Stadtwachstum und Wohnungsnot: Determinanten unzureichender Wohnungsversorgung in Wien 1848 bis 1914 [Reprint 2019 ed.] 9783110655896, 9783486446319


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German Pages 340 Year 1977

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Table of contents :
Inhalt
1. Unzureichende Wohnungsversorgung als historisches und Gegenwartsproblem
2. Stadtwachstum und Bevölkerungszunahme
3. Der Konjunkturverlauf der Bauwirtschaft
4. Der Wohnungsmarkt: Angebot, Bedarf und zahlungsfähige Nachfrage im Lichte der Wohnverhältnisse
5. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Determinanten unzureichender Wohnungsversorgung
6. Anhang
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
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Stadtwachstum und Wohnungsnot: Determinanten unzureichender Wohnungsversorgung in Wien 1848 bis 1914 [Reprint 2019 ed.]
 9783110655896, 9783486446319

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STADTWACHSTUM UND WOHNUNGSNOT

SOZIAL- U N D

WIRTSCHAFTSHISTORISCHE

STUDIEN

Herausgegeben von A L F R E D H O F F M A N N und M I C H A E L

MITTERAUER

Institut für Wirtschafts- und Sozialgesdiichte Universität Wien

BAND 9

Wissenschaftliche A r b e i t a u f d e m G e b i e t d e r S o z i a l - u n d Wirtschaftsgeschichte steht in einem b e s o n d e r e n S p a n n u n g s f e l d . D i e Geschichtswissenschaft erkennt i m m e r k l a r e r die B e d e u t u n g gesellschaftlicher G r u n d l a g e n f ü r die B e a n t w o r t u n g ihrer F r a g e s t e l l u n g e n . T r a d i t i o n e l l e T h e m e n müssen unter diesem A s p e k t neu durchdacht w e r d e n . V o n Seiten d e r S o z i a l Wissenschaften e r f ä h r t die historische D i m e n s i o n s t ä r k e r e Beachtung — ein reiches A u f g a b e n f e l d f ü r die ihr nahestehenden historischen Teildisziplinen. D i e „ S o z i a l - und wirtschaftshistorischen S t u d i e n " b e m ü h e n sich um einen möglichst weiten thematischen R a h m e n . S o w o h l S p e z i a l u n t e r suchungen w i e Ü b e r b l i c k s d a r s t e l l u n g e n w e r d e n A u f n a h m e finden. N e u zeitliche u n d mittelalterliche A r b e i t e n sollen e i n a n d e r d a s Gleichgewicht halten. V o n P r o b l e m s t e l l u n g u n d Q u e l l e n l a g e her ergibt sidi i n s o f e r n ein räumlicher A k z e n t — i m M i t t e l p u n k t stehen Österreich u n d seine N a c h b a r l ä n d e r — , als die v e r ö f f e n t l i c h t e n U n t e r s u c h u n g e n in erster Linie aus der F o r s c h u n g s a r b e i t a m I n s t i t u t f ü r Wirtschafts- u n d Sozialgeschichte d e r U n i v e r s i t ä t Wien h e r v o r g e h e n .

PETER FELDBAUER

STADTWACHSTUM UND WOHNUNGSNOT Determinanten unzureichender Wohnungsversorgung in Wien 1848 bis 1914

R. O L D E N B O U R G VERLAG M Ü N C H E N 1977

G e f ö r d e r t durch das Bundesministerium für Wissenschaft u n d Forschung in W i e n .

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Feldbauer, Peter Stadtwachstum und Wohnungsnot : Determinanten unzureichender Wohnungsversorgung in Wien 1848 — 1 9 1 4 . — 1. Aufl. — München : Oldenbourg, 1977. (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien ; Bd. 9) ISBN 3—486—44631—2

© 1977. Verlag für Geschichte und Politik Wien Druck: R. Spies & Co., 1050 Wien Umschlagentwurf: Renate Uschan-Boyer I S B N 3-486-44631-2 Dieses Buch erschien auch im Verlag für Geschichte und Politik Wien (mit der I S B N 3-7028-0093-X)

INHALT 1. U N Z U R E I C H E N D E WOHNUNGSVERSORGUNG ALS HISTORISCHES U N D GEGENWARTSPROBLEM 2. STADTWACHSTUM U N D BEVÖLKERUNGSZUNAHME

7

29

2.1. Wachstumsfördernde Faktoren

29

2.2. Bevölkerungszunahme und Berufsstruktur . . . .

36

2.3. Territoriales Wachstum und Viertelbildung . . . .

47

3. DER K O N J U N K T U R VERL AUF SCHAFT

DER

BAUWIRT52

3.1. Die Entwicklung bis zum Boom der siebziger Jahre

53

3.2. Wechsellagen der Baukonjunktur von 1875 bis 1895

79

3.3. Wirtschaftsaufschwung und Baukonjunktur bis zum Kriegsausbruch

102

4. DER W O H N U N G S M A R K T : ANGEBOT, BEDARF U N D ZAHLUNGSFÄHIGE N A C H F R A G E IM LICHTE DER WOHNVERHÄLTNISSE

120

4.1. Die Wohnungsnot vor und nach der ersten Stadterweiterung

120

4.2. Wirtschaftskrise und Wohnungsmangel

148

4.3. Zweite Stadterweiterung und Vorkriegszeit .

.

.

166

5. WIRTSCHAFTLICHE, GESELLSCHAFTLICHE U N D POLITISCHE D E T E R M I N A N T E N U N Z U R E I C H E N D E R WOHNUNGSVERSORGUNG . . .

209

5.1. Die Gründe der Wohnungsnot nach dem Urteil der Zeitgenossen

212

5.2. Einkommen und Wohnungselend

232

5.3. Kapitalverwertung und Wohnungsnot

237

5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.4. 5.3.5.

Grundrente und Bodenpreise Baugewerbe, Bauordnung und Baupreise . Zinssatz und Kreditmarkt Miethöhe und Besteuerung Wohnungsmarkt und Mietpreisbildung .

240 250 260 270 277

5.4. Wohnzufriedenheit als Ursache mangelhafter Wohnungsversorgung? 6. A N H A N G 7. QUELLEN- U N D

286 291

LITERATURVERZEICHNIS .

.

324

1. UNZUREICHENDE WOHNUNGSVERSORGUNG ALS HISTORISCHES U N D GEGENWARTSPROBLEM In der jüngsten Vergangenheit haben die Preise und Mieten neuerrichteter Wohnungen in Wien, selbst wenn es sicii um Gemeindeoder Genossenschaftswohnungen handelt, Dimensionen erreicht, welche die Zahlungsfähigkeit breiter Bevölkerungsschichten übersteigen oder das Haushaltsbudget einkommensschwacher Gruppen zumindest in unzumutbarem Ausmaß belasten. Während teure Luxuswohnungen in größerer Zahl auch längere Zeit leerstehen, ist eine adäquate Versorgung kinderreicher Arbeiter- und Angestelltenfamilien, ausländischer Arbeiter und anderer marginaler Gesellschaftsschichten ohne staatliche Unterstützung nahezu unmöglich geworden. Ohne an dieser Stelle dem gegenwärtigen Ausmaß unzureichender Wohnungsversorgung weiter nachgehen zu wollen, das nur in jenem in letzter Zeit vielstrapazierten Problemfeld der „Verstädterung der Gesellschaft" und der „Unwirtlichkeit unserer Städte" interpretiert werden könnte 1 , läßt sich immerhin festhalten, daß der Wohnungsmarkt in der Regel keine hinreichende Befriedigung der Wohnungsbedürfnisse der Wiener Bevölkerungsmehrheit garantiert und grundsätzlich den sozialen und vermutlich auch den ökonomischen Bedürfnissen nicht optimal Rechnung trägt 2 . Obwohl also viele Formen besonders krassen Wohnungselends seit dem 19. Jahrhundert aus dem Stadtbild verdrängt worden sind, besteht kein Zweifel daran, daß die Wohnungsversor1 A u s der Fülle der sozialwissensdiaftlichen Literatur zum Problemkreis Verstädterung, Stadtplanung und Wohnungsversorgung seien lediglich beispielhaft angeführt Bahrdt, Großstadt; ders., Städtebau; Albers, Stadt; Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten; Helms - Janssen, Kapitalistischer Städtebau; Grauhan - Lindner, Verstädterung; Grauhan, Großstadt-Politik; Lefebvre, Revolution; Pfeil, Großstadtforschung; Mitsdierlidi, Unwirtlichkeit; Petsdi, Architektur und Städtebau; Goodman, Stadtplanung; Fassbinder, Arbeiterviertel; Chapman, Working-Class Housing. 2 Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten, S. 9 ff.

8

Unzureichende Wohnungsversorgung

gung nach wie vor zu den ungelösten Problemen mit gesellschaftspolitischer Tragweite zählt. Es überrascht daher nicht, daß die unbefriedigende Wohnungssituation in vielen Teilen Wiens heute, wenn auch mit etwas verminderter Intensität, ebenso wie vor hundert Jahren diskutiert wird und daß im Lauf der Zeit eine kleine Bibliothek von Publikationen zu diesem Thema entstanden ist. Die Wohnungsversorgung als soziale Frage wurde aber im 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht nur häufiger, sondern auch umfassender und kritischer analysiert, als dies gegenwärtig vielfach der Fall ist. Während man damals in einer Fülle von Detailuntersuchungen immer wieder nach den verschiedenen ökonomischen, politischen und sozialen Ursachen der seit etwa 1860/1870 stärker ins öffentliche Bewußtsein dringenden Wohnungsnot suchte und damit die Grundsatzfrage nach den Möglichkeiten und Grenzen des herrschenden Systems von Wohnungsproduktion und Wohnungsvermietung wenn schon nicht unmittelbar stellte, so doch zumindest vorbereitete, wird heute von Kommunalpolitikern und Stadtplanern häufig betont, die eigentlichen Schwierigkeiten der Wohnungsversorgung lägen darin, die Ware Wohnung bedürfnisgerechter zu produzieren 3 . Damit geraten jedoch die vielschichtigen ökonomischen und politischen Hintergründe der bestehenden Wohnungsmisere aus dem Blickfeld. Ihre Analyse wird zunehmend durch eine technokratische Bedürfnisforschung im Dienste der Stadtplanung ersetzt, welche in der Regel das bestehende System der Wohnungsproduktion als Konstante ansetzt und erst in diesem vorgegebenen Rahmen die Wohnungen an die Bedürfnisse der Bewohner — oder bisweilen auch umgekehrt — anpassen will 4 . Die unbefriedigende Lage städtischer Wohn- und Lebensbedingungen wird vorrangig als räumliche Unordnung interpretiert, welche weder individuellen noch kollektiven Lebensbedürfnissen entspreche. Zweifellos hat sich auch der Großteil der Wohnungsreformer des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit Detailproblemen und einzelnen, unzulässig isolierten Determinanten von Wohnungs3 Z u m Stellenwert des besonders zwischen 1 8 7 0 und 1 9 1 4 anschwellenden wissenschaftlichen und programmatischen Schrifttums zur "Wohnungsfrage vgl. unten S. 2 1 2 ff. 4 Beispielhaft sei verwiesen auf R o b e r t Reidiardt, Bedürfnisforschung im Dienste der Stadtplanung. Theoretische K o n z e p t e und Forschungsstrategien, 1 9 7 4 .

Stand der Wohnungsdiskussion

9

not herumgeschlagen, bei den darauf aufbauenden städtebaulichen Gesamtentwürfen w a r jedoch das sozialkritische und utopische Element wenigstens ansatzweise miteinander verbunden und in den Vordergrund gerückt worden 5 . Demgegenüber ist die junge Disziplin der institutionellen G r o ß stadtforschung, die freilich nicht von so augenfälligen Notsituationen im Wohnungsbereich wie vor dem Ersten Weltkrieg auszugehen hat, gegenwärtig im Begriff, von den sozioökonomischen und soziokulturellen Prozessen, die gesteigertes Stadtwachstum und schließlich Verstädterung überhaupt erst erzeugen und damit auch die spezifischen Produktions- und Verwertungsbedingungen am Wohnungsmarkt bestimmen, völlig zu abstrahieren oder sie lediglich als „Randbedingungen" zu setzen 6 . Der damit verbundene Rückzug von global ansetzenden Analysen auf die isolierte Betrachtung von Oberflächenphänomenen zeigt sich recht deutlich an den unterschiedlichen architektonischen Lösungsmodellen für die bestehenden Mängel der großstädtischen Wohnwelt 7 . Nicht selten werden architektonische Formen in ihren positiven wie negativen Auswirkungen einseitig aus der Technik abgeleitet, so daß die quantitativ wie qualitativ unzureichende Wohnungsversorgung nur mehr als materialgebundenes Problem der Baukunst und Bauindustrie existiert. Ebenso häufig gehen Lösungsvorschläge einseitig von ästhetischen Forderungen und Programmen aus, die aus stilgeschichtlichen Vergleichen gewonnen werden, oder infolge der „genialen" Imagination einzelner Architekten als formal Neues dem bestehenden Erfahrungsschatz als Bereicherung einverleibt werden können. Schließlich werden Architektur und Stadtwachstum in manchen Fällen als organische Entwicklung interpretiert, wodurch biologische Konzepte an die Stelle der ökonomischen und politisch-sozialen Analyse treten. Die historischen Bedingungen der Entstehung von Bauten und die Bedeutung für ihre Bewohner spielen in entsprechenden Untersuchungen nur eine sekundäre oder gar keine Rolle, es geht nicht um den angemessenen Einsatz der Architektur zur Befriedigung der Wohnbedürfnisse aller Gesellschaftsschichten, sondern um die unterstellte eigenständige 5

Vgl. Schumpp, Stadtbau-Utopien, S. 7 ff., besonders S. 40 ff. G r a u h a n - Lindner, Verstädterung, S. 11. 7 Die folgende kursorische Übersicht weitgehend nach Petsch, Architekturgesdiichtsforsdiung, S. 16 f. 6

10

Unzureichende Wohnungsversorgung

Entwicklung der Baukunst nach Kriterien, die z w a r innerhalb der eigenen Wissenschaftszunft als verbindlich gelten, nicht jedoch die Hemmnisse reflektieren, die einer gleichmäßigen Wohnungsversorgung aller entgegenstehen. D a s dennoch vorhandene Unbehagen über den miserablen Zustand der Städte und die unbefriedigenden, nicht bedürfnisgerechten Formen des Bauens entlädt sich in der Regel in Diskussionen, in denen wiederum Technologie, Ästhetik und Psychologie eine große Rolle spielen, die politökonomischen Grundlagen jedoch im Hintergrund bleiben. „ D e r Verdruß über ,die Unwirtlichkeit unserer Städte' wird somit weder theoretisch auf seine Ursachen zurückgeführt, noch können seine realen Ursachen beseitigt werden, solange die K r i t i k sich um die Erkenntnis der historischen Realität herumdrückt und die Planungsaktivitäten sich nicht auf die historische R e a l i t ä t der verkrüppelten Gesellschaft beziehen." 8 U m diesen fruchtlosen Verlauf der Diskussion zu durchbrechen, wäre es notwendig, den geschichtlichen S t a n d der objektiv möglichen Befriedigung menschlicher Wohnbedürfnisse mit der je spezifischen Zuordnung räumlicher Umwelt zu bestimmten kollektiven und individuellen Verhaltensweisen in Beziehung zu bringen. Dies scheint jedoch erst nach der Beantwortung einer Reihe v o n hier zunächst nur unsystematisch aufgezählten Fragen möglich. Zunächst wären die Ursachen für die enorme Beschleunigung des Wachstums der Städte, insbesondere der Metropolen, seit dem 19. Jahrhundert zu klären, woran sich die Beschäftigung mit der Frage anzuschließen hätte, durch welche Faktoren die räumliche Struktur der jeweiligen Agglomeration bestimmt wird. D a r a n könnte sinnvoll die Erklärung der Konzentration von Unterschichtenwohnungen in bestimmten Vierteln der S t a d t anschließen, welche eine eingehende Analyse der ökonomischen, politischen und sozialen Determinanten von Wohnungsproduktion und Wohnungsvermietung zur Voraussetzung hat. Die Frage nach der Funktion staatlicher und kommunaler Planung und Wohnungspolitik f ü r die Entwicklung der Stadt und den Stand der Wohnbedingungen einkommensschwacher Bevölkerungsschichten müßte zur K l ä r u n g des Problems unzureichender Wohnungsversorgung möglichst präzise im Gesamtbereich sozialpolitischer Maßnahmen 8

Helms - Janssen, Kapitalistischer Städtebau, S. 201.

Stellenwert historischer Analyse

11

beantwortet w e r d e n ; ebenso w ä r e die Einschätzung der aktiven R o l l e der v o n der W o h n u n g s n o t Betroffenen bei der H e r a u s bildung der baulich-räumlichen S t r u k t u r der modernen G r o ß s t a d t vorzunehmen. Diese müßte a u f eine A n a l y s e der A u s w i r k u n g e n quantitativer und q u a l i t a t i v e r M ä n g e l im Wohnbereich auf die verschiedenen Gesellschaftsschichten u n d möglichst s o g a r einzelnen H a u s h a l t e zurückgreifen 9 . A u f diese Weise w ä r e die R o l l e der Wohnung als S o z i a l i s a t i o n s i n s t a n z ebenso z u klären wie die aus unzureichenden Wohnverhältnissen resultierende G e f ä h r d u n g der R e p r o d u k t i o n der A r b e i t s k r a f t . Schließlich w ä r e in diesem Z u s a m m e n h a n g zu fragen, inwieweit gerade schichtspezifisdies Wohnelend innerhalb der städtischen K o m m u n e B e d e u t u n g f ü r proletarische E m a n z i p a t i o n s b e s t r e b u n g e n erlangt hat. „ D e n n die Proletarier lebten j a z u m größten Teil in den S t ä d t e n . Ihr m a t e rielles Elend w u r d e durch die unhygienischen, kleinen W o h n u n g e n bei hohen Mieten noch erhöht. Ihre Wohnviertel w a r e n die a m ungünstigsten gelegenen, mit öffentlichen Einrichtungen a m schlechtesten versehenen Gebiete der S t a d t . U r b a n i t ä t strahlten diese V i e r tel nicht aus. A b e r diese Slums w a r e n doch die G r u n d l a g e eines besonderen städtischen Verhaltens der Proletarier, eine G r u n d lage ihrer politischen Schlagkraft. H i e r konnten sie eine Schwäche kompensieren, die sie im Betrieb hart traf. D o r t w a r e n ihre K o m m u n i k a t i o n s w e g e leicht zu überwachen und zu zerstören. I m p r o letarischen Stadtviertel ermöglichte unbeeinflußte K o m m u n i k a tion proletarisches Selbstbewußtsein und proletarische K u l t u r . " 1 0 D e r Großteil der a u f g e z ä h l t e n Fragen oder k u r z angerissenen P r o b l e m e d r ä n g t sich allenthalben auch f ü r die G e g e n w a r t auf u n d kennzeichnet sogar, wie k u r z skizziert wurde, einen ausgesprochenen Krisenbereich der gegenwärtigen Gesellschaftspolitik und Wirtschaftsordnung. Es ist daher z u überlegen, inwieweit es sinnvoll ist, sich mit dem P r o z e ß der Entwicklung einer G r o ß s t a d t im 19. J a h r h u n d e r t u n d den d a r a u s resultierenden Problemen der W o h n u n g s v e r s o r g u n g im R a h m e n einer historischen D e t a i l u n t e r suchung gerade im Fall von Wien auseinanderzusetzen, also a n * Vgl. dazu ausführlich Fassbinder, Arbeiterviertel, 9 ff. 10 Gude, Bedeutungswandel, S. 58. — Mit besonderem Gewinn für die Einschätzung proletarischer Stadtviertel als Faktor im politischen Kampf der Arbeiterschaft wären wohl die Geschichte der Pariser Kommune sowie die Geschichte der Wiener Gemeindebauten zu analysieren.

Unzureichende Wohnungsversorgung

12

einem O r t , dessen Wachstum seit dem Z e r f a l l der Donaumonarchie nach dem Ersten Weltkrieg Wohnungsprobleme

natürlich

stagniert nicht

und dessen

so

ohne

geschichtliche

weiteres

mit

den

gegenwärtigen Verhältnissen zur Deckung gebracht werden können. Insbesondere stellt sich die Frage, inwieweit ein Rückgriff bis in die Zeit der frühen Industrialisierung Österreichs sinnvoll ist, da gerade der Wohnungsbau in Wien und die kommunale W o h nungspolitik der Bundeshauptstadt in der Zwischenkriegszeit mancher Hinsicht

richtungsweisend

in

gewesen sind und deren A n a -

lyse daher von vornherein mehr Gegenwartsrelevanz beanspruchen könnte als die Untersuchung einer abgeschlossenen, Jahrhundert

zurückliegenden

Epoche.

gezählten Fragenkatalog in die drei

Gliedert

nahezu

ein

den

auf-

man

Hauptuntersuchungsgebiete:

Ursachen und Determinanten von unzureichender

Wohnungsver-

sorgung, schichtspezifische Auswirkungen des Wohnungselends sowie Lösungsversuche durch Wohnungsreform und Wohnungspolitik, so steht außer Debatte, daß der letzte Bereich am sinnvollsten in den J a h r e n der sozialdemokratischen

Stadtverwaltung

Wiens

nach 1 9 1 8 analysiert werden sollte. Zweifellos kann eine U n t e r suchung der wohnungspolitischen M a ß n a h m e n der Gemeindeverwaltung dieser Epoche klare Ergebnisse über Möglichkeiten und Grenzen staatlicher und kommunaler Wohnungsreform im Rahmen der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung

liefern 1 1 .

Auch

Arbeiter-

zu

den

Fragen

der Zusammenhänge

zwischen

bewegung und der Ausformung proletarischer Wohnviertel könnte die historische Aufarbeitung des kommunalen Wohnungsbaues der Zwischenkriegszeit beitragen, wenngleich andererseits zu beachten ist, daß die vielfältigen Auswirkungen schichtspezifischen nungselends

in

den

Jahren

des

entscheidenden

Woh-

großstädtischen

Wachstums v o n Wien bis 1914 die krasseste Ausformung erfuhren, deren Analyse sicherlich auch die Basis für allgemeine Aussagen abgeben könnte. D e r U m f a n g des grob umrissenen Problembereiches von Stadtwachstum und Wohnungsnot ließ es jedoch geboten erscheinen, die Untersuchung zunächst auf die Erarbeitung und Gewichtung der ökonomischen,

politisch-administrativen

und

sozialen

nanten von unzureichender Wohnungsversorgung 1 1 Vgl. Krauss - Schlandt, Gemeindewohnungsbau; nungs- u n d Siedlungsbau.

Determi-

einzuschränken. Schweitzer,

Woh-

Stellenwert historischer Analyse

13

Erst auf dieser Basis werden die vorerst ausgeklammerten Fragen in weiterer Folge angemessen zu behandeln sein. Diese thematische Einschränkung legt auch die zeitliche Fixierung auf die Epoche von 1848 bis 1914 nahe, da in diesem Zeitraum die Prozesse von Wohnungsproduktion und Wohnungsvermietung noch nach relativ einfach zu durchschauenden, von staatlichen Eingriffen und anderen den liberalen Wohnungsmarkt verzerrenden Faktoren nicht allzusehr beeinflußten Gesetzmäßigkeiten profitorientierter K a p i talverwertung abliefen, so daß die entscheidenden Wirkungszusammenhänge gut zu fassen sind. Darüber hinaus ergibt sich die Möglichkeit, durch den Vergleich mit sozialwissenschaftlichen A n a lysen, die nach einem analogen Problemraster die gegenwärtigen Hemmnisse bedürfnisgerechter Wohnungsversorgung bestimmen, die Reichweite der gewonnenen Aussagen zu überprüfen und zeitoder ortsspezifische Sonderentwicklungen von übergreifenden Strukturprinzipien zu trennen 1 2 . D i e Auswahl der zweiten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts als Untersuchungszeitraum erscheint im Fall der Wiener Wohnverhältnisse für Vergleichszwecke besonders günstig, da die damalige Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur in wesentlichen Punkten bereits der sozioökonomischen Situation der Gegenwart glich, die seither vollzogene Entwicklung aber doch genug Veränderungen brachte, um relativ konstante oder eher variable Faktoren, die zur Wohnungsnot beitrugen und/oder noch beitragen, voneinander trennen zu können. Dies ist insofern bedeutsam, als in der derzeitigen Großstadtforschung und kommunalpolitischen Planung „ l o k a l " und „ g l o b a l " orientierte Analysen in der Regel weit auseinanderfallen oder überhaupt unverbunden nebeneinander stehen. Erstere bleiben dicht an den Einzelproblemen des lokal erfahrbaren Alltags der Großstadt, münden aber in der Regel in technokratische Oberflächenkorrekturen. D i e an der Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur ansetzenden Analysen stoßen z w a r zu den gemeinsamen Grundproblemen vor, bleiben aber 1 2 Als sehr geeignet hat sich diesbezüglich die Publikation von B r e d e K o h a u p t - K u j a t h , Determinanten, erwiesen, die einen ausgezeichneten theoretischen Überblick über die ökonomischen und politischen Determinanten der Wohnungsversorgung in der B R D gibt. Insbesondere der Abschnitt ,Wohnungsbau und Wohnungsvermietung als K a p i t a l v e r w e r tung' erwies sich f ü r die G e w i n n u n g v o n vorläufigen Thesen als sehr wichtig. In diesem K a p i t e l auch weiterführende sozialwissensdiaftlidie Literatur.

Unzureichende Wohnungsversorgung

14

meistens sehr allgemein und öffnen dadurch nahezu beliebigen Interpretationen Tür und Tor 1 3 . Sinn einer historischen Fallstudie kann es in dieser Situation sein, den allgemeinen Regelmäßigkeiten von Stadtwachstum, Wohnungsproduktion, Wohnungsvermietung, Viertel- und Standortbildung, Marginalisierung von Gesellschaftsschichten usw. am konkreten Einzelfall nachzuspüren, um so die Verflochtenheit und Reichweite der einzelnen Probleme aufzuzeigen und den vermutlichen Stellenwert von Reformeingriffen und Steuerungsversuchen hinsichtlich ihrer Relevanz für die Bewohner sowie hinsichtlich ihrer Chancen auf Verwirklichung im Rahmen vorgegebener soziopolitischer und ökonomischer Strukturen zu bestimmen. Weiters sollte nicht vergessen werden, daß mehr als die H ä l f t e des Wohnungsbestandes im heutigen Wien aus der Zeit vor 1914 stammt. Ein Großteil der gegenwärtigen städtebaulichen Probleme ausreichender Wohnungsversorgung und kommunikationsfreundlicher Viertelbildung rührt demnach von der Bausubstanz und den räumlichen Strukturen her, die in Zeiten drückendster quantitativer Wohnungsnot geschaffen wurden, als die Bevölkerung der Agglomeration Wien jedes J a h r um mehr als 30 000 Personen wuchs. Die Mechanismen, welche damals die Organisation und Produktion der Bauwirtschaft bestimmten und das räumliche Gefüge der Stadt prägten, wirken daher unmittelbar in den kommunalpolitischen Aufgabenbereich unserer Tage hinein und sind es wert, genau analysiert und begrifFen zu werden. Schließlich sei darauf verwiesen, daß eine historische Aufarbeitung der Bedingungen und Auswirkungen quantitativ und/ oder qualitativ unzureichender Wohnungsversorgung auch Beiträge f ü r eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte von Wien zu liefern vermag, welche bei den sozialen Gruppierungen als den tatsächlichen Lebenseinheiten mit Handlungszusammenhang ansetzt, nicht um Interaktionsprozesse zu beschreiben, sondern um gruppenübergreifende Bedingungsfaktoren zu erklären. Greift man etwa den Lebensbereich Haushalt und Familie als Beispiel auf, so wird es keiner langwierigen Beweisführung f ü r die Bedeutung von Wohnungskosten, Wohnungsform und Wohnungslage für schichtspezifische Sozialisationsprozesse, unterschiedliche Reproduktionsmöglichkeiten der Arbeitskraft und Ausformung bestimmten poli13

Grauhan - Lindner, Verstädterung, S. 14 f.

Stellenwert historischer Analyse

15

tischen Bewußtseins und Verhaltens bedürfen 1 4 . Sowohl f ü r die Analyse der sozialräumlichen Gliederung der Wiener Bevölkerung im zeitlichen Wandel, f ü r die Erarbeitung großstädtischer Gesellschaftsentwicklung im Industriezeitalter am Beispiel von Wien, als auch für die Bestimmung modernisierungsfördernder und modernisierungshemmender Faktoren der Wirtschaftsentwicklung einer Großstadt als O r t der am weitest fortgeschrittenen sozialen Veränderungsprozesse vermag die Kenntnis der Determinanten von Wohnungsproduktion, Wohnungstypologie und Standortzuweisung wesentliche Erkenntnishilfen beizutragen. Obwohl die Geschichte von Wien zweifellos ein traditionelles Aufgabenfeld der österreichischen Historiker darstellt, fehlt es bisher sowohl an einer gleichmäßigen Bearbeitung der verschiedenen Problemkreise als auch an einer stärker sozialwissenschaftlich orientierten Forschung, die weniger Geschehniszusammenhänge als vielmehr Wirkungszusammenhänge in den Vordergrund stellt. Die in Planung befindliche „Wirtschaftsgeschichte von Wien 1740 bis 1 9 3 8 " und „Sozialgeschichte von Wien 1740 bis 1 9 3 8 " werden diesem Mangel sicherlich bis zu einem gewissen G r a d abhelfen. Die Aufarbeitung der in viele Lebensbereiche hineinwirkenden Wohnungsproblematik könnte diesbezüglich eine Reihe von Erklärungsansätzen und Ergänzungen liefern. D a die erkenntnisleitenden Interessen der anschließenden Analyse von Stadtwachstum und Wohnungsnot am Beispiel Wiens nach dem bisher Gesagten sehr stark an Gegenwartsproblemen beziehungsweise an historischen Strukturen orientiert sind, die bereits im vorigen Jahrhundert grundgelegt wurden, aber noch heute die unbefriedigende Realität städtischen Wohnens entscheidend beeinflussen, ist es notwendig, einen vorläufigen Fragen- und Thesenkatalog anzubieten, der sich sowohl auf die historischen Formen und Funktionen von Wohnungsnot bezieht, als auch die gegenwärtige Situation in ihren zentralen Determinanten zu erfassen sucht. Zunächst wird zu klären sein, inwieweit die Wohnungsnot durch das infolge verschiedener Faktoren im 19. Jahrhundert stark be1 4 D a m i t ist freilich noch nicht gesagt, welchen Stellenwert die spezifische Wohnungsversorgung in den genannten Bereichen einnimmt. D a s genaue A u s m a ß des Zusammenhanges w i r d sidi vielfach auch gar nidit bestimmen lassen, brauchbare H i n w e i s e sind aber jedenfalls möglich.

16

Unzureichende Wohnungsversorgung

schleunigte Stadt- und Bevölkerungswachstum überhaupt erst hervorgerufen, lediglich verstärkt oder bloß aktualisiert und ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerufen wurde. D i e quantitative und qualitative Erfassung der durchschnittlichen schichtspezifischen Wohnungsverhältnisse kann z w a r vorerst keine zwingenden K a u salitäten nachweisen, sie kann jedoch einen Eindruck von der objektiven Größe des Problems zu einem gegebenen Zeitpunkt vermitteln und einige Hinweise d a f ü r liefern, ob die plötzlich einsetzende Beschäftigung mit der Wohnungsnot daraus erklärt werden kann, daß sich die Wohnungsverhältnisse sprunghaft verschlechtert haben, oder ob die Entdeckung der Wohnungsnot durch den Druck der sich organisierenden Arbeiterschaft, infolge der durch schlechte Wohnungen bedrohten notwendigen Reproduktion von Arbeitskraft und ähnliche G r ü n d e erzwungen wurde 1 5 . Die Analyse der Anfänge, Motive, Maßnahmen und Auswirkungen privater Wohnungsreform und staatlich-kommunaler Wohnungspolitik wird z w a r einer gesonderten Arbeit vorbehalten bleiben, in diesem Zusammenhang müssen aber zumindest jene Faktoren berücksichtigt werden, die einen klar faßbaren Einfluß auf die Wohnungsproduktion und Mietenentwicklung gewannen, wie dies f ü r eine Reihe von Gesetzen zu vermuten ist. Im Anschluß an die zentralen Aussagen des Großteils der zuletzt publizierten sozialwissenschaftlichen Literatur zum vorliegenden Thema ist weiters grundsätzlich zu klären, inwieweit die Schwierigkeiten adäquater Wohnungsversorgung für alle Bevölkerungsschichten mit der jeweiligen Bedürfnislage der Individuen, ihren rationalen und irrationalen Wohnungswünschen zusammenhängen. D i e schon oben angeführten Vorbehalte gegenüber dieser Meinung müssen auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden, um schließlich aussagen zu können, ob Wohnungsbau und Wohnungsvermietung primär, sekundär oder überhaupt nicht auf die Wohnbedürfnisse der Wiener Bevölkerungsmehrheit im Untersuchungszeitraum abgezielt haben 1 6 . D a sich die Wohnungsvermietung jedenfalls als Warengeschäft abspielt, wird den Mechanismen des Wohnungsmarktes besonderes Augenmerk zu schenken sein. Erst aus dem Zusammenspiel von 13 Vgl. d a z u die p r o v o k a n t e n Thesen bei Janssen, Sozialismus, S. 49 ff. 1 8 Ausführlich bei B r e d e - K o h a u p t - K u j a t h , Determinanten, S. 9 ff.

Fragen und Thesen

17

A n g e b o t u n d N a c h f r a g e w ä r e ja eine Beeinflussung der Wohnungsp r o d u k t i o n und W o h n u n g s q u a l i t ä t durch Konsumentenwünsche d e n k b a r . Diesbezüglich w i r d für den Z e i t r a u m v o n 1848 bis 1914 genau wie heute die f ü r die W o h n u n g s v e r s o r g u n g entscheidende F r a g e z u diskutieren sein, inwieweit auf dem W o h n u n g s m a r k t und in der Mietpreisentwicklung durch eine — v o n Staatseingriffen nicht behinderte oder auch in positiver Weise beeinflußte — m a r k t wirtschaftliche Steuerung v o n A n g e b o t und N a c h f r a g e o p t i m a l e Verhältnisse geschaffen werden können, oder o b eben dieser M a r k t mechanismus bewirkt, d a ß f ü r weite Teile der B e v ö l k e r u n g die V e r s o r g u n g mit W o h n r a u m nicht gewährleistet ist, daß die W o h n u n g s v e r s o r g u n g außerdem, v o n Konsumentenwünschen u n a b hängigen, Schwankungen unterliegt u n d d a ß die hohen Mieten häufig zu unüberwindlichen Barrieren f ü r eine hinreichende W o h nungsversorgung w e r d e n 1 7 . A u s g e h e n d v o n der g e g e n w ä r t i g in vielen Großstädten z u beobachtenden u n d f ü r d a s E n d e des 19. u n d den Beginn des 20. J a h r hunderts, beispielsweise f ü r Berlin, H a m b u r g u n d Wien, gut belegten D i s k r e p a n z zwischen A n g e b o t u n d z a h l u n g s f ä h i g e r N a c h f r a g e , w i r d zu klären sein, o b g r u n d l e g e n d e Wohnbedürfnisse und z a h l u n g s f ä h i g e N a c h f r a g e zumindest zeitweise zur Deckung g e k o m men sind oder inwieweit selbst n o t d ü r f t i g e U n t e r k ü n f t e die K a u f k r a f t umfangreicher, je nach Wirtschaftslage zu- oder abnehmender B e v ö l k e r u n g s k r e i s e überstiegen. N u r so k a n n entschieden werden, ob die T h e s e v o n der W o h n u n g s f r a g e als E i n k o m m e n s f r a g e , die heute wie früher im D e n k e n der K o m m u n a l p o l i t i k e r fest verankert ist, G ü l t i g k e i t und E r k l ä r u n g s w e r t beanspruchen k a n n . Sieht m a n die W o h n u n g s p r o d u k t i o n u n d Vermietung v o r r a n g i g als P r o z e ß der K a p i t a l v e r w e r t u n g , so müssen v o r allem drei Bereiche analysiert werden, die das W o h n u n g s a n g e b o t , das Mietpreisniveau, die Standortverteilung, v e r t i k a l e u n d horizontale V e r bauungsintensität usw. bestimmen: Zunächst der P r o d u k t i o n s p r o zeß der W o h n u n g , welcher die H ö h e der B a u k o s t e n in A b h ä n g i g keit v o n O r g a n i s a t i o n s s t r u k t u r u n d technologischem N i v e a u der B a u i n d u s t r i e entscheidend determiniert. Weiters der Zirkulationsp r o z e ß der Wohnung, welcher sowohl a u f der Ebene der in der Bauwirtschaft erzielbaren K a p i t a l v e r z i n s u n g als auch auf der E b e n e der Kreditzinsverhältnisse das P r o d u k t i o n s v o l u m e n , die 17

2

Ebenda, S. 11.

Feldbaucr, Stadtwachstum

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Unzureichende Wohnungsversorgung

Gestehungskosten und damit die H ö h e der Mieten bestimmt. Schließlich der Boden als Produktionsvoraussetzung der Wohnung, wobei der Bodenpreis insbesondere auf die unterstellten Segregations- und Allokationseffekte untersucht werden muß 18 . D a die Wiener Wohnverhältnisse bis 1914 durch eine in Europa einmalige H ö h e der Besteuerung gekennzeichnet waren, wird die These zu überprüfen sein, daß die Wohnungsnot der städtischen Bevölkerung vorrangig eine Folge ungleicher Verteilung der Staatslasten im Interesse von Adel und Agrariern gegen Gewerbe und Industrie gewesen wäre. Gerade an diesem Problem müßte es möglich sein, und ebenso bei der Analyse der Rolle von Bauordnungen und Stadtregulierungsplänen, stadtspezifische Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung von allgemeinen Faktoren zu trennen. Für die Beantwortung der erst im Verlauf der Untersuchung auszudifferenzierenden Fragen und der vorläufig alternativ formulierten Thesen sind eine genaue Kenntnis des Konjunkturverlaufes der Bauindustrie im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftslage sowie verläßliche Angaben über die durchschnittlichen Wohnverhältnisse der vom Wohnungselend betroffenen Bevölkerungsschichten erforderlich. Erst die Verschränkung dieser einmal vorrangig wirtschaftsgeschichtlich und dann stärker sozialhistorisch anzugehenden Problemfelder stellt Ergebnisse in Aussicht, die gleichermaßen zu einer anzustrebenden Theorie unzureichender Wohnungsversorgung im Industriekapitalismus beitragen und damit auch die Analyse der Möglichkeiten und Grenzen wohnungspolitischer Maßnahmen vorbereiten könnten sowie notwendige Erkenntnishilfen für die Untersuchung der schichtspezifischen Auswirkungen des Wohnungselends darstellen würden. Zweifellos wird eine sozialwissenschaftliche Aufarbeitung gegenwärtiger Wohnverhältnisse rascher und mit größerer theoretischer Eleganz die Gründe unzureichender Wohnungsversorgung zu einem allgemeinen Modell fügen können 19 , dabei jedoch sowohl die Kritik mangelnder Realitätsnähe der getroffenen Annahmen als auch die Kritik mangelnder empirischer Überprüfbarkeit der formulierten 18

Grundsätzlich dazu Chaloupek, Bodenproblem, S. 59 ff. Vorbildlich bei Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten, woraus in vielen Punkten der theoretische Rahmen für die Fragestellungen dieser Fallstudie bezogen wurde.

Theorie und Methode

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Theorie in K a u f nehmen müssen, da die gegenwärtige Datenbasis kaum zu überschauen, quellenkritisch schwer zu bewältigen und noch nicht in langen Zeitreihen zu vergleichen ist. In beiden Punkten kann eine historische Längsschnittanalyse etwas weiterhelfen. Indem möglichst alle Bestimmungsstücke unzureichender Wohnungsversorgung, welche nach dem theoretischen Vorverständnis Einfluß auf die Produktion und Vermietung von Wohnungen nahmen, über einen relativ langen, von tiefgreifendem wirtschaftlichen und sozialen Wandel geprägten Zeitraum untersucht und in ihren Wechselwirkungen dargestellt werden, lassen sich sowohl zur Realitätsnähe als auch zur empirischen Überprüfbarkeit theoretischer Annahmen Aussagen treffen. Dabei geht es natürlich nicht darum, ob die einzelnen Sätze der Theorie fotografisch-beschreibend realistisch sind, sondern ob sie ausreichend gute Annäherungen an den Untersuchungsgegenstand darstellen. Die historische Fallstudie vermag diesbezüglich im Detail nachzuweisen, inwieweit sich die Theorie überhaupt um die a d ä q u a t e Erfassung von Wirklichkeit bemüht oder vielmehr, aus vielleicht ideologischen Gründen, eine definitorische „ R e a l i t ä t " nach dem Bild der Theorie schafft 20 . Bezüglich des Erklärungsgehaltes alternativer Theorien bedürfnisbezogener oder profitorientierter Wohnungsversorgung kann natürlich auch eine historische Analyse keine eindeutige Lösung der in der Wissenschaftstheorie kontroversen Frage anbieten, auf welche Weise „empirische E v i d e n z " erzielt, das heißt die Bestätigung oder Widerlegung einer Theorie geleistet werden kann. Immerhin wird der geschichtliche Längsschnitt mit all seinen zeitund ortsspezifischen Besonderheiten eine Fülle empirischer Indikatoren anbieten, die z w a r nicht unmittelbar als Bestätigung theoretischer Gesetze interpretiert, im Rahmen ausgewiesener wissenschaftstheoretischer Prämissen jedoch theoriebildend und theorieüberprüfend eingesetzt werden können 2 1 . 2 0 V g l . d a z u s o w i e zu den f o l g e n d e n Ü b e r l e g u n g e n Jochen Reiche, Zur K r i t i k bürgerlicher I n f l a t i o n s t h e o r i e n , i n : H a n d b u c h 3 : I n f l a t i o n - A k k u m u l a t i o n - K r i s e 1. I n f l a t i o n u n d R e p r o d u k t i o n des K a p i t a l s , hrsg. v o n E l m a r A l t v a t e r , V o l k h a r d B r a n d e s u n d J o c h e n Reiche, 1976, S . 67 ff. 2 1 Z u m F r a g e n k r e i s der empirischen Ü b e r p r ü f b a r k e i t theoretischer A n nahmen beispielsweise E l m a r Altvater, Jürgen H o f f m a n n , W o l f g a n g S d i o e l l e r , Willi S e m m l e r , E n t w i c k l u n g s t e n d e n z e n des K a p i t a l i s m u s in W e s t d e u t s c h l a n d , i n : P r o b l e m e des K l a s s e n k a m p f e s 4/13 u n d 16 ( 1 9 7 4 ) ; H a n s A l b e r t , T h e o r i e u n d P r o g n o s e in d e n S o z i a l Wissenschaften, i n : L o g i k

2::"

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Unzureichende Wohnungsversorgung

Die vorliegende Untersuchung geht einerseits von einem Modell aus, welches den Wohnungsmarkt, unabhängig von historisch wiederholt auftretenden, erklärbaren Verzerrungen, als ideales Instrument der harmonischen Bedürfnisbefriedigung von Anbietern und Konsumenten unterstellt, Wohnungsproduktion und Wohnungsvermietung also tendenziell durch die objektiven Wünsche der Wohnungssuchenden determiniert sieht und stellt andererseits dieser Annahme eine sozioökonomische Theorie von Wohnungsversorgung gegenüber, welche ihre kategoriale Angemessenheit daran bestimmt, inwieweit die analysierten gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Phänomene als Resultat der grundlegenden Funktionsweise des Wirtschaftssystems im Zeitalter der Industrialisierung und der historischen Entwicklungsbedingungen der K a p i talakkumulation begriffen werden können 2 2 . Nach der Fähigkeit, die in Wien zwischen 1848 und 1914 zu beobachtenden ökonomischen und gesellschaftlichen Phänomene zu erklären, soll bestimmt werden, welcher der theoretischen Ansätze eine a d ä q u a t e Interpretation des Untersuchungsgegenstandes auch über den historisch analysierten Zeitraum hinaus in Aussicht stellt. Im Vordergrund entsprechender Überlegungen wird dabei die Frage stehen müssen, inwieweit die Wohnungspreise und Mieten markt- oder kostendeterminiert gebildet wurden. Falls die Preise marktdeterminiert entstanden, so waren sie durch die je gegenwärtige und vergangene Entwicklung der Marktbedingungen bestimmt. D a s Zusammenspiel von Angebot und N a c h f r a g e mußte nach diesem Ansatz durch das langfristig erzielbare Preisgleichgewicht auf allen Teilen des Wohnungsmarktes eine optimale Verteilung und Allokation der Ressourcen bewirken. Dieser immanent zweifellos logische Ansatz wird im Verlauf der historischen Bearbeitung der Zusammenhänge zwischen Einkommen und Wohnungsversorgung, schichtspezifischem Wohnungsbedarf und zahlungsfähiger Nachfrage, Konjunkturzyklus und Mietpreisentwicklung, Produktionssteigerung und verbesserten oder verschlechterten Wohnverhältnissen und ähnliches mehr daraufhin zu überprüfen sein, inwieweit er eine der Wirkder Sozialwissenschaften, hrsg. v o n Ernst Topitsch, 1965, S. 1 2 6 — 1 4 3 , und ders., D e r Gesetzesbegriff im ökonomischen Denken, Schriften des Vereins f ü r Socialpolitik N F 74/1 (1972), S. 1 2 9 — 1 6 1 . 2 2 Als Vertreter der ersten Position beispielhaft Schneider, A b b a u gesetz u n d Molitor, Wohnungsbaupolitik. D a g e g e n Brede - K o h a u p t K u j a t h , Determinanten.

Theorie und Methode

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lidikeit angemessene Theorie darstellt. Wurden die Wohnungspreise dagegen vorrangig kostendeterminiert gebildet, so waren die bereits aufgezählten Faktoren: Produktionsprozeß der Wohnung, Bodenpreisbewegung und Kapitalverzinsung, die maßgeblichen Bestimmungsstücke von Ausmaß und Qualität der Wohnungsversorgung. Bei der Uberprüfung dieses Ansatzes wird vor allem darauf zu achten sein, inwieweit sich die Wohnungspreise und Mieten relativ unabhängig von der jeweiligen konjunkturellen Situation entwickelt haben, insbesondere, ob auch in Zeiten der Krise, also bei Nachfragerückgang, die Preise weiter stiegen 23 . Die zur Klärung der skizzierten Hypothesen erforderlichen Indikatoren werden im Anschluß an das Gesagte zunächst alle Komponenten sein, die Einfluß auf die Konjunkturbewegung der Bauwirtschaft nahmen, weiters die tatsächlichen Vorgänge auf dem nach Wohnungskategorien mehrfach unterteilten Wohnungsmarkt und schließlich das Maß der jeweils möglichen Befriedigung der Wohnungsbedürfnisse einzelner Bevölkerungsgruppen. Für alle drei, vielfach miteinander verschlungenen Fragenkomplexe steht eine Fülle zeitgenössischer Detailliteratur aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zur Verfügung, zusammenfassende historische Analysen jüngeren Datums fehlen dagegen. Während die noble Wohnwelt der Wiener Ringstraße in jüngster Zeit eine umfassende Bearbeitung erfuhr, sind die Lebens- und Wohnverhältnisse der Wiener Unterschichten im Zeitalter der Industrialisierung nahezu unerforscht 24 . Gerade in diesem Rahmen muß jedoch eine AufVgl. Reiche, Inflationstheorien, S. 81 ff. Die als Epochenbild konzipierte, vom Thyssen-Konzern finanzierte Erforschung der städtebaulichen Umgestaltung Wiens im Zuge des Ringstraßenbaues nimmt in zwei Bänden Stellung zu den Wohnverhältnissen des gehobenen Bürgertums und Adels. Vgl. Baltzarek - Hoffmann - Stekl, Wirtschaft und Gesellschaft; Lichtenberger, Wirtschaftsfunktion. Zu den Lebensverhältnissen der Wiener Unterschichten zusammenfassend bisher lediglich eine Dissertationsreihe am Institut f ü r Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Vgl. Freiler, Soziale Lage; Hagenhofer, Soziale Lage, und Richter, Soziale Verhältnisse. In den Dissertationen auch ausführliche Literaturangaben zu Einzelproblemen. Das Standardwerk zur Stadtgestalt und Stadtentwicklung Wiens seit dem 19. J a h r hundert, Bobek - Lichtenberger, Wien, liefert viel Material zur Wohnungssituation, aber keine Theorie des Stadtwachstums und schon gar nicht von schichtspezifisch unterschiedlicher Wohnungsversorgung. Abhilfe ist diesbezüglich von dem unter der Leitung von Renate Schweitzer entste23 24

22

Unzureichende Wohnungsversorgung

arbeitung der Zusammenhänge von Stadtwachstum und Wohnungsnot ansetzen, da es die einkommensschwache Bevölkerungsmehrheit der industriellen Lohnarbeiter, Taglöhner, kleinen H a n d w e r k e r und Kleingewerbetreibenden, subalternen Beamten und Angestellten und des häuslichen wie betrieblichen Hilfspersonals war, welche mit voller Wucht v o m jahrzehntelang immer wieder beschworenen Wohnungselend getroffen wurde. E s ist an dieser Stelle nicht möglich, eingehend den Ursachen dieser offensichtlichen Forschungslücke nachzuspüren, die um so a u f f ä l l i g e r ist, als in der sozialwissenschaftlichen Literatur des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts den grundlegenden Bedürfnissen und Problemen der Unterschichten, wie Wohnungs-, N a h rungs- und Gesundheitsversorgung, im Z u g e der Bemühungen um die L ö s u n g der „sozialen F r a g e " große Beachtung geschenkt wurde. Zweifellos spielt die theoretische Ausrichtung und Organisation der österreichischen Geschichtsforschung eine entscheidende Rolle für die Bevorzugung oder Vernachlässigung bestimmter Themenbereiche, es darf aber darüber nicht vergessen werden, daß die Geschichte der Unterschichten auch infolge der spezifischen Q u e l lenlage notorisch schwer zu schreiben ist 2 5 . V o r der Jahrhundertwende stellten von Industriearbeitern, Handwerkern oder gar Dienstpersonal verfaßte Tagebücher, Autobiographien, Zeitungsartikel, Flugschriften usw. eine große Seltenheit dar, ganz abgesehen d a v o n , daß kaum einmal Angehörige der Unterschicht an der Erarbeitung wissenschaftlichen Analysen beteiligt waren. In der Regel ist man daher heute auf die Beobachtungen von Wissenschaftern und sozialkritischen Literaten aus Mittelstand und Oberschicht, auf die Berichte und Stellungnahmen kommunaler henden Werk ,Die sozialräumliche Entwicklung v o n Wien 1740 bis 1938' zu erwarten. Wichtige Aufschlüsse über die Lebensverhältnisse der U n t e r schicht in einem Wiener Außenbezirk liefert C z e i k e , Sozialgeschichte. 2 5 Vgl. d a z u C h a p m a n , Introduction, S. 9 ff. — Es scheint in diesem Z u s a m m e n h a n g erwähnenswert, daß sich auch die bisher geleistete historische Erforschung der österreichischen Arbeiterbewegung weitgehend in Institutionen-, Ideen-, Personen- und Ereignisgeschichte erschöpft. Fragen der Entstehung, Rekrutierung und Q u a l i f i k a t i o n der österreichischen Lohnarbeiterschaft, der Auswirkungen v o n Betriebsorganisation und -hierarchie auf die Beschäftigten, des W a n d e l s der alltäglichen materiellen Lebensverhältnisse mit all ihren Implikationen f ü r Sozialisation, Bildung u n d politisches Bewußtsein sind größtenteils noch nicht einmal formuliert, geschweige denn auf ausreichender Basis beantwortet.

Quellenlage

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und staatlicher Behörden, auf die Programme und Forderungen der Interessensverbände und Parteien, auf Beiträge von Amateurstatistikern und Philanthropen angewiesen, wenn man bei der Erforschung der alltäglichen Lebensverhältnisse der weitgehend „sprachlosen" unterprivilegierten Bevölkerungsmassen nicht bei den, den verschiedenen Mangelsituationen zugrundeliegenden, allgemeinen ökonomischen Verhältnissen und Determinanten steckenbleiben will, sondern auch die unmittelbaren Auswirkungen auf die Betroffenen und deren Reaktionen zu erfassen trachtet. Die Standortgebundenheit des aufgezählten Quellenmaterials kann zwar durch vielfältigen Vergleich teilweise neutralisiert und durch die Auswertung der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ständig zunehmenden Massenquellen wie Volks- und Wohnungszählungen sowie zeitgenössische Stichprobenerhebungen der Lebensverhältnisse einzelner Bevölkerungs- und Berufsgruppen relativiert werden. Dennoch bleibt bei der Formulierung der auf dieser Basis gewonnenen Ergebnisse und Interpretationen immer ein gewisses Maß an Unsicherheit bestehen, das um so stärker ins Gewicht fallen könnte, je mehr zeit-, orts-, gruppen- und schichtspezifische Detailprobleme in den Vordergrund rücken, die nur an einem relativ kurzen Beobachtungszeitraum oder an einer geringen Zahl der Fälle zu behandeln sind. Da die mangelhafte Aufarbeitung der Wohn- und Lebensverhältnisse der Unterschichten Wiens im Industriezeitalter offensichtlich nicht nur durch fehlendes Interesse am Forschungsgegenstand bedingt ist, sondern auch aus der U n ergiebigkeit vieler vertrauter Quellengruppen f ü r die spezifischen Fragestellungen resultiert, ist es daher notwendig, eine kurze Bewertung der zur Verfügung stehenden Literatur- und Quellenbasis vorzunehmen. Die stark differierenden Wohnverhältnisse der verschiedenen Bevölkerungsschichten und Berufsgruppen Wiens, der Verlauf der Baukonjunktur und die Situation am Wohnungsmarkt wurden nahezu im gesamten Untersuchungszeitraum in den amtlichen Publikationen der Gemeinde Wien, in den Berichten der Handelsund Gewerbekammer von Niederösterreich sowie in mehreren Stellungnahmen des Centraiverbandes der Hausbesitzervereine von Wien und den Vororten ausführlich geschildert und besprochen 26 . 26 Vgl. Gemeinde-Verwaltung 1861—1913; Berichte der Handels- und Gewerbekammer N ö 1851—1913; Statistik der Volkswirtschaft 1855

24

Unzureichende Wohnungsversorgung

D i e entsprechenden Darstellungen und Interpretationen boten aber oft n u r recht oberflächliche Einschätzungen, v e r w e r t e t e n das statistische M a t e r i a l nur unzureichend und fielen i n f o l g e ihrer starken Interessengebundenheit in der Regel sehr einseitig oder insgesamt widersprüchlich aus. Beispielsweise w u r d e fast durchgehend eine g u t e A u f t r a g s l a g e der B a u Wirtschaft unreflektiert mit einer allgem e i n e n Verbesserung der W o h n u n g s s i t u a t i o n gleichgesetzt, w o r a u s w i e d e r u m ein klagloses Funktionieren des W o h n u n g s m a r k t e s abgeleitet w u r d e , so d a ß sich die P r o b l e m e der W o h n u n g s v e r s o r g u n g schließlich auf Fragen günstiger B e d i n g u n g e n f ü r die B a u wirtschaft reduzierten. Die jährlichen teilweise sehr umfangreichen A n a l y s e n können somit z w a r als O r i e n t i e r u n g s h i l f e u n d bisweilen a l s Datenbasis für Einzelprobleme dienen, ermöglichen aber keine umfassende und f ü r längere Zeitabschnitte gültige Einschätzung der Ursachen und A u s w i r k u n g e n unzureichender W o h n u n g s v e r sorgung. Q u a l i t a t i v hochwertig sind dagegen die A n a l y s e n der Zentralstelle für W o h n u n g s r e f o r m in Österreich, die aber nur für die letzten J a h r e vor Ausbruch des Ersten W e l t k r i e g e s zur V e r f ü g u n g stehen, sowie die materialreichen Tagungsberichte der drei österreichischen Wohnungskonferenzen v o n 1911 bis 1913, in denen die verschiedensten A s p e k t e der W i e n e r W o h n u n g s p r o b l e m a t i k e t w a seit der J a h r h u n d e r t w e n d e recht ausführlich und ausgewogen b e h a n d e l t sind 2 7 . Schier unübersehbar ist das W o h n u n g s r e f o r m schrifttum, das um die M i t t e des 19. J a h r h u n d e r t s mit vereinzelten P u b l i k a t i o n e n einsetzte und sidi bis in die u n m i t t e l b a r e Vorkriegszeit in nahezu unglaublichem A u s m a ß vermehrte, w a s z w a r nicht unbedingt als M a ß s t a b f ü r die j e w e i l s herrschenden objektiven N o t s t ä n d e gelten d a r f , aber sicherlich ein steigendes Problembewußtsein der Öffentlichkeit gegenüber den F r a g e n der W o h n u n g s n o t signalisiert 2 8 . Das s t a r k e Anschwellen der P u b l i k a tionen f ü h r t e z w a r nicht immer zu fundierten A n a l y s e n , insgesamt l ä ß t sich aber doch ein k l a r e r Forschungsfortschritt erkennen, so d a ß u m die J a h r h u n d e r t w e n d e nahezu über alle A s p e k t e der W i e bis 1 8 6 6 ; Tintner, W o h n - E l e n d ; Hausherren-Zeitung 1 8 8 8 f f . ; Hausbesitzer Zeitung 1 9 0 0 ff., und Hausbesitzer-Kalender 1905 f. 2 7 V g l . dazu Mitteilungen der Zentralstelle 1 ff. ( 1 9 0 7 ff.); Bericht 1., 2. u n d 3. österreichische W o h n u n g s k o n f e r e n z . 2 8 Einen guten, wenn auch keineswegs kompletten Überblick über die L i t e r a t u r zur Wohnungsfrage in W i e n bietet Schweitzer, Bibliographie f ü r Städtebau.

Quellenlage

25

ner Wohnungsfrage brauchbare Arbeiten vorlagen 2 9 . A u f f ä l l i g ist allerdings, daß gegenüber den umfassenden Analysen der fünfziger und sechziger J a h r e immer stärker die Behandlung von Einzelproblemen in den Vordergrund rückte, wodurch eine befriedigende theoretische Zusammenschau der Determinanten unzureichender Wohnungsversorgung, der schichtspezifischen Auswirkungen der daraus entstehenden Notsituation und der wohnungspolitischen Möglichkeiten von Staat und K o m m u n e erschwert wurde und auch in keinem Fall gelang 3 0 . Es besteht aber kein Zweifel, daß die von unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Ansätzen ausgehenden zeitgenössischen Analysen bereits ein sehr gutes Bild der Situation vermitteln und gegenüber den amtlichen Publikationen theoretisch besser fundiert sind. Darüber hinaus bieten sie in der Regel auch Datenmaterial, das zwar kaum einmal einen längeren Zeitraum abdeckt oder für ein Stichjahr voll repräsentativ ist, dennoch aber eine brauchbare Ergänzung der vorhandenen Statistiken darstellt. Sehr wertvoll und relativ zuverlässig für die Beantwortung der eingangs formulierten Fragen ist das seit der Mitte des 19. J a h r hunderts in immer größerem U m f a n g und mit laufend verfeinerten Methoden erhobenen statistische Material, welches den zeitgenössischen Autoren nur ausschnittweise und k a u m quellenkritisch aufgearbeitet zur Verfügung stand 3 1 . Besonders erwähnenswert sind jene Datenerhebungen, die, anläßlich der seit der Mitte der fünfziger J a h r e in einigermaßen vergleichbarer F o r m einsetzenden Volks- und Wohnungszählungen, für die Jahresberichte der Gemeindeverwaltung und der niederösterreichischen Handelskammer, bei amtlichen Enqueten und durch private Stichprobenuntersuchun2 9 Eine A u f z ä h l u n g auch nur der wichtigsten Literatur verbietet sich an dieser Stelle schon aus P l a t z g r ü n d e n . Fast alle bedeutenden Arbeiten finden sich jedoch im A n m e r k u n g s a p p a r a t des 3. bis 5. K a p i t e l s , w o auch die Z u o r d n u n g zu unterschiedlichen Problemfeldern ersichtlich ist. Vgl. Insbesondere unten S. 212 ff. 3 0 Zur Einschätzung des analytischen Wertes des WohnungsreformSchrifttums f ü r die Erkenntnis der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Ursachen von Wohnungsnot vgl. K a p i t e l 5.1. ,Die G r ü n d e der Wohnungsnot nach dem Urteil der Zeitgenossen'. : i l Sehr beachtliche Datensammlungen finden sich etwa bei B a r t a d t , Boden- und Wohnungspolitik; Friedmann, W o h n u n g s n o t ; Mully von Oppenried, Bewertung ( A n h a n g ) ; Philippovich, Wohnungsverhältnisse; S a x , N e u b a u , und Schwarz, Grundrente.

Unzureichende Wohnungsversorgung

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g e n v o r g e n o m m e n w u r d e n 3 2 . Z u s a m m e n m i t d e n A n g a b e n in d e n Schriften

der

Wohnungsreformer,

berechnung, Bodenpreisgestaltung, sowie administrative

die

insbesondere

Kredit- und

Baukosten-

Steuerverhältnisse

u n d g e s e t z l i c h e R e g e l u n g e n b e t r e f f e n , ist es

m i t dieser Q u e l l e n g r u p p e möglich, t r o t z gewisser

Schwierigkeiten

infolge der im Zeitverlauf variierenden Erhebungskriterien mehrfach

geänderter

Agglomerationsprinzipien,

sowie

Zeitreihen

oder

w e n i g s t e n s Q u e r s c h n i t t e in k o n s t a n t e n Z e i t a b s t ä n d e n f ü r a l l j e n e D a t e n z u erstellen, w e l c h e a l s I n d i k a t o r e n o r t s - , z e i t - u n d s d i i c h t spezifischer

Wohnverhältnisse,

Produktions-

und

Distributions-

b e d i n g u n g e n a u s s a g e k r ä f t i g scheinen33. S o w o h l für die q u a n t i t a t i v e als auch q u a l i t a t i v e unzureichender Normen

von

Wohnungsversorgung, Armen-,

Gefängnis-

als

und

Einschätzung

deren M i n d e s t m a ß Kasernenordnungen

die an-

3 2 Wichtige statistische D a t e n f a n d e n sich v o r allem bei D e l a n n o y , Ergebnisse der V o l k s z ä h l u n g 1 9 1 0 ; L ö w y , Ergebnisse der V o l k s z ä h l u n g 1900; Oesterreichisches S t ä d t e b u d i 1; österreichische Statistik N F 4 ; Olegnik, Statistische Übersichten; P r i b r a m , Wohnungszählung 1914; Schimmer, Bevölkerung v o n Wien; Sedlaczek, Wohn-Verhältnisse 1890; ders., Volkszählung 1 8 8 0 ; ders., V o l k s z ä h l u n g 1890; Statistik der S t a d t Wien 2 ; G e m e i n d e - V e r w a l t u n g 1 8 6 1 — 1 8 8 3 ; Statistisches Jahrbuch der S t a d t Wien 1 8 8 4 — 1 9 1 4 ; Berichte der H a n d e l s - und G e w e r b e k a m m e r N ö 1851—1913; Statistik der Volkswirtschaft 1 8 5 5 — 1 8 6 6 ; Arbeits- und Lohnverhältnisse 1870; Wohnungs- und Gesundheitsverhältnisse der Schuhmacher; Wohnungs- u n d Gesundheitsverhältnisse der Heimarbeit e r ; Frei, Wohnungs-Elend; M a t a j a , Arbeiterhaushaltungen; Philippovich, Wiener Wohnungsverhältnisse; P r i b r a m , Wiener Wohnungsverhältnisse; Steiner, Verein; ders., Arbeiterwohnungen; Wirtschaftsrechnungen und Lebensverhältnisse. D a s in diesen Publikationen enthaltene statistische M a t e r i a l , welches durch verstreut abgedruckte Z a h l e n a n g a b e n ergänzt, unterstützt und bisweilen auch korrigiert wird, bildet auch die G r u n d lage für drei momentan nur als Druckmanuskripte vorliegende D a t e n sammlungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte von W i e n : Ehmer H o l d - Leuchtenmüller, D a t e n für Wien; K a i t n a - Reichel, S o z i a l r ä u m liche Gliederung; Sandgruber, Wirtschaftsdaten. 3 3 Zur Quellenkritik des verwendeten statistischen M a t e r i a l s bei den entsprechenden Teilkapiteln. Zur Bevölkerungs-, H a u s h a l t s - und B e r u f s statistik ausführlich bei E h m e r - H o l d - Leuchtenmüller, D a t e n für Wien, S. 4 ff.; zur K r i t i k der Bevölkerungsstatistik grundlegend Ladstätter, W a n d e l ; Klein, Bevölkerung Österreichs, und H e l c z m a n o v s z k i , Entwicklung, mit weiterführender L i t e r a t u r . E i n e noch immer brauchbare, zeitgenössische Würdigung und K r i t i k aller Wohnungserhebungen bis zum Ersten Weltkrieg bei E r t l , österreichische Wohnungserhebungen.

