Städtebau und Legitimation: Debatten um das unbebaute historische Warschauer Zentrum, 1945–1989 9783110644975, 9783110640823

“No urban development” was an expression of the struggle for legitimation of the communist rulers of the People’s Republ

214 37 24MB

German Pages 405 [406] Year 2019

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Tabula Rasa oder Tradition? Trauer, Chancen und Machtkämpfe (1945 bis 1949)
3. Radikale Pläne ohne Programm: Die Stalinisierung des städtischen Raums (1949 bis 1956)
4. Modernisierung und Erinnerung in Zeiten des „fortschrittlichen Nationalismus“ (1956 bis 1970)
5. Prestigeprojekte und Opposition im historischen Zentrum (1970 bis 1989)
6. Schlussbemerkung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungs- und Kartenverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personenregister
Ortsregister
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Städtebau und Legitimation: Debatten um das unbebaute historische Warschauer Zentrum, 1945–1989
 9783110644975, 9783110640823

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Jana Fuchs Städtebau und Legitimation

Europas Osten im 20. Jahrhundert Eastern Europe in the Twentieth Century Schriften des Imre Kertész Kollegs Jena Publications of the Imre Kertész Kolleg Jena Herausgegeben von/Edited by Włodzimierz Borodziej Joachim von Puttkamer Michal Kopeček

Band/Volume 9

Jana Fuchs

Städtebau und Legitimation Debatten um das unbebaute historische Warschauer Zentrum, 1945–1989

The Imre Kertész Kolleg Jena “Eastern Europe in the Twentieth Century. Comparative Historical Experience” at Friedrich Schiller University in Jena is an institute for the advanced study of the history of Eastern Europe in the twentieth century. The Kolleg was founded in October 2010 as the ninth Käte Hamburger Kolleg of the German Federal Ministry for Education and Research (BMBF). The directors of the Kolleg are Dr Michal Kopeček and Professor Dr Joachim von Puttkamer.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.

ISBN 978-3-11-064082-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-064497-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-064101-1 Library of Congress Control Number: 2019946364 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Dieses Buch ist eine überarbeitete Fassung der am Imre Kertész Kolleg Jena verfassten und beim Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena eingereichten Dissertation, die ich im März 2018 verteidigt habe. Begonnen habe ich die Arbeit an diesem Buch im Prinzip bei der ersten Umrundung des Kulturpalasts vor mehr als zehn Jahren, am Anfang meines Studienaufenthalts an der Warschauer Universität. Ich erinnere mich noch genau an meine Überraschung, wie viele Institutionen der Palast beherbergte, wie lange die Umrundung dauerte. Und wie seltsam die Umgebung dieses Palasts war, wie unwirtlich. Meine Faszination für diese eigentümliche und schwer fassliche Stadt war geweckt – und bald auch meine Forschungs-Neugier. Denn einerseits kann man Warschau wie kaum einer anderen Stadt ihre bewegte und dramatische Geschichte so unmittelbar ansehen. Doch andererseits entdeckte ich sehr viel Unerzähltes und Unklares. Wie haben die Menschen nach dieser Katastrophe des Zweiten Weltkriegs weitergelebt? Wer entschied wie, was auf den Schuttwüsten gebaut werden sollte? Und wie kommt es, dass auf dem Grundriss der im Zweiten Weltkrieg gesprengten Großen Synagoge heute fast deckungsgleich ein Hochhaus steht? Diese Fragen führten mich zu meiner Magisterarbeit über die Nachkriegsgeschichte dieses Grundstücks. Darin entdeckte ich, wie lohnend es sein kann, freie Flächen und nichtrealisierte Bauwerke zu untersuchen. Im Rahmen der Doktorarbeit entdeckte ich weitere Freiflächen von überraschender Beständigkeit in unmittelbarer Nähe: auf dem Plac Teatralny und dem Plac Piłsudskiego (ab 1946 Plac Zwycięstwa). Und auch im Falle dieser zwei Plätze gilt: Solange etwas nicht bebaut ist, halten die Diskussionen an. Diese Debatten über Städtebau, aber auch die dahinterliegenden Fragen nach Legitimation, Repräsentation nationaler Traditionen sowie der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Stadt bilden den Kern dieser Arbeit. Auf meiner langen intellektuellen und tatsächlichen Reise nach und durch Warschau haben mich sehr viele Menschen begleitet, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Zu allererst möchte ich den Direktoren des Imre Kertész Kollegs der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Prof. Joachim von Puttkamer und Prof. Włodzimierz Borodziej für ihre sehr verlässliche und zugleich unkomplizierte Unterstützung herzlich danken: für das Vertrauen, das sie beide in meine Ideen gesteckt haben, und die kreative und erhellende Art und Weise, wie sie deren Weiterentwicklung gefördert haben. Für die Aufnahme in die Schriftenreihe des Imre Kertész Kollegs danke ich ihnen, dem neuen Direktor des Kollegs, Dr. Michal Kopeček, sowie Dr. Raphael Utz sehr, genauso wie für die großzügige Unterstützung des Vorhabens, das Buch mit möglichst vielen Abbildungen zu versehen. Von unschätzbarem Wert waren auch die Gespräche mit meiner Zweitgutachterin https://doi.org/10.1515/9783110644975-201

VI

Vorwort

Prof. Michaela Marek. Ihr tiefes Verständnis und ihre ehrliche Begeisterung für meinen Ansatz haben mich und die Arbeit inspiriert und vorangebracht. Tief bestürzt war ich über ihren plötzlichen Tod nach kurzer schwerer Krankheit. Ihr Geist und ihr Rat fehlten mir bei der Vorbereitung dieses Manuskripts sehr. Als nächstes möchte ich meinen KollegInnen am Imre Kertész Kolleg danken. Die vielen Gespräche in Kolloquien und auf Konferenzen, auf Sommerschulen und in der Kaffeeküche haben mich auf unentbehrliche Weise inspiriert und weitergebracht. Danke, liebe DoktorandenkollegInnen Dr. Martin Müller-Butz, Dr. Immo Rebitschek, Dr. Ulrike Schult, Katharina Schwinde, Dorothea Warneck, Philipp Weigel und Christian Werkmeister sowie Weronika Czyżewska, Dr. Karolina ĆwiekRogalska, Dr. Dominika Michalak, Adam Puchejda und Dr. Jakub Zarzycki für viele intensive Stunden gemeinsamen Entdeckens, Denkens und Diskutierens. Łukaszu, danke für die vielen Fragen und Antworten, Ideen und Herausforderungen. Ich danke auch meinen KollegInnen Dr. Jochen Böhler, Dr. Juliane Tomann, Dr. Stanislav Holubec und Prof. Ferenc Laczó sowie den vielen Fellows des Kollegs aus aller Welt, die mir ihre Zeit geschenkt und ihre einzigartigen Perspektiven eingebracht haben. Und Prof. Holly Case für die fulminante (und musikalische) Sommerschule in der slowakischen Hitze! An Dr. Raphael Utz und Katharina Schwinde geht ein besonderes Dankeschön dafür, dass wir gemeinsam mit zahlreichen Partnern die Tagung „Denkmalschutz im Staatssozialismus“ auf Schloss Weesenstein auf die Beine gestellt haben. Danke auch für die Möglichkeit, meine Thesen vor internationalem Publikum auf zahlreichen Konferenzen präsentieren zu können, und die Unterstützung von Daniela Gruber und Diana Joseph dabei (und bei vielem mehr). Während meiner Forschungsmonate vor Ort war das Deutsche Historische Institut Warschau (DHI) von großer Bedeutung, das mich nicht nur großzügig unterstützt, sondern jedes Mal willkommen geheißen hat. Auch das Kolloquium und die Diskussionen mit den MitarbeiterInnen gaben mir wichtige Anstöße. In Warschau haben mir darüber hinaus sehr viele Menschen geholfen. Eine unersetzliche und unermüdliche Unterstützung war Joanna Jaszek Bielecka mit ihrem Team aus der warschaukundlichen Abteilung (Dział Varsavianów) der Warschauer Stadtbibliothek (Biblioteka Publiczna m.st. Warszawy). Dziękuję! Auch Bożena Drygas aus der Bibliothek des Polnischen Architektenverbands (Stowarzyszenie Architektów Rzeczypospolitej Polski, SARP) und die Mitarbeiterinnen des Archivs der Stadtverwaltung (Wydział Archiwum Biura Organizacji Urzędu m.st. Warszawy) haben mir sehr unkompliziert und umfangreich geholfen. Dr. Piotr Jamski hat mir mehr als eine Tür geöffnet, und Dr. Jarosław Trybuś und Dr. Andrzej Skalimowski haben mir viele wertvolle Ideen und Tipps gegeben. Hania Nowicka war mir ein Fels in der Warschauer Brandung – danke.

Vorwort

VII

Auch konnte ich in vielen Universtitäts-Kolloquien meine Thesen schärfen und zur Diskussion stellen. Dafür danke ich Prof. Jörg Ganzenmüller und Dr. Franziska Schedewie in Jena, Prof. Wolfgang Höpken in Leipzig, Prof. Susanne Schattenberg in Bremen, Prof. Yvonne Kleinmann in Halle und Prof. Borodziej, Prof. Jerzy Kochanowski und Dr. Błażej Brzostek in Warschau. Letzteren möchte ich zusätzlich sehr herzlich danken, denn ihre Orts- und Quellenkenntnis sowie ihr scharfer Geist haben mir häufig im besten Sinne zu denken gegeben. Weiteren GesprächspartnerInnen, die ich im Rahmen von Konferenzen und darüber hinaus kennenlernte, möchte ich für Ihre Offenheit und den fruchtbaren Gedankenaustausch danken: Dr. Gruia Badescu, Matthias Barelkowski, Prof. Arnold Bartetzky, Dr. Axel Doßmann, Dr. Maciej Górny, Prof. Małgorzata Mazurek, Dr. Małgorzata Popiołek-Roßkamp, Prof. Andryi Portnov, Prof. Max Welch-Guerra, Jan Wenzel und nicht zuletzt meinem während des Studienjahres in Warschau gewonnenen Freund Dr. Markus Nesselrodt. Bei der Vorbereitung dieses Manuskripts war mir Nancy Grochol eine inspirierende Lektorin von Schlüsselstellen dieses Texts, und Dr. Elise Wintz und Lukas Lehmann von De Gruyter Oldenbourg zuverlässige AnsprechpartnerInnen. Doch ohne die geduldige und liebevolle Unterstützung meiner lieben FreundInnen und meiner wundervollen Familie in nah und fern wäre dieses Buch nicht entstanden. Und Mate, niemand war so dabei wie Du. Danke für alles.

Inhaltsverzeichnis Vorwort 1

2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.4 2.5

3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3

V

Einleitung 1 Forschungsstand und Quellen 17 Übersetzungsbedingte Besonderheiten und Sprachgebrauch Tabula Rasa oder Tradition? Trauer, Chancen und Machtkämpfe (1945 bis 1949) 33 Die ermordete Stadt: Warschau 1945 in den Augen der Überlebenden 33 Inwiefern ein Neuanfang? Das Dilemma der Verantwortlichen 43 Mehr als nur die Vorgeschichte: Städtebau vor 1945 46 Der Umgang mit dem dreifachen Bruch nach dem Krieg 57 Die ersten Schritte des neuen Regimes auf den historischen Plätzen 71 Städtebau im Zeichen des Militärs sowie alter und neuer Achsen 84 Zusammenfassung: Teilkontinuitäten im Angesicht der Brüche 97 Radikale Pläne ohne Programm: Die Stalinisierung des städtischen Raums (1949 bis 1956) 102 Ideologie und Vision 102 Im Schatten des Kulturpalasts: Der alte und der neue zentrale Platz 116 Das alte „Herz“ der Stadt: Der Plac Zwycięstwa 116 Der Palast der Kultur und Wissenschaft 120 Der neue zentrale Platz 124 Alt und neu konfrontiert am Plac Teatralny 132 Überholte Tradition? Das alte und das (geplante) neue Rathaus 133 Kontinuität auf den ersten Blick: Der Wiederaufbau des „Wirklich Großen Theaters“ 139 Abrisswillkür und Protest: Die kleine Kirche am Plac Teatralny 143

29

X

3.3.4 3.4

Inhaltsverzeichnis

Städtebauliche Komplikationen: Der Wettbewerb 1953 bis 1955 152 Zusammenfassung: Konzeptuelle Leerräume 164

Modernisierung und Erinnerung in Zeiten des „fortschrittlichen Nationalismus“ (1956 bis 1970) 172 4.1 Politischer Aufbruch am Kulturpalast? Leben in Warschau zehn Jahre nach dem Krieg 172 4.2 Pragmatischer Kompromiss: Moderner Wohnungsbau im Zentrum 183 4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation: Der Kampf um Geschichte auf den historischen Plätzen 196 4.3.1 Der Warschauer Aufstand und die Warschauer Nike am Plac Teatralny 196 4.3.2 Die Siegesachse am Plac Zwycięstwa und das Ringen um Legitimation 211 4.3.2.1 Denkmalstatus schützt nicht: Der Abriss des KronenbergPalais 213 4.3.2.2 Im Namen des Sieges: Traditionen der Partei und der Nation auf dem Plac Zwycięstwa 228 4.4 Zusammenfassung: Wohnen und Gedenken an den Sieg als neue Setzungen 252

4

5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3

6

Prestigeprojekte und Opposition im historischen Zentrum (1970 bis 1989) 261 Moderne Bauten und andere wirtschaftliche Erfolge auf Kredit 261 Vor und nach dem Kriegsrecht: Legitimationskrise im historischen Zentrum 273 Der Papstbesuch, das Kriegsrecht und eine Niederlage auf dem Siegesplatz 273 Widerwille und Starrsinn: Staatliche und öffentliche Aktivitäten nach dem Kriegsrecht 294 Zusammenfassung: Vom offiziellen zum öffentlichen Raum 309 Schlussbemerkung

315

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

336

Abbildungs- und Kartenverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis Personenregister Ortsregister

391

388

338 343

XI

1 Einleitung Architektur und Stadtplanung sind nicht nur ein Symbol oder ein Symptom politischer Verhältnisse. Sie sind vielmehr ein wichtiges Ausdrucksmittel staatlicher Politik.1 Orte erweisen sich „als der angemessenste Schauplatz und Bezugsrahmen, um sich eine Epoche in ihrer ganzen Komplexheit zu vergegenwärtigen“.2 Jede stadtplanerische Setzung, jedes öffentliche Bauwerk erfüllt einen funktionalen Zweck und gilt gleichzeitig als bauliche Manifestation des Strebens nach politischer Repräsentation und Legitimation. Auf diese Weise kann Städtebau Aufschluss geben über die Intentionen der Verantwortlichen, über ihren Regierungsstil und ihr Menschenbild.3 Das gilt besonders für Warschau, wo der Aufbau der fast komplett zerstörten Hauptstadt nach dem Zweiten Weltkrieg große praktische und legitimatorische Bedeutung hatte. Der Plac Teatralny und der Plac Zwycięstwa (heute Plac Piłsudskiego), die hier untersucht werden, sind ungewöhnliche Forschungsobjekte.4 Denn infolge der Kriegszerstörungen und Nachkriegsabrisse waren sie vor allem von unbebauten Freiflächen geprägt.5 Doch gerade das macht ihre Qualität für die

1 Wolfgang Sonne: Representing the State. Capital City Planning in the Early Twentieth Century. München 2003, S. 29. 2 Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. München 2003, S. 10. 3 Michael Minkenberg konstatiert ein Forschungsdesiderat: „Yet little can be found in the literature that addresses the question of how capitals perform, in particular how their design, planning, and architecture contribute to these functions [of a capital] and to what extent they embody a particular national meaning or the result of political struggles [. . .].“ Vgl. Michael Minkenberg: Introduction. Power and Architecture: The Construction of Capitals, the Politics of Space, and the Space of Politics, in: ders. (Hg.), Power and architecture. The construction of capitals and the politics of space. New York 2014, S. 1–30, hier S. 6. 4 Letzterer Platz hieß ab 1946 Plac Zwycięstwa (Siegesplatz) und wird in der Arbeit zumeist so bezeichnet. Er hieß bis 1929 Plac Saski (Sächsischer Platz), zwischen 1929 und 1939 Plac Piłsudskiego und von 1940 bis 1945 Adolf-Hitler-Platz. 1945 bekam der Platz erneut den Namen Plac Saski, bis er 1946 in Plac Zwycięstwa umbenannt wurde. Seit 1989 heißt er erneut Plac marszałka Józefa Piłsudskiego. Hier wird die Kurzform Plac Piłsudskiego verwendet. Der Plac Teatralny behielt die ganze Zeit seinen Namen, der Theaterplatz bedeutet. 5 Mit Freiflächen sind hier Brachflächen gemeint, unbebaute Grundstücke. Freiflächen bezeichnen also nicht im Bebauungsplan ausgewiesene Grünflächen, Sportplätze usw., die häufig ebenfalls mit diesem Wort bezeichnet werden. In der Arbeit wird trotz dieser Zweideutigkeit das Wort Freiflächen gewählt, da der Ausdruck Brachfläche einen ungeordneten Zustand impliziert. Die hier behandelten Grundstücke waren jedoch die meiste Zeit begradigt und aufgeräumt, aber eben unbebaut. Vgl. zum Begriff der Freiflächen Christoph Bernhardt: Städtische öffentliche Räume im 20. Jahrhundert im Spannungsfeld von Planung, Stadtgesellschaft und Politik, https://doi.org/10.1515/9783110644975-001

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1 Einleitung

Forschung aus. Denn in den Diskursen um die (Wieder-)Bebauung der Freiflächen an den Plätzen manifestierte sich das Ringen der kommunistischen Machthabenden um Legitimation. Hier traten die Bruchlinien zwischen revolutionärem Neuanfang, nationalen Traditionen und städtebaulicher Modernisierung besonders offensichtlich wie schwerwiegend zutage. Diese Arbeit argumentiert, dass die Verantwortlichen für diesen zentralen repräsentativen Raum keine überzeugenden Konzeptionen fanden, obwohl Städtebau gerade im fast komplett zerstörten Warschau entscheidend war und obwohl es sich um ein zentralistisch organisiertes Einparteiensystem handelte. Zudem, das ist ein zweiter Fokus der Arbeit, waren die Pläne bereits während ihrer Entstehungszeit in der Kritik. Diese wurde durchaus öffentlich geäußert. Mehr noch: Seit Ende der siebziger Jahre waren die Plätze selbst nicht nur Gegenstand, sondern auch Schauplatz dieser Verhandlungen um die Deutungsmacht von städtischem Raum im Speziellen und legitimatorisch relevanter Fragen im Allgemeinen. Das Besondere an den Freiflächen des Plac Teatralny und des Plac Zwycięstwa ist, dass sie nicht inhaltslos waren. Im Gegenteil repräsentierten sie Abwesenheit – der zerstörten repräsentativen historischen Gebäude sowie der ehemaligen Funktion und Nutzung der Plätze. Sie waren in repräsentativer wie lebenspraktischer Hinsicht die wichtigsten Plätze der Zwischenkriegszeit und spielten eine bedeutende Rolle in verschiedenen Phasen des Zweiten Weltkriegs. Infolge des politischen Bruchs nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie zu neuralgischen Orten. Hier, wo seit 1946 vor allem das Narrativ des Sieges über das nationalsozialistische Deutschland seine Repräsentation im städtischen Raum fand, klaffte für alle sichtbar über Jahrzehnte eine deutliche Lücke zwischen dem Gestaltungsanspruch des Regimes und seinem tatsächlichen Gestaltungvermögen. Die Arbeit zeigt, dass der Anspruch der Partei auf die Kontrolle über den öffentlichen Raum, welcher in ihrem Selbstverständnis gleichbedeutend mit offiziellem Raum6 war, ab einem gewissen Punkt kaum noch der Wirklichkeit entsprach. Stattdessen stützten die Plätze, die bisher staatlicher Repräsentation gedient hatten, spätestens ab 1979 die in: ders. (Hg.), Städtische öffentliche Räume. Planungen, Aneignungen, Aufstände 1945–2015/ Urban public spaces. Planning, appropriation, rebellions 1945–2015. Stuttgart 2016, S. 9–30, S. 11 und S. 24 f. 6 Zu der Terminologie vgl. Monica Rüthers: Öffentlicher Raum und gesellschaftliche Utopie. Stadtplanung, Kommunikation und Inszenierung von Macht in der Sowjetunion am Beispiel Moskaus zwischen 1917 und 1964, in: Gábor Tamás Rittersporn/Malte Rolf/Jan C. Behrends (Hg.), Sphären von Öffentlichkeit in Gesellschaften sowjetischen Typs. Zwischen parteistaatlicher Selbstinszenierung und kirchlichen Gegenwelten/Public spheres in Soviet-type societies. Between the great show of the party-state and religious counter-cultures. Frankfurt am Main 2003, S. 65–96, hier S. 75.

1 Einleitung

3

Botschaften der Opposition. Interessant ist zu fragen, inwiefern es sich um „konzeptuelle Leerräume“ handelte, auf denen sich „der ungelöste Konflikt zwischen den im Lauf der Geschichte wechselnden Ideologien“7 physisch manifestierte. Die PolitikerInnen der Polnischen Arbeiterpartei PPR (Polska Partia Robotnicza, ab 1948 Polnische Vereinigte Arbeiterpartei PZPR, Polska Zjednoczona Partia Robotnicza) standen im Kampf um die Vorherrschaft vor einer komplexen Herausforderung. Trotz erster Erfolge beim Aufbau des Landes und der eigenen Machtstabilisierung, die die KommunistInnen der PPR vor allem mithilfe der Präsenz sowjetischer Truppen und massiver, teilweise gewaltsamer Einschüchterung der politischen GegnerInnen erreichten, sahen sie sich einer extrem skeptischen Bevölkerung gegenüber. So standen sie vor einem Dilemma, das der Historiker Marcin Zaremba treffend aufgefächert hat und das den Ausgangspunkt der Arbeit bildet: Anscheinend standen die polnischen Kommunisten nämlich vor demselben Dilemma, das zu bewältigen bereits allen ihren revolutionären Vorläufern schwergefallen war. Gleich diesen standen ihnen zwei Wege offen. Den ersten gab die revolutionäre Gesinnung vor, die gebot, mit der vorrevolutionären vollständig zu brechen. Den zweiten wiesen dagegen die politischen Realitäten. Dazu gehörte vor allem das im Krieg noch weiter geschärfte Nationalbewusstsein der Polen. Darüber hinaus waren einige polnische Kommunisten der Überzeugung, dass der vollständige Bruch mit der Tradition eine revolutionäre Utopie und nur in der Theorie möglich sei.8

Die daraus hervorgehende grundsätzliche Unsicherheit für die um Legitimation ringenden KommunistInnen war also die Frage nach dem angemessenen Verhältnis von Neuanfang und Tradition: Welche Traditionen konnten in das eigene, revolutionäre Narrativ eingebunden werden? Und welche Art von Modernisierung, die immer auch einen Bruch mit den alten Gewohnheiten bedeutete, war vertretbar oder stärkte gar die politische Legitimation der neuen Machthabenden? Diese Fragen untersucht die Arbeit am Beispiel der Planungsgeschichten9 der beiden Plätze. Sie gelten nicht nur als Orte der politischen Inszenierung, sondern auch der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, um „Rückschlüsse über städtebauliche Haltungen, gesellschaftliche Kritik und den Umgang mit Geschichte“ während des gesamten Bestehens der Volksrepublik Polen zu ziehen.10 Denn am Städtebau lassen sich sowohl die

7 Philipp Oswalt: Berlin – Stadt ohne Form. Strategien einer anderen Architektur. München 2000, S. 59. 8 Marcin Zaremba: Im nationalen Gewande. Strategien kommunistischer Herrschaftslegitimation in Polen 1944–1980. Osnabrück 2011, S. 173 f. 9 Rüthers, Öffentlicher Raum, in: Rittersporn/Rolf/Behrends (Hg.), Sphären, S. 85. 10 Schlögel, Im Raume, S. 308.

4

1 Einleitung

Intentionen der Verantwortlichen als auch die gesellschaftlichen Reaktionen darauf ablesen: „[. . .] the meaning of a piece of art, especially an official building and its architecture, is multifaceted and [. . .] is also construed in the discourse on its meaning through a process of acculturation [. . .].“11 Um diese heute schwer zugänglichen Diskurse zu rekonstruieren, erwies sich vor allem der Nicht-Städtebau auf den beiden Plätzen, also die besonders zahlreichen, nicht realisierten Entwürfe für die vielen unbebauten Freiflächen, als aufschlussreich. Die dabei rekonstruierte Debatte zeigt eine rege Beteiligung, einen erstaunlichen Grad an Kritik und somit zahlreiche Kollisionen des offiziellen Narrativs mit öffentlichen Stellungnahmen und Handlungen anderer AkteurInnen. Der Plac Zwycięstwa und der Plac Teatralny lagen im Dazwischen. Nördlich der Plätze liegt die wiederaufgebaute Altstadt, die für die historische Selbstvergewisserung des Regimes sorgen sollte. Im Süden markierten der Plac Konstytucji (Platz der Verfassung) und vor allem der Kulturpalast den grundlegenden politischen und gesellschaftlichen Neuanfang im Stadtbild. Doch nicht nur räumlich, sondern auch im übertragenen Sinne waren sie undefiniert. Davon zeugen überdurchschnittlich viele Architekturwettbewerbe im Zeitraum von 1945 bis 1989, davon allein sechs für den Plac Zwycięstwa und vier für den Plac Teatralny. Fast jeder Wettbewerb verfolgte komplett neue Ansätze. Lediglich zwei wurden tatsächlich realisiert. Die Arbeit etabliert also insofern eine ungewöhnliche Perspektive, als sie nicht nur bauliche Resultate unter die Lupe nimmt, sondern dezidiert „unbuilt buildings, utopian projects, competition entries that were not selected, and proposals that were never funded“ in die Untersuchung einschließt.12 Gerade diese unklare Zukunft der zwei historisch bedeutsamen Plätze und die daraus resultierenden Freiflächen werden als besonders fruchtbare Kategorie für die (Stadt-)Geschichtsschreibung entdeckt, weil sie den Blick auf die Diskussionen und die dahinterstehenden Einstellungen der Beteiligten 11 Minkenberg, Introduction, in: Minkenberg (Hg.), Power and architecture, S. 3. Vgl. Lawrence J. Vale: Architecture, power, and national identity. London 2008, S. 7. 12 Philip Fisher: Local Meanings and Portable Objects: National Collections, Literature, Music and Architecture, in: Gwendolyn Wright (Hg.), The Formation of National Collections of Art and Archeology. Washington, D.C. 1996, S. 15–27, hier S. 23. Einen solchen Ansatz verfolgt Jarosław Trybuś: Warszawa niezaistniała. Niezrealizowane projekty urbanistyczne i architektoniczne Warszawy dwudziestolecia międzywojennego. Warszawa 2012. Eine Systematik in Bezug auf Berlin, allerdings weniger kontextualisiert, liefert Carsten Krohn (Hg.): Das ungebaute Berlin. Stadtkonzepte im 20. Jahrhundert. Berlin 2010. Vgl. einen Überblick unrealisierter Bauprojekte aus verschiedenen Zeiten und Kulturen bei Philip Wilkinson: Atlas der nie gebauten Bauwerke. Eine Geschichte großer Visionen. München 2018.

1 Einleitung

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Abb. 1.1: Warschauer Übersichtsplan von 1956. 1: Plac Teatralny, 2: Plac Zwycięstwa, 3: Altstadt, 4: Plac Defilad mit Kulturpalast, 5: Plac Konstytucji (Ausschnitt und Nummerierung durch die Autorin).

ermöglicht. Die Freiflächen sind so ergiebige Forschungsgegenstände, weil die Diskussionen über die möglichen Zukünfte nicht verebben, solange nichts gebaut ist. Die Freiflächen und die nicht realisierten Wettbewerbe zeigen die Diskrepanz zwischen dem Anspruch der PZPR auf die Kontrolle über den städtischen Raum und der Wirklichkeit. Diese wird in der Untersuchung weniger dazu genutzt, um das dynamische und komplexe Beziehungsgeflecht der Entscheidungsinstanzen zu rekonstruieren, das hinter den Nicht-Entscheidungen stand. Vielmehr bieten

6

1 Einleitung

die Plätze Gelegenheit, sich wandelnde Perspektiven, Haltungen und Prioritäten in Bezug auf diesen zentralen städtischen Raum mitsamt der Interpretation seiner Geschichte zu rekonstruieren. Mithilfe der Fokussierung auf die zwei Plätze und ihre Freiflächen kann ein (abhängig von der Quellenlage unterschiedlich) facettenreiches Mosaik an Meinungen und Perspektiven entstehen, das sich über den Zeitraum von 1945 bis 1989 erstreckt. So können zudem die bisher wenig untersuchten gesellschaftlichen Reaktionen auf den Warschauer Aufbau analysiert werden, die einen Beitrag zur Erforschung der „Welt der kollektiven Vorstellungen, Ansichten und Gefühle“13 leisten. Dabei handelt es sich nicht nur um Stellungnahmen zu Architektur, von der im Warschau der fünfziger Jahre jeder ein bisschen Ahnung hatte, so wie im 19. Jahrhundert in Alaska vom Goldschürfen, um es mit dem Schriftsteller Leopold Tyrmand auszudrücken.14 Es geht eher um die am heftigsten diskutierten Fragen nach nationalen Traditionen, vor allem zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Die Freiflächen werden zu Projektionsflächen, denn „nach den Abrissen [blieben] leere Plätze, die gleichzeitig das Fehlen von etwas Altem, Erinnertem, Bekanntem sowie die Potentialität von etwas Neuem, das erst irgendwann auftaucht, bedeuten“.15 Der Fokus liegt zum einen auf der Auf- und Entwertung historischer Architektur und den dahinterliegenden Zuschreibungsprozessen. Dabei wird explizit untersucht, welche Gebäude dauerhaft verschwanden. Letztere Frage ist genauso wichtig, wird aber selten untersucht, gerade so, als führe die physische Abwesenheit direkt ins Vergessen des vorhergehenden Prozesses. Auch das agenslose Verb „verschwinden“ verschleiert, dass AkteurInnen aktiv gegen den Wiederaufbau oder für den Abriss entschieden. Der Literaturwissenschaftler Philip Fisher plädiert für eine Geschichte des Verschwindens: „The history of neglect is just as essential as the histories of preservation or transformation. Neglect is a form of passive vandalism [. . .]. In every art we need not only a history of creation, but also a history of disappearance, of the particular formulas of neglect, later selection and later disinterest.“16 Zum anderen kann diese Analyse Aufschluss geben über die Vorstellungen von Zukunft, die den Bauplänen zugrunde lagen. In welchen Phasen fußten Stadtplanung und Architektur auf modernisierenden Grundsätzen, die eventuell bereits vor dem Krieg

13 Marcin Zaremba: Die große Angst. Polen 1944–1947: Leben im Ausnahmezustand. Paderborn 2016, S. 17. 14 Leopold Tyrmand: Zły. Warszawa 2014, S. 70. Vgl. zur individuellen Wahrnehmung den Vorreiter der kognitiven und gesellschaftlich orientierten Stadtforschung Kevin Lynch: Das Bild der Stadt. Berlin 1965. 15 Marta Zielińska: Warszawa – dziwne miasto. Warszawa 1995, S. 193. 16 Fisher, Local Meanings, in: Wright (Hg.), The Formation, S. 13.

1 Einleitung

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von PlanerInnen ins Spiel gebracht worden waren? Welchen Zweck sollten die beiden Plätze im städtischen Gefüge und in der städtischen Gesellschaft übernehmen? Inwiefern sollte hier an die historische Rolle der Plätze angeknüpft und in welcher Hinsicht mit dieser gebrochen werden, um neue Funktionen einzuführen? Welchen Umgang fanden die Verantwortlichen also mit dem Dilemma des adäquaten Verhältnisses von Tradition und Modernisierung – gestalterisch und funktional? Bei all dem interessieren besonders die Diskussionsprozesse, die hinter diesen Fragen selbst standen. Welche Stimmen waren in den Diskussionen wann und wie vernehmbar? Welche Art von Kritik war wann möglich? Die Antworten auf diese Fragen sind deshalb relevant, weil teilweise der hier rekonstruierte Grad an Öffentlichkeit und Beteiligung für einen zentralistisch und autoritär geführten Staat zu überraschen vermag. Als wichtige Stimmen in diesem Prozess werden also nicht nur die Perspektiven der PolitikerInnen und ExpertInnen konsultiert, sondern auch alle weiteren öffentlich erhobenen, heute rekonstruierbaren Stimmen. So können relevante Fragen, wie sie in der Einführung Öffentliche Räume und Öffentlichkeit in Gesellschaften sowjetischen Typs aufgeworfen werden, bearbeitet werden: Inwiefern reagierte die Bevölkerung auf „Veränderungen in der Tektonik des Herrschaftssystems“ im öffentlichen Raum und spielten dabei „nationale oder regionale Traditionen“ eine Rolle?17 Daraus ergeben sich die Fragen, um die es im Kern der Arbeit geht: Wer hatte wann die Deutungshoheit über diesen zentralen städtischen Raum, den Plac Zwycięstwa und den Plac Teatralny? Und wer vollzog entscheidende Setzungen? Inwiefern waren die Plätze Aushandlungsort von Machtverhältnissen?18 Um Antworten auf diese Fragen zu finden, untersucht die Arbeit dezidiert neben den Bauwerken auch die soziale Nutzung der Plätze. Die wichtige repräsentative Rolle, die die neuen Machthabenden den Plätzen nach 1945 zuschrieben, kann nur zufriedenstellend untersucht werden, wenn wie bei Malte Rolf in seiner Studie Das sowjetische Massenfest bei der „Etablierung einer neuen [. . .] Hierarchie des städtischen Raumes [. . .] die verschiedenen Medien ihrer Interaktion“ betrachtet werden. Er beschrieb in seiner Studie sowjetische Massenfeste als „ein zentrales Medium, eine Neudefinition des Raumes nicht nur zu visualisieren, sondern auch rituell

17 Rittersporn/Behrends/Rolf, Öffentliche Räume, in: Rittersporn/Rolf/Behrends (Hg.), Sphären, S. 10. 18 Vgl. als Einführung ebd.; Peter Stachel: Stadtpläne als politische Zeichensysteme. Symbolische Einschreibungen in den öffentlichen Raum, in: Rudolf Jaworski/Peter Stachel (Hg.), Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich. Berlin 2007, S. 13–60.

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erfahrbar zu machen“.19 Wenngleich das sowjetische Beispiel nicht direkt auf das polnische zu übertragen ist, so fand auch in Polen staatliche Repräsentation immer in „konkreten topographischen Räumen“20 statt, die für die Interpretation der Handlungen relevant sind. Und umgekehrt werden „erst durch den sozialen Gebrauch [. . .] die räumlichen Verhältnisse verhandelt, wenn auch die Funktion in [der Architektur] angelegt ist“.21 Diese aufs Performative abzielende Idee präzisierte Kathrin Peters in einem Essay zur Nachkriegsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland: Städtebau und Regierungsform haben nicht nur auf einer symbolischen Ebene miteinander zu tun [. . .]. Darüber hinaus bedingt die Anordnung von Gebäuden, Plätzen und Straßen, wie die Bevölkerung eine Stadt sieht und wichtiger noch, wie sie sich in einer Stadt bewegt: Blickachsen werden stadtplanerisch festgelegt, einzelne Baukörper durch Leerflächen räumlich herauspräpariert, Wegstrecken fixiert, Zugänge eröffnet oder erschwert. Auf diese Weise sind Machtverhältnisse nicht nur baulich inszeniert, sie werden regelrecht praktiziert und im Alltag beständig eingeübt.22

Um die Bedeutung dieser Perspektive zu unterstreichen, beginnt jedes Hauptkapitel der Arbeit mit einem Moment, in dem die unterschiedlichen AkteurInnen die Plätze nutzten. Der Warschauer Aufbau war ein entscheidender Baustein der Legitimation der PZPR während der gesamten Volksrepublik, doch vor allem während des ersten Nachkriegsjahrzehnts. Damit trugen sie der besonderen Emotionalität Rechnung: Mit der Entscheidung für den Aufbau stellten sie sich dem nationalsozialistischen Vernichtungswillen entgegen. Dieser hatte ein schier unvorstellbares Ausmaß an Zerstörungen hinterlassen: Linksseitig der Weichsel, wo sich 1943 der Aufstand im Ghetto und 1944 der Warschauer Aufstand erhoben hatten, waren über achtzig Prozent der Bausubstanz zerstört. Dabei sind verschiedene Phasen der Zerstörung zu identifizieren, die am Beispiel der beiden Plätze verdeutlicht werden können. Während der Eroberung Warschaus im September 1939 wurden bereits viele Gebäude stark beschädigt, etwa das Teatr Wielki (Großes Theater) sowie zahlreiche Wohnund Geschäftshäuser am Plac Piłsudskiego. Das Rathaus am Plac Teatralny war der Sitz des Kommandos der Verteidigung Warschaus (Dowództwo

19 Malte Rolf: Das sowjetische Massenfest. Hamburg 2006, S. 146–150. 20 Vgl. die gelungene Einführung zum Thema in Stachel, Stadtpläne, in: Jaworski/Stachel (Hg.), Die Besetzung, S. 13 f. 21 Sophie Wolfrum (Hg.): Platzatlas. Stadträume in Europa. Basel 2014, S. 20. 22 Kathrin Peters: Freiheit, in: Arne Schmitt, Wenn Gesinnung Form wird. Eine Essaysammlung zur Nachkriegsarchitektur der BRD. Leipzig 2012, S. 332–336, hier S. 333.

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Abb. 1.2: Luftaufnahme des Plac Piłsudskiego und des Plac Teatralny aus einem deutschen Flugzeug im Juli 1944. Im rechten Vordergrund das noch unzerstörte Sächsische Palais sowie schräg dazu stehend links davon das Brühlsche Palais.

Obrony Warszawy), das allerdings nach wenigen Wochen kapitulierte – weitestgehend ohne äußerliche Schäden. Im Mai 1943 fand der Ghettoaufstand sein symbolisches Ende nur wenige Fußminuten vom Plac Teatralny entfernt, als der Anführer der Niederschlagung, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Jürgen Stroop, die Große Synagoge am kleinen Plac Tłomackie persönlich sprengte. Während des Warschauer Aufstands 1944 war der Plac Teatralny selbst Schauplatz von andauernden Kämpfen. Mit der nahegelegenen Schanze in der ehemaligen Bank Polski konnten Aufständische die Gegend um das Rathaus lange halten, inklusive des Rathauses selbst, das dabei allerdings stark zerstört wurde. Nach dem Aufstand, in der fast menschenleeren Stadt, machten die NationalsozialistInnen in ihrer bedingungslosen, zielgerichteten Vernichtungswut nicht vor ihrem bisherigen repräsentativen Zentrum Halt, dem Brühlschen und dem Sächsischen Palais (Pałac Brühla, Pałac Saski). Im Gegenteil: Sie sprengten diese beiden

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Abb. 1.3: Ruinen des Rathauses am Plac Teatralny, aus unbekanntem Anlass versammelte Menschen, circa 1947.

wichtigen Baudenkmäler, die vor dem Krieg den Generalstab und das Außenministerium der Republik Polen beherbergt hatten. Zu diesem materiellen Bruch kam die unfassbare Bilanz, nach der fast die Hälfte der Warschauer Bevölkerung das Kriegsende nicht erlebte: Von den 1,3 Millionen VorkriegsbewohnerInnen blieben nur etwa 600 000 am Leben.23 Diese gewaltigen Zahlen sind mit der enormen Brutalität der nationalsozialistischen BesatzerInnen in Verbindung zu bringen, der im fünfjährigen Besatzungsalltag unzählige Menschen zum Opfer fielen und die im Warschauer

23 Es ist sehr komplex, die Zahl der während des Krieges getöteten WarschauerInnen zu erfassen. Im Krieg gab es viele Flucht- und Umsiedlungsbewegungen, sodass die Zahl derer, die in Warschau starben, nicht mit der Zahl der zu Tode gekommenen und ermordeten WarschauerInnen gleichzusetzen ist. Die Schätzungen liegen zwischen unbegreiflichen 550 000 und 729 000 Menschen, die das Kriegsende nicht erlebten. Diese Arbeit folgt Krzysztof Dunin-Wąsowicz, der die Zahl mit 685 000 während des Krieges getöteten WarschauerInnen angibt. Vgl. Krzysztof DuninWąsowicz: Warszawa w latach 1939–1945. Warszawa 1984, S. 83. Zu der Komplexität der Berechnungen vgl. Andrzej Gawryszewski: Ludność Warszawy w XX wieku. Warszawa 2009, S. 77–86.

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Ghetto und während der beiden Aufstände ihre grausamen Höhepunkte fand.24 Allein im Ghetto starben geschätzte 100 000 Menschen an den inhumanen Lebensbedingungen und infolge gezielter Gewalt der Besatzungstruppen. Zwischen Juli 1942 und März 1943 deportierten die NationalsozialistInnen schließlich über 300 000 Menschen aus dem Ghetto vom sogenannten Umschlagplatz nach Treblinka und ermordeten sie dort im Vernichtungslager.25 Während des knapp drei Monate dauernden Warschauer Aufstands 1944 starben weitere 150 000 bis 180 000 Menschen, die meisten davon ZivilistInnen. Die Dimensionen des Leids und der Trauer können diese nüchternen Zahlen niemals erfassen. Damit hatte bereits der zeitgenössische Soziologe Stanisław Ossowski zu kämpfen: „Die Grausamkeit dieser Verbrechen führt dazu, dass man einen psychischen Widerstand überwinden muss, wenn man kühl dazu übergeht, die sozialen Folgen zu beziffern.“26 Dieser gewaltige soziale Bruch war eng verbunden mit dem materiellen Bruch der Stadtstruktur, denn die großen Wellen der Vernichtung der Stadt gingen einher mit der ebenso unnachgiebigen Vernichtung des menschlichen Lebens innerhalb dieser Mauern. Dies führte zu einer besonderen Emotionalität, mit der die Überlebenden der Zerstörung Warschaus begegneten – und damit dem Aufbau der Stadt nach dem Krieg. Die daraus erwachsenden spezifischen Perspektiven der „Lebenden, mit denen das Leben in die Stadt zurückkehrte“ und ihren Umgang mit den Zerstörungen und Brüchen, finden sich in einer häufig gebrauchten vermenschlichenden Terminologie wieder, etwa in Formulierungen wie „Die ermordete Stadt“.27 Der in den ersten Nachkriegsjahren allgegenwärtige Slogan des Warschauer Aufbaus „Die ganze Nation baut ihre Hauptstadt“ („Cały naród buduje swoją stolicę“) macht deutlich, wie sehr die neuen Machthabenden diesen als Priorität verstanden. Die propagandistische Bedeutung verbildlichen Inszenierungen, auf denen der Staatspräsident und Parteichef Bolesław Bierut mit hochgekrempelten Ärmeln etwa beim Schutträumen Hand anlegt.28 Augenfälliges Beispiel der

24 Vgl. das Kapitel „Alltag und Gewalt: Die Besatzer und die Einheimischen“ in: Stephan Lehnstaedt: Okkupation im Osten. Besatzeralltag in Warschau und Minsk 1939–1944. München 2010. 25 Vgl. Tatiana Berenstein/Adam Rutkowski: Liczba ludności żydowskiej i obszar przez nią zamieszkany w Warszawie w latach okupacji hitlerowskiej, in: Biuletynu Żydowskiego Instytutu Historycznego (1958), 26, S. 73–101, hier S. 83. 26 Stanisław Ossowski: Odbudowa stolicy w świetle zagadnień społecznych, in: Jan Górski (Hg.), Pamięć warszawskiej odbudowy 1945–1949. Antologia. Warszawa 1972, S. 296–328, hier S. 305. 27 Das Zitat folgt Pola Gojawiczyńska: Stolica. Warszawa 1958, S. 43. 28 Teilweise waren diese Fotos retuschiert bis gefälscht, vgl. Arnold Bartetzky: Stadtplanung als Glücksverheißung. Die Propaganda für den Wiederaufbau Warschaus und Ost-Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Arnold Bartetzky/Marina Dmitrieva/Stefan Troebst (Hg.), Imaginationen

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Verquickung des (Wieder-)Aufbaus Warschaus mit der Politik der Partei und ihren Legitimierungsstrategien ist die Einweihung sämtlicher großer Bauprojekte – seien es Verkehrsadern, der Kulturpalast oder die wiederaufgebaute Altstadt – jeweils am 22. Juli, dem Jahrestag der Gründung des Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego, PKWN). Die Partei propagierte so ihre Verdienste bei der Wiederbelebung Warschaus.29 Indem die Partei den Aufbau Warschaus mit dem zeitgleichen Aufbau des sozialistischen Staates verknüpfte, diente Warschau als „Symbol des Wiederaufbaus ganz Polens und als Vorzeigestadt, die von dem ganzen Ausmaß der sozialistischen Umwälzungen zeugte“.30 Daran wird deutlich, wie sehr die neuen kommunistischen Machthabenden hofften, mit dem Aufbau der Hauptstadt zugleich eine ihnen gewogene Nation zu errichten. Die generelle Entscheidung für historische Kontinuität – also die Rückkehr in die in Trümmern liegende Hauptstadt – trafen die KommunistInnen schon vor der endgültigen Befreiung der Stadt und ist als wichtiger legitimatorischer Grundpfeiler anzusehen. Doch wie komplex die Gemengelage im Einzelnen war, darüber kann die Untersuchung der Freiflächen auf dem Plac Zwycięstwa und dem Plac Teatralny detailliert Aufschluss geben. Auf beiden Plätzen waren die neuen Machthabenden in besonderer Weise mit historischen Narrativen staatlicher Repräsentation, vor allem aus der Zwischenkriegszeit, konfrontiert. Die Situation war insofern vielschichtig, als die KommunistInnen mit der Londoner Exilregierung in offener Feindschaft standen. Letztere beanspruchte als Nachfolgerin der letzten Regierung der Zweiten Polnischen Republik historische Kontinuität und Legitimation. Doch der Einfluss dieser Exilregierung sank stetig, seit das von der Sowjetunion gestützte PKWN das sogenannte Juli-Manifest (Manifest Lipcowy) im Juli 1944 dekretiert hatte. Darin erklärte es den von der Sowjetunion gestützten Nationalen Landesrat (Krajowa Rada Narodowa, KRN) zur einzig rechtmäßigen Regierung. Gleichzeitig delegitimierte es die Exilregierung.31 Um zu verstehen, welche historischen Konnotationen den beiden Plätzen zudem innewohnten, muss kursorisch ihre vorherige Rolle thematisiert werden. Das den Plac Teatralny prägende Bauwerk ist das Teatr Wielki, nach Plänen von Antonio Corazzi zwischen 1825 und 1833 erbaut. Zu diesem

des Urbanen. Konzeption, Reflexion und Fiktion von Stadt in Mittel- und Osteuropa. Berlin 2009, S. 51–80, hier S. 73. 29 Vgl. David Crowley: Warsaw. London 2003, S. 14. 30 Błażej Brzostek: Robotnicy Warszawy. Konflikty codzienne (1950–1954). Warszawa 2002, S. 18. 31 Zur Machtstabilisierung vgl. Krystyna Kersten: Narodziny systemu władzy. Polska 1943–1948. Poznań 1990.

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Abb. 1.4: Der Plac Teatralny 1925: links das Rathaus, rechts das Teatr Wielki.

Zeitpunkt war der Platz bereits das administrative Zentrum der Stadt, wofür das gegenüberliegende Rathaus sorgte, das 1819 in das eigens umgebaute Jabłonowski-Palais umzog, da das bisherige am altstädtischen Marktplatz zu klein geworden war. Auch in der Zwischenkriegszeit blieb der Plac Teatralny einer der wichtigsten Mittelpunkte städtischen Lebens, mit dem Rathaus einerseits (das mittlerweile allerdings wiederum zu klein geworden war) und zahlreichen Geschäften und Vergnügungslokalen andererseits, deren BesucherInnen den Platz tags wie nachts belebten. Auf die Entstehungszeit des Plac Zwycięstwa weist der ursprüngliche Name Plac Saski hin: Der polnischsächsische König August II. baute Anfang des 18. Jahrhunderts das Sächsische Palais zu seiner Residenz um, mit dem späteren Platz als Innenhof der Residenz. In diesem Zuge ließ er zudem die sogenannte Sächsische Achse mitsamt einer großen barocken Gartenanlage anlegen. Diese beginnt am Krakowskie Przemieście, führt über den Platz bis zum Plac Za Żelazną Bramą (Platz Hinter dem Eisernen Tor). Der Garten wurde der Stadtbevölkerung schon bald als erster öffentlicher Park unter dem Namen Sächsischer Garten (Ogród Saski) zugänglich gemacht. Das Sächsische Palais beherbergte seit Mitte des 19. Jahrhunderts entscheidende militärische Institutionen: zunächst

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Abb. 1.5: Die Sächsische Achse 1732 im „Plan de Varsovie fait par ordre de son Excellence Monseigneur le Comte de Bielinski Maréchal de la Cour per le major Werneck Anno 1732“.

Teile der örtlichen russischen Armeeführung und in der Zwischenkriegszeit den Generalstab der polnischen Armee. In dieser Zeit stieg die staatstragende Bedeutung des Platzes zusätzlich. So zog das Außenministerium in das benachbarte, eigens dafür umgebaute Brühlsche Palais ein und weitere militärische und staatliche Institutionen umgaben den Platz. Die Führung des noch jungen Nationalstaats suchte die repräsentative und symbolische Bedeutung des Platzes zu steigern, indem sie 1925 im Arkadengang des Sächsischen Palais das Grab des Unbekannten Soldaten einweihte. Außerdem wurde Anfang der zwanziger Jahre – keineswegs einstimmig – entschieden, die erst 1912 eingeweihte russischorthodoxe Alexander-Newski-Kirche (Sobór Aleksandra Newskiego) in der Mitte

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Abb. 1.6: Der Plac Saski mit dem Sächsischen Palais sowie ganz rechts dem Brühlschen Palais, circa 1890.

Abb. 1.7: Das Brühlsche Palais nach dem Umbau zum Außenministerium nach Plänen des Architekten Bohdan Pniewski, 1939.

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Abb. 1.8: Der Plac Saski mit der russisch-orthodoxen Alexander-Newski-Kirche und dem Glockenturm um 1919. Im Vordergrund der Sächsische Garten und das Sächsische Palais, rechts die Ecke des Kronenberg-Palais, die zum Plac Saski zeigte.

des Platzes abzureißen.32 Auch der Glockenturm wurde zurückgebaut, der mit seinen siebzig Metern das höchste Bauwerk Warschaus gewesen war. Mit dieser städtebaulichen Entscheidung verschwanden zwei zentrale Wahrzeichen russischer Dominanz aus dem Stadtbild. Zusätzlich beweisen nicht nur die mehrfach initiierten Wettbewerbe zum Komplettumbau des Ortes (von denen allerdings keine Pläne realisiert wurden), sondern auch die Umbenennung des Platzes in Plac Piłsudskiego im Jahr 1929, wie sehr dieser Platz den repräsentativen Schwerpunkt der Hauptstadt und damit des Staates gebildet hatte. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Platz erneut umbenannt. Dabei zogen die neuen Machthabenden zwar eine Kontinuitätslinie, ließen den direkten Vorgänger und damit dessen Namensgeber – Marschall Józef Piłsudski – allerdings außen vor. Er hieß nun wieder Plac Saski, bis zur erneuten feierlichen Umbenennung am ersten Jahrestag des Kriegsendes 1946. Mit dem Namen setzten die KommunistInnen den narrativen Grundton für

32 Vgl. Trybuś, Warszawa niezaistniała, S. 207. Zu den damaligen kontroversen Diskussionen vgl. Jerzy Kasprzycki: Sobór też drażnił. Warszawa, jakiej już nie ma, in: Życie Warszawy, 08.10.1992, S. 2.

Forschungsstand und Quellen

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Abb. 1.9: Der Abriss der russisch-orthodoxen Kirche. Im Hintergrund Teile des Sächsischen Palais sowie rechts das Brühlsche Palais, Mai 1925.

die kommenden Jahrzehnte: Der Plac Zwycięstwa, also Siegesplatz, erinnerte nun zentral an den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland an der Seite der Sowjetunion. Ihres Sieges über die Gegner im eigenen Land konnten sich die KommunistInnen der PPR, zumindest zu diesem Zeitpunkt, noch keineswegs sicher sein. Der Kampf um Legitimation und Repräsentation bündelte sich für alle sichtbar im historischen Zentrum der Hauptstadt, und hatte erst begonnen.

Forschungsstand und Quellen Die Forschungsliteratur zum Umgang mit den Kriegszerstörungen nach 1945 ist sehr umfangreich. Ergiebig ist es, die Antworten auf diese in ihren Ausmaßen und ihrer globalen Verbreitung ungekannte Herausforderung zu vergleichen, die in ganz Europa sowie in Asien (wie Manila, Tokio, Hiroshima und Nagasaki)

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gefunden wurden.33 So werden unterschiedliche Herangehensweisen an die Zerstörungen deutlich. Als Beispiel sei die grundlegende Neubebauung des Rotterdamer Zentrums gemäß moderner Prinzipien inklusive der Enteignung und Entschädigung der vorherigen EigentümerInnen genannt oder die Abkehr von der traditionellen Bebauung in Tokio, die auch mit kulturellen Unterschieden in der Bewertung historischer Bauten zu begründen ist.34 Solche und andere Fälle werfen zudem Fragen auf, die lohnenswert für diese Arbeit sind. Dabei ist der Ausstellungsband A Blessing in Disguise hervorzuheben, der die durchaus affirmative Haltung vieler PlanerInnen gegenüber den Kriegszerstörungen thematisiert.35 Dass diese provokante These im Warschauer Fall kontrovers und daher wertvoll für die wissenschaftliche Diskussion ist, soll in dieser Untersuchung deutlich werden. Auch zu Warschau im Speziellen gibt es viel Forschungsliteratur, die teilweise schon während der Volksrepublik entstanden ist.36 Neben den wissenschaftlichen

33 Vgl. Werner Durth/Niels Gutschow: Träume in Trümmern. Stadtplanung 1940–1950. München 1993; Georg Wagner-Kyora (Hg.): Wiederaufbau europäischer Städte. Rekonstruktion, die Moderne und die lokale Identitätspolitik seit 1945/Rebuilding European Cities. Reconstructions, Modernity and the Local Politics of Identity Construction since 1945. Stuttgart 2014. Für den deutsch-polnischen Vergleich: Dieter Bingen/Hans-Martin Hinz (Hg.): Die Schleifung: Zerstörung und Wiederaufbauhistorischer Bauten in Deutschland und Polen. Wiesbaden 2005; Bartetzky, Stadtplanung als Glücksverheißung, in: Bartetzky/Dmitrieva/Troebst (Hg.), Imaginationen. Eine noch breitere Perspektive macht der folgende Sammelband auf: Lawrence J. Vale/Thomas J. Campanella (Hg.): The resilient city. How modern cities recover from disaster. New York 2005. 34 Vgl. z. B. Ingrid Ostermann: Rotterdams dynamischer Umgang mit dem Wiederaufbau, in: Sächsische Akademie der Künste (Hg.), Labor der Moderne. Nachkriegsarchitektur in Europa/Laboratory of Modernism. Post-war Architecture in Europe. Dresden 2014, S. 152–175; Cor Wagenaar: The Inevitability of Progress. Rotterdam and the Fading Image of the City, in: Jörn Düwel/Niels Gutschow (Hg.), „A blessing in disguise“. War and town planning in Europe 1940–1945. Berlin 2013, S. 104–129; Hein, Resilient Tokyo, in: Vale/Campanella (Hg.), The resilient, S. 230. 35 Jörn Düwel/Niels Gutschow (Hg.): „A blessing in disguise“. War and town planning in Europe 1940–1945. Berlin 2013. Bemerkenswerterweise enthält der Band keinen Aufsatz zu Warschau. 36 Grundlagenwerk ist nach wie vor Jan Górski: Warszawa w latach 1944–1949. Odbudowa. Warszawa 1988; der dazugehörige Quellenband ders. (Hg.): Odbudowa Warszawy w latach 1944–1949: wybór dokumentów i materiałów. Tom 1. Warszawa 1977. Vgl. auch ders. (Hg.): Odbudowa Warszawy w latach 1944–1949: wybór dokumentów i materiałów. Tom 2. Warszawa 1977; ders.: Dyskusje o odbudowie Warszawy w latach 1945–46, in: Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk/Jan Górski (Hg.), Warszawa Stolica Polski Ludowej. Zeszyt 1. Warszawa 1970, S. 75–140. Wichtige Arbeiten stammen vom Historiker und Journalisten Jerzy S. Majewski, der oft gemeinsam mit seinem Kollegen Tomasz Markiewicz publiziert: Jerzy S. Majewski/Tomasz Markiewicz: Warszawa nie odbudowana. Warszawa 1998; dies.: Budujemy nowy dom. Odbudowa Warszawy w latach 1945–1952/Building a new home. The reconstruction of Warsaw in

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Arbeiten stammen aus dieser Zeit zahlreiche Publikationen, die vor allem Fotos gegenüberstellen, um die Leistungen beim Wiederaufbau zu betonen.37 Die Forschung fokussiert sich auf die Anfangsjahre sowie die Prestigeprojekte des Wiederaufbaus.38 Zudem bildet der Städtebau des Sozialistischen Realismus einen gesonderten Schwerpunkt.39 Doch einige Forschungslücken fallen auf: Erstens ist der Umgang mit dem jüdischen Bauerbe sowie den Grundstücken, die vor dem Holocaust Juden und Jüdinnen gehörten oder von ihnen bewohnt waren, erst seit kurzem Gegenstand der Forschung.40 Zweitens werden finanzielle und rechtliche Fragen des Warschauer Aufbaus wenig thematisiert.41 Das hängt wohl nicht nur mit der schwierigen Aktenlage zusammen, sondern auch mit der politischen Brisanz, die gerade Fragen der Verstaatlichung sowie der Reprivatisierung bis heute

the period 1945–1952. Warszawa 2012. Vgl. auch Majewskis Serie „Warszawa nieodbudowana“, die allerdings vor allem auf die Geschichte der Gebäude vor deren Zerstörung eingeht. 37 Vgl. Adolf Ciborowski: Warschau. Zerstörung und Wiederaufbau der Stadt. Warschau 1965; Zbigniew Grzybowski/Krystyna Krzyżakowa: Warszawa 1945–1970. Warszawa 1970. 38 Ein grundlegender Sammelband in Bezug auf die Erforschung der Prestigeprojekte des Wiederaufbaus und einiger weiterer Aspekte ist Jerzy Kochanowski/Piotr Majewski/Tomasz Markiewicz/Konrad Rokicki (Hg.): Zbudować Warszawę piękną . . . O nowy krajobraz stolicy. Warszawa 2003. Ein Beispiel für Publikationen zu Prestigeprojekten ist Andrzej Skalimowski: Dom Partii. Historia gmachu KC PZPR w Warszawie. Warszawa 2010. 39 Eine detaillierte Auseinandersetzung bieten Piotr Majewski: Ideologia i konserwacja. Architektura zabytkowa w Polsce w czasach socrealizmu. Warszawa 2009; Jarosław Zieliński: Realizm socjalistyczny w Warszawie. Urbanistyka i architektura. Warszawa 2009. Anlässlich des sechzigsten Jubiläums der Eröffnung des Kulturpalasts erschienen zahlreiche Publikationen zum Kulturpalast, z. B. eine fundierte kunsthistorische Herangehensweise: Waldemar Baraniewski: Pałac w Warszawie. Warszawa 2014. Vgl. auch die eher anekdotische Annäherung: Beata Chomątowska-Szałamacha: Pałac. Biografia intymna. Kraków 2015. 40 Vgl. Michael Meng: Shattered Spaces: Encountering Jewish Ruins in Postwar Germany and Poland. Cambridge Mass. 2011; Beata Chomątowska: Stacja Muranów. Wołowiec 2012; Jan Grabowski/Dariusz Libionka (Hg.): Klucze i kasa. O mieniu żydowskim w Polsce pod okupacją niemiecką i we wczesnych latach powojennych 1939–1950. Warszawa 2014; Matthias Barelkowski/Claudia Kraft: La Pologne et les biens allemands et juifs après 1945, in: Revue de l’Histoire Moderne et Contemporaine (2014), 1, S. 62–96; Jana Fuchs: Miejsce po Wielkiej Synagodze. Przekształcenia placu Bankowego po 1943 roku. Warszawa 2016. 41 Eine wichtige Einführung bieten Barelkowski/Kraft, La Pologne. Für Warschau vgl. Aleksander Hetko: Dekret warszawski. Wybrane aspekty systemowe. Warszawa 2012. Vgl. auch Wacław Brzeziński: Podstawy i zagadnienia prawne odbudowy Warszawy, in: Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk/Jan Górski (Hg.), Warszawa Stolica Polski Ludowej. Zeszyt 2. Warszawa 1972, S. 369–380. Sehr technisch und ohne jeglichen gesellschaftspolitischen Kontext Anna Machnikowska: Prawo własności w Polsce w latach 1944–1981. Studium historycznoprawne. Gdańsk 2010.

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haben.42 Drittens bestehen nach wie vor Forschungslücken zu den AkteurInnen, um Kontinuitäten und internationale Verflechtungen innerhalb dieser Gruppe von ExpertInnen deutlicher herauszuarbeiten.43 Und viertens betten wenige AutorInnen die Warschauer Architektur- und Stadtplanungsgeschichte44 in die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ein, um Städtebau als einen entscheidenden Teil staatlicher Politik zu erforschen, der wiederum in der städtischen Gesellschaft Widerhall fand.45 Zu Breslau und Stettin gibt es bereits Arbeiten, die den Wiederaufbau dieser ebenfalls stark zerstörten Städte nicht nur in den Kontext von „Gedächtnispolitik“46 und „kultureller Aneignung“47 stellen, sondern auch soziale Aspekte

42 Seit 2016 erschüttert ein Reprivatisierungsskandal Warschau, der Korruptionsvorwürfe gegen hohe RathausmitarbeiterInnen einschließt, vgl. die Debatte z. B. unter URL http://warszawa.wy borcza.pl/warszawa/0,112418.html?tag = reprywatyzacja#TRNavSST (Zugriff 12.05.2017). 43 Vgl. Kohlrausch, Die Zentralität, in: Wagner-Kyora (Hg.), Wiederaufbau europäischer Städte. Den Aspekt inhaltlicher Kontinuitäten betonen Maria Sołtys: Zanim powstało Biuro Odbudowy Stolicy – odbudowa domów przy ulicy Nowy Świat po zniszczeniach 1939 r., in: Stowarzyszenie Przyjaciół Archiwum Państwowego m.st. Warszawy (Hg.), Archiwum Biura Odbudowy Stolicy. Warszawa 2011, S. 15–25; Małgorzata Popiołek: Powojenna odbudowa ulicy Nowy Świat w Warszawie. Warszawa 2012; dies.: Warschau. Ein Wiederaufbau, der vor dem Krieg begann. Diss. phil. Berlin 2017. Als eine der ersten verwiesen auf diese Kontinuitäten in europäischer Perspektive Durth/Gutschow, Träume in Trümmern. Vgl. auch Arnold Bartetzky: Die korrigierte Geschichte. Nationalstil und Nationalerbe in der polnischen Architektur und Denkmalpflege vor und nach dem 2. Weltkrieg, in: Dieter Bingen/Peter Oliver Loew/Oliver Popp (Hg.), Visuelle Erinnerungskulturen und Geschichtskonstruktionen in Deutschland und Polen seit 1939. Warschau 2009, S. 123–146. Eine nicht publizierte Doktorarbeit widmet sich ebenso den Kontinuitäten der Planung: Anna Józefacka: Rebuilding Warsaw: Conflicting Visions of a Capital City, 1916–1956. Ph.D. New York, NY 2011. 44 Vgl. Majewski, Ideologia sowie die reich bebilderte und fundierte Überblicksdarstellung Werner Huber: Warschau – Phönix aus der Asche: Ein architektonischer Stadtführer. Köln 2005. Weitere Beispiele der primär kunsthistorischen Perspektive in Bezug auf andere Städte sind Jacek Friedrich: Neue Stadt in altem Gewand. Der Wiederaufbau Danzigs 1945–1960. Köln 2010; Markus Podehl: Architektura Kaliningrada. Wie aus Königsberg Kaliningrad wurde. Marburg 2012. 45 Ein Extrembeispiel dieser Kontextlosigkeit bietet der Autor Artur Bojarski, der nicht nur handwerklich kaum nachvollziehbar arbeitet, weil er beinahe komplett auf Quellenangaben verzichtet, sondern den gesamten Wiederaufbauprozess lediglich von zerstörerischer kommunistischer Ideologie gesteuert sieht, nicht hingegen im Kontext der gesamten politischen und gesellschaftlichen Tendenzen und Bedingungen, vgl. Artur Bojarski: Z kilofem na kariatydę. Jak nie odbudowano Warszawy. Warszawa 2013; ders.: Rozebrać Warszawę. Historie niektórych wyburzeń po roku 1945. Warszawa 2015. 46 Vgl. Gregor Thum: Die fremde Stadt. Berlin 2003. 47 Vgl. Jan Musekamp: Zwischen Stettin und Szczecin. Metamorphosen einer Stadt von 1945 bis 2003. Wiesbaden 2010.

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berücksichtigen – in diesen Fällen den Zuzug der neuen polnischen BewohnerInnen in diese vormals deutschen Städte. Die gelungenen Arbeiten zu Minsk und Belgrad nach 1945 widmen sich dem Städtebau noch dezidierter aus der sozialen Perspektive, ohne wiederum dessen kulturelle und identitätsbildende Funktion aus den Augen zu verlieren.48 Eine solche umfassende Monographie, die den Warschauer Aufbau in seinen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Dynamiken zeigt, gibt es noch nicht.49 Genau das hat diese Arbeit vor: Sie nimmt „Orte und Räume [. . .] ernst“50 und untersucht architektonische und stadtplanerische Projekte nicht nur aus kunst- und architekturhistorischer Perspektive, sondern analysiert sie konkret in ihrem gesellschaftlichen und politischen Kontext – und damit jenen Kontext selbst.51 Da sich diese Arbeit mit Dilemmata der politischen Legitimation sowie der gesellschaftlichen Auseinandersetzung beschäftigt, ist Marcin Zarembas Studie zu nationalistischen Legitimationsstrategien der PZPR von grundlegender Bedeutung. Während er vor allem die ideologischen Grundlagen beleuchtet, schlägt das Buchcover, das eine Parade vor dem Kulturpalast zeigt, den Bogen zur Praxis der Legitimierungsbestrebungen.52 Von großer Relevanz ist auch Zarembas neueres Werk Die große Angst. Polen 1944–1947: Leben im Ausnahmezustand.53 Ähnlich wichtig sind die sozialhistorischen Studien des Warschau-Historikers Błażej Brzostek, der den Städtebau detailliert einbezieht. Vor allem die Studie Za progiem. Codzienność w przestrzeni publicznej Warszawy lat 1955–1970 (Hinter der Türschwelle. Alltag im öffentlichen Raum in Warschau 1955–1970) ist wertvoll, weil der Autor

48 Vgl. zudem die alltagsgeschichtliche Herangehensweise in Thomas M. Bohn: Minsk – Musterstadt des Sozialismus. Stadtplanung und Urbanisierung in der Sowjetunion nach 1945. Köln 2008; Nicole Münnich: Belgrad zwischen sozialistischem Herrschaftsanspruch und gesellschaftlichem Eigensinn. Die jugoslawische Hauptstadt als Entwurf und urbane Erfahrung. Wiesbaden 2014. Eine beeindruckende, visuell ansprechende Analyse von Zagreb, ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute, unter stadtplanerischen und architekturhistorischen Fragestellungen bieten Eve Blau/Ivan Rupnik (Hg.): Project Zagreb. Transition as Condition, Strategy, Practice. Barcelona 2007. 49 Brzosteks Analyse der Selbst- und Fremdbilder Warschaus hat einen sehr umfassenden Charakter, vgl. Błażej Brzostek: Paryże Innej Europy. Warszawa i Bukareszt, XIX i XX wiek. Warszawa 2015. Crowley wählt eine allgemeine Herangehensweise an Warschau, um Repräsentationen von Autorität sowie Erinnerung und Alltagsleben zu untersuchen, wobei eine Systematik oder Konzeptualisierung leider fehlen: Crowley, Warsaw. 50 Schlögel, Im Raume, S. 10. 51 Für den politischen Kontext diente als Standardwerk Włodzimierz Borodziej: Geschichte Polens im 20. Jahrhundert. München 2010. Für städtebauliche Fragen galt als grundlegend Friedrich Lenger: Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850. München 2014. 52 Zaremba, Im nationalen Gewande. 53 Zaremba, Die große Angst.

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unterschiedliche Perspektiven einfließen lässt – angefangen von Archivalien über die Presse bis hin zu Tagebüchern und Belletristik.54 Seine Arbeiten geben Einblicke in die sonst kaum thematisierte Sozialstruktur der Bevölkerung.55 Die Herkunft und das Zusammenleben der Warschauer Nachkriegsbevölkerung, was auch aufgrund der dramatischen Kriegsverluste und deren Folgen ein ergiebiges Thema wäre, ist bislang wenig erforscht.56 Diese Arbeit nähert sich den Themenkomplexen anhand zwei historischer Plätze, auf denen sich diese gesellschaftlich relevanten Fragen kreuzten. Plätze werden in der Arbeit als „Orte der Macht“57 betrachtet, an denen gleichzeitig „Risse, Konflikte und Sorgen, aber auch Träume und Hoffnungen am sichtbarsten zutage treten“.58 Sophie Wolfrum und Alban Janson – in Praxis und Forschung versierte ArchitektInnen – charakterisieren Plätze zudem als „konkrete Orte, die die Kraft haben, urbanes Leben zu versammeln“ und weisen auf das „performative Potential“ von Plätzen hin. Auf diese Weise werden Plätze in der Forschung selten behandelt, die sich vor allem auf stadtplanerische Fragestellungen beschränkt.59

54 Błażej Brzostek: Za progiem. Codzienność w przestrzeni publicznej Warszawy lat 1955–1970. Warszawa 2007. Diese Quellen- und Perspektivenfülle prägt ein weiteres Buch, in dem er in beeindruckender Dichte die Selbst- und Fremdbilder Warschaus rekonstruiert, auch für die Nachkriegszeit: Brzostek, Paryże Innej Europy. 55 Vgl. Brzostek, Robotnicy Warszawy sowie ders.: The Ruralization of Bucharest and Warsaw in the First Post-War Decade, in: Włodzimierz Borodziej/Stanislav Holubec/Joachim von Puttkamer (Hg.), Mastery and Lost Illusions. Space and Time in the Modernization of Eastern and Central Europe. Berlin 2014, S. 99–119. 56 Vgl. die mittlerweile selbst schon historischen stadtsoziologischen Aufsätze Stefan Nowakowski: Niektóre aspekty powojennej urbanizacji w Warszawie, in: Rocznik Warszawski IV (1963), S. 259–275, ders.: Zmiany struktury społecznej w powojennej Warszawie, in: Rocznik Warszawski VII (1966), S. 489–491 sowie die unveröffentlichte Doktorarbeit seines Studenten aus dem Stadtsoziologischen Institut der Abteilung für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Zakład Socjologii Miasta WFiS PAN) mit viel Zahlenmaterial Włodzimierz Mirowski: Migracje do Warszawy. Rola napływu ludności w procesach rozwoju ośrodka wielkomiejskiego; aktualny skład i czynniki selekcji migrantów. Diss. Warszawa 1966. Vgl. den Teil „Die Warschauer Bevölkerung“ („Ludność Warszawy“) im Standardwerk von Górski, Warszawa w latach. Einen statistischen Überblick mit hilfreichen Übersichtstabellen bietet Gawryszewski, Ludność Warszawy. Bei der vom Muzeum Warszawy im Dezember 2015 organisierten Konferenz „Where have the Varsovians come from? The social, economic and cultural consequences of migration“ kamen diese Fragen kaum zur Sprache. 57 Wolfrum/Janson, Platz Architektur, in: Wolfrum (Hg.), Platzatlas, S. 17. 58 Laura Weißmüller: Platz der Gesellschaft, in: Süddeutsche Zeitung, 29.08.2016. 59 Eines der seltenen Beispiele einer solchen Behandlung bietet Jan Musekamp: Der Königsplatz (plac Żołnierza Polskiego) in Stettin als Beispiel kultureller Aneignung nach 1945, in: Peter Oliver Loew/Christian Pletzing/Thomas Serrier (Hg.), Wiedergewonnene Geschichte. Zur Aneignung von Vergangenheit in den Zwischenräumen Mitteleuropas. Wiesbaden 2006, S. 19–35. Eine erhellende

Forschungsstand und Quellen

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Zwar gibt es zahlreiche Arbeiten zu den beiden Warschauer Plätzen, die sich allerdings vor allem mit architektur- und stadtplanungsgeschichtlichen Details befassen, ohne ihre politische und gesellschaftliche Rolle zu inkludieren.60 Der Sammelband Städtische öffentliche Räume. Planungen, Aneignungen, Aufstände 1945–2015 aus dem Jahr 2016 analysiert öffentliche Stadträume jedoch erfreulicherweise als „Spiegelbild und Katalysator sozialkultureller und gesellschaftspolitischer Umbrüche und Revolten“. Der Herausgeber Christoph Bernhardt plädiert dafür, städtische öffentliche Räume als „Seismograph[en] der Urbanisierungs- und Gesellschaftsgeschichte“ zu lesen: „Die Bedeutung und Wirkung dieser Räume für die Gesellschafts- und Stadtentwicklung ist nur angemessen zu erfassen, wenn ihre planerische Antizipation, bauliche Genese und physische Umgestaltung mit der Nutzung und Aneignung durch die Stadtbewohner in einer integrierten Betrachtung zusammengeführt werden.“61 Um genau dies am Beispiel des Plac Teatralny und des Plac Zwycięstwa zu untersuchen, betrachtet die Arbeit nicht nur Architektur und Stadtplanung,

generelle Einführung bieten Wolfrum/Janson, Platz Architektur, in: Wolfrum (Hg.), Platzatlas. Überraschenderweise sucht man selbst in der folgenden, vom Ansatz her vielversprechenden, aber sehr technischen Arbeit eine ausführliche Definition der Funktion von Plätzen vergeblich: Leonie Glabau: Plätze in einem geteilten Land. Stadtplatzgestaltungen in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik von 1945 bis 1990. Frankfurt am Main 2010. Keine wissenschaftliche Arbeit, aber doch wegen ihres Spektrums relevant: Heinz Coubier: Europäische Stadt-Plätze. Genius und Geschichte. Köln 1988. 60 Vgl. die wichtigste Publikation Zygmunt Stępiński: Siedem placów Warszawy. Warszawa 1988. Stępiński war selbst beteiligter Architekt, weshalb dessen besonderes Wissen mit quellenkritischer Vorsicht behandelt werden muss. Ähnliches gilt für Piotr Biegański, der Denkmalschützer und Architekt war: Piotr Biegański/Władysław Tatarkiewicz: Place Warszawy, in: Kronika Warszawy (1970), 1, S. 75–94. Eine aufschlussreiche zeitgenössische Perspektive auf die Geschichte der Plätze bietet Eugeniusz Szwankowski: Ulice i place Warszawy. Warszawa 1970. In den neunziger Jahren sind zudem einige Artikel zur „andauernden Diskussion“ über die historischen Plätze erschienen: Grzegorz Buczek: „Place Warszawy – dyskusja trwa . . . “, in: Muzeum Historyczne m.st. Warszawy (Hg.), Warszawa i jej mieszkańcy 1945–1956. Warszawa 1995, S. 13–17; Jerzy Lileyko: Historyczne place Warszawy – źródła ich dekompozycji, in: Bożena Wierzbicka (Hg.), Historyczne place Warszawy. Urbanistyka. Architektura. Problemy konserwatorskie. Warszawa 1995, S. 156–165; Michał Smoktunowicz: Siedem placów Warszawy. Zapiski na marginesie, in: Ratusz. Magazyn miasta stołecznego Warszawy (1997), 7; Anna Czapska: Odbudowa i destrukcja placów w Warszawie po II wojnie światowej, in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej (1993), 4, S. 623–638. Mit der Frage des Kultes des Unbekannten Soldaten, der stark mit einem der beiden Plätze verbunden ist, beschäftigt sich ausführlich Maria Czaputowicz: Kult Nieznanego Żołnierza. Warszawskie miejsca pamięci w latach 1925–1991. Magisterarbeit. Warszawa 2018. 61 Christoph Bernhardt (Hg.): Städtische öffentliche Räume/Urban public spaces. Planungen, Aneignungen, Aufstände 1945–2015/Planning, appropriation, rebellions 1945–2015. Stuttgart 2016, S. 9.

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sondern auch die Nutzung der Plätze – eine Verschränkung (sozial-)historischer Fragestellungen mit der räumlichen Dimension, die trotz des Spatial Turns in den Kulturwissenschaften nicht selbstverständlich ist.62 Um offiziellen Nutzungen auf die Spur zu kommen, wurden Meldungen in der Presse an staatstragenden Daten sowie die „Polnische Filmchronik“ („Polska Kronika Filmowa“, im Folgenden „Kronika“) ausgewertet. Diese wöchentlichen, offiziellen Zusammenschnitte des aktuellen Geschehens sind eine wichtige Quelle für die propagierte Sichtweise auf die Funktion und Nutzung der Plätze.63 Darüber hinaus sind die Plätze insofern die methodische Klammer der Arbeit, als sie diese strukturieren. Für den Textaufbau bedeutet dies, dass beispielsweise Fragen der Urbanisierung nicht als eigenes Oberthema behandelt werden, sondern im Zusammenhang mit dem Bau mehrerer Wohnblöcke am Plac Teatralny in den sechziger Jahren. Die Planungen und Diskussionen an den gewählten Plätzen werden also als Teil und Ausdruck der allgemeinen Politik interpretiert. Rein forschungspraktisch erleichterte dieser Zugang außerdem die Recherche des Quellenmaterials, das aufgrund der ortsgebundenen Suche über Straßennamen und konkrete Gebäude gut zugänglich war. Das leitet zu einer Besonderheit – und Schwierigkeit – der Arbeit über: Kennzeichnend für die beiden Plätze in der Zeit von 1945 bis 1989 waren vor allem die Freiflächen, die diese umgaben. Quellentechnische Herausforderungen ergeben sich, weil sich die „Freiflächen“ teilweise in den Archiven fortsetzen. Das ist naheliegend, da beispielsweise Bauakten in der Regel nur zu tatsächlich errichteten Bauten vorliegen, während ins bauliche Nichts führende Diskussionen nicht gebündelt oder gar nicht archiviert wurden. Dass schweigende Quellen eine Herausforderung für Recherche und Interpretation darstellen, wird noch deutlicher, folgt man der Architekturhistorikerin Marta Leśniakowska, die Schweigen als „grundlegenden Regulator“ beim „Auslöschen“ bestimmter Gebäude und Straßen sieht:

62 Erwähnt werden „sozialistische Zeremonien“ erfreulicherweise in Friedrich, Neue Stadt. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Monica Rüthers in ihrer Studie zu Moskau, vgl. ihre Forschungsfragen in Rüthers, Öffentlicher Raum, in: Rittersporn/Rolf/Behrends (Hg.), Sphären, S. 85; dies.: Moskau bauen von Lenin bis Chruščev. Öffentliche Räume zwischen Utopie, Terror und Alltag. Wien 2007. Dieses akribisch recherchierte Buch ignoriert die Topographie der Inszenierungen: Piotr Osęka: Rytuały stalinizmu. Oficjalne świe̜ta i uroczystości rocznicowe w Polsce, 1944–1956. Warszawa 2007. 63 Die „Kronika“ entstand zwischen 1944 bis 1994 wöchentlich und wurde in den Kinos vor den Filmen gezeigt. Verschlagwortet online zugänglich unter URL http://kronikarp.com (Zugriff 18.10.2016).

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Vor allem Leere, von Rem Koolhaas schon vor dreißig Jahren als physische, ästhetische und symbolische Kategorie beschrieben, ist meiner Meinung nach ein komplementärer Begriff zum Schweigen. [. . .] Als politische Kategorie ist das Ausschließen aus der Erinnerung oder fehlende Erinnerung gleichbedeutend mit dem Ausschließen aus der Stadt.64

Diese Bemerkung ist insofern relevant, als an den beiden Plätzen verschiedene historische Bauwerke abgerissen oder gar überbaut wurden. Dennoch deuten schweigende Quellen nicht zwangsläufig auf ein intendiertes Verschweigen hin, genauso wenig wie darauf, ein Thema habe keine Bedeutung gehabt. Die Arbeit nimmt das Vergessen in den Blick, als Teil der dialektischen Beziehung von Erinnern und Vergessen.65 Ein praktischer Grund ist die fragmentarische Überlieferung, die angesichts des langen Untersuchungszeitraums nicht verwundert, wohl aber auch daran liegt, dass die Behörden und Zuständigkeiten wenig konstant waren. Das Hauptquellenkorpus besteht aus Akten der verschiedenen mit Architektur, Stadtplanung und Denkmalschutz betrauten Institutionen. Im Archiv der Neuen Akten (Archiwum Akt Nowych, AAN) sind die Unterlagen der staatlichen Institutionen aufbewahrt, während im Stadtarchiv (Archiwum Państwowe w Warszawie, APW) die Akten der städtischen AkteurInnen lagern. Die Akten des Büros für den Wiederaufbau der Hauptstadt (Biuro Odbudowy Stolicy, BOS), der wichtigsten Behörde zwischen 1945 bis 1949, sind dort gut zugänglich und erhalten, schließlich gehört das Archiv seit 2011 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Auch die Unterlagen des Warschauer Chefarchitekten, der 1951 erstmals berufen wurde und beim städtischen Nationalrat angesiedelt war, sind umfangreich, aber sicher nicht komplett. Die Akten des Warschauer Stadtplanerischen Büros (Biuro Urbanistyczne Warszawy, BUW), das nach der Auflösung des BOS 1951 entstand, sind hingegen nicht erhalten. Auf ministerialer Ebene wird deutlich, wie unklar die Zuständigkeiten gewesen sein müssen. Von 1945 bis 1949 gab es das Wiederaufbau-Ministerium unter der Leitung von Władysław Gomułka, das sich mit Warschau, insbesondere aber mit den sogenannten Wiedergewonnenen Gebieten befasste. Zudem gab es ein Bauministerium, dessen Akten für die Jahre 1946 bis 1949 und 1954 bis 1957 im AAN lagern. Darüber hinaus war das Ministerium für den Bau von Städten und Siedlungen (Ministerstwo Budowy Miast i Osiedli) mit solchen Fragen beschäftigt, dessen erhaltene Akten die Jahre 1946 bis 1956 abdecken. Weitere wichtige Gremien waren der Gesellschaftliche Fonds zum Wiederaufbau der Hauptstadt (Społeczny Fundusz 64 Marta Leśniakowska: Warszawa: miasto palimpsest, in: Fundacja Bęc Zmiana (Hg.), Chwała Miasta. The Glory of the City. Warszawa 2012, S. 95–102, hier S. 98. 65 Vgl. Gary Smith: Arbeit am Vergessen, in: Gary Smith/Hinderk M. Emrich (Hg.), Vom Nutzen des Vergessens. Berlin 1996, S. 15–26, hier S. 16.

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Odbudowy Stolicy, SFOS), der die speziellen Steuern verwaltete, die für den Wiederaufbau Warschaus erhoben wurden, sowie der beratende und kontrollierende Nationale Rat zum Wiederaufbau Warschaus (Narodowa Rada Odbudowy Warszawy, NROW). Die Unterlagen beider Institutionen lagern im AAN. Unvollständig ist leider das visuelle Material, das heißt Karten, Pläne, Zeichnungen, die den Korrespondenzen ursprünglich beigefügt waren. Einziger Lichtblick ist das Archiv der Akten und Pläne der Masowischen Wojewodschaft (Archiwum Akt i Planów Mazowieckiego Urzędu Wojewódzkiego), das nur schwer zugänglich war.66 Visuelle Quellen bot zudem das Institut für Stadtplanung und Architektur (Instytut Urbanistyki i Architektury). Dessen Aktenbestand im AAN ist äußerst schmal, während in der Bibliothek des Warschauer Politechnikums (Politechnika Warszawska) seit 2005 der Bildbestand dieses Instituts lagert. Zusätzlich wurden weitere kleine, bisher kaum von der Forschung genutzte Archive einbezogen, wie das Archiv des SARP, das Archiv des Nationalen Instituts für Kulturerbe (Zespół d/s Archiwaliów w Narodowym Instytucie Dziedzictwa), wo die Akten des 1962 im Kulturministerium gegründeten Zentrums für die Dokumentation von Baudenkmälern (Ośrodek Dokumentacji Zabytków) lagern, sowie das Masowische Amt für Denkmalschutz (Archiwum Mazowieckiego Wojewódzkiego Urzędu Ochrony Zabytków). Aufgrund des am Plac Zwycięstwa geplanten Neubaus der französischen Botschaft fanden sich gut gebündelte und aufschlussreiche Akten auch in Frankreich, und zwar im Diplomatischen Archiv Frankreichs (Centre des Archives Diplomatiques Nantes, CADN). Die Akten der obersten politischen Entscheidungsgremien wie des Politbüros und des Warschauer Exekutivkomitees der PZPR wurden aus verschiedenen Gründen nicht flächendeckend untersucht. Das hat neben dem offensichtlichen Problem des Aufwands bei einem Untersuchungszeitraum von über vierzig Jahren vor allem inhaltliche Gründe. Die bereits genannten Umstrukturierungen und unklaren Kompetenzen würden das Entscheidungsprozedere selbst bei perfekter Aktenlage sehr unübersichtlich machen. Zudem ist von Folgendem auszugehen: Die Plätze waren zwar zweifelsohne wichtige Plätze, die jedoch die verantwortlichen PolitikerInnen außer zu besonderen Anlässen im Alltagsgeschäft nicht beschäftigten. In den stichprobenartig durchgesehenen Akten des Warschauer Exekutivkomitees der Partei geht es neben ökonomischen und versorgungstechnischen Fragen vor allem um Parteiinterna, und nur teilweise und allgemein um Städtebau. Die gut dokumentierten internen Diskussionen

66 Das Archiv ist untergebracht im Wydział Archiwum Biura Organizacji Urzędu m.st. Warszawy.

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unter ArchitektInnen Anfang der fünfziger Jahre offenbaren zudem, dass es von höchster Stelle kaum genaue Direktiven gab, was die Suche in den Akten nach den Entscheidungsmomenten noch weniger vielversprechend macht. Außerdem scheinen Entscheidungen teilweise nicht dokumentiert zu sein, da sie beispielweise mündlich weitergegeben wurden. Diese Information stammt aus dem für diese Arbeit unverzichtbaren kommentierten Quellenband des ehemaligen Warschauer Chefarchitekten Józef Sigalin.67 Er veröffentlichte unzählige Dokumente aus seinem Privatarchiv, die er in den achtziger Jahren edierte, kommentierte und detailliert verschlagwortete. Das bringt verschiedene Details zur Kommunikation zwischen den AkteurInnen ans Tageslicht. Doch es gilt zu bedenken, dass Sigalin selbst intensiv am Warschauer Aufbau beteiligt war und sich wohl zumindest für seine Aktivitäten während des Sozialistischen Realismus teilweise rechtfertigen wollte.68 Auch aufgrund dieses Quellenbandes ist die Zeit bis 1956 besser erforschbar, weil zu dieser Hochphase des Warschauer Aufbaus mehr Material zur Verfügung steht. Anders und doch ähnlich ist die wichtige Publikation des Architekten Zygmunt Stępiński zu sieben Warschauer Plätzen, darunter die hier behandelten.69 Er war ohne Frage ein privilegierter Autor, der technisch und detailliert die Planungsgeschichten dokumentierte. Allerdings war er als Architekt selbst beteiligt und seine Planungen für den Plac Teatralny und den Plac Zwycięstwa – das ist entscheidend für die Interpretation – verschwanden häufig in der Schublade. Die Arbeit leistet außerdem einen Beitrag zur „wichtigen wissenschaftlichen Herausforderung um die Frage nach der damaligen öffentlichen Meinung zum Verlauf des Wiederaufbaus“.70 Aufgrund der Quellensituation fragt die Untersuchung bewusst nicht primär nach den Ursachen für das Zögern und die (Nicht-) Entscheidungen, sondern nach dem Inhalt der Pläne sowie den folgenden Reaktionen. Die Wahrnehmungen, Bedeutungszuschreibungen und Meinungen der ExpertInnen, also der ArchitektInnen und StadtplanerInnen, sind am besten dokumentiert. Diese Debatten lassen sich nicht nur anhand von Archivmaterial nachvollziehen, wobei gerade das Archiv des SARP eine teilweise sehr ergiebige

67 Vgl. die drei Bände Józef Sigalin: Warszawa 1944–1980. Z archiwum architekta. Tom I. Warszawa 1986; ders.: Warszawa 1944–1980. Z archiwum architekta. Tom II. Warszawa 1986; ders.: Warszawa 1944–1980. Z archiwum architekta. Tom III. Warszawa 1986. 68 Vgl. zur Herangehensweise an diese Quelle Andrzej Skalimowski: Sigalin. Towarzysz odbudowy. Wołowiec 2018, S. 12 f. 69 Vgl. Stępiński, Siedem placów. 70 Majewski, Ideologia, S. 284.

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Quelle war.71 Viele Zeitschriften bilden zudem die öffentliche Debatte ab, auch wenn gerade für die frühen fünfziger Jahre von einer rigiden Kontrolle der publizierten Inhalte ausgegangen werden muss.72 Umso interessanter ist es, dass selbst in dieser Zeit durchaus viele kontroverse Diskussionen abgedruckt wurden. Hauptquellen sind zum einen die vom SARP alle zwei Monate herausgegebene „Architektura“ und zum anderen die reich bebilderte Wochenzeitschrift „Stolica“. Letztere gab das BOS in den Anfangsjahren als Chronik des Wiederaufbaus heraus. Seit den Sechzigern fungierte es vor allem als Kulturmagazin für die Hauptstadt, das sich großer Beliebtheit erfreute.73 Darüber hinaus wurden andere Zeitschriften und Tageszeitungen in die Analyse eingebunden, die aufgrund der Kopplung des Themas an die beiden Plätze und mithilfe der äußerst umfangreichen Bibliographien zu Warschau handhabbar waren.74 Unredigierte Quellen, die direkt auf die Meinung der Bevölkerung abzielten, sind wie Stecknadeln im Heuhaufen. Eine davon findet in dieser Arbeit erstmals Eingang in die Forschung: der 1962/1963 von der Kulturabteilung des Stadtrats ausgeschriebene Schreibwettbewerb zum Thema „Współczesna Warszawa“ („Zeitgenössisches Warschau“).75 Auch die Umfrage „Jaka jesteś, Warszawo?“ („Wie bist Du, Warschau?“) von 1968/69 ist eine wertvolle Quelle, die allerdings umfangreich kommentiert publiziert wurde.76 Die rekonstruierten Stimmen sind deshalb so wichtig, weil die in der Presse veröffentlichten Meinungen nicht so sehr als ein Abbild der tatsächlichen

71 Der SARP richtete sämtliche polnischen Architekturwettbewerbe aus, deren sehr unterschiedlich überlieferte Dokumentation im bisher von der Forschung wenig genutzten SARPArchiv lagern. Darüber hinaus ist das für die Fragen dieser Arbeit wichtige Archiv des Masowischen Wojewodschaftsamtes (Archiwum Akt i Planów Mazowieckiego Urzędu Wojewódzkiego) hervorzuheben. 72 Vgl. den Beschwerdebrief des Chefredakteurs der „Architektura“ Jan Minorski an Jakub Berman, der beklagte, dass er sämtliche kritischen Artikel dem Chefarchitekten Sigalin vorlegen müsse: Adam Leszczyński: Sprawy do załatwienia. Listy do „Po Prostu“ 1955–1957. Warszawa 2000, S. 117. 73 Bis Anfang 2016 war die Zeitung komplett online zugänglich auf der Website der Digitalen Bibliothek Masowiens (Mazowiecka Biblioteka Cyfrowa). Sehr hilfreich ist weiterhin der analoge Zettelkatalog der warschaukundlichen Abteilung der Stadtbibliothek, in der die gesamten „Stolica“-Artikel nach Schlagworten aufbereitet sind. 74 Vgl. Muzeum Historyczne m.st. Warszawy (Hg.): Bibliografia Warszawy. Wydawnictwa ciągle 1944–1954. Wrocław 1964 sowie Janusz Durko (Hg.): Bibliografia Warszawy. Wydawnictwa 1955–70. Warszawa 2006. Für die Jahre 1959 bis 1988 gibt es im „Rocznik Warszawski“ eine jährliche Bibliographie, bearbeitet von Konrad Zawadzki. 75 Vgl. APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Schreibwettbewerb „Współczesna Warszawa“ von 1962/63. 76 Stefan Nowakowski (Hg.): Jaka jesteś Warszawo? Warszawa 1972.

Übersetzungsbedingte Besonderheiten und Sprachgebrauch

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Stimmen und Stimmungen gelten können, sondern die öffentlich zugelassene Debatte widerspiegeln, also das, was öffentlich sagbar und welcher Grad an Kritik möglich war. Persönliche Einschätzungen wurden teilweise in Leserbriefen geäußert. Doch dabei ist Vorsicht geboten, da weder die Authentizität des/ der Absenders/in, noch des Inhalts heute zu überprüfen sind.77 Zudem sei eine rhetorische Frage des Architekten Sigalin in einer Diskussion in der Zeitschrift „Nowa Kultura“ von 1958 wiederholt: „Haben wir das Recht, ‚im Namen‘ der Warschauer zu sprechen?“ Er zweifelte den Hang seiner KollegInnen an, mit der Meinung der Bevölkerung zu argumentieren, denn wenn überhaupt könne man allenfalls die Position seines Milieus („środowisko“) wiedergeben.78 Mit dieser Kritik im Hintergrund wird das Unterfangen, heute eine öffentliche Meinung zu rekonstruieren, nicht nur noch schwieriger, sondern geradezu fragwürdig. Doch mit dem vollen Bewusstsein für diese Schwierigkeit wird hier nicht der Versuch unternommen, „die eine“ öffentliche Meinung oder „das eine“ Bild der Stadt zu identifizieren. Stattdessen werden die verschiedenen Stimmen gleichberechtigt nebeneinandergestellt, um zu zeigen, dass die Debatten über Städtebau durchaus divers bis kontrovers sein konnten – voller Wechselbeziehungen, Widersprüche und Widerrede, in diesem so häufig als monolithisch wahrgenommenen Regime.79

Übersetzungsbedingte Besonderheiten und Sprachgebrauch Der externe Blick kann Gewohnheiten infrage stellen – auch auf die in den Quellen und in der Sekundärliteratur verwendete Sprache. Da diese Arbeit auf Deutsch verfasst ist, mussten einige polnische Begriffe nach ihrem Kern befragt werden, etwa weil sie keine direkten deutschen Entsprechungen haben. Das war teilweise verunsichernd, aber auch erkenntnisfördernd.

77 Vgl. insbesondere das Kapitel „Czy można wierzyć listom?“ in Leszczyński, Sprawy do załatwienia. 78 o.V.: Miasto w którym żyjemy. Rozmowa w redakcji „Nowej Kultury“, in: Nowa Kultura (1958), 10, S. 1–7, hier S. 1. 79 Vgl. Karsten Brüggemann: Von der „Perle des Ostsee-Barock“ zur „sozialistischen Stadt“. Der Wiederaufbau Narvas im Spätstalinismus 1944–1953, in: Thomas M. Bohn (Hg.), Von der „europäischen Stadt“ zur „sozialistischen Stadt“ und zurück? Urbane Transformationen im östlichen Europa des 20. Jahrhunderts. München 2009, S. 129–153, hier S. 132. Er identifiziert in diesem Aufsatz über den (Wieder-)Aufbau Narvas in der Estnischen Sowjetrepublik „Abläufe und Debatten, die in der Spätphase des Stalinismus vielleicht überraschen, denn es tauchen potentielle Entwicklungen am Horizont der sowjetischen Peripherie auf, die nicht ohne Weiteres in das gewohnte Bild einer gewaltsamen Gleichschaltung passen.“

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Zu den wichtigsten Herausforderungen zählt, dass der weitverbreitete Begriff „władza“ oder „władze“ keine einfache Übersetzung im Deutschen findet. Direkt übersetzt bedeutet er „Macht“ oder „Mächtige“, was nahelegt, dass es sich am ehesten um „Machthabende“ oder „Staatsmacht“ handelt. Die fehlende Präzision des Begriffs macht ihn wahrscheinlich so attraktiv auf Polnisch, da so die genauen AkteurInnen unbenannt bleiben können. Teilweise ist „die Verantwortlichen“ die beste Entsprechung, insbesondere wenn es sich um das Zusammenspiel von PolitikerInnen sowie ArchitektInnen und StadtplanerInnen – die wiederum gemeinsam häufig als „PlanerInnen“ bezeichnet werden – handelte. Wenn mit „władza“ die machthabende PZPR gemeint war, wird dieses Wort in der Arbeit oft mit „Partei“ übersetzt. Insgesamt versucht diese flexible Übersetzungspraxis zu berücksichtigen, wer eigentlich handelte oder Entscheidungen traf. Ähnliches gilt für die im Polnischen sehr populären unpersönlichen Partizipialkonstruktionen wie „zdecydowano“ oder ähnliche. Eine passivische Übersetzung wäre die naheliegende, also „es wurde entschieden“. Da aber die Arbeit generell versucht, AkteurInnen zu benennen, wird diese Übersetzung möglichst vermieden. Zu diesem Anspruch gehört, dass von PlanerInnen etc. die Rede ist, selbst wenn die Politik der Volksrepublik und die Architektenschaft männlich dominiert waren. Im BOS und in anderen Planungsbüros arbeiteten viele Frauen. Gerade weil sie nicht in der ersten Reihe standen, ist das Bewusstsein dafür verschwindend gering. Dieses soll unter anderem mit dieser Sprachregelung, die bezüglich ihrer Lesbarkeit sicherlich Schwächen hat, geschärft werden.80 Die Begriffe „städtischer Aufbau“, „Wiederaufbau“ und „Rekonstruktion“ sind ebenfalls zu erläutern. In dieser Arbeit wird der gesamte Prozess, aus Warschau wieder eine funktionstüchtige Stadt zu machen, als „Aufbau“ Warschaus bezeichnet. Mit der klaren Entscheidung soll vor allem der Blick für die vielschichtigen Implikationen geschärft werden, die der Terminologie damals wie heute innewohn(t)en. Denn häufig umschließt der Begriff „Wiederaufbau“ diesen gesamten Prozess, auch den Umbau der Stadt inklusive der Neubauten. In dieser Untersuchung ist mit „Wiederaufbau“ nur die Wiederherstellung eines Bauwerks in seiner historischen Gestalt oder zumindest in Anlehnung daran gemeint. Als Unterkategorie wird die „Rekonstruktion“ angesehen, bei der mit einem größeren zeitlichen Abstand ein an dem historischen Vorbild mehr oder weniger stark orientiertes Bauwerk entsteht. Ein prominentes Beispiel ist das Königsschloss, das erst in den siebziger Jahren rekonstruiert wurde. 80 In Zitaten sowie Bezeichnungen von Denkmälern oder Organisationen bleibt das generische Maskulinum. In Zweifelsfällen, selbst wenn wahrscheinlich keine Frau dabei war, wird zumeist dennoch die weibliche Endung hinzugefügt. Im Falle von zusammengesetzten Wörtern wie „Expertenschaft“ wird davon abgesehen.

Übersetzungsbedingte Besonderheiten und Sprachgebrauch

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Außerdem wird in dieser Arbeit mit „Stadtplanung“ („urbanistyka“) das bezeichnet, was explizit StadtplanerInnen tun. „Städtebau“ (ebenfalls „urbanistyka“) hingegen ist der gesamte Vorgang, an dem ArchitektInnen, StadtplanerInnen sowie PolitikerInnen mit ihren Grundsatzentscheidungen, Gesetzen und Richtlinien beteiligt sind. Theoretisch kann darüber hinaus die Gesellschaft Teil des städtebaulichen Prozesses sein, beispielsweise in Form von Protesten und Initiativen, was allerdings in autoritären Staaten selten anzutreffen ist. Zudem gibt es im Polnischen zwei Entsprechungen des Wortes Zentrum: „Śródmieście“ und „Centrum“. Im Warschauer Fall bezeichnet „Śródmieście“ einen größeren Bereich als das „Centrum“. Mit letzterem ist eher die tatsächliche heutige Stadtmitte gemeint, während ersteres das große Stadtgebiet bezeichnet, das zentral zwischen den vielen Wohnsiedlungen am Stadtrand liegt. Das Warschauer „Centrum“ ist also ein Teil des „Śródmieście“. Weil dies kompliziert zu übersetzen ist, wird in beiden Fällen die Übersetzung „Zentrum“ gewählt. Abschließend ist die Frage nach den Orts- und Straßennamen zu erläutern. Um der Lesefreundlichkeit willen, insbesondere in Bezug auf die Deklination, werden in dieser Arbeit die im Deutschen gängigen Städtenamen verwendet. Gleiches gilt für die meisten Gebäudenamen, die in der Regel in ihrer deutschen Entsprechung gebraucht werden. Die Namen der Plätze und Straßen bleiben in der Regel polnisch. Die Übersetzungen der polnischen und französischen Zitate aus den Originalquellen stammen von der Autorin. Ausgangspunkt der Arbeit bilden die Eindrücke der fast komplett zerstörten Stadt, die RückkehrerInnen 1945 festhielten. Kern dieses Kapitels „Die ermordete Stadt. Warschau 1945 in den Augen der Überlebenden“ ist die biologistische Sprache zahlreicher AutorInnen, die als Indiz für die emotionale Haltung vieler ZeitgenossInnen Warschaus gegenüber gesehen wird. Vor diesem Hintergrund mussten die Verantwortlichen über den Aufbau der Stadt entscheiden, was im Kapitel „Inwiefern ein Neuanfang? Das Dilemma der Verantwortlichen“ analysiert wird. Doch diese Debatten müssen wiederum in Bezug gesetzt werden zu den Umbauplänen, die vor und während des Krieges gemacht wurden, da viele Kontinuitätslinien gezeichnet werden können. Anschließend fokussiert die Arbeit das erste Mal auf die beiden hauptsächlich in der Arbeit behandelten Plätze, den Plac Zwycięstwa und den Plac Teatralny. Im Zentrum steht die Wiedereinweihung eines Ruinenfragments des Grabes des Unbekannten Soldaten und der Versuch, dieses identitätspolitische Schwergewicht der Zwischenkriegszeit in das Narrativ der neuen Machthabenden einzuflechten. Während in den ersten Nachkriegsjahren das historische Zentrum durchaus auch als neues Zentrum vorgesehen war, änderte der Stalinismus diese Planungen drastisch. Das Kapitel „Radikale Pläne ohne Programm: Die Stalinisierung des städtischen Raums“ untersucht, inwiefern der in diesem

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Zeitraum vorherrschende Sozialistische Realismus die Gegend stark verändert und beeinflusst hat, ohne dass ein einziger der geplanten Neubauten tatsächlich entstand. Zudem offenbart dieses Kapitel eine lebhafte und teilweise kritische Debattenkultur über städtebauliche Fragen während dieser repressiven Zeit. Das Kapitel „Modernisierung und Erinnerung in Zeiten des ‚fortschrittlichen Nationalismus‘“ analysiert, wie die Machthabenden in den sechziger Jahren die beiden Plätze zum Zentrum des Gedenkens an den Sieg im Zweiten Weltkrieg und damit zu einem legitimationspolitischen Anker machten. Gleichzeitig versuchte die Partei mit moderner Architektur grundlegende Probleme wie Wohnungsmangel einzudämmen. Das letzte Kapitel „Prestigeprojekte und die Opposition im historischen Zentrum“ zeigt, wie sehr die erstarkende Opposition die Gegend, insbesondere das Grab des Unbekannten Soldaten, für ihre Botschaften nutzte. Damit werden die Vorgänge selbst zum Symbol dafür, wie sehr das Monopol der Partei über den öffentlichen Raum sowie über legitimatorisch entscheidende historische Narrative schwand.

2 Tabula Rasa oder Tradition? Trauer, Chancen und Machtkämpfe (1945 bis 1949) 2.1 Die ermordete Stadt: Warschau 1945 in den Augen der Überlebenden Vor den Ruinen des Rathauses am Plac Teatralny versammelten sich am 4. Mai 1945 zahllose Menschen, um die Kapitulation Berlins zu feiern. Die Zeitung „Życie Warszawy“ hatte dazu aufgerufen: Bewohner Warschaus! Der Tag der Befreiung Berlins [. . .] ist uns ein großer Feiertag. Vom Fall Berlins träumten wir, als die Deutschen Warschau zerstörten und abbrannten. Dass dieser Tag kommen würde, daran glaubten die, die nicht mehr unter uns sind, die unter den Trümmern der Hauptstadt begraben sind. [. . .] Auf zur Kundgebung!81

Das zerstörte Rathaus war dabei mehr als nur Kulisse. Seine Ruine bezeugte nicht nur die Kriegsgräuel, sondern war selbst Schauplatz entscheidender Kriegsmomente gewesen: Zunächst hatte das Kommando der Verteidigung Warschaus unter Leitung des bisherigen Bürgermeisters Stefan Starzyński im September 1939 von hier aus den Widerstand der Stadt gegen die deutschen Truppen organisiert. Im Warschauer Aufstand 1944 konnten Aufständische das Rathaus lange Zeit halten, bis deutsche Truppen es schließlich in eine Ruine verwandelten. Auch am 9. Mai 1945 versammelten sich zahlreiche WarschauerInnen zwischen diesen Trümmern und der Ruine des Teatr Wielki, um das offizielle Kriegsende zu feiern. Knapp vier Monate zuvor, am 17. Januar 1945, hatten Soldaten der Roten Armee Warschau nach über fünf Jahren von der deutschen Besetzung befreit. Denen, die an diesem Tag die Weichsel gen Westen überquerten, bot sich „eine schreckliche Täuschung“, wie der Schriftsteller Kazimierz Brandys die kaum vorstellbare Zerstörung beschrieb.82 Die Autorin Janina Broniewska fasste den Anblick bei ihrer Rückkehr nach Warschau in einen Appell: „Warschauer – Freunde! Versteht: Hier ist nichts! Hier gibt es nichts! Nichts! Weder Eure Mutter ist hier, noch ein einziger Hausmeister. Das hier ist ein Gräberfeld. Das ist der schlimmste aller Träume. Worte sind abgenutzt, Worte sind unnütz.“83

81 o.V.: Święto 3 Maja w Warszawie. Stolica przyjmuje entyzjastycznie wieść o zdobyciu Berlina, in: Życie Warszawy, 04.05.1945, S. 6, zitiert nach Magdalena Grzebałkowska: 1945. Wojna i pokój. Warszawa 2015, S. 134. 82 Brandys, Warszawa, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 102. 83 Broniewska, Warszawa, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 45. https://doi.org/10.1515/9783110644975-002

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Dennoch stellt dieses Kapitel Worte der RückkehrerInnen in den Mittelpunkt, um die allgemeine Ausgangssituation in Warschau 1945 zu verdeutlichen. Die Auswahl, darunter die wichtigsten Intellektuellen der Zeit sowie gewöhnliche WarschauerInnen, kann natürlich nicht als repräsentativ gelten.84 Doch solange sie als Einzelstimmen erkennbar bleiben, können sie dieser Arbeit dienlich sein. Denn die nüchternen Zahlen können den Verlust an Gebäuden und Menschen zwar beziffern, aber kaum verständlicher machen. Mehr als die Hälfte der circa 1,3 Millionen VorkriegseinwohnerInnen war im Krieg getötet worden. Die andere Häfte war zur Zwangsarbeit deportiert worden oder geflohen, die letzten nach dem Ende des Warschauer Aufstandes im Oktober 1944. So war also im Januar 1945 nicht nur die Warschauer Bausubstanz zu circa 76 Prozent zerstört, sondern die Stadt war beinahe komplett leer und stumm. Daher sind die in diesem Kapitel behandelten zeitgenössischen Stimmen nicht nur eine entscheidende Ergänzung, sondern auch eine wichtige Quelle für Besonderheiten, die den Warschauer Fall betreffen. Wie eng die nationalsozialistische Zerstörungswut gegenüber der Bausubstanz in Warschau mit der Brutalität und Mordlust an der Bevölkerung zusammenhing, wurde insbesondere deutlich während der beiden Aufstände gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Im April 1943, nachdem bereits 300 000 Juden und Jüdinnen aus dem Ghetto ins Vernichtungslager Treblinka deportiert worden waren, erhoben sich Teile der wenigen verbliebenen GhettobewohnerInnen zum bewaffneten Aufstand gegen die übermächtigen nationalsozialistischen Truppen. Diese bekämpften den Widerstand auch mithilfe der systematischen Zerstörung der Häuser, in denen sich Aufständische wie ZivilistInnen versteckt hielten: So brannten deutsche Truppen im April und Mai 1943 das gesamte Gebiet des Warschauer Ghettos (zwischen der Ul. Muranowska, Nalewki, Ul. Okopowa und Leszno gelegen) systematisch nieder, um den Aufstand zu beenden und das Ghetto endgültig zu liquidieren. Die dabei zerstörten Häuser wurden anschließend von ZwangsarbeiterInnen abgetragen, sodass einzig ein „hügeliger Ozean verbrannter Erde“85 zurückblieb – freilich voller menschlicher Leichenteile. Im Warschauer Aufstand 1944 starben zwischen 150 000 bis 180 000 Menschen, davon

84 Die meisten der hier zitierten Stimmen entstammen einer Edition von 1970, die einer der wichtigsten Warschau-Forscher der Zeit, Jan Górski, zusammengetragen hat. Die in diesem Band versammelten Beiträge sind trotz ihrer beeindruckenden Menge und Vielfalt natürlich eine Auswahl, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, sondern eher als ein Beitrag zu der Schaffung eines Narrativs über Warschau anzusehen sind. Vgl. Jan Górski (Hg.): Pamięć warszawskiej odbudowy 1945–1949. Antologia. Warszawa 1972. 85 APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 449, Beitrag am Schreibwettbewerb 1962/63: „Reportaż o współczesnej Warszawie“, S. 18.

2.1 Die ermordete Stadt: Warschau 1945 in den Augen der Überlebenden

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90 Prozent ZivilistInnen. Was mit unvergleichlich brutalen Massenerschießungen von bis zu 40 000 ZivilistInnen in den ersten Augusttagen 1944 begann, endete mit der „systematischen Vernichtung der materiellen und kulturellen Substanz der Stadt“.86 Während des Aufstandes und danach zerstörten deutsche Truppen weite Teile der Stadt systematisch bis direkt vor ihrem Rückzug im Januar 1945. Dazu gehörten die Altstadt, Powiśle, Czerniaków, das nördliche Zentrum und Wola. Da die Besatzungstruppen beide Aufstände auch mithilfe der Zerstörung der Stadtteile der Aufständischen niederkämpften und systematisch damit weitermachten, ist die Zerstörung Warschaus linksseitig der Weichsel, wo beide Aufstände stattfanden, sogar mit 84 Prozent zu beziffern.87 In besserem Zustand befanden sich lediglich das südliche Zentrum, Stary Mokotów und Żoliborz im Norden sowie der Stadtteil Praga rechtsseitig der Weichsel.88 Letzterer war bereits während des Warschauer Aufstands von sowjetischen Truppen gehalten worden. Die enge Verknüpfung der Ermordung großer Teile der Bevölkerung mit der Zerstörung der Stadtstruktur ist als eine Warschauer Besonderheit anzusehen. Die Folge war die „soziale und räumliche Auflösung“ der Stadt („dekompozycja społeczna i przestrzenna“), wie es der Kunsthistoriker Waldemar Baraniewski auf den Punkt brachte.89 Zwar war „die psychosoziale Verfassung“ der gesamten polnischen Bevölkerung insgesamt nicht besser „als ihre in Ruinen liegende Hauptstadt“, so Zaremba, der die Folgen des Krieges in seiner wichtigen Arbeit Die große Angst über die ersten Nachkriegsjahre in Polen analysiert hat.90 Angst, Aggression, Alkoholismus – das waren verbreitete Folgen des „Lebensstils des Krieges“ und Ausdruck des „Traumas des Zweiten Weltkriegs“.91 Doch das von Zaremba gefundene Bild, also die Parallelisierung des Zustands der Hauptstadt und der inneren Gefühlswelt der ZeitgenossInnen, ist nicht nur eine treffende Metapher. Sondern sie bringt insbesondere die Warschauer Situation auf den Punkt, genauer gesagt die der stetig zurückkehrenden BewohnerInnen und ihre Wahrnehmung der Stadt. Denn die enge Beziehung zwischen der Stadt und den Menschen findet sich in zahlreichen zeitgenössischen Darstellungen über die Rückkehr nach Warschau wieder – und zwar in Bezug auf das Äußere sowie auf das menschliche Innenleben. So verlieh die Schriftstellerin Pola Gojawiczyńska den Ruinen auf

86 Borodziej, Geschichte Polens, S. 250. Zur Situation der Zivilbevölkerung vgl. das Kapitel mit diesem Titel in ders.: Der Warschauer Aufstand 1944. Frankfurt am Main 2001, S. 188–204. 87 Majewski/Markiewicz, Budujemy nowy, S. 17. 88 Vgl. ebd. 89 Baraniewski, Pałac, S. 18. 90 Zaremba, Die große Angst, S. 71. 91 Vgl. ebd., S. 90–93.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

der anderen Weichselseite, die die ProtagonistInnen ihres 1946 veröffentlichten Romans Stolica (Hauptstadt) bei ihrer Rückkehr im Winter 1945 erblickten, menschliche Züge: „Ah, das war menschlicher Gestalt! . . . Dort am anderen Ufer standen Menschen, ganze Reihen: Skelette, Geister, Schatten, ohne Worte, stumm, erblindet, mit abgehackter Schulter, blass, weiß, [. . .]. Das alles in einer gewaltigen Stille, doch nicht wie auf dem Friedhof.“92 Auch der Künstler Bronisław Wojciech Linke vermenschlichte die Ruinen auf seinen Zeichnungen, die er nach seiner Rückkehr in die zerstörte Stadt, infolge langer Spaziergänge und Gespräche, anfertigte.93 In dem Bild Rückkehr (Powrót) aus der Serie Die Steine schreien (Kamienie krzyczą), das 1946 erstmals publiziert wurde, hockt ein auf die Knie gesunkener Rückkehrer vor einer Häuserruine, erdrückt von Verzweiflung, vielleicht versunken ins Gebet. Die Häuserruine ist ebenfalls nach vorne gebogen, sie scheint fast umzufallen. Doch wegen der menschlichen Züge, die Linke ihr verlieh, könnte sie sich zu ihm herabbeugen und die „Arme“ tröstend ausbreiten. Die Verbindung zwischen dem Schicksal der Stadt und dem ihrer BewohnerInnen, die Linke wohl empfand, wird überdeutlich.94 Eine Interpretation könnte lauten: Wenn man zu den Überlebenden zählte, lag das eigene Leben mitsamt den Ruinen der Hauptstadt in Trümmern. Das Bild widmete Linke der Schriftstellerin Maria Dąbrowska „ohne Worte“.95 Dąbrowska fand in dem 1946 publizierten Zeugnis über ihre erste Fahrt nach Warschau 1945 für ihre Verzweiflung folgende Worte: „Ich stehe dort lange mit Tränen in den Augen, meine Gedanken sind zerschlagen wie die Stadt, und mein Herz ist zerquetscht.“96 Man könnte meinen, Linke habe genau diesen Moment auf den Zeichenblock gebannt. Und der Schriftsteller Kazimierz Brandys spitzte an anderer Stelle zu: „Wie schwierig es ist, die Stadt wiederaufzubauen. Und wie soll man erst in sich selbst die zerstörten Gebiete wiederaufbauen?“97 Diese biologistische Metaphorik ist nicht einzigartig für Warschau, denn auch die starke Zerstörung anderer Städte fand auf diese Weise ihren künstlerischen Ausdruck. Als prominentes Beispiel kann das Denkmal „Die zerstörte Stadt“ („De verwoeste stad“) von Ossip Zadkine dienen, das 1953 in Rotterdam errichtet wurde, zur Erinnerung an die Zerstörung der Stadt während des deutschen Luftangriffs im Mai 1940. Es zeigt einen verzerrten Körper, dem das Herz

92 Gojawiczyńska, Stolica, S. 6. 93 Bronisław Wojciech Linke: Kamienie krzyczą. Warszawa 1967. 94 Vgl. Krzysztof Lipowski: Skorpion na policzku. Słowo i obraz w twórczości Bronisława Linkego. Gdańsk 2014, S. 32. 95 Vgl. die Widmung bei Górski, Pamięć, S. 65. 96 Dąbrowska, Moja pierwsza, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 73. 97 Kazimierz Brandys: Listy do pani Z. London 1993, S. 45.

2.1 Die ermordete Stadt: Warschau 1945 in den Augen der Überlebenden

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Abb. 2.1: Das Bild „Die Steine schreien“ („Kamienie krzyczą“) aus dem gleichnamigen Zyklus von Bronisław Wojciech Linke, 1946.

rausgerissen wurde, Kopf und Hände klagend gen Himmel gerichtet.98 Diese vermenschlichende Metaphorik nutzte ebenfalls der Städteforscher, Essayist und Künstler Bogdan Bogdanović, der während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien den Begriff des „Stadtmordes“ prägte.99 Solche Metaphern scheinen darüber hinaus in Bezug auf zerstörte Städte so sehr nahezuliegen, dass sich

98 Vgl. die ähnliche Rhetorik in der Broschüre „Das neue Herz von Rotterdam“ der Stadtverwaltung, um das radikale Neubau-Konzept der Stadt zu propagieren, in van de Laar, Modernism, in: Wagner-Kyora (Hg.), Wiederaufbau europäischer Städte, S. 218. Auch eine spätere offizielle Broschüre, in der Fotos der Neubauten denen von zerstörten Flächen gegenübergestellt wurden, nutzt die Symbolik der Wiedergeburt Presse- und Informationsamt der Stadt Rotterdam: Rotterdam. Sinnbild der Wiedergeburt Hollands. Rotterdam 1957. 99 Bogdan Bogdanović: Die Stadt und der Tod. Essays. Klagenfurt 1993, S. 65.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Abb. 2.2: Das 1953 eingeweihte Rotterdamer Denkmal „Die zerstörte Stadt“ von Ossip Zadkine, September 1967.

viele AutorInnen ihrer bedienen – meist jedoch ohne sie zu reflektieren.100 Doch nicht nur, weil sich diese Metaphorik um ihrer Anschaulichkeit willen

100 In dem wichtigen frühen Werk zur Stadtplanung für Warschau während des Zweiten Weltkrieges ist die Rede von einer „verletzten“, „ausgelieferten“ Stadt, vgl. Niels Gutschow/Barbara Klain: Vernichtung und Utopie: Stadtplanung Warschau 1939–1945. Hamburg 1994, S. 17. Vgl. z. B. auch Hoppe, der Berlin und Kaliningrad als Städte mit „bösem Charakter“ bezeichnete: Bert Hoppe: Auf den Trümmern von Königsberg. Kaliningrad 1946–1970. München 2000, S. 43.

