Ästhetische Impulse der Netzkommunikation: Eine designwissenschaftliche Betrachtung multimedialer Diskurse [1. Aufl.] 9783839427439

The visual and multimedia articulation of web discourses as a provider of impulses for product language - an innovative

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German Pages 232 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
1.1 Die Veränderung des Blickes
1.2 Thematische Eingrenzung der Untersuchung
Exkurs – Das Sichtbare und das Sagbare
1.3 Die Netzkommunikation als Dispositiv
1.4 Die Foucault’sche Diskursperspektive als Inspiration für die Designtheorie
Exkurs – Die Archäologie als Forschungsstil
1.5 Design für eine neue Aufmerksamkeit
2. Semiotische Gliederung der Diskursanalyse
2.1 Blickmuster – Sichtbarkeitsphänomene als Kategorie
2.2 Kodierung – Nicht-diskursive/diskursive Praxen als Kode
2.3 Relevanzstrukturen Impulsgeber für das Design
2.4 Anliegen und Aufbau der Arbeit
3. Pixelierung – Mapping als Adressierung des Pixels
3.1 Google Earth – Ein Webservice als Kodiersystem
3.2 Silodam – Pixelierung wird zur realen Gestalt
3.3 Virtuelles Reisen – Pixelierung als räumliche Erfahrung
3.4 Vermittlung – Pixelierung als narratives Designelement
3.5 Diskursgesellschaften – Pixelierung polarisiert
3.6 Zwischenfazit
4. Etikettierung – Tagging als Wissensorganisation
4.1 Social Tagging – Folksonomien als Kodierung
4.2 Tagging als Sichbarkeitsfigur in der Gestaltung
4.3 Die Phänomengestalt als Distinktionsgewinn
4.4 Zwischenfazit
5. Rahmung – Image-Annotation als Vermittlung
5.1 Kodiersysteme des Foto-Taggings
Exkurs – Foto-Tagging und Datenschutz
5.2 Spuren in Vergegenständlichungen
Exkurs – Der Einfluss Sozialer Netzwerke
5.3 Zwischenfazit
6. Freistellung – Eine heterotopische Kulturtechnik
6.1 Isolation – Kodierprozesse der Freistellung
6.2 Zwischenfazit
7. Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis
7.1 Bildfilterung – Digitale Fototechniken als visuelle Kultur
7.2 Die Sichtbarkeit der Artikulationsform dominiert die Inhalte
7.3 Zwischenfazit
8. Rekombination – Mashups als kreativer Remix
8.1 Juxtapositionen als Kodes einer Sharing-Culture
8.2 Rekombination als Designkonzept
8.3 Zwischenfazit
9. Transparenzen – Sichtbarkeiten einer Display-Gesellschaft
9.1 Transparenzen als Wegbereiter der Multitasking-Kodes
9.2 Durchschaubarkeit – Visuelle Informationsverdichtung
9.3 Zwischenfazit
Exkurs – Die kontrollierte Sichtbarkeit
10. Luminanzen – Konditionierung einer Neosensorik
10.1 Veränderliche Luminanz in nicht-diskursiven Kodes
10.2 Luminanz als sensorische Substitution
10.3 Zwischenfazit
11. Fazit und Ausblick
11.1 Fazit
11.2 Ausblick
12. Literaturverzeichnis
13. Abbildungsverzeichnis
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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation: Eine designwissenschaftliche Betrachtung multimedialer Diskurse [1. Aufl.]
 9783839427439

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Jörg Ibach Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Kunst- und Designwissenschaft | Band 1

Editorial Die Reihe »Kunst- und Designwissenschaft« präsentiert exzellente transdisziplinäre Forschungen junger und arrivierter ForscherInnen an den Schnittstellen von bildender Kunst, Design, Medien und Alltagsästhetik. Die einzelnen Bände eint das wissenschaftliche Interesse an Gestaltung als ästhetischem Phänomen. Somit leistet die Reihe einen Beitrag zur Etablierung der jungen Disziplin Designwissenschaft, widmet sich aber ebenso kunstwissenschaftlichen Phänomenen. Die Reihe wird herausgegeben von Cordula Meier, Professorin und Leiterin des Instituts für Kunst- und Designwissenschaft an der Folkwang Universität der Künste, Essen.

Jörg Ibach (Dr. phil.), Architekt (Dipl.-Ing.) und Industriedesigner (Dipl.-Des.), promovierte am Institut für Kunst- und Designwissenschaft der Folkwang Universität der Künste in Essen, wo er lebt.

Jörg Ibach

Ästhetische Impulse der Netzkommunikation Eine designwissenschaftliche Betrachtung multimedialer Diskurse

Für Leonard

Herausgegeben von Cordula Meier mit Unterstützung der Folkwang Universität der Künste Essen

Erstgutachterin: Prof. Dr. phil. habil. Cordula Meier Zweitgutachter: Univ.-Prof. Frank Rolf Werner

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Ralf de Jong Lektorat: Anette Christiani Satz: Mona Mönnig, Max Greve Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2743-5 PDF-ISBN 978-3-8394-2743-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1.

Einleitung

1.1

Die Veränderung des Blickes

1.2

Thematische Eingrenzung der Untersuchung

7 7 10

Exkurs – Das Sichtbare und das Sagbare

15

1.3

Die Netzkommunikation als Dispositiv

18

1.4

Die Foucault’sche Diskursperspektive als Inspiration für die Designtheorie

30

Exkurs – Die Archäologie als Forschungsstil

38

1.5

Design für eine neue Aufmerksamkeit

40

2.

Semiotische Gliederung der Diskursanalyse

45

2.1

Blickmuster – Sichtbarkeitsphänomene als Kategorie

47

2.2

Kodierung – Nicht-diskursive/diskursive Praxen als Kode

53

2.3

Relevanzstrukturen – Impulsgeber für das Design

57

2.4

Anliegen und Aufbau der Arbeit

60

3.

Pixelierung – Mapping als Adressierung des Pixels

65

3.1

Google Earth – Ein Webservice als Kodiersystem

67

3.2

Silodam – Pixelierung wird zur realen Gestalt

69

3.3

Virtuelles Reisen – Pixelierung als räumliche Erfahrung

75

3.4

Vermittlung – Pixelierung als narratives Designelement

78

3.5

Diskursgesellschaften – Pixelierung polarisiert

82

3.6

Zwischenfazit

86

4.

Etikettierung – Tagging als Wissensorganisation

89

4.1

Social Tagging – Folksonomien als Kodierung

90

4.2

Tagging als Sichbarkeitsfigur in der Gestaltung

4.3

Die Phänomengestalt als Distinktionsgewinn

100

4.4

Zwischenfazit

103

5.

Rahmung – Image-Annotation als Vermittlung

105

5.1

Kodiersysteme des Foto-Taggings

105

Exkurs – Foto-Tagging und Datenschutz

108

Spuren in Vergegenständlichungen

113

5.2 5.3

94

Exkurs – Der Einfluss Sozialer Netzwerke

118

Zwischenfazit

120

6.

Freistellung – Eine heterotopische Kulturtechnik

123

6.1

Isolation – Kodierprozesse der Freistellung

125

6.2

Zwischenfazit

132

7.

Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis

135

7.1

Bildfilterung – Digitale Fototechniken als visuelle Kultur

142

7.2

Die Sichtbarkeit der Artikulationsform dominiert die Inhalte

147

7.3

Zwischenfazit

152

8.

Rekombination – Mashups als kreativer Remix

155

8.1

Juxtapositionen als Kodes einer Sharing-Culture

157

8.2

Rekombination als Designkonzept

161

8.3

Zwischenfazit

164

9.

Transparenzen – Sichtbarkeiten einer Display-Gesellschaft

167

9.1

Transparenzen als Wegbereiter der Multitasking-Kodes

168

9.2

Durchschaubarkeit – Visuelle Informationsverdichtung

169

9.3

Zwischenfazit

173

Exkurs – Die kontrollierte Sichtbarkeit

174

10.

Luminanzen – Konditionierung einer Neosensorik

177

10.1

Veränderliche Luminanz in nicht-diskursiven Kodes

177

10.2

Luminanz als sensorische Substitution

180

10.3

Zwischenfazit

182

11.

Fazit und Ausblick

185

11.1

Fazit

185

11.2

Ausblick

194

12.

Literaturverzeichnis

197

13.

Abbildungsverzeichnis

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1. Einleitung 1.1 Die Veränderung des Blickes „Man versteht, daß einige über die gegenwärtige Leere jammern und wünschen, daß es in der Ordnung der Ideen ein wenig Monarchie gäbe. Aber die, die einmal in ihrem Leben einen neuen Ton, eine neue Weise zu blicken, eine andere Art zu tun gefunden haben, sie, so glaube ich, werden niemals das Bedürfnis verspüren zu bejammern, daß die Welt ein Irrtum und die Geschichte vollgestopft von Nicht-Existenzen ist […]“ 1

Einem Bericht zufolge, der sich auf eine bereits 2001 von Sadie Plant für Motorola erstellte Studie bezieht, hat bei vielen Jugendlichen aufgrund einer häufigen Nutzung mobiler Telefone zur Versendung von Kurzmitteilungen eine Verhaltensänderung stattgefunden: „[...] vor allem im Mobiltelefon-verliebten Tokio unter den Jugendlichen […]. Diese hatten nicht nur eine – mittlerweile auch hierzulande oft zu beobachtende – Technik des Ein-Daumen-blind-SMSens entwickelt, sondern fingen schon damals an, ihren Daumen für alles mögliche andere zu verwenden, dessen haptisches Hoheitsgebiet früher dem Zeigefinger zuzurechnen war: Etwa Klingeln und – noch gravierender – Zeigen. [...] Der Indexfinger, auch dieser psychologisch Jahrtausende eine der Grundkonstanten des menschlichen Bewusstseins, wurde vom Daumen weggedrückt. ‚Thumbing‘ nennt sich diese eigenartige Neo-Gestik.“2

1 | Michel Foucault: Der maskierte Philosoph. Gespräch mit Christian Delacampagne, in: Jan Engelmann (Hrsg.): Botschaften der Macht. Der Foucault-Reader Diskurs und Medien, Stuttgart: DVA, 1999, S. 21. 2 | Sascha Koesch et al.: Mach den Daumen aus. Gymnastik für die Generation SMS, http:// www.spiegel.de/netzwelt/tech/0,1518,437942,00.html, (Stand 19.09.2006) (letzter Zugriff 18.01.2007). Die Autoren beziehen sich auf die von Motorola finanzierte Studie von Dr. Sadie Plant: On the Mobile. The Effects Of Mobile Telephones On Social And Individual Life, http://momentarium.org/experiments/7a10me/sadie_plant.pdf, (Stand 2001) (letzter Zugriff 18.09.2010).

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

In dieser Beschreibung wird eine Veränderung des Verhaltens bei Jugendlichen thematisiert. Durch die Verwendung neuer Kommunikationsformen – hier speziell der Nutzung des Short Message Service – wird eine charakteristische, menschliche Verhaltensweise umkodiert. Es wird der Prozess der Neukodierung einer tradierten, typischen Körperbewegung festgestellt. Der Daumen wird für das Zeigen verwendet, obwohl der wohl möglich besser geeignete Zeigefinger – dessen Name sich von seiner maßgeblichen Nutzung ableitet – zur Verfügung steht. Sadie Plant beschreibt den beachtlichen Einfluss der Kommunikationspraktiken und -möglichkeiten einer mobilen Telefonie auf menschliche Umgangsformen und Gesten: „In response to the novel physical and psychological demands made by mobiles, people have introduced new stances, gestures and bodily movements to their everyday behaviour, changing the ways in which the body, the fingers, the thumbs, the hands and the eyes are used while making and taking mobile calls or sending and receiving mobile messages.“3

Plant stellt einen Zusammenhang her zwischen der mobilen Telefonie und neuen Körperhaltungen, Körperbewegungen und Gesten. Eine ähnliche Absicht liegt der hier vorliegenden Untersuchung zugrunde, in der sich allerdings das Forschungsinteresse nicht auf eine menschliche Neo-Gestik, sondern auf eine veränderte Wahrnehmungsfähigkeit visueller Strukturen im Sinne eines Neuen Sehens konzentriert. Ziel ist, die Veränderungen des Sehens als Effekt der rechnergestützten Kommunikation – im Folgenden Netzkommunikation – für die Designtheorie4 zu dokumentieren. Neues Sehen soll als neue Kompetenz des Verstehens identifiziert werden, indem netzspezifische, „multimediale und multimo-

3 | Sadie Plant: On the Mobile. The Effects Of Mobile Telephones On Social And Individual Life, http://momentarium.org/experiments/7a10me/sadie_plant.pdf, S. 51 (Stand 2001) (letzter Zugriff 18.09.2010), auch als archivierte Textversion abrufbar unter http://web. archive.org/web/20070127165250/http://www.motorola.com/mot/doc/0/267_MotDoc. pdf, S. 17, (Stand 2001) (letzter Zugriff 13.12.2010). 4 | Cordula Meier (Hrsg.): Design-Theorie. Beiträge zu einer Disziplin, Frankfurt am Main: Anabas, 2. Aufl., 2003.

Einleitung

dale Artikulationen“5 und ungewöhnlich gestaltete Artefakte, die Eingang in die gesellschaftlichen Lebensformen finden, zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die designwissenschaftliche Betrachtung wird durch die Idee motiviert, die Komplexität des Berufsbildes der Designer6 anhand heutiger, kontingenter Anforderungen fernab des klassischen Merkmals ablesbarer Nützlichkeiten bzw. „semantische[r] Regel[n]“7 auszuzeichnen. Die Überlegungen in vorliegender Arbeit sollen alternative Sichtweisen begreiflich machen, die sich gegenüber einer gestaltideologischen Kritik wie der von Jan Kleihues behaupten können. Kleihues bemängelt, dass es „[f ]ormale Zwänge [...] nicht mehr [gibt], [und dass] die Gliederung eines Baukörpers aus einer technischen Notwendigkeit heraus [...] überf lüssig geworden [ist]. Die Folge: Museen sehen aus wie Seifen, Bahnhöfe wie die zäpfchenförmigen Züge, die durch diese hindurchfahren, Fußballstadien nehmen die Form von Wollknäueln an […]. Mit […] dem Fließen der Übergänge zwischen Architektur und Skulptur […] verschwimmen auch die Maßstäbe für eine qualitative Bewertung […].“ 8

Das Forschungsinteresse zielt darauf ab, in aktuellen Gestaltansätzen die kommunikationstheoretischen Grundzüge einer Sinnstiftung zu lokali-

5 | Winfried Marotzki bezieht diskursanalytische Betrachtungsweisen auf einen erweiterten Artikulationsbegriff: „Der Diskurs wird als (multimediale) Artikulation von Erfahrungsräumen thematisierbar. Die Betonung multimedialer Artikulation des Menschen erlaubt es, gerade den in den Neuen (Kommunikations-)Medien vorfindlichen Kommunikationsweisen einen systematischen und nicht substituierbaren Stellenwert einzuräumen. Multimediale Kommunikationsarchitekturen wie Multimedia Blogs können in diesem Sinne also als multimediale und multimodale Artikulationen aufgefasst und analysiert werden“, in: Winfried Marotzki: Multimediale Kommunikationsarchitekturen. Herausforderungen und Weiterentwicklungen der Forschungen im Kulturraum Internet, MedienPädagogik 14, http://www.medienpaed. com/14/marotzki0804.pdf, S. 12, (Stand 11.04.2008) (letzter Zugriff 11.08.2008). 6 | Zur sprachlichen Vereinfachung wird auf die geschlechtsspezifische Adressierung – hier beispielsweise Designerinnen und Designer – in der gesamten Arbeit verzichtet. 7 | Vgl. Vittorio Magnago-Lampugnani: Ästhetische Grundlagen der architektonischen Sprache. Ansätze zur Entwicklung qualitativer Maximen für die gebaute Form, Stuttgart: IGMA Dissertationen, 1977, S. 33. 8 | Jan Kleihues: Begriffsbestimmung, in: DER ARCHITEKT. Zeitschrift des Bundes Deutscher Architekten BDA, Nr. 7-8, August 2005, S. 36.

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

sieren, die sich aus der kollaborativen Netzkommunikation ableiten lassen. Für Siegfried J. Schmidt macht es dann „[...] Sinn, von Designtheorie als einer speziellen Kommunikationstheorie zu sprechen [...]“, sobald „[...] solche Überlegungen zu einem akzeptablen Ergebnis führen [...]“. Er empfiehlt, „[…] Materialität und Sinnproduktion als Beobachtungsebenen einzuführen und zu fragen, ob die Dingmaterialität und das an ihr (dank kollektiven Wissens) Beobachtbare kognitiv zur Sinnproduktion genutzt und die Ergebnisse solcher Sinnproduktionen wieder als Medienangebote in Kommunikation investiert werden können [...]“9. In dieser Hinsicht sucht die vorliegende Arbeit nach Sichtbarkeitsfiguren in der Netzkommunikation, die sich sinnvermittelnd in Designprozesse einbinden lassen und schon aktiv eingebunden worden sind.

1.2 Thematische Eingrenzung der Untersuchung Die These lautet, dass die kollaborative Nutzung des „Ubiquitious Internet […]“10 im Sinne eines allgegenwärtigen, computervermittelten Kommunikations- und Wissensmediums ästhetische Gültigkeiten generiert, die sich im Design realer Objekte vergegenständlichen. Die Absicht der Analyse liegt darin, die Entstehung designrelevanter Seh-Weisen im Rahmen einer erweiterten Diskursanalyse zu protokollieren. Es wird den Fragen nachgegangen, inwiefern sich neue Selbstverständlichkeiten und Vertrautheiten einer internetbasierten, gesellschaftlichen Diskursform als gestaltrelevante Sichtbarkeiten etablieren können und wie

9 | Vgl. Siegfried J. Schmidt: Sprache oder die Vereinbarkeit des Unvereinbaren, in: Cordula Meier (Hrsg.): Design-Theorie. Beiträge zu einer Disziplin, Frankfurt am Main: Anabas, 2. Aufl., 2003, S. 50. 10 | Vgl. J. Cave et al.: Trends in connectivity technologies and their socio-economics impacts. Final report of the study: Policy Options for the Ubiquitous Internet Society. Dem Report zufolge wird das allgegenwärtige Internet zur einheitlichen Plattform konvergieren und unabhängig von Endgerät, Ort und Software als Medium wie Wasser und Energie zur Infrastruktur einer gesellschaftlichen Informationsorganisation gehören. Als semantisches Web – dem sogenannten Web 3.0 – wird es zu einer intelligenten Technik, vgl. http://ec.europa.eu/infor mation_society/activities/foi/library/docs/final-report-nosec-clean.pdf, (Stand Juli 2009) (letzter Zugriff 12.03.2010).

Einleitung

ein heutiges Design die neuen Kulturtechniken der Netzkommunikation produktiv in die reale Ding-Gestaltung transferiert. Dieser Blickwinkel stellt Design in einen Bezug zur internetspezifischen Wissensgenese und fokussiert Gestalt-Symptome, die sich als ein Ermitteln bedeutender Daten im Sinne einer Wissensform des Suchens und Findens betrachten lassen 11. Beispielsweise befasst sich Christian Stegbauer mit der Entstehung von Wissen bei der Online-Enzyklopädie Wikpedia – dem Beispiel einer erfolgreichen Anwendung des „Web2.0“12 – und erläutert den Wissensbegriff folgendermaßen: „Das, was hier ‚Wissen‘ genannt wird, ist letztlich die Aushandlung von als relevant erachteten Informationen und noch nicht Wissen. Damit aus Informationen Wissen wird, ist ein Akt der Aneignung zwischenzuschalten.“ 13

Die hier vorliegende Untersuchung der netzspezifischen Diskursformen als Orte multimedialer Wissenskonstitution folgt zum Teil – in modifizierter Form – der Anregung Reiner Kellers, die „[...] Diskurstheorie [...] an die (Hermeneutische) Wissenssoziologie [anzuschließen].“14 Keller präsentiert

11 | Diese Erkenntnisprozesse werden im Rahmen der hier vorgelegten Überlegungen als ein In-das-Gedächtnis-Eingehen bzw. bewusstes Wahrnehmen im Sinne einer Blickrelevanz verstanden. 12 | „Web 2.0 is the business revolution in the computer industry caused by the move to the internet as platform, and an attempt to understand the rules for success on that new platform. Chief among those rules is this: Build applications that harness network effects to get better the more people use them. (This is what I've elsewhere called ‚harnessing collective intelligence.‘)“, in: Tim O´Reilly: Web 2.0 Compact Definition. Trying Again, abrufbar unter http://radar.oreilly.com/archives/2006/12/web-20-compact.html, (Stand 2006) (letzter Zugriff 13.12.2008). 13 | Christian Stegbauer: Verteilte Wissensproduktion aus netzwerkanalytischer Perspektive, in: Herbert Willems (Hrsg.): Weltweite Welten. Internet-Figurationen aus wissenssoziologischer Perspektive, Wiesbaden: VS, 2008, S. 143. 14 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse als Beitrag zu einer wissensanalytischen Profilierung der Diskursforschung [46 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(2), Art. 19, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0702198, (Zusammenfassung), (Stand 2007) (letzter Zugriff 30.09.2009).

