmliche Aufzug und die „schlechten Ceremonien“, die Pater Quesnel an den Tag legt, konsternieren und irritieren den verstorbenen Papst Clemens XI. also nicht wenig. Fassmann stattet das ehemalige Kirchenoberhaupt mit einer Reihe negativ konnotierter Gefühlsregungen und Eigenschaften wie Ungeduld, Verschlagenheit, Dünkelhaftigkeit und Jähzorn aus, wovon sich die informelle Haltung des einfachen („armen“) Paters positiv unterscheidet. Als richtende Instanz fungiert an dieser Stelle Petrus und nicht eine der mythologischen Richterfiguren wie Rhadamanthus oder Minos; dieser Eingriff in tradierte Jenseitsvorstellungen mag jedoch nicht weiter überraschen, wenn man bedenkt, daß Fassmann besonders die ‚unchristlichen‘ Affekte des ehemaligen Stellvertreters Petri auf Erden brandmarken wollte. Es ist festzuhalten, daß Clemens auch nach seinem Tod den „Respect“ erwartet, der ihm seiner Auffassung nach und dem Status seines Amtes gemäß zu Lebzeiten gebührte. Welchen Stellenwert die oben zitierten „Ceremonien“ im zeitgenössischen Verständnis von Herrschaft (und der dazugehörigen Repräsentation) hatten, zeigt Johann Christian Lünigs 1719 in Leipzig erschienenes Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum. In der Vorrede wird der Begriff genauer definiert: Ceremonien sind Gebräuche, wodurch diejenigen, welche von der göttlichen Vorsehung über das gemeine Glück anderer Menschen sind erhoben worden, Ihre Hoheit und Vorzug wollen verehret wissen. Sie sind Zeichen der Ehrerbietung und des Respects, welche die Devotion derer Niedrigen denen grossen Verdiensten so hoch=distinguirter Häupter zu erweisen verbunden sind.240

Wenn der verstorbene Papst Clemens von seiner Umgebung im Totenreich dieselbe „Devotion“ erwartet, wie sie bei Lünig angeführt wird, demonstriert dies, wie sehr Fassmann sein Totenreich gemäß den Regeln und Ritualen seiner Zeit gestaltet hat. Auch Clemens’ Versprechen gegenüber Petrus, seine „Affecte“ in Zukunft zu bezähmen, hält ihn nicht davon ab, sich ganz seinem Wesen in

239 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 33, Leipzig 1721, S. 2 f. 240 Johann Christian Lünig: Theatrum Ceremoniale Historico=Politicum, Oder Historisch= und Politischer Schau=Platz Aller Ceremonien, Welche bey Päbst= und Käyser= auch Königlichen Wahlen und Crönungen, erlangten Chur=Würden [...] beobachtet worden. Auch wie Käyser, Könige, Chur= und Fürsten, Grafen und Herren [...] einander in Briefen tractiren, Nebst unterschiedlichen Hof=Ordnungen, Rang=Reglementen, und andern [...] dienlichen Sachen, Auch vielen [...] Registern, Vorrede, Leipzig 1719 f., S. 4. Der Kupferstecher für das Frontsispiz war kein anderer als Johann Georg Mentzel, der später auch einige Titelkupfer der Fassmannschen Gespräche besorgen würde.

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der Oberwelt entsprechend zu benehmen. Der Verlust fleischlicher Substanz bedeutet in Fassmanns Version der unterirdischen Gefilde also nicht, daß der innere Kern eines Charakters verloren ging. Im Gegenteil: Gerade die behauptete Ähnlichkeit der Figuren mit ihrer Persönlichkeit und ehemaligen Stellung soll für historische Exaktheit und Plausibilität sorgen. „Moderates“ Verhalten, wie Petrus es von Clemens fordert, darf hier nur als frommer Wunsch verstanden werden, denn im Falle einer tatsächlichen Läuterung bliebe dem Autor nur wenig Stoff, um die häufig auf Konfrontation ausgelegten Begegnungen zu gestalten. Auch das Buch, das Papst Clemens bei der Begegnung ‚zufällig‘ in seinen Händen hält, zeugt von der intendierten Beziehung der Unterwelt zu realen Ereignissen und Objekten. Fassmann spielt hier auf das vier Jahre vor dem Totengespräch in einer deutschen Übersetzung erschienene Werk Bulla Unigenitus241 an, in dem Papst Clemens u. a. auch auf die „Affäre Quesnel“ eingegangen war. *** Wie oben gezeigt wurde, trafen in David Fassmanns Totengesprächen verschiedene Einflüsse und Traditionslinien aufeinander. Zum einen sah sich Fassmann bei der Publikation seines ersten Periodikums gezwungen, die Wahl der dialogischen Schreibart zu verteidigen. Historisches bzw. politisches Wissen in Journalform zu verbreiten war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch keine Selbstverständlichkeit; trotzdem hatte Fassmann zahlreiche Vorgänger, deren Publikationen er sich zum Vorbild nehmen konnte. Am deutlichsten traten mit Beginn der Aufklärung neben deutschen und französischen Vertretern vor allem auch die englischen moral weeklies wie der Spectator dafür ein, Wissen und Wahrheit qua Dialog zu vermitteln. Einflußreiche Denker wie Shaftesbury, dessen Anmerkungen zum Dialog weit über die Grenzen Englands hinaus rezipiert wurden, hatten einen kaum zu überschätzenden Einfluß auf die periodische Literatur ihrer Zeit.242 Der Dialog und mit ihm auch der Totendialog konnte nun mehr als eigenständige Textsorte in einem vergleichsweise neuen Medium wie dem (historischen, politischen, philosophischen, moralischen usw.)

241 Der vollständige Titel lautete: Bulla Unigenitus, Oder: Clementis XI. Constitution Wider die Anmerckungen P. Quesnels Uber das Neue Testament: Mit vielen Stellen der H. Schrifft und alter Väter beleuchtet / Clemens Papa XI. Jetzo ins Teutsche übersetzt, Worzu eine Vorrede statt gründlicher Einleitung zur Historie von Jansenio und den Jansenisten, item von P. Quesnels Affaire gemacht Johann Frick [übers. Gottfried Hecking], Ulm 1717. 242 Dazu Karl-Heinz Göttert: „Selbständige Dialoge erscheinen dabei besonders in den Moralischen Wochenschriften, die ihr Vorbild in Joseph Addisons und Richard Steeles Spectator

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Journal eingesetzt werden. Ältere und neuere Traditionen wie der sokratische Dialog, das satirische Toten- oder das humanistische Streitgespräch sowie die höflich-galante Konversation zwischen Mann und Frau hielten auf die eine oder andere Art Einzug in die Konzeption von Fassmanns Journal. Aufgrund der nahezu unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten der Gattung vermochte er je nach Anlaß und Absicht einer Entrevue seinen Lesern unterschiedliche Aspekte und Erkenntnisse zu vermitteln. Daß dabei dem häufig wiederholten Diktum des freyen Urtheils nur mit einigen Einschränkungen Glauben geschenkt werden durfte, kann wiederum durch den Zeitpunkt des Erscheinens und die besonderen Absichten des Periodikums erklärt werden: Während Fassmann sich besonders in den paratextuellen Elementen seines Journals für die aufklärerischen Ideale der freien Meinungsbildung und die Förderung der allgemeinen Urteilskraft einsetzt, bedingte der Zwang zum eindeutig definierten Standpunkt, daß sich auch das Urteil der Leser nicht in dem Maße frei bilden konnte, wie es anderslautende Beteuerungen des Autors vielleicht suggerierten. Nach dem Vorbild Plutarchs und Fontenelles kamen in den Biographien, die Fassmann in seinem Journal vor seinen Lesern ausbreitete, vor allem kontrastiv angelegte Charaktere zu Wort. Die populäre Konstellation Gut versus Böse bedeutete zwar auf der einen Seite einen Gewinn an unterhaltsam dialektischer Wirkung; auf der anderen Seite beschnitt sie jedoch die Möglichkeit der Leser, sich ein eigenes Urteil zum Gelesenen zu bilden. Denn der Intention des Autors nach gab es keine Alternative dazu, der guten Seite seine Sympathien zu schenken und ihren Sieg über die moralisch verwerfliche Seite anzuerkennen. Trotz dieser Einschränkung verwiesen die Leipziger Dialoge auf das, was die Aufklärung an der dialogischen Schreibart schätzte: Gerade durch die abwechselnde Darstellung unterschiedlicher Meinungen sollte es möglich gemacht werden, zu einer bestimmten Erkenntnis, zu einem gerechten Urteil und letztlich zur Wahrheit zu gelangen. Gegen Ende des Jahrhunderts trat zudem eine weitere Facette der dialogischen Schreibart zu Tage, deren Anfänge sich in etwas abgeänderter Form bereits in Fassmanns Gesprächen finden lassen. KarlHeinz Göttert konstatiert zur Bedeutung des Dialogs besonders in Abgrenzung zu anderen Textsorten wie dem populärer werdenden Roman: Vor allem aber wird das Gespräch als Möglichkeit entdeckt, den Menschen in seiner Innerlichkeit darzustellen, inner-seelische Prozesse abzubilden, die bloßer Schilderung nicht zugänglich sind – Theodor Gottlieb von Hippel spricht hinsichtlich seines Romans Lebensläufe nach aufsteigender Linie (1778–81) von einer ›Geschichte in Gesprächen‹. Jo-

[1711/12] haben, der selbst wiederum an Shaftesbury anknüpfte.“ Karl-Heinz Göttert: Gespräch/ Dialog, in: Lexikon der Literatur, hg. v. Ulfert Ricklefs, Frankfurt 1997, S. 738–757, hier S. 747.

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hann Jacob Engel stellt in seinem Beitrag Über Handlung, Gespräch und Erzählung (1774) das Gespräch deutlich über die Erzählung: zwar lassen sich in dieser mehr ›Begebenheiten‹ darstellen, aber jene bietet mit der Schilderung der Charaktere und ihren seelischen Prozessen erst eine wirkliche Handlung.243

Während also in den nachfolgenden Jahrzehnten zunehmend innere Prozesse der Figuren im Dialog ihren Ausdruck finden sollen, befanden sich Fassmanns Figuren gemäß den Konventionen der Gattung in einem Spannungsverhältnis zwischen inner-literarischen und eher journalistisch-publizistischen Ansprüchen. Wer das Totenreich betrat, der sollte zwar zum geläuterten Schatten werden, dabei jedoch nicht gänzlich seine irdischen Eigenarten verlieren. Fassmanns Leser konnten sich darauf verlassen, daß die Figuren seines Journals ihren Erwartungen auf angemessene Art und Weise entsprachen und ihnen lehrreiche und amüsant zu lesende Unterredungen vorführten, in denen man zudem noch ethnographisches Wissen über fremde Länder erwerben konnte. Eckhard Matthes hat in seiner Studie zu den ‚russischen‘ Totengesprächen Fassmanns gezeigt, nach welchen Kriterien er in seiner Darstellung eines bestimmten Landes und dessen Bewohner vorging. Dabei waren sowohl die Geographie und im weitesten Sinne die ‚Schönheit‘ eines Landes als auch statistische Informationen die Themen, die immer wieder behandelt wurden. Fassmann machte in den Dialogen selbst sowie im abschließenden SupplementBand Angaben zur Zahl der Einwohner, zum Verhältnis zwischen Männern und Frauen, zu den im Land verbreiteten Religionen, Sekten und Kulten mitsamt deren Eigenheiten, zum Aussehen, Charakter und zu den Sitten der Landesbewohner sowie zu vorhandenen Bodenschätzen, zur Lage und Eigenart von Bergen und Flüssen, zu herausragenden Bauwerken und anderen Kulturleistungen des vorgestellten Landes. In vielen Fällen bemühte sich Fassmann darüber hinaus, den Namen eines Landes bzw. dessen Bewohner auch etymologisch zu erklären bzw. aus den vorgestellten Informationen zusätzliches Kapital zu schlagen; wie Matthes am Beispiel der Russen bzw. Moscowiter oder des Tsar[en] bzw. Russische[n] Kayser[s]244 zeigte, konnte zudem die Art der Be243 Karl-Heinz Göttert: Gespräch/Dialog, in: Lexikon der Literatur, S. 748. 244 Matthes stellt in seiner insgesamt enttäuschenden Einzelstudie zu Fassmanns Totengesprächen die These auf, daß man an der jeweiligen Bezeichnung durchaus ablesen könne, wie sich das Verhältnis ‚des Westens‘ zum russischen Reich entwickelt bzw. wie es um zeitgenössische Sichtweisen und Vorurteile gegenüber dem russischen Zarenreich bestellt gewesen wäre. Leider bleiben seine Analysen zu nah an den Texten; indem Matthes Fassmann an vielen Stellen ‚vorwirft‘, daß dieser Vorurteile kolportiert und stereotype Charakterzeichnungen der russischen Herrscherinnen und Herrscher geliefert habe, verkennt und mißinterpretiert er die frühaufklärerischen Gespräche. Er sieht etwa nicht, wie sehr die Schilderungen vom Charakter und von den politischen Taten der Figuren noch in der rhetorischen Tradition verwurzelt sind. Der Vorwurf der stereotypen Figurenzeichnung, den Matthes Fassmann letztlich macht, erscheint

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zeichnung Aufschluß darüber geben, welche politischen Konzepte Fassmann in seinem Journal unterstützte und wie er sich im Verhältnis zu anderen historisch-politischen Organen seiner Zeit zu positionieren gedachte.245

vor diesem Hintergrund nicht nur belanglos, sondern verstellt v. a. den Blick auf darüber hinausgehende Aspekte. Da Matthes die Aussagen der einzelnen Figuren für bare Münze nimmt und sie als deckungsgleich mit einer – wie auch immer gearteten – Autormeinung versteht, hat er keinen Blick dafür, mittels welcher Strategien Fassmann bestimmte Themen anhand guter wie böser Figuren behandelt. Indem er über die inhaltliche Ebene nicht hinauskommt, ignoriert Matthes leider fast völlig den funktionellen Zusammenhang, in dem die „unsystematische“ Darstellung außenpolitischer Ereignisse und die ‚personalistische‘ Form der Historiographie stehen. Ebd., S. 216, 220 u. 238. 245 Matthes stellt etwa in der Darstellung von Peter dem Großen fest, daß Fassmann diesen zu einem dezidiert westlichen Herrscher stilisierte; der Regierungssitz Sankt Petersburg wird dementsprechend als europäische Stadt gezeichnet, wohingegen Moskau als genuin russisch verstanden wird. Vgl. dazu Matthes, Das veränderte Rußland, S. 237. Einen Überblick über die in den Gesprächen auftretenden historischen Figuren bietet das Verzeichnis aller 240 Totengespräche am Ende dieser Arbeit.

6 Das Fremde in Fassmanns Unterwelt 6.1 Die Unterwelt als Insel Macht der Tod alle Menschen gleich? Zumindest, was ihren postumen Aufenthaltsort anbelangt, scheint in Fassmanns Gesprächen in dem Reiche derer Todten auf den ersten Blick kein großer Unterschied mehr zwischen den Figuren zu bestehen. In dem Leipziger Journal trafen Königin, König, Graf, Mätresse, Papst, Khan und Sultan in einer Umgebung aufeinander, die als idealisierte Gegenwelt zur Lebenswirklichkeit der Rezipienten verstanden werden sollte. Das Elysium bot als Diskursraum die Möglichkeit, spezifische Wertehierarchien auszubilden und davon Abweichendes zu kritisieren.1 Innerhalb dieses Raumes vermochte Fassmann mit Hilfe seiner europäischen wie außer-europäischen Figuren politische, historische oder moralische Wahrheiten zu konstruieren, die in der ‚Oberwelt‘ nur unter dem Deckmantel der literarischen Fiktion rezipiert werden konnten. Wie sich an der Figurenwahl bereits gezeigt hat, diente das Jenseits, in dem Vergangenes mit Gegenwärtigem in Beziehung gesetzt wurde, als eine Art Tableau für das historisch-politische Bildungsprogramm des Leipziger Journals. Wie Fassmann seine Unterwelt verstanden wissen wollte, demonstriert eine Passage aus der 28. Entrevue, die vor Beginn des Dialogs zwischen dem niederländischen Admiral Maarten Tromp (1598–1653) und dem dänischen Vize-Admiral Peter Tordenskjold (1690–1720) folgende Aussagen über den Charakter der Unterwelt macht: Wer aus dem Lande derer Lebendigen, in dem Reiche derer Todten anlanget, findet allda eine Welt, welche der, so er verlassen, gantz gleich siehet; und ist doch nicht die rechte wirckliche Welt; sondern nur die Seele derselben.2

Die Unterwelt soll der wirklichen Welt zunächst also „gantz gleich“ sein. Als Essenz („Seele“) derselben mußte sie jedoch in dem Maße von der Oberwelt abweichen, in welchem die so entstandene Differenz als Rechtfertigung vor eventuellen Einwänden einer Zensurbehörde dienen konnte. Zugleich mußte sie jedoch noch so viel Ähnlichkeit mit der Lebenswelt der Rezipienten aufweisen, daß diese das Andere mit dem Eigenen in ein sinnvolles Vergleichsverhältnis bringen konnte. Seien es nun ‚authentische‘ Reiseberichte von Expeditio-

1 Allgemein zur historischen Diskursanalyse, besonders auch am Beispiel von Reiseberichten aus dem 17. Jahrhundert, vgl. Achim Landwehr: Historische Diskursanalyse, Frankfurt a. M. 2008. 2 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 917 f.

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nen in exotisch-fremde Länder oder literarisch-fiktive Beschreibungen von Reisen in die Unterwelt, das Prinzip der anziehenden Andersartigkeit wurde dabei durch ein Paradox ergänzt und vervollständigt. Im Vorwort zu Die andere Welt – Studien zum Exotismus erläutern die Herausgeber Thomas Koebner und Gerhart Pickerodt dieses wie folgt: Was die andere Welt jeweils ausmacht, ist durch den Blickwinkel dessen bestimmt, der dem Eigenen das Andere entgegensetzt. Das Andere soll anders bleiben, um als Projektionsfläche der Wünsche nach vollkommener, unsublimierter Existenz Bestand zu haben. Zugleich soll das Andere zum Eigenen werden.3

Das Andere war in Fassmanns Journal gleich zweifach anders: Zum einen befanden sich die Figuren in seinem Journal in einer literarisch gespiegelten Gegenwelt, die der eigenen zwar nachgebildet, aber nicht vollkommen identisch mit dieser sein sollte. Zum zweiten traten in der Unterwelt Figuren auf, die durch ihren ‚exotischen‘ Charakter zum Fremden und damit zu einer geeigneten Projektionsfläche für verschiedene Diskurse werden konnten. Wenn im nachfolgenden Kapitel die Begriffe das Eigene, das Andere und das Fremde verwendet werden, so sollen sie dabei nicht als absolute, sondern vielmehr als relationale Größen verstanden werden. Europa wurde in der Nachfolge von Edward Saids einflußreicher Studie zum Orientalism vorgeworfen, den Orient in propagandistischer und verzerrender Absicht konstruiert, d. h. verfälscht zu haben.4 Wie Andrea Polaschegg in ihrer Studie Der andere Orientalismus5 gezeigt hat, beruht die gebetsmühlenartig wiederholte Kritik am eurozentristischen und angeblich imperialistisch geprägten Bild, das sich ‚der‘ Westen von ‚dem‘ Osten machte, hauptsächlich auf zwei Mißverständnissen bzw. Denkfehlern Saids: Zum einen tat Said in seiner Interpretation der Foucaultschen Diskursanalyse so, als ob es neben dem imaginierten und konstruierten Orient einen (einzigen) richtigen, wahren und echten Orient gebe, mit dem man den falschen (d. h. den von Europa imaginierten) vergleichen und von dem man diesen notwendigerweise unterscheiden müsse. Zum anderen, so Polascheggs Lesart, versuchte Said unter Mißachtung diverser historischer

3 Thomas Koebner und Gerhart Pickerodt: Der europäische Blick auf die andere Welt. Ein Vorwort, in: dies. (Hg.): Die andere Welt. Studien zum Exotismus, Frankfurt a. M. 1987, S. 7. 4 Edward Said: Orientalism, New York 1978. 5 Andrea Polaschegg: Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin/New York 2005. Deutlich zu widersprechen ist Wolfgang Schwanitz‘ sachlich oft falscher Beurteilung von Polascheggs Arbeit, die sich offenbar größtenteils auf oberflächliche und übelwollende Lektüre gründet. Wolfgang G. Schwanitz: [Rez. zu] Polaschegg, Andrea: Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert. Berlin 2004, in: H-Soz-u-Kult, 31. 03. 2006.

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Gegebenheiten sowie unter Ausblendung geographisch-kultureller Differenzen innerhalb Europas, den Konstruktoren des Orients zu unterstellen, sie hätten ein bestimmtes Bild des Orients mit der Absicht erschaffen, ihre (realen oder nur intendierten) imperialen bzw. kolonialen Machtansprüche zu befördern.6 Statt immer wieder die Saidsche These zu wiederholen, die von einem einseitig eurozentrisch geprägten, fiktiven und vor allem unter imperialistischem Blickwinkel konstruierten Orient auf der einen Seite und einem authentischen Orient auf der anderen ausging, plädiert Polaschegg dafür, die Reziprozität der wechselseitigen Imaginierungen in den Blick zu nehmen und wissenschaftlich nutzbar zu machen. Denn so, wie der Westen sich den Osten vorstellte und sein Bild in je eigenen Sinnzusammenhängen und nach immer neu definierten Bedürfnissen konstruierte, hat auch der Orient sich immer schon ‚seinen‘ Okzident erschaffen und nach eigenen Vorstellungen geformt. Polaschegg führt mit Luhmann hierzu aus: [H]ier folgt daraus, daß ‚jede Kultur eine Grenze ziehen muß‘, um als distinkte Größe überhaupt zu existieren und sich als Kultur begreifen zu können. Die Differenzierung zwischen dem, was zur Kultur gehört, und dem, was nicht dazu gehört, die Abgrenzung gegen ein ‚Anderes‘, erscheint vor diesem Hintergrund weder als zusätzliche Festigung einer Kultur, noch läßt sich diese Abgrenzung a priori als Akt der ‚Feindseligkeit‘ beschreiben, der dem interkulturellen Miteinander im Wege steht.7

Sowohl das Fremde als auch das Andere und das Eigene sind letztlich notwendige (soziale bzw. literarische) Konstruktionen, deren schiere Existenz und perpetuelle Neuerschaffung bereits von ihrer Notwendigkeit zeugen. Man kann deswegen folgern, daß diese relational verstandenen Größen einander bedingen und gegenseitig in ein stets neu zu definierendes Gleichgewicht zu bringen waren. Polaschegg nimmt in ihrer Studie eine so wichtige wie erhellende Differenzierung zwischen fremd und anders vor, auf die nachfolgend kurz eingegangen werden soll, da das folgende Kapitel sich an ihrer Definition orientiert.8

6 Polaschegg, Orientalismus, S. 30 ff. Zwar sind, so Polascheggs These, die Aporien und Denkfehler in Saids Studie zum Teil von der Forschung, zum Teil von Said selbst aufgezeigt und berichtigt worden, dennoch würde vor allem die deutsche Orientalismus-Forschung von einer bis heute andauernden, vergleichsweise unkritischen und unreflektierten Haltung gegenüber den Thesen Saids bestimmt. 7 Polaschegg, Orientalismus, S. 40. Polaschegg zitiert Niklas Luhmanns Studie: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 41993, S. 243. 8 Vgl. daneben auch die Begriffe von Alienietät und Alterität, die eine ähnliche Differenzierung zwischen dem Eigenen und dem Fremden vornehmen. Vgl. dazu Horst Turk: Alienität und Alterität als Schlüsselbegriffe einer Kultursemantik, in: Kulturthema Fremdheit. Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung, hg. v. Alois Wierlacher, München 22000, S. 173–197.

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Das Fremde in Fassmanns Unterwelt

Sowohl der Begriff der Fremdheit als auch der der Andersartigkeit werden traditionell meist in Beziehung zu einem Eigenen gedacht und verstanden. Anders als andere Ansätze, die in diesem Aspekt weniger trennscharf operieren, betont Polaschegg den grundsätzlichen Unterschied zwischen den Begriffen fremd und anders: In ihrer Definition stehen das Eigene und das Andere einander zwar komplementär gegenüber, allerdings innerhalb eines einzigen kulturellen Bezugssystems, weswegen sie hier von einer Dichotomie der Differenz sprechen kann. Dieser gegenüber stellt sie eine zweite Dichotomie, die sich aus der Bedeutung des Wortes fremd speist. Fremde bedeutet im kategorialen Sinne vor allem Distanz in bezug auf den eigenen Standort und nicht Differenz von dem, was man als das Eigene definiert: Der Begriff bezeichnet das, was nicht unmittelbar oder selbst-verständlich ist, worin wir uns denkend und handelnd nicht problemlos orientieren, was uns als erklärungsbedürftig begegnet. [...] Und auch auf systematischer Ebene steht das ‚Fremde‘ nicht in Opposition zum ‚Eigenen‘. Vielmehr bildet diese Kategorie mit dem ‚Vertrauten‘ ein Begriffspaar, in dem sich – analog zum Verhältnis des ‚Eigenen‘ zum ‚Anderen‘ – die beiden Größen komplementär zueinander verhalten: ‚Fremd‘ ist oder wird, was nicht (mehr) vertraut ist, während das Fremde seine Fremdheit verliert, sobald wir uns damit verstehend ‚vertraut‘ machen.9

Mit Polascheggs Unterscheidung der Begriffspaare eigen – anders sowie vertraut – fremd werden verschiedene Aneignungsprozesse und Abwehrmechanismen in ‚westlichen‘ wie in ‚östlichen‘ Quellen besser faßbar. Durch die so getroffene Unterscheidung können vor allem auch die verschiedenen Funktionen und Darstellungsprinzipien des Fremden und des Eigenen innerhalb der Topographie der Fassmannschen Unterwelt benannt werden. Der (europäische) Leser wurde dadurch, daß er eine Welt kennen lernte, die nach bestimmten, noch genauer zu beleuchtenden Kriterien konstruiert war, sowohl mit dem (vermeintlich) Eigenen als auch mit dem davon auf den ersten Blick trennscharf unterschiedenen Fremden konfrontiert. Dabei sollte die Differenz, die sich zwischen Fremdem und Eigenem ergab, nicht nivelliert oder gar aufgelöst werden: Das Fremde sollte im Sinne Koebners und Pickerodts durchaus fremd bleiben, damit es seine Attraktivität nicht einbüßte. In diesem Zusammenhang erweist sich die Unterscheidung des Fremden vom Anderen insofern auch als hilfreich, als Fassmann selbst zwischen den beiden oben genannten Dichotomien unterscheidet: Während Türken, Perser und Inder a priori als Fremde galten (und darum sowohl bedrohlich-schlecht als auch exotisch-anziehend und gut sein können), fungierten etwa Katholiken (oder Frauen) in vielen Totendialogen als

9 Polaschegg, Orientalismus, S. 42.

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‚das Andere‘. Durch die Konfrontation von Eigenem und Anderem, Vertrautem und Fremdem wurden Demarkationslinien sozialer bzw. kultureller Grenzen neu verhandelt und für den Leser sichtbar gemacht. Nicht von ungefähr konnten während dieses Prozesses Interferenzen stattfinden, d. h. das eigentliche Fremde wurde zum Anderen oder gar Eigenen und umgekehrt. Wie Horst Ohde in seinem Beitrag zur Inszenierung des Fremden10 gezeigt hat, nämlich daß alle Kritik am Anderen letztlich als Selbstkritik gelesen werden, so soll auch hier die kritische Darstellung des Fremden als Spiegel des Eigenen und vermeintlich Vertrauten verstanden werden: ein Funktionsprinzip, nach dem bereits in einer Art literarischen Doppelbluffs die Lettres persanes Montesquieus Frankreich bzw. Europa den Spiegel mit Hilfe eines ‚imaginierten‘ Orientalen vorhielten. Übertragen auf die frühaufklärerischen Dialoge eines David Fassmann bedeutet dies, daß das Fremde in Gestalt unterschiedlicher ‚orientalischer‘ Figuren auch dazu dienen sollte, das Andere im eigenen kulturellen Kontext darzustellen, genauer zu definieren und vor allem auch zu kritisieren sowie – und das ist die zwangsläufige Konsequenz aus diesem Arrangement – das je Eigene und Vertraute gegen diese beiden Größen abzugrenzen. Selbstverständlich konnte diese Abgrenzung im Einzelfall auch bedeuten, daß das Fremde dem Eigenen als (zumindest partiell) überlegen dargestellt wurde; der Hinweis auf das Gespräch zwischen dem osmanischen Sultan Süleyman, der als der ‚bessere Christ‘ geschildert wird, und dem englischen König Henry VIII., der noch im Totenreich von einem orientalischen Harem träumt, mag an dieser Stelle vorerst genügen. Alle Figuren – nicht nur die ‚exotischen‘ – sind in Fassmanns Totenreich ihrer ehemaligen Lebenswelt entfremdet. Die Orte, die ihnen in ihrer neuen Umgebung zugewiesen werden, korrespondieren mit der ehemaligen Lebensweise und in einigen Aspekten auch mit der soziokulturellen Herkunft der Figuren. Diese Strategie verweist auf den komplexen Zusammenhang zwischen rhetorisch-topischen, geographischen und mythischen Orten, bei denen Fremdheit zum konstituierenden Moment wird. In Abwandlung des Orwellschen Zitats sind einige Figuren fremder als andere, d. h. ihre Fremdheit wird auch innerhalb eines per se verfremdenden Ortes wie der Unterwelt zusätzlich verstärkt. Fassmanns Totengespräche sind somit als Versuche zu lesen, das Fremde innerhalb einer bereits weltfremden Umgebung wie dem Totenreich mit der eigenen Welt vergleichbar zu machen – ohne dabei jedoch die Differenz

10 Horst Ohde: Inszenierung des Fremden. Lohensteins Türkendrama ›Ibrahim Sultan‹ und die Barock-Archive des Exotismus, in: Interkulturalität und Nationalkultur in der deutschsprachigen Literatur, hg. v. Maja Razbojnikova-Frateva und Hans-Gerd Winter, Dresden 2009, S. 301–319, hier S. 308.

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Das Fremde in Fassmanns Unterwelt

zum Eigenen grundsätzlich aufzugeben. Die verschiedenen Ordnungen, Normen, politische Systeme, Physiognomien oder Verhaltensweisen werden nicht nur im Zuge ihrer Verortung, sondern gerade durch ihre Verortung im literarischen Totenreich zum Fremden gemacht. Bernhard Waldenfels schränkt diesen Prozeß in seiner Studie zur Topographie des Fremden definitorisch wie folgt ein: Das Fremde [...] bleibt allerdings gebändigt, so lange ein mythischer Rahmen oder – wie bei den klassischen Griechen – ein kosmisches Ordnungsgefüge Eigenes und Fremdes umgreift. Es gibt nur relativ Fremdes, bezogen auf bestimmte Standorte.11

Fassmanns Toteninsel war ein solches mythisch geprägtes Ordnungsgefüge. Der Ort lieferte die Rahmenbedingungen, nach denen Eigenes bzw. Fremdes beschrieben und v. a. vor-geschrieben wurden. Die Leipziger Totengespräche offenbaren in diesem Zusammenhang eine besondere Eigenschaft: Im Gegensatz zu tradierten Vorstellungen von den Gesetzen der Unterwelt, nach denen immer wieder auf deren Zeitenthobenheit angespielt wurde,12 konterkarierten die Gespräche diese, indem sie deutliche Hinweise sowohl auf die Zeitgebundenheit der Dialoge als auch auf die Historizität ihrer Figuren gaben. Während häufig gerade die Über-Zeitlichkeit ferner und abgelegener Orte wie literarischfiktiver Inseln oder unterirdischer Reiche bewirkte, daß der Leser den Texten die Fähigkeit zuschrieb, Relevantes für seine eigene Gegenwart auszusagen, entwickelten die Dialoge des historisch-politischen Journals ihre eigene chronotopische Ordnung.13 Jedes Gespräch fing ‚von Neuem‘ an und konstruierte gleichzeitig einen dialogübergreifenden Diskursraum. Diese zunächst ideell verstandene Sphäre, welche die Unterwelt auf der Ebene der literarischen Fiktion eröffnete, erlaubte durch ihre gleichsam räumliche Ausdehnung, bestimmte Konzepte des Eigenen und Fremden sichtbar zu machen und diese innerhalb der Topographie der Unterwelt zu verorten. Der Orient bzw. die orientalischen Figuren wurden zum Fremden im Anderen. Wie Daniel Weidner in seinem Beitrag zu Strategien des Wissens, Taktiken des Reisens vorschlägt, sollte die ältere und stellenweise unergiebige Alteritäts-Hermeneutik durch Fragen etwa nach dem Ort bzw. der (literarischen) Verortung des Orients ersetzt werden. Eine Untersuchung der Topographie, also sowohl des Beschriebenen als auch der

11 Bernhard Waldenfels: Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden I, Frankfurt a. M. 1997, S. 16. 12 Vgl. hierzu etwa Jaumann, Totengespräch, S. 652 f. 13 Vgl. dazu Michail M. Bachtin: Formen der Zeit im Roman. Untersuchungen zur historischen Poetik, hg. v. Edwald Kowalski und Michael Wegner, Frankfurt a. M. 1989; neu unter dems.: Chronotopos, Frankfurt a. M. 2008.

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Beschreibung selbst, sollte versuchen, Antworten auf spezifische „mediale[...] und materiale[...] Bedingungen“ für literarisch-räumliche „Aufzeichnungs- und Speichertechniken“ zu liefern.14 Dies könnte dabei helfen, die Interdependenzen sichtbar zu machen, die zwischen Eigenem, Fremdem und Anderem an einem nach bestimmten Regeln konstruierten Ort entstehen. Räume werden nach Weidner v. a. durch drei unterschiedliche Dimensionen charakterisiert: – durch die Erwartung eines spezifischen Raumes – durch Strategien und Techniken zur Raumbewältigung – durch ihre mediale Repräsentation.15 Während Weidner sich in seinem Beitrag u. a. mit der literarischen Repräsentation real bereister Räume beschäftigt, ist in unserem Fall v. a. die dritte Dimension, die mediale Repräsentation (und Konstruktion) fiktionaler Räume, von Interesse – wobei auch die rezeptionsgeschichtliche Erwartungshaltung sowie die literarischen Strategien der Raumbewältigung von Bedeutung sind. Orte wie ferne Inseln boten die Möglichkeit, Außerordentliches im Vergleich zum Eigenen und vermeintlich Vertrauten darzustellen. Die Literatur erweitert gleichsam den Ort (topos) und läßt aus ihm topoi werden, nach Waldenfels „Fundorte[...] der Erörterung“.16 *** Inseln wurde seit jeher die Funktion zugeschrieben, Projektionsraum für Sehnsüchte, Ziel überbordender Abenteuerlust oder auch Fluchtpunkt utopistischer Gedankenspiele zu sein. Ihre topographische Unbestimmbarkeit 17 und das da14 Daniel Weidner: Strategien des Wissens, Taktiken des Reisens. Carsten Niebuhrs Reisen im Orient, in: Topographien der Literatur, S. 100–125, hier S. 102. 15 Weidner, Strategien des Wissens, S. 102. 16 Waldenfels, Topographie des Fremden, S. 11. 17 Die Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit des Ortes wurde geradezu zur conditio sine qua non des Genres. Wiederkehrender topos war die Schwierigkeit, eine ferne Insel geographisch exakt zu lokalisieren. Zu Beginn von Thomas Mores Utopia etwa sollen fiktive Briefe, die More und andere seiner gelehrten Freunde einander schreiben, mit einem Augenzwinkern die ‚Authentizität‘ von Raphaels Erzählung belegen; in einem Brief an den „illustrious Jerome Busleyden“ etwa läßt More die Figur des Peter Giles folgende Bemerkungen zur Lage der Insel und zu Mores an anderer Stelle bereits thematisierten Schwierigkeiten mit deren Lokalisierung machen: „As to More’s difficulty about the geographical position of the island, Raphael did not fail to mention even that, but in very few words and as it were in passing, as if reserving the topic for another place. But, somehow or other, an unlucky accident caused us both to fail to catch what he said. While Raphael was speaking on the topic, one of More’s servants had come up to him to whisper something or other in his ear. I was therefore listening all the more intently when one of our company who had, I suppose, caught cold on shipboard, coughed

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mit in Verbindung gebrachte ‚phantastische‘ Potential ließen sie seit Homers Odyssee zu einem immer neu beschreibbaren topos werden. Ferne Inseln erschienen durch ihre Abgelegenheit als Inbegriff des Fremden: Durch die (reale wie literarische) Distanz zur eigenen Lebenswelt waren sie dazu geeignet, Fragen und Probleme zu behandeln, für die innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung kein Ort existierte. Wohl nicht zufällig entwickelte ein an der Staatspolitik interessierter Humanist wie Thomas More seine Utopia [1516] zu einer Zeit, als er sich in diplomatischen Diensten am Hof des englischen Königs Henry VIII. befand, an dem kein Mangel an Intrigen herrschte.18 Zur literarischgeographischen Unbestimmtheit der utopischen Insel bemerkt Eberhard Jäckel in seinem Nachwort zur More-Übersetzung Gerhard Ritters: Die utopische Insel liegt angeblich in jener Neuen Welt, deren Entdeckung gerade zu Mores Lebzeiten eine umstürzende Horizonterweiterung für das christliche Europa bedeutete. Die Staats- und Lebensformen bislang ganz unbekannter Völker, über die man nun plötzlich phantastisch anmutende Berichte hörte und auch las, müssen einen faszinierenden Gesprächsgegenstand für Morus und seine humanistischen Freunde abgegeben haben.19

Utopische bzw. ferne Inseln wurden nicht nur, aber besonders auch literarisch dafür genutzt, fremden – und das hieß meist vermeintlich ‚besseren‘ – politischen und sozialen Ordnungen Raum zu bieten. Eine ähnliche Rolle wie die exotischen Figuren übernahmen im 18. Jahrhundert deswegen auch die exotischen Orte ein. Ihre Fremdheit und Distanz zum Eigenen und ‚Normalen‘ prädestinierte sie dazu, eine Vorbildfunktion für den gesellschaftlich-politischen Kontext der eigenen Zeit einzunehmen. Unzählige literarische Varianten des Inselmotivs unterstreichen diesen Impetus: Als fiktionalisierte Lebenswelten für eine ideale Gesellschaft standen ferne Inseln je nach Intention des Autors mehr oder weniger deutlich in Opposition zu herrschenden Verhältnissen. Daniel Defoes Robinson Crusoe [1719] stellte durch die Einsamkeit seines Protago-

so loudly that I lost some phrases of what Raphael said.“ Thomas More: Utopia (= The Complete Works of St.Thomas More 4), New Haven/London 1965, S. 23 [Hervorhebung – SD]. Auffällig erscheint hier, wie More das Bedeutungsfeld von topic und place für den Zweck nutzt, die Lokalisierung der gleichsam allein durch ihren Namen nicht verortbaren Insel Utopia satirisch zu verhindern. 18 Beide Männer, Thomas More wie auch Henry VIII., erschienen jeweils in einem von Fassmanns Totengesprächen: ersterer in der Entrevue Nr. 27 [Leipzig 1721], letzterer in der Entrevue Nr. 9 [Leipzig 1720]. Zu Thomas Mores Utopia [ED 1516] vgl. u. a. Terence Cave: Thomas More’s Utopia in Early Modern Europe: Paratexts and Contexts, Manchester 2008; Jean-Yves Lacroix: L’utopia de Thomas More et la tradition platonicienne, Paris 2007. 19 Eberhard Jäckel: Nachwort, in: Utopia, übers. v. Gerhard Ritter, Stuttgart 2003, S. 171.

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nisten eine Art Sonderfall unter den Utopien dar. Sein pietistisch gefärbter Dialog mit Gott ersetzte den sozialen Austausch mit anderen Menschen, während in Jonathan Swifts Gulliver’s Travels [1726] zahlreiche Varianten des gesellschaftlichen Umgangs exponiert wurden. Das platonische Vorbild der politeia, auf das Thomas More mit seiner Utopia rekurriert, erfuhr im Laufe der Zeit einige ‚topographische‘ Erweiterungen. Ludvig Holbergs Unterirdische Reis= Beschreibung [1741] etwa verlegte ihre Handlung anstatt an den äußersten Rand der Welt gleich unter die Erdoberfläche. Solchermaßen ‚kryptopische‘20 Erzählräume nutzten – ähnlich wie die fernen Inseln – den Symbolcharakter, den der (europäische) Leser ihnen innerhalb der literarischen Tradition zuschrieb: Analog zu den fernen Inseln boten extra-mundane Orte wie die platonische Höhle, die märchenhaften unterirdischen Schatzkammern der Zwerge, Riesen oder anderer Zauberwesen sowie ganze unterirdische Parallelwelten wie die Holbergsche Fünfte Monarchie die Möglichkeit, Ort, Zeit und Handlung auf besondere Art miteinander in Beziehung zu setzen. Wer eine ferne Insel oder verborgene unterirdische Welt entdecken wollte, der durfte dies eigentlich gar nicht bewußt ‚wollen‘; der Besuch einer fremden und weit entfernten Insel oder einer verborgenen unterirdischen Welt war mit bestimmten Regeln verbunden: Nur der Auserwählte vermochte solche Orte aufzuspüren, indem er mehr oder weniger zufällig auf sie stieß.21 In Anlehnung an die Schwierigkeiten, mit denen Seefahrer und Kartographen konfrontiert waren, wenn sie weit entfernte Orte ansteuern wollten, erschienen auch ‚phantastische‘ Inseln und unterirdische Reiche schwer auffindbar und darum um so geheimnisvoller. 20 Zum Begriff ‚kryptopisch‘ vgl. Sabine Haupt: ›Kryptopische‹ Zeit-Räume. Unterirdische und außerirdische Topographien als Reservate von Temporalität, in: Topographien der Literatur, S. 501–535. 21 Auch in zahlreichen Märchen und Sagen wurde die Kunde von unterirdischen Reichen tradiert, in welche der Besucher (seltener: die Besucherin) aus Zufall geriet und aus denen er bei ‚guter Führung‘ meist reichen Lohn wieder mit nach Hause zurückbrachte. Wiederkehrende Elemente in den unterschiedlichen Erzählungen sind zum einen der Zufall, durch den man den Weg an einen ‚sagenhaften‘ Ort fand, und zum anderen die eigene Temporalität, der ein Besucher (unmerklich) unterworfen war. Im Falle der weit entfernten Insel deutete sich zudem durch äußere Zeichen an, daß eine besondere Entdeckung unmittelbar bevorstand: Ein Schiff wird durch ungünstige Winde oder andere Naturkräfte vom rechten Weg abgebracht, dichte Nebel ziehen auf, welche die Orientierung in fremden Gewässern zusätzlich erschweren; Stürme und Gewitter nehmen die Sicht und bringen Schiff und Besatzung in Lebensgefahr; Hunger und Durst versetzen die Seefahrer in einen physischen Ausnahmezustand, der das ‚Auftauchen‘ einer Insel aus dem Nichts – meist umgeben von dichten Wolken – um so erfreulicher erscheinen läßt. Einige dieser klassischen topoi finden wir u. a. in Francis Bacons Nova Atlantis [ED 1524], wo ungünstige Winde und dichte Wolken das Auftauchen der Insel Bensalem ankündigen. Francis Bacon: New | Atlantis. | A Work unfinished. | Written by the Right Honorable, Francis, | Lord Verulam, Viscount St. Alban. | [Linie] London 1659, S. 4 ff.

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Das Attraktionspotential ferner Inseln als sagenumwobene und ‚unfaßbare‘ Zielorte europäischer Sehnsüchte nahm erst von dem Zeitpunkt ab, als mit dem Marinechronometer ein Instrument erfunden wurde, das die ehedem unbestimmbaren Inseln innerhalb des Koordinatennetzes genau verorten konnte. Die zunehmende Vermessung der Welt 22 bedingte unter anderem, daß sich auch das literarische Potential solcher phantastisch-exotischen Plätze verringerte. Obwohl Urs Bitterli in seinem Aufsatz Die exotische Insel die Erfindung des Chronometers um einige Jahre vorverlegt (1740 statt 1759), weist er zu Recht auf die Auswirkungen hin, die gerade diese technische Neuerung nicht nur auf die Seefahrer und Kartographen, sondern auch auf die Vorstellung der Zeitgenossen von der (literarischen) Topographie ihrer Welt hatte.23 Das Ende der phantastischen Seereisen wird so letztlich durch Alexander von Humboldt eingeläutet, der auf seine Expeditionen den ersten von einem Schweizer Uhrmacher entwickelten Taschenchronometer mitnahm, dessen Genauigkeit alle Ungewißheiten beseitigte, was die Lokalisierung ferner Orte anging. Im Motiv der entlegenen Insel treffen mehrere literarische Traditionsstränge aufeinander: Zum einen diente sie vor allem in Anlehnung an Mores Utopia als Modellort für soziale und politische Systeme; zum anderen schienen in ihr in unterschiedlichen Ausformungen Mythen von paradiesisch-amoenen Orten auf. Zum dritten konnte man sich mit ihrer Hilfe ein Bild von dem Zustand machen, der dem Leben am deutlichsten entgegengesetzt war: dem Tod. Die Insel der Seligen Homers und Hesiods waren als Aufenthaltsort für die Heroen zwar noch in der Welt – wenn auch an ihrem westlichsten Rand –, von ihr jedoch in fast allen Bereichen unterschieden. Was in der realen Welt mühsam und mit bloßer Hände Arbeit herzustellen und zu kultivieren war, gab es dort ohne Anstrengung und im Überfluß. Als Ort zwischen Diesseits und Jenseits konnte eine solche Insel nur von Auserwählten bewohnt werden.24 Literarische und mythische Vorstellungen wurden spätestens seit der Zeit der Entdeckungen zudem von handfesten ökonomischen Begehrlichkeiten und weltlichen

22 So lautet der Titel des von Daniel Kehlmann 2005 veröffentlichten Romans, der in den fiktiven Biographien von Alexander von Humboldt und von Carl Friedrich Gauß jene Anfangsphase instrumentengestützter Entdeckungsfahrten schildert. 23 Urs Bitterli: Die exotische Insel, in: Die andere Welt. Studien zum Exotismus, hg. v. Thomas Koebner u. Gerhart Pickerodt, Frankfurt a. M. 2000 [unveränd. ND d. Ausg. v. 1987], S. 11–30, hier S. 13 f. Zur Topographie in der Literatur vgl. Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext, hg. v. Hartmut Böhme, Stuttgart/Weimar 2005; darin z. B. Jörg Dünne: Die Karte als imaginierter Ursprung. Zur frühneuzeitlichen Konkurrenz von textueller und kartographischer Raumkonstitution in den Amerika-Reisen Theodor de Brys, S. 73–99. 24 Vgl. dazu Anja Hall: Paradies auf Erden? Mythenbildung als Form von Fremdwahrnehmung. Der Südsee-Mythos in Schlüsselphasen der deutschen Literatur, Würzburg 2008, S. 66.

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Wunschvorstellungen überlagert und ergänzt: Ferne Inseln und abgelegene Orte am ‚Ende der Welt‘ versprachen neben einem angenehmen Dasein auch buchstäblich greifbare Schätze in Form von Gold und anderen Kostbarkeiten. In literarischen Beschreibungen ferner Inseln wird zudem das Bedürfnis offenbar, Orte zu imaginieren, die der eigenen Lebenswirklichkeit sowohl im Guten als auch im Bösen vollkommen entgegengesetzt waren. Abgelegene Orte konnten so zur willkommenen Projektionsfläche für Verbotenes, Begehrenswertes, Fremdes und gleichzeitig Anderes bzw. Geheimnisvolles werden. Dem griechischen Mythos zufolge war Charon dafür verantwortlich, die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt zu geleiten, indem er sie mit seinem Kahn über den Fluß Styx bzw. Acheron brachte.25 Ähnlich wie die Griechen glaubten auch die Kelten an einen Seelenfährmann, der für seine Dienste entlohnt werden mußte. Zu diesem Zweck legte man den Toten Geldstücke unter die Zunge. Der keltischen Sage nach befand sich das Totenreich, auch Anderwelt genannt, entweder auf einer weit entfernten Insel jenseits des Meeres (das sagenumwobene Avalon) oder unterhalb der Erdoberfläche. Im ersten Fall konnte das Totenreich per Schiff, im zweiten über den ‚Umweg‘ etwa alter Grabkammern erreicht werden. Antiken Vorstellungen zufolge lag der Eingang zur Unterwelt am westlichsten Ende der bekannten Welt: Am Ufer des Okeanos befand sich ein Spalt, in den sich die beiden Flüsse Kokytos und Pyriphlegeton ergossen. Der griechische Hades, zugleich Gott und Ort, sorgte dafür, daß die zu körperlosen Schatten gewordenen Toten ohne Unterschied in der Unterwelt verweilten. Allerdings schied auch das antike Jenseits den Hades in angenehme wie weniger angenehme Bereiche, die den Toten ihrem ehemaligen Lebenswandel gemäß als Wohnstatt dienten. Der Ort der ewig währenden Strafe war der Tartaros, der später den sprichwörtlich zum ‚Schrecken des Abendlandes‘ gewordenen Hunnenvölkern seinen Namen lieh. Nach christlicher Vorstellung war der Tartaros ein dämonischer Abgrund: Der Hölle Rachen, deren Untiefen die Königin der Nacht bei Mozart in höchsten Tönen besingen darf. In sie wurden diejenigen verbannt, die sich unaussprechlicher Schandtaten schuldig gemacht hatten. Wer wie Sisyphos, Tantalos oder die Danaiden dorthin gebracht wurde, der mußte seine unterirdische Existenz in ewigen Qualen zubringen, ohne Hoffnung auf Begnadigung. Daneben bot das Elysium als Insel der Seligen und gleichsam Inbegriff des amoenen Ortes einigen wenigen guten Seelen und tapferen Helden eine ausgesprochen angenehme Heimstatt, so etwa Helena und Menelaos. Als dritter Ort wurde der ‚neutrale‘ Asphodeliengrund von den

25 Zu den verschiedenen Unterweltsmythen vgl. Elisabeth Frenzel: Unterweltsbesuch, in: dies.: Motive der Weltliteratur, Stuttgart 41992, S. 713–727.

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meisten der Schatten bevölkert, die weder so gut noch so schlecht waren, als daß sie an einen der beiden anderen Orte gehört hätten. Wie genau hatte sich der Leser im Vergleich mit den tradierten Mythen die elysisch-fremde Unterwelt der Leipziger Totengespräche vorzustellen? Neben einigen anderen Hinweisen, die Fassmann in seinen Gesprächen auf die Gestalt der Unterwelt gibt, bietet vor allem das bereits zu Anfang erwähnte 28. Totengespräch zwischen Admiral Tromp und Vize-Admiral Tordenskjold einen Einblick in die spezifische Topographie des orbis alia. Denn bevor beide Gesprächspartner im Dialog aufeinandertreffen, zitiert die Entrevue die Erzählung eines anonymen Unterweltsreisenden, dessen Ausführungen zum Jenseits die Vorstellungskraft von Fassmanns Lesern unterstützen sollten, so das Argument, das die Introduktion anführt. Nachdem die Zuverlässigkeit der fiktiven Reisebeschreibung betont wird, rechtfertigt Fassmann sein Vorgehen in der einleitenden Passage des Gesprächs wie folgt: Damit aber diese vorher nie gehörte Nachricht [von der Beschaffenheit des Totenreichs – SD] desto bekannter werden möge, hat der Autor gegenwärtiger Gespräche vor gut befunden, sie mit einzuverleiben, und lautet solche also: Ich bin ein Teutscher, spricht der Verfasser der neuen Beschreibung des Reichs derer Todten, und habe, gleich allen Teutschen, von Kindheit auf, eine so gar sonderbare Begierde zu reisen gehabt, daß mich auch meine Eltern, mit aller ihrer Mühe, nicht zurücke halten können, solche zu stillen.26

Die Passage aus der fiktiven Unterweltsreise umfaßt in Fassmanns Journal neun Seiten im Quartformat. Als Autor nennt der Katalog der Anna Amalia Bibliothek in Weimar den Musiker, Hofkomponisten und Schriftsteller Johann Beer (1655–1700), der sich bis zu seinem Tod am Hofe Augusts von SachsenWeißenfels aufhielt.27 Die Zuordnung des Werks zu Johann Beer erscheint je26 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 917. Fassmann verändert an dieser Stelle den Beginn der zitierten Passage, in der es im Original heißt: „Ich bin aus einer namhafften Stadt in Meißen gebürtig, und habe gleich allen Teutschen von Kindheit auf, eine so sonderbahre Begierde zu reisen gehabt [...].“ Anonym: Beschreibung des neu=entdeckten Reichs der Todten, in: Curieuse Geschichten des Reichs der Todten, Halle 1721, S. 29. Fassmann verschleiert hier also durch seinen Kommentar die einigermaßen genaue Herkunftsangabe des zitierten Autors. Nicht abgedruckt wurden von ihm auch die zweieinhalb Seiten des Textes, die der Reisebeschreibung vorausgingen, auf denen der Verfasser einige Beobachtungen zum Zustand der europäischen Seefahrt und den meist rein ökonomischen Interessen neuer Expeditionen mitteilte; Fassmann konzentrierte sich für seine Zwecke allein auf die fiktive Fahrt, den gesellschaftlichen Kontext der Reisebeschreibung blendet er deswegen aus. 27 Zu Johann Beer, seinem Leben und Werk sind seit Richard Alewyns Studie aus den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einige Arbeiten erschienen: Johann Beer: Sämtliche Werke, hg. v. Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff, 13 Bde., Bern u. a. 1981 ff.; Richard

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doch nicht plausibel, sie wurde offenbar durch einen publikationstechnischen Zufall bedingt.28 Die Unterweltsbeschreibung war Teil der Curieusen Geschichten des Reichs der Todten, die in deutlicher Anlehnung an Fassmanns Totengespräche 1721 anonym in Halle erschienen waren. Fassmann war sowohl mit der Reisebeschreibung als auch dem Rest des Werks offenbar näher vertraut, wenn er auch genauere Angaben zu Autor und Druckort vermeidet.29 Die fiktive BeAlewyn: Johann Beer. Studien zum Roman im 17. Jahrhundert, Leipzig 1932; ders. (Hg.): Johann Beer. Sein Leben, von ihm selbst erzählt, Göttingen 1965; Andreas Brandtner u. Wolfgang Neuber (Hg.): Beer, 1655–1700. Hofmusiker, Satiriker, Anonymus: eine Karriere zwischen Bürgertum und Hof [Katalog zur Ausstellung in der „Galerie im Stifter-Haus“ in Linz (4. Juli–30. August 2000) und im Museum Schloß Neu-Augustburg in Weißenfels (3. Oktober–19. November 2000)], Wien 2000; Ferdinand van Ingen u. Hans-Gert Roloff (Hg.): Johann Beer. Schriftsteller, Komponist und Hofbeamter 1655–1700: Beiträge zum Internationalen Beer-Symposion in Weißenfels, Oktober 2000, Bern u. a. 2003; Andreas Solbach: Johann Beer: Rhetorisches Erzählen zwischen Satire und Utopie, Tübingen 2003. 28 Die Anna Amalia Bibliothek verfügt über ein Exemplar der Curieusen Geschichten des Reichs der Todten, das als Teil eines Sammelbandes im Jahre 1758 erschien und nicht als Einzeldruck im ‚eigentlichen‘ Erscheinungsjahr 1721. Anlaß für den Druck des Sammelbandes war das 200-jährige Jubiläum der Universität Jena. Hierzu erschienen verschiedene Reden, LeichAbdankungen und andere Texte, von denen ein Teil bereits 100 Jahre vorher [1658] zum 100jährigen Jahrestag der Universität verfaßt worden waren. Der Titel des Bandes lautete: IN NOMINE TRINITATIS | ANNUS IVBILAEVS ACADEMIAE | IENENSIS | Oder: | Christliche | Danck= und Jubel=Predigt, | Welche, | nach dem die wohllöbliche Universität zu Jehna, | durch GOttes gnädigen Segen und Erhaltung, | unter dem Schutz | des Hochlöblichen Hauses zu Sachsen, | von dem 2. Febr. 1558. bis dahin 1658. | gerade gestanden | hundert Jahr, | dem lieben GOtt zu Ehren, und Anmahnung | zur schuldigen Dankbarkeit | [...] nunmehro von Christiano Chemnitio, | der heiligen Schrift Doctore, professore Publico, wie auch Pastore und Superintendente. | [Linie] | Jena, druckt bey Johann Risio, 1660. | [Linie] | Nunmehro auf vieler Verlangen von Wort zu Wort aufs neue gedruckt | von Georg Michael Marggraf, 1758. In diesem Band befindet sich vor den Curieusen Geschichten der Ursus Vulpinator. | List wieder List / | Oder | Musicalische | Fuchs=Jagt von Johann Beer, was m. E. der Grund dafür ist, daß die nachstehende anonym erschienene Beschreibung des Totenreichs Beer zugeschrieben wurde. Weder das Gesamtwerkeverzeichnis Beers noch Dünnhaupts Personalbiographien zu den Drucken des Barock zählen die insgesamt in drei Teile unterschiedenen Curieusen Geschichten zu Beers Werken. Vgl. dazu Dünnhaupt, Personalbiographien, Teil 1, S. 466–489. Dünnhaupt kennt allerdings die postum erschiene Musicalische Fuchs=Jagt in der Jenaer Jubiläumsschrift nicht. 29 Fassmann weist zweimal darauf hin, daß die Reisebeschreibung erst unlängst publiziert worden sei, und bezieht sich damit auf das bereits genannte Erscheinungsdatum von 1721. Johann Beer, der von der HAAB als Autor genannt wird, ist zu diesem Zeitpunkt bereits 21 Jahre tot – was freilich nicht grundsätzlich gegen Beers Autorschaft sprechen müßte (s. Anm. oben). Fassmanns Ausführungen im Anschluß an die zitierte Passage deuten jedoch auf einen noch lebenden Verfasser hin, dem Fassmann ‚großmütig‘ das Recht einräumt, sich des erfolgversprechenden Genres der Totengespräche zu bedienen. Vgl. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 927. Gleichwohl hätte zumindest die theoretische Möglichkeit einer persönlichen Bekanntschaft bestanden, da Beer wie auch Fassmann

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schreibung des Totenreichs scheint Fassmann trotz der deutlichen Anklänge an sein Journal geschätzt zu haben, wenn man seinem positiven Urteil in der Introduktion zum 28. Totengespräch Glauben schenken kann, wonach die Reisebeschreibung „aus der Feder einer glaubwürdigen Person geflossen“ sei.30 Die Ausführlichkeit, in welcher der Text hier zu Wort kommt, deutet darauf hin, daß Fassmann in diesem einen ihm genehmen Text über die Beschaffenheit der Unterwelt fand, der ihm langwierige Eigenarbeit ersparen konnte (was bei der Menge seiner unterschiedlichen Veröffentlichungen einen nicht zu unterschätzenden Anreiz darstellen mußte). Neben dieser Arbeitserleichterung bot ihm die Zitation dieses Fremdtextes die Gelegenheit zu einem ausführlichen Kommentar, in dem er auch auf Kritik an der Textsorte Totengespräch eingehen und diese nach Möglichkeit entkräften konnte.31 Als vorweggenommene Vorlesungen bei Thomasius und Francke in Halle besuchten. Vgl. dazu Peter Rusterholz: Scherz und Ernst bei Grimmelshausen und Johann Beer, in: Johann Beer. Schriftsteller, Komponist und Hofbeamter 1655–1700, hg. v. Ferdinand van Ingen u. Hans-Gert Roloff, Bern u. a. 2000, S. 327–341, hier S. 339 f. 30 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 917. Dem Reisebericht als Textsorte wurde Ähnliches wie den zeitgenössischen Historiographien abverlangt: „Mit dem Reisebericht verbindet sich ein Authentizitätsanspruch, d. h., der Bericht muss glaubwürdig sein.“ Jörg Schuster: Reisebericht, in: Metzler Lexikon Literatur, hg. v. Dieter Burdorf u. a., Stuttgart 32007, S. 640–641, hier S. 640. 31 Auch der Autor der zitierten Unterweltsreise äußert sich in der Vorrede zu der Schwierigkeit, ‚zuverlässige‘ Nachrichten aus der Unterwelt zu erhalten, und bemerkt in einem Seitenhieb auf David Fassmann: „Die Geschichten in dem Reiche der Todten zu beschreiben, ist keine so leichte Sache. Denn wie überhaupt an einen Geschichtschreiber [sic] eine Kenntnüß deßjenigen Staats, von dem er handelt; eine aufrichtige Liebe der Wahrheit; und zulängliche und gründliche Nachrichten, aus welchen er die Wahrheit vorstellen kan, erfordert werden; Also begreift wohl ein jeder von sich selbst, daß dergleichen Requisita bey der Historie dieses in grosser Dunckelheit gleichsam noch vergraben liegenden Landes sich gar schwerlich beysammen finden. Nun bin ich keineswegs gesonnen, mir durch die Geringschätzung anderer mir einen Weg zu besonderer Reputation zu bahnen. Dabey kan ich aber nicht verhalten, daß ich mich sieben gantzer Jahre in dem Lande, von dessen Geschichten ich mir vorgesetzet habe zu handeln, aufgehalten, und die Beschaffenheit desselben nebst den Sitten und Gewohnheiten der Einwohner aus dem Grund erlernet, auch nach meiner Anreise zu beständiger Correspondentz so gute Anstalten gemacht habe, daß ich zweifle, ob jemand anders gewissere und wahrhafftere Zeitungen daraus haben werde.“ Anonym: Curieuse Geschichten, Vorrede, in: Christliche Dank= und Jubelpredigt, hg. v. Christian Chemnitz, Jena 1758, S. 3 (unpag.). Wegen seiner ‚tatsächlichen‘ Anwesenheit und seines langen Aufenthalts im Totenreich reklamiert der Verfasser des Reiseberichts und nachstehender Gespräche höchstmögliche Autorität – und dies besonders im Unterschied zu anderen (wie Fassmann), die keinen derartigen ‚Besuch‘ im Totenreich vorweisen konnten und trotzdem behaupteten, glaubwürdige Nachrichten von dort liefern zu können. Daß diese polemische Spitze auch Fassmann nicht verborgen geblieben ist, beweist dessen kritischer Seitenhieb auf die Curieusen Geschichten; im Nachtrag zu dem neunseitigen Zitat der fiktiven Reisebeschreibung setzt Fassmann zum intertextuellen Gegen-

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Entgegnung auf mögliche Kritik an der ausführlichen Zitation eines fremden Werks gibt die Autorfigur nach der zitierten Passage Folgendes zu bedenken: Geehrter Leser! Ist jemand geneigt, eitle Dinge, i.e. die weiter zu nichts nutzen, als daß man sie anhöret oder lieset, zu hören und zu lesen, dem wird es nicht mißfallen, daß ich diesen Schertz von dem Lande derer Todten mit eingemenget. Serieuse Leute hingegen, welche dergleichen zu nichts dienende Sachen ungerne vertragen, werden inständigst ersuchet, mir zu verzeyhen, daß ich ihnen damit beschwerlich gefallen. Es ist nicht meine Arbeit, sondern der Einfall eines andern. Hat er nun dadurch Ruhm erlanget, bleibet ihm solcher billig. Findet aber ein oder der andere etwas ungereimtes darinnen, und nimmet etwa daher Anlaß, die Beschreibung des Landes derer Todten, ein Galimathias, oder unnützes Geschwätze zu nennen, mag es der, dem es angehet, gleichfalls dahin nehmen.32

Als gleichsam doppelte Vorsichtsmaßnahme distanziert sich Fassmann hier augenscheinlich von dem zitierten Werk: Zum einen tritt er den Ruhm, der dem eigentlichen Verfasser der Beschreibung des Totenreichs gebührt, großmütig an diesen ab und scheidet seine eigene Arbeit von der des zitierten Autors. Zum anderen bezeichnet er die neunseitige Passage im nachhinein als „Schertz“, obwohl er sie zu Beginn des Gesprächs gemäß den Ansprüchen an das Genre der (fiktiven wie realen) Reiseberichte zunächst als glaubwürdige Quelle eingeführt hatte. Fassmann nutzt das unterhaltende und illustrierende Potential des zitierten Textes, möchte aber gleichzeitig nicht für etwaige Einwände im Hinblick auf dessen Nutzen verantwortlich gemacht werden. Nichtsdestoweniger zeigt die Passage, welche Vorstellungen von der Beschaffenheit der Unterwelt Fassmann in sein Journal übernehmen wollte. Sowohl die schiere Länge des Zitats als auch die Tatsache, daß sich im anschließenden Totengespräch zwischen Tromp und Tordenskjold deutliche Verweise auf die zitierte Unterweltsbeschreibung finden, bekräftigen den Schluß, daß es sich hier um

angriff an: „Was sonsten den in Halle zum Vorschein gekommenen ersten Theil derer curieusen Geschichten in dem Reiche derer Todten betrifft, hätte man zwar freylich Ursache sich zu wundern, daß man, wie aus dem Titel und der Schreib=Art erhellet, suchet, mit von dem Applausu derer bißherigen Leipziger Todten=Gespräche zu profitiren; angesehen man anderergestalt schwerlich an die Herausgebung derer so betitelten curieusen Geschichten des Reichs derer Todten gedacht haben würde. Nichtsdestoweniger würde man sich keineswegs einfallen lassen, das geringste dargegen zu reden; allermaßen man mit dem bloßen Titel derer Todten= Gespräche, eben kein Monopolium zu treiben prætendiret, und es stehet jedem frey, deren vor sich zu machen, oder machen zu lassen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28. Leipzig 1721, S. 927. 32 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 927. Der Begriff „Galimathias“ meint (literarischen) Unsinn.

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mehr als um eine der reinen Unterhaltung dienende Entlehnung aus einem fremden Werk handelt.33 Was genau schildert der anonyme Reisende also in seiner Beschreibung der Unterwelt? Der Text beginnt damit, daß er die Abgestumpftheit der Zeitgenossen rügt; diese äußere sich unter anderem darin, daß niemand den Schilderungen neuer Entdeckungen mehr Glauben schenke. Weil die Europäer mit ihren immer sicherer werdenden Schiffen an immer entlegenere Orte segelten – allein der Nord- und der Südpol harrten zusammen mit dem sagenumwobenen ‚Südland‘, der terra australis incognita, noch der Erkundung – interessierten sich diese im Grunde nur noch dafür, ob sie ein neu entdecktes Land gewinnbringend ausbeuten könnten. Den Europäern sei das Bewußtsein für das Magische und Wunderbare ferner Länder und die Wertschätzung für die dazugehörigen Reisebeschreibungen abhanden gekommen. Trotz aller bereits gemachten Entdeckungen warteten noch viele unbekannte Gegenden darauf, erkundet zu werden. Die allgemeine Unwissenheit über die Ausdehnung und Lage ferner Gegenden sei keineswegs beseitigt, so die Einleitung zur fiktiven Unterweltsbeschreibung: Bey dieser Bewandtnüß siehet man, wie sehr sich diejenigen betrügen, welchen den größten theil der Welt vor bekandt halten, welche Meynung jedoch so sehr eingerissen ist, daß man insgemein die neue Entdeckungen, die noch zuweilen geschehen, gleich Augenblicks als fabelhaft zu verwerffen pfleget. Dieses geschiehet vornehmlich, von dergleichen Ländern einige seltsame Dinge, die sich in dem bißher bekanten Orten nicht finden, angemercket werden. Da man doch billig bedencken solte, daß bey der Entdeckung von Ost= und West=Indien man noch vielmehr gantz ungewöhnliche und wunderbahre Geschöpffe, Plantzen, Früchten, auch Gestalten und Sitten von Menschen angetroffen, von deren Wahrheit man heut zu tage gäntzlich überzeuget ist.34

Ihm, dem deutschen Weltreisenden, sei es jedoch gegeben gewesen, ganze sieben Jahre im Reich der Toten zu bleiben.35 Der von Fassmann in seinem Jour33 Von der ‚informativen‘ und unterhaltenden Wirkung des Fremdtextes einmal abgesehen, bot Fassmann gerade dieses Totengespräch zwischen zwei ehemaligen Seefahrern die passende Gelegenheit, eine fiktive Seereise mit dazugehöriger Beschreibung des Totenreiches unterzubringen. 34 Anonym, Beschreibung des neu=entdeckten Reichs der Todten, S. 28. 35 Der Topos des sieben- bzw. mehrjährigen Aufenthalts in der Anderwelt findet sich bereits im 13. Jahrhundert bei Thomas the Rhymer, dem schottischen Gutsherrn Thomas Learmonth (ca. 1220–1298), der als weiser Mann aus dem Reich der Feenkönigin zurückkehrt sein will. Theodor Fontane formte die Legende später zu seiner Ballade Tom der Reimer um, die von Johann Karl Gottfried Loewe vertont wurde (op. 135, 1860). Ludvig Freiherr von Holberg (1684– 1754) wiederum, dänischer Aufklärer, Philosoph, Theologe und u. a. Nachahmer und Kritiker Fassmanns, bediente sich des Topos des Abstieges in die Unterwelt durch einen Erdspalt. In Niels Klims Unterirdischer Reis=Beschreibung, die 1741 zuerst in lateinischer Sprache erschien,

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nal als „glaubwürdiger Teutscher“ Eingeführte reist zunächst gemäß den zeitgenössischen Reisebeschreibungen in holländischen Diensten per Schiff in Richtung der ost-indischen Kolonien und Mameluckischen Inseln.36 Bald bricht er

verweilt der Protagonist zwölf Jahre in einer Art Gegenwelt zu seiner eigenen, bevor er in seine Heimat zurückkehrt. Holberg greift in der Vorrede zu ähnlichen argumentativen Mitteln wie der anonyme Verfasser der Curieusen Geschichten oder Jonathan Swift in Gulliver’s Travels [1726], indem er Dritte, in diesem Fall die nachgeborenen Enkel der Titelfigur, für die Glaubwürdigkeit der Beschreibung bürgen läßt – hier mit nachgerade ‚handfesten‘ Beweisen: Während in der von Fassmann zitierten Unterweltsbeschreibung der „glaubwürdige Teutsche“ wiederbeschreibbare Wachstäfelchen zur Kommunikation mit der Oberwelt benutzte, konnte die Hauptfigur Niels Klim laut den Beteuerungen seiner Nachfahren und ‚Herausgeber‘ der Reis= Beschreibung ein ganzes Buch als Beleg für die Richtigkeit seiner Angaben vorlegen: die „Quamitisch Donische Grammatik“, die er aus der Unterwelt in seine eigene Welt mit zurückbrachte. Zum Thema der ‚glaubwürdigen‘ Zeugnisse von Dritten vgl. Gerald S. Argetsinger: Ludvig Holberg and the Anglo-American World, in: Ludvid Holberg – a European Writer. A Study in Influence and Reception, hg. v. Sven Hakon Rossel, Amsterdam u. a. 1994, S. 139–161, hier S. 155 (=Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft 8). Daneben zitiert die Figur Klim im dreizehnten Kapitel ihrer Reis=Beschreibung das Tagebuch eines gewissen Tanan. Der Bewohner der so genannten Fünften Monarchie berichtet darin von seiner Reise, die ihn wiederum in die Oberwelt geführt hatte. Tanan kritisiert in seiner satirischen (von Klim angeblich vor dem Wurmfraß geretteten) Chronik die Zustände und seltsamen kulturellen Praktiken, die in Europa, allen voran in Deutschland und Frankreich herrschten, wo etwa die neueste Modefarbe nach der Farbe der Ausscheidungen des französischen Dauphin bestimmt würde. Holbergs nach wie vor vergleichsweise wenig beachtete Unterirdische Reis=Beschreibung bietet eine Vielzahl möglicher Anknüpfungspunkte an wichtige Diskurse im 18. Jahrhundert. Ihr komplexes Spiel mit Authentizität bzw. Fiktionalität sowie der häufig spürbare satirische bis polemische Impetus, der wie im Fall des erwähnten Tagebuchs Tanans deutlich kulturkritische Züge annimmt, scheint bis heute wenig Nachhall in der Forschung gefunden zu haben. Bis auf eine 1983 erschienene Neuedition der deutschen Ausgabe von 1788 und Sigrid Peters 1986 erschienene Dissertation finden sich nur vereinzelt Belege für eine intensive Beschäftigung mit Holbergs Text. Auch seine Vergleichung | der | Historien | und | Thaten | verschiedener | insonderheit Orientalisch= und Indianischer | Grosser Helden | und | berühmter Männer. | Nach Plutarchi Beyspiel [Kopenhagen und Leipzig 1741] harrt noch der systematischen Auswertung, besonders im Hinblick auf deren gleichzeitige Anlehnung an und Abgrenzung von populären zeitgenössischen Parallelbiographien nach Art der Fassmannschen. 36 Im ersten Abschnitt der Reisebeschreibung wird die Parallele zu zeitgenössischen ‚authentischen‘ Reiseberichten besonders deutlich. Eine ähnliche Route wie die, welche in den Curieusen Geschichten beschrieben wird, nahm etwa die Expedition des niederländischen Seefahrers und Forschers Jakob Roggeveen (1659–1729), wie dessen Kommandant Carl Friedrich Behrens (1701–1741) berichtet: Der wohl=verdiente Südländer. Reise um die Welt 1721/22, nach den Originalausgaben bearbeitet v. Hans Plischke [ED 1735], Leipzig 1923. Bereits Thomas More bediente sich im ersten Buch der Utopia dieses Handgriffes, indem er Raphael Hythlodeus als Reisegefährten von Amerigo Vespucci auf dessen Entdeckungsfahrten einführt und einige ‚reale‘ Ereignisse und Elemente der Reisen Vespuccis in seine literarische Fiktion mit einflicht. Vgl.

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jedoch unter spanischer Flagge zu den Philippinen auf, um wenig später auch noch Kurs auf Amerika zu nehmen. Auf der Reise, die von Mißgeschicken, Stürmen und anderen Unbilden gekennzeichnet ist, gerät das spanische Schiff schließlich in einen ominösen Nebel, der den Seeleuten eine genaue Orientierung nahezu unmöglich macht. Nach mehreren Tagen der Angst und Ungewißheit stößt die Besatzung mitsamt dem deutschen Reisenden jedoch überglücklich auf Land. Der hastig ausgesendete kleine Erkundungstrupp in Person eben jenes Deutschen und eines spanischen Matrosen versucht nach der geglückten Landung, dieses seltsam üppig blühende Land zu erforschen und, wenn möglich, andere Lebewesen ausfindig zu machen. Während der spanische Seemann am Strand bleibt, zieht der Deutsche aus, um das Land (eine Insel, wie sich später herausstellt) zu erkunden.37 Doch anstatt anderen Menschen zu begegnen, muß der Deutsche zu seinem Erschrecken feststellen, daß Pflanzen

Thomas More: Utopia, I. Buch, übersetzt und kommentiert von Gerhard Ritter, Stuttgart 2003, S. 17 f. 37 Der Umstand, daß der gestrandete Deutsche sogleich versucht, die Insel systematisch zu erkunden, ihre Größe und topographischen Besonderheiten zu erforschen sowie nach dort lebenden Menschen zu suchen, zeigt, wie sehr sich die fiktionale Unterweltsreise den ‚realen‘ Reiseberichten zum Zweck der authentischen Wirkung anzupassen suchte. Daß alles, was sich auf der Insel befand, ein reiner Schatten seiner selbst war (die Lebewesen eingeschlossen), mochte auf den durch zeitgenössische Reiseberichte geschulten Leser deswegen besonders amüsant gewirkt haben. Thomas More wiederum verfährt in seiner Utopia ähnlich, wenn er seine Hauptfigur Raphael die oben erwähnten ‚typischen‘ Forscherschritte in unbekannte Gefilde unternehmen läßt. In einer interessanten Wendung vermerkt der Erzähler, daß er Raphael vor allem danach gefragt habe, in welcher gesellschaftspolitischen Ordnung denn die von ihm besuchten Inselbewohner gelebt hätten: „Nach solchen Dingen fragten wir ihn am eifrigsten; von ihnen sprach er auch am liebsten, während von den üblichen Reiseungeheuern (es gibt nichts Langweiligeres!) nicht weiter die Rede war.“ Thomas More, Utopia, I. Buch, übersetzt und kommentiert von Gerhard Ritter, Stuttgart 2003, S. 19. In dem Maße, in dem die ‚authentischen‘ Reiseberichte Nachrichten von Wunderdingen, Ungeheuern und sonstigen Phantastereien zunehmend unterdrückten, bis sie, wie der anonyme Verfasser der von Fassmann zitierten Unterweltsreise bedauernd konstatiert, gänzlich aus den Reisebeschreibungen verbannt waren, in dem Maße also mögen die fiktiven Reiseberichte versucht haben dies zu ‚kompensieren‘. Als fiktionales Gegengewicht zu der zunehmend nüchtern-ökonomisierten Welt des sich ausdehnenden Handels konzentrierte sich die Freude am Fabulieren, so könnte man behaupten, auf die phantastischen Reiseberichte. More geht in seiner Utopia noch einen Schritt weiter: Auf der fernen Insel gebe es nach den Erzählungen Raphaels alle bekannten Ungeheuer wie „Scyllen“, „habgierige Celänonen“ und „menschenfressende Lästrigonen“ – eine Anspielung auf Vergils Aeneis, Homers Odysse und John Mandevilles Reisebuch, wie der Kommentar bemerkt –, das eigentlich Bemerkenswerte an der exotischen Welt und vor allem das Seltene seien jedoch nicht die Ungeheuer, sondern die „heilsame und weise“ Staatsverfassung ihrer Bewohner gewesen. More, Utopia, I. Buch, übersetzt und kommentiert von Gerhard Ritter, Stuttgart 2003, S. 19 f.