2.1 Die ermordete Stadt: Warschau 1945 in den Augen der Überlebenden

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quasi aufdrängt, war sie meiner Meinung nach in Warschau so verbreitet. Weitere wichtige und spezifische Aspekte des Verhältnisses der neuen und alten WarschauerInnen zu ihrer zerstörten Stadt scheinen darin auf, die als Hintergrund für die Arbeit bedeutsam sind und daher näher analysiert werden. Einen Grund für die verbreitete Nutzung der Körpermetaphern war die allgegenwärtige Dichotomie von Tod und Leben in Warschau. Denn die Stadt war für die allermeisten RückkehrerInnen der Ort, an dem Angehörige, oder gar die gesamte Familie zu Tode gekommen war. Zudem barg die Stadt nach Ende des Krieges verschiedene tödliche Dimensionen für die Überlebenden. Die wenigen erhaltenen Gebäude, die Ruinen und die Schuttberge bedeuteten für die Menschen weiterhin eine konkrete tödliche Gefahr, da viele von ihnen vermint waren. Allein vom 18. Januar bis 1. März 1945 entdeckten Pioniere 33 Minenfelder; 10 231 Minen verschiedener Art machten sie unschädlich.101 Zudem bedrohten zusammenstürzende Ruinen das Leben der WarschauerInnen. Vor allem aber war Warschau übersäht von Leichen, die teilweise von Trümmern, teilweise nur provisorisch, und einige noch gar nicht begraben waren. Die akute Seuchengefahr, die im Sommer 1945 herrschte und schließlich gebannt werden konnte, verwundert insofern nicht. Allein die Exhumierungen der provisorisch Begrabenen dauerten in Warschau bis 1948 an.102 Die Schriftstellerin Janina Broniewska schrieb dazu: „Jetzt [im Winter 1945] herrscht Frost, da riecht man es nicht. Aber unter diesen Trümmern? Was, zweihunderttausend? Hat jemand gezählt? Auf jeden Schritt kommt ein Grab!“103 Der Schriftsteller Kazimierz Brandys beschrieb den Anblick Warschaus über mehrere Seiten sehr eindringlich mithilfe der Metapher eines malträtierten Körpers: „Der Körper Warschaus liegt auf zerwühlter Erde, bewegungslos aufgeknüpft von Mokotów [im Süden] bis Bielany [im Norden], [. . .]. Schnee hüllt den Körper ein wie eine Bandage – aber was passiert, wenn der Schnee schmilzt?“104 Dass diese Allgegenwart des Todes laut Zaremba die grundlegende Quelle des Nachkriegstraumas der PolInnen war, überrascht ebenso wenig.105 Vor diesem Hintergrund verblüfft eine weitere Aussage der Schriftstellerin Maria Dąbrowska. So widersprach sie entschieden, beinahe schreiend, einem mitleidigen Kommentar: „Warschau? Warschau ist das pure Leben! Doch nicht etwa ein Leichenhaus! Warschau? Das ist die lebendigste Stadt der Welt!“106 Denn in

101 102 103 104 105 106

Zaremba, Die große Angst, S. 375. Grzebałkowska, 1945, S. 156. Broniewska, Warszawa, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 47. Kazimierz Brandys: Miasto pokonane. Warszawa 1957, S. 253 f. Zaremba, Die große Angst, S. 73–76. Dąbrowska, Moja pierwsza, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 82.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

diesem Winter und Frühjahr 1945, in denen die meisten der hier zitierten Texte veröffentlicht wurden, kehrte das Leben zwischen die Trümmer zurück: Zwischen Januar und März 1945 kamen täglich um die 2 500 Menschen, alte wie neue BewohnerInnen, sodass Ende 1945 bereits wieder 474 000 Menschen in Warschau lebten. Das war umso bemerkenswerter, als die Stadt zu Anfang des gleichen Jahres noch beinahe menschenleer gewesen war und die Lebensbedingungen überaus beschwerlich waren.107 Doch die Freude war fragil bis ambivalent: Sobald es regnete, sei die Stadt nicht auszuhalten, weil dann das Wertvollste und Lebendigste, nämlich die Menschen, von den Straßen verschwänden, so der Schriftsteller Jerzy Putrament.108 In diesem Sinne ist die „Karnevalsatmosphäre“ zu verstehen, die in Warschau in diesen ersten Monaten nach dem Krieg geherrscht haben mag.109 Denn es konnte zwar das Überleben gefeiert werden, sechs Jahren Krieg und Vernichtungspolitik zum Trotz. Doch das Feiern dauerte nicht so lange an wie in anderen europäischen Städten110 und hatte ein aggressives Potential, auch weil die sogenannten „Kriegs-Wilden“ („dzicz wojenna“111), im Krieg moralisch verrohte Menschen, die Kneipen und Cafés der Stadt betrieben und bevölkerten.112 Diese Seite des Lebens in Warschau direkt nach dem Krieg beklagte der Warschauer Mieczysław Wionczek, der im Krieg mehrere Juden und Jüdinnen in Warschau versteckt gehalten hatte. In seinem mit „Nekrophilie“ überschriebenen Text vom April 1945 nutzte er vermenschlichende Metaphern, um den Anblick der entmenschlichten Stadt zu erfassen: „[Die Stadt] Warschau wurde nicht nur ermordet, sondern nach ihrem Tod auch vergewaltigt. Das sind Dinge, an die man nicht einmal denken möchte, über die man aber schreiben muss. Ich habe nicht gesehen, wie sich die Menschenmassen im Januar [1945] auf die Hauptstadtleiche gestürzt haben, aber die Häuser, die ich besuche, sagen alles.“113

107 Einen Eindruck in Form bewegter Bilder von der Rückkehr des Lebens in die Trümmer sowie deren zeitgenössischer Inszenierung vermittelt Tadeusz Makarczyńskis Film Siuta warszawska (Warschauer Suite) von 1946. Der zweite Teil heißt bezeichnenderweise „Die Rückkehr des Lebens“. Vgl. youtube.com/watch?v = c-VYy1lkRY0 (Zugriff 6. Juni 2016). 108 Putrament, Warszawa, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 90. 109 Zaremba, Die große Angst, S. 13. 110 Ebd., S. 312. 111 Gojawiczyńska, Stolica, S. 128. 112 Vgl. zum Thema alltägliche Unsicherheit beispielsweise das Kapitel über Banditentum in Zaremba, Die große Angst. Zu den Bevölkerungszahlen und der veränderten Sozialstruktur der Stadt vgl. in dieser Arbeit insbesondere das Kapitel „Politischer Aufbruch am Kulturpalast? Leben in Warschau zehn Jahre nach dem Krieg“. 113 Wionczek, Gesty, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 127. In der Fußnote zu Beginn dieses Textes ist auf S. 123 zu lesen, dass dieser Artikel 1945 in der neugegründeten Zeitschrift „Twórczość“ als „Dokument seiner Entstehungszeit“ erstmals gedruckt wurde. Im damaligen Kommentar

2.1 Die ermordete Stadt: Warschau 1945 in den Augen der Überlebenden

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Einerseits fällt bei den Schilderungen der ZeitzeugInnen also diese sehr persönliche, personifizierende Wahrnehmung und Interpretation des Gesehenen auf. Warschau wird als verstümmelter, ermordeter Körper dargestellt, oder gar als leidendes Wesen, mit dem man so sehr mitfühlte, dass man dessen Tod so persönlich nahm wie den eigenen Tod oder den einer nahen Person. So gesehen bedeutete das „Überleben“ der Stadt das eigene Weiterleben. Andererseits wurde diesem Warschauer Überleben eine weitergehende symbolische Bedeutung zugeschrieben. Denn so, wie die NationalsozialistInnen die Hauptstadt Polens mitsamt der Nation dem Erdboden hatten gleichmachen wollen, so wurde nun aus dem Weiterbestehen Warschaus eine symbolische Bedeutung für das ganze Land abgeleitet. So parallelisierte der Schriftsteller Jerzy Waldorff das Leiden und Sterben Warschaus mit dem eines Menschen, um den seine Angehörigen zu jedem Jahrestag des Todes trauern: Wenn eine Stadt stirbt, dann bringt ein Jahrestag das ganze Leid ans Tageslicht. Zehntausende Menschenleichen, Häuserleichen, in Agonie liegende Straßen im Feuerwahn. Eine Agonie, in der – wie Blutkörperchen im menschlichen Organismus – Bücher sterben, Handschriften, Bilder, Skulpturen, die Errungenschaften von Kunst und Wissenschaft: das Blut der Nation.114

Zwei Ausstellungen des BOS, die kurz nach dem Krieg im ganzen Land und in anderen europäischen Staaten und den USA gezeigt wurden, trugen demgemäß die programmatischen Titel Warschau klagt an (Warszawa oskarża) sowie Warschau lebt wieder (Warszawa znowu żyje). Der Soziologe Stanisław Ossowski hingegen urteilte nüchtern, ganz ohne die verbreitete Metaphorik zu nutzen: Die Strahlkraft der Hauptstadt als kulturelles Zentrum des gesamten Staates sei nicht zu unterschätzen.115 Diese emotionale Perspektive auf Warschaus Zerstörung – und damit auch auf ihren Aufbau – ist in persönlichen wie offiziellen Stellungnahmen zu finden. Das verwundert wenig, wenn man sich verdeutlicht, dass alle Verantwortlichen – PolitikerInnen wie ArchitektInnen – schließlich PolInnen und viele davon WarschauerInnen waren, die wie alle anderen im Angesicht der Zerstörung mit ihren Emotionen kämpfen mussten.116 Doch scheint zwischen der offiziell verlautbarten

hieß es, der Wiederaufbau Warschaus sei mittlerweile schon so weit fortgeschritten, dass das Urteil des Autors jetzt sicherlich weniger bitter ausfallen würde. Zum Plündern vgl. das Kapitel „Plünderungen in Warschau“ in Zaremba, Die große Angst, S. 224–228. 114 Waldorff, Żaby na placu, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 115. 115 Ossowski, Odbudowa stolicy, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 319. 116 Ewa Borecka gibt an, ein Großteil der BaumeisterInnen seien ehemalige WarschauerInnen gewesen, sowie die Mehrheit der Industriekader. Vgl. Emilia Borecka: 25 lat Warszawy, in: Kronika Warszawy (1970), 1, S. 23–50, hier S. 36.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Sympathie Warschau gegenüber und der teilweise von Privatpersonen gar explizit bekannten Liebe zu der Stadt eine potentielle Bruchlinie zu verlaufen, die es näher zu untersuchen gilt. Denn während die Machthabenden insbesondere die Liebe zum „Phönix aus der Asche“, also dem rasant fortschreitenden, staatlich geförderten Aufbau der Stadt im sprichwörtlichen „Warschauer Tempo“ („warszawskie tempo“) betonten, so soll der 1948 veröffentlichte Ausspruch von Jan Dobraczyński für eine andere Sichtweise stehen: „Tja, das ist dann wohl der Charme dieser Stadt, dass sie hässlich lebt, aber schön stirbt. Vielleicht reicht das einigen nicht. Aber wenn ich sie liebe, dann eben aus diesem Grund.“117 Seine Zuneigung speiste sich also aus einer anderen Quelle, nämlich der während des Krieges gewachsenen Liebe zur Stadt. Er bezieht sich auf den Verteidigungswillen der Stadtbevölkerung vor dem Krieg; im September 1939, vor allem wohl aber während des Warschauer Aufstandes. Daher wird in der Arbeit zu klären sein, inwiefern nicht nur die Erinnerung an das Vorkriegs-Warschau, sondern auch der Krieg und insbesondere der Warschauer Aufstand über den Lauf der Jahrzehnte wichtige Bezugspunkte oder gar legitimationspolitische Bruchstellen bildeten. Abschließend wirft diese vermenschlichende Terminologie eine weiterführende Frage auf, die einen speziellen Aspekt der in der Arbeit behandelten Debatten beleuchtet, und zudem auf den Städtebau hinführt. Biologisierende Terminologie in Bezug auf Städte findet sich auch in den Schlüsselwerken zur modernen Stadtplanung, so bei Ebenezer Howard in seinen Garden Cities of Tomorrow von 1907 und vor allem bei Le Corbusier in dem Werk Ville Contemporaine von 1925. Letzterer sah sich darin selbst als Arzt, der das „kranke Herz“, also das Zentrum von Paris, heilen könne. Er stand damit in gewissem Sinne in der Tradition der Maßnahmen von Georges-Eugène Haussmann Mitte des 19. Jahrhunderts, welcher Paris im Auftrag Napoleons III. grundlegend gemäß moderner verkehrstechnischer Anforderungen umbaute und der Stadt ihr bis heute typisches Gepräge mit den großen Achsen und Parks gab. Le Corbusier gerierte sich explizit als „Chirurg“, der das Krebsgeschwür, an dem Paris in seinem Herzen erkrankt sei, durch einen radikalen Schnitt heilen könne. Folgt man Susan Sontag, wohnt dieser Metapher vom Krebs Gewalttätigkeit inne, da sie Gewalt anheizen könne und häufig harte Maßnahme rechtfertigen solle.118 Doch selbst wenn Le Corbusiers zugleich visionärer und utopischer Plan umgesetzt worden wäre und dabei das historische „Herz“ von Paris radikal und auf gewisse Weise gewaltsam zerstört worden wäre, so wären die damit verbundenen Abrisse paradoxerweise

117 Dobraczyński, „Taki już“, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 233. 118 Vgl. David Pinder: Visions of the city. Utopianism, power, and politics in twentiethcentury urbanism. New York 2005, S. 76 f.

2.2 Inwiefern ein Neuanfang? Das Dilemma der Verantwortlichen

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zugleich konstruktiv gewesen, genau wie im Falle von Haussmanns Modernisierung im 19. Jahrhundert. Denn diese Abrisse waren der Ausgangspunkt für einen städtebaulichen Neubeginn. In Warschau hingegen war die Zerstörung doppelt destruktiv, denn ihre Urheber wollten nicht nur eine Stadt, sondern mit ihr die Bewohnerschaft vernichten. Warschaus zweifelsohne schon in der Zwischenkriegszeit geforderte Modernisierung der Stadt, von ZeitgenossInnen „Gesundung“ („sanacja“) genannt, hatte also nach dem Zweiten Weltkrieg einen gänzlich anderen, emotionaleren Ausgangspunkt als er in den Grundwerken der städtebaulichen Modernisierung sowie vor dem Krieg für Warschau vorgesehen war. Zudem hatte sie eine viel größere Aktualität, weil Wohnraum und Infrastruktur größtenteils in Schutt und Asche lagen. Hinzu kam in Polen nach dem Krieg die begriffsgeschichtliche Besonderheit, dass der Begriff „sanacja“ eng mit der Politik Piłsudskis aus den späten zwanziger und dreißiger Jahren verbunden ist. Die Frage lautet daher, inwiefern die Zerstörungsumstände und die vielerorts zum Ausdruck gebrachte Emotionalität Einfluss auf die „Gesundung“, das heißt die Modernisierung der Stadt hatten. Beeinflussten die grausamen Umstände von Warschaus Vernichtung das Bild der Stadt vor der Zerstörung und verursachten damit gar eine Wertschätzung der historischen Stadt, die vor dem Krieg in dieser Form vielleicht gar nicht bestanden hatte? Minimierten diese gleichzeitig die Bedeutung des Erneuerungspotentials, das Zerstörungen innewohnen kann? Inwiefern sollte die „ermordete Stadt“ mithilfe von Wiederaufbau zerstörter Bauten geheilt werden, oder durch die Modernisierung des schon vor dem Krieg „erkrankten Stadtorganismus“, um in der biologistischen Terminologie zu bleiben? Die Komplexität dieser Aufgabe deutet das abschließende Zitat des Schriftsteller Kazimierz Brandys an: „Wer die Kriegsjahre anderswo verbracht hat, wird uns nie verstehen.“ Und gleichzeitig bemerkte er: „Wir lieben schon die Stadt, die es noch nicht gibt, und wir lieben die Stadt, die aufgehört hat zu existieren.“119

2.2 Inwiefern ein Neuanfang? Das Dilemma der Verantwortlichen Der folgende Ausschnitt aus Pola Gojawiczyńskas Roman Stolica verdeutlicht nicht nur die dramatische Zerstörung der Hauptstadt, sondern auch die existenzielle Ungewissheit in Bezug auf die persönliche und allgemeine Zukunft: Was soll das bedeuten? [. . .] Das hat man uns nicht beigebracht [. . .]. Nicht in der Schule, nicht Zuhause, nirgendwo [. . .]. Nur ich selbst denke nun bei mir, wie verloren alles ist,

119 Beide Zitate stammen aus: Brandys, Warszawa, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 100.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

ruiniert bis auf den Grund – und dass nun etwas ganz Anderes, Neues kommen muss. Ob gut oder schlecht, weiß ich nicht. Ich kenne nur das, was in mir ist. Ich werde nie wieder so sein, wie ich war.120

Diese daraus hervorscheinenden „Gespenster der Vorläufigkeit“ bezeichnet Zaremba als eine generelle Erfahrung der polnischen Bevölkerung während des Krieges sowie danach.121 Das Romanfragment lässt allerdings neben Verzweiflung auch den Willen zu einem Neuanfang erkennen, als Notwendigkeit und einziger Ausweg. Diese Spannung lässt sich auf die Stadt Warschau selbst übertragen. Der Schriftsteller Kazimierz Brandys beschrieb 1946 einerseits die Verzweiflung, aber andererseits den Hoffnungsschimmer, den er beim Anblick der Trümmer verspürte: Damals, in diesen ersten Tagen, sagte mir jemand, der zum ersten Mal aus Praga über die Holzbrücke auf die andere Weichselseite gegangen war und seinen Entsetzensschrei angesichts des Grauens nicht zurückhalten konnte: ‚Das darf nicht angerührt werden. Es muss so bleiben, wie es ist.‘ [. . .] Aber ich wusste damals schon, dass es nicht so bleiben würde, wie es ist. Ich war mir sicher, dass jeder zertrümmerte Ziegel ein Denkmal aus Beton und Stahl bekommen würde [. . .]. Das ist eine Angelegenheit der Zukunft.122

Der Beschluss über den Aufbau der Hauptstadt überholte in gewisser Weise sogar die Zukunft, da der Landesnationalrat diesen am 3. Januar 1945 fällte, also noch vor der Eroberung der gesamten Stadt am 17. Januar. Dies war in Anbetracht der gigantischen Zerstörungen als eine kühne Entscheidung anzusehen. Stalin selbst beeinflusste diese wohl entscheidend, als er im Januar 1945 die letzten Skeptiker aus der polnischen Parteiführung, unter anderem den Parteichef Bierut, bei einer Moskaureise davon überzeugte, dass die Entscheidung über die Rückkehr in die alte Hauptstadt trotz ihrer Zerstörungen richtig sei.123 Als Alternative war neben dem kaum zerstörten Łódź Lublin im Gespräch, wo das Polnische Komitee der Nationalen Befreiung seit Juli 1944 seinen Sitz hatte. Doch das frühe Bekenntnis zu Warschau als Hauptstadt war insofern eine strategisch kluge Entscheidung, als der Beschluss ein wichtiges Symbol für historische Kontinuität war, dem deutschen Vernichtungsplan und allen objektiven Widrigkeiten zum Trotz.124 So erinnerte sich der damalige Bürgermeister Stanisław Tołwiński: „Es stimmt, dass es verschiedenste Gespräche gab und 120 Gojawiczyńska, Stolica, S. 18. 121 Vgl. das Kapitel „Gespenster der Vorläufigkeit“ in Zaremba, Die große Angst, S. 311–390. 122 Brandys, Miasto pokonane, S. 250 f. 123 Vgl. die Meinung von Robert Jarocki, zitiert in Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 154; Majewski, Ideologia, S. 30. 124 Vgl. Markiewicz, Prywatna odbudowa, in: Kochanowski/Majewski/Markiewicz/Rokicki (Hg.), Zbudować Warszawę, S. 216 Ausführlich über die Gründe und Konnotationen des Verbleibs der

2.2 Inwiefern ein Neuanfang? Das Dilemma der Verantwortlichen

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anekdotische [. . .] Witze entstanden. Aber niemand dachte ernsthaft daran, Warschau zu degradieren, oder es zu verkleinern, wie die Deutschen es geplant hatten [. . .].“125 Die Deutschen hatten Krakau zur Hauptstadt des Generalgouvernements gemacht. Es sollten also in dieser Hinsicht keinesfalls Bezüge zum deutschen Besatzungsregime möglich sein.126 Zudem antizipierte das PKWN damit eine Stimmung in der Gesellschaft: Die Stadt füllte sich sehr schnell wieder mit Menschen, die, so der Historiker Markiewicz, damit auch ihrer Verbundenheit mit der Hauptstadt Ausdruck verliehen.127 Die Vorläufer der Organisationen, die den Aufbau organisierten, waren bereits Ende 1944 gegründet worden. Im Februar 1945 entstand schließlich das BOS, die Schlüsselorganisation des Aufbaus der Hauptstadt in den ersten Nachkriegsjahren. Zu Hochzeiten, also Mitte 1946, beschäftigte das Büro fast 1 500 Menschen.128 In welcher Form die Stadt allerdings wiederaufgebaut werden sollte, war Gegenstand langanhaltender Diskussionen. Diese stehen am Anfang des Aufbaus Warschaus und sind insofern Gegenstand dieses Kapitels, als sie den Hintergrund für die später genauer zu analysierenden zwei Plätze darstellen. Die Diskussionen zeugen von einem grundlegenden Dilemma. Den Verantwortlichen stellte sich die Frage, inwiefern die Zerstörung als zu revidierender Verlust oder als Chance zur Erneuerung zu deuten sei. Nora Kirschenbaum formulierte diese Frage in ihrer Arbeit über Leningrad wie folgt: „Every building destroyed during World War II raised questions about the past and the future. From Hiroshima to London, citizens and city planners had to decide whether and how to reconstruct, remodel, or completely remake buildings and whole cityscapes. They faced the challenge of bringing cities back to life while honoring the dead.“129 Nun wurde dieses Dilemma, das ohne Frage alle zerstörten Städte betraf, im Falle Warschaus potenziert. Denn die Bewertung der Zerstörung war stark von dem unbedingten Vernichtungswillen der NationalsozialistInnen gegenüber der Stadt und seiner Bevölkerung geprägt, infolgedessen die Stadt einen doppelten Bruch – den der materiellen Substanz und der Sozialstruktur – zu verkraften hatte. Daher besaß der Aufbau und insbesondere der Wiederaufbau eine wichtige Hauptstadt in Warschau vgl. Górski, Dyskusje, in: Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk/Górski (Hg.), Warszawa Stolica 1, S. 92–103. 125 Tołwiński, Czy były wątpliwości, in: Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk/Górski (Hg.), Warszawa Stolica 2, S. 47. 126 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 155. 127 Vgl. Markiewicz, Prywatna odbudowa, in: Kochanowski/Majewski/Markiewicz/Rokicki (Hg.), Zbudować Warszawę, S. 219. 128 Majewski, Ideologia, S. 39. 129 Lisa A. Kirschenbaum: The Legacy of the Siege of Leningrad, 1941–1995. Myth, memories, and monuments. New York, NY 2006, S. 117.

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moralische und nationale Symbolik. Zusätzlich hatte „die Stadt nicht nur die Last der Kriegskatastrophe zu stemmen, sondern auch Versäumnisse deutlich älteren Datums“.130 Die Überzeugung, dass Warschau einen grundlegenden Umbau benötigte, reichte bis weit in die Zwischenkriegszeit zurück. Daher ist im Falle des Modernisierungsdiskurses zumindest in den ersten Nachkriegsjahren eine deutliche Kontinuitätslinie zur Zwischenkriegszeit zu ziehen, personell wie inhaltlich. Das ist umso interessanter, als in politischer Hinsicht ein dritter Bruch zu verzeichnen war: die Etablierung eines von der Sowjetunion gestützten Einparteiensystems.

2.2.1 Mehr als nur die Vorgeschichte: Städtebau vor 1945 In der Zwischenkriegszeit betrieb insbesondere der seit 1931 regierende Bürgermeister Stefan Starzyński konkrete Modernisierungspläne. Starzyński war sich im Klaren darüber, dass diese Modernisierung Hand in Hand mit dem Abbruch alter Strukturen gehen würde: „Auf die Entwicklung Warschaus wird eine Phase der Abrisse folgen, wie in Paris, Rom und anderen Städten.“131 Denn anders als viele westliche Städte befand sich Warschau in der Zwischenkriegszeit noch in seiner Haupturbanisierungsphase, und zudem in einer „städtebaulichen Krise“ („urban crisis“).132 Das lag vor allem daran, dass sich die Phase ihres größten Wachstums – Warschaus Bevölkerung wuchs von 380 000 im Jahre 1882 auf 885 000 im Jahre 1914 – unter besonderen Bedingungen ereignete, nämlich: „unter den Bedingungen einer russischen Herrschaft, die eine externe Beamtenschaft zur munizipalen Verwaltung ernannte und die Behördenleiter aus Sankt Petersburg entsandte. Alle Versuche, auch im Königreich Polen Formen städtischer Selbstverwaltung einzuführen, scheiterten am Petersburger Widerstand.“133 Doch der zaristischen Bürokratie das aus der Zwischenkriegszeit stammende Stigma des Modernisierungsverhinderers anzuheften, greift nach Malte Rolf

130 Brzostek, Robotnicy Warszawy, S. 34. 131 Trybuś, Warszawa niezaistniała, S. 163. 132 Martin Kohlrausch: Warszawa funkcjonalna: Radical Urbanism and the International Discourse on Planning in the Interwar Period, in: Jan C. Behrends/Martin Kohlrausch (Hg.), Races to modernity. Metropolitan aspirations in Eastern Europe, 1890–1940. Budapest 2014, S. 205–231, hier S. 208. 133 Malte Rolf: Imperiale Herrschaft im Weichselland. Das Königreich Polen im Russischen Imperium (1864–1915). Berlin 2015, S. 184.

2.2 Inwiefern ein Neuanfang? Das Dilemma der Verantwortlichen

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Abb. 2.3: Luftaufnahme des Plac Teatralny und des Plac Piłsudskiego mit Sächsischem Garten 1935. Die wichtigsten heutigen Straßennamen dienen der Orientierung. (Ausschnitt aus Google Earth durch die Autorin).

zu kurz.134 Es sei vielmehr eine Frage der verschiedenen Konzepte von Moderne und der gewählten Perspektive gewesen: ob man sich eher an anderen polnischen Großstädten wie Krakau oder Lemberg, die beide unter österreichischer Herrschaft standen, orientierte, oder, wie die russischen Beamten, an den Verhältnissen in anderen russischen Städten.135 Das Russische Reich sei an einem modernisierten Warschau interessiert gewesen, wenn auch teilweise in anderer Form als lokale AkteurInnen polnisch-katholischer Herkunft. So resümiert Rolf, dass das gemeinsame Projekt der urbanen Moderne insgesamt die Praxis imperialer Herrschaft modifiziert und AkteurInnen unterschiedlicher Couleur und Nationalität zusammengebracht habe. Dennoch stehe es außer Frage, dass insbesondere die „Doppelherrschaft“ von Stadtpräsident und Oberpolizeimeister, die beide im Rathaus residierten, teilweise Modernisierungsprojekte be- oder gar verhinderte.136 Und zweifelsohne lassen sich mehrere städtebauliche Praktiken der repressiven Herrschaftssicherung erkennen, die nicht zur Modernisierung und verbesserten Lebensqualität der WarschauerInnen beitrugen. Dabei sticht insbesondere der enge Festungsgürtel mit der Zitadelle im Norden der Altstadt hervor. Diese war nach dem Novemberaufstand 1831 zur Kontrolle der Stadt und ihrer

134 Ebd., S. 276 ff. 135 Ebd., S. 192 und S. 198. 136 Vgl. ebd., S. 210–213 und S. 279.

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Bevölkerung errichtet worden und führte zu enormen Siedlungsbeschränkungen und einem Wachstum der Stadt „nach innen“. So war Warschau vor dem Ersten Weltkrieg die Stadt mit der dichtesten Besiedlung Europas: Mehr als 100 000 Menschen lebten im Schnitt auf einem Quadratkilometer. Die Wohnverhältnisse waren für die große Mehrheit der Bevölkerung notorisch ungesund: Ein Drittel der Häuser beherbergte mehr als zwanzig Wohnungen. Fast die Hälfte der gesamten Wohnungen waren Einzimmerwohnungen, die sich im Schnitt vier bis fünf Personen teilten, häufig ohne Tageslicht und Zugang zu sanitären Einrichtungen.137 Błażej Brzostek erklärte den Hinterhof zu einem der Symbole des damaligen Warschaus: „Versteckt hinter der ‚lügnerischen‘ Fassade des Mietshauses, war er das Abbild der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit und gleichzeitig charakteristisch für das ungesunde Wachstum unter den Bedingungen der Unfreiheit im vorherigen Jahrhundert.“138 1931 präsentierten die Stadtplaner Tadeusz Tołwiński und Hans Bernoulli aus der Schweiz ein stadtplanerisches Konzept für Warschau. Einflussreicher und international bekannt wurde jedoch das als Buch veröffentlichte Konzept Warszawa Funkcjonalna (Funktionales Warschau) von Szymon Syrkus und Jan Chmielewski von 1934.139 Auf die städtebauliche Krise fanden diese beiden Architekten und Stadtplaner radikale Antworten, die auf den derzeit in Europa diskutierten modernen funktionalistischen Stadtplanungstheorien fußten. Sie griffen den Gedanken einer Metropolregion für Warschau auf, um so die Vorstädte in die Stadtplanung zu integrieren, sowie die Einteilung der Stadt in verschiedene Zonen für Wohnen, Industrie, Verwaltung und Freizeit. Warschau war in diesem Konzept ein Zentrum für den gesamten europäischen Kontinent, in Bezug auf Dienstleistungen und Wirtschaft sowie Politik und Konsum.140 Das Konzept erlangte internationale Anerkennung, und zwar wohl nicht nur, weil seine Autoren über Polen hinaus bestens vernetzt waren, insbesondere Syrkus. Er schrieb beispielsweise 1933 an dem Text der Charta von Athen mit. Diese war ein Schlüsseldokument moderner Architektur und Stadtplanung und im Rahmen eines der Internationalen Kongresse Moderner Architektur (Congrès International d’Architecture Moderne, CIAM) entstanden. Warszawa Funkcjonalna wurde wohl vor allem wegen seiner Radikalität und seiner sozialen Dimension beachtet, die es wie eine Vision für eine sozialistische Stadt erscheinen ließen, allerdings nicht im sowjetischen Sinne. Dennoch war seine Umsetzung, solange die

137 Vgl. zu den Zahlen ebd., S. 187 f. 138 Brzostek, Paryże Innej Europy, S. 284. 139 Vgl. den Nachdruck des Originals von 1934 Jan Chmielewski/Szymon Syrkus: Warszawa funkcjonalna. Przyczynek do urbanizacji regionu warszawskiego. Warszawa 2013. 140 Kohlrausch, Warszawa funkcjonalna, in: Behrends/Kohlrausch (Hg.), Races, S. 221.

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Eigentumsstruktur der Stadt nicht angetastet würde, utopisch. Der Historiker Martin Kohlrausch, der einen der wenigen Aufsätze über das Konzept verfasst hat, urteilt jedoch, genau als ein solches visionäres Konzept sei Warszawa Funkcjonalna gemeint gewesen. Es sei weniger um Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit gegangen (was häufig kritisiert wurde), sondern in erster Linie darum, Warschau in der internationalen Diskussion zu platzieren.141 Dass die Warschauer Stadtverwaltung mit Stefan Starzyński an der Spitze dieses Konzept rezipierte, zeigt die Ausstellung „Das Warschau der Zukunft“ („Warszawa przyszłości“), die am 28. März 1936 in den Räumen des Armeemuseums eröffnete. Den Inhalten von Warszawa Funkcjonalna war ein ganzer Raum gewidmet.142 Diese Ausstellung initiierte ernsthafte stadtplanerische Debatten, während die am 13. Oktober 1938 eröffnete Ausstellung „Warschau gestern, heute, morgen“ („Warszawa wczoraj, dziś i jutro“) eher darauf abzielte, angesichts der herannahenden Wahlen die Errungenschaften der Stadtverwaltung zu feiern.143 Erste Modernisierungsprojekte waren Ende der dreißiger Jahre tatsächlich bereits abgeschlossen. Das nach modernistischen städtebaulichen Prinzipien errichtete Wohnviertel im nördlichen Stadtteil Żoliborz hatte Pioniercharakter, auch wegen seiner genossenschaftlichen Organisationsform. Ein 1938 eingeweihtes Infrastrukturprojekt stand damit in engem Zusammenhang: die nach Norden verbreiterte und verlängerte Ul. Bonifraterska. Um über diese Straße das Zentrum mit den weiteren, im Norden der Stadt entstehenden Wohnsiedlungen zeitgemäß zu verbinden, waren allerdings erhebliche Anstrengungen und Mittel nötig: 48 Gebäude wurden dafür abgerissen, 1 890 Menschen umgesiedelt und das städtische Budget empfindlich strapaziert.144 Ein weiteres wegweisendes Projekt war der Bau des Hauptbahnhofs an der Al. Jerozolimskie, der bereits 1932 begonnen hatte. 1938 konnte zwar der erste Teil eingeweiht werden, doch der Beginn des Zweiten Weltkriegs verhinderte die Vollendung und zerstörte schließlich den noch nicht komplettierten Bahnhof. Darüber hinaus konnte 1938 ein Projekt, das bewahrenden und historischen Charakter hatte, gefeiert werden: die Rekonstruktion eines Teils der Stadtmauern der Altstadt. In gewisser Weise war das ein modernes Projekt, denn der Bürgermeister Starzyński wollte damit bewusst das historische Bewusstsein der Menschen formen. Er postulierte 1939: „Warschau gilt bisher als Stadt ohne Baudenkmäler. Das ist nicht wahr. Warschau hat genug Baudenkmäler, überaus interessante,

141 142 143 144

Ebd., S. 231. Grzegorz Piątek: Sanator. Kariera Stefana Starzyńskiego. Warszawa 2016, S. 234. Vgl. ebd., S. 241–245. Ebd., S. 215.

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die lediglich ernsthafter Anstrengung bedürfen, um sie aus der Deckung zu holen und sie der Bevölkerung zugänglich zu machen.“145 Starzyński wollte das historische Zentrum Warschaus „monumentalisieren”, das heißt die bestehenden historischen Bauten restaurieren und exponieren, einige gar rekonstruieren – mit anderen Worten: ein Bewusstsein und öffentliche Aufmerksamkeit für besondere Gebäude schaffen, die erst dadurch zu Baudenkmälern wurden.146 Den Beginn bildeten die rekonstruierten Stadtmauern, doch das gesamte historische Zentrum der Stadt, mit dem Fokus auf dem Plac Piłsudskiego, sollte im Sinne eines „Lehrbuchs der neuen Geschichte“ umgebaut werden. Während der Wettbewerb von 1926 noch eine komplette Monumentalisierung des Platzes im Sinne eines Denkmals für die Unabhängigkeitskämpfer des Vaterlandes (Pomnik Bojownikom o Niepodległość Ojczyzny) vorgesehen hatte, war der von Starzyński 1935 ausgeschriebene Wettbewerb nüchterner auf die funktionale Modernisierung dieser historischen Gegend bedacht. Doch auch hier fehlte das symbolische Element nicht, schließlich bot sich der Platz als Huldigungsort für den jüngst verstorbenen Marschall Józef Piłsudski an.147 Das ist jedoch einer der nicht realisierten Pläne, die Jarosław Trybuś in seinem Buch Warszawa Niezaistniała (Das nicht entstandene Warschau) eingehend analysiert.148 Darüber hinaus behandelt er als wichtigste nicht realisierte Projekte einen Flughafen sowie einen zweiten Bahnhof als „Denkmäler der Modernisierung“, das Gelände für die Allgemeine Landesaustellung 1944 sowie ein Technik- und Industrie-Museum als „Präsentation der Errungenschaften“ sowie das Piłsudski-Viertel nahe Mokotów mit dem Tempel der Göttlichen Vorsehung (Świątynia Opatrzności Bożej) als „Demonstration der Stärke“.149 Der Kriegsbeginn verhinderte die Umsetzung dieser Pläne – und veränderte alles. Nachdem am 4. September 1939 die Entscheidung gefallen war, Warschau zu verteidigen, anstatt es kampflos den rasant vorrückenden deutschen Truppen zu überlassen, führte Starzyński einen seiner Mitarbeiter auf den Rathausbalkon am Plac Teatralny: „Der Balkon des Palais schien wie dafür geschaffen, um von dort triumphale Paraden und freudige Aufmärsche abzunehmen, aber da unten wälzte sich ein düsterer Flüchtlingszug entlang. [. . .] Gen Osten, möglichst weit

145 Trybuś, Warszawa niezaistniała, S. 204. 146 Vgl. ebd., S. 204 ff. 147 Vgl. ebd., S. 163–204. 148 Das Attribut könnte ebenfalls mit „nicht realisiert“, „nicht erstanden“ oder „nicht verwirklicht“ übersetzt werden. 149 Vgl. das bereits zitierte Buch von Trybuś, dessen Kapitelüberschriften an dieser Stelle zur Charakterisierung der verschiedenen Bauprojekte gereichten.

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weg von der Front.“150 Am 7. September 1939 war klar, dass Starzyński die Stadt nicht verlassen würde, sondern nunmehr die Funktion des Zivilkommissars (Komisarz Cywilny) des Kommandos der Verteidigung Warschaus übernehmen würde.151 In den nun folgenden 18 Tagen, bis am 25. September die Verteidigung der Stadt als aussichtslos beendet wurde, verwandelte sich Starzyński von einem mittelmäßig beliebten Bürgermeister in das eigentliche Staatsoberhaupt, erinnerte sich später der Zeitzeuge und Historiker Władysław Bartoszewski.152 Starzyński leitete vom Rathaus am Plac Teatralny mehr als nur die Versorgung der Stadt während des Verteidigungskampfes – der Plac Teatralny wurde für kurze Zeit zum Zentrum des Staates. Das Rathaus war Tag und Nacht voller emsig arbeitender Menschen, im nebenstehenden Blank-Palais (Pałac Blanka)153 wurde eine Küche für die MitarbeiterInnen und ihre Familien, im gegenüberliegenden Teatr Wielki eine Presseagentur eingerichtet.154 Starzyński war in der Stadt geblieben, während die Regierung in der Nacht vom 17. September 1939 das Land verließ. Er war ein pragmatischer Realist, der keinen Gedanken an die Kapitulation verlor. In Anbetracht der Zerstörungen, die Warschau im Zuge der Angriffe während der mehrwöchigen Verteidigung erlitt, erwiderte er, sie werde danach dreimal so schön wiederaufgebaut.155 Weder die weiteren Zerstörungen noch den Wiederaufbau erlebte Starzyński allerdings. Die Gestapo nahm ihn am 27. Oktober 1939 fest, und er kam auf nicht geklärte Weise während des Krieges in deutscher Gefangenschaft um. Trotz Besatzung, und obwohl Starzyński, der bisherige Motor der Warschauer Stadtplanung, nun gewaltsam an seiner Arbeit gehindert wurde, gingen die Planungen für den Warschauer Stadtumbau während des Krieges auf verschiedenen Ebenen weiter. Der kommissarische Bürgermeister Jan Pohoski beauftragte am 13. Dezember 1939 eine Sachverständigenkommission von StadtplanerInnen (Komisja Rzeczoznawców Urbanistów), den Generalplan für Warschau (Plan Ogólny Warszawy) der Stadtverwaltung von 1938 zu beurteilen. Die Kommission kam in knapp eineinhalb Jahren 67 Mal zu Beratungen zusammen. Die genauen Aufträge der Stadtverwaltung und die Inhalte dieser Treffen sind nicht überliefert, da beinahe sämtliche Unterlagen, die diese Kommission betreffen, im Krieg zerstört wurden. Die Beurteilung des Generalplans, die die Kommission im Mai 1941

150 Piątek, Sanator, S. 299. 151 Vgl. die nicht eindeutig überlieferte Genese dieser Entscheidung bei ebd., S. 303–310. 152 Zitiert nach ebd., S. 312. 153 Das Blank-Palais stand ebenfalls auf der Nordseite des Plac Teatralny und war zwischen 1762 und 1764 nach Plänen von Szymon Bogumił Zug errichtet worden. Anfang der fünfziger Jahre wurde es wiederaufgebaut. 154 Piątek, Sanator, S. 315 ff. 155 Ebd., S. 330 und S. 344.

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präsentierte, ist allerdings erhalten und publiziert.156 Darin standen lebenspraktische Themen wie wirtschaftliche, infrastrukturelle und Wohnfragen an erster Stelle, aber die ExpertInnen diskutierten zudem über das „ebenfalls, wenn auch in anderer Hinsicht wichtige Problem des Denkmalcharakters der Stadt“.157 Ohne auf Details der Expertenmeinungen einzugehen, soll hier insbesondere auf Kontinuitäten hingewiesen werden, inhaltlicher wie personeller Art. So wurde beispielsweise der „Gesundung“ der Stadt in Bezug auf die Wohnsituation viel Raum eingeräumt. Zudem sind vor allem die personellen Kontinuitäten frappierend – in Bezug auf die Vorkriegs- und die Nachkriegszeit. Auch wenn diesbezüglich die Forschung noch in ihren Kinderschuhen steckt, müssen die Verbindungslinien zwischen den AkteurInnen der Zeit vor und nach dem Krieg deutlich markiert werden.158 Die Kommission leitete der bereits erwähnte Architekt und Stadtplaner Tadeusz Tołwiński. Darüber hinaus arbeiteten an der Beurteilung der Ko-Autor von Warszawa Funkcjonalna, Jan Chmielewski, der spätere Minister für Wiederaufbau Michał Kaczorowski, und der einflussreiche Architekt Bohdan Pniewski mit, der vor und nach dem Krieg wichtige, staatstragende Aufträge erhielt. Neben Tadeusz Tołwiński waren auch die Architekten Lech Niemojewski und Jan Zachwatowicz Mitglieder der Kommission. Sie waren vor und nach dem Krieg Professoren an der Architekturfakultät des Politechnikums. Darüber hinaus gründeten sie im Krieg das Institut für Bauwesen (Zakład Budownictwa), an dem sie konspirativ die Ausbildung von ArchitektInnen und StadtplanerInnen weiterführten, nachdem die Hochschule zuvor von den Besatzungsbehörden geschlossen worden war.159 Zachwatowicz leitete nach dem Krieg die Abteilung für denkmalgeschützte Architektur (Wydział Architektury Zabytkowej, WAZ) des BOS. Einen radikaleren Umbau Warschaus als die Stadtverwaltung und ihre beratende Kommission sah eine andere stadtplanerische Initiative vor, die Helena und Szymon Syrkus Anfang 1940 gründeten: das Büro für Architektur und Stadtplanung (Pracownia Architektoniczno-Urbanistyczna, PAU). Ende 1940 wurde es im Rahmen des Gesellschaftlichen Baubetriebs (Społeczne Przedsiębiorstwo Budowlane) und der Warschauer Wohnungsbaugenossenschaft (Warszawska Spółdzielnia Mieszkaniowa) legalisiert. Das Ehepaar Syrkus und ihr zeitweise

156 Jan Zachwatowicz: Komisja Rzeczoznawców Urbanisztycznych przy Zarządzie Miejskim Warszawy w latach 1939–1944, in: Rocznik Warszawski XVII (1984), S. 245–307. 157 Ebd., S. 261. 158 Vgl. Popiołek, Warschau. 159 Vgl. Zachwatowicz, Komisja Rzeczoznawców, S. 246.

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achtzig MitarbeiterInnen zählendes Büro160 widmete sich insbesondere theoretischen und praktischen Fragen der Planung und des Baus sozialer Wohnsiedlungen.161 Bemerkenswert war daran die soziale Ausrichtung der Stadtplanung, die die Zusammenarbeit mit SoziologInnen, HistorikerInnen und PsychologInnen gewährleisten sollte. Außerdem sahen diese ArchitektInnen die Zerstörungen durchaus als Chance, um ihre modernen Vorstellungen einer aufgelockerten Stadt gemäß der Idee einer Stadtlandschaft umsetzen zu können.162 Auch hier lässt sich eine personelle Kontinuitätslinie nachzeichnen: Nachdem Szymon Syrkus am 30. Oktober 1942 von der Gestapo verhaftet wurde, führte der Architekt Roman Piotrowski das PAU weiter. Dieser übersah schließlich ab 1945 als Leiter des BOS hauptverantwortlich den Aufbau der Hauptstadt. Doch nicht nur über allgemeinen, perspektivischen Fragen kamen während des Krieges verschiedenste ArchitektInnen und StadtplanerInnen zusammen. Auch Planungen für den Wiederaufbau zerstörter Gebäude kamen zur Sprache. Diese waren teilweise Vorarbeiten für die Arbeiten nach dem Krieg.163 Doch alle Pläne und Diskussionen hatten stets einen „philosophischen Beigeschmack“, erinnerte sich der Soziologe Stanisław Ossowski. Selbst 1944, als die Stadt bereits in erheblichem Maße zerstört war, erschienen ihm die Pläne, die Kazimierz Marczewski im Juli 1944 in Stanisław Dziewulskis Architekturbüro vorstellte, unrealistisch. Denn der „Luxus großflächiger Abrisse“, welche die Voraussetzung für diesen umfassenden Modernisierungsplan gewesen wären, war damals nicht vertretbar, so Ossowski.164 Diese Aussage lässt darauf schließen, dass kurz vor dem Warschauer Aufstand, nach fünf Jahren Krieg und Besatzungsherrschaft sowie nach der systematischen Zerstörung des Ghettogeländes von 1943, die Zerstörungswut, welche die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes kennzeichnete und besiegelte, unvorstellbar war.

160 Martin Kohlrausch: Warschau im Zweiten Weltkrieg – Besatzung und nationalsozialistische Stadtplanung, in: Fritz Mayrhofer/Ferdinand Opll (Hg.), Stadt und Nationalsozialismus. Linz 2008, S. 23–43, hier S. 39. 161 Vgl. Helena Syrkus: Ku idei osiedla społecznego 1925–1975. Warszawa 1976. 162 Kohlrausch, Warschau, in: Mayrhofer/Opll (Hg.), Stadt und Nationalsozialismus, S. 39 f. 163 Vgl. Sołtys, Zanim powstało, in: Stowarzyszenie Przyjaciół Archiwum Państwowego m.st. Warszawy (Hg.), Archiwum Biura, die unterstreicht, dass der Wiederaufbau historischer Bauten gemäß aktuellen Anforderungen eine allgemeine modernisierende Tendenz des 20. Jahrhundert sei. Vgl. zur Ul. Nowy Świat Popiołek, Powojenna odbudowa. 164 Ossowski, Odbudowa stolicy, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 301 Vgl. den Zustand von Warschau anhand von deutschen Luftaufnahmen, entstanden direkt vor Beginn des Warschauer Aufstandes in Marek Barański/Andrzej Sołtan: Warszawa – ostatnie spojrzenie. Niemieckie fotografie lotnicze sprzed sierpnia 1944. Warschau – der letzte Blick. Deutsche Luftaufnahmen vor August 1944. Warszawa 2004.

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Dabei hatten die NationalsozialistInnen bereits von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, was aus der polnischen Hauptstadt, die 1939 knapp 1,3 Millionen EinwohnerInnen zählte, in ihren Augen passieren sollte. Von Beginn an war der Angriff auf Warschau damit verbunden, „herausragende Orte der polnischen Nationalkultur zu zerstören“, während „diejenigen Teile der Stadt, die als deutsch konnotiert galten – das heißt vor allem die Altstadt sowie die Residenzbauten der sächsischen Periode Warschaus – [. . .] hingegen weitgehend verschont“ blieben.165 Während des Krieges führten die Deutschen einige provisorische Reparaturarbeiten durch, wie beispielsweise an dem im September 1939 bei Luftangriffen zerstörten Bahnhof (der zu Kriegsbeginn ja noch nicht einmal ganz fertig gestellt gewesen war) sowie am Brühlschen Palais, in dem Distriktgouverneur Ludwig Fischer residierte.166 Der Historiker Martin Kohlrausch konstatiert, dass die nationalsozialistische Besatzungspolitik in Warschau „von Beginn an in extremer Weise durch die Rassen- und Lebensraumideologie des Nationalsozialismus geprägt“ war.167 So hatte sich der Generalgouverneur Hans Frank den Umgang mit der Stadt im November 1939 von Hitler bestätigen lassen, genauer gesagt den Abriss des Schlosses und den Nicht-Wiederaufbau der zerstörten Stadtteile. Seit Herbst 1939, verstärkt seit Beginn 1940, war eine Gruppe unter der Leitung des Würzburger Stadtplaners Hubert Groß mit der Planung des „Abbaus“ der polnischen und des Aufbaus einer deutschen Stadt befasst. Diese sollte drastisch verkleinert und um die Sächsische Achse und die Altstadt gruppiert werden. Die den Hauptplatz168 umgebenden Gebäude waren während der Eroberung Warschaus im September 1939 größtenteils verschont geblieben, wohl auch, weil die Deutschen diesen Teil der Stadt als wertvoll ansahen. Hier ließ sich eine Verbindungslinie zur deutschen Geschichte nachzeichnen, liegt der Platz doch auf der vom sächsisch-polnischen König August Ende des 17. Jahrhunderts angelegten Sächsischen Achse.169 An diesem sei gar der Bau einer deutschen Oper im Gespräch gewesen.170 Auch führten zahlreiche Aufmärsche und Paraden über den Platz, der zum ersten Jahrestag

165 Kohlrausch, Warschau, in: Mayrhofer/Opll (Hg.), Stadt und Nationalsozialismus, S. 23. 166 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 34. 167 Kohlrausch, Warschau, in: Mayrhofer/Opll (Hg.), Stadt und Nationalsozialismus, S. 24. 168 Es handelt sich um den Platz, der bei Kriegsanfang Plac Piłsudskiego hieß, zunächst in Sächsischer Platz und am 01.09.1940 in Adolf-Hitler-Platz umbenannt wurde. In der Arbeit wird dieser Platz meist als Plac Zwycięstwa bezeichnet. 169 Vgl. eine nationalsozialistische Interpretation der Warschauer Stadtgeschichte, die in allen positiven Entwicklungen deutsche Einflüsse zu erkennen meint: Friedrich Gollert: Warschau unter deutscher Herrschaft: Deutsche Aufbauarbeit im Distrikt Warschau. Krakau 1942, S. 34–84, zur „Wettiner Zeit“ S. 43 f. Vgl. auch Kohlrausch, Warschau, in: Mayrhofer/Opll (Hg.), Stadt und Nationalsozialismus, S. 23. 170 Michał Flis: Plac Saski, in: Stolica (1948), 21, S. 8.

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Abb. 2.4: Appell der nationalsozialistischen Besatzungstruppen vor dem Sächsischen Palais, 1. September 1940.

des Kriegsbeginns in Adolf-Hitler-Platz umbenannt wurde. Stephan Lehnstaedt präzisiert in seiner Studie über den Besatzeralltag in Warschau, dass die desavouierende Einstellung der Deutschen gegenüber Warschau auch an ihren Setzungen im städtischen Raum deutlich wurde, die „mit der Wahl der Gebäude ganz offen ihren Anspruch zur Schau [stellten], die Nachfolge der polnischen Regierung anzutreten“.171 Allerdings hält er ebenso fest: „Bezeichnend war [. . .], dass sich Gouverneur Fischer eben nicht im Königsschloss oder gar dem unvollendeten Sächsischen Palais der Wettiner niederließ, sondern als bewusste Abkehr von der Hauptstadt Warschau mit dem Palais Brühl ‚nur‘ das ehemalige Außenministerium bezog.“172 Niels Gutschow und Barbara Klain errechneten eine geplante Größe von circa 40 000 EinwohnerInnen. Doch die von den deutschen PlanerInnen tatsächlich avisierte Größe ist ebenso so wenig überliefert wie ein genauer Plan für den Umgang mit der Bevölkerung im Falle des erwarteten Sieges. Auf den Plänen ist jedoch ein sogenanntes „Umsiedlungslager“ rechtsseitig der Weichsel zu erkennen. Der bevorstehende, auf der nationalsozialistischen Rassenideologie fußende Massenmord und seine Verknüpfung mit der deutschen Stadtplanung für Warschau verdeutlicht ein Zitat Heinrich Himmlers drastisch. Er verband mit der Vernichtung des Ghettos das Ziel, „dass der für 500 000 Untermenschen

171 Lehnstaedt, Okkupation im Osten, S. 57. 172 Ebd., S. 79.

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bisher vorhandene Wohnraum, der für Deutsche niemals geeignet ist, von der Bildfläche verschwindet und die Millionenstadt Warschau, die immer ein gefährlicher Herd der Zersetzung und des Aufstandes ist, verkleinert wird“.173 Ab 1942 übernahm der Stadtplaner Friedrich Pabst die Planungen, der zwar an Groß’ Pläne anknüpfte, jedoch einen neuen Akzent an Stelle des zerstörten Königsschlosses vorsah: einen überdimensionierten Volkshallen-Kuppelbau. Während Pabst dieses deutsche „Ausfalltor gen Osten“ entwarf,174 deportierten zeitgleich SS-Truppen ab dem 22. Juli 1942 300 000 Juden und Jüdinnen aus dem Warschauer Ghetto in das Vernichtungslager Treblinka und ermordeten sie dort. Beide Aufstände – den Aufstand im Warschauer Ghetto im Frühjahr 1943 und den Warschauer Aufstand im Spätsommer 1944 – bekämpften die deutschen Truppen mit drastischer Härte, auch gegenüber ZivilistInnen. In beiden Fällen war dieser Kampf eng mit der Zerstörung der städtischen Strukturen verknüpft, allerdings nicht nur aus militärisch-praktischen Gründen, sondern auch aus symbolischen Gründen. Im Ghettoaufstand wurden nicht nur systematisch Wohnhäuser in Brand gesetzt, in deren Kellern sich Menschen versteckt hielten. Als symbolischen Endpunkt der Niederschlagung des Aufstandes ließ deren Befehlshaber Jürgen Stroop minutiös die Sprengung der Großen Synagoge vorbereiten. Er nahm sie schließlich am 19. Mai 1943 nach dem Ende des Ghettoaufstandes persönlich vor und bezeichnete sie als „unvergessliche Allegorie des Triumphes über das Judentum“.175 Die deutschen Befehle nach dem Beginn des Warschauer Aufstandes am 1. August 1944 sind nur durch Nachkriegsgeständnisse überliefert. Sie entfesselten eine Brutalität, „wie sie sowohl in der Geschichte der Ostfront wie auch in der Besatzungszeit ihresgleichen sucht“.176 So habe der Befehl Himmlers und Hitlers gelautet, auch der „nicht kämpfende Teil der Bevölkerung sei ohne Unterschied niederzumachen“ und „die ganze Stadt sei dem Erdboden gleichzumachen, das heißt alle Häuser, Straßen und alles, was sich in der Stadt befindet, soll zerstört werden“.177 Im Warschauer Aufstand kamen 150 000 bis 180 000 ZivilistInnen ums Leben. Hunderttausende BewohnerInnen wurden aus ihren Häusern vertrieben, und gerieten meist zunächst in das Durchgangslager in Pruszków. Die restlichen Überlebenden flohen nach der Kapitulation aus der Stadt. Bis zum letzten Tag vor ihrem Rückzug am 16. Januar 1945 sprengten deutsche Truppen systematisch Bauwerke. Dass sie

173 Zitiert nach Kohlrausch, Warschau, in: Mayrhofer/Opll (Hg.), Stadt und Nationalsozialismus, S. 28. 174 Vgl. die genauere Diskussion der Pläne bei ebd., S. 32–36, hier S. 35. 175 Kazimierz Moczarski: Rozmowy z katem. Kraków 1945, S. 236 f. 176 Borodziej, Geschichte Polens, S. 251. 177 Vgl. das Verhörprotokoll von Erich von dem Bach, Kommandeur der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes, von 1946, zitiert nach Borodziej, Warschauer Aufstand, S. 121 f.

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dabei sogar noch weitergegangen wären und noch mehr Baudenkmäler in Trümmer verwandeln wollten, davon zeugen die Bohrlöcher für Sprengladungen an den Palästen des königlichen Łazienki-Parks, des Teatr Wielki und des Grabes des Unbekannten Soldaten, um nur einige wenige aufzuzählen.

2.2.2 Der Umgang mit dem dreifachen Bruch nach dem Krieg In der „riesigen Stille, akzentuiert durch explodierende Minen, auf einem Grund, der hundertmal schlechter [für einen Neubeginn] geeignet ist als jungfräuliches Terrain“, standen die Verantwortlichen im Winter 1945 vor der Herausforderung, die Rückkehr des Lebens möglichst schnell zu ermöglichen.178 Die Warschauer Besonderheiten werden verständlicher, wenn man zunächst eine internationale Perspektive einnimmt. So waren nach dem Zweiten Weltkrieg Verantwortliche nicht nur in ganz Europa, sondern in weiten Teilen der Welt mit ähnlich präzedenzlosen und umfangreichen Zerstörungen konfrontiert. Zunehmend werden Parallelen in der Wahrnehmung der europäischen ZeitgenossInnen herausgearbeitet, die die Zerstörungen als „ein großes Desaster, aber auch eine große Möglichkeit“ ansahen, um Winston Churchills Kommentar zur Zerstörung Londons zu paraphrasieren.179 Schon während des Krieges berieten PlanerInnen in ganz Europa über die angesichts der Kriegszerstörungen plötzlich konkret gewordenen Möglichkeiten zur radikalen Modernisierung. Diese Perspektive stand beispielsweise hinter den Forderungen des amerikanischen Architekturkritikers Lewis Mumford, „das zufällige Werk der Bomben überlegt und rationell“ fortzusetzen.180 Dieser „blessing in disguise“ wird verständlicher mit Blick auf das große Zukunftsversprechen, das der Modernisierung heute kaum mehr vorstellbaren städtischen Elends innewohnte.181 Zudem verstellt der heutige Zeitgeist, der historische Architektur wohlwollend betrachtet, den Blick darauf, dass zu der Zeit die nach 1850 entstandene Architektur europaweit unbeliebt war und Abrisse so leichter zu vertreten waren.

178 Zitat aus Gojawiczyńska, Stolica, S. 66. 179 Durth, Nachkriegsarchitektur, in: Sächsische Akademie der Künste (Hg.), Labor der Moderne, S. 12. 180 Jörn Düwel/Michael Mönninger: Einleitung, in: dies. (Hg.), Zwischen Traum und Trauma. Stadtplanung der Nachkriegsmoderne. Berlin 2011, S. 7–13, hier S. 9. 181 Vgl. den umfangreichen Katalog der Ausstellung „A Blessing in Disguise“, die die Planungen in Europa im Angesicht der Kriegszerstörungen analysierte: Düwel/Gutschow, A blessing.

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Abb. 2.5: Luftaufnahme von Warschau, 1945. Im Zentrum der damalige Plac Saski, der Sächsische Garten und der Plac Teatralny. Mittig am oberen Bildrand die zerstörte Altstadt, am oberen linken Bildrand die Schuttwüste des ehemaligen Ghettos (Ausschnitt aus Google Earth durch die Autorin).

Doch beim genauen Hinsehen fallen in der vergleichenden, internationalen Perspektive vor allem Unterschiede ins Auge, die hier lediglich skizziert werden können. So herrschten beispielsweise in Japan aufgrund der konstanten Konfrontation mit verheerenden Umweltkatastrophen und der vergänglicheren traditionellen Holzbauweise andere kulturelle Voraussetzungen für den Umgang mit den Zerstörungen als in Europa.182 Die aus der Kriegsschuld der Deutschen erwachsenden Besonderheiten im Umgang mit Kriegszerstörungen und Bauten aus der Zeit des Nationalsozialismus arbeitete der Historiker Gavriel Rosenfeld weitestgehend überzeugend am Beispiel München heraus.183 Das in deutschen Luftangriffen zerstörte Rotterdam wurde bereits während des Krieges gemäß der Konzepte einer modernen Stadt neugeplant, und

182 Hein, Resilient Tokyo, in: Vale/Campanella (Hg.), The resilient, S. 230; dies.: Change and Continuity in Postwar Urban Japan, in: Carola Hein/Jeffry M. Diefendorf/Yorifusa Ishida (Hg.), Rebuilding Urban Japan after 1945. Houndmills Basingstoke 2003, S. 236– 249; dies.: Trauma und Stadtplanung. Der Wiederaufbau von Tokio und Hiroshima nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Bettina Fraisl/Monika Stromberger (Hg.), Stadt und Trauma. Annäherungen, Konzepte, Analysen. Würzburg 2004, S. 105–122. 183 Gavriel David Rosenfeld: Architektur und Gedächtnis. München und Nationalsozialismus. Strategien des Vergessens. München 2004. Zu München vgl. den Abschnitt „Umgang mit dem NS-Erbe“ in: Winfried Nerdinger: Architektur. Macht. Erinnerung. Stellungnahmen 1984 bis 2004. München 2004, sowie das Kapitel „Feindbild Geschichte – Wiederaufbau in

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schließlich relativ konsequent so gebaut. Bei der Umsetzung dieses Plans, im Rahmen dessen die gesamten GrundstückseigentümerInnen enteignet und entschädigt wurden, half die weitgehende konstante Besetzung der politischen Ämter – ein Faktor, der Polen abging, und der im gleichen Maße für das Wirtschaftssystem galt.184 Den Vergleich zu Rotterdam zogen einige polnische ArchitektInnen, so zum Beispiel Dziewulski 1958: Die Rotterdamer Bevölkerung unterstütze die dortige komplette Neugestaltung des Zentrums, was er mit der gefestigten Gesellschaftsform in Verbindung brachte, die die Durchsetzung dieses Plans erleichtert habe – übrigens unter Anwendung sozialistischer gesellschaftlich-wirtschaftlicher Methoden.185 Kontinuitäten wirtschaftlicher und politischer Art, die in Polen fehlten, bestanden hingegen in vielen zerstörten sowjetischen Städten, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg zur Sowjetunion gehört hatten, also beispielsweise in Minsk oder Stalingrad. Dort ließ sich ein erheblich größerer Einfluss Moskauer Instanzen auf lokale Entscheidungen feststellen, als dies in der Volksrepublik Polen der Fall war.186 Eine wiederum andere Gemengelage herrschte in den Städten, die im Zuge der Potsdamer Konferenz zu Polen gelangten, also Stettin, Danzig und Breslau. Diese ebenfalls stark zerstörten Städte in den bald als „Wiedergewonnene Gebiete“ bezeichneten westlichen Territorien wurden fast komplett von neuen, polnischen BewohnerInnen besiedelt, was ebenfalls besondere Dynamiken auslöste.187 Ohne eine Hierarchie des Schreckens aufbauen zu wollen, so ist aus diesem hier nur skizzenhaft möglichen Vergleich die Folgerung zu ziehen, dass die Warschauer Situation insofern besonders war, als hier drei Brüche zusammenkamen. Sechs Jahre nationalsozialistische Vernichtungspolitik hinterließen einen verheerenden materiellen Bruch, d. h. die weitestgehende Zerstörung der Stadtstruktur, sowie einen sozialen Bruch, da die Stadtbevölkerung um mehr als die Hälfte dezimiert war. Zudem etablierte sich in den ersten Nachkriegsjahren eine neue, von der Sowjetunion unterstützte kommunistische Regierung in Polen, die keine Kontinuitätslinie zur Vorgängerregierung aufmachen konnte – und

Westdeutschland zwischen Rekonstruktion und Tabula Rasa“ in: Werner Oechslin (Hg.): Geschichte macht Architektur. Winfried Nerdinger. München 2012. 184 Vgl. van de Laar, Modernism, in: Wagner-Kyora (Hg.), Wiederaufbau europäischer Städte; Wagenaar, The Inevitability, in: Düwel/Gutschow (Hg.), A blessing; Ostermann, Rotterdams dynamischer Umgang, in: Sächsische Akademie der Künste (Hg.), Labor der Moderne. 185 o.V., Miasto w którym żyjemy, S. 7. 186 Vgl. zu Minsk Bohn, Minsk – Musterstadt, S. 77 und S. 81. Zu Kaliningrad vgl. Podehl, Architektura Kaliningrada; Per Brodersen: Die Stadt im Westen. Wie Königsberg Kaliningrad wurde. Göttingen 2008. 187 Vgl. Thum, Die fremde Stadt; Musekamp, Zwischen Stettin; Anna Wylegała: Przesiedlenia a pamięć. Studium (nie)pamięci społecznej na przykładzie ukraińskiej Galicji i polskich „Ziem Odzyskanych“. Toruń 2014. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Brodersen, Die Stadt.

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aufgrund des revolutionären Selbstverständnisses auch nicht wollte. Diese drei Brüche stellten den besonderen Hintergrund des Umgangs mit den Warschauer Zerstörungen dar, deren Grundzüge in diesem Kapitel entwickelt werden. Insbesondere während des Warschauer Aufstands hatten die Zerstörungen eine unvorstellbare Dynamik und mit ihr eine besondere symbolische Qualität bekommen. Und am Ende des Krieges lagen unzählige Bauwerke in Trümmern, die die polnischen PlanerInnen aufgrund ihres kulturellen Werts sicherlich nicht angerührt hätten – die deutschen Brand- und Zerstörungskommandos im Gegenteil allerdings schon, und zwar genau wegen ihres Werts für die polnische Kultur. Diese gezielte Zerstörung von Bauwerken mit hohem symbolischem Wert traf ins Mark der polnischen Identität. Sie sei die „größte nationale Niederlage im letzten Krieg“, so die Meinung des einfachen Bürgers Ludwik Gościński aus Posen, der im Juli 1945 einen Brief an den damaligen Minister Władysław Gomułka richtete.188 Der oberste Denkmalschützer Jan Zachwatowicz erklärte 1945 den Hintergrund der deutschen Zerstörung so: „Womit ist der besondere Drang der zerstörerischen Leidenschaft der deutschen Verbrecher in Bezug auf die uralten Baudenkmäler zu erklären? Eine Nation lebt so lange, wie ihre Kulturgüter leben. [. . .] Die Zerstörung Warschaus ist einer der Versuche, die polnische Nation zu zerstören.“189 Im Katalog der Ausstellung Warschau klagt an, die in verschiedenen polnischen, europäischen und amerikanischen Städten gezeigt wurde, lesen wir deshalb folgende Schlussfolgerung: „Living symbols without which a nation cannot exist, must be rebuilt, whole epochs must be brought back to plastic life, the epochs which were to be wiped out from the records of our civilisation.“190 Insofern lag im Wiederaufbau historischer Baudenkmäler eine große symbolische Dimension, weshalb Zachwatowicz in einer Dienstbesprechung im BOS am 15. Januar 1946 einen „beinahe religiösen Glauben an den Wert von historischen Denkmälern“ bekannte: „Angesichts dessen ist der Kampf um die Baudenkmäler der nationalen Kultur ein Kampf um die Unsterblichkeit der polnischen Nation, und das ist das Motiv unserer Arbeit.“191 Diese mit dem Terminus „Nation“ gespickte Rhetorik in einem Staat unter Führung der kommunistischen PPR mag nur auf den ersten Blick überraschen.

188 Kochanowski, Balast przeszłości, in: Kochanowski/Majewski/Markiewicz/Rokicki (Hg.), Zbudować Warszawę, S. 20. 189 Górski, Dyskusje, in: Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk/Górski (Hg.), Warszawa Stolica 1, S. 89. 190 Ministry of Culture and Art/Ministry of Reconstruction of the Country (Hg.): Warsaw Accuses. Guide-book to the exhibition arranged by the Office of Reconstruction of the Capital together with the National Museum in Warsaw. Warszawa 1945, S. 26. 191 Zitiert nach Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 241.

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Denn aufgrund der unsicheren Machtbasis der kommunistischen Führung und ihrer Wahrnehmung durch weite Teile der polnischen Gesellschaft als neue Besatzung musste sie sich „bei der Auswahl ihrer legitimatorischen Rechtfertigungen [. . .] in gewissem Maße auf die Erwartungen der Gesellschaft einstellen“.192 Die bereits erwähnte Mobilisierungskampagne der Bevölkerung unter dem Slogan „Die ganze Nation baut ihre Hauptstadt“ ist als Teil der allgemeinen Strategie der ersten Nachkriegsjahre zu sehen, in der die Begriffe „Nation“ und ein unklar definierter „Wille der Nation“ eine große Rolle spielten. Denn indem sich das Regime hinter diesem vermeintlichen Volkswillen versteckte, nahm sie gleichzeitig der Opposition den Wind aus den Segeln.193 Wie komplex dieser Balanceakt zwischen kommunistisch-revolutionärem Grundverständnis und Alltagspolitik angesichts des Misstrauens großer Teile der Bevölkerung allerdings war, wird in dieser Arbeit analysiert. Für den Zusammenhalt dieser polnischen Nation sei der Wiederaufbau Warschaus von großer Bedeutung, so der einflussreiche zeitgenössische Soziologe Stanisław Ossowski. Er gab sich in seinem ausführlichen Aufsatz aus dem April 1945 überzeugt, dass die Frage, „in welchem Maße sie nun ein neues Warschau, und in welchem das alte wiederaufbauen sollen“, keinesfalls mit einem kompletten Bruch der bisherigen Strukturen zu beantworten sei.194 „In gewissem Maße“ und in „gewissen Grenzen“ sei der Wiederaufbau alter Strukturen nötig, und zwar aus zwei Gründen: Einerseits könne in Anbetracht der gewaltigen Veränderungen und der veränderten Konzeption des Landes ein gewisses Maß an Kontinuität für eine stabile nationale Gemeinschaft sorgen. Andererseits befürwortete Ossowski den Wiederaufbau, weil nur so die Warschauer Gesellschaft (wörtlich „zbiorowość“, also Gemeinschaft) wiedergeboren werden könne. Denn er vertrat folgende Ansicht: „Eine städtische Gesellschaft setzt sich nicht nur aus den Beziehungen der Einzelnen untereinander und den Beziehungen zwischen den Einzelnen und der Gemeinschaft zusammen, sondern auch aus den Beziehungen jedes Einzelnen zur Stadt selbst.“ Und genau auf diesen „individuellen Bindungen der Bewohner an die alten Formen basiert der gesellschaftliche Zusammenhalt“.195 Dass die Nazis („der Feind“) Warschau zerstörten, verstärke deshalb die Skepsis gegenüber allen Konzeptionen, die sich diesen Fakt zunutze machen wollten. Genau das forderte aber der folgende programmatische Text der Redaktion der Zeitschrift „Skarpa Warszawska“ in ihrer ersten Ausgabe im Oktober 1945. 192 193 194 195

Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 145. Ebd., S. 158. Ossowski, Odbudowa stolicy, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 316. Ebd., S. 318 f.

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Die Zeitung war eng mit dem BOS verbunden, der hauptverantwortlichen städtischen Behörde für den Wiederaufbau: WIEDERAUFBAU! Das neu erbauen, was in Trümmern lag. Dem, was gestorben war, neues Leben einhauchen. Lichter anschalten, die erloschen waren. Die erstorbenen Bewegungen und Klänge wiedererwecken. – Soll man alles ohne Auswahl und Ausnahmen wiederaufbauen? Auch überholte, sterbende Formen? Auch das, was von innen faulte, hässlich und krumm war? Auch das, was mit Unrecht verbunden ist, was aus Gewalt erwuchs? Nein! Nur das, was es wirklich wert ist, hinübergetragen zu werden, was wirklich lebensfähig ist. Bei diesem Wiederaufbau wird also von Neuem gebaut. Im Verhältnis zu dem, was war, ist es also manchmal ein Umbau, manchmal gar die Bestätigung des Todesurteils.196

Erneut treffen wir hier auf die biologistische Terminologie von Tod und Leben. Diese erinnert allerdings stark an die Metaphern der VertreterInnen der stadtplanerischen Moderne, weniger an die Zeugnisse der Rückkehr nach Warschau 1945 im Kapitel „Die ermordete Stadt“. Zweifelsohne waren mit der Entscheidung für Roman Piotrowski als Leiter des BOS die Würfel gefallen, in welche Richtung die Warschauer Stadtplanung tendieren würde. Er gab zwar an, die beiden Positionen Wiederaufbau und Umbau schlössen sich nicht aus,197 sah aber die Zerstörungen als einmalige Chance an: „Man muss sich klarmachen und verdeutlichen, dass ein Wiederaufbau des Landes, der in jedem Bereich den alten Zustand wiederherstellt, den einzigen Sinn des grässlichen Kriegskataklismus, nämlich die Möglichkeit, neue Formen des menschlichen Zusammenlebens in allen Bereichen zu kreieren, durchstreichen würde.“198 Gemeinsam mit ihm, der Mitglied der PPR war und während des Krieges zeitweise die radikal modernistische PAU geleitet hatte, kamen weitere Menschen an entscheidende Stellen im BOS, die einen grundlegenden Umbau befürworteten. So legte das BOS im Februar 1946 eine erste Skizze des Generalplans vor, die die Architekten Zygmunt Skibniewski und Stanisław Dziewulski angelehnt an die Kriegsplanungen des PAU entwarfen.199 Brzostek zufolge ist es wenig verwunderlich, dass an diese vorhandenen, modernistischen Pläne angeknüpft wurde, da „die Zerstörung Warschaus mit dem Höhepunkt des funktionalistischen Denkens zusammenfiel. Es ist wenig verwunderlich, dass die Wiederaufbaupläne ausdrücklich davon geprägt waren.“200 Das bedeutete insbesondere eine aufgelockerte

196 o.V.: Od redakcji, in: Skarpa Warszawska (1945), 1, hier S. 1. 197 Piotrowski, Odbudowa czy przebudowa, in: Górski (Hg.), Odbudowa Warszawy, Band 1, S. 547 f. 198 Ders., W sprawie, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 352. 199 Vgl. Tołwiński, Czy były wątpliwości, in: Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk/Górski (Hg.), Warszawa Stolica 2, S. 48. 200 Brzostek, Za Progiem, S. 127.

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Bebauung201 und eine „gesellschaftsorientierte“, „soziologisierte Stadtplanung“ – Aspekte, die einige StadtplanerInnen bereits seit gut zehn Jahren ihren Konzepten zugrunde gelegt hatten.202 Doch selbst die kühnsten der StadtplanerInnen mussten im Jahre 1938 davon ausgehen, dass ihre Pläne erst innerhalb der nächsten hundert Jahre realisiert werden würden, vorausgesetzt, dass sie über diese Zeitspanne aktuell und attraktiv geblieben wären. Nun ermöglichten nicht nur die Zerstörungen ganz neue Möglichkeiten.203 Auch in rechtlicher Hinsicht war eine neue Zeit angebrochen mit dem Dekret vom 26. Oktober 1945,204 das häufig Warschauer oder Bierut-Dekret genannt wird. Während vor dem Krieg nur ein Bruchteil der städtischen Fläche Eigentum der Stadtverwaltung war, „kommunalisierte“ dieses Dekret sämtlichen städtischen Grund. Das bedeutete genauer gesagt, dass die vorherigen EigentümerInnen weiterhin mithilfe einer Erbpacht ihre Immobilie nutzen konnten, das Grundstück aber nun Eigentum der Stadt Warschau war. Wenn der neue Bebauungsplan eine andere Nutzung für das Grundstück vorsah, konnten die alten EigentümerInnen dieses allerdings nicht weiter nutzen. Doch genau hier lag das Problem dieses Dekrets, das die Grundlage für einen vergleichsweise schnellen und grundlegenden Umbau der Stadt schaffen sollte und dies in gewisser Weise auch tat. Doch da die verantwortlichen Behörden den Generalplan für den Wiederaufbau und Umbau ständig veränderten, hemmte dieses Dekret gleichzeitig die Entwicklung der Stadt, so die KritikerInnen. Sie verwiesen auf zwei Aspekte. Einerseits sei so die städtische Wirtschaft eingeschränkt, da die ehemaligen EigentümerInnen ihre Immobilien nicht mehr als Sicherheiten beispielsweise für Kredite einsetzen konnten. Andererseits stocke die eigenverantwortliche Renovierung von beschädigten Häusern angesichts der Unklarheit über das Schicksal der Gebäude. Auch einige MitarbeiterInnen des BOS kritisierten das Dekret, insbesondere aufgrund der langwierigen Prozeduren bei der Übernahme, das heißt der Umnutzung von Häusern und Grundstücken.205 Unbestritten ist jedoch, dass der Aufbau Warschaus ohne dieses Dekret praktisch kaum möglich gewesen wäre. Allerdings behindert es bis heute die Warschauer Stadtentwicklung, weil Entschädigungen für die Enteignungen

201 Piotrowski, Odbudowa czy przebudowa, in: Górski (Hg.), Odbudowa Warszawy, Band 1, S. 549. 202 Górski, Dyskusje, in: Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk/Górski (Hg.), Warszawa Stolica 1, S. 79 und S. 83. 203 Vgl. Ossowski, Odbudowa stolicy, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 301. 204 Der ganze Name lautete: Dekret o własności i użytkowaniu gruntów na terenie m.st. Warszawy z 26 października 1945 r. (Dziennik Ustaw RP 1945, nr 50, poz. 276). 205 Vgl. diese Diskussion ausführlich bei Górski, Warszawa w latach, S. 91–94.

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zwar im Gesetz vorgesehen waren, aber nie umgesetzt wurden – anders als beispielsweise in Rotterdam.206 Zudem ist die Dokumentenlage sehr undurchsichtig: Grundbücher wurden in der PRL nicht mehr systematisch weitergeführt und die Akten des Warschauer Liquidationsamts, das mit der Verwaltung des sogenannten „verlassenen“ („opuszczony“) und „aufgegebenen“ („porzucony“) Vermögens befasst war, sind nicht mehr existent – oder zumindest im AAN nicht öffentlich zugänglich.207 Doch zwei Präzisierungen sind an dieser Stelle in Bezug auf die Zerstörungen und die damit zusammenhängende vermeintliche Chance wichtig. Erstens sahen die PlanerInnen von Le Havre bis Minsk nicht die Zerstörungen selbst als „Segen“ an, sondern den Aufbau danach.208 Zweitens ist die Auswahl des programmatischen Zitats aus der „Skarpa Warszawska“ insofern irreführend, als es nahelegt, dass insbesondere das BOS und die mit ihm verbundenen avantgardistischen, der radikalen Modernisierung verschriebenen PlanerInnen den Umbau Warschaus befürworteten. Doch nicht nur sie wollten aus den Zerstörungen einen Nutzen ziehen und bei der Auswahl der historischen Objekte genau hinschauen. Auch diejenigen, die möglichst viele Baudenkmäler wiederaufbauen wollten, wollten „nie die Vorkriegsarchitektur unreflektiert wiederherstellen“, sondern im Gegenteil „die Kriegszerstörungen als Möglichkeit nutzen, die historische Bebauung der Stadt zu verbessern“.209 Das ist nach Meinung des Kunsthistorikers Jarosław Trybuś gelungen. In einem Interview von 2014 urteilte er, die Altstadt und Warschau insgesamt seien heute besser als vor den Zerstörungen. Das heute verbreitete Bild des Vorkriegs-Warschaus sei eher die Erinnerung an einen Wunschtraum als an die Wirklichkeit.210 Bestes Beispiel für eine solche aktive Verbesserung – das heißt in diesem Falle Modernisierung – der Baudenkmäler beim Wiederaufbau ist die Altstadt. Der Wiederaufbau von 1949 bis 1955, der präziserweise als Umbau bezeichnet werden sollte, stellte keinesfalls den Zustand von 1939 her, als die Altstadt eine „dreckige

206 Vgl. z. B. Jerzy Majewski: Warszawskie przekleństwo Bieruta, in: Gazeta Wyborcza, 09.02.2015; Iwona Szpala/Michał Wojtczuk: Warszawa bez środków na odszkodowania za dekret Bieruta. PiS zablokował fundusz, in: Gazeta Wyborcza, 16.03.2016. Seit Herbst 2016 macht zudem ein Korruptionsskandal rund um die Reprivatisierung einiger Grundstücke am Kulturpalast Schlagzeilen. 207 Vgl. Barelkowski/Kraft, La Pologne. Der Aufsatz ist sehr aufschlussreich und einer der wenigen, der sich mit den rechtlichen Fragen des Wiederaufbauseingehend beschäftigt. 208 Vgl. Düwel/Gutschow, Community and Town Planning, in: Düwel/Gutschow (Hg.), A blessing, S. 43. 209 Popiołek, Powojenna odbudowa, S. 6. Vgl. dazu Majewski, Ideologia, S. 279. 210 Jarosław Trybuś: Starówka i Warszawa są lepsze po wojnie. Interview von Dariusz Bartoszewicz, in: Gazeta Stołeczna, 24.01.2014.

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[. . .] Gasse war, eine Brutstätte der Armut und der Sittenlosigkeit“, wie es der Schriftsteller Stefan Żeromski 1925 ausgedrückt hatte.211 Sondern es entstand ein visuell vereinheitlichter und funktional enorm modernisierter Stadtteil in historisierender Form, wobei vor allem das von Bernardo Bellotto (genannt Canaletto) festgehaltene Warschau des 18. Jahrhunderts als Vorbild diente.212 Die Stadtstruktur hingegen wurde aufgelockert, indem viele Hinterhäuser weggelassen und die Grundrisse der Häuser modernisiert wurden. Der Wiederaufbau der Altstadt wäre argumentativ und ökonomisch undenkbar gewesen, wenn darin nicht modernisierte Wohnungen entstanden wären – auch wenn die Propaganda häufig den historisch-symbolischen Aspekt hervorhob. Insofern ist der häufig behauptete Antagonismus zwischen den Denkmalschützern auf der einen Seite und den Modernisierern auf der anderen Seite überzogen. Denn auch Jan Zachwatowicz als der aktivste Denkmalschützer betonte stets, dass es sich bei den Wiederaufbaumaßen um keine neue Schule der Denkmalpflege handele, sondern diese stets in ihrem speziellen historischen Kontext gesehen werden müssten – also insbesondere den bereits dargelegten Zerstörungsbedingungen: „Die These von der Notwendigkeit des Wiederaufbaus ist kein Ausdruck der Liebe zur Rekonstruktion, sondern zu den gesamten nationalen kulturellen Werten, die die Baudenkmäler repräsentieren.“213 Darüber hinaus war ihm klar, dass die „stadtplanerisch-sozialen Bedingungen“ der Stadt vor dem Krieg sehr ungünstig waren und das alte Warschau deshalb nicht genauso, wie es war, wiederaufgebaut werden konnte.214 Auch wenn es nicht zu leugnen ist, dass sich diese beiden Positionen häufig ausschlossen, so ist der Hinweis auf die beschriebenen Verschränkungen, Mittelwege und Kompromisse interessant und wichtig. So betonte Zachwatowicz selbst 1946 die enge Zusammenarbeit mit den KollegInnen aus der Stadtplanung.215 Die Zusammenarbeit dürften ebenfalls die zwischen einigen hauptamtlichen AkteurInnen des Wiederaufbaus bestehenden persönlichen Beziehungen erleichtert haben, wie beispielsweise zwischen dem städtischen Konservator Piotr Biegański und dem Stadtplaner und Architekten Józef Sigalin.216 Eben dieser Sigalin war stellvertretender Leiter des BOS.

211 Diese Beschreibung der Altstadt stammt aus einem Artikel des Schriftsteller Stefan Żeromski aus dem Jahre 1925 in der Zeitschrift „Kronika Warszawy“, zitiert nach Tołwiński, Czy były wątpliwości, in: Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk/Górski (Hg.), Warszawa Stolica 2, S. 46. 212 Tomaszewski, Legende und Wirklichkeit, in: Bingen/Hinz (Hg.), Die Schleifung, S. 169. 213 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 241. 214 Vgl. Aneks 30: Transkript der Radiosendung u. a. mit Jan Zachwatowicz vom 02.01.1979, in Majewski, Ideologia, S. 379. 215 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 241. 216 Vgl. Majewski, Ideologia, S. 275.

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Rückblickend konstatierte er, dass jeder Architekt die sogenannte „Chance“, die durch die Zerstörungen eben auch entstanden war, unterschiedlich interpretiert habe.217 Der Leiter des BOS Piotrowski hatte eine ungemein pragmatische Herangehensweise an dem Umgang mit historischen Baudenkmälern: Die emotionale Reaktion auf die Kriegszerstörungen in Polen, und vor allem in Warschau, führt zu einer Welle der Pietät gegenüber den erhaltenen historischen Gebäuden. Sich dieser Stimmung unkritisch hinzugeben, ist eine Bedrohung für das Schaffen der Architekten und Stadtplaner. So kann es leicht passieren, dass das, was in der Hauptstadt entsteht, nicht von einer Epoche gekennzeichnet sein wird, die die Synthese der Bemühungen und der Arbeit einer ganzen Generation darstellt, sondern von fast schon psychopathischen Notlösungen einer kurzen Phase direkt nach dem Krieg.218

Dass diese Devise in gewissem Maße Weisungscharakter hatte, ist insofern anzunehmen, als das BOS verschiedenen ForscherInnen zufolge eine zentralistische und technokratische Institution war, die wenig grundlegende Diskussion duldete.219 Doch den Grund für die Nachkriegsabrisse einzig darin zu suchen, dass das BOS eindeutig von architektonisch und sozial gesehen progressiven AkteurInnen geprägt war, die größtenteils auch vor dem Krieg sozialistische Ideen vertreten hatten, ist nicht nachvollziehbar.220 Natürlich standen solche Ansichten hinter dem folgenden Ausspruch von Szymon Syrkus: Dieses Warschau wächst auf den Trümmern der kasernenartigen Mietshäuser und auf den neu mit der Stadt verbundenen Regionen der Umgebung und wird ein deutlicher Ausdruck der nachrevolutionären Epoche sein. Es gab das gotische Warschau des Bürgertums der Zünfte, es gab das barocke Warschau der Magnaten, es gab das bourgeoise Warschau. Nun kommt das Warschau der Arbeiter.221

217 Józef Sigalin: Rozmowy o Warszawie. Sprawa wygrana czy „zaprzepaszczona szansa“?, in: Architektura (1969), 12, S. 451. 218 Roman Piotrowski: Pomówmy o zabytkach, in: Skarpa Warszawska (1946), 25, zitiert nach Górski, Dyskusje, in: Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk/Górski (Hg.), Warszawa Stolica 1, S. 90. 219 Vgl. Jacek Friedrich: „ . . . a better, happier world“. Visions of a new Warsaw after World War Two, in: Arnold Bartetzky/Marc Schalenberg (Hg.), Urban Planning and the Pursuit of Happiness. European Variations on a Universal Theme (18th–21st centuries). Berlin 2011, S. 98–115, hier S. 108; Górski, Warszawa w latach, S. 18. 220 Vgl. Friedrich, „ . . . a better, happier world.“ in: Bartetzky/Schalenberg (Hg.), Urban Planning, S. 108. 221 Zitiert nach Jacek Leociak: Spojrzenia na warszawskie getto. Stawki, Band 6. Warszawa 2011, S. 46.

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Doch wird von den heutigen KritikerInnen der Abrisse häufig übersehen, dass die für den Alltag der Menschen wichtigste Aufgabe des BOS – die Schaffung besseren Wohnraums sowie zeitgemäßer Infrastruktur – unumstritten war. Diese „Gesundung“ der Wohnsubstanz stand bereits in der Zwischenkriegszeit und während des Krieges bei allen PlanerInnen ganz oben auf der Tagesordnung, wie beispielhaft ein Dokument aus der Kriegszeit demonstriert. Darin sah die bereits erwähnte, in ihren Ansichten eher gemäßigte Kommission der StadtplanungsexpertInnen eine „Gesundung“ der Wohnviertel im Stadtzentrum vor, die unter anderem mit den Abrissen der Hinterhäuser einhergegangen wäre.222 Darüber hinaus sollte nicht übersehen werden, dass die Architektur der Jahrhundertwende, also Stile des Historismus, des Jugendstils sowie des Art Déco und des Eklektizismus, bis in die späten sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts nicht nur in Polen, sondern überall in Europa abgelehnt wurde.223 In diesem Kontext sind die Abrisse zu verorten, die beispielsweise der Warschauer Historiker Stanisław Herbst in seinem Buch über die wohl wichtigste Warschauer Straße, die Ul. Marszałkowska, minutiös auflistet.224 Diese geweitete Perspektive fehlt manchmal Arbeiten über die ohne Zweifel zahlreichen Nachkriegsabrisse. Fraglos sind die die Stadt prägenden Bauten aus der Phase des intensivsten Wachstums im ausgehenden 19. Jahrhundert heute weitgehend verschwunden, wofür der Kunsthistoriker Andrzej Tomaszewski vor allem die Abrisse nach dem Krieg verantwortlich macht.225 Doch der bereits zitierte Trybuś warnt vor einem überhöhten Bild des Vorkriegs-Warschaus: „Auf Fotos aus dieser Zeit sehen wir eine sehr kleine Gruppe von Objekten. Es lohnt sich zu fragen, warum das so ist. – Weil andere Teile Warschaus nicht fotogen waren. Sie waren vernachlässigt. Fotografieren war ein teures Hobby, daher wurde hauptsächlich das fotografiert, was effektvoll war.“226 Eine Wahrnehmungsverschiebung bezüglich der Vorkriegsbauwerke hatte der Schriftsteller Leopold Tyrmand schon 1954 bemerkt:

222 Zachwatowicz, Komisja Rzeczoznawców, S. 274. 223 Vgl. zu der Frage beispielhaft Alexander Mitscherlich: Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Frankfurt am Main 2013, als Beispiel für den in den sechziger Jahren in der Bundesrepublik vorherrschenden Geist der PlanerInnen neuer Wohnsiedlungen. Diese schätzten die für Mitscherlich ersichtlichen Vorzüge historischer Bebauung – auch der des ausgehenden 19. Jahrhunderts – nicht. Die Auseinandersetzung in der Forschung mit diesem Wahrnehmungswandel Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre hat gerade erst begonnen. Vgl. diesbezüglich z. B. die Konferenz „Architecture’s Turn to History 1970–1990“ an der ETH Zürich am 11./12.09.2015. 224 Stanisław Herbst: Ulica Marszałkowska. Warszawa 1998, S. 147–151. 225 Tomaszewski, Legende und Wirklichkeit, in: Bingen/Hinz (Hg.), Die Schleifung, S. 171. 226 Trybuś, Starówka.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Ich bin heute die Ul. Żelazna, Ul. Leszno, die Trasa W-Z gefahren. Dort sieht man noch ein Stück des alten Warschaus von vor der Katastrophe. Die hässlichen Mietshäuser der Jahrhundertwende, die die Vorkriegs-Ästheten und -Aktivisten, die von gläsernen Häusern träumten, uferlos verachteten, bekommen heute eine Art verzaubernder Patina, angereichert von den vergangenen Jahren, von Sentiment und Unglück. Sie kreieren ein Gefühl des ehemaligen Schunds, der jetzt nostalgisch veredelt wird.227

Der Historiker Jerzy Kochanowski weist zudem darauf hin, dass insbesondere die vorzeigbarsten Viertel der Stadt der Zerstörung entkommen waren: Mokotów, Ochota und Żoliborz.228 Darüber hinaus bemerkt Philipp Springer sehr treffend, „dass (Wieder-) Aufbaupolitik oftmals ganz einfach ‚Abrisspolitik‘ war“ und dass dies eine der „zentralen Ausblendungen in der Geschichte des Wiederaufbaus“ sei – in ganz Europa.229 Es scheint viel eher naheliegend, dass die heutigen KritikerInnen der Nachkriegsabrisse diesen allgemeinen Kontext vor allem aus politischen Gründen übersehen. Das wird beispielsweise bei dem Autor Artur Bojarski mehr als deutlich: Er gesteht dem BOS immerhin zu, dass nicht alle MitarbeiterInnen dieser Institution so „fanatisch die Vernichtung der Spuren des historischen Warschaus“ angestrebt hätten wie dessen Leitung. Der Grund dafür sei die „wunderschöne AK-Vergangenheit“ einiger hundert von ihnen.230 Es ist an dieser Stelle zudem wichtig zu präzisieren, dass selbst die BefürworterInnen der Modernisierung und des damit einhergehenden radikalen Umbaus Warschaus die zerstörte Stadt nicht als Tabula Rasa begriffen. Denn auch sie konnten sich der emotional besetzten Frage des Wiederaufbaus der Baudenkmäler nicht verschließen. Mehr noch: Die ungeahnten Möglichkeiten scheinen die PlanerInnen häufig überfordert zu haben. So formulierte Piotrowski an mehreren Stellen, dass die Aufgabe der PlanerInnen mehr als schwierig sei: „An diesem Kulminationspunkt des Lebens unserer Generation, an dem starke Emotionen in uns aufleben, müssen wir ruhig bleiben, nüchtern, ohne Illusionen, fast schon unmenschlich.“231 Diese rationale Herangehensweise

227 Leopold Tyrmand: Dziennik 1954. London 1980, S. 27, Tagebucheintrag vom 05.01.1954. Die Trasa W-Z (Trasa Wschód-Zachód, Ost-West-Trasse) wurde zwischen 1947 und 1949 gebaut. Sie trug ab 1948 den Namen des General Karol Świerczewski und seit 1991 heißt sie Al. „Solidarności“. 228 Kochanowski, Balast przeszłości, in: Kochanowski/Majewski/Markiewicz/Rokicki (Hg.), Zbudować Warszawę, S. 11. 229 Vgl. Springer, „Machen Sie“, in: Wagner-Kyora (Hg.), Wiederaufbau europäischer Städte, S. 165. 230 Vgl. Bojarski, Z kilofem, S. 34 Die Heimatarmee (Armia Krajowa, AK) war die von der Exilregierung unterstützte Armee während des Zweiten Weltkriegs, die unter anderem den Warschauer Aufstand befehligte. 231 Piotrowski, W sprawie, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 351.

2.2 Inwiefern ein Neuanfang? Das Dilemma der Verantwortlichen

69

hatte für ihn dennoch oberste Priorität, um die einmalige Chance nicht zu verspielen. Wie sich das in der Praxis anfühlte, beschrieb Stanisław Dziewulski, einer der Architekten des 1946 präsentierten Generalplans: Die Zerstörung Warschaus im Jahre 1944 machte durch einen tragischen Zufall unsere Konzeption ‚machbar‘. Der Großteil der schlechten und hässlichen Gebäude lag in Trümmern. Leider auch viele der wertvollen Bauten. Unter diesen Umständen ist die städtebauliche Planung scheinbar leicht und einfach geworden. Es schien, als genüge es festzulegen, welche der sogenannten Baudenkmäler für eine sofortige Rekonstruktion geeignet seien. Auf dem übrigen Gelände könnte dann frei nach den mutigsten städtebaulichen Theorien entworfen werden. Die wenigsten Kompromisse hätten sich lediglich aus den wirtschaftlichen Sachzwängen ergeben. Es stellte sich heraus, dass das Gegenteil zutraf: Gerade unter diesen idealen ‚akademischen‘ Bedingungen ist jede Entscheidung besonders schwer. Unter normalen Umständen hat ein Stadtplaner zwei mögliche Aufgaben: Entweder baut er eine neue Stadt, oder er baut eine bestehende Stadt um. Wir bauen keine neue Stadt. Wir rufen eine Stadt wieder ins Leben. Eine Stadt, die hier einmal war, und gleichzeitig bauen wir sie um.232

Wieder und wieder stellte sich den PlanerInnen also die Frage, wie das Verhältnis zwischen Altem und Neuem gestaltet werden sollte. „Wiederaufbau oder Umbau? Wenn auch diese Begriffe nicht vollkommen gegensätzlich waren, so war die Festlegung der richtigen Proportionen zwischen ihnen schwer und sehr diskutabel [. . .],“ schrieben die Architekten Stanisław Jankowski und Adolf Ciborowski rückblickend Anfang der siebziger Jahre.233 Denn ganz so einfach, wie der Minister für Wiederaufbau Michał Kaczorowski es formulierte, war es nicht: „Ich verstehe Wiederaufbau funktional. Wir werden die Elemente wiedererschaffen, die die kulturelle Existenz der Gesellschaft bedingen.“234 Doch welche Gebäude oder Strukturen meinte er damit genau? Wer definierte und legte fest, welche Baudenkmäler diese wichtigen, unabdingbaren kulturellen Werte repräsentierten? Nach welchen Kriterien? Über diesen Diskussionen zwischen den Denkmalschützern und Modernisierern vergingen die ersten Nachkriegsjahre. Gleichzeitig bahnten sich die Realität und der Alltag kraftvoll ihren Weg und schufen erste Fakten, teilweise weit entfernt von den ursprünglichen hochtrabenden Umbauplänen. Das hatte auch damit zu tun, dass die unterirdische Infrastruktur wenig zerstört war und daher wiedergenutzt werden konnte – was um ein Vielfaches günstiger war als der Neubau.235

232 233 234 235

Übersetzung zitiert nach Gutschow/Klain, Vernichtung, S. 144. Stanisław Jankowski/Adolf Ciborowski: Warschau 1945 und heute. Warszawa 1971, S. 91. Ebd. Vgl. Lenger, Metropolen, S. 430.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Schließlich war die Frage auch vor dem Hintergrund der Ansichten der Bevölkerung zu erwägen. Während heute aufgrund der Quellenprobleme die Kenntnisse über die Meinungen der WarschauerInnen gering sind, so war das für die Machthabenden sicherlich anders.236 Da der Aufbau Warschaus eine so sensible Angelegenheit war, konnten die Machthabenden die öffentliche Meinung nicht komplett umgehen. So ist der Druck der Bevölkerung bei der Entscheidung, die Altstadt wiederaufzubauen, ein Allgemeinplatz, den zahlreiche Zeugnisse stützen. Jan Zachwatowicz erinnerte sich beispielsweise rückblickend, dass die vielen Schaulustigen den Wiederaufbau der Altstadt nicht nur kontrollierten, sondern teilweise gar behinderten – so groß war die Anteilnahme der Bevölkerung.237 Ossowskis Beobachtung stützt diesen Eindruck: In Gesprächen mit Warschauern frappiert heute ein starker Konservatismus, wenn es um ihre Stadt geht. Sogar bei Menschen aus den sogenannten intellektuellen Kreisen überwiegt häufig die Angst vor der Umgestaltung Warschaus in eine neue, fremde Stadt gegenüber der Neugier auf unsere Konzeptionen und Ambitionen, das Objekt ihrer Verbundenheit zu vervollkommnen.238

Dennoch lassen sich verschiedene Stimmen finden, die verdeutlichen, dass die öffentliche Meinung sehr nuanciert war. Das deutet der an einem Schreibwettbewerb von 1962 teilnehmende „Laie, der über den Wiederaufbau schreibt“ an. Er befand, es habe vereinzelte Meinungen [gegeben], dass man der dem Erdboden gleichgemachten Altstadt keine Träne nachweinen müsse, sondern auf den Trümmern der Stadt eine komplett moderne Hauptstadt bauen solle. Das Leben hat gezeigt, dass die von der Warschauer Bevölkerung mit großem Enthusiasmus aufgenommene Entscheidung, die Stadt [teilweise] in ihrer alten Form wiederaufzubauen, sehr richtig war.239

Zu den Befürwortern eines kompletten Neuanfangs gehörten zwei Herren, die sich in der ersten Hälfte des Jahres 1945 unabhängig voneinander an höchste staatliche Stellen wendeten, um ihre Vision für Warschau mitzuteilen. Jerzy Wiland aus Lublin befand, dass Warschau lediglich seinen „generellen Charakter und Straßennamen“ erhalten und stattdessen ein „Abbild der modernen [sozialistischen] Gesellschaft“ werden solle, in dem Paläste für alle entstehen sollten.

236 Vgl. dazu Majewski, Ideologia, S. 64, S. 70, S. 284. Er sieht in dieser Frage ein Forschungsdesiderat. 237 Vgl. Aneks 30: Transkript der Radiosendung u. a. mit Jan Zachwatowicz vom 02.01.1979, in ebd., S. 379. 238 Ossowski, Odbudowa stolicy, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 321. 239 APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 468, Beitrag am Schreibwettbewerb 1962/63: „Odbudowa Warszawy w oczach laika“, S. 3.

2.3 Die ersten Schritte des neuen Regimes auf den historischen Plätzen

71

Ludwik Gościński aus Posen befand, dass Warschau vor dem Krieg weder schön, noch gesund, noch stark gewesen sei. Daher seien lediglich das Brühlsche Palais sowie eventuell der Plac Zwycięstwa (im Brief Plac Piłsudskiego genannt) erhaltenswert.240 Dass die öffentliche Meinung kein „Monolith“ war, „anders als wir das heute wahrnehmen wollen“241 (und aufgrund der Quellenlage können), dafür spricht außerdem folgender lakonischer Ausspruch des Schriftstellers Kazimierz Wyka von 1945, der Warschaus historische Bausubstanz wie folgt beurteilte: „Vom alten Stadtgrundriss Warschaus gibt es nichts zu retten und nicht viel ist es wert, gerettet zu werden. Krakowskie Przedmieście, den sächsischen Teil mit dem Plac Saski, das ist wahrscheinlich alles.“242 Interessanterweise stimmten diese zwei so unterschiedlichen Stimmen also darin überein, welcher Platz erhaltenswert sei. Das leitet zum nächsten Kapitel über, das den Blick auf den Plac Zwycięstwa und den Plac Teatralny lenkt und die vorher aufgefächerten Fragen bearbeitet.

2.3 Die ersten Schritte des neuen Regimes auf den historischen Plätzen Ein Jahr nach Kriegsende, am 9. Mai 1946, übergab der Marschall von Polen Michał Rola-Żymierski in einem festlichen Akt dem Warschauer Bürgermeister Tołwiński das infolge der Sprengungen dezimierte und als Fragment restaurierte Grab des Unbekannten Soldaten – als eines der ersten restaurierten Baudenkmäler Warschaus überhaupt. Der Schutt des gesprengten Sächsischen und Brühlschen Palais war abgetragen, sodass das Denkmal an exponierter Stelle vor dem nunmehr frei sichtbaren Sächsischen Garten stand. An diesem Tag, der zum Nationalfeiertag des Sieges und der Freiheit erklärt worden war, wurde der bisherige Plac Saski in Plac Zwycięstwa, also Siegesplatz, umbenannt. Bunte Raketen färbten den Himmel, Salutschüsse hallten in den den Platz umgebenden Ruinen wider. Gegenüber dem Grab, auf der anderen Seite des Platzes, standen die renovierungsbedürftigen, aber verhältnismäßig gut erhaltenen Gebäude des Hotel Europejski und des ehemaligen Militärgerichtes. Die seitliche Fassade des ausgebrannten Kronenberg-Palais (Pałac Kronenberga) grenzte von Süden an den Platz. Die polnische Hymne (die traditionelle Mazurka Dąbrowskiego) noch im Ohr, zog die Polnische Armee vom benachbarten Plac Teatralny mit ihren 240 Kochanowski, Balast przeszłości, in: Kochanowski/Majewski/Markiewicz/Rokicki (Hg.), Zbudować Warszawę, S. 15–20. 241 Majewski, Ideologia, S. 54 f. 242 Wyka, Miecz Syreny, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 458.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Abb. 2.6: Der Ruinenrest des Grabes des Unbekannten Soldaten, circa 1945.

gesamten Truppen über den von zahlreichen Menschen gesäumten Platz. Ihre wichtigste Formation war dabei die Kościuszko-Division, die gemeinsam mit der Roten Armee in der Schlacht von Lenino ihren ersten Sieg erkämpft hatte und schließlich weiter nach Westen vorgerückt war, bis nach Berlin. Von einer Tribüne neben dem Grab des Unbekannten Soldaten aus überblickten Präsident Bolesław Bierut sowie zahlreiche polnische und ausländische Würdenträger das Geschehen. Am Abend zuvor, bei einem Appell zu Ehren der Gefallenen, war die Erde von 24 Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs im Gedenken an die dort gefallenen Soldaten in das Grab versenkt worden. Dazu ertönte der Trauermarsch von Chopin über den hell erleuchteten Platz. Im Anschluss an die Feierlichkeiten hatte sich ein Trauermarsch aus militärischen und politischen WürdenträgerInnen sowie zahlreichen ZuschauerInnen durch die Straßen Warschaus begeben. Das Grab des Unbekannten Soldaten sei „der erste Winkel des Warschaus der Zukunft“, wo „Warschaus Bevölkerung namenloses Heldentum ehren wird“, so ein Kommentator am 9. Mai 1946.243 Mit der Wiedereinweihung des Grabes des Unbekannten Soldaten war schließlich ein Thema beendet, das in der hauptstädtischen Presse seit Kriegsende auf Interesse und häufig auf Kritik

243 Kommentar in der PKF 46/15, Defilada z okazji Dnia Zwycięstwa, 1946.

2.3 Die ersten Schritte des neuen Regimes auf den historischen Plätzen

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Abb. 2.7: Militärparade vor dem Grab des unbekannten Soldaten am 9. Mai 1946 zum Tag des Sieges und der Freiheit.

gestoßen war: die Unentschiedenheit über das Schicksal des Grabes. Dass das Grab auch im zerstörten, „verlassenen Zustand“244 eine gewisse Anziehungskraft ausübte, zeigt das Lagerfeuer, das Soldaten der Roten Armee am Tag ihres Einmarsches in Warschau, dem 17. Januar 1945, an der Stelle des zerstörten ewigen Lichts entzündeten.245 An Allerheiligen 1945 – dem Feiertag Anfang November, an dem Katholiken traditionell ihrer Toten gedenken – hatten einige WarschauerInnen dem Grab des Unbekannten Soldaten bereits vor dessen Restaurierung und Einweihung ihre Ehre erwiesen, als sie ihren Trauerzug dort enden ließen.246 Doch sonst hatte sich nicht viel verändert. Die umgebenden Trümmer waren zwar bereits beräumt worden, aber die Arkaden waren nach wie vor in ruinösem Zustand und die Grabplatte hatte weiterhin einen Sprung. Kein Soldat bewachte das Grab, keine Flamme brannte, und teilweise ignorierten vorbeigehende Soldaten wie ZivilistInnen die Ruine.247 Als sinnbildlich für den unentschiedenen Umgang mit dem Grab kann die im Endeffekt

244 245 246 247

Joanna Hübner-Wojciechowska: Grób Nieznanego Żołnierza. Warszawa 1991, S. 92. Ebd., S. 90. Ebd., S. 93. Ebd., S. 92 f.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

verworfene Idee gelten, nicht nur die im Krieg gesprungene Grabplatte, sondern das Grab an sich als Ruine stehen zu lassen. Im November 1945 erteilte schließlich der Vize-Verteidigungsminister Marian Spychalski dem Architekten Zygmunt Stępiński die Aufgabe, die Ruine als einen offiziellen Gedenkort zu restaurieren. Das Grab des Unbekannten Soldaten befand sich seit seiner Einweihung 1925 in einem Arkadengang zwischen den beiden Gebäudeflügeln des Sächsischen Palais, das vor dem Krieg den Generalstab beherbergte. Deutsche Soldaten sprengten Ende 1944 das Gebäude, doch zwei Arkadenbögen genau auf Höhe des Grabes sowie ein Säulenstumpf des zuvor darüber liegenden Säulenganges blieben stehen. Das Grab selbst hätte wohl ebenso gesprengt werden sollen, wovon Bohrlöcher für Sprengladungen zeugen. Ob die deutschen Sprengkommandos vergaßen, hier ihre Ladung zu platzieren, oder dazu keine Zeit mehr hatten, wie Pioniere der Minensuchkommandos vermuteten?248 Oder ob dies, wie die Kunsthistorikerin

Abb. 2.8: Der Säulengang des Sächsischen Palais, in der Mitte das Grab des Unbekannten Soldaten, davor radfahrende Soldaten, Juli 1930.

248 Vgl. Stępiński, Siedem placów, S. 146; Hübner-Wojciechowska, Grób Nieznanego, S. 92.

2.3 Die ersten Schritte des neuen Regimes auf den historischen Plätzen

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und ehemalige Kulturministerin Małgorzata Omilanowska durchaus provokativ mutmaßt, ein Akt der Pietät eines namenlosen deutschen Soldaten war, der nach über fünf Jahren Krieg die Ruhestätte des unbekannten polnischen Soldaten nicht habe zerstören wollen?249 In dieser Lesart könnte das Grab gleichzeitig an diesen stillen Akt eines unbekannten deutschen Soldaten erinnern. Der tatsächliche Hintergrund dessen war damals und ist bis heute nicht geklärt. Der Ende 1945 mit der Restaurierung des Grabes des Unbekannten Soldaten betraute Architekt Stępiński erinnerte sich viele Jahre später: „Es ging mir darum, dieser Ruine, die ein Symbol des Martyriums des polnischen Volkes und ein authentisches Fragment des zerstörten Warschaus ist, die Form einer dauerhaften architektonischen Skulptur zu verleihen.“250 Stępiński restaurierte und verstetigte damit eine Ruine, deren „Metaphorik nicht von einem Bildhauer oder Architekten ersonnen war, sondern von der grausamen Frau Geschichte“.251 Doch neben aller Dramatik und Trauer, die dieses „ergreifende und authentische“252 Denkmal zum Ausdruck bringt, war seine Wiedereinweihung auch ein Ausdruck des Sieges über das nationalsozialistische Deutschland. Diesen wusste die Staatsführung am 9. Mai 1945 zu inszenieren: Auf offiziellen Befehl stimmten alle Anwesenden das patriotische, antideutsche Lied „Rota“ an, in deren Text der „Kreuzrittersturm“ schließlich „zu Staub zerfällt“.253 Dieser Ort war für antideutsche Rhetorik insofern besonders geeignet, als der Platz während des Krieges das repräsentative Zentrum des besetzten Warschaus gewesen war. So führte Adolf Hitlers Einzugsparade am 6. Oktober 1939 demonstrativ über den Platz, „vorbei am Poniatowski-Denkmal, wo das einstige Generalstabgebäude stand, in dem der Marschall Polens, Rydz-Śmigły, bis zu seiner unwürdigen Flucht residiert hatte“,254 so der SS-Mann Friedrich Gollert in seinem Buch über Warschau unter deutscher Besatzung, welche er selbst von hoher Stelle aus verantwortete. Zudem wurde der – in Gollerts Worten – „größte und schönste Platz der Stadt“ zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginns nach Adolf Hitler benannt.255 Ihre faktische und symbolische Dominanz über Warschau und 249 Vgl. den Eröffnungsvortrag von Małgorzata Omilanowska auf der Konferenz „Granice Rekonstrukcji“ in Krakau am 11.10.2013, vgl. ab der 45. Minute: URL http://youtube.com/watch? v=2YS7EHUhSns (Zugriff 03.09.2016). 250 Stępiński, Siedem placów, S. 146. 251 Grzegorz Piątek: Po co odbudowywać Pałac Saski? Twórzmy nowe obiekty, in: Gazeta Stołeczna, 08.03.2014. 252 Ebd. 253 Vgl. o.V.: Zwyciężyliśmy w wojnie – zwyciężymy w odbudowie. Imponująca rewia polskiej siły zbrojnej w stolicy, in: Życie Warszawy, 10.05.1946, S. 1. 254 Gollert, Warschau, S. 32. 255 Zitat aus ebd., S. 33.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Polen unterstrichen die Deutschen des weiteren vielfach mit gehissten Flaggen und Paraden auf dem Platz: am 16. März, dem Tag der Wehrmacht, oder etwa am 5. Oktober, dem Tag der polnischen Kapitulation.256 Um ihrer Siegesgewissheit zudem Ausdruck zu verleihen, stellten die Besatzungsbehörden im Juli 1941 ein weißes, mehrere Meter hohes V für Viktoria in der Mitte des Platzes auf. Auf dessen Sockel stand: „Deutschland siegt an allen Fronten“. Doch dass dieser Sieg nicht kampflos zu erreichen war, wurde nicht nur an den zahlreich zirkulierenden Witzen über die an mehreren Stellen in der Stadt aufgestellten Vs deutlich. Einer davon lautete: „Ab morgen kontrollieren die Nazis alle Frauen in Warschau. – Warum? Weil ihnen Viktoria abhandengekommen ist.“257 Spektakulär war der Brandanschlag auf das V-Monument mitten auf dem damaligen Adolf-Hitler-Platz: Das Mitglied der Sabotagegruppe „Wawer“ Czesław Zadrożny übergoss die Skulptur im Juli 1941 mit Benzin und steckte sie an.258

Abb. 2.9: Der Plac Saski wird in Adolf-Hitler-Platz unbenannt. Die Rednertribüne verdeckt das Poniatowski-Denkmal und das Sächsische Palais, 1. September 1940.

256 Lehnstaedt, Okkupation im Osten, S. 145. 257 Czesław Michalski: Wojna warszawsko-niemiecka. Warszawa 1971, S. 133. 258 Hanna Kotkowska-Bareja: Pomnik Poniatowskiego. Warszawa 1971, S. 67.

2.3 Die ersten Schritte des neuen Regimes auf den historischen Plätzen

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Abb. 2.10: Das in einer Sabotage-Aktion in Brand gesetzte deutsche Siegesdenkmal vor dem Sächsischen Palais im Juli 1941.

Zwei wichtige polnische Symbole auf dem Platz blieben allerdings während des Krieges lange Zeit bestehen: zum einen das Poniatowski-Denkmal, das den wichtigen polnischen Feldherrn Fürst Józef Antoni Poniatowski zeigt. Die Statue, Ende der zwanziger Jahre des 19. Jahrhundert vom dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen nach dem Vorbild des römischen Kaisers Marc Aurel entworfen, überragte weiterhin die deutschen Soldaten, die bei Paraden teilweise ebenfalls hoch zu Ross saßen. Bei der Zeremonie anlässlich der Umbenennung des Platzes in Adolf-Hitler-Platz ein Jahr nach Kriegsbeginn wurde zwar eigens ein Gerüst gebaut, um das Denkmal währenddessen zu verdecken. Ansonsten schmückten BewohnerInnen es zu polnischen Nationalfeiertagen wie dem Unabhängigkeitstag am 11. November 1941 mit Bändern und Blumen in den rotweißen Nationalfarben.259 Im Dezember 1944 sprengten deutsche Truppen das für die WarschauerInnen wichtige Denkmal allerdings; lediglich der Sockel blieb erhalten. Zum anderen blieb das Grab des Unbekannten Soldaten weiterhin Teil einer – den Umständen entsprechenden – aktiven polnischen Gedenkkultur. So hoben die Vorbeigehenden ihre Hüte und Kappen und an wichtigen

259 Vgl. Michalski, Wojna warszawsko-niemiecka, S. 154.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Nationalfeiertagen stellten WarschauerInnen Blumen und Grablichter auf. Am 15. August 1941, dem Tag des Soldaten, kam es zu einem in Anbetracht der damaligen Verhältnisse spektakulären Akt. Unbekannte lancierten dort einen Kranz mit Schärpe, auf der zu lesen war: „Dem Unbekannten Soldaten. Die Regierung der R[epublik] P[olen]“.260 Auch im Jahr darauf habe das Grab in Blumen „geschwommen“, und besondere Aufmerksamkeit habe das dort platzierte polnische Staatswappen erregt.261 Die Regierung, die diese staatlichen Symbole vom Londoner Exil aus am Grab des Unbekannten Soldaten niederlegen ließ, war im Prinzip die Nachfolgerin der Regierung, die das Grab des Unbekannten Soldaten Anfang der zwanziger Jahre in Auftrag gegeben und 1925 mit einem Staatsakt eingeweiht hatte. In der Folge war nicht nur das Grab zum äußerst wichtigen Identifikationspunkt der Zweiten Republik geworden, sondern auch der Platz selbst. Marschall Piłsudski nahm hier Paraden ab, und ab 1929 trug der bisherige Plac Saski seinen Namen.262 Daran erinnerten diese Kränze und bedeuteten damit ein symbolisches Aufbäumen im Kampf um die polnische Hauptstadt. Die Regierung hingegen, die das Grab des Unbekannten Soldaten nun am ersten Nationalfeiertag des Sieges und der Freiheit 1946 einweihte, stand mit dieser vorherigen Regierung in offener Feindschaft – und weiterhin im Kampf um die politische Vorherrschaft in der polnischen Hauptstadt und im gesamten Land. Zu diesem Zeitpunkt war der von der Sowjetunion unterstützte Landesnationalrat zwar von den Alliierten als rechtmäßige Regierung Polens anerkannt, allerdings nur unter der Maßgabe bald abzuhaltender freier Parlamentswahlen. Die von Moskau unterstützte PPR zögerte diese Wahlen allerdings hinaus, um Zeit zu gewinnen, andere gesellschaftliche Bereiche unter Kontrolle zu bringen und die politischen GegnerInnen zu schwächen – allen voran den Vizepremierminister Stanisław Mikołajczyk von der Polnischen Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL), der eine wichtige Rolle in der Exilregierung gespielt hatte. Denn Indizien auf verschiedenen Ebenen sprechen dafür, dass sich die um „Eroberung, Erhaltung und Monopolisierung der Macht“263 bemühten KommunistInnen der PPR eines Sieges in gesellschaftlicher Hinsicht keineswegs sicher sein konnten. Den Legitimationsbemühungen der KommunistInnen liefen verschiedene kulturelle Folgen des von Zaremba beschriebenen Kriegstraumas der polnischen Gesellschaft zuwider. So war nicht nur die gewachsene Religiosität ein

260 Hübner-Wojciechowska, Grób Nieznanego, S. 90. 261 Czaputowicz, Kult Nieznanego, S. 49. 262 Zu der wichtigen Rolle des Plac Piłsudskiego in der Zwischenkriegszeit vgl. die Einleitung sowie das Kapitel „Mehr als nur die Vorgeschichte“. Vgl. auch Trybuś, Warszawa niezaistniała; Borodziej, Geschichte Polens, S. 155. 263 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 145.

2.3 Die ersten Schritte des neuen Regimes auf den historischen Plätzen

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Problem, sondern auch die „Stärkung der nationalen Bindung“264 infolge der „Beschreibung der vom Krieg erfassten Welt [. . .] praktisch ausschließlich unter Verwendung ethnischer Kategorien. In den Hintergrund trat die Identifikation über Klassen oder Milieus“.265 Das war insbesondere deshalb problematisch, da ein solches nationales Bewusstsein „die Bereitschaft [diktierte], Opfer zu bringen und die Idealisierung von nationaler Vergangenheit und Nationalstolz [verlangte]. Gleichzeitig führte es zu Verschlossenheit, einem Gefühl der Belagerung und Bedrohung.“266 Insbesondere letzterer Aspekt war für die PPR insofern heikel, als sie wohl vielfach als „sowjetische Agentur“ wahrgenommen wurde.267 Auch erste wirtschaftliche Erfolge waren nicht genug, um die bereits vor dem Krieg deutlichen Aversionen der polnischen Bevölkerung gegen das neue Staatsund Gesellschaftsmodell zu zerstreuen.268 Umso wichtiger war aus Sicht der um die Machtstabilisierung ringende PPR die öffentliche Inszenierung von Erfolgen, was am 9. Mai 1946 auf dem Plac Zwycięstwa eindrucksvoll geschah. Auch am 4. Mai 1945 (anlässlich der Kapitulation Berlins), am 9. Mai 1945 (dem offiziellen Kriegsende) sowie am Tag der Arbeit 1945 und 1946 kamen am benachbarten Plac Teatralny große Menschenmassen zusammen, um diese Feiertage zu begehen. Am 1. Mai 1946 versammelten sich nach offiziellen Angaben 150 000 Menschen, weshalb die „Życie Warszawy“ schrieb: „Die weitsichtigsten Zuschauer haben den ‚Ehrenplatz‘ des Warschauer Volkes eingenommen: auf den Ruinen des Warschauer Rathauses.“269 Angesichts der elementaren Bedeutung, die Massenfesten in einem kommunistischen Staat bei der wechselseitigen „Inszenierung und Realisierung von Herrschaft“270 zukommt, hatten die neuen Machthabenden in den ersten Nachkriegsjahren keine andere Wahl, als mit den vorhandenen Plätzen vorlieb zu nehmen. Denn neue, eindeutig mit der kommunistischen Herrschaft verbundene Plätze entstanden erst Anfang der fünfziger Jahre mit dem Plac Konstytucji und dem Plac Defilad. Doch aus dieser (Raum-)Not machten die PolitikerInnen der PPR in gewisser Weise eine Tugend. Denn die Verankerung in der traditionellen, nationalen Ritualkultur kann als

264 Brzostek, The Ruralization, in: Borodziej/Holubec/Puttkamer (Hg.), Mastery and Lost Illusions, S. 94. 265 Ebd., S. 102. 266 Ebd., S. 103. 267 Diese Problematik konstatiert Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 147, der die Legitimationsstrategien des kommunistischen Regimes detailliert untersucht. 268 Borodziej, Geschichte Polens, S. 274 und S. 278. 269 o.V.: Olbrzymia manifestacja 1-majowa w stolicy. Lud Warszawy okazał swą siłę, in: Życie Warszawy, 02.05.1946, S. 1 f. 270 Rolf, Das sowjetische Massenfest, S. 7.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Versuch gedeutet werden, „kommunikative Brücken“271 zur Gesellschaft herzustellen. Einerseits konnten die Machthabenden so hoffen, dass die historischen Orte ihren ersten Schritten auf dem heiklen rituell-repräsentativen Feld ein gewisses Maß an Glaub- oder gar Vertrauenswürdigkeit verleihen würde. So stellten beispielweise die Reden zum Tag der Arbeit am Plac Teatralny die Bedeutung des Platzes für die Arbeiterbewegung heraus, für den emanzipatorischen Kampf gegen die zaristische Autokratie, wie sich ein damaliger Teilnehmer erinnerte: „Der Plac Teatralny war im Zeitalter der Teilungen Schauplatz revolutionärer Demonstrationen, die die Polizei auseinandertrieb, und am 2. November 1905 wurden DemonstrantInnen hier massakriert.“272 Ein weiteres Beispiel ist die Segnung des Grabes des Unbekannten Soldaten bei seiner Wiedereinweihung am 9. Mai 1946 durch einen katholischen Priester. Wie ernst gemeint dieses Zugeständnis an die religiöse Bevölkerung gemeint war, sei dahingestellt – klar ist jedoch die intendierte Botschaft.273 Andererseits wurde so für alle sichtbar und erlebbar, wer nun über den städtischen Raum verfügte. Also waren diese Demonstrationen und Paraden immer auch Machtdemonstrationen gegenüber aktuellen oppositionellen gesellschaftlichen Kräften – und der vorherigen Ordnung. Insofern drückte die Parade am Tag des Sieges auf dem umbenannten Platz des Sieges in gewisser Weise nicht nur die Überlegenheit gegenüber dem besiegten Deutschland aus, sondern auch gegenüber denen, die vor dem Krieg auf diesem Platz ihre Paraden abgehalten hatten: den WürdenträgerInnen der Zweiten Republik und der Exilregierung, deren Autorität und Legitimation die PPR zu untergraben versuchte. Dieser Schritt auf dem Weg zur „angestrebten Dominanz über Zeit und Raum“ war umso bedeutender, als die kommunistische PPR am 9. Mai 1946 mit einer patriotischen Veranstaltung ein Baudenkmal einweihte, das zur geschichtspolitischen DNA der Zweiten Republik gehört hatte: das Grab des Unbekannten Soldaten.274 Das ging natürlich nicht ohne Reibungen – insbesondere bei Fragen der Dominanz über die Zeit, also die Interpretation historischer Ereignisse. Ab dem 9. Mai 1946 gedachten die vier Tafeln des Grabes nunmehr lediglich der unbekannten Soldaten, die im „Kampf gegen den Faschismus“ gefallen waren, mit Fokus auf den Schlachten des Zweiten Weltkriegs gegen Deutschland. So ist es mehr als symbolisch, dass die zwei Tafeln mit den wichtigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs buchstäblich umgedreht wurden, um auf der ehemaligen Rückseite, nun

271 Ebd., S. 330. 272 APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 46, Beitrag am Schreibwettbewerb 1962/63: „Warszawa współczesna“, S. 9. 273 Czaputowicz, Kult Nieznanego, S. 53. 274 Vgl. das Zitat in Rolf, Das sowjetische Massenfest, S. 135.

2.3 Die ersten Schritte des neuen Regimes auf den historischen Plätzen

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Vorderseite, neue zu verewigen.275 Damit war die vorherige Gedenkpraxis komplett verändert und der Fokus auf die Kämpfe gegen den Faschismus gelegt. Insofern, als die KommunistInnen nun die polnisch-sowjetische Waffenbruderschaft priesen und ihre Machtposition in der direkten Nachkriegszeit den sowjetischen Panzern verdankten, verwundert das Schweigen über die polnischen militärischen Aktivitäten vor dem Zweiten Weltkrieg nicht.276 So rollten bei der Parade am 9. Mai 1946 zwar polnische Panzer über den Plac Zwycięstwa – aber die Krone des polnischen Wappentiers, die Jahrhunderte lang den Adlerkopf geziert hatte, hatten die neuen kommunistischen Machthabenden entfernt.277 Auch den Sockel des gesprengten Poniatowski-Denkmals entfernten die KommunistInnen vom Plac Zwycięstwa. Das Denkmal des wichtigen polnischen Feldherrn hatte eine ähnlich bewegte Geschichte hinter sich wie Poniatowski selbst, der im Zeitalter der Polnischen Teilungen und der Napoleonischen Kriege in verschiedenen militärischen Konstellationen die polnische Unabhängigkeit zu verteidigen suchte und schließlich während der Völkerschlacht, zum französischen Marschall ernannt, auf Napoleons Seiten starb. Die Geschichte des Denkmals zeugt zudem von dem spannungsreichen historischen Verhältnis zwischen Polen und Russland. Denn eigentlich hatte der Abguss der Reiterstatue des dänischen Bildhauers Thorvaldsen 1832 in Warschau aufgestellt werden sollen, was die russischen Stadtväter angesichts des gerade niedergekämpften Novemberaufstands jedoch untersagten. Schließlich fand es erst am 3. Mai 1923 einen Warschauer Standort auf dem Plac Zwycięstwa (damals Plac Saski) direkt vor dem Sächsischen Palais. Dieses Datum war nicht zufällig gewählt, sondern erinnerte an die am 3. Mai 1791 vom Sejm des Königreichs Polen-Litauen im Sinne der Aufklärung verabschiedete Verfassung. Diese hatte der König Stanisław August Poniatowski – Józef Poniatowskis Onkel – am selben Tag verkündet. Das Poniatowski-Denkmal weist mit seiner Geschichte also auf zwei Aspekte hin, die verdeutlichen, wie ambivalent der Umgang mit nationalen Traditionen für die um Legitimation ringenden KommunistInnen war. Denn zum einen fand 1952 der von Dänemark finanzierte neue Abguss des Denkmals seinen Platz im Königspark Łazienki. Das war zwar ebenfalls ein repräsentativer Ort, allerdings fernab des Zentrums. Die Überlegungen hinter dieser

275 Hübner-Wojciechowska, Grób Nieznanego, S. 102. Detailliertere Informationen über die im Geheimen stattfindende Entfernung von Tafeln und Inschriften „politisch schädlichen Charakters“ ab 1951 finden sich bei Czaputowicz, Kult Nieznanego, S. 61. Gemeint waren damit Schlachten der Piłsudski-Legionen 1914 bis 1918 sowie der Kämpfe zwischen 1918 und 1920, vorrangig gegen das sowjetische Russland. 276 Vgl. Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 145. 277 Zur Symbolik des polnischen Wappentiers während der Volksrepublik vgl. ebd., S. 142.

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Entscheidung sind nicht überliefert – allerdings wurde auf diese Weise mit der Tradition des ursprünglichen Standortes gebrochen. Zum anderen verweist das Denkmal auf den im Zwischenkriegs-Polen sehr wichtigen Feiertag der Verfassung (Święto Konstytucji) am 3. Mai. Dabei wird das legitimatorische Dilemma der KommunistInnen deutlich, traditionelle nationale Feiertage bis zu einem gewissen Grad in den neuen, kommunistisch geprägten Feiertagskalender einzuhegen, um den Bruch für die Bevölkerung weniger offensichtlich zu machen. Doch während 1945 die Feierlichkeiten am 3. Mai noch weitgehend ungehindert ablaufen konnten, und sich vielerorts in Proteste gegen das kommunistische Regime auswuchsen, so war der 3. Mai 1946 bereits in den Tag der Bildung umbenannt worden. Öffentliche Kundgebungen sollten energisch, aber gewaltlos unterbunden werden.278 Dennoch kamen am 3. Mai 1946 in Warschau sehr viele Menschen auf die Straßen, um ihrer Unterstützung für die Opposition Ausdruck zu verleihen, welche diesen „Festtag der Regimegegner“279 zu einer Art Abstimmung über die Politik erklärt hatte.280 Daraufhin sollte die Öffentlichkeit nur eine knappe Woche danach auch von den Siegesfeierlichkeiten am 9. Mai 1946 ausgeschlossen werden, so der Historiker Piotr Osęka.281 Nun sind auf den Video- und Fotoaufnahmen vom 9. Mai 1946 zweifelsohne große Menschenmengen zu sehen und daher ist es am wahrscheinlichsten anzunehmen, dass diese Instruktionen zu kurzfristig kamen, um Wirkung entfalten zu können. Doch allein die Tatsache, dass offenbar geplant war, die Öffentlichkeit von den Veranstaltungen fernzuhalten, ist bemerkenswert. Schließlich wurde einerseits öffentlichkeitswirksam der Sieg über das nationalsozialistische Deutschland inszeniert, wofür die auf dem Platz Anwesenden entscheidend waren. Denn sie waren nicht nur ZuschauerInnen und ZeugInnen der ersten Schritte des Regimes auf diesem historischen Platz, sondern auch wichtiger Teil der Inszenierung selbst. Sie suggerierten Volksnähe und -begeisterung, die für die Inszenierung mindestens so wichtig waren wie die über den Plac Zwycięstwa marschierende Kościuszko-Division. Insofern ist es umso bemerkenswerter, dass andererseits die Konfrontation mit der Öffentlichkeit vermieden werden sollte. So wurde der Plac Zwycięstwa mit den Siegesfeierlichkeiten zum offiziellen städtischen Raum, auf den die Öffentlichkeit weder praktischen noch symbolischen Zugriff hatte. Inwiefern den Menschen beim Anblick der Parade nach Sieg und Freiheit zu Mute war, ist heute schwer nachzuweisen. Allerdings sprachen die Ergebnisse des Referendums am 30. Juni 1946, also keine zwei Monate nach der Parade, eine 278 Vgl. ebd., S. 150 f. sowie S. 177. 279 Ebd., S. 177. 280 Osęka, Rytuały stalinizmu, S. 87. 281 Ebd., S. 90.