Quellenlage

27

gesetzt werden, gilt es vor allem die Veränderungen der Belagsdichte p r o Wohnung und Wohnungsbestandteil, den jeweiligen Anteil familienfremder Personen an den einzelnen Haushalten, Standardgröße und Ausstattung verschiedener Wohnungskategorien und durchschnittliche Zinsbelastung pro Kopf und Wohnung möglichst nach Bevölkerungsschichten und Stadtbezirken gegliedert zu erfassen. Dies ist zwar f ü r die Zeit von 1848 bis 1914 nur mit unterschiedlicher Vollständigkeit und Genauigkeit möglidi, immerhin gelingt eine lückenlose Darstellung der durchschnittlichen Wohnverhältnisse in einem Maß, welches die notwendigen Trendbestimmungen der sich verändernden Situation einwandfrei ermöglicht und demnach eine ausreichende Kenntnis des objektiven Wohnungsbedarfes der verschiedenen Bevölkerungssdiichten vermittelt 3 4 . Auch zur Erklärung der innerhalb kurzer Phasen oft stark schwankenden Wohnungsproduktion reicht das erwähnte Datenmaterial aus. Es ist fast lückenlos möglich, Zeitreihen f ü r die jährliche Wohnungsproduktion, die Entwicklung der Arbeitslöhne und Materialpreise, die Einfuhr von Baumaterial, die Bodenpreisbewegung, die Steuerbelastung, das Kreditvolumen und die Kreditverzinsung zu erstellen, welche kombiniert mit den Literaturhinweisen über die Kapitalverwertungsbedingungen in anderen Anlagesphären, über die einschränkenden oder fördernden Bestimmungen der Bauordnungen und Steuergesetzgebung sowie über die kommunalen oder staatlichen Reformmaßnahmen die Gewichtung der verschiedenen Ursachen steigender oder sinkender Bautätigkeit gestattet 35 . Schließlich sind in dem aufgezählten statistischen Material auch Angaben über Leerstehungsanteil, K ü n d i gungsquote und Mietenentwicklung enthalten, welche eine entscheidende Voraussetzung für die Einschätzung der Marktmechanismen darstellen. Die ebenfalls notwendigen Kenntnisse über die Einkommensverhältnisse der verschiedenen Bevölkerungsschichten so34

Ungenauigkeit im statistischen Material, wie etwa bei den errechneten Werten für Stadtbevölkerung, Wohnungszahl und Zahl der Wohnungsbestandteile für die Jahre zwischen den Volkszählungen im Statistischen Jahrbuch der Stadt Wien 1891 ff. lassen sich mit Hilfe empirisch erhobener Daten sehr oft bereinigen. 35 In dieser Hinsicht sind die Kommentare der amtlichen Publikationen wesentlich brauchbarer als bei der Einschätzung des Ausmaßes von Wohnungsnot, wenngleich nicht selten Oberflächenphänomene besonders hervorgehoben und Einzelprobleme überinterpretiert werden.

28

Unzureichende Wohnungsversorgung

w i e deren durchschnittlichen „Warenkorb" und Konsum lassen sich nicht in kontinuierlichen Zeitreihen gewinnen 3 6 . Es liegen aber immerhin so viele Einzeldaten vor, d a ß sich feststellen läßt, ob der Mietenanteil am Haushaltsbudget tendenziell steigt oder fällt, w a s f ü r die Klärung der Zusammenhänge zwischen Wohnungsproduktion, objektivem Wohnungsbedarf und schichtspezifisch gestaffelter zahlungsfähiger Nachfrage unbedingt notwendig ist. Insgesamt steht also für die angestrebte Analyse der Gründe unzureichender Wohnungsversorgung sehr umfangreiches Quellenm a t e r i a l zur Verfügung, dessen Vergleichbarkeit und Repräsent a t i v i t ä t f ü r den Großteil der Fragestellungen als ausreichend gesichert gelten darf. Da es außerdem f ü r viele Problemstellungen gleichermaßen statistische Daten, Schilderungen und Kommentare gibt, können grundlegende Erhebungs- oder Interpretationsfehler in der Regel korrigiert werden. Nicht auszuschließen sind lediglich Verzerrungen im Detail, die wesentlichen Zusammenhänge und entscheidenden Faktoren von Stadtwachstum, Wohnungsproduktion, Wohnungsvermietung und Wohnungselend lassen sich jedoch zuverlässig und angemessen konkret untersuchen und darstellen, so d a ß die angestrebte Differenzierung u n d Zuordnung von stadtspezifischen Phänomenen und übergreifenden Gesetzmäßigkeiten der Wohnungsversorgung als Warengeschäft möglich erscheint.

3 6 Für das 19. Jahrhundert gibt es durchlaufend die ö f t e r verwendeten, aber eher unsicheren Angaben über den niedrigsten Taglohn. Im übrigen ist man auf die in größeren Abständen erfolgten Enqueten, V e r ö f f e n t lichungen v o n Interessenvertretungen und P r i v a t p u b l i k a t i o n e n angewiesen. In der zweiten H ä l f t e des 19. J a h r h u n d e r t s handelt es sich insbesondere um Erhebungen der Handels- und G e w e r b e k a m m e r , des sozialstatistischen Amtes und um Schriften einzelner Sozialwissenschaftler und S o z i a l r e f o r m e r , die Löhne f ü r verschiedenste Branchen und Kategorien in recht unterschiedlicher Form bieten. — W a r e n k ö r b e w u r d e n ab 1 9 1 2 in repräsentativen Stichprobenuntersuchungen erhoben, f ü r den früheren Z e i t r a u m bieten einzelne zeitgenössische A u t o r e n interessante Angaben. Vergleichbarkeit und Repräsentativität sind aber nur wenig gesichert. V g l . Frei, Wohnungs-Elend; M a t a j a , Arbeiterhaushaltungen; P r i b r a m , W i e n e r Wohnungsverhältnisse; Steiner, V e r e i n ; Wirtschaftsrechnungen u n d Lebensverhältnisse. Angaben über den gesamten und durchschnittlichen K o n s u m der W i e n e r Bevölkerung sind viel systematischer zu erhalten, so d a ß fast f ü r den gesamten Untersuchungszeitraum ein Lebenshaltungskostenindex z u r V e r f ü g u n g steht. V g l . dazu G o o d , Stagnation, und Sandgruber, Wirtschaftsdaten.

2. S T A D T W A C H S T U M

UND

BEVÖLKERUNGSZUNAHME

Im 19. J a h r h u n d e r t und bis zum Ersten Weltkrieg nahm Wien hinsichtlich der Einwohnerzahl stets den dritten oder vierten P l a t z unter den europäischen Metropolen ein und konnte daher zumindest nach diesem Kriterium als Weltstadt gelten. Diese Position ging infolge der Auflösung der österreichisch-ungarischen Monarchie schlagartig verloren. Durch die Abtrennung wesentlicher Teile des traditionellen politischen und wirtschaftlichen Hinterlandes und der wichtigsten Rekrutierungsgebiete seiner Bevölkerung wurde das Wachstum gestoppt und eine gegenläufige Bewegung eingeleitet, so daß Wien heute 600 000 Einwohner weniger zählt als vor sechs Jahrzehnten, wenngleich sich das verbaute Gebiet noch beträchtlich ausgedehnt hat 1 .

2.1.

WACHSTUMSFÖRDERNDE FAKTOREN

Die stürmische Entwicklung der Städte Europas im 19. J a h r hundert w i r d in der Regel als eine Folge der Industrialisierung interpretiert. Diese Erklärung kann ab einem bestimmten Zeitpunkt wohl mit Recht auch für das territoriale u n d bevölkerungsmäßige Wachstum Wiens in den Vordergrund gestellt werden, doch scheinen diesbezüglich einige Anmerkungen und Einschränkungen angebracht 2 . Zunächst verdient Beachtung, daß unter den verschiedenen zentralörtlichen Funktionen Wiens, deren präzise Gewichtung als 1 Vgl. Lichtenberger, Entwicklungsprobleme, S. 1 9 5 . - Grundsätzlich z u r Frage des Industrialisierungsstandes von Wien im V e r l a u f des 18. und 19. J a h r h u n d e r t s H o f f m a n n , Wien, S. 4 f f . Zur Wirtschaftsentwicklung der S t a d t bis 1 7 9 0 zusammenfassend zuletzt Chaloupek, Wirtschaftsentwicklung, S. 14 f f . Eine präzise K l ä r u n g des Industrialisierungsverlaufes im Gebiet Wien und Umgebung ist v o n der in Vorbereitung befindlichen „Wirtschaftsgeschichte v o n Wien 1 7 4 0 bis 1 9 3 8 " zu e r w a r t e n .

30

Stadtwachstum und Bevölkerungszunahme

wachstumsbedingende Faktoren vorläufig v o n der Forschung noch nicht geleistet ist, d i e Residenzfunktion bis ins 19. Jahrhundert eindeutig dominierte 3 . Wien wies als jahrhundertealte H a u p t s t a d t der Habsburgermonarchie infolge der politischen Zentralität einen ungewöhnlich hohen Bevölkerungsanteil v o n Adeligen und Beamten auf. Insbesondere der Ausbau der Zentralbehörden i m Zeitalter Josephs II. bewirkte eine sprunghafte A u s w e i t u n g der Bürokratie sowie die U m w a n d l u n g des H o f a d e l s z u m Beamten- und Offiziersadel, der immer stärker durch bürgerliche Aufsteiger ausgeweitet wurde 4 . D i e Z u n a h m e v o n Aristokratie u n d Beamtenschaft bewirkte einerseits den Zuzug v o n vielen tausend Bediensteten, andererseits bedingte sie eine räumliche K o n z e n t r a t i o n des Konsums von Grundrente und Steuern 5 . O b w o h l seit dem E n d e der Türkenkriege gewisse Voraussetzungen für einen k o m merziell-industriellen Aufschwung gegeben waren, blieb die wirtschaftliche Zentralität, trotz der nicht zu übersehenden Z u n a h m e seit 1740, gegenüber der politischen Funktion bis in den Untersuchungszeitraum stark unterentwickelt u n d in wesentlichen Punkten sogar deren Folgeerscheinung 6 . N o c h im 19. Jahrhundert be-

3 Die Aufarbeitung der entsprechenden Fragestellungen ist ein zentrales Anliegen der am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien in Arbeit befindlichen „Sozialgeschichte von Wien 1740 bis 1938". 4 Vgl. Brigitte Andel, Adelsverleihungen für Wirtschaftstreibende während der Regierungszeit Maria Theresias, Phil. Diss. Wien 1969; Renate Komanovits, Der Wirtsdiaftsadel unter Kaiser Franz II. in der Zeit von 1792 bis 1815, Phil. Diss. Wien 1974, und Franz Putz, Die österreichische Wirtschaftsaristokratie von 1815 bis 1859, Phil. Diss. Wien 1975. Vgl. insbesondere Stekl, Hauseigentümer, S. 281 ff. 5 Chaloupek, Wirtschaftsentwicklung, S. 15. 6 Die seit dem 18. Jahrhundert zunehmende Bedeutung Wiens als H a n delsstadt und Produktionsstandort blieb infolge struktureller und mentalitätsmäßiger Hemmnisse in engen Grenzen. Es fehlte sowohl an einem kapitalkräftigen Bürgertum, an industrieller Basis als auch an einer ausgeprägten kommerziellen unternehmerischen Tradition, da in den frühen Jahrhunderten der Neuzeit die Stadt im europäischen Warenverkehr laufend an Bedeutung verloren hatte, keinen Anteil am Kolonialhandel erlangen konnte, infolge des unterentwickelten Exportgewerbes keinen nennenswerten Handel mit Eigenproduktion gestattete und insgesamt ein stark agrarisch geprägtes Wirtschaftsleben aufwies. Die vom Staat im Zuge der Merkantilpolitik ausgehenden und überwiegend von Ausländern getragenen kommerziell-industriellen Aktivitäten seit etwa 1740

Industrie und Gewerbe

31

zahlte daher die österreichische Metropole ihren Lebensunterhalt zum überwiegenden Teil nicht mit eigenen Produkten, wenngleich Manufakturen und kleingewerbliche Betriebe als wachstumslenkende Faktoren der Stadtentwicklung allmählich stärker in den Vordergrund traten 7 . Von einer dominierenden, stadtprägenden Rolle großbetrieblicher Formen konnte aber noch lange keine Rede sein. Während in den schon seit der Jahrhundertwende industrialisierten Dörfern des Wiener Beckens um 1850 relativ viele große Fabriken bestanden, gab es in der Residenzstadt zwar etwa 20 000 Gewerbebetriebe und sogenannte Fabriken, die insbesondere auf die Herstellung von Mode- und Luxusartikeln spezialisiert waren, Großbetriebe waren aber die Ausnahme. „Als ,Fabrik' bezeichnete man damals eine Werkstätte, die von nichtzünftigen Meistern betrieben wurde, ohne daß deshalb notwendig ein arbeitsteiliges Produktionsverfahren und mechanisierte Produktionsmittel angewendet worden wären. Im polizeilichen Stadtplan von 1833/34 heben sich nur wenige Fabriken physiognomisch aus den Wohnblöcken heraus. Die meist kleinen Werkstätten von .Fabrikanten' und Gewerbetreibenden waren vielmehr in den tiefen Hofflügeln der Wohngebäude untergebracht." 8 Im Textilgewerbe der Wiener Vorstädte und Vororte spielte das Verlagssystem mit Heimarbeitern die dominierende Rolle 9 . Anläßlich der 1857 vorgenommenen Volkszählung wurden in der Statistik der Berufe an selbständigen Gewerbsleuten und Fabrikanten 22 761 gezählt, wovon 1986 auf die Innere Stadt und 20 775 auf die Vorstädte entfielen. Die Zahl der beschäftigten Hilfsarbeiter nimmt sich mit 25 184 Personen sehr bescheiden führten nur langsam zur Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation. Ausführlich dazu künftig Mitterauer, Großstadt (in Vorbereitung). Vgl. auch Chaloupek, Wirtschaftsentwicklung, S. 15 ff., mit weiterführender Literatur. 7 Zur Beschreibung der Konsumtionsstadt vgl. Sombart, Kapitalismus, S. 142 f. — Sowohl aufkommender Großhandel als audi ansatzweise entwickelte industrielle Produktion waren stark an den Bedürfnissen der örtlichen höfisch-adeligen Oberschicht orientiert, wofür die H o f m a n u f a k turen und die Seidenindustrie als Beispiele dienen mögen. Vgl. Mitterauer, Großstadt. 8 Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 39. • Seidenerzeugung und -Verarbeitung, Bekleidungsgewerbe und die Produktion von Galanteriewaren wiesen durchwegs entsprechende voroder frühindustrielle Strukturen auf.

32

Stadtwachstum und Bevölkerungszunahme

aus und verweist klar auf die konservative Organisationsstruktur der Wiener Wirtschaft 10 . Die kleingewerbliche Komponente blieb auch nach der Jahrhundertmitte dominant, wie aus der Verdopplung der Zahl sämtlicher Gewerbe- und Handelsunternehmungen von 1851 (22 000) bis 1871 (47 200) hervorgeht, was der Bevölkerungszunahme entsprach 11 . Das im Sinne einer liberalen Wirtschaftspolitik abgefaßte Gewerbegesetz des Jahres 1859 hatte wesentlich zur Vermehrung der Neuanmeldungen beigetragen, doch wird bis Ende 1860 keine einzige größere Unternehmung f ü r den Raum Wien genannt 1 2 . H i n t e r der aus den Zahlen abzulesenden linearen Entwicklung verbergen sich gleichwohl gewisse Strukturwandlungen, die am A u f - und Abstieg sowie an einer voranschreitenden Kommerzialisierung einzelner Gewerbezweige zum Ausdruck kommen. So machte sich in der Möbeltischlerei, der Konfektion- und Wäscheerzeugung das Vordringen moderner Organisationsformen bemerkbar, und ebenso wurden im Einzelhandel verschiedene Warengruppen zusammengefaßt 1 3 . Insbesondere seit 1866 nahmen Schuster, Schneider und Wirte, Luxusgewerbe wie Gold- und Silberarbeiter sowie die vielen Sparten des Baugewerbes beträchtlich zu 14 . Die Zahl der Ledererzeuger und Webwarenproduzenten wurde dagegen stark reduziert und auch die Maschinenfabrikanten nahmen von 1867 bis 1875 beträchtlich ab, wobei in diesem Fall jedoch Konzentrationsvorgänge die entscheidende Rolle gespielt haben dürften. Der Rückgang der Seidenerzeuger hatte dagegen weder Betriebszusammenlegungen noch erwähnenswerte Modernisierungsanstrengungen als Voraussetzung, vielmehr geriet das bisher wichtigste Exportgewerbe Wiens seit der A u f hebung der Schutzzölle in den fünfziger Jahren gegenüber der ausländischen Konkurrenz zunehmend in Schwierigkeiten 15 . Die meisten kleinen und mittleren Betriebe gingen zugrunde, während

10

H o f f m a n n , Wien, S. 33. Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 40. lä H o f f m a n n , Wien, S. 33. 13 Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 40. 14 Infolge des starken Zuzugs aus Böhmen, Mähren und Schlesien gab es in den frühen siebziger Jahren eine ausgesprochene Überfüllung an Schustern u n d Schneidern, die in der Folge vielfach eine äußerst kümmerliche Existenz fristeten. 15 Vgl. d a z u Großindustrie Österreichs 4, S. 23. 11

Industrie und Gewerbe

33

die größeren ihre Standorte aus Wien hinausverlegten. Die Volkszählung des Jahres 1869 ermöglicht durch die Erfassung der auf je einen Unternehmer entfallenden Zahl beschäftigter Arbeitnehmer gewisse Einblicke in die Betriebsstruktur und den Entwicklungsstand einzelner Gewerbe- und Industriezweige, wenngleich genaue Aufschlüsse erst aus der Kenntnis der organisatorischen und technologischen Struktur sowie der aufgeschlüsselten Finanzgebarung gewonnen werden könnten. Bezeichnenderweise beschäftigten die Bierbrauer und Buchdrucker mit 54,9 und 35,1 die weitaus höchste Durchschnittszahl von Arbeitern im Stadtgebiet, während in den Baugewerben, der Maschinen- und Metallwaren- sowie der Textilindustrie, also jenen Erwerbszweigen, die den Kern der Großindustrie Wiens darstellten, die Beschäftigtenquote p r o Betrieb zwischen 24,1 und 11,1 streute 16 . Diese Daten belegen klar, daß noch in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Produktionssphäre der Wiener Wirtschaft nur in bescheidenem Maß von durchindustrialisierten Organisationsstrukturen und großbetrieblichen Formen geprägt wurde. Es besteht kein Zweifel daran, daß nicht nur im internationalen Maßstab, sondern auch gegenüber den Industriezentren der Monarchie ein deutlicher Entwicklungsrückstand vorlag. Die enorme Bevölkerungszunahme und das beschleunigte Stadtwachstum dürften demnach auch während der sogenannten Hochgründerzeit in beträchtlichem Ausmaß durch die politische Funktion Wiens als Reichshaupt- und Residenzstadt mitbestimmt worden sein. Eine große Rolle hat in dieser Zeit zweifellos auch der Ausbau Wiens zum Finanz- und Organisationszentrum der Monarchie gespielt, der zwar durch die Konkurrenz von Budapest etwas gehemmt wurde, im raschen Ausbau des Banken- und Versicherungswesens aber einen deutlichen Niederschlag fand und in der nun beschleunigt verlaufenden Citybildung sichtbar zum Ausdruck kam 1 7 . 16

Bei Hoffmann, Wien, S. 33 f., werden für die Stadt beziehungsweise für die Vororte folgende Durchsdinittsziffern angeführt: Bierbrauer 54,9 (57,9), Buchdrucker 35,1 (57,2), Zeitungsverleger 24,6 (22,0), Weißnäher 24,1 (24,6), Zimmerleute 20,9 (15,8), Bauunternehmer 18,5 (27,8), Seidenzeugmacher 17,5 (44,9), Zeugdrucker 14,3 (18,1), Masdiinen- und Werkzeugfabrikanten 11,8 (19,4) und Weber 11,1 (17,2). 17 Dazu Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 40; Lichtenberger, Entwicklungsprobleme, S. 199 fF. 3

Feldbauer, Stadtwadistum

34

Stadtwachstum und B e v ö l k e r u n g s z u n a h m e

D i e Umschichtung der Gewerbe setzte sich besonders seit dem K r i s e n j a h r 1 8 7 3 in verstärktem M a ß fort, die Fortschritte industrieller

Modernisierung

blieben

aber

auch weiterhin

scheiden. Akzeptiert man die von der Wiener

recht

be-

Handelskammer

lediglich nach der Steuerleistung von über oder unter 4 2 fl. getroffene Unterscheidung von Großbetrieben und Kleingewerben, so gab es „im J a h r e 1888 unter den industriellen

,Großbetrieben'

2 4 7 für M e t a l l e und Metall waren, 215 T e x t i l , 4 6 2 Bekleidung, 4 5 0 N a h r u n g , 233 Bauwesen,

173 Maschinen,

Instrumente

Werkzeuge. D i e industriellen Kleinbetriebe umfaßten

und

insgesamt

2 0 8 7 7 Unternehmer, davon in Metallen und Metallwaren 2 2 7 5 , Maschinen und Werkzeugen 1210, Holzverarbeitung 2 6 6 1 , N a h rungsmittel zierer

1087,

1451, Baugewerbe Bekleidung

und

1 2 6 2 , Textilgewerbe Putz

8473,

und

graphische

Tape-

Gewerbe

1 0 5 2 . — Sehen wir aber all diese Branchen etwas näher an, so handelt es sich bei einem großen Teil eigentlich um Manufakturen älteren Stils, nicht um maschinell eingerichtete Fabriken, die ihrerseits oft nur einen sehr bescheidenen U m f a n g aufwiesen." 1 8

Der

Niedergang der Seidenindustrie setzte sich unaufhaltsam fort, so d a ß 1 8 9 0 nur mehr 52 S a m t - und Seidenfabriken bestanden. Ihre Werkstätten

wurden zum Teil

von

neu aufkommenden

Indu-

striezweigen, insbesondere solchen der Metallverarbeitung,

über-

n o m m e n 1 9 . Erst gegen E n d e des Jahrhunderts trat auch in Wien die G r o ß - und Schwerindustrie stärker in den Vordergrund. Sie ließ sich infolge der Gestaltung

der Bodenpreise,

des

Flächen-

bedarfs und des Verlaufs der Eisenbahnlinien überwiegend in den Außenbezirken

und

am

Stadtrand

nieder,

vorzüglich

nördlich

der D o n a u im Raum Floridsdorf sowie im südlichen und südöstlichen S e k t o r der Stadt. Diese Entwicklung führte zu einem starken Anwachsen der Lohnarbeiterschaft und w a r eine Voraussetzung der immer deutlicheren Ausbildung von größtenteils in den Außenbezirken

liegenden

Arbeitervierteln,

in

welchen

die

un-

zureichende Wohnungsversorgung eines Großteils der Bevölkerung mit

zunehmender

Industrialisierung

zu einem

schwerwiegenden

P r o b l e m wurde. Beim

weiteren

Ausbau

der

Großindustrie

bis

zum

Ersten

W e l t k r i e g machte sich der Zug zur Peripherie immer stärker be18

"

H o f f m a n n , Wien, S. 34. B o b e k - Lichtenberger, W i e n , S. 4 1 .

35

Industrie und Gewerbe

merkbar.

Besonders

der V e r l a u f

f ü r die B e z i r k e Wieden u n d F a v o r i t e n

des betrieblichen V e r d r ä n g u n g s p r o z e s s e s

gut

ist

belegt.

V o n 29 bis 1 8 9 0 g e g r ü n d e t e n G r o ß b e t r i e b e n des Bezirkes

Favo-

riten hatten nicht weniger als z w ö l f ursprünglich ihren S t a n d o r t in I n n e n b e z i r k e n 2 0 . D a r ü b e r hinaus w a n d e r t e n aber auch l a u f e n d G r o ß b e t r i e b e v ö l l i g v o n Wien a b , w a s wesentlich d a z u b e i t r u g , „ d a ß im großen und g a n z e n , w i e die erste B e t r i e b s z ä h l u n g Ö s t e r reichs v o n 1 9 0 2 beweist, doch die alte S t r u k t u r Wiens als einer Stadt

des

Konsumgüter-

und

Luxusgewerbes

blieb. 1 9 0 2 wiesen v o n i n s g e s a m t

weiter

133 870 Betrieben

bestehen 87°/o

nur

1 — 5 B e s c h ä f t i g t e a u f . N u r 4 4 5 B e t r i e b e besaßen mehr als 1 0 0 Beschäftigte u n d nur 8 überschritten die T a u s e n d e r g r e n z e . " 2 1 infolge der wenn auch r e l a t i v schleppend v e r l a u f e n d e n

lisierung die wirtschaftliche Z e n t r a l i t ä t Wiens bis z u m J a h r kontinuierlich z u g e n o m m e n

hat, steht t r o t z aller

gen außer Z w e i f e l . Als allein-ausschlaggebender,

Daß

Industria1914

Einschränkun-

wachstumsbedin-

gender F a k t o r k a n n der industrielle Fortschritt aber auch in den Jahren

wirtschaftlichen

Aufschwungs

vor

Ausbruch

des

Ersten

Weltkriegs nicht gelten.

V g l . S c h w e i t z e r , E n t w i c k l u n g F a v o r i t e n s , S . 2 5 5 : „ V o n 56 a u s g e w ä h l t e n G r o ß b e t r i e b e n in F a v o r i t e n , d i e in K o n j u n k t u r z e i t e n j e w e i l s m e h r als 1 0 0 B e s c h ä f t i g t e h a t t e n , w u r d e n 14 v o r 1 8 7 3 g e g r ü n d e t , 15 zwischen 1 8 7 4 u n d 1 8 9 0 u n d 18 z w i s c h e n 1 8 9 0 u n d 1 9 1 4 . D i e M e h r z a h l dieser B e t r i e b e b e s c h ä f t i g t e sich m i t M e t a l l v e r a r b e i t u n g u n d M a s c h i n e n b a u . U n t e r den v o r 1873 g e g r ü n d e t e n B e t r i e b e n h a t t e n sechs ihren S t a n d ort im s p ä t e r e n F a v o r i t e n , acht h i n g e g e n in e i n e m d e r a n d e r e n W i e n e r B e z i r k e , v o r a l l e m im s p ä t e r e n v i e r t e n B e z i r k . V i e r dieser B e t r i e b e v e r legten ihren S t a n d o r t zwischen 1873 u n d 1 8 9 0 nach F a v o r i t e n , d i e restlichen v i e r ü b e r s i e d e l t e n erst z w i s c h e n 1 8 9 0 u n d d e m E r s t e n W e l t k r i e g . V o n den z w i s c h e n 1873 u n d 1 8 9 0 g e g r ü n d e t e n B e t r i e b e n h a t t e n b e r e i t s elf ihren ersten S t a n d o r t in F a v o r i t e n , v i e r j e d o c h i m m e r noch in den I n n e n b e z i r k e n u n d w i e d e r v o r a l l e m im v i e r t e n B e z i r k . D i e s e B e t r i e b e w u r d e n bis a u f einen, der schon in den a c h t z i g e r J a h r e n nach F a v o r i t e n ü b e r s i e d e l t e , zwischen 1 8 9 0 u n d 1914 in d e n z e h n t e n B e z i r k v e r l e g t . V o n den nach 1 8 9 0 g e g r ü n d e t e n B e t r i e b e n h a t t e n nur m e h r drei ihren ersten S t a n d o r t in e i n e m I n n e n b e z i r k , v e r t a u s c h t e n diesen a b e r i n n e r h a l b k u r z e r Z e i t m i t F a v o r i t e n . A l l e ü b r i g e n B e t r i e b e w u r d e n b e r e i t s in F a v o r i t e n g e g r ü n d e t , einige v o n i h n e n wechselten i h r e n S t a n d o r t a l l e r d i n g s i n n e r h a l b des B e z i r k s . D i e s e s B e i s p i e l l ä ß t v o r a l l e m e r k e n n e n , d a ß d e r Betriebszugang überwiegend d e m nächstgelegenen Innenbezirk Wieden zu verdanken war." 21

3"

Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 41.

36

Stadtwachstum und Bevölkerungszunahme 2.2.

B E V Ö L K E R U N G S Z U N A H M E UND B E R U F S S T R U K T U R

Seit dem E n d e der Türkenkriege zeigte Wien durch den Ausbau der zentralörtlichen Funktionen der S t a d t als politisches,

kultu-

relles und wirtschaftliches Z e n t r u m einer G r o ß m a c h t einen z w a r durch politische und wirtschaftliche Krisen mehrfach insgesamt aber kontinuierlichen Anstieg der Sowohl

Zuwanderung

wachstumsfördernde

als

auch

gehemmten,

Wohnbevölkerung22.

Geburtenüberschuß

trugen

als

K o m p o n e n t e n im V e r l a u f des 19. J a h r h u n -

derts zur Bevölkerungszunahme

bei, doch stellte die

Zuwande-

rung immer den bedeutenderen F a k t o r d a r . I m J a h r e 1 8 0 0 lebten in W i e n und den Vorstädten 2 3 1 0 4 9 E i n w o h n e r , deren Zahl bis 1 8 3 0 um 3 7 , 5 °/o auf 3 1 7 7 6 8 stieg. D i e durchschnittliche jährliche Wachstumsrate betrug etwa 1,3 °/o. „ Z ä h l t m a n die außerhalb des Linienwalles gelegenen Gemeinden dazu, so weist

der

Wiener R a u m 1 8 3 0 bereits eine Bevölkerungsagglomeration

von

ca. 3 6 2 0 0 0 E i n w o h n e r n a u f . " 2 3 Zehn J a h r e später lebten im Wiener Polizeirayon bereits 4 1 6 8 6 6 Personen, w o v o n freilich nicht alle auf den Bereich der später eingemeindeten V o r o r t e entfielen. Bis 1 8 5 7 stieg die Bevölkerungszahl im W i e n e r R a u m auf nahezu 6 0 0 0 0 0 , der gesamte Polizeirayon u m f a ß t e damals 6 4 6 1 1 1 Menschen. Bei einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate

von

2 2 Die folgenden Ausführungen sind kein Ergebnis eigener Detailforschung, sondern fassen lediglich die Resultate einiger grundlegender Studien zum Bevölkerungs- und Stadtwachstum von Wien im 19. Jahrhundert zusammen. Vgl. insbesondere Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 30 ff.; Lichtenberger, Entwicklungsprobleme, S. 195 ff., und Mayer, Städtische Entwicklung, S. 264 ff. In allen drei Arbeiten findet sich auch umfangreiche weiterführende Literatur. Präzise statistische Angaben in Form von Zeitreihen künftig bei Ehmer - Hold - Leuchtenmüller, Daten für Wien. Mit Gewinn wurden auch zwei ungedruckte Manuskripte von Wolfgang Haider, Stadtwachstum, Bevölkerungswachstum und Industrialisierung Wien 1848 bis 1914: Bevölkerungswachstum, 1975, und Harald Prasdiinger, Industrialisierung — Bevölkerungswachstum — Stadtwachstum: Der Zuzug nach Wien als wesentlicher Faktor des Bevölkerungswachstums, 1975, herangezogen. Vgl. auch Juraschek, Wachsthum, S. 329 ff.; Ertel, Wohnungs- und Verkehrswesen; Schimmer, Bewegung, S. 119 ff.; Kitz, Bevölkerungs-Wachsthum, S. 4 0 7 f f . ; Delannoy, Ergebnisse der Volkszählung 1900; Olegnik, Statistische Übersichten; Schimmer, Bevölkerung von Wien; Sedlacek, Volkszählung 1880; ders., Volkszählung 1890. 2 3 Mayer, Städtische Entwicklung, S. 264.

Bevölkerungsentwicklung bis 1890

37

k n a p p 2,1 % hatte die Bevölkerung der Inneren Stadt und der Vorstädte in 27 Jahren nur eine Erhöhung um die H ä l f t e erfahren, jene der außerhalb des Linienwalles gelegenen Vororte hatte sich dagegen bei einer jährlichen Wachstumsrate von etwa 3,6 °/o mehr als verdoppelt. Der Anteil der Vorortebevölkerung an der Gesamtbevölkerung Wiens war von 13 °/o im Jahre 1830 auf 23 % im Jahre 1857 gestiegen (vgl. Tabelle l) 2 4 . Das stärkste Bevölkerungswachstum zeigten infolge ihrer günstigen Verkehrslage die im Wiental gelegenen, direkt an die Stadt grenzenden Gemeinden; auch die nördlich anschließenden Vororte Fünfhaus, Ottakring und Hernais wiesen schon vor 1857 eine beachtliche Bevölkerungszunahme auf. „So betrug die jährliche Zuwachsrate in diesen Gemeinden von 1830 bis 1857 zwischen 9 , 3 % und 3 3 , 8 % . Die Stadt und die Vorstädte wiesen infolge bereits weit fortgeschrittener Verbauung nur ein relativ geringes Wachstum der Bevölkerung auf, welches im zweiten Bezirk mit 4,5 % , im vierten und fünften Bezirk mit 3,6 % beziehungsweise 3,2 % pro Jahr noch die höchsten Werte erreichte." 25 Tabelle 1: Bevölkerung Jahr 1820 1830 1840 1843 1846 1850 1857 1869 1875

Wien 260 317 356 375 407 431 516 632 673

244 768 870 933 980 147 105 127 865

einschließlich der Garnison Zunahme in °'0

22,1 12,3 5,3 8,5 5,7 19,7 22,5 6,6 158,9

24

1820 bis

Vororte im Polizeirayon 38 48 59 69 83 92 130 222 346

515 312 996 338 264 543 006 337 905

187P6

Zunahme in %

25,4 24,2 15,6 20,1 11,1 40,5 71,1 56,0 800,7

Vgl. Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1885, S. 13. Mayer, Städtische Entwicklung, S. 265. 26 Tabelle leicht verändert nach Haider, Bevölkerungswachstum, S. 3. Die Angaben für die Vororte im Polizeirayon liegen etwas über den Werten für den 1890 eingemeindeten Vorortebereich, dessen Grenzen enger gezogen wurden. 25

38

Stadtwachstum und Bevölkerungszunahme

Die starke Bevölkerungszunahme hielt auch in den folgenden Jahren an beziehungsweise verstärkte sich sogar noch (vgl. Tabelle 2), so daß die Volkszählung von 1869 f ü r Wien und die Vororte bereits 842 951 Einwohner ergab, wovon 607 514 die Zivilbevölkerung des eigentlichen Stadtgebietes innerhalb der Linien darstellten. Die Bevölkerung der Agglomeration Wien hatte sich demnach in vier Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Besonders die mit der Verbesserung der Verkehrserschließung immer mehr in den städtischen Einflußbereich geratenden peripheren Vorortegemeinden wiesen starke Wachstumsraten auf, während die an den Linienwall anschließenden Gemeinden mit Ausnahme von Währing eine Verlangsamung der Bevölkerungszunahme zeigten 27 . Seit 1860 wurde auch der vorwiegend agrarische Raum im Osten von dieser Entwicklung erfaßt. Besonders Floridsdorf, Groß-Jedlersdorf und Donaufeld, welche Gemeinden unter anderem durch die 1869 nach Floridsdorf verlegte Lokomotivfabrik zu einem Industriebrückenkopf am linken Donauufer geworden waren, und das von der Errichtung der Ostbahn profitierende Stadlau zeigten von 1857 bis 1890 ein starkes jährliches Wachstum von 10 °/o bis 20 °/o, Stadlau von 1869 bis 1890 sogar ein solches von 33,8 °/o. Vom Stadtgebiet, das bereits stark verbaut war, erlebte nur das außerhalb der Verzehrungssteuer-Linien gelegene Favoriten infolge des Südbahnbaues, des Ausbaus der Ziegelfabriken usw. eine rapide Bevölkerungsentwicklung. Die Einwohnerzahl dieses Bezirkes wuchs von 1869 bis 1890 jährlich um 27,5 °/o, während innerhalb der Stadt der fünfte Bezirk mit 5,6 °/o die höchste durchschnittliche Bevölkerungszunahme aufwies 2 8 . Im Jahr 1869 lagen die äußeren Bezirke mit Einwohnerzahlen zwischen 13 000 und 35 000 bezüglich ihrer Größenordnung noch relativ eng beisammen. Erst das beschleunigte Wachstum einiger Vororte wie Meidling, Ottakring, Hernais und auch Währing verursachte die beträchtlichen Größenunterschiede der Jahrhundertwende. Ottakring beispielsweise entwickelte sich nach der Eingemeindung 1890 zum volkreichsten Bezirk von Wien, ehe es später von Favoriten abgelöst

27 Die durchschnittlichen Zuwachsraten lagen in Hetzmannsdorf, Altmannsdorf, Unter-St. Veit und Hacking zwischen 5 °/o und 10 °/o (Mayer, Städtische Entwicklung, S. 265). 28 Mayer, Städtische Entwicklung, S. 265.

Bevölkerungsentwicklung bis 1890

39

wurde 2 9 . Im gesamten Stadt- und Vorortebereich stieg die durchschnittliche jährliche Bevölkerungszunahme in den Jahren 1857 bis 1890 auf 3,9 °/o, während die Zuwachsrate von 1830 bis 1857 nur 2,3 °/o betragen hatte 3 0 . Tabelle 2: Zivilbevölkerung Jahr 1869 1880 1890 1900 1910

Wien bzw. Innenbezirke 607 704 817 984 1 095

514 756 299 762 260

von 1869 bis 19103i Zunahme in %

16,0 16,0 20,5 11,2 80,3

Vororte bzw. Außenbezirke 235 385 524 663 832

437 363 598 573 346

Zunahme in %

63,7 36,1

26,5 25,4 253,3

Bei der Eingemeindung der Vororte im Jahr 1890 hatte Wien eine Zivilbevölkerung von 1 341 897 Einwohnern, wovon nur mehr 5 °/o in der Altstadt und 50,4 °/o in den Vorstädten lebten, während der Anteil der Vororte einschließlich dem eine analoge Sozial- und Wirtschaftsstruktur aufweisenden zehnten Bezirk auf 44,6 o/o gestiegen war. Zwanzig Jahre zuvor hatten die entsprechenden Quoten noch 7,6 °/o, 63,7 °/o und 28,7 °/o betragen 32 . Nach 1890 verlangsamte sich das relative Bevölkerungswachstum, so daß die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate auf 2,2 °/o zurückfiel und das alte Wiener Stadtgebiet sogar nur mehr eine Vermehrung von 1,6 °/o aufwies. Das Schwergewicht der Zunahme hatte sich endgültig von den ehemaligen Vorstädten auf den Gürtel der Vororte verlagert, wo jährlich noch 2,9 °/o Bewohner zuwuchsen. Absolut waren im Jahrzehnt vor 1900 die stärksten Wachstumsschübe zu verzeichnen, welche fast in jedem J a h r 2

* Vgl. Czeike, Sozialgeschidite, S. 57. Mayer, Städtische Entwicklung, S. 265. 31 Aus Gründen der Vergleidibarkeit ist der außerhalb der Linien gelegene, alte Stadtbezirk Favoriten durchgehend den Innenbezirken zugezählt, wodurch das unterschiedliche Wachstumstempo im inneren und äußeren Stadtbereidi etwas weniger klar zum Ausdruck kommt. Der 1905 eingemeindete Bezirk Floridsdorf ist nicht berücksichtigt. 32 Vgl. Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 31. 30

40

Stadtwachstum und Bevölkerungszunahme

30 000 Personen und mehr umfaßten. Insgesamt verdoppelte sich die Bevölkerung der Agglomeration Wien von 1870 bis 1900 ein zweites Mal, die Einwohnerzahl hatte sich also innerhalb von sieben Jahrzehnten vervierfacht. Die relative und schließlich auch die absolute jährliche Bevölkerungszunahme ließ nach der Jahrhundertwende etwas nach. Das vergrößerte Stadtgebiet wies nur mehr ein Wachstum von 1,6 °/o auf, wobei die inneren Bezirke fast stagnierten. N u r die bis 1905 außerhalb des Wiener Gemeindegebietes liegenden Orte im linksseitigen Donaugebiet erfuhren noch ein starkes Bevölkerungswachstum zwischen 8 °/o und 16 °/o p r o Jahr. Bis 1910 sank der Bevölkerungsanteil in der Altstadt auf 2,6 o/o, in den Vorstädten auf 45,5 °/o ab, während der Anteil der Vorortebevölkerung mit Favoriten u n d dem 1905 u n d 1910 eingemeindeten linksseitigen Donaugebiet nunmehr 5 1 , 9 % ausmachte 33 . Der Geburtenüberschuß erreichte im besprochenen Zeitraum z w a r nie die Bedeutung der Zuwanderung für die Bevölkerungszunahme, erlangte jedoch im Verlauf des 19. Jahrhunderts allmählich einen beachtlichen Stellenwert (vgl. Tabelle 3). Vor allem bis 1840 schwankte die „natürliche Bevölkerungsbewegung" infolge von Typhus-, Ruhr- und Choleraepidemien beträchtlich, erst ab 1870 fiel dieser Faktor f ü r die Sterblichkeitskurve nicht mehr sonderlich ins Gewicht. K n a p p nach 1820 war zwar bereits f ü r einige Jahre ein leichter Geburtenüberschuß zu verzeichnen, insgesamt waren die drei Jahrzehnte von 1810 bis 1840 jedoch durch ein Geburtendefizit gekennzeichnet, so daß die relativ bescheidene Bevölkerungszunahme ausschließlich durch Zuwanderung verursacht wurde. Nach 1840 wurde ein Geburtenüberschuß zum beständigen Merkmal der demographischen Verhältnisse Wiens. Wohl gab es in Seuchenjahren noch beträchtliche Rückschläge, in manchen Jahren der Periode von 1840 bis 1870 erreichte der Geburtenüberschuß jedoch sogar das Ausmaß der Zuwanderung. Während sich die Geburtenziffern im alten Stadtgebiet mit 45 °/oo bis 50 °/oo ziemlich konstant hielten, sanken die Sterbeziffern allmählich auf 40—35 °/oo ab. Ab 1870 setzte ein langsamer Rückgang der Geburtenrate auf etwa 35 °/oo im Jahr 1890 ein, die Sterbeziffer sank aber in dieser Zeit viel rascher bis auf 20 °/oo um die Jahrhundertwende, so daß Wien um 1900 den höchsten " Mayer, Städtische Entwicklung, S. 266.

Geburtenüberschuß

41

Geburtenüberschuß aufwies. D a n n allerdings begann die Geburtenziffer stark zu sinken, bis k n a p p vor Kriegsausbruch die Schere wieder geschlossen war 3 4 . Schon vor 1890 wuchsen die Vorstädte fast nur mehr aus der Reproduktionskraft der ansässigen Bevölkerung, da sich die anschwellende Zuwanderung nun schon überwiegend auf die Vororte richtete. Prozentuell hatte der Wanderungsüberschuß an der Bevölkerungszunahme des jeweiligen Stadtgebietes sein Maximum zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehabt und dann bis 1890 relativ an Bedeutung verloren, obwohl die absolute Zahl der Zuwanderer in die Agglomeration Wien kontinuierlich zunahm. Besonders in den Perioden 1891 bis 1895 sowie 1906 bis 1915 trat die Zuwanderung wieder in den Vordergrund, da die neueingemeindeten Vororte viele Fremde aufnahmen und die Gebürtigkeit eine immer stärker rückläufige Tendenz aufwies. Das Tabelle 3 : Bevölkerungsbewegung

Zeitraum

1821—1825 1826—1830 1831—1835 1836—1840 1841—1845 1846—1850 1851—1855 1856—1860 1861—1865 1866—1870 1871—1875 1876—1880 1881—1885 1886—1890 1891—1895 1896—1900 1901—1905 1906—1910 54 55

Saldo der natürlichen Bevölkerungsbewegung 9411 1 832 — 6 738 1 324 11 167 8 188 1 183 17 525 23 649 22 143 20 972 36 190 32 209 34 862 66 90 89 67

131 409 298 457

im jeweiligen Saldo der Wanderbewegung

Stadtgebiet35 Anteil des Wandersaldos an der Bevölkerungszunahme

15 29 17 29 34 14 20 22 31 31 22 9 21 18

287 595 675 828 488 979 381 775 168 980 021 803 970 377

61,9% 94,2% 161,6% 95,7% 75,5% 64,6% 94,5% 56,5% 56,9% 59,1% 51,2% 21,3% 40,5% 34,5%

79 70 32 92

214 684 244 514

54,5% 43,9% 26,5% 57,8%

Bobek - Liditenberger, Wien, S. 33. Tabelle leidit verändert nadi Praschinger, Zuzug, S. 7.

42

Stadtwadistum und Bevölkerungszunahme

absolute Maximum der Zuwanderung wurde in den neunziger Jahren erreicht, worauf ein spürbarer Rückschlag im ersten Jahrfünft des 20. Jahrhunderts folgte, ehe der Zuzug in den letzten Vorkriegsjahren wieder rapid zunahm. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Zuwanderung aus Deutschland an erster Stelle gestanden u n d hatte selbst die aus den Alpenländern der Monarchie übertroffen. Erst mit der allmählichen politischen Distanzierung Österreichs von Deutschland und der voranschreitenden Erschließung des Staatsgebietes durch die großen Bahnbauten in den Jahrzehnten seit 1840 nahm die Bedeutung des süd- und mitteldeutschen Raumes als Zuzugsgebiet ab. Immer mehr traten die Sudetenländer in den Vordergrund, während die Zuwanderung aus den Alpenländern bis zum Ersten Weltkrieg nebensächlich blieb. Seit den vierziger Jahren hatte die Zuwanderung der Tschechen infolge des allgemeinen Wirtschaftswachstums verstärkt eingesetzt. Während die aus Böhmen stammenden Deutschen als gewerblich-industrielle Unternehmer, als Beamte, Offiziere und Vertreter der Intelligenz überwiegend der Mittel- oder Oberschicht angehörten, stellten die Zuwanderer aus den überbevölkerten Agrargebieten von Südböhmen und Mähren sowohl die Masse der Dienstboten als auch einen beträchtlichen Teil der Wiener Arbeiter, Kleingewerbetreibenden und subalternen Beamten. Ein drittes Element von ständig zunehmender Bedeutung stellte die jüdische Zuwanderung aus den Sudetenländern, Ungarn und Ostgalizien dar 86 . H a t t e der jüdische Bevölkerungsanteil zu Jahrhundertbeginn lediglich 0,3 %> betragen, so lag er um die Mitte des Jahrhunderts bereits bei 3 °/o und erreichte 1890 im alten Stadtgebiet sogar 10 °/o. Von den weiteren ethnisdien Gruppen, die nach Wien zuzogen, erlangten nur die Polen quantitativ gewisse Bedeutung, während die Ungarn infolge der zunehmenden Eigenständigkeit der ungarischen Reichshälfte innerhalb der Monarchie eine immer geringere Rolle für die Zuwanderung spielten. Eine Sonderstellung nahmen in der zweiten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts die italienischen Bauarbeiter ein, die während der Konjunkturphasen der Bauindustrie in großer Zahl nach Wien strömten, aber nur ausnahmsweise in der Stadt ansässig wurden. Da eine zuverlässige Aufarbeitung des Wandels der Berufs- und Sozialstruktur Wiens im 19. Jahrhundert noch ein Forschungs"

Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 32.

Berufs- und Sozialstruktur

43

desiderat darstellt, können an dieser Stelle nur einige grobe H i n weise gegeben werden, die jedoch eine Reihe v o n Ansatzpunkten für eine schichtspezifische Betrachtung der Wohnungsproblematik zu liefern vermögen 3 7 . Zunächst verdient Beachtung, daß nach den Angaben der Konskription v o n 1834 rund drei Viertel der Einwohnerschaft v o n Wien und den Vorstädten den unteren Bevölkerungsschichten, in denen gewerbliche H i l f s k r ä f t e , Taglöhner und das vielfältige Dienstpersonal dominierten, angehörten 3 8 . D a die Auswertung der Verlassenschaftsakten aus der ersten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts sowie der Konskriptionsergebnisse des Jahres 1857 noch nicht abgeschlossen ist, können erst für das V o l k s zählungsjahr 1869 etwas genauere Angaben gemacht werden 3 9 . In der Folge lieferten auch die Volkszählungsjahre 1880, 1890, 1900 und 1910 immer wieder D a t e n zur Berufs- und Sozialstruktur, welche für die achtziger Jahre durch eine Denkschrift der Vororte sowie die Angaben im österreichischen Städtebuch wesentlich ergänzt wurden, die dauernd wechselnden A u f n a h m e - u n d Gliederungskriterien ermöglichen aber nur vorsichtige Vergleiche 4 0 . Im Jahr 1869 entfielen in den Vororten e t w a 70 °/o der Gesamtbevölkerung 37 Zur Problematik des vorliegenden statistischen Materials vgl. Lichtenberger, Entwicklungsprobleme, S. 200, und Mayer, Städtische Entwicklung, S. 268. Eine ausführliche Behandlung des gesamten Fragenkreises künftig in der bereits erwähnten, in Vorbereitung befindlichen „Sozialgeschichte von Wien 1740 bis 1938". Vgl. auch Ehmer - H o l d Leuchtenmüller, Daten f ü r Wien. 88 Lichtenberger, Entwicklungsprobleme, S. 200. M Die statistischen Daten für Wien und die Vororte bei Schimmer, Bevölkerung von Wien. Zur Kritik der Kriterien, die Schimmer f ü r die beruflich-soziale Gliederung der Bevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in Anwendung brachte, zusammenfassend Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 36: „Einkommen, Bildung und Güterproduktion sind die drei Aspekte, nach denen er ,Kapitalisten', ,Stände mit höherer Schulbildung' und ,gewerblich-industrielle Stände' aussonderte, wobei er als einen weiteren, bis heute beibehaltenen Gesichtspunkt die selbständige oder abhängige Stellung im Beruf einführte, ein Kriterium, dessen Anwendung durch Schimmer allerdings nicht mit der heutigen Begriffsfassung übereinstimmt." Vgl. dazu auch Hoffmann, Wien, S. 45 f., und Mayer, Städtische Entwicklung, S. 268. 40 Vgl. Delannoy, Ergebnisse der Volkszählung 1910; Löwy, Ergebnisse der Volkszählung 1900; Sedlacek, Berufsverhältnisse 1880, und ders., Volkszählung 1890; Raudiberg, Berufsverhältnisse; Denkschrift der Vororte; österreichisches Städtebuch 1 (1887). Dazu Mayer, Städtische Entwicklung, S. 268 f., und Hoffmann, Wien, S. 47 ff.

44

Stadtwachstum und Bevölkerungszunahme

auf den gewerblich-industriellen Bereich, im Stadtbereich dagegen nicht ganz 60 °/o41. Eine starke Gruppe bildeten die selbständigen Gewerbetreibenden, die seit je auf der Basis des Konsum- und Luxusgewerbes eine große Rolle gespielt hatten. Typisch für die Situation um 1870 war auch der hohe Prozentsatz des Dienstpersonals aller Art, der erst im letzten Viertel des Jahrhunderts reduziert wurde. Gliedert man nur die berufstätige Bevölkerung nach den Angaben der Zählung, so erhält man nach Bobek - Lichtenberger nicht nur einen Einblick in die Berufsverhältnisse, sondern auch eine ungefähre Vorstellung der Bevölkerungsschichtung und Klassenstruktur der Wiener Einwohnerschaft (vgl. Tabelle 4) 4 2 . Tabelle 4: Beruflich-soziale

Gliederung

Stadt und Vorstädte Zahl

41

Vorortebereich

Agglomeration

in %

Zahl

in %

Zahl

in %

100,0 5,7

137 128 5 102

100,0 3,7

538 903 27 844

100,0 5,2

11,4

15 626

11,4

61 110

11,3

4,7

3 208

2,3

22 036

4,1

54,4 20,9 2,9

89 863 21 713 1 616

65,5 15,9

57,1

1,4

307 616 105 596 14 701

87 054

21,8

23 936

17,4

110 990

20,6

314 721

78,2

113 192

82,6

427 913

79,4

Berufstätige Bevölkerung 401 775 22 742 Kapitalisten Selbständige Gewerbetreibende 45 484 Stände mit höherer Bildung 18 828 Arbeiter der industriellen und 217 753 gewerbl. Stände Dienstpersonal 83 883 Studierende 13 085 „Selbständige" insgesamt „Unselbständige" insgesamt

1869is

19,1 2,7

Schimmer, Bevölkerung von Wien, S. 18 f. Die folgende Tabelle aus Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 36. 43 Nach einer ähnlichen Tabelle bei Lichtenberger, Entwicklungsprobleme, S. 202, zerfiel die Unterschicht in die Hauptgruppen der Amtsdiener und Aufsichtsorgane, Sonstige Diener, Arbeiter, Taglöhner und Hausdienerschaft. 42

Berufs- und Sozialstruktur

45

B e z o g e n a u f die G e s a m t b e v ö l k e r u n g der A g g l o m e r a t i o n W i e n erh ö h t e sich die gewerblich-industrielle B e r u f s g r u p p e bis z u m 1 8 8 0 in den V o r o r t e n a u f e t w a 8 0 %

Jahr

u n d i n n e r h a l b der S t a d t -

grenzen auf 6 8 °/o. I n F a v o r i t e n z ä h l t e n sogar 9 0 %> der W o h n bevölkerung

zu

dieser

Kategorie,

wobei

freilich

erst

genauere

K e n n t n i s s e der B e r u f s s t e l l u n g Aufschlüsse über den sozialen W a n del v e r m i t t e l n

k ö n n t e n 4 4 . D a s m a n g e l h a f t e statistische

Material

für den V o r o r t e g ü r t e l w i r d aber erst nach k o m p l i z i e r t e n H o c h r e c h nungen

die

gewünschten

Differenzierungen

zulassen.

Für

den

Stadtbereich liegen die D i n g e günstiger. H i e r w a r der P r o z e n t s a t z der „ S e l b s t ä n d i g e n "

an der gesamten berufstätigen

Bevölkerung

seit 1 8 6 9 unwesentlich v o n 2 1 , 8 °/o auf 2 2 , 1 °/o gestiegen. I n der G r u p p e der „ U n s e l b s t ä n d i g e n " w a r das D i e n s t p e r s o n a l a u f 1 8 , 6 °/o gefallen, die Z a h l der gewerblichen und industriellen

Lohnarbei-

ter h a t t e dagegen z u g e n o m m e n 4 5 . Dies ist u m so b e m e r k e n s w e r t e r , als i m V e r l a u f der siebziger J a h r e g r o ß e einkommensschwache B e völkerungsschichten

über

die L i n i e n

in

die V o r o r t e

abgedrängt

w o r d e n w a r e n u n d insgesamt eine rasch voranschreitende soziale Entmischung s t a t t f a n d . D i e V e r w e r t u n g der V o l k s z ä h l u n g s e r g e b nisse des J a h r e s 1 8 9 0 ermöglicht z w a r viele Aufschlüsse ü b e r die verschiedenen Beschäftigungsarten, berücksichtigt aber die räumliche V e r t e i l u n g der B e r u f s g r u p p e n ü b e r h a u p t nicht u n d ist d a h e r nur bedingt b r a u c h b a r 4 6 . D i e v e r ä n d e r t e n A u f n a h m e k r i t e r i e n erschweren insbesondere einen sinnvollen Vergleich der sogenannten S e l b ständigen mit den a n d e r e n B e r u f s g r u p p e n . Beschränkt möglich ist dagegen eine D a r s t e l l u n g der Beschäftigtenzahlen in den g r o ß e n Wirtschaftszweigen v o n 1 8 9 0 bis 1 9 1 0 4 7 . D i e Z a h l e n der T a b e l l e 5 v e r m i t t e l n z w a r einen groben Ü b e r b l i c k über die Bedeutung der einzelnen Wirtschaftssektoren im jeweiligen S t i c h j a h r , geben a b e r keinen Aufschluß über die g r o ß e n

sozialen

Umschichtungen, die sich bis 1 9 1 0 kontinuierlich v o l l z o g e n h a t t e n . 44 Vgl. Mayer, Städtische Entwicklung, S. 268; Denkschrift der Vororte, S. 55 f. Detaillierte Angaben nach Berufsgruppen, Berufsstellung und bezirksweiser Sozialstruktur bei Sedlacek, Berufsverhältnisse, S. 7 ff. 4 5 Ausführlich bei Hoffmann, Wien, S. 47 ff., der sich insbesondere auf die Daten des österreichischen Städtebuch 1 (1887) bezieht. 4 6 Dazu Rauchberg, Berufsverhältnisse und Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1891. 4 7 Vgl. Haider, Bevölkerungswachstum, S. 12, dessen Tabelle auf Hecke, Berufsverschiebungen, basiert.

46

Stadtwachstum und Bevölkerungszunahme

T a b e l l e 5 : Verteilung in

der berufstätigen

Bevölkerung

1890 bis

1910

Prozent48

Berufsgruppe

1890

1900

1910

L a n d - u n d Forstwirtschaft Industrie u n d Gewerbe Handel u n d Verkehr Öffentlicher und Militärdienst Dienstpersonal Selbständige, Berufslose

1,05 45,77 22,15 9,25 11,66 10,10

0,66 42,78 24,17 10,03 10,71 11,64

0,78 42,68 24,82 9,65 8,48 13,59

E i n e n z u m i n d e s t oberflächlichen E i n d r u c k d a v o n v e r m i t t e l t a l l e r d i n g s d i e V o l k s z ä h l u n g dieses J a h r e s , welche die B e r u f s t ä t i g e n n e b e n a n d e r e n Kriterien auch nach i h r e r sozialen S t e l l u n g z u s a m m e n f a ß t e . Folgt m a n d e m Umrechnungsschlüssel v o n B o b e k L i c h t e n b e r g e r f ü r das Z a h l e n m a t e r i a l v o n 1869, so h a t sich im S t a d t g e b i e t u n t e r Einschluß der 1890 e i n g e m e i n d e t e n V o r o r t e der A n t e i l d e r Selbständigen v o n 18,5 °/o a u f 14,3 °/o v e r m i n d e r t , j e n e r d e r A r b e i t e r u n d A n g e s t e l l t e n d a g e g e n v o n 72,3 %> a u f 79,5 °/o v e r m e h r t , w o b e i es im J a h r 1910 13,6 °/o Angestellte u n d 6 5 , 9 °/o A r b e i t e r gab 4 9 . W e n n auch g e n a u e Z a h l e n a n g a b e n v o r e r s t noch f e h l e n , besteht kein Z w e i f e l d a r a n , d a ß Oberschicht u n d M i t t e l s t a n d gegenüber d e r g e w a l t i g a n w a c h s e n d e n L o h n a r b e i t e r schaft u n d den sonstigen B e r u f s g r u p p e n d e r e i n k o m m e n s s c h w a c h e n U n t e r s c h i c h t seit der M i t t e des 19. J a h r h u n d e r t s l a u f e n d an B o d e n v e r l o r . D e r R ü c k g a n g des H a u s p e r s o n a l s sowie des Anteils der S e l b s t ä n d i g e n sind d a f ü r e i n d e u t i g e I n d i k a t o r e n . 4K Die tabellarisch zusammengefaßten Zahlen sind nur beschränkt vergleichbar, da das auffällige Anwachsen der Angehörigen ohne eigenen Hauptberuf von 1890 auf 1900, das im folgenden Jahrzehnt keine Parallele fand, durch Auffassungsunterschiede bei den verschiedenen Zählungen mitverursacht worden sein dürfte. Im Jahr 1900 sind viele Bäuerinnen und andere weibliche Familienangehörige von landwirtschaftlich Tätigen, die früher als berufstätig gezählt wurden, infolge geänderter Zählanweisungen als berufslose Familienangehörige aufgefaßt worden. Bei der Zählung 1910 setzte sich wieder die alte Auffassung stärker durch. 49 Vgl. Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 37. Abweichende Prozentangaben gegenüber Tabelle 5 erklären sich aus der Nichtberücksichtigung der Studierenden sowie der Einführung einer Kategorie ,Mithelfende Familienangehörige* in die Tabelle für das J a h r 1869.

Territoriales Wachstum 2.3.

47

T E R R I T O R I A L E S W A C H S T U M UND V I E R T E L B I L D U N G

Die allmähliche Erweiterung des administrativen Stadtbereichs von Wien setzte im Revolutionsjahr 1848 erst zu einem Zeitpunkt ein, als das rasch anschwellende Bevölkerungswachstum schon längst die alten Grenzen gesprengt und zu einem zunehmenden Siedeln außerhalb der Stadt in den Vorstädten und in den außerhalb des Linienwalles anschließenden Vororten geführt hatte 5 0 . Bis zum J a h r e 1850 u m f a ß t e die administrative Einheit Wien lediglich die Altstadt. Jenseits des Glacis lagen die 34 vom Linienwall umschlossenen Vorstädte, außerhalb desselben nodi weitere 21 Vororte. Erst nach der Aufhebung der Untertänigkeit 1848 und der Durchführung der Grundentlastung wurden die letzten Grundherrschaften im R a u m von Wien beseitigt und mit den Vorstädten im J a h r 1850 unter magistratische V e r w a l t u n g gestellt. Der ursprüngliche Plan, auch einen Großteil der benachbarten Vororte außerhalb der Linien in die Stadterweiterung einzubeziehen, w u r d e fallengelassen, so d a ß lediglich im Anschluß an den alten Burgfriedensbezirk im Süden außerhalb des Linienwalles gelegene Gebiete eingemeindet wurden. Das erweiterte Stadtgebiet umfaßte 55,4 km 2 und w a r in acht Bezirke gegliedert. Durch die Abtrennung des späteren fünften Bezirkes Margarethen von der alten Vorstadt Wieden im J a h r 1861 sowie durch die Einrichtung des ursprünglich ebenfalls zum vierten Bezirk gehörenden zehnten Bezirkes Favoriten außerhalb der Linien w u r d e eine Gliederung in zehn Bezirke erreicht, welche bis 1890 Bestand haben sollte 5 1 . Obwohl seit e t w a 1870 das H a u p t Wachstum der Stadt im Bereich der westlichen Vororte erfolgte, k a m es erst 1890 zur zweiten Stadterweiterung von Wien, welche der Kernstadt in neun neugebildeten Außenbezirken einen Bevölkerungszuwachs von e t w a einer halben Million Menschen brachte. Wien u m f a ß t e nunmehr eine Fläche von 178,12 km 2 und konnte nun erstmals im gesam5 0 D i e f o l g e n d e n A u s f ü h r u n g e n stützen sich g r u n d s ä t z l i d i auf B o b e k Lichtenbcrger, W i e n , S. 4 8 f f . ; Lichtenberger, Entwicklungsprobleme, S. 1 9 5 f f . , u n d M a y e r , Städtische E n t w i c k l u n g , S. 2 6 9 ff., u n d fassen lediglich die wichtigsten Ergebnisse z u r besseren O r i e n t i e r u n g in den f o l g e n d e n K a p i t e l n zusammen. 5 1 Es h a n d e l t sich u m die B e z i r k e 1. I n n e r e S t a d t , 2. Leopoldstadt, 3. L a n d s t r a ß e , 4. W i e d e n , 5. M a r g a r e t h e n , 6. M a r i a h i l f , 7. N e u b a u , 8. J o s e f s t a d t , 9. A i s e r g r u n d u n d 1 0 . F a v o r i t e n .