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und Tiere wie der wilde Löwe, dem er auf seinem Gang begegnet, „blosse Schatten“ 38 sind, durch die sein zum Schutz mitgenommener Knüppel hindurchfährt, als seien sie Luft. Nach einigen kleineren Abenteuern trifft der nunmehr ganz verwirrte Reisende auf Charon, der ihn über das Land aufklärt, in das der Deutsche durch Zufall geraten war: das Totenreich. Charon nimmt sich seiner nach dem Vorbild des Vergil in Dantes Comedia39 an und übergibt den zum unfreiwilligen Entdecker Gewordenen nicht näher beschriebenen „Bedienten des Reichs“.40 Diese führen ihn durch die Elysischen Felder, nachdem er, halb entsetzt, halb neugierig, den Fluß Lethe überquert hat. Sobald der Deutsche sich von der wundersamen Beschaffenheit des Landes überzeugt hat, kehrt er zu seinem Begleiter am Strand zurück, um diesem von seinen seltsamen Erlebnissen zu berichten. Zusammen mit dem Matrosen wird er, so der ‚Reisebericht‘, in den folgenden Jahren viele Male in das Reich der Toten übertreten und unzählige Neuigkeiten und Geschichten von dessen Bewohnern erfahren. Während der Spanier nach einigen Jahren stirbt und praktischerweise gleich am richtigen Ort verbleiben kann, gelingt es dem Deutschen durch einen nicht näher beschriebenen „Zufall“, zurück zu „denen Lebendigen“,41 d. h. in seine alte Heimat Deutschland zu gelangen. Von dort unterhält er jedoch weiterhin, so die Besonderheit dieses Arrangements, eine rege Korrespondenz mit den Bewohnern des Totenreichs.42 Nachrichten und detaillierte Beschreibun38 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 920. 39 Bereits Galileo Galilei versuchte, die genaue Lage, Größe und Beschaffenheit von Dantes Unterwelt in dessen Comedia wissenschaftlich zu ergründen. 1587 lud ihn die Akademie der Wissenschaften in Florenz ein, einen Disput unter den Kommentatoren, der sich über die Topographie von Dantes Unterwelt entsponnen hatte, mit den Mitteln der Mathematik zu schlichten. Galileo reihte sich damit (mit gewissem Unbehagen) in eine Form der pseudo-wissenschaftlichen Erkundung literarischer Texte ein, bei der man etwa das Erdenalter berechnen wollte, indem man die Lebensalter alttestamentarischer Figuren addierte. Auch die Hitze der Unterwelt meinte man bestimmen zu können, indem man sich an der Verdampfungstemperatur für Schwefel orientierte. Offenbar entstand zugleich mit den literarisch-fiktiven Beschreibungen fremder (schöner wie schauriger) Orte das Bedürfnis, diese auch in realiter aufspüren und ergründen zu wollen. Vgl. dazu auch die (bis heute unternommenen) Versuche, die sagenumwobene Insel Atlantis mit Hilfe literarischer ‚Wegbeschreibungen‘ zu orten. Den Hinweis auf Galileis lezioni an der Florentiner Akademie verdanke ich meinem Frankfurter Kollegen Michael Ott. Galileo Galilei: Due lezioni all’Accademia Fiorentina circa la figura, sito e grandezza dell’Inferno di Dante [ED 1588], in: Scritti Letterari, hg. v. Alberto Chiari, Florenz 1970; ders.: Vermessung der Hölle Dantes, in ders.: Sidereus Nuncius. Nachricht von neuen Sternen, hg. u. eingel. v. Hans Blumenberg, Frankfurt a. M. 1980, S. 231–250; Durs Grünbein: Galilei vermißt Dantes Hölle und bleibt an den Maßen hängen, Frankfurt a. M. 1996. 40 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 921. 41 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 921. 42 Wo sich die Toteninseln befanden, darüber macht der fiktive Reisebericht gemäß den Regeln des Genres keine genauen Angaben. Dennoch weist er zumindest die ungefähre Richtung:

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gen vom Zustand ihres Landes werden mit Hilfe von magischen Wachstäfelchen übermittelt, wie sie „von Alters her auch unter denen Lebendigen gebräuchlich gewesen“.43 Die Menschen der Oberwelt, in diesem Falle die Leser der Curieusen Nachrichten bzw. der Leipziger Gespräche, erhielten durch die ‚Nachrichten‘, welche die Toten mittels Wachstäfelchen verschickten, nach und nach ein umfassendes Bild von der Topographie des Totenreichs, dessen besondere Qualitäten im Vergleich zur oberirdischen Welt sich folgendermaßen darstellten:44 – Statt normalen Städten gibt es im Totenreich nur einzelne „Lust=Häuser“, von denen allerdings derart viele auf der Toteninsel verteilt sind, daß diese zusammen mit den üppig blühenden Gärten wie eine einzige große Stadt wirken. – Das Holz, aus dem die „Lust=Häuser“ gebaut sind, hat einen Glanz wie Diamanten und riecht nach „Zimmet und Nelcken“. Die Straßen sind mit „Edelgesteinen“ gepflastert. – Neben duftenden Gärten verfügt die Toteninsel auch über ausgedehnte Wälder. In ihnen singen nicht nur die Nachtigallen und alle anderen Singvögel, die man aus der wirklichen Welt kennt, sondern selbst die Blätter auf den Bäumen lassen Musik erklingen, wenn sie vom Wind gestreift wer-

Die Unterwelt, so der Bericht, sei irgendwo hinter den Kanarischen Inseln zu finden, wie bereits Homer verraten habe. Dies war einerseits deutlich genug, daß die Leser sich eine ungefähre Vorstellung von der Richtung machen konnten (auch hier wieder nach Westen hin orientiert wie die mythischen Gefilde der Kelten), andererseits war der Hinweis vage genug, um der Vorstellungskraft genug Raum zu lassen. 43 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 921. Die fiktive Reisebeschreibung stellt dabei folgendes Wirkprinzip vor: „Da ich nun abzureisen willens war, und meine Freunde in dem Reiche derer Todten eben so grosse Neigung, als ich selbst, zu einer beständigen Correspondenz trugen, geriethen wir auf den Vorschlag, ein sympathetische Wax zu verfertigen, und etliche Tafeln damit zu bestreichen, die ich mit mir nahm, die Seelen aber davon meinen Freunden zurücke ließ. Diese Wax=Tafeln nun haben die Krafft, daß, wann einer von meinen Freunden in dem Reiche derer Todten etwas an die Seinigen schreibet, die Buchstaben sich, auf meinen Tafeln, den folgenden Tag gleichfalls praesentiren. Wann ich dann solche Schreiben abcopiret habe, überstreiche ich das Wax wiederum, und was ich hernach dargegen darauf schreibe, stellt sich ebenfalls, auf denen Tafeln meiner Freunde, in dem Reiche derer Todten vor. Solchergestalt thun sie mir die Geschichten ihres Landes, und ich ihnen die Begebenheiten des unsrigen zu wissen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 921 f. Diese Wachstafeln funktionierten offenbar mit einer vierundzwanzigstündigen Verspätung, hatten jedoch den Vorteil, als eine Art magisches Palimpsest unbegrenzt wiederbeschreibbar zu sein. 44 Alle nachfolgenden Zitate stammen aus: Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28, Leipzig 1722, S. 923–25. Zu Topographien in der Literatur und besonders in ‚nichtirdischen‘ literarischen Räumen vgl. Haupt, ›Kryptopische‹ Zeit-Räume, S. 501–535.

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den; alles Wild tanzt so „artig“, daß man meinen kann, es habe dies durch „Kunst und Mühe“ erlernt. Die Flüsse auf der Insel sind mit „Chocolade, mit Caffee und Aquavit, auch andern mit Liqueurs angefüllet“, und die Fische in ihnen sind „alle ohne Gräten“; in einem der großen Seen auf der Insel, im großen „Milch=Teich“, liegen verlockende „Käse=Inseln“. Auch der Ertrag aus dem Ackerbau bietet andere Köstlichkeiten als auf der ‚Oberwelt‘: Statt Ähren trägt das Getreide „lauter Semmeln, Butterhertzgen, Bretzeln, Kuchen, Marcipan, Zuckerplätzgen und anderes Confect“. Im Totenreich weht der Wind nicht, wann er will, sondern nur zu „ordentlichen Stunden“, und er bringt neben den genannten Delikatessen auch „kleine Pastetgen, Tourten, gebratene Tauben, Lerchen, Grammetsvögel, Rebhüner, Schnepffendreck, allerley gekochte Fische, Austern, Sardellen, Krebse; item Limburger=Käse, und mit einem Worte alle Speisen, wonach man Appetit kan haben“. Jeder, der etwas davon essen möchte, muß nur den Mund aufmachen, um die gewünschte Speise zu essen, die ihm der Wind zuträgt.45

45 Die sehr präzise Identifizierung einzelner Speisen – hier etwa der Limburger=Käse – wirkt zumindest aus heutiger Perspektive mehr satirisch als verlockend – besonders im Hinblick auf die olfaktorische Zusammenwirkung aller Speisen. Im Gegensatz zu Hermann Pleij, der in seiner Studie Traum vom Schlaraffenland eher den moralisch-didaktischen Aspekt und weniger das Karnevaleske an paradiesischen Orten wie dem fiktiven Cocagne betont, scheint die hier angeführte Beschreibung des Totenreichs durchaus mit einem Augenzwinkern all das zu schildern, was die Insel ihren Bewohnern an Annehmlichkeiten zu bieten hatte. Herman Pleij: Der Traum vom Schlaraffenland. Mittelalterliche Phantasien vom vollkommenen Leben, Frankfurt a. M. 2000. Ob die genaue Bezeichnung einzelner Objekte darüber hinaus eine dezidiert karikierende Funktion ausübte bzw. einen bestimmten satirischen Hintergrund hatte, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Bemerkenswert an der Unterweltsbeschreibung, die Fassmann auf seine Gespräche appliziert, ist, daß in ihr verschiedene Überlieferungen verwoben werden. Zum einen alludierte die fiktive Unterweltsreise ‚authentische‘ Reiseberichte; zum anderen bot sie dem durchschnittlich gebildeten Leser zahlreiche Anknüpfungspunkte an abendländische Unterweltsmythen, wie wir sie in Vorstellungen von einer Insel der Seligen bzw. Frommen finden; zum dritten – und dies steht in gewisser Weise quer zum zweiten Aspekt – zeigt der Text deutliche Anspielungen auf enthemmt-satirische Vorstellungen von einem lasterhaften Schlaraffenland, wie wir sie etwa nur wenige Jahre vor dem zitierten Totengespräch Fassmanns bei Johann Andreas Schnebelin finden. In Schnebelins 1694 erschienenem scherzhaften Neu=entdeckten Schlaraffenland wird dieses als „Land alles Hochmuthes / und folglich auch ein Land aller Laster“ bezeichnet. Johann Andreas Schnebelin: Erklärung | der Wunder=seltzamen | Land=Charten | U t o p i æ, | so da ist / | das neu=entdeckte | Schlaraffenland / | [...] Gedruckt zu Arbeitshausen / | in der Graffschafft | Fleiß im Jahr / da Schlaraffenland | entdecket war. [Nürnberg 1694], Reprint der Ausgabe von 1664, hg. v. Franz Reitinger, Bad Langensalza 2000, S. 21.

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Überall im Totenreich stehen „crystallene Bäume“, die anstatt Früchte Trinkgläser tragen, die sich auf Berührung mit „Wein, Chocolade, Limonade und was man nur zu trinken Lust hat“ füllen.46 Die Bewohner des Totenreichs sehen denen der Oberwelt ganz ähnlich; man kann jene in keinem Punkt von diesen unterscheiden, zumindest so lange nicht, als man sie nicht berührt: „Sie reden, essen und trincken, thun Geschäffte gleich andern Menschen, kleiden sich auch an, und ihre Kleider bestehen meist aus zartem Flor, der aus Spinnweben gemachet wird.“ 47 Außer den schönen Häusern, duftenden Gärten, köstlichen Speisen und verschiedenen Getränken gibt es noch zwei Quellen, die eine Lachen, die andere Freude genannt, aus denen die Bewohner der Toteninsel jeden Morgen trinken und deswegen nie betrübt sind.

Die Existenz nicht nur aller oben aufgeführten Annehmlichkeiten, sondern vor allem auch der letztgenannten Quellen führt dazu, daß die Stimmung, die auf der Insel der Frommen herrscht, wahrhaft himmlisch zu nennen ist: Der gantze Himmel hänget unaufhörlich voller Geigen, Fleute-doucen, Hautbois, Waldhörner, Lauten, und anderer Instrumenten, auf welchen die Winde allerley Arien, Sarabanden, Menuets, Ouverturen und Opern spielen.48

Zusätzlich zu dieser immerwährenden Musik bietet die Toteninsel, so die Beschreibung, die Fassmann in seiner Entrevue zitiert, ein stets angenehm gemäßigtes Klima ohne Stürme oder Regen. Weder sengende Sonne noch kalte Winter stören die Seelenruhe der Schatten, die sich im übrigen durch einen Blick in einen tiefen Brunnen über die Ereignisse aus der ‚Oberwelt‘ informieren kön-

46 Der Gegensatz zur wirklichen Welt der Leser wird in dem von Fassmann zitierten Text nicht nur allein durch die Erlesenheit der Speisen und Getränke, sondern vor allem auch durch den Lustaspekt deutlich gemacht. Die ständige Verfügbarkeit unbegrenzter Mengen von Essen und Trinken für körperlose Wesen, die eigentlich keiner Nahrung mehr bedürfen, markiert die Differenz zur eigenen Lebenswirklichkeit und den traumhaften Charakter der Gegenwelt deswegen um so deutlicher. An der entsprechenden Stelle heißt es: „Hierbey aber ist zu mercken, daß sich alles dieses nicht anders, als im blossen Schatten also befindet, und kam es mir Anfangs gar Spanisch vor, daß, wann ich gedachte, eine Lerche mit dem Maul zu erhaschen, ich nur Wind bekam.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28. Leipzig 1722, S. 924. 47 Die Kleidung der Toten, die der Text an dieser Stelle schildert, stimmt nicht mit Fassmanns Gestaltung in den übrigen Gesprächen überein; in den Leipziger Dialogen sind die körperlosen Schatten nicht in Spinnweben gehüllt, sondern kleiden sich entsprechend ihrer ‚wirklichen‘ Herkunft, d. h. nach Art des Landes, aus dem sie stammten (vgl. 6.3.4 Kleidung). 48 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28. Leipzig 1722, S. 925.

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nen, wenn sie dies wünschen. Eine ebensolche Funktion übernimmt ein Zauberspiegel, der den Schatten genau das präsentiert, was sie aus der Welt der Lebenden erfahren möchten. Zusätzlich zu den wieder beschreibbaren Wachstäfelchen bestanden also drei verschiedene Möglichkeiten für die Verstorbenen, sich über Freunde, Verwandte oder allgemeine Ereignisse aus der Welt der Lebenden zu informieren – ob die Bewohner der Welt der Lebendigen diese ‚Spionage‘ aus dem Jenseits bemerken, weiß der deutsche Besucher der Toteninsel nicht genau zu sagen.49 Waren die verstorbenen Seelen nicht friedfertig gesinnt oder aufgrund irdischer Verfehlungen nicht für einen Aufenthalt auf der Insel der Frommen geeignet, mußten sie mit der so genannten Zanck=Insel vorliebnehmen. Dort verweilten die verdorbenen und streitsüchtigen Seelen so lange, bis Besserung eingetreten war und sie darauf hoffen durften, dereinst auf die paradiesische Nachbarinsel zu gelangen. Was Religion und soziale Ordnung auf der Toteninsel angeht, bemerkt der Besucher, daß unter den Toten ungeachtet ihrer ehemaligen Herkunft vollkommene Gleichheit herrsche und auch unterschiedliche Religionen keine Rolle mehr spielten; jeder ließe den anderen sein, wie dieser wolle – aus diesem Grund sei es auch nicht nötig, irgendeine Form von Obrigkeit auf der Insel zu installieren. Da niemand dem anderen etwas neide, und alle Seelen einander gleichgestellt seien, lebten diese, so die etwas überraschende Wendung der Beschreibung, im Zustande der Polygamie. Praktisch bedeutete dies, daß die männlichen Toten mehrere Frauen heiraten konnten; über das Verhalten der weiblichen Schatten wird in diesem Punkt hingegen nichts gesagt.50 Die Schatten in Fassmanns Journal traten mit einem fiktionalisierten Rest von Körperlichkeit auf. Als literarische Repräsentationen des imaginierten Herrscherkörpers zeigten sowohl die europäischen als auch die außer-europäischen Figuren, welche ihrer Eigenschaften und Taten ihren Tod überdauern und gleichsam zum Paradigma guter bzw. schlechter Herrschaft werden konnten. Analog zum Diskurs über die zwei Körper des Herrschers (bzw. der Herrscherin) hat sich an der Auswahl der Figuren (vgl. 5.3 Die ‚sprechenden Toten‘)

49 Der „glaubwürdige Teutsche“ bemerkt hierzu: „Ich habe in demselben [dem magischen Spiegel – SD] gar offtmals meine guten Freunde und Bekannten wahrgenommen; ob sie mich aber wiederum gesehen haben? kan ich nicht sagen.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28. Leipzig 1722, S. 925. 50 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 28. Leipzig 1722, S. 926. Weil den Schatten alle „Haushaltungs=Sorgen“ fremd seien und auch kein Streit über Eigentum entstehe, lebten die Verstorbenen in Frieden und vollkommener Eintracht miteinander; Eifersucht zwischen den Geschlechtern sei unbekannt und alle Tätigkeiten, denen die Toten nachgingen, seien gleichsam „nur zur blossen Lust und Ergötzung“. Ebd., S. 926.

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gezeigt, daß sowohl die bildliche Darstellung als auch die sprachliche Repräsentation der Herrscherkörper Fassmann vor besondere Anforderungen stellten. Nicht nur, daß er den Körper eines Herrschers auf fiktiver Ebene überzeugend den Gesetzen der Textsorte folgend einsetzen, sondern auch, daß ihm dies gleichzeitig mit zwei Körpern gelingen mußte, markiert in diesem Fall die Rahmenbedingungen für Fassmanns Unterwelt. In ihrer Einleitung zu Des Kaisers neue Kleider gehen die Herausgeber auf die These ein, daß der ‚zweite‘ Körper des Herrscher auf fiktionale Repräsentanzen seiner selbst angewiesen sei. Politische Macht sei als solche unsichtbar, sie müsse also geradezu zwangsläufig auf der Ebene der künstlerischen Fiktion abgebildet und somit bekräftigt werden. Das Paradoxon der Unsichtbarkeit von real wirksamer Macht wird dabei wie folgt erläutert: Unsichtbarkeit ist aber keine ontologische Größe, sondern Effekt der spezifischen Bedingungen des Sehens im politischen Raum. Zwar besitzt der symbolische Leib, der die Zugehörigkeit des natürlichen Körpers zur übergeordneten sozialen Körperschaft sichert, keine empirische Evidenz; er ist nur für Eingeweihte sichtbar, die den Code seiner Einkleidung kennen. Dennoch wird man ihn kaum in moralistischer Absicht für uneigentlich erklären und eine darunter liegende ›Wahrheit‹ – und sei es die Wahrheit der Nichterkennbarkeit – identifizieren können.51

Wenn man Fassmanns Journal als einen Teil des oben zitierten „politischen Raums“ begreift, in dem mittels der auftretenden Figuren auch Themen wie die (unsichtbare) Macht der Herrscher verhandelt werden, so ergibt sich daraus in Konsequenz, daß der „symbolische Leib“ und das körperlose Schattendasein der verstorbenen Herrscherfiguren in eins fallen – mit einem gleichsam substantiellen Unterschied, der weiter unten erläutert werden soll. Die Figuren in Fassmanns Totengesprächen sind fiktionalisierte Abbilder, Re-Präsentanzen52 wirklicher Herrscher. Während ihr erster Körper nach ihrem Ableben gemäß spezifischen kulturellen Bestattungsriten behandelt wird, die auf den Tod eines Herrscher zu folgen hatten, ging die Macht ihres zweiten, unsichtbaren Körpers auf den jeweiligen Nachfolger über. Organe wie Fassmanns politisches Journal versuchten nun, mit dem symbolischen, zweiten Körper das Handeln des ersten, d. h. wirklichen Leibs zu verdeutlichen. Macht und symbolischer Körper werden auf literarischer Ebene weiter am Leben erhalten. Durch die

51 Thomas Frank u. Albrecht Koschorke u. a.: Einleitung, in: dies. (Hg.): Des Kaisers neue Kleider. Über das Imaginäre politischer Herrschaft, Frankfurt a. M. 2002, S. 7–14, hier S. 9. 52 Zum Bedeutungsfeld des Repräsentierens in der Kunst vgl. Louis Marin: Einleitung, in: ders.: Das Porträt des Königs, Berlin 2005 [Titel d. Orig.: Le Portrait du roi, Paris 1981], S. 7–27, bes. 10 ff.

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selbstreflexive Anlage der Totengespräche (die Figuren geben ‚über sich selbst‘ Auskunft) wird der Effekt des körperlichen Sichtbarmachens politischer Macht zusätzlich verstärkt. Die oben zitierten „Codes der Einkleidung“ galt es für den zeitgenössischen Leser zu entschlüsseln. Fassmann versuchte, die Interpretation seiner Codierung insoweit zu erleichtern bzw. zu steuern, als daß er die gattungsimmanente Körperlosigkeit der Schatten weitestgehend ignorierte. Die Herrscher und Herrscherinnen sind ihrem ehemaligen Aussehen, ihrer Stellung und ihrer kulturellen Herkunft gemäß gestaltet. Zusammen mit den Titelbildern versuchen vor allem die Beschreibungen des Aussehens (Kleidung) und der Gestik (Mimik, Körperhaltung) eine überzeugende Materialisierung des ehemaligen wirklichen (d. h. ersten) Körpers zu erreichen. Eine Person mußte allerdings, so die einzige Bedingung für die literarische Repräsentation des Herrscherkörpers, tot sein, ehe sie mittels der Literatur wieder zum Leben erweckt werden konnte. Die wiederholten Beteuerungen der Figuren, daß sie, wenn sie noch einmal in die Oberwelt zurückkehren sollten, sofort von ihrer ehemaligen Macht Gebrauch machen (bzw. diese mißbrauchen) würden, zeigen, welches Gewicht Fassmann dem Körper- und damit dem Machtdiskurs beimaß.53 Der zweite Körper ist, so die gleichsam desillusionierende Realisation der Figuren im Totenreich, ohne den Besitz des ersten vollkommen machtlos. Die ehemaligen Wirkmechanismen unsichtbarer Macht verlieren ihre Gültigkeit, und ihre handlungspraktischen Auswirkungen laufen in der Unterwelt dementsprechend ins Leere. Macht, Tradierung von Macht und ihre Repräsentation werden so zum mitlaufenden Subtext in Fassmanns Totengesprächen; allein die Doppelkörperlichkeit der Herrscherfiguren ist durch den substantiellen Verlust des Leibes in der Unterwelt gleichsam aufgehoben und in reine Repräsentation verwandelt. Nichtsdestoweniger strebt die solchermaßen als Surrogat für reale Macht funktionierende Repräsentanz nach authentischer Überzeugungskraft. Die fiktionalisierten Abbilder der Mächtigen verweisen auf deren ehemalige Herrschaftssphären, Taten und realpolitische Folgen, die sich aus diesen Taten ergaben. Sie sollten als gleichsam literarisierte Essenz das Wesentliche am politischen Wirken der vorgestellten Figuren verkörpern. Die Figuren, die dem Leser nach ihrem Tod in Fassmanns Unterwelt begegneten, wurden durch ihren Tod in eine neue Umgebung versetzt. Auf den Toteninseln hielten sie sich jeweils an einem Ort auf, der ihrem ehemaligen Lebenswandel und Charakter entsprach, bis sie gemäß der christlich-protestantischen

53 So droht etwa Alexander der Große in bester Lukianischer Tradition der Hetäre Phryne mit körperlicher Züchtigung, sollte sie ihn weiter reizen. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 65, Leipzig 1724, S. 4.

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Ausrichtung des Journals am Zeitenende durch das Weltgericht ihrer endgültigen Wohnstatt zugeführt werden würden. Der Zustand des Liminalen, in welchem ‚normale‘, d. h. vertraute soziale Strukturen außer Kraft gesetzt sind, befördert nach Turners Ritualdefinition auch die „analytische Zerlegung der Kultur in Faktoren“:54 eine These, die durch Fassmanns Gestaltung seiner Unterwelt insofern argumentativ gestützt wird, als er gerade durch den Übergang vom Eigenen und Vertrauten zum Fremden und Neuen der elysischen Unterwelt das Typische, Besondere und Bemerkenswerte an seinen Figuren hervorzuheben vermochte. Die Toteninseln boten sich auch deswegen als Handlungsort für Fassmanns historisch-politischen Gespräche an, weil sie die Figuren aus ihrem vertrauten sozialen Kontext herauslöste und deren Eigenheiten wie unter einem Brennglas deutlicher hervorhob. Die Essenz der Welt bzw. ihr gegenweltliches Abbild in Form einer christlich-mythologisch geprägten Unterwelt geriet so zum Katalysator dieser Analyse, zum „kulturellen Spielraum“.55 Es bleibt jedoch zu fragen, inwiefern Fassmann seine Figuren, die je eigenen kulturellen Kontexten entstammten, nach den gleichen Maßstäben beurteilte. Stellte er die Fremden nach denselben moralischen Kriterien dar wie die Europäer? Stand ihnen (ähnlich wie den ‚guten Heiden‘ der Antike) der Weg ins christliche Paradies überhaupt offen? Aufschluß über diese Fragen bietet vor allem das Schlüsselgespräch zwischen dem guten Fürsten Ernst von Sachsen-Gotha und dem bösen marokkanischen Tyrannen Mulai Ismail, in dem eben jene Fragen behandelt werden. Fassmann, der sich im negativen Urteil über den mordlustigen Fremden kaum in Zurückhaltung übt, bemerkt zu dessen Herkunft und Zukunftsperspektiven: Nachdem der grausame Kayser und Tyrann zu Marocco, Muley Ismael, lange genug gewütet und getobet, auch eine Erstaunens=würdige Menge Menschen mit eigener Hand hingerichtet hatte, muste er endlich, gleich andern Menschen, von der Welt, und in das Reich der Todten wandern. Gleichwie ihm nun als einem Mohametaner, Barbar und grausamen Tyrannen, der gräßlichste Ort in dem Reiche derer Todten, die Hölle ist, zu seiner künfftigen Wohnung bestimmet gewesen: also wartete seiner bereits eine höllische Furie, als er von seinem Leibe schied. Von solcher wurde derselbe augenblicklich angepacket, und mit ihrer Geissel unaufhörlich gepeitschet, auch öffters, wann er nicht gutwillig gehen wolte, gantz entsetzlich in den Koth, ingleichen auf rauhen Steinen, Dorn und Disteln fortgeschleppet, biß er auf dem Ufer des Flusses Acherons anlangete, und von dem alten Charon in seine Barque eingenommen ward.56

54 Turner, Das Liminale und das Liminoide, S. 42. 55 Doris Bachmann-Medick: Performative turn, in: Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 32009, S. 109–143, hier S. 117. 56 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 45, Leipzig 1722. S. 924 f.

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Mulais Übergang in seinen neuen Daseinszustand gestaltet sich Fassmanns Darstellung nach also vergleichsweise unsanft. Die Aufnahme des „Mahometaner, Barbar[en] und Tyrannen“ in die Unterwelt ist eine feindselige und geradezu brachiale: Von Furien gegeißelt und von Charon der Lächerlichkeit preisgegeben, bekommt der ehemalige Gewaltherrscher genau die ‚Medizin‘, die ihm gemäß seinem Verhalten zu Lebzeiten auch zustand; die Tatsache, daß an dieser Stelle fremde Religion, ‚barbarisches‘ Verhalten und katastrophale Herrschaft miteinander verquickt werden, verdeutlicht, nach welchen Kriterien Fassmann seine Figuren innerhalb seiner Unterwelt beurteilte. Wenn wie im Falle Mulai Ismails unchristliche Religion und mißbräuchliche Herrschaft aufeinander trafen, nimmt es kaum Wunder, daß ihn bereits bei seiner Ankunft im Totenreich nur Drangsal, Schmutz und Gewalt in Form von Kot, Disteln und Schlägen erwarten. Daß barbarische Tyrannen nicht mit nachsichtiger Beurteilung rechnen durften, beweist zudem Charons Eingreifen in Mulais Übergang von der Welt ins Totenreich. Der Fährmann droht dem marokkanischen Tyrannen und verspricht ihm ewige Qualen. Fassmann gestaltet die Szene, die sich hier auf dem Übergang vom Reich der Lebenden zu dem der Toten abspielt, besonders ausführlich und gibt so Hinweise auf die intendierte Lesart seiner Gespräche und die charakterliche Beurteilung der in ihnen auftretenden Figuren. Zu Mulais Reaktion und Charons Drohungen heißt es da: Muley Ismael heulete und wehklagete gantz jämmerlich, warff sich mit seinem Angesicht gegen die Erde, rauffete sich auch in seinem grossen Jammer und Schmertz, vor Tollheit und Verzweiffelung, die Haare aus dem Kopff. Allein Charon sagete zu denen Sclaven: Ziehet ihn bey der Kette; und richtet ihn wider seinen Willen in die Höhe. Er solle nicht einmal des Trostes geniessen, daß er seine Schande verbergen könne. Denn das gantze Reich der Todten muß, zur Rechtfertigung des Himmels, hievon Zeuge seyn, welcher so lange Zeit erdultet, daß dieser Gottlose auf Erden tyrannisiren mögen. Ha Maroccaner! Das ist noch lange nicht genug, sondern der Anfang deiner Quaal, welche unerträglich seyn, und doch ewig währen wird.57

Mulai erlebt dieser Darstellung nach einen wahren Höllentrip – und noch dazu einen, der niemals enden wird. Alles Heulen und Haareraufen helfen ihm an dieser Stelle nicht, sein verdientes Schicksal noch abzuwenden, so seine bittere Erkenntnis. Inmitten einer christlich-mythologisch ausgestalteten Szenerie mit dem dazugehörigen Personal, zu dem Charon, Acheron, Furien, Prometheus, Ixion, Jupiter und einige Engelsfiguren gehören, kostet Fassmann die Möglichkeit aus, einem barbarisch schlechten Herrscher zumindest auf literarischer

57 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 45, Leipzig 1722. S. 925.

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Ebene die Behandlung zukommen zu lassen, die er im Verständnis der Zeit aufgrund seines gottlosen Verhaltens verdiente. Der marokkanische Tyrann ist als eine Art Extrembeispiel zu verstehen – als Endpunkt auf einer Skala, welche die religiösen, sittlichen oder politischen Verdienste bzw. Verfehlungen von Fassmanns Figuren abbildete. Die kulturelle Herkunft und der damit einhergehende Grad an Fremdheit spielte in der Beurteilung eines Charakters eine nicht unwichtige Rolle. Weil der oben zitierte Mulai Moslem, Barbar und Tyrann zugleich war, kam ihm in der Hierarchie der Unterwelt nur die unterste Stufe zu. Das vernichtende Urteil über den Charakter und die Herrschaft des Tyrannen erschien auch deswegen um so schlüssiger, weil dieser auf Herzog Ernst den Frommen traf, dessen vorbildliches christliches Verhalten und gute Herrschaft wiederum den größtmöglichen Kontrast zum fremden Tyrannen aus dem Orient bildeten (vgl. 5.1 Die Dialogform). Das 45. Totengespräch, das jene beiden Männer porträtiert, legt jedoch im Vergleich zu anderen Begegnungen großes Gewicht auf das sittliche Verhalten beider Figuren; andere Totengespräche befriedigten im Unterschied dazu weniger die (wenn auch vordergründig ‚erlaubte‘) Neugier der Leser, was barbarisches Verhalten fremder Herrscher anging, sondern konzentrierten sich mehr auf die Erklärung der Fremdheit bzw. der Eigenarten verschiedener kultureller Kontexte. Daß Fassmanns Interesse am Fremden sich dabei nicht nur auf einzelne Gespräche beschränkte, beweist der XVI. und letzte Band seines Periodikums, in dessen Vorrede Fassmann einigen Aufschluß darüber gibt, nach welchen Parametern er verschiedene Länder und deren Einwohner in seinem Journal darstellen wollte (vgl. dazu 4.2.4 Der XVI. Band). Mit den Totendialogen und dem Supplement-Band sollte der Leser ein Werk in den Händen halten, das nach Art zeitgenössischer historisch-politischer Lexika die Lage, den Ursprung, die Historie und die Eigenarten der Einwohner v. a. fremder Länder vorstellte. In der Vorrede an den „geneigten Leser“ heißt es im XVI. Band hierzu: Es sind auch viele Geographische Beschreibungen von solchen Reichen und Landen mit eingeflossen, die von uns Europæern am weitesten entfernt liegen, und von denen wir sonst sehr wenig zu hören, zu sehen und zu lesen bekommen. Dabey werden die Völcker selbiger Reiche und Lande nach ihrer Gestalt, nach ihrer Gemüths=Beschaffenheit, nach ihrer Kleidung, desgleichen nach ihren Sitten, Gewohnheiten und Religionen beschrieben.58

Das Zitat gibt in der Tat die Parameter an, nach denen das Journal fremde Länder, Sitten und Menschen vorstellte; Fassmanns Konzeption rechtfertigt den Schluß, von einer frühen Form des ethnographischen Interesses am Frem-

58 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Vorbericht, Leipzig 1740, S. 2 (unpag.).

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den zu sprechen. Seine literarisch-fiktiven Figurenporträts fungierten neben aller Kritik an Herrschaft und Sitten eben auch als ein ethno-geographisches Panoptikum, mit dessen Hilfe der Leser seine Kenntnisse erweitern und seine Lust an Neuem und Fremdem befriedigen konnte.

6.2 Konstruktionen des Orients Neben dem eher bedrohlich-aggressiven Eindruck, den besonders die Osmanen durch ihre Expansionsabsichten in Europa hervorriefen, beanspruchten auch dezidiert positive Meinungen über den Orient, dessen Bewohner und deren (wissenschaftlichen) Kenntnisse ihren Platz im literarischen Feld.59 In vielen Fällen wurde eine Eigenschaft, die ‚den Orientalen‘ als wesenhaft unterstellt wurde – wie etwa eine stark ausgeprägte Traditionsbewußtheit –, sowohl als gut und nützlich sowie als schlecht und barbarisch angesehen. Diese ambivalente Haltung äußerte sich zum einen in der dankbaren Übernahme und Wertschätzung arabischer Übersetzungen antiker griechischer Texte, die ohne die Gelehrten, die in der Aristoteles-Nachfolge ihr erworbenes Wissen in den Westen getragen hatten, vernichtet worden oder zumindest in Vergessenheit geraten wären; zum anderen wurde eine Tradition wie die unbedingte Bevorzugung des erstgeborenen Sohnes, die häufig mit (auch mehrfachem) Brudermord einherging, nach europäisch-christlichen Maßstäben aufs Schärfste verurteilt. Zeitgenössischen Kritikern dieser als brutal und barbarisch wahrgenommenen Rituale nach Art Saids ihre Beschränktheit und Voreingenommenheit vorzuwerfen, erscheint jedoch in diesem Zusammenhang als wenig hilfreich. Vielmehr sollten die argumentativen Kontexte und inner- wie außerliterarischen Absichten, die sowohl hinter der ausgeprägten Orientliebe als auch dem Orienthaß standen, stärker in den Blick genommen werden. Die Unterschiede zu und Übereinstimmungen mit tradierten wie zeitgenössischen Auffassungen, die sich in Fassmanns historisch-politischem Journal offenbaren,

59 Zum Orient aus literaturgeschichtlicher Perspektive vgl. etwa den schon älteren, aber materialreichen Artikel von Diethelm Balke: „Orient und orientalische Literaturen“, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, hg. v. Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr, Bd. 2 (L–O), Berlin 1965, S. 816–869. Das neuere Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft hat leider das entsprechende Lemma getilgt und bietet statt dessen nur noch den vergleichsweise ungenauen Eintrag ‚Exotismus‘. Gerhart Pickerodt: „Exotismus“, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Klaus Weimar, Bd. 1, Berlin 2007, S. 544–546. Eine umfangreiche Bibliographie und einen kritischen Überblick zur Orientalismusdebatte und -forschung bietet Andreas Schulz: Befreiung vom Orientalismus. Neue Literatur zur osmanisch-türkischen Geschichte, in: Historische Zeitschrift 281 (2005), H. 1, S. 103–129.

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können dabei einigen Aufschluß über herrschende Diskurse geben: An welchen Stellen weicht die Darstellung des Orients in Fassmanns Gesprächen von gängigen Lesarten seiner Zeit ab, wann zementieren die Dialoge tradierte Vorurteile und welche Anzeichen für ein neues, im weitesten Sinne ethnographisch zu nennendes Interesse am Fremden lassen diese erkennen? Grundsätzlich können in den (positiven wie negativen) Meinungen über den Kulturraum, der mit permutativen Zuschreibungen unter dem Oberbegriff ‚Orient‘ gefaßt wurde, drei unterschiedliche Themenbereiche ausgemacht werden: 1. Zum einen wurde der Orient als politischer und vor allem militärischer Gegner verstanden, den es unter Aufbietung aller Kräfte aus Europa zurückzudrängen galt. Pakte und Bündnisse mit dem ‚Feind‘ wurden als anti-europäisch wahrgenommen. Obwohl Europa an sich weder politisch noch religiös eine Einheit bildete, bewirkte der äußere Feind eine Art identitätsstiftende europäische Innenpolitik oder zumindest einen Anflug von paneuropäischer Gemeinschaftlichkeit. Zahlreiche Quellen betonten gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Notwendigkeit, gemeinsam gegen ‚den Feind‘, und das hieß eben vor allem die expansiv agierenden Osmanen, vorzugehen. In diesem Sinne wurden die Niederlagen der Europäer und deren Uneinigkeit mit dem Siegeszug der Türken und deren religiösem Oberhaupt, dem ‚Lügenprophet‘ Mohammed, in Verbindung gebracht. In der History Of The State Of The Present War, die John Shirley 1683 in London publizierte, wurde dementsprechend ein Zusammenhang zwischen der Uneinigkeit europäischer Fürsten und dem militärischen Erfolg der Osmanen propagiert, den auch Fassmann immer wieder in seinem historisch-politischen Journal konstatierte. Shirley bemerkt hierzu: [...] [T]he Turkish Monarchs taking the advantage of the Christian Divisions amongst themselves, (a thing alwayes fatal to Christendom, and a furtherance to the Ottoman Affairs, as giving their Arms a more easie progress, which Division the Turks impute to proceed from the Effects of their Prayers to their Impostor Mahomet, whom they stile their Intercessor) has for some years past wounded deep the Roman Empire, now grown weak by the many streams of Blood drawn by Civil Broils, and bandying against its powerful Christian Neighbours.60

60 Der vollständige Titel von Shirleys Werk lautete: The | History | Of The | State | Of The | Present War | In | Hungary, Austria, Croatia, Mo= | ravia, and Silesia: | Between Leopold Emperour of Germa-| ny, and Mahumet the Fourth, Sultan of the Turks, in conjunction with Count Teckely and the Hungarian Rebels. [...] By J. S. Gent. | [Linie] | London 1683. Nicht von ungefähr tauchten sowohl bei Shirley als auch später bei Fassmann ‚typische‘ Figuren auf, die den Kampf des Okzidents gegen die militärische Übermacht des Orients verkörperten: Leopold I., Mehmed IV. sowie Thöcköly Imre, die alle als Figuren in Fassmanns Journal auftraten.

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Von diesem ersten bedeutenden politisch-militärischen Bereich zwar theoretisch getrennt, praktisch jedoch häufig in eins gesetzt, war die Religion der zweite Aspekt, der den Orient vom Okzident trennte. 2. Bis zur Aufklärung galten die Mohammedaner aus christlicher Perspektive häufig als bloße ‚Häretiker‘; ihnen wurde nicht nur ein deutlich niedrigerer Rang zugewiesen, sondern allgemein auch der Status des Eigenen, Neuen, d. h. vom Christentum Unabhängigen abgesprochen. Wo es im Vergleich zur älteren jüdischen Religion argumentativ schwieriger war, die Vormachtstellung des Christentums schlüssig zu beweisen, konnte der Islam als jüngste der drei monotheistischen Glaubensrichtungen um so einfacher verurteilt werden. Verunglimpfungen des Propheten Mohammed gehörten dabei ebenso zum argumentativen Standard wie der obligatorische Vorwurf, die Moslems würden in ständiger Unkeuschheit und gotteslästerlicher Sünde leben. Dieser zum Stereotyp gewordene Vorwurf berührt im Kern das dritte große Thema in der Beurteilung des Orients, das der menschlichen Beziehungen und Sitten, das neben Politik und Religion zumeist in die Kritik mit einbezogen wurde. 3. Waren fremde Sitten und Gebräuche für Fassmann im Zusammenhang mit seinem historisch-politischen Journal an sich bereits interessant, so gerieten sie gleichzeitig auch zum probaten Mittel, Kulturkritik zu üben. Kennzeichnend für die uneindeutige Haltung Fassmanns bzw. der gesamten westlichen Welt zu Beginn des 18. Jahrhunderts gegenüber allem, was als orientalischfremd galt, war eine deutliche Bewunderung verschiedener orientalischer Leistungen und Verhaltensweisen bei gleichzeitiger Ablehnung bestimmter Sitten und Praktiken. Im Gegensatz zur überwiegend orientbegeisterten Haltung des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts konnte zu Beginn der Aufklärung ein und dieselbe gesellschaftlich-religiös fundierte Praktik wie die ‚Vielweiberei‘ von einigen männlichen Europäern als sinnvoll und wünschenswert, von anderen hingegen als ungesetzlich, unsittlich oder zumindest als wenig praktikabel beurteilt werden.61 Während der Westen im Mittelalter (von den größtenteils recht widerwillig geführten Kreuzzügen einmal abgesehen) an spezifischen Kenntnissen und Berührungen mit dem Orient an sich nicht sonderlich interessiert war, neigte er in der Reformation dazu, eindeutigere, und eben meist negativ pointierte Meinungen über die Levante auszubilden. Dies lag vor allem zuerst in dem Um-

61 Daß der Diskurs über die Ehe bzw. die Vor- und Nachteile der Polygamie weitreichende Auswirkungen hatte, beweist u. a. die bereits weiter oben erwähnte ‚Tatsache‘, daß die Verstorbenen in Fassmanns Unterwelt auf der Ebene der literarischen Fiktion polygam lebten – zumindest die Männer, wie der von Fassmann als Referenz angeführte Text zur topographischen und sittlichen Ausgestaltung der Unterwelt nicht vergißt einzuschränken.

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stand begründet, daß Europa den Orient im Mittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit noch nicht als gleichsam antithetisch geprägtes Gegenstück zu sich selbst sah. Der Orient wurde geographisch zunächst als Teil Europas verstanden und nicht als eigenständiger (politisch wie kulturell verschiedener) und vor allem klar abgegrenzter Raum.62 Andrea Polaschegg weist in ihrer Studie zum Anderen Orientalimus zu Recht daraufhin, daß es zu keiner Zeit eine geographisch eindeutige Definition der Grenzen dessen gab, was mit dem Begriff Orient tatsächlich gemeint war.63 Dadurch, daß vor allem die Osmanen Gebiete eroberten, die sich auf genuin europäisch verstandenem Boden befanden, konnten auch das maurische Spanien, Sizilien oder Ungarn mit einem Mal als ‚orientalisch‘ gelten. Der ehedem deiktische Begriff Orient, der seiner etymologischen Bedeutung nach vor allem auf eine bestimmte Himmelsrichtung verwies, deutete auch in seiner eingedeutschten Version Morgenland 64 in Richtung der aufgehenden Sonne im Osten (ex oriente lux). Vor allem unter diesem Aspekt überschnitten sich geographische und religiöse Vorstellungswelten, denn heilsgeschichtlich erwarteten die Christen, daß aus dem Osten Christus zum Weltengericht wiederkehren würde (deswegen auch die Ostung aller christlichen Kirchen). Die so wörtlich zu verstehende Orientierung nach Osten hin schlug sich bis zu Ptolemäus etwa auch in der Praxis nieder, auf

62 Vgl. dazu etwa Christianus Gastel: De statu publico Europae novissimo tractatus [1675]; Tobias Wagner: Limina Genealogica in praecipuas Magnatum Europae Familias [1653]; grundsätzlich dazu Dethleffs, Schauplatz, S. 151 ff. Nicht zufällig markiert der Fall Konstantinopels einen Wendepunkt in der Argumentationsstrategie des ‚Westens‘. Nach der als schmachvoll dargestellten Niederlage und dem endgültigen Verlust der äußeren ‚Bastion‘, die den Occident vom Orient trennte, führte Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II. [1405–1464], in seiner immer wieder zitierten Rede wider die Türken den Begriff Europa in seine Argumentation ein. Die dreistündige Rede, die Pius am 15. Oktober 1454 auf dem Frankfurter Reichstag hielt, sollte vor allem die Wichtigkeit hervorheben, gemeinsam gegen einen äußeren Feind vorzugehen, der mit Konstantinopel stellvertretend alle Staaten Europas und eben auch das Deutsche Reich unter Friedrich III. angegriffen habe. Piccolomini bediente sich, wie zahlreiche Studien immer wieder behaupteten, zum ersten Mal seit dem als pater totius Europae apostrophierten Karl dem Großen bewußt dieses Begriffs, um eine innere (politische wie kirchliche) Einheit zu propagieren, die sich realiter in weiter Ferne befand. Enea Silvio Piccolomini: Aufruf zum Kreuzzug [1454], in: Die Idee Europa 1300–1946. Quellen zur Geschichte der politischen Einigung, hg. v. Rolf Hellmut Foerster, München 1963, S. 40–42; ders.: Epistula ad Mahumetem [1569]; Rolf Hellmut Foerster: Europa – Geschichte einer politischen Idee, München 1967, S. 86 f.; Zur ‚Idee Europa‘ und Piccolominis Europa-Begriff vgl. auch den Essay von Johannes Helmrath: Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) – Ein Humanist als Vater des Europagedankes?, in: Themenportal Europäische Geschichte (2007), URL: http://www.europa.clio-online.de/ 2007/Article=118 [24. 09. 2010]. 63 Polaschegg, Orientalismus, S. 63–101, hier bes. 63–85. 64 Polaschegg weist hier auf die Bedeutung der lutherischen Bibelübersetzung hin. Ebd., S. 67.

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Landkarten Osten statt Norden nach oben zu setzen.65 Neben dieser positiven Erwartung fürchtete sich der Westen jedoch vor ‚satanischen‘ Völkern aus dem Osten wie den Gog und Magog oder vor der ‚barbarischen Invasion‘ der hunnischen Horden unter der Führung Attilas, der als flagellum dei galt.66 Erst im Laufe immer weiter ausgedehnter Entdeckungsreisen und durch direkte (meist kriegerische) Auseinandersetzungen mit ‚dem Osten‘ wurde Europa zum Westen – zu dem nach einiger Zeit auch Amerika gezählt wurde, das zunächst, vor allem in Gestalt Südamerikas, als Inbegriff der exotischen Fremde galt. Umgekehrt wurde der Orient als zu einem Europa diametral gegenübergestellten Osten erklärt. Die meisten Texte der Frühen Neuzeit bis hin zur Aufklärung unterscheiden jedoch noch nicht trennscharf zwischen Asien, Afrika und dem Orient.67 Es steht zu vermuten, daß das Bedürfnis Europas nach klarer Opposition gegenüber einem als bedrohlich empfundenen Feind, der ‚irgendwie östlich‘ von Europa beheimatet war, dazu führte, daß man ihn eindeutig verorten wollte. Aus diesem Grund brachte man ihn mit geographisch abgegrenzten und ‚erfahrbaren‘ Kontinenten wie Afrika und Asien in Verbindung. Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch definiert den Orient bzw. in diesem Fall das Morgenland wie folgt: [E]in gegen Morgen gelegenes Land; in welchem Verstande Assyrien, Persien, und andere dem Jüdischen Lande gegen Morgen gelegene Länder in der Bibel unter dem Nahmen des Morgenlandes vorkommen. Jetzt ist es im Plural am üblichsten, die uns Europäern gegen Morgen gelegenen Asiatischen Länder zu bezeichnen, welchen man auch den Orient zu nennen pfleget, und den welchen die Levante oder das Morgenland, oder auch die Morgenländer im engsten Verstande, der westliche Theil diesseits des Tigris sind.68

Der Orient wird hier auf zweierlei Arten definiert: zum einen historisch als diejenigen Gebiete, die sich östlich von Jerusalem befanden, dem gedachten Zent-

65 Vgl. dazu Polaschegg, Orientalismus, S. 67 f. Zu verschiedenen Arten der Kartographie in Mittelalter und Früher Neuzeit vgl. Topographien der Literatur, hg. v. Hartmut Böhme, bes. Kap. I. Repräsentationen diskursiver Räume, Stuttgart/Weimar 2005. 66 Zur ‚Geißel Gottes‘ vgl. auch Kleinlogel, Exotik – Erotik, S. 99. 67 Polaschegg erwähnt dieses Phänomen zwar, unternimmt jedoch keinen wirklichen Erklärungsversuch. Leider blendet sie in ihrer ansonsten ergiebigen und vor allem begrifflich reflektierten Studie Mittelalter und Frühe Neuzeit vollkommen aus, obwohl gerade der von ihr betrachtete Zeitraum des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts ohne diese ‚Vorgeschichte‘ nicht schlüssig zu betrachten ist; zumindest ein grober Überblick hätte einiges in ihrer Darstellung noch wirkungsvoller und überzeugender gemacht. 68 Adelung, Wörterbuch, Bd. M–Scr, S. 287 f. [Hervorh. – SD]. Unter dem Stichwort Orient verzeichnet Adelungs Wörterbuch den „gegen Morgen gelegenen Welttheil, dessen westlicher oder näher gegen Europa gelegener Theil unter dem Nahmen der Levante bekannt ist.“ Ebd., Bd. M– Scr, S. 615 f. [Hervorh. – SD].

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rum des Christentums; zum anderen geographisch nach neuerer Auffassung, nach der im engeren Sinne die „Asiatischen Länder“ westlich des Flusses Tigris als Orient verstanden wurden (Teile des Irak, Arabien, Syrien, das Osmanische Reich und die islamisch geprägten Gebiete Afrikas), im weiteren Sinne auch die übrigen asiatischen Länder wie etwa Indien, China und Japan. Vor der Entstehung des Islam boten die wenig expansiven polytheistischen Kulte der Länder, die man zum Orient zählte, zu wenig Angriffsfläche, als daß sie in der Wahrnehmung des Westens zu einer ernstzunehmenden Gefahr hätten werden können. Erst als sich im Laufe der Zeit vor allem das persische und osmanische Reich dazu anschickten, sowohl religiös als auch politisch nicht nur mit den christlichen Ländern in der unmittelbaren Nachbarschaft gleichzuziehen, sondern diese auch noch langsam, aber stetig zu vereinnahmen und zu ‚islamisieren‘, begann der Westen hellhörig zu werden: Die vorherige weitestgehende Indifferenz wich einem zunehmenden Mißtrauen und mündete schließlich – nach den ersten fulminanten Siegen der Osmanen – in Panik. Das Gefühl der militärischen Ohnmacht förderte dementsprechend literarische Zeugnisse, die nimmermüde die nunmehr als bedrohlich wahrgenommene ‚Türkengefahr‘ aus dem Osten beschworen.69 Eine ausgeprägte Wertschätzung orientalischer Wissenschaften und literarischer Werke blieb im Mittelalter und in der Renaissance wenigen Spezialisten vorbehalten, die im Zuge ihrer Beschäftigung mit arabischen Sprachen oder aufgrund eigener Anschauungen, die sie auf Reisen gewannen, positive Seiten am Orient hervorhoben. Neben der meist eindeutig ablehnenden Haltung der medialen Öffentlichkeit traten so auch vereinzelt Personen in Erscheinung, welche die souveräne Überlegenheit des Orients gegenüber dem Okzident proklamierten. Diese leitete sich vor allem aus der Vorstellung ab, daß der Orient der Sitz des irdischen Paradieses war und noch immer Spuren seiner ehemaligen Privilegiertheit zeige: Fruchtbare Landschaften, üppige Vegetation, heilsame Kräuter, besondere Schätze und seltene Tiere zeugten dieser Auffassung nach von der herausgehobenen Stellung des Orients. In der Beurteilung der Levante herrschte seit Anbeginn christlicher Vorstellungen deswegen eine tiefsitzende Diskrepanz zwischen dem negativ konnotierten fremden, ‚wilden‘ und

69 Wohl nicht zufällig hing der Beginn der sogenannten Türkenliteratur nicht nur mit der Eroberung Konstantinopels, sondern v. a. auch mit der Erfindung des Buchdrucks und der ‚massenweisen‘ Verbreitung der daraus enstandenen Produkte zusammen. Als ältestes vollständig überliefertes Druckerzeugnis gilt in diesem Zusammenhang der Türkenkalender, der vor der drohenden Gefahr aus dem Osten warnte: Eyn manung der cristenheit widder die durken [Mainz 1454], als Faksimile wiederaufgelegt, mit Erläuterungen versehen und hg. v. Ferdinand Geldner, Wiesbaden 1975.

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gefährlichen Orient, aus dem vor allem Gefahr in Form türkischer Horden drohte, und dem positiv konnotierten ‚guten‘ Orient, der als Wiege der christlichen Religion und als heilsbringender Ort für die Wiederkehr Christi gedacht wurde. Die Kreuzzüge, die Europa immer wieder in Richtung Osten unternahm, waren u. a. die Folge neubelebter anti-islamischer Propaganda, die bereits im Mittelalter den heidnischen Unglauben und die sittliche Verderbtheit der Moslems ins Feld führte, um Angriffe auf sie zu rechtfertigen.70 Kleinlogel hebt in ihrer Studie zu Recht hervor, daß zu Beginn der Auseinandersetzung mit den Türken eine eher undifferenzierte Verurteilung des fremden, d. h. unchristlichen und damit per se unsittlichen Moralsystems stattfand. Zur Zeit der Kreuzzüge wurden Osmanen, Perser und auch Mongolen, so Kleinlogel, mit eher unspezifisch xenophoben Vorurteilen belegt, was sich u. a. im typischen Vorwurf äußerte, alle Orientalen seien Heiden und Barbaren.71 Durch die wiederholten militärischen Auseinandersetzungen und den so gezwungenermaßen physischen Kontakt mit dem ‚barbarischen‘ Feind wurde der Westen genötigt, sein undifferenziertes Bild, das er sich vom verderbten, groben und barbarischen Orient gemacht hatte, zumindest teilweise zu verfeinern. Augenzeugenberichte von Schlachten, Protokolle von Friedensverhandlungen, Reiseberichte und Aufzeichnungen von diplomatischen Missionen erlaubten es zum ersten Mal, genauere Beobachtungen des fremden Feindes anzustellen. Zu den tradierten Vorurteilen traten so detaillierte Beschreibungen des Aussehens, der Kleidung, der Gestik, Gewohnheiten, Bräuche und Sitten der wegen ihrer Angriffslust so gefürchteten Osmanen. Diese zwangsläufig differenziertere Haltung nahm ihren Anfang mit der ersten Belagerung Wiens im Jahre 1529, die in westlichen Medien verständlicherweise reichen Nachhall fand. Figuren wie der italienische Philosoph und Humanist Giovanni Pico della Mirandola (1463– 1494) oder der „verrückte Vater des Orientalismus“, der französische Universalgelehrte und Kabbalist Guillaume Postel (1510–1581), trugen jedoch zumindest zum Teil dazu bei, daß es neben der weitreichenden Ablehnung alles Orientali-

70 Den Kreuzzügen des Okzidents gegen den Orient widmet Fassmann ein ganzes Kapitel in seinem Supplement-Band, den er im Anschluß an die Publikation der 240 Totengespräche herausbrachte. Vgl. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, Leipzig 1740, I. Teil, Cap. XXVII, S. 487–493. 71 Kleinlogel, Exotik – Erotik, S. 29. Nicht von ungefähr waren es vor allem die Osmanen, die den europäischen Völkern einen gehörigen Schrecken einjagten und das Bild vom grausamgewalttätigen Orientalen prägten: Da jene in vergleichsweise kurzer Zeit etwa das ehemalige Seldschuken- oder Abbasidenreich erobert und die Vormacht unter den verschiedenen islamisch geprägten Kulturen errungen hatten, hielt der Westen sie bereits für gleichsam allmächtig, bevor die Osmanen unter ihrem Anführer und Namensgeber Osman (ca. 1280–1324) vor den Toren des christlichen Konstantinopels lagerten.

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schen auch einige Bewunderung östlicher Kultur und Natur gab.72 Analog zu den Kritikern konzentrierten sich auch die Fürsprecher des Orients in ihrem Lob vor allem auf die orientalischen Sitten und die islamische Religion, während die Politik häufig keine große Rolle spielte; dagegen traten die oben erwähnten geographischen und biologischen ‚Vorzüge‘ des Orients zunehmend in den Vordergrund. Bereits von Anbeginn an wohnte der Beschäftigung des Westens mit dem Osten ein ausgeprägtes Moment der Selbstbespiegelung inne; im Zusammenhang mit Saids harscher Kritik an der Faszination des Okzidents mit einem ‚falschen‘, d. h. imaginierten Orient muß konstatiert werden, daß der Westen besonders in der Frühzeit des ‚Orientalismus‘ das Fremde als besonders interessant wahrnahm und häufig übertrieben fremd darstellte. Der Orient diente vor Beginn der Aufklärung (und danach, wenn man so möchte, bis heute) als willkommene Projektionsfläche für alles, was fremd, bedrohlich, unerklärlich, sinnlich, verdorben, unanständig und verfallen war. Sobald der Orient sich aus dem Status eines unbedeutenden Anhängsels Europas gleichsam gewaltsam emanzipiert hatte, geriet er beinahe übergangslos zum ‚idealen‘ Kandidaten für die Selbstbespiegelung und angriffslustige Kulturkritik des Okzidents. Weit genug entfernt, daß niemand die zahlreichen Behauptungen vermeintlicher oder wirklicher Orientreisender hätte überprüfen können, und gleichzeitig durch die zahlreichen Nachrichten und verbreiteten (Vor)Urteile bekannt genug, um jedem zumindest die Illusion von ‚Bescheidwissen‘ zu vermitteln, wurde er zu einer geeigneten Angriffsfläche für eine zunehmend intensive Beschäftigung.73 Doch 72 Vgl. dazu Irwin, Lust of Knowing, S. 66 ff. Nach Irwin entsprangen die Islamstudien Postels vor allem einem Gefühl der Angst, obwohl dieser vieles an der arabischen Kultur zu schätzen wußte. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts sei die kriegerische Bedrohung durch die ottomanischen Türken so prominent gewesen, daß sie im Westen die Befürchtung hervorrief, die gesamte Christenheit könnte dem Untergang geweiht sein. Postel wiederum, so Irwin, hielt den Islam und den Protestantismus für gleich gefährlich für die Existenz des ‚wahren‘ Christentums – eine Auffassung, die er in seinem 1543 in Paris erschienenen Traktat Alcorani seu legis Mahometi et Evangelistum concordiae liber darlegte. Zu Postel vgl. auch Yvonne Petry: Gender, Kabbalah, and the Reformation. The Mystical Theology of Guillaume Postel, Leiden u. a. 2004. Zu Giovanni Pico della Mirandola vgl. u. a. Paul Oskar Kristeller: Pico Mirandola and his sources, in: L’opera e il pensiero di Giovanni Pico della Mirandola nella storia dell’umanesimo, Convegno Internazionale Mirandola 1963, Bd. 1, Florenz 1965, S. 36–142. 73 Bereits in Eberhard Werner Happels Thesaurus exoticorum wurde auf den ‚Vorteil‘ angespielt, der sich aus der Distanz zu dem zu beschreibenden Gegenstandes ergab: „[...] wie Rupertus ad Valer. Max. lib. 4 c. 6. Diff. Philolog in fin sagt: Qui longinqua narrant, sciunt non esse pedes ad refutationem. Die von entlegenen Dingen schreiben oder reden / wissen wohl / daß man sie so leicht nicht mit Lügen straffen kan / [...].“ Happel, Thesaurus exoticorum, Vorrede, S. 6 (unpag.).

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auch an der positivistischen Rezeption und literarischen Re-Präsentation des Orients, die sich im 18. Jahrhundert vor allem wieder durch den kulturellen Vorreiter Frankreich entwickelte, zeigte sich vor allem, welche Aspekte am Orient Europa als wichtig und bemerkenswert erachtete.74 Cornelia Kleinlogel weist in ihrer umfassenden Studie zur Geschichte des Türkenbildes zu Recht darauf hin, daß der Westen im Osten einen idealen Kandidaten fand, um Tabuthemen unter dem Deckmantel der Kritik am Fremden zu diskutieren. Durch seine überragenden militärischen Erfolge mutierte der Orient in Gestalt der Osmanen zum ‚Angstgegner‘, und man war im Europa der Frühen Neuzeit nur allzu bereit, dem erstarkten und unheimlichen Feind aus dem Osten alles erdenklich Schlechte zuzuschreiben: Die extreme Verschärfung der politisch-militärischen Gefahr für Europa in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bedingte eine enorme Steigerung und Diversifikation der literarischen Produktion zum Thema der Türkengefahr; und die sich hier etablierende enge Beziehung zwischen politischer Konfrontation und literarischer Kompensation besteht bis zum Ende der Türkenkriege in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.75

Mit dem traumatisierenden Fall Konstantinopels im Jahr 1453 wuchs die Angst des Westens vor einem Gegner, der aufgrund seines religiös motivierten Defätismus und seiner vermeintlich barbarischen Grausamkeit unbesiegbar schien. Die anfängliche Zuspitzung bzw. Einengung des Orientbildes, d. h. die Konzentration vor allem auf die expansions- und angriffslustigen Osmanen, wich nur langsam einem differenzierteren geographischen wie politischen Bild vom Orient.76 Als sich das Osmanische Reich fast auf dem Zenit seiner Ausdehnung

74 Vgl. dazu Michael Klinkenberg: Das Orientbild in der französischen Literatur und Malerei vom 17. Jahrhundert bis zum fin de siècle, Heidelberg 2009. 75 Kleinlogel, Exotik – Erotik, S. 7. 76 Diese Sichtweise spiegelt sich im Grunde auch noch in Fassmanns Journal wider, wenn man die Auswahl seiner Dialogpartner betrachtet: Den Hauptteil seiner ‚exotischen‘ Figuren bildeten Figuren aus dem Osmanischen Reich, gefolgt von Persern. Weniger zahlreich vertreten waren Inder und Araber. Keine seiner Figuren kam hingegen aus China oder Japan. Letzteres erklärt sich vor allem dadurch, daß Fassmann neben den Gesprächen auch seinen Reisenden Chineser publizierte, der zeitgleich mit den Lettres persanes Europa aus dem Blickwinkel eines ‚Fremden‘, in diesem Fall eines umherreisenden Chinesen, porträtierte. Wenn man zusätzlich zu den oben genannten alle im weitesten Sinne ‚nicht-europäischen‘ Figuren mit hinzuzählt, gelangt man zu folgender Übersicht: Osmanen: 8; Russen: 7; Perser: 3; Ägypter: 1; Marokkaner: 1; Albaner: 1; Araber: 1; Afghanen: 1; Mongolen: 1; Hunnen: 1; Inder: 1. Alexander den Großen versteht Fassmann als Griechen und damit als Europäer, deswegen kann er diesem Verständnis nach nicht zu den ‚exotischen‘ Figuren gezählt werden (vgl. dazu Entrevue Nr. 113, Leipzig 1727, S. 14). Insgesamt beläuft sich der Anteil von Gesprächen, die eine Figur oder zwei Figuren aus den oben angeführten Ländern enthalten, auf 8,3 %.

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befand – zur Zeit des ebenfalls von Fassmann porträtierten Sultans Süleyman des Prächtigen (1520–1566) –, sah sich Europa und besonders Deutschland mit einschneidenden Veränderungen konfrontiert. Während Reformatoren und Katholiken im Innern um die rechte Art des Glaubens und um die religiöse wie politische Vormacht rangen, fiel der größtmögliche Angst verbreitende äußere Feind in Gestalt der Osmanen in die Hoheitsgebiete des christlichen Abendlandes ein. ‚Der Türke‘ galt zu Beginn der Beschäftigung des Westens mit ihm als schlecht: zum einen allein deswegen, weil er nicht der christlichen Religion angehörte und an den ‚falschen‘ Propheten glaubte. Zum zweiten untergrub die ihm unterstellte Neigung zur Sinnes- und vor allem Fleischeslust den vom Westen propagierten Wertekanon. Der Genuß leiblicher und sinnlicher Freuden war, wie viele Texte nicht müde wurden zu betonen, eine tendenziell äußerst gefährliche und zu verurteilende Angelegenheit. Vor allem die deutlich von westlichen Vorstellungen abweichende Ehepraxis des Islams überforderte die noch wenig ausgeprägte Neigung des Westens zur Toleranz – ein Aspekt, mit dem sich das nachfolgende Kapitel noch näher beschäftigen wird (vgl. dazu den Abschnitt Ehe). Anders als in den Jahrhunderten zuvor war die Auseinandersetzung des christlichen Abendlandes mit dem islamischen Orient während der Reformation keine rein theologische Angelegenheit mehr. Durch die veränderte politische und gesellschaftliche Ausgangslage, die während der konfessionellen Auseinandersetzungen zu innerer Instabilität führte, änderte sich der Blick auf den äußeren Feind aus dem Orient. Kleinlogel bemerkt hierzu: „Die einmal gefällten Vorurteile behalten ihre Gültigkeit; die ‚Urteilsbegründung‘ jedoch wird revidiert und gewandelten Legitimations- und Rezeptionsbedingungen angepaßt.“ 77 Während also die einmal ausgeprägten Türken-Topoi annähernd gleich blieben, paßte sich ihre Verwendung neuen politischen, literarischen, staatstheoretischen und mentalitätsgeschichtlichen Zusammenhängen an. Daß der Islam eine häretische und lasterhafte Religion sei, reichte als alleinige Begründung für einen ‚Türkenkrieg‘ im 16. und 17. Jahrhundert nicht mehr aus; als neuer Aspekt trat nun verstärkt die Kritik am moralisch-sittlichen Verhalten der Osmanen hinzu. Nicht zufällig sind es vor allem die Protestanten, die im Zuge ihrer neuen Koranübersetzungen und -kommentare zum kritischen Gesamtschlag gegen den Islam ausholten; den Katholiken war das Studium des Korans untersagt, sie holten diesen ‚Vorsprung‘ der Protestanten erst geraume Zeit später wieder auf. Beiden christlichen Religionen war jedoch gemein, daß

77 Kleinlogel, Exotik – Erotik, S. 32.

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sie vor allem die Liebes- und Eheauffassung des Islam aufs schärfste kritisierten. Da sich jedoch sowohl Katholiken als auch Protestanten untereinander im Streit befanden, welchen Status die Ehe im religiösen wie sozialen Gefüge einnehmen sollte, diente die Kritik am islamischen Eherecht vor allem der Stärkung der eigenen Position in der Auseinandersetzung mit dem christlichen Antagonisten. War die soziale Ordnung durch diese konfessionellen Streitigkeiten bereits nachhaltig gestört, so wirkte die exotische Andersartigkeit vieler sozialer Praktiken der Türken besonders verstörend und bedrohlich. Jede Abweichung von genuin christlichen Vorstellungen wurde als zersetzend, gefährlich und bekämpfenswert dargestellt – wobei ein nicht unbedeutender Effekt eben durch die Andersartigkeit bzw. den Kampf gegen diese erzielt wurde: die Bekräftigung der eigenen Normen und Stärkung der inneren Stabilität. Der Wunsch nach einer geordneten, ‚regelgerechten‘ gesellschaftlichen Lebensform wurde um so deutlicher, je stärker die Verurteilung des abweichlerischen Anderen betrieben wurde. Besonders das vergleichsweise unproblematische Verhältnis, das der Islam zur körperlichen Liebe an den Tag legte (der ehelichen und heterosexuellen wohlgemerkt), mußte auf die Beschützer der repressiveren christlichen Ordnung eine abstoßende und gleichzeitig faszinierende Wirkung ausüben. Daß dem so war, wird allein durch die schiere Anzahl von Schriften belegt, die sich mit diesem Aspekt der orientalisch-islamischen Lebensweise beschäftigten. Der Topos des sexuell unersättlichen Türken wurde nicht von ungefähr von protestantischen und pietistischen Quellen propagiert. Wie zahlreiche Beispiele aus verschiedenen Medien belegen, stand und steht der Orient bis heute für Sinnlichkeit und laszive Körperbetontheit.78 Dieser Topos war offenbar wegen 78 Kleinlogel weist in ihrer Studie auch auf deutlich stereotypisierende westliche Werbekampagnen hin. Als Beispiel hierfür kann ein Werbeplakat aus den späten Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts herangezogen werden, das mit satten Rottönen für Yves Saint Laurents schwülstig-süßlichen Duft Opium warb, was offenbar v. a. Sinnlichkeit und Laszivität vermitteln sollte – der Untertitel lautete dementsprechend „Sensuality to the Extreme“. Das Model (in diesem Fall die eher für ihren ‚Heroin-Chic‘ und ihre Magerkeit bekannte Kate Moss) zeigte in der vorletzten Kampagne vor dem Hintergrund seidenweicher Stoffe rote Lippen und viel Bein, während der Rest ihres Körpers von weichen, fließenden Gewändern umspielt und mit opulenten Preziosen wie Ketten und Armreifen geschmückt war. Die ‚Originalkampagne‘ aus den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, in der Helmut Newton Jerry Hall inmitten einer Unzahl von silbrig-seidigen Brokatkissen zeigte, betonte noch deutlicher die ‚narkotisierende‘ und laszive Wirkung des orientalisch anmutenden Parfüms. Während diese erstgenannten Kampagnen v. a. durch Stoffe, Farben, Accessoires und Haltung das Bild einer (europäischen) Sklavin in einem orientalischen Harem inszenierten, verzichtet die neueste, ‚verjüngte‘ Version – fotografiert von Steve Meisel unter der Direktion von Tom Ford – auf derart eindeutige Verweise: Im wahrsten Sinne aller störenden Elemente entkleidet, räkelt sich eine alabasterweiße Sophie Dahl ekstatisch auf samtig-nachtblauer Fläche; einzig der kostbare Goldschmuck

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seiner anziehend-tabuisierten Wirkung besonders geeignet, als regelrechter Platzhalter für ganze Gesellschaften zu gelten. Osmanen bzw. Moslems galten zu Beginn der Reformation generell als sittenlose und gleichsam viehische Barbaren. Ihre ‚Bestialisierung‘ wurde u. a. von Luthers Übersetzung der Confutationes de Alcorani von Monte Croce im Jahre 1542 angestoßen. In einem Brief an Jakob Probst vom 26. März 1542 kommt Luther auf den beklagenswerten Zustand des Reiches zu sprechen und nennt Symptome wie Ursachen hierfür: Es droht das Ende dieser Welt, das ist gewiß, so wütet der Satan, so verroht die Welt, so daß nur dieser einzige Trost bleibt, der Jüngste Tag stehe kurz bevor. Und nachdem die Welt von Gottes Wort erfüllt ist und es auf seltsame Weise zu verschmähen beginnt, wird das geringere Wort der falschen Propheten erstehen. Was würden denn die Häresien erwecken, die epikureisch das Wort verachten? Mit Deutschland ist es aus: Es wird nie wieder sein, was es gewesen ist. Der Adel denkt vor allem an seine Herrschaft, die Städte dagegen wirtschaften in ihre Tasche (und mit Recht). So muß ein in sich zerspaltenes Reich (Mark. 3, 24) dem Herrn der Dämonen, die in den Türken wohnen, entgegentreten. [...] Ich bin gerade mit der Übersetzung eines Buches beschäftigt, das den Titel trägt ›Widerlegung des Alkorans Mahomets‹; lieber Gott, wie groß ist Dein Zorn über die Kirche, aber besonders über den Türken und Mahomet! Die Bestialität Mahomets ist größer, als einer glauben würde.79

Die katastrophale Situation des Reichs ergab sich in Luthers Augen aus mehreren Gründen, die zusammen ein fatales Ergebnis zeitigten: Zum einen schwächten die Gier der Adligen und die Selbstbezogenheit der freien Reichsstädte die innere Stabilität; zum anderen führte die allgemeine Mißachtung des Gotteswortes dazu, daß der Häresie und den falschen Propheten (Türken wie Katholiken) Tür und Tor geöffnet würden. Im Kern begründet Luther hier das auch später immer wieder angeführte Argument, daß vor allem die innere Zerrissenheit der Christen in Europa schuld daran sei, daß ‚der Türke‘ sowohl religiös als auch politisch die Grundfesten der abendländischen Gesellschaft erschüttern konnte.

verweist als ikonographischer ‚Rest‘ auf den orientalischen Bilderraum. Zur Geschichte der Vermarktung ‚orientalischer‘ Produkte vgl. Angelika Epple (Hg.): Globale Waren, Essen 2007 (= WerkstattGeschichte 45); Tino Jacobs und Sandra Schürmann zeigen am Beispiel der ‚Orientzigarette‘, welche Bilder sich der Westen von ‚typischen‘ Produkten des Orients machte: Jacobs/Schürmann: Rauchsignale. Struktureller Wandel und visuelle Strategien auf dem deutschen Zigarettenmarkt im 20. Jahrhundert, in: Globale Waren, S. 33–52; vgl. zum selben Thema auch Michael Petrowitsch (Hg.): Vom Diwan in den Sattel oder: Wie der Marlboro Man den Orient besiegte, Laafeld 2008. 79 Martin Luther: Brief an Jakob Probst [26. März 1542], in: Briefe, hg. v. Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Frankfurt 1995, S. 230 f.

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Neben oder zum Teil an die Stelle innerer (Glaubens)Konflikte trat während und nach der Reformation ein militärisch dominanter Feind, der sich schlecht ignorieren ließ. Weil man wegen dessen Erfolgen im Krieg gezwungen war, ihn als Widersacher zwar ernst zu nehmen, ihn aber – zumindest über einen längeren Zeitraum hinweg – nicht aus eigener Kraft besiegen konnte, eröffnete vor allem die Literatur mit ihren neu entstehenden Publikationsformen und unterschiedlichen Textsorten die Möglichkeit, innere Konflikte durch ein gefestigtes äußeres Feindbild zum Verschwinden zu bringen. Folgerichtig nahm in Friedenszeiten das Bedürfnis ab, den Orient bzw. die Türken als dessen Stellvertreter zu dämonisieren und ihn bzw. sie als Inbegriff alles Schlechten darzustellen.80 Mit der Eroberung Konstantinopels wurde der Westen mit einem Mal der ‚Türkengefahr‘ gewahr.81 Weil dieses Bewußtsein für die Bedrohung von Außen – besonders auch im Deutschen Reich – aus verschiedenen Gründen keine unmittelbaren (und vor allem keine erfolgreichen) Vergeltungsmaßnahmen nach sich zog, mußte die fiktionale wie nicht-fiktionale Literatur

80 Vgl. dazu Kleinlogel, Exotik – Erotik, S. 7–9. Häufig versuchte man, den Feind im Innern mit Kräften in eins zu setzen, welche die Sicherheit von außen bedrohten. Polemische Identifizierungen der protestantischen bzw. katholischen Seite mit der verunglimpften muslimischen waren nicht selten: Weil die Protestanten etwa analog zu den Muslimen als besonders gefährliche Häretiker gelten sollten, drängte sich ein Vergleich beider Gruppen nachgerade auf. Daß dies jedoch kein ‚typisch deutsches‘ Phänomen war, beweisen Publikationen wie etwa ein englisches Flugblatt, das anonym im Jahre 1684 erschien; sein vollständiger Titel lautete Great news | From | Count Teckely, | or, | An Account of some Passages ‚twixt a True Protestant English Volunteer, and a Tecke- | lytish Mahumetan in the Turkish camp. In dem zweiseitigen Pamphlet wurden die englischen Protestanten ins Visier genommen, deren Unterstützung des ‚Verräters‘ Thöcköly den Muslimen gute Dienste geleistet habe. Der Unterstützer des ungarischen Rebellenlagers bemerkt zu seinem Dialogparter, einem englischen „True Protestant“: „Believe me there should be a Colledge Erected in Constantinople, or Adrianople, for the Education of true Protestant Mahometans. their hearty Zeal for the Turk, and Count Teckely, is far Superior to their Muftie’s, or our Priests; and I fancy their Prayers would be more Succesful.“ Im Englischen ließ die Bezeichnung „Teckelytish Mahometan“ auch Assoziationen mit dem Begriff ticklish (kitzlig von engl. to tickle, kitzeln) entstehen, was das Ansehen dieser Gruppe noch zusätzlich herabsetzte. Die englischen „Converticles“ (auch hier wieder die Verballhornung durch die Assonanz mit tickles) brächten, so das Pamphlet, dem ungarischen Rebellen und Verräter der europäischen Christenheit dieselbe Verehrung entgegen wie Luzifer und den gefallenen Engeln – ein Vergleich, der zum argumentativen Standard gehörte, wenn man die andere Seite möglichst kraftvoll ins Unrecht setzen wollte. 81 So beschworen etwa Lohensteins Dramen immer wieder die noch als omnipräsent empfundene ‚Türkengefahr‘, nicht zuletzt verstärkt durch die verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Kriegs; „darüber hinaus“, so Horst Ohde, „haftete der Furcht vor den Türken jenseits des Realgeschichtlichen etwas gesteigert Irrationales an: eine Angst vor dem Unzivilisierten, dem exotisch und bösartig Muselmanischen.“ Ohde, Inszenierung des Fremden, S. 307.