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

„methodisch-konzeptionelle Vorschläge zum hermeneutisch-interpretativen Vorgehen [und] zur Analyse von Wissensbausteinen [...].“15 Diese „[...] Auslegung [...] der Diskursperspektive“16 ermöglicht, bei „[...] Analysen [...] [konstruktiv zu verfahren], weil sie aus den Daten heraus Interpretationen, kategoriale Schemata usw. und damit Aussageformen generieren, die so in den Daten selbst nicht enthalten waren und nicht enthalten sein können.“ 17

Die von Keller „[erläuterten] Vorgehensweisen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse“18 ermöglichen eine Untersuchung, die „nicht auf Textanalyse reduziert wird, sondern auch Materialitäten – bspw. in der Gestalt von Dispositiven – erfasst [...]“19: „Die situative Realisierung der Ordnung von Praktiken innerhalb eines Praxisfeldes kann als kreative, selektive und taktische Aneignung bzw. Ablehnung von diskursiv prozessierten Mustern verstanden werden. Wissenssoziologische Diskursanalyse ist, indem sie die Idee der Materialität der Diskurse ernst nimmt, nicht nur Kommunikations-, Text- oder Bildforschung, sondern Diskurs- und Dispositivanalyse, also Fallstudie, Beobachtung, sogar ethnographische Verdichtung, die den Zusammenhang von Aussageereignissen, Praktiken, Akteuren, organisatorischen Arrangements und Materialitäten als mehr oder weniger weit historisch und sozial-räumlich ausgreifende Prozesse in den Blick nimmt.“20

Keller beschreibt die Wissenssoziologische Diskursanalyse als ganzheitliche Untersuchung einer gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion durch kreative, strategische und differenzierte Vereinnahmung oder Verweigerung der textbasierten „Praktiken der Diskurs(re)produktion“, der handlungsempfehlenden Leitbilder als „diskursgenerierte[n] Modellpraktiken“ und der „sprachliche[n] wie nicht-sprachliche[n] Handlungsweisen[...]

15 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Zusammenfassung) 16 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 8) 17 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 12) 18 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 8) 19 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Zusammenfassung) 20 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 46)

Einleitung

als diskursexterne[n] Praktiken“21 und dem „Dispositiv [als] tatsächliche[m] Mittel der Machtwirkungen eines Diskurses.“22 In dieser holistischen Form bewertet Keller die Wissenssoziologische Diskursanalyse gleichermaßen als Dispositivanalyse. Weiterhin bietet diese nach Keller „[...] Ideen in der wissenssoziologischen Tradition als heuristische Werkzeuge an, bspw. die Unterscheidung von Deutungsmustern, Klassifikationen, Phänomenstrukturen und narrativen Strukturen [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] [,]“23

die dadurch eine nachvollziehbare Methodologie qualitativen Forschens mit objektiven Interpretationsschritten ausbilden kann. Für die vorliegende, designtheoretische Arbeit werden die oben genannten Analyse-Instrumente „Deutungsmuster“24, „Klassifikation“25 und „Phänomenstruktur“26 disziplinär angepasst. Das Deutungsmuster wird in den nachfolgenden

21 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 44) 22 | Keller erläutert den Dispositiv-Begriff in seiner Relation zu Diskursen und Praktiken folgendermaßen: „Die sozialen Akteure, die einen Diskurs artikulieren, schaffen eine entsprechende Infrastruktur der Diskursproduktion und Problembearbeitung, die mit dem Begriff des Dispositivs bezeichnet werden kann. Dispositive sind die tatsächlichen Mittel der Machtwirkungen eines Diskurses. Dispositive vermitteln als ‚Instanzen‘ der Diskurse zwischen Diskursen und Praxisfeldern (Praktiken). Ein Dispositiv ist der institutionelle Unterbau, das Gesamt der materiellen, handlungspraktischen, personellen, kognitiven und normativen Infrastruktur der Produktion eines Diskurses und der Umsetzung seiner angebotenen ‚Problemlösung‘ in einem spezifischen Praxisfeld“, in: Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 45) 23 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 16) 24 | „Demnach ist ein Deutungsmuster ein Ergebnis der ‚sozialen Konstruktion von Wirklichkeit‘, d. h. ein historisch-interaktiv entstandenes, mehr oder weniger komplexes Interpretationsmuster für weltliche Phänomene, in dem Interpretamente mit Handlungsorientierungen, Regeln u. a. verbunden werden“, in: Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 21) 25 | „Bedeutsam ist [...] [die] Strukturierungsleistung von Klassifikationen [...] [und] ihre performative Wirkung“, in: Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 24) 26 | „Das Konzept der Phänomenstruktur greift [...] auf [...], dass Diskurse in der Konstitution ihres referentiellen Bezugs (also ihres ‚Themas‘) unterschiedliche Elemente oder Dimensionen ihres Gegenstandes benennen und zu einer spezifischen Gestalt [...] verbinden“, in: Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 27)

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Überlegungen zum Blickmuster umbenannt und bezieht sich auf Sichtbarkeitsfiguren, welche eine Wahrnehmungslenkung im Sinne der semantischen Bezeichnungsfunktion hervorrufen. Die bei der „Sprachverwendung in Diskursen“27 erzeugten Klassifikationen werden mit der „Qualifikation“28 von Inhalten durch anwendergesteuerte, nicht-diskursive Kodierprozesse im Netz verknüpft. Entsprechend setzt die Diskursteilnahme Anwender-Kompetenzen in Form von syntaktischen Qualifikationen bei der Kodierung voraus. Anstelle von Phänomenstrukturen, anhand derer sich die „Konstruktion eines Themas“29 ableiten lässt, werden Relevanzstrukturen in der Untersuchung thematisiert. Aus dieser Perspektive entfalten sich pragmatische Aspekte bereits im Diskurs durch ein gewecktes Interesse als „vermittelte Notiznahme, ein[em] Vorgang der Aufmerksamkeitszuwendung.“30 Der Begriff der „narrativen Strukturen“31 wird beibehalten, um „[...] die unterschiedlichen [...][E]lemente eines Diskurses zu einem zusammenhängenden, darstell- und erzählbaren Gebilde [zu] [verknüpfen].“32 Im 2. Kapitel dieser Arbeit – Semiotische Gliederung der Diskursanalyse – werden die Analyse-Instrumente Blickmuster, Qualifikationen und Relevanzstrukturen mit den von Tina Guenther und Jan Schmidt entwickelten „[...] drei Wissenstypen Content, Code und

27 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 24) 28 | „Eine [...] inhaltliche Erschließung von Diskursen besteht in der Untersuchung der Klassifikationen [Herv. im. Orig., Anm. d. Verf.] (und dadurch: der Qualifikationen) von Phänomenen, die in ihnen und durch sie vorgenommen werden“, in: Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 22) 29 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 26) 30 | Klaus Leferink: Psychosemiotik – ein Ansatz zur Kritik der Identität. e-Journal Philosophie der Psychologie, Berlin, März 2008, S. 5, abrufbar unter http://www.jp.philo.at/texte/ LeferinkK1.pdf, (Stand 03.2008) (letzter Zugriff 30.09.2009). 31 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse als Beitrag zu einer wissensanalytischen Profilierung der Diskursforschung [46 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(2), Art. 19, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0702198 (Absatz 28), (Stand 2007) (letzter Zugriff 30.09.2009). 32 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 29)

Einleitung

Metadaten“33 zur Gliederung der Analyse assoziiert, wobei der Begriff Metadaten zur Position visuelle Metadaten ergänzt wird. In dieser Hinsicht verstehen sich visuelle Metadaten als Blickmuster zur Wahrnehmungslenkung bzw. -ausrichtung. Die Internetdienste als Kodiersysteme ermöglichen durch ihre Codes die Qualifikation von Inhalt. Die Relevanzstrukturen „vermitteln Notiznahme“34 – ein Phänomen, welches in der vorliegenden Untersuchung als Content klassifiziert wird. Weiterhin werden narrative Strukturen angeführt, um die Intention dieser Arbeit – ästhetische Spuren einer netzspezifischen Ausdrucksform in Vergegenständlichungen zu ermitteln – anhand diskursgenerierter Ezählungen inhaltlich zu stützen. Die Thematisierung visueller Erscheinungen – der zu Tage tretenden „Aussageereignisse“35 – in der Netzkommunikation unter Zuhilfenahme modifizierter, wissenssoziologischer Analyse-Instrumente, versteht sich als kompatibler Beitrag zu den diskurstheoretischen Ansätzen Michel Foucaults36.

Exkurs – Das Sichtbare und das Sagbare Cornelia Renggli beschäftigt sich „mit einer Analyse von Sicht- und Sagbarkeitsverhältnissen, die Bilder ebenso einbezieht wie Texte [...] [und] [...] wendet

33 | „[…] auf kollaborativem Zusammenwirken aktiver Internetnutzer beruh[t] [die] Erzeugung, Erweiterung, Aktualisierung und Distribution der drei Wissenstypen Content, Code und Metadaten [...]“, vgl. Tina Guenther, Jan Schmidt: Wissenstypen im „Web 2.0“ – eine wissenssoziologische Deutung von Prodnutzung im Internet, in: Herbert Willems (Hrsg.): Weltweite Welten. Internet-Figurationen aus wissenssoziologischer Perspektive, Wiesbaden: VS, 2008, S. 178-179. 34 | Klaus Leferink: Psychosemiotik – ein Ansatz zur Kritik der Identität. e-Journal Philosophie der Psychologie, Berlin, März 2008, S. 5, abrufbar unter http://www.jp.philo.at/texte/ LeferinkK1.pdf, (Stand 03.2008) (letzter Zugriff 30.09.2009). 35 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse als Beitrag zu einer wissensanalytischen Profilierung der Diskursforschung [46 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(2), Art. 19, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0702198, (Absatz 32), (Stand 2007) (letzter Zugriff 30.09.2009). 36 | Michel Foucault wurde 1926 in Poitiers geboren und verstarb 1984, vgl. Clemens Kammler et al. (Hrsg.): Foucault Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler, 2008, S. 16.

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

[die Foucault’schen] Instrumente [...] der Archäologie und Genealogie an.“37 Renggli beschreibt, dass Foucault, der zunächst die Sprache als vorrangig wirksam bewertet – inspiriert „durch die Lektüre von Erwin Panofskys Studien zur Ikonologie [...]“38 – das „Privileg des Diskurses aufgehoben [sieht]“39 und verweist auf seinen Text „Worte und Bilder“40 als „Studie[...] zum Blick und zum Verhältnis von Wörtern und Dingen, Sagen und Sehen, Sichtbarem und Unsichtbarem [...]“41. Darin beschreibt Foucault, dass einerseits „die Elemente des Diskurses sich als Themen [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] durch die Texte [ziehen]“42, und dass diese andererseits „Gestalt in plastischen Motiven [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] [gewinnen]“43. Foucaults expliziter Verweis auf „Beziehungen zwischen dem Diskurs und dem Sichtbaren“44 zeigt eine Nuance seines Blickes, welche die Ideen für die hier verfolgte Fragestellung liefert. Foucault beschreibt Panofskys Überzeugung, die sich von der verbreiteten, kulturellen Auffassung distanziert, derzufolge „[…] alles in der Kultur spricht: Die Strukturen der Sprache prägen der Ordnung der Dinge ihre Form auf“45. Als Beispiel für diese überholte Anschauung nimmt Foucault Bezug auf den französischen Kunstkritiker Émile Mâle,

37 | Cornelia Renggli: Selbstverständlichkeiten zum Ereignis machen. Eine Analyse von Sag- und Sichtbarkeitsverhältnissen nach Foucault [38 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(2), Art. 23, http://nbn-resolving. de/urn:nbn:de:0114-fqs0702239, (Zusammenfassung), (Stand 2007) (letzter Zugriff 25.09.2009). 38 | Cornelia Renggli: Selbstverständlichkeiten zum Ereignis machen. (Absatz 3) 39 | Cornelia Renggli: Selbstverständlichkeiten zum Ereignis machen. (Absatz 3) 40 | Michel Foucault: Worte und Bilder, in: Daniel Defert et al. (Hrsg.): Michel Foucault: Schriften in vier Bänden. Dits et Écrits. Band I, 1954-1969, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, S. 795ff. 41 | Cornelia Renggli: Selbstverständlichkeiten zum Ereignis machen. Eine Analyse von Sag- und Sichtbarkeitsverhältnissen nach Foucault [38 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(2), Art. 23, http://nbn-resolving.de/ urn:nbn:de:0114-fqs0702239, (Absatz 3), (Stand 2007) (letzter Zugriff 25.09.2009). 42 | Michel Foucault: Worte und Bilder, in: Daniel Defert et al. (Hrsg.): Michel Foucault: Schriften in vier Bänden. Dits et Écrits. Band I, 1954-1969, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, S. 795. 43 | Michel Foucault: Worte und Bilder, S. 795. 44 | Michel Foucault: Worte und Bilder, S. 794. 45 | Michel Foucault: Worte und Bilder, S. 795.

Einleitung

für den „die plastischen Formen in Stein, Linien oder Farben gefasste Texte [waren]; ein Kapitell […] analysieren hieß aufzeigen, was dieses Kapitell […] >>sagen wollteSubjekteStation Z< 1998-2005, abrufbar unter http://hgmerz.com/loader.html, (letzter Zugriff 10.10.2010).

Freistellung – Eine heterotopische Kulturtechnik

Die „artifizielle Leere“376 wird von den Gestaltern durch ein weißes, transluzentes Äußeres vergegenständlicht, das den großvolumigen Raum stützenfrei einhüllt. Das Äußere – eine fein wahrnehmbare Stahlgitterkonstruktion mit darüber gespannter Membran – isoliert den ausgestellten Gedenkort. Die Wirkung kommt an hellen Tagen einer Highkey377-Fotografie nahe, die sensibel mit weichem Licht umgeht und meist helle und mittlere Tonwerte aufweist. Konturen und Kontraste können subtil in Ihrer Wirkung reduziert werden. Dieser Eindruck kommt dem virtuellen Schein einer Freistellung vor weißem Grund sehr nahe, wobei der Inhalt nicht auf der Fläche aufsetzt, sondern von der Fläche gewölbehaft umschlossen wird. Der ausgestellte Erdausschnitt wird isoliert, an seinen Rändern erzeugt die lichtdurchlässige Wand/Decken-Einheit den Übergang in die von den Gestaltern intendierte Erfahrbarkeit der Leere. Ein anderer Ansatz wurde bei der Gestaltung des Neubaus für den Firmensitz der Gelsenwasser AG in Gelsenkirchen verfolgt. Hier wird ein bestehendes Gebäude durch das Hinzufügen eines weiteren Baukörpers „gedoppelt“378. Der transparent gestaltete Neubau von Anin Jeromin Fitilidis & Partner aus Düsseldorf – Abbildungen 46 und 47 – ist ein vorangestellter Ergänzungsbau des Bestandsgebäudes, der in seinem Volumen die Maßstäblichkeit und Gliederung des Altbaus reproduziert. Das Gebäude wurde 2003 fertiggestellt. „Um der neuen Hauptverwaltung eine eigene Identität zu verleihen und dabei den Bestand respektvoll zu ergänzen, wurde der Baukörper gedoppelt. Der einfache und klare Glaskubus tritt nicht in Konkurrenz mit den Bestandsgebäuden, indem er versucht sich mit einer aufdringlichen Formensprache zu profilieren oder sich mit Übernahme bestehender

376 | Vgl. Architekturbüro HG Merz: Gedenkstätte Sachsenhausen >Station Z< 1998-2005. 377 | „High -Key-Fotografie - das bedeutet nicht einfach ‚Blende auf‘ und das Foto kräftig überbelichten. High-Key ist ein besonders sensibler Umgang mit weichem Licht, Belichtung, Motiv und Hintergrund. Helle Töne bestimmen das Bild, unwesentliche Bilddetails werden unterdrückt, das Wesentliche nimmt in sanften Tönen Gestalt an“, vgl. CHIP Fotowelt: Fotowettbewerb „Highkey“, abrufbar unter http://fotowelt.chip.de/k/special/high-key/, (letztes Posting 24.11.2007) (letzter Zugriff 10.10.2010). 378 | Vgl. Baunetz Wissen: Hauptverwaltung Gelsenwasser in Gelsenkirchen, abrufbar unter http://www.baunetzwissen.de/objektartikel/Glas_Hauptverwaltung-Gelsenwasser-AG-inGelsenkirchen_71536.html, (letzter Zugriff 12.10.2010).

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Farb- oder Materialkonzepte an den Bestand anzugleichen - er unterstreicht jedoch die städtebaulicher Wirkung des Gesamtensembles. Über verglaste Brücken ist er an die Bestandsgebäude angebunden.“379

Wichtiges Detail des neuen Gebäudes ist die Platzierung in einer künstlich angelegten Wasserfläche, die in der Detailfotografie Abb. 46 hervorgehoben wird. Das Haus positioniert sich trotz der unmittelbaren Nähe zum Bestandsgebäude als eigenständiges Bauwerk, das von einer reflektierenden Wasserfläche freigestellt wird. Besonders interessant sind visuelle Metadaten einer Freistellung auch als Sichtbarkeit einer verschmelzenden Medienwelt mit TV On Demand380 und Corporate TV381. Im sogenannten Greenscreen-Verfahren wird etwa ein virtuelles Studio vor einem grünen Hintergrund eingerichtet, der visuell bespielt werden kann. Seit dem 17.07.2009 nutzt das ZDF ein virtuelles Studio beispielsweise für die Produktionen von „Heute-Nachrichten“382 und „Heute-Journal“383.

379 | Vgl. Baunetz Wissen: Hauptverwaltung Gelsenwasser in Gelsenkirchen. 380 | „Wer im Netz gelernt hat, dass sämtliche Inhalte jederzeit verfügbar sind, will beim Fernsehen nicht darauf verzichten. Das erklärt den großen Erfolg der Mediatheken, die inzwischen von fast allen Fernsehsendern angeboten werden. Seit schnelle Internetverbindungen weit verbreitet sind und die Mediatheken in Bildqualität und Bedienbarkeit mächtig zugelegt haben, ist es bequem geworden, Fernsehsendungen on demand zu sehen, – wenn man Zeit dafür hat. Dabei haben ARD und ZDF immer wieder mit rechtlichen Hindernissen zu kämpfen. Sie dürfen nicht alle Inhalte ins Netz stellen, die meisten auch nur maximal für eine Woche“, vgl. Marc Hippler: Internet-Fernsehen. Gemeinsam einsam im digitalen Fernsehsessel, http://www.zeit.de/digital/internet/2010-05/fernsehen-internet-googletv, (Stand 01.06.2010) (letzter Zugriff 10.10.2010). 381 | „Intranet und Corporate TV verändern die Medienlandschaft in den Firmen. Die Beziehungen zwischen der Face-to-Face-Kommunikation, den gedruckten Medien (z.B. Mitarbeiterzeitschriften) und elektronischen Kommunikationswegen werden neu arrangiert“, in: Claudia Mast: Unternehmenskommunikation, Stuttgart: Lucius und Lucius, 2006, S. 2. 382 | „Vor allem für die Moderatoren ist das neue Studio eine Herausforderung. ‚Sie müssen neu lernen, sich vor der Kamera zu bewegen‘ sagt Redaktionsleiter Theveßen“, in: Uli Scherr: Das ZDF bekommt ein Studio für 30 Millionen Euro, WELT ONLINE, http://www.welt.de/fern sehen/article4070405/Das-ZDF-bekommt-ein-Studio-fuer-30-Millionen-Euro.html, (Stand 06.07.2009) (letzter Zugriff 10.10.2010). 383 | Uli Scherr: Das ZDF bekommt ein Studio für 30 Millionen Euro.

Freistellung – Eine heterotopische Kulturtechnik

Es gibt Momente, da wird sich der Rezipient der virtuell unterstützen Wettermoderationen bewusst, etwa wenn es dem Sprecher mißlingt, die Erläuterung der für ihn nicht sichtbaren Wetterkarte mit glaubwürdigen Gestiken zu begleiten. Gelungene Beispiele dieser heterotopischen Artikulationen sind bei KI.KA, dem Kinderkanal von ARD und ZDF, zu sehen. Hier wird das Blickmuster zum trivialen Bestandteil einer kindlichen Wahrnehmung. Bei der Sendung ‚Kikaninchen‘ können Moderatoren live in einer begehbaren, virtuell bespielten Umgebung umherwandern, beispielsweise durch eine mit handgemalten Bäumen erzeugte Waldillusion. Auch gibt es Filmproduktionen, die in hellen, neutralen Raumrepräsentationen Akteure und das animierte Kikanichen gemeinsam vor die Kamera treten lassen, und das in einer professionellen Machart, die vor wenigen Jahren nur aus teuren, animierten Kinofilmen bekannt war. Der kreative Freiraum in der Filmproduktion durch die virtuellen Studios kultiviert eine Anwendung des designrelevanten Blickmusters der Freistellung für die Wahrnehmung. Hinzu kommt, dass diese Form der Filmproduktion durch virtuelle Mietstudios auch für Unternehmen erschwinglich wird, da mittlerweile private Anbieter diese Form der Filmproduktion für das Videomarketing anbieten.384

384 | In der online abrufbaren Pressemappe der Firma vr3 virtual production oHG aus Düsseldorf wird das virtuelle Studio als Mittel zur Unternehmenskommunikation beworben. „Virtuelle Studios machen professionelles Videomarketing und Corporate TV auch für den Mittelstand erschwinglich“, vgl. vr3 virtual production oHG: Virtuelle Studios machen professionelles Marketing und Corporate TV auch für den Mittelstand erschwinglich, abrufbar unter http://www.vr3.de/de/pdf/PM_Virtuelle_Studios_machen_Videomarketing_erschwing lich_270609.pdf, (letzter Zugriff 10.10.2010).

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Abbildung 48 „ZDF“ | Abbildung 49 „KIKA“ | Die Abbildung 48 zeigt die Aufnahmesituation im virtuellen ZDF-Studio mit unbespieltem (grüne Raumbegrenzung) bzw. bespieltem Greenscreen (Monitordarstellung im vorderen Bildbereich). 385 | Die Abbildung 49 ist eine typische Darstellung der Greenscreen-Filmproduktion Kikaninchen.

Anhand der Abbildung 48 lässt sich die Funktionsweise des Greenscreens nachvollziehen. Im hinteren Bildbereich stehen Personen vor einem inhaltslosen Greenscreen, auf dem Monitor im Vordergrund ist diese Situation mit computergeneriertem Hintergrund im direkten Vergleich zu sehen. Für das designtheoretische Forschungsinteresse ist die gestalterische Anwendung der Freistellung als Kulturtechnik mit Blick auf Materialisationen bedeutsam, die sich beispielsweise in Filmproduktionen für KI.KA lokalisieren lassen. Abb. 49 zeigt ein Bild zur KI.KA-Produktion, welches die Techniken des virtuellen Studios für die Ereignishaftmachung alltäglicher Dinge – beispielsweise werden im Hintergrund Möbel aus bunten, ausgerissenen, unspektakulären Papierschnitzeln collagiert – für eine Bespielung des Hintergrundes verwendet.