48

Stadtwachstum und Bevölkerungszunahme

ten Agglomerationsbereich nach einheitlichen Planungszielen mit Infrastruktur ausgestattet und durchgreifend assaniert werden. Die Novelle der Bauordnung von 1893 bestimmte zumindest formal einheitliche, nach Zonen gestaffelte Bauhöhen und Straßenbreiten f ü r das erweiterte Stadtgebiet, doch war die Eingemeindung für viele Vororte trotz beachtlicher kommunalpolitischer Erfolge sicherlich kein reiner Segen, wie das rasche Steigen der Bodenpreise außerhalb der Linien seit 1890, das Anwachsen der Stockwerkszahl der N e u - und Umbauten sowie die zunehmende Verbauungsdichte klar beweisen. Bei der Eingemeindung hatte man auf den Verkehrs- u n d Industrieknoten Floridsdorf im Norden der Donau wegen der zu erwartenden finanziellen Lasten durch die Übernahme der schlechten Kommunaleinrichtungen verzichtet. Dieses Versäumnis holte man durch die Eingemeindung linksseitiger Donaugebiete im Jahr 1905 nach. Mit der Eingemeindung des restlichen Teiles von Strebersdorf und Teilen von H a d e r s d o r f Weidlingau sowie Mauer im Jahre 1910 war der Prozeß der Verwaltungsexpansion abgeschlossen. Da bereits 1900 der zweite Bezirk wegen der hohen Einwohnerzahl in die Bezirke Leopoldstadt und Brigittenau zerlegt worden war, umfaßte Wien vor dem Ersten Weltkrieg 21 Bezirke, welche insgesamt eine Ausdehnung von 275,88 km 2 erreichten 52 . Das Wachstum von Wien hing entscheidend vom Ausbau des öffentlichen Verkehrs ab 53 . Die erste wesentliche Verbesserung des städtischen Verkehrs wurde durch die Errichtung des Pferdebahnnetzes erzielt, welches von der Ringstraße ausgehend die Vorstädte durchzog u n d die Vororte und Sommerfrischen an den Stadtkern band. Die im Jahre 1866 eröffnete erste Linie f ü h r t beispielsweise vom Schottenring durch Hernais nach Dornbach. In den achtziger Jahren wurden dann Dampfstraßenbahnen sowohl als Vorortelinien als auch als Lokalbahnen eingerichtet. Erst 1897 wurden die Pferde- und Dampfstraßenbahnen von elektrischen 52 Die seit 1890 neugeschaffenen Bezirke waren 11. Simmering, 12. Meidling, 13. Hietzing, 14. Rudolfsheim, 15. Fünfhaus, 16. Ottakring, 17. Hernais, 18. Währing, 19. Döbling, 20. Brigittenau, 21. Floridsdorf. 1890 war außerdem Favoriten um Teile von Inzersdorf, Ober- und Unteriaa erweitert worden. 53 Vgl. Bratassevic, Wiener Personentransportmittel; Ertel, Wohnungsund Verkehrswesen; Gerhard Elser und Rudolf Warmuth, Stadtwachstum, 1975 (ungedrucktes Manuskript).

Territoriales Wachstum

K a r t e : Sozialräumliche und 1914 nach Lichtenbergersi

funktionelle

FUNKTIONELLE STRUKTUR

49

Gliederung

Wiens

um

V O R H E R R S C H E N D E SOZIALSTRUKTUR Oberschicht

Mittelschicht

I. G E S C H L O S S E N E

Mitto(-u.Unterschicht

VERBAUUNG

Stärkere Durchsetzung mit Industrie Stärke Durchsetzung mit GewetbeStärkere Handelsbetrieben u.Diensten Handi

II.

WEICHBILD

Cottagev'ertel

Y7ZA

Verstädterte Dörfer

IfTTTII

ÜBERGREIFENDE FUNKTIONELLE ELEMENTE UND LANDNUT2UNG Stadtrandindustrie Öffentliche Bauten

Bahnhöfe u.-traasen S S

Hauptgeschäftsstraßen

| " , " j Erwerbsgärtnereien

| t t t j Friedhöfe

Parkanlagen txAugelSnde | 0 I I ] 3 ^ e n S p S S S . )

54 Die K a r t e ist ü b e r n o m m e n aus Lichtenberger, Entwicklungsprobleme, S. 221.

4

Feldbauer, Stadtwadistum

50

Stadtwachstum und Bevölkerungszunahme

Garnituren abgelöst. Das Straßenbahnnetz wurde in der Folge rasch ausgebaut und erreichte nach der Jahrhundertwende eine Länge von 197 km. Schließlich wurde seit 1898 der Bau der Stadtbahn in Angriff genommen, welche den städtischen Massenverkehr bewältigen und den Anschluß an die verschiedenen Eisenbahnlinien bewerkstelligen sollte. Bereits 1901 war das 38,8 k m lange N e t z fertiggestellt. Zwar blieben bis 1890 die Vorstädte durch den Linienwall von den Vororten getrennt, die enge funktionelle Verflechtung verstärkte sich aber im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer mehr, so d a ß schon lange vor der zweiten Stadterweiterung die Agglomeration Wien als Siedlungs- und Wirtschaftseinheit bestand. Insbesondere entlang des Wientales war schon früh das städtische Gewerbe in den Vorortebereich hinausgewachsen, was sich bis heute an der engen Verzahnung von Wohn- und Betriebsstätten in den alten Ortskernen erkennen läßt. Die Westbahn förderte die Verbauung dieses Gebietes noch zusätzlich, so daß sich bis weit an die Peripherie eine geschlossene Mietshausverbauung mit eingesprengten Industriebetrieben entwickeln konnte. Lediglich der N o r d westen bewahrte trotz starker Überbauung seit 1890 eine gewisse Eigenständigkeit, indem die alten Weinbaudörfer zu Oberschichtund Mittelstandwohnvierteln wurden und Industriestandorte die Ausnahme blieben. Im Zusammenhang mit der Südbahn ist der als reiner Arbeiter- und Industriesektor auf dem Reißbrett entworfene Bezirk Favoriten zu sehen. Eine ähnliche Entwicklung nahmen im Anschluß an den N o r d - und Nordwestbahnhof auch die Bezirke Leopoldstadt und Brigittenau. Am geringsten vermochte sich der geschlossene Stadtkern im Südosten und N o r d westen auszudehnen. Insgesamt blieb trotz des enormen Bevölkerungs- und Stadtwachstums die sozialräumliche Gliederung in vielen Grundzügen im Verlauf des 19. Jahrhunderts gewahrt 5 5 . Wie die folgende Tafel zeigt, blieb das soziale Gefälle, das um 1800 von der Altstadt zu den Vorstädten und Vororten hin bestand, prinzipiell bestehen, wenngleich die Oberschicht aus der Altstadt auf den Ringstraßenbereich ausgegriffen hatte und der Großteil der Vorstädte sowie viele Vorortkerne vom zahlenmäßig stark gewachsenen gewerbli55

Lichtenberger, Entwicklungsprobleme, S. 222.

Sozialräumliche Gliederung

51

dien Mittelstand immer stärker dominiert wurde. D a r a u s folgte die Verdrängung der Taglöhnerniederlassungen aus dem Vorstadtraum in den Vorortebereich und die Entstehung eines fast lückenlosen Gürtels von Arbeiterbezirken. D i e Verteilung von Groß-, Mittel- und Kleinwohnungen spiegelte um 1900 diese Gliederung des Stadtbereiches in den Grundzügen wider. Ausnahmen waren etwa die Arbeiterbezirke Erdberg und Margarethen innerhalb der alten Gemeindegrenzen, die auf alten Gemüsebauflächen entstanden waren, während die Entwicklung einer umfangreichen Hinterhofindustrie in den westlichen Innenbezirken keine ausgesprochenen Arbeiterwohnviertel entstehen ließ, sondern größtenteils den neuerrichteten Mietshäusern des vielfach freilich nicht allzu wohlhabenden Mittelstandes die Nachbarschaft von Betriebsstätten einbrachte. In den Außenbezirken entwickelten sich die Viertel beiderseits von Schönbrunn im Südwesten sowie weite Teile des N o r d west-Sektors zu nahezu industriefreien Mittel- und Oberschichtquartieren, die den sonst geschlossenen Gürtel von Arbeiterbezirken außerhalb des Gürtels durchbrechen. Im Gegensatz zu vielen englischen und französischen Städten blieb somit trotz einer ebenfalls deutlich wahrnehmbaren Citybildung eine hierarchische sozialräumliche Gliederung der Stadt bestehen, in welcher die Rangordnung der Stadtviertel, trotz einiger Ausnahmen, in der Regel mit steigender Entfernung vom Stadtkern abnahm.

4*

3. D E R K O N J U N K T U R V E R L A U F D E R B A U W I R T S C H A F T Als im Verlauf des 19. Jahrhunderts die unzureichende Wohnungsversorgung breiter Schichten der Wiener Bevölkerung immer krassere Formen von N o t und Elend hervorrief und der Wohnungsmangel sowohl hinsichtlich der Möglichkeit neuerlicher revolutionärer Unruhen nach 1848 als auch bezüglich der nicht mehr ausreichend gewährleisteten Reproduktion der notwendigen Arbeitskraft systemgefährdende Dimensionen anzunehmen begann, wurde das Problem zunehmend von Politikern und Wirtschaftsexperten diskutiert und in der Regel als Folge zu geringer Produktionsleistungen der Bauwirtschaft interpretiert. Dies war insofern konsequent, als man bei der Analyse von Wohnungsversorgung und Mietpreisbildung grundsätzlich von einem Marktmodell ausging, welches unter idealen äußeren Bedingungen eine ständige Anpassung des Wohnungsangebotes an die Bedürfnisse der Nachfrage zu gewährleisten schien. Die in der Zeit von 1848 bis 1914 allmählich stärker ins öffentliche Bewußtsein dringende weitverbreitete Wohnungsnot war nach diesem Ansatz vorrangig durch Verzerrungen der Marktautomatik bedingt, welche ihrerseits am Konjunkturverlauf der Bauwirtschaft abgelesen werden konnten. Nach den Berichten der Handels- und Gewerbekammer von Niederösterreich folgte auf Phasen unzureichenden Wohnungsangebotes wirklich jeweils prompt eine Produktionsausweitung der Bauindustrie, bis der Mangel behoben war und vielfach sogar ein Überangebot entstand. Die Vorstellungen von einem den Interessen der Mieter wie Hausherren gleichermaßen dienenden, harmonisch funktionierenden Wohnungsmarkt schienen somit ihre empirische Bestätigung zu finden. Wohl versäumten es auch die kommunalen Stellen in ihren Rechenschaftsberichten über die Gemeindeverwaltung nicht, bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf das Vorhandensein leerstehender Wohnungen hinzuweisen und Konjunkturkrisen des Baugewerbes auf vorausgegangene Überproduktion zurückzuführen, sie kamen aber in den Jahren 1870

Rezession t r o t z W i r t s c h a f t s a u f s c h w u n g

53

bis 1873 nicht umhin, von untragbaren Wohnungszuständen breiter Bevölkerungsschichten trotz der herrschenden Hochkonjunktur der Bauwirtschaft zu berichten. Eine allmählich größer werdende G r u p p e von Wohnungsreformern verwies überhaupt darauf, daß die seit Jahrzehnten nahezu unverändert bestehende oder sogar noch schlimmer gewordene Notsituation durch kurzfristige Mehrproduktion von Häusern nicht spürbar gemildert worden sei. D i e K l ä r u n g der tatsächlichen Rolle des Konjunkturverlaufs der Bauwirtschaft, die in weiterer Folge die Einschätzung der unterschiedlichen ökonomischen, politischen und sozialen Gründe von Wohnungsnot erst ermöglicht, kann daher nicht kurzschlüssig aus den Kommentaren der Zeitgenossen gewonnen werden, sondern bedarf der detaillierten Verwertung des statistischen Materials, das zumindest in dem Maße zur V e r f ü g u n g steht, welches ausreichend gesicherte Bestimmungen des allgemeinen Trends ermöglicht.

3 . 1 . D I E ENTWICKLUNG BIS ZUM BOOM DER SIEBZIGER J A H R E

Während nach der sozialen Umbruchsituation der Revolution von 1848 eine Phase gesteigerter wirtschaftlicher Aktivität einsetzte 1 , geriet die Bauwirtschaft im R ä u m e Wien in eine sich über mehrere J a h r e erstreckende Rezession. Waren im Zeitraum von 1843 bis 1848 immerhin noch 202 Neubauten und 205 U m und Zubauten in Angriff genommen worden, so sanken die entsprechenden Zahlen in der Periode 1848 bis 1852 auf 72 beziehungsweise 123 2 . D e m entspricht der starke Rückgang der nach Wien eingeführten Baumaterialien, der im Fall von Ziegeln, Steinplatten, Sand, K a l k und Gips von 1845/47 auf 1849/51 jeweils nahezu 50 °/o betrug 3 . Die Nachwirkungen der revolutionären Er1 Z u r gesamtösterreichischen Wirtschaftsentwicklung vgl. d i e B e i t r ä g e bei Brusatti ( H r s g . ) , Wirtschaftliche E n t w i c k l u n g , besonders M a t i s Bachinger, Industrielle E n t w i c k l u n g ; weiters M a t i s , Österreichs W i r t schaft; M ä r z , B a n k p o l i t i k ; G r o s s , I n d u s t r i a l i z a t i o n , u n d G o o d , S t a g n a t i o n . 2 A l l g e m e i n z u r B a u k o n j u n k t u r die in der F o l g e nicht gesondert zitierten Berichte der H a n d e l s - u n d G e w e r b e k a m m e r N ö 1 8 5 1 — 1 8 9 3 ; weiters Statistik der V o l k s w i r t s c h a f t 1 8 5 5 — 1 8 6 6 ; G e m e i n d e - V e r w a l t u n g 1861—1913. 3 Bezüglich der B a u t ä t i g k e i t 1 8 4 9 — 1 9 1 3 , der A n z a h l der Beschäftigten u n d G e w e r b e i n h a b e r i m B a u g e w e r b e , der E i n f u h r von B a u m a t e r i a -

54

K o n j u n k t u r v e r l a u f der Bauwirtschaft

schütterungen trugen sicherlich zu diesem V e r f a l l der Bautätigkeit bei gleichzeitig rasch wachsender Bevölkerung

bei, die

Haupt-

ursache lag jedoch sicherlich im Mangel an Kapital, welches sich in der anlaufenden K o n j u n k t u r gewinnbringenderen Erwerbszweigen zuwandte. D i e im J a h r e

1851 dekretierte Kürzung der Steuer-

freijahre für Neubauten von 2 0 auf 10 J a h r e d ä m p f t e die Baulust noch zusätzlich, und vermutlich spielte die nicht unbeträchtliche Steigerung des Ziegelpreises ebenfalls eine, wenn auch eher untergeordnete R o l l e . D e r beim Bau der Semmeringbahn

eingetretene

Ziegelbedarf hatte den Preis für 1 0 0 0 Stück von 1 5 — 1 7 fl. in den J a h r e n 1843 bis 1 8 5 0 auf 1 9 — 2 2 fl. 1 8 5 2 / 5 4 hochgetrieben, um dann wieder geringfügig zu sinken 4 . D i e Zahl der bewilligten Neubauten stieg z w a r in den Jahren 1 8 5 3 bis 1 8 5 7 wieder auf 175, die der U m - und Zubauten sogar a u f 701 an, doch besteht kein Zweifel, daß in der Periode von 1 8 2 2 bis 1 8 4 7 eine weitaus umfangreichere Bautätigkeit zu verzeichnen war, was zu einem hohen G r a d mit der

bedeutenden

Unterstützung zusammenhing, welche die Bauwirtschaft durch günstige Darlehen

seitens

der

1819

gegründeten

Ersten

österrei-

chischen Spar-Casse genoß. Beachtet man, daß der Hausbesitz entweder als dauernde, relativ krisenfeste K a p i t a l a n l a g e in wirtschaftlich schwierigen Zeiten aufgesucht oder in spekulativer

Absicht

zur vorübergehenden Kapitalverwertung benützt wurde, erscheint die Situation nach 1 8 4 8 durchaus verständlich. D e r allgemeine A u f schwung der "Wirtschaft nach der Revolution hatte den am Geldm a r k t verfügbaren K a p i t a l i e n eine Reihe von Anlagemöglichkeiten in Industrie- und Wechselpapieren eröffnet, die allesamt mehr als 8 °/o Verzinsung eintrugen, während der Realkredit an ein, Privatgelder von vornherein ausschließendes, gesetzliches Zinsmaximum von

5 o/o gebunden blieb und auf immer geringere

bei der Benützung der öffentlichen Kreditinstitute wurde, so daß sich ein chronischer Mangel

Ressourcen

eingeschränkt

an Baukapital

als

Konsequenz ergab. W ä h r e n d die Erste österreichische Spar-Casse seit Beginn ihrer T ä t i g k e i t als H y p o t h e k a r b a n k im J a h r e

1822

lien nach Wien 1 8 3 0 — 1 8 7 3 , der L ö h n e im Wiener Baugewerbe 1 8 5 3 bis 1 9 1 3 sowie der Durchschnittspreise v o n Baustoffen, insbesondere von Ziegel, 1 8 4 9 — 1 9 1 3 sei auf die Tabellen 1 bis 9 im A n h a n g verwiesen, die in der Folge nicht m e h r gesondert zitiert werden. 4 P i z z a l a , Bauthätigkeit, S. 1 7 1 .

Hemmnisse für Bautätigkeit

55

jährlich etwa eine Million Gulden Hypotheken neu auslieh, wovon der Großteil dem Häuserbau in Wien diente, mußte diese Anstalt infolge der Schwierigkeiten am Kapitalmarkt 1848/49 ihre Darlehen auf Realhypotheken bis 1851 gänzlich einstellen, womit die leistungsfähigste Geldquelle der Wiener Bauwirtschaft ausfiel. Zwar schritt die Spar-Casse 1852 wieder an die Vergabe von H y p o thekardarlehen, doch dienten diese in der Folge in zunehmendem Maß dem Agrarbesitz. Die zur Befriedigung der Kapitalbedürfnisse des Realbesitzes 1856 eingerichtete, mit der Nationalbank verbundene Hypothekarkreditabteilung erlangte für den Hausbau in Wien zunächst nur wenig Bedeutung, da sie bei der Kreditgewährung kleinlich und formal umständlich vorging und materiell auch nicht annähernd einen Ersatz f ü r die Erste österreichische Spar-Casse darstellte®. Neben den Schwierigkeiten bei der Beschaffung des notwendigen Kapitals hemmten auch andere Faktoren die Bautätigkeit, wovon die von der Handels- und Gewerbekammer immer wieder angeführten Preise für Baumaterialien wohl noch am wenigsten ins Gewicht fielen, da sich der Ziegelpreis beispielsweise etwas unter dem Höchststand von 1852 eingependelt hatte und bei vielen anderen Produkten wie Sand, Bauholz und Kalk überhaupt kein über mehrere Jahre anhaltender, nennenswerter Preisauftrieb konstatiert werden kann. Die Klagen derselben Institution über bedeutend erhöhte Arbeitslöhne entbehren jeglicher Grundlage, da die Steigerungsquoten f ü r Maurer, Taglöhner, Zimmergesellen, Maler und Anstreicher bis in die sechziger Jahre unerheblich blieben. Schwerer ins Gewicht fiel der Mangel an preiswerten Grundstücken innerhalb der Gemeindegrenzen, der noch durch die Absperrung der inneren Stadt von den Vorstädten und das Bestehen von „Bauverbotsrayonen" verschärft wurde 6 . Auch die Bauordnung von 1829, welche viele veraltete, durch die technologische Entwicklung überholte Bestimmungen enthielt und dadurch die Baukosten vermehrte, trug nicht gerade zur Hebung der Baulust bei. H i n d e r lich für einen der allgemeinen Wirtschaftssituation entsprechenden 5

Ausführlich dazu Friedmann, Wohnungsnot, S. 82 ff., der allerdings die Rolle des Kredits für die Bauwirtsdiaft überschätzt. Vgl. auch Mully von Oppenried, Hypothekaranstalten, S. 129 f.; Fritz, Geschichte, S. 599 ff. • Schwarz, Grundrente, S. 57; Friedmann, Wohnungsnot, S. 97 ff.

56

Konjunkturverlauf der Bauwirtschaft

Verlauf der Baukonjunktur waren schließlich die konservativen, nicht einmal ansatzweise industriell-großbetrieblichen Charakter aufweisenden Organisationsformen im Baugewerbe 7 . Während die Bauwirtschaft im Jahrzehnt nach der Revolution keine nennenswerten Fortschritte erzielte, konnte gesamtwirtschaftlich der durch ein schlechtes Ernteergebnis im Jahr 1853 und den Ausbruch des Krimkrieges verursachte Konjunkturabschwung bereits 1855 wieder als überwunden gelten. Nach Beendigung des Krieges ging es mit H i l f e umfangreicher Kapitalimporte sowie guter Ergebnisse des Getreideexportes wieder rasch aufwärts, wozu wohl auch die liberale Wirtschaftspolitik der Regierung beitrug. Bereits 1856 ging der Aufschwung in eine ausgesprochene Hochkonjunktur über, die allerdings starke sektorale Disproportionalitäten aufwies und dadurch eine Reihe unliebsamer Nebenerscheinungen mit sich brachte. Zu diesen zählt vor allem die dem Baugewerbe in der Periode vor 1857 schädliche Bank- und Börsenspekulation, welche bereits die Voraussetzungen f ü r die folgende Depression schuf. Durch die militärischen Mißerfolge Österreichs im Krieg gegen Sardinien und Frankreich verschärft, führten krisenhafte Erscheinungen in dem Moment zu einer bis 1867 anhaltenden, die meisten Sektoren der Wirtschaft erfassenden, tiefgreifenden Stagnation, als im Wiener Baugewerbe eine Phase des Aufschwunges einsetzte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die geringe Bautätigkeit, welche die Wohnungsnot äußerst verschärfte und die Mieten rasch und kontinuierlich in die H ö h e trieb, zu einem allmählich auch die Öffentlichkeit beschäftigenden ernsten Problem entwickelt 8 . Als Ursache f ü r das hinter der Nachfrage zurückbleibende Angebot an Wohnungen bezeichnete man einmütig die bereits besprochenen Hemmnisse, welche bisher den Hausbau erschwert, den Unternehmungsgeist gelähmt und der Ausbreitung des Stadtgebietes unverrückbare Grenzen gezogen hätten. „Mit der Beseitigung dieser Schranken meinte und hoffte man, werde dann die naturgemäße Ausgleichung von Angebot und Nachfrage, wie auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens, so auch in dem vorliegenden Fall von selbst eintreten; um so

7

Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 52; S. 9 7 ff. 8 P i z z a l a , Bauthätigkeit, S. 171 f.

Friedmann,

Wohnungsnot,

Bauordnungsreform und Steuerbefreiung

57

sicherer, wenn positive Begünstigungen in demselben Sinn hinzuk ä m e n . " 9 D e r in dieser S i t u a t i o n immer weiter u m sich greifenden Idee der „ S t a d t e r w e i t e r u n g " entsprach das kaiserliche Handschreiben v o m 20. D e z e m b e r 1857, welches die „ A u f l a s s u n g der U m w a l lung der inneren S t a d t , sowie der G r ä b e n u m dieselbe" bewilligte und d a m i t dem Wiener B a u w e s e n auf längere Zeit starke I m p u l s e verlieh 1 0 , v o n denen sich viele Zeitgenossen in einer gewissen E u p h o r i e den großartigsten A u s b a u der S t a d t u n d gleichzeitig die Beseitigung des W o h n u n g s m a n g e l s erhofften, wie dies beispielsweise aus einer relativ optimistischen S t e l l u n g n a h m e der H a n d e l s und G e w e r b e k a m m e r hervorgeht 1 1 . D i e J a h r e 1 8 5 8 / 5 9 brachten bereits eine Belebung der B a u tätigkeit, o b w o h l m a n a u f den Stadterweiterungsgründen vorerst hauptsächlich mit der D e m o l i e r u n g der Basteien und der A u f f ü l l u n g des S t a d t g r a b e n s beschäftigt w a r u n d die Kriegsereignisse in Oberitalien hemmend wirkten. U m die sich aus der S t a d t erweiterungsinitiative ergebenden Möglichkeiten voll nutzen zu können, sah sich der S t a a t veranlaßt, die R e n t a b i l i t ä t des H a u s besitzes durch eine Reihe v o n M a ß n a h m e n z u steigern. D i e schon erwähnte, oftmals 8 °/o übersteigende Verzinsung v o n Industrieaktien brachte es mit sich, d a ß m a n auch in der Bauwirtschaft als Durchschnittsertrag eine sieben- bis achtprozentige V e r z i n s u n g der angelegten G e l d e r erwartete, wobei manche zeitgenössische A u t o ren sogar von einer zehnprozentigen R e n d i t e ausgingen 1 2 . E r s t G e w i n n e in dieser H ö h e w ü r d e n umfangreicheres A n l a g e k a p i t a l dem W o h n u n g s b a u z u f ü h r e n u n d ihm die erforderliche, größere A n z i e h u n g s k r a f t gegenüber der ertragreicheren A k t i e n s p e k u l a t i o n verleihen. G r o ß e B e d e u t u n g f ü r die erwartete B a u k o n j u n k t u r maßen die betroffenen Wirtschaftskreise der seit J a h r e n geforderten, mit

S a x , N e u b a u , S. 11. D a z u ausführlich bei Stekl, Konjunkturentwicklung, S. 238 ff. 11 Der Bericht 1854—1856 schildert zwar f ü r die besprochenen J a h r e eine insgesamt unbefriedigende L a g e des Baugewerbes, stellt jedoch gegen Ende der Periode erste Anzeichen eines Aufschwunges fest und prognostiziert sogar eine rasche Lösung des Wohnungsproblems, falls der Staat einige besonders hinderliche Bestimmungen verändere (Bericht der H a n dels- und Gewerbekammer N ö , 1854—1856, V I I I f.). 1 2 Eitelberger - Ferstel, Bürgerliches Wohnhaus, S. 39. 9

10

Konjunkturverlauf der Bauwirtschaft

58

23. September 1859 in Kraft gesetzten neuen Bauordnung zu 13 . Diese gestattete eine Verminderung der Mauerstärke in den oberen Stockwerken, ermöglichte die Verwendung von Hohlziegeln und Schnittholz und erlaubte die Anwendung von Eisenkonstruktionen f ü r Decken und Gewölbe. Man löste sich also weitgehend von der Meinung, daß sicheres Bauen von massiven Konstruktionen und traditionellen Baustoffen abhängig wäre. Obwohl noch immer viel zu starr an manchen veralteten Prinzipien festhaltend, ergaben sich aus einigen Bestimmungen namhafte Erleichterungen: Die Anpassung an den im Baugewerbe ohnehin nur zögernd vordringenden technischen Fortschritt verband unzweifelhaft eine kostensparendere Bauführung mit bisherige Grenzen überschreitenden Nutzungsmöglichkeiten. Wesentliche Vorteile ergaben sich weiters aus der der Baukommission erteilten Befugnis, auch solche Ausnahmen von den allgemeinen Bauvorschriften zu gestatten, zu welchen die Bauordnung selbst noch keine Ermächtigung gab 14 . Die negative Seite war das Dominieren eines rein formalen Ordnungsprinzips, das für neue Straßen eine Mindestbreite von acht Klaftern (ca. 15 m) und eine maximale Gebäudehöhe von dreizehn Klaftern (ca. 24,5 m) vorschrieb und gegenüber topographischen und funktionellen Gesichtspunkten der Geradlinigkeit möglichst vieler Straßen den Vorzug gab 15 . Gleichzeitig mit der neuen Bauordnung wurden die Kompetenzen der Baubehörden umorganisiert. „Wichtige Befugnisse, darunter Baulinienbestimmung und Straßenverbreiterung, gingen an eine dem Innenministerium untergeordnete Baudeputation über, in welcher der Magistrat nur zwei Vertreter stellte. Die Lenkung der baulichen Entwicklung war somit zu einer dominant staatlichen Angelegenheit geworden." 1 6 Ein weiterer Schritt zur Anregung der privaten Bautätigkeit, insbesondere zur raschen Verbauung der Stadterweiterungsgründe, war das am 14. Mai 1859 vom Kaiser genehmigte, kurz darauf 13

WStLA, GR Präs. 336, 951 ex 1858; Kommunal Kalender 1 (1863), S. 294; Weiss, Bauliche Neugestaltung, S. 277 f. — Die folgenden Ausführungen zur neuen Bauordnung und zur Festlegung von Steuerfreijahren folgen im wesentlichen der Darstellung bei Stekl, Konjunkturentwicklung, S. 239 f. 14 Sax, Neubau, S. 12. 15 Bobek - Liditenberger, Wien, S. 45. " Stekl, Konjunkturentwicklung, S. 239.

Bauordnungsreform und Steuerbefreiung

59

veröffentlichte und durch eine Verordnung vom 25. März 1864 verlängerte Gesetz über die Steuerfreiheit für Bauführungen in Wien. Das auch früher schon wiederholt eingesetzte Mittel der Gewährung von Steuerfreijahren war primär auf die Bedürfnisse der Stadterweiterung zugeschnitten, was aus der deutlichen Besserstellung von Häusern auf Glacisgründen zu erkennen ist. Jene Neubauten, die innerhalb von fünf Jahren nach Ausbietung der Parzellen respektive nach Ausarbeitung des Grundplanes ordnungsgemäß vollendet und benutzbar gemacht wurden, sollten eine 30jährige, jene die innerhalb von zehn Jahren vollendet wurden eine 25jährige Befreiung von landesfürstlichen Steuern wie auch von Landes- und Gemeindeabgaben zugestanden erhalten 17 . Für sämtliche andere Häuser innerhalb der Linien erstreckte sich die Befreiung lediglich auf 18 oder 15 Jahre. Die Wiener Gemeindevertretung wandte sich allerdings energisch gegen diesen Entwurf, der durch eine Schmälerung ihrer Einkünfte die bereits angespannte Budgetsituation noch weiter zu verschlimmern drohte. Als man in den Debatten mit dem Innenministerium schließlich sogar drohte, die Verhandlungen über die Finanzierung der Ringstraße einzustellen, wurde die Befreiung von Kommunalabgaben 1861 schließlich auf zehn Jahre herabgesetzt 18 . Ob das System der Steuerfreijahre überhaupt etwas zur Milderung der Wohnungsnot beitrug, wurde seit dem Einsetzen der Wirtschaftskrise der siebziger Jahre mehrfach ausführlich diskutiert, wobei recht negative Urteile nicht selten waren 1 9 . Die steuerlichen Begünstigungen bewirkten zwar einen Aufschwung der Baukonjunktur, die Freijahre nützten aber ausschließlich Hausherren und Bodenspekulation, wurde in zeitgenössischen Analysen immer wieder betont 2 0 . 17

Schwarz, Grundrente, S. 58; Sax, Neubau, S. 12. WStLA, Hs. A 365/1, 97, ah. Entschließung vom 27. Februar 1861. 18 Wohnungsnot und Steuerfreiheit, Zeitschrift des österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins 26 (1874), S. 104 ff.; Sax, Neubau, S. 12 ff.; Ratkowsky, Reform, S. 17 ff. 29 Diese Beurteilung geht davon aus, daß die aus den Steuervorteilen erwachsende Baukonjunktur zu Kostensteigerungen führe, die direkt auf die Mieter übergewälzt würden. Eine zusätzliche Verteuerung ergäbe sich aus dem Ansteigen der Wertspanne zwischen Neu- und Altbauten, die man durch Mietzinserhöhungen in letzteren zu mildern versuche. Vgl. dazu Eberstadt, Städtebau und Wohnungswesen, S. 197 ff., und Sitte, Bau- und Wohnungswirtschaft, S. 228 f. 18

60

K o n j u n k t u r v e r l a u f der Bauwirtschaft

Schon 1858 hatte die Gewerbeordnung im Hinblick auf den im Zuge der Stadterweiterung erwarteten Aufschwung im H a u s b a u die Baugewerbe von den alten zünftischen Organisationsformen befreit, indem man die bisherige Prüfung für die Zulassung von L a n d b a u meistern aufgehoben hatte, wenn diese ihre Befähigung zur Errichtung von Stadthäusern durch andernorts selbständig fertiggestellte Objekte nachweisen konnten 2 1 . Die durch diese liberale Gewerbepolitik angestrebte „Förderung von Strebsamkeit und Unternehmungsgeist" führte zu einer Verschärfung der K o n kurrenz im Baugewerbe: Die Zahl der Baumeister hat in den Jahren 1860—1865 um nicht weniger als 75 °/o, die der Zimmermeister um etwa 85 °/o zugenommen. Die ebenfalls erwünschte U m f o r m u n g der oft noch eher „handwerklichen" Struktur von Baugewerben zu mehr industriellen Organisationsformen vollzog sich jedoch weiterhin recht schleppend 22 . Während man das Problem der Beschaffung geeigneter Baugrundstücke durch die Parzellierung des zwischen Altstadt und den ehemaligen Vorstädten freiwerdenden Raumes vorläufig als gelöst betrachtete, w a n d t e man der K a p i t a l - und Kreditbeschaffung für den Häuserbau, insbesondere im Stadterweiterungsrayon, erhöhte Aufmerksamkeit zu. Dem Problem der Finanzierung von Stadterweiterungsvorhaben suchte man unter anderem mit Anleihen, Papiergeldemissionen und Lotterien zu Leibe zu rücken 28 . G a n z allgemein wollte man auch der sektoralen Kapitalknappheit, die aus den hohen Investitionen in Eisenbahnbauten und Industriebetrieben entstanden und im Verlauf der späten fünfziger Jahre immer fühlbarer geworden war, durch Anlockung von Privatkapital begegnen. D a die 6 %>igen Darlehen der bereits erwähnten Hypothekarabteilung der österreichischen N a t i o n a l b a n k auch weiterhin eine bestenfalls bescheidene Rolle bei der Wohnbaufinan2 1 A V A , I M Präs. ( S t E F I Fasz. 120) 3. 298 ex 1858; Wiener Vorstadtzeitung N r . 119 v o m 30. April 1858; S a x , N e u b a u , S. 12 f. 2 1 Noch in den achtziger Jahren w a r der Anteil großbetrieblicher Formen in der Bauindustrie sehr bescheiden, und die A u s s t a t t u n g mit Maschinen machte nur l a n g s a m e Fortschritte. Vgl. d a z u Statistischer Bericht über Industrie u n d G e w e r b e des E r z h e r z o g t u m s Österreich unter der Enns im J a h r e 1880, . . . im J a h r e 1885, Wien 1883 und 1889, sowie Statistischer Bericht über die volkswirtschaftlichen Z u s t ä n d e des Erzherzogtums unter der E n n s im J a h r e 1890, Wien 1893. 2 3 Stekl, Konjunkturentwicklung, S. 240.

Baukonjunktur trotz Wirtschaftsstagnation

61

zierung spielten 24 , tauchten Projekte zur Einrichtung einer staatlichen Hypothekar-Kreditanstalt sowie zur Organisation von Bauaktiengesellschaften auf, die vorerst jedoch nicht realisiert wurden. Belebend auf den Kapitalmarkt wirkte eine umfangreiche Finanzierungsaktion der Ersten österreichischen Spar-Casse, die in hohem Maß dem Ringstraßenbereich zugute kam 2 5 , aber auch die Geschäftspolitik jüngerer Sparkassen zeigte im Verlauf der sechziger Jahre ein immer stärkeres Vordringen des Hypothekardarlehensgeschäftes 26 . Sogar Institute aus der Provinz vergaben trotz wiederholter Betonung des Regionalprinzipes Kredite f ü r den Häuserbau in Wien, wo in der Regel die geforderten Sicherstellungen aufgetrieben werden konnten 2 7 . Vermutlich profitierte der Wohnbau bei der Suche nach Kapital f ü r ein halbes Jahrzehnt aus der seit 1859 immer spürbarer werdenden Wirtschaftskrise, in deren Verlauf beispielsweise das Eisenbahngeschäft, das bisher einen beträchtlichen Teil des disponiblen Kapitals gebunden hatte, seine Anziehungskraft für anlagesuchende Geldleute weitgehend einbüßte 28 . Das Zusammentreffen einer sich in stark steigenden Mieten manifestierenden, laufend verstärkenden Wohnungsnachfrage mit der für den Bausektor kurzfristig verbesserten Situation am Kapitalmarkt führte seit 1860 zu einer deutlich gehobenen Bautätigkeit, die auch von den auf verschiedenen Ebenen getroffenen Förderungsmaßnahmen profitierte, welche ohne Zweifel eine höhere Verzinsung des f ü r Bauzwecke vorgeschossenen Kapitals verhießen. Die 24

Der größte Naditeil dieser Darlehen bestand in der Auszahlung in Form von Pfandscheinen, welche den Schwankungen der Börsenkurse unterlagen und vereinzelt hohe Verluste brachten. 25 Diese vergab vermutlich etwa 12 Millionen fl. mit langfristiger Tilgung auf den ersten Satz neuerbauter Häuser in Wien. 28 Vgl. Fritz, Geschichte, S. 658; Mully von Oppenried, Hypothekaranstalten, S. 129. 27 Stekl, Konjunkturentwicklung, S. 241. 28 Matis, Österreichs Wirtschaft, S. 128, gibt dafür mehrere Gründe an: Die Rendite der Eisenbahnaktien war weit hinter den hochgespannten Erwartungen der Inhaber zurückgeblieben; die von den meisten Bahnen schließlich in Anspruch genommene staatliche Zinsengarantie betrug lediglich knapp über 5 °/o, und ein langwieriger Rechtsstreit zwischen Finanzverwaltung und Eisenbahngesellschaften über die dem Staat aus den Garantieverträgen erwachsenden Verpflichtungen hatte das für weitere Investitionen notwendige Vertrauen zusätzlich geschmälert.

62

K o n j u n k t u r v e r l a u f der Bauwirtschaft

W i r k s a m k e i t der zur Belebung des stagnierenden Bauwesens eingeleiteten Aktionen läßt der Vergleich mit den Verhältnissen in den benachbarten niederösterreichischen Städten erkennen, in denen der Hausbau in den J a h r e n

1860—1865

entsprechend der all-

gemeinen Wirtschaftslage kontinuierlich abnahm. Dagegen wurde in W i e n schon 1860 die R e k o r d h ö h e von 169 neuen Häusern bewilligt, wozu nodi 3 1 9 Zu- und Umbauten kamen. Im J a h r e 1861 stiegen die entsprechenden Zahlen auf 2 1 3 beziehungsweise 358, sanken aber in den zwei folgenden J a h r e n wieder etwas ab. W ä h r e n d der J a h r e 1 8 6 1 — 1 8 6 4 betrug die Anzahl der genehmigten Neubauten im Jahresdurchschnitt 1 6 9 ; einschließlich der Vororte, für die allerdings nur unsichere Zahlen vorliegen, wohl an die 2 0 0 . D a z u muß noch bemerkt werden, daß es sich im Gegensatz zu den Bauten in früheren Jahren durchschnittlich um größere, vor allem höhere H ä u s e r handelte 2 9 . Die stattlichen Ringstraßenbauten mit großen W o h n r ä u m e n und aufwendiger Fassadengestaltung machten

1861

über 2 0 % der in Bau befindlichen Häuser aus und stellten 1861 bis 1865 mehr als ein Sechstel des jährlichen Bauvolumens dar 3 0 . D i e über die Linien eingeführten Baumaterialien zeigen neben der Häuserstatistik sämtlichen

am deutlichsten den Konjunkturanstieg,

Baugewerben

eine

günstige

Auftragslage

der

einbrachte

und trotz rasch einsetzender Produktionsausweitung der Zulieferbetriebe die Preise von Ziegeln, K a l k , Sand und Steinen beträchtlich emportrieb 3 1 . War

die Zahl der Gewerbeinhaber

im

Genossen-

schaftsbezirk der B a u - und Steinmetzmeister Wien und Umgebung 1 8 5 6 noch bei 60 gelegen, so kletterte sie sprunghaft auf 140 im J a h r e 1861 und weiter auf 180 im J a h r e 1 8 6 5 . Noch deutlicher zeigt der Jahreshöchststand des Arbeitspersonals, der sich im besprochenen Zeitraum bei Gesellen und Taglöhnerinnen nahezu versechsfachte und bei den Lehrlingen immerhin vervierfachte,

die

Sitte, Bau- und Wohnungswirtschaft, S. 2 2 4 . •1 gewachsen 1 2 8 .

be-

trächtlich gestiegen. D i e Innenbezirke nahmen in dieser Hinsicht eine etwas günstigere Entwicklung als der Bereich a u ß e r h a l b des Gürtels. E i n e vergleichende Analyse der Mietenbewegung im alten Stadtgebiet und in den eingemeindeten V o r o r t e n für den Z e i t r a u m v o n 1 8 8 6 — 1 8 9 6 , welche allerdings in der Steigerung der Zinssätze lediglich ein S y m p t o m für eine allgemeine Besserung der

wirt-

schaftlichen Verhältnisse erblickte, erbrachte für die Außenbezirke wesentlich höhere jährliche Wachstumsquoten als für die zentral gelegenen Stadtviertel 1 2 9 . O b w o h l sich die Schwerpunkte der B a u tätigkeit immer mehr in die Z o n e a u ß e r h a l b des Gürtels v e r l a g e r ten, hielt sie mit der Bevölkerungsentwicklung in diesem Bereich

1 2 8 Vgl. Schnierer, Steigerung, S. 11 ff.; ders., Entwicklung, S. 647 ff.; Philippovich, Wiener Wohnungsverhältnisse, S. 244. 1 2 9 Vgl. Wirkungen der zweiten Stadterweiterung, S. 19 ff. Die Ergebnisse der materialreichen Stichprobenuntersuchung sind an verschiedenen Stellen prägnant zusammengefaßt und ebenso eindeutig interpretiert. Die seit den späten achtziger Jahren konstatierte rasche Erhöhung der Mieten im ehemaligen Vorortebereich wurde befriedigt zur Kenntnis genommen und als Indikator für verbesserten Lebensstandard genommen: „Die angeführten Thatsachen beweisen zur Genüge, daß zwar auch in den alten Bezirken in der Verzinsung der in den Häusern investierten Capitalien eine steigende Tendenz vorhanden ist, daß aber in dieser Beziehung die neuen Bezirke einen unvergleichlich größeren Aufschwung aufweisen. Auch nicht bei einem der zur Probe herausgegriffenen Häuser der neuen Bezirke ist der Mietzins gesunken, er hat sich vielmehr überall erhöht. . . Die bezüglich der Vororte gemachten günstigen Wahrnehmungen werden bestätigt durch eine vergleichende Zusammenstellung der bei dem Verkauf der Realitäten erzielten Kaufpreise . . . Die Steigerung der Mietzinse ist ein Symptom für eine Besserung des wirtschaftlichen Niveaus, für eine Hebung des Standard of life . . . D a ß die Erhöhung der Mietzinse auch auf eine Zunahme des Wohlstandes wenigstens bei einem großen Theile der Bevölkerung schließen läßt, ist eine Annahme, welche auch durch andere Momente, wie der in den letzten Jahren constant anwachsende Ertrag der Verzehrungssteuer, die höheren Löhne usw. unterstützt wird . .

Entwicklung der Mieten

177

nicht Schritt und ermöglichte überproportional wachsende Mietenforderungen. D i e seit einigen Jahrzehnten aus dem Stadtkern abgewanderten Bevölkerungsschichten konnten in dieser Situation nur in sehr beschränktem U m f a n g noch weiter a n die Peripherie in billigere W o h n u n g e n ausweichen, da die v o r h a n d e n e n öffentlichen Verkehrsmittel noch keine allzugroße D i s t a n z e n zur Arbeitsstätte zuließen 1 3 0 . D a s lokale M o n o p o l der Hausherren und Grundbesitzer konnte daher nahezu uneingeschränkt ausgenutzt werden und erfuhr nur durch die begrenzte finanzielle Belastbarkeit der örtlich gebundenen Mieter gewisse Beschränkungen 1 3 1 . D i e bereits oben erwähnte, relativ hohe Leerstehungsquote in den Jahren bis 1890/91, die in einer Stellungnahme der HausbesitzerVereine v o n Wien und den Vororten als Beleg für das Fehlen v o n W o h n u n g s n o t interpretiert wurde 1 3 2 , verliert als Indikator für ein ausreichendes A n g e b o t a m W o h n u n g s m a r k t jeden Wert, w e n n man die Zahl der leerstehenden O b j e k t e an jener der gerichtlichen Kündigungen, der überfüllten Wohnungen, der Menschen ohne

130

Ausführlich Ertl, Wohnungs- und Verkehrswesen, besonders S. 33 ff. 131 D a ß diese Beschränkungen nicht sonderlich wirksam waren, folgt aus der das Angebot an kleinen und mittleren Wohnungen bei weitem übersteigenden Nachfrage. Notfalls mußte ein Mieter unter dem Drude der Wohnungssuchenden Konkurrenten auch 40 %> oder 50 °/o seines knappen Einkommens aufwenden, um seine Unterkunft behaupten zu können. Aufnahme von Bettgehern und Einschränkung der übrigen Lebensführung bis unter das Existenzminimum waren die normalen Konsequenzen. 132 „Der Centraiverband der Hausbesitzer-Vereine von Wien und den Vororten hält es . . . für notwendig, auf Grund der thatsächlichen Verhältnisse zu constatiren, daß es derzeit in Wien Tausende von kleinen und kleinsten, f ü r die ärmlichsten Bedürfnisse berechneten Wohnungen gibt, welche keine Miether finden können, trotzdem deren Miethpreise erheblich billiger sind, als für ähnliche Wohnungen in anderen europäischen Großstädten gefordert wird . . . Es ist derzeit gewiß keinerlei Ursache vorhanden, eine öffentliche oder private Bauthätigkeit zu dem Zwecke, kleine billige Wohnungen herzustellen, in außergewöhnlicher Weise zu fördern; es wäre denn, man hätte es direct auf den Ruin gerade der kleinen und schutzbedürftigsten Hausbesitzer abgesehen. Es kann nicht oft genug betont . . . werden, daß derzeit Tausende von kleinen Wohnungen nur wegen Mangel an Miethern leer stehen, an eine künstliche Vertheuerung der Wohnungen also gar nicht zu denken ist." Tintner, Wohn-Elend, S. 3 ff. 12

Feldbauer, Stadtwachstum

178

Der Wohnungsmarkt

eigene Unterkunft mißt 1 3 3 . Sie beweist nur, daß der Mietzins f ü r viele Bevölkerungsgruppen unerschwinglich war. Wohnungsbedarf war in großem Maß vorhanden, er konnte aber im Fall der kleinen und mittleren Wohnungen infolge der unzureichenden, zu aufwendigen Produktion der Bauwirtschaft nicht gedeckt werden und trug zu einer gezielten Verstärkung des Angebotes n u r wenig bei, da stärkere ökonomische Determinanten den Konjunkturverlauf bestimmten. Diese verursachten seit 1889/90 eine Verringerung der Bautätigkeit und führten das Baugewerbe in eine bis 1896 anhaltende Stagnationsphase, welche zusätzliche Schwierigkeiten am Wohnungsmarkt verursachte. In den frühen neunziger Jahren vermehrte sich die Stadtbevölkerung jährlich um nahezu 30 000 Personen, während der Zuwachs an Wohnungen von 7108 auf 5661 sank und im Durchschnitt nur k n a p p über 6500 Einheiten lag 134 . N u r auf je 4,5 zusätzliche Einwohner von Wien entfiel daher ein neu errichtetes Quartier, so daß sich die Belagsdichte pro Wohnung und Wohnungsbestandteil entgegen dem seit 1869 herrschenden Trend wieder verstärkte. Diese Entwicklung betraf vorrangig die Außenbezirke, wohingegen im ehemaligen Stadtbereich die Belagsquote zwischen 1890 und 1895 sogar etwas sank. Damit stimmt die unterschiedlich starke Erhöhung der Mieten in den verschiedenen Stadtteilen überein. Eine Stichproben-Untersuchung von 156 Häusern in den neu eingemeindeten Bezirken erbrachte f ü r die Jahre 1889—1896 durchschnittliche Mietzinssteigerungen von nahezu einem Drittel, wobei allerdings die Zuwachsrate — sowohl regional als auch nach Wohnungsqualität — stark streute 135 . Im alten Stadtgebiet blieb die Erhöhung in wesentlich bescheidenerem Rahmen, vereinzelt konn133 Rauchberg, Jubiläums-Stiftung, S. 7. N u r nebenbei sei erwähnt, d a ß die kleinen Wohnungen in viel geringerem M a ß an den Leerstehungen beteiligt waren als die mittleren und größeren. Vgl. dazu Philippovidi, Wiener Wohnungsverhältnisse, S. 255. 134 Vgl. Anhang, Tabelle 3. 135 In Simmering waren die Mietzinse 1889—1896 bei elf Häusern um 3 5 , 9 — 8 2 , 2 % , bei einem H a u s sogar um 115,3 °/o gestiegen. In Meidling ergab die Stichprobe bei 17 Häusern eine Steigerung von 6 , 6 — 5 0 % . In O t t a k r i n g lagen die Zuwachsraten von zwölf Objekten zwischen 5,4 % und 32,7 °/o, im Bezirk Hernais streuten die Werte für 13 Häuser gar von 8—226,3 %>. Ausführlich in Wirkungen der zweiten Stadterweiterung, S. 22 ff.

Entwicklung der Mieten

179

ten hier sogar geringfügige Reduktionen festgestellt werden 1 3 6 . Obwohl die Zinsforderungen f ü r die im Zusammenhang mit der Steuervorschreibung als unvermietet gemeldeten Wohnungen in der Regel überdurchschnittlich hoch waren 1 3 7 , nahm die Zahl der leerstehenden Quartiere im Verlauf der neunziger J a h r e ständig ab, so d a ß 1896 im elften bis neunzehnten Bezirk um 72 °/o weniger Anzeigen eingebracht w u r d e n als 1889. In den alten Bezirken waren im gleichen Zeitraum die Leerstehungsanzeigen nicht so stark, aber doch auch um 41 °/o gesunken 1 3 8 . Offenbar wurden immer mehr Mieter gezwungen, in Wohnungen zu ziehen, die in Relation zu ihrem Einkommen viel zu teuer w a r e n und daher die Befriedigung aller anderen Lebensbedürfnisse r a d i k a l einschränkten. Sogar gut verdienende Arbeiter mußten etwa ein Viertel ihres Lohnes aufwenden, um sich eine ärmliche Unterkunft zu sichern, ohne daß deswegen schon für eine ausreichende, den gesundheitlichen Minimalforderungen genügende Wohnung gesorgt gewesen wäre 1 8 8 . In vielen Fällen gingen e t w a 30—40 °/o eines ohnehin sehr knappen Monatsbudgets für die hohen Mieten auf. Ein kurzfristiger Lohnausfall infolge Arbeitslosigkeit oder K r a n k heit zog in der Regel Zahlungsunfähigkeit und in rascher Folge den Verlust der Wohnung nach sich. Die enorme Zunahme gerichtlicher Kündigungen ist der deutlichste Beweis für das bezogen auf die allgemeine Einkommensentwicklung überproportionale Ansteigen der Mieten. Wurden 1890 im alten Stadtgebiet 58 343 Kündigungen ausgesprochen, so lag ihre Zahl 1895 bei 71 029, w a r also um nahezu 22 °/o größer geworden 1 4 0 . In den A u ß e n 1 3 6 Die bei z w ö l f Häusern im ersten Bezirk gemachten Stichproben ergaben, d a ß in acht Fällen der Mietzins im J a h r e 1 8 9 6 etwas geringer w a r als im J a h r e 1 8 8 9 . Die in Margarethen in der Regel vorgenommene Erhöhung der Mieten blieb hinter den Durchschnittswerten in den Arbeiterbezirken außerhalb des Gürtels deutlich zurück. Vgl. W i r k u n g e n der zweiten Stadterweiterung, S. 23 ff. 1 3 7 Vgl. Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1 8 9 5 , S. 22 f. und 1 8 9 7 , S. 2 2 f. 1 3 8 Wirkungen der zweiten Stadterweiterung, S. 34. 1 3 9 Philippovich, Wiener Wohnungsverhältnisse, S. 2 4 1 . 1 4 0 Zur Entwicklung der gerichtlichen Kündigungen v g l . A n h a n g S. 3 2 1 , Tabelle 1 8 . Die Kündigungen w a r e n in den Innenbezirken und in Favoriten nicht nur absolut, sondern auch bezogen auf die anwesende Bevölkerung um 1 1 % und auf die vorhandenen Wohnungen um 10°/o gestiegen.

12*

180

Der W o h n u n g s m a r k t

bezirken betrug die Steigerungsrate sogar mehr als 30 °/o. Von dieser Entwicklung waren wiederum die traditionellen Unterschichtbezirke Margarethen, Favoriten, Meidling, O t t a k r i n g und H e r n a i s a m stärksten betroffen. In g a n z Wien wurden von 1893 bis 1895 alljährlich wesentlich mehr als ein Drittel aller Wohnungen gerichtlich gekündigt. Vor allem in einigen Innenbezirken ging die Kündigung oft vom Mieter aus, in den Arbeitervierteln w a r es aber zumeist der Wohnungseigentümer, der die R ä u m u n g veranlaßte 1 4 1 . Berücksichtigt man auch die außergerichtlichen Kündigungen, welche bei Aftermietern und Bettgehern die Regel waren, so rundet dies unser Bild von der trostlosen Wohnungssituation k n a p p vor der Jahrhundertwende ab, in der die Mehrheit der Bevölkerung trotz erster und zweiter Stadterweiterung und trotz des 1892 erlassenen Arbeiterwohnungsgesetzes lebte, und welche den Zuständen um die Jahrhundertmitte k a u m nachstand. Parallel zum allgemeinen Wirtschaftsaufschwung seit 1896 erf u h r auch das Baugewerbe in den fünf J a h r e n bis zur J a h r h u n d e r t w e n d e einen beachtlichen konjunkturellen Anstieg. Der jährliche Zuwachs an Wohnungen verdoppelte sich von 1895 auf 1899 und betrug im Durchschnitt des halben Jahrzehnts etwa 10 360 Einheiten gegenüber 6500 im davorliegenden Vergleichszeitraum. Da die Bevölkerung Wiens nunmehr jedes J a h r um etwa 32 000 Menschen anwuchs, kam fast auf jeden dritten zusätzlichen Stadtbewohner eine neue Wohnung, so daß sich die Belagsdichte wieder zu verringern begann. Infolge der ungünstigen Entwicklung bis 1895 entfielen bei der Volkszählung 1900 aber sogar mehr Personen auf eine Wohnung als zehn J a h r e zuvor. Die aussagekräftigere Zahl der Mieter pro Wohnungsbestandteil liegt nur näherungsweise vor und ist f ü r Vergleiche im Zeitverlauf k a u m brauchbar 1 4 2 . Als Indikator 1 4 1 Vgl. Rauchberg, Jubiläums-Stiftung, S. 6, und Philippovich, Wohnungsverhältnisse, S. 12 f. 1 4 2 Die A n z a h l der Wohnungsbestandteile stammt nach 1 8 9 0 nicht aus den Zensusergebnissen, sondern w u r d e v o m Statistischen A m t der S t a d t W i e n fortgeschrieben. Die W e r t e f ü r 1 9 0 0 und 1905 d ü r f t e n bis zu 5 °/o z u hoch, jene f ü r 1 9 1 0 und 1 9 1 4 bis zu 3 °/o zu niedrig liegen. R e l a t i v realitätsgerecht d ü r f t e die Zahl der Wohnungsbestandteile f ü r die Häuser mit bekanntem Zinserträgnis sein, die f ü r das J a h r 1 9 0 0 im Statistischen Jahrbuch d e r Stadt W i e n 1 9 0 2 , S. 18 ff., abgedruckt ist. V o n den im Stadtgebiet vorhandenen 3 7 3 4 9 7 Wohnungen sind in der entsprechenden Tabelle aber nur 352 2 5 3 e r f a ß t , so daß w i e d e r mit gewissen V e r z e r r u n gen gerechnet werden muß.

181

Wohnverhältnisse 1 9 0 0

für eine gewisse Entspannung am Wohnungsmarkt könnte jedoch der relative und zeitweilig sogar absolute Rückgang gerichtlicher Kündigungen bei gleichzeitig etwas verlangsamt steigenden M i e ten gelten. Auch der in allen Bezirken sinkende Anteil von A f t e r mietern und Bettgehern an der Gesamtbevölkerung kann positiv interpretiert gesteigerten

werden. Ausmaß und Stellenwert Bautätigkeit

der infolge

durch einige Durchschnittswerte

der

nahe-

gelegten Verbesserungen bedürfen aber wiederum einer genaueren Bestimmung mit H i l f e des statistischen Materials der im J a h r e 1 9 0 0 sehr ausführlich unternommenen Wohnungserhebung 1 4 3 . E x a k t e Aussagen über die durchschnittlichen

Wohnungsgrößen

sind nicht möglich, da die Zahl der Wohnungsbestandteile in den vorhandenen Hochrechnungen um mindestens 5 °/o überschätzt ist oder sich nicht auf alle vorhandenen Wohnungen bezieht. Ein V e r gleich mit den ebenfalls erst bereinigt zu interpretierenden D a t e n des Jahres 1 9 1 0 berechtigt aber zur Annahme, d a ß die Standardwohnung keinesfalls größer, sondern eher noch etwas kleiner geworden ist. D a s vorliegende M a t e r i a l belegt auch wieder eine E n t wicklung, die schon 1 8 9 0 aufgefallen w a r : D i e traditionell guten Wohnviertel mit überdurchschnittlich großen Wohnungen

wiesen

eine kontinuierliche Vermehrung der Bestandteile pro Unterkunft auf (vgl. Tabelle 21), während der Anteil der Kleinwohnungen in den Unterschichtbezirken

vielfach noch weiter

stieg. Die

schon

früher bestehenden großen Unterschiede zwischen den W o h n v e r hältnissen

der einzelnen Bevölkerungsschichten

verschärften

sich

also sowohl in Phasen der Stagnation des Baugewerbes als auch während der Hochkonjunktur. —

Den schlechtesten Wert

wies

wiederum Favoriten auf, doch lagen die Dinge in O t t a k r i n g kaum besser 1 4 4 . In beiden Bezirken w a r die Zahl der Wohnungsbestandteile pro Q u a r t i e r ebenso wie in Rudolfsheim und Hernais seit einem halben J a h r h u n d e r t

fast durchgehend gesunken und

der

Abstand zum Mittelwert für die Gesamtstadt immer größer geworden, da sich die Wohnungen in Wieden, M a r i a h i l f , Neubau und

1 4 3 Vgl. Statistisches Jahrbuch der S t a d t Wien 1 9 0 2 , S. 1 1 — 1 1 5 , sowie L ö w y , Volkszählung 1 9 0 0 . Kritisch zu den Erhebungskriterien und zur Aussagekraft der Ergebnisse wieder E r t l , österreichische Wohnungserhebungen, S. 2 4 1 . 1 4 4 D a z u insbesondere Czeike, Sozialgeschichte, S. 6 2 ff.

Der Wohnungsmarkt

182

Tabelle 21: Wohnungsbestandteile im Jahr 1900its Bezirk

vor 1860

pro Wohnung

nach

Bauperioden

1861—1870 1871—1880 1881 — 1890 1891 — 1900

1. 2 . + 20. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

5,4 3,5 3,2 3,6 2,7 3,3 3,3 3,9 3,1 2,6 2,3 2,5 3,0 2,6 2,8 2,4 2,6 2,7 2,6

6,8 3,1 3,3 3,8 2,8 3,5 3,8 3,5 3,4 2,6 2,6 2,3 3,1 2,5 3,0 2,4 2,4 2,7 2,9

7,1 3,1 3,7 4,3 2,7 3,6 3,6 3,5 4,1 2,2 2,5 2,3 3,3 2,4 2,7 2,4 2,6 2,8 3,1

6,3 2,9 3,5 4,7 2,8 4,0 4,1 3,9 4,0 2,2 2,3 2,4 2,6 2,5 2,7 2,3 2,7 3,0 3,3

7,1 3,3 3,2 5,2 2,9 4,7 4,5 4,4 4,1 2,2 2,6 2,6 3,5 2,3 3,0 2,2 2,4 3,2 3,3

1.—10. + 20. 10.—19. 11.—19. Wien

3,5 2,6 2,6 3,2

3,6 2,6 2,6 3,1

3,5 2,5 2,6 3,1

3,3 2,5 2,6 3,0

3,5 2,5 2,7 3,1

Josefstadt, aber auch in Hietzing, Dornbach und Döbling laufend vergrößerten. Für die ärmeren Bevölkerungskreise gab es demnadh auch zur J a h r h u n d e r t w e n d e keine größeren Wohnungen als im J a h r 1890. In den Arbeiterbezirken dominierten weiterhin die aus ZimmerKüche oder gar nur Kabinett-Küche bestehenden Wohnungen. In O t t a k r i n g wiesen 14 °/o der lediglich zu Wohnzwecken verwendeten Quartiere nur einen und 65 %> zwei R ä u m e auf. In Favoriten lagen die Dinge mit 16 %> beziehungsweise 60 °/o nicht wesentlich besser, und ähnlich w a r es in Meidling, Rudolfsheim und Hernais. Bis zu vier Fünftel der Bevölkerung dieser Stadtteile hausten in 145

Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1902, S. 18 ff.

Wohnverhältnisse 1900

183

ein- u n d z w e i r ä u m i g e n U n t e r k ü n f t e n , w ä h r e n d f ü r ganz W i e n der entsprechende A n t e i l bei 5 0 %

l a g 1 4 6 . E s ist unter solchen

Um-

ständen nicht w e i t e r verwunderlich, d a ß der B e l a g p r o W o h n u n g g e r a d e in einigen v o n der Oberschicht b e v o r z u g t e n V i e r t e l n

die

deutlichsten Steigerungen aufweist, w a s aber keineswegs eine V e r m i n d e r u n g des R a u m a n g e b o t e s signalisiert, da die V e r m e h r u n g der Bestandteile pro Wohnung

jene der Personen

übertraf.