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Funktionen übernehmen, die von der Politik nicht erfüllt wurden. Pamphlete, Mahnungen, Flugblätter mit neuesten, häufig propagandistisch gefärbten Nachrichten, Aufrufe zum Kampf und dergleichen mehr dienten in dieser ersten Phase nach dem Fall der „Grenzbastion des Abendlandes“ 82 als notwendige und willkommene Ersatzhandlungen. Horst Ohde beschreibt in seinem Beitrag zu Lohensteins Türkendramen, welche Aspekte in der Abwehr des bedrohlichen Fremden zum Tragen kamen: Als mentalgeschichtliches Stereotyp war die Türkengefahr seit der Eroberung der abendländischen Grenzbastion Konstantinopel im Jahre 1453 lebendig, erschien sie doch zugleich als Bedrohung für den christlichen Glauben und für die herrschende soziale Ordnung. Der Islam schien der »Anti-Christ« schlechthin, das »Osmanische« eine geballte Differenz-Kumulation, die im religiösen Anderen auch zugleich das gesamtkulturell Fremde, Feindliche sah. So wurde das Türkenbild von Kirche und Hof propagandistisch gepflegt und so hatte es sich hysterisierend in den Köpfen festgesetzt. Stereotypisiert erschien alles Türkische synonym mit gewalttätiger Grausamkeit und sexuell überhitzter Sinnlichkeit.83

In dieser Zeit der medialen Auseinandersetzung mit der ‚Türkengefahr‘ wurden phänotypische Merkmale ausgebildet, die in den nachfolgenden Jahrhunderten das Bild des Türken, der für den Orient als Ganzes stand, prägten. Gut zwanzig Jahre nach der Eroberung Konstantinopels führten verstärkte Angriffe der Osmanen auf die Grenzgebiete des habsburgischen Reichs zu einem signifikanten Zuwachs publizistischer Aktivitäten: „Kampfesschilderungen, [...] Predigt- und Liedtexte, Pamphlete, Prophezeiungen und mehr oder minder sachliche Berichte über die Bedroher“ 84 ergänzten den Katalog der Textsorten, mittels deren sich das christliche Abendland gegen einen übermächtig scheinenden Feind zur Wehr setzte. Fiktionale wie nicht-fiktionale Texte konstruierten das Bild vom bedrohlichen Türken, den man – wenn man ihn schon auf militärischem Wege nicht schlagen konnte – zumindest auf religiöser wie sittlich-moralischer Ebene verächtlich zu machen suchte. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in der keine nennenswerten Angriffe der Osmanen stattfanden, erschienen dementsprechend häufiger Reiseberichte und andere Dokumente, die als Folge der zunehmend von wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmten Handelsbeziehungen und diplomatischen Missionen verfaßt wurden. Während sich das Osmanische Reich mit eigenen Konflikten beschäftigte, hatte Europa Zeit, sich für den Orient als Kultur- und

82 Kleinlogel, Exotik – Erotik, S. 16. 83 Ohde, Inszenierung des Fremden, S. 307. 84 Kleinlogel, Exotik – Erotik, S. 17.

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Handelsraum zu interessieren – zumindest soweit es dies während des Dreißigjährigen Krieges überhaupt vermochte. Als sich die Osmanen nach wiedererlangter Stärke erneut anschickten, Europa bzw. dessen Stellvertreter Wien anzugreifen und womöglich zu erobern, wich die vergleichsweise entspannte Haltung des Westens wiederum der Angst: Während des Großen Türkenkriegs (1683–1699) ergingen sich westliche Chronisten und Literaten verstärkt in bereits bekannten stereotypen Angriffen auf den Feind aus dem Osten. Doch bereits Samuel Pufendorf folgert in seinem Traktat De statu imperii Germanici, daß die immerwährende Beschwörung einer von außen drohenden ‚Türkengefahr‘ vor allem im ökonomischen wie politischen Interesse innerer Kräfte liege. Angst, so Pufendorf, sei ein besonders gut geeignetes Mittel, um Gehorsam herzustellen. Die Mechanismen, nach denen die Feindesabwehr funktioniert, beschreibt er in der deutschen Übersetzung seiner Reichsverfassungsschrift wie folgt: Beim Volk aber sind die Türken der Inbegriff des Schreckens geworden, teils wegen ihrer wilden Sitten, teils wegen der List der Österreicher, mit dem Türkenschrecken die deutschen Geldbeutel zu schröpfen; außerdem wegen des Geschreis und der Unheilsprophezeiungen der Geistlichkeit, die daraus Nutzen zieht, das Volk in Furcht zu erhalten.85

Pufendorf stellt hier zum einen den Zusammenhang zwischen weltlicher Politik und geistlich-religiöser Hetze gegen den andersgläubigen Feind aus dem Orient her; zum anderen beurteilt er die Bemühungen sowohl der Habsburger als auch der Geistlichen als so erfolgreich, daß das gesamte deutsche Volk nunmehr in Angst und Schrecken lebe und deswegen nur um so bereitwilliger Geld gebe bzw. zu den Waffen greife. Erst mit dem endgültigen Sieg der Habsburger über die Osmanen unter dem von Fassmann in seinem ersten Gespräch porträtierten Leopold I. wandelte sich die allgemeine Stimmung. Wo vorher Panik geschürt wurde, regierte nun die überbordende (Schaden)Freude. Kleinlogel interpretiert diese Reaktion wie folgt: Alsbald wurden ‚literarische Siegerposen‘ eingenommen, Triumphspiele und höhnische Pamphlete überboten die sachliche Berichterstattung, und eine Serie weiterer militäri-

85 Samuel Pufendorf als Severinus de Monzambano: De Statu | Imperii Germanici | Ad | Lælium Fratrem, | Dominum Trezolani, | Liber Unus. | Genevæ, | [Linie] Apud Petrum Columesium. | M.DC.LXVII. [1667]; zu deutsch: Die Verfassung des deutschen Reiches, hg. u. übers. v. Horst Denzer, Frankfurt a. M. u. a. 1994, S. 211. Zur Entstehung der Reichsverfassungsschrift vgl. auch das Nachwort von Horst Denzer, ebd., S. 290–322.

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scher Erfolge der Habsburger und ihrer Verbündeten (1686 Rückeroberung Budas, 1687 ganz Ungarns, 1688 Belgrads), bestätigte dieses neue Siegesgefühl.86

Der Frühaufklärer Fassmann befand sich im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts zwischen allen Stühlen: Einerseits wollte er als kaisertreuer Protestant mit Hilfe der Figuren (und eben auch besonders der ‚exotischen‘) in seinem Journal moralisch eindeutige Werturteile abgeben und bestimmte Formen schlechter Politique kritisieren; andererseits verlangte der Anspruch, den Fassmann an sein Journal stellte, fremde Länder und exotische Figuren exakter und ‚wahrheitsgemäßer‘ zu schildern, als dies in Texten der ‚Türkenliteratur‘ der Fall gewesen war. Wer seine Publikation dem Geschmack der Zeit entsprechend verkaufen wollte, konnte ‚die Orientalen‘ eben nicht mehr nur als homogene und furchterregende Gruppe darstellen. Das erwachende ethnographische Interesse und der selbstauferlegte Anspruch, sachlich-vernünftige Informationen über ‚die Fremde‘ zu vermitteln, verlangten nach einer neuen Haltung.87 Auch wenn dies gemäß zeitinhärenten Widersprüchen noch nicht durchgängig zu bewerkstelligen war, zeigen Fassmann Texte dennoch sein Bemühen, differenzierter mit den Biographien der ‚Exoten‘ umzugehen. Fassmanns frühaufkläre-

86 Kleinlogel, Exotik – Erotik, S. 8. 87 Der Umstand, daß eben nicht nur fremde Biographien in Fassmanns Journal verhandelt wurden, sondern auch eigene, führte dazu, daß auch das vermeintlich Vertraute und Bekannte mit anderem Blick angesehen werden mußte. Begünstigt durch die gattungsimmanente ‚Gleichheit‘ der Toten in der Unterwelt hieß das beispielsweise, daß sowohl die Schilderung fremder als auch eigener Länder nach den gleichen Parametern funktionierte. So fand der Leser sowohl in den Lebensläufen der Exoten als auch in denen der Europäer (und in besonderem Maße auch denen der Deutschen) ähnliche Kriterien vor, nach denen er die Eigenarten und Besonderheiten der vorgestellten Personen und deren Herkunftsländern kennenlernen konnte. Die weiter oben bereits angeführten Kategorien wie Größe des Landes, Reichtümer und andere geologische Besonderheiten, Klima, Anzahl und Charakteristika der Bewohner, verschiedene Religionen und deren Merkmale, Regierungsform, Kriege und wichtige Schlachten sowie spezielle Sitten und Gebräuche der Einwohner stehen exemplarisch für Fassmanns Vorgehensweise. Obwohl er sich hier besonders an den populärer werdenden historisch-ethnographischen Lexika seiner Zeit orientiert, ist seine Darstellung naturgemäß nicht wertfrei oder rein ‚wissenschaftlich‘: Manche Figuren und Länder sind ‚gleicher‘ als andere, ihnen wird in den Gesprächen mehr Lob zuteil als den Figuren, die mehrere als negativ empfundene Faktoren in sich vereinen. So verdient zwar ein guter, d. h. gerechter orientalischer Fürst, der sich zu Lebzeiten um Wissenschaft, Künste und Frieden bemühte und nach den Vorschriften seines Glaubens lebte, Lob. Dennoch wird sein europäischer Gegenpart in einem ähnlichen Fall noch um einiges mehr positive Resonanz in den Dialogen finden; alles andere wäre für den Leser zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch merkwürdig gewesen. Allein der rhetorische Trick, mit Hilfe eines besonders lobenswerten Fremden die eigene (= europäische) Schwachheit und falsche Politik zu verurteilen, war zu diesem Zeitpunkt kommod und erlaubte eine gewisse argumentative Abwechslung innerhalb der tradierten Formen des Herrscherlobes bzw. der Fürstenschelte.

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rische Totengespräche können aus diesem Grund nicht mehr zur sogenannten ‚Türkenliteratur‘ gezählt werden. Die exotisch-orientalischen Figuren, die in seinen Dialogen auftreten, werden – auf literarischer Ebene – in einer christlich geprägten Unterwelt präsentiert, in der sie zunächst gleichberechtigt neben den Europäern agieren. Zu fragen ist hierbei, welche Merkmale des tradierten Türkenbildes Fassmann in sein Journal übernimmt und an welchen Stellen er im Vergleich zur aggressiven Türkenliteratur vergangener Epochen neue Akzente setzt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts ist anti-osmanische Propaganda nicht mehr das vordringlichste Ziel der Publikationen, die sich mit dem Orient bzw. den Türken, Persern, Indern, Chinesen oder Marokkanern beschäftigen. An ihnen ist ein weitaus differenzierteres Interesse an Ländern, Bewohnern und Sitten zu bemerken, die als orientalisch verstanden wurden – wenn sich auch immer wieder zeigt, daß die Angst vor einer Invasion (vor allem der Türken) jederzeit wieder aufflammen konnte. Entgegen der Auffassung nachgeborener Historiker war es für Fassmann und seine Zeitgenossen keineswegs offensichtlich, daß die Zeit der Türkenkriege mit dem Friedensschluß von Carlowitz im Jahre 1699 vorbei war; wie die beiden letzten Entrevuen aus dem Jahr 1739 beweisen, bot der habsburgischrussische Krieg gegen die Türken in den Jahren zwischen 1735 und 1739 Anlaß genug, über eine erneute Welle von möglichen Angriffen zu spekulieren. Trotz dieser latent vorhandenen Angst vor einem Wiedererstarken der Osmanen deutete sich in der Frühaufklärung (und in einigen Fällen bereits davor) ein durchaus ethnographisch zu nennendes Interesse am Fremden und eben besonders auch am Orient an.88 Es überrascht in diesem Zusammenhang nicht, daß die tradierten Angriffspunkte wie Politik, Religion und Sitten nach wie vor die literarischen Darstellungen des Orients bestimmten. Auch wenn das spezifischere

88 Nach Justin Stagls und Hans Fischers Aufsätzen, die bereits in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts zu diesem Thema erschienen, gehört es mittlerweile zum common sense, die Anfänge bzw. Frühformen der „Völkerbeschreibung“ (Vermeulen, 2002) oder Ethnographie bereits im 18. Jahrhundert zu verorten. Für eine genauere Darlegung dieser Entwicklung ist an dieser Stelle jedoch kein Raum. Aus diesem Grund sei hier auf einige einschlägige Studien zum Thema verwiesen. Hans Fischer: ‚Völkerkunde‘, ‚Ethnographie‘, ‚Ethnologie‘. Kritische Kontrolle der frühesten Belege, in: Zeitschrift für Ethnologie 95 (1970), H. 2, S. 169–182; Justin Stagl: August Ludwig Schlözers Entwurf einer ‚Völkerkunde‘ oder ‚Ethnographie‘ seit 1772, in: Ethnologische Zeitschrift 2 (1974), H. 2, S. 73–91; Erich Donnert (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit, Festschrift für Günter Mühlpfordt, 7 Bde., hier Bd. 6, Köln u. a. 2002; darin Han F. Vermeulen: Völker-Beschreibung und Völkerkunde, S. 397–409 (mit einer Bibliographie); Klaus E. Müller: Geschichte der antiken Ethnografie und ethnologischen Theoriebildung, 2 Bde., Wiesbaden 1972–1980; exemplarisch für das 18. Jahrhundert vgl. Marcus Köhler: Völker-Beschreibung. Die ethnographische Methodik Georg Wilhelm Stellers (1709–1746) im Kontext der Herausbildung der russischen etnografija, Saarbrücken 2008.

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Interesse an der Fremde die propagandistischen Kampfaufrufe mehr oder weniger ablöste, so orientierte sich auch ein Journal wie das Fassmanns am tradierten Katalog, der in der Beschreibung des fremden Orients zum Einsatz kam. Daß auch der „gemeine Teutsche Mann“ gut daran tat, sich über den Feind aus dem Osten zu informieren, betont David Schuster in der Vorrede zu seinem fünfbändigen Werk Mahomets und Türcken Grewel aus dem Jahr 1664.89 Drei Jahre, bevor Pufendorf seine Abhandlung über den Zustand des deutschen Reiches veröffentlichte, in welcher der politische Zusammenhang der Türkenkriege mit den Interessen der Habsburger offengelegt wurde, betont Schuster, welche negativen Konsequenzen die Ignoranz für das christliche Abendland haben konnten könne. Dem Zustand, daß so viele Menschen keine oder nur wenig Kenntnis von Art und Verfassung des Osmanischen Reiches hätten, müsse in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen unbedingt entgegengewirkt werden, so Schuster: Sintemahl wer weiß nicht / wie viel 1000 und aber 1000 Teutsche Bidermänner / weß Standes sie sind / die entweder von Türcken und Mahomet / sampt dessen Anhang und Regiment / entweder gar nichts / oder doch sehr wenig / und nur etwan den blosen eusserlichen Namen / und zwar auch denselbigen nicht recht wissen! Mancher darff durch Machmet (wie der Nam insgemein geschrieben und außgesprochen wird) einen Methmacher oder Meth= Sieder / wie jener einfältige Alcoran / Alraun verstehen. Ja wie kan jetziger Zeit ein Christliche Person / so wider die Türcken gesändet wird / sich in solchen Türcken=Krieg gebührlich schicken und einfinden / wann er seinen Feind nicht rechtschaffen kennet.90

Die genaue Kenntnis des fremden Feindes war in Schusters Argumentation dringend erforderlich, wenn die Türkenkriege irgendeine Aussicht auf Erfolg haben sollten. Texte, die ihren Lesern Detailwissen über Religion und Sitten der Osmanen vermittelten, dienten ganz praktisch einem höheren Ziel, dem des Siegs über die verhaßten Invasoren. Die systematische Beschäftigung mit dem Orient wurde durch die Angst vor erneuten Angriffen der gegnerischen Partei und einem möglichem Scheitern der eigenen Streitkräfte gefördert: eine Entwicklung, die auch den Diplomaten und Gesandten des Orients nicht fremd war. Vor allem die Osmanen nutzen ihren Aufenthalt in Europa dazu, gründliche Spionage zu betreiben und ihre Heimat mit Detailinformationen über die Beschaffenheit von Wehranlagen, Gewohnheiten von Soldaten und Wachper-

89 Schuster, Mahomets und Türcken Greuel, Vorrede, S. 1 (unpag.). Der vollständige Titel lautete: Mahomets und Türcken | Greuel. | das ist | Kurtze doch allgemeine historische | Entwerfung des Mahometisch und | Türckischen Unwesens Ursprung, | Krieg, Tyranney, Glaubens | und Sitten. In V: Theile ordentlich | verfast: Für den Gemeinen | Teutschen Mann.| durch | David Schustern | Memmingensem | Mit annehmlichen Kupferstucken | gezieret, | Frankfurt 1664. 90 Schuster, Mahomets und Türcken Greuel, Vorrede, S. 1 (unpag.).

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sonal, spezielle Sitten und Gebräuche, Besonderheiten im Städtebau und geographische Auffälligkeiten zu versorgen.91 Boten fiktive wie mehr oder weniger authentische Reiseberichte nebst den dazugehörigen Kupferstichen, Gemälden, Skulpturen und Musikstücken einen atmosphärischen Eindruck vom Orient und dessen Bewohnern, so vermochten es Dialoge wie diejenigen, die Fassmann seinen Lesern anbot, den Grad an (wenn auch nur angenommener) Authentizität noch zu steigern. In einer christlich-abendländisch geprägten Unterwelt verwiesen gerade die orientalischen Figuren über die Grenzen ihres nun mehr literarischen Daseins hinaus auf einen (wirklichen und gleichzeitig imaginierten) Kulturraum, aus dem sie durch ihr Ableben und ihre literarische ‚Wiederauferstehung‘ herausgelöst wurden. Im Sinne von Turners Ritual-Konzept können die Fassmannschen Totengespräche auch als Versuch gelesen werden, historische Figuren mittels ritualisierter Handlungs- und Sprechakte aus einem bestimmten kulturellen Kontext in einen neuen zu überführen.92 Der größtmögliche Ausnahmezustand, in dem sich die Figuren in Fassmanns Unterwelt befinden, und der dadurch entstandene liminale Charakter ihres Daseins außerhalb irdischer Strukturen legen hiervon Zeugnis ab. Daß die Figuren sich gleichsam ‚selbst‘ dieses herausgehobenen und liminalen Zustands bewußt sind, belegt etwa das Erwachen Stanhopes im Totenreich (28. Entrevue). Die rites de passage werden jedoch in Fassmanns Gesprächen nicht in jedem Dialog erneut zitiert; einmal eingeführt, gemahnen sie von Ferne an die Regeln der Gattung, wie wir sie in den Lukianischen Totendialogen und dem oft wiederholten Charon-Motiv finden. Durch den Sprechakt wird nach John L. Austin nicht nur grundsätzlich auf prä-existente Sachverhalte ange91 Diese Informationen fanden Eingang in die Reiseberichte, die im Anschluß an eine ‚Expedition‘ in den Okzident verfaßt wurden. Da Abschriften dieser Dokumente jedoch auch den westlichen Gastgebern ausgehändigt wurden, mußten diejenigen Passagen entfernt werden, die zu offensichtlich von einem potentiell militärisch verwertbaren Interesse kündeten. Vgl. dazu Schreiner, Osmanen in Europa, S. 190. 92 Doris Bachmann-Medick benennt in ihrem Beitrag zum ‚Performative turn‘ v. a. drei verschiedene Stadien, in denen nach Viktor Turner bestimmte Rituale Übergänge von einem Status in einen anderen markieren: 1. Trennungsriten (rites de séparation), in denen Initianden aus ihrem ‚normalen‘ gesellschaftlichen Kontext herausgelöst werden. 2. Schwellen- bzw. Umwandlungsriten (rites de marge), mit denen die Initianden in eine Art Schwebe- oder Zwischenzustand versetzt werden, der in Verbindung zur Sakralsphäre und zentralen Symbolen einer Kultur steht. 3. Wiederangliederungsriten (rites d’agrégation), welche die Initianden in eine neue, nunmehr gesicherte soziale Position überführen. Kennzeichnend für die Rituale ist deren Liminalität, die sich Turner gemäß besonders durch eine kulturelle Gebundenheit auszeichnet. Bachmann-Medick, Performative turn, S. 115; Viktor Turner: Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels, Frankfurt am Main 1989; ders.: The Anthropology of Performance, New York 1987, ders.: Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt a. M. u. a. 2005.

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spielt, sondern jener erschafft diese gleichsam neu.93 Innerhalb bestimmter Sprachhandlungen erhält demnach dasjenige, was durch das Sprechen ausgesagt werden soll, seine eigentliche Bedeutung. Für die literarisch-fiktiven Dialoge Fassmanns bedeutet dies, daß seine Gespräche zwar durchaus überkommene Meinungen über Orientalen transportieren, diese aber im Sprechakt der Figur selbst (und in der Reaktion des jeweiligen Gesprächspartners) neu entstehen lassen und, wie an mehreren Stellen beobachtet werden kann, auch durchaus neue Lesarten vermitteln. Die durch die fingierte Mündlichkeit intendierte unmittelbare Wirkung der Dialoge verleiht den Aussagen der einzelnen Figuren eine Bedeutung, die sie durch die kolloquiale Form im Vergleich zu den sachlicheren Traktaten vermeintlich opfern mußten. Die Figuren in Fassmanns Journal werden durch die auf der fiktiven Ebene erzeugten ‚Selbstaussagen‘ zur bestmöglichen Quelle, was ihre Glaubwürdigkeit betrifft. Trotz aller im Paratext erfolgenden Hinweise auf die Fiktionalität der Gespräche war, so die These, mit Hilfe der verstorbenen Figuren ein Höchstmaß an Plausibilität zu erreichen.

6.3 Dialoge mit dem Fremden: eine Auswahl In ihrer Einführung zum Sammelband Interkulturalität: Zwischen Inszenierung und Archiv weisen die Herausgeber Stefan Rieger, Schamma Schahadat und Manfred Weinberg zu Recht darauf hin, daß allen (Re)Präsentationsformen des Fremden Bilder zugrunde liegen, die der eigenen Kultur entstammen.94 Aus diesem vorgeprägten „Inventar möglicher Bilder“ speisen sich die Darstellungsformen des Fremden, wenn dieses auf das Eigene treffe: „Befindet sich die Inszenierung im Prozeß der Bildfindung für das Eigene und das Fremde, so sind diese Bilder immer auch auf die Einspeisungen des Wissens und damit

93 Zur Sprechakttheorie siehe John L. Austin: How To Do Things With Words, Cambridge/ Mass. 1962; dazu auch Judith Butler: Excitable Speech. A Politics of the Performative, New York 1997. 94 Der Begriff ‚Kultur‘ wird hier im weitesten Sinne verwendet; er soll hier v. a. alle Vorstellungen vom Eigenen und Fremden einschließen, die eine – wie auch immer definierte – Semiosphäre in verschiedenen Medien hervorbringt, mitteilt und weiterträgt. Zum Begriff der Semiosphäre vgl. Yuri M. Lotman: Universe of the Mind. A Semiotic Theory of Culture, London/New York 2001; allgemein zu den verschiedenen Bedeutungen des Begriffes vgl. Aleida Assmann: Einführung in die Kulturwissenschaft, Berlin 2008; Hubertus Busche: Was ist Kultur? Die vier historischen Grundbedeutungen, in: Dialektik. Zeitschrift für Kulturphilosophie [2000], H. 1, S. 69–90; Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M. 1987.

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auf das Archiv bezogen.“ 95 Der Begriff Bilder ist in unserem Fall zweifach zu verstehen: zum einen wörtlich als ikonographisch vorgeprägte Abbildungen orientalisch-fremder Personen, Landschaften, Gebräuche und Kleider, wobei die Regeln, nach denen Fremde zu Beginn des 18. Jahrhunderts präsentiert wurden, zum Teil bereits existierenden, vertrauten Traditionslinien folgten bzw. zum Teil neue ausbilden mußten (vgl. 4.2.3 Das Titelblatt). Zum anderen meint der Prozeß der Bildfindung vor allem auch die sprachliche Abbildung des Fremden, im weitesten Sinn also auch die Metapher. Fremdes in Form von greifbaren oder abstrakten Gegenständen wie Kleidung, Architektur oder politischen Systemen konnte größtenteils nur mit bereits bekannten Begriffen (und eben sprachlichen Bildern) gefaßt, beschrieben und weitergegeben werden. Ähnlich wie Lohenstein in seinen Ibrahim-Dramen lobte auch Fassmann in seinen exotistischen Dialogen den guten Herrscher vor allem durch die „Opposition zum schlechten Fremden“.96 Bei allen Unterschieden, die sich durch den Adressatenkreis, die Textsorte und die Zeitumstände ergaben, vermittelte im Drama wie auch im Totengespräch die kontrastiv-oppositionelle Spannung, die zwischen den unterschiedlichen Partnern herrschte, einen Eindruck davon, welche Funktionen orientalische Figuren in der europäischen Literatur der Frühen Neuzeit übernehmen konnten: Die Kontrastzeichnung [...] ist [...] nicht zufälliges exotisches Dekor, sondern es hat politisch aktuelle propagandistische Funktionen. Es ist Inszenierung eines Feindbildes, in dem der Exotismus des türkischen Gräuelgeschehens ein Bild krassester Alterität und Differenz zum Bild des eigenen Herrschers zeichnet.97

Nach Ohde enthält eine solchermaßen kontrastiv angelegte Struktur immer auch einen Hinweis darauf, daß das Urteil über einen Herrscher bei nur geringfügigen Änderungen auch genau umgekehrt hätte ausfallen können. Die „Allusion von Austauschbarkeit“ 98 versteht Ohde deshalb als wichtigen Aspekt in der Inszenierung des Fremden als Spiegelbild des Eigenen. Diese These läßt sich ohne weiteres auch auf Fassmanns Gespräche übertragen, die durch ihre dialektisch geprägte Ausgangssituation und ihre Beschränkung auf nur zwei Gesprächspartner die coniunctio oppositorum sowohl als Stilmittel als auch als Leseanleitung einsetzten. Wenn im Nachfolgenden einige zentrale Begriffe und Themen näher betrachtet werden, die im weiteren oder engeren Sinn mit dem Fremden und Exotischen verknüpft sind, so sollen vor allem jene inszenatorischen Qualitä95 Stefan Rieger u. a.: Vorwort, in: Interkulturalität. Zwischen Inszenierung und Archiv, hg. v. dens., Tübingen 1999, S. 9–28, hier S. 14. 96 Ohde, Inszenierung des Fremden, S. 307. 97 Ohde, Inszenierung des Fremden, S. 309. 98 Ohde, Inszenierung des Fremden, S. 308.

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ten im Vordergrund stehen, die Fassmann in seinen Totengesprächen entwickelt, wenn er (wie auch immer geartetes) Fremdes ausstellt. Um die Differenz zum Eigenen ziehen zu können, bedurfte es einiger definitorischer Mühe: Nur wer das Eigene kulturell, politisch, religiös oder moralisch vor-schrieb, konnte die Differenz zum Fremden deutlich machen bzw. überhaupt erst behaupten. Inwiefern Fassmann in seiner Inszenierung des Fremden vorgeprägten Traditionslinien folgte oder eigene, neue Wege beschritt, soll an aussagekräftigen Beispielen und geeigneten Vergleichen mit anderen historischen sowie zeitgenössischen Positionen geklärt werden. Die Frage, ob Fassmann zwischen den beiden Polen Tradition und Innovation auch archivbildend wirkte, wird schwierig bis gar nicht zu beantworten sein. Zwar kann der Einfluß seines Journals im Zusammenhang mit anderen zeitgenössischen historisch-politischen Medien wegen seiner großen Reichweite und langen Erscheinungsdauer durchaus als hoch eingeschätzt werden, dennoch wird man, wenn überhaupt, nur im Einzelfall den Nachweis erbringen können, daß gerade seine Darstellung eines spezifischen Themas in das allgemeine Bewußtsein übernommen wurde.99

6.3.1 Ehe Die Bibel begründet die Erschaffung Evas mit einer Erkenntnis, zu der Gott offenbar während der Betrachtung seines ersten Geschöpfs, Adams, gelangte: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei“ (1. Mose 2, 18). Die Erschaffung der Welt wird in der biblischen Schöpfungsgeschichte also nicht mit Kreation des Menschen abgeschlossen und ‚gekrönt‘, sondern sogleich mit der Bildung einer Paarbeziehung zwischen Mann und Frau verknüpft. Im christlichen Abendland diente die Verbindung von Adam mit Eva – in all ihrer Heteronormativität – als das Modell schlechthin, wenn es darum ging, Staatswesen, Politik, Moral und Rechtsphilosophie aus der kleinsten sozialen Einheit heraus zu erklären. Während das erste Menschenpaar im Garten Eden noch im seligen Zustand der Naturbelassenheit ungestört und ‚für sich‘ leben durfte (ein Zustand, der aus bekannten Gründen nicht lange dauerte), verlangte das menschliche Zusammenleben in post-paradiesischen Gesellschaften nach zusätzlichen Regeln und Gesetzen. Die Ehe galt seit der Antike (und gilt mit einigen wenigen Korrekturen bis heute) als fundamentale Sozialinstitution und Keimzelle für die gesamte Gesellschaft, mithin als eine Art ‚Staat im Kleinen‘.100 99 Gesichert scheint sein Einfluß zumindest im bereits erwähnten Fall seiner Biographie Friedrich Wilhelms I., dessen negatives Bild laut Aussagen nachfolgender Historikergenerationen vor allem auf Fassmanns Text zurückzuführen war. 100 An dieser Stelle kann nicht auf die große Menge von Traktaten, Flugschriften, Dekreten, Volksbüchern, Liedern, Gesetzen usw. eingegangen werden, die zum Thema Ehe entstanden

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Nicht von ungefähr thematisiert John Locke, Zeitgenosse Fassmanns und neben Rousseau einer der wichtigsten Contrat social-Theoretiker an der Wende zum 18. Jahrhundert, die Ehe innerhalb seiner politischen Traktate, den einflußreichen Two Treatises Of Government, die er 1689 zunächst anonym veröffentlichte. In der zweiten Abhandlung zitiert Locke den biblischen Schöpfungsbericht und bemerkt zur Erschaffung Adams im 7. Kapitel: God having made Man such a Creature, that, in his own Judgement, it was not good for him to be alone, put him under strong Obligations of Necessity, Convenience, and Inclination to drive him into Society, as well as fitted him with Understanding and Language to continue and enjoy it. The first Society was between Man and Wife, which gave beginning to that between Parents and Children; to which, in time, that between Master and Servant came to be added [...] each of these, or altogether, came short of political Society [...] if we consider the different Ends, Ties, and Bounds of each of these.101

Locke versteht die Ehe als „first Society“ und leitet aus diesem Verständnis alle nachfolgenden (Teil)Formen von Gesellschaft und deren Aufgaben ab, so etwa den gesellschaftlichen Auftrag der Ehepartner, sich fortzupflanzen und gemeinsam den Nachwuchs zu erziehen. In Lockes politischer Philosophie stellt sich die Ehe als eine Verbindung zweier freier Individuen dar, die mit Hilfe eines privatrechtlichen Vertrags miteinander verbunden werden. Seine politischen Konzepte, die v. a. von Zeitgenossen in Frankreich und England, weniger dagegen in Deutschland, rezipiert wurden, trugen dem neu erwachenden Selbstbewußtsein einer sich formierenden bürgerlichen Instanz Rechnung. Gegen den Machtanspruch der tradierten absolutistischen Herrschaftsform setzt Locke das Recht auf Privateigentum und die Freiheit des Individuums. Die Ehe interessiert Locke in diesem Zusammenhang deswegen, weil sie als einzige tolerierte Form des Zusammenlebens von Mann und Frau unmittelbaren Einfluß auf das Leben der meisten erwachsenen Bürger ausübte. In Anlehnung an die aristotelisch-christliche Auffassung gelten ihm Menschen als animalia politica, die im Zustand der Vor-Gesellschaftung in freier Naturbelassenheit gedacht werden. In dieser Phase verfügt der Mensch nach Locke frei über seinen Besitz,

sind. Exemplarisch sei deswegen auf eine recht umfangreiche Textsammlung verwiesen, die einen Ausschnitt aus der deutschen Eheliteratur zwischen Mittelalter und dem Beginn der Frühen Neuzeit bietet. Albrecht Classen: Der Liebes- und Ehediskurs vom hohen Mittelalter bis zum frühen 17. Jahrhundert, Münster 2005. 101 John Locke: Two Treatises of Government: In the Former, The false Principles and Foundation of Sir Robert Filmer, And his Followers, Are Detected and Overthrown. The Latter, is an Essay Concerning the True Original, Extent, and End of Civil Government [...]. The Fifth Edition. [...] London: Printed for A. Bettesworth in Pater-Noster-Row, J. Pemberton in FleetStreet, and E. Symon in Cornhill. M.DCC.XXVIII (1728), §77, S. 194.

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ist keinem fremden Willen unterworfen und gehorcht allein dem Gesetz der Natur. Gegen Aristoteles betont Locke dabei die ursprüngliche Gleichheit aller Menschen; daneben begreift er als das wichtigste unter den Naturgesetzen den Selbsterhaltungstrieb, der für Locke durch Gottes Willen im Menschen angelegt wurde. In der Verbindung zweier Menschen entstünde ein einziger politischer Leib, dessen Funktion unter anderem in der Fortpflanzung und Aufzucht der Nachkommen liegt. In ähnlicher Argumentation begreift Immanuel Kant in seiner Metaphysik der Sitten [1797] die Freiheit des Einzelnen als nur unter bestimmten Bedingungen veränderbar. Gerade für die ‚rechtmäßige‘ körperliche Vereinigung zweier Individuen in der Ehe, die den freien Körper des anderen als Mittel zur Befriedigung des eigenen Triebs benutzen, muß von Gesetzes wegen gewährleistet sein, daß die ‚Inbesitznahme‘ des Anderen zum eigenen Nutzen nicht die Freiheitsrechte des Partners verletze und ihn zum ‚Ding‘ herabwürdige.102 Die Ehe, welche die individuellen Persönlichkeitsrechte mit dem Besitzanspruch an den anderen in ein regelgerechtes Verhältnis setze, müsse Willkür und einseitige Unterwerfung verhindern. Der durch die allgemeine Gesetzgebung und den qua Eheschließung unterstellten gemeinsamen Willen zweier freier Individuen stellt nach Kant sicher, daß der Besitz des anderen und die eigene Freiheit einvernehmlich (und unauflösbar) miteinander in Einklang gebracht werden. Aus der grundsätzlich angenommenen Gleichheit der Ehepartner (denn nur diese rechtfertigt die körperliche Inbesitznahme des anderen) leitet sich für Kant auch die Rechtswidrigkeit der Polygamie und der Ehen ‚linker Hand‘ ab, da beide dem Partner, der zu dem bestehenden Eheverhältnis hinzutritt, die rechtmäßige (d. h. vollständige) Inbesitznahme des anderen unmöglich machten.103 Nahezu alle Gesellschaftstheoretiker der Frühen Neuzeit begreifen die Ehe als eine der wichtigsten Grundlagen für ein geordnetes und moralisch ‚einwandfreies‘ Gesellschaftsleben. Auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel sieht in

102 Die Ehe ist für Kant nicht nur, aber auch durch die physischen Eigenschaften und Bedürfnisse der Menschen bestimmt. Er definiert die Ehe u. a. als „Geschlechtsgemeinschaft“ nach dem Gesetz (im Gegensatz zur natürlichen Geschlechtsgemeinschaft) und führt hierzu aus: „Die letztere [Geschlechtsgemeinschaft – SD] ist die Ehe (matrimonium), d. i. die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften.“ Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten, Rechtslehre I. Theil, Eherecht, §§ 24–27, hier § 24. 103 Zu Kants kontrovers aufgenommener Betonung der körperlich-sexuellen Aspekte der Ehe und den daraus folgenden Implikationen vgl. Friederike Kuster: Verdinglichung und Menschenwürde. Kants Eherecht und das Recht der häuslichen Gemeinschaft, in: Kant-Studien Bd. 102, H 3, S. 335–349.

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seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts [1820]104 in der Ehe die gleichsam ideale Verbindung zweier Menschen. Voraussetzung für den sittlich-bildenden Charakter müsse jedoch entweder eine „besondere Neigung der beiden Personen“ 105 sein, die einander heirateten, oder die „Vorsorge und Veranstaltung der Eltern“.106 Die Familie ist für Hegel der Ausdruck des „natürliche[n] sittliche[n] Geist[s]“ 107, in dem sich zwei Individuen verbänden, die nunmehr als Einheit aufzufassen seien. Ihre sittliche Konstitution und rechtliche Gültigkeit erhält die Ehe nach Hegels Auffassung vor allem durch das durch Dritte bezeugte Ritual der Eheschließung. Der Übergang von zwei (freien) Individuen zur ehelichen Gemeinschaft eines gemeinsamen Körpers vollziehe sich qua Vertragsschluß und anschließender Äußerung bestimmter sprachlicher Zeichen: Wie die Stipulation des Vertrags schon für sich den wahrhaften Übergang des Eigentums erhält (§ 79), so macht die feierliche Erklärung der Einwilligung zum sittlichen Bande der Ehe und die entsprechende Anerkennung und Bestätigung desselben durch die Familie und Gemeinde – (daß in dieser Rücksicht die Kirche eintritt, ist eine weitere hier nicht auszuführende Bestimmung) – die förmliche Schließung und Wirklichkeit der Ehe aus, so daß diese Verbindung nur durch das Vorangehen dieser Zeremonie als der Vollbringung des Substantiellen durch das Zeichen, die Sprache, als das geistigste Dasein des Geistigen (§ 78), als sittlich konstituiert ist.108

Für Hegel ist die Ehe zu Beginn des 19. Jahrhunderts kein „bürgerliches Gebot“ in Folge einer zufällig gefaßten (gegenseitigen) Neigung oder eine rein äußerliche Formalität; ihr sittlicher Charakter sei nur dann gewahrt, wenn sie nicht allein zum „Zweck der Erbaulichkeit und der Beglaubigung des bürgerlichen Verhältnisses“ 109 geschlossen würde. Der an dieser Stelle nicht weiter definierte sittliche Charakter der Ehe besteht laut Hegel eben nicht in einer Betonung des Innigen oder der naturhaften Triebe, sondern vor allem in der „Zurücksetzung des Naturtriebs“ 110, in der Wahrung der ‚natürlichen‘ Scham. Gegen die

104 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, in der Textedition von Johannes Hoffmeister, Hamburg 1995. 105 Hegel, Philosophie des Rechts, III. Teil. Die Sittlichkeit, § 162, S. 150 [Kursivierung im Original]. 106 Hegel, Philosophie des Rechts, III. Teil. Die Sittlichkeit, § 162, S. 150 [Kursivierung im Original]. 107 Hegel, Philosophie des Rechts, III. Teil. Die Sittlichkeit, § 158, S. 149 [Kursivierung im Original]. 108 Hegel, Philosophie des Rechts, III. Teil. Die Sittlichkeit, § 164, S. 152 [Kursivierung im Original]. 109 Hegel, Philosophie des Rechts, III. Teil. Die Sittlichkeit, § 164, S. 153. 110 Hegel, Philosophie des Rechts, III. Teil. Die Sittlichkeit, § 164, S. 154.

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„Willkür der sinnlichen Neigung“ 111 müsse sich der Gedanke an das Substantielle der Ehe durchsetzen, so formuliert Hegel den Anspruch an die „Gesetzgebungen christlicher Völker“ 112. Die Ehe ist auch in Fassmanns frühaufklärerischem Journal die nach außen hin einzige anerkannte Norm, nach der Mann und Frau zusammenleben konnten. Weder wird sie bei ihm grundsätzlich als Institution in Frage gestellt noch ihre Notwendigkeit für einen geordneten, regelgerechten und sittlichen Lebenswandel in Zweifel gezogen – so zumindest der vordergründige Eindruck, den die Entrevuen vermitteln. Wie so häufig verraten uns jedoch die matrimonialen Randbereiche, die Fassmann in seinen Gesprächen tangiert, und die Dialoge, in denen ‚fremde‘ Ehepraktiken geschildert werden, einiges über eine Institution, deren tradiertes Verständnis u. a. von Rechtsgelehrten wie Christian Thomasius hinterfragt wurde.113 Ausgehend vom ‚göttlichen‘ Auftrag „Wachset und mehret euch“ aus 1. Mose 1, 22 bot die Ehe nach tradierten ‚westlichen‘ wie ‚östlichen‘ Vorstellungen den Beteiligten einige Vorteile:114 Ne-

111 Hegel, Philosophie des Rechts, III. Teil. Die Sittlichkeit, § 164, S. 154. 112 Hegel, Philosophie des Rechts, III. Teil. Die Sittlichkeit, § 164, S. 154. 113 Zu Thomasius’ Ehelehre vgl. auch Stephan Buchholz: Recht, Religion und Ehe. Orientierungswandel und gelehrte Kontroversen im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1988. Christian Thomasius: Institutiones iurisprudentiae divinae [libri III, 2 §§ 138–172], Halle 71720 [ND Aalen 1994]. 114 Der Islam gibt in diesem Aspekt (wie in vielen anderen) eine fast identische Weisung aus. Die Sunna des Propheten forderte von allen Muslimen, daß sie heiraten sollten: „Und verheiratet die Ledigen unter euch“. Sura 24,32; vgl. dazu Muhammad al-Ghazâlî: Das Buch der Ehe. Kitâb âdâbi n-nikâh. Das 12. Buch der Ihya ulûm ad-dîn, übersetzt und kommentiert v. Hans Bauer, neu aufgelegt und hg. v. Salim Spohr, Hildesheim 2005, S. 24. Das göttliche Gebot der Ehe diente v. a. dem Zweck, Nachkommen zu zeugen: „Heiratet und vermehret euch, denn am Jüngsten Tag will ich vor den übrigen Völkern Staat mit euch machen, sogar mit der Frühgeburt.“ al-Ghazâlî, Buch über die Ehe, S. 26. Mohammed, der die Bibel der Christen vom Hörensagen kannte und schätzte, übernahm nicht nur zahlreiche Geschichten und Figuren aus dem Alten Testament in seine Sunna (Weg des Propheten), sondern auch einige handlungsethische Maximen, die der Stärkung der muslimischen Gemeinde und der Zivilisierung der Sitten und des Sexualverhaltens dienen sollten. Die Ehe war und ist im Islam die einzige erstrebenswerteste Form des Zusammenlebens von Mann und Frau; sie sollte den gottgewollten Sexualtrieb befriedigen und diesen dabei gleichzeitig domestizieren. Die körperliche Erfüllung innerhalb der ehelichen Verbindung zwischen Mann und Frau galt als vorweggenommene Belohnung, die im Paradies auf die Gläubigen wartete. Homosexualität hingegen ist im Islam bis heute verboten und wurde bzw. wird mit (meist körperlicher) Strafe geahndet. In der Ehe sollten muslimische Partner so viele Kinder zeugen, wie sie ernähren konnten, was bei mehreren Ehefrauen mitunter bedeutete, aktive Geburtenkontrolle zu betreiben. Zur Rolle der Ehe im Islam vgl. Adel Theodor Khoury: „Ehe“, in: Lexikon des Islam. Geschichte – Ideen – Gestalten, hg. v. Ludwig Hagemann u. a., Freiburg u. a. 1991, Bd. 1, S. 151–156; Asim Uysal: Ehe und Sexualität im Islam, Istanbul 2007.

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ben jenseitigen Belohnungsversprechen für einen untadeligen, gottgefälligen Lebenswandel sorgten gesellschaftliche Regeln dafür, daß die Ehepartner auch bereits irdische ‚Vorteile‘ in Aussicht gestellt bekamen. Eine Ehe bot Männern und Frauen nicht zuletzt auch finanzielle Anreize: Mitgebrachte Vermögen blieben in der Familie, vermehrten bereits vorhandenen Reichtum oder linderten je nach Ausgangslage die eigene Bedürftigkeit. Die Ehe war deswegen nicht zuletzt als eine Art sozial geförderte und rechtlich regulierte Versorgungseinheit anzusehen, was jedoch nur in den seltensten Fällen ausgesprochen werden konnte.115 In vielen Fällen bekräftigte oder verbesserte eine Eheschließung den eigenen sozialen Status. Adelige und Nicht-Adelige, Männer und Frauen sowie Alte und Junge sollten im Idealfall einen ihnen sozial zumindest gleichwertigen Partner wählen. Dadurch, daß letztlich jede eigene gesellschaftliche Schicht darauf beharrte, daß es besser sei, innerhalb der eigenen ‚Klasse‘ (oder wenigstens in der darüber) zu heiraten, diente die Ehe so auch als Mittel zur sozialen Distinktion. Der Gedanke, daß eine Königin oder ein König wahlweise den Küchengehilfen oder das Milchmädchen heiraten könne bzw. umgekehrt der Schustergeselle sich eine Verbindung mit einer adeligen Dame erträumte, war so abwegig, daß er nicht eigens verurteilt werden mußte. Dennoch weist Fassmann an einigen Stellen in seinem Journal darauf hin, daß eine unstandesgemäße Verbindung den ehelichen Frieden dauerhaft zu trüben vermochte. Allerdings waren die Gründe dafür zu Beginn des 18. Jahrhunderts (und nicht erst dann) eher in den wenig kompatiblen Charakteren der Eheleute und nicht unbedingt nur in ihrer sozialen Stellung zu suchen. So schaffte es die „mißvergnügte“ Ehe der Madame de Maintenon mit dem Poeten Paul Scarron bis auf das Titelblatt der 23. Entrevue. Das herrische Naturell der Ehefrau gab Anlaß genug, über den Charakter und die Tugenden von Frauen zu räsonnieren und gute (Ehe-)Lehren auch für Witwen und Jungfrauen aufzubieten.116 Gemäß Ni-

115 Der Ehediskurs wurde im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit häufig innerhalb theologischer Traktate und Predigten geführt; stellvertretend soll hier Johann Niders († 1438) Sermo 13 angeführt werden, in welchem er die Vorteile (und Nachteile) einer Eheschließung sowohl für den Mann als auch für die Frau aufzählt. Johannes Nider: Sermones totius anni de tempore et de sanctis cum quadragesimali: pluribusque extrauagantibus sermonibus [...] professoris magistri Johãnis nider, [Ulm o. J., circa 1483, Hain 11797]; zu Niders Sermo 13 und dem Ehediskurs vgl. Rüdiger Schnell: Frauendiskurs, Männerdiskurs, Ehediskurs: Textsorten und Geschlechterkonzepte in Mittelalter und Früher Neuzeit, Frankfurt am Main/New York 1998, S. 217 ff. 116 Das Titelblatt zur entsprechenden Entrevue kündigte neben einem gleichsam vor Publikum ausgetragenen Ehestreit folgende Gesprächsthemen an: „1.) Ein scharffer Wort=Wechsel beyder discourirender Personen, wegen geführter Mißvergnügter Ehe. 2.) Ein Disput über die Frage: Ob es besser eine kluge oder tumme Frau zu haben; 3.) Die Raisons, vermittelst das Frauenzimmer den Vorzug über das Manns=Volck zu haben praetendiret, angeführet und wie-

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ders Aufzählung der Vor- und Nachteile der Ehe in seinem Sermo 13 währte die Freude über die Hochzeit kurz, das Elend der Ehe jedoch um so länger; in diesem Sinn verdeutlicht Fassmanns Beispiel der Françoise d’Aubignée [1635– 1719], der späteren Madame de Maintenon, welche handfesten Nachteile beiden Geschlechtern durch die Wahl eines ungeeigneten Partners entstehen konnten: Legte dieser ein ungestümes, herrisches oder nachtragendes Verhalten an den Tag, bedeutete der Bund fürs Leben eben auch lebenslanges Leiden.117 Begonnen habe seine eheliche Leidensgeschichte, so Paul Scarron [1610–1660], bereits in der Hochzeitsnacht. Denn beim ersten ehelichen Beischlaf habe sich zum Mißfallen des 25 Jahre älteren Mannes herausgestellt, daß der Akt für seine erst sechzehnjährige Ehefrau tatsächlich keine Premiere gewesen sei: Madame! Die Juden, und sonst verschiedene Nationes haben das Privilegium von ihren Bräuten die Marquen einer unverletzten jungfräulichen Keuschheit zu fordern. Warum soll dann, ein ehrlicher Frantzos, wie ich gewesen, nicht gleicher Rechte geniesen? Eben dadurch, weil ein Bräutigam diesen Punct so leichtsinnig tractiret, oder, besser zu sagen, obligiret ist, ihn leichtsinnig zu tractiren, und nichts daraus zu machen, wird jenen Jungfern Anlaß gegeben, desto weniger Sorge vor ihre Keuschheit zu tragen. Ach! Bitter=Wasser her! 118 Feuer=Proben her! und sofort, wie vor alten Zeiten dieser löbliche Gebrauch Mode gewesen; da es dann gantz gewiß um das arme Manns=Volck besser stehen würde. War meine Braut=Nacht mißvergnügt, so ist meine übrige eheliche Lebens=Zeit gewißlich nicht viel besser gewesen; allermassen mir von euch, von Zeit zu Zeit, Anlaß zu neuer Jalousie gegeben worden. 119

derleget; Dann 4.) Sehr heilsame Lehren vor Jungfern, Frauen und Wittwen, auch der Character, woran ihre Tugend zu erkennen, enthalten.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 23, Leipzig 1720, Titelblatt. 117 Zu den Nachteilen der Ehe vgl. wiederum Niders Sermo 13 und Schnell, Frauendiskurs, S. 218 f. Paradigmatisch hat Erasmus von Rotterdam die verschiedenen Positionen aus der Perspektive der Frau in seinen Colloquia familiaria in Worte gefaßt; Eulalia und Xanthippe diskutieren im vierten Dialog ihre wechselseitigen Auffassungen zum Thema Ehe und Männer. Vgl. Erasmus von Rotterdam: Colloquia familiaria [1522–1531], Vertrauliche Gespräche, hg. u. übers. v. Kurt Steinmann, Zürich 2000. 118 Bitterwässer, auch als aquae minerales amarae bezeichnet, wurden wegen der purgierenden Wirkung der in ihnen enthaltenen Schwefel- und Glaubersalze häufig als Abführmittel eingesetzt. Im Zusammenhang mit den Feuerproben spielt der gehörnte Ehemann Scarron auf die im Mittelalter mit zahlreichen ‚Hilfsmitteln’ durchgeführten Gottesurteile an, durch welche etwa die Keuschheit verdächtigter Ehefrauen auf die Probe gestellt wurde. So gaben nach germanischem Rechtsverständnis sowohl die Feuerordalien als auch die Wasserordalien darüber Auskunft, ob ein/e Befragter/r die Wahrheit sprach oder nicht. Zu den verschiedenen Ordalien vgl. etwa Adalbert Erler: Der Ursprung der Gottesurteile, in: Paideuma 2 [1941/43], S. 44–65. 119 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 23, Leipzig 1720, S. 507.

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Inmitten ihres Disputs über die unterschiedlich beurteilte Qualität ihrer Ehe offenbart Scarron seine Ansichten von den Aufgaben einer guten Ehefrau. Diese bestünden eben nicht darin, wie seine Gattin zuvor fälschlicherweise positiv dargestellt habe, politischen Einfluß auf die Geschicke eines Landes durch eine körperliche Beziehung zum König von Frankreich zu nehmen, sondern v. a. in der guten Führung des heimischen Haushalts: Weiber sollen sich fein um das häusliche Wesen, die Kinder=Zucht und Erziehung, Ménage und Oeconomie bekümmern. Im übrigen solten sie ganz einfältig, ja recht tumm seyn, und an dergleichen Weibern können Männer ihr gröstes Plaisir und Vergnügen finden; dahingegen von listigen, in Ansehung aller Dinge klugen, raffinirten Weibern, einem Mann tausenderley Possen gespielet, mithin nichts als Chagrin und beständige Verdrießlichkeiten verursachet werden.120

So urteilt der zu Lebzeiten bereits einmal verwitwete, von Lähmungserscheinungen und anderen Krankheiten geplagte und ‚gehörnte‘ Ehemann Scarron über die erwünschten und geächteten Eigenschaften einer idealen Ehefrau. Besonders die Eifersucht auf einen männlichen Rivalen wird von Madame de Maintenon als Quelle für fortdauernden Kummer und Unglück in ihrer Ehe identifiziert. Offenbar machte hier die Konstellation einer untreuen, jungen, schönen und einflußreichen Frau und eines alten, nahezu völlig impotenten, eifersüchtigen und betrogenen Mannes den Reiz für eine genauere Beschäftigung mit dem Thema Ehe aus. Das Leben der Madame de Maintenon diente stellvertretend als Beispiel für die Einflußmöglichkeiten einer politisch agierenden Frau, die aus der sexuellen Begierde eines im Doppelsinne potenten anderen Mannes ihren Nutzen zieht und mit den tradierten Auffassungen von Moral und Anstand bricht. Als Beispiel für überbordende männliche Lust wird in Fassmanns Journal nicht etwa das Leben eines an sich moralisch verdächtigen Orientalen, sondern des englischen Königs Henry VIII. angeführt. Gerade durch den Umstand, daß dessen institutionalisierte serielle Form der Polygamie sich deutlich vom monogam dargestellten Leben seines Gesprächspartners, des Sultans Süleyman, unterscheidet, werden die gleichsam verkehrten Verhältnisse in diesem Dialog betont.121

120 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 23, Leipzig 1720, S. 511. 121 Neben der Polygamie war besonders die Bigamie ein populäres Thema für Rechtsgelehrte in der Frühen Neuzeit geworden. Mit einer Abhandlung über ein derartiges rechtlich bzw. religiös heikles Thema war einem Jurist wie Christian Thomasius die Aufmerksamkeit (nicht nur der Fachwelt) sicher. In ihrer Dissertation zu Bigamie und Inquisition in Italien zeigt Kim Siebenhüner, daß die ‚Zweifach-Ehe‘ durchaus als eine Art alternative Lebensentscheidung gegen die herrschende Kirchenmoral und Rechtsauffassung betrachtet wurde. In ihrer materialreichen Studie stellt sie zudem die wechselseitigen Abhängigkeiten und Unterschiede muslimi-

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Die Ehe funktionierte historisch gesehen nicht nur als vermeintliches Hindernis gegen außereheliche Geschlechtsaktivitäten, sie sanktionierte diese auch innerhalb einer Beziehung. Körperliche Liebe wurde den Ehegatten zwar durch den Ringtausch überhaupt erst ofiiziell ermöglicht, gleichzeitig aber auch zu einem gewissen institutionalisierten Zwang erklärt. Einerseits verlangte die Ehe v. a. von der Frau (sexuelle) Unterordnung und, mit Ausnahmen von Menstruationsphase und Kindbett, immerwährende Verfügbarkeit; andererseits war jedoch auch der Mann in die Pflicht genommen, seinen Teil für eine erfolgreiche propagatio prolis zu leisten. Denn zumindest vordergründig war die Fortpflanzung vor Kants Metaphysik der Sitten das einzige gesellschaftlich anerkannte Ziel ehelicher Sexualität. Daneben diente die Ehe auch als Deckmantel für außereheliche – homo- wie heterosexuelle – Beziehungen und, zumindest im zweiten Fall, für die Kinder, die aus solchen Beziehungen entstanden. Daß nicht nur bürgerliche Ehepaare, sondern auch adelige mit den Auswirkungen ihres Sexualtriebes zu kämpfen hatten, diskutieren Fassmanns ‚exotische‘ Figuren nicht nur einmal, sondern immer wieder unter verschiedenen Gesichtspunkten.122 Gleichsam von außen messen sie das Verhalten der Europäer mit fremdem Blick und kommen dabei auf die ‚natürlichen‘ Kinder männlicher Herrscher zu sprechen und auf die Frage, ob man diese offen in den Lebensbeschreibungen großer Herrscher erwähnen sollte. Die Bezeichnung „Bastard“, so erklärt etwa der französische König Louis XI. seinem türkischen Gegenüber Sultan Djem, habe früher keinen derart negativen Beiklang gehabt, wie dies zu seinen Lebzeiten der Fall gewesen sei. Im Gegenteil: Einst hätten sich die Herrscher seines Landes ganz offen zu ihren unehelichen Kindern bekannt und türkischen Herrschern in Bezug auf die Fortpflanzung weniger nachgestanden, als dies heute der Fall sei. Die ‚natürlichen Kinder‘, die aus den außerehelichen Beziehungen entstanden seien, hätten ganz offiziell den Titel eines Bastards geführt: Es stehet euch frey, so viele Weiber zu nehmen, oder so viele Sclavinnen, zu eurem Willen, zu halten, als ihr wollet; Christen aber müssen es wohl bleiben lassen. Indessen ist es in

scher, katholischer, protestantischer und jüdischer Ehe-Diskurse einander gegenüber. Kim Siebenhüner: Bigamie und Inquisition in Italien 1600–1750, Paderborn 2006. 122 Wie bei vielen anderen Themen waren es auch hier wieder die liminalen Bereiche, die dem europäischen Leser etwas über die moralischen und rechtlichen Grenzen und Tabus seiner eigenen Gesellschaft verraten konnten. So diskutierten etwa der indische Mogul Shah Jahan und der türkische Sultan Ibrahim Pascha unterschiedliche Rituale und Traditionen der Brahmanen und anderer indischer Sekten und kamen dabei auch auf die Kinderehe und die damit einhergehende frühe Elternschaft bei den „Benjanen“ zu sprechen, für die ein zehnjähriges und noch unverheiratetes Mädchen bereits als alte Jungfer gelte. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1730, S. 173.

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Frankreich, zu allen Zeiten, Mode gewesen, daß sich die Grossen nichts daraus gemachet, wann gleich die Welt von der Anzahl ihrer natürlichen Kinder vollkommen berichtet gewesen. Ja man nennete dergleichen Kinder öffentlich Bastarde, und also hieß es, der Bastard von Orleans, der Bastard von Bourgogne, der Bastard von Bourbon, der Bastard von Anjou, der Bastard von Nemours etc. weil dergleichen Namen, und Titel, gar nichts verächtliches, wie etwa heutiges Tages, in sich hielten.123

Der französische König argumentiert an dieser Stelle eher vom Standpunkt der Nützlichkeit als von dem der Moral aus. Da seine Persönlichkeit und Taten in den beiden Totengesprächen, die dem oben zitierten vorausgingen, hinlänglich als verschlagen und wenig christlich geschildert wurden, erschienen seine Ausführungen zum Verhalten der französischen Adeligen dem eingeweihten Leser als zweifelhaft, wenn nicht gar verwerflich. Fassmann macht dies noch deutlicher, indem er den Franzosen die Verhältnisse in orientalisch-islamisch geprägten Gesellschaften als erstrebenswert oder zumindest als nicht schändlich bezeichnen läßt. In diesem Aspekt fällt die Kritik am Anderen – in Gestalt der unmoralischen französischen Sitten – mit der Kritik am Fremden zusammen, hier die unchristliche Ehepraxis der türkischen Sultane. Für letztere gehörte die Polygamie zu einem strategischen Konzept des dynastischen Machterhalts, wie Fassmann an anderer Stelle ebenfalls bemerkt. Aber auch diese ‚typisch‘ orientalische Praxis sei von Veränderungen nicht verschont geblieben. Denn obwohl der Islam die Vielehe gestatte und so dem Geschlechtstrieb der Menschen in schändlicher Weise Vorschub leiste, nehme die Bevölkerung im Orient insgesamt ab. Die „geheimen Ursachen“ 124 für diese Entwicklung erklärt der Groß-Wesir Ibrahim dem indischen Mogul Shah Jahan zu Beginn ihres zweiten Treffens, nachdem der Mogul den Diskurs über die Ehe wie folgt beginnen läßt: Der Mogol Man muß sich doch billig wundern, daß der Orient nicht noch weit mehr bevölckert wird, als er wircklich ist, nachdem die Heyden, und Mahomethaner, auf einmal, so viele Weiber nehmen können als sie wollen. Der Groß=Vezier Daran ist zum Theil das Clima Ursache, und die allzugrosse Sonnen=Hitze; zum Theil aber auch andere geheime Dinge, von denen man nicht gerne redet. Z.E. die Sodomiterey, nach ihrer sehr unterschiedenen Art, welcher die Orientalischen Völcker gewaltig ergeben sind. Am allermeisten aber muß man sich wundern, daß aus dem Haram [sic] derer Grossen Herren im Orient, heutiges Tages, nicht so viele Kinder mehr kommen, als in denen vorigen

123 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 92, Leipzig 1725, S. 841. 124 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 228, Leipzig 1730, S. 229.

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Zeiten. [...] Die meisten Orientalischen Monarchen und Potentaten, von hundert Jahren her, haben aus ihrem Haram, der doch gemeiniglich sehr zahlreich, und am Türkischen Hofe wohl eher aus 1500. biß 2000 deren schönsten Weibs=Personen von der Welt bestanden, kaum dreyssig Söhne und Töchter, die meisten aber gar noch weniger, erzeuget. Der Mogol Daraus könnte man schließen, so müsten die Alten weit besser, als die heutige Welt, mit dieser Arbeit haben umgehen können; oder daß sie doch zum wenigsten mehrere Kräffte darzu gehabt. Allein man lasse es dahin gestellet seyn. Es ist schlimm genug, wann ein Orientalischer Monarch etwa nur vier oder sechs Söhne hinterlässet. Auch diese wenige richten schon grosses Unheil an, und es ist ein rares Exempel, wann einmal ein Orientalischer Printz, nach seines Vaters Todt, geruhig auf den Thron gelanget, und denselben in Frieden vor seinen Brüdern besitzet.125

Fassmann läßt die fremden Figuren an dieser Stelle verschiedene Gründe für den Bevölkerungsrückgang im Orient aufzählen. Der Groß-Wesir führt neben dem ungünstigen Klima vor allem die ansonsten tabuisierte „Sodomiterey“ ins Feld. Zusammen mit der weiter unten ergänzten Beobachtung des indischen Groß-Moguls, daß „die Alten“ früher erfolgreicher und tatkräftiger beim Kinderzeugen gewesen seien, wird das Bild des durch die Polygamie bereits als ‚sündig‘ gebrandmarkten Orientalen noch um weitere Aspekte ergänzt. Zum einen seien orientalische Herrscher zeugungsunwillig, weil sie sich lieber mit dem eigenen Geschlecht vergnügten; zum anderen seien sie mittlerweile dermaßen kraftlos, daß sie im Vergleich mit ihren potenten Vorfahren auch noch als zeugungsunfähig angesehen werden müssen. Durch die Kombination von tabuisierter Homosexualität mit männlicher Impotenz werden die orientalischen Herrscher (und mit ihnen der Orient an sich) als körperlich minderwertig und moralisch verdorben dargestellt. Das christliche Ideal der heterosexuellen und monogamen Ehe konnte so im Vergleich zu den verwerflichen Sitten des Orients noch deutlicher als positives Gegenstück gezeichnet werden. Fassmanns Haltung in Bezug auf die Ehe war jedoch nicht so eindeutig, wie es nach der Betrachtung der oben angeführten Stelle scheinen mag. Im Einklang mit den weitaus gewagteren Gedankenspielen seiner Zeitgenossen und Vorbilder experimentierte auch Fassmann – wenn auch vorsichtig – mit alternativen Vorstellungen von der Ehe. Sein Lehrer Christian Thomasius, dessen Diskurse Fassmann in seinen Gesprächen immer wieder aufgreift, wies in diesem Zusammenhang durchaus provozierend auf unterschiedlich denkbare Formen des ehelichen Zusammenlebens hin.126 Der Umstand, daß einige Män125 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 228, Leipzig 1730, S. 229 f. 126 Thomasius’ Dissertation zum Konkubinat erschien im Jahre 1713 und markiert einmal mehr eine wichtige Station in seiner Auseinandersetzung mit orthodox-protestantischen und pietistischen Positionen. Vgl. dazu auch Stephan Buchholz: Christian Thomasius. Zwischen

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ner neben ihrer (rechtmäßigen) Ehefrau noch eine oder mehrere Geliebte hätten, sei im Grunde nur vom Standpunkt des göttlichen Rechts zu verurteilen, nicht von dem des Naturrechts.127 Stephan Buchholz bemerkt in seinen Ausführungen zu Thomasius’ Ehezwecklehre: Der Vorwurf gegen den Konkubinat besteht gewissermaßen darin, daß er die Ehezwecke auf den Kopf stellt und die Libido an die erste Stelle rückt, während die Kindererzeugung zu einem zufälligen Nebenprodukt wird. Daß damit ein Gebot der Genesis verletzt wird, betrifft aber lediglich die ‚Iurisprudentia Divina‘ und ist für die ‚Iurisprudentia naturalis‘ ohne Belang.128

Ob die Allgemeinheit die Institution Ehe letztlich als nach außen hin propagiertes Bild und pseudo-christliches Ablenkungsmanöver von den ‚natürlichen‘ Trieben der Menschen betrachtete, ist dabei vergleichsweise unerheblich; in unserem Zusammenhang interessiert mehr, welche Formen der Ehe bzw. der menschlichen Beziehungen Fassmann in seinen Gesprächen vorstellte und als erstrebenswert zeichnete und welche er mit Hilfe der Dialoge kritisierte. In Fassmanns Journal stellte der Konkubinat in seinen verschiedenen Ausformungen einen zentralen Aspekt im Ehelehrediskurs dar. Die Gespräche ergründeten die liminalen Bereiche der Ehevorstellungen und definierten Normen bzw. Abweichungen von diesen etwa dadurch, daß sie das Verhalten europäischer wie außereuropäischer Adeliger lobten bzw. kritisierten. In der 91. Entrevue, in welcher Louis XI. zum zweiten Mal auf den türkischen Sultan Djem trifft, werden etwa Gesprächsthemen wie die weit verbreitete Hartherzigkeit

Orthodoxie und Pietismus – Religionskonflikte und ihre literarische Verarbeitung, in: Christian Thomasius, hg. v. Werner Schneiders, Hamburg 1989, S. 248–255. Vor Thomasius waren es v. a. Johannes Lyser (1631–1684) und Adriaan Beverland (1650–1728), die mit ihren provokanten Schriften bzw. sexualisierten Bibelinterpretationen für Aufruhr und Entsetzen in der Gelehrtenwelt sorgten. Beide plädierten für die Polygamie als einzig seligmachende Daseinsform und wurden wegen dieser Grenzüberschreitung (nicht nur von der Gelehrtenwelt) ausgestoßen. Zu beider Schriften und Persönlichkeiten vgl. Mulsow, Gelehrtenrepublik, S. 5 ff. 127 So wie Thomasius versuchte, das Naturrecht vom göttlichen Recht abzulösen, plädierte auch Lambert van Velthuysen (1622–1685) in der Nachfolge von Hobbes und Descartes bereits einige Jahre vor Thomasius für eine Unterscheidung des „sittlich Anständige[n] vom naturrechtlich Moralischen“. Mulsow, Gelehrtenrepublik, S. 9; Lambert van Velthuysen: Epistolica dissertatio de principiis iusti, et decori, Amsterdam 1651. Vgl. dazu auch Hanspeter Marti: Naturrecht, Ehrbarkeit und Anstand im Spiegel frühaufklärerischer Hobbeskritik. Lambert van Velthuysens Briefdissertation De principiis justi et decori und ihre Aufnahme in der deutschen Schulphilosophie, in: Aufklärung. Zum Wandel von Zeremoniell und Gesellschaftsritualen in der Zeit der Aufklärung, hg. v. Klaus Gerteis, Bd. 6/2, Hamburg 1991, S. 60–95. 128 Buchholz, Recht, S. 89.

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des Adels, was hilfesuchende (weibliche) Verwandte anging, oder der Erbfolgestreit zwischen Neapel und Sizilien thematisiert. Daneben diskutieren die beiden Herrscher die Sonderrolle, die Adelige im Hinblick auf ihr Sexualverhalten im Vergleich zu den „Privati“ einnähmen. Über den Geschlechtstrieb des Adels und die daraus entstehenden Konsequenzen würde, so das kritische Fazit des osmanischen Sultans, anders geurteilt, als dies bei ‚gemeinen‘ Untertanen der Fall sei. Ein Herrscher, der viele ‚natürliche‘ Kinder zeuge, gelte dennoch als gut, wohingegen ein ‚normaler‘, d. h. bürgerlicher Ehebrecher mit anderen Konsequenzen aus seinem Tun zu rechnen hätte, wie Djem in einer längeren Suada ausführt: Denn große Herren, und ein Theil ihrer hohen Bedienten, möchten gleich noch so viele natürliche Kinder in= und ausser der Ehe, gezeuget haben, so schadet es ihrer Renommée dennoch nichts, sondern sie heissen gut, fromm, löblich, und mit allen vortrefflichen Qualitäten begabet. Hat hingegen ein Privatus ausser der Ehe ein Kind gezeuget, gereichet es ihm zur Schande und zum Nachtheil. Gleich spricht man, es seye ein liederlicher, geiler und verhurter Mensch. [...] Man nennet ihn einen Ehebrecher, und es ist die geistliche Obrigkeit sowohl als die weltliche, mit aller Schärffe, dahinter drein. Man leget ihn, woferne er erwischet wird, gefangen, in Ketten und Banden. Ist es ein armer Teuffel, wird er hernach auf die Galéeren, oder zu dem Festungs=Bau, oder zu dem Zucht=Hause condemniret. In einigen Landen schlägt man einem armen Ehebrecher wohl gar den Kopff herunter, oder giebt ihm doch zum wenigsten den Staub=Besem129 [sic], und verweiset ihn des Landes. Alle anderen guten Qualitäten, die sonst ein solcher Mensch besitzen mag, sind sodann weiter nichts, heissen nichts, bedeuten nichts, und kommen in keine Consideration; genug, daß ein dergleichen grober Fehler begangen worden. Hat hingegen ein Privatus Geld, nun wohlan! so thut er alles, zwar denen grösten Herren gleich. Man streiffet ihm aber heimlich oder öffentlich, den Beutel, und damit ist sein Fehler gebüsset; Die Nachrede aber bleibet dennoch.130

Diesem ausführlichen Vorwurf begegnet der französische König mit der Rechtfertigung, daß die Unterscheidung, die zwischen dem Verhalten ehebrecherischer Adeliger und Nicht-Adeliger getroffen würde, nur recht und billig sei – schließlich seien „grosse Herren [...] keinen weltlichen Gesetzen unterworffen“.131 Louis XI. nimmt in diesem Diskurs die machiavellistische Position desjenigen ein, für den Vorstellungen von Volkssouveränität oder Fundierung der Herrschaft auf dem Naturrecht gleichbedeutend mit Aufruhr und Anarchie wa-

129 Zur Redensart „jemandem den Staubbesen geben“ vermerkt Johann Georg Krünitz’ Ökonomisch-technologische Encyclopädie: „Jemandem die Staupe geben. [...] Staupenschlag, das ist, die Strafe der öffentlichen Züchtigung mit einer großen Ruthe [...], ihm den Staubbesen geben, ihn öffentlich stäupen.“ Krünitz, Ökonomisch-technologische Encyclopädie, Bd. 171, Berlin 1839, S. 75. 130 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 91, Leipzig 1725, S. 800. 131 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 91, Leipzig 1725, S. 800.

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ren; konsequenterweise deutet er im Anschluß an seinen Kommentar auch an, daß ein Staat in „greuliche Unordnung“ 132 verfalle, wenn jeder Privatus Rechte für sich beanspruchte, die einem Adeligen (selbstverständlich) zustünden. Fassmann verknüpft an dieser Stelle den Ehe- und Herrschaftsdiskurs auch mit einem Geschlechterdiskurs, denn stellvertretend merkt der ‚gute‘ Osmane gegenüber dem ‚schlechten‘ französischen König an, daß eine adelige Frau im Falle eines solchen Fehltritts im Unterschied zum männlichen Adeligen sehr wohl für ihr unsittliches Verhalten zur Rechenschaft gezogen würde: Zizim Printzessinnen hingegen, welche einen Fehler und Schwachheit in Liebes=Sachen begehen, sind weit unglückseliger als Weibsbilder vom gemeinen Stande, in diesem Fall, zu seyn pflegen. Je vornehmer eine solche Printzessin ist, desto größer die Schande, und sie kommet darüber um ihre gantze zeitliche Wohlfahrt und Glückseligkeit.133

Im Hinblick auf außereheliche Fehltritte konstatiert der osmanische Sultan also eine Diskrepanz zwischen Mann und Frau sowie Adel und Bürgertum. Eine Adelige würde, so das Fazit, noch weitaus strenger als „Weibsbilder vom gemeinen Stande“ und als ihre Ehemänner beurteilt. Der französische König betont seiner Rolle gemäß wiederum die Billigkeit dieses anderen Maßnehmens – schließlich hätten die adeligen Frauen selbst das größte Interesse daran, der delicaten Natur fürstlicher Fortpflanzung mit vorbildichem Verhalten Rechnung zu tragen. Um die ungleiche Rollenverteilung zwischen Mann und Frau noch deutlicher zu machen, weist der Sultan darauf hin, daß ein übermäßiger Appetit auf außereheliche Beziehungen auf Seiten des adeligen Mannes meist mit übergroßer Eifersucht auf die eigene Ehefrau einher gehe. Auch hier wird der englische König Herny VIII. als Referenz angegeben, der bereits in seiner ‚eigenen‘ Entrevue im Vergleich zum vorbildlicheren Lebenswandel des osmanischen Sultans Süleyman als Exempel für sexuelle Unmäßigkeit präsentiert wurde. Djem und Louis XI. diskutieren auch in der letzten ihrer insgesamt drei Begegnungen über die Vor- und Nachteile, die sich aus dem Konkubinat ergaben. Fassmann vermochte durch die Tatsache, daß Djem aus einer fremden Kultur mit dementsprechend normabweichenden Praktiken und Rechtsauffassungen stammte, insofern Profit zu ziehen, als beide Gesprächspartner ihre unterschiedliche Herkunft und ihren Lebenswandel miteinander vergleichen konnten und so dem europäischen Leser mehr Informationen über die (europäische wie außereuropäische) Ehelehre unterbreiten konnten.

132 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 91, Leipzig 1725, S. 801. 133 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 91, Leipzig 1725, S. 801.

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Abb. 22: Illustration Henry VIII. and His Six Wives, in: William Hickman Smith Aubrey: The National and Domestic History of England, Bd. 2 (1399–1603), London 1878.134

In einem sich ausdifferenzierenden Ehediskurs waren vor allem die Lebensläufe der fremden Figuren (Männer wie Frauen) dazu geeignet, die eigene Position zu unterstützen bzw. den Argumenten für oder gegen eine bestimmte soziale Praxis zusätzliches Gewicht zu verleihen. Zudem boten exzeptionelle Biographien wie die Henrys VIII. die Möglichkeit, einen Dialog prägnant zu strukturieren. Fassmann benutzt die ‚natürliche‘ Abfolge der sechs Ehefrauen

134 Die Abbildung betont durch die Synopse die schiere Menge an Ehefrauen des englischen Königs. Dadurch, daß auf der Ebene der bildlichen Darstellung eine Art der Gleichzeitigkeit hergestellt wird, erscheint Henry gleich einem orientalischen Potentaten inmitten seines Harems.