6.2 Zwischenfazit Dieser kreative Umgang mit neuen Möglichkeiten der Diskursivierung in der Filmpraxis differenziert zwischen Sein und Darstellen im Sinn einer ästhetischen Distanzierung, da Bildhaftigkeit als isolierbares Gestaltungselement kommunizierbar wird. Beispielsweise wird in dem Format Bau-

385 | Die Abbildung ähnelt den Darstellungen im Bericht von Uli Scherr, vgl. Uli Scherr: Das ZDF bekommt ein Studio für 30 Millionen Euro, WELT ONLINE, abrufbar unter http://www. welt.de/fernsehen/ article4070405/Das-ZDF-bekommt-ein-Studio-fuer-30-Millionen-Euro.html, (Stand 06.07.2009) (letzter Zugriff 10.10.2010).

Freistellung – Eine heterotopische Kulturtechnik

erfeind386 auf 3sat diese Isolierbarkeit zur differenzierten Kommunikation genutzt, indem die thematisierten Inhalte gleichzeitig als kleine Miniaturfenster erscheinen, und zwar so, als würden sie vom Fernsehinneren heraus auf den Bildschirm projiziert. Der optische Effekt scheint der Sichtbarkeit zahlreicher, simultan geöffneter Browserfenster einer Netzkommunikation entlehnt zu sein. Die kleinen Fenster werden von Katrin Bauerfeind gestikgesteuert kreuz und quer zu Sinnzusammenhängen montiert. Diese nichtlineare Wissensorganisation wird als Sichtbarkeitsfigur in das Fernsehen transportiert und kommuniziert Inhalte über netzspezifische Artikulationsfähigkeiten, die für das Medium eher ungewöhnlich sind. Beispielhaft wird mit einer Freistellung – hier durch isolierte Fensterdarstellungen – eine Sichtbarkeit geschaffen, die für eine Fernsehkommunikation etwas Besonderes darstellt und dadurch Aufmerksamkeit generieren kann.

386 | Die Sendungen werden auch im Internet bereitgestellt, vgl. zdf.de: Bauerfeind im Mai, abrufbar unter http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1035434/Bauerfeind-imMai?bc=svp;sv0&flash=off, (letzter Zugriff 29.10.2010).

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7. Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis Die anwender- und providergesteuerte Verwendung von Filteroperationen bei digitalen Bildern bzw. Videos soll einen weiteren Aspekt der in der Netzkommunikation verbreiteten Ausdrucksgestalten darlegen. Es wird versucht, ein verändertes Bildbewusstsein als Merkmal der Netzkultur im Web 2.0 zu beschreiben, das sich in nicht-diskursiven „Bildpraxen“387 erkennen lässt. Ein Zugang soll anhand von Begrifflichkeiten wie „linguistic turn“388, „iconic turn“389 und „pictorial turn“390 erfolgen. Neben anderen hat Richard Rorty 1967 den Begriff „linguistic turn“ geprägt. In der Einleitung zu seinem Buch The Linguistic Turn schreibt er: „The linguistic turn in philosophy is a reaction against the notion of philosophy as a discipline which attempts the solution of certain traditional problems – problems (apparently) generated by certain commonsense beliefs.“391

Er sieht die linguistische Wende (englisch: linguistic turn) als eine Abwendung von dem Gedanken, Philosophie beschäftige sich mit der Lösung traditioneller Probleme, die sich der Logik eines gesunden Menschenverstandes (englisch: commonsense) unterordnen. Dieser Blickwinkel kann vor dem Hintergrund der linguistischen Zeichentheorie Ferdinand de

387 | Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, Stuttgart: UTB, 2009, S. 96. Jörissen und Marotzki verwenden den Begriff Bildpraxen im Kapitel Visuelle Artikulationsformen ihrer Veröffentlichung Medienbildung - Eine Einführung: „Boehm betrachtet [...] die Bildpraxen der Massenmedien ausgesprochen kritisch“. 388 | Vgl. Richard Rorty: The Linguistic Turn. Essays in Philosophical Method, Chicago: University of Chicago Press, 1967. 389 | Gottfried Boehm: Die Wiederkehr der Bilder, in: Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild? (4. Auflage) [Paderborn]: Fink, 2006, S. 13. 390 | Vgl. William J. T. Mitchell: Picture Theory: Essays on Verbal and Visual Representation, Chicago: University of Chicago Press, 1994. 391 | Richard Rorty: The Linguistic Turn. Essays in Philosophical Method, Chicago: University of Chicago Press, 1967, S. 23.

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Saussures'392 eingenommen werden, derzufolge ein sprachliches Zeichen (Signifikant) – beispielsweise das Wort Tisch - nur stellvertretend für die individuelle, bildhafte Imagination in der Form des Signifikates stehen kann. Die Vorstellung eines sprachlich bezeichneten Gegenstandes kann erfahrungsspezifisch von der Vermittlungsabsicht stark abweichen. Dieser Überlegung folgend kann keine vordiskursive, allgemeingültige Wahrheit über ein Bewusstsein bzw. ein Wissen sprachlich vermittelt werden – ein Commonsense ist demnach nicht als gegeben anzunehmen. Hier lässt sich die Gemeinsamkeit von „linguistic turn“ und Foucault’scher Perspektive deutlich erkennen, die den Diskurs als den eigentlichen Produktionsort von Wahrheit identifiziert. Für die thematisierten, nicht-diskursiven Praxen des Diskursraumes Internet liefern Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki mit ihrer Untersuchung auch „[v]isuelle[r] Artikulationsformen“393 wichtige Anhaltspunkte für die vorliegende Arbeit. Sie benennen „[a]ls Startpunkte der interdisziplinär geführten Debatten um Visualität und den Bildbegriff [...] Mitchells [...] Band ‚Picture Theory‘ sowie im deutschsprachigen Raum […] Boehm[s] [...] Sammelband ‚Was ist ein Bild?‘ Beide Bände verkünden eine Wende – Mitchell spricht vom ‚pictorial turn‘ […], Boehm vom ‚iconic turn‘ […] –, die sich gegen das in Philosophie und Sozialwissenschaften damals vorherrschende Textparadigma richtet.“394

Die differenzierte Wahrnehmung von sprachlichen Signifikanten und der willkürlichen Imagination eines Signifikats, welches weit von der Realität abweichen kann, wird von Mitchell und Boehm bei deren Konzepten des „pictorial turn“ bzw. „iconic turn“ auf Bilder übertragen. Jörissen und Marotzki konstatieren beiden Ansätzen, dass die Unterscheidung des

392 | Vgl. Ferdinand de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin, 1967. 393 | Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, Stuttgart: UTB, 2009, S. 95. 394 | Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, S.95, die Begriffe „pictorial turn“ bzw. „iconic turn“ werden zitiert aus William J. T. Mitchell: Picture Theory: Essays on Verbal and Visual Representation, Chicago: University of Chicago Press, 1994, S. 11, und Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild? München, 1994, S. 13.

Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis

„materielle[n] ‚Ding[es]‘“ und des „immateriell Sinnhafte[n]“ bei der Bildbetrachtung im Vordergund steht.395 Mitchell „[...] geht [...] [es] um die Frage, wie Bilder als Gegenstände kultureller Praxen – in diesem Sinn verwendet [er] den Begriff ‚picture‘ im Gegensatz zum Bildinhalt, dem ‚image‘ – ihre Wirkungen entfalten.“396 Boehm spricht in Anspielung auf die linguistische Wende von einem „iconic turn“397: „Die Rückkehr der Bilder, die sich auf verschiedenen Ebenen seit dem 19. Jahrhundert vollzieht, wollen wir als ‚ikonische Wendung‘ charakterisieren. Dieser Titel spielt natürlich auf eine Analogie an, die sich seit Ende der Sechziger Jahre und unter dem Namen des ‚linguistic turn‘ vollzogen hat. Darf man – und in welchem Sinne? – von einem ‚iconic turn‘ sprechen?“398

Boehm „kennzeichnet [...] [den] Doppelcharakter des Bildes als ikonische Differenz [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.]“399 Für ihn wird Bildwahrnehmung im Wesentlichen durch den Dualismus von Material und Sinnstiftung angeregt. 400 Er beschreibt, „[…] dass ein Stück mit Farbe beschmierter Fläche Zugang zu unerhörten sinnlichen und geistigen Einsichten eröffnen kann[.]“401

Jörissen und Marotzki erläutern Boehms Intention einer kritischen Betrachtung der „Bildpraxen der Massenmedien [...] [,die in] ihre[n] suggesti-

395 | Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, Stuttgart: UTB, 2009, S. 96. 396 | Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, S.95. 397 | Gottfried Boehm: Die Wiederkehr der Bilder, in: Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild? (4. Auflage) [Paderborn]: Fink, 2006, S. 13. 398 | Gottfried Boehm: Die Wiederkehr der Bilder, in: Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild? S. 13. 399 | Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, S. 96. 400 | Vgl. Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, S.96. 401 | Gottfried Boehm: Die Wiederkehr der Bilder, in: Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild? (4. Auflage) [Paderborn]: Fink, 2006, S. 31 zitiert nach: Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, S. 96.

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

ven Bilder[n]“402 vermitteln, sie würden Wirklichkeit abbilden. Dieser Aspekt verweist auf Praxen, welche „die Grenzen der eigenen Bildlichkeit [...] verschleiern“. 403 Die Negation einer „ikonischen Differenz“404 hat den Verlust eines „visuellen Grundkontrast[s]“ zur Folge, „der zugleich Geburtsort jedes bildlichen Sinnes genannt werden kann.“405 Jörissen und Marotzki formulieren, dass für „Boehm [...] der Wert, der kulturelle und ref lexive Gehalt von Bildern darin [liegt], dass sie sozusagen ‚innerbildlich‘ ein Verhältnis zu ihrer ikonischen Differenz aufweisen können.“406

Diese Kritik ist besonders im Zusammenhang mit „Bildevidenzen“407 bedeutend, da bei heutigen technischen Bildern Manipulationen augenscheinlich kaum registrierbar sind. Mitchells Ansatz hingegen verstehen Jörissen und Marotzki als „eine[...] macht- und ideologiekritische[...], sich politisch emanzipatorisch definierende[...] Forschungshaltung“. 408 Sein Konzept des „pictorial turn“ beleuchtet das Bild als kulturelle Objektivation, da er es einerseits als Vergegenständlichung einer handlungsbasierten Praxis begreift – als „picture“ – und andererseits als „image“ einstuft, welches eine kulturelle Bedeutung zuweist. 409 Jörissen und Marotzki sehen

402 | Vgl. Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, S. 96. 403 | Gottfried Boehm: Die Wiederkehr der Bilder, in: Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild? (4. Auflage) [Paderborn]: Fink, 2006. S.35 zitiert nach: Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, S. 96. 404 | „[...] Bilder selbst [üben] Optionen aus[...], die entweder tendenziell bilderfreundlich bzw. bildstärkend sind oder auch bilderfeindlich, bildnegierend. Die Kriterien dieses inneren Bilderstreits, den die Geschichte der Kunst von sich aus ausgetragen hat und weiter austrägt, lassen sich mittels des Theorems der ikonischen Differenz formulieren“, in: Gottfried Boehm: Was ist ein Bild? München: Fink, 1994, S. 34. 405 | Vgl. Gottfried Boehm: Was ist ein Bild?, München: Fink, 1994, S.30 zitiert nach: Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, S. 96. 406 | Vgl. Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, S. 96. 407 | Vgl. Barbara Orland: Bildevidenzen – oder wie man die Flut technisch erzeugter Bilder in den Griff bekommt, in: SAGW Bulletin 3, 2003, S. 31-32. 408 | Vgl. Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, S. 95. 409 | „In common parlance, ‚picture‘ and ‚image‘ are often used interchangeable to designate visual representations on two-dimensional surfaces […] I think it is useful to play upon

Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis

darin eine „kritische Aufnahme der Ikonologie Erwin Panofskys [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.]“410. Panofskys Methode der Bildinterpretation gliedert sich in die „vor-ikonographische Beschreibung“, die „ikonographische Analyse“ und die „ikonologische Interpretation“, bei der auch „kulturelle[...] Symptome“ betrachtet werden. 411 Entsprechend regt Mitchell einen ideologie- bzw. gesellschaftskritischen Blickwinkel der Bildanalyse an: „What we need is a critique of visual culture [Herv. d. Verf.] that is alert to the power of images for good and evil and that is capable of discriminating the variety and historical specifity of their uses.“412

Mitchell sieht die Notwendigkeit einer ideologiekritischen „visual culture“ 413 und lenkt den Blick auf spezifische, ideologische Anwendungen von Bildern. Er nennt Beispiele, etwa dass „es in der politischen Kritik der visuellen Kultur die vertraute […] und wenig […] kontroverse […] These [gibt] [...][,] dass Frauen von Hollywood als Objekte des ‚männlichen Blicks‘ konstruiert werden; dass die ungebildeten Massen von den Bildern der visuellen Medien und der populären Kultur manipuliert werden; dass Farbige bildlichen Stereotypen und rassistischer visueller Diskriminierung unterworfen werden […]“414

distinctions between the two terms: the difference between a constructed concrete object or ensemble (frame, support, materials, pigments, facture) and the virtual, phenomenal appearance that it provides for a beholder; the difference of a deliberate act of representation (‚to picture or depict‘) and a less voluntary, perhaps even passiv or automatic act (‚to image or imagine‘) […]“, in: William J. T. Mitchell: Picture Theory: Essays on Verbal and Visual Representation, S. 4. 410 | Vgl. Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, Stuttgart: UTB, 2009, S. 95. 411 | Vgl. Erwin Panofsky: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung in die Kunst der Renaissance, in: Erwin Panofsky (Hrsg.): Sinn und Deutung in der Bildenden Kunst, Köln: DuMont, 1996, S. 50. 412 | William J. T. Mitchell: Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representation, Chicago: University of Chicago Press, 1994, S. 3. 413 | William J. T. Mitchell: Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representation, S. 3. 414 | William J. T. Mitchell et al.: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, München: Beck, 2008, S. 51.

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Mitchell räumt ein, dass „die kritische Entlarvung und Zerstörung der schändlichen Macht der Bilder sowohl einfach als auch wirkungslos ist“ 415

und fragt, ob es sich bei der „Auffassung, dass Bilder über echte Tatkraft verfügen, um eine Art Zeugnis unserer unverbesserlichen Neigung, Bilder zu personifizieren und zu beseelen [handelt].“416

Hans Belting schreibt im Vorwort zum Buch „Das Leben der Bilder“417 von Mitchell et al., dass „[d]ie mediale Beschaffenheit der Bilder […] Mitchell zu dem Schluss [führt], dass Bilder im Akt der Wahrnehmung überhaupt erst entstehen. Er spricht in metaphorischer Weise von einem Blickwechsel zwischen den Bildern und uns, auch wenn er weiß, dass wir es sind, die den Bildern ein solches Leben leihen, um mit ihnen zu kommunizieren, als wären sie dabei unsere Partner. Dabei nehmen wir in Kauf, dass sie nur an das Leben erinnern, ohne es zu besitzen.“418

Belting zitiert in diesem Zusammenhang Mitchell: „Der uralte Mythos von der Schöpfung lebendiger Bilder, der Erzeugung eines intelligenten Wesens mithilfe künstlicher technischer Mittel ist […] theoretisch und praktisch möglich geworden.“419

Hier liegt die Nähe zu einer Wissenssoziologischen Diskurs- bzw. Dispositivanalyse, die in diskursiven, nicht-diskursiven Praxen und Materialisationen die Beziehungen zwischen Macht, Wissen und Subjekt aufzudecken

415 | William J. T. Mitchell et al.: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, S. 51. 416 | William J. T. Mitchell et al.: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, S. 51. 417 | William J. T. Mitchell et al.: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, S. 8-9. 418 | William J. T. Mitchell et al.: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, S. 8-9. 419 | William J. T. Mitchell et al.: Das Leben der Bilder, S. 191 zitiert nach Hans Belting, in: William J. T. Mitchell et al.: Das Leben der Bilder, S. 10.

Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis

sucht. Die folgenden Überlegungen zu einer „visuellen Artikulation“420 in der Netzkommunikation sind von Mitchell und Boehm inspiriert. Unter Bezugnahme auf eine Korrespondenz zwischen Boehm und Mitchell schreibt Belting im Vorwort zu Das Leben der Bilder: „Mitchell [beharrt] darauf, dass der Begriff ‚pictorial‘, den man nicht mit malerisch verwechseln darf, die Aufmerksamkeit auf die Bildtechniken und Bildmedien lenken soll.“421

Im Weiteren werden Kodiersysteme der Netzkommunikation dokumentiert, die Blickmuster durch Filteroperationen generieren, wie es beispielsweise bei den musikbegleitenden Bildabfolgen auf last.fm geschieht oder bei den von Nutzern auf facebook.com hochgeladenen Fotos. Bei diesen visuellen Inhalten wird die ikonische Differenz (i.S. Boehms) durch Sichtbarkeitsfilter inszeniert und für die Artikulation genutzt, d. h. die „Bildlichkeit“422 wird durch grafische Filter herausgearbeitet und zur Sinngestaltung verwendet. Es wird versucht, in der visuellen Ästhetisierung durch Filteroperationen eine Entsprechung zu der von Mitchell geforderten, kritischen „visuellen Kultur“423 zu entdecken, die den Anwendern ein differenziertes Bewusstsein gegenüber möglichen, ideologischen Bildmächten zuordnet. Die Ereignishaftmachung durch grafische Filterung soll als Qualitätsmerkmal einer achtsamen, „visuellen Artikulation“424 interpretiert werden. Aus diesem designtheoretischen Blickwinkel wird die Bildtechnik selbst als Artikulationsform mit einer prägnanten Sichtbarkeitsfigur in den Vordergrund gestellt, der sich das Abgebildete unterordnet.

420 | Vgl. Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, Stuttgart: UTB, 2009, S. 95. 421 | Vgl. William J. T. Mitchell et al.: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, München: Beck, 2008, S. 8. 422 | Vgl. Gottfried Boehm: Die Wiederkehr der Bilder, in: Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild? (4. Auflage) Paderborn: Fink, 2006, S. 35. 423 | Vgl. William J. T. Mitchell et al.: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, München: Beck, 2008. 424 | Vgl. Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, Stuttgart: UTB, 2009.

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

7.1 Bildfilterung – Digitale Fototechniken als visuelle Kultur In den folgenden Betrachtungen soll eine technisch versierte, visuell artikulierende Diskursgesellschaft als das Analogon einer textsprachlich artikulierenden Gesellschaft ermittelt werden. Am Beispiel von Filteroperationen soll die nicht-diskursive Bildpraxis einer provider- und anwendergestützen, digitalen Bildbearbeitung als kreative Handlung aufgezeigt werden. Beispielsweise ermöglicht der Web-Musiksender last.fm 425 seinen „21 Millionen“426 Abonnenten, Bilder zu seiner Lieblingsmusik hochzuladen 427, die dann im Rahmen einer dynamischen Diashow die Musik beglei-

425 | Der Webservice versteht sich als ein Radio, das musikalische Inhalte an dem Geschmack der Nutzer orientiert. Über sogenannte Mashups kann der Webservice in andere Websites eingebettet werden, wie es beispielsweise bei Immobilienportalen mit internetbasierten Landkarten geschieht. „Durch die Einbindung externer Anwendungen konnte der Web-Musiksender last.fm seine Nutzerzahl innerhalb kürzester Zeit knapp verdoppeln. Das Web-Musikprogramm ist mittlerweile selbst in Online-Chatprogrammen und Online-Multiplayer-Games zuhause. Damit ist last.fm nach eigener Aussage die weltweit größte Musikgemeinschaft im Web. Allein im Januar dieses Jahres haben externe Anwendungen Last.fm geschätzte 19 Mio. neue Nutzer beschert, die über andere Plattformen den Last.fm-Service nutzen. Das erklärte Richard Jones, Mitgründer von last.fm gegenüber dem Handelsblatt. Die 19 Millionen kommen zu den rund 21 Millionen dazu, die bereits last.fm abonniert haben und direkt über www.last.fm bzw. www.lastfm.de Musik hören. Last.fm sucht auf Grundlage der gehörten Musik und der Benutzerprofile nach musikalisch Gleichgesinnten und bietet den Anwendern die Möglichkeit, Freunde hinzuzufügen und Gruppen zu gründen. Last.fm wird oft als das musikalische Youtube bezeichnet“, in: Axel Postinett: Web-Musiksender, http://www. handelsblatt.com/technologie/it-internet/last-fm-verdoppelt-nutzerzahl;1400008, (Stand 05.03.2008) (letzter Zugriff 24.11.2009). 426 | Vgl. Axel Postinett: Web-Musiksender. 427 | Generell wird jeder Nutzer bei dem Upload darauf hingewiesen, dass er ggf. Schutzrechte von Bildern zu beachten hat: „Du darfst nur Bilder hochladen, die du selbst gemacht hast bzw. für deren Upload du ausdrücklich autorisiert oder berechtigt bist. Mit dem Hochladen der Bilder bestätigst du, dass das Bild den Nutzungsbedingungen von Last.fm entspricht und dass du alle Rechte an dem Bild besitzt bzw. autorisiert bist, es hochzuladen“, in: last.fm: Bild hochladen, abrufbar unter http://www.lastfm.de/music/Erdm%C3%B6bel/+images/ upload, (letzter Zugriff 10.10.2009).

Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis

ten. Die Bilder bewegen sich horizontal, vertikal und scheinbar auch in der Tiefe, da sich Bildgröße und -ausschnitt fließend verändern. Damit diese von verschiedenen Anwendern hochgeladenen Bilder mit ihren teils extrem unterschiedlichen Qualitäten homogenisiert werden, wird seitens des Webservices während der Diashow ein Strukturfilter über alle Bildinhalte gelegt, der als Bildtechnik eine homogenisierenden Rasterung hervorruft. In der Kombination aus Bewegung und Rasterung entsteht eine hochwertig anmutende Gesamtkomposition.