2.3 Die ersten Schritte des neuen Regimes auf den historischen Plätzen

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deutliche Sprache. Sie spiegelten so sehr die unsichere Machtbasis der KommunistInnen wider, dass diese die Ergebnisse fälschten und offiziell einen klaren Sieg für ihre Positionen verkündeten. Intern war klargeworden, dass die Gesellschaft die Politik der PPR mehrheitlich – fast zu drei Vierteln – ablehnte.282 Im Vorfeld der Parlamentswahlen vom 19. Januar 1947 ließ die PPR daher „nichts unversucht, um sich nicht wieder in der peinlichen Lage zu finden, ex post eine grundsätzliche Fälschung der Ergebnisse vornehmen zu müssen.“ Mithilfe massiver Wahlwerbung, Vertrauenspersonen in den Wahlausschüssen sowie skrupelloser Einschüchterung der GegnerInnen sicherte sich der sogenannte Demokratische Block (Blok Demokratyczny), der aus PPR, Polnischer Sozialistischer Partei (Polska Partia Socjalistyczna, PPS), Volkspartei (Stronnictwo Ludowe, SL) und Demokratischer Partei (Stronnictwo Demokratyczne, SD) bestand, schließlich eine Mehrheit von achtzig Prozent der Stimmen.283 Zudem demonstrieren die Mitgliederzahlen der wichtigsten Oppositionspartei PSL die Wirksamkeit dieser Einschüchterungsstrategie eindrucksvoll: Während diese 1946 noch 800 000 Mitglieder hatte, war die Zahl 1948 auf 30 000 zusammengeschrumpft.284 Dass sich die KommunistInnen 1947 bereits relativ sicher im Sattel der Macht fühlten, zeigt ihre Einladung von zehn Architektengruppen zu einem Wettbewerb für den Bau des Parteisitzes. Zu dem Zeitpunkt war interessanterweise der interne Kampf um die Vorherrschaft der Parteien des Regierungslagers noch nicht entschieden. Denn den öffentlichen Bekundungen zum Trotz war es hinter den Kulissen nicht gut um die Einheit der beiden Parteien PPR und PPS bestellt. Auch im Dezember 1948 nicht, als die von der Sowjetunion unterstütze PPR bei der Vereinigung der beiden Parteien zur PZPR ihre Vormachtstellung durchsetzen konnte. Im gleichen Jahr begann der Bau des Parteisitzes an der Kreuzung der Al. Jerozolimskie und der Ul. Nowy Świat und am 1. Mai 1952 wurde das imposante Gebäude als Sitz den Zentralkomitees der PZPR eingeweiht.285 Unweit davon entfernt, insbesondere zwischen dem Plac Trzech Krzyży und der Ul. Krucza ließ die Regierung zudem verschiedene Ministeriumsbauten errichten – eine Maßnahme, die nicht nur aufgrund der massiven Zerstörungen in Warschau nötig war, sondern auch, weil Warschau in der Zwischenkriegszeit lediglich zwanzig Jahre lang Hauptstadt eines modernen Staats gewesen war und daher kaum über eine hauptstädtische Infrastruktur verfügte. Doch bis zur Eröffnung solcher neuer, eigener Repräsentativbauten vergingen naturgemäß einige Jahre. Daher lässt sich neben den zahlreichen Initiativen zu Neubauten eine teilweise 282 283 284 285

Borodziej, Geschichte Polens, S. 267 sowie Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 146. Borodziej, Geschichte Polens, S. 270. Ebd., S. 267–271. Vgl. Skalimowski, Dom Partii.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Adaption der historischen repräsentativen Infrastruktur erkennen. Das Belvedere (Belweder) wurde Sitz von Bolesław Bierut, der heutige Präsidentenpalast am Krakowskie Przedmieście Sitz des Präsidiums des Ministerrats. Auch das aus der Zwischenkriegszeit stammende Sejmgebäude war zum Wiederaufbau vorgesehen. Das hatte nach Włodzimierz Borodziej eindeutig eine integrative Funktion: Dass die Ämter der neuen Machthaber in Adelspalais einzogen und die Geschichte der Ersten Republik symbolisch aufgewertet wurde, schuf Identifikationsbezüge, die in anderen Lebensbereichen, wo es seit 1944 um deutliche Abgrenzung zur ‚feudal-reaktionären‘ wie zur ‚kapitalistisch-bürgerlichen‘ Vergangenheit ging, kaum herstellbar waren.286

Das galt für Gebäude wie Plätze gleichermaßen, wie oben bereits die Praktiken der ersten Nachkriegsjahre auf dem Plac Zwycięstwa und dem Plac Teatralny verdeutlichen. Welche eigenen architektonischen und städtebaulichen Setzungen das neue Regime auf diesen Plätzen vornehmen wollte, wird im nächsten Kapitel ausführlich analysiert.

2.4 Städtebau im Zeichen des Militärs sowie alter und neuer Achsen Geht man also von einer Teilkontinuität in Bezug auf symbolische Praktiken und deren Orte aus, stellt sich die Frage, welche historischen Stadtstrukturen als schützenswert angesehen wurden und in die neue Stadt integriert werden sollten – und welche nicht. Von Beginn an scheint allen beteiligten PolitikerInnen und PlanerInnen klar gewesen zu sein, dass die Sächsische Achse mit dem Plac Zwycięstwa ein solches historisches Ensemble war, das bleiben sollte. Doch über die Details, insbesondere in Bezug auf den Plac Zwycięstwa, gab es intensive Debatten zwischen den Denkmalschützern und den Modernisierern.287 Der städtische Konservator Piotr Biegański bezeichnete den Plac Zwycięstwa mit der ihn begrenzenden Bebauung am 2. März 1946 als „eines der elementaren städtebaulichen Probleme Warschaus“.288 Doch aus diesem Brief wird zudem deutlich, dass es über die Gestaltung des Platzes große Unstimmigkeiten gab – innerhalb des BOS selbst sowie zwischen dem BOS und dem Verteidigungsministerium. Letzterem oblag die Entscheidungshoheit über die gesamte Sächsische Achse. So kritisierte Biegański seine BOS-KollegInnen aus der Ingenieursabteilung (Wydzial Architektury

286 Borodziej, Geschichte Polens, S. 274. 287 o.V.: Plac Zwycięstwa i tereny Osi Saskiej w Warszawie, in: Stolica, S. 5–9, hier S. 6. 288 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 254.

2.4 Städtebau im Zeichen des Militärs sowie alter und neuer Achsen

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i Inżynierii), die im Vorfeld der Festlichkeiten am 9. Mai 1946 mit der Beräumung des Schutts begonnen hatten. Sie hätten dies jedoch getan, ohne darüber die Denkmalschutzbehörden oder die Stadtplanerische Abteilung des BOS zu informieren, und so das zerstörerische Werk der Deutschen indirekt fortgesetzt, wetterte Biegański. Es sei nicht zu verantworten, dass die Reste des Portals des gesprengten Brühlschen Palais sowie der Sockel des gesprengten PoniatowskiDenkmals abgeräumt worden sein.289 Biegańskis Kritik führt mitten in die Problematik der Bewertungs- und Auswahlkriterien der verschiedenen AkteurInnen. Die Sprengung zweier zentraler Gebäude des Platzes am Ende des Krieges, des Sächsischen und des Brühlschen Palais, eröffnete Gestaltungsspielräume, die vor dem Krieg, als zwei Wettbewerbe für den Platz durchgeführt worden waren, nicht denkbar waren. So war 1948 in der Fachzeitschrift „Architektura“ zu lesen, erst jetzt hätten sich für den Platz „im Herzen der Stadt“, der dauerhaft die Aufmerksamkeit der Architekten und Stadtverwaltung auf sich gezogen habe, neue Möglichkeiten ergeben. Dabei wurde linientreu die Bedeutung des neuen politischen Systems betont: „Die derzeitigen gesellschaftlichen Bedingungen ermöglichen eine stadtplanerische Herangehensweise, die zwanzig Jahre lang [während der Zweiten Republik] nur ein Wunschtraum war, und welche die Armee nun in den Wiederaufbau einbringt.“290 Dabei ist es interessant, dass anscheinend alle Beteiligten den Verlust des Gebäudes des Generalstabs, also des Sächsischen Palais, das das Grab des Unbekannten Soldaten eingerahmt hatte, schnell akzeptierten. Es scheint vielmehr, dass sie insbesondere die Öffnung des Platzes zum Sächsischen Garten begrüßten.291 Das Brühlsche Palais hingegen, das Bohdan Pniewski kurz vor dem Zweiten Weltkrieg zum Außenministerium umgebaut hatte, erfuhr größere Wertschätzung. So erwähnte es der oberste Denkmalschützer Zachwatowicz Anfang 1946 in einem Atemzug mit dem ebenfalls wiederaufzubauenden Königsschloss.292 300 Jahre lang habe dieses Palais Warschau geziert, nun sei lediglich ein Haufen Trümmer übrig, äußerte ein Autor in der „Stolica“ voller Bedauern.293 Sogar das Tor mit den Rokokoskulpturen hatten die deutschen Soldaten extra gesprengt.294 Der Architekt Stępiński präzisierte: „Die Nazis zerstörten das Palais

289 Ebd. 290 o.V.: Oś Saska, in: Architektura (1948), 8/9, S. 1–28, hier S. 2. 291 Vgl. Stępiński, Siedem placów, S. 147. Er berichtet von Studien im stadtplanerischen Büro des BOS aus dem Frühling 1946, die keine Rückkehr zum Vorkriegsstatus an dieser westlichen Seite des Platzes vorsahen. 292 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 241. 293 F.K.: Pałac Brühlowski, in: Stolica (1948), 5, S. 8. 294 Jan Górski: Drugie narodziny miasta. Warszawa 1976, S. 57.

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mit Kunstsinn, indem sie die Bauten des 17. und 18. Jahrhunderts zerstörten. Den modernen Pavillon an der Ul. Fredry ließen sie nur wenig beschädigt stehen.“295 Dieser modernistische Anbau von Pniewski wurde schließlich ebenfalls abgerissen, doch das Brühlsche Palais an sich behauptete sich lange auf den Reißbrettern der verschiedenen ArchitektInnen. Seine zukünftige Funktion war 1948 allerdings noch undefiniert.296

Abb. 2.11: Anbau für das Außenmiministerium im Brühlschen Palais von Bohdan Pniewski, März 1936.

Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass den alltäglichen Hintergrund der komplexen und langwierigen Diskussionen über den Denkmalwert von Ensembles und Gebäuden die überaus schwierigen Lebensbedingungen der Bevölkerung bildeten. An einigen Stellen rückten die lebenspraktischen Erwägungen so sehr in den Vordergrund, dass sie alle konservatorischen Überlegungen ad absurdum führten – beinahe auch am Plac Zwycięstwa und am Plac Teatralny. So war die Infrastruktur schon vor dem Krieg völlig unzureichend für die wachsende Stadt gewesen. Nach dem Krieg war der häufig gebrauchte Name „Arterie“ noch passender, waren die neuen Straßen doch elementar, um eine 295 Stępiński, Siedem placów, S. 144. 296 F.K., Pałac Brühlowski.

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Rückkehr städtischen Lebens zu ermöglichen und gleichzeitig infrastrukturelle Vorkriegsunzulänglichkeiten zu beseitigen. Als Hauptverkehrsader von Nord nach Süd war die Ul. Marszałkowska vorgesehen, die bereits vor dem Krieg eine der wichtigsten Straßen der Hauptstadt gewesen war.297 Nun sollte sie nicht nur im bereits bestehenden Teil verbreitert, sondern nach Norden hin verlängert werden. Dieser Plan wurde insbesondere dadurch begünstigt, dass die verlängerte Ul. Marszałkowska über das Ghettogelände führte – ein Terrain, das niemand zum Wiederaufbau vorsah, war die Bebauung in diesem nördlichen Viertel doch die dichteste der ganzen Stadt gewesen.298 Doch diese Verlängerung traf auch das eigentlich wertgeschätzte historische Ensemble der Sächsischen Achse empfindlich, durchkreuzte der neue Teil der Ul. Marszałkowska doch die Achse auf Höhe des Sächsischen Gartens. Dieser war nunmehr von einer vierspurigen Straße und Tramschienen durchtrennt. Dadurch war er nicht nur verkürzt, sondern auch von seinem ursprünglichen Eingang, dem Eisernen Tor, abgetrennt.299 Diese Entscheidung sei besonders angegriffen worden, erinnert sich der damalige Minister für Wiederaufbau Michał Kaczorowski, „da diese die Position und den Wert des historischen Erholungsgebiets antastete“.300 Doch am 15. November 1947 rollte die erste Straßenbahn in Richtung der wenig zerstörten Wohnviertel im Norden der Stadt: durch den Sächsischen Garten, über den ebenfalls erheblich verbreiterten Plac Bankowy und durch die Trümmerwüste des verheerten Ghettos.301 Genauso dringend wie neue Nord-Süd-Verbindungen benötigte die Stadt Straßen, die die Arbeiterviertel im Westen und Osten miteinander sowie mit dem Zentrum verbanden. Damit zusammen hing darüber hinaus die drängende Frage nach einer neuen Brücke über die Weichsel, denn die deutschen Truppen hatten alle Brücken gesprengt. Diskutiert wurden unter der Leitung des jungen Architekten Józef Sigalin verschiedene Varianten der Führung dieser Trasa W-Z.302 Drei davon hätten die Sächsische Achse direkt betroffen, weil sie entlang der einen oder der anderen Seite des Plac Zwycięstwa geführt worden wären.303 Damit knüpften die 297 Vgl. Herbst, Ulica Marszałkowska. 298 Vgl. Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 68. Zum komplexen Wiederbebauungsprozess des Ghettogeländes mit seinen politischen, sozialen und moralischen Implikationen vgl. Chomątowska, Stacja Muranów. 299 Das Eiserne Tor findet sich heute nur noch im Namen des Plac Za Żelazną Bramą. 300 Michał Kaczorowski: Początki odbudowy kraju i stolicy 1944–1949. Warszawa 1980, S. 212. 301 AS: Nowa Marszałkowska oddana dla ruchu. Przebicie arterii Północ-Południe kosztowało 77 i pół mil. zł, in: Życie Warszawy 313 (1947), S. 5. 302 Vgl. vor allem Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 375–434. 303 o.V., Oś Saska, S. 12.

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PlanerInnen an die Pläne aus der Vorkriegszeit an, als der Ost-West-Verkehr über eine neue Brücke auf Höhe der Ul. Karowa – das heißt auf Höhe der Sächsischen Achse – in einen Tunnel geleitet werden sollte, um am westlichen Ende der Achse oberirdisch weiterzufahren. In gewisser Weise wurde infolge der Kriegszerstörungen zumindest vorübergehend der Plan einer Brücke auf dieser Höhe wahr: Eine vom Militär errichtete Behelfsbrücke verband die Ul. Karowa mit der östlichen Weichselseite auf Höhe der Ul. Brukowa von Februar 1945 bis März 1947. Im Endeffekt entschieden sich die PlanerInnen im April 1947 allerdings für die Führung der Straße auf Höhe der Ul. Leszno, das heißt nördlich der Sächsischen Achse sowie des Plac Zwycięstwa und sogar des Plac Teatralny. Diese Straße war vor dem Krieg eine der Hauptstraßen des mehrheitlich von Juden und Jüdinnen bewohnten nördlichen Viertels und später des Ghettos gewesen – nun begünstigten die Trümmer dieses architektonisch als wenig wertvoll betrachteten Viertels die Verbreiterung dieser Straße.304 Diese Variante ermöglichte es, dass die erhaltenen Pfeiler der zerstörten Kierbedzia-Brücke auf Höhe des Königsschlosses wieder genutzt werden konnten. Ein solcher Bau der neuen Brücke (Most Śląsko-Dąbrowski) war ökonomisch besser vertretbar. Ein weiterer Grund für die Wahl dieser Streckenführung war, dass der erwartete starke Verkehr sich „solchen Zentren innerstädtischen Zusammenlebens, wie der Sächsischen Achse oder dem Plac Teatralny, in keinem Fall nähern dürfe“, so der Ingenieur Skibniewski in der Diskussion am 25. April 1947.305 Auf diese Weise tangierte die Trasa W-Z das Ensemble der Sächsischen Achse nicht, weil die beiden Straßen nun nördlich des Plac Zwycięstwa und des Plac Teatralny gebaut wurden und sich auf dem Plac Bankowy kreuzten.306 Doch auch wenn die Trasa W-Z nicht direkt über den Plac Teatralny führte, so markierte ihr Bau dennoch einen bedeutenden Bruch zur Vorkriegssituation. Vor dem Krieg hatten hier alle Straßenbahnlinien geendet, nun führte keine mehr auf den Platz.307 Die Neuorganisation des städtischen Verkehrs über die beiden großen Arterien veränderte den Plac Teatralny also entscheidend – was man entweder als willkommene Verkehrsberuhigung oder als Isolierung ansehen kann. Trotzdem die Trasa W-Z schließlich die beiden historischen Platzensembles nicht berührte, so steht ihr Bau dennoch exemplarisch für die Auseinandersetzungen zwischen DenkmalschützerInnen und den BefürworterInnen pragmatischer Lösungen, auch auf Kosten von Baudenkmälern. So polemisierte der bereits zitierte Skibniewski bei der gleichen Diskussion vom April 1947: „Im Namen der 304 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 395. 305 Ebd., S. 400. 306 Fuchs, Miejsce, S. 57–63. 307 Vgl. die lebhaften Erinnerungen an die vielen Straßenbahnlinien in: Jerzy Kasprzycki: Centrum świata. Plac Teatralny okiem dziecka, in: Życie Warszawy, 17.07.1995, S. 2.

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guten Sache muss man wie im Krieg handeln, wenn man sagt, was wichtiger und was weniger wichtig ist, sowie was man verlieren kann.“308 Tatsächlich kämpften die versammelten PlanerInnen um jedes einzelne Baudenkmal – in dieser Gegend ging es insbesondere um Paläste – und justierten so die endgültige Trasse. Der Tunnel, in den der Verkehr hinter der Brücke auf Höhe des Königsschlosses geführt wird, ist ohne Zweifel ein technisches Meisterwerk, aber eben auch ein Zugeständnis an die Baudenkmäler oberhalb davon. So versetzten die ArchitektInnen das die Ul. Leszno prägende historische Bauwerk, die Evangelisch-Reformierte Kirche (Kościół Ewangelicko-Reformowany), damit diese nicht der verbreiterten Straße weichen musste. Sinnbildlich für das Bestreben nach Kompromissen sowie die unnachgiebige Haltung des Konservators Jan Zachwatowicz kann darüber hinaus das Radziwiłłów-Palais (Pałac Radziwiłłów) gelten, der auf einer Insel hinter dem Tunnelausgang zwischen den eigens dafür geteilten Fahrbahnen steht. Auf dieser „Insel“ zwischen den Tramschienen steht außerdem der kleine Brunnen „Gruba Kaśka“ („Dralle Käthe“), der vormals die Mitte des Plac Tłomackie gebildet hatte. Auf diesen kleinen Platz, dessen Hauptgebäude die Große Synagoge bis zu ihrer Sprengung 1943 gewesen war, verzichteten die PlanerInnen in diesem „Krieg“ um die beste Streckenführung. Zu wichtig war die Gesamtinvestition.309 Der Tunnel, die sowjetischen Rolltreppen für Fußgänger und das Tempo, mit welchem sie gebaut wurde, füllten lange Zeit die Schlagzeilen. Dementsprechend feierlich wurde die Trasa W-Z am 22. Juli 1949 als Al. Świerczewskiego eingeweiht – zum fünften Jahrestag der Gründung des Lubliner Komitees. Solche Bauprojekte ermöglichten die Rückkehr zu einem alltäglichen Leben, und teilweise verbesserten sie dieses in stadtplanerischer Hinsicht gar. Insofern waren sie letztlich eine Quelle von Legitimation. Das zeigt die Beobachtung des Schriftstellers Jarosław Iwaszkiewicz, der 1949 beim Anblick eines jungen Mannes, der entlang der Trasa W-Z Rasen mähte, schrieb: „Ich gebe zu, dass nichts auf der Trasa W-Z einen stärkeren Eindruck auf mich gemacht hat als dieses Rasenmähen. Wie das? Ist also das, was mich umgibt, schon so wirklich, so gesichert, so in seiner Form verfestigt, dass darauf nicht nur Gras wächst, sondern dieses schon so dicht ist, dass man es mähen muss?“310 Diese sich langsam etablierende Normalisierung des Lebens erscheint hier als etwas so Kostbares, dass Iwaszkiewicz es kaum glauben konnte. Der Architekt Zbigniew Karpiński verlieh dieser Stimmung rückblickend Ausdruck: „Warschau wurde von Tag zu Tag schöner – die Menschen hielten sich daran ungemein fest. Alle lebten damit

308 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 405. 309 Vgl. Fuchs, Miejsce, S. 54–62. 310 Iwaszkiewicz, Trawa, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 260.

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auf.“311 Das lässt den Schluss zu, dass der Propagandaspruch „Caly Naród buduje swoją stolicę“ teilweise Widerhall in der Gesellschaft fand – auch wenn das heute schwer detailliert nachzuweisen ist. Doch die eingangs erörterte Liebe zur Stadt infolge ihrer brutalen Vernichtung macht es wahrscheinlich, dass solche Ansichten keine Ausnahme waren. Umso verständlicher war das Ziel der Partei, mit den städtebaulichen Erfolgen in Warschau den Anspruch zu untermauern, einen neuen Staat zu errichten. Insbesondere Bierut stilisierte sich zum Vater des Wiederaufbaus der Hauptstadt und versuchte die Gesellschaft für „wohl eine der größten von oben dirigierten Massenaktionen in der volkspolnischen Geschichte“ zu gewinnen.312 Neben aller inszenierter und tatsächlicher Begeisterung für den Aufbau Warschaus ist es allerdings ebenfalls wahrscheinlich, dass nicht alle PolInnen die absolute Priorisierung Warschaus in den ersten Nachkriegsjahren uneingeschränkt begrüßten. Als Beispiel dafür sei der Abtransport unversehrter Ziegel aus den zerstörten, vormals deutschen Städten im nun westlichen Polen genannt oder die obligatorische Zwangsmobilisierung eines kleinen Teils der Gehälter aller PolInnen. Mitte 1948 gründete sich der SFOS, in den verschiedene Sondersteuern flossen, unter anderem 0,5 Prozent der Gehälter aller ArbeitnehmerInnen. Für eben diese Menschen waren sicherlich insbesondere Lösungen in praktischen Fragen wie Kommunikation und Wohnen von entscheidender Bedeutung, und damit für die Legitimation der Partei. Doch aus Sicht der Partei waren auch rein repräsentative Bauprojekte von großer Wichtigkeit. Ein solches Schlüsselensemble der Hauptstadt war die Sächsische Achse. Der Plac Zwycięstwa war ihr Zentrum und ermöglichte Massenkundgebungen nicht nur für die ganze Stadt, sondern die ganze Nation (naród), wie es der Architekt Zygmunt Stępiński rückblickend ausdrückte.313 In den Augen der Denkmalschützer Jan Zachwatowicz und Piotr Biegański war dies der schönste Platz der Stadt. In den Worten des Architekten Józef Sigalin war die Sächsische Achse die „Achse des Zusammenlebens“, an dem mehrere Generationen bauen würden – womit er bis heute Recht behalten sollte.314 Seit die Verantwortlichen 1947 beschlossen hatten, dass der Verkehr nunmehr in einiger Entfernung auf die beiden neuen Arterien geleitet würde, war die repräsentative Nutzung der Plätze realistischer worden. Ein zeitgenössischer Kommentator sah in der „Stolica“ nun die „Möglichkeit gekommen, sich der Tradition 311 Zbigniew Karpiński: Rozmowy o Warszawie. Zafascynował mnie temat Ściany Wschodniej, in: Architektura (1969), 12, S. 447. 312 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 154. 313 Stępiński, Siedem placów. 314 Vgl. Piątek, Po co odbudowywać, und Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 343 und S. 399.

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unterzuordnen [. . .] und gleichzeitig in völliger Freiheit zeitgenössische Formen der räumlichen Gestaltung anzuwenden“.315 Wie die Kombination der beiden Elemente Tradition und moderne Formgebung genau zu gestalten sei, sollte ein Architekturwettbewerb eruieren. 1947 lud der SARP im Auftrag des Verteidigungsministeriums verschiedene Gruppen zu einem Wettbewerb für die Neugestaltung des Plac Zwycięstwa, der Sächsischen Achse und des Theaters des Hauses der Polnischen Armee (Teatr Domu Wojska Polskiego) ein.316 Bei der Gestaltung war den ArchitektInnen weitgehend freie Hand gelassen. Umso interessanter ist die Frage nach der Entscheidung der ArchitektInnen über Kontinuitäten und Brüche in Bezug auf den Vorkriegszustand. Wichtigstes neues Gebäude im Wettbewerb war das geplante Haus der Polnischen Armee, dessen Position nicht im Vorhinein festgelegt war. In den Wettbewerbsbedingungen war lediglich bestimmt, dass der Standort des Grabes des Unbekannten Soldaten nicht zur Disposition stünde; seine architektonische Gestaltung allerdings schon. Außerdem solle die zum Plac Zwycięstwa zeigende Fassade des Kronenberg-Palais in den Platz integriert werden. Die Jury vergab Ende 1947 schließlich zwei gleichrangige erste Plätze: an Bohdan Pniewski, der bereits vor dem Krieg Entwürfe zum Plac Zwycięstwa erarbeitet hatte, und an Romuald Gutt. Ihre Entwürfe unterschieden sich insbesondere bei dem Theater des Hauses der Polnischen Armee. Während Pniewski dieses auf der Nordseite des Plac Zwycięstwa platzierte, wollte Gutt das Gebäude nicht direkt am Plac Zwycięstwa unterbringen. Er sah den Plac Za Żelazną Bramą im westlichen Teil der Sächsischen Achse dafür vor, also jenseits der verlängerten Ul. Marszałkowska. Schließlich übernahm Gutt, gemeinsam mit der Landschaftsarchitektin Alina Scholtz, die Planung über eben diesen Westteil der Sächsischen Achse und den Sächsischen Garten. Erwähnenswert ist in diesem Kontext die zeitgleiche Initiative des Verbandes der Teilnehmer am bewaffneten Kampf für Unabhängigkeit und Demokratie (Związek Uczestników Walki Zbrojnej o Niepodległość i Demokrację) für ein Denkmal der Warschauer Kämpfer (Pomnik Bojowników Warszawy) auf der Sächsischen Achse. Diesem Denkmal stimmte der NROW grundsätzlich zu – doch die Initiative fand in keinem weiteren erhaltenen Dokument Erwähnung.317 Insofern bleiben die näheren Hintergründe dieser Initiative im Dunkeln. Es erscheint allerdings wahrscheinlich, dass sich die Partei, konkreter das Verteidigungsministerium,

315 o.V., Plac Zwycięstwa i tereny. 316 Konkurs SARP Nr 143 na regulację Placu Zwycięstwa i terenów Osi Saskiej oraz na szkicowy projekt Domu Wojska Polskiego (1947). 317 AAN, SFOS (392), Sign. 208, Brief des NROW-Generalsekretärs J. Grabowski an den Verband der Kämpfer für Unabhängigkeit und Demokratie, 09.02.1948.

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Abb. 2.12: Entwurf für das Theater des Hauses der Polnischen Armee von Romuald Gutt und Halina Erentz-Skibniewska, Anfang der fünfziger Jahre.

das Interpretationsmonopol dessen, wer als KämpferIn gelten und geehrt werden solle, nicht aus der Hand geben wollte. Pniewski war für den Plac Zwycięstwa zuständig. Er überarbeitete seinen Entwurf für den Platz in der Folge: einen in vieler Hinsicht grundlegend neugestalteten Platz mit maximalen Ausmaßen. Gemäß den Vorgaben hielt er – wie alle anderen ArchitektInnen – an dem Standort des Grabes des Unbekannten Soldaten fest. Pniewski wollte den Säulengang des Architekten Adam Idźkowski über dem Grab des Unbekannten Soldaten wiederaufbauen, während alle anderen ArchitektInnen das Grab in seiner Form noch reduzieren wollten, das heißt teilweise sogar die Arkadenbögen abzutragen planten. Pniewski sah zudem vor, genauso wie alle anderen beteiligten Architekten, den neuen visuellen Bezug zwischen Plac Zwycięstwa und Sächsischem Garten zu erhalten und plante keinen Wiederaufbau des Sächsischen Palais. Das Brühlsche Palais hingegen wollte er wiederaufbauen – allerdings in purifizierter Form, das heißt ohne Seitenflügel und den von ihm selbst erst in der Zwischenkriegszeit errichteten funktionalistischen Anbau. Die Südseite des Platzes hätte er komplett umgestaltetet; in Hinblick auf die Architektur und die Straßenziehung. Dafür hätte das vergleichsweise wenig zerstörte Kronenberg-Palais abgerissen werden müssen, was zwar gegen die

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Abb. 2.13: Der überarbeitete Wettbewerbsentwurf von Bohdan Pniewski für den Plac Zwycięstwa und den Sächsischen Garten 1947/1948.

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Wettbewerbsbedingungen verstieß, aber 1948 dennoch offenbar kurz bevorzustehen schien: Mit „Erreichen der nächsten Saison“ würden die Umbauarbeiten beginnen.318 Tatsächlich wurde direkt am Platz kein einziges der im Zuge dieses Wettbewerbs geplanten Gebäude umgesetzt. Einen kleinen Blick auf die nie realisierte Vision Pniewskis lässt sich allerdings dennoch erhaschen. Denn zwischen Krakowskie Przedmieście und dem Beginn des Plac Zwycięstwa errichtete das armeeeigene Bauunternehmen einen Bürokomplex nach Pniewskis Entwürfen, der in gleicher Form an der Südseite des Platzes hätte weitergeführt werden sollen, auch an Stelle des Kronenberg-Palais. Der Eindruck, den dieses aufgrund seiner geringen Geschosshöhe nicht sehr imposante, aber doch lange und in seiner Einheitlichkeit dominante Gebäude vermitteln kann, ist nicht unwichtig, um die damaligen Pläne zu verstehen. Die für die Südseite des Platzes geplante durchgehende Bebauung war im Prinzip das Gegenteil dessen, was die ZeitgenossInnen dort vorfanden. Es waren abgesehen vom Kronenberg-Palais nicht so sehr die für Warschau typischen Ruinen, sondern die unzusammenhängende Nutzarchitektur der Zwischenkriegszeit, die den Krieg vergleichsweise gut überstanden hatte: eine Tankstelle, der Pavillon des Instituts zur Verbreitung der Künste (Instytut Propagandy Sztuki, IPS) sowie ein kleines Theatergebäude, das erst das Theater der Armee und schließlich das Ensemble des Jüdischen Theaters (Teatr Żydowski im. Ester Rachel Kamińskiej) nutzte. Diese Art der alltäglichen Bebauung des repräsentativen Platzes war bereits in der Zwischenkriegszeit als inadäquat angesehen worden, was die zahlreichen Wettbewerbe für diesen „riesigen, unorganisierten Platz“319 der Zwischenkriegszeit beweisen. Und so markiert nicht nur das Bestreben, den Plac Zwycięstwa für das Militär umzugestalten, eine Kontinuität der Wettbewerbe vor und nach dem Krieg. Sondern insbesondere das Streben nach Vereinheitlichung der Funktionen und der Gestaltung der den Platz umgebenden Gebäude ähnelte sich, auch wenn sich der politisch-ideologische Hintergrund grundlegend unterschied.320 Obwohl der Wettbewerb von 1947 letztendlich nicht umgesetzt wurde, erhielt der Plac Zwycięstwa dennoch deutlich ein neues Gepräge. Einerseits lag dies natürlich an den dramatischen Zerstörungen der Kriegszeit, andererseits an den ersten Setzungen und Entscheidungen der neuen politischen Führung. Diese führte die militärische Tradition des Platzes nicht nur fort – sie intensivierte, ja purifizierte diese, indem möglichst alle anderen Nutzungen von dem Platz

318 o.V., Oś Saska, S. 4. 319 Ebd., S. 1. 320 Vgl. die Wettbewerbe von 1926 und 1935 in Trybuś, Warszawa niezaistniała.

2.4 Städtebau im Zeichen des Militärs sowie alter und neuer Achsen

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Abb. 2.14: Aktuelles Bild des Anfang der fünfziger Jahre gebauten Bürokomplexes für die Armee an der Ul. Królewska, Blick von Krakowskie Przedmieście gen Sächsischen Garten. Entwurf: Bohdan Pniewski.

verschwanden. So renovierte Zygmunt Stępiński 1946 das Gebäude des ehemaligen Militärgerichts und baute es gemäß den Bedürfnissen der militärischen Hauptverwaltung für Politik und Bildung um, und passte die Fassade an das ebenfalls gut erhaltene benachbarte Hotel Europejski an. Dieses vor dem Krieg als Treffpunkt bei WarschauerInnen sehr beliebte Hotel baute Bohdan Pniewski 1949 bis 1951 in eine Militärakademie um. So war es zwar in Bezug auf die äußere Gestalt, die getreu des Zustands von 1939 wiederhergestellt worden war, das „einzige historische Element an dem Platz“.321 Allerdings brach die neue militärische Nutzung stark mit der Vorkriegszeit. So erinnerte sich der Architekt Stępiński mit einer gehörigen Portion Wehmut, dass die großen Arkadenfenster nach dem Umbau keine neugierigen Blicke mehr anzogen, da sie nun mit dicken Vorhängen verhängt waren: „An der Stelle des so beliebten Cafés und der Bar befand sich nun eine Offiziersmensa; dort, wo das berühmte Café ‚Lourse‘ war, eine

321 Andrzej Rottermund: Hotel Europejski. Warszawa 1972, S. 76.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Bibliothek, ein Lesesaal und ein Kino, und an Stelle des Restaurants – die Zimmer der diensthabenden Offiziere und die Funkzentrale.“322 Und so war das Ziel der militärischen Prägung dieses „im Herzen der Hauptstadt liegenden Platzes“323 1949 bereits teilweise erreicht. Doch letztlich wurde der bereits erwähnte Bürokomplex, der allerdings nicht direkt an den Plac Zwycięstwa grenzt, der einzige Neubau. Es ist unwahrscheinlich, dass die Umbaupläne für den Plac Zwycięstwa aufgrund der Person des Architekten Pniewski ins Stocken gerieten. Er war zwar der „Hofarchitekt“ des nach dem Krieg scharf verurteilten Außenministers Józef Beck gewesen, für dessen Ministerium Pniewski in den Dreißigern das Brühlsche Palais umgebaut hatte.324 Aber auch nach dem Krieg genoss er besondere Privilegien mit einem eigenen Planungsbüro und gewann 1951 auch den Wettbewerb für den Umbau des Teatr Wielki am benachbarten Plac Teatralny.325 Folgt man dem Urteil des Architekten Stępiński, scheint dieses Stocken eher dem Umstand geschuldet zu sein, dass die Verantwortlichkeit für den Umbau der Sächsischen Achse ausschließlich dem Verteidigungsministerium oblag. Denn dies habe zwar potentiell die Entscheidungsprozesse vereinfacht, andererseits seien damit die finanziellen Belastungen für ein einzelnes Ressort zu groß gewesen. Des Weiteren habe die neue Führung des Verteidigungsministeriums die geplante Konzentration von militärischen Gebäuden in diesem Stadtgebiet nicht als erstrebenswert angesehen.326 Damit meinte er sicherlich Konstanty Rokossowski, der im November 1949 zum neuen Verteidigungsminister und zum Marschall Polens ernannt wurde. Mit dieser Personalentscheidung wird deutlich, dass 1949 andere Zeiten anbrachen – sie war einer von vielen kleinen und großen Schritten in Richtung der Stalinisierung der Volksrepublik. Rokossowski hatte Jahrzehnte in der Sowjetunion gelebt, sich in der Roten Armee zum Marschall der Sowjetunion hochgedient und brachte nun seinen eigenen Stab an MitarbeiterInnen von dort mit. Rückblickend ist es interessant, dass nach dieser personellen Veränderung auch die ersten Umbaupläne für den Plac Zwycięstwa als repräsentatives Zentrum ins Leere liefen. Denn im Zuge der weiteren Stalinisierung Polens seit 1949 war auch der Städtebau zunehmend deutlich sowjetisch geprägt. Und das bedeutete neben der Einführung des Sozialistischen Realismus als Direktive in der Architektur vor allem neue Schwerpunktsetzungen im städtischen Gefüge, mit der

322 323 324 325 326

Stępiński, Siedem placów, S. 157. o.V., Oś Saska, S. 1. Piątek, Sanator, S. 245. Vgl. Marek Czapelski: Bohdan Pniewski – warszawski architekt XX wieku. Warszawa 2008. Stępiński, Siedem placów, S. 157.

2.5 Zusammenfassung: Teilkontinuitäten im Angesicht der Brüche

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Betonung auf einem riesigen zentralen Platz und einem alles überragenden Gebäude in der Mitte.

2.5 Zusammenfassung: Teilkontinuitäten im Angesicht der Brüche Für die Parade anlässlich des Tages des Sieges und der Freiheit am 9. Mai 1946 wählte das neue Regime aus praktischer Perspektive den Plac Zwycięstwa, weil das der größte zur Verfügung stehende Platz war. Doch diese Wahl ist nicht nur pragmatisch zu verstehen. Den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland hier zu feiern, war insofern mehr als folgerichtig, als die beiden historischen Plätze dieser Region auf verschiedene Weise Schlüsselrollen im Zweiten Weltkrieg gespielt hatten: der Plac Teatralny als Zentrum der Verteidigung Warschaus 1939 und als wichtige Region der Aufständischen 1944, der Plac Zwycięstwa hingegen als Machtzentrum der – schließlich besiegten – deutschen Besatzung. Zudem waren diese beiden Plätze nicht nur aufgrund ihrer Lage in der Stadt zentral, sondern sie hatten insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert eine so große symbolpolitische Bedeutung akkumuliert, dass die neuen Herrscher diese unmöglich ignorieren konnten. Die Parade stellte in gewisser Weise eine Kontinuitätslinie zu den rituellen Traditionen an diesem Platz her. Doch diese Machtdemonstration im zentralen städtischen Raum, im historischen „Herz der Stadt“, war insofern nicht nur ein Zeichen für Kontinuität, als sie auch den Anbruch einer neuen Ordnung manifestierte. Denn wer über diesen Platz eine Parade führen konnte, der erhob nicht nur Anspruch auf die Herrschaft über die Stadt, sondern auch über den Staat, dessen Hauptstadt Warschau war. Symbolisch dafür kann das Adlerwappen auf den über den Platz rollenden Panzern der polnischen Armee stehen: Dem Adler fehlte die traditionelle Krone. Insofern verweist dieses veränderte Symbol indirekt auch auf die Präsenz und Dominanz der sowjetischen Panzer im Land, die die Macht der PPR entscheidend stärkten. Deren Macht war nämlich zum Zeitpunkt der Parade im Mai 1946 noch keinesfalls gesichert gegenüber den Aspirationen der PPS sowie der Oppositionspartei PSL. Die Wiedereinweihung des wichtigsten Baudenkmals des Platzes, des Grabes des Unbekannten Soldaten, war sicherlich ein wichtiger Schritt im Kampf um Legitimation, der immer auch ein Kampf um Symbole ist – traditionelle wie neue. Dabei setzte das neue Regime in großem Stil auf die antideutsche Karte, indem sie das polnische Militär und dessen Sieg aufwendig feierte. Doch in zweierlei Hinsichten war das direkte Anknüpfen nicht möglich, und die Symbolik des Denkmals ambivalent. So war nach der Sprengung des das Grab umgebenden Sächsischen Palais 1944 die bauliche Substanz auf dramatische Weise

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

verändert. Das Grab des Unbekannten Soldaten konnte nach dem Krieg lediglich als Ruinenfragment renoviert und eingeweiht werden. Doch neben diesem visuellen Bruch verkörperte es auch einen inhaltlichen Bruch. Denn anders als vor dem Krieg, als es das wichtigste nationale Symbol der neu gegründeten Zweiten Republik war, betonten die Tafeln im Grab des Unbekannten Soldaten nunmehr die Schlachten des Kriegs gegen den Faschismus, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs. So wurde der an diesem Tag triumphal umbenannte Plac Zwycięstwa nicht nur zum Zentrum des Gedenkens an den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland. Es war darüber hinaus unausgesprochen auch Symbol des zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschiedenen Sieges über diejenigen, die an diesem Ort einer militärischen Tradition huldigen wollten, die auch die Kämpfe gegen historische – auch russische – Besatzungsregime einschloss und damit eine Gefahr für die Legitimation des neuen Regimes gewesen wären. Das waren allen voran die Exilregierung und die PSL. Über die Gedenktage und -riten hinaus sollte der Plac Zwycięstwa zu einem legitimatorisch wichtigen Repräsentationspunkt werden. Auch die architektonischen Pläne für den Platz, dessen zwei wichtigste Baudenkmäler deutsche Soldaten vor ihrem Abzug 1944 gesprengt hatten, zielten nun darauf ab, den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland zu repräsentieren.327 Von der Absicht, diesen Platz und die dazugehörige Sächsische Achse dementsprechend ganz unter Leitung und im Zeichen des Militärs aufzubauen, zeugt der Architekturwettbewerb für den Plac Zwycięstwa von 1947 – einer der ersten Wettbewerbe für ein gesamtes städtebauliches Ensemble nach dem Krieg in Warschau überhaupt. Das gesprengte Brühlsche Palais fand sich dabei auf allen Reißbrettern der ArchitektInnen wieder, wenn auch die zukünftige Funktion undefiniert war. Dass kein Bezug zur Vorkriegsfunktion des Gebäudes als Sitz des Außenministeriums hergestellt werden sollte, verwundert insofern wenig, als die neue Regierung den Bau der Ministerien vor allem südlich der Al. Jerozolimskie vorsah. Zudem war der Vorkriegsaußenminister der im Kommunismus nicht wohlgelittene Józef Beck gewesen. Darüber hinaus war das Gebäude ohnehin zu klein, wovon der Anbau von Bohdan Pniewski in den dreißiger Jahren zeugt. Interessanterweise inkludierte keiner der Wettbewerbsentwürfe diesen Anbau, noch nicht einmal Pniewski selbst. Trotz der angestrebten purifizierten Funktion dieses Platzes als Knotenpunkt militärischer Repräsentation sah hingegen keiner der beteiligten ArchitektInnen den Wiederaufbau des Sächsischen Palais vor, in dem vor dem Krieg der Generalstab untergebracht war. Vielmehr sollte die durch die Sprengung dieses Gebäudes entstandene Öffnung des Platzes

327 Vgl. Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 166.

2.5 Zusammenfassung: Teilkontinuitäten im Angesicht der Brüche

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zum dahinterliegenden Sächsischen Garten beibehalten werden. Die These von Jarosław Trybuś, die damaligen Verantwortlichen hätten das Sächsische Palais nicht wiederaufgebaut, weil sie in der Ruine des Grabes des Unbekannten Soldaten den Ort fanden, der „die Tragödie symbolisierte“, findet hingegen nicht durchgehend ihren Widerhall in den zeitgenössischen Dokumenten.328 Vielmehr war in den Wettbewerbsbedingungen zwar klargemacht, dass sich das Grab des Unbekannten Soldaten weiterhin am Plac Zwycięstwa befinden solle. Doch fast alle ArchitektInnen planten eine bauliche Veränderung des Grabes, manche hätten gar den Standort leicht verlegt. Zwar gab es seit 1945 Pläne über den Bau eines neuen, modernen Zentrums weiter südlich an der Kreuzung der Ul. Marszałkowska und der Al. Jerozolimskie. An diesem „Bauchnabel Warschaus“329 wurde allerdings erst 1952 tatsächlich ein Gebäude realisiert: der Kulturpalast.330 Doch mit dem vergleichsweise zügig initiierten Wettbewerb für das historische Zentrum um die Sächsische Achse mit Plac Zwycięstwa positionierte sich die neue Führung deutlich auch auf diesem historisch bedeutsamen Terrain. Es sollte eine wichtige Rolle spielen, mit einer vereinheitlichten Funktion für militärisch-repräsentative Zwecke und einigen historischen baulichen Konstanten. Dreh- und Angelpunkt des Platzes war nach wie vor das Grab des Unbekannten Soldaten – allerdings in einer kriegsbedingt sehr dezimierten Form. Darüber hinaus wurde die Westseite des Platzes mit dem ehemaligen Hotel Europejski und dem ehemaligen Militärgerichtsgebäude im Zuge ihres Wiederaufbaus nur unwesentlich verändert. Wären die Pläne des Wettbewerbsgewinners Pniewski für den Plac Zwycięstwa umgesetzt worden, so wäre ein Platz entstanden, der rein optisch nur wenig mit dem Platz vor dem Krieg gemein gehabt hätte, der vor dem Krieg architektonisch gesehen wenig repräsentativ war. Denn er war zwar das repräsentative Herz der Hauptstadt der Zwischenkriegszeit gewesen, hatte aber neben dem erwähnten Generalstab oder Außenministerium vor allem alltägliche Infrastruktur beherbergt, sogar eine Tankstelle. Im Rahmen der Nachkriegspläne sollte nicht nur diese wenig repräsentative Architektur verschwinden, sondern mit ihr auch die gewachsenen Nebenfunktionen des Platzes, also die Geschäfts-, Vergnügungs- und Wohnnutzung – eine Tendenz, die interessanterweise bereits Teil der Umbaupläne der Zwischenkriegszeit gewesen war. Insofern haben die beiden jeweils nicht realisierten Umbaupläne, die direkt vor dem Krieg im

328 Trybuś, Starówka. 329 Tyrmand, Zły, S. 123. 330 Als der bemerkenswerteste der vorhergehenden Pläne ist wohl der von Maciej Nowicki von 1945 anzusehen, aus dem allerdings nie mehr wurde als eine Vision. Vgl. Maciej Nowicki: Praca architektoniczna – śródmieście Warszawy, in: Skarpa Warszawska (1945), 1, S. 3–5.

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2 Tabula Rasa oder Tradition?

Auftrag des Bürgermeisters Starzyński sowie nach dem Krieg im Auftrag des kommunistischen Verteidigungsministeriums entstanden, einen modernisierend-purifizierenden Planungsimpetus gemein – freilich mit unterschiedlichen politisch-ideologischen Hintergründen. Angesichts der riesigen Aufgabe, die der Aufbau Warschaus bedeutete, können solche Nuancen – dass es nicht allein um die Bausubstanz ging, sondern auch um die damit einhergehenden Funktionen – leicht übersehen werden. Solche subtileren Veränderungen nahm auch damals wohl vor allem der zurückgekehrte, alte Teil der Einwohnerschaft wahr. So bemerkten am Plac Zwycięstwa zwar sicherlich alle WarschauerInnen, alte wie neue, dass vom Sächsischen Palais lediglich das fragmentierte Grab des Unbekannten Soldaten übriggeblieben war. Doch es ist fraglich, wie viele der neu Zugezogenen beispielsweise wahrnahmen, dass die Cafés, Bars und Restaurants im ehemaligen Hotel Europejski nicht wiedereröffneten, oder dass das Poniatowski-Denkmal nicht mehr am Platz thronte. Doch die Frage der geplanten Funktionen und der tatsächlichen Nutzung städtischen Raums in die Untersuchung mit einzuschließen, ist deshalb so wichtig, weil nur so die Frage aufkommt, inwiefern der soziale Bruch die Selektion von Traditionen und Kontinuitäten beeinflusste und damit gegebenenfalls den KommunistInnen in die Hände spielte. Denn ungefähr die Hälfte der Bevölkerung konnte schon allein deshalb nie mehr zu den alten Aktivitäten am alten Ort zurückkehren (oder dies zumindest einfordern), weil sie während des Krieges zu Tode gekommen war. Auf diese Weise betrachtet, kann der bis heute sichtbare materielle Bruch mit der Vorkriegszeit auch den sozialen Bruch, den Polens Hauptstadt und ihre Bevölkerung zu verkraften hatte, offenbaren. Doch auch wenn zurückgekehrte BewohnerInnen die Stadt sicherlich anders wahrnahmen als neu zugezogene, so bedeutete das nicht, dass der Aufbau der Stadt nicht für alle WarschauerInnen eine emotionale und symbolische Komponente haben konnte. Wie in dem Kapitel „Die ermordete Stadt“ gezeigt werden konnte, nahmen viele Menschen die Zerstörung Warschaus sehr persönlich – und dementsprechend auch dessen Aufbau. Das Regime betonte darüber hinaus kontinuierlich die symbolische Bedeutung des Aufbaus Warschaus für das ganze Land. Doch mehr noch: Der Aufbau war wichtiges Mittel im Kampf um Legitimation und die Stabilisierung der Macht. Dieser Fortschritt war für alle sichtbar, und wurde von der großen Mehrheit befürwortet. Insofern kann diese partielle Umarmung nationaler Traditionen im Städtebau auch als Versuch der sich etablierenden PZPR gewertet werden, Brücken zu einer Gesellschaft herzustellen, die verschiedene Brüche zu verarbeiten hatte – die materielle und soziale Zerstörung ihrer Stadt sowie das Leben in einem neuen politischen System, das nur wenige aktiv unterstützten. Oder anders gesagt: In gewisser Weise versuchte die Partei nicht nur, die Nation

2.5 Zusammenfassung: Teilkontinuitäten im Angesicht der Brüche

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zur Unterstützung beim Bau der Hauptstadt zu bewegen, sondern sie erhoffte sich als Wechselwirkung auch, dass die Leistungen beim Aufbau der Hauptstadt ihr dabei halfen, die Nation in ihrem Sinne zu gestalten. Legitimation konnte die Partei beim Aufbau Warschaus allerdings nicht nur aus repräsentativen Projekten schöpfen, sondern vor allem auch aus pragmatischen Investitionen wie dem Bau von Wohnhäusern und Straßen. Diese waren insofern wichtig, als die Frage berechtigt ist, inwiefern die Bevölkerung vor allem interessierte, inwiefern sich der Alltag mithilfe möglichst guter Wohnungen, Arbeitsstätten und Verkehrsmittel verbesserte. Dass dies den Verantwortlichen bewusst war, lässt sich am Beispiel des Plac Zwycięstwa und des Plac Teatralny sehr gut verdeutlichen. Denn parallel zu den Plänen und Diskussionen über repräsentative Neubauten bahnten sich neue Verkehrsarterien ihren Weg, die bereits vor dem Krieg als dringend notwendig erachtet worden waren: die 1947 in Richtung Norden verlängerte Ul. Marszałkowska, die nunmehr durch den Sächsischen Garten führte, sowie die 1949 fertig gestellte Trasa W-Z. Beide neuen Straßen führten zwar nicht direkt über die hier behandelten Plätze, prägten sie jedoch dennoch entscheidend. Denn sie veränderten das historische Stadtgefüge bedeutend und schlossen die Plätze von ihrer historisch gewachsenen Umgebung ab. Das galt insbesondere für die Ul. Marszałkowska, die die historische Verbindung zwischen Sächsischem Garten und dem Plac Za Żelazną Bramą empfindlich durchtrennte – schließlich war das im Platznamen immer noch enthaltene „eiserne Tor“ einst der Eingang zum Sächsischen Garten gewesen. Und der Plac Teatralny war nicht mehr länger ein belebter Verkehrsknotenpunkt wie vor dem Krieg, sondern ein stiller Platz am nördlichen Rand des Zentrums geworden. Während insbesondere die Trasa W-Z auch in propagandistischer Hinsicht als städtebauliches Schlüsselprojekt der ersten Nachkriegsjahre betrachtet werden kann, dauerte die Diskussion um die Gestaltung des zentralen historischen Platzes der Hauptstadt an: Mit dem Wettbewerb von 1947 hatte der komplexe Aushandlungs- und Abstimmungsprozess erst begonnen. Doch unterdessen veränderte sich die politische Großwetterlage entscheidend. Im Endeffekt war der Umschwung des Jahres 1949 sogar so groß, dass das Projekt für die Sächsische Achse und den Plac Zwycięstwa schließlich Anfang der fünfziger Jahre buchstäblich ins Leere lief. Denn mit der Stalinisierung des Landes ging eine Ideologisierung aller Lebensbereiche einher, auch und gerade des Städtebaus. Infolge dessen geriet das historische „Herz“ der Stadt an den Rand der Aufmerksamkeit, da der Städtebau des neu eingeführten Sozialistischen Realismus insbesondere neue, gigantische Stadtzentren förderte und forderte.

3 Radikale Pläne ohne Programm: Die Stalinisierung des städtischen Raums (1949 bis 1956) 3.1 Ideologie und Vision Dass eine johlende Menge die Feliks-Dzierżyński-Statue am 16. November 1989 vom Sockel holen würde – das hätte zu ihrer Einweihung am 22. Juli 1951 niemand zu denken gewagt. Bolesław Bierut und der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow enthüllten das Denkmal von Feliks Dzierżyński persönlich, am frisch umbenannten Plac Dzierżyńskiego, vormals Plac Bankowy. Dahinter erstreckte sich die „wiederbelebte“, klassizistische Palastarchitektur von Antonio Corazzi.331 Eine Aufnahme dieses Tages zeigt Menschenmassen mit polnischen Flaggen, an den Hauswänden dahinter riesige Porträts von Bierut und Stalin. Tribünen waren mit Blick auf das neue Denkmal, entworfen von Zbigniew Dunajewski, aufgebaut. Eine der Tribünen führte genau über das Grundstück der im Krieg von den Nationalsozialisten gesprengten Großen Synagoge, deren Trümmer im Zuge der Zeremonievorbereitungen abgeräumt worden waren.332 Der Plac Dzierżyńskiego war schon zuvor, zwischen 1946 und 1949, aufgewertet worden: als neuer Verkehrsknotenpunkt. Nun spielte er auch auf der ideologisch-symbolischen Landkarte eine wichtige Rolle, war er doch nach dem Gründer des sowjetischen Geheimdienstes Tscheka und damit nach der Schlüsselfigur polnisch-sowjetischer revolutionärer Traditionen benannt. Mit der feierlichen Einweihung des Denkmals, bei der er demgemäß als „Stolz der polnischen Revolutionsbewegung“333 gepriesen wurde, war der Auftakt gemacht zur Umgestaltung Warschaus mit „Magistralen, Aufmarschplätzen und [einem] nach Möglichkeit monumentalen [Kulturhaus] als organisierenden

331 Vgl. die eingangs analysierte biologistische Metaphorik. Der Kommentar beschreibt die renovierte Corazzi-Architektur als „powrócony do życia“: PKF 51/27: Na Placu Bankowym stanie Pomnik Feliksa Dzierżyńskiego, 1951. 332 Für die Aufnahme vgl. URL http://s.tvp.pl/images/0/c/8/uid_0c8dadc63b834e83 dab26370931e84701258448192517_width_1200_play_0_pos_1200_gs_0.jpg (Zugriff 01.04.2017). Zur Einweihung des Plac Dzierżyńskiego vgl. Fuchs, Miejsce, S. 85–93. 333 PKF 51/27: Na Placu Bankowym stanie Pomnik Feliksa Dzierżyńskiego, 1951. https://doi.org/10.1515/9783110644975-003

3.1 Ideologie und Vision

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Schauplätzen spezifisch sozialistischer Kollektivkultur [. . .]“.334 Dabei stellte der Plac Dzierżyńskiego den nördlichen Endpunkt der als zentrale Magistrale geplanten Ul. Marszałkowska dar, welche der im Bau befindliche Plac Konstytucji von Süden her begrenzte. Während letzterer von dem MarszałkowskaWohnviertel (Marszałkowska Dzielnica Mieszkaniowa, MDM) umbaut und als wichtiges Prestigeprojekt am 22. Juli 1952 eingeweiht wurde, war die Architektur des Plac Dzierżyńskiego hingegen Gegenstand langanhaltender Diskussionen. Das galt nicht für die wertgeschätzte Corazzi-Architektur auf der einen Seite, die zügig wiederaufgebaut wurde.335 Die Ehrung dieses für seine Brutalität im russischen Bürgerkrieg zwischen 1917 und 1921 berüchtigten Bolschewiken indizierte eindeutig, dass in Polen andere Zeiten angebrochen waren. Diese waren gekennzeichnet von einem verstärkten Einfluss der Sowjetunion auf polnische Politik, was in dieser Zeit die Einführung stalinistischer Herrschaftspraktiken bedeutete. Neben der gesteigerten Rolle von Ideologie bedeutete dies insbesondere eine intensivierte Verfolgung sogenannter Feinde, auch im Innern. Diese Entwicklung manifestierte sich markant am Plac Dzierżyńskiego, der nicht nur nach dem Tscheka-Chef umbenannt wurde, sondern auch in unmittelbarer Nähe des Sitzes der Bürgermiliz (Milicja Obywatelska, im Folgenden Miliz), also der regulären Polizeikräfte, im Mostowski-Palais lag. Auf bemerkenswerte Weise verdeutlicht zudem ein inoffizieller architektonischer Entwurf für die Neugestaltung der Ostseite des Platzes die Umstände und Praktiken der Zeit zwischen 1949 und 1956. Im November 1953 skizzierte Marian Spychalski, ausgebildeter Architekt und nach dem Krieg Minister und General der Polnischen Armee, seine Visionen für mehrere wichtige Ensembles der Stadt, z. B. die Sächsische Achse. Bemerkenswert ist in diesem Kontext jedoch vor allem sein Entwurf für die neu zu bebauende Ostseite des Plac Dzierżyńskiego: ein Gebäudekomplex für das Ministerium für Öffentliche Sicherheit (Ministerstwo Bezpieczeństwa Publicznego, MBP) – also die Geheimpolizei. Unter den vielen verschiedenen geplanten Nutzungen für den Plac Dzierżyńskiego findet eine solche in keiner offiziellen Quelle Erwähnung. Doch das eigentliche besondere ist die Tatsache, dass Spychalski diesen Entwurf im Gefängnis zeichnete, wo er seit 1950 einsaß – auf Anordnung eben dieses Ministeriums.336

334 Michaela Marek: Die Idealstadt im Realsozialismus. Versuch zu den Traditionen ihrer Notwendigkeit, in: Christiane Brenner/Peter Heumos (Hg.), Sozialgeschichtliche Kommunismusforschung. Tschechoslowakei, Polen, Ungarn und die DDR 1948–1968. München 2005, S. 425–480, hier S. 479. 335 Vgl. Fuchs, Miejsce, S. 85–93. 336 Für den Hinweis auf diese Skizzen danke ich Jerzy Kochanowski herzlich.

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3 Radikale Pläne ohne Programm

Abb. 3.1: Skizze für die Sächsische Achse von Marian Spychalski, November 1953.

3.1 Ideologie und Vision

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Abb. 3.2: Skizze für den Plac Dzierżyńskiego von Marian Spychalski, November 1953.

Diese architektonische Skizze eines Politikers, der seiner Partei trotz sechs Jahren politischer Gefangenschaft treu blieb337 und nach seiner Freilassung 1956 erneut verschiedene hohe politische Ämter bekleidete, wirft ein Schlaglicht auf den Kontext, in dem sämtliche städtebaulichen Debatten dieser Zeit geführt wurden: in einem Klima „der permanenten Mobilisierung, der Aufrüstung, des Kampfes gegen jene, die zum ‚Feind im Inneren‘ erklärt wurden – und parallel dazu des anhaltenden, umfassenden Aufstiegs, von dem vor allem die jüngeren, durchweg männlichen Dorfbewohner profitierten [. . .]“.338 Wenn man der Definition Andrzej Paczkowskis folgt, dann wurde Spychalski infolge des nach sowjetischem Vorbild „allgemein“ gewordenen Terrors inhaftiert, gegen den „keine, auch nicht die höchste Stellung, keine, auch nicht die größten Verdienste, keine, auch nicht die unterwürfigsten Schmeicheleien“ Schutz boten.339 Das blieb nicht

337 Vgl. zu diesem Thema z. B. Marci Shore: Caviar and Ashes. A Warsaw Generation’s Life and Death in Marxism, 1918–1968. New Haven, CT 2006, S. 330. 338 Borodziej, Geschichte Polens, S. 278. 339 Vgl. Andrzej Paczkowski: Terror und Überwachung. Die Funktion des Sicherheitsdienstes im kommunistischen System in Polen von 1944 bis 1956. Bonn 1999. Zitiert nach Borodziej, Geschichte Polens, S. 290.

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3 Radikale Pläne ohne Programm

ohne Folgen: „Die Volksrepublik Polen schien auf dem Höhepunkt des Stalinismus, der zeitlich etwa mit dem Tod seines Gründers zusammenfiel, auch auf den zweiten Blick eine perfekte Diktatur. Moskau hatte sein Ziel erreicht; es konnte sich des Warschauer Gehorsams sicher sein.“340 Wie weit dieser Gehorsam ging, kann auch Marian Spychalskis Skizze für den Plac Dzierżyńskiego illustrieren. Das stalinistische Modell war nicht nur im Bereich der inneren Sicherheit zwingend. Ähnlich umfassend war der Anspruch der Partei, Politik, Wirtschaft und Kultur in stalinistischer Manier zu dominieren und umzubauen. Inwiefern die „Allgegenwärtigkeit des Staates“341 auch den Städtebau explizit durchdringen sollte, wird deutlich aus der Ansage, die im April 1949 der bis dato in Polen unbedeutende Architekt Edmund Goldzamt dem Leiter des BOS Roman Piotrowski in einem Brief übermittelte: „Die räumliche Gestaltung Warschaus, vor allem die ihres ideologisch-gesellschaftlichen Zentrums, ist eine hohe politische Aufgabe, keine architektonische. Die Architektur ist lediglich das Mittel, um die politischen Entscheidungen umzusetzen.“342 Den daraus hervorgehenden ideologischen Imperativ vertrat Goldzamt, Absolvent und Stipendiat des Moskauer Architekturinstituts, in den folgenden Jahren im Warschauer Städtebau vehement. Architektur war in seinen Augen insbesondere Ausdruck politischer Macht: „Im Allgemeinen schafft ein starker Staatsorganismus, geführt von einer vereinten gesellschaftlichen Klasse, die großen städtebaulichen Ensembles.“343 Diese ideologischen Prinzipien sollten von nun an unter dem Oberbegriff des Sozialistischen Realismus das Kunstschaffen in Bezug auf die Organisation wie auf den künstlerischen Ausdruck dominieren und uniformieren, Architektur und Städtebau eingeschlossen.344 Dieser in der Sowjetunion seit Beginn der dreißiger Jahre vorherrschende Stil des Sozialistischen Realismus wurde am 20. und 21. Juni 1949 auf dem Nationalen Parteikongress der ArchitektInnen auch in Polen offiziell verkündet, in Anwesenheit der Parteigrößen Bolesław Bierut, Józef Cyrankiewicz, Jakub Berman und Jerzy Albrecht.345 De facto gab es aber keine offizielle, zusammenhängende Theorie des Sozialistischen Realismus, was es schwierig machte, mit

340 Ebd., S. 284. 341 Ebd., S. 278. 342 Zitiert nach Majewski, Ideologia, S. 116. 343 Edmund Goldzamt: Architektura zespołów śródmiejskich i problemy dziedzictwa. Warszawa 1956, S. 223. 344 Vgl. Majewski, Ideologia, S. 106. Dieser Autor gibt eine gut fundierte, ausführliche Einleitung in die polnische Thematik in dem Kapitel „Socrealistyczna alternatywa“, S. 106–114. 345 In Polen wird der Sozialistische Realismus häufig mit „socrealizm“ abgekürzt. In dieser Arbeit wird lediglich das Adjektiv „sozrealistisch“ übernommen.

3.1 Ideologie und Vision

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seiner stilistischen, funktionalen und organisatorischen Dominanz umzugehen – und ihn heute zu definieren. Das war möglicherweise intendiert, wenn man davon ausgeht, dass der Sozialistische Realismus auch der Disziplinierung der Kunstschaffenden dienen sollte.346 Diese soziale Komponente ist sicherlich nicht zu verachten. Denn es gab immer wieder Konflikte über die richtige Auslegung der sozrealistischen Maßgaben, wie beispielweise zwischen Goldzamt und dem 1951 zum Chefarchitekten berufenen Sigalin.347 Stilistisch hingegen darf er nicht mit dem Realismus in der Malerei verwechselt werden. Dessen VertreterInnen war eine möglichst nüchterne, sachliche Darstellungsweise ihrer Objekte gemein. Doch ebenso wenig, wie es damals einen Konsens über das Konzept gab, gibt es heute einen über dessen kunsthistorische Einordnung. Dennoch ist die Entstehung des Realismus ab 1830 in Frankreich eng mit dem gesellschaftlichen Phänomen der Moderne verbunden, die VertreterInnen des Realismus ins Bild setzten, teilweise mit einer explizit sozialkritischen Agenda.348 Der Sozialistische Realismus trat erstmals in den 1880er Jahren in Belgien auf und wurde dann ab 1929 in der Sowjetunion zur offiziellen Kunstdoktrin, als idealisierte Darstellung der Wirklichkeit mit einer didaktischen Komponente.349 Das galt für alle Künste, auch die Architektur. Doch während schon die Definition für die am besten erforschte Kunstgattung Malerei schwierig ist, so ist sie noch komplizierter für die Architektur. Zwar findet sich an repräsentativen Gebäuden auch typische realistische Motivik, also beispielsweise Skulpturen von ArbeiterInnen sowie Bauern und Bäuerinnen. Der gemeinsame Nenner aller Kunstgattungen war insbesondere, dass sie explizit in den politischen Dienst genommen wurden, um eine affirmative Perspektive auf die HeldInnen und die Errungenschaften des Systems zu

346 Vgl. z. B. Majewski, Ideologia, S. 273. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Kampf innerhalb der sowjetischen Architektenschaft um die „Disziplinierung unabhängiger Architektenkreise“ in den dreißiger Jahren – das eigentliche Hauptziel der damaligen Offensive um einen neuen Stil. Vgl. Karl Schlögel: Terror und Traum. Moskau 1937. München 2008, S. 319 ff. 347 Vgl. die kommentierte Dokumentensammlung von Sigalin, beispielsweise Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 10–13. Über Goldzamt selbst, der nach dem Ende des Sozialistischen Realismus praktisch keine Rolle als Architekt mehr spielte, ist sehr wenig bekannt. Einblick in seine Ansichten zur sozrealistischen Architektur bietet seine aufwendige Publikation Goldzamt, Architektura zespołów. Sie erschien erst 1956, sodass sie damit augenblicklich zum Zeitzeugnis einer überholten Anschauung wurde. Als Architekturhistoriker wurde er auch im Westen einem breiten Publikum bekannt mit dem Buch: ders.: William Morris a geneza społeczna architektury nowoczesnej. Warszawa 1967. 348 Boris Röhrl: Realismus in der bildenden Kunst. Europa und Nordamerika 1830 bis 2000. Berlin 2013, S. 1. 349 Ebd., S. 139.

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liefern, wie zeitgenössische AutorInnen klarmachten. Adam Kotarbiński, Autor einer Monographie über die Errungenschaften und Pläne sozrealistischer Architektur präsentierte sozrealistische Kunst als Ausdruck des Fortschritts: Wir haben festgelegt, dass ein Künstler die Wirklichkeit kennenlernen soll, und daraus die wichtigsten Faktoren herausfiltern und in seinem Werk ausdrücken soll. Dann wird sein Werk ein realistisches Abbild der Wirklichkeit. Zwischen Sozialismus und Fortschritt können wir ein Gleichheitszeichen setzen: Wenn ein zeitgenössischer Künstler in seinem Werk Forschrittsfaktoren ausdrücken soll – dann soll das die Errungenschaften des Sozialismus zeigen. Mit anderen Worten soll er seinem Werk einen sozialistischen Inhalt geben.350

Auch bei Edmund Goldzamt wird diese politische Indienstnahme von Kunst im Allgemeinen – also auch Architektur – überdeutlich: „Sozialistische Kunst ist realistische Kunst, deshalb muss ein Charakterzug der sozialistischen Architektur ihr Realismus sein, ihr tiefer ideologischer Gehalt [ideowość] und ihre erzieherische Funktion.“351 Da diese Äußerungen zwar verdeutlichen, wie die ZeitgenossInnen den Terminus gebrauchten, nicht aber klären, was genau es bedeutet, den Realismus auf die Architektur anzuwenden (anders als in der bildenden Kunst oder Literatur), ist der Blick auf seinen Gegenpart hilfreich. Denn der Sozialistische Realismus in der Architektur lässt sich zu einem guten Teil aus dem erklären, wogegen er stand, da er auf der Ablehnung des Modernismus mit seinen internationalen Bezügen basierte: „Socialist realist architecture was conceived primarily through its denunciation of the faceless international uniformity, allegedly propagated by the United States and best exemplified by architectural modernism, known also as International Style.“352 Doch auch hier mahnt der Autor des Grundlagenwerks zu sozrealistischer Architektur, Anders Åman, zu begrifflicher Präzision. Das Gegenkonzept zum Sozialistischen Realismus sei am ehesten mit Modernismus zu bezeichnen, da Konstruktivismus ein zu breiter Begriff sei, wohingegen sich Funktionalismus nur auf einen Aspekt moderner Architektur beziehe, und der Begriff Formalismus zu polemisch und negativ konnotiert sei. Trotz dieser begrifflichen Schwierigkeiten sei der Begriff „Sozialistischer Realismus“ jedoch von den ZeitgenossInnen verwendet worden, für alle Kunstrichtungen gültig und daher auch heute adäquat.353 Die 350 Adam Kotarbiński: Realizm socjalistyczny w architekturze. Warszawa 1951, S. 14. 351 Edmund Goldzamt: Znaczenie doświadczeń architektury radzieckiej dla socjalistycznej architektury polskiej, in: Architektura, S. 184–198, hier S. 185. 352 Virág Eszter Molnár: Building the state. Architecture, politics, and state formation in postwar central Europe. London 2013, S. 40. 353 Vgl. Anders Åman: Architecture and Ideology in Eastern Europe during the Stalin Era. An Aspect of Cold War History. New York 1992, S. 5.

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Worte des Parteichefs Bierut verdeutlichen diese Abgrenzung und den politischen Anspruch gleichermaßen: In diesen Formen stecken noch die Überbleibsel des bourgeoisen Kosmopolitismus, dessen leerer Formalismus in der Architektur in farblosen, kastenartigen Bauten zum Ausdruck kommt. Unsere Architekten müssen in größerem Maße an die gesunden Traditionen unserer nationalen Architektur anknüpfen, sie den neuen Möglichkeiten anpassen und ihnen einen neuen sozialistischen Inhalt geben.354

Dieses Zitat enthält ein wichtiges Stichwort. Denn die ArchitektInnen sollten nunmehr gemäß der Formel „national in der Form, sozialistisch im Inhalt“ bauen. In Warschau galt als Beispiel „gesunder Traditionen“ insbesondere der Klassizismus, dessen Gebäude im historischen Zentrum größtenteils wiederaufgebaut wurden, wie noch zu lesen sein wird. Die Bauten dieses Stils entstanden in einer Zeit wirtschaftlicher Prosperität, als Warschau Hauptstadt des auf dem Wiener Kongress geschaffenen sogenannten Kongresspolens war. Die Worte Goldzamts sind erneut aufschlussreich, um zu zeigen, wie diese Architektur nunmehr gedeutet werden sollte: Es scheint, als könne man in der Warschauer Architektur der Jahre 1815 bis 1830 – obwohl sie im Auftrag reaktionärer Adeliger entstand – am ehesten die führenden Ideen und Stimmungen wiederfinden, an denen sich die Mehrheit der Bewohner der Hauptstadt orientierten. [. . .] In der Dynamik der Fassaden Corazzis [. . .] und den Rhythmen der Säulengänge, die die langen Platzkanten einrahmen, können wir die damaligen gesellschaftlichen und moralischen Ideale erkennen.355

Hinzu kam die in der Sowjetunion ab 1932 „zur Doktrin verfestigte Präferenz“ für die sogenannte Klassik, der eine „nicht unwesentliche propagandistische, instrumentelle Komponente“ zukam: „Daher kann [. . .] die Festschreibung des Neoklassizismus als einer motivreichen, in Teilen vertrauten und daher ‚lesbaren‘ Formensprache [. . .] als eine Maßnahme zur Befriedung in der Krisensituation verstanden werden.“356 In anderen polnischen Städten wurde allerdings auch auf andere historische Stile Bezug genommen.357 Daher ist Anders Åmans Einwurf

354 Bolesław Bierut: Der Sechsjahrplan des Wiederaufbaus von Warschau. Warszawa 1951, S. 329. 355 Goldzamt, Architektura zespołów, S. 122. 356 Marek, Idealstadt, in: Brenner/Heumos (Hg.), Sozialgeschichtliche Kommunismusforschung, S. 466 ff. 357 In kleineren Städten und in den neuen Westgebieten Polens wurden vor allem Reminiszenzen an die Renaissance eingesetzt. Bartetzky spricht dabei von dem „Signalmotiv“ der „polnischen Attika“. Vgl. Bartetzky, Die korrigierte Geschichte, in: Bingen/Loew/Popp (Hg.), Visuelle Erinnerungskulturen, S. 134.

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berechtigt, dass in vielen Fällen die verschiedenen nationalen Traditionen einflussreicher waren als der direkte Einfluss aus der Sowjetunion.358 Unabhängig davon, welche nationale Form jedoch gewählt wurde, war allen Bauwerken des Sozialistischen Realismus ein Monumentalismus inhärent, der „nicht nur in den überwältigenden Dimensionen und der Proportionierung der Repräsentationsbauten [. . .]“ begründet lag, sondern „in hohem Maße auch der Verwendung traditioneller Materialien, vor allem Granit und Marmor“ geschuldet war.359 Neben den „gesunden“, nationalen Traditionen, an denen sich die ArchitektInnen von Neubauten orientieren sollten, band der Sozialistische Realismus durchaus historisches Bauerbe ein. Dabei müsse allerdings die Spreu vom Weizen getrennt werden. Denn nicht der originalgetreue Wiederaufbau sei das Ziel, da nur die politischen GegnerInnen der Reaktion die Restauration („restauracja“) anstrebten, so Goldzamt auf dem entscheidenden Nationalen Parteikongress der ArchitektInnen im Juni 1949: „Wir hingegen verfolgen die Rekonstruktion [. . .], wie wir sie nicht nur heute, sondern auch morgen noch brauchen.“360 Dieses imaginierte sozrealistische Morgen ist im Falle Warschaus sehr genau dokumentiert. Bierut selbst präsentierte am 3. Juli 1949 auf der Warschauer Konferenz der PZPR in einem Referat den „Sechsjahrplan des Wiederaufbaus von Warschau“ („Plan Sześcioletni Odbudowy Warszawy“), der am 21. Juli 1950 als Gesetz beschlossen wurde. Bearbeitet vom Architekten Stanisław Jankowski wurde der Sechsjahrplan361 schließlich als „programmatischer Prachtband“362 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, freilich mit Bierut als Autor: 1950 auf Polnisch, 1951 in verschiedenen anderen Sprachen, was die propagandistische Stoßrichtung dieses Werks unterstreicht, nach innen wie nach außen. Warschaus Rückkehr zum Leben wird hier, gemäß des bereits direkt nach dem Krieg etablierten Narrativs, als Aufbegehren gegen den nationalsozialistischen Vernichtungswillen verstanden. Die „Festigkeit, Lebenskraft und schöpferische Energie“

358 Åman, Architecture and Ideology, S. 4. 359 Marek, Idealstadt, in: Brenner/Heumos (Hg.), Sozialgeschichtliche Kommunismusforschung, S. 468 f. 360 Majewski, Ideologia, S. 315 f. Vgl. bei dem Begriff „rekonstrukcja“ die Anlehnung an die russische Terminologie, nämlich den Plan der Rekonstruktion Moskau von 1935. Dieser war der Generalplan Stalins für den Umbau der Stadt als ein „Gesamtkunstwerk“, und für den viele Baudenkmäler abgerissen wurden oder noch worden wären, wenn der Plan komplett umgesetzt worden wäre. Vgl. z. B. Schlögel, Terror und Traum, S. 63 ff. 361 In der Folge wird der Sechsjahrplan des Warschauer Wiederaufbaus kursiviert, um ihn von dem 1950 verabschiedeten Sechsjahrplan der Wirtschaft zu unterscheiden. 362 Arnold Bartetzky: Auf der Suche nach der nationalen Form. Zur Architektur der Stalinzeit in der DDR und Polen, in: Jacek Purchla/Wolf Tegethoff (Hg.), Nation. Style. Modernism. CIHA Conference Papers. Kraków 2006, S. 325–343, hier S. 337.

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der letzten vier Jahre sollten nun allerdings in einen „planmäßigen Umbau“ der Stadt fließen, entgegen der bisherigen „zufälligen Bauarbeiten“.363 Dabei ist es aufschlussreich, wie die Begriffe genau verwendet wurden: Im Titel und zu Beginn des Buches wird vor allem von „Wiederaufbau“ gesprochen, während später im Buch vermehrt von „planmäßigem Umbau, Aufbau und Entwicklung von Warschau“ sowie von einem „planvollen Umbau“ die Rede ist.364 Die rechtlichen Bedingungen dafür schaffte die Entscheidung vom März 1950, die städtische Selbstverwaltung abzuschaffen. Das hatte auch erheblichen Einfluss auf die Verfügungsgewalt über den städtischen Grund, der nun in Staatshand überging.365 Weitere strukturelle Zentralisierungen ließen nicht auf sich warten: 1951 wurde Sigalin als erster Warschauer Chefarchitekt (Naczelny Architekt Warszawy) berufen, der beim Präsidium des Warschauer hauptstädtischen Nationalrats (Prezydium Rady Narodowej m.st. Warszawy, PRN) angesiedelt war.366 Zudem wurde das BOS aufgelöst; an seine Stelle trat das BUW. Mit dem Sechsjahrplan rückte der Wiederaufbau Warschaus „an die Spitze aller Probleme“ und war gleichzeitig in den allgemeinen Umbau von Staat, Wirtschaft und Kultur eingebettet. So stand der Aufbau Warschaus nicht nur für sich, sondern war Teil des Sechsjahrplans für die Wirtschaft, dessen Motto mit dem markigen Satz „Budujemy gmach Polski socjalistycznej“ („Wir bauen ein Haus für das sozialistische Polen“) betitelt und 1950 schließlich beschlossen wurde. Warschau, die Hauptstadt des neuen Staatsgebäudes, galt so als ein „Symbol des Wiederaufbaus ganz Polens und als Modellstadt, die von der Tragweite des sozialistischen Wandels zeugt“.367 Es ist kein Zufall, dass so viele ZeitgenossInnen (und ForscherInnen) die Terminologie vom Aufbau des Sozialismus so flächendeckend nutzten (und nutzen). Der tatsächliche Aufbau des Landes mit Warschau an der Spitze war dabei mehr als ein Symbol der Macht und der Effizienz: Er war der für alle sichtbare Beweis. Das galt zwar durchgehend, aber vor allem im Stalinismus – man denke nur an die zahlreichen Stadtneugründungen beim Ausbau der Schwerindustrie.368 Auch im 363 Bierut, Der Sechsjahrplan, S. 39 f. und S. 121. 364 Ebd., S. 69 und S. 121. 365 Baraniewski, Pałac, S. 11. 366 Zur Rolle Sigalins beim Warschauer Aufbau vgl. Skalimowski, Sigalin. 367 Brzostek, Robotnicy Warszawy, S. 18. 368 Für die Zusammenhänge zwischen Industrialisierung und Städtebau im Stalinismus vgl. die Arbeit über die als Prestigeprojekt geplante Industriestadt Nowa Huta bei Krakau: Katherine Lebow: Unfinished Utopia. Nowa Huta, Stalinism, and Polish society, 1949–56. Ithaca, NY 2013. Als sowjetisches Beispiel sei Magnitogorsk herangezogen, vgl. Stephen Kotkin: Magnetic Mountain. Stalinism as a Civilisation. Berkeley 1997. Für einen internationalen Vergleich vgl. Jajeśniak-Quast, Die sozialistische Stadt, in: Bohn (Hg.), Von der europäischen Stadt.

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Sechsjahrplan war ein Drittel der Mittel für den Ausbau der Industrie gedacht, insbesondere der Schwer- und Rüstungsindustrie, was sich in Warschau im Um- und Neubau von Fabriken ausdrückte: Neunzehn sollten laut Sechsjahrplan in den Bezirken Wola, Żerań, Kamionek, Grochów und Okęcie neu entstehen.369 Die wichtigste war dabei wohl das Stahlwerk in Bielany, die Huta Warszawy, 1952 bis 1954 gebaut. In der Konsequenz des erwarteten Zuzugs von ArbeiterInnen kündigte der Warschauer Sechsjahrplan auch den dringend benötigten Ausbau der kommunalen Infrastruktur an, das heißt öffentlicher Einrichtungen und des Verkehrsnetzes. Sogar die geplante Untergrundbahn findet Erwähnung – allerdings nur in einem Satz. Darüber hinaus sollten vor allem neue Wohnviertel entstehen, die die ärmlichen, unhygienischen Wohnungen der Vorkriegszeit zu überwinden versprachen. Immerhin 19 Prozent der Investitionen des Sechsjahrplans waren dafür vorgesehen. Diese Kritik an der historischen Stadtstruktur und die angekündigte „Gesundung“ der Stadt verdeutlichen den modernisierenden Impetus des Sechsjahrplans. Deshalb überrascht es nicht, dass Baraniewski darin zentrale Punkte der CIAM wiedererkennt. Und das, obwohl die CIAM von führenden VertreterInnen der so vehement abgelehnten modernen architektonischen Ausdrucksformen geprägt waren.370 Besonderen Raum nahm im Sechsjahrplan das neustrukturierte und neugestaltete Zentrum ein. Die mit lockerer Feder skizzierten monumentalen Straßenzüge und Ensembles, die bis 1955 entstehen sollten, weisen nicht nur eine frappierende Ähnlichkeit etwa zu den zeitgleich in Berlin-Friedrichshain entstandenen Wohnpalästen entlang der Stalin-Allee auf.371 Sondern ihnen kam nach Michaela Marek hier wie dort Signalfunktion zu: eine appellative, ‚erzieherische‘ nach innen und eine demonstrative nach außen. Sie sollten sozialistischen Gesellschaftspraktiken zur Durchsetzung verhelfen und damit wesentlich zur Schaffung des ‚neuen‘ Menschen beitragen. Zugleich aber, wiewohl trotz Kriegszerstörungen und Neuaufbau in Konkurrenz mit einer Fülle ererbter Wahrzeichen an jedem Ort, kam ihnen die Aufgabe zu, die jeweilige Stadt als sozialistische auszuweisen.372

369 Brzostek, Robotnicy Warszawy, S. 18. Die Investitionsgrößen folgen ebd., S. 19. 370 Baraniewski, Pałac, S. 23–27. Vgl. die trotz der theoretischen Übereinstimmungen getrennt verlaufenden Entwicklungen Eric Mumford: CIAM and the Communist Bloc, 1928–59, in: The Journal of Architecture (2009), 2, S. 237–254. 371 Vgl. Bartetzky, Stadtplanung als Glücksverheißung, in: Bartetzky/Dmitrieva/Troebst (Hg.), Imaginationen. 372 Marek, Idealstadt, in: Brenner/Heumos (Hg.), Sozialgeschichtliche Kommunismusforschung, S. 479.

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Menschen waren auf den Entwürfen lediglich als verschwindend winzige Gestalten zu erkennen, oder sie fluteten die als Hauptmagistrale geplante Ul. Marszałkowska bei einer Parade – als fahnentragende TeilnehmerInnen und ZuschauerInnen gleichermaßen. Diese Herangehensweise an den Städtebau unterstrich der bereits häufig zitierte, tonangebende Architekt Goldzamt: „Ein Architekt in einer Gesellschaft, die den Sozialismus baut, ist nicht nur ein Ingenieur der Gebäude und Straßen, sondern auch ein Ingenieur menschlicher Seelen.“373 Dementsprechend war mit einem neudefinierten Zentrum als „machtvollem Ausdruck von Autorität“374 und monumentaler Architektur als Kulisse für die „Inszenierung und Realisierung von Herrschaft“375 der Machtanspruch sowohl auf den städtischen Raum selbst, als auch auf dessen Nutzung klar artikuliert.

Abb. 3.3: Die Ul. Marszałkowska als zentrale Aufmarschroute im Sechsjahrplan.

Unmissverständlich deutlich wird diese Verquickung von Staatsumbau, Architektur und sozialer Agenda am Plac Konstytucji, dem eingangs erwähnten Anfangspunkt der Marszałkowska-Magistrale. Dieser wurde am 22. Juli 1952

373 Goldzamt, Znaczenie doświadczeń, S. 185. 374 Rolf, Das sowjetische Massenfest, S. 146. 375 Ebd., S. 7.

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eingeweiht, während zeitgleich im wiederaufgebauten, neueröffneten Sejm die neue Verfassung verabschiedet wurde. Am Plac Konstytucji lässt sich am ehesten erfassen, wie die Skizzen des Sechsjahrplans in der Realität ausgesehen hätten. Hier entstand seit 1. März 1950 das Wohnviertel MDM in sozrealistischer Manier, interpretiert von den Architekten Jan Knothe, Józef Sigalin, Zygmunt Stępiński und Zbigniew Skibniewski.376 Am 22. Juli 1951 zogen bereits die ersten BewohnerInnen in die fertigen Gebäude ein. Dass das neue Wohnviertel um den Plac Konstytucji Eindruck auf die ZeitgenossInnen machte, ist gut vorstellbar.377 Die imposanten, repräsentativen Gebäude in streng symmetrischer Anlage, die komplett mit der vorherigen Stadtstruktur brach, und die vielen Laden- und Dienstleistungslokale unterschieden sich aufs deutlichste von den sie umgebenden Ruinen. Und die noch heute riesig wirkenden Kandelaber muten fast grotesk an, bedenkt man, dass es im übrigen Warschau kaum Laternen gab und die Stadt des Nachts buchstäblich im Dunkeln versank.378 Zwischen dem Plac Konstytucji und dem Plac Dzierżyńskiego sah der Sechsjahrplan an der Ul. Marszałkowska einen neuen zentralen Platz vor, 120 Meter breit und über einen Kilometer lang, mit einem monumentalen Gebäude. Diesem Vorhaben und dessen Umsetzung ist der übernächste Abschnitt gewidmet. Doch davor rückt das historische Zentrum des 19. Jahrhunderts in den Blick, welches der Sechsjahrplan durchaus involvierte. Er sah an der Ul. Bielańska den Neubau eines monumentalen Rathausgebäudes vor – in unmittelbarer Nähe des Plac Teatralny, wo vor dem Krieg das Rathaus gestanden hatte. In gewisser Weise sollte also an die historische Funktion der Gegend angeknüpft werden, was der geplante Wiederaufbau des Teatr Wielki vom geschätzten klassizistischen Architekten Corazzi am Plac Teatralny unterstrich. Auch die anderen historischen Plätze – der Plac Zwycięstwa sowie der nahegelegene Plac Małachowskiego und der Plac Dąbrowskiego – sollten mit dem neuen zentralen Platz ein System von Plätzen bilden, das durch „entsprechend verbreiterte Straßen, die den neuen Verkehrsanforderungen der Millionenhauptstadt eines sozialistischen Staates gerecht werden“, verbunden werden sollte.379 Eine Sichtbeziehung zwischen dem neuen und alten Zentrum war darüber hinaus 1951 geplant: Der zentrale Teil der Ul. Marszałkowska, Ort der größten Spannung der architektonischstädtebaulichen Komposition, wird von dem Sächsischen Garten und dem Plac MDM [Konstytucji] eingerahmt. [. . .] Diesen Teil markieren zwei künstlerische Akzente deutlich:

376 377 378 379

Vgl. Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 7. Vgl. Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 478. Brzostek, Robotnicy Warszawy, S. 29. Bierut, Der Sechsjahrplan, S. 266.

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Abb. 3.4: Der neu angelegte Plac Konstytucji mit der verbreiterten Ul. Marszałkowska, die zum Kulturpalast führt, 1955/1956.

im Norden eröffnet das Denkmal der Freundschaft, das an der Kreuzung der Sächsischen Achse und der Ul. Marszałkowska steht, und im Süden beschließt eine Gruppe von drei Denkmälern am Plac MDM [Konstytucji]. Die geplante Größe dieser Ensembles erlaubt die visuelle Verbindung dieser zwei entfernten Punkte.380

Am 21. Dezember 1949 wurde der Grundstein für dieses Denkmal gelegt, im Rahmen einer feierlichen Zeremonie. Doch es wurde nie errichtet, genauso wenig wie das Stalin-Denkmal, das zeitweise für die Hauptallee des Sächsischen Gartens

380 AAN, Ministerstwo Budowy Miast i Osiedli (557), Sign. 194, Programm des Zentrums, erarbeitet vom BUW, 1951, S. 13.

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vorgesehen war, wovon eine kleine in den Boden eingelassene Sandsteintafel zeugte. Diese verschwand schließlich stillschweigend – genauso wie der Plan, ein Stalin-Denkmal an einem anderen Ort zu errichten.381

3.2 Im Schatten des Kulturpalasts: Der alte und der neue zentrale Platz 3.2.1 Das alte „Herz“ der Stadt: Der Plac Zwycięstwa Im gleichen Monat, vielleicht gar am gleichen Tag, an dem der sowjetische Außenminister Molotow den Plac Dzierżyńskiego offiziell einweihte, unternahmen Molotow und der frisch ernannte Warschauer Chefarchitekt Józef Sigalin einen gemeinsamen Spaziergang durch die Hauptstadt. Dabei, so Sigalins Erinnerung, schlug Molotow ihm ein Hochhaus für Warschau im Stil der jüngst in Moskau erbauten „Sieben Schwestern“ vor. Die Reaktion des – von dem ranghohen Wirtschaftspolitiker Hilary Minc bereits darauf vorbereiteten – Sigalin lautete: „No cóż, owszem.“382 Das kann zum Beispiel mit „Naja, aber selbstverständlich“ übersetzt werden. Die Entscheidung über das „Geschenk der Sowjetunion“383 war ohnehin bereits besiegelt: Sehr zügig begannen die konkreten Planungen mit der Reise einer polnischen Delegation nach Moskau Anfang August 1951. Die Entscheidung für den Standort an der Ul. Marszałkowska fällten die polnischen Verantwortlichen im September 1951. Das hatte wohl auch damit zu tun, dass die polnische Seite den Umbau der im Sechsjahrplan zentralen Ul. Marszałkowska abschließen wollte. Planung und Ausführung lagen schließlich in den Händen der Sowjetunion, unter Leitung des Architekten Lew Rudniew.384 Die Bauarbeiten begannen bereits ein Jahr später – höchst symbolisch am Tag der Arbeit, dem 1. Mai 1952. Bevor hier genauer auf den Bau des Kulturpalasts und dessen Konsequenzen eingegangen wird, rückt eine vergleichsweise marginale, zeitgleich stattfindende Diskussion in den Mittelpunkt. Sie ist zentral für die Frage nach dem

381 Die Information über den Sächsischen Garten findet sich in Irena Grzesiuk-Olszewska: Warszawska rzeźba pomnikowa. Warszawa 2003, S. 23. Zum Bau des Stalin-Denkmals auf dem Platz vor dem Kulturpalast Baraniewski, Pałac, S. 57–62. 382 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 422. Vgl. auch Baraniewski, Pałac, S. 31. Er nennt das genaue Datum des 22.07.1951, das Sigalin allerdings nicht bestätigt. 383 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 422. 384 Die Planungs- und Baugeschichte des Kulturpalasts ist sehr gut dokumentiert, vgl. ebd., S. 421–433; Baraniewski, Pałac; Rokicki, Kłopotliwy dar, in: Kochanowski/Majewski/Markiewicz/Rokicki (Hg.), Zbudować Warszawę.

3.2 Im Schatten des Kulturpalasts: Der alte und der neue zentrale Platz

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Umgang mit der historischen Stadt, und zwar nicht nur deren Bauerbe, sondern auch deren Strukturen und Funktionen. Da seit Juli 1951 der neue zentrale Platz mit dem riesigen Kulturpalast in der Planung war, ist es umso interessanter, welche Rolle nun für den historischen zentralen Platz, den Plac Zwycięstwa, vorgesehen war. Am 6. August 1951 fand die Diskussion über den Architekturwettbewerb für den Wiederaufbau des Teatr Wielki statt; ungefähr zeitgleich befand sich eine polnische Delegation zu Beratungen über den Kulturpalast in Moskau. Inwieweit die hier zitierten ArchitektInnen über letztere Planungen informiert waren, ist nicht bekannt. Wohl aber lassen sich ihre Meinungen zu dem historisch bedeutsamen Plac Zwycięstwa rekonstruieren. Denn im Wettbewerb für das Teatr Wielki spielte dieser insofern eine Rolle, als die Rückseite des Theaters nach den neuen Planungen direkt an diesen Platz grenzte. Das war ein klarer Bruch mit der Vorkriegssituation, als zwischen der Rückseite des Teatr Wielki und dem Plac Zwycięstwa drei Häuserreihen gestanden hatten: Damals war die Ul. Trębacka entlang der Rückseite des Theaters verlaufen. Direkt an den Plac Zwycięstwa hatte eine weitere Häuserzeile gegrenzt. Diese Wohnund Geschäftshäuser wurden größtenteils schon 1939 zerstört und teilweise bereits während des Zweiten Weltkriegs abgetragen. In der Architektendiskussion 1951 kam die Unsicherheit der PolitikerInnen über das Nutzungskonzept des Plac Zwycięstwa zum Ausdruck. Die Äußerung des Architekturprofessors Maczeński offenbart, dass die Verantwortlichen die zum Zeitpunkt der Wettbewerbsausschreibung klaffende konzeptuelle Lücke mithilfe der Ideen der ArchitektInnen zu schließen hofften: „Man konnte uns kein Programm und keine Bestimmung dieses Platzes nennen, daher wurde suggeriert, dass die Architekten das Problem nach ihrem eigenen Befinden lösen könnten, und auf dieser Basis die beste Bestimmung des Platzes gefunden wird.“385 Die daraus erwachsende Verantwortung der ArchitektInnen, gleichzeitig auch als StadtplanerInnen ohne detaillierte Vorgaben arbeiten zu müssen, schien diesen nicht recht gewesen zu sein, wie der Architekt Brzuchowski erkennen ließ: Bisher gab es Wettbewerbe für Gebäude, aber nicht für ganze Ensembles. Obwohl auch der heute besprochene Wettbewerb nur für das [Theater-]Gebäude ein genaues Programm vorgab, weist der Fakt, dass die Architekten versucht haben, eine Lösung für den ganzen Plac Zwycięstwa zu erarbeiten, in die richtige Richtung, wie Wettbewerbe ausgeschrieben werden sollten: Man muss ein ungefähres Programm für das gesamte Ensemble haben.386

385 o.V.: Konkurs SARP Nr 188 na gmach Teatru Wielkiego Opery i Baletu w Warszawie, in: Architektura (1952), 1, S. 1–36, hier S. 21. 386 Ebd., S. 33.

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Klar sei lediglich gewesen, so der Architekt Romuald Gutt, dass dies „zwar nicht der größte Platz, aber einer der größten sein soll, und das an einem für Warschau wichtigen Ort“.387 Pniewski, der nach eigenen Worten bereits den sechsten Entwurf für den Plac Zwycięstwa vorlegte, fasste die für diesen Platz vorgegebene Linie wie folgt zusammen: „Der Plac Zwycięstwa ist als Versammlungsort [für 150 000 Menschen] vorgesehen, aber nicht als Hauptforum Warschaus.“ Sein siegreicher Entwurf sah dementsprechend eine dauerhafte Tribüne auf der Westseite des Platzes vor, also dort, wo das Grab des Unbekannten Soldaten stand. Pniewski empfand es als Behinderung, dass „architektonische Entscheidungen“ für alles Weitere außer dem Theater selbst fehlten, sowohl für den Plac Zwycięstwa als auch für den Plac Teatralny. Denn: „Ein gut komponierter Platz muss mit der gesamten Stadt verwachsen sein.“ Sein diesbezügliches Unbehagen generalisierte er daraufhin: „Man darf Warschau nicht kleiner machen als es ist, aber man muss ein solches Maß für die Warschauer Gebäude finden, dass die Hauptstadt Warschau geboren werden kann. Wir hingegen gebären hier einen Finger, hier ein Köpfchen; Teile, aber nicht die Gesamtheit.“388 Mit diesem sehr anschaulichen Bild scheint Pniewski einen Nerv getroffen zu haben. Denn die bei der Diskussion versammelte Architektenschaft monierte ein weiteres Problem: Einerseits stand nicht nur kein genaues Programm des Platzes fest, sondern andererseits war vor allem unklar, was für eine Rolle der Platz nach dem Bau des Kulturpalasts im Stadtgefüge spielen sollte. Insofern spielten die Planungen um den Kulturpalast und den neuen zentralen Platz wohl eine Rolle, ohne direkt Erwähnung zu finden. Einige der hier versammelten ArchitektInnen bezweifelten offen, dass sich so einfach ein neuer Hauptplatz kreieren ließe. Der ebenfalls im Wettbewerb nominierte Architekt Bogusławski erklärte, er und sein Kollege Gniewiewski hätten im Wettbewerb untermauern wollen, dass der Plac Zwycięstwa der Tradition entsprechend der Hauptplatz Warschaus sei. Mit der Platzierung von attraktiven Einrichtungen, wie der Filharmonie und einem Forschungsinstitut mit Versammlungsräumen, hätten sie den Platz beleben wollen.389 Sein Kollege Rutkowski wurde noch ausdrücklicher. Seit 1945 sei klar, dass der Plac Zwycięstwa der eigentliche zentrale Platz sei:

387 Ebd., S. 29. Gutt hatte bereits am Wettbewerb 1947 für den Plac Zwycięstwa teilgenommen und war, neben Pniewski, einer der beiden Gewinner. Er ergänzte, bei eben jenem Wettbewerb seien noch weniger Vorgaben über das Programm gemacht worden. 388 Ebd., S. 22. 389 Ebd., S. 23.

3.2 Im Schatten des Kulturpalasts: Der alte und der neue zentrale Platz

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Eine Lösung für den Plac Saski ist historisch beladen und einen anderen Ort als Herz Warschaus zu finden, weckt Zweifel in mir. Wir werden ihn nicht finden. Das ist der einzige Ort für einen riesigen Platz 240 mal 240 Meter. [. . .] Eine Lösung wurde seit 1945 gesucht. Es war von Anfang an klar, dass der Plac Zwycięstwa der richtige Ort ist, er muss nur auf die richtige Art und Weise komponiert werden. Deshalb muss schnell die Entscheidung getroffen werden, wie die Platzkanten aussehen sollen. Wir müssen den Platz an seine Funktion anpassen. Seine Funktion ist die Organisation von Massenversammlungen. So, wie die Massen auf dem Platz organisiert werden, muss auch die Architektur organisiert sein.390

Aus diesen Worten spricht implizit das historische Gewicht des Platzes – schließlich benutzte er nicht nur den aktuellen, sondern auch den historischen Namen Plac Saski. Außerdem erfährt man, dass der Platz seit 1945 als zentraler Platz der Stadt fungieren sollte. Neben diesen inhaltlichen Aspekten ist auch die offene Kritik bemerkenswert, die er aussprach – wie zahlreiche seiner KollegInnen. Auch der Kommentator Wincenty Adamski kritisierte den asymmetrischen Plac Zwycięstwa heftig, der durch das schräg an den Platz gebaute „wirklich Große Theater“391 entstanden war.392 Damit war klar, wie sehr die Wirklichkeit an Rutkowskis Vision vorbeiging. Darüber hinaus war spätestens 1952 ohnehin allen Beteiligten klar, dass die Massen von nun an vor allem auf dem Platz organisiert werden sollten, der um den Kulturpalast entstehen würde.393 Zwar ist aus dem Juli 1953 noch ein vom stellvertretenden Chefarchitekten Stanisław Lasota bestätigter Entwurf für den Plac Zwycięstwa von Pniewski überliefert. Darauf ist das Brühlsche Palais zu sehen, das allerdings nur aus einem gerade zur Sächsischen Achse ausgerichteten Hauptgebäude bestehen sollte. Doch das planerische Interesse am Plac Zwycięstwa ließ dennoch spürbar nach, bis in die sechziger Jahre hinein. Wie sehr sich das Wettbewerbsergebnis von 1947/48 mittlerweile überholt hatte, wird auch an anderer Stelle deutlich: Das ursprünglich auf der Sächsischen Achse geplante Theater des Hauses der Polnischen Armee sollten nun einen in doppelter Hinsicht neuen Standort bekommen: Auf Entscheidung und Anordnung des Verteidigungsministers Rokossowski wurde das weiter im Süden liegende Ujazdowski-Schloss (Zamek Ujazdowski) abgerissen, um an dessen Stelle den Neubau zu errichten – wozu es jedoch nie kam.

390 Ebd., S. 27. 391 Sowohl der Intendant Arnold Szyfman als auch ein Teilnehmer des Schreibwettbewerbs von 1962/63 bezeichneten nach dem Umbau das Teatr Wielki als „Teatr prawdziwie wielki“ und „Teatr naprawdę wielki“. Vgl. Piotr Biegański: Teatr Wielki. Warszawa 1974, S. 118; APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 441, Beitrag am Schreibwettbewerb 1962: „Warszawski Dzień“, S. 3. 392 Wincenty Adamski: Uwagi krytyczne na temat Placu Zwycięstwa (List dyskusyjny do Redakcji), in: Architektura (1952), 10, S. 290–293, hier S. 290. 393 Vgl. Goldzamts Note an Bierut vom 23.04.1952 in Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 11.

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3 Radikale Pläne ohne Programm

Abb. 3.5: Entwurf von Bohdan Pniewski für den Plac Teatralny und den Plac Zwycięstwa mit leicht gedrehtem Brühlschen Palais 1953.

3.2.2 Der Palast der Kultur und Wissenschaft Am Tag der Arbeit 1952 begannen ganz besondere Bauarbeiten: des Kulturpalasts auf dem neuen zentralen Platz mit den Ausmaßen 400 mal 500 Meter. Die Meinungen darüber waren geteilt, wie der Schriftsteller Tyrmand seinem Tagebuch

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anvertraute: „Die einen sehen darin die russische Faust, andere stottern vor Begeisterung.“394 Mit diesem Palast der Kultur und Wissenschaft (Pałac Kultury i Nauki, der bis 1956 nach Stalin benannt war) erreichte die Stalinisierung des Warschauer städtischen Raums ihren Höhepunkt. Denn dieser griff nicht nur in die städtische Struktur ein; er bestimmte sie.395 Der Historiker Konrad Rokicki formulierte es so: „Und so hat der sowjetische Palast die endgültige Dekomposition des Warschauer städtischen Raums vollendet. Er hat allen bisherigen und geplanten Vorhaben eine klare Hierarchie aufgezwungen. Seine aus vielen Kilometern sichtbare Silhouette konstituiert den neuen Bezugspunkt, das neue Zentrum der Hauptstadt.“396 Auch symbolisch war damit die Herrschaft der Partei und deren enge Beziehung zur Sowjetunion dauerhaft und unübersehbar im Stadtbild verankert. Sigalin, damaliger Chefarchitekt, schrieb rückblickend: „Der Kulturpalast – das ist das Symbol, der unumgängliche Hintergrund unserer damaligen Handlungen in Warschau [. . .]; weil er das Symbol der politischen Verhältnisse und Konventionen ist, die damals herrschten [. . .].“397 Die Bezüge des Kulturpalasts zur Sowjetunion sind mannigfaltig. Nicht nur, dass die Initiative, das Geld und die Arbeitskraft von dort kamen. Auch die Architektur des Palasts folgte direkt dem Vorbild der Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre errichteten sieben Hochhäuser in Moskau. Außer in Warschau stehen in Riga mit dem Palast der Wissenschaften und in Kyiv mit dem Hotel „Ukraina“, das allerdings nie seine ursprünglich geplante Höhe erreichte, kleine „Geschwister“ dieser sogenannten „Sieben Schwestern“.398 Die „imaginäre Mitte“ dieser Moskauer Hochhäuser war der in den dreißiger Jahren geplante, aber nie gebaute Palast der Sowjets.399 Der Vergleich mit diesem Palast besticht im Warschauer Fall vor allem, weil beide Paläste mitsamt den sie umgebenden Plätzen als Dreh- und Angelpunkte der neuen Zentren eine ähnliche Dominanz über die jeweilige Stadt ausstrahlen sollten. Doch zweifellos gibt es zwischen dem in Moskau Anfang der dreißiger Jahre geplanten Palast der Sowjets und dem Warschauer Kulturpalast entscheidende Unterschiede. Ersterer, der mit einer Höhe von 415 Metern noch weitaus gigantischer geworden wäre, wurde nie

394 Tyrmand, Dziennik 1954, S. 199. 395 Vgl. Baraniewski, Pałac, S. 11. 396 Rokicki, Kłopotliwy dar, in: Kochanowski/Majewski/Markiewicz/Rokicki (Hg.), Zbudować Warszawę, S. 179. 397 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 421. 398 Solche Gebäude waren unter anderem in Berlin, Dresden und Budapest geplant. Als Einführung in die Bezüge zwischen den tatsächlich entstandenen Gebäuden in Moskau und anderswo vgl. Huber, Warschau – Phönix, S. 104 ff. 399 Schlögel, Terror und Traum, S. 696.

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3 Radikale Pläne ohne Programm

Abb. 3.6: Der Kulturpalast Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre. Im Hintergrund das im Zuge des Wiederaufbau stark vergrößerte Teatr Wielki in direkter Nachbarschaft des Plac Zwyciestwa.

gebaut. Zudem war während der Planungsphase ein beispielloser „Kampf um die Hegemonie am Moskauer Himmel“ entbrannt: „Der Wettbewerb um den Palast der Sowjets suchte den Himmel zu schließen, der mit dem Fall der Kathedrale eingestürzt war. Es war eine Phase intensivster Suche und einer atemberaubenden Arbeit an der Überwindung der Leere.“400 Die Christus-Erlöser-Kathedrale, an deren Stelle der Palast der Sowjets geplant war, war im Dezember 1931 gesprengt worden, als „wesentlicher Teil jenes Generalangriffs auf das alte

400 Ebd., S. 698.

3.2 Im Schatten des Kulturpalasts: Der alte und der neue zentrale Platz

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Russland, der den Namen Kollektivierung trägt“.401 In Moskau hinterließ diese Sprengung eine Brache mitten im Zentrum der Stadt. Schließlich begannen 1937 die Arbeiten für diesen Bau, der alles in den Schatten stellen sollte, auch die Erinnerung an die Kathedrale. Doch es entstand lediglich die Baugrube für das Fundament; mit Kriegsbeginn wurden die Bauarbeiten eingestellt, bis Chruschtschows Entscheidung 1957 das Ende des Baus besiegelte und die Grube in ein Freibad umwandelte. Karl Schlögel sieht in dieser langjährigen Brache auch ein Symbol für die drastische Leere, die die hunderttausenden im Terror des Jahres 1937 Verschwundenen hinterließen.402 Eine solche „mehrschichtige Betrachtung“ evozierte auch der Kulturpalast, wie der Warschauer Stadtplaner Stanisław Jankowski 1972 niederschrieb: Nur wenige Warschauer haben den Krieg überstanden, und nur einige dieser Wenigen können noch auf eine authentische Spur ihrer Kindheit oder Jugend stoßen. Denjenigen, denen die Tore, Häuser, Straßen, Bäume ihrer Kindheitsjahre fehlen, kann die Fantasie weiterhelfen. Dann wird die leere Stelle in der neuen Bebauung der Straße ein ‚Loch an Stelle des abgerissenen Kindheitshauses‘, und die halbrunden Treppen zum Kongresssaal [des Kulturpalasts] rufen unverhofft die Erinnerung an die alte Schule hervor. Die heutige Stadt wird mehrschichtig betrachtet, ihre verschiedenen Formen und Inhalte überlagern sich und koexistieren.403

Schaut man mit einem solchen Blick auf den Kulturpalast und den ihn umgebenden 400 mal 500 Meter großen Platz, sind die beinahe zahllosen Räume und endlos wirkenden Treppenhäuser des Palasts eigentlich die der Wohnhäuser, die vorher auf seinem Grundstück standen; als sei er ein „Negativ des leeren Platzes, der sich um ihn herum ausbreitet“.404 Auch wenn hier keine Kathedrale gestanden hatte, wohnte dem riesigen, freien Platz um den Kulturpalast dennoch eine besondere Bedeutung inne: So gesehen symbolisiert diese Freifläche die hunderten im Krieg vernichteten Wohnhäuser und die zerstörten Leben derer, die hier gewohnt hatten: an der Ul. Śliska, Pańska, Złota, Chmielna.405 Diese vormals normalen Wohnstraßen gewannen erst mit ihrem Verschwinden eine besonderen Wert: „In den Ruinen war noch Hoffnung; auf

401 Ebd., S. 696. 402 Vgl. ebd., S. 84 f. 403 Jankowski, Powojenna Warszawa, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 42. 404 Vgl. Leder, Psychoanaliza przestrzeni, in: Fundacja Bęc Zmiana (Hg.), Chwała Miasta, S. 108. 405 Eine eindrucksvolle Dokumentation der Schicksale einzelner Familien, die vor dem Krieg in den betroffenen Häusern gelebt und/oder gearbeitet hatten, bietet der Band Magdalena Stopa: Przed wojną i pałacem. Warszawa 2015.

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dem Platz nicht mehr.“406 Damit war die Abkehr von der Vorkriegssituation an dieser Stelle endgültig besiegelt, und die Masse der damit verbundenen Einzelschicksale macht die Wucht der Symbolik aus. Stellvertretend dafür sei eine Romanfigur aus Tyrmands legendären Roman Zły (Der Böse) zitiert, die den Anblick des emporwachsenden Kulturpalasts wie folgt kommentierte: „Die Erinnerungen sterben. Das ist das schlimmste.“407 Außerdem kam auf dieser Freifläche der Wille zur radikalen Neugestaltung zum Ausdruck: 1945 klassifizierte das BOS zwar 33 Häuser in diesem Areal als für den Wiederaufbau geeignet, doch 1946 waren bereits die meisten dieser Häuser abgerissen.408

3.2.3 Der neue zentrale Platz Alltäglichkeit war tatsächlich das letzte, was dieser Platz ausstrahlen und ermöglichen sollte; das normale Leben war „vom Platz gefegt“.409 Das kommentierte der Schriftsteller Leopold Tyrmand 1954 spitzzüngig in seinem Tagebuch: Es ist interessant, wie viel Monotonie von diesen Stuckaturen und Allegorien, Tympana und Verschnörkelungen ausgeht, die immer den gleichen Effekt hervorrufen. Es ist schwer, sich dazwischen ein Neonschild, eine Reklame, einen Laden, eine Nische, Räume vorzustellen. Ein Kiosk mit Sodawasser, eine Apotheke oder eine Konditorei sind zur Gleichheit gezwungen, und im Endeffekt zur Karikatur.410

Stattdessen war hier, nach sowjetischem Modell, ein Platz im Enstehen, der „für nichts Anderes konzipiert [war] als Massenaufmärsche“.411 Dabei war der höchst dominante Solitär in der Mitte des Platzes indiskutabel, doch die Straßenzüge zu allen vier Seiten sowie die riesige Fläche des Platzes selbst galt es erst noch zu konzipieren. Doch der Weg zu einer „geordneten Architektur für geordnete Massen“, wie das der Architekt Rutkowski in Bezug auf den Plac Zwycięstwa gefordert hatte, stellte sich als eine sehr komplizierte Angelegenheit heraus, die keineswegs wohl organisiert vonstattenging. Noch vor Baubeginn des Kulturpalasts schrieb der SARP im Namen des NROW und im Auftrag

406 Vgl. Zielińska, Warszawa, S. 18. 407 Tyrmand, Zły, S. 188. 408 Vgl. beispielsweise die Pläne von Maciej Nowicki, der 1945 ein modernes Zentrum auch an der Kreuzung Ul. Marszałkowska/Al. Jerozolimskie vorsah, dessen Hochhäuser ebenfalls nichts mit der Vorkriegsbebaung zu tun hatten. Hier lassen sich allerdings eher Bezüge zu Le Corbusiers „Plan Voisin“ für Paris herstellen als nach Moskau. Vgl. Nowicki, Praca architektoniczna. 409 Vgl. Zielińska, Warszawa, S. 17. 410 Tyrmand, Dziennik 1954, S. 203, Tagebucheintrag vom 14.02.1954. 411 Schlögel, Terror und Traum, S. 280.

3.2 Im Schatten des Kulturpalasts: Der alte und der neue zentrale Platz

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des Zentralkomitees der PZPR einen Wettbewerb für das Zentrum aus. Die eingereichten Entwürfe sollten sich dabei dem Kulturpalast, den die sowjetischen Architekten zeitgleich planten, „harmonisch unterordnen“. Das kommentierte der damalige Warschauer Chefarchitekt Sigalin 1988 wie folgt:

Abb. 3.7: Der Kulturpalast sowie der ihn umgebende Platz im Vergleich zur Vorkriegsbebauung des Areals.

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3 Radikale Pläne ohne Programm

Ah – ein Wettbewerb! Was damit gemeint sein sollte, dem Kulturpalast alles ‚harmonisch unterzuordnen‘, ist heute schwer zu beschreiben. Man kann die Intention und die Terminologie der damaligen Zeit verstehen (1952!), aber die inhaltliche Empfehlung ist unklar, widersprüchlich und hatte – wie man sieht – im Prinzip keinen Einfluss auf die architektonisch-städtebauliche Umgebung des Kulturpalasts, vor allem auf die Bebauung des zentralen Platzes.412

Tatsächlich verlief die Vorbereitung für den Wettbewerb alles andere als harmonisch. Die Auseinandersetzung lässt sich anhand der publizierten gesammelten Dokumente und Erinnerungen Sigalins nachvollziehen. Deren Hauptfigur war Edmund Goldzamt, Aspirant des Moskauer Architekturinstituts, der sich „entsprechend seiner Verhaltensweise und seinen Ansichten, die er seit drei Jahren schon mehrmals hat verlauten lassen“413 am 23. April 1952 in einem ausführlichen Brief direkt an Bierut wandte. Er definierte darin ein größeres Zentrum als bisher vorgesehen, dessen Gestaltung der des Kulturpalasts folgen sollte: „Der Kulturpalast mitsamt seinem Platz kann nicht neben anderen Fragmenten der Stadt bestehen, die Merkmale von Überbleibseln widersprüchlicher, desurbanistischer Komposition und eines anderen, kleinstädtischen Maßstabs tragen; er [der Palast] muss auf die gesamte Stadt einwirken, und sie auf revolutionäre Weise verwandeln.“ Er wollte eine größere Einheitlichkeit im zukünftigen Zentrum erreichen, und inkludierte deshalb dezidiert auch den Plac Dzierżyńskiego und den Plac Zwycięstwa, also das historische Zentrum im Norden. Dieses zentralistische Einheitsstreben, das er in gestalterischer Hinsicht für das Zentrum vorsah, lässt sich darüber hinaus auf sein Organisations- und Entscheidungsmodell übertragen: Er forderte, sowjetische ArchitektInnen in die Vorbereitung und die Auswertung des Wettbewerbs einzubeziehen. Diese Stellungnahme löste offenbar einen „Kampf der Gegensätze“ aus, wie Goldzamt die Zeit der zweiten Hälfte des Sechsjahrplans (also ab 1952) in seiner umfangreichen Publikation nennt. Er echauffierte sich zudem sehr verklausuliert über die „Verkrustung“ eines Teils der Warschauer Architektenschaft.414 Aus den Aufzeichnungen Sigalins wird plastischer, was er damit gemeint haben könnte. Denn innerhalb des SARP-Aktivs, also der ArchitektInnen, die Parteimitglieder waren, verlief ein Graben, entlang dessen über die von Goldzamt aufgeworfenen Themen turbulent diskutiert wurde. Es ging dabei insbesondere um die Frage, wie die sozrealistischen Direktiven konkret umzusetzen seien. Für Sigalin waren Diskussionen, Kritik, Kämpfe alltäglich – ihn scheint insbesondere die dogmatische Herangehensweise Goldzamts gestört zu haben. Die geforderten sozrealistischen

412 Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 10. 413 Alle Zitate und Informationen dieses Absatzes beziehen sich auf ebd., S. 10–13. 414 Goldzamt, Architektura zespołów, S. 414

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Dimensionen in der Architektur seien schließlich bereits umgesetzt worden, zum Beispiel beim MDM. Er zog sogar den Moskauer Chefarchitekten Wlasow heran, der für „lebendige Kritik“, aber gegen Dogmen sei. Die von Goldzamt geforderten Änderungen, die insbesondere die Ausweitung des Zentrumwettbewerbs auf ein größeres Gebiet und die Beteiligung sowjetischer ArchitektInnen vorsahen, befürworteten 25 der anwesenden ArchitektInnen, dreizehn stimmten dagegen.415 Daraufhin erreichte den Chefarchitekten Sigalin am 7. Mai 1952 die mündliche Entscheidung von Bierut: „Der Wettbewerb für die architektonisch-städtebauliche Lösung des Stadtzentrums wird neben dem Bereich, der von den folgenden Straßen eingegrenzt wird: Królewska, Jasna, Zgoda, Bracka, Krucza, Nowogrodzka, Chałubińskiego, Marchlewskiego, auch den Plac Dzierżyńskiego und den Plac Zwycięstwa einbeziehen.“416 Diese Entscheidung bedeutete auch, dass die bisherigen Planungen für den Plac Dzierżyńskiego, den Plac Teatralny und den Plac Zwycięstwa obsolet wurden – obwohl im Falle des Plac Dzierżyńskiego die Umsetzung bereits just begonnen hatte.417 Die ArchitektInnen, die an dem schließlich im Juni 1952 ausgeschriebenen Wettbewerb teilnahmen, konnten selbst entscheiden, welchen Bereich des Zentrums sie vertieft behandelten. Viele schenkten der Verbindung zwischen Zentralem Platz und der Weichsel mit ihrem Hochufer große Aufmerksamkeit. Das geht aus dem teilweise veröffentlichten Stenogramm der Diskussion hervor, die zwischen dem 9. und 11. Dezember 1952 stattfand. Für 21 der 31 Architektenteams endete das Zentrum zudem nicht an der Ul. Królewska, sondern schloss auch die historischen Plätze im Norden ein.418 Insgesamt kürte die Jury keinen Siegerentwurf, sondern verlieh acht gleichrangige Auszeichnungen. Während die Diskussionen über die Platzgestaltung also ohne konkreten Lösungsansatz endeten, begann der Bau des Kulturpalasts. Einig waren sich die ArchitektInnen allerdings, dass traditionelle Rezepte und Konzepte bei dem zentralen Platz nicht griffen. So hielt Malisz den Vergleich mit mittelalterlichen Marktplätzen für unangebracht, da es sich hier um ein 56 Hektar großes Gebiet handelte. Auch Biszewski hielt es für falsch, den riesigen Platz zu behandeln, als sei er ein Marktplatz mit Rathaus in der Mitte – hier handele es sich um neue 415 Dagegen stimmten: Piotrowski, Wolski, Zakowski, Ostrowski, Sigalin, Kulesza, Szymborski, Gerberowa, Lasota, M. Zawadzki, Lewandowski, Ciborowski, Bieńkowski. Dafür stimmten: Zandfos, Ochnio, Titulesko, Mariańska, Matuszewska, Minorski, Müller, Malicki, Siennicki, Puławski, S. Dziewulski, J. Zawadzki, Szober, Tworkowski, Tomczak, Guzicka, Syrkusowa, Syrkus, Jaszuński, Lachert, Lewandowski, Chmielewski, Ptic-Borkowski, Tetmajer, Goldzamt. Vgl. Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 14. 416 Ebd. 417 Fuchs, Miejsce, S. 96. 418 o.V.: Z dyskusji architektów na temat wyników konkursu SARP na Centrum Warszawy, in: Architektura (1953), 5, S. 118–126, hier S. 122 sowie S. 125.

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Proportionen und Maßstäbe.419 Die Schwierigkeit wurde dadurch verstärkt, dass die Funktion der Straßenzüge entlang des Platzes nicht definiert war. Dies kritisierten insbesondere Goldzamt und Malisz: „Es scheint, als stelle das komplette Ignorieren der Funktion eine echte Gefahr dar.“420 Diese Diskussion stellt keine Ausnahme dar; Diskussionen unter den Fachleuten nach den Wettbewerben waren die Regel und wurden von dem organisierenden SARP in dessen Zeitschrift „Architektura“ auszugsweise veröffentlicht. Interessanterweise konnten sich oft nicht nur die Fachleute zu Wort melden, sondern auch die Öffentlichkeit. Anfang 1954 fanden beispielsweise drei große Diskussionen mit der Öffentlichkeit und eine siebentägige Ausstellung statt, die die großen Zeitungen „Życie Warszawy“, „Express Wieczorny“ und „Stolica“ organisierten. Auch die SARP-Debatte mit tausend Fachleuten zeugt davon, „wie sehr der Politik daran lag, einen angeblichen Dialog mit der Gesellschaft in dieser grundlegenden Frage zu führen“.421 Inwiefern es sich wie hier behauptet um Scheindebatten handelte, ist schwer festzustellen. Ein Leserbrief aus dem Jahr 1952 argumentierte allerdings stark in diese Richtung: Es frappiert vor allem die Isolierung von der Gesellschaft. Vorgeblich sieht es anders aus. Es werden tolle Ausstellungen organisiert, die Tagespresse (‚Życie Warszawy‘, ‚Express Wierczorny‘) veröffentlicht Befragungen und Wettbewerbe. Aber das passt alles nicht zusammen. Gelehrte, Schriftsteller, Künstler, Ingenieure, Ärzte, Juristen, Historiker, Professoren usw. nehmen aus zwei Gründen nicht an den Befragungen teil: Sie werden nicht ernsthaft genug durchgeführt, und es gibt keine Garantie, dass ihre Ergebnisse an die entscheidenden Stellen weitergeleitet werden.422

Daher interessieren die Beiträge dieser Diskussionen vor allem, um auszuloten, bis zu welchem Grad Kritik veröffentlicht wurde. In der Neujahrsausgabe 1955 startete die Tageszeitung „Życie Warszawy“ eine große öffentliche Umfrage zum Thema „Die Ostwand – Zwei Varianten“.423 Damit war die Ostseite des Platzes am Kulturpalast gemeint, entlang der Ul. Marszałkowska. Mehrere hundert Einsendungen, vor allem aus Warschau, aber auch aus anderen polnischen Städten, erreichten die Redaktion infolge der Aufforderung zur Einsendung von Kommentaren und Ideen. Dieser Aufruf war bebildert mit den zwei zur Diskussion stehenden Entwürfen von Jan Bogusławski sowie von Jan Knothe und Zygmunt Stępiński sowie mit 419 Ebd., S. 124. 420 Ebd., S. 119. 421 Jarosław Zieliński: Pałac Kultury i Nauki. Łodź 2012, S. 64. 422 R. Pałasiński: Zapytania i wątpliwości. (List do redakcji), in: Architektura (1952), 10, S. 266–269, hier S. 268. 423 Die „Ostwand“ (ściana wschodnia) war die gängige Bezeichnung für die östliche Randbebauung des Platzes am Kulturpalast, entlang der Ul. Marszałkowska.