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des englischen Königs dazu, dessen Lebenslauf in verschiedene Abschnitte zu unterteilen: Die Frauen dienen ihm als eine Art wiederkehrendes Strukturelement, mit dessen Hilfe er seine Argumente (und vor allem seine Kritik) am Lebenswandel des sechsfachen Ehemannes auch formal deutlich markieren konnte. Mit Hilfe liminaler Bereiche aus dem zeitgenössischen Ehediskurs, die Fassmann ins Zentrum einiger seiner ‚exotischen‘ Dialoge rückte, vermochte er dem Thema normative Kontur zu verleihen. Im Dialog zwischen dem Orientalen Süleyman und dem Europäer Henry VIII. wird besonders deutlich, welche Position Fassmann in seinem Journal innerhalb des Ehediskurses auf den ersten Blick einnehmen wollte:135 Als frühaufklärerischer Protestant mit pietistischen Wurzeln verurteilte er konform mit zahlreichen zeitgenössischen Stimmen die ‚Vielweiberei‘ des Islam. Obwohl Süleyman als Beispiel für den eigentlich christlich denkenden Mann herangezogen werden konnte, der seine geliebte Roxelane heiratete, wird dadurch das ‚Typische‘ am Orient bzw. Islam nicht durchweg entkräftet. Der osmanische Sultan bildet in diesem Sinne die Ausnahme von der allgemeinen Regel des ausschweifenden Orientalen, der sich mit Wollust seinen unzähligen Haremsdamen widmete. Dadurch, daß Fassmann mit Henry VIII. und Süleyman jeweils das Gegenteil vom allgemein akzeptierten ‚Eigenen‘ wählte, schafft er es, seine eigene Position kontrastreich an seine Leser zu vermitteln. Der englische König jedenfalls scheint sein Gegenüber, das ungestraft polygam leben durfte, zu beneiden: O Schicksal! warum hast du mich doch nicht einen Türckischen Kayser, an statt eines Königs von Engelland, werden lassen, indem ja ein Mann von der Eigenschafft meines im Leben gehabten Leibes billig die Stelle eines Hahnes unter denen Hühnern im Seraglio vertreten solte.136

135 Zur Ehemoral in eben diesem Totengespräch vgl. einen der wenigen Beiträge, die sich mit einzelnen Totengesprächen Fassmanns auseinandersetzen: Markus Liebscher: Die europäische Ehemoral auf dem Prüfstand. Eine Begegnung zwischen Heinrich VIII. und Süleiman dem Prächtigen im Jenseits, in: Orientalismus in Deutschland zwischen Aufklärung und Vormärz, hg. v. Patrick Franke, Dessau 2003, S. 26–32. 136 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 9, Leipzig 1720, S. 639. Der Vergleich des Sultans mit einem Hahn unter Hühnern scheint hier nicht zufällig gewählt: Abgesehen vom sinnfälligen Vergleich der Situation mit einem Gegenstandsbereich, der vielen Lesern des Journals bekannt gewesen sein mußte, taucht eben jenes Tier wenige Seiten später noch einmal auf. Henry VIII. nimmt dort Bezug auf die in seinen Augen lächerliche, da untürkische Vorliebe des Sultans für die Liebe zu einer einzigen Frau und gibt in diesem Zusammenhang eine Anekdote vom Beichtvater des französischen Königs Louis XIV. wieder. Dieser habe dem Monarchen immer wieder wegen seiner ständig wechselnden Mätressen in den Ohren gelegen und dafür plädiert, daß der König sein Glück nur bei einer einzigen Frau, seiner rechtmäßigen Ehefrau, suchen sollte. Um seinem Beichtvater zu beweisen, daß die Beständigkeit

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Fassmanns Manöver, die Rollen entgegen der allgemeinen Erwartung zu besetzen, ist damit noch nicht erschöpft. Denn auch der atypisch agierende osmanische Sultan widerspricht den Vorstellungen des Westens, der im Harem einen Hort der Wollust und überbordender Sinnesfreude sah. Solchermaßen stereotypisierten Vorstellungen, die hier durch die Person des englischen Königs verkörpert werden, begegnet der türkische Sultan wie folgt: Henry Demnach erwartet das sämtliche Frauenzimmer ihren Sultan jederzeit mit höchster Brunst und Ungedult, und ihre Umarmungen können anders nicht als eine glüenden [sic] Liebe seyn. Solimannus Schöne Einbildungen! Allein, mein König, es sind und bleiben auch Einbildungen, woran in der That nichts ist. Wer ist das Frauenzimmer eines Türckischen Kaysers? Anders nichts, als pure, meistentheils geraubte Sclavinnen, die lebendig todt seyn, und denen alles Vergnügen der Welt benommen ist, so lange sie in dem Seraglio leben. Tritt der Kayser in ihre Wohnungen und Zimmer, so sehen sie ihren Tyrannen vor Augen, und alle Früchte der Venus daselbst schmecken bitter, weil sie mit Furcht, Zittern, Beben, Schrecken und allezeit niedergeschlagenen Augen, auf Seiten des Frauenzimmers, vergället sind.137

Die „niedergeschlagenen Augen“ der als Sklavinnen gehaltenen Frauen symbolisieren die erzwungenermaßen unterwürfige Haltung, die nach Fassmanns Darstellung in einem türkischen Serail herrschte. Geschickt verknüpft er so den frühneuzeitlichen Ehediskurs mit einer allgemeinen Kritik an den politischen Zuständen im Orient: Das „Frauenzimmer“ kann an dieser Stelle stellvertretend für alle Untertanen stehen, die in streng absolutistisch geordneten Gesellschaften blinden Gehorsam leisten mußten. Daß Fassmann hier nicht als protestantischer Vorreiter agiert, beweist u. a. David Schusters bereits zitierte Mahomets und Türcken Grewel aus dem Jahre 1664, in der dieser auf den Unterschied zwischen der westlichen (christlichen) und östlichen (islamischen) Eheauffassung eingeht. In Anlehnung an Matthäus 19, 4 f. bemerkt er hierzu: Christus der Herr [...] sagt: Der im Anfang den Menschen gemacht / der macht daß ein Mann und Weib sein solt: v. 5. spricht er: Dieser Mann und dieses Weib / diese zwey Personen / seyen nicht zwey / sondern ein Fleisch. Darauß dann ein jeglich es greiffen kan / daß Gott

in der Liebe mitnichten zum Glück, sondern zur völligen Langeweile und zum Widerwillen führe, läßt Louis dem Priester in den nächsten Tagen nur noch Huhn zum Essen servieren. Als der Geistliche sich über die Eintönigkeit der Mahlzeiten und den daraus resultierenden fehlenden Appetit beschwert, sieht sich der König prompt in seinem Tun bestätigt: Variatio delectat – ein Motto, mit dem Fassmann auch die Illustration des Titelbildes krönt. Ebd., S. 641. 137 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 9, Leipzig 1720, S. 640.

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nicht verordnet habe / daß ein Mann auff einmal und zugleich mehr als ein Weib haben soll. [...] Aber der Alcoran schüttelt in diesem Paß den Kopff / unnd will mit einem einigen Weib auff einmal nicht vergnüget seyn / unnd gestattet polygamia oder viel =Weiber.138

In gut protestantischer Manier zieht Schuster die Bibel als Referenz heran, um abweichende Ehepraktiken, hier diejenigen islamisch geprägter Gesellschaften, zu verurteilen. Die Haltung, die Schuster und in weiten Passagen auch Fassmann in Bezug auf die ‚Vielweiberei‘ einnahmen, war jedoch dadurch noch nicht erschöpft. Die Uneindeutigkeiten, die sich in dem Leipziger Journal immer wieder ihren Weg bahnten, äußerten sich in diesem Zusammenhang eben auch darin, daß die Verurteilung der Polygamie nicht an allen Stellen durchgehalten wurde. In einem Versuch, den weiblichen Standpunkt in diesem Diskurs einzunehmen, sorgen sich der indische Groß-Mogul Shah Jahan und der türkische Groß-Wesir Ibrahim um die Frage, was europäische Frauen wohl von der Ehepraxis des Islam halten mögen: Der Mogol Was müssen aber doch wohl die Europaeischen Weiber dencken, wann sie hören, daß in dem Orient, desgleichen in Africa, der Gebrauch unter denen Mahometanern und Heyden ist, daß einer so viele Weiber nehmen mag, als er ernehren kan, ja daß die Orientalischen Monarchen und Potentaten, die schönsten Weibs=Personen zu vielen hunderten, und tausenden, in ihrem Haram haben? Der Groß=Vezier Was die Europaeischen Weiber heirbey dencken, das ist leichtlich zu errathen. Sie werden dencken: Es sind diejenigen Narren, die sich mit so vielen Weibern und Weiber=Volck auf einmal zu ihrer Wollust beladen; maßen bekannt, daß ein recht verliebtes und verbuhltes Weib nicht nur einem Mann so viel zu schaffen geben kan, als er nicht zu bestreiten vermag; sondern es auch wohl mit etlichen Männern auf einmal annehmen, und dennoch den Sieg über dieselben, als ermattete und ermüdete Kämpffer, behalten könte. Doch die grösten und vornehmsten Weiber in Europa machen nicht so viel Wunder daraus, als andere Weiber von geringem Stande. Denn dieselben müssen es sich vielmals gefallen lassen, wann ihre Herren und Gemahls starcke Liebes=Excesse begehen, und nebst ihnen Maitressen halten, sich auch wohl einen gantzen Haram, oder ein kleines Seraglio von Weibs=Personen zulegen.[...] Es ist auch in der That etwas grosses, wann man der Sache recht nachdencket, daß ein Mann die Freyheit haben solle, mehr als eine Frau zu nehmen, da ihm doch eine genug zu schaffen machen kan; eine Frau hingegen sich allemal nur mit einem Mann begnügen, da doch manche Frau deren wohl ein halbes Dutzend nöthig hätte.139

Fassmann verurteilt hier oberflächlich gesehen durch den Mund seiner fremden Figuren die Ehepraxis des Islam und befindet sich damit im Einklang mit

138 Schuster, Mahomets und Türcken Greuel, S. 64. 139 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 228, Leipzig 1730, S. 734 f.

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der protestantischen Sicht auf die muslimische Liebes- und Ehelehre. Dadurch jedoch, daß er mit einem angedeuteten Perspektivwechsel die weibliche Position mit in den Diskurs einfließen läßt – im Nachfolgenden dehnen die beiden muslimischen Herrscher die Frage auch auf die Frauen des Orients aus –, tritt ein weiteres Argument zu den bereits vorgebrachten hinzu: Vom rechtlichen Standpunkt aus gesehen wäre es nur billig, den Frauen, die ihrer vermeintlichen Natur nach viel eher dafür geeignet wären, auch das Recht einzuräumen, mehrere Partner zu haben. Diese Sichtweise, die zunächst wie ein Plädoyer für die Gleichbehandlung der Frauen und wie eine Befürwortung der Polygamie wirkt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung jedoch als etwas anderes, bereits Bekanntes: Fassmann verknüpft ein weiteres Mal die Kritik an fremden Sitten mit der Schelte des Anderen, in diesem Fall des weiblichen Geschlechts in toto und dessen unterstellter Bereitschaft, sich mit mehr als einem Mann der Liebe hinzugeben. Auf diese Art vermochte Fassmann sowohl das Verhalten der polygam lebenden Orientalen als auch das der wegen ihrer potentiellen Promiskuität beängstigenden Frauen zu kritisieren.140 Provokantere zeitgenössische Thesen und rechtliche Überlegungen, die auf eine Neubewertung der christlich-protestantisch geprägten Ehelehre abzielten, hielten zwar in Ansätzen Einzug in Fassmanns Totengespräche, wurden jedoch nicht absichtlich propagiert. Weil jedoch die normabweichenden und stellenweise ‚unanständigen‘ Praktiken durch den Mund seiner fremden Figuren erläutert und kritisch diskutiert wurden, erhob Fassmann diese aus dem Status des nur theoretisch Denkbaren und stellte die eigenen Sitten damit auf den Prüfstand.

6.3.2 Herrschaft Gute wie schlechte Herrschaft wird in Fassmanns Journal häufig anhand von Liminalitäten oder Dualitäten definiert. Beide Vorgehensweisen setzen einen Ausgangspunkt, eine ‚Norm‘ oder, wenn man so will, einen bestimmten Prätext voraus, vor dem das Andere oder Fremde erklärt werden. In Fassmanns historisch-politischem Journal wird Herrschaft mittels verschiedener Strategien definiert und normativ (re)konstruiert. Wie bereits an anderer Stelle gezeigt, rekurrierte Fassmann dabei häufig auf tradierte Vorstellungen von guten und schlechten Herrschertugenden. Deren Vorhandensein oder Fehlen sollte deutli-

140 Daß Fassmann mit der reflexhaften Abwehr des Fremden und des Anderen nicht alleine war, bestätigt Mulsow mit seinem Überblick über die Ausgrenzungsversuche der gelehrten Gesellschaft, die besonders auch am Umgang etwa mit dem Thema der Polygamie ablesbar waren. Vgl. dazu Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 80.

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che Hinweise auf die Herrscherqualitäten einer Figur liefern. Männer wie Frauen waren diesem kritischen Urteil unterworfen; für beide Geschlechter galten – mit kleineren Abweichungen – die gleichen Maßstäbe. Nicht untypisch für seine Zeit richteten sich die Kriterien, nach denen Herrschaft beurteilt wurde, jedoch an einer männlich konnotierten Norm aus, die nicht als Ergebnis einer kulturellen Setzung, sondern als naturgegebene und quasi-leibliche Kategorie gedacht wurde.141 Fassmann bildete in diesem Zusammenhang häufig figürliche Gegensatzpaare aus, die in der Zusammenschau helfen sollten, seinen Herrschaftsbegriff trennscharf zu konturieren. Männer und Frauen, Tyrannen und aufgeklärte Regenten, Moslems und Christen, Orient und Okzident usw. lieferten Facetten eines Begriffs, die zusammen ein maskulines Bild von Herrschaft zeichnen sollten. Verhaltensweisen wie Gesetzesliebe, Ehrlichkeit, Tapferkeit vor dem Feind usw. wurden in den Gesprächen als vorbildlich und wünschenswert, andere wie sexuelle Freizügigkeit, Eitelkeit oder Empfänglichkeit für Schmeicheleien als verwerflich, barbarisch oder effeminiert gebrandmarkt. Bourdieus These, daß der Habitus auf vergeschlechtlichte Wahrnehmungsund Bewertungskategorien142 zurückzuführen sei, läßt sich an zahlreichen Beispielen in Fassmanns Gesprächen verifizieren. Als ergiebig erweist sich vor diesem Hintergrund die Unterscheidung zwischen dem, was wahrgenommen und mittels der Dialoge weitergegeben wurde, und wie das Wahrgenommene dargestellt und bewertet wurde. In der 129. Entrevue läßt Fassmann zwei Figuren aufeinandertreffen, deren „herrliche Historie“ 143 den Leserinnen und Lesern unterbreitet werden sollte. Die beiden Schatten, die sich im Totenreich zu diesem Gespräch einfinden, sind die russische Zarin Katharina I. (um 1683–1727) und die Herrscherin von Palmyra, Zenobia Septimia (ca. 240–272 n. Chr.). Beide Figuren verbindet, so das Titelblatt zum entsprechenden Dialog, ihr Status als „grosse Printzessinnen“.144 Der Umstand, daß die Frauen nach ihrem Tod überhaupt auf ihre im Gespräch aufgezählten Verdienste bzw. ihre herausgehobene Machtpositionen zurückblicken konnten, ergab sich in beiden Fällen zunächst einmal allein aus der Hei-

141 Die nachfolgenden Abschnitte stützen sich begrifflich u. a. auf Bourdieus Studie zur Männlichen Herrschaft. Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft, Frankfurt a. M. 2005. Zur theatralischen Inszenierung von ‚Männlichkeiten‘ vgl. auch Therese Steffen (Hg.): Masculinities – Maskulinitäten. Mythos – Realität – Repräsentation – Rollendruck, Stuttgart/Weimar 2002. 142 Bourdieu, Männliche Herrschaft, S. 14 ff. 143 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 129, Leipzig 1729, Titelblatt. 144 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 129, Leipzig 1729, Titelblatt.

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rat mit einem männlichen Herrscher. Da Frauen qua Geschlecht meist von der Erbfolge ausgeschlossen waren, wurden sie nur dann auf einen Thron erhoben, wenn sich eine Krankheit, ein Krieg oder andere Katastrophen in den ‚gottgewollten‘ Verlauf einer Regentschaft einmischten und dementsprechend kein passender männlicher Kandidat zur Verfügung stand. Im Fall der zuerst eingeführten Zarin Katharina wird das Moment der Überraschung besonders deutlich gemacht. Obwohl sowohl Katharina als auch ihr späterer Mann Peter der Große zuvor bereits einmal verheiratet waren, geht der Beginn der Entrevue nur auf ihre Vorgeschichte ein, während im Unterschied dazu andere Totengespräche die Gelegenheit nutzen, ausführlich auch die Vita des Ehemannes einer Herrscherin zu referieren. Weil Fassmann die Historie Peters des Großen jedoch bereits in dessen eigenem Totengespräch behandelt hatte, konnte er an dieser Stelle auf allzu viele Rückgriffe auf dessen Leben verzichten und widmete den Großteil der Entrevue der Erzählung von Zenobias Charakter und Taten.145 Als Katharina im Totenreich eintrifft, eilt ihr die Kunde ihres Ablebens voraus. Besonders ihre ehemaligen Landsleute brennen darauf, die aus einfachen Verhältnissen stammende Martha Elena Skawronskaja wiederzusehen: Absonderlich wurden die Russen und Liefländer, welche vor zwantzig bis sechs und zwantzig Jahren gestorben, von solcher Curiosité gewaltig getriebene und es gelange auch ihrer vielen, daß sie die neu angelangte Kayserin zu Gesichte bekamen. Unter denen Liefländern, welche dieses Glücke hatten, befanden sich einige, die sich erinnerten, die Russische Kayserin Catharina vor dreyßig und noch mehr Jahren in ihrem ersten Stande gesehen zu haben, und diese geriethen in das höchste Erstaunen darüber, kunten auch eine gute Weile nicht begreiffen, wie doch dieses mochte zugegangen seyn, daß ihre Landsmännin zu einer so wunderbaren Glückseligkeit und Hoheit in der Welt gelanget.146

Katharina I., die nur zwei Jahre lang als russische Zarin und Nachfolgerin ihres Mannes Peter I. herrschte, war der Beschreibung Fassmanns nach zwar arm geboren, aber dennoch von hohem geistigen Adel.147 Dem Wesen nach fromm 145 Fassmann läßt Katharina diesen Umstand wie folgt rechtfertigen: „Meine Historie werde ich, und zwar um vieler Ursachen willen, so kurz als immer möglich fassen; allermaßen ohne diß das meiste, was ich von mir zu sagen weiß, zu der Historie des Rußischen Kaysers meines Gemahls gehöret, und dieselbe bereits allhier in dem Reiche derer Todten gar bekannt, auch von ihm selber erzehlet worden ist.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 129, Leipzig 1729, S. 33. 146 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 129, Leipzig 1729, S. 1. 147 Noch über 100 Jahre später behauptet G. R. Schilling 1835 in seiner Historischen Anthologie für Deutschlands Söhne und Töchter in fast wörtlicher Anlehnung an die von Fassmann zitierte Passage, daß Katharina von einem liefländischen Adeligen aus dem Geschlecht der Abedeyl abstamme. Tatsächlich geht man heute davon aus, daß sie die Tochter eines litauischen Bauern namens Samuil Skawronski war und nach dem Tode ihres ersten Mannes die

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und bedächtig, kümmerte sie sich gerecht und milde um die Anliegen und Sorgen ihrer Untertanen.148 Gemäß dem tradierten rhetorischen Tugendkatalog entsprach ihr lobenswerter Charakter darüber hinaus ihrer außerordentlichen Schönheit. Ihre unstandesgemäße Geburt und ihr Status als heimliche Geliebte waren in der Beschreibung – wenn überhaupt bekannt – nur andeutungsweise und zaghaft präsentabel.149 Sowohl die bürgerlich-zupackende Katharina als auch ihre vornehme Gesprächspartnerin Zenobia begleiteten ihre Männer zu deren Lebzeiten auf die Schlachtfelder; beide kümmerten sich nicht nur um Verletzte und zogen sich wie Soldaten an, sondern ahmten überhaupt männliches Verhalten nach, indem sie etwa ein ausdauerndes Trinkverhalten unter Beweis stellten oder mit Freude zur Jagd gingen.150 Während sich Fassmann für den kürzer gehaltenen Lebenslauf Katharinas nach eigenen Aussagen auf zeitgenössische französische und deutsche Journale verließ, zitiert er für die Vita der Königin Zenobia Tillemonts französische „Kayser=Historie“,151 die sich wiederum hauptsächlich auf römische Quellen zum Leben der orientalischen Herrscherin stützte. Islamische und klassische römische Quellen zeichneten zwei völlig unterschiedliche Lebenswege der Zenobia bzw. Al-Zabba nach. Während die orientalische Herrscherin in den Augen des Westens zur Ikone weiblicher Herrschaft und des

heimliche Geliebte und Ehefrau des russischen Zaren wurde. G. R. Schilling: Historische Anthologie für Deutschlands Söhne und Töchter, 1. Theil, Berlin 1835, S. 305 f. Zu Katharinas Leben und Politik vgl. etwa Heiko Haumann: Geschichte Russlands, München/Zürich 1996, S. 179 ff.; einen Überblick über verschiedene historische Überlieferungen zu ihrem Leben bieten Helmut Glück und Ineta Polanska: Johann Ernst Glück (1654–1705). Pastor, Philologe, Volksaufklärer im Baltikum und in Russland, Wiesbaden 2005, S. 120–137. Laut Glück und Polanska ließ die russische Zarenfamilie nach dem Tod Peters und Katharinas gezielt Dokumente verschwinden, welche die niedere Herkunft der Martha Elena Skawronskaja bewiesen hätten und behaupteten statt dessen, diese stamme von einer litauisch-polnischen Adelsfamilie gleichen Namens ab – eine Version, die selbst in Voltaires Biographie Peters Einzug gehalten hat. Ebd., S. 120. 148 Zur Beschreibung von Katharinas Charakter vgl. den knappen Überblick bei Matthes, Das veränderte Rußland, S. 240 f. 149 So verrät etwa das Stillschweigen, mit dem Fassmann den Topos ausspart, der sonst die geistigen Gaben einer verstorbenen Person hervorhebt, daß Katharina offenbar nicht sonderlich gebildet war. In der Tat geht man heute davon aus, daß sie weder lesen noch viel mehr als ihren eigenen Namen schreiben konnte. Vgl. dazu Glück/Polanska, Johann Ernst Glück, S. 122. 150 Zur Darstellung von Zenobias Körper vgl. auch den nachfolgenden Abschnitt 6.3.3 Körper und Geschlecht. 151 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Summarie zur 129. Entrevue, Band XVI, Leipzig 1740, S. 433; Histoire | Des | Empereurs, | Et Des Autres Princes Qui Ont Regné | durant les six premiers siecles de l’Eglise [...] | Par M. Lenain Tillemont. | A Paris, | Chez Charles Robustel, [...] | M.DCC. | Avec Privilege de sa Majesté.

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Widerstands gegen die römische Besatzung stilisiert wurde, nannten die islamisch-arabischen Historiker zwar den Namen des römischen Kaisers Aurelian, allerdings nur in der Schilderung von Zenobias Ableben.152 Auch ihr Ehemann Odenatus fand in den orientalischen Quellen keine Erwähnung. In ihnen wird vielmehr der Tod von Zenobias Vater als das auslösende Moment für ihren kriegerischen Ehrgeiz ausgemacht. ’Amr b. al-Zarib, Herrscher von Djazira (Mesopotamien) und Vater Zenobias wurde, wie islamische Quellen berichten, bei einem militärischen Zusammentreffen mit dem Tanukhiden-König Djadhima getötet. Weil sein Gegner ihren Vater tot auf dem Schlachtfeld liegen ließ (und so den kriegerischen Ehrenkodex verletzte), wollte Zenobia Rache nehmen. Unter dem Vorwand, ihre beiden Reiche gewinnbringend zu verbinden, bot sie dem Mörder ihres Vaters ihre Hand zur Heirat. Trotz der Warnung seines Beraters ging Djadhima auf Zenobias Angebot ein. Er wurde nach seiner Ankunft in Palmyra gefangengenommen und starb einen langsamen Tod, nachdem eine Dienerin Zenobias seine Armvenen geöffnet haben soll.153 Wenig überraschend blieb Djadhimas vorzeitiges Ende in seiner Heimat nicht unbemerkt, und so sann sein Neffe und Adoptivsohn ’Amr b. ’Adi gleichfalls auf Vergeltung. Dem späteren König der Lakhmiden gelang es, die Wachposten Palmyras mit einer Variante des trojanischen Pferdes zu überlisten und die syrische Stadt einzunehmen. Auf der Flucht vor ’Amr b. ’Adi nahm Zenobia den orientalischen Quellen gemäß Gift aus einem zu diesem Zwecke mitgeführten Ring zu sich und verhinderte so, daß sie durch die Hand eines Dritten starb. Während die islamischen Quellen Zenobias Ende als Resultat eines länger andauernden, emotional gefärbten Rachefeldzugs darstellten, betonten westliche Historiker Zenobias Konflikt mit dem römischen Kaiser Aurelian. Nachdem sie in ihrem Widerstand gegen den römischen Herrscher unterlag, verbrachte sie gemäß einigen Quellen mehrere Jahre im römischen Exil, in dem sie nach vielen Jahren als Matrone starb. Als historisch gesichert gelten heute vor allem ihre Bestrebungen, den Einflußbereich der handelstechnisch nicht unbedeutenden Stadt Palmyra zu vergrößern. Die nach ihrer Gründerin Zenobia benannte befestigte Stadt am Euphrat (heute Halabiya) legt von diesem Plan sichtbares Zeugnis ab.

152 Die Informationen zu Zenobias Leben stammen aus: Irfan Shahid: „al-Zabba“, in: Encyclopaedia of Islam, hg. v. Peri J. Bearmann und Thomas Bianquis u. a., Brill online [, Stand 5. 1. 2010]. 153 Die arabischen Quellen markierten den Tod auch als „qualvoll“, wahrscheinlich deswegen, weil so der Aspekt der Rache noch deutlicher betont werden konnte. Allen medizinischen Erkenntnissen nach ist das Verbluten jedoch weitaus weniger schmerzhaft als andere unfreiwillige Todesarten – Zenobia erweist sich demnach als vergleichsweise ‚humane‘ Rächerin.

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Westliche Quellen betonten an Zenobia sowohl ihren Mut als auch, sozusagen als Steigerung derselben Eigenschaft, ihre Vermessenheit, die sie angeblich nach (unverdienten) Titeln und mehr Macht greifen ließ. Nach dem Tod ihres Mannes, des römischen Stadthalters Odenatus, habe sie als Regentin für die noch unmündigen Söhne die Macht übernommen und sich immer mehr zu einer eigenständig handelnden Herrscherin entwickelt. Ähnlich wie Fassmann beschreibt ihren Charakter auch ein englisches Lexikon von 1788, das im Folgenden als weiteres Beispiel für den europäischen Blick auf eine orientalische Herrscherin zitiert werden soll. Zenobias Wille zur Macht (und ihre gleichzeitige Anmaßung) ließe sich bereits an der Wahl ihrer Kleidung ablesen: Zenobia – Septimia, a celebrated princess of Palmyra, who married Odenatus, whom Gallienus acknowledged as his partner on the Roman throne. After the death of her husband, which, according to some authors, she is said to have hastened, Zenobia reigned in the east as regent of her infant children, who were honored with the title of Caesars. She assumed the name of Augusta, and she appeared in imperial robes, and ordered herself to be styled the queen of the east. The trouble which at that time agitated the western parts of the empire, prevented the emperor from checking the insolence and ambition of this princess, who boasted to be sprung from the Ptolemies in Egypt. Aurelian was no sooner invested with the imperial purple than he marched into the east, determined to punish the pride of Zenobia.154

Zenobia diente zumindest in Ansätzen als eine geeignete Identifikationsfigur für den Kampf des Westens gegen die gefährlichen Perser. Was sowohl Fassmann als auch andere abendländische Historiker an Zenobia zu faszinieren schien, waren ihr Wagemut und ihre Mann-Gleichheit auf dem Schlachtfeld. Unerschrocken habe sie neben ihren Soldaten gekämpft, wenn es sein mußte, sogar zu Fuß. Ihre physische Präsenz in diesen sonst männlich konnotierten Gefilden verbindet Fassmann auf der Ebene des Gesprächs wiederum mit der Person Katharinas, die (wenn auch in geringerem Maße) zu ihren Lebzeiten an der Seite ihres Mannes an Schlachten und gefährlichen Reisen teilgenommen haben soll. Um die Gleichheit beider Frauen sowie deren Ebenbürtigkeit mit männlichen Herrschern zu betonen, beschreibt Fassmann ähnlich dem oben zitierten englischen Lexikon auch die Kleidung beider Frauen. Bei einem Vergleich ihrer beider „Leben und Thaten“ 155 holt Zenobia (bei Fassmann „Die Königin“) zu einem längeren Vergleich aus und richtet ihr Wort an Katharina („Die Kayserin“):

154 John Lemprière: „Zenobia Septimia“, in: A Classical Dictionary, containing a copious amount of all the proper names mentioned in ancient authors, London 111820 [ED 1788], S. 831. 155 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 129, Leipzig 1729, S. 2.

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Die Königin [...] So viel ich weiß, seit [sic] ihr, grosse Kayserin! eurem Gemahl in verschiedenen Campagnen an der Seite gewesen; und ich habe ein gleiches gethan, ja meinen Gemahl auch in den gefährlichsten Actionen nicht aus denen Augen gelassen. Ihr, grosse Kayserin! seyd mit nach Persien gezogen, als der Kayser euer Gemahl in der Absicht dorthin gegangen, Conquêten in selbigem Reiche zu machen; welches ihm auch gelungen ist. Von mir könnet Ihr, grosse Kayserin! versichert seyn, daß ich, nebst meinem Gemahl, ebenfalls Conquêten und Beute in Persien gemachet, auch die Persianer mehr als einmal vor uns fliehen sehen. Ihr, grosse Kayserin! habt euch vielmals, in Amazonen=Kleidern, mit dem Degen in der Faust, a la tête einiger eurer Kriegs=Völcker gestellet, und in eben dieser Heldenmäßigen Gestalt hat mich meine Armée fast alle Tage gesehen.156

Neben aller diskurskonformen Angleichung der Frauen an ein kriegerisches, männlich bestimmtes Herrscherideal diente Fassmann der Ausweis ihres Heroismus (die „Heldenmäßige Gestalt“) auch dazu, die Wahl beider Frauen als Protagonistinnen dieses Dialogs zu rechtfertigen. Innerhalb des Programms für sein historisch-politisches Journal konnte er nur diejenigen unter den ‚Frauenschicksalen‘ darstellen, die – zumindest mehr oder weniger direkt – Einfluß auf die politischen Verhältnisse ihrer Zeit hatten. Zwar bediente sich Fassmann immer wieder gerne gerade der Lebensläufe, die über ein gewisses Skandalpotential verfügten; dennoch reichte ein ‚liederlicher‘ Lebenswandel allein nicht aus, um Eingang in ein historisch-politisches Totengespräch zu finden. Fassmann verhandelte das Thema Herrschaft in seinen Totengesprächen häufig im Zusammenspiel mit anderen Themen. Wie am oben ausgeführten Beispiel deutlich werden konnte, vermochte er v. a. über die Diskussion fremder bzw. anderer Positionen seinen eigenen Standpunkt pointiert vorzubringen. Indem Fassmann etwa dezidiert auf die Auffassung des Orients in Bezug auf Herrschaft einging, trat das davon Abweichende, Eigene stärker hervor. Als ein geeignetes Mittel zum Vergleich boten sich die Regierungsform und die Staatsverfassung eines Landes an. So gehen im 227. Totengespräch der indische Groß-Mogul und Erbauer des Taj Mahals Shah Jahan und dessen türkischer Gesprächspartner, der Groß-Wesir Ibrahim, auf die Unterschiede zwischen der

156 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 129, Leipzig 1729, S. 3. Zum Aspekt der Verkleidung und zur heldenmäßigen Gestalt, die Zenobia mit ihrem Aussehen einnehmen wollte, vgl. Therese Steffen, die hierzu ausführt: „Verkleidung und Geschlechtertausch haben als Motive eine lange literarische Tradition, und Transgressionsphantasien haben das Schreiben spätestens seit der Romantik beflügelt – sei es in Bezug auf die Überschreitung von Genres, sei es in Hinsicht auf die Aufhebung von Geschlechtergrenzen. Die ‚Masken des Begehrens‘ bzw. die ‚Masken der Sexualität‘ treten nirgends deutlicher zutage als im Bereich der Literatur, die schon immer ein Spiel mit fiktiven Identitäten war und daher nicht zufällig das Maskerade-Thema aufgreift. Steffen, Maskulinitäten, S. 22 f. Vgl. dazu auch das nachfolgende Lemma Körper und Geschlecht.

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Herrschaftsform im Orient und Okzident ein. Die absolutistische Gewalt, die indische Moguln, aber auch osmanische Sultane ausübten, sollte für die Europäer mahnendes Beispiel und Anlaß zur Dankbarkeit sein. Nachdem der indische Groß-Mogul eine Anekdote wiedergegeben hat, in welcher er von seiner grausamen Rache an einem seiner Schuldner berichtete, den er zusammen mit dessen Familie töten lassen und dessen Besitztümer er konfisziert habe, entgegnet der Osmane: Hilf GOtt! wie werden sich nicht die Europaeischen Nationen creutzigen und segnen, wann sie von dergleichen Proceduren hören? und sie haben sich freylich vor denen Orientalischen Völckern höchst=glückselig zu schätzen, weil sie von allen dergleichen tyrannischen Beginnen nichts zu befürchten haben; maßen sie unter denen Staats= und Regierungs=Maximen ihrer Herren gäntzlich verbannet und ausgestrichen sind. Bey denen Türcken aber gehet es öffters eben so zu, daß einer mit seiner Familie, um keiner anderen Ursache willen; obschon unter einem gantz andern Vorwand, hingerichtet und vertilget wird, als weil er grosse Schätze und Reichthümer besitzet, welche der Groß=Sultan, und seine vornehmsten Minister, gerne zu sich ziehen wollen.157

Solche selbstsüchtigen, gierigen und grausamen Taten seien der Grund dafür, so der osmanische Wesir, warum die orientalischen Völker in der westlichen Welt noch immer als barbarisch verschrien seien. Das Problem orientalischer Regierungen sei es, daß ausnahmslos alle Menschen Opfer absolutistischer Willkür werden könnten; selbst ein Wesir oder Khan sei davon nicht ausgenommen. Fassmann läßt Ibrahim betonen, daß solchermaßen barbarisch handelnde Herrscher wie der indische Shah Jahan im Grunde nichts anderes als „Tyger=Thiere“ und „eingefleischte Teuffel“ 158 seien und markiert damit den Abstand zwischen dem Eigenen und dem davon weit entfernt gedachten Fremden. Während westliche Vorstellungen von der unabdingbaren Notwendigkeit eines Mindestmaßes an Rechtssicherheit in den Aussagen der nun mehr geläuterten Figur des osmanischen Wesirs gespiegelt erscheinen, wird die besonders verurteilenswerte Barbarei des Orients dadurch deutlich gemacht, daß dessen andere Behandlung des menschlichen Körpers in den Vordergrund gerückt wird. Die Foltermethoden, die der Westen alle nicht (mehr) zu ertragen habe, lesen sich wie eine Übelkeit erregende Anleitung zur Grausamkeit. Glückselig seien diejenigen Gesellschaften, so Ibrahim, die nichts von den barbarischen Methoden des Orients wüßten:

157 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1730, S. 175 f. 158 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1730, S. 155. Ibrahim reagiert mit diesem Urteil auf ein ‚Geständnis‘ des indischen Herrschers, der einige seiner Khans hatte köpfen, ihre Haut ausstopfen und auf dem Marktplatz präsentieren lassen, während ihr Fleisch den Hunden zum Fraß vorgeworfen worden sei.

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Sie wissen nichts vom Schinden, oder daß man einem Menschen die Haut lebendig über die Ohren ziehen, oder ihn mit einem Pferde=Striegel so lange martere, und seine Haut samt deren Fleisch zerreißen solte, biß ihm die Seele ausfähret. Sie zwingen die Menschen nicht, durch Hunger, daß einer den anderen fressen muß, wie bey uns in dem Orient vielfältig geschiehet. Sie quälen die Missethäter nicht mit Feuer, siedenden [sic] Oel und Pech zu todte. Sie halten nichts davon, wann man einem lebendig das Eingeweide aus dem Leibe reisset, und ihn so lange zappeln lässet, biß er stirbet. Sie lösen ihm kein Gliedmaß nach dem andern ab, schneiden ihm auch kein Stücke Fleisch nach dem andern aus dem Leib, biß er endlich, nach langer Marter, den Geist aufgiebet.159

Ibrahim unterstellt dem Orient eine unleugbare und offen zur Schau getragene Lust an den geschilderten Foltermethoden, wohingegen der Okzident nur mehr unwillig und aus Notwendigkeit zu drakonischen Strafmaßnahmen greife: und auch das nur, um andere von Straftaten abzuhalten, so sein Zugeständnis. Der überaus positiven Sichtweise auf das ‚zivilisierte‘ Europa widerspricht im Anschluß der indische Groß-Mogul. Er korrigiert das von seinem Gegenüber entworfene Idealbild einer insgesamt gesetzestreuen und menschlich-aufgeklärten westlichen Gesellschaft und konstatiert, daß allein England die Folter zur Gänze abgeschafft habe, in anderen (weniger vernünftigen) europäischen Nationen sei sie jedoch noch erlaubt. Des weiteren gestatte ein altes Gesetz, daß nicht nur ein Missetäter selbst, sondern auch dessen Familie zur Rechenschaft gezogen und mit dem Tod bestraft werden könne, wenn dieser einen Anschlag auf das Leben seines Landesherrn verübt habe.160 Orient und Okzident würden, so die ernüchternde Haltung des Moguls, sich zwar unterscheiden, was ihren Umgang mit den Untertanen und deren Körpern anginge; dieser Unterschied sei jedoch eher graduell als grundsätzlich anzusehen. Fassmann, dessen Totenreich eben kein herrschaftsfreier Raum im Lukianischen Sinne war, demonstrierte einmal mehr, in welcher Form seine Gespräche nicht nur als Spiegel des Fremden, sondern vor allem auch des Eigenen gelesen werden konnten. Durch einen gleichsam innerorientalischen Vergleich zogen die beiden Figuren eine Parallele zu den absolutistisch regierten Staaten in Europa. Geschützt durch den doppelten Abstand, der sich aus der jenseitigen Szenerie und der Fremdheit der gewählten Figuren ergab, regte Fassmann seine Leserinnen und Leser zum Nachdenken über wünschenswerte Formen ‚aufgeklärter‘ Herrschaft und deren praktische Umsetzung an, so der Schluß, den Ibrahims und Shah Jahans Kommentare nahelegen.

159 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1730, S. 156 f. 160 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 48, Leipzig 1722, S. 1157.

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6.3.3 Körper und Geschlecht Geschlecht und Körper standen, wie die Beispiele Zenobia und Shah Jahan deutlich gemacht haben, meist in einem Zusammenhang mit Herrschaft und Macht.161 Der Körper des Herrschers wurde in den Leipziger Totengesprächen konform mit tradierten Vorstellungen zunächst als ein männlicher gedacht. Nach Pierre Bourdieu erschien männliche Herrschaft als paradigmatisches Modell für Herrschaft überhaupt; für den Primat männlicher Herrschaft bzw. für die Gleichsetzung von Herrschaft und Körper mit Männlichkeit wurde keine Rechenschaft verlangt, sie galt gleichsam als universelles Prinzip und mußte deswegen – zumindest vordergründig – nicht weiter hinterfragt werden.162 Damit dieses System der physischen wie symbolisch-psychologischen Dominanz jedoch möglichst reibungslos funktionierte, war es sinnvoll, aus den anatomischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen auch reale, d. h. soziokulturelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu konstruieren. Zu diesem Zweck erschienen nach außen hin sichtbare Übergangsriten, bei denen Körper im Mittelpunkt standen, als geeignetes Mittel, wenn es darum ging, existierende Geschlechterrollen zu festigen und weiterzuschreiben. Bourdieu faßt die Rolle dieser Riten wie folgt: Sie [die Einsetzungsriten – SD] reihen sich in die Abfolge von Unterscheidungsoperationen ein, deren Zweck es ist, bei jedem Akteur, Mann oder Frau, die äußeren Merkmale hervorzuheben, die mit der gesellschaftlichen Definition seiner geschlechtlichen Identität am unmittelbarsten übereinstimmen, ihn zu den ihr entsprechenden Praktiken anzuhalten und von unpassenden Verhaltensweisen, vor allem in der Beziehung zum anderen Geschlecht, abzuhalten oder sie ihm zu untersagen.163

Fassmann interessierten die Verkörperungen politischer Herrschaft in allen denkbaren Facetten – ohne daß er dabei die Dominanz einer männlich verstandenen Herrschaft in Frage stellen wollte. Sein Anspruch jedoch, mittels seiner Totengespräche ein gleichsam universelles Panorama der Politique und Historie zu liefern, bewirkte, daß er neben dem ‚Normalfall‘ des männlichen Herrschers auch andere Beispiele für Herrschaft in seinen Gesprächen aufbot. Dem politischen Charakter seiner Totengespräche gemäß traten in ihnen größtenteils nur solche Figuren auf, die mehr oder weniger unmittelbar an Macht teilhatten.

161 Zum Zusammenhang zwischen (imaginiertem) Körper und (realer) Herrschaft sowie zum metaphorischen Koordinatensystem für den Herrschaftsbegriff im 17. und 18. Jahrhundert vgl. Thomas Laqueur: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, München 1996. 162 Vgl. dazu Bourdieu, Männliche Herrschaft, S. 10. 163 Bourdieu, Männliche Herrschaft, S. 48 [Kursivierung im Original].

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Männliche wie weibliche Körper interessierten Fassmann, zumindest auf den ersten Blick, vor allem als äußerlich sichtbares Zeugnis innerer Eigenschaften. Daß dieser äußere Eindruck jedoch auch täuschen konnte, betonte Fassmann an besonders prominenter Stelle, etwa in der Vorrede an das gesamte Frauen=Zimmer, in der er besonders diejenigen Frauen tadelte, die ihrer gottgegebenen Schönheit keine gleichermaßen ‚schönen‘ Verhaltensweisen folgen lassen wollten.164 Das italienische Sprichwort von der Kastanie, die außen schön, jedoch innerlich verdorben sei, markierte exemplarisch die Haltung, die Fassmann in Bezug auf das weibliche Geschlecht einnahm: In einem noch höheren Maße als der männliche wurde der weibliche Körper als Fleisch gewordenes Symbol für bestimmte gesellschaftlich-sittliche Regeln verstanden und dementsprechend kritisch behandelt. Wer sich gemäß tradierter Auffassungen als ‚gute Frau‘ verhielt, dem wurde Lob zugesprochen; wer sich jedoch unter den Frauen nicht nur auf dem Feld der ‚weiblichen‘ Tugenden bewies, sondern sich darüber hinaus auch auf das der männlichen begab (und darin womöglich reüssierte), der wurde zum geeigneten Fallbeispiel für Fassmanns frühaufklärerisches Organ. Gelang die Anpassung der Frauen an männlich konnotierte Tugenden bzw. in höherem Maße auch an ‚männliche‘ Laster zu gut, mutierten sie in Fassmanns Dialogen häufig zu Bestien. In den Gesprächen traten neben eigenständigen Herrscherinnen häufig auch Ehefrauen männlicher Herrscher auf den Plan. Anhand ihrer Viten konnten gleichzeitig auch das Leben und die Taten ihrer Ehemänner behandelt werden, wie Fassmann immer wieder unter Beweis stellt. Caesonia als Ehefrau des Tyrannen Caligula, Roxelane als ehemalige Haremsdame und später rechtmäßige Ehefrau Süleymans des Prächtigen, Katharina I., die nach dem Tode Peters I. zur russischen Zarin avancierte, und Zenobia als wehrhafte Witwe des Odenatus, des römischen Statthalters und Herrschers von Palmyra, belegen diese Praxis. Die Orientalin Zenobia wurde, wie oben erläutert, in den Jahrhunderten nach ihrem Tod zu einer Ikone weiblicher Herrschaft stilisiert. Weil sie sich nach der Ermordung ihres Mannes von der römischen Herrschaft emanzipieren, ihr Reich in Richtung Orient weiter ausdehnen wollte und am Ende von Kaiser Aurelian überwältigt und ins römische Exil verbannt wurde,165 zeichneten nachfolgende Generationen ihr Bild als mutige Kriegsherrin und tragische

164 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. IV, Leipzig 1722, Vorrede. 165 Gerade diesen Moment des Sieges des (männlichen) römischen Kaisers über die aufbegehrende orientalische Herrscherin hat etwa Tiepolo in seinem Gemälde Der Triumph des Aurelian von 1717 festgehalten [Museo del Prado].

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Heldin.166 Udo Hartmann faßt die Wirkung ihrer Gestalt in seinem Überblick über das Palmyrenische Teilreich wie folgt zusammen: Die orientalische Königin Zenobia faszinierte als eine der herausragenden antiken Frauengestalten seit der Renaissance Dichter, Schriftsteller, Komponisten, Maler, Bildhauer und Publizisten. [...] Zenobia galt zum einen als eine Herrscherin, die Schönheit, Tugend, Enthaltsamkeit, Mut, Stolz und Wissen vereinigte, war zum anderen aber auch ein Exemplum für eine orientalische Kriegskönigin, die sich den Römern entgegenstellte.167

In der Figur der Zenobia werden Herrschafts- und Geschlechterdiskurs besonders eng miteinander verschränkt: Ihre Selbststilisierung als reguläre Erbin Kleopatras und Didos, ihr damit einhergehender Ruf als schöne Königin des Ostens und ihre immer wieder positiv hervorgehobenen körperlichen Fertigkeiten wie Ausdauer, Jagdgeschick oder Trinkfestigkeit markieren die Interdependenz von Körper, „vergeschlechtlichtem Habitus“ 168 und männlich konnotierten Tugenden.169 Während die Untertanen und militärischen Gegner ihres Mannes, so Zenobia bei Fassmann, zuerst äußerst ablehnend auf ihre auch körperliche Präsenz auf dem Schlachtfeld reagierten, vermochte sie die Menschen und vor allem die Soldaten ihres Mannes nach einiger Zeit zu besänftigen. Zu diesem Zwecke bediente sie sich Fassmanns Darstellung gemäß einiger Manöver, die vor allem mit ihrem Körper bzw. ihrer physischen Präsenz zu tun hatten: Gleichwie ich nun den Krieg und das Kriegs=Getümmel schier eben so sehr, wie das süsse Vergnügen eines glückseligen Ehestandes aestimirte, ja fast lieber unter einem Gezelte schlieffe, als in dem vergüldeten Zimmer eines prächtigen Pallastes; also beschlosse ich meinen Gemahl Odenato in das Feld zu folgen, und stets an seiner Seite zu seyn, auch mitten in denen gefährlichsten Treffen und Gefechten. Anfangs machte dieses ein grosses Aufsehen

166 Dieser mythifizierende Prozeß setzte vergleichsweise bald nach ihrem Tod ein. Bereits die Scriptores Historiae Augustae [ca. 400 n. Chr.] begannen damit, Zenobias Leben und Taten als vorbildiche Fallgeschichte weiblicher Tapferkeit und tragischen Scheiterns zu schildern. Einzug in die Literatur hält die Figur etwa auch in der siebten der 17 tragischen Episoden von The Monk’s Tale der Canterbury Tales [ca. 1387] Geoffrey Chaucers. 167 Udo Hartmann: Das palmyrenische Teilreich, Appendix II: Zenobia und ihr Reich in der Neuzeit, Stuttgart 2001, S. 470. 168 Vgl. dazu Bourdieu, Männliche Herrschaft, S. 11. 169 Daß die Ausnahmefigur der sowohl schönen als auch mächtigen Zenobia nicht nur die Phantasie von Künstlern beflügelte, sondern auch (männliche) Herrscher faszinierte, zeigt sich u. a. darin, daß Leopold I., Protagonist des ersten Totengesprächs in Fassmanns Journal, 1666 anläßlich seiner Hochzeit eine Tapisserie von Hans Mattens aus dessen Brüsseler Manufaktur erwarb, die Szenen aus dem Leben der orientalischen Königin darstellte. Vgl. dazu Hartmann, Palmyrenisches Teilreich, S. 473 und Dora Heinz: Europäische Tapisseriekunst des 17. und 18. Jahrhunderts, Wien 1995, S. 18.

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Abb. 23: Herbert Schmalz: Zenobias letzter Blick auf Palmyra (ca. 1930).

bey denen Kriegs=Völckern, und sie schrien manchmahl: Hure! Hure! gaben mir auch andere dergleichen Titel mehr, und meyneten, es stände mir weit besser an, wann ich mich zum Spinn=Rocken hielte. Nachdem sie es aber gewohnt waren, und mich, mit unerschrockenem Muth, einigen gefährlichen Actionen beywohnen sahen; ich auch die Hertzen der Soldaten auf mancherley Art zu gewinnen und an mich zu ziehen wußte, setzte ich mich in eine solche Hochachtung und Liebe bey der gantzen Armée, daß mich iederman admirirte, und mir gehorchte, auch capable war, alle Stunden Leib und Leben bey mir aufzusetzen.170

Der „Spinn=Rocken“, bei dem Zenobia in den Augen Dritter besser geblieben wäre, erschien als das weiblich konnotierte Pendant zum sprichwörtlich gewordenen Leisten des Schusters. Die Schmäh- und Schimpfworte der feindlich gesonnenen Armeen ließen Zenobia dieser Darstellung nach jedoch nur standhafter an ihrem Vorhaben festhalten, ihrem Mann ebenbürtige Gefährtin auch auf dem Schlachtfeld zu sein. Im doppeldeutigen Spiel mit sexuellen Konnota-

170 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 129, Leipzig 1729, S. 10.

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tionen spricht Fassmanns Figur davon, daß sie die Soldaten „caressirte“ und zu festlichen Anlässen mit allerlei Leckereien gleichsam kirre machte; daneben sorgte sie sich als eine Art mütterliche Helferin um Verwundete und verband deren Wunden angeblich eigenhändig.171 Im Wechselspiel von körperlicher Nähe und herrschaftlicher Distanz vermochte Zenobia den Widerstand der Soldaten und Untertanen aufzuweichen. Ihr Körper als sinnlich wahrnehmbares und symbolhaftes Bezugssystem offenbart auf der Ebene des Dialogs sein Potential, als Repräsentant für die ansonsten ‚unsichtbare‘ Macht zu agieren. Daß die ‚reale‘ Königin Zenobia diese Strategie nicht nur begriff, sondern für ihre Zwecke bewußt einsetzte, legt ihr Schachzug nahe, sich wie Dido, Königin von Karthago und Antagonistin Roms, zu kleiden (vgl. Abb. 23).172 *** In der Begegnung des albanischen Fürsten Gjergj Kastrioti, genannt Skanderbeg (1405–1468), mit dem persischen König Kyros II. (ca. 590 v. Chr–529 v. Chr.) sind Herrschaft und Männlichkeit zentrale Gesprächsthemen. Nachdem Skanderbeg dem Leser seinen Ruf als furchtloser Kämpfer und erfolgreicher Türkenbezwinger in Erinnerung gerufen hat – und so mithin seinen Status als eine Art ‚Über-Mann‘173 bestätigt –, fragt er seinen Gesprächspartner Kyros II., wa171 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 129, Leipzig 1729, S. 10. Zenobia darf zwar an dieser Stelle ihre vermeintlich unweibliche Seite zeigen, korrigiert jedoch auf den nachfolgenden Seiten den positiven Eindruck, den mancher Leser und manche Leserin von ihrer kriegerischen Erfolgsgeschichte gewonnen haben mochte. Fassmann läßt sowohl Zenobia als auch Katharina bekräftigen, daß die Präsenz von Soldatinnen in einem Heer nur zum Mißerfolg führen könne, da diese im Ernstfall schnell die Nerven verlören. Diese ‚Tatsache‘ wird von beiden deutlich vom militärischen Geschick der Amazonen geschieden. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 129, Leipzig 1729, S. 11. 172 Bezeichnenderweise werden Zenobia und Dido in der Malerei häufig genau in dem Moment abgebildet, in dem sie tragisch-heroisch scheitern: Zenobia, wie sie sich Aurelian geschlagen geben muß (vgl. Abb. 21), und Dido im Moment ihres Todes. Zu Dido vgl. u. a. Thomas Kailuweit: Dido – Didon – Didone. Eine kommentierte Bibliographie zum Dido-Mythos in Literatur und Musik, Frankfurt 2005. 173 Nicht nur hätte er, Skanderbeg, ungefähr 2.000 Türken mit eigener Hand „erleget“, sondern er hätte, wenn ihm von anderen europäischen Staaten größere Truppenmengen statt „seiner kleinen Heerde“ zur Verfügung gestellt worden wären, die Feinde aus dem Orient sicherlich ganz aus Europa vertrieben, so seine vollmundige Behauptung. In Fassmanns Gespräch erscheint Skanderbeg als kriegerischer Haudegen, der selbst Giftanschläge der Türken unbeschadet überstand; seine unbedingte Härte habe er, so Skanderbeg in dem Dialog, vor allem seiner Kindheit zu verdanken, die er – und auch das verstärkt seine ‚Übermännlichkeit‘ – unter „wilden Thieren“ zugebracht habe. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 48, Leipzig 1722, S. 1156. Zu Fassmanns Wortwahl aus dem waidmännisch-kriegerischen Bereich paßt auch, daß Skanderbegs äußere Erscheinung den Eindruck des virilen

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rum gerade Eunuchen („Verschnittene“ 174) sich im Orient so großer Beliebtheit erfreuten. Der persische König begründet die Entscheidung orientalischer Potentaten, ‚unmännliche‘ Eunuchen auch in hohen und verantwortungsvollen Ämtern zu beschäftigen, mit den Maximen der „grossen Politique“,175 nach denen die Beschäftigung von Verschnittenen einige Vorteile mit sich brächte. Eunuchen, so Kyros in einer gleichsam psychologisierenden Erklärung, seien verachtete und geschändete Menschen, die sich wegen ihres Makels (der buchstäblich fehlenden Männlichkeit) um so enger an ihre Herrscher bänden und deswegen die loyalsten aller Bediensteten seien. Sie seien für die Aufmerksamkeit dankbar, die ihnen erwiesen würde, und ihnen fehlten zudem auch all jene Eigenschaften, die ‚normale‘ Männer in ihrer Arbeit behinderten. Kyros bemerkt hierzu: Sie [die Eunuchen – SD] haben nicht Ursache sich um jemand anders als um ihren Herrn zu bekümmern, der sie aus einem verachteten Stand erhoben, und zu noch höhern Ehren setzen kan; sind im übrigen frey von Weibern, Kindern und Maitressen, welche Dinge vielmals verursachen, daß ein Ministre und hoher Bedienter andere, als dem Interesse seines Souverains gemässe, Absichten heget.176

In Ermangelung typischer Erscheinungen also, die Männer an der korrekten Ausübung ihrer Ämter hinderten, wären Eunuchen besonders gut für heraus-

‚Jägers‘ seiner Feinde noch unterstrich. So war sein Helm mit einem lebensechten und maßstabgetreuen Kopf einer Gams gekrönt. Der Helm und Skanderbegs Schwert sind heute im Kunsthistorischen Museum Wien zu besichtigen, was dem fast mythischen Nimbus der Waffen des Albaners Rechnung trägt: Allein sein Schwert soll so schwer gewesen sein, daß ‚normale‘ Männer es kaum hätten heben können. Der römische Papst Pius II. verlieh dem solchermaßen als männlicher Kämpfer ausgewiesenen Skanderbeg wegen seines 18 Jahre währenden (erfolgreichen) Widerstands gegen die ‚Feinde des Christentums‘ dementsprechend den Titel Athleta Christi. Vgl. zu Skanderbeg u. a. dessen erste Biographie, die der Humanist und katholische Priester Marin Barleti bereits im Jahre 1506 verfaßte. Die Lebensbeschreibung, die kurze Zeit nach ihrer Veröffentlichung in zahlreiche europäische Volkssprachen übersetzt wurde, diente nachfolgenden Biographen als Grundlage für die heldenmäßige Verehrung des albanischen Fürsten. Wie vielen anderen Figuren, die in Fassmanns Journal auftraten, wurde auch dieser eine eigene Oper gewidmet: Antonio Vivaldis Scanderbeg wurde im Jahre 1718 (vier Jahre vor Erscheinen der Fassmannschen Entrevue) in Florenz uraufgeführt. Traurige Popularität erlangte der Albaner während der Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten, als sein Name Pate stand für die 21. Waffen-Gebirgs-Division, deren Angehörige auf Veranlassung Heinrich Himmlers nicht nur unter Skanderbegs Namen auftraten, sondern auch dessen Helm als Abzeichen auf ihren Uniformärmeln trugen. Zu Skanderbegs Biographie vgl. Oliver Jens Schmitt: Skanderbeg. Der neue Alexander auf dem Balkan, Regensburg 2009. 174 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 48, Leipzig 1722, S. 1157. 175 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 48, Leipzig 1722, S. 1157. 176 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 48, Leipzig 1722, S. 1157.

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gehobene Positionen geeignet, so Kyros’ Resümee. Skanderbeg äußert auf diese Behauptung hin seine Bedenken, was die Eignung der ‚Entmannten‘ für den Staatsdienst angeht. Sie seien zu „Kriegs=Chargen“ ungeeignet, weil, so die Gegenthese des Albanerfürstes, „mit der Mannheit auch Muth, Courage und Hertzhafftigkeit verlohren gehet“.177 Um die Behauptung seines Gesprächspartners zu widerlegen, wählt Kyros einige Beispiele aus der Tierwelt, die zeigen sollen, daß trotz des Verlusts körperlicher Zeichen von Männlichkeit die Funktionsfähigkeit der betroffenen Männer nicht eingeschränkt sei. Kyros bemerkt hierzu: Ein Pferd, wann es geschnitten, ist eben so geschickt und starck als zuvor; ingleichen ein Stier. Ein geschnittener Hund verlässet seinen Herrn nicht so leichtlich, sondern bewachet ihn und sein Haus auf das fleißigste, jaget auch weit besser als ungeschnitten. Gleichwie nun in vielen Stücken von denen Thieren ein Schluß auf die Menschen gemachet werden kan: also gehet es, meines Bedünckens, allhier gar wohl an. Ja ich halte einen Mann vor viel weiser und moderater, wann ihm das benommen ist, was sonst in ihm die violenteste Passion erwecket, und machet, daß er unzehlige Thorheiten begehet.178

Wenn man Kyros’ Übertragung tierischer Eigenschaften auf den Menschen wörtlich nimmt, wäre demnach ein kastrierter Mann a) genauso stark und geschickt wie ein nicht kastrierter, b) besonders fleißig und treu gegenüber seinem Herrn, c) ein besserer Jäger als je zuvor und vor allem d) von lästigen Leidenschaften befreit. Diejenigen Eigenschaften, die landläufig als ‚typisch männlich‘ gelten, werden hier als eher entbehrlich und vor allem als hinderlich für den Herrschaftsdienst präsentiert. Der Zustand der Mäßigung und des Abstands von den „violentesten“ Leidenschaften, der angeblich durch die Kastration erreicht wird, erscheint so als gleichsam in die Realität umgesetztes stoisches Ideal. Der Eunuch mutiert dieser Argumentation nach zum perfekten Diener und Untergebenen eines orientalischen Sultans. Skanderbeg bleibt auch nach dem Vergleich der Eunuchen mit kastrierten Tieren skeptisch. Stellvertretend für die Mehrheit der europäischen Leser unterstellt er vielmehr, daß entmannte Diener vor allem der Beruhigung der Sultane dienten, die ihren Harem sicher bewacht wissen wollten.179 Kyros gibt zu, daß gerade diese Aufgabe zu den unbestreitbaren Vorteilen gehöre, die man aus der Beschäftigung der Eunuchen gewinnen könne; denn wenn „unzerstüm177 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 48, Leipzig 1722, S. 1157. 178 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 48, Leipzig 1722, S. 1157. 179 Obwohl der Okzident durchaus seine eigenen Erfahrungen mit Eunuchen – in Form von Kastraten – gemacht hatte (und dies bekanntlich bis zum Tod des so genannten ‚letzten Kastraten‘ Alessandro Moreschi im Jahre 1922 weiterhin tat), wird dieser Aspekt im Totengespräch nicht erwähnt, die Perspektive richtet sich hier allein auf die orientalischen „Verschnittenen“. Zu Eunuchen bzw. Kastraten vgl. u. a. Piotr O. Scholz: Der entmannte Eros. Eine Kulturgeschichte der Eunuchen und Kastraten, Düsseldorf 1997.

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melte Manns=Personen“ einen Harem bewachten, zu welchen „Possen“ würden sich die Bewacher dann nicht hinreißen lassen?180 Im Hinblick auf die dynastische Erbfolge (die sich wegen der zahlreichen Frauen im Harem ohnehin als schwierig genug erwies), dienten Eunuchen historisch gesehen tatsächlich zunächst als eine Art Versicherung dafür, daß die Konkubinen unangetastet blieben; darüber hinaus trugen sie Sorge dafür, daß der Sultan keine Bastarde fürchten mußte. Die Kastration, die Freud als männliche Ur-Angst ausführlich beschrieb, wies historisch einen ähnlich ambiguösen Charakter auf, wie Fassmann ihn durch den Mund seiner beiden Gesprächspartner schildern läßt: Zum einen war sie als drakonische Strafmaßnahme dazu gedacht, Männern eine der schlimmsten und vor allem entehrendsten Strafen zuzufügen, die man sich vorstellen konnte; zum anderen wurde die Prozedur jedoch auch – zumindest gesetzt den Fall, daß der Betreffende sie überlebte – auch als eine Art Karrierechance begriffen, die in Kulturen wie etwa der osmanischen jemanden in die Lage versetzen konnte, Dienste zu versehen, für die ein unversehrter Mann nicht geeignet war. Fassmann machte vor allem über die fremden Figuren und liminale Gesprächsthemen deutlich, auf welche Weise Körper, Herrschaft und Geschlecht miteinander verknüpft wurden. An Körpern und deren besonderen Merkmalen sollte nach außen hin erkennbar sein, über welche inneren Eigenschaften jemand verfügte. Die Physiognomie und der Habitus einer Figur konnten nicht nur verraten, ob eine Herrscherin oder ein Herrscher gut oder schlecht regierten, sondern auch Auskunft darüber geben, ob ihr Charakter insgesamt positiv oder negativ zu beurteilen war. Zusätzlich zu der Aufmerksamkeit, die Fassmann dem imaginierten zweiten wie ehemaligen ‚realen‘ ersten Körper seiner Figuren widmete, lieferten Eigenarten und Gewohnheiten, die im weitesten Sinne mit dem Körper verbunden waren, weitere Informationen. So deutete in barocker Lesart vor allem übertriebene Eitelkeit und Putzsucht in den Totengesprächen darauf hin, daß jemand Äußerlichkeiten zu viel Gewicht beimaß und darüber meist seine herrschaftlichen Pflichten vernachlässigte. Mit Eigenschaften wie der Eitelkeit oder Bescheidenheit war in Fassmanns Journal auch die Kleidung eng verbunden, der – ähnlich dem Körper eines Herrschers – Aussagekraft im Hinblick auf den Charakter einer Figur attestiert wurde.

6.3.4 Kleidung Die Funktion von Kleidung beschränkte sich historisch gesehen nie primär nur auf die ‚anständige‘ Verhüllung des menschlichen Körpers oder auf dessen 180 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 48, Leipzig 1722, S. 1158.

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Schutz vor den Unbilden des Wetters.181 Sie war und ist vor allem auch komplexes Ausdrucksmittel des visible self.182 Kleidung konnte zum Repräsentationsmittel einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, des guten oder schlechten Geschmacks und damit zum Ausdruck eines mehr oder weniger bewußt gestalteten Selbstverständnisses ihrer Trägerin oder ihres Trägers werden.183 Die Art, wie Kleidung beschaffen war, ihre Bestandteile, ihre Farbigkeit, ihr Stil, ihre Strenge oder Nachlässigkeit kennzeichneten ihren Besitzer als Angehörigen eines bestimmten Geschlechts und eines spezifischen sozio-kulturellen Kontexts. Als ‚zweite Haut‘184 konnte Kleidung gemäß zeitabhängigen Idealvorstellungen sowohl vermeintliche körperliche Vorzüge betonen – etwa eine schmale Taille oder ausgeprägte Hüften bei Frauen bzw. breite Schultern oder muskulöse Beine bei Männern – als auch etwaige figürliche Mängel geschickt kaschieren. Zudem konnte mit Kleidung auch die erotische Anziehungskraft eines Menschen gesteigert bzw. vermindert werden. Nahezu unabhängig vom Auf und Ab des jeweiligen dernier cri konnte Kleidung auch dezidiert moralisch gelesen werden. Wer etwa zu Beginn des 18. Jahrhunderts (und nicht nur dann) zu viel Dekolleté zeigte, in betont ärmlichen oder auch zu prachtvollen Kleidern einher ging, galt wahlweise als liederlich, geizig, putzsüchtig, respektlos oder verschwenderisch.185 Wenn Kleidung bereits innerhalb ein und derselben gesellschaftlichen Schicht, eines Geschlechts oder der eigenen Kultur als willkommenes, äußerlich sichtbares Distinktionsmerkmal verstanden und eingesetzt wurde, so übernahm sie eine mindestens ebenso wichtige Funktion, wenn es um die Beurteilung einer anderen Schicht, des anderen Geschlechts oder einer fremden Kultur ging: Wer anders oder

181 Allgemein zu Kleidung siehe u. a. Silvia Bovenschen: „Kleidung“, in: Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, hg. v. Christoph Wulf, Weinheim/Basel 1997, S. 231–242. 182 Zum Begriff visible self vgl. Joanne B. Eicher u. a. (Hg.): The Visible Self. Global Perspectives on Dress, Culture and Society, New York 2000. 183 Zur Kleidung aus anthropologischer Sicht, zu Körpertechniken und zum ‚Materiellen‘ vgl. u. a. Rebekka von Mallinckroft (Hg.): Bewegtes Leben. Körpertechniken in der Frühen Neuzeit, Wolfenbüttel 2008; Wolfgang Brückner: Menschen und Mode. Bekleidungsstudien zu Kommunikationsweisen, Würzburg 2000; Marcel Mauss: Körpertechniken, in ders.: Soziologie und Anthropologie, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1989, S. 199–220. 184 So auch der Titel einer Vorlesungsreihe, deren Beiträge publiziert wurden: André Holenstein u. a. (Hg.): Zweite Haut. Zur Kulturgeschichte der Kleidung, Bern u. a. 2010. 185 Zu Kleidung und Mode im ausgehenden Mittelalter und in der Frühen Neuzeit vgl. Fernand Braudel: Kleidung und Mode, in: ders.: Sozialgeschichte des 15.–18. Jahrhunderts, 3 Bde., München 1985–1986, v. a. Bd. 1. Vgl. zum Thema aus ‚ottomanischer‘ Sicht auch Dror Ze’evi: Producing Desire. Changing Sexual Discourse In The Ottoman Middle East (1500–1900), Berkeley 2006, bes. auch seine Analyse westlicher Reiseberichte und der darin enthaltenen sexual discourses, S. 149–166.

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fremd war, hatte auch so auszusehen, so könnte man der Erwartung der Zeit gemäß formulieren.186 Bevor im Laufe des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer mehr Europäer zu ‚exotischen‘ Kostümen griffen, die nach der neuesten Mode und nach Vorstellungen des Westens vom Fremden gestaltet waren, traten zu Beginn der Aufklärung zum ersten Mal auch andere Gesichtspunkte in den Fokus der Medien: Analog zu dem erwachenden ethno-geographischen Wissen, das einschlägige Lexika oder Journale wie das von Fassmann vermitteln wollten, erwies man auch der Kleidung fremder Völker größere und vor allem differenziertere Aufmerksamkeit, als dies zuvor der Fall gewesen war.187 Kleider ‚machten‘ auch hier Leute, d. h. durch den ihr zugeschriebenen performativen Charakter wurde Kleidung als geeignet erachtet, Auskunft über bestimmte Eigenschaften und Besonderheiten einer fremden Kultur zu geben.188 Organe wie der Thesaurus exoticorum etwa lieferten ihren Lesern als zusätzlichen Anreiz und Informationsmittel auch Abbildungen von Menschen, deren Fremdartigkeit auf den ersten Blick durch ihre Kleidung bzw. Tracht deutlich markiert wurde (vgl. Abb. 24 und 25).189 Da die Porträts nach Art von Prototypen funktionierten, genügten meist ungefähre Darstellungen der äußeren Erscheinung von Männern und Frauen des vorgestellten Kulturraums, um das Interesse und die Neugier der Betrachter zu befriedigen. In Fassmanns Unterwelt erkannten die Figuren einander häufig anhand ihrer äußeren Erscheinung. Die Art der Kleidung, ihre Qualität und ihr Schmuck gaben den Gesprächspartnern (und damit dem Leser) beim ersten Zusammentreffen Hinweise auf die Identität und Herkunft der Figur. Orienta-

186 Daß diese Erwartung zu besonderen Gelegenheiten und unter ‚verkehrten Vorzeichen‘ lustvoll unterlaufen wurde, ist spätestens seit dem Aufkommen der gender bzw. queer studies zur allgemeinen Erkenntnis gereift. Vgl. dazu u. a. Joseph Harris: Hidden Agendas. Cross-Dressing in 17th-Century France, Tübingen 2005; Claudia Benthien und Inge Stephan (Hg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln 2003; Claudia Schnitzer: Das verkleidete Geschlecht. Höfische Maskeraden in der Frühen Neuzeit, in: L’Homme 8 (1997), S. 232–241; dies.: Höfische Maskeraden. Funktion und Ausstattung von Verkleidungsdivertissements an deutschen Höfen der Frühen Neuzeit, Tübingen 1999; Marjorie B. Garber: Vested Interests. Cross-Dressing and Cultural Anxiety, New York 1992. 187 Zur Kleidung und modischen Entwicklung im 18. Jahrhundert vgl. Aileen Ribeiro: Dress in Eighteenth Century Europe (1715–1789), London 1984. 188 Zur Bedeutung von Kleidung als sozialem Kommunikationsmittel vgl. Gabriele Mentges: Kleidung als Technik und Strategie am Körper. Eine Kulturanthropologie von Körper, Geschlecht und Kleidung, in: Zweite Haut, hg. v. André Holenstein u. a., S. 15–42. 189 Zur Repräsentation des Fremden vgl. Christoph Daxlmüller: Nationen, Regionen, Typen. Ideologien, Mentalitäten und Argumentationstechniken der akademischen Kleider- und Trachtenforschung des 17. und 18. Jahrhundert, in: Mode, Tracht und Regionale Identität. Historische Kleidungsforschung heute, hg. v. Helmut Ottenjahn, Cloppenburg 1985, S. 23–36.

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Abb. 24: Thesaurus Exoticorum [1688]: „Ein Süd=Tartar“ (S. 31)

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Abb. 25: Thesaurus Exoticorum [1688]: „Ein Sinesische Frau“ (S. 17).190

len und Europäer waren dementsprechend ihrem äußeren Ansehen nach deutlich voneinander unterschieden. Die Differenzierung, die Fassmann je nach ursprünglichem kulturellen Kontext vornahm, unterstützte zu Beginn der Dialoge nicht nur das gegenseitige Erkennen, sondern bot den auftretenden Figuren daneben auch eine Möglichkeit, mit dem Gegenüber ‚ins Gespräch zu kom-

190 Happel griff in seinem Thesaurus exoticorum [1688] auf die insgesamt 128 Holzschnitte zurück, die Melchior Lorch bereits im Jahr 1555 auf einer Reise nach Konstantinopel angefertigt hatte. Die Zeichnungen, die das Osmanische Reich und dessen Bewohner abbildeten, prägten für lange Zeit das Bild, das sich ‚der Westen‘ vom ‚Osten‘ machte. Vgl. dazu Maria-Magdalena Müller-Haas: Ein Künstler am Bosporus. Melchior Lorch, in: Europa und der Orient (800– 1900), hg. v. Gereon Sievernich u. Hendrik Budde, Berlin 1989, S. 241–245.

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men‘. So konstatiert etwa in der 90. Entrevue der orientalische Sultan Djem, der auf den französischen König Louis XI. trifft, daß der Franzose für einen König ungewöhnlich schlecht und geradezu ärmlich gekleidet sei. Louis wiederum erkennt in seinem Gegenüber sogleich einen Herrscher aus dem ‚Morgenland‘, weil dieser sich durch seine Kleidung als ein solcher zu erkennen gab.191 Im Totenreich kleideten sich die Schatten, wie an zahlreichen Beispielen ablesbar wird, ihrem ursprünglichen kulturellen Bezugsraum gemäß und unterstrichen so ihre Herkunft und ihren ehemaligen Rang. Mimik, Gestik und Kleidung verwiesen in Fassmanns Unterwelt neben dem Inhalt der Gespräche auf die hierarchische Stellung der Figuren – obwohl besonders diese Faktoren der von Lukian tradierten Vorstellung des Totenreichs widersprachen: Entgegen der literarischen Konvention, nach der alle Toten – seien sie reich oder arm, schön oder häßlich, dick oder dünn – zu körperlosen Schatten wurden, durften die Toten bei Fassmann nicht nur ihre Gestalt, ihre Mimik und ihren Charakter behalten, sie zeigten auch äußerlich, welchem kulturellen Kontext sie entstammten. Welche Rolle Kleidung bzw. deren Fehlen in extremo spielen konnte, versucht Fassmann am Beispiel der Caesonia zu verdeutlichen. Die fünfte Ehefrau des römischen Kaisers Caligula stand, so ihre Selbstdarstellung, ihrem tyrannischen Mann in wenig nach, wenn es um Ehrgeiz und Machterhalt ging. Um seine Leidenschaft für sie länger als bei seinen vorigen Ehefrauen am Leben zu halten, bediente sich Caesonia eines Liebestrankes, der allerdings eine unschöne Nebenwirkung zeitigte: Caligula wurde rasend. Zum äußeren Zeichen seiner inneren Verrücktheit wurde unter anderem das Aussehen seiner Frau, auf das er kraft seiner Gewalt zunehmenden Einfluß ausübte. Caesonia beschreibt in der 111. Entrevue diesen Prozeß wie folgt: In dem Excess der Liebe, welche Caligula mit dem besagten Liebes=Trunck in sich gesoffen hatte, stellete er tausenderley lächerliche und wunderliche Händel mit mir an. Bald ließ er mich als einen Kriegsmann auskleiden, und zeigete mich in diesem Aufzug, denen Soldaten; wie ich dann auch immerfort, zu Pferde an seiner Seite reiten muste. Bald aber wiese er mich seinen Freunden, wann er ins besondere mit ihnen versammlet war, gantz nackend, wie mich die Natur hervorgebracht, gab mir auch, in ihrer Gegenwart, unzehlig viele heisse Liebes=Küsse. Hiernechst pfleget er, wann er mich umarmet, oder bey dem Kopffe angefasset hatte, gemeiniglich zu sagen: O du schönes und unvergleichliches Haupt! wie vortrefflich würdest du springen, wann ich solches nur mit einem eintzigen Worte befehlen wolte.192

191 Allgemein dazu siehe Harry Kühnel (Hg.): Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung. Vom alten Orient bis zum ausgehenden Mittelalter, Stuttgart 1992; speziell zur Kleidung von Frauen in islamischen Kulturen vgl. Reinhard Schulze: Die Verhüllung der Frau in islamischer Tradition, in: Die zweite Haut, hg. v. André Holstein u. a., S. 117–134. 192 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 111, Leipzig 1727, S. 1167.

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Der oberste Herrscher des römischen Reiches, der seinen Beinamen Caligula („Soldatenstiefelchen“) selbst einem Teil der Armeekleidung verdankte – worauf Fassmann zu Beginn des Gesprächs auch hinweist –, präsentierte seine eigene Ehefrau also in Männerkleidung oder gleich ganz nackt, wie Caesonia ihrer schockierten Zuhörerin Roxelane erzählt. Die Skandalwirkung bestand jedoch weniger darin, daß Caesonia cross dresser oder toute nue war, sondern darin, daß dies vor den Augen Dritter geschah: Sowohl die Soldaten als auch persönliche Bekannte Caligulas werden Zeuge einer dieser beiden Ver- bzw. Entkleidungsszenen. Caligula ignorierte so nicht nur den erlaubten oder zumindest weniger skandalösen privaten Rahmen des eigenen Hauses, sondern sabotierte gängige Vorstellungen von allgemeiner Scham und öffentlicher Dezenz. Roxelane versucht sich in ihrer Replik auf diese Anekdote vorzustellen, wie sie im gleichen Fall reagiert hätte, und kommt zu dem Schluß, daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach Selbstmord begangen hätte. Und auch sie macht den Grund für die Entehrung weniger an der Kleidung, als vielmehr an dem Umstand fest, daß die Zeugen männlichen Geschlechts waren. In den Augen des Westens war sie zumindest an weibliche Nacktheit gewöhnt, weil diese im geschützten Raum des orientalischen Harems gelebt wurde – eine (vermeintliche) Praxis, die westliche Maler immer wieder aufs Neue illustrierten und marktkonform tradierten. So wie der Begriff Harem selbst Tabu meinte und bestimmte Formen von Kleidung bzw. Nacktheit erlaubte, während er den Zugang Dritter zu ihm beschränkte oder gleich ganz verbot, übertritt Caligula im Gegensatz dazu (ungeschriebene) Gesetze und bricht Tabus, indem er Verbotenes und Privates an unpassenden Orten ausstellt.193 Als Kontrast zur erzwungenen ‚natürlichen‘ Nacktheit seiner Ehefrau erscheint der römische Kaiser selbst als Inbegriff der künstlichen Ausstaffierung. Der geistige Ausnahmezustand, den Caesonia angeblich selbst durch den Trank herbeigeführt hatte, läßt Caligula auch in Bezug auf seine eigene Kleidung sonderbar erscheinen: Nicht selten geschahe es, daß mein Gemahl, der Käyser Caligula mit einem solchen Zierath öffentlich erschiene, welchen man sonst denen Göttern von der Fabel beyzulegen pfleget, dergestalt, daß er bald mit Flügeln an denen Füssen, und der Caducea in der Hand, wie Mercurius, bald aber mit einer Crone von Strahlen, wie Apollo; und dann, wieder zu einer andern Zeit, mit einem Schwerdt und Schild, gleich dem Marti einher trat. 194

193 Zum Harem in den Augen des Westens vgl. etwa Fatima Mernissi: Le Harem Politique – Le Prophète et les Femmes (dt. Der politische Harem – Mohammed und die Frauen, Frankfurt 1989), Paris 1987; dies.: Scheherazade Goes West – Western Fantasies, Eastern Realities (zuerst dt. als Harem. Westliche Phantasien – östliche Wirklichkeit, Freiburg 2000), New York 2001. 194 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 111, Leipzig 1727, S. 1169 f. Der Caduceus war der Heroldsstab des Merkur. Zusammen mit den anderen Attributen staffier-

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Kleidung (bzw. deren gänzliches Fehlen) steht hier wie so oft bei Fassmann in engem Zusammenhang mit Macht und Ohnmacht; sie ist Träger von politischer sowie geschlechtlicher Bedeutung und gleichzeitig Künder innerer Zerfallsprozesse, die der Darstellung nach durch ein schädliches philtrum verursacht oder zumindest befördert wurden. Nicht nur die Kleidung der zeitlich wie geographisch fremden Figuren, auch die der anderen Europäer war für Fassmann von Bedeutung. Immer, wenn es sich anbot, wurden Lebenswandel, Charakter und äußere Erscheinung miteinander in Beziehung gesetzt. In den meisten Fällen bedeutete dies, daß vor allem ein guter Charakter und vorbildlicher Lebenswandel sich in angemessener, sittsamer und nicht übertrieben prächtiger Kleidung äußerten. Im entgegengesetzten Fall wurde ein verdorbener Charakter entweder durch einen auffallend nachlässigen (und damit respektlosen) oder übertrieben verschwenderischen Ornat versinnbildlicht. Ein Beispiel für unpassende Kleidung ist bei Fassmann das weiter oben erwähnte schäbige Äußere von Louis XI., dessen zwar listiger, insgesamt jedoch verurteilenswerter Charakter sich dadurch manifestierte, daß er in abgenutzten Lumpen umherging, die auf etwaige Gesprächspartner ausgesprochen despektierlich wirkten.195 Der französische König bemerkt zu dem Verhältnis, das er zu Kleidung pflegte: Auf Kleider hielte ich nichts, das kan ich nicht läugnen. Ich trug einen schäbichten Hut viele Jahre nacheinander, behalff mich auch mit einem abgenutzten Kleide, dergleichen, vielleicht, heutiges Tages, kein Handwercksmann anlegen mag. An statt der diamantenen Aggrafe war mein Hut mit einem Stückgen Bley geziehret, wie die Tuchmacher an ihre Tücher hängen. Ja, als ich, Anno 1462. zu Fontarabia, mit dem Castilianischen König, Henrico III. eine Zusammenkunfft hielte, so war mein Habit dermassen schlecht, daß es die Spanier fast für einen Affront aufnehmen wolten. Wann man mir aber erzehlete, wie prächtig sich andere Potentaten aufzuführen pflegten, lachte ich, und moquirte mich über sie, gedachte auch in meinem Sinn; Worzu dienet doch dieser Unrath?196

te sich Caligula der Beschreibung nach wie ein Gott und wie ein besonders ‚männlicher‘ Mann aus. Männlichkeit wurde und wird noch immer mit den erwähnten Attributen des Kriegsgottes Mars assoziiert; aus seinen Waffen wurde das häufig phallisch interpretierte Piktogramm für den Mann abgeleitet: ♂ 195 Zum Verhältnis von deutscher Alamode-Kritik und dem frühaufklärerischen Blick auf Kleidung vgl. Gonthier-Louis Fink: Vom Alamodestreit zur Frühaufklärung. Das wechselseitige deutsch-französische Spiegelbild 1648–1750, in: Recherches Germaniques 21 (1991), S. 3–47. 196 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 90. Leipzig 1725, S. 695. Zu Herrschaft und Kleidung vgl. u. a. Siegfried Müller (Hg.): Kleider machen Politik. Zur Repräsentation von Nationalstaat und Politik in Europa vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Ausstellungskatalog Landesmuseum Oldenburg, Oldenburg 2002; Valerie Cumming: Royal Dress. The Image and the Reality 1580 to Present, New York 1989; Arthur Kern: Deutsche Hofordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts, Berlin 1907.

