Staatszielbestimmungen im integrierten Bundesstaat: Normative Bedeutung und Divergenzen [1 ed.] 9783428522040, 9783428122042

Stets aufs Neue sind Staatszielbestimmungen Gegenstand verfassungspolitischer Diskussionen auf Bundes- wie auf Landesebe

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German Pages 599 [600] Year 2010

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Staatszielbestimmungen im integrierten Bundesstaat: Normative Bedeutung und Divergenzen [1 ed.]
 9783428522040, 9783428122042

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 85

Staatszielbestimmungen im integrierten Bundesstaat Normative Bedeutung und Divergenzen

Von Daniel Hahn

a Duncker & Humblot · Berlin

DANIEL HAHN

Staatszielbestimmungen im integrierten Bundesstaat

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m in Gemeinschaft mit M a r t i n H e c k e l, K a r l - H e r m a n n K ä s t n e r Fe r d i n a n d K i r c h h o f, H a n s v o n M a n g o l d t M a r t i n N e t t e s h e i m, T h o m a s O p p e r m a n n G ü n t e r P ü t t n e r, B a r b a r a R e m m e r t Michael Ronellenf itsch, Christian Seiler sämtlich in Tübingen

Band 85

Staatszielbestimmungen im integrierten Bundesstaat Normative Bedeutung und Divergenzen

Von Daniel Hahn

a Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat diese Arbeit im Wintersemester 2005/2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 978-3-428-12204-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern und Barbara

Vorwort Die vorliegende Abhandlung wurde im Wintersemester 2005/2006 als Dissertation an der Juristischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena angenommen. Das Manuskript habe ich für die Veröffentlichung überarbeitet. Einige aktuelle Entwicklungen, wie etwa die Föderalismusreform 2006 und der Vertrag von Lissabon, wurden berücksichtigt. Ich danke der Studienstiftung des deutschen Volkes, die mich bereits während des Studiums materiell und ideell gefördert hat. Sie hat die Verwirklichung dieses Projekts durch ein Promotionsstipendium unterstützt. Daneben freue ich mich darüber, dass die Friedrich-Schiller-Universität Jena die Arbeit mit dem von der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Friedrich-Schiller-Universität Jena e. V. gestifteten Promotionspreis 2007 ausgezeichnet hat. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Michael Brenner. Er hat nicht nur das Thema angeregt, sondern mich auch in vielfältiger Weise wissenschaftlich und persönlich gefördert. Die Möglichkeit etwa, schon zu meiner Studienzeit an seinem Lehrstuhl zu arbeiten, hat mir den Blick über den Tellerrand des Studienplanes hinaus ermöglicht und nebenbei viele Zusammenhänge des Deutschen und Europäischen Verfassungs- und Verwaltungsrechts erschlossen. Ich schätze es überaus, dass er mich auch über meine Jenenser Zeit hinaus in vielfacher Hinsicht tatkräftig unterstützt hat und meinen Lebensweg freundschaftlich verfolgt. Ein ebenso herzlicher Dank gebührt Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum, der den Fortgang der Dissertation seit meinem Wechsel nach Tübingen stets wohlwollend begleitet und durch wertvolle Hinweise gefördert hat. Die Jahre an seinem Lehrstuhl und in seinem Team bedeuten mir nicht zuletzt wegen des keineswegs selbstverständlichen Ausmaßes an fachlicher Förderung und persönlicher Begleitung sehr viel. Die Übernahme des Zweitgutachtens durch ihn hat mich ebenso gefreut wie die von ihm veranlasste, ehrenvolle Aufnahme der Arbeit in die Tübinger Schriftenreihe. Schließlich danke ich allen anderen, die an der Erstellung der Dissertation Anteil genommen haben. Erwähnen möchte ich hier insbesondere meine Eltern. Sie haben mich auch darin liebevoll begleitet. Ein letzter, besonderer Dank gilt aber meiner Frau, Barbara Hahn-Jooß. Ihr Anteil hat sich nicht auf das Korrekturlesen beschränkt: Ohne ihre Ermutigung hätte ich das Dissertationsprojekt wohl nicht zum Abschluss gebracht. Tübingen, im September 2009

Daniel Hahn

Inhaltsübersicht Einleitung ................................................................................................................

43

A. Gegenstand der Untersuchung ........................................................................

43

B. Gang der Untersuchung...................................................................................

45

Erster Teil

Grundlagen 1. Kapitel: Das Drei-Ebenen-Modell .....................................................................

47

A. Das Drei-Ebenen-Modell als konzeptionelle Matrix.......................................

47

B. Verfassungsrecht auf drei Ebenen ...................................................................

58

2. Kapitel: Begriffsklärung ....................................................................................

63

A. Staatszielbestimmung......................................................................................

63

B. Zieldivergenz und Zielkonkurrenz ..................................................................

105

3. Kapitel: Der Bestand an Staatszielbestimmungen............................................

114

A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes....................................................

114

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen...........................................

118

C. Fazit ................................................................................................................

182

Zweiter Teil Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen 4. Kapitel: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung ..................

183

A. Das Problem....................................................................................................

183

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung ........................................

187

C. Ansatz für Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes ..................................

211

10

Inhaltsübersicht

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen ...................

219

E. Fazit ................................................................................................................

253

5. Kapitel: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen ..........................

255

A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes....................................................

255

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen....................................

264

C. Fazit ................................................................................................................

319

Dritter Teil Zieldivergenzen und ihre Auswirkungen 6. Kapitel: Divergenzen von Staatszielbestimmungen..........................................

320

A. Zielkollisionen ................................................................................................

320

B. Überschießende Staatszielbestimmungen........................................................

329

C. Unterschiede im Zielgefüge ............................................................................

346

D. Resümee ..........................................................................................................

374

7. Kapitel: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge .................................

382

A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen ................................

382

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge ..............................................

398

C. Fazit ................................................................................................................

414

8. Kapitel: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen ................

417

A. Normative Steuerungskraft..............................................................................

417

B. Ansehen und Akzeptanz der Verfassung.........................................................

455

C. Funktionentektonik .........................................................................................

464

D. Weitere Auswirkungen....................................................................................

473

9. Kapitel: Auswirkungen der Zielkollisionen ......................................................

483

A. Divergierender Bindungsinhalt .......................................................................

483

B. Normative Steuerungskraft der inkongruenten Aspekte..................................

490

C. Zielgefüge und Zielkonkurrenzen ...................................................................

500

Inhaltsübersicht

11

Schlussbetrachtungen.............................................................................................

503

A. Resümee ..........................................................................................................

503

B. Weiterführende Überlegungen ........................................................................

516

Literaturverzeichnis ...............................................................................................

523

Sachwortverzeichnis ...............................................................................................

584

Inhaltsverzeichnis Einleitung A. Gegenstand der Untersuchung............................................................................

43

B. Gang der Untersuchung......................................................................................

45

Erster Teil

Grundlagen 1. Kapitel Das Drei-Ebenen-Modell A. Das Drei-Ebenen-Modell als konzeptionelle Matrix..........................................

47

I. Die deutschen Länder als Glieder der Bundesrepublik Deutschland ....

47

II. Die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der EU/EG...................

52

III. Fazit......................................................................................................

55

B. Verfassungsrecht auf drei Ebenen ......................................................................

58

2. Kapitel Begriffsklärung A. Staatszielbestimmung.........................................................................................

63

I. Definition .............................................................................................

63

II. Abgrenzung von anderen Normtypen und Begriffen ............................

65

1. Gesetzgebungsaufträge ....................................................................

66

2. Programmsätze ................................................................................

67

3. Grundrechte .....................................................................................

68

4. Einrichtungsgarantien......................................................................

72

5. Soziale Grundrechte ........................................................................

73

6. Kompetenznormen...........................................................................

77

7. Staatsaufgaben und Aufgabennormen .............................................

78

14

Inhaltsverzeichnis 8. Weitere Begriffe ..............................................................................

80

a) Staatsstrukturprinzipien.............................................................

80

b) Staatszwecke .............................................................................

80

c) Grundwerte und Bildungs- bzw. Erziehungsziele .....................

81

d) Staatsfundamentalnormen und Verfassungsaufträge .................

82

9. Fazit.................................................................................................

83

III. Staatszielbestimmungen als Maßgabe für staatliches Handeln .............

83

1. Legislative .......................................................................................

83

2. Exekutive.........................................................................................

87

3. Judikative.........................................................................................

94

4. Exkurs: Staatszielbestimmungen als Maßgabe für das Handeln auch der Bürger?..............................................................................

95

IV. Mechanismen der Durchsetzung der Staatszielbestimmungen .............

97

1. Justitiabilität mit Blick auf Akte der Verwaltung ............................

97

2. Justitiabilität mit Blick auf Handeln des Gesetzgebers ....................

99

a) Prozessuale Geltendmachung bzgl. Handeln des Gesetzgebers..

99

b) Prozessuale Geltendmachung bzgl. absolutem Nichthandeln....

102

3. Zusammenfassung ...........................................................................

104

B. Zieldivergenz und Zielkonkurrenz .....................................................................

105

I. Zieldivergenz........................................................................................

105

1. Zielkollisionen.................................................................................

105

a) Zielkollision i.e.S. .....................................................................

107

b) Zielkollision i.w.S. ....................................................................

108

2. Überschießende Staatszielbestimmungen ........................................

109

3. Unterschiede im Zielgefüge.............................................................

109

II. Zielkonkurrenz .....................................................................................

112

3. Kapitel Der Bestand an Staatszielbestimmungen A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes.......................................................

114

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen ..............................................

118

Inhaltsverzeichnis

15

I. Landesverfassungen der ersten Generation...........................................

119

1. Verfassung des Landes Hessen........................................................

120

2. Verfassung des Freistaates Bayern ..................................................

123

3. Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz .........................................

130

4. Verfassung der Hansestadt Bremen .................................................

134

5. Verfassung des Landes Saarland .....................................................

138

II. Landesverfassungen der zweiten Generation........................................

141

1. Verfassung des Landes Schleswig-Holstein ....................................

141

2. Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen..................................

143

3. Verfassung des Landes Niedersachsen ............................................

146

4. Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ............................

149

5. Verfassung des Landes Baden-Württemberg...................................

150

III. Landesverfassungen der dritten Generation..........................................

154

1. Verfassung des Landes Sachsen ......................................................

154

2. Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt ..........................................

160

3. Verfassung des Landes Brandenburg ..............................................

164

4. Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern........................

170

5. Verfassung des Landes Thüringen...................................................

173

6. Verfassung des Landes Berlin .........................................................

177

IV. Zusammenfassung ................................................................................

181

C. Fazit....................................................................................................................

182

Zweiter Teil

Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen 4. Kapitel Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung A. Das Problem.......................................................................................................

183

I. Grundgesetz und Gemeinschaftsrecht...................................................

183

II. Landesverfassungen und Bundes- sowie Gemeinschaftsrecht ..............

185

1. Bundesstaatliche Dimension............................................................

185

2. Gemeinschaftsrechtliche Dimension................................................

187

16

Inhaltsverzeichnis

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung ...........................................

187

I. Rangordnung von Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

187

II. Mechanismen im Verhältnis von Bundes- und Gemeinschaftsrecht.....

189

1. Kollisionsvermeidung......................................................................

189

2. Kollisionsentscheidung....................................................................

193

III. Mechanismen im Verhältnis von Landesrecht und Bundes-/Gemeinschaftsrecht ...........................................................................................

195

1. Bundesstaatliche Dimension............................................................

195

a) Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes als Kollisionsvermeidungsnormen .......................................................................

195

aa) Artt. 70 ff. als positive Kompetenznormen ........................

195

bb) Durchgriffsnormen und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG als negative Kompetenznormen ......................................................

201

cc) Art. 142 GG als negative Kompetenznorm ........................

204

b) Weitere Kollisionsvermeidungsmechanismen ...........................

206

aa) Grundsatz der Bundestreue ................................................

206

bb) Bundesrechtskonforme Auslegung ....................................

208

c) Art. 31 GG als Kollisionsentscheidungsnorm ...........................

208

2. Gemeinschaftsrechtliche Dimension................................................

209

C. Ansatz für Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes .....................................

211

I. Kollisionsvermeidung...........................................................................

211

II. Kollisionsentscheidung durch den Vorrang des Gemeinschaftsrechts..

212

1. Anwendbarkeit des Vorrangs auch gegenüber dem Grundgesetz ....

212

2. Voraussetzungen für das Eingreifen des Vorrangs ..........................

212

a) Kompetenzgemäß zustande gekommene Normen .....................

212

b) Unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts.............

215

c) Inhaltlicher Widerspruch...........................................................

216

3. Rechtsfolge ......................................................................................

217

III. Zusammenfassung ................................................................................

218

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen ......................

219

I. Bundesstaatliche Dimension.................................................................

219

Inhaltsverzeichnis

17

1. Kollisionsvermeidung......................................................................

219

a) Artt. 70 ff. GG ...........................................................................

220

aa) Bindung des gesamten Landesverfassungsrechts? .............

220

bb) Bindung allein der umsetzungsbedürftigen Regelungen? ..

224

cc) Keine Bindung der Landesverfassungen bzw. der landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen................

225

b) Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG ..............................................................

226

c) Art. 142 GG...............................................................................

229

d) Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen Rechten .............................................................................

230

e) Grundsatz der Bundestreue .......................................................

231

2. Kollisionsentscheidung durch Art. 31 GG.......................................

232

a) Anwendbarkeit auf landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen ...............................................................................

232

aa) Landesverfassungsrecht .....................................................

232

bb) Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen ......

235

b) Voraussetzungen für das Eingreifen des Art. 31 GG.................

235

aa) Auf denselben Sachverhalt anwendbare Normen...............

236

bb) Inhaltlicher Widerspruch ...................................................

236

cc) Adressatengleichheit ..........................................................

240

c) Rechtsfolge im Fall bundesrechtswidriger Staatszielbestimmungen......................................................................................

241

aa) Derogation auch des Landesverfassungsrechts? ................

241

bb) Suspension des Landesverfassungsrechts?.........................

243

cc) Differenzierung nach Gesetzgebungszuständigkeiten bzw. nach Normtypen? ...............................................................

247

d) Zwischenergebnis......................................................................

248

3. Zusammenfassung ...........................................................................

249

II. Gemeinschaftsrechtliche Dimension.....................................................

251

1. Kollisionsvermeidung......................................................................

251

2. Kollisionsentscheidung....................................................................

251

3. Zusammenfassung ...........................................................................

252

18

Inhaltsverzeichnis

E. Fazit....................................................................................................................

253

5. Kapitel Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes.......................................................

255

I. Bereich Soziales ...................................................................................

255

II. Bereich Umweltschutz..........................................................................

257

III. Bereich Wirtschaft und Finanzen .........................................................

258

IV. Bereich Auswärtiges und Verteidigung ................................................

261

V. Bereich Gleichstellung der Geschlechter..............................................

263

VI. Zusammenfassung ................................................................................

263

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen.......................................

264

I. Bereich Soziales ...................................................................................

265

1. Sozialstaat........................................................................................

265

a) Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf..........................................................

265

b) Art. 2 Abs. 1 BbgVerf ...............................................................

269

2. Arbeit...............................................................................................

269

a) Art. 28 Abs. 2 HessVerf ............................................................

269

aa) Wirksamkeit.......................................................................

270

(1) Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG ...............................................

270

(2) Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Bundesgrundrechten .....

272

(3) Grundsatz der Bundestreue.........................................

274

bb) Keine Kollision mit höherrangigem Recht.........................

277

(1) Rangordnung der vier Teilziele des § 1 S. 2 StabG....

277

(2) Vereinbarkeit von Art. 28 Abs. 2 HessVerf mit der Rangordnung ..............................................................

279

b) Art. 48 Abs. 1 BbgVerf .............................................................

279

3. Wohnraum .......................................................................................

281

4. Soziale Sicherung sowie soziale und karitative Einrichtungen........

282

5. Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen........................................................................

283

Inhaltsverzeichnis

19

6. Kinder- und Jugendschutz ...............................................................

284

7. Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen .......................

285

8. Schutz des ungeborenen Lebens......................................................

286

II. Bereich Bildung und Kultur .................................................................

286

1. Bildung............................................................................................

286

2. Schulen sowie „Berufliche Ausbildungssysteme“ ...........................

287

3. Erwachsenen- bzw. Weiterbildung ..................................................

289

4. Förderung bestimmter Personengruppen beim Zugang zu Bildungseinrichtungen ................................................................................... 289 5. Kultur, kulturelles Leben sowie Kunst ............................................

290

6. Denkmalschutz ................................................................................

291

7. Sport ................................................................................................

292

8. Teilnahme am kulturellen Leben sowie Zugang zu Kulturgütern und Natur.........................................................................................

292

III. Bereich Umweltschutz..........................................................................

293

1. Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.......................................

293

a) Art. 26 a HessVerf und Art. 3 a BaWüVerf...............................

293

b) Art. 39 Abs. 1 BbgVerf .............................................................

295

2. Landschaftsschutz sowie Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebiete ...................................................................................

296

3. Tier-, Pflanzen- und Artenschutz.....................................................

297

4. Verhinderung, Behebung und Ausgleich von Umweltschäden .......

298

IV. Bereich Wirtschaft und Finanzen .........................................................

299

1. Wirtschaftlicher Fortschritt..............................................................

299

2. Wettbewerb und Chancengerechtigkeit sowie „Breite Streuung des Eigentums“................................................................................

299

3. Mittelstandsförderung sowie Förderung des Genossenschaftswesens .............................................................................................

300

4. Regionale Strukturförderung sowie Förderung der Land- und Forstwirtschaft.................................................................................

300

5. Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht ............................................

301

V. Bereich Auswärtiges und Verteidigung ................................................

302

20

Inhaltsverzeichnis 1. Frieden.............................................................................................

302

2. Völkerverständigung, Zusammenarbeit mit anderen Völkern sowie „Eine Welt“ .....................................................................................

303

3. Europäische Integration sowie Europa der Regionen ......................

305

4. ABC-Waffen-Freiheit des Landesgebiets ........................................

307

a) Wirksamkeit ..............................................................................

308

aa) Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten .....................................................................

308

bb) Grundsatz der Bundestreue ................................................

308

b) Keine Kollision mit höherrangigem Recht ................................

310

aa) Art. 51 Abs. 1 GG..............................................................

310

bb) Sonstiges höherrangiges Recht ..........................................

313

5. Konversion militärischer Liegenschaften ........................................

314

VI. Weitere Bereiche ..................................................................................

315

1. Gleichstellung der Geschlechter ......................................................

315

2. Minderheitenschutz .........................................................................

316

3. Heimat .............................................................................................

317

VII. Zusammenfassung ................................................................................

318

C. Fazit....................................................................................................................

319

Dritter Teil

Zieldivergenzen und ihre Auswirkungen 6. Kapitel Divergenzen von Staatszielbestimmungen A. Zielkollisionen ...................................................................................................

320

I. Grundgesetz und Verfassung des Landes Hessen.................................

321

1. Bereich Umweltschutz.....................................................................

321

2. Bereich Auswärtiges und Verteidigung ...........................................

321

3. Zusammenfassung ...........................................................................

322

II. Grundgesetz und Verfassung des Landes Baden-Württemberg............

322

1. Bereich Soziales und Bereich Umweltschutz ..................................

322

Inhaltsverzeichnis

21

2. Bereich Auswärtiges und Verteidigung ...........................................

323

3. Zusammenfassung ...........................................................................

324

III. Grundgesetz und Verfassung des Landes Brandenburg........................

324

1. Bereich Soziales ..............................................................................

324

2. Bereich Umweltschutz.....................................................................

325

3. Bereich Wirtschaft und Finanzen ....................................................

326

4. Bereich Auswärtiges und Verteidigung ...........................................

326

5. Bereich Gleichstellung der Geschlechter.........................................

327

6. Zusammenfassung ...........................................................................

328

IV. Fazit......................................................................................................

328

B. Überschießende Staatszielbestimmungen...........................................................

329

I. Grundgesetz und Verfassung des Landes Hessen.................................

329

1. Nicht in beiden Verfassungen geregelte Sachbereiche ....................

329

2. Unterschiedliche Ausschnitte desselben Sachbereichs ....................

330

3. Zusammenfassung ...........................................................................

333

II. Grundgesetz und Verfassung des Landes Baden-Württemberg............

333

1. Nicht in beiden Verfassungen geregelte Sachbereiche ....................

333

2. Unterschiedliche Ausschnitte desselben Sachbereichs ....................

334

3. Zusammenfassung ...........................................................................

336

III. Grundgesetz und Verfassung des Landes Brandenburg........................

336

1. Nicht in beiden Verfassungen geregelte Sachbereiche ....................

336

a) Bereich Bildung und Kultur ......................................................

336

b) Bereich Minderheitenschutz......................................................

338

2. Unterschiedliche Ausschnitte desselben Sachbereichs ....................

339

a) Bereich Soziales ........................................................................

339

b) Bereich Umweltschutz...............................................................

342

c) Bereich Wirtschaft und Finanzen ..............................................

342

d) Bereich Auswärtiges und Verteidigung.....................................

343

3. Zusammenfassung ...........................................................................

344

IV. Fazit......................................................................................................

344

22

Inhaltsverzeichnis

C. Unterschiede im Zielgefüge ...............................................................................

346

I. Grundgesetz und Verfassung des Landes Hessen.................................

346

1. Divergierende Instrumentarien für die Zuweisung des Platzes im Zielgefüge........................................................................................

346

2. Unterschiedliche Zuordnung zu denselben Instrumentarien............

348

a) Grammatische Aspekte..............................................................

348

b) Systematische Aspekte ..............................................................

348

aa) Verankerung an vorderer/hinterer Stelle im Haupttext ......

348

bb) Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen........................................................................

349

cc) Vorhandensein von Qualifizierungen ................................

350

dd) Abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen...............

350

3. Zusammenfassung ...........................................................................

351

II. Grundgesetz und Verfassung des Landes Baden-Württemberg............

352

1. Divergierende Instrumentarien für die Zuweisung des Platzes im Zielgefüge........................................................................................

352

2. Unterschiedliche Zuordnung zu denselben Instrumentarien............

353

a) Grammatische Aspekte..............................................................

353

b) Systematische Aspekte ..............................................................

354

aa) Verankerung in der Präambel ............................................

354

bb) Verankerung an vorderer/hinterer Stelle im Haupttext ......

354

cc) Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen........................................................................

355

dd) Vorhandensein von Qualifizierungen ................................

356

ee) Abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen...............

356

ff) Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. mit einem Gesetzesvorbehalt .............................................

358

3. Zusammenfassung ...........................................................................

358

III. Grundgesetz und Verfassung des Landes Brandenburg........................

359

1. Divergierende Instrumentarien für die Zuweisung des Platzes im Zielgefüge........................................................................................

359

a) Grammatische Aspekte..............................................................

359

Inhaltsverzeichnis

23

b) Systematische Aspekte ..............................................................

360

2. Unterschiedliche Zuordnung zu denselben Instrumentarien............

362

a) Grammatische Aspekte..............................................................

362

aa) Formulierung als Förderauftrag .........................................

362

bb) Formulierung als Schutz-, Gewährleistungs- oder Sicherungsauftrag ......................................................................

363

cc) Ausgestaltung als Anstrebens- oder Hinwirkensklausel.....

364

b) Systematische Aspekte ..............................................................

364

aa) Erwähnung im Rahmen der Staatsstrukturprinzipien........

364

bb) Verankerung in der Präambel ............................................

365

cc) Verankerung an vorderer/hinterer Stelle im Haupttext ......

365

dd) Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen........................................................................

366

ee) Vorhandensein von Qualifizierungen ................................

367

ff) Abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen...............

368

gg) Flankierung durch subjektive Rechte.................................

370

hh) Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. mit einem Gesetzesvorbehalt .............................................

372

3. Zusammenfassung ...........................................................................

373

IV. Fazit......................................................................................................

373

D. Resümee .............................................................................................................

374

7. Kapitel Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen ...................................

382

I. Voraussetzungen für eine Zielkonkurrenz ............................................

382

1. Anwendbarkeit und Einschlägigkeit der Staatszielbestimmungen...

382

2. Adressatengleichheit........................................................................

383

a) Adressaten der Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes .....

383

b) Adressaten der landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen ...............................................................................

387

c) Fazit...........................................................................................

388

24

Inhaltsverzeichnis II. Normtheoretische Einordnung der Staatszielbestimmungen ................

388

1. Unterscheidung von Regeln und Prinzipien ....................................

388

2. Einordnung der Staatszielbestimmungen.........................................

389

3. Konsequenzen für die Lösung von Zielkonkurrenzen .....................

391

III. Strukturierung des Lösungsansatzes für Zielkonkurrenzen ..................

393

1. Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ einer einfachgesetzlichen Umsetzung ............................................................................

393

2. Gebot praktischer Konkordanz in der Phase des „Wie“ ..................

394

3. Kriterien für die Gewichtung der Staatszielbestimmungen..............

396

a) Stellung im Zielgefüge und Ausmaß der Betroffenheit im konkreten Fall..................................................................................

396

b) Ausmaß der Betroffenheit als entscheidendes Kriterium...........

396

IV. Zusammenfassung ................................................................................

397

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge .................................................

398

I. Grammatische Aspekte .........................................................................

398

1. Formulierung als Förderauftrag.......................................................

398

2. Formulierung als Anstrebens- oder Hinwirkensklausel ...................

399

3. Subjektiv-rechtliche Formulierung ..................................................

400

4. Formulierung als Pflicht sowie Formulierung als „besonderer“ Schutzauftrag...................................................................................

401

II. Systematische Aspekte .........................................................................

403

1. Abstützung in den Staatsstrukturprinzipien und der Revisionssperrklausel......................................................................................

403

2. Verankerung an vorderer oder hinterer Stelle..................................

404

a) Verankerung in der Präambel....................................................

404

b) Verankerung an vorderer oder hinterer Stelle im Haupttext......

405

3. Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen.

406

4. Vorhandensein von Qualifizierungen ..............................................

407

5. Abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen ............................

408

6. Flankierung durch subjektive Rechte und Abstützung im Zuge der Grundrechtsschranken ...............................................................

410

Inhaltsverzeichnis

25

7. Kombination mit einer Grundpflicht und Abstützung im Rahmen der Erziehungsziele .........................................................................

411

8. Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. mit einem Gesetzesvorbehalt .................................................................

412

III. Zusammenfassung ................................................................................

414

C. Fazit....................................................................................................................

414

8. Kapitel Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen A. Normative Steuerungskraft.................................................................................

417

I. Bereich Soziales ...................................................................................

418

1. Arbeit...............................................................................................

418

2. Wohnraum .......................................................................................

421

3. Soziale Sicherung ............................................................................

423

4. Soziale und karitative Einrichtungen...............................................

425

5. Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen........................................................................

426

6. Kinder- und Jugendschutz ...............................................................

426

7. Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen .......................

427

8. Schutz des ungeborenen Lebens......................................................

428

II. Bereich Bildung und Kultur .................................................................

428

1. Bildung............................................................................................

428

2. Schulen und berufliche Ausbildungssysteme ..................................

431

3. Weiterbildung..................................................................................

432

4. Förderung Begabter, sozial Benachteiligter und von Menschen mit Behinderungen ..........................................................................

432

5. Kultur, kulturelles Leben sowie Kunst ............................................

433

6. Denkmalschutz ................................................................................

435

7. Sport ................................................................................................

435

8. Teilnahme am kulturellen Leben sowie Zugang zu Kulturgütern und Natur.........................................................................................

437

III. Bereich Umweltschutz..........................................................................

437

26

Inhaltsverzeichnis 1. Landschaftsschutz sowie Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebiete ...................................................................................

437

2. Pflanzen- und Artenschutz...............................................................

440

3. Verhinderung, Behebung und Ausgleich von Umweltschäden .......

441

IV. Bereich Wirtschaft und Finanzen .........................................................

444

1. Wettbewerb und Chancengerechtigkeit sowie „Breite Streuung des Eigentums“................................................................................

444

2. Regionale Strukturförderung sowie Förderung der Land- und Forstwirtschaft.................................................................................

445

V. Bereich Auswärtiges und Verteidigung ................................................

447

1. Europäische Union ..........................................................................

447

2. Zusammenarbeit mit anderen Völkern sowie „Eine Welt“ ..............

448

3. ABC-Waffen-Freiheit sowie Konversion militärischer Liegenschaften............................................................................................

450

VI. Bereich Minderheitenschutz .................................................................

451

VII. Fazit......................................................................................................

451

B. Ansehen und Akzeptanz der Verfassung............................................................

455

I. Integrierende Wirkung der überschießenden Staatszielbestimmungen? 455 II. Desintegrierende Auswirkungen...........................................................

457

III. Fazit......................................................................................................

462

C. Funktionentektonik ............................................................................................

464

I. Stärkung der Judikative zu Lasten der Legislative................................

464

1. Zunahme der Überprüfungsdichte gesetzgeberischer Entscheidungen .............................................................................................

464

2. Umfang der Kompetenzverschiebung..............................................

466

II. Stärkung der Judikative zu Lasten der Exekutive .................................

469

1. Zunahme der Überprüfungsdichte für Entscheidungen der Verwaltung ............................................................................................

469

2. Umfang der Kompetenzverschiebung..............................................

469

III. Fazit......................................................................................................

470

D. Weitere Auswirkungen.......................................................................................

473

I. Grundrechte ..........................................................................................

473

Inhaltsverzeichnis

27

II. Sozialstaatsprinzip................................................................................

477

III. Verfassungspolitischer Wettbewerb und Impulswirkung für die Politik ...................................................................................................

478

1. Verfassungspolitischer Wettbewerb im Bundesstaat .......................

478

2. Impulswirkung für die Politik..........................................................

480

IV. Edukatorische Funktion........................................................................

481

9. Kapitel Auswirkungen der Zielkollisionen A. Divergierender Bindungsinhalt ..........................................................................

483

I. Bindungswirkung trotz Zielkollision....................................................

483

II. Umfang des divergierenden Bindungsinhalts .......................................

484

1. Bereich Soziales ..............................................................................

484

2. Bereich Umweltschutz.....................................................................

484

a) Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.................................

484

b) Tierschutz..................................................................................

487

3. Bereich Wirtschaft und Finanzen ....................................................

487

4. Bereich Auswärtiges und Verteidigung ...........................................

488

5. Bereich Gleichstellung der Geschlechter.........................................

488

III. Fazit......................................................................................................

489

B. Normative Steuerungskraft der inkongruenten Aspekte.....................................

490

I. Bereich Umweltschutz..........................................................................

490

1. Art. 39 Abs. 1 BbgVerf ...................................................................

490

2. Art. 39 Abs. 4 BbgVerf ...................................................................

491

3. Art. 39 Abs. 7 S. 1 HS 1 BbgVerf ...................................................

493

4. Art. 39 Abs. 8 S. 1 und 2 BbgVerf ..................................................

494

5. Art. 40 Abs. 2 und Art. 43 Abs. 1 BbgVerf.....................................

495

II. Bereich Wirtschaft und Finanzen .........................................................

496

III. Bereich Auswärtiges und Verteidigung ................................................

497

IV. Bereich Gleichstellung der Geschlechter..............................................

497

V. Fazit......................................................................................................

499

28

Inhaltsverzeichnis

C. Zielgefüge und Zielkonkurrenzen ......................................................................

500

I. Zielgefüge.............................................................................................

500

II. Zielkonkurrenzen..................................................................................

501

Schlussbetrachtungen A. Resümee .............................................................................................................

503

I. Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen .............................

503

II. Zieldivergenzen und ihre Auswirkungen..............................................

507

B. Weiterführende Überlegungen ...........................................................................

516

Literaturverzeichnis ...............................................................................................

523

Sachwortverzeichnis ...............................................................................................

584

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abg.

Abgeordnete(n)

ABl.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Abs.

Absatz

Abschn.

Abschnitt

AbwAG

Gesetz über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserabgabengesetz)

a.E.

am Ende

AEU

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (in der Fassung des Vertrags von Lissabon [neue Nummerierung nach Artikel 5 dieses Vertrags])

a.F.

alte(r) Fassung

AFWoG

Gesetz über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen

ÄG

Gesetz zur Änderung des ...

allg.

allgemein(e)

Alt.

Alternative

Altbd.

Altband

a. M.

am Main

Anm.

Anmerkung

AO

Abgabenordnung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift)

APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte (Zeitschrift)

ArbSchG

Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesund-

30

Abkürzungsverzeichnis heitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz)

ArbuR

Arbeit und Recht (Zeitschrift)

ArbZG

Arbeitszeitgesetz

ArbZRG

Gesetz zur Vereinheitlichung und Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts (Arbeitszeitrechtsgesetz)

Art./Artt.

Artikel (Singular/Plural)

AT

Allgemeiner Teil

AtG

Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz)

AufenthG

Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz)

Aufl.

Auflage

AÜG

Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz)

BAföG

Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz)

BauGB

Baugesetzbuch

BauNVO

Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung)

BauR

Baurecht (Zeitschrift)

BaWüFAG

Baden-Württembergisches Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich (Finanzausgleichsgesetz)

BaWüGBl.

Gesetzblatt für Baden-Württemberg

BaWüJBiG

Baden-Württembergisches Gesetz zur Förderung der außerschulischen Jugendbildung (Jugendbildungsgesetz)

BaWüLHG

Gesetz über die Hochschulen in Baden-Württemberg (Landeshochschulgesetz)

BaWüNatSchG

Baden-Württembergisches Gesetz zum Schutz der Natur, zur Pflege der Landschaft und über die Erholungsvorsorge in der freien Landschaft (Naturschutzgesetz)

BaWüSchG

Schulgesetz für Baden-Württemberg

BaWüStGH

Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg

Abkürzungsverzeichnis

31

BaWüStVerwR

Baden-Württembergisches Staats- und Verwaltungsrecht

BaWüVerf

Verfassung des Landes Baden-Württemberg

BayGVBl.

Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BayVerf

Verfassung des Freistaates Bayern

BayVerfGH

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

BayVerfGHE

Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte

BayVerfR

Bayerisches Verfassungsrecht

BBG

Bundesbeamtengesetz

BbgLWahlG

Wahlgesetz für den Landtag Brandenburg (Brandenburgisches Landeswahlgesetz)

BbgVerf

Verfassung des Landes Brandenburg

BbgVerfG

Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

BBiG

Berufsbildungsgesetz

BBodSchG

Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (Bundes-Bodenschutzgesetz)

Bd.

Band

bearb.

bearbeitet

BEEG

Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeldund Elternzeitgesetz)

begr.

begründet

Bek.

Bekanntmachung

ber.

berichtigt

BerlGVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin

BerlVerf

Verfassung von Berlin

BerlVerfGH

Berliner Verfassungsgerichtshof

BerlVerfGHG

Berliner Gesetz über den Verfassungsgerichtshof

BerlVOBl.

Verordnungsblatt für Berlin (West-Ausgabe)

32

Abkürzungsverzeichnis

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl. I

Bundesgesetzblatt, Teil I

BGBl. II

Bundesgesetzblatt, Teil II

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BHO

Bundeshaushaltsordnung

BImSchG

Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz)

BImSchVO

Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

BJagdG

Bundesjagdgesetz

BK

Bonner Kommentar

BNatSchG

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz)

BR

Bundesrat

BR-Drs.

Verhandlungen des Deutschen Bundesrats. Drucksachen

BReg-Bulletin

Bundesregierungs-Bulletin

BremGBl.

Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen

BremVerf

Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen

BRRG

Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (Beamtenrechtsrahmengesetz)

BSG

Bundessozialgericht

bspw.

beispielsweise

BT

Besonderer Teil

BTag

Deutscher Bundestag

BT-Drs.

Verhandlungen des Deutschen Bundestags. Drucksachen

BUrlG

Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz)

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

Abkürzungsverzeichnis

33

BVerfGG

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BWaldG

Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft (Bundeswaldgesetz)

BWG

Bundeswahlgesetz

BWVP

Baden-Württembergische Verwaltungspraxis

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

CDU

Christlich Demokratische Union Deutschlands

ChemG

Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz)

DDR

Deutsche Demokratische Republik

DDR-GBl. I

Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I

dems.

demselben

dens.

denselben

ders.

derselbe(n)

d. h.

das heißt

dies.

dieselbe(n)

Diss. (iur.)

(juristische) Dissertation

Dok.

Dokument

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

Drs.

Drucksache

DtZ

Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EAG

Europäische Atomgemeinschaft

EAGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft

ebd.

ebenda

EEA

Einheitliche Europäische Akte

34 EG

Abkürzungsverzeichnis 1. Europäische Gemeinschaft 2. Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der Fassung des Vertrags von Nizza)

EGKS

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGKSV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der Fassung des Vertrags von Maastricht)

EKC

Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung

Erg.-Lfg.

Ergänzungslieferung

ESVGH

Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

etc.

et cetera

EU

1. Europäische Union 2. Vertrag über die Europäische Union (in der Fassung des Vertrags von Nizza)

EuG

Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaft

EUGC

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft

EuGHE

Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuR

Europarecht (Zeitschrift)

EUV

Vertrag über die Europäische Union (in der Fassung des Vertrags von Maastricht)

EUzF

Vertrag über die Europäische Union (in der Fassung des Vertrags von Lissabon [neue Nummerierung nach Artikel 5 dieses Vertrags])

EUZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EV

Europäische Verfassung (Vertrag über eine Verfassung für Europa)

Abkürzungsverzeichnis

35

EVertr.

Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag)

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

EWWU

Europäische Wirtschafts- und Währungsunion

f./ff.

folgende (Singular/Plural)

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

FDP

Freie Demokratische Partei

FG

Festgabe

Fn.

Fußnote(n)

FS

Festschrift

FStrG

Bundesfernstraßengesetz

GASP

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

gem.

gemäß

GeschO

Geschäftsordnung

GeWO

Gewerbeordnung

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

ggf.

gegebenenfalls

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GrdstVG

Gesetz über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (Grundstücksverkehrsgesetz)

GS

Gedächtnisschrift

GVK

Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat

GVNW

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land NordrheinWestfalen

GVOBl.M-V

Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

36

Abkürzungsverzeichnis

HbgGVBl.

Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt

HbgVerf

Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg

h.c.

honoris causa

Hdb.

Handbuch

HdbBbgVerf

Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg

HdbBremVerf

Handbuch der Bremischen Verfassung

HdbDStR

Handbuch des Deutschen Staatsrechts

HdbSächsStVerwR

Handbuch des Sächsischen Staats- und Verwaltungsrechts

HdbSächsVerf

Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen

HdbStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

HdbVerfR

Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland

HessGVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen

HessStGH

Hessischer Staatsgerichtshof

HessStVerwR

Staats- und Verwaltungsrecht für Hessen

HessVerf

Verfassung des Landes Hessen

HGB

Handelsgesetzbuch

HGrG

Gesetz über die Grundzüge des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz)

h.L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

HRG

Hochschulrahmengesetz

Hrsg.

Herausgeber

HS

Halbsatz

i.d.F.

in der Fassung

i. E.

im Ergebnis

i.e.S.

im engeren Sinne

insbes.

insbesondere

IPwskR

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Abkürzungsverzeichnis

37

i. S.

im Sinne

i.V.m.

in Verbindung mit

i.w.S.

im weiteren Sinn

JA

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)

JArbSchG

Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz)

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (Zeitschrift)

JR

Juristische Rundschau (Zeitschrift)

Jura

Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JuS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JuSchG

Jugendschutzgesetz

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

KJ

Kritische Justiz (Zeitschrift)

krit.

kritisch(e/en)

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Zeitschrift)

KrW-/AbfG

Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz)

KSchG

Kündigungsschutzgesetz

LEG

Ländereinführungsgesetz

lit.

Buchstabe

LKV

Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift)

Losebl.

Loseblattsammlung

LS

Leitsatz

LT

Landtag

LT-Drs.

Verhandlungen des Landtags. Drucksachen

LVerfGE

Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder

M-VVerf

Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern

38

Abkürzungsverzeichnis

MitbestG

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer

m.N.

mit Nachweis

MuSchG

Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz)

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

Nachdr.

Nachdruck

NdsGVBl.

Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt

NdsStGH

Niedersächsischer Staatsgerichtshof

NdsStGHE

Entscheidungen des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs

NdsStVerwR

Staats- und Verwaltungsrecht für Niedersachsen

NdsVBl.

Niedersächsische Verwaltungsblätter

NdsVerf

Niedersächsische Verfassung

n.F.

neue(r) Fassung

NJ

Neue Justiz (Zeitschrift)

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport

NordÖR

Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland

Nr.

Nummer

NRWStVerwR

Nordrhein-Westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht

NRWVerf

Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen

NuR

Natur und Recht (Zeitschrift)

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NWVBl.

Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter

OVG

Oberverwaltungsgericht

OVGE

Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Münster und Lüneburg

PflSchG

Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz)

PJZS

Polizeiliche und Justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen

PVS

Politische Vierteljahresschrift

Abkürzungsverzeichnis RdA

Recht der Arbeit (Zeitschrift)

RdJB

Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift)

RegBl.

Regierungsblatt

RGBl. I

Reichsgesetzblatt, Teil I

RhPfGVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz

RhPfStVerwR

Staats- und Verwaltungsrecht für Rheinland-Pfalz

RhPfVerf

Verfassung für Rheinland-Pfalz

RL

Richtlinie

Rn.

Randnummer(n)

ROG

Raumordnungsgesetz

Rs.

Rechtssache

Rspr.

Rechtsprechung

RTh

Rechtstheorie (Zeitschrift)

RuP

Recht und Politik (Zeitschrift)

RV

Reichsverfassung

S.

1. Seite(n)

39

2. Satz/Sätze s.

siehe

SaAnGVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Sachsen-Anhalt

SaAnVerf

Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt

SaarlABl.

Amtsblatt des Saarlandes

SaarlVerf

Verfassung des Saarlandes

SaarlVerfGH

Saarländischer Verfassungsgerichtshof

SächsGVBl.

Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt

SächsVBl.

Sächsische Verwaltungsblätter

SächsVerf

Verfassung des Freistaates Sachsen

SächsVerfGH

Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen

SBZ

Sowjetische Besatzungszone

SchlHGVOBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Schleswig-Holstein

40

Abkürzungsverzeichnis

SchlHGO

Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein

SchlHLS

Landessatzung für Schleswig-Holstein

SchlHVerf

Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

SchKG

Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz)

SchwbG

Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz)

SFHÄndG

Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz

SGB

Sozialgesetzbuch

Slg.

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft

sog.

sogenannte(r/n)

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Spgstr.

Spiegelstrich

SpuRT

Zeitschrift für Sport und Recht

Staat

Der Staat (Zeitschrift)

StabG

Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz)

StGB

Strafgesetzbuch

str.

streitig

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

StVO

Straßenverkehrs-Ordnung

StWuStP

Staatswissenschaften und Staatspraxis (Zeitschrift)

Teilbd.

Teilband

ThürGVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Thüringen

ThürStVerwR

Thüringer Staats- und Verwaltungsrecht

ThürVBl.

Thüringer Verwaltungsblätter

ThürVerf

Verfassung des Freistaats Thüringen

TierSchG

Tierschutzgesetz

TzBfG

Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz)

Abkürzungsverzeichnis u.

und

u.a.

1. unter anderem

41

2. und andere UAbs.

Unterabsatz

UIG

Umweltinformationsgesetz

UPR

Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift)

Urt.

Urteil

u. U.

unter Umständen

UVPG

Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung

v.

vom

v. a.

vor allem

VBlBW

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

Verf.

Verfasser

Verw

Die Verwaltung (Zeitschrift)

VerwArch.

Verwaltungsarchiv (Zeitschrift)

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

VOBl.

Verordnungsblatt

Vorbem.

Vorbemerkung(en)

VR

Verwaltungsrundschau (Zeitschrift)

VSSR

Vierteljahresschrift für Sozialrecht

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

WHG

Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz)

w.N.

weitere Nachweise

WoBauG

Wohnungsbau- und Familienheimgesetz (Wohnungsbaugesetz)

42

Abkürzungsverzeichnis

WoBindG

Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen (Wohnungsbindungsgesetz)

WoFG

Gesetz über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsgesetz)

WoGG

Wohngeldgesetz

WRV

Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer Reichsverfassung)

WWSU

Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

z. B.

zum Beispiel

z.F.

zukünftige Fassung

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZfP

Zeitschrift für Politik

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

Ziff.

Ziffer(n)

zit.

zitiert

ZParl

Zeitschrift für Parlamentsfragen

ZPO

Zivilprozessordnung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

z. T.

zum Teil

Einleitung A. Gegenstand der Untersuchung Welchen Voraussetzungen unterliegt die normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen im Drei-Ebenen-Modell von deutschen Ländern, Bundesrepublik Deutschland und EU/EG? Unterscheiden sich die Zielvorgaben, die sich in den Landesverfassungen finden, von denen, die auf gesamtstaatlicher Ebene verankert sind? Und wie wirkt es sich aus, wenn sich ein Land auf dem Felde der Staatszielbestimmungen ein eigenes, d. h. vom Grundgesetz abweichendes, Profil gegeben hat? Was also bedeuten etwaige Zieldivergenzen – frei nach Hans Zacher1 – dafür, wie es sich im Staate lebt?2 Mit diesen einleitenden Fragen ist der Bereich der vorliegenden Arbeit abgesteckt. Es sollen die normative Bedeutung und die Divergenzen der Staatszielbestimmungen im Drei-Ebenen-Modell von deutschen Ländern, Bundesrepublik Deutschland und EU/EG herausgearbeitet werden. Beides soll gerade vor dem Hintergrund des Drei-Ebenen-Modells erfasst werden. Der Untersuchung liegt daher ausschließlich die Inter-Ebenen-Perspektive zu Grunde. Den Aspekten, die sich allein aus einer Intra-Ebenen-Sicht ergeben, die also einen Bezug zu derjenigen Ebene haben, der die betreffende Zielvorgabe selbst zuzuordnen ist, kommt im Rahmen der vorliegenden Arbeit keine Bedeutung zu. Die Auseinandersetzung mit diesem Fragenkreis erscheint nicht zuletzt deshalb als lohnend, weil die Suche nach spezifisch auf diesen Themenbereich ausgerichteter Literatur – soweit ersichtlich – keinen Ertrag einbringt. Vereinzelte Arbeiten widmen sich zwar spezifisch dem Verhältnis von landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen und Bundesrecht;3 insbesondere Art. 31 GG war ___________ 1 Vgl. Zacher, FG Spindler III, S. 485 (486), der unter der Überschrift „Vom Lebenswert der bayerischen Verfassung“ folgender Frage nachging: Was bedeutet die bayerische Verfassung „dafür, wie es sich in Bayern lebt?“; vgl. ebd., S. 491: „Relevanz der bayerischen Verfassung für das, was in Bayern geschieht“. 2 Die Frage nach der Bedeutung einer Norm oder eines Normkomplexes ist heutzutage auch für staatsrechtliche Positivisten legitim; die Staatsrechtslehre hat sich ihr noch zu Zeiten der Weimarer Republik vollends geöffnet. Dazu etwa Rennert, Staatsrechtslehre, S. 22 ff. 3 Etwa Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 ff.; Jutzi, Landesverfassungsrecht; v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde; aus neuerer Zeit: Menzel, Landesverfassungsrecht; Riegler, Konflikte; Stiens, Chancen.

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Einleitung

mehrfach Gegenstand monographischer Untersuchungen.4 Eine spezifische Analyse des Zusammenspiels von Staatszielbestimmungen des Bundes bzw. denen der Länder mit höherrangigem Recht findet sich jedoch ebenso wenig wie eine Strukturierung der Zieldivergenzen. Dieser Befund überrascht, und zwar zum einen angesichts der Renaissance, die das Landesverfassungsrecht insbesondere (angestoßen etwa durch den Prozess der Verfassunggebung in den sog. neuen Ländern) seit Beginn der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts5 erlebt hat.6 Als die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer bei ihrer Tagung 1988 die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts thematisierte,7 war eine solche Entwicklung ebenso wenig absehbar wie die friedliche Oktoberrevolution in Ostdeutschland im Zuge der Zeitenwende von 1989/90 sowie die Deutsche Einheit.8 Der Befund überrascht zum anderen auch deshalb, weil die Staatszielbestimmungen, spätestens seit ihrer extensiven Aufnahme in die Verfassungsurkunden der neuen Länder, großes Interesse im wissenschaftlichen Schrifttum finden;9 auch mit Blick auf das ausländi___________ 4

s. etwa grundlegend März, Bundesrecht. Vgl. indes H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (750): Durch „neue soziale Probleme“ und durch „Defizite des parlamentarischen Repräsentativsystems“ hätten die Landesverfassungen bereits im Laufe der 80er Jahre „zunehmend auch politische Aktualität“ erhalten, wenngleich mit Blick auf das Landesverfassungsrecht „noch nicht vom endgültigen Verlassen der Ruhestatt“ die Rede sein könne. 6 Die Veröffentlichungen zu den Verfassungen der neuen Länder sind schier unübersehbar, s. die Nachweise im Literaturverzeichnis; exemplarisch sei verwiesen auf Dietlein, Grundrechte; Kanther Landesverfassungen; v. Mangoldt, Verfassungen; Starck, Verfassungen. 7 s. VVDStRL 46 (1988), S. 7 ff. Damit stand erstmals das gliedstaatliche Verfassungsrecht als solches im Blickfeld der Staatsrechtslehrertagung. Allgemeine Föderalismusfragen waren hingegen bereits wiederholt behandelt worden, s. etwa Anschütz/Bilfinger, VVDStRL 1 (1924), S. 11 ff./35 ff.; Fleiner/Lukas, VVDStRL 6 (1929), S. 2 ff./ 25 ff.; Bülck/Lerche, VVDStRL 21 (1964), S. 1 ff./66 ff. Sogar bei Themen mit besonderer Länderaffinität hatte das gliedstaatliche Verfassungsrecht allenfalls beiläufig Berücksichtigung gefunden, s. etwa mit Blick auf das Schulwesen Evers, VVDStRL 23 (1966), S. 147 ff., und Fuß, VVDStRL 23 (1966), S. 199 ff., sowie zum Kulturauftrag Steiner VVDStRL 42 (1984), S. 7 ff., und Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 46 ff. 8 So konstatierte etwa Dieter Grimm noch im Jahre 1986: „Das Landesverfassungsrecht steht ganz im Schatten des Grundgesetzes“, s. Grimm, in: ders./Papier, NRWStVerwR, S. 1 (2); ähnlich Ossenbühl, DVBl. 1989, S. 1230 (1231). Klaus Stern hatte indes bereits 1983 prognostiziert, „dass die Landesverfassungen aus ihrem Schlummerdasein erweckt, vor allem in einigen Bereichen ihre Landesgrundrechte revitalisiert werden“ (Stern, in: Starck/Stern, Landesverfassungsgerichtsbarkeit I, S. 1 [13, 15 f.]). 9 Grundlegend für das Thema Staatszielbestimmungen ist, auch nach derzeitigem Forschungsstand, die Habilitationsschrift „Staatsziele und Staatszielbestimmungen“ von Sommermann aus dem Jahr 1995. – Einige Dissertationen gelten spezifisch den Staatszielbestimmungen in den Verfassungen der neuen Länder, etwa P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, und (namentlich auf die sächsische Verfassung bezogen) Rincke, Staatszielbestimmungen. 5

B. Gang der Untersuchung

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sche Verfassungsrecht lässt sich eine Entwicklung hin zu solchen Zielvorgaben konstatieren.10 Immer wieder waren bzw. sind Staatszielbestimmungen Gegenstand verfassungspolitischer Auseinandersetzungen.11 Die Veröffentlichungen zur Frage des Für und Wider ihrer Aufnahme in Grundgesetz und Landesverfassungen zählen Legion. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht folglich (aus Inter-EbenenSicht) zum einen die Frage der normativen Bedeutung der Staatszielbestimmungen, zum anderen die systematische Durchdringung der Divergenzen dieser Zielvorgaben inklusive ihrer Auswirkungen. Leistet die Untersuchung einen Beitrag zur Klärung dieser Aspekte, hat sie ihr Ziel erreicht.

B. Gang der Untersuchung Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil (1.-3. Kapitel) ist den Grundlagen gewidmet. Nach der Erläuterung des Drei-Ebenen-Modells von EU/EG, Bundesrepublik Deutschland und deutschen Ländern (1. Kapitel) werden die für die vorliegende Arbeit relevanten Begriffe geklärt (2. Kapitel). Der erste Teil schließt mit einer Bestandsaufnahme der in Grundgesetz und Landesverfassungen normierten Staatszielbestimmungen (3. Kapitel). Der zweite Teil der Arbeit (4.-5. Kapitel) gilt der normativen Bedeutung der Staatszielbestimmungen im Drei-Ebenen-Modell. Hier wird in einem ersten Schritt das Instrumentarium der Mechanismen bzw. Normen der Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung aufgezeigt und seine Anwendbarkeit mit Blick auf die Staatszielbestimmungen untersucht (4. Kapitel). In einem zweiten Schritt (5. Kapitel) folgt die Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse. Insoweit wird nicht allein die normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes herausgearbeitet, sondern es werden auch die Zielvorgaben ausgewählter Landesverfassungen analysiert. Der dritte Teil (6.-9. Kapitel) ist, wiederum aus Inter-Ebenen-Sicht, den Divergenzen der Staatszielbestimmungen und deren Auswirkungen gewidmet. Aufbauend auf den Ausführungen zur normativen Bedeutung der Staatszielbestimmungen werden zunächst die Zieldivergenzen aufgezeigt (6. Kapitel). Hierbei sind (nach dem der Arbeit zugrundegelegten Ansatz)12 drei verschiedene Aspekte zu bewältigen: Zielkollisionen, überschießende Staatszielbestimmun___________ 10

s. König, FS Carl-Heymanns-Verlag, S. 109 (119); zur entsprechenden rechtsvergleichenden Analyse grundlegend Häberle, Rechtsvergleichung, S. 3 ff., 228 ff., 552 ff., 791 ff. 11 Sie spielten etwa eine zentrale Rolle in der Debatte um Änderungen des Grundgesetzes im Zuge bzw. im Nachgang der Wiedervereinigung. 12 Dazu 2. Kap. unter B. I.

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Einleitung

gen und Unterschiede im Zielgefüge. Die folgenden drei Kapitel wenden sich den Konsequenzen des Divergenzbefundes zu. Nach den Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge (7. Kapitel) werden diejenigen der überschießenden Staatszielbestimmungen (8. Kapitel) und schließlich die der Zielkollisionen (9. Kapitel) herausgearbeitet. Im Rahmen der Schlussbetrachtungen folgen dem Resümee noch einige weiterführende Überlegungen zur Abrundung der Untersuchung.

Erster Teil

Grundlagen Nach der Erläuterung des Drei-Ebenen-Modells von Europäischer Union, Bundesrepublik Deutschland und deutschen Ländern (1. Kapitel) werden die für die vorliegende Arbeit relevanten Begriffe geklärt (2. Kapitel). Im Anschluss folgt ein Überblick über die im Einzelnen normierten Staatszielbestimmungen (3. Kapitel).

1. Kapitel

Das Drei-Ebenen-Modell A. Das Drei-Ebenen-Modell als konzeptionelle Matrix I. Die deutschen Länder als Glieder der Bundesrepublik Deutschland

Bei der Bundesrepublik Deutschland handelt es sich um einen Bundesstaat (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG), also um einen staatsrechtlichen Zusammenschluss von Staaten zu einem souveränen Staat. Anknüpfungspunkt dieser Grundentscheidung für die bundesstaatliche Ordnung ist die Staatsform des deutschen Bundesstaats in seiner historischen Prägung. Einen Bundesstaat konzipierte bereits die gescheiterte Paulskirchenverfassung von 1849.1 Im Norddeutschen Bund schlossen sich 1867 mehrere Länder unter Führung Preußens zu einem Bundesstaat zusammen.2 1871 entstand, wiederum als Bundesstaat, das Deutsche Reich Bismarcks.3 Auch in der 1919 ausgerufenen Weimarer Republik konstituierten ___________ 1

Dazu etwa Kugelmann, FS Rudolf, S. 157 (162 f.) m.w.N. Hingegen handelt es sich bei dem sog. Deutschen Bund, der nach der Niederwerfung Napoleons 1815/1820 errichtet wurde, um einen bloßen Staatenbund, d. h. einen Zusammenschluss mehrerer souveräner Staaten auf völkerrechtlicher Ebene. Dazu Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 235 f. 3 s. Oeter, Integration, S. 29 m.w.N.; zur bundesstaatlichen Entwicklung im „Bismarck-Reich“ Holste, Bundesstaat, S. 95-264. 2

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1. Kap.: Das Drei-Ebenen-Modell

die Länder den Bundesstaat.4 Dieser fand sein Ende 1934 durch den Zentralismus der Nationalsozialisten.5 Nach Bildung der (z. T. mit den alten identischen) Länder 1945/46 entstand 1949 erneut ein Bundesstaat:6 die Bundesrepublik Deutschland.7 Seit der Wiedervereinigung im Jahre 1990 ist sie in 168 (in der Präambel des Grundgesetzes aufgelistete) Länder gegliedert.9 Dem durch das Grundgesetz konstituierten Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland ist die Staatlichkeit des Gesamtstaates und die der deutschen Länder immanent.10 Allerdings unterliegt die Staatsqualität der in das „Bundes___________ 4 s. Gusy, WRV, S. 226. – Der „Anfang vom Ende“ der Weimarer Republik war ein Schlag gegen den Föderalismus: Durch Notverordnung enthebt Reichskanzler Papen am 20.7.1932 die geschäftsführende preußische Regierung Braun ihres Amtes und wird selbst Reichskommissar für Preußen („Preußenschlag“); dazu Nipperdey, in: ders., Geschichte, S. 60 (92). 5 Zunächst waren die Landesregierungen durch die sog. Gleichschaltungsgesetze v. 1.3.1933 (RGBl. I, S. 153) und 7.4.1933 (RGBl. I, S. 173) der Rechts- und Fachaufsicht der Reichsexekutive unterstellt worden. Zur endgültigen Beseitigung der Landesparlamente und Übertragung aller Hoheitsrechte der Länder auf das Reich kam es durch das Gesetz über den Neuaufbau des Deutschen Reiches v. 30.1.1934 (RGBl. I, S. 75); Staatlichkeit besaß fortan nur noch das Reich. 6 Zum Ganzen (auch zur „Geburtshilfe“ seitens der Besatzungsmächte) Hartung, Verfassungsgeschichte, S. 358 ff.; Klaas, in: ders., Entstehung, S. 33 (36 ff.). 7 Die DDR hingegen war als Einheitsstaat organisiert. Durch das „Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweisen der staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik“ v. 23.7.1952 (DDR-GBl. I, S. 613) wurden die 1946/47 in der damaligen SBZ gegründeten Länder zwar nicht ausdrücklich, aber doch de facto aufgelöst: Ihnen wurde die Pflicht zur Bildung von Bezirken und die Abtretung ihrer gliedstaatlichen Kompetenzen auferlegt. Die Länderkammer wurde durch verfassungsänderndes Gesetz v. 8.12.1958 (DDR-GBl. I, S. 867) abgeschafft, der „demokratische Zentralismus“ durch die DDR-Verfassungen v. 6.4.1968 (DDR-GBl. I, S. 199) sowie v. 7.10.1974 (DDR-GBl. I, S. 432) zum tragenden Staatsprinzip erhoben. Die einen Fortbestand der Länder bejahende (nur vereinzelt vertretene) Auffassung (s. insbes. Röper, ZG 6 [1991], S. 149 [161, 164]) konnte sich daher zu Recht nicht durchsetzen. Zum Ganzen Brunner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 11 Rn. 7 ff.; Boehl, Staat 30 (1991), S. 572 (572 f. Fn. 4) m.w.N. 8 Die DDR hat nicht als Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland fortexistiert, auch nicht für eine „logische Sekunde“. Ihr staatsrechtliches Ende fiel mit ihrem völkerrechtlichen Untergang am 3.10.1990 zusammen; an ihre Stelle traten die fünf neuen bzw. erneuerten Länder, s. Art. 1 Abs. 1 EVertr. v. 31.8.1990 (BGBl. II, S. 889). Dazu etwa Badura, Staatsrecht, A Rn. 44; Boehl, Staat 30 (1991), S. 572 (573 f.) m.w.N. 9 Der zweigliedrige Staatsaufbau des Bundesstaates des Grundgesetzes (s. BVerfGE 13, 54 [77 f.]) war in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland indes nicht unbestritten. Überblick über die Diskussion bei Stern, Staatsrecht I, S. 650 f. m.w.N. 10 St. Rspr.; vgl. bereits BVerfGE 1, 14 (34) – Südwest-Staat; zuletzt 101, 158 (222) – Länderfinanzausgleich; Stern, Staatsrecht I, S. 11 f., 666 f.; Barschel, Staatsqualität, S. 167 ff.; zurückhaltend Doehring, Staatsrecht, S. 114 ff. Krit. zur dahinter stehenden Bundesstaatsdefinition, die insbes. auf den juristischen Ursprung der Herrschaft (nicht abgeleitete, sondern anerkannte Hoheitsmacht) abstellt, etwa Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (24 f.): Sie könne nur die klassische Bundesstaatsbildung einfangen (also die „Geburt“ eines Bundesstaates aus dem Geist der Nationalstaatsbewegung, etwa

A. Das Drei-Ebenen-Modell als konzeptionelle Matrix

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Ganze“ eingeordneten deutschen Länder – der Begriff „Gliedstaaten“ ist dem Grundgesetz fremd – spezifisch bundesstaatlichen Bedingungen:11 Die Länder besitzen, auch nach eigenem Staatsverständnis,12 eine Staatlichkeit besonderer Art. Anders als die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat verfügen sie nicht über Souveränität,13 sondern sie sind als nicht-souveräne Staaten bei voller Staatlichkeit14 in den Gesamtstaat und dessen europäische und internationale Bezüge eingebunden. ___________ durch „Verdichtung“ eines Staatenbundes), nicht aber den umgekehrten Vorgang, die Föderalisierung eines Einheitsstaates. – Keine Staatsqualität besitzen die Kommunen (Gemeinden, Kreise). Diese sind den Ländern als bloße Gebietskörperschaften eingegliedert und nicht institutionell (sondern allenfalls faktisch-politisch) in den gesamtstaatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess eingebunden. 11 Zu diesen Bedingungen Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR VI, § 126 Rn. 20 ff.; Storr, Verfassunggebung, S. 66 ff. 12 Vgl. die auf den Gesamtstaat bezogene Selbstdefinition in den Landesverfassungsurkunden durch die Begriffe „Land der Bundesrepublik Deutschland“ (Art. 1 HbgVerf, Art. 1 S. 1 SächsVerf, Art. 1 Abs. 1 SaAnVerf, Art. 1 Abs. 1 BbgVerf, Art. 1 Abs. 2 M-VVerf, Art. 44 Abs. 1 S. 1 ThürVerf, Art. 1 Abs. 2 BerlVerf) bzw. Staat „in der Bundesrepublik Deutschland“ (Art. 1 Abs. 2 NdsVerf), „Gliedstaat der Deutschen Republik“ (Präambel HessVerf) bzw. der Bundesrepublik Deutschland (Art. 1 Abs. 1 S. 1 NRWVerf, Art. 1 SchlHVerf) bzw. Deutschlands (Art. 74 Abs. 1 RhPfVerf) bzw. „Glied der deutschen Republik“ (Art. 64 HessVerf, Art. 64 BremVerf) bzw. der Bundesrepublik Deutschland (Art. 23 Abs. 2 BaWüVerf). Leicht anders akzentuiert Art. 178 S. 1 BayVerf: „Bayern wird einem künftigen deutschen demokratischen Bundesstaat beitreten“. – Im Saarland war zunächst der Anschluss an Frankreich vorgesehen. Nach der Ablehnung eines europäischen Saarstatuts wurde das Saarland in Art. 60 (a.F.) SaarlVerf als „Bundesland“ bezeichnet, seit der Verfassungsreform von 1979 als „Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland“ (jetzt Art. 60 Abs. 1 SaarlVerf). 13 Souveränität ist unteilbar: Suprema potestas meint „einheitliche oberste Gewalt“, s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (17). A.A. Hufen, BayVBl. 1987, S. 513 (516 f.): „Hauptanliegen des Bundesstaates: Herstellung einer geteilten und zugleich gestuften Souveränität“; vgl. auch Fleiner-Gerster, Staatslehre, S. 183 f., 188 ff., der die Souveränität im Bundesstaat bei Bund und Gliedstaaten verortet. – Allgemein zum Topos „Souveränität“ Randelzhofer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 17 Rn. 23 ff.; Quaritsch, Staat I, S. 407 ff. 14 Nach vereinzelt vertretener Auffassung (etwa Hempel, Bundesstaat, S. 177 ff., 226 ff.) handelt es sich bei den Ländern lediglich um (höchstpotenzierte) Gebietskörperschaften innerhalb des einen Staates. Dem kann nicht gefolgt werden: Aus der spezifischen „föderalen Eigenstaatlichkeit“ (Eichenberger, FS H. Huber, S. 155 [165 f.]) folgt eben gerade nicht, dass die Länder lediglich als „Staaten h.c.“ (Graf Vitzthum, in: ders./ Winkelmann, Bosnien-Herzegowina, S. 177 [180]) zu betrachten wären, im Gegenteil: Im Bundesstaat des Grundgesetzes stehen mehrere Staatlichkeiten neben einander, die Länder wirken über den Bundesrat intensiv „bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union“ (Art. 50 GG) mit. – Souveränität ist „kein wesentliches Merkmal“ eines Staates i. S. der traditionellen (von Jellinek entwickelten) Lehre; a.A. noch Heller, der die Souveränität als unabdingbare Voraussetzung der Staatlichkeit erachtete, weshalb ihm „Staat und Gliedstaat wesensverschiedene Gebilde“ waren (zit. nach Thoma, in: Anschütz/Thoma, HdbDStR I, § 15, S. 175 f.). Näheres bei Quaritsch, Staat I, S. 413 ff.

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1. Kap.: Das Drei-Ebenen-Modell

Kernelement dieser beschränkten Staatsqualität (wie auch zugleich der wesentliche Inhalt des föderalen Prinzips) ist das Recht der Länder auf Eigenorganisation15 und eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung,16 kurz: ein „Kern eigener Aufgaben als ‚Hausgut’“17. Die Länder üben im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eigene, d. h. nicht vom Bund abgeleitete, sondern von ihm anerkannte, originäre Staatsgewalt aus.18 Diese ist gegenständlich beschränkt, und zwar auf diejenigen Aufgabengebiete, die das Grundgesetz den Ländern kompetenziell zuordnet (Kompetenz-Kompetenz des Gesamtstaates).19 Den Ausgangspunkt dieser Kompetenzordnung stellt Art. 30 GG dar.20 Dem bundesstaatlichen Prinzip entsprechend ist ein Eingriff des Bundes in die Verfassungsordnung der Länder nur zulässig, soweit es das Grundgesetz ausdrücklich bestimmt oder zulässt.21 Beispiele dieser enumerativ aufgeführten Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder sind die Ingerenzrechte des Bundes bei der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder (Art. 84 Abs. 3 u. 4, Art. 85 Abs. 4 und Art. 108 Abs. 3 GG).22 Vom scharfen Instrument ___________ 15 Vgl. Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 3, 25; Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (865). 16 Vgl. BVerfGE 63, 1 (41). – Die Aufgaben von Bund und Ländern sind grundsätzlich strikt getrennt. Eine verfassungsrechtliche Ausnahme stellen die 1969 nachträglich eingefügten Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a u. b GG dar, also die Aufgaben der Länder, an deren Wahrnehmung sich der Bund beteiligt und die er mitfinanziert. Zur Verschlankung dieser Aufgaben mit der Föderalismusreform 2006 Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 91 a Rn. 8 ff. 17 s. BVerfGE 34, 9 (20); 87, 181 (196); zum Ganzen Stern, Staatsrecht I, S. 667 ff.; zum „Bundesstaat als Verfassungsprinzip“ Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 29. 18 s. BVerfGE 1, 14 (33 f.); 60, 175 (207); Bartlsperger, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 128 Rn. 3; Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 21. 19 Insoweit bildet das Grundgesetz eine Grenze auch für die Staatsgewalt der Länder. Dazu bereits BVerfGE 1, 14 (51 f.); Rudolf, FG BVerfG (1976) II, S. 233 (242); Isensee, SächsVBl. 1994, S. 28 (30). – Der Staatscharakter der Länder ist zugeschnitten auf den Gesamtstaat, der seinen Rahmen bildet: „Staatlichkeit im Sinne des Grundgesetzes“ (Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR VI, § 126 Rn. 69). 20 Die Zuständigkeiten für die dort angesprochenen „staatlichen Befugnisse und Aufgaben“ werden nicht en bloc auf den Gesamtstaat oder die Gliedstaaten verteilt, sondern jeweils unabhängig voneinander zugeordnet für Legislative (Artt. 70 ff. GG), Exekutive (Artt. 83 ff. GG) und Judikative (Artt. 92 ff. GG). Grob gezeichnet ergibt sich folgendes Schema: Die Länder administrieren und judizieren, der Bund legiferiert. – Zu anderen föderalen Modellen (der US-amerikanische Föderalismus z. B. ist mit Blick auf legislative, exekutive und judikative Zuständigkeiten vertikal einheitlich strukturiert) etwa Pernthaler, Staatslehre, S. 287 ff., 291 ff. 21 s. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR VI, § 126 Rn. 99. 22 Voraussetzung ist jeweils ein erlassenes Bundesgesetz: Das Grundgesetz kennt keine allgemeine Bundesaufsicht über die Länder. Dazu Isensee, in: ders./Kirchhof,

A. Das Drei-Ebenen-Modell als konzeptionelle Matrix

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des Bundeszwangs (Art. 37 GG), das über den Bereich der Artt. 84, 85 GG hinausgeht und das gesamte Tätigwerden der Länder erfasst,23 wurde bislang noch kein Gebrauch gemacht.24 Gleiches gilt für die sog. Bundesintervention, die dem Bund im Fall eines inneren Notstandes erlaubt, in einem Land auch gegen dessen Willen einzugreifen (vgl. die Regelungen in Art. 35 Abs. 2 u. 3, Art. 91 Abs. 1 u. 2 GG).25 Neben diesen Befugnissen des Bundes zur Einwirkung auf die Länder bestehen für die Organe des Bundes auf der politischen Ebene Möglichkeiten persuasiver Einwirkung; zudem können verfassungsgerichtliche Verfahren angestrengt werden.26 Nach der vorherrschenden – primär von Konrad Hesse entwickelten – These legitimiert sich der Bundesstaat in der Ausprägung des Grundgesetzes in erster Linie durch seine Bedeutung als komplementäres Element der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung:27 Die dezentrale Aufgliederung politischer Entscheidungsgewalt trägt regional unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen Rechnung und ermöglicht u.a. sachnähere Entscheidungen;28 „checks and balances” greifen nicht nur horizontal im Verhältnis von Legislative, Exekutive und Judikative, sondern auch vertikal (im Bund-Länder-Verhältnis).29 Diese auf den Gedanken der Machtbalancierung gestützte Rechtfertigung des Bundesstaates greift für sich genommen jedoch zu kurz. Sie setzt ohne Weiteres voraus, ___________ HdbStR VI, § 126 Rn. 124, 132 f.; Stern, Staatsrecht I, S. 713 f.; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 84 Rn. 136. 23 Dazu v. Danwitz, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 37 Rn. 10 ff. 24 s. Erbguth, in: Sachs, GG, Art. 37 Rn. 3. Es fehlt daher an entsprechender Staatspraxis und verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. aber BVerfGE 3, 52 [57]; 7, 367 [372]). 25 Dazu Stern, Staatsrecht I, S. 718 f. 26 In Betracht kommen insbesondere abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG), Bund-Länder-Streit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG) oder eine andere öffentlichrechtliche Streitigkeit zwischen Bund und Ländern (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG), nicht hingegen der Organstreit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG), da dessen Streitparteien auf der Organisationsebene des Bundes angesiedelt sein müssen, s. Sturm, in: Sachs, GG, Art. 93 Rn. 41, 46 ff. 27 s. Hesse, Bundesstaat, S. 26 ff.; vgl. dens., AöR 98 (1973) S. 1 (12 ff.): „Das Schwergewicht der Bundesstaatlichkeit des Grundgesetzes liegt weniger in dem Moment regionaler Besonderheit und unverbundener Gestaltungsmöglichkeit der einzelnen Länder als in den Auswirkungen des föderativen Aufbaus für die Gestalt und das Leben des gesamten Gemeinwesens“ (S. 45). Zum Ganzen Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR VI, § 126 Rn. 260, 322 ff. 28 Besser als der Bund sind die Länder in der Lage, die Impulse aus der örtlichen Ebene aufzunehmen, regionale Besonderheiten zu beachten und verschiedene lokale und regionale Interessen unter übergeordneten Gemeinwohlinteressen in Ausgleich zu bringen. Näher dazu etwa Ritter, in: Hesse, Erneuerung, S. 213 (219). 29 Vgl. etwa BVerfGE 12, 205 (229); 95, 1 (18) Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, S. 111, 146. – Der Föderalismus als politischer Handlungsstil sichert Freiheit, vgl. Deuerlein, Föderalismus, S. 306 ff.; Schreckenberger, VerwArch 69 (1978), S. 341 ff.

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1. Kap.: Das Drei-Ebenen-Modell

dass die Länder als hinreichendes Gegengewicht zum Bund – dieses Wechselspiel von (politischem) Gewicht und Gegengewicht zeichnet den Bundesstaat aus – existieren und agieren. Über das erforderliche Gewicht als selbstständige Zentren demokratisch legitimierter Entscheidungen verfügen die Länder nur, wenn ihnen Individualität30 eignet.31 Andernfalls fehlen die Voraussetzungen für eine Machtbalancierung im eigentlichen Sinn des Wortes. Der Bundesstaat des Grundgesetzes ist daher ohne Rekurs auf die „(länder-) identitätswahrende Bedeutung des Föderalismus“32 nicht zu erklären.33

II. Die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der EU/EG

Die EU fungiert als Dach über den drei Säulen EG, GASP und PJZS („DreiSäulen-Modell“).34 Während der EU-Vertrag eine Zusammenarbeit auf internationaler Basis, d. h. nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen, begründet in den Säulen GASP und PJZS,35 hat die EU in ihrer ersten Säule – den Europä___________ 30 Zum Charakter von Gliedstaaten als „Individualitäten“ bereits Triepel, Hegemonie, S. 16 ff. 31 Ohne den Aspekt regionaler und sozialer Individualität sind selbstständige Zentren demokratisch legitimierter Entscheidungen undenkbar, s. Scheuner, in: Listl/Rüfner, Staatstheorie, S. 415 (427); dens., DÖV 1966, S. 513 (514 f.). 32 Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (46). Die bloße politische Dezentralisierung bringt die Länder nicht als Individualitäten zur Geltung, beraubt die Bundesstaatlichkeit also eines wesentlichen Sinnes (ebd., S. 47). – Zum Unterschied zwischen Föderalismus und Regionalismus ders., VBlBW 1991, S. 241 (242 ff.). 33 Der Bundesstaat besitzt eben einen „doppelten Funktionssinn“, s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (47, 15): einerseits auf den Gesamtstaat hin orientierte Integration von den Ländern aus (als Leistung für die gesamtstaatliche Ordnung), andererseits bestmögliche Sicherung der Eigenständigkeit der Gliedstaaten. 34 s. Zuleeg, in: Groeben/Schwarze, EUV/EGV I, Präambel EUV Rn. 1; Haratsch u.a., Europarecht, Rn. 72 ff.; dogmatische Einordnung der Beziehung zwischen EU und EG bei Schroeder, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 373 (377 ff.). – Mit dem Vertrag von Lissabon v. 13.12.2007 (ABl. C 306, S. 1), in Kraft getreten zum 1.12.2009, wird diese Drei-Säulen-Struktur aufgegeben: Die EG verschmilzt mit GASP und PJZS; eine gewisse Sonderstellung behält dabei die GASP, was u.a. dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie in Artt. 21-46 EUzF ausgestaltet ist, während die PJZS durch Artt. 8289 AEU geregelt wird. Die derart neu verfasste EU ist Rechtsnachfolgerin der mit dem Vertrag von Lissabon aufgelösten EG (Art. 1 Abs. 3 S. 3 EUzF) und hat, wie es bisher Art. 281 EG für die EG bestimmt, Rechtspersönlichkeit (Art. 47 EUzF); dazu Ohler, in: Streinz u.a., Lissabon, § 4 S. 40 ff.; zur Völkerrechtsfähigkeit der EU „vor Lissabon“ E. Klein, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Abschn. 4 Rn. 249 ff. 35 s. Zuleeg, in: Groeben/Schwarze, EUV/EGV I, Präambel EUV Rn. 2; vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rn. 11. – Der Vertrag von Lissabon strukturiert den EU grundlegend neu, ändert aber nicht dessen Bezeichnung. Demgegenüber benennt er den EG in „AEU“ um, während er dessen Grundstruktur im Wesentlichen beibehält. Beide Verträge haben rechtlich den gleichen Stellenwert (Art. 1 Abs. 3 S. 2 EUzF), was klarstellt, dass der AEU kein Durchführungsvertrag mit lediglich sekundärer Bedeutung ist.

A. Das Drei-Ebenen-Modell als konzeptionelle Matrix

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ischen Gemeinschaften als „Grundlage der EU“ (Art. 1 Abs. 3 S. 1 EU) – die Schaffung einer eigenständigen Rechtsordnung zum Inhalt. Die EG verfügt infolge der Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten über eine von den Mitgliedstaaten unabhängige Hoheitsgewalt. Sie ist ermächtigt, eigene Rechtsakte zu setzen, die z. T. sogar unmittelbar gegenüber dem Bürger gelten, also nicht der Transformation in mitgliedstaatliches Recht bedürfen.36 Es handelt sich bei der EU gleichwohl um keinen Staat, sondern um einen „Staatenverbund“.37 Die Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf die EG hat zwar, wie gesagt, zu einer eigenständigen, von den Mitgliedstaaten unabhängigen Hoheitsgewalt geführt, und die EU verfügt über einen einheitlichen institutionellen Rahmen, Art. 3 Abs. 1 EU (Art. 13 Abs. 1 EUzF).38 Die Kompetenz-Kompetenz liegt aber bei den Mitgliedstaaten. Als „Herren der Verträge“ (vgl. Art. 48 EU [Art. 48 EUzF]) besitzen sie umfassende Hoheitsgewalt. Während diese grundsätzlich allzuständig sind,39 wird die Gemeinschaft innerhalb der Grenzen der ihr zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig ___________ Anders als in der (gescheiterten) EV werden die Verträge also nicht durch einen einzigen, „Verfassung“ genannten Text ersetzt. Im Einzelnen zu den Entwicklungslinien von EV und Lissabonner Vertrag Streinz, Europarecht, Rn. 57 ff.; K. H. Fischer, Lissabon, S. 20 ff.; Oppermann, DVBl. 2008, S. 473 ff.; alle m.w.N. 36 Das Arsenal der Hoheitsakte der Gemeinschaft besteht aus den Verordnungen (Art. 249 Abs. 2 EG [Art. 288 Abs. 2 AEU]), Richtlinien (Art. 249 Abs. 3 EG [Art. 288 Abs. 3 AEU]) und Entscheidungen (Art. 249 Abs. 4 EG [Art. 288 Abs. 4 AEU: „Beschlüsse“]) sowie den (unverbindlichen) Empfehlungen und Stellungnahmen (Art. 249 Abs. 5 EG [Art. 288 Abs. 5 AEU]). Zentralnorm für die Handlungsformensystematik ist jener Art. 249 EG; zu seinen normativen Gehalten Bast, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 479 (498 ff.). – Der AEU unterscheidet erstmals zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter; er knüpft dabei an das Rechtsetzungsverfahren an, s. Art. 289 Abs. 3 AEU. Dazu Haratsch u.a., Europarecht, Rn. 58 f.; allg. zu den Rechtsquellen des Unionsrechts „nach Lissabon“ Herrmann, in: Streinz u.a., Lissabon, § 10 S. 76 ff. 37 So die von Paul Kirchhof geprägte Formel, s. dens., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 183 Rn. 7, 54, 38 u. 69, die das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 89, 155 (181 ff.) aufgriff (Paul Kirchhof war Berichterstatter besagter Entscheidung); krit. zum Begriff „Staatenverbund“ H. P. Ipsen, EuR 29 (1994), S. 1 (7 ff.); positivere Einschätzung bei Haratsch u.a., Europarecht, Rn. 78. – Die Inadäquanz klassischer Begrifflichkeiten für die bisherigen Integrationsformen der EU/EG wurde und wird immer wieder betont, s. bereits H. P. Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 182 ff.; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 47 f.; E. Klein, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Abschn. 4 Rn. 246 ff. 38 Zu jenem Rahmen Schroeder, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 373 (401 ff.). – Bereits wegen der einheitlichen Organverfassung für den Begriff „Unionsrecht“ statt „Gemeinschaftsrecht“ P. M. Huber, Recht, § 8 Rn. 1 ff. Diese Begrifflichkeit dürfte sich mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon durchsetzen: Er bestimmt die EU als Rechtsnachfolgerin der durch ihn aufgelösten EG (dazu soeben unter A. II., Fn. 34) und ersetzt das Wort „Gemeinschaft“ durchgängig durch „Union“. 39 s. Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 1 EGV Rn. 14.

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1. Kap.: Das Drei-Ebenen-Modell

(Art. 5 Abs. 1 EG [Artt. 3 Abs. 6, 5 Abs. 1, 2 EUzF]):40 Sie verfügt grundsätzlich lediglich über die Kompetenzen, die ihr in den Verträgen ausdrücklich übertragen sind (Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung).41 Auch aus dem Vertragslückenschließungsverfahren nach Art. 308 EG (Art. 352 AEU), das jenen Grundsatz durchbricht, lässt sich keine Kompetenz-Kompetenz der Gemeinschaft herleiten.42 Die Bundesrepublik Deutschland ist als Gesamtstaat Mitglied der EG und der diese umhüllenden EU. Der Bundesstaat des Grundgesetzes, der sich von Anfang an u.a. als „gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa“ definiert hat (s. S. 1 der Präambel des Grundgesetzes),43 tritt im völkerrechtlichen Verkehr grundsätzlich als Einheit auf.44 Die EU ist ihrerseits verpflichtet, die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland zu achten (Art. 6 Abs. 3 EU

___________ 40

s. auch Art. 7 Abs. 1 S. 2 EG (vgl. Art. 13 Abs. 2 S. 1 EUzF): Die Organe handeln „nach Maßgabe der [...] in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse“; ähnlich Art. 249 Abs. 1 EG (vgl. Art. 288 Abs. 1 AEU), wonach die Organe der EG Hoheitsakte „zur Erfüllung ihrer Aufgaben und nach Maßgabe dieses Vertrags“ erlassen. – Diese Beschränkung hat ihre Ursache nicht zuletzt in den historischen Anknüpfungspunkten und Motiven des Integrationsprozesses; zu ihnen Bieber, in: ders. u.a., Union, § 1 Rn. 6 ff. 41 Die Begrenztheit der der EG zugewiesenen Aufgaben verbietet jeden Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis, s. BVerfGE 89, 155 (192); Nettesheim, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 415 (422 f.); Schroeder, EuR 34 (1999), S. 452 (454 f.); näher zum Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, der ausdrücklich durch den Vertrag von Maastricht v. 7.2.1992 (BGBl. II, S. 1253) – in Kraft seit 1.11.1993 (BGBl. II, S. 1947) – verankert wurde, Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 5 EGV Rn. 7 ff.; Bieber, in: ders. u.a., Union, § 3 Rn. 18; Steindorff, Kompetenzen, S. 18; Isensee, FS Stern, S. 1239 (1263). – Der Vertrag von Lissabon führt insoweit zu keinen Änderungen. Die „Erklärung zur Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union“ (ABl. 2007 C 306, S. 255) im Anhang des Vertrags stellt vielmehr klar, dass die EU keinesfalls ermächtigt ist, außerhalb der ihr explizit zugewiesenen Kompetenzen tätig zu werden. 42 Art. 308 EG (Art. 352 AEU) ist eine Kompetenzabrundungsklausel, s. Schwarze, Verwaltungsrecht, S. 50 f.; Engel, Verw 25 (1992), S. 437 (461); zum Anwendungsbereich dieser Auffangkompetenz P. M. Huber, Recht, § 16 Rn. 15 ff. – Der Vertrag von Lissabon verschärft die Voraussetzungen für die Wahrnehmung jener Klausel: Er verlangt u.a. eine Zustimmung des Europäischen Parlaments (Art. 352 Abs. 1 S. 1 AEU). Näher Winkler, in: Grabitz u.a., EUV/EGV III, Art. 308 EGV Rn. 170 ff. 43 Insofern hat das generell „europafreundliche“ (dazu E. Klein, FS Stern, S. 1301 [1304]) Grundgesetz nicht nur allgemein die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen ermöglicht (Art. 24 Abs. 1 GG), sondern die bundesstaatliche Ordnung auch europäisch eingebettet und verschränkt: „offene Staatlichkeit“ der Bundesrepublik Deutschland. Zur Integrationsorientierung des Grundgesetzes Kunig, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Abschn. 2 Rn. 21 ff.; Beutler, FS Böckenförde, S. 109 ff. 44 Eine Ausnahme von dieser Regel stellt Art. 32 Abs. 3 GG dar: Die Länder können, soweit sie über die Gesetzgebungszuständigkeit verfügen, Verträge mit auswärtigen Staaten abschließen (Voraussetzung: Zustimmung der Bundesregierung). Dazu 8. Kap. unter A. V. 2.

A. Das Drei-Ebenen-Modell als konzeptionelle Matrix

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[Art. 4 Abs. 2 EUzF]).45 Dies heißt freilich nicht, dass das Gemeinschaftsrecht von der Gliedstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland Kenntnis nimmt, im Gegenteil: es ist „landesblind“.46 Auch besitzen die Länder als Gliedstaaten des Gesamtstaates keine selbstständige europäische Rechtsposition.47 So sind sie etwa an den Verhandlungen von Kommission und Rat (formell) nicht beteiligt.

III. Fazit

Der Bundesstaat des Grundgesetzes lässt sich nur begreifen, wenn man seine doppelte Integrationsnatur48 (subnational und supranational) in den Blick nimmt. Diese kennzeichnet ihn mittlerweile wohl mehr als die „Unitarisierung“49. Neben dem dichten Netz der innerföderativen Verflechtung, sog. kooperativer Föderalismus50 – dieser bezeichnet das System der Zusammenord___________ 45 Art. 6 Abs. 3 EU (Art. 4 Abs. 2 EUzF) verpflichtet die EU, die „nationale Identität“ ihrer Mitgliedstaaten zu achten. Näheres bei Hilf/Schorkopf, in: Grabitz u.a., EUV/ EGV I, Art. 6 EUV Rn. 72 ff.; Epiney, EuR 29 (1994), S. 301 (306 ff.); vgl. Doehring, FS Everling I, S. 263 (271). 46 H. P. Ipsen, FS Hallstein, S. 248 (256). Auch das Subsidiaritätsprinzip i. S. des Art. 5 Abs. 2 EG (Art. 5 Abs. 3 EUzF) kennt lediglich die Ebenen Gemeinschaft/Mitgliedstaaten, erfasst also nicht interne Gliederungen der Mitgliedstaaten. – Die Existenz der deutschen Länder wird mit dem Vertrag von Lissabon erstmals explizit im EUVertragsrecht anerkannt: Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUzF verlangt von der Union die Achtung der jeweiligen nationalen Identität, wie sie in den grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen der Mitgliedstaaten „einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung“ zum Ausdruck kommt. 47 Dem steht nicht entgegen, dass die Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile, wie die anderen „Regionen“, d. h. alle regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der EU-Mitgliedstaaten, in einem EG-Organ vertreten sind: dem „Ausschuss der Regionen“ (Artt. 7 Abs. 2, 263 ff. EG [Art. 13 Abs. 4 EUzF, Artt. 300 Abs. 1, 3 u. 4, 305-307 AEU]). – Die Landesvertretungen in Brüssel erweitern das föderative Getriebe vornehmlich um Büros für „Frühwarnen, Werben, Repräsentieren“ (Graf Vitzthum, AöR 115 [1990], S. 281 [296]); krit. Joseph H. Kaiser: „Die Repräsentanz der Länder […] nach Art von Lobbyisten steht nicht im Einklang mit dem Charakter und dem Verantwortungsbereich der Länder als Staaten“ (Zitat nach Hrbek, in: ders./Thaysen, Länder, S. 17 [33]); vgl. Eschenburg, FS Hennis, S. 349 (356 f.). 48 Zur Integration im Bundesstaat bereits Smend, in: ders., Abhandlungen, S. 119 (226): „der Einzelstaat als die notwendige Integrationshilfe des Reiches“. 49 Von ihr war angesichts der Verlagerung diverser Gesetzgebungs- und mithin auch Vollzugskompetenzen von den Ländern auf den Bund bereits frühzeitig die Rede, s. grundlegend bereits 1962 (!) Hesse, Bundesstaat, S. 14 ff.; näher zum Unitarisierungstrend Stern, Staatsrecht I, S. 747 ff.; Brenner, DÖV 1992, S. 903 (905 ff.); beide m.w.N. – Freilich waren es die Länder selbst, die den Kompetenzverschiebungen über den Bundesrat zugestimmt haben. 50 Der kooperative Föderalismus ist derart exekutivlastig, dass mit Fug von „Exekutivföderalismus zu Lasten der Landesparlamente“ (so bereits Heyen, Staat 21 [1982], S. 191 [191]) gesprochen wird; „getroffen“ wird „die demokratische Staatlichkeit der Länder“, was Walter Leisner schon sehr früh deutlich gemacht hat, s. dens., DÖV 1968,

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1. Kap.: Das Drei-Ebenen-Modell

nung und der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern51 wie auch (hinsichtlich Zulässigkeit und dogmatischer Einordnung davon zu unterscheiden) zwischen den Ländern untereinander52 – ist dieser doppelte Verflechtungsvorgang gekennzeichnet durch das Eingeflochtensein53 nicht nur des Gesamtstaates Bundesrepublik Deutschland, sondern in zunehmendem Maße auch seiner Glieder in die EU/EG. Gleichwohl sind die drei aus deutschen Ländern, Bundesrepublik Deutschland und EU/EG gebildeten Ebenen qualitativ nicht gleichwertig. Bei der Bundesrepublik Deutschland und den deutschen Ländern handelt es sich um Staaten, bei der EU hingegen um einen Staatenverbund. Auch in absehbarer Zeit wird sich die EU/EG nicht zu einem Staat im traditionellen Sinn entwickeln,54 wenngleich sich im Zuge des Prozesses ihrer Vertiefung55 in Ansätzen eine ___________ S. 389 (390). – Die Ausweitung derartiger kooperativer Verhaltensabstimmungen (bundesstaatspolitisch eine Alternative zur weiteren Unitarisierung!) erscheint insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips als nicht unproblematisch: Der kooperative Föderalismus führt zu einer „Diffusion der politischen Verantwortung“ (Scharpf, PVS 26 [1985], S. 323 [349]). Dazu aus jüngerer Zeit etwa Oeter, Integration, S. 393 ff., sowie unlängst Oschatz, in: Merten, Bundesrat, S. 135 ff. 51 Die Zahl der Bund-Länder-Kommissionen (etwa: Planungsausschüsse der Gemeinschaftsaufgaben etc.) war zwischenzeitlich auf über 300 gestiegen, s. Rau, in: Bundesrat, Verfassungskonvent, S. 17 (20); eingehend Sommermann, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 20 Rn. 44 ff. m.w.N. 52 Hauptinstrument dieser horizontalen Zusammenarbeit sind die Ministerpräsidentenkonferenz und die Ressortministerkonferenzen; als bekanntestes Beispiel sei auf die Kultusministerkonferenz verwiesen. Zu deren verfassungsrechtlicher Zulässigkeit Klatt, VerwArch 78 (1987), S. 186 (194 ff.); zu den verschiedenen Kooperationsformen zwischen den Ländern allg. Jutzi, FS Rudolf, S. 265 (269 ff.) m.w.N. 53 Hrbek, in: ders./Thaysen, Länder, S. 17 (17), spricht von „doppelter Politikverflechtung“. Erstmals zum Topos „Politikverflechtung“ Scharpf, in: ders. u.a., Politikverflechtung. 54 Jedenfalls mittelfristig steht kaum zu erwarten, dass die Mitgliedstaaten der EU auf die Kompetenz-Kompetenz verzichten. Es kommt nicht von ungefähr, dass auch die (gescheiterte) EV die EU nicht als Bundesstaat strukturiert hatte. – Zu den Faktoren, die eine Entwicklung der EU/EG zum Bundesstaat beschleunigen könnten, Scharpf, Optionen, S. 117; zum Ganzen v. Simson/Schwarze, Integration, insbes. S. 3 ff., 41 ff., 65 ff. 55 Zur Frage, inwiefern sich eine Fortentwicklung der EU im Gefüge des Grundgesetzes vorstellen lässt, ob insoweit also die Änderungssperre des Art. 79 Abs. 3 GG greift, finden sich verschiedene Ansätze. Nach der einen Auffassung wäre eine Änderung oder gar Aufhebung des Art. 79 Abs. 3 GG erforderlich, s. etwa P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 183 Rn. 60; P. M. Huber, Recht, § 3 Rn. 35 ff.; Di Fabio, Staat 32 (1993), S. 191 (205 f.). Nach dem wohl überwiegenden Teil der Lehre unterliegt jedenfalls ein schrittweises Hineinwachsen der Bundesrepublik Deutschland in einen europäischen Bundesstaat nicht der Änderungssperre des Art. 79 Abs. 3 GG, sofern Bund und Ländern im übrigen hinreichend staatliche Substanz verbleibt, s. etwa Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rn. 63; Sommermann, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 20 Rn. 59 ff.; Grewe, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III (2. Aufl.), § 77 Rn. 75; Lerche, FS Redeker, S. 131 (132 ff., 141 f.); Tomuschat, EuGRZ 1993, S. 489 (493 f.). Dem Deutschen Bundestag müssten freilich „Aufgaben und Befugnisse von substantiel-

A. Das Drei-Ebenen-Modell als konzeptionelle Matrix

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dreigliedrige Föderation (Länder, Bundesrepublik Deutschland, EU/EG) abzuzeichnen beginnt56 und vereinzelt bereits heute von einer „dreistufigen föderalen Verfassung“ der EU die Rede ist:57 Noch besteht im Hinblick auf das Ziel der Europäischen Integration Klärungsbedarf,58 was etwa den Grad der Aufgabe der nationalen Souveränität oder die künftige Gestalt der EU angeht.59 Das Drei-Ebenen-Modell von deutschen Ländern, Bundesrepublik Deutschland und EU/EG ist daher nicht als Beschreibung der Rechtswirklichkeit, sondern als konzeptionelle Matrix zu verstehen. Vor dem Hintergrund der Verzahnung der Rechtsordnungen von EU/EG und Bundesrepublik Deutschland soll es einen geschärften Blick auf die Wirksamkeit der Staatszielbestimmungen von Bund und Ländern ermöglichen. Zugleich soll es helfen, die Divergenzen und Konkurrenzen dieser Zielvorgaben zu systematisieren. Sofern im Laufe der Untersuchung von höheren oder niedrigeren Ebenen gesprochen wird, dient dies allein der verdeutlichenden Differenzierung. Rechts___________ lem Gewicht verbleiben“ (vgl. BVerfGE 89, 155 [186]), und der Garantiegehalt des Art. 79 Abs. 3 GG müsste verfassungsänderungsfest in die europäische Verfassung, die sich ein europäisches Staatsvolk (nicht die Angehörigen der Mitgliedstaaten!) zu geben hätte, eingehen. – Das Bundesverfassungsgericht hat die Grenzen deutscher Mitwirkung an der EU im Lissabon-Urteil v. 30.6.2009 (BVerfG NJW 2009, S. 2267 ff.) jüngst eindrucksvoll umrissen: Den Mitgliedstaaten muss etwa „ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse“ bleiben (S. 2267, 2273). 56 Dazu (unter Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip) Graf Vitzthum, in: ders./Winkelmann, Bosnien-Herzegowina, S. 177 (192). – Der Föderalismus gewinnt modellhaften Charakter für die Weiterentwicklung der Europäischen Union (dazu Hilf/T. Stein/ Schweitzer/Schindler, VVDStRL 53 [1994], S. 7 ff./26 ff./48 ff./70 ff.). In welche Richtung auch immer diese Entwicklung verlaufen mag, eine „immer engere Union der Völker Europas“ (Art. 1 Abs. 2 EU [Art. 1 Abs. 2 EUzF]) ist nicht als europäischer Zentralstaat vorstellbar, sondern allenfalls als föderatives Konstrukt; dazu Kugelmann, FS Rudolf, S. 157 (158 f.); Hahn, in: Melchert u.a., Europa, S. 619 (634 f.); allg. zum Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung K. Heckel, Föderalismus. 57 So etwa Pernice, in: Dreier, GG II, Art. 23 Rn. 24; vgl. dens., DVBl. 1993, S. 909 (921 ff.); Badura, FS Heckel, S. 695 ff., der die „föderative Verfassung“ der EU untersucht; zur EU/EG als „föderatives ‚Mischsystem’“ Oeter, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 59 (71 ff.); Everling, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 847 (889 f.); vgl. Müller-Graff, FS Scholz, S. 705 (710 ff.). 58 Anders sieht dies (gestützt auf das Argument, einer Kultur könne man kein Ziel vorgeben) Häberle, DVBl. 2000, S. 840 (845). 59 Dereinst mag aus dem Integrationsprozess durchaus ein (dreigliedriger) europäischer Bundesstaat erwachsen. Zu den Hürden für dessen Bildung aus bundesrepublikanischer Sicht soeben unter A. III., Fn. 55; vor dessen Gefahren warnt Philipp, ZRP 1992, S. 433 (434 f.);. – Bislang gibt es die Konstruktion eines in einen Bundesstaat integrierten Bundesstaates lediglich auf dem Balkan im Zwitterzustand eines Protektorats der Internationalen Gemeinschaft; zur daraus resultierenden föderalen Struktur BosnienHerzegowinas Markert, in: Graf Vitzthum/Winkelmann, Bosnien-Herzegowina, S. 87 (88 ff.).