Anders

lagen die D i n g e in den meisten A u ß e n b e z i r k e n sowie L e o p o l d s t a d t , B r i g i t t e n a u und M a r g a r e t h e n , w o die B e l a g s z a h l e n ebenfalls leicht stiegen, die W o h n u n g s g r ö ß e n aber stagnierten oder sogar sanken. D i e s e E n t w i c k l u n g m ü ß t e in einer ärgeren Ü b e r f ü l l u n g der W o h nungsbestandteile z u m Ausdruck k o m m e n , die vorliegenden D a t e n lassen uns jedoch diesbezüglich aus den genannten

Gründen

im

Stich, d a die zu hoch fortgeschriebene Z a h l der Bestandteile in den einzelnen B e z i r k e n zu einer unterschiedlichen F e h l e r q u o t e geführt haben dürfte. D i e errechenbaren V e r h ä l t n i s z a h l e n berechtigen lediglich z u m Schluß, d a ß die alten Z e n t r e n der W o h n u n g s n o t auch im verflossenen J a h r z e h n t gegenüber den N o b e l b e z i r k e n eine deutlich schlechtere E n t w i c k l u n g genommen h a t t e n . So waren in O t t a k r i n g im J a h r

1 9 0 0 v o n den einräumigen W o h n u n g e n über 3 2 0 0

mit

zwei bis f ü n f P e r s o n e n belegt; in 8 4 F ä l l e n lebten sogar sechs bis zehn Personen in einem R a u m . I n 11 2 0 8 z w e i r ä u m i g e n Q u a r t i e ren hausten drei bis f ü n f Menschen, in über 4 2 0 0 F ä l l e n sechs und m e h r . N u r 4 °/o der B e w o h n e r h a t t e n

einen eigenen R a u m

für

sich 1 4 7 . I n F a v o r i t e n , w o es insgesamt weniger W o h n u n g e n

gab,

betrug die Z a h l

ein-

der m i t zwei bis f ü n f

Personen belegten

räumigen U n t e r k ü n f t e sogar 3 2 6 5 u n d in 2 1 8 F ä l l e n w a r e n sechs bis zehn Menschen in einem oft sehr kleinen R a u m

zusammen-

gepfercht. V o n den z w e i r ä u m i g e n W o h n u n g e n beherbergten

8795

drei bis f ü n f u n d ü b e r 3 6 0 0 w i e d e r u m sechs bis zehn P e r s o n e n 1 4 8 . D a g e g e n lebte i m ersten B e z i r k ein D r i t t e l der B e v ö l k e r u n g

in

W o h n u n g e n , die m e h r als sieben R ä u m e besaßen und n u r 15 %> in ein- oder z w e i r ä u m i g e n W o h n u n g e n 1 4 9 .

In W i e d e n

verfügten

1 4 i Eine ausführlichere Darstellung für einzelne Bezirke bei Czeike, Sozialgesdiidite, S. 62 f., und Angerer, Studien, S. 24 f. 1 4 7 Statistisches Jahrbudi der Stadt Wien 1902, S. 32, und Czeike, Sozialgesdiidite, S. 63 f. 1 4 8 Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1902, S. 30. 1 4 4 Czeike, Sozialgeschichte, S. 64.

184

Der W o h n u n g s m a r k t

rund 4 0 °/o der Einwohner dieses Bezirkes über Wohnungen mit fünf und mehr Räumen, während wiederum lediglich 15 °/o mit ein- oder zweiräumigen Quartieren Vorlieb nehmen mußten 1 5 0 . Diese seit einem halben Jahrhundert immer deutlicher hervortretenden unterschiedlichen Wohnverhältnisse der einzelnen Bevölkerungsschichten, die noch viel schärfer zu fassen wären, wenn man auch innerhalb der Bezirke differenzieren könnte, werden erneut durch den stark schwankenden Anteil von Aftermietern und B e t t gehern in verschiedenen Stadtteilen zusätzlich belegt. Wiederum fanden sich relativ am meisten Bettgeher in Ottakring, Rudolfsheim und Meidling, doch standen auch Favoriten sowie die zu V e r gleichszwecken zusammengefaßten Bezirke Leopoldstadt und Brigittenau nur wenig nach. Gegenüber 1890 waren die Bettgeherquoten aber durchwegs um 3 0 — 5 0 %> gesunken, so daß sich diesbezüglich eine echte Verbesserung konstatieren läßt. I m alten Stadtbereich war der Anteil der Bettgeher an der Gesamtbevölkerung von 5,26 %> auf 3,61 °/o gefallen, während sich jener der Aftermieter nur von 7,97 % auf 7,48 °/o verringert hatte. Haushalte ohne familienfremde Personen gab es jetzt bereits 67 °/o und in den Außenbezirken sogar 71 °/o. Die Bettgeherquote war im 1 8 9 0 eingemeindeten Gebiet von 8,28 °/o auf 4,63 °/o gesunken, wobei insbesondere Fünfhaus und Rudolfsheim eine spektakuläre Reduktion aufwiesen. Die Verringerung des Untermieteranteils von 5,33 % auf 4,64 °/o hielt sich auch hier in wesentlich bescheideneren Grenzen 1 6 1 . D a die Uberfüllung der Wohnungen in den meisten Bezirken von 1 8 9 0 — 1 9 0 0 nicht abgenommen hatte, erscheint die recht beträchtliche relative und absolute Abnahme der Bettgeher zunächst widersprüchlich. Wesentliche Gründe machen die Entwicklung jedoch verständlich, lassen aber gleichzeitig eine allzu positive Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1902, S. 2 9 . Ausführlich zum P r o b l e m der U n t e r m i e t e r und Bettgeher um die J a h r h u n d e r t w e n d e Fuchs, Wohnungsfürsorge, S. 6 1 4 ff., der für die positive Entwicklung von 1 8 9 0 bis 1 9 0 0 einen E r k l ä r u n g s a n s a t z liefert: „ A u d i der P r o z e n t s a t z der vermietenden Familien ist in diesem D e z e n nium etwas gesunken und schließlich auch die auf je eine in Betracht k o m m e n d e Wohnpartei entfallende Zahl von A f t e r m i e t e r n und B e t t gehern. Also im ganzen eine leichte Besserung der Verhältnisse. D e r G r u n d liegt wohl darin, d a ß der Bevölkerungszuwachs jetzt mehr als früher aus der Vermehrung der seßhaften Bevölkerung als aus dem Zufluß v o n außen entsteht." 150 151

Mietpreisbildung und Wohnungsangebot

185

Interpretation als fragwürdig erscheinen. Zunächst war die Durchschnittsgröße der vorrangig von Bettgehern aufgesuchten Wohnungstypen noch weiter abgesunken. Weiters untersagten immer mehr Hausherren die Weitervermietung von Räumen und Betten oder machten diese zumindest von ihrer ausdrücklichen Genehmigung abhängig 152 . Schließlich sank der Anteil der ledigen Personen an der Gesamtbevölkerung kontinuierlich ab. Gerade die Gruppe der alleinstehenden Personen stellte aber das Hauptkontingent der Bettgeher und auch Aftermieter 1 5 3 . Insgesamt erklären diese Faktoren vermutlich in vielen Fällen das Verschwinden von Bettgehern aus den Unterschichthaushalten zureichend und lassen nur mehr wenig Anhaltspunkte f ü r eine Deutung, welche die Entwicklung mit einer deutlichen materiellen Besserstellung großer Teile der Bevölkerung in Verbindung bringt und daraus eine merkliche Linderung der Wohnungsnot ableitet. Eine tatsächliche Verbesserung war nur insofern eingetreten, als eine größere Zahl von Familien nunmehr ohne haushaltsfremde Personen zusammenleben konnte. Das Raumangebot hatte sich deswegen aber nicht im geringsten vermehrt, und die monatliche Belastung durch die jetzt ausschließlich von Familienmitgliedern aufzubringende Miete hatte sich nicht selten zusätzlich verschärft 154 . Schließlich darf nicht vergessen werden, d a ß der Anteil der Aftermieter und Bettgeher sowie der zur Aufnahme fremder Personen gezwungenen Haushalte objektiv auch um die Jahrhundertwende noch äußerst hoch erscheint 155 . Eine, wenngleich nur bescheidene, positive Auswirkung der gesteigerten Bautätigkeit in den späten neunziger Jahren läßt sich an der Mietpreisbewegung erkennen. Die Zinsbelastung pro Kopf war innerhalb von einem J a h r f ü n f t lediglich von 62,2 fl. auf 64,3 fl. gestiegen, pro Wohnung mußten im Stadtdurchschnitt nunmehr 152 Yg] dazu die Zahl der mit entsprechenden Einschränkungen belegten Häuser in den einzelnen Bezirken in Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1902, S. 15. 153 Fuchs, Wohnungsfürsorge, S. 614 f. 154 D a ß „in normalen Wirtschaftszeiten . . . der Schlafstellenvermieter seine Rechnung finden dürfte", wurde entgegen anderslautenden Behauptungen ausführlich begründet bei Fuchs, Wohnungsfürsorge, S. 6 1 9 ff. 155 y g ] Czeike, Sozialgeschichte, S. 64 f., und Fuchs, Wohnungsfürsorge, S. 616 ff.

186

Der Wohnungsmarkt

283,9 fi. gegenüber 271,5 fi. im Jahr 1891 bezahlt werden. Die Außenbezirke wiesen gegenüber dem alten Stadtbereich höhere Steigerungsraten auf. In den Innenbezirken, in Favoriten und Brigittenau hatte sich die Miete pro Wohnung von 1895—1900 nur von 366,6 fl. auf 368,7 fl. erhöht, der auf jeden Bewohner entfallende Betrag war sogar geringfügig von 83,2 fl. auf 82,9 fl. gesunken. Zuverlässige Aussagen über die für einen Wohnungsbestandteil zu entrichtende Summe sind unmöglich, dodi zeigen die errechneten Näherungswerte deutliche Entwicklungsunterschiede zwischen den Stadtvierteln innerhalb des Gürtels und dem ehemaligen Vorortebereich. Die relativ günstige Mietpreisbewegung kam also vorrangig den besser situierten Bevölkerungsgruppen zugute, während die vormals billigen Wohngegenden und damit der am ärgsten unter der Wohnungsnot leidende Personenkreis weniger davon profitierten. Lag 1886 der Durchschnittszins pro Wohnung, ohne Berücksichtigung ihrer Lage und Größe, im Gemeindegebiet von Wien noch zwei- bis zweieinhalbmal so hoch als im Vorortebereich, so schwankten um die Jahrhundertwende die entsprechenden Mittelwerte nur mehr um das knapp zweifache. Im Volkszählungsjahr 1900 betrug der durchschnittliche Mietzins pro Wohnung 2112 K ( = 1056 fl.) im ersten Bezirk, zwischen 444 K und 834 K im zweiten bis neunten Bezirk und 299 K bis 471 K im zehnten bis neunzehnten Bezirk. Wohnungen vergleichbarer Größe und Ausstattung dürften außerhalb des Gürtels nicht mehr allzusehr billiger gewesen sein als im Stadtkern 1 5 6 . 156 Y g j d a z u ¿ ¡ e bezirksweise Aufstellung des Jahreszinserträgnisses pro W o h n u n g und Wohnungsbestandteil nach ihrem B a u a l t e r in Statistisches Jahrbuch der S t a d t W i e n 1 9 0 2 , S. 18 ff. D a r a u s ist zu entnehmen, d a ß in den Innenbezirken die Mehrzahl der Durchschnittsmieten zwischen 5 9 0 K und 6 8 0 K betrug und lediglich Wieden mit 834 K und M a r g a rethen mit 4 4 4 K e x t r e m abweichende Ausnahmen darstellten, w ä h r e n d in den Arbeiterbezirken außerhalb des Gürtels Mieten zwischen 3 0 0 K und 4 0 0 K dominierten. Hietzing, W ä h r i n g und Döbling lagen in diesem Fall deutlich über dem Durchschnitt und wiesen wie die meisten Innenbezirke bei Häusern und W o h n u n g e n der letzten Bauperiode 1891 bis 1 9 0 0 die weitaus hödisten Durdisdinittsmieten auf, während in den durdi Unterschichtenbevölkerung dominierten Stadtteilen die Q u a r t i e r e verschiedenen Baualters fast gleich teuer waren. D a r i n drückt sich unter anderem die verstärkte P r o d u k t i o n v o n G r o ß w o h n u n g e n für finanzkräftigere Bevölkerungskreise in den beliebten Stadtvierteln und umgekehrt das Vordringen immer kleinerer Wohnungstypen für die armen

Mictpreisbildung und Wohnungsangebot

187

I m m e r h i n m a g d i e S t e i g e r u n g d e r M i e t e n in d e r R e g e l i m R a h m e n der allgemeinen E r h ö h u n g der Lebenshaltungskosten u n d der Eink o m m e n g e b l i e b e n sein, w o d u r c h d i e V e r r i n g e r u n g des A f t e r m i e t e r u n d B e t t g e h e r a n t e i l s in a l l e n H a u s h a l t s t y p e n ü b e r h a u p t erst m ö g lich g e w o r d e n w a r 1 5 7 . V o n einer s i n k e n d e n B e l a s t u n g des

Haus-

haltsbudgets der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung

kann

a b e r k e i n e R e d e sein, d a d a s v o r l i e g e n d e Z a h l e n m a t e r i a l lediglich f ü r einige privilegierte B e r u f s g r u p p e n eine relative A b n a h m e der Auslagen zur Befriedigung der Wohnbedürfnisse wahrscheinlich erscheinen l ä ß t . D e r K o m m e n t a r eines zeitgenössischen, v o r r a n g i g a n d e r E r h a l t u n g eines „ g e s u n d e n M i t t e l s t a n d e s " i n t e r e s s i e r t e n W o h nungsreformers, der keineswegs zu Übertreibungen

oder gar

r e v o l u t i o n ä r e n L ö s u n g e n neigte, d ü r f t e d e r R e a l i t ä t recht

zu

nahe-

g e k o m m e n sein. „ D i e k l e i n e n L e u t e m ü s s e n . . . in d e r R e g e l w o h l ein V i e r t e l ihres E i n k o m m e n s a u f d e n Z i n s v e r w e n d e n , 70 bis 80 Bevölkerungsklassen aus. — Die Zahlen f ü r das J a h r 1900 werden durch die f ü r 1901/02 vorliegenden Daten etwas relativiert, ohne d a ß sich deswegen die gezogenen Schlüsse grundsätzlich verändern. Nach Schweitzer, Entwicklung Favoritens, S. 258, „betrug der durchschnittliche Mietzins p r o Wohnung 3258 K im ersten Bezirk, zwischen 500 K und 900 K im zweiten bis neunten Bezirk und 250 K bis 400 K im zehnten bis neunzehnten Bezirk. Im speziellen betrug der durchschnittliche Mietzins pro Wohnung im vierten Bezirk 890 K und im zehnten Bezirk 298 K." Die beiden hervorgehobenen Stadtteile wiesen eine verstärkte soziale Segregation der Bevölkerung auf und verzeichneten deswegen auch keine Angleichung des Mietenniveaus, sondern eine weitere Vertiefung der bestehenden Diskrepanz. Vgl. dazu Lenobel, Häuser-Kataster, S. V I I I . 157 Vgl. dazu Schnierer, Steigerung, S. 12 ff., sowie ders., Entwicklung, S. 649. Schnierer legt allerdings den Schwerpunkt seiner Argumentation auf die Veränderung der Pro-Kopf-Belastung u n d leitet daraus f ü r die Arbeiterbezirke eine geringere Steigerung der Mieten ab als f ü r die von der Oberschicht bevorzugten Stadtviertel. Diese Interpretation, die außerdem nur f ü r die erste H ä l f t e des Jahrzehnts zutrifft, übersieht, d a ß einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen häufig in der Lage waren, sich allmählich einen größeren W o h n k o m f o r t zu leisten, so daß immer weniger Personen in immer größeren Wohnungen zusammenlebten, auf jeden Bewohner also ein größerer Teil der Miete entfiel. Die Angehörigen der Unterschichten blieben dagegen weiterhin eng zusammengepferdit, da es ihr Budget in der Regel nicht erlaubte, die Kosten f ü r die U n t e r k u n f t auf eine geringere Personenanzahl zu verteilen. Überproportional steigende Mieten oder Verlust von Bettgehern bewirkten daher gleichermaßen den Rückzug in kleinere Wohnungstypen.

188

Der Wohnungsmarkt

Tage im Jahr müssen sie für den Hausherrn und seine Gläubiger arbeiten, zu denen auch der Staat und die Gemeinde mit ihren Steuerforderungen gehören. Der Mittelstand kommt durchschnittlich mit einem Sechstel aus, die Oberschicht mit einem Zehntel und noch weniger. Zudem haben neuere Untersuchungen ergeben, daß in den unteren Schichten der Mietaufwand, in den oberen Schichten das Einkommen rascher wächst; die Kluft zwischen der Wohnweise und damit auch zwischen der Lebenshaltung der Armen und Reichen wird also immer breiter. Das Merkwürdigste aber ist, daß der Preis für je eine Einheit des Wohnraumes, für einen Quadratmeter der Bodenfläche oder für einen Kubikmeter des Luftraumes, sogar absolut desto höher steht, je kleiner die Wohnungen und desto ärmer demnach wohl ihre Bewohner sind." 158 Wie angespannt die Lage am Wohnungsmarkt selbst nach einer mehrjährigen verstärkten Bautätigkeit geblieben war, folgt aus dem unter die Einprozentgrenze gesunkenen Anteil leerstehender Wohnungen, der freilich auch eine im Vergleich zu 1890 erhöhte finanzielle Belastbarkeit der Bevölkerung voraussetzte, da sonst nicht die Leerstehungsquote gesunken, sondern die Überfüllung zusätzlich gestiegen wäre. Besonders in den Arbeiterbezirken Margarethen, Favoriten und Meidling waren kaum noch freie Wohnungen aufzutreiben, deren Anteil am Gesamtbestand hier nur mehr zwischen 0,42 °/o und 0,54 °/o lag. In Ottakring und Hernais, wo sich die Produktion von Massenmiethäusern besonders konzentriert hatte, war die Situation etwas günstiger, doch blieb die Zahl der leerstehenden Quartiere auch hier weit hinter dem Schwellenwert von 3 erreichte, führte jedoch vorerst zu keinem Nachlassen der seit der Jahrhundertwende rasch anschwellenden gerichtlichen Kündigungen, wovon 1905 nicht weniger als 149 862 gegenüber 123 315 im J a h r 1899 ausgesprochen wurden 1 5 9 . Wie sehr auch weiterhin das Angebot hinter der infolge spürbarer Lohnerhöhungen besonders in den gehobenen Berufsgruppen zusätzlich verstärkten Nachfrage zurückblieb, beweist die Entwicklung der Mieten. Seit etwa 1900 begannen die Zinsforderungen rasant zu klettern, so d a ß 1905 die Pro-Kopf-Belastung von 128,6 K ( = 64,3 fl.) auf 150,2 K angewachsen war und auf eine Wohnung nunmehr 621,2 K gegenüber vormals 567,8 K entfielen. Die f ü r einen Wohnungsbestandteil zu entrichtende Miete wies eine analoge Steigerungsrate auf. Da sich der A u f w a n d für angemessene 158

Dieser enormen absoluten Zunahme entsprach auch bezogen auf die Bevölkerung eine relative Zunahme von 11 °/o, bezogen auf die Zahl der Wohnungen eine relative Zunahme von 6 °/o. — In den Arbeiterbezirken gingen zumindest zwei Drittel dieser Kündigungen von den Wohnungsvermietern aus.

190

Der Wohnungsmarkt

U n t e r k ü n f t e bei den Angehörigen der Mittelschicht sowie bei den Facharbeitern im Verhältnis zur durchschnittlichen Entwicklung der Lebenshaltungskosten und der Einkommen überproportional vermehrte, floß ein beträchtlicher Teil der Lohnerhöhungen unmittelbar den Hausbesitzern zu 160 . Dies drückte sich in den beinahe in allen Bezirken sinkenden Belagszahlen aus, welche vorrangig durch die Reduktion der in mittleren und großen Wohnungen anzutreffenden Personen zustande kamen. Die Überfüllung der kleinen Quartiere blieb dagegen unverändert hoch, da die Masse der Kleinverdiener mit ihrem Lohnzuwachs neben den steigenden Mieten f ü r unverändert schlechte, enge Wohnungen bestenfalls die Lebensmittelteuerung decken konnte. Die gute Auftragslage im Baugewerbe näherte sich zwar 1906 ihrem Ende, in den beiden Folgejahren war der Wohnungszuwachs mit 10 564 beziehungsweise 9642 Einheiten aber immer noch recht ansehnlich. Insgesamt waren von 1903—1907 jährlich durchschnittlich 10 783 neue Wohnungen auf den M a r k t gelangt, während das Tempo der Bevölkerungszunahme etwas abgenommen hatte. Im Verlauf der gesamten Konjunkturphase wurde f ü r jeden dritten zusätzlichen Stadtbewohner eine neue Unterkunft hergestellt, wohingegen im Stadtdurchschnitt 1910 immer noch vier Personen auf ein Quartier kamen. Das daraus resultierende vermehrte Angebot am Wohnungsmarkt führte zu einer etwas verlangsamten Mietpreisbewegung sowie zu einer absoluten Reduktion der gerichtlichen Kündigungen in der zweiten H ä l f t e des Jahrzehnts. Auch die bis auf 1,91 °/o anwachsende Leerstehungsquote im Jahr 1907 verweist auf eine insgesamt verbesserte Situation, wenngleich es zu denken gibt, daß der Anteil der kleinen Wohnungen an der Gesamtzahl der unvermieteten Objekte laufend größer wurde, obwohl gerade für diese Kategorie objektiv der stärkste Bedarf bestand 1 6 1 . Damit stimmt überein, daß die Zahl der Leerstehungen 160

D a z u Schnierer, Entwicklung, S. 649. Der Anteil der Kleinwohnungen am gesamten Wohnungsbestand hatte z w a r im Verlauf des 19. Jahrhunderts kontinuierlich zugenommen, w a r aber hinter dem Bedarf der am Bevölkerungswachstum überproportional beteiligten Unterschichten immer zurückgeblieben. Die massenhafte Produktion von Zinskasernen mit kleinen Wohnungstypen in vielen Außen- und einigen Innenbezirken w u r d e teilweise durch die zahlreichen Demolierungsarbeiten im Stadtkern wieder aufgewogen. In den neu errichteten Häusern entfielen nach der J a h r h u n d e r t w e n d e im 161

Einfluß von Hochkonjunktur und Rezession

191

vornehmlich in den Unterschichtbezirken teilweise stark zugenommen, in einigen Stadtteilen innerhalb des Gürtels aber sogar abgenommen hatte. Vermutlich spielte in diesem Zusammenhang die seit kurzem außergewöhnlich rasante Lebensmittelteuerung eine gewisse Rolle, welche die Abnehmer aufwendigerer Wohnungen nicht allzusehr belastet haben dürfte, die aber bei den einkommensschwachen Haushalten ein Expandieren des Budgetpostens für Wohnzwecke verhinderte, so daß die dringend benötigten, neu auf den Markt kommenden und aus verschiedenen Gründen teurer gewordenen Kleinwohnungen vielfach unerschwinglich blieben. Erneut wurde die Erfahrung bestätigt, daß die von der Wohnungsmisere am ärgsten betroffenen, materiell schlecht gestellten Bevölkerungsgruppen aus den Konjunkturphasen eines rein profitorientierten Baugewerbes nur recht geringen Nutzen zogen, da sie die Mehrproduktion infolge unzureichender K a u f k r a f t nicht nach ihren Bedürfnissen strukturieren, ja nicht einmal das vorhandene Angebot voll ausschöpfen konnten. Der 1907 mit voller Wucht noch während der gesamtwirtschaftlich günstigen Konjunkturlage einsetzende Abschwung des Baugewerbes, der vorrangig durch ungünstige Kreditverhältnisse, steigende Produktionskosten und Bodenpreise, sicherlich aber erst sekundär durch die zunehmende Unverkäuflichkeit und Unvermietbarkeit neu erbauter Objekte verursacht wurde 1 0 2 , machte sehr schnell viele der bescheidenen Fortschritte der verflossenen fünf Durdischnitt auf eine Wohnung drei Zimmer beziehungsweise Kabinette, während in den durch Demolierung w e g g e f a l l e n e n eine Wohnung bloß 1,6 Zimmer beziehungsweise Kabinette enthalten hatte. Vgl. dazu Statistische Monatsschrift N F 16 (1911), S. 649. 162 Vgl. Bericht der H a n d e l s - und G e w e r b e k a m m e r N ö 1907, S. 462 f.: „Dabei ist hervorzuheben, daß audi 1907 die Leerstehungen abermals gestiegen sind, . . . so daß sie in vier Jahren eine Erhöhung fast auf das D o p p e l t e erfuhren, o b z w a r in einem großen Teil dieses Zeitraums eine erhebliche Abnahme der Bautätigkeit eingetreten ist. Trotz des A n wachsens der Bevölkerung muß demnach eine Überproduktion an Häusern konstatiert werden. Diese erstreckt sidi jedoch vornehmlich auf die Herstellung sogenannter Zinskasernen, welche hauptsächlich v o n der spekulativen Bautätigkeit hervorgebracht werden. Diese spekulative Bautätigkeit durch das Bauunternehmertum dauert allerdings nur so lange, als genug Kredit vorhanden ist und verschwindet bei ungünstigeren G e l d - und Kreditverhältnissen. D i e Überproduktion an Wohnungen und die N o t unter den Bauhandwerkern bleibt jedoch zurück."

192

Der Wohnungsmarkt

Tabelle 23: Leerstehende 1900 Bezirk 1. 2.+20. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 1 .—20.

absolut 216 278 326 99 104 128 127 136 191 137 24 95 147 231 37 452 221 361 73 3383

Wohnungen

1907

1905 in

%

absolut

1,79 229 0,65 1108 1,03 778 0,70 174 0,42 277 0,90 138 0,78 217 1,19 248 0,95 409 0,47 584 0,30 222 0,54 94 0,96 588 1,25 444 0,35 84 1,27 346 1,03 156 1,66 285 0,91 124 0,91 6505

1900—1913

in /o

absolut

1910 in

%

absolut

1,90 165 1,36 114 2,38 1520 3,04 393 2,23 801 2,20 178 1,15 158 1,01 53 0,98 206 0,83 48 0,90 155 0,99 40 1,18 153 0,81 75 1,95 122 0,91 76 1,72 305 1,25 157 1,78 586 1,73 89 2,37 276 2,79 44 0,48 437 1,73 89 2,78 1146 4,83 186 2,01 462 2,05 88 0,79 108 0,99 45 0,84 919 2,12 188 0,64 587 2,31 100 1,28 240 1,04 129 1,26 290 2,73 188 1,55 8636 1,96 2280

1913 in

%

absolut

0,98 127 0,66 405 0,45 347 0,31 176 0,18 76 0,24 131 0,39 136 0,53 73 0,61 83 0,25 186 0,40 71 0,33 113 0,66 425 0,36 76 0,39 110 0,42 98 0,36 55 0,52 187 1,47 170 0,48 3045

in

%

1,14 0,68 0,86 1,08 0,28 0,80 0,71 0,52 0,33 0,49 0,64 0,41 1,44 0,32 0,81 0,21 0,21 0,74 1,33 0,60

Jahre zunichte und konfrontierte auch die Mittelschicht wieder verstärkt mit der Wohnungsfrage. Schon 1908 betrug der Wohnungszuwachs nur mehr 5911 Einheiten, sank 1908 auf 5411 und 1910 mit 5091 sogar auf den tiefsten Stand seit der Eingemeindung der Vororte, so daß in dieser Phase nur mehr für jeden sechsten bis siebten neuen Bewohner v o n Wien ein zusätzliches Quartier auf den Markt gelangte 163 . Diese bedeutende Verschlechterung der Relation von Angebot und Nachfrage verursachte ein neuerliches Ansteigen der seit etwa 1905 relativ stabil gebliebenen Mietpreise und senkte den Anteil leerstehender Wohnungen auf das noch nie dagewesene Maß von 0 , 3 % im Jahre 1911. Besonders in den Arbeiterbezirken, w o die Leerstehungsquote noch 1907, abgesehen v o n Margarethen und Favoriten, über dem Mittelwert für die Gesamtstadt gelegen waren, vollzog sich eine spektakuläre 163

Vgl. Bartack, Boden- und Wohnungspolitik, S. 6.

Reduktion der Kleinwohnungen

193

Reduktion, so daß im Volkszählungsjahr 1910 Hernais, Ottakring, Fünfhaus, Rudolfsheim und Simmering deutlich unter dem Durchschnitt von 0,48 %> lagen, und Meidling mit 0,33 °/o, Favoriten mit 0,25 °/o und Margarethen mit 0,18 °/o praktisch keine Wohnungsreserven aufwiesen. D a gleichzeitig die Zahl der gerichtlichen Kündigungen nicht nur relativ, sondern fast in allen Bezirken auch absolut zurückging, scheint der Gang der Entwicklung relativ klar. Während die ärmeren Bevölkerungsschichten um die Mitte des Jahrzehnts die neu auf den Markt kommenden Kleinwohnungen nur durch eine spürbare Einschränkung ihrer ohnehin bescheidenen Lebensführung mieten konnten und daher in der Regel in ihren schäbigen Unterkünften verblieben, solange die Zinssteigerungen einigermaßen erträglich schienen, hatten die Wohnungssuchenden während der Stockungsphase im Baugewerbe keine Wahl: Die wenigen am Markt angebotenen Quartiere mußten auch zu enormen Preisen und schlechter Qualität akzeptiert werden, vielfach unter Hintanstellung der anderen elementaren Lebensbedürfnisse. Um in einer solchen Situation nicht gekündigt zu werden, mußte man notfalls auch unter dem Existenzminimum vegetieren. Bezeichnenderweise war die Zahl der vom Mieter eingeleiteten gerichtlichen Wohnungskündigungen stark gefallen und hatte insgesamt eine Reduktion der entsprechenden Amtshandlungen bewirkt, obwohl die vom Wohnungseigentümer erwirkten Kündigungen, deren H a u p t u r sache uneinbringliche Zinsforderungen gewesen sein dürften, bis zum Jahr 1909 wie schon in der ersten H ä l f t e des Jahrzehnts beträchtlich zugenommen hatten. Besonders schlimm wirkte sich das von der Zentralstelle für Wohnungsreform in Österreich in mehreren Analysen konstatierte Verschwinden der aus ein bis zwei Zimmern und Küche bestehenden Kleinwohnungen mit einem Durchschnittszins zwischen 400 und 600 K im Innern der Stadt aus, da infolge der geminderten Bautätigkeit nur unzureichend Ersatz durch die Errichtung neuer Wohnhäuser mit entsprechenden Wohnungstypen an der Peripherie der Stadt geschaffen wurde 1 6 4 . Die 1909 im ersten Bezirk abgebrochenen Häuser enthielten beispielsweise 279 Wohnungen mit durchschnittlich 3,4 Zimmern beziehungsweise Kabinetten, dagegen wiesen die zugewachsenen 164 Mitteilungen der Zentralstelle 11 (1909), S. 16 ff., 16 (1910), S. 13 ff., und 20 (1911), S. 20 f.; vgl. auch Willfort, Wohnungsnot, S. 2.

13

Feldbauer, S t a d t w a d i s t u m

194

Der Wohnungsmarkt

21 Einheiten in der Regel etwas mehr als sechs Zimmer auf 1 6 6 . Stellt man eine analoge Berechnung für ganz Wien an, so entfielen auf die neu errichteten W o h n u n g e n während der Jahre 1 9 0 8 — 1 9 1 0 e t w a drei Zimmer oder Kabinette, auf die demolierten U n t e r k ü n f t e dagegen durchschnittlich nur 1,6 Bestandteile. Die verminderte Produktion des Baugewerbes reduzierte also vorrangig den Zuwachs an K l e i n w o h n u n g e n mit für die arbeitende Bevölkerung erschwinglichen Mieten und w u r d e daher am stärksten in den Außenbezirken verspürt, w o das B a u v o l u m e n im Extremfall bis auf ein Viertel der letzten Konjunkturspitze schrumpfte. I m Stadtbauamt der Gemeinde konstatierte man, „daß die Bautätigkeit in den Kleinwohnungsbezirken im Vergleich z u m Bedarf a m meisten z u wünschen übrig ließ, da das rasche Ansteigen der Baukosten in den letzten Jahren im Verein mit der Grundwertsteigerung den K l e i n w o h n u n g s b a u unrentabler gemacht habe als jenen der Mittelwohnungshäuser" 1 6 6 . W o m a n in den Außenbezirken doch noch einige Massenmiethäuser mit kleinen W o h n u n g e n produzierte, verringerte man deren A u s m a ß e immer mehr, um die infolge der ungünstigen Kreditverhältnisse notwendige h o h e Verzinsung des eingesetzten K a p i tals zu gewährleisten 1 6 7 . In den Bezirken Favoriten, Ottakring 165

In den demolierten Häusern Lazenhof und Fischhof hatten sich 109 Wohnungen mit einem für die Innere Stadt günstigen Mietzins unter 1500 K befunden. Auf den entstandenen Bauparzellen gelangten fünf Häuser mit je acht Wohnungen zur Erbauung. Der Mietzins schwankte nach der Zimmeranzahl zwischen 3000 und 6000 K. Statt der zahlreichen Kleinwohnungen mit einem Durchschnittszins zwischen 250—350 K pro Wohnraum wurden also auf dem gleichen Grundkomplex 40 Nobelwohnungen mit außerordentlich hohen Mieten errichtet. — Weitere Beispiele für die Innere Stadt und den vierten Bezirk in Mitteilungen der Zentralstelle 16 (1910), S. 13 f. 166 Man war im Stadtbauamt jedoch überzeugt, daß „diese zwar schmerzliche, aber auch in Wien wiederholt vorgekommene Erscheinung, die erfahrungsgemäß immer infolge der höheren Mieterträge eine regere Bautätigkeit hervorruft und so bald dem Mangel an Wohnungen abhilft", bald „infolge der Steuerbegünstigung für Kleinwohnungshäuser und einer jetzt schon in Erscheinung tretenden Überproduktion an mittelgroßen und großen Wohnungen" verschwunden sein wird. Bartack, Boden- und Wohnungspolitik, S. 6 und 15. 167 Zur Frage der Rentabilität der unterschiedlichen Haus- und Wohnungstypen sowie der Ermittlung des Kapitalisierungszinsfußes vgl. ausführlich Mully von Oppenried, Bewertung, S. 127 ff.

R e d u k t i o n der Kleinwohnungen

195

und Brigittenau erreichte 1908 die Zahl der Zimmer nicht einmal jene der zugewachsenen Wohnungen 1 6 8 . Wie die Großwohnungen in den Nobelbezirken waren also hier die lediglich aus Küche und Kabinett bestehenden Q u a r t i e r e in relativer Zunahme begriffen: Immer weniger und immer kleinere U n t e r k ü n f t e für die Unterschicht ergänzten also das Wohnungsangebot, welches kaum mehr den dringendsten Bedürfnissen entsprach. Unter solchen Umständen hatte der Stand der Hausbesitzer seine Monopolstellung noch weiter gefestigt und konnte nicht nur die Mietpreise ziemlich unkorrigiert v o m Marktmechanismus diktieren, sondern war auch in der Lage, die Mieter ganz nach den eigenen Vorstellungen auszusuchen, so daß in vielen Fällen kinderreiche Familien von vornherein ausgeschlossen blieben 1 6 9 . Eine immer größere Zahl von Einwohnern mußte sich mit den allerprimitivsten Wohnungen begnügen und dafür noch erschreckend hohe Preise zahlen, um überhaupt irgendeine Unterkunft zu erlangen. Mit welchen Belastungen etwa ein Hilfsarbeiter zu rechnen hatte, wenn er seiner Familie eine bescheidene Wohnung sichern wollte, geht aus einem Verbesserungsvorschlag hervor, der gegenüber den herrschenden Verhältnissen wesentlich billigere Wohnungen fordert und mit der Feststellung schließt: „Mit den Mietpreisen von 17,80 bis 23,71 K pro Monat für eine Zimmer-Küche-Kammer Wohnung wäre ein Betrag erreicht, der nur mehr 24 bis 32 % des Taglöhnereinkommens verbraucht, so daß auch der ärmste samt Familie menschenwürdig wohnen könnte." 1 7 0 Ein Jahreszins von 280 K verschlang demnach beinahe ein Drittel des Budgets eines z w a r nur bescheidenen, aber immerhin regelmäßig verdienenden Arbeiters. Für diese Summe waren aber um das J a h r 1910 sogar die minderwertigsten Wohnungen nur mehr in Ausnahmefällen erhältlich 1 7 1 . Die ersten Anzeichen einer Konjunkturbelebung des Baugewerbes Vgl. Mitteilungen der Zentralstelle 11 (1909), S. 17. D a z u Bartack, Boden- und Wohnungspolitik, S. 6, und Mitteilungen der Zentralstelle 20 (1911), S. 20 f., w o auch die R e d e von einem Polizeierlaß ist, der infolge der zunehmenden Obdachlosigkeit kinderreicher Familien erforderlich geworden w a r . 1 7 0 Bartack, Boden- und Wohnungspolitik, S. 59. 1 7 1 Vgl. d a z u die A u f s t e l l u n g der Preise der im J a h r e 1910 beim Städtischen Wohnungsnadiweisamte angemeldeten Wohnungen sowie die Übersicht der niedrigsten u n d höchsten Preise der Wohnungen in den der städtischen V e r w a l t u n g unterstehenden Zinshäusern in Statistisches J a h r buch der S t a d t Wien 1910, S . 33 ff. ,6S

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13*

196

Der Wohnungsmarkt

fielen zwar noch ins Jahr 1909, der bis knapp vor Ausbruch des Weltkrieges währende Aufschwung schlug sich aber erst 1911 in einer erheblichen Zunahme des Wohnungszuwachses nieder. Die gesteigerte Bautätigkeit der letzten Vorkriegsjahre nahm demnach auf die Ergebnisse der Volkszählung von 1910 noch keinen Einfluß, dennoch lieferte diese vielfach Daten, die zunächst widersprüchlich zur Entwicklung der Mieten, zur Zahl der gerichtlichen Kündigungen und zum Anteil leerstehender Quartiere erscheinen, welche insgesamt auf eine Verschlimmerung der Wohnungssituation der minderbemittelten Familien verwiesen hatten 1 7 2 . Die Durchschnittsgröße der Wohnungen f ü r die gesamte Stadt war zwar seit zwanzig Jahren leicht gesunken, gleichzeitig hatte aber die Belagsquote eine beträchtliche Reduktion erfahren. Bezogen auf die Zahl der Räume pro Wohnung verzeichneten die vornehmen Stadtteile Innere Stadt, Wieden und Mariahilf, aber auch Margarethen nennenswerte Steigerungen, etwas geringere Verbesserungen die Innenbezirke Neubau und Josefstadt sowie Währing und Döbling außerhalb des Gürtels. Die deutlichste Verkleinerung der Standaidwohnung war in Simmering, Meidling und Brigittenau eingetreten, die kleinsten Quartiere wies nun Meidling auf, knapp gefolgt von Favoriten und Simmering. Es waren also abgesehen von Margarethen die traditionell besseren Wohnviertel, wo sich eine relativ günstige Entwicklung durchzusetzen vermochte. Bezogen auf das gesamte Gemeindegebiet von Wien war die besonders gegen Ende des Jahrzehnts verstärkte Konzentration der Bauindustrie auf die Produktion von Großwohnungen bei gleichzeitiger Vernachlässigung der mittleren Typen durch die bis 1907 auf vollen Touren laufende Herstellung von Zinskasernen aufgewogen worden. Zweifellos war die Standardunterkunft des Arbeiters die ZimmerKüche-Wohnung geblieben, während Quartiere mit drei oder mehr Räumen weiterhin der Mittelschicht vorbehalten waren. Zeichnete sich also hinsichtlich der durchschnittlichen Wohnungsausmaße keine allgemeine Verbesserung, sondern eine weitere Polarisation der den verschiedenen Bevölkerungsschichten zuzuordnenden Wohnungstypen ab, so überrascht die positive 172 D a z u insbesondere Mitteilungen der Zentralstelle 18 (1911), S. 5 ff., wo die vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung 1910 in Hinsicht auf die Wohnverhältnisse der minderbemittelten Klassen als Ausdruck einer insgesamt negativen Entwicklung interpretiert werden.

Wohnverhältnisse 1910

197

Perspektive um so mehr, welche sich aus der meist recht beträchtlichen Senkung der Belagsquoten pro Unterkunft und pro R a u m fast in allen Bezirken ergibt und welche durch die Verringerung der auf eine Partei entfallenden Personen bestätigt wird. Im gesamten Stadtbereich, außer dem neu eingemeindeten einundzwanzigsten Bezirk Floridsdorf, hatte die Bevölkerung seit 1900 nur mehr um 1 7 % zugenommen, die jährliche Zuwachsrate war sogar absolut hinter jener des davorliegenden Jahrzehnts zurückgeblieben, die Zahl der Wohnungen hatte sich jedoch um ein Viertel vermehrt, wobei allein auf die Jahre 1903 bis 1907 zwei Drittel der Bauleistung entfielen. D a ß dieser Produktionsüberschuß aber keineswegs der gesamten Bevölkerung Vorteile brachte, wie es die agglomerierten Daten zunächst nahelegen, sondern lediglich den gehobenen Einkommensklassen verbesserte Wohnverhältnisse bescherte, erklärt sich aus den bereits erwähnten, gegenläufigen Tendenzen im Wohnungsbau. Obwohl der Anteil großer Wohnungstypen am gesamten Bauvolumen in den Jahren vor 1910 ständig zugenommen hatte und zuletzt eindeutig dominierte, war die durchschnittliche Wohnungsgröße nirgends im entsprechenden Umfang gestiegen, sondern in vielen Stadtteilen und im Mittel von ganz Wien sogar leicht gesunken. Dies erklärt sich aus der H e r stellung von durchschnittlich immer kleineren Quartieren in den Massenmiethäusern, wie sie besonders in den Innenbezirken Leopoldstadt, Brigittenau, Landstraße und Aisergrund sowie in fast allen Außenbezirken errichtet wurden. Die in große Wohnungen einziehenden Haushalte umfaßten in der Regel nicht mehr Personen als vor der Übersiedlung, vielmehr nahm die durchschnittliche Familiengröße in den gehobenen Einwohnerschichten ständig ab, so daß sich die Relation zwischen der Zahl der Bewohner und der Wohnungsbestandteile wesentlich verbesserte, was f ü r die Durchschnittswerte stark ins Gewicht fiel. Die in größerem Umfang zum Bevölkerungswachstum beitragende Unterschicht blieb dagegen weiterhin auf die kleinen Wohnungstypen angewiesen, deren Standardmaße seit der Jahrhundertwende sogar noch etwas reduziert worden waren. Man baute in der Regel engere Küchen als zuvor, und die Kombination Zimmer-Küche wurde des öfteren vom platzsparenderen T y p Kabinett-Küche abgelöst 173 . 173 Mitteilungen der Zentralstelle 11 (1909), S. 17. In Favoriten wuchsen 1908 hauptsächlich in Massenmiethäusern 304 Wohnungen zu,

198

Der Wohnungsmarkt

Die Verringerung der pro Unterschichthaushalt zur Verfügung stehenden Wohnfläche, die in der Zahl der Wohnungsbestandteile nur ungenügend zum Ausdruck kam, b e w i r k t e im Verein mit dem immer häufiger ausgesprochenen Verbot, Untermieter oder Bettgeher aufzunehmen, eine Reduktion der Haushaltsgrößen und der auf eine Unterkunft entfallenden Personen, ohne daß deswegen die Oberfüllung nachgelassen hätte. Im gesamten Stadtbereich w a r der Aftermieteranteil an der Zivilbevölkerung von 6,34 % auf 4,49 % gesunken und auch die Bettgeherquote hatte erneut eine Reduktion von 4,02 % auf 3,64 °/o erfahren 1 7 4 . N u r mehr 26,5 °/o der in den alten zehn Bezirken lebenden Wohnparteien vermieteten ein Zimmer oder eine Schlafstelle, wohingegen dies 1880 noch bei 39 % und 1890 bei 3 2 , 4 % der Fall gewesen w a r . Die Außenbezirke wiesen diesbezüglich seit der J a h r h u n d e r t w e n d e eine noch stärkere Reduktion auf, was dem Vormarsch der Kleinstwohnungen in diesem Gebiet entsprach. Von 1890 bis 1910 hatte sich im vormaligen Vorortebereich die Gruppe der Aftermieter und Bettgeher von 31,5 °/o auf 2 0 , 9 % verringert 1 7 5 . Die von den Wohnungsreformern aus moralischen Gründen freudig begrüßte Dezimierung familienfremder Personen w a r durch die Enge der Verhältnisse und die zunehmende H ä r t e der Vorschriften erzwungen, jedoch

die insgesamt 3 0 3 Küchen, 1 4 6 Kabinette und nur 262 Zimmer aufwiesen. Unterstellt man, daß audi einige etwas g r ö ß e r e W o h n u n g s t y p e n in den 15 neu errichteten Häusern vorzufinden w a r e n , w o r a u f die allerdings nur in geringer Zahl vorhandenen V o r z i m m e r hinweisen könnten, so ergibt sich ein sehr hoher Prozentsatz von lediglich aus Küche und K a b i n e t t bestehenden U n t e r k ü n f t e n . Auch in O t t a k r i n g u n d Brigittenau erreichte die Zahl d e r Zimmer nicht einmal jene der W o h n u n g e n , in Meidling und Hernais herrschte annähernd Gleichgewicht. — Zu den gebräuchlichen G r u n d r i ß f o r m e n und A u s m a ß e n der typischen A r b e i t e r wohnung um 1 9 1 0 v g l . G o l d e m u n d , Wohnungsverhältnisse, S. 6 f. Nach dieser Untersuchung belief sich die G r ö ß e der Bodenfläche bei W o h nungen, die aus Zimmer u n d Küche bestanden, auf 25 bis 28 m 2 und bei den K a b i n e t t - K ü c h e - T y p e n auf 1 5 bis 18 m 2 . — Eine anschauliche Schilderung der Lebensverhältnisse in solchen Wohnungen bei Funder, Gestern ins Heute, S. 2 5 8 f. 174 Nur nebenbei sei e r w ä h n t , d a ß 3,2 °/o der deutschsprechenden W i e n e r als Bettgeher w o h n t e n , w ä h r e n d 1 1 , 8 °/o der anwesenden Tschechen auf diese schlechteste F o r m der U n t e r k u n f t angewiesen waren. Ausführlich dazu Glettler, Tschechen, S. 2 2 7 ff. 175

Vgl. österreichische Statistik N F 4/3, S. 84.

Situation in Arbeitervierteln

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nur in seltenen Fällen durch eine materielle Besserstellung der betroffenen Haushalte verursacht worden. Der Verzicht auf die aus der Vermietung einer Schlafstelle zu ziehenden Einnahmen brachte f ü r manche Familie Zahlungsunfähigkeit und gerichtliche Kündigung durch den Wohnungseigentümer mit sich, trug also nicht in jedem Fall zur Verbesserung der Wohnverhältnisse bei. Auch die Zahl alleinstehender, obdachloser Personen vor dem Ersten Weltkrieg muß als Kehrseite jener Entwicklung angesehen werden, die sich in der Form sinkender Belagsquoten oberflächlich recht positiv ausnahm. Wie schlecht die Lage in den vorwiegend von Arbeitern bewohnten Vierteln geblieben war, erhellt aus einer Stichprobenuntersuchung an elf Häusern, f ü r welche die Anzahl der Wohnungen und der Bewohner sowie die Größe der Wohnfläche und des Mietzinses ermittelt wurde 176 . Unter anderem wurde ein H a u s in Simmering besucht, in welchem auf 31 Wohnungen nicht weniger als 276 Bewohner, auf ein Quartier also 8,9 Personen entfielen und pro Kopf lediglich eine Wohnfläche von 3,68 m 2 zur Verfügung stand, f ü r jede Unterkunft aber dennoch über 300 K Jahreszins zu entrichten war. N u r wenige der 352 erhobenen Wohnungen waren etwas billiger zu haben, was auf die seit 1900 beträchtlich gestiegenen Mieten verweist, deren Steigerungsrate etwa doppelt so hoch gewesen sein dürfte als jene der durchschnittlichen Lebenshaltungskosten 177 . Dieser Entwicklung entsprachen auch die Durchschnittsmieten der Wohnungsbestandteile in den der städtischen Verwaltung unterstehenden Zinshäusern, die freilich einen Sonderfall darstellen und nur begrenzte Aussagen über die allgemeine Mietpreissituation des Jahres 1910 zulassen. Immerhin scheint erwähnenswert, daß außerhalb des Gürtels 234,1 K, in den Innenbezirken 331,2 K und im gesamten Gemeindegebiet pro Wohnungsbestandteil 314,3 K zu entrichten waren 1 7 8 , während die für alle vorhandenen Wohnungen nur näherungsweise errechenbaren 176

Goldemund, Wohnungsverhältnisse, S. 5 ff. Vgl. dazu die Indexberechnungen bei Good, Stagnation, S. 87, sowie die damit korrespondierenden Preisreihen der wichtigsten Konsumgüter bei Sandgruber, Wirtschaftsdaten. 178 Dazu Kaitna - Reichel, Sozialräumliche Gliederung, S. 38 ff., sowie Tabelle 18, 19 im Anhang. Außerdem Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1910, S. 34 ff. 177

200

Der Wohnungsmarkt

Mittelwerte bei 160 K , 254 K und 214 K lagen 1 7 9 . Die eingehende Wohnungserhebung nach dem Baualter der Häuser hatte im J a h r 1900 für die Innenbezirke eine Streuung der pro Wohnungsbestandteil zu entrichtenden Mieten zwischen 158 K und 202 K ergeben, während außerhalb des Gürtels die analogen Jahreszinsforderungen von 122 K bis 159 K schwankten. Lediglich die Innere S t a d t hatte mit 338 K p r o Bestandteil eine extreme Ausnahme dargestellt 1 8 0 . Der Preisanstieg seit 1900, welcher offensichtlich wesentlich stärker gewesen war als im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, k a m auch in der P r o - K o p f Belastung klar zum Ausdruck, die von 128,6 K über 150,2 K im J a h r e 1905 auf 157,9 K angewachsen war. Ähnlich rasch erhöhten sich die Forderungen in keinem anderen Konsumbereich, so daß der Monatszins in immer stärkerem M a ß den Lebensstandard der minderbemittelten Klassen bestimmte. Eine geradezu stürmische Entwicklung der Mieten setzte in den letzten Jahren vor dem Weltkrieg ein. Von 1910 bis 1914 erhöhte sich die P r o - K o p f - Q u o t e um 11 °/o auf 175,3 K , so daß sich die Zuwachsrate von 5 °/o im davorliegenden J a h r f ü n f t beinahe bescheiden ausnimmt. Der Durchschnittszins pro Wohnung stieg von 634,7 K auf 699,3 K , also ebenfalls um mehr als 10 °/o. Diese steile Aufwärtsbewegung kam trotz der seit 1910 herrschenden Baukonjunktur zustande und korrespondierte mit einer allgemeinen Teuerungswelle, die im Gefolge der insgesamt recht günstigen Wirtschaftslage eingesetzt hatte 1 8 1 . Von 1911 bis 1913 wuchsen 33 307 neue Wohnungen zu, im Jahresschnitt also 11 102 Einheiten, woraus schon 1912 ein Ingenieur des Wiener Stadtbauamtes den Schluß z o g : „Die diesmalige Wohnungsnot hat ihren Tiefstand überschritten . . . Wir brauchen keine Notstandsaktion mehr. D i e unmittelbare Wohnungsnot, dh. der Mangel an genügend vielen Wohnungen dauerte auch bisher in den Zeiten des völligen Fehlens einer städtischen Wohnungspolitik immer nur kurze Zeit. Immer noch zeitigte die gesteigerte N a c h f r a g e eine solche Mietpreiserhö179 Y g i

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jazu

österreichische Statistik N F 4/2, S. 64 ff. und 114.

Statistisches Jahrbuch der S t a d t Wien 1902, S. 18 ff. 1 8 1 D e r Index der Lebenshaltungskosten schnellte besonders von 1910 auf 1911/12 beträchtlich empor. Vgl. G o o d , Stagnation, S. 87. Zur allgemeinen Wirtschaftslage Matis - Bachinger, Industrielle Entwicklung, S. 141 f. 180

Polarisation der Wohnungsnot

201

hung, daß die Rentabilität des Bauens ein genügend reichliches Bauen zur Folge hatte." 1 8 2 Eine etwas differenziertere Analyse von Bautätigkeit und Bedarfsstruktur zeigt jedoch, daß man auch in der Konjunkturphase vor dem Weltkrieg, trotz der wohnungspolitischen Maßnahmen von Staat und Kommune, welche nach jahrzehntelanger Diskussion nun endlich eingeleitet wurden, einer Lösung des Wohnungsproblems nicht näherkam. Obwohl die 8,25 °/o Vermehrung der Wohnungen erneut das Bevölkerungswachstum übertraf, welches nur 7,5 °/o erreichte, und obwohl die agglomerierten Daten des Jahres 1914, wie zuvor das statistische Material der Volkszählung von 1910, bei oberflächlicher Betrachtung eine leichte Verbesserung der allgemeinen Wohnungssituation auszudrücken scheinen, brachten die Jahre nach 1910 keinen entscheidenden Umschwung. Für 1911 folgt dies aus der Relation von Wohnungszuwachs und Bevölkerungsvermehrung; es wurden nämlich gerade so viele neue Unterkünfte auf den Markt gebracht, als unbedingt erforderlich waren, um die Zunahme an Einwohnern zu verkraften 1 8 3 . Dies reichte aber nicht einmal aus, um die Leerstehungsquote nicht noch weiter von 0,5 °/o auf nahezu 0,3 °/o absinken zu lassen. Am traurigsten sah es diesbezüglich in den Arbeiterbezirken aus: In Favoriten standen 0,18 °/o aller Wohnungen leer, in Ottakring 0,12 °/o und in Hernais kaum 0,11 °/o184. Auch im Gefolge der 1912 wesentlich verstärkten Neubautätigkeit, der eine spürbare Reduktion der Demolierungen parallel ging, verbesserte sich der Leerstehungsanteil lediglich auf 0 , 3 7 % und erreicht erst 1913 mit 0,63 °/o einen höheren Wert als bei der letzten Volkszählung. Gerade in den am meisten übervölkerten Bezirken hatte sich jedoch nur wenig verbessert. In Meidling, Ottakring und Hernais gab es nur halb soviel Leerstehungen als im Krisenjahr 1910, in Margarethen und Favoriten blieb die Vermehrung in sehr bescheidenem Rahmen. Dies läßt sich ins-

182 Bartack, Boden- und Wohnungspolitik, S. 7 und 18. Vgl. dazu auch Bericht der Handels- und Gewerbekammer N ö 1910, S. 465: „Schon 1909 hielt sich das Angebot und die Nachfrage nach Wohnungen im Gleichgewicht u n d es verschwanden die auf die übergroße Bautätigkeit in den Jahren 1905 und 1906 zurückzuführenden Leerstehungen. In gleichem M a ß e machte sich auch eine Besserung auf dem Baumarkte bemerkbar." 183 Mitteilungen der Zentralstelle 24 (1912), S. 11 f. 184 Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1911, S. 27.

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Der Wohnungsmarkt

besondere dadurch erklären, d a ß sich die erhöhte Bautätigkeit vorwiegend auf die Errichtung von größeren Drei- und Mehrzimmerwohnungen erstreckte, wohingegen der Zuwachs an Kleinwohnungen weit hinter dem Bedarf zurückblieb. Im Jahr 1911 hatten 3435 aus Zimmer und Küche bestehende Quartiere sowie 2198 Unterkünfte mit Zimmer, Kabinett und Küche den Benützungskonsens erhalten. N u r knapp 50 %> des Bauvolumens entfielen also auf jene kleinen Wohnungskategorien, die allein f ü r die Mehrheit der Bevölkerung erschwinglich waren und nahezu 75 °/o des gesamten Wiener Wohnungsbestandes darstellten, wobei noch gar nicht berücksichtigt ist, daß sich in den abgebrochenen Häusern vorwiegend U n t e r k ü n f t e vom T y p Küche-Zimmer befanden, die tatsächliche Angebotslücke also noch wesentlich größer war 1 8 5 . N u r nebenbei sei erwähnt, daß in den Vorkriegsjahren auch unterdurchschnittlich wenige Großwohnungen gebaut wurden, sondern mittlere Kategorien mit etwa vier Bestandteilen eine besondere Beachtung fanden. Dies erklärt die Stagnation oder sogar leichte Reduktion der Wohnungsgrößen im Stadtdurchschnitt, die infolge der relativen Abnahme der Herstellung kleiner Unterkünfte zunächst unlogisch erscheint. Der seit 1910 feststellbare Rückgang gerichtlicher Kündigungen, der prinzipiell als erfreuliche Erscheinung zu bewerten wäre, findet seine Erklärung leider ebenfalls eher im Fortbestand als im Verschwinden der Wohnungsnot. Da die vom Mieter erwirkten Amtshandlungen eine relativ stärkere Reduktion erfuhren als entsprechende Schritte der Hauseigentümer und da die Verminderung der Kündigungsfälle in den Arbeiterbezirken und bei den Monatswohnungen besonders augenfällig war, liegt die Vermutung nahe, d a ß es nicht die Zufriedenheit mit den Wohnungen war, welche die Mieterschaft veranlaßte, ihre Wohnungen beizubehalten, sondern die Furcht, im Falle einer Kündigung keine neue Unterkunft zu erlangen 186 . 185 Mitteilungen der Zentralstelle 24 (1912), S. 12. Für die unzureichende Kleinwohnungsproduktion in den Jahren 1912 und 1913 läßt sich nur indirekt ein Beweis erbringen, da statistische Angaben fehlen. Die hohen Mietpreise, welche f ü r derartige Kleinwohnungen erzielt werden und der geringe Mietzinsausfall, der in Kleinwohnungshäusern zu beobachten ist, können aber als verläßliche Indikatoren gelten. Vgl. dazu Mitteilungen.der Zentralstelle 30 (1913), S. 8. ,B6 Mitteilungen der Zentralstelle 30 (1913), S. 9.

Wohnungszählung 1914

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Nach dem Gesagten d ü r f t e es wenig überraschen, daß die im Jahr 1914 durchgeführte Wohnungserhebung verglichen mit den Ergebnissen von 1910 keine f ü r die Mehrheit der Bevölkerung relevante Verbesserung der Wohnverhältnisse erbrachte 187 . Wieder ließ sich das Phänomen, diesmal allerdings nur geringfügig sinkender Belagszahlen bei gleichbleibender Überfüllung der Unterschichtquartiere und damit der fortgesetzte Rückzug der minderbemittelten Bevölkerungskreise in äußerst kleine Wohnungen, die nicht einmal Raum f ü r Bettgeher oder Aftermieter boten, beobachten. Eine neue Entwicklung bahnte sich lediglich insofern an, als die Verbesserung der Relation zwischen Einwohnerzahl und Raumangebot nicht mehr durch größer werdende Oberschichtwohnungen, sondern durch den steigenden Wohnkomfort von Mittelsdiichtfamilien bewirkt worden sein dürfte. Inwieweit die vielfach propagierte mittelständische Wohnungspolitik möglicherweise erste Früchte trug, kann in diesem Zusammenhang nicht entschieden werden, es liegt jedoch nahe, die ins Jahr 1913 fallenden beachtlichen Erfolge der gemeinnützigen Bautätigkeit unter diesem Aspekt zu interpretieren 188 . Von den im gesamten Stadtbereich inklusive Floridsdorf gezählten 540 990 Wohnungen wiesen 413 213 oder 7 6 % höchstens zwei Wohnräume auf, wobei die traditionellen bezirksspezifischen Unterschiede wieder klar hervortraten, so daß beispielsweise in Ottakring 96 %> aller Unterkünfte, in Wieden dagegen nur 46 °/o in die entsprechende Kategorie fielen189. Mit einem hohen Anteil der Kleinwohnungen 187

Pribram, Wohnungszählung 1914, S. 16 ff. Hier sei lediglich angemerkt, daß die gemeinnützige Bautätigkeit z w a r oft als H i l f s m a ß n a h m e für schlecht w o h n e n d e Arbeiterfamilien deklariert und audi begonnen wurde, sehr oft jedoch die Art der W o h nungen, die Statuten der Genossenschaften usw. v o n vornherein die einkommensschwächsten Gruppen ausschlössen und dafür Angestellte, Beamte und besonders qualifizierte Facharbeiter begünstigten. In manchen Fällen wurden Selbsthilfeorganisationen überhaupt für die Bedürfnisse des Mittelstandes gegründet, kamen dann aber nicht selten besonders der Oberschicht zugute. Vgl. dazu Schweitzer, C o t t a g e - A n l a g e . 18» Pribram, Wohnungszählung 1914, S. 17 f. D i e Zahlenangaben der Wohnungszählung des Jahres 1914 lassen allerdings keinen Vergleich des Kleinwohnungsanteils mit früheren Erhebungen zu. Die bei Bobek Liditenberger, Wien, S. 58 ff., gebotenen Aufstellungen vermitteln trotz der vorangestellten Einschränkungen ein völlig falsdies Bild, da die nur 1856 und 1890 v o r g e n o m m e n e Zählung der Küchen und Vorzimmer als Wohnungsbestandteile w o h l angemerkt, nicht jedoch rechnerisch berück188

204

Der Wohnungsmarkt

war nur im zehnten und zwanzigsten Bezirk eine relativ hohe Leerstehungsquote verbunden, wohingegen sonst jene Bezirke, die nahezu 90 °/o oder mehr derartiger U n t e r k ü n f t e enthielten, am Wohnungsmarkt die geringste Zahl von leerstehenden Quartieren anboten. In Simmering, Meidling, Hernais und Ottakring, wo 23 °/o der Wiener Bevölkerung lebten, stellte die Wohnung eine so begehrte Mangelware dar, daß selbst die härteste Mietordnung und jede neue Steigerung des Mietzinses widerspruchslos hingenommen werden mußte 190 . Abgesehen von der auffälligen Erhöhung des Leerstehungsprozentes in Favoriten hatte sich die Lage gegenüber 1910 in fast allen Außenbezirken verschlimmert 191 . Dies fällt um so mehr ins Gewicht, als sich seither die Aufnahmekriterien etwas geändert hatten, so daß f ü r das Jahr 1914 günstigere Ergebnisse erzielt wurden, als nach der alten Erhebungsmethode zustande gekommen wären 1 9 2 . Auch die Erhöhung der Leerstehungsquote im inneren Stadtbereich sowie im Durchschnitt des gesamten Gemeindegebietes wird dadurch stark relativiert. Insgesamt wird man daher wohl kaum auf eine Besserung der Situation am Wohnungsmarkt in den letzten Friedensjahren schließen dürfen. Die Deckung des Wohnungsbedarfes war unzureichend geblieben, wie in all den Jahrzehnten zuvor. Lediglich für eine allmählich etwas breiter werdende, relativ wohlhabende Bevölkerungsschicht war es seit der Mitte des sichtigt wurde. Trotz der schlimmen Wohnungsverhältnisse der Vorkriegsjahre kann von einer so extremen Z u n a h m e des Kleinwohnungsanteils keine Rede sein. 190 Lediglich in einem Moment größter Wohnungsnot kam es im September 1911 nach einer allgemeinen Kundgebung zu Ausschreitungen und Unruhen. — Der Wirksamkeit von ebenfalls zu diesem Zeitpunkt gegründeten Mieterorganisationen w a r nur bescheidener Erfolg beschieden. Vgl. Eberstadt, Wiener Wohnverhältnisse, S. 159, und Frey, Mieterorganisationen, S. 3 ff. 101 Vgl. Kuttelwascher, Leerstehende Wohnungen, S. 645; Pribram, Wohnungszählung 1914, S. 19. 182 Die Erhebung gelegentlich der Volkszählung erstreckte sich nur auf leerstehende Wohnungen in teilweise bewohnten Häusern, w ä h r e n d die Wohnungen in ganz leerstehenden Häusern unberücksichtigt blieben. Ferner wurden auch die als Geschäftslokale oder Büroräume benutzten oder dazu bestimmten Wohnungen prinzipiell nicht mitgezählt. Gerade jene Bezirke, wo solche Wohnungen gehäuft auftreten, wiesen aber 1914 die günstigsten Ergebnisse auf. Ausführlich dazu Pribram, Wohnungszählung 1914, S. 18 ff.