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Mit dem abgewandelten Zitat aus dem Matthäus-Evangelium, das der sonst als nicht eben übertrieben fromm geltende König an dieser Stelle benutzt, um seine Verachtung gegenüber der Verschwendung zu markieren, kann sein orientalischer Gesprächspartner wenig anfangen. Djem betont statt dessen, daß hinter der Pracht, mit der sich ein König normalerweise ausstaffiert, mehr stecke als nur eitle Putzsucht: Wenig Leute, nur die Geiz=Hälse ausgenommen, werden es approbiren, wann sich ein König gar so schlecht aufführet. Der pure Name der Majestät ist zwar starck genug zu machen, daß ein jeder die Knie davor beuget. Allein wann die Person, so mit dem Glantz der Majestät vereiniget ist, in so gar armseliger Gestalt einher gehet, thut sie dem Glantz der Majestät einen gewaltigen Tort, und verringert denselben, wodurch öffters verursachet wird, daß die Unterthanen und Nachbarn den gebührenden Respect auf die Seite setzen, auch eine sehr schlechte Opinion von einem solchen Potentaten haben.197

Die Kritik, die Djem an dieser Stelle am Verhalten des französischen Königs äußert, soll diesen im nachhinein beschämen; der fremde Orientale lehrt die Europäer Mores, auch wenn es an dieser Stelle vordergründig nur um die richtige Art ging, nach der man sich kleidete. Majestät, Respekt der Untertanen und äußere Erscheinung des Herrschers werden in Zusammenhang gebracht, wenn Louis XI. wegen seines nachlässigen Äußeren offen getadelt wird. Zwar reiche die ‚natürliche‘ Gewalt, die von der herausgehobenen hierarchischen Stellung des Herrschers ausgehe, aus, so Djem, um die Untertanen zum Gehorsam und Respekt zu zwingen, dennoch sei vor allem prachtvolle Kleidung dazu angetan, die Majestät glänzen zu lassen, illuster zu wirken.198 Kleider machen jedoch nicht nur (Edel)Leute, sie vernichten sie mitunter sogar, wie Fassmann anhand einer Anekdote in derselben Entrevue auszuführen weiß. Ein ausgelassener Polterabend (Charivari) sollte am Abend des

197 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 90. Leipzig 1725, S. 695. Zur „Aura des Edelmannes“ bemerkt Marita Bombek: „Das frühe Wesen höfischer Kleiderästhetik muß [...] zusammengedacht werden mit dem Ursprung höfischer Präsentation in der Öffentlichkeit als Wesensgemeinschaft von Herrschaft, Herrschaftsverpflichtung und Darstellung von Herrschaft. Auserlesene und reiche Kleidung in Form und Material erschien in der ursprünglichen Idee nicht als kapriziöse überflüssige Geste und Verschwendung des adeligen Standes. Sie war im tiefsten Sinn ihrer Materialisierung der Ausdruck des dahinter stehenden vornehmen und hohen Geistes sinnlich-ästhetischer Tugend.“ Marita Bombek: Kleider der Vernunft. Die Vorgeschichte bürgerlicher Präsentation und Repräsentation in der Kleidung, Münster 2005, S. 126. 198 Louis XI. ist für Fassmann ein geeignetes Objekt, um zu demonstrieren, daß ein nachlässiges Äußeres und ein liederliches Inneres häufig Hand in Hand gehen; Louis wird dementsprechend zu Beginn der Begegnung als ein Herrscher eingeführt, der nichts auf seine Versprechen gab – in Fassmanns frühaufklärerischem Journal eine politische ‚Todsünde‘.

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28. Januars 1393 die dritte Heirat der verwitweten Catherine l’Allemande, einer Vertrauten der Königin Isabelle von Bayern, feiern. Das Ereignis ging allerdings nicht als freudige Begebenheit, sondern als sogenannter Bal des Ardents in die Geschichte ein.199 Charles VI., der Großvater von Louis XI. und Ehemann Isabelles von Bayern, trug wegen seines Wahnsinns den Beinamen le Fou. Er hatte vor, den Polterabend unerkannt zu besuchen – ob aus eigenem Antrieb oder auf Betreiben seiner Begleiter, darüber ist man sich heute nicht mehr einig.200 Fassmann schildert die Konsequenzen, die sich aus diesem Entschluß ergaben, folgendermaßen: Es wurde nemlich Anno 1393. zu Hofe ein vornehmes Beylager gehalten, das wolte der König inkognito besehen, und zog sich nebst fünff Cavaliers vor einen Wald=Gott an. Es breitete sich aber gleich unter denen Gästen ein Gerücht aus, daß der König unter denen Gästen wäre. Deswegen nahm der Hertzog von Orléans, als dessen Bruder ein Licht, und wolte den König vermittelst desselben recht erkennen. Es kam aber ein Funcken in die rauchen und mit Pech beschmierten Fauns=Kleider; und weil einer dem andern helffen wolte, so fiengen sie alle sechse an zu brennen. Mein Groß=vater ward noch gerettet, weil eine Printzessin die Resolution ergriffe, und sich mit ihren weit ausgebreiteten Weibes=Kleidern, auf den ludernden König legte. Die andern hingegen musten verbrennen, biß auff einen, welcher in der Angst in den Keller lieff, und sich unter einem aufgedreheten Wein=Faß so lange herum weltzte, biß der Brand gelöschet war.201

Charles VI. und seine Begleiter Milon de Joigny, Ogier de Nantouillet, Huguet de Guisay, Yvain de Foix und Aymard de Poitier teerten und federten sich für das Fest freiwillig. Der Überlieferung nach strichen sie ihre nackten Körper mit Pech ein, bedeckten sie anschließend mit zotteligem Fell und ketteten sich zum Schluß noch aneinander. Bis auf zwei müssen alle Männer, die sich – angeblich allein aus dem Grund, inkognito zu bleiben – mit den oben erwähnten Faunskostümen maskierten, ihre Tat mit dem Leben bezahlen: Als der anwesende Bruder des Königs, der Duc d’Orleans, das Gerücht, daß der König persönlich anwesend sei, mit Hilfe einer Fackel überprüfen möchte, fängt dieser

199 Zum Bal des Ardents und Charles VI. vgl. Barbara Tuchmann: Der ferne Spiegel. Das dramatische 14. Jahrhundert, Hildesheim 81997 [engl. A Distant Mirror. The Calamitous 14th Century, New York 1978], S. 454 ff. 200 Tuchmann schildert den Charakter des Charivaris und die Rolle, welche die Begleiter des Königs spielten, wie folgt: „Die Wiederverheiratung einer Frau war nach gewissen Traditionen immer Anlaß zu Gespött und wurde oft mit großem Poltern, viel Freizügigkeit, mit Verkleidungen, in wildem Durcheinander und bei lauter disharmonischer Musik gefeiert. Obwohl dies ein Brauch war, der ›aller Anständigkeit widersprach‹, wie der strenge Mönch von St. Denis schreibt, ließ sich König Karl von seinen leichtlebigen Freunden überreden, an einer solchen Scharade teilzunehmen.“ Tuchmann, Der ferne Spiegel, S. 454. 201 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 90, Leipzig 1725, S. 713.

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buchstäblich Feuer – welches dadurch gelöscht wird, daß dessen Tante Jeanne de Boulogne, Duchesse de Berry, den brennenden König ‚löscht‘.202 Sie erstickt die Flammen mit ihrem Kleid, was man sich gemäß der unten stehenden Abbildung offenbar so vorstellen sollte, daß Charles unter ihren Rock kroch und von der Kleidung seiner Tante gleichsam verschluckt wurde. Nur ein einziger der Begleiter des Königs, Ogier de Nantouillet, konnte sich von den Ketten befreien und durch den Sprung ins Weinfaß seine Haut retten (vgl. Hintergrund auf der Abb. 26). Die anderen ‚wilden Männer‘ hatten dagegen weniger Glück, sie verbrannten in ihren Faunskostümen.203 Der Übermut des Königs – nicht nur bei Fassmann mit dem wiedererwachenden Wahnsinn des Königs in Verbindung gebracht – führte dazu, daß Charles VI. sich als zotteliges Tier kostümierte und sich so denkbar weit von seiner ‚normalen‘ königlichen Kleiderordnung entfernte. Als Erkenntnis aus der Anekdote ließ sich für den zeitgenössischen Leser zum einen ableiten, daß derjenige, der seinen sozialen Rang und seine Identität durch Masqueraden zu verschleiern suchte, dafür mitunter übel bezahlen mußte; zum anderen markiert die animalische Art der Verkleidung, daß derartige Grenzüberschreitungen vom Menschlichen ins enthemmt Tierische fatale Folgen zeitigen konnten. Djem kommentiert das im Desaster endende Kostümfest im Gespräch vom distanzierten Standpunkt des Mohammedaners wie folgt: Hilf GOtt! was vor Schaden und Unglück ist nicht schon, durch die Masqueraden, oder durch das Vermaschkiren, angerichtet worden? ja was vor Anleitung zu Begehung vieler Sünde,

202 Das Besondere an dieser Anekdote ist ja zum einen, daß der mächtigste Mann im Staat, der König, gleichsam anti-zivilisatorisch als wilder Barbar auf einem Hoffest erscheint; zum anderen, daß Zeitzeugen und Historiker davon ausgehen, daß gerade diese unglückliche Episode um ein verunglücktes Kostümfest der Auslöser für den wiedergekehrten Wahnsinn des Königs war. Zum bal des ardents vgl. u. a. Pierre Gascar: Charles VI. Le bal des ardents, Paris 1978. 203 Tuchmann beschreibt die katastrophalen Folgen für die Begleiter, die nicht entkommen konnten, wie folgt: „Der Graf von Joigny verbrannte auf der Stelle, Yvain de Foix und Aimery Poitiers starben nach zwei Tagen quälender Leiden. Huguet de Guisay lebte noch drei Tage in Agonie und verfluchte und beleidigte seine Mittänzer, die toten und die überlebenden, bis zu seiner letzten Stunde.“ Tuchmann, Der ferne Spiegel, S. 455. Der letztgenannte Huguet de Guisay war offenbar recht sadistisch veranlagt und für seine ausgefallenen Ideen bekannt. Darüber hinaus, so Tuchmann, habe er Arme und Gemeine verachtet und sie „Hunde“ genannt. Aus Vergnügen habe er oft auf sie eingeprügelt und auch mißliebige Diener mit seinem Stock dazu gezwungen, wie ein Hund zu bellen. Wenn man mit diesem Wissen die Illustration der Szene betrachtet, erhält die Abbildung der Hundes noch zusätzlichen Sinn (vgl. Anmerkung unten). Zu Huguet de Guisay vgl. Tuchmann, Der ferne Spiegel, S. 455.

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Abb. 26: Der Bal des Ardents, Miniatur aus der Mitte des 15. Jahrhunderts.204

Schande und Laster, hat man nicht schon denen Menschen dadurch gegeben? Indessen bleiben doch die Maqueraden, in der Christenheit noch immerfort Grand – Mode; da man hingegen in der Türckey nichts davon weiß. Wissen aber ja einige in so weit davon, daß dergleichen Dinge bey andern Völckern im Schwange gehen, so halten sie es doch zum wenigsten vor etwas, welches GOtt im Himmel unmöglich angenehm seyn könne. 205

Der Orientale übt an dieser Stelle gleichsam Kulturkritik an der verwerflichen (höfischen) Praxis der Mummerei. Claudia Schnitzer geht in ihrer Studie Höfische Maskeraden auch auf Beispiele für literarische Kritik an Maskeraden ein. Ihr gemäß thematisieren die zahlreichen literarischen Nachbearbeitungen der Anekdote v. a. die „Gefährdung der sozialen Existenz im ausgelassenen Mas-

204 Auf der Abbildung wird der tierische Charakter der Verkleidungen noch einmal dadurch betont, daß sich dem offensichtlich schon verstorbenen Huguet de Guisay ein Hund nähert, dessen Fell eine ähnliche Struktur wie das Kostüm der vier Männer aufweist. Deutlich zu erkennen sind die Bauchnabel, die nackten Füße und die eiserne Kette, welche die Männer zu ihrem Unglück aneinander fesselte. Die Anekdote um dieses fatale Fest bildete die Vorlage u. a. für Edgar Allan Poes letzte Erzählung Hop-Frog; Or, the Eight Chained Ourangoutangs [1849] und Leopold Schefers (1784–1862) Novelle Der Zwerg [Ausgewählte Werke, 1845]. 205 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 90, Leipzig 1725, S. 713.

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kentreiben“.206 Zwar ist ihrer Wertung zuzustimmen, nach der die ‚wilde‘ Verkleidung dem Herrscher eine Möglichkeit zu Entlastung von seinen herrschaftlichen Pflichten bot, dennoch wird in der Anekdote mehr verhandelt als nur das. Schnitzer bemerkt hierzu: Gleichzeitig [mit der ‚Entlastung‘ – SD] brachte ihn die Verkleidung – nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Identifizierbarkeit – in Lebensgefahr und zwang ihn, unter den Mantel einer Dame zu kriechen.207

Die Lebensgefahr, von der Schnitzer hier spricht, entsteht jedoch allein deswegen, weil dem anwesenden Duc d’Orléans das Gerücht zu Ohren gekommen war, daß gerade der König sich in einer Verkleidung auf dem Fest befinde; aus Neugier, so der Tenor der meisten literarischen Nacherzählungen, wollte er diesen Verdacht überprüfen und steckte so das Fellkostüm des Königs in Brand. Das Gerücht, dessen Ursprünge im Dunkeln bleiben, unterläuft zusammen mit der deutlich markierten Neugier des Herzogs das Konzept des „inkognito“. Wenn bereits im Vorfeld bekannt war, daß der König und dessen Begleiter in Masquerade zu dem Polterabend erscheinen würden, konnte der Monarch sich die daraus ergebende paradoxe Situation zunutze machen: Der König war gleichzeitig da und nicht da. Dies bedeutet, daß er zum einen wegen des Gerüchts, daß er körperlich anwesend sein würde, seine Macht als König von Frankreich ausübte; zum anderen konnte er jedoch die Narrenfreiheit, die mit dem Maskiertsein verbunden war, für sich in Anspruch nehmen. Der Rest an Zweifel, der in bezug auf seine Identität bestehen blieb, schützte ihn vor möglichen Kompromittierungen.208 Zum dritten deutet die Art seiner Verkleidung als Faun bzw. ‚wilder Mann‘ darauf hin, daß der König sich durch seine Kleidung einen Zuwachs an Virilität erhoffte –, die wohl Rückwirkungen auf die Macht seines Herrscherkörpers haben sollte. Das katastrophale Scheitern der Mummerei machte diesen Plan jedoch zunichte.209 ***

206 Claudia Schnitzer: Höfische Maskeraden. Funktion und Ausstattung von Verkleidungsdivertissements an deutschen Höfen der Frühen Neuzeit, Tübingen 1999, S. 72. 207 Schnitzer, Höfische Maskeraden, S. 72. 208 Zur Rolle von Verkleidungen als Schutz vor Kompromittierungen vgl. Schnitzer, Höfische Maskeraden, S. 69 ff. 209 Charles VI. scheint Zeit seines Lebens ein eher problematisches Verhältnis zu seinem ‚realen‘ Körper gehabt zu haben. Offenbar weigerte er sich im Jahr 1405 fünf Monate lang, seine Kleidung zu wechseln oder auch nur zu baden. Die Wirkung seines zottelig-animalischen Fellkostüms mochte darum vielleicht um so authentischer gewesen sein. Zu den psychotischen Schüben Charles‘ VI. und den damit einhergehenden körperlichen Auswirkungen vgl. Richard

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In Fassmanns Journal wurde das Thema Kleidung häufig dazu verwendet, (Kultur)Kritik zu betreiben. Sowohl europäische wie außereuropäische Herrscherinnen und Herrscher wurden danach beurteilt, wie sie ihren bekleideten Körper in der Öffentlichkeit präsentierten. Kleidung wurde so auf literarischer Ebene als soziales Mittel zur Distinktion eingesetzt. Als unpassend galt sowohl das over- als auch das underdressing.210 Zu ärmlich gekleidete Herrscher unterminierten ihre majestätische Ausstrahlung, was Fassmann etwa mit seiner Kritik an Louis XI. deutlich machte. Aber auch die allzu eitlen und verschwenderischen Moden französischer Hofdamen wie etwa der Mme de Fontange gerieten in den Fokus der frühaufklärerischen Kritik (vgl. 4.1.1 Die historisch-politische Unterweisung). Körper sollten zwar mit Hilfe passender Kleidung den Status ihrer Trägerin oder ihres Trägers auf angemessene Art markieren; ein Übermaß an modischer Raffinesse oder an erotischen Signalen galt jedoch als eitel und verwerflich. Doch auch wenn eine Person mittels der geeigneten Kleidung ihren Rang und Beruf offenbarte (und somit eigentlich den Regeln gehorchte), konnte dies für Unmut sorgen: Der Anblick von fast völlig nackten orientalischen Tänzerinnen, deren Darbietung Fassmann in einer der letzten Entrevuen schildert, entsetzte eine anwesende europäische Reisegruppe angeblich zutiefst (vgl. 6.3.7 Mord und Totschlag). Denn obwohl die Tänzerinnen, die auch als „gemeine Huren“ charakterisiert wurden,211 entsprechend den Regeln ihres Gewerbes agierten und sich auch dementsprechend kleideten, war der scheinbare Angriff auf die westliche Moral zu gefährlich, als daß man die Regelgerechtigkeit hätte goutieren können, nach der sich Tänzerinnen dem Betrachter präsentierten.

C. Famiglietti: Royal Intrigue. Crisis at the Court of Charles VI. (1392–1420), New York 1986, S. 6. 210 Daß auch die Europäer sich nicht immer zu benehmen wußten, verdeutlichte Fassmann anhand einer Anekdote, die er Mandelslohs Reisebericht entnommen hatte. Von der unpassenden Kleidung eines Kammerdieners, der sich im Gefolge einer europäischen Gesandtschaft am Hofe eines Khans aufhielt, erzählt der indische Groß-Mogul Shah Jahan: „Von eben diesem Chan erinnere ich mich noch dieses gehört zu haben, daß, als er einen Europæischen Cammer= Diener unter derselben Reise=Gesellschaft gesehen, der einem Holländer zugehöret, welcher Cammerdiener ein, damals in Mode gewesenes, sogenanntes, Schweine=Braten=Wammes angehabt, der Chan ihn lange angesehen, und endlich angefangen hat, überlaut zu lachen; wobey er gefraget: Was dieser Kerl vor ein Amt habe, und ob er etwa ein Dodoy seye? das ist, ein Narr. Darauf antwortete der Holländer sein Herr [sic]: Nein er ist kein Narr, sondern mein Diener. Das Wammes aber hat er also darum zerschneiden lassen, um in der grossen Hitze etwas Kühlung zu haben; massen in Europa kalte Lufft, und wir der Hitze dieser Länder nicht gewohnt.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 162. 211 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 159.

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Trotz seiner ‚schamlosen‘ Nacktheit diente die Darstellung des in westlichen Quellen tabuisierten weiblichen Körpers auch bei Fassmann einem bestimmten Zweck. Indem er konform mit zeitgenössischen Quellen die orientalischen Tänzerinnen und ihre ‚unanständige‘ Darbietung innerhalb erlaubter Grenzen lebhaft schildert, bedient er sich an dieser Stelle des Mittels der Hypotyposis.212 Sowohl durch das Gesagte wie auch durch die Leerstellen wurden in der Vorstellungswelt des (europäischen) Lesers die entsprechenden Bilder von einem orientalischen Harem mit dem dazugehörigen schwülstigen Dekor hervorgerufen. Wie in zahlreichen anderen Gesprächen war auch hier der Kleiderdiskurs gleichzeitig ein sexual discourse.213 Der westlichen Schaulust dienten Beschreibungen wie die der Tänzerinnen neben dem offensichtlichen erotischen Reiz dazu, tradierte (Vor)Urteile über den Orient und dessen Bewohner zu bestätigen und zu festigen. Kleidung wurde bei Fassmann in diesem Zusammenhang immer auch als Mittel eingesetzt, Menschen anhand bestimmter Parameter wie der Herkunft, des Alters oder des Geschlechts zu typisieren. Seinen Leserinnen und Lesern wurde so ein bestimmtes (sittliches) Urteil über die aufgeführten Männer und Frauen nahegelegt; daneben diente die Beschreibung von Aussehen und Kleidung einzelner Figuren auch dazu, die intendierte Moralkritik mit einer wissenschaftlich verstandenen Beschreibung des Fremden zu verknüpfen. Vom Einzelfall sollte der Leser Rückschlüsse auf das Allgemeine, Überindividuelle und Typische eines bestimmten Landes ziehen können und dies möglichst konkret anhand der erwartbaren ‚besonderen‘ Kleidung und exotischfremden Sitten einer Figur, die auch durch ihren Tod möglichst nichts vom Attraktions- (und Skandal-)Potenzial zu Lebzeiten einbüßen sollte.

6.3.5 Monster und andere Fabelwesen Trotz aller aufgeklärten Kritik an Vorurteil und Aberglauben interessierte sich das 18. Jahrhundert nach wie vor für Monströses.214 Das ‚Andere‘ im Sinne eines ‚Von-Der-Norm-Abweichenden‘ (was auch immer als Norm verstanden oder propagiert wurde) konnte in verschiedenen Formen in Erscheinung treten:

212 Zur Hypotyposis, besonders in der deutschsprachigen ‚Türkenliteratur‘, vgl. Silke R. Falkner: ‚Having It Off‘ With Fish, Camels, and Lads. Sodomitic Pleasures in German-Language Turcica, in: Journal of the History of Sexuality 13 (2004), H. 4, S. 401–427, hier S. 405 f. 213 Vgl. zu diesem Aspekt auch Falkner, ‚Having It Off‘ With Fish, S. 405. 214 Vgl. dazu allgemein Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube. Die deutsche Frühaufklärung im Spiegel ihrer Aberglaubenskritik, Tübingen 1992.

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Wenn eine adlige Dame am französischen Königshof ein dunkelhäutiges Kind gebar, dann war das nach stillschweigender Übereinkunft aller Beteiligten eine Laune der Natur, Aberration und vor allem eine bemerkenswerte Schauergeschichte – und nicht etwa die Folge einer körperlichen Verbindung zu einem dunkelhäutigen Bediensteten bei Hofe. Der Großteil aller Monstrositäten, Kuriositäten und Wunder kann aus heutiger Perspektive rational erklärt und so gleichsam ‚aus der Welt‘ geschafft werden. Dies zu tun, verspricht jedoch keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn. Interessanter als solchen spätbarocken Aberglauben zu entmystifizieren ist es, die Anekdoten, die in Fassmanns Journal wiedergegeben werden, genauer anzusehen: Was wird auf welche Weise kolportiert? In welchen Zusammenhang stellt Fassmann die vermeintlichen Wunderdinge und extra-ordinairen Fabelwesen? Welche Haltung nehmen seine Figuren im Dialog gegenüber den geschilderten Monstrositäten ein? Und auch: Welche Sicht auf ‚fremde‘ Monster nimmt die Fremde selbst ein? Die Erkenntnis, daß alle Aufklärung gleichzeitig auch Gegen-Aufklärung bedeutet, gilt sicherlich in besonderem Maße auch im Falle von Fassmanns Totendialogen.215 Seine Absicht, mittels fremder Lebensläufe Kritik an der Politik im eigenen Land zu üben, wurde bereits anhand einiger Beispiele demonstriert. Neben aufgeklärter Herrschaftskritik bot Fassmann seinen Lesern jedoch auch Anekdoten und Informationen an, die deutlich nicht-aufgeklärt waren – oder zumindest nur vordergründig Aberglauben und Berichte von Hexereien, Wundererscheinungen o. ä. verurteilten. Durch die ausführliche Schilderung der zu verurteilenden Praxis nutzte Fassmann das Skandalpotential seiner Gegenstände weidlich aus: Die Kritik war zwar durchaus ernstgemeint, gleichzeitig sorgte die detaillierte Wiedergabe der genannten Beispiele dafür, daß das eben noch als ‚abergläubisch‘ Gebrandmarkte weiter am Leben gehalten und mitgeteilt wurde. Mit Monster waren in Fassmanns Dialogen durchaus nicht nur mißgestaltete Wesen gemeint, die wegen ihres abstoßenden und abnormen Aussehens zum Schaudern einluden, sondern daneben auch Personen, die sich durch ihr Verhalten als Ungeheuer qualifizierten. In diesem Zusammenhang war der moralische Impetus des Journals der Grund dafür, daß Figuren wie Caligula oder Mulai Ismail als grausame Monster dargestellt wurden, deren Persönlichkeiten ‚normale‘ menschliche Verhaltensweisen weit hinter sich ließen. Im Einklang mit ikonographischen wie literarischen Zeugnissen seiner Zeit wurden einige von Fassmanns Protagonisten bestialisiert, während andere als hervorragende

215 Zur Aufklärung als Gegenaufklärung vgl. Jochen Schmidt (Hg.): Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart, Darmstadt 1989.

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Vertreterinnen und Vertreter ihres Geschlechts, ihres Landes oder ihrer Dynastie idealisiert wurden. Als eines der bemerkenswertesten Beispiele für die Verworfenheit der menschlichen Natur wird in Fassmanns Journal der bereits erwähnte Caligula präsentiert. Dessen Lebenslauf und grausame Taten erscheinen nicht allein als Randnotiz, sondern als zentraler Bestandteil des Dialogs zwischen Caesonia, seiner Ehefrau, und Roxelane, der Frau des osmanischen Sultans Süleyman. Die Männer beider Frauen werden als einander diametral entgegengesetzte Herrschertypen markiert: Süleyman als osmanischer Sultan in einem absolutistischen Reich, das durch die fremde islamische Religion geprägt ist –, der dabei aber vom Standpunkt des Europäers ‚Mensch‘ und gemäßigter Herrscher geblieben war, und Caligula, der sich nach einem verheißungsvollen Beginn seiner Regierungszeit als zunehmend grausamer Tyrann mit Hang zum Wahnsinn erwies. Zum verurteilenswürdigen Monster wird Caligula in der 111. Entrevue v. a. durch seine grausamen Taten und seinen verworfenen Charakter. Antike wie frühneuzeitliche Quellen zeichneten das Bild eines Sadisten, der sich nicht nur als Gott verehren ließ, sondern der durch seine zahlreichen ‚Verrücktheiten‘ und barbarischen Taten endgültig zum Monster wurde.216 Getreu scholastisch-dualistischer Auffassung war der Mensch in Fassmanns frühaufklärerischen Dialogen ein zweigeteiltes Wesen: Seine ‚menschliche‘, geistige Seite war die der Tugend, seine ‚tierische‘, körperliche die des Lasters. Die Bestialisierung eines ins Extrem gewendeten schlechten Herrschers wie Caligula verdeutlichte diesen Aspekt. Wer ein lasterhaftes Leben führte, der war – so die Erkenntnis aus dem Gespräch – irgendwann mehr Tier als Mensch. Die Berichte von monströsen (exotischen) Wesen, die dem Leser in mittelalterlichen Texten begegneten, waren bei Fassmann zwar noch nicht gänzlich verschwunden, wurden aber immer häufiger ersetzt durch Schilderungen menschlicher ‚Monster‘. Es ging nunmehr weniger darum, fürchterlichanziehende Kreaturen wie Kopffüßler oder Schlangenmenschen vorzustellen, sondern vor allem darum, moralisch Zweifelhaftes als äußerlich wahrnehmbare Mißgestaltetheit kenntlich zu machen. Im Unterschied zu (vermeintlich) furchteinflößenden Fabelwesen, die im Mittelalter Texte und Abbildungen bevölkerten, wurden bei Fassmann häufig einzelne (reale) Figuren der Zeitge-

216 Zu Caligulas Leben und Taten aus heutiger Sicht vgl. Theodor Kissel: Kaiser zwischen Genie und Wahn. Caligula, Nero und Elagabal, Düsseldorf 2006; Aloys Winterling: Caligula. Eine Biografie, München 2003; zu Caligula als typischem Beispiel für den ‚Cäsarenwahnsinn‘ siehe bereits Ludwig Quidde: Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn, Leipzig 1894.

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schichte dämonisiert und bestialisiert.217 Darüber hinaus dienten ihm Anekdoten, die von Hexereien, Mißgeburten und anderen Schauerlichkeiten handeln, zur Illustration bestimmter falscher wie richtiger Verhaltensweisen. Fassmann ließ auch seine exotischen Figuren Anekdoten aus dem deutschsprachigen Raum wiedergeben – der unterhaltsam-lehrreiche Inhalt erhielt hier wie so oft den Vorzug über die gesprächsimmanente Logik.218 Die Gespräche diskutieren und evaluieren gleichsam den Grad an Monstrosität derjenigen Figuren, die der Betrachtung für wert erachtet wurden. In der Nachfolge politischer wie religiöser Karikaturen in der Reformationszeit vermochte Fassmann durch die Brandmarkung einzelner Figuren als Monster bzw. Bestie die eigene Position zu stärken.219 Indem manche Figuren diskreditiert

217 Eine Art Mittelweg beschreitet Fassmann in der 20. Entrevue, in der Kleopatra, überrascht von der Häßlichkeit und fehlenden Größe des Marschalls von Frankreich, diesen als „General unter Pygmäen“ verspottet. Diese Beleidigung nutzt der Franzose, um die Ägypterin nach den winzigen „Poupen und Männergen“ (S. 260) zu fragen, die der Überlieferung nach nicht größer als drei Handbreit würden und angeblich in verschiedenen Teilen der Welt hausten. Während die ägyptische Königin historische Exempel anführt, welche die Existenz dieser zwergenhaften Wesen belegen sollen, bleibt ihr Gegenüber skeptisch. Weil immer wieder ‚Fälschungen‘ in Form von Affenskeletten und dergleichen bekannt würden, zweifele er daran, daß es Pygmäen tatsächlich gebe. Mit diesen Wesen verhalte es sich ähnlich wie mit anderen Fabelgestalten: „Allein ich meines Orts bitte nochmals mich entschuldiget zu halten, wann ich das Meiste von diesen kleinen und leichten Männergen nicht glauben kan; und zwar eben so wenig als das Vorgeben, ob wären jemals solche Monstra von Riesen=Gestalten gesehen worden / dargegen andere Menschen so klein wie Heuschrecken in die Augen gefallen. In einem Buch / die Bibel genannt, so in der gantzen Christenheit sehr hoch und theuer gehalten wird, werden gottlose, verwegene und hochmüthige Leute verstanden, wo man von Riesen redet / wie solches die Weisheit Salomonis, und andere Passagen mehr, bezeuget; und dergleichen Bewandtniß wird es sonder Zweiffel auch mit andern Erzehlungen von Riesen haben.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 20, Leipzig 1720, S. 261 f. 218 So geben etwa Caesonia und Roxelana sechs verschiedene unterhaltsam-lehrreiche Anekdoten wieder, in denen deutsche Handwerksburschen über begriffsstutzige Grafen triumphieren oder eingebildete Ärzte wegen ihrer „Ruhmräthigkeit“ gescholten werden. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 111, Leipzig 1727, S. 1147–1149. 219 Selbst Matthes erkennt in seiner ansonsten wenig zufriedenstellenden Studie zu den Totengesprächen, in denen russische Herrscher auftreten, daß die Darstellung schlechter Herrscher in dem Leipziger Journal nach besonderen Prinzipien erfolgte; am Beispiel Ivans IV. (genannt ‚der Schreckliche‘) und der dazugehörigen Titelillustration eines der insgesamt vier Gespräche, in denen der russische Herrscher porträtiert wurde, will Matthes zeigen, daß dessen Abbildung Züge politischer Karikaturen trägt, wie sie erst im 19. und 20. Jahrhundert aufkamen – die Darstellung versteht Matthes in diesem Sinn als eine Art avantgardistischen Vorgriff; m. E. zeugt die in der Tat bemerkenswerte Karikatur Ivans mitsamt der um ihn herum stattfindenden Grausamkeiten und Verbrechen jedoch viel eher von Fassmanns in der rhetorischen wie protestantischen Tradition wurzelndem Bestreben, einen schlechten Herrscher bzw. einen Gegner als unmenschlich, d. h. tierisch zu brandmarken: Ivan IV. sitzt als Tiger – der

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wurden, wurden sie zur Projektionsfläche für alles das, was als schlecht, widernatürlich oder ‚abnorm‘ galt. Der eigene Standpunkt, so eine Erkenntnis, die sich aus den Totengesprächen gewinnen läßt, erschien mit Hilfe dieser Strategie als der rationale, gute und richtige. Doch nicht nur monströse Charaktere, auch ‚wirkliche‘ Monster fanden ihren Platz in Fassmanns Journal. In der Entrevue Nr. 227 erzählt der indische Groß-Mogul Shah Jahan [Choram], welche monströsen Wesen es in seinem Reich gebe, von denen ein Großteil der Menschheit nie gehört habe; er selbst habe jedoch derartige Wesen mit eigenen Augen gesehen, weil andere sie vor seinen Thron geführt hätten: In denen Gebürgen, welche das Mogolische Reich von der grossen Asiatischen Tartarey absondern, welche gegen China zu lieget, auch heutiges Tages mit dem Chinesischen Reiche unter einem Haupte vereiniget ist, sind noch viele andere Heyden, die in einer gewaltigen Heydnischen Finsterniß leben, mithin gar viele Götter, und seltsame Figuren, verehren und anbeten. Es giebet hiernechst in verschiedenen Gegenden solche Mißgeburten, die man eher unter die Thiere als Menschen rechnen würde, wann man nicht an der Stimme hörte, daß es Menschen, weil sie viele Worte nach der Sprache ihres Landes, wo sie gebürtig, sprechen, auch lachen und weinen können, obschon alles gantz abscheulich klinget. Dergleichen Monstra hat man viele vor mich gebracht, absonderlich einstmals einen Mann, der einen Esels=Kopff und lange Esels=Ohren gehabt. Augen und Mund, desgleichen der Rumpff des Leibes, waren menschlich. Dargegen sind die Hände wie Tyger=Pfoten gestaltet gewesen; mit denen Füßen gleichte er einem Maulthier, und hatte einen Schwanz wie ein Esel. Man konte auch nicht ergründen, wo dieses Monstrum hergekommen war, ausser, daß man muthmassete, es seye aus dem wilden Gebürge. Es gienge mit einem Stecken in der Hand einher, und lernete innerhalb zweyen Jahren etwas von der Sprache, die zu Agra üblich; ist aber bald hernach gestorben. Man hatte Ursache, zu zweiffeln, ob dieses Monstrum von einem menschlichen Weibe gebohren? und ob es nicht vielmehr von einer teufflischen Vermischung eines Mannes mit einer Eselin hergekommen? welchem unmenschlichen gottlosen Wesen die Indianer gar sehr ergeben, wann sie keine Weibs=Personen bey sich haben, an die sie sich machen können. Ist aber das Monstrum ja von einem menschlichen Weibe gebohren gewesen? so ist doch wieder die Frage, ob dessen Mutter nicht von einer andern Creatur, die bey nahe Menschen=Gestalt haben, und doch keine Menschen sind, im Walde oder in der Wüsten genothzüchtiget und mißbrauchet worden? maßen dergleichen Exempel in Indien nichts rares sind.220

Inbegriff des gefährlich Animalischen – auf einem prächtigen Thron, angetan mit ‚typischen‘ Attributen wie einem Hermelinmantel und einer russischen Pelzmütze. Das vierzeilige Gedicht auf dem Titelblatt der 84. Entrevue erläutert diesen Anblick wie folgt: „In alten Zeiten stack, offt unter Hermelinen / Ein Tyger, welches Blut, wie Wasser in sich soff. / Aus viel Exempeln mich nur eines zu bedienen; / War nicht Basilowitz recht von dergleichen Stoff?“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 84, Leipzig 1725, Titelblatt; vgl. hierzu auch Matthes, Das veränderte Rußland, S. 270 f. 220 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 178. Der Groß-Mogul Shah Jahan gibt im Anschluß an die oben zitierte Passage ein weiteres Beispiel für ein Monster, das er mit eigenen Augen gesehen habe: Ein Wesen, dessen Rumpf und Extremitäten normal, dessen Kopf allerdings dreimal so groß wie normale Köpfe gewesen sein soll,

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Die Abgeschiedenheit und unzivilisierten Verhältnisse, aus der die oben geschilderte Kreatur angeblich stammte („In denen Gebürgen“ bzw. „aus dem wilden Gebürge“), markierten einerseits den Übergang der Erzählung ins Fabelhafte; andererseits war die räumliche Distanz auch die Bedingung für die Existenz solcher Wesen bzw. den Glauben an diese. Das Mysteriöse an dem geschilderten Onocentauren – einem mythischen Wesen, halb Mensch, halb Esel – steigerte noch dessen anziehende Wirkung auf die Leser. Fremd erschien an der geschilderten Begebenheit nicht nur die schiere Existenz einer solchen „Mißgeburt“, sondern vor allem auch der Umstand, daß Wesen wie dieses – zumindest in Indien, so die Einschränkung – weder ausgesprochen selten noch besonders geächtet gewesen seien. Im Gegenteil: Der Mogul verrät seinem Gegenüber, daß sie von vielen Menschen geradezu angebetet würden. Die Darstellung der Kreatur aus dem Grenzbereich zwischen menschlicher und tierischer Welt verriet dem Leser nicht nur einiges über die Gesellschaft und den kulturellen Kontext, aus dem das Wesen angeblich stammte, sondern vor allem auch über die Tabus, Wünsche und Sehnsüchte seiner eigenen Lebenswirklichkeit. Als zuverlässige Indikatoren für Menschlichkeit fungierten in der Beschreibung des Onocentauren221 das Lachen bzw. Weinen. Verfügte ein Wesen über die Fähigkeit, Trauer und Freude zu empfinden und anderen mitzuteilen, war es zumindest halb menschlich. Die andere Hälfte seiner Existenz erschloß sich vor allem dadurch, daß man die äußere Erscheinung musterte und entschied, was dieses Wesen sonst noch war. Zu diesem Prozeß gehörte zwangsläufig eine penible Beschreibung seiner physischen Aberrationen und ein Vergleich mit mehr oder weniger exotischen Tieren, nach dem man die tierische Seite genauer zu fassen suchte. Passend zum halb animalischen Wesen der vermeintlichen Mißgeburt stellt Shah Jahan auch Vermutungen über dessen Geschlechtlichkeit an. Traditionell als besonders ‚wilde‘ Kreatur verstanden, erscheint der Onocentaur hier vor allem als männlich-aggressives Wesen.222 Fassmann läßt den indischen Mogul

verschlang trotz augenscheinlich gesittetem Verhalten mit Vorliebe kleine Kinder, wenn man es denn gewähren ließ. Ebd., S. 178. 221 Onocentauren waren dem Mythos nach halb gut (die menschliche obere Hälfte des Körpers) und halb schlecht (die tierische untere). Im Widerstreit des Rationalen mit dem Animalischen ist nach Philippe de Thaon derjenige ein „Esel“ zu nennen, der die schlechte, d. h. tierische Seite die Oberhand gewinnen lasse. Vgl. dazu ders.: Le bestiaire [Bestiarium, ca. 1121], Texte critique, publ. avec introd., notes et glossaire par Emmanuel Walberg, Genf 1970. 222 Wie auf der Abbildung deutlich wird, fungierte der Onocentaur als männliches Gegenstück zu der Sirenenfigur, die hier mit einem Fischschwanz und nicht mit Vogelfüßen gezeigt wird (Abb. 27). Deutlich betont erscheint hier das Geschlechtsteil des Centauren, was in Kombination mit dem Attribut des Bogens auf dessen offensives und lustbetontes Wesen hindeutet.

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Abb. 27: Abbildung eines Onocentauren aus dem Sloane MS 278, Folio 47r [British Library].

zudem über die mögliche Herkunft des Centauren spekulieren: Die Diskussion, auf welche Weise ein solches Monster entstanden sein könnte, erlaubte es ihm, ansonsten tabuisierte Sexualpraktiken wie etwa die Sodomie zu thematisieren;223 zwar nimmt Shah Jahan zuerst an, daß ein menschlicher Mann mit einer Eselin geschlechtlichen Umgang gehabt haben müßte, in einem zweiten Schritt zieht er jedoch auch die Möglichkeit in Betracht, daß eine Menschenfrau einen Onocentauren auf die Welt gebracht haben könnte. Eine Vereinigung zwischen einer Frau und einem Esel war jedoch nur als ein Akt der Notzucht denkbar, der entsprechend dem Grad der Verworfenheit auch außerhalb aller Zivilisation „im Walde oder in der Wüsten“ 224 stattgefunden haben muß. Ähnlich wie den ‚Schwestern‘ des Centauren, den Sirenen, Melusinen und Meerjungfrauen war auch dieser Kreatur kein langes Leben vergönnt, sobald

Bemerkenswerterweise bleibt in der Darstellung offen, ob die Matrosen ihre Ruder dazu benutzen, die seltsamen Wesen abzuwehren oder ihnen den Zugang zu ihrem Schiff zu erleichtern. 223 Vgl. Falkner, ‚Having It Off‘ With Fish, S. 405 ff. 224 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 178.

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sie in die Fänge der Zivilisation geriet. Wie Andreas Kraß in seiner Studie Meerjungfrauen – Geschichte einer unmöglichen Liebe gezeigt hat, mußten Begegnungen wilder Kreaturen mit zivilisierten Menschen (zumindest auf den ersten Blick) zwangsläufig scheitern.225 Knapp 80 Jahre nach Fassmanns Choram-Entrevue zeigte etwa Kleist in seinem nachrichtenähnlichen Bericht über Wassermänner und Sirenen, daß der menschliche Wille zur Domestizierung bei Fabelwesen zum Scheitern verurteilt war.226 Auf der Ebene der Erzählung wurden, so der Schluß, den man aus den verschiedenen literarischen Beispielen ziehen kann, häufig unabhängige Augenzeugen präsentiert, die in einem ersten Schritt zunächst die Existenz der fabelhaften Wesen bestätigen sollten: Bei Fassmann übernahm diese Funktion der Groß-Mogul, wie in anderen Texten eine Respektsperson mit einiger Autorität, oder, wie im Falle Kleists, die authentisch wirkenden Belege aus Zeitungen oder Lexika. In einem zweiten Schritt wurde die Differenz zum ‚normalen‘ Menschen motivisch ausgeschmückt und anhand verschiedener Beispiele belegt: Ihre wilden Sitten behielten die Wesen möglichst bei und lehnten zivilisiertes Verhalten ab. Daneben akzeptierten Kreaturen wie Onocentauren oder Meerjungfrauen nur widerwillig menschliche Kleidung; wie zum Trotz entledigten sie sich dieser bei jeder Gelegenheit und betonten so einmal mehr ihre animalische Seite. Als letztes erfolgte meist entweder ein Hinweis auf eine geglückte Flucht der Kreatur zurück in die Sphäre, der sie ursprünglich entstammte, oder auf deren bald eingetretenen Tod, was einmal mehr als Ausweis der Inkompatibilität beider Welten zu lesen war.227 Die kulturelle Fremdheit des Monsters war gerade so groß, daß alle Domestizierungsversuche am Ende scheitern mußten; trotzdem (oder gerade deswegen) wurden solchermaßen liminale Wesen wie die Centauren oder die Meerjungfrauen dem Menschen so ähnlich gezeichnet, daß sie wie in Fassmanns Entrevue noch hinreichend erotisches oder skandalöses Potential für die Rezipienten boten. Das explizite Nachdenken über die Entstehung des Onocentauren markierte dabei, welche Leerstelle durch ihn gefüllt werden sollte. Die Fremdheit, die Fassmann in diesem Totengespräch herstellt, war eine doppelte: Sie diente zum einen als besonders auffälliger ‚Sicherheitsabstand‘ des Er-

225 Andreas Kraß: Meerjungfrauen. Geschichte einer unmöglichen Liebe, Frankfurt 2010. 226 Kraß, Meerjungfrauen, S. 85 ff.; Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Bd. 3, Berlin und Weimar 1978, S. 369–371. 227 So auch in Fassmanns Dialog, in dem es an der oben bereits zitierten Stelle zum Schicksal des Monstrums heißt: „Es gienge mit einem Stecken in der Hand einher, und lernete innerhalb zweyen Jahren etwas von der Sprache, die zu Agra üblich; ist aber bald hernach gestorben.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 178.

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zählers zum Erzählten, denn die Anekdoten wurden auf der Textebene von einem (verstorbenen) indischen Groß-Mogul wiedergeben, der von den fremden Verhältnissen in einem weit entfernten Reich erzählt; zum anderen wurden Themen wie Fortpflanzung, sexuelle Aberrationen und wilde Brutalität am Beispiel eines mythischen Fabelwesens verhandelt. Selbst eine strenge Zensurbehörde konnte dies tolerieren, wenn wie so oft auch dieses Mal die Anekdoten, die im Dialog geschildert wurden, verurteilt und als ‚typisch‘ barbarisch gebrandmarkt wurden. In Fassmanns Journal traten neben den oben geschilderten Monstern auch Figuren wie der bereits erwähnte marokkanische Herrscher Mulai Ismail auf, deren Charakter in der Darstellung dämonisch-bestialische Züge annahm: Als Figur versinnbildlichte er alles erdenklich Böse und Schlechte in der menschlichen Natur. Anhand von Lebensläufen wie dem Mulais vermochte Fassmann bestimmte grausame, lasterhafte oder sonstwie zu verurteilende Verhaltensweisen zu personifizieren und möglichst authentisch darzustellen. Der Umstand, daß es sich in den meisten Fällen um Herrscherfiguren handelte, verstärkte den vorbildlichen bzw. abschreckenden Effekt sowie die Bedeutung des gewählten Exempels. In diesem Sinne kann man Fassmanns Journal auch als eine Art frühaufklärerische Variation mittelalterlicher Bestiarien lesen: Zu den ehedem mythisch konnotierten monströsen Fabelwesen traten gemäß dem didaktisch-moralischen Impetus der Dialoge ‚reale‘ historische Figuren, deren bestialischer Charakter ausgestellt und verurteilt wurde. Vor allem die fremden Figuren übernahmen die Funktion, den europäischen Rezipienten vor Augen zu führen, zu welchen extremen Aberrationen und verwerflichen Schandtaten der Mensch fähig war. Als besonders anschauliche Exempel dienten vor allem die orientalischen Potentaten in Fassmanns Journal dazu, den Kitzel zu erhöhen, den seine Leser sich von der Lektüre der Totengespräche erhoffen durften. Exkurs Ein Beispiel für den ‚umgekehrten Blick‘,228 d. h. für die Sicht des Ostens auf den Westen, liefert der osmanische Reisende und Schriftsteller Evliya Çelebi (1611–1683), der im siebten Band seines zehnbändigen Reisetagebuchs Seyahatnâme auch über einen Aufenthalt in Wien berichtet, bei dem er eine Figur erblickt, die man wegen ihrer immensen Häßlichkeit kaum mehr als Mensch bezeichnen könne. Die entsprechende Passage im Tagebuch des osmanischen Reisenden beschreibt das Äußere der Figur wie folgt:

228 Vgl. dazu auch Stefan Schreiner (Hg.): Die Osmanen in Europa. Erinnerungen und Berichte türkischer Geschichtsschreiber, Graz u. a. 1985.

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[...] Man möchte aber fast bezweifeln, daß mit ihm der Herrgott wirklich einen Menschen hat erschaffen wollen. Er ist ein junger Mann von Mittelgröße, ohne Kinnbart, mit schmalen Hüften, nicht gerade fett und beleibt, aber auch nicht gerade hager. Nach Allahs Ratschluß hat er einen Flaschenkopf, oben zugespitzt wie die Mütze eines Mevlevî-Derwisches oder wie ein Birnenkürbis, mit einer Stirne, flach wie ein Brett, und dichten, schwarzen Augenbrauen, die aber weit auseinanderstehen und unter denen seine von schwarzen Wimpern umrandeten, kreisrunden und hellbraunen Augen, die wie Lichter eines Uhus funkeln.229

Çelebis Beschreibung endet jedoch noch nicht mit der oben zitierten Beschreibung, die alleine schon nicht sehr schmeichelhaft wäre. Die menschenunähnliche, ja monströse Häßlichkeit der Figur wird von ihm noch reicher ausgemalt: Sein Gesicht ist lang und spitz wie das des Meisters Reineke, mit Ohren, groß wie Kinderpantoffel, und einer roten Nase, die wie eine unreife Weinbeere leuchtet und groß ist wie die Hälfte eines zerbrochenen Münzbrettes oder wie eine Aubergine aus Morea. Aus den weiten Nasenlöchern, in die er je drei Finger auf einmal hineinstecken könnte, hängen ihm Haare, lang wie die vom Schnurrbart eines dreißigjährigen Haudegens, heraus und vermischen sich in dichtem Wirrwarr mit dem Bart auf seiner Oberlippe und mit seinem schwarzen Backenbart, der ihm bis zu den Ohren heranreicht. Seine Lippen sind wulstig wie die eines Kamels, und in seinen Mund würde ein ganzer Laib Brot auf einmal passen. Auch seine Zähne sind groß und weiß wie die eines Kamels. Immer wenn er spricht, spritzt und trieft ihm der Speichel aus seinem Mund und von seinen Kamellippen, als ob er erbrechen würde. Da wischen ihm dann die strahlend schönen Pagen, die ihm zur Seite stehen, mit riesigen roten Mundtüchern den Geifer ab. Er selber kämmt seine Locken und Kringeln dauernd mit einem Kamm. Seine Finger sehen aus wie Langa-Gurken.230

Die Überschrift über der zitierten Passage verriet dem Leser, wer dieses derartig abstoßende Wesen war: der habsburgische Kaiser Leopold I. Daß dessen unvorteilhaftes, um nicht zu sagen abstoßend häßliches Äußeres keine Laune der Natur oder Aberration war, sondern statt dessen eine Art ‚Familienspezialität‘, macht Çelebi mit seinem witzigen Blick auf die Gepflogenheiten in Europa mehr als deutlich: Nach dem Willen Allahs des Allerhabenen sind übrigens sämtliche Kaiser aus diesem Geschlecht von so garstigem Äußeren. Und in allen ihren Kirchen und Häusern sowie auf den Talerstücken wird der Kaiser mit solch häßlichem Gesicht abgebildet; ja, wenn ihn einer mit hübschem Antlitz malt, dann läßt er den Mann hinrichten, weil er, wie er meint, ihn entstellt hat! Denn daß sie so häßlich sind, dessen rühmen und brüsten sich diese Kaiser.231

Der Verweis auf das Aussehen „sämtlicher Kaiser aus dem Geschlecht“ spricht dafür, daß Çelebi einige Porträts der Habsburger gesehen hat, während er sich

229 Çelebi, Im Reich des Goldenen Apfels, S. 200. 230 Çelebi, Im Reich des Goldenen Apfels, S. 200–202. 231 Çelebi, Im Reich des Goldenen Apfels, S. 200.

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Abb. 28: Guiseppe Arcimboldo: Rudolf II. als Vertumnus [1590/91].

am Kaiserhof in Wien aufhielt.232 Vielleicht, so kann man als These formulieren, hatte der osmanische Reisende, der die Architektur, das städtische Flair der Stadt und die Einrichtung des Kaiserpalastes so positiv wie ausführlich beschrieb, während seines Aufenthaltes am Hof auch Arcimboldos berühmtbizarre Porträts kennengelernt. Die Vergleiche der oben zitierten Passage mit diversen Früchten und Gemüse legen zumindest den Schluß nahe, daß der Osmane die Bilder des Malers kannte, der als Hofporträtist von Kaiser Ferdinand I. (Leopolds Vorfahr) im Jahr 1562 von Mailand nach Wien gerufen wurde. Arcimboldos allegorische Porträts bildeten mehrere Angehörige des habsburgischen Kaiserhauses ab, etwa Kaiser Rudolf II. als Vertumnus, den Gott der Jahreszeiten.

232 Zu den Porträts der Habsburger vgl. Ilsebill Barta: Familienporträts der Habsburger. Dynastische Repräsentation im Zeitalter der Aufklärung, Wien u. a. 2001.

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Abb. 29: Zeitgenössischer Kupferstich Kaiser Leopolds I.

Der von Çelebi als ausnehmend häßlich beschriebene Leopold I. war äußerlich durch das wörtlich zu verstehende hervorstechendste Merkmal der Habsburger geprägt: ein ausgeprägtes Kinn mit der dazu gehörigen sogenannten ‚Habsburger Unterlippe‘ (Dysgnathie, d. h. eine genetisch bedingte Fehlstellung und Überentwicklung des Unterkiefers), die ihm den Spitznamen ‚Schweinemaul‘ einbrachte (vgl. Abb. 29). Der englische Historiker William Coxe bemerkt zu seiner Haltung und zu seinem Aussehen: „In his gait he was stately, slow and deliberate, his air pensive, his address awkward, his manner uncouth, his disposition phlegmatic.“ 233 Çelebi unterscheidet wie Fassmann dezidiert zwischen dem monströs häßlichen Äußeren und dem charakterlichen Inneren eines Menschen, in diesem

233 William Coxe: History Of The House Of Austria. From The Foundation Of The Monarchy By Rhodolph Of Hapsburgh To The Death Of Leopold The Second (1218–1792), Bd. 1, T. 2, London 1807, S. 1153.

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Falle Leopolds I., dessen Verhalten und Herrschertugenden der Osmane in seinem Fahrtenbuch deutlich positiv hervorhebt. Sein Bericht über seinen Aufenthalt in Wien trägt den Titel Der Goldene Apfel. Die Frucht war in der osmanischen Herrschaftsgeschichte Symbol für den erstrebenswertesten Preis, den man gewaltsam erringen konnte: Vor der Eroberung durch Mehmed II. waren dies das christlich geprägte Konstantinopel bzw. die Städte Rom und Ofen; zuletzt wurde Wien zur begehrten Trophäe bzw. zum Goldenen Apfel erkoren. Jeder Sultan hatte bei seiner Thronbesteigung die symbolische Formel zu sprechen: „Beim Goldenen Apfel sehen wir uns wieder“, um so den Willen zur Expansion des osmanischen Reiches zu markieren. Der Goldene Apfel, den es für die Herrscher der Hohen Pforte zu erringen galt, bedeutete für Leopold I. wiederum noch etwas anderes: Anläßlich von Leopolds Vermählung mit Margarita Teresa von Spanien war die Aufführung von Antonio Cestis (1623–1669) Oper Il pomo d’oro (Der Goldene Apfel) geplant.234 Die fünfaktige Oper erklang allerdings erst 1668 zur Geburtstagsfeier der Kaiserin. Heute als berühmteste höfische Barockoper bekannt, handelt sie von Paris’ Entscheidung, welcher Göttin er den Preis für die größte Schönheit zuerkennen sollte. In Cestis Version des Mythos erhalten allerdings weder Aphrodite, noch Hera oder Athene den Goldenen Apfel, sondern Leopolds Gattin Margarita Teresa – was wiederum etwas erstaunte, da auch sie deutliche Merkmale der Habsburger-Physiognomie aufwies (Leopold I. war nicht nur ihr Ehemann, sondern gleichzeitig auch ihr Onkel und Cousin). Als kuriose Fußnote erscheint in diesem Zusammenhang, daß nach Leopold I. eine neu gezüchtete Obstsorte benannt wurde, welche die Pomologischen Monatshefte abbil-

Abb. 30: Andenken an Leopold.235

234 Zur wohl berühmtesten Wiener Barockoper vgl. u. a. Andrea Sommer-Mathis: Feste am Wiener Hof unter der Regierung von Kaiser Leopold I. und seiner ersten Frau Margarita Teresa (1666–1673), in: Arte Barroco e ideal clásico. Aspectos del arte cortesano e la segunda mitad del siglo XVII, hg. v. Fernando Checa Cremades, Madrid 2004, S. 231–256, hier S. 240 ff. 235 Die Birnensorte Andenken an Leopold befindet sich im Jahrgang 1876 der Pomologischen Monatshefte.

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den.236 Bei der Frucht, die „Andenken an Leopold I.“ genannt wurde, handelt es sich allerdings um eine Birne (Abb. 30).

6.3.6 Religion Ein Thema, das in Fassmanns Journal immer wieder und in verschiedenen Zusammenhängen behandelt wurde, war das der Religion. Obwohl auch das Judentum oder der Hinduismus in verschiedenen Totengesprächen thematisiert wurden, konzentrierte sich das frühaufklärerische Journal meist auf die christliche und – weniger häufig – auf die islamische Religion. In seinen Gesprächen ging Fassmann wiederholt auf schwelende Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken oder – vergleichsweise unverblümt – auch auf die ‚Verfehlungen‘ der katholischen Kirche ein, die für ihn etwa in deren fehlenden Toleranz und in der Pflege eines ‚irrationalen‘ Aberglaubens und schwer nachvollziehbarer Dogmen bestanden. Zahlreiche Totengespräche spotteten nur wenig verbrämt über den als typisch katholisch gebrandmarkten Wunderglauben und die damit einhergehenden abergläubischen Rituale. Neben aller ernstgemeinten Kritik an den Praktiken europäischer Katholiken diente die Wiedergabe der Anekdoten zu Hexen, Wundern oder anderen fabelhaften Ereignissen v. a. auch dazu, die (protestantischen) Leser zu unterhalten. Mit Hilfe der Lebensläufe fremder Figuren illustrierte Fassmann wiederum Konflikte, die über den rein europäischen Kontext hinausgingen bzw. innere Konflikte mittels einer konstruiert fremden Perspektive beleuchteten. Religiöse Themen machten einen großen Teil der Gespräche aus, in denen mindestens eine Figur dem islamischen Glauben angehörte. Durch die erwartete Differenz zum Eigenen traten Aspekte in den Vordergrund, die in anderen Dialogen keine oder zumindest eine kleinere Rolle spielten. Fassmann ist in seinem Journal noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem der Orient, dessen Herrscher und die unterschiedlichen Religionen ‚des Orients‘ zum durch und durch fremdartig-attraktiven Exoticum geworden sind; da er und seine Zeitgenossen nicht sicher sein konnten, ob der Orient in Gestalt der expansionswilligen Osmanen sich nicht wieder zu einem Großangriff auf das christliche Abendland rüstete, schwang in aller Beschäftigung mit dem Morgenland ein Moment der ängstlichen Distanziertheit mit. Fassmanns vorsichtige Abwehrhaltung gegenüber dem Fremden, wenn dieses sich als allzu fremd und barbarisch zeigte, äußerte

236 Die Monatschrift für Pomologie und praktischen Obstbau erschien zwischen 1855 und 1864 in Stuttgart, wurde fortgesetzt als llustrierte Monatshefte für Obst- und Weinbau (Ravensburg 1866–74) und dann als Pomologische Monatshefte wiederum in Stuttgart ab 1875 weitergeführt.

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Abb. 31: David Schuster: Mahomets und Türcken Grewel, Ausschnitt des Titelblatts, Frankfurt 1664.

sich etwa in der Art, in der Mohammed dargestellt wurde. Dessen Präsentation war im Gegensatz zu später erscheinenden Organen und Traktaten deutlich von der Überzeugung beeinflußt, nach welcher der Gründer der islamischen Religion ein Scharlatan und dessen ‚Erleuchtung‘ vorgetäuscht sei. Der von Fassmann fast durchgängig als „Lügenprophet“ bezeichnete Mohammed wurde vom Westen seit dem Mittelalter entweder ignoriert, stereotyp als lasterhaft, verlogen, ungebildet, liederlich und gefährlich dargestellt, oder im Unterschied dazu in der Aufklärung – und dafür mag beispielhaft Voltaire stehen – als positiv besetzte Figur gezeichnet, mit deren Hilfe man vor allem religiöse Gegner im eigenen Land kritisierte. In seinem fünf Bände umfassenden Werk Mahomets und Türcken Greuel sprach David Schuster stellvertretend das aus, was zu dieser Zeit durchaus als common sense in Bezug auf den Religionsstifter aus dem Orient galt. In einem Abschnitt fragt der Autor nach dem Wesen Mohammeds und dessen Wirken und bemerkt dazu: Dann wer war Mahomet? ein Venus=Diener und Abgötter; ein Prophet Gottes wie ein Lauß ein Brieff=Trager / wie ein Schneck ein Postreuter; an dem nicht ein Härlein eines Propheten war; ein Flucher / Zauberer und Durchächter Christlichen Glaubens und der hochwürdigen Sakramenten / ein Sabbath=Schänder / ein Haupt aller Sünd / ein Fürst aller Laster / ein Vatter aller Bösen / etc. wie jhne Barletius237 nennt / in seinem Scanderbeg, m.p. 276.b. Ein

237 Gemeint ist Marin Barleti [Marinus Barletius] (1450–1519), dessen Skanderbeg-Biographie 1506 zuerst auf lateinisch und 1533 auf deutsch erschien. Die Titel lauteten: Historia de vita et

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Rebell wider seinen Ordenlichen [sic] HErrn / den Käyser Heraclium / ein unersättlicher Todtschläger unnd Mörder / aller Huren=Jäger Wirth/ ein Land= und Welt=Dieb / etc. mit einem Wort: ein umbkehrtes Zehen Gebott! 238

Eine wichtige Rolle in der Vermittlung von Kenntnissen und Meinungen über Mohammed spielte neben der Chronographia des Theophanes [ca. 813 n. Chr.], die durch Anastasius Bibliothecarius über Byzanz langsam in den Westen vorgedrungen war, vor allem das islamisch beherrschte Spanien mit dessen Zentrum Cordoba.239 Sowohl die christlichen Exilanten aus dem Orient als auch die Muslimen aus Byzanz versorgten den Westen mit schriftlichen Quellen zum Leben des Religionsstifters. Parallel zu dem sich langsam entwickelnden Interesse an Mohammeds Person wurden erste Übersetzungen des Korans in Umlauf gebracht – allerdings meist unter dem Deckmantel der Islamkritik; ein reines Interesse am Koran ‚an sich‘ war noch nicht gestattet. In eigenständigen literarischen Zeugnissen erschien Mohammed als Figur zuerst in französischen Chansons de geste, darüber hinaus auch im Rolandslied [um 1100],240 in dem vor allem das Bild des falschen Propheten, Häretikers und ‚Götzen‘ propagiert wurde, und so die erste Phase der Beschäftigung des Westens mit Mohammed einläutete. Sowohl im Willehalm des Wolfram von Eschenbach [um 1215] als auch im Rennewart des Ulrich von Türheim [um 1245] tauchte Mohammed als Figur auf, wobei besonders der erstgenannte Willehalm ein vergleichsweise positives Bild der orientalischen Religion zeichnete. In der Tradition der Chansons de geste trat mit beiden Versepen ein Thema in den Vordergrund, das in den nachfolgenden Jahrhunderten immer wieder in verschiedenen Ausformungen Eingang in die europäische Literatur fand: Der in der Literatur heraufbeschworene Kampf zwischen Westen und Osten war vor allem durch das Bewußtsein geprägt, die eigene (religiöse) Überlegenheit und die unbedingte Notwendigkeit für einen ‚gerechten Krieg‘ demonstrieren zu müssen. Bereits in dieser frühen Phase lassen sich die Anstrengungen des Westens erkennen, in seinen literarischen Zeugnissen eine pointierte Antithetik auszubilden: Der gute christliche Okzident soll über den bösen muslimischen Orient triumphieren – notfalls auch entgegen den realen Machtverhältnis-

gestis Scanderbegi Epirotarum principis [Rom 1506–10] und Des aller streytparsten und theuresten Fürsten und Herrn Georgen Castrioten genannt Scanderbeg [Augsburg 1533]. 238 Schuster, Mahomets und Türcken Greuel, S. 44. 239 Vgl. dazu und im Nachfolgenden den Artikel von Diethelm Balke: „Orient und orientalische Literaturen“, Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, S. 816–869. 240 Carl Wesle (Hg.): Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, Tübingen 31985, V. 806, 921 u. 1037. Der Name erscheint dort als Mahumet, Mahmet oder Machmet.

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sen.241 Die heute oft beschriebene kulturelle Überlegenheit des fremden Orients in den Bereichen Architektur, Medizin, Geschichtswissenschaft etc. fand hingegen wenig bis gar keine Erwähnung in westlichen Quellen, was allerdings aufgrund der allgemeinen politischen Situation nicht weiter überraschen muß. Eine Überschneidung von Fremdem mit dem Anderen bzw. die sich daraus ergebenden (mehr oder weniger bewußt intendierten) Interferenzen werden besonders dann augenfällig, wenn Fassmann religiöse Themen behandelt. Wie bereits weiter oben erwähnt, diente ihm die Darstellung islamischer, d. h. fremder Glaubensgrundsätze häufig dazu, die Zustände zu kritisieren, die innerhalb der eigenen, also christlich geprägten Gesellschaft herrschten. Doch auch wenn die Kritik etwa an den Dogmen der Katholiken nicht unbedingt im Vordergrund stand, konnten bereits bekannte Elemente der christlichen Glaubenstradition dabei helfen, das Fremde am Islam begreif- und erfahrbar zu machen. Ohne die Fremdheit gänzlich auflösen zu wollen und damit das Attraktionspotential des Nicht-Vertrauten aufs Spiel zu setzen, sucht Fassmann Analogien und bekannte Strukturen im Unbekannten. So wird etwa in der Begegnung zwischen dem indischen Groß-Mogul Shah Jahan und dem türkischen Groß-Wesir Ibrahim die so genannte Standarte des Propheten (Sancak-i Serif) zu einem Beispiel sowohl für die religiöse Differenz zwischen dem Christentum und dem Islam, für die protestantische Skepsis gegenüber dem katholischen Reliquienkult als auch für die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam. Während der Rebellion, die in Konstantinopel im Jahre 1730 wütete und in deren Folge der im Dialog porträtierte Ibrahim starb, wurde dem aufgebrachten Mob, der durch die Straßen zog, gleichsam als letztes Mittel zur Besänftigung die Standarte Mahommeds präsentiert, unter der dieser der Überlieferung nach Mekka erobert hatte. Von grüner Farbe und mit goldenen Koran-Stickereien bedeckt, wurde das verehrte Objekt von einem Sultan auf den nächsten vererbt und dabei stets im weltlichen ‚Allerheiligsten‘ des amtierenden Herrschers verwahrt, im Serail.242 Dort war es durch die Abgeschiedenheit und die durchgängige Bewachung durch bewaffnete Eunuchen geschützt und diente dem Poten-

241 Eine radikale Neubewertung der angenommenen Antithetik ‚gutes‘, friedliebendes Europa versus ‚böses‘, kriegstreiberisches Osmanisches Reich nimmt Daniel Goffman vor. Vgl. dazu ders.: The Ottoman Empire And Early Modern Europe, Cambridge 2002. 242 Ab dem Jahre 1595 wurde das Banner zusammen mit anderen heiligen Gegenständen im Topkapi-Palast aufbewahrt. Es kam vor allem bei kriegerischen Auseinandersetzungen wie bei der Belagerung Egers 1596 zum Einsatz und wurde im Anschluß an den Sieg der Ottomanen zum Symbol orientalischer Macht und der militärischen Überlegenheit über die europäischen Truppen.

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taten vor allem dazu, seine weltliche wie religiöse Macht sichtbar zu machen. Das Banner disziplinierte die aufständischen Massen, denn seine Enthüllung zwang alle kampffähigen Moslems zu den Waffen; ihm wurde von den Gläubigen eine gleichsam magische Aura zugeschrieben, wofür der nüchterne Protestant Fassmann naturgemäß kein Verständnis aufbringen konnte. Welchen Stellenwert die Standarte westlichem Verständnis nach für Muslime besaß, macht eine Passage aus den Mémoirs historiques, politiques et géographiques des voyages de Comte de Ferrières-Sauveboeuf [1790] deutlich, in der dieses Objekt wie folgt beschrieben wird: Ce drapeau est le Palladium des Ottomans. Ils croyent que c’est celui de Mahomet, sanctifié par ce Prophète, lorsqu’il eut imprimé au milieu sa main noircie d’encre; il est vert & parsemé de sentences du Koran, tracées en broderie d’or autour de cette marque si revérée; aussi fanatiques & autant religieux que les Troyens, les Turcs croyent que le salut de leur Empire dépend de la possession de cette relique. Mais on prétend que la vrai drapeau de Mahomet n’existe plus, & que la politique de Sultans & des Muphtis en a substitué un autre qui a le même avantage d’imposer l’obéissance dans les révoltes lorsqu’il est arboré à la porte du Seraïl, & une religieuse valeur quand il est déployé au milieu de l’armée.243

Weil eine Verwendung des Originals zu gefährlich war, wurde in Kämpfen – besonders wenn europäische Giauren beteiligt waren – also eine Kopie der Standarte verwendet. Fassmann wiederum erwähnt die heilige Fahne an mehreren Stellen, bevor er Ibrahim am Ende des Dialogs genauer auf die Bedeutung der Reliquie eingehen läßt. Während des Patrona-Halil-Aufstandes in Konstantinopel beschließt der neu inthronisierte Sultan Mahmud I. [1696– 1754], die aufständischen Janitscharen mit dem Anblick der Standarte zum Gehorsam zu zwingen. Im Dialog heißt es hierzu: Wie die Rebellion gestillet war, wurden etliche hundert Janitscharen stranguliret und ins Wasser geschmissen; die übrigen aber / so zu Constantinopel gelegen / abgedancket / und auff die äußersten Gräntzen des Türckischen Reichs relegiret. Was es im Übrigen mit der Standarte des Mahommeths vor eine Bewandtniß habe? das wird Euch / Großer Kayser! sonder allem Zweiffel schon bekannt seyn. Doch es mit wenig Worten zu sagen / so prætendiren die Türcken / daß die Standarte dem Mahometh vom Himmel seye geschicket worden / weshalb sie dieselbe vor ein großes Heiligthum halten. Der Mogol Haben doch die Christen dergleichen Fahnen auch gehabt/ welche vom Himmel sollen herab gefallen seyn. In Dänemarck war eine solche Fahne / die Danebroge geheissen / und ihr zu Ehren ist der berühmte Ritter=Orden / eben dieses Namens / gestifftet worden. Sie solle seyn vom Himmel gefallen / als der Dänische König Waldemarus II. welcher von An. 1203

243 Louis-François Comte de Ferrières-Sauvebeouf, Mémoirs, S. 163.

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biß 1242 regieret / einen Zug wieder die Heyden in Liefland gethan. Sie hat ein weißes Creutz gehabt / ::::244

Fassmann läßt an dieser Stelle europäische und orientalische Mythen aufeinandertreffen: Der indische Groß-Mogul betont, daß die Christen so wie die muslimischen Osmanen „prætendiren“, d. h. sie erfinden eine gleichsam mythische Herkunft für Objekte, denen deswegen sowohl religiöse als auch politische Macht zugeschrieben wurde. Shah Jahan spielt auf die Legende an, nach welcher der dänische König Waldemar II. in der Schlacht von Lyndanisse am 15. Juni 1219 gegen die Esten kämpfte. In dem Augenblick, als die Dänen den Kampf schon verloren glaubten, sei – so die Überlieferung – der Dannebrog, eine rote Fahne mit weißem Kreuz, vom Himmel gefallen und habe den Gegner vernichtet.245 Der Dialog zwischen dem indischen Groß-Mogul Shah Jahan und dem türkischen Groß-Wesir Nevsehrlirli Damat Ibrahim Pascha bot Fassmann nicht nur eine gute Gelegenheit, mittels verschiedener Objekte auf einige Unterschiede zwischen der christlichen und der islamischen Religion, sondern auch auf die Spezifika verschiedener muslimischer Sekten im osmanischen sowie im indischen Mogul-Reich einzugehen. Auf die Gretchen-Frage, die Ibrahim seinem indischen Gesprächspartner zu Beginn dieses Gesprächsabschnitts stellt, antwortet Shah Jahan mit einer kurzen Unterscheidung der indischen und türkischen Auslegung des Korans. Während der indische Groß-Mogul seinem Gesprächspartner mitteilt, daß der „Mogolische Hof [...] der Lehre des Mahomets“ anhinge, „so, wie sie der Abubecker erklärt“,246 offenbart Ibrahim seinem Gegenüber zu dessen nicht geringer Verwunderung, daß er selbst keineswegs der islamischen Religion angehört habe. Auf die (nicht unberechtigte) Annahme Shah Jahans, daß Ibrahim Moslem gewesen sein müsse, entgegnet dieser: Der Groß=Vezier Ihr rechnet mich also auch mit unter die Mohamethaner; woraus ich schliesse, daß Ihr, Grosser Kayser! von meiner Religion gar noch nicht recht berichtet seyd. Der Mogol Wie solle ich das verstehen? Ihr seyd Groß=Vezier bey der Ottomannischen Pforte, oder im Türckischen Reiche gewesen, und wollet doch nicht unter die Mahomethaner gerechnet seyn? das ist recht seltsam zu hören.

244 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 228, Leipzig 1737, S. 199 f. 245 Zum Kampf der Dänen gegen die Esten und der Legende um den Dannebrog vgl. etwa Ludvig Holberg: Dänische | Reichs=Historie | ins Deutsche übersetzt. | [...] | Flensburg und Leipzig 11743–44, 1. Teil, S. 107 u. 280. 246 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 165 f.