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1. Kap.: Das Drei-Ebenen-Modell

grundsätzliche Aussagen, etwa im Sinne einer generellen Überordnung des Gesamtstaates über die deutschen Länder, sind damit nicht beabsichtigt. Gleiches gilt, wenn die Inter-Ebenen-Sicht als vertikale Perspektive (in Abgrenzung zur horizontalen Intra-Ebenen-Sicht) bezeichnet wird.

B. Verfassungsrecht auf drei Ebenen Die Ebenen EU/EG, Bundesrepublik Deutschland und deutsche Länder sind zwar qualitativ nicht gleichwertig. Verfassungsrecht findet sich jedoch auf allen drei Ebenen.60 Der Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland kennt die Verfassung des Gesamtstaats (Grundgesetz) wie auch die der Länder (Landesverfassungen). Infolge ihrer Staatsqualität61 können sich die Länder aus eigenem62 Recht eine von ihnen selbst bestimmte Verfassung63 geben.64 Von dieser gliedstaatlichen Verfassungshoheit65 haben alle Länder Gebrauch gemacht.66 Diese entfaltet sich freilich nicht allein in der Verfassunggebung, sondern auch in der Spruchtätig___________ 60

Zum Verfassungsrecht im Drei-Ebenen-Modell, also der Frage der normativen Bedeutung der Staatszielbestimmungen, im Zweiten Teil der Arbeit. 61 Dazu oben unter A. I. 62 Die verfassunggebende Gewalt der Länder ist „weder vom Bund abgeleitet noch überhaupt durch das Grundgesetz legitimiert oder gar mitkonstituiert“ (H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 [750]). 63 Dabei kann es sich um ein bloßes Organisationsstatut wie auch um eine Vollverfassung handeln. Als Organisationsstatut wird eine Verfassung bezeichnet, die auf die (für jedwede Verfassung unentbehrliche) Organisation der Staatsgewalt, auf das organisatorische Gefüge (das Institutionelle also) beschränkt ist, s. BVerfGE 1, 14 (34); Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (865). Eine Vollverfassung enthält hingegen auch materiale Regelungen wie etwa Grundrechte. 64 s. dazu BVerfGE 36, 342 (360 ff.); Stern, Staatsrecht I, S. 13, 667 f. – Entscheidend für die Staatlichkeit der Länder sind allein materielle Aspekte (zu ihnen unter A. I.), nicht formelle wie das Vorliegen einer Verfassungsurkunde, s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (23). Die Länder sind also nicht etwa wegen ihrer Verfassungen Staaten, s. BVerfGE 34, 9 (19). 65 Z. T. ist insofern auch von „Verfassungsautonomie“ der Länder die Rede; in diesem Sinn zuletzt BVerfG BayVBl. 1999, S. 207 (209); Dreier, in: ders., GG II, Art. 28 Rn. 51, 53. Der Staatsqualität der Länder eher gerecht wird der Begriff „Gliedstaatenverfassungshoheit“, s. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 28 Rn. 5 m.w.N.; zum Ganzen Boehl, Verfassunggebung, S. 171 ff. 66 Dazu 3. Kap. unter B. – Es besteht keine Pflicht zur formellen Verfassunggebung in den Ländern, s. Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 22; a.A. Dittmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 127 Rn. 28. Zur Entwicklung des heutigen (materialen) Verfassungsverständnisses, das über den formalen Verfassungsbegriff hinausgeht, Stern, Staatsrecht I, S. 72 f.; zur Differenzierung zwischen formeller und materieller Verfassung grundlegend Jellinek, Staatslehre, S. 505, 534.

B. Verfassungsrecht auf drei Ebenen

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keit der Landesverfassungsgerichte bzw. Staatsgerichtshöfe der Länder.67 Das Grundgesetz erkennt die Verfassungshoheit der Länder – nicht Grund, sondern wichtigstes Signum ihrer Staatlichkeit68 – durch Art. 28 Abs. 1 GG im Allgemeinen bzw. (für den Grundrechtsbereich) durch Art. 142 GG im Besonderen an. Daraus lässt sich ableiten, dass die Verfassungsordnungen von Bund und Ländern nach dem Grundgesetz grundsätzlich selbstständig neben einander stehen,69 der Bund also in die Verfassungsordnung der Länder grundsätzlich nicht eingreifen darf70 (Grundsatz der getrennten Verfassungsräume von Bund und Ländern).71 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gibt es indes Normen des Grundgesetzes, die als „ungeschriebene Bestandteile [...] der Landesverfassungen“ unmittelbar verpflichtend in diese hineinwirken sollen.72 ___________ 67 Vgl. Stern, in: Starck/Stern, Landesverfassungsgerichtsbarkeit I, S. 1 (24): Gründung der Landesverfassungsgerichtsbarkeit „auf den Willen der verfassunggebenden Gewalt des Volkes, des Landesvolkes“. 68 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR VI, § 126 Rn. 80: Verfassungshoheit als „Grundausstattung der Staaten“; Eichenberger, FS H. Huber, S. 155 (165 f., 168); Boehl, Staat 30 (1991), S. 572 (582). – Als Ausdruck der Eigenständigkeit der Länder sind die Landesverfassungen für die Bestimmung und Sicherung der Identität der Länder wesentlich, s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (24); Grawert, NJW 1987, S. 2329 (2330); vgl. Stiens, Chancen, S. 24, 318. Zur Identität der Länder als Element der Rechtfertigung des Bundesstaats oben unter A. I. 69 So die st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. bereits BVerfGE 4, 178 (189); 6 , 376 (381 f.); 22, 267 (270); 27, 44 (55); 36, 342 (357); 41, 88 (118); 60, 175 (207 ff.); 64, 301 (317); 90, 60 (84); 96, 345 (368 f.); 99, 1 (11 f.); zuletzt BVerfG DVBl. 2001, S. 1415 (1416); s. Stern, Staatsrecht I, S. 13. Krit. zu dieser „Metapher“ Sobota, DVBl. 1994, S. 793 (796 f.). 70 s. BVerfGE 1, 14 (34); 11, 77 (85 f.). – Die Verfassungshoheit der Länder nimmt am Schutz des Bundesstaatsprinzips teil; eine Verpflichtung auf die Übernahme des Grundgesetzes verstieße gegen Art. 79 Abs. 3 GG. 71 Diesem Grundansatz korrespondierend erkennt das Bundesverfassungsgericht in st. Rspr. (s. bereits BVerfGE 4, 178 [189]; 69, 112 [117]) der Landesverfassungsgerichtsbarkeit im Rahmen ihres Rechtskreises die Funktion als oberster Hüter des Rechts und die Aufgabe dessen letztverbindlicher Auslegung zu. Ihr obliegt auch die inzidente Prüfung, ob die Bestimmungen der Landesverfassung, also ihr Prüfungsmaßstab, mit Bundesrecht in Einklang stehen, s. Stern, Staatsrecht I, S. 708; Tilch, in: Starck/Stern, Landesverfassungsgerichtsbarkeit II, S. 551 (558). Formelle, nachkonstitutionelle Landesnormen wegen Verstoßes gegen Bundesrecht für nichtig erklären darf hingegen allein das Bundesverfassungsgericht (arg. e Art. 100 Abs. 1 S. 2 GG), s. BVerfGE 1, 184 (197); 2, 124 (128); 22, 373 (378). – Nach der Rspr. des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs führen offensichtliche Verstöße gegen Bundesrecht zu einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 BayVerf (Rechtsstaatsprinzip); grundlegend (unter Aufgabe der vorigen Rechtsprechung) BayVerfGHE 41, 59; 45, 33 (45); BayVerfGH BayVBl. 1995, S. 270 (272). Diese Rechtsprechung greift zu kurz. Das landesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzips bezieht sich von seiner Schutzrichtung her nicht auf Bundesrecht. Näheres bei Rozek, Grundgesetz, S. 219 f. 72 s. BVerfGE 1, 208 (227, 232 f.); 13, 54 (79 f.); 23, 33 (39); 66, 107 (114); 85, 353 (359); Löwer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II (1. Aufl.), § 56 Rn. 126.

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1. Kap.: Das Drei-Ebenen-Modell

Demnach bestünden die gliedstaatlichen Verfassungen aus diesen Bestandteilsnormen73 und den Vorschriften der jeweiligen Landesverfassungsurkunde.74 Der Konstruktion des solchermaßen in die Landesverfassung hineinwirkenden Bundesrechts kann nicht gefolgt werden.75 Bundesrecht ist niemals zugleich Landesrecht: Bundesrecht wird von Bundesorganen, Landesrecht hingegen ausschließlich von Landesorganen erlassen.76 Auch würde die Inkorporation von Normen des Grundgesetzes in die Landesverfassung, also derivatives Landesverfassungsrecht, die von Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG anerkannte Verfassungshoheit der Länder konterkarieren.77 Mit der Staatsqualität der Länder wäre dies nicht vereinbar. Soweit im Zuge landesverfassungsrechtlicher Rechtsvergleichung (zwecks komparativer Verfassungsauslegung) Kongruenzen festgestellt werden, lässt sich dieses gleichlautende Regelungen beinhaltende Verfassungsrecht der Länder mit Fug als gemeingliedstaatliches Verfassungsrecht bezeichnen. Hierbei handelt es sich indes (lediglich) um eine Kategorie der Systematisierung.78 Als ___________ 73 Als solche hat das Bundesverfassungsgericht wegen „ihrer fundamentalen Bedeutung“ etwa Art. 21 GG (BVerfGE 1, 208 [232 f.]; 13, 54 [79 f.]; 60, 53 [62]; 66, 107 [114]) und die in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG niedergelegte Rundfunkfreiheit bezeichnet (BVerfGE 13, 54 [80]; 60, 175 [209]). Unter Hinweis auf diese Rechtsprechung hat der Berliner Verfassungsgerichtshof in seiner umstrittenen „Honecker-Entscheidung“ von Art. 1 Abs. 1 GG als einem „konstitutiven Element der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern“ gesprochen, s. BerlVerfGH LVerfGE 1, 56 (61); ebenso für Art. 21 Abs. 1 GG BerlVerfGH LKV 1996, S. 133 (132). – Die Kriterien, aus denen sich ergibt, dass es sich um eine Bestandteilsnorm handelt, bleiben letztlich im Dunkeln; zu Recht krit. Storr, ThürVBl. 1997, S. 121 (125); Lerche, FS Zacher, S. 525 ff. 74 s. BVerfGE 1, 208 (232); 4, 375 (378); 6, 367 (375); 13, 54 (80); 23, 33 (39); 27, 44 (54); 60, 53 (61); 66, 107 (114); zustimmend Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 100 Rn. 49; Stern, in: BK, Art. 99 Rn. 32, 41; Lerche, VVDStRL 21 (1964), S. 66 (84 Fn. 65); Jutzi, ThürVBl. 1993, Sonderheft, S. B 15 (16); vgl. Pestalozza, NVwZ 1987, S. 744 (750). 75 Vgl. Lerche, FS Zacher, S. 525 (528): „elementare Fehlvorstellung“ des Bundesverfassungsgerichts; Bethge, AöR 110 (1985), S. 169 (196 f.). 76 Die Unterscheidung von Bundes- und Landesrecht muss an der Rechtsquelle ansetzen. Dazu März, Bundesrecht, S. 181 f. 77 s. etwa Dreier, in: ders., GG II, Art. 28 Rn. 54: „Umgehung des Art. 28 Abs. 1 GG“; Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 32: „Verkehrung des Art. 28 Abs. 1“; vgl. März, Bundesrecht, S. 180 f. Vgl. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (11), der „Bestandteilsnormen“ nicht als solchermaßen derivates Landesverfassungsrecht einordnet; ähnlich Grawert, NJW 1987, S. 2329 (2331). 78 Vgl. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (13 f.); a.A. Häberle, JöR 34 (1985), S. 303 (340 ff.): Es handele sich um subsidiär geltendes Recht (ebd., S. 345); ähnlich Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (866 Fn. 107), der im Wege „’gemeindeutscher’ Ersatzvornahme“ jedenfalls planwidrige Lücken geschlossen sehen will. – Der Begriff „gemeindeutsches Verfassungsrecht“ findet sich erstmals bei Häberle, JZ 1969, S. 613 (616 f.).

B. Verfassungsrecht auf drei Ebenen

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Rechtsquelle kennt der Bundesstaat des Grundgesetzes Verfassungsrecht nur auf der Ebene des Bundes und auf derjenigen der Länder – tertium non datur.79 Auch der Ebene der EU/EG ist Verfassungsrecht nicht fremd. Dies mag prima facie überraschen, handelt es sich bei der EU/EG doch um keinen Staat, sondern um einen Staatenverbund.80 Obgleich gelegentlich bestritten wird, dass supra- bzw. internationale Organisationen „konstitutionalisiert“ werden können,81 wird der Normenkomplex der Gründungsverträge (das sog. Primär-82 in Abgrenzung zum Sekundärrecht83) als EU-/EG-Verfassung verstanden.84 Die ___________ 79 Abzulehnen ist es daher, wenn der Thüringer Verfassungsgerichtshof mittels Annahme einer „gemeindeutschen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung“ zu Art. 28 Abs. 2 GG als „mittelbarem“ Prüfungsmaßstab bei der Überprüfung von Landesrecht gelangt, s. ThürVerfGH ThürVBl. 1996, S. 209 (210); zur Kritik dieser in der (bundeswie auch in der landes-)verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung einmaligen Konstruktion des Thüringer Verfassungsgerichtshofs etwa Storr, ThürVBl. 1997, S. 121 (123 ff.). – Eine dritte (allerdings vertragliche) Rechtsebene kann im Bundesstaat des Grundgesetzes durch Vertragsschluss zwischen Bund und Ländern oder zwischen Ländern untereinander begründet werden. 80 s. oben unter A. II. 81 Dazu Hirsch, NJW 2000, S. 46 (46 f.); Piris, EuR 35 (2000), S. 311 (315); Koenig, DÖV 1998, S. 268 (275): keine „Verfassungsfähigkeit“ der EU; vgl. Isensee, FS Everling I, S. 567 (580 f.); Skizze der Argumentationsstränge in Rechtsprechung und Schrifttum bei Calliess, in: ders./Ruffert, Verfassung, Art. I-1 Rn. 15 ff. m.w.N. – Der auf „Konstitutionalisierung“ zielende Europäische Verfassungskonvent sah sich insoweit nicht beeinträchtigt. Das Vorhaben, der EU eine Verfassung im formellen Sinn zu geben, ist mit den die EV ablehnenden Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gleichwohl auf absehbare Zeit gescheitert: Für den Vertrag von Lissabon, der die Substanz der EV (im Gegensatz zu deren staatsähnlicher Terminologie) weitgehend beibehält, wurde das Verfassungskonzept bekanntermaßen aufgegeben. 82 Das primäre Gemeinschaftsrecht umfasst neben den Gründungsverträgen die ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die der Europäische Gerichtshof im Wege des Vergleichs der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und aus internationalen Verträgen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention gewonnen hat (hierzu etwa Grabitz, NJW 1989, S. 1776 [1781]), sowie das Gewohnheitsrecht der Gemeinschaft (dazu Ehlers, DVBl. 1991, S. 605 [606]). – Zum Verhältnis zwischen Europäischer Menschenrechtskonvention und Charta der Grundrechte der Europäischen Union „nach Lissabon“ Art. 52 Abs. 3 EUGC; Schwarze, in: ders., EU, Einführung Rn. 33. 83 Zum sekundären Gemeinschaftsrecht zählen diejenigen Rechtsakte, zu denen die Gemeinschaftsorgane durch die Gründungsverträge befugt sind (dazu oben unter A. II., Fn. 36), und das sog. „soft-law“, das namentlich politischen Gehalt hat, s. T. Stein/ v. Buttlar, Völkerrecht, Rn. 32, 457; Bothe, FS Schlochauer, S. 761 (765). – Das sekundäre Gemeinschaftsrecht ist vom Rang her unter dem primären anzusiedeln. Nach dem Prinzip der Normabstufung (vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 2 EG [Art. 13 Abs. 2 S. 1 EUzF]: Die Organe handeln „nach Maßgabe der [...] in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse“) steht das Primärrecht an der Spitze der Normenhierarchie; im Einzelnen Haag, in: Bieber u.a., Union, § 6 Rn. 50 ff. 84 s. Streinz, in: ders. u.a., Lissabon, § 1 S. 5 f.; Oppermann u.a., Europarecht, § 5 Rn. 5; Badura, FS Stern, S. 409 (411); Möllers, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 1 (36 ff.); Zuleeg, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 931 (933 ff.); Pernice, VVDStRL

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1. Kap.: Das Drei-Ebenen-Modell

verfassunggebende Gewalt liegt freilich, wie auch die Kompetenz-Kompetenz,85 bei den Mitgliedstaaten als den „Herren der Verträge“: Änderungen des Primärrechts treten in Kraft, nachdem sie von diesen gemäß deren verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind, s. Art. 48 Abs. 3 EU (Art. 48 Abs. 4 UAbs. 2 bzw. Abs. 6 UAbs. 2 S. 3 EUzF).86

___________ 60 (2001), S. 148 (150 ff.); vgl. bereits Stern, Staatsrecht I, S. 542: „Verfassungsrecht der Gemeinschaft“. 85 Zur Kompetenz-Kompetenz oben unter A. II. 86 Zum „Konventsverfahren“ als ordentlichem Änderungsverfahren (Art. 48 Abs. 25 EUzF) und dem vereinfachten Verfahren nach Art. 48 Abs. 6-7 EUzF – für dieses bedarf es keiner Regierungskonferenz – BVerfG NJW 2009, S. 2267 (2281 ff.); Herrnfeld, in: Schwarze, EU, Art. 48 EUV Rn. 17 f.; Ohler, in: Streinz u.a., Lissabon, § 4 S. 42 ff.; beide m.w.N. – Eingehend zur Integrationsverantwortung von Bundestag und Bundesrat mit Blick auf die von Art. 48 Abs. 6-7 EUzF eröffnete Möglichkeit, Vertragsänderungen ohne Ratifikationsverfahren herbeizuführen, jüngst BVerfG NJW 2009, S. 2267 (2267, 2281 ff., 2294 f.).

2. Kapitel

Begriffsklärung A. Staatszielbestimmung I. Definition

Der Ausdruck „Staatszielbestimmung“ geht, soweit ersichtlich, auf Hans Peter Ipsen zurück. In einer von ihm im Jahr 1949 über das Grundgesetz gehaltenen Rede1 findet sich erstmals die entsprechende Begriffsbildung.2 Der Begriff „Staatszielbestimmung“ ist damit ein noch recht junger verfassungsdogmatischer Terminus. Nachdem Ulrich Scheuner in einem Aufsatz3 aus dem Jahr 1972 das Staatszielverständnis des Bundesverfassunsgerichts4 dogmatisch verfestigt hatte, wurden die Staatszielbestimmungen durch den Bericht der 1981 von den Bundesministern des Innern und der Justiz berufenen Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge“ als eigenständige Normkategorie des materiellen Verfassungsrechts etabliert. Die von dieser Kommission erarbeitete Definition des Begriffs „Staatszielbestimmung“ ist heute allgemein anerkannt.5 Demnach handelt es sich bei Staatszielbestimmungen um „Verfassungsnormen mit objektiv-rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben – sachlich

___________ 1

s. H. P. Ipsen, Grundgesetz, S. 14 f.; ders., VVDStRL 10 (1952), S. 74 (85). Die Begriffsbildung erfolgte im Hinblick auf den Begriff „Staatsformbestimmung“, s. H. P. Ipsen, AöR 103 (1978), S. 413 (423). Der Topos „Staatsformbestimmung“ wiederum stammt, soweit ersichtlich, von Kurt Wilk, der in einer 1932 verfassten Arbeit den Staatsformbestimmungen der Weimarer Reichsverfassung nachging, s. dens., Staatsformbestimmung. 3 Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 ff. 4 Vgl. etwa zum Sozialstaatsprinzip BVerfGE 22, 180 (204) aus dem Jahr 1967 nach dem zurückhaltenden Beginn in BVerfGE 1, 97 (105) im Jahr 1951. 5 s. Badura, Staatsrecht, D Rn. 42; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 4; Graf Vitzthum, GS Grabitz, S. 819 (828); Hesse, KritV 76 (1993), S. 7 (11); H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (733); Merten, DÖV 1993, S. 368 (370); Ossenbühl, DVBl. 1992, S. 468 (475); Wienholtz, AöR 109 (1984), S. 532 (552); vgl. Riegler, Konflikte, S. 43 m.w.N. 2

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2. Kap.: Begriffsklärung

umschriebener Ziele – vorschreiben“.6 Diese Definition hat die (auf der Grundlage von Art. 5 EVertr.7 gebildete) Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat (GVK) übernommen.8 Sie liegt auch den (wenigen) Legaldefinitionen9 zugrunde. Staatszielbestimmungen sind also rechtlich verbindliche Grundsätze und normative Leitlinien für das Handeln des Staates,10 „dirigierende Verfassungsgehalte“ im Sinne Peter Lerches.11 Dies sind sie indes nicht allein für gegenwärtiges staatliches Handeln, sondern sie sind als Leit- und Richtlinien (auch) in die Zukunft gerichtet bzw. zukunftsorientiert:12 Staatszielbestimmungen zeichnen sich insbesondere durch einen sehr dynamischen Zug aus. Im Allgemeinen können sie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt als erreicht angesehen werden. Aus dem Wandel etwa der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen ergeben sich vielmehr fortlaufend neue Anforderungen an die Zielverwirklichung, und so stellt sich die Frage nach der Umsetzung der Zielvorgaben im Regelfall immer wieder neu. Eine endgültige Zielverwirklichung ist folglich meist ausgeschlossen. Im Regelfall geben Staatszielbestimmungen also keine perfektiblen, sondern permanente Ziele vor.13 Es greift daher zu kurz, wenn mit Blick auf die Staatszielbestimmungen zu vernehmen ist, diese ließen „sich nur als politische Programmatik ohne eigen___________ 6

s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 21 Rn. 7; krit. zur Gleichsetzung von Aufgaben und Zielen etwa Michel, Staatszwecke, S. 112. 7 EVertr. v. 31.8.1990 (BGBl. II, S. 889). 8 s. Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 77. Näher zu Ein- und Zusammensetzung, Arbeitsgrundlage und Auftrag dieses Novums in der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland etwa Scholz, ZG 9 (1994), S. 1 (1-5). – Die Ergebnisse der GVK (BT-Drs. 12/6000; Überblick bei Scholz, a.a.O., S. 8-34) werden durchweg positiv bewertet von denjenigen, die dem Grundgesetz allenfalls geringfügigen Änderungsbedarf attestierten, eher negativ bzw. kritisch hingegen von denen, die infolge der gesellschaftlichen Entwicklungen weiträumigere Reformen für erforderlich hielten. Für das erstgenannte „Lager“ seien (statt vieler) Isensee, NJW 1993, S. 2583 (2586 f.), und Jahn, DVBl. 1994, S. 177 (186 f.), genannt, für das zweitgenannte H.-P. Schneider, NJW 1994, S. 558 (559 ff.) und H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (498). 9 s. allein Art. 13 SächsVerf, Art. 3 Abs. 3 SaAnVerf und Art. 43 ThürVerf: Diese Normen verpflichten das betreffende Land, die Staatszielbestimmungen nach Kräften (im Fall von Art. 43 ThürVerf zudem im Rahmen seiner Zuständigkeiten) anzustreben und sein Handeln danach auszurichten. 10 s. Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 (335 f.); Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (20 ff.). 11 Peter Lerche hat bereits früh den Terminus „dirigierende Verfassung“ geprägt, s. Lerche, Übermaß, S. 61 ff., und gelehrt, dass „dirigierende Verfassungsgehalte“ stetigen staatlichen Vollzug des sich immer wieder neu aktualisierenden Verfassungsauftrags verlangen (S. 64 f.). 12 s. Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 (335 f.); P. Neumann, in: ders./Tillmanns, Probleme, S. 77 (83). 13 Grundlegend zur Unterscheidung zwischen perfektiblen und permanenten Staatszielbestimmungen Sommermann, Staatsziele, S. 380 f.

A. Staatszielbestimmung

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ständigen rechtlichen Gehalt verstehen“.14 Die Staatszielbestimmungen sind als Direktiven für das staatliche Handeln zwar regelmäßig sehr allgemein bzw. offen gefasst: Als solche formulieren sie weder konkrete Handlungsaufträge für den Staat, noch begründen sie konkrete Handlungspflichten.15 Dies ändert aber nichts an ihrer rechtlichen Verbindlichkeit.16 Mit Blick auf die Adressaten soll an dieser Stelle nur Folgendes festgehalten werden: Staatszielbestimmungen wenden sich als „verfassungsrechtliche Wertentscheidungen“17 an alle Staatstätigkeit ausübenden Stellen, und zwar primär an die Legislative als Handlungs- und Gestaltungsauftrag, sekundär auch an die Exekutive und Judikative.18

II. Abgrenzung von anderen Normtypen und Begriffen

Mit Blick auf die einzelnen verfassungsrechtlichen Normtypen ist eine durchaus verwirrende Terminologie zu konstatieren.19 Dies hat seine Ursache nicht zuletzt in der Vielzahl der unterschiedlich gelagerten Systematisierungsversuche. Je nach Zweck und Ziel der Typisierung sind andere Differenzierungen angezeigt und unterschiedliche Termini geboten.20

___________ 14 So aber Würtenberger, in: Merten/Schreckenberger, Kodifikation, S. 115 (124); ebenso Brenne, Grundrechte, S. 163 f.: „Staatszielbestimmungen [...] lassen sich nur als politische Programmatik ohne eigenständigen rechtlichen Gehalt verstehen“. Ähnlich H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (755): „Will man sie [die durch die Staatszielbestimmungen geregelten Bereiche] nicht zur völligen Wirkungslosigkeit verurteilen, darf es bei ihrem Verständnis als ‚Gesetzgebungsaufträge’ und ‚Staatszielbestimmungen’ nicht sein Bewenden haben“. 15 s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 24 Rn. 12; Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 46; ebenso bereits H. P. Ipsen, Grundgesetz, S. 8 f. 16 s. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 10. 17 s. Graf Vitzthum, ZfA 22 (1991), S. 695 (698); Brunner, Problematik, S. 9: „Bestandteile der verfassungsrechtlichen Wertordnung“. 18 s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 21 Rn. 7; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 5; H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (733 f.); Limbach, FS Helmrich, S. 279 (283 f.); Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (23); ebenso bereits Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 (335 ff.). – Näheres unten unter A. III. 19 Allein mit Blick darauf, dass das Grundgesetz Akte des Gesetzgebers zu „initiieren, dirigieren und limitieren“ vermag, nennt Stern, Staatsrecht I, S. 85 f. m.w.N., „Verfassungsaufträge”, „Verfassungsdirektiven” und „Leitgrundsätze“. 20 Vgl. exemplarisch die Ansätze von Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 159, und Sachs, ZG 6 (1991), S. 1 ff.

66

2. Kap.: Begriffsklärung

1. Gesetzgebungsaufträge Gesetzgebungsaufträge weisen die Legislative an, in einer näher bestimmten Weise tätig zu werden. Sie machen inhaltliche (ggf. auch zeitliche) Vorgaben für eine erst zukünftige, genauer: noch zu erlassende Regelung des einfachen Rechts. Diese Aufträge haben folglich ebenso wie die Staatszielbestimmungen einen eher dynamischen Charakter. Beide halten den Staat zum Tätigwerden an, beide sind auf Veränderungen in der Zukunft ausgerichtet. Gleichwohl bestehen zwischen Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträgen auch gewichtige Unterschiede. Letztere wenden sich ihrer Bezeichnung (und Formulierung)21 entsprechend allein an die Legislative:22 Unmittelbar verpflichtend sind sie allein für den Gesetzgeber.23 Demgegenüber sind Staatszielbestimmungen, wie gesagt,24 von allen Staatsgewalten unmittelbar zu beachten. Dieser mit Blick auf den Adressatenkreis bestehende Unterschied darf allerdings nicht zu scharf gezeichnet werden. Mitunter sind die beiden Normtypen einander insoweit angenähert, als manchen Gesetzgebungsaufträgen auch Wertentscheidungen entnommen werden können, die Exekutive und Judikative (etwa bei der Ermessensausübung) zu beachten haben.25 Ein weiterer Anknüpfungspunkt für die Differenzierung zwischen solchen Aufträgen und Staatszielbestimmungen besteht darin, dass diese dem Gesetzgeber regelmäßig mehr Spielraum bei der Umsetzung lassen als jene. Staatszielbestimmungen umschreiben die Beachtung oder Erfüllung ihrer Vorgabe idealtypisch rein final. In ihrer Grundkonstellation legen sie das zu erreichende „Was“ verbindlich fest, nicht aber das „Wie“, d. h. idealtypisch haben die zuständigen staatlichen Stellen hinsichtlich der Wege und Mittel der Zielverwirklichung freie Wahl.26 Demgegenüber schreiben Gesetzgebungsaufträge dem Gesetzge___________ 21 Die für Gesetzgebungsaufträge gebräuchlichen Formulierungen lauten: „Das Nähere bestimmt ein Gesetz“, „das Nähere regelt ein Gesetz.“ oder „das Nähere ist durch Gesetz geregelt“, vgl. Art. 2 Abs. 3 SaAnVerf, Art. 28 Abs. 2 SaAnVerf, Art. 30 Abs. 5 BbgVerf. – Nicht als Gesetzgebungsauftrag einzuordnen ist demgegenüber die Formulierung „nach Maßgabe der Gesetze“ (etwa Art. 78 Abs. 3 SaAnVerf, Art. 33 SaAnVerf, Art. 30 Abs. 6 BbgVerf): Bei ihr handelt es sich um einen Gesetzesvorbehalt, also einen bloßen Verweis auf die jeweils bestehende Rechtslage, d. h. die Regelung ist unter den Vorbehalt der weiteren Konkretisierung durch kompetenzgemäß erlassene Gesetze gestellt. Dazu etwa v. Mangoldt, Verfassungen, S. 34. 22 s. Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (22); Michel, Staatszwecke, S. 204; vgl. Merten, DÖV 1993, S. 368 (370). 23 Vgl. Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 (346); Veith, Staatszielbestimmung, S. 94. 24 s. oben unter A. I. 25 s. (zu Art. 6 Abs. 5 GG) BVerfGE 8, 210 (216); 25, 167 (173); BVerwGE 29, 144 ff.; Müller-Bromley, Staatszielbestimmung, S. 45. 26 s. Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (24); Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 33; Sommermann, Staatsziele, S. 377 ff. Näher dazu und zur Frage des „Ob“ der Umsetzung unten unter A. III. 1.

A. Staatszielbestimmung

67

ber vor, dass und auf welche Weise er tätig zu werden hat; sie sind regelmäßig sehr viel konkreter gefasst als Staatszielbestimmungen.27 Dieser Unterschied gründet darin, dass sich Gesetzgebungsaufträge meist auf eine bestimmte Norm beziehen28 und (anders als die Staatszielbestimmungen in der Grundkonstellation) regelmäßig eher ausführende Ergänzungen denn grundsätzliche Fragen betreffen.29 Dem Gesetzgeber wird es denn auch meist möglich sein, jene Aufträge durch einmaliges Handeln zu verwirklichen.30 Die endgültige Verwirklichung von Staatszielbestimmungen ist dagegen, wie gesagt,31 regelmäßig nicht möglich. Nach alldem kann der vereinzelt vertretenen Ansicht, Gesetzgebungsaufträge seien letztlich nichts anderes als Staatszielbestimmungen,32 nicht gefolgt werden.

2. Programmsätze Programmsätze sind als unverbindliche Richtlinie für ein Tätigwerden des Staates einzuordnen.33 Sie fordern keinerlei konkrete Maßnahmen, und sie haben weder subjektiv- noch objektiv-rechtlichen Gehalt.34 Bei dem Terminus „Programmsatz“ handelt es sich also um keinen Oberbegriff für Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge.35 Im Unterschied zu diesen beiden ___________ 27

s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 23; Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 43 Rn. 5; Sommermann, DVBl. 1991, S. 34 (35); differenzierend ders., Staatsziele, S. 363 f. 28 s. Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (23); ebenso bereits Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 (339). 29 s. bereits Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 (334). 30 Nach seiner Umsetzung ist dem Gesetzgebungsauftrag eine gewisse Garantiewirkung zu Gunsten seines Inhalts zu entnehmen. Auch ist der Gesetzgeber ggf. zu Änderungen der einfachgesetzlichen Regelung verpflichtet. 31 s. oben unter A. I. 32 s. Riepe, Grundrechte, S. 168; Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (28). 33 s. BVerfGE 3, 239; 4, 57; 9, 286; Stern, Staatsrecht I, S. 544; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 25; a.A. Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 (346 f.), demzufolge Programmsätze von unverbindlichen Deklamationen zu unterscheiden sind: Programmsätze stellten sachliche Richtlinien für die Aktivitäten des Gesetzgebers dar; ebenso Bericht Sachverständigenkommission, S. 20 Rn. 6; ähnlich früher Maunz, BayVBl. 1975, S. 601 (602); a.A. inzwischen ders., BayVBl. 1989, S. 545 (545): völlig unverbindliche Qualität der Programmsätze. 34 Die bekanntesten Programmsätze stammen wohl aus der Verfassungsgeschichte: die Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung. Ihnen eignete (anders als denen des Grundgesetzes, vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) keine Rechtsverbindlichkeit, s. Anschütz, WRV, Bemerkung vor Art. 109, S. 515 f. 35 Dem steht es nicht entgegen, dass eine Norm, die von der überkommenen Ansicht als Programmsatz bezeichnet wird, richtigerweise eher als Staatszielbestimmung oder als

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2. Kap.: Begriffsklärung

Normtypen sind die Programmsätze als bloße Handlungsempfehlungen einzuordnen, also etwa als Gesetzgebungsprogramme ohne normativen Gehalt: Es handelt sich bei ihnen nicht um verbindliche Verfassungsnormen, die ein Minimum staatlicher Aktivität fordern. Die Zuordnung einer Vorschrift zu den Normtypen Programmsatz bzw. Staatszielbestimmung erfordert daher eine sorgfältige Auslegung. Dabei ist grundsätzlich diejenige Auslegung zu bevorzugen, die der betreffenden Norm zu mehr juristischer Wirkkraft verhilft: Den Verfassungsbestimmungen soll möglichst weitreichend normative Kraft zukommen.36 Eine Vorschrift wird demnach regelmäßig eher als Staatszielbestimmung denn als Programmsatz zu qualifizieren sein. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind in den Fällen angezeigt, in denen der Wille des Verfassunggebers bzw. des verfassungsändernden Gesetzgebers bei der Aufnahme der Vorschrift in die Verfassung dahin ging, lediglich eine unverbindliche Richtlinie bzw. eine Absichtserklärung ohne normativen Gehalt zu verankern, nicht aber ein bestimmtes Ziel verbindlich festzulegen und (abstrakte) Handlungspflichten zu begründen.37 Die vereinzelt vertretene Ansicht, Programmsätze seien letztlich nichts anderes als Staatszielbestimmungen,38 greift daher zu kurz. Die Grenze zwischen beiden Normtypen verläuft zwar fließend. Staatszielbestimmungen erschöpfen sich aber, wie dargelegt, gerade nicht in bloßer politischer Programmatik: Bei ihnen handelt es sich um verbindliche Verfassungsnormen.39

3. Grundrechte Die primäre Funktion der Grundrechte ist es, die öffentliche Gewalt rechtlich einzubinden und zu mäßigen, also die Freiheitssphäre des Individuums gegen staatliche Eingriffe zu schützen.40 Grundrechte sind in erster Linie subjektive ___________ Gesetzgebungsauftrag einzuordnen ist. Vgl. Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (28); MüllerBromley, Staatszielbestimmung, S. 40. 36 Zu diesem Grundsatz bereits BVerfGE 6, 55 (72); ebenso etwa E 39, 1 (38). 37 Vgl. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 38 m.w.N. 38 So etwa Riepe, Grundrechte, S. 168; ähnlich Kruis, in: Macke, Verfassung, S. 67 (67); vgl. Brenne, Grundrechte, S. 163 f.: Programmsätze und Staatszielbestimmungen hätten „keine unterschiedlich starke Wirkung“. Vgl. (mit Blick auf die Staatszielbestimmungen der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt) Kilian, LKV 1993, S. 73 (75), der Staatszielbestimmungen als stark zielorientierte Programmsätze bezeichnet. 39 s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 21 Rn. 7; ebenso Badura, Staatsrecht, D Rn. 42; Maunz, BayVBl. 1989, S. 545 (545). 40 So bereits BVerfGE 7, 198 (204 f.) – Lüth; st. Rspr.; vgl. Alexy, Theorie, S. 174; J. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 91, 104. – Die traditionelle Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe in individuelle Freiheiten folgt aus der geschichtlichen Entwicklung der Grundrechtsidee und den konkreten Vorgängen, die zur

A. Staatszielbestimmung

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Abwehrrechte des Einzelnen gegen staatliches Handeln. Es liegt daher immer dann kein Grundrecht vor, wenn sich die in Frage stehende Norm in einer lediglich objektiv-rechtlichen Gewährleistung erschöpft. Anders gewendet: Es gibt keine Grundrechtsbestimmung, die nicht zumindest auch ein subjektives Recht enthält.41 Grundrechte sind immer zumindest auch subjektive öffentliche Rechte.42 Während die Grundrechte in ihrer traditionsreichen subjektiven Abwehrfunktion die Grenzen des Staates bestimmen, die unmittelbar durch die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen gelten, suchen Staatszielbestimmungen staatliches Handeln primär nicht zu begrenzen, sondern zu steuern.43 Im Unterschied zu jenen haben diese rein objektiv-rechtlichen Charakter:44 Sie begründen keine subjektiven Ansprüche des Einzelnen oder gesellschaftlicher Gruppen, sondern richten sich als Normen objektiven Verfassungsrechts allein an den Staat.45 ___________ Verankerung solcher Rechte in Verfassungen geführt haben. Zur entsprechenden Funktion der Charta der Grundrechte der Europäischen Union v. 7.12.2000 (ABl. C 364, S. 1) – Art. 6 Abs. 1 EUzF stellt sie EU und AEU rechtlich gleich, inkorporiert sie in Abkehr von der Konzeption der EV (zu ihr K. H. Fischer, Verfassungsvertrag, S. 219) aber nicht in die die Union begründenden Verträge – Nettesheim, integration 25 (2002), S. 35 (36 f.); zum Grundrechtsschutz auf Ebene der EU/EG etwa Haratsch u.a., Europarecht, Rn. 60 ff., 580 ff.; Kühling, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 583 (596 ff.). 41 s. Stern, Staatsrecht III/1, S. 532: „Der subjektiv-rechtliche Charakter der Grundrechte [ist] heute allgemein anerkannt“; vgl. Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 159 Rn. 14 ff. 42 s. Stober, in: Wolff u.a., Verwaltungsrecht I, § 43 Rn. 34: „Grundrechte sind [...] typische subjektive öffentliche Rechte“. 43 s. Brohm, JZ 1994, S. 213 (217); Stern, Bitburger Gespräche, Jb. 1984, S. 5 (17 f.). – Die Grundrechte binden die deutsche Staatsgewalt umfassend und ubiquitär: Auch dem Ausländer im Ausland stehen daher die Jedermannsrechte zu, sofern die deutsche öffentliche Gewalt als Hoheitsträger final in Kontakt zu ihm tritt. Dazu Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2008, S. 72 ff. m.w.N. 44 s. Stern, Staatsrecht I, S. 411; Dietlein, Grundrechte, S. 133 f.; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 11 f.; Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (28 f.); Sommermann, Staatsziele, S. 418. – Auch die Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge“ legte Wert darauf, den objektiv-rechtlichen Charakter von Staatszielbestimmungen nicht zu verwischen, s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 54 Rn. 67; s. aber den in der 6. Sitzung der GVK aufgerufenen Tagesordnungspunkt 2: „Staatsziele und sonstige Grundrechte“ (Bundestag, Zur Sache 2/96 I, S. 359); ebenso Stiens, Chancen, S. 231: „Die meisten Landesverfassungen gewährleisten [...] über die klassischen Grundrechte hinaus Staatszielbestimmungen“. 45 s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 20 Rn. 5; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 9; Merten, DÖV 1993, S. 368 (370); Scholz, ZfA 22 (1991), S. 683 (688); Sommermann, DVBl. 1991, S. 34 (35). – Nach allgemein anerkannter Definition Georg Jellineks ist ein subjektives Recht die von der Rechtsordnung anerkannte und geschützte, auf ein Gut oder Interesse gerichtete menschliche Willensmacht; Adressat eines solchen Rechts ist der Staat, der es durch objektives Recht nicht nur schafft und schützt, sondern auch realisieren hilft, s. Jellinek, System, S. 44, 68.

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2. Kap.: Begriffsklärung

Grundrechte und Staatszielbestimmungen stehen sich allerdings lediglich prima vista antagonistisch gegenüber. Weniger scharf gezeichnet ist der Gegensatz zwischen beiden Normtypen, wenn man sich neben der klassischen Abwehrfunktion den weiteren Dimensionen der Grundrechte zuwendet. So sichert etwa die grundrechtliche Gewährleistung einer objektiven Wertordnung46 umfassend die Freiheitsverwirklichung der Bürger. Dieser objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte werden zunehmend Schutzpflichten47 des Staates für Rechtsgüter der Bürger entnommen.48 Ziel des staatlichen Handelns bei Erfüllung einer Schutzpflicht ist die optimale Effektuierung der Grundrechtsgeltung. Hier haben die Grundrechte eine durchaus den Staatszielbestimmungen ähnliche Normativität.49 In einem wesentlichen Punkt jedoch unterscheiden sich diese Schutzpflichten-Dimension der Grundrechte und die Staatszielbestimmungen: Während die Schutzpflichten eher auf die Gewährleistung bestehender Rechte ausgerichtet sind, haben die meisten Staatszielbestimmungen, wie gesagt,50 einen dynamischen Charakter.51 Die Bezeichnung der Schutzpflichten als „Quasi-Staatszielbestimmungen“52 greift daher zu kurz, ebenso die (allerdings verbreitete) Gleichsetzung der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte mit dem Normtyp Staatszielbestimmung.53

___________ 46 s. bereits BVerfGE 5, 85 (204 f.); 7, 198 (204 f.); zur Rechtsprechungsentwicklung Stern, Staatsrecht III/1, S. 897 ff.; vgl. auch Dolderer, Grundrechtsgehalte. 47 Die ausdrückliche Verankerung einer Schutzpflicht im Verfassungstext ist (jedenfalls auf gesamtstaatlicher Ebene) freilich die Ausnahme, s. aber Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG. 48 Dazu die neuere Rechtsprechung, s. BVerfGE 75, 40 (66); 84, 133 (147); 89, 276 (286); 91, 335 (339); Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 111 Rn. 1 ff.; Dietlein, Schutzpflichten. – Die vom Bundesverfassungsgericht aus Grundrechten abgeleiteten Schutzpflichten reichen über die Staatsaufgabe „Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung“ weit hinaus; mitunter werden dem Gesetzgeber sogar spezielle Rechtsetzungsakte auferlegt, s. J. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 105 m.w.N.; wegen der damit einhergehenden Ausweitung der judikativen Befugnisse krit. („Übergang vom parlamentarischen Gesetzgebungsstaat zum verfassungsrechtlichen Jurisdiktionsstaat“) Böckenförde, Staat 29 (1990), S. 1 (13, 16 f., insbes. 25 ff.) m.w.N. 49 Ebenso Sommermann, Staatsziele, S. 420 m.w.N. 50 s. oben unter A. I. 51 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 111 Rn. 132; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 21; Kunst, Rechtsnatur, S. 44. 52 Sterzel, ZRP 1993, S. 13 (14 f.). 53 So aber Brohm, JZ 1994, S. 213 (218): „Mit den dargelegten Wirkungen erfüllen die Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung praktisch die Funktion von Staatszielen“. Ebenso Pernthaler, FS Ermacora, S. 605 (613): „Menschenrechte als Staatsziele begründen [...] umfassende politische und rechtliche Handlungspflichten des Staates, die in pragmatisch abwägender Weise aus den ‚hohen Staatszielen’ die vielfältigen realen Bedingungen eines menschenrechtsfreundlichen Gemeinwesens herstellen müssen“. Zustimmend Sommermann, Staatsziele, S. 420 f. m.w.N.

A. Staatszielbestimmung

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Ob aus den Staatszielbestimmungen dereinst im Wege der Auslegung ein subjektiver Regelungsgehalt defiltriert werden wird, bleibt abzuwarten:54 Die ursprünglich dem Verwaltungsrecht entstammende Schutznormlehre kann auch zur Bestimmung subjektiv-rechtlicher Gehalte von Verfassungsnormen herangezogen werden.55 Demnach könnte einer Staatszielbestimmung als zwingend gefasstem Rechtssatz des objektiven Rechts (auch) ein subjektiv-rechtlicher Gehalt zu entnehmen sein, wenn sie auch der Befriedigung privater Interessen zu dienen bestimmt, der Kreis der Begünstigten hinreichend individuell abgrenzbar und dem Einzelnen normativ die Rechtsmacht zur Durchsetzung der ihn begünstigenden Regelungsanordnung verliehen ist.56 Nach derzeitigem Stand der Dogmatik gehen mit Staatszielbestimmungen aber keine subjektivöffentlichen Rechtspositionen des Einzelnen einher. Bei den positiven Situationen für den Bürger, die durch die Verpflichtungen des Staates infolge einer solchen Zielvorgabe entstehen, handelt es sich lediglich um Rechtsreflexe.57 Es fehlt der individualbezogene Begünstigungszweck58 bzw. jedenfalls die Übertragung der individuellen Normdurchsetzungsbefugnis.59 Der Gesetzgeber hat gerade kein Grundrecht verankert, sondern eine Staatszielbestimmung, und diese erschöpft sich in rein objektiv-rechtlichen Gestaltungsanordnungen.60 ___________ 54 Vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 197 ff.; H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (733); zu den Möglichkeiten der Entstehung von Leistungsansprüchen Brenne, Grundrechte, S. 15 f., 184. – Zur „Resubjektivierung“ objektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte Hain, JZ 2002, S. 1036 (1041 f.). 55 s. Stern, Staatsrecht III/1, S. 533 ff., 542 ff.; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 58; Dietlein, Grundrechte, S. 126. – Das Bundesverwaltungsgericht hat die Schutznormlehre in st. Rspr. gleichsam kanonisiert, s. etwa BVerwGE 72, 226 (229 f.); 95, 133 (136 f.); dem folgend der überwiegende Teil des Schrifttums; zum Ganzen Scherzberg, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht AT, § 11 Rn. 9 ff. m.w.N. 56 Vgl. Stober, in: Wolff u.a., Verwaltungsrecht I, § 43 Rn. 31 ff.; ebenso (mit Blick auf die Voraussetzungen für ein Grundrecht) Stern, Staatsrecht III/1, S. 543; Ramsauer, AöR 111 (1986), S. 501 (503 ff.). – Näher zur Schutznormtheorie Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 127 ff., 138 ff.; Dietlein, Grundrechte, S. 126. 57 Vgl. Böckenförde, in: ders. u.a., Grundrechte, S. 7 (14); ähnlich Merten, DÖV 1993, S. 368 (370). 58 Zum Verständnis des Rechtsreflexes als einer unbeabsichtigten Nebenfolge Bachof, GS Jellinek, S. 287 (299); Dietlein, Grundrechte, S. 130 f. 59 Vereinzelt wird das Erfordernis der Normdurchsetzungsbefugnis allerdings mit der Feststellung eines individuellen Begünstigungszwecks als regelmäßig gegeben erachtet. In diese Richtung etwa Bachof, GS Jellinek, S. 287 (299 f.); ders., VVDStRL 12 (1954), S. 37 (84). 60 Leistungen, die der Staat dem Einzelnen infolge seiner Verpflichtung durch eine Staatszielbestimmung zugute kommen lässt, sind folglich kein Gegenstand eines subjektiven Rechts. Näher dazu Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (405 f.); vgl. (mit Blick auf Art. 128 Abs. 1 BayVerf) Gallwas, BayVBl. 1976, S. 385 (385). – Zu einer mittelbaren Subjektivierung einer Staatszielbestimmung kann es freilich kommen, wenn eine einfachgesetzliche Ermessensnorm als subjektives öffentliches Recht einzuordnen ist

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2. Kap.: Begriffsklärung

4. Einrichtungsgarantien Zum festen Arsenal der Normtypen des Verfassungsrechts rechnen auch die Einrichtungsgarantien. Dieser Oberbegriff umfasst Institutsgarantien und institutionelle Garantien.61 Institutsgarantien gewährleisten und sichern privatrechtliche Einrichtungen (etwa Ehe und Privateigentum), institutionelle Garantien öffentlichrechtliche wie das Berufsbeamtentum.62 Wie die Staatszielbestimmungen richten sich die Einrichtungsgarantien an alle drei Staatsgewalten. Im Vordergrund steht bei diesen Garantien jedoch eine negative Komponente: Sie sind auf die Absicherung der betreffenden Einrichtungen (gerade auch gegenüber Eingriffen des Gesetzgebers) ausgerichtet; dem Staat ist es verwehrt, die betreffenden Einrichtungen abzuschaffen.63 Während die Einrichtungsgarantien also primär darauf zielen, bereits Erreichtes zu bewahren und abzusichern,64 haben die Staatszielbestimmungen einen deutlich dynamischeren, auf positive Gestaltung gerichteten Charakter:65 Allein durch staatliche Passivität lassen sie sich nicht verwirklichen. Mit der vornehmlich bestandssichernden Funktion der Einrichtungsgarantien ist ein erstes Kriterium für die Abgrenzung beider Normtypen umrissen. Der Unterschied darf insoweit allerdings nicht zu scharf gezeichnet werden, denn die Einrichtungsgarantien sind nicht ausschließlich auf die Absicherung des status quo bezogen. Die konkrete Ausgestaltung und Anpassung der Einrichtungen an die sich wandelnden tatsächlichen Verhältnisse bleibt (insbesondere) dem Gesetzgeber überlassen; lediglich deren Kernbestand ist verfassungsrechtlich garantiert.66 ___________ und sie einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung einräumt. Dazu Kopp/ Ramsauer, VwVfG, § 40 Rn. 32 ff. 61 Vgl. BVerfGE 6, 55 (72); 50, 290 (339); 73, 118 (153); Stern, Staatsrecht III/1, S. 755; krit. zur Ergiebigkeit der Differenzierung Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, S. 180. 62 s. Stern, Staatsrecht III/1, S. 776 m.w.N. 63 s. (mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 GG) BVerfGE 24, 367 (389) – Hamburger Deichgesetz; 58, 300 (339) – Nassauskiesung. 64 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 24; Michel, Staatszwecke, S. 202 f.; Zielke, RdA 1992, S. 185 (190); ebenso bereits Scheuner, FS Scupin, S. 323 (328 f.). 65 s. Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (29). 66 Dem Gesetzgeber ist bei der inhaltlichen Ausgestaltung oder Modifizierung der Einrichtungen eine Grenze (lediglich) insoweit gezogen, als er nicht in den Wesensgehalt, also den Kern des betreffenden Instituts eingreifen darf. Dazu BVerfGE 6, 55 (72); 87, 1 (35 ff.); Brunner, Problematik, S. 10; Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (29). Zu kurz greift demgegenüber der vereinzelt vertretene Ansatz, Einrichtungsgarantien würden jede Form des Abbaus des erreichten Gehalts bestehender Institute verbieten (so etwa Brenne, Grundrechte, S. 12; Riepe, Grundrechte, S. 165): Er basiert auf der unzutreffen-

A. Staatszielbestimmung

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Der maßgebliche Unterschied zwischen Staatszielbestimmungen und Einrichtungsgarantien ist darin zu sehen, dass diese immer auf die Absicherung und Ausgestaltung eines schon bestehenden Wirklichkeits- oder auch Normenkomplexes bedacht sind, während jene in ihrer Tendenz auf die Transformation des status quo zielen. Die dynamische Komponente der Einrichtungsgarantien geht nicht über die Anpassung einer schon bestehenden Einrichtung an die sich wandelnden tatsächlichen Verhältnisse hinaus.67 Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass den Einrichtungsgarantien mitunter Grundrechtscharakter beigemessen wird,68 während es sich bei den Staatszielbestimmungen um Verfassungsnormen mit rein objektiv-rechtlichem Gehalt handelt.69 Diese Unterschiede dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Verbindungen beider Normtypen nicht ausgeschlossen sind. So könnte eine Staatszielbestimmung etwa darauf gerichtet sein, eine bestimmte Einrichtung zu schaffen. Nach Umsetzung dieses Auftrags würde sie sich in eine Garantie der geschaffenen Einrichtung mit entsprechenden Förder- und Anpassungspflichten verwandeln.70 Ebenso kann die Verwirklichung einer Staatszielbestimmung bestimmten Einschränkungen dadurch unterworfen werden, dass die Zielverwirklichung ausdrücklich unter Achtung bestimmter Einrichtungen zu erfolgen hat.71

5. Soziale Grundrechte Soziale Grundrechte sind sprachlich den klassischen negatorischen Freiheitsverbürgungen angenähert bzw. mit ihnen identisch.72 Soweit ersichtlich, besteht dahingehend Einigkeit, dass sie dem adressierten Hoheitsträger in bestimmten Lebensbereichen die Verantwortung auferlegen, die Voraussetzungen für die wirtschaftlich-soziale Entfaltung des Einzelnen zu schaffen und zu sichern:73 ___________ den Vorstellung, dass die Zukunft in jedem Sach- und Lebensbereich ausschließlich Verbesserungen, nicht aber auch Verschlechterung bringen kann. 67 Ebenso Sommermann, Staatsziele, S. 368. 68 Die Qualifizierung einer Verfassungsvorschrift als Einrichtungsgarantie schließt nicht aus, dass sie (auch) Grundrechtscharakter hat. Näher dazu Sommermann, Staatsziele, S. 367 m.w.N. 69 Dazu oben unter A. II. 3. 70 Dazu Sommermann, Staatsziele, S. 368 f., 381. 71 Näher dazu 6. Kap. unter C. I. 2. 72 Grundlegend zu den sozialen Grundrechten etwa J. P. Müller, Grundrechte; Badura, FS Berber, S. 11 ff.; ders., Staat 14 (1975), S. 17 ff.; W. Schmidt, Staat 20 (1981), Beiheft 5, S. 9 ff.; Herschel, in: Bettermann u.a., Grundrechte III/1, S. 325 (329); vgl. Starck, FG BVerfG (1976) II, S. 480 (520 ff.). 73 s. Badura, Staatsrecht, C Rn. 9; Lange, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 49 (49): Forderungen und Programme zu Gunsten der sozial Schutzbedürftigen; Ramm, in:

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2. Kap.: Begriffsklärung

Die tatsächliche Inanspruchnahme der grundrechtlichen Freiheitsrechte setzt u.a. gewisse sozial-strukturelle Rahmenbedingungen voraus.74 Jene Rechte sind etwa auch von ihrer wirtschafts- und sozialpolitisch wirksamen Absicherung und Unterfütterung abhängig.75 Plastisch ausgedrückt: Wer keine Wohnung hat, dem hilft die Verbürgung eines Rechts auf deren Unverletzlichkeit (s. auf gesamtstaatlicher Ebene Art. 13 GG) wenig.76 Darüber hinaus ist der Begriff „soziale Grundrechte“ – im völkerrechtlichen Bereich ist von „Menschenrechten der zweiten Generation“ die Rede77 – bislang wenig konturenscharf, seine nähere Bestimmung umstritten.78 Er findet Anwendung auf ein Konglomerat der unterschiedlichsten Normkategorien, bezeichnet also keinen dogmatisch eigenständigen Normtyp. Grundrechte, Gesetzgebungsaufträge und Einrichtungsgarantien können ebenso als soziale Grundrechte verstanden werden wie Staatszielbestimmungen und Programmsätze.79 Eine Differenzierung zwischen sozialen Grundrechten i.e.S. und solchen i.w.S. ermöglicht es jedoch, den Begriff „soziale Grundrechte“ schärfer zu konturieren. Nach hier zugrundegelegtem Verständnis handelt es sich um ein soziales Grundrecht i.e.S., wenn die betreffende Norm als subjektives öffentliches Recht einen Leistungsanspruch gegenüber dem Staat vermittelt, wenn sie also wie die klassischen Freiheitsrechte einen einklagbaren individuellen Anspruch ___________ Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 17 (27): Soziale Grundrechte zielten auf die rechtliche Absicherung sozialer Gleichheit; Wipfelder, VBlBW 1986, S. 287 (288 f.). 74 s. Benda, in: ders. u.a., HdbVerfR, § 17 Rn. 94; Böckenförde, Staat, S. 22. 75 s. Scholz, FS Lerche, S. 65 (75). Ein Gebrauchmachen von rechtlich garantierter Freiheit ist ohne bestimmte soziale Bedingungen unmöglich, und es bedarf daher insoweit staatlicher Unterstützung und staatlicher Einrichtungen. Dazu bereits Forsthoff, Staat, S. 158 f. 76 Weitere Beispiele für das Auseinanderfallen von sozialer Wirklichkeit und der durch die Freiheitsrechte gewährleisteten (rechtlichen) Freiheit bereits bei Hernekamp, Grundrechte, S. 13. 77 s. T. Stein/v. Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1002; vgl. Sommermann, ZfP 37 (1990), S. 37 (45 ff.). 78 Es gibt keine allgemein anerkannte Definition des Begriffs „soziale Grundrechte“; s. bereits Lange, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 49 (49); Dietlein, Grundrechte, S. 121, 124. Näher zu im Einzelnen vertretenen Ansätzen Brenne, Grundrechte, S. 5 ff. m.w.N. – Stoßrichtung und Inhalt sozialer Grundrechte können im Grunde nicht abstrakt definiert werden: Sie sind weit mehr als etwa die Freiheitsrechte von der staats- und verfassungsrechtlichen Entwicklung abhängig, s. Badura, Staat 14 (1975), S. 17 (18). 79 s. Dietlein, Grundrechte, S. 124; Böckenförde, in: ders. u.a., Grundrechte, S. 7 (9); Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (18 f.); ebenso Bericht Sachverständigenkommission, S. 19 Rn. 4. – Es greift zu kurz, wenn man soziale Grundrechte mit Staatszielbestimmungen gleichsetzt, so aber Ramm, in: Ryffel, Recht, S. 65 (91 Fn. 83), der damit zum Ausdruck bringen will, es handele sich bei sozialen Grundrechten nicht um subjektive öffentliche Rechte.

A. Staatszielbestimmung

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des Einzelnen gegen den Staat gewährt,80 im Unterschied zu jenen aber keinen Abwehrcharakter gegen staatliche Übergriffe hat.81 Als solches soziales Grundrecht ist etwa das Recht jeder Mutter auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 4 GG) einzuordnen,82 nicht aber bspw. Art. 9 Abs. 3 GG:83 Die Aktualisierung der sozialen Grundrechte i.e.S. hängt durchgängig von staatlicher Tätigkeit ab,84 während Art. 9 Abs. 3 GG wie die übrigen Freiheitsrechte primär auf ein Unterlassen des Staates zielt. Soziale Grundrechte i.w.S. weisen demgegenüber trotz ihrer subjektivrechtlichen Formulierung („Recht auf Arbeit“, „Recht auf Wohnung“ etc.) lediglich einen rein objektiv-rechtlichen Gehalt auf. Es handelt sich bei diesen „Grundrechten der zweiten Generation“85 – anders als es die Formulierung der betreffenden Vorschrift und der Begriff „Grundrechte“ prima facie vermuten lassen – nicht um grundrechtliche Gewährleistungen: Dem Einzelnen wird gerade kein unmittelbarer Anspruch gegen den Staat vermittelt.86 Allenfalls besteht eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates, auf die Verwirklichung ___________ 80 Vgl. Ramm, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 17 (22, 30); Brunner, Problematik, S. 12 f.: „echte soziale Grundrechte im Rechtssinn“; vgl. auch Badura, Staat 14 (1975), S. 17 (27); Michel, Staatszwecke, S. 119 ff.; P. Neumann, in: ders./Tillmanns, Probleme, S. 77 (84). Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 938, der für eine strikte Begrenzung des Begriffs „soziale Grundrechte“ auf echte subjektive Leistungsrechte gegen den Staat eintritt. 81 Vgl. Edinger, in: Schmitt, ThürVerf, S. 101 (106). 82 Vgl. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 112 Rn. 46; Brenne, Grundrechte, S. 7; Brunner, Problematik, S. 27; Isensee, Staat 19 (1980), S. 367 (370). 83 Vgl. Brunner, Problematik, S. 13; Isensee, Staat 19 (1980), S. 367 (373); a.A. etwa Badura, Staat 14 (1975), S. 17 (27); Dörfler, Vereinbarkeit, S. 76 f., Scholz, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 75 (82). 84 Zu diesem Aspekt der Staatsbezogenheit der sozialen Grundrechte i.e.S. Hesse, Grundzüge, Rn. 208; Michel, Staatszwecke, S. 122 ff.; Isensee, Staat 19 (1980), S. 367 (373); vgl. Häberle, JZ 1984, S. 345 (352): „Maßgabegrundrechte“. – Soziale Grundrechte weisen denn auch eher dynamischen Charakter auf, während es sich bei den Freiheitsrechten um eher statische Rechte handelt, vgl. Hesse, KritV 76 (1993), S. 7 (11). So ist nicht zuletzt eine die gegebenen Umstände berücksichtigende einfachgesetzliche Ausgestaltung sozialer Grundrechte erforderlich, da die Verfassung nicht selbst die erstrebte soziale Schutzgarantie, Leistungsgewährung oder Umverteilung herbeiführen kann, s. etwa Badura, Staatsrecht, C Rn. 9. – Eingehend zur Abgrenzung von „klassischen“ und sozialen Grundrechten etwa Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 112 Rn. 53. 85 Hesse, KritV 76 (1993), S. 7 (11), ohne insoweit zwischen sozialen Grundrechten i.e.S. und solchen i.w.S. zu differenzieren. 86 Vgl. Böckenförde, in: ders. u.a., Grundrechte, S. 7 (14); Beutler, JöR 26 (1977), S. 1 (34 f.); Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (25 ff.); Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (405). – Verfassungsrechtliche Sozialbestimmungen, die Formulierungen wie „Recht auf Arbeit“, „Recht auf Bildung“ oder „Recht auf Wohnung“ enthalten, vermitteln regelmäßig gerade keine grundrechtliche Gewährleistung. Dazu im Einzelnen 3. Kap. unter B.

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2. Kap.: Begriffsklärung

der in solchen sozialen Grundrechten enthaltenen Ziele hinzuwirken.87 Soziale Grundrechte in diesem Sinne können in der Form von Staatszielbestimmungen, Einrichtungsgarantien, Programmsätzen oder als Gesetzgebungsaufträge kodifiziert werden.88 Der Begriff „soziale Grundrechte“ bleibt damit schillernd. Während ein soziales Grundrecht i.e.S. ein „echtes“ Grundrecht darstellt (vor dem Hintergrund der von Jellinek entwickelten Statuslehre der Grundrechte89 ist ein gesonderter Terminus an sich überflüssig),90 handelt es sich bei den sozialen Grundrechten i.w.S. um einen Oberbegriff u.a. für Gesetzgebungsaufträge und Staatszielbestimmungen mit sozialem Gehalt. Um im Einzelfall zu ermitteln, ob es sich bei einer Norm um ein individuell einklagbares soziales Grundrecht (also ein solches i.e.S.) handelt, ist jeweils die Schutznormlehre in Ansatz zu bringen.91 Entscheidend für die Einordnung als soziales Grundrecht i.e.S. ist weder allein die subjektive Formulierung der betreffenden Bestimmung noch ihre Bezeichnung als Grundrecht oder ihre Verankerung im den Grundrechten gewidmeten Abschnitt der Verfassung. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Inhalt der einzelnen Bestimmung (auch) dazu dienen soll, unmittelbar gerichtlich verfolgbare Ansprüche des Einzelnen zu begründen. Hier bedarf es besonderer Indizien und Gründe; auch muss der Inhalt der

___________ 87 Vgl. Hesse, Grundzüge, Rn. 208; Badura, Staat 14 (1975), S. 17 (27); Sterzel, ZRP 1993, S. 13 (17); P. Neumann, in: ders./Tillmanns, Probleme, S. 77 (84). 88 Vgl. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 112 Rn. 53; Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (20); Diercks, LKV 1996, S. 231 (232); Wipfelder, ZRP 1986, S. 140 (142). Die einzelnen Ausgestaltungsmöglichkeiten stehen sich untereinander recht nah, s. Degenhart, LKV 1993, S. 33 (35). – Soweit mit Blick auf die sozialen Grundrechte i.w.S. vertreten wird, diese seien „durch Aufweichung zum ‚soft law’ letztlich sogar um ihre verfassungspolitische Wirkung gebracht“ (H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 [754]), wird der dogmatische Unterschied zwischen Gesetzgebungsaufträgen und „soft law“ verkannt: Erstere stellen nicht nur eine Auslegungshilfe für Exekutive und Judikative dar, sondern auch eine materiale Bindung der Legislative. 89 s. Jellinek, System, S. 87 ff., mit der Differenzierung zwischen status negativus, status positivus und status activus. 90 Soweit die Verfassung dem Einzelnen einen Anspruch gegen den Staat gewährt, lassen sich die betreffenden Verbürgungen als Teilhaberechte i.e.S dem status positivus (dieser umfasst die Leistungsansprüche des Einzelnen gegen den Staat) zuordnen. Näher zu dieser allgemeinen Ansicht Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 112 Rn. 12 m.w.N. – Einen Unterschied zwischen sozialen Grundrechten als „echten“ Grundrechten und Teilhaberechten mag man allenfalls feststellen, wenn sich Letztere nicht auf die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz beziehen, so etwa Diercks, Grundrechte, S. 6. 91 Vgl. Badura, Staat 14 (1975), S. 17 (23 f.); Ramm, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 17 (30); Dietlein, Grundrechte, S. 125 f. – Zur Schutznormlehre bereits oben unter A. II. 3.

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Vorschrift hinreichend konkretisiert und präzisiert sein. Die Einordnung als soziales Grundrecht i.e.S. darf nach alldem nicht voreilig getroffen werden.92

6. Kompetenznormen Kompetenznormen begründen keine Handlungspflichten, sondern kennzeichnen und begrenzen Handlungs- und Zuständigkeitsbereiche.93 Staatszielbestimmungen enthalten demgegenüber einen verbindlichen Auftrag für staatliches Handeln, ohne eine Aussage in kompetenzieller Hinsicht zu treffen.94 Eine Maßnahme zur Umsetzung einer jeden Staatszielbestimmung kann nicht unmittelbar aus der betreffenden Zielvorgabe abgeleitet werden, sondern es bedarf jeweils einer gesonderten Ermächtigungsgrundlage.95 Anders gewendet: Ohne Kompetenz kann ein Staatsorgan nicht verfassungstreu handeln, auch nicht zum Zweck der Verwirklichung einer Staatszielbestimmung.96 Vor diesem Hintergrund greift der Ansatz, demzufolge Kompetenzvorschriften als Staatszielbestimmungen anzusehen sind,97 zu kurz. Beide Normtypen sind einander zwar insoweit angenähert, als ggf. auch den Zuständigkeitsregelungen Wertentscheidungen entnommen werden können, die etwa bei der Auslegung des einfachen Gesetzesrechts Beachtung verlangen.98 Gleichwohl lassen sich Staatsziel- und Kompetenzbestimmungen normtheoretisch klar trennen. Diese verleihen dem Staat eine Befugnis zum Handeln, eröffnen also Handlungsmöglichkeiten, während jene dem Handeln eine Richtung geben, indem sie ihre Adressaten auf bestimmte Ziele verpflichten.99 So ergeben sich aus den Kompetenznormen u.a. die Bereiche, in denen die Adressaten der Staatszielbestimmungen die Zielvorgaben im Einzelnen umsetzen dürfen.

___________ 92

Zurückhaltend auch Sommermann, Staatsziele, S. 371 f. Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 19; vgl. Stettner, Kompetenzlehre, S. 31 ff. 94 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 27; Badura, FS Redeker, S. 111 (117). 95 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 11; Merten, DÖV 1993, S. 368 (371). 96 s. Sommermann, Staatsziele, S. 366. 97 So Scheuner, FS Scupin, S. 323 (331, 333 f.); vgl. Michel, Staatszwecke, S. 197 m.w.N. 98 s. Badura, ThürVBl. 1992, S. 73 (77). 99 s. Sommermann, Staatsziele, S. 366. 93

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2. Kap.: Begriffsklärung

7. Staatsaufgaben und Aufgabennormen Der Begriff „Staatsaufgaben“ ist in Abgrenzung zu „öffentlichen Aufgaben“ zu sehen. Während diese auch von gesellschaftlichen Verbänden oder Gruppen erfüllt werden könnten, handelt es sich bei jenen um „solche, die der Staat nach der jeweils geltenden Verfassungsordnung zulässigerweise für sich in Anspruch nimmt“100. Es lässt sich differenzieren zwischen ausschließlichen und konkurrierenden, obligatorischen und fakultativen sowie finalen und instrumentalen Staatsaufgaben.101 Als ausschließliche Staatsaufgaben sind im Gegensatz zu konkurrierenden diejenigen Bereiche zu bezeichnen, für die nicht auch die Gesellschaft, sondern allein der Staat verantwortlich zeichnet.102 Zu den obligatorischen Staatsaufgaben werden in Abgrenzung zu fakultativen alle die gerechnet, deren Erfüllung durch den Staat unabdingbar ist.103 Finale Staatsaufgaben schließlich zielen darauf, das Gemeinwohl unmittelbar zu fördern, während instrumentale Staatsaufgaben das vom Staat hierfür benötigte Instrumentarium zum Gegenstand haben.104

___________ 100

Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 137 (153); H. H. Klein, DÖV 1965, S. 755 (758); vgl. BVerfGE 88, 203 (328). 101 Im Einzelnen Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 27 ff.; vgl. Burmeister, FS Stern, S. 835 (850). – Bislang sind nur vereinzelte Bestrebungen zu konstatieren, die Staatsaufgaben zu ordnen (grundlegend etwa Bull, Staatsaufgaben); Vgl. Herzog, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 72 Rn. 1: Eine allgemeingültige Lehre der Staatsaufgaben sei nie erreicht worden; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 1: „immer noch Entwicklungsland der deutschen Staatsrechtslehre“. – Zum Wandel der Staatsaufgaben etwa Grimm, in: ders., Zukunft, S. 159 ff.; zu den Folgen wachsender Staatsaufgaben für die Steuerungsfähigkeit des Rechts Schuppert, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 31 Rn. 19 ff. 102 Dazu zählen etwa die Existenz und Funktionsfähigkeit des Staates (der Schutz der staatlichen Organe und Institutionen) wie auch der Bereich der (inneren und äußeren) Sicherheit, also etwa die Erstellung einer verbindlichen Rechtsordnung mit dem für ihre Vermittlung und zwangsweise Durchsetzung erforderlichen Instrumentarium sowie die Aufstellung und Unterhaltung von Streitkräften. Daneben sind auch diejenigen Aufgaben als ausschließliche Staatsaufgaben einzuordnen, die als typisch staatliche Funktionen angesehen werden (s. mit Blick auf die Mineralölbevorratung BVerfGE 30, 292 [311]) bzw. die „unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen notwendig der einheitlichen [...] Wahrnehmung bedürfen“, wozu etwa Währungshoheit, öffentliches Beurkundungswesen etc. zählen; s. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 27; vgl. Thieme, FS Stern, S. 365 (375). 103 Etwa die Durchsetzung einer Rechtsordnung, die Erschließung des Staatsgebiets durch Verkehrswege und Kommunikationsmittel, die Schulaufsicht sowie die Kulturpflege. Dazu Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 30 m.w.N. 104 Ein Beispiel für eine finale Staatsaufgabe ist etwa die Gewährung von Sozialhilfe, ein Beispiel für eine instrumentale die Erhebung von Steuern; dazu Isensee, in: ders./ Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 32.

A. Staatszielbestimmung

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In ihrer Summe geben die Staatsaufgaben Aufschluss über den legitimen Tätigkeitsbereich des Staates.105 Der moderne Verfassungsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass es sich bei den Staatsaufgaben (jedenfalls) im Kernbereich um Verfassungsaufgaben handeln muss.106 Dies heißt zugleich, dass sich die Gesamtheit der Staatsaufgaben erst im Zuge einer von der Verfassung losgelösten Betrachtung ergibt. Die Staatsaufgaben bilden daher keine eigenständige verfassungsrechtliche Normkategorie. Unter den Aufgabennormen im hier verwendeten verfassungstheoretischen Sinn sind ausschließlich die verfassungsrechtlich verankerten Staatsaufgaben zu verstehen. Es handelt sich dabei um Verfassungsrechtssätze, die den Staat sachgebietsbezogen zu einem zielgerichteten Tätigwerden ermächtigen oder verpflichten.107 Die Kategorie der (verfassungsrechtlichen) Aufgabennormen stellt einen Oberbegriff für materielle Normen unterschiedlicher Adressatenkreise und Bindungswirkung dar.108 Eine der Möglichkeiten, eine Staatsaufgabe in der Verfassung zu verankern, ist die Aufnahme einer Staatszielbestimmung. Ebenso könnte die Aufgabe in die Regelungsform eines Gesetzgebungsauftrags gegossen werden.109 Auch Staatszielbestimmungen sind folglich Aufgabennormen im verfassungstheoretischen Sinn ( – aber nicht alle verfassungsrechtlichen Aufgabennormen sind Staatszielbestimmungen). Nach anderem Ansatz handelt es sich bei den Aufgabennormen um keinen solchen Oberbegriff: Staatszielbestimmungen und (verfassungsrechtliche) Aufgabennormen seien dadurch voneinander abzugrenzen, dass diese konkreter gefasst seien als jene.110 Dies greift jedoch zu kurz. Ein solch eng begrenztes Verständnis des Begriffs „Aufgabennorm“ erfüllt nicht das Bedürfnis nach einer gemeinsamen Kategorie für die rechtlichen Grundlagen sachgebietsbezogenen Staatshandelns.111

___________ 105

Vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 27. Dazu Schulze-Fielitz, in: Grimm, Staatsaufgaben, S. 11 (15); Sommermann, Staatsziele, S. 365. 107 Näheres bei Wahl, in: Ellwein/Hesse, Staatswissenschaften, S. 29 ff.; vgl. Sommermann, Staatsziele, S. 365; zur Terminologie auch Bull, in: König, Verwaltung, S. 77 (81 f.). 108 s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 18 ff. Rn. 2 f.; Badura, Staatsrecht, D Rn. 42; Bull, NVwZ 1989, S. 801 (802); Steinacher, Staatspflichten, S. 3 ff. 109 Von einer solchermaßen ausgestalteten Staatsaufgabe unterscheiden sich die als Staatszielbestimmungen einzuordnenden Aufgabennormen regelmäßig durch ihren höheren Abstraktionsgrad, vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 17; Bull, NVwZ 1989, S. 801 (802). Dazu auch bereits oben unter A. II. 1. 110 So Bull, Staatsaufgaben, S. 44 ff.; a.A. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 16. 111 s. Sommermann, Staatsziele, S. 365. 106

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2. Kap.: Begriffsklärung

8. Weitere Begriffe a) Staatsstrukturprinzipien Staatsstrukturprinzipien verleihen dem Staat seine spezifische organisatorische Form.112 Als Vorschriften, welche die Organisation des Staates und seiner Organe kennzeichnen,113 geben sie Aufschluss über die Handlungsmuster und Modalitäten des Staatshandelns. Bei den Staatszielbestimmungen handelt es sich demgegenüber nicht um solche staatsorganisatorischen Grundprinzipien der Verfassung: Diese Zielvorgaben determinieren das Handeln des Staates inhaltlich, als materielle Prinzipien.114 Während die Staatszielbestimmungen die Handlungsziele beschreiben, sind den Staatsstrukturprinzipien also gewissermaßen die Zielverwirklichungsmodi zu entnehmen.115 Folglich haben solche Strkturprinzipien im Unterschied zu jenen Zielvorgaben eher statischen als dynamischen Gehalt.116 Nach alldem kann dem weithin verbreiteten Ansatz, demzufolge zwischen Staatszielbestimmungen und Strukturprinzipien teilweise Deckungsgleichheit besteht,117 nicht gefolgt werden. Der grundsätzlichen Unterscheidung beider Normkategorien steht es nicht entgegen, dass diese durchaus in einem Verhältnis der Komplementarität stehen können. So kann der Verfassunggeber bzw. der verfassungsändernde Gesetzgeber etwa durch die Statuierung formeller Erfordernisse zur Verwirklichung bestimmter, in anderen Vorschriften normierter Ziele beitragen.118

b) Staatszwecke Die Staatszwecke dienen der Rechtfertigung der Existenz von Staaten. Sie sind dem Recht vorgelagert.119 Staatszielbestimmungen sind demgegenüber als ___________ 112

Eingehend dazu etwa Stern, Staatsrecht I, S. 551 ff. Zu den Quellen der Strukturprinzipien Eichenberger, FS Stern, S. 457 (461 ff.). 113 Auf gesamtstaatlicher Ebene sind als typische Staatsstrukturprinzipien die Grundsätze des Art. 20 Abs. 1 GG zu nennen. Grundlegend Achterberg, Staat 8 (1969), S. 159 (166 f.); Stern, Staatsrecht I, S. 551. 114 Zur normtheoretischen Einordnung der Staatszielbestimmungen im 7. Kap. unter A. II. 115 s. Sommermann, Staatsziele, S. 373. 116 s. Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 (336); H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (733). 117 s. etwa Jutzi, ThürVBl. 1995, S. 25 (25): Staatsstrukturnormen als spezielle Staatszielbestimmungen; vgl. Denninger, in: ders., Menschenrechte, S. 13 (20). 118 s. Sommermann, Staatsziele, S. 373. 119 s. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 7 f.; Bull, Staatsaufgaben, S. 43. So ging es in der Staatszweckdebatte des 18. und des 19. Jahrhunderts u.a. um die

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Verfassungsnormen gerade Bestandteil des Rechts. Aus diesem Unterschied folgt ein weiterer: Staatszielbestimmungen sind konkreter und handhabbarer als die Staatszwecke,120 die auf dem denkbar höchsten Abstraktionsniveau liegen und gewissermaßen Endziele staatlichen Handelns wiedergeben.121 Anders als bei dem Begriff „Staatszielbestimmung“ handelt es sich bei den Staatszwecken also um keinen verfassungsrechtlichen Normtyp. Ausgehend von den Staatszielbestimmungen lassen sich freilich Verbindungslinien zur Lehre vom Staatszweck122 aufzeigen. Diese Zielvorgaben gehen mitunter auf die drei klassischen Staatszwecke – innerer Frieden, Freiheit und sozialer Ausgleich123 – zurück.124

c) Grundwerte und Bildungs- bzw. Erziehungsziele Unter den Grundwerten ist das Fundament des jeweils vorherrschenden Staatsverständnisses und des entsprechenden Menschenbildes zu verstehen.125 Anders als bei dem Terminus „Staatszielbestimmung“ handelt es sich demnach bei den Grundwerten im hier verwendeten verfassungstheoretischen Sinn um keinen verfassungsrechtlichen Normtyp.

___________ Frage der notwendigen Staatsaufgaben; dazu Sommermann, Staat 32 (1993), S. 430 (432 ff.) m.w.N. 120 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 20. Für die Verfassungspraxis im modernen Verfassungsstaat lassen sich aus den Staatszwecken demnach keine Handlungsmaximen ableiten, s. etwa Scheuner, FG Smend, S. 225 (226 ff.) m.w.N. 121 s. Schulze-Fielitz, StWuStP 1 (1990), S. 223 (231). 122 Dazu die Staatsrechtslehrertagung 1990 mit den Referaten von Link und Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 7 ff., 56 ff. – Die deutsche Staatsrechtslehre strebt freilich nicht mehr allgemein nach umfassender, vom Verfassungstext losgelöster Klärung von Wesen und Sinn des Staates, wie etwa insbes. in der zweiten Hälfte des 19. oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts (dazu Michel, Staatszwecke, S. 39 ff. m.w.N.). Vielmehr wird der moderne Verfassungsstaat vorausgesetzt, und diesem werden Aufgaben gestellt (s. Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 [341]). Dem entspricht es, dass die Staatszwecklehre einer Verfassungsinterpretationslehre gewichen ist; dazu etwa Stern, Bitburger Gespräche, Jb. 1984, S. 5 (12); vgl. Bethge, DVBl. 1989, S. 841 (842 ff.). Allenfalls vereinzelt wird noch an die Staatszwecklehre angeknüpft (etwa Brugger, NJW 1989, S. 2425 [2431 f.]), geschweige denn der Versuch gewagt, eine „neue“ Lehre vom Staatszweck zu konzipieren (s. aber Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 152 ff.). 123 Eingehend zu den drei klassischen Staatszwecken Starck, Verfassungsstaat, S. 231, 235 ff., 265 ff. 124 Näher zum Zusammenhang zwischen Staatszwecken und Staatszielbestimmungen etwa Michel, Staatszwecke, S. 36 ff. 125 Zur Diskussion über Grundwerte Nachweise bei Stern, Staatsrecht I, S. 554 Fn. 25.

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2. Kap.: Begriffsklärung

Auch in den Bildungs- bzw. Erziehungszielen offenbart sich das Menschenbild, das der Verfassung zugrunde liegt.126 Sie begrenzen das elterliche Erziehungsrecht zu Gunsten des eigenständigen staatlichen Erziehungsauftrags im schulischen Bereich.127 Derartige (landes-)verfassungsrechtliche Ziele beinhalten demnach, anders als eine Staatszielbestimmung, keine Verpflichtung der gesamten Staatsgewalt auf ein bestimmtes Ziel. Es handelt sich bei ihnen vielmehr um die verfassungsrechtliche Fixierung der staatlichen Erziehungsvorstellungen, gewissermaßen um die „andere Seite“ der rechtlichen Garantien und Prinzipien: die Staatszielbestimmungen als „hard law“, „die Erziehungsziele als ‚soft law’“.128 Der vereinzelt vertretenen Auffassung, derzufolge es sich bei diesen Direktiven für die Gestaltung des gesamten schulischen Unterrichts um Staatszielbestimmungen handelt,129 kann daher nicht gefolgt werden.

d) Staatsfundamentalnormen und Verfassungsaufträge Unter einer Staatsfundamentalnorm ist die oberste Leitlinie für die Rechtfertigung des Staates zu verstehen.130 Es handelt sich bei dieser Bezeichnung des höchsten Werts gewissermaßen um ein „einheitsstiftendes Prinzip der Verfassungsinterpretation“,131 nicht aber um ein Staatsstrukturprinzip oder um eine Staatszielbestimmung. Der Terminus „Verfassungsauftrag“ umfasst demgegenüber die unterschiedlichsten Normkategorien. Er dient nicht etwa als Synonym für den Normtyp „Gesetzgebungsauftrag“,132 sondern als Oberbegriff für Erziehungsziele, Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge.133

___________ 126

Näheres etwa bei Stiens, Chancen, S. 256 ff. m.w.N. Zum staatlichen Erziehungsauftrag BVerfGE 52, 223 (236). – Zur Frage, ob jene Erziehungsziele auch Maßstab für den elterlichen Erziehungsauftrag sind, etwa Zacher, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI (2. Aufl.), § 134 Rn. 51 f. 128 s. Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (365, 381); grundlegend ders., Erziehungsziele; zu Grenzen und Gestaltungskraft von Erziehungszielen Herdegen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 129 Rn. 83. 129 So etwa für Art. 12 Abs. 1 BaWüVerf Braun, BaWüVerf, Art. 12 Rn. 6. 130 Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 552; Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 46: fundamentale Grundpositionen. 131 Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (36 Fn. 101). 132 So aber Stern, Staatsrecht I, S. 122. 133 s. Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (25). – Vereinzelt werden auch Programmsätze als Verfassungsaufträge bezeichnet (s. Maunz, BayVBl. 1975, S. 601 [606]); Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 453, ordnet ihnen sogar die Grundrechte zu. – Eingehend zu den Verfassungsaufträgen Kuhlmann, Verfassungsauftrag. 127

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9. Fazit Abschließend kann festgehalten werden, dass eine Abgrenzung zwischen den Staatszielbestimmungen und den anderen verfassungsrechtlichen Normtypen nicht immer gleichermaßen trennscharf möglich ist. Mitunter sind gewisse Überschneidungen unausweichlich. Umso mehr müssen die vorhandenen Unterschiede beachtet werden. So ist etwa zwischen Staatszielbestimmungen und sozialen Grundrechten i.e.S. zu differenzieren: Diese zeichnen sich durch einen (auch) subjektiv-rechtlichen Gehalt aus, jene haben (lediglich) objektivrechtlichen Charakter. Von ebenso großer Bedeutung ist die Abgrenzung zwischen Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträgen. Letztere richten sich, anders als die Staatszielbestimmungen, nicht an alle Staatsgewalten, sondern sie adressieren lediglich die Legislative.

III. Staatszielbestimmungen als Maßgabe für staatliches Handeln

Adressaten der Staatszielbestimmungen als Direktiven für jedes staatliche Handeln sind (unter Zugrundelegung der klassischen Funktionenlehre) Legislative, Exekutive und Judikative.134 Die Zielvorgaben sind aber nicht für alle Staatsorgane gleichermaßen unmittelbar verbindliches Recht. Die Modi der Bindung unterscheiden sich vielmehr je nach Adressat.