W o h n u n g s s i t u a t i o n und Lebensverhältnisse

205

19. Jahrhunderts zu einer kontinuierlichen Besserung der W o h n verhältnisse gekommen. W i e schlecht dagegen die unqualifizierten Lohnarbeiter, Kleingewerbetreibenden, niederen Angestellten und Beamten, die vielen im Dienstleistungssektor beschäftigten H i l f s k r ä f t e und sogar besser entlohnten Facharbeiter und qualifizierteren Angestellten knapp vor und nach Kriegsausbruch hausten, geht aus zwei umfangreichen Stichprobenuntersuchungen

hervor, die v o m

Arbeitsstatistischen A m t im Handelsministerium

beziehungsweise

von der Redaktion des „ A b e n d " durchgeführt wurden 1 9 3 . Im

ersten

Fall

Arbeiterfamilien

wurden

die

in den J a h r e n

Lebensverhältnisse 1 9 1 2 bis

1914

von

Wiener

mit H i l f e

von

Wirtschaftsrechnungen erhoben, wobei es sich von vornherein bloß um besser gestellte Familien mit geordnetem Haushalt

handelte,

„die in der Lage waren, den großen Anforderungen,

die

Amte bei der Führung von sehr detaillierten

vom

Wirtschaftsbüchern

gestellt wurden, zu genügen" 1 9 4 . Selbst für diese Oberschicht von Arbeitern ergaben sich aber Verhältnisse, die nach den Mittelwerten der Volkszählung

von

1910

und der Wohnungserhebung

1914

nicht zu erwarten waren. D i e durchschnittliche Besetzung betrug 5,25 Bewohner, in 35 °/o aller Fälle hausten mehr als sechs Personen in einem einzigen R a u m . Es wurde aber auch eine Haushaltung gefunden, in welcher für zehn Bewohner außer der Küche

nur

noch ein K a b i n e t t vorhanden w a r 1 9 5 . Rechnungsmäßig waren in der Gesamtsumme bei den 119 Familien um 167

Schlafgelegen-

heiten

358

weniger

als

Bewohner

vorhanden,

etwa

Personen

( = 58 °/o) mußten ein B e t t teilen. R u n d ein Drittel der e r f a ß t e n Haushalte beherbergte durch längere Zeit Aftermieter oder B e t t geher, obwohl in der Regel nur äußerst beschränkte R a u m v e r h ä l t nisse herrschten 1 9 6 . Berücksichtigt man schließlich, daß

ebenfalls

i»3 p r i b r a m , Wiener Wohnungsverhältnisse, S. 15 ff.; M a t a j a , A r b e i t e r haushaltungen, S. 7 2 2 , und Frei, W o h n u n g s - E l e n d , S. 14 ff. 1 9 4 Die meisten H a u s h a l t s v o r s t ä n d e w a r e n gelernte oder sogar hochqualifizierte Arbeiter, wie Mechaniker, Monteure, Setzer und K o r r e k t o r e n . N u r ein kleiner Bruchteil bestand aus Taglöhnern und sonstigen ungelernten Arbeitern.

P r i b r a m , Wiener Wohnungsverhältnisse, S. 16. I m Gesamtdurdischnitt aller W i e n e r H a u s h a l t e lag der entsprechende W e r t knapp unter einem Viertel, w o r a u s erneut die e n o r m e n Unterschiede in den Wohnverhältnissen der verschiedenen B e v ö l k e r u n g s klassen folgen. 195

196

206

Der Wohnungsmarkt

ein Drittel der Wohnungen regelmäßig auch für gewerbliche Zwecke, namentlich für Heimarbeit, verwendet wurde, so wird das trübe Bild noch dunkler und der Realitätsgehalt der beredten K l a g e n über die Überproduktion während der beiden Konjunkturphasen seit der Jahrhundertwende noch eindeutiger in seinem Stellenwert bestimmt. D i e Erhebung der Schriftleitung des „ A b e n d " beschränkte sich auf die G r u p p e der Kleinwohnungen und die Gruppe der kleineren Mittelwohnungen, in denen meist Hilfsarbeiter, H a n d w e r k e r und kleinere Beamte anzutreffen waren 1 9 7 . In 68 Quartieren der Bezirke Brigittenau und Leopoldstadt wohnten 404 Personen, also durchschnittlich sechs Menschen in einer Wohnung. In 94 °/o der Unterkünfte wurde das von Garnisons- und Gefängnisordnungen aufgestellte Mindestmaß an Wohnfläche pro K o p f nicht erfüllt. Mehr als 40 °/o der Familien waren gezwungen, Aftermieter und Bettgeher zu beherbergen, um den beträchtlichen Mietforderungen nachkommen zu können. Der geringste monatliche Zins betrug 18 K für eine Kammer, der höchste 94 K f ü r zwei Zimmer, Küche und Vorzimmer 1 9 8 . Seit den Erhebungen von Philippovich in den neunziger Jahren, die sich auf eine vergleichbare Wohnungskategorie bezogen, hatte sich die Durchschnittsmiete pro Q u a d r a t meter nahezu verdoppelt. Zwei H a u s h a l t e gaben 44 °/o des Budgets f ü r die Wohnung aus, ein Anteil von 11 %> stellte den günstigsten Fall dar. J e ärmer die einzelne Familie war, um so höher lag der für die Miete erforderliche Teil des Einkommens zwischen diesen beiden Grenzwerten. Nicht einmal 20 °/o aller Wohnungen wiesen ein Gleichgewicht zwischen Bewohnern und Schlafstellen auf, durchschnittlich 1,5 Personen mußten mit einem Bett auskommen. Insgesamt herrschten also Verhältnisse, welche erwiesen, daß die Wohnungsnot nicht aus bestimmten Detailmängeln und kurzfristigen Konjunkturschwankungen erwuchs,

1 9 7 Der größte noch untersuchte W o h n u n g s t y p bestand aus zwei Z i m m e r n , Küche und V o r z i m m e r . Dieser G r e n z f a l l f a n d seine B e g r ü n d u n g in der A n n a h m e , daß die Masse der Wiener Kleinwohnungen an U m f a n g und Inhalt des Begriffes mit dem Wiener Wohnungselend gleichzusetzen sei. i»8 Vgl. Frei, Wohnungs-Elend, S. 29 f. Zwischen diesen E x t r e m w e r t e n von jährlich 218 beziehungsweise 1128 K h ä u f t e n sich die Werte von 360 K bis 720 K .

Wohnungsproduktion und Bedürfnislage

207

sondern mit dem gesamten Kleinwohnungswesen gleichzusetzen war. Davon ausgehend schienen auch alle kleineren Flickversuche aussichtslos, wie sie seit Jahrzehnten in einer Fülle von Reformvorschlägen diskutiert und bisweilen auch durchgeführt wurden, aber keine nennenswerte Milderung des Wohnungselends gebracht hatten 19 ». Trotz einer zeitweilig starken Zunahme der Bautätigkeit und eines beträchtlichen räumlichen Wachstums der Stadt Wien blieb die Wohnungsproduktion im gesamten Untersuchungszeitraum hinter den objektiven Bedürfnissen der Bevölkerungsmehrheit zurück. Lediglich die Kategorie der aufwendigen Großwohnungen wurde infolge der mit ihnen zu erzielenden günstigen Kapitalverzinsung zeitweise in jenem U m f a n g errichtet, der ein relativ flexibles Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage am Wohnungsmarkt ermöglichte und im Falle von kurzfristiger Uberproduktion auch Preissenkungen zuließ. Für die Masse der immer unzureichend angebotenen Kleinwohnungen spielte dieser Mechanismus nur eine recht beschränkte Rolle, so daß ein freier Wohnungsmarkt angesichts des Monopols der Bodenbesitzer, Hauseigentümer und größeren Bauherren eine Fiktion darstellte oder Illusion blieb. Offensichtlich bestimmte nicht so sehr die Nachfrage der armen Bevölkerungsschichten die Produktion von Zinskasernen, sondern spielten andere sozioökonomische Komponenten die entscheidende Rolle, da ein längerwährendes Überangebot infolge der rasch steigenden Einwohnerzahl und der durchschnittlich ungenügenden Befriedigung selbst der primitivsten Wohnbedürfnisse kaum denkbar war. Das Zusammenwirken und der Stellenwert der verschiedenen Determinanten von Wohnungsnot soll in der Folge unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung, der relativ ausführlichen Analyse des Konjunkturverlaufs der Bauwirtschaft sowie der vorwiegend aus den schichtspezifischen Wohnverhältnissen abgeleiteten Situation am Wohnungsmarkt bestimmt werden. Vorerst verdient aber noch Beachtung, daß sich das Wohnungselend auch in der Phase seit etwa 1890, in der die Lohnarbeiter Österreichs hinsichtlich ihrer Arbeits- und Verdienstverhältnisse durch Bildung von Kampforganisationen und Streikmaßnahmen immerhin Teilerfolge er19

» Frei, Wohnungs-Elend, S. 36 f.

208

Der W o h n u n g s m a r k t

zielten, unter anderem auch deswegen nicht gemildert hatte, weil selbst die im Rahmen der bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung denkbaren Reformen über das Stadium der Erörterung nur selten hinauskamen. Alles was von der K o m m u n e bei langfristig im wesentlichen unveränderter Gesetzeslage und weitgehender staatlicher Untätigkeit unternommen wurde, „bestand darin, daß man ab und zu im Gemeinderat die Verhältnisse v o r allem in Favoriten kritisierte oder aber, daß die Bewohner aus solchen Stätten ausgewiesen wurden, mit dem Ergebnis, daß sie anderswo ein ähnliches Unterkommen beziehen mußten. D i e Bauordnungsentwürfe versanken in den Gemeindearchiven." 2 0 0 Inwieweit die verstärkte Aufmerksamkeit der Regierung für die Wohnungsfrage in den letzten Jahren vor 1914, welche sich in einer Reihe von Gesetzen niederschlug, sowie der Aufschwung der gemeinnützigen Bautätigkeit, im Verein mit allmählich einsetzenden Maßnahmen der Kommune, eine grundlegende Umstrukturierung der Wohnungssituation bewirkt hätte, läßt sich infolge des Kriegsausbruches nicht überzeugend nachprüfen. Vorläufig wurden durch diese Wendung der Dinge auch die letzten Hoffnungen auf jene Besserung der Wohnverhältnisse zerstört, welche nach Kriegsende mit den hier nicht mehr zu untersuchenden Mitteln eines aus allgemeinen Steuermitteln finanzierten umfassenden kommunalen Wohnbauprogrammes angestrebt und in einem gewissen Maß auch erreicht wurde 2 0 1 . 2 0 0 Glettler, Tschechen, S. 229. Ausführlich zum Fragenkreis von staatlicher und kommunaler Wohnungspolitik Schweitzer, Wohnungs- u n d Siedlungsbau. — Zur Diskussion der untragbaren Wohnungszustände im zehnten Bezirk vgl. G R S v o m 28. 5. 1895, A B N r . 44 (31. 5. 1895) 1311; G R S vom 2. 7 . 1 9 1 2 , A B N r . 54 (5. 7. 1912) 1860. 2 0 1 D a z u Schweitzer, Wohnungs- und Siedlungsbau.

5. W I R T S C H A F T L I C H E , G E S E L L S C H A F T L I C H E UND POLITISCHE DETERMINANTEN UNZUREICHENDER WOHNUNGSVERSORGUNG Die ausführliche Darstellung und Analyse des Konjunkturverlaufs der Bauwirtschaft sowie der Entwicklungstendenzen des Wohnungsmarktes über einen Zeitraum von nahezu 70 Jahren ergab übereinstimmend eine mangelhafte Versorgung der Bevölkerungsmehrheit mit Wohnraum. Die Zeiten besonders drückender Wohnungsnot wurden zwar jeweils durch Phasen gemilderten Wohnungselends abgelöst und die Befriedigung der Wohnbedürfnisse einer relativ einkommensstarken Oberschicht immer besser gewährleistet, der Anteil von Stadtbewohnern, der in sehr kleinen und oft äußerst primitiven Unterkünften hauste, ging jedoch nicht zurück. Die rasch steigenden Mieten, die sich im Untersuchungszeitraum auch unter Berücksichtigung der Geldwertschwankungen fast zweimal verdoppelten, während die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten im letzten Viertel des Jahrhunderts sogar etwas absanken und erst knapp vor Kriegsausbruch einer vergleichbaren Teuerung unterlagen 1 , sowie das unzureichende Angebot an außerdem immer kleiner dimensionierten Wohnungen vom Zimmer-Küche-Typus machten es f ü r die überproportional zunehmende Unterschicht unmöglich, parallel zum allgemeinen Wirtschaftsaufschwung in Österreich seit 1848 eine Verbesserung der Wohnverhältnisse zu erreichen. Im Stadtmittel sinkende Aftermieter- und Bettgeherquoten sowie die seit 1880 zu beobachtende Verringerung der Belagsdichte, welche einen positiven Trend zu signalisieren schienen, stellten sich als Indikatoren f ü r eine in den Erscheinungsformen veränderte Wohnungsnot heraus: Während die minderbemittelte Bevölkerung auf weniger Wohnfläche eingeschränkt und zu einer beträchtlichen Reduktion der Haushaltsgröße durch den Ausschluß familienfremder Personen ge1

14

Good, Stagnation, S. 87. Feldbauer, Stadtwachstum

210

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

zwungen

wurde, konnten

sich die gut situierten

Familien

des

gehobenen Bürgertums, deren Mitgliederzahlen ebenfalls schrumpften, zunehmend größere Nobelwohnungen leisten. Seit der J a h r hundertwende gelang es außerdem der überwiegend aus Angestellten, Beamten und Gewerbetreibenden rekrutierten, relativ w o h l habenden

Mittelschicht,

die Formen unmittelbarer

Wohnungsnot zu überwinden und den traditionell

quantitativer bescheidenen

W o h n k o m f o r t allmählich zu erhöhen. D i e Mehrheit der Bevölkerung k o n n t e jedoch an diesem Aufstieg nicht partizipieren, sondern hauste 1 9 1 4 in denselben oder noch ärgeren Elendsquartieren als um die M i t t e des 19. Jahrhunderts 2 . Phasen gesteigerter Wohnungsproduktion

und

zögernd

anlaufende

Reformprogramme

der

Vorkriegszeit hatten meist weniger zur Linderung der Notlage, in der sich viele einkommensschwache zur

Verschärfung

der

H a u s h a l t e befanden,

schichtspezifischen

Unterschiede

Wohnverhältnissen beigetragen. Entgegen vielen

bei

als den

anderslautenden

Beteuerungen der zeitgenössischen Produzenten, aber entsprechend der inneren Gesetzlichkeit profitorientierten Wirtschaftens, hatten Wohnungsbau und Wohnungsvermietung offenbar nicht primär auf die drängenden Bedürfnisse der Bevölkerungsmassen reagiert, der Marktmechanismus

einen optimalen

Interessenausgleich

zwischen

Anbietern und Konsumenten nur in Ausnahmefällen und kurzfristig geleistet. D i e extremen Formen des Wohnungselends blieben daher im V e r l a u f der untersuchten Epoche grundsätzlich unverändert, gelangten aber in zunehmendem M a ß ins öffentliche Bewußtsein, als sich ihre Beständigkeit innerhalb der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung erwies, wodurch in der Folge eine beständig wachsende

Flut

von

Reformschriften

hervorgerufen

wurde,

deren

Autoren sich bisweilen aus humanitären M o t i v e n an die Lösung der Wohnungsfrage machten, in den meisten Fällen jedoch um das ungestörte Funktionieren des kapitalistischen Systems bangten und nur ausnahmsweise mit grundsätzlicher K r i t i k die Notwendig- Von den schlechten Wohnverhältnissen w a r e n natürlich sozial benachteiligte Bevölkerungssdiichten wie ethnische Minderheiten, kinderreiche Arbeiterfamilien und Obdachlose besonders betroffen, doch w a r die W o h nungsnot keineswegs auf marginale Gruppen beschränkt, sondern b e t r a f praktisch alle Bewohner der kleinen und kleinsten Unterkünfte, deren Anteil a m gesamten Wohnungsbestand im J a h r 1 9 1 4 nahezu 75 °/o betrug.

G r ü n d e der Wohnungsnot

211

keit einer völligen U m w ä l z u n g der Besitzverhältnisse an Grund und Boden, Häusern und Wohnungen argumentieren wollten 3 . Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen Publikationen, die sich mit den Ursachen der schlechten Wohnungssituation auseinandersetzten und in der Regel auch Vorschläge zur Lösung des beschriebenen Problems anboten, immer mehr zu, die A u f m e r k s a m keit der politisch einflußreichen Kreise w u r d e aber erst in den neunziger J a h r e n in größerem M a ß auf die Wohnungsfrage gelenkt. Auch dann haben sich Staat und Gemeinde nicht leicht entschlossen, das Wohnungswesen in ihre Wohlfahrtspolitik einzubeziehen. In den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückte das Problem nach der Gründung der Zentralstelle für Wohnungsreform im J a h r 1907, nach der Einrichtung einer Abteilung für staatliche W o h nungsfürsorge im Ministerium für öffentliche Arbeiten sowie nach der Aufstellung von Forderungskatalogen in den kommunalpolitischen Programmen der Christlichsozialen und Sozialdemokraten'', demnach zu einem Zeitpunkt, als „das Wohnungselend in den zahlreichsten Schichten, im Proletariat, in den Arbeiterklassen, in den unteren Stufen des Mittelstandes, Familie, Moral, Staatssinn und körperliche Gesundheit, also Staatserhaltung, M i l i tärdienst, Volkswirtschaft, Steuerkraft, Energiemenge usw. in Gefahr zu bringen" begann 5 . Die Wohnungsversorgung w a r zu einer „sozialen Frage" geworden, der ab diesem Zeitpunkt bis heute viele Reformbemühungen gewidmet wurden. Allerdings läßt sich an den Überlegungen zur Lösung dieser Frage eine überraschende Monotonie beobachten, mit der bestimmte M a ß n a h m e n propagiert wurden und praktizierte Problemlösungen an die Grenzen ihrer W i r k s a m k e i t stießen. Die offensichtlich schmale Basis für Chancen, durch Reformprogramme die sozialen und ökonomischen 3 Für den Problemkreis W o h n u n g s r e f o r m und Wohnungspolitik wird eine gesonderte Untersuchung vorbereitet. Von einer Darstellung der R e f o r m p r o g r a m m e der unterschiedlichen weltanschaulichen Lager sowie der dahinterstehenden Interessen, Bewußtseinsinhalte und M o t i v e w i r d daher an dieser Stelle A b s t a n d genommen; immerhin w u r d e die -wichtigste Literatur zu diesem Fragenkomplex bei der A n a l y s e der Ursachen von W o h n u n g s n o t in diesem K a p i t e l eingearbeitet. 4 Vgl. Rauchberg, W o h n u n g s r e f o r m ; ders., W o h n u n g s f ü r s o r g e ; K u e f f stein, W o h n u n g s f r a g e ; W i n a r s k y , Wohnungsteuerung; ders., Sozialdemok r a t e n ; Czeike, K o m m u n a l p o l i t i k . 5 Bericht über die 3. österreichische W o h n u n g s k o n f e r e n z , S. 14.

14*

212

Ursachen unzureichender W o h n u n g s v e r s o r g u n g

Bedingungen zu ändern, die auf die Wohnungsversorgung Einfluß nahmen, soll daher in diesem Zusammenhang an den Bedingungen der Herstellung und Verwertung des Produktes Wohnung gemessen werden 6 . Die Analysen zeitgenössischer Politiker, J u r i sten, Architekten und Mediziner bieten d a f ü r einen guten Einstieg. 5.1.

DIE

GRÜNDE

DER

WOHNUNGSNOT

NACH

DEM

URTEIL

DER

ZEITGENOSSEN

Als in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts bei rasch zunehmender Bevölkerung und stagnierender Bautätigkeit der Wohnungsmangel sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht bisher unbekannte Dimensionen erreichte, so daß viele Haushalte unter das Existenzminimum gedrückt wurden und die Möglichkeit neuerlicher revolutionärer Unruhen infolge schlechter werdender Lebensverhältnisse in der Oberschicht Erinnerungen an das J a h r 1848 wachrief, f a n d die Wohnungsnot in der Öffentlichkeit erstmals größere Beachtung. In den Stellungnahmen der Interessenvertreter der Bauwirtschaft w u r d e darauf sehr rasch die infolge administrativer Hemmnisse unzureichende Häuserproduktion als Ursache f ü r das hinter der Nachfrage zurückbleibende Angebot und f ü r den Preisauftrieb der Mieten bestimmt. Die ungewöhnliche H ö h e der Hauszinssteuer, drückende Baugesetze, das geringe A n gebot an preiswertem Bauland in zentralen Lagen sowie gestiegene Lohnkosten für die Bauarbeiter hätten das Baugewerbe unrentabel gemacht und dadurch f ü r alle Bevölkerungskreise die Befriedigung der Wohnbedürfnisse erschwert oder fast unmöglich gemacht 7 . Damit stimmte auch die Auffassung des Wohnungsexperten Friedmann grundsätzlich überein, der seiner umfassenden Analyse gleichsam als Motto vorausschickte: „Die Ursachen unserer Wohnungsnoth sind hinreichend bekannt. Der Nachfrage nach Wohnungen entspricht nicht das Angebot derselben sowohl der Q u a n t i t ä t wie der Qualität nach. Oesterreichs Bevölkerung nimmt von J a h r zu J a h r beträchtlich zu, die Anzahl von Gebäuden 6 Dazu Brede - K o h a u p t - K u j a t h , D e t e r m i n a n t e n , S . 9. In dieser Untersuchung auch w e i t e r f ü h r e n d e m o d e r n e sozialwissenschaftliche L i t e ratur. 7 Bericht der H a n d e l s - und G e w e r b e k a m m e r N ö 1 8 5 7 — 1 8 6 0 , S. 3 4 2 .

Zeitgenössische Urteile

213

vermehrt sich nur unbedeutend, die Baulust verringert sich hingegen von J a h r zu J a h r . " 8 Gegenüber dem in vielen Zeitungen erhobenen moralisierenden V o r w u r f der völlig willkürlichen, unverantwortlichen Mietensteigerung durch die Hausbesitzer w u r d e die Erklärung demnach bei den Gesetzmäßigkeiten des Wirtschaftssystems gesucht, wenngleich die Analyse des unzulänglich funktionierenden Marktmechanismus noch oberflächlich blieb und schließlich temporäre Störungen für die herrschende Wohnungsnot verantwortlich machte. „Sobald man einmal die Thatsache anerkennt, daß im Verhältnisse zur zunehmenden Bevölkerung keine hinreichende Anzahl von Wohnungen vorhanden ist, w i r d man auch von einer künstlichen Steigerung der Miethpreise nicht mehr sprechen können. . . . Die Steigerung ist insoweit eine ganz natürliche, als die Höhe der Preise der Baucapitalien und die Höhe der Besteuerung, endlich die Nachfrage nach Wohnungen im umgekehrten Verhältnisse zur Anzahl der vorhandenen Wohnungen stehen. Der Capitalmangel, die alte Bauordnung und die Haussteuer und andere legislative und Iocale Hemmnisse . . . w i r k e n prohibitiv auf die Entwicklung des Baugewerbes und sichern durch die Abhaltung jeder merkbaren Concurrenz den heutigen 9000 Hausbesitzern eine ausnahmsweise, monopolistische Stellung." 9 Insgesamt schrieb Friedmann den herrschenden Wohnungsverhältnissen aber doch eher kurzfristigen C h a r a k t e r zu und w a r n t e davor, „daß die Wohnungsnoth nicht künstlich weiter genährt und zu einem historischen Krebs an unserem Staatskörper werde". Das Angebot von billigem Bauland durch die Demolierung der Stadtbefestigungen, Bauerleichterungen durch Steuerfreijahre für Neubauten und eine Revision der Bauordnungsbestimmungen würden die Bautätigkeit beleben und das Wohnungsproblem bannen. Die Behebung einer Reihe von Störfaktoren w ü r d e ausreichen, einen gut funktionierenden Marktmechanismus mit all seinen positiven Effekten wiederherzustellen.

8 Friedmann, Wohnungsnoth, S. 12. — Einige Seiten später w i r d nach der Darstellung v o n Bevölkerungszunahme und Entwicklung der H ä u ser- und Wohnungszahl in der ersten J a h r h u n d e r t h ä l f t e bekräftigt, „daß die Ursache der W o h n u n g s n o t h einzig und allein in dem numerischen Mißverhältnisse liegt, das zwischen der A n z a h l v o n Einwohnern in W i e n besteht". 9

Friedmann, Wohnungsnoth, S. 22 f.

214

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

Der im Jahr 1860 einsetzenden Baukonjunktur war die Beseitigung der kritisierten Hemmnisse vorausgegangen. Man stand daher nicht an, die getroffenen Maßnahmen als Voraussetzung für die gute Auftragslage des Baugewerbes zu bewerten, übersah jedoch in der Regel die veränderten Verhältnisse am österreichischen Kapitalmarkt als zentrale Komponente und schloß, ohne Analyse der tatsächlichen Entwicklung der Wohnverhältnisse, aus dem stark ausgeweiteten Bauvolumen unmittelbar auf die Überwindung der Wohnungsnot. Die Rezession Mitte der sechziger Jahre w u r d e dann konsequenterweise auf Überproduktion und Sättigung des Marktes zurückgeführt. Die Probleme unzureichenden Wohnungsangebotes blieben also in Wirtschaftskreisen und Gemeindeverwaltung vorläufig auf die Gesetze von Angebot und Nachfrage unter ideal-liberal-kapitalistischen Bedingungen reduziert 10 . Erst als immer offenkundiger wurde, daß die in Wien herrschende Wohnungsnot auch durch eine mehrjährige Konjunkturphase nicht gemildert worden war, und als sich zu Beginn der siebziger Jahre herausstellte, daß der unerhörte Bauboom mit einer weiteren Verschlimmerung des Wohnungselends einherging, wurde in den jetzt in rascher Folge publizierten Analysen und Reformvorschlägen zum Teil eine etwas größere Skepsis gegenüber der Gleichsetzung der Interessen der Bauwirtschaft und der Wohnungskonsumenten entwickelt 11 . Emil Sax, dessen Bücher nach Ansicht seines prominenten Gegners Friedrich Engels, die beste umfassende Analyse der Meinungen, Einstellungen und Lösungsvorschläge des Bürgertums zur Wohnungsfrage enthalten, ordnete die neuen Dimensionen des Wohnungselends nicht mehr allein den spezifischen Verhältnissen in Wien, sondern den im Gefolge der Industrialisierung international phasenverschoben auftretenden Problemen des beschleunigten Stadtwachstums zu und richtete sein Augenmerk zunächst auf jene Faktoren, welche das Funktionieren des Wohnungsmarktes prinzipiell und im konkreten Fall vereiteln konnten 1 2 . „Die städti10 Statistik der Volkswirtschaft 1855—1866, 2, S. 278 f.; GemeindeV e r w a l t u n g 1863—1866, S. 321 ff. 11 Vgl. Sax, N e u b a u ; ders., Wohnungszustände; R a t k o w s k y , R e f o r m ; Prokop, Wohnungsnoth, sowie grundsätzlich Engels, Wohnungsfrage. 12 Er verfiel dabei aber nicht in den Fehler vieler seiner Zeitgenossen, das „ungesunde" Wachstum der Städte aus individuellen Motiven abzuleiten und vorrangig sozialpsychologisch zu erklären. Vgl. dafür Pro-

Zeitgenössische Urteile

215

sehe Wohnungsnoth kann keineswegs in localen oder staatlichen Ursachen ihren G r u n d haben, sie muß auf allgemeinen europäischen Verhältnissen beruhen, neben denen dann allerdings örtliche Umstände Verschiedenheit des Grades und Charakters ihres Auftretens bestimmen mögen . . . Gerade jene allgemeine, epidemische Verbreitung der Wohnungsnoth muß bei näherem Betracht höchst befremdend erscheinen. Wie kommt es, daß die oft enorme Steigerung der Mieth-Preise nicht eine Vermehrung des Angebotes nach sich zieht, also hier die Gesetze der Nationalökonomie anscheinend sich wirkungslos erweisen? — Das Räthsel löst sich, wie man zu glauben versucht ist, durch die Thatsache, daß eben trotz der Steigerung der Miethzinse die Anlage der Capitalien im Hausbau durchaus nicht an Rentabilität g e w i n n t . . . Die Grundpreise sind eben so hoch, daß der Hausbau nur mäßig rentirt, die Grundrente steht mit dem Anwachsen der Bevölkerung im gleichen Verhältnisse, die Grundbesitzer und somit jene Hausherren, deren Eigenthum von lange her datirt, bereichern sich im hohen Maße, neuer Erwerb und Neubau hingegen gewähren keine höhere Verzinsung als eben der Sicherheit der Capitalsanlage entspricht. Es ist demnach begreiflich, daß in Folge der mannigfachen Gelegenheit zu hinreichend sicherer und doch weit lucrativerer Capitals-Anlage in Staats- und Industriepapieren, welche die Gegenwart bietet, dem Hausbau nur ungenügende Capitalsmengen sich zuwenden." 1 3 Ohne Zweifel befand sich Sax in seinen Analysen auf dem besten Weg, die Wohnungsfrage konsequent aus ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der herrschenden Wirtschaftsordnung zu begreifen, indem er die mangelnde Wohnungsversorgung prinzipiell aus den Verhältnissen am Kapitalmarkt sowie der Entwicklung von Bodenpreisen und Grundrente abzuleiten begann und administrative kop, Wohnungsnoth, S. 105: „In dem Strömen und Zusammendrängen der Bevölkerung auf einem verhältnismäßig kleinen Flecken Landes, wie es die Stadt mit ihrer natürlichen, und künstlichen Grenze ist, in diesem einheitlichen, oder besser gesagt einseitigen Bestreben einer großen Menschenmenge und dem steten Nachdrängen neuer Massen, in dem Aufthürmen derselben im Centrum dieser Bewegung — in dieser allgemeinen aber auch capriciösen Potenzierung der Ansprüche der Bevölkerung auf einen eng begrenzten Grund und Boden — liegt die einzige und eigentliche Ursache der Wohnungsnoth, die bei dem Fortdauern dieser Bewegung auch immer acuter und gefährlicher werden muß." 13

Sax, Neubau, S. 18 f.

216

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

Eingriffe in Form von Bauordnungen, Steuergesetzgebung oder Baulandbeschaffung erst in diesem Rahmen interpretieren wollte. Die offenkundige Überschätzung der Bodenpreise f ü r die Mietpreisgestaltung, die ihn sogar veranlaßte, die rechtzeitige Enteignung der Baustellen-Besitzer vorzuschlagen, teilte Sax mit vielen Zeitgenossen, hätte jedoch den Wert seiner Erkenntnisse nicht allzusehr geschmälert. Die realitätsgerechten, weiterführenden Ansätze wurden vielmehr durch den Blick nach England und die falsche Einschätzung der Londoner Verhältnisse sowie die abschließend vollzogene Ersetzung ökonomischer durch moralische Maßstäbe verbaut 1 4 . Da es gerade im führenden Industriestaat England, „wo wir die Wohnungsnoth auf ihrem Culminationspunkt finden sollten", nach Ansicht von Sax keine allgemeine Wohnungsnot gab 15 , konnte auch kein allgemein gültiger Kausalzusammenhang zwischen der Entfaltung des Industriekapitalismus und dem Wohnungselend großstädtischer Bevölkerungsmassen bestehen, vielmehr mußte der Erklärungsgrund f ü r die unterschiedlichen Verhältnisse in Wien und London auch der Schlüssel für die Erkenntnis der maßgeblichen Ursachen von unzureichender Wohnungsversorgung sein 16 . Diese wurden dann auch sehr rasch in den unterschiedlichen Bauformen gefunden. „Die ständige Wohnungsnoth, unter welcher wir leiden, ist dem Casernement zuzuschreiben. Das Casernement hat zur Folge, daß die gesamte Einwohnerschaft einer Stadt in Befriedigung ihres Wohnungsbedürfnisses von einer verhältnismäßig geringen Anzahl Capitalisten abhängt, denen ihr ökonomisches Interesse gebietet, den größtmöglichen Ertrag ihres Besitzthumes zu realisieren. Ganz anders bei dem Cottagesystem. Das Cottagesystem ermöglicht es, was in wirtschaftlicher wie in socialer Hinsicht von höchster Bedeutung ist: die Wohnungsverhältnisse auf das Eigenthum zu basiren . . . Es ist erklärlich, daß sich die Wohnungskosten dadurch niedriger stellen, und einzusehen, daß, wenn jede Familie, welche in die Stadt zieht, dort ihr eigenes H a u s erwirbt, wobei ihr begreiflicher Weise die Bauspeculation bereits entgegenkommt, eine Wohnungsnoth aus Mangel an Baucapital, wegen zu geringen Erträgnisses der Häuser niemals ein14

D a z u Engels, Wohnungsfrage, S. 31. Vgl. zu den tatsächlichen Verhältnissen Wohl, Housing, S. 13 ff., mit weiterführender Literatur. 16 Sax, N e u b a u , S. 19 f. 15

217

Zeitgenössische Urteile tritt."17

Aus

plötzlich

der

Analyse

untragbarer

Wohnungszustände

durch die unrichtige D a r s t e l l u n g

war

der spezifischen

Ver-

h ä l t n i s s e i m h o c h i n d u s t r i a l i s i e r t e n G r o ß b r i t a n n i e n eine P r o g r a m m schrift z u r F e s t i g u n g d e r h e r r s c h e n d e n E i g e n t u m s i d e o l o g i e

gewor-

d e n 1 8 . Schließlich s c h r ä n k t e S a x s e l b s t f ü r W i e n d i e W i r k u n g e n d e r wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten auf die W o h n u n g s n o t stark

ein, i n d e m er d i e S c h u l d

individuellem „Und

Fehlverhalten

an

und

den untragbaren

mangelnder

d a ist nicht z u v e r k e n n e n ,

Einsicht

Zuständen zuschrieb.

d a ß d i e S c h u l d . . . einestheils

a n d e n A r b e i t e r n selbst liegt, d e n W o h n u n g s b e g e h r e n d e n , und z w a r

weit größeren Theils aber

an

andern

d e n j e n i g e n , welche

die

B e f r i e d i g u n g d e s B e d ü r f n i s s e s ü b e r n e h m e n , o d e r , o b w o h l sie ü b e r d i e e r f o r d e r l i c h e n M i t t e l g e b i e t e n , a u c h nicht ü b e r n e h m e n , a n den besitzenden, höheren der letzteren sein

lassen,

Gesellschaftsklassen. D i e Schuld

. . . besteht darin, für

ausreichendes

d a ß sie es sich nicht Angebot

guter

auf

Seiten

angelegen

Wohnungen

zu

sorgen."19 A u c h G e o r g R a t k o w s k y , ein Z e i t g e n o s s e v o n essenvertreter

der

Bauwirtschaft,

schrieb

dem

Sax und

Inter-

Bewußtseinsstand

S a x , N e u b a u , S. 22 f.; vgl. auch ders., Wohnungszustände, S. 61 ff. D i e entsprechenden Gedanken sind ausführlich entfaltet bei Sax, Wohnungszustände, S. 62 ff., und münden schließlich in die Vision vom E n d e der Klassengegensätze. „Denn, wenn der Grundbesitz ein Monopol ist, so hört er auf es zu sein, sobald er sich über weite Schichten der Gesellschaft verbreitet. Es vermindert sich dann die Zahl derjenigen, die gegen die Herrschaft der besitzenden Classen ankämpfen, und es wächst die Masse derer, denen an der Conservierung befriedigender, an dem ruhigen Fluße friedlicher Fortbildung reformbedürftiger Zustände am meisten gelegen ist." 17

18

19 D e r Versuch, einen H a u p t g r u n d unzulänglicher Wohnungsverhältnisse bei den Betroffenen selbst zu suchen, taudite in den Schriften zur Wohnungsfrage immer wieder auf und wird auch in den kommunalpolitischen Debatten um den Fragenkreis der Wohnzufriedenheit erneut unternommen. Mit sicherlich nicht zufälliger Regelmäßigkeit wurden dabei Ursache und Wirkung in der Weise vertauscht, wie es S a x vor etwa hundert Jahren so schön vorformuliert hat. Aus Leichtsinn entziehen die Arbeiter ihrem K ö r p e r „mit Virtuosität" die Bedingungen naturgemäßer, gesunder Entwicklung. U m an Miete zu sparen, ziehen sie in kleine, dunkle, feuchte Wohnungen, die sie im Winter aus BrennstoffSparsamkeit nicht lüften. „Alles, um möglichst wenig f ü r die Wohnung auszugeben, während sie daneben auf T r u n k und allerlei eitle Vergnügungen ihr Einkommen in wahrhaft sündlicher Weise verschleudern." S a x , Wohnungszustände, S. 27 f.

218

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

der Wiener Bevölkerung maßgeblichen Anteil an der Wohnungsmisere zu. „Weil die Wohnung in der mehrstöckigen Zinskaserne wohlfeiler ist, und unsere Mittelclassen die Vortheile und den Segen eines eigenen Hauses nicht zu würdigen wissen, auch beim Anblick der langen Reihen v o n Zinskasernen und der Leichtlebigkeit ihrer Nachbarn der G e d a n k e an den Erwerb eines eigenen Hauses bei ihnen nicht aufkommen kann, so findet die Bauspeculation beim Bau von lauter licht- und luftarmen Zinskasernen noch am besten ihre Rechnung." 2 0 Darüber hinaus machte R a t kowsky insbesondere administrative Mißgriffe bei der Gewährung von Steuerfreiheiten, die bisher hauptsächlich den Hausbesitzern und kaum einmal den Mietern genutzt hätten, sowie den Baustellen-Wucher für unzureichendes Wohnungsangebot und überhöhte Mieten verantwortlich, vertraute aber insgesamt auf den Wohnungsmarkt, der, abgesehen von einigen besonders begehrten Lagen, w o die Hausbesitzer eine Monopolstellung erlangen können, langfristig die Bedürfnisse der Nachfrager befriedigen und für relativ ausgeglichene, der allgemeinen Wirtschaftslage entsprechende Mieten sorgen würde 2 1 . D i e der Analyse der Wiener Wohnungsverhältnisse gewidmeten Publikationen, welche trotz mehrfach eingetretener Hochkonjunkturphasen und kurzfristig recht beträchtlicher Bautätigkeit immer wieder den unverminderten Fortbestand des Wohnungselends bei den minderbemittelten Bevölkerungsschichten konstatieren mußten, folgten bis in die neunziger J a h r e den dargestellten Argumentationsschemata. Erst die umfangreiche Beschäftigung mit der immer brennender gewordenen Wohnungsfrage seit der Jahrhundertwende, welche im letzten J a h r f ü n f t vor Kriegsausbruch ihren H ö h e p u n k t erreichte, erbrachte eine differenzierte Aufarbeitung der einzelnen Problembereiche und führte bisweilen zu einer grundsätzlich neuen Einschätzung der Gesamtsituation 2 2 . R a t k o w s k y , R e f o r m , S. 8 f. R a t k o w s k y , R e f o r m , S. 10 ff. 2 2 Aus der Fülle der vorhandenen Literatur seien zunächst nur A n a l y sen ausgewählt, die dem G e s a m t k o m p l e x der W o h n u n g s f r a g e g e w i d m e t sind und a u f die österreichischen Verhältnisse oder zumindest auf die in Österreich geführte D e b a t t e entscheidend B e z u g nahmen: Rauchberg, J u b i l ä u m s - S t i f t u n g ; Fuchs, W o h n u n g s f r a g e ; Voigt, B o d e n p o l i t i k ; Rauchberg, R e f o r m ; N a u m a n n , Miete und G r u n d r e n t e ; Maresch, Wohnungs!0

81

219

Zeitgenössische Urteile

Trotz der zunehmenden Zahl von wissenschaftlichen A b h a n d lungen, Konferenzen und Kongressen blieb bei der Beurteilung der Ursachen von Wohnungsnot eine große Unsicherheit bestehen, die teilweise zu scharfen Kontroversen und zu einer ausgesprochenen Schulenbildung führte. A u f eine besonders lange Tradition konnte sich jene G r u p p e berufen, die in der Wohnungsfrage vorrangig eine Bodenfrage erblickte. Die radikalen Vertreter dieser Richtung argumentierten, daß es möglich wäre, für eine ausreichende Befriedigung der Wohnbedürfnisse zu mäßigen Preisen zu sorgen, wenn der Boden nicht unter der Herrschaft des Privateigentums ohne Grenzen im Preis gesteigert würde. Die G r u p p e der Bodenreformer erklärte die Grundrente geradezu zur Q u e l l e aller sozialen Übel und forderte ihre Zurückgewinnung für die Allgemeinheit, bisweilen sogar in der extremen F o r m der Enteignung 2 3 . Neben den Bodenreformern hatte sich aber auch eine Richtung etabliert, welche nicht das Privateigentum a m Boden schlechthin als Hauptursache für die Mißstände im Wohnungswesen ansah, sondern die bauhemmende und mietensteigernde Teuerung der Bauparzellen aus der Bodenspekulation und dem Bau von Mietkasernen ableitete 2 4 . Rudolf Eberstadt, der entsprechende Ansichten über die Ursachen der Wohnungsnot seit seiner im J a h r 1894 erschienenen Schrift „Städtische B o d e n f r a g e " mehrfach wiederholt und immer neu zu belegen versucht hatte, widmete unter anderem auch den Verhältnissen in Wien besondere Aufmerksamkeit und gewesen; Philippovich, W o h n u n g s f r a g e ; Eberstadt, Wiener nisse; Bartack, Boden- und Wohnungspolitik;

Mully

Wohnverhält-

von

Oppenried,

B e w e r t u n g ; Ertel, Wohnungs- und Verkehrswesen; Eberstadt, Klein Wohnungswesen; Gerber, Boden- und W o h n u n g s f r a g e . 2 3 Vgl. N a u m a n n , Miete und Grundrente, S. 1 3 4 ; Gerber, Boden- und W o h n u n g s f r a g e , S. 19; Maresch, Wohnungswesen, S. 27 f. — D i e Bodenr e f o r m b e w e g u n g ging von der Ansicht aus, d a ß der u n v e r m e i d b a r e Boden M o n o p o l b e s i t z sei und mit der P r o d u k t i v i t ä t der Arbeit der an die G r u n d b e s i t z e r zu entrichtende T r i b u t steige. D a s M o n o p o l sei aber nicht gerechtfertigt, vielmehr hätten alle Menschen das gleiche unbeschränkte Recht auf den Gebrauch des Landes. D e s h a l b müsse eigentlich die G e s a m t heit selbst Eigentümerin und Nutznießerin des Bodens sein. 2 4 D a z u N a u m a n n , Miete und Grundrente, S. 134 f f . ; Ertel, Wohnungsund Verkehrswesen, S. 46 fF.; E b e r s t a d t , Wiener Wohnverhältnisse, S. 160 f f . ; ders., Kleinwohnungswesen, S. 8 ff., und Fuchs, Wohnungsfrage, S. 20 ff.

220

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

l a n g t e auch h i e r zu d e n n ä m l i c h e n Schlüssen 2 5 . Seine A r g u m e n t a t i o n g i n g d a v o n aus, d a ß die W o h n u n g s m i e t e n nicht w i e a n d e r e P r e i s e d a s E r g e b n i s eines K a m p f e s z w i s c h e n z w e i gleich s t a r k e n K o n t r a h e n t e n seien, s o n d e r n einseitig d u r c h d i e B o d e n s p e k u l a n t e n d i k t i e r t w e r d e n . D i e B a u u n t e r n e h m e r h ä t t e n w e d e r M a c h t noch I n t e r e s s e , d e r Preissteigerung entgegenzuwirken.

Die Kontrahenten

der

b e s i t z e r , d i e dem P r e i s a u f t r i e b e b e n f a l l s nicht b e g e g n e n

Haus-

könnten,

seien die v ö l l i g m a c h t l o s e n M i e t e r , d i e n u r als o b j e k t i v e V o r a u s setzung

der

Bodenbewertung

fungierten. —

Diese

Entwicklung

w e r d e d u r c h den B a u v o n M i e t k a s e r n e n e r m ö g l i c h t u n d g e f ö r d e r t . Die

M i e t k a s e r n e stelle d i e schlechteste u n d

gleichzeitig

teuerste

F o r m d e r B e f r i e d i g u n g des W o h n b e d ü r f n i s s e s d a r . W ä r e es nicht gestattet,

auf

städtischem

Boden

Mietkasernen

zu

errichten,

so

w ü r d e d e r W e r t dieses B o d e n s n u r d u r c h seine L a g e b e s t i m m t w e r d e n . — T r o t z vieler richtiger e m p i r i s c h e r B e o b a c h t u n g e n

wurde

d i e s e L e h r e scharf a n g e g r i f f e n u n d in w e s e n t l i c h e n P u n k t e n w i d e r 25

Eberstadt, Wiener Wohnverhältnisse, S. 160 ff.: „Von dem Bodenpreis hängt es ab, welche Bauformen das Baugewerbe wählen muß, ob Flachbau oder Stockwerkshäufung. Die Gestaltung des Bodenpreises w i r d aber keineswegs lediglich oder auch nur vorzugsweise bestimmt durch wirtschaftliche, seien es privatwirtschaftliche oder volkswirtschaftliche Faktoren. Nicht die Intensität des städtischen Wachstums, die Größe des Kapitalreichtums, die H ö h e des Einkommens sind entscheidend. Die Länder der stärksten städtischen Konzentration, der größten Kapitalmacht, der höchsten Löhne sind nicht die Länder der hohen Baulandpreise. Sondern die Preisbildung des städtischen Wohnbodens wird in erster Reihe durch M a ß n a h m e n der Verwaltung, der Städtebautechnik und der Grundlage des Bausystems b e s t i m m t . . Von einer grundsätzlichen Gegnerschaft gegen die Bodenspekulation kann keine R e d e sein. Im Gegenteil; wir betonen auf das nachdrücklichste die Unentbehrlichkeit der spekulativen Unternehmung in der Bodenerschließung und im Baugewerbe. Wir bekämpfen nur die Preistreiberei, die sich gründet auf die Ausnutzung eines bestimmten Bausystems; die Wertbildung, die den natürlichen wirtschaftlichen Gesetzen entgegengesetzt ist; die uns ein fehlerhaftes System des Städtebaus und des Straßenbaus aufzwingt . . . Rechnen wir hinzu, d a ß Stockwerkshäufung und Mietskaserne für die Kleinwohnung aus bautechnisdhen G r ü n d e n unvorteilhaft sind, so haben wir in dem fehlerhaften Bautypus eine der wesentlichen Ursachen f ü r die ungünstige Lage der Kleinwohnungsproduktion. Das Moment, das man bisher nicht genügend berücksichtigt u n d gewürdigt hat, ist die U n w i r t schaftlichkeit und Untauglichkeit der H a u s f o r m , die uns durch das heutige System der Bodenparzellierung u n d Bodenbewertung aufgezwungen wird, wider alle technisch und wirtschaftlich naturgemäße Entwicklung."

Zeitgenössische Urteile

221

legt oder zumindest stark relativiert. Insbesondere Andreas Voigt und Eugen Philippovich haben betont, wie der Preis des Bodens gerade durch die H ö h e der Mieten bestimmt würde, wobei letzterer seine Aussagen auf umfangreiches empirisches Material über die Bodenpreisentwicklung in Wien im Verlauf des 19. Jahrhunderts stützte 2 6 . Eine vernichtende Kritik der Lehren von Eberstadt sowie eine ausführliche Auseinandersetzung mit der kontroversen Literatur zur Bodenfrage lieferte schließlich M o r i z N a u m a n n , der in seiner Grundrententheorie, die allerdings ein ungestörtes Funktionieren von Angebot und N a c h f r a g e voraussetzte, vor allem die Allokationseffekte der gesetzmäßig verlaufenden Bodenpreisentwicklung betonte 2 7 . Während die Meinungen über die insbesondere an den Berliner Verhältnissen abgeleitete Rolle der Grundstückspekulation für das Ausmaß der Bautätigkeit und die Höhe der Mieten geteilt blieben, f a n d die Lehre von der Mietkaserne als teuerster B a u f o r m und dominierendem Faktor einer „künstlichen" Bodenpreissteigerung immer weniger Anklang. Insgesamt setzte sich im Anschluß an Andreas Voigt vielfach die Tendenz durch, den Bodenpreis nicht länger als H a u p t f a k t o r für das ungenügende Angebot an preiswerten Kleinwohnungen einzuschätzen, sondern anderen Komponenten wie Baukosten und Kreditverhältnissen größere Aufmerksamkeit zu schenken 28 . Verglichen mit der früh einsetzenden Diskussion um die Rolle der Bodenpreise und der Besteuerung f ü r die Miethöhe und das ausreichende Angebot von Wohnungen f ü r alle Bevölkerungsklassen, begann man sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingehender mit den rasch steigenden Baukosten und ihren U r sachen zu beschäftigen, wenngleich die undifferenzierten Klagen über die unzweckmäßige, den Häuserbau unnötig verteuernde Wiener Bauordnung schon zum traditionellen Wortschatz der Interessenvertreter des Baugewerbes geworden waren. Das unzweifelhafte Verdienst von Andreas Voigt war es, bewiesen zu haben, daß die Baukosten einen viel größeren Einfluß auf die Mietpreise haben, als man lange Zeit angenommen hatte und daß 2 6 Vgl. Voigt, Kleinhaus und Mietkaserne; Philippovich, Wohnungsfrage, S. 43 ff., u n d Schwarz, Grundrente, S. 33 ff.; ders., Grundwerthe, S. 41 ff. 2 7 N a u m a n n , Miete und G r u n d r e n t e , S. 134 ff. 2 8 Philippovich, W o h n u n g s f r a g e , S. 52 f.; Voigt, Bodenbesitzverhältnisse, S. 220 ff.

222

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

deswegen in Großstädten das Zinshaus niedrigere Mieten ermögliche als das Kleinhaus 2 9 . Wenngleich er seine anfänglich p r o p a gandistisch überspitzte Formulierung, die W o h n u n g s f r a g e sei eine Baukostenfrage, n a d i heftigen Auseinandersetzungen selbst relativierte 3 0 , so f a n d er doch besonders unter den österreichischen Wohnungsexperten beträchtlichen Anhang 3 1 . Infolge theoretischer Überlegungen u n d empirischer Untersuchungen gewann die Überzeugung, d a ß die unzureichende Wohnungsversorgung wesentlich durch die überproportional steigenden Baukosten und die Verhältnisse am K a p i t a l m a r k t verursacht sei, immer mehr an Boden, doch w u r d e auch nach dem Weltkrieg noch häufig angezweifelt, d a ß die Herstellung billiger Wohnungen ganz entscheidend d a v o n abhing, billige Bauf o r m e n u n d kostensparende Produktionstechniken zu entwickeln 3 2 . D i e Wohnungspolitiker dieser Richtung betrachteten die Baukosten bei gleichbleibender Q u a l i t ä t der Häuser weiterhin als relativ unveränderlich u n d hielten mit ihrer Argumentation besonders die Ideologie des Einfamilienhauses aufrecht. Insgesamt begannen sich aber auch zu dieser Frage kritische Analysen und Vorschläge in den letzten Vorkriegsjahren zu häufen. Würden nicht die Baukosten durch Kartelle der Lieferanten von Baumaterialien, durch ungenügende Kreditorganisation, durch unzweckmäßige Bauvorschriften, durch schlechte Organisation der Bauunternehmungen über das notwendige M a ß gesteigert, so argumentierte man, d a n n würden die Mieten wesentlich billiger sein, dann wären die Mieter durch die K o n k u r r e n z der U n t e r nehmer u n d durch die Bildung von Genossenschaften in der Lage, sich von der Bauspekulation unabhängig zu machen 8 3 . Unzweifelh a f t w u r d e eine Reihe richtiger Beobachtungen zur E r k l ä r u n g der ökonomischen Determinanten mangelnder Wohnungsversorgung 29

Voigt, Bodenbesitzverhältnisse, S. 220 ff.; ders., Bodenpolitik, S. 279. Voigt, Bodenpolitik, S. 279. „Nun sind natürlich nicht die Baukosten allein für die Herstellungskosten der Wohnungen maßgebend. Aber sie sind wenigstens insoferne wichtig, als sie das Minimum der Kosten überhaupt darstellen . . . " 31 Vgl. etwa Philippovich, Wohnungsfrage, S. 50 f. 32 Dazu Naumann, Miete und Grundrente, S. 187 ff., und Philippovich, Wohnungsfrage, S. 52 f. Dagegen Keller, Bauordnung, S. 99 ff., und Schmidt, Kleinhaus, S. 194 ff. 33 Philippovich, Die Wohnungsfrage, S. 2. 30

Zeitgenössische Urteile beigesteuert,

doch blieb eine systematische

223 Verknüpfung

in

der

Regel aus. V o r allem w a r m a n sich vielfach doch zu wenig bewußt, in welch entscheidendem A u s m a ß die Wohnungsmieten durch die Größe

des v o n

den

Baukosten

determinierten

vorgeschossenen

Kapitals, dessen Verzinsung der Hauseigentümer möglichst gewinnbringender als in anderen Anlagesphären anstrebt, bestimmt w u r den 3 4 . K l a r e r als der umstrittene Stellenwert von Bodenpreis und B a u kosten für die Gesamtmenge des zu investierenden K a p i t a l s und d a m i t für die H ö h e des v o m Mieter aufzubringenden W o h n u n g s zinses wurde die Rolle des Zinssatzes erkannt,

der für das in

Mietwohnungen angelegte K a p i t a l im Vergleich zu den konkurrierenden Anlagemöglichkeiten erzielt werden konnte. So wies m a n im Zusammenhang mit der zyklisch auftretenden, unzureichenden Bautätigkeit im W i e n der fünfziger und sechziger J a h r e wieder

darauf

hin,

daß

Revolution

1848

strie-

Wechselpapieren

und

der

Wirtschaftsaufschwung

eine Reihe v o n Anlagemöglichkeiten eröffnet

hätte,

hinter

immer

nach in

der Indu-

welchen

der

Durchschnittsertrag im Wohnungsbau in der Regel zurückblieb 8 5 . Knapp

vor

Ausbruch

des

Weltkrieges

betonte

ein

österreichi-

scher Wohnungsexperte, d a ß mit Rücksicht auf den großen G e l d 3 4 Eine gewisse Ausnahme stellte diesbezüglich neben A. Voigt wiederum Philippovich dar, der betonte: „Diesen Faktoren gegenüber spielt der Bodenpreis eine geringe Rolle. Unter ihnen aber ist der bedeutendste der Aufwand, der durch die Baukosten verursacht wird . . . Welche Bedeutung diese Thatsache gerade für Bauten auf dem Außenboden hat, ist klar. Wenn der Bodenpreis von 1 fl. pro Quadratmeter auf 6 fl. steigt, so ist das eine Erhöhung um 500 °/o, aber die notwendige Mehrverzinsung macht nur 20 kr. pro Quadratmeter aus; wenn dagegen das Baukapital pro Quadratmeter von 100 fl. auf 138 fl. steigt, so beträgt die Erhöhung zwar nur 38 °/o, aber die notwendige Mehrverzinsung und Amortisation macht 1 fl. 61 kr. pro Quadratmeter aus." Philippovich, Wohnungsfrage, S. 52. 3 5 Vgl. dazu Friedmann, Wohnungsnoth, S. 32 ff., der zunächst als Klage der Hausherren anführt, „Das Haus trägt mir nicht mehr als 3V2—4 Perzent . . . wer kann den heutzutage sich mit 4 Percent begnügen, wo eine Capitalanlage in Metalliques oder Grundentlastungspapieren 6—8 Percent abwirft?", dann jedoch unrealistisch moralisiert: „Der Hauptfehler in den Berechnungen unserer Hausbesitzer besteht also darin, daß sie die Sicherheit ihrer Capitalsanlage nicht in Anschlag bringen und lüstern nach den Gewinnsterträgnissen der Industrie ausblicken."