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Der Groß=Vezier Es seye so seltsam zu hören, als es immer wolle; so bin ich dennoch kein Mahomethaner oder rechter Türck zu nennen. Ich bin, meiner Geburt nach, ein Armenianischer Christ. Ob ich nun gleich mich dermassen zu verstellen gewust, daß man mich vor einen wircklichen Mahomethaner gehalten, weil ich alles äusserliche Wesen der Mahomethanischen Religion, samt allen ihren Gebräuchen, mitgemachet und auf das strengste observiret; so habe ich mich dennoch niemals beschneiden lassen.247 Der Mogol Ihr seyd also in euerm Herzen allezeit ein heimlicher Christ geblieben?248

Auf diese Frage entgegnet der ehemalige Groß-Wesir, daß er sich im Grunde selten mit Religionsdingen auseinandergesetzt habe. Er wäre zwar von der Existenz eines einzigen Gottes überzeugt, jedoch kein streng gläubiger Christ gewesen – davon hätten ihn schon seine vielen politischen Pflichten als GroßWesir abgehalten. Fassmann läßt Ibrahim gestehen, daß es neben allen täglichen Amts- und Kriegsgeschäften allein der Gedanke an Christus vermocht habe, ihn innerlich zu bewegen. Durch ihn, so Ibrahim, unterscheide sich die christliche von allen anderen Religionen und biete ihren Anhängern etwas, was weder der Islam noch das Judentum noch alle anderen heidnischen Sekten leisten könnten: Trost zu spenden, wenn es um den eigenen Tod ginge. Um diese These zu untermauern, läßt Fassmann Ibrahim eine Art Gebet sprechen, in dem er vor allem den Erlösungsgedanken des christlichen Glaubens betont:

247 Bemerkenswerterweise wird der Widerstand bzw. der Mißerfolg der Islamisierung Ibrahims an seiner physischen Unversehrtheit festgemacht. Der Intaktheit seines Körpers, die hier vor allem durch den Schutz seiner Männlichkeit markiert wird, entspricht auf der Textebene die Unberührtheit seiner christlichen Seele. Fassmann geht an dieser Stelle nicht weiter auf die in der Tat schwierige Position von Christen in Machtpositionen muslimisch geprägter Gesellschaften ein. Der Scharia gemäß durfte kein Moslem einem Christen untertan sein; ein christlicher Groß-Wesir war deswegen per Koranauslegung verboten – darum der Zwang zur Heimlichkeit. Ironischerweise war der historische Ibrahim Pascha zu Beginn seiner politischen Laufbahn der Oberaufseher aller beschnittenen Eunuchen. An anderer Stelle werden bei Fassmann durchaus Phänomene wie die Knabenlese oder die Konversion zum Islam thematisiert, wobei auch hier, wiederum nicht untypisch für Fassmanns Zeit, vor allem der Aspekt der Zwangsislamisierung hervorgehoben wird, während ähnliche Anekdoten, die von gefangenen und zwangschristianisierten Moslems handeln, weniger drastisch geschildert und seltener erwähnt werden. Es ist jedoch anzumerken, daß Fassmann im Geiste der Frühaufklärung durchaus bemüht ist, Fairness walten zu lassen, wenn es um den Aspekt der Religionsfreiheit geht. So zollt der gefangene Exilant Sultan Djem den Europäern seinen Respekt, die ihn trotz aller Christianisierungsversuche schließlich in seinem Glauben belassen hätten. Vgl. Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 92, Leipzig 1725, S. 926 f. 248 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 163.

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Denn diesen Trost, welchen die Christen in ihrem Glauben an Christum als ihren Erlöser finden, wann es zum Abscheiden von dieser Welt kommet, schmecket sonst keine Religion in der Welt; und es ist ein vor allemal gewiß, daß ein Christ weit getroster und muthiger sterben kan, als ein Mahometaner, Juden und Heyden. Da heißt es: Was mir feh l et und gebric h t, das er setz est du, ô m ei n Heyl a nd, Er lö s er u nd S e l igmac h er! durc h dein L eiden, St er b en, dur c h dei ne Ger ec h ti gk eit un d d ein Verdienst. B ekl eide du mic h mit dem w ei ßen Kl ei de dei ner U ns chu ld ! auch m it dem Prac h t=S c h muc k und dem E h r en=Kl ei d dei ner Ger ec h t ig k e it un d d e ines Verdienstes! Mac he al l es gu t v or m i c h b ey dei nem h i m m l i s che n Vat er , a uf daß ic h bestehen könne! L a ße m i c h ei n T r öp f f l ei n v on d ein em To d t e s =S c h w eiß erquic ken, und w asc h e m i c h ga ntz r ei n m i t dei nem alle r heilig s t en B l ute! N un ô Herr Jesu! D ir l eb i c h , di r ster b i c h , dei n b i n i c h t o d t u nd le be n dig! In deine Hände, ô Herr Jesu! b ef eh l i c h m ei nen Gei st! [...] Saget mir, Grosser Kayser! ob sonst jemand auf Erden, der kein Christ, einen Trost, von diesem Gewichte, mit sich von der Welt nehmen kan?249

Fassmann hob diesen Abschnitt typographisch von den vorangegangenen und nachfolgenden Passagen ab und markierte so dessen besonderen Stellenwert. Ibrahim, der sich zuvor als einen eher zögerlichen (und noch dazu heimlichen) Christen beschrieben hatte, demonstriert an dieser Stelle seinem muslimischen Gesprächspartner – und somit den Lesern –, welche Vorteile der christliche Glaube gegenüber anderen Religionen seinen Anhängern bot. Im entscheidenden Augenblick vermag das Christentum Ibrahims Auffassung nach seinen Gläubigen Trost und Erlösung zu schenken, wohingegen der Rest der Welt weniger gestärkt dem Tod entgegen gehen müsse. Christen seien im Sterben „getroster und muthiger“, so seine Behauptung, weil sie durch das Beispiel Christi zur Erlösung befähigt worden seien. Wenige Seiten später zeigt Fassmann, wie fremd dem Europäer dagegen der muslimische Umgang mit Sterben, Tod und Erlösung erscheinen mußte. Fremd heißt in diesem Fall vor allem schlechter; die Sitten, die Fassmann an dieser Stelle durch die Figur des Moguls schildert, werden zwar nicht explizit verurteilt, doch legen Inhalt, Wortwahl und eingestreute Gesprächspartikel dieses Urteil nicht nur nahe, sondern erzwingen es geradezu. Im weiteren Verlauf des Dialogs erklärt Shah Jahan verschiedene Sterbezeremonien und Beerdigungsriten der „Hassanisten“. Die persischen und indischen Anhänger Has-

249 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 164. Auffällig an dieser Stelle ist u. a., wie Kleidung und Farbe den Erlösungsgedanken unterstützen. Das „weiße Kleid“ wird zum Symbol der Unschuld und mit dem Todesschweiß und dem Blut Christi gleichsam imprägniert. Im Gegensatz dazu vgl. das wörtlich zu verstehende, ebenfalls weiße Totenhemd, das den muslimischen Toten nach ihrem Ableben angelegt und über das die profane Alltagskleidung wieder gezogen würde.

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sans, eines Sohns von Fatima und Enkels von Mohammed, zeichneten sich unter anderem durch ihre besonderen Bestattungsriten aus: Der Mogol Bey dem Todt und Begräbniß derer Hassanisten werden ebenfalls solche Dinge vorgenommen, die andere Mahometaner meistentheils unterlassen. Wann i. E. eines von ihnen stirbet, so fangen die nechst=verwandten Weiber ein sehr klägliches Geschrey an, rauffen das Haar aus dem Kopff, und ruffen: Ach! warum bist du gestorben? und was, oder wer, ist die Ursache deines Todtes? Dieses Jammer=Geschrey vermehren die herzukommenden Nachbarn, und es muß sechs Stunden lang dauern, binnen welcher Zeit auch denen Todten Essen fürgesetzet wird. Darauf wird die Leiche, wo es eine Manns=Person, von drey oder vier Manns= Personen, zum Wasser getragen, und nackend hinein geleget, gewaschen, die Nägel an Händen und Füßen abgeschnitten, die Haare vom Kopff und andern Orten abgeschoren, und der Bart geputzet. Ists eine Frauens=Person, so wird sie von Weibern eben so angegriffen und gereiniget, nur das Haar aufm Kopff ausgenommen, das ihr nicht abgeschoren wird. Alsdann wird der Leiche ein reines Hemd angezogen, und die gewöhnlichen Kleider wieder angethan. Man leget dieselbe in eine offene Kiste, und sie wird auf einer Bahre von vier Männern zu Grabe getragen, welches gemeiniglich ausser der Stadt=Mauer. Vornehme Leute haben in ihrem Kraut= oder Lust=Gärten gewölbte Begräbnisse, in die sie sich setzen lassen. Gleich hinter der Leiche gehen zwey Molla oder Pfaffen, welche singen biß zum Grabe. Denen Molla folgen die nechsten Freunde, Verwandte und Nachbarn. Der Vater, Mutter, Sohn, Tochter, oder welche sonst denen Pfaffen am nähesten gehen, winden die Hände und schreyen überlaut. Da heisset es unter anderem: Ach mein Weib! mein Sohn! meine Tochter! mein Bruder! mein Vater! mein Mann! etc. warum bist du gestorben? Warum verlässest du mich hier in so großer Betrübnis? Heu! Heu! Ach ich wolte gerne für dich gestorben seyn, wann es unserm Peigamber, unserm Propheten Hassan also, gefallen hätte! Ach könntest du mir noch zuletzt noch ein eintziges Wort zusprechen, so solte sich mein Hertze zufrieden geben.250

An dieser Stelle verschiebt sich im Vergleich zur vorher angeführten christlichen Verhaltensweise die Perspektive: Nicht mehr der Gläubige selbst beschäftigt sich hier auf geeignete Weise mit seinem eigenen Sterben, sondern Dritte. Der kontemplativ-innige Trost und das Motiv der christlichen Selbstüberwindung scheinen ersetzt durch das laute, betont extrovertierte Klagegeschrei von Freunden und Verwandten des Toten. Die Lamentatio richtet sich hier nicht mehr an Gott, sondern an die verstorbene Person selbst, was den Egoismus der so Handelnden und deren Distanz zur Innerlichkeit des christlichen Glaubens noch einmal deutlich markiert. An beiden Stellen versucht Fassmann Unmittelbarkeit und Authentizität herzustellen; zum einen durch die Verwendung imperativischer Formen und anklagender Fragen („Bekleide mich [...] Mache alles gut [...] wasche mich“, im Vergleich zu „Warum bist du gestorben [...] warum

250 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 167 f.

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verlässest du mich hier“ 251) sowie durch bestimmte Gesprächspartikel („ô Jesu“ im ersten, „Heu! Heu!“ im zweiten Fall). Die unterschiedliche Sprechersituation und die verschiedenen Adressaten der zitierten Passagen machen jedoch deutlich, welcher Haltung die Sympathien des Lesers gelten sollten: Die gefaßt-kontemplative Vorbereitung auf den eigenen Tod des heimlichen Christen, der sein Dasein unter lauter feindlich gesonnenen Moslems fristen mußte, wirkte durch die Gegenüberstellung mit dem aufgeregt-emotionalen Wehgeschrei und den fremden Ritualen der hassanitischen Gläubigen um so gefaßter und bewundernswerter. Fassmanns ethnographisches Interesse an orientalischen Sitten und Religionen läßt ihn im Anschluß an die Beerdigungsriten auch die mohammedanische Heiligenverehrung näher beleuchten. Die Schilderungen von spezifischen Eigenarten, Wunderglauben und Ritualen der Moslems dienen jedoch neben der reinen Informationsvermittlung auch dazu, dem europäischen Leser die Parallelen zum christlichen, und vor allem zum katholischen Glauben aufzuzeigen. So vermochte Fassmann ein weiteres Mal durch die Darstellung des Fremden das Andere in der eigenen Gesellschaft zu kritisieren. Ibrahim, der als Christ Shah Jahans Schilderung indischer Heiligenverehrung und der Wundergeschichten lauscht, kommt zu dem Schluß: Ja, ja, man hat bey denen Mohammethanern gar eine feine Anzahl von Heiligen, die solche Wunder=Wercke gethan haben sollen, daß man, ob deren Erzehlung, billig erstaunen muß. Indessen muß man sich auch darüber wundern, wie dergleichen Dinge erdichtet und ersonnen, hernach aber vor Wahrheiten, ja fast vor Glaubens=Artickel ausgegeben werden können. Zum wenigsten müssen die Ersten, welche die Lügen erdacht, eine gantz sonderbare Courage gehabt haben, sie auszubreiten; oder, besser zu sagen, sie müssen seyn von einem gewaltigen unverschämten Wesen beherrschet worden, daß sie sich erkühnen mögen, solche Dinge vor Wahrheiten auszugeben. Im übrigen aber scheint es, daß die Türcken bessere Mahomethaner sind, als diejenigen, welche in denen Mogolischen Landen wohnen. Sie halten ihre Moscheen heiliger, als die Indianischen Mahomethaner ihre Mestziden [sic]. Auch observiren sie die Gesetze des Alcorans weit strenger, als in Indien geschiehet, und halten verschiedene recht ausgelassene Freyheiten vor Sünde, welcher sich die Indianischen Mahomethaner ohngestrafft, und ohne alles Bedencken bedienen.252

251 Es steht zu vermuten, daß Fassmann hier die Anspielung auf die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, Mk 15, 34) ganz bewußt abwandelt, um den Kontrast zwischen den beiden Haltungen noch zu betonen: Wo Jesus der christlichen Überlieferung gemäß während seines Sterbens mit seinem Gott hadert, sich aber schließlich in sein Schicksal ergibt, klagen hier die hassanitischen Familienmitglieder über den persönlichen Verlust eines Angehörigen, der sie in Hilflosigkeit und Elend zurücklasse. Sie weinen also eher aus persönlichen als aus religiösen Gründen. 252 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 171 f.

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Die Türken können hier, wenn man die Hinweise auf die Übertragbarkeit der Verhältnisse einmal ernst nimmt, als die ‚Protestanten‘ unter den Moslems verstanden werden. Nicht nur seien diese weitaus bescheidener, skeptischer und vorsichtiger, wenn es um die Erdichtung von Wundergeschichten ginge, sie hielten sich vor allem auch weitaus strenger an die Vorschriften ihrer Heiligen Schrift. Besonders hebt Ibrahim die „Courage“ bzw. das „unverschämte Wesen“ derjenigen hervor, die in der Vergangenheit Wundergeschichten erfanden und den Gläubigen als „Wahrheiten“ verkauften. Dies spielt deutlich auf die Praxis der Katholiken an, besondere Ereignisse aus der (Religions)Geschichte als Wunder zu deklarieren und für nachfolgende Zeiten zu kanonisieren – die zitierten „Glaubens=Artickel“ legen diesen Schluß nahe. Der von oben verordnete Zwang, „erdichtete“ Geschichten für bare Münze nehmen zu müssen, wird hier als besonders lächerlich gebrandmarkt; dagegen lobt Fassmann durch den Mund Ibrahims vor allem die Weigerung der Türken (Protestanten), zahlreiche „ausgelassene Freyheiten“ zu ignorieren, welche die Inder (Katholiken) im Gegensatz dazu im Übermaß und vor allem ohne schlechtes Gewissen genössen.253 An dieser Stelle wird deutlich, daß Fassmann mit einigen seiner Figuren sowohl auf das Fremde als auch auf das Andere eingehen konnte, ohne dies explizit offenlegen zu müssen. Indem er genau diejenigen Aspekte an fremden Ritualen und Praktiken kritisiert, die er auch in der Darstellung des Anderen verurteilte, ermöglichte er seinen Lesern, beide Größen miteinander in Beziehung zu setzen. In der differenzierenden Darstellung unterschiedlicher Glaubensrichtungen zeigt sich zum einen das durchaus ernstzunehmende ethnographische Interesse am Fremden und zum anderen, wie selbstbezogen der Blick auf ‚die Fremde‘ naturgemäß war. Letztere war nur erklärbar, wenn man sie mit Dingen verglich, die einem bereits vertraut und bekannt waren. Nur durch den (kritischen) Vergleich mit dem Eigenen vermochte Fassmann seinen Lesern Neuigkeiten aus der Fremde näherzubringen und diese – als eine der wichtigsten Errungenschaften seiner Zeit – zu kommentieren und in verschiedene europäische Diskurse einzuschreiben.

6.3.7 Mord und Totschlag Fassmann schildert in seinen Totengesprächen nicht nur das Leben, sondern eben auch das Sterben seiner Figuren mit großer Ausführlichkeit. Auf der Ebe253 Die Gleichsetzung von Türken mit Protestanten sowie von Indern mit Katholiken läßt sich jedoch weder auf den Rest der Begegnung noch auf alle anderen Totengespräche übertragen. Fassmann setzte, so der Eindruck, den man durch die Analyse der Gespräche gewinnt, solche

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ne der Dialoge wird der Umstand, daß auch das (teilweise gewaltsame) Ableben eines oder beider Dialogpartner thematisiert wird, gleichsam innerliterarisch gerechtfertigt; zu den Regeln der Textsorte gehörte seit Lukian, die genaueren Todesumstände einer Figur zu erwähnen. In Anlehnung an spezifisch christliche Gattungen wie die protestantische Leichenpredigt wurde es in der Frühen Neuzeit geradezu obligat, auch das gute christliche Verhalten eines Menschen in seiner Todesstunde zu loben. Fassmanns Dialoge verlangten darüber hinaus aufgrund ihrer besonderen Absichten und länderübergreifenden Konstellationen danach, Leben und Sterben einer Figur gemäß neuen Parametern darzustellen. Der spezifisch dialektische Charakter der Dialoge führte dazu, daß eben nicht nur ‚gute‘ christliche und im weitesten Sinne ‚normale‘ Sterbeszenen geschildert wurden, sondern auch das davon Abweichende, Andere und Gewaltsame. Mord und Totschlag sind meist, so die Erkenntnis der Figuren nach ihrer Ankunft in der Unterwelt, die logische Konsequenz aus einem lasterhaft geführten Leben. Die Schlußfolgerung, daß unsittliches bzw. unchristliches Verhalten nach einer Art göttlichen Gerechtigkeit auch zu einem jämmerlichen oder gewaltsamen Ableben führen konnte, galt in besonderem Maße für die Orientalen. Zum Zweck der leichteren Bewertung bildete Fassmann gleichsam typische Todesarten aus, nach denen Europäer wie Orientalen beurteilt wurden. Folgende vier Fälle treten in Varianten in den Totengesprächen zu Tage: Fall 1: der gute und fromme Mensch, der aufgrund seiner Vorbildlichkeit auch mit einem entsprechenden Lebensende belohnt wird. Fall 2: der an sich gute und fromme Mensch, der aber wegen unglücklicher Umstände oder fehlender politischer Weitsicht ein unrühmliches oder gewaltsames Ende findet. Fall 3: der lasterhafte Mensch und schlechte Herrscher, der aufgrund seiner vielen Schandtaten einen ‚gerechten‘, d. h. qualvollen oder gewaltsamen Tod stirbt. Fall 4: der schlechte Mensch und ungerechte Herrscher, der trotz seiner Verfehlungen eines sanften und natürlichen Todes stirbt.254 Weder Europäer noch Orientalen hatten gemäß barocken Vorstellungen von der wankelmütigen Göttin Fortuna großen Einfluß auf ihr Schicksal und jewei-

interkulturellen Vergleiche bzw. Gleichsetzungen zwischen dem Fremden und dem Anderen immer dann bewußt ein, wenn er eine gute Gelegenheit sah, zwei Aspekte zu kritisieren, die sich gut mit innereuropäischen Verhältnissen vergleichen ließen oder zum entsprechenden Zeitpunkt gerade aktuell waren. 254 Im letzten Fall blieb der Nachwelt nur die Hoffnung auf ausgleichende ‚himmlische‘ Gerechtigkeit.

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liges Lebensende – von der allgegenwärtigen Forderung nach einem guten Lebenswandel einmal abgesehen, der jedoch auch kein Garant für ein sanftes Ableben war. Louis XI., Gesprächspartner des türkischen Sultans Djem, kommt deswegen zu dem Schluß: Das Glücke heisset zwar Fortuna, und ist Generis Fœminini. Allein dieses capricieuse Weibsbild siehet nicht allemal auf die Schönheit eines Mannes, und noch vielweniger auf die Tugend, sondern wirft sich öfters denen häßlichsten Gesichtern und schändlichsten Gemüthern in die Arme, worgegen es denen schönsten und Tugendhafftesten den blossen Hintersten zu zeigen pfleget.255

Europäer und Orientalen erscheinen im Hinblick auf die wankelmütige und ungerecht ihre Gaben ausschüttende Fortuna als gleichberechtigt bzw. gleich benachteiligt. Anders als die Bewohner des Okzidents mußten die Orientalen ihr Dasein jedoch in einem Klima fristen, in dem Gewalt gegenüber Dritten gemäß zeitgenössischen westlichen Vorstellungen als ‚normal‘ galt und gesellschaftlich nicht besonders verpönt war. Ein Menschenleben, so lautete die wenig verbrämte Botschaft, zählte im Orient wenig. So nennt etwa Happels Thesaurus exoticorum im so betitelten Abschnitt verschiedene „Laster der Türcken“ und führt darunter auch die ‚typische‘ Gewohnheit der Türken auf, ihre Widersacher vergiften zu lassen. Der Thesaurus konstatiert deswegen: In solchen Landen ist man für dem Teuffel sicherer / als für Menschen. Wolte GOtt / daß nicht in Christlichen Provintzen auch solche Bubenstücke practiciret würden.256

Der Orient dient hier wie auch in vielen anderen frühaufklärerischen Quellen als abschreckendes Beispiel und als Warnung an den Westen, nicht ebenso barbarisch zu handeln. Die unzähligen Gewaltverbrechen, Todesurteile und die allgemein herrschende Brutalität sind, so der Schluß, den viele Texte ziehen, zum einen die Konsequenz aus ‚schlechter‘, d. h. allzu gewaltsamer Herrschaft; zum anderen wird die ‚falsche‘ Religion als Grund dafür angesehen, warum grausame Taten im Orient mehr oder weniger weit verbreitet waren. Um so schlimmer, so Fassmanns Resümee, wenn sich auch der vermeintlich überlegene, d. h. christliche Westen auf den Pfad brutaler Verbrechen begab: Der Giftmord, den die Christen (genauer: Katholiken) am tugendhaften Sultan Djem im Jahre 1495 verübten, sei aufs schärfste zu verurteilen. Djem, Sohn von Mehmed II., dem Eroberer Konstantinopels, floh vor den Anschlägen seines regierenden Bruders Bayezids II. in den Okzident und suchte zuerst bei den

255 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 92, Leipzig 1725, S. 923. 256 Happel, Thesaurus exoticorum, S. 88.

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Johannitern auf Rhodos Asyl. Der Osmane befand sich in den Jahren nach seiner Flucht in wechselnder christlicher Gefangenschaft, während der es der Westen verstand, den unfreiwilligen Exilanten als eine Art Unterpfand gegenüber dem Osmanischen Reich einzusetzen: Mit Djem als Druckmittel wollte man sich vor erneuten Angriffen der Türken schützen. Der als fromm und tugendhaft bekannte Djem hielt sich, weil Rhodos in den Augen seines ‚Gastgebers‘, des Großmeisters der Johanniter Pierre d’Aubusson, als unsicher angesehen wurde, über einen Zeitraum von sechs Jahren in Frankreich auf. Er widerstand in der Zeit seiner Gefangenschaft allen Versuchen, zum Christentum überzutreten. Offenbar wurde die Geiselhaft, in der er sich im Westen wiederfand, tatsächlich von seinem Bruder Bayezid in Auftrag gegeben, der den jeweiligen Papst in Rom mit größeren Summen bestach, um diesen zur transnationalen Kooperation zu ermutigen.257 Während Djem sich nach seiner Auslieferung an Papst Innozenz VIII. (1432–1492) im Vatikan aufhielt und noch auf eine Ausreise in Richtung des ungarischen Hofes hoffte, an dem sich der von ihm verehrte König Matthias Corvinus (1443–1490) aufhielt, wurde Djem vom Nachfolger Innozenz’, dem berüchtigten Borgia-Papst Alexander VI. (1431– 1503), vergiftet. Der Mord geschah Fassmanns Darstellung gemäß im Auftrag Bayezids, dessen Anrecht auf den Thron nach geläufiger osmanischer Auffassung dadurch hinfällig wurde, weil Bayezid zwar der erstgeborene Sohn Mehmeds II. war, Djem jedoch auf die Welt kam, als Mehmed bereits amtierender Herrscher war; wegen seiner „Purpurgeburt“ 258 als Porphyrogenitus wäre Djem der rechtmäßige Thronprätendent gewesen.

257 Fassmann nutzt diesen Umstand für eine bemerkenswerte Kritik an den Katholiken: Bayezid II. gelingt es nach Fassmanns Darstellung, die Katholiken zu bestechen und für seine dynastischen Zwecke zu instrumentalisieren, indem er ihnen Körperteile und Gegenstände von Heiligen als ‚Belohnung‘ dafür anbot, wenn sie seinen Bruder gefangensetzten. Die christlichen Reliquien, mit denen er sich die Katholiken gefügig gemacht haben soll, waren zum einen ein Zeigefinger des Johannes und zum anderen das Gewand Christi, das dieser angeblich am Kreuz getragen hatte. Der katholische Reliquienglaube und die Gier nach ‚faßlichen‘ Zeugnissen der Heilsgeschichte führten nach dieser Lesart schließlich dazu, daß das Oberhaupt der katholischen Kirche und dessen Familie sich dazu herabließen, als gedungene Mörder für einen lasterhaften orientalischen Potentaten zu agieren – ein Umstand, den Fassmann genüßlich für sein Journal ausschlachtet. Vgl. zu den Reliquien: Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 92, Leipzig 1725, S. 928 und 933. Zu den Vereinbarungen zwischen Rom und Bayezid vgl. Halil Inalcik: A case study in Renaissance diplomacy. The agreement between Innocent VIII. and Bayezid II. on Djem Sultan, in: Journal of Turkish Studies 3 (1979), S. 209–233; Nicolas Vatin: Sultan Djem. Un prince ottoman dans l’Europe du XVe siècle d’après deux sources contemporaines. Vâki-ât-i Sultân Cem, Œuvres de Guillaume Caoursin, Ankara 1997. 258 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 92, Leipzig 1725, S. 922.

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Die Schilderung der sittlichen Verderbtheit des Papstes und dessen Mutter bilden in diesem Totengespräch das protestantische Pendant zu der Praxis zahlreicher katholischer Publizisten, Muslime und Protestanten analog als Häretiker und unchristliche Widersacher des wahren Glaubens zu bezeichnen. Das als hinterlistig und meuchelmörderisch dargestellte Verhalten der höchsten katholischen Instanz unterstreicht zusammen mit der als ‚typisch türkisch‘ verstandenen Praxis, sich seiner Gegner mit Hilfe von Gift zu entledigen, welches Ausmaß an moralischer Verderbtheit angeblich in katholischen Kreisen herrschte.259 Der osmanische Sultan Djem wird in diesem Dialog als Spielball zwischen orientalischen und okzidentalischen Mächten dargestellt. Diente er den Päpsten als Druckmittel gegen drohende Angriffe der Türken und als potentielle Unterstützung gegen den Kaiser, so bedeutete er für Bayezid II. vor allem eine ernstzunehmende Konkurrenz im Kampf um die Macht im expandierenden Osmanischen Reich.260 Für den Giftmord, den Alexanders Mutter Isabelle de Borgia († 1468) angeblich an ihm verübt haben soll, gab es keine eindeutigen Beweise. Mehr als die Frage nach der historischen Korrektheit dieser Anekdote interessiert ihre Funktion im Kontext des Journals. Djem ist zwar Muslim, gilt aber als vorbildlich, standhaft, fromm und tugendhaft. Er beansprucht den Thron rechtmäßig, ist aber wegen seines machtgierigen Bruders gezwungen, ins Exil zu gehen, und gerät dort unverschuldet in fremde Gefangenschaft. Weil er als guter Mensch galt (siehe oben stehende Typologie: Fall 2), wird sein gewaltsamer Tod als unverhältnismäßig grausam dargestellt. Alexander VI. und seine Mutter Isabella wiederum gehören typologisch in die dritte Kategorie, ihr lasterhafter Lebenswandel zieht ein unrühmliches und verdient gewaltsames Ableben nach sich. Obwohl auch hier wiederum keine me-

259 Passend zum lasterhaften Lebenswandel des Borgia-Papstes Alexander VI. diskutieren Djem und sein Gesprächspartner Louis XI. die Frage, ob sich ein Herrscher zu seinen illegitimen Kindern bekennen solle. Orientalische und europäische Verhältnisse werden im Gespräch miteinander in Beziehung gesetzt, indem die Promiskuität und die daraus entstehenden Kinder orientalischer Potentaten, katholischer Kirchenfürsten wie auch weltlicher europäischer Herrscher nebeneinandergestellt werden. Zum Thema des päpstlichen Nachwuchses siehe auch Horst Herrmann: Die Heiligen Väter. Päpste und ihre Kinder, Berlin 2004. 260 Fassmann, dessen Absichten immer auch darin lagen, Hintergründe und Erklärungen für politische Entscheidungen zu liefern, geht auch darauf ein, daß die Geiselnahme eines orientalischen Potentaten das Machtgefüge im Okzident zu verändern imstande war. Der bereits erwähnte Großmeister des Johanniterordens, der von Anfang an die möglichen Vorteile einer Geiselnahme gesehen hatte, wurde nach der Auslieferung des orientalischen ‚Gastes‘ an den Vatikan zum Kardinal ernannt. Djems Gesprächspartner bemerkt hierzu nicht ohne Witz: „Ihr seyd ein Türckischer Sultan gewesen, und habt doch Cardinäle machen können. Das ist ein Wunder, und sehr artig zu hören.“ Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 92, Leipzig 1725, S. 931.

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dizinischen Beweise existierten – soweit diese zu der Zeit überhaupt erbracht werden konnten –, wird propagiert, daß Alexander wie sein Opfer Djem durch Gift getötet wurde, wenn auch erst ganze neun Jahre nach dem begangenen Mord, wie das Totengespräch enttäuscht kommentiert.261 Obwohl Djem als Muslim einer anderen Religion angehörte, läßt Fassmann ihn das gewaltsame Ende seines Mörders als gerecht darstellen. Djem bemerkt hierzu: Jedoch GOtt, der Rächer alles Bösen, und Belohner alles Guten, hat nicht gemangelt, auch meinen Todt zu rächen. Denn gleich wie sich Pabst Alexander VI. eben dieser Gattung Gifftes, vielfältig bedienete, Cardinaele und anderer Leute von Distinction hinzurichten, auf daß er hernach ihre Güther und Vermögen an sich ziehen, und seine Familie damit bereichern können; also fügete es sich einstmals, daß ein solcher Gifft-Tranck, in einem Garten, wo der Pabst speisen wolte, zu bereitet da stunde, um wiederum, einen oder den anderen, auf den es gemünzet gewesen, dadurch aus der Welt zu schaffen. Jedoch, was geschahe? Dem Pabst kam ein Durst an, und verlangete zu trincken; noch ehe er sich an die Tafel setzte. Weil nun sein rechter Mundschenk, der um das Geheimnis wuste, accurat ein wenig auf die Seite gegangen war, seine Nothdurfft zu verrichten, schenkte ein anderer, unterdessen, dem Pabst zu trincken ein; ergriffe aber die vergifftete Bouteille. Der Gifft that seine Wirckung, und risse dem Pabst nachdem einige Tage verlauffen waren, von der Welt. Cesar Borgia hatte auch davon getruncken, und wurde dermassen kranck, daß kaum eine Haar=breit mehr Spatium zwischen seinem Todt und Leben gewesen; wiewohl er endlich dennoch dem Rachen des Todes, vor diesesmal, echappirte.262

Wer anderen einen Gifttrank bereitet, der trinkt ihn schließlich selbst. So lautet die Moral, die Djem aus seinem Schicksal und dem des als überaus gierig und korrupt dargestellten Papstes ableitet. Die Geschichte Djems dient Fassmann unter anderem dazu, den Eigennutz und die Kurzsichtigkeit vieler Christen zu kritisieren. Anstatt Djem als Garant für den Frieden mit dem Orient zu benutzen und sich seiner, wenn schon mit Druck, so doch für einen guten Zweck zu bedienen, habe die katholische Kir-

261 Der Verdacht, daß auch Alexander VI. durch Gift gestorben war, kam durch den Umstand auf, daß sein Leichnam nach seinem Tod anschwoll und sich dunkel verfärbte. Kurze Zeit nach einem Abendessen bei Kardinal Adriano Castellesi da Corneto (ca. 1460–1521) litten offenbar sowohl Alexander VI. als auch sein Sohn Cesare an Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen; während sich Cesare nach kurzer Zeit wieder erholte, starb sein Vater am 18. August 1503. Medizinhistoriker gehen heute davon aus, daß nicht Gift für den Tod des ‚Renaissancepapstes‘ verantwortlich war, sondern ein Malariaschub, der zusammen mit der sommerlichen Hitze in Rom auch die postmortalen Symptome erklären könnte. Zu Alexander VI. siehe u. a. Susanne Schüller-Piroli: Die Borgia-Päpste Kalixt III. und Alexander VI., Wien 1979; dies.: Die BorgiaDynastie. Legende und Geschichte, München 1982; Volker Reinhardt: Der unheimliche Papst. Alexander VI. Borgia (1431–1503), München 2005. 262 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 92, Leipzig 1725, S. 934.

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che mit ihm nur ihre eigenen Machtansprüche zu befriedigen gesucht. Nach seiner Gefangennahme durch Pierre d’Aubusson bemerkt Djem: Nunmehro glaubte ich gantz gewiß, die gesamte Christenheit würde, zu meinem Beystand, herbey eilen, wovon ihre Religion keinen geringen Profit ziehen können. Allein ich sahe mich gewaltig betrogen, und muste erfahren, daß das besondere Staats=Interesse einer jeden Christlichen Puissance weit mehr in Consideration gezogen ward, als das allgemeine Interesse Christi und seiner Kirche.263

Auch ein halbwegs politisch motivierter Mord kann im Kontext einer Biographie dazu dienen, den Eigennutz verschiedener christlicher (d. h. katholischer) Parteien anzuprangern. Wie an zahlreichen anderen Stellen läßt Fassmann seine Figuren diejenigen Handlungsweisen der Europäer kritisieren, die eine Schwächung nach außen hin bewirkten. Wenn eine Tat, wie sie das 18. Jahrhundert dem Borgia-Papst unterstellte, zudem noch derartig ‚verdorben‘ und barbarisch grausam erschien, eignete sie sich um so besser zum argumentativen Angriff gegen innere Widersacher, in diesem Fall die als unsittlich dargestellten, machtgierigen Katholiken. Ein weiteres Beispiel für Mord und Totschlag gibt Fassmann in einem der letzten ‚exotischen‘ Gespräche, in dem sich der indische Groß-Mogul Shah Jahan und der türkische Groß-Wesir Ibrahim Pascha treffen. In dem Dialog, in dem wegen der Herkunft beider Figuren vor allem ‚orientalische‘ Themen wie absolute Herrschaft und osmanische Barbarei verhandelt werden, kommt Ibrahim auf einen Vorfall zu sprechen, der sich zu Lebzeiten des Groß-Moguls Shah Jahan in dessen Reich zugetragen haben soll. Einer von Shah Jahans Statthaltern, der Khan von Amadabath, habe einmal eine holländisch-englische Gruppe von Gesandten beherbergt, woran sich der Mogul seinem Versichern nach auch noch erinnere. Die geschilderte Anekdote um das Verhalten des Khans soll, wie Ibrahim von Anfang an offenbart, das grausame Verhalten mancher orientalischer Machthaber und ihr gewöhnungsbedürftiges Benehmen gegenüber Fremden exemplifizieren. Ibrahim betont, daß er die Begebenheit nicht etwa erfunden oder ausgeschmückt, sondern sie „in Historischen Büchern gelesen“ 264 habe. Zum Zeitvertreib und zur vermeintlichen Belustigung seiner europäischen Gäste habe der Khan von Amandabath nach einem üppigen Festbankett eine größere Gruppe nackter Tänzerinnen auftreten lassen. Bezeichnenderweise spart die Schilderung genau diejenigen Details aus, welche die Besonderheit dieser aus europäischer Perspektive scandaleusen Szene aus-

263 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 92, Leipzig 1725, S. 927. 264 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 158.

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macht. Fassmann läßt Ibrahim statt dessen einige unverfänglichere Details besonders ausführlich hervorheben: Als dieselbe reisende Engel= und Holländische Kauffmanns=Gesellschafft, zu Amandabath, einer Euch zugehörigen Stadt angelanget, hat sie der dasige Chan, oder Gouverneur, bey einem angestellten Banquet herrlich tractiret. Nach der Mahlzeit hat der Chan zwantzig Tänzerinnen ins Gemach kommen lassen, die alle Splitter=nackend, oder wie sie GOtt geschaffen, in das Gemach getreten, auch stracks angefangen, zu tantzen, und zu singen, nach der Music, so mit einer Schallmey, einem Tumbeck, so eine Art Hand=Paucken, und zwo kleinen Trommeln, gemachet worden. Die Tänzerinnen haben an denen Fingern, Zähern derer Füsse, Nasen, Lippen und Ohren, verguldete Ringe gehabt. Die Arme einer jedweden sind mit fünff kupffernen vergüldeten Ringen; desgleichen mit zwey Arm=Bändern von rothen [sic] Sammet, so mit güldenen Knöpffen besetzet, etliche über etliche unter denen Elbogen; die Beine aber auf gleiche Art geschmücket gewesen. Diese haben gar behende, durch Tonnen=Bänder, wie die Meer=Katzen oder Affen, hin und wieder, springen können; wie sie dann auch sonst noch so viele seltsame und leichtfertige Posituren und Poßen gemachet, daß sich die anwesenden Engeländer und Holländer nicht genugsam darüber wundern mögen.265

Finger, Zehen, Nasen, Lippen, Ohren, Arme und Beine markieren hier die Schamgrenze, nach der genau jene Körperteile keine Erwähnung finden, die für die europäischen Besucher besonders auffällig gewesen sein müssen. Die Anzahl und Beschaffenheit der Schmuckstücke sowie das Aussehen der mitgeführten Musikinstrumente werden dabei jedenfalls von eher untergeordnetem Interesse für die mesmerisierte Besuchergruppe gewesen sein.266 Der Groß-Mogul, unter dessen Oberherrschaft diese Begebenheit stattgefunden haben soll, bestätigt seinem Gesprächspartner (und damit den europäischen Lesern von Fassmanns Journal), daß solchermaßen ‚unanständig‘ agierende Nackttänzerinnen im Orient keine Seltenheit seien. Neben der Tanzerei würden diese Frauen ihren Lebensunterhalt auch noch als „gemeine Huren“ verdienen und ihre Dienste gleichsam ‚international‘ auch in Persien oder im Tartarenreich anbieten – ihre Existenz hätte die vermeintlich weitgereisten und erfahrenen

265 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 159. 266 Die detaillierte Beschreibung der Musikinstrumente scheint ihr Vorbild in dem zu Beginn des 18. Jahrhunderts erschienenen Recueil Feriol zu haben, der auf 100 Kupferstichen etwa musizierende Haremsdamen und deren Instrumente abbildete – und damit eine gute Entschuldigung für die Darstellung schwülstiger Erotik lieferte. Der Recueil löste ältere ‚orientalistische‘ Bildzeugnisse wie die Holzschnitte eines Melchior Lorch ab. Zum Recueil und den orientalischen Musikinstrumenten vgl. Gabriele Braune: Musik in Orient und Okzident, in: Europa und der Orient, S. 210–230, bes. S. 226 f.

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Gäste aus dem Ausland demnach nicht derart überraschen und „wundern“ müssen, wie er süffisant anfügt.267 Die sexuell anzügliche Tanzdarbietung wird hier als eine Form des höflichen Gastgeschenks geschildert, das jedoch bei den solchermaßen beschenkten Europäern (angeblich) nur Schrecken und Widerwillen auslöste. An den Tänzerinnen werden neben ihrer äußerlichen Erscheinung und Musikalität auch ihre Gelenkigkeit und Fähigkeit zur ausgiebigen Possenreißerei hervorgehoben; sie erscheinen so einerseits als eine Art weibliche Ausgabe männlicher Hofnarren, andererseits durch den Vergleich mit den Meerkatzen und Affen auch als die Verkörperung des animalisch-mysteriösen Anderen. Nackte Frau, Tänzerin, Musikerin, Hure und Tier in einem und dies in zwanzigfacher Ausführung: Da nahm es kein Wunder, wenn die Besucher sich in dieser Situation überfordert fühlten. Nach der erotisch konnotierten Einführung in die Anekdote ‚kippt‘ die Situation am Hofe des Khans in der Schilderung Ibrahims. Weil der Statthalter in seiner Unmäßigkeit – auch das wieder ein topos in der Beschreibung der Orientalen – noch mehr Tänzerinnen auftreten lassen wollte, schickte er einige seiner Diener zur Rekrutierung weiterer Damen in die Stadt. Dort fanden seine Bediensteten jedoch keine zusätzlichen Auftragstänzerinnen vor, die bereitwillig mit ihnen gekommen wären. Im Gegenteil: Die angesprochenen Frauen schützten Krankheiten als Ausrede vor, um nicht in den Palast kommen und unentgeltlich für den geizigen Statthalter tanzen zu müssen. Erzürnt läßt der Gouverneur die Diener verprügeln und die widerspenstigen Frauen mit Gewalt vorführen. Vor den Augen der nunmehr wirklich entsetzten ausländischen Gäste wird den Aufsässigen ohne Ausnahme der Kopf abgeschlagen. Ibrahim bemerkt hierzu, daß diese drastische Maßnahme eine erstaunliche Wirkung auf die verbleibenden Tänzerinnen gehabt habe: Sobald sie [die Tänzerinnen aus der Stadt – SD] nun, ihrer acht Personen, in den Saal getreten, hat ihnen der Chan augenblicklich die Köpffe abschlagen lassen. Über diesem grausamen Anblick sind die Engeländer und Holländer, vor Schrecken und Entsetzen, gantz ausser ihnen selber gerathen. Der Chan aber, solches merckende, hat lachende gesagt: Ihr Herren! warum seid ihr so stille? Sehet, wann ich nicht also thäte, würde ich nicht ein Jahr Gouverneur in Amadabath seyn können. Die Huren wollen mich nicht mehr vor ihren Kashi erkennen und Gehorsam leisten. Die übrigen zwantzig Täntzerinnen haben sich zwar auch Anfangs gar sehr entsetzt, als sie gesehen, daß man ihre Mit=Schwestern so hingerichtet. Doch als die todten Cörper mit dem Blute hinaus geschaffet, und neue Teppiche geleget

267 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 159 f. Ibrahim entgegnet hierauf: „Leuten, die dergleichen Spectacul noch nicht gesehen, muß es allerdings recht abscheulich und entsetzlich in die Augen fallen, wann eine solche Menge nackende Weibs=Personen in ein Zimmer getreten kommen, anfangen zu tantzen, zu singen und zu springen, auch allerhand geile und unzüchtige Posituren zu machen.“ Ebd., S. 160.

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gewesen, haben diese Menschen gesungen, gesprungen und getantzet, noch weit toller als zuvor.268

Die lebendige Schilderung einiger Details (die toten Körper, das Blut und die neu ausgelegten Teppiche) sollte zusammen mit der makabren, neu angefachten Motivation der überlebenden Tänzerinnen seinen Zweck beim europäischen Leser erreichen: Die Handlungsweise des Khans erscheint in ihrer vermeintlichen Beiläufigkeit barbarisch und menschenverachtend. Dementsprechend versucht auch der Groß-Mogul, die Handlungsweise seines Statthalters Shak Jahan zu rationalisieren: Ich besinne mich zwar nicht, daß ich eben diese Begebenheit in meinem Leben gehöret; aber die Raison, welche der Chan gegen die Engeländer und Holländer, dieser Huren und ihrer Hinrichtung wegen angeführet, ist gantz gut und richtig. Durch die äusserste Schärffe muß der Pöbel in meinem Reiche bezwungen und im Zaum gehalten werden, weil er, andergestalt, nimmermehr gut thun oder gehorsam seyn würde.269

Die Ermordung der unwilligen Tänzerinnen ist der Argumentation des Moguls nach dem höheren politischen Ziel geschuldet, die Untertanen zum Gehorsam zu animieren, notfalls eben mit Gewalt. Fassmann übernahm die Anekdote höchstwahrscheinlich aus dem XXI. Kapitel von Johann Albrecht von Mandelslohs Morgenländischer Reise=Beschreibung. Mandelsloh hielt sich zusammen mit einer holländisch-englischen Gesandtschaft im Jahre 1646 im erwähnten Ahmadabad auf. Laut einer Fußnote hat Mandelsloh, der vor dem oben geschilderten „blutigen Panquet“ 270 die Provinz bereiste, die Anekdote wiederum der von Adam Olearius redigierten Orientalischen Reise=Beschreibung [1669] Jürgen Andersens entlehnt, der auf seiner Reise durch Indien das berüchtigte Bankett persönlich miterlebt haben will. Olearius, der mit Mandelsloh eng befreundet war und mit ihm einige Reisen in den Orient unternommen hatte, gab 1696 die oben genannten Reisebeschreibungen in einem einzigen Band heraus, den Fassmann mit großer Wahrscheinlichkeit kannte und in dem Mandelsloh auf Andersens Anekdote rekurriert. Über das Gewerbe der Tänzerinnen und zur oben angeführten Begebenheit bemerkt Michael Hissmann in seiner deutschen Übersetzung von Démeuniers L’Esprit des usages et des coutumes des différents peuples im Abschnitt „Sechstes Hauptstück. Von solchen Personen, welche aus der Wollust ein Gewerbe machen“:

268 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 160 f. 269 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 227, Leipzig 1737, S. 161. 270 Mandelsloh, Reise=Beschreibung, Kapitel XXI, S. 54.

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Im Orient, wo die Vergnügungen der Liebe weit unverschämter genossen werden, wo es ein Lehrsatz der Religion ist, daß die Weiber blos zum Vergnügen der Männer geboren werden, wird dies Handwerk der Liebe von der Obrigkeit erlaubt. Man besucht die Hurenhäuser eben so ungescheut, wie andre Beischläferinnen. Das Leben dieser Dirnen ist ein beständiges Studium der Liederlichkeit und ein beständiges Aussinnen neuer Vergnügungen. In Indien läßt man Tänzerinnen kommen, die sich bei der Mahlzeit nackt auskleiden und sich in den schamlosesten Stellungen zeigen. Mandelsloh erzehlt, der Gouverneur von Amadabath habe beim Mittagessen erklärt, er wolle diesen Tag der Freude weihen; sogleich seyen 20. Tänzerinnen gekommen, welche ihre Kleider ablegten, und ausnehmend richtig sangen und tanzten.271

Die Anekdote mit den 20 Tänzerinnen wurde, wie an verschiedenen Quellen ablesbar ist, über mehrere Jahrhunderte hinweg immer wieder angeführt, wenn es darum ging, die Neigung der Orientalen (hier der Inder) zur Wollust und zur grausamen Herrschaft zu illustrieren. Begünstigt durch ihr drastisches Ende und den ‚typisch‘ orientalischen Dekor der Szenerie (schwüle Erotik, exotische Musikinstrumente, reicher Schmuck, kostbare Teppiche etc.) vermochte gerade ein Exempel wie das oben zitierte, europäischen Lesern ein Bild vom vermeintlich ‚wahren‘, d. h. brutal regierten, barbarischen und schamlosen Orient zu vermitteln. Weil die Tänzerinnen im Beisein einer europäischen Handelsgruppe exekutiert wurden, hatten die körperbetonten Schilderungen in den Augen des Westens besondere Beweiskraft: Die Zeugnisse vertrauenswürdiger Europäer verliehen dem Urteil über orientalische Verhaltensweisen besonderes Gewicht. Bereits Olearius weist in einer nachträglich eingefügten Fußnote zu Mandelslohs Text auf die Aussagekraft gerade dieser Begebenheit hin und erklärt, daß Inder und Perser zu ihrer Belustigung häufig solche TanzSpektakel inszenierten: (a) Die Indianer / gleich auch die Perser pflegen insgemein in ihren Gastboten und Zusammenkünfften / wenn sie wollen lustig seyn / Täntzerinnen herbey zubringen / welche in Indien sich viel leichtfertiger und uppiger erzeigen / als in Persien. Sie müssen so woll vor Könige und Fürsten als geringere Standes Personen ihre leichtfertige geile Täntze üben.272

Fassmann verknüpft mit der Begebenheit mehrere typisch orientalische topoi: Zum einen bestätigte er den bereits vorhandenen Verdacht des Lesers, daß es auf orientalischen Festen und Banketten zu sexuellen Ausschweifungen kam. Die in den Augen des Westens ungeheuerliche Tatsache, daß in Indien Frauen

271 Jean Nicolas Démeunier: Über Sitten und Gebräuche der Völcker. Herausgegeben und mit einigen Abhandlungen vermehret von Michael Hissmann, Professor der Weltweisheit in Göttingen. Zweyter Band, Nürnberg, in der Felßeckerischen Handlung 1784, S. 128. 272 Mandelsloh, Reise=Beschreibung, Fußnote (a) von Adam Olearius, S. 53.

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ganz offen als Nackttänzerinnen und noch dazu als Prostituierte arbeiten, trug dabei zum wohligen exotischen Kitzel bei; zum anderen exemplifizierte die Anekdote, die laut Ibrahim „aus Historischen Büchern“ stammt – aus europäischen wohlgemerkt, die der Inder Shah Jahan kennt – eine als typisch verstandene Eigenschaft, nämlich die Grausamkeit orientalischer Herrscher und den damit verbundenen absoluten Machtanspruch. Letzterer erschien unter anderem auch deswegen um so bedrohlicher, als die oben bereits in anderem Zusammenhang erwähnte körperliche Präsenz westlicher Fremder (hier aus umgekehrter Perspektive) offenbar keinerlei Einfluß auf die Behandlung der widerspenstigen Tänzerinnen hatte: Obwohl Holländer und Engländer der Szene beiwohnten, verfuhr der Statthalter mit den ungehorsamen Frauen in der oben geschilderten Weise. Die Wirkung, die dies auf die Besucher hatte (schockiertes Schweigen), wird der westlichen Darstellung nach vom Orientalen noch zynisch kommentiert. Die Stille, die auf die Enthauptung folgt, zeugt von der unausgesprochenen Mißbilligung eines derart ungehemmten barbarischen Verhaltens, auch wenn es sich bei den Enthaupteten ‚nur‘ um Tänzerinnen und Prostituierte handelte. Körper, soziale Kontrolle von Körpern und (willkürliche, absolute) Herrschergewalt wurden in der zitierten Anekdote miteinander verknüpft und aus europäischer Perspektive verurteilt. Die Begebenheit verwies darüber hinaus jedoch auch auf die vermeintlich authentische orientalische Perspektive, nach der ein derartiges Verhalten auch gewinnbringend und rationalisierend eingesetzt werden konnte. Dem maximalen (körperlichen) Lustgewinn eines einzelnen Herrschers hatte sich, so die Erkenntnis aus der Begebenheit, alles andere unterzuordnen. Daß sich der Lustgewinn nicht nur aus dem Betrachten der nackten Tänzerinnen, sondern vor allem auch aus der gewaltsamen Erniedrigung und anschließenden Exekution der Frauen speiste, wurde dem Leser durch die Kommentare beider Figuren suggeriert.

6.3.8 Tyrannenmord Zum Herrschaftsdiskurs gehörte zwangsläufig auch die seit der Antike kontrovers verhandelte Frage, ob es legitim sei, Tyrannen zu ermorden.273 Die Ent-

273 Der Begriff Tyrann, abgeleitet vom Lydischen für Herr, war in seinem griechischen Ursprung zunächst nicht negativ besetzt, sondern bezeichnete allgemein einen Alleinherrscher. Erst allmählich verband sich mit ihm die Vorstellung eines (usurpatorischen) Herrschers, den zu stürzen tatsächlich Bürgerpflicht war. Zum Begriff vgl. etwa Christian Stock: „Tyranne. Tyrannei“, in: Homiletisches Real-Lexicon, Jena 1734. „Ein Tyranne ist ein Regent, welcher seiner Gewalt über die Unterthanen mißbrauchet, und wider dieselbe wütet und tobet.“ Ebd., S. 1086. Zum Tyrannenmord vgl. u. a. Susanne Sigismund: Der politische Mord in der späten Römi-

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scheidung zwischen dem Allgemeinwohl auf der einen Seite und der persönlichen Schuld des Individuums auf der anderen wurde historisch immer wieder neu motiviert. Philosophen, Rechtsgelehrte und nicht zuletzt politische wie literarische Texte brachten kontroverse Argumente in einen Diskurs, der bis heute nichts an Aktualität verloren zu haben scheint. Historisch galt der erste Tyrannenmord, den die Freunde Harmodios und Aristogeiton im Jahre 514 v. Chr. an Hipparchos, dem Bruder des athenischen Tyrannen Hippias, verübten, als Geburtsstunde der Demokratie und gleichzeitig auch des Diskurses über politisch motivierte Morde.274 Ein Eintreten für die Ermordung eines Gewaltherrschers konnte in diesem Zusammenhang leicht selbst zum Politikum werden, bedeutete eine solche Tat doch, daß ein Individuum, das als Vertreter der polis agierte, sich über die Macht des amtierenden Herrschers stellte und ein Widerstandsrecht für sich in Anspruch nahm, das als solches viele Jahrhunderte lang kontrovers diskutiert wurde. Gerade in absolutistisch regierten Gesellschaften mußte eine derart eigenmächtige Verhaltensweise auf das Schärfste verurteilt werden, weil sie letztlich die Legitimität und den (gottgegebenen) Herrschaftsanspruch des Souveräns in Frage stellte. Vor diesem Hintergrund galt es, den Tyrannenmord von seiten der für den Absolutismus argumentierenden Monarchisten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln als unrechtmäßige und verwerfliche Tat eines einzelnen Verirrten zu brandmarken, wohingegen die Gegenseite den gleichen Akt durchaus als legitimes, wenn auch extremes politisches Mittel deutete, auf das die Gesellschaft im Einzelfall zurückgreifen durfte.275 Die Gruppe der Befürworter des Tyrannenmordes bzw. des Widerstandsrechts unterschieden sich v. a. in der Frage, ob jegliche Form der Tyrannei (also

schen Republik, Hamburg 2008; Wilhelm Donner: Widerstandsrecht, Tyrannenmord, Kant, in: Der Begriff der Menschenwürde. Definition, Belastbarkeit und Grenzen, hg. v. Michael Fischer, Frankfurt a. M. 2004, S. 107–122; Alexander Demandt (Hg.): Das Attentat in der Geschichte, Erftstadt 2003. 274 Kennzeichnend für spätere Diskussionen um die Legitimität des Tyrannenmordes ermorden die beiden Freunde den Hipparchos deswegen, weil dieser die Schwester des Harmodios in aller Öffentlichkeit beleidigt hatte. Vgl. dazu Elisabeth Frenzel: Tyrannei und Tyrannenmord, in: dies.: Motive der Weltliteratur, 5., überarbeitete und ergänzte Auflage, Stuttgart 1999, S. 695–713, hier S. 697. 275 Zu den unterschiedlichen Auffassungen bei Thomas von Aquin und Johannes Salisbury vgl. Hella Mandt: Tyrannislehre und Widerstand, Darmstadt 1974; Gerhard Dilcher: „Widerstandsrecht“, in: Handbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 5, Berlin 1998, S. 1351– 1364. Allgemein zum Widerstandsrecht auch Robert von Friedeburg (Hg.): Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutsch-britischen Vergleich, Berlin 2001; Mario Turchetti: Tyrannie et tyrannicide de l’Antiquité à nos jours, Paris 2001.

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auch die legitimer Monarchen) beseitigt werden dürfe oder nur die usurpatorischer Herrscher. Bereits Xenophon plädierte in seinem Hieron dafür, einem schlechten Herrscher und Tyrannen die Treue aufzukündigen; obwohl er versucht, innere Beweggründe für das Verhalten von Tyrannen wie Hieron von Syrakus aufzuzeigen, kommt Xenophon zu dem Schluß, daß die gewaltsame Beseitigung eines Tyrannen als verdienstvoll und nicht etwa als sträflich anzusehen sei.276 In den Augen der christlichen Kirche, die ihren Platz mindestens neben dem der weltlichen Herrscher sah, war es v. a. dann angebracht, Widerstand gegen einen Herrscher zu leisten, wenn dieser gegen kirchliche, weniger gegen staatsrechtliche Prinzipien verstieß.277 Als einer der ersten formulierte Johannes von Salisbury im 12. Jahrhundert das grundsätzliche Recht auf ein gewaltsames Absetzen eines Tyrannen. Im Unterschied zu Thomas von Aquin sah Salisbury dieses Recht jedoch nur dann gegeben, wenn der Tyrann gewaltsam zur Macht gekommen war, wohingegen Thomas den Untertanen auch dann ein Widerstandsrecht zugestand, wenn der Tyrann rechtmäßig auf den Thron gelangt war.278 Die Frage, ob die vermeintlich gottgegebene Autorität eines legitimen Herrschers einen Mord verbiete, wurde in der Nachfolge der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Staatstheoretiker und (christlichen) Philosophen kontrovers diskutiert. Es galt zu entscheiden, ob die Legitimität der Herrschaft durch Machtmißbrauch beeinträchtigt bzw. ob das Widerstandsrecht durch diesen Umstand gestärkt wurde. Für viele Christen, die vor allem dem göttlichen Gebot des „Du sollst nicht töten“ folgen wollten, verstieß ein Mord an einem – wenn auch tyrannischen und schlechten – Herrscher gegen göttliche Ordnung und war deswegen abzulehnen. In dieser Tradition steht auch Johann Christian Stock, Rektor der Universität Jena, der in seinem Homiletischen Real-Lexicon stellvertretend für das erste Drittel des 18. Jahrhunderts folgende Definition des Tyrannen liefert: Ein solcher Wüterich ist Gleich einem grimmigen Tyger, welchen immer nach Blut zu dürsten pfleget; Gleich einem Drachen, der andere Thiere mit grossem Zorn verfolget, vergifftet und frisset.

276 Vgl. dazu Leo Strauss: Über Tyrannis. Eine Interpretation von Xenophons Hieron, mit einem Essay über Tyrannis und Weisheit von Alexandre Kojève, Neuwied/Berlin 1963. 277 Vgl. dazu Frenzel, Tyrannei und Tyrannenmord, S. 699 f. 278 Zu Salisburys teilweise widersprüchlicher Auslegung des Widerstandsrecht vgl. Anne J. Duggan: „Johannes von Salisbury“, in: Theologische Realenzyklopädie, hg. v. Gerhard Müller, Bd. 17, Berlin 1988, S. 153–155; Richard und Mary A. Rouse: John of Salisbury and the Doctrine of Tyrannicide, in: Speculum 42 (1967), S. 693–709; zu Thomas von Aquin und Johannes von Salisbury vgl. etwa Jürgen Miethke u. a.: „Widerstand/Widerstandsrecht“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 35, Berlin 2003, S. 739–774, bes. S. 745 ff.

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Gleich einem grausamen Löwen, welcher zerreisset und frisset, was ihme vorkommt. Gleich einem rasenden und tollen Hunde, welcher anfället und beisset, was ihme in den Weg kommt. §2 Tyrannen müssen offt plötzlich untergehen, und ein Ende nehmen mit Schrecken. Denn weil sie ihrer Gewalt mißbrauchen, so stösset GOtt sie vom Stuhl.279

An diesem Eintrag kann exemplarisch abgelesen werden, wie die gemäßigtere Haltung zum Thema Widerstandsrecht und Tyrannenmord in Fassmanns Gegenwart aussah: Der schlechte und grausame Herrscher wurde als ein wildes Tier oder als eine Art Naturkatastrophe angesehen, dessen Zähmung bzw. endgültige Beseitigung allein durch das Eingreifen eines (christlichen) Gottes zu erfolgen hatte. In den Tieren, die Stock für seine Vergleiche wählt, überschneiden sich darüber hinaus Gewalt- und Fremdendiskurs. Besonders grausame orientalische Herrscher wurden häufig mit den gleichen Metaphern belegt, die Stock an dieser Stelle wählt. Auch Fassmann bezeichnet schlechte orientalische Herrscherfiguren – Frauen wie Männer – öfters als „reissende Tygerthiere“ oder „Ungeheuer“ 280 o. ä., um sie als besonders gefährlich und verwerflich zu brandmarken. Kritik an den (politischen) Zuständen im eigenen Land und an schlechter Herrschaft wurde bereits lange vor dem Erscheinen der Persischen Briefe Montesquieus mit Hilfe des Fremden geübt. So wie etwa Daniel Casper von Lohensteins ‚Türkendrama‘ Ibrahim Sultan das Verhältnis von Herrschenden und der Legitimation politischer Macht anhand orientalischer Verhältnisse diskutiert, verhandelt auch Fassmann mit Hilfe seiner fremden Figuren Themen, die einen Bezug zu zeitgenössischen politischen wie staatsrechtlichen Diskursen hatten. Nicht nur juristische Traktate, sondern gerade auch literarische Texte verbreiteten, popularisierten und hinterfragten immer wieder die Regeln, nach denen politische Ordnung und Herrschaft im christlichen Abendland organisiert waren. Ähnlich wie etwa in Andreas Gryphius‘ oder Lohensteins ‚Türkendramen‘ bis hin zu Friedrich Schillers Wilhelm Tell immer wieder auch heikle Themen wie der Ungehorsam gegenüber schlechten Herrschern oder die Legitimation des Tyrannenmordes thematisiert werden, formuliert auch Fassmanns frühaufklärerisches Journal in nahezu jedem Gespräch den Anspruch, per modum dia-

279 Johann Christian Stock: „Tyranne. Tyranney“, in: Homiletisches Real-Lexicon, hg. v. dems., Jena 1734, S. 1089. 280 So etwa in der 111. Entrevue, in der die beiden Gesprächspartnerinnen Caesonia und Roxelana bereits auf dem Titelepigramm als „Scheusal“, „Affe“, „Crocodil“ und „Tyger“ bezeichnet werden [Leipzig 1727, Titelblatt], und in der Entrevue Nr. 120, in der Kunz von Kauffung den skrupellosen Seeräuber Arudsch Barbarossa einen „rechte[n] Tyrann[en]“ und ein „rechtes Ungeheuer von Menschen“ schimpft [Leipzig 1727, S. 606].

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logi einen Beitrag zum Herrschaftsdiskurs und zur Vorstellung von der (bedingten) Volkssouveränität zu liefern. Der Orient diente ihm dabei als bereits fest installierte Projektionsfläche für Ansichten, die im Angesicht der Zensur nicht anhand europäischer bzw. noch lebender Figuren der aktuellen Zeitgeschichte verhandelt werden durften.281 Fassmann befand sich im Kontext dieses Diskurses zwischen den Fronten: Zum einen schreckte er vor dem Gedanken an ein potentiell umstürzlerisches Verhalten zurück; zum anderen war ihm als Historiograph nur zu bewußt, welche fatalen Auswirkungen die Taten eines Tyrannen und dessen schlechte Politique auf die Geschicke eines Landes haben konnten. Als Frühaufklärer und ehemaliger Thomasius-Schüler war er zudem von der Notwendigkeit überzeugt, daß alles politische Handeln im Gesetz verankert und die Taten der Herrschenden (und gleichsam die bloße Existenz derselben) auch durch das Gesetz legitimiert sein sollten.282 Fassmanns Haltung, die ähnlich wie bei Thomasius eine Zeitlang vom Pietismus Franckescher Prägung beeinflußt war, kann, so eine vorläufige These, in der Nachfolge frühneuzeitlicher calvinistischer Staatstheoretiker als gemäßigt monarchomachisch verstanden werden. Gegen Jean Bodins Eintreten für die absolute Herrschaftsgewalt wandte sich Fassmann in all seinen politischen Publikationen.283 Immer wieder betont er 281 Dieser Umstand wird auch dadurch betont, daß Fassmanns orientalische Figuren im Gegensatz zu ihren realen historischen Vorbildern im Dialog dazu bereit sind, über die Legitimation sowie die Vor- und Nachteile absolutistischer Herrschaft im Orient zu diskutieren. 282 Christian Thomasius beschritt in seinen staatstheoretischen Schriften, in denen er sich dezidiert mit der Frage nach dem Widerstandsrecht bzw. der Volkssouveränität beschäftigte, eine Art Mittelweg zwischen zwei sehr gegensätzlichen Positionen: Zum einen verurteilte er eindeutig despotische Haltungen wie die eines Machiavelli, zum anderen fand er jedoch auch die (vermeintliche) ‚Thronstürmerei‘ der Monarchomachisten bedenklich. In einem antithetisch angelegten Traktat stellt er beide Haltungen einander gegenüber, ohne jedoch daraus irgendwelche Schlüsse abzuleiten. Christian Thomasius: De historia sectae Machiavellistarum et Monomachorum, in: ders.: Observationes selectae, Halle 1702, T. 6; ders.: Disputatio politica & Duplici majestatis subjecto. Resp.: Henricus Hofferus Neostad. Varisco, Leipzig 1672. In einer ähnlichen Gegenüberstellung diskutierten auch Johann Friedrich Engelmann und Johann Neunhertz die Positionen Machiavellis und der Monarchomachisten: Machiavellistarum et monarchomachorum dogmata, Leipzig 1674. 283 Zu Jean Bodin vgl. u. a. Claudia Opitz-Belakhal: Das Universum des Jean Bodin. Staatsbildung, Macht und Geschlecht im 16. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2006; Thomas Gergen: Jean Bodin, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. v. Albrecht Cordes u. a., Berlin 22008, Sp. 692–694. Ähnliche Positionen in Bezug auf die (freiwillig) eingeschränkte Herrschergewalt vertrat bereits Pufendorf, der sich – besonders gegen Hobbes – dafür aussprach, daß die souveräne Staatsgewalt sich gleichsam selbst davon abhalten solle, absolut zu sein. Seiner Auffassung nach oblag es jedem (guten) Herrscher, die eigene Macht, mit der er Gesetze erließ, zu beschränken. Vgl. dazu Pufendorf, Verfassung des deutschen Reiches, 5. Kapitel, S. 123–180.

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die negativen Konsequenzen, die einem Land und einer Gesellschaft durch die unreglementierte Tyrannei eines einzelnen schlechten Herrschers drohten. Wenn Fassmann in seinen Gesprächen also immer wieder anmahnt, daß sich ein Regent an die Gesetze zu halten habe, plädiert er im Grunde dafür, dem Beispiel Englands zu folgen, das als erstes Land seine Herrscher an konstitutionelle Gesetze band. Das Vorbild, das Fassmann auf seinen Reisen selbst kennengelernt hatte und in zahlreichen Gesprächen wie anderen Publikationen immer wieder beschrieb, bildete den Gegenpol zu Ländern wie Frankreich, das sich erst mit der Revolution von 1789 gewaltsam die Volkssouveränität erstritt. Weil es lange Zeit zu gefährlich war, aktuelle politische Diskussionen an Beispielen aus dem eigenen gesellschaftlichen Kontext zu verhandeln, wichen viele frühneuzeitliche Quellen auf Exempel aus dem Orient oder aus der eigenen bzw. fremden Vergangenheit aus. Mittels dieser Strategie konnte auch Fassmann in seinen Gesprächen Fragen nach der Legitimität des Tyrannenmordes behandeln; besonders die Leben und Taten antiker wie orientalischer Herrscher wie Caesar oder Tamerlan konnten den Lesern vor Augen führen, welche politischen wie lebenspraktischen Konsequenzen eine andauernde Gewaltherrschaft nach sich zog. Elisabeth Frenzel führt im Zusammenhang mit der Figur des Tamerlan aus: An dem orientalischen Tamerlan-Stoff [...] reizte das gehäufte Maß von Grausamkeit, das sich in der allgemeinen Vorstellung mit dem orientalischen Despotismus verband und das auch das islamische Gegenspiel in den Dichtungen um den albanischen Türkenbekämpfer Skanderbeg charakterisierte.284

Besonders im Hinblick auf ‚klassische‘ Beispiele aus dem Orient liefert Fassmann alles, was sich der zeitgenössische Leser vorstellen konnte: Sowohl die Herrschaft des Tamerlan als auch die des Ibrahim Sultan und die Taten des Türkenbezwingers Skanderbeg werden in seinem historisch-politischen Journal anhand eigener Entrevuen verhandelt. Fassmann propagierte ganz im frühaufklärerischen Geiste an vielen Stellen das Idealbild eines humanistisch geprägten und maßvollen Herrschers, als dessen ins Negative gewendetes Pendant er grausame orientalische Tyrannen auftreten ließ.285 Zu diesem Typus traten in zahlreichen anderen zeitgenössischen Texten negativ konnotierte Figuren, die einen schlechten Einfluß auf ‚schwache‘ Herrscher hatten. Solcher-

284 Frenzel, Tyrannei und Tyrannenmord, S. 702. 285 Diese Rollenzuweisung war jedoch, wie das letzte Kapitel gezeigt hat, nicht starr. So konnte auch der europäische Regent den Part des schlechten Herrschers übernehmen und sein orientalisches Gegenüber zum Vorbild für maßvolles Regieren werden.

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maßen verführte Tyrannen gerieten zu Beginn der Aufklärung (und eben auch bei Fassmann) in den kritischen Blick nicht nur der neu entstehenden politisch-historischen Journale. Die Figur des schmeichlerischen und schlechten Beraters erfuhr zunehmend mediale Aufmerksamkeit,286 so etwa auch in Johann Christoph Gottscheds Die parisische Bluthochzeit [1745], in der v. a. das intrigante Umfeld von König Henri de Navarre beleuchtet wurde, oder in Christian Felix Weißes Mustapha und Zeangir [1763]. Beide Titelfiguren hatte Fassmann in seinen Totengesprächen bereits einige Jahre zuvor näher in Augenschein genommen. Fassmann und seine Zeitgenossen trugen mit ihren Publikationen ihren Teil dazu bei, politische Ideen und Konzepte zu diskutieren und, wie im Fall der Leipziger Totengespräche, auch zu popularisieren. In neueren Medien wie den politischen Journalen konnten Leser verschiedene historische wie zeitgenössische Standpunkte zu staatspolitischen Lehren rezipieren und anhand der vorgestellten Exempel eine eigene Meinung ausbilden. Stefan Bildheim bemerkt zur langsamen Ablösung des staatspolitischen Diskurses vom zuvor häufig religiös konnotierten Hintergrund: Politische Klugheit und die aufstrebende Lehre von der ‚Staatsräson‘ verdrängte [sic] allmählich den althergebrachten Anspruch philosophischer Weisheit und der politische Realismus überwucherte nunmehr endgültig die überkommene Idee des einheitlichen christlichen Universalreiches.287

Diese Verdrängung fand in Fassmanns Totengesprächen v. a. mit Hilfe fremder politischer Konzepte statt, die immer wieder deutlich in einen Zusammenhang mit den Verhältnissen im eigenen Land gebracht wurden. So wurden Themen wie das gewaltsame Absetzen eines Tyrannen ausschließlich über den ‚sicheren‘ Umweg der orientalischen Herrscherviten verhandelt. Als Beleg für Fassmanns Diskursstrategien im Hinblick auf den Tyrannenmord und den Rebellionsgeist in streng absolutistisch regierten Ländern sollen im Nachfolgenden zwei unterschiedliche Beispiele aus den Gesprächen angeführt werden. 1. Mehmed II., der osmanische Bezwinger Konstantinopels, und Ibrahim Sultan, genannt der Verrückte, treffen im Totenreich aufeinander (vgl. Abb. 32). Als Mehmed seinen ehemaligen Landsmann erblickt, bemerkt er, daß dieser eine Bogensehne um den Hals trägt. Mit dieser wurde er im Jahre 1648 nach

286 Vgl. dazu auch die Beispiele bei Frenzel, Tyrannei und Tyrannenmord, S. 707 f. 287 Bildheim, Calvinistische Staatstheorien, S. 14.

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Abb. 32: Mehmed II. und Ibrahim Sultan, Entrevue Nr. 176, Leipzig 1733.

nur acht Jahren Regierungszeit ‚à la turque‘ vom Leben zum Tod befördert.288 Der zum Schrecken des christlichen Abendlandes gewordene Mehmed schämt sich zuerst für den Umstand, daß sein Landsmann auf eine derartig schmähliche und hinterhältige Art sterben mußte, tröstet sich dann jedoch mit der Erkenntnis, daß Ibrahim Sultan weder der erste noch wahrscheinlich der letzte der osmanischen Monarchen sei, dem dieses Schicksal widerfahren ist. Beide unterhalten sich über den ungewöhnlichen ‚Halsschmuck‘ und Ibrahim, der sich von Mehmeds Erkenntnis getröstet sieht, fragt sein Gegenüber: Aber saget mir doch, fürtrefflicher Kayser! wie es kommet, daß eine so souveraine, ja vollkommen despotische Regierung, wie die Türckische, nicht vermögend ist, den Rebellions=

288 Zum kurzen Leben Ibrahim Sultans vgl. etwa Josef Matuz: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, Darmstadt 1985, S. 167 ff.

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Geist zu ersticken und zu vertilgen? Man lässet stranguliren; man lässet die Köpfe herunter schlagen; man lässet spiessen und schinden; man lässet mit Pfeilen oder anderem Geschoß tot schiessen; man lässet ersäuffen oder niedersäbeln, dergestalt, daß man meinen solte, es müsste alles vor einem erzittern, und kein Mensch sich unterstehen, sich auf eine rebellische Art zu regen. Ehe man sich aber dessen versiehet, so entstehet ein Aufruhr.289

Im Osmanischen Reich, so das Fazit, das der Leser aus der langen Reihung verschiedener Tötungsarten herauslesen konnte, zögerte man nicht lange, wenn es darum ging, den „Rebellions=Geist“ zu ersticken. Für den Westen stellte der Orient eine Art politisches Versuchslabor dar, wie sich an dieser Entrevue zeigt: Wenn es nicht einmal einer streng absolutistisch organisierten Gesellschaft wie der türkischen gelang, revolutionäre Umtriebe zu unterbinden, welche Aussicht auf inneren Frieden hatten dann die europäischen Länder, die im Vergleich zu den orientalischen weniger streng, d. h. despotisch regiert waren? Fassmanns Gespräch spiegelt den paradoxen Konflikt seiner Zeit und seines kulturellen Umfeldes wider: Einerseits erschien die Vorstellung, die Verhältnisse in einem absolutistischen Musterstaat wie dem osmanischen zu beobachten und diese (zumindest gedanklich) auf die eigene Gesellschaft zu übertragen, als ausgesprochen reizvoll; andererseits verlangte der selbstauferlegte Anspruch an die eigene Zivilisiertheit, den barbarischen Umgang der osmanischen Herrscher mit ihren alles andere als ‚souverän‘ lebenden Untertanen (zumindest vordergründig) zu verurteilen. Auf die Frage Ibrahims nach den Gründen für die Ermordung erklärt Mehmed II: [...] Tyranney und Grausamkeit thun endlich eine solche erschreckliche Wirckung, daß sie diejenigen, welche geschienen, als ob sie vor einem zitterten und bebeten, auch vielleicht wirklich gezittert und gebebt haben, in den Harnisch jagen, und machen, daß sie bedacht sind, sich eines reisenden [sic] Tygers zu entschlagen, von welchem zerrissen zu werden, sie alle Stunden besorgen müssen. Wären hingegen die Grausamkeiten und die Tyranney von der Türckischen Regierung verbannet, dergestalt, daß nur die wircklichen boßhaften Missethäter zur wohlverdienten Straffe gezogen würden, die übrigen aber verschonet blieben, auch ihres Lebens und Vermögens wegen in aller Sicherheit und ohne Sorgen schlaffen könten, wie in andern Europæischen Reichen und Staaten, so halte ich dafür, daß man von keinem Absetzen, von keiner Gefängniß, und von keiner Strangulirung derer Türckischen Kayser etwas hören würde. Allein das Verhängniß ist mit der Türckischen Regierung vermischet, daß sie ohne Grausamkeiten, und ohne Verübung gewaltiger Tyranneyen, der bißherigen Verfassung und Einrichtung nach, nicht wohl kan geführet werden; eben diese Grausamkeiten und Tyranneyen aber, von einer Zeit zur andern, eine unglückliche Wirckung thun, und grosse Revolutiones, Empörungen und Rebellion verursachen müssen.290

289 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 176, Leipzig 1733, S. 1170. 290 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 176, Leipzig 1733, S. 1171.

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Wer Gewalt sät, wird letztlich Sturm ernten, so das Fazit Mehmeds, der nach seinem Tod geläutert erscheint und den Verhältnissen in Europa den Vorzug vor denen in seinem eigenen Reich gibt. Im Grunde plädiert Fassmann hier durch seine Figuren für ein Mindestmaß an Rechtssicherheit, nach der sich kein Mensch vor (willkürlichen) Strafen fürchten müsse, solange er in den Augen des Souveräns kein „wirklich boßhaffte[s]“ Verbrechen begangen habe. Aufstand und Umsturz werden hier als gleichsam zwingend logische Folge von grausamer Herrschaft und Unterdrückung gezeigt – jedoch mit der Einschränkung, daß die Unterdrücker in diesem Fall dem Orient entstammten und nicht etwa einem näher gelegenen Land wie etwa Ungarn, in welchem die von den Habsburgern verfolgten Protestanten ebenfalls genug Gründe zur Auflehnung hatten. In der entsprechenden Entrevue, in der Fassmann den Aspekt der repressiven Machtausübung in einem europäischen Nachbarland hätte thematisieren können, scheute er jedoch vor diesem Schritt zurück. 2. In den letzten beiden Gesprächen des Journals trifft der ungarische Rebell Thököly Imre (1657–1705) auf den paschtunischen Ashraf Khan [Sultan Eschref] († 1729), Neffe des ungleich berühmteren Mir Wais (vgl. Abb. 33). Im Dialog des protestantischen Europäers und des muslimischen Orientalen steht vor allem die Frage nach der Legitimität von Rebellion im Vordergrund. Thököly war ein ungarischer Freiheitskämpfer, der sich gegen die habsburgische Oberherrschaft in seinem Land stellte.291 Eschref bzw. Ashraf Khan entstammte der paschtunischen Hotaki-Dynastie und wurde von den persischen Afschariden zur Flucht aus deren Reichsgebiet gezwungen; auf seinem Rückzug wurde er 1729 vom Anführer der Perser, Nadyr Schah [1688–1747], ermordet.292 Der Kampf des ungarischen Rebellen gegen die habsburgische Herrschaft wurde nicht etwa gelobt, sondern kritisiert und sein Aufbegehren gegen die katholischen Besatzer deutlich verurteilt. Obwohl Fassmann als freier Journalist und Protestant gegenüber dem Kaiser keinerlei Verpflichtungen eingehen mußte (und die Katholiken oft genug bereits hart angegangen war), konnte Thökölys Tun vor seinen Augen keine Gnade finden. Besonders der Pakt, den der ungarische Protestant mit den Osmanen gegen die Habsburger schloß, wurde von

291 Fassmann bezieht seine Informationen zum Leben des ‚Rebellen‘ vor allem aus der Histoire des troubles de Hongrie [2 Bde., Amsterdam 1686] und einer französischen Lebensbeschreibung. Jean Le Clerc: Histoire d’Emeric, comte de Tekeli, ou, Memoirs pour servir à sa vie, London 1693. 292 Zum Leben des Khans konnte Fassmann auf eine seiner eigenen Publikationen zurückgreifen: ders. als Pithander von der Quelle: Herkunfft, / Leben und Thaten, / des / Persianischen Monarchens, / Schach Nadyr / vormals / Kuli-Chan / genannt / [...] von Pithander von der Quelle, [...] Leipzig und Rudolfstadt / Verlegts Wolffgang Deer, 1738.