1. Legislative Primär richten sich die Staatszielbestimmungen, wie bereits angerissen,135 an die Legislative als Handlungs- und Konkretisierungsauftrag. Der Ausformungsvorrang des Gesetzgebers ergibt sich aus zwei Aspekten, die miteinander in Verbindung stehen. Zum einen verfügt die Legislative infolge ihrer Normsetzungsbefugnis über das geeignete Instrumentarium zur Zielverwirklichung. Durch Leistungsgesetze lassen sich etwa die Vorgaben einer sozialen Staatszielbestimmung umsetzen. Zum anderen – und dies ist entscheidend – können Exekutive und Judikative nicht eigenständig tätig werden, soweit der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes reicht.136 Dementsprechend ist der unmittelbare ___________ 134

s. oben unter A. I. Dazu unter A. I. 136 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 5 f.; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 14. – Vereinzelt wird der Ausformungsvorrang auch allein aus dem Vorbehalt des Gesetzes hergeleitet, s. etwa (für das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) Zacher, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 28 Rn. 122. – Zum Vorbehalt des Gesetzes im Einzelnen Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VI Rn. 75 ff. 135

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2. Kap.: Begriffsklärung

Verfassungsvollzug durch die zweite und die dritte Gewalt auch mit Blick auf die Umsetzung der Staatszielbestimmungen die Ausnahme. Aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes bzw. infolge der Wesentlichkeitslehre137 des Bundesverfassungsgerichts besitzt nahezu jeder Bereich staatlicher Aufgabenwahrnehmung Grundrechtsrelevanz.138 Die Legislative ist auch dann primärer Adressat, wenn der Gesetzgeber eine Staatszielbestimmung aus kompetentiellen Gründen nicht umsetzen kann.139 Der Adressatenkreis der Zielvorgaben muss unabhängig von deren Umsetzbarkeit bestimmt werden. Um die Staatszielbestimmungen als Maßgabe für das Handeln der Legislative hinreichend konturenscharf zu zeichnen, ist die Reichweite ihrer Bindungswirkung auszuleuchten. Solche Zielvorgaben schreiben dem Gesetzgeber die fortdauernde Beachtung und Erfüllung bestimmter Aufgaben vor. Ihre Verbindlichkeit erschöpft sich dabei idealtypisch in der Verpflichtung des Staates zur Verfolgung bzw. Verwirklichung eines bestimmten Ziels. In dieser Grundkonstellation verfügt die Legislative über eine weitgehende Einschätzungsprärogative hinsichtlich des „Wie“ der Zielverwirklichung: Den Weg und die Mittel der Umsetzung geben die Staatszielbestimmungen idealtypisch gerade nicht vor.140 So liegt es etwa bei den Zielvorgaben, die der Grundkonstellation des Normtyps Staatszielbestimmung entsprechen, in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob er sich bei der Ausgestaltung auf Regelungen rein objektiv-rechtlichen Gehalts beschränkt, oder ob er (auch) Ansprüche Einzelner auf öffentliche Leistungen oder gegen Dritte entstehen lässt.

___________ 137

s. etwa BVerfGE 34, 165 (192 f.); 47, 46 (78 ff.) – Sexualkundeunterricht; 49, 89 (124 ff.) – Schneller Brüter. 138 Dazu, dass die Staatszielbestimmungen staatliche Aufgaben bezeichnen, oben unter A. II. 7. 139 A.A. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 153: Der Landesgesetzgeber sei „nicht primär Adressat der Staatszielbestimmung des Art. 12 SächsVerf“ (zu ihr 3. Kap. unter B. III. 1.), habe er doch „nicht die Möglichkeit, die Staatszielbestimmung umzusetzen“. 140 s. Sommermann, Staatsziele, S. 377 f.; Dietlein, Grundrechte, S. 135; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 168 f.; Brugger, NJW 1989, S. 2425 (2428). Vgl. bereits oben unter A. II. 1. – Die Staatszielbestimmungen weisen damit eine enge normtheoretische Verwandtschaft mit den EG-Richtlinien auf. Nach Art. 249 Abs. 3 EG (Art. 288 Abs. 3 AEU) ist eine Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, die Wahl der Form und der Mittel überlässt sie jedoch den innerstaatlichen Stellen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (grundlegend EuGHE 1982, 53 [71]) sind sie allerdings nicht kategorisch auf die bloße Verbindlichkeit des Ziels beschränkt: In Ermangelung von fristgemäß erlassenen Durchführungsmaßnahmen verfügen sie in bestimmten Ausnahmefällen über eine weitergehende, von innerstaatlicher Umsetzung unabhängige Direktwirkung.

A. Staatszielbestimmung

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Der Umfang des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums bei der Konkretisierung und Umsetzung lässt sich freilich nicht absolut bestimmen.141 Er fällt desto größer aus, je offener und unbestimmter die Staatszielbestimmung formuliert ist und je weniger Vorgaben sie zu den Wegen und Mitteln ihrer Verwirklichung enthält.142 Am größten ist die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers demnach dann, wenn eine Zielvorgabe das Ziel lediglich abstrakt benennt und sie darüber hinaus der Grundkonstellation des Normtyps Staatszielbestimmung entspricht, wenn sie also keinerlei Festlegungen hinsichtlich des „Wie“ der Zielverwirklichung trifft.143 Bei diesen einfachen Staatszielbestimmungen handelt es sich in der Verfassungswirklichkeit jedoch um die Ausnahme; die meisten Zielvorgaben beschränken sich nicht darauf, den Staat lediglich auf die Verfolgung bzw. Verwirklichung eines bestimmten Ziels zu verpflichten, sondern sie enthalten auch nähere Bestimmungen zum Zielverwirklichungsmodus. Im Regelfall handelt es sich also um qualifizierte Staatszielbestimmungen.144 Insoweit lassen sich drei verschiedene Varianten der Qualifizierung unterscheiden. Im Falle einer materiellen Qualifizierung ist die Zielverwirklichung ihrem Inhalt nach näher bestimmt.145 Ebenso kann eine Staatszielbestimmung Vorgaben für die Handlungsform machen, die von den zuständigen staatlichen Stellen zu wählen ist (formelle Qualifizierung).146 Bei einer prozeduralen Qualifizierung wiederum ist die Zielverwirklichung dem Verfahren nach näher bestimmt.147 Der Spielraum für die Umsetzung von Staatszielbestimmungen ist demnach desto geringer, je umfänglicher sie qualifiziert sind: je dichter der Regelungsgehalt einer Zielvorgabe, desto geringer die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bei der Umsetzung. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass eine Staatszielbestimmung durchaus mehrere (und unterschiedliche Formen von) Qualifizierungen gleichzeitig enthalten kann. Im Fall einer ent___________ 141 142

s. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 168 f. s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 181; Badura, ThürVBl. 1992, S. 73

(78). 143 Auch bei dem abstraktesten Ziel lässt sich jedoch ein Kernbereich definieren, der für den Gesetzgeber verbindlich ist. An ihm muss der legislative Spielraum bei der Zielkonkretisierung seine Grenze finden. Näher zur Justitiabilität der Staatszielbestimmungen mit Blick auf das Handeln des Gesetzgebers unten unter A. IV. 2. 144 Grundlegend Sommermann, Staatsziele, S. 381 f. 145 Dies ist der Fall, wenn der Zielgehalt näher eingegrenzt ist, wenn die Staatszielbestimmung also nicht knapp, sondern detailliert formuliert ist. Ebenso liegt eine materielle Qualifizierung vor, wenn eine Staatszielbestimmung „insbesondere durch die Maßnahmen x und y zu verwirklichen ist“. 146 Insoweit ist etwa an die Kopplung einer Zielvorgabe mit einem Gesetzgebungsauftrag zu denken. 147 Eine Staatszielbestimmung „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ könnte etwa prozedural dadurch konkretisiert sein, dass anerkannte Umweltverbände qua Verfassung das Recht auf Beteiligung an denjenigen Verwaltungsverfahren hätten, die die natürlichen Lebensgrundlagen betreffen.

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2. Kap.: Begriffsklärung

sprechend qualifizierten Zielvorgabe ist es sogar denkbar, dass das Ziel allein durch eine bestimmte Maßnahme erreicht werden kann.148 Während sich die Verbindlichkeit der einfachen Staatszielbestimmungen, wie gesagt, in der Regelung des „Was“ erschöpft, schließen qualifizierte Zielvorgaben verbindliche Anweisungen zum „Wie“ der Zielverwirklichung ein. Jedenfalls in der Grundkonstellation der nicht qualifizierten Staatszielbestimmungen verfügt die Legislative bei der Umsetzung aber idealtypisch über eine weitgehende Einschätzungsprärogative hinsichtlich des „Wie“. Eine andere Frage ist es, welche Gestaltungsfreiheit der Legislative mit Blick auf das „Wann“ bzw. „Ob“ der Umsetzung zukommt. Verpflichten die Staatszielbestimmungen die Legislative zum Tätigwerden? Nach einer Ansicht ist dies zu verneinen: Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum beziehe sich auch auf das „Ob“ und das „Wann“ der Umsetzung.149 Dem kann (jedenfalls in dieser Pauschalität) nicht gefolgt werden. Es liegt nicht im Ermessen der Legislative, zu entscheiden, wann die Verpflichtung zur Verwirklichung greifen soll. Die Staatszielbestimmungen üben vielmehr einen unmittelbaren „Zwang zur politischen Entscheidung und Befassung“ aus.150 Dies heisst freilich nicht, dass die Umsetzung der Zielvorgaben auch sogleich legislatives Tätigwerden erforderte, im Gegenteil: Der Gesetzgeber kann angesichts der zur Verfügung stehenden Mittel oder der bestehenden Rechtslage zu dem Ergebnis kommen, ein entsprechendes Tätigwerden sei in der konkreten Situation unmöglich oder nicht erforderlich.151 Der Klarstellung halber sei darauf hingewiesen, dass die einfachgesetzlichen Rechtssätze, die Staatszielbestimmungen konkretisieren, keinen „besseren“ Rechtswert verkörpern, also keinen höheren Rang beanspruchen können, als die übrigen einfachen Gesetze. Der später agierende Gesetzgeber ist durch sie nicht obligatorisch gebunden (wenn er sich auch freiwillig gebunden haben mag).152 Innerhalb des einfachen Gesetzesrechts besteht keine Rangordnung. Gesetze, ___________ 148

Vgl. Sommermann, Staatsziele, S. 378 f. So etwa Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 (339 f.); ebenso Müller-Bromley, Staatszielbestimmung, S. 38. 150 s. Sterzel, ZRP 1993, S. 13 (16). 151 s. Sommermann, Staatsziele, S. 379 f. – Bleibt der Gesetzgeber untätig, obwohl offenkundiger Handlungsbedarf besteht, kann dies im äußersten Fall zu einer Verfassungswidrigkeit durch Unterlassen führen. Zu den Möglichkeiten, dies prozessual geltend zu machen, unten unter A. IV. 2. b). 152 Vgl. aber Breuer, DVBl. 1970, S. 101 (105), der für eine rechtliche Bindung des Gesetzgebers an eigene Programmgesetze (gegenüber „Normalgesetzen“) eintritt. – Der später agierende Gesetzgeber kann durch von ihm selbst erlassene Normen nur gebunden sein, wenn diese eine rechtlich als Fremdverpflichtung ausgestaltete Beschränkung enthalten. Dazu (mit Blick auf eine Bindung des Bundesgesetzgebers durch ein von ihm [etwa gem. Art. 109 Abs. 3 GG] erlassenes Grundsatzgesetz) März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 77 ff. m.w.N. 149

A. Staatszielbestimmung

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die Staatszielbestimmungen konkretisieren, lassen sich demnach jederzeit nach der allgemeinen Regel „lex posterior derogat legi priori“ ändern. Der Gesetzgeber kann also durchaus auch hinter ein bereits erreichtes Niveau der Zielverwirklichung zurückweichen.153 Anders gewendet: Bei der Umsetzung von Staatszielbestimmungen besteht grundsätzlich kein Bestandsschutz. Ein solches Verbot, hinter den einmal erreichten Stand der Zielverwirklichung zurückzuweichen, wäre letztlich auch sachwidrig.154 Der Gesetzgeber müsste bei Erlass einfachgesetzlicher Regelungen zur Umsetzung einer Staatszielbestimmung einen Verlust an Dispositionsfreiheit befürchten, und dies könnte ihn von den entsprechenden Gesetzesvorhaben abhalten.

2. Exekutive Sekundär ist (neben der Judikative) auch die Exekutive gebunden. Diese ist Adressat einer Staatszielbestimmung unabhängig davon, ob die Zielvorgabe einen Gesetzesvorbehalt155 enthält. Ein solcher Regelungs- bzw. Maßgabevorbehalt156 hat keine Auswirkung auf den Adressatenkreis. Andernfalls würde der wesentliche Inhalt der Staatszielbestimmungen preisgegeben. Ein solcher Gesetzesvorbehalt wiederholt lediglich die allgemeinen Grundsätze der Gesetzesbindung der Exekutive (Art. 20 Abs. 3 GG) und betont den Ausgestaltungsvorrang des Gesetzgebers. An der unmittelbaren Geltung der Staatszielbestimmung auch für die Exekutive ändert er nichts.157 Dies ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass auch den Gesetzgebungsaufträgen, die sich per definitionem allein an die Legislative wenden, eine bei der Gesetzesanwendung zu berücksichtigende objektive Wertentscheidung zu entnehmen ist:158 Exekutive (und Judikative) haben sie bei der Auslegung des einfachen Gesetzesrechts zu beachten. Erst recht ist bei der Gesetzesanwendung auch die Existenz einer Staatszielbestimmung zu ___________ 153

Ebenso Hillmer, Auswirkungen, S. 190 f.; Sommermann, Staatsziele, S. 415. Die Annahme eines solchen Verbots ginge zudem von der unzutreffenden Vorstellung aus, dass die Zukunft in jedem Sach- und Lebensbereich ausschließlich Verbesserungen, nicht aber auch Verschlechterung bringen kann. Die Entwicklung der Rahmenbedingungen der Zielverwirklichung ist aber eben gerade nicht in dieser Weise absehbar, und daher muss etwa auch die Zurücknahme sozialstaatlicher Leistungen zulässig sein, wenn sich die Haushaltslage verschlechtert. 155 Etwa: „Das Nähere regeln die Gesetze“, „nach Maßgabe der Gesetze“ oder „im Rahmen der gesetzlichen Ordnung“. 156 Der Begriff „Regelungsvorbehalt“ wird dem Terminus „Gesetzesvorbehalt“ vereinzelt vorgezogen, s. etwa Müller-Bromley, Staatszielbestimmung, S. 137 ff. m.w.N. 157 s. Epiney, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 20 a Rn. 52 ff.; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 167; Veith, Staatszielbestimmung, S. 291; vgl. Uhle, DÖV 1993, S. 947 (952); H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (499). 158 Dazu oben unter A. II. 1. 154

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2. Kap.: Begriffsklärung

berücksichtigen, die mit einem Gesetzesvorbehalt versehen ist. Die Exekutive hat demnach die Pflicht, alle Staatszielbestimmungen zu beachten (Art. 20 Abs. 3 GG). Den vereinzelten Stimmen, denen zufolge ein solcher Vorbehalt die verfassungsunmittelbare Wirkung einer Staatszielbestimmung für die Exekutive ausschließt,159 kann nicht gefolgt werden. Bei einem solchen Gesetzesvorbehalt handelt sich um eine nachdrückliche Pflichtenmahnung ohne eigenständigen Regelungsgehalt.160 Er hat lediglich klarstellende Funktion.161 Insbesondere kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, die Exekutive sei bei Staatszielbestimmungen, die keinen solchen Vorbehalt enthalten, von der Gesetzesbindung freigestellt.162 Der (aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete) Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) mit seinen Ausprägungen im Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes ist von der Exekutive in jedem Fall zu beachten.163 Es bleibt daher bei der Gesetzesbindung der Verwaltung auch im Fall von Staatszielbestimmungen, für die eine solche Klarstellung des in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltenen Regelungsgehalts nicht erfolgt ist. Eine andere Frage ist es, ob sich die Bindungswirkung der Staatszielbestimmungen auf die mittelbare Staatsverwaltung erstreckt. Im Regelfall verpflichtet eine Staatszielbestimmung alle Träger öffentlicher Gewalt, also auch die Gebietskörperschaften und ebenso die sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie die Beliehenen. Ihr Handeln muss mit höherrangigem Recht in Einklang stehen.164 Eine gewisse Einschränkung ergibt sich insoweit, als der Verfassunggeber bzw. der verfassungsändernde Gesetzge___________ 159

So etwa Bericht Sachverständigenkommission, S. 21 Rn. 7; Brenne, Grundrechte, S. 8 f. – Vereinzelt ist die Auffassung, eine Staatszielbestimmung sei nur an den Gesetzgeber adressiert, wenn sich ein entsprechender Maßgabevorbehalt findet, auch in der Rechtsprechung anzutreffen. So hat etwa der Saarländische Verfassungsgerichtshof judiziert, Art. 45 S. 2 SaarlVerf (zu ihm 3. Kap. unter B. I. 5.) sei allein an den Gesetzgeber gerichtet, s. SaarlVerfGH NJW 1996, S. 383 (385): Gem. Art. 50 SaarlVerf obliege dem Staat die Planung und Durchführung des wirtschaftlichen und sozialen Aufbaus nach Maßgabe der Gesetze. 160 s. (mit Blick auf Art. 20 a GG, aber zu verallgemeinern) Meyer-Teschendorf, ZRP 1994, S. 73 (78): streng juristisch gesehen „entbehrlich“; Uhle, DÖV 1993, S. 947 (952): „rein deklaratorischer Natur“; Sommermann, DVBl. 1991, S. 34 (35): „normative Tautologie“. 161 s. Müller-Bromley, Staatszielbestimmung, S. 137 ff.; Graf Vitzthum, GS Grabitz, S. 819 (844); a.A. wohl Bull, FS Thieme, S. 305 (320): „Bremse“. – In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass die Verfassung unvermeidbar (auch) zum Gefäß verfassungsrechtlicher Banalitäten wird, „wo das Selbstverständliche sich nicht mehr von selbst versteht“ (Knies, in: Merten/Schreckenberger, Kodifikation, S. 221 [243]). 162 s. H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (499). 163 Zum Inhalt des Vorrangs des Gesetzes Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 101 Rn. 3 ff.; Kloepfer, JZ 1984, S. 685 ff. 164 s. BVerfGE 33, 125 (157 ff.).

A. Staatszielbestimmung

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ber die Träger mittelbarer Staatsgewalt von der Bindungswirkung einer Staatszielbestimmung ausnehmen kann.165 Ein solcher enger gezogener Adressatenkreis kann durch entsprechende Formulierungen angezeigt sein.166 Die Frage, ob jeweils die mittelbare Staatsverwaltung eingeschlossen ist, lässt sich lediglich nach sorgfältiger Auslegung des je konkreten Falls ermitteln, also für jede Staatszielbestimmung und jede Verfassung gesondert.167 Die Verwendung der Begriffe „Land“ oder „Staat“ bzw. „Freistaat“ mag durchaus allein sprachliche Gründe haben. Es kann jedoch festgehalten werden, dass bei der Verwendung des Ausdrucks „Land“ im Rahmen einer Staatszielbestimmung in keinem Fall ausschließlich der Gesetzgeber gemeint ist:168 Bei einer Staatszielbestimmung handelt es sich, wie gesagt,169 um keinen Gesetzgebungsauftrag. Die Staatszielbestimmungen sind ebenso Maßgabe für exekutives Handeln, wenn dieses in den Formen des Privatrechts erfolgt. Mit Blick auf die Grundrechte wird insoweit zwar differenziert: Bei Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben mit privatrechtlichen Mitteln sollen die Grundrechte unmittelbar gelten („keine Flucht in´s Privatrecht“), während eine unmittelbare Bindung an die Grundrechte bei erwerbswirtschaftlicher Betätigung sowie bei fiskalischen Hilfsgeschäften abgelehnt wird. Hinsichtlich der Staatszielbestimmungen ergibt eine solche Differenzierung aber keinen Sinn, da sie immer nach Verwirklichung streben, unabhängig davon, in welcher Rechtsform der Staat tätig ist. Auch ist die Gefahr ihrer Nichtbeachtung etwa im Bereich der erwerbswirt___________ 165 Abweichend vom Regelfall – Adressierung an den Staat, d. h. auch an die Gemeinden sowie die gesamte mittelbare Landesverwaltung – könnte eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung durchaus auch allein an das Land gerichtet sein, s. Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 43 Rn. 9; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 17. 166 s. (zu Art. 63 RhPfVerf) Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 63 Rn. 4. 167 Die einzelnen Landesverfassungen verwenden die Begriffe „Land“, „Staat“ bzw. „Freistaat“ nicht notwendigerweise in demselben Sinn. Dies zeigt bereits ein Blick auf die Verfassungen der Freistaaten Sachsen und Thüringen: In der sächsischen Verfassung findet der Ausdruck „Land“ Verwendung, wenn neben dem Freistaat auch die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts des Freistaats und die seiner Gebietskörperschaften gemeint sind, und der Begriff „Freistaat“, wenn allein die unmittelbare Staatsverwaltung adressiert wird, s. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 16 m.w.N. Der gegenteilige Befund ergibt sich im Falle der Verfassung des Freistaats Thüringen. In ihr ist der Adressatenkreis bei Verwendung der Formulierung „Land“ enger gezogen, während die Begriffe „Staat“ bzw. „Freistaat“ alle Träger staatlicher Hoheitsgewalt erfassen, also neben dem Land auch seine Gebietskörperschaften und alle anderen Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts, s. Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 15 Rn. 3, Art. 36 Rn. 4; Art. 43 Rn. 9; v. Mangoldt, Verfassungen, S. 48; P. M. Huber, LKV 1994, S. 121 (123). 168 Vgl. (zu Art. 53 RhPfVerf) Bartz, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 53 Rn. 10; a.A. die ältere Kommentarliteratur, die noch vor Etablierung der Staatszielbestimmung als eigenständige Normkategorie entstanden ist, s. etwa Süsterhenn-Schäfer, RhPfVerf, Art. 53 Anm. 3. 169 s. oben unter A. II. 1.

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2. Kap.: Begriffsklärung

schaftlichen Betätigung besonders groß. Die Verwaltung ist daher unmittelbar an die Staatszielbestimmungen gebunden, wenn sie in Formen des Privatrechts handelt.170 Der Klarstellung halber sei angemerkt, dass die Exekutive auch mit Blick auf normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften und sog. Konsensvereinbarungen an die Staatszielbestimmungen gebunden ist.171 Diesen Regelungsmechanismen des kooperativen Staats kommt erhöhte Bedeutung zu in den Gebieten, in denen die Steuerungsmöglichkeiten des Gesetzgebers nachlassen.172 Auch ein kooperativer Staat vermag sich aber seinen elementaren verfassungsrechtlichen Bindungen nicht zu entziehen.173 Informelle Absprachen stehen als Handeln des Staates nicht im rechtsfreien Raum; infolge Art. 20 Abs. 3 GG unterliegen sie (jedenfalls) der Verfassung174 und folglich auch den Staatszielbestimmungen. Anders gewendet: Aus der Unverbindlichkeit der Konsensvereinbarungen175 folgt nicht ihre uneingeschränkte Zulässigkeit.176

___________ 170

s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 8 f.; a.A. allein Becker, ZG 7 (1992), S. 225 (233 Fn. 44). – Im Falle der Schaffung privatrechtlicher Einrichtungen ist es u.a. Aufgabe der Verwaltung, durch die Satzungen etc. sicherzustellen, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben beachtet werden; dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn der Gesetzgeber noch keine konkretisierenden Regelungen getroffen haben sollte. 171 Die gesetzlich bislang nicht geregelte „Konsensvereinbarung“ hat sich weder als Rechtsbegriff durchsetzen können, noch verfügt sie über trennscharfe Konturen (mitunter ist auch von „Selbstverpflichtungserklärungen“, „Selbstbeschränkungsabkommen“ und „[informellen] Absprachen“ die Rede), s. P. M. Huber, in: Koch u.a., Atomrechtssymposium, S. 329 (330 ff.); vgl. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 190 (230 ff.). 172 Im Bereich des Energie- und Umweltrechts etwa sind normersetzende, normergänzende und normvorbereitende Absprachen (zu den Abgrenzungsschwierigkeiten etwa Langenfeld, DÖV 2000, S. 929 [936]) als Handlungsinstrumente nicht erst seit der Atom-Konsens-Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und vier großen Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, aber doch insbesondere in deren Zuge von großem Interesse. Zu den Vorzügen solcher Absprachen aus Sicht des Staates wie auch aus derjenigen seiner privaten Gegenspieler etwa Dempfe, Absprachen, S. 40 ff.; Trute, in: Hendler u.a., Rückzug, S. 13 (24). 173 s. P. M. Huber, in: Koch u.a., Atomrechtssymposium, S. 329 (344). – Nichts anderes gilt im Übrigen für das gesamte verwaltungsinterne Handlungsrecht, also etwa auch die sog. Zielvereinbarungen; zu den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an Letztere etwa Hill, NVwZ 2002, S. 1059 (1062 f.). 174 s. P. M. Huber, in: Koch u.a., Atomrechtssymposium, S. 329 (337). 175 Konsensvereinbarungen dürfen nicht „durch die Hintertür“ zu Verwaltungsverträgen, Zusagen etc. umgedeutet werden, s. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 190 (242). Deshalb folgen aus ihnen weder Ansprüche auf Erfüllung der Absprache noch Ansprüche auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, s. Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 15 Rn. 20. 176 s. Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 15 Rn. 21.

A. Staatszielbestimmung

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Hinsichtlich der Frage, ob und inwiefern die Verwaltung bei der Zielverwirklichung über Gestaltungsspielraum verfügt, ist zwischen Gubernative, also dem Bereich der politischen Staatsleitung, und Verwaltung i.e.S. zu differenzieren. Auf die Gubernative treffen hinsichtlich der Verwirklichung der Staatszielbestimmungen im Wesentlichen die Ausführungen zur Legislative zu. Auch die Regierung verfügt, wenn sie von ihrem Gesetzesinitiativrecht Gebrauch macht, über die besagte weitgehende Einschätzungsprärogative.177 Demgegenüber ist im Fall der Verwaltung i.e.S. kein Verweis auf die Ausführungen zur Legislative angezeigt, da sich diese bei der Zielverwirklichung einem wesentlich engeren Korsett als die Gubernative ausgesetzt sieht. Aus dem Vorbehalt des Gesetzes folgt, dass die Verwaltung i.e.S. nicht ohne Weiteres selbstständig zum Zweck der Zielverwirklichung tätig werden darf:178 Die wesentlichen Entscheidungen muss der demokratisch legitimierte Gesetzgeber treffen.179 Auch müssen Verordnungsermächtigungen Inhalt, Zweck und Ausmaß der jeweiligen Ermächtigung näher bestimmen.180 Die Bindung der Verwaltung i.e.S. an die Staatszielbestimmungen hat demnach grundsätzlich nicht deren eigenständige Verwirklichung durch die Verwaltung i.e.S. zur Folge. Vielmehr sind die (mehr oder weniger) detaillierten Vorgaben des Gesetzgebers für die Zielverwirklichung zu beachten. Bei der weiteren Zielkonkretisierung verfügt die Verwaltung i.e.S. jedoch durch eigene Normsetzung häufig über einen gewissen Spielraum. Die Gestaltungsmöglichkeiten, die ihr insoweit im Rahmen des Stufenbaus des öffentlichen Rechts verbleiben, nehmen sich im Regelfall freilich äußerst bescheiden aus:181 Die zielkonkretisierenden Vorgaben des Gesetzgebers sind meist sehr weit ausdifferenziert. Der Spielraum der Verwaltung i.e.S. für eine eigenständige Zielbereichskonkretisierung bzw. eine eigenständige Konkretisierung der Zielverwirklichung durch Verordnungen und Satzungen ist mithin regelmäßig deutlich enger gezogen als der, über den der Gesetzgeber (im Regelfall) bei der Umsetzung der Zielvorgaben verfügt.182 ___________ 177

Zur Bedeutung der Staatszielbestimmungen bei der Politikvorbereitung Becker, ZG 7 (1992), S. 225 (236 ff.). 178 Zur Geltung des Gesetzesvorbehalts bei der Verwirklichung von Staatszielbestimmungen (mit Blick auf eine Zielvorgabe „Umweltschutz“) bereits Bericht Sachverständigenkommission, S. 101 Rn. 162. 179 Zu den wesentlichen Entscheidungen in diesem Sinne zählen insbesondere diejenigen, die eine Beschränkung von Grundrechten bedeuten, s. Hesse, Grundzüge, Rn. 509. Vereinzelt werden darüber hinaus auch die Entscheidungen als wesentlich betrachtet, die einen Bezug zu Staatszielbestimmungen aufweisen, so etwa P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 6. 180 s. (für die gesamtstaatliche Ebene) Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. 181 s. Sommermann, Staatsziele, S. 385. 182 Zum entsprechenden Gestaltungsspielraum der Legislative oben unter A. III. 1.

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2. Kap.: Begriffsklärung

In anderen Bereichen erstreckt sich die normative Wirkung der Staatszielbestimmungen auch unmittelbar auf die Verwaltung i.e.S.: Mitunter hat sie die Zielvorgaben als verbindliche „verfassungsrechtliche Wertentscheidungen“183 auch ohne zielkonkretisierende Vorgaben des Gesetzgebers zu beachten. Dies ist, wie sogleich näher ausgeführt wird, der Fall bei der Auslegung der Verfassung wie auch der der einfachen Gesetze, bei der Ermessensausübung und schließlich bei Abwägungsentscheidungen. Die Staatszielbestimmungen fungieren als Auslegungsmaßstab für das übrige Verfassungs- und das einfache Gesetzesrecht. Sie sind, ebenso wie die Gesetzgebungsaufträge,184 Teil der verfassungsmäßigen Ordnung. Bedeutung kommt ihnen insoweit v. a. bei der Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen des einfachen Gesetzesrechts („verfassungsorientierte Auslegung“185) zu.186 Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen sind daher bei der Auslegung etwa der unbestimmten Rechtsbegriffe des Landesrechts zu berücksichtigen:187 Diese Begriffe müssen staatszielbestimmungsorientiert ausgelegt werden.188 Gleiches gilt, wenn die Landesverwaltung unbestimmte Rechtsbegriffe des Bundesrechts auszulegen hat;189 sie ist bei sämtlicher Tätigkeit an „Gesetz und Recht“ gebunden, s. Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. auch Art. 1 Abs. 3 GG). Kommen bei der Anwendung einer Rechtsnorm verschiedene Auslegungen in Betracht, so ist jeweils diejenige zu wählen, die (am meisten) im ___________ 183 s. Graf Vitzthum, ZfA 22 (1991), S. 695 (698); Brunner, Problematik, S. 9: „Bestandteile der verfassungsrechtlichen Wertordnung“. 184 Zu ihnen oben unter A. II. 1. 185 Der in diesem Zusammenhang nach a.A. gebräuchliche Topos „verfassungskonforme Auslegung“ ist lediglich ein Instrument der Verfassungsgerichte im Rahmen der Normenkontrollverfahren. Ebenso Stern, Staatsrecht I, S. 136 m.w.N. 186 s. Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 68; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 6; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 161; Wienholtz, AöR 109 (1984), S. 532 (548 f.); ebenso (zu einer Staatszielbestimmung Umweltschutz) bereits Bericht Sachverständigenkommission, S. 101 Rn. 162. 187 Dies gilt freilich allein mit Blick auf diejenigen landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen, die kompetenzgemäß zustande gekommen und nicht wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht suspendiert sind. Zu ihnen 5. Kap. unter B. 188 Vgl. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 164, dem allerdings insoweit nicht beizupflichten ist, als er unbestimmte Rechtsbegriffe des Landesrechts auch im Lichte bundesrechtswidriger landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen ausgelegt wissen will: Diese Zielvorgaben sind gem. Art. 31 GG suspendiert (dazu im 4. Kap. unter D. I. 2. d]), können also nicht zur Auslegung des Landesrechts herangezogen werden. 189 Die Ausführung der Bundesgesetze und damit auch die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen des Bundesrechts ist prinzipiell den Ländern zugewiesen. Art. 83 GG konkretisiert die Grundregel des Art. 30 GG für Verwaltung dahingehend, dass immer die Landesverwaltung zuständig ist, wenn das Grundgesetz keine andere Aussage trifft. S. BVerfGE 12, 205 (244 ff.); Stern, Staatsrecht I, S. 683 f.; zum Ganzen Heitsch, Ausführung.

A. Staatszielbestimmung

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Einklang mit der einschlägigen Staatszielbestimmung steht.190 Angesichts der Vielzahl der ausgreifenden zielkonkretisierenden Vorgaben des Gesetzgebers bleibt zu konstatieren, dass die eigenständigen Gestaltungsmöglichkeiten der Verwaltung i.e.S. hinsichtlich der Zielbereichskonkretisierung bzw. der Konkretisierung der Zielverwirklichung bei der Auslegung des einfachen Rechts im Regelfall recht überschaubar ausfallen wird. Der zweite Bereich, in dem die normative Wirkung der Staatszielbestimmungen die Verwaltung i.e.S. auch ohne zielkonkretisierende Vorgaben des Gesetzgebers erreicht, ist die Ermessensausübung. Staatszielbestimmungen haben ermessensleitende Funktion.191 Kann die Verwaltung nach der Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes zwischen mehreren Rechtsfolgen wählen, so hat sie bei der Ausübung ihres (rechtlich gebundenen)192 Ermessens die Staatszielbestimmungen als verbindliche, grundlegende Wertentscheidungen der Verfassung zu berücksichtigen. Landesverfassungsrechtliche Zielvorgaben können sich demnach auf Ermessensentscheidungen der Landesverwaltung auswirken und diese in eine bestimmte Richtung beeinflussen.193 Dies gilt auch mit Blick auf das sog. Planungsermessen im Rahmen der Raum-, Fach- und Entwicklungsplanung.194 Die Staatszielbestimmungen sind Direktiven für das Ausfüllen planerischer Gestaltungsspielräume. Der Spielraum für eine eigenständige Zielbereichskonkretisierung bzw. eine eigenständige Konkretisierung der Zielverwirklichung durch die Verwaltung i.e.S. fällt im Regelfall freilich wiederum eher bescheiden aus; die zielkonkretisierenden Vorgaben des Gesetzgebers sind auch hinsichtlich des Handlungs- und Planungsermessens meist sehr differenziert.195 Schließlich erstreckt sich die normative Wirkung der Staatszielbestimmungen auch im Bereich der Abwägungsentscheidungen auf die Verwaltung i.e.S., ohne dass es dazu zielkonkretisierender Vorgaben des Gesetzgebers bedürfte. ___________ 190

Ist eine einfachgesetzliche Norm mit einer Staatszielbestimmung unvereinbar, so ist sie nichtig. Die Verwerfungskompetenz liegt in einer solchen Konstellation allerdings bekanntermaßen nicht bei der Verwaltung. Näheres unten unter A. IV. 1. u. 2. 191 s. Sommermann, DVBl. 1991, S. 34 (35); Wienholtz, AöR 109 (1984), S. 532 (550). 192 s. § 40 VwVfG bzw. die entsprechenden Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze. 193 s. Kutscha, ZRP 1993, S. 339 (343) m.w.N. – Eine von der bisherigen Praxis abweichende Ermessensentscheidung ist freilich nicht immer möglich: Die Verwaltung ist oftmals durch das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot und Verwaltungsvorschriften gebunden; dazu BVerwGE 36, 323 (327); 61, 15 (18); Stober, in: Wolff u.a., Verwaltungsrecht I, § 31 Rn. 51 ff. 194 s. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 164 f. – Zum Begriff „Planungsermessen“ etwa Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 7 Rn. 63. 195 Vgl. (zur ermessensleitenden Wirkung des Art. 20 a GG außerhalb des Umweltrechts) Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20 a Rn. 69.

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2. Kap.: Begriffsklärung

Die Zielvorgaben sind hier von Bedeutung als Abwägungsmaßstab bzw. -hilfe.196 So können die landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen der Landesverwaltung etwa Abwägungshilfen an die Hand geben.197 Der Spielraum für eine eigenständige Zielbereichskonkretisierung bzw. Konkretisierung der Zielverwirklichung ist allerdings erneut recht überschaubar, da sich die zielkonkretisierenden Vorgaben des Gesetzgebers zunehmend auch auf diejenigen Aspekte erstrecken, welche die Verwaltung i.e.S. bei Abwägungsentscheidungen zu berücksichtigen hat.198

3. Judikative Neben der Legislative und der Exekutive binden die Staatszielbestimmungen schließlich auch die Judikative. Die Gerichte müssen die Staatszielbestimmungen als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung berücksichtigen, s. Art. 20 Abs. 3 GG.199 Entgegen vereinzelter Stimmen im Schrifttum200 gilt dies auch dann, wenn eine solche Zielvorgabe einen Gesetzesvorbehalt enthält: Die Judikative ist Adressat einer jeden Staatszielbestimmung. Hier kann sinngemäß auf die entsprechenden Ausführungen zur Exekutive verwiesen werden.201 Zur selbstständigen Verwirklichung der Staatszielbestimmungen sind die Verfassungsgerichte jedoch grundsätzlich ebenso wenig befugt wie die Fachgerichte.202 Aus dem Vorbehalt des Gesetzes folgt, dass die Judikative nicht ohne Weiteres zum Zwecke der Zielverwirklichung tätig werden darf.203 Nach den ___________ 196

s. Stern, FS Thieme, S. 269 (282); Uhle, DÖV 1993, S. 947 (954); Wienholtz, AöR 109 (1984), S. 532 (549 f.). 197 s. Stern, FS Thieme, S. 269 (282). 198 s. mit Blick auf die Verwirklichung der Staatszielbestimmung Umweltschutz i. S. des Art. 20 a GG die ökologischen Unter- und Teilziele, die § 1 Abs. 6 BauGB der Verwaltung i.e.S. als abwägungsrelevante Belange im Rahmen der Bauleitplanung vorgibt. – Zum Abwägungsgebot bei der Bauleitplanung Brenner, Baurecht, Rn. 375 ff.; Oldiges, in: Steiner, BesVerwR, Abschn. III Rn. 42, 54 ff.; zur Unterscheidung zwischen Abwägungsvorgang und -ergebnis Erbguth, Baurecht, § 5 Rn. 138 ff. 199 Näher zu den Mechanismen der gerichtlichen Durchsetzung der Staatszielbestimmungen unten unter A. IV. 200 s. etwa Brenne, Grundrechte, S. 8 f. 201 Oben unter A. III. 2. 202 Zu den Termini „Verfassungsgerichtsbarkeit“ und „Fachgerichte“ Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 22. – Verfügt ein Land über kein Landesverfassungsgericht bzw. keinen Staatsgerichtshof, ist für Landesverfassungsstreitigkeiten ggf. das Bundesverfassungsgericht als Landesverfassungsgericht zuständig. Letzteres ist mit Blick auf Schleswig-Holstein (das einzige Land ohne eigenes Verfassungsgericht) der Fall, s. Art. 44 SchlHVerf i.V.m. Art. 99 GG. 203 Auch insoweit sei sinngemäß auf die entsprechenden Ausführungen bzgl. der Exekutive (oben unter A. III. 2.) verwiesen.

A. Staatszielbestimmung

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ihnen zugewiesenen Kompetenzen können die Gerichte im Regelfall nicht (wie etwa der Gesetzgeber) selbst gestaltend wirken. Lediglich soweit Gesetzeslücken durch richterliche Spruchtätigkeit gefüllt werden, soweit es also um die Schaffung von Richterrecht geht, kann die Rechtsprechung unmittelbar auf eine Staatszielbestimmung zurückgreifen.204 Die wesentliche Bedeutung der Staatszielbestimmungen liegt für die Gerichte demgegenüber (wie schon für die Verwaltung i.e.S.) zum einen in deren Eigenschaft als Auslegungsmaßstab für das übrige Verfassungs- und das einfache Gesetzesrecht. Zum anderen sind die Zielvorgaben für die Judikative im Rahmen der Ermessens- und der Abwägungsfehlerlehre von Bedeutung, soweit Ermessensausübung und Abwägungsentscheidungen gerichtlich nachprüfbar sind: Die Staatszielbestimmungen dienen als ermessensleitende Kriterien und fungieren als Abwägungsmaßstab bzw. -hilfe.205 Darauf wird im Einzelnen zurückzukommen sein.206 Die Kontrolldichte ist jeweils – insoweit kann sinngemäß auf die entsprechenden Ausführungen zu Legislative207 und Verwaltung i.e.S.208 verwiesen werden – desto größer, je konkreter eine Staatszielbestimmung gefasst ist, je geringer also die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bei der Zielkonkretisierung und -verwirklichung ausfällt. Umgekehrt sind die Grenzen der Nachprüfbarkeit gesetzgeberischen Handelns umso eher überschritten, je abstrakter eine Zielvorgabe das betreffende Ziel umschreibt, und je weniger sie durch Aussagen zum Zielverwirklichungsmodus qualifiziert ist.209

4. Exkurs: Staatszielbestimmungen als Maßgabe für das Handeln auch der Bürger? Für den Einzelnen sind Staatszielbestimmungen nicht unmittelbar verbindlich. Die Bürger sind nicht Adressaten der Staatszielbestimmungen.210 Dies gilt auch dann, wenn eine Zielvorgabe ausdrücklich die Gesellschaft, die Gemeinschaft (also die Summe aller Bürger) oder jeden Einzelnen in eine Verpflichtung des Staates einbezieht. Eine unmittelbare Drittwirkung im Sinne direkter ___________ 204

Vgl. (bezogen auf Art. 20 a GG) Kloepfer, in: BK, Art. 20 a Rn. 59. Dazu oben unter A. III. 2. 206 Eingehend zu den Mechanismen der gerichtlichen Durchsetzung der Staatszielbestimmungen unten unter A. IV. 207 Dazu oben unter A. III. 1. 208 Dazu oben unter A. III. 2. 209 Zum Unterschied zwischen einfachen und qualifizierten Zielvorgaben oben unter A. III. 1. 210 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 11. 205

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2. Kap.: Begriffsklärung

Inanspruchnahme der Bürger kann in einer solchen (die grundsätzliche Unterscheidung der Sphären von Staat und Gesellschaft unterminierenden) „Bürgerzielbestimmung“211 nicht gesehen werden. Zur Inanspruchnahme des Einzelnen bedarf es einer einfachgesetzlichen Regelung der in Staatszielbestimmungen enthaltenen Pflichten.212 Liegt ein solches Gesetz vor, kann nicht von einer unmittelbaren Drittwirkung der verfassungsrechtlichen Zielvorgabe gesprochen werden. Die Verpflichtung des Einzelnen beruht dann vielmehr unmittelbar auf dem einfachgesetzlichen Rechtssatz. Auch im Verhältnis zwischen Privaten kommen die Staatszielbestimmungen nicht unmittelbar zum Tragen. Als objektive Wertentscheidungen entfalten sie aber mittelbare Privatrechtswirkung („mittelbare Drittwirkung“213). Diese aus der Grundrechtsdogmatik bekannte, von Günter Dürig begründete214 und vom Bundesverfassungsgericht aufgegriffene,215 durch viele Entscheidungen untermauerte216 Lehre lässt sich auch mit Blick auf die Staatszielbestimmungen fruchtbar machen.217 Demnach sind diese Zielvorgaben als objektive Wertent___________ 211

Bock, Umweltschutz, S. 351. – Grundlegend zur verfassungstheoretischen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit Böckenförde, Unterscheidung; zum verfassungsrechtlichen Funktionsverhältnis dieser Bereiche Rupp, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 31 Rn. 44 ff.; zu den Topoi Verfassung, Staat und Gesellschaft aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts Badura, FG BVerfG (1976) II, S. 2 ff. – Im Zuge des Steuerungsmusters regulierter Selbstregulierung (zu dieser Antwort auf die Defizite imperativer staatlicher Steuerung Brenner, FS Scholz, S. 467 [474 f.]; mit Blick auf die Referenzgröße Umweltrecht Brandt, Verw 34 [2001], Beiheft 4, S. 123 ff.) breitet sich zunehmend ein „Mixtum“ aus Staat und Gesellschaft aus; ebenso Grimm, Verw 34 (2001), Beiheft 4, S. 9 (19). 212 s. (mit Blick auf Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 54 f. und (mit Blick auf Art. 7 Abs. 2 SächsVerf) S. 103; Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (407); vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 9, 47. Zum Denkansatz einer Drittwirkung der Staatszielbestimmungen mit Blick auf die sächsische Verfassung Degenhart, LKV 1993, S. 33 (36); ders., in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 21. 213 Krit. zum Begriff „Drittwirkung“ etwa Stern, Staatsrecht III/1, S. 1514: „eher plakative als sachlich überzeugende Terminologie“; vgl. Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 117 Rn. 54 ff. 214 s. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 (123 f.). 215 s. erstmals BVerfGE 7, 198 – Lüth. Nach dieser Lehre der mittelbaren Drittwirkung verkörpern die Grundrechte „auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften. Er ergreift vor allem Bestimmungen zwingenden Charakters und ist für den Richter besonders realisierbar durch die Generalklauseln“ (BVerfGE 7, 198 [1. und 2. LS]); Dürig wird ebd., S. 204, 206 zitiert. 216 s. etwa BVerfGE 81, 242; 86, 122; 89, 214; 90, 27; 97, 169; 99, 185; BVerfG NJW 2001, S. 957. 217 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 11. A.A. (derzufolge die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung nicht auf die Staatszielbestimmungen übertragen werden kann) Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 110: „Die Entscheidung des Verfassungge-

A. Staatszielbestimmung

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scheidungen über die einfachgesetzlichen Generalklauseln des Zivilrechts auch bei der Auslegung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften von Bedeutung. Der Klarstellung halber sei angemerkt, dass die Bürger in ihrem Verhältnis untereinander auch infolge dieser mittelbaren Drittwirkung nicht an die Staatszielbestimmungen gebunden sind. Es bleibt vielmehr bei der Bindung insbesondere des privatrechtssetzenden Gesetzgebers wie derjenigen der privatrechtsstreitentscheidenden Richter.218 Etwas anderes gilt, wenn die Bürger (Landes-)Staatsgewalt ausüben im Wege von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid. Insoweit verfügt das Volk über keine anderen Kompetenzen als der parlamentarische Gesetzgeber; wie dieser ist es u.a. an die verfassungsrechtlichen Zielvorgaben gebunden.219

IV. Mechanismen der Durchsetzung der Staatszielbestimmungen

Hinsichtlich der Möglichkeiten, die Umsetzung der Staatszielbestimmungen prozessual geltend zu machen, ist zwischen der gerichtlichen Überprüfung des Verwaltungshandelns und der Überprüfung des legislativen (Nicht-)Handelns zu unterscheiden.

1. Justitiabilität mit Blick auf Akte der Verwaltung Bei der gerichtlichen Überprüfung des exekutiven Handelns sind die Staatszielbestimmungen in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Innerhalb der Fachgerichtsbarkeit können in erster Linie die Verwaltungsgerichte diese Zielvorgaben heranziehen, und zwar zunächst bei der Überprüfung der Auslegung von einfachen Gesetzen durch die Exekutive.220 Die Staatszielbestimmungen fungieren insoweit als Auslegungsmaßstab für Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe; es handelt sich bei ihnen, wie gesagt,221 um verbindliche Wertentscheidungen der Verfassung. Hat die Verwaltung trotz entsprechender Auslegungsmöglichkeiten einen unbestimmten Rechtsbegriff in einer mit den Staatszielbestimmungen nicht zu vereinbarenden Weise ausgelegt, ist die betref___________ bers gegen eine grundrechtliche Absicherung und für die Aufnahme als Staatszielbestimmung in die Verfassung verbietet es, bei der Frage der mittelbaren Drittwirkung Staatszielbestimmungen den Grundrechten gleichzustellen“. 218 Eine andere Frage ist die der edukatorischen bzw. appellativen Wirkung der Staatszielbestimmungen. Dazu 8. Kap. unter D. III. 2. u. D. IV. 219 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 11. 220 Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 7 Rn. 4 f. 221 s. oben unter A. I. u. A. III. 2.

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2. Kap.: Begriffsklärung

fende Entscheidung rechtswidrig.222 Ist hingegen die Norm, die den unbestimmten Rechtsbegriff enthält, mit einer Staatszielbestimmung unvereinbar, ist sie nichtig. Die Verwerfungskompetenz liegt in einer solchen Konstellation bekanntermaßen lediglich dann bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit, wenn die in Rede stehende Norm zum untergesetzlichen Recht zählt.223 Des Weiteren sind die Staatszielbestimmungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen relevant (s. etwa § 114 VwGO). Im Rahmen der Ermessensfehlerlehre haben die Gerichte zu klären, ob die Verwaltung die ermessensleitenden Kriterien, u.a. die Staatszielbestimmungen,224 hinreichend beachtet hat. Wurde eine Staatszielbestimmung verkannt bzw. nicht hinreichend berücksichtigt, ist die betreffende Entscheidung der Verwaltung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig. Ebenso können die Staatszielbestimmungen im Rahmen der Überprüfung von Abwägungsvorgängen Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen sein.225 Gleiches gilt mit Blick auf die gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen, die im Rahmen von Beurteilungs- und planerischen Gestaltungsspielräumen ergangen sind. Zu einem unmittelbaren Rekurs auf Staatszielbestimmungen wird es im Zuge der Überprüfung von Akten der Verwaltung wohl eher selten kommen. Als Prüfungsmaßstab für exekutives Handeln stehen schließlich auch die zur Ausgestaltung jener Zielvorgaben erlassenen formellen Gesetze zur Verfügung.

___________ 222 s. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 170. – Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat bei der entsprechenden Überprüfung der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs durch die Verwaltung denselben Maßstab anzulegen und dieselben Kriterien in Anschlag zu bringen, wie es auch bereits die Verwaltung hätte tun müssen, um eine rechtmäßige Entscheidung zu treffen. Kommen bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs also verschiedene Auslegungen in Betracht, so ist diejenige zu wählen, die (am meisten) im Einklang mit der einschlägigen Staatszielbestimmung steht. Dazu bereits oben unter A. III. 2. 223 Gleichwohl kann die Frage, ob die betreffende Rechtsverordnung oder Satzung einer Staatszielbestimmung nicht hinreichend Rechnung trägt, auch im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle, also von der Verfassungsgerichtsbarkeit (dazu unten unter A. IV. 2.), geklärt werden: In diesem verfassungsgerichtlichen Verfahren ist auch untergesetzliches Recht Prüfungsgegenstand. Dazu (mit Blick auf Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG als Regelung auf gesamtstaatlicher Ebene) Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 8 Rn. 7; Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 128. 224 Zur ermessensleitenden Funktion dieser Zielvorgaben oben unter A. III. 2. 225 s. etwa BbgVerfG LVerfGE 8, 97 ff.

A. Staatszielbestimmung

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2. Justitiabilität mit Blick auf Handeln des Gesetzgebers Problematischer als die Justitiabilität der Staatszielbestimmungen mit Blick auf das Verwaltungshandeln ist die Frage, ob und inwieweit sich die Umsetzung solcher Zielvorgaben auch unter dem Gesichtspunkt legislativen (Nicht-) Handelns überprüfen lässt. Die Möglichkeiten prozessualer Geltendmachung unterscheiden sich hierbei danach, ob gegen positives Tun des Gesetzgebers vorgegangen werden soll oder gegen absolutes, andauerndes Nichthandeln.

a) Prozessuale Geltendmachung bzgl. Handeln des Gesetzgebers Für die Überprüfung des einfachen Gesetzesrechts ist bekanntermaßen allein die (Landes-)Verfassungsgerichtsbarkeit zuständig. Sie allein verfügt über das Verwerfungsmonopol für Gesetze im formellen Sinn.226 Die Verfassungsbeschwerde kann gegen jedwede Tätigkeit der öffentlichen Gewalt erhoben werden, auch gegen Gesetze. Prüfungsmaßstab in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren sind jedoch allein die Grundrechte bzw. grundrechtsgleichen Rechte, nicht hingegen Staatszielbestimmungen und andere Normen des objektiven Verfassungsrechts. Dem entspricht es, dass die Verfassungsbeschwerde nur zulässig ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert geltend machen kann, in seinen Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein.227 Staatszielbestimmungen können nicht unmittelbar durch Erhebung einer Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden.228 Ist eine Verfassungsbeschwerde zulässig erhoben, kann die Verfassungsgerichtsbarkeit eine Grundrechtsverletzung auch infolge der Nichtbeachtung oder Missachtung einer Staatszielbestimmung bejahen:229 Grundrechtseinschränkende Gesetze, die dem Normgehalt einer verbindlichen Norm objektiven Verfassungsrechts widersprechen, sind materiell verfassungswidrig. Dies hat insoweit besondere Bedeutung, als es seit dem Elfes-Urteil230 ständige Rechtsprechung ___________ 226

Demgegenüber sind die Fachgerichte verpflichtet, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung einzuholen, wenn sie eine entscheidungserhebliche einfachgesetzliche Norm für verfassungswidrig halten. Auf gesamtstaatlicher Ebene ergibt sich dies aus Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG, auf gliedstaatlicher etwa aus Art. 113 Abs. 3 BrbgVerf. 227 s. Ruppert, in: Umbach u.a., BVerfGG, § 90 Rn. 86 ff.; Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 218 ff. 228 Ebenso P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 19; Starck, ZG 7 (1992), S. 1 (23 f.). 229 Krit. dazu Knies, in: Merten/Schreckenberger, Kodifikation, S. 221 (244 f.), der insoweit deutliche Abstriche an dogmatischer Klarheit – hier objektiv-rechtliche Staatszielbestimmungen, dort subjektiv-rechtliche Grundrechte – konstatiert. 230 BVerfGE 6, 32 ff.

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2. Kap.: Begriffsklärung

des Bundesverfassungsgerichts ist, in Verstößen gegen rein objektives Verfassungsrecht über die Brücke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ (zugleich) Verletzungen des subjektiven Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG zu sehen.231 Als unmittelbarer Prüfungsmaßstab kommen die Staatszielbestimmungen in abstrakten und konkreten Normenkontrollen in Betracht.232 Beide Verfahren dienen der Überprüfung einfachgesetzlicher Rechtssätze am Maßstab des Verfassungsrechts. Im Wege der Normenkontrollen kann auch überprüft werden, ob die Legislative bei Erlass eines Gesetzes Verpflichtungen verletzt hat, die sich aus den Staatszielbestimmungen ergeben. Insofern kann die Verfassungsgerichtsbarkeit kontrollieren, ob der Gesetzgeber bei der Erstellung einer Gesetzesinitiative und den Beratungen des Gesetzentwurfs die herausragende Bedeutung der Staatszielbestimmungen hinreichend beachtet hat:233 Die Legislative muss sich hinreichend mit den verfassungsrechtlichen Zielvorgaben auseinandersetzen. Gelangt die Verfassungsgerichtsbarkeit zu der Auffassung, eine einfachgesetzliche Norm sei mit einer Staatszielbestimmung unvereinbar bzw. sie berücksichtige eine solche nicht hinreichend, kann sie die betreffende Norm für nichtig erklären.234 Das Verfassungsgericht kann aber auch von einer Nichtigerklärung absehen und den Gesetzgeber dazu auffordern, die in der Entscheidung benannten „Unebenheiten“ innerhalb einer bestimmten Frist zu beseitigen;235 eine derartige Appellentscheidung ist letztlich Ausdruck und Bestätigung des judicial self-restraint.236 Die Erfolgsaussichten solcher Verfahren dürften freilich als eher gering einzuschätzen sein. Eine einfachgesetzliche Regelung ist zum einen namentlich dann mit einer Staatszielbestimmung unvereinbar, wenn sie nicht verfassungsund daher u.a. nicht staatszielbestimmungskonform ausgelegt werden kann. In keinem Fall darf ein Gesetz für nichtig erklärt werden, wenn seine Verfas-

___________ 231 So wird etwa ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip zu einer Grundrechtsverletzung „transformiert“. 232 Die abstrakte Normenkontrolle ist auf gesamtstaatlicher Ebene in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG geregelt, die konkrete in Art. 100 Abs. 1 GG. 233 Vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 180. 234 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 13 f.; allg. zur Reichweite der Bindungswirkung einer solchen Normverwerfung durch das Bundesverfassungsgericht Kube, DÖV 2002, S. 737 ff. 235 s. etwa BVerfGE 39, 169 (194); 55, 100 (110); 54, 11 (37); Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu u.a., GG, Vorbem. vor Art. 70 Rn. 11 f.; Gerontas, DVBl. 1982, S. 486 (486); weiterführend Kleuker, Gesetzgebungsaufträge, S. 16 ff. 236 s. etwa Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 20 Rn. 128 f.; Rupp-v. Brünneck, FS G. Müller, S. 355 (369). – In einer solchen Konstellation steht der Legislative grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu, s. BVerfGE 51, 193 (208); Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu u.a., GG, Vorbem. vor Art. 70 Rn. 12.

A. Staatszielbestimmung

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sungswidrigkeit nicht evident ist, sondern etwa lediglich Bedenken bestehen.237 Diese verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze erst, wo an Stelle des gesetzgeberisch Gewollten eine neue oder eine andere Regelung treten bzw. die gewollte und erkennbare Bedeutung einer Norm in ihr Gegenteil verkehrt werden würde.238 Zum anderen verfügt die Legislative bei der Verwirklichung der Staatszielbestimmungen, wie gesagt,239 über einen (mehr oder weniger) weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum. Je größer er ausfällt, d. h. je weniger Anweisungen eine Staatszielbestimmung zu Weg und Mitteln ihrer Verwirklichung gibt, desto unwahrscheinlicher ist ein Verstoß gegen die betreffende Zielvorgabe. Es ist nicht Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit, eine vertretbare Entscheidung des Gesetzgebers durch eine andere zu ersetzen.240 Anders gewendet: Die Grenzen der Nachprüfbarkeit des gesetzgeberischen Handelns sind umso eher überschritten, je abstrakter eine Staatszielbestimmung das betreffende Ziel umschreibt und je weniger sie durch Aussagen zum Zielverwirklichungsmodus qualifiziert ist, je weiter also umgekehrt die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bei der Zielkonkretisierung und der Zielverwirklichung reicht.241 Die Verfassungsgerichtsbarkeit wird demnach lediglich in besonders evidenten und schwerwiegenden Fällen zur Auffassung gelangen können, eine einfachgesetzliche Norm trage einer Staatszielbestimmung nicht hinreichend Rechnung.242 Insoweit bietet sich ein Rückgriff auf die vom Bundesverfassungsgericht in Bezug auf grundrechtliche Schutzpflichten entwickelte Evidenztheorie an; nach ihr verlässt der Gesetzgeber den ihm grundsätzlich eröffneten Gestaltungsrahmen, wenn er seine Schutzpflicht „evident“ verletzt.243 ___________ 237 Angesichts der grundsätzlichen Vermutung für seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz ist etwa ein einfaches Bundesgesetz (wie auch jede andere im Verhältnis zu einer verfassungsrechtlichen Norm niederrangige Vorschrift) nicht für ungültig zu erklären, wenn es im Zweifel im Einklang mit dem Grundgesetz ausgelegt werden kann. Erstmals zu dieser verfassungskonformen Auslegung BVerfGE 2, 266 (282); st. Rspr.; Stern, Staatsrecht I, S. 135 f.; Zippelius, FG BVerfG (1976) II, S. 108 (108 ff.) m.w.N.; grundlegend Imboden, FS H. Huber, S. 133 (158 ff.). 238 Vgl. BVerfGE 2, 380 (398); 70, 35 (63 f.); Hesse, Grundzüge, Rn. 80; Prümm, Verfassung, S. 242; Simon, EuGRZ 1974, S. 85 (89 ff.). 239 s. oben unter A. III. 1. 240 So auch (mit Blick auf die Umsetzung der Staatszielbestimmung Umweltschutz, Art. 10 Abs. 1 SächsVerf) SächsVerfGH SächsVBl. 1995, S. 160 (161). 241 Vgl. bereits oben unter A. III. 3. 242 Vgl. Sommermann, Staatsziele, S. 386; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 16 f.; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 168; Badura, ThürVBl. 1992, S. 73 (75); in diese Richtung auch Bericht Sachverständigenkommission, S. 50 Rn. 60. 243 s. BVerfG NJW 1983, S. 2931; UPR 1981, S. 19 (21). – Zu strukturellen Parallelen zwischen grundrechtlichen Schutzpflichten und Staatszielbestimmungen oben unter A. II. 3.

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2. Kap.: Begriffsklärung

Gegenstand einer Organklage können die Staatszielbestimmungen nicht sein. Bei einem Organstreitverfahren geht es namentlich um die Frage der Einhaltung von Verfassungsvorschriften, die das Rechtsverhältnis von Antragsteller und Antragsgegner betreffen; der Antragsteller muss vorbringen, durch den Antragsgegner in seinen verfassungsrechtlichen Rechten oder Pflichten verletzt zu sein.244 Im Fall der Staatszielbestimmungen ist dies ausgeschlossen.245 Nach alldem kann den vereinzelten Stimmen, die Entscheidungen des Gesetzgebers mit Blick auf die Verwirklichung von Staatszielbestimmungen im Grundsatz als nicht justitiabel erachten,246 nicht gefolgt werden. Sie differenzieren nicht hinreichend zwischen den geringen Erfolgaussichten etwaiger Normenkontrollverfahren und der Tatsache, dass die Staatszielbestimmungen Prüfungsmaßstab für einfaches Gesetzesrecht sind. Die Missachtung einer solchen Zielvorgabe stellt ebenso wie deren Nichtbeachtung einen potentiell justitiablen Verfassungsverstoß dar.

b) Prozessuale Geltendmachung bzgl. absolutem Nichthandeln Schwieriger gestaltet sich die prozessuale Geltendmachung, wenn der Gesetzgeber seine Pflicht, eine Staatszielbestimmung zu verwirklichen, durch absolutes, andauerndes Nichthandeln verletzt. Ein absolutes gesetzgeberisches Unterlassen kann weder mit der abstrakten noch mit der konkreten Normenkontrolle geltend gemacht werden:247 Normenkontrollen setzen bereits begrifflich eine Norm voraus, die auf Vereinbarkeit mit der jeweiligen Verfassung überprüft wird. Demgegenüber ist ein Organstreitverfahren zwar (auch) gegen legislatives Unterlassen möglich. Im Fall von Staatszielbestimmungen fehlt es aber an der Gegenseitigkeit verfassungsrechtlicher Rechte und Pflichten von Antragsteller und Antragsgegner. Gegen absolutes Nichthandeln der Legislative ___________ 244 s. mit Blick auf die gesamtstaatliche Ebene Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 64 Abs. 1 BVerfGG. Für Organstreitverfahren vor den Landesverfassungsgerichten greifen ähnliche Regelungen, s. etwa §§ 14 Nr. 1, 36 ff. BerlVerfGHG v. 8.11.1990 (BerlGVBl. S. 2246) für das Organstreitverfahren nach Art. 84 Abs. 2 Nr. 1 BerlVerf, dazu v. Lampe, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 84 Rn. 50 ff. 245 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 18; a.A. wohl Brenne, Grundrechte, S. 9 f. 246 s. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu u.a., GG, Art. 20 a Rn. 10; Brenne, Grundrechte, S. 10; Schink, DÖV 1997, S. 221 (223). Vgl. (nicht widerspruchsfrei) Rux, NJ 1992, S. 147 (148), der zwar von der Justitiabilität der Staatszielbestimmungen ausgeht, eine Klagbarkeit aber bei fehlender Leistungsfähigkeit des Staates verneint. 247 Für die gesamtstaatlicher Ebene s. Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 8 Rn. 10 (abstrakte Normenkontrolle); Dollinger, in: Umbach u.a., BVerfGG, § 80 Rn. 45 (konkrete Normenkontrolle).

A. Staatszielbestimmung

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hinsichtlich der Verwirklichung einer Staatszielbestimmung kann daher nicht im Wege einer Organklage vorgegangen werden. Gegen ein absolutes legislatives Unterlassen kann lediglich die Verfassungsbeschwerde erhoben werden.248 Deren (unmittelbarer) Prüfungsmaßstab beschränkt sich jedoch, wie gesagt, auf Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte. Macht der Beschwerdeführer nicht substantiiert geltend, in diesen verletzt zu sein, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig. Staatszielbestimmungen als verbindliche Normen des objektiven Verfassungsrechts können demnach auch im Fall des absoluten gesetzgeberischen Unterlassens nicht unmittelbar durch Erhebung einer Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden.249 Wenn der Gesetzgeber seine Pflicht, eine Staatszielbestimmung zu verwirklichen, durch absolutes, andauerndes Nichthandeln verletzt, kann die betreffende Zielvorgabe demnach nicht durch ein verfassungsgerichtliches Verfahren durchgesetzt werden. Dies fällt allerdings kaum ins Gewicht. Vor dem Hintergrund, dass mittlerweile alle Sach- und Lebensbereiche gesetzlichen Regelungen unterliegen, wird regelmäßig argumentiert werden können, die Regelungen eines bestimmten Bereiches seien mit Blick auf die Umsetzung dieser oder jener Staatszielbestimmung ungenügend. Bei einem solchen „Teilunterlassen“ ist eine abstrakte Normenkontrolle ebenso möglich wie eine konkrete.250 Der Verstoß gegen eine Staatszielbestimmung wird freilich auch im Falle der Geltendmachung eines solchen „Teilunterlassens“ lediglich in besonders evidenten und schwerwiegenden Fällen festzustellen sein.251 Bei der entsprechenden richterlichen Überprüfung im Wege der abstrakten bzw. konkreten Normenkontrolle ist u.a. zu untersuchen, ob bzw. inwiefern der Gesetzgeber über die Kompetenzen zur Zielverwirklichung verfügt, und es ist der Zeitfaktor in die Würdigung einzubeziehen. Allenfalls dann, wenn der Gesetzgeber über einen bestimmten Zeitraum hinweg nichts unternommen hat, um dem Ziel näher zu kommen, obwohl er über die entsprechenden Kompetenzen verfügt und ein Tätigwerden durch Erlass bzw. Änderung eines Gesetzes zwingend geboten gewesen wäre, mag ein Verstoß der fraglichen einfachgesetzlichen Rechtssätze gegen eine Staatszielbestimmung vorliegen. In diesem Zusammenhang kann auf die zu den Gesetzgebungsaufträgen entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden. Zu berücksichtigen sind etwa der Grad der Komplexität der betreffenden Thematik (im Fall von Staatszielbestimmungen wird es regelmäßig ein hoher sein), das Ausmaß der Einbeziehung der Öffentlichkeit wie auch die Belastung des Ge___________ 248 Dazu mit Blick auf die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 12 Rn. 34. 249 Vgl. oben unter A. IV. 2. a). 250 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 19 f.; zum „Teilunterlassen“ i. S. der Unvollständigkeit einer Norm Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 8 Rn. 10. 251 Dazu bereits oben unter A. IV. 2. a).

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2. Kap.: Begriffsklärung

setzgebers mit anderen Gesetzgebungsvorhaben.252 Unternimmt der Gesetzgeber trotz Zuständigkeit nichts zur Verwirklichung einer Staatszielbestimmung, wird dies nur in den seltensten Fällen als Verfassungsverstoß einzuordnen sein.253 Mangelt es ihm bereits an der Kompetenz für die einfachgesetzliche Konkretisierung, ist ein solcher Verstoß ohnehin ausgeschlossen.

3. Zusammenfassung Der Einzelne kann die Staatszielbestimmungen nicht unmittelbar (etwa mit der Verfassungsbeschwerde) durchsetzen. Diese verfassungsrechtlichen Zielvorgaben begründen keine subjektiven öffentlichen Rechte. Es handelt sich bei ihnen um Sätze rein objektiven Verfassungsrechts, nicht um Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte. In einem Verstoß gegen eine Staatszielbestimmung kann jedoch über die Brücke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ (zugleich) die Verletzung des subjektiven Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG liegen. Die Staatszielbestimmungen sind daher aus Sicht des Einzelnen mitunter mittelbar durchsetzbar: Gegen grundrechtseinschränkende Gesetze, die dem Normgehalt einer solchen Zielvorgabe widersprechen (und daher materiell verfassungswidrig sind), kann er im Wege der Verfassungsbeschwerde vorgehen. Als unmittelbarer Prüfungsmaßstab kommen die Staatszielbestimmungen im Rahmen abstrakter und konkreter Normenkontrollen in Betracht. Auf diesem Wege kann etwa überprüft werden, ob die Legislative bei Erlass des einfachen Gesetzesrechts Pflichten verletzt hat, die sich aus den Staatszielbestimmungen ergeben. Die Grenzen der Nachprüfbarkeit des gesetzgeberischen Handelns sind insoweit umso eher überschritten, je weiter die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bei der Zielkonkretisierung und Zielverwirklichung reicht. Die Erfolgsaussichten entsprechender Verfahren dürften damit grundsätzlich als eher gering einzuschätzen sein. Neben diesen verfassungsgerichtlichen Verfahrensarten sind auch die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten als Mechanismen der Durchsetzung der Staatszielbestimmungen zu nennen. Die Staatszielbestimmungen sind nicht lediglich als Auslegungsmaßstab für das einfache Gesetzes- und das übrige Verfassungsrecht von Bedeutung, sondern auch im Rahmen der Ermessens- und der Abwägungsfehlerlehre als ermessensleitende Kriterien und als Abwägungshilfe bzw. -maßstab. Ein unmittelbarer Rekurs auf Staatszielbestimmungen wird hier allerdings die Ausnahme bleiben, da bei der Überprüfung des exekutiven Han___________ 252 So hat das Bundesverfassungsgericht etwa für die Umsetzung des in Art. 6 Abs. 5 GG enthaltenen Gesetzgebungsauftrags eine Frist von fünf Legislaturperioden gesetzt, s. BVerfGE 25, 167 (184 ff.). 253 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 17.

B. Zieldivergenz und Zielkonkurrenz

105

delns auch die einfachgesetzlichen Rechtssätze, durch welche diese Zielvorgaben konkretisiert werden, als Prüfungsmaßstab zur Verfügung stehen. Abschließend kann die Justitiabilität der Staatszielbestimmungen festgehalten werden:254 Ihre Beachtung als unmittelbar bindende Verfassungsnormen durch Legislative und Exekutive ist gerichtlich überprüfbar. Auf einem anderen Blatt stehen die eher geringen Erfolgsaussichten entsprechender Verfahren.

B. Zieldivergenz und Zielkonkurrenz I. Zieldivergenz

Als Zieldivergenzen sind nach hier zugrunde gelegtem Ansatz diejenigen Unterschiede zu bezeichnen, die aus Inter-Ebenen-Perspektive zwischen den in den Verfassungen geflochtenen Kränzen aus Staatszielbestimmungen bestehen. Es geht also etwa darum, ob eine Staatszielbestimmung auf der gesamtstaatlichen Ebene verankert ist, die auf der gliedstaatlichen keine Entsprechung findet, nicht aber darum, die Zielvorgaben der einzelnen Landesverfassungen miteinander zu vergleichen.255 Solche Zieldivergenzen können sich in drei verschiedenen Richtungen ergeben. Zunächst ist es denkbar, dass eine Landesverfassung eine Staatszielbestimmung enthält, deren Pendant auf gesamtstaatlicher Ebene anders ausgestaltet ist (Zielkollision, unten 1.). Ebenso kann ein bestimmter Sachbereich bzw. ein Ausschnitt eines Sachbereichs als Staatszielbestimmung nur in der gesamtstaatlichen, nicht aber auch in der gliedstaatlichen Verfassung (oder umgekehrt) enthalten sein (überschießende Zielbestimmung, unten 2.). Schließlich ist es möglich, dass sich das Zielgefüge des Grundgesetzes und das einer Landesverfassung unterscheiden (unten 3.).

1. Zielkollisionen Eine Zielkollision liegt vor, wenn zwei auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelte Staatszielbestimmungen denselben Ausschnitt eines bestimmten Le___________ 254

Ebenso Bericht Sachverständigenkommission, S. 50 Rn. 60; Dietlein, Grundrechte, S. 129 f. A.A. Merten, VerwArch 83 (1992), S. 283 (297 f.): Nichtbeachtungen bzw. Missachtungen von Staatszielbestimmungen seien nicht justitiabel. 255 Für die Durchdringung des Zusammenspiels der Staatszielbestimmungen in deren spezifischem Mehr-Ebenen-Verhältnis bietet der Vergleich der Zielgefüge, die auf derselben Ebene liegen, keinen Erkenntnisgewinn: Aspekten, denen eine Intra-EbenenSicht zu Grunde liegt, kommt im Rahmen der vorliegenden Arbeit, wie gesagt (oben in der Einleitung unter A.), keine Bedeutung zu.

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2. Kap.: Begriffsklärung

bens- und Normbereichs unterschiedlich regeln. Im Fall von Zielvorgaben, die sich auf unterschiedliche Ausschnitte eines Sachbereichs beziehen, sind Zielkollisionen hingegen von vornherein ausgeschlossen. Anknüpfungspunkt für die Frage, ob eine identische Regelung oder eine Zielkollision vorliegt, ist der Verfassungstext, also der Wortlaut der jeweiligen Zielbestimmungen, nicht ihr im Wege der Auslegung zu ermittelnder Gehalt. Kollisionsfähig sind lediglich die wirksamen Zielbestimmungen.256 Der Terminus „Zielkollision“ hat keine Entsprechung in anderen Bereichen der staatsrechtlichen Dogmatik. Vergleichbares findet sich noch am ehesten in der Allgemeinen Grundrechtslehre. Diese verwendet den Begriff „Grundrechtskollision“, wenn zwei durch Grundrechte geschützte, einander entgegengesetzte Verhaltenweisen bzw. ebensolche Rechtsgüter verschiedener Personen zusammenstoßen.257 Bei ihr handelt es sich um eine Rechtsgüterkollision. Im Gegensatz dazu spricht man in Konstellationen, in denen mehrere Grundrechte nebeneinander denselben Grundrechtsträger schützen, von „Grundrechtskonkurrenz“. Diese bezeichnet demnach eine Situation, in der Grundrechte als rechtliche Instrumente darum konkurrieren, Handlungen bzw. Integritäten desselben Grundrechtsträgers zu schützen.258 Die Konstellation der Zielkollision stellt weder eine Parallele zu derjenigen der Grundrechtskollision dar noch zu der der Grundrechtskonkurrenz. Anders als diese nimmt die Zielkollision Normen allein im Mehr-Ebenen-Verhältnis in den Blick;259 die vertikale Perspektive ist ihr immanent.260 Gleichwohl bestehen gewisse Berührungspunkte. Während im Fall der Zielkollision Zielbestimmungen verschiedener Ebenen denselben Sachbereich unterschiedlich regeln, gilt die Grundrechtskollision der Konstellation, dass zwei durch Grundrechte ge___________ 256 Eine wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht nichtige Staatszielbestimmung des Grundgesetzes wäre nicht zielkollisionsfähig. Gleiches gilt für eine unwirksame landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung. 257 Dazu Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 1 Rn. 319 ff. m.w.N.; grundlegend Bethge, Grundrechtskollisionen. Vgl. Lerche, Übermaß, S. 132, der von „Grundrechtskonflikten“ spricht. 258 Dazu etwa Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 1 Rn. 289 ff. 259 Vgl. aber Dietlein, Grundrechte, S. 49, 55, der im Gegensatz zur herkömmlichen Terminologie zwischen Grundrechtskollisionen i.e.S. und solchen i.w.S. unterscheidet: Eine Grundrechtskollision i.e.S. liege vor, wenn Bundes- und ein Landesgrundrecht auf denselben Sachverhalt anwendbar sind und für diesen Sachverhalt zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können (S. 49), eine Grundrechtskollision i.w.S. hingegen dann, wenn eine über das grundgesetzlich gebotene Mindestmaß hinausgehende landesverfassungsrechtliche Grundrechtsverbürgung mit einfachgesetzlichem Bundesrecht kollidiert (S. 55). 260 Nur der Klarheit halber sei darauf hingewiesen, dass die Kategorisierung horizontal/vertikal allein der verdeutlichenden Differenzierung dient; rechtsgrundsätzliche Aussagen, etwa im Sinne einer generellen Überordnung des Gesamtstaates über die deutschen Länder, lassen sich ihr nicht entnehmen.

B. Zieldivergenz und Zielkonkurrenz

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schützte, einander entgegengesetzte Verhaltenweisen bzw. ebensolche Rechtsgüter verschiedener Personen zusammenstoßen. Während bei einer Zielkollision also zu klären ist, ob sich letztlich die Zielbestimmung der einen oder diejenige der anderen Ebene durchsetzt, stellt sich in den Fällen der Grundrechtskollision die Frage, welches Grundrecht bzw. welche Seite zum Zug kommt.261 Entsprechend verlangen Grundrechtskonkurrenzen Aufschluss darüber, welches der konkurrierenden Grundrechte maßgebend ist und sich durchsetzt.262 Zwecks näherer Systematisierung ist zwischen Zielkollisionen i.e.S. und solchen i.w.S. zu differenzieren.

a) Zielkollision i.e.S. Als Zielkollision i.e.S. ist der Fall zu bezeichnen, dass Staatszielbestimmungen, die auf unterschiedlichen Ebenen denselben Ausschnitt eines bestimmten Sachbereichs regeln, in entgegengesetzte Richtungen weisen. Entscheidend hierfür ist, wie gesagt,263 allein der Wortlaut der jeweiligen Zielbestimmungen, nicht ihr im Wege der Auslegung zu ermittelnder Gehalt. Eine solche Kollision läge etwa vor, wenn Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG ein landesverfassungsrechtliches Gebot der Abkehr von Europa gegenüber stehen würde.264 Der Begriff „Zielkollision i.e.S.“ bezeichnet mithin diejenigen Fälle, in denen im Verhältnis der Zielbestimmungen generell eine Normenkollision i. S. des Art. 31 GG vorliegt. Bei Gegensätzlichkeit der Normanordnungen lässt sich eine Landesnorm nicht bundesrechtskonform auslegen,265 und so bliebe im Fall einer Zielkollision i.e.S. auch der Versuch einer bundeszielkonformen Auslegung der betreffenden landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung ohne Erfolg.

___________ 261 Die Antwort ergibt sich im Zuge des Herstellens praktischer Konkordanz. Grundlegend dazu Hesse, Grundzüge, Rn. 72, 317 f. – Dazu mit Blick auf Staatszielbestimmungen 7. Kap. unter A. II. 3. 262 Von praktischer Bedeutung ist diese Frage etwa dann, wenn nicht alle der konkurrierenden Grundrechte einen ausdrücklichen Schrankenvorbehalt aufweisen bzw. die Schranken unterschiedlich formuliert sind. Zur Lösung solcher Schrankenkonkurrenzen etwa Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 1 Rn. 289 ff. m.w.N. 263 s. oben unter B. I. 1. vor a). 264 Zur Einordnung des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG als Staatszielbestimmung „Entwicklung der Europäischen Union“ im 3. Kap. unter A. 265 Dazu 4. Kap. unter D. I. 2. b) bb).

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2. Kap.: Begriffsklärung

b) Zielkollision i.w.S. Um eine Zielkollision i.w.S. handelt es sich, wenn die beiden Zielbestimmungen für denselben Ausschnitt eines bestimmten Sachbereichs gleichgerichtet, aber unterschiedlich formuliert bzw. ausgeformt sind. Solche Unterschiede können etwa hinsichtlich Regelungsvorbehalt, Abwägungsklauseln wie auch mit Blick auf die Qualifizierung einer Staatszielbestimmung bestehen.266 Eine Kollision i.w.S. liegt also dann vor, wenn in eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung „Gleichstellung der Geschlechter“ im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG ein ausdrücklicher Regelungsvorbehalt einbezogen würde.267 Als anderes Beispiel sei die Ausformung einer Staatszielbestimmung des Grundgesetzes als „besonders wichtige Aufgabe“ genannt, während die Parallelvorgabe in einer Landesverfassung nicht entsprechend ausgestaltet ist. Ebenso handelt es sich um eine Zielkollision i.w.S., wenn die Konkretisierungen der Staatszielbestimmungen divergieren, wenn also unterschiedliche Vorgaben für die Art und Weise der Zielverwirklichung vorliegen, oder eine Zielvorgabe umfängliche Konkretisierungen aufweist, während die andere nicht (entsprechend) qualifiziert ist.268 Insoweit sei der Klarstellung halber darauf hingewiesen, dass zu den Konkretisierungen in diesem Sinne nicht lediglich solche Veranschaulichungen zählen, die sich in der Norm finden, in der auch die jeweilige Staatszielbestimmung verankert ist: Als Konkretisierungen kommen vielmehr auch Bestimmungen zum Zielverwirklichungsmodus in Betracht, die in einer anderen Vorschrift enthalten sind, sofern sie sich auf die betreffende Zielvorgabe beziehen.269 Bei einer Zielkollision i.w.S. liegt folglich (anders als bei einer i.e.S.) nicht von vornherein eine Normenkollision i. S. des Art. 31 GG vor. Unterschiedlich ausgeformte, von ihren Normanordnungen her nicht gegensätzliche Staatszielbestimmungen lassen sich regelmäßig bundesrechtskonform auslegen.270

___________ 266 Vgl. (wenn auch auf einem von der gängigen Terminologie abweichenden Gedankengebäude aufbauend) Kirsch, Homogenität, S. 161 ff. 267 Zur Einordnung des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG als Staatszielbestimmung „Gleichstellung der Geschlechter“ im 3. Kap. unter A. 268 Hinsichtlich der Qualifizierung einer Staatszielbestimmung kann zwischen drei verschiedenen Varianten differenziert werden: Es sind materielle (also inhaltliche), formelle und prozedurale Konkretisierungen denkbar. Dazu oben unter A. III. 1. 269 Nicht unter dem Topos „Zielkollision i.w.S.“ zu thematisieren sind Konkretisierungen, die ihrerseits als Staatszielbestimmungen einzuordnen sind. Sie finden ausschließlich unter den zwei anderen Aspekten der Zieldivergenzen („überschießende Staatszielbestimmungen“ und „Unterschiede im Zielgefüge“) Berücksichtigung. 270 Zu den Voraussetzungen einer Normenkollision i. S. des Art. 31 GG im Einzelnen im 4. Kap. unter D. I. 2. b).

B. Zieldivergenz und Zielkonkurrenz

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2. Überschießende Staatszielbestimmungen Auch mit Blick auf die überschießenden Staatszielbestimmungen, den zweiten Aspekt der Zieldivergenzen, lässt sich eine weitere Differenzierung treffen. Aus Inter-Ebenen-Sicht kann sich sowohl die Anzahl der Sachbereiche unterscheiden, die in den Verfassungen durch Staatszielbestimmungen ausgestaltet sind, als auch die Anzahl der Zielvorgaben, die denselben Sachbereich aufgreifen. Überschießende Zielvorgaben liegen daher zum einen dann vor, wenn sich die Anzahl der Sachbereiche unterscheidet, die in den jeweils gegenübergestellten Verfassungen durch Staatszielbestimmungen geregelt sind. In einer der beiden Verfassungen muss insoweit zumindest eine Zielvorgabe verankert sein, die sich auf einen Lebens- und Sachbereich bezieht, der in der anderen Verfassung keine Ausgestaltung als Staatszielbestimmung erfahren hat. Um eine überschießende Zielvorgabe handelt es sich zum anderen jedoch auch dann, wenn in beiden Verfassungen zwar derselbe Lebens- und Sachbereich eine Regelung durch Staatszielbestimmungen gefunden hat, (zumindest) ein Ausschnitt des betreffenden Lebens- und Sachbereichs aber nicht in beiden Verfassungen durch Staatszielbestimmungen ausgestaltet wird. Dies ist etwa der Fall, wenn sich die eine der gegenübergestellten Verfassungen auf eine allgemeine Staatszielbestimmung beschränkt, während die andere zudem konkretisierende Zielvorgaben enthält.

3. Unterschiede im Zielgefüge Der dritte Aspekt der Zieldivergenzen gilt neben den unterschiedlichen Mechanismen, mit denen den Staatszielbestimmungen ihre Stellung im Zielgefüge zugewiesen wird, der divergierenden Zuordnung von Zielvorgaben zu denjenigen Instrumentarien, die sich in den gegenübergestellten Verfassungen finden. Anders gewendet: Ein Unterschied im Zielgefüge liegt zum einen vor, wenn ein bestimmter Mechanismus der Zuweisung des Platzes im Zielgefüge lediglich in einer der gegenübergestellten Verfassungen in Ansatz gebracht ist; zum anderen handelt es sich auch dann um jenen dritten Aspekt der Zieldivergenzen, wenn Staatszielbestimmungen den Instrumentarien, die in beiden Verfassungen Verwendung finden, unterschiedlich zugeordnet sind. Zur näheren Systematisierung ist hinsichtlich der Mechanismen, mit denen den Zielvorgaben ihre Stellung im Zielgefüge zugewiesen wird, zwischen solchen grammatischer und solchen systematischer Art zu differenzieren: Welchen Platz eine Staatszielbestimmung im Zielgefüge einnimmt, findet seinen Ausdruck einerseits in ihrer Formulierung, andererseits in ihrer Stellung im Gesamt des Verfassungstextes.

110

2. Kap.: Begriffsklärung

Um grammatische Instrumentarien für die Zuweisung des Platzes im Zielgefüge handelt es sich bei der Formulierung einer Staatszielbestimmung als reiner Schutz-, Bewahrungs- oder Sicherungsauftrag, bei der Ausgestaltung als Förderauftrag oder als Kombination aus Schutz und Förderung bzw. Pflege sowie bei der Formulierung einer Zielvorgabe als Bekenntnis oder als Anstrebensbzw. Hinwirkensklausel. Mechanismen grammatischer Art liegen ebenfalls vor, wenn eine Staatszielbestimmung explizit als „Pflicht“ formuliert ist, sowie wenn eine Zielvorgabe keine objektiv-rechtliche Fassung, sondern eine Verankerung als „Recht“ gefunden hat. Gleiches gilt für die Formulierung einer Zielvorgabe als „besonderer“ Schutzauftrag wie auch für die explizite Bezeichnung als „Staatsziel“ oder „Staatszielbestimmung“. Mechanismen systematischer Art sind die (zusätzliche) Verankerung von Zielvorgaben in den Staatsstrukturprinzipien, die Aufnahme in die Präambel und ihre Zuordnung zu einem änderungsfesten (da von einer Revisionssperrklausel umfassten) Kern der Verfassung. Des Weiteren kann eine Staatszielbestimmung in einem eigenen Artikel oder Absatz ausgestaltet sein, während andere Zielvorgaben eine gemeinsame Verankerung gefunden haben. Um einen systematischen Aspekt der Zuweisung des Platzes im Zielgefüge handelt es sich ebenso bei der Stelle, an der eine Staatszielbestimmung im Haupttext zu finden ist: Die eine Zielvorgabe mag im Haupttext an vorderer Stelle stehen, eine andere erst weit(er) hinten. Ein weiterer jener Mechanismen liegt darin, eine Staatszielbestimmung hinsichtlich der Wege und Mittel für ihre Verwirklichung zu konkretisieren, während andere Zielvorgaben keine Qualifizierung aufweisen.271 Auch das Verhältnis von abstrakten und speziellen Staatszielbestimmungen ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Für das Zielgefüge ist es nicht ohne Bedeutung, wenn einem bestimmten Lebensbereich neben einer abstrakten Zielvorgabe spezielle Staatszielbestimmungen gewidmet sind, die einzelne Ausschnitte des betreffenden Bereichs aufgreifen.272 Um weitere systematische Instrumentarien handelt es sich bei der Flankierung von Zielvorgaben durch subjektive Rechte, bei der Abstützung von Staatszielbestimmungen im Rahmen der Grundrechtsschranken und ihrer Kombination mit einer Grundpflicht ( – also dann, wenn eine Zielvorgabe [auch] an die Gesellschaft bzw. die Bürger gerichtet ist). Gleiches gilt für die Abstützung einer Staatszielbestimmung im Rahmen

___________ 271

Zu den drei verschiedenen Varianten der Qualifizierung von Staatszielbestimmungen näher oben unter A. III. 1. 272 Insoweit bedarf es einer Abgrenzung von der Konkretisierung des Zielbereichs (d. h. Ausdifferenzierung in Unterziele, hier ggf.: Sicherheit, Gesundheit und wirtschaftliche Interessen) zur Konkretisierung der Zielverwirklichung.

B. Zieldivergenz und Zielkonkurrenz

111

der Erziehungsziele sowie für ihre Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung oder mit einem Gesetzesvorbehalt.273 Nur der Klarheit halber sei darauf hingewiesen, dass zum Zielgefüge im hier verstandenen Sinn allein diejenigen Normen rechnen, die als Staatszielbestimmungen einzuordnen sind.274 Unabhängig davon darf der Staat auch Ziele verfolgen, die keine verfassungsrechtliche Verankerung als Staatszielbestimmung gefunden haben ( – soweit sie von der Rechtsordnung nicht verboten sind).275 Es existiert kein verfassungsrechtlicher Staatszielvorbehalt, d. h. die Berücksichtigung anderer Ziele als derjenigen, die im jeweiligen verfassungsrechtlichen Staatszielkatalog enthalten sind, ist zulässig.276 Dies ergibt sich nicht zuletzt aus Art. 20 Abs. 3 GG. Es ist dementsprechend für den Gesetzgeber nicht ausgeschlossen, neben den als Staatszielbestimmungen verankerten Zielvorgaben auch andere Bereiche bzw. Güter mit Verfassungsrang zu regeln.277 Gesetzgebung und Politik erschöpfen sich nicht in bloßem Verfassungsvollzug, sie sind nicht auf die Umsetzung der Vorgaben der Staatszielkataloge zu reduzieren.278 Andernfalls ließe sich weder dem Prinzip der Gewaltenteilung noch dem parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes bzw. (abgesichert in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) der Landesverfassungen hinreichend Rechnung tragen.

___________ 273

s. aber H.-P. Schneider, RuP 1991, S. 160 (163), der zumindest missverständlich meint, dass es „den Staatszielen fremd ist, unter den Vorbehalt einfacher Gesetze gestellt zu werden“. 274 Zu ihnen im 3. Kap. 275 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 172 f.; Hesse, KritV 76 (1993), S. 7 (12). – Die Verfassung enthält neben den Staatszielbestimmungen auch Ziele, die sich aus Verfassungsrechtsgütern ergeben, die also im Wege politischer Zielsetzungen verfolgt werden können. Insoweit ist auf die Kategorie des „legitimen Ziels“ zu rekurrieren, die etwa aus der (Grundrechts-)Verhältnismäßigkeitsprüfung bekannt ist: Solche legitimen öffentlichen Belange ergeben sich aus jedweder Erwähnung eines Belangs in der Verfassung, etwa auch aus den Gesetzgebungskompetenzen. 276 Ebenso mit Blick auf das Grundgesetz BVerfGE 62, 1 (43); Isensee, in: ders./ Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 41, 44 f.; Wahl, AöR 112 (1987), S. 26 (46). 277 Daneben besteht auch für Exekutive und Judikative ein – infolge der Bindung an die Vorgaben der Legislative (neben der Bindung an die Verfassung) gem. Art. 20 Abs. 3 GG freilich geringerer – Spielraum bzw. Handlungsauftrag für die Verwirklichung legitimer öffentlicher Ziele. 278 Einfache Gesetze sind nicht lediglich Ausführungsregelungen verfassungsrechtlicher Vorgaben, ihr Inhalt ist nicht ohne Weiteres aus dem Grundgesetz ableitbar: Der Gesetzgeber verfügt über einen politischen Gestaltungsspielraum, s. Stern, Staatsrecht I, S. 85; ähnlich Bericht Sachverständigenkommission, S. 31 f. Rn. 25. – Es sollte daher niemand in der Legislative „vor der Kärrnerarbeit in der Politik, auch und gerade in den politischen Parteien, flüchten und das Heil von Änderungen und Ergänzungen der Verfassung erwarten“ (Knies, in: Merten/Schreckenberger, Kodifikation, S. 221 [247]).