224

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

mangel und steigernden Zinsfuß der Gebäudereinertrag um mindestens ein halbes Prozent höher sein mußte als noch fünf J a h r e zuvor 3 6 . Insgesamt war man sich zumindest theoretisch über den Einfluß klar, welchen die in den einzelnen Investitionssparten durchschnittlich zu erzielende Verzinsung auf den bei der Wohnungsvermietung realisierbaren Gewinn ausübte 3 7 . D i e Abhängigkeit der Mieten vom K a p i t a l m a r k t hatte aber noch einen weiteren Grund, der entsprechend der relativen Abnahme der beim H a u s bau investierten Eigenmittel und der Zunahme der H y p o t h e k a r darlehen während des Untersuchungszeitraumes zunehmend diskutiert wurde 3 8 . Es herrschte Ubereinstimmung darüber, daß der Einfluß des f ü r Hypothekarkredite jeweils geforderten Zinssatzes auf die Mietpreisbildung immer stärker wurde, da der Bau von Wohnungen in steigendem M a ß mit Geld, das man am K a p i talmarkt lieh, finanziert werden mußte 3 9 . Bisweilen wurde sogar die Ansicht vertreten, daß die größten Schwierigkeiten für die Bautätigkeit und die Hauptursachen für unzureichende Wohnungsproduktion und überhöhte Mieten im allgemeinen Geldmangel und den teuren Baukrediten zu suchen wäre. „Es gehört zu keiner Seltenheit, daß Bauten eingestellt werden müssen, weil das nötige Baugeld auch unter den höchsten Zinssätzen nicht erhältlich ist." 4 0 Die an diesem Punkt beinahe zwingende Frage, inwieweit eine profitorientierte Bauwirtschaft unter den Bedingungen der konkurrierenden Kapitalfraktionen dann überhaupt je in der L a g e sein konnte, ausreichend und preiswert zu produzieren, wurde jedoch in der Regel nicht gestellt, sondern durch den Verweis auf unzureichende Organisation des Kredits und fehlende staatliche beziehungsweise kommunale Einflußnahme auf die Kapitalversorgung der gemeinnützigen Bautätigkeit umgangen 4 1 . Selbst wenn Mully von Oppenried, Bewertung, S. 27. D a z u etwa N a u m a n n , Miete und Grundrente, S. 189 ff.; Mully von Oppenried, Bewertung, S. 139 ff. 3 8 Vgl. Eberstadt, Wiener Wohnverhältnisse, S . 193 ff.; P r i b r a m , O r g a n i s a t i o n ; ders., K r e d i t ; ders., Städtischer K r e d i t ; ders., Wirtschaftskrise. 3 9 Ausführlich dazu Maresch, Wohnungswesen, 33 f. 4 0 M u l l y von Oppenried, Bewertung, S. 27. 4 1 Eberstadt, Wiener Wohnverhältnisse, S. 194 f.; P r i b r a m , Organisation; ders., Städtischer K r e d i t ; Vogel, Gemeinnützige K a p i t a l s a n l a g e , S. 415 ff.; Pribram, W o h n u n g s f ü r s o r g e f o n d s ; Fuchs, Wohnungsfürsorgegesetz. ,,>6

37

Zeitgenössische Urteile

225

man den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Kapitalverwertung und unzureichender Befriedigung der Wohnverhältnisse klar erkannte, stieß man in der Regel nicht zu einer grundsätzlichen Kritik der wirtschaftlichen Mechanismen vor, unter denen das Baugewerbe produzierte und der Wohnungsmarkt funktionierte, sondern beharrte lieber auf der Fiktion der gemeinsamen Interessen der Hausbesitzer und Mieter, denen Spekulantentum und wohnungspolitische Ignoranz von Staat und Kommune in der Form von administrativen Hemmnissen gleichermaßen Schaden zufügten. „Die erste Bedingung einer Besserung der Wohnverhältnisse ist doch die, daß der Hausbesitz wieder rentiere, und zwar nicht nur der Besitz von alten, unter günstigeren Bedingungen erstellten oder erworbenen Häusern, sondern auch die Errichtung von neuen Miethäusern mit Kleinwohnungen. Wenn diese nicht mindestens das Gleiche bringen wie andere ebenso sichere Kapitalsanlagen, wird niemand sein Kapital in Miethäusern anlegen wollen. In diesem Punkte sind die Interessen der Hausbesitzer und der Mieter also ganz die gleichen." 42 Große Aufmerksamkeit wurde auch der im internationalen Vergleich ungewöhnlich hohen Besteuerung der Ware Wohnung in den österreichischen Städten geschenkt 43 . Seit der Mitte des 19. J a h r hunderts hatte man bei jeder Konjunkturkrise die Forderung nach Steuerfreijahren gestellt und anfänglich auch immer prompt erfüllt, woran sich freilich die Frage anschließt, inwieweit die Steuerbegünstigungen wirklich den Mietern zugute gekommen waren, oder ob diese nicht die Bautätigkeit von den objektiven Bedürfnissen abgelenkt oder einer Gruppe von Hausbesitzern Extraprofite eingebracht haben. Trotz Kenntnis dieser Problematik betonte man in den Kreisen der Wohnungsreformer aber wohl zu Recht ziemlich übereinstimmend, daß die Wohnungsfrage insbesondere f ü r Wien und die anderen größeren Städte Österreichs nicht allein 42

Rauchberg, Reform, S. 15. Aus der Fülle der insbesondere auf die österreichischen Verhältnisse und auf die Reform der Gebäudesteuer bezogenen Literatur seien angeführt Willfort, Wohnungsnot; Rauchberg, Reform; Sitte, Bau- und Wohnungswirtschaft; Eberstadt, Wiener Wohnverhältnisse; Meyer, Hauszinssteuer; Vogel, Reform; Meyer, Drei Gesetze; Dub, Gebäudesteuervorlage; Aufsätze zur Gebäudesteuerreform, Mitteilungen der Zentralstelle 9/10 (1909); Braun von Fernwald, Abstufung; Mully von Oppenried, Bewertung, S. 71 ff. 43

15

Feldbaucr, Stadtwadistum

226

Ursachen unzureichender W o h n u n g s v e r s o r g u n g

eine Boden- und Baukostenfrage, sondern nicht zuletzt auch eine Steuerfrage sei, da bis zu 46 °/o des Mietzinses auf diese Komponente entfielen 44 .Trotz sehr unterschiedlicher Meinungen über die mögliche Wirkung der seit der Jahrhundertwende diskutierten und knapp vor Kriegsausbruch durchgeführten Gebäudesteuerreform 4 5 , stand man doch nicht an, darauf hinzuweisen, „daß die bisher auf Hausbesitz und Miete lastende Steuer so drückend ist, daß nur ein kräftiger Abstrich halbwegs erträgliche Verhältnisse herbeiführen kann. Bei dem raschen Anwachsen der Städte und der Wohnungsnachfrage wird die Zinssteuer in der Regel gänzlich auf den Mieter überwälzt. Dadurch wird sie zu einer hödist gefährlichen Aufwandsteuer." 4 6 Bisweilen erblickte man in den ungewöhnlichen Steuerverhältnissen geradezu den Kernpunkt der Wohnungsnot bei den einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen, wodurch die Überbetonung einer sicherlich wesentlichen Komponente die tiefliegenden Ursachen und weitreichenden Konsequenzen des Gesamtproblems allerdings eher verdunkelte als erhellte. „Eine Miethzinssteuer von so exorbitanter Höhe ist geradezu das Muster einer irrationalen, ungerechten und antisocial wirkenden Steuer . . . In dem Maasse, als die auf den Zins verwendete Einkommensquote wächst, wirkt der Steuerfuss der auf den Miether überwälzten Hauszinssteuer progressiv. Wir haben hier das Monstrum einer progressiven Steuer vor uns, deren Progression im umgekehrten Verhältnisse zur Höhe des Einkommens steht." 47 Von allen oder einzelnen der diskutierten Faktoren ausgehend wurde die Wohnungsfrage bisweilen auch vorrangig als Frage der 44

Ertel, W o h n u n g s - und Verkehrswesen, S. 53. Vgl. d a z u besonders A u f s ä t z e z u r G e b ä u d e s t e u e r r e f o r m , Mitteilungen der Zentralstelle 9/10 (1909); M e y e r , Hauszinssteuer, u n d Vogel, R e f o r m . Eberstadt, Wiener W o h n v e r h ä l t n i s s e , S. 200 f., bestritt jede mietensenkende W i r k u n g einer H e r a b s e t z u n g der Gebäudesteuer und verwies „auf die A u f h e b u n g der als drückend e m p f u n d e n e n Mietsteuer in Berlin; ein Rückgang der Mieten ist nicht eingetreten; die Steigerung hat sich vielmehr f o r t g e s e t z t " . 46 Rauchberg, R e f o r m , S. 14. Vgl. auch Maresch, Wohnungswesen, S. 32: „ D i e Grundsteuern u n d Gebäudesteuern . . . bilden einen der k o n s t a n t e sten F a k t o r e n bei d e r Mietzinsbildung. Sie sollen eigentlich aus dem R e i n e r t r a g des Hauses gedeckt w e r d e n u n d den H a u s h e r r n allein belasten. In den meisten Fällen werden sie jedoch zu Bestandteilen des Mietzinses u n d treffen d a h e r das E i n k o m m e n des Mieters." 47 Rauchberg, J u b i l ä u m s - S t i f t u n g , S. 10 f. 45

Zeitgenössische Urteile

227

Verkehrspolitik, der Rechtsordnung und der gesellschaftlichen Organisation interpretiert, wobei man lediglich die bekannten Komponenten umgruppierte, teilweise neu bewertete und einzelne Aspekte hinzufügte 4 8 . Besonders die Rolle des städtischen Nahverkehrs wurde einige Zeit sehr betont, indem man argumentierte, daß billiger Boden in genügender Menge vorhanden wäre, wenn weiter abliegendes Gelände durch gute Verkehrsmittel und eine richtige Tarifpolitik zum Wohnen geeignet gemacht würde 4 9 . Die begrenzte Reichweite dieses Ansatzes wurde von all jenen kritisiert, welche den Bodenpreisen nur einen beschränkten Einfluß auf die Miethöhe zuwiesen und die daher beharrten „aber die Grundrente macht, außer in besonders gesuchten Gegenden, immer den kleineren Teil der Miete aus und sie belastet die ärmste Klasse am wenigsten. N u r insoweit die Grundrente in Frage kommt, kann aber die Miete durch Verkehrsverbesserungen herabgedrückt", oder durch den Mangel an solchen erhöht werden 5 0 . Betrachtet man die Wohnungsfrage insbesondere als Problem der Rechtsordnung, so sollte das private Recht den Mieter schützen und die Pflichten der Hauseigentümer in Einklang mit ihren Rentenbezügen bringen, während man dem öffentlichen Recht zuwies, die Verfügungsgewalt über den städtischen Boden im Interesse der Allgemeinheit und zweckdienlich für eine optimale Verbauung zu ordnen, geeignete Verbauungspläne zu schaffen, durch sinnvolle Bauordnungen die Vorbedingungen f ü r gesunde und billige Wohnungen zu schaffen. — Für jene schließlich, welche die Wohnungsfrage vorab als Frage der gesellschaftlichen Organisation behandelt wissen wollten, schienen die Übelstände dann beseitigbar, wenn die Mieter Baugenossenschaften und Mietvereine bildeten, wenn Staat und Kommune die Interessen der Konsumenten durch Rechtsnormen und Verwaltung nicht schädigen, sondern unterstützen würden 5 1 . Insgesamt unterstellte man in solchen Analysen und Vorschlägen, d a ß die unterschiedlichsten Faktoren deswegen zu unzureichendem Wohnungsangebot und überhöhten Mieten bei4S

Philippovich, D i e Wohnungsfrage, S. 2. Zusammenfassend zu diesem Fragenkreis Ertel, Wohnungs- und Verkehrswesen. Vgl. auch Musil, Wohnungsreform und Verkehrspolitik, S. 77 ff. N a u m a n n , Miete und Grundrente, S. 193 f. r>1 Philippovich, D i e Wohnungsfrage, S. 2. 49

15*

228

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

tragen konnten, weil das ungleiche Kräfteverhältnis a m Wohnungsmarkt durch Staat, K o m m u n e und Privatkorporationen durch die je zur Verfügung stehenden Instrumente nicht ausgeglichen wurde. M a n brachte die mangelhafte Wohnungsversorgung also ursächlich mit dem staatlich unzureichend oder schlecht gesteuerten Marktmechanismus in Verbindung, der aber durch gezielte Einflußnahme durchaus eine optimale Verteilung und Produktion von Wohnungen leisten könnte. Demgegenüber hatten die gegen Ende des Untersuchungszeitraumes immer mehr in die Defensive geratenden liberalen Wohnungswirtschaftler einen von staatlichem Einfluß unabhängigen und sich frei entfaltenden Wohnungsmarkt gefordert und administrative sowie steuertechnische Maßnahmen als hemmend für das Funktionieren des Angebot-Nachfrage-Mechanismus und damit als Hauptursachen für das bestehende Wohnungselend betrachtet. Als Störfaktoren, welche die Marktautomatik verzerren konnten, hatte man also gerade jene Einflußnahmen durch Staat und K o m m u n e gewertet, welche seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend als Heilmittel gefordert wurden, seit sich historisch erwiesen hatte, daß der Ausgleich von Angebot und Nachf r a g e die Wohnungsfrage als soziales Problem nicht zu lösen vermochte. Der grundsätzliche Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Effizienz und sozialem Postulat, der sich besonders während der Hochkonjunkturphasen des Baugewerbes immer wieder gezeigt hatte, wurde jedoch höchst selten auf seine eventuellen Wurzeln in einer kapitalistisch betriebenen Wohnungsversorgung befragt, vielmehr lenkten jene Wissenschaftler, die aus der Analyse der Bauwirtschaft und des Wohnungsmarktes die beschränkten Möglichkeiten erkannten, unter den herrschenden sozioökonomischen Bedingungen für die Bevölkerungsmehrheit sowohl billige als auch qualitativ gute Wohnungen in ausreichender Menge zu produzieren, ihre Aufmerksamkeit auf die Wohnungsnot als Frage des Einkommens. Beispielsweise schloß Philippovich seinen auf den Wiener Verhältnissen beruhenden Bericht über die Möglichkeit, durch Wertzuwachsbeschränkung des Bodens, durch Verringerung der Baukosten, Gewährung günstiger Kredite und namhafte Steuerermäßigungen gute und billige Wohnungen für die Masse der Stadtbewohner zu beschaffen, „aber ich bin durch meine Studien dazu gekommen, zu warnen, von diesen Dingen viel zu erhoffen . . . ,

Zeitgenössische Urteile

229

da eben doch die Steigerung des Einkommens der unteren Klassen der Bevölkerung das Wichtigere ist, wichtiger als die Verbilligung ihrer Ausgaben" 5 2 . „Dass endlich auch die Unzulänglichkeit des Einkommens eine der wesentlichen Ursachen der Wohnungsnoth ist, braucht nicht erst besonders betont zu werden. Von nicht minderem Einflüsse als die absolute Höhe des Jahresverdienstes ist die U n beständigkeit desselben", erklärte Rauchberg in einer p r o g r a m m a tischen Schrift über die Ziele der „Kaiser Franz Josef I. — Jubiläums-Stiftung f ü r Volkswohnungen und Wohlfahrts-Einrichtungen" 5 3 . Seit in Phasen gesteigerter Bautätigkeit immer wieder die Beobachtung gemacht wurde, d a ß insbesondere große Nobelwohnungen im Uberfluß am M a r k t vorhanden w a r e n und bisweilen sogar das Angebot der dringend notwendigen kleinen billigen Quartiere nicht voll ausgeschöpft wurde, wuchs die Bereitschaft, die herrschende Wohnungsnot ausschließlich oder zumindest vorrangig als Einkommensfrage zu betrachten. „Tatsächlich ist die Anschauung weit verbreitet, daß die W o h n f r a g e in erster Linie eine Lohnfrage ist", beklagte der Direktor des Statistischen Amtes von Berlin-Schöneberg, Kuczynski, der in dieser Frage eine gegenteilige Ansicht vertrat und unter H i n w e i s auf die „beispiellose Lohnsteigerung" der Vorkriegsjahre, welcher „jedenfalls eine recht unerhebliche Verbesserung der Wohnverhältnisse gegenübersteht", das Axiom von der „Wohnfrage als Lohnfrage" als falsch zurückwies 5 4 . Seine kategorische Ablehnung schoß wohl insofern übers Philippovich, Wohnungsfrage, S. 55 ff. Rauchberg, Jubiläums-Stiftung, S. 1 1 . 5 4 Kuczynski, Miete und Einkommen, S. 30 f., konstatierte darüber hinaus die Obereinstimmung fast aller politischen Lager u n d R e f o r m g r u p p e n in der Meinung, „daß die zahlreichen einzelnen Übelstände, die an den gegenwärtig unbefriedigenden Wohnverhältnissen schuld haben — die unsozialen Bauordnungen, die schlechten Bebauungspläne, das unzulängliche Kreditwesen, die unzureichenden Verkehrsmittel — , ihre ausschlaggebende Bedeutung f ü r das Wohnungswesen v e r l i e r e n würden, sobald die Bevölkerung in der Lage und bereit wäre, höhere Beträge f ü r die Miete a u f z u w e n d e n als heute. So groß die Unterschiede im übrigen in der Beurteilung wirtschaftlicher Tatsachen in den verschiedenen Lagern sein mögen, hier sind sie im wesentlichen verschwunden. Die A r b e i t e r sind davon überzeugt, daß sie nur ihre Löhne entsprechend zu steigern brauchten, um besser wohnen zu können. Die Terraininteressenten und die Hausbesitzer wiederholen ebenso immer aufs neue, daß es eine W o h n u n g s f r a g e geben werde, solange es A r m u t gebe, u n d d a ß die unbefriedigenden Wohnungsverhältnisse in dem Augenblick verschwinden 52

53

230

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

Ziel, als eine Ursache f ü r die Probleme der Wohnungsversorgung sicherlich in der begrenzten Zahlungsfähigkeit breiter Schichten der Bevölkerung zu sehen ist, ohne daß diese Komponente allerdings den zentralen Erklärungsansatz zu liefern vermag 5 5 . Relativ klar erkannte die Sachlage der österreichische Wohnungsreformer Emanuel H . Vogel, ohne freilich alle Konsequenzen aus seinen Überlegungen zu ziehen. „Die Wohnungsnot ist eben eine relative, keine absolute, sie ist relativ im Verhältnis zur K a u f k r a f t und dem Einkommensstand der einzelnen Bevölkerungskreise. Nur so ist es erklärlich, daß man in einer Großstadt von einer Wohnungsnot spricht, obwohl notorisch so und so viel tausend Wohnungen alljährlich durch lange Zeit leerstehen, obwohl die Bautätigkeit in Wirklichkeit gar nicht hinter der Nachfrage zurückbleibt und auch eine N o t an Baustellen gar nicht eintritt. Diese Wohnungsnot besteht nicht f ü r alle Schichten der Bevölkerung, sondern nur f ü r die minder zahlungsfähigen, insbesondere die auf fixe, nicht beliebig steigerungsfähige Bezüge gebundenen Kreise der Staatsund Privatbediensteten, der Arbeiter, sowie auch der mittleren und kleineren Gewerbetreibenden und Produzenten. Diese Wohnungsnot in ihrer relativen Bedeutung hat nur den Sinn, daß die f ü r die Bedürfnisse der bezüglichen Bevölkerungskreise in Betracht kommenden Wohnungen infolge der monopolistischen Stellung ihrer Verleiher für erstere nicht mehr erreichbar sind, ohne die f ü r den Lebensunterhalt erforderlichen Subsistenzmittel unter das absolut nötige Mindestmaß herabzudrücken." 3 6 würden, w o die Mieter durch erhöhtes Einkommen in die Lage versetzt würden, bessere und größere Wohnungen zu mieten. Aber auch viele Wohnungsreformer vertreten die gleiche Ansicht. . . Danach lautet die Wohnungsfrage: Was kann der Unbemittelte für die W o h n u n g zahlen? U n d was kann man für diesen Preis bauen? Sie ist in erster Linie Lohnfrage; erst in zweiter, dritter Linie Städtebaufrage, Bodenfrage, Baufrage, Kreditfrage." 55 Bezeichnenderweise gelangte Kuczynski, Miete und Einkommen, S. 32 f., zur altvertrauten Meinung, die Konsumenten trügen selbst die Schuld an der unzureichenden Befriedigung ihrer Wohnbedürfnisse. „Mag immerhin das Verhältnis v o n Miete und Einkommen auch in Zukunft dasselbe bleiben wie bisher. Wichtiger als eine Änderung in dieser Beziehung ist eine Steigerung der Ansprüche der Mieter an ihr H e i m . . . Ihre Anspruchslosigkeit ist es, die die Hauptschuld an ihrem Wohnungselend trägt." M

Vogel, Reform, S. 48.

Zeitgenössische Urteile

231

D i e teilweise widersprüchlichen Analysen d ü r f t e n insgesamt so ziemlich alle Aspekte unzureichender W o h n u n g s v e r s o r g u n g erö r t e r t haben, f a ß t e n aber die negativ bewerteten K o m p o n e n t e n bestenfalls in Ursachenbündeln a d d i t i v zusammen 5 7 . D i e oftmals vehement g e f ü h r t e Diskussion f ü h r t e d a h e r immer wieder zu den nämlichen, relativ beschränkten Reformvorschlägen u n d stellte n u r selten die Frage, inwieweit es ü b e r h a u p t möglich w a r , „im R a h m e n der gegebenen Wirtschaftsordnung in welcher das P r i v a t eigentum an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n über die Möglichkeit der E r z e u g u n g der G ü t e r entscheidet, jene Ideen zu verwirklichen" 5 8 . I m m e r h i n v e r m e h r t e n sich Untersuchungen, in denen betont w u r d e , „Der Eigentümer des H a u s e s w i r d immer mehr z u m U n t e r n e h m e r , der aus d e r W o h n u n g s v e r m i e t u n g einen Geschäftsgewinn zu erzielen sucht. Das von ihm z u r E r w e r b u n g verwendete, meist sehr kleine Eigenvermögen stellt nicht mehr ein Anlage-, sondern ein Betriebskapital dar. So sehen wir, d a ß heute in der überwiegenden Z a h l der Fälle die M i e t w o h n u n g zur W a r e g e w o r d e n ist." 5 « Es fehlte auch nicht an Stimmen, welche in der Tatsache, d a ß der kapitalistische U n t e r n e h m e r die W o h n u n g wie alle a n d e r e n P r o d u k t e des Wirtschaftslebens nicht streng a n g e p a ß t an bestimmte Bedürfnisse erzeugte, die H a u p t u r s a c h e f ü r das q u a n t i t a t i v e und q u a l i t a t i v e Zurückbleiben des Wohnungsangebotes hinter dem objektiven Bedarf der großstädtischen Bevölkerungsmehrheit erblickten 0 0 . Selbst d e r chronische C h a r a k t e r der W o h n u n g s n o t w u r d e e r k a n n t u n d d a r a u f hingewiesen, d a ß oft „sogar eine absolute W o h n u n g s n o t herrscht, w o der Z u z u g an W o h n u n g s b e d ü r f t i g e n ü b e r h a u p t nicht befriedigt werden k a n n " 6 1 . T r o t z all dieser Erkenntnisse u n d trotz der schon in den siebziger J a h r e n

57 Beispielsweise Philippovidi, Die Wohnungsfrage, S. 2. „Alle diese Antworten haben Redit. Die Wohnungsfrage ist eine Frage des Bodenbesitzes, eine Frage der Baukosten, eine Frage der Verkehrspolitik, eine Frage der Rechtsordnung in Bezug auf Mietredit, Recht am Boden, Baurecht, eine Frage der Organisationsfähigkeit der Wohnungsinteressenten und der Verwaltungsorganisation der öffentlichen Körperschaften." Vgl. auch Rauchberg, Mittelständische Wohnungspolitik, S. 11 ff. 58 Pribram, Gartenstadtbewegung, S. 1. 59 Sagmeister, Wohnungsmarkt, S. 60. 60 Pribram, Gartenstadtbewegung, S. 2. 61 Maresdi, Wohnungswesen, S. 24.

232

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

entstandenen Schrift von Engels, in welcher die Wohnungsnot als notwendiges Produkt der kapitalistischen Produktionsweise als

ständige

Begleiterin

der

unterdrückten

Klassen

und

dargestellt

worden w a r 6 2 , vermied man zumeist die theoretische Entscheidung der Streitfrage, ob auf dem W o h n u n g s m a r k t und in der Mietpreisentwicklung, ohne oder m i t begrenzten staatlichen Eingriffen, durch marktwirtschaftliche Steuerung von Angebot und Nachfrage optim a l e Verhältnisse geschaffen werden können, vielmehr setzte man diese Möglichkeit in der Regel voraus und ging sofort zu R e f o r m vorschlägen

unterschiedlicher

Reichweite

über.

Klare

Stellung-

nahmen zu diesem P u n k t lieferten verschiedene programmatische Äußerungen zur „Mittelstandspolitik", welche die Wohnungsfrage im Sinne der postulierten Interessenharmonie zwischen Produzenten,

Hausbesitzern

und

Mietern

als lösbar

ansah 6 3 ,

sowie

die

kommunalpolitischen Stellungnahmen der Wiener Sozialdemokraten k n a p p v o r Ausbruch des Weltkrieges, die allerdings über eine unvollkommene Aufarbeitung

der Ansichten

von Engels

selten

hinauskamen und eine differenzierte Rezeption der vorliegenden wissenschaftlichen Literatur zur Wohnungsfrage vermissen ließen 6 4 . D i e teilweise radikalen Forderungen basierten daher nur zu einem geringen M a ß auf einer zureichenden Analyse konkreter V e r h ä l t nisse. Diese Analyse w a r auch sonst bis zum J a h r e 1914 vorwiegend für viele Teilprobleme geleistet worden, trotz der vielen P u b l i k a tionen

und

Tagungen

hatte

die

Diskussion

jedoch

zu

keiner

umfassenden theoretischen K l ä r u n g des gesamten Fragenkomplexes geführt.

5.2.

EINKOMMEN UND WOHNUNGSELEND

Besonders in den letzten Vorkriegsjahren wurde das in Wien herrschende Wohnungselend von einer radikalen Minderheit unter den Wohnungsreformern und Kommunalpolitikern vorrangig auf das unzureichende E i n k o m m e n der Arbeitermassen zurückgeführt. Diese Einbeziehung der Nachfrageseite in die Überlegungen 62

zur

E n g e l s , W o h n u n g s f r a g e . V g l . d a z u auch J a n s s e n , Sozialismus.

63

Vgl. e t w a Rauchberg, M i t t e l s t ä n d i s c h e W o h n u n g s p o l i t i k .

64

D a z u W i n a r s k y , W o h n u n g s t e u e r u n g ; ders., S o z i a l d e m o k r a t e n .

sentlich f u n d i e r t e r dagegen F r e i , W o h n u n g s - E l e n d .

We-

Einkommen und Wohnungselend

233

chronisch gewordenen Wohnungsnot der Bevölkerungsmehrheit, die jahrzehntelang in den Untersuchungen zur Wohnungsfrage fast völlig umgangen oder nur gänzlich losgelöst von den sozialen Verhältnissen der Konsumenten erörtert worden war 6 5 , hätte einen Fortschritt darstellen können, wenn dadurch der Arbeitsmarkt als Schlüsselstelle des gesamten Wirtschaftssystems angemessen berücksichtigt worden wäre. Die relativ oberflächliche Argumentation führte jedoch nicht zur Erhellung der Zusammenhänge zwischen Arbeitsmarkt, Einkommensverteilung, notwendigen Reproduktionskosten der Arbeitskraft und schichtspezifischer Befriedigung der Wohnbedürfnisse, vielmehr resignierte man vor der vermeintlichen Tatsache, daß Wohnungen trotz verschiedener Reformmaßnahmen nur relativ aufwendig zu produzieren seien, eine ausreichende Versorgung der gesamten Stadtbevölkerung mit qualitativ akzeptablen Wohnungen also nur über eine allgemeine Einkommenssteigerung realisiert werden könne 66 . Der solchen Ansichten zugrundeliegende Irrtum wäre bei etwas genauerer Kenntnis der ökonomischen Abläufe, die den Wohnungsmarkt und die Bauindustrie steuerten, oder selbst durch eine unbefangene Beobachtung der Wohnungssituation in Wien seit der Jahrhundertwende vermutlich rasch aufgeklärt worden. Dennoch erlagen gerade die am ärgsten Betroffenen wie subjektiv redlich um die Lösung des Problems bemühte Reformer dem Trugschluß, die Wohnungsfrage sei zentral eine Einkommensfrage, wodurch sie sich plötzlich und ungewollt mit vielen ihrer Argumente in Ubereinstimmung mit Bodenspekulanten, Hausbesitzern und Produzenten des Baugewerbes und der Bauindustrie befanden 6 7 . Eine wesentliche Rolle f ü r diese Fehleinschätzung hatte vermutlich der kontinuierlich steigende Wohnkomfort der Ober- und

65

In den Schriften der meisten Wohnungsreformer wurde der Nachfrageseite lange Zeit überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt. Lediglich die Interessenvertreter des Baugewerbes und der Hausbesitzer klagten periodisch über Nachfragemangel, der jedoch nie mit der schlechten Einkommenslage der Bevölkerung in Zusammenhang gebracht, sondern in der Regel als Folge spekulativer, ungesunder Wohnungsüberproduktion interpretiert wurde. 86 Typisch dafür der um die Erhellung der untragbaren Wohnungszustände äußerst verdienstvolle Philippovich, Wohnungsfrage, S. 55 f. Vgl. dazu Kuczynski, Miete und Einkommen, S. 30 f.

234

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

gehobenen Mittelschicht gespielt, deren Angehörige offenbar die Wohnungsproduktion in gewissem Ausmaß nach ihren Bedürfnissen steuern konnten und trotz steigender Grundstückpreise, erhöhter Baukosten und drückender Steuerlast infolge rasch wachsender Einkommen vom Wohnungsmangel nur peripher betroffen waren. Falsche Schlüsse dürften auch aus der Situation am Wohnungsmarkt gezogen worden sein, die sich während der zweiten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts mehrmals im Anschluß an eine Phase gesteigerter Bautätigkeit ergeben hatte: Unvermietete und leerstehende Wohnungen einerseits und erheblicher Bedarf an angemessenen, insbesondere finanziell erschwinglichen Unterkünften andererseits, verwiesen deutlich auf die Diskrepanz zwischen Angebot und zahlungsfähiger Nachfrage und führten zur Annahme, d a ß die Bautätigkeit gar nicht hinter der Nachfrage zurückbleibe, sondern lediglich die Kaufkraft einzelner Bevölkerungsschichten zu wünschen übrig lasse68. Der Vergleich von Konjunkturverlauf, Nachfrage- und Einkommensentwicklung sowie aus konkreten Wohnverhältnissen ableitbaren objektiven Bedürfnissen ergibt ein anderes Bild. Die frühen fünfziger Jahre hatten nach den Wirren der Revolution f ü r die meisten Zweige der österreichischen Wirtschaft eine spürbare Konjunkturbelebung gebracht, die erst gegen Ende des Jahrzehnts in eine bis 1867 anhaltende Depression umschlug. In Übereinstimmung mit dieser Entwicklung begannen die Löhne der meisten Berufsgruppen, die seit der Jahrhundertwende allmählich gestiegen waren, seit 1860 zu stagnieren. Das Baugewerbe nahm eine deutliche Sonderstellung ein, da es trotz der allgemein günstigen Wirtschaftslage bis 1858/59 sogar wesentlich weniger produzierte als in den beiden Jahrzehnten vor der Revolution und d a f ü r in den frühen sechziger Jahren, parallel zum Abschwung in den meisten Branchen, eine Hochkonjunktur durchlief. Die Periode der Einkommenssteigerung fiel also mit einem Tiefstand der Wohnungsproduktion zusammen und trug nicht zur Verbesserung der Wohnverhältnisse, sondern lediglich zum raschen Ansteigen der Mieten und zu hohen Profiten der auf die günstige Situation p r o m p t reagierenden Hausbesitzer bei. D a ß im gesamten Stadtbereich nahezu keine Reserven an leerstehenden Wohnungen vorhanden 68

Ausführlich bei Vogel, R e f o r m , S. 48.

235

E i n k o m m e n und Wohnungselend

waren, entspricht dem für alle Wohnungstypen

unzureichenden

Angebot bei gleichzeitigem Kaufkraftanstieg der Gesamtbevölkerung. D i e frühen sechziger J a h r e waren dann durch eine rasche Ausweitung

des

Bauvolumens,

wofür

der

Nachfrageüberhang

nach Kleinwohnungen jedoch keine nennenswerte R o l l e

gespielt

hatte, gekennzeichnet, während die Bevölkerungsmehrheit

infolge

der verschlechterten Wirtschaftslage spürbare Einkommenseinbußen und damit eine weitere Beschränkung der ohnehin

äußerst

scheidenen Haushaltsbudgets hinnehmen mußte 6 9 . D i e

be-

verstärkte

Produktion, die zudem lediglich mit dem Bevölkerungswachstum Schritt hielt, bewirkte unter solchen Umständen keine allgemeine Verbesserung der Wohnverhältnisse, sondern lieferte insbesondere steuerbegünstigt errichtete große Nobelwohnungen für eine M i n d e r heit privilegierter Familien. D i e steigende Leerstehungsquote, die allerdings

durch eine Zunahme

der kurzfristig

unvermietbaren

Luxuswohnungen mitverursacht wurde, verwies, bei fortdauernden Zinserhöhungen für kleine Wohnungstypen, ohne Zweifel auf ein Überangebot gegenüber der zahlungsfähigen

Nachfrage.

Gleich-

zeitig wurde aber der tatsächlich existierende B e d a r f an W o h n r a u m immer

schlechter

gedeckt.

Gemessen

an

den

Bedürfnissen

der

Bevölkerung erweist sich die vielbeschworene Überproduktion als Mythos. Der

seit

1867/68

einsetzende

allgemeine

volkswirtschaftliche

Aufschwung verlief diesmal mit einer allmählichen Belebung der Bautätigkeit parallel, die innerhalb Jahresfrist sogar in einen noch nie dagewesenen B a u b o o m überging, welcher bis zur Mitte des Jahrzehnts

anhielt,

Wirtschaftszweige

während

die H o c h k o n j u n k t u r

der

anderen

1 8 7 3 mit dem Börsekrach ein abruptes

Ende

gefunden hatte. Beträchtliche Lohnsteigerungen, welche die mit dem umfassenden Aufschwung verbundene Teuerung der Lebensmittel mehr als egalisiert haben dürften, und eine vervielfachte

Woh-

nungsproduktion brachten nicht die erhoffte Lösung des Wohnungsproblems, vielmehr spitzte sich die Situation sogar noch weiter zu, was durch die Flut gerichtlicher Kündigungen,

die

sprunghafte

Die Stunden- und Wodienlöhne wurden z w a r in der Regel nicht reduziert, sondern a m Stand von 1 8 5 8 / 6 0 eingefroren. D e r Anteil der arbeitslosen B e v ö l k e r u n g stieg jedoch beträchtlich und verursachte dadurch eine Senkung des durchschnittlichen Jahreseinkommens der Lohnarbeiter und Kleingewerbetreibenden.

236

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

Erhöhung der Mieten, die Verdrängung armer Familien aus noch einigermaßen erträglichen Unterkünften und die wachsende Zahl von Obdachlosen manifestiert wurde. Die relativ günstige Einkommensentwicklung senkte die Leerstehungsquote und ermöglichte die prompte Vermietung schäbigster Quartiere zu Phantasiepreisen, zur Hebung des durchschnittlichen Wohnungsstandards trug sie aber nichts bei, da das Schwergewicht der Bautätigkeit auch weiterhin auf die Errichtung von steuerbegünstigten Luxuswohnungen in den Ringstraßenbauten gerichtet blieb und eine vergleichsweise gewinnträchtige Produktion von kleinen Unterkünften in Massenmiethäusern nur bei Reduktion der Qualitätsansprüche auf ein Minimum möglich war. Erst die Jahre der Wirtschaftskrise seit 1874 brachten, trotz der starken Lohnkürzungen, infolge des Abzugs vieler Arbeiter und der bis 1876 anhaltenden Baukonjunktur, die sich verstärkt dem Kleinwohnungsbau zugewendet hatte, eine leichte Milderung des Elends. Auch die weitere Untersuchung der Wohnverhältnisse im 19. und frühen 20. Jahrhundert hat keine Belege geliefert, daß mit der Hebung des Realeinkommens der Bevölkerungsmassen notwendigerweise eine Verbesserung der Wohnverhältnisse verbunden gewesen wäre. Besonders instruktiv sind diesbezüglich die letzten Vorkriegsjahre, in denen von der Arbeiterschaft namhafte Lohnerhöhungen durchgesetzt wurden, die jedoch nicht ausreichten, die Mehrproduktion von zwei Konjunkturphasen über den Marktmechanismus den eigenen Bedürfnissen anzupassen und die sogar hinter der Mietpreisentwicklung der neu auf den Markt gelangenden Kleinwohnungen zurückblieben. Wie in den deutschen Städten hatte die starke Lohnsteigerung, die mit dem allgemeinen Konjunkturanstieg seit 1910 verbunden war, trotz einer regen Bautätigkeit keine nennenswerte Verbesserung der Wohnverhältnisse bewirkt 7 0 . Die Kaufkraftsteigerung vieler Haushalte hatte hauptsächlich überproportional wachsende Zinsforderungen ermöglicht, den Anteil der Miete im Haushaltsbudget vergrößert und leerstehende Wohnungen in den Arbeiterbezirken zur Rarität werden lassen. Die Reduktion der Wohnungsfrage auf eine Lohnfrage läßt sich daher für den Untersuchungszeitraum empirisch ebensowenig recht70

Vgl. Kuczynski, Miete und Einkommen, S. 31.

K a p i t a l v e r w e r t u n g und Wohnungsnot

237

fertigen, wie sie theoretisch plausibel gemacht werden konnte, da jede Steigerung der N o m i n a l - und Realeinkommen durch die Erhöhung der Mieten deutlich überkompensiert wurde. Zweifellos spielte die jeweilige Einkommenssituation eine Rolle für die Lage am Wohnungsmarkt, sie w u r d e jedoch nie zur bestimmenden Größe f ü r das Angebot, sondern spielte besonders am Teilmarkt für Klein- und Kleinstwohnungen nur eine sekundäre Rolle. Daß die begrenzte Zahlungsfähigkeit breiter Schichten der Bevölkerung eine Ursache für die Probleme der Wohnungsversorgung darstellte, w i r d damit nicht bestritten; insgesamt ist aber nicht zu übersehen, daß die Einkommensstruktur nur im Rahmen anderer ökonomischer Determinanten für die Produktion der Ware Wohnung von Bedeutung war. Offenbar stellten die Amortisation der Baukosten, der Zins auf das vorgeschossene K a p i t a l und die Grundrente die ausschlaggebenden Bestandteile des Mietpreises dar, der sich freilich erst über den wie auch immer eingeschränkten Marktmechanismus und insofern über die K a u f k r a f t der Konsumenten realisieren ließ. M a n w i r d daher zu Recht die Wohnungsfrage im sich industrialisierenden Wien nicht isoliert und vorrangig als Einkommens-, sondern insbesondere als Boden-, Baukosten- und Finanzierungsfrage interpretieren müssen 71 .

5.3.

K A P I T A L V E R W E R T U N G UND W O H N U N G S N O T

Schon in den Analysen österreichischer Wohnungsreformer der J a h r h u n d e r t w e n d e w u r d e mehrfach hervorgehoben, d a ß in der überwiegenden Zahl der Fälle die Wohnung zur W a r e geworden sei, der Eigentümer eines Hauses also nicht mehr vorrangig sein Kapital anlegen, sondern auf dem Weg der Wohnungsvermietung

7 1 Die A u f a r b e i t u n g der W i e n e r Wohnverhältnisse des 19. J a h r h u n d e r t s f ü h r t damit zu Ergebnissen, die den Ansätzen der Projektgruppe „Wohnungsversorgung" am Institut ,Wohnen und U m w e l t ' in D a r m s t a d t grundsätzlich entsprechen. Vgl. Brede - K o h a u p t - K u j a t h , Determinanten, S. 14 ff. D e r von der Projektgruppe f ü r die gegenwärtige Wohnungssituation in deutschen G r o ß s t ä d t e n erstellte theoretische Bezugsrahmen erwies sich in vielen Punkten auch f ü r die historische A n a l y s e der Zusammenhänge zwischen W o h n u n g s p r o d u k t i o n , Wohnungsvermietung und Wohnungsversorgung in W i e n v o r dem Ersten Weltkrieg brauchbar.

238

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

g e w i n n b r i n g e n d verwerten will, wodurch die P r o b l e m e der W o h n u n g s v e r s o r g u n g p r i n z i p i e l l z u P r o b l e m e n der

Kapitalverwertung

g e w o r d e n seien 7 2 . D i e s e H i n w e i s e g r i f f e n z w e i f e l l o s einen z e n t r a l e n Aspekt von Rahmen

Wohnungsproduktion

der

enthielten

profitorientierten

aber

noch k e i n e

und Wohnungsvermietung

kapitalistischen

Hinweise

auf

die

im

Wirtschaft

auf,

spezifischen

öko-

n o m i s c h e n B e d i n g u n g e n , die f ü r d a s F u n k t i o n i e r e n d e s W o h n u n g s marktes und

für die Wohnungsversorgung

unter den

konkreten

l o k a l e n V o r a u s s e t z u n g e n a u s s c h l a g g e b e n d w a r e n , u n d eigneten sich d a h e r nicht a l s E r k l ä r u n g s h i l f e f ü r d i e i n t e r p r e t a t i o n s b e d ü r f t i g e n S a c h v e r h a l t e der W o h n u n g s s i t u a t i o n

in W i e n .

Vor

Sichtung

des

e m p i r i s c h e n M a t e r i a l s seien d a h e r e i n i g e theoretische A n m e r k u n g e n z u r W o h n u n g als z i n s t r a g e n d e s K a p i t a l a u s d e r s o z i a l w i s s e n s c h a f t lichen L i t e r a t u r v o r g e s t e l l t 7 3 . Wohnungen sondern

sind W a r e n , d i e nicht in k u r z e r Z e i t

l a n g e Z e i t hindurch

genutzt

werden.

verbraucht,

Sie w e r d e n

a u f d e m neuzeitlichen s t ä d t i s c h e n W o h n u n g s m a r k t n u r

daher

vereinzelt

z u m K a u f , in der R e g e l j e d o c h z u r M i e t e a n g e b o t e n . D e r V e r m i e t e r verkauft

keineswegs

ratenweise,

w o f ü r er Z i n s v e r l a n g t . Z w a r

sondern

verleiht

Warenkapital,

s t e l l t er f ü r d i e A b n u t z u n g

der

7 2 Sagmeistcr, Wohnungsmarkt, S. 60; vgl. auch Pribram, Gartenstadtbewegung, S. 2 : „Die Entwicklung des modernen Kapitalismus hat es mit sich gebracht, daß die menschliche Wohnung, wie alle anderen G ü t e r des Wirtschaftslebens nicht in strenger Anpassung an einem bestimmten Bedarf, sondern für einen beliebigen, unbekannten Benützer, auf Vorrat erzeugt wird. D a ß Wohnungen gebaut werden, nicht um von dem Eigentümer des Hauses bewohnt zu sein, wie dies in früheren Zeiten ganz allgemein der Fall war . . ., sondern um als Ertragsobjekt . . . einen jährlichen Gewinn abzuwerfen." Ähnlich, wenngleich kämpferischer Winarsky, Wohnungsteucrung, S. 3: „In der kapitalistischen Gesellschaft w i r d alles zur Ware. Jeder Gegenstand wird erzeugt, nicht um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um seinen Erzeugern Profit zu bringen. O b durch seine Erzeugung auch menschlichen Bedürfnissen Rechnung getragen wird, ist eine Frage, die nur so weit Berücksichtigung findet, als dadurdi die Absetzbarkeit der erzeugten Waren und damit die Verwirklichung des Profits beeinflußt wird." 7 3 Fuchs, Wohnungs- und Siedlungsfrage; Eberstadt, Handbuch; H a n d wörterbuch des Wohnungswesens; Lütge, Wohnungswirtschaft; Dietrich, Grundrente und Wohnungsfrage; Molitor, Wohnungspolitik; Janssen, Sozialismus; Kainrath, Wohnungswesen; Brede - K o h a u p t - Kujath, Determinanten.

Kapitalverwertung und Wohnungsnot

239

Wohnung eine Abschreibung in Rechnung, aber diese ist kein Kaufpreis, sondern die Rückerstattung des geliehenen Kapitals 7 4 . Eine Besonderheit der Wohnungen ist die untrennbare Bindung an Grund und Boden, woraus folgt, daß sie nicht beliebig vermehrbar sind, was nicht unbedeutende Implikationen für die Preisbestimmung am Wohnungsmarkt nach sich zieht. Ebenso ergibt sich daraus, daß die Beschaffung des Bodens in der Regel zur Erzeugung der Ware Wohnung zählt. Das auf einem lokalen Markt vorhandene Wohnungsangebot wird im Normalfall größtenteils durch die bereits vorhandenen Einheiten und nur zu einem Bruchteil durch Neubauten gestellt. Änderungen der Angebotsstruktur erfolgen relativ schwerfällig, da die Wohnungsproduktion erhebliche organisatorische Schwierigkeiten bereitet und große Mengen von langfristig zu bindendem Kapital erfordert. Die daraus resultierenden Besonderheiten des Wohnungsmarktes bewirken, daß die H ö h e des Mietpreises nicht einfach aus dem jeweiligen Verhältnis von Angebot und Nachfrage herrührt, sondern ganz wesentlich durch zeitlich oft weit zurückliegende Entscheidungen abhängt. „Der Hauseigentümer ist an einer möglichst hohen Verzinsung seines langfristig angelegten Kapitals interessiert, und er wird nur dann bereit sein, sein Kapital in Form der Wohnung anzulegen, wenn ihm eine im Verhältnis zu anderen Kapitalanlagesphären zumindest durchschnittliche Verwertung gewährleistet erscheint. Die Miete muß deshalb diese Verwertung garantieren — neben der Abschreibung, den laufenden Kosten f ü r Instandhaltung und Betrieb sowie neben einer Rente für den zur Verfügung gestellten Grund und Boden . . . Die Verzinsung ist es, die sich der Hauseigentümer von der Wohnungsvermietung erhofft und die ihn deshalb zum Bau oder Kauf des Hauses veranlaßt hat. Die H ö h e dieses Zinses ist von zwei Faktoren abhängig: von der Größe des vorgeschossenen Kapitals und von dem Zinssatz, der auf dem Wohnungsmarkt erzielt werden kann." 7 5 74 Brede - Kohaupt - K u j a t h , Determinanten, S. 24 f. Die irrige Vorstellung vom ratenweisen Verkauf einer Mietwohnung findet sich auch in neuerer Literatur. Vgl. Neef, Grundbesitz, S. 32. „Wird das H a u s vermietet, so heißt das nur, daß es nicht auf einen Schlag, sondern sukzessiv verkauft w i r d und erst dann endgültig verkauft ist, wenn es verschlissen, unbrauchbar ist." 7r ' Brede - Kohaupt - K u j a t h , Determinanten, S. 25.

240

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

5.3.1. Grundrente

und

Bodenpreise

Ein Teil des Kapitals, den der Bauherr beim Wohnungsbau vorschießt, muß f ü r den Erwerb eines geeigneten Grundstückes ausgegeben werden. Das Entgelt, das er f ü r den Gebrauch des Bodens vom Mieter verlangt, ist die Grundrente, die im Rahmen der Gesamtmiete als Zins eingefordert wird. Es ist allerdings zu beachten, daß sich die H ö h e des für den Erwerb des Bodens ausgelegten Kapitalteils nicht aus den Produktionskosten eines Gutes ergibt, wie etwa im Fall der Wohnung, sondern anderen Gesetzmäßigkeiten folgt. In der Frage des Zusammenhanges von Bodenpreis und Grundrente herrscht heute insofern Einigkeit, da man den Bodenpreis in der Regel als abhängig von der Grundrente betrachtet, welche der Bodeneigentümer bei der Vermietung oder Verpachtung erzielen kann. Die im Gefolge von Eberstadt von einer Mehrheit der deutschen und österreichischen Wohnungsreformer vertretene Meinung, die Mieten würden durch die Grundstückspreise einseitig bestimmt, konnte nie überzeugend empirisch erhärtet werden und verschwand allmählich aus der theoretischen Diskussion, in welcher nunmehr der Bodenpreis im Fall der Wohnungsnutzung als abhängige Variable von den erzielbaren Mieten betrachtet wird 7 6 . Allgemein wird der Bodenpreis also für die Grundrente bezahlt, welche man über die beabsichtigte Nutzung des Bodens zu realisieren erhofft 77 . Strittig geblieben ist dagegen seit der vehementen Debatte des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, welche Faktoren die H ö h e der Grundrente und damit die Bodenpreise bestimmen 78 . In unserem Zusammenhang kommt den teilweise 76 Grundsätzlich dazu in den Vorkriegsjahren N a u m a n n , Miete und G r u n d r e n t e ; Philippovich, Wohnungsfrage, S. 52 f.; Voigt, Bodenbesitzverhältnisse, S. 220 ff.; ders., Bodenpolitik, S. 279; Rauchberg, Mittelständische Wohnungspolitik, S. 11 ff. 77 Brede - Kohaupt - K u j a t h , Determinanten, S. 39. 78 Beträchtliche Auffassungsunterschiede über Entstehung und H ö h e der Grundrente finden sich selbst in neueren Arbeiten mit einer vergleichbaren wissenschaftstheoretischen Ausgangsposition. Vgl. etwa Brede Kohaupt - Kujath, Determinanten, S. 39 ff.; Chaloupek, Bodenproblem, S. 65 ff.; Faßbinder, Preisbildung, und N e e f , Grundbesitz, S. 32 ff. Insbesondere die Einstufung der Grundrente als Differentialrente blieb im Fall der Wohnungsnutzung umstritten. — Von den älteren Arbeiten

241

Grundrente und Bodenpreise

konträren Standpunkten nur beschränkt Bedeutung zu, so daß einige Anmerkungen genügen. So verdient Beachtung, daß eine Erklärung der Entstehung und der H ö h e der Grundrente aus der jeweiligen Konstellation von Angebot und Nachfrage am Bodenmarkt in dieser verabsolutierten Form völlig irreführend ist. Beim Boden f ü r städtische N u t z u n g handelt es sich um ein nur sehr begrenzt vermehrbares Gut, die Substituierbarkeit von Grundstücken, welche allein eine ausreichende Konkurrenz bewirken könnte, ist auf ein Minimum reduziert. Die Bedeutung des Marktmechanismus kann zwar insofern nicht geleugnet werden, als erst über die Konkurrenz durchgesetzt wird, daß ein Grundstück jener N u t z u n g zugeführt wird, bei der die höchstmögliche G r u n d rente zu erzielen ist, der unkontrollierte Bodenmarkt kann aber lediglich diese kurzfristige Allokationsfunktion erfüllen, da steigende Preise auch nach einer gewissen Frist keine Vermehrung des Angebots nach sich ziehen, wie dies auf den Warenmärkten zumindest in beschränktem M a ß der Fall ist. Die Spekulation auf dem Bodenmarkt treibt daher die Preise in die Höhe, ohne langfristig das Angebot zu vermehren 7 9 . Welche Bodennutzung eine andere, bereits bestehende verdrängt, hängt von der jeweiligen H ö h e der zu erzielenden Rentabilität ab. Das Ausmaß der möglichen Grundrente entscheidet also darüber, ob und wo Wohnungen gebaut und wo sie von anderen Nutzungen verdrängt werden 80 . N u r wenn die Grundrente, die durch Wohnungsvermietung realisiert wird, mindestens so hoch ist wie die Differentialrente bei industrieller oder anderer Nutzung, kann sie mit dieser konkurrieren. Die

verdienen besonders die schon mehrfach zitierten Analysen von Eberstadt, Naumann, Voigt, Vogel und Philippovich Beachtung. Zusammenfassend Ertel, Wohnungs- und Verkehrswesen, S. 46 ff. Von einer umfassenden empirischen Untersuchung der Bodenpreisbewegung und Mietenentwicklung in Wien ausgehend Schwarz, Grundrente, S. 39 ff.; dagegen mit besonderer Betonung der Berliner Verhältnisse Mangoldt, Bodenfrage, S. 8 ff.; im Sinne von Naumann auch der insbesondere vom Bodenmarkt in Prag ausgehende Mildschuh, Baubeschränkungen, S. 658 ff. Instruktiv für die gegensätzlichen Standpunkte die Diskussion in den Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik über die Wohnungsfrage, abgedruckt in den Schriften des Vereins für Socialpolitik 98 (1902), S. 78 ff. 79

Chaloupek, Bodenproblem, S. 67 f. Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten, Entwicklung Favoritens, S. 254. 80

16 Feldbauer, Stadtwachstum

S. 44,

und

Schweitzer,

242

Ursadien unzureichender Wohnungsversorgung

Höhe der Grundrente im Falle der Wohnungsvermietung ergibt sich schließlich aus der unterschiedlichen Nachfrage nach Wohnungen verschiedener Lage und Qualität u n d wird im wesentlichen begrenzt durch die Zahlungsfähigkeit der Nachfragenden. Die Bedeutung der Grundrente f ü r die Wohnungsversorgung liegt also nicht nur in ihrem Anteil an der geforderten Miete, sondern auch am Allokationseffekt unterschiedlich geschätzter Wohnlagen sowie an der durch die Verbauungsdidite maßgeblich mitbestimmten Wohnungsqualität. Die Klagen über den Mangel an preiswerten Grundstücken als Ursache stockender Bautätigkeit und steigender Mieten waren fester Bestandteil der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts geführten Debatten über das Wohnungselend in Wien. Als Konsequenz dieser Einschätzung der Wohnungsnot erhoffte man von der Parzellierung des im Zuge der ersten Stadterweiterung freiwerdenden Raumes zwischen der Altstadt und den ehemaligen Vorstädten im Verein mit administrativ getroffenen baufördernden Maßnahmen eine Stabilisierung oder gar Reduktion der Bodenpreise und die rasche Behebung der herrschenden Wohnungsmisere. Wich dieser weitverbreitete Optimismus auch bald einer allgemeinen Ernüchterung, so blieb der Glaube an die zu hohen Grundstückkosten als H a u p t ursache unzureichender Wohnungsversorgung zunächst völlig unerschüttert, wenngleich sich gezeigt hatte, daß die Baukonjunktur der frühen sechziger Jahre durch rasch kletternde Bodenpreise nicht wesentlich behindert worden war. Der gegen Ende des Jahrzehnts einsetzende Bauboom erbrachte bis 1875/76 laufend neue Rekordergebnisse, obwohl die Grundstückspreise in kürzester Zeit unglaubliche Höhen erreicht hatten, wozu die umfangreiche Spekulationstätigkeit vieler neugegründeter Baugesellschaften wesentlich beigetragen haben dürfte. Selbst im Ringstraßenbereich, wo die Bodenpreise teilweise astronomische Höhen erreicht hatten, machten diese in der Regel weniger als 25 °/o der gesamten Produktionskosten eines Nobelmiethauses aus 81 . In den Vorstädten und erst recht im Vorortebereich dürften bei der Errichtung von Massenmiethäusern nur selten mehr als 12 bis 1 5 % des erforderlichen Kapitals für die Beschaffung geeigneter Grundstücke aufgegangen sein. Die Flaute des Baugewerbes in der zweiten H ä l f t e der 81

Vgl. dazu Baltzarek, Gesamtkosten, S. 255 ff.

Grundrente und Bodenpreise

243

siebziger Jahre war von einer auffälligen Stagnation der Bodenpreise begleitet, die erst 1880 wieder eine klar steigende Tendenz aufwiesen, welche sich von 1890 bis zum Ausbruch des Weltkriegs noch weiter verstärkte. Der bedeutsame Aufschwung der Bautätigkeit im letzten Jahrfünft vor der Jahrhundertwende fiel mit der spektakulärsten Wertsteigerung von Bauparzellen seit der Eingemeindung der Vororte zusammen, ohne daß eine auch nur kurzfristige Entspannung am Bodenmarkt vorangegangen wäre. Man wird auf Grund dieser hier nur kurz wiederholten Beobachtungen sicherlich nicht die Hemmnisse leugnen wollen, welche die enorme Aufwärtsbewegung der Grundrente für die Kapitalverwertung in der Form von Wohnungsproduktion und Wohnungsvermietung a u f w a r f , als zentraler Faktor für die Abfolge der Hochkonjunktur- und Depressionsphasen der Wiener Bauwirtschaft können die steigenden Bodenpreise im Untersuchungszeitraum aber nicht gelten 82 . Ebenso lassen sich die kontinuierlichen, gegenüber den sonstigen Lebenshaltungskosten überproportionalen Mietzinserhöhungen nur zum geringeren Teil auf die wachsenden Bodenpreise zurückführen, vielmehr dürfte der insgesamt relativ niedrige Anteil der Grundrente an den Produktionskosten eines Wohnhauses seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eher zurückgegangen als gestiegen sein, wie der Vergleich von Baukalkulationen im Zeitverlauf nahelegt 83 . Für die durch stark steigende Baukosten gekennzeichneten Vorkriegsjahre wurde der A u f w a n d f ü r die Beschaffung des Grundstückes bei der Errichtung eines drei- bis vierstöckigen Massenmiethauses in den Arbeiterbezirken von Wohnungsexperten mit etwa 8 bis 12 % der Gesamtkosten veranschlagt, in vornehmen Stadtvierteln und bei der Errichtung von Einfamilienhäusern konnte sich diese Relation natürlich erheblich verschieben, doch steht außer Zweifel, daß die Baukosten in der 82

Die große Aufmerksamkeit der Wohnungsreformer für die Entwicklung der Grundrente w a r daher zumindest übertrieben und nährte lediglich übersteigerte Hoffnungen, die man in eine gezielte Bodenpolitik der K o m m u n e setzte. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde dann den Fragen v o n Bodenbeschaffung und Grundrentenentwicklung eher zu wenig Beachtung gewidmet. 83 Vgl. für die Zeit um 1 8 7 0 — 1 8 8 0 R a t k o w s k y , R e f o r m ; Junk, Wiener Bauratgeber; Wagner, Baurechner. Für die Vorkriegsjahre liegen differenzierte Angaben unter anderem v o n M u l l y v o n Oppenried, Bewertung, und Goldemund, Wohnungsverhältnisse, vor.

16*

244

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

Regel der dominierende Faktor blieben 84 . Der Anteil der Grundrente an den Mieten war aber faktisch noch niedriger, weil in diese neben der Verzinsung der Baukosten und der Grundrente auch noch die Bewirtschaftungskosten eingehen. Der relativ geringe Anteil der Grundrente an den Mieten im Wohnungsbau wurde durch die rasant steigenden Baukosten und die in deren Gefolge anwachsende Steuerlast sowie die beschränkte Zahlungsfähigkeit der Konsumenten verursacht. Wurden die Mieten infolge aller zusammenwirkender Faktoren soweit erhöht, daß sie das finanzielle Leistungsvermögen ganzer Bevölkerungsgruppen überforderten, so ergab sich der Zwang, auf relativ billigeren Boden zurückzugreifen, da man eine Senkung der Baukosten ohne Änderung der Bauordnung f ü r unerreichbar hielt und die Reduktion der Steuern nur in Ausnahmefällen durchgesetzt wurde. D a ß die f ü r Arbeiterwohnhäuser bestimmten Parzellierungen immer weiter an den Stadtrand rückten, war ein Zeichen dieser Entwicklung. Konnte man beim Bau von Zinskasernen auf dem Weg erhöhter Mieten die Grundrente nicht mehr weiter vermehren, so gelangte man durch enge Verbauung der Grundstücke sowie durch zusätzliche Stockwerke zum nämlichen Ziel 85 . Seit der Jahrhundertmitte hatte sich die Intensität der Bodenausnutzung dauernd verstärkt, 84 Nach der Kostenkalkulation eines Baumeisters f ü r ein vierstöckiges Kleinwohnungshaus in Simmering wurden bei einem G r u n d w e r t von 18 0 0 0 K Produktionskosten von etwa 132 000 K veranschlagt. Die Beredinung einer Baugesellschaft ergab f ü r ein vierstöckiges Kleinwohnungshaus in O t t a k r i n g bei 75 °/o Verbauung der Parzelle Gesamtkosten von nahezu 370 000 K, w o v o n 45 000 K auf das Grundstück entfielen. Für ein Zinshaus mit drei Stockwerken in einem durch etwas höhere Bodenpreise gekennzeichneten Viertel des dritten Bezirkes ergab sich eine Relation von 830 000 K Gesamterfordernis an Kapital zu 227 700 K Grundstückkosten. — Ausführlich dazu u n d weitere Beispiele bei Mully von Oppenried, Bewertung, S. 183 ff. 85 Allgemein dazu N a u m a n n , Miete und Grundrente, S. 146 ff., der vertikale und horizontale Intensitätssteigerung unterscheidet und unter der Annahme fehlender administrativer Hemmnisse und landschaftlicher Gleichförmigkeit ein Modell der Stadtverbauung auf der Basis der v o m Zentrum zur Peripherie fallenden Bodenpreise erstellt. Im Idealfall w ü r d e sein städtisches Bodenpreis- und Verbauungsmodell annähernd die Form eines Kegels annehmen. — Grundlegend auch Voigt, Bodenpolitik, S. 287, und Mildschuh, Baubeschränkungen, S. 658 ff. Von neueren Arbeiten etwa Neef, Grundbesitz, und Faßbinder, Arbeiterviertel, S. 66 ff.

Grundrente und Bodenpreise

245

bis entsprechende neue B a u f o r m e n in den n e u n z i g e r J a h r e n

über

den G ü r t e l auch in d i e ehemaligen V o r o r t e e i n z u d r i n g e n begannen und

das städtebauliche

Bild

rasch v e r ä n d e r t e n 8 6 .

Eine

setzung für die e x t r e m dichte, die W o h n u n g s q u a l i t ä t verschlechternde

Verbauung

war

die

in

der

1893

Voraus-

maßgeblich novellierten

B a u o r d n u n g w e i t e r h i n enthaltene B e s t i m m u n g , d a ß lediglich 15 °/o der Gesamtfläche einer P a r z e l l e u n v e r b a u t b l e i b e n m u ß t e n . dicht die w e r t v o l l e n

Grundstücke i m S t a d t z e n t r u m ,

aber

Wie selbst

r e l a t i v billige P a r z e l l e n in A r b e i t e r v i e r t e l n bereits u m die J a h r hundertwende

verbaut waren,

geht aus einer

Stichprobenunter-

suchung an 92 H ä u s e r n im ersten, achten, neunten u n d sechzehnten B e z i r k h e r v o r . D a n a c h g a b es in d e r I n n e n s t a d t nur

vereinzelt

Grundstücke, die zu mehr als 15 °/o u n v e r b a u t w a r e n ,

vielmehr

w a r eine stärkere A u s n u t z u n g , als dies die B a u o r d n u n g

vorsah,

n a h e z u die R e g e l . A u f der Aiser S t r a ß e wurden durchwegs mehr als 6 0 o/o, v e r e i n z e l t sogar m e h r als 8 5 °/o der v o r h a n d e n e n Fläche v e r b a u t , in O t t a k r i n g w a r die S i t u a t i o n noch e t w a s

günstiger 8 7 .

Das

durch

Ziel

Vielzahl

der von

maximalen

Flächenausnutzung

Grundrißgestaltungen

wurde

erreicht, bis m a n

eine

schließlich

ü b e r h a u p t die P a r z e l l e n nahezu gänzlich ü b e r b a u t e u n d nur mehr eine A n z a h l v o n L i c h t h ö f e n aussparte 8 8 . Gleichzeitig

vorgenom-

mene Ausstattungsverbesserungen w o g e n den durch die übertriebene Verbauungsdichte

verursachten

Qualitätsverlust

der

Wohnungen

nicht auf, so d a ß es, neben der unzureichenden q u a n t i t a t i v e n , unter dem E i n f l u ß der wachsenden G r u n d r e n t e auch eine unzureichende q u a l i t a t i v e W o h n u n g s v e r s o r g u n g g a b 8 9 . S o w e i t es die B a u o r d n u n g zuließ, versuchte m a n in vielen L a g e n der S t a d t auch die v e r t i k a l e I n t e n s i t ä t bis zu j e n e m P u n k t zu steigern, a n d e m die D i f f e r e n z zwischen

erzielbarer

Gesamtmiete

und

Produktionspreis

des

W o h n r a u m s a m g r ö ß t e n w a r . D e r ebenfalls 1 8 9 3 erlassene B a u z o n e n p l a n h a t t e allerdings bezüglich der E r r i c h t u n g Stockwerke

eine

vorgenommen

Gliederung

und

dadurch

der

Stadt

nach

eine intensivierte

der

zusätzlicher Gebäudehöhe

Verbauung

durch

S t o c k w e r k s a u f t ü r m u n g z u m N u t z e n des S t a d t b i l d e s , a b e r sicherlich Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 103. Vgl. Braun von Fernwald, Abstufung, S. 628 ff. 9 8 Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 106. 8 9 Damit stimmt auch die sowohl absolute wie relative Zunahme der Kellerwohnungen von 1880—1914 überein. 86 87

246

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

nicht zum ausschließlichen Wohl der einkommensschwachen Mieter, wesentlich eingeschränkt 90 . Die Entwicklung der Grundrente war gegen Ende des Jahrhunderts bereits so weit fortgeschritten, daß in den inneren Bezirken umfangreiche Demolierungs- und Neubauarbeiten einsetzten, um die höchstmöglichen Profitraten zu realisieren. Die an die Stelle der abgebrochenen Objekte gesetzten Neubauten waren in der Regel um zwei Geschosse höher, so d a ß in der Altstadt siebenstöckige und in den übrigen inneren Bezirken sechsstöckige Häuser die Regel wurden 9 1 . In den 1890 eingemeindeten äußeren Bezirken stieg die Bauhöhe der Umbauten und meisten Neubauten ebenfalls bis zur zulässigen Grenze von vier Geschossen an 92 . Durch diesen Prozeß und insbesondere durch die administrativ geforderte Zonengliederung wurde die seit mehreren Jahrzehnten die Sozialtopographie von Wien immer deutlicher prägende, über den Wohnungsmarkt auf Grund der Bodenpreisentwicklung erzwungene Segregation der verschiedenen Bevölkerungsschichten zusätzlich gefördert. War bei einem bestimmten Grundrentenanteil im Wohnungsbau eine Mietobergrenze erreicht, so mußte entweder die Bebauungsdichte weiter zunehmen, oder es wurde unmöglich, in günstig gelegenen Stadtvierteln Wohnungen zu finanziell akzeptablen Mietpreisen zu errichten. Durch die Konkurrenz zwischen Wohnungsnutzung des Bodens und anderen gewinnbringenden N u t z u n gen wurden die Grundstückspreise kontinuierlich höher getrieben, wodurch viele Wohnungen in ungünstigere Lagen der Stadt abgedrängt oder für die Bevölkerungsmehrheit zu teuer wurden. Wie sich aus der bezirksspezifischen Veränderung der Wohn90

Diese Beschränkung wirkte nicht nur profitmindernd für gewisse Grundbesitzer und Bauproduzenten, sondern auch mietensteigernd f ü r die betroffenen Stadtteile. Grundsätzlich zogen Baubeschränkungen, unabhängig von eventuellen reformerischen Motiven und tatsächlichen Qualitätsverbesserungen, immer weitere Zinserhöhungen nach sich, solange die Produktion und Vermietung von Wohnungen durch einen unkontrollierten, durch das Monopol der Anbieter geprägten Wohnungsmarkt gesteuert wurde. Ausführlich dazu N a u m a n n , Miete und Grundrente, sowie Mildschuh, Baubeschränkungen. 91 Diese gegenüber den Bauordnungsbestimmungen zu hohe Geschoßzahl w u r d e durch Beifügung eines Tiefparterres oder Dachgeschosses erzielt. 92 Bobek - Liditenberger, Wien, S. 105 f.

Grundrente und Bodenpreise

247

Verhältnisse e r k e n n e n ließ, f ü h r t e der M a r k t m e c h a n i s m u s in i m m e r stärkerem

Maß

zur V e r d r ä n g u n g

der W o h n u n g s n u t z u n g

durch

D e t a i l h a n d e l u n d Dienstleistungsbetriebe, die sich langfristig optimalen

Standorte

sichern

konnten,

nachdem

frühen siebziger J a h r e n die U m w a n d l u n g vieler

schon

den

Innenstadtwoh-

nungen i n B a n k - und B ü r o r ä u m e b e k l a g t w o r d e n w a r 9 3 . gleich unterschiedliche M i e t e r t r ä g e

die

in

qualitätsgleicher

Wenn-

Objekte

die unterschiedliche H ö h e der G r u n d r e n t e zurückgeführt

auf

werden

müssen, lag der ausschlaggebende E i n f l u ß der Bodenpreise a u f die W o h n u n g s v e r s o r g u n g auch schon damals, t r o t z gegenteiliger

Mei-

nung vieler Zeitgenossen, nicht p r i m ä r in der W i r k u n g a u f

die

Miethöhe,

nur

sondern

vorrangig

im

Allokationseffekt94.

Da

besonders hochwertige N o b e l w o h n u n g e n m i t den M i e t g e b ü h r e n des Dienstleistungssektors k o n k u r r i e r e n k o n n t e n , b e w i r k t e die u n t e r schiedlich hohe G r u n d r e n t e in den einzelnen S t a d t t e i l e n nicht nur die Beseitigung v o n W o h n v i e r t e l n durch gewerblich genutzte oder der V e r w a l t u n g dienende G e b ä u d e , v i e l m e h r wurden auch billige Q u a r t i e r e durch teure v e r d r ä n g t . Diese Prozesse f ü h r t e n i m V e r l a u f des 19. J a h r h u n d e r t s zu einer immer stärkeren Segregation v o n N u t z u n g e n und schichten,

was

Krisenzeiten

sich

ganz

jeweils

angehörigen in die

allgemein

forcierten

aus

der

Bevölkerungs-

etappenweisen,

Verdrängung

der

in

Unterschicht-

V o r o r t e u n d späteren A u ß e n b e z i r k e erkennen

ließ, welche z u r E n t s t e h u n g ausgesprochener

Arbeiterbezirke

ge-

führt h a t . In den meisten I n n e n b e z i r k e n h a t t e unter dem D r u c k der K a p i t a l v e r w e r t u n g s b e d i n g u n g e n dige U m b a u

beständig

soziale A u f w e r t u n g

seit e t w a 1 8 7 0 der v o l l s t ä n -

zugenommen,

wodurch

der W o h n u n g s s t r u k t u r

fast

immer

e r f o l g t e , „indem

eine die

M i t t e l w o h n u n g e n im V o r d e r t r a k t v e r m e h r t w u r d e n . In den Seiten und H i n t e r t r a k t e n verblieben wie schon bisher

Kleinwohnungen.