3.2 Im Schatten des Kulturpalasts: Der alte und der neue zentrale Platz

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einem Lageplan des Platzes. Alle Beteiligten betonten, dass sie froh seien, ihre Meinung äußern zu können. Sie kommentierten zum einen das Konzept für die Verwendung der Ostwand. Scharf kritisierten sie zum anderen die Architektur, in vielen Fällen forderten sie gar eine neue Architektur: Wenn ich mir die Entwürfe für das Zentrum anschaue, fühle ich mich an alte Stiche Warschaus erinnert, auf denen die Häuser und Paläste der Reichen mit großen und kleinen Säulengängen [. . .] verziert waren. Führen diese Entwürfe nicht diese vor sehr langer Zeit gebaute Architektur fort? Die Entwürfe gefallen mir überhaupt nicht und ich würde auf einer solchen Straße nicht entlanglaufen wollen. Ist das überhaupt moderne Architektur vom Ende des 20. Jahrhunderts?424

Dieser Ruf nach einer zeitgemäßen, den technischen Fortschritt widerspiegelnden Architektur findet sich in vielen Ausführungen. Sie zeigen, dass in der Diskussion offener Widerspruch zu der damaligen offiziellen Linie nicht gescheut wurde und dieser auch publiziert wurde. Affirmierende Kommentare finden sich natürlich ebenfalls. Die Stimmen der Fachleute und der Bevölkerung offenbaren – neben Unzufriedenheit über den architektonischen Stil und über die vagen Konzepte zur Nutzung der Gebäude – einen schwierigen Balanceakt. Dieser bestand darin, einerseits die Stadt im Geiste des Sozialistischen Realismus grundlegend umzubauen, und andererseits die Bevölkerung nicht aus den Augen zu verlieren. Denn trotz des oben zitierten Plädoyers für eine gänzlich neue Architektur bevorzugte ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung weiterhin historische Architektur, wie der Chefarchitekt Sigalin und der Stadtplaner Hryniewiecki 1953 anmerkten: Weiterhin zieht es das Warschauer Volk eher zu den restaurierten Baudenkmälern. Es ist schwierig zu bewerten, wie viel davon passive Verbundenheit zur Tradition ist, und wie viel das berechtigte Urteil, dass die Warschauer Architekten erst vor kurzem erkannt haben, was sozialistische Architektur bedeutet, und dass sie noch nicht zu den Meistern der vergangenen Epochen aufgeschlossen haben.425

In diesem Kontext sind zudem die Wiederaufbauprojekte zu diskutieren, die zeitgleich zum Bau des Kulturpalasts und zur Planung des ihn umgebenden Platzes realisiert wurden, insbesondere der Wiederaufbau der Warschauer Altstadt. Er ist weniger als ein Gegenprojekt, sondern vielmehr als eine Ergänzung der Baupolitik zu verstehen. Die Altstadt wurde nach einem Beschluss des NROW vom 13. September 1949 in den Sechsjahrplan aufgenommen und als modernisiertes Wohnviertel – sozialistisch im Inhalt – wiederaufgebaut. Dabei wurde nicht originalgetreu der Zustand von 1939 oder 1944 wiedererrichtet. Die sehr dicht

424 Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 137. 425 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 478.

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bebaute Altstadt, die aufgrund der sanitären Verhältnisse und der Kriminalität vor dem Krieg für ihre schlechten Lebensbedingungen berüchtigt war, sollte nicht wiederholt werden, sodass gemäß der modernen Forderung nach einer aufgelockerten Bebauung heute beispielsweise viele Hinterhäuser fehlen. Trotz dieser modernisierenden Eingriffe wurde der Wiederaufbau insbesondere als Akt der historischen Kontinuität und der nationalen Selbstbehauptung inszeniert, weshalb man ihn als „politisches Meisterstück“426 der Machthabenden bezeichnen kann. Deren erster Teil wurde am 22. Juli 1953 der Öffentlichkeit übergeben. Auch die nördlich der Altstadt gelegene Neustadt (Nowe Miasto) wurde historischen Vorbildern folgend rekonstruiert sowie die Straßenzüge von Krakowskie Przedmieście und Nowy Świat, die zum sogenannten Königstrakt (trakt królewski) gehören, der vom Königsschloss nach Süden bis zum Schloss in Wilanów führt.427 Wie allerdings das historische Machtzentrum, das Königsschloss, mit „sozialistischem Inhalt“ zu füllen sei, darüber scheint es Uneinigkeit gegeben zu haben – trotz des Sejmbeschlusses von 1949, den Wiederaufbau in den nächsten fünf Jahren umzusetzen. Aus den Aufzeichnungen eines Gesprächs zwischen Bierut und Sigalin vom 24. November 1953 wird dies deutlich: Die Frage, was in das Schloss kommt – der Sitz des Staatsrats, der Regierung, ein Museum – wird weiterhin diskutiert. Weil es darüber keine Entscheidung gibt, sollte der Wettbewerb verschoben werden. Man kann einem Wettbewerb zustimmen, aber er wird nur die Konzeption der Außenfassade zum Thema haben, ohne dass die historische Innenaufteilung eine Rolle spielen muss. Die Funktion des Gebäudes: ein öffentliches Gebäude von zentraler staatlicher Bedeutung.428

Zunächst wurde der Wiederaufbau auch von sowjetischen ArchitektInnen anscheinend vorbehaltlos unterstützt.429 Tatsächlich wuchs das Schloss aber erst nach dem Beschluss von 1971 unter dem übernächsten Parteichef Edward

426 Bartetzky, Stadtplanung als Glücksverheißung, in: Bartetzky/Dmitrieva/Troebst (Hg.), Imaginationen, S. 62 f. 427 Zum Wiederaufbau der Nowy Świat vgl. Popiołek, Powojenna odbudowa. 428 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 190. 429 Włodzimierz Borodziej: Der Wiederaufbau des Warschauer Königsschlosses (1945–1984), in: Barbara Jakubeit/Barbara Hoidn (Hg.), Schloß – Palast – Haus Vaterland. Gedanken zu Form, Inhalt und Geist von Wiederaufbau und Neugestaltung. Berlin 1998, hier S. 147. Der sonst sehr ins Detail gehende Górski fasst sich in der Frage der eingefrorenen Pläne bemerkenswert kurz: Górski, Warszawa w latach, S. 406. Ausführlich zu den Wiederaufbauplänen für das Schloss bei Majewski, Jak zbudować, in: Kochanowski/Majewski/Markiewicz/Rokicki (Hg.), Zbudować Warszawę. Vgl. den stark involvierten und engagierten Stanisław Lorentz: Walka o Zamek 1939–1980. Warszawa 1986. Auf Deutsch vgl. zudem Majewski, Ideologie, in: Bingen/Hinz (Hg.), Die Schleifung.

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Gierek wieder im Warschauer Panorama empor. Und während die Diskussion über die angemessene Nutzung des Schlosses schwelte, war bereits 1952 der Neubau des Hauses der Partei (Dom Partii) entlang eben jenes Königstrakts fertig gestellt worden – ein deutliches Signum der Macht direkt an einer sehr wichtigen Kreuzung der Stadt (Al. Jerozolimskie/Nowy Świat). Noch deutlicher machte ein Blick auf den Stadtplan sowie das Panorama der Stadt, wie es um das neue Machtgefüge in der Stadt bestellt war: Der Kulturpalast, am 22. Juli 1955 schließlich eingeweiht, war zugleich das ausdrückliche Symbol sowie der symbolische Ausdruck der im Stalinismus angestrebten Allgegenwart des Staates. Er zementierte im Stadtgefüge und im Stadtbild ein Gesellschaftssystem, welches die PZPR beherrschte, die wiederum dem sowjetischen Einfluss unterlag. Klar wurde so außerdem der drastische Bruch zu dem Vergangenen. Die in diesem Kapitel ausführlich thematisierten, von der Sowjetunion beeinflussten ideologischen Grundlagen und der Sechsjahrplan waren der Rahmen, in dem sich alle anderen städtebaulichen Projekte der Zeit zu bewegen hatten. Allerdings – das hat die kurze Schilderung der Situation am historischen wie am neuen zentralen Platz bereits ergeben – lief dort nicht alles nach (Sechsjahr-) Plan. Zwar war die Bautätigkeit die gesamte Zeit über rege und es gab handfeste Erfolge vorzuweisen, die selbst der scharfzüngige Tyrmand anerkannte: „Ich habe heute aus dem Busfenster Warschau betrachtet und muss zugeben, dass etwas an der kommunistischen Lobhudelei sämtlicher Reden dran ist: ‚Wir erhoben die Hauptstadt aus Ruinen . . . ‘ Vor zehn Jahren gab es kein Warschau, jetzt ist es da, und heute kann niemand diese simple Wahrheit als Floskel ansehen.“430 Dennoch wurde nur ein Bruchteil der hochtrabenden Pläne des Sechsjahrplans tatsächlich realisiert – was wohl auch der schlichten Tatsache geschuldet ist, dass dieser nur sechs Jahre richtungsweisend war. Die bisherigen Beispiele konnten zudem zeigen, dass die starke Politisierung und Ideologisierung von Architektur und Städtebau im Sozialistischen Realismus den Baufortschritt in gewisser Weise hemmten. Denn die radikale, dogmatische Herangehensweise entwertete die vorher entwickelten Konzepte und Pläne, wie beispielsweise am Plac Zwycięstwa oder am Plac Dzierżyńskiego. Gerade letzterer Plan war sogar erst während des Sozialistischen Realismus entstanden – und bereits seit 1952 teilweise in der Umsetzung. Und auch wenn man durchaus eine Zentralisierung der Planungspraxis sowie des Konzeptes vom Stadtzentrum selbst feststellen kann, so sind dennoch Risse in dieser vom Anspruch her einheitlichen Fassade zu erkennen. Denn schon währenddessen war die Kritik an der Planungspraxis durchaus rege, bei internen, aber auch bei öffentlichen

430 Tyrmand, Dziennik 1954, S. 340, Tagebucheintrag vom 29.03.1954.

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Diskussionen. Ein weiterer Leserbriefschreiber übte selbst an der Art und Weise, wie die Öffentlichkeit beteiligt wurde, Kritik: Es sei unklar, ob die entscheidenden Stellen diese Meinungen überhaupt wahrnähmen und beachteten. Das ist umso interessanter, als die zentrale Kritik der ArchitektInnen wiederum lautete, dass den EntscheidungsträgerInnen Ideen und Konzepte für die Verwendung der Neubauten fehlten. Die hier angedeuteten Problemlinien und Bruchstellen sollen im Folgenden am Beispiel des Plac Teatralny vertiefend untersucht werden. Dieser Platz kann insofern als neuralgisch bezeichnet werden, als hier vor dem Krieg das städtische Leben zusammenlief und pulsierte. So soll die These überprüft werden, inwiefern der Sozialistische Realismus zwar große Pläne hervorbrachte, hinter denen aber kein wirkliches Nutzungskonzept stand, außer dass die monumentalen Gebäude Kulissen für „fröhliche [Menschen-]Mengen“431 darstellen sollten. Das geschieht auch anhand der Debatten und der Kritik der Pläne, insbesondere mit Blick auf die Nutzungstraditionen des Plac Teatralny.

3.3 Alt und neu konfrontiert am Plac Teatralny Eindrücklich hielt die Schriftstellerin Maria Dąbrowska die Atmosphäre auf dem Plac Teatralny an einem Novemberabend des Jahres 1950 fest. Sie war in dem bereits restaurierten Seitenflügel des Teatr Wielki zu einem Empfang eingeladen: Auf dem Plac Teatralny gähnt der blendende, glänzende Eingang zum Reduta-Seitenflügel [Sale Redutowe], was mich an frühere Zeiten erinnert, als wir durch die gleichen Türen zu den Premieren im Nationaltheater [. . .] gingen. Gegenüber – die Ruinen des Rathauses, unter denen vielleicht noch die Überreste treuer Kinder Warschaus liegen, angeleuchtet von roten Strahlern, ein erschütternder Anblick.432

Dąbrowska bezog sich darauf, dass das Rathaus insbesondere im Warschauer Aufstand eine wichtige Rolle gespielt hatte, da Aufständische es in dieser sehr umkämpften Region der Stadt relativ lange halten konnten. Das bekannteste, vermutlich ebenfalls in diesem Gebäude gefallene „treue Kind Warschaus“ war der Poet Krzysztof Kamil Baczyński, gerade einmal 22 Jahre alt. Doch Dąbrowska hielt nicht nur den Anblick der dramatisch erleuchteten Ruinen fest,

431 Goldzamt, Architektura zespołów, S. 413. 432 Maria Dąbrowska: Dzienniki 1914–1965 w 13 tomach. Tom VII: Rok 1950. Warszawa 2009, S. 175, Tagebucheintrag vom 20.11.1950. Mein herzlicher Dank geht an Błażej Brzostek für den Hinweis auf diese Quelle.

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sondern auch den „seltsamen Eindruck“, den die angrenzende „komplett leere Straße“ auf sie machte, insbesondere nach dem lebendigen Empfang. Vor dem Krieg waren am Plac Teatralny alle Straßenbahnlinien zusammengelaufen. „Tag und Nacht pulsierte das großstädtische Leben“, wie sich der Architekt Zygmunt Stępiński erinnerte, mit den zahlreichen Theatern, Kinos und Kabaretts, Geschäften sowie legendären Restaurants und Cafés.433 Besonders hob er die Opernpremieren hervor, in dem alles überthronenden Teatr Wielki des Architekten Antonio Corazzi. Dieses Gebäude gegenüber dem Rathaus war nicht nur das größte des Platzes, sondern es konstituierte ihn regelrecht. Seine im Krieg weitestgehend ausgebrannte Architektur schätzten alle Verantwortlichen, weshalb die Entscheidung zu seinem Wiederaufbau nicht verwundert. Der Blick folgt zunächst jedoch dem von Dąbrowska zu dem weniger dominanten, aber doch höchst wichtigen Gebäude des Plac Teatralny: dem Rathaus.

3.3.1 Überholte Tradition? Das alte und das (geplante) neue Rathaus „Die Warschauer sind empfindlich, was ihr Rathaus angeht,“ befand R. Pałasiński in seinem Leserbrief an die Zeitschrift „Architektura“. „Wonach sehnen sich die Warschauer? Dass das neue Rathaus an einem repräsentativen Ort steht, an einem großen Platz. Dass es ein freistehendes Gebäude ist. Dass es schön und monumental ist, und auf jeden Fall einen Turm hat!“434 Der Autor folgte mit seinem Leserbrief aus dem April 1952 dem Aufruf der „Architektura“-Redaktion von 1951, Anregungen und Kommentare einzusenden. Dieser Leserbrief ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Einerseits lassen sich ansatzweise zeitgenössische Perspektiven der WarschauerInnen auf die Stadt selbst sowie auf städtebauliche Probleme erkennen. Inwieweit Pałasiński damit wirklich verbreitete Meinungen wiedergibt, oder doch eher nur seine persönliche Meinung unterstreicht, ist nicht zu klären. Dass er sich mehr für den Wiederaufbau ereiferte als der Durchschnitt, wird nicht nur an der Länge des Briefes deutlich: „Ich interessiere mich sehr für Architektur. Ich habe eine Leidenschaft für den Warschauer Wiederaufbau, auf einige Entwicklungen und Nachlässigkeiten (meiner Meinung nach) reagiere ich stark – entschuldigen Sie also bitte, wenn es mich manchmal ‚packt‘.“ Dabei lässt sich seine kritische Position zu verschiedenen Themen erkennen, was für sich genommen interessant ist. Andererseits lassen sich aus dem Brief einige Details über die

433 Stępiński, Siedem placów, S. 54–59; Kasprzycki, Centrum świata. 434 Pałasiński, Zapytania, S. 267 f.

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Planung des Rathausneubaus entnehmen, über die sich anderweitig sehr wenige Informationen finden lassen. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg war das Warschauer Rathaus am Plac Teatralny gegenüber dem Teatr Wielki zu klein. Das Gebäude war 1773 bis 1785 in Antoni Jabłonowskis Auftrag nach den Plänen der Architekten Jakub Fontana und Dominik Merlini errichtet worden, weshalb es bis heute den Beinamen Jabłonowski-Palais trägt. 1817 bis 1819 bauten es Fryderyk Albert und Józef Lessel im Auftrag der Stadtverwaltung zu deren neuen Sitz um, da das vorherige Rathaus am Altstädtischen Markt für die wachsende Stadt zu klein geworden war. Es wurde noch mehrmals umgebaut und erweitert. Den letzten Anlauf für einen Um- oder gar Neubau hatte die Stadtverwaltung 1927 mit einem Wettbewerb gemacht. Vor dem Krieg konnte noch ein Neubau für die technischen Abteilungen der Stadtverwaltung auf der Rückseite des Rathauses an der Ul. Daniłowiczowska beendet werden. Nach Kriegsbeginn organisierte der Warschauer Bürgermeister Starzyński vom Rathaus aus die Verteidigung der Stadt im September und Oktober 1939. Im Warschauer Aufstand war das Gebäude wie bereits erwähnt stark umkämpft. Übrig blieb eine Ruine, von der nicht klar ist, wann sie tatsächlich abgerissen wurde. Ein Teil, wohl ein Seitenflügel, wurde 1949 bereits abgerissen, der Rest wahrscheinlich 1952.435 Ebenso im Dunkeln liegt die Genese dieser Entscheidung. Ein Kommentator aus einer Filmchronik von 1990 meint die Antwort zu wissen: Bei einem Spaziergang von Bierut sei „klargeworden, dass es keine Nordseite des Platzes mehr geben würde, sondern den Abriss, und danach . . . Was irgendwem so einfällt.“436 Dass es, wie hier behauptet, kein nachhaltiges Konzept für den Plac Teatralny gab, wird in diesem Kapitel bestätigt. Inwiefern Bierut tatsächlich persönlich in diese Entscheidungsfindung involviert war, ist anderweitig nicht belegt, und mit diesem Filmbeitrag keineswegs bewiesen, auch wenn eine solche Entscheidung „von oben“ im stalinistischen Polen keineswegs undenkbar gewesen wäre. Der Abriss geschah zudem parallel zu den Planungen für ein neues „Zentrales Rathaus“ unweit vom Plac Teatralny entlang der Ul. Bielańska, an der Stelle der Ruinen der Bank Polski. Ein Stadtplan im Sechsjahrplan lässt Rückschlüsse über die geplanten gewaltigen Ausmaße und den geplanten Standort des Rathauses zu:

435 Vgl. WA 19/482 und WA 19/483 sowie der Hinweis auf der akribischen VarsavianistenWebsite: URL http://warszawa1939.pl/index_arch_main.php?r1=senatorska_14&r3=0 (Zugriff 10.04.2017). Auf die sonst sehr hilfreiche Publikation Sigalins ist in diesem Punkt keinen Verlass. Aus der Erinnerung rekonstruiert er, dass die Ruinen der Kirche und des Rathauses bis in die sechziger Jahre hinein unangetastet blieben. Das traf nicht zu, wohl aber, dass der Plac Teatralny lange Jahre nicht „fertig“ wurde: Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 39. 436 PKF 90/23, Plac Teatralny, 1990.

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Abb. 3.8: Das für 1955 geplante Zentrale Rathaus an der Ul. Bielańska, an der Stelle der Ruinen der Bank Polski.

an der Stelle, wo sich die Sichtachse zwischen Plac Teatralny und Trasa W-Z sowie die neue sogenannte Corazzi-Achse vom Plac Dzierżyńskiego trafen.437 Damit verfolgte dieses Projekt im weiteren Sinne eine Kontinuitätslinie, und brach gleichzeitig mit der Vorkriegssituation: Das Rathaus sollte zwar nicht am selben Ort und erst recht nicht in gleicher Form gebaut werden, hätte aber die gesamte Umgebung und damit auch den Plac Teatralny geprägt, an dem ja bislang das Rathaus gestanden hatte. „Städtische Verantwortliche“ („władze miejskie“) beauftragten 1949 und 1950 das Planungsbüro der Trasa W-Z (Pracownia W-Z) und später das Planungsbüro des MDM (Pracownia MDM), städtebauliche sowie programmatische Entwürfe für den Rathausneubau anzufertigen. Dies entpuppte sich aber insofern als schwierig, da die genauen Vorgaben für das Rathaus abhängig von einer anderen noch ausstehenden Entscheidung waren, nämlich der des NROW über den städtebaulichen Plan des Plac Teatralny, „was sich in Anbetracht der Wichtigkeit und der Schwierigkeit dieses Gebiets ziemlich lange

437 Zur Corazzi-Achse vgl. Fuchs, Miejsce, S. 72–76.

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Abb. 3.9: „Das Stadtzentrum im Sechsjahrplan“ (Ausschnitt), Anfang der fünfziger Jahre.

hinziehen kann“.438 Dennoch sollten die Entwürfe noch 1951 den „entscheidenden Stellen“ („władze opiniujące“) vorgelegt werden, so der Chefarchitekt Sigalin. Diese sollten außerdem bewerten, ob ein Wettbewerb ausgeschrieben werden müsse, um diese verantwortungsvolle Aufgabe in einem so schwierigen Gebiet zu lösen. Eine Behörde wurde allerdings bemerkenswerterweise bei sämtlichen Beratungen außen vorgelassen: die wichtigste Denkmalschutzbehörde (Główny Urząd Konserwatorski). Sigalin brachte im Juli 1951 seine Verwunderung gegenüber dem NROW zum Ausdruck, dass der oberste Denkmalschützer nicht über den Arbeitsstand bezüglich des Zentralen Rathauses informiert worden sei, obwohl die Planungen schon seit zwei Jahren im Gange waren. Wer genau die Entscheidung nicht weitergegeben hat, ist nicht bekannt. Sigalin bemerkte lediglich lakonisch: Es ist verwunderlich, dass die Denkmalschutzbehörde, die sich qua ihrer Aufgaben ohne Zweifel für den Plac Teatralny interessiert und mehrmals an Diskussionen über Abriss oder Erhalt des Jabłonowski-Palais oder der Kanonikerinnen-Kirche teilgenommen hat,

438 APW, NAW (1694), Sign. 142, Brief des Vizevorsitzenden des PRN J. Albrecht an den NROW, 21.07.1951.

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bis heute nichts darüber weiß, dass ein staatliches Planungsbüro seit zwei Jahren mit der Planung des Zentralen Rathaus beauftragt ist.439

Angesichts der hoch komplizierten Planungen und Entscheidungsfindung bezüglich des Plac Teatralny ist die These plausibel, dass die Denkmalschutzbehörde eventuell bewusst nicht informiert worden war, um die ohnehin schon komplexen Planungen für das Rathaus durch denkmalpflegerische Argumente nicht zu verkomplizieren. Die beiden zu dieser Frage bekannten Leserbriefe befürworteten die Entscheidung, an der Nordseite des Plac Teatralny kein Rathaus zu bauen. Dort sei, so der Ingenieur B.P., ohnehin kein Platz für das Rathaus, auf das die Warschauer warteten: ein wirklich repräsentatives Rathaus „von Weltrang“. Er kritisierte darüber hinaus das Konzept von der sogenannten Denkmalwürdigkeit eines Ortes: „Es ist möglich, dass es sich hier wieder um das falschverstandene Konzept der ‚Denkmalwürdigkeit‘ eines Ortes handelt, ähnlich wie bei der Filharmonie an der Ul. Jasna.“440 Der bereits zitierte Pałasiński war dennoch für den Wiederaufbau des Jabłonowski-Palais: in alter Form und mit neuer Funktion. Ein neues, angemessenes Rathaus könne lediglich an der Südseite des Plac Zwycięstwa, als Gegengewicht zu der neuen monumentalen Rückseite des Teatr Wielki, untergebracht werden. Dass dafür das denkmalgeschützte Kronenberg-Palais hätte abgerissen werden müssen, betrachtete er als „kleinen Verlust“.441 Dass er nicht der einzige war, der dieser Meinung war, wird später noch an anderer Stelle thematisiert. Der Standort eines neuen Rathauses war schon vor dem Sechsjahrplan kontrovers diskutiert worden. 1946 hatte ein Rathausneubau an der Ul. Królewska unweit des Plac Zwycięstwa entstehen sollen, zwischen dem Plac Dąbrowskiego und dem Sächsischen Garten.442 Doch die Umstände sind unübersichtlich: Denn aus dem „Stolica“-Artikel von 1946, in dem angekündigt wurde, alle Angestellten der Stadtverwaltung widmeten zukünftig ein Prozent ihres Lohns dem Rathausbau, lassen sich keine eindeutigen Erkenntnisse über die Gestalt des Rathauses ziehen. Einerseits solle der „Wiederaufbau“ stattfinden, andererseits sollten im Rathaus sämtliche städtische Institutionen Platz finden – ein Widerspruch in sich.443 Parallel diskutierten im Januar 1946 VertreterInnen der Abteilungen für denkmalgeschützte Architektur und Stadtplanung beispielsweise über die – wohl innerhalb 439 APW, NAW (1694), Sign. 142, Antwort von Sigalin an den NROW vom 22.08.1951. 440 B.P.: Dyskutujemy o architekturze. W sprawie Ratusza, in: Życie Warszawy, 05.12.1953, S. 19. Die Filharmonie wurde schließlich am historischen Ort im engen Straßenraster an der Ul. Jasna wiederaufgebaut, trotz starker Kritik. 441 Pałasiński, Zapytania, S. 268. 442 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 375. 443 o.V.: Samorządowcy budują Ratusz Warszawski, in: Stolica, 03.11.1946, S. 10.

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von zwei Tagen entwickelte – Idee des Architekten Zbigniew Karpińśki, das Rathaus auf der rechten Weichselseite in der Nähe des Hafens von Praga auf einer Landzunge („Cypel Praski“) unterzubringen. Der Minister für Wiederaufbau, Roman Piotrowski kritisierte diesen Vorschlag allerdings insbesondere mit Hinweis darauf, dass dies ein Rathaus für ganz Warschau sein müsse und dass dieses Projekt die Psyche der WarschauerInnen ignoriere.444 Zwischen 1947 und 1949 fanden sich anscheinend wiederum Fürsprecher, das Rathaus im wiederaufgebauten Jabłonowski-Palais am Plac Teatralny unterzubringen, obwohl dieses schon vor dem Krieg zu klein und unzureichend war.445 Anfang 1952 sei erneut von einem Wiederaufbau des alten Rathausgebäudes in gleicher Form zu lesen gewesen, wusste der Leserbriefschreiber Pałasiński zu berichten. Er resümierte: „Es gab sicher einige Debatten und interne Diskussionen, aber interessierte Einwohner bekamen davon nur fragmentarische Echos mit. Es scheint, diese Frage sei ‚überphilosophiert‘ [przefilozowano] worden.“446 Wie unentschieden die Verantwortlichen waren, zeigt abschließend ein Schreiben des Chefarchitekten Sigalin: Selbst 1955 war noch nicht abschließend entschieden, ob das Rathaus nicht doch an den Plac Teatralny zurückkehren würde.447 Angesichts dieser verworrenen und verwirrenden Diskussion darf das parallele Hauptprojekt nicht aus den Augen geraten. Denn das neue Stadtzentrum entlang der Ul. Marszałkowska mit dem Kulturpalast als unbestreitbare Mitte band seit Beginn der fünfziger Jahre die Kräfte: finanzielle, organisatorische, und nicht zuletzt auch symbolische. Traditionell bilden ein Rathaus und der Marktplatz den Mittelpunkt einer Stadt. Dies war auch in Warschau mit den zwei vorherigen, mittlerweile zerstörten Rathäusern so: am Marktplatz der Altstadt, wo das Rathaus bereits 1817 abgerissen worden war, sowie anschließend am Plac Teatralny, wo die Stadtverwaltung im Jabłonowski-Palais ein größeres Domizil gefunden hatte. Die neue faktische und symbolische Mitte, die der Kulturpalast bildete, wäre wohl mit einem neuen Rathaus in unzulässigem Ausmaß angetastet worden. Mehrere zeitgenössische Kommentare betonten und bedauerten, dass mit dem Rathaus auch

444 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 266 f. Eine Monographie über die Facetten der Zweitrangigkeit des Stadtteils Praga ist noch zu schreiben. Man könnte postulieren, dass Praga einzig in den ersten Nachkriegsjahren dem Warschau der anderen Flussseite etwas voraushatte, da es im Warschauer Aufstand nicht zerstört wurde. Das beinahe kontinuierlich geplante neue Zentrum Pragas wurde allerdings nie verwirklicht. 445 Vgl. die Planungen des zuständigen Büros der W-Z bei ebd., S. 344. 446 Pałasiński, Zapytania, S. 267. 447 ASARP, A 2/4238, J. Sigalin, Notatka w sprawie konkursu na rejon Placu Teatralnego, 26.01.1955.

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der Turm als Höhenakzent verschwand.448 So hatte der Kulturpalast einen Konkurrenten weniger im städtischen Panorama. Das war sicherlich auch die Folge der 1950 durchgesetzten Abschaffung selbstständiger städtischer Strukturen und die Etablierung von Nationalräten (Rady Narodowe) auf allen politischen Ebenen. Auch in Nowa Huta, der schwerindustriellen Satellitenstadt Krakaus, verschwand Anfang der fünfziger Jahre der Rathausneubau von den Reißbrettern, nachdem die Verwaltung nunmehr von Krakau aus gesteuert wurde.449 Die traditionelle städtische Institution Rathaus, die die Unabhängigkeit und die Selbstständigkeit der Stadt gegenüber der zentralen Regierung verkörpert, hatte auf institutioneller Ebene gegen das stalinistische Zentralisierungsmodell verloren. Und daher unterlag auch die Idee eines Rathausneubaus dem sowjetisch geprägten Modell einer Stadtmitte mit Kulturpalast und gigantischem umgebendem Platz. Das ist auch deshalb so interessant, weil dieser Neubauplan ja gar Teil des zum Auftakt des Sozialistischen Realismus veröffentlichten Sechsjahrplans von Bierut war. Das zeigt, wie sehr sich mit dem Bau des Kulturpalasts die traditionellen städtischen Bezüge und Institutionen verschoben. Zudem wird mit diesem Beispiel deutlich, dass es während der wenigen Jahre des Sozialistischen Realismus zu einer Art Radikalisierung des Denkens kam – oder zumindest zu einer noch größeren Fixierung auf das eine, neue Stadtzentrum. Der hauptstädtische Nationalrat bezog in den fünfziger Jahren die Corazzi-Paläste am Plac Dzierżyńskiego – und viele andere Dienststätten. Dazu bemerkte Sigalin 1988 lakonisch: „Das Leben hat Korrekturen vorgenommen. Am Plac Teatralny ist kein Rathaus entstanden, und es wird dort nicht entstehen.“450 Bis heute ist Warschaus Stadtverwaltung auf zahlreiche Amtsgebäude verteilt. Die Initiative „Saski 2018“, die das Sächsische Palais rekonstruieren möchte, will diesem Zustand Abhilfe verschaffen und sieht dieses als zentrales Rathausgebäude vor.

3.3.2 Kontinuität auf den ersten Blick: Der Wiederaufbau des „Wirklich Großen Theaters“ Solche Zweifel standen beim Wiederaufbau des Teatr Wielki weder im Raum noch im Weg. Der Bau, zwischen 1825 und 1833 von Antonio Corazzi entworfen, war im Krieg zwar insbesondere durch Brände verheert worden, lag aber nicht komplett in Trümmern. Der Sechsjahrplan erklärte das Teatr Wielki zum 448 Vgl. z. B. APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 468, Beitrag am Schreibwettbewerb 1962: „Odbudowa Warszawy w oczach laika“, S. 6. 449 Lebow, Unfinished Utopia, S. 40. 450 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 86.

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zentralen Bestandteil der kulturellen Landschaft Warschaus. Corazzi war während der Epoche des Sozialistischen Realismus hochgelobt, da seine Bautätigkeit einerseits in eine prosperierende Phase Warschaus als Hauptstadt Kongresspolens fiel, an deren „gesunde Traditionen“ gut angeknüpft werden konnte. Andererseits war dieser Baustil leicht mit dem des sowjetischen Sozialistischen Realismus der 1930er Jahre zu verbinden: „Der größte Architekt der [klassizistischen] Epoche war Corazzi, der sich durch sein besonderes Gespür für Monumentalität und seine Vielseitigkeit auszeichnete.“451 Tonangebende AutorInnen stellten das Teatr Wielki als eines seiner wichtigsten Bauwerke heraus; Kotarbiński und Goldzamt nutzten beide ein Foto des Teatr Wielki zur Illustrierung wertvoller historischer Architektur. Letzterer ging noch weiter. Seiner Meinung nach bildete das Theater als Sinnbild wertvoller historischer Monumentalarchitektur eine Brücke zwischen dem historischen Bauerbe, das die wiederaufgebaute Altstadt verkörperte, und dem neuen, zukunftsträchtigen Warschau auf Höhe und südlich des Kulturpalasts. Diese Verbindung war nicht nur symbolisch gemeint, sondern darüber hinaus visuell zu erfassen: Das Warschauer Zentrum hat sich schon mehrmals verschoben: vom Markt der Altstadt zum Schlossplatz und dem Krakowskie Przedmieście, und weiter zum Plac Teatralny und Plac Saski, die zu ihrer Zeit die Zentren des gesellschaftlichen Lebens der Stadt waren. Der Kulturpalast liegt auf einer direkten Verbindungslinie zu den bisherigen Verschiebungen. Das sehen wir nicht nur auf dem Stadtplan, sondern auch wenn wir aus den Fenstern der Altstadt blicken, wo sich der Kulturpalast über der dreieckigen Silhouette des Teatr Wielki erhebt.452

Die Bedingungen des 1950 vom SARP ausgeschriebenen Wettbewerb Nr. 188 zum Wiederaufbau des Teatr Wielki hoben demgemäß die „Monumentalität, die perfekten Proportionen, die stilistische Klarheit und die Weichheit des polnischen Neoklassizismus“ hervor, die zu den besten in ganz Polen zählten. Sechs Architektenteams waren eingeladen worden, den Wiederaufbau des Teatr Wielki zu planen. Dabei sollten sie das Gebäude modernisieren, insbesondere die technische Ausstattung. Das hatte schon der Bürgermeister Starzyński 1939 angestrebt. Der Architekt Sigalin kommentierte diese Aufgabe lakonisch: „Man kann sagen, der Brand von 1939 erleichterte die Aufgabe.“453 Der darin implizierte Bruch mit dem historischen Original offenbart, dass das Teatr Wielki zwar auf den ersten Blick Kontinuität verkörperte. Doch der zweite Blick kann verdeutlichen, wo die ArchitektInnen im Detail an Corazzis Vorlage anknüpften – und wo nicht. Insofern lässt sich an dieser Debatte zeigen, welche

451 Szwankowski, Ulice, S. 171 f. 452 Goldzamt, Architektura zespołów, S. 476. 453 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 303.

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Strategien, Beweggründe und Komplikationen sich hinter dem Wiederaufbau historischer Baudenkmäler während des Sozialistischen Realismus verbargen. Alle Architektenteams, bis auf Bogusławski, sahen vor, das Teatr Wielki so zu erweitern, dass die Südseite des Theaters nunmehr direkt an den Plac Zwycięstwa grenzte. Das war, wie bereits beschrieben, ein klarer Bruch zur Vorkriegssituation. An die Gestaltung der Rückseite hatte Corazzi damals keinen Gedanken verloren: „Der Theaterkorpus erstreckte sich in Richtung unbekannter Hinterhöfe.“454 Diese neue hintere Fassade, die der im Wettbewerb ausgezeichnete Architekt Pniewski entwarf, traf auf scharfe Kritik des Leiters der Warschauer Denkmalschutzbehörde, Piotr Biegański. Er hielt den Entwurf unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten für fragwürdig: „Er hat die architektonischen Formen der Corazzi-Hauptfront auf den hinteren Teil des Teatr Wielki übertragen, [. . .] und damit den monumentalsten Akzent des Theaters in seiner authentischen Version am Plac Teatralny entwertet.“455 Biegański kritisierte darüber hinaus scharf, dass Pniewski ein original erhaltenes Portal der westlichen Fassade an der Ul. Wierzbowa, das den Krieg unbeschadet überstanden hatte und bis 1955 dort stand, ebenfalls durch eine neue Fassadengestaltung ersetzte, die laut Biegański gar mit klassischen Prinzipien brach – und damit Corazzis Ansatz zuwiderlief.456 Bei dieser Kritik ist allerdings zu bedenken, dass dieser oberste Denkmalschützer selbst einen Entwurf für das Teatr Wielki im Wettbewerb eingereicht hatte, der nicht gewann. Die Jury hingegen, die Pniewskis Entwurf mit sechs Stimmen bei zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen auszeichnete, honorierte sein Bestreben, die „dezente Architektur Corazzis in den vergrößerten Maßstab zu übertragen“.457 Auch andere ArchitektInnen waren in der Diskussion des Wettbewerbs voll des Lobes für Pniewski, wie sein Kollege Brzuchowski: Ich frage mich, ob der Wettbewerb unsere Herangehensweise an den Sozialistischen Realismus repräsentiert. Hier sind zwei Lösungsansätze vertreten: der eine behält komplett die Errungenschaften der vergangenen Epochen bei, der andere – wie in der Arbeit von Prof. Pniewski – nutzt diese kreativ aus. Man muss festhalten, dass die Arbeit von Prof. Pniewski auf triumphale Weise den richtigen Umgang mit unserem Erbe zeigt.458

Einen direkten Bezug zum Vorkriegstheater stellte in Pniewskis Entwurf lediglich die Hauptfassade am Plac Teatralny dar, die im Krieg weitgehend nicht zerstört und dann saniert wurde. Die Gestaltung der Innenräume orientierte sich nicht

454 455 456 457 458

o.V., Konkurs SARP Nr 188, S. 26. Biegański, Teatr Wielki, S. 129. Ebd., S. 120 f. Majewski, Ideologia, S. 212. o.V., Konkurs SARP Nr 188, S. 31.

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am Originalgrundriss, was allerdings laut der Wettbewerbsunterlagen aufgrund des Zerstörungsgrades von neunzig Prozent durchaus angeraten war.459 Mehr noch: Pniewski verlegte die Bühne und den Zuschauerraum hinter das ursprüngliche Gebäude, was die neuen Dimensionen verdeutlicht. Der wichtige Stadtplaner Skibniewski unterstrich, dass Pniewskis Entwurf die sozrealistischen Prinzipien richtig interpretiere – und dass eine neue Zeit angebrochen sei: „Heute stehe ich vor dem tollen Entwurf von Prof. Pniewski, und die Konstruktivisten, Funktionalisten, Formalisten können zu sich sagen: ‚Noch einer ist der Avantgarde abhanden gekommen‘ – natürlich ihrer ‚Avantgarde‘!“460 Diesen Wandel in Pniewskis Gestaltungsprinzipien hob auch Goldzamt in seinem Kommentar hervor: „Bohdan Pniewski, der noch vor zwei Jahren den Plac Zwycięstwa im Geiste des Modernismus mit Pavillons umbauen wollte, platziert nun auf diesem Platz die südliche Fassade des Theaters mit dem feierlichen Schick der klassizistischen Architektur.“ Damit sei der Platz auch dafür geeignet, gemäß seiner Funktion im sozialistischen Stadtgefüge Menschenmassen aufzunehmen: „Die

Abb. 3.10: Das Teatr Wielki kurz vor der Wiedereröffnung, 1965.

459 Ebd., S. 8. 460 Ebd., S. 31.

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unbestrittene visuelle Ausdruckskraft, die in dem monumentalen Rhythmus der Säulengänge steckt, erweckt Bilder einer fröhlichen Menge zu Füßen dieses Gebäudes – Symbole seiner sozialistischen Kultur.“461 Auf den ersten Blick bewahrte der Wiederaufbau des Teatr Wielki die Tradition des Plac Teatralny, funktional wie architektonisch. Doch mit der radikalen Erweiterung auf der Rückseite waren Plac Teatralny und Plac Zwycięstwa nicht mehr nur Nachbarn, sondern direkte Nachbarn geworden. Über die dadurch veränderte Situation am Plac Zwycięstwa waren die Verantwortlichen unentschlossen bis ratlos, wie im Kapitel über den historischen zentralen Platz bereits geschildert. Insofern verschärfte der Theaterumbau die Herausforderungen der Gestaltung des Plac Zwycięstwa. Doch auch über die weitere Gestaltung des Plac Teatralny, den das Teatr Wielki ebenfalls dominierte, verloren die Wettbewerbsbedingungen kein Wort. Die zur gleichen Zeit diskutierten städtebaulichen Projekte wie das in dieser Region geplante Rathaus und die Metro fanden in der Ausschreibung zudem keine Erwähnung. Die eingangs geschilderten ziel- und schier endlosen Diskussionen über das Rathaus und die Komplexität des Metrobaus erklären dies, verringerten aber gleichzeitig die praktische Brauchbarkeit des Wettbewerbs. Aus diesem Blickwinkel erscheint das Teatr Wielki wie ein Fels in einer ansonsten tosenden Brandung der Unsicherheiten aller Beteiligten über den zukünftigen Charakter dieser beiden so veränderten Plätze. Diese Problematik der konkurrierenden Projekte und der fehlenden Koordination scheint auch aus den kleinteiligen und unvorhersehbaren Diskussionen um das folgende Beispiel der kleinen Kirche am Plac Teatralny hervor. Zugleich zeigt es, dass Entscheidungen im Stalinismus nicht unumkehrbar waren, und zwar in alle Richtungen. Außerdem beweist es, dass einige Individuen sich auch im Stalinismus an Autoritäten wandten – und diese mehr oder weniger direkt kritisierten. 3.3.3 Abrisswillkür und Protest: Die kleine Kirche am Plac Teatralny 1945 waren auch die katholischen Kirchen in Warschau ruiniert. Bis auf neun Kirchen waren alle Kirchengebäude im Krieg zerstört oder beschädigt worden.462 Dennoch waren diese gravierenden Blessuren vor allem materieller Natur. Denn die katholische Kirche war die einzige gesamtpolnische Organisation, die nach dem Krieg auf Gegenliebe in der Bevölkerung stieß: „Im übertragenen Sinne lässt sich Nachkriegspolen organisatorisch und institutionell mit der Stadt Köln nach dem

461 Goldzamt, Architektura zespołów, S. 413. 462 Stanisław Marzyński: Kościoły warszawskie w ruinie i odbudowie 1939–1945. Warszawa 1946, S. 18.

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Abb. 3.11: Die Andreas-Kirche der Kanonikerinnen am Plac Teatralny vor dem Zweiten Weltkrieg.

Flächenbombardement vergleichen: ein Meer aus Schutt und Asche, und inmitten der beinahe unversehrte [Dom].“463 Dies war ein Fakt, den die neue kommunistische Regierung nicht außer Acht lassen konnte, insbesondere in den ersten Jahren, als ihre Macht noch nicht gesichert war. Das zeigt sich auch daran, dass die Partei nicht nur den Rat der Erzdiözese zum Wiederaufbau der Warschauer Kirchen (Rada Archidiecezjalna Odbudowy Kościołów Warszawy) gewähren ließ. Mehr noch: Der Staat unterstützte gar den Wiederaufbau der Kirchen. Das mag in einem kommunistischen Staat überraschen, doch die im Vergleich zu anderen sowjetisch beeinflussten Staaten verhältnismäßig milde Politik gegenüber Kirchen wird mit Zarembas Metapher verständlicher. Im Stalinismus nahmen die Einschränkungen für die Kirche und ihr Personal, wie auch für andere Religionsgemeinschaften, allerdings massiv zu. Dabei geriet auch der Wiederaufbau der Kirchen in die Kritik, wie bei dieser Sitzung des Warschauer Exekutivkomitees der PZPR im April 1951: „Wir stehen vor dem Problem des verstärkten Wideraufbaus von Kirchen auf dem Gebiet Warschaus.“ Als Beispiel nannte der Politiker Jerzy Albrecht die Andreas-

463 Zaremba, Die große Angst, S. 81. Im polnischen Original steht „katedra“, was mit „Dom“ zu übersetzen ist, nicht wie in der deutschen Version mit „Kirche“.

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Kirche der Kanonikerinnen (Kościół Św. Andrzeja pp. Kanoniczek) am Plac Teatralny: „Ein Beispiel: Neben den Ruinen des Rathauses stand die Kanonikerinnen-Kirche. Das Objekt lag in Trümmern, doch die Kirche entsteht gerade Ziegel um Ziegel. Das Denkmalschutzamt bekennt sich nicht dazu, man musste die Kirche mit Stacheldraht umzäunen.“464 Für den Wiederaufbau der Kirche machte auch sein Kollege Wicha das Denkmalschutzamt verantwortlich. Dieses fand es zu seinem Unmut nicht verwerflich, dass zeitweise anscheinend eine andere Funktion für die Kirche vorgesehen war, nämlich ein Museum sowie im Klosterwohngebäude ein Hotel. Doch gab Wicha auch zu, dass die Parteiorganisation selbst nachlässig gewesen sei: „Die größte Schuld hat das Denkmalschutzamt. Aber es ist schlecht, dass wir uns nicht für diese Dinge interessiert haben. [. . .] Sofern die Kirche nicht von Gläubigen genutzt werden soll, sind die Priester zu vertreiben. Wir haben diese Sache bisher übersehen.“465 Dieser Ausschnitt aus der Sitzung des Exekutivkomitees der Partei offenbart neben mangelhafter interner Kommunikation und unterschiedlichen Handlungsmaximen bei Denkmalschutzamt und Partei noch etwas Anderes: Obwohl die Kirche im Endeffekt abgerissen wurde und damit eine der wenigen nicht wiederaufgebauten Kirchen in Warschau ist, war diese Entwicklung keineswegs von vornherein klar bestimmt, wie die Analyse der Akten der Kirchengemeinde ergab. Insofern kann dieses Beispiel einige Facetten der speziellen Beziehung von Staat und Kirche beleuchten, ohne dass in der zunehmenden Strenge des Staates gegenüber der katholischen Kirche die alleinige Ursache für den Abriss zu suchen ist. Es ist zugleich ein Beispiel für mehr oder weniger offenen Protest im Stalinismus und ermöglicht Einblicke in die Akteurs- und Argumentationsstrukturen. „Eignet sich nicht zum Wiederaufbau.“ So deklarierten die Spezialisten des BOS das Kirchgebäude der Kongregation der Kanonikerinnen am Plac Teatralny bei ihrer ersten Inventarisierung der Zerstörungen der Warschauer Bauwerke 1945.466 Entgegen dieser ersten Begutachtung von 1945 stuften das BOS und die Warschauer Direktion des Wiederaufbaus (Warszawska Dyrekcja Odbudowy, WDO) die Kirche 1946 doch als wiederaufbauwürdig ein. Für die Kirche war die nicht geringe Summe von 900 000 Zloty vorgesehen.467 1947 sicherte das BOS

464 AAN, KC PZPR (237/VII), Sign. 2316, Plenum des Warschauer Exekutivkomitees der PZPR, 04.04.1951, S. 5. Ein herzlicher Dank geht an Błażej Brzostek für den Hinweis auf diese Quelle. 465 AAN, KC PZPR (237/VII), Sign. 2316, Plenum des Warschauer Exekutivkomitees der PZPR, 04.04.1951, S. 8. 466 APW, BOS, Inwentaryzacja Zniszczeń, Sign. 6973, S. 3. 467 AAN, Ministerstwo Odbudowy (314), Sign. 568, Liste der von BOS und WDO direkt geförderten Kirchengebäude vom 26.10.1946, S. 244.

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Abb. 3.12: Die Andreas-Kirche der Kanonikerinnen nach dem Warschauer Aufstand.

dementsprechend das Kirchgebäude, verstärkte die Mauern, deckte das Dach und sicherte die Öffnungen. Die Kongregation nahm einen Kredit von der Investitionsbank auf, um die Sicherungsarbeiten mitzufinanzieren. Im gleichen Jahr stockten allerdings die Bauarbeiten – laut dem Denkmalschutzamt waren fehlende weitere Kredite der Grund.468 Während noch Ende 1948 das BOS „die Meinung des [obersten] Denkmalschützers“ abwarten musste, bevor es über die Nutzung des Grundstücks an der Ul. Senatorska 18 konkret befinden konnte, war Mitte 1949 ein anderes Projekt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt: das zukünftige Rathaus, das direkt an das Kirchengebäude und das Wohnhaus angrenzen würde. Der Bürgermeister informierte die Kongregation glasklar darüber, dass die Entscheidung über ihr Grundstück erst dann gefällt würde, wenn das neue Rathaus fertiggeplant sei.469 468 AAW, 3048. A.X.1.102, Brief des Denkmalschutzamts an die Kongregation P.P. Kanoniczek, 12.04.1949, S. 25. 469 AAW, 3048. A.X.1.102, Brief des Bürgermeisters St. Tołwiński an die Äbtissin E. Szymanowska, 23.08.1949, S. 27.

3.3 Alt und neu konfrontiert am Plac Teatralny

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Während also einerseits das Büro der Trasa W-Z in städtischem Auftrag die ersten Entwürfe für das Rathaus in unmittelbarer Nähe des Plac Teatralny entwickelte, begann die Kongregation um ihre Gebäude zu kämpfen. Wie aus einem Briefentwurf der Kongregation hervorgeht, intensivierte sich dieser Kampf nach der Räumungsanordnung vom 1. Juli 1950 und dem gleichzeitig verhängten Baustopp. Dieser hielt auch die zuvor von der Warschauer Bauaufsichtbehörde (Warszawska Inspekcja Budowlana, WIB) angemahnten Sicherungsarbeiten an: „Die Anweisungen des WIB setzen eines der außergewöhnlichsten Baudenkmäler Warschaus mit der berühmten Säulenfassade von Aigner der weiteren Zerstörung aus. In den Augen der Hauptstädter ist diese Fassade untrennbar mit dem Anblick des Plac Teatralny verbunden.“ Es leuchte der Kongregation nicht ein, dass der Neubau des Rathauses und die Neustrukturierung des angrenzenden Viertels ein weiteres Baudenkmal vernichteten, von denen insgesamt so wenige bewahrt werden konnten. In ihrem an den Präsidenten Bierut gerichteten Brief vom 11. August 1950 argumentierte die Kongregation also einerseits mit der Bedeutung der Kirche für die WarschauerInnen und dem Denkmalwert der Kirche, der im Kontext der enormen Zerstörung der Stadt besonders schwer wiege.470 Andererseits legte die Kongregation ihr Augenmerk auf die Bewertung des Zerstörungsgrades der Kirche und die daraus vermeintlich erwachsende Gefahr für die öffentliche Sicherheit. So kritisierte die Kongregation, dass die dahingehenden Vorwürfe der WIB nicht gerechtfertigt seien. Nach einem Sturm im Juni 1950 seien die nötigen Sicherungsarbeiten vollzogen worden. Im Innern sei die Sicherheit ohnehin nie gefährdet gewesen, wie das Urteil der vom Erzdiözesenrat einberufenen Sachverständigen und die von ihnen angebrachten Kontrollstreifen bewiesen hätten.471 Dafür fand die Kongregation zumindest im Entwurf des Briefes deutliche Worte: Wir hoffen, dass Herr Genosse Präsident die folgenden Gründe in Betracht zieht: kulturelle Gründe – die Notwendigkeit, Warschauer Baudenkmäler zu retten; Gründe der Vernunft – die Grundlosigkeit der getroffenen Entscheidung; und religiöse Gründe. Wir hoffen, dass Sie die Sache genau untersuchen und uns den Wiederaufbau unserer Kirche ermöglichen.

In der Endversion richtete die Kongregation allerdings eine abgemilderte Bitte an Bierut, in der sie die Entscheidung nicht mehr als unbegründet kritisierte: „Wir bitten Sie höflichst um die Untersuchung der Sache und um eine positive Entscheidung, indem Sie erstens den Räumungsbefehl außer Kraft setzen

470 AAW, 3048. A.X.1.102, Briefentwurf der Kongregation an Präsident [Bierut], 11.08.1950, S. 35. 471 AAW, 3048. A.X.1.102, Brief der Kongregation an das Biuro Administracji Budowlanej Ministerstwa Budownictwa, 06.07.1950, S. 30.

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und uns zweitens die Sicherung und dann den Wiederaufbau unserer Kirche ermöglichen.“472 Dieser Protestbrief der Kongregation – und etwaige andere Maßnahmen, die nicht überliefert sind – hatte anscheinend zumindest insofern Erfolg, als die Kirche vorerst nicht abgerissen wurde. Im Gegenteil: Im Dezember 1950 hielt Primas Kardinal Wyszyński eine Messe zur „allgemeinen Freude der Gläubigen“ in der Kirche ab.473 Dadurch wurde einerseits die Sicherheitswarnung des WIB wenn nicht nur ignoriert, sondern geradezu vorgeführt. Andererseits zeigt die Messe auch, dass es Anfang 1951 offenbar eine schriftlich nicht dokumentierte Übereinkunft zwischen der Kongregation und einer städtischen Behörde gab, die die Räumungsanordnung unwirksam machte. Ob der Protestbrief der Kurie aus dem Februar 1951 diesbezüglich entscheidend war, ist unbekannt. Darin bezeichnete die Kurie die

Abb. 3.13: Die Andreas-Kirche der Kanonikerinnen nach dem provisorischen Wiederaufbau Ende der vierziger Jahre.

472 AAW, 3048. A.X.1.102, Brief der Kongregation an Präsident [Bierut], 11.08.1950, S. 36. 473 AAW, 3039. A. X. 1.101, Skrót historii i działalności Zgromadzenia PP. Kanoniczek Warszawskich, 10.03.1957, S. 2.

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Entscheidung des WIB, den Wiederaufbau der Kirche anzuhalten und deren Räumung zu verfügen, unmissverständlich als unzulässig und unbegründet, da das WIB die Sicherheitsvorwürfe nie vor Ort tatsächlich überprüft habe. Das sei eine „völlig beliebige Anordnung, wie es sie in Warschau noch nicht gegeben“ habe.474 Dass die Abrissbedrohung 1951 in die Ferne gerückt war, geht auch aus einem erst nach dem tatsächlichen Abriss veröffentlichten Zeitungsartikel hervor: „1950 und 1951 wurde die Kirche restauriert und den Gläubigen übergeben.“475 Damit ist wohl gemeint, dass die Nonnen nach dem Aufräumen des Innenraums einen bescheidenen Altar aufstellten, für den sie sich Geld leihen mussten.476 Die Pläne, ein Museum und ein Hotel in den Kirch- und Klostergebäuden einzurichten, wie von den PolitikerInnen im April 1951 in ihrer Sitzung diskutiert, finden in den Dokumenten der Kongregation keine Erwähnung. Diese Dokumente stärken hingegen den Eindruck, dass der Abriss der Kirche 1952 und 1953 vom Tisch war. Denn auf dem siegreichen Entwurf von Bohdan Pniewski für das Teatr Wielki, 1952 veröffentlicht, war die Kirche weiterhin klar erkennbar. Das gilt auch für seine erste Entwurfsplanung (projekt wstępny) für den Plac Teatralny, die die Kommission für Stadtplanung und Architektur (Komisja Urbanistyczno-Architektoniczna, KUA) am 22. April und der Chefarchitekt am 27. Juli 1953 bestätigten.477 Dass diese Planungen allerdings bald hinfällig waren, zeigen die seit August 1953 laufenden Vorbereitungen für einen Wettbewerb für den Plac Teatralny, der im nächsten Kapitel thematisiert wird. In der populären Tageszeitung „Życie Warszawy“ betonte 1953 der bereits zitierte Leserbriefschreiber B.P. die – wie schon im Protestbrief der Kanonikerinnen – besondere emotionale Bedeutung der Nordseite des Plac Teatralny für die WarschauerInnen: Nicht nur das Gebäude selbst, sondern der ganze Platz ist historisch – auf diesem Platz haben freiheitliche Demonstrationen des Warschauer Volkes stattgefunden [. . .]. Das alte Rathaus mit den Kanonikerinnen und dem Blank-Palais gehört zu den für die Stadt typischsten Fragmenten Warschaus [najbardziej warszawskie]. Er lebt sowohl in der Ikonografie, als auch in den Herzen der Warschauer.478

Der andere Leserbriefautor, der ebenfalls bereits zitierte Pałasiński, optierte gar für die historische Gestalt der Nordseite des Platzes: „Was geschieht mit dem 474 AAW, 3048. A.X.1.102, Brief der Kuria an unbekannten Adressaten [städtische oder staatliche Behörde], 05.02.1951, S. 38. 475 Ida Łos: W odpowiedzi na konkurs. Warszawa na starej fotografii, in: Stolica (1957), 27, S. 22. 476 AAW, 3065. A. X. 1. 103, M. I. Łoś an Kardinal Józef Glemp, 08.09.1984, S. 26. 477 WA, 20/429, Plan von Pniewski für den Wiederaufbau des Teatr Wielki, 1952/1953. 478 B.P., Dyskutujemy.

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Plac Teatralny? Seine Nordseite muss man als denkmalwürdig ansehen, und deshalb sind das Jabłonowski-Palais und die Kanonikerinnen-Kirche mit dem Kloster wiederaufzubauen.“479 Die Kirche hatte also offenbar für zahlreiche WarschauerInnen eine besondere Bedeutung als integraler Bestandteil der Nordseite des Platzes. Dennoch ist nicht klar, ob und wie viel Unterstützung die Kongregation aus der Bevölkerung erhielt. In der kleinen Kirche hatten vor dem Krieg „junge Paare der sogenannten oberen Gesellschaftsschichten ihre Ehen geschlossen“.480 Die Kongregation selbst schrieb rückblickend, dass „die umliegende Bevölkerung herzlich mit der Kirche verbunden war“.481 Doch die wichtigste Kirche der Stadt war sie sicher nicht. Dies war die in der Altstadt gelegene Kathedrale (Bazylika archikatedralna św. Jana Chrzciciela), die zwischen 1948 und 1956 aufgebaut wurde, also zeitgleich zu diesen Diskussionen. Ob der Leserbrief von B.P. in direktem Zusammenhang mit der erneuten Schließung und Versiegelung der Kirche 1953 aufgrund der behaupteten „Gefährdung der Gläubigen“482 steht, oder gar als Protest dagegen gemeint war, ist unbekannt. Dieser Eingriff in die religiöse Arbeit der Kongregation, der damit begründet wurde, die Gläubigen nicht gefährden zu wollen, mutet beinahe zynisch an. Denn im Februar 1953 beschloss der Staatsrat einen massiven Eingriff in die Personalpolitik der Kirche. Primas Kardinal Wyszyński erklärte daraufhin im Mai 1953 öffentlich seine Weigerung, dies hinzunehmen, mit einem „Non possumus” (lat. „Wir können nicht“), und nahm damit einen offenen Konflikt mit der Staatsmacht in Kauf, den er bis dahin vermieden hatte. Im September 1953 wurde er interniert, was wohl als Höhepunkt der staatlichen Repressionspolitik gegenüber der katholischen Kirche gelten kann. Das Schicksal der Kirche am Plac Teatralny war spätestens im März 1954 ebenfalls besiegelt: In einem offiziellen Brief an die Liegenschaftsverwaltung der Stadt erklärte die Kongregation selbst die Kirche als „ausgebrannt“. Auf der Abschrift, die im Archiv lagert, vermerkte die Äbtissin Elżbieta Szymanowska handschriftlich, dass das Gegenteil zutraf: „Die Kirche ist nicht ausgebrannt und die am 4. Juli 1950 angebrachten Kontrollstreifen zeigen bis heute keinen einzigen Riss.“483 Bei einem Besuch beim Chefarchitekten Sigalin zwei Monate später erfuhr die Äbtissin lediglich,

479 Pałasiński, Zapytania, S. 266. 480 Stępiński, Siedem placów, S. 58. 481 AAW, 3039. A. X. 1.101, Skrót historii i działalności Zgromadzenia PP. Kanoniczek Warszawskich, 10.03.1957, S. 2. 482 AAW, 3039. A. X. 1.101, Skrót historii i działalności Zgromadzenia PP. Kanoniczek Warszawskich, 10.03.1957, S. 2. 483 AAW, 3061. A. X. 1. 103, Brief von E. Szymanowska an Stołeczny Zarząd Budynków Mieszkalnych i Terenów, 17.03.1954, S. 17.

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dass der Abriss in Kürze bevorstehe. Ihr Argument, dass es sich bei der Kirche um ein Baudenkmal handele, machte auf ihn keinen Eindruck.484 Doch schon vor diesem Gespräch war der Abriss der Kirche zwischen der Kurie und der Kongregation bereits als „von oben“485 beschlossene Sache verhandelt. Die Kurie wies darauf hin, dass es angebracht sei, zu erwirken, die Schulden bei der Staatlichen Investitionsbank (Bank Gospodarstwa Krajowego) erlassen und die bereits investierten Mittel erstattet zu bekommen, insbesondere aufgrund der „äußerst schwierigen materiellen Verhältnisse“ der Kongregation.486 Dass sie von nun an anderswo wohnen und beten müssten, teilte die Äbtissin den sechs versammelten Nonnen in einer außerordentlichen Versammlung am 22. Mai 1954 mit. Zur Begründung hatte der Vertreter des Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten (Ministerstwo Wyznań Religijnych) Bida dem Bischof Choromański mitgeteilt, es gäbe in der Umgebung zahlreiche andere Kirchen. Zudem verdecke die Kirche den Blick von dem repräsentativen Theatergebäude auf die Trasa W-Z – und umgekehrt.487 An dieser Stelle wird erneut die Fokussierung der Stadtplanung auf den namensgebenden Solitär – das Teatr Wielki – deutlich. Der Räumungsbefehl erreichte die vier Damen, davon zwei Nonnen, die in dem provisorisch wiederhergerichteten Wohngebäude der Kongregation lebten, am 8. Juli 1954. Der Abrissbagger begann seine Arbeit bereits am nächsten Tag, sodass die Bewohnerinnen über Nacht ihre Sachen packen mussten. Die Kongregation hielt 1957 in einer kurzen Zusammenfassung ihre Geschichte fest: Auf diese Weise ist mit einem unbedachten Schritt Warschau um eine wunderschöne, denkmalgeschützte Kirche ärmer. Sie ist 1691 erbaut und vom Architekten Aigner umgestaltet worden, und um ihren Wiederaufbau kämpfte die Denkmalschutzgesellschaft [Towarzystwo Opieki nad Zabytkami]. Zudem verlor die lokale Bevölkerung ihre Kirche, mit der sie eng verbunden war, und die Kongregation der Kanonikerinnen ihren Sitz und Arbeitsplatz, und ist damit um ihre Existenz gebracht.488

Die Kongregation wurde damit obdachlos; das war eine vorauszusehende Folge. Dass die durch den Abriss entstandene Freifläche mehr als 45 Jahre bestehen würde – damit rechnete wahrscheinlich keiner der Beteiligten. Im Gegenteil: Die Vorbereitungen für einen Architekturwettbewerb zur Gestaltung der Freiflächen am Plac Teatralny und am benachbarten Plac Dzierżyńskiego 484 AAW, 3057. A. X. 1. 103, Protokół Kapituły Ekstraordynarnej, 22.05.1954, S. 1 f. 485 Im Original: „władza“. 486 AAW, 3065. A. X. 1. 103, Brief der Kuria Metropolitalna Warszawska an E. Szymanowska, 05.05.1954, S. 14. 487 AAW, 3057, A.X.1.103, Protokół Kapituły Ekstraordynarnej, 22.05.1954, S. 1. 488 AAW, 3039. A. X. 1.101, Skrót historii i działalności Zgromadzenia PP. Kanoniczek Warszawskich, 10.03.1957, S. 2.

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waren seit Februar 1954 in vollem Gange. Und gleichzeitig verdichteten sich die Pläne, an den beiden Plätzen den Inbegriff städtebaulicher Modernisierung und stalinistischen Städtebaus zu verorten: die Eingangshallen zu den unterirdisch geplanten Metrostationen.

3.3.4 Städtebauliche Komplikationen: Der Wettbewerb 1953 bis 1955 Der Eingang zur Metrostation am Plac Teatralny sollte gegenüber des Teatr Wielki an der Stelle des historischen Rathauses errichtet werden. Das sah eine Skizze aus dem April 1954 vor.489 Auch die Gestaltung der unterirdischen Station war bereits 1952 skizziert worden: Am Plac Teatralny sollten unter dem Motto „Kunst und Kultur“ Mosaike mit den Portraits berühmter polnischer KünstlerInnen die Wände der Station zieren.490 Seit dem Regierungsbeschluss vom 12. Dezember 1950 war der Bau einer tiefen Metro in der Planung.491 Diese folgte dem in den dreißiger Jahren in Moskau errichteten prunkvollen Vorbild, das in den Worten des russischen Architekten Alabjan „funktional, schön, in hellen Farben, [. . .] im Alltag ein Gefühl des Wohlbefindens [vermittelt].“ Denn: Die „Sorge um den Menschen“ sei ihre Grundidee.492 Diese Investition war bitter nötig. Das macht beispielweise die Beobachtung des Schriftstellers Leopold Tyrmand an einem kalten Februartag 1954 deutlich: „Die Qual des Wartens auf die Tram: Ich vermute, dass eine bewaffnete Revolte gegen das Regime, falls sie überhaupt kommt, an einer Tramhaltestelle bei einem solchen Wetter beginnt.“493 Die Metro sollte die chronisch überfüllten, notorischen Warschauer Straßenbahnen entlasten oder gar überflüssig machen. Mit dem Bau einer Metrostation wäre zudem

489 ASARP, 2/4238, Skizzen von METROPROJEKT über den Bau einer Metrostation am Plac Teatralny, November 1954. 490 AAN, Urząd Rady Ministrów (290), Sign. 56/48, Tezy programowe do projektów stacji metra warszawskiego, 1952, S. 248 f. 491 Die Geschichte der Warschauer Metro ist bislang nicht systematisch erforscht worden. Auch in der umfangreichen Dokumentensammlung von Sigalin finden sich nur wenige Hinweise. Vgl. die zwei Artikel Henryk Stamatello: Metro w Warszawie. Czy Warszawie potrzebne jest metro?, in: Kronika Warszawy (1982), 13, S. 87–108; Jakub Jastrzębski: Od metra pomysłów na warszawskie metro. Projekty kolei podziemnej od roku 1956 do końca lat siedemdziesiątych, in: Skarpa Warszawska (2014), 5, S. 38–42. Vgl. auch die im Auftrag der Partei entstandene Publikation, die die Wogen nach dem Abbruch des Metrobaus glätten sollte: Henryk Janczewski/Jan Rossman: Studia i projekty Metra w Warszawie 1928–1958. Warszawa 1962. 492 Zitiert nach: Schlögel, Terror und Traum, S. 323. 493 Tyrmand, Dziennik 1954, S. 157, Tagebucheintrag vom 01.02.1954.

3.3 Alt und neu konfrontiert am Plac Teatralny

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Abb. 3.14: Die skizzierte Metrostation Plac Teatralny mit dem Motto „Kunst und Kultur“, 1952.

ein weiteres Ziel erreicht worden, da die Gegend um den Plac Teatralny dringend belebt werden müsse, wie der bereits mehrfach zitierte Leserbriefautor Pałasiński betonte: „Ul. Senatorska, Ul. Miodowa, Plac Teatralny usw. – sie sind wie erstarrt. Die Warschauer können das nicht ertragen [. . .].“494 Doch die PlanerInnen scheinen sich vor allem um die Geheimhaltung der Pläne gesorgt zu haben. Immerhin stand die Entscheidung, eine sehr tief gelegene Untergrundbahn zu bauen, mit dem beginnenden Kalten Krieg in Verbindung und basierte auf den Erfahrungen in Moskau, wo das Metrosystem im Zweiten Weltkrieg als Bunker gedient hatte. Das wiederum verkomplizierte die Vorbereitungen für den Wettbewerb enorm, nicht nur, weil sich die Metroplanungen dauernd änderten, sondern weil die Verantwortlichen von Metroprojekt, der SARP und der Chefarchitekt abwägen mussten, in welcher Form die Pläne den ArchitektInnen bei diesem offenen Wettbewerb überhaupt zur Verfügung gestellt werden konnten. Während die Planungen für diesen entscheidenden Baustein des Städtebaus im Stalinismus auf dem Höhepunkt waren, starb Josef Stalin im März 1953. Die Trauerzeremonien spielten sich weder am Plac Teatralny noch auf dem Plac Zwycięstwa ab. Doch der neue zentrale Platz beim Kulturpalast eignete sich ebenfalls nicht. Literarisch erfasste den Platz dieser Zeit Leopold Tyrmand: Er sei lediglich ein „Chaos von Schluchten und Haufen“, eine

494 Pałasiński, Zapytania, S. 266.

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„Landschaft der Unordnung“.495 Stattdessen war vor dem zwei Jahre alten Neubau des Hauses der Partei eine Tribüne aufgebaut, vor der tausende Menschen mit Stalin-Portraits und Spruchbändern entlangzogen. Die an diesem Ort im Wortsinne in Stein gemeißelte Dominanz der Partei konnte hier nicht nur symbolisch, sondern auch faktisch unterstrichen werden, genauso wie die Botschaft, dass „der Aufbau des Sozialismus“ weitergehe.496 Der Kommentator der Filmchronik schloss mit den bedeutungsschweren Worten: „Stalins Idee ist unsterblich. Stalins Banner befindet sich in starken und sicheren Händen.“497 Doch der Aufbau des Sozialismus geriet zumindest im Falle der Metro zunehmend ins Stocken. Rückblickend bezeichnete Sigalin die offiziellen Begründungen – schwierige geologische Bedingungen und damit einhergehende technische Probleme – als nicht ausreichend. Er sah vor allem das Vorhaben, eine sehr tiefe Untergrundbahn zu bauen, als zu ambitioniert an, zumal sich der wirtschaftliche Sechsjahrplan als nicht tragfähig erwiesen hatte.498 Die Investition sei durch das Zusammenspiel von schwierigen geologischen Bedingungen und zu wenig technischer Expertise nicht umzusetzen gewesen. Der Plan, eine Metro zu bauen, wurde schließlich 1958 stillschweigend fallen gelassen. 1962 lautete die offizielle Diagnose: Eine Metro in Warschau wäre möglich, aber die Investitionskosten zu hoch.499 Stattdessen fokussierten sich die StadtplanerInnen in der Folge auf die eine oberirdische Vorortbahn (Szybka Kolej Miejska, SKM). Erst in den achtziger Jahren begann der Bau einer unterirdischen Metro tatsächlich. Ursprünglich hatten sich also am Plac Teatralny buchstäblich Alt und Neu gegenüberstehen sollen: die wertgeschätzte Architektur Corazzis in Pniewskis Interpretation sowie eine Metrostation als Inbegriff städtebaulicher Modernisierung. Doch dieser ambitionierte Plan verhinderte gleichzeitig die zügige Realisierung des Wettbewerbs für den Plac Teatralny und den Plac Dzierżyńskiego, wie aus den schriftlichen Stellungnahmen Sigalins sowie des für die Organisation zuständigen SARP-Sekretärs Bohdan Damięcki hervorgeht. Seit August 1953 dauerten die Vorbereitungen des Wettbewerbs für den

495 Tyrmand, Zły, S. 122. 496 Zitat aus der Rede des Ministers für Staatskontrolle Franciszek Joźwiak, vgl. PKF 53/ 11–12: Wiec na Placu Zwycięstwa w Warszawie, 1953. Diese Versammlung fand entgegen des Titels nicht auf dem Plac Zwycięstwa, sondern ebenfalls vor dem Haus der Partei statt. 497 PKF 53/11–12: Marsz mieszkańców ulicami Warszawy w hołdzie J. Stalinowi, 1953. 498 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 484. 499 Vgl. Janczewski/Rossman, Studia, S. 344.

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Plac Teatralny an.500 Im Februar 1954 wurde beschlossen, den Wettbewerb tatsächlich auszuschreiben und ihn außerdem um den Plac Dzierżyńskiego zu erweitern.501 Damięcki betonte zusätzlich, dass die geheimen Pläne die Lage verkomplizierten, während Sigalin angab, die Diskussion über den Umbau des Zentrums habe die Situation hinausgezögert. Wären diese beiden städtebaulichen Hauptprojekte allerdings nicht berücksichtigt worden, wäre der Wettbewerb weniger relevant gewesen.502 Dass sich die beiden Verantwortlichen im Januar 1955 rechtfertigen mussten, weist auf mehrere Probleme hin. Erstens gab es anscheinend ein Bewusstsein für die unbefriedigende Situation an den beiden Plätzen – immerhin hatten die Vorbereitungen für den Wettbewerb bereits im Sommer 1953 begonnen. Zweitens offenbart die Verzögerung rückblickend eine Ironie der Geschichte: Denn der Wettbewerb für den Plac Teatralny und den benachbarten Plac Dzierżyńskiego war überhaupt erst nötig geworden durch die ideologisch motivierte Intervention des in der Sowjetunion ausgebildeten Architekten Goldzamts. Er hatte mit seiner Initiative bei Bierut im April 1952 die Erweiterung des Zentrums auch um den Plac Teatralny und den Plac Dzierżyńskiego gefordert und durchgesetzt, was einen Neuanfang der gesamten Planungen implizierte – nach sehr viel strenger ausgelegten sozrealistischen Gesichtspunkten. Besonders am Plac Dzierżyńskiego waren die Planungen des Architekten Zygmunt Stępiński zu diesem Zeitpunkt bereits sehr weit gediehen, doch Goldzamt diagnostizierte einen Verstoß gegen die stadtplanerischen Ideen Corazzis, die er umgesetzt sehen wollte.503 Auf diese Weise fiel die Ausschreibung des Wettbewerbs im Januar 1955 schließlich in eine Zeit des Umbruchs. Zwei Reden hatten die bereits seit einiger Zeit unter der Oberfläche brodelnde „Große Wende im Bauwesen“ offiziell gutgeheißen. Die Rede von Chruschtschow mit dem eben bereits zitierten Titel ist nach dem Historiker Thomas Bohn nicht so sehr als Ursache für die Abkehr vom Monumentalismus in der Stadtplanung und vom Ornament als Stilmittel in der Architektur zu verstehen. Diese Rede auf dem Moskauer Kongress der Bauleute im Dezember 1954 war vielmehr der Ausdruck eines Prozesses, der in der Sowjetunion 500 ASARP, A 2/4238, Sigalin, Notatka w sprawie konkursu na rejon Placu Teatralnego, 26.01.1955. 501 Komunikat SARP, Nr. 2/3, Luty/Marzec 1954, S. 6; ASARP, A 2/4238, J. Sigalin, Notatka w sprawie konkursu na rejon Placu Teatralnego, 26.01.1955. Allerdings dauerten nicht nur diese Wettbewerbsvorbereitungen lange. Auch um den Plac Trzech Krzyży gab es jahrelange Unklarheiten, für die der SARP ebenfalls kritisiert wurde. Vgl. ASARP, A 2/4238, Dalszy ciąg wyjaśnień inż. Damięckiego, o.D. [Januar 1955]. 502 ASARP, A 2/4238, Dalszy ciąg wyjaśnień inż Damięckiego, o.D. [Januar 1955], J. Sigalin, Notatka w sprawie konkursu na rejon Placu Teatralnego, 26.01.1955. 503 Fuchs, Miejsce, S. 72–76 und S. 97–100.

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de facto die gesamten fünfziger Jahre andauerte.504 Er resultierte schließlich darin, dass der Wohnungsbau in den Mikrorayons die Gesamtensembles im Stadtzentrum ablöste.505 Das ist vor allem damit in Verbindung zu bringen, so der Architekturhistoriker Philip Meuser, dass der neue Generalsekretär Chruschtschow den flächendeckenden Wohnungsbau – im Kontrast zu den von Stalin favorisierten neoklassizistischen großstädtischen Wohnpalästen – als seine Domäne entdeckte.506 So ist Chruschtschows Rede vielmehr als ein entscheidendes Signal nach innen und außen zu verstehen, das den Diskussionen, die bereits innerhalb der sowjetischen Architektenschaft unter der Oberfläche brodelten, einen offiziellen Ausdruck gab. Daran anknüpfend hielt auch Bierut im Januar 1955 eine Rede auf dem Plenum des Zentralkomitees der PZPR, die teilweise das Bauwesen thematisierte. Er griff darin zentrale Schlagworte der Rede Chruschtschows auf, wie den angestrebten typisierten, verbilligten Wohnungsbau mithilfe industrieller Fertigteile.507 Das Wort „Sozialistischer Realismus“ fiel nicht, doch Architektur sollte fortan nicht mehr als „ideologische Waffe“ eingesetzt werden.508 Auch diese Rede von Bierut muss als die offizielle Legitimierung der Diskussionen angesehen werden, die bereits seit circa einem halben Jahr unter polnischen ArchitektInnen geführt wurden. In dieser Umbruchphase hatten also die ArchitektInnen zwischen Februar und Mai 1955 drei Monate Zeit, um ihre Entwürfe für den Plac Dzierżyńskiego und Plac Teatralny auszuarbeiten und einzureichen – zu wenig Zeit, wie sie später häufig kritisierten. Die Jury vergab keinen ersten Platz, dafür zwei zweite Plätze: an Józef Chmiel und Tadeusz Różański (Entwurf Nr. 7) sowie an Jerzy Czyż und Andrzej Skopiński (Entwurf Nr. 13). Auf den dritten Rang gelangten Jan Furman, Stanisław Jankowski und Lech Robaczyński (Entwurf Nr. 27).509 Auf beiden Plätzen sollten, gemäß der Juryentscheidung, städtebauliche Traditionen, das heißt die Corazzi-Architektur, mit neuen Formen kombiniert werden. Der mit den Kriegszerstörungen begonnene und durch die Abrisse im Sozialistischen Realismus verstetigte Bruch mit der Vorkriegszeit sollte also beibehalten werden. 504 Vgl. die detaillierte Analyse der Rede in Philipp Meuser: Die Ästhetik der Platte. Wohnungsbau in der Sowjetunion zwischen Stalin und Glasnost. Berlin 2015, S. 206–213. 505 Vgl. Bohn, Minsk – Musterstadt, S. 105. 506 Meuser, Die Ästhetik, S. 202 f. 507 Vgl. die reich bebilderte Dokumentation der Genese des Bauens mit industriell vorgefertigten Teilen generell und im Besonderen in der Sowjetunion ebd., S. 138–228. 508 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 493. 509 Vgl. die ausführliche Dokumentation in: o.V.: Konkurs na urbanistyczne rozwiązanie placu Teatralnego i placu Dzierżyńskiego, in: Architektura (1955), 10, S. 296–307. Vgl. die Diskussion in Wincenty Adamski: Cenne osiągnięcia konkursu. Uwagi dyskusyjne o konkursie na plac Teatralny i Dzierżyńskiego, in: Architektura 12 (1955), S. 359 f.

3.3 Alt und neu konfrontiert am Plac Teatralny

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Abb. 3.15: Erstplatzierte Entwürfe des Architekturwettbewerbs von 1955 für den Plac Teatralny und den Plac Dzierżyńskiego (im Uhrzeigersinn von links oben: Nr. 7, Nr. 27, Nr. 11, Nr. 13).

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Das galt zum einen in Bezug auf die Architektur. So sollte die Sichtbeziehung zwischen dem Prestigeprojekt des Wiederaufbaus, dem Teatr Wielki, und der modernisierenden Errungenschaft, der Trasa W-Z, beibehalten, ja geradezu betont werden – schließlich war letztere explizit als „Straße der Ausblicke“ („trasa widokowa“) gebaut worden. Zum anderen galt dieser Bruch in Bezug auf die Funktion: Gemäß der Wettbewerbsbedingungen war ein Teil der Nordseite des Plac Teatralny für Wohnbebauung vorgesehen, der ja vor dem Krieg ein geschäftiges Zentrum städtischen Lebens gewesen war. Wie sehr dieser Wettbewerb in eine Umbruchphase fiel, in der Sozialistische Realismus bereits seine Bindekraft verloren hatte, aber noch keine anderen Definitionen und Programme banden, wurde nicht nur deutlich an einigen der Entwürfe, die kurz zuvor noch undenkbar gewesen wären. So hob die Jury beispielsweise am Plac Dzierżyńskiego die Idee eines Hochhauses hervor – ein typisches Signum moderner Architektur. Dieser Wandlungsprozess wurde auch deutlich bei einer Diskussionsrunde von ArchitektInnen und StadtplanerInnen, darunter einige KonkurrentInnen aus dem Wettbewerb, die die „Stolica“ im September 1955 organisierte.510 So beklagte beispielsweise der Herold des Sozialistischen Realismus, Edmund Goldzamt, die Konzepte, „die mit übermäßig offenen und ungeordneten Raumkonzepten arbeiten, wobei die Traditionen Corazzis gänzlich verloren gehen“.511 Die meisten der ausgezeichneten Architekten gehörten einer neuen Generation an, die die Programmatik des Sozialistischen Realismus offen ablehnten. Lech Robaczyński grenzte sich von dem von Goldzamt propagierten Einfluss der als wertvoll erachteten historischen Architektur ab, da sich Corrazis Pathos nicht auf die heutige Zeit übertragen lasse. Jerzy Czyż rief dazu auf, sich vom Monumentalismus abzuwenden und dem gesunden Menschenverstand bei stadtplanerischen Entscheidungen eine wichtigere Rolle einzuräumen. Diese Äußerung weist auf einen weiteren bedeutenden Diskussionsstrang hin – Gespräche über die Wahrnehmung und die Empfindungen der Menschen am Plac Teatralny. Zwar fand sich auf keinem der Wettbewerbsentwürfe die kleine Kirche oder das Rathaus, die schließlich erst kurz zuvor abgerissen worden waren. Aber dennoch verliehen zahlreiche ArchitektInnen in der Diskussion ihrem

510 Dabei waren Tadeusz Różański sowie Jerzy Czyż und Andrzej Skopiński (beide mit einer gleichrangigen Zweitplatzierung), Jan Furman, Stanisław Jankowski und Lech Robaczyński, die den dritten Platz erlangt hatten, sowie Hanna Adamczewska und Kazimierz Weychert mit einer Belobigung. 511 J. G.: Z architektami przy kawie. O placu Teatralnym i placu Dzierżyńskiego. Rozmowa „Przeglądu Kulturalnego“ i „Stolicy“ z architektami, in: Stolica (1955), 39, S. 6 f., hier S. 7.

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Verlustgefühl Ausdruck. Und dass dies wohl auch anderen WarschauerInnen so ging, darauf verweist die Frage des „Stolica“-Redakteurs Sadzewicz: Als einer der wenigen Nicht-Architekten in diesem Kreis möchte ich eine Frage stellen, die ich häufig von Warschauern höre – ebenfalls Nicht-Architekten: Ist es richtig, ein historisches, für Warschau so typisches Ensemble wie den Plac Teatralny auszulöschen? Ein Ensemble, das seine eigene Ikonografie hat, und so mit den Emotionen der Warschauer verbunden ist?512

Zusammenfassend antwortete Kazimierz Weychert lakonisch: „Mit diesen Sehnsüchten ist es so: Ich bin auch in Warschau aufgewachsen und sähe den Plac Teatralny gerne in der alten Atmosphäre, aber angepasst an die neuen Bedingungen.“ Genau darin, dem Anpassen an die neuen Gegebenheiten, lag der Kern des Problems. Malisz befand etwa, dass der Bau der Trasa W-Z eben eine neue Situation geschaffen habe, die eine Rückkehr zu der Vorkriegssituation unmöglich mache. Er betonte aber dennoch, dass die alte Funktion, also die Rolle, die der Platz im städtischen Gefüge gespielt hat, beibehalten werden müsse: „Die Warschauer wollen, dass der Plac Teatralny ein städtischer Platz ist, nicht nur eine Gartenanlage um das Theater herum. Es geht darum, dass dieser Platz lebt.“ Das Jurymitglied Brukalski kritisierte in diesem Zusammenhang darüber hinaus die Abrisse des Rathauses und der Kirche, und bezog sich dabei auch auf die Bedürfnisse der Bevölkerung: Zu diesen Bedürfnissen muss man auch Verlustgefühle zählen. Man kann ihnen auf so geeignete Art und Weise begegnen, wie das der Kollege Jankowski vorschlägt, indem man den Charakter des Plac Teatralny erhält, damit er ein städtischer Platz ist, der mit dem städtischen Leben verbunden ist, so wie es früher der Fall war. Das ist in großem Maße eine Frage des Programms. Und hier ist es zu einem Missverständnis gekommen. Wohnbauten an den Plac Teatralny zu pressen, ist unzweifelhaft ein Missverständnis. Und es gibt noch eine Sache: Warschau ist sehr verbunden mit seinen Baudenkmälern. War es richtig, auf das Jabłonowski-Palais zu verzichten? Dort hätte man doch schließlich wunderbar ein Hotel unterbringen können, das ein wenig die Atmosphäre der alten Hotels besitzt.

Und bezüglich der Kirche fügte er hinzu: „Während des Wettbewerbs [von 1953/55] sind Fakten geschaffen worden, wie der Abriss der Kanonikerinnen-Kirche, mit denen man hätte warten müssen bis zum Moment der Ausschreibung des Wettbewerbs. Diese Kirche war ein sehr schönes Gegenstück zum Blank-Palais.“ Die Schwierigkeit für die ArchitektInnen, die die historische Bedeutung der Nordseite des Plac Teatralny beim Entwerfen hervorrief, unterstrich auch Kazimierz Saski an anderer Stelle, in seiner Notiz für die Bewertung der Wettbewerbsentwürfe: 512 Alle Zitate dieses Absatzes stammen aus: ebd.

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Auf dem Wettbewerbsterrain spürt man einen Hauch der Vergangenheit. Dieser Umstand kreiert für die Planer eine zusätzliche Schwierigkeit, die bei Entwürfen für jungfräuliches Gebiet nicht besteht. Diese Schwierigkeiten im Schaffensprozess zu bewältigen, bedeutet häufig, seine uneingeschränkte Fantasie zu bändigen, aufgrund der Achtung für unsere historischen Schätze, die wir lieben und die wir umsorgen müssen, damit sie sich in der neuen architektonischen Atmosphäre, die wir im Heute schaffen wollen, wohlfühlen.513

Zu diesem Zeitpunkt scheint die historische Platzgestaltung also noch sehr präsent gewesen zu sein – zumindest innerhalb der Architektenschaft, die zum großen Teil aus alten WarschauerInnen bestand. Zudem waren die meisten Ruinen gerade erst abgeräumt. Doch interessant ist besonders, wie sie nun betonen, dass sie trotz der neuen Verhältnisse und teilweise bereits geschaffenen Fakten die Funktion und Atmosphäre des Plac Teatralny wiederherstellen wollten. Das markierte eine gänzlich andere Herangehensweise als in den Jahren zuvor, in denen es die Hauptfunktion der Nordseite des Platzes sein sollte, die Sichtbeziehung zwischen dem Teatr Wielki und dem geplanten Rathaus beziehungsweise später der Trasa W-Z sicherzustellen. Wie sehr sich die Rahmenbedingungen des „Heute“ mittlerweile geändert hatten, verdeutlicht auch das zusammenfassende Zitat Sigalins. Er fand für diesen Prozess ein vielsagendes Bild – auch wenn dabei zu bedenken ist, dass er damit eventuell sein Verhalten als Chefarchitekt während des später stark kritisierten Sozialistischen Realismus rechtfertigen wollte: Befehle sind keine gute Sache. Mir schien, dass ich ‚Marsch nach vorne‘ befahl, und dass die Reihen der Architekten anstandslos, ‚schöpferisch und freudig‘ diesem Kommando folgten. Heute sehe ich, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Ich habe endlich die Kritik verstanden: ‚Hör dir deinen Befehl an und schau auf die Reihen.‘ Ich habe mir das Kommando angehört. Das war kein ‚Marsch nach vorn‘, sondern ein ‚Marsch zurück‘, und ich sah, dass da keine Reihen waren, ich lief beinahe alleine. Die Architekten sind innerhalb dieser paar Jahre in andere Straßen gegangen, haben sich auf einfache oder schwere Weise durch die Stadt geschlagen, bis in die Vorstädte. Weil es in dieser imaginierten Stadt stickig war und das Atmen schwerfiel.514

Die verschiedenen Marschrichtungen in der Architektenschaft sind in den Diskussionen mehr als deutlich geworden. Das äußerte sich vor allem darin, dass

513 Zespół d/s Archiwaliów w Narodowym Instytucie Dziedzictwa, Teki Saskiego, Sign. 7/1, Kryteria przy ocenie prac konkursowych, 01.08.1955, S. 3. 514 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 499. Vgl. eine detaillierte Auseinandersetzung mit einer der wichtigsten Figuren des Warschauer Aufbaus Skalimowski, Sigalin. Er bezeichnet den ersten Warschauer Chefarchitekten in der Einleitung als „bewährten Genossen“, aber auch als einen „bewährten Fachmann“. Vgl. ebd., S. 14.

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sich ihr Augenmerk nunmehr auch auf die Funktionen der Gebäude, nicht so sehr auf ihre Form richtete. Denn sowohl durch die Kriegszerstörungen, als auch durch Nachkriegsabrisse und die Neustrukturierung der Stadt im Sozialistischen Realismus waren Plätze entstanden, deren Gestalt sowie Bedeutung im städtischen Gefüge mit der Vorkriegssituation brach. Am vor dem Krieg beschaulichen Plac Bankowy, wie der Plac Dzierżyńskiego vor dem Krieg hieß, herrschte nun Angst vorm Überfahrenwerden, wie die Architektin Helena Syrkusowa angab.515 Und am Plac Teatralny stieg zumindest in den fünfziger Jahren kaum jemand aus dem Bus aus: Nach dem Abriss der Kirche kamen auch keine Gläubigen mehr zum Gottesdienst. Einzig BauarbeiterInnen bevölkerten seit Mitte der fünfziger Jahre tagsüber den Platz – oder wohl eher die Baustelle für das Teatr Wielki. Der Wettbewerb fiel also in eine Zeit, in der sich eine neue Architektengeneration zum Abmarsch formierte, um bei Sigalins Bild zu bleiben. Es wird im nächsten Kapitel zu klären sein, ob diese neue Richtung eine Antwort auf das Problem des inhaltlichen Programms, das heißt der Verwendung der zu entwerfenden Gebäude und damit der Plätze fand. Und im folgenden Exkurs rückt ein Ereignis aus dem August 1955 in den Mittelpunkt, das aufgrund seiner prägenden Bedeutung für die Stadt und die BewohnerInnen hier als Inbegriff der anstehenden Veränderungen diskutiert wird. Denn es verdeutlicht, dass sich nicht nur unter ExpertInnen Richtungswechsel vollzogen, sondern auch unter „normalen“ WarschauerInnen. Und wenn sich nicht deren Marschrichtung veränderte, so doch zumindest die Blickrichtung. Exkurs: Das Weltfestival der Jugend und Studenten als Katalysator Märchenhaft sei die Atmosphäre im Sommer 1955 in Warschau gewesen, so die Schriftstellerin Maria Dąbrowska. Sonnen und Monde, Löwen, Affen, ja gar Drachen schmückten in diesen Augusttagen die Warschauer Straßen im Rahmen des fünften Weltfestivals der Jugend und Studenten (V Światowy Festiwał Młodzieży i Studentów). Doch nicht nur wegen dieser Dekorationen, die Werke bekannter polnischer KünstlerInnen waren, bot die Stadt in diesen Tagen einen besonderen Anblick. Fast 27 000 jugendliche TeilnehmerInnen aus 114 Staaten belebten zwischen dem 31. Juli und dem 15. August 1955 die Warschauer Straßen. Zusammen mit den 140 000 polnischen TeilnehmerInnen des gleichzeitig stattfindenden Treffens der Polnischen Jugend (Zlot Polskiej Młodzieży) bewegten sich die größten Menschenmengen seit Kriegsende durch die Stadt.516 Der Stadt- und Staatsführung bot das

515 AAN, NROW (392), Sign. 166, Stenogram z dyskusji zorganizowanej przez SARP dot. generalnego Planu Śródmieścia Warszawy, Mai 1955, S. 209. 516 Die faktischen Informationen stammen, wenn nicht anders angegeben, aus Andrzej Krzywicki: Poststalinowski karnawał radości. V Światowy Festiwal Młodzieży i Studentów

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Festival die Gelegenheit, die ersten wichtigen Bauprojekte zu einer Bühne für die Weltöffentlichkeit werden zu lassen. Außer für Frieden und den Kampf mit dem Imperialismus sollte auch für den Sozialismus geworben werden. Warschau war bereits in Teilen aufgebaut, erste Erfolge des sozialistischen Städtebaus ließen sich also präsentieren. Wichtigste Orte für die Festivalveranstaltungen waren der gerade erst am 22. Juli 1955 eingeweihte Kulturpalast und das ebenfalls gerade rechtzeitig fertiggestellte Stadion auf der anderen Weichselseite.517 Gleichzeitig vermittelten die im Zentrum verbliebenen Ruinen und Trümmerberge eine deutliche Botschaft gegen den Krieg.518

Abb. 3.16: Jugendliche auf dem Plac Zwycięstwa beim Festival der Jugend und Studenten, 1955. Im Hintergrund das ausgebrannte Teatr Wielki. Ganz links im Hintergrund das Grab des Unbekannten Soldaten.

Doch aus Staatssicht hatte das Festival nicht nur positive Implikationen. Die Organisation eines solchen Ereignisses war eine riesige Herausforderung. Auch, weil

o Pokój i Przyjaźń, Warszawa 1955 r.: przygotowania, przebieg, znaczenie. Warszawa 2009, hier S. 63 ff. 517 Der offizielle Name des Stadions lautete Stadion Dziesięciolecia Manifestu Lipcowego, benannt nach dem zehnten Jahrestag des 1944 ausgerufenen Juli-Manifests des PKWN. Im Jahr 1954 hatten die Bauarbeiten begonnen. Im Folgenden wird es als Stadion des Jahrzehnts bezeichnet. 518 Krzywicki, Poststalinowski karnawał, S. 56 f.

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das offizielle Programm und nicht der Zufall über die Begegnungen, Bekanntschaften und Erlebnisse der verschiedenen Gruppen bestimmen sollte. Das war ein Anspruch, der angesichts der Menschenmassen und der Neugier der polnischen Jugendlichen auf die ausländischen BesucherInnen und deren faszinierend unabhängiges Verhalten vielerorts an der Realität vorbeiging. So kam es, dass rituelle Sprüche und Abläufe dem Festival durchaus den Charakter eines straff durchorganisierten, ja stalinistischen Massenfestes gaben. Aber die in keinem Programm enthaltenen spontanen Zusammenkünfte der Jugendlichen in Parks waren wohl auch deshalb so populär, weil „man sich überhaupt nicht kontrolliert fühlte“.519 Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wurden zudem Warschauer Stadtpläne gedruckt. Zähneknirschend hatte das Militär seine diesbezügliche Geheimhaltungsklausel aufheben müssen – wegen der vielen Gäste.520 Man kann diese Anekdote lediglich als kleine Fußnote betrachten; oder als Sinnbild für die bereits geschehenen und die bevorstehenden Veränderungen in Warschau. Denn einerseits waren auf diesen Stadtplänen erstmals schwarz auf weiß die vielen Neubauten und die teilweise für sie neugezogenen Straßen verzeichnet. Das galt insbesondere für die wichtigsten Bauten des Sozialistischen Realismus, mit denen häufig Eingriffe in die gewachsene Stadtstruktur einhergingen, sei es im Falle des MDM oder beim Kulturpalast. Andererseits nutzen die Menschen, Gäste wie Einheimische, die Stadt anders als vorher: selbstbestimmter. Schöner kann das nicht deutlich werden als an den vielerorts spontan in der Öffentlichkeit tanzenden Gruppen. Auch darüber hinaus wandelte sich die visuelle Sphäre Warschaus signifikant. Während des Festivals sei, so Krzywicki, sogar das sozrealistische Monopol in der Kunst durchbrochen worden. Das war einerseits augenfällig wie bei den vielen Friedenstauben aus Papier, die am Eingang des Sächsischen Gartens zu schweben schienen.521 Andererseits können die Stadtpläne als Ausdruck des bröckelnden Meinungs- und Entscheidungsmonopols der seit 1949 herrschenden Ideologie des Sozialistischen Realismus in der Kunst und der stalinistischen Herrschaftspraktiken allgemein dienen. Um das von Sigalin gebrauchte Bild der marschierenden Massen auch hier zu gebrauchen: Die Jugendlichen marschierten zwar in vielen Paraden mit. Aber sie sahen und nutzten auch die Freiräume, die das Festival ihnen bot. Dass die Partei schwerlich wieder

519 Vgl. ebd., S. 44 f. und S. 73. Das wörtliche Zitat stammt von S. 290. 520 Borodziej, Geschichte Polens, S. 295. Solche Informationen wurden auch in anderen sozialistischen Staaten geheimgehalten. In Bukarest gab es wie in Warschau seit 1948 keine aktuellen Stadtpläne und Adressverzeichnisse mehr zu kaufen. Vgl. Brzostek, Paryże Innej Europy, S. 273. 521 Krzywicki, Poststalinowski karnawał, S. 44 und S. 66 f.

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dahinter zurückkonnte, prognostizierte eine anonyme Stimme in einem Leserbrief an die Parteizeitung „Trybuna Ludu“. Die WarschauerInnen würden nicht zum „Davor“ zurückkehren. Deshalb seien die unbebauten Plätze wie folgt zu nutzen: „Die in der vergangenen Saison Sonntag nachmittags organisierten langweiligen ‚Tanztees‘ werden niemandem mehr gefallen. [. . .] Die Zeit ist gekommen, jeden Samstag mindestens zwei Abendveranstaltungen auf den großen, noch unbebauten Plätzen zu organisieren.“522 Ausreichend Platz für solche ausschweifenden Tanzveranstaltungen wäre auch auf dem Plac Teatralny gewesen, selbst nach der Umsetzung der ausgezeichneten Wettbewerbsentwürfe – zu der es jedoch nie kam.

3.4 Zusammenfassung: Konzeptuelle Leerräume Während bei der Beisetzung von Stalins Leichnam in Moskau am 9. März 1953 ein solch dichtes Gedränge herrschte, dass darin etliche Menschen ums Leben kamen, so ging es bei der größten Gedenkveranstaltung in Warschau vor dem neu eröffneten Haus der Partei deutlich geordneter und stiller zu. Nach Einbruch der Dunkelheit legten sich auf die Stalinbüste, die anwesenden TeilnehmerInnen sowie die niedergelegten Blumen und Kränze sogar dicke Schneeflocken.523 In Warschau gab es weder vor noch nach seinem Tod ein Stalin-Denkmal, wie etwa in Budapest oder Prag. Und doch hatte Stalin Warschau ein ganz besonderes Andenken hinterlassen: den Kulturpalast, mit dessen Bau einige Monate vor seinem Tod begonnen worden war. Sowjetische ArchitektInnen und BauarbeiterInnen errichteten diesen gigantischen Palast der Kultur und Wissenschaft umgeben von einem riesigen Platz als zentrales Kennzeichen stalinistischen Städtebaus und als neue Stadtmitte. Darüber hinaus war es das erklärte Ziel, weitere Plätze zu schaffen, die zu offiziellen Anlässen, verbunden durch Magistralen, als Paradeplätze dienen und – der Propaganda nach – jubelnde Menschenmassen aufnehmen sollten. Diese Vision ist heute nachvollziehbar in dem allumfassenden, gigantischen Sechsjahrplan für Warschau, den Bierut mit Beginn des Stalinismus verkündete. Mehrere Wohnviertel wurden im vorherrschenden Stil des Sozialistischen Realismus errichtet, wofür das 1952 eröffnete MDM und das auf den Trümmern des Ghettos errichtete Muranów als besondere Beispiele gelten können. Darüber hinaus entstand bis 1952 das Haus der Partei, bis 1955 das Stadion und 1954 die Huta Warszawa als Speerspitze der Industrialisierung der Hauptstadt. Entgegen

522 Ebd., S. 295. 523 PKF 53/11–12: Marsz mieszkańców ulicami Warszawy w hołdzie J. Stalinowi, 1953.

3.4 Zusammenfassung: Konzeptuelle Leerräume

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der verbreiteten Meinung war diese Epoche zudem gekennzeichnet von zahlreichen großen Wiederaufbauprojekten, allen voran der Altstadt und der Neustadt, sowie dem sogenannten Königstrakt und dem Königspark Łazienki. Auch aus praktischen, finanziellen Gründen war die Nutzung der Vorkriegsinfrastruktur angeraten – einigen radikalen städtebaulichen Brüchen wie dem Kulturpalast, dem Plac Konstytucji und dem Wohnviertel Muranów zum Trotz.524 Majewski und Markiewicz postulieren gar, dass „paradoxerweise [erst] das ‚Tauwetter‘ 1956 die Rekonstruktion der Warschauer Baudenkmäler beendete. Dieses Ende wird häufig mit dem Sozialistischen Realismus in Verbindung gebracht, was zwar nicht richtig ist, aber die negative Haltung ihm gegenüber begründete.“525 Doch man kommt nicht umhin zu betonen, dass, wie von Goldzamt angekündigt, die „Spreu vom Weizen“ getrennt wurde. So entstand ein Abbild der historischen Stadt, das sich an der Ideologie des Sozialistischen Realismus orientierte, wobei der „Besen“, mit dem der Boden für Wiederauf- und Neubauten bereitet wurde, sehr grob war. Nur die historischen Gebäude, deren Fundament ideologisch gestärkt werden konnte, und die dem umfassenden Gesamtplan nicht im Weg standen, hielten diesem „Großreinemachen“ stand. Das verdeutlicht der Plac Teatralny bestens: Während sich der Wiederaufbau des Teatr Wielki, mit dem noch während des Sozialistischen Realismus begonnen wurde, relativ eng am historischen Original orientierte und geradezu als Inbegriff der wertgeschätzten historischen Architektur gelten kann, wurden zeitgleich direkt gegenüber die Ruine des historischen Rathauses sowie die kleine Kanonikerinnen-Kirche abgerissen, um deren Wiederaufbau sich die Kongregation seit Kriegsende bemüht hatte. Deren Proteste mit Hinweis auf den Denkmalstatus sowie bereits investierte staatliche Gelder hatten keinen Erfolg. Daran zeigt sich, dass der Zerstörungsgrad eines Gebäudes je nach Perspektive und Ziel sehr unterschiedlich ausgelegt werden kann. Der Rathausneubau sowie eine Metrostation – die beiden alternativen Projekte für diese Seite des Plac Teatralny, die mutmaßlich hinter den Abrissen standen – wurden schließlich nie realisiert. Der Aufbau Warschaus ging also, der Propaganda gemäß, mit großen Schritten voran, zumindest bei den genannten Prestigeprojekten. Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es einen „gap between planners’ visions and final outcomes“526 gab – auch an den beiden behandelten Plätzen. Zunächst ist zu bedenken, dass Bauprojekte einen langen Atem erfordern, diese Epoche aber sehr kurz war. Ihr Ende folgte zwar nicht direkt auf Stalins Tod, aber spätestens ab 1954 524 Vgl. beispielsweise Bieruts Forderung, die erhaltene unterirdische Infrastruktur besser zu nutzen und Abrisse, wenn möglich, zu vermeiden: Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 159 f. 525 Majewski/Markiewicz, Budujemy nowy, S. 156. 526 Lebow, Unfinished Utopia, S. 40.

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kam auf verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ebenen Bewegung in bis dahin von starrer Ideologie beherrschte Praktiken und Diskurse. So auch im Städtebau. Dazu kamen finanzielle Probleme, weil der wirtschaftliche Sechsjahrplan nicht planmäßig griff und angepasst werden musste. Insbesondere die vernachlässigte Konsumgüterwirtschaft wirkte sich verheerend auf den Alltag der Menschen aus, sodass beispielsweise an dieser Stelle 1954 nachgebessert werden musste.527 Auch im Städtebau zeitigte diese Entwicklung Folgen. Das hat Katherine Lebow in Nowa Huta, dem Inbegriff stalinistischer Industrialisierung und Urbanisierung von Staat und Gesellschaft, beobachtet. Schon Anfang der fünfziger Jahre wurden dort ein Theater und das Rathausgebäude vom Plan gestrichen.528 Auch das mehr oder weniger stillschweigende Ende des Modernisierungsprojekts schlechthin, der Warschauer Metro, lag wohl an zu hohen Ambitionen im Angesicht der schlechten finanziellen Lage. Das führte zu argen Verzögerungen, wie der Wettbewerb für den Plac Dzierżyńskiego und Plac Teatralny zeigt, der schon 1952/53 initiiert, aber erst 1955 ausgeschrieben wurde. Da sich zu diesem Zeitpunkt die Stoßrichtung städtebaulicher Debatten sehr verschoben hatte, hinkten die Ergebnisse dieses Wettbewerbs schließlich ihrer Zeit hinterher. Insbesondere im Angesicht der wachsenden wirtschaftlichen Probleme wurde deutlich, dass dem Städtebau der Zeit eine Ideologie zugrunde lag, die in Moskau im Jahre 1935 ersonnen wurde und nun, zwanzig Jahre später, auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten einer Planwirtschaft nach einem verheerenden Weltkrieg traf.529 Doch die angespannte wirtschaftliche Lage für die Streichungen und Verzögerungen verantwortlich zu machen, führt nicht weit genug. Vielmehr spielte ein weiterer Aspekt eine erhebliche Rolle: Die für den Warschauer Fall analysierten Diskussionen zeigen, dass aus Sicht der ArchitektInnen das eigentliche Problem die „konzeptuellen Leerräume“530 in den Plänen der PolitikerInnen selbst waren. Dieser Gesichtspunkt ist vielleicht deswegen so leicht zu übersehen, weil über die städtebaulichen Pläne – gemeint sind hier Visionen einerseits und konkrete Planungen andererseits – während der Periode des Sozialistischen Realismus so lautstark geredet und publiziert wurde. Auf gewisse Weise wirkt die damalige Propaganda von der wichtigen Rolle des Aufbaus der Hauptstadt beim Aufbau des Sozialismus also weiterhin. Dazu trug auch die starke Theoretisierung und Ideologisierung von Städtebau bei. Doch die vielen Publikationen,

527 Vgl. Zbigniew Landau/Jerzy Tomaszewski: The Polish Economy in the twentieth century. London 1985, S. 223. 528 Lebow, Unfinished Utopia, S. 40. 529 Vgl. Bohn, Minsk – Musterstadt, S. 137. Bohns Beobachtung betrifft Minsk. Der Grundgedanke lässt sich allerdings auch auf Polen und Warschau beziehen. 530 Oswalt, Berlin, S. 59.

3.4 Zusammenfassung: Konzeptuelle Leerräume

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Skizzen und Entwurfspläne verschleiern, dass hinter diesen skizzierten Mauern kaum Konzepte für deren Inhalt, also deren Nutzung standen. Auch die obligatorische Formel der Zeit „national in der Form – sozialistisch im Inhalt“ hinterließ eigentlich mehr Fragen als Antworten. Die analysierten Diskussionen unter den ArchitektInnen zeigen, dass dabei weniger das Problem war, was als nationale Form gelten konnte, sondern eher, was als sozialistischer Inhalt. Philipp Oswalt definierte „konzeptuelle Leerräume“ als physische Manifestierung des „ungelösten Konflikts zwischen den im Lauf der Geschichte wechselnden Ideologien“. Der Städtebau des Sozialistischen Realismus basierte auf dem radikalen Bruch mit dem vorherigen Status Quo. Kein anderes Gebäude markiert den städtebaulichen Neuanfang so deutlich wie der zwischen 1952 und 1955 gebaute Kulturpalast. Den daraus erwachsenden Konflikt brachte der Architekt Pniewski 1952 auf den Punkt: Die Entscheidungsträger seien unfähig, Warschaus „Körper“ als Gesamtheit zu „gebären“. Anders gesagt: Zwar war der Kulturpalast „geboren“. Doch alles Weitere war unklar und ungeklärt. So urteilte auch der Architekt Bronisław Malisz in einer Diskussion 1955: Ich erinnere daran, dass das Fiasko des Wettbewerbs für das Zentrum daraus resultierte, dass es keine Instanz gab, die wusste, was dort entstehen sollte. Das wollte man von den Architekten erfahren – den Wettbewerbsteilnehmern. Aber das ist doch nicht ihre Sache! Nicht die Wettbewerbe selbst, sondern die Unentschiedenheit der Politik zieht diese in die Länge und verhindert ihre sinnvolle Umsetzung.531

Sein Kollege Chamiec erhob einen ähnlichen Vorwurf gegenüber dem neu angelegten Plac Konstytucji mit dem MDM: „Wir wissen wir nicht, wozu dieser Platz dienen soll.“ Er fügte hinzu, dass auch bei den historischen Plätzen, dem Plac Teatralny und dem Plac Dzierżyńskiego, die neue funktionale und infrastrukturelle Bedeutung in den Wettbewerbsbedingungen nicht ausreichend definiert gewesen sei. Überraschenderweise lässt sich also konstatieren, dass die politischen EntscheidungsträgerInnen, trotz der überaus starken Politisierung und Ideologisierung von Architektur und Städtebau während des Stalinismus, den ArchitektInnen viel Freiraum ließen – aus deren Perspektive gar zu viel Freiraum. Gleichzeitig scheint das Interesse der Politik an einem funktionierenden Gesamtgefüge gering gewesen zu sein, entgegen des öffentlich verlautbarten allumfassenden Anspruchs. Das war auch insofern bemerkenswert, als vielerorts die neuen Monumentalbauten das traditionelle städtische Funktionsgefüge so veränderten, dass die Detailplanungen – die Sache der ArchitektInnen waren – erheblich erschwert

531 J. G., Z architektami.

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waren. Insofern hat der Sozialistische Realismus mehr Spuren hinterlassen, als die wenigen während seiner kurzen Wirkphase tatsächlich errichteten Bauten auf den ersten Blick offenbaren. Als glasklares Beispiel dafür kann der von der Architekturhistorikerin Marta Leśniakowska als „städtebaufeindlich“ („antymiastotwórcze“)532 bezeichnete Kulturpalast gelten. Er veränderte nicht nur die direkte Umgebung, sondern veränderte das gesamte innenstädtische Gefüge – sowohl visuell als auch funktional. Dieser Einfluss, wenn auch weit weniger offensichtlich, lässt sich auch am Plac Zwycięstwa und am Plac Teatralny zeigen, die immerhin circa einen Kilometer davon entfernt sind: Der Plac Zwycięstwa verlor seine traditionelle Stellung als zentraler repräsentativer Platz, was gleichzeitig die seit 1947 entwickelten Pläne von Pniewski und Gutt entwertete. Denn die zentrale Aufmarschroute sollte von nun an entlang der Ul. Marszałkowska führen, mit der zentralen Tribüne auf dem Platz am Kulturpalast. Darüber hinaus hatte der Kulturpalast in gewisser Weise Auswirkungen auf die Planungen am Plac Teatralny. Denn das Rathaus, traditioneller Mittelpunkt einer Stadt und noch 1950 von Bierut als entscheidender Neubau in der Region angekündigt, war damit endgültig vom Tisch. Mit anderen Worten: Im neuen städtischen Gefüge waren die historischen Plätze und ihre Funktionen obsolet. Auch andere Monumentalbauten, über die während des Sozialistischen Realismus entschieden wurde, hatten weiterreichende Auswirkungen, als sich das auf den ersten Blick erschließt. So war das Teatr Wielki auf den ersten Blick ein Garant für historische Kontinuität. Doch das in doppelter Größe am Plac Teatralny wiederaufgebaute Teatr Wielki prägte den Plac Zwycięstwa erheblich, da die Rückseite des Theaters nun an den Platz grenzte. Das geschah ohne ein städtebauliches Konzept für diese Neuerung – zum Frust zahlreicher ArchitektInnen, die diesem in einer Diskussion 1952 Ausdruck verliehen. So wird zudem erkennbar, was mit den „konzeptuellen Leerräumen“ hier auch gemeint ist: Mit den sozrealistischen Monumentalbauten, die mit der bisherigen Situation brachen und auf diese Weise vieles verkomplizierten, ging einher, dass bereits bestehende Planungen entwertet wurden. Das geschah nicht nur am Plac Zwycięstwa, sondern auch am benachbarten Plac Dzierżyńskiego mit den Plänen von Zygmunt Stępiński, obwohl diese erst während des Sozialistischen Realismus entstanden waren. Doch die von Goldzamt vorangetriebene ideologische Verschärfung Anfang 1952 hielt sogar deren begonnene Umsetzung an. Neue Entwürfe konnten zwar teilweise zeitnah erarbeitet werden – für den Plac Teatralny und den Plac Dzierżyńskiego in besagtem

532 Leśniakowska, Warszawa: miasto, in: Fundacja Bęc Zmiana (Hg.), Chwała Miasta, S. 101.

3.4 Zusammenfassung: Konzeptuelle Leerräume

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Wettbewerb. Doch diese waren im Moment ihrer Entstehung im Prinzip veraltet, weil sie schließlich in der Umbruchphase des Jahres 1955 diskutiert wurden. Insofern sind die teilweise gar bis heute weiterbestehenden Freiflächen an den historischen Plätzen auch eine indirekte Folge des Sozialistischen Realismus mit seiner prägenden Dogmatik der radikalen Abkehr von den bisherigen städtebaulichen Prinzipien und Funktionen. Abschließend kommt die Frage auf, ob besonders an den Stellen, wo gänzlich mit der vorherigen Stadtstruktur gebrochen wurde, ein neues Bebauungskonzept so schwer zu finden war. Das bezieht sich genauso auf die Frage nach Formen wie nach (neuen) Funktionen. Das würde die Zögerlichkeit der Verantwortlichen an den beiden Plätzen erklären, denn ohne ein tragfähiges Konzept ist es wahrscheinlicher, dass die Umsetzung in die Ferne rückt. Am Plac Dzierżyńskiego hat Goldzamt ironischerweise gar dem architektonischen Modernismus Vorschub geleistet: in Form eines Hochhauses, das dort schließlich seit den sechziger Jahren entstand. An den ungenau bis gar nicht definierten zukünftigen Funktionen der hier analysierten Plätze übten einige involvierte ArchitektInnen bereits früh öffentlich Kritik, so zum Beispiel in der Diskussion nach dem Wettbewerb für das Teatr Wielki am Plac Teatralny 1951/52: Die Maßgabe des Sozialistischen Realismus, nach denen die die Plätze umgebenden Gebäude mit „sozialistischem Inhalt“ gefüllt werden sollten, reiche nicht aus. Darüber hinaus übten 1955, als sich die Kräfteverhältnisse im Städtebau bereits erheblich gewandelt hatten, zahlreiche ArchitektInnen explizite Kritik daran, dass der Städtebau des Sozialistischen Realismus mit der historischen Gestaltung des Plac Teatralny gebrochen hatte, auf dem nicht nur das Rathaus, sondern auch die kleine Kirche abgerissen worden waren. In einer angeregten Diskussion im September 1955 verliehen zahlreiche ArchitektInnen nicht nur ihrem Verlustgefühl in Bezug auf die bauliche Gestaltung des Platzes Ausdruck, sondern insbesondere auf die mit dem Platz verbundenen Gewohnheiten. Ihr erklärtes Ziel war es nun, die Vorkriegsatmosphäre des Platzes wiederherzustellen, den Abrissen zum Trotz. Der Architekt Kazimierz Weychert brachte die neue Orientierung auf den Punkt: Ziel sei es, dass das Gefühl, über den Plac Teatralny zu laufen, ein ähnliches werde wie vor dem Krieg. Bei der Planung sei also von nun an der laufende Mensch der Maßstab, nicht die Vogelperspektive. Führt man sich die Skizzen des Sozialistischen Realismus vor Augen, bedeutete dies einen wahrhaften Umschwung. Denn zuvor hatte allein die große Perspektive gezählt. Dem sozrealistischen Verständnis nach sollten die Städte neue Städte für neue Menschen werden, weshalb die habituellen Traditionen der Vorkriegsstadtbevölkerung nicht nur zu vernachlässigen, sondern gar zu überwinden waren. Neue Menschen kamen auch buchstäblich in die Hauptstadt, denn von der zwischen 1949 und 1956 um 400 000 Menschen gewachsenen Hauptstadtbevölkerung waren ungefähr die Hälfte Zugezogene – was einen

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3 Radikale Pläne ohne Programm

solchen Neuanfang mit „sozialistischem Inhalt“ theoretisch erleichterte. Doch die Praxis war komplex, wie auch das folgende Kapitel zeigen wird. Nun soll, das sei abschließend gesagt, nicht der Eindruck entstehen, dass mit dem Ende des Sozialistischen Realismus, zugespitzt gesagt, endlich wieder die „echten“ WarschauerInnen zu Wort gekommen seien, die vorher komplett von sowjetischen Agenten unterdrückt worden waren. Tyrmand unternahm in seinem durchaus anerkennenden Kommentar zum Baufortschritt in Warschau die – sicherlich provokativ gemeinte – Unterteilung in „Kommunisten“ und „Polen und Warschauer“.533 Doch so eindeutig ließen sich diese Kategorien nicht trennen. Zwar war der Kulturpalast definitiv von der Sowjetunion initiiert und gebaut worden, und der ideologische Agitator der Zeit, Edmund Goldzamt, war in Moskau ausgebildet. Doch die meisten der in dieser Zeit aktiven ArchitektInnen waren „Polen und Warschauer“, die die mehr oder weniger klaren Vorgaben des Sozialistischen Realismus mehr oder weniger überzeugt umsetzten. Es ist feszuhalten, dass eben nicht der in Moskau geprägte Goldzamt das Amt des Chefarchitekten innehatte, sondern der Warschauer Sigalin. Doch da die Untersuchung, wie einflussreich diese Position eingentlich war, gerade erst begonnen hat, muss diese Feststellung eher als weiterführende Frage aufgefasst werden, genauso wie die Frage nach den Machtverhältnissen und Überzeugungen innerhalb der polnischen Architektenschaft.534 Diese Fragen sind noch spannender angesichts der in dieser Arbeit festgestellten erstaunlich offenen Diskussionskultur innerhalb der Architektenschaft. Auch wenn kaum überprüfbar ist, wie einflussreich diese Kritik war und hier wahrscheinlich nur ein Bruchteil davon diskutiert wird, so kann diese Arbeit als Versuch gelten, die durchaus dezentralen und wenig durchregierten Praktiken während des Sozialistischen Realismus zu beleuchten. Die geschilderten neuen Stimmen in der Diskussion seit 1954/55, die den starken Bruch mit der Vorkriegssituation ablehnten, sind vielmehr Ausdruck dessen, dass andere Zeiten angebrochen waren. Das hatte bereits die Freilassung des zu Beginn des Stalinismus inhaftierten Politikers Władysław Gomułka im Dezember 1954 angedeutet. Dass definitiv andere Zeiten gekommen waren, machte Chruschtschows Geheimrede im Februar 1956 in Moskau deutlich, in der er die unter Stalin begangenen Verbrechen und den Personenkult verurteilte. Fast ebenso überraschend starb zwei Wochen danach am 12. März

533 Tyrmand, Dziennik 1954, S. 340. 534 Einen Anfang bei der Erforschung dieser Frage macht Skalimowski, Sigalin.

3.4 Zusammenfassung: Konzeptuelle Leerräume

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1956 der polnische Parteichef Bierut in Moskau an einer Lungenembolie.535 Mit ihm, dem begeisterten Laienarchitekten, der häufig StädtebauexpertInnen zu den sogenannten Belweder-Donnerstagen („czwartki belwederskie“) eingeladen hatte, starben endgültig die gleichermaßen visionären wie überhöhten Pläne, die er 1949 im Sechsjahrplan des Wiederaufbaus von Warschau angekündigt hatte. Im Juni 1956 wurde es für die PZPR zudem brenzlig, als Posener ArbeiterInnen und andere DemonstrantInnen gegen Normerhöhungen protestierten. Die Lage eskalierte vor dem örtlichen Sitz des Sicherheitsdienstes, wo auf Parteibefehl 10 000 Soldaten die ArbeiterInnen niederkämpften. 73 Menschen starben, hunderte wurden verletzt. Ebenso viele wurden festgenommen, allerdings erhob die Staatsanwaltschaft angesichts der weiterhin explosiven Stimmung im Land nur gegen eine Minderheit Anklage.536 In der Folge verlor zudem im Juli 1956 Hilary Minc seinen Posten als Leiter der staatlichen Kommission für Wirtschaftsplanung sowie im Zentralkomitee. Er hatte die Industrialisierung während des Stalinismus zwar vorangetrieben, sich dabei aber vor allem auf die Schwerindustrie konzentriert. Die Reorganisation der Wirtschaft war nun angesichts der fatalen Versorgungslage dringend nötig. Zunehmend richteten sich die Augen auf einen Politiker, der im Stalinismus inhaftiert gewesen war, und erst im April 1956 sein Parteibuch zurückerhalten hatte: Władysław Gomułka. Dieser Makel entwickelte sich schließlich zu seinem großen Trumpf. Denn er verkörperte die Abkehr vom Stalinismus, und damit einen möglichen Neuanfang.

535 Zu den Reaktionen der polnischen Öffentlichkeit auf Bieruts Tod vgl. Marcin Zaremba: Towarzysz świętej pamięci. Śmierć Bolesława Bieruta w polskiej opinii publicznej, in: Jerzy Kochanowski/Joachim von Puttkamer (Hg.), 1956. (Nieco) inne spojrzenie/1956. Eine (etwas) andere Perspektive. Warszawa 2016, S. 429–442. 536 Borodziej, Geschichte Polens, S. 297 f.