112

2. Kap.: Begriffsklärung

Erschöpfte sich die Rechtspolitik im Abarbeiten von Verfassungsaufträgen, wäre dies das Ende eines freien und offenen politischen Prozesses.279

II. Zielkonkurrenz

Der Begriff „Zielkonkurrenz“ bezeichnet die Fälle, in denen Staatszielbestimmungen aufeinandertreffen, weil die jeweiligen Lebensbereiche in der betreffenden Konstellation zugleich berührt sind. Ob die Zielvorgaben denselben oder unterschiedlichen Norm- und Lebensbereichen entspringen, ist dabei bedeutungslos. Als klassische Zielkonkurrenz sei die zwischen Umweltschutz und Gewerbeansiedlung bzw. Arbeitsplätzen genannt. Auch auf den Widerstreit zwischen Umweltschutz und Sport wird vielfach verwiesen. Die Terminologie ist insoweit allerdings äußerst uneinheitlich. Gebräuchlicher als der Begriff „Zielkonkurrenz“ scheint vielfach der Ausdruck „Zielkonflikt“.280 Dieser ist indes weniger konturenscharf als jener: Der Terminus „Zielkonflikt“ deutet eher allgemein auf den Unterschied in der Zielrichtung zweier Zielbestimmungen hin, und zwar sowohl in der Konstellation, die vorliegend als Zielkollision bezeichnet wird, wie auch in derjenigen der Zielkonkurrenz. Der Unterschied zur Konstellation der Zielkollision281 besteht darin, dass sich diese auf Staatszielbestimmungen bezieht, die auf verschiedenen Ebenen jeweils denselben Norm- und Lebensbereich in unterschiedlicher Weise regeln, während der Begriff „Zielkonkurrenz“ das Zusammenspiel der Staatszielbestimmungen insoweit bezeichnet, als die Zielvorgaben denselben oder unterschiedlichen Norm- und Lebensbereichen entspringen.282 Zielkollisionen und Zielkonkurrenzen lassen sich mithin wie folgt von einander abgrenzen: Der Begriff „Zielkollision“ bezieht sich allein auf das Verhältnis von Zielvorgaben aus vertikaler Sicht; Zielkonkurrenzen erfassen hingegen das vertikale Zusammenspiel von Staatszielbestimmungen ebenso wie den horizontalen Aspekt.283 ___________ 279

Dazu Müller-Bromley, Staatszielbestimmung, S. 134 ff. – Für die vorliegende Untersuchung ist es ohne Bedeutung, dass der Staat auch andere als die in den Staatszielkatalogen enthaltenen Ziele verfolgen darf. Die Arbeit gilt, wie gesagt, denjenigen Normen, die verfassungsrechtlich in die Form von Staatszielbestimmungen gegossen wurden bzw. als solche einzuordnen sind. 280 So etwa Hesse, KritV 76 (1993), S. 7 (12). 281 Zu ihr oben unter B. I. 1. 282 Nur der Klarstellung halber sei nochmals darauf hingewiesen, dass der Staat auch andere als die in den Staatszielkatalogen enthaltenen Ziele verfolgen kann. Für die vorliegende Untersuchung spielt dies aber allenfalls am Rande eine Rolle, s. oben unter B. I. 3. 283 Ein vertikales Zusammenspiel von Staatszielbestimmungen im Rahmen der Zielkonkurrenzen setzt freilich voraus, dass auch Adressatengleichheit möglich ist; dazu

B. Zieldivergenz und Zielkonkurrenz

113

Wie schon der Terminus „Zielkollision“ findet auch der Ausdruck „Zielkonkurrenz“ keine Entsprechung in anderen Bereichen der staatsrechtlichen Dogmatik. Am ehesten vergleichbar sind wiederum die Grundrechtskollision bzw. die Grundrechtskonkurrenz.284 Die Konstellation der Zielkonkurrenz stellt freilich weder eine Parallele zu derjenigen der Grundrechtskollision noch zu der der Grundrechtskonkurrenz dar. Sie bezieht sich nicht allein auf das Verhältnis von Staatszielbestimmungen einer Ebene (horizontale Perspektive), sondern sie nimmt die Zielvorgaben auch im Mehr-Ebenen-Verhältnis in den Blick.

___________ 7. Kap. unter A. I. 2. – Die Kategorisierung horizontal/vertikal dient allein der verdeutlichenden Differenzierung. Dazu bereits oben unter B. I. 1. vor a), Fn. 260. 284 Zur Grundrechtskollision bzw. -konkurrenz oben unter B. I. 1.

3. Kapitel

Der Bestand an Staatszielbestimmungen Bei der Bestandsaufnahme der in Grundgesetz und Landesverfassungen verankerten Staatszielbestimmungen geht es darum,1 die fraglichen Rechtssätze entsprechend einzuordnen,2 sie also von anderen Normtypen (insbesondere den Grundrechten) abzugrenzen.3

A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes Im sozialen Bereich kennt das Grundgesetz eine Staatszielbestimmung: das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG.4 Es handelt sich hierbei um einen verbindlichen Gestaltungs- und Sicherungsauftrag für den Gesamtbereich der Gesellschafts- und Sozialpolitik und keinen bloßen Programmsatz.5 Dem steht nicht entgegen, dass das in hohem Maße konkretisierungsbedürftige6 Sozialstaatsprinzip nicht von vornherein ein bestimmtes sozialpolitisches Gestal___________ 1

Von Interesse sind allein die Staatszielbestimmungen, die (noch) in Kraft sind. Dementsprechend wird bei den Zielvorgaben des Grundgesetzes nicht auf das durch Art. 4 Nr. 1 EVertr. v. 31.8.1990 (BGBl. II, S. 889) gestrichene Wiedervereinigungsgebot eingegangen. 2 Dies scheint angezeigt, gibt es doch etwa zur Anzahl der im Grundgesetz verankerten Staatszielbestimmungen seit jeher unterschiedliche Auffassungen; auch ein kleinster gemeinsamer Nenner lässt sich nicht ausmachen. Dazu Müller-Bromley, Staatszielbestimmung, S. 66 ff. 3 Eine darüber hinausgehende Kommentierung würde den Rahmen der Arbeit sprengen. – Es erfolgt auch keine Auseinandersetzung mit Qualifizierungen, welche die Zielvorgaben mitunter erfahren haben. Auf sie wird jedoch im 6. Kap. unter A. und B. einzugehen sein. 4 s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 23 Rn. 11; Benda, in: ders. u.a., HdbVerfR, § 17 Rn. 80; Badura, DÖV 1989, S. 491 (492); Brohm, JZ 1994, S. 213 (217); Wahl, AöR 112 (1987), S. 26 (42); Stern, Staatsrecht I, S. 910 f. – Zugleich stellt das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG ein Staatsstrukturprinzip dar, s. etwa Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 159 Rn. 38. 5 s. Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rn. 47 ff.; Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht AT, § 6 II 1. 6 s. BVerfGE 1, 97 (105); 65 , 182 (193); 82, 60 (80); Hesse, Grundzüge, Rn. 213; Badura, DÖV 1989, S. 491 (497 f.).

A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes

115

tungsprogramm vorgibt.7 Als „permanenter Konkretisierungsauftrag“ ist es vielmehr bewusst zukunftsoffen gefasst,8 um auf die sich fortlaufend wandelnde gesellschaftliche Wirklichkeit und die sich permanent verändernden sozialen Verhältnisse und Bedarfslagen ausgerichtet werden zu können.9 Subjektive Ansprüche des Einzelnen gegen den Staat werden durch diesen allgemeinen Auftrag und diese Pflicht zu sozialer Sicherheit, sozialer Gerechtigkeit und gerechter Sozialordnung nicht begründet. Angesichts seiner Unbestimmtheit ist das Sozialstaatsprinzip für sich genommen keine Anspruchsnorm.10 Daneben hat, im Unterschied zum Bereich Bildung und Kultur, (inzwischen)11 auch der Umweltschutz eine Ausgestaltung durch Staatszielbestimmungen gefunden. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (in Rechtsprechung und Schrifttum zumeist als „Umweltschutz“ bezeichnet)12 fand 1994 Aufnahme in Art. 20 a GG.13 Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine dem Staat auferlegte Schutzpflicht, also nicht um einen bloßen Programmsatz.14 Im ___________ 7

Der Gesetzgeber verfügt über einen weiten Gestaltungsspielraum mit Blick darauf, was sozialstaatlich geboten ist. S. BVerfGE 22, 180 (204); 70, 278 (288); vgl. Scholz, ZG 9 (1994), S. 1 (20): eine „der weisesten Schöpfungen des Parlamentarischen Rates“. 8 s. Scholz, FS Lerche, S. 65 (73). Die Offenheit des Sozialstaatsprinzips bedeutet freilich nicht, dass es dem Sozialstaatsprinzip an der normativen Stringenz fehlen würde, vgl. Benda, in: ders. u.a., HdbVerfR, § 17 Rn. 92; Suhr, Staat 9 (1970), S. 67 (73); a.A. Grewe (zitiert nach Benda, a.a.O., Rn. 79): „inhaltsleerer Blankettbegriff“. 9 s. Scholz, Sozialstaat, S. 24. Aufgrund fortwährender Änderungen der ausgleichsbedürftigen sozialen Gegensätze bedarf es ständiger Überprüfung und Neubestimmung, was der Staat zu tun hat, s. Benda, in: ders. u.a., HdbVerfR, § 17 Rn. 113; Zacher, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 28 Rn. 3, 24. – Der Erfolg des sozialen Staatsziels hängt freilich primär von der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des Einzelnen und der Unternehmen ab, nicht von staatlichen Interventionen. 10 s. BVerfGE 27, 253 (283); 41, 126 (153); 82, 60 (80); Hesse, Grundzüge, Rn. 213; Stern, Staatsrecht I, S. 911, 913 f. 11 Dem Verfassunggeber von 1949 war die ökologische Komponente unbekannt; der Umweltschutz wurde (noch) nicht als zentrale Staatsaufgabe angesehen. Heute hingegen zählt der Umweltschutz anerkanntermaßen zu den existentiellen Aufgaben des Staates (und der Gesellschaft). 12 Vgl. Kloepfer, in: BK, Art. 20 a Rn. 62: „Umweltschutz“ sei „volksnäher“. 13 s. 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27.10.1994 (BGBl. I, S. 3146). – Für die verfassungsrechtliche Verankerung des Umweltschutzes durch eine Staatszielbestimmung hatte 1983 auch die Sachverständigenkommission „Staatsziele/Gesetzgebungsaufträge“ plädiert, s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 84 Rn. 130. Der Streit in Politik und Rechtswissenschaft über die angemessene verfassungsgesetzliche Reaktion auf die stetig wachsenden Risiken, denen die natürlichen Lebensgrundlagen durch die Industrialisierung ausgesetzt sind, dauerte in den folgenden Jahren allerdings an. Die Streitfrage lautete: rein anthropozentrische oder (eher) ökozentrische Orientierung? Im Zuge der Beratungen der GVK wurde schließlich eine gemeinsame Formulierung gefunden, s. BT-Drs. 12/6000, S. 68 ff.; zur Diskussion etwa Huster, ZRP 1993, S. 326 ff. 14 s. BVerwG NJW 1995, S. 2648 (2649); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 a Rn. 18, 35; Veith, Staatszielbestimmung, S. 105; Bernsdorff, NuR 1997, S. 328 (329).

116

3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Jahr 2002 wurde in Art. 20 a GG zudem die gesonderte Zielvorgabe „Tierschutz“ eingefügt.15 Dem Bereich Wirtschaft und Finanzen ist mit dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) ebenfalls eine Staatszielbestimmung gewidmet. Bund und Länder als autonome Haushaltsträger i. S. des Art. 109 Abs. 1 GG sind verpflichtet,16 bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Trotz des weitgehenden Beurteilungs- und Handlungsspielraums des Staates17 stellt auch dies eine unmittelbare Verpflichtung dar;18 es handelt sich um eine Staatszielbestimmung.19 Der auf die Haushaltswirtschaft beschränkte20 sachliche Anwendungsbereich der Vorschrift steht dem nicht entgegen.21 Der Bereich Auswärtiges und Verteidigung wird demgegenüber durch mehrere Staatszielbestimmungen aufgegriffen. Zunächst ist der Präambel des Grundgesetzes ein allgemeines Friedensgebot zu entnehmen. Nach deren S. 1 ist das deutsche Volk „von dem Willen beseelt, [...] dem Frieden der Welt zu dienen“. Diese Sachaussage hat Verfassungsrang.22 Es ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass die Präambel (entgegen der früher überwiegend vertretenen ___________ A.A. wohl Depenheuer, DVBl. 1987, S. 809 (810 f.). – Die Norm kann nicht als subjektiv-öffentliches Recht auf eine intakte Umwelt ausgelegt werden: Art. 20 a GG gewährt keinen subjektiv-rechtlichen Schutz, s. etwa BVerwG NJW 1995, S. 2648 (2649); Kloepfer, in: BK, Art. 20 a Rn. 23 f.; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20 a Rn. 12; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 a Rn. 33 f. 15 s. 54. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 26.7.2002 (BGBl. I, S. 2862); dazu Caspar/Geissen, NVwZ 2002, S. 913 ff.; Obergfell, NJW 2002, S. 2296 ff.; beide m.w.N. 16 s. Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 54; Merten, DÖV 1993, S. 368 (372). 17 s. BVerfGE 46, 246 (257). 18 s. R. Schmidt, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 117 Rn. 21; Maunz, in: ders./ Dürig, GG, Art. 109 Rn. 24, 37. 19 s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 23 Rn. 11; Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 63; Sommermann, Staatsziele, S. 348, 353 u. 414; Prokisch, Justitiabilität, S. 136 f.; Seitz, FS Schiedermair, S. 265 (266 f.); Wahl, AöR 112 (1987), S. 26 (42); H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (734). – Ein subjektives Recht etwa auf konkrete Maßnahmen zur Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wird nicht begründet, s. Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 109 Rn. 41. 20 Ganz h.M., s. Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 51 f.; Hartmann, Union, S. 149 f.; beide m.w.N. – Nach der Gegenauffassung bezieht sich die Verpflichtung des Art. 109 Abs. 2 GG auf die gesamte staatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik; so etwa Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 116 Rn. 2. 21 Dazu Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 64 m.w.N. 22 s. BVerfGE 47, 285 (382); BVerwGE 87, 237 (239); Kunig, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Abschn. 2 Rn. 14 f.; Müller-Bromley, Staatszielbestimmung, S. 80 ff. und 89 ff.

A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes

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Auffassung)23 Bestandteil der Verfassung ist und folglich neben ihrem moralischen Appellcharakter24 (auch) rechtliche Bedeutung hat.25 Die Präambel des Grundgesetzes schildert nicht lediglich mit wenigen markanten Strichen die entstehungsgeschichtliche Lage, die Beweggründe und Ziele bei der Verfassungsschöpfung, sondern sie hat (auch) normativen Gehalt. Dies gilt jedenfalls insoweit, als es sich um ausdrückliche Willensbekundungen handelt. Diese heben die Bedeutung bestimmter Absichten hervor und legen zugleich die verkündeten Ziele rechtsverbindlich fest.26 Dementsprechend handelt es sich bei der Aussage der Präambel, die Bundesrepublik Deutschland wolle als gleichberechtigtes Glied dem Frieden der Welt dienen, nicht lediglich um einen unverbindlichen Programmsatz, sondern um eine Staatszielbestimmung.27 Gleiches gilt für das in der Präambel enthaltene Gebot der Europäischen Integration;28 insoweit wird der Wille des Deutschen Volkes erklärt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa mitzuwirken. Eine weitere Staatszielbestimmung findet sich mit Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG,29 welcher der Bundesrepublik Deutschland seit seiner Neufassung 199230 als Integrationshebel ausdrücklich die Mitwirkung „bei der Entwicklung der Europäischen Union“ vorschreibt. Es handelt sich hierbei wiederum um einen rechtlich verbindlichen Auftrag an den Staat (und nicht um eine Norm mit lediglich politischer Bedeutung).31 Dieser Einordnung steht nicht ___________ 23 Diese Auffassung stützte sich darauf, dass die Präambel der Verfassung vorausgeht und deshalb (abgesehen von ihrem eventuellen Integrationswert und ihrem moralischen Appellcharakter) rechtlich bedeutungslos sei. Nachweise bei Häberle, FS Broermann, S. 211 (225). 24 Dazu etwa BVerfGE 5, 85 (127): „politisches Bekenntnis, feierlicher Aufruf des Volkes“. 25 s. BVerfGE 5, 85 (126 ff.); 12, 45 (61); 36, 1 (16 ff.); 77, 137 (149); Häberle, FS Broermann, S. 211 (238 ff.); Starck, Verfassungen, S. 59 f.; vgl. Hesse, Grundzüge, Rn. 116. 26 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Präambel Rn. 30: „Rechtspflichten für die Staatsorgane“, m.w.N. 27 s. Brohm, JZ 1994, S. 213 (217); vgl. Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Präambel Rn. 35, 44: Staatsziel; ebenso P. M. Huber, in: Sachs, GG, Präambel Rn. 46. 28 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Präambel Rn. 43: „Selbstbeschränkung des größten Staates der Europäischen Union“. 29 s. Classen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 23 Rn. 10; Everling, DVBl. 1993, S. 936 (943); Brohm, JZ 1994, S. 213 (217); Sommermann, DÖV 1994, S. 596 (602). 30 s. 38. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 21.12.1992 (BGBl. I, S. 2086). Die entsprechenden Empfehlungen der GVK zur Thematik der Europäischen Einigung (s. BT-Drs. 12/6000, S. 19 ff.) wurden von Bundestag und Bundesrat nur geringfügig verändert. – Die Neuregelung war erforderlich geworden, weil das Grundgesetz zuvor über keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die Bildung der EU verfügte: Die EU stellt keine „zwischenstaatliche Einrichtung“ i. S. des Art. 24 Abs. 1 GG dar, sondern (jedenfalls nach ihren Anfangsjahren) einen Staatenverbund, also ein Gebilde sui generis. Zum Ganzen v. Simson/Schwarze, Integration, insbes. S. 3 ff., 41 ff., 65 ff. 31 So aber Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rn. 36: „von politischer, nicht aber unmittelbar-rechtlicher Art“.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

entgegen, dass Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG – im Unterschied zu den Zielvorgaben „Umwelt- und Tierschutz“ i. S. des Art. 20 a GG – keine Erfolgsverpflichtung entnommen werden kann.32 Auf Empfehlung der GVK wurde 1994 mit Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG zudem die ausdrückliche Verpflichtung des Staats aufgenommen,33 die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern.34 Auch hierbei handelt es sich um eine Staatszielbestimmung.35

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen Für den Überblick über die landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen werden die 16 Landesverfassungen drei verschiedenen Generationen zugeordnet.36 Die erste Generation besteht aus denjenigen Landesverfassungen, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes entstanden sind, die zweite Generation aus denen, deren Entstehung in die Zeit zwischen dessen Inkrafttreten und der Wiedervereinigung fällt.37 Zu den Landesverfassungen der dritten Generation ___________ 32 Die Bundesrepublik Deutschland kann die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG enthaltene Zielvorgabe lediglich im Zusammenwirken mit den anderen Mitgliedstaaten der EU/EG verwirklichen, s. Classen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 23 Rn. 10. 33 Es kann offen bleiben, ob sich die Verpflichtung zur tatsächlichen Gleichstellung zuvor bereits aus Art. 3 Abs. 2 (a.F.) GG ergab. Auch in BVerfGE 74, 163 (179 f.) wurde diese Frage offen gelassen. 34 s. 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27.10.1994 (BGBl. I, S. 3146). Der Verankerung der Gleichstellung in Art. 3 GG ging erheblicher verfassungspolitischer Streit voraus. Dies überrascht nicht, hält man sich vor Augen, wie diffizil es auch verfassungsstrukturell ist, Gleichheitspostulate hinsichtlich faktischer Gleichheit bzw. Gleichstellung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen zu statuieren; dazu Scholz, ZG 9 (1994), S. 1 (23). Dokumentation der Auseinandersetzung bei Limbach/Eckertz-Höfer, Frauenrechte, S. 21 ff.; H.-J. Vogel, FS Benda, S. 395 (403 ff.). 35 s. Stiens, Chancen, S. 283; Scholz, ZG 9 (1994), S. 1 (24); so auch die Einordnung der GVK, s. BT-Drs. 12/6000, S. 49 ff. – Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG ist kein seitens des Einzelnen einklagbares Grundrecht zu entnehmen. 36 Anders als ein rein thematisch geordneter Aufbau erlaubt es dies, auf etwaige Wechselwirkungen zwischen den Verfassungen hinzuweisen. So hat etwa Häberle, JöR 34 (1985), S. 303 ff., für die Schweiz gezeigt, dass einzelne (oft neue) Verfassungsgedanken von Kanton zu Kanton „wandern“, ja dass es spezifische „Rezeptionswellen“ gibt. 37 Die Besatzungsmächte haben die Bildung von Ländern und die Ausarbeitung von Verfassungen in ihren Besatzungszonen in recht unterschiedlichem Maße vorangetrieben: Vorreiter waren die USA, während etwa in den Ländern der britischen Besatzungszone vorläufige Verfassungen bzw. Statuten noch nach Inkrafttreten des Grundgesetzes in Kraft waren. Dazu Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 371. – Die nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone zu verzeichnende Verfassungsentwicklung bleibt im Rahmen der vorliegenden Untersuchung unberücksichtigt.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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zählen demgegenüber die nach der Wiedervereinigung entstandenen Verfassungen.38

I. Landesverfassungen der ersten Generation

Als erste Landesverfassungen sind – in chronologischer Reihenfolge – die Verfassungen in den Ländern Hessen, Bayern, Rheinland-Pfalz, Bremen und Saarland entstanden. Die ebenfalls zur ersten Generation zählenden Verfassungen von Württemberg-Baden,39 Württemberg-Hohenzollern (1947)40 und Baden (1947)41 bleiben angesichts der Neugliederung im Südwesten durch Vereinigung dieser drei Staaten zum (neuen) Land Baden-Württemberg im Jahr 195242 außer Betracht. Gleiches gilt für die vorläufige Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg aus dem Jahr 1946, die von einer nicht frei gewählten (sondern seitens der britischen Militärregierung ernannten) Bürgerschaft beschlossen worden war.43 Für die vorliegende Untersuchung sind allein die geltenden Landesverfassungen von Bedeutung.44

___________ 38 Auf den Prozess der Entstehung der einzelnen Verfassungen kann hier weder näher eingegangen werden noch wäre dies für die vorliegende Untersuchung zielführend. Es sei daher auf die reichhaltige Literatur verwiesen. Zum Prozess der Verfassunggebung in den neuen Ländern statt vieler Häberle, JöR 41 (1993), S. 69 ff.; ders., JöR 42 (1994), S. 149 ff.; ders., JöR 43 (1995), S. 355 ff. (jeweils mit Textanhängen); Riepe, Grundrechte, S. 5-119. 39 Verfassung für Württemberg-Baden v. 28.11.1946 (RegBl. S. 277). 40 Verfassung für Württemberg-Hohenzollern v. 31.5.1947 (RegBl. S. 1). 41 Verfassung des Landes Baden v. 19.5.1947 (RegBl. S. 29). 42 Am 25.4.1952 wählte die Verfassunggebende Landesversammlung, deren konstituierende Sitzung am 25.3.1952 stattgefunden hatte, den Ministerpräsidenten, der sofort die Minister der vorläufigen Regierung ernannte. Damit wurde das Land BadenWürttemberg gem. § 11 Zweites Neugliederungsgesetz (Zweites Gesetz über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern v. 4.5.1951 [BGBl. I, S. 284]) rechtlich existent. Eingehend zum Ganzen Feuchte, in: ders., BaWüVerf, Einl., Rn. 2-21; Hollerbach, in: Maurer/Hendler, BaWüStVerwR, S. 1 (15-22); beide m.w.N. 43 Zur Entstehung dieser vorläufigen Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Bushart, Verfassungsänderung, S. 23. 44 An die Stelle jener am 15.5.1946 in Kraft getretenen vorläufigen Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg trat die von der ersten frei gewählten Bürgerschaft beschlossene Verfassung v. 6.6.1952; zu ihr unter B. II. 4. Zur baden-württembergischen Verfassung unten sub B. II. 5.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

1. Verfassung des Landes Hessen Die insbesondere durch ihre markante sozialstaatliche Ausrichtung geprägte45 hessische Verfassung v. 1.12.194646 enthält Staatszielbestimmungen v. a. im ersten ihrer zwei Hauptteile. Dieser behandelt unter der Überschrift „Die Rechte des Menschen“ sachlich zusammenhängende Aspekte gemeinsam. Die Verfassung folgt insoweit einer rein thematischen Ordnung, d. h. sie widmet unterschiedlichen Normtypen (etwa Staatszielbestimmungen und Grundrechten) keine gesonderten Abschnitte.47 Im sozialen Bereich ist das „Recht auf Arbeit“ i. S. des Art. 28 Abs. 2 HessVerf zu nennen. Seine individualrechtliche Formulierung mag den Anschein erwecken, als habe der Bürger von Verfassungs wegen Anspruch auf einen Arbeitsplatz. Auch die systematische Stellung im III. Abschnitt („Soziale und wirtschaftliche Rechte und Pflichten“) des ersten Hauptteils („Die Rechte des Menschen“) spricht durchaus für die Einordnung als subjektives Recht des Einzelnen auf Arbeitsverschaffung durch den Staat. Es handelt sich bei Art. 28 Abs. 2 HessVerf aber gleichwohl um kein soziales Grundrecht i.e.S.:48 Die subjektiv-rechtliche Formulierung ist für die Frage, ob eine Norm subjektiv- oder objektiv-rechtlichen Charakter hat, ebenso wenig alleinentscheidend wie ihre systematische Stellung.49 Für die Einordnung als rein objektiv-rechtlicher Rechtssatz spricht insbesondere, dass Art. 28 Abs. 2 HessVerf zu unbestimmt ist, um im Einzelfall gerichtlich durchgesetzt werden zu können:50 Da eine nähere verfassungsrechtliche Bestimmung darüber fehlt, wie, in welchem Umfang ___________ 45

Vgl. Ramm, in: Stein, HessVerf, S. 204 (228): „Ordnungsmodell eines freiheitlichen Sozialismus“; ebenso v. Zezschwitz, in: Heidenreich/Böhme, Hessen, S. 317 (331): „Ausrichtung auf einen freiheitlichen Sozialismus“. 46 HessGVBl. S. 229; in Kraft getreten mit Annahme durch Volksentscheid (s. Art. 160 Abs. 1 S. 1 HessVerf) am 1.12.1946. – Zur Entstehung der hessischen Verfassung Stolleis, in: Meyer/Stolleis, HessStVerwR, S. 17 (29 ff.) m.w.N. 47 Eine solche thematische Ordnung erhöht prima facie die Transparenz der Verfassung. Aufgrund der bunten Mischung von Staatszielbestimmungen, Grundrechten und Einrichtungsgarantien besteht allerdings die Gefahr, dass Staatszielbestimmungen als subjektiv-rechtliche Ansprüche oder als Erläuterung und Konkretisierung von Grundrechten gedeutet werden: Es ist nicht ohne Weiteres erkennbar, welche Bestimmung ein Grundrecht und daher mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar ist. Näher dazu im 8. Kap. unter B. II. und in den Schlussbetrachtungen unter B. 48 Art. 28 Abs. 2 HessVerf hat ausschließlich objektiv-rechtlichen Gehalt, s. Barwinsky, in: Zinn/Stein, HessVerf, Anm. 1 zu Art. 28; ebenso wohl auch W. Schmidt, in: Meyer/Stolleis, HessStVerwR, S. 35 (47 f.). Allg. zur Statuierungen eines Rechts auf Arbeit Herschel, in: Bettermann u.a., Grundrechte III/1, S. 325 (329 Fn. 394). 49 Dazu 2. Kap. unter A. II. 5. 50 Vgl. etwa Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 1 Abs. 3 Rn. 190 ff.; Tomandl, Grundrechte, S. 45 f.; Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (406); ebenso (mit Blick auf Art. 45 S. 2 SaarlVerf als Parallelvorgabe) SaarlVerfGH NJW 1996, S. 383 (385).

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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und gegen welchen Anspruchsverpflichteten der Anspruch auf Arbeitsverschaffung eingeräumt wäre, bedürfte es detaillierter gesetzlicher Zuteilungskriterien.51 Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Arbeit wäre zudem lediglich unter den Bedingungen einer Zentralverwaltungswirtschaft und damit um den Preis der Freiheit zu realisieren. In einer vom Grundsatz der Privatautonomie und des Privateigentums geprägten Rechtsordnung fehlt dem Staat hingegen nahezu vollständig die Verfügungsgewalt über das Gut Arbeit.52 Von der Unrealisierbarkeit eines solchen subjektiv-öffentlichen Rechts geht die Landesverfassung offenkundig selbst aus: Sie enthält mit Art. 28 Abs. 3 HessVerf eine Bestimmung, die für den Fall der Arbeitslosigkeit Schutz vor deren Folgen in Aussicht stellt.53 Dafür bestünde keine Notwendigkeit, wenn Art. 28 Abs. 2 HessVerf ein Anspruch auf Zuweisung einer Arbeit zu entnehmen wäre.54 Jenes „Recht auf Arbeit“ ist nach alldem nicht im juristisch-technischen Sinn gemeint,55 sondern es handelt sich um eine Staatszielbestimmung,56 die alle staatlichen Stellen auf das Ziel verpflichtet, ihre (tatsächlichen und rechtlichen) Möglichkeiten zur Schaffung von Arbeitsplätzen auszuschöpfen. In den Bereich Bildung und Kultur fällt Art. 62 S. 1 HessVerf, demzufolge Kunst-, Geschichts- und Kulturdenkmäler den Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden genießen.57 2002 wurde zudem Art. 62 a HessVerf einge___________ 51 s. Stern, Staatsrecht I, S. 938; Starck, Verfassungen, S. 46; Heitmann, SächsVBl. 1993, S. 2 (5); Merten, VerwArch 83 (1992), S. 283 (297); Wipfelder, RdA 1985, S. 93 (98). 52 Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Verbürgungen von Tarifautonomie sowie von Unternehmer-, Berufs- und Gewerbefreiheit können Wirtschaftswachstum und folglich auch ein hoher Beschäftigungsstand im Grunde nur durch die Kräfte des Marktes erreicht werden, s. Dietlein, Grundrechte, S. 124, 128 ff.; Nebendahl, ZRP 1991, S. 257 (259, 260 ff.); ähnlich Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (136); vgl. Scholz, ZfA 22 (1991), S. 683 (691). 53 Art. 28 Abs. 3 HessVerf lautet: „Wer ohne Schuld arbeitslos ist, hat Anspruch auf den notwendigen Unterhalt für sich und seine Angehörigen. Ein Gesetz regelt die Arbeitslosenversicherung“. 54 Vgl. Stiens, Chancen, S. 268; Ramm, in: Stein, HessVerf, S. 204 (221); Zielke, RdA 1992, S. 185 (187). 55 Dies hat auch der Hessische Staatsgerichtshof wiederholt festgestellt. Dazu Schrodt, Rechtsprechung, S. 146 m.w.N. – Art. 163 Abs. 2 S. 1 WRV („Jedem Deutschen soll die Möglichkeit gegeben werden, durch wirtschaftliche Arbeit seinen Unterhalt zu erwerben“.) wurde ebenfalls nicht als Grundrecht, sondern als Vorschrift mit objektiv-rechtlichem Gehalt (so etwa Weigert, in: Nipperdey, WRV III, Art. 163 § 1) bzw. als (unverbindlicher) „Programmsatz“ eingeordnet (so etwa Anschütz, WRV, Art. 163 Anm. 3); vgl. Gode, DVBl. 1990, S. 1207 (1209). 56 Vgl. Ramm, in: Stein, HessVerf, S. 204 (222): „Verpflichtung des Staates“, „Zielbestimmung“. – Es handelt sich bei Art. 28 Abs. 2 HessVerf nicht lediglich um einen Programmsatz. Diese Frage offen lassend Hinkel, HessVerf, Anm. zu Art. 28 Abs. 2; Brenne, Grundrechte, S. 57. 57 Ebenso Hinkel, HessVerf, Anm. 1 zu Art. 62: „Staatszielbestimmung zum Denkmalschutz“; so wohl auch E. Stein, in: Zinn/Stein, HessVerf, Anm. 2 zu Art. 62: „bin-

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

fügt.58 Seitdem hat auch der Sport eine Verankerung als Staatszielbestimmung gefunden. Der Umweltschutz wiederum ist durch die in Art. 26 a HessVerf enthaltene Zielvorgabe ausgestaltet.59 Diese 1991 aufgenommene Vorschrift bestimmt,60 dass „die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen“ unter dem Schutz des Staates und der Gemeinden stehen. Daneben ist erneut Art. 62 S. 1 HessVerf zu erwähnen, demzufolge auch die Landschaft Schutz und Pflege genießt. Staatszielbestimmungen für den Bereich Wirtschaft und Finanzen enthält Art. 43 Abs. 1 HessVerf, wonach „selbstständige Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft, Gewerbe, Handwerk und Handel [...] zu fördern und besonders vor Überlastung und Aufsaugung zu schützen“ sind. Diese Vorschrift ist nicht als Grundrecht einzuordnen.61 Es handelt sich bei ihr auch keineswegs um einen bloßen Programmsatz,62 sondern um die staatliche Selbstverpflichtung zur Mittelstandsförderung.63 Gleiches gilt für Art. 44 HessVerf, der gebietet, das Genossenschaftswesen zu fördern.64 Schließlich ist der Bereich Auswärtiges und Verteidigung unter den Staatszielbestimmungen der hessischen Verfassung vertreten. Nach Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf bekennt sich Hessen „zu Frieden [...] und Völkerverständi-

___________ dende Anweisung an die Gesetzgebung und Verwaltung“; vgl. W. Schmidt, in: Meyer/ Stolleis, HessStVerwR, S. 35 (47): Schutznorm für die Denkmalspflege. – Es handelt sich bei Art. 62 S. 1 HessVerf keineswegs lediglich um einen Programmsatz. Dazu Kiesow, in: Stein, HessVerf, S. 253 (258): Die Planungshoheit der Gemeinden sei „an den Kulturdenkmälerschutz gebunden“. 58 ÄGHessVerf v. 17.02.2002 (HessGVBl. S. 626). 59 Vgl. Groß, in: Heidenreich/Böhme, Hessen, S. 365 (367 f.): „Staatsziel“. 60 ÄGHessVerf v. 20.3.1991 (HessGVBl. S. 102). 61 Ebenso Hinkel, HessVerf, Anm. zu Art. 43 m.w.N. – Für die Einordnung als subjektives Recht fehlt es an hinreichenden Indizien. Es reicht nicht aus, dass Art. 43 Abs. 1 HessVerf im Ersten Hauptteil der Verfassung mit der Überschrift „Die Rechte des Menschen“ verankert ist: Der Inhalt der Vorschrift ist nicht hinreichend konkretisiert und präzisiert, um sie als Grundrecht einordnen zu können ( – es fehlt etwa die konkrete Bezeichnung des Personenkreises, dem die Förderung zugute kommen soll). 62 Vgl. Ramm, in: Stein, HessVerf, S. 204 (217): Art. 43 HessVerf „gebietet“, die entsprechenden Betriebe zu fördern. 63 Vgl. Barwinski, in: Zinn/Stein, HessVerf, Anm. 1 zu Art. 43: „Anweisungen an Gesetzgebung und Verwaltung“; unklar Meyer, KritV 79 (1996), S. 145 (148): „Förderungsverpflichtung“, „Zielsetzung“. 64 A.A. Hinkel, HessVerf, Anm. zu Art. 44: „Programmsatz“; unklar Barwinski, in: Zinn/Stein, HessVerf, Anm. 1 zu Art. 44, demzufolge die Vorschrift „ausschließlich Programmsatzcharakter“ hat und zugleich „den Auftrag an die Exekutive, im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Genossenschaftswesen zu fördern“, beinhaltet (Anm. 3).

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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gung“.65 Die Formulierung „bekennt sich“ steht dieser Einordnung nicht entgegen.66

2. Verfassung des Freistaates Bayern Die bayerische Verfassung v. 2.12.1946,67 die in ihrem Aufbau am stärksten von allen Landesverfassungen an die Weimarer Reichsverfassung angelehnt ist,68 enthält Staatszielbestimmungen v. a. in ihrem zweiten Hauptteil („Grundrechte und Grundpflichten“), im folgenden Hauptteil über das Gemeinschaftsleben sowie im vierten Hauptteil über Wirtschaft und Arbeit. Auch ihr liegt eine thematische Gliederung zugrunde; die Staatszielbestimmungen sind nicht in einem eigenen (also etwa von den Grundrechten getrennten) Abschnitt zusammengefasst.69 Im Bereich Soziales ist zunächst das Sozialstaatsprinzip zu erwähnen: Nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 BayVerf versteht sich der Freistaat Bayern als Sozialstaat.70 Eine weitere Staatszielbestimmung findet sich in Art. 106 Abs. 1 u. 2 BayVerf, demzufolge die Bewohner Bayerns „Anspruch auf eine angemessene Wohnung“ haben. Die subjektiv-rechtliche Formulierung und die Stellung der Norm im zweiten Hauptteil („Grundrechte und Grundpflichten“) legen zwar die Einordnung als subjektives Recht nahe. Dies greift aber zu kurz.71 Die bayerische Ver___________ 65

A.A. Hinkel, HessVerf, Anm. zu Art. 69: „programmatische Aussage“; unklar Pitzer, in: Zinn/Stein, HessVerf, Anm. 1 zu Art. 69: „Diese Programmsätze sind Handlungsmaßstab für die Landesorgane“. – Soweit sich Hessen mit Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf auch zur Freiheit bekennt, handelt es sich um keine Staatszielbestimmung. Es genügt nicht, dass der Staat sich um die Sicherung der Freiheit lediglich bemüht, dass er also „auf dem richtigen Weg“ ist: Der Rechtsstaat ist kein „Bemühungsstaat“ (Leisner, in: Rill, Rechtsstaat, S. 65 [68]), er muss die Freiheit nicht lediglich permanent, sondern auch perfekt verwirklichen. 66 A.A. (bezogen auf „Umweltschutz“, aber verallgemeinerungsfähig) Rupp, DVBl. 1985, S. 990 (990), der zwischen einem Bekenntnis zum Umweltschutz als „hochgemutem verbalem Kraftakt“ und einer Staatszielbestimmung unterscheidet, mit der doch „eine gewisse rechtliche Relevanz und Bindung erzielt“ werden solle. 67 Die bayerische Verfassung, um einen Tag „jünger“ als diejenige des Landes Hessen, ist in Kraft getreten mit ihrer Verkündung am 8.12.1946 (BayGVBl. S. 333). 68 Vgl. Bushart, Verfassungsänderung, S. 6. 69 Zu den Vor- und Nachteilen einer solchen thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B. 70 s. Schweiger, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 3 Rn. 2, 15; vgl. Meder, BayVerf, Art. 3 Rn. 22: „kein subjektives Recht“. – Zur Argumentation s. die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). 71 s. BayVerfGHE 42, 28 (32); Meder, BayVerf, Art. 106 Rn. 1; ebenso bereits Nawiasky/Leusser, BayVerf, Anm. zu Art. 106 (S. 187). – Auch Art. 155 Abs. 1 WRV, demzufolge „jedem Deutschen eine gesunde Wohnung“ gesichert werden sollte (S. 1) sowie Heimstätten zu schaffen und Kriegsteilnehmer darin besonders zu berücksichtigen

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

fassung verwendet den Begriff „Anspruch“ auch, wenn kein Recht im juristischtechnischen Sinn gemeint ist.72 Ein etwaiger subjektiv-öffentlicher Anspruch auf Wohnung wäre zudem lediglich unter den Bedingungen einer staatlichen Wohnungsbewirtschaftung (also in einer Zentralverwaltungswirtschaft) zu realisieren.73 In einer vom Grundsatz der Privatautonomie und des Privateigentums geprägten freiheitlichen Rechtsordnung kann der Staat hingegen kein subjektives Recht auf Wohnung gewährleisten.74 Art. 106 Abs. 1 BayVerf hat demnach rein objektiv-rechtlichen Gehalt und verpflichtet Land und Gemeinden, den Wohnungsbau zu fördern, und zwar insbesondere durch den Bau „billiger Volkswohnungen“ (Art. 106 Abs. 2 BayVerf).75 Ebenfalls keinen Individualanspruch, sondern eine dritte soziale Staatszielbestimmung enthält Art. 118 a S. 2 BayVerf. Diese erst 1998 eingefügte Vorschrift verpflichtet den Staat,76 sich für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung einzusetzen.77 Um eine weitere soziale Zielvorgabe handelt es sich bei Art. 125 Abs. 2 BayVerf, der „die Reinhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie“ zur gemeinsamen Aufgabe von Staat und Gemeinden erklärt.78 Gleiches gilt hinsichtlich Art. 125 Abs. 3 BayVerf, demzufolge kinder-

___________ waren (S. 2), wurde nicht als Grundrecht, sondern als Vorschrift mit objektivrechtlichem Gehalt eingeordnet, s. Ermann, in: Nipperdey, WRV III, Art. 155 § 8. So wurde etwa Art. 155 Abs. 1 S. 2 WRV eine bindende Verpflichtung des Gesetzgebers (ebd., § 9) und eine Staatsaufgabe entnommen (ebd., § 11). Aus Art. 155 Abs. 1 WRV ergaben sich für den Einzelnen also keine Berechtigungen, wohl aber aus den aufgrund dieser Norm erlassenen Gesetzen; zu Letzteren Anschütz, WRV, Art. 155 Anm. 2. 72 s. BayVerfGHE 42, 28 (32); Zacher, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 120 Rn. 13. 73 s. Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (410); vgl. (bezogen auf Art. 17 Abs. 3 M-VVerf) Thiele, in: ders. u.a., M-VVerf, Art. 17 Rn. 6. 74 Vgl. Stiens, Chancen, S. 271. – In der sozialen Marktwirtschaft fehlt dem Staat nahezu vollständig die Verfügungsgewalt über das Gut Wohnraum, und staatlicher Wohnungsbau wäre (selbst bei vollen Staatskassen) nicht bedarfsdeckend zu betreiben. Dazu Dietlein, Grundrechte, S. 124, 146; Kanther, Landesverfassungen, S. 199; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 96. 75 Vgl. BayVerfGHE 15, 49 (56); 42, 28 (32); Meder, BayVerf, Art. 106 Rn. 1. 76 ÄGBayVerf v. 20.2.1998 (BayGVBl. S. 38), in Kraft getreten mit Wirkung vom 1.3.1998. – Der für die Verfassungsänderung erforderliche Volksentscheid fand am 8.2.1998 statt. Dazu Pestalozza, JöR 51 (2003), S. 121 (178). 77 So wohl auch Stettner, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 118 a Rn. 2: „an den Staat gerichtete Direktive […], aus der keine originären Leistungs- oder Teilhabeansprüche Privater an staatliche Stellen abzuleiten sind“. Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs durch die drei im Landtag vertretenen Fraktionen, LT-Drs. 13/7436, S. 5: Art. 118 a S. 2 BayVerf statuiere einen Schutz- und Förderungsauftrag, der das in S. 1 dieser Norm niedergelegte Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen aufgreife. 78 A.A. (bloß Programmsatzcharakter) BayVerfGHE 32, 156 (159); Meder, BayVerf, Art. 125 Rn. 1 ff.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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reiche Familien Anspruch auf angemessene Fürsorge haben.79 Daneben ist der Kinder- und Jugendschutz als Staatszielbestimmung ausgestaltet:80 Nach Art. 126 Abs. 3 BayVerf sind Kinder und Jugendliche gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige und körperliche Verwahrlosung und gegen Misshandlung zu schützen. Eine weitere Zielvorgabe im sozialen Bereich findet sich mit dem „Recht, sich durch Arbeit eine auskömmliche Existenz zu schaffen“ bzw. „eine seinen Anlagen und seiner Ausbildung entsprechende Arbeit [...] zu wählen“ (Art. 166 Abs. 2 u. 3 BayVerf).81 Diese Vorschriften sind trotz ihrer subjektiv-rechtlichen Formulierung nicht als soziale Grundrechte i.e.S. einzuordnen.82 Andernfalls bestünde keine Notwendigkeit für Art. 168 Abs. 3 BayVerf, der für den Fall der Arbeitslosigkeit Schutz vor deren Folgen in Aussicht stellt.83 Eine achte soziale Staatszielbestimmung – die soziale Sicherung – enthält schließlich jener Art. 168 Abs. 3 BayVerf.84 Auch der Sachbereich Bildung und Kultur hat Ausgestaltung durch mehrere Staatszielbestimmungen gefunden. Zunächst ist erneut Art. 3 Abs. 1 S. 1 BayVerf zu erwähnen, der Bayern (auch) als einen Kulturstaat ausweist.85 Eine zweite kulturelle Zielvorgabe findet sich mit Art. 3 Abs. 2 BayVerf, der den Schutz der kulturellen Überlieferung aufgreift.86 Nach Art. 128 Abs. 1 BayVerf hat jeder Bewohner Bayerns „Anspruch darauf, eine seinen erkennbaren Fähigkeiten und seiner inneren Berufung entsprechende Ausbildung zu erhalten“. Wiederum legt der Wortlaut eine Einordnung als soziales Grundrecht i.e.S. na___________ 79

A.A. Meder, BayVerf, Art. 125 Rn. 3: „Richtlinie für den Gesetzgeber“; ebenso Stollreither, BayVerf, Anm. zu Art. 125. 80 s. Stiens, Chancen, S. 275; so wohl auch Meder, BayVerf, Art. 126 Rn. 5: „kein subjektives Recht“. 81 A.A. BayVerfGHE 13, 141; 20, 62 (72); 22, 1 (11): Programmsatz. 82 Beiden Absätzen ist kein Anspruch auf staatliche Leistungen zu entnehmen, s. BayVerfGHE 13, 141 (141, 145 f.); 22, 1 (11); Meder, BayVerf, Art. 166 Rn. 1, 2; Nawiasky/Leusser, BayVerf, Anm. zu Art. 166 (S. 246); Zacher, FS BayVerfGH, S. 95 (119). – Anders noch BayVerfGH DÖV 1961, S. 710 (710 f.): das „Recht auf Arbeit als ein Recht der Arbeitswilligen und -fähigen, die keine Arbeit finden können, vom Staat Zuweisung von Arbeit zu verlangen, von deren Ertrag sie auskömmlich leben können. 83 Art. 168 Abs. 3 BayVerf stellt jedem Bewohner Bayerns, „dem keine Arbeit vermittelt werden kann, [...] ein Recht auf Fürsorge“ in Aussicht. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf (oben unter B. I. 1.). 84 Aus Art. 168 Abs. 3 BayVerf lassen sich keine subjektiven Rechte ableiten, s. etwa BayVerfGHE 42, 28 (32). Dies ergibt sich bereits aus der einfachrechtlichen Regelungsbedürftigkeit konkreter subjektiv-rechtlicher Ansprüche auf soziale Sicherung. – Verschiedentlich wird Art. 168 Abs. 3 BayVerf allerdings als bloßer Programmsatz eingeordnet, s. etwa BayVerfGHE 15, 49 (53); Meder, BayVerf, Art. 168 Rn. 3. 85 s. Steiner, VVDStRL 42 (1984), S. 7 (13); Schweiger, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 3 Rn. 2 u. 13; ebenso wohl auch Meder, BayVerf, Art. 3 Rn. 21: „unmittelbar geltendes Recht“, aus dem keine subjektiven Rechte ableitbar seien. 86 s. Schweiger, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 3 Rn. 2, 20; vgl. Meder, BayVerf, Art. 3 Rn. 25: der Staat sei „verpflichtet“, das kulturelle Erbe zu erhalten.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

he.87 Art. 128 Abs. 1 BayVerf ist jedoch kein verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch auf Ausbildung zu entnehmen;88 die Vorschrift hat rein objektivrechtlichen Gehalt.89 Dies ergibt sich notwendig bereits daraus, dass ein subjektives öffentliches Recht auf Bildung nicht ohne Mindestmaß einfachgesetzlicher Regelungen bestehen kann.90 Auch ein Teilhabeanspruch auf Zugang im Rahmen der vorhandenen Bildungseinrichtungen bzw. auf Chancengleichheit im Zulassungsverfahren kann Art. 128 Abs. 1 BayVerf nicht entnommen werden. Der Gegenauffassung91 ist zwar zuzugeben, dass der Zugang zu Ausbildungseinrichtungen nicht von der weltanschaulichen bzw. politischen Einstellung, der wirtschaftlichen Situation oder der sozialen Stellung abhängig gemacht werden darf. Ein solcher Anspruch ergibt sich jedoch nicht aus Art. 128 Abs. 1 BayVerf,92 sondern bereits aus der landesrechtlichen Gewährleistung des Gleichheitsrechts (Art. 118 Abs. 1 BayVerf) bzw. dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 3 Abs. 1 S. 1 BayVerf.93 Abschließend kann daher festgehalten werden, ___________ 87 Für eine solche Ausdeutung als subjektiv-öffentliches Recht Hoegner, BayVerfR, S. 161; Abelein, DÖV 1967, S. 375 (378). – Die Rspr. des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs lässt insoweit anfangs keine klare Linie erkennen. Zunächst wurde die Frage, ob Art. 128 Abs. 1 BayVerf ein unmittelbar geltendes subjektives Recht enthält, offen gelassen, s. BayVerfGHE 7, 9 (14); 12, 152 (163 f.). In späteren Entscheidungen wurde die Vorschrift als Programmsatz eingeordnet (BayVerfGHE 13, 141 [146]; 17, 30 [38]; 21, 164 [169]). Diese Einordnung in Zweifel ziehend und die Frage erneut offen lassend BayVerfGHE 34, 14 (20); 35, 126 (130). 1984 wiederum wurde ein Grundrechtscharakter des Art. 128 Abs. 1 BayVerf ausdrücklich negiert, s. BayVerfGHE 37, 126 (131); zum Ganzen Stettner, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 128 Rn. 10 ff. 88 Darüber besteht inzwischen Einigkeit, s. BayVerfGHE 21, 59 (66); Meder, BayVerf, Art. 128 Rn. 1. 89 Der Wortlaut des Art. 128 Abs. 1 BayVerf steht diesem Ergebnis ebenso wenig entgegen wie dessen systematische Stellung: Beides ist für die normtypologische Einordnung nicht allein ausschlaggebend. Dazu BayVerfGHE 15, 49 (53); Stettner, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 128 Rn. 10. 90 Ebenso mit Blick auf Art. 29 Abs. 1 BbgVerf Dietlein, Grundrechte, S. 154. Vgl. Schlink, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 129 (135): ein einklagbares Recht auf Bereitstellung individuell begehrter Bildungsangebote sei „unrealistisch“; vgl. Tettinger, in: Starck/Stern, Landesverfassungsgerichtsbarkeit III, S. 271 (300). 91 s. Stettner, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 128 Rn. 9; Gallwas, BayVBl. 1976, S. 385 (388); ebenso wohl Stiens, Chancen, S. 254. 92 A.A. etwa BayVerfGHE 39, 87 (95), der Art. 128 Abs. 1 BayVerf insoweit deckungsgleich mit dem Gleichheitssatz auslegt; ebenso Meder, BayVerf, Art. 128 Rn. 1 a; krit. dazu Stettner, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 128 Rn. 15: „bemerkenswerte weitere Inhaltsentleerung von Art. 128 Abs. 1“. 93 Vgl. BVerfGE 33, 303 (330 f.) - Numerus-Clausus: subjektiv-rechtlicher Anspruch auf gleichberechtigten Zugang zu den vom Staat geschaffenen (Aus-)Bildungseinrichtungen aus Art. 12 GG i.V.m. Art. 3 GG sowie dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG. – Bindet der Staat die Berufsaufnahme an den Nachweis des erfolgreichen Abschlusses einer bestimmten Ausbildung, wandelt sich diese subjektive Zulassungsvoraussetzung zu einer verfassungsrechtlich ungleich schwerer zu rechtfertigenden objektiven Zulassungsschranke, wenn die tatsächlichen Möglichkeiten zum Erwerb der

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dass Art. 128 Abs. 1 BayVerf als Staatszielbestimmung einzuordnen ist,94 die den Staat verpflichtet, alle Vorkehrungen zu treffen, um dem Einzelnen die Chance seiner beruflichen und bildungsmäßigen Entfaltung zu gewähren. Eine weitere bildungsbezogene Zielvorgabe findet sich in Art. 128 Abs. 2 BayVerf,95 demzufolge „Begabten [...] der Besuch von Schulen und Hochschulen [...] zu ermöglichen“ ist. Ebenfalls um Staatszielbestimmungen handelt es sich bei Art. 138 Abs. 1 S. 1 BayVerf, welcher der Errichtung von Hochschulen durch den Staat gewidmet ist, und Art. 139 BayVerf,96 der die Förderung der Erwachsenenbildung aufgreift.97 Auch bei dem Förderauftrag für Kunst und Wissenschaft in Art. 140 Abs. 1 BayVerf handelt es sich um eine Staatszielbestimmung.98 Gleiches gilt für den (erst 1998 eingefügten) Art. 140 Abs. 3 BayVerf. Diese Norm verpflichtet Staat und Gemeinden, das kulturelle Leben und den Sport zu fördern.99 Eine weitere kulturbezogene Zielvorgabe enthält Art. 141 Abs. 2 BayVerf, demzufolge Kunst-, Geschichts- und Naturdenkmäler zu schützen und zu pflegen und die Abwanderung deutschen Kunstbesitzes ins Ausland zu verhüten ist. Der Kultur gewidmete Staatszielbestimmungen finden sich darüber hinaus in Art. 141 Abs. 1 S. 4 BayVerf, insoweit „kennzeichnende Ortsund Landschaftsbilder“ zu schonen und zu erhalten sind, sowie in Art. 141 ___________ geforderten Qualifikation nicht oder nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind. Näher zum Komplementärverhältnis von Ausbildungsvorbehalt und staatlicher Verantwortung für das Vorhandensein von Ausbildungsplätzen (jedenfalls in den Bereichen, in denen der Staat ein faktisches Ausbildungsmonopol besitzt) Dietlein, Grundrechte, S. 152. 94 Es handelt sich bei dem „Recht auf Bildung“ i. S. des Art. 128 Abs. 1 BayVerf nicht lediglich um einen Programmsatz, s. Stettner, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 128 Rn. 9; vgl. die (vor dem Hintergrund der Einordnung des Art. 128 Abs. 1 BayVerf als Programmsatz allerdings nicht widerspruchsfreie) Rspr. des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, derzufolge eine dem Regelungsgehalt des Art. 128 Abs. 1 BayVerf widersprechende Rechtsetzung unzulässig sein soll, s. etwa BayVerfGHE 17, 46 (58); 28, 99 (102); 37, 126 (131); ebenso Nawiasky/Leusser, BayVerf, Anm. zu Art. 128 (S. 209). 95 Vgl. BayVerfGHE 37, 126 (131): verbindlicher Verfassungsauftrag; ebenso Meder, BayVerf, Art. 128 Rn. 3. – In früheren Entscheidungen hatte der Bayerische Verfassungsgerichtshof Art. 128 Abs. 2 BayVerf hingegen lediglich als Programmsatz eingeordnet, s. etwa BayVerfGHE 21, 164 (169). 96 Unklar Meder, BayVerf, Art. 139 Rn. 1: die Norm stelle ein „Programm“ auf. 97 Diese Vorschrift beinhaltet zwar eine relativ konkrete Verpflichtung, so dass es an der Offenheit fehlt, die für eine Staatszielbestimmung idealtypisch kennzeichnend ist. Der Einordnung des Art. 139 BayVerf als Staatszielbestimmung steht dies jedoch nicht entgegen: Die Übergänge zu anderen Normkategorien sind mitunter fließend, s. 2. Kap. unter A. II. 98 Vgl. Meder, BayVerf, Art. 108 Rn. 4: „Verpflichtung für Staat und Gemeinden“, ohne ein subjektives Recht einzuräumen. 99 Art. 140 Abs. 3 BayVerf statuiert einen Förderungsauftrag, kein subjektives Recht des Einzelnen. Dazu die Begründung des Gesetzentwurfs durch die drei im Landtag vertretenen Fraktionen, LT-Drs. 13/7436, S. 5. – Zum betreffenden ÄGBayVerf oben unter B. I. 2., Fn. 76.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Abs. 3 S. 3 BayVerf,100 wonach Staat und Gemeinden der Allgemeinheit Zugänge zu den Naturschönheiten freihalten bzw. freimachen sowie Wanderwege und Erholungsparks anlegen müssen.101 Ebenso ist der Umweltschutz unter den bayerischen Staatszielbestimmungen vertreten. Zunächst wurde 1984 die Zielvorgabe „Umweltschutz“ aufgenommen,102 und zwar in Art. 3 Abs. 2103 und Art. 141 Abs. 1 BayVerf.104 Neben der Grundsatzklausel (Art. 3 Abs. 2 BayVerf) steht die Pflicht zu schonendem und sparsamem Umgang mit den Naturgütern (Art. 141 Abs. 1 S. 3 BayVerf) sowie eine Vielzahl weiterer Zielvorgaben in Art. 141 Abs. 1 S. 4 BayVerf. Nicht nur Boden, Wasser, Luft und Wald sind zu schützen und eingetretene Schäden möglichst zu beheben oder auszugleichen, sondern es ist (auch) auf den möglichst sparsamen Umgang mit Energie zu achten und die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts zu erhalten und zu verbessern; schließlich sind die heimischen Tier- und Pflanzenarten und ihre notwendigen Lebensräume zu schonen und zu erhalten. Im Jahr 1998 wurde zudem eine gesonderte Staatszielbestimmung „Tierschutz“ eingefügt.105 Seitdem bestimmt Art. 141 Abs. 1 S. 2 BayVerf, dass Tiere „als Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet und geschützt“ werden. Daneben ist erneut Art. 141 Abs. 2 BayVerf zu nennen, der sich (auch) dem Schutz und der Pflege der Landschaft widmet. Auch in den Bereich Wirtschaft und Finanzen fallen mehrere Staatszielbestimmungen. Hier ist, neben der Versorgung mit elektrischer Energie (Art. 152 S. 2 BayVerf),106 die Zielvorgabe „Mittelstandsförderung“ i. S. des Art. 153 S. 1 BayVerf zu vermerken.107 Um eine weitere Staatszielbestimmung handelt ___________ 100 Ebenso wohl auch Meder, BayVerf, Art. 141 Rn. 12: „Gesetzgebungsauftrag und unmittelbare Bindung der Verwaltung; unklar Burgi, Erholung, S. 344 f.: „Verfassungsauftrag“. 101 Bei Art. 141 Abs. 3 S. 1 BayVerf, demzufolge der freie Zugang zu den Naturschönheiten und die Erholung in der freien Natur gewährleistet werden, handelt es sich demgegenüber um das „Grundrecht auf Naturgenuß und Erholung in der freien Natur“, s. BayVerfGHE 4, 206 (207 f.); 32, 130; Meder, BayVerf, Art. 141 Rn. 9; Leisner, Grundrechte, S. 86; Burgi, Erholung, S. 336 ff. 102 s. BayVerfGH UPR 1986, S. 63 (64); Meder, BayVerf, Art. 141 Rn. 1; (mit Blick auf Art. 3 Abs. 2 BayVerf) Schweiger, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 3 Rn. 2 u. 20; vgl. Michel, Staatszwecke, S. 348 ff. 103 s. Meder, BayVerf, Art. 3 Rn. 24. 104 ÄGBayVerf v. 20.6.1984 (BayGVBl. S. 223). 105 s. die Begründung des Gesetzentwurfs durch die drei im Landtag vertretenen Fraktionen, LT-Drs. 13/7436, S. 5. – Zum betreffenden ÄGBayVerf oben unter B. I. 2., Fn. 76. 106 Vgl. Zacher, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 152 Rn. 3: „positiv [...] zu erfüllende Verantwortung“ des Staates. – Art. 152 S. 2 BayVerf verleiht dem Einzelnen keine subjektiven öffentlichen Rechte. Ebenso Meder, BayVerf, Art. 152 Rn. 1. 107 A.A. Meder, BayVerf, Art. 153 Rn. 1: Programmsatz; vgl. Zacher, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 153 Rn. 2: Art. 153 enthalte kein unmittelbar geltendes Recht;

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es sich bei Art. 153 S. 3 BayVerf, demzufolge der „Aufstieg tüchtiger Kräfte aus nichtselbstständiger Arbeit zu selbstständigen Existenzen“ zu fördern ist.108 Gleiches gilt für Art. 164 Abs. 1 BayVerf, wonach der landwirtschaftlichen Bevölkerung ein menschenwürdiges Auskommen „auf der ererbten Heimatscholle“ gewährleistet wird.109 Der Sachbereich Auswärtiges und Verteidigung ist ebenfalls durch mehrere Staatszielbestimmungen ausgestaltet. Bereits im Vorspruch der Verfassung findet sich die Zielvorgabe „Frieden“. Aus ihrem Wortlaut („in dem festen Entschlusse“) ergibt sich, dass eine feste Bindung beabsichtigt ist, es sich also nicht lediglich um ein Motiv des Verfassunggebers handelt.110 Als zweite Staatszielbestimmung in diesem Bereich ist Art. 3 a S. 1 BayVerf zu nennen. Diese 1998 eingefügte111 Zielvorgabe beinhaltet als Ausdruck der Integrationsoffenheit Bayerns ein Bekenntnis zu einem geeinten Europa.112 Eine weitere Zielvorgabe enthält Art. 3 a S. 2 BayVerf, wonach der Freistaat Bayern mit anderen europäischen Regionen zusammenarbeitet.113 Schließlich ist die Gleichstellung der Geschlechter zu erwähnen. Seit besagter Verfassungsreform 1998 verpflichtet Art. 118 Abs. 2 S. 2 BayVerf den Staat, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und ___________ in Art. 153 S. 2 BayVerf sieht Zacher allerdings nicht widerspruchsfrei einen „Auftrag [...] an Gesetzgebung und Verwaltung“ (Rn. 6). – Einigkeit besteht dahingehend, dass aus Art. 153 BayVerf keine Rechte des Einzelnen ableitbar sind, s. BayVerfGHE 20, 171 (172); 35, 10 (23): kein Grundrecht; ebenso Zacher, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 153 Rn. 2. Hinsichtlich der Argumentation sei im Einzelnen auf die Ausführungen zu Art. 43 Abs. 1 HessVerf (oben unter B. I. 1.) verwiesen. 108 A.A. Meder, BayVerf, Art. 153 Rn. 1: „Programmvorschrift“. 109 Vgl. Knöpfle, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 164 Rn. 2; a.A. Meder, BayVerf, Art. 164 Rn. 1: Programmsatz. – Einigkeit besteht insoweit, dass Art. 164 BayVerf kein subjektives öffentliches Recht zu entnehmen ist. 110 Ebenso Meder, BayVerf, Vorspruch Rn. 3: Frieden als „rechtserheblicher Grundsatz“. – Allg. zur (auch) rechtlichen Bedeutung der Präambel mit Blick auf das Grundgesetz oben unter A. 111 Zum betreffenden ÄGBayVerf oben unter B. I. 2., Fn. 76. 112 Vgl. Pestalozza, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 3 a Rn. 9: „Staatsziel“; vgl. dens., JöR 51 (2003), S. 121 (126): “Verpflichtung auf [...] Europa”; s. auch die Begründung des Gesetzentwurfs durch die drei im Landtag vertretenen Fraktionen, LTDrs. 13/7436, S. 4. – Die Formulierung „bekennt sich“ steht der Einordnung des Art. 3 a S. 1 BayVerf als Staatszielbestimmung nicht entgegen. Ebenso Berg, BayVBl. 2001, S. 257 (259); a.A. (mit Blick auf den Umweltschutz, aber verallgemeinerungsfähig) wohl Rupp, DVBl. 1985, S. 990 (990), der zwischen einem Bekenntnis zum Umweltschutz als „hochgemutem verbalem Kraftakt“ und einer Staatszielbestimmung unterscheidet, mit der doch „eine gewisse rechtliche Relevanz und Bindung erzielt“ werden solle. 113 Vgl. Pestalozza, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 3 a Rn. 68, 73 ff.: wegen der systematischen Stellung weder bloße „politische Geste“ noch „unverbindliches Programm“.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.114

3. Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz In der prononciert am Gedankengut des christlichen Naturrechts orientierten115 rheinland-pfälzischen Verfassung v. 18.5.1947116 finden sich Staatszielbestimmungen in verschiedenen Abschnitten des ersten Hauptteils („Grundrechte und Grundpflichten“). Viele Zielvorgaben wurden nachträglich in die (nicht nach normativen, sondern nach thematischen Gesichtspunkten gegliederte)117 Verfassung aufgenommen, und zwar insbesondere im Zuge der „großen“ Verfassungsreform, die am 18.5.2000 in Kraft getreten ist.118 Im Bereich Soziales ist zunächst die Staatszielbestimmung „Schutz des ungeborenen Lebens“ (Art. 3 Abs. 2 RhPfVerf) zu nennen,119 die im Jahr 2000 in die Verfassung eingefügt wurde. Gleiches gilt für Art. 24 S. 4 RhPfVerf, der bestimmt, dass Kinder besonderen Schutz insbesondere vor körperlicher und seelischer Misshandlung und Vernachlässigung genießen.120 Um eine dritte soziale Staatszielbestimmung handelt es sich bei Art. 25 Abs. 2 RhPfVerf,121 demzufolge „die Jugend gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige und körperliche Verwahrlosung [...] zu schützen“ ist. Zudem sind gem. Art. 27 Abs. 2 RhPfVerf diejenigen öffentlichen Voraussetzungen und Einrichtungen zu schaffen,

___________ 114 Unklar Stettner, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 118 Rn. 110: „Verfassungsauftrag“. – Art. 118 Abs. 2 S. 2 BayVerf gewährt (wiederum) kein Individualrecht auf ein bestimmtes staatliches Handeln: Die Norm ist zu lesen als rein objektiv-rechtliche Verpflichtung der zuständigen staatlichen Organe, etwa Maßnahmen zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung zu ergreifen; s. die Begründung des Gesetzentwurfs durch die drei im Landtag vertretenen Fraktionen, LT-Drs. 13/7436, S. 5. 115 Dazu Ley, in: ders., RhPfStVerwR, S. 21; Schunck, JöR 5 (1956), S. 159 (160 ff.); vgl. Mayer/Ule, RhPfStVerwR, S. 26 f. 116 s. VOBl. S. 209. 117 Zu den Vor- und Nachteilen einer solchen thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B. 118 ÄGRhPfVerf v. 8.3.2000 (RhPfGVBl. S. 65). – Das Attribut „groß“ gründet in der vergleichsweise hohen (36!) Zahl von neuen bzw. geänderten Artikeln. Zu Idee und Realisierung dieser Verfassungsreform Gusy/Müller, DÖV 1995, S. 257 (259 f.). 119 s. Jutzi, NJW 2000, S. 1295 (1296); Gusy, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 3 Rn. 9; unklar Gusy/Wagner, JöR 51 (2003), S. 385 (392): „Verfassungsauftrag”. 120 Vgl. Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 24 Rn. 9: „Verpflichtungsadressat ist die staatliche Gemeinschaft“. 121 s. Stiens, Chancen, S. 275; vgl. Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 25 Rn. 3 („objektives Verfassungsgebot“) und 14 („Schutzpflicht“).

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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die eine geordnete Erziehung der Kinder sichern.122 Eine weitere Zielvorgabe im sozialen Bereich findet sich mit Art. 53 Abs. 2 RhPfVerf. Land, Gemeinden und Gemeindeverbände wirken nach dieser Norm darauf hin, „dass jeder seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte Arbeit verdienen kann“.123 Ebenfalls als Staatszielbestimmung (und nicht als soziales Grundrecht i.e.S.) einzuordnen ist Art. 63 RhPfVerf. Diese im Jahr 2000 eingefügte124 Vorschrift verpflichtet Land, Gemeinden und Gemeindeverbände, auf die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum hinzuwirken.125 Seit jener Verfassungsreform ist zudem die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen behinderter Menschen entsprechend ausgestaltet:126 Art. 64 RhPfVerf verpflichtet wiederum Land, Gemeinden und Gemeindeverbände, behinderte Menschen vor Benachteiligung zu schützen und auf ihre Integration sowie die Gleichwertigkeit ihrer Lebensbedingungen hinzuwirken. Schließlich ist das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 74 Abs. 1 RhPfVerf zu nennen.127 Der Bildung und Kultur widmet die rheinland-pfälzische Verfassung ebenfalls mehrere Staatszielbestimmungen. Hier ist zunächst Art. 31 S. 1 RhPfVerf zu erwähnen, demzufolge „jedem jungen Menschen [...] zu einer seiner Begabung entsprechenden Ausbildung verholfen werden“ soll. Diese Vorschrift findet sich zwar im ersten Hauptteil („Grundrechte und Grundpflichten“). Es handelt sich aber gleichwohl um kein soziales Grundrecht i.e.S., sondern um einen objektiv-rechtlichen sozialstaatlichen Auftrag128 in der Form einer Staatszielbe___________ 122 Unklar Hennecke, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 27 Rn. 23 f.: „Aufgabenzuweisung“, „Verfassungsauftrag“ (Rn. 25). 123 Der objektiv-rechtliche Charakter des Art. 53 Abs. 2 RhPfVerf ergibt sich u.a. aus der Formulierung: „Das Land, die Gemeinden und Gemeindeverbände wirken darauf hin, dass [...]“, s. Bartz, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 53 Rn. 4; ebenso zu Art. 53 Abs. 2 (a.F.) RhPfVerf Süsterhenn/Schäfer, RhPfVerf, Art. 53 Anm. 2, 4. – Zudem bestünde, wenn Art. 53 Abs. 2 RhPfVerf ein einklagbarer Anspruch auf Zuweisung einer Arbeit zu entnehmen wäre, keine Notwendigkeit, in Art. 53 Abs. 3 RhPfVerf eine Arbeitslosenversicherung vorzusehen; vgl. Stiens, Chancen, S. 268. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen oben unter B. I. 1. zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf. 124 Zum betreffenden ÄGRhPfVerf oben unter B. I. 3., Fn. 118. 125 Der rein objektiv-rechtliche Charakter des Art. 63 RhPfVerf ergibt sich bereits aus der Formulierung, die der des Art. 53 Abs. 2 RhPfVerf entspricht. Vgl. Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 63 Rn. 1. – Wegen weiterer Argumente sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 106 Abs. 1, 2 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 126 s. Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 64 Rn. 1, 9. – Art. 64 RhPfVerf hat keinen subjektiv-rechtlichen Charakter, s. Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 64 Rn. 2. 127 Für eine Einordnung als Staatszielbestimmung wohl auch Schröder, in: Grimm/ Caesar, RhPfVerf, Art. 74 Rn. 12 f. – Zur Argumentation vgl. die Ausführungen oben unter A. zu Art. 20 Abs. 1 GG. 128 Der Einsatz öffentlicher Mittel soll die erforderlichen Möglichkeiten für eine Ausbildung bieten, ohne die die volle Entfaltung der Persönlichkeit ausgeschlossen ist. Dazu Hennecke, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 31 Rn. 2 f.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

stimmung.129 Gleiches gilt für Art. 31 S. 2 RhPfVerf, der sich auf die besondere Förderung von „Begabten“ bezieht:130 Ihnen soll der Besuch von höheren und Hochschulen ermöglicht werden. Ebenfalls als Staatszielbestimmung einzuordnen ist Art. 37 RhPfVerf, wonach „das Volksbildungswesen [...] von Staat und Gemeinden gefördert werden“ soll.131 Weitere Zielvorgaben finden sich in Art. 40 RhPfVerf. Dessen Abs. 1 enthält die Zielvorgabe, „das künstlerische und kulturelle Schaffen [...] zu pflegen und zu fördern“;132 Abs. 3 bestimmt, dass der Staat die Kunst-, Geschichts- und Naturdenkmäler in seine Obhut und Pflege nimmt (S. 1)133 und der Zugang zu den Kulturgütern allen daran interessierten Personen zu ermöglichen ist (S. 2).134 Im Jahr 2000 wurde zudem die Pflege und Förderung des Sports als Staatszielbestimmung aufgenommen (Art. 40 Abs. 4 RhPfVerf).135 Auch den Umweltschutz greifen mehrere Staatszielbestimmungen auf. Neben Art. 40 Abs. 3 RhPfVerf, demzufolge der Staat verpflichtet ist, (auch) die Landschaft in seine Obhut und Pflege zu nehmen, ist Art. 69 RhPfVerf zu erwähnen. Diese bereits 1985 in der Verfassung verankerte Staatszielbestimmung wurde im Jahr 2000 neu gefasst.136 Neben der Grundsatzklausel, wonach die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen sind (Art. 69 Abs. 1 RhPfVerf), finden sich weitere Zielvorgaben in Art. 69 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf, demzufolge Boden, Luft und Wasser besonders zu schützen sind, und in Art. 69 Abs. 3 RhPfVerf, der dazu verpflichtet, auf den sparsamen Gebrauch und die Wiederverwendung von Rohstoffen wie auch auf die sparsame Nutzung von Energie hinzuwirken.137 ___________ 129

s. Stiens, Chancen, S. 255; Gusy/Müller, JöR 45 (1997), S. 509 (515); unklar Hennecke, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 31 Rn. 3 f.: originärer Verfassungsauftrag. – Wegen der Argumente sei im Einzelnen verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 128 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 130 s. Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 499. 131 Unklar Hennecke, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 37 Rn. 1: sozialpolitisches Anliegen. 132 s. Magiera, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 40 Rn. 7 m.w.N.; vgl. Gusy/Müller, JöR 45 (1997), S. 509 (515): Förderauftrag bzw. Schutzklausel für das künstlerische Schaffen. 133 s. Magiera, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 40 Rn. 11; vgl. Gusy/Müller, JöR 45 (1997), S. 509 (515): Schutzklausel für die Kulturdenkmale. 134 s. Magiera, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 40 Rn. 22; unklar Burgi, Erholung, S. 333: „Verfassungsauftrag“. – Bei Art. 40 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf handelt es sich keineswegs um ein Grundrecht. Dazu Burgi, Erholung, S. 333. 135 s. Magiera, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 40 Rn. 23; Jutzi, NJW 2000, S. 1295 (1296). – Zum betreffenden ÄGRhPfVerf oben unter B. I. 3., Fn. 118. 136 s. Schröder, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 69 Rn. 1 f.; Michel, Staatszwecke, S. 348 ff.; Hennecke, JöR 35 (1986), S. 181 ff. – Die betreffenden Verfassungsänderungen erfolgten durch ÄGRhPfVerf vom 19.11.1985 (RhPfGVBl. S. 260) bzw. vom 8.3.2000 (RhPfGVBl. S. 65). 137 Dazu Gusy/Müller, DÖV 1995, S. 257 (261).

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Zudem wurde die Staatszielbestimmung „Tierschutz“ in Art. 70 RhPfVerf eingefügt:138 Tiere sind als Mitgeschöpfe zu achten (S. 1) und vor vermeidbaren Leiden und Schäden zu schützen (S. 2). Ebenfalls unter den Zielvorgaben der rheinland-pfälzischen Verfassung vertreten ist der Sachbereich Wirtschaft und Finanzen. Bereits im Vorspruch findet sich die Staatszielbestimmung, „den wirtschaftlichen Fortschritt aller zu fördern“.139 Eine weitere wirtschaftsbezogene Zielvorgabe enthält neben Art. 51 S. 3 RhPfVerf, wonach der Staat dazu verpflichtet ist, „auf eine ausgewogene Unternehmensstruktur hinzuwirken“,140 Art. 65 Abs. 1 RhPfVerf, demzufolge „die selbstständigen Betriebe der Landwirtschaft, der Industrie, des Gewerbes, Handwerks und Handels“ zu fördern sind.141 Ebenso ist die Förderung des Genossenschaftswesens (Art. 65 Abs. 2 u. 3 RhPfVerf) als Staatszielbestimmung einzuordnen.142 Des Weiteren sind mehrere Staatszielbestimmungen im Bereich Auswärtiges und Verteidigung zu verzeichnen. Zunächst findet sich im Vorspruch der Verfassung ein ausdrückliches Bekennntis zur internationalen Zusammenarbeit.143 Der erst 2000 aufgenommene144 Art. 74 a RhPfVerf enthält weitere Zielvorgaben. Nach Satz 1 fördert das Land die europäische Vereinigung, und es wirkt bei der Europäischen Union mit. Dabei handelt es sich ebenso wenig um einen Programmsatz wie bei Art. 74 a S. 2 RhPfVerf, demzufolge Rheinland-Pfalz für „die Beteiligung eigenständiger Regionen an der Willensbildung der Europäischen Union und des vereinten Europa“ eintritt. Nichts anderes gilt für Art. 74 a S. 3 RhPfVerf, welcher der Zusammenarbeit des Landes mit anderen europäi___________ 138

s. Jutzi, NJW 2000, S. 1295 (1296). – Zum betreffenden ÄGRhPfVerf oben unter B. I. 3., Fn. 118. 139 Aus dem Wortlaut („von dem Willen beseelt“) ergibt sich, dass es sich hierbei nicht lediglich um ein bloßes Motiv des Verfassunggebers handelt. Ebenso Grimm/ Caesar, in: dies., RhPfVerf, Vorspruch Rn. 8. – Allg. zur (auch) rechtlichen Bedeutung der Präambel mit Blick auf das Grundgesetz oben unter A. 140 Vgl. Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 51 Rn. 3 u. 14, der von Art. 51 RhPfVerf als einheitlicher Staatszielbestimmung „soziale Marktwirtschaft“ ausgeht. 141 Unklar Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 65 Rn. 2: Art. 65 RhPfVerf enthalte einen „programmatischen Verfassungsauftrag“. – Wegen der Argumentation sei im Einzelnen verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 43 Abs. 1 HessVerf (oben B. I. 1.). 142 Dazu Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 65 Rn. 7: der Inhalt beider Absätze sei „weitgehend pleonastisch“, da die Förderung des Genossenschaftswesens (Abs. 3) auch dessen Ausbau (Abs. 2) umfasse. 143 Als Ziel ist dort formuliert, „ein neues demokratisches Deutschland als lebendiges Glied der Völkergemeinschaft zu formen“. – Es handelt sich nicht lediglich um ein bloßes Motiv des Verfassunggebers: Aus dem Wortlaut („von dem Willen beseelt“) ergibt sich, dass insoweit Vorgaben für staatliches Handeln statuiert werden. Ebenso Grimm/Caesar, in: dies., RhPfVerf, Vorspruch Rn. 8. 144 Zum betreffenden ÄGRhPfVerf oben unter B. I. 3., Fn. 118.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

schen Regionen sowie der Unterstützung grenzüberschreitender Beziehungen zwischen benachbarten Gebietskörperschaften und Einrichtungen gewidmet ist. Seit der Verfassungsreform im Jahr 2000 gestaltet Art. 17 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf die Gleichstellung der Geschlechter als Staatszielbestimmung aus.145 Diese Vorschrift enthält den Auftrag zur Gleichstellung von Frauen und Männern „insbesondere im Beruf, in Bildung und Ausbildung, in der Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung“. Schließlich wurde im Zuge jener Reform auch eine dem Minderheitenschutz gewidmete Zielvorgabe eingefügt: Durch Art. 17 Abs. 4 RhPfVerf ist das Land zur Achtung ethnischer und sprachlicher Minderheiten verpflichtet.146

4. Verfassung der Hansestadt Bremen In der Verfassung der Hansestadt Bremen vom 21.10.1947,147 die bis zur „großen“ Verfassungsreform 1994148 ein ausgeprägtes Schattendasein in Theorie und Praxis führte, finden sich Staatszielbestimmungen v. a. in ihren ersten beiden Hauptteilen („Grundrechte und Grundpflichten“ bzw. „Ordnung des sozialen Lebens“), wobei der zweite Hauptteil nach Lebensbereichen gegliedert ist.149 Der Sachbereich Soziales hat eine Ausgestaltung durch mehrere Staatszielbestimmungen gefunden. Zunächst ist Art. 2 Abs. 3 BremVerf zu erwähnen. Diese 1997 aufgenommene150 Zielvorgabe verpflichtet den Staat, die gleichwertige Teilnahme der Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gemeinschaft zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Eine weitere soziale Staatszielbestimmung findet sich in Art. 8 Abs. 1 BremVerf, demzufolge jeder ein „Recht auf Arbeit“ hat.151 Hierbei handelt es sich (trotz des ___________ 145 s. Jutzi, NJW 2000, S. 1295 (1296). – Zum betreffenden ÄGRhPfVerf oben unter B. I. 3., Fn. 118. 146 s. Jutzi, NJW 2000, S. 1295 (1296); vgl. Gusy/Wagner, JöR 51 (2003), S. 385 (391): „Staatsauftrag”. 147 BremGBl. S. 251. – Der Grund für dieses mit Blick auf die anderen vorgrundgesetzlichen Landesverfassungen späte Inkrafttreten liegt darin, dass Bremen zunächst der britischen Zone angehörte. Es wurde erst am 21.1.1947 der amerikanischen Militärregierung unterstellt. 148 ÄGBremVerf v. 1.11.1994 (BremGBl. S. 289). 149 Zu den Vor- und Nachteilen einer solchen thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B. 150 ÄGBremVerf v. 9.10.1997 (BremGBl. S. 353, ber. BremGBl. 1998, S. 93). 151 s. OVG Bremen NVwZ 1986, S. 496 (496); Brenne, Grundrechte, S. 63. Im älteren Schrifttum wird Art. 8 BremVerf hingegen vereinzelt eine lediglich politische Bindungswirkung attestiert, s. etwa Spitta, BremVerf, Anm. zu Art. 8 Abs. 1.

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Wortlauts und der systematischen Stellung im ersten Hauptteil der Verfassung [„Grundrechte und Grundpflichten“]) um kein Grundrecht auf Arbeitsverschaffung.152 Jenes „Recht auf Arbeit“ hat vielmehr dieselbe Bedeutung wie Art. 49 Abs. 2 BremVerf, wonach der Staat verpflichtet ist, geeignete Maßnahmen dafür zu treffen, dass jeder seinen Lebensunterhalt durch Arbeit erwerben kann. Ebenso ist Art. 14 Abs. 1 BremVerf als Staatszielbestimmung einzuordnen:153 Nach S. 1 dieser Vorschrift hat jeder Bewohner der Freien Hansestadt Bremen „Anspruch auf eine angemessene Wohnung“, und nach S. 2 ist es „Aufgabe des Staates und der Gemeinden, die Verwirklichung dieses Anspruch zu fördern“.154 Ebenfalls eine Staatszielbestimmung (und kein soziales Grundrecht i.e.S.) enthält Art. 25 Abs. 1 S. 2 HS 2 BremVerf. Dieser 2003 in die Verfassung eingefügten155 Vorschrift zufolge trägt die staatliche Gemeinschaft Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen. Um weitere Zielvorgaben handelt es sich bei Art. 25 Abs. 2 BremVerf, der es zur Aufgabe des Staates erklärt, „die Jugend vor Ausbeutung und vor körperlicher, geistiger und sittlicher Verwahrlosung zu schützen“,156 und bei Art. 36 BremVerf, demzufolge der Staat den Jugendorganisationen Schutz und Förderung gewährt. Eine siebte Staatszielbestimmung findet sich mit der sozialen Sicherung i. S. des Art. 58 Abs. 1 BremVerf.157

___________ 152 s. H. Neumann, BremVerf, Art. 8 Rn. 4. – Andernfalls wäre etwa Art. 49 Abs. 3 BremVerf überflüssig, der für den Fall der Arbeitslosigkeit einen Anspruch auf Unterhalt aus öffentlichen Mitteln normiert, also Schutz vor den Folgen von Arbeitslosigkeit in Aussicht stellt. Gleiches würde für Art. 58 Abs. 1 BremVerf gelten, der für den Fall, dass jemand nicht in der Lage ist, den notwendigen Lebensunterhalt zu erwerben, bestimmt, dass er ihn unter bestimmten Voraussetzungen aus öffentlichen Mitteln erhält. Wegen weiterer Argumente sei auf die Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf (oben unter B. I. 1.) verwiesen. 153 s. Ladeur, in: Kröning u.a., HdbBremVerf, S. 158 (168); unklar H. Neumann, BremVerf, Art. 14 Rn. 3, demzufolge es sich bei dieser Norm um ein „Menschenrecht“ handelt, das „keinen einklagbaren Anspruch auf eine Wohnung“ gewähren soll (sic!), was Neumann u.a. damit begründet, im Schrifttum bestehe „Übereinstimmung, dass lediglich ein Programmsatz besteht“ (Rn. 4). – Nach a.A. ist Art. 14 Abs. 1 BremVerf als Programmsatz einzuordnen, s. etwa Spitta, BremVerf, Anm. zu Art. 14 Abs. 1: „politische Verpflichtung“. 154 Es handelt sich trotz der subjektiv-rechtlichen Formulierung erneut um kein soziales Grundrecht i.e.S.: Dies ergibt sich bereits aus Art. 14 Abs. 1 S. 2 BremVerf, demzufolge Staat und Gemeinden die Verwirklichung dieses Anspruchs „fördern“ (also nicht etwa „garantieren“). – Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 106 Abs. 1, 2 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 155 ÄGBremVerf v. 8.4.2003 (BremGBl. S. 167). 156 s. Stiens, Chancen, S. 275; vgl. H. Neumann, BremVerf, Art. 25 Rn. 3: „Weisung an den Landesgesetzgeber und die staatliche Verwaltung für einen umfassenden Jugendschutz“. 157 A.A. H. Neumann, BremVerf, Art. 58 Rn. 4, der diese Norm als subjektivrechtlichen Anspruch einordnet.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Schließlich ist noch das Sozialstaatsprinzip (Art. 65 Abs. 1 BremVerf) zu nennen.158 Auch Bildung und Kultur werden durch mehrere Zielvorgaben aufgegriffen. Nach Art. 11 Abs. 2 BremVerf ist der Staat zum Schutz von Kunst, Wissenschaft und ihrer Lehre sowie zur Teilnahme an deren Pflege verpflichtet.159 Seit 1997 hat er zudem gem. Art. 11 Abs. 3 BremVerf das kulturelle Leben zu schützen und zu fördern.160 Des Weiteren ist das „Recht auf Bildung“ i. S. des Art. 27 Abs. 1 BremVerf zu verzeichnen:161 Bei ihm handelt es sich trotz seiner subjektiv-rechtlichen Formulierung um kein Grundrecht.162 Ebenfalls als Staatszielbestimmung gibt Art. 31 Abs. 4 S. 1 BremVerf vor, dass „Minderbemittelten“ bei entsprechender Begabung der „Besuch der Höheren Schule, der Fachschule oder der Hochschule“ zu ermöglichen ist.163 Eine weitere bildungsbezogene Zielvorgabe findet sich in Art. 35 BremVerf. Diese Vorschrift enthält die Verpflichtung, Erwachsenen die Möglichkeit zur Weiterbildung zu geben.164 Ebenso hat der Staat nach Art. 36 a BremVerf, der 1997 in die Verfassung eingefügt wurde,165 den Sport zu pflegen und zu fördern. Dem Umweltschutz sind seit 1986166 ebenfalls einige Staatszielbestimmungen gewidmet. Während Art. 65 Abs. 1 BremVerf als Zielvorgabe den „Schutz

___________ 158 Vgl. H. Neumann, BremVerf, Art. 65 Rn. 2: „Staatsziel“; a.A. das ältere Schrifttum, s. etwa Spitta, BremVerf, Anm. zu Art. 65: Programmsatz. – Zur Argumentation vgl. die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). Die Formulierung „bekennt sich“ steht der Einordnung als Staatszielbestimmung nicht entgegen. 159 Ebenso wohl auch H. Neumann, BremVerf, Art. 11 Rn. 7: „Schutzpflicht für die freie Wissenschaft“. 160 ÄGBremVerf v. 9.10.1997 (BremGBl. S. 353, ber. BremGBl. 1998, S. 93). 161 Vgl. (nicht widerspruchsfrei) H. Neumann, BremVerf, Art. 27 Rn. 2: Staatszielbestimmung, die „als Menschenrecht nicht auf deutsche Staatsbürger beschränkt“ sei (Rn. 3). – Nach anderem, vereinzelt vertretenem Ansatz (s. etwa Füssel, in: Kröning u.a., HdbBremVerf, S. 185 [201]) soll es sich bei Art. 27 Abs. 1 BremVerf um einen Programmsatz handeln; in diese Richtung auch Beutler, JöR 26 (1977), S. 1 (34 f.). 162 Diese Einordnung ergibt sich bereits aus Art. 27 Abs. 2 BremVerf, demzufolge jenes „Recht“ durch öffentliche Einrichtungen „gesichert“ (nicht aber etwa garantiert) wird. Zudem befindet sich das „Recht auf Bildung“ nicht im Ersten Hauptteil der Verfassung, der den Grundrechten gewidmet ist, sondern in demjenigen, welcher der „Ordnung des sozialen Lebens“ gilt. Wegen weiterer Argumente sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 128 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 163 Es handelt sich um kein Grundrecht: Dies ergibt sich bereits aus der Konkretisierungsbedürftigkeit der Regelung. Ebenso H. Neumann, BremVerf, Art. 31 Rn. 9. 164 Vgl. H. Neumann, BremVerf, Art. 35 Rn. 3: „verpflichtender Auftrag für Legislative und Exekutive“. 165 ÄGBremVerf v. 9.10.1997 (BremGBl. S. 353, ber. BremGBl. 1998, S. 93). 166 ÄGBremVerf v. 9.12.1986 (BremGBl. S. 283).

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der natürlichen Umwelt“ enthält,167 verpflichtet Art. 11 a Abs. 1 S. 2 BremVerf, „Boden, Wasser und Luft zu schützen, mit Naturgütern und Energie sparsam umzugehen sowie die heimischen Tier- und Pflanzenarten und ihre natürliche Umgebung zu schützen und zu erhalten“.168 Als Staatszielbestimmung einzuordnen ist auch Art. 11 a Abs. 2 BremVerf, der die Behebung bzw. den Ausgleich von Schäden im Naturhaushalt vorschreibt.169 Seit 1997 enthält die Verfassung zudem mit Art. 11 b BremVerf eine Zielvorgabe, derzufolge Tiere als Lebewesen und Mitgeschöpfe zu achten (S. 1 ) und vor nicht artgemäßer Haltung und vermeidbarem Leiden zu schützen sind (S. 2).170 Daneben hat der Sachbereich Wirtschaft und Finanzen eine Ausgestaltung durch Staatszielbestimmungen gefunden. Nach Art. 39 Abs. 1 HS 1 BremVerf hat der Staat die Pflicht, die Wirtschaft zu fördern,171 und gem. Art. 39 Abs. 1 HS 2 BremVerf hat er jedermann einen gerechten Anteil am wirtschaftlichen Ertrag aller Arbeit zu sichern.172 Ebenso handelt es sich um eine Staatszielbestimmung bei Art. 40 Abs. 1 BremVerf:173 Selbstständige Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft, Industrie, Handwerk, Handel und Schiffahrt sind zu schützen und zu fördern. Eine vierte wirtschaftsbezogene Zielvorgabe findet sich in Art. 40 Abs. 2 BremVerf, der die Förderung von Genossenschaftswesen und gemeinnützigen Unternehmen aufgreift. Des Weiteren ist der Staat verpflichtet, „das Fortbestehen und die Neubildung von übermäßig großem Grundbesitz zu verhindern“ (Art. 45 Nr. 1 S. 2 BremVerf).174 Seit 1994 hat die Hansestadt zudem auf gleichwertige Lebensverhältnisse hinzuwirken (Art. 65 Abs. 3 HS 2 BremVerf).175 Ebenso ist der Bereich Auswärtiges und Verteidigung durch mehrere Zielvorgaben ausgestaltet. Es handelt sich um das Bekenntnis zum Frieden sowie ___________ 167 Ebenso wohl auch H. Neumann, BremVerf, Art. 65 Rn. 2: „Staatsziel“; a.A. das ältere Schrifttum, s. etwa Spitta, BremVerf, Anm. zu Art. 65: Programmsatz. – Die Formulierung „bekennt sich“ steht der Einordnung als Staatszielbestimmung nicht entgegen. 168 Vgl. H. Neumann, BremVerf, Art. 11 a Rn. 7: es handele sich um kein Grundrecht, sondern um ein „Staatsziel“ (Rn. 8). 169 Ebenso wohl auch H. Neumann, BremVerf, Art. 11 a Rn. 13. 170 ÄGBremVerf v. 16.12.1997 (BremGBl. S. 629). 171 Vgl. H. Neumann, BremVerf, Art. 39 Rn. 8: „Wirtschaftsförderung als Pflicht des Staates“. 172 Vgl. H. Neumann, BremVerf, Art. 39 Rn. 8: „Wirtschaftslenkung als Pflicht des Staates“. 173 Widersprüchlich H. Neumann, BremVerf, Art. 40 Rn. 3: einerseits „Gesetzgebungsauftrag“, andererseits „Schutz und Förderungspflicht des Mittelstandes“ (Art. 39 Rn. 8). – Wegen der Argumentation sei im Einzelnen verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 43 Abs. 1 HessVerf (oben unter B. I. 1.). 174 Unklar H. Neumann, BremVerf, Art. 45 Rn. 5: „Aufgabe“. 175 ÄGBremVerf v. 1.11.1994 (BremGBl. S. 289).

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um dasjenige zur Völkerverständigung durch Art. 65 Abs. 1 BremVerf176 wie auch um die (1994 eingefügte)177 Verpflichtung der Hansestadt, die grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit zu fördern (Art. 65 Abs. 2 BremVerf). Schließlich sind Art. 2 Abs. 4 S. 2 u. 3 BremVerf als die der Gleichstellung der Geschlechter gewidmeten Staatszielbestimmungen zu nennen. Diese erst 1997 aufgenommenen178 Vorschriften verpflichten die Träger der öffentlichen Verwaltung dazu, für die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in Staat und Gesellschaft zu sorgen (S. 2) und darauf hinzuwirken, dass Frauen und Männer in Gremien des öffentlichen Rechts zu gleichen Teilen vertreten sind (S. 3).