Abbildung 50 „Last.fm-gefiltert“ und Abbildung 51 „Last.fm-ungefiltert“ | Die Abbildungen zeigen eine Fotografie der Sängerin Anna Luca (Club des Belugas Feat. Anna Luca). Die Abbildung 50 428 zeigt den Screenshot der last.fm-spezifischen Diashow und die Abbildung 51429 stellt das hochgeladene, ungefilterte Bild dar.

Die dargestellte Sichtbarkeitsfigur der Filterung – hier durch einen in den Webservice integrierten Rasterungseffekt bewerkstelligt – lässt sich als gestaltrelevantes Merkmal in Vergegenständlichungen wiederfinden. Beispielsweise sind Fassadenprodukte aus Metallgewebe eine Objektivation des Blickmusters, das die homogenisierende Semantik in den Vordergrund stellt.

428 | Vgl. last.fm: Club des Belugas Radio, abrufbar unter http://www.lastfm.de/listen/ artist/Clu b%2BDes%2BBelugas%2BFeat.%2BAnna%2BLuca/similarartists, (letzter Zugriff 27.09.2010). 429 | Vgl. last.fm: Club des Belugas Bilder, abrufbar unter http://www.lastfm.de/music/Cl ub+des+Belugas/+images/12368119, (letzter Zugriff 27.09.2010).

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Abbildung 52 „Louis Vuitton“ | Abbildungen 53 „Störmer“ | Die Abbildung 52 zeigt einen Fassadenausschnitt der 2007 errichteten Produktionsstätte des Luxusartikelherstellers Louis Vuitton im italienischen Fiesso d`Artico. 430 | Die Abbildungen 53 zeigen Fassadenausschnitte vom Erweiterungs-Neubau im Hof des gründerzeitlichen Gebäudes des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg.431

Die Fassade des vom Architekturbüro Störmer Murphy and Partners GbR im Jahr 2000 fertiggestellten Neubaus wird von einem Metallgewebe überdeckt, dessen optisch unauffälligen Stöße an den Gewebebahnenrändern den visuellen Eindruck einer großflächigen Gaze entstehen lassen. Gisela Schütte schrieb dazu im Jahr der Fertigstellung in einem Artikel des Portals WELT ONLINE: „14 Millionen Mark kostete der Bau, den die britisch-hanseatische Architektengemeinschaft Alsop & Störmer in den Hof des gründerzeitlichen Museumsbaus bastelte. Eine ultraschlichte Architektur, ‚wie mit dem Messer geschnitten‘ […], deren provokant rot gestrichene Fassade an der Langseite durch Stahlmatten optisch gedämpft wird.“432

430 | Vgl. GKD – Gebrüder Kufferath AG: Haute Couture für Schuhe, abrufbar unter http://www. gkd.de/gkd/news/beitrag/d/haute-couture-fuer-schuhe.html, (letzter Zugriff 21.10.2010). 431 | Vgl. GKD – Gebrüder Kufferath AG: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, abrufbar unter http://www.gkd.de/nc/www/creativeweave/regionen/deutschland.html?tx_gkd projekt_pi1%5Bitem%5D=37, (letzter Zugriff 10.09.2010). 432 | Gisela Schütte: Im Schümann-Flügel werden neue Saiten aufgezogen. WELT ONLINE, Berlin, http://www.welt.de/print-welt/ar ticle527750/Im_Schuemann_Fluegel_werden_ neue_Saiten_aufgezogen.html, (Stand 11.08.2000) (letzter Zugriff 30.09.2010).

Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis

Der Architekt Jan Störmer kommentiert auf der Website des Fassadenmaterialherstellers GKD433 die Ästhetisierung des Neubaus durch eine Metallgewebestruktur: „Durch die gestalterische Zurücknahme der neuen Fassade zu einer durchscheinenden Fläche wird sie zu einer Scheibe, die den Innenhof teilt.“434

Störmer betont die wahrnehmbare Flächigkeit der Fassade, die durch Filterung eine homogenisierende Mäßigung erfährt. Die gewünschte Abschwächung der Fassadenwirkung scheint der Nähe zum historischen Bauwerk geschuldet zu sein. Dennoch hat Störmer die Auftraggeber für die gestalterische Idee gewinnen können, eine knallrote Neubaufassade zu realisieren. Das Blickmuster der Filterung demonstriert hier seine besondere Eignung als vermittelnde Kulturtechnik. Die Firma GKD bietet zahlreiche Fassadenprodukte auf Basis gewebter Metallbahnen an. Beispielsweise sind viele Parkhausfassaden – wie etwa am Flughafen Köln Bonn mit dem luft- und lichtdurchlässigen Material verkleidet worden. Eine besondere Nähe zu den hier angestellten Überlegungen einer visuellen Artikulationsform mit Grafikfilterung in der Netzkommunikation bietet das GKD-Mediamesh 435, das durch die Integration von LEDs in ein Metallgewebe eine Produktinnovation darstellt. Bei den bespielbaren, transparenten Gewebebahnen entsteht durch die Abstände der LEDs eine Rasterung der Bildinhalte, die der Sichtbarkeitsfigur bei last.fm gleicht. Interessant ist die dingliche Qualität des Mediengewebes, dessen optische Durchlässigkeit das Dahinterliegende ähnlich einer Aug-

433 | Die Firma GKD – Gebrüder Kuffrath AG hat ihren Firmensitz in Düren, vgl. GKD - Gebrüder Kufferath AG: Impressum, abrufbar unter http://www.gkd.de/service/impressum.html, (letzter Zugriff 30.09.2010). 434 | Jan Störmer zitiert nach GKD – Gebrüder Kufferath AG: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, abrufbar unter http://www.gkd.de/nc/www/creativeweave/regionen/deutsch land.html?tx_gkd projekt_ pi1%5Bitem%5D=37, (letzter Zugriff 30.09.2010). 435 | Mediamesh wurde mit zahlreichen Designpreisen ausgezeichnet, neben anderen auch mit dem Red Dot Award 2008, vgl. GKD – Gebrüder Kufferath AG: CreativeWEAVE, abrufbar unter http://www.gkd.de/fileadmin/Downloads/mediafacade/ MedienFassade_2010D.pdf, (letzter Zugriff 30.09.2010).

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

mented Reality436 in einen Kontext einbindet und ästhetisiert. Das Material übernimmt neben der medialen Bespielbarkeit weiterhin die Funktionen von Sonnenschutz, Absturzsicherung und großflächiger Fassadengestaltung.

Abbildung 54 „Medienfassade1“ | Abbildung 55 „Medienfassade2“ | Die Produkt-Detailansicht in Abbildung 54 zeigt die in das Gewebe integrierten LEDs, die Abbildung 55 stellt eine Anwendung des Mediengewebes dar, bei der die Sichtbarkeitsfigur der Rasterung auftritt.

Mediamesh ist eine Vergegenständllichung, die sich als signifikante Objektivation der ästhetischen Impulse einer Netzkommunikation deuten lässt. Neben der oben thematisierten, visuellen Nähe zu den Sichtbarkeitsfiguren einer Netzkommunikation, scheint die Produktentwicklung insgesamt Ähnlichkeiten mit einer plattformübergreifenden Browser-Konzeption im Internet aufzuweisen. Der Transfer wird vorstellbar, da einerseits die physischen Qualitäten eines Materials zur funktionalen Fassadenausbildung genutzt werden, und andererseits die erweiterten Artikulationsmöglichkeiten eine Umdiskursivierung der Gestaltung erlauben. Dabei macht die

436 | „Bereits 1992 tauchte der Begriff ‚Augmented Reality‘ (AR) erstmals auf. Der Ausdruck beschreibt die Erweiterung der eigenen Wahrnehmung durch virtuelle Elemente aus dem Computer. Heute gibt es schon zahlreiche Anwendungsbeispiele dieser Technik. So sind Head-Up-Displays in Kampfflugzeugen eine der ersten AR-Anwendungen. Sie zeigen Informationen direkt im Sichtfeld des Piloten an. Auch bei der Konstruktion, Wartung und Medizin helfen schon heute Zusatzinformationen im Sichtfeld der Anwender bei komplexen Aufgaben. Einige Navigationssysteme für das Auto zeigen Daten direkt auf der Windschutzscheibe an oder blenden im Bild der Heckkamera die Entfernung zum nächsten Fahrzeug ein“, vgl. Mirko Schubert: Metro Paris Subway führt zu den nächsten U–Bahn–Stationen. Augmented Reality. Erste App für das iPhone erschienen, http://www.netzwelt.de/news/80582augmented-reality-erste-app-iphone-erschienen.html, (Stand 26.08.2009) (letzter Zugriff 30.09.2010).

Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis

skalierbare Konzeption der Produktverwendung – etwa Metallgewebe in Edelstahl, Edelstahl lackiert, enge bzw. weite Maschenstruktur, elektrifiziertes Illumesh oder Mediamesh – eine Anpassung an den finanziellen Rahmen eines Vorhabens möglich.

7.2 Die Sichtbarkeit der Artikulationsform dominiert die Inhalte

Abbildung 56 „Picnik1“ und Abbildung 57 „Picnik2“ | Die Abbildung 56 ist ein privates Foto aus dem Jahr 2009, welches Noemi Redionigi durch die Verwendung eines picnik.com-Grafikfilters verfremdet und in ihr privates facebook.com-Fotoalbum hochgeladen hat. Die Abbildung 57 wurde mit der Online–Bildbearbeitungssoftware picnik.com erzeugt.437

Bildbearbeitung ist besonders in Bezug auf eigene Fotos ein gängiges, visuelles Artikulationsmittel in der Netzkommunikation. In Sozialen Netzwerken wie etwa facebook.com werden Profilbilder hochgeladen. Diese werden häufig durch eine Verfremdung inszeniert, damit diese in der Form sogenannter Buddy Icons 438 als Avatar bzw. Simulacra eine über das Dargestellte hinausgehende, ästhetische Eigenschaft transportieren können. Auch in den Online-Fotoalben etwa auf facebook.com oder flickr.com ist eine gängige Praxis der Bildbearbeitung durch Filteroperationen feststellbar. Die

437 | Vgl. Picnik: Startseite, abrufbar unter http://www.picnik.com/app#/home/welcome, (letzter Zugriff 02.10.2010). 438 | „buddy icon: an avatar as used in an instant-messaging service“, vgl. Houghton Mifflin Harcourt (lehrbuchverlag): High definition. An A to Z guide to personal technology, Boston: HMH, 2006, S. 42.

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Software zur nicht-diskursiven Praxis der Bildbearbeitung steht im Netz kostenlos zur Verfügung: „Das Gesicht wirkt plötzlich deutlich jünger. Dies ist nicht das Werk eines Schönheitschirurgen, sondern geschickt genutzter, kostenloser Foto-Software, wie ‚Picasa‘ oder ‚Photoshop Express‘. Nach den FotoProfis greifen nun auch immer mehr Amateure zur schnellen Retusche am Bildschirm und verjüngen zum Beispiel Porträtfotos. Das digitale Foto ist für viele Manipulationsmöglichkeiten offen, der Nachweis oft nur für Profis möglich. Dazu [...] reicht [...] in der Regel eine kostenlose Foto-Software aus dem Internet.“439

Denker listet neben Picasa und Photoshop Express noch Getpaint, Gimp und Photofiltre auf, die mit zahlreichen Filtern zur Bildbearbeitung einladen. Auch sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass diese Anwendungen bzw. Apps (Kurzform für englisch: application) für das iPhone und ähnliche Geräte bereitgestellt werden – wie etwa Photoshop Express – und somit eine elaborierte Bildbearbeitung für zahlreiche Anwender bereitstellen. In Abbildung 56 wird ein Gruppenfoto aus dem Facebook-Album einer Mädchengruppe gezeigt, welches durch die Anwendung des kostenlosen Grafikfilters Wärmekarte der Online-Bildbearbeitungssoftware picnik. com 440 verfremdet worden ist. Die Abbildung 57 stellt eine Fotomontage dar und ist dem Screenshot einer Animation auf der Startseite des Anbieters picnik.com nachempfunden worden. Sie ist mit den bei picnik.com online verfügbaren Werkzeugen erstellt worden. Die Animation – hier ist sie inhaltlich auf das bevorstehende Halloween-Fest abgestimmt – soll zur Nutzung des Online-Angebotes anregen. Die nachempfundene Abbildung beinhaltet Sichtbarkeitseffekte, die mit den Filterungen „Ghostify“ und „Zombifizierung 2.0“441 erstellt worden sind. Es liegt der Gedanke nahe, dass sich die manipulative Filterung digitaler Fotos zu einer gebräuchlichen, nicht-diskursiven Bildpraxis entwickelt

439 | Helge Denker: Jeder sein eigener Bildbearbeiter. WELT ONLINE, Berlin, http://www.welt. de/wams_print/article2183087/Jeder_sein_eigener_Bildbearbeiter.html, (Stand 06.07.2008) (letzter Zugriff 09.10.2010). 440 | Vgl. Picnik: Effekte, abrufbar unter http://www.picnik.com/app#/create/effects, (letzter Zugriff 02.10.2010). 441 | Vgl. Picnik: Effekte.

Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis

und als semantisierende Filterungen das Bildarchiv für eine netzspezifische Selbstdarstellung ergänzen. Burkhard Fuhs sieht in Fotoalben wichtige Instrumente des Erinnerns: „Für eine qualitative […] Forschung ist vor allem die lebensgeschichtliche Funktion, die sich mit der weiten Verbreitung der Fotografie als Alltagstechnik entwickelt hat, von besonderer Bedeutung. Fotos und Fotoalben sind wichtige Instrumente des kollektiven und individuellen Erinnerns geworden […] ; sie sind unverzichtbare Bestandteile für die Konstruktion der modernen Lebensweise geworden, die von den Individuen erwartet, dass sie ihr Leben entlang typischer Situationen (Geburt, Schule, Beruf, Heirat) erzählen und die Glaubwürdigkeit ihrer Biographie auch mit Fotografien aus den unterschiedlichen Lebensabschnitten dokumentieren können.“442

Im Anschluss an Fuhs werden in vorliegenden Betrachtungen semantisierende Filter als nicht-diskursive Praxen zur Intensivierung von Erinnerung bewertet. Es folgt der Versuch, Filterungen als Sichtbarkeit zu verstehen, die eine Produktsprache, einen Geschmack bzw. Habitus und Lebensstil auszeichnen. Eine angewendete, designrelevante Filterung – beispielsweise die Verwendung des Bildfilters Wärmekarte in Analogie zu Abbildung 56 – könnte die Gestaltung des U-Bahnhofes Candidplatz in München darstellen. Auch wenn dessen Gestaltungskonzept bereits 1997 realisiert wurde, korreliert das Erscheinungsjahr mit dem Aufkommen erster industriell genutzter Wärmekameras wie beispielsweise der Thermografiekamera „Amber Radiance 1“443 aus dem Jahr 1994 und der entsprechenden Verbrei-

442 | Burkhard Fuhs: DigitaleFotografie und qualitative Forschung, in: Barbara Friebertshäuser et al. (Hrsg.): Handbuch qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. (3. vollständig überarbeitete Auflage) Weinheim; München: Juventa-Verlag, 2010, S. 627. 443 | In der Pressemitteilung zu der Ausstellung „Geschichte der Bildverarbeitung“ im Oktober 2007 unter Leitung der Fraunhofer-Allianz Vision werden auch „Erste ThermographieKameras für den technischen Einsatz“ ausgestellt. „Die ‚Zeiss Ikotherm‘ aus dem Jahr 1985 wurde früher überwiegend in der medizinischen Thermographie [...] eingesetzt [...]. Durch Weiterentwicklungen besonders im Bereich der Sensoren wurde die Technik auch für die Industrie interessant. Eine der ersten Thermographie-Kameras für den industriellen Einsatz dürfte die ‚Amber Radiance 1‘ aus dem Jahr 1994 sein“, vgl. Regina Fischer: Pressemitteilung zur Ausstellung „Geschichte der Bildverarbeitung“, Informationsdienst Wissenschaft

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

tung der Wärmebilder über Printmedien und ein bereits etabliertes World Wide Web, das seit 1990 zur Verfügung steht. 444

Abbildung 58 „Nike“ | Abbildung 59 „Infrarotbild“ | Abbildung 60 „U-Bahnhof“ | Der Laufschuh Nike Air Max 90 Carnival stammt aus dem Frühjahr 2008.445 | Abbildung 59 zeigt eine real erstellte Thermografie.446 | Abbildung 60 ist eine Fotografie des Münchner U-Bahnhofes Candidplatz.447

Die Abbildungen 58 bis 60 sollen die Vergegenständlichung einer kultivierten Sichtbarkeit – hier den thermografischen Effekt einer Filteroperation – darlegen. Die Abbildung 59 zeigt eine real erstellte Thermografie. Die zuvor dargestellte Abb. 56 der Mädchengruppe reproduziert diese Wirkung

e.V., http://idw-online.de/pages/de/news231756, (Stand 22.10.2007) (letzter Zugriff 02.10.2010). 444 | „[…] Die Geschichte des World Wide Webs […] begann um 1990 in Genf. Tim BernersLee, britischer Informatiker am Genfer Hochenergieforschungszentrum CERN, startete zusammen mit einigen Kollegen eine Initiative, um das Internet für einen neuartigen Informationsaustausch zwischen Wissenschaftlern zu nutzen. […] Wegen des Hypertext-Charakters wurde das ganze Projekt World Wide Web (weltweites Netz) getauft“, in: Hyper-Lexikon: Berners-Lee, abrufbar unter http://www.hyperkommunikation.ch/personen/berners-lee.htm, (letzter Zugriff 27.12.2010). 445 | Vgl. Sneakerfiles: Nike Airmax 90 Quickstrike Carnival Edition, abrufbar unter http:// www.sneakerfiles.com/2008/01/24/nike-air-max-90-quickstrike-carnival-edition/, (Stand 24.01.2010) (letzter Zugriff 02.10.2010). 446 | Weitere Thermografien werden beispielsweise auf der Internetseite eine InfrarotKameraherstellers gezeigt, vgl. Infrared Cameras Inc: Medical Infrared -Thermal Imaging, abrufbar unter http://www.medicalir.com/component/joomgallery/?func=detail&id=214, (Zugriff 02.10.2010). 447 | Vgl. Florian Schütz: U-Bahn München, abrufbar unter http://www.muenchnerubahn. de/netz/bahnhoefe/CP, (letzter Zugriff 02.10.2010).

Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis

durch den Filterprozess Wärmekarte, welcher bei picnik.com auf hochgeladene Bilder angewendet werden kann und erzielt eine nahezu identische Ästhetisierung. Die Farbgestaltung der Nike-Turnschuhe wirkt wie ein Neonschein, der mit der Wirkung einer Leuchtreklame assoziierbar ist. Der hohe Reflektionsgrad der glänzenden Polyestergewebeoberfläche verstärkt diesen Effekt. Die Farbgestaltung der Sohle verweist zufälligerweise auf das Blickmuster der Pixelierung, das anfangs thematisiert worden ist und macht das Sportprodukt zur beispielhaften Objektivation mehrerer Sichtbarkeitsfiguren. Bei dem Ende 1997 eröffneten Münchner U-Bahnhof Candidplatz (Abbildung 60) setzt die Filterung den tageslichtfreien Untergrund-Ort in Szene: „Der Bahnhof Candidplatz wurde vom U-Bahn-Referat der Stadt München zusammen mit dem Architekturbüro Egon Konrad geplant. [...] Der gesamte Bahnsteigbereich, also Wände, Säulen und Decken, ist in einem regenbogenartigen Farbverlauf bemalt. Am Nordende beginnt es mit violett und geht über rot, gelb und grün bis dunkelblau am südlichen Bahnsteigsende, wo über eine Rampe ein Sperrengeschoss erreicht wird. Die Farbgebung stammt von R. Knoll und A. Wagner.“448

Im Gegensatz zu der in der Regel additiv gemischten Farbigkeit der digitalen Wärmebilder, die durch Hinterleuchtung eine besondere, diaphane Wirkung haben, werden bei den aufgeführten Vergegenständlichungen die Farben subtraktiv gemischt. Dennoch gelingt die Gestaltung, weil sie den Kontext berücksichtigt. Im Untergrund werden energiesparende Leuchtstoffröhren mit kalter, greller Lichtabstrahlung eingesetzt, die erst durch die Reflektion der Wandfarben eine angenehme Raumwirkung erzielen können. Die Sportschuhe reproduzieren eine diaphane Sichtbarkeit durch ein reflektierendes Synthetikgewebe. Diese verbesserte Signalwirkung erhöht gleichzeitig die Sicherheit des Sportlers, da im Dunkeln das Scheinwerferlicht etwaiger Fahrzeuge reflektiert wird.

448 | Florian Schütz: U-Bahn München.

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7.3 Zwischenfazit Die vorangegangenen Beschreibungen der Produktkonzepte Mediamesh und Nike, sowie der architektonische Einsatz der Sichtbarkeitsfilterung bei dem Neubau einer Museumserweiterung oder der durch Farbfilterung erzeugte Wärmebild-Transfer auf die Gestaltung eines U-Bahnhofes lassen sich als Beispiele für die materialisierten Ästhetikimpulse einer spezifischen Bildtechnik in der Netzkommunikation verstehen. Sie werden als vergegenständlichte Momentaufnahmen von visuellen, nicht-diskursiven Filteroperationen begriffen, die von den damit vertrauten Diskursteilnehmern erkannt werden. Mitchell differenziert Bilder hinsichtlich der Operationen „to picture“ und „to imagine“, wobei „to picture“ beispielsweise die Bildtechnik der Filterung berücksichtigt und „to imagine“ sich auf eine mögliche, ideologisierende Konnotation bezieht. 449 In den vorliegenden Gedanken wird eine Designtheorie konstruiert, die Gestaltung aus einem „to picture“ ableitet, ohne ein „to imagine“ zu bedingen. Das Image einer vergegenständlichten, visuellen Artikulationsform generiert sich als autopoietisches Deutungsmuster. Am konkreten Beispiel des U-Bahnhofs wird der differenzierte Einsatz einer visuellen Artikulationskultur als Semantisierungsprozess nachvollziehbar. Der kalte, unwirtliche Untergrund-Ort wird durch die Applikation eines Wärmekarten-Effekts semantisiert, der das Bauwerk inszeniert. Die Vermittlung eines fest umrissenen Images wird dabei vermieden. Eine hierzu diametrale Semantisierung wäre etwa die Imitation eines Himmelgewölbes. Für Bourdieu ist die Hervorhebung der Form vor Inhaltlichem ein Maßstab für die Legitimität eines Werkes: „Alles spricht in der Tat dafür, daß der Primat der Form einzig um den Preis einer Neutralisierung jedweden affektiven oder ethischen Interesses für das Objekt der Darstellung zu erreichen ist“450

Nach Bourdieu bedingt die legitime Kultur eine „ästhetische Distan-

449 | Vgl. Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki: Medienbildung – Eine Einführung, Stuttgart: UTB, 2009, S. 95. 450 | Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, 2. Auflage, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983, S. 86f.