4 Modernisierung und Erinnerung in Zeiten des „fortschrittlichen Nationalismus“ (1956 bis 1970) 4.1 Politischer Aufbruch am Kulturpalast? Leben in Warschau zehn Jahre nach dem Krieg Wahrscheinlich haben selten mehr Menschen gleichzeitig das polnische GuteWünsche-Lied „Sto lat“ gesungen: Bei der Kundgebung auf dem Platz vor dem Kulturpalast am 24. Oktober 1956 erschallte es über den Köpfen der circa 400 000 versammelten Menschen, als Władysław Gomułka auf der Rednertribüne erschien. Dieser hatte einige Tage zuvor die Führung in der PZPR übernommen. Formal eröffnete der Chef der Warschauer PZPR Stefan Staszewski die Veranstaltung. Er war sichtlich irritiert über diese spontane Geste der Menschenmenge, und wartete nicht das Ende des Liedes ab, um Gomułkas Rede anzukündigen.537 Aus den größtenteils jungen Gesichtern auf dem Platz meint man die Hoffnungen ablesen zu können, die sich mit der Wahl Gomułkas zum Ersten Sekretär der PZPR verbanden – im Herbst 1956 erfreute er sich einer Popularität wie kein anderer polnischer Politiker des 20. Jahrhunderts.538 Seit dem Streik als Reaktion auf eine angekündigte Normerhöhung und den darauffolgenden Unruhen in Posen am 28. Juni 1956, bei denen 73 Menschen ums Leben gekommen waren, war die Stimmung im Land angespannt. Verschärft wurde die Lage aus innerparteilicher Sicht durch die Kämpfe der zwei Parteifraktionen, den sogenannten „Liberalen“ (Puławska-Fraktion, auch Puławianie genannt, nach ihrem Treffpunkt an der Ul. Puławska) und den moskautreuen FunktionärInnen (die Natolin-Fraktion, benannt nach einem Warschauer Stadtteil). Im Angesicht der kritischen Lage im Land nach den Protesten verständigten sich beide Lager der Partei darauf, Gomułka, der wegen seiner eigenen Inhaftierung eine weiße Weste bezüglich stalinistischer Verbrechen hatte, sein Parteibuch zurückzugeben. Mehr noch: Er wurde am 21. Oktober 1956 zum Ersten Sekretär der Partei gewählt, trotz des unangekündigten Besuchs einer sowjetischen Delegation zwei Tage zuvor, die das eigentlich hatte verhindern wollen. Gomułka konnte in diesen Verhandlungen außerdem die bereits begonnene Fahrt von in Polen stationierten sowjetischen Panzern auf Warschau stoppen. Er hat damit wohl eine ähnliche Intervention wie kurze Zeit später in Budapest verhindern

537 URL http://youtube.com/watch?v=pwQTHsMSDF8 (Zugriff 10.09.2015). 538 Borodziej, Geschichte Polens, S. 301. https://doi.org/10.1515/9783110644975-004

4.1 Politischer Aufbruch am Kulturpalast? Leben in Warschau

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Abb. 4.1: Vor dem Kulturpalast versammelte Menschen anlässlich der Rede Władysław Gomułkas, Oktober 1956.

können. Dies nährte Hoffnungen in der Bevölkerung auf eine größere Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Tatsächlich war die sowjetische Führung aber vor allem abgelenkt von den parallelen Ereignissen in Ungarn, die mit einer großen Demonstration gegen die politische Elite am 23. Oktober 1956 in Budapest begannen. Auch das Verhalten der DemonstrantInnen offenbart die Verbindungslinien dieser zwei Ereignisse, da es zu beiderseitigen Solidaritätsbekundungen kam. In Budapest griffen sowjetische Truppen allerdings bereits in der ersten Nacht ein, der auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung traf. In den Kämpfen, die bis Mitte November andauerten, starben 2 500 Menschen auf Seiten der Aufständischen sowie 700 sowjetische Soldaten. 200 000 Menschen flohen in der Folge aus Ungarn. Die Bilder von der Warschauer Kundgebung, die also einen Tag nach dem Beginn der Budapester Proteste stattfand, sind überwältigend. Der riesige Platz vor dem Kulturpalast war tatsächlich mit Menschen gefüllt! In dem eingangs zitierten Filmbeitrag heißt es, die Straßenbahnen seien an diesem 24. Oktober nur in eine Richtung gefahren: gen Kulturpalast. Tatsächlich strömte an diesem Tag vierzig Prozent der damaligen Warschauer Bevölkerung auf den Platz. Bedenkt man die ikonische und politische Bedeutung, die diese Kundgebung hatte, so muss man eigentlich diesen Moment als die Einweihung des Platzes

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4 Modernisierung und Erinnerung

ansehen – nicht so sehr die Eröffnungsparade am 22. Juli 1955 oder die Weltfestspiele der Jugend kurz danach, ungeachtet der ihnen eigenen Bedeutung. Vor dem Kulturpalast, entstanden im Stalinismus und in gewisser Weise dessen Symbol, begann die Ära Gomułka und endete die vorherige. Deutliche Zeichen waren die Abschaffung der Zwangskollektivierung und die offizielle Abkehr vom Sozialistischen Realismus als Doktrin in der Kultur. Möglich war dieser neue Kurs infolge der grundlegenden Veränderungen an der Spitze der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) mit dem neuen Generalsekretär Chruschtschow, der in Anlehnung an den 1954 verfassten Roman des sowjetischen Schriftstellers Ilja Ehrenburg „Tauwetter“ genannt wurde. Wichtigster Impuls war Chruschtschows „Geheimrede“ auf dem XX. Parteitag der KPdSU am 25. Februar 1956, in der er den Personenkult Stalins und die damit verbundenen Verbrechen verurteilte. Es ist mehr als nur eine Fußnote, sondern eher ein Ausdruck der allgemeinen Veränderungen, die auf diese Rede folgten, dass der den Kulturpalast umgebende Platz nun nicht mehr Plac Stalina (Stalinplatz) hieß, sondern Plac Defilad (Defilierplatz). Ungeachtet der großen Hoffnungen, die sich mit der Kundgebung vom 24. Oktober 1956 auf eben jenem Platz verbanden, kann diese gleichzeitig als der Anfang vom Ende des sogenannten polnischen Frühlings im Herbst 1956 gelten. Denn Gomułka rief in seiner Rede unmissverständlich dazu auf, zur Normalität zurückzukehren – ein Aufruf, dem die meisten Menschen Folge leisteten.539 Doch nicht alle Menschen gingen zur Routine über. Einige nutzten das kleine Zeitfenster der Jahre 1955 bis 1957/58 für mehr oder weniger offene Kritik. Ein berühmtes Beispiel sind die Dokumentarfilme der „Czarna Seria“ („Schwarzen Serie“), die zwischen 1955 und 1958 in der Warschauer Dokumentarfilmproduktion (Wytwórnia Filmów Dokumentalnych) entstanden. Laut dem zeitgenössischen Kommentator Bolesław Michałek können diese Filme als eine Art Explosion angesehen werden, so sehr brachen sie mit dem vorherigen Stil.540 Die liberale Behandlung der Medien und KünstlerInnen endete zwar mit der Einstellung der populären Wochenzeitschrift „Po prostu“, eines Flaggschiffs des sogenannten „polnischen Oktobers“, im Jahre 1957. Doch bis 1958 entstanden weitere Filme der „Czarna Seria“, die althergebrachte Perspektiven infrage stellten und PolitikerInnen wie ZuschauerInnen gleichermaßen herausforderten.

539 Vgl. zum polnischen Umbruchsjahr 1956 das Standardwerk Paweł Machcewicz: Polski rok 1956. Warszawa 1993 sowie eine aktuelle Publikation: Jerzy Kochanowski/Joachim von Puttkamer (Hg.): 1956. (Nieco) inne spojrzenie/1956. Eine (etwas) andere Perspektive. Warszawa 2016. Für eine internationale Perspektive vgl. Roger Engelmann/Thomas Großbölting/Hermann Wentker (Hg.): Kommunismus in der Krise. Die Entstalinisierung 1956 und die Folgen. Göttingen 2008. 540 Vgl. das Einführungsheft zu der DVD-Edition „Czarna Seria/The Black Series“, 2009 herausgegeben vom Polnischen Audiovisuellen Verlag (Polskie Wydawnictwo Audiowizualne).

4.1 Politischer Aufbruch am Kulturpalast? Leben in Warschau

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Folgt man dem 1958 veröffentlichten Dokumentarfilm Miasto na wyspach (Stadt auf Inseln) von Jerzy Dmowski und Bohdan Kosiński, so war es fraglich, wo Warschau eigentlich lag und was Warschau ausmachte.541 Das war umso provokativer, als der Kulturpalast unmissverständlich und unzweifelhaft die neue Mitte Warschaus kennzeichnete und auch Gomułkas Kundgebung am 24. Oktober 1956 dessen Bedeutung untermauert hatte. Die Kamera folgt den Menschen, die in den neu entstehenden Wohnsiedlungen auf den ehemaligen Feldern vor den Toren Warschaus wohnten. Sie müssten im Schnitt 805 Tramfahrten im Jahr unternehmen, um ins Zentrum zu gelangen, so der Sprecher im Film. Der zentrale Punkt Warschaus direkt neben dem Kulturpalast – die Kreuzung Ul. Marszałkowska/Al. Jerozolimskie – sei de facto lediglich der zentrale Umsteigepunkt für diese Menschen, die von hier zu ihren eigentlichen Destinationen gelangten. Der Film, der erklärtermaßen lediglich Situationen auf Film bannen, nicht aber gegen die Verantwortlichen polemisieren wollte, wies so einerseits auf die unzulängliche städtische Infrastruktur hin. Andererseits richtete er den Blick auf die nach wie vor brachliegenden Gebiete nördlich und nordwestlich des Kulturpalasts: entweder beräumte Freiflächen oder gar Schutthaufen. Jeder Quadratmeter schreie hier von selbst, so der zitierte Ingenieur und Vizevorsitzende des PRN Zelęta: Der Wert der in der Erde liegenden Gas-, Strom- und Kanalisationsleitungen betrage die Hälfte dessen, was ein Neubau koste. Schreiendes Terrain im Zentrum. Die Metapher erklärt der Film mit der Lage vieler WarschauerInnen, die angesichts gravierender Wohnungsnot und schlechter Infrastruktur, lax formuliert, zum Schreien war. Mit einem lauten Schrei endet auch der Dokumentarfilm Warszawa 1956 (Warschau 1956). Hier erkundet ein Kleinkind, das gerade laufen gelernt hat, sein Elternhaus: eine Ruine im Zentrum Warschaus. Schließlich stolpert es, fällt hin und schreit lauthals. So wird es bemerkt und vor dem metertiefen Abgrund in dem Abrisshaus bewahrt.542 Der Film ruft dazu auf, diesem Kind und anderen 6 000 Warschauer „Höhlenmenschen“, wie sie im Film genannt werden, eine richtige Wohnung zu verschaffen.543 Sigalin, einer der wichtigsten Architekten des ersten Nachkriegsjahrzehnts, verurteilte diese „Czarna Seria“. In seinen privaten Aufzeichnungen notierte er

541 Miasto na wyspach, Regie: Jerzy Dmowski, Bohdan Kosiński, 1958. URL http://youtube. com/watch?v = kRL7macA9wA (Zugriff 10.09.2015). 542 Warszawa 1956, Regie: Jerzy Bossak, Jarosław Brzozowski, 1956. 543 Auch im Gesetz über den Generalplan Warschaus war die Rede von 6 000 Menschen, die im Juli 1956 in gefährlichen Gebäuden lebten sowie von 30 000, die nach wie vor in ungeeigneten Räumen lebten, also in Kellern oder Baracken. Vgl. Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 206.

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4 Modernisierung und Erinnerung

1956, er sei zwar ebenfalls dafür, den „goldenen Rahmen“, der vorher das Bild Warschaus einrahmte und den Blick auf Unzulänglichkeiten verstellte, zu entfernen, aber: „Die ‚Czarna Seria‘ ist wegen ihrer Verallgemeinerungen verlogen. Sie verlangt, nur auf Ruinen, Dreck, Armut und Rowdytum [chuligaństwo] zu schauen, und schreit: ‚Hier habt Ihr Euren Warschauer Wiederaufbau.‘ Sie terrorisieren uns.“ Er räumte darüber hinaus allerdings ein, dass sich eine Art Ernüchterung breitmache: „Die Vision war wunderschön, und wert, daran zu glauben. Aber um diesen Glauben ist es jetzt schwerer bestellt als in den ersten Jahren des Wiederaufbaus. So viele Fragezeichen . . . “544 Auf diese Desillusionierung wies 1958 auch Kazimierz Brandys hin, ein den Warschauer Wiederaufbau mit spitzer Feder beobachtender Schriftsteller: Warschau hatte während der ‚Zeit der Baugerüste‘, als niemand wusste, wie es werden würde [. . .], einen besseren Einfluss auf das Wohlbefinden der Menschen als heute, wo es so gut wie wiederaufgebaut ist, oder zumindest weitestgehend. Die Gerüste gaben Hoffnung, sie eröffneten riesige Möglichkeiten in der menschlichen Psyche, während die nächste Phase, als die Gerüste abgenommen wurden, Enttäuschung brachte. Die Menschen in der Stadt fühlen sich schlecht. Sie sehen deren Hässlichkeit.545

Doch nicht nur KünstlerInnen kritisierten die Situation eindeutig. Auch der Stadtplaner Stanisław Jankowski analysierte die Missstände 1956 durchaus selbstkritisch: Wenn man vom Turm des Kulturpalasts auf die umliegenden Flächen, und vor allem auf die nordwestlichen Teile des Zentrums blickt, werden unsere alltäglichen Wahrnehmungen und Gewohnheiten gnadenlos korrigiert. Das Warschauer Zentrum ist noch immer nicht wiederaufgebaut, genauer gesagt: Die Stadt ist auch nach zwölf Jahren Bauzeit unzulänglich wiederaufgebaut.546

Ein sozialer Aspekt sollte darüber hinaus nicht unterschätzt werden: das Unbehagen der BewohnerInnen angesichts des Schutts und der Ruinen, die über ein Jahrzehnt nach Kriegsende noch immer das Stadtbild prägten – und auf die Jankowski anspielte. Darauf hatten die einflussreichen Stadtplaner Skibniewski und Sigalin 1953 in einem internen Bericht hingewiesen: Trotz der gewaltigen Realisierungen gibt es im Zentrum weiterhin viele bisher unberührte Ruinenwüsten aus dem Jahre 1945, und ihr unberäumter Zustand verstärkt den Eindruck einer Stadt, deren Wiederaufbau noch in weiter Ferne liegt. Hunderttausende Menschen

544 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 506 f. 545 o.V., Miasto w którym żyjemy, S. 1. 546 Stanisław Jankowski: Budujmy śródmieście Warszawy, in: Architektura (1956), 11–12, S. 430–435, S 430 f.

4.1 Politischer Aufbruch am Kulturpalast? Leben in Warschau

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gehen und fahren täglich durch diese Wüstenei; ihr Leben wird dadurch weder leichter noch fröhlicher.547

Daran anschließend sei der Stadtplaner Jankowski zitiert, der 1956 ebenfalls die abstoßende Wirkung der Ruinen auf die Bevölkerung betonte: „Wenn wir durch die Stadt fahren, und besonders, wenn wir laufen, wählen wir bewusst oder unbewusst die attraktivsten Straßen und Trassen. Wir sind sogar bereit, einen Umweg zu machen, [. . .]. Wir meiden die Nähe zu Ruinen, zu toten Fenstern im Erdgeschoss oder wackligen Zäunen, die nicht das bunteste Plakat zu verstecken weiß.“548 Doch dass auch dieser Aspekt komplexer ist, als es auf den ersten Blick scheint, darauf weist die Literaturwissenschaftlerin Marta Zielińska hin, die das lesenswerte Buch Dziwne miasto über die titelgebende „seltsame Stadt“ geschrieben hat. Danach konnte eine solche „Bruchbude“ („rudera“) durchaus auch als seltener und daher „luxuriöser Halt für die Erinnerung“ („luksusowy pryzstanek pamięci“) gelten, insbesondere im Zentrum um den Kulturpalast, das so einschneidend neugestaltet worden war.549 In den ersten zehn Jahren nach dem Krieg hatten sich viele Menschen in den „im Krieg halbzerstörten Altbauten“ wieder eingerichtet, und kreierten so „eines der letzten Zentren privater Läden, Werkstätten, winziger Fabriken, Betriebe und Firmen“, folgt man der Schilderung in Tyrmands Roman Zły. Für seine Plausibilität spricht, dass sich der Roman bereits direkt nach seiner Veröffentlichung 1954 großer Popularität erfreute und offenbar nicht nur das Lebensgefühl der WarschauerInnen wiedergab, sondern einen Nerv der Zeit traf: „Während der letzten zehn Jahre pulsierte das Leben in diesen zerschlagenen, zerkratzten, zur Hälfte ausgebrannten, und schließlich auf die Schnelle renovierten Häusern; das war ein Leben im Moment, ein Leben ohne Zukunft, das dauernd dem großen, planmäßigen Wiederaufbau weichen musste.“550 Angesichts des im Zentrum emporwachsenden Kulturpalasts „schreckten sie nicht mehr“, ja vielleicht weckten sie gar solche nostalgischen Gefühle, wie sie Leopold Tyrmand formulierte: „Sie erwecken ein warmes Sehnsuchtsgefühl, so wie jeder Beginn, der vergangen ist und nicht mehr wiederkehrt, der vorübergehen muss, um Fortschritt und Wachstum Platz zu machen.“551 Dieses Spannungsfeld wird

547 Den Bericht verfassten Skibniewski und Sigalin gemeinsam auf der Grundlage der Materialien des BUW, vgl. Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 473. 548 Jankowski, Budujmy śródmieście, S. 430. 549 Zielińska, Warszawa, S. 13 ff. 550 Tyrmand, Zły, S 111 f. 551 Ebd., S. 123.

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noch komplexer, nimmt man den folgenden, in der Einleitung bereits angedeuteten Kommentar des Architekten Sigalins hinzu: Weiß irgendjemand von uns hier heute wirklich, was die Warschauer fühlten und fühlen, nachdem die Gerüste abgenommen wurden? Kann man die verschiedenen Pressestimmen in dieser Sache als wirkliches und ganzes Abbild der öffentlichen Meinung ansehen? Haben wir das Recht, ‚im Namen‘ der Warschauer zu sprechen? Ich glaube, wir können unsere Urteile nur als mehr oder weniger repräsentativ für unser eigenes Milieu [środowisko] ansehen.552

Er spielte darauf an, dass seiner Einschätzung nach 35 Prozent der Warschauer Bevölkerung von 1958 erst nach dem Krieg geboren wurde, und beinahe 50 Prozent Zugezogene seien – und sie daher keine persönlichen Erinnerungen an das Vorkriegs-Warschau hegten. Doch dem entgegnete Brandys, dass auch die neuen BewohnerInnen Vergangenheit und Traditionen bräuchten – denn wenn das Herz nicht funktioniere, so fließe kein Blut.553 In dieser komplizierten Gemengelage ist es also nicht von der Hand zu weisen, dass sicherlich nicht alle WarschauerInnen den Abriss der halbzerstörten Vorkriegshäuser betrauerten. Zudem ist zu betonen, dass wiederum diejenigen Stadtplaner, die oben mit dem großen Unbehagen der Bevölkerung gegenüber den Ruinen argumentierten, eventuell auf diese Weise den planmäßigen Umbau der Stadt, der ja zwangsläufig Abrisse miteinschloss, rechtfertigen wollten. Denn Tyrmand beschreibt, dass die „an Ruinen gewöhnten Warschauer“ diesbezüglich eigentlich abgestumpft seien – deren Anblick erwecke keinerlei Reflektionen.554 Eine ähnliche Perspektive eröffnet der Dokumentarfilm aus der „Czarna Seria“ Ludzie z pustego obszaru (Menschen aus dem leeren Raum) von Kazimierz Karabasz und Władysław Ślesicki. Sie zeigten in ihrem gleichnamigen Film junge Menschen, die sich auf den Warschauer Straßen herumtrieben, um die Langeweile abzutöten: „Wir treffen sie täglich. Sie sind viele. Sie leben in der Leere. Sie sind kein Phänomen mehr, sondern ein ernstes gesellschaftliches Problem: die Menschen aus dem leeren Raum.“555 Es ist offensichtlich, dass der Kommentar bewusst offenlässt, ob die Menschen mit innerer oder äußerer Leere zu kämpfen hatten – oder gar mit beidem. Darin klingt ein weiteres, für alle BewohnerInnen gravierendes Problem an: Die in Warschau besonders in den Ruinengebieten grassierende Kriminalität, der Tyrmand in seinem Roman Zły ein literarisches Denkmal gesetzt hat.

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o.V., Miasto w którym żyjemy, S. 1. Ebd., S. 6. Tyrmand, Zły, S. 26. Ludzie z pustego obszaru, Regie: Kazimierz Karabasz, Władysław Ślesicki, 1957.

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Es ist der Fokus auf die Bevölkerung und ihre Wohn- und Lebenssituation, die in diesen kritischen Kommentaren besonders interessiert. In Warschau bot sich zwar einerseits ein ähnliches Bild wie in anderen Städten Ost- und Westeuropas, die ebenfalls infolge der Kriegszerstörungen, des stetigen Bevölkerungszuwachses und des Zuzugs vom Land einen gravierenden Wohnungsmangel aufwiesen. Hier wie dort stand „der schiere Mangel an Wohnraum eindeutig im Vordergrund“ der Probleme der städtischen Bevölkerung.556 Ähnlich wie in der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten verstärkten die forcierte Industrialisierung und die damit zusammenhängende Urbanisierung das Problem.557 Beispielhafte Zahlen aus Warschau verdeutlichen die desolate Lage: Zwischen 1951 und 1955 wurden 30 500 Wohnungen gebaut, allerdings mehr als 63 000 Ehen geschlossen. Das bedeutete, dass für die Hälfte der Paare kein eigener Wohnraum zur Verfügung stand.558 Zudem war der schlechte Zustand der bestehenden und der neu gebauten Wohnungen beklagenswert. Das geht aus dem wahrscheinlich von Jan Klewin, Stellvertreter des Chefarchitekten, verfassten Bericht aus dem Jahr 1954 hervor: „Der Großteil der Bewohner lebt immer noch unzulänglich, im Dreck.“559 Daher beschloss der Ministerrat am 15. Mai 1954 eine Verordnung, die den Zuzug zu bremsen versuchte, indem sie erschwerte, sich dauerhaft in Warschau zu registrieren. Diese Bestimmungen wurden erst 1984 abgeschafft.560 Diese ohnehin brenzlige Wohn- und Lebenssituation verschärfte zusätzlich in gesellschaftlicher und psychologischer Hinsicht der soziale Bruch, den der Krieg verursacht hatte.561 Ungefähr die Hälfte der Warschauer Bevölkerung, 685 000 Menschen, erlebte das Kriegsende nicht. Die Folgen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik manifestierten sich ebenso sehr auf dem verheerten Gelände des ehemaligen Ghettos wie in den Ruinen der Altstadt und den noch Jahre nach dem Krieg in der Stadt verteilten Holzkreuzen an den Stellen, wo während des

556 Vgl. Lenger, Metropolen, S. 430–447. Vgl. zudem die überzeugende Parallelisierung der Lösungen, die in Ost- und Westberlin auf die Wohnungsfrage gefunden wurde und die sich erheblich ähnelten Thomas Köhler (Hg.): Radikal Modern. Planen und Bauen im Berlin der 1960er-Jahre. Tübingen 2015. 557 Vgl. die Warschauer Situation in Brzostek, Robotnicy Warszawy, mit der Situation in Belgrad und Minsk: Münnich, Belgrad; Bohn, Minsk – Musterstadt. 558 Gawryszewski, Ludność Warszawy, S. 96. 559 Das führte er insbesondere auf die beinahe skandalös schlechte Organisation der Arbeitsabläufe sowie die schlechte Ausbildung der ArbeiterInnen zurück. Vgl. Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 486. 560 Die Verordnung wurde im Dziennik Ustaw RP 1954, nr 22, poz. 79 veröffentlicht. Sie betraf mindestens 45 weitere Städte. Vgl. Gawryszewski, Ludność Warszawy, S. 95 f. 561 Vgl. zu diesem komplexen Thema für die ersten Nachkriegsjahre die bahnbrechende Arbeit Zaremba, Die große Angst.

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Warschauer Aufstands provisorisch Gefallene begraben worden waren. Vor allem aufgrund derer, die ermordet und dadurch abwesend waren, war das soziale Gefüge der Stadt dramatisch erschüttert. Zusätzlich waren selbst die, die zurückkehrten, nicht mehr die gleichen wie vorher: Sie hatten den Zweiten Weltkrieg er- und überlebt.562 Darauf wies in einer Diskussion 1958 auch der Architekt Skibniewski hin. Selbst, wenn man beispielsweise die vor dem Krieg bei LiteratInnen und anderen Intellektuellen beliebten Cafés in der Ul. Mazowiecka, einer Nebenstraße des Plac Zwycięstwa (damals Plac Piłsudskiego), wiederaufbaue – die Atmosphäre dort würde niemals die gleiche werden, weil die Menschen an den Orten fehlten.563 Die Neuankömmlinge konnten zwar die Einwohnerbilanz wiederherstellen: 1970 war der Vorkriegsstand von 1,3 Millionen wieder erreicht. Aber weder sie noch die RückkehrerInnen konnten an der Abwesenheit der Toten etwas ändern. Neben diesen psychisch-moralischen Fragen hatte der soziale Bruch auch praktische Folgen für das Leben in der Stadt. So waren beispielsweise nicht nur sehr viele HändlerInnen, sondern auch sechzig Prozent der HandwerkerInnen jüdisch gewesen.564 Die Stadt war ihrer traditionellen Mittelschicht beraubt worden.565 Ein Teil der Nachkriegsgeschichte Warschaus ist also auch die Geschichte von Verteilungskämpfen, verbunden mit der Hoffnung auf sozialen Aufstieg. Dies hatte nicht nur mit der Abwesenheit der Ermordeten zu tun, sondern auch mit dem neuen System, das ArbeiterInnen und Staatsbediensteten Aufstiegschancen bot. Auch im städtischen Gefüge machte sich das bemerkbar: Einige Familien waren bereits während des Krieges oder danach in andere Wohnungen, zum Teil in bessere Viertel, umgezogen – in die der Geflohenen, der zwangsweise ins Ghetto Umgezogenen, oder gar der Ermordeten.566 Zusätzlich kontrollierte und reglementierte der Staat die Verteilung der wenigen Wohnungen, was die Veränderung der Einwohnerstruktur der Viertel teilweise zusätzlich forcierte.567 Solche Verteilungskämpfe infolge dramatischer sozialer Brüche gab es auch in anderen

562 Vgl. Borecka, 25 lat, S. 36. 563 o.V., Miasto w którym żyjemy, S. 6. 564 Brzostek, Robotnicy Warszawy, S. 20. 565 Vgl. Andrzej Leder: Prześniona rewolucja. Ćwiczenie z logiki historycznej. Warszawa 2014, S. 141 und S. 183. 566 Brzostek, Robotnicy Warszawy, S. 26 f. 567 Vgl. zur Diskriminierung jüdischer Wohnungssuchender in Warschau nach dem Zweiten Weltkrieg David Engel: The End of a Jewish Metropolis? The Ambivalence of Reconstruction in the Aftermath of the Holocaust, in: Glenn Dynner/François Guesnet (Hg.), Warsaw. The Jewish Metropolis. Essays in Honor of the 75th Birthday of Professor Antony Polonsky. Leiden 2015, S. 562–569, hier S. 567. Zur Problematik der Rückkehr überlebender Juden Alina Skibińska: Powroty ocalałych i stosunek do nich społeczeństwa polskiego, in: Feliks Tych/Monika Adamczyk-Garbowska (Hg.), Naste̜pstwa zagłady Żydów. Polska 1944–2010. Lublin 2012, S. 39–70.

4.1 Politischer Aufbruch am Kulturpalast? Leben in Warschau

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polnischen Städten. Doch in Breslau oder Stettin war fast die gesamte Bevölkerung zu Kriegsende nach Deutschland geflohen und die Städte im Anschluss beinahe komplett von Neuankömmlingen bevölkert worden, während in Warschau neue BewohnerInnen auf Alteingesessene trafen.568 Einen sprachlichen Ausdruck fanden diese Prozesse in dem im Polnischen einzigartigen Terminus des „postjüdischen“ („po-żydowskie“) sowie „postdeutschen“ („po-niemieckie“) Bauerbes, der nach dem Historiker Dariusz Stola immer auch die gewaltvollen Umstände der Abwesenheit impliziert.569 Ein weiterer Aspekt ist die bis heute andauernde Diskussion darüber, ab wann jemand als WarschauerIn gelten könne. So gab und gibt es die terminologische Unterscheidung in warszawiak und warszawianin, die durchaus auch in anderen Städten anzutreffen ist.570 Doch in Warschau hat diese Frage zusätzlich die tragische Dimension der zeitgleichen gewaltsamen Vernichtung der Stadt und großer Teile ihrer Bevölkerung. Während direkt nach dem Krieg vor allem alte WarschauerInnen in die Stadt zurückkehrten, nahm die Migration aus anderen Städten und vom Land stetig zu. 1950 stellten die ehemaligen WarschauerInnen wohl noch die Mehrheit. In der Literatur wird für das Jahr 1950 mehrheitlich die Zahl von 500 200 alten WarschauerInnen bei einer Gesamtbevölkerung von 659 000 Menschen, also circa 75 Prozent, angeführt.571 Diese Zahl zweifelte Ewa Borecka in ihrem Artikel von 1970 allerdings an. Sie rechnete überzeugend vor, dass diese Quelle in sich nicht stimmte. Denn angeblich lebten in anderen Teilen Polens 1950 weitere 400 000 VorkriegsWarschauerInnen, also insgesamt 900 000. Diese Zahl ist mit der Erkenntnis über die Verluste von mindestens 570 000 WarschauerInnen nicht vereinbar, nach denen höchstens 730 000 den Krieg überlebt hatten. Sie schätzte den Anteil der VorkriegsbewohnerInnen für 1950 auf 350 000 (von 659 000) – also knapp unter fünfzig Prozent. Zwischen 1950 und 1954 seien weitere 150 000 bis 200 000 von ihnen zurückgekehrt. Entscheidender als die genauen Zahlen fand sie ohnehin die

568 Vgl. zu Breslau Thum, Die fremde Stadt; zu Stettin: Musekamp, Zwischen Stettin. Hervorragend ist zudem die vergleichende Untersuchung der Besiedlung einer ehemals deutschen Stadt mit PolInnen sowie einer ehemals polnischen Stadt mit UkrainerInnen Wylegała, Przesiedlenia. 569 Vgl. Dariusz Stola: Die polnische Debatte um den Holocaust und Rückerstattung von Eigentum, in: Claire Andrieu/Constantin Goschler/Philipp Ther (Hg.), Raub und Restitution. „Arisierung“ und Rückerstattung des jüdischen Eigentums in Europa. Frankfurt am Main 2003, S. 205–224. 570 Vgl. zur Terminologie Brzostek, The Ruralization, in: Borodziej/Holubec/Puttkamer (Hg.), Mastery and Lost Illusions, S. 99. Abwertend gegenüber den aus der näheren Umgebung Zugezogenen ist darüber hinaus die Bezeichnung „Słoiki“ („Einmachgläser“), in denen die Heimatbesucher nach dem Wochenende ihr mitgebrachtes Essen transportierten. 571 Nowakowski, Niektóre aspekty, S. 260.

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Schlussfolgerung, dass es für viele Zugezogene wohl attraktiv war, sich im Zensus als VorkriegsbewohnerIn auszugeben. Das sieht sie als Indiz dafür, dass der „Lebensstil“ der alten WarschauerInnen und ihre „Art zu denken“ nach wie vor vorherrschend waren.572 Zudem betont sie, dass eigentlich alle wichtigen BaumeisterInnen gebürtige WarschauerInnen gewesen seien, sowie der Großteil der Industriekader. Diese Argumentation geht in Richtung der Prognose des Soziologen Ossowski von 1945, dass sich die neuen BewohnerInnen an die „Traditionen, die die alten Warschauer repräsentierten“ anpassen mussten.573 Dies war allerdings eine Frage der Zeit, denn mit dem raschen Zustrom der MigrantInnen verloren die Alteingesessenen zunehmend ihren Primat.574 Der zeitgenössischen soziologischen Doktorarbeit von Włodzimierz Mirowski lässt sich entnehmen, dass 450 000 MigrantInnen zwischen 1945 und 1964 nach Warschau kamen. Er schätzte, dass davon 160 000 aus ländlichen Regionen kamen, der Rest aus anderen Städten. Sein Doktorvater Stefan Nowakowski gab die Zahl der ländlichen Neu-WarschauerInnen mit 200 000 um ein Viertel höher an.575 Die Zugezogenen „ruralisierten“ jedoch nicht nur die Stadt. Gleichzeitig urbanisierte sich auch ihre dörfliche Kultur. Zudem hatte die Situation auch in anderer Hinsicht zwei Seiten: Zwar halfen sie einerseits, Warschau wieder in eine bewohnbare Stadt zu verwandeln. Andererseits waren die Neuankömmlinge KonkurrentInnen auf dem schwierigen Wohnungsmarkt, obschon viele von ihnen zunächst in Arbeiterhotels oder in ärmlichen, gar „wilden“ Viertel am Stadtrand wohnten.576 Hier wuchsen auch die meisten neuen Wohngebiete empor, im Zusammenhang mit Investitionen in neue Fabriken. So entstanden die Wohnviertel Praga und Bródno linksseitig der Weichsel im Zuge des Ausbaus der Autofabrik in Żerań, Młociny mit der Eröffnung der Warschauer Stahlhütte (Huta Warszawa) 1957.577 Im Folgenden wird der Fokus allerdings auf ein sehr zentrales Wohnviertel gelegt, das von 1962 bis 1965 zwischen dem Plac Dzierżyńskiego und dem Plac Teatralny entstand. Drei

572 Borecka, 25 lat, S. 36. 573 Ossowski, Odbudowa stolicy, in: Górski (Hg.), Pamięć, S. 305. 574 Brzostek, Robotnicy Warszawy, S. 26. 575 Mirowski, Migracje, S. 109 und S. 115. Ein herzlicher Dank geht an Małgorzata Mazurek für den Hinweis auf den Quellenbestand im WFiS PAN. 576 Vgl. Brzostek, The Ruralization, in: Borodziej/Holubec/Puttkamer (Hg.), Mastery and Lost Illusions, S. 114 und S. 116. Zu Konflikten, die diese Kontakte urbaner und dörflicher Kultur mit sich brachten, vgl. auch Brzostek, Robotnicy Warszawy. Zu den „wilden“ Vierteln vgl. Nowakowski, Zmiany struktury, S. 490. Vgl. zudem ähnliche Probleme in Belgrad oder Minsk in der bereits zitierten einschlägigen Literatur. 577 Ein Stadtführer der besonderen Art bietet einen Überblick über alle bis in die achtziger Jahre hinein entstandenen Wohnviertel, sortiert nach Bezirken. Vgl. Lech Chmielewski: Przewodnik warszawski. Gawęda o nowej Warszawie. Warszawa 1987.

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elfgeschossige Wohnblöcke blickten nunmehr direkt auf den Plac Teatralny – und von dort fiel der Blick wiederum auf die drei Wohnblöcke. Erstmals seit dem Abriss des Rathauses und der kleinen Kirche manifestierte sich hier auf einer häufig kommentierten Freifläche auf der Nordseite des Plac Teatralny eine Entscheidung. An der Kritik des Schriftstellers Mieczysław Jastrun, der den Platz im November 1957 als erstarrt beschrieben hatte, änderte das nicht viel: „Bisher gibt es keinen Plac Teatralny. Das Theater ist eingerüstet, düster bei Nacht, riesig wie ein Tatragipfel. Die Straßen sind leer – keine Bars, Restaurants, all das, was das Nachtleben in Großstädten ausmacht. Leere, kalte, nach Kalk riechende Straßen. Nach Hause entfliehen.“578 Ob die Wohnblöcke „die weise Idee [waren], die diese Leere zufriedenstellend“ füllen würden, wie es 1958 ein anonymer Kommentator in der „Stolica“ gefordert hatte, soll im nächsten Kapitel erörtert werden.579

Abb. 4.2: Die Nordseite des Plac Teatralny. Rechts das wiederaufgebaute Blank-Palais, in der Mitte die Brachen nach den Abrissen der Ruinen des Rathauses und der KanonikerinnenKirche, 1958.

4.2 Pragmatischer Kompromiss: Moderner Wohnungsbau im Zentrum 7 000 Menschen konnten 1962 in die drei elfstöckigen, neugebauten Wohnblöcke einziehen: Mitglieder zweier Wohnungsbaugenossenschaften für LehrerInnen und andere Angestellte des Bildungswesens. Die Blöcke grenzten zwar nicht direkt an den Plac Teatralny, sondern an die benachbarte Ul. Bielańska, waren aber doch so nah und vor allem so groß, dass sie den Platz entscheidend prägten. Die neuen BewohnerInnen konnten in der einen Richtung die letzten Jahre des Wiederaufbaus des Teatr Wielki verfolgen, das 1965 schließlich eröffnet wurde. In der anderen Richtung sahen sie auf die Trasa W-Z, die Ruine der Bank Polski, sowie die niedrigeren Wohnblöcke, die zeitgleich errichtet wurden. Die

578 Mieczysław Jastrun: Dzienniki 1955–1981. Kraków 2002, S. 140, Tagebucheintrag vom 24.11.1957. Für den Hinweis auf diese Quelle danke ich Błażej Brzostek herzlich. 579 S.: Plac Teatralny i „luka widokowa“, in: Stolica (1958), 16, S. 12 f., hier S. 13.

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„drei Säulen“, wie sie bald im Volksmund genannt wurden, waren neben dem Wiederaufbau des Teatr Wielki und dem Abriss der Ruinen des Rathauses und der kleinen Kirche die dritte wichtige bauliche Entscheidung am Plac Teatralny und zementierten die radikale Abkehr von der Beschaulichkeit des Platzes vor dem Krieg. Seit den Abrissen der Kirche und des Rathauses Mitte der fünfziger Jahre war auf den beiden Grundstücken nichts passiert, doch nun rollten

Abb. 4.3: Die Ruinen der Bank Polski an der Ul. Bielańska, von der Trasa W-Z gen Plac Teatralny geblickt. Im Hintergrund das Teatr Wielki und links eines der neuen Wohnhochhäuser am Plac Teatralny, 1963.

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zwischen 1958 und 1962 die Baumaschinen über diesen Teil des Platzes. Die bauliche Vergangenheit dieses Terrains brachte sich während der Bauarbeiten allerdings in Erinnerung, glaubt man der Anekdote eines Bewohners der Blöcke, der 1963 als Elfjähriger dort einzog: So stürzte ein Bulldozer in eines der Kellergewölbe des zehn Jahre zuvor abgetragenen Rathauses.580 1954, im Zuge der Vorbereitungen des damaligen Architekturwettbewerbs, war erstmals die Nutzung dieses Gebiets zu Wohnzwecken anvisiert worden. Sahen die Entwürfe des Wettbewerbs von 1955 noch ein streng geometrisches, regelmäßiges Arrangement zusammenhängender Wohngebäude vor, verteilten die jungen Architekten Jerzy Czyż, Jan Furman, Andrzej Skopiński und Lech Robaczyński 1958 die Häuser gemäß den Prinzipen der städtebaulichen Moderne locker und fließend im Raum. Sie brachen damit mit ihren eigenen vorherigen Entwürfen, denn sie waren allesamt im Wettbewerb von 1955 in verschiedenen Gruppen ausgezeichnete Architekten. Die drei Hochhäuser waren Teil des größeren Wohnviertels zwischen Plac Teatralny und Plac Dzierżyńskiego, für das die Architekten insgesamt 19 größere und kleinere Wohnblöcke entwarfen. An beiden Plätzen, auch am Plac Dzierżyńskiego, standen sich jetzt die städtebauliche Moderne in Form von modernen Wohnblöcken und historische CorazziBauten gegenüber. Es ist höchst interessant, dass die Verantwortlichen nach dem Ende des Sozialistischen Realismus nun die Praxis der Architekturwettbewerbe zumindest für dieses Wohnviertel als überkommen ansahen und den vier Architekten diesen direkten Auftrag erteilten. Und dieses große Bauprojekt verdeutlicht, wie in die „ideologische Leere“ („ideowa pustka“) nach dem Sozialistischen Realismus581 die städtebauliche Moderne Einzug hielt. Diese sehr pragmatische Entscheidung sollte mit der eingangs geschilderten Dringlichkeit der Situation in Verbindung gebracht werden. Adolf Ciborowski übernahm 1956 als neuer Chefarchitekt die Planungsverantwortung in einer Stadt, in der es zu wenig Wohnraum einerseits und zu viele freie Flächen im Zentrum andererseits gab. Den Rahmen, um diese Missstände zu beseitigen, bildete das im Juli 1956 vom Ministerrat verabschiedete „Gesetz über den Generalplan Warschaus für zehn bis zwölf Jahre“.582 Zwar war ein solcher Stadtentwicklungsplan seit den

580 Vgl. das Gespräch der Autorin mit dem langjährigen Bewohner Marek Kossakowski am 30.09.2015. 581 Majewski, Ideologia, S. 276. 582 Zeitgleich zum Generalplan wurde im BUW unter der Leitung von Stanisław Jankowski an einem Urbanistischen Plan des Zentrums (Plan urbanistyczny Śródmieścia) gearbeitet, der mit seinem Maßstab 1:2 000 sehr viel detaillierter war. Ein Perspektivplan wurde 1961 verabschiedet. Vgl. Prezydium Rady Narododwej Miasta Stołecznego Warszawy/Rada główna społecznego Funduszu Odbudowy Stolicy i Kraju: Plan Generalny Warszawy. Warszawa 1965.

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dreißiger Jahren erklärtes Ziel der Politik. Aber zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung war der Generalplan bereits veraltet, da die Diskussionen seit 1951 andauerten und daher unter mittlerweile überholten Voraussetzungen stattgefunden hatten. Ciborowski war daher wenig begeistert von dem Plan, den er von seinem Vorgänger aus „der alten Zeit“ übernahm. Doch es geht zu weit, den Generalplan als sozrealistisches Manifest zu bezeichnen, auch weil Ciborowski viele der im Generalplan festgehaltenen Punkte umsetzte. Auch das hier thematisierte Wohngebiet entsprach den zwei zentralen Postulaten des Generalplans, Kriegsspuren im Zentrum zu beseitigen und Wohnraum im Zentrum zu schaffen, um die dortige Infrastruktur nutzen zu können.583 Im Generalplan war festgehalten, dass in den kommenden zwölf Jahren 400 000 neue Wohnräume (nicht Wohnungen) sowie die damit zusammenhängenden Investitionen entstehen sollten, das heißt ein verbesserter öffentlicher Nahverkehr sowie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen.584 Während zwischen 1950 und 1955 lediglich zwölf Prozent der gesamten Investitionen in den Wohnungsbau gesteckt worden waren, vergrößerte sich der Anteil zwischen 1956 und 1960 tatsächlich auf 19 Prozent, um wieder auf 16 Prozent (1961 bis 1965) sowie auf 14 Prozent (1966 und 1970) zu sinken.585 Um die ambitionierten Ziele zu erreichen, wollte der Staat „die im Industriebau gewonnene Erfahrung [. . .] auf den Wohnungsbau übertragen, den man beschleunigen, modernisieren, verbilligen muss“.586 Das gelang: 1966 entstanden tatsächlich nur noch neun Prozent der Gebäude in althergebrachter Konstruktionsweise, das heißt aus Ziegeln, der Rest aus verschiedenen Arten vorgefertigter Elemente.587 Diese Industrialisierung des Wohnungsbaus stand mit der generellen Industrialisierung von Staat und Gesellschaft in Verbindung, so Borodziej: Der Ausbau der Industrie wurde noch stärker forciert als in der Periode des berüchtigten Sechsjahresplans. Dies hing einerseits mit der weiterhin dominierenden Vorstellung zusammen, dass das bloße Wachstum der Industrieproduktion der Schlüssel zu Modernität, Fortschritt und Macht des Staates sei. Andererseits stand aber das Regime vor der Aufgabe, allein in den 1960er Jahren [landesweit] 2,5 Millionen neuer Arbeitsplätze für junge Menschen zu schaffen.588

583 Das hatte Bierut bei verschiedenen internen Diskussionen gefordert. Im Juli 1954 konstatierte er beispielsweise, es gebe nicht genug Rohre, um die an der Peripherie gebauten Häuser mit der nötigen Infrastruktur zu versorgen. Vgl. Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 167 und S. 169. 584 Adam Andrzejewski: Polityka mieszkaniowa. Warszawa 1987, S. 158. 585 Vgl. Sigalin, Warszawa, Band 3, S. 207. 586 Ciborowski, Warschau, S. 302. 587 Ebd., S. 194. 588 Borodziej, Geschichte Polens, S. 320.

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Zu ergänzen ist, dass fast ebenso viele Wohnungen zu bauen waren, wenn auch in ganz Polen. Allein in Warschau entstanden zwischen 1961 und 1965 tatsächlich 73 000 neue Wohnungen. Doch wie auch das Beispiel am Plac Teatralny zeigt, konnte der Staat dieses Verdienst nicht auf seinem eigenen Konto verbuchen. Vielmehr beschloss der Ministerrat im März 1957 ein Gesetz über die staatliche Förderung privat finanzierten Wohnungsbaus. 1966 bauten Wohnungsbaugenossenschaften mehr Wohnungen als die Nationalräte, 1970 sogar über zwei Drittel der neuen Wohnungen.589 Da sich der Staat im Laufe der sechziger Jahre im Gegenzug zunehmend aus der Wohnungsbaupolitik zurückzog, verlängerten sich die Wartezeiten auf eine Wohnung erneut: Waren es zu Anfang des Jahrzehnts noch zwei bis drei Jahre, so waren es an dessen Ende acht bis neun Jahre. Gleichzeitig nahm die Qualität der Wohnungen ab. Das war damit in Verbindung zu bringen, dass der Staat zwar wenig investierte, aber weiterhin starken Einfluss auf den Wohnungsbau nahm. Eine Ausnahme bilden die zwischen 1960 und 1963 in Żoliborz entstandenen „Gärten von Żoliborz“ (Sady Żoliborskie) von Halina Skibniewska, die bis heute als vorbildliches Wohnviertel gelten.590 Doch die Regel bildeten gesunkene Wohnungsgrößen für Einzimmerwohnungen auf 24 bis 30 Quadratmeter (gegenüber 35 bis 40 Quadratmetern in den fünfziger Jahren) und für Zweizimmerwohnungen auf 33 bis 38 Quadratmeter (gegenüber 55 Quadratmetern in den Fünfzigern). Rückblickend gilt die Enge dieser Wohnungen mit fensterlosen Küchen gar als eines der charakteristischen Merkmale der Ära Gomułka.591 Zu Beginn dieser Gomułka-Ära hatte sich der neue Chefarchitekt Ciborowski über mangelndes Interesse der Parteiinstanzen an städtebaulichen Aktivitäten beschwert, worin er einen Grund für die vielen Freiflächen und die schon 1953 beklagte „Barackenplage“592 im Stadtzentrum sah: „Es scheint, als sei das eine sehr riskante Schlussfolgerung, welche in unserer Stadt auf unbestimmte Zeit vorläufige Zustände erhält, Provisorien, die sozial gesehen immer problematischer werden für die Bewohner Warschaus.“593 Die Zögerlichkeit angesichts der vielen Freiflächen kritisierte auch der Stadtplaner Jankowski 1956 589 Andrzejewski, Polityka mieszkaniowa, S. 166 f. Diese Zahlen beziehen sich auf ganz Polen. Zum Verhältnis von Staat und Wohnungsbaugenossenschaften vgl. Krzysztof Madej: Spółdzielczość mieszkaniowa. Władze PRL wobec niezależnej inicjatywy społecznej (1961–1965). Warszawa 2003. 590 Jarosław Trybuś/Grzegorz Piątek: Volkspolen als Projekt der Moderne. Polska ludowa jako projekt modernistyczny, in: Adolph Stiller (Hg.), Polen Architektur/Polska Architektura. Salzburg 2008, S. 99–130, hier S. 106. 591 Borodziej, Geschichte Polens, S. 334. 592 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 478. 593 AAN, 237/VII, Sign. 3593, Plenum des Komitet Warszawski der PZPR, 13.03.1956, S. 14.

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ironisch: „Die nicht selten vorgebrachte These, dass wir ernsthafte Fehler vermieden hätten, weil wir die exponiertesten Flächen (wie beispielsweise beim Kulturpalast) bisher nicht bebaut haben, ist genau so viel wert wie die Freude darüber, dass sich aufgrund der niedrigsten Motorisierungsrate viele Unfälle vermeiden ließen.“594 Die industrielle Bauweise ermöglichte nun ein anderes Tempo, mit dem seit Ende der fünfziger Jahre tatsächlich nicht nur geplant, sondern auch gebaut wurde. Dadurch modernisierte sich nicht nur das Stadtbild zusehends, sondern auch das Leben vieler Menschen. In den frühen Wohnblöcken wie denen am Plac Teatralny hatten die Menschen Tageslicht in der Küche und 32 bis 55 Quadratmeter zum Wohnen. Doch selbst die späteren beengten sogenannten Gomułka-Blöcke bedeuteten im Hinblick auf Hygiene und Wärmeversorgung eine große Verbesserung – man erinnere sich an die eingangs zitierten „Höhlenmenschen“, die in Ruinen hausten. Als Inbegriffe dieser Modernisierung des Zentrums dürfen an dieser Stelle zwei wichtige Bauprojekte dieser Zeit nicht fehlen. Einerseits fiel die Entscheidung über die wohl exponierteste Freifläche des Zentrums: die sogenannte Ostwand an der Ul. Marszałkowska auf Höhe des Kulturpalasts. Der 1958 ausgeschriebene Wettbewerb kürte keinen Siegerentwurf, machte aber deutlich, wie sehr sich der Städtebau nach 1956 gewandelt hatte. Bei der Präsentation wurden die verschiedenen ausgezeichneten Entwürfe in die Tradition des allerersten Entwurfs von Maciej Nowicki von 1945 gestellt. In seinem Entwurf sowie denen von 1959 standen städtebauliche Grundprinzipien der Moderne im Vordergrund: die aufgelockerte Verteilung der Gebäude im Raum, der Bau von mehreren Hochhäusern sowie moderne Materialien wie Stahl, Aluminium und Glas. Verantwortlicher Architekt für dieses prestigeträchtigste Projekt der Hauptstadt wurde schließlich Zbigniew Karpiński, dessen endgültiger Entwurf drei fünfzig Meter hohe Wohnblöcke und einen verbindenden Riegelbau für verschiedene Warenhäuser sowie auf deren Rückseite eine Passage unter freiem Himmel zum Flanieren beinhaltete. 1971 wurde dieser städtebauliche Meilenstein schließlich eingeweiht.595 Andererseits begannen in Gomułkas Regierungszeit die Bauarbeiten an dem gigantischen Wohnviertel „Hinter dem Eisernen Tor“ (Osiedle za Żelazną Bramą) auf dem westlichen Teil der Sächsischen Achse, direkt hinter dem Sächsischen Garten. Die bereits wohlbekannten Architekten Czyż, Furman und Skopiński

594 Jankowski, Budujmy śródmieście, S. 430 f. 595 Der Wettbewerb ist noch nicht sehr gut erforscht. Vgl. Baraniewski, Pałac, S. 76–91 sowie zum im Wettbewerb „unterlegenen“ Architekten Leykam, dessen Wettbewerbsbeitrag stark an das endgültig gebaute Resultat erinnert, vgl. Filip Springer: Kopfgeburten. Architekturreportagen aus der Volksrepublik Polen. Berlin 2015, S. 63.

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gewannen 1961 den Wettbewerb, um hier 8 500 Wohnungen für 27 000 Menschen (davon 4 000 in alter Bausubstanz) unterzubringen.596 Seit Mitte der sechziger Jahre entstanden so, neben fünf fünfgeschossigen Bauten, neunzehn fast 90 Meter lange Wohnblöcke, 16 Stockwerke hoch, mit jeweils 300 oder 420 Wohnungen. Der Architekturkritiker Grzegorz Piątek bezeichnet dieses Viertel als das wahrscheinlich größte „zentral gelegene und an Le Corbusier angelehnte Wohnviertel Europas“.597 Entsprechend den Ideen dieses Gründervaters der modernen Architektur und Stadtplanung ließen die Architekten zwischen den Blöcken viel Platz für städtisches Grün, das nur FußgängerInnen zugänglich war und den BewohnerInnen zur Entspannung dienen sollte. Außerdem befolgten sie den Grundsatz, architektonisch wertvolle Gebäude, wie in diesem Fall die Mirowski-Markthallen (Hale Mirowskie) oder eine Kirche (Kościół św. Karola Boromeusza) zu erhalten. Das traditionelle Straßenraster hingegen überbauten sie radikal, ebenso die übrige historische Bebauung, die schon vor dem Krieg als zu dicht angesehen und im Krieg stark zerstört worden war. Dieses 1972 schließlich fertiggestellte Wohnviertel war damit eine der Regionen der Stadt, wo mit der historischen Stadtstruktur am stärksten gebrochen wurde, abgesehen von den bereits erwähnten Projekten des Sozialistischen Realismus wie dem Kulturpalast, dem Plac Konstytucji und dem Wohnviertel Muranów. Denn das Eiserne Tor, nach dem das Viertel weiterhin benannt war, war noch in der Zwischenkriegszeit der Eingang zum Sächsischen Garten gewesen, der mittlerweile allerdings erst hinter der mehrspurigen Ul. Marszałkowska begann. Doch die Blickverbindung entlang der gesamten Achse war gewährleistet, weil dieses Wohnviertel so massiv war, dass es vom Plac Zwycięstwa aus unübersehbar war. Am Plac Teatralny traf diese uniformierende Kraft des modernen Städtebaus erneut auch historische Gebäude, die jedoch nicht einhellig abgelehnt wurden. Das Wohn- und Geschäftshaus an der Ecke Ul. Bielańska/Ul. Senatorska, das den Namen Mikulski-Haus (Kamienica Mikulskiego oder auch Kamienica na Gołubskiem) trug, hatte Corazzi 1827 entworfen. Er hatte es mit einer durchaus beeindruckenden Fassade von vier Säulen in der Höhe zweier Etagen versehen, um den Platz auch von dieser Ecke her einzurahmen. Architektonische Skizzen von 1948 zeigen, dass es wohl zunächst wiederaufgebaut werden sollte.598 Die Zukunft der „meisterhaften Lösung“ für die einheitliche Komposition des Corazzi-Ensembles

596 Prezydium Rady Narododwej Miasta Stołecznego Warszawy/Rada główna społecznego Funduszu Odbudowy Stolicy i Kraju, Plan Generalny, S. 148 f. 597 Grzegorz Piątek: Fenomen osiedla za Żelazną Bramą. Interview von Agnieszka Kowalska (12.07.2014), URL: http://www.bryla.pl/bryla/1,85301,12114672,Fenomen_osiedla_za_Zelazna_ Brama.html (Zugriff 27.10.2015). 598 AMWKZ, 817/22, Ul. Senatorska 22, 1948.

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Abb. 4.4: Skizzen von Antoni Jaworski für das BOS zum Wiederaufbau des Mikulski-Hauses von Corazzi an einer Ecke des Plac Teatralny (Ul. Bielańska/Ul. Senatorska), 1948 (zusammengefügt von der Autorin).

war 1956 immer noch nicht entschieden, als der Architekt Zbigniew Bielecki in einem Leserbrief an die „Stolica“ seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, dass dieser Wert erkannt und das Eckhaus daher im neuen Plan für die Gegend Bestand haben würde.599 Allerdings war Ende der Fünfziger nur noch das Portal in Richtung Plac Teatralny erhalten. In den Augen des Architekten Zygmunt Stępiński drückte dies gleichzeitig Monumentalität und Tragik aus und hätte daher als dauerhaftes Ruinendenkmal erhalten werden sollen. Das schlug er den für das Wohnviertel verantwortlichen Architekten Ende der fünfziger Jahre zwei Mal vor.600 Wer genau die Entscheidung über den Abriss schließlich fällte, darüber schweigen allerdings auch Stępińskis Aufzeichnungen. Nach Majewski war es „angeblich Władysław Gomułka, der im Stadtzentrum keine Ruinen haben wollte“.601 An seiner Stelle entwarfen die Architekten einen Pavillon, vor dem sich schon bald lange Schlangen bildeten: Hier zog der Süßigkeitenproduzent Wedel ein, der allerdings mittlerweile den Namen „22. Juli, ehemals Wedel“ trug.

599 Zbigniew Bienecki: Jeszcze o Bielańskiej. Nasi czytelnicy uzupełniają, in: Stolica (1956), 39, S. 15. 600 Stępiński, Siedem placów, S. 73. 601 Vgl. Jerzy S. Majewski: Warszawa nieodbudowana. Królestwo polskie w latach 1815–1840. Warszawa 2009, S. 239.

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Abb. 4.5: Die Bank Polski von der Ul. Bielańska gesehen, circa 1908.

Zeitgleich schienen auch die Tage eines weiteren historischen Gebäudes in unmittelbarer Nähe gezählt: der hinter dem Plac Teatralny in Ruinen liegende Komplex der ehemaligen Bank Polski. Das war insofern wenig überraschend, als die Gebäude von 1907 bis 1911 gebaut wurden – in einer Zeit also, deren Architektur damals keineswegs als schützenswert angesehen wurde. Aus diesem Grund verwundert es eher, warum die Gebäude überhaupt noch standen, und das direkt an der Trasa W-Z, die ja dezidiert als Straße der Ausblicke gebaut worden war. Doch Diskussionen aus der Zeit des Baus der Straße Ende der vierziger Jahre zeigen, dass die PlanerInnen Widerstände gegen den Abriss gut erhaltener Gebäude wie der Bank erwarteten, die sie nur mit „außerordentlichen Kraftanstrengungen“ hätten bekämpfen können.602 Die Umbaupläne der sechziger Jahre haben bisher keinen Eingang in die Forschungsliteratur gefunden, sind aber höchst interessant, um zu verdeutlichen, wie sehr die Moderne, architektonisch wie inhaltlich, das Zentrum der Stadt umgestalten sollte.603 So war für das Industrielle Elektronische Institut (Przemysłowy Zakład Elektroniczny) ein Neubau direkt an der Trasa W-Z vorgesehen. Vorbereitend wurde dafür der dortige Flügel des Bankgebäudes, der relativ gut erhalten war, abgerissen. Im anderen Gebäudeteil entlang der Ul. Bielańska, der bis

602 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 400. 603 Sämtliche Informationen für diesen Absatz stammen aus dem WA, vor allem 2/1383.

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Abb. 4.6: Entwurf von Marek Leykam für die Neubebauung des Areals der Bank Polski an der Ul. Bielańska mit verschiedenen technischen Institutionen, 1962.

heute erhalten ist, sollte das Museum der Polnischen Revolutionsbewegung (Muzeum Polskiego Ruchu Rewolucyjnego) untergebracht werden. Davon zeugt eine Entscheidung des Stadtrats vom Juni 1962, die durch eine Änderung im städtischen Flächennutzungsplan die Nutzung als Museum erlaubte. Das Kulturministerium zog diesen Plan allerdings Anfang Oktober 1962 zurück – die Gründe dafür sind nicht überliefert. Ein Jahr später hatten sich die Pläne komplett gewandelt: Entstehen sollte auf dem Grundstück der Bank Polski eine Art technischer Hochburg mit den folgenden Institutionen: dem besagten Industriellen Elektronischen Institut, einer Abteilung des Instituts für Kernenergieforschung (Instytut Badań Jądrowych) sowie ein Büro für Rundfunkausrüstung (Biuro Zbytu Sprzętu Teleradiotechnicznego). Über die Größe und Anordnung der von Marek Leykam geplanten neuen Gebäude gab es Kontroversen, wie die vier verschiedenen Entwürfe zeigen. Die funktionalistischen Blöcke wären mit einer vom Chefarchitekten erlaubten Höhe von 65 Metern durchaus eindrucksvoll hoch geworden – gar höher als die Wohnblöcke am Plac Teatralny. Von diesen ehrgeizigen Plänen wurde allerdings einzig der Abriss des Gebäudeteils direkt an der

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Trasa W-Z 1962 umgesetzt. Der Gebäudeteil an der Ul. Bielańska blieb unangetastet, und ihre Gewölbekeller nutzte die Firma Polkolor (Arbeitslampenbetrieb Rosa Luxemburg, Zakłady Lamp Profesjonalnych im. Róży Luksemburg).

Abb. 4.7: Ruinen der Bank Polski sowie links das Neubaugebiet an der Ul. Bielańska und im Hintergrund Wohnhochhäuser an der Trasa W-Z, Anfang der sechziger Jahre.

Diese changierenden Pläne kann man als Ausdruck von Uneinigkeit und Unentschlossenheit ansehen. Vor allem zeugen sie von einem Dilemma, mit dem sich die Verantwortlichen konfrontiert sahen. Ciborowski fasste es wie folgt zusammen, nachdem er seinen Posten des Chefarchitekten bereits an Czesław Kotela abgegeben hatte: Mehr als einmal sahen wir uns vor das Dilemma gestellt: Kann man noch viele Jahre lang ein leeres Gelände ohne alle Investitionen lassen um eines Zukunftsprojekts willen, zu dessen Realisierung vorläufig die Mittel und Kräfte fehlen, oder sollte man entgegen der idealen Konzeption etwas anderes und anders bauen? Das bauen, was heute unentbehrlich ist, wofür man die Mittel beschaffen kann, wobei zugleich ein Vakuum mitten in der Stadt liquidiert wird. Der Ausweg lag häufig in einem Kompromiss.604

604 Ciborowski, Warschau, S. 261.

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Aus Sicht der BewohnerInnen des neuen Wohnviertels direkt am Plac Teatralny waren ihre neuen, vergleichsweise komfortablen Wohnungen mitten im historischen Zentrum wohl eher weniger ein Kompromiss. Doch genauso, wie der Platz vor seiner neuen Bebauung „Gegenstand lebhafter Diskussionen und widersprüchlicher Ansichten“605 gewesen war, so wurde danach dauerhaft weiter diskutiert, wie ein Kommentar aus den achtziger Jahren beweist: „Dieses Viertel hat während seines Baus viele Diskussionen und Kritik hervorgerufen, und sogar jetzt, zwanzig Jahre danach, hat es weiterhin viele Gegner.“606 Viele ArchitektInnen kritisierten das neue Wohnviertel, das direkt an den neuerdings „Platz der drei Säulen“ (Plac Trzech Słupów) genannten Plac Teatralny grenzte. Władysław Czerny kritisierte die Gebäude als Allerweltsarchitektur wie „aus einem Katalog“, die seitlich an den Platz gestellt worden seien.607 Auch der Stadtplaner Jankowski verurteilte in der „Życie Warszawy“ die Architektur, die in jeder normalen Wohnsiedlung in Ordnung, gegenüber des monumentalen Corazzi-Ensembles aber fehl am Platze sei.608 In der nicht publizierten Antwort auf diesen Artikel bezeichnete ein anderer Architekt, Kazimierz Saski, die Architektur auf der Nordseite des Plac Teatralny 1970 als aggressiv. Die Atmosphäre des Platzes sei aufgrund der „gigantischen“ Gebäude „brutalisiert“.609 Er fasste außerdem zusammen, dass sich in den 17 Artikeln, die sich 1965 in der „Życie Warszawy“ mit dem Plac Teatralny befassten, acht AutorInnen negativ über den Platz äußerten. Ein anonymer „Architekt aus Katowice“ lobte in einer Umfrage von 1968 hingegen genau diese Kombination der Stile als die gelungenste Komposition moderner und traditioneller Architekturelemente in Warschau. Doch dieser positive Tenor war selten; auch LaienbeobachterInnen äußerten sich in einer Umfrage von 1968 negativ über die Gestaltung des Platzes. So schrieb Hanna Szwankowska, ihr tue der Anblick des Plac Teatralny (und des Plac Zwycięstwa) weh – er sei verdorben („marnowany“). Und ein anderer Teilnehmer schließlich, Stefan Zawadzki, bezeichnete den Plac Teatralny als den „Gipfel des Durcheinanders“.610

605 o.V., Konkurs na urbanistyczne, S. 296. 606 Chmielewski, Przewodnik warszawski, S. 42. 607 Władysław Czerny: Plac Teatralny w Warszawie. Problemy i dyskusje, in: Architektura (1971), 9, S. 352. 608 Stanisław Jankowski: Plac Teatralny – ale jaki?, in: Życie Warszawy, 26.07.1970. 609 NID, Teki Saskiego, T. 7/2, nicht veröffentlichter Diskussions-Artikel Kazimierz Saskis an „Życie Warszawy“: „Plac Teatralny czeka na naprawę“, August 1970. 610 Szwankowska, Panorama starego, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 543.

4.2 Pragmatischer Kompromiss: Moderner Wohnungsbau im Zentrum

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Anfang der sechziger Jahre verfestigte sich damit am Plac Teatralny die für Warschau bis heute so typische Kombination von architektonischen Stilen und städtebaulichen Prinzipien. Hier manifestierten sich verschiedene Arten des Umgangs mit Kriegszerstörungen und den Herausforderungen, die daraus erwuchsen: Einerseits war das nur wenig beschädigte Blank-Palais zügig wiederaufgebaut worden sowie nach zehn Jahren der stark mit der Vorkriegssituation brechende Wiederaufbau des Teatr Wielki abgeschlossen. Andererseits hatte mit den Wohnblöcken und dem dazugehörigen Wohngebiet entlang der Ul. Bielańska die städtebauliche Moderne Einzug gehalten – auch am Plac Teatralny, den die Wohnblöcke erheblich prägten, auch wenn sie nicht direkt an seine Platzkante gebaut worden waren.611 Darüber hinaus stellten die Wohnblöcke nicht nur gestalterisch einen Bruch mit der Vorkriegszeit dar, sondern auch in funktionaler Hinsicht. Die Wohnhäuser durchbrachen in gewisser Weise den historischen repräsentativen Charakter des Platzes. Und auch wenn die neuen BewohnerInnen den Platz belebten, so strahlte diese Art Alltäglichkeit nicht auf die ganze Stadt aus, wie das vor dem Krieg das Rathaus und die umliegenden Lokale getan hatten. Darüber hinaus dominierte den Platz eine dritte Art des Umgangs mit den Kriegszerstörungen: Freiflächen. Zwar hatte die Freifläche, die nach dem Abriss der Kirche der Kanonikerinnen entstanden war, wieder bebaut werden sollen. Sie blieb aber, so viel sei an dieser Stelle verraten, bis in die neunziger Jahre hinein bestehen. Die Freifläche, die auf den Abriss des Rathauses folgte, wurde zum Gegenstand erhitzter Diskussionen. Denn während die Hochhäuser am Plac Teatralny emporwuchsen, wurde auf dem ehemaligen Grundstück des Rathauses das geschichtspolitisch brisanteste Projekt der Stadt debattiert und geplant, das den repräsentativen Charakter des Platzes deutlich steigern sollte: das Denkmal der Helden Warschaus (Pomnik Bohaterów Warszawy). Die Diskussionen, um die es im nächsten Kapitel gehen wird und die sich an dieser Freifläche bündelten, sind insofern höchst interessant, als sie neben einigen aufschlussreichen Einblicken in die Warschauer Stadtplanungsgeschichte vor allem Gräben innerhalb der offiziellen und inoffiziellen Sichtweise auf den Zweiten Weltkrieg offenbaren. Zudem zeigen sie Bruchstellen in der Legitimationsgrundlage der kommunistischen Herrschaft in Polen auf.

611 Auch an der Ostseite des Platzes entstand in den sechziger Jahren ein flacher, moderner Wohnblock. Dort hatte vor dem Krieg ein Wohnhaus aus dem Ende des 18. Jahrhunderts gestanden, das um 1920 um ein Stockwerk erhöht worden war.

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4 Modernisierung und Erinnerung

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation: Der Kampf um Geschichte auf den historischen Plätzen 4.3.1 Der Warschauer Aufstand und die Warschauer Nike am Plac Teatralny Normalerweise bilden sich auf polnischen Friedhöfen am 1. November, das heißt an Allerheiligen, Trauben von Menschen, die ihrer verstorbenen Angehörigen gedenken. In Warschau geschah dies auch am 1. August, um am Jahrestag des Beginns des Warschauer Aufstandes der Gefallenen und Ermordeten zu gedenken. Wichtigster Ort für dieses eigenverantwortlich organisierte Gedenken war der Friedhof Powązki. Dort wurde am zweiten Jahrestag des Aufstandsbeginns, dem 1. August 1946, ein von Helena Kłosowicz entworfener Obelisk als Denkmal des Warschauer Aufstandes, genannt „Gloria Victis“, enthüllt. Während die kommunistischen Machthabenden anfangs den „enormen Emotionen“, die der Jahrestag auslöste, Respekt zollten, wurden die von Privatleuten und dem Roten Kreuz praktizierten Exhumierungen und erneuten Begräbnisse auf dem Powązki-Friedhof zunehmend schwieriger und schließlich unmöglich gemacht.612 Denn mit Beginn des Stalinismus 1949 hatte sich das staatliche Geschichtsnarrativ radikal verändert: „Das ‚Londoner Lager‘ wurde nun auf eine ‚reaktionäre Clique‘ reduziert, die über den Antisowjetismus den Weg in die Kollaboration mit dem Dritten Reich beschritten habe. Echten Widerstand habe nur ‚die Linke‘ geleistet.“613 So wurde der Jahrestag von 1950 bis 1953 komplett verschwiegen. Zugehörigkeit zur AK war in dieser Zeit ein Kainsmal, das berufliche Benachteiligung, in zahlreichen Fällen aber auch Verhaftung, Folter oder gar ein Todesurteil bedeuten konnte.614 Erst nach 1954 war es wieder möglich, darüber zu schreiben. Mit der großen Amnestie vom 27. April 1956 nahm die Diskussion über den Aufstand und das Gedenken an Fahrt auf. Die Zahl der Publikationen, zumeist persönliche Erinnerungen, nahm rapide zu.615 Insofern kann „die Auseinandersetzung um die Stellung des Warschauer Aufstands in der polnischen Nationaltradition [. . .] [als ein] Spiegelbild der politischen 612 Borodziej, Warschauer Aufstand, S. 208. 613 Ebd., S. 209. 614 Die hohen AK-Offiziere waren 1945 mehrheitlich ins Londoner Exil gegangen. Allein von den mit Sicherheitsfragen befassten Aufständischen wurden zwischen 1947 und 1954 mindestens 74 Menschen verhaftet und teilweise gefoltert oder zum Tode verurteilt und erschossen. Vgl. ebd., S. 210. 615 Vgl. auch das Buch von Roman Bratny Kolumbowie. Rocznik 20 (Generation Kolumbus. Jahrgang 20) über eine vom Krieg, insbesondere vom Warschauer Aufstand geprägte Generation, sowie den Film Kanał (Der Kanal) von Andrzej Wajda. Letzterer erhob erstmals öffentlich die These, dass das Sterben vielerorts sinnlos gewesen sei.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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Geschichte Polens“ angesehen werden.616 Diese Auseinandersetzung hatte für lange Zeit ihren Schauplatz auf dem Plac Teatralny. Das mag heute überraschen, da das Denkmal des Warschauer Aufstands seit 1989, nach jahrzehntelangen Diskussionen, am Plac Krasińskich steht. Doch dreißig Jahre zuvor fiel die Wahl auf den Plac Teatralny, um dort ein Denkmal der Helden Warschaus zu errichten – ebenfalls von hitzigen Diskussionen begleitet. Gerade mal zehn Jahre nach Kriegsende rief das Thema in der Bevölkerung viele Erinnerungen und starke Emotionen hervor, weshalb aufgrund der vergrößerten Redefreiheit nach 1956 eine rege öffentliche Debatte entbrannte, die hier kursorisch nachgezeichnet wird. Am 31. Juli 1956, also einen Tag vor dem zwölften Jahrestag des Beginns des Warschauer Aufstands, wurde der Beschluss des Nationalrats der Hauptstadt bekannt gegeben, ein Denkmal der Helden Warschaus bauen zu wollen. Zu diesem Zweck wurde ein Gesellschaftliches Komitee (Społeczny Komitet Budowy Pomnika Bohaterów Warszawy)617 gegründet, dessen Name nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass die Initiative vom Zentralkomitee der PZPR ausging, um die Organisation und Diskussion im weiteren Verlauf zu kontrollieren. Dieser Schritt war vielmehr ein Versuch, auf die unüberhörbaren Stimmen aus der Gesellschaft zu reagieren und eigenverantwortlichen Aktivitäten zuvorzukommen oder diese zu schwächen. Im August 1956 veröffentlichte das Komitee einen Appell an alle PolInnen, die sich im Land selbst sowie im Ausland befanden, und explizit an die BürgerInnen Warschaus, den Bau des Denkmals zu unterstützen, denn: „Das Denkmal der Helden Warschaus, das wir 1958 bauen werden, wird das Symbol des kämpfenden Polens und Ausdruck der Einheit der Nation, die auf den Ruinen des Krieges die Größe und das Glück der Heimat des Volkes erbaut.“618 In der Erklärung des Komitees hieß es zudem, das Denkmal solle „der Patrioten gedenken, die zwischen 1939 und 1945 in Warschau fielen, und kein Denkmal [sein], das einzelnen Episoden des Kampfes in Warschau, zum Beispiel dem Aufstand, gedenkt.“619 Auch die offizielle Zeitung der Miliz schloss sich der Aufforderung nach Unterstützung an. Das überrascht einerseits wenig, da es sich um ein offiziell 616 Borodziej, Geschichte Polens, S. 208. 617 Das Komitee bildeten Angehörige verschiedenster Formationen und Untergrundorganisationen, von der AL, über die Polnische Volksarmee (Ludowe Wojsko Polskie, WP) bis hin zur AK (unter anderem solche AK-Größen wie Mazurkiewicz und Rzepecki) sowie Gelehrte, KünstlerInnen und FunktionärInnen gesellschaftlicher Organisationen. 618 ASARP, Oddział Warszawski, 2/188, Pomnik Bohaterów Warszawy 1959, Ausschreibung des Wettbewerbs, Februar 1957. 619 o.V.: Pomnik Bohaterów Warszawy stanie w r. 1958. Posiedzenie Społecznego Komitetu Budowy Pomnika, in: Trybuna Ludu, 03.08.1956, zitiert nach Jacek Zygmunt Sawicki: Bitwa o prawde̜. Historia zmagań o pamie̜ć Powstania Warszawskiego 1944–1989. Warszawa 2005, S. 104.

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4 Modernisierung und Erinnerung

abgesegnetes Projekt handelte. Andererseits indiziert die Wortwahl, dass „nach Jahren der Verfälschung nunmehr die Soldaten der Heimatarmee und der Volksarmee gemeinsam zu würdigen“ seien, wie weit die Veränderungen des Jahres 1956 auch in herrschaftswichtige Kreise diffundierthatten.620 In diesem Kontext erscheint das Anliegen der Machthabenden, die Aufmerksamkeit von dem Warschauer Aufstand abzulenken, als ein heikles Unterfangen. An dieser Stelle leitet der Begriff der PatriotInnen zum politischen Kontext über. Unter Gomułka verloren bisherige Legitimationsstrategien an Bedeutung: Die Proteste von 1956 waren der Beweis gewesen, dass der polnische Kommunismus nicht ohne Nationalismus auskam.621 Deshalb verlor die bisherige Staatsideologie, der Marxismus-Leninismus, zunehmend an Verbindlichkeit: „Sie hörte endgültig auf, die breite Öffentlichkeit zu beeindrucken, die sie ohnehin nie wirklich hatte erreichen können. Auch als Instrument zur Beschreibung einer sich verändernden Gesellschaft taugte sie nicht länger.“622 Deshalb entwickelte die PZPR in den sechziger Jahren zunehmend eine nationalkommunistische Legitimationsstrategie, die eher nationalistisch als kommunistisch geprägt war.623 In diese Strategie wurden in großem Maße militärische Elemente eingeflochten. Das hatte personelle Gründe, da die sogenannten „Partisanen“ in der Partei im Laufe der sechziger Jahre einflussreicher wurden. Das hatte aber auch mit dem hohen Ansehen zu tun, das das Militär in Polen genoss.624 Insofern war der Fokus auf alle HeldInnen Warschaus – und nicht die KämpferInnen des Aufstands – nicht nur damit zu begründen, dass auf diese Weise nicht ausschließlich die SoldatInnen der von der Staatsmacht kritisch beäugten AK geehrt und implizit die untätigen Truppen der Roten Armee kritisiert wurden. Sondern dieser Zugang hegte die SoldatInnen der kommunistischen Volksarmee (Armia Ludowa, AL) und andere KämpferInnen in das allgemeine historische Narrativ ein, das in dieser Zeit im Sinne eines militärischen Patriotismus etabliert werden sollte.625 Ein wichtiger Baustein dabei war das geplante Denkmal der Helden Warschaus. Klar war aus der Perspektive der Machthabenden also, dass mit dem Denkmal nicht explizit den KämpferInnen des Warschauer Aufstands gedacht werden solle – im Gegenteil. Den Standort und die Gestaltung hingegen sollte ein offener

620 Puttkamer, „Es ist Zeit“, in: Kochanowski/Puttkamer (Hg.), 1956, S. 284–303, hier S. 294. 621 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 271 f. 622 Ebd., S. 282. 623 Ebd., S. 303. 624 Diese Tendenzen lassen sich auf den Kult um Piłsudski und seine Legionen während der Sanacja-Zeit zurückführen. Vgl. Łukasz Polniak: Patriotyzm wojskowy w PRL w latach 1956–1970. Warszawa 2011, S. 31. 625 Zu den Hintergründen des militärischen Patriotismus vgl. ebd.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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Wettbewerb ermitteln. Demgemäß schrieben der SARP und der Polnische Künstlerverband (Związek Polskich Artystów Plastyków, ZPAP) im Februar 1957 einen Wettbewerb aus.626 Die KünstlerInnen konnten einen der vier vorgeschlagenen Standorte wählen, die alle Teil des historischen Warschaus waren: die Sächsische Achse, die Stanisław-Achse, die Altstadt oder die Region um den Plac Teatralny. Obwohl die Resonanz mit 196 eingesandten Arbeiten (davon 42 aus dem Ausland) sehr groß war, wurde kein erster Preis verliehen. Dafür bekamen zwei Entwürfe den zweiten Platz: Franciszek Masiak projektierte eine Skulptur für den Marktplatz der Altstadt, die Kämpfende zwischen Ruinen andeutete (Entwurf Nr. 88). Jan Bogusławski, Kazimierz Gąsiorowski und Adam Mauersberger (Entwurf Nr. 58) platzierten eine mit Granitblöcken symbolisierte Barrikade vor dem wiederaufzubauenden Königsschloss. Im Schloss selbst sollte zudem mit einer Ausstellung in den drei ältesten Sälen der im Aufstand Gefallenen gedacht werden.627 Es wurden darüber hinaus einige Belobigungen ausgesprochen, von denen drei das Denkmal am Plac Teatralny zu errichten planten (die Entwürfe Nr. 43, 87 und 89). Die Frage nach dem Standort des Denkmals scheint offen debattiert worden zu sein. Zudem stellten sich „wohl alle Bewohner der Hauptstadt“ diese Frage, wie die „Życie Warszawy“ 1956 schrieb. Nachdem die Wettbewerbsentwürfe in der Kunstgalerie „Zachęta“ ausgestellt worden waren, richtete sie im Mai 1958 erneut die Frage an ihre LeserInnen: „Wo soll das Denkmal der Helden Warschaus stehen?“ Abschließend übergab sie die sehr zahlreichen Antworten dem Gesellschaftlichen Komitee.628 Unter den an der Umfrage Teilnehmenden herrschte keinesfalls Einigkeit. Während die Schriftstellerin Maria Dąbrowska sich für den Plac Zwycięstwa als Standort aussprach,629 schlug Jerzy Hryniewiecki, der Vorsitzende des SARP, vor, das Denkmal an der Stelle des Warschauer Schlosses zu errichten. Die so erreichte „gewaltige Aussage“ sei besser als ein weiteres „Pseudobaudenkmal“ – womit er das wiederaufzubauende Schloss meinte.630 Kazimierz Brandys hingegen befürwortete den Plac Teatralny aus einem interessanten Grund:

626 Konkurs powszechny SARP i ZPAP Nr 240 na projekt Pomnika Bohaterów Warszawy (1957). 627 Stępiński, Siedem placów, S. 79 f. 628 o.V.: Gdzie ma stanąć pomnik „Bohaterów Warszawy“?, in: Życie Warszawy, 01.08.1956, S. 1. 629 Maria Dąbrowska: Drugi konkurs nie da rezultatów. Ankieta „Życia“ o Pomniku Bohaterów, in: Życie Warszawy, 10.05.1958, S. 3. 630 Jerzy Hryniewiecki: „Na miejscu Zamku“. Ankieta „Życia“ o Pomniku Bohaterów, in: Zycie Warszawy, 03.05.1958, S. 3.

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Die abgerissene [wyburzone] Umgebung des Plac Teatralny, ihre aufgelockerte Fläche und Weite – und vor allem der dort geplante Bau eines modernen Wohnviertels – könnten eine interessante Ausgangslage für ein Denkmal sein, dessen Konzept zwei Epochen der Stadt in sich vereint. Ich denke, das hätte einen gewissen Sinn, nicht nur in stadtplanerischer Hinsicht.631

Auch der Chefarchitekt Ciborowski hatte sich 1956, also am Anfang des Planungsprozesses, in einem Interview mit der Zeitung „Życie Warszawy“ aus stadtplanerischer Sicht für ein Denkmal am Plac Teatralny ausgesprochen, und zwar an der Stelle des Rathauses: „Stadtplanerisch gefällt mir der Plac Teatralny, literarisch – die Altstadt.“632 Ein anonymer Kritiker prangerte 1958 an, am Plac Teatralny gelte es eine Freifläche zu füllen, was mit dem Denkmal keinesfalls gelingen könne: „Eine ‚Aussichtslücke‘ von Norden her zu lassen, nivelliert den gestalterischen Ausdruck des Plac Teatralny. Er ist damit kein in sich geschlossenes Ganzes, er ist damit kein Platz mehr.“633 Dem Votum der Wettbewerbsjury, das Denkmal in der Altstadt oder am Schlossplatz unterzubringen, entsprachen die entscheidenden Gremien nicht. Diese bestanden laut Stępiński aus dem Warschauer Chefarchitekten Ciborowski und dem Präsidium des Komitees zum Bau des Denkmals. Sie wählten den Plac Teatralny als Standort, der zur Bedingung für den zweiten Wettbewerb von 1959 wurde. Die Frage, ob dieser überhaupt den Durchbruch bringen würde, war zuvor kontrovers diskutiert worden. Einen heiklen Punkt sprach diesbezüglich Jan Cybis, der Präsident des ZPAP, an. Er äußerte die Vermutung, dass sich kein geeigneter Entwurf hatte finden lassen, weil das Denkmal in den Wettbewerbsbedingungen von 1957 zu unpräzise definiert gewesen war. Daher sei es kein Wunder, dass die meisten Entwürfe mit Symbolen wie Barrikaden oder dem Anker das Denkmal auf den Warschauer Aufstand „verengt“ hätten. Er forderte deshalb, für die zweite Runde des Wettbewerbs eine Antwort auf die folgende Frage zu finden: „Wollen wir des Warschauer Heldentums der letzten Epoche seiner Geschichte gedenken, und dabei besonders der tragischen Monate des Warschauer Aufstandes, oder der gesamten heldenhaften Geschichte Warschaus?“634 Den zweiten Wettbewerb gewann schließlich der Entwurf von Marian Konieczny: eine auf einem Granitsockel liegende Frauengestalt, die die

631 Kazimierz Brandys: „Coś z tego będzie“. Ankieta „Życia“ o Pomniku Bohaterów, in: Życie Warszawy, 09.05.1958, S. 3. 632 Adolf Ciborowski: Gdzie ma stanąć pomnik „Bohaterów Warszawy“?, in: Życie Warszawy, 03.08.1956, S. 4. 633 S., Plac Teatralny, S. 13. 634 Jan Cybis: Trzeba dokładniej określić temat. Ankieta „Życia“ o Pomniku Bohaterów, in: Życie Warszawy, 10.05.1956, S. 3.

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griechische Siegesgöttin Nike halb naturalistisch, halb abstrahiert darstellte, das Schwert gen Westen gerichtet. Damit war ein Entwurf gewählt, der deutlich weniger direkt an den Warschauer Aufstand erinnerte, sondern der „gesamten heldenhaften Geschichte Warschaus“ gedachte. Auf die öffentliche Ausstellung der Entwürfe in der Kunstgalerie „Zachęta“ folgten heftige Diskussionen, die das gesamte Jahr 1960 andauerten.635 So erreichten viele kritische Leserbriefe die „Stolica“.636 Diese griffen häufig die metaphorische Personifizierung der Warschauer Helden als griechische Siegesgöttin Nike an, die noch dazu halbnackt sei. Zu einem solchen Denkmal sage die überwältigende Mehrheit der WarschauerInnen „Nein“, so Kazimierz Ptaszyński aus Pabianice. Denn wer ziehe angesichts einer Statue den Hut, die aussehe, als falle sie fast von ihrem Sockel? Auch Salina Baniewicz aus Warschau befand, dass die gefallenen HeldInnen Warschaus etwas Anderes verdient hätten. Dieser Entwurf sei geradezu eine Parodie. Ein so geartetes Denkmal lenke den Blick zu weit in die Vergangenheit und von der Realität ab, pflichtete ein Leser mit unleserlicher Unterschrift bei. Denn es ginge doch um den letzten Krieg: „Wozu diese Mythologie, warum irgendwelche Mythen nachmachen . . . Das Denkmal sollte polnische nationale Züge tragen, das Heldentum der einfachen Leute.“ Beschwerdebriefe erreichten auch die Beschwerdestelle des Zentralkomitees der PZPR (Biuro Listów i Interpelacji KC PZPR). Dass die Diskussion im Zentralkomitee wahrgenommen wurde, zeigt auch eine Kopie des kleinen satirischen Textes „Warschau im Jahr 2001“ aus dem Illustrierten Kalender der „Stolica“ für 1961, die sich im Archiv der Beschwerdestelle fand: Der 38. Wettbewerb für das Denkmal der Helden Warschaus wurde ausgeschrieben. Den ersten Preis erhielt ein Entwurf mit dem Namen ‚Nicht heute, sondern morgen‘, der ein auf dem Rücken liegendes Eichhörnchen beinhaltet, das eine Nuss in der Hand hält. Wie sich herausstellt, weiß keiner der Jurymitglieder und der Teilnehmer, worum es in dem Wettbewerb geht. Die Zeitung ‚Stolica‘ hat aus gegebenem Anlass alle bisher ausgezeichneten Entwürfe publiziert. Am meisten wurde der Entwurf des Jahres 1959 belächelt.637

An der Umsetzung des in dem vorhergehenden Text so arg belächelten Entwurfs arbeitete der Bildhauer Marian Konieczny zwei Jahre lang. Bis ins Jahr

635 Stępiński, Siedem placów, S. 81. 636 Die Zeitschrift „Życie Warszawy“, die 1956 und 1958 bereits zwei Umfragen zu dem Thema initiiert hatte, forderte 1960 nicht mehr dazu auf, denn diese Diskussion könne man ewig und ins Nichts führen. Vgl. Henryk Korotyński: Dyskutować i zwlekać – czy budować?, in: Życie Warszawy (1960), 9, S. 3. Alle folgenden Aussagen stammen aus: o.V.: Czytelnicy „Stolicy“ o pomniku Bohaterów Warszawy, in: Stolica (1960), 6, S. 7. 637 Der Brief von S. Baniewicz sowie die Erwiderung von Eryk Lipiński sind abgedruckt in Sawicki, Bitwa, S. 142.

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Abb. 4.8: Das Nike-Denkmal vor dem Teatr Wielki, 1965.

2001 zog sich die Angelegenheit also nicht hin. Das Denkmal wurde schließlich am 20. Juli 1964 enthüllt – im zwanzigsten Jahr nach dem Beginn des Warschauer Aufstands, allerdings nicht zu dessen Jahrestag am 1. August 1964.638 Das mag verwundern – oder gerade nicht. Sawicki vermutet dahinter eine bewusste Entscheidung der Machthabenden, um die Aufmerksamkeit auf den zwanzigsten Jahrestag der Entstehung des Lubliner Komitees am 22. Juli 1944 zu richten und damit von der Erinnerung an den Warschauer Aufstand abzulenken.639 Es ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Detail, dass der Teil des Entwurfs nicht umgesetzt wurde, der in Bezug auf die Deutung entscheidend war: angedeutete Barrikaden,

638 Zum zwanzigsten Jahrestag des Aufstandsbeginns wurde eine feierliche Akademie im Kongresssaal des Kulturpalasts organisiert. Darüber hinaus bekamen circa 500 TeilnehmerInnen des Aufstandes ein Partisanenkreuz und eine Medaille für Warschau verliehen, und die polnische Post gab eine Sonderbriefmarke heraus. Vgl. ebd. 639 Ebd. Vgl. darüber hinaus Borodziej, Warschauer Aufstand, S. 210, der darauf hinweist, dass die Feierlichkeiten zum 22. Juli häufig bis Ende Juli andauerten, um die Aufmerksamkeit zu binden.

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die den Platz um den Sockel hätten eingrenzen sollen. Laut Stępiński geschah dies nicht, weil die Platzgestaltung noch nicht abschließend geklärt war. Es ist allerdings auch plausibel, dass auf diese Weise konkrete Assoziationen zum Warschauer Aufstand so gering wie möglich gehalten werden sollten. Doch die Machthabenden konnten ohnehin nicht verhindern, dass jeder Besucher mit dem Denkmal eigene Assoziationen verband, auch ohne die barrikadenartigen Umrandungen. Denn zwanzig Jahre danach lebten noch sehr viele Überlebende des Aufstandes in Warschau. Videoaufnahmen der Eröffnungszeremonie am 20. Juli 1964 zeigen viele WarschauerInnen, die in ihre eigenen Erinnerungen, ihre Tränen und ihre Trauer versunken sind.640 Regen Anteil genommen hatte im März 1964 bereits ein „beachtliches Grüppchen Warschauer“, das die Architektengruppe um Zygmunt Stępiński dabei begleitete, den endgültigen Standort für das Nike-Denkmal zu finden. Mithilfe eines vereinfachten, maßstabsgetreuen Modells der Skulptur sollte dies in den frühen Morgenstunden geschehen, um möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Die trotzdem zahlreich Versammelten erteilten den ArchitektInnen „sehr herzlich wertvolle Hinweise“. Wieder zurück im Büro stellte Stępiński fest, dass sich die Gruppe draußen im Terrain exakt für die Mitte des Hofs des ehemaligen Rathauses entschieden hatte.641 Einerseits war damit auch den größten OptimistInnen klar, dass eine Rückkehr zu der Vorkriegssituation – also der Wiederaufbau der Nordseite des Plac Teatralny mit Rathaus und Kirche – besiegelt war. Andererseits heißt das im Umkehrschluss nicht, dass die Erinnerung an die Vorkriegsbebauung und die mit ihr verknüpfte Bedeutung sprichwörtlich „aus den Augen, aus dem Sinn“ verschwanden. Denn das Rathaus scheint trotz seiner Abwesenheit in den Rang eines „Merkzeichens“642 gelangt zu sein, vor allem aufgrund seiner Bedeutung während des Zweiten Weltkriegs. Stępiński hielt den gewählten Standort des Denkmals für „ideologisch begründet“: Auf dem Plac Teatralny befand sich seit 1817 im Jabłonowski-Palais das Warschauer Rathaus, das Zeuge vieler für die Stadtgeschichte wichtiger Ereignisse wurde. Von hier leitete Bürgermeister Starzyński im September 1939 die zivile Verteidigung Warschaus,

640 PKF 64/32B: Obchody rocznicowe, 1964. 641 Stępiński, Siedem placów, S. 84. 642 Nach dem Vorreiter der kognitiven und gesellschaftlich orientierten Stadtforschung Kevin Lynch ist die „Bildhaftigkeit eines Merkzeichens“ oder Wahrzeichens größer, wenn es mit einer „Konzentration von Erinnerungen“ verbunden ist. Die „Bildhaftigkeit“, also Lesbarkeit und Einprägsamkeit einer Stadt werden durch die drei Komponenten „Identität, Struktur und Bedeutung“ hervorgerufen. Vgl. Lynch, Das Bild, S. 19 ff.

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im Rathausgebäude verhaftete ihn die Gestapo. In der Zeit der deutschen Okkupation befanden sich in den Büros der Stadtverwaltung verschiedene Zellen von Untergrundorganisationen. In den Kämpfen des Augusts 1944 stellten seine Mauern eine Bastion des Widerstandes für Verbände der Aufständischen dar, bis zum Fall der Altstadt.643

Nach Meinung einer Teilnehmerin an der über Weihnachten 1968 in der Zeitung „Życie Warszawy“ veröffentlichten Umfrage644 sei der Plac Teatralny damit sogar zum Herz Warschaus geworden: Was ich im Nachkriegs-Warschau fühle, denke, durchlebe? Ist das die gleiche Stadt, die gleiche Hauptstadt? – Bestimmt nicht. Mich rührt die pietätsvolle Rekonstruktion der Altstadt, des Teatr Wielki und das Nike-Denkmal – wahrscheinlich schlägt dort am stärksten das Herz Warschaus. Der Plac Teatralny. Von dort, aus dem damaligen Rathaus, erklang die Stimme des Bürgermeisters Starzyński, dort starben im patriotischen Kampf die Dichter Baczyński und Gajcy.645

Nimmt man diese Aussage als Anhaltspunkt, so war das Nike-Denkmal, unterstrichen durch seinen Standort, tatsächlich ein Ort des Gedenkens an verschiedene Phasen des Krieges, seine HeldInnen und Opfer. Eine andere Aussage aus einem von der Kulturabteilung des Warschauer Nationalrats organisierten Schreibwettbewerb von 1962 lässt darauf schließen, dass das Denkmal stärkere Assoziationen mit dem Warschauer Aufstand weckte, als das den InitiatorInnen lieb sein konnte: „Man kann sich Warschau gar nicht vorstellen ohne dieses Denkmal, das noch gar nicht existiert, welches aber – was seit den ersten Tagen des Wiederaufbaus klar war – gebaut werden muss im Andenken an die heldenhaften Teilnehmer des größten Dramas in der Geschichte der Stadt. Ein Denkmal der Aufständischen.“646 Ein weiterer Teilnehmer dieses Schreibwettbewerbs verurteilte den Standort des Denkmals am Plac Teatralny scharf, da dieser die Warschauer Aufständischen beleidige: Der Plac Teatralny. Eines der wertvollsten Denkmäler nationaler Kultur. Der traditionelle Ort patriotischer Versammlungen der Warschauer Bevölkerung. Seine Form und sein Anblick, den die damaligen Bewohner der Hauptstadt im Gedächtnis behalten, sind auf Fotografien und in der Ikonografie verewigt. Genau diese Form, keine andere, haben die Aufständischen im Rathausgebäude verteidigt, wo unter anderem der junge Dichter Krzysztof Baczyński fiel. Die Zerstörung dieses historischen Teils Warschaus zu akzeptieren, wäre eine Beleidigung der Aufständischen, keine Ehrung. Das Denkmal der ‚Helden

643 Stępiński, Siedem placów, S. 80 f. 644 Die Umfrage war betitelt mit: „Wie bist Du, Warschau?“ („Jaka jesteś Warszawo?“) und wurde vom 24.–26.12.1968 in der Zeitung „Życie Warszawy“ veröffentlicht. 645 „Repatriantka“, Czy to jest, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 416. 646 APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 461, „Odpryski warszawskie luźno zapisane“, Schreibwettbewerb 1962, S. 7.

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Warschaus‘ sollte an einer anderen Stelle stehen. Die Nordseite des Platzes ist im höchsten Maße mit patriotischen Emotionen verbunden und sollte komplett in ihrer ursprünglichen Form wiederhergestellt werden.647

Auch seine Argumentation betont die wichtige Rolle dieses Stadtgebietes im Warschauer Aufstand, womit er gleichzeitig seine Forderung nach dem Wiederaufbau des Jabłonowski-Palais untermauerte. Die Idee, das Denkmal am Plac Teatralny unterzubringen, widerstrebte ihm allerdings aus einem weiteren, einem stadtplanerischen Grund: Das Denkmal verliere sich auf der weiten Freifläche, die die Nordseite des Plac Teatralny seit den Abrissen in den fünfziger Jahren darstellte. Die an der Seite im Hintergrund emporwachsenden drei Punkthochhäuser änderten daran wenig.

Abb. 4.9: Im Vordergrund das Nike-Denkmal an der Stelle des abgerissenen Rathauses, gegenüber das Teatr Wielki. Direkt dahinter der Plac Zwycięstwa mit dem Grab des Unbekannten Soldaten sowie den Rasenflächen an Stelle des Brühlschen und des Sächsischen Palais, 1964.

647 APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 468, „Odbudowa Warszawy w oczach laika“, Schreibwettbewerb 1962, S. 4.

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Trotz dieser inhaltlichen und gestalterischen Einwände waren nicht alle gegen das neue Denkmal. Stępiński beispielsweise wertete den Spitznamen „Warschauer Nike“, den die Skulptur nach ihrer Enthüllung im Jahre 1964 im Handumdrehen bekam, als Zeichen dafür, dass der Entwurf trotz aller Kritik eine gewisse Akzeptanz erfuhr.648 Mehr noch: Erstaunlich viele Menschen brachten dem Plac Teatralny eine gewisse Sympathie entgegen, wie Stanisław Jankowski in seiner Auswertung der bereits zitierten Umfrage von 1968 überrascht konstatierte: Auf die Liste der als Antwort auf die dritte Frage [welches Ensemble am besten das Nachkriegs-Warschau widerspiegelt], ist der Plac Teatralny wohl die überraschendste häufige Nennung. Mit seiner weiterhin nicht abgeschlossenen stadtplanerischen Komposition, dem großen Kontrast zur Vorkriegssituation, den unbestimmten und wenig attraktiven Funktionen (Planungsbüros entlang der Ul. Wierzbowa, Wohnbauten an der Ul. Bielańska und die Ballettschule entlang der Ul. Moliera) hat er einen entschieden schlechten Ruf, wenn es um die städtebauliche Konstellation geht. Trotzdem befand er sich – als einziger Warschauer Platz – unter den zehn Ensembles, die am besten das neue Warschau repräsentieren.

Er brachte dies direkt mit der Warschauer Nike in Verbindung: „Es scheint, als habe das auf dem Plac Teatralny stehende Denkmal der Helden Warschaus einen großen Anteil an seiner Popularität; die beliebte Warschauer Nike, die in vielen Äußerungen in einem Atemzug mit der Sigismund-Säule auf dem Schlossplatz genannt wird.“649 Deutlich wird diese Haltung auch an der Aussage einer „Zwanzigjährigen Warschauerin“ (so ihr Pseudonym im Wettbewerb), der der Plac Teatralny trotz seiner architektonischen Unzulänglichkeiten gefiel. Daran kann ebenfalls deutlich werden, dass die Haltung in dieser Frage womöglich auch eine Generationenfrage war: „Was spiegelt am besten das Nachkriegs-Warschau wider? Hier gibt es ein Problem. Woher soll ich wissen, wie es vor dem Krieg war? Ich kann es mir lediglich vorstellen. [. . .] Der Plac Teatralny – ich kenne mich nicht mit Architektur aus, also kann er mir ruhig gefallen.“650 In dieser leicht trotzigen Äußerung klingt wiederum eventuell an, dass sie damit der damals wohl verbreiteten Meinung über den Platz widersprach. Denn unter ArchitekturkennerInnen blieb die weitere Gestaltung des Plac Teatralny ein wichtiges, ja neuralgisches Thema. 1970 schrieb der SARP erneut einen Wettbewerb für die Nordseite des Plac Teatralny aus.651 Dieses „sehr

648 Stępiński, Siedem placów, S. 81. Im folgenden wird der Spitzname „Nike“ aufgrund der besseren Lesbarkeit ohne Anführungszeichen verwendet. 649 Jankowski, Powojenna Warszawa, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 65. 650 Dwudziestoletnia warszawianka, Wszyscy imienni, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 578. 651 Konkurs otwarty SARP Nr 447 na ukształtowanie przestrzenne rejonu Placu Teatralnego w Warszawie (1970).

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kontroverse“ Ensemble stellte laut der Architekturkritikerin Krystyna Krzyżakowa „die schwierigste Herausforderung“ der Hauptstadt dar: „Der Wettbewerb ist in gewissem Maße ein Hilfeschrei, um ‚einen gezogenen Zahn zu verplomben‘, um die Komposition zu beruhigen und zu ordnen.“652 Im Wettbewerb gewann aus sechzig Einsendungen der Entwurf Nr. 22 von Wojciech Grzybowicz, Jacek Jedynak, Janusz Matyaszkiewicz, der den Platz von Norden her zu begrenzen plante. Er sah neben Ausstellungsfläche in einem Pavillon eine Buchhandlung und einen internationalen Presse- und Buchclub sowie zahlreiche Restaurants und Cafés vor – in zeitgemäßer, moderner Form, die mit den Wohnblöcken korrespondierte, aber zu der gegenüberliegenden Fassade des Teatr Wielki einen großen Kontrast gebildet hätte.653 Der Entwurf war die Antwort der siegreichen Architekten auf die Wettbewerbsausschreibung, die die Belebung des Platzes gefordert hatte. Doch genau dieses Ziel kritisierten

Abb. 4.10: Gewinnerentwurf von W. Grzybowicz, J. Jedynak, J. Matyaszkiewicz im Architekturwettbewerb für den Plac Teatralny von 1970.

652 Krystyna Krzyżakowa: O projektach zabudowy Placu Teatralnego, in: Stolica (1970), 34, S. 2 f. 653 o.V.: Projekt na „cenzurowanym“, in: Stolica (1970), 33, S. 2 f.

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zahlreiche TeilnehmerInnen in der anschließenden Diskussionsrunde. Der Architekt Władysław Czerny fand in einem Zeitungsartikel sehr deutliche Worte: Ich bin damit einverstanden [. . .], dass die ‚Belebung‘ des Platzes mit Läden, Nachtklubs [. . .] und Warteschlangen, was den Wettbewerbsanforderungen entspricht, ein Fehler war. Eine solche Lösung gilt es dort zu verhindern. Bei uns gibt es leider geistlose Menschen, die sich an einer ‚Großstädtigkeit‘ berauschen, die ihrer Meinung nach in Trubel, in der Kollision aller Funktionen besteht, in riesigen Hochhäusern und Schachtelbauten voller Ameisen bar aller natürlichen Wohnumstände, in vielen, vielen Autos, Rauch, Alkohol, viel Glas und großem Bumbum mit ‚Gesängen‘ von morgens bis zum späten Abend. Auf keinen Fall darf der Plac Teattralny auf diese Weise ‚belebt‘ werden.654

Der Stadtplaner Skibniewski hatte darauf hingewiesen, dass man schließlich auch nicht den benachbarten Plac Zwycięstwa beleben könne, indem man Ladenzeilen rund um das Grab des Unbekannten Soldaten aufstelle. Die Architekturkritikerin Krystyna Krzyżakowa stellte daraufhin die offene Frage: „Was ist der richtige Umgang mit dem Plac Teatralny? Ist ein ‚Delikatesy‘-Laden und ein Restaurant mit einem Kabarett in der Nachbarschaft und in der Atmosphäre des Denkmals der Helden Warschaus ein Missverständnis, und schließt sich ein solches ‚Programm‘ gegenseitig aus [. . .] – oder ist eine Koexistenz möglich?“ Klar waren nach diesem Wettbewerb also lediglich zwei Dinge: Erstens würde die Diskussion noch lange weitergehen. Und zweitens sehnten sich zwar viele Menschen nach der Vorkriegsnordseite des Platzes zurück. So schlug beispielsweise auch Władysław Czerny den Wiederaufbau der kleinen Kirche am Plac Teatralny vor als „Denkmal der Kriegsopfer, des Aufstands und der Zerstörung Warschaus“.655 Doch waren mittlerweile die Konnotationen des Platzes komplexer geworden. Es gab nicht nur die Vorkriegsgeschichte, sondern auch die Kriegsgeschichte des Platzes und die bereits getroffenen Entscheidungen nach dem Krieg, insbesondere die Nike. Insofern „war hier eine neue Atmosphäre entstanden, des Gedenkens, verbunden mit den tragischen Geschehnissen Warschaus, mit seiner Zerstörung und seinem Wiederaufbau.“656 Also kann festgehalten werden, dass die Bevölkerung 25 Jahre nach Kriegsende die mit dem Nike-Denkmal neu geschaffene Funktion und Bedeutung des Plac Teatralny in gewisser Weise angenommen hatte. Das hatte, so die These, auch mit der fortschreitenden Zeit zu tun, denn immer weniger WarschauerInnen erinnerten sich aufgrund ihres Alters sowie ihres Zuzugs nach dem Krieg persönlich an das Vorkriegs-Warschau, als am Plac Teatralny

654 Czerny, Plac Teatralny. 655 Ebd. 656 Ebd.

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das Herz Warschaus pochte, und so viele Arterien kreuzten. [. . .] Das Rathaus ‚saß‘ so gut in der Umgebung, [. . .] manchmal kam man hier mehrmals am Tag vorbei [. . .], es war über zahlreiche Linien mit der Hauptstadt verbunden, war nicht nur der Sitz der damaligen Stadtverwaltung und der Polizei [. . .], sondern auch, obwohl das paradox klingen mag, eng mit dem kulturellen Leben und der Geschichte Warschaus verbunden.657

Die neuen Wohnblöcke brachen funktional und gestalterisch komplett mit dieser Vorkriegssituation, denn sie belebten den Platz zwar in gewisser Weise, aber die Verbindungen mit der ganzen Stadt und die stadtweite Bedeutung, die er vor dem Krieg besessen hatte, erlangte er damit nicht. Das Nike-Denkmal löste kontroverse Diskussionen aus, war aber wohl von einem Teil der Bevölkerung akzeptiert. Es sollte aller Warschauer HeldInnen gedenken, hatte aber mit der Nordseite des Plac Teatralny einen Ort gefunden, der eng mit dem Warschauer Aufstand verbunden war, als das Rathaus ein umkämpftes Gebäude und die kleine, mittlerweile abgerissene Kirche ein Spital gewesen waren. Das Nike-Denkmal war ein Versuch, die gesellschaftlichen Forderungen zu befrieden. Doch die Untiefen, die der Umgang mit dem Warschauer Aufstand für die Partei barg, waren damit keineswegs umschifft. Das verdeutlicht nicht nur die folgende Aussage von Stanisław Jankowski: „Die Erinnerungen an das kämpfende Warschau sind heute ein Kapital der gesamten Nation, das die Eltern ihren Kindern weitergeben. Diese bewahren das Bild des damaligen Warschaus in sich. Dieses Bild verbindet uns alle.“658 Sondern auch ein bereits zitierter Teilnehmer des Schreibwettbewerbs von 1962/1963 betonte, wie lebendig die persönlichen Erinnerungen waren: „Egal, was es für ein [Denkmal] geworden wäre, es hätte nie so viel aussagen können wie die Dutzenden Gedenktafeln und die an den Trauertagen mit Grablichtern erleuchteten Schauplätze.“659 In Zahlen ausgedrückt: 1964, im Jahr der Enthüllung der Warschauer Nike, waren 300 kleine Gedenktafeln über die Stadt verteilt.660 Rückblickend waren die sechziger Jahre das Jahrzehnt, in dem der Plac Teatralny die Form erhielt, die er bis Mitte der neunziger Jahre behalten würde. Zum einen wurde am 19. November 1965 schließlich das Teatr Wielki wiedereröffnet. Es verkörperte in gewisser Hinsicht historische Kontinuität, da es an das klassizistische Warschau des 19. Jahrhunderts anknüpfte. Błażej Brzostek identifizierte darüber hinaus eine weitere Vergangenheitsebene: „Es war in doppelter Hinsicht ein Zeugnis der Vergangenheit: des rekonstruierten Warschaus

657 Jadwiga Waydel-Dmochowska: Ratusz. Warszawa na starej fotografii 33 (136), in: Stolica (1959), 34, S. 24. 658 Jankowski, Powojenna Warszawa, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 45. 659 APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 461, „Odpryski warszawskie luźno zapisane“, Schreibwettbewerb 1962, S. 7. 660 Borodziej, Warschauer Aufstand, S. 211.

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und der Ästhetik des Sozialistischen Realismus, die zu einer schon abgeschlossenen Epoche gehörte.“661 Zehn Jahre lang war am Plac Teatralny eines der größten Theatergebäude der Welt entstanden, das den weltgrößten Bereich hinter der Bühne vorweisen konnte, mit riesigen Lagerflächen für Kulissen, einem Restaurant und Café, ja gar einer eigenen Ambulanz für die MitarbeiterInnen. Doch es war aufgrund seiner verdoppelten Größe nicht nur herausragend, sondern 1960 auch scharf kritisiert worden. Noch nach der Eröffnung, so prophezeite der Direktor Arnold Szyfman in einem Interview, sei zunächst mit Kritik zu rechnen. Diese würde sich allerdings schnell legen, wie man das gewöhnt sei in Warschau: Ich kenne die Warschauer und ich weiß, dass sie – wie immer – am Anfang aufgeregt über verschiedene mit dem Theater verbundene Dinge diskutieren werden, was sicherlich nicht ohne Boshaftigkeit vonstattengehen wird. Aber ich weiß auch, dass – ebenfalls wie immer – nach kurzer Zeit der Moment kommen wird, in dem sie sich in unser wunderschönes Theater verlieben und darauf stolz sein werden [. . .].662

Eine Kritik, die Szyfman nicht explizit erwähnte, war die durch die enorme Erweiterung des Theaters im hinteren Bereich verkomplizierte Situation am benachbarten Plac Zwycięstwa, auf die im nächsten Kapitel eingegangen wird. Mit dem Teatr Wielki war das letzte große Wiederaufbauprojekt beendet, das noch während des Sozialistischen Realismus begonnen worden war. Die Abkehr von der historischen Architektur und die Hinwendung zu modernen Bauformen und -verfahren war ein Kennzeichen der Gomułka-Ära, das sich sehr deutlich am Plac Teatralny manifestierte. Die Wohnblöcke in unmittelbarer Nähe des Platzes kündeten von dem forcierten, seriellen Wohnungsbau als Voraussetzung und Folge der „großangelegten Landesindustrialisierung“ unter Gomułka, die „reproduzierbare Systemlösungen“ forderte und förderte.663 Am Plac Teatralny fand noch ein weiterer Schwerpunkt der Politik der sechziger Jahre seinen Niederschlag: Das 1964 eingeweihte Nike-Denkmal kann als Versuch des Staates gelten, angesichts des gesellschaftlichen Drucks in der geschichtspolitischen und legitimatorisch heiklen Frage des Warschauer Aufstands die Deutungshoheit zu behalten. Die Statue am Plac Teatralny passte zudem zu der Inszenierung militärischer HeldInnen, auf die die PZPR zunehmend setzte, im Zuge der Entwicklung eines militärisch und in Teilen durchaus national begründeten Patriotismus. Am Plac Teatralny war ein wichtiger geschichtspolitischer Marker entstanden, den Staatsgäste beehrten und der in jedem Reiseführer Erwähnung fand. Auch wenn sie sich

661 Brzostek, Paryże Innej Europy, S. 310. 662 Arnold Szyfman: Teatr prawdziwie Wielki, in: Życie Warszawy, 17.11.1965, S. 5. 663 Trybuś/Piątek, Volkspolen als Projekt, in: Stiller (Hg.), Polen Architektur, S. 105.

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durchaus einiger gesellschaftlicher Beliebtheit erfreute, riss die Kritik an dieser zu allgemein gehaltenen Form des Gedenkens an den Warschauer Aufstand nicht ab, geschweige denn, dass auf diese Weise das Gedenken kanalisiert oder entsprechend der offiziellen Linie vereinheitlicht werden konnte. In Bezug auf die geschichtspolitischen und legitimatorischen Manöver der PZPR in den sechziger Jahren bietet der Blick auf den benachbarten Plac Zwycięstwa eine entscheidende Ergänzung. Denn hier wurde Anfang der sechziger Jahre nicht nur der Versuch unternommen, für diese städtebaulich zwar nicht vergessene, aber kaum angerührte Region am Plac Zwycięstwa und entlang der Sächsischen Achse endlich eine tragfähige Lösung zu finden. Die Planungen am Plac Zwycięstwa, die zwei Wettbewerbe strukturierten, sind vielmehr Teil der komplexen geschichtspolitischen Auseinandersetzung um zwei fundamentale Jubiläumsfeiern: die tausendjährige polnische Staatsgründung und die tausendjährige Christianisierung Polens. Die Konfrontation war mehr als ein Kampf um die Deutungshoheit in Bezug auf diese Ereignisse. Es war ein Ringen der kommunistischen Machthabenden um gesellschaftliche Anerkennung und Legitimation, die die katholische Kirche in den sechziger Jahren offen herausforderte. Es ist daher, so die These, kein Zufall, dass diese wichtigen Debatten räumlich am Plac Zwycięstwa zu verorten sind. Denn dies war ein traditionell wichtiger Platz, der seine bisher größte Blüte im 19. Jahrhundert hatte, in der Zwischenkriegszeit das repräsentative Zentrum der Stadt war und bislang kein sozialistisches Gepräge erhalten hatte. Von daher ist die Art und Weise, wie dort auf die Geschichte Bezug genommen wurde, von umso größerem Interesse. Insofern kann man sagen, dass der Plac Zwycięstwa in den sechziger Jahren zum Schauplatz des legitimatorischen Lavierens der Machthabenden wurde, an dem das Erinnerungsaxiom des Sieges vertieft werden sollte – des Sieges im Zweiten Weltkrieg einerseits und des Sieges der kommunistischen Herrschaft im bald tausendjährigen Polen andererseits.

4.3.2 Die Siegesachse am Plac Zwycięstwa und das Ringen um Legitimation Auf dem Platz Zwycięstwa vor dem Grab des Unbekannten Soldaten fanden seit Mitte 1966 jeden Sonntag und an staatlichen Feiertagen Wachwechsel statt, vor dutzenden, teilweise hunderten ZuschauerInnen. Darunter waren sowohl WarschauerInnen, als auch viele TouristInnen, die von ihren StadtführerInnen um Punkt zwölf Uhr mittags an den Plac Zwycięstwa geführt wurden.664 Diese

664 Vgl. das Gespräch mit Andrzej Kochanowski, ehemaliger Stadtführer des Warschauer Stadtführerkreises (Warszawskie Koło Przewodników Miejskich), im April 2016. Nach seiner

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aufwendig inszenierten Wachwechsel, die bis heute stattfinden, sind im Prinzip das einzige, was auf die umfangreichen städtebaulichen Pläne der sechziger Jahre für den Plac Zwycięstwa schließen lässt, die nie umgesetzt wurden. Denn die Inszenierung des Grabes des Unbekannten Soldaten und die Pläne für die Neugestaltung des Plac Zwycięstwa und der Sächsischen Achse als sogenannte Siegesachse (Oś Zwycięstwa), die zwischen 1963 und 1967 Verantwortliche bis hinauf ins Politbüro diskutierten, stehen in einem engen Zusammenhang.665 Zwar war der Plac Defilad vor dem Kulturpalast nach wie vor der repräsentative Hauptplatz. Doch auf diese Weise wäre die Bedeutung des Plac Zwycięstwa und der Sächsischen Achse im städtischen Gefüge wieder gestiegen. Gleichzeitig hätte das historische Gewicht der Achse und des Platzes dem sich dort inszenierenden Regime Ansehen verleihen können – ganz so, wie es der Autor Józef Godyk 1971 in Bezug auf das Grab des Unbekannten Soldaten ausdrückte: Das „farbenfrohe militärische Zeremoniell“ des Wachwechsels sei „das Symbol der Verbundenheit und des Respekts für die militärische Tradition unserer Nation“.666 Auch die Schwurzeremonie neuer Offiziere fand an diesem Platz statt.667 Insofern sind die Pläne für den Plac Zwycięstwa eindeutig mit der Strategie des militärischen Patriotismus verbunden, den die Partei in den sechziger Jahren zu etablieren versuchte. Sie stehen außerdem, wie in diesem Kapitel gezeigt wird, in direktem Zusammenhang mit den Inszenierungen zum tausendjährigen Staatsjubiläum, die in erbitterter Konkurrenz zu den Feierlichkeiten zur tausendjährigen Christianisierung Polens standen, welche die katholische Kirche organisierte. Noch 1962/1963 kritisierte ein Teilnehmer des Schreibwettbewerbs, der Plac Zwycięstwa sei „offensichtlich von den Stadtplanern vergessen“: Nichts passiere dort und nichts erinnere an die großartige Stadt.668 Doch gerade das Jahr 1962 war eigentlich ein Schlüsseljahr für die Gestaltung des Plac Zwycięstwa, denn in diesem Jahr scheint das Konzept für die Siegesachse Gestalt angenommen zu haben. Wie allumfassend dieses war, zeigt wiederum das Beispiel der seit 1957 angestrengten Pläne für den Neubau der französischen Botschaft an der Südseite des Plac Zwycięstwa auf dem Gelände des Kronenberg-Palais. Die Planungen für

Aussage hat der Leiter dieses Kreises, Zbigniew Polakowski, diese Tradition Mitte der sechziger Jahre (re-)initiiert. 665 Um der Lesbarkeit willen wird die sogenannte Siegesachse im Folgenden nicht als „Siegesachse“ gekennzeichnet, auch wenn das aufgrund ihres rein potentiellen Charakters die korrekte Schreibweise wäre. 666 Józef Godyk: Dlaczego składamy tu kwiaty?, in: Kulisy (1971), 36, S. 3. 667 Waldemar Strzałkowski: Grób Nieznanego Żołnierza. Warszawa 2001, S. 26. 668 APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 433, Beitrag am Schreibwettbewerb 1962: „Reportaż o współczesnej Warszawie“, S. 7.

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Abb. 4.11: Fotodokumentation im Zuge des Architekturwettbewerbs Nr. 357 für den Plac Zwycięstwa, 1963. Im Vordergrund die Ul. Królewska, die an der südlichen Seite über den Platz führt, mit ungenutzten Straßenbahnschienen. Rechts die Rückseite des Teatr Wielki, links das Grab des Unbekannten Soldaten.

die Siegesachse entwerteten diese komplett, womit die Staatsführung einen diplomatischen Affront mit Frankreich nicht nur riskierte, sondern tatsächlich in Kauf nahm. Daher kann erst detailliert auf die eigentlichen Pläne für die Siegesachse eingegangen werden, nachdem die Umstände der Botschaftsbaupläne dargelegt sind. 4.3.2.1 Denkmalstatus schützt nicht: Der Abriss des Kronenberg-Palais Die Südseite des Plac Zwycięstwa war schon seit Jahrzehnten Gegenstand engagierter, aber zumeist folgenloser Diskussionen, auch schon vor dem Krieg. Hier hatten sich in der Zwischenkriegszeit einige Institutionen mehr oder weniger provisorisch eingerichtet: der Pavillon des IPS, ein Ausstellungspavillon der Automarke Fiat sowie eine Tankstelle. Diesen eigentlich immer als Provisorien angesehenen Gebäuden wohnte allerdings eine besondere Dauerhaftigkeit inne. Das IPS überdauerte den Krieg fast unbeschadet, und die Armee baute es

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Abb. 4.12: Das Kronenberg-Palais circa 1871 vom Plac Dąbrowskiego gesehen; die linke, kurze Seite grenzte an den damaligen Plac Saski.

zunächst zu ihrem Theater um. Anschließend fand darin zwischen 1955 und 1970 das Jüdische Theater seine Spielstätte. Auch die Tankstelle blieb bestehen, sogar noch eine Zeitlang nach dem Abriss des Kronenberg-Palais 1962. Das einzige repräsentative Gebäude an dieser Seite des Platzes war das KronenbergPalais selbst, von dem allerdings lediglich eine Seitenfassade an den Plac Zwycięstwa grenzte. Das prächtige Haupteingangsportal richtete sich auf den direkt benachbarten Plac Małachowskiego. Das Palais war im Krieg ausgebrannt, wurde aber vom BOS 1945/46 als zum Wiederaufbau geeignet klassifiziert und von der Abteilung für denkmalgeschützte Architektur in die Liste der Baudenkmäler aufgenommen. Um die neue Nutzung dieses Gebäudes entspannte sich eine Diskussion, die insofern interessant ist, als es verwundert, dass sie überhaupt geführt wurde. Denn das Palais hatte zwei ideologische Mankos: Er war zwischen 1869 bis 1871 als prachtvolle Geschäfts- und Wohnresidenz des Bankiers und Industriellen Leopold Kronenberg nach Plänen Georg Friedrich Heinrich Hitzigs errichtet worden. Da nicht nur in Polen, sondern europaweit die Ablehnung der nach 1850 errichteten Architektur bis in die 1980er Jahre anhielt, ist es verwunderlich und umso interessanter, dass und wie für den Erhalt des Gebäudes

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Abb. 4.13: Das Kronenberg-Palais, circa 1955/1960.

argumentiert wurde. So befanden die beiden Kunsthistoriker Tadeusz Jaroszewski und Maria Zaniewicz in einem Artikel, der 1953 erschien: Soll das Palais wiederaufgebaut werden? Ohne Zweifel ja. Als Residenz eines Finanzpotentaten war es ein typisches Beispiel für den Kapitalismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Außerdem ist es mit seiner Gestalt gewissermaßen in das Stadtbild eingewachsen. Als ein Glied in der Entwicklungskette der Warschauer Architektur verdient das Palais die Rekonstruktion. Nach unserer Meinung eignet es sich ideal als Sitz einer gesellschaftlich-kulturellen Institution, und wäre damit ein Beispiel der Verwendung einer alten Form für einen neuen, sozialistischen Inhalt.669

Der Autor und die Autorin argumentierten also einerseits damit, dass das Kronenberg-Palais zwar ein Beispiel der abgelehnten Architektur des aufstrebenden Kapitalismus sei, aber genau als solches erhaltenswert. Gerade wegen seiner ideologisch verachteten Entstehungsgeschichte sei dieses Bauwerk ein wichtiges Zeugnis, ja Anschauungsmaterial der überkommenen Epoche. Voraussetzung sei, dass ein neuer, sozialistischer Inhalt diese alten Mauern fülle, womit die Autoren die obligatorische Sprache der Zeit wählten. Andererseits betonten sie den

669 Maria Zaniewicz/Tadeusz Jaroszewski: Bankier Kronenberg i jego pałac, in: Stolica (1953), 46, S. 7.

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künstlerischen und kunsthistorischen Wert des Kronenberg-Palais, welches aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken und als eines der wenigen Repräsentanten dieser Phase der Stadtentwicklung zu erhalten sei. Daraus spricht fast schon eine moderne Herangehensweise an Denkmalschutz – auf jeden Fall eine weitsichtige, die besagt, dass man sämtliche Stile konservieren solle, auch aktuell unbeliebte.670 Dass die Fassade des Gebäudes von besonderer Pracht und Qualität sei, musste selbst der ansonsten sehr kritische Architekt Bogusławski 1955 zugeben. Doch die „wundervollen Handwerksarbeiten an der Fassade“ legte er nicht zugunsten des Gebäudes aus. Der derzeitige „schlampige Arbeitsstil“ sei diesen nicht gewachsen. Das Gebäude selbst verurteilte er, verbunden mit einer nicht sehr subtilen politischen Botschaft: „Es ist ein hässliches Gebäude, ein deutsches [szkopska] Ding, das auf die Sächsische Achse gesetzt wurde, ohne tragbares Nutzungskonzept.“671 Bogusławski spielte also, neben einem Seitenhieb auf die notorisch mangelhafte Qualität der aktuellen Bauarbeiten, die antideutsche Karte, um seiner Position, der Abriss sei unumgänglich, Gewicht zu verleihen. Auch Jaroszewski und Zaniewicz attestierten dem Gebäude deutsche, genauer gesagt typisch berlinerische Charakteristika, wie beispielsweise das Mansarddach sowie Details und Verzierungen aus gebranntem Ton.672 Die beiden führten dies allerdings lakonisch auf den Berliner Architekten Hitzig zurück, der Gebäude wie beispielsweise die Berliner Börse in ähnlichem Stil errichtete hatte. Wichtiger noch als diese architekturhistorischen Erwägungen war die ungeklärte Frage, wie das Gebäude zu nutzen sei, auf die Bogusławski hingewiesen hatte. Die Erben von Leopold Kronenberg, der 1878 einige Jahre nach der Fertigstellung des Palais gestorben war, hatten das Gebäude bereits in den folgenden Jahrzehnten veräußert. In der Zwischenkriegszeit waren hier neben

670 Die Frage nach dem Umgang mit Bauerbe aus der jüngsten Vergangenheit bleibt aktuell. Vergleichbar sind die heutigen Debatten über den Umgang mit Baudenkmälern der (sozialistischen) Moderne, vgl. z. B. Arnold Bartetzky/Jörg Haspel (Hg.): Von der Ablehnung zur Aneignung? Das architektonische Erbe des Sozialismus in Mittel- und Osteuropa/From Rejection to Appropriation? The Architectural Heritage of Socialism in Central and Eastern Europe. Köln 2013; Mark Escherich (Hg.): Denkmal Ost-Moderne. Aneignung und Erhaltung des baulichen Erbes der Nachkriegsmoderne. Berlin 2012. Vgl. auch den Teil über die postsozialistische Stadt in Arnold Bartetzky: Nation – Staat – Stadt. Architektur, Denkmalpflege und Geschichtskultur vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. Köln 2012. Zu einem besonderen sowjetischen Beispiel, einer Musterstadt für jeweils neue Plattenbauverfahren, die der Autor als schützenswert ansieht, vgl. Kuba Snopek: Bielajewo. Zabytek przyszłości. Warszawa 2014. 671 AAN, NROW (392), Sign. 166, Stenogram z dyskusji zorganizowanej przez SARP dot. generalnego Planu Śródmieścia Warszawy, Mai 1955, S. 138. Das Adjektiv stammt von der abfälligen Bezeichnung „szkop“ für Deutsche, die insbesondere im Zweiten Weltkrieg gebräuchlich war. 672 Zaniewicz/Jaroszewski, Bankier Kronenberg.