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Abb. 33: Thöcköly Imre und Ashraf Khan, Entrevue Nr. 239, Leipzig 1739.

Fassmann (und den meisten anderen westlichen Quellen) als Verrat an der ‚europäischen Sache‘ interpretiert und dementsprechend medial ausgeschlachtet. Auch wenn Leopold I. tatsächlich wenig zimperlich mit den Ungarn umging und diese weit entfernt von der oben zitierten „Sorglosigkeit“ lebten, war der Schulterschluß mit dem Fremden in Gestalt muslimischer Türken etwas Ungeheuerliches, das es zu verurteilen galt. In den beiden Dialogen, in denen Thököly und Ashraf aufeinander treffen, werden Introduktion, Haupt- und Nachrichtenteil inhaltlich besonders eng miteinander verknüpft: Fassmann, der mit den Begegnungen seine historischpolitische Zeitschrift beschloß, thematisierte in diesen noch ein letztes Mal die noch immer aktuell scheinende ‚Türkengefahr‘, die Europa besonders dann drohe, wenn es nicht einträchtig gegen den äußeren Feind aus dem Orient kämpfe, so der Tenor der Gespräche. Sowohl Thököly als auch Ashraf exemplifizieren in den Entrevuen das ‚närrische‘ Tun der Menschen; sie „[...] bezeugen, daß des Menschen Wesen, grossen Theils, aus Thorheit, närrischer Einbildung,

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falschen Wahn und Eitelkeit bestehet“.293 Die Männer müssen nach ihrem Tod einsehen, daß ihre Pläne, die sie zu Lebzeiten entworfen hatten, erfolglos geblieben sind. Gemein ist ihnen – und das eint sie auf der Ebene des Dialogs –, daß ihr Rebellieren gegen herrschende Zustände zum Scheitern verurteilt war. Man kann an dieser Stelle ergänzen, daß dieses Scheitern besonders auf seiten des Ungarn als gerechtfertigt dargestellt wird, weil das Aufbegehren eines einzelnen gegen die herrschende Ordnung nur in den seltensten Fällen billig sein konnte, so Fassmanns Credo. Nicht nur stellte sich der Protestant Fassmann auf die Seite des katholischen Kaisers, dessen Herrschaft er trotz der Verfolgung der Protestanten in Ungarn anerkennt, sondern er verurteilt auch die Entscheidung des ungarischen Rebellen, mit dem politischen (und religiösen) Feind paktiert zu haben. Wenig Beweggründe, so das ernüchterte Fazit des einstigen „Ertz=Rebellen“ Thököly, seien so fadenscheinig wie die, welche Aufständische als Gründe für ihre aufwieglerischen Taten anführten: Es ist entsetzlich, daß es noch so viele Völcker in der Welt giebet, die sich von dem Rebellions=Geist animiren und beherrschen lassen, da es doch eine gantz grausame Blindheit, wann Vasallen und Unterthanen die Waffen wider ihren Herrn ergreiffen und rebelliren. Gemeiniglich stecken etliche Grosse und Vornehme eines Landes darhinter, welche unter allerley scheinbaren Vorwand, absonderlich wann es heisset, als ob sie die Religion und Freyheit zu defendiren trachteten, nur ihre besonderen Absichten zu erreichen suchen, welche dahin gehen, sich und ihre Familien noch reicher, grösser und ansehnlicher zu machen, als sie schon sind, oder auch wohl Rache wegen einiger wirklich erlittener, oder nur in der Einbildung bestehender, Beleidígung auszuüben.294

Fassmann läßt den im Totenreich geläuterten Rebellen Thököly einsehen, daß meist eigene Machtinteressen und weniger das Gemeinwohl im Vordergrund stünden, wenn sich einzelne gegen herrschende Verhältnisse auflehnten. Sein Gegenüber Ashraf Khan entgegnet auf die desillusionierte Abrechnung des Ungarn mit den „Grosse[n] und Vornehme[n]“: Indessen giebet es, absonderlich in dem Orient, solche Höfe, die durch ihre Tyranney, und abscheuliche Regierungs=Art, Anlaß genug, und gerechte Ursachen zum Rebelliren geben. Ich nenne es gerechte Ursachen, nach denen Maximen, welche ich und meine Familie, und auch sehr viele andere in der Welt geheget haben.295

Bemerkenswerterweise tut Ashraf an dieser Stelle zwar so, als beziehe er sich vor allem auf einige Herrscher im Orient, in der Tat wird jedoch an seinem

293 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 239, Leipzig 1739, S. 1063. 294 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 239, Leipzig 1739, S. 1047 f. 295 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 239, Leipzig 1739, S. 1048.

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Zitat deutlich, daß er sich eben nicht nur auf fremde Tyrannen beschränkt („Indessen giebet es, absonderlich in dem Orient“), sondern mittels der „gerechten Ursachen“ ausdrücklich die „Welt“ in seine Überlegungen einschließt. Das Ergebnis einer (gerechtfertigten) Rebellion und des gewaltsamen Absetzens eines schlechten Tyrannen spreche für sich, so Ashraf, wenn ehemals ungerechte und schlechte Lebensbedingungen durch einen neuen, „gerechten Souverain“ verbessert würden.296 Die angeführten „gerechten Ursachen“ führt der paschtunische Sultan im Nachfolgenden aus und markiert damit die politischen Rahmenbedingungen, innerhalb deren ein Absetzen des amtierenden Herrschers vertretbar wäre. Anzeichen für eine schlechte Herrschaft sind nach Ashraf gegeben, wenn – der Herrscher seine Regierungsgeschäfte vernachlässigt (durch Spiel, Trunksucht oder Faulheit), – er seinen hohen Bediensteten und womöglich den „Weibern und Concubinen“ 297 das Regieren überläßt und das Reich darüber zerrüttet wird, – keine Gerechtigkeit mehr herrscht, – ein Handel mit Ämtern am Hofe geduldet wird, – viele Statthalter in den Provinzen ebensolche „Ungerechtigkeiten und Gewaltthätigkeiten“ verübten, wie sie am Hofe üblich seien,298 – die Untertanen auf entsetzliche Art unterdrückt und geschunden würden. Alle oben aufgeführten Umstände könnten, so Ashrafs Diktum, eine zwangsweise Absetzung eines schlechten Herrschers bzw. Rebellion rechtfertigen; allerdings sei die Frage, ob man zu einem schlechten Herrscher stehen oder für eine Rebellion eintreten solle, häufig genug schwierig zu beantworten. Das Heilmittel berge oft ähnlich große Gefahren wie die Krankheit selbst: Toeckoely Aber habt Ihr es dann, mein lieber Eschref! durch euer Unternehmen, besser gemachet, als es zuvor gewesen? oder müsset Ihr nicht vielmehr bekennen, daß, indem Ihr gesuchet, Euch von der Tyranney des Persianischen Hofes zu befreyen, Ihr dargegen selber tausenderley Ungerechtigkeiten und Gewaltthätigkeiten verübet und begangen?

296 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 239, Leipzig 1739, S. 1048. 297 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 239, Leipzig 1739, S. 1049. Fassmann spielt hier auf die noch bis vor kurzem misogynistisch als ‚Weiberherrschaft‘ bezeichnete Phase in der osmanischen Geschichte an, während der v. a. die Mütter der osmanischen Sultane großen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte und Ämterbesetzung genommen haben sollen. Vgl. zu dieser Bezeichnung und neueren Lesarten Faroqhi, Geschichte des Osmanischen Reiches, S. 69 ff. 298 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 239, Leipzig 1739, S. 1049.

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Eschref Das ist freylich wahr. GOtt aber brauchte uns, die wir von Natur aus bös geartet, und zum Rebelliren geneigt gewesen, den Persianischen Hof, und einen grossen Theil des Persianischen Reichs, wegen ihrer Sünden und Missethaten, zu geisseln und zu züchtigen, biß er uns selber, nachdem wir seinen Willen vollbracht, in das Feuer geworffen. Das musste an mir der Kuli=Chan richten, welcher heutiges Tages der Schach Nadyr heisset, und selber den Persianischen Thron besitzet. Es scheinet auch, als ob er das Persianische Regiment ziemlich verbessert und es auf einen guten Fuß gesetzet habe.299

Rebellion und Tyrannenmord sind, so das Fazit Ashrafs, ein schmutziges Geschäft, für das man im Nachhinein seinen gerechten Lohn erhält. Und dies auch dann, wenn der Aufstand ‚Gottes Wille‘ gewesen sei. Alle Bedenken und negativen persönlichen Folgen, die sich aus einer Rebellion ergäben, würden jedoch durch die positiven Auswirkungen, die das Aufbegehren auf das Allgemeinwohl habe, aufgewogen. Obwohl der Leser die Verhältnisse, die Ashraf in Bezug auf das persische Reich schildert, ohne weiteres auf die ungarischen übertragen konnte, scheint Fassmann diesen eigentlich naheliegenden Schluß zu scheuen. Die Auffassung, die sich in den beiden letzten Totengesprächen in Bezug auf das Aufbegehren gegen eine fremde Macht zeigte, stand im Einklang mit der überkommenen Haltung der Protestanten gegenüber den katholischen Herrschern. Josef Matuz bemerkt in seiner Studie Das Osmanische Reich zu den Prinzipien, die sich bereits zu Beginn der Reformation herausbildeten: Die deutschen Protestanten unterstützten [...] – trotz ihrer konfessionellen Gegensätze – prinzipiell die Habsburger bei der Abwehr der Osmanen, obwohl sie vom Sultan [Süleyman – SD] zum Kampf gegen diese katholische Macht aufgefordert worden waren.300

Obgleich die Behandlung der Protestanten in Ungarn durch die Habsburger im oben aufgeführten Katalog als Unterdrückung und schändliche Behandlung verstanden werden konnte, mußte Thököly sein eigenes Verhalten in Fassmanns Totenreich deswegen verurteilen. Sein Paktieren mit dem immer noch bedrohlichen osmanischen Feind und sein Auflehnen gegen diejenige Macht, die Europa an dessen östlichem Rand verteidigte, erschien deswegen unentschuldbar. Dem höheren Zweck – der Unversehrtheit Europas – wurde wie so häufig in Fassmanns Gesprächen alles andere untergeordnet. ***

299 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 239, Leipzig 1739, S. 1049. 300 Matuz, Das Osmanische Reich, S. 116.

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Die Kritik am vermeintlich Fremden schloß in Fassmanns Totengesprächen häufig auch die Kritik am Anderen ein. Im Herrschaftsdiskurs seiner Zeit konnte Fassmann seine Schelte ungebildeter orientalischer Fürsten auf Personen und Gruppen übertragen, die nichts mit dem ‚Orient‘ zu tun hatten. In der Entrevue Nr. 114 etwa tadelt der persische Schah Safi I. die Ignoranz Bayezids I. gegenüber allem, was mit (fremden) Religionen zu tun habe. Sein türkisches Gegenüber wisse nichts über die unterschiedlichen Glaubensrichtungen im Orient und sei deswegen mit katholischen (insbesondere italienischen) Kirchenoberhäuptern zu vergleichen, so das harsche Urteil des Persers. Auch die katholischen Würdenträger wüßten fast nichts über den ‚anderen‘ christlichen Glauben, den Protestantismus; sie beteten jedoch stets das nach, was Dritte ihnen vorsagten: Ich wette hiernechst, daß schon mancher Italiänischer Fürst, oder ein und anderer von denen besagten Königen nicht gewust, was die Protestanten glauben, oder wie sie ihren Gottesdienst abwarten. Gleichwohl spricht man, sie sind Ketzer, verdammet sie auch, als Leute die keinen Theil an dem Reiche GOttes haben. Warum? Man hat es so gehöret. Der Praeceptor in der Jugend, und der Beichtvater bey herannahendem Alter, haben es so gesagt; der Hof=Prediger, und andere Geistliche, aber es nicht anders geprediget. Auch die gantze so genannte Kirche spricht nicht anders; ergo muß es wahr seyn. Aber, warum sollte ein solcher König, oder Fürst, sich nicht selber um die Glaubens=Artickel derer Protestanten, und um ihre Gründe, auch um den bey den Protestantischen Gottesdienst eingeführten Gebrauch, um ihre Gebeter [sic], um ihre Lieder etc. kümmern, ehe er sie vor Ketzer und vor Verdammte schilt? Alsdann könnte er ein gerechter Urtheil davon fällen. Verwürffe er sie auch gleich als Ketzer; so thäte er es doch nach seinem eigenen Licht und Begriff. So aber sagen die Protestanten, daß sich mancher Römisch=Catholischer Fürst, in Religions=Sachen, bloß durch andere blindlings leiten lasse.301

Das Zitat markiert den aufklärerischen Impetus von Fassmanns Gesprächen. Im Gewand des ‚Orientalischen‘ vermochte er die allgemein verbreitete adelige bzw. katholische Ignoranz zu tadeln, die in seinen Augen verhinderte, daß die europäischen Christen besser als die Muslime aus dem fernen Osten lebten. Besser hieß in diesem Zusammenhang in Frieden und religiöser Eintracht, tolerant gegenüber dem zivilisierten Fremden und unter Wahrung allgemein anerkannter Sitten und Gesetze. Als negatives Szenario diente Fassmann das Schreckensbild des ungebildeten, barbarischen und kriegslüsternen Tyrannen aus dem Orient, der seine Untertanen knechtete, während er selbst sich unter Mißachtung der religiösen wie weltlichen Gesetze überbordender Sinnesfreude und leiblichen Genüssen hingab.

301 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 114, Leipzig 1727, S. 88.

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In der immer wieder vorgebrachten Klage über schlechte Herrschaft kulminierten verschiedene historische wie zeitgenössische Diskurse. Durch die Kritik am orientalischen Fremden ließen sich zum einen die Zustände in der eigenen Gesellschaft anprangern, was ohne die Maske des Fremden nicht in gleichem Maße möglich gewesen wäre. Die vermeintliche Kritik am weit entfernten, barbarischen Fremden entpuppte sich deswegen häufig als fundamentale Kritik an der eigenen Kultur, an europäischen Gepflogenheiten oder an politischen Handlungen im eigenen Land. Die Dialoge dienten zum anderen als eine Art frühaufklärerischer Fürstenspiegel. Politik, Staatswesen und Volkssouveränität wurden in stetig wechselnden Zusammenhängen immer wieder neu thematisiert, definiert und relativiert. Als Paradebeispiel für schlechte Herrschaft galten in diesem Zusammenhang v. a. absolutistisch regierende fremde Herrscherfiguren oder ‚wilde‘ Barbaren wie Attila, Mulai Ismail oder Arudsch Barbarossa, deren gleichsam unmenschliche Bestialität in den Gesprächen angeprangert wird. Zum dritten schloß die Kritik an schlechter Herrschaft auch die Kritik an der Ungebildetheit der Beherrschten wie der Herrscher ein. Besonders die weitverbreitete Geschichtsvergessenheit sei die Wurzel allen Übels – nicht nur im Orient, sondern auch im Okzident, wie Fassmanns Leser aus der Lektüre des historisch-politischen Journals schließen konnten. Zu diesem Aspekt ‚gesteht‘ Safi I.: Lasset uns bekennen, Bajazeth! daß die Orientalischen Potentaten, die doch einen so grossen Theil der Welt beherrschen, in einer gewaltigen Tumbheit und Ignoranz stecken. Sie haben nicht einmal eine rechte Käntniß von ihren eigenen Landen und Unterthanen; geschweige, daß sie einen guten Begriff von auswärtigen Staaten, denen Affairen, und dem Genie, fremder Nationen haben solten.302

Fassmann begriff seine Totengespräche dezidiert als ein geeignetes Gegenmittel gegen die „Tumbheit und Ignoranz“. Durch die genaue Kenntnis der eigenen Geschichte wie der „Affairen, und de[s] Genie[s]“ fremder Staaten, so seine Argumentation, würden sich die Menschen von den geschilderten Mißständen entfernen und sich dem Ideal der umfassenden politischen wie historischen Bildung nähern. Obwohl er in diesem Aspekt ganz dem Geist der (Früh)Aufklärung verpflichtet war, mochte Fassmann auf das Attraktionspotential ‚anderer‘ Vergnügungen (etwa in Form von scandaleusen, unanständigen Anekdoten) nicht verzichten. Fassmanns Darstellung unterschiedlicher Religionen zeigt, welche Überzeugungen er im ersten seiner zahlreichen Periodika vertrat. Als paradigma-

302 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 114, Leipzig 1727, S. 85.

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tisch für die Haltung, die er mit seinen Totengesprächen verbreitet wissen wollte, kann der 56. Dialog gelten, in welchem der jesuitische Kardinal Bellarmin (1542–1621)303 auf den Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer (1489– 1556),304 traf. Roberto Francesco Romolo Bellarmin, der als Jesuit einer der hervorragendsten Vertreter für die Suprematie des Papstes war, wird von seinem englischen Gesprächspartner gründlich belehrt, als es um die Religionsfreiheit geht: Ja ich meines Orts bin der gäntzlichen Meinung, daß, wann ein Fürst Juden, Türcken, oder gar Heyden unter sich hat, und es ist ihnen einmal die Gewissens=Freyheit versprochen, sie ihres Orts aber führen sich gehorsam und ruhig auf, man keinem Menschen, ohne Sünde, den geringsten Zwang anthun kan.305

Auf die Frage Bellarmins, worauf sich diese Forderung nach Toleranz gründe, antwortet Cranmer zum einen mit dem „natürlichen Recht“, zum anderen mit der „Conduite derer Apostel“.306 Die ursprüngliche christliche Lehre habe keineswegs erlaubt, anderen wegen ihres abweichenden Glaubens Gewalt anzutun. Ganz im Sinne toleranter Aufgeklärtheit setzt er zu einem Plädoyer wider die utilitaristische Haltung des römisch-katholischen Kardinals an, der mit leichter Hand existierende übernationale wie -konfessionelle Pakte und Verträge für hinfällig erklärt, wenn der Bruch derselben einen Aufschwung seiner eigenen Religion bedeutet. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Fassmann orientalische Figuren v. a. wegen zweier unterschiedlicher Aspekte in seinem Journal porträtierte: 1. aus ‚ethnographischem‘ Interesse am Fremden: Die Orientalen waren im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts bereits interessant genug, um zum Gegenstand und zu handelnden Personen seiner Totengespräche zu werden. 2. als ‚Exempel‘: Fremde Figuren dienten Fassmann in unterschiedlichen Sinnzusammenhängen als besonders anschauliche Beispiele für Phänome-

303 Zu Kardinal Bellarmin vgl. etwa Thomas Dietrich: Die Theologie der Kirche bei Robert Bellarmin, Paderborn 1999. 304 Zu Erzbischof Cranmer siehe Albert F. Pollard: Thomas Cranmer and the English Reformation, London 1965. 305 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 56, Leipzig 1723, S.560. 306 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 56, Leipzig 1723, S. 560. Seiner ihm zugedachten Rolle gemäß widerspricht Bellarmin seinem Gegenüber an dieser Stelle und versucht, das göttliche über das natürliche Recht zu stellen, um so die ‚richtige‘ Ordnung wieder einzusetzen und – so das erste Thema des Eingangsdialogs – die Mittel und Maßnahmen zu rechtfertigen, welche die katholische Kirche anwendet, um andere zu missionieren und vom ‚rechten Glauben‘ zu überzeugen.

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ne und Eigenschaften wie etwa Herrschsucht, Barbarei oder scandaleuse Unanständigkeit. In Anlehnung an Polascheggs Ansatz für eine „Gebrauchsgeschichte“ 307 des deutschen Orientalismus möchte ich an dieser Stelle dafür plädieren, letzteren weniger als ein übergeordnetes und womöglich transdiskursives Phänomen Saidscher Prägung zu verstehen; statt dessen hat diese Arbeit in der Analyse der Gespräche, in denen Fassmann orientalische Figuren, Themen oder Gegenstände aufgriff, danach gefragt, in welchem diskursiven Kontext er dies tat und in welchem Funktionszusammenhang diese Aufnahmen jeweils standen. Die Entscheidung für eine bestimmte Figur bedeutete gleichzeitig immer auch die Entscheidung gegen eine andere. Wie sich an verschiedenen Beispielen gezeigt hat, vermochte Fassmann mit Hilfe orientalischer Figuren Gegenstände zu behandeln, die er nicht in gleicher Form hätte thematisieren können, wenn er statt dessen ‚europäische‘ Figuren gewählt hätte. Rhetorische, soziale, kulturelle wie auch rechtliche Gesichtspunkte ließen die persischen, osmanischen, indischen oder marokkanischen Figuren zu geeigneten Akteuren in einer größtenteils antik-christlich geprägten Unterwelt werden. Die literarische ‚Verkörperung‘ des Orients, seine Perspektivierung und diskursive Verlebendigung in den Gesprächen gibt dabei Auskunft über die Bedingungen, unter denen Fassmann seine Version eines literarischen Orients schuf. Die betont lebhaften Schilderungen, wie sie uns etwa in Form von Porträts ‚unanständiger‘ Nackttänzerinnen, intriganter Haremsdamen, wilder Derwische, kriegerischer Janitscharen und genußsüchtiger Sultane, aber auch in Form von ausgearbeiteten Szenerien, verschiedenen religiösen wie profanen Ritualen, fernen Städten, typischen Gegenständen oder monströsen Naturwundern begegnen, sind als Versuch zu lesen, die Beschränkungen des (schriftlichen) Mediums und einer einzigen Textsorte wie des Totendialogs zumindest stellenweise zu überwinden. So wie Fassmann mittels seiner orientalischen Figuren bestimmte Sinnzusammenhänge und Lesarten des Fremden konstruierte, tat er dies auch mit den europäischen Figuren, wenn es darum ging, das Eigene und vermeintlich Bekannte näher zu beschreiben. Man sollte in diesem Zusammenhang nicht versuchen, ein kontextunabhängiges, übergeordnetes Orientbild zu (re)konstruieren. Stattdessen zeigen die Gespräche, in denen der Orient bzw. orientalische Figuren eine Rolle spielen, daß einzelne Herrscher, Gegenstände oder Anekdoten zu einem bestimmten Zweck ausgewählt wurden. Darüber hinaus verraten

307 Andrea Polaschegg: Von chinesischen Teehäusern zu hebräischen Melodien. Parameter zu einer Gebrauchsgeschichte des deutschen Orientalismus, in: Orientdiskurse in der deutschen Literatur, hg. v. Klaus-Michael Bogdal, Bielefeld 2007, S. 49–80.

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die diskursiven Strategien Fassmanns, welche Lesarten vom Eigenen und Fremden er seinen Lesern vermitteln wollte. Die bereits von Beginn der Textsorte eingeschriebene Gleichheit unter den Toten förderte diese Lesart noch: So wie die europäischen konnten auch die orientalischen Figuren zu geeigneten Beispielen für bestimmte Charaktereigenschaften oder Taten werden, genau wie auch Europa oder der Orient zu immer wieder in neue Sinnzusammenhänge gestellten rhetorischen topoi wurden. In Anlehnung an Polascheggs Interpretation von Luhmanns Systemtheorie ist deswegen das Vorhandensein bestimmter orientalischer topoi als eine Form von Problemlösung unter vielen zu verstehen. Allein wegen des Umfangs der Leipziger Gespräche und wegen der damit zusammenhängenden thematischen wie argumentativen Überschneidungen blieb es nicht aus, daß die diskursiven „Verkörperungen“ des Orients in den Totengesprächen einen gewissen literarischen Eigensinn entwickelten.308 Während sich also einige Lesarten ‚orientalischer‘ Praktiken und Herrscherfiguren veränderten, blieb zumindest eine Überzeugung über den gesamten Zeitraum, in dem die Leipziger Totengespräche erschienen, unverändert bestehen: Dem Rathschluß Gottes kan kein Sterblicher entgehen Er sey auch in der Welt, an welchem Ort er sey, In Osten oder West, Gott weiß ihn zu erhöhen, Auch zu erniedrigen: Es ist Gott einerley.309-

308 Polaschegg, Von chinesischen Teehäusern, S. 71. Polaschegg zitiert an dieser Stelle Sybille Krämer, die in ihrer Studie zur Performativität von Sprache und Schrift auch auf diesen ‚körperlichen‘ Aspekt zu sprechen kommt. Sibylle Krämer (zit. n. Polaschegg): Sprache – Stimme – Schrift. Sieben Gedanken über Performativität als Medialität, in: Performanz, S. 323–346, hier S. 345. 309 Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, Entrevue Nr. 186, Leipzig 1734, Titelblatt.

7 Verzeichnis aller 240 Entrevuen der Gespräche in dem Reiche derer Todten Stark abweichende Bezeichnungen der Eigennamen im Original sind durch [eckige Klammern] gekennzeichnet. 1. Leopold I., * 9. Juni 1640 (Wien), † 5. Mai 1705 (Wien), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Louis XIV. [Ludovicus XIV.], * 5. September 1638 (St-Germain-en-Laye), † 1. September 1715 (Versailles), König von Frankreich 2. Karl V., auch Karl I., * 24. Februar 1500 (Gent) † 21. September 1558 (Kloster San Jerónimo de Yuste), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, ab 1516 auch König von Spanien und François I., * 12. September 1494 (Burg Cognac) † 31. Juli 1547 (Rambouillet), König von Frankreich 3. Gustav III. Adolf, * 19. Dezember 1594 (Stockholm), † 16. November 1632 (bei Lützen), König von Schweden und Charles I., * 19. November 1600 (Dunfermline), † 30. Januar 1649 (London), König von England 4. Elisabeth, genannt Virgin Queen, * 7. September 1533 (Greenwich), † 24. März 1603 (Richmond), Tochter Heinrichs VIII., Königin von England und Christina, * 18. Dezember 1626 (Stockholm), † 19. April 1689 (Rom), Königin von Schweden 5. Papst Sixtus V., * 13. Dezember 1521 (Grottammare), † 27. August 1590 (Rom); Papst von 1585 bis 1590 und Jean Baptiste Molière, geboren als Jean Baptiste Poquelin, * vermutlich 14. Januar 1622 (Paris), † 17. Februar 1673 (Paris), französischer Dramatiker und Theaterdirektor 6. Henri de Latour d’Auvergne, * 11. September 1611 (Sedan), † 27. Juli 1675 (bei Sasbach/ Baden), Vicomte de Turenne, französischer Marschall und Louise Françoise de La Baume Le Blanc, * 6. August 1644 (Tours), † 7. Juni 1710, duchesse de la Valière, Mätresse von Louis XIV. 7. Johann Reinhold von Patkul, * Juli 1660 (Stockholm), † 11. Oktober 1707 (beim Kloster Kasimierz/Posen), livländischer und sächsischer Staatsmann und General-Lieutenant

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Verzeichnis aller 240 Entrevuen der Gespräche in dem Reiche derer Todten

und Georg Heinrich von Schlitz, genannt von Görtz, * 1668, † 19. Februar 1719 (Stockholm), holsteinischer Minister, ab 1715 Berater des schwedischen Königs Karls XII. 8. Philipp II., * 21. Mai 1527 (Valladolid), † 13. September 1598 (Escorial), Sohn Karls V., König von Spanien und Willhelm von Nassau, auch genannt Wilhelm der Schweiger (Willem de Zwijger), * 24. April 1533 (Dillenburg), † 10. Juli 1584 (Delft), Prinz von Oranien 9. Henry VIII., * 28. Juni 1491 (Greenwich), † 28. Januar 1574 (London), König von England und Süleyman II., genannt der Prächtige, auch Suleiman oder Soliman [Solmanno II.], * 6. November 1496, † 5. September 1566 (vor Szigeth), osmanischer Sultan 10. James II. [Jacob II.], * 14. Oktober 1633 (London), † 5. September 1701 (Saint-Germain-enLaye), Sohn von Charles I., König von England und König von Schottland und Irland und James Scott [Mylord-Duc of Montmouth], * 9. April 1649, † 1685, Herzog von Montmouth, unehelicher Sohn von Charles II. von England, Thronprätendent und Anführer der MonmouthRebellion 11. Eduard III., * 13. November 1312 (Windsor), † 21. Juni 1377 (London), König von England und Wilhelm III. von Oranien-Nassau, * 14. November 1650 (Den Haag), † 19. März 1702 (Hampton Court), Statthalter der Niederlande und König von England 12. Anne Stuart, * 6. Februar 1665 (London), † 1. August 1714 (London), Tochter von James II., Königin von England und Schottland und Königin von Irland und Thomas Wharton, Marquess of Wharton [Mylord Wharton],* August 1648, † 12. April 1715, Mitglied des englischen Parlaments und Oberhaupt der Whigs 13. Karl II., * 6. November 1661 (Madrid), † 1. November 1700 (Madrid), König von Spanien und Luis Manuel Fernández de Portocarrero [Cardinal Portocarero], * 1635, † 1709, Kardinal von Toledo 14. François d’Aix, seigneur de La Chaise, genannt Père Lachaise, * 25. August 1624 (Chateau Aix, Saint-Martin-la-Sauveté), † 20. Januar 1709 (Paris), Jesuit und Beichtvater von Louis XIV. und Marie Angélique de Scoraille de Roussille, * 1661, † 28. Juni 1681 (Port Royal des Champs), Duchesse de Fontange, Mätresse von Louis XIV.

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15. Louis II. de Bourbon, * 8. September 1621 (Paris), † 11. Dezember 1686 (Fontainebleau), genannt Le Grand Condé, französischer Feldherr und Anführer der adeligen Opposition gegen Kardinal Mazarin und Charles de Creuvron, * angeblich 5. September 1638 (Provence) † 1718 (nicht ermittelbar), ein „Marquis aus der Provence“ 16. Oliver Cromwell, * 25. April 1599 (Huntingdon/East Anglia), † 3. September 1658 (Westminster), Lord Protector von England und Richard Cromwell, * 4. Oktober 1626 (Huntingdon/East Anglia), † 12. Juli 1712, Sohn von Oliver Cromwell und Lord Protector von England zwischen September 1658 und Mai 1659 17. Armand-Jean I. du Plessis de Richelieu, * 9. September 1585 (Chateau Richelieu, Dépt. Indreet-Loire), † 4. Dezember 1642 (Paris), Kardinal, Berater und Minister von Louis XIII. und Jules Mazarin, * 14. Juli 1602 (Pescina), † 9. März 1661 (Vincennes), Diplomat und Kardinal, zwischen 1642 und 1661 auch Minister Frankreichs 18. Charles II., * 29. Mai 1630 (London), † 6. Februar 1685 (London), König von England und Irland und König von Schottland und Henriette-Sylvie de Molière, * angeblich zwischen 1672 und 1674, fiktive Figur und angebliche Komödiantin, erfunden von der Romanautorin und Dramatikerin Marie-Catherine de Villedieu, (* um 1640 in Alençon oder Paris; † 20. Oktober 1683 in Saint-Rémy-du-Plain/ Bretagne) 19. Henri IV., * 13. Dezember 1553 (Pau/Navarra), † 14. Mai 1610 (Paris), König von Frankreich, erster König aus dem Haus Anjou und Gaspard II. de Coligny, * 16. Februar 1519 (Châtillon-sur-Loing), † 24. August 1572 (Paris), Comte de Coligny, Pair von Frankreich, französischer Admiral und Hugenottenführer, unter den ersten Opfern der ‚Bartholomäusnacht‘ 20. Cleopatra VII., genannt Große Philopator, * ca. 69 v. Chr., † 30 v. Chr., Königin von Ägypten und François-Henri de Montmorency-Bouteville, * 8. Januar 1628 (Paris), † 4. Januar 1695 (Versailles), Herzog von Luxemburg, Marschall und Connétable von Frankreich 21. und 22. „Die Sieben Weisen aus Griechenland“, Gruppe von ca. 22 Männern aus dem 6. Jhdt. v. Chr. (Platon,Thales von Milet, Bias, Solon von Athen, Pittakos von Mytilene, Kleobulos von

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Lindos, Myson von Chenai, Chilon von Sparta, Epimenides der Kreter, Pythagoras, Akusilaos, Orpheus, Peisistratos, Perekydes, Hermioneos, Lasos, Pamphilos und Anaxagoras) und „ein Narr“ (nicht ermittelbar) 23. und 24. Françoise d’Aubignée, * 27. November 1635 (Niort), † 15. April 1719 (Saint-Cyr-l’Ècole), Madame de Maintenant, Mätresse und Ehefrau „linker Hand“ Ludwigs XIV., heiratete Paul Scarron 1652 als Sechzehnjährige und Paul Scarron, * 14. Juli 1610 (Paris) † 7. Oktober 1660 (Paris), französischer Schriftsteller 25. Papst Innozenz X., geboren als Giovanni Battista Pamphilij, * 6. Mai 1574 (Rom), † 7. Januar 1655 (Rom), Papst von 1644 bis 1655 und Olimpia Maidalchini, * 26. Mai 1591 (Viterbo), † 26. September 1657 (San Martino al Cimino), Schwägerin und Ratgeberin des Papstes 26. Philipp III., * 14. April 1578 (Madrid), † 31. März 1621 (Madrid), König von Spanien und Pedro Téllez-Giron, * ca. 1527, † 1590, Herzog von Osuna [Ossuna], Vizekönig von Neapel 27. Thomas Morus, Kanzler von England, * 7. Februar 1478 (London), † 6. Juli 1535 (London) und Peter Schumacher, auch Peder Schumacher, * 24. August 1635 (Kopenhagen), † 12. März 1699 (Trondheim), Graf von Griffenfeld, dänischer Reichskanzler unter König Christian V. 28. Maarten Harpertszoon Tromp, * 23. April 1598 (Den Briel), † 10. August 1653 (Seeschlacht vor Scheveningen), Admiral der Niederlande und Peter Tordenskiold, geboren als Peter Jansen Wessel [Tordenschild], * 28. Oktober 1690 (Trondheim), † 20. November 1720 (Gleidingen), norwegisch-dänischer Vize-Admiral 29. und 30. Ludwig Wilhelm von Baden-Baden [Prinz Louis von Baden], genannt Türkenlouis, * 8. April 1655 (Paris), † 4. Januar 1707 (Rastatt), Markgraf und kaiserlicher Generalleutnant und Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, genannt Wallenstein, * 24. September 1583 (Hermanitz a.d. Elbe), † 25. Februar 1634 (Eger), Herzog von Friedland und Mecklenburg, kaiserlicher Generalissimus 31. und 32. James Stanhope, 1st Earl of Stanhope, * ca. 1673 (Paris), † 5. Februar 1721 (London), englischer Staatsmann und General und Daniel Heinsius, * 9. Juni 1580 (Gent), † 25. Februar 1655 (Den Haag), niederländischer Gelehrter, Rat und Pensionarius

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33. und 34. Clemens XI., geboren als Giovanni Francesco Albani, * 23. Juli 1649 (Urbino), † 19. März 1721 (Rom), Papst zwischen 1700 und 1721, Gegner der Schriften Quesnels und Pasquier Quesnel, * 14. Juli 1634 (Paris), † 2. Dezember 1719 (Amsterdam), jansenitischer Pater und Theologe aus Frankreich 35. Eleonore Magdalene Therese von der Pfalz [Eleonora Magdalena Theresia], * 6. Januar 1655 (Düsseldorf) † 19. Januar 1720 (Wien), Tochter Wilhelms von Pfalz-Neuburg und Elisabeth Amalie von Hessen-Darmstadt, Gemahlin Kaiser Leopolds I. und Maria Theresia, * 10. September 1638 (Escorial), † 30. 7. 1683 (Versailles), Königin von Frankreich und Ehefrau von Louis XIV. 36. und 37. Karl X. Gustav, * 8. November 1622 (Nyköping), †13. Februar 1660 (Göteborg), König von Schweden und Nachfolger Christinas I. und Friedrich Wilhelm von Brandenburg, genannt der Große Kurfürst, * 16. Februar 1620 (Berlin), † 9. Mai 1688 (Potsdam), Kurfürst zu Brandenburg und Herzog von Preußen 38. Marie Aimée de Rohan-Montbazon, * Dezember 1600, † 12. August 1679 (Gagny), duchesse de Chevreuse, bekannt für ihre Freundschaft mit Anna von Österreich sowie ihre Feindschaft mit den Kardinälen Mazarin und Richelieu, Geliebte von François de La Rochefoucauld und Graf von Clermont (nicht ermittelbar), * angeblich im 15. Jahrhundert, verlobt mit einer Charlotte of Derby 39. Sigismund III. Wasa, * 20. Juni 1566 (Schloß Gripsholm), † 30. 4. 1632 (Warschau), Großfürst von Litauen, König von Polen und Schweden und Johann Kasimir II. [Johannes Casimir II.], * 21. März 1609 (Krakau), † 16. 12. 1672 (Nevers), Sohn Sigismunds III., König von Polen und Titularkönig von Schweden 40. Friedrich Hermann Graf von Schomberg/Schönberg [Hertzog Graf von Schomberg], * 1615 (Heidelberg), † 11. Juli 1690 (am Boyne, Irland), General im Dienste verschiedener Länder und Hans Christoffer von Königsmarck [General Graf von Königsmarck], * 4. März 1600 (Kötzlin), † 8. März 1663 (Stockholm), deutscher General in schwedischem Dienst 41. Gregor VII., geboren als Hildebrand von Soana, * zwischen 1025 und 1030 (vermutlich in Sovana), † 25. Mai 1085 (Salerno), Papst von 1073 bis 1085 und Gebhard I. von Waldburg, * 10. November 1547 (Heiligenberg), † 31. Mai 1601 (Straßburg), Kurfürst und Erzbischof zu Köln

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42. Friedrich V., * 26. August 1596 (Deinschwang), † 29. November 1632 (Mainz), Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz und als Friedrich I. ab 1620 König von Böhmen und Karl I. Ludwig, * 22. Dezember 1617 (Heidelberg), † 28. August 1680 (Edingen), Sohn Friedrichs V. und dessen Nachfolger als Kurfürst der Pfalz 43. Charles de Gontaut, * 1562, † 31. Juli 1602 (Paris), duc de Biron, Marschall von Frankreich, Heerführer und Diplomat und Robert Devereux, 2nd Earl of Essex, * 10. November 1565 (Netherwood), † 25. Februar 1601 (London), Politiker und Feldherr, ‚Liebling‘ von Königin Elisabeth I. 44. Bernhard Herzog von Sachsen-Weimar, * 16. August 1604 (Weimar), † 18. Juli 1639 (Neuenburg am Rhein), Feldherr im Dreißigjährigen Krieg und Johann Wilhelm VIII., * 4. Oktober 1677 (Gotha), † 15. August 1707 (Toulon), Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg und kaiserlicher General 45. Ernst I., genannt der Fromme, * 25. Dezember 1601 (Altenburg) † 26. März 1675 (Gotha), Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg und Mulai Ismail [Muley Ismael], * 1647, † 1727, Kaiser von Marokko 46. und 47. Henrietta Maria, * 04. November 1631 (London), † 24. Dezember 1660 (London), Prinzessin von Oranien und Nassau, älteste Tochter Charles I. von England und Frau des Herzogs von Orléans und John Churchill, 1st Duke of Marlborough, * 26. Mai 1650 (Devonshire) † 16. Juni 1722 (Cranbourn Lodge), englischer General und Feldherr im spanischen Erbfolgekrieg 48. Kyros II. [Cyrus], genannt der Große, * zwischen 580 und 590 v. Chr., † 529 v. Chr., persischer König und Gjergj Kastrioti, genannt Skanderbeg, * 1405, † 17. Januar 1468 (Lehza), albanischer Fürst und Nationalheld 49. und 50. Joseph I., * 26. Juli 1678 (Wien), † 17. April 1711 (Wien), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Innozenz XI., geboren als Benedetto Odescalchi, * 19. Mai 1611 (Como), † 12. August 1689 (Rom), Papst von 1676 bis 1689

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51. Jacob/James I., * 19. Juni 1566 (Edinburgh), † 27. März 1625 (Theobalds/Herefordshire), König von England, ab 1567 als Jakob VI. König von Schottland, ab 1603 als Jacob I. König von England und Irland und Karl, * 1. Januar 1618 (Heidelberg), † 28. August 1680 (bei Edingen), Kurfürst von der Pfalz, Sohn des „Winterkönigs“ Friedrichs V. und Elisabeth Stuarts 52. Mary I., geboren als Mary Tudor [Maria Tudor], * 18. Februar 1516 Greenwich), † 17. November 1558 (St. James Palace), Tochter von Katharina von Aragón und Heinrich VIII., Königin von England und Maria Stuart, * 8. Dezember 1542 (Linlithgow Palace), † 8. Februar 1587 (Fotheringhay Castle), Königin von Schottland 53. Anna Maria de La Tremouille, Prinzessin von Orsini [Ursini], * 1641, † 12. Mai 1722 (Rom), Tochter Louis II. von La Tremouille, Frau von Louis Blaise de Talleyrand und später Hofdame von Königin Maria Luise von Spanien und Jeanne d’Arc, genannt Jungfrau von Orléans, * 1412 (Domrémy), † 30. Mai 1431 (Rouen), französische Nationalheldin und katholische Heilige 54. und 55. Timur Lenk, auch Timur Khan, Timur-i Lenk, Amir Temur oder Timur der Lahme [Tamerlan], * 9. April 1336 (Kesh), † 18. Februar 1405 (Schymkent), Großkhan der Mongolen und Eroberer und Attila, auch Etzel, * 406, † 453, König der Hunnen 56. Robert Bellarmin * 4. Oktober 1542 (Montepulciano), † 17. September 1621 (Rom), jesuitischer Kardinal und Thomas Cranmer, * 2. Juli 1489 (Nottinghamshire), † 21. März 1556 (Oxford), Erzbischof von Canterbury und Reformator 57. Edward VI., * 12. Oktober 1537 (Hampton Court Palace), † 6. Juli 1553 (Greenwich), Sohn von Henry VIII., König von England. und Jane Grey [Johanna Gray], * 1536 (Bradgate/Leicestershire), † 12. Februar 1554 (Tower of London), Thronfolgerin Edwards VI. für 9 bzw. 13 Tage, je nach Zählung der Thronbesteigung lautet ihr Beiname Neuntagekönigin oder Dreizehntagekönigin (The Nine Days’ Queen oder The Thirteen Days’ Queen) 58. Jan Zizka von Trocnov [Ziska], * um 1360 (Trocnov), † 11. Oktober 1424 (Schönfeld), Heerführer der Hussiten und

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Jan van Leiden [Johann von Leyden], geboren als Jan Beuckelszoon, * 2. Februar 1509 (Leiden), † 22. Januar 1536 (Münster), bedeutende Person in der Täufer-Bewegung, auch Wiedertäufer-König oder Anabaptist genannt 59. Philipp IV., * 8. April 1605 (Valladolid), † 17. September 1665 (Madrid), König von Spanien und Donna Scorella, spanische Courtisane (fiktiv) 60. und 61. Anna Maria Mauricia von Spanien, genannt Anna von Österreich, * 22. September 1601 (Valladolid), † 20. Januar 1666 (Paris), Königin von Frankreich, Ehefrau von Louis XIII. und „ein gewisser französischer Graf“ (fiktiv) 62. und 63. Gonzalo Jiménez de Cisneros [Ximenes], * 1436 (Madrid), † 8. November 1517 (Roa Burgos), Erzbischof von Toledo und Guillaume Dubois [Du Bois], * 6. September 1656 (Brive-la-Gaillarde in Limousin), † 10. August 1723 (Versailles), Premierminister von Frankreich 64. Hans Adam von Schöning, * 1. Oktober 1641 (Tamsel bei Küstrin), † 28. August 1696 (Dresden), brandenburgischer und kursächsischer Feldmarschall und Heinrich VI. Reuß, * 7. August 1649 (Greiz), † 11. Oktober 1697 (Szeged), Graf zu Reuß und kursächsischer Generalfeldmarschall 65., 66. und 67. Alexander der Große, * 20. Juli 356 v. Chr. (Pella), † 10. Juni 323 v. Chr. (Babylon), makedonischer Feldherr und Hegemon des Korinthischen Bundes und Karl der Große, auch Karl I., * wahrscheinlich 2. April 747 od. 748, † 28. Januar 814 (Aachen), ab 768 König des Fränkischen Reichs und ab 800 Kaiser 68. Louis, genannt Le Grand Dauphin, * 1. November 1661 (Fontainebleau), † 14. April 1711 (Chateau de Meudon), Sohn von Louis XIV. und Maria Theresia von Spanien, Dauphin von Frankreich und Philipp II. de Bourbon, * 2. August 1674 (Saint-Cloud), † 2. Dezember 1723 (Versailles), Herzog von Orléans und mehrfach Pair von Frankreich 69. Heinrich IV., genannt el impotente, * 5. Januar 1425, † 14. Dezember 1474 (Madrid), König von Kastilien und Leon und Cosimo III. de’ Medici, * 14. August 1642 (Florenz), † 31. Oktober 1723 (Florenz), Großherzog von Toskana

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70. Genoveva von Brabant, * angeblich um 730, † um 750, der Sage nach Tochter eines Herzogs von Brabant und Ehefrau eines Pfalzgrafen Siegfried und Marie-Catherine de Beauvilliers, * 25. April 1574 (Chatenay-Saint-Imbert), † 21. April 1667 (Paris), Äbtissin von Monmartre und Mätresse von Henri IV. 71. Louis IX., auch Saint Louis und im islamischen Raum Raydãfrans genannt, * 25. April 1214 (Poissy), † 25. August 1270 (Karthago), König von Frankreich und Joseph Clemens von Bayern, * 5. Dezember 1671 (München), † 12. November 1723 (Bonn), Erzbischof von Köln, Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches 72. Gaucher V. de Châtillon [Chastillon], * um 1249 (Châtillon-sur-Marne), † 1329 (ChateauPorcien), Connétable unter fünf verschiedenen französischen Königen sowie Praeceptor von Louis X. und Louis-François de Boufflers, * 10. Januar 1644, † 20. August 1711 (Fontainebleau), französischer Feldherr und Marschall von Frankreich 73., 74. und 75. Innozenz XIII., geboren als Michelangelo Conti di Poli, * 13. Mai 1655 (Poli), † 7. März 1724 (Rom), Papst zwischen 1721 und 1724 und Abraham a Sancta Clara [Abraham von St. Clara], geboren als Johann Ulrich Megerle, * 2. Juli 1644 (Kreenheinstetten bei Meßkirch), † 1. Dezember 1709 (Wien), katholischer Geistlicher und Schriftsteller 76. François de Bonne, duc de Lesdiguieres et du Glaizil, * 1. April 1543 (Saint-Bonnet-en Champsur), † 28. September 1626 (Valence), französischer Heerführer und letzter Connétable von Frankreich und Louis II. Joseph de Bourbon, duc de Vendôme, auch genannt Le Grand Vendôme, * 1. Juli 1654 (Paris), † 11. Juni 1712 (Vinaròs), Herzog von Vendôme und französischer General 77. Jean-Baptiste Colbert, Marquis de Seignelay, * 29. August 1619 (Reims), † 6. September 1683 (Paris), Finanzminister unter Louis XIV. und Begründer des Merkantilismus und Robert Harley, 1st Earl of Oxford and Mortimer, * 5. Dezember 1661 (London), † 21. Mai 1724 (London), Politiker und Großschatzmeister von England 78. Valeria Messalina, * vor 20 n. Chr., † 48 n. Chr., dritte Frau des römischen Kaisers Claudius, angeblich wegen ihrer Intriganz, Grausamkeit und Nymphomanie beim Volk verhasst und

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Leonore Teles de Menezes [Eleonora Tellez de Menese], * um 1350 (Trás-os-Montes), † 27. April 1386 (Tordesillas), Ehefrau König Ferdinands I. von Portugal, nach dessen Tod bis zu ihrem Sturz Regentin von Portugal 79. Edward V., * 2. od. 4. November 1470, † ca. 1483, König von England und Luis I. [Ludwig I.], * 25. August 1707 (Madrid), † 31. August 1724 (Madrid), König von Spanien im Jahr 1724 80. Georg Graf von Werthern, * 23. Juli 1663 (Beichlingen), † 4. Februar 1721 (Dresden), sächsischer Kabinettsminister und Direktor des Geheimen Rats und Paul Freiherr von Fuchs, * 15. Dezember 1640 (Stettin), † 7. August 1704 (Malchow bei Berlin), brandenburgisch-preußischer Minister 81. und 82. Rudolf I. von Habsburg, * 1. Mai 1218 (Burg Limburg), † 15. Juli 1291 (Speyer), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Maximilian I. von Habsburg, * 22. März 1459 (Wien), † 12. Januar 1519 (Wels), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, genannt der letzte Ritter 83., 84., 85. und 86. Peter I., genannt der Große, geboren als Pjotr Alexejewitsch Romanow, * 9. Juni 1672 (Moskau), † 8. Februar 1725 (Sankt Petersburg), Zar und Großfürst von Russland und Iwan IV. Wassiljewitsch, genannt der Schreckliche [Ivan Basilowiz II.], * 25. August 1530 (Kolomenskoje) † 28. März 1584 (Moskau), erster Großfürst und Zar von Russland 87. Friedrich I. in Preußen, * 11. Juli 1657 (Königsberg), † 25. Februar 1713 (Berlin), erster König von Preußen und Isenbart, * angeblich um 780, sagenhafter Stammvater der schwäbischen Welfen und Graf zu Altdorf in Schwaben 88. Konrad III., * 12. Februar 1074 (Kloster Hersfeld), † 27. Juli 1101 (Florenz), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Heinrich VII., * 11. November 1050 (Goslar), † 7. August 1106 (Lüttich), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 89. Agrippina die Jüngere, * 6. November 15. n. Chr. (Oppidum Ubiourum, heute Köln), † 59 n. Chr. (Kampanien), Frau von Kaiser Claudius und Mutter Neros und Maria Diaz de Padilla, * 1334, † 1361 (Sevilla), kastilianische Adelige, Mätresse von Peter I., König von Kastilien und Leon

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90., 91. und 92. Louis XI., genannt le rusé (der Listige), * 3. Juli 1423 (Bourges), † 30. August 1483 (Schloss Plessis-lès-Tours), König von Frankreich und Djem Sultan [Zizim], * 23. Dezember 1459 (Edime), † 25. Februar 1495 (Neapel), osmanischer Sultan, Dichter und Bruder des osmanischen Sultans Bayezids II. [Bajazeth] 93. Livia Drusilla, * 30. Januar 58 v. Chr., † 29 n. Chr., dritte Ehefrau des römischen Kaisers Augustus und Fredegunde [Fredegunda], † 597, zunächst Mätresse, später Ehefrau des merowingischen Königs Chilperich I. von Neustrien 94. Heinrich der Löwe, * um 1129, † 6. August 1195 (Braunschweig), Herzog von Bayern und Sachsen und August der Ältere, * 1568, † 1636 (Celle), Herzog von Braunschweig-Lüneburg und zwischen 1610 und 1636 evangelischer Bischof von Ratzeburg 95. Nantechild [Nantilda], † 642, sächsische Ehefrau König Dagoberts I. und Regentin von Frankreich und Iulia [Julia], * 39 v. Chr., † 14 n. Chr., Tochter des Kaisers Augustus und dessen zweiter Ehefrau Scribonia 96. Gnaeus Pompeius Magnus [Pompejus Magnus], * 29. September 106 v. Chr., † 28. September 48. v. Chr., römischer Politiker und Feldherr, Gegner von Iulius Caesar und Richard Whittington, * 1354, † 1423, Kaufmann und Lord Mayor von London 97., 98. und 99. Karl V. Leopold, * 3. April 1643 (Wien), † 18. April 1690 (Wels), Titularherzog von Lothringen und Schwager Kaiser Leopolds I. und Themistokles [Themistocles], * um 525 v. Chr., † um 459 v. Chr. (Magnesia), Feldherr und Staatsmann in Athen, Begründer der attischen Demokratie 100. Calpurnia, * um 77 v. Chr. (Rom), † in Rom, Ehefrau des Iulius Caesar und Marozia [Marozzia], ital. Mariuccia, * um 892, † nach 932, tuskische Markgräfin, verheiratet mit Alberich I., Guido von Tuszien und Hugo von Italien, angeblich die Geliebte von Papst Sergius III. 101. Alexander III., geb. als Rolando Bandinelli, * um 1100 oder 1105 (Siena), † 30. August 1181 (Civita Castellana), Papst zwischen 1159 und 1181

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und Fabrizio Paolucci [Paulucci], * 2. April 1651 (Forli), † 12. Juni 1726 (Rom), Bischof von Macerata-Tolentino, Apostolischer Nuntius in Köln und Kardinal in Rom 102. und 103. Sebastian I., genannt der Ersehnte, * 20. Januar 1554 (Lissabon), † 4. August 1578 (AlcácerQuibir), König von Portugal und Alfons VI. [Alphonso VI.], genannt der Tapfere, * Juni 1040, † 30. Juni 1109 (Toledo), König von Kastilien und Leon 104. Friedrich I., * 7. Oktober 1471 (Hadersleben), † 10. April 1533 (Gottorf), Herzog von Schleswig und Holstein, König von Dänemark und Norwegen und Ernst I., genannt der Bekenner, * 27. Juni 1497 (Uelzen), † 11. Januar 1546, protestantischer Herzog von Braunschweig und Lüneburg 105., 106. und 107. Maximilian II. Emanuel [Maximilian Maria Emanuel], * 11. Juli 1662 (München), † 26. Februar 1726 (München), Kurfürst von Bayern, Feldherr während des ‚Großen Türkenkriegs‘ und Charles Ier, genannt Le Téméraire (der Kühne), * 10. November 1433 (Dijon), † 5. Januar 1477 (bei Nancy), Herzog von Burgund und Luxemburg 108. Hersilia, mythologische Figur, eine der von den Römern entführten Sabinerinnen und Gattin des Stadtgründers Romulus und Octavia die Jüngere, * März 40 n. Chr., † 8. Juni 62 n. Chr., Tochter Kaiser Claudius’ und erste Ehefrau Kaiser Neros 109. Erik IX., genannt der Heilige, * um 1120 (Västergötland), † vermutlich 18. Mai 1160 (Uppsala), König von Schweden und Gustav I. Wasa, * Mai 1496, † 29. September 1560 (Stockholm), König von Schweden 110. Waldemar II., genannt der Sieger, * 28. Juni 1170, † 28. März 1241, Herzog von Schleswig und König von Dänemark und Magnus I., genannt Magnus Ladulas, geboren als Magnus Birgersson, * 1240, † 18. Dezember 1290 (Visingö), König von Schweden 111. Milonia Caesonia [Caesonia], † 24. Januar 41 n. Chr. (Rom), vierte Ehefrau Kaiser Caligulas und Hürrem Sultan, auch Roxelane, Rossolana, Ruziac [Roxelana], geboren als Anastasia oder Aleksandra Lisowska, * zwischen 1500 und 1506, † 17. April 1558 (Istanbul), ehemalige Sklavin und spätere Ehefrau des osmanischen Sultans Soliman II.

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112. Sidney Godolphin, 1st Earl of Godolphin, * 1645, † 15. September 1712, Großschatzmeister von England und James Douglas-Hamilton, 4th Duke of Hamilton, 1st Duke of Brandon, * 11. November 1658, † 15. November 1712 (London), schottischer Herzog 113. und 114. Bayezid I. [Bajazeth I.], * 1360, † 8./9. März 1403 (Aksehir), osmanischer Sultan und Safi I. [Sefi], † 1642 (Kaschan), persischer Schah 115. Anthon Günther, * 10. November 1583 (Oldenburg), † 19. Juni 1667 (Rastede), Graf von Oldenburg und Delmenhorst, und Lennart Torstensson, * 17. Agust 1603 (Vändersbög), † 7. April 1651 (Stockholm), Graf von Ortala, schwedischer Feldherr und Generalgouverneur 116. und 117. Marcus Furius Camillus, * um 446 v. Chr., † 365 v. Chr., römischer Politiker und Feldherr, „zweiter Gründer Roms“ während der Zeit der Republik und Cesare Borgia [Cæsarn Borgia], * 1475/76 (Rom oder Subiaco), † 12. März 1507 (Viana), Herzog von Valentinois und der Romagna, Sohn Papst Alexanders VI. und Vorbild für Machiavellis Il Principe 118. Margarethe I., genannt die Schwarze, * 1353 (Schloss Soborg), † 28. Oktober 1412 (Flensburg), Königin von Dänemark, Schweden und Norwegen und Erik XIV. [Eric XIV.], * 13. Dezember 1533 (Stockholm), † 26. Februar 1577 (Örbyhus), König von Schweden 119. Poppæa Sabina [Sabina Popæa], * ca. 30/32 n. Chr. (Pompeji), † 65 n. Chr. (Rom), zweite Ehefrau des römischen Kaisers Nero und Caterina Maria Romula de’ Medici [Katharina de Medici], * 13. April 1519 (Florenz), † 5. Januar 1589 (Blois), Prinzessin von Urbino, Ehefrau von Henri II., ab 1547 Königin von Frankreich 120. Kunz von Kauffungen, geboren als Konrad von Kaufungen, * um 1410 (Schloss Kaufungen), † 14. Juli 1455 (Freiberg), sächsischer Adeliger und Anstifter zum ‚Altenburger Prinzenraub‘ und Arudsch, türk. Oruç [Aruch Barbarossa], genannt Baba Arudsch oder Barbarossa, * 1473 (Lesbos), † 1518 (bei Tlemcen), osmanischer Korsar und Herrscher von Algier 121. und 122. Friedrich I., * 2. September 1371 (Nürnberg), † 20. September 1440 (Cadolzburg), erster Kurfürst von Brandenburg aus dem Hause Hohenzollern

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und Georg Wilhelm von Brandenburg-Bayreuth, * 16. November 1678 (Bayreuth), † 18. Dezember 1726 (Bayreuth), Markgraf von Bayreuth 123. und 124. Georg Ludwig I., engl. George Louis I., * 7. Juni 1660, † 22. Juni 1727 (Osnabrück), Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, ab 1714 König von Großbritannien und Karl IX., * 4. Oktober 1550 (Stockholm), † 30. Oktober 1611 (Nyköping), König von Schweden 125. und 126. Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeiz [Mauritius Wilhelm], * 12. März 1664 (Schloss Moritzburg in Zeiz), † 15. November 1718 (Osterburg in Weida), zweiter und letzter Herzog zu Sachsen-Zeiz und Ernst Graf von Metternich, * 1656, † 1727, Geheimer Staatsrat und königlich-preußischer Staatsminister 127. und 128. Marquard Ludwig Freiherr von Printzen, * 14. April 1675 (Berching), † 8. November 1725 (Berlin), preußischer Diplomat, Ober-Hofmarschall und Minister und Lampert Distelmeyer, * 22. Februar 1522 (Leipzig), † 12. Oktober 1588 (Berlin), Kur-Brandenburgischer Kanzler 129. Katharina I. Alexejewna, * 15. April 1684 (Jakobsstadt), † 17. Mai 1727 (Sankt Petersburg), zweite Ehefrau von Peter dem Großen und Zarin von Rußland und Septimia Zenobia, * um 240 n. Chr. (Palmyra), † 272/73 (Rom), Herrscherin von Palmyra 130., 131. und 132. Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, * 15. Dezember 37 n. Chr. (Antium), † 9. od. 11. Juni 68 n. Chr. (Rom), wegen seiner angeblichen Begeisterung für Feuer berüchtigter römischer Kaiser und Fernando Álvarez de Toledo, * 29. Oktober 1507 (Piedrahíta), † 11. Dezember 1582 (Lissabon), Herzog von Alba, Staatsmann und General Kaiser Karls V., danach Philipps II. in Spanien, wegen der brutalen Unterdrückung des Aufstandes in den Niederlanden auch der Eiserne Herzog genannt, zentrale Figur der daraus entstandenen Schwarzen Legende (Leyenda negra) 133. und 134. Johann Georg von Brandenburg, * 11. September 1525 (Cölln), † 8. Januar 1598 (Cölln), Kurfürst von Brandenburg und Moritz von Oranien [Mauritius], * 13. November 1567 (Dillenburg), † 23. April 1625 (Den Haag), Prinz von Oranien und Graf von Nassau-Dillenburg, Stadthalter der Niederlande 135. Galeria Fundana, * ca. 40 n. Chr., † nach 69 n. Chr., zweite Ehefrau des Kaisers Vitellius und

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Catherine de Montholon [Catharina von Montholon], * 1568, † 29. April 1650 (Dijon), Gründerin des Ursulinenordens in Dijon 136. und 137. Philibert de Chalon, * 18. März 1502, † 3. August 1530, Prinz von Oranien und Friedrich Heinrich, * 29. Januar 1584 (Delft), † 14. März 1647 (Den Haag), Prinz von Oranien und Statthalter der Niederlande 138. Alexander Danilowitsch Menschikow [Knees Menzikoff], * 16. November 1672 (Moskau), † 23. November 1729 (Berjosow), russischer Staatsmann, Vertrauter von Peter dem Großen und später von Katharina I. und Concino Concini [Ancre], Marquis d’Ancre, * um 1576 (Florenz), † 24. April 1617 (Paris), einflussreicher Marschall in Frankreich während der Herrschaft Maria de’ Medicis 139. und 140. Peter II. Alexejewitsch, * 23. Oktober 1715 (Sankt Petersburg), † 29. Januar 1730 (Moskau), Zar von Russland und Alexei Petrowitsch [Alexis Petrowitz], * 28. Februar 1690 (Moskau), † 7. Juli 1718 (Sankt Petersburg), ältester Sohn Peter I., Vater von Peter II. und Zarewitz (Thronfolger) von Russland 141. und 142. Benedikt XIII., geboren als Pietro Francesco Orsini, * 2. Februar 1649 (Gravina), † 21. Februar 1730 (Rom), Papst zwischen 1724 und 1730 und Johannes XXIII., geboren als Baldassare Cossa, * um 1370 (Neapel), † 22. Dezember 1419 (Florenz), zwischen 1410 und 1415 amtierender Gegenpapst 143. und 144. Tiberius Iulius Caesar Augustus, * 16. November 42 v. Chr. (Rom), † 16. März 37 n. Chr. (Kap Misenum), römischer Kaiser und Vespasian, * 17. November 9 n. Chr. (Falacrinae), † 23. Juni 79 n. Chr. (Aquae Cutiliae), römischer Kaiser 145. und 146. Christian I., * Februar 1426 (Oldenburg), † 21. Mai 1481 (Kopenhagen), König von Dänemark, Schweden und Norwegen und Karl XII., * 27. Juni 1682 (Stockholm), † 11. Dezember 1718 (Fredrikshald), Herzog von Bremen und Verden, ab 1697 König von Schweden 147. Domitia Longina, * vor 55 n. Chr., † zwischen 126 und 140 n. Chr., Ehefrau des Kaisers Domitian und

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Marguerite de Valois [Margaretha], * 14. Mai 1553 (Saint-Germain-en-Laye), † 27. März 1615 (Paris), Königin von Frankreich, ihre Hochzeitsnacht mit Henri IV. ging als „Pariser Bluthochzeit“ in die Geschichte ein 148. Jean de Dunois [Johannes], genannt Bastard von Orléans, * 23. November 1402, † 24. November 1468 (Schloss L’Haÿ), Graf von Dunois, Großkämmerer von Frankreich und Kampfgefährte von Jeanne d’Arc und François de Neufville, duc de Villeroy [Herzog von Villeroy], * 7. April 1644, † 18. Juli 1730 (Paris), Marschall von Frankreich 149. Karl Friedrich von Schlippenbach, * 7. September 1658 (Stettin), † 9. Januar 1723 (Kolberg), Diplomat und preußischer General der Kavallerie und Friedrich von Derfflinger, * 1. April 1663 (Gusow), † 29. Januar 1724 (Gusow), preußischer Generalleutnant und Anführer des dritten Dragonerregiments 150. Kasimir IV. Jagiello, * 30. November 1427 (Krakau), † 7. Juni 1492 (Grodno), König von Polen und Johann III., * 20. Dezember 1537 (Schloss Stegeborg), † 17. November 1592 (Stockholm), König von Schweden 151. Friedrich IV., * 21. Oktober 1671 (Kopenhagen), † 12. Oktober 1730 (Odense), Herzog von Schleswig und Holstein, König von Dänemark und Norwegen und Johann Georg II., * 17. November 1627 (Dessau), † 7. August 1693 (Berlin), Fürst von AnhaltDessau 152. und 153. Siegfried von Feuchtwangen, † 3. Mai 1311, Hochmeister des Deutschen Ordens und Christoph Bernhard von Galen, * 12. Oktober 1606 (bei Rinkerode), † 19. September 1678 (Ahaus), Fürstbischof von Münster 154., 155. und 156. Augustus, geboren als Gaius Octavius, * 23. September 63 v. Chr., † 19. August 14 n. Chr. (Nola), erster römischer Kaiser und Sokrates, * 469 v. Chr. (Alopeke), † 399 v. Chr., griechischer Philosoph 157. und 158. Romulus, zusammen mit seinem Bruder Remus mythischer Gründer der Stadt Rom im Jahre 753 v. Chr. und Gaius Iulius Caesar, * 13. Juli 100 v. Chr. (Rom), † 15. März 44 v. Chr. (Rom), erster Kaiser von Rom

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159. und 160. Thomas Wolsey, * ca. 1475 (Ipswich), † 28. November 1530 (Leicester), englischer Kardinal, Erzbischof von York und Lordkanzler und Reginald Pole [Polus], * 3. März 1500 (Stourton Castle), † 17. November 1558 (London), englischer Kardinal und letzter römisch-katholischer Erzbischof von Canterbury 161. Wenzel von Luxemburg [Wenceslaw], genannt der Faule, * 26. Februar 1361 (Nürnberg), † 16. August 1419 (Prag), König von Böhmen und römisch-deutscher König und Vladislav II. von Böhmen und Ungarn [Wladislaw Jagellon], * 1. März 1456 (Krakau), † 13. März 1516 (Ofen), König von Böhmen, Kroatien und Ungarn, König von Polen und Großfürst von Litauen 162. und 163. Albrecht von Brandenburg-Ansbach [Albert], * 17. Mai 1490 (Ansbach), † 20. März 1568 (Burg Tapiau), Hochmeister des Deutschen Ordens und erster Herzog von Preußen und Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth, * 27. Juli 1644 (Bayreuth), † 10. Mai 1712 (Erlangen), Markgraf des Fürstentums Bayreuth 164. Christian I. [Christiernus], * Februar 1426 (Oldenburg), † 21. Mai 1481 (Kopenhagen), Herzog von Schleswig und Holstein und König von Dänemark, Schweden und Norwegen und Sigismund I., genannt der Alte, * 1. Januar 1467 (Kozienice), † 1. April 1548 (Krakau), König von Polen und Großfürst von Litauen 165. Publius Cornelius Scipio Africanus, * 235 v. Chr. (Rom), † 183 v. Chr., Feldherr im Zweiten Punischen Krieg und Staatsmann in der Römischen Republik und Johann Karl von Thüngen, * 5. Februar 1648, † 8. Oktober 1709, kaiserlicher Generalfeldmarschall 166. Wilhelm Tell, legendärer Schweizer Nationalheld und Masaniello, geboren als Tommaso Aniello d’Amalfi, * 29. Juni 1620 (Neapel), † 16. Juli 1647 (Neapel), Anführer des Volksaufstandes 1647 in Neapel 167. und 168. Johanna I. von Anjou, * um 1326, † 22. Mai 1382 (Muro Lucano), Gräfin der Provence und Königin von Neapel und Henri II. de Lorraine [Herzog von Guise], * 4. April 1614 (Blois), † 2. Juni 1664 (Paris), vierter duc de Guise, Erzbischof von Reims und Großkammerherr unter Louis XIV.

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169. Erentrudis von Salzburg [Hl. Ehrentraut], auch Erintrudis oder Ehrentraud, * um 650 (Worms), † 30. Juni 718 (Salzburg), erste Äbtissin des Benediktinerinnenklosters Nonnberg und Schutzpatronin Salzburgs und Johann Georg Gichtel, * 14. März 1638 (Regensburg), † 21. Januar 1710 (Amsterdam), Mystiker 170. Heinrich II. von Isny, geboren als Heinrich Göckelmann, auch genannt Knoderer oder Gürtelknopf, * 1222 (Isny), † 17. März 1288 (Hagenau), Sohn eines Schmiedes oder Bäckers, Erzbischof von Mainz und Erzlkanzlers des Reichs unter Rudolf von Habsburg und Gaston Jean Baptiste de Roquelaure, duc de Roquelaure, * 1615, † 10. März 1683 (Paris), Pair von Frankreich und Ritter des Ordens zum Heiligen Geist 171. Henri II. de Montmorency [Heinrich II.], * 30. April 1595 (Schloss Chantilly), † 30. Oktober 1632 (Toulouse), Herzog von Montmorency und Marschall von Frankreich und Thomas Wentworth, 1st Earl of Strafford, * 13. April 1593 (London), † 12. Mai 1641 (London), Berater von Charles I. und Vertreter eines absoluten englischen Herrschaftsanspruchs 172. George Villiers, 1st Duke of Buckingham [Herzog von Buckingham], * 28. August 1592 (Brooksby), † 23. August 1628 (Potsmouth), englischer Diplomat und Minister unter James I. sowie Charles I. und Henri Coiffier de Ruzé, Marquis de Cinq-Mars, * 1620, † 12. September 1642 (Lyon), französischer Höfling, der vermutlich in die Erhebung von Louis de Bourbon-Condé involviert war 173. William Laud [Wilhelm Laud], * 7. Oktober 1573 (Reading), † 10. Januar 1645 (London), Erzbischof von Canterbury und Berater von Charles I. und James Graham, 1st Marquess of Montrose [Marquis von Montross], * ca. 1612, † 21. Mai 1650 (Edingburgh), königlicher Feldmarschall aus Schottland, der im englischen Bürgerkrieg hingerichtet wurde 174. und 175. René de Chalon [Renatus von Nassau], * 5. Februar 1519 (Breda), † 18. Juli 1544 (Saint Dizier), niederländischer Graf von Nassau, erster Fürst von Oranien und Philipp Wilhelm von Oranien-Nassau, * 19. Dezember 1554 (Buren), † 20. Februar 1618 (Brüssel), Graf von Nassau und Fürst von Oranien 176. Mehmed II. [Mahomet I.], genannt Vater der Eroberung, * 30. März 1432 (Edime), † 3. Mai 1481 (Gebze), siebter Sultan des Osmanischen Reiches und Eroberer Konstantinopels und

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Ibrahim, auch genannt der Verrückte, * 4. November 1615 (Konstantinopel), † 18. August 1648 (Konstantinopel), Sultan des Osmanischen Reiches, der bei einem Aufstand der Janitscharen ermordet wurde 177., 178. und 179. Numa Pompilius, angeblich * 750 v. Chr., † 672 v. Chr., legendärer zweiter König von Rom und Viktor Amadeus II. [Victor Amadeus], * 14. Mai 1666 (Turin), † 31. Oktober 1732 (Moncalieri), Herzog von Savoyen und König von Sizilien und Sardinien 180. Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg [Franciscus Ludovicus], * 18. Juli 1664 (Neuburg a. d. Donau), † 6. April 1732 (Breslau), Fürstbischof von Breslau, Erzbischof von Trier, Kurfürst und Erzbischof von Mainz, Bischof von Worms und Hochmeister des Deutschen Ordens und Emmanuel Théodose de La Tour d’Auvergne, duc de Bouillon [Emanuel Theodosius von Bouillon], * 1668, † April 1730, Groß-Kanzler zwischen 1715 und 1728 unter Louis XV., Dekan des Kardinal-Kollegiums 181. und 182. Juan de Austria [Don Juan ab Austria], * 24. Februar 1547 (Regensburg), † 1. Oktober 1578 (Bouge), außerehelicher Sohn Kaiser Karls V. und Befehlshaber der spanischen Flotte und Hannibal, auch Hannibal Barkas, * um 246 v. Chr. (Karthago), † 183 v. Chr. (Bithynien), antiker Feldherr 183. und 184. Flavius Valerius Constantinus [Konstantin der Große], * 27. Februar zwischen 270 und 288 n. Chr. (Naissus), † 22. Mai 337 n. Chr., römischer Kaiser und Karl von Hessen-Kassel, * 3. August 1654 (Kassel), † 23. März 1730 (Kassel), Landgraf von Hessen- Kassel 185. Christian Wilhelm von Brandenburg, * 28. August 1587 (Wolmirstedt), † 1. Januar 1665 (Kloster Zinna), Markgraf von Brandenburg und Erzbischof von Magdeburg und Carlo Carafa [Carolus Caraffa von Montorio], auch Caraffa, * 29. März 1517 (Neapel), † 4. März 1561 (Rom), Kardinal, der unter Pius IV. wegen zahlreicher Verfehlungen, unter ihnen Mord, Homosexualität und Häresie, angeklagt und schließlich hingerichtet wurde 186. und 187. Theodosius I. [Theodosius Magnus], ursprünglich Flavius Theodosius, * 11. Januar 347 n. Chr. (Cauca), † 17. Januar 395 n. Chr. (Mailand), Kaiser des römischen Ostreiches und Johann Wilhelm von Sachsen-Eisenach, * 17. Oktober 1666 (Friedewald), † 14. Januar 1729 (Eisenach), Herzog von Sachsen-Eisenach 188. Artaxerxes II., genannt Mnemon, * um 453 v. Chr., † 359/58 v. Chr., persischer Großkönig aus der Dynastie der Achämeniden

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und Stephan Báthory, * 27. September 1533 (Szilágysomlyó), † 12. Detember 1586 (Grodno), Fürst von Siebenbürgen, Großfürst von Litauen und König von Polen 189. Friedrich III., * 21. September 1415 (Innsbruck), † 19. August 1493 (Linz), ab 1440 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Johann Wilhelm Friso, * 4. August 1687 (Dessau), † 14. Juli 1711 (bei Moerdijk), Prinz von Oranien und Fürst von Nassau-Diez 190. Sophia Dorothea, * 15. September 1666 (Celle), † 13. November 1726 (Schloss Ahlden), Herzogin von Braunschweig und Lüneburg, Ehefrau des englischen Königs George I. und ab 1714 Königin von England und Elisabeth Angélique de Montmorency [Herzogin de Chatillon], * 1627 (Paris), † 24. Januar 1695 (Paris), Tochter von François’ III. de Montmorency-Bouteville und Elisabeth Angélique de Vienne, durch ihre Heirat mit Marschall Gaspard III. de Coligny spätere Herzogin von Chatillon 191. und 192. Friedrich II. von Brandenburg, genannt der Eiserne, * 19. November 1413 (Tangermünde), † 10. Februar 1472 (Neustadt a. d. Aisch), Markgraf und Kurfürst von Brandenburg und Konrad von Wallenrode [Conrad Tiberius von Wallenrodt], * zwischen 1330 und 1340, † 23. Juli 1393 (Marienburg), 24. Hochmeister des Deutschen Ordens 193. und 194. Eberhard Ludwig, * 18. September 1676 (Stuttgart), † 31. Oktober 1733 (Ludwigsburg), zehnter Herzog von Württemberg und James Fitz-James, duc de Berwick oder 1st Duke of Berwick-upon-Tweed [Duc de Berwyck], * 21. August 1670 (Moulins), † 12. Juni 1734 (Philippsburg), illegitimer Sohn von James II. von England und Marschall und Pair von Frankreich 195. und 196. Philipp-Emanuel de Lorraine, duc de Mercœur, * 9. September 1558 (Nancy), † 19. Februar 1602 (Nürnberg), Herzog von Mercœur und französischer Heerführer während der Hugenottenkriege und Claude-Louis-Hector de Villars [Marschall von Villars], marquis et duc de Villars et vicomte de Melun, * 8. Mai 1653 (Moulins), † 17. Juni 1734 (Turin), General-Marschall von Frankreich 197. Wilhelm von Kalkum, auch genannt Lohausen [Freiherr von Kalckum], * 1584 (Lohausen), † 30. Januar 1640 (Rostock), königlich-schwedischer Geheimer Kriegs-Rat und GeneralLieutenant im Dreißigjährigen Krieg und

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Johann, Freiherr von Werth, * 1591 (Büttgen), † 12. September 1652 (Schloss Benatek), kaiserlich und kur-bayerischer General der Kavallerie im Dreißigjährigen Krieg 198. und 199. Maximilian Emanuel von Württemberg-Winnetal, * 27. Februar 1689 (Stuttgart), † 25. September 1709 (Dubno), Fürst aus dem Hause Württemberg-Winnetal und Claudius Florimund Mercy [Graf von Mercy], * 1666 (Longwy), † 29. Juni 1734 (bei Parma), kaiserlicher Feldmarschall und General-Kommandeur des Temescher Banat 200. Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg [Mauritius], genannt Geigenherzog, * 5. Februar 1688 (Merseburg), † 21. April 1731 (Merseburg), Kurfürst von Sachsen und Johann Georg I. von Sachsen, * 5. März 1585 (Dresden), † 8. Oktober 1656 (Dresden), Kurfürst von Sachsen und Erzmarschall des Heiligen Römischen Reiches 201. Sophie Charlotte, * 30. Oktober 1668 (Iburg), † 1. Februar 1705 (Hannover), Herzogin von Braunschweig und Lüneburg, erste Königin von Preußen und Erdmuthe Sophie von Sachsen [Erdmuth Sophia], * 25. Februar 1644 (Dresden), † 22. Juni 1670 (Bayreuth), sächsische Prinzessin, Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth 202. August Christoph von Wackerbarth, * 22. März 1662 (Kogel), † 14. August 1734 (Dresden), sächsischer Generalfeldmarschall und Staatsminister unter August dem Starken und Magnus Stenbock [Graf Steinbock], * 22. Mai 1656 (Stockholm), † 23. Februar 1717 (Kopenhagen), schwedischer Feldmarschall zur Zeit des Großen Nordischen Krieges 203. und 204. Georg von Frundsberg [George von Frundsbergen], auch Fronsberg oder Freundsberg, * 24. September 1473 (Mindelheim), † 20. August 1528 (Mindelheim), Infanterietaktiker und General Kaiser Karls V. und Maximilians I. und George Monck, 1st Duke of Albemarle, * 6. Dezember 1608 (Portheridge), † 3. Januar 1670 (London), englischer General im Bürgerkrieg und beteiligt an der Stuart-Restauration 205. und 206. Mark Aurel [Marcus Aurelius Antonius], genannt Philosophus, * 26. April 121 n. Chr. (Rom), † 17. März 180 n. Chr. (Vindobona), römischer Kaiser und Flavius Claudius Iulianus [Julian], auch Iulianus Apostata, * 331 n. Chr. (Konstantnopel), † 26. Juni 363 n. Chr. (bei Maranga), römischer Kaiser 207. und 208. August Ferdinand von Pflugk [Reichsgraf Pflug], * 22. Mai 1662 (Dresden), † 8. April 1712, Geheimrat und Innenminister unter August dem Starken und

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Charles César de Rochefort [Herr von Rochefort], angeblich * 1605, † 1690, fiktiver Autor der Mémoirs de M. le C. de R., verfasst von Gatien Courtilz de Sandras 209. und 210. Johann Georg II., * 10. Juni 1613 (Dresden), † 1. September 1680 (Freiberg), Kurfürst von Sachsen und Erzmarschall des Heiligen Römischen Reiches und Friedrich Wilhelm II., genannt Posthumus, * 12. Februar 1603 (Weimar), † 22. April 1669 (Altenburg), Herzog zu Sachsen-Altenburg 211. Friedrich III., auch Frederik III., * 18. März 1609 (Haderslev), † 9. Februar 1670 (Kopenhagen), König von Dänemark und Norwegen und Georg Friedrich Karl, * 19. Juni 1688 (Sulzbürg), † 17. Mai 1735 (Bayreuth), Markgraf von Brandenburg-Bayreuth 212., 213., 214., 215. und 216. Eugen Franz [Eugenius Franciscus], * 18. Oktober 1663 (Paris), † 21. April 1736 (Wien), Prinz von Savoyen-Carignan, Feldherr und Oberbefehlshaber im Großen Türkenkrieg und Philibert de Gramont [Graf von Gramont], * 1621, † 31. Januar 1707, französischer General und Bruder von Antoine III. de Grammont, Marschall von Frankreich 217. und 218. Matthias Corvinus [Matthias Hunnius Corvinus], * 23. Februar 1443, † 6. April 1490, König von Ungarn und Kroatien und Louis Auguste de Bourbon, * 31. März 1670, † 14. Mai 1736, duc du Maine, Sohn König Ludwigs XIV. 219. Georg von Podiebrad [Georg Podiebrad], * 6. April 1420 (verm. auf Burg Podebrady), † 22. März 1471 (Prag), König von Böhmen und Friedrich von Hessen-Darmstadt [Kardinal Friedrich], * 28. Februar 1616 (Darmstadt), † 19. Februar 1682 (Breslau), Kardinal und Fürstbischof 220. und 221. Frédéric-Maurice de La Tour d’Auvergne [Friedrich Mauritius De la Tour & d’Auvergne], * 22. Oktober 1605 (Sedan), † 9. August 1652 (Pontoise), Herzog von Bouillon, französischer Genreal und einer der Anführer der Fronde und Anton Günther II. von Schwarzenburg, * 10. Oktober 1653 (Sondershausen), † 20. Dezember 1716 (Arnstadt), Fürst von Schwarzenburg, Herr von Sondershausen, Arnstadt und Leutenberg 222. und 223. Gaspar de Guzmán, Conde de Olivares [Graf von Olivarez], * 6. Januar 1587 (Rom), † 22. Juli 1645 (Toro), bedeutender spanischer Minister unter Philipp IV.