Filterung – Bildbearbeitung als produktive, nicht-diskursive Praxis

zierung“451, die alles „Leichte“452, einfach zu Entschlüsselnde ablehnt. Voraussetzung einer Rezeptionsfähigkeit ist dabei, über den Kode zu verfügen. Bezogen auf die diskursanalytischen Überlegungen dieser designwissenschaftlichen Arbeit lässt sich hypothetisch feststellen, dass gegenwartsbezogene Designansätze eine Vertrautheit auch mit Gegendiskursen – den im Foucault’schen Sinn nicht etablierten Wahrheiten – voraussetzen. Entsprechend sollen in diesem Zwischenfazit gestalterische Haltungen der „ästhetischen Distanzierung“453 in einer Anwendung des Blickmusters der Filterung wiedererkannt werden, die [...] gegenüber der Wahrnehmung ‚ersten Grades‘ einen Abstand als Maß seiner Distanz schaffenden Distinktion dadurch einführt, daß [...] das Interesse [sich] vom ‚Inhalt‘, von den Personen und spannenden Momenten der Handlung, etc., auf die Form und die spezifischen künstlerischen Effekte verlagert, die sich nur relational, durch den völlig exklusiven Vergleich mit anderen Werken würdigen lassen, den die Versenkung in die Einzigartigkeit des gerade vorliegenden Werkes erschließt. [...] Distanziertheit, Interesselosigkeit, Gleichgültigkeit – ästhetische Theorie [...] verkündet, sie allein ermöglichten das Kunstwerk als das zu erkennen, was es wahrhaft sei, nämlich autonom, selbstständig [...].“454

Designansätze der Filterung können eine ästhetische Distanzierung implizieren, die den kompetenten Rezipienten auszeichnet und Gestaltung als Werk in den exklusiven Kontext einer Visual Culture stellt, die als kulturelles Kapital der Anwender identifiziert werden kann. Auch Foucault thematisiert die ästhetische Distanzierung. Er zeigt sich verwundert darüber, dass er bei der Beschreibung der Zeichnung des belgischen Malers René Magritte Dies ist keine Pfeife, die eine große, schwebende Pfeife und eine Staffelei mit einem Gemälde der Pfeife inklusive Text Ceci n´est pas une pipe abbildet, nicht zwischen Sein und Darstellen differenziert. Bei der großen schwebenden Darstellung spricht er nicht von einer Abbildung, sondern von einer Pfeife, er „überraschte [...] [sich] dabei,

451 | Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, S. 68. 452 | Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, S. 757. 453 | Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, S. 68. 454 | Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, S. 68f.

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Sein und Darstellen zu verwechseln, als wäre beides gleichbedeutend, als wäre ein Bild, was es darstellt.“455

455 | Vgl. Michel Foucault: Dies ist keine Pfeife, in: Daniel Defer t et al. (Hrsg.): Michel Foucault: Schriften in vier Bänden. Dits et Écrits. Band I, 1954-1969, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, S. 813.

8. Rekombination – Mashups als kreativer Remix In der Internetgesellschaft gibt es den Trend zu einer Remix-Kultur. Diese Tendenz wird dadurch gefördert, dass die Anbieter von Internetdiensten ihre Inhalte zur (kosten-)freien Verwendung über ausdrücklich dafür entwickelte Schnittstellen 456 bereitstellen. Die Verwendung eines bereitgestellten Dienstes in einer Rekombination – dem sogenannten Mashup – bedeuten für den Anbieter eine Wertschöpfung, da jedwede Präsenz für eine Aufmerksamkeit in der Netzkommunikation sorgt und sich dadurch positiv auf den Gesamterfolg eines Anbieters auswirkt. Im Rahmen einer Designtheorie werden Objektivationen gesucht, die sich als kreativer Transfer der Sichtbarkeitsfigur einer Rekombination begreifen lassen. Es sollen neu zusammengefügte, dingliche Formationen aufgespürt werden, die durch das Gestaltungskonzept des Remixings innovative Inhalte erzeugen. In den folgenden Überlegungen wird eine designtheoretische Sicht auf die „Mash-up-Genres“457 erfolgen, die sich auf die Identifizierung neuer Kulturtechniken konzentriert. Die Betrachtung etwaiger negativer Konsequenzen für das Urheberrecht und die Umsätze der Kulturindstrie erfolgt nicht. „Die Mash-up-Kultur fordert das traditionelle Verständnis des Urheberrechts heraus. Fair Use, das erweiterte Zitatrecht der amerikanischen Rechtsprechung, das nichtautorisierte Parodien ausdrücklich erlaubt, ist eine Mindestbedingung für die neue Praxis. Man kann heute nichts mehr erschaffen, so argumentieren Remixkünstler mit postmoderner

456 | Diese Programmierschnittstellen werden API – Application Programming Interface – genannt. Ein gängiges Beispiel ist etwa das Google Maps API, dessen Einbindung auf Portalen zur Immobiliensuche dafür sorgt, dass die Lage eines ausgewählten Objekts direkt anhand einer Kartendarstellung beurteilt werden kann. Die Einbindung des kostenlosen Google Maps API muss unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden: „Das Google Maps-API ist ein kostenloser Service und verfügbar für alle Websites, die für Besucher kostenlos sind“, vgl. Google code: Google Maps API-Familie, abrufbar unter http://code.google.com/intl/de/apis/maps/ index.html, (letzter Zugriff 10.09.2010). 457 | Vgl. Christian Kortmann: Kultur im Internet. Barack Obama spricht Schwäbisch, DIE ZEIT, Hamburg, Nr. 18, 26.04.2009, http://www.zeit.de/2009/18/Mashup, (Stand 23.04.2009) (letzter Zugriff 15.10.2010).

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Konsequenz, ohne Geschaffenes zu zitieren: Um in der digitalen Mediengesellschaft kreativ zu sein, muss man alles Bestehende miteinander kombinieren dürfen. Die Widerrede gegen Fair Use lautet, ähnlich wie beim Streit um das Einscannen von Büchern durch den Suchmaschinen-Giganten Google, dass kultureller Fortschritt nur möglich sei, wenn Künstler für ihre Originalideen ausreichend honoriert würden. Doch die anarchische Praxis im Netz wird sich kaum eindämmen lassen.“458

Die mashup-basierten Diskursivierungen weisen in ihren Grundzügen Analogien zu einer kritischen und ironischen Infragestellung etablierter Haltungen auf, wie sie etwa das Studio Alchimia in den 1980er Jahren gegenüber den ideologischen Aspekten eines funktionalistischen Designs durch ein postmodernes, eklektisches Redesign von Möbelklassikern artikulierte. Auch die wenige Jahre später gegründete Gruppe Memphis – in der sich ehemalige Alchimia-Anhänger neu formierten – hat eine karikierende, im Vergleich zu Alchimia humorvollere Designhaltung entwickelt, in der zugleich eine stärkere Berücksichtigung industrieller Fertigungsmöglichkeiten stattgefunden hat. Die häufige Verwendung schriller, künstlicher Resopal-Oberflächen ist prägend für die Memphis-Konzepte, die in ihren vielfältigen, bunten Kombinationen eine Ausdrucksform ähnlich der Collagetechnik etabliert haben. Eine vergleichbare Ausrichtung lässt sich auch in gegenwärtigen Gestaltungen von Mashups beobachten. Als neuartige Gattung multimedialer Artikulationen können sie ironisierende Sichtbarkeitsfiguren einer collagenhaften Rekombination hervorbringen, die sich als (medien-)kritische Wesenszüge einer netzspezifischen Kulturtechnik bewerten lassen. Mashups sollen als legitime Gegendiskurse einer Foucault’schen Prägung verstanden werden, welche es erlauben, die regulative Funktion eines Autors auszublenden und dadurch Inhalte für eine Umdiskursivierung freizugeben. Foucaults Autorenverständnis problematisiert die Rezeption eines mit einem Autor verknüpften Werkes, das durch die Referenzierung der autorenspezifischen Gedankenwelt eine Exklusion anderer Interpretationsmöglichkeiten impliziert. Ein anonym publiziertes Werk eröffnet hingegen eine uneingeschränkte Rezeption, die eine inhaltliche Neuordnung zulässt. Als kunsthistorisches Beispiel sei an dieser Stelle der Rea-

458 | Christian Kortmann: Kultur im Internet. Barack Obama spricht Schwäbisch.

Rekombination – Mashups als kreativer Remix

dymade-Stierkopf „Tête de taureau“459 aus Fahrradsattel und -lenker von Pablo Picasso aus dem Jahr 1942 genannt. Diese Skulptur vereint autorlose Artefakte der Alltagswelt zu etwas Neuem – ohne über sie hinwegzutäuschen – und hat eine neue Art des Sehens hervorgerufen. Im Folgenden sollen Remix-Artikulationen als nicht-diskursive/diskursive Praxen festgestellt werden, die den Akt aus Dekonstruktion und Rekombination zum Merkmal einer gestaltspezifischen Anschauung machen: „In den Blogs und Videoportalen ist es längst selbstverständlich, über Artefakte umstandslos zu verfügen und sie als Material zu begreifen, mit dem man selbst schöpferisch tätig wird. Niemand sieht sich dabei als Dieb, so wenig, wie sich die Künstler ‚bestohlen‘ fühlen, sondern im Gegenteil enttäuscht wären, wenn man ihre Produkte als Spielmaterial ignorierte: Der englische Popsänger Rick Astley erlebte seine Renaissance nur, weil er im Internet zum Gegenstand von allerlei unautorisierten Remixen wurde. Kultur bedeutet im Netz vor allem, an ihr teilnehmen zu können.“460

8.1 Juxtapositionen als Kodes einer Sharing-Culture „[...] [W]ir [haben] uns schon daran gewöhnt, dass Barack Obama bei seiner Berliner Rede plötzlich Schwäbisch spricht und das Publikum zur ‚Eigentümervollversammlung in der Wilhelmstraße 48‘ begrüßt [...]. In den Videos, die im Internet kursieren, sind die audiovisuellen Ursprungseigenschaften f lüchtig geworden. Ton, Bild und Text sind nur mehr Dateien [Herv. d. Verf.], die sich trennen und beliebig neu zusammenführen lassen. Satirische Kombinationen sind die populärste Ausprägung des Mash-up-Prinzips: Je weniger die Dinge zusammenpassen, desto besser. Das Prinzip ist aus der bildenden Kunst als Collage, in der

459 | Die Skulptur wird im Musée National Picasso Paris ausgestellt, vgl. Musée National Picasso Paris: Tête de taureau, abrufbar unter http://www.musee-picasso.fr/pages/ page_id18611_u1l2.htm, (letzter Zugriff 18.10.2010). 460 | Christian Kortmann: Kultur im Internet. Barack Obama spricht Schwäbisch. DIE ZEIT, Hamburg, Nr. 18, 26.04.2009, http://www.zeit.de/2009/18/Mashup, (Stand 23.04.2009) (letzter Zugriff 15.10.2010).

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Literatur als Cut-up-Technik, im Pop als Bastard-Mix bekannt. Auch im Internet findet seitens der Nutzer ein stetiger Remix, eine ständige Neuinterpretation und Umcodierung von Kunstwerken statt. Anders als bei der Collage vermischt man die Dinge nicht aus innerer Notwendigkeit, sondern lässt sie aus Neugier aufeinanderprallen“. 461

Mashups fassen Bildlichkeiten in einer Weise zusammen, welche für die Vorrangstellung einer Form im Sinne von „nur mehr Dateien“462 sensibilisieren. Bei dem auf youtube.com publizierten Obama-Mashup463 wird ironisiert, indem Barrack Obamas Rede komplett sinnentfremdet und mit schwäbischem Dialekt vertont worden ist. Eine medienkritische Haltung wird subjektiviert, da diese Juxtaposition eine ästhetische Distanzierung erzwingt. In den folgenden beiden Abbildungen wird ein Mashup in zwei Varianten dargestellt. Die Abbildung 61 zeigt eine individuell zusammengestellte Startseite bei iGoogle464, welche ein personalisiertes Mashup nach dem Baukastenprinzip ermöglicht (aufgrund von Urheberrechten ist die Abbildung rechts oben durch ein lizensiertes Foto ausgetauscht worden). Ohne Vorkenntnisse lassen sich hier Inhalte zu einer Sichtbarkeitsfigur konfigurieren. Demgegenüber steht das Mashup-Konzept von Kutiman (siehe hierzu die Abbildung 62, welche dem portal thru-you.com unter Verwendung lizensierter Fotos nachempfunden worden ist und der optischen Wirkung des Originals sehr nahe kommt), über das von Christian Kortmann in einem ZEIT-Artikel 465 vom 26.04.2009 ausführlich berichtet

461 | Christian Kortmann: Kultur im Internet. Barack Obama spricht Schwäbisch. 462 | Vgl. Christian Kortmann: Kultur im Internet. Barack Obama spricht Schwäbisch. 463 | Vgl. glubschidompteur: Barack Obama schwäbisch Eigentümervollversammlung Wilhelmstr. 48, abrufbar unter http://www.youtube.com/watch?v=f T YMqVe-MMM, (letzter Zugriff 16.10.2010). 464 | „Mit iGoogle können Sie eine personalisierte Startseite erstellen, auf der oben ein Google-Suchfeld und unten eine beliebige Anzahl von Gadgets Ihrer Wahl angezeigt werden. Gadgets sind in den verschiedensten Formen verfügbar und bieten Zugriff auf Aktivitäten und Informationen aus dem gesamten Web von Ihrer iGoogle-Seite aus“, in: Google: iGoogle ist eine anpassbare Startseite, abrufbar unter http://www.google.de/support/websearch/bin/ answer.py?hl=de&answer=20324, (letzter Zugriff 16.10.2010). 465 | Vgl. Christian Kortmann: Kultur im Internet. Barack Obama spricht Schwäbisch. DIE ZEIT, Hamburg, Nr. 18, 26.04.2009, http://www.zeit.de/2009/18/Mashup, (Stand 23.04.2009) (letzter Zugriff 15.10.2010).

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wird. Auch Christina Hollstein 466 schreibt in einem Beitrag bei SPIEGELONLINE (Stand 10.03.2009) über den vielbeachteten Künstler der Rekombination.

Abbildung 61 „iGoogle“ und Abbildung 62 „Thru-You“ | Abbildung 61 ist der Screenshot eines beispielhaft bei iGoogle konfigurierten Mashups.467 | Abbildung 62 ist dem Portal thru-you. com nachempfunden. 468

„ThruYou – Kutiman mixes YouTube“469 nennt sich die Website des israelischen Musikers Orphiel Kutiel, die er zur Präsentation seines Mashup-Projekts ins Netz gestellt hat: „Mit dem Remix-Künstler Kutiman erreicht die Mash-up-Technik jetzt neue Höhen. Der 27-jährige Israeli mischt seine Songs aus den Amateur-Musikaufnahmen zusammen, die er bei YouTube findet. Einzelne Soundschnipsel vom Nachwuchsschlagzeuger im Hobbykeller, vom Theremin-Exzentriker oder vom Gitarrenvirtuosen auf der Bettkante verwandelt er in Funkrock, harte Tanzmusik oder Elektro-Elegien. Die Videoclips entstehen so gleich mit, man sieht die einzelnen Musiker im viergeteilten Bildschirm. Das Album ThruYOU (‚Durch dich‘) gibt es

466 | Vgl. Christina Hollstein: YouTube-Künstler Kutiman. Taktvoller Bilderstürmer, http:// www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,612397,00.html, (Stand 10.03.2009) (letzter Zugriff 15.10.2010). 467 | Vgl. Google: iGoogle Startseite personalisieren, abrufbar unter http://www.google. de/ig, (letzter Zugriff 15.10.2010). 468 | Die Abbildung 58 kommt dem Erscheinungsbild der zusammengestellten Clips des Portals thru-you.com sehr nahe, vgl. dazu Orphiel Kutiel: ThruYou, abrufbar unter http://thruyou.com/#/videos/1/, (letzter Zugriff 14.10.2010). 469 | Vgl. Orphiel Kutiel: ThruYou, abrufbar unter http://www.thru-you.com, (letzter Zugriff 15.10.2010).

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nirgendwo zu kaufen, sondern es steht frei verfügbar in Form der sieben einzelnen Mash-up-Clips im Netz.“470

Kutiels Ansatz ist verblüffend, „[...] der Link auf die Seite Thru-you.com lüftet [sein] Erfolgsgeheimnis: Nicht er ist der Star seiner Videos, sondern eine Vielzahl fremder Künstler, die er auf YouTube mühsam ausgewählt und kunstvoll zusammenmontiert hat.“471 Kutiel hat netzspezifische Artikulationsfähigkeiten, die seine Remixes zu intermedialen Kunstwerken einer Sharing-Kultur ohne plagiative Tendenzen werden lassen. Kutiel mischt Clips zu einem neuen Musikvideo zusammen, das keinen Bezug zu einer früheren Intention der Autoren herstellt. Dadurch, dass er seine Schöpfungen kostenfrei mit Quellenangabe ins Netz stellt, genügt er den lizenzrechtlichen Vorgaben der Creative Commons472. „The videos Kutiman used to create ThruYou are mostly low-budget recordings of amateur musicians playing at home or taking music lessons. Kutiman cut the performances together so that the musicians appear to be playing together in real time – with truly astonishing results.“473

Für ihn liegt der Mehrwert der aufwändigen Rekombinationen in der Aufmerksamkeit, die seinem Schaffen als Musiker zuteil wird und Interesse an seinen Alben wecken kann.

470 | Christian Kortmann: Kultur im Internet. Barack Obama spricht Schwäbisch, DIE ZEIT, Hamburg, Nr. 18, 26.04.2009, http://www.zeit.de/2009/18/Mashup, (Stand 23.04.2009) (letzter Zugriff 15.10.2010). 471 | Christina Hollstein: YouTube-Künstler Kutiman. Taktvoller Bilderstürmer, http://www. spiegel.de/kultur/musik/0,1518,612397,00.html, (Stand 10.03.2009) (letzter Zugriff 15.10.2010). 472 | Vgl. Creative Commons: Namensnennung 3.0 – Vereinigte Staaten von Amerika, abrufbar unter http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/us/deed.de, (letzter Zugriff 02.11.2010). 473 | Scott Hill: Kutiman's ThruYou Mashup Turns YouTube Into Funk Machine, Onlineausgabe WIRED.COM, http://www.wired.com/underwire/2009/03/kutimans-pionee/, (Stand 25.03.2009) (letzter Zugriff 15.10.2010).

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8.2 Rekombination als Designkonzept Die Technologie-Firma Sony474 ruft in Zusammenarbeit mit der Umweltorganisation WWF475, dem World Wildlife Fund zum Ideenwettbewerb auf. Von den Veranstaltern wird ein Portal zur Verfügung gestellt, auf das Inhalte von den Anwendern selbst hochgeladen und bewertet werden. Crowdsourcing – die Mobilisierung einer großen Anzahl Freiwilliger zur aktiven Partizipation – wird zum Konzept der Firmenkommunikation und Wahrnehmungslenkung. Sony erklärt die positiven, umweltrelevanten Wettbewerbs-Absichten: „Bei dem Ideenwettbewerb ‚Open Planet Ideas‘ soll eine Community gemeinsam Technologie-Lösungen für Umweltprobleme entwickeln. Seit dem Start des ‚Crowdsourcing-Projekts‘ am 1. September 2010 gingen über 300 Ideen ein, nun beginnt die Konzeptionsphase.“476

Im Interview mit dem Online-Portal magnus.de477 antwortet Markus Zumkeller – Mitglied der Geschäftsführung von Sony Deutschland – auf die Frage, ob „der Mashup-Ansatz im Design- und Entwicklungsprozess [Herv. d. Verf.] bei Sony bewusst angewandt [...]„ 478 wird:

474 | Vgl. sony.co.uk: Eco thinking at the heart of Sony, abrufbar unter http://www.sony. co.uk/eco, (letzter Zugriff 18.10.2010). 475 | Vgl. panda.org: Sony with WWF support invites you to tackle environmental challenges through technology, abrufbar unter http://wwf.panda.org/?195653/Sony-with-WWF-support-invites-you-to-tackle-environmental-challenges-through-technology, (letzter Zugriff 18.10.2010). 476 | Eric Bonner: Online-Wettbewerb. Ideenwettbewerb „Open Planet Ideas“ geht in die zweite Runde - Interview, Online-Portal magnus.de der WEKA MEDIA Publishing GmbH, abrufbar unter http://www.magnus.de/news/ideenwettbewerb-open-planet-ideas-gehtin-die-zweite-runde-interview-1024187,181.html, (Stand 15.10.2010) (letzter Zugriff 18.10.2010). 477 | magnus.de: Technik - Trends - Entertainment, abrufbar unter http://www.magnus.de/, (letzter Zugriff 18.10.2010). 478 | Eric Bonner: Online-Wettbewerb. Ideenwettbewerb „Open Planet Ideas“ geht in die zweite Runde - Interview, Online-Portal magnus.de der WEKA MEDIA Publishing GmbH, abrufbar unter http://www.magnus.de/news/ideenwettbewerb-open-planet-ideas-geht-in-diezweite-runde-interview-1024187,181.html, (Stand 15.10.2010) (letzter Zugriff 18.10.2010).