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Räumlichkeiten der Bank Polski auch ein Reisebüro und zeitweise Teile des Außenministeriums untergebracht. Im Krieg brannte das Gebäude aus, und war daher ohne grundlegende Renovierung unbenutzbar – je länger es ungenutzt blieb, desto höher waren die nötigen Investitionen. 1956 sollte hier wohl das Zentrale Büro für Kunstausstellungen (Centralne Biuro Wystaw Artystycznych) untergebracht werden Ein anderer Plan sah das Gebäude für die Botschaft der DDR vor.673 Konkrete Gestalt nahm der Plan allerdings erst 1957 an, als das Kronenberg-Palais zur französischen Botschaft umgebaut werden sollte. Das alte Botschaftsgebäude Frankreichs an der Ul. Frascati war im Krieg stark beschädigt und gegen den Willen der französischen Eigentümer abgerissen worden. Doch Widerspruch war zwecklos, da dieses Grundstück in den neuen Kulturpark integriert wurde. Die französische Botschaft im Kronenberg-Palais unterzubringen, scheint eine Idee sowohl der französischen als auch der polnischen Seite gewesen zu sein: Ein euphorischer Botschaftsmitarbeiter schrieb seinem Vorgesetzten im Mai 1957, dass der Warschauer Chefarchitekt Ciborowski die gleiche Idee gehabt habe und sie unterstütze. In dem Brief lässt sich auch die Perspektive des Mitarbeiters auf die Geschichte des Kronenberg-Palais nachvollziehen, wobei sämtliche Informationen ungenau, wenn nicht gar falsch waren: Dieses Palais sei zu Beginn des 19. Jahrhunderts von einem deutsch-jüdischen Bankier gebaut worden. Vielleicht rührte die Information über den deutschen Aspekt des Palais vom Berliner Architekt Hitzig, der das Palais entwarf – allerdings Ende der 1860er Jahre. Auftraggeber war der Bankier Leopold Kronenberg, der jüdischer Herkunft, aber zum Zeitpunkt des Baus schon 25 Jahre lang zum Protestantismus konvertiert war. Dies ist nicht nur ein Hinweis darauf, was für eine Baugeschichte sich tradiert hatte, sondern auch darauf, dass es die französische Seite mit der Geschichte des Palais anscheinend nicht sehr genau nahm. Zudem modifizierte der Botschaftsmitarbeiter seine Gesamtbewertung des Palais, wie im Briefentwurf nachzuvollziehen ist: von ursprünglich „majestätisch“ über „sehr beeindruckend“ schließlich zu „beeindruckend“.674 Beide Seiten – die polnische und die französische – waren sich über die besondere Lage des Grundstücks im Klaren: in unmittelbarer Nähe des Sächsischen Gartens und des Grabes des Unbekannten Soldaten, an dem „einst schönsten Platz Warschaus“. Der französische Botschafter befand im Mai 1958: „Die Lage ist die beste, die man sich wünschen kann.“675 Drei Jahre später urteilten die drei

673 Tadeusz Stefan Jaroszewski: Dzieje pałacu Kronenberga. Warszawa 1972, S. 68. 674 CADN, 721PO/1/270, Briefentwurf eines unbekannten Botschaftsmitarbeiters an den bevollmächtigten Minister De Panafieu, 16.05.1957. 675 CADN, 721PO/1/270, Brief des französischen Botschafters an den französischen Außenminister, 30.05.1957, S. 2.

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Abb. 4.14: Blick auf das Kronenberg-Palais, ungefähr vom Grab des Unbekannten Soldaten aus. Links daneben das IPS, in dem das Jüdische Theater seine Spielstätte hatte, Ende der fünfziger Jahre.

mittlerweile mit dem Projekt betrauten Architekten allerdings zögerlicher: „Es ist dieser Ehrenplatz, der uns die besonderen Anstrengungen abverlangt.“676 Das Kronenberg-Palais und seine Lage waren zwar sehr prestigeträchtig, doch mit großen Unwägbarkeiten verknüpft. Die Franzosen entschieden sich daher erst ein gutes Jahr später offiziell dafür. Zum einen war die endgültige Größe des Grundstücks lange Zeit nicht klar. Die Franzosen hofften darauf, die benachbarten Grundstücke für den Botschaftsgarten offeriert zu bekommen. Seit 1955 logierte in dem angrenzenden IPS das Jüdische Theater, dessen neue Spielstätte bis Anfang der sechziger Jahre fertiggestellt sein sollte. Zum anderen war das KronenbergPalais selbst der brisanteste Diskussionspunkt. Bereits im September 1957, also vier Monate nach den euphorischen ersten Erwägungen auf französischer Seite optierte der mit dem Botschaftsbau beauftragte Architekt Jean Démaret dafür, das Kronenberg-Palais besser abzureißen. Sonst warte eine komplizierte Adaptationsaufgabe mit überdurchschnittlichen Kosten. Allerdings habe die Befragung verschiedener polnischer Verantwortlicher ergeben, so Démaret, dass die polnische

676 CADN, 721PO/1/270, Bericht von der Warschau-Reise der Architekten H. Bernard, G. Gillet und B. Zehrfuss, 10.02.1962, S. 3.

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Regierung die Fassade des Kronenberg-Palais restauriert und konserviert sehen wolle. Das passte aus seiner Sicht zu der allgemeinen Tendenz im polnischen Städtebau, aus nationalen und emotionalen Gründen auch nicht schützenswerte Gebäude wiederaufzubauen.677 So begann im Herbst 1957 ein Tauziehen um das denkmalgeschützte Palais, das bis 1959 andauerte. Dabei ist den Dokumenten, die im Archiv des französischen Außenministeriums erhalten sind, eindeutig zu entnehmen, dass die polnische Seite die Fassade des Palais „um jeden Preis“678 erhalten wollte – wenn auch nicht unbedingt in der originalen Form, sondern in vereinfachter oder klassizisierter Form, wie der oberste Denkmalschützer Jan Zachwatowicz in einem Gespräch mit den Franzosen im April 1958 verlauten ließ.679 Doch auch wenn diese Tendenz pro Erhalt der Fassade in den Dokumenten unbestreitbar ist, so herrschte darüber unter den Warschauer ArchitektInnen und StadtplanerInnen dennoch keine Einigkeit. Jerzy Hryniewiecki, der damals parteiloser Sejmabgeordneter und Vorsitzender des SARP war, äußerte mehrmals sein Missfallen über das Kronenberg-Palais, dem er keinen Wert beimaß. Hryniewiecki empfahl daher den französischen Gästen im November 1958, zwei unterschiedliche Vorentwürfe anzufertigen: einen mit dem wiederaufgebauten Kronenberg-Palais und einen Neubau.680 Die französischen Architekten und Botschafter berieten sich mehrmals mit ihm und versuchten im Januar 1959, Hryniewieckis Zustimmung zu dem Neubauentwurf zu bekommen, um ihre Verhandlungsposition zu stärken.681 Sie scheinen ihn als Verbündeten in Bezug auf ihr Ziel – den Abriss der Ruine des Kronenberg-Palais – angesehen zu haben. Nachdem der französische Botschafter im August 1959 an den Vorsitzenden des PRN Zygmunt Dworakowski appellierte, endlich eine grundlegende Entscheidung über das Kronenberg-Palais zu fällen, unterrichtete Dworakowski die französische Seite schließlich während des Internationalen Architektenkongresses im Oktober 1959 in Warschau: Dem Abriss des Kronenberg-Palais stehe nur noch eine

677 CADN, 721PO/1/270, Bericht von der Warschau-Reise des Architekten Jean Démaret, 03.09.1957, S. 8 f. 678 CADN, 721PO/1/270, Bericht von der Warschau-Reise eines verantwortlichen Architekten, 12.11.1958, S. 2. 679 CADN, 721PO/1/270, Bericht von der Warschau-Reise des Architekten Jean Démaret, 28.04.1958, S. 3. 680 CADN, 721PO/1/270, Bericht von der Warschau-Reise eines verantwortlichen Architekten, 12.11.1958, S. 2. 681 CADN, 721PO/1/270, Brief eines Vertreters des französischen Außenministers an den französischen Botschafter in Warschau, 13.01.1959.

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Formalität im Wege, nämlich die Aberkennung des Denkmalstatus.682 Vorangegangen war dieser Entscheidung ein Gutachten der Bauaufsichtsbehörde vom Juli 1959 im Auftrag des stellvertretenden Chefarchitekten Stanisław Lasota. Darin schätzte die Behörde das denkmalgeschützte Gebäude trotz des zwanzigjährigen Verfalls als zum Wiederaufbau geeignet ein – allerdings nur, wenn dies umgehend geschehe, da ansonsten die Öffentlichkeit aufgrund des maroden Zustands der Ruine gefährdet sei. Die Gutachter kamen dennoch zu dem Schluss, der Wiederaufbau sei aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nicht zielführend. Deshalb solle beim Kulturministerium die Streichung aus dem Denkmalregister beantragt werden.683 Die französische Seite hatte den Zerstörungsgrad des Palais im November 1958 gänzlich anders eingeschätzt: auf neunzig Prozent.684 Damit ist das Kronenberg-Palais ein erneutes Beispiel dafür, dass die Bewertung der Zerstörung von Gebäuden in großem Maße von den Intentionen der BetrachterInnen abhängt.

Abb. 4.15: Ruine des Kronenberg-Palais von innen, Ende der fünfziger Jahre.

682 CADN, 721PO/1/270, Bericht von der Warschau-Reise des Architekten J. Laurent, 09.10.1958. 683 WA, 11/3829, Protokoll der Begehung des Grundstücks des Kronenberg-Palais durch VertreterInnen des WANBiG und der Denkmalschutzbehörde, 18.07.1959. 684 CADN, 721PO/1/270, Bericht von der Warschau-Reise eines verantwortlichen Architekten, 12.11.1958, S. 2.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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Abb. 4.16: Ruine des Kronenberg-Palais von innen, Ende der fünfziger Jahre.

Im November 1959 stimmte der Kulturminister der Streichung des Palais aus dem Denkmalregister schließlich zu. Das ist weniger bemerkenswert als die Tatsache, dass der Abriss mit dieser Formalität auf eine rechtliche Grundlage gestellt wurde – eine Formalität, die bei dem Abriss der Kanonikerinnen-Kirche am benachbarten Plac Teatralny Anfang der fünfziger Jahre keine Erwähnung gefunden hatte. Damit ging der Abriss des Kronenberg-Palais mit dem Gesetz konform; eines Palais, mit dem sich „Erinnerungen eines ganzen Jahrhunderts“685 verbanden, wie es ein französischer Botschaftsmitarbeiter im März 1959 noch ausgedrückt hatte. Der Chefarchitekt Ciborowski formulierte die historische Bedeutung des Palais so, allerdings bereits nach dem Abrissbeschluss: „Das Objekt stammt zwar aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist aber seit fast hundert Jahren in das Stadtbild eingewachsen. Deshalb, vor allem in Anbetracht der Verbundenheit der Warschauer mit der Tradition, gab es Pläne, das Gebäude in seiner historischen Gestalt wiederaufzubauen [. . .].“686 Ob es

685 CADN, 721PO/1/270, Brief eines Vertreters der französischen Botschaft an den französischen Außenminister, 10.03.1959. 686 CADN, 721PO/1/270, Bewertung des Entwurfs der französischen Botschaft von J. Laurent, A. Ciborowski, 12.04.1960.

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4 Modernisierung und Erinnerung

an dieser emotionalen Bedeutung des Palais für die WarschauerInnen lag, dass die Abrissentscheidung nur sehr lakonisch in der Presse Erwähnung fand, ist schwer festzustellen. Dass die Entscheidung in großem Maße von der Position der Franzosen beeinflusst war, die den Wiederaufbau des Palais für zu aufwendig hielten und große Schwierigkeiten bei der Adaption des historischen Grundrisses für ihre Zwecke sahen, ist aufgrund der konsultierten Dokumente eindeutig.687 Die Behauptung des Kunsthistorikers Tadeusz Jaroszewski, den Franzosen habe die „deutsche“ Architektur des Palais nicht gefallen, findet hingegen keinen Widerhall in den Dokumenten.688 Das scheint vielmehr die Rechtfertigung der polnischen Seite gewesen zu sein: „Nach längeren Beratungen wurde festgelegt, dass dieses Palais, das Sezessionsarchitektur mit starken Berliner Einflüssen repräsentiert, ohne größeren Verlust für die Architektur abgerissen werden kann.“689 Insofern ist den Erinnerungen der polnischen Mitarbeiterin der französischen Botschaft, Ewa Skrzyńska-Paszkiewiczowa, zu widersprechen, denen zufolge die französische Seite den Abriss des Kronenberg-Palais nicht gewollt habe.690 Zwar ist ihre Angabe richtig, dass französische Architekten auch Adaptationspläne für den Kronenberg-Palais ausarbeiteten. Allerdings können dies nicht die drei berühmtesten Pariser Architekten gewesen sein, wie sie sich zu erinnern meint, da diese erst im Oktober 1960 mit dem Botschaftsbau betraut wurden, also ein Jahr nach dem Abrissbeschluss. Deren in dem Archiv des französischen Außenministeriums überlieferte Entwürfe sahen definitiv einen Neubau vor.691 Dass Gomułka persönlich den Abriss initiierte, wie die ehemalige Mitarbeiterin behauptet, muss erst noch anderweitig bewiesen werden. Mit dieser Abrissentscheidung war klar, dass nun die architektonische Moderne auf dem Platz Einzug erhalten würde. Ein „Gebäude im modernen Stil, ein schönes Beispiel der modernen französischen Architektur“ sollte nun dort entstehen, kein „pseudohistorisches“ oder gar „koloniales“ Gebäude, das sich zu sehr von der Umgebung abhebe. Diese Vorgaben teilte Ciborowski den MitarbeiterInnen der Botschaft Anfang Dezember 1959 mit. Doch lassen sich Hinweise darauf finden, dass die Repräsentation eines anderen Staates an

687 Vgl. auch AMSZ, 17, 14/129, Pilna Notatka Witkiewicza, 03.05.1962, S. 9. 688 Jaroszewski machte sich im Moment der tatsächlichen Neubebauung des Grundstücks des Kronenberg-Palais um die Erinnerung an den Palast verdient. Vgl. Jaroszewski, Dzieje pałacu. 689 Vgl. z. B. AMSZ, 17, 14/129, Notatka w sprawie budowy gmachu Ambasady Francuskiej wice-dyrektora St. Piaskowskiego, 20.04.1962, S. 1. 690 Vgl. Majewski/Markiewicz, Warszawa nie odbudowana, S. 80. 691 Vgl. ebd.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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Abb. 4.17: Modell des Architekten Jacques Laurent für den Neubau der französischen Botschaft am Plac Zwycięstwa, 1960.

diesem für die Stadt und den polnischen Staat so wichtigen Platz durchaus Brisanz barg. So wies Ciborowski die BotschaftsmitarbeiterInnen im Dezember 1959 darauf hin, dass der auf den Entwürfen skizzierte Mast mit der französischen Fahne am Plac Zwycięstwa nicht angemessen sei.692 Die Pläne, die der französische Architekt Jacques Laurent schließlich vorlegte, missfielen den polnischen Behörden, wie aus Ciborowskis Beurteilung vom April 1960 hervorgeht. Der geplante Gebäudekomplex werde dem Charakter des Platzes nicht gerecht, welchen Ciborowski wie folgt charakterisierte: „Der Plac Zwycięstwa und seine Umgebung bilden im wiederaufgebauten Zentrum Warschaus einen außergewöhnlich wichtigen Mittelpunkt des aktuellen kulturellen Lebens der Hauptstadt, und sind gleichzeitig eine der wertvollsten historischen Gegenden, mit einer reichen kulturellen Vergangenheit.“693 Die geplante Botschaft sei nicht nur vom Plac Zwycięstwa abgewandt, sondern auch vom angrenzenden Plac Małachowskiego und werde in keinem Maße dem Ziel gerecht, den bisher noch nicht zufriedenstellend gestalteten Plac Zwycięstwa in Kürze in einen der „Salons“ der Stadt zu verwandeln. Um diese außerordentlich schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe zu lösen, würden auf polnischer Seite alle Entwürfe in Form von Wettbewerben ermittelt, um so das 692 CADN, 721PO/1/270, Bericht eines Treffens A. Ciborowskis mit BotschaftsmitarbeiterInnen, 01.12.1959. 693 CADN, 721PO/1/270, Bewertung des Entwurfs der französischen Botschaft von J. Laurent, A. Ciborowski, 12.04.1960, S. 2.

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Abb. 4.18: Vorentwurf der Architekten Bernard Zehrfuss, Guillaume Gillet und Henry Bernard für den Neubau der französischen Botschaft an der Südseite des Plac Zwycięstwa, 1962.

höchste künstlerische Niveau zu gewährleisten. Die französische Seite erwog daraufhin einige Zeit, ebenfalls einen Wettbewerb zu veranstalten, beauftragte jedoch im Oktober 1960 die drei bekannten Architekten Bernard Zehrfuss, Guillaume Gillet und Henry Bernard damit, „im Herzen Warschaus ein großes Kunstwerk zeitgenössischer französischer Architektur zu errichten“.694 Man kann den Architekten kaum vorwerfen, sie seien nicht dem Appell des Chefarchitekten gefolgt, sich in die historische Bedeutung der Sächsischen Achse und die besondere städtebauliche Situation des Plac Zwycięstwa einzufühlen. Davon zeugt der ausführliche Bericht ihrer Reise nach Warschau Mitte Januar 1961.695 Aus drei Entwürfen bestätigte Ciborowski im Juni 1961 denjenigen, den auch die Kommission für Stadtplanung und Architektur favorisierte.696 Die Architekten arbeiteten daran mit ihren polnischen Partnern weiter, im Januar 1962 war der aktuelle

694 CADN, 721PO/1/270, Bewertung des Entwurfs der französischen Botschaft von J. Laurent, A. Ciborowski, 12.04.1960, S. 4. 695 CADN, 721PO/1/270, Bericht der Architekten H. Bernard, G. Gillet und B. Zehrfuss über ihre Reise nach Warschau, 10.02.1961. 696 AMSZ, Sprawa budowy gmachu Ambasady Francji w Warszawie. Departament IV, 1962–1963, Notatka w sprawie budowy gmachu Ambasady Francuskiej wice-dyrektora St. Piaskowskiego, 20.04.1962, S. 1 f.; Aide-mémoire, S. 44.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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Entwurf bereits vom PRN akzeptiert. Der überlieferte Entwurf vom 5. Februar 1962 zeigt vom Plac Zwycięstwa aus gesehen einen modernen zweiteiligen Bau, vom Plac Małachowskiego einen zusätzlichen Flachbau. Auch die französische Seite bestätigte diese Pläne am 8. März 1962. Rechtliche und vertragliche Verhandlungen zwischen beiden Seiten über den Wert des alten und des neuen Grundstücks ziehen sich durch die gesamte Korrespondenz. Davon zeugen zahlreiche Vorentwürfe von Verträgen, von denen allerdings keiner unterschrieben wurde.697 Dennoch planten die französischen Architekten gemeinsam mit ihren polnischen Partnern die Details des Neubaus, bis Ende Juli 1962, wenige Wochen vor dem geplanten Baubeginn, die Geschichte des Botschaftsbaus eine scharfe Wendung nahm. Das Außenministerium hatte von Premierminister Józef Cyrankiewicz die Weisung erhalten, der französischen Seite sowohl das Grundstück als auch die Genehmigungen für den Neubau zu entziehen.698 Diese aus französischer Sicht völlig unerwartete und „unerhörte“ Entscheidung, wie es der Berater der Botschaft Emmanuel d’Harcourt ausdrückte, hatte sich hinter den polnischen Kulissen bereits seit einigen Monaten angebahnt.699 Seit Ende April 1962 hatten verschiedene hochrangige MitarbeiterInnen des polnischen Außenministeriums in einem teilweise geheimen Briefwechsel die möglichen politischen Konsequenzen eines Rückzugs von der bisherigen Position abgewägt. Denn auch wenn zwar bis dato noch kein Vertrag unterschrieben war, so sei die polnische Regierung der französischen gegenüber bereits Verpflichtungen eingegangen. Deshalb seien negative politische Folgen zu erwarten, eventuell auch für die polnische Botschaft in Paris. Die verschiedenen Außenministeriumsbeamten betonten, sie könnten in Anbetracht der langen Vorgeschichte und der mehrstufigen Zustimmungen des PRN und des Chefarchitekten keine die Franzosen überzeugenden Argumente vorbringen, sodass die Entscheidung willkürlichen Charakter habe.700 Pikanterweise bemühte sich zeitgleich die Baubehörde, die letzten Formalitäten für den Abriss des Kronenberg-Palais zu 697 Vgl. z. B. AMSZ, Sprawa budowy gmachu Ambasady Francji w Warszawie. Departament IV, 1962–1963, Notatka w sprawie budowy gmachu Ambasady Francuskiej wice-dyrektora St. Piaskowskiego, 20.04.1962, 2; CADN, 721PO/1/271, Merkblatt zu den Vertragsverhandlungen vom 29.03.1962; Notiz vom 07.06.1962. 698 AMSZ, 17, 14/129, Notiz zum Entzug des Grundstücks am Plac Zwycięstwa von M. Wajda, 01.08.1962, S. 14. 699 Zitat nach CADN, 721PO/1/271, Brief von Emmanuel d’Harcourt an Haulpetit-Fourichon im französischen Außenministerium, 11.09.1962. 700 Vgl. AMSZ, 17, 14/129, Notiz von Gąsiorowski, Mitarbeiter des Außenministeriums, an den Minister J. Winiewicz bezüglich des Grundstücks am Plac Zwycięstwa, 28.04.1962, S. 4 ff.; Geheime, dringende Notiz von J. Winiewicz, 03.05.1962.

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erledigen – ein Abriss, für den die französische Botschaft den Festpreis von 25 000 Dollar bezahlt hätte. Wer letztlich den Abriss bezahlte, ist unbekannt. Da er allerdings im Oktober 1962 abgeschlossen war und die französische Botschaft zu diesem Zeitpunkt bereits ihren Widerspruch gegen die Entscheidung, doch nicht am Plac Zwycięstwa bauen zu können, eingestellt hatte, kam es wohl nicht zu diesem Devisengeschäft. Der französische Botschafter reagierte schließlich empört. Er äußerte in einem Gespräch im polnischen Außenministerium die Vermutung, dass politische Gründe wohl bei der Entscheidung eine Rolle gespielt hatten, nicht lediglich stadtplanerische, wie das polnische Außenministerium stets betonte.701

Abb. 4.19: Fotodokumentation im Zuge des Architekturwettbewerbs Nr. 357 für den Plac Zwycięstwa 1963. Blick auf die Südseite und Teile der Westseite des Platzes mit dem Grab des Unbekannten Soldaten am rechten Bildrand. Mittig die Kunstgalerie Zachęta sowie die evangelische Kirche am benachbarten Plac Dąbrowskiego (zusammengesetzt von der Autorin).

Diese Betonung der stadtplanerischen Gründe war insofern unglaubwürdig, als gerade am Plac Zwycięstwa die Stadtplanung durchaus politisch war, insbesondere Anfang der sechziger Jahre, wie im Folgenden gezeigt wird. Es scheint also vielmehr wahrscheinlich, dass die Partei diese exponierte Lage in politisch und legitimatorisch angespannten Zeiten für ihre eigene Repräsentation nutzten wollte. Mit dem Abriss des Kronenberg-Palais war eine weitere Freifläche am Plac Zwycięstwa entstanden, die eine neue Gesamtplanung des Plac Zwycięstwa möglich und gleichzeitig dringlicher machte. Denn die Platzkanten waren nun so gut wie unbebaut, bis auf die Ostseite mit zwei historischen Bauten. Wer nachvollziehen möchte, wie das Gebäude am Plac Zwycięstwa wohl ausgesehen hätte, sollte die französische Botschaft an der Ul. Piękna besichtigen, die nach kaum modifizierten Plänen schließlich dort gebaut wurde: als Musterbau moderner französischer Architektur.

701 Vgl. AMSZ, 17, 14/129, Notiz von Łobodycz, 01.08.1962, S. 18 ff.

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Abb. 4.20: Fotodokumentation im Zuge des Architekturwettbewerbs Nr. 357 für den Plac Zwycięstwa 1963. Südseite des Plac Zwycięstwa mit dem Jüdischen Theater, nach dem Abriss des Kronenberg-Palais (zusammengesetzt von der Autorin).

Abb. 4.21: Fotodokumentation im Zuge des Architekturwettbewerbs Nr. 357 für den Plac Zwycięstwa 1963. Blick auf den Plac Zwycięstwa gen Osten, 1963.

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4.3.2.2 Im Namen des Sieges: Traditionen der Partei und der Nation auf dem Plac Zwycięstwa Die Intervention des Premiers Cyrankiewicz, mit der er Mitte 1962 den Bau der französischen Botschaft am Plac Zwycięstwa verhinderte, legt nahe, dass es sich dabei tatsächlich nicht nur um eine stadtplanerische Entscheidung gehandelt hatte. Zwar stimmt es, dass der Plac Zwycięstwa nun erstmals seit dem Wettbewerb von 1947 als Ganzes gestaltet werden sollte. Aber gleichzeitig war dies eine politische Entscheidung, die das historische Gewicht der Sächsischen Achse und des Platzes mit den aktuellen politischen Botschaften des Regimes zu verknüpfen suchte. Architektonisch sollte damit die Moderne am Platz Einzug halten – wie schon bei den französischen Plänen. Inhaltlich richtete sich der Fokus aber nun darauf, mithilfe der militärischen Konnotationen des Platzes die Strategie des militärischen Patriotismus auch im Stadtraum zu etablieren. Diese im Kapitel über die Warschauer Nike bereits einführend beschriebene Tendenz hing mit dem zunehmenden Legitimationsdefizit zusammen, das die PZPR in den sechziger Jahren mit nationalen Elementen zu kompensieren versuchte. Diese wurden verbunden mit der Betonung militärischer Stärke und Erfolge, insbesondere des Sieges über das faschistische Deutschland.702 Der Kreml tolerierte solche nationalistischen Referenzen zwar, allerdings lediglich aufgrund ähnlicher Tendenzen in anderen Volksrepubliken. Zudem mussten sich diese Tendenzen in engen Grenzen bewegen: Die „sozialistische Gemeinschaft“ sowie die Vorherrschaft der Sowjetunion durften keinesfalls infrage gestellt werden.703 Zudem fand die Fokussierung auf den Sieg im Zweiten Weltkrieg durchaus Widerhall in der Sowjetunion, wo Breschnew diesen als zentrales Identifikations- und Legitimationsaxiom in den sechziger Jahren zu etablieren strebte.704 Prägend für diese Entwicklungen innerhalb der PZPR waren die sogenannten „Partisanen“, eine Gruppe unter Führung von Mieczysław Moczar, der seit 1964 das Amt des Innenministers bekleidete. Diese Fraktionierung legt eine Rivalität innerhalb der PZPR offen: zwischen den polnischen KommunistInnen, die während des Krieges als Offiziere in der Volksarmee gedient hatten, und denjenigen, die den Krieg in der Sowjetunion verbracht hatten. Zu ersteren gehörte Moczar, zu letzteren Gomułka. Die tatsächliche Bedeutung der Fraktion – innerparteilich wie politisch – ist schwer abschließend zu beurteilen, da die „Partisanen“ zwar einerseits über kein ausformuliertes Programm verfügten. Andererseits prägten sie Themen und Tendenzen der Politik der sechziger Jahre 702 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 271 f. 703 Vgl. ebd., S. 278 f.; Florian Peters: Revolution der Erinnerung. Der Zweite Weltkrieg in der Geschichtskultur des spätsozialistischen Polen. Berlin 2016, S. 74. 704 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 285.

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maßgeblich. Dazu zählten die Hochachtung militärischer Traditionen, Widerstände gegenüber jeglicher Liberalisierung sowie die fremdenfeindliche Ablehnung „nichtpolnischer“ Einflüsse in Kultur und Wissenschaft. Letztere Tendenz fand in der antisemitischen, in offiziellen Worten „antizionistischen“ Kampagne von 1967/68 ihren unrühmlichen Höhepunkt. Unabhängig davon, wie groß der Einfluss der „Partisanen“ auf die Politik der sechziger Jahre tatsächlich war, so sehr verkomplizierte die Fraktionierung der Partei ihre Situation. Deren legitimatorische Behauptungskämpfe waren umso brisanter, als Gomułkas Beliebtheit sank. Zudem waren nach einigen Jahren der „kleinen Stabilisierung“ die gravierenden strukturellen wirtschaftlichen Probleme der Volksrepublik Ende der Sechziger offensichtlich.705 Ausdruck der katastrophalen wirtschaftlichen Lage waren die bereits erwähnten beengten Wohnblöcke in Schlichtbauweise, die sprichwörtlich für die Gomułka-Ära wurden. Angesichts dieser wirtschaftlichen Probleme ist es nicht sehr verwunderlich, dass lediglich das rational gesehen wichtige Projekt auf der Sächsischen Achse tatsächlich realisiert wurde: das Wohnviertel „Hinter dem Eisernen Tor“, das zwischen 1965 und 1972 Wohnraum für 27 000 Menschen schaffte. Es lag zwar nicht am Plac Zwycięstwa selbst, aber direkt hinter dem Sächsischen Garten und war damit unübersehbar. Doch auch wenn die anderen Projekte nur auf dem Papier entstanden, so ist der Blick darauf sehr aufschlussreich, um die damaligen Positionen, Ziele und Möglichkeiten der Machthabenden besser zu verstehen. Denn die legitimatorischen Fragen der sechziger Jahre kulminierten am Plac Zwycięstwa in dem hier geplanten Museum der Revolution und Befreiungskämpfe (Muzeum Rewolucji i Walk Wyzwoleńczych) und darüber hinaus in dem Siegesdenkmal auf der Sächsischen Achse. Sie waren Teil des Ringens mit der katholischen Kirche, welches zunächst näher beleuchtet werden muss, um danach auf die Pläne selbst genauer einzugehen. Im Zentrum stand ein doppeltes Jubiläum Mitte der sechziger Jahre: die Millenniumsfeier zur tausendjährigen Christianisierung des polnischen Königs 966 (Milenium, im folgenden Millennium) sowie die Gründung des polnischen Staates (Tysiąclecie, Tausendjahrfeiern). Diese großen Jubiläen, die WissenschaftlerInnen und Kirchenleute bereits seit Kriegsende thematisierten, hatten jedoch keine verbindende Kraft. Vielmehr verschärften sie die Gräben zwischen denjenigen, die sich der Kirche verbunden fühlten, und denjenigen, die der Partei treu waren.706

705 Vgl. ebd., S. 280 und S. 284. 706 Vgl. Bartłomiej Noszczak: Przygotowania do Milenium Chrztu Polski i Tysiąclecia Państwa Polskiego (1956–1965), in: ders. (Hg.), Milenium czy tysiąclecie. Warszawa 2006, S. 10–39, hier S. 11 f.

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Die katholische Kirche begann bereits 1956 mit konkreten Vorbereitungen für die Feiern zum Millennium, also zu einem Zeitpunkt, wo die PZPR der Posener Aufstand sowie interne Machtkämpfe beschäftigten. Es ist bezeichnend für die sich wandelnden Verhältnisse, dass der noch bis Oktober 1956 internierte Primas Kardinal Wyszyński die Rede zum größten öffentlichen Glaubensbekenntnis beim „Gelöbnis der Nation“ (ślubowanie narodu, das heißt die Dreihundertjahrfeier des Gelöbnisses des Königs Jan Kazimierz in Lemberg) geschrieben hatte. Eine Million Pilger versammelten sich dafür am 26. August 1956 in Częstochowa. Sie waren der eindrucksvolle Beweis, dass die katholische Kirche mit ihrer Botschaft nicht nur sehr viele Menschen erreichte, sondern dass sie die Regierung zunehmend öffentlich herausforderte. Dementsprechend hatten die kirchlichen Feierlichkeiten einen geographisch wie zeitlich großzügigen Ansatz und sollten über mehrere Jahre hinweg in ganz Polen stattfinden. Dafür wurde die große Novene ins Leben gerufen, das heißt Aktionen über einen Zeitraum von neun Jahren, die auf den Höhepunkt im Jahre 1966 in Częstochowa zuliefen. Bis dahin war jedes Jahr zwischen 1957 und 1965 unter ein anderes Motto gestellt, welches die besondere Rolle der katholischen Kirche für die polnische Geschichte betonte. Die Regierung empfand die Novene als politische und ideologische Provokation, da dadurch die grundlegende Frage im Raum stand, wer der Erbe der nationalen Traditionen sei und wer das Recht habe, für die Nation zu sprechen.707 Darüber hinaus ging es um die Frage nach der Zugehörigkeit Polens zum Westen oder zur sozialistischen Staatengemeinschaft.708 Symbolischen Ausdruck fand dieser umfassende Charakter der kirchlichen Aktivitäten – und die Reaktion des Staates – in dem 1966 durchs Land ziehenden Bild der Schwarzen Madonna aus Częstochowa. Staatliche Autoritäten „verhafteten“ es schließlich und bewachten es, damit es seine Reise durch Polen nicht fortsetzen konnte.709 Ein vielsagender, fast schon komisch anmutender Höhepunkt der Restriktionen des Staates gegenüber der Kirche in den sechziger Jahren. Im Gegenzug beschloss der Sejm im Februar 1958 ein Programm für die Tausendjahrfeiern der polnischen Staatlichkeit. Zunächst war der Zeitraum von 1960 bis 1965 geplant, um den Kirchfeierlichkeiten zuvorzukommen. Diese Datierung lief allerdings der gängigen Geschichtserzählung entgegen, weshalb die staatlichen Abschlussfeierlichkeiten schließlich in das Jahr 1966 gelegt wurden, mit der Sondersitzung des Sejm am 22. Juli 1966 als Höhepunkt. Auch diese Feierlichkeiten sollten Massencharakter besitzen, unter anderem durch den Bau von tausend neuen Schulen und Baumpflanzungen im gesamten Land. Sie

707 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 325. 708 Borodziej, Geschichte Polens, S. 310. 709 Ebd., S. 311.

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umfassten darüber hinaus zahlreiche weitere Jubiläen, wie beispielsweise 1960 den 550. Jahrestag der Schlacht von Grunwald oder 1964/65 das zwanzigjährige Jubiläum der PRL. Sie eröffneten häufig eine direkte Konkurrenz zu den kirchlichen Feiern, was teilweise absurd anmutete, wie beispielsweise in Gnesen, dem historischen Ort der Taufe des Königs: „Als in Gnesen gerade unter der Leitung des Krakauer Erzbischofs Karol Wojtyła die Messe gefeiert wurde, begann eine Geschützbatterie Salut zu schießen, weil zur gleichen Zeit Marschall Spychalski bei der Staatsfeier eintraf.“710 Die inhaltlich brisanteste Auseinandersetzung lieferten sich Kirche und Staat 1965, nachdem polnische Bischöfe am 18. November 1965 zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils ihren deutschen Kollegen einen Hirtenbrief (Orędzie biskupów polskich do ich niemieckich braci w Chrystusowym urzędzie pasterskim, Hirtenbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder) überreichten.711 Darin betonten sie nicht nur deutlich die Verquickung der Geschichte des polnischen Staates mit dem christlichen Glauben und der katholischen Kirche, sondern zweifelten auch ein en Teil der Staatsräson an: Polen sei „aus dem Massenmorden nicht als Siegerstaat, sondern bis zum äußersten geschwächt“ hervorgegangen. Das konterkarierte nicht nur das offizielle Narrativ vom Sieg über das faschistische Deutschland. Hier gerieten die Verdienste der kommunistischen Volksarmee an der Seite der Sowjetunion in die Kritik, ausgerechnet in den sechziger Jahren, als die sowjetische Meistererzählung ebenfalls den Sieg als Axiom ihrer Legitimation hervorhob.712 Für den hiesigen Kontext ist dieses Detail von besonderer Bedeutung, weil sich die Pläne für den Plac Zwycięstwa – der Name war an dieser Stelle Programm – auf diesen Aspekt fokussierten: die Inszenierung der polnischen kommunistischen KämpferInnen im Krieg gegen das faschistische Deutschland und der PRL als Krönung der polnischen Geschichte. Darüber hinaus griff der Brief ein weiteres Kernthema der staatlichen Propaganda auf und an, nämlich die aggressive Haltung der Regierung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Der Brief kulminierte in dem berühmten Satz „Wir vergeben und bitten um Vergebung“, verbunden mit der Einladung der deutschen Bischöfe zu den kirchlichen Feierlichkeiten Anfang Mai 1966: „Und wenn Sie, deutsche Bischöfe und Konzilsväter, unsere ausgestreckten Hände brüderlich erfassen, dann

710 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 323 und S. 238 f. 711 Vgl. z. B. Basil Kerski/Thomas Kycia/Robert Żurek (Hg.): „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Der Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe von 1965 und seine Wirkung. Osnabrück 2006; Friedhelm Boll/Wiesław Wysocki/Klaus Ziemer (Hg.): Versöhnung und Politik. Polnisch-deutsche Versöhnungsinitiativen der 1960er-Jahre und die Entspannungspolitik. Bonn 2009. 712 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 285.

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erst können wir wohl mit ruhigem Gewissen in Polen auf ganz christliche Art unser Millennium feiern.“ Dass die deutschen Bischöfe in ihrer Antwort vom 5. Dezember 1965 die polnische Westgrenze nicht ausdrücklich anerkannten, war Wasser auf die Mühlen der polnischen Regierung, die in der Folge die Propagandakampagne gegen die polnische katholische Kirche ebenso verstärkte wie die gegen die Bundesrepublik.713 Der Marschall Polens, Marian Spychalski, betonte dementsprechend die Gefahr, die akut von der Bundesrepublik ausgehe, in einem Interview mit der „Stolica“ anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläum des Kriegsendes: „Wir müssen die Gesellschaft für die wachsende Aufgabe mobilisieren, insbesondere, weil die Epigonen des Nationalsozialismus sich regenerieren, des Bonner Militarismus, der unter der Obhut der Nato wächst und keine Demobilisierung erlaubt.“714 Darüber hinaus betonte Spychalski, der als Marschall von Polen den höchsten militärischen Rang der polnischen Streitkräfte bekleidete, einen zweifachen Sieg: den siegreichen bewaffneten Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland, und den erfolgreichen Aufbau des Landes in den letzten zwanzig Jahren. Der Gesellschaft müsse allerdings klargemacht werden, wie groß einerseits die Opfer für diese Siege gewesen seien, und wie sehr andererseits der weitere Erfolg in Gefahr sei. Um das Bewusstsein für eben jene Anstrengung zu stärken, sei die Sächsische Achse in die sogenannte Siegesachse zu verwandeln. Nach Spychalski sollte es zwei Herzstücke der Achse geben: das Museum der Revolution und Befreiungskämpfe am Plac Zwycięstwa sowie am Ende des Sächsischen Gartens auf einer Linie mit dem Grab des Unbekannten Soldaten das Sieges- und Freiheitsdenkmal (Pomnik Zwycięstwa i Wolności). Dieses neue Denkmal sollte, entsprechend des oben beschriebenen Narrativs, „unseren großen Anteil und die Opfer verewigen, die wir im Kampf gegen den deutschen Aggressor gebracht haben“.715 Fast auf den Tag genau zwanzig Jahre nach dem offiziellen Kriegsende, am 7. Mai 1965, legte Marian Spychalski persönlich den Grundstein für den Bau dieses Denkmals, in Form einer bronzenen Platte mit der Inschrift: „Im großen Krieg der Nationen gegen den Hitlerismus starben sechs Millionen Polen, darunter 800 000 [sic] Einwohner Warschaus. Wir haben gesiegt, um in Frieden, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit zu leben.“716 Am hinteren Ende des Sächsischen Gartens direkt vor der verlängerten Ul. Marszałkowska gelegen, sollte das Denkmal aller im Krieg gefallenen PolInnen gedenken: den im Westen und

713 Vgl. Stępień, Sobór Watykański, in: Noszczak (Hg.), Milenium, S. 45 ff. 714 o.V.: Rozmowa z Marszałkiem Polski, in: Stolica (1965), 19, S. 2 f., hier S. 3. 715 Ebd. 716 AAN, Akta Spychalskiego (1536), Sign. 38, Wettbewerbsbedingungen für das Siegesdenkmal, Juni 1966, S. 6.

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Abb. 4.22: Der Grundstein für das Sieges- und Freiheitsdenkmal, 1965 gelegt. Im Hintergrund, auf der anderen Seite der Ul. Marszałkowska, das Lubomirski-Palais, 2015.

Osten in verschiedensten Formationen Kämpfenden gleichermaßen wie den getöteten ZivilistInnen. Damit unterschied sich die Idee von dem bereits 1964 am Plac Teatralny enthüllten Nike-Denkmal der Helden Warschaus. Ursprünglich hatte ein Beschluss des PRN im November 1963 an dieser Stelle den Bau eines Denkmals zur Erinnerung an die 700-jährige Geschichte Warschaus vorgesehen, das im September 1965 hätte eröffnet werden sollen. Ein Jahr später im Dezember 1964 hatten sich die beiden Konzepte bereits vermengt: Das Denkmal sollte nun der 700-jährigen Stadtgeschichte und des Sieges gedenken. Genauso wie die geplante Funktion änderte sich der endgültige Einweihungstermin mehrmals. Schließlich war die Eröffnung für den 22. Juli 1966 geplant – als Höhepunkt der Feierlichkeiten für das tausendjährige Staatsjubiläum. Der Entwurf des Architekten Marek Leykam sah im wahrsten Sinne einen weithin sichtbaren Höhepunkt vor: einen 48 Meter hohen parabolischen Bogen aus Stahlbeton. Dieser erinnerte stark an den 1966 fertiggestellten Bogen von Eero Saarinen in Saint Louis in den USA. Doch es ist wahrscheinlicher, dass Leykam hier seinen eigenen Entwurf eines Anfang der dreißiger Jahre in Gdingen geplanten Denkmals weiterentwickelte. Seinem ersten Entwurf, einem 140 Meter langen Band aus Stahlbeton, das sich entlang der Sächsischen Achse durch den

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Abb. 4.23: Modell des Sieges- und Freiheitsdenkmals nach dem Entwurf von Marek Leykam. In der Mitte am Boden die quadratische Grundsteinplatte.

Sächsischen Garten schlängeln sollte, „warf die Kommission des Ministeriums vor, dass die Form einer gen Osten gerichteten Schlange ähnele“.717 Der neue Entwurf sah den besagten Bogen vor, der mit vergoldeten Keramikscheiben des Künstlerpaars Helena und Lech Grześkiewicz verkleidet werden sollte. Zwei Adler, ebenfalls aus Keramik, sollten den Bogen bekrönen, einer gen Westen, der andere gen Osten blickend. Die Diskussion über den Adler liefert ein Indiz, mit welchen Dilemmata die Partei bei solchen Legitimationsprojekten zu kämpfen hatte. Denn in einer Diskussion im September 1965 erwogen die anwesenden PolitikerInnen und ArchitektInnen, ob es nicht besser sei, den piastischen Adler einzusetzen, also den traditionellen mit der Königskrone.718 Marschall Marian Spychalski legte nicht nur den Grundstein für den Denkmalbau, sondern war insgesamt stark darin involviert. Er war der Vorsitzende des SFOS, der den Bau des Denkmals finanzierte. Zudem kannten er und der 717 Vgl. Grzegorz Piątek: Zapomnik Zwycięstwa/Forgotten Victory Memorial, in: Architektura Murator (2010), 1, S. 108–110, hier S. 108. 718 AAN, SFOS (392), 208, Protokoll einer Sitzung vom 21.09.1965, geschickt vom PRN an das Zarząd Dróg i Mostów, 25.09.1965, S. 17.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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Architekt Leykam sich persönlich, unter anderem seit sie 1937 in Gdingen gemeinsam an einem Wettbewerbsentwurf für die Hafenmole gearbeitet hatten. Doch trotz seines politischen Einflusses war Spychalski machtlos, als im Februar 1966 die Ideologiekommission („komisja ideologiczna“) des Zentralkomitees entschied, den Bau des Denkmals kurz vor dessen geplanten Beginn anzuhalten. Dieser Kommission stand Zenon Kliszko vor, Politbüromitglied und „rechte Hand“ Gomułkas. Daher ist davon auszugehen, dass Gomułka zumindest in Kenntnis dieser Entscheidung war und ihr nicht entgegenstand. Spychalski wandte sich in seinem Protestbrief vom 16. Februar 1966 an Kliszko,719 der nicht nur Kommissionsvorsitzender war, sondern die Bauvorbereitungen laut Grzegorz Piątek persönlich angehalten hatte, als Spychalski für einige Tage nicht in Warschau war.720 Spychalski argumentierte zweigleisig. Er verurteilte zunächst den drohenden „schwerwiegenden Verlust“ der bereits ausgegebenen öffentlichen Gelder des SFOS aus „politisch unverständlichen Gründen“. Da der Bau am 1. März 1966 beginnen sollte, seien sämtliche Vorbereitungen abgeschlossen, inklusive der bereits gebrannten Keramikkacheln. In einem von Spychalski beauftragten Gutachten bezifferte Tadeusz Marciński, Beauftragter für die Baumaßnahmen im Zentrum, den finanziellen Schaden auf beinahe 2,5 Millionen Zloty, falls der Bau um ein Jahr verzögert würde, und auf sechs Millionen Zloty, falls er komplett eingestellt würde.721 Spychalski argumentierte weiter, dass er in einem Gespräch mit Gomułka im Beisein von Kliszko im Februar 1965 über die Bereitstellung der Mittel für das Denkmal aus dem SFOS gesprochen habe. Er sei davon überzeugt gewesen, diese Mittel in das Budget des Jahres 1966 übertragen zu können, was sich schließlich als nötig, aber nicht möglich erwies. Das könnte mit der Umwandlung des SFOS im Januar 1966 in den Gesellschaftlichen Fonds zum Bau von Schulen und Internaten (Społeczny Fundusz Budowy Szkół i Internatów) zusammenhängen, welcher den im Rahmen der Tausendjahrfeiern angekündigten Bau von tausend neuen Schulen finanzieren sollte. Diese Tausendjahrfeiern dienten Spychalski als zweiter Bezugspunkt. Aus geschichtspolitischer Warte kritisierte er „die unverständliche Vernachlässigung des Denkmalbaus in einem Moment, in dem die Bischöfe mit ihrem Hirtenbrief voller reaktionärer Positionen das Recht Polens infrage stellen, sich auf die Seite der Siegernationen im Zweiten Weltkrieg zu

719 AAN, Akta Spychalskiego (1536), Sign. 38, Brief von M. Spychalski an Z. Kliszko bezüglich der Blockade des Siegesdenkmals, 16.02.1966, S. 23 f. Vgl. auch AAN, Akta Spychalskiego (1536), Sign. 38, Brief von M. Spychalski an mehrere Politiker, o.D. [Ende Februar 1966], S. 25. 720 Vgl. Piątek, Zapomnik, S. 109. 721 AAN, Akta Spychalskiego (1536), Sign. 38, Information bezüglich des Stadiums und der Kosten des Siegesdenkmals, 12.02.1966, S. 29 f.

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stellen“.722 Spychalskis Brief verhallte ohne Wirkung: Das Denkmal konnte nicht zum geplanten Termin am 22. Juli 1966 enthüllt werden, und der Endpunkt der staatlichen Tausendjahrfeiern war um einen Programmpunkt ärmer. Was genau der Grund für die in ökonomischer Hinsicht irrationale Entscheidung der Ideologiekommission war, ist nicht abschließend zu klären. Doch der persönliche Faktor scheint in dieser Frage nicht unwichtig gewesen zu sein. Den gegenüber Spychalski und Leykam erhobenen Vorwurf der Vetternwirtschaft erwähnt der Architekturhistoriker Piątek in dem einzigen Artikel, der bisher über das „Sieges-Vergissmal“ erschienen ist.723 Denn dass die Idee eines solchen Denkmals den Verantwortlichen nicht generell missfiel, zeigte der Beschluss der Front der Nationalen Einheit (Front Jedności Narodu, FJN) vom 6. April 1966 zum Bau eines Sieges- und Freiheitsdenkmals, nicht mal zwei Monate nach dem Baustopp für das vorherige Denkmal. Daraufhin beauftragte die FJN den Polnischen Künstlerverband ZPAP und den SARP mit der Ausschreibung eines Wettbewerbs mit dem Ziel, das Denkmal nunmehr am 22. Juli 1969 zum 25. Jahrestag der Gründung des Lubliner Komitees zu eröffnen. Laut Ausschreibung sollte die bereits 1965 von Spychalski enthüllte Granitplatte Teil des Denkmals werden.724 Es gab weitere Kontinuitäten: Spychalski und Kliszko saßen in der Jury, ersterer als ihr Vorsitzender. Darüber hinaus bekamen die vormaligen Kollegen Leykams, das Künstlerpaar Grześkiewicz und ihr Sohn Piotr, den Zuschlag zum Bau des Denkmals. Marek Leykam hatte nicht am Wettbewerb teilgenommen. Einen umso bitteren Beigeschmack hatte diese Juryentscheidung nun, da der Entwurf ebenfalls einen Bogen vorsah – allerdings einen umgedrehten. Dieser Bogen sollte zwischen zwei 120 Meter hohen Pfosten aufgehängt werden, um so an den Buchstaben V für Victory zu erinnern. Im Gegensatz zu der Ostwand am Kulturpalast, die 1969 tatsächlich eröffnet wurde, verstrich auch der zweite Enthüllungstermin des Denkmals. So wurden die neuen Entwürfe Makulatur – trotz der Beteuerungen des Warschauer Bürgermeisters Jerzy Majewski im Jahr 1970, dass die Arbeiten bald begännen.725 Dieses Prestigeprojekt der Partei, das über sieben Jahre diskutiert und geplant wurde, scheiterte also im Endeffekt. Spychalski, der mit diesem Projekt eng verbunden war, musste schließlich auch seinen Widerstand gegen

722 AAN, Akta Spychalskiego (1536), Sign. 38, Brief von M. Spychalski an Kliszko, Cyrankiewicz, Gomułka und Strzelecki, o.D. [Ende Februar 1966], S. 25. 723 Wörtlich: „Zapomnik Zwycięstwa“. Das Wortspiel funktioniert im Polnischen insofern besser, als das Wort für Denkmal („pomnik“) näher am Kunstwort „zapomnik“ des Autors Piątek ist. Vgl. Piątek, Zapomnik. 724 AAN, Akta Spychalskiego (1536), Sign. 38, Wettbewerbsbedingungen für das Siegesdenkmal, Juni 1966, S. 6. 725 Piątek, Zapomnik, S. 110.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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das zeitgleich geplante Wohnviertel „Hinter dem Eisernen Tor“ aufgeben, das sich fast direkt hinter dem geplanten Denkmalstandort erstreckt. Was diesen westlichen Teil der Sächsischen Achse anging, erzielte er aber schließlich doch einen Erfolg. Auf seine Initiative hin wurde das Lubomirski-Palais (Pałac Lubomirskich), welches bisher schräg zur Sächsischen Achse gestanden hatte, im Frühjahr 1970 auf Schienen um 74 Grad gedreht. Dieses Palais war nun rechtwinklig gen Osten, also zum Sächsischen Garten und zum Plac Zwycięstwa hin ausgerichtet und schloss damit die Sächsische Achse von Westen her ab. Im bereits zitierten Interview von 1965 hatte Spychalski das geplante Museum der Revolution und Befreiungskämpfe als „grundlegenden Akzent der ‚Siegesachse‘, die vom Plac Zwycięstwa zum Sieges- und Freiheitsdenkmal führt“, bezeichnet.726 Während das Denkmal des Sieges im Zweiten Weltkrieg und seiner Opfer hatte gedenken sollen, eröffnete das Museum eine breitere historische Perspektive. Es geht wahrscheinlich auf einen Politbürobeschluss von 1957 zurück, welcher „die umfassende mediale Verbreitung der Geschichte der PPR [. . .], der Volksgarde und der Volksarmee“ bezweckte: „Als Symbol dieser Ausrichtung war das Museum des Befreiungskampfes der Polnischen Nation gedacht, in dem ‚besonders die Zeit der Kämpfe der Nation mit dem hitleristischen Okkupanten berücksichtigt werden‘ sollte.“ Laut Zaremba sei von diesen Plänen damals vermutlich wenig umgesetzt worden, weil der Kreml nicht geneigt gewesen sei, die Verdienste der in Polen gebildeten Volksarmee und damit den „polnischen Weg“ zu betonen.727 Dennoch wurde ein Museum, das genau eine solche Zielrichtung verfolgte, für einige Jahre konkret und engagiert diskutiert, im Rahmen und in der Folge von drei Architekturwettbewerben: 1963/1964 als Teil des Gesamtwettbewerbs für den Plac Zwycięstwa, 1966/1967 in einem eigenen Wettbewerb und 1972 in einem erneuten Wettbewerb für den gesamten Plac Zwycięstwa.728 Da es allerdings nie gebaut wurde, ist nur wenig über seine Konzeption bekannt. 1963 war es noch als Museum der Geschichte der polnischen Arbeiterbewegung (Muzeum Historii Polskiego Ruchu Robotniczego), später als Museum der Revolutions- und Befreiungskämpfe (Muzeum Walk Rewolucyjnych i Wyzwoleńczych) betitelt. Zwischendurch sollten daraus zwei verschiedene Museen entstehen: das

726 o.V., Rozmowa z Marszałkiem, S. 3. 727 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 298 f. 728 Die offiziellen Bezeichnungen der Wettbewerbe lauteten: Konkurs powszechny SARP Nr 357 na studium koncepcji urbanistycznej Placu Zwycięstwa i fragmentu terenów Powiśla w Warszawie (1963/64); Konkurs SARP Nr 392 na projekt koncepcyjny budowy gmachu Muzeum Walk Rewolucyjnych i Wyzwoleńczych na Placu Zwycięstwa w Warszawie (1966/67); Konkurs SARP Nr 492 na opracowanie urbanistyczno-architektoniczne Placu Zwycięstwa w Warszawie (1972).

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4 Modernisierung und Erinnerung

Revolutionsmuseum und das Museum der Befreiungskämpfe (Muzeum Rewolucji i Muzeum Walk Wyzwoleńczych). Um eine räumliche Vorstellung zu bekommen, hilft der Blick in die Wettbewerbsbedingungen. 1963 handelte es sich um ein Gebäude mit einer Kubatur von 20 000 bis 30 000 Kubikmetern. Im Wettbewerb von 1967 war die Rede von 6 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche.729 Betreiber dieser neuen Institution sollte, zumindest 1968, das bereits bestehende Museum der Geschichte der Polnischen Revolutionären Bewegung (Muzeum Historii Polskiego Ruchu Rewolucyjnego) werden. Dieses war allerdings nicht in die Planungen eingebunden, wie aus einem mahnenden Brief des Kulturministers an die Architektenvereinigung SARP hervorgeht.730 Die vielen Umbenennungen des geplanten Museums zeigen, dass den Verantwortlichen seine genaue Ausrichtung wahrscheinlich selbst nicht klar war. Fast wichtiger als der Inhalt, der die Errungenschaften der kommunistischen Revolution historisch kontextualisiert und institutionell hätte würdigen sollen, war wohl ohnehin der Standort. Denn die nicht näher definierten Inhalte sollten bewusst mit dem nationalen Symbol aus der Zwischenkriegszeit, dem Grab des Unbekannten Soldaten, in Beziehung treten, inhaltlich wie architektonisch. In den Wettbewerbsbedingungen von 1966 war diese „ideologische Verbindung“ („powiązanie ideowe“) wie folgt formuliert: „Die architektonische Lösung sollte deutlich den historischen Wert und die außergewöhnliche politische Bedeutung des Grabes des Unbekannten Soldaten unterstreichen, unter anderem als Symbol der Zerstörung Warschaus durch die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg.“731 Dieses neue Museum in Verbindung mit dem Grab des Unbekannten Soldaten hätte zwar ein neues, revolutionär-kommunistisches Narrativ am Platz etabliert, aber gleichzeitig versucht, die nationale Symbolik des Platzes darin einzuhegen. Den gemeinsamen Nenner bildete die militärische Tradition, genauer gesagt der Kult der Armee und ihres Ethos – Kernelement des militärischen Patriotismus der sechziger Jahre. Zusätzlich war diese Programmatik mit antideutschen und prosowjetischen Elementen versehen und bejahte aktiv die polnische Tradition der Romantik.732 Aus Sicht der PZPR hätte diese Herangehensweise idealerweise das traditionelle nationale Narrativ einerseits geschwächt und andererseits die neue Botschaft gestärkt, da es die nationalen Traditionen zwar umdeutete, aber doch gleichzeitig bejahte.

729 Wojciech Zabłocki: Muzeum Walk Rewolucyjnych i Wyzwoleńczych, in: Architektura (1967), 12, S. 501–510, hier S. 501. 730 ASARP, 2/243, Brief des Kulturministers Z. Garsztecki an den SARP-Vorsitzenden H. Buszko, 26.06.1968, S. 29. 731 ASARP, 3/4419, Notiz von Czesław Kotela an den Vorsitzenden des Präsidiums des PRN J. Majewski, 16.04.1971. 732 Vgl. Polniak, Patriotyzm wojskowy, S. 31.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

Abb. 4.24: Entwurf Nr. 111 für den Neubau des Revolutions- und Befreiungsmuseums von Stanisław Jankowski, 1967.

Abb. 4.25: Entwurf Nr. 27 für den Neubau des Revolutions- und Befreiungsmuseums von Andrzej Dzierżawski, Zbigniew Pawelski, Wiesław Rzepka und Halina Świergocka, 1967.

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4 Modernisierung und Erinnerung

Abb. 4.26: Entwurf Nr. 115 für den Neubau des Revolutions- und Befreiungsmuseums von Jerzy Skrzypczak und Tadeusz Pawluć, 1967.

Abb. 4.27: Andere Ansicht des Entwurfs Nr. 115 mit Blick auf das Grab des Unbekannten Soldaten unter dem Museums-Riegel.

Dass diesen Plänen besondere Aufmerksamkeit zuteilwurde, lässt sich an der hohen Zahl der TeilnehmerInnen am Architekturwettbewerb für das Museum von 1966 ablesen. Diese war mit 117 Einsendungen beachtlich, wenn auch nicht ganz so hoch wie beim Wettbewerb für das Denkmal der Helden Warschaus 1958. Die Ansichten und Entwürfe wiesen in Bezug auf das Grab des Unbekannten Soldaten eine deutliche Tendenz auf. So stand der Architekt Zbigniew Pawlak bei einer SARP-Diskussion im September 1967 mit seiner Ansicht, die drei Bögen des Grabes des Unbekannten Soldaten spiegelten nur lokale Erinnerungen wider und seien daher für zukünftige Generationen unverständlich, fast alleine da. Die große Mehrheit der ArchitektInnen wollte den Ort und die Gestalt des Grabes des Unbekannten Soldaten nicht antasten, gemäß der Formulierung des Architekten Zygmunt Stępiński, es sei das „letzte Symbol der Zerstörung Warschaus“. Diesem Gedanken folgte auch der Architekt Stanisław Jankowski in seinem prämierten Wettbewerbsentwurf von 1967: „Die emotionale Wirkung des Grabes des

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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Abb. 4.28: Gewinnerentwurf Nr. 43 des Wettbewerbs für den Plac Zwycięstwa von Jerzy Czyż, Jan Furman, Jerzy Józefowicz, Andrzej Skopiński, 1963/1964.

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Unbekannten Soldaten gebührt es, seine heutige Gestalt beizubehalten – die Kraft historischer Fakten führt dazu, dass die Reste der klassizistischen Fassade den Rang einer nationalen Akropolis erlangt haben.“733 Jankowski wollte darüber hinaus die Sächsische Achse baulich nicht beeinträchtigen, und plante das Museum deshalb unter der Erde (Entwurf Nr. 111). Jegliche Architektur neben dem Denkmal wirke zu aggressiv. Einen beinahe gegensätzlichen Ansatz verfolgten die zwei anderen im Wettbewerb gleichrangig prämierten Entwürfe. Sie sahen eine Art Brückenkonstruktion vor, das heißt ein auf sechs sowie zwei Pfeilern über dem Grab „schwebendes“ Museumsgebäude in Riegelform. Die ArchitektInnen Andrzej Dzierżawski, Zbigniew Pawelski, Wiesław Rzepka und Halina Świergocka wollten so, in Kombination mit dem filigranen Grab des Unbekannten Soldaten, eine monumentalere Komposition der Westseite des Platzes erreichen (Entwurf Nr. 27). Dass so die Verbindung zwischen Park und Platz geschlossen sei, rechtfertigten sie damit, dass der Siegerentwurf des Wettbewerbs von 1963/1964 ebenfalls diese Konzeption vertreten habe. Die beiden Architekten des anderen Entwurfs (Nr. 115), Jerzy Skrzypczak und Tadeusz Pawluć, planten den Gebäuderiegel sehr viel höher, sodass die visuelle Verbindung und der Durchgang zum Park dennoch gegeben gewesen wäre.734 An diesen Positionierungen wird ersichtlich, dass die höchst symbolische Frage nach dem Grab des Unbekannten Soldaten mit der stadtplanerischen Frage nach der Öffnung des Platzes zum Sächsischen Garten verbunden war. Die Jury war sich dabei nicht einig, wie die gleichrangig prämierten, aber gegensätzlichen Entwürfe offenbaren.735 Wie viele Aspekte diese Fragen berührten, zeigt sich auch am Kommentar des Schriftstellers Wojciech Natanson. Er verstand diesen dezidiert als Beitrag zu einer aus seiner Sicht notwendigen öffentlichen Diskussion angesichts der Wichtigkeit des Themas. Er befürwortete den zum Park geöffneten Platz als große Errungenschaft, nicht nur aus ästhetischen, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen. Er untermauerte seine Position mit der Meinung „eines der bekanntesten Stadtplaner und Architekten“, dessen Namen Natanson allerdings nicht preisgab. Hinter dieser speziellen Diskussion um die nun schon seit zwanzig Jahren bestehende Öffnung des Plac Zwycięstwa zum Sächsischen Garten und das Grab des Unbekannten Soldaten als Symbol der Zerstörung Warschaus stand die grundlegende provokative Frage, ob das, was die Kriegszerstörungen angerichtet hatten, teilweise vielleicht gar erhaltenswert sei. Damit

733 Andrzej Markowski: Konfrontacje. 5 głosów o konkursie, in: Architektura (1967), 12, S. 511 f., hier S. 511. 734 Vgl. ebd. 735 Vgl. auch ASARP, 3/4419, Notiz von Czesław Kotela an den Vorsitzenden des Präsidiums des PRN J. Majewski, 16.04.1971.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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Abb. 4.29: Drittplatzierter Entwurf Nr. 22 von Stanisław Jankowski aus dem Wettbewerb für den Plac Zwycięstwa, rechts oben im Bild ein Hochhaus an der Stelle des Brühlschen Palais, 1963/1964.

zusammen hing die Frage, ob und inwiefern der Vorkriegszustand wiederherzustellen sei – und inwieweit das überhaupt möglich war angesichts der herausfordernd großen städtebaulichen Veränderungen in diesem Gebiet, das heißt der Zerstörungen und des enorm vergrößerten angrenzenden Teatr Wielki. Darin scheint auch die Frage auf, wer tatsächlich eine Rückkehr zu der Situation vor dem Krieg wünschte – und inwieweit die Ereignisse des Krieges die Positionen über zwanzig Jahre nach Kriegsende beeinflussten. Insgesamt prämierten beide Jurys von 1963/1964 und 1966/1967 Entwürfe, die einen starken Bruch mit der architektonischen Vorkriegssituation vorsahen. Das verdeutlichen geradezu emblematisch die im ersten Wettbewerb von dem

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Trio Zygmunt Stępiński, Kazimierz und Tomasz Marczewski (zweiter Platz, Entwurf Nr. 55) und Stanisław Jankowski (dritter Platz, Entwurf Nr. 22) vorgeschlagenen Hochhäuser. Diese sollten direkt an den Sächsischen Garten angrenzen, und zwar auf dem ehemaligen Grundstück des im Krieg gesprengten Brühlschen Palais. Hier sollten die Universitätsbibliothek und der Zentrale Gewerkschaftsrat (Centralna Rada Związków Zawodowych, CRZZ) einziehen736 – ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Idee des Wiederaufbaus des Brühlschen Palais in den sechziger Jahren nicht den Hauch einer Chance hatte, und so kein einziges Mal in der Debatte Erwähnung fand, ebenso wenig das Sächsische Palais. Die Kommentatoren der Wettbewerbe nahmen kein Blatt vor den Mund. Der Architekt Marek Leykam spitzte nach dem Wettbewerb von 1966/1967 zu: „Der Platz hat schon lange seine Daseinsberechtigung verloren. Nacheinander war er Palastinnenhof, Musterungsplatz, Platz der [orthodoxen] Kathedrale und schließlich seit Anfang der Zwischenkriegszeit Defilierplatz; jetzt könnte er lediglich noch Parkplatz werden.“ Die einzige Chance, ein urbanistisches Durcheinander zu vermeiden, sah er darin, den Parkplatz unter die Erde zu verlegen, um damit die oberirdische Erweiterung des Sächsischen Gartens auf den Plac Zwycięstwa zu ermöglichen.737 Diesen Vorschlag unterstützte auch der Architekt Andrzej Fajans 1966 in seinem künstlerisch frei verfassten Beitrag in der „Architektura“. Er forderte einen in mehreren Hinsichten offenen Platz, bei dem der Sächsische Garten die gesamte Sächsische Achse entlang bis zur Weichsel reichen würde: „Wenn dieser Platz eine lebendige und neue soziale Agora sowie ein Ort der Erholung werden soll, dann muss der Platz dem Park zugewandt sein.“ Er sah in dem Platz, wenn er als Erweiterung des Sächsischen Garten diene, sogar noch mehr: einen städtischen, gar nationalen Salon („salon Miasta i Państwa“). Dann sei er besser als vorher und damit die wirkliche Siegesachse.738 Dies solle als bewusste Abgrenzung zur höfischen Vergangenheit des Gartens geschehen, als der Park nur wenigen zugänglich gewesen sei – auch wenn man der Genauigkeit zuliebe ergänzen muss, dass der Sächsische Garten bereits 1727 zu einem großen Teil der Allgemeinheit zugänglich gemacht und damit der erste öffentliche Park Warschaus war. Fajans formulierte darüber hinaus die Vision, an diesem Platz ein Ensemble pavillonartiger Museen unterzubringen, quer zur Sächsischen Achse angeordnet: ein Museum zeitgenössischer Kunst, ein Museum der Arbeit mit den besten Industrieerzeugnissen sowie ein Museum der Volkskunst. Auch wenn diese Programmatik utopisch 736 tk: Bogaty materiał do studiów nad Osią Saską, in: Stolica (1964), 36, S. 6. 737 Markowski, Konfrontacje, S. 512. 738 Vgl. Andrzej Fajans: Węzeł komunikacyjny czy agora narodu?, in: Architektura (1966), 4/5, S. 167–171, S. 167 ff.

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anmutet, denn de facto war in ganz Polen seit Kriegsende kein einziges neues Museum errichtet worden,739 so zeigt sie doch, dass mehrere Intellektuelle die offiziellen Pläne kritisierten. Fajans wollte erklärtermaßen verhindern, dass die „tote Wüste“ der kapitalistischen Platzgestaltung der dreißiger Jahre zurückkehre, wie derzeit „viele böse Stimmen“ forderten.740 Fajans fand zudem im Gegensatz zu den Verantwortlichen einige markige Namen und damit auch eine Art Vision für den Platz. Er bezeichnete ihn als „Gesellschaftliche Agora“, als „Agora der Nation“. Die Verantwortlichen formulierten in den Wettbewerbsbedingungen von 1963/1964 lediglich eine „Zusammenstellung von infrage kommenden Möglichkeiten“, die jedoch nicht als eine „Liste von Objekten, die alle in dieser Region untergebracht werden müssen“ zu verstehen sei.741 Diese Möglichkeiten umfassten neben dem bereits diskutierten Museum der Arbeiterbewegungen auch einen Pavillon für technische Errungenschaften, den Erweiterungsbau des Ministeriums für Fernmeldewesen (Ministerium Łączności), ein Bürogebäude des CRZZ sowie die Universitätsbibliothek. Genau diese Zufälligkeit kritisierten die ArchitektInnen bei einer Diskussion der Kommission für Stadtplanung und Architektur im September 1967. Das Treffen fand nach den beiden Wettbewerben statt, bei dem ein Umsetzungsplan vorgelegt und diskutiert wurde. Jan Zachwatowicz, der der Wettbewerbsjury von 1963/1964 vorgestanden hatte, konstatierte fluktuierende Inhalte und Programme der am Platz vorgesehenen Gebäude. Marian Sulimowski nannte den Vorschlag abfällig eine „Inventarisierung der Absichten“, während Jacek Nowicki ihn als eine „Inventarisierung der Investitionsvorhaben“ kritisierte. Die nachdrückliche Forderung nach einem Hauptarchitekten wurde laut, der für das gesamte Ensemble verantwortlich zeichnen würde und dem gleichzeitig die nötigen Kompetenzen zur Umsetzung zugestanden werden müssten. Nowicki bemerkte dazu: „Sonst führen die Diskussionen über den Platz ins Nichts, weil die Realisierung wie bisher unabhängig von den Entwurfsentscheidungen stattfindet.“742 Diese Situation erinnerte Nowicki stark an die Situation am benachbarten Plac Teatralny, wo ebenfalls ein allgemein verantwortlicher Projektant gefehlt habe: „Es wiederholt sich die Geschichte des Plac Teatralny, der nicht so sehr ein bewusstes räumliches Konzept darstellt, als vielmehr einen Ort, an dem

739 ASARP, 2/243, Brief des Kulturministers Z. Garsztecki an den SARP-Vorsitzenden H. Buszko, 26.06.1968, S. 29. 740 Ebd., S. 170 f. 741 ASARP, 2/243, Wettbewerbsbedingungen für den Wettbewerb Nr. 357, Plac Zwycięstwa und Powiśle, 1964, S. 5 ff. 742 Dieser Absatz entstand auf der Basis des folgenden Dokuments: ASARP, 3/342, Anhang zum Protokoll der Sitzung des KUA, 14.09.1967, S. 53 ff.

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sich verschiedene Projekte kreuzen.“ Als das eigentliche Problem sahen sie die willkürliche „Fluktuation“ von Entscheidungen an, bei der gestalterische Überlegungen ignoriert würden, die vorher aufwendig im Zuge der Wettbewerbe angestellt worden seien. Die ArchitektInnen forderten also mehr Gewicht für ihre Expertenmeinung. Dass das Scharnier zwischen ExpertInnen und PolitikerInnen nicht reibungslos funktionierte, wird auch an einer der wenigen Episoden deutlich, bei der der Einfluss des Politbüros auf stadtplanerische Entscheidungen detailliert dokumentiert ist. Der Chefarchitekt Kotela berichtete dem Vorsitzenden des PRN Jerzy Majewski rückblickend im April 1971, dass am 11. Juli 1967 Mitgliedern des Politbüros die Wettbewerbsergebnisse präsentiert worden seien.743 Anwesend waren der Vorsitzende des Ministerrats Józef Cyrankiewicz, Zenon Kliszko, Marian Spychalski, Witold Jarosiński und Józef Kępa aus dem Politbüro sowie der Vorsitzende des PRN Janusz Zarzycki und der stellvertretende Chefarchitekt Stanisław Lasota. Auf diesem Treffen äußerten die Politbüromitglieder die Ansicht, „dass die Lösungen, die zwei Gebäude auf beiden Seiten des Grabes des Unbekannten Soldaten vorschlagen, in die beste Richtung gehen. Sie platziert das Museum angemessen beim Grab des Unbekannten Soldaten und unterstreicht die inhaltliche Verbindung dieser zwei Objekte.“ Auf diese Weise lehnten die versammelten Politbüromitglieder die im Wettbewerb von 1966/1967 prämierten Entwürfe ab und forderten eine Rückkehr zum Gewinnerentwurf von 1963/1964. Das Präsidium des PRN übernahm diesen Standpunkt, den der Vorsitzende des Ministerrats Cyrankiewicz am 24. Juli 1968 ebenfalls akzeptierte. Der SARP wurde in der Folge mit der Organisation des nächsten Wettbewerbs beauftragt, zu der die sieben im Wettbewerb von 1967 ausgezeichneten Gruppen eingeladen werden sollten. In den Bedingungen sollte verankert werden, dass das Grab des Unbekannten Soldaten in seiner architektonischen Form nicht verändert werden könne und dass das Museum zwingend am Platz unterzubringen sei. An dieser letzten Frage schieden sich die Geister einiger Mitglieder des Politbüros und des SARP so heftig, dass das Präsidium des PRN schließlich die Vorbereitung des Wettbewerbs aussetzte. Cyrankiewicz, Spychalski und Kliszko hielten daran fest, die architektonische Form des Museums von vornherein zu bestimmen, gemäß dem Gewinnerentwurf von 1963/1964, der Pavillons rechts und links des Grabes des Unbekannten Soldaten vorgesehen hatte (vgl. Abb. 4.28). Dem widersprach der SARP schließlich 1969 in der Art und Weise, dass er den Wettbewerb nicht weiter vorbereitete. Damit war der Zeitplan des SARP hinfällig, der vorgesehen hatte,

743 ASARP, 3/4419, Notiz des Chefarchitekten Czesław Kotela an den Vorsitzenden des PRN Jerzy Majewski, 16.04.1971.

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bis April 1970 beide Wettbewerbe abzuschließen. Diese Episode spricht für eine gewisse Autonomie des SARP, der sich dem durchaus autoritären Verhalten einiger Politbüromitglieder nicht beugte. Das änderte allerdings nichts an dem „seltsamen Chaos, genannt Plac Zwycięstwa“.744 Der Architekt Władysław Czerny kommentierte den Plac Zwycięstwa seinem engagierten „Stolica“-Artikel „Retten wir Warschaus Plätze“ von 1969, ähnlich: Er sei zwar „groß“, aber nicht „großartig“. Ihm zufolge drohe der „Tod des Platzes“, wenn er weiterhin zum Parkplatz verkomme, anstatt endlich eingefasst („ujęty“) zu werden.745 Einen neuen Anlauf nahm Kotela 1971 beim Vorsitzenden des PRN Jerzy Majewski, der den SARP schließlich 1972 mit einem weiteren Wettbewerb für den Plac Zwycięstwa beauftragte, zu dem fünfzehn Architektengruppen eingeladen wurden. Dieser Wettbewerb, der zwar nicht in die Periodisierung der Arbeit passt, aber in die Reihe der Wettbewerbe der sechziger Jahre gehört, sollte erneut „Studiencharakter“ besitzen, um Ideen für die Lösung des Plac Zwycięstwa bis 1980 zu bekommen.746 Gemäß der Wettbewerbsbedingungen sollte dies „ein Ort nationaler Würde sein, für nationale Feierlichkeiten, wo Repräsentanten anderer Staaten dem polnischen Unbekannten Soldaten ihre Ehre erweisen“.747 Diesem Ziel müsse die Gestaltung untergeordnet werden. Das Programm der geplanten Gebäude hatte allerdings einen recht pragmatischen und erneut zusammengewürfelten Charakter. So seien obligatorisch ein Hotel, die Unibibliothek und der Erweiterungsbau des Fernmeldeministeriums unterzubringen. Das einzige ausschließlich symbolpolitische Gebäude, das Museum, war hingegen nicht mehr verpflichtend.748 Die Wettbewerbsbedingungen offenbaren noch einen weiteren Widerspruch: So sollte zwar einerseits unbedingt die Form des Grabes des Unbekannten Soldaten gewahrt werden, andererseits könne die „Möglichkeit der Rekonstruktion heute nicht mehr bestehender Ensembles, unter anderem des ehemaligen Generalstabs“, also des Sächsischen Palais, erwogen werden.749 Dieser Widerspruch befeuerte auch die Auseinandersetzung über die Wettbewerbsergebnisse. Die Architekturkritikerin Krystyna Krzyżakowa kommentierte

744 Szwankowska, Panorama starego, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 543. 745 Władysław Czerny: Ratujmy place Warszawy, in: Stolica 45 (1969), S. 2 f., hier S. 2. 746 Konkurs SARP Nr. 498 na projekt szczegółowy zagospodarowania przestrzennego Placu Zwycięstwa (1972). 747 ASARP, 3/4419, Wettbewerbsbedingungen für den Plac Zwycięstwa, 1972. 748 Stępiński gibt an, dass bereits kurz nach dem speziellen Wettbewerb für das Museum die Finanzierung in den Sternen stand, da sie sich nicht in den Investitionsplänen wiederfand. Vgl. Stępiński, Siedem placów, S. 174. 749 ASARP, 3/4419, Wettbewerbsbedingungen für den Plac Zwycięstwa, 1972.

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4 Modernisierung und Erinnerung

Abb. 4.30: Gewinnerentwurf aus dem Wettbewerb für den Plac Zwycięstwa von B. Kosecki und B. Gniewiewski, 1972.

im September 1972: „Den Clou der gesamten Aufgabe und der neuralgischste Punkt des gesamten Ensembles stellte (und stellt weiterhin) die Westseite des Platzes dar mit dem Rest des Säulengangs, der das Grab des Unbekannten Soldaten beherbergt.“750 Bis auf einen Entwurf wollten alle die Öffnung zwischen Platz und Park beibehalten. Genau diesen einen Entwurf von Bolesław Kosecki und Bohdan Gniewiewski prämierte die Jury am 31. Juli 1972. Er sah einen von allen vier Seiten umrahmten Platz vor, auch an der westlichen Seite mit dem Grab des Unbekannten Soldaten. Das Hauptargument der Architekten lautete, dass sonst die Wohnhochhäuser des Viertels „Hinter dem Eisernen Tor“ zu viel Dominanz über den Platz ausstrahlten. Insofern planten sie die Erweiterung des Säulengangs des Grabes des Unbekannten Soldaten und den Anbau von Gebäuden rechts und links, in Anlehnung an den Grundriss des Sächsischen Palais. Dabei handelte es sich um eine partielle Rekonstruktion, das heißt die Rückkehr zur städtebaulichen Situation, nicht unbedingt aber zur Gestalt des Gebäudes. Dieser

750 Krystyna Krzyżakowa: Po konkursie na Placu Zwycięstwa, in: Stolica (1972), 36, S. 4 f., hier S. 4.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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Vorschlag wurde in der fast vierstündigen öffentlichen Diskussion, die am 3. August 1972 in der Architekturfakultät des Politechnikums stattfand, am heißesten debattiert. Darin wurde der Säulengang verteidigt: „in seiner jetzigen verstümmelten Form, die in der Wahrnehmung vieler DiskussionsteilnehmerInnen den Rang eines Symbols erreicht hat, das patriotische Gefühle weckt.“751 Die Rückkehr zu einer geschlossenen Bebauung dieser Seite des Platzes war also zumindest unter den TeilnehmerInnen dieser Diskussion nicht erwünscht. Bis heute steht das Grab des Unbekannten Soldaten in seiner „verstümmelten Form“ am Plac Zwycięstwa, der mittlerweile wieder Plac Piłsudskiego heißt. Die Planungen für dieses Museum waren 1967 am intensivsten, da in diesem Jahr ein eigener Wettbewerb stattfand und ein weiterer in Auftrag gegeben wurde. Wie gezeigt werden konnte, behinderten sich bei diesem geschichtspolitischen Prestigeprojekt ExpertInnen und das Politbüro gegenseitig: mit einem Kräftemessen über die architektonische Form und den Standort des Museums. Auch das andere höchst symbolpolitische Projekt dieser Zeit, der Bau des Siegesdenkmals auf der Sächsischen Achse unweit des Plac Zwycięstwa, scheiterte 1966 an interner Uneinigkeit – ob tatsächlich über die unlautere Vergabe des Auftrags an den Architekten Leykam oder eher über parteiinterne Machtfragen, müsste detaillierter untersucht werden. Doch während nicht abschließend geklärt werden kann, warum diese Pläne tatsächlich nicht reüssierten, so ist es umso interessanter zu konstatieren, dass es sie gab. Sie müssen als Teil der Strategie der Partei gesehen werden, ihre Legitimation auf ein national und militärisch konnotiertes Fundament zu stellen. Diese Strategie verfolgte besonders die von Moczar geführte Fraktion der „Partisanen“, die damit auch die eigene Macht in der Partei selbst legitimieren wollten. Den städtebaulichen Ausdruck fand diese nationalkommunistische Strategie insbesondere in den Plänen für den Plac Zwycięstwa. Doch wurden erstens in den sechziger Jahren lediglich die pragmatischen Bauprojekte tatsächlich realisiert, allen voran des Wohnungsbaus. Paradigmatisch für das Ende des Warschauer Wiederaufbaus, der ja auch viele ausschließlich repräsentative Gebäude umfasst hatte, steht die Umwandlung des SFOS in den Gesellschaftlichen Fonds zum Wiederaufbau des Landes und der Hauptstadt (Społeczny Fundusz Odbudowy Kraju i Stolicy) und schließlich in den Gesellschaftlichen Fonds zum Bau von Schulen und Internaten (Społeczny Fundusz Budowy Szkół i Internatów) im Jahre 1966. Zweitens zeigt sich eine diffuse Uneinigkeit der Machthabenden über den genauen Inhalt dieses neu zu definierenden historischen Zentrums. Ohne Frage stellen Museumsbauten in jeder Staatsform eine besondere Herausforderung dar – finanziell, aber vor allem inhaltlich. Immerhin materia-

751 Ebd., S. 5.

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lisiert und institutionalisiert sich hier das Selbstverständnis und Selbstbild einer Gesellschaft – und in einem autoritären Staat vor allem der politischen Elite. Trotz der Ende der sechziger Jahre zweifellos angespannten finanziellen Lage können wirtschaftliche Fragen jedoch nicht der einzige Grund gewesen sein.752 Im besser dokumentierten Fall des Siegesdenkmals waren die Finanzen geklärt und teilweise gar schon ausgegeben, was die ideologische Kommission des Politbüros nicht daran hinderte, den Bau zu stoppen. Dass damit der Denkmalbau insgesamt scheiterte, ist in doppelter Hinsicht bezeichnend. So konnte die Partei nicht nur kein Siegesdenkmal am 22. Juli 1966 im Rahmen des Tausendjahrfestakts öffentlichkeitswirksam einweihen. Sondern darüber hinaus dokumentierte die im Sächsischen Garten eingelassene Bronzetafel gar das Scheitern des ursprünglichen Plans. Bei genauem Hinsehen offenbaren also die Diskussionen um die Siegesachse mit dem Plac Zwycięstwa im Zentrum die Schwäche der Partei in den sechziger Jahren. Dass es der Partei nicht gelang, ihre Siege – im Zweiten Weltkrieg, aber auch über die kapitalistische Vorgängerregierung – im Stadtbild dauerhaft zu verankern, ist insofern auch Ausdruck ihrer Niederlage. Denn sie trug zeitgleich im legitimatorisch wichtigen Kampf mit der katholischen Kirche im Rahmen der Feierlichkeiten zu tausend Jahren Christianisierung und Staatlichkeit Polens keinen Sieg davon. Im Gegenteil: Sie schlingerte in den Jahren 1967/68 in eine Krise, die in der antisemitischen und antiintellektuellen Kampagne vom März 1968 gipfelte. Auch wenn hier kaum ausreichend Platz für die komplizierte Genese dieser Ereignisse ist, soll sie dennoch skizziert werden.753 Der erste entscheidende Schritt war die Rede Gomułkas auf einem Gewerkschaftskongress am 16. Juni 1967, wenige Tage nach dem Ende des Sechstagekriegs zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten. In der Rede brandmarkte Gomułka jüdische PolInnen als „Fünfte Kolonne“ im Staat – mit anderen Worten als potentielle VerräterInnen. Die Schauplätze der nächsten Eskalationsmomente lagen im historischen Zentrum Warschaus: im frisch eröffneten Teatr Wielki sowie vor der Warschauer Universität am Krakowskie Przedmieście, jeweils nur wenige Schritte vom Plac Zwycięstwa entfernt. Ausgerechnet zum fünfzigsten Jahrestag der Oktoberrevolution führte der Regisseur Kazimierz Dejmek eine subtil russenkritische Version des Dramas Dziady (Die Ahnenfeier) des Nationaldichters Adam Mickiewicz auf, vor den

752 Zu nennen ist beispielsweise die Großinvestition an der „Ostwand“ des Kulturpalasts sowie das neue, sozialistische Zentrum von Kattowitz, das in den sechziger und siebziger Jahren im großen Stil neugestaltet wurde. Auch hier war kein Museumsneubau in den Plan integriert, obwohl das 1939 eröffnete Schlesische Museum von den deutschen Besatzungstruppen abgerissen worden war. 753 Ausführlich dazu vgl. Jerzy Eisler: Polski rok 1968. Warszawa 2006; Piotr Osęka: Marzec '68. Kraków 2008; Dariusz Stola: Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968. Warszawa 2000.

4.3 Gedenken und Vergessen zur Legitimation

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Augen bereits erwähnter Parteifunktionäre wie Kliszko und Spychalski. Auf die Absetzung des Stückes Ende Januar 1968 folgten Proteste von Studierenden und Kulturschaffenden insbesondere vor der Warschauer Universität. Diese trafen das Regime an seiner „besonderen Schwachstelle“. Sie berührten „nämlich die Frage seiner polnischen Identität, der polnischen Souveränität und der Unterordnung unter Russland, kurzum, [das Regime] begriff [die Proteste] als Versuch, seine nationale Legitimität infrage zu stellen.“754 In der Folge der zweiten entscheidenden Rede Gomułkas, diesmal vor dem Warschauer Verband der Polnischen Literaten am 19. März 1968, begann eine im Nachkriegspolen beispiellose als „antizionistisch“ verbrämte, de facto aber antisemitische und antiintellektuelle Kampagne. Daraufhin folgten 13 000 Menschen, die in der großen Mehrzahl jüdischer Herkunft waren, den mehr oder weniger direkten Forderungen nach ihrer „Emigration“. Das dadurch in Gang gebrachte „Personalkarussell“ innerhalb des mittleren Parteiaktivs war laut Zaremba einer der Antriebsmomente dieser Kampagne. An den Hochschulen, zuvorderst den Geisteswissenschaften der Warschauer Universität, hinterließen die EmigrantInnen verheerende Lücken. Doch auch der Staat, der auf den ersten Blick die Konfrontation mit den protestierenden Studierenden und Intellektuellen gewonnen hatte und sich als einziger Verfechter nationaler Interessen zu positionieren versuchte, zahlte im Endeffekt einen hohen Preis: Das internationale Ansehen der Volksrepublik insgesamt und von Gomułka im Speziellen nahm enormen Schaden. Darüber hinaus waren die Märzereignisse von 1968 die formativen Momente für zwei gesellschaftliche Gruppen, die beide das kommende politische Geschehen auf ihre Weise prägen würden. Einerseits stieg eine Schicht jüngerer PZPR-FunktionärInnen auf. Andererseits waren es die Opfer der Kampagne, insbesondere damalige Studierende, „die dieses formative Ereignis nie vergessen haben und wenige Jahre später, bei der Entstehung einer neuen Oppositionsbewegung, die Schlüsselrolle spielen sollten“.755 Dieses „Ende des jüdischen Warschaus“ hatte Bernard Mark, der damalige Direktor des Jüdischen Historischen Instituts, bereits 1966 prophetisch vorausgesagt, als er den Baubeginn eines modernen Hochhauses auf dem Grundstück dergesprengten Großen Synagoge am nahegelegenen Plac Dzierżyńskiego kommentierte: „Die Architekten haben kein Gefühl für Geschichte.“756 Die PolitikerInnen wohl auch nicht, ist man geneigt zu ergänzen. Es ist zwar kein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesem Baubeginn und der sich verschärfenden Stimmung gegenüber Juden und Jüdinnen im Land bewiesen, aber 754 Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 346 f. 755 Borodziej, Geschichte Polens, S. 315 f. 756 Bernard Mark: Dziennik (bearb. v. Joanna Nalewajko-Kulikov), in: Jewish History Quarterly (Kwartalnik Historii Żydów) (2008), 2, S. 156–192, hier S. 174.

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4 Modernisierung und Erinnerung

das allgegenwärtige Schweigen über die vorherige Bestimmung dieses Grundstücks spricht dennoch Bände.757 Auch am Plac Zwycięstwa war Anfang der sechziger Jahre ein Gebäude abgerissen worden, das bis dahin ein seltenes Zeugnis der Verschränkungen und des Zusammenlebens jüdischer und christlicher WarschauerInnen war: das Kronenberg-Palais. Denn der Erbauer, Leopold Kronenberg, war 25 Jahre vor der Einweihung des Gebäudes 1871 vom jüdischen zum protestantischen Glauben konvertiert. Neben seiner erfolgreichen Karriere als Bankier und Eisenbahninvestor war Kronenberg Philanthrop und bekennender Patriot, was sich beispielsweise in seiner Unterstützung des Januaraufstands 1863 ausgedrückt hatte.758 Ohne dass an dieser Stelle ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Abriss des Kronenberg-Palais und den oben beschriebenen Nationalisierungsbestrebungen behauptet werden kann, so stimmt es dennoch nachdenklich, dass der modernisierende und gleichzeitig nationalisierende Eifer Anfang der sechziger Jahre schließlich den Abriss dieses Gebäudes bedeutete, gegen den zahlreiche Menschen erfolglos protestiert hatten. Ebenfalls nachdenklich stimmt der Umstand, dass der Abriss des KronenbergPalais sowie der benachbarten provisorischen Spielstätte des seit den sechziger Jahren staatlichen Jüdischen Theaters die einzigen baulichen Maßnahmen am Plac Zwycięstwa waren, die während der Gomułka-Epoche realisiert wurden – insbesondere in Anbetracht der hochtrabenden und durchaus aktiv verfolgten Pläne für den Plac Zwycięstwa. Das „verkleinerte Ensemble“ des Jüdischen Theaters zog im Dezember 1970 in den seit Anfang der sechziger Jahre geplanten Neubau am Plac Grzybowski um. Während in einem Zeitungsartikel der Zeitung „Fołks-Sztyme“ betont wurde, dass die Spieltätigkeit ohne Unterbrechung weitergelaufen und das Ensemble sogar (wieder) gewachsen sei, so fand der Grund für die dezimierte Schauspielerschaft – die erzwungenen Emigrationen – keine Erwähnung.759

4.4 Zusammenfassung: Wohnen und Gedenken an den Sieg als neue Setzungen Der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt tat am 7. Dezember 1970 etwas Außergewöhnliches: Er kniete vor dem Denkmal der Ghettohelden in Muranów nieder, als Zeichen der Demut vor den Opfern des Holocaust. Dieser ikonische 757 Vgl. das Kapitel „Tak się kończy żydowska Warszawa“ in Fuchs, Miejsce, S. 148–151. 758 Aleksander Senk: Dziedzictwo Kronenbergów. Warszawa 2010, S. 13. 759 Vgl. Artur Szarfer: Święto naszego teatru, in: Fołks-Sztyme (1970), 51/52, S. 14 f.; Barbara KrólKaczorowska: Teatry Warszawy. Budynki i sale w latach 1748–1975. Warszawa 1986, S. 243.

4.4 Zusammenfassung: Wohnen und Gedenken an den Sieg

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Abb. 4.31: Willy Brandt vor dem Grab des Unbekannten Soldaten am 7. Dezember 1970, so auch in der „Trybuna Ludu“ und „Życie Warszawy“ abgedruckt.

Kniefall geschah, nachdem Brandt und der polnische Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz am gleichen Tag in Warschau den „Normalisierungsvertrag“ unterzeichnet hatten, in dem die Bundesrepublik unter anderem die Oder-NeißeGrenze anerkannte. Das war der Auftakt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen. Wie es das Protokoll bei jedem Staatsbesuch vorsah, hatte Brandt zunächst auf ausdrücklichen Wunsch der polnischen Seite am Grab des Unbekannten Soldaten einen Kranz niedergelegt, um der polnischen Gefallenen zu gedenken. Es war das Foto dieser gewöhnlichen Geste, das die Zeitungen am nächsten Tag abdruckten, nicht das des international aufsehenerregenden Kniefalls.760 Der Fokus der Öffentlichkeit sollte so eindeutig auf den außenpolitischen Erfolg Gomułkas gelenkt werden, nicht auf den aus national-polnischer Sicht ambivalenten

760 Vgl. Michael Wolffsohn/Thomas Brechenmacher: Denkmalsturz? Brandts Kniefall. München 2005, S. 29; Ireneusz Krzemiński: Der Kniefall, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Band 1. München 2001, S. 638–653, hier S. 649 f. Die Tageszeitungen „Trybuna Ludu“, „Życie Warszawy“ sowie die Wochenzeitung „Stolica“ druckten alle das gleiche Foto ab, das Willy Brandt vor dem Grab des Unbekannten Soldaten zeigte.

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4 Modernisierung und Erinnerung

Kniefall Brandts. So sahen Teile der Bevölkerung – soweit sie von dem Kniefall erfuhren, über den schließlich nur sehr spärlich berichtet wurde – diese Geste durchaus kritisch, da sie zwar nicht ausschließlich den jüdischen Opfern der NationalsozialistInnen galt, aber „schlicht am falschen Ort“ stattfand.761 Der Kniefall war zudem schwerer in das in den sechziger Jahren etablierte nationalkommunistische Narrativ einzuflechten, insbesondere nach der antisemitischen Politik eineinhalb Jahre zuvor. Diese war insofern nach wie vor aktuell, als weiterhin zahlreiche PolInnen jüdischer Herkunft auswanderten, die nach der antisemitischen Kampagne des März 1968 keine Zukunft mehr in diesem Land sahen. Der Warschauer Vertrag, dessen Boden der Hirtenbrief der polnischen Bischöfe 1965 bereitet hatte, entzog einem wichtigen propagandistischen Motiv der sechziger Jahre seine Grundlage: der Ablehnung der Bundesrepublik als Erbe des Nationalsozialismus. Gleichzeitig stärkte der Ostvertrag das Ansehen der polnischen Regierung vor allem im Inland. Das war wichtig angesichts der schwelenden Legitimationskrise der PZPR, der sie in den sechziger Jahren mit einer nationalkommunistischen Programmatik mit besonderem Fokus auf militärischen Werten und Ritualen beizukommen versucht hatte. Die Schauplätze dieser Politik waren im Warschauer städtischen Raum vor allem die historischen Plätze des 19. Jahrhunderts, das heißt der Plac Teatralny und der Plac Zwycięstwa. Insofern ist es kein Zufall, dass der Besuch Brandts in der offiziellen Lesart auf dem Plac Zwycięstwa am Grab des Unbekannten Soldaten ihren symbolischen Höhepunkt fand. Dieser Platz und die gesamte Sächsische Achse waren der Kristallisationspunkt der geschichtspolitischen Bemühungen der Partei der sechziger Jahre. Während der Bau des Museums und des Denkmals nicht reüssierten, so zeugten immerhin die öffentlichkeitswirksamen Wachwechsel vor dem Grab davon. Ein weiteres Projekt ist in dieser Hinsicht bemerkenswert: Die 1964 eingeweihte Nike am Plac Teatralny als Denkmal der Helden Warschaus versuchte den Spagat, einerseits die gesellschaftlichen Forderungen nach einem Denkmal des Warschauer Aufstands zu besänftigen und andererseits das Narrativ des militärischen Patriotismus nicht aus den Augen zu verlieren, das selbstverständlich vor allem die Rolle der kommunistischen WiderstandkämpferInnen betonte. Der Architekt Jerzy Czyż, der in diesem Kapitel als Projektant zentraler Wohnsiedlungen in Erscheinung getreten ist, charakterisierte Architektur als „Ausdruck der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse“.762 So betrachtet,

761 Wolffsohn/Brechenmacher, Denkmalsturz?, S. 29. 762 o.V., Miasto w którym żyjemy, S. 6.

4.4 Zusammenfassung: Wohnen und Gedenken an den Sieg

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waren die Wohnblöcke am Plac Teatralny nicht nur eine Folge des massiven Wohnungsmangels, sondern auch ein Ausdruck des erklärten Modernisierungsimpetus der Gomułka-Ära. Sie veränderten gleichwohl das Stadtbild wie das Leben der Menschen und waren Teil der modernisierten, das heißt industrialisierten und urbanisierten polnischen Gesellschaft der sechziger Jahre.763 Auf eine interessante Besonderheit weisen zudem Trybuś und Piątek hin: Im Westen hatte die (bauliche) Moderne zu diesem Zeitpunkt bereits ihren Zenit überschritten. Der Abriss der Siedlung Pruitt-Igoe in St. Louis, Missouri im Jahre 1972 läutete gar den Anfang vom Ende ein. Unterdessen begann während Gomułkas Parteivorsitz in Polen eine Art Aufholjagd, die bis in die achtziger Jahre andauerte.764 Diese Beobachtung führt zu einer interessanten Präzisierung bezüglich des Plac Teatralny: In Zeiten des weiterhin stetigen Bevölkerungswachstums (zwischen 1956 und 1970 wuchs die Einwohnerzahl Warschaus um 300 000 auf fast 1,3 Millionen Menschen) zweifelte niemand diese großangelegte Wohnungsbauinitiative inhaltlich an – wohl aber die Art und Weise. Denn die Wohnblöcke entstanden zwar nicht direkt an den Plätzen, aber doch so nah, dass sie diese entscheidend prägten: Die Siedlung „Za Żelazną Bramą“ stand zwar hinter dem Sächsischen Garten, war aber unübersehbar vom Plac Zwycięstwa aus. Der Architekt Bogusławski urteilte, der Plac Teatralny sei mit Wohnhochhäusern „verschandelt“. Darin bestärkte ihn der Architekt Biegański, allerdings mit einem optimistischen Ausblick: „Mir scheint, dass die Unzulänglichkeiten und Fehler, die aufgrund von Eile oder mangelnder Kenntnisse entstanden, in vielen Fällen noch auszugleichen sind.“765 Ihr Kollege Stępiński war sehr viel pessimistischer, verhehlte allerdings nicht, dass sein häufig vergebliches Engagement seine Position maßgeblich beeinflusste: „Ich habe so manche Umplanungen für einige einflussreiche Ensembles vorgenommen, zum Beispiel den Plac Teatralny und den Plac Dzierżyńskiego, aber ich befürchte, dass uns das nicht mehr gelingt.“766 An dieser Stelle ist es aufschlussreich, an das überraschende Urteil zu erinnern, dass die TeilnehmerInnen der Umfrage „Wie bist Du, Warschau?“ 1968 fällten: Demnach war der Plac Teatralny eine der für das Nachkriegs-Warschau

763 Für eine detaillierte Darstellung der Situation in „Polen um 1965“ vgl. das gleichnamige Kapitel in Borodziej, Geschichte Polens, S. 319–340. 764 Vgl. Trybuś/Piątek, Volkspolen als Projekt, in: Stiller (Hg.), Polen Architektur, S. 93. 765 Piotr Biegański: Rozmowy o Warszawie. Wysiłek społeczeństwa opłacił się stokrotnie, in: Architektura (1969), 12, S. 444. 766 Zygmunt Stępiński: Rozmowy o Warszawie. Gdybym dziś miał zdecydować . . . , in: Architektura (1969), 12, S. 452.

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typischsten Regionen der Stadt. In dieser Lesart repräsentierte der eklektische Platz das für Warschau typische „riesige Durcheinander, in dem es hier und da eine Oase der Ruhe gibt – eine einzelne Investition, ein kleines bisschen Ordnung im Chaos“, um es in den Worten des Architekten Jacek Nowicki auszudrücken.767 Diese Perspektive teilten die ProtagonistInnen eines Beitrags am Schreibwettbewerb von 1962/1963, die sich in einem Zugabteil über Warschau unterhielten: „Es gibt den Vorwurf, dass viele Teile der Stadt von Fall zu Fall gebaut wurden, dass die Konzeptionen verändert wurden [. . .], mit einem Wort, dass die Chance, eine moderne Stadt zu bauen, nicht ganz genutzt wurde.“768 Der Architekt Jerzy Hryniewiecki bekräftigte diesen Aspekt: „Man hört häufig den Satz, dass Warschau eine Stadt ist, deren Möglichkeiten nicht vollständig ausgenutzt wurden.“769 In Warschau habe es zwar Möglichkeiten wie in keiner anderen Stadt der Welt gegeben, aber das neue System – das er als das humanitärste bezeichnete – habe Warschau zu einer paradoxen Stadt werden lassen, vor allem wegen der „bürokratischen Beschränkungen“. Diesen Punkt hatte Jerzy Czyż bereits 1958 kritisiert. Städtebau stand demnach in einem Wechselverhältnis mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, die er wie folgt charakterisierte: „Chaos, Bürokratie, Missachtung von Talent und Verstand zum Nachteil des Gesetzes . . . “ Seine Kritik ging so weit, dass er behauptete, der Chefarchitekt verfüge über keine Macht – er halte zwar Reden, leite Sitzungen, im Endeffekt treffe aber ein Herr Krupka im vierten Stock des Nationalrats willkürlich die Entscheidungen.770 Daran anschließend kritisierten mehrere ArchitektInnen, dass ihre Expertenmeinung zu wenig Gewicht habe, was am Beispiel des Museums am Plac Zwycięstwa eindrucksvoll gezeigt werden konnte. Die französische Botschaft am Plac Zwycięstwa ist zudem ein Beispiel, wie die Staatsführung eine langjährige Entwicklung zu Fall brachte, weil sie einem anderen Plan, der noch nicht einmal klar definiert war, plötzlich mehr Gewicht beimaß. Auch das Beispiel des schließlich doch nicht gebauten Siegesdenkmals auf der Sächsischen Achse zeigte interne Unstimmigkeiten, die zu willkürlichen Entscheidungen führten und ein weit entwickeltes Projekt entwerteten. Im Falle der sogenannten Siegesachse lassen sich also langjährige Diskussionen und Verhandlungen rekonstruieren, doch die wenigen

767 Jacek Nowicki: Rozmowy o Warszawie. Budowa miasta wymaga spojrzenia z innej perspektywy, in: Architektura (1969), 12, S. 450. 768 APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 447, Beitrag am Schreibwettbewerb 1962/63: „Miasto budowane od nowa“, S. 8. 769 Jerzy Hryniewiecki: Rozmowy o Warszawie. Możliwości, jakich nie miało żadne inne miasto, in: Architektura (1969), 12, S. 446. 770 o.V., Miasto w którym żyjemy, S. 6.

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Entscheidungen und konkreten Ideen wurden schließlich von Einzelentscheidungen auf höchster Ebene torpediert. Selbst ein so starker Gegner, wie ihn die katholische Kirche in den sechziger Jahren darstellte, wirkte nicht einigend auf die politischen EntscheidungsträgerInnen. Effektivität bewiesen die Verantwortlichen lediglich bei den pragmatischen städtebaulichen Projekten, nicht bei den repräsentativ-geschichtspolitischen. Daher liegt die Schlussfolgerung nahe, dass den Verantwortlichen der lange Atem fehlte, den legitimatorisch heiklere Projekte wie das Museum oder das Denkmal erfordert hätten. Das galt insbesondere in Zeiten parteiinterner Fraktionierung und gesellschaftlichen Gegenwinds, der in den sechziger Jahren vor allem von der katholischen Kirche ausging. Zudem waren die historischen Konnotationen auf den beiden Plätzen enorm kompliziert und erforderten höchste Sensibilität. Das galt einerseits für die Bezüge zur Vorkriegszeit, an denen die zwei zentralen Plätze der Zwischenkriegszeit reich waren. So charakterisierte der Schriftsteller Wojciech Natanson den Plac Zwycięstwa als Ort „voll ergreifender Anmut, der das Herz Warschaus darstellt. Jeder Stein ist hier von Poesie durchdrungen, jeder Quadratmeter ist mit gewichtigen historischen Erinnerungen verbunden.“771 Andererseits hatten sich während des Krieges und der 25 Jahre, die seit Kriegsende vergangen waren, weitere Konnotationen entwickelt. Wie sehr diese mittlerweile die Wahrnehmung der Bevölkerung geprägt hatten, zeigen die energischen Diskussionen nach den Architekturwettbewerben von 1970 und 1972. Im Falle des Plac Teatralny verteidigten DiskutantInnen 1970 den Bereich um die Nike gegen seine Banalisierung mit Lokalen, Läden und ähnlichem, obwohl dies in gewisser Weise eine funktionale Rückkehr zu der Vorkriegsnutzung dargestellt hätte. 1972 wiederum wehrten sich TeilnehmerInnen der öffentlichen Diskussion gegen die Wiederherstellung der städtebaulichen Situation auf der Westseite des Plac Zwycięstwa. Denn der Gewinnerentwurf sah vor, auf dem Grundriss des Sächsischen Palais ein in der Form modernes Gebäude zu errichten sowie das Grab des Unbekannten Soldaten um seinen historischen Säulengang zu ergänzen. Damit wäre der fragmentarische Charakter des Denkmals verloren gegangen, was vehement kritisiert wurde. Insofern kann man folgern, dass die offizielle Hauptfunktion der beiden Plätze nun darin bestand, an den Zweiten Weltkrieg zu erinnern, mit der Nike am Plac Teatralny als Denkmal der Helden Warschaus und mit dem fragmentarischen Grab des Unbekannten Soldaten am Plac Zwycięstwa, dessen Tafeln lediglich Schlachten im Zweiten Weltkrieg aufführten. Die Freiflächen um diese

771 Wojciech Natanson: Plac Zwycięstwa. Podyskutujmy . . . , in: Stolica (1966), 14/15, S. 2 f., hier S. 2.

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beiden architektonischen „Hauptprotagonisten“ der Plätze zu füllen, erwies sich in dieser Gemengelage als fast unmögliche Aufgabe. An dieser Stelle soll nicht im Einzelnen die Kritik wiederholt werden, die an der Gestaltung der beiden Plätze kontinuierlich geübt wurde. Es soll dennoch betont werden, dass viele Menschen die Warschauer „eklektischen Plätze“ als großes Problem ansahen und dies kundtaten.772 Doch interessanterweise sah ausgerechnet der Chefarchitekt Czesław Kotela diese schrittweise Herangehensweise an das in einem Leserbrief ironisch kommentierte „Archipel der Warschauer Inseln“773 positiv: „Ich freue mich, dass Warschau nicht nach einem Schema aufgebaut wurde. Vielleicht klingt dieser Satz aus dem Munde eines Architekten paradox – aber darin liegt auch [Warschaus] Reiz. Neuen Städten, vor allem, wenn sie ‚aus einem Guss‘ sind, fehlt das, was eine Stadt interessant macht; sie langweilen.“774 Sigalin machte darüber hinaus eine bemerkenswerte Beobachtung, die in fast allen Aussagen, besonders in den persönlichen Wettbewerbsbeiträgen, ihren Ausdruck fand. Ob die Warschauer Sache nach 25 Jahren gewonnen oder verloren sei, sei klar, so Sigalin: „Natürlich ist sie gewonnen. Zumindest in den Augen derer, die Warschau 1945 gesehen haben.“775 Das Bild eines solchen „Warschauer Patriotismus”776 zeichnen auch die Umfragen und Schreibwettbewerbe der Zeit. Darin lassen auffallend viele TeilnehmerInnen Milde gegenüber ihrer Stadt walten, trotz aller Mängel, wie der weiterhin unzulänglichen öffentlichen Verkehrsmittel sowie des spärlichen Angebots von Konsumgütern und Wohnungen. Die bereits zitierte anonyme zwanzigjährige Warschauerin bekannte: „Warschau ermüdet. Es ist anstrengend, hat viele Schwächen, derer sich alle bei jedem Schritt bewusst sind. Das hindert einen natürlich nicht daran, diese Stadt dennoch zu lieben.“777 Das führte teilweise sogar zu ähnlichen Formulierungen – so zum Beispiel im Wettbewerb von 1962/1963: „Die Liebe zu der Stadt gleicht alle noch bestehenden Mängel aus“,778 sowie in der Umfrage von 1969: „Die Fehler Warschaus schaffen es nicht, die tiefen Gefühle für diese Stadt zu schmälern.“779 Ebenso die jüngere 772 Jankowski, Powojenna Warszawa, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 36. 773 Michał Niesiołowski: Poczta warszawska, in: Stolica (1969), 18, S. 15. 774 Czesław Kotela: Rozmowy o Warszawie. Moją troską jest budowa miasta jako całości, in: Architektura (1969), 12, S. 448. 775 Sigalin, Rozmowy. 776 Górski, Warszawa współczesna, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 197. 777 Dwudziestoletnia warszawianka, Wszyscy imienni, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 578. 778 APW Milanówek, PRN, Wydział Kultury (36/14), Sign. 434, Beitrag am Schreibwettbewerb 1962/63: „Warszawa żyje“, S. 6. 779 Różański, Perspektywa urbanistyczna, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 245.

4.4 Zusammenfassung: Wohnen und Gedenken an den Sieg

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Generation hegte ausdrücklich intensive Gefühle für die Stadt, wie aus einem Schreibwettbewerb für Gymnasiasten von 1965 hervorgeht: „Ich bin so mit dieser Stadt verbunden, dass sie für mich in gewisser Weise eine Mutter verkörpert. Und wie kann man seine Mutter nicht mögen?“780 Eine andere junge Teilnehmerin identifizierte in dieser Frage allerdings eine Spannung zwischen den Generationen: „Die Erwachsenen lieben Warschau wie ihr Kind, und wir wie eine gute Freundin oder eine Schwester.“781 Eine weitere Teilnehmerin beschrieb darüber hinaus das Besondere an ihrer kritischen Liebesbeziehung zur Stadt: „Jeder gebürtige Warschauer klagt über die Stadt, wo er nur kann. Aber Achtung! Nur untereinander. Gegenüber Fremden sagt man so etwas nicht.“782 Nun darf man dem Bild, das hier von Warschau gezeichnet wurde, nicht blind vertrauen als realistisches oder gar repräsentatives Abbild der Meinungen, Wahrnehmungen und Gefühle der WarschauerInnen. Denn das so entstandene Bild kam den Machthabenden durchaus zupass, deren Legitimation sich nach wie vor unter anderem auf das Verdienst des Aufbaus der Hauptstadt stützte. Daher ist es wahrscheinlich, dass offizielle Stellen bei der Auswahl der zu veröffentlichenden Beiträge auf die grundsätzlich affirmative Haltung achteten. Doch im großen Stil von einer Fälschung dieser Stimmen auszugehen, ist wohl übertrieben. Denn erstens fanden sich in den archivierten Unterlagen des Schreibwettbewerbs von 1962/1963 zahlreiche solche Stimmen. Zweitens fällt schon in früheren Texten das sehr emotionale Verhältnis der Schreibenden zu Warschau auf. Da dieser Emotionalität, so die These, die enge Verbindung der Zerstörung der Stadt mit der zeitgleichen Zerstörung ihrer Sozialstruktur zugrunde lag, ist es drittens nicht verwunderlich, dass diese Tendenz zur Emotionalität erhalten blieb: Diese tragische Geschichte hatte zwanzig Jahre nach Kriegsende ihre emotionale Schwere behalten. Ein Aspekt, der die ohnehin schon zerrüttete soziale Landkarte Warschaus weiter verheerte, fand allerdings nirgendwo Erwähnung: dass aufgrund der politischen Lage nach der antisemitischen Kampagne des März 1968, also fast zeitgleich zu diesen liebevollen Äußerungen, mehrere tausend WarschauerInnen jüdischer Herkunft ihre – wahrscheinlich ebenso geliebte – Heimatstadt Warschau verlassen mussten. Langfristig gesehen schwächte diese Kampagne die kommunistische Führung des Landes allerdings erheblich. Denn die Ereignisse vom März 1968

780 Kazimierska: Warszawa w młodych oczach. Czy można nie lubić Warszawę?, in: Stolica (1965), 3, S. 28. 781 Elżbieta Latuszek: Warszawa w młodych oczach. Warszawa – nasza droga koleżanka, in: Stolica (1965), 3, S. 28. 782 Agnieszka Chawłowska: Warszawa w młodych oczach. Moje miasto i ulica, in: Stolica (1965), 3, S. 26.

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4 Modernisierung und Erinnerung

prägten eine Generation nachhaltig, die sich im kommenden Jahrzehnt zunehmend organisierte und ihre Opposition öffentlich kundtat. Kurz nach Gomułkas außenpolitischem Erfolg, dem Vertrag mit der Bundesrepublik, stellte eine weitere Entscheidung Gomułkas seine Herrschaft ganz unmittelbar infrage: Seine Reaktion auf die Proteste von ArbeiterInnen in Danzig und anderen Küstenstädten, die am 14. Dezember 1970 nach der Ankündigung von Lebensmittelpreiserhöhungen begannen. Schon einen Tag darauf ließ er den dort sehr zahlreich versammelten Truppen den Schießbefehl erteilen. Dass in den einwöchigen Zusammenstößen zwischen DemonstrantInnen und Polizei „nur“ 45 Menschen getötet (allerdings 1200 verletzt) wurden, ist laut Borodziej kaum verständlich. Verständlicher ist es, dass die Parteispitze selbst sowie die Sowjetunion Gomułkas Rücktritt forderten und durchsetzten – eines Politikers, der 1956 als großer Hoffnungsträger angetreten war, dessen Regierungsbilanz allerdings „katastrophal“ ausfiel – nicht nur wegen der Schüsse auf gegen seine Politik protestierende ArbeiterInnen im Dezember 1970.783

783 Vgl. Borodziej, Geschichte Polens, S. 317 ff.

5 Prestigeprojekte und Opposition im historischen Zentrum (1970 bis 1989) 5.1 Moderne Bauten und andere wirtschaftliche Erfolge auf Kredit Ein Meer aus Regenschirmen bedeckte an diesem 19. Juli 1974 den Warschauer Plac Zamkowy (Schlossplatz). Hinter den Absperrungen, zwischen Kränen, Baugerüsten und Seilzügen wuchs seit 1971 die Rekonstruktion des Warschauer Königsschlosses empor. Der erste Bauabschnitt wurde nun zum dreißigsten Jubiläum der Gründung des Lubliner Komitees eingeweiht. Um 11:15 Uhr applaudierte die Menge lange. Die Uhr im Schlossturm hatte erstmals wieder geschlagen, nachdem im September 1939 deutsche Bombenangriffe das Schloss in Brand gesetzt hatten und die Uhr um 11:15 Uhr stehen geblieben war.784 Mit diesem symbolischen Glockenschlag begann eine neue Ära am Plac Zamkowy, insbesondere für diejenigen, die sich seit der Zerstörung des Schlosses und konkret seit Ende des Krieges für den Wiederaufbau eingesetzt hatten, wozu die Kunsthistoriker Stanisław Lorentz und Jan Zachwatowicz zählten.785 Der erste Bauabschnitt des Wiederaufbaus war nun beendet, während die gesamten Bauarbeiten bis 1984 andauerten, der aufwendige Innenausbau sogar bis 1988. Damit verschwand aus dem Stadtbild die Freifläche, die sowohl die Bevölkerung als auch die Verantwortlichen als die symbolischste ansahen. Sigalin sprach sogar von einer schmerzenden Wunde, die nun geschlossen wurde.786 Auch den NationalsozialistInnen war die Bedeutung der Königsresidenz bewusst. An der Stelle des von ihnen zerstörten Schlosses sahen sie das zentrale Bauwerk des verkleinerten, von Deutschen beherrschten Warschaus vor. Die Symbolik des deutschen Triumphs infolge der Zerstörung des polnischen Staates mitsamt seiner Bevölkerung wäre dann an einem Ort gebündelt gewesen. Nach dem Warschauer Aufstand und vor ihrem Abzug sprengten die Deutschen das Schloss. Weil die NationalsozialistInnen es also dezidiert aus symbolischen Gründen zerstört hatten, wurde sein Wiederaufbau deshalb für symbolisch so wichtig gehalten. Doch insofern, als hier „das Herz des alten Warschaus“ schlug, wie es ein Teilnehmer eines Schreibwettbewerbs Anfang der sechziger Jahre ausdrückte,787 war der Wiederaufbau des Königsschlosses in dem neu 784 785 786 787

Vgl. PKF 74/30A: XXX. Rocznica – odbudowa i budowa, 1974. Vgl. Lorentz, Walka o Zamek. Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 227. Jankowski, Powojenna Warszawa, in: Nowakowski (Hg.), Jaka jesteś, S. 47.

https://doi.org/10.1515/9783110644975-005

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5 Prestigeprojekte und Opposition

gegründeten sozialistischen Staat eine ambivalente Angelegenheit. Direkt nach Kriegsende begann darüber eine rege, wechselhafte Debatte. Warum die Rekonstruktion schließlich erst 1971 begann, wird im Folgenden nur skizziert, zumal diese Geschichte gut erforscht und anderswo nachzulesen ist.788 Während des Sozialistischen Realismus war der Schlosswiederaufbau intensiv diskutiert worden, da er sich gut in das Programm „national in der Form, sozialistisch im Inhalt“ integrieren ließ. Der dahingehende Sejmbeschluss vom 2. Juli 1949 sowie der Architekturwettbewerb sind dafür eindeutige Indizien. Doch die genaue Form, also wie originalgetreu oder kreativ die ArchitektInnen mit dem historischen Vorbild umgehen sollten, war kontrovers.789 Zudem war der konkrete „sozialistische Inhalt“ unklar. So sollte das Schloss „staatlichen Zwecken“790 dienen, was allerdings genauerer Definition bedurfte. 1949/50 war es als Kulturpalast, Museum der polnischen Kultur sowie als Sitz des Präsidenten vorgesehen. Die Unentschiedenheit wird allerdings daran deutlich, dass das Schloss neben einigen anderen zunächst geplanten Projekten, wie beispielsweise dem Rathaus, im konkreten Investitionsplan fehlte.791 Die grundsätzlich positive Einstellung des damaligen Präsidenten Bierut zum Wiederaufbau änderte nichts an der Tatsache, dass der Wettbewerb für den Wiederaufbau des Schlosses erst im Mai 1954 tatsächlich ausgeschrieben wurde – also fast drei Jahre nach dem Parteibeschluss sowie zu einem Zeitpunkt, als das Schloss eigentlich bereits hätte fertig gestellt sein sollen.792 Während der Amtszeit des Parteichefs Gomułka lässt sich eine andere Tendenz nachzeichnen, die teilweise in sich widersprüchlich war. Einerseits veranlassten die Stadtväter 1957, das Gelände abzusichern und in Ordnung zu bringen, was laut dem Historiker und Mitglied des Komitees zum Wiederaufbau des Schlosses

788 Vgl. die einleitenden Worte des sehr engagierten Herausgebers sowie den Bericht des Zeitzeugen Aleksander Gieysztor: Odbudowa Zamku Królewskiego, in: Jan Zachwatowicz (Hg.), Stare Miasto i Zamek Królewski w Warszawie. Warszawa 1988, S. 53–60. Vgl. kurze Zusammenfassungen auf Deutsch: Borodziej, Der Wiederaufbau, in: Jakubeit/Hoidn (Hg.), Schloß – Palast; Majewski, Ideologie, in: Bingen/Hinz (Hg.), Die Schleifung; eine sehr ausführliche Darstellung auf Polnisch: ders., Jak zbudować, in: Kochanowski/Majewski/Markiewicz/Rokicki (Hg.), Zbudować Warszawę. 789 Vgl. zu den Debatten zwischen DenkmalschützerInnen und ArchitektInnen, die einen forschen Umgang mit dem Original forderten: Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 171; Majewski, Ideologie, in: Bingen/Hinz (Hg.), Die Schleifung, S. 110. 790 Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 114. 791 Ebd., S. 185 und S. 227. 792 Vgl. die gut dokumentierte Debatte für die Zeit des Sozialistischen Realismus in Majewski, Jak zbudować, in: Kochanowski/Majewski/Markiewicz/Rokicki (Hg.), Zbudować Warszawę, S. 158–191.

5.1 Moderne Bauten und andere wirtschaftliche Erfolge auf Kredit

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Aleksander Gieysztor wohl bis 1964 erfolgte.793 Der Abriss der letzten erhaltenen authentischen Mauerteile traf allerdings auf Widerstand und wurde nur in minimalem Maße umgesetzt.794 Zudem wurden einige Institutionen aus den bisher genutzten Überresten des Schlosses ausgesiedelt, so zum Beispiel „eine Militäreinheit, die in den sogenannten Kubicki-Arkaden auf der Weichselseite Schweine züchtete“.795 Zunächst entstand darüber hinaus ein Kulturprogramm des Königsschlosses, das als Museum in die Feierlichkeiten für das tausendjährige Bestehen des polnischen Staates 1966 eingebunden werden sollte. Gleichzeitig begann außerdem ein von Londoner Exil-PolInnen gegründetes Komitee mit der Sammlung von Geld für den Wiederaufbau. Andererseits verschwand das Thema in den sechziger Jahren aus der Presse. Zuvor war das Terrain des Schlosses nivelliert und mit Steinplatten, Bänken und Blumenrabatten versehen worden. Zudem wurden das Architekturbüro „Königsschloss“ und die ministerielle Kommission für den Wiederaufbau aufgelöst. Der Plan, einen Kiosk in dem verglasten Schlosstor unterzubringen, verdeutlicht die tendenzielle Degradierung des Schlosses unter Gomułka.796 Er selbst lehnte den Wiederaufbau aus ideologischen wie ökonomischen Gründen ab, wie aus einem Brief hervorgeht, den er am 27. März 1971 nach seinem unfreiwilligen Abtritt an die PZPR richtete: Ich war nie ein Anhänger des Wiederaufbaus des Schlosses und werde es nie sein, genauer gesagt, des Baus eines neuen Schlosses, da vom alten nichts geblieben ist. Das Land braucht Wichtigeres als den Schlossbau, der ungeheure Mittel verschlingt [. . .]. Der Schlossbau wird damit begründet, dass wir einen lebendigen Anschluss an die alten Traditionen finden müssen. [. . .] Ich frage aber: In welche Traditionen will man sich damit denn einreihen? [. . .] Das Warschauer Schloss ist kein Symbol der polnischen Staatlichkeit. Es ist vielmehr ein Symbol des verdorbenen Staates der polnischen Bourgeoisie. [. . .] Wir Polen lieben unsere nationalen Traditionen, pflegen und hätscheln sie, und im Ergebnis bringen sie uns so etwas wie die Dezemberereignisse an der Küste.797

Gomułkas Schlussfolgerung in dem Brief spiegelt seine Frustration über die Entwicklung der aktuellen politischen Lage wider, und wohl auch darüber, dass er zwei Fehleinschätzungen aufgesessen war. Eine davon bezog sich auf

793 Vgl. Gieysztor, Odbudowa Zamku, in: Zachwatowicz (Hg.), Stare Miasto. 794 Sigalin benennt leider keine genauen AkteurInnen. Wer also den Abriss verfügte und wer Widerstand leistete, ist hier deshalb nicht präziser zu benennen. Vgl. Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 230. 795 Majewski, Ideologie, in: Bingen/Hinz (Hg.), Die Schleifung, S. 112. 796 Ebd. 797 Jakub Andrzejewski (Hg.): Gomułka i inni. Dokumenty z Archiwum KC 1948–1982. London 1987, Übersetzung nach Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 227 f.