5. Verfassung des Landes Saarland Die Verfassung des Saarlandes v. 15.12.1947,179 die in Aufbau und Inhalt v. a. der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz in deren ursprünglicher Form ähnelt,180 enthält Staatszielbestimmungen in verschiedenen Abschnitten ihres Ersten Hauptteils („Grundrechte und Grundpflichten“). Auch diese Verfassung ist insoweit nicht nach normativen, sondern nach thematischen Gesichtspunkten gegliedert.181 Für den sozialen Bereich findet sich die erste Staatszielbestimmung in Art. 25 Abs. 1 S. 1 SaarlVerf. Diese Vorschrift verpflichtet zum Schutz der Ju___________ 176 Vgl. H. Neumann, BremVerf, Art. 65 Rn. 2: „Staatsziele“; a.A. das ältere Schrifttum, s. etwa Spitta, BremVerf, Anm. zu Art. 65: Programmsatz. – Die Formulierung „bekennt sich“ steht der Einordnung als Staatszielbestimmung nicht entgegen. 177 ÄGBremVerf v. 1.11.1994 (BremGBl. S. 289). 178 ÄGBremVerf v. 9.10.1997 (BremGBl. S. 353, ber. BremGBl. 1998, S. 93). 179 SaarlABl. S. 1077. 180 Die Verfassung des Saarlands unterschied sich bis zu dessen Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung vom 1.1.1957 sehr deutlich von den übrigen Landesverfassungen: Die französische Besatzungsmacht war bestrebt, das Saarland auf Frankreich auszurichten (Thieme, JöR 9 [1960], S. 423 [425]). Dementsprechend stark akzentuiert war die Bindung an Frankreich in jener Verfassung: Zum einen war der Verfassungstext in deutscher und französischer Sprache abgefasst, zum anderen war in der Präambel die Rede von der „Unabhängigkeit vom deutschen Reich“ und von der „organische[n] Einordnung in den Wirtschaftsbereich der französischen Republik“. – Erst mit dem Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik Deutschland – in dem im Oktober 1956 geschlossenen Saarvertrag erklärte Frankreich sein Einverständnis zur Ausdehnung des Geltungsbereichs des Grundgesetzes auf das Saarland (dazu sowie zur Frage des „europäischen Saarstatuts“ Henn, Lage, S. 25) – traten Verfassungsänderungen in Kraft, die auf Verfassungsebene die Hinwendung zur Bundesrepublik Deutschland vollzogen. Näheres bei Bushart, Verfassungsänderung, S. 12; Thieme, JöR 9 (1960), S. 423 (429 ff.). 181 Zu den Vor- und Nachteilen einer solchen thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B.

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gend „gegen Ausbeutung sowie gegen leibliche, geistige oder sittliche Verwahrlosung“.182 Um eine Staatszielbestimmung handelt es sich auch bei dem „Recht auf Arbeit“ i. S. des Art. 45 S. 2 SaarlVerf.183 Ihm ist trotz subjektiv-rechtlicher Formulierung kein subjektives Recht auf Arbeitsverschaffung durch den Staat zu entnehmen.184 Eine dritte soziale Zielvorgabe enthält Art. 60 Abs. 1 SaarlVerf, demzufolge das Saarland (auch) ein Sozialstaat ist.185 Dem Sachbereich Bildung und Kultur widmen sich ebenfalls mehrere Staatszielbestimmungen. Hier ist zunächst Art. 32 SaarlVerf zu erwähnen, demzufolge Staat und Gemeinden „das Volksbildungswesen, einschließlich der Volksbüchereien und Volkshochschulen“ fördern. Zudem werden Gründung und Aufbau saarländischer Hochschulen angestrebt (Art. 33 Abs. 1 SaarlVerf). Weitere Zielvorgaben enthält Art. 34 SaarlVerf. Nach dessen Abs. 1 genießt das kulturelle Schaffen die Förderung des Staates, durch Abs. 2 S. 1 sind die Kunst-, Geschichts- und Naturdenkmäler unter Schutz und Pflege gestellt, und nach Abs. 2 S. 2 ist „die Teilnahme an den Kulturgütern [...] allen Schichten des Volkes zu ermöglichen“. Zudem enthält die Verfassung seit 1999186 die Zielvorgabe „Sportförderung“ (Art. 34 a SaarlVerf).187 Eine Ausgestaltung durch Staatszielbestimmungen hat 1985188 auch der Umweltschutz gefunden.189 Abgesehen von der Zielvorgabe „Schutz und Pflege der Landschaft“, die in Art. 34 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf verankert ist, finden sich die betreffenden Staatszielbestimmungen allesamt in Art. 59 a SaarlVerf. Dessen Abs. 1 vertraut zum einen den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen der besonderen Fürsorge des Staates an (S. 1), zum anderen enthält er in S. 2 mehrere einzelprogrammatische Zielvorgaben. Nicht nur sind Boden, Wasser, Luft und Wald zu schützen und eingetretene Schäden zu beheben oder auszugleichen, sondern es ist auch sparsam mit Energie umzugehen und die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts zu erhalten und zu verbessern; schließlich sind heimische ___________ 182

s. Stiens, Chancen, S. 275. s. SaarlVerfGH NJW 1996, S. 383 (384 ff.). 184 Eine Einordnung als soziales Grundrecht i.e.S. scheitert nicht zuletzt an der fehlenden Konkretisierung und Präzisierung des Norminhalts. Zudem geht die Landesverfassung selbst von der Unrealisierbarkeit eines individuellen Anspruchs des Einzelnen auf Zuweisung eines Arbeitsplatzes gegen den Staat aus: Andernfalls wäre es überflüssig, in Art. 46 S. 1 SaarlVerf Regelungen zum „Schutz gegen die Folgen unverschuldeter Arbeitslosigkeit“ zu treffen. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf (oben unter B. I. 1.). 185 Zur Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). 186 ÄGSaarlVerf v. 25.8.1999 (SaarlABl. S. 1318). 187 Ebenso wohl Brosig, SaarlVerf, S. 293: „Staatsziel“. 188 ÄGSaarlVerf v. 25.1.1985 (SaarlABl. S. 105). 189 Dazu Michel, Staatszwecke, S. 348 ff. 183

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Tier- und Pflanzenarten zu schonen und zu erhalten. Seit 1999 sind zudem die Tiere gem. Art. 59 a Abs. 3 SaarlVerf als Lebewesen und Mitgeschöpfe zu achten und zu schützen.190 Den Bereich Wirtschaft und Finanzen greifen ebenfalls mehrere Staatszielbestimmungen auf. Nach Art. 54 SaarlVerf ist der selbstständige saarländische Mittelstand in Industrie, Gewerbe, Handwerk und Handel zu fördern und in seiner freien Entfaltung zu schützen (Abs. 1).191 Ebenso ist das Genossenschaftswesen zu fördern (Abs. 2). Um eine weitere Zielvorgabe handelt es sich bei Art. 55 Abs. 1 SaarlVerf, demzufolge der Staat die Landwirtschaft zu fördern hat (und zwar „insbesondere die Erhaltung eines selbstständigen Bauernstandes“). Auch im Bereich Auswärtiges und Verteidigung sind mehrere, allerdings erst 1992 eingefügte192 Staatszielbestimmungen zu vermerken. Nach Art. 60 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf fördert das Land die europäische Einigung, und es tritt für die Beteiligung eigenständiger Regionen an der Willensbildung der Europäischen Gemeinschaften und des vereinten Europa ein. Zudem arbeitet das Saarland gem. Art. 60 Abs. 2 S. 2 SaarlVerf mit anderen europäischen Regionen zusammen, und es unterstützt grenzüberschreitende Beziehungen zwischen benachbarten Gebietskörperschaften und Einrichtungen.193 Seit der Verfassungsreform im Jahr 1999 ist zudem die Gleichstellung der Geschlechter als Staatszielbestimmung ausgestaltet. Die betreffende Vorschrift (Art. 12 Abs. 2 S. 2 SaarlVerf)194 verpflichtet die Träger öffentlicher Gewalt, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.

___________ 190 ÄGSaarlVerf v. 25.8.1999 (SaarlABl. S. 1318). – Es handelt sich bei Art. 59 a Abs. 3 SaarlVerf um eine Staatszielbestimmung; ebenso wohl Brosig, SaarlVerf, S. 293: „Staatsziel“. 191 Es handelt sich bei Art. 54 Abs. 1 SaarlVerf nicht etwa um ein Grundrecht, s. SaarlVerfGH AS 21, 141 (142 f.): Es reicht nicht aus, dass Art. 54 SaarlVerf im Ersten Hauptteil der Verfassung mit der Überschrift „Grundrechte und Grundpflichten“ verankert ist. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 43 Abs. 1 HessVerf (oben unter B. I. 1.). – Im älteren Schrifttum wird Art. 54 SaarlVerf allerdings als unverbindlicher Programmsatz eingeordnet, s. etwa Thieme, JöR 9 (1960), S. 423 (432): Art. 54 SaarlVerf sei eine bloße „Redensart“. 192 ÄGSaarlVerf v. 26.2.1992 (SaarlABl. S. 441). 193 s. auch Brosig, SaarlVerf, S. 288 f. 194 ÄGSaarlVerf v. 25.8.1999 (SaarlABl. S. 1318).

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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II. Landesverfassungen der zweiten Generation

Zu den Landesverfassungen der zweiten Generation zählen (nach ihrem Inkrafttreten chronologisch geordnet) die Verfassungen von Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg und Baden-Württemberg. Außer Betracht bleibt die Verfassung des Landes Berlin v. 1.9.1950:195 Für die vorliegende Untersuchung sind allein die geltenden Landesverfassungen von Bedeutung.196

1. Verfassung des Landes Schleswig-Holstein Die zunächst als „Landessatzung“ bezeichnete Verfassung von SchleswigHolstein v. 13.12.1949197 beschränkte sich ursprünglich auf ein Organisationsstatut. Seit Neuverkündung als „Verfassung für das Land Schleswig-Holstein“ im Jahr 1990,198 dem zentralen Einschnitt in ihr Textgefüge, enthält sie jedoch eine ganze Reihe von Staatszielbestimmungen. Diese finden sich ausschließlich im ersten Abschnitt („Land und Volk“) der rein thematisch gegliederten Verfassung.199 Während der soziale Bereich nicht durch Staatszielbestimmungen aufgegriffen wird, enthält Art. 9 SchlHVerf einige Zielvorgaben, die sich der Bildung und Kultur widmen. Es handelt sich neben der Staatszielbestimmung „Schutz und Förderung der Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre“ (Art. 9 Abs. 1 SchlHVerf)200 um die erst 1997 eingefügte Verpflichtung des Landes, die Pflege der niederdeutschen Sprache zu schützen und zu fördern (Art. 9 Abs. 2 SchlHVerf),201 sowie um die Aufgabe des Landes, der Gemeinden und Gemeindever___________ 195

BerlVOBl. S. 433. – Die berliner Verfassung v. 1.9.1950 trat an die Stelle der „Vorläufigen Verfassung von Groß-Berlin“, die 1946 von den vier Siegermächten erlassen worden war. Bis zur Wiedervereinigung besaß sie zwar lediglich Geltung für den Westteil des Stadtstaates. Sie war aber von vornherein für den gesamten Stadtstaat konzipiert. Näheres bei Reichert, Entstehung I, S. VII; Finkelnburg, LKV 1991, S. 6 ff. 196 Berlin hat sich 1995 eine neue Verfassung gegeben. Zu ihr unten unter B. III. 6. 197 SchlHGVOBl. S. 3. – Auch und bereits die Bezeichnung als Landessatzung sollte den dieser Verfassung zugedachten vorläufigen Charakter zum Ausdruck bringen: eine Parallele zur gesamtstaatlichen Ebene („Grundgesetz“). 198 ÄGSchlHVerf v. 13.6.1990 (SchlHGVOBl. S. 391). – Wegen der Vielzahl der Änderungen wurde die Verfassung im Volltext neu verkündet, s. etwa Rohn, NJW 1990, S. 2782 (2784). 199 Zu den Vor- und Nachteilen einer solchen thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B. 200 Vgl. Stiens, Chancen, S. 248: „Staatsziel“. 201 Auch hierbei handelt es sich um eine Staatszielbestimmung, s. Bull, JöR 51 (2003), S. 489 (504).

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

bände nach Art. 9 Abs. 3 SchlHVerf, „die Kultur einschließlich des Sports, der Erwachsenenbildung, des Büchereiwesens und der Volkshochschulen“ zu fördern.202 Auch der Umweltschutz ist (anders als die Bereiche Wirtschaft und Finanzen sowie Auswärtiges und Verteidigung) durch eine Staatszielbestimmung ausgestaltet. Gem. Art. 7 SchlHVerf stehen die natürlichen Lebensgrundlagen unter besonderem Schutz.203 Der Gleichstellung der Geschlechter widmet die Verfassung sogar zwei Zielvorgaben.204 Während Art. 6 S. 1 SchlHVerf es zur Aufgabe aller Träger der öffentlichen Verwaltung erklärt, die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern, ist nach dessen S. 2 insbesondere darauf hinzuwirken, dass Frauen und Männer „in kollegialen öffentlich-rechtlichen Beschluss- und Beratungsorganen“ zu gleichen Anteilen vertreten sind. Schließlich sind die dem Minderheitenschutz gewidmeten Staatszielbestimmungen zu erwähnen. Diese finden sich in Art. 5 Abs. 2 SchlHVerf.205 Dessen S. 1 stellt „die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen“ unter Schutz, und in S. 2 ist ein weiterer Schutz- und Förderungsauftrag für die dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe verankert.206

___________ 202

s. Bull, JöR 51 (2003), S. 489 (504). – Die Förderung des Sports wurde 1998 eingefügt, s. ÄGSchlHVerf v. 20.3.1998 (SchlHGVOBl. S. 150). 203 s. BVerfGE 103, 332 (377); ebenso v. Mutius, in: Landeszentrale für politische Bildung, Schleswig-Holstein, S. 19 (30); Rohn, NJW 1990, S. 2782 (2784); Bull, JöR 51 (2003), S. 489 (495, 502). 204 s. BVerfGE 91, 228 (243). Ebenso Rohn, NJW 1990, S. 2782 (2784); Stiens, Chancen, S. 284 f.; Bull, JöR 51 (2003), S. 489 (495, 502). 205 In der Landessatzung (1949) gab es keine entsprechenden Bestimmungen: Ihr Art. 5 HS 1 garantierte lediglich das individuelle „Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit“ als Freiheitsrecht (zur Entstehung dieser Vorschrift Waller, SchlHLS, S. 178 f.). Dementsprechend wurde Art. 5 Abs. 2 SchlHVerf von den Vertretern der dänischen und friesischen Minderheit als entscheidende Verbesserung ihres Status begrüßt. Dazu D. Franke/Hofmann, EuGRZ 1992, S. 401 (406). 206 Bei Art. 5 Abs. 2 SchlHVerf handelt es sich (trotz seiner subjektiv-rechtlichen Formulierung) um keinen Anspruch des Einzelnen, sondern um eine Staatszielbestimmung; ebenso v. Mutius, in: Landeszentrale für politische Bildung, Schleswig-Holstein, S. 19 (28 f.); Bull, JöR 51 (2003), S. 489 (495); Hübner, in: Landeszentrale für politische Bildung, SchlHVerf, S. 42 (51 f.). Vgl. D. Franke/Hofmann, EuGRZ 1992, S. 401 (406): Art. 5 Abs. 2 SchlHVerf bedürfe der (einfachgesetzlichen) Umsetzung durch den Gesetzgeber.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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2. Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18.6.1950,207 die hinsichtlich ihrer Ausrichtung zwischen der markant sozialstaatlichen hessischen und der eher christlich-sozial akzentuierten rheinland-pfälzischen Verfassung einzuordnen ist,208 widmet Staatszielbestimmungen keinen gesonderten Abschnitt.209 Die Zielvorgaben finden sich aber nahezu allesamt im zweiten Teil („Von den Grundrechten und der Ordnung des Gemeinschaftslebens“). Mehrere Staatszielbestimmungen sind dem Bereich Soziales gewidmet. Die erste soziale Zielvorgabe ist bereits in der Präambel verankert: „Wohlstand für alle“.210 Hierbei handelt es sich nicht lediglich um ein bloßes Motiv des Verfassunggebers; aus dem Wortlaut („erfüllt von dem Willen“) ergibt sich, dass insoweit Vorgaben für staatliches Handeln statuiert werden. Weitere soziale Staatszielbestimmungen finden sich in Art. 6 NRWVerf.211 Dessen Abs. 1 enthält eine allgemein gefasste Zielvorgabe „Kinderschutz“:212 Jedes Kind hat ein „Recht auf [...] besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft“. Nach Art. 6 Abs. 2 NRWVerf sind Kinder und Jugendliche zudem vor Gefahren für ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohl zu schützen (S. 2). Weiterhin haben Staat und Gesellschaft für altersgerechte Lebensbedingungen Sorge zu tragen (S. 3).213 Um eine fünfte Zielvorgabe handelt es sich bei Art. 6 Abs. 4 NRWVerf, demzufolge „das Mitwirkungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie der Verbände der freien Wohlfahrtspflege in den Angelegenhei-

___________ 207

s. GVNW S. 127. – Die nordrhein-westfälische Verfassung wurde am 6.6.1950 (mit knapper Mehrheit) vom Landtag beschlossen und am 18.6.1950 durch eine Volksabstimmung gebilligt. Zu ihrem nicht komplikationslosen Zustandekommen Dästner, FS NRWVerfGH, S. 13 ff. 208 s. Brenne, Grundrechte, S. 35. 209 Zu den Vor- und Nachteilen einer thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B. 210 Vgl. Ennuschat, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Präambel Rn. 15: „Staatsziel“. – Die Präambel ist Bestandteil der Verfassung: Sie hat (auch) rechtlichen Gehalt, s. Ennuschat, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Präambel Rn. 4. Allg. zur rechtlichen Bedeutung der Präambel mit Blick auf das Grundgesetz oben unter A. 211 Der ursprünglich allein auf die Pflege und Förderung der Jugend bezogene Art. 6 NRWVerf wurde novelliert durch das ÄGNRWVerf v. 29.1.2002 (GVNW S. 52). 212 So wohl auch Dietlein, JöR 51 (2003), S. 343 (349 f.). 213 s. Müller-Terpitz, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 6 Rn. 13: „objektivrechtliche Schutzaufträge bzw. Staatszielbestimmungen“; ebenso bereits mit Blick auf Art. 6 Abs. 2 (a.F.) NRWVerf, demzufolge „die Jugend vor Ausbeutung, Missbrauch und sittlicher Gefährdung zu schützen“ war, Stiens, Chancen, S. 275. – Neu ist die Staatszielbestimmung „Schaffung altersgerechter Lebensbedingungen“. Dazu Dietlein, JöR 51 (2003), S. 343 (350).

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

ten der Familienförderung, der Kinder- und Jugendhilfe [...]“ zu fördern ist.214 Trotz seiner subjektiv-rechtlichen Formulierung ebenfalls als Staatszielbestimmung einzuordnen ist das „Recht auf Arbeit“ i. S. des Art. 24 Abs. 1 S. 3 NRWVerf.215 Gleiches gilt für Art. 29 Abs. 2 NRWVerf, wonach das Land u.a. die Aufgabe hat, neue Wohnheimstätten zu schaffen.216 Auch die Bildung und Kultur werden durch mehrere Staatszielbestimmungen aufgegriffen. Zunächst gibt Art. 6 Abs. 3 NRWVerf vor, dass allen Jugendlichen „die umfassende Möglichkeit zur Berufsausbildung und -ausübung zu sichern“ ist.217 Eine weitere bildungsbezogene Zielvorgabe findet sich in Art. 8 Abs. 1 NRWVerf, wonach jedes Kind „Anspruch auf Erziehung und Bildung“ hat. Die subjektiv-rechtliche Formulierung legt zwar zunächst eine Einordnung als soziales Grundrecht i.e.S. bzw. als grundrechtsgleiches Recht nahe.218 Dies greift allerdings zu kurz; es handelt sich um eine Staatszielbestimmung.219 Gleiches gilt für Art. 8 Abs. 3 S. 1 NRWVerf, der dem Land und den Gemeinden auferlegt, Schulen zu errichten und zu fördern.220 Zudem besteht die Pflicht zur ___________ 214

So wohl auch Müller-Terpitz, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 6 Rn. 35: „Art und Umfang der jeweiligen Fördermaßnahmen festzulegen, ist Aufgabe von Gesetzgebung und Verwaltung. [...] Ein einklagbares Leistungsrecht folgt aus dem verfassungsrechtlichen Fördergebot [...] nicht“. 215 s. Grimm, in: ders./Papier, NRWStVerwR, S. 1 (62); Martina, Grundrechte, S. 109; nicht widerspruchsfrei Müller-Terpitz, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 24 Rn. 17 f.: „soziale Staatszielbestimmung“ und „subjektives Recht auf Wahl eines bestimmten Berufsbildes bzw. Arbeitsplatzes“. Für die Argumentation vgl. die Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf (oben unter B. I. 1.). – Vereinzelt wird Art. 24 NRWVerf auch lediglich als verfassungsrechtlicher Programmsatz eingeordnet, s. etwa Dickersbach, in: Geller u.a., NRWVerf, Anm. 4 a zu Art. 24; unklar Dästner, NRWVerf, Art. 24 Rn. 2: Die Vorschrift enthalte „das soziale Staatsziel des Rechts auf Arbeit“ und sei „lediglich als Programmsatz zu verstehen“. 216 s. Müller-Terpitz, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 29 Rn. 6; a.A. (lediglich Programmsatz) Dickersbach, in: Geller u.a., NRWVerf, Anm. 2 zu Art. 29. – Wegen der Argumente sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 106 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 217 s. Müller-Terpitz, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 6 Rn. 27; vgl. (zum nahezu wortgleichen Art. 6 Abs. 1 S. 1 [a.F.] NRWVerf) Dickersbach, in: Geller u.a., NRWVerf, Anm. 1 zu Art. 6: „Weisung an Gesetzgeber und Verwaltung“; ebenso Dästner, NRWVerf, Art. 6 Rn. 1. 218 s. OVG Münster NVwZ-RR 1990, S. 23 (24); Martina, Grundrechte, S. 97; Peters, DVBl. 1950, S. 449 (450); ebenso Kühne, in: Geller u.a., NRWVerf, Anm. 2 a aa zu Art. 8. 219 s. Dästner, NRWVerf, Art. 8 Rn. 1; vgl. (nicht widerspruchsfrei) Ennuschat, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 8 Rn. 7 f.: die Vorschrift sei „Individualrecht [...] oder grundrechtsgleiches Recht“ und „als Staatszielbestimmung zu begreifen“. Zur Argumentation vgl. die Ausführungen zu Art. 128 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 220 Vgl. Ennuschat, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 8 Rn. 56: „Staatsaufgabe“, „Förderpflicht“.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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Förderung der Erwachsenenbildung (Art. 17 NRWVerf).221 Weitere Zielvorgaben finden sich in Art. 18 NRWVerf. Nach dessen Abs. 1 sind Kultur, Kunst und Wissenschaft durch Land und Gemeinden zu pflegen und zu fördern,222 während Abs. 2 die Kunst-, Geschichts- und Kulturdenkmäler wie auch die Naturdenkmale unter Schutz stellt.223 Um eine Staatszielbestimmung handelt es sich auch bei dem 1992 eingefügten224 Art. 18 Abs. 3 NRWVerf, demzufolge der Sport zu pflegen und zu fördern ist.225 Dem Umweltschutz widmet die nordrhein-westfälische Verfassung ebenfalls mehrere Staatszielbestimmungen. Hier ist erneut Art. 18 Abs. 2 NRWVerf zu erwähnen. Diese Vorschrift stellt (auch) die Landschaft unter Schutz.226 Seit 1985227 stehen zudem die natürlichen Lebensgrundlagen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden sowie der Gemeindeverbände (Art. 29 a Abs. 1 NRWVerf).228 Im Jahr 2001229 wurde diese Norm um die Zielvorgabe „Tierschutz“ erweitert.230 Daneben ist auch der Bereich Wirtschaft und Finanzen durch Staatszielbestimmungen ausgestaltet. Nach Art. 28 S. 1 NRWVerf sind die „Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel und Gewerbe und die freien Berufe“ zu fördern.231 Ebenso als Staatszielbestimmung gibt S. 2 dieses Artikels vor, dass die genossenschaftliche Selbsthilfe zu unterstützen ist. Gleiches gilt für Art. 29 Abs. 1 NRWVerf, der dazu verpflichtet, „die Verbindung weiter

___________ 221 s. Ennuschat, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 17 Rn. 4; unklar Dästner, NRWVerf, Art. 17 Rn. 1: „Verfassungsauftrag“. 222 s. Mann, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 18 Rn. 5, 7. 223 s. Mann, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 18 Rn. 5. 224 ÄGNRWVerf v. 24.11.1992 (GVNW S. 448). 225 s. Tettinger, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 18 Rn. 26 f.; Stern, FS Thieme, S. 269 ff. Vgl. Dästner, NRWVerf, Art. 18 Rn. 7: „Staatsziel“; ebenso Dietlein, JöR 51 (2003), S. 343 (348). 226 s. Mann, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 18 Rn. 5. 227 ÄGNRWVerf v. 19.3.1985 (GVNW S. 255). 228 Zur Einordnung als Staatszielbestimmung NRWVerfGH, NWVBl. 1990, S. 51; 1991, S. 187; 1992, S. 14; Dästner, NRWVerf, Art. 29 a Rn. 2; Dietlein, JöR 51 (2003), S. 343 (347). 229 ÄGNRWVerf v. 3.7.2001 (GVNW S. 456). 230 Dazu Müller-Terpitz, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 29 a Rn. 6; Dietlein, JöR 51 (2003), S. 343 (348 f.). 231 Vgl. Tettinger, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 28 Rn. 8: „objektivrechtliche Förderungsverpflichtung“; a.A. Dickersbach, in: Geller u.a., NRWVerf, Anm. 2 zu Art. 28: „Programmsatz“. – Wegen der Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 43 Abs. 1 HessVerf (oben unter B. I. 1.).

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Volksschichten mit dem Grund und Boden [...] anzustreben“.232 Eine vierte wirtschaftsbezogene Zielvorgabe enthält Art. 29 Abs. 2 NRWVerf, wonach das Land (auch) die Aufgabe hat, „neue [...] Wirtschaftsheimstätten zu schaffen und den klein- und mittelbäuerlichen Besitz zu stärken“.233 Zudem sind nach Art. 29 Abs. 3 NRWVerf Kleinsiedlungen und das Kleingartenwesen zu fördern“.234 Schließlich wird der Bereich Auswärtiges und Verteidigung durch eine Staatszielbestimmung aufgegriffen: das in der Präambel verankerte Friedensgebot.235

3. Verfassung des Landes Niedersachsen Die „Vorläufige Niedersächsische Verfassung“ v. 13.4.1951236 beschränkte sich auf ein reines Organisationsstatut. Seit deren Totalrevision 1993 – für eine „Verfassungsneuschöpfung“ fehlte es am Tätigwerden der verfassunggebenden Gewalt237 – kennt jedoch auch das niedersächsische Verfassungsrecht eine ganze Reihe von Staatszielbestimmungen. Sie finden sich im ersten Abschnitt der Niedersächsischen Verfassung v. 19.5.1993 („Grundlagen der Staatsgewalt,

___________ 232 s. Müller-Terpitz, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 29 Rn. 5; a.A. Dickersbach, in: Geller u.a., NRWVerf, Anm. 2 zu Art. 29: „Programmsatzcharakter“; ebenso Dästner, NRWVerf, Art. 29 Rn. 1. 233 s. Müller-Terpitz, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 29 Rn. 6; a.A. Dickersbach, in: Geller u.a., NRWVerf, Anm. 2 zu Art. 29: „kein unmittelbar wirksames Recht“. 234 s. Müller-Terpitz, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 29 Rn. 8; a.A. Dickersbach, in: Geller u.a., NRWVerf, Anm. 2 zu Art. 29: „kein unmittelbar wirksames Recht“. 235 Vgl. Ennuschat, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Präambel Rn. 12: „Staatsziel“; nicht widerspruchsfrei Dästner, NRWVerf, Präambel Rn. 5: „Friedenspflicht“, obgleich es sich nach seiner Auffassung bei der Präambel um keine rechtsverbindliche Vorschrift handelt (Rn. 1). 236 NdsGVBl. S. 5. 237 Die „Vorläufige Verfassung“ v. 13.4.1951 bestimmte in Art. 61 Abs. 2, dass „diese Verfassung ein Jahr nach Ablauf des Tages außer Kraft“ tritt, „an dem das deutsche Volk in freier Entscheidung eine Verfassung beschließt“. Obgleich es nach dem Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik Deutschland auf Bundesebene zu keiner Verfassunggebung i. S. des Art. 146 (a.F.) GG kam (dazu etwa E. Klein, FS Schiedermair, S. 125 [131 ff.] m.w.N.), nahm der Niedersächsische Landtag die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zum Anlass, die „Vorläufigkeit“ der Verfassung zu beseitigen und bei dieser Gelegenheit eine Verfassungsreform vorzunehmen. Dementsprechend wurden für die Verabschiedung der Landesverfassung v. 13.5.1993 die in Art. 38 Vorläufige NdsVerf für Verfassungsänderungen erforderlichen Mehrheiten zugrundegelegt. Es handelt sich im Verhältnis zur „Vorläufigen Verfassung“ vom 13.4.1951 demnach um keine neue Verfassung. Ebenso Blanke, FS Remmers, S. 113 (114 ff.); vgl. Niedobitek, Entwicklungen, S. 17 f.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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Grundrechte und Staatsziele“),238 und zwar gemeinsam mit den Grundrechten.239 Im sozialen Bereich sind wiederum mehrere Zielvorgaben zu verzeichnen. Nach Art. 1 Abs. 2 NdsVerf ist das Land Niedersachsen (auch) ein Sozialstaat.240 Weitere Staatszielbestimmungen finden sich in Art. 6 a NdsVerf. Dieser erst 1997 eingefügten241 Vorschrift zufolge wirkt das Land darauf hin, „dass jeder Mensch Arbeit finden und dadurch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann und dass die Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum versorgt ist“.242 Dem Sachbereich Bildung und Kultur widmet die Verfassung ebenfalls mehrere Staatszielbestimmungen. Hier ist zunächst das „Recht auf Bildung“ i. S. des Art. 4 Abs. 1 NdsVerf zu nennen.243 Dessen subjektiv-rechtliche Formulierung legt zwar zunächst die Einordnung als soziales Grundrecht i.e.S. nahe.244 Dies greift allerdings zu kurz. Aus Art. 4 Abs. 1 NdsVerf ergibt sich kein Anspruch des Einzelnen.245 Weitere Zielvorgaben finden sich in Art. 5 Abs. 1 NdsVerf, demzufolge das Land die Wissenschaft fördert,246 und in Art. 5 Abs. 2 NdsVerf, ___________ 238

NdsGVBl. S. 107. Zu den Vor- und Nachteilen einer solchen thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B. 240 s. Hagebölling, NdsVerf, Anm. 2.5 zu Art. 1; Starck, NdsVBl. 1994, S. 2 (8). Für die Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). – Diese Zielvorgabe kannte auch bereits Art. 1 Abs. 1 Vorläufige NdsVerf. Zur normtypologischen Einordnung H. Neumann, Vorläufige NdsVerf, Art. 1 Rn. 10 ff. 241 ÄGNdsVerf v. 21.11.1997 (NdsGVBl. S. 480). 242 s. J. Ipsen, in: Brandt/Schinkel, NdsStVerwR, S. 65 (85 f.); Schwarz, NdsVBl. 1998, S. 225 (227 f.). – Bereits die Formulierung „Das Land wirkt darauf hin, dass [...]“ lässt am rein objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 6 a NdsVerf keinen Zweifel. Weitere Argumente bei den Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf (oben unter B. I. 1.) und Art. 106 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 243 Vgl. Berlit, NVwZ 1994, S. 11 (15); H. Neumann, NdsVerf, Art. 4 Rn. 1; nicht widerspruchsfrei Hagebölling, NdsVerf, Anm. 1 zu Art. 4, demzufolge es sich bei dieser Vorschrift um ein klassisches Abwehrrecht gegenüber dem Staat und zugleich um eine Staatszielbestimmung handelt. 244 So spricht denn auch der Niedersächsische Staatsgerichtshof mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 NdsVerf von einem gegen den Staat gerichteten Individualrecht auf Bildung, nennt es aber in engem Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 S. 1 NdsVerf (Recht der freien Berufswahl und der freien Wahl der Ausbildungsstätte) und Art. 3 Abs. 2 S. 1 NdsVerf i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit), s. NdsStGHE 1, 221 (245). Für eine Einordnung des Art. 4 Abs. 1 NdsVerf als Grundrecht auch Starck, NdsVBl. 1994, S. 2 (8); Bachmann, RuP 1993, S. 128 (130); vgl. J. Ipsen, in: Brandt/Schinkel, NdsStVerwR, S. 65 (83): Grundrechtscharakter. 245 Vgl. H. Neumann, NdsVerf, Art. 4 Rn. 4: das Land könne nicht verpflichtet werden, so viele und verschiedenartige Ausbildungsstätten zu schaffen bzw. zu unterhalten, wie potentielle Antragsteller dies wünschten. – Für die Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 128 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 246 s. J. Ipsen, in: Brandt/Schinkel, NdsStVerwR, S. 65 (83); vgl. Starck, NdsVBl. 1994, S. 2 (8): Einrichtungsgarantie mit Staatszielcharakter; nicht widerspruchsfrei Ha239

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

der das Land zur Förderung von Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen verpflichtet.247 Zudem schützen und fördern Land, Gemeinden und Landkreise nach Art. 6 NdsVerf Kunst, Kultur sowie (seit 1997)248 den Sport.249 Ebenfalls als Staatszielbestimmung ist Art. 72 Abs. 1 NdsVerf einzuordnen,250 demzufolge „die kulturellen und historischen Belange der ehemaligen Länder Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Schaumburg-Lippe [...] zu wahren und zu fördern“ sind. Auch der Umweltschutz wird (anders als der Bereich Wirtschaft und Finanzen) durch Staatszielbestimmungen aufgegriffen. Nach Art. 1 Abs. 2 NdsVerf ist das Land Niedersachsen u.a. ein „dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter“ Staat. Über diese Zielvorgabe „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“251 hinaus wurde 1997252 eine gesonderte Staatszielbestimmung „Tierschutz“ eingefügt.253 Seitdem bestimmt Art. 6 b NdsVerf, dass Tiere „als Lebewesen geachtet und geschützt“ werden. Im Bereich Auswärtiges und Verteidigung ist demgegenüber lediglich das Bekenntnis zur Europäischen Integration i. S. des Art. 1 Abs. 2 NdsVerf zu nennen. Diese Vorschrift weist Niedersachsen als „Teil der europäischen Völkergemeinschaft“ aus. Schließlich hat mit Art. 3 Abs. 2 S. 3 NdsVerf auch die Gleichstellung der Geschlechter eine Ausgestaltung als Staatszielbestimmung gefunden.254 Die Formulierung, dass „die Achtung der Grundrechte, insbeson___________ gebölling, NdsVerf, Anm. 2 zu Art. 5: einerseits „Schutz- und Förderungspflicht“, andererseits programmatischer Charakter. – Art. 5 Abs. 1 NdsVerf vermittelt keine Ansprüche auf Förderung. Ebenso Hagebölling, NdsVerf, Anm. 2 zu Art. 5. 247 a.A. Hagebölling, NdsVerf, Anm. 3 zu Art. 5: „Einrichtungsgarantie“; J. Ipsen, in: Brandt/Schinkel, NdsStVerwR, S. 65 (85). 248 ÄGNdsVerf v. 21.11.1997 (NdsGVBl. S. 480). 249 s. J. Ipsen, in: Brandt/Schinkel, NdsStVerwR, S. 65 (83, 85); Stiens, Chancen, S. 248; vgl. Hagebölling, NdsVerf, Anm. 2 zu Art. 6, demzufolge Art. 6 NdsVerf zugleich als Einrichtungsgarantie, Staatszielbestimmung und Auslegungsregel (sic!) einzuordnen ist. – Art. 6 NdsVerf hat rein objektiv-rechtlichen Gehalt, s. Hagebölling, NdsVerf, Anm. 3 zu Art. 6; Berlit, NVwZ 1994, S. 11 (15). 250 Ebenso wohl Hagebölling, NdsVerf, Anm. 2 zu Art. 72: Die Vorschrift enthalte einen „justiziablen, an den Landtag und die Landesverwaltung gerichteten Verfassungsauftrag“. – Diese Schutz- und Förderungsverpflichtung fand sich auch bereits in Art. 56 Abs. 1 Vorläufige NdsVerf. 251 s. Hagebölling, NdsVerf, Anm. 2.6 zu Art. 1; Petersen, in: Brandt/Schinkel, NdsStVerwR, S. 393 (407); Starck, NdsVBl. 1994, S. 2 (8); a.A. wohl Berlit, NVwZ 1994, S. 11 (14): Staatsstrukturprinzip. 252 ÄGNdsVerf v. 21.11.1997 (NdsGVBl. S. 480). 253 s. Hillmer, Auswirkungen, S. 105; Petersen, in: Brandt/Schinkel, NdsStVerwR, S. 393 (410 f.); Schwarz, NdsVBl. 1998, S. 225 (229). 254 s. NdsStGH NdsVBl. 1996, S. 87 (88); ebenso Hagebölling, NdsVerf, Anm. 7 zu Art. 3; J. Ipsen, in: Brandt/Schinkel, NdsStVerwR, S. 65 (83); Stiens, Chancen, S. 284; offen gelassen bei Starck, NdsVBl. 1994, S. 2 (9).

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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dere die Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern [...] eine ständige Aufgabe des Landes, der Gemeinden und Landkreise“ ist, legt zwar zunächst die Vermutung nahe, dass es bei der Gleichberechtigung i. S. dieser Vorschrift allein um die Beachtung des Gleichheitssatzes ginge. Dies greift jedoch zu kurz. Die Norm zielt, wie u.a. die Begriffe „Verwirklichung“ und „ständige Aufgabe“ zeigen, auf die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern.255

4. Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg v. 6.6.1952256 steht typologisch nach wie vor in der nachgrundgesetzlichen Tradition des schlichten Organisationsstatuts. Die meisten ihrer Staatszielbestimmungen finden sich in der weihevoll formulierten Präambel. Im sozialen Bereich ist eine Staatszielbestimmung zu vermerken: das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 3 Abs. 1 HbgVerf.257 Daneben wird, im Unterschied zum Sachbereich Bildung und Kultur, seit 1986258 auch der Umweltschutz aufgegriffen. Nach dem fünften Absatz des Vorspruchs, der über eine bloße Proklamation hinausgeht,259 stehen die natürlichen Lebensgrundlagen unter besonderem Schutz des Staates.260 Dieser Absatz nimmt – trotz seiner nachträglichen Einfügung – wie die ursprünglichen Inhalte an der Gesetzeskraft der Verfassung teil.261 Zwar lässt er sich nicht recht mit der (auch) zeitgebundenen historisch___________ 255 s. Berlit, NVwZ 1994, S. 11 (14); vgl. Janssen/Winkelmann, JöR 51 (2003), S. 301 (311): „Handlungsauftrag für den Staat“. – Andernfalls fehlte Art. 3 Abs. 2 S. 3 NdsVerf auch ein eigenständiger Regelungsgehalt: die Bestimmung ginge dann nicht über Art. 3 Abs. 2 S. 2 NdsVerf hinaus, demzufolge alle staatliche Gewalt an die Grundrechte gebunden ist. 256 HbgGVBl. S. 117. – Sieht man vom Sonderfall Baden-Württemberg ab, lässt sich die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg damit als Schlusslicht der Verfassunggebung im geteilten Deutschland bezeichnen. 257 Vgl. Thieme, HbgVerf, Anm. 3 zu Art. 3: „Staatsziel“. – Das Bekenntnis zur Sozialstaatlichkeit hat normativen Gehalt. Dazu David, HbgVerf, Art. 3 Rn. 15 f. Zur Argumentation vgl. die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). 258 ÄGHbgVerf v. 27.6.1986 (HbgGVBl. S. 167). 259 s. David, HbgVerf, Präambel Rn. 12. 260 s. David, HbgVerf, Präambel Rn. 24, 26; Thieme, HbgVerf, Anm. 10 zur Präambel; Michel, Staatszwecke, S. 348 ff. 261 Dazu, dass die Präambel an der Gesetzeskraft der Verfassung teilnimmt, bereits H. P. Ipsen, HbgVerf, S. 262. Dies ergibt sich bereits aus der Verkündungsformel der Verfassung: Sie bezieht sich auf das „nachstehende [...] Gesetz“. Zudem heißt es in Abs. 6 der Präambel „diese Verfassung“ (nicht „die folgende Verfassung“). Dazu David, HbgVerf, Präambel Rn. 1 m.w.N.; Thieme, HbgVerf, Anm. 1 zur Präambel. – Allg. zur (auch) rechtlichen Bedeutung der Präambel mit Blick auf das Grundgesetz oben unter A.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

politischen Bedeutung der Präambel vereinbaren.262 Die Präambel kann aber nicht derart als historisches Dokument konserviert werden, dass sie inhaltlicher Veränderung nur zugänglich wäre, wenn zugleich der historische Bezug geändert würde. Andernfalls würde ihr eine Bedeutung verliehen, die sie in dieser Ausschließlichkeit nicht besitzt, und ihr (auch) rechtlicher Gehalt verkannt.263 Dem Bereich Wirtschaft und Finanzen widmet die Verfassung ebenfalls eine Staatszielbestimmung. Nach Abs. 2 S. 1 der Präambel befähigt Hamburg die Wirtschaft „durch Förderung und Lenkung“ u.a. „zur Deckung des wirtschaftlichen Bedarfs aller“.264 Auch der Bereich Auswärtiges und Verteidigung wird von einer Staatszielbestimmung aufgegriffen. Es handelt sich um die Zielvorgabe „Völkerverständigung“ i. S. des Abs. 1 S. 2 der Präambel.265 Schließlich sind Art. 3 Abs. 2 S. 3 u. 4 HbgVerf als die der Gleichstellung der Geschlechter gewidmeten Staatszielbestimmungen zu erwähnen. Nach diesen Vorschriften, die erst 1996 in der Verfassung verankert wurden,266 hat die Staatsgewalt zum einen die Aufgabe, die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern (S. 3). Zum anderen wirkt sie „insbesondere“ darauf hin, dass in kollegialen öffentlichrechtlichen Beschluss- und Beratungsorganen Frauen und Männer gleichberechtigt vertreten sind (S. 4).267

5. Verfassung des Landes Baden-Württemberg In der Verfassung des Landes Baden-Württemberg v. 11.11.1953268 finden sich die Staatszielbestimmungen insbesondere im ersten Hauptteil. Dieser ist unter der Überschrift „Vom Menschen und seinen Ordnungen“ nach Lebensbe___________ 262 Abs. 5 der Präambel sprengt den Rahmen, den der sechste Absatz für die ersten vier gezogen hat. – Die Präambel gibt Auskunft über Ziele, Aufgaben und Beweggründe, denen die Mütter und Väter der Verfassung den Staat verpflichtet sahen, und sie teilt die Einschätzung der historisch-politischen Situation durch den Verfassunggeber zur Zeit der Verfassunggebung mit. Dazu David, HbgVerf, Präambel Rn. 12. 263 s. David, HbgVerf, Präambel Rn. 24. 264 Ebenso Thieme, HbgVerf, Anm. 4 zur Präambel: „staatliche Pflicht zur Förderung der Wirtschaft“; unklar David, HbgVerf, Präambel Rn. 15: Abs. 2 beschreibe eine volkswirtschaftliche Aufgabe und regele die Stellung der Wirtschaft. 265 Bei der betreffenden Sachaussage handelt es sich um keinen Programmsatz, sondern um eine Selbstverpflichtung. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Formulierung („Hamburg will [...] Mittlerin [...] sein“.). A.A. Bernzen/Sohnke, HbgVerf, Präambel Rn. 2: „Deklamation“, „keine rechtsverbindliche Wirkung“; ebenso wohl David, HbgVerf, Präambel Rn. 14: „Postulat, Mittlerin [...] zu sein“. 266 ÄGHbgVerf v. 20.6.1996 (HbgGVBl. S. 129). 267 Unklar Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 359: „Auftrag zum Abbau von Benachteiligungen zwischen Mann und Frau“. 268 BaWüGBl. S. 173.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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reichen gegliedert; Grundrechte und Staatszielbestimmungen werden nicht klar von einander getrennt.269 Im sozialen Bereich ist zunächst die Zielvorgabe „Wohlfahrtspflege“ zu nennen: Art. 6 BaWüVerf gewährleistet die Wohlfahrtspflege der Kirchen und der anerkannten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Art. 87 diejenige der freien Wohlfahrtsverbände.270 Ebenfalls um eine Staatszielbestimmung handelt es sich bei Art. 13 S. 1 BaWüVerf,271 demzufolge die Jugend gegen Ausbeutung und gegen sittliche, geistige und körperliche Gefährdung zu schützen ist. Gleiches gilt für das Sozialstaatsprinzip nach Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf.272 Auch der Sachbereich Bildung und Kultur wird durch Staatszielbestimmungen ausgestaltet. Hier sind zunächst die in Art. 3 c BaWüVerf enthaltenen Zielvorgaben zu erwähnen. Der erste Absatz dieser im Jahr 2000 eingefügten273 Vorschrift bestimmt, dass der Staat wie auch die Gemeinden das kulturelle Leben und den Sport fördern,274 und gem. Abs. 2 genießen die Kunst-, Geschichtsund Naturdenkmale den Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden.275 Um einen „Verfassungsbefehl“276 im Sinne einer Staatszielbestimmung ___________ 269 Zu den Vor- und Nachteilen einer solchen thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B. 270 Unklar Braun, BaWüVerf, Art. 6 Rn. 1, Art. 87 Rn. 5: „Verfassungsgarantie und [...] kein subjektives Recht“, „objektiv-rechtliche Verfassungsgarantie“. Vgl. M. Heckel, in: Maurer/Hendler, BaWüStVerwR, S. 580 (592): Art. 6 BaWüVerf sei eine „’institutionelle Garantie’ der Wohlfahrtspflege“; ebenso mit Blick auf Art. 87 BaWüVerf Hollerbach, in: Feuchte, BaWüVerf, Art. 87 Rn. 7. 271 s. Braun, BaWüVerf, Art. 13 Rn. 5; Stiens, Chancen, S. 275, vgl. Feuchte, in: ders., BaWüVerf, Art. 13 Rn. 3: „Schutzpflicht des Staates“. 272 Vgl. Maurer, in: ders./Hendler, BaWüStVerwR, S. 27 (48 f.): „verbindlicher Rechtsgrundsatz“. Dazu, dass es sich hier um einen unmittelbar geltenden Rechtssatz handelt, der keine individuellen Rechte begründet, auch Braun, BaWüVerf, Art. 23 Rn. 18. – Wegen der Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). 273 ÄGBaWüVerf v. 23.5.2000 (BaWüGBl. S. 449). 274 s. Hammer, JöR 51 (2003), S. 97 (104); Tettinger, JZ 2000, S. 1069 (1072). 275 Entsprechend ist auch der nahezu wortgleiche (durch ebendiese Verfassungsänderung aufgehobene) Art. 86 BaWüVerf eingeordnet worden, und zwar nicht erst nach seiner Änderung im Jahr 1995 (s. etwa Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Art. 86 Rn. 3, 4), sondern auch schon zuvor, s. Braun, BaWüVerf, Art. 86 Rn. 4; Feuchte, in: ders., BaWüVerf, Art. 86 Rn. 4; Maurer, in: ders./Hendler, BaWüStVerwR, S. 27 (57 f.); Hendler, in: Maurer/Hendler, BaWüStVerwR, S. 399 (402). 276 BaWüStGH ESVGH 20, 1 (2 f.); VGH Mannheim ESVGH 26, 216 (222 f.); 34, 274 (282). – Der Charakter dieses „Rechts“ als unmittelbar bindendes Verfassungsgebot (und nicht etwa lediglich als Programmsatz) ergibt sich aus Art. 11 Abs. 2 BaWüVerf, s. BaWüStGH ESVGH 20, 1 (2 f.); Braun, BaWüVerf, Art. 11 Rn. 3; Feuchte, in: ders., BaWüVerf, Art. 11 Rn. 9. Weitere Argumente bei den Ausführungen zu Art. 128 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.).

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

handelt es sich auch bei Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf,277 wonach „jeder junge Mensch [...] das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung“ hat. Die subjektiv-rechtliche Formulierung mag zwar zunächst die Einordnung als soziales Grundrecht i.e.S. nahelegen.278 Dies greift jedoch zu kurz:279 Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf hat rein objektiv-rechtlichen Gehalt.280 Als weitere Zielvorgabe verpflichtet Art. 22 BaWüVerf Staat, Gemeinden und Landkreise, die Erwachsenenbildung zu fördern.281 Dem Umweltschutz widmet die Verfassung ebenfalls mehrere Staatszielbestimmungen. Bereits im Jahr 1976282 wurde die Zielvorgabe „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ in Art. 86 BaWüVerf eingefügt; seit 1995283 ist diese Staatszielbestimmung in Art. 3 a BaWüVerf verankert.284 Zudem wurde die Verfassung 2000285 um den Tierschutz ergänzt: Nach Art. 3 b BaWüVerf werden Tiere „als Lebewesen und Mitgeschöpfe [...] geachtet und geschützt“.286 Ei___________ 277

s. BaWüStGH ESVGH 20, 1 (2 f.); VGH Mannheim ESVGH 26, 216 (222 f.); Oppermann, in: Maurer/Hendler, BaWüStVerwR, S. 453 (460 f.); vgl. Braun, BaWüVerf, Art. 11 Rn. 2 f.; offen gelassen bei Stiens, Chancen, S. 255. 278 So etwa Birn, Aufnahme, S. 62: echtes Grundrecht; ähnlich Maurer, in: ders./ Hendler, BaWüStVerwR, S. 27 (48 Fn. 55): „subjektives Recht“. Vgl. Feuchte, in: ders., BaWüVerf, Art. 11 Rn. 4, 10 f.: subjektives Recht, dessen Inhalt sich erst durch einfachgesetzliche Konkretisierung ergebe, und Element der objektiven Wertordnung. 279 Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf ist kein Anspruch auf Bereitstellung der für den Einzelnen geeigneten und zeitgemäßen Bildungseinrichtungen zu entnehmen. Dies ergibt sich u.a. aus dem Organisations- und Gestaltungsfreiraum des Staates, der dem „Recht“ in Art. 11 Abs. 2 u. 4 BaWüVerf zur Seite gestellt ist, s. VGH Mannheim ESVGH 26, 216 (222 f.); Braun, BaWüVerf, Art. 11 Rn. 7; Oppermann, in: Maurer/Hendler, BaWüStVerwR, S. 453 (460 f. Fn. 29). 280 Art. 11 BaWüVerf ist auch kein Anspruch auf Zugang zu geschaffenen Einrichtungen zu entnehmen, soweit der potentielle Antragsteller die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt (so aber Braun, BaWüVerf, Art. 11 Rn. 7); vgl. oben unter B. I. 2. 281 s. Braun, BaWüVerf, Art. 22 Rn. 2. – Aus Art. 22 BaWüVerf ergibt sich kein Anspruch etwa auf die Förderung einer einzelnen bestimmten Veranstaltung. Ebenso bereits Feuchte, in: Spreng u.a., BaWüVerf, Anm. zu Art. 22. 282 ÄGBaWüVerf v. 10.2.1976 (BaWüGBl. S. 98). – Dazu, dass mit dieser Verfassungsänderung „zu Gunsten“ der Umwelt kein „Umweltgrundrecht“ Eingang in die Verfassung gefunden hat, Feuchte, JöR 27 (1978), S. 167 (218 f.); ders., JöR 36 (1987), S. 315 ff.; Schlenker, VBlBW 1983, S. 353 (356 f.). 283 ÄGBaWüVerf v. 15.2.1995 (BaWüGBl. S. 269). – Zur Entstehungsgeschichte und den übrigen Inhalten dieser umfangreichen Verfassungsänderung etwa Engelken, VBlBW 1995, S. 217 (218 ff.); ders., VBlBW 1996, S. 121 ff. 284 Zur Einordnung des Art. 3 a BaWüVerf als Staatszielbestimmung Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Art. 3 a Rn. 5 und Art. 86 Rn. 4. – Art. 86 BaWüVerf wurde durch das verfassungsändernde Gesetz v. 23.5.2000 (BaWüGBl. S. 449) aufgehoben. 285 ÄGBaWüVerf v. 23.5.2000 (BaWüGBl. S. 449). 286 Ebenso Hammer, JöR 51 (2003), S. 97 (104).

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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ne dritte umweltbezogene Zielvorgabe enthält Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf, der (auch) die Landschaft unter Schutz und Pflege stellt. Im Bereich Wirtschaft und Finanzen ist demgegenüber lediglich eine Staatszielbestimmung zu erwähnen. Es handelt sich um die im Vorspruch der Verfassung verankerte Zielvorgabe „Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts“.287 Ihr Wortlaut („von dem Willen beseelt“) zeigt, dass diese Sachaussage nicht als Programmsatz einzuordnen ist.288 Der Bereich Auswärtiges und Verteidigung wird wiederum durch mehrere Zielvorgaben aufgegriffen. Diese sind allesamt im Vorspruch der Verfassung enthalten. Neben dem Friedensgebot der Präambel handelt es sich hierbei um die Verpflichtung, das „Land als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland in einem vereinten Europa [...] zu gestalten“. In dieser 1995 eingefügten289 Passage kommt nicht lediglich das Selbstverständnis des Landes Baden-Württemberg zum Ausdruck, sondern auch sein Gestaltungswille innerhalb eines vereinten Europa;290 der rechtliche Gehalt ergibt sich bereits aus dem Wortlaut ihrer Einleitung („entschlossen“).291 Zudem ist das Land verpflichtet, an der Schaffung eines Europa der Regionen aktiv mitzuwirken.292 Ebenfalls als Staatszielbestimmung einzuordnen ist das Bekenntnis zur aktiven Mitwirkung des Landes bei der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, das ebenso wie jenes „Europa der Regionen“ 1995 in den Vorspruch eingefügt wurde. Schließlich ist die der Heimat gewidmete Staatszielbestimmung zu nennen: Nach Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf bekennt sich das Volk von Baden-Württemberg „zu dem unveräußerlichen Menschenrecht auf die Heimat“.293 Bei dieser Vor___________ 287

Vgl. Hollerbach, in: Feuchte, BaWüVerf, Vorspruch Rn. 30: „Rechtspflicht, alles zu tun, was zu einer Verwirklichung der im Vorspruch der baden-württembergischen Verfassung genannten Ziele beiträgt, und alles zu unterlassen, was dem entgegensteht“. 288 Der Vorspruch ist integrierender Bestandteil des Verfassungstextes (und nicht lediglich eine unverbindliche äußere Zutat): Es handelt sich um den Ausdruck des politischen Willens der Verfassungsmütter und -väter, der zum Normenbestand notwendig dazugehört. Insofern hat die Präambel (auch) rechtsnormative Bedeutung, s. Hollerbach, in: Feuchte, BaWüVerf, Vorspruch Rn. 1, 29. – Allg. zur rechtlichen Bedeutung der Präambel mit Blick auf das Grundgesetz oben unter A. 289 ÄGBaWüVerf v. 15.2.1995 (BaWüGBl. S. 269). 290 Das Land muss bei der Europäischen Integration mitwirken, s. Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Vorspruch Rn. 3; Sannwald/Sannwald, BWVP 1995, S. 217 (218). 291 Es gilt insoweit nichts anderes, als wenn die Sachaussage durch die Formulierung „von dem Willen beseelt“ eingeleitet würde: Der Ausdruck „entschlossen“ drückt lediglich einen noch höheren Grad von Entschiedenheit aus. Ebenso Hollerbach, in: Feuchte, BaWüVerf, Vorspruch Rn. 6. 292 Vgl. Sannwald/Sannwald, BWVP 1995, S. 217 (218): „Ziel eines Europas der Regionen“. Unklar Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Vorspruch Rn. 4 ff. 293 s. Eisert, Menschenrecht, S. 257-262; Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 363 f. – Bei Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf handelt es sich um keinen bloßen Programmsatz,

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

schrift handelt es sich trotz ihrer subjektiv-rechtlichen Formulierung um kein Grundrecht.294 Nichts anderes ergibt sich daraus, dass Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf unmittelbar im Anschluss an Art. 2 Abs. 1 BaWüVerf, der die im Grundgesetz enthaltenen Grundrechte und staatsbürgerlichen Rechte in die Landesverfassung inkorporiert, „darüber hinaus“ das Recht auf die Heimat gewährleistet:295 Dem „Menschenrecht auf die Heimat“ fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung.296

III. Landesverfassungen der dritten Generation

Zu den Landesverfassungen der dritten Generation zählen, in chronologischer Reihenfolge ihres Inkrafttretens, die Verfassungen von Sachsen, SachsenAnhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Berlin.297

1. Verfassung des Landes Sachsen Die Verfassung des Freistaates Sachsen v. 27.5.1992298 enthält Staatszielbestimmungen v. a. im ersten ihrer elf Abschnitte („Die Grundlagen des Staates“), und zwar insbesondere in den Artt. 7-13 SächsVerf.299 Im zweiten Abschnitt („Die Grundrechte“) findet sich dagegen der Hauptbestand der Grundrechte. ___________ s. Hollerbach, in: Feuchte, BaWüVerf, Art. 2 Rn. 28; nicht widerspruchsfrei Braun, BaWüVerf, Art. 2 Rn. 14 f.: „Programmsatz“ und „Rechtspflicht der Staatsorgane, zur Verwirklichung des Rechts auf Heimat das ihnen Mögliche beizutragen“. 294 Eingehend Eisert, Menschenrecht, S. 213-225 m.w.N. 295 So aber Schimpff/Partsch, LKV 1994, S. 47 (48). 296 Zudem besteht vor dem Hintergrund der Verweisung des Art. 2 Abs. 1 BaWüVerf auf Art. 11 GG – dieses Grundrecht gewährleistet die Wohnsitznahme an bzw. die Rückkehr zu einem bestimmten Ort – kein Bedarf für einen gegen das Land BadenWürttemberg gerichteten subjektiv-rechtlichen Anspruch, nicht aus der Heimat vertrieben bzw. im Falle der Abwesenheit wieder dort aufgenommen zu werden. Ebenso Maurer, in: ders./Hendler, BaWüStVerwR, S. 27 (54 f.). 297 Dazu etwa Bernet, in: Stern, Wiedervereinigung I, S. 43 ff.; Kutscha, ZRP 1993, S. 339 ff. 298 SächsGVBl. S. 243. – Die Verfassung des Freistaats Sachsen trat als erste der neuen Länder in Kraft, und zwar am 6.6.1992; ein erster Verfassungsentwurf lag bereits Anfang 1990 vor. Näher zum Prozess der Verfassunggebung v. Mangoldt, Verfassungen, S. 27 ff. 299 Der Ansatz, die sächsische Verfassung enthalte Staatszielbestimmungen lediglich in ihrem ersten Abschnitt (so etwa Degenhart, LKV 1993, S. 33 [35]), greift zu kurz: Art. 13 SächsVerf verpflichtet das Land, „die in dieser Verfassung niedergelegten Staatsziele“ anzustreben, d. h. die Staatszielbestimmungen sind schon vom Wortlaut dieser Vorschrift her nicht auf diejenigen Normen reduziert, die sich im ersten Abschnitt der Verfassung finden. Näher Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 60 f.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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Die Verfassung unterscheidet mithin bereits durch ihre Gliederung300 deutlich zwischen diesen beiden Normtypen.301 Für die Abgrenzung zwischen den Kategorien Programmsatz und Staatszielbestimmung hingegen ist Art. 13 SächsVerf von Bedeutung. Dieser Vorschrift zufolge hat das Land „die Pflicht, nach seinen Kräften die in dieser Verfassung niedergelegten Staatsziele anzustreben und sein Handeln danach auszurichten“. Im sozialen Bereich sind mehrere Staatszielbestimmungen zu verzeichnen. Zunächst ist der Freistaat Sachsen nach Art. 1 S. 2 SächsVerf (auch) ein Sozialstaat.302 Gem. Art. 7 Abs. 1 SächsVerf erkennt das Land zudem „das Recht eines jeden Menschen auf ein menschenwürdiges Dasein [...] als Staatsziel an“. Auch hierbei handelt es sich um eine Staatszielbestimmung.303 Ihre subjektivrechtliche Formulierung ist objektiv-rechtlich eingekleidet, und bereits dies macht deutlich, dass es sich um kein einklagbares Recht handelt,304 sondern lediglich um einen „moralischen“ Anspruch.305 Umgekehrt ist jenes „Recht“ aber auch nicht als Programmsatz einzuordnen.306 Neben dieser (selbstständigen)307 Staatszielbestimmung ist der soziale Bereich in Art. 7 Abs. 1 SächsVerf durch weitere (nicht abschließend benannte) „Rechte“ ausgestaltet. So erkennt das Land gem. Art. 7 Abs. 1 SächsVerf auch das Recht „auf Arbeit, auf angemessenen Wohnraum, auf angemessenen Lebensunterhalt [und] auf soziale Sicherung [...] als Staatsziel an“. Bei allen diesen objektiv-rechtlich eingekleideten „Rechten“ handelt es sich um keine sozialen Grundrechte i.e.S., sondern um Staats___________ 300

Lediglich der Abschnitt Bildungswesen ist thematisch gegliedert. Weitere Klarheit über die Einordnung einer Verfassungsbestimmung als Grundrecht bringt Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsVerf, der die mit einer Verfassungsbeschwerde durchsetzbaren Rechte auflistet. – Zwischen den Vorgaben für die Grundlagen des Staates und den Staatszielbestimmungen unterscheidet die Gliederung hingegen nicht. 302 Hierbei handelt es sich um eine Staatszielbestimmung, s. auch Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 5 Rn. 4, 7. Wegen der Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). 303 s. Stiens, Chancen, S. 235 f.; unklar Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 7 Rn. 8: „höchster und oberster Rechtswert“. 304 s. Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (409); zu dieser Formulierungstechnik Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 9: „Prinzip der verheißungsvollen Zurücknahme“; krit. Hölscheidt/v. Wiese, LKV 1992, S. 393 (397): „sprachlich verunglückt“. – Die in internationalen Verträgen übliche Anerkenntnis-Formel findet sich bei den Grundrechten nicht. Dazu Graf Vitzthum, ZfA 22 (1991), S. 695 (706). 305 s. Bull, FS Thieme, S. 305 (321). – Subjektive Rechte ergeben sich aus dieser Vorschrift auch nicht etwa in Anbetracht der (systematisch missglückten) Verwendung des Begriffs „Menschenwürde“. Dazu Dietlein, Grundrechte, S. 131 f. m.w.N. 306 Nach Art. 13 SächsVerf hat das Land die Pflicht, „nach seinen Kräften die in dieser Verfassung niedergelegten Staatsziele anzustreben und sein Handeln danach auszurichten“. 307 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 101; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 73. 301

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

zielbestimmungen.308 Gleiches gilt für Art. 7 Abs. 2 SächsVerf,309 demzufolge sich das Land zur Verpflichtung der Gemeinschaft bekennt, alte und behinderte Menschen zu unterstützen und auf die Gleichwertigkeit ihrer Lebensbedingungen hinzuwirken. Die Formulierung „bekennt sich“ steht dieser Einordnung nicht entgegen.310 Des Weiteren ist der Kinder- und Jugendschutz unter den sozialen Staatszielbestimmungen der sächsischen Verfassung vertreten. Die betreffenden Zielvorgaben finden sich alle in Art. 9 SächsVerf: Nach Abs. 1 erkennt das Land das Recht eines jeden Kindes auf eine gesunde seelische, geistige und körperliche Entwicklung an,311 und gem. Abs. 2 ist die Jugend „vor sittlicher, geistiger und körperlicher Gefährdung besonders zu schützen“;312 zudem fördert das Land „den vorbeugenden Gesundheitsschutz für Kinder und Jugendliche und Einrichtungen zu ihrer Betreuung“ (Art. 9 Abs. 3 SächsVerf).313 Auch der Bereich Bildung und Kultur hat eine Ausgestaltung durch Staatszielbestimmungen erfahren. Die erste Zielvorgabe enthält (wiederum) Art. 1 S. 2 SächsVerf, der Sachsen (auch) als einen Kulturstaat ausweist.314 Bei dem objektiv-rechtlich eingekleideten „Recht eines jeden Menschen [...] auf Bildung“, das Art. 7 Abs. 1 SächsVerf neben den sozialen Staatszielbestimmungen enthält, handelt es sich ebenfalls um eine Staatszielbestimmung.315 Gleiches gilt für das „Recht auf Genuss der Naturschönheiten und Erholung in der freien Na___________ 308 s. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 588 ff.; ebenso für das „Recht auf angemessenen Wohnraum“ Kanther, Landesverfassungen, S. 199. – Für die Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu den entsprechenden Zielvorgaben in den Landesverfassungen der 1. Generation (oben unter B. I.). 309 s. Drehwald, in: Pfeiffer, Sachsen, S. 73 (93); Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 6 Rn. 15 f.; vgl. Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 7 Rn. 17: „Staatsziel“. 310 A.A. (mit Blick auf den Umweltschutz, aber insoweit verallgemeinerungsfähig) Rupp, DVBl. 1985, S. 990 (990), der zwischen einem Bekenntnis zum Umweltschutz als „hochgemutem verbalem Kraftakt“ und einer Staatszielbestimmung unterscheidet, mit der doch „eine gewisse rechtliche Relevanz und Bindung erzielt“ werden solle. 311 s. Drehwald, in: Pfeiffer, Sachsen, S. 73 (93 f.); Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 15: „Staatsziel“. 312 s. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 118; ebenso Stiens, Chancen, S. 275; vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 174 f.: staatszielartiger Auftrag; nicht widerspruchsfrei Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 9 Rn. 2: „nicht nur Staatsziel-, sondern auch [...] Grundrechtscharakter“. 313 s. Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 6 Rn. 15, 17; vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 175; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 118. 314 s. Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 3; v. Mangoldt, in: Juristenfakultät der Universität Leipzig und Leipziger Juristische Gesellschaft e.V., SächsVerf, S. 9 (27). 315 s. etwa Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 9; v. Mangoldt, Verfassungen, S. 53; Stiens, Chancen, S. 255. Wegen der Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 128 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.).

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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tur“ (Art. 10 Abs. 3 S. 1 SächsVerf),316 ist doch auch dieses wie die Staatszielbestimmungen des Art. 7 Abs. 1 SächsVerf formuliert und außerhalb des Grundrechtsteils verankert.317 Weitere kulturbezogene Zielvorgaben finden sich in Art. 11 SächsVerf. Dessen Abs. 1 verpflichtet das Land, das „kulturelle, künstlerische und wissenschaftliche Schaffen, die sportliche Betätigung sowie den Austausch auf diesen Gebieten“ zu fördern,318 und nach Abs. 2 S. 1 ist „die Teilnahme an der Kultur [...] und am Sport [...] dem gesamten Volk zu ermöglichen“.319 Zudem ist das Land verpflichtet, „Denkmale und andere Kulturgüter“ zu schützen und zu pflegen, und es hat sich für deren Verbleib in Sachsen einzusetzen (Art. 11 Abs. 3 SächsVerf).320 Um eher bildungsbezogene Staatszielbestimmungen handelt es sich bei Art. 106 S. 2 SächsVerf,321 demzufolge das Land das Berufsschulwesen fördert, sowie Art. 108 Abs. 1 SächsVerf,322 der zur Förderung der Erwachsenenbildung verpflichtet. Dem Umweltschutz widmet die sächsische Verfassung ebenfalls mehrere Zielvorgaben. Deren erste findet sich mit der Bewahrung der Schöpfung bereits im 5. Absatz der Präambel, die als Bestandteil der Verfassung323 (auch) normativen Gehalt hat.324 Zudem ist der Freistaat Sachsen nach Art. 1 S. 2 SächsVerf ___________ 316

s. Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (407); Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (136); v. Mangoldt, Verfassungen, S. 54 Fn. 196; offen gelassen bei Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 6 Rn. 30 f. 317 Art. 10 Abs. 3 S. 1 SächsVerf ist demnach nicht als Grundrecht einzuordnen. So auch P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 104; Riepe, Grundrechte, S. 243; unklar Burgi, Erholung, S. 333 f.: „nur objektiv-rechtlicher Charakter“; a.A. Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 23; vgl. Isensee, SächsVBl. 1994, S. 28 (30). 318 s. Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 6 Rn. 32; Starck, Verfassungen, S. 55 f.; Stiens, Chancen, S. 250; a.A. Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 11 Rn. 3: „Teilhaberecht“. 319 Unklar Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 6 Rn. 33, der in dieser Vorschrift, die „jedenfalls im Ansatz“ Teilhaberechte begründe, eine „Appellentscheidung“ sieht und zugleich eine „objektive Verfassungspflicht, kulturelle Einrichtungen [...] zu unterhalten“. 320 s. Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 28. 321 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 105; vgl. Trute, in: Degenhart/ Meissner, HdbSächsVerf, § 8 Rn. 40: „Förderziel“. 322 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 105; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 63; vgl. Trute, in: Degenhart/Meissner, HdbSächsVerf, § 8 Rn. 41: „Förderpflicht“. 323 s. Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 5 Rn. 7. – Dementsprechend hat sich das Volk im Freistaat Sachsen auch „diese“ Verfassung (und nicht etwa die nachfolgende) gegeben. 324 s. Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Präambel Rn. 1; allg. zur (auch) rechtlichen Bedeutung der Präambel mit Blick auf das Grundgesetz oben unter A. – Es greift daher zu kurz, wenn man die Präambel allein der programmatischen Ebene zuordnet; so aber Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 5 Rn. 7; ders., in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 5.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

ein dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Staat,325 während er durch Art. 10 Abs. 1 S. 1 SächsVerf zum „Schutz der Umwelt als Lebensgrundlage“ verpflichtet wird.326 Neben diesen Grundsatzklauseln stehen (angelehnt an Art. 141 Abs. 1 BayVerf) weitere Zielvorgaben in Art. 10 Abs. 1 S. 2 u. 3 SächsVerf. Demnach hat das Land „den Boden, die Luft und das Wasser, Tiere und Pflanzen sowie die Landschaft als Ganzes einschließlich ihrer gewachsenen Siedlungsräume zu schützen“, und es ist verpflichtet, „auf den sparsamen Gebrauch und die Rückgewinnung von Rohstoffen und die sparsame Nutzung von Energie und Wasser hinzuwirken“. Den Bereich Wirtschaft und Finanzen greift demgegenüber lediglich eine Staatszielbestimmung auf. Nach Art. 94 Abs. 2 SächsVerf ist das Land bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans verpflichtet, den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sowie den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Rechnung zu tragen.327 Im Bereich Auswärtiges und Verteidigung sind hingegen zwei Zielvorgaben zu verzeichnen. Es handelt sich zum einen um das Friedensgebot, das im 5. Präambelabsatz Verankerung gefunden hat.328 Zum anderen strebt das Land (orientiert an Art. 60 Abs. 2 S. 2 SaarlVerf) gem. Art. 12 SächsVerf eine grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit an, die auf den Ausbau nachbarschaftlicher Beziehungen, auf das Zusammenwachsen Europas und auf eine friedliche Entwicklung in der Welt gerichtet ist.329 Die Gleichstellung der Geschlechter ist ebenfalls vertreten. In Anlehnung an Art. 6 S. 1 SchlHVerf ist es laut Art. 8 SächsVerf Aufgabe des Landes, die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern.330 Auch der Minderheitenschutz ist durch Staatszielbestimmungen ausgestaltet. Nach Art. 5 Abs. 2 SächsVerf schützt das Land „das Recht nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität

___________ 325

s. Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 3. s. Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 6 Rn. 25 f.; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 103; v. Mangoldt, Verfassungen, S. 52; vgl. Gramlich, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 8 Rn. 34: „Staatsziel“. 327 s. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 60, 63, 153; v. Mangoldt, in: Juristenfakultät der Universität Leipzig und Leipziger Juristische Gesellschaft e.V., SächsVerf, S. 9 (31). 328 Vgl. K. Müller, SächsVerf, Anm. zur Präambel (S. 53): Staatsziel. 329 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 107; v. Mangoldt, Verfassungen, S. 59; Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (164); vgl. Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 12 Rn. 1: „Staatsziel“. 330 s. Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 8 Rn. 2 ff.; Degenhart, in: ders./ Meissner, HdbSächsVerf, § 6 Rn. 18; Kanther, Landesverfassungen, S. 169; Starck, Verfassungen, S. 55 f.; Heitmann, in: Rüttgers/Oswald, Zukunft, S. 25 (27). 326

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung“,331 und gem. Abs. 3 dieser Vorschrift achtet es die Interessen ausländischer Minderheiten, deren Angehörige sich rechtmäßig im Land aufhalten.332 Weitere Zielvorgaben finden sich in Art. 6 SächsVerf: Abs. 1 S. 2 verpflichtet das Land, das Recht auf Bewahrung der sorbischen Identität sowie auf Pflege und Entwicklung der sorbischen Sprache, Kultur und Überlieferung zu schützen,333 und nach Abs. 2 S. 1 sind in der Landes- und Kommunalplanung die Lebensbedürfnisse des sorbischen Volkes zu berücksichtigen. Ebenfalls als Staatszielbestimmung einzuordnen ist Art. 6 Abs. 3 SächsVerf, demzufolge die landesübergreifende Zusammenarbeit der Sorben im Interesse des Landes liegt.334 Des Weiteren kennt die Verfassung mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 SächsVerf eine der Heimat gewidmete Zielvorgabe.335 Das nach dieser Vorschrift anerkannte „Recht auf die Heimat“ hat ausschließlich objektiv-rechtlichen Gehalt.336 Zu erwähnen ist schließlich die „Vergangenheitsbewältigung“:337 Art. 117 SächsVerf verpflichtet das Land, dazu beizutragen, „die Ursachen individuellen und gesellschaftlichen Versagens in der Vergangenheit abzubauen“.

___________ 331

s. Fastenrath, in: Degenhart/Meissner, HdbSächsVerf, § 4 Rn. 34 f.; Stiens, Chancen, S. 263; so wohl auch Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 5 Rn. 12. 332 s. Fastenrath, in: Degenhart/Meissner, HdbSächsVerf, § 4 Rn. 34 f.; v. Mangoldt, Verfassungen, S. 58; ähnlich Kunzmann, in: ders. u.a., Sächs-Verf, Art. 5 Rn. 13. 333 s. Fastenrath, in: Degenhart/Meissner, HdbSächsVerf, § 4 Rn. 34 f.; vgl. Bull, FS Thieme, S. 305 (325 f.): Staatsaufgabe. – Die Vorschrift hat keinen subjektivrechtlichen Gehalt. Dies ergibt sich bereits aus ihrer systematischen Stellung im Abschnitt „Die Grundlagen des Staates“, vgl. Art. 13 gegenüber Art. 36 SächsVerf. Ebenso v. Mangoldt, Verfassungen, S. 58 Fn. 210; Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 5 Rn. 40, 42; vgl. Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 6 Rn. 6: „Gewährleistungs- und Schutzpflicht“. 334 s. Stiens, Chancen, S. 265; vgl. Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 6 Rn. 13: „Staatsziel“. – Die ungewöhnliche Formulierung („liegt im Interesse“) steht der Einordnung als Staatszielbestimmung nicht entgegen. 335 s. Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 5 Rn. 7; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 106; Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 372 f.; A. Franke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 57 (61). 336 Trotz der subjektiv-rechtlichen (an Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf orientierten) Formulierung handelt es sich um kein Grundrecht; so aber Schimpff/Partsch, LKV 1994, S. 47 (49): Abwehrrecht gegen den Staat. – Für die Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf (oben unter B. II. 5.). 337 s. Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 112; ders., LKV 1993, S. 33 (39); vgl. Heitmann, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission, Entwicklung, S. 11 (26 f.). – Es handelt sich bei Art. 117 SächsVerf um keinen bloßen Programmsatz; so aber Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 117 Rn. 1.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

2. Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt In der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt v. 16.7.1992338 sind die Staatszielbestimmungen v. a. im 2. Hauptteil niedergelegt, der in drei Abschnitten („Grundrechte“, „Einrichtungsgarantien“ und „Staatsziele“) das Verhältnis von Bürger und Staat normiert.339 Sie finden sich dort weit überwiegend im Abschnitt Staatsziele.340 Neben dieser Gliederung nach normativen Gesichtspunkten erleichtert Art. 3 SaAnVerf die Abgrenzung zwischen Programmsätzen, Grundrechten und Staatszielbestimmungen: er erläutert deren unterschiedliche Bindungswirkung.341 Der Sachbereich Soziales hat eine Ausgestaltung durch mehrere Staatszielbestimmungen gefunden. Zunächst ist das Sozialstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 SaAnVerf) zu nennen.342 Eine zweite soziale Zielvorgabe findet sich mit Art. 24 Abs. 2 S. 2 SaAnVerf, demzufolge Land und Kommunen darauf hinwirken, „dass für die Kinder angemessene Betreuungseinrichtungen zur Verfügung stehen“.343 Daneben enthält Art. 24 SaAnVerf auch zwei dem Kinder- und Jugendschutz gewidmete Staatszielbestimmungen: Nach Abs. 3 genießen Kinder „den besonderen Schutz des Landes vor körperlicher und seelischer Misshandlung und Vernachlässigung“, und Abs. 4 bestimmt, dass Jugendliche „vor Gefährdung ihrer körperlichen und seelischen Entwicklung zu schützen“ sind.344 Als weitere soziale Zielvorgabe regelt Art. 32 Abs. 3 SaAnVerf, dass die von den Kirchen und Religionsgesellschaften unterhaltenen sozialen und karitativen Einrichtungen geschützt und gefördert werden; Art. 33 SaAnVerf bezieht sich ent___________ 338

SaAnGVBl. S. 99, 600. Zur Abstufung der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt zwischen Grundrechten, Staatszielbestimmungen und Einrichtungsgarantien Kilian, LKV 1993, S. 73 (78): „Augenmaß für das Mögliche“; vgl. Sommermann, Staatsziele, S. 354; krit. hingegen Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (161 f.). 340 Die Trennung zwischen Staatszielbestimmungen und Grundrechten ist freilich ebenso wenig konsequent durchgehalten wie diejenige zwischen Staatszielbestimmungen und Einrichtungsgarantien. Dazu bereits Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (162 f.); Mahnke, SaAnVerf, Art. 3 Rn. 6; vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 114. 341 Art. 3 Abs. 3 SaAnVerf bringt durch seine Formulierung (Staatsziele verpflichten das Land, „sie nach Kräften anzustreben und sein Handeln danach auszurichten“) zugleich zum Ausdruck, dass es den Organen des Landes überlassen bleibt, wie und mit welchen Mitteln sie auf die Verwirklichung der Staatszielbestimmungen hinwirken. Dazu allg. 2. Kap. unter A. III. 1. u. 2. 342 Zur Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). 343 Vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 175; Isensee, FS Remmers, S. 173 (179); Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (162). 344 Trotz der systematischen Stellung im Abschnitt Einrichtungsgarantien handelt es sich um Staatszielbestimmungen. Ebenso Stiens, Chancen, S. 275; vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 174 f.: staatszielartiger Auftrag. 339

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sprechend auf „die soziale Tätigkeit der Träger der freien Wohlfahrtspflege und der freien Jugendhilfe“. Ebenfalls als Staatszielbestimmungen einzuordnen sind Art. 38 S. 1 u. 2 SaAnVerf:345 Während S. 1 ältere wie auch behinderte Menschen unter den besonderen Schutz des Landes stellt, fördert das Land nach S. 2 deren gleichwertige Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft. Gleiches gilt für Art. 39 Abs. 1 u. 2 SaAnVerf,346 wonach es Aufgabe des Landes und der Kommunen ist, allen „die Möglichkeit zu geben, ihren Lebensunterhalt durch eine frei gewählte Arbeit zu verdienen“ (Abs. 1), und das Land darauf hinwirkt, „dass sinnvolle und dauerhafte Arbeit für alle geschaffen wird“ (Abs. 2). Ebenfalls um eine Staatszielbestimmung (und um kein soziales Grundrecht i.e.S.) handelt es sich bei Art. 40 Abs. 1 SaAnVerf,347 demzufolge Land und Kommunen „die Bereitstellung ausreichenden, menschenwürdigen Wohnraums zu angemessenen Bedingungen für alle zu fördern“ haben.348 Eine letzte soziale Zielvorgabe ist in Art. 40 Abs. 2 SaAnVerf enthalten,349 der bestimmt, dass Land und Kommunen dafür sorgen, „dass niemand obdachlos wird“. Auch diese Vorschrift, mit der der Schutz vor Obdachlosigkeit erstmals in dieser Deutlichkeit Eingang in eine Landesverfassung gefunden hat,350 besitzt lediglich objektivrechtlichen Gehalt.351 Der Bildung und Kultur widmen sich ebenfalls mehrere Zielvorgaben. Deren erste findet sich bereits in S. 2 der Präambel: die Pflege der kulturellen und geschichtlichen Tradition in allen Landesteilen.352 Um eine Staatszielbestimmung handelt es sich auch bei dem „Recht auf Erziehung und Ausbildung“ i. S. des ___________ 345 s. Brenne, Grundrechte, S. 98; ebenso P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 123; Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (395). 346 s. Mahnke, SaAnVerf, Art. 39 Rn. 1; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 123; Scholz, FS Remmers, S. 89 (98). – Für diese Einordnung spricht neben dem Wortlaut (Abs. 1: „dauernde Aufgabe des Landes und der Kommunen“, Abs. 2: „Das Land wirkt [...] darauf hin“) auch die systematische Stellung im Abschnitt „Staatsziele“. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf (oben unter B. I. 1.). 347 Die Verfassung geht selbst davon aus, dass ein subjektiv-rechtlicher Anspruch auf Wohnraum nicht realisierbar ist: Nach Art. 40 Abs. 2 SaAnVerf sorgen Land und Kommunen dafür, dass niemand obdachlos wird. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 106 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 348 Auch dieses „Potpourri aus DDR-Verfassung und der Verfassung des Freistaats Bayern“ (Riepe, Grundrechte, S. 189) hat allein objektiv-rechtlichen Gehalt. Ebenso Mahnke, SaAnVerf, Art. 40 Rn. 1; vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 199. 349 So auch Stiens, Chancen, S. 272; vgl. Riepe, Grundrechte, S. 189: „staatliche Beistandspflicht“; unklar P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 125: „objektivrechtliche Ergänzung des Abs. 1“. 350 s. Riepe, Grundrechte, S. 189. 351 s. Brenne, Grundrechte, S. 139; Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 476. 352 Die Präambel hat (auch) rechtlichen Gehalt. Dazu mit Blick auf das Grundgesetz oben unter A.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Art. 25 Abs. 1 SaAnVerf.353 Die fast wörtlich mit Art. 11 BaWüVerf übereinstimmende, subjektiv-rechtliche Formulierung legt zwar zunächst die Einordnung als soziales Grundrecht i.e.S., also etwa als Anspruch auf eine bestimmte Bildungseinrichtung, nahe.354 Dies greift allerdings zu kurz; die Vorschrift hat lediglich objektiv-rechtlichen Gehalt.355 Als bildungsbezogene Zielvorgaben zu nennen sind daneben Art. 26 Abs. 1 SaAnVerf,356 demzufolge Land und Kommunen für ein ausreichendes und vielfältiges öffentliches Schulwesen sorgen, sowie Art. 30 Abs. 2 SaAnVerf, der das Land dafür sorgen lässt, „dass jeder einen Beruf erlernen kann“ (S. 1),357 und bestimmt, dass die Erwachsenenbildung vom Land zu fördern ist (S. 2).358 Eine sechste Staatszielbestimmung enthält Art. 31 Abs. 1 S. 1 SaAnVerf: die Verpflichtung des Landes zur Förderung von Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen.359 Weitere Zielvorgaben finden sich in Art. 36 SaAnVerf. Dessen Abs. 1 verpflichtet Land und Kommunen, „Kunst, Kultur und Sport“ zu schützen und zu fördern,360 während nach Abs. 2 „die heimatbezogenen Einrichtungen und Eigenheiten der einzelnen Regionen innerhalb des Landes“ zu pflegen sind. Weiterhin fördern Land und Kommunen gem. Art. 36 Abs. 3 SaAnVerf die kulturelle Betätigung der Bürger.361 Schließlich hat das Land, unterstützt von den Kommunen, für Schutz und Pflege der Denkmale von Kultur und Natur zu sorgen (Art. 36 Abs. 4 SaAnVerf). Auch der Umweltschutz ist unter den Staatszielbestimmungen vertreten. Bereits S. 2 der Präambel enthält die Verpflichtung, „die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten“, und nach Art. 2 Abs. 1 SaAnVerf ist Sachsen-Anhalt ein „dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter“ Staat. Zudem ___________ 353

s. etwa Dietlein, NWVBl. 1993, S. 401 (403); in diese Richtung auch v. Mangoldt, Verfassungen, S. 43; a.A. Dietlein, Grundrechte, S. 154: objektiv-rechtliche Einrichtungsgarantie eines öffentlich organisierten bzw. kontrollierten Ausbildungswesens. 354 s. etwa Mahnke, SaAnVerf, Art. 25 Rn. 2: grundrechtsgleiches Recht; ebenso Starck, Verfassungen, S. 49: Art. 25 Abs. 1 SaAnVerf gewährleiste Chancengleichheit im Bildungswesen als Ausfluss des Art. 3 Abs. 1 GG. 355 s. Riepe, Grundrechte, S. 185; Bull, FS Thieme, S. 305 (322); Isensee, FS Remmers, S. 173 (179). Nicht widerspruchsfrei A. Reich, SaAnVerf, Art. 25 Rn. 1, der das „Recht auf Bildung“ zunächst als objektive Norm einordnet und dann doch von einem Teilhaberecht ausgeht. – Wegen der Argumente sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 128 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 356 Vgl. A. Reich, SaAnVerf, Art. 26 Rn. 1: „Verpflichtung von Land und Kommunen“. 357 Nicht widerspruchsfrei A. Reich, SaAnVerf, Art. 30 Rn. 2, der die Vorschrift zunächst als objektive Norm einordnet, dann aber von einem Teilhaberecht ausgeht. 358 Vgl. A. Reich, SaAnVerf, Art. 30 Rn. 3: „Förderungsverpflichtung“. 359 A.A. (Einrichtungsgarantie) A. Reich, SaAnVerf, Art. 31 Rn. 1. 360 s. Stiens, Chancen, S. 250; Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (162); ebenso wohl auch Riepe, Grundrechte, S. 181 f. 361 s. A. Reich, SaAnVerf, Art. 36 Rn. 3.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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schützen und pflegen Land sowie Kommunen „die natürlichen Grundlagen jetzigen und künftigen Lebens“ (Art. 35 Abs. 1 S. 1 SaAnVerf). Weitere umweltbezogene Zielvorgaben finden sich in Art. 35 Abs. 1 S. 2 SaAnVerf, wonach Land und Kommunen darauf hinwirken, dass mit Rohstoffen sparsam umgegangen und Abfall vermieden wird,362 sowie in Abs. 3 dieser Vorschrift, demzufolge eingetretene Schäden an der natürlichen Umwelt, soweit möglich, behoben bzw. andernfalls ausgeglichen werden sollen.363 Den Sachbereich Wirtschaft und Finanzen gestaltet demgegenüber lediglich eine Staatszielbestimmung aus: die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung (S. 2 der Präambel).364 Im Bereich Auswärtiges und Verteidigung sind wiederum mehrere Zielvorgaben zu verzeichnen. Nach S. 3 der Präambel ist es Ziel aller staatlicher Tätigkeit, „dem Frieden zu dienen und das Land Sachsen-Anhalt zu einem lebendigen Glied [...] der Gemeinschaft aller Völker zu gestalten“.365 Ebenfalls um eine Staatszielbestimmung handelt es sich bei dem Bekenntnis zur Europäischen Integration i. S. des Art. 1 Abs. 1 SaAnVerf, was Sachsen-Anhalt als „Teil der europäischen Völkergemeinschaft“ ausweist. Des Weiteren findet sich die Gleichstellung der Geschlechter unter den Staatszielbestimmungen. Nach Art. 34 SaAnVerf ist es Pflicht des Landes wie auch der Kommunen, „die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen der Gesellschaft durch geeignete Maßnahmen zu fördern“.366 Als dem Minderheitenschutz gewidmete Zielvorgabe ist schließlich Art. 37 Abs. 1 SaAnVerf zu erwähnen.367 Diese Vorschrift, für die als Vorbild Art. 5 Abs. 2 S. 1 SchlHVerf im Raum stand, stellt die kulturelle Eigenständigkeit sowie die politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten unter den Schutz des Landes und der Kommunen.

___________ 362

s. A. Reich, SaAnVerf, Art. 35 Rn. 1; Kanther, Landesverfassungen, S. 187. So wohl auch A. Reich, SaAnVerf, Art. 35 Rn. 4. 364 s. Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (164); P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 129; a.A. wohl A. Reich, SaAnVerf, Präambel Rn. 3: Die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung werde „insbesondere durch die Berufsfreiheit, den Eigentumsschutz und die Koalitionsfreiheit erreicht“. 365 So wohl auch A. Reich, SaAnVerf, Präambel Rn. 4: „Vorgabe für staatliche Tätigkeit“. 366 Ebenso A. Reich, SaAnVerf, Art. 34 Rn. 1; Kanther, Landesverfassungen, S. 169; Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 376; Starck, Verfassungen, S. 55 f.; vgl. Bull, FS Thieme, S. 305 (325): „Staatsauftrag“. 367 s. v. Mangoldt, Verfassungen, S. 58; Bull, FS Thieme, S. 305 (325 f. Fn. 80); so wohl auch P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 122 f. 363

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

3. Verfassung des Landes Brandenburg Die am 20.8.1992 in Kraft getretene Verfassung des Landes Brandenburg368 ist äußerlich in eine Präambel und drei ungleichgewichtige Hauptteile gegliedert. Staatszielbestimmungen widmet sie breiten Raum, und zwar insbesondere im nach thematischen Gesichtspunkten untergliederten369 2. Hauptteil („Grundrechte und Staatsziele“, Artt. 5-54 BbgVerf). Wegen der Gemengelage von Staatszielbestimmungen und Grundrechten fällt die Einordnung der betreffenden Vorschriften nicht leicht. Die Verfassung springt derart zwischen beiden Normtypen hin und her, dass sich beide mitunter sogar in ein und demselben Absatz eines Artikels finden. Im sozialen Bereich ist als erste Staatszielbestimmung das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf zu nennen.370 Um eine weitere Zielvorgabe handelt es sich bei Art. 8 Abs. 2 BbgVerf,371 der zum Schutz des ungeborenen Lebens verpflichtet.372 Ebenfalls als Staatszielbestimmung einzuordnen ist Art. 12 Abs. 4 BbgVerf.373 Diese Vorschrift verpflichtet Land, Gemeinden und Gemeindeverbände, für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderung zu sorgen. In Art. 27 BbgVerf finden sich dem Kinderund Jugendschutz gewidmete Zielvorgaben. Nach dessen Abs. 3 S. 1 genießen Kinder den Schutz des Staates, gem. Abs. 5 S. 1 sind Kinder und Jugendliche „vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und Misshandlung zu schüt___________ 368

BbgGVBl. S. 298. – Den Entwurf der Landesverfassung verabschiedete der Landtag am 14.4.1992 (BbgGVBl. S. 122 ff. u. [ber.] 139 ff.). Am 14.6.1992 wurde dieser Entwurf durch Volksentscheid angenommen, allerdings unter Beteiligung von lediglich knapp 48% der Stimmberechtigten (die für diesen Entwurf abgegebenen [gültigen] Stimmen entsprechen einer Zustimmung von knapp 44,8% der Stimmberechtigten [s. BbgGVBl. S. 206]). – Krit. dazu, dass nach dem „Gesetz zur Regelung des Verfahrens beim Volksentscheid über die Verfassung des Landes Brandenburg“ v. 31.3.1992 (BbgGVBl. S. 110) die Mehrheitsregel für die Verfassunggebung diejenige für die Verfassungsänderung unterschreitet (Art. 78 Abs. 3 BbgVerf fordert insoweit, dass mindestens die Hälfte der Stimmbürger zustimmt), v. Mangoldt, Verfassungen, S. 34 f. Fn. 114 m.w.N. 369 Zu den Vor- und Nachteilen einer solchen thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B. 370 Zur Argumentation sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). 371 So auch Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 9 Fn. 15; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 82; Kanther, Landesverfassungen, S. 184; vgl. Bull, FS Thieme, S. 305 (324): „Staatsaufgabe“; a.A. Starck, Verfassungen, S. 48: Grundrecht; unklar Sachs, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 5 Rn. 31. 372 Vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 82: ausdrückliche Normierung einer grundrechtlichen Schutzpflicht als objektive Verpflichtung des Staates. 373 s. Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 9; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 79; Stiens, Chancen, S. 281; vgl. Bull, FS Thieme, S. 305 (325): „Staatsaufgabe“; offen gelassen von Sachs, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 5 Rn. 32.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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zen“,374 und Abs. 6 zufolge fördern Land, Gemeinden und Gemeindeverbände Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen.375 Um eine weitere soziale Staatszielbestimmung handelt es sich bei Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf,376 der das Land verpflichtet, „für die Verwirklichung des Rechts auf soziale Sicherung bei Krankheit, Unfall, Invalidität, Behinderung, Pflegebedürftigkeit und im Alter zu sorgen“. Gleiches gilt für Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf, wonach die „Errichtung und Unterhaltung von Einrichtungen für die Beratung, Betreuung und Pflege im Alter, bei Krankheit, Behinderung, Invalidität und Pflegebedürftigkeit sowie für andere soziale und karitative Zwecke“ staatlich zu fördern ist.377 Als Staatszielbestimmung einzuordnen ist ebenso Art. 47 Abs. 1 BbgVerf,378 der das Land verpflichtet, „für die Verwirklichung des Rechts auf eine angemessene Wohnung zu sorgen“. Der Begriff „Recht“ ist nicht im juristisch-technischen Sinn gemeint; die Vorschrift hat rein objektiv-rechtlichen Gehalt.379 Bei Art. 48 Abs. 1 BbgVerf handelt es sich um eine zehnte soziale Zielvorgabe:380 die Verpflichtung des Landes, „für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sorgen, welches das Recht jedes einzelnen umfasst, seinen Lebensunterhalt durch freigewählte Arbeit zu verdienen“. Die Formulierungen „Recht auf Arbeit“ und „Recht jedes einzelnen [...], seinen Lebensunterhalt durch freigewählte [Hervorhebung des Verf.] Arbeit zu verdienen“ mögen zwar zunächst die Einordnung als soziales Grundrecht i.e.S. nahelegen.381 Dies greift allerdings zu kurz.