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„Im Sony Konzern wird systematisch auf die Wiederverwendung von Technologie und Komponenten gesetzt. So planen wir bestimmte Entwicklungen von Anfang an für die spätere freie Kombinierbarkeit mit anderen Geräten. Das gilt zum Beispiel für einheitliche Benutzeroberf lächen, TV-Tuner oder Softwarekomponenten.“479

Abbildung 63 „Bottlebricks“ | Abbildung 64 „Meaningful Media1“ | Abbildung 65 „Meaningful Media2“ | Die Abbildungen zeigen Beiträge aus der Inpirationsphase des OpenPlanet-Ideas-Wettbewerbs. Abbildung 63 zeigt den historischen Flaschenentwurf der Firma Heineken, der Glasflaschen zu Glasbausteinen werden lässt.480 | Die Abbildungen 64 und 65 stellen dar, wie die Einbindung multimedialer Techniken visuelle Einblendungen ermöglichen könnte, um gesellschaftlich relevante Inhalte zu kommunizieren. Sie sind den Bildbeiträgen des Teilnehmers Paul Frigout unter Verwendung lizensierter Fotos nachempfunden. 481

Die Abbildungen visualisieren einen Ausschnitt aus dem Spektrum der von Teilnehmern beigesteuerten Inspirationsquellen, die neben neuen Ideen auch bekannte Ansätze fokussieren und nicht auf die vom Veranstalter zur Verfügung gestellten, vorhandenen Technologien rekurrieren müssen. Beispielsweise zeigt Abbildung 63 einen Inspirationsbeitrag, der den Entwurf der Heineken Bierflasche in Erinnerung ruft, die nach ihrem

479 | Eric Bonner: Online-Wettbewerb. Ideenwettbewerb „Open Planet Ideas“ geht in die zweite Runde. 480 | Vgl. Avi Solomon: Make Bottles to be Bricks, abrufbar unter http://www.openplane tideas.com/how-can-sony-technology-be-used-to-address-environmental-challenges/in spiration/make-bottle-to-be-bricks/, (Stand 14.09.2010) (letzter Zugriff 18.10.2010). 481 | Vgl. Paul Frigout: Showing information in a meaningful media, abrufbar unter http:// www.openplanetideas.com/how-can-sony-technology-be-used-to-address-environmentalchallenges/inpiration/showing-information-in-a-meaningful-media./, (Stand 13.09.2010) (letzter Zugriff 18.10.2010).

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Gebrauch als Baustein zur Errichtung von Häusern genutzt werden kann. Der Beitrag erhält durch starke Frequentierung und positive Bewertungen Relevanz. Die Abbildungen 64 und 65 zeigen das Konzept eines analogen Aussichtsfernrohres, das durch digitale Technologien Realbilder mit visuellen Inhalten überlagert. Diese Augmented Reality482 wird beispielsweise über Sonys PSP (Playstation Portable) in reale Produkte eingebettet. In der vorgeschlagenen Kombination besteht die Möglichkeit, die Technologie beispielsweise zur Adressierung eines nicht in die Netzkommunikation involvierten Publikums zu nutzen. Weitere Beispiele der Vergegenständlichung in Anlehnung an Sichtbarkeitsfiguren der Mashup-Kultur einer Netzkommunikation können etwa in den beiden folgenden Produkten lokalisiert werden. Da gibt es innovative Recyclingteppiche aus alten Orientteppichen, die unter dem Namen The Mashup von dem Karlsruher Hersteller kymo vertrieben werden. In der Manufaktur werden alte Teppiche in Entsprechung zur mühsamen Vorgehensweise etwa des Remixkünstlers Kutiel „ [...] zunächst komplett demontiert. Die [...] Designer [...] zerteilen den alten Orientteppich in Tausende Einzelteile, veredeln die Stücke und setzten sie mühsam wieder zusammen. Dann wird gefärbt.“483 Als weiteres Beispiel eines Mashups kann das mit dem Reddot Design Award 2010 ausgezeichnete USB-Drive Clip-It von Verbatim aufgefasst werden. Der USB-Datenspeicher ist eine Rekombination bekannter Gegenstände, er soll an dieser Stelle als Beispiel für eine Gestaltungsidee herangezogen werden, die es – obwohl sie nahe liegt – erst als solche zu entdecken gilt. Entsprechend salopp wird die Produkt-Neuerscheinung wird im technikaffinen Weblog techfieber.de kommentiert:

482 | „Bereits 1992 tauchte der Begriff ‚Augmented Reality‘ (AR) erstmals auf. Der Ausdruck beschreibt die Erweiterung der eigenen Wahrnehmung durch virtuelle Elemente aus dem Computer. […] Auch bei der Konstruktion, Wartung und Medizin helfen schon heute Zusatzinformationen im Sichtfeld der Anwender bei komplexen Aufgaben“, vgl. Mirko Schubert: Metro Paris Subway führt zu den nächsten U–Bahn–Stationen. Augmented Reality. Erste App für das iPhone erschienen, http://www.netzwelt.de/news/80582-augmented-reality-ersteapp-iphone-erschienen.html, (Stand 26.08.2009) (letzter Zugriff 30.09.2010). 483 | Exclusive & Living digital GmbH: Teppich „Mashup“ von kymo, abrufbar unter http:// www.schoener-wohnen.de/news/schoener-wohnen-news/93671-teppich-mashup-von-ky mo.html, (letzter Zugriff 19.10.2010).

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„Na endlich. Wurde auch Zeit. Büroklammern, die mehrere Papierbögen zusammenhalten UND Daten speichern können.“484

Die Abbildung 66 zeigt den Teppich „Mashup“485 | In Abbildung 67 wird das USB-Flashlaufwerk von Verbatim dargestellt.486

8.3 Zwischenfazit Der designrelevante Aspekt der Kulturtechnik des Mashups wird in der Neukodierung von Bestehendem verortet. Vorhandene Inhalte werden durch den Akt der kreativen Zusammenstellung zu einer überraschenden und eigenständigen Ausdrucksform umdiskursiviert. Der Effekt der Ereignishaftmachung von Vertrautem in einer neuen Konfiguration wird als Designmethodologie des Mashups verstanden. Diese gestalterische Vorgehensweise lässt sich in einen Bezug zu Charles Sanders Peirce487 bringen, der neben Deduktion und Induktion

484 | Fritz Effenberger: Verbatim Clip-it USB Drive. Die Büroklammer kann speichern, http://www.techfieber.de/2010/09/22/verbatim-clip-it-usb-drive-die-buroklammer-kannspeichern/, (Stand 22.09.2010) (letzter Zugriff 14.10.2010). 485 | Vgl. berlin.de: Teppiche. Design-Trends beim Bodenbelag, abrufbar unter http://www. berlin.de/special/immobilien-und-wohnen/moebel-und-design/1124158-739642.foto. html?page=5&popup=1, (letzter Zugriff 14.10.2010). 486 | Fritz Effenberger: Verbatim Clip-it USB Drive. Die Büroklammer kann speichern, http://www.techfieber.de/2010/09/22/verbatim-clip-it-usb-drive-die-buroklammer-kannspeichern/, (Stand 22.09.2010) (letzter Zugriff 14.10.2010). 487 | „Der ‚founding father‘ des amerikanischen Pragmatismus, Charles Sanders Peirce (1839-1914), ist der erste Philosoph der USA, der weltweit Bedeutung erlangte. In seiner ‚pragmatischen Maxime‘ bringt er das Leitmotiv des neuen Denkansatzes zum Ausdruck –

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den kognitiven Aspekt der Abduktion als Form der logischen Schlussfolgerung in wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen identifiziert hat. Die in den vorliegenden Überlegungen genutzten Interpretationsschritte einer Grounded Theory als Vorgehensweise der wissenssoziologischen Diskursanalyse sind ein offenes, axiales und selektives Kodieren. Diese Form qualitativer Forschung ist abduktiv (als offenes, vernunftgesteuertes Erraten), deduktiv (indem viele „Ableitung[en] von Voraussagen aus der Hypothese“488 zusammengestellt werden) und induktiv (da anhand selektiv bestimmter Daten eine Verifizierung der abduktiven Annahmen konstruiert wird). Der Philosoph Peirce sieht in der Abduktion die eigentliche Methode der Erkenntnisgewinnung, da hier neue Antworten auf kognitive Problemstrukturen generiert werden, die erst im Anschluss durch Deduktion überprüft und durch Induktion verifiziert werden. Jo Reichertz erläutert in seinem Text Gültige Entdeckung des Neuen?489 die Peirce'sche Abduktion hinsichtlich einer qualitativen Sozialforschung, die eine inhaltliche Nähe zu den hier lokalisierten Mashup-Kulturobjektivationen als Ideen eines abduktiven Designprozesses aufweist. Er beschreibt „[…] Maßnahmen, günstige Bedingungen für Abduktionen zu schaffen [.] [Sie] zielen also stets auf eins: auf die Erlangung einer Haltung, bereit zu sein, alte Überzeugungen aufzugeben und neue zu suchen. Abduktives ‚Räsonieren‘ ist […] also kein glückliches, zufälliges Raten ins Blaue hinein, sondern ein informiertes Raten. Wenn man so will: das Glück trifft immer nur den vorbereiteten Geist. Abduktives Schlußfolgern ist also keine Methode, mit deren Hilfe sich logisch geordnet (und damit

daß Wahrheit und künftige Bewährung aufs engste miteinander verknüpft sind – : ein Motiv, dessen Hintergrund er durch Erwägungen zum komplexen Zusammenhang von ‚Fürwahrhalten‘ und Zweifeln erkundet und in einer allgemeinen Zeichentheorie (‚Semiotik‘) präzisiert“, in: Ludwig Nagl: Pragmatismus. Frankfurt am Main; New York: Campus Verlag, 1998, S. 20. Die pragmatizistische Semiotik wird hier nicht vertieft, da sich die vorliegende Arbeit an der Semiotik nach Morris orientiert. 488 | Vgl. Jo Reichertz: Gültige Entdeckung des Neuen. Zur Bedeutung der Abduktion in der qualitativen Sozialforschung, in: Österreichische Zeitung für Soziologie (OZS), 24. Jahrgang, Nr. 48, 4/1999, S.61, auch online abrufbar unter http://www.ssoar.info/ssoar/ files/2008/556/gueltigeentdeckung.pdf, (letzter Zugriff 21.10.2010). 489 | Jo Reichertz: Gültige Entdeckung des Neuen. Zur Bedeutung der Abduktion in der qualitativen Sozialforschung.

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operationalisierbar) Hypothesen oder gar eine Theorie generieren läßt, sondern abduktives Folgern ist eine Haltung gegenüber Daten und gegenüber dem eigenen Wissen: Daten sind ernstzunehmen, und die Gültigkeit des bislang erarbeiteten Wissens ist einzuklammern.“490

490 | Jo Reichertz: Gültige Entdeckung des Neuen. Zur Bedeutung der Abduktion in der qualitativen Sozialforschung, S. 57f.

9. Transparenzen – Sichtbarkeiten einer Display-Gesellschaft Für Lev Manovich sind Tools und Graphical User Interfaces (GUI) der computerspezifischen Betriebssystem-Gestaltungen das „cultural interface“491 schlechthin, er bezeichnet die computergestütze Kommunikation als „visual Esperanto“492. Die allgegenwärtige Präsenz der Bildschirme lässt Manovich von einer „society of the screen“493 sprechen: „For now, we clearly live in in the society of the screen. Screens are everywhere – the screens of airline agents, data-entry clerks, secretaries, engineers, doctors, and pilots; the screens of ATM machines, supermarket checkouts, automobile dashboards, and, of course, the screens of computers.“494

Die signifikante Nutzung von Displays zur Informationsvermittlung bringt die Entwicklung von Sichtbarkeitsvariablen mit sich, um etwa die begrenzten Abmessungen – besonders beim Gebrauch mobiler Endgeräte – für die Nutzung zu optimieren. Unter Sichtbarkeitsvariablen werden in der Informatik beispielsweise grafische Tastaturen verstanden, die bei Endgeräten mit Touchscreen-Steuerung im Blickfeld auftauchen, wenn eine manuelle Dateneingabe erforderlich wird. Diese grafischen Tastaturen können entsprechend programmiert werden, damit keine relevanten Sichtbereiche abgedeckt werden, d. h. sie können sich dynamisch positionieren. Eine weitere Variable lässt beispielsweise bei numerischem Informationsbedarf eine auf das Zahlenfeld minimierte Tastatur erscheinen. In dieser Arbeit wird Transparenz als verbreitete Sichtbarkeitsvariable identifiziert, die als prägnantes Blickmuster aufgefasst werden soll.

491 | Vgl. Lev Manovich: The Language of New Media. Cambridge, Massachussets: Leonardo Books, 2001, S. 91. 492 | Vgl. Lev Manovich: The Language of New Media, S. 79. 493 | Vgl. Lev Manovich: The Language of New Media, S. 114. 494 | Lev Manovich: The Language of New Media, S. 114f.

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9.1 Transparenzen als Wegbereiter der Multitasking-Kodes Transparenz macht die begrenzte Oberfläche eines Bildschirms besser nutzbar, da Informationen optimiert und überlappend dargestellt werden können. Besonders die Steuerung über Gestiken als spezifische nicht-diskursive Praxis bei Tablet-Computern macht Transparenzen bedeutsam, da der grafisch optimierte Touchscreen selbst umfangreiche Funktionen über die taktile Gestiksteuerung ermöglichen soll und die „mehrlagige“ Transparenzfunktion die entsprechende Informationsdichte visualisieren kann.

Abbildung 68 „Photoshop-App“ und Abbildung 69 „Windows 7“| Die Abbildung 68 zeigt die Bildschirmdarstellung auf Apple's iPad während der Verwendung des Bildbearbeitungsprogramms Photoshop-Express.495 | Die Abbildung 69 zeigt den Ausschnitt eines vom Verfasser erstellten Screenshots, der die Transparenz-Funktion in der Betriebssystemoberfläche von Windows 7 aufzeigt.496

Bei dem Betriebssystem Microsoft Windows 7 gibt es die Funktion Aero Glass, mit der Transparenzeffekte auf die Betriebssystemoberfläche appliziert werden können (siehe Abb. 69). Durch die Einstellbarkeit von Transparenzen können die ansonsten verdeckten Informationen hinter aktiven Fenstern eingesehen werden. Ähnliche Effekte erzielen auch Menüsteuerungen zur Konfiguration von Fernsehern, Videorekordern, DVB-T-Empfängern u.ä., die transparente Konfigurationsmasken beispielsweise über

495 | Vgl. Rico-Thore Kauert: Photoshop-Express-App für iPad kostenlos downloaden, abrufbar unter http://www.macnews.de/news/51104/photoshop-express-app-fur-ipad- kosten los-downloaden/photoshop_ipad/, (Stand 17.08.2010) (letzter Zugriff jeweils 19.10.2010). 496 | Vgl. Andreas Wroblewski: Fenster [werden] transparent, abrufbar unter http:// www. compu-seite.de/betriebssysteme/windows/windows7-1-1.htm, (letzter Zugriff 19.10.2010).

Transparenzen – Sichtbarkeiten einer Display-Gesellschaft

das laufende Fernsehbild blenden. Das Blickmuster wird variantenreich eingesetzt, bei Windows wird der Nutzer etwa durch eine transparente, kurzzeitige Kopfzeilen-Einblendung subtil über den Eingang einer Email informiert. Eine elaborierte Wahrnehmung der Sichtbarkeitsfigur Transparenz wird durch nicht-diskursive Praxen intuitiv zu bedienender Applikationen für Smartphone und Tablet-PC kultiviert. Abbildung 68 zeigt beispielsweise die Software Photoshop Express während der Verwendung auf einem iPad. Ein ausgewähltes Foto wird über die Funktion „straighten“ neu ausgerichtet. Die Ausschnittbestimmung erfolgt über Fingergesten, eine optische Kontrolle der Operation ist über eine transparente Abdeckung des wegfallenden Bildbereiches gegeben. Die Transparenzen einer Benutzeroberfläche machen ein Multitasking auch auf kleineren Displays handhabbar. Multitasking wird zum Qualitätsmerkmal eines Computings diskursiviert, welches viele Artikulationsereignisse simultan zulässt und sichtbar macht. Bezogen auf menschliche, kognitive Fähigkeiten scheint Multitasking i.d.R. auf wenige simultane Handlungen begrenzt zu sein. Einer aktuellen Studie des Hirnforschers Etienne Koechlin folgend, „[können] [m]aximal zwei einigermaßen anspruchsvolle Aufgaben [...] gleichzeitig vom Gehirn bewältigt werden [...]“.497

9.2 Durchschaubarkeit – Visuelle Informationsverdichtung Die folgenden Objektivationen machen Transparenzen zum Gestaltungsmerkmal mit einer semantischen Verdichtung durch mehrlagige Informationsebenen. Autobauer werben mit einer „undivided attention“498 – der ungeteilten Aufmerksamkeit – welche durch die Verwendung eines Headup-Displays die Informationen des Navigationgerätes oder sonstiger Fahrzeuginstrumente über das reale Sichtfeld durch Projektion auf die Windschutzscheibe einblendet. Der Fahrer muss zur Informationen den Blick nicht von der Straße nehmen:

497 | Vgl. Joachim Müller-Jung: Resultat der Hirnforschung. Multitasking ist ungesund, in: FAZ.NET (Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeine), abrufbar unter http://www.faz.net/00lw8z, (Stand 16.04.2010), (letzter Zugriff 21.10.2010). 498 | Vgl. bmw.ie: Undivided attention, abrufbar unter http://www.bmw.ie/ie/en/new vehicles/6series/coupe/2004/allfacts/ergonomics_hud.html, (letzter Zugriff 16.10.2010).

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“An optional Head-Up Display presents important information directly in the driver‘s viewing field. A unit in the dashboard projects the data onto the windscreen as a clear, easy-to-read image, adjusted for ambient light conditions, with a focal point just above the bonnet. This means that information can be read faster, and the driver‘s attention is never distracted from the road.“499

Eine spielerische Form der Augmented Reality im Sinne einer erweiterten Realität hat Vodafone im Juni 2010 für Werbezwecke genutzt. Im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft wurde ein Applikation der Fa. junaio.com für Smartphones angeboten, das um den Vodafone-Kanal „Wo guckst Du?“ ergänzt wurde. Junaio.com hat einen Browser entwickelt, der die Augmented-Reality-Funktion integriert: „Eine kostenlose junaio-App für Android und iPhone ermittelt über GPS und Kompass des Smartphones die Position und Orientierung des Anwenders und zeigt ihm innerhalb eines Live-Kamerabildes Public-Viewing-Spots in seiner unmittelbaren Umgebung an.“500

Die junaio-Applikation kann über Georeferenzierung WM-spezifische Informationen über die Realbilder der integrierten Mobiltelefon-Kamera einblenden. Dazu muss der Anwender allerdings die Ortung seines Mobiltelefons erlauben. Junaio.com kooperiert auch mit der Süddeutsche Zeitung (SZ)501, hier wird der Augmented-Reality-Browser genutzt, um zusätzliche Informationen zum Inhalt einer Sonderausgabe des SZ-Magazins einzublenden. Der Vorgang auf dem Smartphone wird durch das Richten der Kamera auf das Titelbild bei laufender App gestartet. Ähnliche Wirklich-

499 | bmw.ie: Undivided attention. 500 | Vgl. heise-medien.de: Mit Augmented Reality zum WM-Spiel, abrufbar unter http:// www.heise.de/newsticker/meldung/Mit-Augmented-Reality-zum-WM-Spiel-1028121.html, (Stand 23.06.2010) (letzter Zugriff 21.10.2010). 501 | Vgl. junaio Blog: Pushing the Boundaries of Print, abrufbar unter http://junaio.word press.com/2010/08/20/pushing-the-boundaries-of-print/, (Stand 20.08.2010) (letzter Zugriff 21.10.2010).

Transparenzen – Sichtbarkeiten einer Display-Gesellschaft

keitserweiterungen gibt es beispielsweise auch bei speziellen Briefmarken-Editionen, den „intelligent stamps“502.

Abbildung 70 „Headup-Display“und Abbildung 71 „Vodafone“ | Die Abbildung 70 zeigt ein Headup-Display, das im Lexus RX 450H verwendet wird. | Die Abbildung 71 zeigt eine Smartphone-Nutzung im Rahmen der Vodafone-Kampagne „Wo guckst du?“ mit Augmented-Reality-Browser, der Public-Viewing-Spots auf live-Bildern markiert. 503

Bei diesen Produkten wird das Blickmuster der Transparenz durch ein softwarespezifisches Computing und entsprechend grafischer Benutzeroberflächengestaltung als Designmerkmal in das bespielbare HardwareDesign eines Autos bzw. Smartphones implementiert. Bei den folgenden Beispielen soll eine analoge Entsprechung zu der Sichtbarkeitsfigur identifiziert werden. Dabei handelt es sich um einen Windschutz, der auf dem Platz der Grande Arch in Paris nachträglich errichtet worden ist und um ein Sport- und Freizeitprodukt in der Form eines transparenten Kajaks.

502 | Vgl. Jürgen Siebert: Augmented Print, abrufbar unter http://www.fontblog.de/aug mented-print, (Stand 07.09.2010) (letzter Zugriff 21.10.2010). 503 | Vgl. heise-medien.de: Mit Augmented Reality zum WM-Spiel, abrufbar unter http:// www.heise.de/newsticker/meldung/Mit-Augmented-Reality-zum-WM-Spiel-102812 1.html, (Stand 23.06.2010) (letzter Zugriff 21.10.2010).