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und José de Patiño y Morales [Don Joseph Patinho], * 11. April 1666 (Mailand), † 3. November 1736 (San Ildefonso), Verwaltungsbeamter und einflussreicher Minister unter Philipp V. 224. Wassili Wassiljewitsch Golizyn [Basilius Galliczy], * um 1644 (Moskau), † 21. April 1714, bedeutender russischer Politiker und Geliebter der Zarin Sofia und Karl [Carl] von Hochmuth, * 3. Juli 1673 (Kirchberg), † 27. März 1736 (Riga), deutschrussischer General und Kriegsrat 225. und 226. Karl Alexander, * 24. Januar 1684 (Stuttgart), † 12. März 1737 (Ludwigsburg), elfter Herzog von Württemberg und Reichsgeneralfeldmarschall und Ferdinand Kettler, * 2. November 1655, † 4. Mai 1737 (Danzig), Herzog von Kurland 227. und 228. Shah Jahan [Choram], eigentlich Shihabuddin Mohammed Shah Jahan, * 15. Januar 1592, † 22. Januar 1666, Groß-Mogul von Indien zwischen 1628 und 1658 und Nevşehirli Damat İbrahim Pascha [Ibrahim], * um 1662 (Muşkara), † 1. Oktober 1730, osmanischer Staatsmann und Groß-Wesir, kam beim Patrona-Halil-Aufstand ums Leben 229. und 230. Maximilian II., * 31. Juli 1527 (Wien), † 12. Oktober 1576 (Regensburg), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zwischen 1564 und 1576 und Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, * 28. Juli 1676 (Schloß Friedenstein), † 23. März 1732 (Altenburg), thüringischer Landesherr 231. und 232. Ferdinand III., * 13. Juli 1608 (Graz), † 2. April 1657 (Wien), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Ludwig Rudolf [Ludwig Rudolph], * 22. Juli 1671 (Wolfenbüttel), † 1. März 1735 (Braunschweig), Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel 233. Maria von Burgund, * 13. Februar 1457 (Brüssel), † 27. März 1482 (Brügge), Herzogin von Burgund und Ehefrau Kaiser Maximilians I. und Wilhelmina Charlotte Caroline von Brandenburg-Ansbach [Wilhelmina Carolina], * 11. März 1683 (Ansbach), † 1. Dezember 1737 (London), geborene Markgräfin von Ansbach und ab 1727 durch die Heirat mit George II. Königin von England 234. und 235. Antoine III. de Gramont, * 1604, † 12. Juli 1678 (Bayonne), duc de Gramont, französischer Marschall und Diplomat, Bruder von Philibert de Gramont und

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Guido von Starhemberg, * 11. November 1657 (Graz), † 7. März 1737, kaiserlicher GeneralFeldmarschall 236. Michael Stephan Radziejowski [Kardinal Radziejowsky], * 3. Dezember 1645 (Radziejowice), † 13. Oktober 1705 (Danzig), Erzbischoff von Gnesen und Primas von Polen-Litauen und Franz Egon von Fürstenberg-Heiligenberg [Kardinal von Fürstenberg], * 10. April 1626 (Heiligenberg), † 1. April 1682 (Köln), Abt des Klosters Murbach und Bischof von Straßburg 237. Georg II. Rákóczi [Georgius Ragocy II.], * 30. Januar 1621 (Sárospatak), † 7. Juni 1660 (Nagyvárad), Fürst von Siebenbürgen und Gottfried Ernst von Wutgenau [Ernst von Wutgenau], * 20. August 1673, † 28. Dezember 1736, kaiserlicher Generalfeldwachtmeister und Feldmarschalleutnant 238. Philipp Christoph von Sötern [Philipp Christopherus], * 11. Dezember 1567 (Kastellaun), † 7. Februar 1652 (Trier), Bischof von Speyer sowie Erzbischof und Kurfürst von Trier und Karl III., genannt der Große, * 18. Februar 1543 (Nancy), † 14. Mai 1608 (Nancy), Herzog von Lothringen und Mercœur 239. und 240. Emmerich Graf Thököly [Emericus Toeckoely], ungarisch Thököly Imre, * 25. April 1657 (Kezmarok), † 13. September 1705 (Nikomedia), ungarischer Graf, Staatsmann und Anführer des Aufstandes gegen die Habsburger und Aschraf Khan [Sultan Eschref], † 1729, Herrscher aus der Hotaki-Dynastie, Neffe des berühmten Mir Waiy Hotak [Miriwey]

8 Abbildungsverzeichnis Abb. 1:

Georg Lisiewski (?): Das Tabakskollegium Friedrich Wilhelms I., ca. 1737, gemeinfrei nutzbare Datei, abrufbar unter http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tabakskollegium-1.jpg#filehistory

Abb. 2:

Christian Thomasius: Lustige und ernsthaffte Monatsgespräche 1688, II. Teil, Titelblatt, Digitalisat der Zeitschrift gemeinfrei abrufbar unter http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN726708453

Abb. 3:

Entrevue Nr. 1: Leopold I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, und Louis XIV., König von Frankreich, als gemeinfreies Digitalisat abrufbar unter http:// books.google.de/books?id=bn9TAAAAcAAJ&dq=gespr%C3 %A4che%20in%20dem% 20reiche%20derer%20todten%20leopoldus%20ludovicus&hl=de&pg=PT3#v= onepage&q&f=true

Abb. 4:

Jacob Friedrich Reimann: Versuch einer Einleitung In die Historiam Literariam Derer Teutschen, 3. Teil, 3. Hauptstück, Titelblatt, Halle 1710, Digitalisat gemeinfrei abrufbar über die Bayerische Staatsbiliothek unter http://reader.digitalesammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11093635_00008.html

Abb. 5:

Otto Mencke: Deutsche Acta Eruditorum, Titelblatt, Leipzig 1717, Ausgabe als gemeinfreies Digitalisat des Göttinger Digitalisierungszentrums abrufbar unter: http://gdz.sub.uni-goettingen.de/dms/load/img/?PPN=PPN556032519_0005& IDDOC=468896

Abb. 6:

Ernst der Fromme, Herzog von Sachsen-Gotha, und Mulai Ismail, König vom Marokko, Titelblatt zur Entrevue Nr. 45, Leipzig 1722, eigene Aufnahme

Abb. 7:

Mulai Ismail, aus: Reise nach Mequinetz, Hannover 1726, Digitalisat des Titelbilds abrufbar unter: http://books.google.de/books?id=v15VAAAAcAAJ&dq=reise%20nach%20mequinetz &hl=de&pg=PP3#v=onepage&q=reise%20nach%20mequinetz&f=falsev Detail des Titelblatts der 45. Entrevue, eigene Aufnahme

Abb. 8:

Friedrich IX., Herzog zu Sachsen-Jülich-Cleve aus der Endter-Bibel [1641], Digitalisat der so genannten „Kurfürstenbibel“ zusammen mit einer vollständigen Auflistung der Fürsten- und Herzogporträts unter http://www.wlb-stuttgart.de/sammlungen/ bibeln/bestand/besondere-stuecke/endter-bibeln/die-kurfuersten/

Abb. 9:

Detail des Titelblatts der Entrevue Nr. 45, eigene Aufnahme

Abb. 10: Porträt Herzog Ernsts aus Sandrarts Wohlverdienter Ehren=Seule [1678], Digitalisat abrufbar unter http://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/receive/HisBest_cbu_ 00018701?&derivate=HisBest_derivate_00004099 Abb. 11: Titelblatt zur Entrevue Nr. 32, Leipzig 1721, Aufnahme durch die Herzog AugustBibliothek Wolfenbüttel Abb. 12: Titelblatt zur Entrevue Nr. 148, Leipzig 1730, eigene Aufnahme Abb. 13: Titelblatt zur Entrevue Nr. 157, Leipzig 1731, eigene Aufnahme

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 14: Papst Innozenz X. und Olimpia Maidalchini, Entrevue Nr. 25, Leipzig 1720, Aufnahme durch die Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel Abb. 15: Giuseppe Vasi: Basilica di San Pietro Vaticano, Delle magnificence di Roma antica e moderna, Libro terzo (1753), Nr. 41, Abbildung gemeinfrei nutzbar über das Los Angeles County Museum of Art (LACMA) unter http://collections.lacma.org/node/171937 Abb. 16: Detail des Titelblatts der Entrevue Nr. 25, Aufnahme durch die Herzog AugustBibliothek Wolfenbüttel Abb. 17: Gespräche in dem Reiche derer Todten, Bd. XVI, II. Teil, Summarie zur Entrevue Nr. 54, S. 207, eigene Aufnahme Abb. 18: Tamerlan, aus: Les vrais pourtraits des hommes illustres [1584], second tome, S. 630, Digitalisat gemeinfrei abrufbar unter http://www.archive.org/stream/lesvraispourtrai02thev Abb. 19: Attila, aus: Schedelsche Weltchronik [1493], Blatt CXXXVII, Digitalisat gemeinfrei abrufbar unter http://dfg-viewer.de/show/?set[mets]=http%3A%2F%2Fwww.bib. uni-mannheim.de%2Ffileadmin%2Fschedel%2Fchronicarum.xml Abb. 20: Tamerlan und Attila, Entrevue Nr. 54, Leipzig 1723, eigene Aufnahme Abb. 21: Gespräche in dem Reiche derer Todten, Registertitel nach der Entrevue Nr. 16, Bd. I, Leipzig 1720, S. 1315 (unpag.), eigene Aufnahme Abb. 22: Illustration Henry VIII. and His Six Wives, in: William Hickman Smith Aubrey: The National and Domestic History of England, Bd. 2 (1399–1603), London 1878, Abbildung lizenzfrei herunterladbar unter http://www.fromoldbooks.org/ Aubrey-HistoryOfEngland-Vol2/pages/438-King-Henry-VIII-and-His-Six-Wives/ Abb. 23: Herbert Schmalz: Zenobias letzter Blick auf Palmyra [ca. 1930], Abbildung gemeinfrei nutzbar unter http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/75/ Herbert_Schmalz-Zenobia.jpg Abb. 24: Thesaurus Exoticorum: „Ein Süd=Tartar“, S. 31, Digitalisat der Ausgabe von 1688 unter http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN632115122 Abb. 25: Thesaurus Exoticorum: „Eine Sinesische Frau“, S. 17, Digitalisat der Ausgabe von 1688 unter http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN632115122 Abb. 26: Der Bal des Ardents, Miniatur aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, Abbildung gemeinfrei nutzbar unter http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bal_des_ardents.jpg#filehistory Abb. 27: Abbildung eines Onocentauren aus dem Sloane MS 278, Folio 47r [British Library], Lizenz für die Abbildung erworben über British Library Images Online Abb. 28: Guiseppe Arcimboldo: Rudolf II. als Vertumnus [1590/91], Abbildung gemeinfrei nutzbar unter http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Portr%C3 %A4tt,_Rudolf_II_som_ Vertumnus._Guiseppe_Arcimboldo_-_Skoklosters_slott_-_87582.tif?uselang=de

Abbildungsverzeichnis

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Abb. 29: Zeitgenössischer Kupferstich Kaiser Leopolds I., Abbildung unter http://www.habsburger.net/de/medien/kaiser-leopold-i-0 aus dem Bestand der Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft mbH Abb. 30: Andenken an Leopold, Abbildung gemeinfrei nutzbar unter http://www.obstsortendatenbank.de/index.php?id1=img&page=articles/img_ view.php&osw=pom&osi=andenken_an_leopold_I&img= Abb. 31: David Schuster: Mahomets und Türcken Grewel, Ausschnitt des Titelblatts, Frankfurt 1664, eigene Aufnahme Abb. 32: Mehmed II. und Ibrahim Sultan, Entrevue Nr. 176, Leipzig 1733, Aufnahme durch die Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel Abb. 33: Thöcköly Imre und Ashraf Khan, Entrevue Nr. 239, Leipzig 1739, Aufnahme durch die Forschungsbibliothek Schloß Friedenstein in Gotha

9 Literaturverzeichnis 9.1 Siglen ADB: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. durch die Historische Commission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 56. Bde., Leipzig 1875–1912; Ndr. Berlin 1967–1971. Dünnhaupt: Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, 2., verbesserte und wesentlich vermehrte Auflage des Bibliographischen Handbuchs der Barockliteratur, 6 Bde., Stuttgart 1990–1993 (= Hiersemanns bibliographische Handbücher 9) Grimm: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, 32 Bde., Leipzig 1854– 1961. Jöcher: Allgemeines Gelehrten-Lexikon: Darinne die Gelehrten aller Stände sowohl männ= als weiblichen Geschlechts, welche vom Anfange der Welt bis auf die jetzige Zeit gelebt, und sich der gelehrten Welt bekannt gemacht, Nach ihrer Geburt, Leben, merckwürdigen Geschichten, Absterben und Schrifften aus den glaubwürdigsten Scribenten in alphabetischer Ordnung beschrieben werden. Dritter Theil [M–R] heraus gegeben von Christian Gottlieb Jöcher, […] Leipzig 1751. NDB: Neue deutsche Biographie, hg. v. der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1953 ff. Zedler: Johann Heinrich Zedler: Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, 68 Bde., Halle/Leipzig 1732–1754.

9.2 Quellen [anonym]: Great news From Count Teckely, or, An Account of some Passages ‚twixt a True Protestant English Volunteer, and a Tecke-lytish Mahumetan in the Turkish camp [o. O.] 1684. [anonym]: Histoire des troubles de Hongrie, 2 Bde., Amsterdam 1686. [anonym]: Das bißher weit und breit herumb gegangene / auch offt gedruckt und abgeschriebene Fontangen=Lied: Anitzo mit etlichen Anmerckungen / Denen Fontangen=Trägern zu desto mehr Abscheu / denen Einfältigen aber zu besserm Verstande desselben / und Haß=Erweckung gegen diß Laster / durch den öffentlichen Druck ans Tage=Licht geleget, [o. O.] 1693. [anonym]: Kurtzer Bericht, darinen das Verbündniß enthalten des in der Bastille zu Pariß in Verhafft sitzenden Duc de Luxembourg, so er mit dem leidigen Satan im Jahr 1659 biß 1695 und also in die 36 Jahr getroffen und dessen erschreckliches Ende / dargetan durch dessen damaligen Cammer=Diener, [o. O.] ca. 1695. [anonym]: Maandelyksche Berichten uit de andere Waerelt, Of de spreekende Dooden. Bestaande in redeneeringen tusschen allerhande verstorvene potentaten en personagien van rang, [...] Amsterdam, 1721–1754. [anonym]: Des Welt=beruffenen Hertzogs von Luxenburg, Gewesenen Königl. Frantzösischen Generals und Hof=Marschalls Pacta, Oder Verbündniß Mit dem Satan, Und das darauf

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Literaturverzeichnis

erfolgte Erschreckliche Ende: Worbey Auch dessen bey seinem Leben verübte Tyrannische Mord= und Frevel=Thaten kürtzlich erzehlet werden; Nebst einer Vorrede, Worinnenn gezeiget wird, 1. daß es Teufel gebe, 2. auch daß Bündnisse mit demselben gemacht werden, 3. wie Menschen von solchem Bündnisse können wieder frey werden; Allen und jeden, so keine Teufel gläuben wollen, zum Exempel wieder ans Licht gestellet, Franckfurth und Leipzig [ca. 1725]. [anonym]: Besonders curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, bestehend in einer Entrevuë zwischen den An. 1724. in Dressden decollirten so genannten Schwedischen Obrist=Lieutenant Joh. Koch von Güllenstein, und den 1726. ebenfalls in Dressden aufn Alten=Marckt mit dem Rade zerschlagenen Priester-Mörder Frantz Laublern, Worinnen beyder Personen begangene boßhaffte Ubelthaten, und die darauff erfolgten wohlverdienten Executiones ausführlich dargestellet werden, Halle und Zerbst 1726. [anonym]: Besonders=Curieuses Gespräch Jn dem Reiche derer Todten, Zwischen Zweyen im Reiche der Lebendigen weitberuffenen und bekannten Ziegeuner=Spitzbuben Hemperla Und Gabriel: Darinnen nicht allein ihre beyderseitige Räuber= Mörder= Diebes= und Liebes=Händel aufrichtig entdecket / sondern auch noch 23. ihrer Mit=Consorten im Leben gehabte Fata und seltsame Begräbnisse, samt der an ihnen insgesamt zu Giessen ergangenen grausamen Execution [...] deutlich vorgestellet und beschrieben werden, Hamburg 1729 [ED 1726]. [anonym]: Gespräch im Reiche der Todten, zwischen dem P. Angelo, einem Jesuiten, und dem Ritter von Moncada, eine ehemaligen Tempelherren, [o. O.] 1774. [anonym]: Plato und Leibnitz jenseits des Styx. Ein Gespräch über die Persönlichkeit der Seele nach dem Tod, Halle 1775. [anonym]: Gespräche im Reiche der Todten über d. Commercium des Vaterlandes, Frankfurt und Leipzig 1776. [anonym]: Noch ein Gespräch im Reiche der Lebendigen zwischen einem Amtmann und einem Schultzen, über die Handlungsfreyheit und die Landesindustrie, [o. O.] 1779. [anonym]: Gespräche im Reiche der Todten zwischen einem Schergen, und einem aus Verzweiflung bey der Herunterwürdigung der Besoldung mit einem halben Eimer Bier sich selbst ertränkten Oberschreiber, dann einem Beamten und Rentmeister nebst einem Bauern, der seinen Tod beweint, und untröstlich sich auf die Oberwelt wünscht, [o. O.] 1779. [anonym]: Herr und Frau Wachs, oder ein lustiges Gespräch zwischen zwey wächsernen Opfermänneln, Wien 1782. [anonym]: Gespräch im Reiche der Todten zwischen Maria Theresia und Friedrich II, worinnen dieser hohen Personen Leben und Merckwürdigkeiten bis zu ihrem Tode unpartheyisch erzählet werden, Istes bis Vtes Stück, Maltha [wahrscheinlich Ulm] 1786. [anonym]: Gespräch im Reich der Todten zwischen Pater Cochem, weiland Kapuziner und dermaligen Ceremoniarius in der Geisterwelt, und S. T. Hrn M. Schönberg, dann einem Incognito, (war zuletzt gar Buchhändler) bey ihrem Eintritt in die Geisterwelt, Augsburg 1787. [anonym]: Gespräch im Reiche der Todten, zwischen Ludwig XVI., Leopold II. und Gustav III., Augsburg 1793. [anonym]: Gespräch im Reiche der Todten zwischen Voltaire und Mably, in: Minerva 2 (1804), S. 549–554. [anonym]: Gespräch zwischen der Königin Christina von Schweden und dem Lord Whitelocke, Ambassadeur Oliver Chromwells am Schwedischen Hofe, in: Minerva 1 (1806), S. 467– 479.

Quellen

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[anonym]: Gespräch im Reiche der Todten zwischen August von Kotzebue und Carl Sand unter vier Augen, Karlsruhe 1819. Adelung, Johann Christoph: Über den Deutschen Styl, 3 Teile, Berlin 1785 f. [ND Hildesheim 1974]. ders.: Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten [...], Erster Theil, Berlin 1806. Alberti, Leon Battista: De Pictura/Über die Malkunst, hg., eingel., übers. u. komm. v. Otto Brätschmann und Sandra Gianfreda, Darmstadt 2002 [ED 1435]. al-Ghazâlî, Muhammad: Das Buch der Ehe. Kitâb âdâbi n-nikâh. Das 12. Buch der Ihya ulûm ad-dîn, übersetzt und kommentiert v. Hans Bauer, neu aufgelegt und hg. v. Salim Spohr, Hildesheim 2005. Aristoteles: Nikomachische Ethik (griechisch-deutsch), übersetzt von Olof Gigon, neu hg. v. Rainer Nickel, Düsseldorf 2007. Bacon, Francis: New Atlantis. A Work unfinished. Written by the Right Honorable, Francis, Lord Verulam, Viscount St. Alban, London 1659. Barleti, Marin: Historia de vita et gestis Scanderbegi Epirotarum principis […], Rom 1506–10. ders.: Des aller streytparsten und theuresten Fürsten und Herrn Georgen Castrioten genannt Scanderbeg, Augsburg 1533. Baudier, Michel: Histoire généralle du serrail, et de la cour du Grand Seigneur, Empereur des Turcs, Paris 1624. ders.: Histoire générale de la religion des Turcs, avec la naissance, la vie, et la mort de leur Prophète et les actions des quatre premiers califes qui l’ont suivi, Paris 1626. Beer, Johann: Sein Leben, von ihm selbst erzählt, hg. von Richard Alewyn, Göttingen 1965. ders.: Sämtliche Werke, hg. v. Ferdinand van Ingen u. Hans-Gert Roloff, 13 Bde., Bern u. a. 1981 ff. Behrens, Carl Friedrich: Der wohl=verdiente Südländer. Reise um die Welt 1721/22, nach den Originalausgaben bearbeitet v. Hans Plischke, Leipzig 1923 [ED 1735]. Buddeus, Johann Franz: Kürtzester und leichtester Weg Die Grundsätze und Beschaffenheit Einer gründlichen Moral und Politic zu erlernen, Leipzig 1723. Bulla Unigenitus, Oder: Clementis XI. Constitution Wider die Anmerckungen P. Quesnels Uber das Neue Testament: Mit vielen Stellen der H. Schrifft und alter Väter beleuchtet / Clemens Papa XI. Jetzo ins Teutsche übersetzt, Worzu eine Vorrede statt gründlicher Einleitung zur Historie von Jansenio und den Jansenisten, item von P. Quesnels Affaire gemacht Johann Frick [übers. Gottfried Hecking], Ulm 1717. Callières, François de: Manière de négocier avec les souverains […], Amsterdam 1716. ders.: Unterricht von der Kentnüs der Welt, und von den Wissenschafften, die zu Führung eines welt-klugen Lebens dienlich sind. Aus dem Frantzösischen ins Deutsche übersetzt und mit nützlichen Anmerkungen von Friedrich August Müller, Leipzig 1718. ders.: De la Science du Monde; et des Connoissonces utiles a la Conduite de la Vie. Nouvelle Edition revûe & augmentée des Conseils au Avis sur la veritable Education, Brüssel 1729 [ED 1717]. Çelebi, Evliyâ: Im Reiche des Goldenen Apfels. Des türkischen Weltenbummlers Evliyâ Çelebi denkwürdige Reise in das Giaurenland und in die Stadt und Festung Wie anno 1665, übers. u. erl. v. Richard Kreutel, stark vermehrte Ausgabe besorgt v. Erich Prokosch und Karl Teply, Graz u. a. 1987. Clerc, Jean Le: Histoire d’Emeric, comte de Tekeli, ou, Memoirs pour servir à sa vie, London 1693.

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Literaturverzeichnis

Commynes, Philippe de: Les memoires de messire Philippe de Commines, chevalier, seigneur d’Argenton, sur les principaux faicts et geste de Louis onzieme et de Charles huictieme, son fils, roys de France, Paris 1552. Demeunier, Jean Nicolas: Über Sitten und Gebräuche der Völcker. Herausgegeben und mit einigen Abhandlungen vermehret von Michael Hissmann, Professor der Weltweisheit in Göttingen. Zweyter Band, Nürnberg 1784. Der Königl. dänischen Missionarien aus Ost=Indien eingesandte ausführliche Berichte von dem Werck ihres Amts unter den Heyden, hg. v. Gotthilf August Francken, Halle 1710– 1718. Der Sorgfältige, Neuvermehrte Haus- und Wirthschafts-Verwalter: Welcher durchs gantze Jahr zeiget: Was so wohl in Wirthschaffts=Rechnungen, Als auch im Haußwesen, Acker=Bau, Vieh=Zucht, Gärtnerey und andern Oeconomischen Sachen, in acht zu nehmen und zu verrichten ist, damit ein guter Nutzen daraus erfolget; Nebst einem wohl approbirten Vieh= Roß= und Artzeney=Buche und dienlichen Haus=Mitteln versehen ; Alles aus eigener Erfahrung [...] zusammen getragen, Und mit einem wohl eingerichteten Kochund Trenchier=Büchlein, Ingleichen wohl unterwiesenen Brandtewein=Brenner, Destilirer, und Confect=Backer versehen, Breslau und Leipzig 1751–1764. Erasmus von Rotterdam: Vertrauliche Gespräche, übersetzt und hg. v. Kurt Steinmann, Zürich 2000. Eyn manung der cristenheit widder die durken [Mainz 1454], als Faksimile wiederaufgelegt, mit Erläuterungen versehen und hg. v. Ferdinand Geldner, Wiesbaden 1975. Fassmann, David: Die Großen und Erstaunens=würdigen Thaten des Heldenmüthigen und unvergleichlichen Printzens Eugenii Hertzogs von Savoyen [...]: Biß zu Ende des 1717. Jahres, entworffen; Nebst dessen aus 35. Zweigen bestehenden unvergleichlichen Lorbeer=Krantz, Leipzig 1718. ders.: Interviews in the Realms of Death: or, Dialogues of the Dead: between several great personages deceas’d [...]. Written originally in High-Dutch, London 1718. ders.: Gespräche in dem Reiche derer Todten, Leipzig, in Commission bey denen Cörnerischen Erben auf dem Neu=Marckt (1.–50. Entrevue), bey den Cörnerischen Erben, unter Hrn. Johann Schwabens Haus in der Grimmischen Gasse (51.–72. Entrevue), Leipzig, verlegts Wolfgang Deer, unter Herrn Johann Schwabens Hause (73–240. Entrevue), 1718–1740. ders.: Der, Auf Ordre und Kosten Seines Käysers, reisende Chineser, Was er Von dem Zustand und Begebnüssen der Welt, insonderheit aber der Europäischen Lande, dem Beherrscher des Chinesischen Reichs, vor Bericht erstattet, Leipzig 1721–1733. ders.: Sonderbare Nationen=Gespräche oder Curieuse Discurse, über die jetzigen Conjuncturen und wichtigsten Begebenheiten, Berlin 1727–1733. ders.: Der Gelehrte Narr, Oder Gantz natürliche Abbildung Solcher Gelehrten, Die da vermeynen alle Gelehrsamkeit und Wissenschafften verschlucket zu haben, auch in dem Wahn stehen, daß ihres gleichen nicht auf Erden zu finden, wannenhero sie alle andere Menschen gegen sich verachten [...]. Nebst einer lustigen Dedication und sonderbaren Vorrede; Dergleichen verkehrten Gelehrten zur guten Lehre, und verhoffentlich daraus fliessenden Besserung; andern aber, so sich denen Studiis widmen, und noch Anfänger sind, zur getreuen Warnung, auch sonst jedermann zum Vergnügen geschrieben, Freiburg 1729. ders.: Parentation Wie sie, Auf allergnädigsten Befehl, Bey einer sehr Volkreichen Versammlung gehalten worden, Von D. F. Als man den, am 11. Aprilis 1731 Zu Potsdam verstorbenen, Freyherrn von Gundling, Sr. Königl. Majestät von Preussen Geheimten

Quellen

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Rath [et]c. Den Tag nach seinem seeligen Abscheiden von der Welt, mit einer Leich= Procession, hinaus nach Bornstädt / nahe bey Potsdam gelegen, gebracht, und alda in der Kirche beerdiget [...], Potsdam 1731. ders.: Der mit Historischen / Politischen / und andern importanten Sachen beschäfftigte Staats=Mann, oder Gründliche Erzehlung Alles dessen, was von Höfen grosser Potentaten […] geschrieben wird, oder sich sonst in der Welt ereig=net und zuträget. Mit darüber beygefügten Vernünfftigen und gründlichen Raisonnemens, 16 Teile, Leipzig 1731–1732. ders.: Angenehmes Passe=Tems, durch welches zwey Freunde einander mit nützlichen und lustigen Discursen vergnügen, 6 Teile, Frankfurt und Leipzig 1734–1743. ders.: Die neu=entdeckten Elisäischen Felder, Und was sich in denenselben sonderbares zugetragen, Als Der Königliche Pohlnische und Churfürstliche Sächsische General= Lieutenant bey der Infanterie, auch Commendant der Berg= Festung Königstein, Friedr. Wilh. Freyh. v. Kyau Und der durch seine Avanturen am Königlich Preußischen Hofe in der Welt sehr bekandt gewordene geheime Rath und Freyherr / Jacob Paul von Gundling, daselbst einander angetroffen, Worinnen überaus merckwürdige und sinnreiche Discurse, samt der wahrhafften Lebens=Beschreibung beyder angeführten Personen enthalten, […], 5 Teile, Frankfurt und Leipzig 1735–1742. ders.: Herkunfft, / Leben und Thaten, / des / Persianischen Monarchens, / Schach Nadyr / vormals / Kuli-Chan / genannt / [...] von Pithander von der Quelle [...], Leipzig und Rudolfstadt 1738. ders.: Wundersame Erzehlungen aus dem Reiche derer Poeten, als Telemaque, Vlyssis Sohn, und der berühmte Engländer, Robinson Crusoe, einander daselbst angetroffen, [...] Von dem Autore der bekandten Todten=Gespräche, 2 Teile, Frankfurt und Leipzig 1739–1740. ders.: Allgemeines Kriegs=Protocol. Worinnen Die blutigsten, schweresten und merckwürdigsten Kriege enthalten, so in der Welt biß auf den heutigen Tag geführet worden. Bey Gelegenheit Des jetzt durchgehends allarmirten, auch fast allenthalben gewaltig armirten Europas. Nebst einigen Betrachtungen über die gegenwärtige Kriegs= Verfassung, und den weit=aussehenden Zustand derer Europæischen Staaten, Frankfurt und Rudolstadt 1741. ders.: Neu=eröffneter Schau=Platz der Welt Allwo Personen aus allerley Völckern, Standes und Geschlechts erscheinen, Und sich über Staats= Hof= Kriegs= und andere wichtige Begebenheiten entreteniren. Erste Zusammenkunfft Eines Schlesiers Mit einem Oesterreicher Wobey auch die Schlesische Historie, und curiose Nach=richten, von dieser Nation sowohl, als dem Lande selber, mit einfließen. Berlin 1742. Felsecker, Wolf Eberhard: Der Verkleidete Götter=Both / Mercurius / Welcher durch Europa wandernd / einige wichtige Discoursen / Muthmassungen und Meynungen / so bey denen Teutschen / als Benachbarten dieses Welt=Theils begriffenen / und in jetzigem Krieg mit interessirenden Höffen und Ständen [...] warhafftig der Welt zum Nachricht entdecket / und verlässet, 4 Teile, Marburg 1674–75. Fénelon, François de Salignac de la Mothe: Dialogues des Morts, composes pour l’éducation d’un prince, in: ders.: Œuvres, I., Édition établie par Jacques Le Brun, Paris 1983, S. 279–510. ders.: Lettre à Louis XIV, in: ders.: Œuvres, I., Édition établie par Jacques Le Brun, Paris 1983, S. 541–551. ders.: Les Aventures de Télémaque, in: ders.: Œuvres, II., Édition établie par Jacques Le Brun, Paris 1997, S. 3–326.

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Quellen

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ders.: Der Grosse Schau=Platz Lust= und Lehrreicher Geschichte: mit vielen merckwürdigen Erzehlungen / klugen Sprüchen / scharffsinnigen Hofreden / neuen Fabeln / verborgenen Räthseln / artigen Schertzfragen / und darauff wolgefügten Antworten, 2 Bde., Hamburg 1651. Holberg, Ludvig: Niels Klims Unterirdische Reise worinnen eine ganz Neue Erdbeschreibung wie auch eine umständliche Nachricht von der fünften Monarchie [...] enthalten ist, Kopenhagen und Leipzig 1741. ders.: Vergleichung der Historien und Thaten verschiedener insonderheit Orientalisch= und Indianischer Grosser Helden und berühmter Männer. Nach Plutarchi Beyspiel, Kopenhagen und Leipzig 1741. ders.: Dänische Reichs=Historie ins Deutsche übersetzt. [...] Flensburg und Leipzig 11743–44. Hurault, Philippe Conte de Cheverny: Deß Herrn Philippi Hurault, Graff von Cheverny / und vormahls Cantzler deß Königreichs / Frankreich Treuer Unterricht / und Vatterliche Ermahnung: Die er seinem Herrn Sohn hinterlassen, aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzt, [o. O.] 1711. In Nomine Trinitatis Annus Ivbilaeus Academiae Ienensis Oder: Christliche Danck= und Jubel=Predigt, Welche, nach dem die wohllöbliche Universität zu Jehna, durch GOttes gnädigen Segen und Erhaltung, unter dem Schutz des Hochlöblichen Hauses zu Sachsen, von dem 2. Febr. 1558. bis dahin 1658. gerade gestanden hundert Jahr, dem lieben GOtt zu Ehren, und Anmahnung zur schuldigen Dankbarkeit [...] nunmehro von CHRISTIANO CHEMNITIO, der heiligen Schrift Doctore, professore Publico, wie auch Pastore und Superintendente. Jena, druckt bey Johann Risio, 1660. Nunmehro auf vieler Verlangen von Wort zu Wort aufs neue gedruckt von Georg Michael Marggraf, 1758. Kindermann, Balthasar: Der Deutsche Redner / In welchen unterschiedene Arten der Reden auff allerley Begebenheiten / Auff Verlöbnüsse / Hochzeiten/ Kind=Tauffen / Begräbnüsse / auf Empfah=Huldig=Glückwunsch=Abmahn= und Versöhnungen / Klag und Trost [...], Frankfurt/Oder 1660. Kleist, Heinrich von: Werke und Briefe in vier Bänden. Bd. 3, Berlin/Weimar 1978. La Clef du cabinet des princes de l’Europe ou recueil historique et politique sur les matières du temps: contenant aussi quelques nouvelles de littérature & autres remarques curieuses, Luxembourg 1704–1773. Le Mercure Galant / Contenant Plusieurs Histoires Veritables, / Et tout ce qui s’est passé depuis le premier Janvier 1672. jusques au Depart du Roy, Paris 1672–1674 u. 1678– 1714. Lessing Gotthold Ephraim: Werke, Bd. 4: Dramaturgische Schriften, hg. v. H. G. Göpfert, München 1973. Lukian von Samosata: Gespräche der Götter und Meergötter, der Toten und der Hetären, Stuttgart 1967. Ludewig, Johann Peter von: Johann Peter Ludewigs zulängliche Antwort auf die liederlige Zunöthigung Herrn Tobias Pfanners [...] In dem so genannten Veranlaßten Bedencken de Principio fidei historicae, wie selbiges auf denen Gesandschaffts und andern Acten gegründet, Halle 1698. Lünig, Johann Christian: Theatrum Ceremoniale Historico=Politicum, Oder Historisch= und Politischer Schau=Platz Aller Ceremonien, Welche bey Päbst= und Käyser= auch Königlichen Wahlen und Crönungen, erlangten Chur=Würden [...] beobachtet worden. Auch wie Käyser, Könige, Chur= und Fürsten, Grafen und Herren [...] einander in Briefen tractiren, Nebst unterschiedlichen Hof=Ordnungen, Rang=Reglementen, und andern [...] dienlichen Sachen, Auch vielen [...] Registern, Vorrede, Leipzig 1719 f.

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Schnebelin, Johann Andreas: Erklärung der Wunder=seltzamen Land=Charten U t o p i æ, so da ist / das neu=entdeckte Schlaraffenland / [...] Gedruckt zu Arbeitshausen / in der Graffschafft Fleiß im Jahr / da Schlaraffenland entdecket war. [Nürnberg 1694], Reprint der Ausgabe von 1664, hg. v. Franz Reitinger, Bad Langensalza 2000. Schuster, David: Mahomets und Türcken Greuel. das ist Kurtze doch allgemeine historische Entwerfung des Mahometisch und Türckischen Unwesens Ursprung, Krieg, Tyranney, Glaubens und Sitten. In V: Theile ordentlich verfast: Für den Gemeinen Teutschen Mann. durch David Schustern Memmingensem Mit annehmlichen Kupferstucken gezieret, Frankfurt 1664. Serviez, Jaques Roergas de: Les Femmes Des Douze Césars, contenant la vie et les intrigues secretes des Impératrices & Femmes des premiers Empéreurs Romains; Ou l’on voit les traits les plus intéressants de l’Histoire Romaine; Tirée des Anciens Auteurs Grecs & Latins, avec des Notes historiques & critiques, Paris 1718. Shirley, John: The History Of The State Of The Present War In Hungary, Austria, Croatia, Mo= ravia, and Silesia: Between Leopold Emperour of Germa-ny, and Mahumet the Fourth, Sultan of the Turks, in conjunction with Count Teckely and the Hungarian Rebels [...], London 1683. Stieler, Caspar: Zeitungs Lust und Nutz oder derer so genannten Novellen oder Zeitungen wirckende Ergetzlichkeit, Anmuth, Nothwendigkeit und Frommen, auch was bey deren Lesung zu lernen, zu beobachten und zu bedencken sey; samt einem vermehrten Anhang bestehende in Erklärung derer in den Zeitungen vorkommenden fremden Wörter [...], entworffen von dem Spaten, Hamburg 1697 [ND Bremen 1969]. Stuart, Carl: Reise nach Mequinetz Der Residentz des heutigen Käysers von Fetz und Marocco: Welche der Herr Commandeur, Carl Stuart, als Groß-Britannischer Gesandter, Anno 1721 zu Erledigung der dortigen Gefangenen abgeleget hat, Und in diesen 1725. Jahre zu London durch John Windus herausgegeben; Auch mit saubern Kupfern erläutert worden ist, Aus dem Englischen übersetzet Durch F. C. Weber, Hannover 1726. Sueton: Kaiserbiographien. Lateinisch und deutsch, hg. v. Otto Wittstock, Berlin 1993. Thaon, Philippe de: Le bestiaire [Bestiarium, ca. 1121], Texte critique, publ. avec introd., notes et glossaire par Emmanuel Walberg, Genf 1970. Thou, Jacques-Auguste de: Historiarum sui temporis, pars prima / pars altera, 5 Teile, Paris 1604–08. Tentzel, Wilhelm Ernst: Die monatlichen Unterredungen Einiger Guten Freunde Von Allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten; Allen Liebhabern der Curiositäten Zur Ergetzligkeit und Nachsinnen Heraus gegeben, Leipzig 1689–1693. Thomasius, Christian: Disputatio politica & Duplici majestatis subjecto. Resp.: Henricus Hofferus Neostad. Varisco, Leipzig 1672. ders.: Freimütige, lustige und ernsthafte, jedoch vernunftmässige Gedanken oder Monatsgespräche über allerhand, fürnehmlich aber neue Bücher […], Halle 1688–1690 [ND Frankfurt a. M. 1972]. ders.: Christian Thomasius eröffnet Der Studirenden Jugend zu Leipzig in einem Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen in gemeinem Leben und Wandel nachahmen solle? Ein Collegium über des Gratians Grund=Reguln / Vernünfftig / klug und artig zu leben. Zufinden bey Moritz George Weidemannen, Leipzig 1688. ders.: Rechtmäßige Erörterung der Ehe= und Gewissens=Frage, ob zwey Fürstliche Personen im Römischen Reich, deren eine der Lutherischen, die andere der Reformirten Religion zugehörig ist, einander mit guten Gewissen heyrathen können, Halle 1689.

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ders.: De historia sectae Machiavellistarum et Monomachorum, in: ders.: Observationes selectae, Halle 1702, T. 6. ders.: Naevi iurisprudentiae Romanae antiiustinianeae praemissa, Halle 1707. ders.: Dissertatio Iuridica Inauguralis de concubinatu, Halle 1713. ders.: De crimine bigamiae, Vom Laster der zwiefachen Ehe, & de bigamiae praescriptione, von Verjährung der zwiefachen Ehe [ED Halle 1685], Leipzig 1714. ders.: Institutiones iurisprudentiae divinae [libri III, 2 §§ 138–172], Halle 71720 [ND Aalen 1994]. ders.: Dissertatio de fide iuridica [Halle 1699], ND Halle 1723. ders.: Von Nachahmung der Franzosen, in: Friedrich der Grosse. De la littérature allemande. Unverändert. Nachdruck nach d. Ausg. v. 1687 u. 1701, Darmstadt 1969, S. 213–259. ders.: Dissertatio de crimine magiae [Halle 1701], Vom Laster der Zauberei, hg. u. eingel. v. Rolf Lieberwirth, München 21986. ders.: Cautelae circa praecognita iurisprudentiae, hg. und mit einem Vorwort versehen von Friedrich Vollhardt, [ED Halle 1710], ND Hildesheim 2006. Thorays, Paul Rapin de: Die entkappten Whigs und Tories, oder Dissertation über die beyden diesen Namen führenden Factiones in Groß=Britannien: worinnen ihr Ursprung, Wachsthum, Principia, Characteres, Stärcke und Intriguen, genau entdecket und deutlich vorgestellet werden. [...] Aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzet [...] herausgegeben von David Fassmann, Leipzig 1717. Thuani, Jacobi Augusti: Historische Beschreibung deren Namhafftigsten, Geistlichen und Weltlichen Geschichten, so sich beydes in- und ausser dem Römischen Reich [...] nun über die 100 Jahr hero, denckwürdig zugetragen [...], 2 Bände, Frankfurt 1621–22. M. Tilesius: Gespräche in dem Reiche derer Welt=Weisen, Jn Acht verschiedenen Theilen zusammen gefasset Und mit einer Vorrede Von Dem Vorzuge der Neuern Welt=Weisen vor den alten begleitet, nebst einem zulänglichen Register, Halle 1722. ders.: Curieuse Reflexiones einiger guten Freunde über die neuesten Begebenheiten in der gelehrten Welt, insonderheit inder Weltweißheit, in einigen Gesprächen abgefasset und Herrn M. Strählern in Halle dediciret, Jena 1723. Trenk von Tonder, Moritz Flavius: Reich der Todten, eine Zeitschrift, enthaltend politische Gespräche der Todten, politische Reden nebst geheimen Briefwechsel zwischen den Lebendigen und den Todten, Frankfurt 1796–1814. Tschirnhauß auf Hackenau, Wolf Bernhard von: Getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen / Welcher Hn. Ehrenfried Walthers von Tschirnhauß [...] Für Studierende und Reisende [...] zu einer sichern Anleitung zur anständigen Conduite auf Universitäten und Reisen / in Manuscripto hinterlassene XXX. Nützliche Anmerckungen mit XLVI. Erläuterungen und XII Beylagen vermehrter, wohlmeynend ans Licht stellet, Hannover 1727. Velthuysen, Lambert van: Epistolica dissertatio de principiis iusti, et decori, Amsterdam 1651. Wagner, Tobias: Limina Genealogica in praecipuas Magnatum Europae Familias, Ulm 1653 [MF New Haven 1973]. Weise, Christian: Neu=erleuterter Poltischer Redner / Das ist: Unterschiedene Kunstgriffe / welche in gedachten Buche entweder gar nicht / oder nicht so deutlich vorkommen / gleichwohl aber Zu Fortsetzung der hochnöthigen Übungen etwas grosses helffen können; […] Leipzig 1696. ders.: Christian Weisens Curiöse Gedancken von den Novellen oder Zeitungen. Denen, ausser der Einleitung, wie man Novellen mit Nutzen lesen solle, annoch beygefügt sind,

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10 Personenregister Abi Bakr, Mohammad ibn [Abubeker] 529 Ablancourt, Perrot d’ 44 Achilles 31 Acletae, Ptolomaei 59 Adam, Mann von Eva 464 f. Admetus 311 Aeacus 33, 69, 202, 209, 214, 216, 227 f., 380 Aemilius 51 Aeneas 349 Aesop 70, 149, 213, 227 f., 232 f., 336, 361 f., 385 Alba, Fernando Álvarez de Toledo, Herzog von 387, 392 Alberti, Leon Battista 262 Alberti, Valentin 119 Alcibiades/Alkibiades 41, 48, 51, 97, 107 f., 110, 113 Alençon, Duc d’ 71 Alexander der Große 5, 30, 32–36, 46 f., 52– 55, 60, 67, 71, 73 ff., 77 f., 87, 99 ff., 103, 280, 283, 342 f., 347, 352, 361 f., 439, 451 Alexander VI., Rodrigo Borgia, Papst 205, 208, 537–540 Allonville, Charles Auguste d’, marquis de Louville 91 Amenophis III. 271 ’Amr b. ’Adi 486 ’Amr b. al-Zarib 486 Ancre, Concino Concini, marquis d’ 387 Andersen, Jürgen 543 Angleterre, Elisabeth d’ 71 Anne d’Autriche, Anna Maria Mauricia, Königin von Frankreich 386, 390, 398 Anne Marie Louise d’Orléans, duchesse de Montepensier 91 Antonio 55 Antonius 48, 51 Aphrodite 74, 523 Apoll 311, 503 Aquin, Thomas von 546 Aratos von Soloi 46 Arc, Jeanne d’ 88 Arcimboldo, Guiseppe 521

Aretino, Pietro 88 Aristogeiton, ein Tyrannenmörder 546 Aristophanes 30 Aristoteles 40, 49, 53, 99, 100–103, 105 f., 317, 349, 401, 443, 465 f. Arnolfini, Giovanni 244 Arsakes I., Begründer des Partherreichs 349 Arudsch Barbarossa, osmanischer Korsar und Herrscher von Algier 6, 88, 548, 560 Artaxerxes II., persischer König 6, 46, 52, 55, 58 f., 60 f., 114 Ashraf [Eschref], paschtunischer Khan 6, 554–558 Asklepios, Gott der Heilkunst 311 Athene, Göttin der Weisheit und des Kampfes s. Minerva 523 Attila, König der Hunnen 6, 224, 288–293, 376, 379, 447, 560 Aubusson, Pierre dʼ 537, 540 August der Starke 20, 26, 85 August von Sachsen-Weißenfels 426 Augustinus 96, 108, 112 Augustus, römischer Kaiser 66, 88, 94 Aurelian, römischer Kaiser 486 f., 492, 495 Bacon, Francis 423 Bajazeth [Bayezid I.], Sultan der Osmanen 6, 224, 290 f., 559 f. Bajazeth II. [Bayezid II.], türkischer Sultan 7, 81, 536 ff. Balzac, Honoré de 124 Barleti, Marin 496, 525 Barsine 53 Báthory, Stephan, König von Polen 6, 58 f., 61, 114 Baudier, Michel 82, 285 Bayle, Pierre 89 Beauvilliers, Marie-Catherine de 387 Beer, Johann 426 f. Behrens, Carl Friedrich 431 Bellarmin, Roberto Francesco Romolo 561 Benedikt, Johann 119 Berenike 88 Bernhard von Weimar 378

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Berry, Jeanne de Boulogne, duchesse de 507 Berwick, James Fitz-James, duc de 387 Besso 54 Beverland, Adriaan 475 Bibliothecarius, Anastasius 526 Bignon, Jean-Paul 240 f. Bleccius, Balthasar 240 Blomberg, Barbara 67 Bode, Heinrich von [Bodinus] 19, 127, 549 Bodmer, Johann Jakob 327, 359 Boethius 336 Bohn, Johannes 240 Borgia, Cesare 539 Borgia, Isabelle 538 Bouhours, Dominique 133 Boumann, Jacob 395 Brant, Sebastian 323 Breitinger, Johann Jakob 327, 359 Bretagne, Anne de 87 f. Buddeus/Budde, Johann Franz 176, 241 Cabestan, Guillaume de 65 Caesonia 6, 80–83, 144, 370, 492, 502 f., 513 f., 548 Calderón, Pedro 323 Caligula, römischer Kaiser 80–83, 365, 370, 492, 502 f., 512 f. Callières, François de 334, 405 Calpurnia, Ehefrau von Julius Caesar 399 Carpzov, Samuel 119 Castiglione, Baldassare 178 Catherine l’Allemande 506 Cato 70, 94 Celäonen 432 Çelebi, Evliya 519, 520, 522 Cenami, Giovanna 244 Cerbère s. Zerberus 63 Cervantes, Miguel de 323 Cesti, Antonio 523 Charles I., englischer König 20, 118, 367 f., 372 Charles II., englischer König 386 Charles VI. „le Fou“ 506, 507, 509 Charon 63, 72, 265, 343, 401, 425, 433, 440 f., 461 Châtelet, Émilie du 87 Châtillon, Sébastien 336

Chaucer, Geoffrey 493 Chemnitz, Christian 427 f. Christian I., König von Dänemark 379 Christina, Königin von Schweden 178, 339 Cicero 52, 336, 349 Clarke, Alicia 244 Clarke, Jane 244 Clemens XI., Papst 351, 376 f., 408–411 Clermont, duc de 345, 400 Clodius, Publius Clodius Pulcher 51 Codomannus, Darius 55, 58, 60, 77 Codomannus, Ochus 55 Commynes, Phillipe de 285 Cordier, Bathasar 336 Coriolan 48, 51 Corneilles, Pierre 64 Corneilles, Thomas 64 Corneto, Adriano Castellano da 539 Coustous, Nicolas 244 Cowper, Mylord 15 f., 226 Coxe, William 522 Cranach, Lucas d. J. 244 Cranmer, Thomas 264, 561 Crassus, Marcus Licinus 48 Cromwell, Oliver 339, 368 Crusoe, Robinson 113, 422 Cuspinian, Johann Philipp 323 D’Alembert, Jean-Baptiste le Rond 298, 307 Dahl, Sophie 453 Damis 124 Danaiden, die 425 Dante [Dante Alighieri] 433 Darius/Dareios 53, 58, 100, 102, 106 Deer, Wolfgang 152, 157, 245 Defoe, Daniel 422 Demetrius 48 Démeunier, Jean Nicolas 543 f. Demokrit 197 f., 213, 227 f., 232 Demosthenes 52, 73, 77 Descartes, René 357, 475 Devereux, Robert, 2nd Earl of Essex 253 Devis, Arthur 244 Diderot, Denis 87, 298, 302, 306, 337 Dido, Königin von Karthago 493, 495 Diodor(us) 272 Diogenes 31–34, 38–41, 72, 94, 100, 105 Dion von Syrakus 95

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Djadhima, König der Tanukhiden 486 Djem [Zizim], osmanischer Sultan 6 f., 241, 472, 475 ff., 502, 505, 530, 536–540 Domitia Longina, Ehefrau Kaiser Domitians 379 Dubois, Guillaume 387 Edouard VI., König von England 282 Eichendorff, Joseph von 323 Einigkeit, die 228 Eleonore Magdalena Theresia, Ehefrau Leopolds I. 376 Elisabeth I., Königin von England 88, 178, 368 Elmire 124 Engelmann, Johann Friedrich 549 Erasmus von Rotterdam 42 f., 86, 135, 320, 336, 470 Ernst „der Fromme“, Herzog zu SachsenGotha 6 ff., 86, 247, 249 f., 252, 262, 311, 313, 323, 342, 400, 440, 442 Ernst, Graf von Metternich 128 Eugen, Prinz von Savoyen 20, 147 Eulalia 470 Eumenes von Kardia 51 Eva, Frau von Adam 464 Eyck, Jan van 244 Faunus 265 Felsecker, Wolf Eberhard 322 Ferdinand I., Kaiser des HRR 521 Fichte, Johann Gottlieb 303 Flaminius, Gaius 47, 50, 52 Flemming, Jacob Heinrich von 20 Foix, Yvain de 506 f. Fontane, Theodor 430 Fontanges, Marie-Angélique de Scoraille de Rousille, duchesse de 177, 387, 510 Ford, Tom 453 Fortuna 265, 535 f. Fragonard, Jean-Honoré 258 Françion 124 f. Francke, August Hermann 17 f., 89, 113, 117, 126, 317, 335, 428, 549 François I., König von Frankreich 113, 118 Frauenzimmer, das 213, 217, 228 f., 231, 297, 309 f., 320, 343, 492

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Fredegunde, Ehefrau des französischen Königs Chilperich I. 257 Frederico da Montefeltro 244 Freud, Sigmund 498 Freude, die 228 Friede, der 228 Friedrich I., Kurfürst 22 Friedrich II. von Preußen 67, 339 Friedrich IV., König von Dänemark 18 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz 88 Friedrich IX., Herzog zu Sachsen-JülichCleve 250 Friedrich Wilhelm I. „der Soldatenkönig“ 149, 153, 386, 464 Friedrich Wilhelm II. 245 Fulvia 51 Furie(n) 440 f. Galba, Lucius Livius Ocella Servius Sulpicius 46 Galbraith, John Kenneth 405 Galilei, Galileo 433 Gastel, Christian(us) 446 Gauß, Carl Friedrich 424 Gelehrsamkeit, die 213 f., 228 Gelon, Regent in Gela und Syrakus 95 Geoffrin, Madame 68 Georg Ludwig I., König von England 396 Georgi, Theophilus 19, 147 Gerechtigkeit, die 265 Gersdorf, Henriette Catharina Baronin von 148 Gleichmann, Johann Zacharias, auch Johannes Sperans und Clarus Michael Hellemond 234, 358 Goeschel, Anna Maria 240 Goeschel, Bernhard 240 Gontaut, Charles de, duc de Biron 253 Gottsched, Johann Christoph 19, 59, 118, 172, 199 f., 213, 234, 319 f., 327, 335– 340, 356–359, 360, 372, 551 Gracián, Baltasar 178 Gramont, Antoine III., duc de 387 Gramont, Philibert, duc de 387 Gründler, Johann Ernst 18 Gryphius, Andreas 548 Guisay, Huguet de 506 f. Guise, Henri II. de Lorraine, duc de 387

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Gundling, Jacob Paul Freiherr von 19, 22, 24–26, 333 Gundling, Nicolaus Hieronymus 19, 22, 127, 294, 335, 405 f. Gustav Adolf, König von Schweden 20, 118 Gustav III., König von Schweden 339 Hades, Gott der Unterwelt 425 Hadrian, römischer Kaiser 64, 70 Hall, Jerry 453 Hals, Frans 244 Hannibal 35–38 f., 72, 244 Hanns Ohnebart 203 f. Hanns Simplex 143 f., 393 f. Happel, Eberhard Werner 501, 536 Harmodios, ein Tyrannenmörder 546 Harsdörffer, Georg Philipp 307, 320, 323 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 337, 466 ff. Heinsius, Anthonie 313, 348–354 Helena 425 Henri III., König von Frankreich 390 Henri IV., König von Frankreich 88, 113, 386, 390 Henry VII., König von England 282 Henry VIII., König von England 5, 7, 113, 128, 242, 278, 281 ff., 310, 374, 376, 403, 419, 422, 471, 477–480, 504 Hera 523 Herakles 105 Heraklit 227 f., 232 Herder, Johann Gottfried 337 Herkules 91, 129 Herodot von Halikarnassos 109, 272 Hersilia, Frau des Romulus 85 Hesiod 424 Hieron von Syrakus 547 Hipparchos, Tyrann von Athen 546 Hippias, Tyrann von Athen 546 Hiob 336 Hobbes, Thomas 475, 549 Holberg, Ludvig 241, 423, 430 f., 529 Homer 70, 102, 112, 336, 422, 424, 432, 434 Horaz, Quintus Horacius Flaccus 43 Hortensius, Quintus Hortensius Hortalus 124 Humboldt, Alexander von 424 Hutten, Ulrich von 42, 320 Hyperides, griechischer Redner 74 Hythlodeus, Raphael s. Raphael 431

Ibrahim „der Verrückte“, osmanischer Sultan 6, 548, 550–553 Ibrahim Pascha, türkischer Groß-Wesir 6, 12, 472, 473, 481, 488 ff., 527–531, 533–542, 545 Ictus 128 Ikasia 65 Innozenz XIII., Michelangelo Conti di Poli, Papst 245, 263 f., 369, 387, 537 Isabella de Bourbon 390 Isabelle von Bayern 506 Ismenias 48 Ivan (Iwan) IV. „der Schreckliche“, russischer Zar 363, 373–376, 384, 514 Ixion, König der Lapither 441 Jacobs, Johann 240 Jahan, persischer Shah 6, 12, 472 ff., 481, 488–491, 510, 515–519, 527, 540, 543, 545 Jefferson, Thomas 405 Johann II., König von Schweden 360, 377 Johann Georg II., sächsischer Kurfürst 244 Johann Wilhelm zu Gotha 378 Johanna I. von Neapel 88 Johannes „der Täufer“ 537 Joigny, Milon de 506, 507 Joseph I., Kaiser des HRR 386 Julianus Apostata 85, 316 Julius Caesar 47, 85, 94, 100, 114, 244, 550 Jupiter 37, 311, 441 Juvenal 43 Kant, Immanuel 276, 293 f., 466, 472 Karl, Landgraf zu Hessen-Kassel 364 ff. Karl der Große, König des fränkischen Reichs 74, 76, 78, 343, 352, 361 f., 446 Karl V., Kaiser des HRR 88, 113, 118, 282 Karl XI., König von Schweden 379 Karl XII., König von Schweden 2, 153 Kasimir II., König von Polen 88 Kasimir IV., König von Polen 360, 377 Katharina I., Zarin von Rußland 6, 21, 163, 284, 285, 374, 384, 483 ff., 487, 492 Khan von Amandabath 540, 542 f. Kindermann, Balthasar 312 Kleist, Heinrich von 303, 518 Kleitos 38,41, 100–106, 115

Personenregister

Kleopatra VII., Königin von Ägypten 5, 51, 55, 57, 59, 129, 143 f., 271, 344, 393, 493, 514 Klim, Niels 241, 431 Konfuzius 94, 96, 99 f., 107, 109 ff. Konstantin, römischer Kaiser 364 f. Kotzebue, August von 339 Krates von Theben 34, 349 Kroisos/Krösus 104 Krug, Ernst Gottlieb 357 Kunz von Kauffungen 6, 548 Kyau, Friedrich Wilhelm Freiherr von 25 f. Kyros II., König der Perser 6, 58, 241, 495 ff. Lachaise, François d’Aix de, genannt Père Lachaise 177, 387, 390 Laen, Beatrix van der 244 Lambert, Marquise de 68 Larrey, Anne de 24 Lästrigonen 432 Lazarus 381 Learmonth, Thomas 430 Leibniz, Gottfried Wilhelm 19, 22, 337, 339 Leopold I., Kaiser des HRR 114, 118, 137, 237, 376 f., 385 f., 390, 444, 457, 493, 520, 522 ff., 555 Leopold II., Kaiser des HRR 339 Lesdiguières, François de Bonne de Créquy, duc de 387 Lessing, Gotthold Ephraim 337, 358 Licedæmon, legendärer König von Laconia 365 Livia, Ehefrau von Kaiser Augustus 257 Locke, John 337, 465 f. Locusta 383 Loewe, Johann Karl Gottfried 430 Lohenstein, Daniel Caspar von 178, 455, 463, 548 Lorch, Melchior 501, 541 Louis Auguste de Bourbon, duc du Maine 387 Louis de Bourbon, duc de Bourgogne [Dauphin] 89 f., 99, 103, 191, 197, 381, 431 Louis II. de Bourbon „Le Grand Condé“ 386 Louis II. de Bourbon „Le Grand Vendôme“ 386

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Louis XI., König von Frankreich 6 f., 113, 175, 472, 475 ff., 502, 504 ff., 510, 536, 538 Louis XIII., König von Frankreich 100, 386 Louis XIV., König von Frankreich 4, 20, 62, 66, 89, 92, 95, 98 ff., 114, 118, 137, 143, 147, 177, 237, 384, 385–391, 396, 479 f. Louis XVI., König von Frankreich 339, 367 Louis-François, duc de Boufflers 387 Loyola, Ignatius von 287, 313 Ludewig, Johann Peter von 171 f. Luis I., König von Spanien 387 Lukretia 67 Lünig, Johann Christian 410 Luther, Martin 43, 244, 247, 454 Luther, Paul 240 Luzifer s. Satan 455 Lyser, Johannes 475 Lyttelton, George 340, 401 Mably, Gabriel Bonnot de 339 Machiavelli, Niccolò 175, 476, 549 Mahmud I., osmanischer Sultan 528 Maidalchini, Olympia 54, 263 f., 369 Maintenon, Françoise d’Aubigné, marquise de 92, 387, 469 ff. Mandelsloh, Johann Albrecht von 510, 543 f. Mandeville, John 432 Marc Aurel 94, 114, 316 Margaretha, verstoßene Ehefrau Heinrichs VI. 379 Margarethe von Österreich 64, 70, 87 Margarethe von Schottland 67, 87 Marguerite de Valois, Königin von Frankreich 387, 390 Maria I. Tudor, Königin von England 87 f. Maria I., Maria Stuart, Königin von Schottland 87 Maria Amalia von Brandenburg 128 Maria Henrietta Stuart 244 Maria Theresia, Königin von Frankreich 339, 377, 387, 390, 523 Marozia [Marozzia], tuskische Markgräfin und Senatorin von Rom 399 Mars 182 f., 213, 228, 232, 265, 324, 503 f. Masius, Hector Gottfried, dänischer Hofprediger 119 Massa, Isaac 244 Matthäus, Evangelist 480, 505

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Matthias, Christian 323 Matthias Corvinus, König von Ungarn 537 Maximilian I., Kaiser des HRR 113 Maximilian II. „der Großmütige“, Kurfürst von Bayern 386 Mazarin, Jules 92, 113, 387, 390 Mazeray, Eudes de 285 Medici, Cosimo II. de 88 Medici, Cosimo III. de’ 88 Medici, Katharina de’, Königin von Frankreich 88, 386, 390 Medici, Maria de’ 91 f. Meerjungfrau(en), die 517 f. Mehmed II., osmanischer Sultan 6, 523, 536 f., 551–554 Mehmed IV., osmanischer Sultan 444 Meisel, Steve 453 Melanchthon, Philip 244 Melusine(n), die 517 Mencke, Johann Burkhard 1, 19, 171, 240 Mencke, Otto 239 Mendelssohn, Moses 337 Menelaos, mythenhafter König von Sparta 425 Menipp(os) von Gadara 31 ff., 43, 104 Menschikow [Knees Menzikoff], Alexander Danilowitsch 374 Mentor 98 ff. Mentzel, Johann Georg 240 Merian, Matthäus 325 Merkur 71, 185, 238 f., 322, 341, 401, 503 Messalina, Valeria, dritte Frau des römischen Kaisers Claudius 383 Midas, sagenhafter König 31, 104 Minerva, Göttin der Weisheit und der Kriegsführung s. Athene 58, 208, 265 Minos, Richter der Toten in der Unterwelt 33, 35 f., 38 f., 72, 202, 209, 214, 216, 228, 380 f., 401, 410 Mirandola, Giovanni Pico della 449 Mir Wai Hotak [Miriwey], paschtunischer Stammesführer 554 Mohammed, auch Machmet, Mahomed, Mohamed 274, 444 f., 454, 460, 468, 480, 525 f., 528 f. Molière, Jean-Baptiste Poquelin 88, 124, 387 Momus 205, 208, 228, 234 Monsieur Barbon 124

Montaigne, Michel de 64, 66 Montanus, Martin 320 Montesquieu, Charles de Secondat, baron de 20, 200, 340, 419, 548 Montmorency-Bouteville, François-Henri, duc de Luxemburg, Marschall von Frankreich 4, 6, 55, 57, 59, 143 f., 344, 384, 387, 390, 392–395, 514 Montmorency, Henri II., duc de 387 More, Thomas 42, 421–424, 431 f. Moreschi, Alessandro 497 Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz 128 Moses 464, 468 Moss, Kate 453 Mühldorf, Andreas 240 Mulai Ismail [Muley Ismael] 6 ff., 86, 247, 249 f., 262, 311, 323, 342, 400, 440 ff., 512, 519, 560 Müller, Philipp 128 Nacht, Königin der 425 Nadyr Shah 554 Nantilda, Königin von Frankreich 88 Natouillet, Ogier de 506 f. Neid, der 270 Nemesis 207, 228, 232, 271 Neptun 208, 265 Nero, römischer Kaiser 85, 114, 300, 365 Neunhertz, Johann 549 Newton, Helmut 453 Newton, Isaac Sir 32, 87 Nider, Johann 469 f. Nikias, athenischer Politiker 48 Nôtre, André Le 260 Octavia die Jüngere, erste Frau Kaiser Neros 85, 129, 383 Odenatus, Septimus 6, 486 f., 492 f. Odysseus 31, 113, 349 Olearius, Adam 543 f. Onocentaur 516, 518 Orsini, Anne-Marie de la Trémouille, Prinzessin von 387 Orwell, George 419 Osman I. Gazi, Begründer der osmanischen Dynastie 449 Otho, Marcus Salvius 46

Personenregister

Ovid, Publius O. Naso 196, 206, 227 f., 232 f. Oxenstiern(a), Erik Axelsson 92 Pasiphae 190 Pegasus 265 Perrault, Charles 66, 71 Perronet, Jean Rodolph 244 Peter I. „der Große“, Zar von Rußland 88, 171, 271, 373 ff., 384, 414, 484 f., 492 Petrowitz, Alexander 88 Petrus 409 ff. Pfanner, Tobias 172 Pfeffinger, Johannes Friedrich 240 Pfeiffer, Augustin 119 Pheros, ägyptischer Herrscher 272 Philipp II. [Felipe], König von Spanien 113, 343, 386, 390 Philippe II. de Bourbon, duc d’Orléans 386, 506, 509 Philipp III. [Felipe], König von Spanien 386, 390 Philipp IV. [Felipe], König von Spanien 386, 390 Philipp Wilhelm von Nassau 88 Philipp II. von Makedonien, Vater von Alexander dem Großen 35 ff. Philopoimen, griechischer Feldherr 47, 50 Phryne, griechische Hetäre 32, 67, 70 f., 72 f., 76, 103, 283, 342, 352, 439 Phryne, eine andere 74 f., 77 f., 87 Piero della Francesca 244 Pirckheimer, Willibald 42 Pius II., Enea Silvio Piccolomini, Papst 446, 496 Platon 67, 87, 109, 307, 329, 336, 339, 349, 401 Plautus, Titus Maccius 336 Pluton 33, 35, 59, 63, 68 f., 71 f., 104, 215 Plütschau, Heinrich 18 Poe, Edgar Allan 508 Poitier, Aymard de 506 f. Pompadour, Madame de 67 Pompejus, Gnaeus P. Magnus 55 Pompilius, Numa 114 Poppaea, Sabina 88 Poseidon 259 Postel, Guillaume 449

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Poussin, Nicolas 261 Probst, Jakob 454 Prometheus 441 Pseudo-Kallisthenes 29, 41 Ptolemäus, Claudius 446 Pufendorf, Samuel 22, 457, 460, 549 Pyrrhon von Elis 48, 94 Pyrrhus I. 113 Quesnel, Pasquier, Pater 376 f., 408–411 Quintilian, Marcus Fabius 336 Quintus Curtius Rufus 29, 76 Ramses II. [Rapsaces], ägyptischer Pharao 271 f. Raphael [Raphael Hythlodeus] 431 f. Reimmann, Jacob Friedrich 236, 238 Remus, legendärer Gründer der Stadt Rom 93 Renatus, Graf von Nassau 88 Reni, Guido 344 Reuchlin, Johannes 42 Rhadamanthus 33, 69, 202, 209, 214, 216, 227 f., 380, 410 Rhodopis, ägyptische Hetäre 73 Richelieu, Armand-Jean du Plessis, duc de 92, 113, 387, 390 Roergas, Jacques Serviez de 82, 284 Roggeveen, Jakob 431 Rohan-Montbazon, Marie Aimée de, duchesse de Chevreuse 345, 369, 387, 400 Rohr, Julius Bernhard von 137, 162, 334, 407 Romulus, legendärer Gründer der Stadt Rom 47, 85, 93, 114, 244 Roquelaure, Gaston Jean Baptiste du Roquelaure, duc de 387 Roslin, Alexander 244 Rösner, Johann Gottfried 313 Rousseau, Jean-Jaques 276, 465 Roxane, Frau Alexander des Großen 54, 144 Roxelane, geb. Anastasia Lisowska, Ehefrau Süleymans des Prächtigen 6, 78–83, 88, 370, 479, 492, 513, 514, 548 Rudolf II., Kaiser des HRR 521 Ruzé, Henri Coiffier de, marquis de CinqMars 387

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Personenregister

Safi I., persischer Schah 6, 559 f. Salisbury, Johannes von 546 f. Sand, Karl Ludwig 339 Sandrart, Jacob von 247 f. Sardanapal, König von Assyrien 104 Satan s. Luzifer 310, 454 f., 536 Scarron, Paul 88, 387, 469 ff. Schefer, Leopold 508 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 303 Schielen, Johann Georg 321 f. Schiller, Friedrich von 548 Schlegel, August Wilhelm 303 Schmalz, Herbert 494 Schmauß, Johann Jakob 18, 127 Schebelin, Johann Andreas 435 Schuster, David 460, 480 f., 525 Schütz, Philipp Balthasar Sinold von 325 f. Schwaben, Johann 148 Scipio, Publius Cornelius „Africanus“ 36, 39, 72, 114, 349 Scorella, Donna 398 Scyllen 432 Secretarius 185, 239, 279, 322, 341, 374 ff. Seneca, Lucius Annaeus 336 Sertorius, Quintus 51 Sesostris I., Pharao 272 Sforza, Battista 244 Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper, 3rd Earl of 337 f., 411 Shirley, John 444 Sigismund III., König von Polen 88 Simplicissimus 321 Sirene(n), die 517 Sisyphos 425 Sixtus V., Papst 113 Skanderbeg, Gjergj Kastrioti 6, 495, 497, 525, 550 Skawronski, Samuil 484 Smindiride 71 Sokrates 31, 41, 66, 85, 87 f., 94, 96 f., 99, 100, 107 ff., 111, 114, 306 f., 329 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 303 Sorel, Agnes 78 ff. Sorel, Charles 124 Spener, Philipp Jacob 126 Stanhope, James Earl of 312, 348–356, 461 Stieler, Caspar 188, 379, 397 Stock, Christian 545, 547 f.

Stuart, Carl 247 Sueton, Gaius S. Tranquillus 51, 82 f. Süleyman „der Prächtige“, Sultan der Osmanen 5, 7, 78, 80 f., 88, 128, 242, 278, 281, 283, 310, 374, 376 f., 419, 452, 471, 479 f., 492, 513, 558 Swift, Jonathan 423, 431 Tacitus, Publius Cornelius 336 Tanan 431 Tantalos 425 Tartuffe 124 f. Telemach(us)/Télémaque 90, 93, 96, 98 ff., 113, 381 Tencin, Madame de 68 Tentzel, Wilhelm Ernst 357 f. Terenz, Publius Terentius Afer 336 Teufel s. Satan 536 Thaon, Philippe de 516 Theophanes „der Bekenner“ 526 Theseus 47 Thököly, Imre 6, 444, 455, 554–558 Thomas the Rhymer 430 Thous, Jacques-Auguste de 285 Thoyras, Paul Raphin de 20 Tiberius, Julius Caesar Augustus 85 Tiepolo, Giovanni Battista 492 Tilesius, Bathasar Heinrich 357 f. Tillemont, Lenain 485 Timoleon, griechischer Politiker 51 Timon von Athen, Misanthrop 41, 97, 107 f. Timur [Tamerlan], auch Timur Lenk 6, 224, 288–293, 372, 379, 550 Tordenskjold, Peter 415, 426, 429 Tromp, Maarten 415, 426, 429 Tugend, die 265 Turenne, Frédéric-Maurice de La Tour d’Auvergne-Bouillon, duc de 387 Turenne, Henri de la Tour d’AuvergneBouillon, vicomte de 387 Ulrich von Türheim 526 Urban VIII., Papst 369 Vallière, Louise Françoise de La Baume Le Blanc, duchesse de la 387 Vasi, Giuseppe 265 Velthuysen, Lambert van 475

Personenregister

Venus 190 Vergil, Publius V. Maro 432 f. Verkolje, Nicolas 244 Vertumnus 521 Vespasian, römischer Kaiser 85 Vespucci, Amerigo 431 Victoria 265 Villars, Claude Hector, duc de 387 Villeroy, François de Neufville, duc de 387 Vitriarius, Johann Jakob 15 Vivaldi, Antonio 496 Vives, Joan Lluís 336 Voltaire, François-Marie Arouet 45, 64, 87, 339, 525 Vulcan(us) 208 Wackerbarth, Christoph August von 240 Waldemar II., König von Dänemark 528 Wassiljewitsch, Iwan 21 Watteau, Jean-Antoine 258 Weidemann, Moritz Georg 133, 245 Weise, Christian 168, 188, 204, 363, 370, 377 Weiße, Christian Felix 551 Westphal, Andreas 314, 331 f., 399 Whitelocke, Bulstrode 339

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Wickram, Jörg 321 Wieland, Christoph Martin 45, 303, 327 Wilhelm I., König von Preußen 13, 19, 21–26 Willem der Flame 244 Wilhem II., Prinz von Oranien und Nassau 244, 343 Wilhelm III., Prinz von Oranien und Nassau 349 Windus, John 247 Wolff, Christian 19, 127, 192 Wolfram von Eschenbach 526 Xanthippe 470 Xenophon 109, 307, 336, 547 Ximenes, Gonzalo Jiménez de Cisneros, Erzbischof von Toledo 91 f., 113, 283 Zeiller, Martin 321 Zencker, Johann Samuel 392 Zenobia Septimia [Al-Zabba], Herrscherin von Palmyra 6, 483–488, 491–495 Zeus 35, 190 Ziegenbalg, Bartholomäus 18 Ziegler, Heinrich Anselm von 323 Zyklop(en) 311