___________ 374 s. Stiens, Chancen, S. 275; vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 174 f.: staatszielartiger Auftrag. 375 Vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 175. 376 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 72; Kanther, Landesverfassungen, S. 185; P. Neumann, in: ders./Tillmanns, Probleme, S. 77 (107). 377 s. Berlit, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 9 Rn. 12; ebenso wohl auch Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (164). 378 s. Brenne, Grundrechte, S. 140; ebenso P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 72, und Kanther, Landesverfassungen, S. 199; vgl. Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (136). 379 s. Riepe, Grundrechte, S. 215. – Auch insoweit lässt sich auf den Wortlaut des Art. 47 Abs. 1 BbgVerf verweisen. Durch diese Vorschrift wird das Land verpflichtet, nicht aber der Bürger berechtigt, s. BbgVerfG LVerfGE 2, 105 (111); Sachs, LKV 1993, S. 241 (247). Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 106 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 380 s. Berlit, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 9 Rn. 34; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 66 f.; Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (409); Will, NJ 1995, S. 626 (628); vgl. Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (136). 381 Vereinzelt wird Art. 48 Abs. 1 BbgVerf denn (auch) ein abwehrrechtlicher Charakter beigemessen, s. etwa Berlit, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 9 Rn. 36; Riepe, Grundrechte, S. 191. Krit. Brenne, Grundrechte, S. 65; ablehnend auch Dietlein, Grundrechte, S. 132.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Art. 48 Abs. 1 BbgVerf berechtigt nicht den Bürger, sondern er verpflichtet das Land.382 Dem Sachbereich Bildung und Kultur widmet die brandenburgische Verfassung ebenfalls mehrere Staatszielbestimmungen. Zunächst wird Brandenburg (auch) als Kulturstaat ausgewiesen (Art. 2 Abs. 1 BbgVerf). Um eine Staatszielbestimmung handelt es sich ebenso bei dem „Recht auf Bildung“ i. S. des Art. 29 Abs. 1 BbgVerf.383 Trotz subjektiv-rechtlicher Formulierung ist ihm kein einklagbarer Anspruch auf Bereitstellung eines bestimmten Ausbildungsund Bildungsangebots zu entnehmen;384 der Vorschrift eignet ausschließlich objektiv-rechtlicher Gehalt.385 Art. 29 BbgVerf enthält darüber hinaus noch zwei weitere Staatszielbestimmungen: Abs. 2 verpflichtet das Land, berufliche Ausbildungssysteme zu fördern,386 während Abs. 3 S. 2 der Förderung von Begabten, sozial Benachteiligten und Behinderten beim Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen gilt.387 Zudem bestimmt Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf, dass das Land und die Träger der kommunalen Selbstverwaltung Schulen zu ___________ 382 Dafür spricht u.a. die Einkleidung der subjektiven Formulierung in den objektivrechtlichen Rahmen des Art. 48 Abs. 1 BbgVerf, s. BbgVerfG LVerfGE 5, 94 (104); Dietlein, Grundrechte, S. 132. Auch wäre es überflüssig, durch Art. 48 Abs. 2 S. 2 BbgVerf für den Fall, dass eine angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, einen „Anspruch auf Umschulung, berufliche Weiterbildung und Unterhalt“ zu normieren, also Schutz vor den Folgen von Arbeitslosigkeit in Aussicht zu stellen, wenn sich aus Art. 48 Abs. 1 BbgVerf ein Anspruch auf Zuweisung einer Arbeit ableiten ließe. – Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf (oben unter B. I. 1.). 383 s. Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (136 Fn. 64); Riepe, Grundrechte, S. 210; Dietlein, NWVBl. 1993, S. 401 (403); vgl. Brenne, Grundrechte, S. 117: „objektive [sic!] Staatszielbestimmung“. A.A. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 65, 74: Grundrecht. Offen gelassen bei Stiens, Chancen, S. 255; unklar Kanther, Landesverfassungen, S. 161. Unklar auch Dietlein, Grundrechte, S. 154: objektiv-rechtliche Einrichtungsgarantie eines öffentlich organisierten bzw. kontrollierten Ausbildungswesens. 384 s. Dietlein, Grundrechte, S. 153 f.; vgl. D. Franke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 1 (15); Jach, RdJB 40 (1992), S. 268 (270); unklar Sachs, LKV 1993, S. 241 (245). Nicht widerspruchsfrei Bull, FS Thieme, S. 305 (321 f.): Das „Recht auf Bildung“ sei in Art. 29 Abs. 1 BbgVerf „als Grundrecht [...] enthalten“ (S. 321), „subjektive, einklagbare Rechte auf bestimmte Leistungen des Staates oder der Kommunen“ begründe Art. 29 Abs. 1 BbgVerf aber nicht (S. 322). 385 Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Dazu Riepe, Grundrechte, S. 209 f. – Wegen weiterer Argumente sei verwiesen auf die Ausführungen zu Art. 128 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 386 s. Benstz/Franke, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 6 Rn. 13; Kanther, Landesverfassungen, S. 160; so wohl auch Riepe, Grundrechte, S. 210. 387 s. Benstz/Franke, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 6 Rn. 15. – Es besteht Einigkeit dahingehend, dass es sich bei Art. 29 Abs. 3 S. 2 BbgVerf um kein subjektives öffentliches Recht handelt, sondern um eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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fördern haben,388 und Art. 33 Abs. 1 S. 1 Bbg Verf verpflichtet Land, Gemeinden und Gemeindeverbände zur Förderung der Weiterbildung von Erwachsenen.389 Weitere Zielvorgaben sind Art. 34 BbgVerf zu entnehmen. Nach dessen Abs. 1 S. 2 bedarf die Kunst „der öffentlichen Förderung“,390 und gem. Abs. 2 werden „das kulturelle Leben [...] und die Vermittlung des kulturellen Erbes“ gefördert (S. 1) sowie „Kunstwerke und Denkmale der Kultur“ unter Schutz gestellt (S. 2). Um Staatszielbestimmungen handelt es sich ebenfalls bei Art. 34 Abs. 3 BbgVerf, wonach Land, Gemeinden und Gemeindeverbände die Teilnahme am kulturellen Leben unterstützen und den Zugang zu den Kulturgütern ermöglichen,391 sowie bei Art. 35 S. 1 BbgVerf, demzufolge „Sport [...] ein förderungswürdiger Teil des Lebens“ ist.392 Ebenso als kulturbezogene Zielvorgaben einzuordnen sind Art. 40 Abs. 3 BbgVerf393 – die Norm verflichtet Land, Gemeinden und Gemeindeverbände, der Allgemeinheit den Zugang zur Natur freizuhalten und ggf. zu eröffnen – und Art. 40 Abs. 4 S. 2 BbgVerf, der Naturdenkmale unter öffentlichen Schutz stellt. Auch der Umweltschutz hat eine Ausgestaltung durch Staatszielbestimmungen erfahren. Die in der Präambel enthaltene Verpflichtung, „Natur und Umwelt zu bewahren und zu schützen“,394 findet sich erneut in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf, der Brandenburg (auch) als ein „dem Schutz der natürlichen Umwelt [...] verpflichtetes“ Land bezeichnet, sowie in Art. 39 Abs. 1 BbgVerf, wonach der Schutz der Natur, der Umwelt und der gewachsenen Kulturlandschaft eine Pflicht des Landes ist.395 Weitere umweltbezogene Zielvorgaben finden sich in Art. 39 Abs. 3 BbgVerf,396 demzufolge „Tier und Pflanze“ geachtet werden (S. 1) und „Art und artgerechter Lebensraum [...] zu erhalten und zu schützen“ sind (S. 2), sowie in Art. 39 Abs. 5 S. 1 BbgVerf, der den Körperschaften des öffentlichen Rechts die Pflicht auferlegt, die Umwelt vor Schäden oder Belastungen zu bewahren und dafür Sorge zu tragen, dass Umweltschäden beseitigt ___________ 388

Vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 75: objektive Verpflichtung des

Staates. 389 s. Benstz/Franke, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 6 Rn. 34; vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 75: objektive Verpflichtung des Staates. 390 s. Starck, Verfassungen, S. 55 f. 391 Offen gelassen bei P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 75. 392 s. Stiens, Chancen, S. 25; Riepe, Grundrechte, S. 207 f.; vgl. Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (164). 393 s. Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 9; vgl. Burgi, Erholung, S. 333 f.: „nur objektiv-rechtlicher Charakter“. 394 Die Präambel als Bestandteil der Verfassung hat (auch) rechtlichen Gehalt. Dazu mit Blick auf das Grundgesetz oben unter A. 395 s. Balensiefen, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 8 Rn. 16; Iwers, Landesverfassung, S. 589; vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 50. 396 Unklar Simon, NJ 1991, S. 427 (429): „Verfassungsrechte als Ausdruck wertgebundener Ordnung“.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

oder ausgeglichen werden. Ebenfalls um eine Staatszielbestimmung handelt es sich bei Art. 40 Abs. 4 S. 1 BbgVerf. Diese Norm verpflichtet dazu, die Einrichtung und Erhaltung von Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebieten zu fördern. Der Bereich Wirtschaft und Finanzen ist gleichfalls vertreten. Hier ist zunächst Art. 41 Abs. 3 BbgVerf zu nennen, demzufolge das Land die breite Streuung des Eigentums, und zwar „insbesondere die Vermögensbildung von Arbeitnehmern“, fördert.397 Daneben strebt das Land Wettbewerb und Chancengerechtigkeit an (Art. 42 Abs. 1 S. 2 BbgVerf).398 Um eine dritte Staatszielbestimmung in diesem Bereich handelt es sich bei Art. 43 Abs. 2 BbgVerf,399 der das Land verpflichtet, „insbesondere den Beitrag der Land- und Forstwirtschaft zur Pflege der Kulturlandschaft, zur Erhaltung des ländlichen Raumes und zum Schutz der natürlichen Umwelt“ zu fördern. Zudem gewährleistet das Land „eine Strukturförderung der Regionen“ (Art. 44 BbgVerf),400 und nach Art. 101 Abs. 1 BbgVerf hat es bei seiner Haushaltswirtschaft im Rahmen der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gegenwärtiger und künftiger Generationen Rechnung zu tragen.401 Auch im Bereich Auswärtiges und Verteidigung sind mehrere Staatszielbestimmungen zu vermerken. Die ersten beiden Zielvorgaben – „Europäische Integration“402 und „Eine Welt“ – finden sich in der Präambel. Hier ist die Rede von der Entschlossenheit, „Brandenburg als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland in einem sich einigenden Europa und in der einen Welt zu gestalten“. Bereits der Wortlaut („entschlossen“) zeigt, dass damit ein Handlungsauftrag statuiert wird. Ebenfalls als Staatszielbestimmungen einzuordnen sind das Friedensgebot und die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit anderen Völkern (und zwar „insbesondere mit dem polnischen Nachbarn“), die in Art. 2

___________ 397 s. Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 9 Fn. 15. – Es handelt sich um keinen „Eigentumsverschaffungsanspruch“; ebenso Berlit, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 9 Rn. 19. 398 s. Berlit, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 9 Rn. 9. 399 s. Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 9 Fn. 15; so wohl auch Berlit, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 9 Rn. 26: „objektiv-rechtliche Förderpflichten“. 400 s. Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 9 Fn. 15; vgl. Berlit, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 9 Rn. 27: „objektiv-rechtliche Verpflichtung“. 401 Vgl. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 154; a.A. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 61 f.: „deklaratorische Wiederholung“ der Staatszielbestimmung „Umweltschutz“. 402 Unklar Sachs, LKV 1993, S. 241 (242): „Bezugnahme auf das sich einigende Europa“, „Hoffnung auf eine großräumigere Einigung unter Einschluss des bisher ausgesperrten Ostens des Kontinents“.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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Abs. 1 BbgVerf verankert sind.403 Um eine Staatszielbestimmung (und nicht lediglich eine unverbindliche Empfehlung)404 handelt es sich auch bei Art. 39 Abs. 9 BbgVerf, demzufolge das Land darauf hinwirkt, dass keine atomaren, biologischen oder chemischen Waffen auf dem Landesgebiet entwickelt, hergestellt oder gelagert werden.405 Gleiches gilt für Art. 40 Abs. 5 BbgVerf, wonach das Land darauf hinwirkt, dass militärisch genutzte Liegenschaften verstärkt einer zivilen Nutzung zugeführt werden.406 Weiterhin ist die Gleichstellung der Geschlechter als Staatszielbestimmung ausgestaltet, und zwar durch Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf.407 Diese Vorschrift verpflichtet das Land, für die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann in den Bereichen Beruf, öffentliches Leben, Bildung, Ausbildung und Familie sowie auf dem Feld der sozialen Sicherung zu sorgen. Schließlich findet sich auch der Minderheitenschutz entsprechend geregelt. Es handelt sich hierbei um Art. 25 Abs. 1 BbgVerf, der in S. 1 „das Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebietes“ gewährleistet und in S. 2 feststellt, dass Land, Gemeinden und Gemeindeverbände „die Verwirklichung dieses Rechtes, insbesondere die kulturelle Eigenständigkeit und die wirksame politische Mitgestaltung des sorbischen Volkes“ fördern. Beide Sätze sind zu einer Staatszielbestimmung zusammenzuziehen.408 Eine zweite Zielvorgabe enthält Art. 25 Abs. 2 BbgVerf, demzufolge das Land auf die Sicherung einer die Landesgrenzen übergreifenden kulturellen Autonomie der Sorben hinwirkt.409 ___________ 403

s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 77 f.; Kanther, Landesverfassungen, S. 202; v. Mangoldt, Verfassungen, S. 59; P. Neumann, in: ders./Tillmanns, Probleme, S. 77 (110). 404 Ebenso P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 86. 405 s. Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 9 Fn. 15; Kanther, Landesverfassungen, S. 179; v. Mangoldt, Verfassungen, S. 50; Feddersen, DÖV 1992, S. 989 (994). 406 s. Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 9 Fn. 15; v. Mangoldt, Verfassungen, S. 50; in diese Richtung auch Feddersen, DÖV 1992, S. 989 (994): „Pflicht des Staates“. 407 s. Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 9; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 78 f.; Kanther, Landesverfassungen, S. 169; Starck, Verfassungen, S. 55 f.; so wohl auch Feddersen, DÖV 1992, S. 989 (993): „Verpflichtung des Landes“. 408 Vgl. BbgVerfG LVerfGE 8, 97 ff., mit ausführlicher Darstellung des Streits um die Einordnung des Art. 25 Abs. 1 BbgVerf; v. Brünneck, NJ 1999, S. 169 (170). Mitunter bleibt es unklar, ob Art. 25 Abs. 1 BbgVerf als Staatszielbestimmung oder als subjektives Recht einzuordnen ist; s. D. Franke/Kneifel-Haverkamp, JöR 42 (1994), S. 111 (122); D. Franke/Kier, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 10 Rn. 5. – Art. 25 Abs. 1 S. 1 BbgVerf wird z. T. als Grundrecht eingeordnet, so etwa P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 81; Pallek, Minderheitenschutz, S. 601 ff.; a.A. Bull, FS Thieme, S. 305 (325 f.): Staatsaufgabe; offen gelassen bei v. Mangoldt, Verfassungen, S. 58. 409 Unklar D. Franke/Kier, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 10 Rn. 5: „Verfassungsauftrag“.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

4. Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern Die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern v. 23.5.1993410 widmet den Staatszielbestimmungen, anders als etwa die brandenburgische Verfassung, einen eigenen, von den Grundrechten getrennten Abschnitt („Staatsziele“, Artt. 11-19). Die Einordnung einer Norm als Staatszielbestimmung erleichtert neben dieser Verfassungssystematik Art. 53 Nr. 7 M-VVerf: Er listet die mit einer Verfassungsbeschwerde durchsetzbaren Rechte auf. Mehrere Zielvorgaben greifen den sozialen Bereich auf. Die in der Präambel enthaltene Verpflichtung, „die Schwachen zu schützen“,411 findet sich ebenso im Sozialstaatsprinzip (Art. 2 M-VVerf).412 Dem Kinder- und Jugendschutz gewidmete Staatszielbestimmungen haben Verankerung in Art. 14 M-VVerf gefunden: Nach Abs. 1 genießen Kinder Schutz vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung,413 und gem. Abs. 2, der nahezu wortgleich mit Art. 24 Abs. 2 S. 2 SaAnVerf übereinstimmt, wirken Land, Gemeinden und Kreise darauf hin, dass für Kinder Betreuungseinrichtungen zur Verfügung stehen.414 Um eine Staatszielbestimmung handelt es sich auch bei Art. 14 Abs. 3 M-VVerf, demzufolge Kinder und Jugendliche (angelehnt an Art. 24 Abs. 4 SaAnVerf) „vor Gefährdung ihrer körperlichen und seelischen Entwicklung zu schützen“ sind. Weitere soziale Zielvorgaben finden sich in Art. 17 M-VVerf. Nach Abs. 1 trägt das Land zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen bei (S. 1), und es sichert im Rahmen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts einen hohen Beschäftigungsstand (S. 2). Hierdurch werden keine subjektiven Rechte gewährleistet.415 Gleiches gilt für die (an Art. 38 SaAnVerf orientierte) Verpflichtung ___________ 410 GVBl.M-V S. 372. – Mit ihrer Verkündung am 23.5.1992 ist die Verfassung nur vorläufig in Kraft getreten. Die für das endgültige Inkrafttreten erforderliche Annahme durch Volksentscheid datiert vom 12.6.1994, s. Bek. über das Inkrafttreten v. 23.8.1994 (GVBl.M-V S. 773). Dazu v. Mangoldt, Verfassungen, S. 13 f. 411 Diese Sachaussage der Präambel hat nicht lediglich programmatischen Charakter. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut („erfüllt von dem Willen“). – Dazu, dass die Präambel als Bestandteil der Verfassung (auch) rechtlichen Gehalt hat, mit Blick auf das Grundgesetz oben unter A. 412 Zum Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 2 M-VVerf etwa Pirsch, in: Thiele u.a., M-VVerf, Art. 8 Rn. 1. Zur Einordnung des Sozialstaatsprinzips als Staatszielbestimmung vgl. die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). 413 s. Stiens, Chancen, S. 275; vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 174 f.: staatszielartiger Auftrag. 414 Vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 175. – Die Vorschrift hat keinen subjektiv-rechtlichen Gehalt; ebenso bereits zur Entwurfsfassung Hölscheidt/v. Wiese, LKV 1992, S. 393 (396). 415 Der objektiv-rechtliche Gehalt der Norm ergibt sich neben der Formulierung („Das Land trägt [...] bei“) aus der systematischen Stellung der Norm im Abschnitt „Staatsziele“. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf (oben unter B. I. 1.).

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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von Land, Kommunen und Kreisen, alten und behinderten Menschen besonderen Schutz zu gewähren (Art. 17 Abs. 2 S. 1 M-VVerf).416 Eben diese Adressaten wirken zudem laut Art. 17 Abs. 3 M-VVerf „darauf hin, dass jedem angemessener Wohnraum zu sozial tragbaren Bedingungen zur Verfügung steht“ (S. 1), und sie unterstützen „insbesondere den Wohnungsbau und die Erhaltung vorhandenen Wohnraums“ (S. 2). Diese Vorschriften gewähren keine subjektivrechtlichen Ansprüche,417 sondern enthalten Staatszielbestimmungen.418 Ebenso ist Art. 17 Abs. 3 S. 3 M-VVerf einzuordnen,419 demzufolge Land, Kommunen und Kreise im Notfall jedem ein Obdach sichern. Um Staatszielbestimmungen handelt es sich auch bei Art. 19 Abs. 1 u. 2 M-VVerf:420 Abs. 1 verpflichtet Land, Gemeinden und Kreise zur Förderung von „Initiativen, die auf das Gemeinwohl gerichtet sind und der Selbsthilfe sowie dem solidarischen Handeln dienen“, und nach Abs. 2 ist die soziale Tätigkeit der Kirchen, der Träger der freien Wohlfahrtspflege und der freien Jugendhilfe zu schützen und zu fördern. Dem Bereich Bildung und Kultur widmen sich ebenfalls mehrere Zielvorgaben. Die erste enthält Art. 12 Abs. 2 S. 2 M-VVerf, wonach der freie Zugang zu den Naturschönheiten, Wäldern, Fluren und Alleen gewährleistet wird.421 Gleiches gilt für Art. 15 Abs. 2 S. 1 M-VVerf, der bestimmt, dass Land, Gemeinden und Kreise für ein ausreichendes und vielfältiges öffentliches Schulwesen sorgen.422 Weitere Zielvorgaben finden sich in Art. 16 M-VVerf. Dessen Abs. 1 S. 1 verpflichtet Land, Gemeinden und Kreise, „Kultur, Sport, Kunst und Wissenschaft“ zu schützen und zu fördern,423 während das Land nach Abs. 2 die

___________ 416 s. Thiele, in: ders. u.a., M-VVerf, Art. 17 Rn. 3; Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (363 f.); vgl. Riepe, Grundrechte, S. 233: „Schutzpflicht“. 417 Die Verfassung selbst geht von der Unrealisierbarkeit eines subjektivöffentlichen Rechts auf Wohnraum aus (s. Art. 17 Abs. 3 S. 3 M-VVerf); dazu auch Riepe, Grundrechte, S. 236. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 106 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 418 Vgl. Thiele, in: ders. u.a., M-VVerf, Art. 17 Rn. 6; Kanther, Landesverfassungen, S. 199. 419 So auch (unter Verweis auf die Systematik) Stiens, Chancen, S. 272. – Art. 17 Abs. 3 S. 3 M-VVerf hat lediglich objektiv-rechtlichen Gehalt: Die Vorschrift verleiht dem Bürger keinen Anspruch gegen den Staat, s. Brenne, Grundrechte, S. 139; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 141; a.A. Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 476: Rechtsanspruch. 420 Ebenso Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (363 f.); Erbguth/Wiegand, DVBl. 1994, S. 1325 (1327). 421 Art. 12 Abs. 2 S. 2 M-VVerf ist kein individueller Anspruch auf Zugang zu entnehmen: Die Norm berechtigt nicht den Bürger, sondern verpflichtet (lediglich) den Staat. Ebenso Riepe, Grundrechte, S. 226. 422 So P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 138. 423 s. Riepe, Grundrechte, S. 230; Stiens, Chancen, S. 250.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Pflege der niederdeutschen Sprache schützt und fördert.424 Zudem bestimmt Art. 16 Abs. 3 S. 1 M-VVerf, dass Hochschulen und andere wissenschaftliche Einrichtungen „in ausreichendem Maße [...] unterhalten und gefördert werden“ sollen.425 Auch bei Art. 16 Abs. 4 M-VVerf, demzufolge Land, Gemeinden und Kreise Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung fördern, handelt es sich um eine Staatszielbestimmung.426 Ebenso ist der Umweltschutz durch mehrere Staatszielbestimmungen ausgestaltet. Die bereits in der Präambel enthaltene Verpflichtung, „die natürlichen Grundlagen des Lebens zu sichern“, findet sich erneut in Art. 2 M-VVerf, wonach Mecklenburg-Vorpommern (auch) ein „dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Staat“ ist, und in Art. 12 Abs. 1 HS 1 M-VVerf, demzufolge Land, Gemeinden und Kreise sowie die anderen Träger der öffentlichen Verwaltung die natürlichen Lebensgrundlagen jetzigen und künftigen Lebens schützen und pflegen. In Art. 12 M-VVerf sind weitere umweltbezogene Zielvorgaben zu verzeichnen. Nach Abs. 1 HS 2 wirken Land, Gemeinden und Kreise auf einen sparsamen Umgang mit Naturgütern hin,427 und gem. Abs. 2 S. 1 sind Land, Gemeinden und Kreise verpflichtet, „die Landschaft mit ihren Naturschönheiten, Wäldern, Fluren und Alleen, die Binnengewässer und die Küste mit den Haff- und Boddengewässern“ zu schützen und zu pflegen. Ebenfalls als Staatszielbestimmung gibt Art. 12 Abs. 4 M-VVerf vor, dass Eingriffe in Natur und Landschaft vermieden, Schäden aus unvermeidbaren Eingriffen ausgeglichen und bereits eingetretene Schäden behoben werden sollen.428 Den Bereich Wirtschaft und Finanzen greift demgegenüber lediglich eine Staatszielbestimmung auf. Es handelt sich um die in der Präambel verankerte „Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts“.429 Der Bereich Auswärtiges und Verteidigung wird wiederum durch mehrere Staatszielbestimmungen ausgestaltet. Bereits in der Präambel finden sich die Zielvorgabe „Frieden“430 und das Ziel, „ein lebendiges [...] Glied der Bundesrepublik Deutschland in der europä-

___________ 424

Vgl. Riepe, Grundrechte, S. 231: „Verpflichtung zum Schutz und zur Förde-

rung“. 425

So P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 138. Vgl. Riepe, Grundrechte, S. 231: „Förderungspflicht“. 427 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 136; vgl. Erbguth/Wiegand, DVBl. 1994, S. 1325 (1329). 428 s. Riepe, Grundrechte, S. 228. 429 Diese Sachaussage der Präambel hat nicht lediglich programmatischen Charakter. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut („erfüllt von dem Willen“). 430 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 142; vgl. Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (360 f.). – Der rechtliche Gehalt dieser Aussage ergibt sich bereits aus ihrem Wortlaut („erfüllt von dem Willen“). 426

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

173

ischen Völkergemeinschaft zu sein“.431 Ebenfalls um eine Staatszielbestimmung handelt es sich bei Art. 11 M-VVerf,432 wonach das Land daran mitwirkt, „die europäische Integration zu verwirklichen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit insbesondere im Ostseeraum zu fördern“. Des Weiteren ist durch Art. 13 S. 1 M-VVerf die Gleichstellung der Geschlechter geregelt.433 Diese Zielvorgabe erklärt es (mit Art. 6 S. 1 SchlHVerf nahezu wörtlich übereinstimmend) zur Aufgabe des Landes, der Gemeinden und Kreise sowie der anderen Träger der öffentlichen Verwaltung, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern. Als dem Minderheitenschutz gewidmete Staatszielbestimmung ist schließlich Art. 18 M-VVerf zu erwähnen, demzufolge „die kulturelle Eigenständigkeit ethnischer und nationaler Minderheiten und Volksgruppen von Bürgern deutscher Staatsangehörigkeit“ unter dem Schutz des Landes steht.434

5. Verfassung des Landes Thüringen Die Verfassung des Landes Thüringen v. 25.10.1993435 enthält Staatszielbestimmungen im ausschließlich nach Themengebieten geordneten, sehr umfangreichen Ersten Teil („Grundrechte, Staatsziele und Ordnung des Gemeinschaftslebens“, Artt. 1-43 ThürVerf).436 Die Abgrenzung zwischen den Normtypen Grundrecht, Programmsatz und Staatszielbestimmung erleichtert Art. 43 ThürVerf: der Freistaat hat „die Pflicht, nach seinen Kräften und im Rahmen seiner ___________ 431 Auch diese Sachaussage hat nicht lediglich programmatischen Gehalt. Dies folgt bereits aus ihrem Wortlaut („entschlossen“). 432 s. Pirsch, in: Thiele u.a., M-VVerf, Art. 11 Rn. 1; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 135; Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (363 f.); ebenso mit Blick auf die regionale Zusammenarbeit v. Mangoldt, Verfassungen, S. 59. 433 s. Kanther, Landesverfassungen, S. 169; Starck, Verfassungen, S. 55 f.; Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (363 f.). 434 s. v. Mangoldt, Verfassungen, S. 58; unklar Britz, Rechte, S. 179 f. 435 ThürGVBl. S. 625. – Die Verfassung des Freistaats Thüringen bildet, sieht man vom Sonderfall Berlin ab, gewissermaßen das Schlusslicht der Verfassunggebung in den neuen Ländern. Sie trat endgültig nicht mit ihrer Verkündung am 30.10.1993 in Kraft (s. Art. 106 Abs. 2 ThürVerf), sondern erst nach Bestätigung durch den Volksentscheid v. 16.10.1994, und zwar am 30.10.1994 (Bek. über das Inkrafttreten v. 26.10.1994, ThürGVBl. S. 1194). – Eine Besonderheit der Verfassungsbewegung in Thüringen liegt darin, dass die am 7.11.1990 vom Landtag verabschiedete Vorläufige Landessatzung (ThürGVBl. S. 1) in § 18 Abs. 2 S. 1 ihr unbedingtes Außerkrafttreten am 31.12.1992 normierte. Durch das Zweite Gesetz zu ihrer Änderung v. 15.12.1992 (ThürGVBl. S. 575) wurde die Vorschrift jedoch dahingehend novelliert, dass das Außerkrafttreten dieses „vorläufigen, rudimentären Vorschaltgesetzes“ (Linck, DÖV 1991, S. 730 [732]) erst mit Inkrafttreten der Landesverfassung erfolgen sollte. 436 Zu den Vor- und Nachteilen einer solchen thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Zuständigkeiten die Verwirklichung der in dieser Verfassung niedergelegten Staatsziele anzustreben und sein Handeln danach auszurichten“.437 Im sozialen Bereich sind mehrere Zielvorgaben zu verzeichnen. Nach Art. 2 Abs. 4 ThürVerf stehen Menschen mit Behinderung unter dem besonderen Schutz des Freistaates (S. 1), und das Land und seine Gebietskörperschaften haben die gleichwertige Teilnahme der Behinderten am Leben in der Gemeinschaft zu fördern (S. 2).438 Ebenfalls um eine Staatszielbestimmung handelt es sich bei Art. 15 S. 1 ThürVerf.439 Er enthält die „ständige Aufgabe des Freistaats, darauf hinzuwirken, dass in ausreichendem Maße angemessener Wohnraum zur Verfügung steht“.440 Gleiches gilt für Art. 16 ThürVerf,441 der (mit Art. 40 Abs. 2 SaAnVerf vergleichbar) das Land und seine Gebietskörperschaften verpflichtet, im Notfall allen ein Obdach zu sichern. Auch der Kinder- und Jugendschutz ist durch Staatszielbestimmungen ausgestaltet. Diese finden sich allesamt in Art. 19 ThürVerf. Nach dessen Abs. 1 haben Kinder und Jugendliche „das Recht auf eine gesunde geistige, körperliche und psychische Entwicklung“ (S. 1),442 und zudem genießen sie Schutz vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch und Gewalt (S. 2).443 Um weitere ___________ 437 Art. 43 ThürVerf bringt damit zugleich zum Ausdruck, dass es den Organen des Landes überlassen bleibt, wie und mit welchen Mitteln sie auf die Verwirklichung der Staatszielbestimmungen hinwirken. Dazu allg. 2. Kap. unter A. III. 1. u. 2. 438 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 151; Edinger, in: Schmitt, ThürVerf, S. 101 (109); Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (395); P. Neumann, LKV 1996, S. 392 (393); a.A. Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 2 Rn. 57 u. 61: Art. 2 Abs. 4 ThürVerf enthalte in S. 1 ein Grundrecht und in S. 2 das „Staatsziel auf Förderung der Teilnahme am Gemeinschaftsleben“. 439 s. Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 15 Rn. 1; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 149; Kanther, Landesverfassungen, S. 199; P. M. Huber, in: ders., ThürStVerwR, 1. Teil Rn. 285. 440 Diese Einordnung ergibt sich neben der Formulierung „ständige Aufgabe des Freistaats“ auch aus Art. 15 S. 2 ThürVerf, der explizit Maßnahmen „zur Verwirklichung dieses Staatsziels“ benennt; vgl. Rommelfanger, ThürVBl. 1993, S. 173 (179 f.); P. Neumann, LKV 1996, S. 392 (393). – Die Verfassung geht zudem selbst von der Unrealisierbarkeit eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf Wohnraum aus, wie sich an Art. 16 ThürVerf zeigt. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 106 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 441 Ebenso Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (377). – Es handelt sich bei Art. 16 ThürVerf nicht etwa um ein einklagbares Teilhaberecht (so aber P. M. Huber, LKV 1994, S. 121 [124]; Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 16 Rn. 2: Leistungsgrundrecht; ebenso Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 380, 476; ähnlich wohl auch Stiens, Chancen, S. 272). Dies ergibt sich neben der Formulierung aus dem inhaltlichen und auch systematischen Zusammenhang mit der in Art. 15 ThürVerf verankerten Zielvorgabe. 442 Unklar Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 19 Rn. 7: „Als eher soziales Grundrecht steht Art. 19 Abs. 1 S. 1 einer Staatszielbestimmung nahe“. 443 s. Stiens, Chancen, S. 275; vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 174 f.: staatszielartiger Auftrag; a.A. (Grundrecht) Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 19 Rn. 2.

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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soziale Zielvorgaben handelt es sich bei Art. 19 Abs. 3 ThürVerf,444 der das Land und seine Gebietskörperschaften zur Förderung von Kindertageseinrichtungen verpflichtet, sowie bei Art. 19 Abs. 4 ThürVerf,445 demzufolge vorbeugender Gesundheitsschutz für Kinder und Jugendliche zu fördern ist. Ebenfalls als Staatszielbestimmung einzuordnen ist Art. 36 S. 1 ThürVerf.446 Diese Vorschrift formuliert, angelehnt an Art. 39 Abs. 1 SaAnVerf, die „ständige Aufgabe des Freistaates, jedem die Möglichkeit zu schaffen, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte und dauerhafte Arbeit zu verdienen“.447 Neben dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 44 Abs. 1 S. 2 ThürVerf448 bleibt Art. 41 ThürVerf zu nennen.449 Er bestimmt, dass die von den Kirchen, anderen Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften unterhaltenen sozialen und karitativen Einrichtungen (S. 1) sowie die Einrichtungen der Verbände der freien Wohlfahrtspflege (S. 2) gefördert werden. Der Bildung und Kultur widmen sich ebenfalls mehrere Staatszielbestimmungen. Nach Art. 20 S. 1 ThürVerf hat jeder Mensch das „Recht auf Bildung“.450 Dieser Vorschrift lässt sich trotz subjektiv-rechtlicher Formulierung kein Rechtsanspruch des Einzelnen entnehmen.451 Um eine Staatszielbestimmung handelt es sich ebenso bei Art. 20 S. 3 ThürVerf,452 demzufolge „Begab___________ 444 s. Edinger, in: Schmitt, ThürVerf, S. 101 (109); vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 175; unklar Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 19 Rn. 4: Verfassungsauftrag. 445 s. P. M. Huber, in: Schmitt, ThürVerf, S. 69 (87); unklar Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 19 Rn. 4: Verfassungsauftrag. 446 s. Rommelfanger, ThürVBl. 1993, S. 173 (179); vgl. P. M. Huber, in: ders., ThürStVerwR, 1. Teil Rn. 293: „Staatsziel“. – Art. 36 ThürVerf ist kein Grundrecht auf Arbeit i. S. eines einklagbaren Leistungsgrundrechts. Dazu Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 36 Rn. 1. 447 Diese Einordnung des Art. 36 S. 1 ThürVerf ergibt sich neben der Formulierung („ständige Aufgabe des Freistaats“) u.a. daraus, dass Art. 36 S. 2 ThürVerf explizit Maßnahmen „zur Verwirklichung dieses Staatsziels“ benennt. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf (oben unter B. I. 1.). 448 Vgl. Linck, in: ders. u.a., ThürVerf, Art. 44 Rn. 44: „Staatsziel“; ebenso P. Neumann, LKV 1996, S. 392 (393). Zur Argumentation vgl. die Ausführungen zu Art. 20 Abs. 1 GG (oben unter A.). 449 Vgl. Hopfe, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 41 Rn. 5: „Staatsziel“. 450 s. Hopfe, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 20 Rn. 3; offen gelassen bei Stiens, Chancen, S. 255. Krit. zur missverständlichen Formulierung des Art. 20 S. 1 ThürVerf Jutzi, ThürVBl. 1995, S. 54 (55): „Sündenfall eines sog. Sozialen Grundrechts“. – Wegen der Argumente vgl. im Einzelnen die Ausführungen zu Art. 128 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 451 So aber Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (381): Menschenrecht auf Bildung als kulturelles Grundrecht; ähnlich P. Neumann, LKV 1996, S. 392 (394): „subjektives Individualrecht“; vgl. P. M. Huber, in: Schmitt, ThürVerf, S. 69 (86 f.): Teilhabeanspruch. 452 s. P. M. Huber, in: Schmitt, ThürVerf, S. 69 (87); Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (381); Jutzi, ThürVBl. 1995, S. 54 (55); unklar Hopfe, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 20 Rn. 6: „Verfassungsauftrag“; ebenso P. Neumann, LKV 1996, S. 392 (394).

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

te, Behinderte und sozial Benachteiligte“ besonders zu fördern sind. Gleiches gilt für Art. 28 Abs. 1 S. 1 ThürVerf,453 der die Hochschulen unter den Schutz des Landes stellt, sowie für Art. 29 S. 1 ThürVerf,454 wonach das Land und seine Gebietskörperschaften die Erwachsenenbildung fördern. Weitere Staatszielbestimmungen finden sich in Art. 30 ThürVerf. Dessen Abs. 1 bestimmt, dass Kultur, Kunst und Brauchtum Schutz und Förderung durch das Land und seine Gebietskörperschaften genießen,455 und nach Abs. 2 S. 1 stehen die Kultur-, Kunst-, Geschichts- und die Naturdenkmale unter dem besonderen Schutz des Landes und seiner Gebietskörperschaften.456 Zudem genießt der Sport Schutz und Förderung (Art. 30 Abs. 3 ThürVerf).457 Auch der Umweltschutz wird (anders als der Bereich Wirtschaft und Finanzen) durch Staatszielbestimmungen aufgegriffen. Die in Abs. 2 der Präambel enthaltene Staatszielbestimmung, „Natur und Umwelt zu bewahren und zu schützen“,458 findet sich erneut in Art. 44 Abs. 1 S. 2 ThürVerf, der den Freistaat (auch) als einen dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteten Staat ausweist,459 sowie in Art. 31 Abs. 1 ThürVerf, demzufolge der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen Aufgabe des Freistaats ist.460 Neben diesen Grundsatzklauseln kennt die Verfassung weitere umweltbezogene Zielvorgaben. Sie enthält nahezu allesamt Art. 31 ThürVerf. Dessen Abs. 2 bestimmt nicht nur, dass der Naturhaushalt und seine Funktionstüchtigkeit zu schützen (S. 1) und die heimischen Tier- und Pflanzenarten sowie besonders wertvolle Landschaften und Flächen zu erhalten und unter Schutz zu stellen sind (S. 2), sondern er verpflichtet das Land und seine Gebietskörperschaften auch, darauf hinzuwirken, dass von Menschen verursachte Umweltschäden beseitigt oder ausgeglichen werden (S. 3).461 Zudem gebietet Art. 31 Abs. 3 ThürVerf, mit Naturgütern und Energie sparsam umzugehen (S. 1), und er bestimmt, dass ___________ 453

A.A. (institutionelle Garantie) Hopfe, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 28 Rn. 3. s. Hopfe, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 29 Rn. 2; Edinger, in: Schmitt, ThürVerf, S. 101 (109); P. Neumann, LKV 1996, S. 392 (394). 455 Dazu Hopfe, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 30 Rn. 3; P. M. Huber, in: Schmitt, ThürVerf, S. 69 (87). 456 s. Hopfe, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 30 Rn. 3, 13. 457 s. Stiens, Chancen, S. 250; Edinger, in: Schmitt, ThürVerf, S. 101 (109). 458 Diese Sachaussage der Präambel hat nicht lediglich programmatischen Charakter. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut („in dem Willen“). Ebenso Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Präambel Rn. 6. – Die Präambel als Bestandteil der Verfassung hat (auch) rechtlichen Gehalt. Dazu eingehend (mit Blick auf das Grundgesetz) oben unter A. 459 s. Linck, in: ders. u.a., ThürVerf, Art. 44 Rn. 45. 460 s. Hopfe, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 31 Rn. 2; P. M. Huber, in: ders., ThürStVerwR, 1. Teil Rn. 288; P. Neumann, LKV 1996, S. 392 (395). 461 Eine Einordnung als Staatszielbestimmungen bejahend auch P. Neumann, LKV 1996, S. 392 (395). 454

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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das Land und seine Gebietskörperschaften eine umweltgerechte Energieversorgung fördern.462 Zu erwähnen sind schließlich die in Art. 32 ThürVerf verankerten Staatszielbestimmungen.463 Nach dessen S. 1 werden Tiere als Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet, und laut S. 2 werden sie vor nicht artgemäßer Haltung und vermeidbarem Leiden geschützt. Im Bereich Auswärtiges und Verteidigung finden sich demgegenüber lediglich zwei Zielvorgaben. Es handelt sich zum einen um die Völkerverständigung:464 Abs. 2 der Präambel enthält die Verpflichtung, „Trennendes in Europa und der Welt zu überwinden“.465 Zum anderen ist die Zielvorgabe „Frieden“ zu nennen (Abs. 2 der Präambel).466 Daneben hat mit Art. 2 Abs. 2 S. 2 ThürVerf die Gleichstellung der Geschlechter entsprechende Ausgestaltung gefunden.467 Diese Vorschrift verpflichtet Land, Gebietskörperschaften und die anderen Träger der öffentlichen Verwaltung, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durch geeignete Maßnahmen zu fördern und zu sichern. Als Staatszielbestimmungen zu erwähnen bleiben schließlich der Erhalt der demokratisch verfassten Rechtsordnung (Abs. 2 der Präambel)468 und die ebenfalls in der Präambel enthaltene Verpflichtung, der Verantwortung für zukünftige Generationen gerecht zu werden.469

6. Verfassung des Landes Berlin Mit der Wiedervereinigung stellten sich in Berlin die Verfassungsfragen in neuem Licht. Am 8.6.1995 beschloss das Abgeordnetenhaus, einen entspre___________ 462

Für eine Einordnung als Staatszielbestimmung auch Hopfe, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 31 Rn. 2 u. 13 f.; P. Neumann, LKV 1996, S. 392 (395). 463 Vgl. P. M. Huber, in: Schmitt, ThürVerf, S. 69 (78); Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (377); a.A. Starck, Verfassungen, S. 54: Grundpflicht. 464 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 152 f.; P. M. Huber, in: ders., ThürStVerwR, 1. Teil Rn. 279; vgl. Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Präambel Rn. 6, 11: „Staatsziel“. 465 Diese Sachaussage der Präambel hat nicht lediglich programmatischen Charakter. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut („in dem Willen“). 466 s. P. M. Huber, in: ders., ThürStVerwR, 1. Teil Rn. 279; vgl. P. Neumann, LKV 1996, S. 392 (393): Staatsziel. 467 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 151; Kanther, Landesverfassungen, S. 169; P. M. Huber, in: ders., ThürStVerwR, 1. Teil Rn. 282; vgl. Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 2 Rn. 37 f.: „Staatsziel“; ähnlich Starck, ThürVBl. 1992, S. 10 (14): „staatszielartig“. 468 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 152; vgl. Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Präambel Rn. 6: „Staatsziel“. 469 Vgl. Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Präambel Rn. 6, 8: „Staatsziel“.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

chenden Verfassungsauftrag umsetzend, eine „überarbeitete Verfassung“.470 Diese trat am 29.11.1995 in Kraft471 und damit an die Stelle der Verfassung aus dem Jahr 1950.472 Staatszielbestimmungen finden sich insbesondere im zweiten Abschnitt („Grundrechte, Staatsziele“),473 und zwar gemischt mit den Grundrechten.474 Im sozialen Bereich sind mehrere Staatszielbestimmungen zu vermerken. Die erste findet sich mit dem Sozialstaatsprinzip bereits im Vorspruch.475 Ebenfalls um eine Staatszielbestimmung handelt es sich bei Art. 11 S. 2 BerlVerf,476 der das Land verpflichtet, für die gleichwertigen Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung zu sorgen. Gleiches gilt für Art. 18 S. 1-3 BerlVerf: S. 1 statuiert ein „Recht auf Arbeit“, nach S. 2 ist es Aufgabe des Landes, jenes „Recht“ zu schützen und zu fördern, und gem. S. 3 trägt das Land „zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen bei und sichert [...] einen hohen Beschäftigungsstand“. Es handelt sich hierbei um die Staatszielbestimmung „Arbeit“.477 Die subjektiv-rechtliche Formulierung des Art. 18 S. 1 BerlVerf legt ___________ 470

Art. 88 Abs. 2 BerlVerf (1950) – eingefügt durch ÄGBerlVerf v. 3.9.1990 (BerlGVBl. S. 1877) – bestimmte, dass nach der Wiedervereinigung eine ausführliche Überarbeitung der Verfassung zu erfolgen habe und diese „überarbeitete Verfassung“ durch eine Volksabstimmung in Kraft zu setzen sei. 471 BerlGVBl. S. 779. – Dem Inkrafttreten ging am 22.10.1995 die Billigung durch eine Volksabstimmung voraus, vgl. Art. 101 Abs. 1 S. 1 BerlVerf. Rechtsgrundlage für diese Volksabstimmung war das „Gesetz über die Durchführung der Volksabstimmung nach Art. 88 Abs. 2 der Verfassung von Berlin v. 20.6.1995“ (BerlGVBl. S. 374). 472 Die Verfassung von Berlin (1950) – zu ihr oben unter B. II. vor 1., Fn. 195 – galt seit dem 11.1.1991 aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des Abgeordnetenhauses auch für das ehemalige Ostberlin, also für Gesamtberlin (BerlGVBl. S. 35). Durch diesen Beschluss wurde zugleich die von der Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung am 11.7.1990 beschlossene „Verfassung von Berlin“ v. 23.7.1990 außer Kraft gesetzt. Dazu Wilke, JöR 51 (2003), S. 193 (217 f.) m.w.N. 473 Hinsichtlich der Gliederung stimmt die berliner Verfassung mit ihrer Vorgängerin aus dem Jahr 1950 überein. Inhaltlich sind jedoch Unterschiede in zahlreichen Details zu verzeichnen; Aufzählung der Änderungen bei Pestalozza, LKV 1995, S. 344 (345 f.). 474 Zu den Vor- und Nachteilen einer solchen thematischen Ordnung unten in den Schlussbetrachtungen unter B. 475 Vgl. Pfennig, in: ders./Neumann, BerlVerf, Vorspruch Rn. 1. – Diese Sachaussage des Vorspruchs hat nicht lediglich programmatischen Charakter. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut („in dem Willen“). Dazu, dass die Präambel als Bestandteil der Verfassung (auch) rechtlichen Gehalt hat, wie auch dazu, dass das Sozialstaatsprinzip als Staatszielbestimmung einzuordnen ist, mit Blick auf das Grundgesetz oben unter A. 476 s. Pestalozza, LKV 1995, S. 344 (347); Will, NJ 1995, S. 626 (628); a.A. Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 11 Rn. 3: Gesetzgebungsauftrag. – Art. 11 S. 2 BerlVerf verfügt über keine Entsprechung in der Verfassung von Berlin (1950). 477 Vgl. Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 18 Rn. 2, der in Art. 18 S. 1 BerlVerf „einen Programmsatz, also ein Staatsziel“ sieht und Art. 18 S. 2 u. 3 BerlVerf

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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prima facie zwar die Einordnung als soziales Grundrecht i.e.S. nahe.478 Dies greift jedoch zu kurz; die Vorschrift hat rein objektiv-rechtlichen Gehalt.479 Weitere Zielvorgaben finden sich in Art. 22 Abs. 1 S. 1 BerlVerf,480 der das Land verpflichtet, „die soziale Sicherung zu verwirklichen“, sowie in Art. 22 Abs. 2 BerlVerf,481 demzufolge die Errichtung und Unterhaltung von Einrichtungen für soziale und karitative Zwecke staatlich zu fördern sind. Schließlich ist die Staatszielbestimmung „Wohnraum“ (Art. 28 Abs. 1 BerlVerf) zu erwähnen,482 die ähnlich jenem „Recht auf Arbeit“ strukturiert ist. Nach Abs. 1 S. 1 dieser Vorschrift hat jeder Mensch „das Recht auf angemessenen Wohnraum“, und gem. Abs. 1 S. 2 fördert das Land „die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum“.483 Die Bildung und Kultur werden ebenso durch mehrere Staatszielbestimmungen aufgegriffen. Diese finden sich allesamt in Artt. 20, 32 BerlVerf. Zunächst ist auf Art. 20 Abs. 1 BerlVerf einzugehen. Dessen S. 1 statuiert ein „Recht auf Bildung“, und nach S. 2 ermöglicht und fördert das Land den Zugang eines je___________ als „objektiven Handlungsauftrag an den Staat“ einordnet; Einordnung des Art. 18 S. 1 BerlVerf als Programmsatz auch bei BerlVerfGH LVerfGE 7, 3 (8). 478 Dementsprechend für Einordnung als Grundrecht Zivier, BerlVerf, § 35.2.3; vgl. Pestalozza, LKV 1995, S. 344 (347): Art. 18 S. 1 BerlVerf sei als Grundrecht einzuordnen, die Sätze 2-4 hingegen als Staatszielbestimmung „Arbeitsförderung“. 479 s. BerlVerfGH LVerfGE 7, 3 (8); Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 18 Rn. 2; Will, NJ 1995, S. 626 (628). – Andernfalls, wenn sich aus Art. 18 S. 1 BerlVerf also ein Anspruch auf Zuweisung einer Arbeit ableiten ließe, wäre es überflüssig, in Art. 18 S. 4 BerlVerf für den Fall der Arbeitslosigkeit einen „Anspruch auf Unterhalt aus öffentlichen Mitteln“ zu normieren, mithin also Schutz vor den Folgen von Arbeitslosigkeit in Aussicht zu stellen. Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 HessVerf (oben unter B. I. 1.). 480 s. BerlVerfGH LVerfGE 4, 62 (64); Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 22 Rn. 1; Pestalozza, LKV 1995, S. 344 (347); Will, NJ 1995, S. 626 (628); unklar Zivier, BerlVerf, § 35.2.5.3: anwendbares Recht. – Subjektive Rechte lassen sich aus Art. 22 Abs. 1 BerlVerf nicht ableiten, s. BerlVerfGH LVerfGE 4, 62 (64); Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 22 Rn. 1. Auch aus Art. 14 BerlVerf (1950), dem Vorgänger des Art. 22 Abs. 1 BerlVerf, ergaben sich keine Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen, wobei diese Vorschrift nicht als Staatszielbestimmung eingeordnet wurde, sondern als institutionelle Garantie, s. etwa Schwan, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf (2. Aufl.), Art. 14 Rn. 2. 481 A.A. (institutionelle Garantie) Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 22 Rn. 3. 482 s. Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 28 Rn. 3 f.; Brenne, Grundrechte, S. 135; Will, NJ 1995, S. 626 (628). – Vereinzelt wird Art. 28 Abs. 1 BerlVerf allerdings als bloßer Programmsatz eingeordnet; so etwa BerlVerfGH LVerfGE 4, 62 (63 f.). 483 Bei dieser Vorschrift handelt es sich trotz ihrer subjektiv-rechtlichen Formulierung um kein soziales Grundrecht i.e.S.; so aber Pestalozza, LKV 1995, S. 344 (347); offen gelassen bei BerlVerfGH LVerfGE 2, 9 (11). – Zur Argumentation vgl. die Ausführungen zu Art. 106 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.).

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

den Menschen zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen, wobei insbesondere die berufliche Erstausbildung zu fördern ist. Bei dieser Vorschrift, die in ihrer Grundstruktur dem „Recht auf Arbeit“ i. S. des Art. 18 BerlVerf ähnelt, handelt es sich um eine Staatszielbestimmung:484 Ein subjektiv-rechtlicher Anspruch (etwa auf Zugang zu bestimmten Bildungseinrichtungen oder auf deren Bereitstellung) lässt sich ihr nicht entnehmen.485 Ebenso einzuordnen ist Art. 20 Abs. 2 BerlVerf,486 demzufolge das Land das kulturelle Leben schützt und fördert. Zwei weitere Zielvorgaben finden sich in Art. 32 BerlVerf. Zum einen ist Sport „ein förderungs- und schützenswerter Teil des Lebens“ (S. 1),487 zum anderen „die Teilnahme am Sport [...] den Angehörigen aller Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen“ (S. 2).488 Auch der Umweltschutz ist (im Unterschied zum Bereich Wirtschaft und Finanzen) entsprechend geregelt. Nach Art. 31 Abs. 1 BerlVerf stehen „die Umwelt und die natürlichen Lebensgrundlagen“ unter dem besonderen Schutz des Landes.489 Eine zweite Zielvorgabe findet sich mit Art. 31 Abs. 2 BerlVerf: die Tiere sind als Lebewesen zu achten und vor vermeidbarem Leiden zu schützen.490 Dem Bereich Auswärtiges und Verteidigung widmet die Verfassung demgegenüber lediglich eine Staatszielbestimmung: die im Vorspruch enthaltene Zielvorgabe „Frieden“.491 Schließlich wird die Gleichstellung der Geschlechter aufgegriffen. Das Land ist Art. 10 Abs. 3 S. 2 BerlVerf zufolge verpflichtet, die Gleichstellung und die ___________ 484 s. Brenne, Grundrechte, S. 111. Vgl. Pestalozza, LKV 1995, S. 344 (347), der Art. 20 Abs. 1 S. 1 BerlVerf als Grundrecht und S. 2 als Staatszielbestimmung „Bildungsförderung“ einordnet; a.A. Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 20 Rn. 2 f.: Art. 20 Abs. 1 S. 1 BerlVerf gewähre eine subjektive Rechtsposition, S. 2 enthalte einen Gesetzgebungsauftrag. 485 Der Verfassunggeber wollte keinen Individualanspruch verankern. Dies macht bereits Art. 20 Abs. 1 S. 2 BerlVerf deutlich. – Für weitere Argumente vgl. die Ausführungen zu Art. 128 Abs. 1 BayVerf (oben unter B. I. 2.). 486 s. Pestalozza, LKV 1995, S. 344 (348); ebenso wohl auch Stöhr, in: Pfennig/ Neumann, BerlVerf, Art. 20 Rn. 6: Die Vorschrift enthalte „eine bloße objektivrechtliche Wertentscheidung und einen Handlungsauftrag an die berliner Träger öffentlicher Aufgaben“. 487 s. BerlVerfGH JR 1999, S. 317 (318); Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 32 Rn. 2; Stiens, Chancen, S. 250. – Die Zielvorgabe „Sportförderung“ verfügt über keine Entsprechung in der Verfassung von Berlin (1950). 488 s. Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 32 Rn. 2. – Art. 32 S. 2 BerlVerf hat keinen Vorläufer in der Verfassung von Berlin (1950). 489 Eine Einordnung als Staatszielbestimmung bejahend auch Stöhr, in: Pfennig/ Neumann, BerlVerf, Art. 31 Rn. 5. 490 s. Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 31 Rn. 5. – Art. 31 Abs. 2 BerlVerf findet keine Parallelvorgabe in der Verfassung von Berlin (1950). 491 Vgl. Pfennig, in: ders./Neumann, BerlVerf, Vorspruch Rn. 1. – Der rechtliche Gehalt dieser Sachaussage ergibt sich bereits aus ihrem Wortlaut („in dem Willen“).

B. Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen

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gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens herzustellen und zu sichern.492 Weiterhin bestimmt Art. 12 Abs. 7 S. 1 BerlVerf, dass es Frauen und Männern zu ermöglichen ist, „Kindererziehung und häusliche Pflegetätigkeit mit der Erwerbstätigkeit und der Teilnahme am öffentlichen Leben zu vereinbaren“.493

IV. Zusammenfassung

Staatszielbestimmungen finden sich in allen 16 Landesverfassungen. Gerade im sozialen Bereich haben die Länder eine Vielzahl von Staatsaufgaben als verfassungsrechtliche Zielvorgaben fixiert. Zahlreiche dieser Staatszielbestimmungen sind zwar subjektiv-rechtlich formuliert. So ist etwa die Zielvorgabe „Arbeit“ in etlichen Landesverfassungen als „Recht auf Arbeit“ gefasst. Die den Bereich Bildung regelnde Staatszielbestimmung ist sogar in keiner Landesverfassung objektiv-rechtlich formuliert.494 Die Formulierung „Recht auf [...]“ ist jedoch regelmäßig gerade nicht im juristisch-technischen Sinn zu verstehen.495 Die in den Landesverfassungen enthaltenen sozialen Grundrechte sind regelmäßig gerade nicht als Grundrechte i.e.S. einzuordnen, sondern sie haben zumeist einen rein objektiv-rechtlichen Gehalt.496 ___________ 492 s. Pestalozza, LKV 1995, S. 344 (347); Will, NJ 1995, S. 626 (627); a.A. Stöhr, in: Pfennig/Neumann, BerlVerf, Art. 10 Rn. 25: Gesetzgebungsauftrag. 493 s. etwa Pestalozza, LKV 1995, S. 344 (347); ebenso wohl Stöhr, in: Pfennig/ Neumann, BerlVerf, Art. 12 Rn. 35: Die Vorschrift enthalte „einen bindenden objektivrechtlichen Auftrag an den Gesetzgeber sowie eine verfassungsrechtliche Wertentscheidung“. – Art. 12 Abs. 7 BerlVerf verfügt über keine Entsprechung in der Verfassung von Berlin (1950). 494 In der sächsischen Verfassung wird das „Recht auf Bildung“ in Art. 7 Abs. 1 allerdings ausdrücklich als „Staatsziel“ bezeichnet; Art. 31 RhPfVerf vermeidet zumindest die Formulierung als Anspruch. 495 Um ein Novum im deutschen Verfassungsrecht handelt es sich dabei nicht: Auch die Weimarer Reichsverfassung enthielt soziale Grundrechte, die dem Einzelnen trotz subjektiv-rechtlicher Formulierung kein Recht im juristisch-technischen Sinn gewährten (dazu oben unter B. I .1. u. 2., Fn. 55, 71). Zu den aus ihnen resultierenden gesetzgeberischen Aktivitäten wie auch zu ihrer Bedeutung in der Rechtsprechung Lange, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 49 (53). 496 Das Grundgesetz enthält keine solchen sozialen Grundrechte i.w.S.: Der Herrenchiemseer Konvent sah von deren Aufnahme ab. Dies hatte seine Gründe u.a. in inhaltlichen Differenzen vor dem Hintergrund des Schicksals der Weimarer Reichsverfassung, die als erste gesamtdeutsche Verfassung (s. etwa H. H. Klein, Grundrechte, S. 65) eine Fülle entsprechender Bestimmungen enthielt, s. Anschütz, WRV, Art. 163 Anm. 3; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 112 Rn. 44 ff. – Zum Für und Wider einer verfassungsrechtlichen Verankerung sozialer Grundrechte i.w.S. finden sich im Wesentlichen die in der verfassungspolitischen Diskussion über Schaden und Nutzen von Staatszielbestimmungen vorgebrachten Argumente; vgl. unten Schlussbetrachtungen unter B.

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3. Kap.: Der Bestand an Staatszielbestimmungen

Des Weiteren wurde deutlich, dass die Landesverfassungen im Grunde dieselben Bereiche durch Staatszielbestimmungen regeln. Im Einzelnen handelt es sich um die Sachbereiche Soziales, Bildung und Kultur, Umweltschutz, Wirtschaft und Finanzen, Auswärtiges und Verteidigung sowie Gleichstellung der Geschlechter. Das Bukett der betreffenden Zielvorgaben fällt freilich in der einen Verfassung bunter und größer aus als in der anderen. Lediglich vereinzelt greifen landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen weitere Aspekte auf wie etwa „Minderheitenschutz“, „Heimat“, „Aufarbeitung der Vergangenheit“ oder „Erhalt der demokratisch verfassten Rechtsordnung“.

C. Fazit Angesichts der Vielzahl der Verfassungsänderungen im Laufe der letzten knapp zwanzig Jahre, deren Gegenstand die Aufnahme von Staatszielbestimmungen war, wie auch vor dem Hintergrund der Kränze, die in den seit der Wiedervereinigung verabschiedeten Landesverfassungen aus solchen Zielvorgaben geflochten sind, lässt sich als Ergebnis festhalten: Die Zunahme der Fixierung von Aufgaben und Zielen staatlichen Handelns als Staatszielbestimmungen entspricht einem Zug unserer Zeit.497 Gleichwohl sind nicht alle Staatszwecke und Mittel zu ihrer Erreichung als Staatszielbestimmungen verankert. Weder im Grundgesetz noch in einer der Landesverfassungen findet sich etwa eine Staatszielbestimmung „Innere Sicherheit“. Dies überrascht umso mehr, als es sich bei besagter Sicherheit um eine Ausprägung eines der wichtigsten, verpflichtend umzusetzenden Staatszwecke handelt: Sicherung des (inneren) Friedens.

___________ 497 Ähnlich Hesse, KritV 76 (1993), S. 7 (11); Kilian, in: Lilie, Recht, S. 47 (60): „Staatsziele [...] liegen im Zeitgeist“. Krit. Starck, ThürVBl. 1992, S. 10 (15 f.): Staatszielbestimmungen als „modischer und zeitgebundener Ballast“.

Zweiter Teil

Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen Zunächst wird das Instrumentarium der Mechanismen bzw. Normen der Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung im Drei-Ebenen-Modell von deutschen Ländern, Bundesrepublik Deutschland und EU/EG aufgezeigt,1 seine Anwendbarkeit auf die Staatszielbestimmungen untersucht und die jeweilige Rechtsfolge geklärt (4. Kapitel). Die Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse folgt mit der Überprüfung der normativen Bedeutung der Staatszielbestimmungen (5. Kapitel).

4. Kapitel

Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung A. Das Problem I. Grundgesetz und Gemeinschaftsrecht

Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EG nach Art. 24 (a.F.) GG bzw. EU gem. Art. 23 GG hat zum Entstehen einer eigenständigen, supranationalen Gemeinschaftsgewalt geführt.2 Die Bundesrepublik Deutschland und die EU/ EG haben demnach eine je eigene Rechtsordnung; die Rechtsordnung der EG stellt eine „autonome Rechtsquelle“ dar.3 Die mitgliedstaatliche und die Ge___________ 1 Der Arbeit liegt, darauf sei der Klarstellung halber erneut hingewiesen, keine IntraEbenen-Perspektive zugrunde; s. bereits die Einleitung unter A. 2 Dazu 1. Kap. unter A. II. 3 s. zuerst EuGHE 1964, 1251 (1269 f.) – Costa/E.N.E.L.; BVerfGE 22, 293 (296); 29, 198 (210); 31, 145 (173); 37, 271 (277); Zuleeg, in: Groeben/Schwarze, EUV/ EGV I, Art. 1 EGV Rn. 22. – Wenn auch die Reichweite dieser Autonomie nicht abschließend geklärt ist (dazu unten unter B. II. 2.), so besteht doch Einigkeit dahingehend, dass es sich bei dem EG-Recht weder um internationales noch um nationales Recht handelt: Das EG-Recht ist vielmehr „gleichsam zwischen diese Rechtsordnungen getreten“ (Graf Vitzthum, FS Badura, S. 1189 [1190]).

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

meinschaftsrechtsordnung bestehen solchermaßen getrennt von einander; sie sind aber nicht unverbunden.4 Im Gegenteil: Es besteht eine normative Verklammerung, d. h. die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und diejenige der EU/EG greifen ineinander.5 So ist auch das Grundgesetz im Zuge des fortschreitenden Prozesses der Europäischen Integration einer isolierten Betrachtung (längst) entzogen. Die europäische öffentliche Gewalt6 tritt, soweit ihr Aufgaben und Befugnisse übertragen wurden, an die Stelle der mitgliedstaatlichen.7 Infolge jener Verzahnung bedarf es der Zusammenschau von Grundgesetz und primärem sowie sekundärem Gemeinschaftsrecht.8 Andernfalls würde man dem Eingeflochtensein des Gesamtstaates Bundesrepublik Deutschland in die EU/EG nicht gerecht.9 Diese normative Verklammerung der mitgliedstaatlichen und der Gemeinschaftsrechtsordnung birgt zwangsläufig die Gefahr von Normenkollisionen.10 Im Auseinanderdriften beider Rechtsordnungen liegt eine Grundbedrohung des Staatenverbundes EU/EG;11 dem Recht eignet im Prozess der „Schaffung einer

___________ 4

s. BVerfGE 29, 198 (210); 37, 271 (277); 73, 339 (368). s. BVerfGE 29, 198 (210); 52, 197 (200); 73, 339 (367 f.); Streinz, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR VII, § 182 Rn. 6, 8; Everling, DVBl. 1993, S. 936 (943). – Das Gemeinschaftsrecht durchdringt zunehmend die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen; auf diesem Weg ist eine einheitliche Rechtsordnung am Entstehen. Gleichwohl handelt es sich bei der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten und derjenigen der EU/EG (noch) um mehrere Ordnungen, s. Oppermann u.a., Europarecht, § 10 Rn. 7 ff.; Schwind, Elemente, S. 81 ff.; a.A. v. Bogdandy/Nettesheim, NJW 1995, S. 2324 (2326 f.): eine gemeinsame Rechtsordnung; vgl. Pernice, VVDStRL 60 (2001), S. 148 (163 ff.): „Verfassungsverbund“, demzufolge Primärrecht der EU/EG und Verfassungen der Mitgliedstaaten zu einem einzigen Verbund verschmolzen sind; krit. P. Kirchhof, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 893 (904). 6 Diese ist, wie Peter Badura früh herausstellte (ders., VVDStRL 23 [1966], S. 34 [56 f.]), „einheitlich und originär“. Vgl. 1. Kap. unter A. II. 7 Dazu Badura, FS Heckel, S. 695 ff. 8 Vgl. BVerfGE 52, 197 (200); 73, 339 (367 f.); P. M. Huber, Recht, § 10 Rn. 12; Streinz, Europarecht, Rn. 193 ff.; Grabenwarter, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 283 (335 ff.). – Der Rückzug in den geschlossenen Nationalstaat ist den Mitgliedern der EU/EG „verbaut“. Dazu Grawert, FS Böckenförde, S. 125 (140); vgl. Magiera, DÖV 1998, S. 173 (183): das Gemeinschaftsrecht „als Teil der eigenen Rechtsordnung“. 9 Zu diesem Eingeflochtensein 1. Kap. unter A. II. u. A. III. 10 Vgl. BVerfGE 33, 339 (368 ff.) m.w.N. 11 Eine Reihe von Problemen wirft der Vollzug des Gemeinschaftsrechts in den verschiedenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen auf. Die Organe der EU/EG sind lediglich in Ausnahmefällen für dessen Anwendung und Ausführung zuständig; im Regelfall liegt der Vollzug des Gemeinschaftsrechts in der Hand mitgliedstaatlicher Instanzen (indirekter Vollzug des Gemeinschaftsrechts). Dazu Streinz, Europarecht, Rn. 532 ff.; spezifisch zur Rechtsetzungsbefugnis von Bund und (deutschen) Ländern bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht Grabitz, AöR 111 (1986), S. 1 ff. 5

A. Das Problem

185

immer engeren Union der Völker Europas“ (s. die Präambel des EU) eine wichtige Integrationsfunktion.12 Es muss daher als Postulat an der Widerspruchsfreiheit und Lückenlosigkeit der mitgliedstaatlichen und der Gemeinschaftsrechtsordnung festgehalten werden. Die rechtsanwendenden Organe könnten sonst Entscheidungen willkürlich treffen, und die verhaltenssteuernde Funktion der Normen liefe leer.13 Mitgliedstaatliche und Gemeinschaftsrechtsnormen, die einander im konkreten Fall widersprechen, können daher nicht zugleich Befolgung verlangen.

II. Landesverfassungen und Bundes- sowie Gemeinschaftsrecht

1. Bundesstaatliche Dimension Jede staatliche Rechtsordnung darf immer nur eine (eindeutige) Antwort auf jede aus der Lebenswirklichkeit an sie herangetragene Fragestellung haben. Andernfalls wäre weder die Steuerungsfähigkeit des Rechtssystems zu erhalten noch dem Gebot der Rechtssicherheit hinreichend Rechnung zu tragen. Dieses Prinzip der Einheit der Rechtsordnung ist im unitarischen Staatsaufbau ebenso wie im Bundesstaat vorausgesetzt. Die Forderung nach Widerspruchsfreiheit und Lückenlosigkeit ist jedem Rechtssystem immanent.14 Mit Blick auf den Bundesstaat ist die Beachtung jenes Prinzips von besonderer Dringlichkeit. In ihm sind beide staatlichen Ebenen der Rechtsetzung (jedenfalls grundsätzlich) teilweise omnipotent ausgestaltet, und dies vervielfacht die Gefahr einer Normenkollision oder eines Wertungswiderspruchs zwischen Bundes- und Landesrecht. Es muss daher nicht nur für beide staatlichen Ebenen geregelt sein, welcher Bestimmung Anwendungs- oder gar Geltungsvorrang zukommt.15 Einander im konkreten Fall widersprechende Bundes- und Landes___________ 12 So auch die Bewertung von Everling, in: Weidenfeld, Identität, S. 152 (164), der die Doppelnatur des Rechts als „Motiv und Gegenstand“ wie auch als „Rahmen und Instrument der Integration“ analysiert. Zur Bewertung der daraus resultierenden Integrationsaufgabe des Europäischen Gerichtshofs etwa Sander, Gerichtshof, S. 108 f. m.w.N. 13 Zu den verschiedenen Zielrichtungen des Postulats nach Widerspruchsfreiheit und Lückenlosigkeit der Rechtsordnung etwa Felix, Einheit, S. 132. 14 Zur logischen Begründung dieses Postulats Kelsen, Grundlagen, S. 27 f.; vgl. dens., Rechtslehre, S. 209 ff.: „Einheit der Rechtsordnung“ als Postulat der Erkenntnis, die darauf ziele, ihren Gegenstand als sinnvolles Ganzes zu begreifen. Zur Begründung der Forderung nach Widerspruchsfreiheit und Lückenlosigkeit auch Engisch, Einheit, S. 54 f.; ausführlich ders., Einführung, S. 201 ff. m.w.N. – Zum Ganzen Baldus, Einheit, S. 132 ff. 15 Bei Widersprüchen auf derselben Rechtsetzungsebene (Bund bzw. Land) sind zwecks Umsetzung der Forderung nach Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung die bekannten (ungeschriebenen) Derogationsregeln der lex specialis, lex posterior und der lex superior zum Ansatz zu bringen. Dazu Heckmann, Geltungskraft, S. 157 ff., und Dreier,

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

normen können nicht zugleich Befolgung verlangen: Auf beiden staatlichen Ebenen existiert (nur) eine Rechtsordnung,16 die Länder sind dem Gesamtstaat zu- bzw. in ihn eingeordnet.17 An der Widerspruchsfreiheit und Lückenlosigkeit der diese eine Rechtsordnung beschreibenden Sätze muss daher als Postulat festgehalten werden. Neben dem äußeren Zerfall stellt das Auseinanderdriften der verfassungsmäßigen Ordnung auf jenen zwei Ebenen eine Grundbedrohung des föderativ verfassten Staates dar. Die Landesverfassunggebung bewegt sich nach alldem notwendig im Spannungsfeld zwischen Eigenstaatlichkeit und Verfassungshoheit der Länder auf der einen Seite und dem Postulat der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung im Bundesstaat auf der anderen.18 Neben dem Grundsatz der getrennten Verfassungsräume ist das im Grundgesetz verankerte „föderative Verfassungsgeflecht“19 denn auch durch ein begrenztes Zusammenspiel von Normen des Grundgesetzes und solchen der gliedstaatlichen Verfassungen gekennzeichnet.20 Die Verfassungsräume des Bundes und der Länder stehen selbstständig, aber eben nicht isoliert und unverbunden nebeneinander.

___________ in: Schmidt, Vielfalt, S. 113 (114 ff.); beide m.w.N. – Im Fall des Widerspruchs zwischen Bundes- und Landesrecht finden die leges-Regeln grundsätzlich keine Anwendung, vgl. Dreier, ebd., S. 118 f.: Es fehlt an der Identität der Rechtsetzungsautoritäten bzw. an der aus einer „Grundnorm“ abgeleiteten einheitlichen Rechtsordnung. Bundesund Landesrecht bilden nur Teilrechtsordnungen der Gesamtrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland; dazu März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 17 m.w.N. Eine Ausnahme greift gem. Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG ausdrücklich im Verhältnis von Bundes- und abweichendem Landesrecht: Anwendung des lex-posterior-Satzes; dazu im Einzelnen unten unter B. III. 1. a) aa). 16 Für die Rechtsanwendung kann es daher immer nur eine zu vollziehende Rechtsordnung geben, vgl. v. Olshausen, AöR 91 (1966), S. 561 (563 f.); Wagner, AöR 89 (1964), S. 212 (235 f.). 17 Dazu 1. Kap. unter A. I. 18 s. Stern, Staatsrecht I, S. 705; v. Mutius, in: Henning, Rechtswissenschaft, S. 17 (29). 19 Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 7. 20 Der konkrete gliedstaatliche Verfassungsstatus im Bundesgefüge ergibt sich erst aus beiden „Verfassungsschichten“, s. Grawert, NJW 1987, S. 2329 (2331); vgl. Wahl, AöR 112 (1987), S. 26 (33): „Die ‚Gesamtverfassung’ des Bundesstaates besteht aus Bundes- und Landesverfassungen zusammen.“ – Die „Rechtsgrundlage der heutigen Verfassungszustände“ (Nawiasky, BayVerfR, S. 67) wird nur kenntlich im Zuge einer Gesamtschau auf Bundes- und Landesverfassungsrecht, weshalb eine „Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland“ und „Grundgesetz“ gleichsetzende Systematik fehlginge (s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 [1988], S. 7 [12]). Im Bundesstaat des Grundgesetzes ist das Verfassungsrecht Recht bzw. Aufgabe des Bundes und der Länder, vgl. BVerfGE 36, 342 (360 ff.); Eichenberger, FS H. Huber, S. 155 (164, 169).

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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2. Gemeinschaftsrechtliche Dimension Die Verklammerung des Gemeinschaftsrechts mit den Rechtsordnungen ihrer Mitgliedstaaten birgt zwangsläufig die Gefahr von Normenkollisionen.21 Um ein Auseinanderdriften von mitgliedstaatlichem und Gemeinschaftsrecht zu vermeiden, ist daher das Postulat ihrer Widerspruchsfreiheit unabdingbar. Dies gilt unabhängig von der mitgliedstaatlichen Verfassungsstruktur. Anders gewendet: Es kommt nicht darauf an, ob es sich bei jenem mitgliedstaatlichen Recht um solches der gliedstaatlichen Ebene handelt oder um Vorschriften der gesamtstaatlichen. Landesrecht und Normen des Gemeinschaftsrechts, die einander im konkreten Fall widersprechen, können nicht zugleich Befolgung verlangen;22 auch in diesem Verhältnis muss klar sein, welche Bestimmung letztlich maßgeblich ist.

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung Zwecks näherer Systematisierung des prima vista unübersichtlich und kompliziert wirkenden Gefüges verschiedener Kollisionsnormen und Kollisionsmechanismen ist zwischen Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung zu differenzieren. Im Anschluss daran werden die einzelnen Normen bzw. Mechanismen, welche die Widerspruchsfreiheit von Bundes- und Gemeinschaftsrecht aus Inter-Ebenen-Sicht garantieren, umrissen. Es folgt die entsprechende Erörterung mit Blick auf das Landesrecht auf der einen und Bundes- sowie Gemeinschaftsrecht auf der anderen Seite.

I. Rangordnung von Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

Ein Verstoß gegen kollisionsvermeidende Normen bzw. Mechanismen hat zur Folge, dass kein wirksames Recht entsteht. In einer solchen Konstellation werden Kollisionen bereits im Vorfeld eines Normenkonflikts vermieden, so dass es keiner Kollisionsentscheidung bedarf.23 Haben die Mechanismen der Kollisionsvermeidung Erfolg, ist eine Norm bereits nicht kompetenzgemäß zustande gekommen, und folglich fehlt es an einer Kollisionslage. Mit Blick auf das Verhältnis von Bundes- und Gemeinschaftsrecht resultiert aus dieser Differenzierung, dass dem Konfliktpotential, das sich zwangsläufig ___________ 21

Dazu oben unter A. I. Insoweit kann nichts anderes gelten als beim Widerspruch zwischen bundesrechtlichen Vorschriften und solchen des Gemeinschaftsrechts. Dazu oben A. I. 23 s. F. Kirchhof, Rechtsetzung, S. 487 ff.; März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 23. 22

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

aus dem Nebeneinander der mitgliedstaatlichen und der Gemeinschaftsrechtsordnung ergibt, zunächst durch Mechanismen der Kollisionsvermeidung zu begegnen ist. Mechanismen der Kollisionsentscheidung kommen allenfalls im Nachgang zum Zug. Gleiches gilt für das Verhältnis von Landesrecht und Bundes- bzw. Gemeinschaftsrecht. Ein Verstoß gegen die Kollisionsvermeidungsnormen des Grundgesetzes hat zur Folge, dass weder wirksames Landesrecht noch wirksames Bundesrecht entsteht. In einer solchen Konstellation ist eine Normenkollision ausgeschlossen. Ein Normenkonflikt ist lediglich dann möglich, wenn sich wirksam zustande gekommenes Bundes- und Landesrecht gegenüber stehen. Greifen also die Kollisionsvermeidungsnormen des Grundgesetzes, fehlt es an einer Kollisionslage, so dass es keiner bundesstaatlichen Kollisionsentscheidung bedarf. Anders gewendet: Die Rangfrage stellt sich erst, wenn im Falle eines inhaltlichen Widerspruchs Landesnorm und bundesrechtliche Vorschrift kompetenzgemäß zustande gekommen sind. In einer solchen Konstellation dürfen weder beide Normen unanwendbar sein,24 noch darf es im Belieben des Rechtsanwenders stehen, welche der kollidierenden Vorschriften er anwendet. Die Widerspruchsfreiheit der einen Rechtsordnung im Bundesstaat wird dann durch eine (notwendigerweise auf gesamtstaatlicher Ebene verankerte)25 Kollisionsentscheidungsregel gesichert.26

___________ 24

Sog. „Kollisionslücke“; dazu Engisch, Einführung, S. 159 m.w.N. in Anm. 204 a (S. 267). – Insoweit lassen sich auch auf das Aufeinandertreffen von Völkerrecht und einzelstaatlicher Ordnung bezogene normtheoretische Erkenntnisse Kelsens (ders., Rechtslehre, S. 136 ff.) fruchtbar machen. Zu Kelsens Staatlichkeitsvorstellung Pauly, Weisungen, S. 71. 25 Dazu mit Blick auf die Weimarer Reichsverfassung Hensel, in: Anschütz/Thoma, HdbDStR II, § 84, S. 313 ff. – Keine Landesverfassung vermag ihren Geltungsanspruch selbst zurückzunehmen: Die Voraussetzungen für die Geltung ihrer Normen im Kraftfeld des Grundgesetzes kann sie nicht selbst regeln. So hilft auch Art. 2 Abs. 5 BbgVerf, demzufolge die Bestimmungen des Grundgesetzes denen der Landesverfassung vorgehen und die Gesetzgebung „an Bundesrecht und Landesverfassung“ gebunden ist (die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung hingegen „an Gesetz und Recht“), keinesfalls über einen Verstoß gegen Bundesrecht hinweg. Ebenso Sachs, LKV 1993, S. 241 (244); Scholz, in: Rüttgers/Oswald, Zukunft, S. 15 (19); a.A. D. Franke/Kneifel-Haverkamp, JöR 42 (1994), S. 111 (140 f., 147); krit. Wittreck, DVBl. 2000, S. 1492 (1494): „Demutsformel“. 26 Vgl. Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (122).

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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II. Mechanismen im Verhältnis von Bundes- und Gemeinschaftsrecht

1. Kollisionsvermeidung Zur Wahrung der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnungen im Staatenverbund EU/EG hält die Gemeinschaftsrechtsordnung ein ganzes Arsenal an Mechanismen bzw. Normen der Kollisionsvermeidung bereit. Von Bedeutung ist zunächst der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EG [Artt. 3 Abs. 6, 5 Abs. 1, 2 EUzF]). Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz besagt, dass die EG grundsätzlich lediglich dann zur Rechtsetzung befugt ist, wenn sich in den Verträgen eine ausdrückliche Ermächtigung hierfür findet.27 Die Gemeinschaftsgewalt ist inhaltlich beschränkt, ihre Rechtsetzungskompetenz nicht umfassend. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (also das Fehlen einer entsprechenden Ermächtigung) hat die Nichtigkeit des betreffenden Gemeinschaftsrechtsakts zur Folge.28 Als kollisionsvermeidend einzuordnen ist auch das Subsidiaritätsprinzip, Art. 5 Abs. 2 EG (Art. 5 Abs. 3 EUzF).29 Diese Kompetenzausübungsschranke lässt die Kompetenzzuordnung in ihrer Substanz unberührt, modifiziert bzw. begrenzt aber die Voraussetzungen, unter denen die Gemeinschaftsorgane von ihren Kompetenzen Gebrauch machen können.30 Im Einzelnen besagt das Subsidiaritätsprinzip, dass die Gemeinschaft in Bereichen, für die sie nicht ausschließlich zuständig ist, lediglich dann tätig werden darf, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht ausreichend und daher „wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können“, s. Art. 5 Abs. 2 EG (vgl. ___________ 27

Dazu bereits 1. Kap. unter A. II. s. Bleckmann, Europarecht, Rn. 380 ff.; P. M. Huber, Recht, § 16 Rn. 6; Borries, FS Everling I, S. 127 (132); vgl. Nettesheim, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 415 (430 ff.). – Die Handhabung jenes Grundsatzes ist durch eine recht großzügige Praxis gekennzeichnet. Zu Ursachen P. M. Huber, Recht, § 16 Rn. 8 ff.; vgl. v. Bogdandy/Bast, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Art. 5 EGV Rn. 21 f. 29 Isensee, FS Stern, S. 1239 (1266 ff.). 30 Dazu P. M. Huber, Recht, § 16 Rn. 23 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 166. – Im „Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ (Subsidiaritätsprotokoll) zum Amsterdamer Vertrag hat der Vertragsgeber in insgesamt 13 Ziffern niedergelegt, wie die EG-Organe der kompetenzlimitierenden Funktion des Subsidiaritätsprinzips bei der Rechtsetzung Rechnung zu tragen haben. Der Vertrag von Lissabon erweitert die Kontrollrechte der nationalen Parlamente, ob jenes Prinzip gewahrt ist, durch ein Rügeverfahren (Art. 12 lit. b] EUzF i.V.m. Artt. 6 f. des Subsidiaritätsprotokolls z.F.); dazu Haratsch u.a., Europarecht, Rn. 62 d-f.; Lenz/ Borchardt, EU-Verträge, S. 22 f.; im Einzelnen zur Einbeziehung der nationalen Parlamente durch den Vertrag von Lissabon Schwarze, in: ders., EU, Einführung Rn. 34 ff.; Ohler, in: Streinz u.a., Lissabon, § 5 S. 60 ff. 28

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Art. 5 Abs. 3 EUzF).31 Sind diese Anforderungen an eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift nicht erfüllt, entsteht – trotz Vorliegen einer Kompetenzgrundlage – kein wirksames Gemeinschaftsrecht.32 Neben jenem Subsidiaritätsprinzip stellt der in Art. 10 EG (Art. 4 Abs. 3 EUzF) verankerte Grundsatz der Gemeinschaftstreue eine weitere Kompetenzausübungsschranke dar. Auch er modifiziert die Voraussetzungen, unter denen bestehende Kompetenzen ausgeübt werden können: Er verpflichtet die Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit mit der EG. Gleiches gilt umgekehrt für diese gegenüber ihren Mitgliedstaaten.33 Kollisionsvermeidend wirkt schließlich auch die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung. Dieser Auslegungsgrundsatz verlangt, das mitgliedstaatliche Recht „gleichsam durch die Brille des Gemeinschaftsrechts hindurch [zu] lesen und ggf. Ersteres im Sinne des Letzteren [zu] interpretieren“.34 Es ist jeweils ___________ 31 Aufgrund der in Art. 5 Abs. 2 EG (Art. 5 Abs. 3 EUzF) enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe ist das Subsidiaritätsprinzip kaum konturenscharf; dementsprechend krit. der überwiegende Teil des Schrifttums, s. Classen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 23 Rn. 46; P. M. Huber, Recht, § 16 Rn. 31; Battis, in: ders./Tsatsos/Stefanou, Integration, S. 81 (112); vgl. Konow, DÖV 1993, S. 405 (405); dens., DÖV 1996, S. 845 (849); zum Ganzen Pieper, Subsidiarität. – Wirksamen Schutz gegen ausufernde zentralistische Tendenzen in der EU/EG bietet jenes Prinzip auch insoweit nicht, als die Option der mitgliedstaatlichen Regelung ebenso wie die einer solchen auf Gemeinschaftsebene Stärken und Schwächen aufweist. Zudem wird die erforderliche Abwägung (gerade auch vor dem Hintergrund der politischen Frage, auf welcher Ebene eine inhaltlich akzeptable Lösung eher zu erwarten ist) wohl kaum zu einem eindeutigen Ergebnis führen. 32 Gleichwohl hat das Subsidiaritätsprinzip in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bislang kaum Bedeutung erlangt. Wie sich das Klagerecht des Ausschusses der Regionen auswirkt, das der Vertrag von Lissabon einführt (s. Art. 263 Abs. 3 AEU i.V.m. Art. 8 des Subsidiaritätsprotokolls z.F.), bleibt abzuwarten. Gleiches gilt hinsichtlich der Rechte von Bundestag und Bundesrat bei der Subsidiaritätskontrolle; das betreffende (noch nicht ausgefertigte) „Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union“ wird derzeit komplett neu gefasst, nachdem das Bundesverfassungsgericht es insoweit für verfassungswidrig erklärt hat, als Bundestag und Bundesrat bei Änderungen des europäischen Vertragsrechts durch Art. 1, § 4 keine hinreichenden Beteiligungsrechte eingeräumt sind (s. BVerfG NJW 2009, S. 2267 ff.). – So oder so, der integrationsbedingte Bedeutungsverlust der deutschen Länder dürfte allenfalls durch weitergehende Beteiligungsrechte auf Ebene der EU/EG zu kompensieren sein; dazu Hahn, in: Melchert u.a., Europa, S. 619 (626 ff.). 33 s. EuGHE 1983, 255 (287); 1989, 3677 (3706); 1990-I, 3365 Rn. 17 ff.; Zuleeg, in: Groeben/Schwarze, EUV/EGV I, Art. 10 EGV Rn. 2 ff., 11; v. Bogdandy, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Art. 10 EGV Rn. 6 ff.; Commichau, Verfassungsrecht, S. 67 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 159 ff. – Die Anlehnung an den aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannten Grundsatz der Bundestreue (zu ihm unten unter B. III. 1. b] aa]) ist offensichtlich; vgl. Zuleeg, NJW 2000, S. 2846 (2846 f.). 34 Brenner, Gestaltungsauftrag, S. 93. – Die effiziente Umsetzung des Gemeinschaftsrechts bedingt, dass dieses auch dann auf mitgliedstaatliches Recht durchschlägt, wenn es an einem ausdrücklichen, unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechtsakt

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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diejenige Auslegungsvariante zu wählen, die mit den Wertungen des Gemeinschaftsrechts am weitesten übereinstimmt. Zur Anwendung kommt jene Auslegung immer dann, wenn die Interpretation mitgliedstaatlichen Rechts im Sinne gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben in Rede steht,35 d. h. sie umfasst das gesamte mitgliedstaatliche Recht.36 Lässt sich eine mitgliedstaatliche Norm gemeinschaftsrechtskonform auslegen, steht sie (letztlich) in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht. Mangels Widerspruchs bedarf es dann keiner Kollisionsentscheidung. Eine Kollisionsentscheidung ist ebenso wenig erforderlich, wenn sich das mitgliedstaatliche Recht gemeinschaftsrechtskonform fortbilden lässt.37 Um keine Kollisionsvermeidungsnormen handelt es sich hingegen bei den Kompetenzverteilungsvorschriften des EU und des EG. Der Grund hierfür liegt nicht darin, dass die Kompetenzzuweisung insoweit final (also nicht gegenständlich) erfolgt.38 Maßgeblich ist vielmehr, dass die regelungsfähigen Lebenssachverhalte den beiden Ebenen EU/EG und Bundesrepublik Deutschland nicht im Sinne eines strikten Entweder-Oder zugewiesen sind. Normenkollisionen ___________ fehlt oder an einem eindeutigen (gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umsetzenden) mitgliedstaatlichen Gesetz: Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung geht über den Bereich unmittelbar anwendbarer Gemeinschaftsnormen hinaus. Dazu Jarass, Grundfragen, S. 89 ff.; Zuleeg, VVDStRL 53 (1994), S. 154 (165 ff.). 35 s. Jarass, Grundfragen, S. 89 ff. 36 s. Zuleeg, in: Groeben/Schwarze, EUV/EGV I, Art. 1 EGV Rn. 27; Nettesheim, AöR 119 (1994), S. 261 (275 ff.); mit Blick auf den Spezialfall der richtlinienkonformen Auslegung Jarass, EuR 26 (1991), S. 211 (220); zum Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die mitgliedstaatliche Rechtsordnung mittels des Normauslegungsprinzips „richtlinienkonforme Auslegung“ Di Fabio, NJW 1990, S. 947 ff. 37 Dazu Zuleeg, VVDStRL 53 (1994), S. 154 (165 ff.). Die gemeinschaftsrechtskonforme Fortbildung mitgliedstaatlichen Rechts hat der Europäische Gerichtshof zunächst für das Arbeitsrecht anerkannt, s. etwa EuGHE 1984, 1891 (1909); 1986, 1651 (1690); sie findet freilich auch in anderen Bereichen (s. bspw. für das Verwaltungsrecht EuGHE 1988, 4655 [4662]) Anwendung. – Zur Abgrenzung der gemeinschaftsrechtskonformen Fortbildung von gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung mitgliedstaatlichen Rechts Nettesheim, AöR 119 (1994), S. 261 (263 ff.). 38 Das Primärrecht kennt keine sachgebietsbezogenen Kompetenzverteilungsvorschriften, sondern (lediglich) Ziele „von einer nahezu grenzenlosen programmatischen Bandbreite“ (P. M. Huber, Recht, § 16 Rn. 3), die der EU/EG durch Art. 2 EU (Art. 3 EUzF) und Art. 2 EG (wiederum Art. 3 EUzF) vorgegeben sind. Zu diesen Zielvorgaben zählt die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts ebenso wie die Verbesserung der Umweltqualität und der wirtschaftliche Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten; dazu etwa P. M. Huber, VVDStRL 60 (2001), S. 194 (205); Steinberg, ZRP 1999, S. 365 (370 f.). – Zu bedeutenden Änderungen kommt es hier mit dem Vertrag von Lissabon, der die Kompetenzabgrenzung zwischen EU und Mitgliedstaaten präzisiert: Er unterscheidet die ausschließliche Zuständigkeit der Union (Artt. 2 Abs. 1, 3 AEU), die zwischen Mitgliedstaaten und EU geteilte Zuständigkeit (Artt. 2 Abs. 2, 4 AEU), die unterstützende Zuständigkeit der Union (Artt. 2 Abs. 5, 6 AEU) sowie deren Zuständigkeit für die Koordinierung der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitiken der Mitgliedstaaten (Artt. 2 Abs. 3, 5 AEU), und ordnet diesen Kompetenzkategorien jeweils enumerativ bestimmte Sachbereiche zu.