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Abbildung 72 „Grand Arch“ und Abbildung 73 „Molokini“ | Die Abbildung 72 ist der Ausschnitt des auf flickr.com publizierten Fotos der gläsernen Windschutz-Konstruktion der Grande Arche de la Fraternité in Paris. 504 | Die Abbildung 73 zeigt ein transparentes Kajak aus Polycarbonat der Firma Clear Blue Hawaii aus Beaverton, Oregon, USA. 505

Das in Abbildung 73 abgebildete Kajak aus transparentem Polycarbonat ist eine Designkonzeption, welche die Transparenz zur Schaffung einer wahrnehmungsrelevanten Produktqualität nutzt. Jedes Kajak schafft als Freizeitgerät einen sehr direkten Zugang zur Natur, weil es durch die Einbindung von physischer Körperkraft und fühlbarer Körpernähe ein unmittelbares Naturempfinden ermöglicht. Durch die im Produktbeispiel erweiterte Wirklichkeitsrezeption um die der Unterwasserwelt werden die Freizeit-Qualitäten des Produkts aufgewertet. Abbildung 72 zeigt die Windschutzgläser, die nachträglich zur Steigerung der Aufenthaltsqualität am Fußpunkt der Grande Arche de la Fraternité in Paris errichtet wurden. Das Gestaltungskonzept wirkt überzeugend, da die wichtigen Sichtachsen einsehbar bleiben und variierende Transparenzstärken durch eine partielle, optische Verdichtung der Gläser zu einer semantischen Betonung bzw. Überlagerung realer Sichtbereiche führen. Die eingespannten, rahmenlosen Verbundglas-Scheiben mit parallelen, begehbaren Zwischenräumen erzeugen eine waldähnliche, physische Windbarriere, die sich weiterhin über die gesamte Breite begehen lässt.

504 | Vgl. Alstan Jakubiec: Grand Arch, abrufbar unter http://www.flickr.com/photos/ rdbs/ show/with/3194488424/, (letzter Zugriff 22.10.2010). 505 | Vgl. clearbluehawaii.com: molokini, abrufbar unter http://clearbluehawaii.com/web/ category/policarbonate_kayaks/molokini.html, (letzter Zugriff 22.10.2010).

Transparenzen – Sichtbarkeiten einer Display-Gesellschaft

9.3 Zwischenfazit Die beschriebenen Gestaltungsansätze werden als kulturelle Objektivationen der hier identifizierten Sichtbarkeitsfigur aufgefasst. Die Konzeption der Windbarriere, die weder Sicht noch Zugänglichkeit einschränkt, überträgt den gestalterischen Ansatz einer semantischen Verdichtung auf die Rezeption wechselnder Transparenzstärken. Das transparente Kajak weitet den Wahrnehmungsbereich in die Tiefen unterhalb der Sitzposition aus. Im Fahrzeugdesign werden Techniken integriert, die das reale Sichtfeld des Fahrers erweitern, sodass zusätzliche Informationen ohne Ablenkung in die Wahrnehmung gelangen können. Die internetfähigen, mobilen Endgeräte, mit integrierter Kamera und Display werden durch SoftwareApplikationen zu Augmented-Reality-Produkten. Sie ermöglichen die Einblendung orts- und themenspezifischer Adhoc-Information in reale Sichtfelder. Bei diesen Beispielen ist das Designmerkmal einer Transparenz flüchtig und nur temporär sichtbar. Das Blickmuster der Transparenz birgt Ansatzpunkte, die auf regulative Mechanismen einer Technologie in der Netzkommunikation verweisen. Besonders hinsichtlich eines Panoptismus506 lassen sich Bezüge zu der Machttheorie Foucaults herstellen. Foucaults Beschreibung des Panopticons von Bentham507 als Beispiel eines modernen Machtmechanismus zur Kontrolle vieler Sichtbarer durch wenige Unsichtbare scheint auf Transparenzen übertragbar zu sein. Einerseits erzeugen multitasking-fähige Produkte eine Informationsverdichtung, die den Anwendern eine leistungsgesteigerte Aufmerksamkeit abverlangen, andererseits wird durch aktivierte Ortungsdienste eine weitere Kontrollinstanz in die Netzkommunikation eingeführt. Die Nutzung mobiler, internetfähiger Endgeräte lässt den Nutzer hinsichtlich seiner Interessen, Aufenthaltsorte und Praktiken sichtbar für unsichtbare Instanzen werden, wie beispielsweise den Dienstanbieter oder beteiligte Marketingstrategen.

506 | Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994, S. 251-292. 507 | Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, S. 256f.

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Exkurs – Die kontrollierte Sichtbarkeit Das Panoptikum basiert auf Benthams Konzept des optimalen Gefängnisses, dessen Zellen den mittig platzierten Aufsichtsturm ringförmig umgeben. Die Aufsichtsperson kann alle Zellen einsehen, ist selbst aber nicht sichtbar. „Die Schaffung eines bewußten und permanenten Sichtbarkeitszustandes [...] [stellt] das automatische Funktionieren der Macht sicher [...].“508 Durch Subjektivierung der Zwangsmechanismen wird der Kontrollierte zum disziplinierten Individuum. „Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus, er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung.“509

Foucault sieht das Panopticon als System, das „[...] sich wirklich in jede Funktion integrieren [...] [kann]; [...] es kann eine direkte Beziehung zwischen der Machtsteigerung und der Produktionssteigerung herstellen.“510 Übertragen auf hierarchische Systeme etwa in der multimedialen Arbeitswelt können negative Konnotationen einer Sichtbarkeitsfigur der Transparenz dadurch entstehen, dass bei einem Anwender das Gefühl aufkommen kann, die eigene Produktivität und Leistungsfähigkeit sei permanent einer unsichtbaren Kontrollinstanz ausgesetzt. Als aktuelles Beispiel für einen negativ konnotierten Panoptizismus kann auch die geplante Einführung der Bildungskarte herangezogen werden: „Leider ist auch beim Bildungskarten-Vorschlag aus dem BMAS [Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Anm. d. Verf.] nichts von Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu spüren. Aus dem Ministerium hört man nur von der Anschlussfähigkeit der Karte und dass bald alle (Kinder) sie bekommen sollen. Dabei sollte immer auch mitbedacht werden, dass es bei den Betroffenen infolge der entstehenden (oder auch nur der vermeintlich entstehenden) Datensammlungen zu ‚vorgreifenden‘ Verhaltensanpassungen und der Internalisierung von Normen kommen

508 | Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, S. 258. 509 | Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, S. 260. 510 | Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, S. 264.

Transparenzen – Sichtbarkeiten einer Display-Gesellschaft

kann. Solche sogenannten ‚panoptischen Effekte‘ [Herv.d.Verf.] kommen einer Selbstzensur, die sich an den Erwartungen der ‚Überwachenden‘ ausrichtet, gleich.“511

Ein positiver, panoptischer Effekt kann durch ein gesteigertes Sicherheitsgefühl generiert werden, der sich etwa durch eine spürbare Überwachung an wenig frequentierten, öffentlichen Orten wie abgelegenen Bahnsteigen erzeugen lässt.

511 | Daniel Schmidutz: Mehr Teilhabe dank Chipkarte?, http://www.humanistische-union. de/aktuelles/aktuelles_detail/back/ak tuelles/ar ticle/mehr-teilhabe-dank-chipkar te/, (Stand 25.09.2010) (letzter Zugriff 25.10.2010).

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10. Luminanzen – Konditionierung einer Neosensorik Das Netzdispositiv bildet einen sensorischen Erfahrungsraum. Aufgrund der Multimedialität sind visuelle, auditive und beispielsweise auch vestibuläre Sinneswahrnehmungen möglich. Etwa bei der Wii von Nintendo kommen Techniken zum Einsatz, die zur Steuerung von Anwendungen den (vestibulären) Gleichgewichtssinn in die virtuelle Umgebung einbinden. Zugleich entstehen erste Prototypen von gestengesteuerten Fernsehern512. Die taktile Wahrnehmung hingegen ist in der Netzkommunikation stark eingeschränkt. Ein Kleidungsstück, das bei dressforless.de zum Kauf angeboten wird, kann über hochaufgelöste Fotos zwar detailliert betrachtet werden, aber eine haptische Oberflächenqualität kann der Betrachter nur erahnen, weil das Gefühl der Berührung als taktiler Erfahrung eines Materials nicht virtuell vermittelbar ist. Ein Spezialfall der optischen Wahrnehmung soll in den folgenden Beobachtungen thematisiert werden.

10.1 Veränderliche Luminanz in nicht-diskursiven Kodes Die visuellen Begleiterscheinungen von Eingabeoperationen zur Aktivierung bzw. Auslösung eines Ereignisses innerhalb nicht-diskursiver Aktionen werden in dieser Arbeit als sensorischer Ersatz für taktile Empfindungen charakterisiert. Wird etwa beim Online-Banking ein Transaktionsbefehl durch das Klicken eines Buttons ausgelöst, verändert dieser seine Erscheinung während der Berührung und gibt dadurch eine sensorische Rückmeldung. Durch die Verwendung eines Roll-Over-Effektes kann beispielsweise das Abbild des Buttons bei Cursor- bzw. Fingerkontakt (Touchscreens) verzögerungsfrei gegen eine leuchtende, temporäre Abbil-

512 | bild.de: Sony stellt 360-Grad-TV vor. Fernseher der Zukunft wird mit Gesten gesteuert, abrufbar unter http://www.bild.de/BILD/digital/multimedia/2010/08/05/fernsehender-zukunft/sony-stellt-prototyp-eines-360-grad-tv-vor.html, (Stand 05.08.2010) (letzter Zugriff 25.10.2010).

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

dung ausgetauscht werden. Diese kurzzeitige Luminanzverstärkung erzeugt einen visuellen Stimulus, der dem einer realen Tastenbewegung nahekommt. Für die folgenden Betrachtungen wird angenommen, dass sich die kurzzeitigen Änderungen in der Luminanz513 und/oder Chrominanz514 als sensorische Rückmeldung in der gesellschaftlichen Alltagspraxis etabliert haben. Zur Vereinfachung wird in diesem Kapitel das Blickmuster der Luminanz auch stellvertretend für Änderungen von Farbintensitäten im Sinne einer Chrominanz zur Kategorisierung genutzt werden. In der Netzkommunikation werden Teleaktionen ausgeführt, wie beispielsweise börsenspezifisches Real-Time-Trading, Flugbuchung, Web-Check-In, Vertragsabschlüsse, Warenkäufe, Postkartenversand etc. In diesen verbindlichen Netzkommunikationen werden Relevanz-Informationen ausgetauscht. Bei Bankgeschäften geht es um materielle Werte und einer impliziten Verlustangst, ein Web-Check-In soll für Zeiteinsparungen innerhalb einer verlässlichen Flugorganisation sorgen und ein virtueller Vertragsabschluss bindet den Anwender in der Realität für einen möglicherweise sehr langen Zeitraum. Diese Relevanz der virtuellen Telematik soll semantisch mit der Sichtbarkeit einer Luminanz verknüpft werden. Teleaktionen, die unvermittelt auf die physische Lebensführung zurückwirken, können eine Wahrnehmung des Auslösens kultivieren. In der Sichtbarkeitsfigur eines kurzzeitigen Luminanzwechsels wird der Auslöse-Impuls erfahrbar, der aus einer designtheoretischen Sicht als neosensorische Rezeption verstanden werden soll.

513 | „Die Luminanz [...] ist die Leuchtdichte einer Videodarstellung. Sie ist ein Maß für den Helligkeitseindruck. [...]“, in: ITWissen.info: Luminanz, abrufbar unter http://www.itwissen. info/definition/lexikon/Luminanz-Y-luminance.html, (letzter Zugriff 19.10.2010). 514 | „Chrominanz. Der Farbeindruck eines Videobildes wird durch die Chrominanz [...] bestimmt, die die Werte für die Farbsättigung und den Farbton enthält. [...]“, in: ITWissen. info: Chrominanz, abrufbar unter http://www.itwissen.info/definition/lexikon/ChrominanzC-chrominance.html, (letzter Zugriff 19.10.2010).

Luminanzen – Konditionierung einer Neosensorik

Abbildung 74 „Buttons“ und Abbildung 75 „iPad-Keyboard“ | Abbildung 74 zeigt mögliche Paare von Grafiken zur Erzeugung eines Luminanzwechsels für virtuelle Tasten. 515 | Abbildung75 ist ein Screenshot der auf dem iPad eingeblendeten Bildschirmtastatur.

Durch ausgesuchte Artefakte sollen Luminanzen als Designmerkmale herausgestellt werden, die sich als Transfer der virtuellen Eigenschaft einer sensorischen Rückmeldung in die reale Vergegenständlichung begreifen lassen. Die Abbildung 75 zeigt die grafische Erscheinung der iPad-Tastatur, auf dieser wird die erfolgte Eingabeoperation durch zurückhaltend eingesetzte Helligkeitsdifferenzen in der Tasten-Optik inszeniert. Diese reduzierte Verwendung von Luminanzunterschieden ist eine adäquate gestalterische Umsetzung für eine professionelle Nutzung des Tablet-PC zur Textbearbeitung. Für die ausgeprägte Visualisierung einer Tastenaktivierung finden beispielsweise die in Abbildung 74 dargestellten Buttons Verwendung. Anhand dieser exemplarisch vorgestellten Buttons lässt sich die Virtualisierung einer realen Tastenerscheinung bemerken, die Steuerungsprozesse im Netz werden durch glänzende, körperhafte und luminante Eigenschaften visualisiert. Ein erneuter Rück-Transfer der im Netz kultivierten Simulation eines sensorisch erlebbaren Gefühls in die realweltliche Dinggestalt macht Luminanz zum Re-Import. An Beispielen des Gegenwartsdesigns sollen Luminanzen als designspezifische Merkmale einer Neosensorik identifiziert werden. Neosensorik soll bedeuten, dass eine netzspezifische Kultivierung relevanter Aktivierungsprozesse durch den Einsatz subtiler Luminanzunterschiede zur Ausbildung neuer, sensorischer Qualitäten im Produktdesign führen kann. Die virtuell konditionierte Ersatzvisualität für haptische Wahrnehmungsqualitäten durch Luminanz-Effekte soll an Produkt-Beispielen als Zusatz-Semantisierung dinglicher Qualitäten entdeckt werden.

515 | Die Abbildungen zeigen verschiedene Grafiken zur Erstellung von Buttons mit Luminanzwechseln etwa für eine Homepage-Gestaltung und sind bei fotolia.com erhältlich.

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

10.2 Luminanz als sensorische Substitution In den vorliegenden Betrachtungen wird Luminanz als eine wahrnehmbare Leuchtdichte begriffen. Dabei geht es nicht um die Lichterzeugung durch ein Produkt, sondern um die Semantisierung durch den multimodalen Lichtschein selbst. Als ein Beispiel erster produktspezifischer Semantisierungen durch Luminanzen soll hier das leuchtende Apple Logo bei den frühen iMacs aus dem Jahr 1998 genannt werden, die den Ruhezustand sowie ein „Erwachen“ des Rechners durch veränderliche Luminanzen visualisierten. Bei modernen Lichttechnologien ist seit einigen Jahren eine stetige Entwicklung hin zur Verwendung lichtemittierender Dioden (lED) zu verfolgen, die sich auf die Erzeugung weißen Lichts mit hoher Lichtstärke zurückführen lässt516. Neben dem Einsatz von hocheffizienten LEDs beispielsweise in der Fahrzeugbeleuchtung oder bei Signalleuchten im Straßenverkehr findet die langlebige und energiesparende Lichttechnik Eingang in ungewöhnliche, semantisierende Gestaltungskonzepte. Dort bringt sie Alltagsgegenstände zum Leuchten.

Abbildung 76 „Tagfahrlicht“ und Abbildung 77 „Licht-Dusche“ | Abbildung 76 zeigt den

516 | „Da sich die Lichtausbeute von weißen LED heute im Bereich von 40-100 lm/W bewegen (Effizienz abhängig von Farbtemperatur und Farbwiedergabe), finden sie zunehmend Anwendung in der Allgemeinbeleuchtung“, in: OSRAM GmbH: Alles über LED, http://www. osram.de/osram_de/LED/Alles_ueber_LED/Historie_der_LED/index.htm, (Stand 2010) (letzter Zugriff 25.10.2010).

Luminanzen – Konditionierung einer Neosensorik

Frontscheinwerfer des Audi A8 mit LED-Technik. 517 | Abbildung 77 stellt einen Brausekopf dar, der mit LED-Technik illuminiert wird. 518

Audi setzt im Fahrzeugdesign konsequent auf den Einsatz von LED-Lichttechnik bei der Fahrzeugbeleuchtung, was auf den ersten Blick nicht als besonders gelten mag, da es ein klassisches Einsatzgebiet einer Lichttechnik ist. Allerdings wird selbst bei einer klassischen Verwendung als Leuchtenprodukt die veränderliche Luminanz zum distinguierten Gestaltungsmerkmal. Das Tagfahrlicht der Audi-Fahrzeuge wird situationsbedingt gedimmt, beispielsweise bei einer Richtungsanzeige durch Blinken, um eine Überstrahlung des Blinksignals zu verhindern. Auch wenn bei Dunkelheit das Abblendlicht zugeschaltet wird, verändern die LEDs ihre Luminanz, um als Standlicht mit entsprechender Intensität zu leuchten. Aus gestalterischer Sicht entsteht hierbei eine Anthropomorphisierung des Gegenstands, der durch die Assoziierbarkeit einer reaktionsfähigen Mimik scheinbar belebt wird. Die Abbildung 76 „Tagfahrlicht“ zeigt eine komplett auf LED-Lichttechnik basierende Scheinwerferkonzeption, die neben einer adaptierbaren Luminanz auf die gestalterischen Freiheitsgrade verweist. Eine andere Semantisierung wird bei der Kombination eines Brausekopfes mit farbiger LED-Beleuchtung verfolgt, wie er in der Abbildung 77 „Licht-Dusche“ gezeigt wird. Auf dem Markt sind Sanitärprodukte in verschiedenen Preissegmenten und Qualitäten erhältlich. Neben hochpreisigen reddot-prämierten Brauseköpfen wie HANSACLEAR lux werden günstigere Varianten entsprechend der Abbildung 77 etwa im E-Commerce über wissenschaft-shop.de vertrieben. Dieser Brausekopf ist mit LEDs bestückt, die über eine integrierte, mit Wasserdruck betriebene Turbine elektrifiziert werden. Eine produktspezifische Besonderheit ist die variierende Farbigkeit der Wasserillumination in Abhängigkeit zur Temperatur, die sichtbar gemacht wird. Die in Abbildung 79 dargestellte, flexible

517 | Vgl. PennWell Corporation: LED headlights available on another Audi model, abrufbar unter http://img.ledsmagazine.com/objects/news/7/1/2/AudiA8_1.jpg, (Stand 04.01.2010) (letzter Zugriff 19.10.2010). 518 | Vgl. Medienservice Konradin GmbH: Licht-Dusche, abrufbar unter http://www. wissenschaf t-shop.de/Themenwelten/Forschung-Technik/Licht-Dusche-Energie-aus-derTurbine-Bestseller.html?listtype=search&searchparam=led%20dusche, 18.10.2010).

(letzter

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Silikon-Tastatur verbindet eine robuste, feuchtraumresistente und flexible Struktur mit einer Hinterleuchtung des Tastenfeldes.

Abbildung 78 „Waschtisch“ und Abbildung 79 „Silikon-Tastatur“ | Die Abbildung 78 zeigt den transluzenten, illuminierten Waschtisch „Neorest“ 519 aus „LUMINIST-Material“. 520 | Die Abbildung 79 zeigt eine von innen illuminierte, flexible Silikontastatur. 521

Der Waschtisch (Abbildung 78) der Fa. TOTO aus der Serie Neorest wird aus transluzentem Epoxydharz gefertigt, das speziell für den Einsatz im Sanitärberereich entwickelt wurde. Das Material trägt den Namen Luminist. Die integrierte Lichttechnik wandelt das Produkt zusätzlich in eine Stimmungsbeleuchtung mit regelbarer Luminanz, sodass vom Sanitärobjekt eine auratische Inszenierung des Raumes ausgehen kann, ganz im Trend einer gesellschaftlichen Wellness-Orientiertheit. Beide zuletzt beschriebenen Konzeptionen verknüpfen ungewöhnliche Materialien mit einer stimmungserzeugenden Beleuchtungsfunktion.

10.3 Zwischenfazit Die vorliegenden Interpretationen der konstruierten Blickmuster und referenzierten Vergegenständlichungen ermöglichen es, eine qualitative Erkenntnismethodik für die Designtheorie zu konturieren. Die betrachteten Sichtbarkeitskategorien sind nicht zwingend, beispielsweise kann das

519 | Vgl. TOTO Europe GmbH: NEOREST Series/LE, http://de.toto.com/produkte/produkt liste/Product/indexBySeries/series/NEOREST_SeriesLE/, (letzter Zugriff 21.10.2010). 520 | Vgl. TOTO Europe GmbH: NEOREST Series/LE Waschtisch, http://de.toto.com/produ kte/detailansicht/Product/show/Neorest_LE_Waschtisch 1/, (letzter Zugriff 21.10.2010). 521 | Vgl. Brando Workshop: Flexible Illuminated Full Sized Keyboard, http://usb.brando. com/ prod_detail.php?prod_id=00355, (letzter Zugriff 21.10.2010).