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5 Prestigeprojekte und Opposition

das Schloss, dessen legitimatorisches Potential er nicht erkannte. Die andere war sozialpolitischer Natur und in ihren Auswirkungen ohne Zweifel sehr viel gravierender, da sie schließlich zu seiner Absetzung führte, so Zaremba: Mit seiner Ablehnung des Wiederaufbaus [des Schlosses] beging Gomułka einen schweren Fehler. Denn es war evident, dass der Wiederaufbau weit über Warschau hinaus Zustimmung in Polen fand, und das Regime damit gerade bei seiner Auseinandersetzung mit der Kirche hätte punkten können. Einen ähnlichen [. . .] Fehler hatte Gomułka 1970 gemacht, als er entschied, unmittelbar vor Weihnachten die Preise zu erhöhen, was die Menschen aus Empörung auf die Straße trieb.798

Im Angesicht der auf die Preiserhöhungen folgenden Proteste, die sich schnell von Danzig in andere Küstenstädte ausbreiteten, griff das Regime zu drastischen Mitteln: Staatliche Sicherheitskräfte verletzten über tausend Menschen, und 45 Familien beklagten kurz vor dem Weihnachtsfest 1970 den Tod eines bei den Protesten getöteten Angehörigen. Gomułkas Nachfolger im Amt des Ersten Sekretärs der PZPR – Edward Gierek, langjähriger „Provinzfürst“ von Oberschlesien – musste also alles tun, damit das Vertrauen der Bevölkerung nicht noch stärker erodierte. In gewisser Weise war dies nicht so schwer, da sich die Enttäuschung der Bevölkerung in großen Teilen auf Gomułkas Person vereinte: „Hinter dem Machtwechsel stand diesmal keine gesellschaftliche Bewegung, sondern die lang unterdrückte Frustration über die ‚kleine Stabilisierung‘, der Abneigung gegenüber Gomułka sowie der Glaube, ohne ihn könnte es nun endlich aufwärtsgehen.“799 Dieser Umbruch unterschied sich zudem insofern deutlich von der Situation 1956, als die nach 1968 emigrierten Intellektuellen die Proteste nun naturgemäß nicht unterstützen konnten, weder organisatorisch noch programmatisch. Gierek übernahm „ein erschüttertes, aufgebrachtes Land“800 und bewegte sich legitimatorisch auf äußerst dünnem Eis, da die vorherige Regierung ihre Herrschaft zuletzt lediglich mit Gewalt zu sichern versucht hatte – zudem mit Gewalt gegen ArbeiterInnen. Nicht zufällig fasste der Sejm bereits am 20. Januar 1971, einen knappen Monat nach den tödlichen Schüssen auf ArbeiterInnen in den Ostseestädten, den Beschluss zum Wiederaufbau des Schlosses. Denn Gierek und das Politbüro wussten um die zentrale legitimatorische Bedeutung des Schlosses. Auch Gomułka selbst verband den nun geplanten Wiederaufbau des Schlosses mit der Abkehr von seiner Politik und Person: „Derzeit wird dieser Beschluss realisiert im Rahmen der Korrektur der ‚Fehler‘ der alten Führung. In

798 Ebd., S. 327 f. 799 Borodziej, Geschichte Polens, S. 341. 800 Ebd.

5.1 Moderne Bauten und andere wirtschaftliche Erfolge auf Kredit

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beiden Fällen geht es um meine Person.“801 Bereits sechs Tage nach dem Sejmbeschluss, am 26. Januar 1971, gründete sich das Gesellschaftliche Komitee zum Wiederaufbau des Königsschlosses (Komitet Społeczny Odbudowy Zamku Królewskiego), unter der Leitung des Politikers Józef Kępa und des bereits erwähnten Kunsthistorikers Stanisław Lorentz. Der Wiederaufbau des Schlosses bildete das symbolpolitische Fundament der Propaganda der siebziger Jahre. Gierek und das Politbüro präsentierten den Wiederaufbau als „Symbol der nationalen Einheit und Denkmal polnischer Souveränität“ – was durchaus als antisowjetische Anspielung verstanden werden kann.802 Darüber hinaus galt der Wiederaufbau als großes Gemeinschaftswerk – als „ein neues aussagekräftiges Symbol für den Beitrag Volkspolens zur Pflege der Nationalkultur. [. . .] Er wird die Verbindungen der Gesellschaft in der Heimat mit den Millionen über die ganze Welt verstreuten Polen fördern“.803 Denn alle PolInnen im Land sowie in der Emigration, die sonst häufig als reaktionär bezeichnet wurden, sollten sich beteiligen. Der propagandistische Erfolg war wohl tatsächlich groß, und die Spendenkampagne äußerst erfolgreich. Menschen aus dem In- und vor allem aus dem Ausland spendeten neben Geld Antiquitäten sowie persönlichen Schmuck. Allerdings weist Zaremba unter Berufung auf Ireneusz Krzemiński darauf hin, dass wohl nur Teile der älteren Gesellschaft den Wiederaufbau tatsächlich uneingeschränkt befürworteten, während ansonsten passiver Widerstand angesichts der Ambivalenz des Projekts geherrscht habe.804 Die Schwierigkeit, angesichts einer zunehmend angespannten wirtschaftlichen Lage ein aufwendiges Schloss, noch dazu im Kommunismus zu bauen, spiegelt sich in der Wortwahl wider. Denn selbst unter Gierek wurde das Schloss weiterhin nicht als Königsschloss (Zamek Królewski) bezeichnet, sondern als Warschauer Schloss (Zamek Warszawski).805 Ohne Zweifel versuchte die Partei auf diese Weise die „moralisch-politische Einheit der Nation“806 unter Beweis zu stellen, die sie förderte, um das Vertrauen der Bevölkerung zu vergrößern. Gierek sah im Wiederaufbau definitiv weiterhin das Symbol der „sich prächtig entwickelnden Nationalkultur, die der Hitlerismus zu zerstören suchte“.807 Doch die Bundesrepublik Deutschland konnte nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags nicht mehr als der kriegstreiberische

801 802 803 804 805 806 807

Andrzejewski, Gomułka i inni, S. 227. Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 367. Ebd., S. 364. Vgl. ebd., S. 367. Vgl. Sigalin, Warszawa, Band 2, S. 230. Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 368. Ebd., S. 365.

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Erzfeind dargestellt werden. Wohl auch aus diesem Grund basierte Giereks Politik weniger auf Bedrohungsszenarien und dem unter Gomułka größtenteils aggressiv propagierten nationalen Patriotismus, inklusive der starken Fixierung auf die nationale Geschichte. Gierek wandte sich der Modernisierung des Lebens und damit, plakativ gesagt, der Zukunft zu, mit dem Fokus auf einem höheren Lebensstandard und steigendem Konsum. Die nationale Rhetorik während seines Parteivorsitzes unterfütterte wohl vor allem sein Investitionsprogramm. Freilich war diese in ideologischer und wirtschaftlicher Hinsicht liberalere Linie nicht auf den politischen Bereich zu beziehen, wo die neue Verfassung von 1976 eher eine noch größere Zentralisierung markierte.808 Die Modernisierung manifestierte sich in baulichen Investitionen in der Hauptstadt, die sicherlich größeren Einfluss auf das alltägliche Leben der HauptstädterInnen hatten als die Rekonstruktion des Schlosses. Mit dem Investitionsschwung Anfang der siebziger Jahre konnten einige essentielle Projekte umgesetzt werden, die teilweise seit Jahrzehnten der Realisierung geharrt hatten. Als wichtigste Investition im Bereich der Verkehrsinfrastruktur kann der Warschauer Hauptbahnhof gelten, der zwischen 1972 und 1975 nach Plänen von Arseniusz Romanowicz südwestlich des Kulturpalasts gebaut wurde. Bereits 1946 hatte das BOS diesen neuen Standort auserkoren. Den nahegelegenen vorherigen Hauptbahnhof, der erst 1938 teilweise fertiggestellt und eingeweiht worden war, zerstörten die Deutschen 1944 nach dem Warschauer Aufstand endgültig. Die Investition der siebziger Jahre stand in engem Zusammenhang mit der seit vielen Jahren geforderten Bebauung des sogenannten „Wilden Westens“, also der bis dato nicht wiederbebauten Flächen westlich des Kulturpalasts. Zwar wurden Die Architektur und die stadtplanerische Leistung des Bahnhofs gelobt: Die Gleise verliefen unterirdisch und kamen erst kurz vor der Weichselbrücke wieder ans Tageslicht. Doch gleichzeitig wurde unter anderem die schlechte Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz angeprangert. Gemäß der in den sechziger Jahren gängigen städtebaulichen Maxime der modernen, autogerechten Stadt sollte zudem der Bau zweier Schnellstraßen die notorischen Kommunikationsdefizite Warschaus mildern. Die Straßen waren auch eine Antwort auf den in Warschau zunehmenden privaten Autoverkehr. Als Teil einer seit Jahrzehnten geplanten Umgehungsstraße entstanden in nur drei Jahren die Trasa Łazienkowska (benannt nach dem Łazienki-Park, an dem sie vorbeiführt) mitsamt der dazugehörigen Weichselbrücke sowie eine Schnellstraße entlang der Weichsel, die Wisłostrada. Darüber hinaus wurden unter Gierek die Planungen für die Metro wiederaufgenommen. Die Bauarbeiten

808 Vgl. Andrzej Friszke: Czas KOR-u. Jacek Kuroń a geneza Solidarności. Kraków 2011, S. 8.

5.1 Moderne Bauten und andere wirtschaftliche Erfolge auf Kredit

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begannen allerdings erst nach einem Beschluss des Ministerrats von 1982, und zwar in Ursynów im Süden Warschaus, wo es noch wenige Jahre zuvor keine Haltestelle gebraucht hätte.809 Denn hier wuchs erst seit den siebziger Jahren ein riesiges neues Stadtviertel für 130 000 Menschen aus dem Boden. Die ersten Metrozüge fuhren schließlich 1995. Auch im Zentrum wuchsen weitere Bauten empor. Die zahlreichen Hochhäuser, meist Hotelbauten, standen einerseits für die technischen Ambitionen. Andererseits waren sie aufgrund der Finanzierung mithilfe westlicher Kredite sowie der Kooperation mit westlichen Firmen markante Zeichen der Öffnung gen Westen. Ein solches unübersehbares Prestigeprojekt war der bereits seit den sechziger Jahren geplante Hotelbau an der Südseite des Plac Zwycięstwa. Dieses Hotel war eines der 21 neuen Hotels, die während der ersten Hälfte der Gierek-Dekade entstanden, wodurch die staatliche Reiseagentur „Orbis“ ihre Bettenanzahl in Warschau insgesamt verdoppelte.810 In den Jahren 1974 bis 1976 baute eine schwedische Firma für „Orbis“ dieses Hotel, nach den Plänen eines polnisch-schwedischen Architektenteams.811 Die Bevölkerung wurde in die Namensfindung dieses Prestigebaus eingebunden, im Rahmen einer Ausschreibung in der Zeitung „Życie Warszawy“. Unter den 866 Vorschlägen sei der Name „Victoria“ siebzig Mal und damit am häufigsten gefallen. Außerdem knüpfe dieser schließlich auserkorene Name an die Traditionen des Platzes an und sei für Ausländer leicht auszusprechen, so sie Zeitungsredaktion.812 An dem Bau des Hotels manifestierten sich einige Charakteristika der siebziger Jahre. Erstens wird an diesem Beispiel der Pragmatismus der GierekAdministration bei der Kooperation mit westlichen Firmen deutlich, in diesem Fall einer schwedischen. Immerhin war das Hotel der erste realisierte Neubau am Plac Zwycięstwa seit Kriegsende. Es entstand an der Stelle, wo bis zum Abriss Anfang der sechziger Jahre das Kronenberg-Palais und bis Ende der sechziger Jahre das provisorische Jüdische Theater gestanden hatten. Durch die Freiflächen, die so entstanden waren, wurde der Plac Zwycięstwa noch größer und dessen Bebauung noch dringlicher – was zwischen 1974 und 1976 schließlich gelang und womit die aktuelle Regierung eine bisher ungekannte Effizienz unter Beweis stellte. Doch zweitens ist es bezeichnend, dass das Hotel lediglich eine punktuelle Investition war, ermöglicht vor allem mithilfe

809 Zum Metrobau vgl. Stamatello, Metro; Jastrzębski, Od metra. 810 Paweł Sowiński: Hotele w PRL – rezerwaty dobrobytu, in: Mówią wieki (2005), 2, S. 32–37, hier S. 34. 811 Die verantwortlichen Architekten hießen L. Sołonowicz, Z. Pawelski, K. Hultin und D. Fraser. 812 o.V.: Hotel „Victoria“ na placu Zwycięstwa. Nasi czytelnicy wybrali nazwę, in: Życie Warszawy, 06.06.1975, S. 1. Für den Hinweis auf diesen Wettbewerb danke ich Andrzej Skalimowski.

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westlicher Kredite. Die ebenfalls im Wettbewerb von 1972 geplanten, aber weniger rentablen Objekte – etwa eine Kunstgalerie an der Stelle des Brühlschen Palais, die Universitätsbibliothek an der Nordseite des Platzes sowie die historisierende Bebauung der Westseite des Platzes an der Stelle des Sächsischen Palais als Ergänzung zum Grab des Unbekannten Soldaten – wurden nicht realisiert. Das Regime war spätestens ab 1976 mit ernsten wirtschaftlichen und politischen Problemen konfrontiert, welche finanziell unrentable Projekte, die zudem potentiell inhaltlich riskant waren, in eine unbestimmte Ferne rücken ließen. Diese symbolische Komponente im Kontext der zunehmenden Wirtschaftskrise ist, drittens, der wichtigste Punkt. Denn einerseits gelang der Regierung mit diesem modernen Bau an der schier ewig diskutierten Südseite des Plac Zwycięstwa zweifelsohne ein Prestigeprojekt. Das „Victoria“ mit seinen 410 Zimmern und 32 Suiten, Swimmingpool und Sauna, drei Restaurants sowie Café und Bar galt bald als eines der luxuriösesten Hotels der Volksrepublik. Vielleicht war ein beträchtlicher Teil der WarschauerInnen tatsächlich stolz auf dieses Hotel, um das sich schon bald zahlreiche Legenden rankten.813 Unter den Gästen befanden sich illustre, mitunter kriminelle Persönlichkeiten, wobei der bekannteste wohl der Drogenbaron Carlos war. Als spektakulärstes Ereignis ging der vom israelischen Geheimdienst Mossad veranlasste Mordanschlag auf den palästinensischen Terroristen Mohammad Oudeh alias Abu Daud 1981 in die Annalen des Hotels ein. Trotz einer Sicherheitspanne bei den staatlich bestellten Wachmännern missglückte der Anschlag. Die medizinische Vorzugsbehandlung des verletzten Terroristen zunächst in Polen und dann in der DDR zeigt, dass das neue Luxushotel am Plac Zwycięstwa auch ein strategischer Punkt im außenpolitischen Kräftemessen des Kalten Kriegs geworden war. Doch andererseits war das Problem, dass dieses Hotel mit seinem siegesgewissen Namen zwar modernen Komfort und Luxus repräsentierte und ermöglichte, allerdings lediglich denjenigen, die mit harter Währung bezahlten. Denn anders als das gegenüberliegende ehemalige Hotel Europejski, dessen Cafés und Restaurants in der Zwischenkriegszeit eine bedeutende Rolle im Warschauer gesellschaftlichen Leben gespielt hatten, bot das „Victoria“ lediglich westlichen BesucherInnen eine Oase des Komforts inmitten der Mangelwirtschaft. Im Angesicht zunehmend längerer Warteschlangen vor Geschäften, die immer weniger Waren anboten, bot dieses Hotel, dessen luxuriöses Innenleben zahlreiche Filme und

813 Vgl. Iwona Kienzler: Afery i skandale. Warszawa 2015, S. 95–101.

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Fernsehserien transportierten, einen zunehmend problematischen Kontrast angesichts der alltäglichen Entbehrungen für die meisten PolInnen.814 Genauso wie das Hotel mit westlichen Krediten finanziert war, so basierte auch der sonstige wirtschaftliche Aufschwung auf Krediten, die zunehmend schwerer zu bedienen waren. Den Dreh- und Angelpunkt der Politik Giereks hatte ein „riesiges sozio-ökonomisches Programm zur Hebung des Lebensniveaus“815 gebildet, das sich genauso in Lohn- und Rentenerhöhungen für 5,2 Millionen Menschen bemerkbar machte wie in einer verbesserten Versorgung mit Konsumartikeln. Rückblickend charakterisierte der Historiker Andrzej Paczkowski die erste Hälfte der siebziger Jahre als „Belle Époque“, in der die avisierte beschleunigte Industrialisierung griff. Dieser „Nachweis ökonomischer Effizienz“ war insofern kritisch, als er die „letzte Legitimationsstrategie“ darstellte, die der Partei geblieben war, und die Investitionen und Importe vor allem mit Krediten finanziert wurden.816 Umso bedrohlicher war die steigende Staatsverschuldung für das Regime: Sie wuchs von einer Milliarde US-Dollar 1970 auf acht Milliarden US-Dollar 1975.817 Angesichts dieser höchst problematischen ökonomischen Lage halfen die im Zusammenhang mit der Schlossrekonstruktion beschworenen Formeln von der moralisch-politischen Einheit der Nation, die das Wirtschaftsprogramm propagandistisch unterfüttern sollten, nichts. Schlange stehen war Mitte der siebziger Jahre zu einer Notwendigkeit geworden, die fast jede Familie betraf. Und die so prägend und typisch war, dass die Historikerin Małgorzata Mazurek von einer „Warteschlangengesellschaft“ spricht: „Die Warteschlange kann als Illustration der Gesellschaft dienen; wer in der Warteschlange stehen musste, wer sich Waren vom Schwarzmarkt leisten konnte, und wer auf ein Netz von Bekannten bauen konnte.“818 Wie kritisch die mangelhafte Versorgung war, wird daran deutlich, dass angekündigte drastische Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel nicht nur die massiven Proteste von 1970, sondern auch die von 1976 auslösten. Die Frage der Subventionierung von Lebensmitteln war auch

814 Zu nennen ist zuvorderst der in dem gerade eröffneten Hotel gedrehte Film Co mi zrobisz, jak mnie złapisz von Stanisław Bareja von 1978. Vgl. Jerzy S. Majewski/Iwona Kurz/Ewa Toniak/ Waldemar Baraniewski/Agata Żelazowska/Katarzyna Diehl (Hg.): Warszawa śladami PRL-u. Spacerownik. Warszawa 2010, S. 214. 815 Borodziej, Geschichte Polens, S. 341. 816 Vgl. Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 362. 817 Borodziej, Geschichte Polens, S. 348. 818 Małgorzata Mazurek: Społeczeństwo kolejki. O doświadczeniach niedoboru 1945–1989. Warszawa 2010, S. 17.

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insofern eine Bruchstelle, als sich die Krise von 1970/71 nicht hatte anders beenden lassen, als die Preiserhöhungen zurückzunehmen. Erst danach waren die letzten Streikenden, Textilarbeiterinnen in Łódź, wieder an die Arbeit gegangen. Das war insofern eine folgenschwere Entscheidung, als die Preiserhöhungen wirtschaftlich gesehen dringend nötig waren. Insofern war der Erfolg der Politik Giereks – allem voran der Anfang der siebziger Jahre gestiegene Lebensstandard – gleichzeitig ihr Verhängnis. Denn genauso wie die Hoffnungen in der Bevölkerung wuchsen, stiegen die Tilgungsraten der Kredite, die die Importe, Investitionen und Subventionen finanzierten. Den etwa 70 000 Streikenden, die landesweit gegen die zum 28. Juni 1976 angekündigten Lebensmittelpreissteigerungen protestierten, begegnete die Staatsführung unter Gierek anders als unter Gomułka 1970.819 Insbesondere im Warschauer Stadtteil Ursus sowie in dem kleinen Städtchen Radom verließen die Menschen die Betriebe und gingen auf die Straße. Hier kam es zu Straßenkämpfen und einem aktiven Eingreifen der Staatsmacht, doch standen den DemonstrantInnen diesmal keine schwer bewaffneten Sondertruppen wie 1970 an der Ostseeküste gegenüber, sondern die Miliz.820 Obwohl keine Schusswaffen zum Einsatz kamen, starben dennoch zwei Menschen infolge der Proteste in Radom. Hier wurden besonders viele Menschen festgenommen, die anschließend zu harten Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Nach Amnestien im Februar und Juli 1977 kamen sie allerdings frei. Gierek blieb zwar nach Juni 1976 Erster Sekretär der PZPR, doch musste er in der Folge der Streiks und Proteste die wirtschaftlich gesehen dringend notwendigen Preisreformen aufschieben. Darüber hinaus gründeten in der Konsequenz der Ereignisse des Juni 1976 vierzehn Intellektuelle das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników, KOR). Zunächst organisierten sie medizinische, rechtliche und finanzielle Hilfe für die Opfer der Repressionen, insbesondere in Radom. Erste Erfolge konnten sie beispielsweise mit den Amnestien von 1977 vorweisen, die zeigen, dass Gierek glaubte, „mit dem neuartigen Problem einer sich als legal bezeichnenden, unter eigenem Namen auftretenden Opposition ohne größere Verstöße gegen die Verfassung und die Schlussakte von Helsinki fertig werden zu können“.821 Doch das Selbstbewusstsein und der Wirkungskreis dieser offen agierenden Opposition wuchs. Sie forderte den Staat vor allem in Bezug auf sein Publikations- und Informationsmonopol heraus und verlegte, übersetzte und verbreitete zahlreiche Zeitschriften und Bücher. Im September 1977 819 Jerzy Eisler: Miejsce Czerwca ’76 wśród „polskich miesięcy“, in: Paweł Sasanka/Sławomir Stępień (Hg.), Czerwiec 1976. Radom, Ursus, Płock. Warszawa 2006, S. 7–15, hier S. 14. 820 Vgl. ebd., S. 11. 821 Borodziej, Geschichte Polens, S. 353 f.

5.1 Moderne Bauten und andere wirtschaftliche Erfolge auf Kredit

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institutionalisierte sich der zunehmend umfassendere Anspruch der Organisation, als sich das KOR in das Komitee der Gesellschaftlichen Selbstverteidigung des KOR (Komitet Samoobrony Społecznej KOR, KSS KOR) umwandelte. Dessen Engagement beschränkte sich in der Folge nicht mehr nur auf ArbeiterInnen und die Unterstützung von Inhaftierten und ihrer Familien. Zusätzlich formulierte das Komitee allgemeinere politische Ziele wie den Kampf für Bürger- und Menschenrechte. Das hatte weitreichende organisatorische und inhaltliche Konsequenzen, die einer der damaligen jungen Wortführer der Opposition, Adam Michnik, in seinem Buch Kościół, Lewica, Dialog (Die Kirche und die polnische Linke: Von der Konfrontation zum Dialog) hellsichtig erkannte – früher als die meisten, so Borodziej: „Michnik diagnostizierte eine weitgehende Übereinstimmung der Ziele zwischen altlinken Kommunismuskritikern und der katholischen Kirche im real existierenden Realismus: Menschenrechte und Respekt für die Menschenwürde sollten dem System gemeinsam abgerungen werden.“822 Damit war ein wichtiger Grundstein für die Annäherung dieser so unterschiedlichen Gegner der kommunistischen Staatsführung gelegt. Noch entscheidender für diese Zusammenarbeit war allerdings eine Entwicklung, die für alle Seiten unerwartet kam: die Wahl von Karol Wojtyła, des bisherigen Erzbischofs von Krakau, zum Papst Johannes Paul II. am 16. Oktober 1978. Die bisherige strikte Ost-West-Trennung Europas war durch diese Entscheidung herausgefordert: „Ein polnischer Papst war in Jalta nicht vorgesehen gewesen.“823 Der polnischen Staatsführung war darüber hinaus klar, dass diese Entwicklung ihre Autorität im Inneren drastisch infrage stellen würde. Was für die Partei Anlass zu großer Sorge war, war für die Mehrheit der PolInnen ein Anlass zu „Freude und Stolz“. Nach der Entscheidung des Konklaves gingen zwar nur in Krakau Menschen auf die Straße, um dem Ausdruck zu verleihen. Aber die Einschaltquote von 92 Prozent bei der Übertragung der Inauguration im polnischen Staatsfernsehen einige Tage später zeugt von der großen Tragweite dieses Ereignisses.824 Aus Sicht der Partei verkomplizierte sich die Lage, da kurz nach der Papstwahl der sechzigste Jahrestag der polnischen Unabhängigkeit anstand. Diese beiden Ereignisse hätten die Miliz wieder in Bewegung gebracht, so der Schriftsteller Kazimierz Brandys in seinem Warschauer Tagebuch im November 1978:

822 Ebd., S. 355. 823 Ebd., S. 357. 824 Marcin Zaremba: Zimno, ciepło, gorąco. Nastroje Polaków od „zimy stulecia“ do lata 1980, in: Andrzej Friszke/Krzysztof Persak/Paweł Sowiński (Hg.), Solidarność od wewna̜trz 1980–1981. Warszawa 2013, S. 11–38, hier S. 19.

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„Die Wahl von Papst Johannes Paul II. und der heranrückende 11. November haben die [Miliz] auf die Beine gebracht [. . .]. Jetzt ist die Altstadt voller Menschen.“825 Doch die Miliz griff nicht ein, als tausende Menschen am Jahrestag, dem 11. November 1978, nach einer Messe in der Kathedrale in der Altstadt zum Grab des Unbekannten Soldaten am Plac Zwycięstwa zogen. Das war insofern nicht unerwartet, als mit Flugblättern an Kirchen zuvor zu dieser inoffiziellen Zeremonie zum Gedenken an die Staatsgründung 1918 aufgerufen worden war und die Staatssicherheit diese Aufrufe noch des Nachts abgerissen hatte. Doch am Abend des 11. November blieb die Miliz außer Sichtweite, selbst als die Menschenmenge auf dem Plac Zwycięstwa patriotische und religiöse Lieder sang sowie einen Kranz niederlegte. Der damalige Mitorganisator und spätere polnische Präsident Bronisław Komorowski erinnert sich: 1978, bereits als Kreis der Historischen Bibliothek [Środowisko Biblioteki Historycznej] nahmen wir uns vor, eine kleine Demonstration zu organisieren, die darin bestand, von der Kathedrale zum Grab des Unbekannten Soldaten zu gehen. Das gelang, die Miliz war überrascht und wollte wahrscheinlich aufgrund des religiös-patriotischen Charakters der Feierlichkeit nicht eingreifen.826

Das war in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Erstens konnten sich die DemonstrantInnen keinesfalls sicher fühlen. Schließlich war dies die erste unabhängige Demonstration seit den gewaltsamen Unruhen 1976, bei denen die Miliz nicht „versteckt in den Seitenstraßen“ geblieben war. Zweitens war diese Demonstration eine in symbolpolitischer Hinsicht neuartige Konfrontation. 1977 hatten sich die Gedenkzeremonien am Jahrestag der Unabhängigkeit noch innerhalb der Kathedrale abgespielt. 1978 hingegen trugen einige Oppositionelle ihre alternative Geschichtsdeutung erstmals auf die Straße. Sie taten dies am legitimatorisch gesehen wichtigsten Ort in Warschau, zumindest in Bezug auf historische Legitimation. Indem eine oppositionelle Gruppe an diesem Ort eine alternative, selbstständige Nutzung reklamierte, stellte sie gleichzeitig die staatliche infrage. Denn mit der alternativen Zeremonie durchbrachen sie die rituelle Routine am Plac Zwycięstwa, die der Staat seit der Neueröffnung des Grabes 1946 steuerte. Wie sehr die DemonstrantInnen damit die Staatsführung nicht nur in ihrem Anspruch auf das Monopol der Geschichtsdeutung empfindlich getroffen hatten, sondern auch in ihrem Anspruch auf die Nutzung von städtischem Raum, zeigt, dass selbst Breschnew von diesen Vorgängen Notiz nahm. In einem

825 Kazimierz Brandys: Warschauer Tagebuch. Die Monate davor. 1978–1981. Frankfurt am Main 1984, S. 23 f. 826 Bronisław Komorowski: Zwykły polski los. Rozmawia Jan Skórzyński. Warszawa 2015, S. 82.

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Gespräch im März 1979 instruierte er Gierek: „Uns beunruhigt der Anstieg kritischer Stimmungen und die Aktivierung nationalistischer und anderer antisozialistischer Kräfte.“827 Zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, dass der Papst Polen im Juni 1979 bereisen würde. Das war die erste Reise eines Papstes überhaupt in einen sozialistischen Staat. Breschniew warnte daher: „Wenn es um die Papstreise geht, dann muss man an die Neutralisierung ihrer Folgen denken. Es wird viel Lärm darum geben. Wenn sich die Partei darauf nicht vorbereitet, ist das meiner Meinung nach schlecht.“828 Die Menschen empfingen den Papst enthusiastisch, mehrere Millionen erlebten ihn während seiner Reise im ganzen Land. Dabei erwies sich die Messe auf dem Plac Zwycięstwa am 2. Juni 1979 als besonders wichtig. Sie war nicht nur die einzige, die komplett im Fernsehen übertragen wurde. Sondern die hier gesprochenen Worte gelten als die wichtigsten seiner gesamten Pilgerreise. Während jahrzehntelang keine endgültige Entscheidung über die architektonische Gestaltung des Plac Zwycięstwa gefallen war, kam nun aus einer unerwarteten Richtung Bewegung in die Debatte über den zukünftigen Charakter des Plac Zwycięstwa, einem der symbolpolitischen Zentren des Regimes.

5.2 Vor und nach dem Kriegsrecht: Legitimationskrise im historischen Zentrum 5.2.1 Der Papstbesuch, das Kriegsrecht und eine Niederlage auf dem Siegesplatz Ein großer, weißer Altar und ein riesiges Kreuz mitten auf einem der zentralen Plätze Warschaus, dem Plac Zwycięstwa – das ist ein zumindest seltener, wenn nicht gar der einzige Moment, an dem in der Hauptstadt eines sozialistischen Staates eine solche Symbolik zugelassen wurde. Staatliche Stellen erhoben lediglich Einspruch gegen die von der katholischen Kirche geplante Höhe des Kreuzes von 24 Metern: Sie forderten sieben Meter. Mit einem schließlich 15 Meter hohen Kreuz im Zentrum verwandelte sich der Plac Zwycięstwa während der Messe von Papst Johannes Paul II. am 2. Juni 1979 in ein „Gotteshaus unter freiem Himmel“, so der Kommentator der staatlichen „Kronika“.829 Die spärliche Platzkantenbebauung des Platzes erwies sich an diesem Tag als ausgesprochen förderlich, um

827 Friszke, Czas KOR-u, S. 413. 828 Ebd. 829 PKF 79/23A: Wizyta papieża w Polsce, 1979.

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die versammelten circa 250 000 Menschen aufzunehmen. Doch die Wahl dieses Platzes für die Warschauer Messe hatte sicherlich auch weniger pragmatische Gründe. Vor Beginn der Messe war der Papst lange am Grab des Unbekannten Soldaten niedergekniet. Danach schritt er von dort aus auf einem roten Teppich über den Plac Zwycięstwa zum Altar. Im Vorfeld war der Staatsführung diese Geste – „das Anknüpfen an die Symbolik des Grabes des Unbekannten Soldaten“ – als einer der „Akzente, die der Staatsführung gefallen wird“, angekündigt worden.830 Doch was der Papst anschließend in seiner Predigt sagte, konnte der Staatsführung kaum gefallen. Denn die päpstlichen Worte hatten neben einer individuell-religiösen Dimension vor allem eine historisch-politische. Der Publizist Stefan Kisielewski fasste zusammen: „Geschichte ist in der Rede des Papstes allgegenwärtig.“831 So betonte der Papst beispielsweise, dass weder die polnische Geschichte, noch der Beitrag Polens für die Entwicklung der Menschheit ohne Christus zu verstehen seien. Dabei verwies er ausdrücklich mehrmals

Abb. 5.1: Papstmesse auf dem Plac Zwycięstwa am 2. Juni 1979.

830 Vgl. Andrzej Friszke/Marcin Zaremba: Wokół pierwszej pielgryzmki, in: dies. (Hg.), Wizyta Jana Pawła II w Polsce 1979. Dokumenty KC PZPR i MSW. Warszawa 2005, S. 5–73, hier S. 57. 831 Stefan Kisielewski: Spotkanie z Warszawą, in: Tygodnik Powszechny (1979), 23, S. 4, hier S. 4, zitiert nach Peters, Revolution der Erinnerung, S. 115.

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auf den Warschauer Aufstand. So habe beispielsweise im Warschauer Aufstand auch Christus unter den Trümmern gelegen: unter den Trümmern der Heiligkreuzkirche am Krakowskie Przedmieście, in Form einer berühmten Skulptur. Die Menge antwortete darauf spontan mit dem Lied My chcemy Boga (Wir wollen Gott) – was man als ein Indiz dafür lesen kann, dass die historischen Botschaften des Papstes auf besonders offene Ohren trafen, speziell die mit Bezug zum Warschauer Aufstand.832 Diese Stunden auf dem Plac Zwycięstwa sind deshalb so bedeutsam, weil sie aus rückblickender Perspektive das vorwegnahmen, was in den darauffolgenden zwei Jahren das gesamte Land erfassen würde: das rasante Erodieren des Machtmonopols der kommunistischen Partei. Für die Dauer der Messe verlor der Staat die Kontrolle über die Nutzung des bisher ausschließlich zu staatlichen Repräsentationszwecken genutzten städtischen Raums. Geradezu symptomatisch dafür kann der von der katholischen Kirche organisierte Ordnungsdienst stehen, der die Aufgaben der staatlichen Sicherheitsdienste übernahm.833 Doch noch bedeutsamer war das Verhalten der auf dem Platz versammelten hunderttausenden Menschen: Die Atmosphäre sei so friedfertig gewesen, dass der Ordnungsdienst kaum nötig war. Die Anwesenheit des Papstes hatte den Plac Zwycięstwa in eine Kathedrale unter freiem Himmel verwandelt. Doch die Anwesenheit der Menschen, die sich freiwillig und frei auf diesem Platz bewegten, spontan Applaus spendeten und Lieder sangen, war wohl eine mindestens ebenso bedeutsame Neuerung. Die Messe bedeutete einen radikalen Bruch mit den sonstigen Ritualen der Macht am Plac Zwycięstwa: Aus einem offiziellen wurde ein öffentlicher Raum. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass eben nicht nur der Papst sich den Platz für die Dauer der Messe aneignete, sondern ausdrücklich die Menschen selbst. Diese besondere Stimmung hatte der Schriftsteller Kazimierz Brandys bereits am Vorabend der Messe in der Stadt gespürt: „[. . .] was mich am stärksten berührt hat: die ernste und zugleich freie Atmosphäre, vor allem aber die Stimmung des inneren Zusammenhalts, der Verbundenheit zwischen den Menschen.“834 Er staunte weiter: An diesem Abend kamen die Menschen [. . .], um die Orte zu besichtigen, die der Papst besuchen würde. Und sie besichtigten sich selbst. Die vieltausendköpfige Gruppe sah sich selbst, bestärkte sich selbst in dem Gefühl ihrer eigenen Anwesenheit. [. . .] Allein die

832 Vgl. ebd. 833 Ebd., S. 114. 834 Brandys, Warschauer Tagebuch, S. 119.

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Tatsache, dass tausende von Menschen unaufgefordert gleichzeitig zusammengekommen waren, war sehr bemerkenswert. Man hatte ihnen abgewöhnt, dass sie das lebendige Ganze sind, und viel getan, sie davon zu überzeugen, dass sie eine träge Masse seien, deren Bewegungen gesteuert werden. Sie kamen hierher, um sich die Stadt am Vorabend des Papstbesuches anzuschauen, ohne an irgend etwas anderes zu denken und ohne sich bewusst zu machen, dass sie durch ihr Erscheinen den Beweis ihrer Existenz führten.835

Und schließlich machte er eine bemerkenswerte Parallele auf: „Ich habe mich ziemlich lange abgequält, ehe mir die höchst einfache Antwort in den Sinn kam, dass manche Sommerabende im Warschau der Vorkriegszeit von einer ähnlichen Stimmung gekennzeichnet waren.“836 In dieser Hinsicht hatten bereits während der Reise des Papstes die Schlussworte seiner Predigt auf dem Plac Zwycięstwa zu wirken begonnen: „Dein Geist komme auf die Erde! Dein Geist komme auf die Erde! Und verändere das Antlitz der Erde.“ Nach einer wohlbedachten Pause fügte er mit Nachdruck hinzu: „Dieser Erde. Amen.“ Es ist wichtig zu betonen, dass die Messe auf dem Plac Zwycięstwa komplett im Fernsehen übertragen und fast von der gesamten Bevölkerung verfolgt wurde. So wurde der Plac Zwycięstwa für die Dauer der Messe zum Fokus der Aufmerksamkeit – nicht nur der Anwesenden auf dem Platz, sondern fast der gesamten polnischen Bevölkerung. Darüber hinaus hätten sich die Menschen, so Zaremba, beim spontanen Singen des Liedes „My chemy Boga“ als nationale Einheit fühlen können – und sogar die Menschen vor den Fernsehern seien Teil dieser Einheit gewesen.837 Diese Behauptung ist zwar schwer nachweisbar, doch die Wirkung der Messe war spürbar. Das Lied begleitete den Papst auf seiner Reise und die ihn erwartenden Massen stimmten es immer wieder an. Für die Staatsführung war die Reise insgesamt höchst problematisch. Zaremba spricht von einem „Papsteffekt“, denn damit habe der „Prozess des Aufwachens der polnischen Gesellschaft, die im Gierek-Konformismus erstarrt war“, begonnen.838 Dabei waren vermeintlich nebensächliche Dinge entscheidend wie die Sprache des Papstes, die als so viel menschlicher wahrgenommen wurde als die offizielle. Letztere habe sich in der Folge ebenfalls verändert.839 Zudem wirkte das Massenerlebnis insofern verbindend, als die Menschen erkannten, „dass ihre persönliche Enttäuschung keine singuläre Haltung war, sondern von der Mehrheit ihrer Landsleute geteilt wurde“.840 In der Konsequenz der Reise 835 Ebd., S. 120. 836 Ebd., S. 120 f. 837 Zaremba, Zimno, ciepło, in: Friszke/Persak/Sowiński (Hg.), Solidarność od wewna̜trz, S. 22. 838 Ebd., S. 22 f. 839 Vgl. Friszke/Zaremba, Wokół pierwszej, in: Friszke/Zaremba (Hg.), Wizyta Jana, S. 72 f. 840 Borodziej, Geschichte Polens, S. 359.

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lässt sich bei Umfragen in der Bevölkerung erkennen, dass sich die „Delegitimierung der ideologischen Grundlagen des sozialistischen Systems“ vertieft hatte. Gleichzeitig waren in der Bevölkerung Hoffnungen auf einen Staatsumbau gewachsen, den die Partei allerdings nicht gewillt war umzusetzen.841 Zudem war das während des Papstbesuchs gewachsene Selbstbewusstsein der Bevölkerung aus Staatssicht problematisch – war es doch schließlich entscheidend für die Ruhe und die Disziplin, mit der im Sommer 1980 die ArbeiterInnen den ParteifunktionärInnen entgegentraten, so Borodziej.842 Dass die Staatsführung die Wirkung der Messe auf dem Plac Zwycięstwa wohl unterschätzt hatte, wird daran deutlich, dass diese komplett übertragen wurde. Von den anderen Stationen der Papstreise durften in der Folge nur noch kurze Berichte gezeigt werden. Fotos von Menschenmassen wurden daraufhin gänzlich untersagt. Interessanterweise gelang es der Partei dennoch nicht, die gewaltige Resonanz in der Bevölkerung zu maskieren. So hatte der Oppositionelle Jacek Kuroń, der sich zu der Zeit im Hausarrest befand, während der gesamten Papstreise das Gefühl, die ganze Nation sei auf der Straße, einzig er säße zu Hause.843 Auf dem Plac Zwycięstwa hatten erstmals, vor den Augen fast der gesamten Nation, große Menschenmassen ihren Konformismus und ihre Angst überwunden, und sich auf die Straßen begeben, die eigentlich nicht „ihre“ waren. Gleichzeitig war die Messe somit der eindrucksvolle Beweis, dass die Staatsmacht Handlungen tolerierte, die sie eigentlich nicht guthieß. Insofern war der Sieg der „Macht der Symbole“ über die „Symbole der Macht“,844 den die Papstreise insgesamt bedeutete, erstmals und nirgendwo greifbarer als auf dem Plac Zwycięstwa. Immerhin war dieser Platz seit Kriegsende einer der symbol- und geschichtspolitischen Zentren des Regimes; dieser Anspruch schwang schon im Namen mit. Umso schwerwiegender war es, dass die Verantwortlichen seit Jahrzehnten um die Neugestaltung des Platzes gerungen und kein schlüssiges Gesamtkonzept gefunden hatten. Der Papst und die anwesende Menschenmenge beeinflussten das Narrativ des Platzes nun entscheidend und unvorhergesehen. Diese neue Prägung war umso tiefer, als der Papst seine Botschaft historisch unterfütterte und der historische Platz diese Botschaft wiederum verstärkte. Tatsächlich intensivierten die Worte des Papstes in der Folge die in oppositionellen Kreisen bereits seit einigen Jahren betriebene Auseinandersetzung mit der polnischen Geschichte – auf dem Plac Zwycięstwa selbst sowie generell. Die 841 Zaremba, Zimno, ciepło, in: Friszke/Persak/Sowiński (Hg.), Solidarność od wewna̜trz, S. 22 f. 842 Borodziej, Geschichte Polens, S. 359. 843 Vgl. Peters, Revolution der Erinnerung, S. 114. 844 Vgl. Borodziej, Geschichte Polens, S. 58.

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„Entlügung der Geschichte“ („odkłamanie historii“) war eines der zentralen Ziele der oppositionellen Bewegung und ab 1980 der Solidarność. Dieses Bestreben stieß auf breite Resonanz in der Bevölkerung.845 Der Schriftsteller Brandys notierte dazu: Wenn ich mit einem Wort beschreiben sollte, was ich beim Anblick dessen empfinde, was ich seit Tagen sehe, dann würde ich sagen: Erstaunen. Nicht nur darüber, dass über dem Siegesplatz ein Kreuz emporragt, und nicht nur darüber, dass die Herrschenden schweigen, als hätten sie sich vor der Nation versteckt. Am erstaunlichsten ist die Vorstellung, dass die Nation so geschickt ihre Wahrheit gehütet und bewahrt hat.846

Obgleich der Begriff der „Wahrheit“, zumal auf Geschichte angewandt, problematisch ist, so ist es entscheidend, dass von nun an überhaupt ein alternatives Konzept zu der staatlich verbreiteten „Wahrheit“ in der Öffentlichkeit verhandelt werden konnte – auch in Bezug auf historische Ereignisse. So hatte der Papst mit seinem Hinweis auf „das Recht der Polen auf ein Leben in einem souveränen Staat den Worten Vaterland, Wahrheit und Freiheit wieder einen Sinn gegeben“.847 Die entscheidende Bedeutung der Papstreise für die Entwicklung des „Phänomens religiös-patriotischer Demonstrationen und oppositioneller Aktivitäten generell“ bestätigt einer der aktiven Oppositionellen, der spätere polnische Präsident Bronisław Komorowski: „Das war ein Wendepunkt für unsere Aktionen, wir bekamen unerwartet eine gewaltige Quelle der Kraft und Hoffnung. [. . .] Wir sahen plötzlich, dass Millionen unsere Ziele – Unabhängigkeit, Freiheit – unterstützten.“848 Dreh- und Angelpunkt für die Auseinandersetzung über verschiedene historische Streitfragen war der Plac Zwycięstwa mit dem Grab des Unbekannten Soldaten. Die meisten Menschen besuchten eine Demonstration am Jahrestag der polnischen Unabhängigkeit, dem 11. November 1979. Mehrere tausend Menschen versammelten sich am Grab des Unbekannten Soldaten, trotz einiger Einschüchterungen seitens der Miliz. Erstmals hatten hier zum 50. Jahrestag der Schlacht von Warschau, des sogenannten „Wunders an der Weichsel“ („Cud nad Wisłą“) vom August 1920, Menschen Blumen niedergelegt. Das war insofern heikel, als die Menschen damit des überraschenden Sieges der polnischen gegen die sowjetischen Truppen gedachten – unter Führung von Piłsudski.

845 Vgl. Peters, Revolution der Erinnerung, insbesondere die Einleitung und das dritte Kapitel „Gegen-Geschichte: Die Herausforderung durch eine alternative Geschichtskultur“. 846 Brandys, Warschauer Tagebuch, S. 121 f. 847 Zaremba, Zimno, ciepło, in: Friszke/Persak/Sowiński (Hg.), Solidarność od wewna̜trz, S. 21. 848 Komorowski, Zwykły polski los, S. 86.

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Zudem fand seit dem 30. Jahrestag des Warschauer Aufstandes immer am Vorabend, also dem 31. Juli, eine Gedenkveranstaltung für die SoldatInnen des polnischen Untergrunds statt. Diese bestand aus einer Messe in der Kathedrale sowie der Niederlegung von Blumen am Grab – eine Tradition, die viele oppositionelle Veranstaltungen am Grab des Unbekannten Soldaten daraufhin begleiten sollte.849 Auch am 11. November 1978 hatten sich hier schon einige Oppositionelle zu einer Gedenkveranstaltung versammelt. Das hatte natürlich in erster Linie damit zu tun, dass dies der zentrale repräsentative Platz der Zweiten Polnischen Republik in der Zwischenkriegszeit war. Darüber hinaus war diesmal entscheidend, dass der Papst während der Messe genau an dieser Stelle diese Tradition in Erinnerung gerufen hatte und zusätzlich Bezüge zu anderen historischen Schlüsselereignissen hergestellt hatte. Am 11. November 1979 bei der unabhängigen Gedenkzeremonie am Grab des Unbekannten Soldaten zog Bronisław Komorowski in seiner Rede deshalb sowohl eine Verbindungslinie zwischen der Unabhängigkeit der Zwischenkriegszeit und der aktuellen politischen Situation, als auch eine zum Papstbesuch:

Abb. 5.2: Bronisław Komorowski hält eine Rede auf einer oppositionellen Veranstaltung am Grab des unbekannten Soldaten, 11. November 1979.

849 Czaputowicz, Kult Nieznanego, S. 68.

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Wir haben gerade einen Kranz im Namen der Jugend niedergelegt, die schon in einem Volkspolen ohne Unabhängigkeit aufgewachsen ist, sowie im Namen derer, denen diese Unabhängigkeit nach wie vor nah ist. Wir sind die Hoffnung Polens, die Hoffnung der Welt, wie der Heilige Vater sagte. Diese Worte standen auf dem Transparent, das uns vor der Kathedrale gestohlen wurde. Der Heilige Vater sprach auf diesem Platz die bemerkenswerten Worte – es kann kein gerechtes Europa ohne ein unabhängiges Polen geben. Das ist unser Ziel, unser Motto.850

Vor der Kathedrale in der Altstadt, wo zunächst ein Gottesdienst stattgefunden hatte, hatten Milizionäre den DemonstrantInnen ein Plakat sowie die Schärpe mit der Aufschrift „Jezszcze Polska nie zginęła“ („Noch ist Polen nicht verloren“)851 vom Gedenkkranz konfisziert. Am Grab des Unbekannten Soldaten nahm die Miliz schließlich die vier Redner – Andrzej Czuma, Wojciech Ziembiński, Józef Michał Janowski und Bronisław Komorowski – fest. An den darauffolgenden Prozessen waren zwei Dinge bemerkenswert. Erstens war die Unterstützung für die Angeklagten groß und die in vielen Belangen durchaus uneinige Opposition kam hier vor dem Gerichtssaal solidarisch zusammen.852 Zweitens offenbarte die Begründung des Richters Andrzej Kryże den zugrunde liegenden Konflikt: Er [der Angeklagte] missachtete demonstrativ die polnische Nation, indem er sich an einem Ort mit besonderer ritueller Bedeutung für Polen – dem Grab des Unbekannten Soldaten, das Symbol der im Kampf um die Unabhängigkeit Gefallenen – abschätzig und verächtlich über das polnische Volk äußerte, unter anderem indem er ihm vorwarf, kein freies und unabhängiges Land zu sein.853

So wurde deutlich, dass die Partei ihrem Selbstverständnis nach durchaus im Namen und im Sinne der polnischen Nation agierte. Hier wurde auch offensichtlich, dass der Kampf zwischen Staat und Opposition darüber, wer das Recht hatte, im Namen der Nation und des Volkes zu sprechen, begonnen hatte. Denn die Opposition begann die „merkwürdige innere Diskrepanz der staatssozialistischen Geschichtspolitik am Ende der Ära Gierek“ offen infrage zu stellen, die der Historiker Florian Peters wie folgt charakterisierte: Wo sich die Kommunisten um Integration voneinander abweichender politisch-ideologischer Traditionsstränge bemühten, dominierten hohles Pathos und vage Abstrakta wie ‚die Tat‘ oder ‚der polnische Soldat‘; sobald klare Bezüge, konkrete historische Ereignisse und Personen gefragt waren, hatten sie dagegen ausschließlich kommunistische Heldengeschichten zu bieten [. . .].854

850 Komorowski, Zwykły polski los, S. 83 f. 851 Der Text verweist auf die erste Zeile der polnischen Nationalhymne. 852 Vgl. Friszke, Czas KOR-u, S. 459 sowie Komorowski, Zwykły polski los, S. 84 f. 853 Friszke, Czas KOR-u, S. 458. 854 Peters, Revolution der Erinnerung, S. 185.

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Mit der Gedenkveranstaltung am 11. November 1979 geschah dieses Herausfordern nicht nur offen, sondern sogar im öffentlichen Raum, welcher bisher alles andere als offener Nutzung und Deutung zugänglich gewesen war. Die oppositionelle Veranstaltung stellte bislang von staatlicher Seite ignorierte Bedeutungsebenen in den Vordergrund: vor allem, dass das Grab während der Zweiten Republik als zentraler Identifikationspunkt des jungen Nationalstaats gebaut worden war. Damals hatte es vieler Schlachten und dort Gefallener gedacht, die spätestens seit 1951 auf den Tafeln fehlten. Darunter waren auch Schlachten gegen das Russische Reich. Zur Brisanz der Frage trug bei, dass zeitgleich zum Bau des Grabes Mitte der zwanziger Jahre die den Platz bis dahin dominierende orthodoxe Alexander-Newski-Kirche abgetragen worden war, um das Zeichen russischer Dominanz aus der Stadtmitte zu entfernen.855 Insofern proklamierte die oppositionelle Veranstaltung nicht nur eine alternative Deutung der Geschichte und eine dementsprechende Nutzung des Grabes des Unbekannten Soldaten. Sie kritisierte damit auch die bisherige staatliche Nutzung, indem implizit die Frage im Raum stand, inwiefern die von der Sowjetunion unterstützte kommunistische Partei tatsächlich die Nation repräsentierte, deren unbekannter Soldat hier betrauert wurde. Aus Sicht der Staatsmacht waren diese Fragen naturgemäß eindeutig zu beantworten, weshalb die Redner der Veranstaltung mit ein bis drei Monaten Freiheitsentzug bestraft wurden. Die Veranstaltung offenbart ein weiteres Spannungsfeld: innerhalb der Opposition selbst. Organisator der Veranstaltung war Wojciech Ziembiński, ein KOR-Mitbegründer. Er war zudem Mitglied der eher konservativen Bewegung zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte (Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela, ROPCiO), die diese Veranstaltung federführend organisiert hatte. Jacek Kuroń, der junge, charismatische Kopf des KSS KOR, war generell kein großer Verfechter öffentlicher Demonstrationen. Seiner Meinung nach verstärkten diese lediglich staatliche Repressionen. Im Zuge der Veranstaltung vom 11. November 1979 kam es zu einem Missverständnis, sodass sich Kuroń zu folgender Rechtfertigung veranlasst sah: Viele Menschen haben diese Äußerung als Ausdruck einer negativen Einstellung zu dieser Demonstration gesehen. Aus diesem Grund bezeuge ich hiermit das folgende: Patriotische Demonstrationen halte ich für ein bedeutsames Element einer unabhängig handelnden polnischen Gesellschaft. KSS ‚KOR‘ hat an allen bisherigen Massendemonstrationen teilgenommen und hat den Kollegen vom ROPCiO, die den Hauptteil der Organisation auf sich genommen haben, alle mögliche Hilfe erteilt.856

855 Vgl. Kasprzycki, Sobór. 856 Friszke, Czas KOR-u, S. 459.

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Das Zitat offenbart die Spannungen innerhalb der Opposition über diese Frage, die damit zusammenhing, wie sehr nationale Emotionen eigentlich befeuert werden sollten, „die in die Richtung des Nationalismus entgleiten könnten“.857 Definitiv gab es im Umfeld des ROPCiO vermehrt AnhängerInnen der patriotischen Demonstrationen am Grab des Unbekannten Soldaten. Dazu gehörte Leszek Moczulski, der vor allem auf „die Symbolik der Unabhängigkeit setzte, und dabei nationale Emotionen“ hervorrufen wollte – und zugleich Kurońs Gegenspieler im KOR war.858 Da das Grab des Unbekannten Soldaten eines der wichtigsten nationalen Symbole war, wundert es nicht, dass Moczulski am 1. September 1979, dem vierzigsten Jahrestag des Kriegsbeginns, am Grab des Unbekannten Soldaten eine Veranstaltung organisierte und am selben Tag die Gründung seiner Konföderation Unabhängiges Polen (Konfederacja Polski Niepodległej, KPN) bekannt gab.859 Diese stellte sich entschieden in die Tradition der Sanacja, der von Piłsudski autoritär betriebenen Politik der „Sanierung des Staates und der Gesundung der moralischen und politischen Verhältnisse“.860 Das machte aus Sicht der KPN die Bezugnahme auf den Plac Zwycięstwa umso folgerichtiger. Schließlich hatte dieser Platz vor dem Krieg Plac Piłsudskiego geheißen. Bei der Demonstration auf dem Platz waren circa 1 000 Menschen anwesend, bei der vorhergehenden Messe waren es 2 500.861 Ein weiterer entscheidender Punkt war die Auseinandersetzung über den Warschauer Aufstand, die ebenfalls auf den historischen Plätzen ausgetragen wurde. Bemerkenswert war dabei, dass nach dem Papstbesuch 1979 erstmals das nicht-offizielle Gedenken an den Warschauer Aufstand die Friedhöfe und Kirchen verließ. Wie am 11. November 1978 sowie wie beim Papstbesuch kamen am 31. Juli 1979 – dem Vorabend des 35. Jahrestages des Warschauer Aufstands – zunächst circa 5 000 Menschen zu einem Gottesdienst in der Kathedrale in der Altstadt zusammen. Im Anschluss zogen etwa 1 000 Menschen, darunter viele ehemalige Aufständische, an das Grab des Unbekannten Soldaten, um dort zwei Kränze niederzulegen.862 Dass die OrganisatorInnen, erneut der ROPCiO unter Führung von Ziembiński, das Grab des Unbekannten Soldaten als Ort wählten, verdeutlicht die offene Konfrontation zur offiziellen Haltung. Denn aus Staatssicht gab es durchaus ein Denkmal, das die Aufständischen ehrte: die Nike, das Denkmal der Helden Warschaus, das zusätzlich allen anderen zwischen

857 Ebd. 858 Vgl. ebd., S. 587. 859 Peters, Revolution der Erinnerung, S. 186. 860 Borodziej, Geschichte Polens, S. 163. 861 Czaputowicz, Kult Nieznanego, S. 68. 862 Vgl. Peters, Revolution der Erinnerung, S. 293; Sawicki, Bitwa, S. 166 f.

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Abb. 5.3: Demonstration der KPN mit Adam Michnik an der Spitze des Zuges, 1. September 1979.

1939 und 1945 gefallenen WarschauerInnen gedachte. Dort, auf dem benachbarten Plac Teatralny, veranstaltete die Ideologieabteilung des Zentralkomitees am 1. August 1979 die zentrale Zeremonie des in diesem Jahr beträchtlich verstärkten offiziellen Gedenkens: eine „musikalisch-poetische Show patriotischen Inhalts“, die das Fernsehen zudem live übertrug.863 Nach Angaben der OrganisatorInnen nahmen 30 000 Menschen an dieser Veranstaltung zum 35. Jahrestags des Beginns des Warschauer Aufstands teil, doch Peters gibt zu bedenken: Der Applaus derjenigen, die sich zur großen patriotischen Show auf dem Plac Teatralny eingefunden hatten, galt sicherlich in vielen Fällen nicht so sehr der Inszenierung der ‚moralisch-politischen Einheit der Nation‘, wie die Parteifunktionäre flugs dokumentierten, sondern war eher ein Signal der Zustimmung zu der nichtkommunistischen Tradition, der die Kommunisten erstmals mit solchem Aufwand ihre Reverenz erwiesen.864

Auf den beiden historischen Plätzen, die in der Nachkriegszeit zu den zentralen offiziellen Gedenkorten Warschaus und damit des Staates geworden waren, fand also eine Auseinandersetzung um die nationale Geschichte statt. Genauer gesagt

863 Peters, Revolution der Erinnerung, S. 286. 864 Ebd., S. 293.

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wurden hier Perspektiven auf die nationale Unabhängigkeit sowie den Warschauer Aufstand verhandelt. Da das ein zentrales Thema der konservativen Teile der Opposition war, kann man sagen, dass die Plätze – vor allem der Plac Zwycięstwa mit dem Grab des Unbekannten Soldaten – seit 1978 und verstärkt seit der Papstmesse im Juni 1979 gar zu einem Schauplatz dieser Debatten wurden. Insbesondere der Plac Zwycięstwa war dabei Austragungsort und Gegenstand der Debatte. Das intensivierte die sonst abstrakt geführte Debatte um eine konkrete Dimension und verlieh den oppositionellen Positionen Gewicht. Zudem verwies die Auseinandersetzung über historische Ereignisse und deren Interpretation auf etwas Größeres: „Die kommunistische Partei befand sich in einer tiefen Legitimationskrise, weil die Mehrheit der Gesellschaft sie als inkompetent und korrumpiert betrachtete, sowie teilweise fremd: religiös (weil weltlich) und national (weil verbunden mit einer fremden Großmacht).“865 Am Plac Zwycięstwa wurde also die fortschreitende Erosion des Macht- und Meinungsmonopols der PZPR, das die zunehmend selbstbewusstere Opposition immer mehr infrage stellte, greifbar: Ein bisher in höchstem Maße offizieller Raum wurde so zunehmend zu einem öffentlichen, weil öffentlich verhandelten Raum. Die Debatten über Vergangenes fanden also auch im städtischen Raum ihren Ausdruck. Doch es ist wichtig, bei aller Bedeutung dieser Auseinandersetzungen über Geschichte und ihre Symbolik, sich zudem die damalige Lebensrealität der Menschen vor Augen zu führen. Während des sogenannten „Jahrhundertwinters“ 1978/79 war die Überforderung der Partei mehr als deutlich geworden, da ihre Reaktionen auf ganzer Linie unzulänglich waren: Das Land versank für zwei Monate in einer wortwörtlichen Eisstarre. Das befeuerte die Entfremdung der Bevölkerung von der Partei, während die Solidarität unter den Menschen trotz und wegen der Politik wuchs.866 Tragischer und gleichzeitig bezeichnender Tiefpunkt war die Explosion des „Rotunda“ genannten Pavillons an der belebtesten Kreuzung Warschaus, Ecke Al. Jerozolimskie/Ul. Marszałkowska, schräg gegenüber dem Kulturpalast. 49 Menschen starben bei diesem Unglück am 15. Februar 1979, den wohl eine im vorherigen „Jahrhundertwinter“ beschädigte Gasleitung ausgelöst hatte. Zusammenfassend führte Zaremba für diese Zeit die Metapher des „bubel“ – Ladenhüter sehr niedriger Qualität – ein. Denn die auskömmlichen Jahre des „BigosKommunismus“ unter Gierek waren definitiv vorbei, der Mangel war mittlerweile überall spürbar.867 Das machte Ankündigung im Juli 1980, die Preise für einige Fleisch- und Wurstwaren zu erhöhen, umso explosiver. 865 Zaremba, Zimno, ciepło, in: Friszke/Persak/Sowiński (Hg.), Solidarność od wewna̜trz, S. 37. 866 Ebd., S. 18. 867 Ebd., S. 28.

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Daraufhin brachen im Juli im ganzen Land Streiks aus, die sich zunächst abschwächten, um im August umso heftiger wieder aufzuflammen.868 Der Streik in der Danziger Werft wies einige folgenreiche Besonderheiten auf. Denn neben den Protesten gegen die Preiserhöhungen gab es beinahe von Beginn an eine organisierte Streikleitung, die politische Forderungen stellte und von angereisten Warschauer Intellektuellen unterstützt wurde. Innerhalb weniger Tage gründete sich unter der Führung von Anna Walentynowicz und Lech Wałęsa ein Überbetriebliches Streikkomitee (Międzyzakładowy Komitet Strajkowy), dem sich fast 500 Betriebe aus Danzig, Gdingen und Umgebung anschlossen. Die 700 000 ArbeitnehmerInnen, die Ende August 1980 in 700 Betrieben streikten, stellten eine eindrucksvolle Drohkulisse dar, die den Ende August vom Streikkomitee vorgebrachten „21 Forderungen“ Nachdruck verlieh. Diese spiegelten nicht nur die Überzeugungen der AutorInnen wider, sondern waren darüber hinaus so intelligent gestellt, dass sie sich als Grundlage für Verhandlungen eigneten.869 Am 31. August 1980 konnte live im Fernsehen verfolgt werden, wie der machtlose Ministerpräsident Mieczysław Jagielski und Lech Wałęsa die aus den Forderungen resultierende „Danziger Vereinbarung“ unterzeichneten. Darin war, so Borodziej, nicht nur die Gründung unabhängiger Gewerkschaften zugesichert worden [. . .], sondern auch die Verabschiedung eines Gesetzes über die Zensurbehörde, eines weiteren über die Gewerkschaften (das unter anderem die Frage der Legalität der Streiks aufgreifen würde), die Wiederbeschäftigung der aus politischen Gründen Entlassenen, die Direktübertragung der Sonntagsmesse im staatlichen Hörfunk und Ähnliches mehr.870

Als Edward Gierek 1970 Gomułka wegen der verheerenden Schüsse auf protestierende ArbeiterInnen ablöste, soll er gesagt haben, er werde nie auf ArbeiterInnen schießen lassen. Im Sommer 1980 wandte er tatsächlich keine Gewalt gegen die Protestierenden an, musste allerdings am 5. September 1980 „aus gesundheitlichen Gründen“ zurücktreten. Sein Nachfolger wurde Stanisław Kania, der bis dato für Sicherheitsfragen zuständig gewesen war. Im November 1980 erkannte das Oberste Gericht in Warschau schließlich die unabhängige Gewerkschaft Solidarność an, die bis Juni 1981 zu einer Massenorganisation mit 9,5 Millionen Mitgliedern anwuchs – bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 36 Millionen. Selbst circa zwanzig Prozent der Zentralkomitee-Mitglieder traten der Solidarność bei. Gleichzeitig verließen etwa 8,5 Millionen Menschen die

868 Vgl. zu den Streiks ebd., S. 34–37. 869 Andrzej Friszke: Rewolucja Solidarności. 1980–1981. Kraków 2014, S. 961. 870 Borodziej, Geschichte Polens, S. 363.

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alten Gewerkschaften und über zehn Prozent der drei Millionen Parteimitglieder traten aus der PZPR aus.871 Eine ungekannte gesellschaftliche Dynamik brach sich Bahn, die sich in zahlreichen weiteren Streiks und Protesten ausdrückte. Einer der Schauplätze in Warschau war der Plac Zwycięstwa. So versammelten sich beispielsweise Anfang 1981 tausende Bauern auf dem Plac Zwycięstwa, denen zuvor das höchste Gericht das Recht auf eine eigenständige Gewerkschaft abgesprochen hatte. Am 12. Mai 1981 kamen tausende Menschen zusammen, nachdem die offizielle Registrierung der Solidarność bekannt gegeben worden war.872 Anhand des symbolischen Dreh- und Angelpunktes des Plac Zwycięstwa, des Grabes des Unbekannten Soldaten, lässt sich darüber hinaus erkennen, wie weit das Deutungsmonopol des Staates mittlerweile erodiert war. So konstatierte Jan Przewlocki im Frühjahr 1981 in der Presse eine „schmerzhafte Lücke, ja Wunde“, die infolge der Entfernung der Mehrzahl der historischen Tafeln am Grab des Unbekannten Soldaten entstanden sei. Zwar hob er die Aufbauleistung direkt

Abb. 5.4: Demonstration nach der offiziellen Registrierung der Solidarność auf dem Plac Zwycięstwa, 12. Mai 1981.

871 Vgl. ebd., S. 364. 872 Die Informationen über diese Demonstrationen entstammen den Beschreibungen der im Fotoarchiv der KARTA-Stiftung aufbewahrten Bilder.

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nach dem Krieg hervor und stellt die vorsichtige These auf, dass die historischen Tafeln „sicher nur aufgrund der Hektik“ vor der Wiedereröffnung am 9. Mai 1946 weggelassen wurden. Doch klar kritisierte er sowohl das jahrelange allgemeine Schweigen über die aus seiner Sicht fehlenden Tafeln, als auch die „Grabesstille“, die von Seiten der Verantwortlichen gegenüber diesen seit einiger Zeit erhobenen Forderungen herrsche.873 Angesichts der auf diese Weise „unterbrochenen langjährigen patriotischen Traditionen“ forderte eine „moralische Umbewertung“ („rewaloryzacja“) des Grabes des Unbekannten Soldaten, zum Beispiel zum anstehenden hundertsten Geburtstag Władysław Sikorskis – eines wichtigen Politikers der Zwischenkriegszeit und der Exilregierung.874 Während seit 1978 also oppositionelle Gruppen bereits die staatlichen rituellen Nutzungspraktiken des Grabes des Unbekannten Soldaten regelmäßig in Form von eigenen Veranstaltungen infrage stellten, begann nun gar eine offene Diskussion über weiße Flecken der Geschichtsinterpretation. Die eindrucksvollste Zusammenkunft auf dem Plac Zwycięstwa war die Trauerfeier für den am 28. Mai 1981 verstorbenen langjährigen Erzbischof von Warschau und Gnesen sowie Primas von Polen, Kardinal Stefan Wyszyński. An diesem 31. Mai 1981 belebten erneut hunderttausende Menschen den Plac Zwycięstwa – so viele, dass „keine Kirche diese Masse an Trauergästen für die Zeremonie aufnehmen könnte,“ so der Kommentator der staatlichen „Kronika“.875 Sie nahmen Abschied von einem Mann, der die katholische Kirche seit 1948 engagiert und standhaft durch verschiedene Phasen der An- und Entspannung mit dem Staat geführt hatte. Die Bilder der Messe auf dem Platz erinnern stark an die Papstmesse zwei Jahre zuvor und verdeutlichen deren Vorbildcharakter: Gewaltige Menschenmassen gruppierten sich um den gleichen Altar mit dem gleichen Kreuz (vermutlich gar dieselben Objekte). Diese Messe hatte ebenfalls einen friedlichen und spontanen Charakter. Der Papst ließ in seinem Namen eine Predigt verlesen – auf dem Platz, der durch seinen Besuch im Juni 1979 „unvergesslich“ geworden war, so der Kommentator der „Kronika“.876 Dass sich seit seinem Besuch im Juni 1979 viel verändert hatte, zeigte sich bei diesem Trauergottesdienst. Neben den kirchlichen Würdenträgern wohnten

873 1988 beauftragte Wojciech Jaruzelski schließlich das Militärhistorische Institut, die Inschriften der Tafeln zu überarbeiten und um Schlachten der Jahre 972 bis 1945 zu erweitern. Es kam zwar zu keinem Ergebnis, wohl aber zu einer Diskussion. Vgl. Czaputowicz, Kult Nieznanego, S. 73 ff. 874 Jan Przewlocki: Bolesna luka. Jeszcze o Grobu Nieznanego Żołnierza, in: Kurier Polski, 19.06.1981, S. 4. 875 PKF 81/23A: Pogrzeb Stefana Wyszyńskiego, 1981. 876 Ebd.

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den Feierlichkeiten zwei politische Delegationen bei: eine der Regierung, mit dem Vorsitzenden des Staatsrates Henryk Jabłoński an der Spitze, sowie eine Delegation der Solidarność, angeführt von Lech Wałęsa. Keine dieser beiden wichtigen politischen Figuren hatte die gesellschaftliche Dynamik der Jahre 1980/81 allerdings unter Kontrolle. Während die Opposition offen und mutig über die Reformierung des politischen Systems nachdachte und diskutierte, schrumpfte der Reformwillen der Partei unter Jaruzelski gänzlich zusammen: „Der permanente Konflikt, die wirtschaftliche Katastrophe, der fortschreitende Zerfall der [PZPR] und der Druck Moskaus setzten der Parteiführung auch zeitlich enge Grenzen.“877 Borodziej bemerkt zugespitzt, dass die Staatssicherheit und die Armee die einzigen Institutionen waren, die 1980/81 nicht streikten, wie gewohnt funktionierten und im Herbst 1981 auf Jaruzelskis Geheiß hin die seit März 1981 angestrengten Planungen für eine Beendigung des „Karnevals der Solidarność“ intensivierten. Am Morgen des 14. Dezember 1981 fing der Fotograf Chris Niedenthal eine Szene ein, die heute als die bekannteste fotografische Ikone des Kriegsrechts gelten kann: Ein gepanzertes Militärfahrzeug steht auf dem verschneiten Vorplatz des Kinos „Moskwa“ an der Warschauer Ul. Puławska, umringt von ein paar Soldaten. Einige wenige FußgängerInnen sind zu sehen. Auf dem Kinogebäude prangt ein Banner mit der Aufschrift „Czas Apokalipsy“ („Zeit der Apokalypse“). Über Nacht war dieser Spruch zu einem fast provokativen, wenngleich zufälligen Kommentar der Gegenwart geworden, denn eigentlich bewarb das Kino damit Francis Ford Coppolas Film Apocalypse Now. Am Abend zuvor, dem 13. Dezember 1981, hatte der Parteichef Wojciech Jaruzelski dem polnischen Volk in einer Fernsehansprache die Einführung des Kriegsrechts mitgeteilt. Zunächst stellte er fest, dass das gemeinsam errichtete polnische Haus in Trümmern liege. Im zweiten Schritt machte er die Solidarność dafür verantwortlich, löste die Gewerkschaft auf und ließ ihre FunktionärInnen festnehmen, soweit diese nicht rechtzeitig geflohen und in den Untergrund gegangen waren. In den Betrieben übernahmen die Bevollmächtigten des Militärischen Rates der Nationalen Rettung (Wojskowa Rada Ocalenia Narodowego, WRON) die Kontrolle. Bei Gegenwehr setzte dieser Rat brutale Gewalt ein, wie zum Beispiel in der Kattowitzer Grube Wujek, wo neun Bergleute ums Leben kamen.878 Darüber hinaus fror das Alltagsleben insofern ein, da die Bürgerrechte eingeschränkt wurden und die staatlichen Sicherheitsorgane weitreichende Befugnisse bekamen.

877 Borodziej, Geschichte Polens, S. 365. 878 Ebd., S. 369.

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Dennoch protestierten vielerorts Menschen gegen die Einführung des Kriegsrechts. Neben Streiks kam es in verschiedenen Städten zu Demonstrationen, von denen die in Danzig am 16. Dezember mit circa 100 000 TeilnehmerInnen wohl als die größte angesehen werden kann. Zudem bestand das gesellschaftliche Eigenleben, das sich während der Solidarność entwickelt hatte, trotz der weitreichenden Einschüchterungen und Repressionen teilweise weiter. Das geschah vor allem in Kirchen sowie alternativen Galerien. Jan Rylke, vielseitiger Künstler und Theoretiker, der sich damals in der unabhängigen Kunstszene engagierte, sagte 2010 rückblickend über diese Zeit: „Das schuf eine besondere soziale Situation, in der Kunst nicht der politischen Manipulation diente, sondern gesellschaftlichen Bedürfnissen begegnete. Das war die Realisierung grundlegender, für utopisch gehaltener Träume der Moderne.“879 In Warschau spielte die wichtigste Rolle die im Krieg zerstörte und erst 1974 rekonstruierte Kirche an der Ul. Żytnia im Stadtteil Wola (Kościół Miłosierdzia Bożego).880 Darüber hinaus fanden auffallend viele Demonstrationen und Proteste während des Kriegsrechts in der Altstadt statt. Das hatte nicht nur den praktischen Grund, dass die DemonstrantInnen in den verwinkelten Gassen gut vor der Miliz und ihrer motorisierten Reserveeinheiten (Zmotoryzowane Odwody Milicji Obywatelskiej, ZOMO) fliehen und sich verstecken konnten. Zudem war dies mit der städtebaulichen Struktur der Altstadt in Verbindung zu bringen, da es hier viele Kirchen gab, die Andachten und weitere Veranstaltungen beherbergten. Insofern ist der Gedanke von Błażej Brzostek, anknüpfend an die Beobachtungen des Schweizer Journalisten André Crettenand, zutreffend, dass sich der alte Teil Warschaus – er meint hier die Altstadt – während des Kriegsrechts wieder als das Herz der Stadt erwies.881 Dem ist hinzuzufügen, dass zum Herz der Stadt in dieser Zeit definitiv auch der Plac Zwycięstwa gehörte. Denn mittlerweile kamen auf dem Plac Zwycięstwa nicht mehr nur vorrangig konservative VertreterInnen der Opposition zu alternativen Gedenkzeremonien zusammen. So versammelten sich hier circa 1 000 Protestierende am 17. Dezember 1981, also wenige Tage nach Einführung des Kriegsrechts. Ferner kamen mindestens seit Herbst 1981, aber verstärkt zwischen Juni und August 1982 täglich zahlreiche Menschen zusammen. Sie legten an der Stelle, wo während der Papstmesse und der Trauerfeier für Wyszyński der Altar mit dem Kreuz gestanden hatte, ein Kreuz aus Blumen und Kerzen – trotz des 879 Jerzy Brukwicki: Azyle dla większości. Warszawskie miejsca niepokornych (1982–1989), in: Bartłomiej Noszczak (Hg.), Warszawa niezłomna. Antysystemowe formy opozycji i oporu społecznego w stolicy (1980–1989). Warszawa 2013, S. 365–376, hier S. 376. 880 Vgl. ebd. 881 Brzostek, Paryże Innej Europy, S. 379.

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Abb. 5.5: Das Blumenkreuz am Plac Zwycięstwa, Herbst 1981.

Kriegsrechts.882 An diesem Ort beteten die Versammelten gemeinsam für Internierte und sangen religiöse und patriotische Lieder. Am meisten kamen wohl nach der Fronleichnamsprozession am 10. Juni 1982 zusammen, um die 2 000 Menschen. Doch symbolisch bedeutsamer war wohl die oppositionelle Zusammenkunft am 9. Mai 1982. Immerhin war dies der Siegesplatz, auf dem seit 1946 an diesem Jahrestag des Kriegsendes dem Sieg im Zweiten Weltkrieg gedacht wurde – mit einer höchst offiziellen Parade. Trotz Kriegsrechts hatte die Partei ihre Entscheidungshoheit darüber, wie dieser wichtige Platz der Hauptstadt zu nutzen sei, nicht wiedererlangt. Das einzige Gegenmittel, das die Partei an diesem Tag fand, war die Kontrolle der Personalien der Anwesenden, die Schätzungen zufolge zwischen mehreren hundert und 2 000 zählten.883 Zunächst entfernten ZOMO oder die Miliz das Blumenkreuz nur vor wichtigen Feiertagen, damit es keine Konkurrenz zu dem Grab des Unbekannten Soldaten darstellte. Ab August 1982 zerstörten sie es allerdings jede Nacht.884 Doch das „unzerstörbare Kreuz“ aus „unabhängigen Blumen“ „erblühte täglich neu aus den 882 Vgl. Spałek, Manifestacje na ulicach, in: Noszczak (Hg.), Warszawa niezłomna, S. 388 ff.; Brukwicki, Azyle dla większości, in: Noszczak (Hg.), Warszawa niezłomna, S. 367. 883 Spałek, Manifestacje na ulicach, in: Noszczak (Hg.), Warszawa niezłomna, S. 387. 884 Vgl. Michał Głowiński: Mowa w stanie oble̜żenia. 1982–1985. Warszawa 1996, S. 69.

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Betonplatten“, wie es der Sänger Jan Pietrzak in seinem Lied Illegale Blumen (Nielegalne kwiaty) formulierte.885 Wie ratlos die Regierenden bis in die höchsten Reihen waren, wie mit dieser Art des Protests umzugehen sei, zeigt das Protokoll einer Politbürositzung. Dort charakterisierte der Innenminister Kiszczak das Blumenkreuz als „einzelnes, marginales, aber wichtiges Problem“. Dies seien Ereignisse, bei denen sich zu den einigen hundert von Priestern organisierten Menschen „Extremisten“ verschiedener Couleur gesellten, um die Versammelten zu verschiedenen Provokationen anzustacheln.886 Warschaus Bürgermeister Mieczysław Dębicki versuchte, diese zahlreichen „antistaatlichen Auftritte“ einzudämmen, indem er den Bischof Jerzy Modzelewski in die Pflicht zu nehmen versuchte. Letzterer entgegnete allerdings, die Kirche könne keine Befehle geben, sondern nur Empfehlungen aussprechen. Modzelewski warnte allerdings eindringlich davor, das Kreuz zu entfernen, da dies aus Sicht der Staatsmacht nur schlimmere Folgen zeitigen würde. Er empfahl dem Bürgermeister stattdessen, eine Gedenktafel in den Boden einzulassen, was dieser allerdings ablehnte.887 Stattdessen zog die Staatsmacht harte Seiten auf und zerstörte das Blumenkreuz kontinuierlich. Ein weiteres Foto von Niedenthal dokumentiert beispielsweise den Einsatz eines Wasserwerfers zur Entfernung des Kreuzes, während sich in unmittelbarer Nähe ältere Damen aufhielten (vgl. Abb. 5.6). Das war es wohl, was im Zuge dieses „Krieges um das Kreuz“ („wojna krzyżowa“888) selbst unpolitische Menschen dazu brachte, sich zu politisieren. Mit diesen Handlungen habe die Staatsmacht ihren „totalitären Charakter“ bewiesen, so der Literaturkritiker und Zeitzeuge Michał Głowiński. Dieser Einschätzung ist insofern zu folgen, als sie tatsächlich die unangemessen gewaltvolle Reaktion auf das „Produkt“ der friedlichen DemonstrantInnen offenbarten. Vor allem aber zeigt diese destruktive Reaktion die Hilflosigkeit der Politik. Denn ein Krieg gegen „konterrevolutionäre Blumen“ sei grotesk, und ein Krieg gegen ein Kreuz in Polen „idiotisch“, so Głowiński – der sei noch nie gewonnen worden.889 Auf diese Weise „trugen die Partei und das Innenministerium, entgegen ihrer Intention, dazu bei, ein neues Symbol im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Es war dies, das ist wichtig, nicht nur ein religiöses Symbol, sondern auch ein Symbol des Widerstands sowie nationaler Ziele und Träume“.890 Am 19. August 1982

885 Vgl. Jacek Maria Stroka (Hg.): Krzyż. Pomnik na placu Zwycięstwa Jana Pawła II w Warszawie. Warszawa 2010. 886 Vgl. Spałek, Manifestacje na ulicach, in: Noszczak (Hg.), Warszawa niezłomna, S. 388 f. 887 Ebd., S. 389. 888 Ebd., S. 390. 889 Vgl. Głowiński, Mowa w stanie, S. 70 f. 890 Spałek, Manifestacje na ulicach, in: Noszczak (Hg.), Warszawa niezłomna, S. 390.

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Abb. 5.6: Ein Wasserwerfer der ZOMO zerstört das Blumenkreuz, August 1982.

urteilte Głowiński: „Diese wenigen Quadratmeter auf dem Plac Zwycięstwa werden gerade im polnischen Bewusstsein zu einem heiligen Terrain, mit dem sich die höchsten nationalen Werte verbinden, ein Terrain, das zum geistigen Zentrum des Landes avanciert.“891 Die staatlichen Reaktionen erzeugten also genau die Logik, vor denen der Bischof den Bürgermeister gewarnt hatte. Doch die auf dem Plac Zwycięstwa geborene Symbolik mitsamt ihrem Ritual zog sogar noch weitere Kreise: Als die Regierung Ende August den Plac Zwycięstwa mit einem Bauzaun wegen Renovierungsarbeiten absperren ließ und den Durchgang untersagte, legten die Menschen stattdessen vor verschiedenen Kirchen in der Nähe Kreuze aus Blumen und Kerzen. Am 21. August 1982 entstand ein Kreuz von sieben Metern Länge auf dem Schlossplatz, und weitere vor zahlreichen Kirchen am Krakowskie Przedmieście. Głowiński kommentierte: „Trotz der Fortschritte ist der Krieg um das Kreuz nicht vorbei. Und sicherlich wird er sichtbarer – Krakowskie Przedmieście ist ein sehr viel belebterer Ort als der Plac Zwycięstwa.“892 Der Bauzaun, der den „Kriegsschauplatz“ – also die Stelle, an der der Altar und das Kreuz erstmalig beim Besuch des Papstes 1979 gestanden hatten –

891 Głowiński, Mowa w stanie, S. 70. 892 Ebd., S. 71.

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Abb. 5.7: Der in Folge der Blumenkreuze abgesperrte Plac Zwycięstwa mit der alten Straßenführung, die bald darauf verändert wurde, Juli 1982.

schließlich abriegelte, ist mehr als nur ein Symbol. Er war Teil einer Politik der PZPR, die händeringend nach Lösungen suchte. Die Lösungen, die sie fand, verdeckten das Problem, aber entschärften den zugrundeliegenden Konflikt nicht: So wurde Mitte der achtziger Jahre die Fahrbahn am Plac Zwycięstwa verlegt, die nun nicht mehr direkt vor dem Grab des Unbekannten Soldaten langführte, sondern neben dem Ort des Blumenkreuzes. Doch die Hoffnung, dass damit das Kreuz und seine implizite Symbolik verschwinden würde, erfüllte sich nicht.893 Die Einführung des Kriegsrechts war der Versuch der kommunistischen Regierung, trotz der Solidarność und der anhaltenden Proteste an der Macht zu bleiben. Kurzfristig gesehen war das Kriegsrecht erfolgreich. Die Strukturen der Solidarność waren zwar zerschlagen. Aber ein Teil ihrer FunktionärInnen arbeitete im Untergrund weiter. Außerdem konnte die Regierung zwar die kritische Lebensmittelpreissteigerung unter dem Kriegsrecht durchsetzen, nicht aber die noch dringendere grundlegende Wirtschaftsreform. Zudem waren gewisse Dinge wie ein freierer Meinungsaustausch samt einer ausgeprägten Debattenkultur, die sich während der Solidarność-

893 Stroka, Krzyż, S. 66.

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Zeit entwickelt hatten, nicht komplett einzudämmen. Das erinnert an das Blumenkreuz, das der Bauzaun nur an genau der ursprünglichen Stelle verhindern konnte, während die Symbolik erhalten blieb. Zudem verlor die Regierung damit weiter an Vertrauen, da sie wiederholt Gewalt gegen die eigene Bevölkerung anwendete, um ihre Macht zu sichern. Letztere sah die PZPR allerdings wieder so sehr stabilisiert, dass sie am 22. Juli 1983 – dem 39. Jahrestag der Gründung des Lubliner Komitees – das Kriegsrecht aufhob. Kurz zuvor, im Juni 1983, war sogar erneut der Papst nach Polen gereist. Doch eine erneute Messe am Plac Zwycięstwa, dem inoffiziellen „neuen geistigen Zentrum des Landes“ ließen die Machthabenden nicht zu. Der Papst versammelte diesmal die Gläubigen fernab des Zentrums im Stadion des Jahrzehnts.

5.2.2 Widerwille und Starrsinn: Staatliche und öffentliche Aktivitäten nach dem Kriegsrecht Dem direkt nach dem Krieg eingeführten Ritual, am Jahrestag der Gründung des Lubliner Komitees (oder kurz davor) wichtige städtebauliche Projekte einzuweihen, blieb die Parteiführung während der gesamten Zeit der PRL treu. So weihte sie am 20. Juli 1985 das Denkmal der gefallenen Verteidiger und Diener Volkspolens (Pomnik Poległym w Służbie i Obronie Polski Ludowej) ein. Es war in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Zunächst ist es der Standort, der Plac Za Żelazną Bramą. Dieser hatte seit Kriegsende vierzig Jahre lang einer neuen Gestaltung geharrt, in direkter Nähe zum Plac Zwycięstwa: hinter dem Sächsischen Garten als Teil der Sächsischen Achse. Das namensgebende Eiserne Tor war einst das Eingangstor zum Sächsischen Garten gewesen. An die städtebauliche Vorkriegssituation erinnerte kaum noch etwas, nach den Kriegszerstörungen und drastischen städtebaulichen Entscheidungen: die Verlängerung der Ul. Marszałkowska durch den Sächsischen Garten, der Bau des großen Wohnviertels „Za Żelazną Bramą“ in direkter Nachbarschaft und die Neuausrichtung des Lubomirski-Palais am Platz selbst. Direkt nach dem Krieg hatte die Armee einen Wettbewerb für die Neugestaltung der Sächsischen Achse ausgeschrieben, in dessen Rahmen an diesem Platz das Theater der Armee vorgesehen war. Der prämierte Entwurf von Romuald Gutt wurde allerdings nie umgesetzt. In den sechziger Jahren, als die Konkurrenz zwischen Partei und katholischer Kirche angesichts der beiden tausendjährigen Jubiläen von Staatsgründung und Christianisierung Polens auf einem Höhepunkt war, hatte Marian Spychalski unweit dieser Stelle das hoch in den Himmel ragende Siegesdenkmal initiiert – letztlich erfolglos. An diesem historisch und städtebaulich bedeutsamen, aber bisher kaum genutzten Ort errichtete die Partei also schließlich Mitte der achtziger Jahre das erwähnte Denkmal

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der gefallenen Verteidiger Volkspolens. Zunächst hatte es am Plac Konstytucji gebaut werden sollen. Der offizielle Grund für den Standortwechsel war der am Plac Konstytucji geplante Bau einer Metrostation. Diese wurde im Endeffekt allerdings in der Nähe des Politechnikums errichtet.894 Der Historiker Tomasz Leszkowicz hält diese Begründung ohnehin für vorgeschoben. Er meint, der endgültige Standort am Plac Za Żelazną Bramą könne damit zu tun haben, dass die Partei die antioppositionelle Botschaft des Denkmals habe abschwächen wollen und ein Denkmal an einem weniger zentralen Ort als dem Plac Konstytucji weniger konfrontativ gewirkt habe.895 Dass die Partei das Denkmal damit zwar an einem weniger belebten, aber einem symbolisch wohl wichtigeren Ort baute, übersieht Leszkowicz allerdings: Mit dem Denkmal gab die Partei der Sächsischen Achse unweit des Plac Zwycięstwa ein Gepräge, das als ein Kontrapunkt zu der mittlerweile konkurrierenden religiös-oppositionellen Konnotation des nahegelegenen Plac Zwycięstwa verstanden werden konnte. Bemerkenswert waren darüber hinaus die Dimensionen dieses von Bohdan Chmielewski entworfenen Denkmals, das sechzehn Meter in der Höhe und zwanzig Meter in der Breite maß. Diese Größe gepaart mit dem teuren Material Bronze kann angesichts der desolaten Wirtschaftslage fast schon grotesk anmuten. Doch die Symbolik, die beinahe einem sozrealistischen Skizzenbuch entsprungen zu sein scheint, trug ebenfalls dazu bei. Das Denkmal gedenkt laut „Trybuna Ludu“ den „22 000 Parteifunktionären, Soldaten, Milizionären, ORMO-Angehörigen, Geheimdienstmitarbeitern, Arbeitern, Bauern und Jugendfunktionären, die in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Leben im Kampf mit dem reaktionären Untergrund gaben“.896 Doch nicht nur deswegen scheint es aus der Zeit gefallen. Zwar bezieht sich das Denkmal auf die Zeit der Machtübernahme direkt nach dem Krieg. Dennoch ist die Entscheidung, die zwei Monate nach der Verhängung des Kriegsrechts fiel, bemerkenswert und wirkt in diesem Kontext fast trotzig. Schließlich war das Kriegsrecht ja eine Maßnahme, um das Land im Angesicht gewaltiger Proteste wieder unter Kontrolle zu bekommen. Aus Sicht einiger PolitikerInnen und FunktionärInnen war es offenbar Anfang 1982 höchste Zeit, an die HeldInnen von damals zu erinnern, und damit an die Unterstützung

894 PAP: Pomnik „Poległym w slużbie i obronie władzy ludowej“ stanie przed Pałacem Lubomirskim, in: Trybuna Ludu, 04.05.1984, S. 1. 895 Tomasz Leszkowicz: Ostatnia ofensywa na froncie historycznym? Polityka pamięci historycznej Polskiej Zjednoczonej Partii Robotniczej w latach 1981–1986, in: Dzieje Najnowsze (2014), 2, S. 103–120, hier S. 111. 896 o.V.: Poległym w obronie służbie Polski, in: Stolica (1985), 45, S. 3. Bei der ORMO handelte es sich um die Freiwillige Reserve der Bürgermiliz (Ochotnicza Rezerwa Milicji Obywatelskiej).

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ihrer Machtbasis aus dem Volk. Die Initiatoren des Denkmals gehörten der sogenannten „Betonfraktion“ („partyjny beton“) an.897 Daher verbildlicht diese Machtdemonstration vor allem, was Brzostek als „verknöcherte“ Atmosphäre im Warschau der achtziger Jahre charakterisierte.898 Diese meinungsstarke Gruppe in der Partei versuchte eine Wirklichkeit zu inszenieren, die es schon lange nicht mehr gab – oder vielleicht doch? Denn den ungemein zügigen Bau des Denkmals ermöglichten viele Spenden, ohne dass dabei übermäßiger Zwang geherrscht habe, so der Historiker Marcin Kula. Er ergänzt allerdings, dass zwar viele Menschen spendeten, aber „der Bau des Denkmals der Mehrheit [. . .] höchstwahrscheinlich ganz schön egal war“.899 Dass zumindest einige TeilnehmerInnen der internen Debatte um das Denkmal allerdings doch ein Gespür für die angespannte Lage hatten, zeigen die Überlegungen von 1982, ob man dem Adler auf dem Denkmal die traditionelle Krone aufsetzen solle. Doch im Endeffekt fiel die Entscheidung für den Adler ohne Krone.900 Die Parallele zu einer sehr ähnlichen Diskussion Mitte der sechziger Jahre für das Siegesdenkmal an fast derselben Stelle ist frappierend: Der Kampf mit der traditionellen nationalen Symbolik war 1965 wie 1982 ebenso unentschieden wie heikel. Vielsagend sind in diesem Zusammenhang darüber hinaus die Spitznamen, die das Denkmal innerhalb kürzester Zeit im Volksmund bekam. So wurde es „UBelisk“, in Anspielung auf den Namen des stalinistischen Geheimdienstes UB (Urząd Bezpieczeństwa, Sicherheitsamt) getauft, sowie „Utrwalacze“ (in etwa: „Verfestiger“ der Macht). Denn während seines Baus war es „Denkmal der im Kampf um die Verfestigung der Macht der Volksrepublik Gefallenen“ genannt worden. In Anbetracht dieser Spottnamen ist es fraglich, inwiefern die Botschaft des Denkmals tatsächlich zur Popularität des Regimes beitrug oder gar dessen Macht stabilisierte. Die Effizienz, mit der dieses große Denkmal errichtet wurde, zeigt allerdings, dass es aus Sicht der Partei durchaus wichtig war. Nur so gelang es, diesen lange brachliegenden Platz zur symbolischen Selbstinszenierung zu nutzen, während sie sich im politischen Alltag „im selbstverantworteten Dickicht von halbherzigen

897 Konkret gemeint sind Funktionäre des ZBOWiD sowie das KC-Mitglied Albin Siwak. Zudem unterstützte der IX. Außergewöhnliche Zjazd der PZPR das Vorhaben. Vgl. Tomasz Urzykowski: „Krwawy Feliks“ i inni. Co się stało z pomnikami bohaterów PRL-u?, in: Gazeta Wyborcza. Magazyn Świąteczny, 13.11.2015, S. 12 f., hier S. 12. 898 Brzostek, Paryże Innej Europy, S. 379. 899 Marcin Kula: Mie̜dzy przeszłościa̜ a przyszłością. O pamie̜ci, zapominaniu i przewidywaniu. Poznań 2004, S. 93. 900 Vgl. Tomasz Leszkowicz: Wątki wojskowo-kombatanckie w polityce pamięci historycznej PZPR (1981–1985). Magisterarbeit. Warszawa 2012, S. 155.

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Wirtschaftsreformen, nationaler Rhetorik, symbolträchtigen Großprojekten (der Bau der ersten Metrolinie in Warschau [. . .]), Siegesgewissheit und gleichzeitig wachsendem Bewusstsein der eigenen Handlungsunfähigkeit verstrickte“.901 In was für einer diffizilen Situation die Partei war, zeigt ein weiteres Schlaglicht auf eine ganz anders geartete öffentliche Zusammenkunft in Warschau, die von staatlicher Seite weder organisiert noch erwünscht war: die Trauerfeier für den Priester Jerzy Popiełuszko am 3. November 1984 in und vor seiner Kirche (Kościół św. Stanisława Kostki) im Warschauer Stadtteil Żoliborz. Popiełuszko hatte von seiner Kirchengemeinde aus die Solidarność offen und tatkräftig unterstützt. Und genau dafür musste er wohl in einem Waldstück oder in einem Stausee bei Thorn sterben, durch die Hände von Staatssicherheitsagenten.902 Die Zusammenkunft der Trauergäste sprengte aufgrund der schier unvorstellbaren Masse von 350 000 anwesenden Menschen übliche Dimensionen und transportierte zwei wichtige Botschaften. Einerseits war das Ereignis für die dort Versammelten insofern wichtig, als „sich die Vorstellungen von Warschau, das in der Trauer vereint ist, und so den Hass besiegt, erneuerten“.903 Andererseits hatte diese Zusammenkunft eine eindeutige politische Aussage und zeigte die Stärke des oppositionellen Milieus, trotz des Verbots der Solidarność. Aus diesem Grund wurde nur sehr eingeschränkt darüber berichtet. So blieb zum Beispiel ausgespart, dass Wałęsa auf der Trauerfeier sprach.904 Während des Kriegsrechts und darüber hinaus stützte Jaruzelski seine Macht nicht nur praktisch, sondern auch propagandistisch auf das Militär und die mit ihm verknüpften Werte und Erfolge. Jaruzelski hatte seine Ansprache am 13. Dezember 1981, in der er das Kriegsrecht verkündete, zuerst als Soldat, dann als Regierungschef an die Bevölkerung gerichtet. Darüber hinaus versuchten er und Teile der PZPR, auf propagandistischer Ebene das Vertrauen in der Bevölkerung zu steigern, indem sie mit dem Militär verknüpfte Werte wie Disziplin, Patriotismus, Opferbereitschaft und Vaterland betonten.905 In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass das eingangs behandelte Denkmal eine in Bronze gegossene Manifestation dieser Politik war. Dass sich Jaruzelski dabei überhaupt Chancen ausrechnen konnte, lag vor allem an dem großen Vertrauen, das die polnische Bevölkerung der Armee traditionell entgegenbrachte.906 Der Denkmalbau war

901 Borodziej, Geschichte Polens, S. 374. 902 Vgl. Ewa K. Czaczkowska/Tomasz Wiścicki: Ksiądz Jerzy Popiełuszko. Warszawa 2008. 903 Brzostek, Paryże Innej Europy, S. 375. 904 Głowiński, Mowa w stanie, S. 251. 905 Leszkowicz, Ostatnia ofensywa, S. 112. 906 Vgl. Leszkowicz, Wątki wojskowo-kombatanckie, S. 164; Zaremba, Im nationalen Gewande, S. 121.

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überdies ein Element im Kampf um die Interpretation historischer Ereignisse, also auch militärischer Erfolge und Misserfolge. Doch damit bewegten sich die ParteistrategInnen auf unsicherem Terrain. Denn der mit dem Denkmal betonte Sieg über den „reaktionären Untergrund“ berührte implizit die Frage, wessen Sieg das eigentlich war. Solchen Themen widmeten sich mittlerweile nicht mehr nur akademische PublizistInnen der Opposition. Das „Anliegen der ‚Entlügung‘ der Geschichte“ war nach 16 Monaten freier Publikationstätigkeit während der Solidarność zu einem „Massenphänomen“ geworden, was zunehmend dazu führte, dass „neben kritischen, reflexiven Gegenentwürfen zu den simplen Schemata der staatssozialistischen Geschichtsdeutung [. . .] vermehrt auch holzschnittartige [. . .] Narrative ihren Platz in der alternativen Geschichtskultur fanden“.907 Aufgrund dieses Diskurses und des „polnisch-jaruzelskischen Krieg“ („wojna polsko-jaruzelska“), wie der Historiker Paczkowski das Kriegsrecht aus Sicht der Opposition charakterisierte, war die antifaschistische Meistererzählung von der polnisch-sowjetischen Waffenbruderschaft nicht mehr plausibel – und das Denkmal also umso mehr ein Hinweis auf die „verknöcherten“ Strukturen und Denkweisen meinungsmachender PolitikerInnen. Der dahinterstehende allgemeine Verfall des Meinungsmonopols und der Glaubwürdigkeit der Partei soll im Folgenden einmal mehr am Beispiel des Plac Zwycięstwa plastisch werden – dem Platz, den die Machthabenden qua Namensgebung, vor allem aber aufgrund der rituellen repräsentativen Nutzung zu Staatsfeiern und Jahrestagen zu einem Mittelpunkt ihrer Legitimationspolitik gemacht hatten. Gemäß des zentralen Narrativs des mit der Sowjetunion gemeinsam errungenen Sieges war das Grab des Unbekannten Soldaten am 9. Mai 1946 eingeweiht worden. Dieser Tag wurde gleichermaßen wie der Platz mit dem Signum des Sieges versehen – und der Plac Zwycięstwa wurde damit zum offiziellen Repräsentationsraum des Regimes. Das war mit einer festlichen Parade geschehen, bei der die Soldaten der Kościuczko-Division die wichtigsten waren. Diese Einheit der Polnischen Volksarmee, in der Sowjetunion aufgestellt und von Zygmunt Berling angeführt, wurde in der Geschichtspolitik der Volksrepublik heldenhaft verehrt, insbesondere ihr erster Sieg an der Seite der Roten Armee in der Schlacht bei Lenino. Doch nun stellte ein oppositioneller Publizist, Wiktor Kulerski, mittels der Erinnerungen eines Veteranen dieser Division bisherige Gewissheiten infrage: So sei zum Beispiel der Sieg von Lenino zwar ein Sieg, aber kein Sieg „für uns“ gewesen.908

907 Peters, Revolution der Erinnerung, S. 201. Auch der Hinweis auf den Begriff Paczkowskis ist dieser Seite entnommen. 908 Ebd., S. 209.

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Solche alternativen, öffentlich kundgetanen Deutungen schmälerten die Legitimation der offiziellen historischen Interpretationen zunehmend und unterhöhlten damit implizit die offizielle Gedenkroutine am Plac Zwycięstwa. Expliziter waren die von der Krakauer Solidarność 1985 herausgegebenen Untergrundbriefmarken, die an den sechzigsten Jahrestag der feierlichen Überführung der sterblichen Überreste eines unbekannten polnischen Soldaten aus Lemberg in das damals neugebaute Grab des Unbekannten Soldaten am 2. November 1925 erinnerten. Auch damals waren die versammelten Würdenträger sowie einfache WarschauerInnen nach einem Gottesdienst in der Kathedrale mit einem Fahnenumzug zum Grab gezogen.909 Diese Gedenkmarken wurden im Untergrund produziert und dienten nicht nur dessen finanzieller Unterstützung. Sie waren als „Bestandteil des unabhängigen Diskurses“ auch ein Mittel, um „das staatliche Informationsmonopol zu brechen“.910

Abb. 5.8: Eine 1985 von der Krakauer Solidarność herausgegebene Untergrundbriefmarke anlässlich des 60. Jahrestages der Einweihung des Grabes des Unbekannten Soldaten.

909 Vgl. die Beschreibung der Feierlichkeiten im Rahmen eines Staatsaktes bei Borodziej, Geschichte Polens, S. 155. 910 Silke Plate: Geschichte auf Kleinstformat. Visualisierungen der Zweiten Republik auf den Untergrundbriefmarken der polnischen Opposition in den 1980er Jahren, in: Peter Hallama/ Stephan Stach (Hg.), Gegengeschichte. Zweiter Weltkrieg und Holocaust im ostmitteleuropäischen Dissens. Leipzig 2015, S. 29–56, hier S. 30.

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Insofern, als eines der wichtigsten historischen Themen die „Visualisierung der Zweiten Republik“ war, verwundert die Wahl des Grabes des Unbekannten Soldatens als Motiv wenig. Doch interessanterweise zeigen die Marken nicht das historische, 1925 eingeweihte Denkmal, sondern das erhaltene, nach dem Krieg renovierte Fragment aus der Nachkriegszeit. Damit stellten die Marken einen deutlichen Bezug zwischen der Gegenwart und dem Zeitpunkt der Einweihung des Grabes her, den das offizielle Narrativ hingegen aussparte. Mehr noch: Die Marken wiesen darüber hinaus auf Kämpfe um Lemberg hin, die auf den aktuellen Tafeln des Grabes des Unbekannten Soldaten nicht aufgeführt waren. Das war aus Regimesicht nachvollziehbar: Diese Kämpfe aus den Jahren 1918 bis 1921 waren zunächst Teil des polnisch-ukrainischen, später des polnisch-sowjetischen Krieges. Sie offenbarten also nicht nur eine kriegerische Vergangenheit der aktuellen „Bruderstaaten“. Sondern sie zeugten gar von einer Niederlage der Sowjetunion911 und dem Sieg der Reizfigur Józef Piłsudski, der die polnischen Truppen damals anführte – und nach dem der Platz mit dem Grab des Unbekannten Soldaten seit 1929 benannt gewesen war. Diese Auseinandersetzung um die legitime Auslegung und Repräsentation von nationalen Traditionen hatte am Plac Zwycięstwa noch eine weitere Facette. So bemühte der Warschauer Bürgermeister Mieczysław Dębicki, selbst ranghoher Militär, in den achtziger Jahren den Begriff der Tradition, um für den Neubau des Museums der Polnischen Armee (Muzeum Wojska Polskiego) am Plac Zwycięstwa zu werben. Er gehörte zu den glühenden Verfechtern der Idee, mit Blick auf die „historische Tradition und den Charakter dieses Ortes“ auf der Westseite des Platzes beim Grab des Unbekannten Soldaten ein solches Museum zu bauen. Damit hätte nicht nur das Museum einen neuen Standort erhalten, den es im Prinzip seit seiner Gründung 1919 brauchte, weil seine Räumlichkeiten im Nationalmuseum (Muzeum Narodowe) zu klein waren. Sondern darüber hinaus wären zweierlei Ziele erreicht worden: Der Standort am Plac Zwycięstwa hätte das Prestige des Museums sicherlich aufgewertet. Andererseits hätte das Museum das militärische und staatstragende Profil des Platzes geschärft. Ein solcher Neubau hätte nicht nur den Machtanspruch buchstäblich zementiert, sondern die Macht, über solch wichtige Setzungen in diesem zentralen städtischen Raum zu bestimmen, zum Ausdruck gebracht. Diese Aspekte scheint das Verteidigungsministerium erstmals Mitte der siebziger Jahre erkannt zu haben, und obwohl viele andere Varianten im Gespräch waren und das schwere militärische Gerät und die Fahrzeuge am Plac

911 Zum Zeitpunkt des Friedensschlusses von Riga im März 1921 hieß der Staat noch „Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik“. Die Sowjetunion wurde erst im Dezember 1922 gegründet.

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Zwycięstwa gar nicht hätten untergebracht werden können, blieb dieser Vorschlag populär. Im Kriegsrecht bekam die Idee eines Museumsneubaus erneut Aktualität, insbesondere aufgrund des Machtzuwachses der Armee.912 Diese befürwortete allerdings einen Neubau in der Nähe des Nationalmuseums an der Ul. Książęca, den wiederum der Bürgermeister Dębicki 1984 blockierte. Nachdem die Planungen damit zunächst komplett ins Stocken geraten waren, kehrten das Verteidigungs- und das Kulturministerium 1985 schließlich zu der Variante eines Museums am Plac Zwycięstwa zurück. Sie favorisierten nun die Unterbringung des Museums am Plac Zwycięstwa, diesmal in rekonstruierten Gebäuden des Sächsischen und des Brühlschen Palais. Diese Pläne waren allerdings „losgelöst von der wirtschaftlichen Situation des Landes“,913 was sich daran zeigte, dass das Verteidigungsministerium in seinem Investitionsplan für 1985 noch nicht einmal die Erstellung von architektonischen Plänen, geschweige denn von Neubauten vorsah. Doch die Diskussion spiegelt die Intention und das Bedürfnis der Verantwortlichen wider, den Fokus des Plac Zwycięstwa auf dessen militärische Bedeutung und Traditionen zu verengen, und zwar in der offiziellen Lesart. Zudem ist diese Diskussion relevant, da hier erstmals seit Kriegsende der Gedanke des Wiederaufbaus der historischen Paläste Eingang in die Diskussion über den Plac Zwycięstwa fand. Die Idee, das Sächsische Palais zu rekonstruieren, fand zudem in einem anderen Kontext Erwähnung. So hatte der Warschauer PZPR-Politiker Gałecki 1984 den allerdings recht unkonkreten Vorschlag ins Spiel gebracht, das Museum des Warschauer Aufstands im rekonstruierten Sächsischen Palais unterzubringen.914 Aus heutiger Perspektive mag man sich fragen, was davon damals wahrscheinlicher war: die Rekonstruktion des Sächsischen Palais oder die Eröffnung eines Museums des Warschauer Aufstands. Erstere ist bis heute nicht realisiert, letztere 2004 schließlich erfolgt. Laut der Zeitung „Stolica“ bestanden allerdings 1985 schon seit langem keine Zweifel mehr, dass das Museum des Warschauer Aufstandes 1989 eröffnet werde.915 In Anbetracht des bereits erläuterten zentralen Anliegens der Opposition, die Geschichte zu „entlügen“, wird verständlich, wie groß der öffentliche Druck insbesondere in Bezug auf den Warschauer Aufstand geworden war. Erstmals seit 1956 musste das Regime wieder Zugeständnisse

912 Witold Głębowicz: Ad felicitiora tempora? 90 lat działalności Muzeum Wojska Polskiego, in: Muzealnictwo Wojskowe (2013), S. 6–39, hier S. 25. 913 Ebd., S. 28. 914 Iza Klemińska: Muzeum Powstania: dzieje, plany i zbiory, in: Muzeum Woli (Hg.), Powstanie Warszawskie widziane po latach. Sesja naukowa. Warszawa 1990, S. 104–111, hier S. 107. 915 FGJ: Będzie Muzeum Powstania Warszawskiego, in: Stolica (1985), 19, S. 16.

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machen, nicht nur in Bezug auf ein Museum, sondern auch auf ein Denkmal.916 Mit der Gründung des Gesellschaftlichen Komitees zur Organisation des Museums des Warschauer Aufstands (Społeczny Komitet Organizacyjny Muzeum Powstania Warszawskiego) im Juli 1981 wurde der Museumsplan erstmals institutionalisiert. Eine der Aufgaben des Komitees war es, die Kollektion des Museums aufzubauen. Fast zeitgleich war ebenfalls der zukünftige Standort des Museums festgelegt worden: das als Ruine erhaltene letzte Gebäude des Komplexes der ehemaligen Bank Polski an der Ul. Bielańska 10, in unmittelbarer Nähe zum Plac Teatralny und dem dortigen Nike-Denkmal. So fand die erste große Sammelaktion von „Erinnerungsstücken an den Aufstand“ („Pamiątki z Powstania“) im Sommer 1981 ebenfalls in der Ruine statt. Dass dieses Gebäude, die beharrlichste Kriegsruine des Zentrums, vom Kulturminister am 1. August 1981 in das Denkmalregister aufgenommen wurde, lag weniger am architektonischen Wert des zwischen 1907 und 1911 im Stile der Neorenaissance errichteten Gebäudes, sondern an dessen Bedeutung während des Warschauer Aufstandes.917 Damals war das Gebäude eine wichtige Schanze der Aufständischen gewesen, woran unter anderem unzählige Einschusslöcher noch immer erinnerten. Seit Einführung des Kriegsrechts hing über dem Komitee allerdings das Damoklesschwert der Auflösung. Andere AkteurInnen wollten den Prozess mitsteuern oder gar übernehmen, wie beispielsweise der Chefarchitekt, der 1982 plötzlich den allseits befürworteten Standort an der Ul. Bielańska infrage stellte und eine Kombination mit dem geplanten Denkmal am Plac Krasińskich vorschlug.918 Als das Komitee nicht in den staatlich dominierten Veteranenverband (Związek Bojowników o Wolność i Demokrację, ZBOWiD) eintreten wollte, wurde es tatsächlich aufgelöst.919 So wurde im Februar 1983 zwar das Museum und das Archiv des Warschauer Aufstandes als Teil des Warschauer Historischen Museums gegründet, allerdings mit lediglich drei MitarbeiterInnen.920 Inmitten dieser organisatorischen Turbulenzen eröffnete dennoch die Ausstellung Warschau kämpft – 63 Tage Warschauer Aufstand (Warszawa Walczy – 63 dni Powstania Warszawskiego), die vom 1. August bis zum 2. Oktober 1982 in der ehemaligen

916 Vgl.: Sawicki, Bitwa; Peters, Revolution der Erinnerung, insbesondere das Kapitel „Der Wettlauf um die Aneignung von Widerstandstradition und Warschauer Aufstand“. 917 Vgl. die Inventarisierung von 1981: AMWKZ, T.2446 B, Inwentaryzacja fotometryczna, 1981. 918 Klemińska, Muzeum Powstania, in: Muzeum Woli (Hg.), Powstanie Warszawskie, S. 105. 919 Piotr Legutko: Jedyne takie muzeum. Odzyskana pamięć o Powstaniu Warszawskim. Kraków 2014, S. 32. 920 Vgl. Klemińska, Muzeum Powstania, in: Muzeum Woli (Hg.), Powstanie Warszawskie, S. 106; Legutko, Jedyne takie muzeum, S. 33.

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Warschauer Norblin-Fabrik und danach in anderen Städten gezeigt wurde. Sie zog insgesamt zwei Millionen BesucherInnen an.921 1985 kam erneut Bewegung in die Sache des Museums und seines zukünftigen Sitzes, weil der SARP im Auftrag des Direktors des städtischen Historischen Museums, Janusz Durko, einen Architekturwettbewerb für die Umsetzung des Museums an der Ul. Bielańska in der Bank Polski ausschrieb.922 Die Jury unter der Leitung des Architekten Henryk Drzewiecki gab den Gewinnerentwurf von Konrad Kucza-Kuczyński, Andrzej Miklaszewski und Adam Z. Pawłowski zur Realisierung frei, und die Architekten überarbeiteten ihren Entwurf im Anschluss mehrfach. Der Historiker Piotr Legutko meint jedoch, dieser Wettbewerb sei lediglich eine Farce gewesen, die nur dazu gedient habe, zu signalisieren, dass es vorangehe, während keine ehrlichen Absichten zur Umsetzung der Wettbewerbsergebnisse dahintergestanden hätten.923 Folgt man der Darstellung der damals involvierten Iza Klemińska, waren

Abb. 5.9: Gewinnerentwurf von Konrad Kucza-Kuczyński, Andrzej Miklaszewski und Adam Z. Pawłowski im Architekturwettbewerb für das Museum des Warschauer Aufstandes auf dem Areal der Bank Polski, 1985.

921 Leszkowicz, Wątki wojskowo-kombatanckie, S. 91. 922 Konkurs SARP Nr 672 na architektoniczny projekt koncepcyjny adaptacji ruiny Banku Polskiego na Ul. Bielańskiej 10 w Warszawie na Muzeum Powstania Warszawskiego (1985). 923 Legutko, Jedyne takie muzeum, S. 33.

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die Arbeitsbedingungen für die Architekten tatsächlich sehr schlecht: Sie hatten nicht einmal uneingeschränkten Zugang zu den von der Firma Polkolor genutzten Kellerräumen. Diese Firma ignorierte darüber hinaus den Auszugstermin, auf folgende Weise: „Polkolor, die in den Lagerräumen auf der Ul. Bielańska für die Armee produzierte und daher auf ihre Unantastbarkeit vertraute, beliebte nicht auf die verschiedenen Mahnbriefe zu antworten.“924 Die Firma blieb stur und niemand mit ausreichend Macht stellte sich dieser Eigenmächtigkeit in den Weg, um dem Wettbewerbsentwurf zu seiner Realisierung zu verhelfen. Das Denkmal des Warschauer Aufstands, dessen Grundstein am 1. August 1984 gelegt worden war, wurde genau fünf Jahre später trotz verschiedener Schwierigkeiten tatsächlich eingeweiht. Das geschah bereits unter anderen politischen Vorzeichen, nämlich nach den ersten freien Parlamentswahlen vom 4. Juni 1989. Doch die Bank Polski blieb die trotzigste Kriegsruine des Zentrums, ohne dass je das Museum des Warschauer Aufstands darin eingerichtet wurde. Im Zeitalter des freien Handelns mit Immobilien und Grundstücken nach 1989 verkomplizierten zusätzlich die uneindeutigen Eigentumsverhältnisse des Grundstücks die Lage: Das Gelände gehörte der Stadt sowie der Wojewodschaft Masowien. Der Wojewode verkaufte das Grundstück schließlich 1993 ohne die Zustimmung der Denkmalschutzbehörde an die Firma Polkolor, die den Komplex genau ein Jahr später mit großem Gewinn an eine Firma mit dem klangvollen Namen „Schanze“ (Reduta) weiterverkaufte. Dieser Name war allerdings alles andere als Programm, denn die neuen EigentümerInnen unter der Leitung von Antoni Feldon stellten sich bei der Umwandlung des Komplexes in ein Museum des Warschauer Aufstands auf verschiedene Weisen quer, trotz mehrfacher gegenteiliger Versicherungen. Die Gewerkschaftszeitung „Tygodnik Solidarności“ analysierte die Nicht-Entstehungsgeschichte des Museums in der Bank Polski deshalb treffend unter dem Titel „Schanze der Schlitzohren“.925 Dieser Nachtrag zur Geschichte des Museums des Warschauer Aufstands aus der Zeit nach 1989 ist wichtig. Denn sie zeigt, dass die Umwandlung der Bank Polski in ein Museum eine so komplexe Aufgabe war, dass diese selbst der in dieser Frage sehr determinierte Bürgermeister von Warschau Lech Kaczyński für aussichtlos hielt.926 Stattdessen eröffnete das Museum in dem

924 Klemińska, Muzeum Powstania, in: Muzeum Woli (Hg.), Powstanie Warszawskie, S. 109. 925 Genauer nachzulesen bei Legutko, Jedyne takie muzeum, S. 35–41; Teresa Kuczyńska: Reduta Cwaniaków, in: Tygodnik Solidarność (2002), 31, S. 8 f. 926 Schon 1999 war geplant, neben dem Museum in dem Komplex wieder ein Bankgebäude unterzubringen. Letztendlich eröffnete dort 2014 lediglich ein Geschäftshaus. Vgl. AMWKZ, T./ War.3963, Muzeum Powstania Warszawskiego, 1999.

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ehemaligen Straßenbahnkraftwerk an der Ul. Targowa zum sechzigsten Jahrestag des Aufstandes am 1. August 2004. Borodziejs Aussage, der Umgang mit dem Warschauer Aufstand sei ein Gradmesser für den Zustand der polnischen Gesellschaft, ist demzufolge auf die Zeit vor und nach 1989 anzuwenden. Auch um die Jahrtausendwende, als die öffentlichen Kassen alles andere als gut gefüllt waren, war ebenso ein Kraftakt mit der entsprechenden politischen Unterstützung nötig, um das Museum schließlich zu eröffnen. Ohne Zweifel hätte energischer politischer Wille auch in den achtziger Jahren geholfen. Denn dass sich Geld für Projekte, hinter denen genug politischer Wille steckte, finden ließ, davon zeugt das Denkmal der gefallenen Verteidiger Volkspolens mit seiner sehr erfolgreichen Sammelaktion. Insofern ist es nicht von der Hand zu weisen, dass das Museumsprojekt, trotz des Wettbewerbs von 1985, sicherlich keine hohe Priorität innerhalb der Partei genoss. Denn auch wenn sich offizielle und oppositionelle Interpretationen des Warschauer Aufstandes nicht in jeder Hinsicht diametral entgegenstanden – beispielsweise in Bezug auf die Aufständischen, Kombattanten und das Kampfgeschehen –, so ging es doch darum, welche Deutung die „eigentliche Kontinuität der Nation“ beanspruchen konnte.927 Zudem ist es zumindest wahrscheinlich, dass das von der Opposition geforderte Museumsprojekt auch deshalb von der Partei nicht vorangetrieben wurde, weil dem historischen Bauwerk der Bank Polski eine starke Symbolik innewohnte, die die inoffizielle Interpretation des Aufstands gestärkt hätte. Es war schließlich wegen seiner wichtigen Rolle im Warschauer Aufstand als Baudenkmal geschützt worden. Das Museum hätte so nicht nur in direkter Nähe zum Nike-Denkmal am Plac Teatralny, sondern auch in direkter Konkurrenz mit ihm gestanden. Dieses ehrt als Denkmal der Helden Warschaus alle Opfer und KämpferInnen, nicht nur die des Warschauer Aufstandes. Es war 1964 von der Staatsmacht als Kompromisslösung eingeweiht worden, nachdem im „Tauwetter“ von 1956/57 Forderungen nach einem Denkmal des Warschauer Aufstands laut geworden waren.928 Über Jahrzehnte war das Nike-Denkmal der Ort, an dem Staatsgäste ihre Kränze niederlegten und staatliche Gedenkfeiern an den Zweiten Weltkrieg stattfanden, während die historische Ruine, kaum

927 Florian Peters: „Das große Abenteuer ihres Lebens“. Geschichtsbilder und Symbolik der Armia Krajowa und des Warschauer Aufstands im polnischen „Zweiten Umlauf“ (1980–1989). Arbeitspapiere und Materialien. Bremen 2009, S. 51. 928 Nachzulesen im Kapitel „Der Warschauer Aufstand und die Warschauer Nike“ am Plac Teatralny.

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einen Steinwurf entfernt, die ganze Zeit über ein weiteres inoffizielles Narrativ aufrechterhielt. Dieses Narrativ mit der Einrichtung eines Museums zu institutionalisieren, war sicherlich kein Ziel, dass die kommunistische Regierung mit großer Entschlossenheit verfolgte. So war zunächst in den Wettbewerbsbedingungen von 1985 noch festgehalten worden, dass der Konzeptionsentwurf „den Erhalt und die angemessene Präsentation der bestehenden Fragmente der Bank Polski“ garantieren sowie die „emotionale Botschaft dieses historischen Orts“ widerspiegeln müsse. Doch genau in diesem Punkt ruderte die Jury unter der Leitung von Henryk Drzewiecki nach dem Wettbewerb in ihren Schlussfolgerungen interessanterweise zurück: Sie hielt es für unangemessen und unnötig, die Symbolik und Metaphorik des Ortes mit seinen „für Warschau charakteristischen und aussagekräftigen Mauern“ zu übertreiben – was immer das genau heißen mag.929 Und so blieb, um mit den Worten der Jury von 1985 zu sprechen, „die dramatische Lücke“ in diesem „zerfallenen städtischen Raum“ bestehen.930 Dass diese Lücke bis 2012 bestand, ist eine wichtige Ergänzung. Denn erst in diesem Jahr baute eine belgische Firma hier das Bürogebäude „Senator“, in Anlehnung an den historischen Grundriss der in den Sechzigern abgerissenen Haupthalle der Bank. Bis heute hat der benachtbarte historische Überrest selbst allerdings keine dauerhafte neue Funktion gefunden. Keines der beiden in den achtziger Jahren geplanten Museen wurde schließlich umgesetzt: weder das Museum der Polnischen Armee als höchst offizielles, geradezu staatstragendes Projekt, noch das infolge öffentlichen Drucks initiierte Museum des Warschauer Aufstands. Die dafür vorgesehenen historisch bedeutsamen Orte mit ihren bisher ungenutzten Flächen blieben unverändert in ihrem unbebauten oder ruinösen Zustand. Doch das überrascht wenig, insbesondere angesichts der allgemeinen finanziellen und organisatorischen Engpässe, die selbst ein solch wichtiges pragmatisches Prestigeprojekt wie die Metro nur im Schneckentempo entstehen ließ. Doch es soll hier festgehalten werden, dass es diese Diskussionen gab und dass die historischen Konnotationen der jeweils geplanten Standorte die Diskussion beeinflussten. Das Museum des Warschauer Aufstandes und das Museum der Polnischen Armee im Zusammenspiel mit der mittlerweile öffentlich infrage gestellten offiziellen Nutzung des Grabes des Unbekannten Soldaten sind Ausdruck dessen, wie stark das Meinungsmonopol der Partei mittlerweile ins Wanken gekommen war. Nun ist es die Frage, ob all diese

929 ASARP, 3/5530, Wettbewerbsbedingungen des Wettbewerbs Nr. 672 für das Museum des Warschauer Aufstands, 1985. 930 Vgl. ASARP, 3/5530, Juryempfehlungen nach dem Wettbewerb Nr. 672 für das Museum des Warschauer Aufstands, 1986.

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Abb. 5.10: Überreste eines Teils der Bank Polski an der Ul. Bielańska in den neunziger Jahren.

Zugeständnisse eher ein Zeichen der Schwäche oder der Stärke des Regimes waren. Schließlich zeigte sich die Partei zumindest im Falle des Museums des Warschauer Aufstandes zu Kompromissen in Richtung der Forderungen der Opposition bereit – allerdings nur teilweise. Diese lavierende Haltung verursachte oft genug lähmende Widersprüche, und verstärkte das Glaubwürdigkeitsproblem der Partei als Vertreterin nationaler Interessen, was am Grab des Unbekannten Soldaten deutlich wurde: Seit eine konkurrierende Autorität – der Papst – der Auseinandersetzung über den Stellenwert und die Interpretation der Schlüsselthemen Nation, Geschichte und Religion eine neue Richtung gegeben hatte, griff die von den KommunistInnen betriebene Teiladaption nationaler Traditionen immer weniger. Ihr Narrativ, das vor allem auf dem Sieg über den deutschen Faschismus an der Seite der sowjetischen Waffenbrüder beruhte, führte im Gegenteil immer wieder die ausgesparten Teile vor Augen. Das war am Plac Zwycięstwa umso schwerwiegender, als sich hier die offizielle und die alternative Deutung an einem konkreten Ort bündelten – und entzündeten. Dass Reformen der einzig richtige Weg aus der Legitimationskrise waren, davon war der neue Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, überzeugt. Mit seiner seit 1985 betriebenen Politik von „Glasnost“ und „Perestroika“ versuchte

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5 Prestigeprojekte und Opposition

er die Sowjetunion zu reformieren und dadurch zu stabilisieren. Dass er sich mit Jaruzelski bestens verstand, wurde nicht nur bei seinem Besuch in Warschau im Sommer 1988 deutlich. Doch gegen den Widerstand des Parteiapparats und der Nomenklatura ließen sich in keinem der beiden Staaten tiefgreifende Reformen durchführen. Erst in Anbetracht erneuter Streiks schlug der Innenminister Czesław Kiszczak im Sommer 1988 Gespräche mit der Opposition vor. Erstmals fand die Idee eines „Runden Tisches“ Erwähnung, dessen Gespräche zwischen VertreterInnen der Opposition und des Staates schließlich ab dem 6. Februar 1989 stattfanden.931 Wie sehr damit eine neue Ära begonnen hatte, wurde am Grab des Unbekannten Soldaten deutlich, als am 18. April 1989 um elf Uhr vor den Augen der in großer Zahl Versammelten ein offener Wagen vorfuhr: mit einer Urne mit sterblichen Überresten aus einem Massengrab in Katyń.932 49 Jahre nach den Massenerschießungen des sowjetischen Geheimdienstes NKWD in Katyń und an anderen Orten, denen 1940 22 000 polnische Armeeangehörige zum Opfer gefallen waren, wurde dem Grab des Unbekannten Soldaten diese Urne beigefügt. Im Kampf um die rapide erodierende Gunst der Bevölkerung war das zwar ein logischer, aber doch ein gewaltiger Schritt, bedenkt man, dass Katyń bisher das historische Tabuthema der Volksrepublik schlechthin gewesen war.933 Doch retten konnte die PZPR ihre Macht damit nicht: Bei den vorgezogenen Neuwahlen am 4. Juni 1989 gewann die Solidarność als Bürgerkomitee (Komitet Obywatelski) fast alle möglichen Sitze.934 Was für die PZPR eine Katastrophe bedeutete, hieß für das gesamte Land, dass eine neue Ära angebrochen war.