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

wären lediglich dann ausgeschlossen, wenn jene Kompetenzvorschriften die Normierung eindeutig der Ebene der Gemeinschaft oder derjenigen der Mitgliedstaaten zuweisen würden. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass das Primärrecht etwa den Begriff „ausschließliche Zuständigkeit“ der Gemeinschaft kennt.39 Die primärrechtlichen Kompetenznormen bezeichnen (lediglich) die Bereiche, in denen die Gemeinschaft sekundärrechtlich tätig werden kann; den Mitgliedstaaten weisen sie keine Kompetenzen zu.40 Auch wenn und soweit die Gemeinschaft über eine Zuständigkeit verfügt, sind die Mitgliedstaaten daher rechtlich gesehen (theoretisch) grundsätzlich zur Regelung befugt: Sie bleiben etwa auch dort zuständig, wo die EU/EG über ausschließliche Kompetenzen verfügt,41 d. h. mitgliedstaatliche Rechtsakte in den betreffenden Lebensbereichen sind nicht ultra vires ergangen. Dies korrespondiert dem Umstand, dass es sich bei der EU/EG (noch) um keinen Bundesstaat handelt, dessen mitgliedstaatliche Ebene ihre rechtliche Grundlage in den primärrechtlichen Regelungen fände,42 sondern um einen Staatenverbund.43 Dieser ist u.a. durch die Eigenständigkeit des mitgliedstaatlichen Verfassungsraums gekennzeichnet. Faktisch gesehen können die Mitgliedstaaten von den betreffenden Kompetenzen freilich keinen Gebrauch machen, da dies eine Vertragsverletzung darstellte.44 ___________ 39 Der Terminus „ausschließliche Zuständigkeit“ hat bereits „vor Lissabon“ Eingang in das Primärrecht gefunden mit Art. 5 Abs. 2 EG (Art. 5 Abs. 3 EUzF), der Begriff „ausschließliches Recht“ mit Art. 106 Abs. 1 EG (Art. 128 Abs. 2 AEU). 40 Zu dieser Eindimensionalität der primärrechtlichen Kompetenzzuweisung Nettesheim, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 415 (432 f.). 41 Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Zuständigkeitskategorien der EU/EG ist dem Gemeinschaftsrecht „vor Lissabon“ an sich fremd. Gleichwohl ist sie als Erkenntnisbehelf sinnvoll, um die wenig strukturierte und diffuse Kompetenzverteilung besser zu verstehen, s. Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 5 EGV Rn. 15 m.w.N.; zu den im deutschen Schrifttum anerkannten gemeinschaftsrechtlichen Kompetenztypen etwa Streinz, Europarecht, Rn. 147 ff. – Zu den Zuständigkeitskategorien, die der Vertrag von Lissabon für die Kompetenzen der EU einführt, soeben unter B. II. 1., Fn. 38. 42 Selbst wenn die EU/EG als Bundesstaat einzuordnen wäre, hieße dies nicht notwendigerweise, dass die Kompetenz der Mitgliedstaaten beschränkt wäre, in ihre Verfassungen solche Normen aufzunehmen, für deren einfachgesetzliche Regelung sie keine Kompetenz hätten. Dem Postulat der Widerspruchsfreiheit der (dann gemeinsamen) Rechtsordnung ließe sich hinreichend Rechnung tragen, auch ohne auf der Verfassungsebene der Mitgliedstaaten bestimmte Normtypen oder -inhalte kompetenzrechtlich auszuschließen: Es bliebe etwa der Rückgriff auf das Institut des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts (näher zu diesem Kollisionsentscheidungsmechanismus unten unter C. II.). 43 Dazu 1. Kap. unter A. II. u. A. III. 44 s. Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 5 EGV Rn. 18; P. M. Huber, Recht, § 16 Rn. 35; Nettesheim, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 415 (446). – Wenn die Gemeinschaft von ihren Kompetenzen durch in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltende Regelungen (etwa Verordnungen, Art. 249 Abs. 2 EG [Art. 288 Abs. 2 AEU]) Gebrauch gemacht hat, laufen die entsprechenden Bundes- bzw. Landesgesetzgebungskompetenzen faktisch ganz oder teilweise leer. Dazu Rozek, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 70 Rn. 10.

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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2. Kollisionsentscheidung Ist sowohl das Bundes- wie auch das Gemeinschaftsrecht kompetenzgemäß zustande gekommen, stehen sich zwei einander potentiell inhaltlich widersprechende Normen gegenüber. Liegt tatsächlich eine Normenkollision vor, bedarf es einer Kollisionsentscheidung. In einer solchen Konstellation muss sich – hier besteht weitgehend Einigkeit – mit dem Gemeinschaftsrecht grundsätzlich die supranationale Norm durchsetzen.45 Die Integration der Rechtsordnungen ist zwar nicht in erster Linie auf Verdrängung ausgelegt, sondern auf gegenseitige Annäherung und Verständigung.46 In letzter Konsequenz führt an den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts aber kein Weg vorbei. Andernfalls wäre die Herstellung eines europäischen Rechtsraumes ebenso ausgeschlossen wie die Erreichung des effet utile, also des Grundsatzes, dass die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht gefährdet werden darf.47 Gemeinschaftsrechtliche Normen sind daher nach einhelliger Auffassung grundsätzlich mit Vorrang gegenüber den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ausgestattet.48 Unbeschadet dessen, dass die dogmatische Begründung für die ___________ 45

s. P. M. Huber, Recht, § 9 Rn. 2 f. Der Prozess der Rechtsvereinheitlichung stellt sich (zumindest partiell) als „Zweibahnstraße“ dar. Er ist gekennzeichnet von einem Gegenstromprinzip, welches das Schichtengefüge von mitgliedstaatlicher und Gemeinschaftsrechtsordnung durchdringt: Die Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts beeinflusst die mitgliedstaatliche Rechtsordnung, und umgekehrt beeinflussen mitgliedstaatliche Rechtsvorstellungen die Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts. So hat etwa der Europäische Gerichtshof bei der Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts schon mehrfach auf die mitgliedstaatlichen Verfassungen zurückgegriffen, insbesondere auf die mitgliedstaatlichen Grundrechte; dazu Commichau, Verfassungsrecht, S. 70 ff.; Schwarze, FS Carstens I, S. 259 (261); allg. zur Konkordanz von Grundgesetz und Gemeinschaftsrecht Battis, in: ders./ Tsatsos/Stefanou, Integration, S. 81 (96); vgl. Schwarze, JZ 1993, S. 585 (591). – Auch das mitgliedstaatliche Verwaltungsrecht ist als Rechtserkenntnisquelle für Regelungen auf der Gemeinschaftsebene von Interesse, s. Streinz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 182 Rn. 8; Schwarze, Verwaltungsrecht, S. 90 ff.; bereits Bachof, VVDStRL 30 (1972), S. 193 (236). 47 Dieser vom Europäischen Gerichtshof entwickelte Grundsatz, der seine Basis in Art. 10 EG (Art. 4 Abs. 3 EUzF) findet, besagt, dass die Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungen nicht umgehen und die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts nicht praktisch unmöglich machen dürfen (Umgehungs- bzw. Vereitelungsverbot), indem sie sich auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände ihrer Rechtsordnung berufen; näher EuGHE 1983, 2633 (2666 Rn. 22); Zuleeg, in: Groeben/Schwarze, EUV/ EGV I, Art. 1 EGV Rn. 33, Art. 10 EGV Rn. 6; vgl. v. Bogdandy, in: Grabitz u.a., EUV/ EGV I, Art. 10 EGV Rn. 33, 46 ff.; Commichau, Verfassungsrecht, S. 67 ff. – Positiv gewendet verlangt der effet utile, dass das Gemeinschaftsrecht auch bei mitgliedstaatlichem Vollzug zu optimaler Wirksamkeit gebracht werden muss (Optimierungsgebot); dazu Jarass, Grundfragen, S. 98 ff.; Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (931); zur Rechtsprechungsentwicklung Streinz, FS Everling II, S. 1491 ff. 48 s. EuGHE 1964, 1251 (1269 f.); 1978, 629 (644); 1991-I, 6079 (6102); BVerfGE 31, 145 (174); 73, 339 (375); 75, 223 (244); 85, 191 (204); 89, 155 (198); 92, 203 46

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Autonomie des Gemeinschaftsrechts divergiert,49 gehen primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht mitgliedstaatlichem Recht grundsätzlich vor. Dieses Institut des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts befördert die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen.50 Die Tatsache, dass sich gemeinschaftsrechtliche Vorschriften in dieser Weise durchsetzen, führt zur Harmonisierung des mitgliedstaatlichen materiellen Rechts ebenso wie des Prozess- und Verfahrensrechts: Zunehmend bilden sich europäische Rechtsstandards und Rechtsstrukturen heraus.51 Den Vorrang des Gemeinschaftsrechts allein unter dem Blickwinkel des Konflikts zweier getrennter, wenn auch zunehmend verzahnter Rechtsordnungen zu betrachten, hieße allerdings, die Reziprozität der Beeinflussung von mitgliedstaatlichem und Gemeinschaftsrecht zu verkennen.52

___________ (227); v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Altbd. I, Art. 1 EGV Rn. 33 f.; Nettesheim, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Art. 249 EGV Rn. 37 ff.; Streinz, in: ders., EUV/ EGV, Art. 5 EGV Rn. 20; Jarass, Grundfragen, S. 67 ff.; a.A. Isensee, FS Stern, S. 1239 (1241): „Grunddissens“. 49 Dazu im Einzelnen unten unter C. II. 2. a). 50 s. Schmidt-Aßmann, FS Lerche, S. 513 (514). 51 Freilich handelt es sich bei dem harmonisierten „Europäischen Rechtsraum“, d. h. der Einbindung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in ein europäisches Gesamt, um ein Fernziel. Der Prozess der Homogenisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen mit der Rechtsordnung der Gemeinschaft wird in absehbarer Zeit nicht abgeschlossen sein. 52 Während ursprünglich etwa aus den mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen die Impulse kamen, die im Zuge der Rspr. des Europäischen Gerichtshofs zu einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsätzen führten (vgl. Brenner, Gestaltungsauftrag, S. 123 f.; Sommermann, DVBl. 1996, S. 889 [898]), prägt nun das Gemeinschaftsrecht seinerseits das mitgliedstaatliche Recht, indem es bspw. Maßstäbe setzt, derenthalben sich die mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen inzwischen vielfach Rechtfertigungszwängen gegenübersehen. Zu entsprechenden Anstößen für eine dogmatische Weiterentwicklung des mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechts P. M. Huber, Recht, § 25 Rn. 13 m.w.N.; Janssen, FS Böckenförde, S. 145 (146 ff.); Sommermann, in: Schwarze, Bestand und Perspektiven, S. 181 ff.; zu wechselseitigen Einwirkungen von deutschem und EG-Verwaltungsrecht Everling, NVwZ 1987, S. 1 ff.; Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S. 202 ff.; Schwarze, in: ders., Bestand und Perspektiven, S. 11 (26 ff.); vgl. Hatje, in: Schwarze, Bestand und Perspektiven, S. 223 ff. (spezifisch zu Rechtssicherheit und Vertrauensschutz).

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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III. Mechanismen im Verhältnis von Landesrecht und Bundes-/Gemeinschaftsrecht

1. Bundesstaatliche Dimension a) Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes als Kollisionsvermeidungsnormen Um kollisionsvermeidende Normen handelt es sich bei den Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes.53 Diese Regelungen treten nicht von außen an eine Allzuständigkeit der Länder heran; die Zuordnung der jeweiligen Befugnisse ist für die Länder vielmehr konstitutiv. Kompetenzwidriges Landesrecht ist daher ultra vires ergangen und folglich ex tunc nichtig.54 Es bemisst sich allein nach bundesrechtlichen Vorgaben, ob Landesrecht gegen eine Kompetenzvorschrift des Grundgesetzes verstößt oder nicht.55 Für eine bundesrechtskonforme (genauer: eine kompetenzverteilungskonforme) Auslegung vermeintlich kompetenzwidrigen Landesrechts ist kein Raum.56 Die Frage wiederum, ob Landesrecht gegen die Kompetenzverteilung verstößt, lässt sich nur von gesamtstaatlicher Warte aus beantworten.57 Um eine positive Kompetenznorm handelt es sich, wenn sie selbst eine Kompetenz verleiht. Negative Kompetenznormen sind demgegenüber Bestimmungen, die Kompetenzen begrenzen.

aa) Artt. 70 ff. als positive Kompetenznormen Nach der Grundregel des Art. 70 GG, der Art. 30 GG für den Bereich der Gesetzgebung konkretisiert, haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, wenn und soweit nicht das Grundgesetz dem Bund eigens die Zuständigkeit ver-

___________ 53

Dazu grundlegend März, Bundesrecht, S. 170 ff.; ders., in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 21 ff. m.w.N. – Die Gegenauffassung muss Art. 31 GG zum Ansatz bringen, um zum Vorrang des Bundesrechts vor kompetenzwidrigem Landesrecht zu gelangen; so etwa v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 118 Fn. 47. 54 s. März, Bundesrecht, S. 190 f.; vgl. Dietlein, Grundrechte, S. 48. 55 Dazu, dass die Grenzen für die Verfassungshoheit der Länder auf gesamtstaatlicher Ebene gezogen werden müssen, etwa Stern, FS H. Huber, S. 319 (329). 56 Andernfalls wäre es eine Frage der Auslegung des Landesrechts, ob ein Verstoß gegen bundesstaatliche Kompetenzvorschriften vorliegt, ob das Landesrecht also kompetenzwidrig zustande gekommen und damit unwirksam ist. 57 Maßgeblich ist also allein die (ggf. landesverfassungsfreundliche) Auslegung der bundesstaatlichen Kollisionsvermeidungsnormen.

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

leiht:58 Den Ländern ist eine unbenannte Residualkompetenz eingeräumt.59 Bei Zweifeln hinsichtlich der Gesetzgebungszuständigkeit ist weder eine Landesnoch eine Bundeskompetenz zu vermuten, sondern eine strikte, d. h. sach- und funktionsgerechte Auslegung der Artt. 70 ff. GG vorzunehmen.60 Für die in Art. 73 GG aufgelisteten Gegenstände ausschließlicher Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes61 hat dieser das ausschließliche legislative Zugriffsrecht gem. Art. 71 GG (Sperrwirkung). In diesen Bereichen besitzen die Länder lediglich ausnahmsweise die Befugnis, eigene Sachregelungen zu treffen, und zwar dann, wenn der Bund sie ausdrücklich dazu ermächtigt (Art. 71 Halbs. 2 GG).62 Die zuständigkeitsmonopolisierende Wirkung jenes Art. 71 GG schließt eine Normenkollision aus; ohne Ermächtigung erlassenes Landesrecht ist kompetenzwidrig und daher nichtig.63 Auch in den sehr seltenen Fällen einer ___________ 58 Entgegen dem Grundsatz der Primärzuständigkeit der Länder (BVerfGE 10, 89 [101]) liegt das Schwergewicht der Gesetzgebungskompetenzen qualitativ wie quantitativ in der Hand des Bundes: Das Grundgesetz macht die Regel des Art. 70 GG praktisch zur Ausnahme, s. bereits Hesse, Bundesstaat, S. 15 f.; Katzenstein, DÖV 1958, S. 593 (594). Daran änderte sich auch nichts durch die Föderalismusreform 2006; sie schnitt zwar die Gesetzgebungskompetenzen neu zu, zielte allerdings mehr auf klarere Zuordnung der Verantwortlichkeiten denn darauf, die Zuständigkeiten der Länder zu stärken; dazu P. M. Huber, FS Scholz, S. 595 (609); Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1213 f.); Sachs, NJW 2009, S. 1441 (1442 f.). – Den Landesparlamenten bleibt „substantiell lediglich eine Restkompetenz“ (Rozek, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 70 Rn. 3), etwa die Zuständigkeit für das Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, das Kommunalrecht, das Schul- und Kulturwesen sowie Teilbereiche des Baurechts; vgl. Eicher, Machtverlust, S. 76 ff.; Maurer, FS Rudolf, S. 337 (344 f.) m.w.N. 59 Ein qualitativ anderes bundesstaatliches Kompetenzordnungsprinzip liegt etwa der Österreichischen Verfassung zugrunde: Deren kompetenzrechtliche Verteilungsordnung sieht auch für die Gliedstaaten Enumerativzuständigkeiten vor. 60 Vgl. bereits BVerfGE 12, 205 (228) – Deutschland-Fernsehen-GmbH; 61, 149 (204 f.) – Staatshaftungsgesetz; 98, 265 (306 f.); Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 Rn. 7 ff. – Das Grundgesetz regelt die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern abschließend, s. BVerfGE 98, 265 (348); Isensee, FS Leisner, S. 359 (391). Bundeskompetenzen kraft Natur der Sache, kraft Sachzusammenhangs und Annexkompetenzen sind dem Bund durch das Grundgesetz allerdings stillschweigend verliehen; dazu etwa Rozek, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 70 Rn. 38 ff. m.w.N. – Bei den Zuständigkeiten von Bund und Ländern handelt es sich grundsätzlich um nicht abdingbares Recht. Eine Übertragung der Kompetenzen ist daher auch bei Zustimmung der Beteiligten ausgeschlossen, s. BVerfGE 39, 96 (120 f.); 41, 291 (311); 63, 1 (39); Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 33 f. 61 Es handelt sich etwa um die Auswärtigen Angelegenheiten und die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung, um die Staatsangehörigkeit im Bund, das Währungswesen, die Außenzölle, den Luftverkehr und die Telekommunikation. 62 Art. 71 GG hat folglich eine Doppelfunktion: Er enthält zum einen die umfassende Sperre für den Landesgesetzgeber; zum anderen ermöglicht er nach ausdrücklicher bundesgesetzlicher Ermächtigung Abweichungen von jener für alle erfassten Sachbereiche geltenden Sperrwirkung, s. Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 71 Rn. 1, 31 ff. 63 s. März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 51, 53; vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 593.

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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ausdrücklichen Ermächtigung nach Art. 71 Halbs. 2 GG64 ist die Kollision wirksam ergangener Vorschriften des Bundes- und Landesrechts ausgeschlossen. Der Landesgesetzgeber handelt hier namentlich dann kompetenzgemäß, wenn er sich im Rahmen der bundesgesetzlichen Ermächtigung hält. Widerruft der Bund die Ermächtigung, entfällt die Landeszuständigkeit, und das vordem gültige Landesgesetz wird infolge des Wegfalls der Ermächtigung unwirksam.65 Für die in Art. 74 GG genannten Materien66 (konkurrierende Gesetzgebung) sind gem. Art. 72 GG Bund und Länder zuständig, und zwar grundsätzlich alternativ, nicht kumulativ.67 Bis zur Föderalismusreform 2006 konnte Ersterer hier lediglich legiferieren, wenn und soweit dies zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse „erforderlich“ war (Art. 72 Abs. 2 [a.F.] GG).68 Die Geltung dieser Erforderlichkeitsklausel wurde mit jener Reform auf die nunmehr in Abs. 2 genannten Bereiche beschränkt. Bei den übri-

___________ 64

Zu den Anwendungsfällen im Einzelnen Heintzen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 71 Rn. 48. 65 Im Einzelnen Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 71 Rn. 56 f.; Kunig, in: v. Münch/ Kunig, GG III, Art. 71 Rn. 15; a.A. Degenhart, in: Sachs, GG (3. Aufl.), Art. 71 Rn. 11: Parallele zur Fortgeltung von Rechtsverordnungen nach Wegfall der Verordnungsermächtigung (s. aber inzwischen dens., in: Sachs, GG, Art. 71 Rn. 15: Nichtigkeit). Letztere Auffassung greift zu kurz: Die Reichweite einer Delegation legislativer Rechtsetzungsbefugnisse auf die Exekutive ist mit der Verteilung der Rechtsetzungsbefugnisse auf Bund und Länder nicht vergleichbar. – Zur Fortgeltung von Rechtsverordnungen nach Wegfall ihrer Ermächtigungsgrundlage BVerfGE 9, 3 (12); 14, 245 (249); Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 80 Rn. 24; ebenso bzgl. Satzungen BVerfGE 44, 216 (226). 66 Zur konkurrierenden Gesetzgebung rechnen etwa Zivil-, Straf- und Prozessrecht, wichtige Bereiche des Umweltschutzrechts sowie insbesondere die von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 u. 12 GG erfassten Schlüsselmaterien: das „Recht der Wirtschaft“ und das „Arbeits- und Sozialversicherungsrecht“, die besonders unitarisierend wirken. – Der Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung wurde durch den verfassungsändernden Gesetzgeber ständig erweitert, freilich unter Zustimmung der Länder über den Bundesrat. 67 Vgl. BVerfGE 36, 193 (202 f.); 36, 314 (320 f.). – Eine kumulativ-konkurrierende Zuständigkeit von Bund und Ländern greift nur in Ausnahmefällen, etwa im Bereich der Abweichungsgesetzgebung der Länder; zu ihr sogleich. Daneben ist (mangels Anwendbarkeit des Art. 72 Abs. 1 GG) der Bereich der Ausführung der Bundesgesetze durch Landesbehörden zu nennen, vgl. Artt. 84, 85 GG. 68 Auf Empfehlung der GVK waren die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG 1994 neu gefasst worden: In der bis 15.11.1994 geltenden Fassung war lediglich ein „Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung“ gefordert. Dieses Kriterium entwickelte sich namentlich im Zuge der anfangs begrüßten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einer Klausel des (mehr oder weniger) reinen politischen Ermessens zu Gunsten des Bundes, vgl. BVerfGE 2, 213 (224 f.); 4, 115 (127 f.); 10, 234 (245); 33, 224 (229); 65, 283 (289). Dies stieß schließlich auf heftige Kritik, s. die zusammenfassende Darstellung bei Oeter, Integration, S. 415 ff. m.w.N.

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

gen Kompetenztiteln des Art. 74 GG kann der Bund seitdem voraussetzungslos tätig werden; es handelt sich für ihn insoweit um eine Vorranggesetzgebung.69 Wenn und soweit der Bund von seiner Zuständigkeit nach Art. 72 i.V.m. Art. 74 GG Gebrauch gemacht hat, ist die vorgängige Gesetzgebungsbefugnis der Länder dadurch grundsätzlich ex nunc erloschen: Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG.70 Diese Norm schließt ein Nebeneinander von Bundes- und Landesrecht vorwärts wie rückwärts aus. Neues kompetenzgemäßes Landesrecht kann in den vom Bund in Anspruch genommenen Bereichen in der Regel nicht entstehen.71 Ebenso wird einfaches Landesrecht, das im betreffenden Sachbereich besteht, durch das Tätigwerden des Bundes derogiert; das Recht der Länder, zu legiferieren, ist hier von vornherein mit der Hypothek des späteren Wegfalls belastet.72 Eine Ausnahme gilt für die Abweichungsgesetzgebung der Länder (Art. 72 Abs. 3 GG). Sie ermöglicht es, unter bestimmten Voraussetzungen bei denjenigen Materien, die mit der Föderalismusreform 2006 von der Rahmengesetzgebungszuständigkeit (Art. 75 [a.F.] GG) in Art. 74 GG überführt wurden, vom an sich fortgeltenden Bundesrecht abzuweichen.73 Ebenfalls kein kumulierendes Konkurrenzverhältnis, dies sei im Rückblick festgehalten, bestand im Bereich der Rahmengesetzgebungskompetenz, die im ___________ 69 s. Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 2, 5; Sachs, NJW 2009, S. 1441 (1443); krit. Papier, NJW 2007, S. 2145 (2146). – Zu den Optionen, die sich mit Blick auf die Erforderlichkeitsklausel ergeben, wenn ein Gesetz auf unterschiedliche Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 GG gestützt werden kann, Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 8 f. m.w.N. 70 Zu den Einzelheiten der Sperrwirkung Oeter, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 72 Rn. 59 ff. 71 Eine Kollision wirksam ergangener Vorschriften des Bundes- und Landesrechts ist hier daher grundsätzlich undenkbar; vgl. BVerfGE 36, 342 (364); März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 56. 72 s. P. M. Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rn. 29; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 72 Rn. 10. Auch insoweit verbietet sich eine Bezugnahme auf die Fortgeltung von Rechtsverordnungen (vgl. bereits oben zu Art. 71 Halbs. 2 GG): Die Reichweite einer Delegation legislativer Rechtsetzungsbefugnisse auf die Exekutive ist mit der delegationsunabhängigen Verteilung der Rechtsetzungsbefugnisse auf Bund und Länder nicht vergleichbar. – Die bundesgesetzliche Sperrwirkung ist nach „rückwärts“ lückenlos: Gem. Art. 125 GG in Bundesrecht übernommenes Altrecht hindert den Landesgesetzgeber bereits nach Art. 72 Abs. 1 GG an einer erneuten Normierung der betreffenden Materie, s. BVerfGE 29, 11 (17); 58, 45 (61). 73 Das Rangverhältnis regelt sich hier nach dem lex-posterior-Satz, s. Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG. Aus dem Wortlaut der Norm folgt ein Anwendungsvorrang des jeweils späteren Gesetzes, s. Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, S. 464. – Die Abweichungsgesetzgebung als neue, mit der Föderalismusreform 2006 geschaffene Spielart der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit ist durchaus krit. zu bewerten; vgl. (jeweils m.w.N.) Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1212 f.); Selmer, JuS 2006, S. 1052 (1056 f.); Papier, NJW 2007, S. 2145 (2147 f.); i. E. positiv dagegen die Wertung bei P. M. Huber, FS Scholz, S. 595 (606 ff.).

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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Zuge der Föderalismusreform 2006 weggefallen ist.74 Die Konstellation war hier ihrer Struktur nach die gleiche wie bei Art. 72 Abs. 1 GG, der Unterschied zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes ein quantitativer, kein qualitativer:75 Der Bund hatte keine Vollkompetenz für die in Art. 75 (a.F.) GG genannten Sachbereiche; die dort enumerierten Materien durfte er nur insoweit in Anspruch nehmen, als den Ländern ausfüllungsfähige und ausfüllungsbedürftige Teilbereiche verblieben.76 Innerhalb dieses limitierten Bereichs war die Rahmengesetzgebung mit Blick auf die von ihr ausgelöste, kompetenzentziehende Sperrwirkung ein Unterfall des in Art. 72 i.V.m. Art. 74 GG geregelten Kollisionstyps.77 Soweit der Bund also kompetenzgemäß Rahmengesetzgebung betrieb,78 schloss er die Länder in den geregelten Inhalten vom Legiferieren aus:79 Landesgesetze, die sich nicht im Rahmen der Rahmengesetze hielten, waren nach rückwärts wie vorwärts „gesperrt“.80 ___________ 74 Zu dieser Gesetzgebungskompetenz rechneten etwa folgende Materien: der öffentliche Dienst, die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens, der Naturschutz sowie das Melde- und Ausweiswesen. – Mit jener Reform wurden die meisten Bereiche der Rahmengesetzgebung in die konkurrierende Zuständigkeit des Bundes mit der Möglichkeit abweichender Landesgesetze (s. Art. 125 b Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 72 Abs. 3 GG) überführt. 75 s. Badura, Staatsrecht, F Rn. 38; Hesse, Grundzüge, Rn. 241. 76 s. Maunz, BayVBl. 1955, S. 2 (4): „Wenn ein Bundesgesetz für sich allein bestehen kann, ist es kein Rahmengesetz mehr“. – In Ausnahmefällen konnte ein Rahmengesetz allerdings Teilinhalte des von ihm geregelten Sachbereichs umfassend regeln („punktuelle Vollregelung“), Art. 75 Abs. 2 GG. Zum Ganzen Rozek, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 75 Rn. 16 ff. 77 s. BVerwGE 3, 335 (339 f.); März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 68 m.w.N. – Die Verweisung in Art. 75 Abs. 1 S. 1 GG auf die „Voraussetzungen des Art. 72 GG“ bezog Art. 72 Abs. 1 GG ein. Dazu März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 67 ff.; Rozek, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 75 Rn. 8 f.; jeweils m.w.N. auch zur Gegenauffassung. 78 Beließ der Bundesgesetzgeber den Ländern keinen Spielraum zur Ausgestaltung, waren seine Regelungen keine „Rahmenvorschriften“ und folglich wegen Kompetenzüberschreitung unwirksam. In einem solchen Fall kam es zu keiner Sperrwirkung. 79 s. BVerfGE 4, 115 (123); März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 69. Die Gegenauffassung verneinte eine kompetenzentziehende Sperrwirkung des Bundesrahmenrechts (und brachte Art. 31 GG in Ansatz); so etwa Bothe, in: Denninger u.a., AKGG, Art. 75 Rn. 4; Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 75 Rn. 15; unklar Stettner, in: Dreier, GG II, Art. 75 Rn. 12: Nichtigkeit „entweder wegen Art. 31 oder wohl schon bereits wegen fehlender Kompetenz“. Die Nichtigkeits-Rechtsgrundlage offenlassend auch Degenhart, in: Sachs, GG (3. Aufl.), Art. 75 Rn. 41; Stern, Staatsrecht II, S. 599. 80 Mit Inkrafttreten der Bundesrahmenvorschriften verlor „altes“ rahmenregelungswidriges Landesrecht wegen nachträglichen partiellen Kompetenzverlusts des Landesgesetzgebers seine Geltung; neues Landesrecht konnte nicht kompetenzgemäß entstehen, sofern es sich nicht im vorgegebenen Rahmen hielt. – Die Sperrwirkung war wegen des Rahmencharakters der auf Art. 75 (a.F.) GG gestützten Bundesgesetze freilich nicht völlig identisch mit der generellen und absoluten Sperrwirkung nach Art. 72 i.V.m. Art. 74 GG. So war es etwa erforderlich, dass landesrechtliche Wiederholungen von Bundes-

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Auch bei der Grundsatzgesetzgebungskompetenz ist die Kollision wirksam ergangener Vorschriften des Bundes- und Landesrechts ausgeschlossen. Die Differenzen zwischen dieser Zuständigkeit, die in Art. 109 Abs. 3 GG sowie in Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV vorgesehen ist,81 und der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes nach Art. 72 i.V.m. Art. 74 GG sind quantitativer, nicht struktureller Natur.82 Der Bund darf die Sachmaterie nicht umfassend in Anspruch nehmen, sondern er muss den Ländern einen angemessenen, ausfüllungsfähigen und ausfüllungsbedürftigen Spielraum eigener, also Individualität entfaltender Normierung belassen.83 Die Grundsatzgesetzgebung ist daher der kollisionsrechtlichen Grundstruktur der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes zuzuordnen. Den Grundsätzen entgegenstehendes, d. h. ihnen inhaltlich widersprechendes Landesrecht ist wegen fehlender Kompetenz des Landesgesetzgebers unwirksam: kompetenzentziehende Sperrwirkung der (kompetenzgemäß zustande gekommenen) Grundsatzgesetze.84 ___________ rahmenvorschriften Bestand hatten, sofern es sich dabei um die notwendige landesrechtliche Umsetzung (Bundesrahmenregelungen waren größtenteils Organnormen) oder um lediglich deklaratorische Klarstellungen handelte; andernfalls hätte eine sinnvolle und verständliche Gesamtregelung gefehlt. Näher März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 70 ff. 81 Ursprünglich handelte es sich bei Art. 91 a Abs. 2 GG um einen weiteren Fall der Grundsatzgesetzgebung: Einzelheiten der Koordinierung darf das Ausführungsgesetz, mit dem eine Gemeinschaftsaufgabe näher bestimmt wird, erst seit Neufassung jener Norm im Rahmen der Föderalismusreform 2006 regeln. Dazu Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 91 a Rn. 31 ff. 82 s. März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 74 ff.; ähnlich Hesse, Grundzüge, Rn. 241 f. – Als Einwand gegen diese Zuordnung wird auf eine qualitativ andere Rechtsfolge verwiesen: Grundsatzgesetze verpflichteten (neben dem Landesgesetzgeber) auch den Bund selbst, weshalb die allgemeine Regel „lex posterior derogat legi priori“ auf sie nur begrenzt Anwendung finde. So sei der Bundesgesetzgeber etwa bei Erlass des „einfachen“ Haushaltsrechts an das Haushaltsgrundsätzegesetz gebunden, s. Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 109 Rn. 52. Dieser Ansatz greift zu kurz. Ein Grundsatzgesetz kann nachfolgende widersprechende Rechtshandlungen nur unterbinden, wenn es eine entsprechende, als Fremdverpflichtung ausgestaltete rechtliche Beschränkung enthält. Der später agierende Gesetzgeber ist an die von ihm erlassenen ranggleichen Grundsatzvorschriften daher nicht obligatorisch gebunden (er mag sich freiwillig, d. h. voluntativ gebunden haben). Näher März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 77 ff. m.w.N. 83 Die materielle Limitierung auf „Grundsätze“ lässt sich nach den gleichen Maßstäben erschließen wie (vor der Föderalismusreform 2006) die auf „Rahmenvorschriften“. Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 683; dens., Staatsrecht II, S. 599 f.: lediglich terminologische Unterschiede zur Rahmengesetzgebung. Näheres bei März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 75 f. m.w.N. – Das Erfordernis einer Regelung auf gesamtstaatlicher Ebene hat der Verfassunggeber für die Bereiche der Grundsatzgesetzgebung unwiderleglich fingiert, s. Rodi, in: BK, Art. 109 Rn. 336 f.; Tiemann, DÖV 1974, 84 (232). S. 229 s. März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 76 m.w.N. auch zur Gegenauffassung. – Die Sperrwirkung ist (wie im Fall des Art. 75 [a.F.] GG [vor der Föderalismusreform 2006]) nicht identisch mit der generellen und absoluten Sperrwirkung nach Art. 72 i.V.m. Art. 74 GG: Landesrechtliche Wiederholungen der gesamtstaatlichen

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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Das Schema der Artt. 70 ff. GG kennt regelmäßig keine Doppelzuständigkeiten.85 Die Normierung der regelungsfähigen Lebenssachverhalte ist im Grundsatz entweder dem Bundes- oder dem Landesgesetzgeber zugewiesen. Dieses Entweder-Oder schließt Normenkollisionen grundsätzlich aus: Jene positiven Kompetenznormen lassen wirksame Normsetzung in der Regel lediglich auf einer staatlichen Ebene zu.86

bb) Durchgriffsnormen und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG als negative Kompetenznormen Um negative Kompetenznormen handelt es sich zunächst bei den Durchgriffsnormen des Grundgesetzes.87 Diese Vorschriften binden ganzheitlich die gesamte Staatstätigkeit, ohne auf deren bundesstaatliche Verortung abzustellen. Sie wirken inhaltsgestaltend auch auf das Landes(verfassungs)recht ein, und zwar ohne Transformationsakt.88 Gleichwohl nehmen sie hierdurch nicht dessen Qualität an, sondern greifen als externe Normen unmittelbar auf dieses durch.89 Landes(verfassungs)rechtliche Regelungen, die den Inhalt einer solchen Durchgriffsnorm wörtlich oder sinngemäß übernehmen bzw. ergänzen oder präzisieren, sind wirksam, solange sie keine inhaltliche Differenzierung vornehmen.90 ___________ Grundsätze haben Bestand, sofern es sich um lediglich deklaratorische Klarstellungen handelt, s. dens., ebd., Rn. 76 Fn. 70. 85 Zur Kompetenzlage vor der Föderalismusreform 2006 Rozek, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 70 Rn. 11; Isensee, FS BVerfG (2001) II, S. 719 (729): „Rigidität der Bundesverfassung“. – Die Artt. 70 ff. GG haben eine Abgrenzungsfunktion, vgl. Art. 70 Abs. 2 GG. Dazu BVerfGE 36, 193 (202 f.); 61, 149 (204); 67, 299 (321). 86 Eine Ausnahme gibt es, wie gesagt, seit der Föderalismusreform 2006 mit der Abweichungsgesetzgebung der Länder nach Art. 72 Abs. 3 GG. 87 s. März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 95. 88 s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (11). – Durchgriffsnormen bedürfen keiner Ausgestaltung durch den Landesgesetzgeber; sie entfalten Wirkung auch im Aussenverhältnis und gegenüber dem Bürger. Dazu Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 30. 89 Der Bund kann nicht selbst Landesverfassungsrecht setzen, s. Isensee, in: ders./ Kirchhof, HdbStR VI, § 126 Rn. 80; Boehl, Staat 30 (1991), S. 572 (588). – Bundesrecht ist, wie gesagt (1. Kap. unter B.), niemals zugleich Landesrecht. Auch sind die Durchgriffsnormen, dem Grundansatz der getrennten Verfassungsräume von Bund und Ländern korrespondierend, kein Prüfungsmaßstab für die Landesverfassungsgerichtsbarkeit. Die Landesverfassungsgerichte bzw. Staatsgerichtshöfe der Länder müssen freilich inzident prüfen, ob ihr Prüfungsmaßstab mit Bundesrecht in Einklang steht. Halten sie eine Landesnorm mit Bundesrecht für unvereinbar, haben sie diese unter den Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorzulegen. 90 s. März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 96; dens., Bundesrecht, S. 181 f. – Eine Bandbreite an Umsetzungsmöglichkeiten ist hier nicht eröffnet: Die Durchgriffs-

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Zu dieser „verfassungsrechtlichen Konkordanzmasse“91 rechnen neben Art. 1 Abs. 3 i.V.m. den Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen Rechten92 etwa Art. 28 Abs. 2, Artt. 31, 33 Abs. 4 u. 5 sowie Art. 142 GG.93 Eine weitere negative Kompetenznorm ist Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG. Diese Homogenitätsklausel hat eine Doppelfunktion.94 Als „objektivrechtliches Verfassungsgebot“95 begrenzt sie die Verfassungshoheit der Länder, und zugleich erkennt sie diese (unausgesprochen, aber gleichwohl spiegelbildlich enthalten) an. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verlangt zwingend („muss“), dass die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates i. S. des Grundgesetzes entspricht.96 Gefordert ist freilich nicht Identität oder Konformität der verfassungsmäßigen Ordnungen von Bund und Ländern,97 sondern (lediglich) ein „Mindestmaß an Homogenität“ von Landes- und Bundesverfassungsrecht durch grundsatzhomo-

___________ normen bewirken mehr als ein bloßes Mindestmaß an Homogenität. Vgl. etwa Grawert, NJW 1987, S. 2329 (2331). 91 s. Grawert, NJW 1987, S. 2329 (2331). 92 s. Stern, Staatsrecht III/1, S. 1257 f.; März, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 31 Rn. 99 ff. – Art. 1 Abs. 3 GG bewirkt die lückenlose Bindung der öffentlichen Gewalt; die Grundrechte differenzieren nicht nach deren bundesstaatsspezifischer Verortung. Auch die von den Ländern ausgeübte Gewalt unterfällt daher jener kompetenzregulierenden Sperre. Dazu Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 66; Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 1 Rn. 221. 93 Vgl. Dittmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 127 Rn. 33; Stiens, Chancen, S. 29 f.; Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (11); Berkemann, NVwZ 1993, S. 409 (412). – Aufzählung aller Durchgriffsnormen bei Stern, Staatsrecht I, S. 704 f.; Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 30. 94 s. statt vieler BVerfGE 36, 342 (361 ff.); Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 13 f.; Dreier, in: ders., GG II, Art. 28 Rn. 51; alle m.w.N. 95 So BVerfG BayVBl. 1999, S. 207 (208); zuvor bereits BVerfGE 3, 45 (49): „objektive Verfassungsnorm“. 96 Telos des Art. 28 Abs. 1 GG ist es, das Aufkeimen von (inneren) Konflikten wie auch das Entstehen (rechtlicher und politischer) Spannungen infolge des Fehlens eines Mindestmaßes an Übereinstimmung im bundes- und gliedstaatlichen Verfassungsgefüge zu verhindern, vgl. Kersten, DÖV 1993, S. 896 (896 ff.) m.w.N. – Ohne ein gewisses Mindestmaß an Übereinstimmung grundsätzlicher Regelungen der Verfassungen von Gesamt- und Gliedstaaten wäre kein Bundesstaat funktionsfähig, vgl. etwa H.-J. Vogel, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 22 Rn. 32; Stern, Staatsrecht I, S. 704. 97 s. BVerfGE 9, 268 (279); 24, 367 (390); 27, 44 (56); 41, 88 (116); Hesse, Grundzüge, Rn. 219; grundlegend Werner, Wesensmerkmale. – Die Landesverfassungen sind nicht lediglich als „Verdoppelung oder allenfalls Ergänzung einer umfassenden, vom Grundgesetz geprägten Ordnung“ (so aber Beutler, JöR 26 [1977], S. 1 [1]) zu betrachten. Zur Verfassungsvielfalt als föderativem Prinzip H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (753).

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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gene Gestaltung:98 Die Vorgaben der Homogenitätsklausel sind im Sinne von „Richtlinien“ zu verstehen.99 Die Homogenitätsklausel erlegt den Ländern – sie sind ihr Adressat100 – bei Betätigung der Verfassungshoheit101 Pflichten gegenüber dem Bund auf.102 Die Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG gelten nicht unmittelbar in den Ländern, sondern als Gestaltungsauftrag für sie.103 Die Homogenität wird erst durch einen gliedstaatlichen Transformations- und Ausgestaltungsakt hergestellt.104 Wie noch zu zeigen sein wird,105 verfügen die Länder hierbei über eine z. T. weit gespannte Gestaltungsfreiheit.106 Im Unterschied etwa zu Art. 28 Abs. 2 GG ist diese Normativbestimmung nicht zu den Durchgriffsnormen zu rechnen.107 Der ___________ 98 So ausdrücklich BVerfGE 36, 342 (361); 41, 88 (119); Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (29): „Homogenität der Struktur, nicht Kongruenz der Montur“. 99 s. Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 7; H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (751): „die leitenden Prinzipien“; Stern, in: BK, Art. 28 Rn. 14: „Rahmenvorschriften“. 100 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, s. Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (126); Storr, Verfassunggebung, S. 193 f. m.w.N. 101 Die Länder sind durch Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG nicht zur formellen Verfassunggebung verpflichtet; Bestandteil der „verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern“ (nicht: „Verfassungen in den Ländern“) ist auch das materielle Verfassungsrecht. Dies ergibt sich zum einen aus der Genese des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG: Die Garantie der Homogenitätsvorgaben sollte ungeachtet des Vorhandenseins einer formellen Verfassung statuiert werden, s. v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR 1 (1951), S. 1 (251). Zum anderen lässt sich dem Telos der Norm, dass nämlich die Länder den unabdingbaren Homogenitätsvorgaben nachkommen, lediglich durch Einbeziehung der Verfassungswirklichkeit gebührend Rechnung tragen. – Zu Fällen homogenitätswidrigen einfachgesetzlichen Landesrechts etwa BVerfGE 9, 268; 83, 37; 83, 60; 93, 37. 102 s. Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (126); Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 2; März, Bundesrecht, S. 191; vgl. Rozek, Grundgesetz, S. 117. Über jene Vorgaben der Homogenitätsklausel hinaus schreibt das Grundgesetz den Ländern keinen „Mindestinhalt“ für ihre verfassungsmäßige Ordnung vor. Diese haben insoweit also weitgehend Gestaltungsfreiheit, s. BVerfGE 4, 178 (189); 64, 301 (317). 103 St. Rspr.; vgl. bereits BVerfGE 1, 208 (236); Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 19 f.; Stern, in: BK, Art. 28 Rn. 14; Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 16; a.A. wohl Friesenhahn, FG BVerfG (1976) I, S. 748 (761): „Geltung im Bund und in den Ländern“. 104 s. Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 17; Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 34. 105 Dazu 5. Kap. unter B. I. 1. a). 106 St. Rspr.; s. bereits BVerfGE 4, 178 (189); 24, 367 (390); 27, 44 (56); 64, 301 (317); s. Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 14, 34. – Hüter der bundesstaatlichen Homogenität ist letztverbindlich das Bundesverfassungsgericht; für die h.M. etwa Stern, Staatsrecht I, S. 708; Dreier, in: ders., GG II, Art. 28 Rn. 57; Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 28 Rn. 12; a.A. Friesenhahn, FG BVerfG (1976) I, S. 748 (760, 797). 107 Statt vieler BVerfGE 4, 178 (189); Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 2, 17; Vogelgesang, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 28 Rn. 19. Vereinzelt wird auch die gegenteilige Auffassung vertreten; so etwa v. Mutius, in: Landeszentrale für politi-

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Bund gewährleistet gem. Art. 28 Abs. 3 GG die Einhaltung der Rahmenvorgaben, und dies ist mit Blick auf den Gliedstaat nur „von außen“ möglich. Es kann sich daher bei den Rahmenvorgaben nicht um in den Ländern unmittelbar geltendes Recht handeln.108

cc) Art. 142 GG als negative Kompetenznorm Art. 142 GG erkennt die Verfassungshoheit der Länder für den Bereich der Grundrechte gesondert an,109 zieht ihr aber (für den Fall, dass eine Landesverfassung Grundrechte normiert,)110 zugleich eine Grenze durch Festsetzung des insoweit zu beachtenden Mindeststandards.111 Werden Grundrechte nicht „in Übereinstimmung“112 mit den Artikeln 1 bis 18 des Grundgesetzes gewährleis___________ sche Bildung, Schleswig-Holstein, S. 19 (28). – Bei Art. 28 Abs. 2 GG handelt es sich aus systematischer Sicht um einen „Fremdkörper“ in Art. 28 GG; dazu Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 39. Zu seiner Durchgriffswirkung oben unter B. III. 1. a) bb). 108 s. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 28 Rn. 12, 101; Stern, in: BK, Art. 28 Rn. 14; Werner, Wesensmerkmale, S. 73 ff. 109 Art. 142 GG, der zur Aufrechterhaltung der Grundrechtskataloge der Landesverfassungen der ersten Generation entstanden ist (s. v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR 1 [1951], S. 1 [910 ff.]; Domcke, FS BayVerfGH, S. 311 [312 f.]), gilt für die Grundrechte aller drei Generationen von Landesverfassungen: „Bleiben“ ist nicht zeitlich zu verstehen, sondern beschreibt das Verhältnis von Bundes- und Landesrecht; dazu BVerfGE 96, 345 (364); Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 67; v. Campenhausen, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 142 Rn. 4; beide m.w.N. 110 Grundrechte sind mögliche, aber eben nicht notwendige Bestandteile einer Landesverfassung, s. Berlit, KJ 1992, S. 437 (444). Dazu 1. Kap. unter B., Fn. 63. 111 Die Mindeststandardlehre blieb im Parlamentarischen Rat unwidersprochen, s. die entsprechende Äußerung des Abg. Schmid in v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR 1 (1951), S. 1 (911). Sie liegt auch bereits BVerfGE 1, 264 (280 f.) zugrunde. 112 „Übereinstimmung“ i. S. des Art. 142 GG bedeutet nach allgemeiner Auffassung nicht Identität, sondern das Fehlen eines Widerspruchs zwischen Bundes- und Landesgrundrechten, s. BVerfGE 96, 345 (364 f.); Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 142 Rn. 13 f.; v. Campenhausen, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 142 Rn. 5 f.; Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (121); krit. Dietlein, Grundrechte, S. 35 f. – In welchen Konstellationen es an einem solchen Widerspruch fehlt, ist umstritten. Nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung, der sich inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht (mit BVerfGE 96, 345 [365]) angeschlossen hat, liegt ein „Übereinstimmen“ nicht allein bei Inhaltsgleichheit vor, sondern immer, wenn das jeweils engere Grundrecht als Mindestgarantie zu verstehen ist und daher nicht den Normbefehl enthält, einen weitergehenden Schutz zu unterlassen; so etwa Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 74 ff. m.w.N. Dies überzeugt mit Blick auf landesgrundrechtliche Mehrgewährleistungen, greift aber bzgl. landesgrundrechtlicher Mindergewährleistungen zu kurz: Bei Letzteren wird der vom Grundgesetz vorgesehene Mindeststandard nicht erreicht (s. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 142 Rn. 8; Storr, Verfassunggebung, S. 228 ff., 232; vgl. Dietlein, Grundrechte, S. 39 ff.). Es macht auch keinen Sinn, dass ein Landesgrundrecht die Landesstaatsgewalt zu Grundrechtseingriffen er-

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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tet, bleiben sie nicht in Kraft, sondern sind kompetenzwidrig zustande gekommen und folglich unwirksam.113 Dies scheint sich auf den ersten Blick bereits aus Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes zu ergeben. Die Bundesgrundrechte gelten gem. Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar in den Ländern, und infolge der Durchgriffswirkung dieser Norm ist ihnen widersprechendes Landesrecht unwirksam.114 Angesichts der Sonderregelung in Art. 142 GG unterfallen die Landesgrundrechte jedoch nicht dieser Kompetenzsperre. Unter Zugrundelegung einer am Prinzip der Einheit der Verfassung115 (demzufolge eine Verfassungsnorm bekanntlich nicht losgelöst von den anderen Verfassungsrechtssätzen ausgelegt und angewandt werden darf)116 orientierten Auslegung des Art. 1 Abs. 3 GG hat Art. 142 GG nicht lediglich deklaratorische Bedeutung. Vielmehr besitzt er als spezifisch auf Landesgrundrechte bezogene negative Kompetenznorm eigenständigen Aussagegehalt.117 Art. 142 GG ist weder eine Ausnahme von Art. 31 GG,118 noch ist er mit der allgemeinen Auffassung119 ___________ mächtigt, die ihr gem. Art. 1 Abs. 3 GG durch Bundesgrundrechte verwehrt sind; ebenso Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (33). 113 A.A. etwa Dietlein, Grundrechte, S. 34, 52: Art. 142 GG regele nicht im Umkehrschluss, dass Landesverfassungsnormen außer Kraft treten, die nicht in Übereinstimmung mit den Art. 1 bis 18 GG Grundrechte gewährleisten. 114 Dazu oben unter B. III. 1. a) bb). 115 Allg. zum Topos „Einheit der Verfassung“ Stern, Staatsrecht I, S. 131 f., unter Hinweis auf BVerfGE 30, 1 (19) und m.w.N. 116 Es ist vielmehr das Gesamt der Verfassung zu beachten. Andernfalls könnte die Verfassung dadurch Schaden nehmen, dass ein (theoretisch bestehender) Widerspruch zwischen zwei Verfassungsrechtssätzen nicht aufgelöst würde. 117 Des Weiteren hat Art. 142 GG eine individualrechtliche Komponente: Die behauptete Verletzung von Landesgrundrechten eröffnet den Rechtsweg zum jeweiligen Landesverfassungsgericht/Staatsgerichtshof. Dazu Maunz, in: Merten/Morsey, Grundgesetz, S. 87 (100); aus verfahrensrechtlicher Sicht Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 857 ff. 118 So aber Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 142 Rn. 3: „lex specialis zu Art. 31 GG“ für Landesgrundrechte; ebenso Dietlein, Grundrechte, S. 26 f.; v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 117; vgl. Wiederin, Bundesrecht, S. 370. – Art. 142 GG lässt sich zwar so lesen, als wolle er die Landesgrundrechte aus dem Anwendungsbereich des Art. 31 GG herausnehmen („ungeachtet der Vorschrift des Art. 31 GG“). Diese Formulierung kann (wie hier) aber auch so verstanden werden, dass die Fortgeltung der Landesgrundrechte gem. Art. 142 GG einer Kollisionsentscheidung i. S. des Art. 31 GG vorgelagert ist, dass also die nach Art. 142 GG fortgeltenden Landesgrundrechte einer sonst zulässigen bundesrechtlichen Regelung nicht entgegenstehen, vgl. BVerfGE 1, 264 (280 f.). Zur damit angeschnittenen Frage, ob Art. 31 GG gegenüber Landesverfassungsrecht Anwendung findet, unten unter D. I. 2. a) aa). 119 s. BVerfGE 96, 345 (364 f.); Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 68: „lediglich klarstellende Bedeutung“; März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 107: „keine Ausnahme von der Regel, sondern (entbehrlicher) Ausdruck dieser Regel“, jenseits inhaltlich übereinstimmender Grundrechte komme Art. 31 GG zum Zuge; v. Münch, in: ders./Kunig, GG III (3. Aufl.), Art. 142 Rn. 17: „überflüssig“; Dreier, in: Schmidt, Vielfalt, S. 113 (128); Kunig, NJW 1994, S. 687 (687); Sachs, ThürVBl. 1993,

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

als dessen auf den Bereich der Landesgrundrechte bezogene Bestätigung einzuordnen.

b) Weitere Kollisionsvermeidungsmechanismen aa) Grundsatz der Bundestreue Als Grundsatz der Bundestreue (weithin gebräuchlich ist auch das synonyme „Gebot bundesfreundlichen Verhaltens“)120 wird die ungeschriebene, in ihrer dogmatischen Herleitung noch immer umstrittene121 Verpflichtung bezeichnet, im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung wechselseitig Rücksicht zu nehmen und Auswirkungen auf andere Beteiligte zu berücksichtigen.122 Diese umfassend123 geltende Verpflichtung ist Voraussetzung für eine stabile Bundesstaatlichkeit.124 So müssen die Länder bei der Ausübung ihrer Kompetenzen die ge___________ S. 121 (124): lediglich deklaratorische Bedeutung; Sacksofsky, NVwZ 1993, S. 235 (237): obsolete Klarstellung; ebenso wohl auch Starck, Verfassungen, S. 16. 120 So insbesondere das Bundesverfassungsgericht seit BVerfGE 1, 299 (315); dem folgend Stern, Staatsrecht I, S. 700; krit. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 IV Rn. 119. – Nicht durchgesetzt hat sich demgegenüber der von Lerche, VVDStRL 21 (1964), S. 66 (88), vorgeschlagene Begriff „Bundessinn“. 121 Nach wohl überwiegender Auffassung ist der Grundsatz der Bundestreue aus dem Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) abzuleiten, s. die st. Rspr., BVerfGE 1, 299 (315); 34, 9 (20); 43, 291 (348); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 IV Rn. 121 m.w.N. Die a.A., derzufolge es sich um eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben handeln soll (Nachweise bei Oeter, Integration, S. 346 ff., 480 ff.), konnte sich zu Recht nicht durchsetzen: Sie bleibt die Begründung dafür schuldig, dass der allgemeine Rechtsgedanke von Treu und Glauben auch Bestandteil des Verfassungsrechts ist. – Vereinzelt wurde der Grundsatz der Bundestreue auch aus Art. 72 Abs. 2 (a.F.) GG hergeleitet, s. etwa Bleckmann, JZ 1991, S. 900 ff. 122 Allg. zur Bundestreue bereits BVerfGE 1, 299 (315): „Alle an dem verfassungsrechtlichen ‚Bündnis’ Beteiligten sind gehalten, dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen“; vgl. BVerfGE 12, 205 (254 ff.). – Die Entwicklung des Grundsatzes der Bundestreue wird überwiegend auf Rudolf Smend zurückgeführt, der bereits bzgl. des Bundesstaats des Kaiserreichs vom Grundsatz der „Bundestreue“, „Vertragstreue“ und „bundesfreundlichen Gesinnung“ gesprochen hatte (s. Smend, in: ders., Abhandlungen, S. 39 ff.). Vereinzelt wird allerdings auch auf Bluntschli, Lehre III, S. 402, rekurriert; so etwa Stern, Staatsrecht I, S. 646. 123 Wechselseitig zur Rücksichtnahme verpflichtet sind die Länder untereinander wie auch die Länder gegenüber dem Bund und der Bund gegenüber den Ländern. Vgl. BVerfGE 8, 122 (131) – Kommunale Atomwaffen-Volksbefragung; 81, 310 (337 f.) – Schneller Brüter; 92, 203 (230 f.) – Fernsehrichtlinie. 124 Ohne wechselseitige Pflicht zur Rücksichtnahme drohte der Bundesstaat an seinen Abstimmungsproblemen zu ersticken und zu zerfallen oder zu einem zentralistischen Einheitsstaat zu mutieren. – Bei der Bundestreue handelt es sich um einen prägenden Bestandteil der bundesstaatlichen Ordnung. Vgl. BVerfGE 31, 314 (354): Der

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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botene und jeweils zumutbare Rücksicht auf die Belange des Bundes nehmen und umgekehrt dieser auf die Belange der Länder.125 Der Grundsatz der Bundestreue reicht weiter als die bloß formelle Einhaltung der durch das Grundgesetz errichteten Kompetenzordnung. Im je konkreten Fall modifiziert dieser „Verfassungsgrundsatz“126 ggf. die Voraussetzungen, unter denen (bestehende) Zuständigkeiten ausgeübt werden können.127 In die Zuordnung von Kompetenzen in ihrer Substanz greift er indes nicht ein: Weder für den Bund noch für die Länder lassen sich aus der Bundestreue Kompetenzen ableiten.128 Der Grundsatz der Bundestreue ist gleichwohl, wie die Kompetenznormen des Grundgesetzes, der Ebene der Kollisionsvermeidung zuzuordnen. Recht, das unter Verstoß gegen diese Kompetenzausübungsschranke erlassen wird, ist zwar nicht gleichermaßen ultra vires ergangen wie im Falle eines Verstoßes gegen eine positive oder eine negative Kompetenznorm; die Kompetenzen bleiben, wie gesagt, in ihrer Substanz unberührt. Die Bundestreue modifiziert bzw. begrenzt aber die Voraussetzungen, unter denen von den Kompetenzen Gebrauch gemacht werden kann. Im konkreten Fall unter Verstoß gegen diese Kompetenzausübungsschranke erlassenes Recht ist nicht wirksam zustande gekommen.

___________ Grundsatz der Bundestreue „entspricht dem eigentümlichen Grundverhältnis von Gesamtstaat und Gliedstaaten im Bundesstaat“; zu weitgehend Geiger, in: Süsterhenn, Ordnung, S. 113 (123), der der Bundestreue größere theoretische und praktische Bedeutung als dem föderativen Prinzip selbst beimisst: Der Grundsatz der Bundestreue ist nach st. Rspr. (s. zuerst BVerfGE 1, 299 [315]) aus dem bundesstaatlichen Prinzip abgeleitet; krit. dazu Hesse, Bundesstaat, S. 7 ff. 125 Vgl. BVerfGE 12, 205 (239, 254) – Deutschland-Fernsehen-GmbH; 32, 199 (218); 61, 149 (204 f.) – Staatshaftungsgesetz; 81, 310 (337); 92, 203 (230); H.-J. Vogel, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 22 Rn. 46 f.; Bauer, Bundestreue, S. 140 f. – Im bundestreuen Gebrauch der Kompetenzen liegt der „Kern“ des Anwendungsbereichs der Bundestreue. Dazu BVerfGE 34, 216 (231 f.). 126 s. BVerfGE 12, 205 (254); 43, 291 (348). 127 Dazu BVerfGE 13, 54 (75 f.); 21, 312 (326); 42, 103 (117); Stern, Staatsrecht I, S. 703; Faller, FS Maunz, S. 53 (61 ff.). 128 s. BVerfGE 81, 310 (337). – Der Grundsatz der Bundestreue „begrenzt Rechte und Pflichten innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses zwischen Bund und Ländern [...], begründet aber nicht selbstständig ein Rechtsverhältnis zwischen ihnen“, BVerfGE 13, 54 (75); dazu auch H.-J. Vogel, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 22 Rn. 48; Stern, Staatsrecht I, S. 701 f. Auch berechtigt die Verletzung von Loyalitätspflichten durch die eine Seite die andere (anders als in völkerrechtlichen Rechtsverhältnissen) nicht zu Gegenmaßnahmen, s. BVerfGE 8, 122 (140); der „Einwand des tu quoque“ ist ausgeschlossen, d. h. es bleiben lediglich die verfassungsgerichtlichen Verfahren, um die Verletzung von aus dem Bundesstaatsprinzip resultierenden Pflichten geltend zu machen. Dazu Sommermann, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 20 Rn. 38; Bauer, Bundestreue, S. 337 f.: keine Einrede der „Bundesuntreue“.

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

bb) Bundesrechtskonforme Auslegung Ebenso bedarf es keiner Kollisionsentscheidung, wenn sich die Widerspruchslosigkeit und Einheit der Rechtsordnung im Wege der bundesrechtskonformen Auslegung des Landesrechts ergibt, die betreffende Landesnorm also (letztlich) in Übereinstimmung mit Bundesrecht steht. Die Methoden der Kollisionsvermeidung, die im Falle eines vermeintlichen Widerspruchs zwischen Grundgesetz und einfachem Bundesrecht zur Anwendung kommen,129 sind mangels widerstreitender Argumente auch im Verhältnis von Bundes- und Landes(verfassungs)recht zu nutzen.130

c) Art. 31 GG als Kollisionsentscheidungsnorm Ist sowohl das Bundes- wie auch das Landesrecht kompetenzgemäß zustande gekommen, stehen sich zwei einander potentiell inhaltlich widersprechende Normen gegenüber. Etwaige Normenkollisionen sind dann durch Art. 31 GG, die wichtigste bundesstaatliche Kollisionsentscheidungsnorm,131 aufzulösen: Er bestimmt, welches Recht gilt, wenn kompetenzgemäß zustande gekommene Vorschriften des Landes- und des Bundesrechts denselben Sachverhalt unterschiedlich regeln.132 Diese „Rangordnungsnorm“,133 die lediglich im Bereich der Abweichungsgesetzgebung der Länder keine Anwendung findet,134 ist we___________ 129

Zur verfassungskonformen Auslegung 2. Kap. unter A. IV. 2. a). s. Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (122); Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 29. 131 s. BVerfGE 26, 116 (135); 36, 342 (363); st. Rspr.; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 1; P. M. Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rn. 2. f; a.A. Felix, Einheit, S. 177: Art. 31 GG solle Kollisionen vermeiden. 132 Vgl. zuletzt BVerfG BayVBl. 1999, S. 1095 (1097). Art. 31 GG müsste korrekterweise lauten: „Verfassungsgemäßes Bundesrecht bricht entgegenstehendes rechtmäßiges Landesrecht“ (März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 21; v. Münch, Staatsrecht I, Rn. 584 f.;); vgl. Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 16 f.; Schilling, Rang, S. 429. – Der Vorrang der Kollisionsvermeidungsnormen (etwa des Art. 28 Abs. 1 GG als negativer Kompetenznorm) vor Art. 31 GG als Kollisionsentscheidungsnorm steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Nach dessen st. Rspr. kann Art. 31 GG keine Wirkung haben auf ein Problem, das bereits durch Art. 28 Abs. 1 GG gelöst ist (Vorrang des Homogenitätsgebotes), s. BVerfGE 36, 342 (360 ff.): „Soweit das Grundgesetz, insbesondere Art. 28 Abs. 1 GG, die Freiheit gibt, dass der Gliedstaat in seine Verfassung eine Bestimmung aufnehmen kann, unterscheide sie sich von einer Regelung des Grundgesetzes oder stimme sie mit ihr überein, kann Art. 31 GG nicht die Kraft haben, sie zu ‚brechen’, was immer das bedeuten mag“; vgl. BVerfGE 41, 88 (119). 133 P. M. Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rn. 7 f.; Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (864): „Normative Über- und Unterordnung“. 134 Dort regelt sich das Rangverhältnis nach dem lex-posterior-Satz, s. Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG. Dazu oben unter B. III. 1. a) aa), Fn. 73. 130

B. Kollisionsvermeidung und Kollisionsentscheidung

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der lex specialis zu den Artt. 70 ff. GG135 – die Rangfrage stellt sich erst, wenn die betreffenden Normen kompetenzgemäß zustande gekommen sind –, noch ist Art. 31 GG als höherrangige Sanktionsnorm einzuordnen, aus welcher erst der Vorrang des Bundesrechts vor kompetenzwidrigem Landesrecht resultieren würde:136 Die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes sind für die Länder konstitutiv.137 Indem Art. 31 GG schlicht statuiert: „Bundesrecht bricht Landesrecht“, dehnt er den Grundsatz der Normenpyramide, wonach Recht einer niedrigeren Rechtsetzungsautorität Normen einer übergeordneten nicht modifizieren kann, auf das Verhältnis der staatlichen Ebenen von Bund und Ländern aus.138 In dieser generellen139 Kollisionsentscheidungsnorm kommt eine föderale Selbstverständlichkeit zum Ausdruck: Eine gesamtstaatliche Norm hat grundsätzlich Vorrang,140 ihre einheitliche Geltung im Bundesstaat ist nicht durch Normen des Landesrechts bedingt.

2. Gemeinschaftsrechtliche Dimension Die Mechanismen der Kollisionsvermeidung bzw. Kollisionsentscheidung sind im Verhältnis von Landes- und Gemeinschaftsrecht nicht dieselben wie in demjenigen von Bundes- und Gemeinschaftsrecht. Dies korrespondiert der „Landesblindheit“ der EU/EG: Die Bundesrepublik Deutschland ist als Gesamt-

___________ 135 So aber Stern, Staatsrecht I, S. 720; für die Artt. 70 ff. GG als leges speciales zu Art. 31 GG Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 31 Rn. 1, 17 f.; Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 31 Rn. 3. 136 Ebenso März, Bundesrecht, S. 119 ff. m.w.N.; a.A. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 118 Fn. 47. 137 Dazu oben unter B. III. 1. a). 138 s. Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 46. – Auch die Vorläufer des Art. 31 GG in der Verfassungsgeschichte (Art. 2 RV [1871] sowie Art. 13 Abs. 1 WRV) regelten das Verhältnis beider Normebenen in diesem Sinne. Dazu etwa März, Bundesrecht, S. 68 ff., und Wiederin, Bundesrecht, S. 272 ff. 139 Andere Kollisionsregeln behalten ihre Bedeutung, s. BVerfGE 36, 342 (364). Die betreffende Einordnung des Art. 31 GG drängt sich durch seine Nähe zu Art. 30 GG als föderalistischer Grundnorm nachgerade auf; vgl. (mit Blick auf die Weimarer Reichsverfassung) Hensel, in: Anschütz/Thoma, HdbDStR II, § 84, S. 314 ff.; Fleiner, VVDStRL 6 (1929), S. 3 (6 ff.). 140 s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (30). Das Landesrecht ist dem Bundesrecht freilich nicht kategorisch und umfassend (etwa nach Art der lex superior-Regel) untergeordnet. – Gleichwohl enthält nicht jede bundesstaatliche Verfassung eine (geschriebene) Norm dieses Inhalts; dazu März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 3 m.w.N.

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

staat deren Mitglied.141 Dementsprechend sind wiederum die bundesstaatlichen Kollisionsnormen in Ansatz zu bringen.142 Als Kollisionsvermeidungsmechanismus im Verhältnis von Landes- und Gemeinschaftsrecht ist der Grundsatz der Bundestreue von Bedeutung. Diese Kompetenzausübungsschranke verpflichtet die Länder, im gesamtstaatlichen Interesse etwa diejenigen Verpflichtungen einzuhalten, die sich aus den vom Bund abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen ergeben.143 Entsprechendes gilt für die Durchführung von Rechtsetzungsakten der EG.144 Landesrecht, das in Verletzung jenes Grundsatzes erlassen wird, ist ultra vires ergangen und damit nichtig.145 Ist sowohl das Landes- wie auch das Gemeinschaftsrecht kompetenzgemäß zustande gekommen, stehen sich zwei einander potentiell inhaltlich widersprechende Normen gegenüber. Etwaige Normenkollisionen sind durch die bundesstaatlichen Kollisionsentscheidungsregeln aufzulösen. Dies stellt sicher, dass sich in keinem Fall die landesrechtliche Norm durchsetzt, und zwar unabhängig davon, ob diese primärem oder sekundärem Gemeinschaftsrecht entgegensteht. Soweit das Gemeinschaftsrecht in Bundesrecht transformiert wurde, kommt im Kollisionsfall ein Eingreifen des Art. 31 GG in Betracht. Dies ist zu bejahen für das primäre Gemeinschaftsrecht, da es durch Transformation der betreffenden völkerrechtlichen Verträge gem. Art. 59 Abs. 2 GG Teil des Bundesrechts wurde.146 Im Unterschied zum Primärrecht fällt das sekundäre Gemeinschaftsrecht mangels Transformation nicht in den Anwendungsbereich des Art. 31 GG:

___________ 141

Dazu 1. Kap. unter A. II. Dies verkennt etwa Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 320 f. – Nichts anderes ergibt sich aus dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 2 EG [Art. 5 Abs. 3 EUzF]): Diese Kompetenzausübungsschranke (zu ihr oben unter B. II. 1.) hat lediglich Rechtsverhältnisse zwischen der EG und den Mitgliedstaaten im Blick, nicht solche zwischen der EG und Untergliederungen ihrer Mitgliedstaaten. 143 s. BVerfGE 6, 309 (328, 361 f.). 144 Zur Pflicht von Bund und Ländern, bei der Vorbereitung von Rechtsetzungsakten der EG zusammenzuarbeiten, BVerfGE 92, 203 (230 ff.), allerdings mit Bezug auf die Rechtslage vor Einfügung des Art. 23 (n.F.) GG. – Seit der Verfassungsänderung v. 21.12.1992 (BGBl. I, S. 2086) regelt Art. 23 GG (auch), wie die Länder durch den Bundesrat an der Willensbildung in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirken. Dazu sowie zum Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union v. 12.3.1993 (BGBl. I, S. 313) Schede, Bundesrat; eingehend zur ausdifferenzierten (und recht komplizierten) Kompetenzabstufung gem. Art. 23 Abs. 2-7 GG auch Scholz, NVwZ 1993, S. 817 (822 ff.). 145 Näher zum Grundsatz der Bundestreue als Kollisionsvermeidungsmechanismus oben unter B. III. 1. b) aa). 146 Dazu März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 33. 142

C. Ansatz für Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes

211

Es kann nicht dem Bundesrecht zugeordnet werden.147 Im Falle einer Normenkollision ist insoweit auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts zu rekurrieren.148

C. Ansatz für Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes I. Kollisionsvermeidung

Nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EG [Artt. 3 Abs. 6, 5 Abs. 1, 2 EUzF]) ist die EG grundsätzlich lediglich dann zur Rechtsetzung befugt, wenn sich in den Verträgen eine ausdrückliche Ermächtigung hierfür findet. Ist ein Gemeinschaftsrechtsakt unter Verstoß gegen diesen Kollisionsvermeidungsmechanismus zustande gekommen, hat dies seine Nichtigkeit zur Folge.149 Eine Aussage zur Verankerung von Staatszielbestimmungen im mitgliedstaatlichen Verfassungsrecht kann jenem Rechtsgrundsatz nicht entnommen werden: Er ist allein für die Wirksamkeit des sekundären Gemeinschaftsrechts von Bedeutung. Ebenfalls keine Kompetenzschranke für die Verankerung von Staatszielbestimmungen im Grundgesetz ergibt sich aus dem Subsidiaritätsprinzip i. S. des Art. 5 Abs. 2 EG (Art. 5 Abs. 3 EUzF). Dieses Prinzip statuiert, wie gesagt,150 Voraussetzungen dafür, dass die EG bei Vorliegen einer Kompetenzgrundlage von der betreffenden Kompetenz auch tatsächlich Gebrauch machen kann. Als Kompetenzschranke begrenzt es keineswegs den Spielraum der Mitgliedstaaten bei der nationalen Verfassunggebung bzw. der Verfassungsänderung, sondern es bezieht sich lediglich auf sekundärrechtliche Vorschriften der Gemeinschaft. Etwas anderes gilt für den Grundsatz der Gemeinschaftstreue. Dieses Loyalitätsgebot verpflichtet die Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung derjenigen Verpflichtungen zu treffen, die sich aus dem EG oder aus Handlungen der EG-Organe ergeben (Art. 10 Abs. 1 S. 1 EG [vgl. Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUzF]), und alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Gemeinschaftsziele gefährden könnten (Art. 10 Abs. 2 EG [vgl. Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUzF]).151 Diese Kompetenzausübungsschranke verlangt ___________ 147

Art. 23 GG ist also nicht etwa lex specialis zu Art. 31 GG als genereller Kollisionsentscheidungsnorm. 148 Näher zu jenem Institut oben unter B. II. 2. 149 Dazu oben unter B. II. 1. 150 s. oben unter B. II. 1. 151 Zum Gehalt des Art. 10 EGV (Art. 4 Abs. 3 EUzF) als Missbrauchs- und Umgehungsverbot sowie zu den aus dieser Vorschrift abgeleiteten Rechtspflichten der Mitgliedstaaten beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts v. Bogdandy, in: Grabitz u.a., EUV/

212

4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Beachtung auch mit Blick auf die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes.152 Steht eine dieser Zielvorgaben zu jenen mitgliedstaatlichen Loyalitätspflichten im Widerspruch, ist sie, zumal kompetenzwidrig zustande gekommen, nichtig.

II. Kollisionsentscheidung durch den Vorrang des Gemeinschaftsrechts

1. Anwendbarkeit des Vorrangs auch gegenüber dem Grundgesetz Der Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts greift nicht lediglich in Bezug auf das einfachgesetzliche Recht der Mitgliedstaaten. Könnten dem Gemeinschaftsrecht die mitgliedstaatlichen Verfassungen entgegengehalten werden, würde die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt. Dementsprechend erhebt der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Anspruch, dass Gemeinschaftsrecht jedweder Stufe Vorrang einzuräumen ist vor jeder mitgliedstaatlichen Rechtsquelle.153 Grundsätzlich haben gemeinschaftsrechtliche Vorschriften demnach – dies ist unbestritten – Vorrang auch vor Normen des Grundgesetzes.154

2. Voraussetzungen für das Eingreifen des Vorrangs a) Kompetenzgemäß zustande gekommene Normen Eine durch das Institut des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts aufzulösende Normenkollision setzt voraus, dass das Bundesrecht (aus Intra-Ebenen-Sicht) kompetenzgemäß zustande gekommen ist.155 Gleiches gilt für das primäre und das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Noch nicht endgültig geklärt ist, ob das ___________ EGV I, Art. 10 EGV Rn. 33 ff.; Epiney, in: Bieber u.a., Union, § 2 Rn. 63 ff.; v. Bogdandy, in: ders., Verfassungsrecht, S. 149 (200 ff.). 152 Aus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue folgt die Pflicht der Mitgliedstaaten, ihre Rechtsordnungen den Erfordernissen der EU/EG anzupassen. Zur Frage, ob dies zu einer Pflichtenstellung auch bei Anpassungen des mitgliedstaatlichen Verfassungsrechts führt, Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 114 m.w.N. 153 Grundlegend EuGHE 1964, 1251 (1269 f.); 1978, 629 (643 ff.). 154 s. Classen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 23 Rn. 53 ff.; Bieber, in: ders. u.a., Union, § 3 Rn. 34; Streinz, Europarecht, Rn. 201 ff.; Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 113; Isensee, FS Stern, S. 1239 (1242); Hirsch, NVwZ 1998, S. 907 (908); krit. Brohm, StWuStP 1 (1990), S. 132 (152); P. M. Huber, AöR 116 (1991), S. 210 (240 ff.). 155 Die Voraussetzungen hierfür sind im Rahmen dieser Untersuchung nicht näher zu erörtern: Sie liegen allein auf der Ebene des Grundgesetzes, bleiben also aus InterEbenen-Perspektive außer Betracht.

C. Ansatz für Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes

213

kompetenzgemäße Zustandekommen des Gemeinschaftsrechts allein von gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben abhängig ist, oder ob es auch an der Reichweite des innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls gemessen werden muss. Letzteres hätte eine Begrenzung des Vorrangs durch mitgliedstaatliches Verfassungsrecht zur Folge. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und des überwiegenden Teils des bundesdeutschen Schrifttums ist jener Vorrang lediglich kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung anzuerkennen.156 Die Vorrangfrage ist nach diesem Ansatz von der Reichweite der Übertragung von Hoheitsrechten her zu beurteilen: Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts reicht lediglich so weit wie die verfassungsrechtliche Ermächtigung. Entscheidend ist jeweils, ob sich die EU/EG in den Grenzen der übertragenen Hoheitsrechte bewegt oder aus ihnen ausbricht.157 Dementsprechend macht das Bundesverfassungsgericht einen Prüfungsvorbehalt geltend,158 ob die jeweilige gemeinschaftsrechtliche Maßnahme von der Übertragung der Hoheitsrechte durch die Zustimmungsgesetze zu den Gründungsverträgen gedeckt ist.159 ___________ 156

s. jüngst BVerfG NJW 2009, S. 2267 (2285 f.); ebenso BVerfGE 37, 271 (280); 73, 339 (374 f.); 75, 223 (244); 89, 155 (190); statt vieler Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rn. 19, 26; Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 1 EGV Rn. 18; Isensee, FS Stern, S. 1239 (1255 f.); Seitz, FS Schiedermair, S. 265 (275 f.); P. Kirchhof, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 893 (898 ff., 908 f.); P. M. Huber, VVDStRL 60 (2001), S. 194 (216 f.). – Diese Auffassung dürfte sich mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gestärkt sehen: Anders als in der EV (s. Art. I-6 EV) ist der Vorrang des Unionsrechts vor mitgliedstaatlichem Recht im Vertrag von Lissabon nicht ausdrücklich normiert. Allerdings wird er auch nicht in Frage gestellt: Die „Erklärung zum Vorrang“ (ABl. 2007 C 306, S. 254) im Anhang des Vertrags verweist auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs; dazu Herrmann, in: Streinz u.a., Lissabon, § 10 S. 82 ff. 157 s. BVerfGE 75, 223 (242); 89, 155 (188). – Das Grundgesetz ermächtigt nach diesem Ansatz zwar zur Durchbrechung des „Souveränitätspanzers des Staates“ (mit Blick auf Art. 24 Abs. 1 [a.F.] GG Bleckmann, Europarecht, Rn. 380, 735 ff.), nicht aber zum Einbruch in den von Art. 79 Abs. 3 GG umrissenen Identitätskern der Verfassung, s. bereits BVerfGE 37, 271 (277); 73, 339 (375 f.). Die betreffende Rechtsprechung hat nunmehr in Art. 23 Abs. 1 GG Niederschlag gefunden. 158 Dieser Vorbehalt ist indes an derart hohe Hürden geknüpft, dass ihm in praxi wohl kaum Bedeutung zukommen dürfte. So sieht das Bundesverfassungsgericht etwa den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz als im Wesentlichen den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechend an, und in dieser Konstellation will es künftig von einer Überprüfung des Gemeinschaftsrechts am Maßstab des Grundgesetzes absehen, s. BVerfGE 73, 339 (387); vgl. 102, 147 (163 f.). 159 Vgl. BVerfGE 89, 155 (190). – Eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts nimmt das Bundesverfassungsgericht nicht für sich in Anspruch. Diese Aufgabe steht allein dem Europäischen Gerichtshof zu, dem es umgekehrt verwehrt ist, das Verfassungsrecht eines Mitgliedstaates auszulegen. Zum insoweit bedeutsamen Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG (Art. 267 AEU) P. M. Huber, Recht, § 21 Rn. 16 ff.; grundlegend Everling, Vorabentscheidungsverfahren.

214

4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Diesem „Kooperationsverhältnis“160 widerspricht der Europäische Gerichtshof. Ebenso wie für einen Teil des Schrifttums161 wurzelt jener Vorrang des Gemeinschaftsrechts für ihn unmittelbar in dessen Eigenständigkeit. Die Gründungsverträge hätten eine eigene, autonome Rechtsordnung geschaffen, die sich von den verfassungsrechtlichen Ermächtigungen der Mitgliedstaaten gelöst habe (sog. rein europarechtliche Lösung).162 Für die letztgenannte Auffassung (Vorrang des Gemeinschaftsrechts kraft Eigenständigkeit) spricht, dass bei einer Kopplung des Gemeinschaftsrechts an die Reichweite des innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls die einheitliche Rechtsanwendung in allen Mitgliedstaaten womöglich nicht zu gewährleisten wäre. Die Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung ist demgegenüber kein schlagendes Argument für einen so verstandenen Vorrang, da die Eigenständigkeit einer Rechtsordnung noch nichts über ihr Verhältnis zu anderen Rechtsordnungen aussagt.163 Die besseren Argumente sprechen aber für einen Vorrang des Gemeinschaftsrechts kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung. Dieses Recht hat sich (bislang) nicht von seiner völkerrechtlichen Grundlage gelöst, und ohne solche Loslösung kommt es weiterhin auf die verfassungsrechtlichen Ermächtigungen an.164 So sind etwa zur Ausweitung der Kompetenzen der EU/EG völkerrechtliche Verträge erforderlich.165 Zudem findet sich im nationalen Verfassungsrecht kein Anhaltspunkt für eine Suprematie des Gemeinschaftsrechts, im Gegenteil: Für die Bundesrepubik Deutschland folgt es heute aus Art. 23 Abs. 1 GG, dass der im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen enthaltene nationale Rechtsanwendungsbefehl die Grundlage für die Geltung des Gemeinschaftsrechts in der Bundesrepublik darstellt.166 Diese Brücke ist nicht mit dem Akt der Errichtung des Primärrechts hinfällig geworden.167 Die Notwendigkeit der effektiven ___________ 160

Zu ihm P. Kirchhof, in: Müller-Graff, Perspektiven, S. 163 ff. s. etwa Classen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 23 Rn. 63; ders., in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 24 Rn. 52 ff.; jeweils m.w.N. 162 s. zuerst EuGHE 1964, 1251 (1256); 1969, 1 (14). 163 s. Streinz, Europarecht, Rn. 211. 164 s. Streinz, Europarecht, Rn. 210. – Zur völkerrechtlichen Wurzel des primären Gemeinschaftsrechts Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Abschn. 1 Rn. 40 f. 165 Die Kompetenz-Kompetenz liegt nicht bei der EU/EG, sondern bei den Mitgliedstaaten, die als „Herren der Verträge“ (vgl. Art. 48 EU [Art. 48 EUzF]) umfassende Hoheitsgewalt besitzen; dazu oben unter B. II. 1. sowie im 1. Kap. unter A. II. 166 s. P. Kirchhof, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 893 (898 ff.); P. M. Huber, Recht, § 7 Rn. 12; a.A. Classen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 23 Rn. 52; jeweils m.w.N. – Zur Situation in anderen Mitgliedstaaten etwa Kadelbach, FS Zuleeg, S. 219 (221 ff.) m.w.N. 167 So aber etwa Everling, JZ 2000, S. 217 (225 f.). – Andernfalls würde sich die Frage stellen, wie die „Verfassung“ der EGKS bzw. EWG, wenn deren Gründung 1951 bzw. 1957 eine vom jeweiligen innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl unabhängige 161

C. Ansatz für Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes

215

Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts steht einem so verstandenen Vorrang nicht entgegen. Hält ein Sekundärrechtsakt die vertraglich begrenzten Kompetenzen der Gemeinschaft nicht ein, besteht auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht kein Interesse an seiner einheitlichen und gleichmäßigen Geltung. Das kompetenzgemäße Zustandekommen des Sekundärrechts ist mithin an der Reichweite des jeweiligen innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls zu messen. Dieser Anwendungsbefehl wird durch das nationale Verfassungsrecht gesteuert, und er muss dessen (ggf. auch materiellrechtliche) Vorgaben beachten.168 Die mitgliedstaatlichen Verfassungen sind daher auch nach Inkrafttreten der Gründungsverträge bzw. deren Änderung unverzichtbar für die Kontrolle, ob das Gemeinschaftsrecht die Grenzen der Zustimmungsgesetze einhält.169 Sekundärem Gemeinschaftsrecht, das aus dem verfassungsmäßig zugelassenen Integrationsprogramm ausbricht, kommt daher keine rechtliche Bindungswirkung zu.170

b) Unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts kommt weiterhin lediglich dann zum Tragen, wenn die in Rede stehende gemeinschaftsrechtliche Vorschrift unmittelbar anwendbar ist.171 Hierzu muss der fragliche Hoheitsakt im mitgliedstaatlichen Rechtsraum unmittelbare Durchgriffswirkung gegen staatliche Stellen bzw. den Einzelnen entfalten. Ist dies nicht der Fall, bedarf es mangels Kollision mit mitgliedstaatlichem Recht keiner Kollisionsentscheidung. Mittels des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts wirken sich also ausschließlich diejenigen Regelungen auf den Gesamtzusammenhang des mitgliedstaatli-

___________ Rechtsordnung ins Leben gerufen haben sollte, von den Mitgliedstaaten mehrfach grundlegend (etwa durch die EEA [1987] oder den EUV [1993]) hätte verändert werden können; ebenso P. M. Huber, Recht, § 7 Rn. 7. 168 Näheres bei P. M. Huber, Recht, § 7 Rn. 10. – So hat das Gemeinschaftsrecht etwa aus deutscher Sicht die in Art. 23 Abs. 1 S. 3 und Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten integrationsfesten Prinzipien zu beachten. 169 s. P. M. Huber, Recht, § 9 Rn. 18 f. 170 s. P. M. Huber, Recht, § 9 Rn. 14 ff. – Für das primäre Gemeinschaftsrecht dürfte sich diese Frage in der Praxis hingegen kaum einmal stellen, ist doch davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich lediglich das in die Verträge aufnehmen, was sie nach ihrer Verfassungsordnung auch realisieren dürfen. 171 s. Isensee, FS Stern, S. 1239 (1243); Nettesheim, AöR 119 (1994), S. 261 (280); a.A. Classen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 23 Rn. 53; zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht H. G. Fischer, Europarecht, Rn. 219 ff.

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

chen Rechts aus, die unmittelbar anwendbar sind.172 Dies sind zunächst einmal solche Bestimmungen des Primärrechts, die erstens hinreichend bestimmt (also „rechtlich vollkommen“) und inhaltlich unbedingt sind, die den Mitgliedstaaten zweitens eine Handlungs- oder Unterlassungspflicht auferlegen, dabei drittens keine weiteren Vollzugsmaßnahmen erfordern und viertens den Mitgliedstaaten keinen Beurteilungs- oder Ermessensspielraum belassen.173 Unmittelbar anwendbar sind des Weiteren die EG-Verordnungen. Diese haben gem. Art. 249 Abs. 2 EG (Art. 288 Abs. 2 AEU) allgemeine Geltung, sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Ausnahmsweise können darüber hinaus auch Richtlinien (Art. 249 Abs. 3 EG [Art. 288 Abs. 3 AEU]) unmittelbare Wirkung entfalten. Hierfür müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens muss die Richtlinie eine Individualbegünstigung enthalten, zweitens muss die Frist zur Umsetzung abgelaufen sein, und drittens müssen die Regelungen derart bestimmt bzw. abschließend formuliert sein, dass den Mitgliedstaaten kein Spielraum bei der Umsetzung bleibt.174

c) Inhaltlicher Widerspruch Schließlich setzt eine Kollisionslage, in der der Vorrang des Gemeinschaftsrechts greift, voraus, dass die gemeinschaftsrechtliche und die mitgliedstaatliche Norm bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen. Es muss unmöglich sein, (kumulativ) beide Normbefehle zu befolgen, ohne dass einer der beiden Sollenssätze verletzt oder missachtet wird. Dies ist der Fall, wenn dieselbe Rechtsfrage mit einander widersprechender Rechtsfolge geregelt ist.175 Bei Unterschiedlichkeit ohne Unvereinbarkeit der Normbefehle liegt keine Kollisionslage vor: Die Anwendung von Normen, die einen identischen Regelungsgegenstand verschieden, aber nicht gegensätzlich regeln, kann keinesfalls zu ei___________ 172

Beispiele bei E. Klein, Vereinheitlichung, S. 117 u. 133 f.: etwa Umwandlung der Ermessensentscheidung nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG in eine gebundene Entscheidung der Behörde, dazu EuGHE 1983, 2633 (2666); P. M. Huber, Recht, § 10 Rn. 31. 173 St. Rspr. seit EuGHE 1963, 1 (24 ff.); Streinz, Europarecht, Rn. 407 ff.; Beispiele bei Nicolaysen, Europarecht I, S. 86 f. 174 St. Rspr. des Europäischen Gerichtshofs seit EuGHE 1970, 1213 ff.; eingehend Streinz, Europarecht, Rn. 444 ff. – Die unmittelbare Wirkung von Richtlinien beinhaltet eine nicht zu unterschätzende Sprengkraft für die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, s. etwa Schmidt-Aßmann, FS Lerche, S. 513 (526); dens., FS Stern, S. 745 (754 f.); mit Blick auf das Umwelt- und Technikrecht Papier, DVBl. 1993, S. 809 ff. Nicht unproblematisch ist insoweit auch der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung; zu dessen Auswirkungen auf die Gesetzesgebundenheit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) Schwarze, in: ders., Verwaltungsrecht, S. 123 (132 ff.); Pagenkopf, NVwZ 1993, S. 216 (222). 175 Vgl. P. M. Huber, Recht, § 9 Rn. 1, 22, der insoweit von einer „direkten oder unmittelbaren Kollision“ spricht.

C. Ansatz für Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes

217

nem widersprüchlichen Ergebnis führen. Mangels Normwiderspruchs fehlt es in einem solchen Fall gemeinschaftsrechtskonform auszulegenden mitgliedstaatlichen Verfassungsrechts an einer Kollisionslage.176 Gleiches gilt in denjenigen Konstellationen, in denen sich eine gemeinschaftsrechtliche Regelung verfassungskonform auslegen lässt.177 Die Fälle nicht gegensätzlich, sondern lediglich enger bzw. weiter (aber gleichgerichtet) gefasster Normanordnungen sind mangels Normwiderspruchs nicht „kollisionsfähig“.

3. Rechtsfolge Es besteht (mittlerweile) Einigkeit, dass es sich bei dem Institut des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts um keinen Geltungsvorrang handelt, sondern um einen Anwendungsvorrang.178 Im Fall einer Kollision von mitgliedstaatlichem und EG-Recht ist das mitgliedstaatliche Recht lediglich unanwendbar, also nicht in seiner Geltung beeinträchtigt.179 Eine mitgliedstaatliche Norm wird demnach selbst dann nicht durch Gemeinschaftsrecht außer Kraft gesetzt, wenn sie diesem widerspricht. Es kommt vielmehr lediglich zu einer Überlagerung in der Weise, dass die mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte im konkreten Kollisionsfall der gemeinschaftsrechtlichen Norm den Vorzug geben müssen,180 dass also das mitgliedstaatliche Recht bei einer Kollision zurücktritt. In allen anderen Konstellationen (wenn also kein Gemeinschaftsrecht anzuwenden ist, weil ___________ 176 Allg. zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des mitgliedstaatlichen Rechts oben unter B. II. 1. – Aus Gründen der Normenklarheit sollte eine mitgliedstaatliche Norm, die aufgrund ihrer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegbarkeit nicht mit Vorschriften des Gemeinschaftsrechts kollidiert, an die betreffenden Regelungen der EG angepasst werden. 177 Es ist nicht lediglich das mitgliedstaatliche Recht gemeinschaftsrechtskonform auszulegen, sondern ggf. auch das Gemeinschaftsrecht verfassungskonform: Wo das Integrationsprogramm des mitgliedstaatlichen Verfassungsrechts verlassen wird, setzt sich das nationale Verfassungsrecht gegenüber dem Gemeinschaftsrecht durch (dazu eingehend oben unter C. II. 2. a]), und dem muss auch bei der Auslegung Rechnung getragen werden. Ebenso P. M. Huber, Recht, § 10 Rn. 12 ff. 178 s. EuGHE 1991-I, 297 (321); BVerfGE 73, 339 (375); 85, 191 (204); ebenso die h.L., s. bereits H. P. Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 277 ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 544; Vedder, in: ders./Heintschel v. Heinegg, Verfassungsvertrag, Art. I-6 Rn. 9 ff.; Oppermann u.a., Europarecht, § 11 Rn. 27 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 222; vgl. Kahl, Verw 29 (1996), S. 341 (375). – Der an Art. 31 GG angelehnte Ansatz von Grabitz, Gemeinschaftsrecht, S. 1 ff., demzufolge Gemeinschaftsrecht nationales Recht „bricht“, hat sich zu Recht nicht durchsetzen können. 179 s. P. M. Huber, Recht, § 9 Rn. 20 f.; Seitz, FS Schiedermair, S. 265 (277 f.); vgl. Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (931); allg. zum Begriff „Anwendungsvorrang“ Ehlers, DVBl. 1991, S. 605 (608). 180 s. EuGHE 1989, 1839; 1991-I, 297 (321). – Nationale Rechtsvorschriften, die unmittelbar anwendbaren Richtlinien widersprechen, müssen die mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden unangewendet lassen; dazu EuGH DVBl. 1990, S. 689 (689).