Luminanzen – Konditionierung einer Neosensorik

der Sichtbarkeitsfigur der Luminanz zugeordnete Gestaltungskonzept des illuminierten Waschtisches Neorest aus dem Material Luminist auch im Sinne eines Mashup-Konzepts begriffen werden. Die farbig scheinenden Wasserstrahlen der Dusche könnten auch durch bildspezifische Filteroperationen motiviert worden sein usw. Für das Erkenntnisinteresse sind Überschneidungen der Sichtbarkeitstypen nebensächlich. Stattdessen wird die Vermittelbarkeit von Sinnlichkeit bedeutsam. Die vorliegende Sichtbarkeitsfigur der Luminanz etwa wird als Ersatzvisualität einer haptischen Sensorik gedeutet. Sie soll als Beispiel für die Auffassung dienen, dass eine sinnliche Erfahrung, ein Gefühl, durch eine Gestaltung kommunizierbar ist. Der Waschtisch wandelt einen Sanitärraum in einen sinnlich beleuchteten Ort „[…] und lässt […] atmosphärisch wirkungsvolle Stimmungen entstehen“522. Ein Auto „zwinker[t]“523 und verschafft dem sicherheitsrelevanten Vorhaben des Fahrers, der einen Richtungswechsel plant, eine verstärkte Aufmerksamkeit. Durch den Luminanzwechsel findet neben der gewohnten Anwendung eines Blinksignals eine weitere Relevanzzuweisung statt, die beim Online-Banking kultiviert worden ist. Die Dusche kommuniziert die Wassertemperatur durch Farbinformationen und eine Tastatur kann leuchtend zur Texteingabe auffordern. Luminanz als Produktmerkmal kann Kommunikation ermöglichen, indem sinnliches Erleben, wahrnehmungslenkende Relevanzstrukturen, Informationsvisualisierungen und motivierende Aufforderungen vermittelt werden.

522 | TOTO Europe GmbH: Sanftes Licht, in: DBZ (Deutsche Bauzeitschrift) online, Ausgabe 12/2010, Gütersloh, 2010, abrufbar unter http://www.dbz.de/artikel/dbz_Sanftes_ Licht_1037701.html, (Stand Dezember 2010) (letzter Zugriff 20.12.2010). 523 | „Seine LED-Scheinwerfer für Abblendlicht, Fernlicht, Tagfahrlicht und Blinklicht, als erster Autohersteller der Welt aus Leuchtdioden bestehend, zwinkern [Herv. d. Verf.] Porsche, Ferrari, Lamborghini Gallardo oder Aston Martin zu, als würde er sagen: kommt, ich nehme den Wettbewerb an. Wir jedenfalls waren begeistert von seiner Fahrleistung, Verbrauch und Ausstattung“, in: Ralf Rachpfahl: R8 Spyder 5.2 FSI quattro – ein Fahrbericht, Rotierende Seiten (Weblog), Berlin, 2010, abrufbar unter http://www.rotierende-seiten.de/2010/07/ audi_r8-spyder_ein-fahrbericht/, (Stand Juli 2010) (letzter Zugriff 20.12.2010).

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11. Fazit und Ausblick 11.1 Fazit Zu Beginn der vorliegenden Arbeit wurde auf Siegfried J. Schmidt rekurriert, der das Verständnis einer Designwissenschaft als einer besonderen Form der Kommunikationstheorie erst dann für gerechtfertigt hält, wenn „Dingmaterialität und das an ihr […] Beobachtbare kognitiv zur Sinnproduktion genutzt und […] wieder […] in Kommunikation investiert werden […]“524 kann. Die Beobachtungen und Interpretationen in der vorliegenden Arbeit bekräftigen, dass die Designwissenschaft (unbedingt) ein kommunikationstheoretisches Repertoire zur Aufrechterhaltung ihrer Artikulationsfähigkeit benötigt. Die dingliche Sinnproduktion als Kommunikationsform zu akzeptieren, setzt ein besonderes Begriffsverständnis von Kommunikation voraus. Im Wesentlichen wird Kommunikation in den kontingenten Relevanzstrukturen der Netzkommunikation verortet. Dazu wird ein breites Spektrum visueller Artikulationsweisen aufgezeigt, die zum Entstehungszeitpunkt dieser Untersuchung die Netzkommunikation geprägt haben. Die Beobachtung der von Anwendern eigenständig generierten, visuellen Ausdrucksgestalten, die kontinuierlich Veränderungen unterliegen, bietet für eine heutige Designpraxis die Möglichkeit, ästhetische Tendenzen zu lokalisieren und ggf. zu antizipieren. Von diesem Standpunkt aus kann die Netzkommunikation als eine sich fortwährend erneuernde Inspirationsquelle entdeckt werden, die Anregungen zur Ausbildung einer individuellen Produktsprache liefert.

524 | Vgl. Siegfried J. Schmidt: Sprache oder die Vereinbarkeit des Unvereinbaren, in: Cordula Meier (Hrsg): Design-Theorie. Beiträge zu einer Disziplin. Frankfurt am Main: Anabas, 2. Auflage 2003, S. 50.

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Ästhetische Impulse der Netzkommunikation

Auf Grundlage eines „offen[en] Kodieren[s]“525 – im Sinne eines „informierte[n] Raten[s] [...] [bzw.] [...] abduktiven Folgerns“526 – sind Sichtbarkeitsphänomene beschrieben und als Blickmuster ausgewiesen worden. Im weiteren Verlauf der Untersuchung sind hinsichtlich des Forschungsinteresses besonders geeignete Sichtbarkeitseffekte erörtert und protokolliert worden, die sich bei der Nutzung verschiedener Webservices ereignet haben. Schließlich wurden diese „selektiv kodiert […]“527, indem sie ausgewählten, plausibel referenzierbaren Sichtbarkeiten realer Gegenstände gegenübergestellt worden sind. Dabei wurden die visuellen Parallelen möglichst nachvollziehbar inszeniert. Diese Vorgehensweise hat durchgängig anspruchsvolle Produktkonzeptionen hervortreten lassen. Darüber hinaus haben sich für alle Sichtbarkeitskategorien entsprechend signifikant gestaltete Objekte lokalisieren lassen, die durch eine intelligente Anwendung der Blickmuster als Beispiele für weitsichtige Gestaltungskonzeptionen gelten können. Pixelierung macht ein Umweltbundesamt in Dessau (Abb. 19) zur prägnanten Bebauung, die durch die Farbpunkte ihrer Fassadenflächen auf die Umgebungsfarben reagieren kann. Das großvolumige, langgestreckte Gebäude flankiert beispielsweise Grünflächen, die in dem Farbspektrum der angrenzenden Fassadenbereiche zitiert werden und Harmoniewillen kommunizieren. Durch die Unregelmäßigkeit einer Pixelierung ist im Übertrag auf die Fassadengestaltung eine unorthodoxe Platzierung von Fenstern und massiven Fassadenanteilen möglich, die eine freie, nutzergerechte Grundrissgestaltung in der Planungsphase ermöglicht haben, ohne dass willkürlich anmutende Fensteraufteilungen eine gestalterische Inkompetenz attestieren. Bei einer langfristig zu erwartenden Nutzungs-

525 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse als Beitrag zu einer wissensanalytischen Profilierung der Diskursforschung [46 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(2), Art. 19, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0702198, (Absatz 36), (Stand 2007) (letzter Zugriff 30.09.2009). 526 | Vgl. Jo Reichertz: Gültige Entdeckung des Neuen. Zur Bedeutung der Abduktion in der qualitativen Sozialforschung, in: Österreichische Zeitung für Soziologie (OZS), 24. Jahrgang, Nr. 48, 4/1999. S.57 auch online abrufbar unter http://www.ssoar.info/ssoar/ files/2008/556/gueltigeentdeckung.pdf, (letzter Zugriff 21.2010). 527 | Vgl. Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. (Absatz 36).

Fazit und Ausblick

änderung des Gebäudes verhält sich das verwendete Blickmuster zudem neutral, da die Symbolik der Sichtbarkeitsfigur frei von definierten Inhalten ist, die spezifische Nutzungen ausschließen würden. Etikettierung lässt typografische Gestaltung zum Ereignis werden, aktuelle Gestaltungskonzepte machen Leitsysteme zum perspektivischen Erlebnis, da erst bei Erreichen der korrekten Betrachterposition eine Lesbarkeit dieser entsteht (siehe Abb. 22 und 23). Diese ästhetische Distanzierung von Farbmaterialität und Sinnorientiertheit vermittelt eine räumliche, kognitive Erfahrung. Die Anwendung einer im Netz diskursivierten Sichtbarkeit zur Kommunikation einer subjektbezogenen, realweltlichen Räumlichkeitsempfindung macht einen eher unscheinbaren Tiefgaragen-Ort zum Erlebnisraum. Andererseits können funktionale, reizarm gestaltete Umgebungen – etwa ein klar gestalteter Aufzugskern am Ende linear verlaufender Flure – durch einen Transfer des Blickmusters prägnante Merkmale erhalten, die einem bewusst gewählten, „kulturellen Kontext [...] entstammen“528 und den Ort symbolisch aufladen. Rahmung wurde als Designdetail im Fugenverlauf eines Fahrzeugs entdeckt. Der in einer Pressemitteilung konstatierte Wertigkeitsgewinn529 der Fahrzeugmarke scheint durch die Negation funktionalistischer Aspekte begründet zu sein. Hier kommuniziert eine gestalterische Geste, dass der Hersteller für die entstandene „eigenständige [...]“530 Designkonzeption Nachteile im „Nutzwert“531 akzeptiert. Die großvolumige, integrativ modellierte Heckpartie lässt sich deutlich als skulpturale, dreidimensionale Form erkennen, die einen kontrastreichen Hintergrund für das applizierte, formale Element der Rahmung bietet. Entsprechend kräftig tritt der markante Fugenverlauf als ästhetisches Detail hervor. Ergonomische Defizite werden dabei zugunsten einer absichtsvoll gewählten Symbolik in Kauf genommen. Beispielsweise erschwert die durch das Design be-

528 | Bernhard E. Bürdek: Design. Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung. (3.Auflage), Basel [u.a.]: Birkhäuser, 2005, S. 231. 529 | Vgl. Jürgen Wolff: Opel Insignia Sports Tourer: Große Klappe, STERN.DE, http://www. stern.de/auto/fahrberichte/opel-insignia-spor ts-tourer-grosse-klappe-1505350.html, (Stand 07.11.2009) (letzter Zugriff 15.10.2010). 530 | Jürgen Wolff: Opel Insignia Sports Tourer: Große Klappe. 531 | Jürgen Wolff: Opel Insignia Sports Tourer: Große Klappe.

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dingte, weite Ausladung des Stoßfängers eine komfortable Beladung. Dass diese strategische Designhaltung Erfolge liefert, „zeigen die explodieren Verkaufszahlen“532. Freistellung als Inspiration für bauliche Ergänzungen im Bestand oder zur Isolation eines Mahnmales zu verwenden, fokussiert Aufmerksamkeit durch ein Ausblenden der Umgebungen. Die Lenkung der Wahrnehmung übermittelt nur die relevanten Bereiche und fordert dafür Aufmerksamkeit. Filterung transferiert bildspezifische Eigenschaften auf die Objektgestalt. In der Netzkommunikation werden die Möglichkeiten der Bildbearbeitung zur allgemeinen Verwendung bereitgestellt. Eine gestalterische Verwendung von Filteroperationen der visuellen Artikulationen ohne deutungsspezifische Absichten positioniert Dekorationen in das Umfeld eines modernen Designverständnisses, das auch einen Look im Sinne einer symbolischen Funktion533 kommunizieren kann. Das Gestaltungsbeispiel U-Bahnhof Candidplatz zeigt den designrelevanten Einsatz einer Sichtbarkeit, die sich Mitte der 1990er Jahre im Rahmen der Thermografie zur visuellen Artikulation von Wärmeverlusten entwickelt hatte. Die sinnliche Visualisierung der Wärme rekurriert auf das Artikulationsmittel selbst und vermittelt eine ästhetische Distanzierung nach Bourdieu, die im Rückschluss den kundigen Rezipienten auszeichnet, der sich als Subjekt mit inkorporierter Kompetenz positioniert. Mashups vereinen bestehende Ausdrucksgestalten zu einem neuen Artefakt. Sie rekombinieren Vorhandenes zu einem anderen Produkt und vermitteln kombinatorische, detektivische Kompetenzen, sowohl bei den Gestaltern als auch bei den Konsumenten. Transparenzen verdichten Informationen durch multiple Überlagerungen. Die Sichtbarkeitsfigur wird besonders bei display-ausgestatteten Produkten zur simultanen Visualisierung unterschiedlicher Informationen – auch realer und virtueller – verwendet. Diese visuelle Artikulationsform

532 | Jürgen Wolff: Opel Insignia Sports Tourer: Große Klappe. 533 | Die Begrifflichkeit Look und symbolische Funktion wird hier in Anlehnung an den Offenbacher Ansatz von Jochen Gros verwendet und im Folgenden noch thematisiert.

Fazit und Ausblick

konnotiert panoptische Effekte und prägt möglicherweise gestalterische Konzepte, die absichtlich ein Gefühl der Überwachung zur Sichtbarmachung von Sicherheit entstehen lässt. Luminanzen lassen als sensorisches Surrogat sinnliche Eindrücke entstehen. Die Luminanzeffekte kommunizieren als visuelle Ersatz-Artikulationen – ähnlich der „Beschreibungsleistung“534 einer Textur – beispielsweise die im Netz nicht vermittelbaren, taktilen Reize. Diese Neosensorik lässt sich unterstützend in die Gestaltung einpflegen und potenziert die Wirkung wahrnehmungslenkender Designmerkmale. In der hier erfolgten Zusammenfassung der kommunikationstheoretisch wirksamen Sichtbarkeitsfiguren wird deutlich, dass sie zwar als Orientierungsgrößen auftreten, aber inhaltlich kontingent bleiben. Alle Sichtbarkeitsfiguren sind im Design als rezeptionslenkende, „kognitive Behausungen“535 verwendbar, die Relevanz vermitteln, ohne ausschließlich zur Kommunikation eines spezifischen Bedeutungsinhaltes bestimmt zu sein. Peter Friedrich Stephan assoziiert diesen Begriff im Rahmen des „Cognitive Design“ mit „[h]ybriden Lebenswelten“, die es als „mediale Umgebungen [zu] bewohnen“536 gilt. Stephan spricht von einer „[…] embedded

534 | Vgl. Jörg Huber, Martin Heller, Hans Ulrich Reck (Hrsg.): Imitationen - Nachahmung und Modell: Von der Lust am Falschen, Ausstellungskatalog des Museums für Gestaltung Zürich, Basel und Frankfurt am Main: Stroemfeld/Roter Stern, 1989, S. 292. 535 | „Zunehmend informationell geprägte Umwelten können […] metaphorisch als kognitive Behausungen (WINKELS 1999:67) bezeichnet werden. Sie sollen dem ursprünglichen Bedürfnis nach Geborgenheit und Orientierung, Selbstbestimmung und Sozialität entsprechen und bilden den Hintergrund und die Voraussetzung kognitiver Prozesse“, in: Peter Friedrich Stephan: Cognitive Design – Eine Perspektive der Designforschung, in: Swiss Design Network (Hrsg.): Forschungslandschaften im Umfeld des Designs, Publikation zum 2. Symposium Designforschung an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich: Verlag der HGKZ, 2005, S. 107-125. Stephan zitiert „kognitive Behausungen“ nach Hubert Winkels: Leselust und Bildermacht. Über Literatur, Fernsehen und Neue Medien, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999, S. 67. 536 | Vgl. Peter Friedrich Stephan: Cognitive Design – Eine Perspektive der Designforschung, in: Swiss Design Network (Hrsg.): Forschungslandschaften im Umfeld des Designs, Publikation zum 2. Symposium Designforschung an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich: Verlag der HGKZ, 2005, S. 107-125.

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cognition [als] Zeichen am Ort [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.], die die Welt als bewohnte Bedeutung ausmachen“537 und bezieht sich dabei auf die nicht mehr wahrnehmbare Schnittstelle des in die Welt integrierten, „allgegenwärtigen Computing[s]“538. Für Stephan hat im Zusammenhang mit dem „[…]‚Phänomen der Digitalität‘ […] [eine] ‚visuell-räumliche Orientierung‘ […] [den] ‚kognitiven Erkenntnissen‘ [zu entsprechen]“539. Die in vorliegender Arbeit exemplarisch typisierten Sichtbarkeitsfiguren werden als Artikulationsmöglichkeiten vorgestellt, die diesen Charakter besitzen. Sie können als Designmerkmal ein Produkt semantisch bespielen und dadurch in einen kognitiven Bezug zur Netzkommunikation setzen. Als Blickmuster markieren sie Relevanz und bieten Orientierung, ohne sich einer konkreten und gegebenenfalls „‚falschen‘ Symbolik“540zu bedienen. Hier gibt es Parallelen zu dem von Jochen Gros theoretisierten,

537 | Peter Friedrich Stephan: Wissensdesign – Gestalterische Aspekte künftiger Wissens(un) ordnungen, in: Ulrike Lucke et al. (Hrsg.): Workshop Proceedings der Tagungen Mensch & Computer 2008, DeLFI 2008 und Cognitive Design 2008, Berlin: Logos, S. 452-456. 538 | Peter Friedrich Stephan: Wissensdesign – Gestalterische Aspekte künftiger Wissens(un)ordnungen. 539 | „Architektur- und Raumfragen sind für den Entwurf und die Gestaltung von digitalen Medien von zentraler Bedeutung. Zum einen wird damit kognitiven Erkenntnissen entsprochen, die von einer engen Kopplung von Gedanken- und Gedächtnisleistungen mit der visuell-räumlichen Orientierung ausgehen (visual-spatial reasoning). Zum anderen wird der ordnende Aspekt von strukturierten Umgebungen betont, der die Dynamik so- zialer und technischer Prozesse formatiert“, in: Peter Friedrich Stephan: Wissensdesign – Gestalterische Aspekte künftiger Wissens(un)ordnungen. 540 | „Produkte mit der ‚falschen‘ Symbolik können ebenso unverkäuflich sein wie solche, die praktisch nicht funktionieren. Design, das über einen gewissen Toleranzbereich hinaus semantisch von einem sozialen, geistigen oder subkulturellen Korridor abweicht, ist genauso out, als ob es technisch unbrauchbar wäre“, in: Jochen Gros: Symbolische Funktionen der Produktsprache, in: Dagmar Steffen (Mit Beiträgen von Bernhard E. Bürdek, Volker Fischer und Jochen Gros): Design als Produktsprache. Der „Offenbacher Ansatz“ in Theorie und Praxis, Frankfurt am Main: Verlag form GmbH, 2000, S.87.

Fazit und Ausblick

„erweiterte[n] Funktionalismus“541. Seine Funktionalismuskritik542 hat sinnliche Funktionen543 zum disziplinären Schwerpunkt einer Designpraxis werden lassen. Gros differenziert die formalästhetische Funktion ohne Bedeutungsinhalt, welche die formalen Strukturen fokussiert, des Weiteren die Anzeichenfunktion, welche ein Handhaben bzw. Gebrauchen der Produkte ermöglicht, sowie die Symbolfunktion, die das Produkt mit Bedeutungen konnotiert und zum Zeichen stilisiert. Gros präsentiert in der FORM-Ausgabe 75 studentische Entwürfe aus dem Wintersemester 1974/75, die einen „ ‚Military-‘ und ‚Profi-Look‘ “544 thematisieren und sich zur Erläuterung einer produktsprachlichen Symbolfunktion eignen. Dabei fällt eine Armbanduhr auf, die als Beispiel für den sogenannten Profi-Look herangezogen wird. Ihr „Schutzbügel, unverdeckte Schrauben, matte

541 | „Unter dem Thema ‚Dialektik der Gestaltung‘ veröffentlichte Jochen Gros (1971) einige Thesen, die eine Umorientierung von dem traditionellen Prinzip der Gestaltreinheit (Funktionalismus) zur Gestalthöhe (erweiterter Funktionalismus) zum Ziel hatten. Insbesondere die Einbeziehung psychologischer Aspekte in den Gestaltungsbegriff führte zu einer erweiterten Betrachtungsweise von Design“, in: Bernhard E. Bürdek: Design. Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung, (3. Auflage), Basel [u.a.]: Birkhäuser, 2005, S. 276. 542 | „Seine 1973 entstandene Diplomarbeit mit dem Titel ‚Erweiterter Funktionalismus und Empirische Ästhetik‘ bildete kurz darauf die primäre Grundlage der theoretischen Auseinandersetzung, die unter dem Namen ‚Offenbacher Ansatz‘ bekannt wurde“, in: PetraKellner: Produktsprache. Eine kritische Reflexion des Offenbacher Ansatzes, http://www.hfg-offenbach.de/w3.php?nodeId=2826&pVId=346057, (letzter Zugriff 29.10.2010). 543 | Vgl. Jochen Gros: Sinn-liche Funktionen im Design. Zur Gegenstandsbestimmung einer designspezifischen Theorie, in: FORM, Zeitschrift für Gestaltung, Ausgabe 75, Seeheim, 1976, S. 12-16. und vgl. Jochen Gros: Sinn-liche Funktionen im Design. Entwurfsbeispiele zu theoretischen Begriffen und Hypothesen, in: FORM, Zeitschrift für Gestaltung, Ausgabe 74, Seeheim, 1976, S. 6-9. 544 | „Produkte mit der ‚falschen‘ Symbolik können ebenso unverkäuflich sein wie solche, die praktisch nicht funktionieren. Design, das über einen gewissen Toleranzbereich hinaus semantisch von einem sozialen, geistigen oder subkulturellen Korridor abweicht, ist genauso out, als ob es technisch unbrauchbar wäre“, in: Jochen Gros: Symbolische Funktionen der Produktsprache, in: Dagmar Steffen (Mit Beiträgen von Bernhard E. Bürdek, Volker Fischer und Jochen Gros): Design als Produktsprache. Der „Offenbacher Ansatz“ in Theorie und Praxis, Frankfurt am Main: Verlag form GmbH, 2000, S. 87.

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Oberfläche und grobe[r] Gurt“545 erinnern an die erfolgreiche G-Shock546 von Casio, die seit 1992 – fast zwei Jahrzehnte später – als variantenreiche Produktreihe erfolgreich vermarktet wird. In einer Bedeutungsanalyse erläutert Gros am Beispiel des Military-Looks, wie die Produktsprache Gegenstände in einen „Gebrauchskontext“547 stellt, der auf sie zurückwirkt: „Wir assoziieren mit dem Military-Look einmal Geräte, die nicht durch ein bißchen Staub oder Schmutz völlig entwertet werden, zum anderen entsprechen den härteren Gebrauchsbedingungen Gestaltungsmerkmale, die Assoziationen auslösen, wie >stoßfestgeschützte Bedienteileda kann man überall anfassen