931 Borodziej, Geschichte Polens, S. 378. 932 Hübner-Wojciechowska, Grób Nieznanego, S. 107 f. 933 Vgl. Zaremba, Zimno, ciepło, in: Friszke/Persak/Sowiński (Hg.), Solidarność od wewna̜trz, S. 27 f. Vgl. auch das Kapitel „Katyń – Der Stachel im Fleisch der Volksrepublik“ in Peters, Revolution der Erinnerung, S. 212–274. Vgl. außerdem Andrzej Paczkowski: Przeszłość jako obszar starcia o legitymizację. Manewry obronne PZPR w okresie finalnego kryzysu systemu, in: Irena Pańków (Hg.), Meandry legitymizacji. Studia i analizy. Warszawa 2011, S. 21–34, hier S. 24; Claudia Weber: Krieg der Täter. Die Massenerschießungen von Katyń. Hamburg 2015, insbesondere das Kapitel „Getrennte Geschichte – Katyń im Kalten Krieg“, S. 410 ff. sowie Krzysztof Ruchniewicz: Das polnische Kriegstrauma Katyń. Zwischen Instrumentalisierung durch die Kommunisten und Heroisierung der nationalen Opfer durch Polen, in: Kerstin von Lingen (Hg.), Kriegserfahrung und nationale Identität in Europa nach 1945. Erinnerung, Säuberungsprozesse und nationales Gedächtnis. Paderborn 2009, S. 314–331. 934 Borodziej, Geschichte Polens, S. 381.

5.3 Zusammenfassung: Vom offiziellen zum öffentlichen Raum

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5.3 Zusammenfassung: Vom offiziellen zum öffentlichen Raum Rückblickend betrachtet ist das 1985 eingeweihte Denkmal der gefallenen Verteidiger der Volksrepublik auf der Sächsischen Achse unweit des Plac Zwycięstwa an Symbolik für die Hybris der Machthabenden kaum zu überbieten. Bereits 1991 wurde es, freilich gegen den Widerstand des Komitees zu seiner Errichtung, vom Straßenbauamt abgebaut. In riesige Einzelteile zerlegt wurde es schließlich in das Museum der Volkrepublik (Muzeum PRL-u) in Ruda Śląska gebracht, wo es sich bis heute befindet. Binnen nur fünf Jahren hatte sich die symbolische Botschaft ins Gegenteil verkehrt: Keiner war mehr bereit, sich für die Verteidigung der Volksrepublik zu opfern – was zum Zeitpunkt seines Baus natürlich keiner in dieser Form ahnen konnte. Während das Denkmal also auf gewisse Weise die hier behandelte Epoche sinnbildlich beschließt, so kann die Rekonstruktion des Warschauer Schlosses den Beginn der hier behandelten Periode charakterisieren. Das Schloss war das herausragende Bauprojekt, mit dem der 1970 angetretene Erste Sekretär Edward Gierek sogleich seine Macht zu stützen versuchte. Führt man sich vor Augen, wie sehr die PZPR mit der Gewalt gegen Proteste von ArbeiterInnen in Danzig 1970 ihre Autorität untergraben hatte, so verwundert diese Entscheidung für ein Schloss, dem aus der Perspektive einer kommunistischen Partei durchaus eine ambivalente Symbolik innewohnte, weniger. Denn die PZPR versuchte nun mit diesem symbolisch höchst bedeutsamen Bauwerk, ihre Herrschaft zu legitimieren und zu popularisieren. Dieser Schritt sollte zweifellos die Stärke sowie das historische Nationalbewusstsein der Partei unter Beweis stellen. Doch der Alltag der Menschen veränderte sich erst mit den gewaltigen Investitionen, die unter Gierek beschlossen wurden. In diesem Lichte erscheinen das symbolpolitische Prestigeprojekt Schloss und die damit verbundene nationale Rhetorik zwar definitiv nicht bedeutungslos, aber doch eher als eine propagandistische Unterfütterung dieser wirtschafts- und sozialpolitischen Schritte. Die Phase der Modernisierung der Gesellschaft und des wirtschaftlichen Aufschwungs fand in doppelter Hinsicht Ausdruck in dem prägenden Neubau des Plac Zwycięstwa, dem zwischen 1974 und 1976 entstandenen Hotel Victoria. Einerseits konnte die Partei mit diesem modernen und aufgrund seiner luxuriösen Ausstattung bald legendären Baus ihre Effizienz beweisen. Schließlich war dies seit Kriegsende der erste Neubau am Plac Zwycięstwa, der nicht nur geplant, sondern auch realisiert wurde. Andererseits war der Luxus nur für diejenigen zugänglich, die in harter Währung bezahlten, und die unzähligen ausländischen Kredite, von denen einer dieses Hotel finanzierte, wuchsen der Regierung bald in Form von Schulden über den Kopf. Der auf Pump finanzierte Aufschwung fiel in sich

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zusammen, erneute Proteste gegen angekündigte Lebensmittelpreiserhöhungen folgten 1976 – also just im Moment der Eröffnung des Hotels. Allerdings war das Regime nicht nur von der Auseinandersetzung mit den Protestierenden, sondern auch durch die sich zeitgleich formierenden ersten oppositionellen Gruppen und deren Protestmaßnahmen geschwächt, die zunehmend mutiger und zugleich öffentlicher wurden. Solche denkwürdigen öffentlichen Maßnahmen, zunächst recht zaghaft in Form von Blumenniederlegungen, fanden seit Beginn der siebziger Jahre immer wieder an national bedeutsamen Daten statt: im August 1970, um der Schlacht um Warschau 1920 zu gedenken, seit dem 31. Juli 1974 jährlich, um dem polnischen Untergrund und dem Warschauer Aufstand zu gedenken, und am 11. November 1978, um den sechzigsten Jahrestag der Wiedererlangung der polnischen Staatlichkeit zu würdigen. Damit war die bisherige rituelle Routine an diesem Platz gestört, und zwar aus Staatssicht auf empfindliche Weise. Denn der Platz war seit Kriegsende der erste Ort für staatliche Zeremonien verschiedener Art, und bis dato der wichtigste, um des Sieges im Zweiten Weltkrieg zu gedenken. Aus heutiger Sicht war dies der bescheidene, aber doch richtungsweisende Auftakt zu einer Entwicklung, die mit dem Besuch des frischgewählten Papst Johannes Paul II. in Polen und seiner Messe am 2. Juni 1979 auf diesem Platz einen folgenreichen Höhepunkt erlangte: der unerwarteten Belebung, ja Inbesitznahme des Plac Zwycięstwa durch die Öffentlichkeit. Vor den Augen fast der gesamten Nation, die diese Messe am Fernseher verfolgte, eignete sich nicht nur der Papst den Platz an, sondern gleichzeitig die hunderttausenden Anwesenden, die dort freiwillig zusammenkamen. Schon allein deswegen waren sie ein elementarer Bestandteil des Wandlungsprozesses, den der Papst mit den Schlussworten seiner Predigt, das Antlitz dieser Erde solle sich – mit Gottes Hilfe – verändern, auf eine bemerkenswerte Formel gebracht hatte. In den folgenden Jahren, während der Solidarność und des Kriegsrechts, wurde der Plac Zwycięstwa zu einem zentralen Ort oppositioneller Manifestationen. Während zunächst vor allem konservative oppositionelle Gruppen das Grab des Unbekannten Soldaten und dessen bisher vom Staat ignorierte Verbindung zur Zweiten Republik in den Mittelpunkt stellten, so belebten zunehmend verschiedene AkteurInnen den gesamten Platz. Während des Kriegsrechts entwickelte sich ein weiterer Versammlungspunkt: An der Stelle des Messealtars, über dem ein 15 Meter hohes Kreuz gethront hatte, legten BürgerInnen kontinuierlich ein Kreuz aus Blumen. Nachdem die Miliz die Blumenkreuze ebenso ausdauernd wie erfolglos beseitigte, da sie immer wieder neu entstanden, sperrten die Verantwortlichen schließlich den Platz. Bis heute zeugt die Straßenführung des Platzes von dieser Maßnahme, da in der Folge dieser Auseinandersetzung die Straße in die unmittelbare Nähe des ehemaligen Kreuzstandortes verlegt wurde.

5.3 Zusammenfassung: Vom offiziellen zum öffentlichen Raum

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Das historische Zentrum – womit hier die Altstadt sowie der Plac Zwycięstwa gemeint sind – belebte sich Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre erheblich. Brzostek weist zurecht darauf hin, dass Oppositionelle die Altstadt während des Kriegsrechts bevölkerten. Das hatte mit der hohen Dichte an Kirchen zu tun, die oppositionellen Aktivitäten ein Dach boten, sowie mit der kleinteiligen baulichen Struktur der Altstadt, die den vor staatlichen Sicherheitskräften Fliehenden besseren Schutz bot. Darüber hinaus wurde auch der Plac Zwycięstwa zu einem entscheidenden Aktionsraum für oppositionelle Aktivitäten. Das war umso brisanter, als es sich damit um einen bisher offiziell genutzten, geradezu offiziellen Raum gehandelt hatte. Mit den alternativen Nutzungen und den damit implizierten Botschaften wandelte sich der Platz zum öffentlichen Raum. Dabei war der Platz nicht nur Bühne, auf der das schwindende Machtmonopol der Partei über den städtischen Raum zum Ausdruck kam, sondern selbst Gegenstand dieser Auseinandersetzung. Denn die alternativen Veranstaltungen lenkten dezidiert die Aufmerksamkeit auf verschwiegene Aspekte der Geschichte des Platzes und stellten damit nicht nur die offizielle staatliche Nutzung infrage, sondern auch die damit zusammenhängenden Botschaften. Dieser städtische Raum war also zeitweise Medium und Katalysator zugleich. Und da die „Entlügung“ der Geschichte einen entscheidenden Teil oppositioneller Agenda ausmachte, ging es hier ans Mark der Legitimation staatlicher Macht. So stand auf dem Plac Zwycięstwa die Frage im Raum: Wer hatte 1945 eigentlich über wen gesiegt? Und damit war die Frage: Konnten sich die damaligen Sieger nach der öffentlichen Machtdemonstration der katholischen Kirche, unterstützt von einer riesigen Menschenmenge, sowie den kontinuierlichen kleineren Versammlungen verschiedener Art noch ihres Sieges gewiss sein? Dass sich die Machthabenden, zumindest entscheidende Köpfe, ihrer Stellung noch recht sicher waren, scheint das Denkmal auf der Sächsischen Achse unweit des Plac Zwycięstwa zu beweisen. Ein anderes Beispiel – das Museum des Warschauer Aufstands – brachte darüber hinaus deutlich zum Ausdruck, dass die Partei zwar generell zu einigen Zugeständnissen bereit war, dass sie aber in Belangen, die für sie legitimatorisch kritisch waren, lavierende Inkonsequenz bewies. Infolge gesellschaftlichen Drucks begannen 1981 die Planungen, dieses Museum in der ehemaligen Bank Polski in unmittelbarer Nähe zum bisherigen offiziellen Gedenkort für den Aufstand, dem Nike-Denkmal am benachbarten Plac Teatralny, einzurichten. Trotz des Architekturwettbewerbs von 1985 konkretisierten sich die Pläne nicht weiter. Das ist damit in Verbindung zu bringen, dass dieses Baudenkmal das offizielle Narrativ, für das die Nike stand, geschwächt hätte. Denn das Bankgebäude manifestierte aufgrund seiner historischen Rolle im Warschauer Aufstand eine alternative Deutung seiner Geschichte, wie die Einschusslöcher und andere Kriegszerstörungen eindringlich unterstrichen. Die Authentizität dieses historischen Ortes hätte der alternativen

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Version sicherlich Kraft verliehen. So hätte in der Bank Polski ein bisher übergangener Teil der Geschichte thematisiert werden können, von dem das NikeDenkmal bewusst nicht kündete. Die Geschichte der Gestaltung und Nutzung der beiden Plätze – in dieser Epoche vor allem der Plac Zwycięstwa – verdeutlicht also entscheidende Aspekte der gesellschaftlichen Entwicklung, insbesondere des zunehmend aussichtsloseren Kampfes der Machthabenden um Legitimation. Dabei war die historische Bedeutung des Platzes entscheidend, da sie historische Fragen der staatlichen Unabhängigkeit, die Teile der Opposition für besonders entscheidend ansahen, bündelte und repräsentierte. Während die kommunistischen Machthabenden das Grab des Unbekannten Soldaten zunächst ohne öffentlichen Widerspruch in das eigene Narrativ vom Sieg über den Faschismus hatten einpflegen können, so war nun dessen von der Opposition betonte historische Funktion während der Zweiten Republik umso problematischer für das Regime. Denn das Grab des Unbekannten Soldaten legte für alle sichtbar im historischen Herz der Stadt Zeugnis ab über eine Geschichte, die lange Zeit verschwiegen worden war und die VertreterInnen der Opposition nun umso lauter propagierten. Dabei wurden nicht in jedem Fall professionelle Maßstäbe angewandt, und man kann gar behaupten, dass die heute zu beobachtende Übersteuerung nationalistischer Töne schon damals erste Triebe bekam. Auch wenn sich baulich gesehen auf dem Plac Teatralny seit 1964 und am Plac Zwycięstwa nach der Errichtung des Hotels Victoria 1976 nichts weiter veränderte, so offenbaren sich also dem aufmerksamen Betrachter dennoch bedeutungsschwere Details, die davon zeugen, dass Bewegung in entscheidende Abläufe gekommen war. Trotzdem das Aufstandsmuseum nie in den Räumen der Bank Polski eingerichtet wurde und der Plac Teatralny so keine Konkurrenz um das Gedenken an den Aufstand – und die Aufständischen – bekam, lassen sich Zeichen eines grundlegenden Wandels erkennen: An der Bank Polski war seit 1981 eine Plakette angebracht, die es als geschütztes Baudenkmal auswies. Das war eine Entscheidung, die auf gesellschaftlichen Druck zurückzuführen ist und in der Gesellschaft großen Zuspruch erfuhr. Zwar diente der Plac Zwycięstwa weiterhin als Ort staatlicher Machtrepräsentation – man meint gar in verstärkter Art und Weise, bedenkt man die Pläne Mitte der achtziger Jahre, am Grab des Unbekannten Soldaten das Museum der Polnischen Armee zu errichten. Doch die veränderte Straßenführung am Plac Zwycięstwa zeigt: Den folgenschwersten städtebaulichen Einfluss am Plac Zwycięstwa hatte das von den gewöhnlichen WarschauerInnen 1981 und 1982 kontinuierlich gelegte Blumenkreuz. Während über die Jahrzehnte unzählige Pläne für repräsentative Architektur der einen oder anderen Art in den Schubladen verschwanden, waren diese Handlungen – wobei natürlich die vorausgehende Messe mit den hunderttausenden Teilnehmenden dazugezählt werden muss – die

5.3 Zusammenfassung: Vom offiziellen zum öffentlichen Raum

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eigentlich prägenden. Insofern ist die freie Fläche des Plac Zwycięstwa das eigentlich Kennzeichnende für diese Epoche, denn auf diesem Platz geschah 1979 und danach Unerhörtes: Die Staatsmacht verlor die Regie über diesen zentralen städtischen Raum, der bisher einzig der offiziellen Repräsentation gedient hatte. Die Freiflächen hatten diese Zusammenkunft ermöglicht, zunächst aus dem ganz praktischen Grund, dass der Platz auf diese Weise groß genug war, um die Menschenmassen aufzunehmen. Doch auf gewisse Weise, so kann man urteilen, vereinfachte das Fehlen neuer, sozialistischer Symbolbauten diese zeitweilige Inbesitznahme durch den Papst und die Versammelten. Es waren auf dem Platz seit 1945 keine neuen Bauten entstanden, die die kommunistische Herrschaft manifestiert hätten – bis auf den Zweckbau Hotel und das Teatr Wielki, welches allerdings in gewisser Weise eine Rekonstruktion war. Die Freiflächen vereinfachten es, den offiziellen Raum als öffentlichen Raum zu nutzen, und sei es zunächst nur für einige Stunden.

6 Schlussbemerkung Nicht nur das Umcodieren und Umfunktionieren von Gebäuden gibt Aufschluss über die herrschenden Machtverhältnisse. Auch Dimensionen und Proportionen im städtischen Raum können als Machtbeweis dienen – oder als unfreiwilliger Ausweis von Ohnmacht.935 Häufig erscheint lediglich das, was sich durchgesetzt hat und sichtbar ist, in der Geschichtsschreibung. Es kann jedoch durchaus lohnend sein, das Interesse dahin zu lenken, wo auf den ersten Blick freie, leere Fläche herrscht. Die nicht realisierten Pläne eröffnen zudem Perspektiven auf Diskurse und Debatten, die als wichtige gesellschaftliche und politische Prozesse in der Volksrepublik Polen gelten müssen. Die beiden untersuchten Plätze, der Plac Teatralny und der Plac Zwycięstwa (heute Plac Piłsudskiego), zeigen darüber hinaus eindrücklich, wie lange gewaltsam Vernichtetes braucht, um wiederaufzuleben.936 Noch 1989, fast ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende, beurteilten zeitgenössische KommentatorInnen die städtebauliche Situation auf den beiden Plätzen als „architektonisches Chaos“, als „gordischen Knoten“, der noch nicht gelöst sei.937 Seitdem ist es jedoch an einigen Stellen durchaus gelungen, die 1989 postulierte „Wüste“ zu beleben.938 Am Plac Teatralny setzte sich 1990 eine historisierende Form- und Platzgestaltung durch. Nach der Entscheidung des Bürgermeisters Stanisław Wyganowski kehrte die Nordseite des Platzes äußerlich zum Zustand von 1944 zurück. Nach über dreißig Jahren wanderte das Nike-Denkmal vom Plac Teatralny an einen abseitigen Standort neben der Trasa W-Z. Es machte dem neuen Hauptgebäude an der Nordseite Platz, das 1997 eingeweiht wurde: ein modernes Stahlbeton-Bürogebäude der City-Bank mit rekonstruierter Fassade des ehemaligen Rathausgebäudes nach den Plänen des Architekten Janusz Matyjaszkiewicz. Schließlich war die Bank als privater Investor also das Zünglein an

935 Vgl. Karl Schlögel: Bürgergesellschaft, neue Urbanität und die Zukunft der Stadt in Osteuropa, in: Vittorio Magnago Lampugnani (Hg.), Urbanität und Identität zeitgenössischer europäischer Städte. Dokumentation der Fachtagung vom 11. November 2003 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Ludwigsburg 2005, S. 48–65, hier S. 59. 936 Vgl. diese Beobachtung in Bezug auf ganz Warschau, das immer noch von den Zerstörungen des Warschauer Aufstands gezeichnet ist: „Auch weiß ich nun, warum ich in einer so öden und unurbanen Stadt aufgewachsen bin; Vernichtetes braucht viel Zeit, um wiederaufzuleben.“ Borodziej, Warschauer Aufstand, S. 238. 937 Henryk Drzewiecki: Gordyjski węzeł: zespół hotelowo-kongresowy „Orbis“, a płac Zwycięstwa w Warszawie, in: Architektura (1989), 1, S. 38–44. 938 PKF 90/23, Plac Teatralny, 1990. Vgl. vor allem den Wettbewerb von 1995 für den Plac Piłsudskiego. https://doi.org/10.1515/9783110644975-006

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6 Schlussbemerkung

Abb. 6.1: Rückseite des 1997 eingeweihten Bürogebäudes der City Bank am Plac Teatralny mit historisierender Fassade, was der „Rathausturm“ anzeigt, 2016.

Abb. 6.2: Der Plac Piłsudskiego mit Blick auf die Rückseite des Teatr Wielki, 1992.

6 Schlussbemerkung

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der Waage – wenn auch auf Betreiben der Stadt. Zwei Jahre später wurde das nördliche Panorama zudem um die kleine Kirche sowie die angrenzenden Wohn- und Geschäftshäuser ergänzt, sodass die Nordseite des Plac Teatralny wieder eine durchgehende Häuserfront aufweist. Die Fassade der Kirche wurde ebenfalls nach historischem Vorbild rekonstruiert. Auch hier hat der Gebäudekörper wenig mit dem historischen Vorgängerbau zu tun. Am 13. Juni 1999 segnete Papst Johannes Paul II. diese kleine Kirche. Am benachbarten Plac Piłsudskiego (damals Plac Zwycięstwa) hatten die Zeichen bereits 1972 während eines Architekturwettbewerbs erstmals wieder in Richtung eines historischen Bauwerks gewiesen. Der Gewinnerentwurf übernahm den Grundriss des Sächsischen Palais und griff den 1944 gesprengten Säulengang architektonisch auf. Dieser Entwurf wurde allerdings von verschiedenen Seiten scharf kritisiert und nie umgesetzt. 1988 war die Forderung nach Rekonstruktion bereits expliziter – allerdings lediglich des Brühlschen Palais. So hielt die Jury des damaligen Wettbewerbs, in dem es um einen Hotelneubau an der Nordseite des Platzes ging, die Rekonstruktion des Palais für „unbestreitbar notwendig“.939 Bis heute waren die BefürworterInnen einer Rekonstruktion allerdings erfolglos, obwohl 2003 unter Lech Kaczyński als Bürgermeister bereits die Kellergewölbe freigelegt und archäologisch untersucht wurden. 2006 hatte die Stadt Warschau sogar Geld bereitgelegt, das sie jedoch 2008 in den Bau einer Brücke im Norden Warschaus investierte (Most Marii Skłodowskiej-Curii). Einige Jahre lang warb die Initiative „Saski 2018“ dafür, das Brühlsche Palais, das Sächsische Palais sowie die Eckhäuser an der Ul. Królewska anlässlich des hundertsten Jahrestages der nationalen Unabhängigkeit wiederentstehen zu lassen.940 Im Sächsischen Palais sollte das Rathaus unterkommen. Zwar ist es dazu nicht gekommen, doch es war ein populäres Thema bei den Lokalwahlen 2018. Zudem unterzeichnete der polnische Präsident Andrzej Duda am 11. November 2018, dem hundertsten Jahrestag der polnischen Unabhängigkeit, eine Deklaration zur Restitution des Sächsischen Palais (Deklaracja o restytucji Pałacu Saskiego w Warszawie dla uczczenia Setnej Rocznicy Odzyskania Niepodległości Rzeczypospolitej Polskiej). Darin erklärte er das wiederzuerrichtende Sächsische Palais zu einem „dauerhaften Denkmal der Unabhängigkeit, Symbol der staatlichen Kontinuität“ und einem „besonderen Akt der Erinnerung“. Er wolle sich nun der Rekonstruktionspläne annehmen, ohne dass genau klar ist, was das bedeutet und was nun passiert. Denn das Gelände gehört

939 Ebd., S. 42. Es handelte sich um den Konkurs SARP nr 707 na projekt koncepcyjny Zespołu hotelowo-kongresowego ORBIS i studium Placu Zwycięstwa w Warszawie (1988). 940 URL http://saski2018.pl/de/home, (Zugriff 08.07.2019).

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6 Schlussbemerkung

seit 1990 der Stadt Warschau, die aus verschiedenen Gründen mehrfach gegen die Rekonstruktion optiert hat.941 Eine populäre Stimme in dieser kontroversen Debatte ist der Architekturhistoriker Grzegorz Piątek. Er sieht einen fundamentalen Unterschied zwischen den heutigen Rekonstruktionswünschen und den Wiederaufbaubestrebungen direkt nach dem Krieg.942 Er fordert, „großartige Objekte unserer Zeit“ zu schaffen, „anstatt sich naiv auf der Basis von Fälschungen eine Herkunft zuzuschreiben“.943 Diese auch an vielen Orten außerhalb Polens zu beobachtende Tendenz zu historisierenden Projekten kritisierte der berühmte Architekt Rem Koolhaas noch provokativer: Das Fehlen von Geschichte zu bedauern ist ein ermüdender Reflex. Dieser offenbart einen unausgesprochenen Konsens, wonach die Präsenz von Geschichte wünschenswert sei. Doch wer sagt, dass das wirklich so ist? Eine Stadt ist eine auf höchst effiziente Weise von Menschen und Prozessen besetzte Fläche, und in den meisten Fällen wirkt sich die Präsenz von Geschichte negativ auf die Leistung aus.944

Eine solche Position hat wohl dazu geführt, dass die Nordseite des Plac Piłsudskiego seit 2004 mit einem Bürokomplex des international renommierten Architekten Norman Foster bebaut ist – an der Stelle, wo Wohn- und Geschäftshäuser standen, die im Krieg zerstört wurden. Damit grenzt die Rückseite des Teatr Wielki nun nicht mehr direkt an den Platz. Einen weiteren Pol bildet die Freifläche rund um das Grab des Unbekannten Soldaten. Sie kann in gewisser Weise als „Symbol von Verlust und Zerstörung interpretiert werden und [ist] daher stark emotional aufgeladen. Das ist die Art von Leere, die nach [Daniel] Libeskind mit nichts zu befüllen ist – weder physisch (durch Bebauung), noch symbolisch.“945 So wird bis heute das bereits alte Argument vorgebracht, dass das Grab des Unbekannten Soldaten seine symbolische Wucht verliere, wenn es umbaut würde.946 Als eine Kontinuitätslinie von der folgenreichen Papstmesse 1979 und den vor allem inoffiziellen sozialen Praktiken der späten siebziger und achtziger Jahre lässt sich das Lichtermeer verstehen, in das unzählige Trauernde den Plac Piłsudskiego nach dem Tod Papst Johannes Paul II. im Jahr 2005 verwandelten.

941 Vgl. URL http://warszawa.wyborcza.pl/warszawa/7,54420,24159938,prezydent-andrzejduda-podpisal-deklaracje-odbudowy-palacu-saskiego.html (Zugriff 03.02.2019). 942 Als Antwort auf Piąteks Artikel verfasste der Autor Jacek Dehnel ein Plädoyer für den Wiederaufbau des Sächsischen Palais, vgl. Jacek Dehnel: Nie straszmy Ruskiem, odbudujmy Pałac Saski, in: Gazeta Stołeczna, 16.03.2014. 943 Piątek, Po co odbudowywać. 944 Rem Koolhaas: Die Stadt ohne Eigenschaften, in: Arch + (1996), 132, S. 18–27, hier S. 27. 945 Leśniakowska, Warszawa: miasto, in: Fundacja Bęc Zmiana (Hg.), Chwała Miasta, S. 99. 946 Vgl. z. B. Trybuś, Starówka.

6 Schlussbemerkung

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Abb. 6.3: Der Blick auf das Grab des Unbekannten Soldaten sowie die Nordseite des Plac Piłsudskiego mit dem 2004 eingeweihten Bürogebäude von Norman Foster. Aufnahme aus dem Hotel „Victoria“, 2014.

Dauerhaft ist das Gedenken an den polnischen Papst seit 2009 mit einem Denkmal in Form des Altarkreuzes von 1979 institutionalisiert. Es wurde anlässlich des dreißigsten Jubiläums der Papstreise eingeweiht. Es ist deutlich dezenter als der erste Entwurf von Bohdan Napieralski sowie Barbara und Andrzej Kaliszewski, der direkt nach dem Tod des Papstes entstand. Dieser sah eine monumentale Säulenreihe vor, die ein Querbalken mit dem Zitat „Dein Geist komme und erneuere das Antlitz dieser Erde“ („Niech zstąpi duch Twój i odnowi oblicze tej ziemi“) verbindet. Kaliszewski bezeichnete den

Abb. 6.4: Das 2009 eingeweihte Papst-Denkmal am Plac Piłsudskiego, im Hintergrund das Grab des Unbekannten Soldaten.

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6 Schlussbemerkung

Entwurf, dem auf der Skizze das rekonstruierte Sächsische sowie das Brühlsche Palais gegenüberstanden, als eine „gesamtpolnische Sache“ und ein „Denkmal des Sieges“947 – am ehemaligen Siegesplatz. Doch dieses „Megagadget“948 für den Papst, wie es ein Kritiker taufte, war nicht von Erfolg gekrönt, da die Ablehnung der Öffentlichkeit zu groß war.949 Viele weitere Anhaltspunkte indizieren, dass der Plac Piłsudskiego nach wie vor Schauplatz und Gradmesser politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen ist. So reklamieren mittlerweile einerseits radikale NationalistInnen das Grab des Unbekannten Soldaten für sich, etwa bei ihrem „Marsch der Unabhängigkeit“ (Marsz Niepodległości) anlässlich des Jahrestages der staatlichen Unabhängigkeit von 1918. Solche Gruppierungen werfen zum Beispiel Bronisław Komorowski vor, dem ehemaligen Präsident Polens, er habe bei den offiziellen Gedenkfeiern ihre Rituale kopiert und ihre Traditionen gestohlen. Dabei war Komorowski Redner bei einer der ersten oppositionellen Demonstrationen am Denkmal 1979, während die heutigen DemonstrantInnen „1979 bestimmt noch nicht einmal auf der Welt“ waren.950 Andererseits versammelten sich beispielsweise am 7. Mai 2016 zehntausende Menschen auf dem Plac Piłsudskiego, um am Europa-Tag unter dem Motto „Wir sind und bleiben in Europa“ („Jesteśmy i będziemy w Europie“) gegen die Politik der aktuellen polnischen Regierung zu protestieren. Nach offiziellen Angaben waren es 30 000 Menschen, nach Schätzungen der OrganisatorInnen vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie (Komitet Obrony Demokracji, KOD) 240 000.951 Wie sehr der Plac Piłsudskiego weiterhin zentrale nationale Debatten und Bruchlinien bündelt, wird vor allem an der jüngsten Entwicklung im Kampf um seine Gestaltung deutlich. So erklärten im Februar 2017 der damalige Innenminister Mariusz Błaszczak sowie der Minister für Infrastruktur Andrzej Adamczyk den Plac Piłsudskiego zu einem geschlossenen Terrain, wie Militärbasen oder wichtige Bahnhöfe („teren charakteru zamkniętego“). Seitdem liegt die Verantwortung für den Platz nicht mehr bei der städtischen Administration, sondern

947 Dariusz Bartoszewicz: Brama triumfalna JP II, in: Gazeta Stołeczna, 17.10.2005, S. 1. 948 Jerzy S. Majewski: Megagadżet dla Papieża, in: Gazeta Stołeczna, 18.10.2005, S. 2. 949 Vgl. Bartoszewicz, Brama triumfalna; Daniel Zyśk: Nie chcemy kolumnady na placu Piłsudskiego. Warszawiacy krytykowali projekt papieskiego monumentu, in: Życie Warszawy, 25.10.2005, S. 11; ders.: Niepewna kolumnada na placu Piłsudskiego. W tym tygodniu zapadnie decyzja, co dalej z papieskim projektem, in: Życie Warszawy, 25.10.2005, S. 10; Dariusz Bartoszewicz: Sobie, a nie Papieżowi, in: Gazeta Stołeczna, 18.10.2005, S. 1. 950 Komorowski, Zwykły polski los, S. 85. 951 URL http://tvnwarszawa.tvn24.pl/informacje,news,marsz-kod-dotarl-na-pl-pilsudskiegowladze-stolicy-jest-240-tys-osob,201816.html (Zugriff 20.05.2017).

6 Schlussbemerkung

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Abb. 6.5: Das 2005 von Bohdan Napieralski sowie Barbara und Andrzej Kaliszewski geplante Papst-Denkmal am Plac Piłsudskiego, das aufgrund öffentlichen Protests nicht gebaut wurde.

dem Wojewoden Masowiens Zdzisław Sipiera.952 Dieser ist, anders als die städtische Regierung, Mitglied der Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwość (PiS). Binnen kürzester Zeit verkündete das Gesellschaftliche Komitee zum Bau von Denkmälern den bevorstehenden Bau eines Denkmals für die Opfer der Flugzeugkatastrophe von Smolensk 2010 sowie eines Denkmals für den dabei verunglückten Präsidenten Lech Kaczyński. Ohne Konsultation und gegen den expliziten Protest von ExpertInnen, der Öffentlichkeit und der städtischen Regierung wurde bereits am 10. April 2018 das Denkmal für die Opfer der Flugzeugkatastrophe von Smolensk (Pomnik Ofiar Tragedii Smoleńskiej) zentral auf dem Plac Piłsudskiego eingeweiht. Der Entwurf stammt von Jerzy Kalina, der den eilig organisierten Wettbewerb gewonnen hatte. Am 11. November 2018 folgte die Einweihung der Statue von Lech Kaczyński vor der Warschauer

952 Vgl. URL http://newsweek.pl/polska/pomnik-ofiar-katastrofy-smolenskiej-i-lecha-kaczynskiego-na-krakowskim-przedmiesciu-rusza-konkurs,artykuly,408760,1.html (Zugriff 20.05.2017).

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6 Schlussbemerkung

Abb. 6.6: Das Denkmal für die Opfer der Flugzeugkatastrophe von Smolensk am Plac Piłsudskiego, 2018.

Garnison, die auf das Grab des Unbekannten Soldaten blickt. Der ursprüngliche Entwurf der Statue, die auf einem drei Meter hohen Sockel steht, stammt von Stanisław Szwechowicz und Jan Raniszewski, die auf Bitten des Komitees entscheidende Anpassungen vornahmen. Ob die weitere Gestaltung des Platzes ebenfalls in dieser Geschwindigkeit ohne demokratische Abstimmungsprozesse vor sich gehen wird, bleibt zu beobachten. Ein Plakat auf einer Demonstration gegen die neuen Denkmale kommentierte lakonisch: „Es gibt nichts von Dauer auf dem Plac Piłsudskiego“ („Nie ma nic wiecznego na Placu Piłsudskiego“).953 Bei der Analyse der Entwicklungen vor und nach 1989 offenbaren sich mehrere historische Schichten: erstens die Funktionen der Plätze in der Zwischenkriegszeit und davor, zweitens ihre Rolle im Krieg sowie drittens die Funktionen und Lösungen der Nachkriegszeit. Je mehr Zeit verstrich (und verstreicht), desto komplexer wurde (und wird) das Geflecht von städtischem Raum, Politik und Erinnerung. An dieser Stelle mag der häufig in der

953 URL http://warszawa.wyborcza.pl/warszawa/7,54420,23070203,ulice-sa-nasze-a-placjest-pilsudskiego-warszawiacy-sprzeciwiaja.html (Zugriff 02.02.2019).

6 Schlussbemerkung

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Erinnerungs- und Stadtforschung genutzte Begriff Palimpsest diskutiert werden, der aus der Literaturwissenschaft kommt. Mittlerweile habe er gar den Rang einer „die Moderne repräsentierenden Kategorie“ erlangt.954 Doch so häufig der Begriff heute verwendet wird, so sehr zwingen die beiden Warschauer Plätze zum näheren Hinsehen. Ursprünglich bezeichnet ein Palimpsest eine mittelalterliche Pergamenthandschrift, deren nicht mehr benötigter Text aus ökonomischen Gründen abgekratzt und überschrieben wurde, teilweise mehrfach. Die Metapher des Palimpsests, auf Städte angewendet, verdeutlicht treffend das Nebeneinander und Übereinander verschiedener „Texte“ und damit das Wechselspiel von Erinnern und Vergessen im städtischen Raum. Doch in Bezug auf die Beziehungen zwischen den alten und den neuen Texten sowie den Umgang der AkteurInnen mit diesen verschiedenen Texten gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Literatur und Stadt: Während im Fall der ursprünglichen handschriftlichen Palimpseste der neue Text mit dem vorherigen in keiner Beziehung stand, die erneute Benutzung gar nur möglich war, weil der vorherige Text als wertlos erachtet und abgekratzt wurde, ist dies bei Städten gänzlich anders. Eine solche Tabula Rasa gibt es im Städtebau zumindest für die jüngeren Schichten nicht. Im Gegenteil ist eine „Zählebigkeit“955 der historischen Bedeutung von Orten festzustellen, auch ohne nötiges Fachwissen. Das Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, die vorherigen Schichten unlesbar zu machen, da sich das Wissen über städtischen Raum leicht tradiert. Dennoch ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Geschichte der Orte nicht „aus sich selbst heraus spricht“, sondern AkteurInnen Orten Geschichte zuschreiben – je nach ihren jeweiligen Intentionen.956 Dieser „überindividuelle und generationsübergreifende Zusammenhang zwischen Steinen und Menschen“957 kann für bestehende sowie für abwesende Bauwerke gelten. Anders ausgedrückt: Nur weil etwas keine

954 Anna Zalewska: Palimpsest, in: Magdalena Saryusz-Wolska/Robert Traba (Hg.), Modi memorandi. Leksykon kultury pamięci. Warszawa 2014, S. 318–321, hier S. 318. 955 Vgl. Rüthers, Öffentlicher Raum, in: Rittersporn/Rolf/Behrends (Hg.), Sphären, S. 96. 956 Vgl. zur individuell gefärbten Wahrnehmung den Vorreiter der kognitiven und gesellschaftlich orientierten Stadtforschung Lynch, Das Bild; Jörg Ganzenmüller/Raphael Utz: Orte der Shoah. Überlegungen zu einem auratischen Missverständnis, in: dies. (Hg.), Orte der Shoah in Polen. Gedenkstätten zwischen Mahnmal und Museum. Köln 2016, S. 7–24, hier S. 12. Die beiden Autoren widersprechen der verbreiteten Annahme, ein Ort verfüge über eine „Aura“, die nach Walter Benjamin nämlich eine „Erfahrung der Ferne“ beschreibe: „Die gedankliche Vermessung der Strecke zwischen Nähe und Ferne, also die Wirkmacht der Aura, kann nur durch Wissen gelingen.“ 957 Rudolf Jaworski/Peter Stachel (Hg.): Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich. Berlin 2007, S. 16.

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6 Schlussbemerkung

Erwähnung fand, heißt das nicht zwangsläufig, dass es vergessen wurde. Mitunter reden die Menschen entweder gar nicht oder nur hinter vorgehaltener Hand darüber, wie Marcin Kula präzisiert.958 Sowohl das Sprechen als auch das Schweigen über bestimmte Schichten historischer Orte offenbart also neben den verschiedenen Bedeutungen dieser Schichten im städtischen Raum auch die Intentionen der Handelnden. Das untersuchte Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, die Palimpsest-Metapher nicht bloß als Anregung zu verstehen, die verschiedenen Schichten zu benennen, sondern auch die AkteurInnen mitsamt ihren Intentionen und Bezugnahmen zu analysieren. Auf den ersten Blick könnte man die Geschichte der beiden Plätze zwischen 1945 und 1989 vor allem als eine Geschichte des Scheiterns interpretieren. Denn es frappiert, wie viele Architekturwettbewerbe abgehalten wurden und wie wenige davon bauliche Resultate zeitigten. Doch weder in Ost noch in West, weder damals noch heute, werden Wettbewerbe konsequent umgesetzt. Sie sind eher als ein eigenes Diskursfeld und damit als wichtige historische Quelle anzusehen. Zunächst erscheinen diese Wettbewerbe als ein erstaunlich offenes und konstruktives Prozedere, in deren Bewertung neben den Urteilen der Jury durchaus auch die anschließenden kritischen Diskussionen einflossen. Doch die nähere Analyse zeigt, dass die ArchitektInnen vor den Wettbewerben nur selten genauer über die geplante inhaltliche Funktion der städtebaulichen Ensembles informiert waren. Das löste harsche Kritik unter den ExpertInnen aus, die sie öffentlich äußerten und so erst offenbarten, dass die verantwortlichen PolitikerInnen anscheinend nicht entschieden hatten, welche Funktionen die Plätze übernehmen sollten. Aus diesem Blickwinkel erscheinen die Wettbewerbe vielmehr als Teil des lauten Redens über den propagandistisch und legitimatorisch so wichtigen Städtebau, das allerdings wenige gehaltvolle Ideen geschweige denn Umsetzungen hervorbrachte. Die Wettbewerbe spielten Aktivität zwar nicht nur vor, sondern waren tatsächlich aufwendige Verfahren. Diese konnten aber wegen der fehlenden Konzepte kaum zielführend sein. Der Städtebau scheint also weit weniger geplant gewesen zu sein, als man das in einem zentral organisierten Staat erwarten würde. Das kann auch damit zusammenhängen, dass es fast nach jedem Wechsel an der Spitze der PZPR zu einem mehr oder weniger radikalen Paradigmenwechsel kam, der in der Folge die städtebaulichen Pläne häufig fast komplett entwertete und die Beteiligten zu einem Neuanfang zwang.

958 Kula, Mie̜dzy przeszłościa̜, S. 91. Vgl. die Urban Legend der im Zweiten Weltkrieg gesprengten und von einem Hochhaus überbauten Großen Synagoge in Warschau in Fuchs, Miejsce, S. 165 f.

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Dafür sprechen zahlreiche generelle Reflexionen wichtiger ArchitektInnen über den Warschauer Aufbau. Unsicherheiten in Bezug auf „die Grundlagen des Systems“ bereiteten ihnen folgenschwere Probleme, so Sigalin: „Daher kommt auch das bis heute anhaltende Zögern und daher – unter anderem – rührt die Angst vor endgültigen Entscheidungen in Bezug auf die Bebauung der Innenstadt.“959 Auch der Architekt Stanisław Dziewulski postulierte in einer Diskussion 1958: „Wir haben große Zweifel, die in der heutigen Diskussion durchschienen, Zweifel, die die Holländer [in Rotterdam] nicht haben. Daher ist unsere Aufgabe deutlich schwieriger.“960 Die Probleme mit dem Zentrum im Allgemeinen bestätigte Sigalins Nachfolger auf dem Posten des Chefarchitekten, Adolf Ciborowski, 1965: Die Projekte der Bebauung der Stadtmitte unterlagen in den Jahren des Wiederaufbaus der größten Evolution. Dazu trug sowohl die besonders komplizierte Funktion dieses Geländes im ganzen Stadtorganismus bei, als auch seine besondere Empfindlichkeit gegen jede Änderung der Anschauungen und Richtungen in der urbanistisch-architektonischen Tätigkeit.961

Daraus wird ersichtlich, dass die beiden Plätze durchaus nicht die einzigen Flächen im Stadtzentrum waren, die Probleme verursachten. So war zum Beispiel der zentrale Platz um den Kulturpalast ein weiteres Streitobjekt.962 Im Allgemeinen scheint zu gelten, dass je gewichtiger die repräsentative Funktion des städtebaulichen Ensembles war, desto unsicherer waren die Verantwortlichen. Im historischen Zentrum um Plac Zwycięstwa und Plac Teatralny sowie im neuen, sozialistischen Zentrum um den Kulturpalast mussten die verantwortlichen PolitikerInnen Visionen und Konzepte finden, die die großen Investitionen rechtfertigen würden. Einen besonderen Aspekt brachte der als Generalsekretär entmachtete Gomułka in dem bereits an anderer Stelle zitierten Brief an das Zentralkomitee der PZPR vom März 1971 zum Ausdruck. Mithilfe der Reaktion einer japanischen Delegation beim Anblick der wiederaufgebauten Altstadt verdeutlichte er das Dilemma des angemessenen Verhältnisses zwischen Neuanfang und Moderne versus nationale Traditionen:

959 o.V., Miasto w którym żyjemy, S. 7. 960 Ebd. 961 Ciborowski, Warschau, S. 261. 962 Diese Auseinandersetzungen halten teilweise bis heute an. Sie können mit den jüngsten Skandalen um Reprivatisierung und den vielen bereits verworfenen Planungen Thema einer weiteren Arbeit sein. Vgl. als Anfang die neueren Arbeiten, die sich dem Kulturpalast aus essayistischer bzw. sozialanthropologischer Perspektive nähern: Chomątowska-Szałamacha, Pałac sowie Michał Murawski: Kompleks Pałacu. Życie społeczne stalinowskiego wieżowca w kapitalistycznej Warszawie. Warszawa 2015.

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,Alles ist sehr schön. Wenn wir Japaner uns in einer ähnlichen Situation befunden hätten, dann hätten wir allerdings moderne Gebäude errichtet.‘ [. . .] Japaner lieben die Moderne und bauen deshalb ihre Wirtschaftsmacht in einem Tempo aus, das sich weltweit mit keinem anderen Land messen kann. Wir beneiden sie sehr darum, wir wundern uns, woher das bei ihnen kommt, aber wir streben weiter entlang des Pfades, den uns unsere nationalen Traditionen vorgeben.963

Doch während der Wiederaufbau der Altstadt kaum zur Debatte gestanden hatte und als Musterbeispiel historischer Kontinuität und als Aufbäumen gegen die nationalsozialistische Zerstörungswut inszeniert wurde, waren die beiden hier untersuchten Plätze geprägt von den im Gomułka-Zitat angedeuteten Unsicherheiten, wie Vergangenheit und Zukunft interpretiert und inszeniert werden sollten. Die Analyse hat eindeutig ergeben, dass die PZPR in diesem Fall keine Strategie gefunden hat, nationale Traditionen legitim in die eigene Narration einzubinden. Insofern ist die Geschichte der beiden Plätze eher als eine Geschichte fehlender tragender Selbstbilder anzusehen, auf die die PZPR ihre Legitimation hätte stützen und deren physische Manifestation sie in den städtischen Raum hätte übertragen können. So ist zu erklären, dass große erinnerungs-, geschichts- oder kulturpolitische Investitionen an den Plätzen ausblieben, trotz der vielen Planungen. Das Nike-Denkmal von 1964 und das Denkmal der Verteidiger Volkspolens von 1985 waren nur vergleichsweise kleine Investitionen und von erheblich geringerer inhaltlicher Brisanz als beispielsweise ein neues Museum direkt neben dem Grab des Unbekannten Soldaten gewesen wäre. Gleichzeitig war der praktische Handlungsdruck bei den großen symbolpolitischen Entscheidungen geringer als bei dem am Plac Zwycięstwa erbauten Hotel und den Wohnbauten am Plac Teatralny, weshalb Unstimmigkeiten über die Konzepte wohl stärker ins Gewicht fielen. Propagandistische Leitsprüche auszugeben, war das eine; zentrale repräsentative Räume gemäß diesen ideologischen Vorgaben (neu) zu gestalten, das andere. Zudem potenzierte sich auf beiden Plätzen die legitimierende Funktion, die dem Warschauer Städtebau insgesamt als Nachweis des erfolgreichen Aufbaus des sozialistischen Staates zukam. Die Plätze sollten von Beginn an der Repräsentation und Legitimation dienen. Der inhaltliche Fokus lag mit dem Grab des Unbekannten Soldaten und der Nike auf dem Sieg im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Sowjetunion. Doch dieses Narrativ barg Konfliktpotential, das seit Ende der siebziger Jahre immer deutlicher wurde. Ein Kommentar behauptete 1990 spitzzüngig: „Mehr als das Gedenken manifestieren die Warschauer Denkmäler die Intention der Machthaber, Jahrestage nicht zu ehren, 963 Andrzejewski, Gomułka i inni, S. 228.

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sondern mit ihnen umzugehen. Und das wörtlich: Sie umgehen sie im großen Bogen.“964 Doch diese ambivalente Haltung der PZPR war in diesem historischen Teil der Stadt fatal, da zunehmend Oppositionelle eigene Deutungen publizierten und alternative Nutzungen erprobten. So wurde gerade der Plac Zwycięstwa Gegenstand und Schauplatz eines Kampfes um das Meinungs- und Machtmonopol. Neben diesen geschichtspolitischen Stolpersteinen der kommunistischen Machthabenden lässt sich auf prozessualer Ebene ein faszinierendes Wechselspiel beobachten: zwischen der Partei- und Staatsführung mitsamt ihrer internen Querelen auf der einen Seite und einer gewissen Öffentlichkeit auf der anderen Seite, die sich aus ExpertInnen, der Warschauer und polnischen Bevölkerung und teilweise der Kirche zusammensetzte. Die Debatten zwischen den AkteurInnen sind vor allem deshalb rekonstruierbar, weil verschwindende oder abwesende, zerstörte, abgerissene oder nie realisierte Architektur analysiert wurde. Nach dem Krieg stand zunächst die Sicherung der grundlegenden Lebensbedingungen an erster Stelle. Bei den Verantwortlichen verschiedener Couleur überwog die Überzeugung, dass die Infrastruktur Warschaus unbedingt modernisiert werden müsse. Davon zeugen die zwei neugezogenen Verkehrsadern in direkter Nähe der Plätze. Dies ist eines von mehreren Beispielen dafür, dass sich die ExpertInnen, die sich eher für eine radikale Modernisierung aussprachen, und diejenigen, die einen Wiederaufbau der Stadt anstrebten, nicht in jedem Fall konträr gegenüber standen. Am zunächst als zentralen Platz vorgesehenen Plac Zwycięstwa sollte das polnische Militär und dessen Sieg im Zweiten Weltkrieg inszeniert werden. Das knüpfte insofern an vorherige Traditionen an, als bereits in der Zwischenkriegszeit Pläne bestanden hatten, den Platz lediglich auf die militärische Repräsentation zu fokussieren. Als Auftakt wurde 1946 ein Ruinenfragment des ursprünglichen Grabes des Unbekannten Soldaten als authentisches Mahnmal des zerstörerischen Krieges wiedereingeweiht. Damit war der Plac Zwycięstwa fest in die staatlichen Rituale der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg eingebunden. Doch ab 1949 unterlagen die lokalen Verantwortlichen und deren Pläne stalinistischen Herrschaftspraktiken und Vorgaben: Der verstärkte Einfluss von Moskauer PlanerInnen und der Sozialistische Realismus als neue Maßgabe annullierten fast alle bisherigen Pläne. Der Fokus lag nun auf einer neuen Stadtmitte mit monumentalen Solitärbauten und Wohnpalästen im Zentrum. Dieser allumfassende Ansatz führte stellenweise zu radikalen Eingriffen in weitgediehene Planungsprozesse sowie in die bisherige und teilweise noch erhaltene

964 PKF 90/32, Pamięć z kamienia, 1990.

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Stadtstruktur. So mussten beispielsweise die Ruinen des Rathauses und der Kirche am Plac Teatralny weichen. Blickachsen zwischen neuen Prestigeprojekten waren wichtiger. Ein solcher Solitärbau war das Teatr Wielki, das mit seinen „nationalen Formen“ dem Platz historische Kontinuität verlieh. Seine Umgebung, das heißt auch der Plac Zwycięstwa, wurde durch seine vergrößerten Dimensionen allerdings nachhaltig verändert. Dass der Protest gegen den Abriss der Kirche vergeblich war, verwundert in dieser Zeit totalitärer Regierung weniger, als dass es ihn überhaupt hab. Genauso erstaunlich waren die relativ ergebnisoffenen Debatten insbesondere unter ExpertInnen in der Fach- sowie der regulären Presse. Während des Sozialistischen Realismus verteufelt, hielt die moderne Architektur spätestens seit 1956 unter Gomułka Einzug. Angesichts des gravierenden Wohnungsmangels kam diese in Form von industriell gefertigten Wohnblöcken auch an die zwei Plätze. Diese markierten visuelle und funktionale Neuanfänge, die definitiv keinen Schritt in Richtung der gesamtstädtischen Strahlkraft der Plätze in der Zwischenkriegszeit darstellten. Daran änderte auch das 1964 eingeweihte Nike-Denkmal am Plac Teatralny nicht viel, das ein Kompromiss in Bezug auf Forderungen aus der Bevölkerung nach einem Denkmal des Warschauer Aufstandes war. Genauer gesagt gedachte die Skulptur der Warschauer HeldInnen, personifiziert durch die griechische Siegesgöttin Nike, mit gen Westen gerichtetem Schwert. Mit diesem Denkmal war nun auf beiden Plätzen das offizielle Gedenken an den Zweiten Weltkrieg konzentriert. Diese neue Hauptfunktion der Plätze scheint zumindest von Teilen der Bevölkerung angenommen worden zu sein. Denn im Anschluss an die 1970 und 1972 veranstalteten Architekturwettbewerbe zur Gestaltung der Plätze lehnten die viele DiskutantInnen die Annäherung an die Vorkriegssituation bei den öffentlichen Präsentationen der Entwürfe vehement ab: eine Belebung des Plac Teatralny mit verschiedenen Lokalen und ein geplantes architektonisches Zitat des Vorkriegssäulengangs um das Grab des Unbekannten Soldaten. Letzteres hatte damit zu tun, dass das lediglich als Ruinenfragment erhaltene Grab des Unbekannten Soldaten mit der Umbauung seine Aussagekraft als Mahnmal des Krieges eingebüßt hätte. Der zeitgleiche Versuch, dem Plac Zwycięstwa und seiner unmittelbaren Umgebung eine neue sozialistische Prägung in baulicher und symbolpolitischer Hinsicht zu verleihen, ist vor allem bemerkenswert in Bezug auf das innerparteiliche Gerangel. Ein Siegesdenkmal im Sächsischen Garten sollte den Sieg im Zweiten Weltkrieg betonen und ein neues Museum direkt am Grab des Unbekannten Soldaten den Sieg der revolutionären Bewegung. In den Akten finden sich dazu bemerkenswerte Details über die Konstitution der Herrschaft der PZPR in den sechziger Jahren. Zahlreiche interne Unstimmigkeiten beendeten diese Projekte. Nicht einmal der starke politische Gegner der PZPR, die

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katholische Kirche, wirkte hier einigend. So nahm die Parteiführung etwa das Risiko einer diplomatischen Krise mit Frankreich in Kauf, indem sie abrupt die jahrelangen Planungen für eine französische Botschaft am Plac Zwycięstwa entwertete, weil nicht näher definierte andere Pläne wichtiger waren. Die Planungen zum Siegesdenkmal offenbaren zudem eine überraschende Flexibilität der staatlichen Planwirtschaft, je nach politischer Agenda der jeweiligen AkteurInnen. Zudem dokumentieren die Diskussionen um das Museum der revolutionären Bewegung ein Veto des Architektenverbandes SARP gegenüber den ParteifunktionärInnen, die ihre Position gegen den Rat der ExpertInnen durchzusetzen versuchten. Welchen Einfluss der in diesen Jahren erstarkte Nationalismus auf die Bewertung der verschiedenen Projekte hatte, ist nicht direkt nachzuweisen. Dass allerdings in dieser Phase, die in der antisemitischen und antiintellektuellen Kampagne vom März 1968 gipfelte, Projekte, die eine andere Nation (Frankreich) oder die Verbindung zur Sowjetunion verkörperten, keine dauerhafte Unterstützung fanden, überrascht wenig. Von den ambitionierten geschichtspolitischen Plänen der sechziger Jahre ist außer den in dieser Phase wiedereingeführten Wachwechseln am Grab des Unbekannten Soldaten nichts geblieben. In der Regierungszeit von Gierek ab 1970 lenkten die Verantwortlichen den symbolpolitischen Fokus auf die Rekonstruktion des Schlosses, während sie von Neuerungen am Plac Zwycięstwa Abstand nahmen. Sie errichteten dort stattdessen den ersten und einzigen Nachkriegsneubau: das Hotel Victoria, finanziert mit westlichen Krediten. Die wichtigste symbolische „Architektur“ der achtziger Jahre war das Blumenkreuz, das die Bevölkerung seit 1981 täglich auf dem Plac Zwycięstwa legte, als Referenz an die Papstmesse im Juni 1979 und als Protest gegen die Politik der PZPR. Das Blumenkreuz war Ausdruck dafür, dass die Entscheidungsgewalt der Partei über die Nutzung des städtischen Raums stark in Bedrängnis geraten war, denn selbst während des Kriegsrechts entstand das Blumenkreuz Tag für Tag. Die Papstmesse erweiterte zudem den Bezugsrahmen für sonst weniger engagierte BürgerInnen. Der Platz wurde damit zeitweise zu einem nicht mehr von der Partei kontrollierten „Ort der sozialen Kommunikation“965 – mitten im historischen Kern der Stadt. Gleichzeitig unterhöhlten national eingestellte oppositionelle DemonstrantInnen besonders symbolträchtig die Siegesgewissheit der Partei: Sie definierten einen bisher ausschließlich zur offiziellen staatlichen Repräsentation genutzten städtischen Raum, den Plac Zwycięstwa, eigensinnig in ihrem Interesse und funktionierten ihn auf diese Weise zu einem öffentlichen Raum um.

965 Bohn, Minsk – Musterstadt, S. 136.

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Damit stellten sie den Hoheitsanspruch der PZPR über Deutung und Nutzung dieses offiziellen städtischen Raumes für alle sichtbar infrage. Der 9. Mai 1982 ist daher hervorzuheben: Trotz Kriegsrechts kamen tausende Menschen zu einer der größten Demonstrationen zusammen und legten ein weiteres Blumenkreuz. 34 Jahre, nachdem der Tag des Sieges und der Freiheit, wie der Jahrestag des Kriegsendes seit 1946 hieß, zum ersten Mal an diesem Platz begangen wurde, forderten die DemonstrantInnen die offizielle Gedenkpraxis in aller Öffentlichkeit heraus. Mit dem Blumenkreuz und dem Grab des Unbekannten Soldaten, an dem zahlreiche oppositionelle Veranstaltungen stattfanden, zeigte sich, inwiefern der Plac Zwycięstwa Schauplatz und Katalysator des Erodierens des ParteiMonopols über die Deutung historischer Ereignisse geworden war. Mit den lauter werdenden Forderungen Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre von Teilen der Opposition nach einer „Entlügung“ der Geschichte war die am Plac Zwycięstwa propagierte Meistererzählung des Sieges über Deutschland nicht mehr haltbar: Alternative Geschichtsdeutungen hinterfragten diesen Sieg zunehmend. Zeitgleich geriet die Beurteilung einer weiteren historischen Phase in die Diskussion – und damit eine weitere Bedeutungskomponente des Wortes „Sieg“. Die Machtstabilisierung der KommunistInnen nach 1948 bedeutete auch, dass die Exilregierung, die in Kontinuität zur Regierung der unabhängigen Zweiten Republik bestanden hatte, definitiv keinen Einfluss mehr hatte. Insofern konnten Siegesfeiern am Grab des Unbekannten Soldaten mit dem Triumph über das nationalsozialistische Deutschland und mit der Bezwingung der internen politischen Gegner assoziiert werden. Das war insofern heikel, als das Denkmal, 1925 eröffnet, einer der Schlusssteine der nationalen Repräsentation der Zweiten Republik gewesen war. Protestierende gegen die offizielle Deutung der Geschichte konnten also an diesem authentischen Ort ihren eigenen historischen Interpretationen besonders gut Nachdruck verleihen. Die staatlichen Pläne der achtziger Jahre, mit dem Museum der Polnischen Armee am Plac Zwycięstwa die Rolle des Militärs zu festigen, reihen sich nahtlos ein in die offizielle Politik dieser Zeit, mithilfe militärischer Traditionen und Stärke politische Legitimation zu erlangen. Doch diese Pläne wirken angesichts der politischen und finanziellen Zwangslage ebenso hilflos wie das eilig realisierte Denkmal für die Verteidiger Volkspolens auf der Sächsischen Achse in unmittelbarer Nähe des Plac Zwycięstwa. Ende der achtziger Jahre wiederum lobte der Kommentator Jerzy Kuźmienko den Wettbewerb für ein geplantes zweites Hotel am Plac Zwycięstwa – etwa an der Stelle, wo seit 2004 der Norman-Foster-Neubau steht – als richtigen Schritt in Richtung einer „Öffnung“ („jawność“) und des „Umbaus“ („pierestroika“) der beruflichen Praxis.

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Er warnte dennoch vor einer neuen Gefahr für gute und mutige Architektur: dem „Dollar-Komplex“, der habgierige Menschen dazu verleite, zum Schaden der Allgemeinheit zu handeln und zu bauen.966 Die Ergebnisse der Arbeit werfen weiterführende Fragen auf. So ist zu überlegen, ob unbebaute Freiflächen und die zugehörigen nicht realisierten Pläne an zentralen Plätzen eine Besonderheit von Städten im Sozialismus darstellen. Diese Überlegung fußt auf dem Studium zahlreicher anderer Fälle. So traf der Zentrale Platz von Minsk, der 1935 während der Hochphase stalinistischen Städtebaus angelegt worden war, nach dem Krieg auf harte wirtschaftliche Realitäten, weshalb mit seiner Gestaltung hohe Ambitionen und wenige fruchtende Wettbewerbe verbunden waren: Statt der Innenstadt Urbanität zu verleihen, präsentierte sich der ‚Zentrale Platz‘ lediglich als öde Freifläche, innerhalb derer sich der einzelne verlor, gleichsam die Atomisierung der Gesellschaft aufzeigend. Die ‚sozialistische Stadt‘ war nicht der Ort der sozialen Kommunikation, sondern hatte der Repräsentation der staatlichen Macht zu dienen.967

Auf ganz andere, literarische Weise fing der weißrussische Schriftsteller Artur Klinaŭ diese Weite ein: Nirgendwo habe ich solche Schatten gesehen wie in der Sonnenstadt [Minsk]. Die Fläche jeder beliebigen europäischen Stadt ist zu klein, zu vollgestellt, als dass sich das Relief der Schatten so deutlich abzeichnen könnte. In der Sonnenstadt rissen sich die Schatten los und führten ein wahres Feenspiel graphischer Tänze auf, deren Freiheit nicht wie in den von Architektur ermüdeten europäischen Städten von der Übersättigung der Fläche gezügelt wurde.968

Ein ähnliches „Feenspiel graphischer Tänze“ hätte auf zahlreichen zentralen Plätzen beobachtet werden können. So dominierte die Stelle des 1950 gesprengten Berliner Stadtschlosses bis zum Bau des Palasts der Republik Mitte der siebziger Jahre eine riesige Freifläche, im Zentrum der Hauptstadt der DDR. Erst Ende der fünfziger Jahre entschied Chruschtschow, die seit zwanzig Jahren bestehende Baugrube des Palasts der Sowjets in Moskau, der am Ort der abgerissenen Christus-Erlöser-Kathedrale gebaut werden sollte, in ein Schwimmbad zu verwandeln. Das im Krieg beschädigte, 1960 ebenfalls gesprengte Stadtschloss in Potsdam und die entstandene Freifläche im Stadtzentrum sowie die Freifläche neben dem Altstädtischen Rathaus in Prag, wo bis zu seiner Zerstörung im

966 Jerzy Kuźmienko: Co sądzić o sądzeniu?, in: Architektura (1989), 1, S. 45. 967 Bohn, Minsk – Musterstadt, S. 136. 968 Artur A. Klinaŭ: Minsk. Sonnenstadt der Träume. Frankfurt am Main 2011, S. 29.

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Zweiten Weltkrieg ein neogotischer Anbau gestanden hatte, können als weitere Beispiele für besonders zentrale Freiflächen dieser unvollständigen Aufzählung dienen.969 Es ist zu diskutieren, inwiefern dazu auch der unvollständig bebaute Zentrale Platz des nach dem Krieg neugegründeten Eisenhüttenstadt oder bereits erwähnte nicht realisierte Planungen in der Planstadt Nowa Huta bei Krakau gehören. Auch der Zentralplatz in Kaliningrad mit der Bauruine des Hauses der Sowjets stellt keine Freifläche im Wortsinn dar, ist aber ein weiteres klares Beispiel für symbolische Machtkämpfe im städtischen Zentrum und für das Auseinanderdriften von Anspruch und Wirklichkeit. Ein Grund dafür kann der geringere Investitionsdruck gewesen sein, der in einem sozialistischen System fern der kapitalistischen Verwertungslogik herrscht. Allerdings muss betont werden, dass nicht realisierte Projekte nicht ausschließlich in sozialistischen Staaten zu finden sind.970 Es wird zudem zu diskutieren sein, inwiefern solche weiten Plätze mit Leitbildern der architektonischen Moderne in Verbindung zu bringen sind. Denn auch in modernen Planstädten wie Brasilia oder Chandigarh gibt es „fußgängerresistente“ Plätze.971 So spricht Christoph Bernhardt von der „langfristigen Aufweitung oder ‚Maßstabsveränderungen‘ der innerstädtischen Freiflächen“ im „kurzen“ 20. Jahrhundert zwischen 1900 und 1989.972 Auch der zeitgleiche Abriss von historischen Gebäuden lässt sich vielfach in westeuropäischen Städten finden, um als fortschrittlich betrachteten Projekten wie Kaufhäusern oder Stadtautobahnen Platz zu machen. Die Frage ist demnach, inwiefern es sich bei den riesigen Plätzen eher um ein generelles Phänomen der städtebaulichen Moderne handelt, das in vielen (ost-)europäischen Städten durch enorme Kriegszerstörungen begünstigt wurde. In den letzten dreißig Jahren wiederum entwickelte sich eine weitere Parallele zwischen Ost und West: die Aufwertung von historischer Architektur sowie von Formen und Strukturen, die als historisch empfunden werden.973 Als ein entscheidender Faktor ist wohl zunächst das Europäische Denkmalschutzjahr

969 Zu Prag vgl. Eva Skalická (Hg.): Srdce města. Historický, urbanistický a architektonický vývoj Staroměstského náměstí a soutěže na přestavbu a dostavbu radnice 1899–1988. Praha 2008. 970 Vgl. z. B. den Fotoband Alessandro Biamonti: Archiflop. A guide to the most spectacular failures in the history of modern and contemporary architecture. Zürich 2017. 971 Zitat nach Vale, Architecture, power, S. 131. 972 Bernhardt, Städtische öffentliche Räume, S. 23. 973 Vgl. z. B. Arnold Bartetzky: Die Rolle der Rekonstruktion nach dem Wechsel der Systeme in Osteuropa, in: Winfried Nerdinger (Hg.), Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte. München 2010, S. 138–147.

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1975 zu nennen.974 So steht mittlerweile ein Großteil der im Krieg oder durch Abriss zerstörten Gebäude wieder in Form von Rekonstruktionen wie die zwischen 1995 und 2000 rekonstruierte Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau oder das 2014 als Sitz des Landtags wiedereingeweihte Potsdamer Stadtschloss. Die Eröffnung des neugebauten Humboldtforums an der Stelle des Berliner Schlosses ist für 2019 geplant. Diese Tendenz der Rückkehr zu mehr oder weniger originalgetreuen historischen Formen ist keineswegs auf den postsozialistischen Raum beschränkt.975 2018 sind in Frankfurt fünfzehn Häuser einer neuen Altstadt wiederentstanden, bereits 2007 öffnete in Braunschweig eine Rekonstruktion des Residenzschlosses seine Pforten als Stadtarchiv und Stadtbibliothek (wie in der Zwischenkriegszeit) sowie als Shoppingcenter.976 Abschließend liegt bei der Einordnung der in den letzten dreißig Jahren allgemein zu beobachtenden aktuellen Sehnsucht nach kleinteiligen, historisierenden Formen und Dimensionen im Warschauer Fall die Frage nahe, inwiefern diese Tendenz verstärkt wird von der grässlichen Art und Weise, mit der die Stadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Das führt den Gedanken der Architekturhistorikerin Carola Hein fort, die fragt, „ob Städte, deren Nation auf der Gewinnerseite stand, andere Wiederaufbaustrategien verfolgten, als jene, deren Länder zu den Verlierern gehörten, ob der Wiederaufbau vom Trauma des Krieges bestimmt wird, oder ob er weitgehend das Resultat von langjährigen Stadtplanungstraditionen ist.“977 In Bezug auf Warschau spricht auch der Psychoanalytiker Andrzej Leder von einem Trauma. Demnach fülle „die graue Masse der Wohnblöcke“ des Wohnviertels „Hinter dem Eisernen Tor“ direkt beim Sächsischen Garten einen riesigen „Trauma-Raum“ („przestrzeń traumy“).978 Und die Überreste der Bank Polski an

974 Vgl. z. B. Maren Ursula Fürniß: Das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 im Kontext der Postmoderne. Debatten in Denkmalpflege und Architektur. Diss. Dresden 2017. 975 Die Liste lässt sich fast beliebig fortführen. Als extremes Beispiel sollte das sogenannte Fischerdorf in Kaliningrad nicht fehlen, das aus historisierenden Häusern ohne konkretes historisches Vorbild am Pregel besteht, vgl. Olga Sezneva: The Architecture of Descent: Historical Reconstructions and Politics of Belonging in Kaliningrad, the former Königsberg, in: Journal of Urban History 39 (2013), 4, S. 767–787. Bemerkenswert ist zudem der Plan eines Kaliningrader Architekten, die gesamte Altstadt wiederaufzubauen, vgl. URL http://altstadt.ru (Zugriff 20.05.2017). Ein besonderes Maß an Ferne vom historischen Original weist das „rekonstruierte“ Großfürstenschloss in Vilnius auf, dessen ursprüngliche Innengestaltung gar nicht überliefert ist, vgl. Arnold Bartetzky: Hauptsache, die historische Anmutung stimmt: Steinerne Selbstentschädigung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.10.2012, S. 29. 976 Vgl. Georg Wagner-Kyora: Schloss ohne Geschichte. Der Braunschweiger WiederaufbauKonflikt 1950–2007. Berlin 2008. 977 Hein, Trauma und Stadtplanung, in: Fraisl/Stromberger (Hg.), Stadt und Trauma, S. 122. 978 Leder, Psychoanaliza przestrzeni, in: Fundacja Bęc Zmiana (Hg.), Chwała Miasta, S. 104.

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der Ul. Bielańska seien eine „bemerkenswerte Ruine, deren unmögliche Gestalt nur dadurch greifbar wird, dass in sie das Trauma eingeschrieben ist, der Bruch, der Warschaus Charakter formt“.979 Solche psychologisierenden Deutungen erinnern an die biologisierende Sprache, die verwendet wurde, um die Zerstörung Warschaus zu beschreiben. Sie erscheinen einerseits verlockend, weil sie so bildhaft und greifbar sind. Andererseits sind sie aber nur selten genauer begründet – wohl auch, weil dies so schwer nachweisbar ist. Einen grandiosen Anfang bei der anspruchsvollen Erforschung der psychosozialen Situation im gesamten Polen in den ersten Jahren nach dem Krieg hat Marcin Zaremba gemacht: „Wie stark hatte dieser Infekt [eines Kriegskomplexes] die ‚kollektive Seele‘ der Polen angegriffen und welche Schäden verursachte er? Oder etwas moderner formuliert: Was waren die Quellen, die Symptome und kulturellen Konsequenzen des Kriegstraumas?“980 Hier interessierte insbesondere die Warschauer Nachkriegsgesellschaft, doch genauere Analysen der Konstitution dieser städtischen Gesellschaft und ihres „soziologischen Vakuums“981 sind bisher selten. Vielleicht könnte bei der Erforschung dieses Desiderats gar eine neue Perspektive auf die Warschauer Nachkriegsgeschichte gewonnen werden. Abschließend kann gefragt werden, ob Städtebau und Denkmalschutz sich für diese Untersuchung besonders gut eignen, da dies Themenbereiche mit unmittelbarer persönlicher Bedeutung für die Stadtbevölkerung sind. Speziell in Warschau war die historische Bedeutung der Plätze nahezu kontinuierlicher Referenzpunkt persönlicher Reflexionen. Viele ArchitektInnen, von denen viele alte WarschauerInnen waren, erinnerten sich nicht nur an die Vorkriegsgestaltung, sondern auch an die Vorkriegsatmosphäre, was sie öffentlich äußerten. In zahlreichen Leserbriefen wurden historische Bezüge beschrieben und die vergangene Bedeutung der Plätze blieb selbst späteren Generationen ohne persönliche Erinnerung präsent. Auch bei Themen wie der staatlichen Unabhängigkeit der Zwischenkriegszeit sowie dem Zweiten Weltkrieg handelte es sich um Themen, die weit mehr als eine lokale, persönliche Tragweite hatten. Das spricht auch aus Sigalins Kommentar aus den achtziger Jahren zum Plac Zwycięstwa: „Die heutigen Warschauer, selbst die Vierzigjährigen, haben diesen Säulengang [des Sächsischen Palais] nie mit eigenen Augen gesehen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Das ist wahr – oder zumindest fast. Im Leben. Aber nicht als Lösungsansatz für die stadtplanerisch-architektonischen Aufgaben [. . .] an diesem Platz [. . .].“982 Insofern liegt die These zumindest für Warschau nahe, dass das Regime wenigstens 979 Ebd. 980 Zaremba, Die große Angst, S. 73. 981 Dies ist ein Begriff des Soziologen Stefan Nowak von 1979, vgl. ebd., S. 80. 982 Sigalin, Warszawa, Band 1, S. 260.

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zeitweise eine gewisse Bereitschaft zu Diskussion und Kritik zeigte, vor allem weil das Interesse und die Emotionen vonseiten der Bevölkerung so groß waren.983 Das zeigte die grobe Durchsicht der persönlichen Stellungnahmen, ohne dass mit einem Untersuchungszeitraum von mehr als vierzig Jahren diese Quellen erschöpfend untersucht werden konnten. Das Bild eines komplett repressiven und uniformen Staatswesens scheint jedoch nicht haltbar zu sein. Auch ein Oral-History-Projekt für die jüngste Geschichte könnte vielversprechend sein, denn ergänzende Gespräche mit KunsthistorikerInnen und ArchitektInnen haben bereits spannende Einblicke in eigensinnige Praktiken der DenkmalpflegerInnen, ArchitektInnen und teilweise der Bevölkerung gegeben. Eine „Einladung, einen neuen Gründungsmythos des zeitgenössischen Warschaus zu schaffen, um die Geschichte des Verlusts mit einer Erzählung über das Leben auszutarieren“, erkannte Grzegorz Piątek bereits im Tagebuch des wiedererstehenden Warschaus der Fotografinnen Zofia Chomętowska und Maria Chrząszczowa.984 Doch selbst wenn zukünftige ForscherInnen diese Einladung annehmen, eine Geschichte der Lebenden zu schreiben, ohne die Opfer zu ignorieren oder das Gedenken an sie zu missachten, und wenn die Freiflächen des Sächsischen und Brühlschen Palais auf die eine oder andere Art bebaut werden, so wird die menschliche Tragödie bleiben: die etwa 700 000 toten WarschauerInnen, die in ihre Stadt nie wieder zurückkehren konnten und die eine Leere hinterließen, die nie wieder zu füllen ist. Ihnen sowie denjenigen, die das Weiterleben in der Stadt wagten und ermöglichten, ist diese Arbeit gewidmet.

983 Vgl. Katharina Schwinde: „Eine Sache, die uns alle angeht!“ Gesellschaftliche Initiative und Partizipation im russischen Denkmalschutz und in der Denkmalpflege in den 1960er Jahren. Diss. phil. Jena. Jena 2018. 984 Grzegorz Piątek: Koniec, który stał się początkiem, in: Karolina Lewandowska (Hg.), Kronikarki – The Chroniclers. Zofia Chomętowska – Maria Chrząszczowa. Warszawa 2011, S. 274–291, hier S. 291.

Abkürzungsverzeichnis AK AL BOS BUW CIAM CRZZ FJN IPS KC KOD KOR KPN KPdSU KRN KSS KOR KUA MBP MDM MSZ NAW NKWD NROW ORMO PAU PKWN PPR PPS PRN PSL PZPR ROPCiO

Armia Krajowa Armia Ludowa Biuro Odbudowy Stolicy Biuro Urbanistyczne Warszawy Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (frz.) Centralna Rada Związków Zawodowych Front Jedności Narodu Instytut Propagandy Sztuki Komitet Centralny Komitet Obrony Demokracji Komitet Obrony Robotników Konfederacja Polski Niepodległej Krajowa Rada Narodowa Komitet Samoobrony Społecznej KOR Komisja UrbanistycznoArchitektoniczna Ministerstwo Bezpieczeństwa Publicznego Marszałkowska Dzielnica Mieszkaniowa Ministerstwo Spraw Zagranicznych Naczelny Architekt Warszawy Narodnyj Komissariat Wnutrennych Del (russ.) Narodowa Rada Odbudowy Warszawy Ochotnicza Rezerwa Milicji Obywatelskiej Pracownia ArchitektonicznoUrbanistycznej Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego Polska Partia Robotnicza Polska Partia Socjalistyczna Prezydium (Stołecznej) Rady Narodowej Polskie Stronnictwo Ludowe Polska Zjednoczona Partia Robotnicza Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela

https://doi.org/10.1515/9783110644975-007

Heimatarmee Volksarmee Büro für den Wiederaufbau der Hauptstadt Warschauer Stadtplanungsbüro Internationale Kongresse Moderner Architektur Zentraler Gewerkschaftsrat Front der Nationalen Einheit Institut für die Popularisierung der Kunst Zentralkomitee Komitee zur Verteidigung der Demokratie Komitee zur Verteidigung der Arbeiter Konföderation Unabhängiges Polen Kommunistische Partei der Sowjetunion Landesnationalrat Komitee der Gesellschaftlichen Selbstverteidigung KOR Kommission für Stadtplanung und Architektur Ministerium für Öffentliche Sicherheit Marszałkowska-Wohnviertel Außenministerium Warschauer Chefarchitekt Volkskommissariat des Inneren Nationaler Rat zum Wiederaufbau Warschaus Freiwillige Reserve der Bürgermiliz Büro für Architektur und Stadtplanung Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung Polnische Arbeiterpartei Polnische Sozialistische Partei Präsidium des Warschauer (hauptstädtischen) Nationalrats Polnische Volkspartei Polnische Vereinigte Arbeiterpartei Bewegung zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte

Abkürzungsverzeichnis

SARP SD SFOS

Stowarzyszenie Architektów Polskich Stronnictwo Demokratyczne Społeczny Fundusz Odbudowy Stolicy

SL UB WAZ

Stronnictwo Ludowe Urząd Bezpieczeństwa Wydział Architektury Zabytkowej

WDO WIB WP WRON ZBOWiD

Warszawska Dyrekcja Odbudowy Warszawska Inspekcja Budowlana (Ludowe) Wojsko Polskie Wojskowa Rada Ocalenia Narodowego Związek Bojowników o Wolność i Demokrację Zmotoryzowane Odwody Milicji Obywatelskiej Związek Polskich Artystów Plastyków

ZOMO ZPAP

337

Polnischer Architektenverband Demokratische Partei Gesellschaftlicher Fonds zum Wiederaufbau der Hauptstadt Volkspartei Sicherheitsamt Abteilung für Denkmalgeschützte Architektur Warschauer Direktion des Wiederaufbaus Warschauer Bauinspektion Polnische (Volks-)Armee Militärischer Rat der Nationalen Rettung Verband der Kämpfer für Freiheit und Demokratie Motorisierte Reserven der Bürgermiliz Polnischer Künstlerverband

Abbildungs- und Kartenverzeichnis Abbildungen Abb. 1.1: Abb. 1.2: Abb. 1.3: Abb. 1.4:

Abb. 1.5: Abb. 1.6:

Abb. 1.7: Abb. 1.8: Abb. 1.9: Abb. 2.1: Abb. 2.2:

Abb. 2.3: Abb. 2.4: Abb. 2.5: Abb. 2.6:

Abb. 2.7: Abb. 2.8: Abb. 2.9:

AutorIn: Unbekannt. Quelle: ASARP A, 2/188, Pomnik Bohaterów Warszawy, 1958. FotografIn: Unbekannt. Quelle: Bildarchiv Foto Marburg, fm931440. Fotograf: Leopold Sempoliński. Quelle: IS PAN, 195797. FotografIn: Unbekannt. Quelle: URL https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Plac_Teatralny_i_Teatr_Wielki_ w_Warszawie_przed_1939.jpg (Zugriff: 15.04.2019). Quelle: Archiwum Główny Akt Dawnych, Zb. Kart. Syg. 86–21. FotografIn: M. Pusch. Quelle: URL https://pl.wikipedia.org/wiki/Pa%C5%82ac_Saski_w_Warszawie#/ media/File:Obel2.jpg (Zugriff 26.04.2017). FotografIn: Unbekannt. Quelle: NAC, 1-A-2589-5. FotografIn: Unbekannt. Quelle: Andrzej Soltan: Warszawa wczoraj. Gliwice 1998. FotografIn: Unbekannt. Quelle: NAC, 1-U-7044-2. Autor: Bronisław Wojciech Linke. Quelle: Bronisław Wojciech Linke: Kamienie krzyczą. Warszawa 1967. Fotograf: Ron Kroon/Anefo/CC0 1.0. Quelle: URL https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Beeld_van_Zadkine_ te_Rotterdam_(stad_zonder_hart),_Bestanddeelnr_920-7143.jpg?uselang=nl (Zugriff: 15.04.2019). FotografIn: Unbekannt. Quelle: Google Earth. FotografIn: Unbekannt. Quelle: NAC, 2-3395. FotografIn: Unbekannt. Quelle: Google Earth. Fotograf: Jan Bułhak. Quelle: https://pl.wikipedia.org/wiki/Plik:The_Saski_Palace_Warsaw,_de%A0stroy ed_by_Germans_in_1944.jpg. Fotograf: Karol Szczeciński. Quelle: East News Poland, EN_00935961_0002. Fotograf: Leon Jarumski. Quelle: NAC, 1-P-390-3. FotografIn: Unbekannt. Quelle: NAC, 2-3396.

https://doi.org/10.1515/9783110644975-008

Abbildungs- und Kartenverzeichnis

339

Abb. 2.10: FotografIn: Unbekannt. Quelle: Sammlung D.B. Lomaczewska/East News Poland, EN 00915375_0011. Abb. 2.11: FotografIn: Unbekannt. Quelle: NAC, 1-A-2589-3. Abb. 2.12: Quelle: Bohdan Garliński: Architektura polska 1950–51. Warszawa 1953, S. 148. Abb. 2.13: Quelle: Społeczny Fundusz Odbudowy Stolicy (Hg.), Warszawa stolica Polski. Warszawa 1949, S. 142. Abb. 2.14: Fotograf: MatiOmlet. Quelle: URL https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/99/Ulica_Kr% C3%B3lewska_w_Warszawie.jpg (Zugriff 10.04.2017). Abb. 3.1: Quelle: AAN, Akta Spychalskiego (1536), 67, Projekty Placu Dzierżyńskiego, 1953. Abb. 3.2: Quelle: AAN, Akta Spychalskiego (1536), 67, Projekty Placu Dzierżyńskiego, 1953. Abb. 3.3: Autor: Kazimierz Marczewski. Quelle: Bolesław Bierut: Der Sechsjahrplan des Wiederaufbaus von Warschau. Warszawa 1951. Abb. 3.4: Fotograf: Edmund Goldzamt. Quelle: Edmund Goldzamt: Architektura zespołów śródmiejskich i problemy dziedzictwa. Warszawa 1956, S. 415. Abb. 3.5: Quelle: WA, 20/429, Teatr Wielki, 1953. Abb. 3.6: Fotograf: Zbigniew Siemaszko. Quelle: NAC, 51-796-1. Abb. 3.7: Autor: Unbekannt. Quelle: Adolf Ciborowski: Warschau. Zerstörung und Wiederaufbau der Stadt. Warschau 1965. Abb. 3.8: Autor: Jan Knothe. Quelle: Bierut, Sechsjahrplan, Abb. Nr. 13. Abb. 3.9: Autor: Unbekannt. Quelle: Bierut, Sechsjahrplan, Karte Nr. 13. Abb. 3.10: Fotograf: Leopold Sempoliński. Quelle: IS PAN, 195800. Abb. 3.11: FotografIn: Unbekannt. Quelle: AAW, 3065. A. X. 1. 103. Abb. 3.12: FotografIn: Unbekannt. Quelle: AAW, 3065. A. X. 1. 103. Abb. 3.13: FotografIn: Unbekannt. Quelle: AAW, 3065. A. X. 1. 103. Abb. 3.14: Autor: Unbekannt. Quelle: AAN, URM (290), 56/48, Metro warszawskie, 1952. Abb. 3.15: Quelle: O.V.: Konkurs na urbanistyczne rozwiązanie placu Teatralnego i placu Dzierżyńskiego, in: Architektura (1955), 10, S.297. Abb. 3.16: Fotograf: Stanisław Wydżga. Quelle: East News Poland, EN_01217054_0046. Abb. 4.1: Fotograf: Andrzej Zborski/FOTONOVA. Quelle: FOTONOVA, FN_00909360_0388. Abb. 4.2: Fotograf: Zbigniew Siemaszko. Quelle: S.: Plac Teatralny i „luka widokowa“, in: Stolica (1958), 16, S. 12–13, hier S. 13.

340

Abb. 4.3: Abb. 4.4: Abb. 4.5:

Abb. 4.6: Abb. 4.7: Abb. 4.8: Abb. 4.9: Abb. 4.10: Abb. 4.11: Abb. 4.12:

Abb. 4.13: Abb. 4.14: Abb. 4.15: Abb. 4.16: Abb. 4.17: Abb. 4.18:

Abb. 4.19: Abb. 4.20: Abb. 4.21: Abb. 4.22: Abb. 4.23: Abb. 4.24:

Abbildungs- und Kartenverzeichnis

Fotograf: Jacek Sielski. Quelle: k.k.: Na Długiej i Bielańskiej, in: Stolica (1963), 23, S. 5. Quelle: AMWKZ, 817/22, Ul. Senatorska 22, 1948. FotografIn: Unbekannt. Quelle: URL https://pl.wikipedia.org/wiki/Budynek_Banku_Polskiego_w_Warsza wie (Zugriff 11.11.2018). Scan aus: Robert Marcinkowski: Ilustrowany Atlas Dawnej Warszawy. Warszawa 2013, S. 232. Quelle: WA 2/1383, Bielańska. Fotograf: Leopold Sempoliński. Quelle: IS PAN, 195840. Fotograf: Andrzej Zborski/FOTONOVA. Quelle: FOTONOVA, FN_00909360_3505. Fotograf: Bolesław Miedza. Quelle: PAP/Bolesław Miedza. Quelle: Stanisław Jankowski: Plac Teatralny – ale jaki?, in: Życie Warszawy vom 26.07.1970. Fotograf: Unbekannt, im Auftrag des SARP. Quelle: ASARP 2/243, Konkurs nr. 357 na Plac Zwycięstwa, 1963–1968. Fotograf: Unbekannt. Quelle: URL http://pl.wikipedia.org/wiki/Pa%C5%82ac_Kronenberga_w_Warszawie# mediaviewer/File:Kronenberg_Palace_in_Warsaw_-_c.1871.jpg (Zugriff 15.04.2019). Fotograf: Leopold Sempiński. Quelle: IS PAN, 195996. Fotograf: Unbekannt, im Auftrag der französischen Botschaft. Quelle: CADN, 721PO/1/274. Fotograf: Unbekannt, im Auftrag der französischen Botschaft. Quelle: CADN, 721PO/1/274, 8. Fotograf: Unbekannt, im Auftrag der französischen Botschaft. Quelle: CADN, 721PO/1/274, 15. Quelle: CADN, 721PO/1/274. Quelle: CADN, 721PO/1/274. Scan aus: Lamarre, François: Mutation. Une ambassade à Varsovie/Przemiana. Ambasada w Warszawie/An embassy in Warsaw. Ambassade de France, Jean-Philippe Pargade architecte. Bruxelles 2005, S. 18. Fotograf: Unbekannt, im Auftrag des SARP. Quelle: ASARP 2/243, Konkurs nr. 357 na Plac Zwycięstwa, 1963–1968. Fotograf: Unbekannt, im Auftrag des SARP. Quelle: ASARP 2/243, Konkurs nr. 357 na Plac Zwycięstwa, 1963–1968. Fotograf: Unbekannt, im Auftrag des SARP. Quelle: ASARP 2/243, Konkurs nr. 357 na Plac Zwycięstwa, 1963–1968. Fotografin: Jana Fuchs. Quelle: Archiv der Autorin. Quelle: AAN, Akta Spychalskiego (1536), 38. Quelle: Wojciech Zabłocki: Muzeum Walk Rewolucyjnych i Wyzwoleńczych, in: Architektura (1967), 12, S. 503.

Abbildungs- und Kartenverzeichnis

341

Abb. 4.25: Quelle: Wojciech Zabłocki: Muzeum Walk Rewolucyjnych i Wyzwoleńczych, in: Architektura (1967), 12, S. 502. Abb. 4.26: Quelle: Wojciech Zabłocki: Muzeum Walk Rewolucyjnych i Wyzwoleńczych, in: Architektura (1967), 12, S. 504. Abb. 4.27: Quelle: Wojciech Zabłocki: Muzeum Walk Rewolucyjnych i Wyzwoleńczych, in: Architektura (1967), 12, S. 504. Abb. 4.28: Quelle: ASARP, 2/243. Abb. 4.29: Quelle: Jerzy Wilk: Konkurs na studium koncepcji urbanistycznej placu Zwycięstwa i fragmentu terenów Powiśla w Warszawie, in: Architektura (1965), 2, S. 49–58, S. 53. Abb. 4.30: Quelle: Krystyna Krzyżakowa: Po konkursie na Placu Zwycięstwa, in: Stolica (1972), 36, S. 5. Abb. 4.31: FotografIn: Unbekannt. Quelle: Stolica (1970) 51/52, S. 27. Abb. 5.1: Fotograf: Mariusz Hermanowicz/FOTONOVA. Quelle: FOTONOVA, EN_01103051_0306. Abb. 5.2: Fotograf: Tadeusz Zagoździński/ADM. Quelle: Ośrodek KARTA, IPA_001-12A-025. Abb. 5.3: Fotograf: Unbekannt/FOTONOVA. Quelle: FOTONOVA, EN_00909363_4752. Abb. 5.4: FotografIn: Unbekannt. Ośrodek KARTA, OK_029593_580. Abb. 5.5: Fotograf: Janusz Rosikoń/FOTONOVA. Quelle: FOTONOVA, EN_00909360_1214. Abb. 5.6: Fotograf: Chris Niedenthal/FORUM. Quelle: Agencja FORUM. Abb. 5.7: Fotograf: Włodzimierz Wasyluk. Quelle: East News Poland, EN_00907779_4119. Abb. 5.8: AutorIn: Unbekannt. Quelle: Ośrodek KARTA, AOZ_0253_580. Abb. 5.9: Quelle: ASARP, 3/5530, Bank Polski. Abb. 5.10: Fotograf: Mozzerati/CC BY-SA 3.0/Wikimedia Commons. Quelle: URL https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Uprising_bank_polski.jpg (Zugriff: 27.04.2017). Abb. 6.1: Fotografin: Jana Fuchs Quelle: Archiv der Autorin. Abb. 6.2: FotografIn: Unbekannt. Quelle: AMWKZ, N./War 1292. Abb. 6.3: Fotografin: Jana Fuchs. Quelle: Archiv der Autorin. Abb. 6.4: Fotograf: Adrian Grycuk/CC BY-SA 3.0-pl/Wikimedia Commons. Quelle: URL https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Uprising_bank_polski.jpg (Zugriff: 15.04.2019). Abb. 6.5: Quelle: Dariusz Bartoszewicz: Sobie, a nie Papieżowi, in: Gazeta Stołeczna vom 18.10.2005, S. 1.

342

Abb. 6.6:

Abbildungs- und Kartenverzeichnis

Fotograf: Adrian Grycuk/CC BY-SA 3.0-pl/Wikimedia Commons. Quelle: URL https://pl.m.wikipedia.org/wiki/Plik:Pomnik_Ofiar_Tragedii_Smole% C5%84skiej_w_Warszawie_2018b.jpg (Zugriff: 15.04.2019).

Karten Karte: Warschau 1939, Peter Palm, Berlin. Karte: Warschau 1989, Peter Palm, Berlin.

Quellen- und Literaturverzeichnis Unveröffentlichte Quellen Archiwum Akt Nowych (Archiv der Neuen Akten, AAN) 233: Bank Polski 237: Centralne Archiwum KC PZPR, Wydział Organizacyjny 289: Główny Urząd Likwidacyjny 290: Prezydium/Urząd Rady Ministrów 314: Ministerstwo Odbudowy (1945–1949) 366: Ministerstwo Kultury i Sztuki (1944–1989) 392: NROW/SFOS 516, 819: Ministerstwo Budownictwa (1949–1950, 1954–1957) 557: Ministerstwo Budowy Miast i Osiedli (1946–1949, 1950–1956) 560: Komitet Budownictwa, Urbanistyki i Architektury (1953–1964) 580: Instytut Urbanistyki i Architektury (1948–1971) 1354: PZPR Komitet Centralny w Warszawie V Biuro Polityczne XI A. Kancelaria I Sekretarzy KC PZPR 1536: Akta Mariana Spychalskiego 1587: Urząd do Spraw Wyznań Wyznania nierzymsko-katolickie 2127: Komitet d/s Urbanistyki i Architektury w Warszawie (1953–1960)

Archiwum Archidiecezji Warszawskiej (Archiv der Erzdiözese Warschau, AAW) Zgromadzenie Panien Kanoniczek

Archiwum Mazowieckiego Wojewódzkiego Konserwatora Zabytków (Archiv des Denkmalschützers der Wojewodschaft Masowien) 817: Ul. Senatorska 22, 1948 1338: Teatr Wielki, 1950er Jahre 9/2806: Bank Polski/Ul. Senatorska 22/Plac Saski 9/2835: Kamienica Mikulskiego, 1997 N./War 1292: Pałac Brühla/Pałac Saski, 2004 N./War 1293 und N./War. 1294: Plac Saski, 2006 N./War 1340: Pałac Saski, 1958 T./War 2446: Bank Polski, 1981 T./War 3011: Plac Teatralny, 1990er Jahre T./War 3012: Plac Teatralny, 1997 T./War 3014: Ul. Senatorska 14–20, 1991 T./War 3388: Bank Polski (Muzeum Powstania, Reduta), 2000 T./War 3590: Ul. Bielańska 1 T./War 3963: Muzeum Powstania w Banku Polskim, 1999

https://doi.org/10.1515/9783110644975-009

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Quellen- und Literaturverzeichnis

T./War 4126: Ul. Senatorska 22, 2001 T./War 5340: Plac Saski, 2000 T./War 5656: Ul. Bielańska 10, 2004

Archiwum Ministerstwa Spraw Zagranicznych (Archiv des [polnischen] Außenministeriums, AMSZ) 8, 59/811: Nieruchomość Ambasasady Francji w Warszawie, 1957 8, 5/72: Sprawa budynku Ambasady Francji w Warszawie, 1949 17, 14/129: Sprawa budowy gmachu Ambasady Francji w Warszawie, 1962–1963

Archiwum Państwowe m.st. Warszawy (Staatliches Archiv der Hauptstadt Warschau, APW) 17: Prezydium Dzielnicowej Rady Narodowej (DRN) Warszawa-Śródmieście (1948–1973) Komisja Budownictwa DRN 25: Biuro Odbudowy Stolicy Inwentaryzacja Zniszczeń Sekretariat Generalny 27: Wydział Architektury Zabytkowej BOS 36: Prezydium Rady Narodowej m.st. Warszawy 36/18: Wydział Polityki Budowlanej 36/10: Urząd Spraw Wewnętrznych 36/14: Wydział Kultury (Ekspozytura w Milanówku) 151: Redakcja Tygodnika „Stolica“ 520: Okręgowy Urząd Likwidacyjny w Warszawie (1945–1950) 1591: Zbiór Jana Zachwatowicza 1694: Naczelny Architekt Warszawy 1695: Pracownie urbanistyczne m.st. Warszawy 2072: METROPROJEKT (1948–2000) 2564: Komitet Dzielnicowy PZPR Warszawa-Śródmieście (1945–1948) 2592: Komitet Dzielnicowy PZPR Warszawa-Śródmieście (1949–1989)

Archiwum SARP (Archiv der Polnischen Architektenvereinigung, ASARP) Zarząd Główny A 2/188: Konkurs nr 240 na Pomnik Bohaterów Warszawy, 1958 A 2/218: Konkurs nr 322 na Oś Saską, 1961 A 2/219: Konkurs nr 322 na Oś Saską, 1961 A 2/243 Konkurs powszechny nr 357 na koncepcję urbanistyczną Placu Zwycięstwa i fragmentu terenu Powiśla w Warszawie, 1964–1968 A 2/4238: Konkurs nr 210 na Plac Teatralny, 1954 A 3/4419: Konkurs nr 498 na Plac Zwycięstwa w Warszawie, 1972 A 3/4474: Konkurs nr 447 na Projekt na ukształtowania przestrzennego rejonu Placu Teatralnego, 1969–1970 A 3/4785: Konkurs nr 392 na Muzeum Walk Rewolucyjnych i Wyzwoleńczych na Placu Zwycięstwa, 1967 A 3/5530: Konkurs nr 672 na Bank Polski przy Ul. Bielańskiej, 1985

Quellen- und Literaturverzeichnis

345

A 3/4472: Konkurs nr 707 na projekt koncepcyjny zespołu hotelowo-kongresowego ORBIS, 1988 A 3/5028: Konkurs na Centralny Plac Warszawy i związany z nim obszar Śródmieścia, 1951 Oddział Warszawski A 2/5842: Zamek Ujazdowski 2/701 I-III: Konkurs nr 707 na Zespół hotelowo-kongresowe ORBIS przy placu Zwycięstwa w Warszawie

Centre des Archives Diplomatiques Nantes (Diplomatisches Archiv [Frankreichs], Nantes, CADN) Ministère des affaires étrangères, Varsovie, Ambassade: 721PO/1/270: Nouvelle Ambassade, Construction de la nouvelle Chancellerie, Correspondance (1946–1963) 721PO/1/271: Nouvelle Ambassade, Construction de la nouvelle Chancellerie, Correspondance (1961–1966) 721PO/1/274: Projets et Plans (1954–1965) 721PO/1/275: Avant-Projet et projet fondamental Zehrfuss (1962) 721PO/1/277: Plans divers, Projet Zehrfuss (1962–1966)

Zespół d/s Archiwaliów w Narodowym Instytucie Dziedzictwa (Archiveinheit im Nationalen Institut für Kulturerbe, NID) Ewidencja Zabytków Ośrodku Dokumentacji Zabytków w Warszawie 751: Grób Nieznanego Żołnierza 937: Kamienica na Gołubskiem 1108: Zamek Książąt Mazowieckich 1433: Ul. Bielańska 10/12, Bank Polski Teki Kazimierza Saskiego (Grodzisk Mazowiecki) Teki 6/5, 7/1, 7/2

Wydział Archiwum Biura Organizacji Urzędu m.st. Warszawy (Archiv-Abteilung des Organisationsbüros der Warschauer Stadtverwaltung, WA) Archiwum Akt i Planów Mazowieckiego Urzędu Wojewódzkiego 2/1375 – 2/1383: Ul. Bielańska 10 (1947–1963) 11/3829: Ul. Królewska 11/13, Pałac Kronenberga (1959) 11/3862: Ul. Królewska 11/13, Hotel Victoria (1974–1976) 19/482, 19/483: Ul. Senatorska 12-16 (1949) 19/4756 – 19/4762: Ogród Saski (1947–1951) 19/498 – 19/500: Ul. Senatorska 22 (1948–1950) 20/429: Plac Teatralny (1953) 23/1555, 23/2802: Plac Zwycięstwa (1974–1975) 40/1104 – 10/1112: Plac Zwycięstwa, Hotel Victoria (1973)

346

Quellen- und Literaturverzeichnis

Wydział Filozofii i Socjologii PAN (Abteilung für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften, WFiS PAN) Zakład Socjologii Miasta: P’D.57: Krantz, Wiesław: Ocena miasta i użytkowanie elementów przestrzeni miejskiej przez nowych mieszkańców Szczecina. Warszawa 1977. P’D.184: Mirowski, Włodzimierz: Migracje do Warszawy. Rola napływu ludności w procesach rozwoju ośrodka wielkomiejskiego; aktualny skład i czynniki selekcji migrantów. Diss. Warszawa 1966. Uniwersytet Warszawski, Socjologia, Prace Doktorskie: U’D.3373: Kostecka, Alicja: Potrzeby mieszkaniowe i system ich zaspakajania w Polsce w latach 1945–1970. Warszawa 1973.

Archive visueller Quellen Archiv der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen (AFSO) Archiwum Fotograficzne Muzeum Warszawy (Fotoarchiv des Warschauer Museums) Archiwum Instytutu Sztuki PAN (Archiv des Kunst-Instituts der Polnischen Akademie der Wissenschaften, IS PAN) Archiwum Zakładu Architektury Polskiej przy Politechnice Warszawskiej (Archiv der Abteilung für Polnische Architektur des Warschauer Politechnikums) Biblioteka Politechniki Warszawskiej (Bibliothek des Warschauer Politechnikums, BPW) Zbiory Specjalne Bildarchiv Foto Marburg, URL https://www.uni-marburg.de/de/fotomarburg

Virtuelle Fotoarchive Fotoarchiv der KARTA-Stiftung: URL http://www.foto.karta.org.pl/ Narodowe Archiwum Cyfrowe (Nationales Digitales Archiv, NAC): URL https://audiovis.nac. gov.pl/ Polska Kronika Filmowa (Polnische Filmchronik, PKF): URL http://kronikarp.pl/ Fototeka Muzeum Powstania Warszawskiego (Fotoarchiv des Museums des Warschauer Aufstands): URL http://www.1944.pl/fototeka.html Agencja Fotograficzna East News Poland (Fotoagentur East News Poland): URL https://www. eastnews.pl/ FOTONOVA Agencja Prasowa (Presseagentur FOTONOVA): URL https://www.fotonova.pl/sub jects/category/id/8/ Polska Agencja Prasowa (Fotoarchiv der Polnischen Presseagentur, PAP): URL http://fotobaza. pap.pl/fotoweb/Grid.fwx?archiveId=5000 Polska Agencja Fotografów FORUM (Polnische Fotografen-Agentur FORUM): URL http://www. forum.com.pl/

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Veröffentlichte Quellen Andrzejewski, Jakub (Hg.): Gomułka i inni. Dokumenty z Archiwum KC 1948–1982. London 1987. Friszke, Andrzej/Zaremba, Marcin (Hg.): Wizyta Jana Pawła II w Polsce 1979. Dokumenty KC PZPR i MSW. Warszawa 2005. Górski, Jan (Hg.): Odbudowa Warszawy w latach 1944–1949: wybór dokumentów i materiałów. Tom 1. Warszawa 1977. Górski, Jan (Hg.): Odbudowa Warszawy w latach 1944–1949: wybór dokumentów i materiałów. Tom 2. Warszawa 1977. Prezydium Rady Narododwej Miasta Stołecznego Warszawy/Rada główna społecznego Funduszu Odbudowy Stolicy i Kraju (Hg.): Plan Generalny Warszawy. Warszawa 1965. Urban, Kazimierz: Cmentarze żydowskie, synagogi i domy modlitwy w Polsce w latach 1944–1966 (wybór materiałów). Kraków 2006.

Tages- und Wochenzeitungen Express Wieczorny Fołks-Sztyme Gazeta Stołeczna Gazeta Wyborcza Kulisy Kurier Polski Nowa Kultura Skarpa Warszawska Stolica Trybuna Ludu Tygodnik Powszechny Tygodnik Solidarność Życie Warszawy

Filme Ludzie z pustego obszaru, Regie: Kazimierz Karabasz, Władysław Ślesicki, 1957. Miasto na wyspach, Regie: Jerzy Dmowski, Bohdan Kosiński, 1958. Warszawa 1956, Regie: Jerzy Bossak, Jarosław Brzozowski, 1956. Siuta warszawska, Regie: Tadeusz Makarczyński, 1946.

Romane, Gedichtbände Baczyński, Krzysztof Kamil: Wybór Poezji. Wrocław 1989. Böll, Heinrich (Hg.): Der Engel schwieg. Roman. Köln 1992. Brandys, Kazimierz: Miasto pokonane. Warszawa 1957. Brandys, Kazimierz: Briefe an Frau Z. Erinnerungen aus der Gegenwart. Frankfurt am Main 1966. Gojawiczyńska, Pola: Stolica. Warszawa 1958.

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Personenregister Adamczyk, Andrzej 320 Albert, Fryderyk 134 Albrecht, Jerzy 106, 136, 145 Baczyński, Krzysztof Kamil 132, 204 Baniewicz, Salina 201 Bartoszewski, Władysław 51 Beck, Józef 96, 98 Bellotto, Bernardo (Canaletto) 65 Berling, Zygmunt 298 Berman, Jakub 28, 106 Bernard, Henry 218, 223, 224 Bernoulli, Hans 48 Biegański, Piotr 23, 65, 84, 85, 90, 119, 141, 255 Bierut, Bolesław 11, 44, 63, 64, 72, 84, 90, 102, 106, 109, 110, 126, 127, 130, 134, 139, 147, 148, 155, 156, 164, 165, 168, 171, 186, 262 Błaszczak, Mariusz 320 Bogusławski, Jan 118, 128, 141, 199, 216, 255 Brandt, Willy 252–254 Brandys, Kazimierz 33, 36, 39, 43, 44, 176, 178, 199, 200, 271, 272, 275, 278 Broniewska, Janina 33, 39 Chmiel, Józef 156 Chmielewski, Bohdan 295 Chmielewski, Jan 48, 52 Chomętowska, Zofia 335 Chrząszczowa, Maria 335 Ciborowski, Adolf 19, 69, 127, 185, 186, 187, 200, 217, 221–224, 325 Coppola, Francis Ford 288 Corazzi, Antoni 12, 102, 103, 109, 114, 133, 135, 139–141, 154–156, 158, 185, 189, 190, 194 Crettenand, André 289 Cybis, Jan 200 Cyrankiewicz, Józef 106, 228, 225, 236, 246, 253 Czerny, Władysław 194, 208, 247 Czuma, Andrzej 280 Czyż, Jerzy 156, 158, 185, 188, 241, 254, 256 https://doi.org/10.1515/9783110644975-010

Dąbrowska, Maria 36, 39, 132, 133, 161, 199 Damięcki, Bohdan 154, 155 Dębicki, Mieczysław 291, 300, 301 Dejmek, Kazimierz 250 Démaret, Jean 218, 219 d’Harcourt, Emmanuel 225 Dmowski, Jerzy 175 Drzewiecki, Henryk 303, 306, 315 Duda, Andrzej 317 Durko, Janusz 28, 303 Dworakowski, Zygmunt 219 Dzierżawski, Andrzej 239, 242 Dzierżyński, Feliks 102 Dziewulski, Stanisław 53, 59, 62, 69, 127, 325 Ehrenburg, Ilja 174 Fajans, Andrzej 244, 245 Feldon, Antoni 304 Fischer, Ludwig 54, 55 Fontana, Jakub 134 Foster, Norman 318, 319, 330 Frank, Hans 54 Furman, Jan 156, 158, 185, 188, 241 Gierek, Edward 131, 264–267, 269, 270, 272, 276, 280, 284, 285, 309, 329 Gillet, Guillaume 218, 223, 224 Głowiński, Michał 290–292, 297 Gniewiewski, Bohdan 118, 248 Gojawiczyńska, Pola 11, 36, 40, 43, 44, 57 Goldzamt, Edmund 106–110, 113, 119, 126–128, 132, 140, 142, 143, 155, 158, 165, 168–170 Gollert, Friedrich 54, 75 Gomułka, Władysław 25, 60, 170–175, 187, 188, 190, 198, 210, 222, 228, 229, 235, 236, 250–253, 255, 260, 262–266, 266, 270, 285, 325, 326, 328 Gorbatschow, Michail 307 Gościński, Ludwik 60, 71 Grześkiewicz, Helena 234, 236 Grześkiewicz, Lech 234, 236

Personenregister

Grzybowicz, Wojciech 207 Gutt, Romuald 91, 92, 118, 168, 294 Haussmann, Georges-Eugène 42, 43 Himmler, Heinrich 55, 56 Hitler, Adolf 1, 54–56, 75, 76, 77 Hitzig, Georg Friedrich Heinrich 214, 216, 217 Howard, Ebenezer 42 Hryniewiecki, Jerzy 129, 199, 219, 256 Idźkowski, Adam 92 Iwaszkiewicz, Jarosław 89 Jabłonowski, Antoni 134 Jabłoński, Henryk 288 Jagielski, Mieczysław 285 Jankowski, Stanisław 69, 110, 123, 156, 158, 159, 176, 177, 185, 187, 194, 206, 209, 239, 240, 242–244, 258, 261 Janowski, Józef Michał 280 Jarosiński, Witold 246 Jaroszewski, Tadeusz 214, 216, 222 Jaruzelski, Wojciech 287, 288, 297, 298, 308 Jastrun, Mieczysław 183 Jedynak, Jacek 207 Johannes Paul II. (auch: Jan Paweł II., Karol Wojtyła, Papst) 271, 273–279, 282, 284, 287, 289, 292, 294, 307, 310, 313, 317–321 Kaczorowski, Michał 52, 69, 87 Kaczyński, Lech 304, 317, 321 Kalina, Jerzy 321 Kaliszewski, Barbara 319 Kaliszewski, Andrzej 319, 321 Kania, Stanisław 285 Karabasz, Kazimierz 178 Karpiński, Zbigniew 89, 90, 138, 188 Kępa, Józef 246, 265 Kisielewski, Stefan 274 Kiszczak, Czesław 291, 308 Klemińska, Iza 301, 303 Klewin, Jan 179 Klinaŭ, Artur 331 Kliszko, Zenon 235, 236, 246, 251

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Kłosowicz, Helena 196 Knothe, Jan 114, 128 Komorowski, Bronisław 272, 278–280, 320 Konieczny, Marian 200, 201 Koolhaas, Rem 25, 318 Kosecki, Bolesław 248 Kosiński, Bohdan 175 Kotela, Czesław 193, 238, 242, 246, 247, 258 Kronenberg, Leopold 214, 216, 217, 252 Krzyżakowa, Krystyna 207, 208, 247, 248 Kucza-Kuczyński, Konrad 303 Kulerski, Witold 298 Kuroń, Jacek 277, 281, 282 Kuźmienko, Jerzy 330 Lasota, Stanisław 119, 127, 220, 246 Laurent, Jacques 220, 221, 223, 224 Le Corbusier 42, 43, 124, 189 Lessel, Józef 134 Leykam, Marek 188, 192, 233–236, 244, 249 Libeskind, Daniel 318 Linke, Bronisław Wojciech 36, 37 Lorentz, Stanisław 130, 261, 265 Majewski, Jerzy 236, 238, 242, 246, 247 Malisz, Bronisław 127, 128, 159, 167 Marczewski, Kazimierz 53, 244 Marczewski, Tomasz 244 Matyaszkiewicz, Janusz 207 Merlini, Dominik 134 Michałek, Bolesław 174 Michnik, Adam 271, 283 Mickiewicz, Adam 250 Miklaszewski, Andrzej 303 Mikołajczyk, Stanisław 78 Minc, Hilary 116, 171 Moczar, Mieczysław 228, 249 Moczulski, Leszek 282 Molotow, Wjatscheslaw 102, 116 Mumford, Lewis 57 Napieralski, Bohdan 319, 321 Natanson, Wojciech 242, 257 Niedenthal, Chris 288, 291

390

Personenregister

Niemojewski, Lech 52 Nowicki, Jacek 245, 256 Nowicki, Maciej 99, 124, 188 Omilanowska, Małgorzata 75 Ossowski, Stanisław 11, 41, 53, 61, 70, 182 Oudeh, Mohammad 268 Pawelski, Zbigniew 239, 242, 267 Pawlak, Zbigniew 240 Pawłowski, Adam 303 Pawluć, Tadeusz 240, 242 Piłsudski, Józef 16, 50, 78, 198, 278, 282, 300 Piotrowski, Roman 53, 62, 66, 68, 106, 127, 138 Pniewski, Bohdan 15, 52, 85, 86, 91–93, 95, 96, 98, 99, 118–120, 141, 142, 149, 167, 168 Pohoski, Jan 51 Polakowski, Zbigniew 212 Popiełuszko, Jerzy 297 Przewlocki, Jan 286 Raniszewski, Jan 322 Robaczyński, Lech 156, 158, 185 Rokossowski, Konstanty 96, 119 Rola-Żymierski, Michał 71 Romanowicz, Arseniusz 266 Różański, Tadeusz 156, 158 Rudniew, Lew 116 Rydz-Śmigły, Edward 75 Rzepka, Wiesław 239, 242 Saski, Kazimierz 159, 194 Scholtz, Alina 91 Sigalin, Józef 27–29, 65, 66, 87, 90, 107, 111, 114, 116, 121, 125–127, 129, 130, 134, 136–140, 150, 152, 154, 155, 163, 170, 175–177, 258, 261, 263, 325 Sikorski, Władysław 287 Sipiera, Zdzisław 321 Skibniewska, Halina 92, 187 Skibniewski, Zygmunt 62, 88, 114, 142, 176, 177, 180, 208

Skopiński, Andrzej 156, 158, 185, 188, 241 Skrzyńska-Paszkiewiczowa, Ewa 222 Skrzypczak, Jerzy 240, 242 Ślesicki, Władysław 178 Sontag, Susan 42 Spychalski, Marian 74, 103–105, 231, 232, 234–237, 246, 251, 294 Stalin, Josef 44, 102, 121, 153, 156 Starzyński, Stefan 33, 46, 49–51, 100, 134, 140, 203, 204 Stępiński, Zygmunt 23, 27, 74, 75, 85, 86, 90, 95, 96, 114, 128, 133, 155, 168, 190, 200, 203, 206, 240, 244, 247, 255 Stroop, Jürgen 9, 56 Sulimowski, Marian 245 Świergocka, Halina 239, 242 Syrkusowa, Helena 52, 127, 161 Syrkus, Szymon 48, 52, 53, 66, 127 Szwechowicz, Stanisław 322 Szyfman, Arnold 119, 210 Szymanowska, Elżbieta 146, 150, 151 Tołwiński, Stanisław 45, 71, 146 Tołwiński, Tadeusz 48, 52 Tyrmand, Leopold 6, 67, 68, 120, 121, 124, 131, 152–154, 170, 177, 178 Wajda, Andrzej 196 Walentynowicz, Anna 285 Wałęsa, Lech 285, 288, 297 Weychert, Kazimierz 158, 159, 169 Wiland, Jerzy 70 Wyka, Kazimierz 71 Wyszyński, Stefan 148, 150, 230, 287, 289 Zachwatowicz, Jan 52, 60, 65, 70, 85, 89, 90, 219, 245, 261, 262 Zadkine, Ossip 36, 38 Zaniewicz, Maria 214–216 Zarzycki, Janusz 246 Zehrfuss, Bernard 218, 224 Żeromski, Stefan 65 Ziembiński, Wojciech 280–282

Ortsregister Warschauer Plätze: Plac Dąbrowskiego 114, 137, 214, 226 Plac Defilad 5, 79, 174, 212 Plac Konstytucji 4, 5, 79, 103, 113–115, 165, 167, 189, 295 Plac Małachowskiego 114, 214, 223, 225 Plac Piłsudskiego V, 1, 8, 9, 16, 28, 47, 50, 54, 71, 78, 180, 249, 282, 315–322 Plac Saski 1, 13, 15, 16, 58, 71, 76, 78, 81, 119, 140, 214 Plac Stalina 174 Plac Teatralny V 1, 2, 4, 5, 7, 8–10, 12, 13, 23, 24, 27, 31, 33, 47, 50, 51, 58, 71, 79, 80, 84, 86, 88, 96, 97, 101, 114, 118, 120, 127, 132–141, 143–145, 147, 149, 150, 152–161, 164–169, 182–185, 187–192, 194–197, 199, 200, 203–210, 221, 233, 245, 254, 255, 257, 283, 302, 305, 311, 312, 315–317, 325, 326, 328 Plac Tłomackie 9, 89 Plac Trzech Krzyży 83, 155 Plac Za Żelazną Bramą 13, 87, 91, 101, 294, 295 Plac Zwycięstwa V, 1, 2, 4, 5, 7, 12, 13, 17,23, 26, 27, 31, 54, 71, 79, 81, 82, 84, 86–88, 90–94, 96–100, 114, 116–120, 122, 124, 126, 127, 131, 137, 141–143, 153, 162, 168, 180, 189, 194, 199, 205, 208, 210–214, 223–229, 231, 232, 237, 241–245, 247–250, 252, 254–257, 267, 268, 272–278, 282, 284, 286, 287, 289–295, 298–301, 307, 309–313, 315, 317, 325–330, 334 Warschauer Straßen: Al. „Solidarności“ 68 Al. Jerozolimskie 49, 83, 98, 99, 124, 131, 175, 284 Al. Karola Świerczewskiego 89 Krakowskie Przedmieście 13, 71, 84, 94, 95, 130, 140, 250, 275, 292 Leszno 34, 68, 88, 89 Nalewki 34 Nowy Świat 20, 53, 83, 130, 131 https://doi.org/10.1515/9783110644975-011

Trasa Łazienkowska 266 Trasa W-Z 68, 87–89, 101, 135, 147, 151, 158–160, 183, 184, 191, 193, 315 Ul. Bielańska 114, 134, 135, 183, 184, 189–193, 195, 206, 302–304, 307, 334 Ul. Bonifraterska 49 Ul. Bracka 127 Ul. Chałubińskiego 127 Ul. Chmielna 123 Ul. Jasna 127, 137 Ul. Królewska 95, 127, 137, 213, 317 Ul. Krucza 83, 127 Ul. Książęca 301 Ul. Marchlewskiego 127 Ul. Marszałkowska 67, 87, 91, 99, 101, 103, 113–116, 124, 128, 138, 168, 175, 188, 189, 232, 233, 284, 294 Ul. Mazowiecka 180 Ul. Miodowa 153 Ul. Muranowska 34 Ul. Okopowa 34 Ul. Pańska 123 Ul. Puławska 172, 288 Ul. Senatorska 146, 153, 189, 190 Ul. Śliska 123 Ul. Wierzbowa 141, 206 Ul. Zgoda 127 Ul. Złota 123 Ul. Żytnia 289 Wisłostrada 266 Warschauer Stadtteile: Altstadt 4, 5, 12, 35, 47, 49, 54, 58, 64, 65, 70, 129, 130, 138, 140, 150, 165, 179, 199, 200, 204, 272, 280, 282, 289, 311, 325, 326 Bródno 182 Czerniaków 35 Grochów 112 Kamionek 112 Młociny 182 Mokotów 35, 39, 50, 68 Muranów 164, 165, 189, 252 Natolin 172

392

Ortsregister

Nowe Miasto 130 Okęcie 112 Powiśle 35, 245 Praga 35, 44, 138, 182 Ursus 270 Ursynów 267 Wilanów 130 Wola 35, 112, 289 Żerań 112, 182 Żoliborz 35, 49, 68, 187, 297 Baudenkmäler und Objekte (in Warschau, wenn nicht anders vermerkt): Alexander-Newski-Kirche 14, 16, 281 Andreas-Kirche der Kanonikerinnen (auch: Kanonikerinnen-Kirche) 136, 144–146, 148, 150, 159, 165, 183, 195, 221 Blank-Palais 51, 149, 159, 183, 195 Bank Polski 9, 134, 135, 183, 184, 191–193, 217, 302–307, 311, 312, 333 Brühlsches Palais 9, 14, 15, 17, 54, 71, 85, 86, 92, 96, 98, 119, 120, 205, 243, 244, 268, 301, 317, 320, 335 Christus-Erlöser-Kathedrale (Moskau) 122, 331, 333 Denkmal der gefallenen Verteidiger und Diener Volkspolens 294, 295, 305, 309, 326, 330 Denkmal der Helden Warschaus (auch: Nike-Denkmal, Warschauer Nike) 195, 197, 199, 201–206, 208–210, 228, 233, 240, 254, 257, 282, 302, 305, 311, 312, 315, 326, 328 Grab des Unbekannten Soldaten 14, 31, 32, 57, 71–75, 77, 78, 80, 85, 91, 92, 97–100, 118, 162, 205, 208, 211–213, 217, 218, 226, 232, 238, 240, 242, 246–249, 253, 254, 257, 268, 272, 274, 278–282, 284,286, 287, 290, 293, 298–300, 306–308, 310, 312, 318, 322, 326–330 Große Synagoge V, 9, 56, 89, 102, 251, 324 Hauptbahnhof 49, 266 Haus der Partei 131, 154, 164 Hotel Europejski 71, 95, 99, 100, 268 Hotel Victoria 267–269, 309, 310, 312, 313, 319, 326, 329

Jabłonowski-Palais 13, 134, 136–138, 150, 159, 203, 205 Jüdisches Theater 94, 214, 218, 227, 252, 267 Kierbedzia-Brücke 88 Königsschloss 16, 71, 91, 92, 94, 137, 212–222, 225–227, 252, 267 Kronenberg-Palais 16, 71, 91, 94, 137, 212–222, 225–227, 252, 267 Kulturpalast V, 4, 5, 12, 19, 21, 40, 64, 99, 115–129, 131, 138–140, 153, 162–165, 167, 168, 170, 172, 173–177, 179, 188, 189, 202, 212, 236, 250, 262, 266, 284, 325 Landtag (Potsdam) 333 Łazienki-Park 57, 81, 165, 266 Lubomirski-Palais 233, 237, 294, 295 Marszałkowska Dzielnica Mieszkaniowa (auch: MDM) 103, 114, 115, 127, 163, 167 Mikulski-Haus 189, 190 Mirowski-Markthallen 189 Mostowski-Palais 103 Museum der Geschichte der Polnischen Arbeiterbewegung 237 Museum der Geschichte der Polnischen Revolutionären Bewegung 238 Museum der Polnischen Revolutionsbewegung 192 Museum der Revolutions- und Befreiungskämpfe 229, 232, 237, 238 Museum des Warschauer Aufstandes 301–307, 311 Palast der Sowjets (Moskau) 121, 122 Poniatowski-Denkmal 75–77, 81, 85, 100 Powązki 196 Rathaus 8–10, 13, 33, 47, 51, 79, 114, 132–139, 143, 145–147, 149, 152, 158–160, 165, 168, 169, 183–185, 195, 200, 203–205, 209, 262, 315–317, 328 Residenzschloss (Braunschweig) 333 Sächsische Achse 13, 14, 54, 84, 87, 88, 90, 91, 96, 98, 99, 101, 103, 104, 115, 119, 188, 199, 211–212, 216, 224, 228, 229, 232, 233, 237, 242, 244, 249, 254, 256, 294, 295, 309, 311, 330 Sächsischer Garten 13, 16, 47, 58, 71, 85, 87, 91–93, 95, 99, 101, 114–116, 137, 163,

Ortsregister

188, 189, 217, 229, 232, 234, 237, 242, 244, 250, 255, 294, 328, 333 Sächsisches Palais 9, 13–17, 55, 71, 74, 76, 77, 81, 85, 86, 92, 98–100, 139, 205, 244, 247, 248, 257, 268, 301, 317, 318, 320, 334, 335 Sejm 84, 114 Stadion des Jahrzehnts 162, 164, 294 Stadtschloss (Berlin) 331, 333 Stanisław-Achse 199 Teatr Wielki 8, 12, 33, 51, 57, 96, 114, 117, 119, 122, 132–134, 137, 139–143, 149, 151, 152, 158, 160, 161, 162, 165, 168, 169, 183, 184, 195, 202, 204, 205, 207, 209, 210 213, 243, 250, 313, 316, 318, 328 Ujazdowski-Schloss 119 Städte: Belgrad 21, 179, 182 Brasilia 332 Braunschweig 333 Breslau 20, 59, 181 Budapest 121, 164, 172, 173 Chandigarh 332 Częstochowa 230 Danzig 59, 260, 264, 285, 289, 309 Eisenhüttenstadt 332 Frankfurt am Main 333 Gdingen 233, 235, 285 Gnesen 231, 287 Hiroshima 17, 45 Kaliningrad 20, 38, 59, 332, 333 Kattowitz 194, 250, 288 Katyń 308 Köln 143 Krakau 45, 47, 111, 139, 231, 271, 299, 332 Kyiv 121 Le Havre 64

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Lemberg 47, 230, 299, 300 Lenino 72, 298 London 12, 45, 57, 78, 196, 263 Lublin 44, 70 Manila 17 Minsk 21, 59, 64, 166, 179, 182, 331 Moskau 2, 24, 44, 78, 106, 107, 110, 116, 117, 121–124, 126, 127, 152, 153, 155, 164, 166, 170, 171, 331, 333 München 58 Nagasaki 17 Nowa Huta 111, 139, 166, 332 Posen 60, 71, 171, 172, 230 Potsdam 331, 333 Prag 164, 331, 332 Pruszków 56 Radom 270 Riga 121 Rotterdam 36–38, 58, 59, 64, 325 Ruda Śląska 309 Stalingrad 59 Stettin 20, 22, 59, 181 Tokio 17, 18, 58 Treblinka 11, 34, 56 Staaten: Belgien 107 Bundesrepublik Deutschland 8, 23, 67, 231, 232, 253, 254, 260, 265 Deutsche Demokratische Republik (auch: DDR) 217, 268, 331 Frankreich 26, 107, 213, 217, 329 Japan 58, 325, 326 Sowjetunion 2, 12, 17, 21, 46, 59, 78, 83, 96, 103, 106, 107, 109, 110, 116, 121, 131, 155, 156, 170, 173, 174, 179, 228, 231, 260, 281, 298, 300, 308, 326, 329