Durch diesen V o r g a n g n a h m e n die M i t t e l w o h n u n g e n in den V o r städten zwischen 1 8 7 5 u n d 1 8 9 0 um 5,5 % viele k l e i n e L e u t e

gezwungen,

in

zu, u n d es w u r d e n

die V o r o r t e

auszuweichen."95

8 3 Allgemein zum Problem der Standortbildung Schweitzer, Entwicklung Favoritens, S. 254. 94 Vgl. Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten, S. 45. 95 Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 89. Sedlaczek, Wohnverhältnisse, S. 41, betonte: „Infolge zahlreicher Umbauten treten an die Stelle der alten Wohnhäuser mit einer großen Zahl von Kleinwohnungen Zins-

248

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

Die Neubauten drückten seit der Hochgründerzeit meist recht klar den sozialen Status der erwarteten Mieter aus. Einerseits wurde das Gangküchenhaus zum Arbeitermiethaus schlechthin, wobei die Durchschnittsgröße bis 1914 wenn auch nur leicht, so doch kontinuierlich sank. Der unmittelbare Zutritt in die Wohnungen vom Stiegenpodest aus wurde zu einem allgemeinen Merkmal des bürgerlichen Miethauses. Das Nobelmiethaus mit Groß- und Herrschaftswohnungen trat nach Verbauung der Ringstraße etwas zurück, während die Villa zum neuen Wohnideal der gehobenen Schichten wurde 86 . Diese Ubereinstimmung zwischen Wohnungsund Gebäudetypen mit der sozialen Segregation führte dazu, daß einzelne Stadtviertel oder sogar ganze Bezirke einen schichtspezifischen Charakter erhielten, wie dies insbesondere für die Bezirke Wieden und Favoriten, die ursprünglich eine Verwaltungseinheit darstellten, um die Jahrhundertwende aber in einen typischen bürgerlichen und proletarischen Teil zerfallen waren, eingehend analysiert wurde 87 . Die Entstehung sogenannter „natürlicher Stadtgebiete" stellte sich demnach als Prozeß dar, in dem Bodenspekulation und der Wohnungsmarkt nur die Mittel waren, die zur Ausbildung von dominierenden Nutzungen und zur funktionalen Trennung von Stadtgebieten betrugen. Die Segregation der Wiener Bevölkerungsschichten wie auch der Art der Nutzung der unterschiedlichen Standorte war nicht die Folge einer Manipulation von Grundstücksmaklern oder Hausbesitzern — diese waren nur die sichtbar agierenden Vertreter von Kapitalinteressen —, sondern Ergebnis von ökonomischen Zwängen, die sich nach abstrakten Marktgesetzen durchsetzen 98 .

paläste mit K o m f o r t w o h n u n g e n , deren Mietpreise aber die Mittel weit übersteigen, welche der kleine Haushalt auf die Wohnungsmiete zu v e r w e n d e n in der Lage ist." 9 9 Ausführlich dazu Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 90. 9 7 Schweitzer, Entwicklung Favoritens, S. 2 5 5 f f . : „Vergleicht man die Mieten- mit der Einkommensverteilung, so w i r d hier nochmals die V e r teilungsfunktion der G r u n d r e n t e f ü r die Sozialschichten im Stadtgebiet deutlich, der Favoriten seine Entwicklung z u m A r b e i t e r b e z i r k zu v e r d a n k e n hat." Die Zusammenfassung der Ergebnisse belegte auch den dominierenden Einfluß gehobener Bevölkerungsgruppen in Wieden ganz klar. 9 8 Vgl. dazu Kehnen, Stadtwachstum, S. 86. „Soziale Segregation ist ein Ausdruck gesellschaftlicher Arbeitsteilung in der Klassengesellschaft.

Grundrente und Bodenpreise

249

Diese Entwicklung, die in der durch jede Wohnungszählung belegten, immer weitergehenden Verdrängung der Klein- und Kleinstwohnungen aus dem Stadtkern und der Mehrzahl der Innenbezirke ihren Ausdruck fand, trug wesentlich zum Mangel an den objektiv am dringendsten benötigten Wohnungstypen bei und war insofern ein wesentlicher Grund der in den Vorkriegsjahren unvermindert herrschenden Wohnungsnot. Besonders schlimm wirkte sich die seit etwa 1900 feststellbare Zunahme der Mittelwohnungen auf Kosten von Kleinwohnungen in jenen Außenbezirken aus, in denen infolge der Lagegunst eine beschleunigte Steigerung der Grundrente eingetreten war, da die parallel einsetzende verstärkte Produktion von äußerst kleinen Unterkünften in den Arbeiterbezirken die Versorgungslücke nicht schließen konnte. Darüber hinaus entzog die infolge der Verbesserung der Personentransportmittel möglich gewordene zunehmende Errichtung von Villen und einfacheren Privatwohnhäusern durch finanzkräftige Bevölkerungsgruppen in lagemäßig geschätzten Gebieten am Stadtrand, welche in Relation zu den Innenbezirken auch in den Vorkriegsjahren noch günstige Bodenpreise aufwiesen, dem Arbeiterwohnhausbau Kapital und Bauparzellen". Die extensive Grundstückausnutzung wurde sicherlich durch die Zonenbauordnung gefördert, war aber nur durch die steigende Nachfragekraft der wohlhabenden Einwohnerschicht möglich, da die Grundrente beim Villenbau natürlich nicht tiefer liegen durfte als bei intensiver Ausnutzung durch ein Miethaus, auf die Wohnflächeneinheit beGegen die Ausbildung einzelner Stadtteile mit besonderen sozialen Merkmalen wäre nichts einzuwenden, beruhte dieser Differenzierungsprozeß wirklich auf einer „natürlichen Wesensverwandtschaft" der dort Lebenden. Der „natürliche" Zusammenhang sozial einheitlicher Stadtteile wird aber nicht durch die Verhaltensweisen der sie bewohnenden Menschen, sondern durch gesellschaftlich vorgegebene Strukturen, vor allem die Einteilung der Gesellschaft in Klassen, bestimmt. Der Preis des Bodens ist ein Ausdruck für dieses Verhältnis. Er führt zur Trennung der Funktionen innerhalb der Stadt ebenso wie er die Klassen scheidet." 99 Die im Nordwesten (Währing, Döbling) und Südwesten (Hietzing) wienerwaldnahe gelegenen Bezirke entwickelten sich zunehmend zu Nobelbezirken, während in Favoriten, Ottakring und Simmering die Zahl der Klein- und Kleinstwohnungen mehr als 90 °/o des Gesamtbestandes ausmachte. — Zu den analogen Verhältnissen in Berlin vgl. Faßbinder, Arbeiterviertel, S. 84 ff.

250

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

zogen daher um ein Vielfaches höher war als bei den üblichen Mietwohnungen. Die in rasch steigenden Bodenpreisen zum Ausdruck kommende beträchtliche Erhöhung der Grundrente in allen Stadtteilen Wiens von 1848 bis 1914 trug demnach unbestreitbar zur unzureichenden Wohnungsversorgung eines Großteils der Bevölkerung bei, war jedoch nicht die zentrale Ursache der enormen Mietpreiserhöhungen und verursachte sicherlich in keinem nennenswerten M a ß Stockungen der Wohnbautätigkeit. Die Hauptauswirkungen der rasch und nahezu ununterbrochen steigenden Grundrente zeigten sich vielmehr an der extrem dichten Überbauung der Grundstücke, an der den Bedürfnissen der Bevölkerung vielfach widersprechenden Standortverteilung von Wohnungsnutzung und wirtschaftlicher Nutzung, an der Lage und infrastrukturellen Versorgung der verschiedenen Wohnungstypen und damit an der Segregation der Bevölkerungsgruppen nach ihrem finanziellen Leistungsvermögen. Darüber hinaus wurde durch die nur partielle Verfügungsgewalt über den städtischen Boden und den weitgehend unkontrollierten Bodenmarkt die Steigerung der Produktivität im Baugewerbe auf mehrfache Weise gehemmt und damit einer Senkung der Baukosten entgegengearbeitet. Unkoordinierte Vergabe von Einzelaufträgen und unrationelle Parzellengrößen und -formen waren keine günstige Voraussetzung für eine Durchindustrialisierung der Wiener Wohnungsproduktion.

•5.3.2. Baugewerbe,

Bauordnung

und

Baupreise

Wie einleitend erwähnt wurde, wird beim Bau oder Kauf eines Hauses das Kapital, das den Bau-, Bodenbeschaffungs- und allen Nebenkosten entspricht, vom Hauseigentümer unter der Erwartung vorgeschossen, daß langfristig eine im Verhältnis zu anderen Kapitalanlagesphären zumindest durchschnittliche Verwertung gewährleistet ist. Obwohl eine genaue Aufschlüsselung der Kostenfaktoren bei der Häuserproduktion und Wohnungsvermietung f ü r die untersuchten 70 Jahre nicht möglich war, konnte doch gezeigt werden, daß der Kaufpreis für Bauparzellen immer nur einen Bruchteil der Gesamtkosten beim Neu- oder Umbau eines Hauses darstellte und bei der Errichtung von Massenmiethäusern in

Baugewerbe, B a u o r d n u n g und Baupreise

251

Arbeiterbezirken in der Regel die Grenze von 12 bis 15 °/o nicht überschritt, sondern bisweilen noch darunter lag 1 0 0 . Die G r ö ß e des vorgeschossenen K a p i t a l s hing also zu einem erheblichen Teil von den Baukosten ab, welche somit die H ö h e der vom Mieter aufzubringenden Zinsen maßgeblich beeinflußten. W ä h r e n d die meisten Gewerbe- und Industrieprodukte im V e r lauf

des

19. Jahrhunderts

langfristig

reduktionen am Wiener M a r k t

recht

beträchtliche

Preis-

erfuhren und auch die Lebens-

haltungskosten bis zur Jahrhundertwende eine rückläufige Tendenz aufwiesen, welche erst in den Vorkriegsjahren umschlug, so daß 1913 annähernd wieder der Indexwert von 1874 erreicht wurde, hatten die Baukosten lediglich nach dem B a u b o o m der siebziger

Jahre

eine Verringerung

erfahren,

waren

frühen

aber

sonst

durchgehend gestiegen, seit Beginn des 2 0 . Jahrhunderts sogar mit bisher

unbekannter

Geschwindigkeit.

Nach

Berechnungen

Philippovich hatten sich allein 1 8 7 7 / 7 8 bis 1 8 9 3 / 9 4

von

Baukosten-

steigerungen um 38 %> ergeben, doch stellte der Preisauftrieb dieser 15 J a h r e lediglich ein bescheidenes Vorspiel der bald darauf einsetzenden

und

bis

zum

Kriegsausbruch

anhaltenden

Kosten-

explosion im Baugewerbe dar 1 0 1 . D a die Produktionskosten

für

Wohnungen nicht nur wesentlich rascher als die Preise für alle anderen Güter während der Teuerungswelle der letzten Vorkriegsjahre stiegen, sondern sogar das Wachstum der Mieten und des Hauszinssteueraufkommens deutlich übertrafen, lag in der überproportionalen Zunahme des beim Wohnhausbaues erforderlichen vorzuschießenden K a p i t a l s sicherlich ein Hauptgrund für die unzureichende Wohnungsversorgung sowie die unzumutbare Belastung vieler Haushalte durch hohe Mieten. D e r Klärung der untypischen Entwicklung der Baupreise k o m m t daher eine entscheidende R o l l e für die Analyse der Wiener Wohnungsverhältnisse in der Phase des industriellen Durchbruchs und beschleunigten

Stadtwachstums

zu. 100 y g ] die bereits erwähnten Kalkulationen bei Mully v o n O p p e n ried, Bewertung, S. 1 8 3 ff.; sowie insbesondere Goldemund, W o h n u n g s verhältnisse, der den Anteil der Bodenpreise bei dreistöckigen W o h n bauten in Arbeitervierteln nur auf 7 — 8 %> sdiätzt. 101 y g i Philippovich, Wohnungsfrage, S. 5 2 , sowie Berichte der H a n d e l s - und G e w e r b e k a m m e r N ö 1 8 9 5 ff. Mully von Oppenried, Bewertung, S. 27, spricht 1 9 1 3 von einer Steigerung der Baukosten um 1 0 0 °/o in e t w a 2 0 J a h r e n .

252

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

W i r f t man einen Blick auf die besonderen

Bedingungen

der

Bauproduktion, so zeichnen sich als Hauptkomponenten der entstehenden Kosten die spezifische Organisation und Struktur des Baugewerbes, die Baumaterialpreise und die Arbeitslöhne ab, wozu noch die relativ konstant bleibenden

Bauvorschriften

kommen.

D i e seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gut belegte Kostenentwicklung der Baumaterialien

zeigt bis in die neunziger J a h r e

eine

unterschiedlich stark fallende Tendenz, die z w a r durch K o n j u n k t u r bewegungen mehrfach gebremst oder sogar umgekehrt

erscheint,

insgesamt aber recht beträchtliche Preisreduktionen signalisiert. D e r Mitte

der

neunziger

Jahre

einsetzende

Konjunkturaufschwung

brachte langfristig gesehen eine Trendumkehr, wobei in der Folge besonders ins Gewicht fiel, daß auch in Zeiten stockender B a u tätigkeit durch Preisabsprachen und Kartellbildung der Zulieferindustrie

größere

Preiseinbrüche

beim

Baumaterial

vermieden

w u r d e n 1 0 2 . Dennoch dürfte der Anteil der Materialkosten auch in den Vorkriegsjahren den rasanten Preisauftrieb nur zum geringeren Teil verursacht haben, da die konjunkturell bedingten Schwankungen

in

den Endabrechnungen

nur

zu

einem

kleinen

Bruchteil

durchschlugen. S t ä r k e r ins Gewicht fielen nach Meinung der Zeitgenossen die mit Ausnahme der Flauten in den späten sechziger und um die Mitte

der siebziger

J a h r e kontinuierlich

steigenden

Löhne

der

Bauarbeiter, die sich von 1 8 5 4 bis 1 8 9 6 mehr als verdoppelt hatten und besonders seit

1904

noch beschleunigt wuchsen, sowie

die

allmähliche Reduktion der täglichen Arbeitszeit 1 0 3 . D e r Stellenwert der von den Bauarbeitern bisweilen hart erkämpften Lohnerhöhungen l ä ß t sich zwar erst aus der Kenntnis der Organisationsstruktur des Baugewerbes bestimmen, die Löhne der unmittelbar am B a u beschäftigten Arbeiter haben aber ohne Zweifel eine große R o l l e als K o s t e n f a k t o r gespielt, da die Errichtung eines Hauses

1914

102 > j e b e n den bei der Besprechung des Konjunkturverlaufes gebotenen Belegen vgl. auch Müller, Baukosten, S. 19, u n d Rauchberg, Mittelständische Wohnungspolitik, S. 16. 103 darüber hinaus beklagte mangelnde Arbeitsmoral, die das B a u t e m p o zunehmend gehemmt und die Q u a l i t ä t der W o h n u n g e n laufend verschlechtert haben soll, wirft z w a r ein bezeichnendes Licht auf die Berichterstatter, scheidet jedoch als G r u n d f ü r erhöhte Baukosten wohl aus, da nie auch nur ein einziger Beleg f ü r die entsprechenden B e hauptungen gebracht wurde.

Baugewerbe, Bauordnung und Baupreise noch ebenso wie 1 8 5 0 im wesentlichen

253

durch Handarbeit

aus-

geführt wurde und der Einsatz von Maschinen weniger in Betracht kam als bei den meisten übrigen Industrien. Natürlich bilden auch die Löhne der Transportarbeiter, die die Materialien

zum B a u

befördert haben, die Löhne der Steinbruch- und Ziegeleiarbeiter und schließlich der in den Fabriken beschäftigten Arbeiter einen Teil der Produktionskosten von Wohnungen. D e r genaue Anteil der Löhne läßt sich zwar nicht bestimmen, zeitgenössische Baufachleute stimmten aber in der Ansicht überein, daß mindestens zwei Drittel der Baukosten in Arbeitslöhnen bestanden. Sie bestimmten demnach in großem M a ß die für die Errichtung von Wohngebäuden erforderliche Geldmenge. In dieser Hinsicht fällt also die gegenüber anderen Wirtschaftszweigen im Vergleichszeitraum niedrige organische Zusammensetzung des Baukapitals

auf,

die

auch

mit

überdurchschnittlicher

Lohnintensität der Baubranche oder fehlender des Baugewerbes beschrieben werden

könnte.

Industrialisierung In

der

niedrigen

organischen Zusammensetzung des Kapitals in der Bauwirtschaft, die auch heute noch beklagt wird, im behandelten Zeitraum jedoch besonders

augenfällig war, zeigt sich das damit

einhergehende

unterdurchschnittliche Wachstum der P r o d u k t i v i t ä t als wichtiger F a k t o r für den überproportionalen Anstieg der Baukosten. W ä h rend sich nämlich in den meisten anderen Branchen der Arbeitsaufwand für das einzelne P r o d u k t ständig verminderte,

mußte

im Baugewerbe ein nahezu konstanter Anteil lebendiger

Arbeit

aufgewendet werden 1 0 4 . D a s kontinuierliche Ansteigen der Arbeitslöhne w i r k t e sich daher wesentlich stärker aus als in vielen anderen Wirtschaftszweigen, so daß die Preise der

Wohnungsproduktion

rascher steigen mußten und in Verbindung mit anderen Faktoren ein überproportionales Wachstum der Mieten hervorriefen. 1 0 4 Vgl. d a z u Brede - K o h a u p t - K u j a t h , Determinanten, S. 2 7 ff.; P r o jektgruppe, Industrialisierung, S. 1 0 9 ff., und K a i n r a t h , Wohnungswesen. Allgemein gilt, d a ß eine Rationalisierungsmaßnahme nur dann v o r g e n o m men wird, wenn das vorzuschießende K a p i t a l p r o Produktionseinheit sinkt und dadurch eine höhere P r o f i t r a t e erzielt wird, ohne daß dieses P r o d u k t zu einem höheren Preis verkauft werden muß. Setzt sich die neue Produktionsweise allgemein durch, so w i r d der Preis des einzelnen P r o d u k t s r e l a t i v sinken. In der Bauwirtschaft haben solche U m w ä l z u n g e n aber k a u m stattgefunden, so d a ß ihre P r o d u k t e in der Regel der allgemeinen Preisbewegung weit vorauseilen mußten.

254

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

D i e G r ü n d e für das Zurückbleiben der organischen Zusammensetzung des Baukapitals und damit die Erklärung, w a r u m „ f ü r d a s Baugewerbe die Maschinen erst in der Zeit nach der Inflation 1 9 2 4 — 1 9 3 0 eine generelle Bedeutung gewannen, obwohl der erste B a g g e r aus dem J a h r e 1835, die erste Dampfmaschine aus dem J a h r e 1850 datiert" 1 0 5 , lagen vermutlich vorrangig in der wiederum auf unterschiedlichen Faktoren basierenden kleingewerblichen Struktur und der extremen konjunkturellen und saisonalen Abhängigkeit des Baugewerbes. Tatsächlich wurde die Bauwirtschaft des Wiener R a u m e s k n a p p vor Ausbruch des Weltkrieges noch ebenso wie um die Mitte des 19. Jahrhunderts wie kaum eine andere Branche ihrer Dimension v o m Klein- und Kleinstbetrieb beherrscht. Z w a r hatte die Gewerbeordnung schon 1858 die Baugewerbe von den alten zünftischen Organisationsformen befreit, die damit angestrebte „Förderung des Unternehmungsgeistes" und erwünschte U m f o r m u n g der noch rein „handwerklichen" zu mehr industriellen Betrieben blieb jedoch in der ersten K o n junkturperiode nach der ersten Stadterweiterung aus 1 0 ( i . Einen merklichen Fortschritt stellte diesbezüglich die Gründung vieler Baugesellschaften während des Baubooms von 1869 bis 1875/76 d a r , welche durch großbetriebliche Formen und teilweise umfassende vertikale Konzentration deutliche Ansätze einer industriellen Modernisierung der Wohnungsproduktion entwickelten. Die Verlagerung ihrer Tätigkeit auf den Grundstück- und Häuserhandel sowie die Auflösung vieler Gesellschaften in der krisenhaften zweiten H ä l f t e des Jahrzehnts machte jedoch alle Hoffnungen auf Rationalisierungen in der Bauwirtschaft zunichte. Z w a r führte die unbefriedigende Auftragslage zur Liquidation einiger Kleinfirmen und zwang viele Baumeister z u m Ausgleich oder K o n k u r s ; Konzentrationserscheinungen zu wenigen, dafür aber kapitalstärkeren und leistungsfähigeren Unternehmungen blieben jedoch weiterhin aus. Der Anteil großbetrieblicher Formen war auch in den folgenden Jahrzehnten unbedeutend und die Ausstattung mit

105 Projektgruppe, Industrialisierung, S. 105. 1 0 6 Anstelle der von der liberalen Gewerbepolitik angestrebten Durchsetzung industrieller O r g a n i s a t i o n s f o r m e n vermehrte sich lediglich die K o n k u r r e n z handwerklicher Kleinbetriebe, die sich innerhalb von nur f ü n f J a h r e n nahezu verdoppelten.

255

Baugewerbe, Bauordnung und Baupreise

Maschinen

blieb

gegenüber

anderen

Wirtschaftszweigen

immer

mehr zurück 1 0 7 . D i e bestehenden

strukturellen

Schwächen

bestanden

auch

im

20. J a h r h u n d e r t fort, wie der Anteil von nahezu 6 0 °/o K l e i n und Kleinstbetrieben

im J a h r

1912

zeigt, welche besonders

in

Stockungsphasen immer von Einstellung und Exekutionsverfahren bedroht waren. Neben spezifischen technologischen und organisatorischen Schwierigkeiten, die einer Industrialisierung der Häuserproduktion im Wege standen, mögen auch die Gewerbeordnungen von 1 8 8 3 und 1 8 8 5 die schleppend verlaufende des

Bausektors

zusätzlich

gehemmt

haben.

Modernisierung

Unter

dem

poli-

tischen Druck der sich organisierenden mittelständisch orientierten Kleingewerbebewegung wurde nämlich die großindustrielle U n t e r nehmensform der Aktiengesellschaft relativ höher besteuert und durch Sozialversicherungsmaßnahmen

belastet, welche das K l e i n -

gewerbe vorläufig zu umgehen vermochte. So wurde das von den christlich-sozialen Kreisen vielbeschworene „gesunde

Handwerk"

z w a r v o r der kapitalistischen Bedrohung durch den Großbetrieb zumindest in der Baubranche bewahrt, dafür jedoch durch den spekulativen

Wohnungsbau

von

Bauunternehmern

mit

völlig

unzureichenden Mitteln schwer getroffen. Das Resultat w a r die grenzenlose Verteuerung

des Bauens

und

der

Fortbestand

der

Wohnungsnot. D i e ausbleibende Konzentration und Modernisierung des Wiener Baugewerbes resultierte aber nicht allein aus politischen H e m m nissen oder gar mangelndem Unternehmungsgeist, sondern in besonderem saisonalen

Maß

aus

der

starken

Konjunkturabhängigkeit

Produktionsgebundenheit.

und

Konjunkturschwankungen

wirken auf die Bauwirtschaft ganz besonders stark, da sie weder auf Lager produzieren, noch exportieren, noch langfristig disponieren

kann108.

Die

starken

Konjunkturschwankungen

durch die Bauwirtschaft insbesondere durch

wurden

Arbeiterentlassungen

und kurzfristige Einstellungen aufgefangen, was sich in extremen 107 Vgl. Statistischer Bericht über Industrie und Gewerbe des E r z herzogtums Österreich unter der Enns im J a h r e 1 8 8 0 , . . . im J a h r e 1 8 8 5 , Wien 1 8 8 3 und 1 8 8 9 , sowie Statistischer Bericht über die volkswirtschaftlichen Zustände des E r z h e r z o g t u m s unter der Enns im J a h r e 1 8 9 0 , Wien 1 8 9 3 . los P r o j e k t g r u p p e , Industrialisierung, S. 1 1 6 .

256

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

Schwankungen der Beschäftigtenanzahl während des gesamten Untersuchungszeitraums ausdrückte. Eine Verdopplung oder H a l bierung der in Arbeit genommenen Taglöhner und Gesellen innerhalb eines Konjunkturzyklus war die Regel. Unter solchen U m ständen schien es offenbar jedem Unternehmer ratsam, den Anteil der fixen Kosten möglichst niedrig zu halten, da man so lange den konjunkturbedingten Schwankungen relativ leicht nachkommen konnte, solange Kleinaufträge fast ausschließlich mit Arbeitern und lediglich unter Verwendung einiger Hilfsmaschinen durchgeführt wurden. Durch die geringe Menge brachliegenden konstanten Kapitals konnte ebenso die alljährliche Entlassung eines Großteils der Arbeitskräfte während des Winters leicht verkraftet werden. Sowohl in Zeiten der Hochkonjunktur als auch in Depressionsphasen sank der Anteil der Beschäftigten bei der Genossenschaft der Bau- und Steinmetzmeister Wien und Umgebung von der saisonalen Spitze im Sommer auf einen geringen Bruchteil durchgehend bezahlter Arbeiter in den Wintermonaten 1 0 9 . Schließlich mögen auch die geringen Grundstückgrößen, die Form der Bodenparzellierung und die diskontinuierliche Vergabe von Einzelaufträgen, welche als Folge der Situation am Bodenmarkt bereits erwähnt wurden und jede langfristige Planung unmöglich machten, weiters die Ortsgebundenheit sowie Komplexität der Produkte, welche einer standardisierten Fertigung sicherlich hinderlich waren, und darüber hinaus die starke Zersplitterung des Baugewerbes in Einzelsparten, die allesamt in der Produktionsweise noch handwerklich, in den Verwertungsbedingungen aber bereits ebenso kapitalistisch agierten wie alle anderen Wirtschaftsbranchen, die mangelnde Modernisierung und damit das überdurchschnittliche Steigen der Baukosten mitversursacht haben 110 . Insbesondere der letzte P u n k t verdient unsere Aufmerksamkeit, da die in der zwei109 Yg[ j a z u Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1883 ff., und Berichte der Handels- und Gewerbekammer N ö 1851 ff. Im Jahr 1889 lag die saisonale Spitze beispielsweise bei zirka 11 900 Gehilfen und Hilfsarbeitern sowie 9500 Taglöhnerinnen, wohingegen lediglich 2850 beziehungsweise 2000 ständig Beschäftigte angegeben wurden. Bei qualifizierten Maurern und bei Lehrlingen lagen die Dinge etwas günstiger. 110

Zum Weiterbestehen dieser Probleme in der Bauwirtschaft Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten, S. 29 f., und Projektgruppe, Industrialisierung, S. 110 f.

Baugewerbe, Bauordnung und Baupreise

257

ten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den meisten anderen großen Branchen der österreichischen Wirtschaft rasch voransdireitende Industrialisierung durchwegs von Betriebsfusionierungen begleitet war oder schon von relativ großen Unternehmungen getragen wurde, die den gesamten Produktionsprozeß oder zumindest wesentliche Teile davon selbst durchzuführen vermochten. Das Wiener Baugewerbe zerfiel dagegen noch um die Jahrhundertwende in nahezu zwanzig Sparten, von denen keine, gemessen am Erwerbsteueraufkommen, eine deutliche Vorrangstellung einnahm 111 . Erst eine zumindest teilweise Integration der vielen am Wohnungsbau beteiligten Betriebstypen hätte aber den Einsatz von zunächst freilich kapitalaufwendigen komplexen Technologien und in weiterer Folge eine rationalisierte, möglicherweise teilautomatisierte Häuserproduktion erlaubt 112 . Vermutlich standen aber der Tätigung entsprechend hoher Investition neben den bereits geschilderten Hemmnissen und den noch zu besprechenden Schwierigkeiten am Kapitalmarkt auch die besonderen Strukturen der aus den Wohnverhältnissen und dem Konjunkturverlauf erschlossenen Situation am Wohnungsmarkt entgegen. Für einen durch aufwendige Maschinen bedingten hohen Kapitaleinsatz und insbesondere für die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals wäre ein relativ stark und vor allem konstant aufnahmefähiger Markt Voraussetzung gewesen. Es konnte aber für den gesamten Untersuchungszeitraum gezeigt werden, daß wohl das vorhandene Wohnungsangebot immer hinter den objektiven Bedürfnissen der Stadtbevölkerung zurückblieb, die zahlungsfähige Nachfrage aber in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation nicht einmal das bescheidene Angebot an Wohnraum pro Kopf der Bevölkerung ausnutzen konnte. 1 1 1 I m J a h r e 1 8 9 0 w u r d e n i m Statistischen J a h r b u c h der S t a d t Wien u n d im Bericht der H a n d e l s - u n d G e w e r b e k a m m e r N ö d e r G r u p p e B a u g e w e r b e z u g e z ä h l t Anstreicher, B a u - , S t e i n m e t z - u n d k o n z e s s i o n i e r t e M a u r e r m e i s t e r , B r u n n e n m e i s t e r , D a c h - u n d Schieferdecker, D e i d i g r ä b e r , G a s - und Wasserleitungsinstallateure, Glaser und Glashändler, K a n a l räumer, Marmorarbeiter, Pflasterer, Privatingenieure und Ardiitekten, Rauchfangkehrer, Stuccatorer, Zimmermaler, Zimmermeister, Zimmerputzer. 1 1 2 E r s t der im letzten J a h r z e h n t in Österreich u n d d e r B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d v o r d r i n g e n d e F e r t i g t e i l b a u stellt den A n f a n g einer g e g e n ü b e r d e n Vereinigten S t a a t e n wesentlich v e r z ö g e r t e n E n t w i c k l u n g einer D u r c h i n d u s t r i a l i s i e r u n g der B a u w i r t s c h a f t d a r .

17

Feldbauer, Stadtwachstum

258

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

Die Wiener Wohnungsunternehmer konnten daher nicht mit einer konstanten zahlungsfähigen Übernachfrage trotz zeitweise stark steigender Mieten rechnen. Mehr noch als beim Angebot fehlte eben bei der Nachfrage die f ü r das zufriedenstellende Funktionieren des Marktmechanismus erforderliche Elastizität. D a die Löhne der meisten Berufsgruppen von 1848—1914 allmählich über das physische Existenzminimum rückten, konnten die Hausbesitzer zwar kontinuierliche und über die Jahrzehnte hin recht beträchtliche Mietsteigerungen durchsetzen, ein rascher Profit infolge einer stark ausgeweiteten Produktion von notwendigerweise allmählich größer u n d aufwendiger werdender Wohnungen wäre aber selbst in günstigen Wirtschaftslagen an der mangelnden K a u f k r a f t der Bevölkerungsmehrheit gescheitert. Ein solcher wäre vermutlich überhaupt nur durch staatliche Abnahmegarantien und eine wesentliche Reduktion der Baupreise zu realisieren gewesen, was aber wiederum die Rendite der bereits vorhandenen Wohnungen in Gefahr gebracht hätte, weswegen die Hausbesitzer auch gegen jede auf Neubauten beschränkte Steuererleichterung oder sonstige administrative Bevorzugung Sturm liefen 113 . Nicht vergessen dürfen bei einer Besprechung der hohen Produktionskosten der Bauwirtschaft die Bauvorschriften werden, die in den Analysen der Wohnungsreformer breiten Raum einnahmen und des öfteren als eine Hauptursache der Wiener Wohnungsmisere bis zum Ende der Monarchie bezeichnet wurden 1 1 4 . Beispielsweise wurde der 1859 erlassenen Bauordnung große Bedeutung für die kurz darauf einsetzende Baukonjunktur beigemessen. Sie ermög1,3 Vgl. dazu Projektgruppe, Industrialisierung, S. 44. „Kein Gut ist so unverkäuflich w i e eine zuviel erstellte Wohnung. Sie ist ortsgebunden und bringt mit ihrer fortdauernden Belastung bei ausbleibendem G e w i n n noch die Rendite der anderen Wohnungen der Gegend in Gefahr. D e s halb treten die Unternehmer auf dem Gebiete der Wohnungen nicht gerne in Konkurrenz." — Inwieweit man aus einem in quantitativer und qualitativer Wohnungsnot konkretisierten „Nachfrageüberhang", der keinesfalls der am Markt wirksam werdenden zahlungsfähigen Nachfrage entsprach, ein Wegfallen des Konkurrenzdrucks in der Bauwirtschaft ableiten kann, wie dies vielfach geschah, scheint angesichts der geschilderten Situation zumindest fraglich. 114 Allgemein dazu Maresch, Wohnungswesen, S. 29 f.; Eberstadt, Wiener Wohnverhältnisse, S. 179 ff.; Rauchberg, Mittelständische W o h nungspolitik, S. 15 f., und Keller, Bauordnung, S. 99 ff. Vgl. auch Bobek Lichtenberger, Wien, S. 45 ff.

Baugewerbe, Bauordnung und Baupreise

259

lichte zweifellos eine etwas kostensparende Bauführung als bisher und öffnete dem im Baugewerbe allzu langsam vordringenden technischen Fortschritt eine Pforte. Ein wesentlicher Antrieb für eine längerfristig verstärkte Bautätigkeit w a r sie jedoch nicht, wie der weitere Konjunkturverlauf beweist. Wesentlich weitreichendere Konsequenzen hatten dagegen ihre später stark negativ bewerteten rein formalen Gliederungsprinzipien der Stadtverbauung 115 . Erst im Jahre 1883 k a m es nach langwierigen Diskussionen und nicht enden wollender Kritik zur Neufassung der Bauvorschriften, die in ihrer 1893 novellierten Form auch f ü r die eingemeindeten Vororte bindend wurden 1 1 6 . Die kostensenkenden Änderungen blieben in bescheidenem Rahmen, doch scheinen die heftigen Vorwürfe der Bauwirtschafl, wonach die hohen Baukosten ganz allgemein entscheidend durch verfehlte Bauordnungsbestimmungen mitverursacht würden, größtenteils aus der Luft gegriffen gewesen zu sein. Es war wohl richtig, daß die Bauvorschriften die von den Vertretern der Gartenstadtbewegung und Einfamilienhausideologie heftig gestellten Forderungen nach Erleichterungen bei der Errichtung kleiner Häuser nur wenig berücksichtigt hatten, doch blieb dies f ü r die Befriedigung der Wohnbedürfnisse des Großteils der Bevölkerung irrelevant 117 . Wesentlich schwerer wog, daß auch die Sicherung sanitärer Minimalforderungen nur unzureichend gelungen war 1 1 8 . Hinsichtlich der sicherlich zu Recht von Ärzten und Architekten erhobenen Forderungen nach besserer Ausstattung der Zinshäuser, nach Vergrößerung der unverbauten Fläche pro Parzelle, nach mehr Licht und 1,5 D i e Auswirkungen der auf das Rasterschema eingeschworenen Bauordnung sind noch heute in vielen Stadtteilen, insbesondere in Favoriten und Brigittenau, zu erkennen. Ausführlich dazu Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 4 4 ff., und Mayer, Städtische Entwicklung, S. 2 7 3 ff. 110 Vgl. Kielmansegg, Bauordnung; Mayreder, Städtisdie Bauordnungen; Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 45 f. 117 D i e Frage wurde allerdings v o n vielen Wohnungsreformern und insbesondere den Vertretern der sogenannten Mittelstandspolitik, aus hier nicht zu erörternden Gründen, extrem hochgespielt, so daß man meinen konnte, die Wohnungsfrage erschöpfe sich in der preisgünstigeren Produktionsmöglichkeit für Einfamilienhäuser. Ausführlich zu diesem Problemkreis künftig die geplante Studie über Wohnungsnot, Wohnungsreform und Wohnungspolitik. — Relativ sachlich allerdings Maresdi, Wohnungswesen, S. 30. 118

17:1

D a z u Gruber - Gruber, Anhaltspunkte.

260

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

Luft f ü r Kleinstwohnungen in H i n t e r h ö f e n sowie nach Festlegung der maximalen Belagsdichte nach dem R a u m i n h a l t der Unterk u n f t w u r d e allerdings selbst v o n einsichtigen Kommunalpolitikern eingewendet, daß all diese R e f o r m e n wünschenswert seien, ohne flankierende M a ß n a h m e n jedoch eine weitere Steigerung der Baukosten p r o Q u a d r a t m e t e r u n d der Mieten bewirken müßten. Q u a l i t a t i v e Verbesserungen w a r eben ohne quantitative Steigerung des Angebots nicht sinnvoll zu realisieren, womit sich auch der Stellenwert der B a u o r d n u n g bezüglich der Baukosten stark relativiert. Die stärksten Auswirkungen auf die Mietenbewegung d ü r f t e im gesamten Vorschriftenrahmen noch die Gliederung der Stadt nach Bauzonen gehabt haben, welche infolge der bereits besprochenen Medianismen in einem allerdings unbekannten Ausmaß zur Erhöhung der Mieten beitrug. Wenn auch das aufgearbeitete Material eine klare Gewichtung der Ursachen für den geringen Modernisierungsgrad der Bauwirtschaft im Vorkriegs-Wien nicht zuläßt, so ergaben sich immerhin als dominierende Erklärungsansätze f ü r die ungewöhnliche Entwicklung der Baukosten die starke Zersplitterung u n d kleingewerbliche Struktur der Bauwirtschaft;, ihre überdurchschnittlich starke konjunkturelle und saisonale Abhängigkeit sowie die mangelnde Elastizität von Angebot u n d N a c h f r a g e a m Wohnungsm a r k t . Zusammen mit den anderen genannten Faktoren verhinderten sie jede größere U m w ä l z u n g der Produktionstechnik und w a r e n dadurch maßgeblich an der unzureichenden Wohnungsversorgung beteiligt 119 . 5.3.3.

Zinssatz und

Kreditmarkt

Ebenso wie heute hing auch schon nach den Spielregeln der W o h n u n g s p r o d u k t i o n u n d Wohnungsvermietung vor h u n d e r t J a h 1,9 Insgesamt ist natürlich trotz der vielen Hemmnisse nicht ausreichend geklärt, wieso auf d e m W e g e v o n Kapitalkonzentration, vertikaler und horizontaler Integration u n d Einführung rationeller Produktionstechniken nicht nachdrücklicher die Realisierung v o n Extraprofiten versucht wurde, als dies kurzfristig während des Baubooms der Hochgründerzeit bei den Baugesellschaften der Fall gewesen war. Für eine zureichende Interpretation wäre v o r allem eine genauere Kenntnis der im Österreich der Vorkriegszeit u n d des industriellen Durchbruchs konkurrierenden Kapitalfraktionen, als sie der folgenden Darstellung der Verhältnisse am Kapitalmarkt zugrunde liegt, erforderlich.

Zinssatz und K r e d i t m a r k t

261

ren die H ö h e des v o m Mieter aufzubringenden Zinses nicht nur von der Größe des für den H a u s b a u erforderlichen vorgeschossenen K a p i t a l s ab, die hauptsächlich durch Baukosten und in geringerem M a ß durch die Investition für den A n k a u f eines geeigneten Grundstückes determiniert wurde, sondern auch v o m durchschnittlich in den verschiedenen Anlagesphären erzielbaren Zinssatz und von der gerade üblichen Verzinsung der Hypothekarkredite. Die Interpretation der Verhältnisse am Wiener K a p i t a l - und K r e ditmarkt von 1848—1914 kann demnach, unter Berücksichtigung zeitspezifischer Besonderheiten, sinnvollerweise v o m nämlichen theoretischen Rahmen ausgehen, den die P r o j e k t g r u p p e „Wohnungsversorgung" in D a r m s t a d t 1974 für ihre Analyse der momentan in der B R D und ähnlich wohl auch in Österreich herrschenden Zusammenhänge zwischen Wohnungsproduktion und K a p i t a l verwertung erstellt hat 1 2 0 : „ D e r Zinssatz f ü r das in Mietwohnungen angelegte K a p i t a l ist keine isolierte Größe; diese Anlagesphäre steht mit anderen Anlagesphären in Konkurrenz. Wenn der Zinssatz hier also v o m ,marktüblichen' Zinssatz abweichen sollte, kann das in der Regel nur vorübergehend der Fall sein. Denn unterschreitet er langfristig den in vergleichbaren Anlagesphären zu realisierenden Zinssatz, so wird die Wohnungsvermietung relativ unrentabel und der Wohnungsbau reduziert oder eingestellt. Überschreitet er den ,marktüblichen' Zinssatz, wird anlagesuchendes K a p i t a l so lange in den Wohnungsbau und die Wohnungsvermietung fließen, bis sich tendenziell das Zinsniveau hier wieder dem in anderen Anlagesphären angleicht." — D i e Abhängigkeit des bei der Wohnungsvermietung erzielbaren Zinssatzes v o m K a p i t a l m a r k t hat aber noch einen weiteren G r u n d . Bedingt durch die langen Umschlagzeiten des investierten K a p i t a l s und dessen beträchtliche H ö h e wurde schon im 19. Jahrhundert der Bau von 1 2 0 D a s folgende Zitat aus Brede - K o h a u p t - K u j a t h , Determinanten, S. 33. D i e meisten der hier bündig zusammengestellten theoretischen Überlegungen finden sich auch bereits in der um die J a h r h u n d e r t w e n d e erschienenen L i t e r a t u r zur W o h n u n g s f r a g e , von der lediglich einige Titel ausgewählt seien. Allgemein ergiebig N a u m a n n , Miete und Grundrente, S. 187 ff.; Maresch, Wohnungswesen, S. 33 f f . ; mit besonderer Berücksichtigung der L a g e in Wien E b e r s t a d t , Wiener Wohnverhältnisse, S. 189 ff.; Schwarz, Grundrente, S. 74 ff., und M u l l y von O p p e n r i e d , Bewertung, S. 27, 54 ff. F ü r die Vorkriegsjahre v g l . P r i b r a m , Wirtschaftskrise und Kreditbeschaffung, S. 29 ff.

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Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

W o h n u n g e n in immer geringerem M a ß aus Mitteln des Bauherrn bestritten u n d eine A u s w e i t u n g der F r e m d f i n a n z i e r u n g v o r g e n o m men 1 2 1 . „ D e r größte Teil des vorgeschossenen K a p i t a l s ist, meist als H y p o t h e k , a u f dem K a p i t a l m a r k t geliehen, u n d f ü r dieses F r e m d k a p i t a l muß der Vermieter selbst Zinsen zahlen. Diesen Z i n s muß die Miete auf jeden F a l l abdecken u n d zusätzlich noch eine zumindest langfristige V e r z i n s u n g des E i g e n k a p i t a l s des B a u h e r r e n gewährleisten . . . Im F a l l e der A u f n a h m e v o n f r e m d e m K a p i t a l erfüllt die K a p i t a l a n l a g e nur d a n n ihren Zweck, wenn der Hauseigentümer bei der V e r m i e t u n g seines H a u s e s einen höheren Zins realisiert als den, den er selbst an das Kreditinstitut abzuführen hat."122 D i e Gültigkeit dieser theoretischen A n n a h m e n w u r d e gleich z u Beginn des behandelten Zeitraumes verdeutlicht, als dem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung eine der schwersten Rezessionen des Baugewerbes im V e r l a u f des 19. J a h r h u n d e r t s gegenüberstand. D e r nach der R e v o l u t i o n des J a h r e s 1848 einsetzende K o n j u n k t u r anstieg ermöglichte dem disponiblen K a p i t a l Anlagemöglichkeiten in Industrie- und Wechselpapieren, die in der Regel 8 °/o und mehr V e r z i n s u n g garantierten. Erst wenn m a n aus der Wohnungsvermietung ebenfalls einen durchschnittlichen E r t r a g von 7 — 8 °/o erzielen konnte, w a s jedoch nur selten der Fall w a r , lohnte es sich, G e l d im H a u s b a u z u investieren. G u t e Kenner der M a t e r i e gingen s o g a r d a v o n aus, d a ß erst eine e t w a zehnprozentige R e n d i t e u m fangreicheres A n l a g e k a p i t a l dem W o h n u n g s b a u z u f ü h r e n w ü r d e 1 2 3 . Besonders abträglich f ü r eine günstige Entwicklung der B a u t ä t i g keit war d a s gesetzlich auf 5 % festgelegte Z i n s m a x i m u m beim R e a l k r e d i t , wodurch P r i v a t g e l d e r in der Regel ausgeschlossen wurden, sowie die kurzfristige Einstellung und anschließende U m s t r u k t u r i e r u n g des H y p o t h e k a r g e s c h ä f t e s durch die Erste österreichische S p a r - C a s s e 1 2 4 . D i e als E r s a t z gedachten sechsprozentigen Darlehen einer neu eingerichteten H y p o t h e k a r a b t e i l u n g der österreichischen N a t i o n a l b a n k führten infolge rigoroser Vergabebedingungen vorerst zu keiner Belebung der B a u t ä t i g k e i t . 121 Vgl. Maresch, Wohnungswesen, S. 33 f., und Rauchberg, Mittelständische Wohnungspolitik, S. 16 ff. 1 2 2 Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten, S. 33 f. 123 Ygi Eitelberger - Ferstel, Bürgerliches Wohnhaus, S. 39. 124 Ihre Hypothekarkredite dienten ab 1852 zunehmend dem Agrarbesitz.

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Erst als im Zuge der gegen Ende des Jahrzehnts die meisten Branchen erfassenden Wirtschaftsflaute bisher profitable Sektoren der Kapitalverwertung, wie etwa das Eisenbahngeschäft, die Anziehungskraft auf anlagesuchendes Kapital weitgehend verloren und gleichzeitig die Erste österreichische Spar-Casse, jüngere Wiener Sparkassen und sogar Institute aus der Provinz relativ günstige Kredite f ü r den Häuserbau in der Residenz zur Verfügung stellten, setzte ein namhafter Aufschwung der Wohnungsproduktion ein, dem allerdings auch Marktlage und administrative Maßnahmen entgegengekommen waren 1 2 5 . Die Blüte dauerte indes nur bis in die Mitte der sechziger Jahre, zu welchem Zeitpunkt die allgemeinen Verknappungserscheinungen auf dem österreichischen Kapitalmarkt auch die Bauwirtschaft in Mitleidenschaft zu ziehen begannen. Während der anschließenden Stagnationsphase verlagerte sich das Schwergewicht im Wohnhausbau kurzfristig in die Vororte außerhalb der Linien, wo man aus verschiedenen Gründen billiger bauen konnte als im Stadtbereich und daher mit vergleichsweise bescheidenen Geldmitteln zu der angestrebten achtprozentigen Kapitalverzinsung gelangen konnte. Die nächste Aufschwungphase der österreichischen Wirtschaft war in Wien auch vom berühmten Bauboom bis 1875/76 begleitet, f ü r den die in bisher unbekanntem M a ß emporschnellenden Mieten, die infolge einer allgemein verbesserten Einkommenslage möglich waren, insofern große Bedeutung hatten, als sie dem nun wieder reichlich vorhandenen Anlagekapital gute Gewinnaussichten versprachen, welche durch ziemlich großzügige Steuerbefreiungsmaßnahmen noch erhöht wurden. Durchschnittlich dürfte man nunmehr eine 6—7 °/oige Verzinsung der Häuser in besserer Lage als Mindesterwartung betrachtet haben, da sich relativ sicher und mühelos nur mehr 6 °/o Ertrag realisieren ließen 126 . Für Wohnhäuser, die hauptsächlich f ü r einkommensschwache Mieter in Frage kamen, verschob sich die erforderliche Zinshöhe noch um 2 °/o oder gar 3 °/o nach oben, da hier infolge einer minderwertigen Bauführung und der spezifischen Einwohnerschaft mit einer rascheren Abnützung, weiters infolge der häufiger zu erwartenden Mietaus125 Vgl. Fritz, Geschichte, S. 658; Mully von Oppenried, Hypothekaranstalten, S. 129; Stekl, Konjunkturentwicklung, S. 241, und Matis, Österreichs Wirtschaft, S. 128. 12 » Ratkowsky, Reform, S. 7.

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Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

fälle mit einer höheren Amortisationsquote gerechnet wurde 1 2 7 . D a ß man im Wohnhausbau von 1869—1875 eine günstige Anlagesparte erblickte, geht auch aus der raschen Gründung von insgesamt 45 Bau-Aktiengesellschaften hervor, welche bereits nach kurzer Zeit über ein Aktienkapital von 175 Millionen Gulden verfügten. Die auch nach dem Börsenkrach des Jahres 1873 nahezu unvermindert anhaltende Baukonjunktur dürfte vom Kursverfall der meisten Wertpapiere und dem verstärkten Interesse des Publikums mitverursacht gewesen sein, ja vielleicht sogar entscheidend profitiert haben 128 . Der seit 1866 relativ konstant bei 6 % liegende Zinsfuß von Hypothekardarlehen und die im Zuge der Wirtschaftskrise wieder etwas vorsichtigere Ausgabepolitik der Sparkassen wurde vorerst vom Interesse des Privatkapitals völlig aufgewogen. Der schließlich auch den Bausektor erfassende Konjunkturabschwung und die anschließende Stagnationsphase wurde erst in den frühen achtziger Jahren überwunden, woran die veränderte Geschäftspolitik der Sparkassen und Banken maßgeblich beteiligt war, die infolge der überaus starken Sparneigung der Bevölkerung große Kapitalmengen angesammelt hatten und deswegen in größerem Umfang günstige Hypothekardarlehen auszugeben bereit waren. War die Verzinsung lange Zeit mit 6 °/o gleich geblieben, so sank sie um 1880 immerhin auf 5V2 %>, betrug 1890 nur mehr maximal 5 °/o und fiel bis 1895 auf durchschnittlich 4 — 4 3 / i %>129. Selbst nach dem Kommentar der diesbezüglich 1 2 7 Grundsätzlich dazu Schwarz, Grundrente, S. 4 4 und 4 6 ; N a u mann, M i e t e und Grundrente, S. 1 9 2 , b e m e r k t d a z u : „Es ist oft hervorgehoben worden, d a ß kleine W o h n u n g e n verhältnismäßig, dh. a u f den Kubikmeter Luftraum o d e r den Q u a d r a t m e t e r Wohnfläche beredinet, teurer seien als größere und d a ß die W o h n u n g e n der Ä r m e r e n noch überdies verhältnismäßig teurer seien, als die Wohnungen für W o h l habendere. Beides erklärt sich auf natürliche Weise. Viele Anlagen, die eine W o h n u n g erfordert, sind in einer kleinen W o h n u n g nicht oder nicht erheblich billiger herzustellen als in einer größeren, belasten den Q u a d r a t m e t e r Wohnfläche daher bei jener höher als bei dieser. D a s Vermieten an ä r m e r e Leute ist ferner mit mehr Beschwerden und mehr Verlusten als das an Wohlhabende verbunden und w i r d daher nur unternommen, w e n n es höheren Gewinn v e r s p r i c h t . . . " 128 y g i Schwarz, Grundrente, S. 5 9 . 129 Dazu Mully von Oppenried, H y p o t h e k a r a n s t a l t e n , S. 1 2 9 f.; Schwarz, Grundrente, S. 75 f . ; Bericht der H a n d e l s - und G e w e r b e k a m mer N ö 1 8 8 2 , S. 301.

Zinssatz und Kreditmarkt

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sehr zurückhaltenden Handels- und Gewerbekammer machten die gebesserten Zinsverhältnisse beim Hypothekarkredit den Hausund Wohnungsbau wieder zu einer gesuchten Anlagesphäre. Dem Übergang zu einer etwa siebenjährigen Phase der Stagnation des Baugewerbes seit 1889/90 war wiederum eine Änderung der Geschäftspolitik der Kreditgeber vorangegangen, die zwar weiterhin zinsgünstige Hypothekardarlehen ausgeben, f ü r Bauprojekte jedoch wesentlich rigoroser ausreichende Sicherstellungen einforderten als zuvor. Insgesamt wurden bis etwa 1893 immer weniger, dafür aber zinsgünstigere Darlehen vergeben. Die Kapitalbeschaffung wurde so zu einem vielfach unüberwindbaren H i n dernis und schränkte die Bautätigkeit entscheidend ein 130 . Darüber hinaus war es zunehmend schwieriger geworden, im Hausbau jene Verzinsung des vorgeschossenen Kapitals zu erzielen, die in den konkurrierenden Anlagesphären durchschnittlich möglich war. Eine jährliche Kapitalisierung von bestenfalls 4V2 °/o bei Häusern in den besseren Lagen der Stadt und von 6—8 %> in den Arbeiterbezirken wie Ottakring und Meidling war nur dann ausreichend, wenn man gleichzeitig günstige Kredite erlangt hatte 131 . D a ß die Kapitalverwertung durch Häuserproduktion und Wohnungsvermietung keineswegs immer jene Superprofite abwarf, wie von vielen Zeitgenossen und besonders auch Wohnungsexperten anklagend behauptet wurde, zeigt sidi an der Rechnungslegung der ersten „Gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften", aus denen, trotz größter Anstrengungen die Kapitalisten von den sich eröffnenden Gewinnaussichten im Arbeiterwohnungsbau zu überzeugen, immer nur die vergleichsweise bescheidene Verzinsung der vorgeschossenen Gelder hervorgeht, obwohl in der Regel ungewöhnlich stabile Mietverhältnisse herrschten 132 . Natürlich gab es f ü r die Hausbesitzer Zeiten hoher Extraprofite, doch entsprachen die im Verlauf der zweiten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts erzielten Durchschnittsgewinne in etwa jenen anderer Anlagesektoren, wie 130

Ausführlich dazu oben S. 86 ff., besonders S. 92. Vgl. Schwarz, Grundrente, S. 46. 132 Beispielhaft seien lediglich erwähnt Steiner, Verein, S. 12 ff.; Oppenheimer - Simony, Tätigkeit, S. 5 ff.; Simony, Tätigkeit, S. 405; Förderung der Wohnungsfürsorge, Sociale Rundschau 3/2 (1902), S. 603, 5/1 (1904), S. 755, 5/2 (1904), S. 1067, 7/1 (1906), S. 368, 8/2 (1907), S. 302 und 9/1 (1907), S. 287. 131

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Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

nach dem Mechanismus der sich ausgleichenden Profitraten auch gar nicht anders denkbar wäre. Ganz klar geht dies aus den gut abgesicherten Berechnungen des Wiener Wohnungsexperten Schwarz hervor, aus denen sich für die Zeit um die Jahrhundertwende folgende Schlüsse ergaben: „Aus den angeführten Beispielen sehen wir, daß der Eigentümer eines Hauses in einer Lage mit ruhiger natürlicher Entwicklung zwar eine bessere Verwertung des Anlagekapitales erzielt hat, als durch eine Einlage in einer Spar-Casse, aber einen geringeren Gewinn, als der Besitzer von Wertpapieren, welche im Kurswert stark gestiegen sind, während der Eigentümer eines Hauses in stark aufstrebender Lage, in welcher eine Steigerung des Zinses und eine bedeutende Erhöhung des Grundwertes eingetreten ist, nach den durchgeführten Beispielen gegen andere Anlagsarten im Vorteile war. Da jedoch der Eigentümer eines Hauses in dem hievon erzielten Ertrage auch die Entschädigung f ü r seine durch die Administration des Hauses entstehende eigene Arbeit, f ü r das Risiko von eventuellen Leerstehungen und Zinsverlusten finden muß, so ist im allgemeinen der Gewinn aus dem Besitz . . . eines Hauses in einer bereits ganz verbauten Gegend kein unverhältnismäßig großer und unnatürlicher gegenüber irgend einer anderen Art der Anlage eines Kapitales." 1 4 3 Von 1896—1914 wurde die Entwicklung der Bautätigkeit durch drei Konjunktur- und zwei Abschwungphasen gekennzeichnet, die präzise mit dem Volumen der im Stadtgebiet intabulierten H y p o thekarkredite korrespondierten und außerdem exakt den Zinssatzverschiebungen zwischen 4V2—43/4 °/o f ü r erste sowie 5—8 °/o f ü r zweite Sätze entsprach 184 . Besonders in der für die meisten Zweige der österreichischen Wirtschaft sehr schwierigen Periode von 1902 bis 1905 floß das anlagesuchende Kapital in verstärktem M a ß dem Bausektor zu. Am meisten profitierten davon die Außenbezirke, w o vor allem die niederösterreichischen H y p o t h e k a r anstalten durch Gewährung langfristiger Darlehen immer stärker in Erscheinung traten, bis 1914 mehr als 50 °/o aller Belehnungen von diesen Instituten vorgenommen wurden 1 3 5 . Als 1906 parallel 133

Schwarz, Grundrente, S. 82 und 78 ff. Vgl. die bezirksweise aufgeschlüsselten Angaben im Statistischen Jahrbuch der Stadt Wien 1896 ff. s o w i e die Tabellen 1 0 — 1 2 im Anhang. 135 Bobek - Lichtenberger, Wien, S. 53. D i e Behauptung v o n Eberstadt, Wiener Wohnverhältnisse, S. 195, daß „die Gewährung v o n Baukredit (das Baugeldgesdiäft) bis etwa z u m Jahre 1907 in Wien ausschließlich in 134

Zinssatz und K r e d i t m a r k t

2 6 7

zum internationalen Konjunkturanstieg auch die österreichische Wirtschaft wieder eine Konjunkturbelebung und erhöhte Wachstumsraten aufwies, ließ der Kreditstrom sofort nach, was p r o m p t eine Abschwächung der Bautätigkeit nach sich zog, die in die letzte tiefgreifende Depression der Vorkriegsjahre überging. Insgesamt ließ die Gebäuderentabilität im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nach Meinung des Wohnungsfachmannes Mully von Oppenried sehr zu wünschen übrig, was jedoch nur f ü r die Stagnationsphase volle Gültigkeit haben dürfte 1 3 8 . D a s als Indiz angeführte Sinken der durchschnittlichen Dividende der österreichischen Baugesellschaften von 5,69 °/o im J a h r e 1897 auf 2,97 °/o im J a h r e 1907 belegt aber klar, daß die Wohnungsproduktion in der zweiten H ä l f t e des Jahrzehnts keine sonderlich profitverheißende Kapitalverwertung darstellte 1 3 7 . Bezeichnenderweise mußten zum Tiefstand der Bautätigkeit 26 % aller Hypothekardarlehen mit mehr als 5 °/o verzinst werden 1 3 8 . Die Behauptung, daß durch das Hinaufschnellen des Zinsfußes im Zeichen einer allgemeinen Geldknappheit die Bautätigkeit einfach erdrosselt worden wäre, trägt allerdings anderen konjunkturhemmenden Faktoren doch wohl zu wenig Rechnung und simplifiziert die Zusammenhänge zwischen Wohnungsproduktion und K a p i t a l m a r k t in einem unzulässigen Maß, was man allerdings hinsichtlich der zugrunde liegenden Motivation begreift, wenn man schließlich belehrt wird, „wie hoch die Mieten sein müssen und wie ungünstig trotzdem die L a g e des Hausbesitzers ist" 1 3 9 . den H ä n d e n privater Geldgeber l a g " , entspricht nicht den Tatsachen, obwohl das P r i v a t k a p i t a l eine sicherlich sehr bedeutende R o l l e spielte. 1 3 6 Mully von Oppenried, Bewertung, S. 2 8 : „ P r i v a t e k a p i t a l s k r ä f t i g e Bauherren haben in den letzten J a h r e n bis zum J a h r e 1910 in der Regel nur auf eigenen, brach liegenden G r ü n d e n . . . gebaut, oder auch dann, wenn sie durch eine übertriebene Ertragsrechnung über die k ü n f t i g e Rentabilität ihrer K a p i t a l s a n l a g e getäuscht wurden." 1 , 7 Im ebenfalls im Zeichen eines Abschwungs stehenden J a h r 1889 hatten die Wiener Baugesellschaften immerhin 4,65 %> D i v i d e n d e ausgeschüttet, 1884 waren es noch 6 — 7 ° / o bei den verschiedenen Gesellschaften gewesen. D a g e g e n w a r jedoch die Durchschnittsdividende der 18 kartellierten Baumaterialiengesellschaften von 6,13 °/o im J a h r e 1901 a u f 1 0 , 2 7 % im J a h r e 1906 gestiegen. Vgl. d a z u M u l l y von Oppenried, Bewertung, S. 29.

Rauchberg, Mittelständische Wohnungspolitik, S. 17. » Ebenda.

138 1S

268

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

D e r letzte Konjunkturaufschwung des Baugewerbes vor Ausbruch des Krieges wurde wiederum durch eine kräftige Expansion des Kreditvolumens eingeleitet, so daß von 1907—1911 das über Hypothekardarlehen dem Häuserbau zugeführte K a p i t a l beinahe eine Verdopplung erfuhr. Zu diesem Zeitpunkt sollte ein H a u s , „welches Sorgen verursacht und eine mühevolle Verwaltung erfordert", normalerweise 5—5V2 °/o tragen. „Für städtische Realitäten in minder guter L a g e mit minderen Parteien oder in weniger guter Baubeschaffenheit, dann für H ä u s e r . . . mit wirtschaftlich nicht gut situierten Einwohnern . . . werden demnach auch Zinsfüße von 5Vs und 6 °/o in Anwendung kommen", versicherte Mully von Oppenried in seinen praxisnahen Erläuterungen zur Ermittlung des Kapitalisierungszinsfußes und gab damit wohl einen verläßlichen Hinweis, bei welcher Zinshöhe dem Wohnungsmarkt ausreichend K a p i t a l zufloß 1 4 0 . Obwohl die Zinsforderungen bei Krediten anstiegen, wurden infolge der enormen Mietpreiserhöhungen der unmittelbaren Vorkriegszeit entsprechende Grenzwerte erreicht, so daß sich die Anlage großer Geldmengen in Wohnungsproduktion und -Vermietung lohnte. Vermutlich wurde die günstige Entwicklung a m Wiener K a p i t a l m a r k t nicht unwesentlich durch den Vorstoß tschechischer Banken ins Baugeldgeschäft sowie durch die 1910 gegründete Wiener Baukreditbank beeinflußt 1 4 1 . Als von 1912 auf 1913 Zahl und Gesamtbetrag der Hypothekardarlehen rapide zu sinken begannen, zeichnete sich eine arge Krise der Bauwirtschaft ab, die auch zu einer Reihe von äußerst besorgten Stellungnahmen führte, in ihrem Ausmaß infolge des Kriegsausbruches aber nicht mehr abgeschätzt werden kann. Seit Herbst 1912 zog sich das disponible K a p i t a l zusehends aus der Baubranche zurück, was durch das Einsteigen der Versicherungsanstalten ins Hypothekargeschäft sowie durch staatliche Hilfestellung bei der Organisation des Kredits für die gemeinnützige Bautätigkeit nur sehr beschränkt ausgeglichen werden konnte. Noch einmal zeigte sich eindrucksvoll, wie empfindlich die Bauwirtschaft reagierte, wenn sich in konkurrierenden Anlagesphären bessere Möglichkeiten Mully von Oppenried, Bewertung, S. 168 f. Vgl. Eberstadt, Wiener Wohnverhältnisse, S. 195 f. D i e zu Jahresende 1911 ausstehenden B a u k r e d i t e der N e u g r ü n d u n g beliefen sich immerhin auf nahezu 16,6 Millionen K r o n e n , was einem Anteil von k n a p p 5 °/o aller neu intabulierten H y p o t h e k a r d a r l e h e n entsprach. 140 141

Zinssatz und Kreditmarkt

269

boten 1 4 2 . S o e r k l ä r t e sich das verringerte K r e d i t v o l u m e n der S p a r k a s s e n aus d e m stark rückläufigen E i n l a g e s t a n d , der durch die scharfe K o n k u r r e n z der B a n k e n verursacht w u r d e , welche ihre K a p i t a l i e n Industrie und H a n d e l zuleiteten und dem S p a r e r sowohl einen höheren Zinsfuß als auch günstigere Rückzahlungsm o d a l i t ä t e n anbieten konnten. Besonders schlimm w i r k t e sich d a s verringerte Wachstum des P f a n d b r i e f u m l a u f e s aus, w a s etwa die Niederösterreichische L a n d e s h y p o t h e k e n a n s t a l t u n d die H y p o t h e k e n b a n k des Königreichs Böhmen arg t r a f . D i e d a m i t verbundenen schweren K u r s v e r l u s t e der P f a n d b r i e f e konnten auch durch die A u s g a b e höher verzinslicher T y p e n nicht aufgehalten werden. „ H i e r w i r k t die Verlockung, d a s G e l d vielleicht weniger sicher, aber mit mehr Aussicht a u f G e w i n n in Industriepapieren anzulegen, in Krisenzeiten wohl stärker als sonst; noch mehr f ä l l t ins Gewicht jene K o n k u r r e n z , welche den P f a n d b r i e f e n durch d i e anderweitigen F o r m e n pupillarsicherer Emissionen bereitet wurde, an denen g e r a d e die letzte Zeit so überreich ist. S t a a t u n d Gemeinden treten mit immer neuen Geldansprüchen hervor, sie wenden sich im G r u n d e an die gleichen Kreise, an welche die P f a n d b r i e f e mit ihrem A b s a t z appellieren. Ein S t i l l s t a n d des P f a n d b r i e f a b s a t z e s bedeutet selbstverständlich ein Stocken des H y p o t h e k a r g e s c h ä f tes."143 D i e an dieser Stelle notwendigerweise etwas k n a p p e D a r s t e l lung u n d Interpretation der Z u s a m m e n h ä n g e zwischen B a u t ä t i g keit und K a p i t a l m a r k t , die natürlich wesentlich v o n den jeweils realisierbaren M i e t z i n s f o r d e r u n g e n abhingen und auch von den vielen, teilweise oben besprochenen, weiteren ökonomischen u n d politischen F a k t o r e n beeinflußt w u r d e n , hat immerhin k l a r belegt, wie s t a r k der bei der Vermietung v o n W o h n r a u m erzielbare Z i n s s a t z v o n den Bedingungen des allgemeinen K a p i t a l m a r k t s abhing, indem er z w a r k u r z f r i s t i g durch die a m W o h n u n g s m a r k t erzielbaren Mieten s t a r k e S c h w a n k u n g e n a u f w e i s e n konnte, langfristig aber nicht wesentlich v o n der Zinshöhe a u f dem gesamten K a p i t a l m a r k t abwich 1 4 4 . Sehr rasch setzte jeweils bei sich ändern142 Siehe Bericht der Handels- und Gewerbekammer N ö , 1913, S. 540 f. 143 Pribram, Wirtschaftskrise und Kreditbeschaffung, S. 32. 144 Vgl. zusammenfassend Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten, S. 36 f.

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Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

den Voraussetzungen in den konkurrierenden Anlagesphären oder infolge steigender oder sinkender Produktionskosten der Z u - oder Abfluß in den oder aus dem Wohnungsmarkt ein. D a außerdem fast alle Bauherren den notwendigen Kapitalvorschuß auf dem K a p i t a l m a r k t ergänzten oder im V e r l a u f der Zeit sogar zum immer größer werdenden Teil auftrieben, sank in Zeiten hoher Zinsen und unzureichenden Kreditvolumens

die Rentabilität des Miet-

wohnungsbaus sehr rasch ab, da höhere Mieten infolge der äußerst eng begrenzten Zahlungsfähigkeit der Bevölkerungsmehrheit W i e n nur in beschränktem U m f a n g Reduzierte Bautätigkeit

realisiert werden

aber bedeutete Verstärkung

von

konnten. und

Fort-

bestand der Wohnungsnot. 5.3.4.

Miethöhe

und

Besteuerung

D i e bisher besprochenen, vorwiegend ökonomischen die auf den Wohnungsmarkt

maßgeblich Einfluß

Faktoren,

nahmen,

also

Verzinsung und Abschreibung des vorgeschossenen K a p i t a l s sowie Grundrente, stellten aber keineswegs den allein ausschlaggebenden, wenn auch größten Teil des Mietpreises dar. S o wie heute gingen in den Mietzins auch Bewirtschaftungskosten ein, die hauptsächlich aus Dienstleistungen an den Mieter, etwa Betriebskosten, und der Instandhaltung des Hauses erwuchsen 1 4 5 . D a s bereits erwähnte, insbesondere bei Unterschichtwohnungen stark vergrößerte Mietausfallwagnis

w a r dagegen

als Teil

des Zinses

zu betrachten.

Es

bewirkte gemeinsam mit den Verwaltungskosten, welche die ordnungsgemäße Führung eines Wohnhauses abgelten sollten, daß die jährliche Verzinsung bei einem von einkommensschwächeren M i e tern bewohnten Gebäude spürbar höher sein mußte, wenn für die Produktion entsprechender Wohnungstypen ausreichend Kapital zufließen sollte. Wesentlich

bedeutsamer für

die Mietpreisbildung

war

jedoch

die enorm hohe Besteuerung der Wohnungen in Wien, welche den österreichischen Verhältnissen

im internationalen

Vergleich

eine

negative Sonderstellung einräumte 1 4 6 . Als zu Beginn des 2 0 . J a h r 1 4 5 Eine genaue Aufschlüsselung bei Mully v o n O p p e n r i e d , B e w e r t u n g , S. 1 2 7 ff. und besonders S. 1 3 5 ; Eberstadt, W i e n e r Wohnverhältnisse, S. 191. 1 4 6 Eine ausführliche Darstellung v o n Geschichte und Struktur der Wohnungssteuern samt Kalkulationsbeispielen zu jeweiligem Steuersatz

Miethöhe und Besteuerung

271

hunderts die Frage einer Gebäudesteuerreform immer mehr in den Mittelpunkt der Diskussion rückte und sowohl von der Seite der Mieter als von den Hausbesitzervereinigungen beträchtliche Opfer von Staat, Ländern und Gemeinden verlangt wurden, war immer wieder das Argument zu hören, „Die österreichische Hauszinssteuer hat in den großen Städten den monströsen Satz von 26 2 /s % . . . dazu kommen dann die Zuschläge . . . so daß öfters mehr als 50 Prozent vom Mietzinse, mehr als die H ä l f t e des Ertrages, den ein H a u s seinem Besitzer abwirft, vom Fiskus, den Ländern und den Kommunen weggenommen und f ü r sich beansprucht werden" 1 4 7 . Von diesem Vorwurf war dann nicht mehr weit zur Behauptung, „Die hohe Hauszinssteuer hat sich im Verein mit den sehr verteuerten Vermögensübertragungsgebühren als das stärkste Hindernis f ü r die Entfaltung der Bautätigkeit erwiesen" 148 . Wurden diese verallgemeinernden Behauptungen, welche die ökonomischen Determinanten unzureichender Wohnungsversorgung fast ganz aus den Augen verloren, der Realität auch nur sehr eingeschränkt gerecht, so verwiesen sie doch auf die Größe des Problems, welches einer ausreichenden Wohnungsproduktion und günstigen Mietpreisentwicklung aus administrativpolitischen Hemmnissen erwuchs, die sich keineswegs durch volkswirtschaftliche Rationalität ausreichend begründen ließen. Die österreichische Gebäudesteuer, die in Wien bis knapp vor Kriegsausbruch nahezu unverändert in Kraft blieb, war eine Ertragssteuer, deren gesetzliche Grundlage in der Hauptursache auf ein kaiserliches Patent aus dem Jahre 1820 zurückging 149 . Waren bis 1849 lediglich Wien und die Landeshauptstädte beund rentabler Gesamtmiete sowie die wichtigsten Gesetzestexte bei Mully von Oppenried, Bewertung, S. 71 ff. Vgl. außerdem Eberstadt, Wiener Wohnverhältnisse, S. 197 ff.; Maresch, Wohnungswesen, S. 32 f.; Willfort, Wohnungsnot, S. 5 f.; Raudiberg, Reform, S. 11 ff.; ders., Mittelständische Wohnungspolitik, S. 22; Aufsätze zur Gebäudesteuerreform; Raudaberg, Jubiläums-Stiftung, S. 10 f.; Wiener Bauindustrie-Zeitung 21 (1903/04), S. 46 ff., 53 ff. und 61 ff.; Dub, Gebäudesteuervorlage; Braun von Fernwald, Abstufung, S. 591 ff.; Vogel, Reform, S. 62 ff.; Meyer, Hauszinssteuer, und Voigt, Bodenpolitik, S. 299 f. 147

Dub, Gebäudesteuervorlage, S. 2. Dub, Gebäudesteuervorlage, S. 3. 149 Der kurze historische Überblick im wesentlidien aus der Wiener Bauindustrie-Zeitung 21 (1903/04), S. 46 ff. 148

272

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

t r o f f e n , so w u r d e n in diesem J a h r d e r G e l t u n g s b e r e i c h auf alle W o h n h ä u s e r in O r t s c h a f t e n a u s g e d e h n t , in d e n e n z u m i n d e s t d i e H ä l f t e d e r W o h n g e b ä u d e einen Z i n s e r t r a g d u r c h V e r m i e t u n g a b w a r f . D i e G e b ä u d e s t e u e r n o v e l l e des J a h r e s 1882 beseitigte d i e Vielfalt der Gesetzesvorschriften u n d vereinheitlichte die H a u s zinssteuer f ü r alle G e b ä u d e eines O r t e s . D i e gesetzlichen Ä n d e r u n g e n d e r G e b ä u d e s t e u e r w a r e n in d e r Regel m i t einer V e r m e h r u n g der A b g a b e n v e r b u n d e n . So w u r d e 1 8 4 9 d i e o r d e n t l i c h e H a u s zinssteuer z w a r a u f 16 °/o des N e t t o m i e t z i n s e s e r m ä ß i g t , d a f ü r k a m aber ein D r i t t e l z u s c h l a g gleichsam als E i n k o m m e n s s t e u e r q u o t e h i n z u . I n f o l g e des K r i e g e s m i t I t a l i e n w u r d e ein w e i t e r e r , „ a u ß e r o r d e n t l i c h e r " Zuschlag e i n g e f ü h r t , d e r sich u r s p r ü n g l i c h auf ein Sechstel, seit dem J a h r 1863 a b e r e b e n f a l l s a u f ein D r i t t e l des O r d i n a r i u m s belief. D i e H a u s z i n s s t e u e r w a r d a m i t a u f 262/s °/o des N e t t o z i n s e s angewachsen, der in W i e n u n d in d e n meisten a n d e r e n L a n d e s h a u p t s t ä d t e n seit der N o v e l l e v o n 1883 den u m 15 °/o f ü r Erhaltungs- und Amortisationskosten verminderten Bruttozins darstellte 1 5 0 . U m die g e s a m t e S t e u e r l a s t z u ermessen, müssen a b e r n e b e n d e r staatlichen A b g a b e die U m l a g e n u n d Zuschläge f ü r L a n d u n d G e m e i n d e berücksichtigt w e r d e n , f e r n e r d e r E i n q u a r t i e r u n g s b e i t r a g , die K a n a l r ä u m u n g s g e b ü h r sowie Z i n s - u n d Schulk r e u z e r . Z u s a m m e n w a r e n in W i e n bei v o l l b e s t e u e r t e n O b j e k t e n 4 1 , 3 1 »/o v o m richtiggestellten D u r c h s c h n i t t s z i n s z u entrichten 1 5 1 . I m m e r w i e d e r h a t t e d e r Fiskus in Z e i t e n kriegerischer V e r w i c k l u n g e n o d e r innenpolitischer Schwierigkeiten E r h ö h u n g e n d u r c h gesetzt, d i e in der Regel s o f o r t a u f d i e M i e t e n durchschlugen. A l l g e m e i n e R e d u k t i o n e n w a r e n dagegen ausgeblieben, w o d u r c h d i e

150

Die unter diesen Steuersatz fallenden Orte wurden in einem Verzeichnis festgelegt, wobei im Fall von Wien nicht nur das eigentliche Stadtgebiet, sondern auch der erst 1891 eingemeindete Vorortebereich teilweise betroffen war. In den nicht im Verzeichnis enthaltenen Orten betrug die Steuer von hauszinssteuerpflichtigen Gebäuden nur 20 °/o vom Nettozins nach Abzug von 30°/o Erhaltungs- und Amortisationskosten, in Tirol und Vorarlberg sogar nur 15 °/o. 151 Wiener Bauindustrie-Zeitung 21 (1903/04), S. 48. Eine ausführliche Darstellung der teilweise redit komplizierten Struktur der Hauszinssteuer unter Berücksichtigung der verschiedenen zeitlich und objektgebundenen Steuerbefreiungen bei Braun von Fernwald, Abstufung, S. 591 ff. Vgl. auch Willfort, Wohnungsnot, S. 5 f., der sogar auf eine Totalsumme von 39,05 °/o Abgaben, bezogen auf den Bruttozins, kommt.

Miethöhe und Besteuerung

273

exorbitante H ö h e der Hauszinssteuer ihre Erklärung findet. Offenbar erschien zu Beginn des 19. Jahrhunderts der immobile Besitz f ü r die Kameralwissenschaft als das geeignetste Steuerobjekt zur Auffüllung des Staatsbudgets, wobei man aber entsprechend der damaligen Gesellschaftsordnung den ländlichen Grundbesitz eher schonte und dafür den Wohngebäuden in der Stadt die schwerste Last aufbürdete 1 5 2 . Ohne Zweifel wurde auf diese Weise nicht wenig zur Verschärfung der Wohnungsfrage in den Großstädten der Monarchie beigetragen. Wahrscheinlich wurden die schädlichen Auswirkungen f ü r den Wohnungsmarkt durch zeitliche Steuerbefreiung etwas gemildert. Solche Maßnahmen, die von vielen Wohnungsreformern als reines Geschenk an die Hausbesitzer gewertet wurden, in einem gewissen Umfang aber sicherlich auch den Mietern zugute kamen, wurden allerdings gegen Jahrhundertende immer seltener 153 . Die angestrebte Wirkung w a r auch deswegen eingeschränkt worden, weil man sehr bald die f ü r hauszinssteuerpflichtige Gebäude erlassenen Steuerbegünstigungen durch Einführung einer 5 %-Abgabe wieder reduziert hatte 154 . Die Steuererleichterung des Jahres 1896, welche einen Nachlaß in H ö h e von 10—I2V2 % der Abgaben an den Staat vorsah, nicht jedoch die verschiedenen Fondszuschläge betraf, belief sich lediglich auf etwas mehr als 2 %> des Bruttomietzinses. Sie bewirkte zwar einen vorübergehenden Rückgang des Gesamtsteueraufkommens, wirkte sich aber auf die Mieten überhaupt nicht aus 155 . Obwohl die jeweilige H ö h e der Hauszinssteuer und damit ihr Anteil an den eingehobenen Mieten genau bekannt ist und obwohl über die Entwicklung der durchschnittlichen Zinsforderungen für die untersuchten sieben Jahrzehnte einigermaßen Klarheit gewonnen werden konnte, bleibt eine präzise Einschätzung des Steuersystems hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Wohnungs152 Dazu trug vermutlich auch die bequeme Art der Steuereintreibung sowie die relativ einfache Kontrolle der ordentlichen Steuerleistung über die Fassionen bei. 153 Überzeugend dazu Voigt, Bodenpolitik, S. 299, und Meyer, Hauszinssteuer, S. 60. 154 y g [ B r a u n v o n Fernwald, Abstufung, S. 592. 155 Allgemein zu den Gründen, wieso eine Steuerermäßigung, welche schon bestehenden Häusern zuteil wird, in keiner Weise zugunsten einer Verminderung der Mietzinse wirksam werden kann, Meyer, Hauszinssteuer, S. 59 f.

18

Feldbauer, Stadtwadistum

274

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

Versorgung schwierig und problematisch 156 . Als gesichert kann gelten, d a ß alle Formen der Gebäudesteuer ursprünglich aus dem Reinertrag des Hauses gedeckt werden und den Hausherrn allein belasten sollten, in der Regel jedoch zu Bestandteilen des Mietzinses wurden und daher das Einkommen des Mieters trafen 1 5 7 . Wieviel tatsächlich auf den Mieter überwälzt wurde, könnte erst geklärt werden, wenn jede einzelne Veränderung der Steuerlast und die darauf eingetretenen Preisveränderungen statistisch exakt bestimmt und in ihrem Zusammenspiel mit den anderen preisbildenden Faktoren gewichtet würden. Diese Aufgabe war mit dem vorliegenden Datenmaterial im Rahmen der vorliegenden Analyse nicht zu leisten. Im Unterschied zur Entwicklung der Bodenpreise, der Baukosten und der Situation am Kapitalmarkt ließ sich im Fall der Steuerbefreiung kein klares Bild über die Auswirkungen auf die Bautätigkeit und die Wohnverhältnisse gewinnen. Folgten den Steuerbefreiungen im Zuge der ersten Stadterweiterung ein rasanter Konjunkturanstieg aber auch die ärgsten Mietzinserhöhungen des Jahrhunderts, so erzielten Steuerprivilegien von vergleichbarem Ausmaß später keine sichtbare Wirkung. Man wird daher der Meinung beipflichten müssen, daß man mit der Steuergesetzgebung allein die Volkswirtschaft und in diesem Fall die Wohnungsfrage nicht meistern konnte 158 . Daraus folgt aber nun keineswegs, daß die Hauszinssteuer nicht zur chronischen Wohnungsmisere beigetragen hat. Einige allgemeine Überlegungen mögen dies verdeutlichen. Wenn man Bodenpreise und Baukosten als gegeben annimmt, so hätte jede kapitalisierte Steuerermäßigung einen zusätzlichen Gewinn für die Bauunternehmer bedeutet, woraus eine lebhaftere Bautätigkeit und Vermehrung der Häuser, in weiterer Folge eine Erhöhung der Bodenpreise und Baukosten, infolge der vermehrt angebotenen Wohnungen aber auch eine gewisse Ermäßigung erwachsen wäre, bis der 156

Dies geht auch deutlich aus der Debatte um die im Jahre 1911 in ein viel kritisiertes Gesetz mündende Gebäudesteuerreform hervor, in deren Verlauf keiner der theoretisch bisweilen völlig konträren Standp u n k t e durch überzeugende empirische Belege abgesichert werden konnte. Vgl. dazu insbesondere Vogel, R e f o r m ; Meyer, Hauszinssteuer, und Aufsätze zur Gebäudesteuerreform. 157 Maresch, Wohnungswesen, S. 32. 158 Vgl. Aufsätze zur Gebäudesteuerreform, S. 83.

Miethöhe und Besteuerung

275

Gewinn der Bauherren wieder auf die durchschnittliche Profitrate gedrückt worden wäre. Daß die Reduktion der Mieten infolge des Übergewichts der vorhandenen Wohnräume und auf Grund der vereinigten Interessen der Hausbesitzer vermutlich nur bescheidene Dimensionen erreicht hätte und konkret vielleicht nur einen verlangsamten Mietzinsauftrieb bewirkt haben würde, ändert nichts an der Tatsache, daß der Bausektor durch Steuerentlastungen zumindest vorübergehend zu einer überdurchschnittlich interessanten Anlagesphäre werden konnte. Die Vermehrung des Raumangebotes hätte aber bei unveränderter Kaufkraft der Bevölkerung und bei objektiv gleichgebliebenem Raumbedarf eine Reduktion der Durchschnittsmieten bewirkt 159 . Daß erst beträchtliche und langfristige Steuernachlässe eine spürbare Wirkung erhoffen ließen, folgt unter anderem aus den notwendigerweise einen Konjunkturaufschwung begleitenden steigenden Produktionskosten. Einer langfristigen Realisierung von Extraprofiten im Baugewerbe wäre dagegen der Mangel an zahlungsfähiger Nachfrage im Weg gestanden. Nur bei gesenkten Mieten hätte sich eine ausreichende Zahl besserer, größerer Wohnungen, welche infolge des Kapitalzuflusses auf den Markt gekommen wäre, absetzen lassen160. Die hohe Hauszinssteuer kann nach diesen Überlegungen und auf Gnind der freilich bisweilen widersprüchlichen empirischen Hinweise keinesfalls als Hauptursache der Wohnungsnot in Wien betrachtet werden, wie dies insbesondere von den Hausherren immer wieder behauptet wurde. Das in allen anderen europäischen Metropolen auch bei wesentlich geringerer Steuerbelastung herrschende Wohnelend liefert diesbezüglich zwar keine Beweise, aber immerhin einen Fingerzeig, welche Faktoren das Problem grundsätzlich ausmachten: Überall verursachten die Determinanten Grundrente, Baukosten und Kapitalmarkt völlig unzumutbare Wohnverhältnisse der städtischen Bevölkerungsmassen161. Unter158 Ausführlich dazu Meyer, Hauszinssteuer, S. 57 ff. 160 D i e bisweilen auftretende Stagnation der Mietpreisentwiddung bei Wohnungen mittlerer Größe führte jeweils zur Reduktion der entsprechenden leerstehenden Einheiten und zu einer merklichen Besserung der Wohnverhältnisse einer vorwiegend bürgerlichen Mittelschicht. 161 Einen wichtigen H i n w e i s liefert auch die Nadikriegssituation in Wien. O b w o h l 1918 Staat und K o m m u n e auf die Gebäudesteuer verzichtet hatten, der Boden weitgehend entwertet w a r und die N e t t o l ö h n e 18*

276

Ursadien unzureichender Wohnungsversorgung

schiedliche

Bauordnungen,

hältnisse

vermochten

graduelle

Abstufungen

blems. D a ß

Steuersysteme

daran und

nichts

zu

und

Einkommensver-

ändern,

bewirkten

spezifische Ausformungen

solche Abstufungen

für

die betroffenen

des

aber Pro-

Haushalte

schwer wogen, steht außer D e b a t t e . Sie bestimmen auch den historischen Stellenwert der Hauszinssteuer in Wien. Durch ihre enorme H ö h e stellte sie ein nicht zu unterschätzendes Hindernis für die profitable

Kapitalverwertung

im

Bausektor

dar,

reduzierte

die Bautätigkeit und förderte dadurch in gewissem M a ß die Steigerung der Mieten und die Überfüllung der W o h n u n g e n 1 6 2 . Diese Auswirkungen waren sozial um so bedenklicher, als die e i n k o m mensschwächeren G r u p p e n den relativ größeren Teil des H a u s haltsbudgets

im Vergleich

zu

Familien

der Mittel-

und

Ober-

schicht für die Deckung der Miete aufwenden mußten und daher, gemessen an ihrer Finanzkraft, am stärksten besteuert w u r d e n 1 6 3 . Ohne

damit

prinzipiell

die

Wohnungsfrage

lösen

zu

können,

h ä t t e wenigstens in diesem P u n k t durch eine progressive Gestaltung der Steuer und eine Ausdehnung des steuerfreien

Existenz-

nicht höher als im Jahre 1913 lagen, kletterte der Grenzmietpreis auf etwa 23 K pro Quadratmeter Nutzfläche, also auf eine selbst in den inneren Stadtbezirken unerzielbare Höhe. Die kurzfristig auf 10 %> ansteigenden Zinsen am Kapitalmarkt fielen bald wieder und bieten keine ausreichende Erklärung. Diese ergibt sich vielmehr aus den enorm gestiegenen Baukosten, deren Ursache die neu eingeführten oder stark erhöhten Steuern für Baumaterialien und Bauarbeiten waren. Der Wegfall der Hauszinssteuer und die Reduktion der Grundrente fielen demgegenüber kaum ins Gewicht. Vgl. dazu Sitte, Bau- und Wohnungswirtschaft, S. 233. Eine genaue Aufstellung der während des Krieges von 1914—1917 infolge rasant gestiegener Löhne und Materialpreise erfolgten Verdreifachung der Baukosten bei Stern, Wohnungsnot, S. 10 ff., zeigt ebenfalls deutlich, welche Bedeutung diesem Faktor für die Errichtung erschwinglicher Wohnungen zukam. Die Ursadien lagen während des Krieges allerdings in der totalen Verknappung von Arbeitskräften und Baustoffen. 1 6 2 Die Hoffnungen bezüglich der 1911 eingeleiteten Gebäudesteuerreform waren dementsprechend bei vielen Experten recht bescheiden und hauptsächlich auf eine Belebung der Baulust und deren Konsequenzen gerichtet. Vgl. Meyer, Hauszinssteuer, S. 60, und Rauchberg, Reform, S. 13 ff. und 22 ff.: „Vom Standpunkt der Wohnungsreform liegt also der Schwerpunkt der Reform in der Belebung der Bautätigkeit und in der dadurch bewirkten Vermehrung des Wohnungsangebots . . . Untersuchungen haben ergeben, daß die den alten Häusern gewährten Steuernachlässe die Mietzinse nicht herabmindern können." 163

Rauchberg, Jubiläums-Stiftung, S. 10 f.

Wohnungsmarkt und Mietpreisbildung

277

minimums auf die Befriedigung des Wohnbedürfnisses mehr soziale Gerechtigkeit geschaffen u n d besonders krasse A u s f o r m u n gen der W o h n u n g s n o t gelindert werden können 1 6 4 . Die im J a h r e 1911 durch ein neues Gesetz eingeleitete Steuerreform verzichtete auf diese Möglichkeit 1 6 5 . Eine Beurteilung eventueller A u s w i r kungen ist infolge der seit 1914 radikal veränderten Verhältnisse unmöglich. 5.3.5. Wobnungsmarkt

und

Mietpreisbildung

Ähnlich wie heute, spielte die Einschätzung der Mechanismen am W o h n u n g s m a r k t bei der Analyse v o n W o h n u n g s p r o d u k t i o n , Wohnungsvermietung u n d Mietpreisbildung, das heißt bei der Suche nach den G r ü n d e n der f ü r viele Bevölkerungsgruppen u n zureichenden Wohnungsversorgung unter den W o h n u n g s r e f o r m e r n der J a h r h u n d e r t w e n d e eine große Rolle. Besonders liberale Wohnungswirtschaftler erwarteten v o m Marktmechanismus v o r rangig positive Effekte, w i e eine ständige Anpassung des Angebots an die Bedürfnisse der Nachfrage, eine Vereinheitlichung der Mieten f ü r W o h n u n g e n gleicher Größe, Q u a l i t ä t u n d Lage, einen Druck auf die Baukosten und qualitative Verbesserungen des W o h nungsbestandes gemäß den Wünschen der N a c h f r a g e r , eine f ü r die Bevölkerungsmehrheit angemessene Entwicklung der Mietzinse in Übereinstimmung mit der Einkommensverteilung 1 6 6 . Verzerrungen der M a r k t a u t o m a t i k wären z w a r im Falle der Wohnungsversorgung durch äußere S t ö r f a k t o r e n besonders leicht möglich, seien aber auf G r u n d ihres lokalen oder temporären C h a r a k t e r s ohne allzugroße Modifikationen des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu beheben. Unsere immerhin einen Zeitraum von siebzig J a h r e n abdeckende Untersuchung hat jedoch ergeben, d a ß ungeachtet phasenweise beträchtlich verstärkter Bautätigkeit die W o h n u n g s p r o d u k t i o n in Wien durchgehend hinter den Minimalbedürfnissen der Bevölkerungsmehrheit zurückgeblieben w a r , welche an den bescheidenen 1,4

Vgl. Rauchberg, Reform, S. 7. Dazu Aufsätze zur Gebäudesteuerreform, worin die grundsätzlichen Standpunkte zum Gedanken einer progressiven Besteuerung zusammengefaßt sind. 168 Vgl. Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten, S. 50. 165

278

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

M a ß s t ä b e n von K a s e r n e n - und G e f ä n g n i s o r d n u n g e n gemessen w u r d e n . Z w a r konnte mehrfach die Beobachtung gemacht werden, d a ß hinsichtlich der größten Wohnungskategorien tatsächlich ein gewisser Interessenausgleich zwischen Anbietern und K o n s u m e n t e n z u s t a n d e k a m , der M a r k t m e d i a n i s m u s a l s o sowohl f ü r ein ausreichendes R a u m a n g e b o t sorgte als auch finanziell angemessene Mietzinshöhen garantierte, i n d e m Zurückhaltung bei den N a c h f r a g e r n auch wirklich z u Preisreduktionen führte, w ä h r e n d verstärkter B e d a r f der in diesem Fall zahlungsfähigen K u n d e n Produktionssteigerungen bewirkte. Es w a r auch sicher so, d a ß die T e i l m ä r k t e , in welche der städtische W o h n u n g s m a r k t nach G r ö ß e , Q u a l i t ä t u n d L a g e der O b j e k t e zerfiel, untereinander in fließendem Z u s a m m e n h a n g s t a n d e n 1 6 7 , doch spielten A n g e b o t und N a c h f r a g e im F a l l e der immer k n a p p e n K l e i n - u n d K l e i n s t w o h n u n g e n keine entsprechende Rolle. E i n e zureichende W o h n u n g s v e r s o r g u n g der überwiegenden Mehrheit der Wiener B e v ö l k e r u n g w u r d e durch den r e l a t i v ungestörten W o h n u n g s m a r k t z w e i f e l l o s nicht geleistet, w a s allein durch die sicherlich unbefriedigenden E i n k o m m e n s v e r h ä l t nisse vieler B e r u f s g r u p p e n nicht erklärt w e r d e n konnte 1 6 8 . U n t e r dem Eindruck des immer mehr ins öffentliche Bewußtsein dringenden Wohnungselends mußten die meisten Wirtschaftsu n d Wohnungsexperten erkennen, d a ß ein funktionstüchtiger M a r k t , also der Ausgleich v o n A n g e b o t u n d N a c h f r a g e , die Wohnungsnot als soziales u n d zunehmend auch gesamtwirtschaftliches P r o b l e m nicht zu lösen vermochte. E i n e aus der A n a l y s e großstädtischer Wohnverhältnisse unserer T a g e formulierte Einsicht dieses T a t b e s t a n d e s trifft in v o l l e m U m f a n g auf die Situation in Wien 1 6 7 Mildschuh, Kleinhaus, S. 652 f.; N a u m a n n , Miete und Grundrente, S. 149 ff. i«8 Yg] dazu 0 b e n g. 232 ff. — Wie hartnäckig selbst gute Kenner des Wiener Wohnungselends an den positiven Funktionen des Wohnungsmarktes festhielten, demonstriert beispielsweise Schwarz, Grundrente, S. 51. „ D i e Ansichten des Publikums über die V o r z ü g e einer L a g e als Wohnung sind erfreulicherweise verschieden. Die einen wählen auch zu diesem Zwecke lebhafte, verkehrsreiche Straßen, während die anderen für ihre Wohnung eine ruhige L a g e in der N ä h e von Parks und Gartenanlagen vorziehen. Wien stellt eine genügende Auswahl von Wohnungen zur Verfügung und kann den Anforderungen in der einen und der anderen Richtung nachkommen, was eine entsprechende Verteilung der Bevölkerung in den verschiedenen Lagen zur Folge h a t . "

Wohnungsmarkt und Mietpreisbildung

279

vor Ausbruch des Weltkrieges zu: „Die Miethöhe, die sich im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage ergibt, wird wohl auf längere Zeit hin die besonders einkommensschwachen Kreise unserer Bevölkerung nicht in die Lage versetzen, einen quantitativ und qualitativ hinreichenden Stand ihrer Wohnraumversorgung zu erreichen. Der Marktmechanismus ist blind f ü r soziale Erfordernisse." 169 Die Antwort auf diese Tatsache war eine Flut von Reformvorschlägen, die allesamt mehr oder minder direkte Eingriffe von Staat und Kommune in den Wohnungsmarkt forderten, deren Realisierungschancen in diesem Zusammenhang aber nicht erörtert werden sollen. Hier genügt die Einbeziehung und Bewertung jener theoretischen Ansätze, welche die untragbaren Wohnungsverhältnisse isoliert aus den Besonderheiten des Wohnungsmarktes ableiten wollen. Es fehlte nie an Versuchen, die ohne Ende steigenden Mieten und die zugrunde liegende unzureichende Produktion des Baugewerbes allein aus der gegenüber anderen Warenmärkten spezifischen Struktur von Wohnungsangebot und Nachfrage zu erklären 170 . Insbesondere wurde aus der zweifellos richtigen Erkenntnis der sozialen Abhängigkeit des Nachfragers vom Anbieter sowie der Übertragung des Bodenmonopols auf den Wohnungsproduzenten beziehungsweise Hausbesitzer ein permanentes, aus dem dauernden Nachfrageüberhang resultierendes Anbietermonopol abgeleitet. Damals wie heute wurde immer wieder gefolgert, die Miete könne nur deshalb ständig überdurchschnittlich steigen, weil in den seit der Industrialisierung unablässig wachsenden Städten dauernd Übernachfrage nach Wohnungen herrsche 171 . Obwohl solche zumeist von einem sehr kritischen Standpunkt herrührenden Überlegungen sicherlich eine Erklärungshilfe f ü r das beispielsweise von 1869 bis 1875/76 zu beobachtende Phänomen von rasch steigenden Mieten trotz verstärkter Bautätigkeit während einer allgemeinen Hochkonjunktur darstellen, scheint hier eine ganze Reihe von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten vernachlässigt, die in der Regel der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt zugrunde liegen, ganz abgesehen davon, d a ß zwischen dem objektiven Wohnungs169

Schneider, Abbaugesetz, S. 10 ff. no Vgl. dazu die grundsätzlich nicht undifferenzierte Analyse bei Feig, Nachfrage und Angebot, S. 38 ff. i7i N e e f ) Grundbesitz, S. 40 und 44 f.

280

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

bedarf der Bevölkerungsmassen und der davon im Zeitverlauf unterschiedlich stark abweichenden zahlungsfähigen Nachfrage kaum unterschieden wird. Offenbar wurde der Tatsache zu wenig Rechnung getragen, daß unter bestimmten, oben ausführlich dargestellten Voraussetzungen, eine weiterhin rasch wachsende Bevölkerung, eine starke Reduktion der Bautätigkeit, zunehmende Überfüllung der Wohnungen, deutlich verlangsamt steigende Mieten und eine Erhöhung der Leerstehungsquote im selben Zeitabschnitt beobachtet werden konnte. Das Monopol der Anbieter konnte eben nur soweit zur Erzielung von Extraprofiten ausgenutzt werden, als es die relativ eng begrenzte Zahlungsfähigkeit der Mieter zuließ. Wurden nämlich die Mieten weiter gesteigert, obwohl die Finanzkraft vieler Haushalte trotz aller Einschränkungen auf anderen Gebieten bereits erreicht war, so mußten die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen in noch schlechtere Quartiere ausweichen oder ihre Wohnungen noch weiter überfüllen, während die Zahl der Leerstehungen selbst bei reduziertem Produktionsvolumen anstieg, wie dies beispielsweise in den Krisenjahren vor 1868 der Fall war 1 7 2 . Diese Situation brachte zwar den Besitzern von Altbauwohnungen hauptsächlich Vorteile, die Wohnungswirtschaft; begann dagegen unter Auftragsmangel zu leiden und hatte natürlich jedes Interesse daran, erschwingliche Wohnungen zu produzieren 173 . Wurde also versucht, die Mieten auch bei nachlassender zahlungsfähiger Nachfrage über jenem Niveau zu halten, das durch die Faktoren Zins, Baukosten, Grundrente und Besteuerung als untere Grenze bestimmt war, so begannen

1 7 2 O b w o h l die B a u p r o d u k t i o n seit 1864/65 stagnierte, die Zunahme der Wiener S t a d t b e v ö l k e r u n g aber unvermindert anhielt, berichteten die amtlichen Publikationen v o n einer starken Z u n a h m e der Leerstehungen. D i e Mietenforderungen der Hausbesitzer hatten offenbar das erträgliche M a ß überschritten, so daß immer mehr Familien selbst schäbige Unterk ü n f t e nidit mehr bezahlen konnten. Verschärft w u r d e die Situation dadurch, d a ß der allgemeine K a p i t a l m a n g e l keine korrigierende Funktion der B a u w i r t s d i a f t zuließ. 1 7 3 Bezeichnenderweise sprachen die Interessenvertreter des Baugewerbes in den späten sechziger J a h r e n t r o t z steigender Leerstehungsq u o t e von Wohnungsnot, während die Hausbesitzervereinigungen die größer werdende Z a h l unvermieteter Einheiten weiterhin mit der angeblichen Ü b e r p r o d u k t i o n der ersten H ä l f t e des Jahrzehnts in Verbindung brachte.

W o h n u n g s m a r k t und Mietpreisbildung

281

die neu auf den Markt kommenden Wohnungen, selbst wenn deren Zahl absank, preisstabilisierend oder zumindest auftriebhemmend zu wirken. Bezeichnenderweise wurde das Anwachsen der Mietzinse in der letzten Phase des ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts gebremst, obwohl die Leerstehungen stark reduziert und die Bautätigkeit halbiert wurden, die Bevölkerungszunahme jedoch unvermindert anhielt 174 . Langfristig setzte sich also die Abhängigkeit der Mieten von den Baukosten durch, wenn auch kurzfristige Abweichungen, besonders in Zeiten allgemeiner Wirtschaftskonjunktur und relativ günstiger Einkommensverhältnisse, durch die Ausnutzung des Charakters der Wohnung als lebensnotwendiges, an einen Ort gebundenes Gut und der spezifischen Situation am Wohnungsmarkt möglich waren. Wenn aus der relativ ausführlichen Darstellung der sozioökonomischen Determinanten, welche den Konjunkturverlauf des Baugewerbes, die Situation am Wohnungsmarkt und die Wohnverhältnisse der Wiener Bevölkerung von 1848—1914 bestimmten, auch zweifellos hervorging, daß der Mietpreis vorrangig von den Faktoren Baukosten, Zins, Grundrente und Besteuerung bestimmt wurde, so folgte andererseits nicht die Bedeutungslosigkeit von Angebot und Nachfrage für die Wohnungsversorgung. Aus der Längsschnittdarstellung des chronischen, jedoch phasenweise unterschiedlich drückenden Wohnungsmangels ergab sich vielmehr, daß sich die Gesetzmäßigkeiten, denen die Kapitalverwertung bei der Wohnungsproduktion und Vermietung folgte, je über den Marktmechanismus durchsetzen mußten 175 . Auf dem Wohnungsmarkt trat der Mietzins natürlich als einheitliche Größe auf, und vom Standpunkt der Mieter gab es auch keine Teilung des Mietzinses in Einzelbeträge, die verschiedenen Bewegungsgesetzen gehorchten 176 . Die 1 7 4 D a ß in diesem Zeitabschnitt infolge des unzureichenden Wohnungsangebotes dennoch gerade die Mieter von K l e i n w o h n u n g e n soweit als nur irgendwie möglich ausgepreßt wurden, konnte k l a r gezeigt werden. D i e Belastung überschritt jedoch im Durchschnitt noch nicht jene G r e n z e , welche zur A u f g a b e des „lebensnotwendigen Gutes W o h n u n g " und in weiterer Folge zu Obdachlosigkeit führte. D i e neu produzierten W o h nungen kamen eben in der Regel mit einem Mietzinsniveau a u f den solchen U m s t ä n d e n die Profite sanken, zeigte sich an der Z u w e n d u n g des K a p i t a l s zu anderen A n l a g e s p h ä r e n . 175 178

Vgl. B r e d e - K o h a u p t - K u j a t h , Determinanten, S. 48 f. Meyer, Hauszinssteuer, S. 38.

282

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

im Untersuchungszeitraum mehrfach zu beobachtende gegenläufige Entwicklung der Bodenpreise und des Zinsniveaus des im Wohnungsbau investierten Kapitals verweisen jedoch auf den unterschiedlichen Stellenwert der einzelnen Bestandteile des Mietpreises. So war es keine Seltenheit, daß in den Innenbezirken von Wien die Grundwerte beträchtlich anzogen, der Ertrag von überalterten Häusern jedoch kontinuierlich abnahm 1 7 7 . In diesem Fall bewirkte der Marktmedianismus weder längere Zeit hindurch überhöhte Mieten für qualitativ abgesunkene Wohnungen noch relativ preisgünstige Substandardwohnungen, sondern erzwang in der Regel den Abbruch und die Errichtung von neuen Objekten, die auch unter den geänderten Verhältnissen die Realisierung der durchschnittlichen Grundrente und eine angemessene Kapitalverzinsung garantierten. Die spezifischen Gesetzmäßigkeiten von Zins- und Grundrentenentwicklung haben die Wohnungsversorgung in verschiedenen Punkten bestimmt 178 . Der Produktionsprozeß der Wohnungen, also die Höhe der Baukosten in Abhängigkeit vom Baugewerbe, insbesondere von dessen Betriebsorganisation und technologischem Niveau, hat langfristig das Steigen der durchschnittlichen Mietpreise bewirkt. Entscheidend war in dieser Hinsicht, daß von 1848 bis 1914 die Reproduktionskosten für Häuser, abgesehen von der Flaute in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, überhaupt nie nennenswert gesunken waren, die Besitzer alter Häuser also vielfach ihre Forderungen infolge der kontinuierlich wachsenden Kosten für Neubauten so lange steigern konnten, solange ihre Wohnungen qualitativ einigermaßen gleichwertig waren 1 7 9 . Die überdurchschnittliche Zunahme der Baukosten, die in wirtschaftlichen Aufschwungphasen durchgängig überproportional zum Wachstum des Realeinkommens der Bevölkerungsmehrheit und zur Entwicklung des Lebenshaltungskosten-Index verlief und selbst dann noch in allerdings vermindertem Maß anhielt, wenn die Löhne und die Preise der täglichen Gebraudisgüter sanken,

1 7 7 Ausführlich dazu Schwarz, Grundrente, S. 73 f. und 85 ff. Vgl. auch Naumann, Miete und Grundrente, S. 190. 1 7 8 Grundsätzlidie Überlegungen bei Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten, S. 7, 48 f. und 5 0 f. 1 7 9 Naumann, Miete und Grundrente, S. 193.

Wohnungsmarkt und Mietpreisbildung

283

erhöhte den Anteil der Ausgaben für die Wohnung insbesondere im Unterschichtenbudget, soweit das überhaupt möglich war. Der Zins auf die Wohnung als vorgeschossenes Kapital folgte den Schwankungen des Kapitalmarktes, welche zumeist sehr rasch auf die Bauproduktion durchschlugen und periodisch eine verstärkte Steigerung der Mietpreise und damit eine Verschärfung der Situation auf dem Wohnungsmarkt bewirkten. Die profitorientierte Bewirtschaftung des Bodens schließlich, also der Zwang, die maximale Grundrente zu realisieren, wirkte zwar sicherlich in geringerem Maß mietpreissteigernd als von den meisten Wohnungsreformern und Kommunalpolitikern angenommen wurde, beeinflußte aber Standortwahl, Verbauungsintensität und Bauformen in den Wohnvierteln entscheidend und war daher jener Faktor, welcher die soziale Segregation der Einwohnerschichten nach guten und minderen Stadtteilen erzwang. Im Verein mit der Bauordnung, die die Entwicklung der Grundrente bis zu einem gewissen Grad administrativ lenkte, kam den Bodenpreisen also grundsätzliche Bedeutung für Stadtstruktur, Sozialtopographie und äußeres Erscheinungsbild von Wien zu 1 8 0 . In zunehmendem Maß erzwangen die Grundrentenerwartungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den Altbaugebieten der Innenbezirke nicht nur die Zerstörung baulich erhaltungswürdiger Substanzen im Sinne der freilich erst später in den Vordergrund rückenden Denkmalpflege, sondern dezimierten auch den Bestand an relativ billigen Kleinwohnungen in einem durch die Neuproduktion nicht aufzuwiegenden Maß. Das Zusammenwirken all dieser Faktoren bewirkte jenes in vollem Ausmaß heute schwer vorstellbare Wohnungselend, das durch die exorbitante Besteuerung der Ware Wohnung konstant verschärft wurde und insbesondere durch die mangelnde Zahlungsfähigkeit der Mieter in Phasen wirtschaftlicher Stagnation und Depression zum Ruin vieler Haushalte führte. In dieser Hinsicht ist es auch durchaus berechtigt, auf die soziale Abhängigkeit des Nachfragers vom Anbieter auf dem Wohnungsmarkt hinzuweisen, denn während dem Anbieter in Krisenzeiten schlimmstenfalls Gewinneinbußen drohten, so ergaben sich für den Nachfrager schwere Stöleo Vgl Schweitzer, Entwicklung Favoritens, und Lichtenberger, Entwicklungs- und Raumordnungsprobleme.

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Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

rungen seiner Lebensführung. Der Sozialdemokrat Winarsky klagte daher knapp vor Kriegsausbruch die Bodenspekulanten, Haus- und Grundbesitzer wohl zu Recht als Nutznießer des Wohnungselends an, er irrte jedoch, wenn er die Einschränkung der Bautätigkeit, die Erhöhung der Mieten und die unzureichende Wohnungsversorgung als individuell verursachte, künstliche Maßnahmen anprangerte 1 8 1 . Nicht die persönliche Bosheit kapitalistischer Unternehmer, f ü r die sich zwar bei genauer Lektüre des Organs der Hausbesitzervereinigung genug Beispiele finden lassen, deren moralische Bewertung aber nicht Ziel einer wirtschaftshistorischen Analyse sein konnte, war die grundsätzliche Ursache der Wohnungsnot des Großteils der Wiener Bevölkerung 182 . Diese hatte auch ihre Wurzeln nicht vordergründig in den Besonderheiten des Wohnungsmarktes, sondern erwuchs durchaus systemimmanent aus den Verwertungsbedingungen des Kapitals in der Anlagesphäre der Wohnungsproduktion. Die historische Aufarbeitung der Wohnverhältnisse in Wien von 1848 bis 1914 erbrachte bei Berücksichtigung vieler lokaler und zeitweise auch zeitspezifischer Besonderheiten — man denke nur an Steuersystem, Bauordnung und fast völliges Fehlen staatlicher oder kommunaler Wohnungspolitik im Sinne der Wohnungsreform — im wesentlichen also ähnliche Ergebnisse wie die sozial wissenschaftliche Analyse der Wohnungsversorgung im Deutschland der Nachkriegszeit. „Die den Bewegungen dieser ökonomischen Determinanten folgende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum hat also seinen G r u n d darin, daß die Wohnung als Leihkapital in Warenform fungiert und die Mieter in der Mehrzahl lohn- und gehaltsabhängig sind. Das Kapital agiert um seiner Verwertung, seiner Selbstvermehrung 181

Winarsky, Wohnungsteuerung, S. 11: „Deshalb wird von dieser Seite die Bautätigkeit künstlich eingeschränkt. Statt angesichts der großen Nachfrage mehr Häuser zu bauen, ist es den Herren lieber, die Mieter zu zwingen, in ihrer N o t auch die kleinsten, schlechtesten und ungesündesten Wohnungen zu beziehen." 182 Damit soll gar nicht bestritten werden, daß es als charakteristisch gelten konnte, „daß, wenn ein für den Wohnungsmarkt belangreicher Teil der Wohnungsproduktion durch besondere Faktoren zu einer Mietpreissteigerung aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen wird, alle Mieten die steigende Tendenz annehmen, auch dort, w o eigentlich gar kein Grund dazu vorhanden ist" (Maresch, Wohnungswesen, S. 35). D a ß die Hausherren Extraprofite w o immer nur möglich realisierten, steht außer Debatte.

Wohnungsmarkt u n d Mietpreisbildung

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willen. Können die Mieter nicht mehr zahlen, bleiben Wohnungen, obwohl der Bedarf vorhanden ist, unvermietet, oder die Bautätigkeit unterbleibt." 1 8 3 Als seit Ende des 19. Jahrhunderts eine mangelhaft zunehmende und bisweilen auch stagnierende Zahlungskraft der Wiener Bevölkerung mit enorm steigenden Baukosten und damit auch Mieten zusammenfiel, drohte sich die Krise im Wohnungssektor zu einer Gefahr f ü r das gesamte ökonomische System auszuweiten, so daß immer häufiger massive staatliche und soweit als möglich auch kommunale Intervention gefordert wurde. Während man die von der Entwicklung der Profitrate bestimmten Faktoren als relativ unveränderlich betrachtete und bestenfalls f ü r den gemeinnützigen Wohnungsbau günstigere Zinsverhältnisse durch staatliche Ausfallhaftung f ü r möglich hielt, w a n d t e man den hohen Bodenpreisen, der überholten Bauordnung und der untragbaren Steuerbelastung besondere Aufmerksamkeit zu. In der Gewichtung der Reformvorschläge wurden die Interessenkonflikte innerhalb der Wirtschaftsordnung der Vorkriegszeit sichtbar, die zwischen Industrie, Handel und Gewerbe einerseits und den Agrariern, Grundstückund Immobilienbesitzern andererseits bestanden. Zweifellos wären durch die Überwindung dieser Gegensätze im Sinne eines „aufgeklärten, sozialreformerischen Kapitalismus" zumindest die exogenen Faktoren Bauordnung und Steuersystem zu verbessern gewesen. Selbst einschneidende Bodenreformen, die nur kurz mit den Sdilagworten Erbbaurecht, Wertzuwachssteuer und Kommunalisierung umschrieben seien, hätten nur ein geändertes Kräfteverhältnis zwischen Grund- und Hausbesitzern auf der einen Seite und der industriellen beziehungsweise gewerblichen Wirtschaft auf der anderen Seite, nicht jedoch die radikale Veränderung von Wohnungsversorgung und Wohnungszuteilung verlangt. Wieweit solche Maßnahmen der Wohnungsnot innerhalb einer insgesamt profitorientierten Wirtschaft eine Grenze setzen können, ließ sich im Rahmen dieser Untersuchung nicht klären, kann aber durch die Analyse der Wohnverhältnisse in der Zwischenkriegszeit ganz gut eingeschätzt werden 184 . Vor übertriebenem Optimismus w a r n t allerdings die Situation unserer Tage. 183

Brede - Kohaupt - Kujath, Determinanten, S. 51. Vgl. dazu Schweitzer, Wohnungs- und Siedlungsbau; Krauss Schlandt, Gemeindewohnungsbau; Seda, Sozialer Wohnungsbau. 184

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Ursachen unzureichender W o h n u n g s v e r s o r g u n g

5 . 4 . WOHNZUFRIEDENHEIT ALS U R S A C H E MANGELHAFTER WOHNUNGSVERSORGUNG?

O b w o h l es bei der Darstellung der Wiener Wohnverhältnisse in der Phase der kräftigsten Bevölkerungszunahme und des stärksten Wachstums dieser Stadt sowie bei der Analyse der Ursachen des in den sieben untersuchten Jahrzehnten unvermindert bestehenden Wohnungselends vorrangig um die Bewertung und V e r k n ü p f u n g ökonomischer und administrativ-politischer Determinanten unzureichender Wohnungsversorgung ging, muß abschließend noch der bis heute viel diskutierten Frage, inwieweit die Mieter selbst Schuld an ihren grauenhaften Wohnbedingungen trugen, nachgegangen werden. Seit nämlich Emil Sax vor mehr als hundert Jahren in individuellem Fehlverhalten und mangelnder Einsicht der Betroffenen einen H a u p t g r u n d für die untragbaren Zustände im Wohnungssektor entdeckt hatte, wurde von Wohnungsreformern und Kommunalpolitikern immer wieder das Bild v o m kulturell anspruchslosen, sittlich verrohten Arbeiter entworfen, der sich lieber mit dem elendsten Q u a r t i e r begnüge, als auf Schnaps und Spiel zu verzichten. S a x betonte diesbezüglich, „ d a ist nicht zu verkennen, daß die Schuld . . . einestheils an den Arbeitern selbst liegt, den Wohnungsbegehrenden", die aus Leichtsinn ihrem Körper „mit Virtuosität" die Bedingungen naturgemäßer Entwicklung entziehen und sich in feuchte Kleinstwohnungen zurückziehen, um an Miete zu sparen. „Alles, um möglichst wenig f ü r die Wohnung auszugeben, während sie daneben auf T r u n k und allerlei eitle Vergnügungen ihr Einkommen in wahrhaft sündlicher Weise verschleudern." 1 8 5 Der ebenfalls in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts um die R e f o r m der Wohnungszustände sehr bemühte Mathias G. R a t k o w s k y ging zwar mit den Arbeitern nicht so scharf ins Gericht, vertrat aber die Meinung, daß man eine Veränderung der Verhältnisse erst durch Weckung edler Wohnbedürfnisse erzielen könne. „Eines der am meisten veredelnden Bedürfnisse ist jedoch das einer geräumigen, gesunden, freundlichen, behaglichen Wohnung im eigenen, von der Familie des Besitzers allein bewohnten H a u s e . Dieses Bedürfnis muss aber in unserer grossstädtischen

185

S a x , W o h n u n g s z u s t ä n d e , S. 27 f.

Der Faktor „Wohnzufriedenheit"

287

B e v ö l k e r u n g erst geweckt und grossgezogen werden, denn die vieljährige Gewohnheit, mit Fremden unter einem D a c h e zu wohnen, hat es erstickt, u n d es kann bei dem steten Anblick der langen Reihen unserer Zinskasernen v o n selbst nicht a u f l e b e n . " 1 8 6 U n d k n a p p nach K r i e g s e n d e 1918 w a r f Richard K u c z y n s k i der Berliner A r b e i t e r - B e v ö l k e r u n g v o r : „ I h r e Anspruchslosigkeit ist es, die die H a u p t s c h u l d an ihrem Wohnungselend trägt. Ihre Anspruchslosigkeit h a t es bewirkt, d a ß der .Wert' des G r u n d und Bodens, auf dem ihre kärglichen Wohnungen stehen, u n d der vor der V e r b a u u n g ein p a a r D u t z e n d Millionen M a r k betrug, heute nach Milliarden z ä h l t . Ihre Anspruchslosigkeit hat es bewirkt, daß der W o h n u n g s b a u vielfach v o n Leuten betrieben w i r d , wie sie ähnlich wohl in keinem anderen noch so unbedeutenden G e w e r b e anzutreffen sind, u n d d a ß infolgedessen der W o h n u n g s b a u g a n z unwirtschaftlich u n d unnötig teuer i s t . " 1 8 7 D a ß ein Vertreter des C e n t r a i v e r b a n d e s der Hausbesitzervereine v o n Wien und den V o r o r t e n k n a p p v o r der J a h r h u n d e r t w e n d e erklärte, „nicht verschwiegen d a r f es auch bleiben, d a ß viele H u n d e r t e von Bettgehern und Bewohnern der unwirthlichsten Räumlichkeiten sehr wohl in der L a g e w ä r e n , sich menschenwürdig und gesundheitsmäßig unterzubringen; d a ß jedoch deren niedriger C u l t u r g r a d , deren p r i m i t i v e Lebensgewohnheiten oder deren v a g i render, unstäter L e b e n s w a n d e l sie unempfänglich machen . . . für die behagliche E m p f i n d u n g , welche eine geräumigere, wohnlichere Häuslichkeit, ein ungestörtes, trauliches Familienleben d a r b i e t e n " , scheint infolge seiner spezifischen Interessenlage weniger verwunderlich als bezeichnend 1 8 8 . Ü b e r r a s c h u n g löst dagegen aus, wenn m a n in einem erst 1966 erschienenen S t a n d a r d w e r k zur baulichen G e s t a l t u n d Entwicklung v o n Wien vorgesetzt erhält, wie stark d a s Wohnungselend durch die Anspruchslosigkeit der N a c h f r a g e r mitverursacht wurde. „ D i e s e Kleinst- u n d K l e i n w o h nungen mit ihrer f ü r die heutigen Vorstellungen v o n Wohnhygiene g a n z unzureichenden Ausstattung u n d B a u w e i s e müssen freilich aus der d a m a l i g e n Situation der Wohnungswirtschaft u n d vor allem [ ! ] auch v o n den damaligen Ansprüchen der B e v ö l k e r u n g

188 187 188

Ratkowsky, Reform, S. 33. Kuczynski, Miete und Einkommen, S. 32. Vgl. dazu Tintner, Wohn-Elend, S. 4.

288

Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

an die Wohnung her verstanden werden. — Die Masse der nach Wien einströmenden Zuwanderer stammte aus den überbevölkerten Agrargebieten Mährens und Böhmens, aus bescheidensten Verhältnissen kleinbäuerlicher und gewerblicher Art. Aus ihr rekrutierte sich die geschilderte breite Unterschicht des industriellen Gesellschaftsaufbaus. Die Großstadt gewährte ihr die Möglichkeit einer Haushaltsgründung, wobei die Kleinst- und Kleinwohnungen in den Zinskasernen für die Masse dieser gewerblichen Hilfskräfte, Arbeiter und kleinen Angestellten eher sogar eine Verbesserung gegenüber ihren bisherigen Wohnverhältnissen bedeuteten." 189 Die Reihe der Beispiele, in denen mit sicher nicht zufälliger Regelmäßigkeit Ursache und Wirkung unzulänglicher Wohnungsverhältnisse vertauscht wurden, ließe sich fast beliebig verlängern. Ohne nochmals auf das Gewicht der wirtschaftlichen und politischen Faktoren einzugehen, die f ü r die unzureichende Wohnungsversorgung verantwortlich waren, sei doch darauf verwiesen, wie wenig selbst mit steigenden Einkommen in den Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs, die in der Regel überproportional f ü r die Befriedung der Wohnbedürfnisse eingesetzt wurden, gegen die quantitative und qualitative Wohnungsnot ausgerichtet werden konnte. Es ist einsichtig, daß beispielsweise f ü r einen besonders tüchtigen, aufstiegsbewußten und sparfreudigen Facharbeiter die Möglichkeit einer individuellen Verbesserung der Wohnungssituation bestand. Auf diese Weise w a r jedoch infolge der ausführlich analysierten Determinanten von Wohnungsproduktion und Wohnungsvermietung keine allgemeine Lösung der Wohnungsfrage zu erreichen, wie dies von den Anhängern der Einfamilienhaus-Ideologie und Gartenstadtbewegung immer wieder propagiert wurde. Davon ganz abgesehen, scheint die Betonung von falscher Sparsamkeit und Anspruchslosigkeit als wesentliche Ursache der unzureichenden Befriedigung des durchschnittlichen Wohnbedürfnisses sehr fragwürdig, wenn man die Kosten-Nutzen-Relation von Unterschichtwohnungen, die besonders in Krisenzeiten enorm hohe Kündigungsquote in den Arbeiterbezirken und den Anteil der 189 Bobck - Lichtenberger, Wien, S. 59. Das Argumentationsschema erinnert fatal an die Rechtfertigung unserer Hausbesitzer für die üblen Praktiken bei der Wohnungsvermietung an Gastarbeiter. Immerhin „verstehen" die Verfasser die Erschütterung von Philippovich 1894 „über das fürchterliche Wohnelend der Arbeiterbevölkerung".

Der Faktor „Wohnzufriedenheit"

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Miete am Budget von Arbeiterfamilien in Erinnerung ruft. Ohne daß an dieser Stelle eine ausführliche Darstellung der Zusammenhänge zwischen Wohnungsnot und Unterschichthaushalt geboten werden kann 190 , sei dodi wiederholt, daß während des gesamten Untersuchungszeitraumes die Quadratmeterkosten von Elendsquartieren jene der Nobelquartiere auf der Ringstraße übertrafen, daß mit sinkendem Einkommen und dadurch abnehmender Wohnungsgröße der Anteil der Miete anstieg, daß vor allem einkommensschwache Mieter den Hausherren bezüglich Zinsforderungen und Kündigung ziemlich wehrlos gegenüberstanden 191 . Es gibt doch sicherlich zu denken, daß in Zeiten besonders arger Wohnungsverknappung nahezu bei einem Drittel der Kleinwohnungen in den Arbeiterbezirken Margarethen, Favoriten, Meidling, Ottakring und Hernais vom Hausbesitzer die gerichtliche Kündigung veranlaßt wurde, deren Anlaß zumeist Zahlungsunfähigkeit der Mieter war. Nur durch die zusätzliche Einschränkung aller anderen Bedürfnisse konnten die von der Kündigung bedrohten Haushalte ihrem Schicksal wenigstens eine Zeitlang entgehen. Der von den Wohnungsreformern immer wieder beklagte und als untragbar bezeichnete Einkommensanteil von 20 bis 25 °/o, den Taglöhner, unqualifizierte Hilfsarbeiter, Kleingewerbetreibende und Beamte in untergeordneter Stellung für die Bezahlung der monatlichen Miete aufwenden mußten, stieg in solchen Fällen unter dem Druck der Umstände auf ein Drittel oder noch höher an. In einer Stichprobenuntersuchung der achtziger Jahre ergab sich, daß in den Haushalten eines Victualienhändlers in Fünfhaus, eines Diurnisten in Hernais, eines Sitzgesellen in Ottakring, einer Bedienerin in Neu-Penzing und eines Taglöhners in Breitensee zwischen 21 und 35 °/o des Einkommens für die Miete aufgewendet werden mußten, wozu noch 5 bis 7 %> Heiz- und Beleuchtungskosten kamen. Im Fall der Bedienerin betrug der Wohnungszins genau die Hälfte ihres persönlichen Einkommens, wozu allerdings ein geringer Nebenverdienst der Tochter kam, so daß die beiden Frauen doch „nur" 35 °/o ihres Jahresbudgets für eine Einzimmerwohnung von 22 m2 zu entrichten hatten 192 . 1.0 1.1 182

19

Eine entsprechende Untersuchung befindet sich in Vorbereitung. Vgl. zum letzten Punkt Pfersche, Mietrecht, S. 321 ff. Steiner, Verein, S. 4 ff.

Feldbauer, Stadtwachstum

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Ursachen unzureichender Wohnungsversorgung

D a ß die Verhältnisse bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs f ü r die Masse der Stadtbewohner nicht besser geworden waren, erhellt aus der bereits besprochenen Erhebung der Redaktion des „Abend", welche sich auf die Gruppe der Kleinwohnungen und kleineren Mittelwohnungen bezog, in denen insbesondere Hilfsarbeiter, Handwerker und kleinere Beamte anzutreffen waren. U n t e r 25 vergleichbaren Fällen gaben zwei Haushalte sogar 44 °/o des Einkommens f ü r den Mietzins aus, ein Anteil von 20 bis 25 % f ü r die Miete ohne Heizung und Beleuchtung war keine Seltenheit 193 . Diese Hinweise sollten einer genauen Aufarbeitung des Fragenkreises von Einkommensentwicklung und Mietenbelastung bei den verschiedenen sozialen Schichten und Berufsgruppen nicht vorgreifen, dürften jedodi genügen, jenes M a ß an Freiraum zu bestimmen, welches die materielle Lage großer Bevölkerungsteile in Wien f ü r die Realisierung steigender Ansprüche an Wohnraum und Wohnkomfort einräumte. Der Topos von der Schuld der Mieter an der Wohnungsmisere erweist sich unter solchen Umständen als Ergebnis erstaunlicher Ignoranz oder zielbewußter ideologischer Verfälschung der Tatsachen. Zur Erklärung der Wohnungsnot in Wien von 1848 bis 1914 trägt er nichts bei 194 . 193 p r e j ; Wohnungs-Elend, S. 31. 194 Vgl. dazu insbesondere den jüngst erschienenen Beitrag von Lutz Niethammer und Franz Brüggemeier, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich?, Archiv für Sozialgeschichte 16, 1976, S. 61—134. Die Ergebnisse dieser ausgezeichneten Studie konnten in der vorliegenden Untersuchung leider nicht mehr berücksichtigt werden.

6. ANHANG Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.

Tab.

Tab. Tab.

Tab. Tab.

19"

1: Bautätigkeit in Wien 1849—1913: Baubewilligungen f ü r P r i v a t bauten, öffentliche Bauten und Industriebauten 2: Bautätigkeit in Wien 1882—1913: Vollendete Bauten 3: Zuwachs an Gebäuden und Wohnungen 1891—1913 4: E i n f u h r von Baumaterialien nach Wien 1830—1873 5: Durchschnittspreis Ziegel p r o Tausend auf Wiener Baustellen 1849—1913 6: Durchschnittspreise von Baustoffen in Wien 1860—1890 7: Löhne im Wiener Baugewerbe 1853—1913 8: Beschäftigte im Wiener Maurergewerbe 1853—1914: Genossenschaft der Bau- und Steinmetzmeister Wien u n d Umgebung 9: Besteuertes Baugewerbe in Wien 1851—1897 10: N e u intabulierte H y p o t h e k a r d a r l e h e n in Wien 1885—1913 11: Z i n s f u ß der 1886—1913 neu intabulierten Hypothekardarlehen (Anzahl) in Prozenten, Gesamtstadt 12: Z i n s f u ß der 1886—1913 neu intabulierten H y p o t h e k a r d a r l e h e n (Geldbetrag) in Prozenten, Gesamtstadt 13: Einwohner, Wohnungen und Wohnungsbestandteile in Wien 1850—1914: Stadtgebiet in den Grenzen bis 1890 (erster bis zehnter und zwanzigster Bezirk) 14: Einwohner, Wohnungen u n d Wohnungsbestandteile in Wien 1869—1914: Stadtgebiet in den Grenzen nach 1890 (erster bis zwanzigster Bezirk) 15: G r ö ß e und Belag der Wohnungen, Wohnparteien und Wohnungsbestandteile 16: Wohnparteien mit Aftermietern und Bettgehern. Prozentanteil der nur von Familienangehörigen und Dienstboten bewohnten und der mit Aftermietern und/oder Bettgehern geteilten Wohnungen 17: Aftermieter und Bettgeher. Prozentanteil an der anwesenden Zivilbevölkerung 18: Gerichtliche Wohnungskündigung: Bezirke in den jeweiligen Grenzen

Anhang Adaptierungen Zubauten, Umbauten, Aufstockungen Neubauten

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Neubauten

Zubauten, Umbauten, Aufstockungen

Adaptierungen