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

kein Gemeinschaftsrechtsbezug gegeben ist) bleibt das mitgliedstaatliche Recht anwendbar.181 Nach alldem kann durchaus davon gesprochen werden, dass die im Zustimmungsgesetz zu den Gründungsverträgen enthaltene Anordnung des Anwendungsvorrangs das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich zur lex specialis gegenüber deutschem Recht bestimmt.182 Ebenso sei darauf hingewiesen, dass dieser Vorrang keine Sperrwirkung gegenüber künftig erlassenem mitgliedstaatlichem Recht entfaltet. Die materielle Unvereinbarkeit nationaler Rechtsetzungsakte mit gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften verhindert keineswegs deren wirksames Zustandekommen.183

III. Zusammenfassung

Das gemeinschaftsrechtliche Arsenal an Mechanismen bzw. Normen der Kollisionsvermeidung erweist sich mit Blick auf die Verankerung von Staatszielbestimmungen im Grundgesetz keineswegs als besonders ergiebig. Dieser Befund korrespondiert nicht zuletzt dem Umstand, dass es sich bei der EU/EG um (noch) keinen Staat handelt, sondern um einen Staatenverbund. Allein für die Wirksamkeit des sekundären Gemeinschaftsrechts von Bedeutung ist der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EG [Artt. 3 Abs. 6, 5 Abs. 1, 2 EUzF]). Eine Aussage zur Verankerung von Staatszielbestimmungen im mitgliedstaatlichen Verfassungsrecht kann ihm nicht entnommen werden. Gleiches gilt für das Subsidiaritätsprinzip i. S. des Art. 5 Abs. 2 EG (Art. 5 Abs. 3 EUzF). Auch diese Kompetenzschranke bezieht sich allein auf die Wirksamkeit sekundärrechtlicher Regelungen. Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EG [Art. 4 Abs. 3 EUzF]) hingegen verlangt Beachtung bei der Verankerung von Staatszielbestimmungen im mitgliedstaatlichen Verfassungsrecht. Ein Verstoß gegen diese Kompetenzausübungsschranke hat die Nichtigkeit des betreffenden Rechtsakts zur Folge, d. h. eine Staatszielbestimmung des Grundgesetzes, die im Widerspruch zu den mitgliedstaatlichen Loyalitätspflichten steht, ist unwirksam.

___________ 181 Der Anwendungsvorrang steht mithin unweigerlich in Verbindung mit dem Anwendungszusammenhang; dazu Schmitt Glaeser, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 205 (224 ff.). – Von großer Bedeutung ist jene Anwendbarkeit einer gemeinschaftsrechtswidrigen mitgliedstaatlichen Norm insbesondere in der Konstellation der sog. Inländerdiskriminierung; zu ihr Drexl, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 747 (794 ff.); Streinz, Europarecht, Rn. 810 ff.; jeweils m.w.N. 182 Ebenso P. M. Huber, Recht, § 9 Rn. 17 m.w.N. 183 Dazu P. M. Huber, Recht, § 9 Rn. 12 m.w.N.

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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Lässt sich eine (kompetenzgemäß zustande gekommene) Staatszielbestimmung des Grundgesetzes nicht gemeinschaftsrechtskonform auslegen, bedarf es einer Kollisionsentscheidung. In einer solchen Konstellation muss sich grundsätzlich die supranationale Norm durchsetzen. Hierzu ist das Institut des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts gegenüber jeder mitgliedstaatlichen Rechtsnorm in Ansatz zu bringen. Dieser Vorrang greift unter drei Voraussetzungen: Die betreffenden Normen müssen kompetenzgemäß zustande gekommen sein, die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift muss unmittelbar anwendbar sein, und schließlich müssen die Normen bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen. Unterschiedliche Auffassungen bestehen mit Blick darauf, ob sich das kompetenzgemäße Zustandekommen des Sekundärrechts allein nach gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben bemisst. Nach hier vertretenem Ansatz ist dies zu verneinen, d. h. das Sekundärrecht ist (auch) von der Reichweite des jeweiligen innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls abhängig. Hinsichtlich der Rechtsfolge dieses Vorrangs besteht Einigkeit, dass das gemeinschaftsrechtswidrige Bundesrecht (lediglich) im konkreten Kollisionsfall unanwendbar ist. Auf rein innerstaatliche Sachverhalte kann solches Bundesrecht weiterhin angewandt werden. Auch eine Staatszielbestimmung des Grundgesetzes, die im Widerspruch zu Gemeinschaftsrecht steht, verfügt demnach grundsätzlich (wenn auch nicht in vollem Umfang) über aktuelle normative Bedeutung: Nicht zu beachten ist eine solche Zielvorgabe lediglich in denjenigen Konstellationen, in denen entgegenstehendes Gemeinschaftsrecht anzuwenden ist.

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen I. Bundesstaatliche Dimension

1. Kollisionsvermeidung Von den Kompetenznormen des Grundgesetzes nicht gedecktes oder in Verletzung des Grundsatzes der Bundestreue ergangenes Landesrecht ist ultra vires ergangen und demnach ex tunc nichtig.184 An welchen Kollisionsvermeidungsnormen des Grundgesetzes landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen zu messen sind, ist indes weniger klar und musste bislang höchstrichterlich nicht entschieden werden.185 Im Folgenden wird die Antwort auf diese Frage zunächst mit Blick auf die positiven Kompetenznormen der Artt. 70 ff. GG ausgeleuch___________ 184

Insoweit bedarf es keiner Kollisionsentscheidung. Zu Art. 31 GG als Kollisionsentscheidungsnorm oben unter B. III. 1. c). 185 Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen waren bislang nicht Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht. In BVerfGE 36, 342 (364) wurden allerdings zumindest einmal „Verfassungsaufträge“ erwähnt.

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

tet, sodann hinsichtlich der folgenden drei negativen:186 Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 142 GG und Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Bundesgrundrechten.187 Schließlich rückt der Grundsatz der Bundestreue in´s Blickfeld.

a) Artt. 70 ff. GG aa) Bindung des gesamten Landesverfassungsrechts? Nach einem Ansatz ist das gesamte Landesverfassungsrecht an die Zuständigkeitsverteilung der Artt. 70 ff. GG im Sinne eines rechtsetzenden EntwederOder gebunden.188 Für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen wäre daher jeweils ein kompetenzrechtlicher Anknüpfungspunkt erforderlich. Die Länder verfügen freilich lediglich im Bereich ihrer ausschließlichen Zuständigkeit über eine unbestrittene Gesetzgebungskompetenz. Darüber hinaus wird verschiedentlich auch im Falle der konkurrierenden Zuständigkeit des Bundes (Artt. 72, 74 GG) eine kompetenzrechtliche Anknüpfungsmöglichkeit bejaht. Insoweit ist etwa von „Gesetzgebungsaufträgen auf Vorrat“189 die Rede: Es handele sich jedenfalls um eine potentielle Zuständigkeit der Länder.190 Schließlich wird ein solcher Anknüpfungspunkt vereinzelt sogar im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Artt. 71, 73 GG) gesehen, da es gem. Art. 71 GG zu einer Regelungsermächtigung der Länder durch den Bund kommen könne.191 Nach anderem Unteransatz verfügen die Länder für

___________ 186 Andere negative Kompetenznormen sind gegenüber landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen entweder offensichtlich von vornherein unanwendbar oder von (insoweit) eher marginaler Bedeutung. 187 Die übrigen Durchgriffsnormen wie etwa Art. 33 Abs. 4 u. 5 oder Art. 34 GG bleiben außer Betracht: Sie haben für Staatszielbestimmungen keine Relevanz. 188 Vgl. P. M. Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rn. 16; März, Bundesrecht, S. 171 ff.; Wiederin, Bundesrecht, S. 344 ff.; Isensee, SächsVBl. 1994, S. 28 (30); Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (863); dens., ThürVBl. 1993, S. 121 (122); Uerpmann, Staat 35 (1996), S. 428 (431 ff.). 189 Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 44. 190 s. etwa März, Bundesrecht, S. 184: Landesverfassungsrechtliche Gesetzgebungsaufträge seien suspendiert, solange Bundesgesetze in den jeweiligen Sachbereichen bestünden; mit Wiederaufleben der Regelungskompetenz des Landes erteilten sie verbindliche Vorgaben. Vgl. P. M. Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rn. 17. 191 Bis die Regelungskompetenz des Landes infolge entsprechender Regelungsermächtigung vorliegt, sei die betreffende landesverfassungsrechtliche Norm suspendiert. Vgl. Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 42, 47; a.A. (Nichtigkeit für den Bereich der Artt. 71, 73 GG) März, Bundesrecht, S. 185 (s. aber inzwischen dens., in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 87: Landesverfassungsrecht sei nicht von den Kompetenzverteilungsschemata der Artt. 70 ff. GG erfasst.).

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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das gesamte Landesverfassungsrecht über eine ungeschriebene Kompetenz kraft Natur der Sache.192 Die Vertreter dieser Auffassung, derzufolge auch das Landesverfassungsrecht an die Artt. 70 ff. GG gebunden ist, verweisen darauf, das Grundgesetz trenne kompetenzrechtlich nicht zwischen einfacher Gesetzgebung und Verfassungsgesetzgebung der Länder. Die Verfassunggebung sei eine (besondere) Form der Gesetzgebung. Des Weiteren führen sie ins Feld, die Form des Verfassungsrechts biete „keine Handhabe, eine fehlende Sachkompetenz zu überspielen“.193 Das Wesen der gesamtstaatlichen Organisation werde nicht im Gegeneinander der Verfassungsrechtsordnungen von Bund und Ländern deutlich, sondern in deren Neben- und Miteinander. Deshalb könne Landesverfassungsrecht keine Aussagen für Sachmaterien treffen, die sich der Bund zur Gesetzgebung vorbehalten habe.194 Die besseren Argumente sprechen gegen eine solche Bindung. Die elementare Vorschrift für die Zuständigkeit der Länder zur eigenen Verfassunggebung, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, steht im II. Abschnitt des Grundgesetzes (Überschrift: „Der Bund und die Länder“), ebenso wie auch die anderen Regelungen, die das grundsätzliche Bund-Länder-Verhältnis betreffen (etwa Artt. 20 Abs. 1, 30, 31 und 32 GG). Demgegenüber finden sich die Artt. 70 ff. GG im VII. Abschnitt („Die Gesetzgebung des Bundes“), und zwar in unmittelbarer Nachbarschaft zu den eher technischen Normen, die das Gesetzgebungsverfahren des Bundes regeln. Dies ist, auch wenn das Grundgesetz mit Blick auf die Kompetenzverteilung im Bundesstaat nicht ausdrücklich zwischen einfacher Gesetzgebung und Verfassunggebung unterscheidet,195 ein erster Anhaltspunkt dafür, dass die Kompetenzverteilung der Artt. 70 ff. GG einfaches (Bundes- und) Landesrecht erfasst, nicht aber Verfassungsrecht196 – dieses liegt auf einer anderen Ebene als ___________ 192

s. Sachs, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 3 Rn. 13 ff.; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 83 f.; D. Franke/Kneifel-Haverkamp, JöR 42 (1994), S. 111 (144); vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 70 Rn. 4; zum entsprechenden materiellen Verfassungsrechtsbegriff O. Müller, Landesgrundrechte, S. 110. 193 s. Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (863). 194 Dies greift zu kurz: Keines der Sachgebiete ist durch die Kompetenzverteilungsschemata der Artt. 70 ff. GG von vornherein und ausnahmslos gliedstaatlicher Normierung entzogen. Dazu oben unter B. III. 1. a) aa). 195 Es finden sich freilich Bestimmungen (etwa Art. 28 Abs. 1 GG), die gerade die Verfassungsordnung der Länder betreffen. 196 Die Verfassungsgesetzgebung des Bundes unterfällt nach allgemeiner Auffassung nicht den Kompetenzverteilungsregeln der Artt. 70 ff. GG: Art. 79 GG weist dem verfassungsändernden Gesetzgeber auf gesamtstaatlicher Ebene eine KompetenzKompetenz zu, die die Artt. 70 ff. GG als reguläre Kompetenzverteilungsschemata überlagert. Daraus lässt sich folgern, dass auch die Landesverfassunggebung eine andere Qualität als die einfache Gesetzgebung hat und demzufolge das Landesverfassungsrecht den Artt. 70 ff. GG entzogen ist. Ebenso v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 157.

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

jenes.197 Auch würde der von Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Gestaltungsspielraum der Länder bei der Ausgestaltung ihrer verfassungsmäßigen Ordnung übermäßig beschränkt, wenn die Normen des Landesverfassungsrechts an den Artt. 70 ff. GG zu messen wären;198 aus einer solchen Unterwerfung würde ein „Verfassungstorso“199 resultieren.200 Eine derartige Zerstückelung der Landesverfassungen ist aus bundesstaatlicher Sicht weder angezeigt noch erforderlich.201 Zudem ist es nicht widerspruchsfrei, das Landesverfassungsrecht an die Kompetenzverteilungsschemata der Artt. 70 ff. GG gebunden zu sehen, im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes (Artt. 72, 74 GG) aber einen kompetentiellen Anknüpfungspunkt für landesverfassungsrechtliche Regelungen zu bejahen. Unter der Prämisse „Bindung auch des Landesverfassungsrechts an die Artt. 70 ff. GG“ handelt es sich bei der Aufnahme einer Staatszielbestimmung in eine Landesverfassung um Gesetzgebung i. S. dieser positiven Kompetenznormen, d. h. die betreffende Zielvorgabe wäre, wenn der Bund den Bereich einfachgesetzlich geregelt hat, wegen Verstoßes gegen jene Kompetenznormen unwirksam, und ihr späteres Wiederaufleben ausgeschlossen.202 Dieser Widerspruch ist auch der weitergehenden Auffassung entgegenzuhalten, die sogar im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes (Artt. 71, 73 GG) einen kompetentiellen Anknüpfungspunkt für landesverfassungsrechtliche Regelungen sieht.203 ___________ 197 Vgl. Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 57: „Gesetzgebung und Verfassunggebung liegen auf verschiedenen Ebenen“. 198 Ebenso i. E. BVerfGE 36/34, 342 (364 ff.); März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 87; a.A. wohl Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 23 f. 199 BVerfGE 36, 342 (361). 200 Vgl. Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 62 f. 201 Zum einen werden die Programmsätze, Staatszielbestimmungen und auf die Ebene der Landesverfassung angehobenen Sachregelungen des einfachen Gesetzesrechts nicht allesamt mit Bundes(verfassungs)recht kollidieren: Ein inhaltlicher Widerspruch wird wohl nur in der geringeren Zahl der Fälle vorliegen. Zum anderen können Kollisionen zwischen Bundes(verfassungs)recht und Landesverfassungsrecht, wie noch zu zeigen sein wird (sogleich unter D. I. 1. b]-e] u. 2.), auch durch andere bundesstaatliche Kollisionsnormen wirksam vermieden bzw. angemessen entschieden werden. 202 Bei Wegfall des Bundesrechts bedürfte es vielmehr einer erneuten Verankerung der betreffenden Zielvorgabe: Lediglich die Landesgesetzgebungszuständigkeit lebt wieder auf. Dazu oben unter B. III. 1. a) aa). 203 Demgegenüber mag die Befürchtung, die Bejahung eines kompetentiellen Anknüpfungspunktes leiste politisch motiviertem Missbrauch der Landesverfassungen Vorschub (so etwa Kanther, Landesverfassungen, S. 147), verfassungspolitisches Gewicht haben: dogmatisch fundiert ist sie nicht. Auch die Prognose, ein Wiederaufleben der Landeszuständigkeit sei ohnehin nicht zu erwarten und die einfachgesetzliche Umsetzung der Zielvorgaben daher ausgeschlossen, verdient unter dogmatischen Gesichtspunkten keine Beachtung.

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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Ebenso wenig zu überzeugen vermag der Unteransatz, der den Ländern eine ungeschriebene Kompetenz für Landesverfassungsrecht kraft Natur der Sache zuspricht. Einem solchen Kompetenztitel Landesverfassung steht die Regelungssystematik der Artt. 70 ff. GG entgegen.204 Auch wäre sein materieller Gehalt zu unscharf, um praxistauglich zu sein.205 Grenzen für die Aufnahme von Rechtssätzen in die Landesverfassung zieht insbesondere deren Charakter als normative Grund- und Rahmenordnung206 des staatlich-gesellschaftlichen Lebens,207 die (nur) dasjenige zum Ausdruck bringen muss, was für das jeweilige Gemeinwesen wichtig ist.208 Die Verfassungsdignität einer Vorschrift ist daher jeweils im konkreten Fall anhand einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln.209 Es ___________ 204 Die Länder verfügen gem. Art. 70 Abs. 1 GG dann über Gesetzgebungsbefugnisse, wenn diese dem Bund nicht ausdrücklich bzw. ggf. ungeschrieben zugewiesen sind; dazu oben unter B. III. 1. a) aa). Ungeschriebene Befugnisse der Länder kraft Natur der Sache sind mit dieser Regelungssystematik nicht zu vereinbaren. A.A. etwa Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (863), demzufolge sich eine thematisch in die Sachzuständigkeiten des Bundes übergreifende Verfassungskompetenz der Länder kraft Natur der Sache in die Gesamtrechtsordnung einfügen lässt. 205 A.A. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 83; ebenso wohl Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (863): „Typische Inhalte einfacher Gesetzgebung“ wie etwa Verpflichtungen für Privatpersonen fielen von vornherein aus dieser „Verfassungssonderkompetenz“ heraus. 206 Allgemein zu dieser Funktion einer Verfassung Stern, Staatsrecht I, S. 77 f.: „höchstrangige normative Aussage über die Grundprinzipien der Herrschafts- und Wertordnung im Staat“; Hesse, Grundzüge, Rn. 17: „rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens“. 207 Die Funktion der Verfassung, die wesentlichen Grundentscheidungen zu treffen, steht ihrer Überfrachtung mit Detailregelungen entgegen, s. Brenner, AöR 120 (1995), S. 248 (265 ff.). Daraus ergibt sich eine Grenze auch für die Aufnahme einfachen Bundesrechts in eine Landesverfassung; allg. Ossenbühl, DVBl. 1992, S. 468 (477): In die Verfassung solle „sowenig wie möglich und so viel wie nötig“ aufgenommen werden. Vgl. auch Bleckmann, JR 1978, S. 221 (223 f.): Aus der ratio des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG sei ein Transparenzgebot abzuleiten, das der Überfrachtung des Grundgesetzes mit an sich einfachgesetzlichen Norminhalten entgegenstehe. Zur Subsidiarität als Regulativ der Zuständigkeit des Verfassunggebers Merten, DÖV 1993, S. 368 (376). 208 Verallgemeinerungsfähig lässt sich die Frage nach den verfassungswesentlichen Inhalten nicht beantworten. Es „scheiden sich eben nicht nur die politischen, sondern auch die juristischen Geister bei der Frage nach dem Wesentlichen und dem bloß Sekundären“ (Stern, Staatsrecht I, S. 90). – Der Ansatz, die Verfassungsdignität einer Regelung danach zu bemessen, ob in ihr in besonderer Weise die Bindung staatlichen Handelns an einen der Staatszwecke zum Ausdruck kommt (so Iwers, Landesverfassung, S. 139 ff.), ist allenfalls vordergründig praktikabel. Gegen ihn sprechen die großen Unschärfen, mit denen er verbunden ist: Die Staatszwecke sind dem Recht vorgelagert; dazu 2. Kap. unter A. II. 8. b). 209 Zunehmend, vor allem seit Beginn des 20. Jahrhunderts, findet in der Verfassung nicht allein das Wesentliche Verankerung, sondern auch das, was der Änderung mit einfacher Mehrheit entzogen werden soll (dazu Stern, Staatsrecht I, S. 89 f.). Angesichts der Anreicherung durch solche „Verankerungsnormen“ (Forsthoff, FS E. R. Huber, S. 3 [7]) warnt etwa Böckenförde, AöR 106 (1981), S. 580 (600) vor einer den juristischen Gehalt der Verfassung aufweichenden „Überfrachtung und Überforderung des

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

kann eher umfangreiche wie auch weniger detaillierte Verfassungstexte geben.210 Soweit die Unanwendbarkeit der Artt. 70 ff. GG auf Landesverfassungsrecht allerdings damit begründet wird, das „Prinzip Freiheit“ liege dem Grundgesetz nicht lediglich in dessen I. Abschnitt zugrunde, sondern auch im Staatsorganisationsrecht,211 kann dem nicht gefolgt werden. Hinsichtlich Kompetenzfragen bleibt für subjektive Freiheit kein Raum:212 Zwischen (objektiven) Kompetenzen und (subjektiven) Rechten ist strikt zu unterscheiden.213

bb) Bindung allein der umsetzungsbedürftigen Regelungen? Ein weiterer (vereinzelt vertretener) Ansatz unterstellt das Landesverfassungsrecht nicht in seiner Gesamtheit der Bindung an die Artt. 70 ff. GG, sondern differenziert nach Normtypen.214 Er unterscheidet zwischen unmittelbar ___________ Verfassungsbegriffs, aber auch der Verfassungsfunktion“; zur richtungweisenden Vorstellung von der „Verfassung als Konzentrat“ Lerche, FG Maunz, S. 285 (287). 210 s. Häberle, FS Lerche, S. 189 (191). Die Verfassungsnormen müssen sich nicht auf allgemeine und grundsätzliche Aussagen beschränken, sondern es kann durchaus auch recht detaillierte Verfassungsbestimmungen geben, s. Dietlein, Grundrechte, S. 43; v. Mutius, VerwArch 66 (1975), S. 161 (165 Fn. 19). – Zu den bundesstaatlichen Grenzsteinen für gliedstaatliche Verfassungsgehalte Hahn, in: Kämmerer, Grenzen des Staates, S. 113 (128 ff.). 211 Dies soll sich insbesondere an Art. 28 Abs. 1 GG zeigen, s. Kanther, Landesverfassungen, S. 152. 212 Das Denken in den Kategorien von Freiraum/Schutzbereich und Eingriff/ Schranken, das die Grundrechte kennzeichnet, ist auf Kompetenzfragen nicht übertragbar; vgl. BVerfGE 81, 310 (338); Müller/Mayer/Wagner, VerwArch 93 (2002), S. 585 (590, 598); a.A. Kenntner, Föderalismus, S. 51 ff. 213 Die föderalen „Rechte“ sind nicht mit denen „von jedermann“ zu vergleichen: Die Organisationsnormen des Grundgesetzes haben ausschließlich objektiven Gehalt; subjektive Rechtspositionen zu Gunsten des Bundes oder der Länder lassen sich ihnen nicht entnehmen; s. Broß, in: v. Münch/Kunig, GG III, Vorbem. zu Artt. 83-87 Rn. 1; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR VI, § 126 Rn. 128: „Inadäquanz der Kategorie des subjektiven Rechts“. 214 So sind die Landesverfassungen bei Jutzi im Grundsatz von den Artt. 70 ff. GG freigestellt (ders., Landesverfassungsrecht, S. 21 f.), während die Wirksamkeit der landesverfassungsrechtlichen „Verfassungsaufträge“ und „Programmsätze“ im Regelfall an die kompetenzrechtliche Zuständigkeit der Adressaten für die Verwirklichung geknüpft ist (S. 41 ff., 47). Bei „konkret bzw. programmatisch verpflichtenden Gesetzgebungsaufträgen“ greife dieses Zuständigkeitserfordernis jedoch nicht, da das Grundgesetz von einer jedenfalls möglichen Zuständigkeit der Länder im Bereich der konkurrierenden wie auch der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes ausgehe (S. 41 f., 47). Schließlich sei die Zuständigkeit des Adressaten auch dann kein Wirksamkeitserfordernis, wenn diesen drei Normtypen kein „konkret verpflichtender“ Charakter eigne, sondern ein „auffordernder“ oder „ermächtigender“: In einer solchen Konstellation werde die Frage

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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anwendbaren Verfassungsnormen (etwa Staatsfundamentalnormen, Grundrechten und Grundpflichten) auf der einen Seite und Gesetzgebungsaufträgen sowie Staatszielbestimmungen als umsetzbarem bzw. umsetzungsbedürftigem Verfassungsrecht auf der anderen.215 Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen wären demnach an die Artt. 70 ff. GG gebunden. Dieser Ansatz konnte sich zu Recht nicht durchsetzen. Neben den Argumenten, die bereits gegen eine Bindung des gesamten Landesverfassungsrechts an jene Kompetenzverteilungsschemata sprechen,216 ist darauf zu verweisen, dass das Grundgesetz keinerlei Anhaltspunkte dafür liefert, dass die Artt. 70 ff. GG für den einen Normtyp anwendbar, für den anderen aber unanwendbar sind. Auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit stehen jener Auffassung entgegen, da die Zuordnung zu den Normtypen nicht immer trennscharf möglich ist.217

cc) Keine Bindung der Landesverfassungen bzw. der landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen Nach anderem Ansatz unterliegen landesverfassungsrechtliche Normen von vornherein nicht den Bindungen der Artt. 70 ff. GG. Landesverfassungsrecht sei an diese Kompetenzregeln nicht gebunden, wohl aber die Ausführung und die Konkretisierung landesverfassungsrechtlicher Normen durch einfaches Gesetzesrecht.218 ___________ der Kompetenzverteilung nicht präjudiziert, da ja nicht auf jeden Fall eine bestimmte Regelung erfolgen müsse (S. 45 f., 47). 215 So (angelehnt an Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 30 ff.) Kanther, Landesverfassungen, S. 116 ff.: „Nur wenn Staatsziele gleichzeitig einen Gesetzgebungsauftrag (mit)enthalten“, seien sie an die Artt. 70 ff. GG gebunden (S. 152); ihre Wirksamkeit sei allein im Bereich der ausschließlichen Landeszuständigkeit zu bejahen (S. 152 u. 155). Dieser Ansatz greift dogmatisch zu kurz: Staatszielbestimmungen richten sich qua definitionem primär als Gestaltungsauftrag an die Legislative, s. 2. Kap. unter A. I. u. III. 1. Zudem ist er nicht widerspruchsfrei: Auch bei konkurrierender Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes liegt die von Kanther geforderte (S. 148) Regelungszuständigkeit des Landes vor, solange und soweit der Bund seine Kompetenz nicht genutzt hat. 216 Zu diesen Argumenten oben unter D. I. 1. a) aa). 217 Dazu 2. Kap. unter A. II. 218 Ebenso BVerfGE 36, 342 (364, 368 ff.): Beschränkung der Anwendbarkeit der Kompetenzregelungen auf Ausführung der Verfassungsaufträge; Pietzcker, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 57; Bernhardt/Sacksofsky, in: BK, Art. 31 Rn. 17 ff.; Dreier, in: ders., GG II, Art. 31 Rn. 29; Boehl, Verfassunggebung, S. 193 ff.; Dietlein, Grundrechte, S. 44 f., 48; v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 157 f.; Schilling, Rang, S. 255, 429; Storr, Verfassunggebung, S. 209 ff.; Iwers, Landesverfassung, S. 202 ff.; Sacksofsky, NVwZ 1993, S. 235 (239).

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Die solchermaßen gegenständlich unbeschränkte Befugnis der Länder zur Normierung landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen lässt sich dogmatisch schlüssig allein dadurch erreichen, dass man das Landesverfassungsrecht von der Bindung an die Artt. 70 ff. GG freistellt. Weniger überzeugend wäre es, diese Kompetenzverteilungsschemata generell auch auf Landesverfassungsrecht anzuwenden, die Staatszielbestimmungen aber auszunehmen. Neben den Argumenten, die gegen eine Bindung der Landesverfassungen an jene Schemata sprechen, ist insoweit darauf zu verweisen, dass eine Freistellung lediglich jener Zielvorgaben zu kurz greift. Geht man von einer Bindung des Landesverfassungsrechts an die Artt. 70 ff. GG aus, liefert das Grundgesetz keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese auf einzelne Normtypen keine Anwendung finden. Zudem folgt bereits aus dem Unterschied zwischen positiven und negativen Kompetenznormen, dass Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG hinsichtlich landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen nicht als lex specialis zu den Artt. 70 ff. GG in Anschlag zu bringen ist.219 Ebenso wenig kann der vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden, wonach die Unanwendbarkeit besagter Kompetenzverteilungsschemata auf landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen darin begründet liegt, dass die Zielvorgaben allein politischen Charakter hätten und jene Schemata lediglich Gesetz- und Verfassunggeber verpflichteten, nicht aber die Parteien und die Politik.220 Bei Staatszielbestimmungen handelt es sich nicht um unverbindliche Programmsätze, sondern um die Staatsgewalten bindendes Recht.221

b) Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG Art. 28 Abs. 1 GG ist Garantienorm für die Verfassungshoheit der Länder. Zugleich zieht er der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern gewisse Grenzen als negative Kompetenznorm:222 Diese Ordnung muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates i. S. des Grundgesetzes entsprechen. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen sind Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern, und folglich müssen sie sich in den von Art. 28 Abs. 1 GG vorgegebenen Rahmen einpassen.223 Die Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen sind dem___________ 219 Dazu oben unter B. III. 1. a) vor aa). – Insoweit kann die Frage offen bleiben, ob Staatszielbestimmungen ihren Bezugspunkt überhaupt ausschließlich in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG haben. Dazu unten unter D. I. 2. a) bb). 220 Vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 152. 221 s. 2. Kap. unter A. II. 2. 222 Zu dieser Doppelfunktion des Art. 28 Abs. 1 GG oben unter B. III. 1. a) bb). 223 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 31; Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (28); v. Mutius/Friedrich, StWuStP 2 (1991), S. 243 (251).

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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nach an den „Gestaltungsvorgaben“224 der Homogenitätsklausel zu messen. Die Homogenitätsgrundsätze des Art. 28 Abs. 1 GG binden den Landesverfassunggeber, ohne im Falle seiner Untätigkeit integrierter Bestandteil des Landesverfassungsrechts zu werden.225 Die Frage, welche Rechtsfolge homogenitätswidriges Landesrecht trifft, ist seit jeher umstritten.226 Allein durch die Einordnung des Art. 28 Abs. 1 GG als Normativbestimmung227 ist sie nicht beantwortet. Zunächst ist die verfassungsnormative Basis für die Rechtsfolge zu bestimmen. Bei homogenitätswidrigem Landesverfassungsrechts ist dies Art. 28 Abs. 1 GG selbst228 (und nicht eine Kollisionsentscheidungsnorm wie etwa Art. 31 GG):229 Diese Vorschrift enthält als negative Kompetenzbestimmung konstitutive Vorgaben für die Betätigung der gliedstaatlichen Verfassungshoheit.230 Rechtsfolge des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG im Falle des Verstoßes gegen seine Vorgaben ist nach weit überwiegender Auffassung die Nichtigkeit des homogenitätswidrigen Landesrechts.231 Die Gegenauffassung sieht die Länder verpflich___________ 224 BVerfGE 22, 180 (204); vgl. Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 8: „leitende Rechtssätze“. 225 s. BVerfGE 1, 208 (227); 6, 104 (111); Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 2 f., 20; März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 93; dens., Bundesrecht, S. 191; Grawert, NJW 1987, S. 2329 (2331); Sachs, ThürVBl. 1993, S. 121 (122); a.A. allein Draht, VVDStRL 9 (1952), S. 17 (29), und, ihm folgend, W. Schmidt, AöR 87 (1962), S. 253 (280): Art. 28 GG als „Teilstück einer jeden Landesverfassung“. Dieser Ansatz konnte sich zu Recht nicht durchsetzen. Dazu, dass die Konstruktion der Bestandteilsnormen nicht zu überzeugen vermag, 1. Kap. unter B. 226 Ihr widmet sich eine reichhaltige Literatur, wenn auch „oft umgekehrt proportional zum praktischen Ertrag“ (Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 66). 227 Dazu oben unter B. III. 1. a) bb). 228 s. Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 20, 66; März, Bundesrecht, S. 191 f.; Dietlein, Grundrechte, S. 45 f.; Storr, Verfassunggebung, S. 196 f.; Werner, Wesensmerkmale, S. 73 ff., 76 ff. – Vereinzelt wird dieses Ergebnis damit begründet, Art. 28 Abs. 1 GG sei mit Blick auf Staatsstrukturprinzipien lex specialis zu Art. 31 GG, vgl. BVerfGE 9, 268 (291); 36, 342 (362); 83, 37 (59); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 2; wohl auch Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 34 f. Dies greift zu kurz. Kollisionsentscheidungsnormen wie etwa Art. 31 GG beziehen sich auf eine andere Stufe von Normwidersprüchen und deren Auflösung als die Kollisionsvermeidungsnormen, denen Art. 28 Abs. 1 GG zuzurechnen ist: Bei einem Verstoß gegen die Homogenitätsklausel kommt es zu keiner Normenkollision, und deshalb bedarf es auch keiner Kollisionsentscheidung. Vgl. i. E. BVerfGE 36, 342 (362), wonach Art. 31 GG „keine Wirkung haben kann auf ein Problem, das durch Art. 28 Abs. 1 S. 1 und 2 GG gelöst ist“. 229 A.A. Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 52. 230 Dazu oben unter B. III. 1. a) bb). 231 s. BVerfGE 83, 37 (50); 83, 60 (70); Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 67; Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 28 Rn. 13; März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 93 f.; dens., Bundesrecht, S. 190 f. – Soweit nach anderem Ansatz im Fall homogenitätswidrigen Landesrechts bzgl. der Rechtsfolge auf Art. 31 GG zurückgegriffen wird, hat dies nach den Vertretern jener Ansicht gleichfalls die

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

tet, die Homogenitätsmängel zu beheben; tun sie dies nicht, sei der Bund zum Einschreiten nach Art. 28 Abs. 3 GG berechtigt.232 Dieser Ansatz greift zu kurz. Er reduziert die Vorgaben der Homogenitätsklausel auf Verfassungsimperative, die nichts über die Rechtsfolgen ihrer Missachtung aussagen. Dadurch setzt er sich in Widerspruch zu der auch im Verhältnis von Bundes- und Landesverfassungsrecht geltenden Normenhierarchie: Soweit das Grundgesetz wie etwa in Art. 28 Abs. 1 GG Vorgaben für die gliedstaatliche Kompetenzausübung enthält, sind diese höherrangigen Vorschriften zugleich (positive oder negative) Rechtsgeltungsnormen für landesrechtliche Regelungen.233 Ein Verstoß gegen solche Normen bedeutet unweigerlich, dass die betreffende Regelung ultra vires ergangen, also ex tunc nichtig ist.234 Gegen die Vernichtbarkeit als Rechtsfolge spricht auch die mit ihr einhergehende erhebliche Rechtsunsicherheit.235 Landesverfassungsrechtliche Normen, die gegen die Homogenitätsklausel verstoßen, könnten andernfalls Geltung beanspruchen und Rechtsfolgen erzeugen, bis das Land vom Bund zu einer Änderung gezwungen würde.236 Auch der Gewährleistungszweck des Art. 28 Abs. 3 GG steht im Einklang mit der Nichtigkeit homogenitätswidrigen Landesrechts:237 Der Bund muss sicherstellen, dass Landesrecht, welches aufgrund Verstoßes gegen Art. 28 Abs. 1 GG ungültig ist, tatsächlich keine Anwendung findet.238 ___________ Nichtigkeit des betreffenden Landesverfassungsrechts zur Folge, vgl. Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 40, 81 f.; Roters, in: v. Münch, GG II (2. Aufl.), Art. 28 Rn. 13; Stern, in: BK, Art. 28 Rn. 16 (ders. allerdings zurückhaltender in Staatsrecht I, S. 706). 232 s. Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (126 f.): Gestalten die Länder die betreffenden Vorschriften nicht um bzw. heben sie diese nicht auf, stünden dem Bund alle Mittel aus Art. 28 Abs. 3 i.V.m. Art. 37 GG zu Gebote. 233 Dazu oben unter B. III. 1. a) bb). 234 Für die Vernichtbarkeit spricht auch keineswegs, dass die Nichtigkeit regelmäßig in einen systematischen Normzusammenhang und damit in die Landesverfassung insgesamt eingreifen würde (so aber Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 [126]: „zu scharfe Waffe“): Der Eingriff in den jeweiligen Normzusammenhang ist Folge jeder Kollisionsnorm. 235 s. Roters, in: v. Münch, GG II (2. Aufl.), Art. 28 Rn. 13. 236 Die Beseitigung des homogenitätswidrigen Zustands hinge dann letztlich vom Durchsetzungswillen der Bundesorgane ab. 237 A.A. Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (126): Bei Zugrundelegung der Nichtigkeit homogenitätswidrigen Landesrechts werde Art. 28 Abs. 3 GG sinnentleert, da der Bund nach dieser Vorschrift die Änderungen homogenitätswidrigen Landesrechts zu überwachen habe, es aber keiner Änderung bedürfe, wenn homogenitätswidrige Vorschriften nichtig seien. 238 Hierbei verfügt der Bund (lediglich) über die ihm auch ansonsten gegenüber den Ländern zustehenden Befugnisse: Art. 28 Abs. 3 GG enthält keine Rechtsgrundlage für eine selbstständige Bundesaufsicht. Vgl. etwa Stern, Staatsrecht I, S. 712 f.; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR VI, § 126 Rn. 133; Maunz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV (2. Aufl.), § 95 Rn. 20; a.A. nur Frowein, Bundesaufsicht, S. 66 f. – Art. 28 Abs. 3 GG

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen sind demnach an den Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 GG als negativer Kompetenznorm zu messen. Rechtsfolge des Verstoßes gegen die Vorgaben der Homogenitätsklausel ist die Nichtigkeit homogenitätswidrigen Landesrechts.239

c) Art. 142 GG Art. 142 GG ist nicht nur auf die Grundrechte bezogene Garantienorm für die Verfassungshoheit der Länder, sondern fungiert zudem als negative Kompetenznorm für den Fall, dass eine Landesverfassung Grundrechte normiert.240 Landesgrundrechte, die nicht in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 des Grundgesetzes stehen, sind kompetenzwidrig zustande gekommen und folglich unwirksam. An dieser Kompetenzsperre sind die Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen zu messen, wenn es sich bei ihnen um Grundrechte gem. Art. 142 GG handelt. Dazu zählen zunächst landesverfassungsrechtliche Verbürgungen, die ausdrücklich als Grundrechte ausgewiesen oder im Abschnitt „Grundrechte“ der Landesverfassung verankert sind. Weiterhin schützt Art. 142 GG über seinen Wortlaut hinaus auch solche Grundrechtsbestimmungen, die mit außerhalb des Katalogs der Artt. 1-18 GG stehenden Verbürgungen des Grundgesetzes (bspw. Art. 33 Abs. 1, Artt. 101 ff. GG) übereinstimmen.241 Maßgeblich ist, gestützt auf das Telos des Art. 142 GG, ein materielles Grundrechtsverständnis:242 Entscheidend ist allein, dass die betreffenden verfassungsrechtlichen Normen zumindest (auch) grundrechtsähnliche Positionen gewähren, also Individualrechtsschutz veranlassen können.243 Dies ist der Fall, wenn die betreffende Regelung ___________ eignet vor diesem Hintergrund eher begrenzte Wirkkraft, s. Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 259; v. Mangoldt, Standort, S. 69 ff. 239 Aus diesem Grund macht etwa auch die Suspension homogenitätswidrigen Landesrechts keinen Sinn: Suspendiert werden kann namentlich das, was auch (wenigstens zunächst) wirksam geworden ist. Wirksames Recht aber kommt nur zustande, wenn kein Verstoß gegen Kompetenznormen vorliegt. 240 Dazu oben unter B. III. 1. a) cc). 241 s. BVerfGE 22, 267 (271); Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 67; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 142 Rn. 8 ff., 12; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 142 Rn. 10; Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (120); krit. Dietlein, Grundrechte, S. 33 f. 242 Vgl. zuletzt BVerfGE 96, 345 (364); Denninger, in: ders. u.a., AK-GG, Art. 142 Rn. 8; P. M. Huber, in: Sachs, GG, Art. 142 Rn. 8; Dietlein, Grundrechte, S. 32; Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (121); a.A. Kratzer, FS Laforet, S. 107 (109): Art. 142 GG könne wegen seines Wortlauts kein materielles Grundrechtsverständnis zugrunde gelegt werden. 243 Vgl. Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (121). Einzubeziehen sind daher neben den klassischen (negatorischen) Abwehrrechten auch positive Schutzansprüche,

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

eine subjektive Komponente enthält, die mit ihrem objektiven Gehalt untrennbar verbunden ist. Auf rein objektiv-rechtliche Regelungen (etwa solche mit Blick auf die wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Lebensverhältnisse) bezieht sich Art. 142 GG nicht.244 Die Staatszielbestimmungen haben qua definitionem keine subjektiv-rechtliche Ausrichtung. Es handelt sich bei ihnen allein um Elemente objektiver Ordnung.245 Sie rechnen daher nicht zu den Grundrechten i. S. des Art. 142 GG. Die gegenteilige Ansicht, die den Grundrechten als sekundären Effekt einen freiheitssichernden Staatszielgehalt beimisst,246 vermag nicht zu überzeugen, da derart das wesentliche Abgrenzungsmerkmal zwischen den Normtypen Grundrecht und Staatszielbestimmung aufgegeben würde. Dieser Ansatz ist des Weiteren auch deshalb abzulehnen, weil er sich kaum mit Genese und Telos des Art. 142 GG in Einklang bringen lässt.

d) Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen Rechten Art. 1 Abs. 3 GG bewirkt eine lückenlose Bindung der öffentlichen Gewalt in Bund und Ländern.247 Neben dem verfassungsändernden Gesetzgeber unterliegt auch der Landesverfassunggeber selbst dieser kompetenzregulierenden Sperre.248 Landesverfassungsrecht, das mit Bundesgrundrechten unvereinbar ist, ist wegen Verstoßes gegen den negativen Kompetenzgehalt des jeweiligen Grundrechts kompetenzwidrig und somit nichtig: Die Art. 1 Abs. 3 GG nachfolgenden Grundrechte verkörpern nicht lediglich eine objektive Wertordnung,249 sondern sie wirken (auch) als negative Kompetenznormen.250 Diese ___________ was sich etwa aus dem Verweis des Art. 142 GG auf Art. 6 Abs. 1 GG ergibt. Dazu Dietlein, Grundrechte, S. 31 f. 244 s. Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 67; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 142 Rn. 8; Dietlein, Grundrechte, S. 28 ff., 42 u. 125. – Ebenso wenig betrifft Art. 142 GG Grundpflichten, s. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 142 Rn. 16 m.w.N. 245 Dazu 2. Kap. unter A. I. u. A. II. 3. 246 So etwa Kirsch, Homogenität, S. 120 ff.; vgl. E. Stein, in: ders., HessVerf, S. 183 (188): Die Grundrechte seien (auch) Staatszielbestimmungen, weil sie objektive wertentscheidende Rechtsnormen enthalten. – Nicht von den Grundrechten, sondern von den Staatszielbestimmungen her argumentierend (i. E. aber ohne Unterschied) Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 59 ff.: Staatszielbestimmungen könnten (auch) subjektivrechtlichen Gehalt aufweisen. 247 s. oben unter B. III. 1. a) bb). 248 s. Stern, Staatsrecht III/1, S. 1269; März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 100; vgl. Sachs, DÖV 1985, S. 469 ff. Lediglich für Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 117 Rn. 14. 249 Dazu etwa BVerfGE 5, 85 (204 f.); 6, 55 (72); 7, 198 (204 f.); 21, 362 (371.); 49, 89 (141 f.); 61, 1 (10 f.); 74, 297 (323). Zur Rechtsprechungsentwicklung Stern, Staatsrecht III/1, S. 897 ff.

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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geltungsvernichtende Durchgriffswirkung erfasst alle in den Landesverfassungen enthaltenen Normtypen, auch die Staatszielbestimmungen.251

e) Grundsatz der Bundestreue Als weitere (und letzte) Grenze für das kompetenzgemäße Zustandekommen landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen fungiert der Grundsatz der Bundestreue. Er bezeichnet die Verpflichtung, im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung wechselseitig Rücksicht zu nehmen und Auswirkungen auf andere Beteiligte zu berücksichtigen.252 Die Verpflichtung zum bundestreuen Gebrauch der Kompetenzen erstreckt sich auf die gesamte Landesstaatsgewalt, und zwar auf den Landesverfassunggeber ebenso wie auf den verfassungsändernden Gesetzgeber: Das Grundgesetz erkennt die Verfassungshoheit der Länder an; bei deren Betätigung sind aber verschiedene Kompetenzsperren zu beachten. Dem Anwendungsbereich des Grundsatzes der Bundestreue unterfällt daher auch die Normierung landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen. Aus einem Verstoß gegen diese Kompetenz(ausübungs)schranke folgt die Nichtigkeit der betreffenden Zielvorgabe.253 Es entsteht von vornherein kein wirksames Recht.254 Einschränkend wird zwar vereinzelt die Auffassung vertreten, landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen seien allein im Falle eines besonders schweren Verstoßes gegen den Grundsatz der Bundestreue nichtig.255 Eine solche Differenzierung verbietet sich allerdings bereits aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.256 Es bleibt dabei: Liegt ein ___________ 250

Dazu bereits oben unter B. III. 1. a) bb). s. März, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 31 Rn. 101. 252 s. oben unter B. III. 1. b) aa). 253 Vgl. allg. BVerfGE 76, 1 (77) m.w.N. – Dazu, dass dem Grundsatz der Bundestreue Rechtsfolgen zu entnehmen sind, Stern, Staatsrecht I, S. 700 f.; Bayer, Bundestreue, S. 43; Rudolf, FG BVerfG (1976) II, S. 233 (246 ff.). 254 Die Suspension solcher landesrechtlicher Regelungen, die der aus der Bundestreue resultierenden Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf den Bund nicht hinreichend Rechnung tragen, ist dogmatisch ausgeschlossen. Suspendiert kann nur werden, was auch (wenigstens zunächst) wirksam geworden ist. Daran fehlt es bei Landesrecht, das unter Verletzung der Verpflichtung, auf den Bund Rücksicht zu nehmen, erlassen wird: Der Grundsatz der Bundestreue modifiziert die Voraussetzungen, unter denen die Kompetenzen ausgeübt werden können (dazu oben unter B. III. 1. b] aa]); kann eine Kompetenz nicht ausgeübt werden, ist die betreffende Vorschrift nicht wirksam zustande gekommen. 255 So wohl nur Kanther, Landesverfassungen, S. 152. 256 Es fehlt auch an einem Bedürfnis für eine solche Differenzierung. Der Grundsatz der Bundestreue ist, wie gesagt, namentlich dann verletzt, wenn die bundesstaatliche 251

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue vor, hat dies die Nichtigkeit der betreffenden Norm zur Folge.

2. Kollisionsentscheidung durch Art. 31 GG Nach Art. 31 GG bestimmt sich, welches Recht gilt, wenn kompetenzgemäß zustande gekommenes Landes- und Bundesrecht denselben Sachverhalt unterschiedlich regeln.257 Der Anwendungsbereich dieser Kollisionsentscheidungsnorm ist im Einzelnen ebenso umstritten wie ihre Rechtsfolge.

a) Anwendbarkeit auf landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen Art. 31 GG findet unbestritten Anwendung bei Kollisionslagen zwischen Bundes- und einfachgesetzlichem Landesrecht.258 Es stellt sich jedoch die Frage, ob er auch auf landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen anwendbar ist. Dies setzt voraus, dass sich diese Rangordnungsnorm überhaupt auf Landesverfassungsrecht bezieht und ihr Anwendungsbereich landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen einschließt.

aa) Landesverfassungsrecht Nach einem vereinzelt vertretenen Ansatz findet Art. 31 GG auf Landesverfassungsrecht keine Anwendung, solange es sich in den Grenzen des weitherzigen Homogenitätsgebots des Art. 28 Abs. 1 GG hält.259 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besage „letztlich, dass Art. 31 GG jedenfalls für das Verhältnis von Bundes- und Landesverfassungsrecht nicht gilt“.260 Darüber ___________ Ordnung in besonders schwerwiegender und unvertretbarer Art und Weise gestört wurde, und nur dann stellt sich die Frage der Rechtsfolge. 257 s. oben unter B. III. 1. c). 258 Bundesrecht liegt immer dann vor, wenn ein Bundesorgan eine Rechtsnorm erlassen hat. Dazu zählen neben den Gesetzen und den in deutsches Recht transformierten (Art. 59 Abs. 2 GG) völkerrechtlichen Normen, den Rechtsverordnungen des Bundes und den Satzungen von Verfassungsorganen bzw. autonomen Verwaltungsträgern des Bundes auch dessen Verwaltungsvorschriften mit Außenwirkung sowie (unter bestimmten Voraussetzungen) das Gewohnheits- und Richterrecht. Dazu März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 30 ff. m.w.N. 259 s. H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (752); ebenso Degenhart/Šarćević, in: Degenhart/Meissner, HdbSächsVerf, § 3 Rn. 12; E. Klein, DVBl. 1993, S. 1329 (1330). 260 H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (752).

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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hinaus sei anzunehmen, dass Art. 31 GG auch im Verhältnis von Landesverfassungs- und einfachem Bundesrecht keine Anwendung finde.261 Als Argument für diesen Ansatz lässt sich darauf verweisen, Art. 31 GG könne den Ländern nicht sogleich wieder nehmen, was Art. 28 Abs. 1 GG ihnen gebe („Einheit der Verfassung“): Das Grundgesetz könne den Spielraum, der den Ländern im Rahmen ihrer Verfassungshoheit durch Art. 28 Abs. 1 GG eingeräumt ist, nicht andernorts wieder beseitigen.262 Des Weiteren wird argumentiert, die Funktionsfähigkeit des Bundesstaates zähle zu den Grundsätzen der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern, deren Beachtung bereits von Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG vorgegeben sei. Im Falle landesverfassungsrechtlicher Bestimmungen bestehe daher, wenn das Homogenitätsgebot „etwas extensiver“ ausgelegt werde, kein Bedürfnis für einen Rückriff auf Art. 31 GG.263 Die besseren Argumente sprechen jedoch dafür, diese Kollisionsentscheidungsnorm nicht lediglich im Verhältnis von Bundesrecht jeder Stufe zu einfachem Landesrecht anzuwenden.264 Die gegenteilige Auffassung findet bereits keine Stütze im Wortlaut, heißt es doch in Art. 31 GG: „Bundesrecht bricht Landesrecht“, nicht etwa „Bundesrecht bricht Landesrecht mit Ausnahme von Landesverfassungsrecht“. Auch dogmatisch ist es nicht schlüssig, das Landesverfassungsrecht aus dem Anwendungsbereich des Art. 31 GG zu nehmen. Andernfalls müsste Art. 142 Abs. 1 GG nicht auf jene Kollisionsentscheidungsnorm verweisen, sondern auf Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG.265 Zudem wäre es schlicht ___________ 261

So H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (752): Man werde „über den Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts hinaus sogar annehmen müssen, dass Art. 28 Abs. 1 u. 2 GG eine Sperrwirkung gegenüber Art. 31 GG auch (‚erst recht’) in Bezug auf einfaches Bundesrecht entfaltet, jene Kollisionsregel also auf das Landesverfassungsrecht überhaupt nicht anwendbar ist“. 262 s. H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (752). – Zum Prinzip „Einheit der Verfassung“ oben unter B. III. 1. a) cc). 263 So H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (752). – Soweit Hans-Peter Schneider zur Begründung seines Ansatzes darauf verweist, dieser sei „besser [...], als über das Einfallstor des Art. 31 GG dem Bund die Möglichkeit zu geben, seinerseits die Verfassungshoheit der Länder zu beschränken“, verkennt er die Doppelfunktion des Art. 28 Abs. 1 GG (zu ihr oben unter B. III. 1. a] bb]): Anerkennung und zugleich Grenze der Verfassungshoheit der Länder. 264 s. BVerfGE 1, 264 (281); 96, 345 (365); Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 46; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 142 Rn. 4; Dietlein, Grundrechte, S. 46, 55; Jutzi, ThürVBl. 1995, S. 25 (27); Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (862); vgl. bezogen auf die Rechtslage unter der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 und unter der Weimarer Reichsverfassung Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (31). 265 Nichtsdestotrotz betrachtet H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (752), „die Regelung des Art. 142 GG als ‚lex specialis’ zu Art. 28 Abs. 1 u. 2 GG, nach der insbesondere die Grundrechte in den Länderverfassungen von der Geltung des Art. 31 GG ausgenommen sind“ – obgleich nach seinem Ansatz (S. 752) bereits „Art. 28 Abs. 1 u. 2 GG eine Sperrwirkung gegenüber Art. 31 GG auch (‚erst recht’) in Bezug auf einfaches

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

überflüssig, mit Art. 142 Abs. 1 GG lediglich die Regelung der Homogenitätsklausel für den Grundrechtsbereich zu wiederholen. Des Weiteren ist eine rangmäßige Begrenzung des Anwendungsbereichs des Art. 31 GG unter Verweis auf die Verfassungshoheit der Länder deshalb nicht angezeigt, weil sich Normwidersprüche zwischen Landesverfassungs- und Bundesrecht allein durch die Wahrung der Vorgaben des Homogenitätsgebots nicht gänzlich ausschließen lassen. Divergierende Regelungen sind vielmehr auch sub specie Art. 28 Abs. 1 GG möglich, und zwar deshalb, weil die Artt. 70 ff. GG für den Bereich des Landesverfassungsrechts, wie erläutert,266 keine Anwendung finden. Die Funktionsfähigkeit der bundesstaatlichen Ordnung erfordert aber notwendig auch die Auflösung der Widersprüche zwischen Landesverfassungsnormen und einfachem Bundesrecht. Eine Störung des Nebeneinanders solcher Vorschriften ist aus bundesstaatlicher Sicht nicht hinnehmbar. Die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 GG macht die Anwendung des Art. 31 GG auf Landesverfassungsrecht demnach keinesfalls entbehrlich. An dieser Stelle zeigt sich, dass das Argument „Sperrwirkung des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG“ entkräftet ist, da sich die von Art. 31 GG einerseits und jener Klausel andererseits geregelten Aspekte nicht überschneiden.267 Die Anwendbarkeit des Art. 31 GG auf Landesverfassungsrecht steht daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge sich diese Kollisionsentscheidungsnorm nicht auf von Art. 28 Abs. 1 GG gelöste Problemlagen bezieht.268 Die Herausnahme des Landesverfassungsrechts aus dem Anwendungsbereich des Art. 31 GG ist auch nicht geboten, um der Verfassungshoheit der Länder und dem föderalistischen Prinzip Rechnung zu tragen. Mit der Anwendbarkeit einer Kollisionsentscheidungsnorm ist noch nichts über deren Rechtsfolge gesagt. Es besteht daher kein Bedürfnis, Art. 31 GG im Verhältnis von Landesverfassungs- und Bundesrecht für unanwendbar zu halten.269

___________ Bundesrecht entfaltet, jene Kollisionsregel also auf das Landesverfassungsrecht überhaupt nicht anwendbar ist“. 266 Dazu oben unter D. I. 1. a). 267 Dies ergibt sich bereits daraus, dass Art. 28 Abs. 1 GG als Kollisionsvermeidungsnorm Art. 31 GG als Kollisionsentscheidungsnorm vorgelagert ist (s. oben unter B. III. 1. a] bb] bzw. c]). Überschreiten die Länder die ihnen durch Art. 28 Abs. 1 GG gesetzten Grenzen, ist das betreffende Landesrecht ultra vires ergangen und mithin unmittelbar nichtig (s. oben unter D. I. 1. b]); Art. 31 GG hat insoweit keine Bedeutung. 268 s. BVerfGE 36, 342 (362). 269 Die Auffassung, derzufolge Art. 31 GG nicht auf Landesverfassungsrecht anwendbar ist, vermag auch insoweit nicht zu überzeugen, als sie Art. 28 Abs. 1 GG extensiv auslegen will. Damit gelangt sie letztlich zu einem ähnlichen Ergebnis wie der hier vertretene Ansatz, demzufolge Art. 31 GG auch im Falle von Landesverfassungsrecht Anwendung findet, „erkauft“ dies aber mit erheblicher Rechtsunsicherheit und Einbußen an dogmatischer Stringenz: Ausnahmevorschriften wie die in Art. 28 Abs. 1

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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bb) Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen Zumal Art. 31 GG nach hier vertretener Auffassung auch auf Landesverfassungsrecht Anwendung findet, ist zu klären, ob für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen eine Ausnahme greift. Dies bejaht eine vereinzelt vertretene Auffassung, derzufolge der Bezugspunkt von Staatszielbestimmungen ausschließlich in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG liegt.270 Dieser Ansatz hat sich zu Recht nicht durchgesetzt. Im Grundgesetz findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass Art. 31 GG gerade im Falle landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen nicht anwendbar ist. Zudem hieße es, den Unterschied zwischen Art. 28 Abs. 1 GG als Kollisionsvermeidungsnorm und Art. 31 GG als Kollisionsentscheidungsnorm zu verkennen,271 würde man die Anwendbarkeit von Art. 31 GG unter Verweis auf die Homogenitätsklausel verneinen. Die normative Bedeutung landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen bemisst sich demnach nicht allein nach Art. 28 Abs. 1 GG: Ist eine Zielvorgabe kompetenzgemäß zustande gekommen, greift Art. 31 GG ein, sofern es einer Kollisionsentscheidung bedarf.

b) Voraussetzungen für das Eingreifen des Art. 31 GG Entscheidendes Kriterium für die Anwendung des Art. 31 GG ist das Vorliegen einer Normenkollision.272 Hinsichtlich der Voraussetzungen einer Kollisionslage besteht im Grundsatz Einigkeit dahingehend, dass eine Landes- mit einer Bundesnorm zusammentreffen, also auf denselben Sachverhalt anwendbar

___________ GG zum Ausdruck kommenden Grenzen der Verfassungshoheit sind restriktiv auszulegen, also eben gerade nicht als Regelfall anzuwenden. 270 s. etwa Rehbinder, in: Meyer/Stolleis, HessStVerwR, S. 441 (444); Zielke, RdA 1992, S. 185 (188); für das Verhältnis von grundgesetzlicher Wirtschaftsverfassung und landesverfassungsrechtlicher Wirtschaftsordnung vgl. Ballerstedt, in: Bettermann u.a., Grundrechte III/1, S. 63 m.w.N.; nicht widerspruchsfrei Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 52: explizite Ablehnung des Rückgriffs auf Art. 31 GG „zur Auflösung einer Kollision“ zwischen Bundesrecht und landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen, da sich „der Vorrang des Grundgesetzes insoweit unmittelbar aus Art. [...] 20, 28 Abs. 1 GG“ ergebe, aber Eingreifen des Art. 31 GG „im Fall eines Widerspruchs zwischen Bundesrecht und Landesverfassung“ (a.a.O., Rn. 52 a.E.). 271 Dazu oben unter B. III. 1. a) bb) bzw. c). 272 Im Bereich der Abweichungsgesetzgebung der Länder findet Art. 31 GG keine Anwendung: Dort regelt sich das Rangverhältnis nach dem lex-posterior-Satz, s. Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG. – Zum Ganzen oben unter B. III. 1. c).

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

sein muss, und dass beide Normen dort zu unterschiedlichen Ergebnissen führen müssen.273 Im Einzelnen ist Manches umstritten.

aa) Auf denselben Sachverhalt anwendbare Normen Eine Kollisionslage i. S. des Art. 31 GG setzt zunächst voraus, dass zwei Normen nach Hinwegdenken von Kollisionsentscheidungsnormen auf denselben Sachverhalt anwendbar sind. Eine Normenkollision i. S. des Art. 31 GG ist ausgeschlossen, wenn nicht sowohl die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung wie auch das Bundesrecht kompetenzgemäß zustande gekommen sind: ohne wirksames Recht keine Kollisionslage.274 Des Weiteren müssen beide Normen dieselbe Rechtsfrage, also denselben Tatbestand regeln.275 Beziehen sie sich auf unterschiedliche Gegenstände, schließt dies eine Normenkollision i. S. des Art. 31 GG aus.

bb) Inhaltlicher Widerspruch Eine Kollisionslage setzt weiterhin voraus, dass die Normen bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen. Es muss unmöglich sein, beide Normbefehle (kumulativ) zu befolgen, ohne dass einer der Sollenssätze verletzt oder missachtet wird. Dies ist der Fall, wenn dieselbe Rechtsfrage276 mit einander widersprechender Rechtsfolge geregelt ist.277 Bei Unterschiedlichkeit ohne Unvereinbarkeit der Normbefehle liegt keine Kollisionslage vor:278 Die Anwen___________ 273

s. BVerfGE 26, 116 (135); 36, 342 (363); 96, 345 364); Stern, Staatsrecht I, S. 721; Dreier, in: ders., GG II, Art. 31 Rn. 36; P. M. Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rn. 18; Dietlein, Grundrechte, S. 48 f.; Sacksofsky, NVwZ 1993, S. 235 (237). – Keine Einigkeit besteht mit Blick darauf, welche Maßstäbe hierfür anzulegen sind; vgl. Schilling, Rang, S. 377 ff.; Wiederin, RTh 21 (1990), S. 311 (317 ff.). 274 s. oben unter B. III. 1. c). 275 s. BVerfGE 26, 116 (135); 36, 342 (363); Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, S. 113, 153. – Vgl. Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (863): Keine Kollisionslage i. S. des Art. 31 GG, wenn das Grundgesetz wie im Fall des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG Regelungen für die Gestaltung der Landesverfassungen enthalte, da Landesverfassung und Grundgesetz insofern nicht mit Bezug auf denselben Gegenstand konkurrieren würden, zumal die Landesverfassung in einer solchen Konstellation den Gegenstand der grundgesetzlichen Regelung bilde. Dies ergibt sich freilich bereits aus dem Unterschied zwischen Art. 28 Abs. 1 GG als Kompetenz- und Art. 31 GG als Kollisionsentscheidungsnorm. 276 Dazu oben unter D. I. 2. b) aa). 277 s. BVerfGE 36, 342 (363); März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 40; zum Verhältnis von „Normenkollision“ und „Widerspruch“ Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 9. 278 s. Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 55 f.; Maurer, FS Rudolf, S. 337 (350). Vgl. Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (863): Gebrochen würden lediglich

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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dung von Normen, die einen identischen Regelungsgegenstand zwar verschieden, aber nicht gegensätzlich regeln, führt keinesfalls zu einem widersprüchlichen Ergebnis. In einem solchen Fall bundesrechtskonform auszulegenden279 Landesverfassungsrechts fehlt es mangels Normwiderspruchs an einer Kollisionslage.280 Auch bei nicht gegensätzlich, sondern lediglich enger bzw. weiter (aber gleichgerichtet) gefassten Normanordnungen ist daher keine „Kollisionsfähigkeit“ zu verzeichnen.281 Aus dem Erfordernis verschiedener Ergebnisse bei der Normanwendung folgt zugleich, dass mit Bundesrecht übereinstimmende („inhaltsgleiche“) Regelungen der Landesverfassungen nicht gem. Art. 31 GG gebrochen werden.282 Entsprechend judiziert das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich inhaltsgleichen Landes- und Bundesverfassungsrechts.283 Die Konstellation, dass Landesverfassungsrecht einfachem Bundesrecht entspricht, war hingegen bundesverfassungsgerichtlich bislang nicht zu entscheiden. Mangels Kollisionslage kann Art. 31 GG aber auch insoweit nicht in Ansatz gebracht werden:284 Es fehlt der Normwiderspruch.285 Dieses Ergebnis wird da___________ landesverfassungsrechtliche Gebote durch entsprechende grundgesetzliche Verbote bzw. landesverfassungsrechtliche Verbote durch entsprechende grundgesetzliche Gebote; ähnlich ders., in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 3 Rn. 25. 279 Zur bundesrechtskonformen Auslegung oben unter B. III. 1. b) bb). 280 Vgl. BVerfGE 36, 342 (363 ff.). – Nach Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 29, soll Art. 31 GG „auch diese Kollisionsvermeidungstechnik“ (die bundesrechtskonforme Auslegung des Landesrechts) umfassen, insofern aber „unmittelbar nicht zur Anwendung“ (sic!) kommen. Dem kann nicht gefolgt werden: Kollisionsvermeidung ist einer Kollisionsentscheidungsnorm wie Art. 31 GG dogmatisch vorgelagert. 281 Vgl. Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (863): Eine Kollision setze nicht Verschiedenheit, sondern Gegensätzlichkeit der Normanordnung voraus und komme daher nur in Betracht, „wenn bezogen auf ein mögliches Verhalten ein Gebot und ein Verbot zusammentreffen“. 282 s. statt vieler Dittmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 127 Rn. 13; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 14 f.; Badura, in: Starck, Rangordnung, S. 107 (113); v. Olshausen, FS Armbruster, S. 163 (173); Stern, Staatsrecht I, S. 721 ff.: „Diese Auffassung ist [...] kaum noch bestreitbar“; a.A. (für Anwendbarkeit des Art. 31 GG auf inhaltsgleiches Landes[verfassungs]recht) P. M. Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rn. 21 f.; Wiederin, Bundesrecht, S. 375 ff. 283 So BVerfGE 36, 342 (363 ff., 366 f.); 40, 296 (327); 96, 345 (364). – In seinem Beschluss vom 29.1.1974 (BVerfGE 36, 342 ff.) nahm das Bundesverfassungsgericht erstmals grundlegend zur Bedeutung des Art. 31 GG Stellung. Vor dieser Leitentscheidung war im Schrifttum von im Wesentlichen gleichgewichtigen Auffassungen der Bruch auch inhaltsgleichen Landesrechts angenommen (unitarischer Ansatz) bzw. abgelehnt (föderalistische Auffassung) worden. Beide Ansätze suchten sich auf den Begriff „brechen“, auf die Genese des Art. 31 GG sowie auf Art. 142 GG zu stützen. 284 s. März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 42; Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (862). 285 Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem grundgesetzlich (durch Art. 28 Abs. 1 GG) gebotenen Respekt vor dem Landesverfassungsrecht. Es ist kein Grund er-

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

durch gestützt, dass den Ländern der weite Raum, den Art. 28 Abs. 1 GG für die verfassungsmäßigen Ordnungen in ihnen eröffnet,286 nicht über Art. 31 GG sogleich wieder genommen werden kann.287 Einer inhaltsgleichen Übernahme des gesamten Bundesrechts bzw. großer Teile desselben in die Landesverfassungen stünde freilich der Grundsatz der Bundestreue entgegen.288 Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen, die (ggf. in bundesrechtskonformer Auslegung) mit Bundesrecht übereinstimmen, werden demnach mangels Kollisionslage in keinem Fall durch Art. 31 GG gebrochen. Ihre Umsetzung durch einfaches Landesrecht ist allerdings allein nach Maßgabe der in Artt. 70 ff. GG niedergelegten Kompetenzverteilung zulässig.289 Dies führt mitunter zu dem paradoxen Ergebnis, dass die Landesverfassung den Gesetzgeber zur Zielverfolgung verpflichtet, dieser aber nicht tätig werden kann, da er im betreffenden Bereich nach Maßgabe jener Verteilungsschemata über eine lediglich potentielle Kompetenz verfügt.290 Der Klarheit halber sei in diesem Zusammenhang festgehalten, dass landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen, die im Widerspruch zu einfachem Bundesrecht stehen, ihren Geltungsanspruch nicht selbst zurücknehmen können. Die Konstruktion eines ungeschriebenen kompetenzrechtlichen Zuständigkeitsvorbehalts hat sich zu Recht nicht durchsetzen können. Zwar wurde mit Blick auf Verfassungsaufträge und Programmsätze vereinzelt die Auffassung vertreten, diese seien nicht am einfachgesetzlichen Bundesrecht zu messen, wenn sie an die Legislative gerichtet sind, da landesverfassungsrechtliche Ge___________ sichtlich, den „Bruch“ landesverfassungsrechtlicher Vorschriften zu verneinen, wenn sie mit Bundesverfassungsrecht übereinstimmen, ihn aber zu bejahen, wenn sie mit einfachgesetzlichem Bundesrecht übereinstimmen. 286 Dazu oben unter B. III. 1. a) bb). 287 Die Rspr. des Bundesverfassungsgerichts steht dem nicht entgegen: Das Verhältnis von Landesverfassungs- zu einfachgesetzlichem Bundesrecht war in BVerfGE 36, 342 (360 ff.) nicht ausdrücklich von der Argumentation ausgenommen – im Gegensatz zum Verhältnis von inhaltsgleichem einfachgesetzlichem Landes- und ebensolchem Bundesrecht (367). 288 Fehlt einer Vorschrift die Verfassungswürdigkeit, die im konkreten Fall anhand einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln ist, dürfen die Länder sie nicht in der Landesverfassung verankern: der Charakter der Verfassung (Rahmenordnung!) als Grenze für die inhaltsgleiche Übernahme von Bundesrecht. Das überkommene Landesverfassungsrecht ist unter diesem Gesichtspunkt freilich unbedenklich; Beispiele für Aussagen der Landesverfassung über einfaches (Bundes)Gesetzesrecht bei Dreier, in: ders., GG II, Art. 31 Rn. 30 Fn. 105. – Im Fall von Verfassungsänderungen wird als Maßstab für die unzulässige Übernahme einfachgesetzlichen Bundesrechts entscheidend auf die Intention bzw. Quantität der Änderungen abzustellen sein. 289 Eine Staatszielbestimmung enthält keine Ermächtigung für staatliches Handeln, sondern lediglich einen Auftrag. Dazu 2. Kap. unter A. II. 6. 290 Zu den daraus resultierenden Problemen für die Integrationskraft einer Verfassung 8. Kap. unter A. VII. u. B. II.

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setzgebungsaufträge „unter dem Vorbehalt der kompetenzrechtlichen Zulässigkeit“ stünden;291 die Adressaten Exekutive und Judikative hätten einfachgesetzliches Bundesrecht demgegenüber immer zu beachten mit der Folge der Anwendbarkeit des Art. 31 GG.292 Die Konstruktion eines solchen Vorbehalts greift aus mehreren Gründen zu kurz. Gegen ihn spricht bereits, dass eine Landesverfassung keinesfalls selbst die Voraussetzungen für die Geltung ihrer Normen im Kraftfeld des Grundgesetzes regeln kann. Würde man die für ein Eingreifen des Art. 31 GG erforderliche Kollisionslage durch jenen Vorbehalt der Landeszuständigkeit auflösen, hieße dies zudem, die klare Anordnung des Art. 31 GG zu umgehen, dass Bundesrecht Landesrecht bricht.293 Schließlich wird ein solcher Vorbehalt auch nicht der Komplexität des Normtyps Staatszielbestimmung gerecht. Es überzeugt nicht, dass das Eingreifen des Art. 31 GG davon abhängen soll, ob eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung an die Legislative gerichtet ist oder an die Exekutive: Die normative Bedeutung einer Zielvorgabe kann nicht je nach Adressat unterschiedlich ausfallen. Der Anwendungsbereich des Art. 31 GG ist schließlich nicht normerhaltend zu reduzieren, wenn eine landesverfassungsrechtliche Vorschrift Bundesrecht widerspricht. Der gegenteiligen (lediglich vereinzelt vertretenen) Auffassung, derzufolge die Landesverfassungen im Zweifel nicht in Widerspruch zu Bundesrecht treten wollen,294 kann nicht gefolgt werden. Andernfalls (bei Reduktion jenes Anwendungsbereichs) ließe sich weder dem Gebot der Rechtssicherheit ___________ 291 s. Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 42 ff., 45 f., 47. Diesem Ansatz zufolge ist der Landesgesetzgeber für die Dauer der Geltung des entgegenstehenden Bundesrechts von seiner Verpflichtung zur Umsetzung entbunden: „Gesetzgebungsaufträge auf Vorrat“ (S. 44). 292 Von Bedeutung sei der Inhalt einfachgesetzlichen Bundesrechts nur, sofern es sich bei den Verfassungsaufträgen bzw. Programmsätzen nicht um Gesetzgebungsaufträge handele: Ein solcher Verfassungsauftrag sei gem. Art. 31 GG unwirksam, wenn seine Adressaten (also Exekutive bzw. Judikative) ihn nicht ohne Verstoß gegen Bundesrecht ausführen können, s. Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 41, 45 f.; Gleiches gelte für „Programmsätze“, die die Exekutive bzw. Judikative nicht anstreben bzw. verwirklichen kann, ohne bundesrechtlichen Wertentscheidungen diametral zuwiderzulaufen (S. 47). 293 Demgegenüber sieht Jutzi lediglich die Rechtsfolge des Art. 31 GG für landesverfassungsrechtliche Gesetzgebungsaufträge „durch die Regelungen des Grundgesetzes in Artt. 70 ff. GG modifiziert“ (ders., Landesverfassungsrecht, S. 44). Dies greift zu kurz: Die Frage einer solchen Modifikation stellt sich nicht, da Art. 31 GG nach Jutzi (S. 28) tatbestandlich nur bei Vorliegen einer Kollisionslage anwendbar ist, eine solche aber durch den in die landesverfassungsrechtlichen Gesetzgebungsaufträge „hineinzulesenden“ (S. 43 f.) kompetenzrechtlichen Zuständigkeitsvorbehalt gerade ausgeschlossen wird. Jutzis Ansatz hat daher die Umgehung des Art. 31 GG zur Folge. 294 So etwa Kanther, Landesverfassungen, S. 133 ff.: Die Landesverfassungen wollten im Zweifel lediglich dort gelten, wo Bundesgesetze keine Rolle spielen, also etwa im Kultusbereich.

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noch den Grundsätzen der Rechtsklarheit und Normenbestimmtheit hinreichend Rechnung tragen.295

cc) Adressatengleichheit Schließlich ist zu klären, ob eine Kollisionslage i. S. des Art. 31 GG voraussetzt, dass die sich widersprechenden Normen dieselben Adressaten haben.296 Nach einem Ansatz ist dies erforderlich,297 da der Kern des Normenkonflikts im sachlichen, zeitlichen und personellen Zusammentreffen von nicht zugleich zu befolgenden Normbefehlen liege.298 Nach der Gegenauffassung ist eine Kollisionslage i. S. des Art. 31 GG bereits gegeben, wenn eine Landes- und eine Bundesnorm auf denselben Sachverhalt anwendbar sind und zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.299 Vorzugswürdig ist letztere Auffassung, derzufolge sich die in Rede stehenden Normen nicht an dieselben Adressaten richten müssen. Art. 31 GG soll nicht lediglich verschiedene Ergebnisse bei der Normanwendung ausschließen, sondern er dient als Kollisionsentscheidungsnorm auch dazu, die Einheit der Rechtsordnung im Bundesstaat zu gewährleisten. Diese Einheit ist, wie gesagt,300 untrennbar mit dem Postulat der Widerspruchsfreiheit verbunden. Letztere ist nicht erst dann in Frage gestellt, wenn ein und derselbe Adressat vor der Wahl zwischen einer bundes- und einer landesrechtlichen Norm steht, die denselben Gegenstand in unterschiedlicher Weise regeln. Widersprüchliche Normanordnungen auf Landes- und gesamtstaatlicher Ebene stellen die Einheit der Rechtsordnung vielmehr auch ohne Adressatenidentität in Frage. Es wäre daher unzureichend, Art. 31 GG lediglich bei Identität der Normadressaten in Ansatz zu bringen. ___________ 295

Die mit Kanthers Ansatz einhergehende Rechtsunsicherheit wird noch vergrößert durch die als Grenze eingeführte Ausscheidung der Fälle, in denen Landesregelungen „erlassen werden, um Bundesrecht zu kritisieren und zu delegitimieren“ (Kanther, Landesverfassungen, S. 135). Gleiches gilt insoweit, als eine geltungserhaltende Auslegung nur erfolgen soll, wenn die Reduktion des Adressatenkreises „zu akzeptablen Ergebnissen“ (sic!) führt, s. Kanther, Landesverfassungen, S. 134. 296 Zur Frage, ob sich bundesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen auch an die Landesstaatsgewalt richten und solche der Landesverfassungen auch an die Staatsgewalt auf gesamtstaatlicher Ebene, 7. Kap. unter A. I. 2. 297 s. BVerfGE 36, 342 (369) – Sondervotum Geiger; März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 41; v. Mutius, VerwArch 66 (1975), S. 161 (165 f.); Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (862); wohl auch Friesenhahn, FG BVerfG (1976) I, S. 748 (763). 298 s. Bernhardt/Sacksofsky, in: BK, Art. 31 Rn. 53; März, Bundesrecht, S. 98 f. 299 s. BVerfGE 36, 342 (363); Starck, Verfassungen, S. 15 f. Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, S. 113, 153. 300 Dazu oben unter A. II. 1.

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c) Rechtsfolge im Fall bundesrechtswidriger Staatszielbestimmungen aa) Derogation auch des Landesverfassungsrechts? Nach überwiegend vertretener Auffassung entfaltet Art. 31 GG derogierende Kraft, und zwar auch gegenüber Regelungen des Landesverfassungsrechts.301 Landesverfassungsrecht, das dem Grundgesetz widerspricht, wäre demnach automatisch, d. h. ohne förmliche Aufhebung, der normativen Existenz beraubt.302 Ebenso endgültig und vollständig beseitigt wäre die Geltungskraft landesverfassungsrechtlicher Bestimmungen, die einfachem Bundesrecht widersprechen.303 Diese Derogation hat eine gegenwärtige Komponente: Neu erlassenes Bundesrecht wirkt gegenüber bestehendem Landesrecht als Aufhebung ex nunc, d. h. es bewirkt auf Dauer dessen Unwirksamkeit. Ein „Wiederaufleben“ landesrechtlicher Bestimmungen nach späterem Außerkrafttreten des entgegenstehenden Bundesrechts ist ausgeschlossen. Daneben ist eine zukunftsgerichtete Komponente zu verzeichnen, da die bundesrechtlichen Regelungen Sperrwirkung gegenüber künftigem entgegenstehendem Landesrecht entfalten.304 Für diesen allein auf die Nichtigkeitsfolge des Art. 31 GG abstellenden Ansatz lässt sich anführen, dass er dem Gebot der Rechtseinheit in besonderem Maße Rechnung zu tragen sucht. Zur weiteren Abstützung wird darauf verwiesen, der Geltungsvorrang des Bundesrechts gründe darin, dass die föderalen Rechtsgeltungsregeln als (auch) positive Geltungsbedingungen mit einer selfexecuting-Funktion versehen seien.305 Sie eröffneten lediglich eine Alternative: Die Norm des Landesrechts sei eine vollgültige Rechtsnorm, oder sie sei keine Rechtsnorm.306 Dies vermag allerdings nicht zu überzeugen, können Kollisions___________ 301 Vgl. Bartlsperger, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 128 Rn. 49; Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV (2. Aufl.), § 99 Rn. 40 (ders. allerdings zurückhaltender in HdbStR VI, § 134 Rn. 62 ff.); Stern, Staatsrecht I, S. 720 f.; Dreier, in: ders., GG II, Art. 31 Rn. 43 f.; Krings, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 31 Rn. 25; Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, S. 153; Wiederin, Bundesrecht, S. 366; Dietlein, Grundrechte, S. 56 f.; Storr, Verfassunggebung, S. 207 f.; Tjarks, Landesgrundrechte, S. 89 f.; Sachs, FS Stern, S. 475 (506); Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 119 (123). 302 So auch die Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, s. etwa BVerfGE 29, 11 (17); 31, 141 (145); vgl. (zwischen primären und sekundären Kollisionen differenzierend) Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 23 f. 303 s. März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 43 ff., 47; P. M. Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rn. 24 f.; Friesenhahn, FG BVerfG (1976) I, S. 748 (767). 304 Mit Blick auf Art. 13 Abs. 1 WRV („Reichsrecht bricht Landesrecht“) prägte Anschütz das geflügelte Wort, ein Reichsgesetz wirke für die Landesgesetzgebung „nach rückwärts als Aufhebung, nach vorwärts als Sperre“ (ders., WRV, Art. 13 Anm. 3). Aus dogmatischer Sicht krit. März, FS Schulz, S. 101 (103 ff.): keine retroaktive Rechtswirkung des Art. 13 Abs. 1 WRV, keine „Sperre“ i. S. der Verhinderung von Normsetzung. 305 s. März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 44. 306 s. März, Bundesrecht, S. 204.

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regeln doch prinzipiell zwei Arten von Wirkung entfalten. Zum einen mag aus ihnen die Unwirksamkeit nachrangiger Vorschriften resultieren, zum anderen können sie sich auf die Lösung normanwendender Konflikte beschränken, d. h. einen generellen oder konkreten Anwendungsvorrang statuieren.307 Gestützt auf die allgemeine Doktrin der Normenhierarchie wird des Weiteren argumentiert, die ipso iure-Nichtigkeit verfassungswidriger Normen308 in den jeweiligen Normenhierarchien von Bund und Ländern müsse auch für das Verhältnis von Bundes- zu Landesrecht gleich welcher Stufe gelten. Mit Bundesrecht unvereinbares Landesrecht sei von Anfang an (ex tunc) nichtig, da die Möglichkeit einer zeitweisen Gültigkeit verfassungswidriger Gesetze ausgeschlossen sei (Nichtigkeitslehre).309 Die Gleichung „verfassungswidrig = ex tunc nichtig“ ist rechtstheoretisch allerdings nicht zwingend.310 So befindet sich mittlerweile denn auch die Auffassung im Vordringen, eine verfassungswidrige Norm sei bis zu ihrer (konstitutiven) ex-nunc-Vernichtung gültig und wirksam und daher auch im Rechtsalltag zu beachten (Vernichtbarkeitslehre).311 Zudem steht die Auslegungsregel, dass Gesetze nicht wieder aufleben, wenn die sie verdrängenden Rechtssätze ihrerseits aufgehoben werden,312 gleichrangig neben derjenigen, dass die speziellere Norm die allgemeinere nicht aufheben, sondern sie lediglich suspendieren will.313 Es ist daher keineswegs normlogisch zwingend, dass die bundesrechtliche Norm eine ihr widersprechende Vorschrift des Landesrechts aufhebt.314 ___________ 307

Dazu v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 118 m.w.N. s. Stern, in: BK, Art. 93 Rn. 271 ff.; vgl. J. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 145 ff. 309 Statt vieler März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 45 m.w.N. – Zur weiteren Begründung wird auf Artt. 93 Abs. 1 Nr. 2, 100 Abs. 1 GG verwiesen, s. Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (862). Auch §§ 78 S. 1, 82 Abs. 1 und 95 Abs. 3 BVerfGG liegt die Gleichung „verfassungswidrig = ex tunc nichtig“ zugrunde. Das Bundesverfassungsgericht weicht mitunter von ihr ab, indem es in richterlicher Rechtsfortbildung die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge (Nichtigkeit) zu Gunsten einer bloßen Unvereinbarkeitserklärung zurücknimmt; dazu Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 394 ff.; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 20 Rn. 11 ff. 310 Beispiele abweichender Regelung bei Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 379. 311 s. etwa Heckmann, Geltungskraft, S. 15 ff., 288 ff.; B. Schneider, Normenkontrolle, S. 143 ff.; krit. J. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 145 ff. 312 s. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 132 Fn. 87 m.w.N. 313 Die generelle Norm wäre wieder im ursprünglichen Umfang anwendbar, wenn die lex specialis wegfällt. Vgl. Hanack, JZ 1965, S. 221 ff., mit Kritik an BGHSt 20, 81 ff. 314 In diese Richtung auch Kelsen, Theorie, S. 101 f.; vgl. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 131 ff., der mit Blick auf BVerfGE 36, 342 (365) – „die lex specialis, die Bundesrecht sein kann, geht der lex generalis, die Landesrecht sein kann, vor, aber Letztere bleibt gleichwohl in Geltung“ – auf das Fehlen einer Begründung 308

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Als tragendes Argument gegen jenen Ansatz, der auch Landesverfassungsrecht derogiert sieht, ist darauf zu verweisen, dass er eine Zersplitterung der Landesverfassungen zur Folge hat. Diese würde es den Ländern letztlich unmöglich machen, ihre Staatlichkeit im Rahmen des bundesstaatlichen Gesamtgefüges nach einer in sich konsistenten und einheitlichen Landesverfassung zu artikulieren.315 Die Verfassungshoheit der Länder bestünde lediglich im Rahmen des einfachen Bundesrechts; jede einfachgesetzliche Rechtsnorm des Bundes – auch eine Rechtsverordnung – würde in dem von ihr geregelten Bereich die einschlägigen Normen des Landesverfassungsrechts endgültig beseitigen.316 Dies aber ist unvereinbar mit Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG, die die Eigenstaatlichkeit der Länder und somit auch deren Verfassungshoheit voraussetzen.317 Der Respekt vor der Verfassungshoheit der Länder gebietet es, einen landeskonstitutionellen Torso zu vermeiden. Jener Auffassung, die auch Landesverfassungsrecht derogiert sieht, kann daher nicht gefolgt werden. Es bedarf eines „landesverfassungsfreundlicheren“ Ansatzes.

bb) Suspension des Landesverfassungsrechts? Eine im Vordringen befindliche Auffassung differenziert hinsichtlich der Rechtsfolge des Art. 31 GG zwischen einfachem Landes- und Landesverfassungsrecht. Während einfaches bundesrechtswidriges Landesrecht nichtig sei,318 werde bundesrechtswidriges Landesverfassungsrecht überlagert, also suspendiert.319 Dies hätte zur Folge, dass bundesrechtswidrige Landesverfassungsnor___________ verweist, die sich nicht in Antizipation des Ergebnisses erschöpft, dass Art. 31 GG keine aufhebende Wirkung eignet. 315 Vgl. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 130; a.A. hingegen Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (862 f.): Die sachgerechte Anwendung des Kriteriums „Normenkollision“ räume die Bedenken gegen die Nichtigkeitsfolge weitgehend aus. 316 Das Fragment der landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen ergäbe sich dann erst durch den Filter aller Rechtsnormen des Bundes, die bis zum jeweiligen Anwendungszeitpunkt der Landesverfassung – und sei es auch für noch so kurze Zeit – ergangen waren. Dazu v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 130 f., m.w.N. 317 Vgl. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 130, der die Länder durch die Auslegung des Art. 31 GG i. S. der h.M. „auf den Status von Provinzen reduziert“ sieht. Zur Verfassungshoheit der Länder 1. Kap. unter B. 318 Vgl. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 130. – Die Nichtigkeit als grundsätzliche Rechtsfolge des Art. 31 GG stellte das Bundesverfassungsgericht bereits fest in BVerfGE 26, 116 (135). 319 s. Starck, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IX, § 208 Rn. 21; Bernhardt/Sacksofsky, in: BK, Art. 31 Rn. 60 ff.; Starck, Verfassungen, S. 16; Schilling, Rang, S. 553 f.; Badura, in: Starck, Rangordnung, S. 107 (113 f.); D. Franke, FS Mahrenholz, S. 923 (931); Edinger, in: Schmitt, ThürVerf, S. 101 (108); Endter, EuGRZ 1995, S. 227 (228); Poscher, NJ 1996, S. 351 (352); Sacksofsky, NVwZ 1993, S. 235 (238 f.).

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

men bei späterem Wegfall des entgegenstehenden Bundesrechts bzw. nach dessen Änderung in ihrem ursprünglichen Umfang wieder aufleben.320 Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass er der Verfassungshoheit der Länder hinreichend Rechnung trägt. Während derogiertes Landesrecht bei späterem Wegfall oder nach Änderung des betreffenden Bundesrechts nicht wieder aufleben kann,321 bleibt die normative Existenz bundesrechtswidrigen Landesverfassungsrechts im Suspensionsfall unangetastet.322 Die betreffenden Normen hätten eine virtuelle normative Bedeutung, also eine gewisse „Reservefunktion“. Gegen eine solche Suspensionswirkung wird angeführt, der „radikalen“ Formulierung des Art. 31 GG sei zu entnehmen, dass die Nichtigkeitssanktion auch Landesverfassungsrecht treffen solle.323 Für eine bloße Suspension landesverfassungsrechtlicher Bestimmungen finde sich kein Anhaltspunkt.324 Dieser Einwand greift zu kurz. Es ist durchaus offen, was „brechen“ im Einzelfall bedeutet. Die Rechtsfolge des Art. 31 GG kann nicht abstrakt festgelegt werden;325 insbesondere ist nicht der (isolierte) Wortlaut entscheidend. Der Sinngehalt des Wortes „brechen“ ergibt sich vielmehr erst aus der Stellung des Art. 31 GG innerhalb des grundgesetzlichen Normengefüges (Prinzip der Einheit der Verfassung).326 Ohne Bedeutung ist insoweit Art. 142 GG. Zwar wird vereinzelt vorgebracht,327 aus seinem Wortlaut – „Ungeachtet der Vorschrift des Artikels 31 bleiben Bestimmungen der Landesverfassungen [...] in Kraft [...]“ – ergebe sich, dass die Rechtsfolge des Art. 31 GG prinzipiell in einem „Außerkrafttreten“ des mit Bundesrecht kollidierenden landesrechtlichen Rechtssatzes bestehe. Diese Argumentation steht und fällt freilich mit der Einordnung des Art. 142 GG als lex specialis zu Art. 31 GG. Nach richtigem Ansatz ist in jener Vorschrift je___________ 320

Vgl. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 133. s. oben unter D. I. 2. c) aa). 322 Zum Problem der Geltung im Gegensatz zur Anwendung oder Wirksamkeit von Normen v. Olshausen, JZ 1967, S. 116 ff.; Überblick über die verschiedenen Geltungsbegriffe und deren Funktionen bei Schreiber, Geltung, S. 57 ff., 64 ff., 68 ff., 243 ff. 323 s. Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 27. – Die Auffassung, im Wort „brechen“ komme zum Ausdruck, dass eine besonders intensive, radikale Entscheidung gegen das Landesrecht gewollt sei, dass es also uneingeschränkt seiner Wirksamkeit beraubt werden solle, ist allein dann verständlich, wenn man das Wort sprachlich isoliert. Ebenso BVerfGE 36, 342 (365). 324 s. Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 134 Rn. 63; März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 47 f.: Art. 31 GG nehme von der normhierarchischen Qualität des Landesrechts keine Notiz, sondern unterscheide allein nach föderalen Rechtsetzungsebenen. 325 Das deutsche Recht kennt mehrere Rechtsfiguren, um Normenkollisionen zu beheben. Dazu BVerfGE 36, 342 (365); v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 107. 326 Zum Prinzip der Einheit der Verfassung oben unter B. III. 1. a) cc). 327 So etwa Dietlein, Grundrechte, S. 56. 321

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doch eine dieser Kollisionsentscheidungsnorm vorhergehende negative Kompetenznorm zu sehen.328 Für die Rechtsfolge des Art. 31 GG gegenüber bundesrechtswidrigem Landesverfassungsrecht maßgeblich ist vielmehr Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG:329 Um der Verfassungshoheit der Länder hinreichend Rechnung zu tragen, ist eine Ausnahme von der Nichtigkeit als grundsätzlicher Rechtsfolge des Art. 31 GG angezeigt.330 Als wenig tragfähig erweist sich der Einwand, die Nichtigkeit solchen Landesverfassungsrechts ergebe sich als Rechtsfolge des Art. 31 GG bereits daraus, dass die Länder als Gliedstaaten lediglich über eine in den Gesamtstaat eingeordnete und damit limitierte Verfassungsautonomie verfügen.331 Die Staatlichkeit der Länder ist zwar auf den Gesamtstaat zugeschnitten. Die Suspension bundesrechtswidrigen Landesverfassungsrechts steht dem aber nicht entgegen. Schließlich ist die Staatsgewalt im Bundesstaat des Grundgesetzes alternativ Gesamtstaat und Ländern überantwortet. Ebenso wenig kann das Gebot der Rechtseinheit im Bundesstaat bzw. das Postulat der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung gegen jene Suspensionswirkung im Fall von Landesverfassungsrecht angeführt werden.332 Das Prinzip der Normen-(geltungs-)klarheit bleibt auch bei Nichtanwendung einer bundesrechtswidrigen landesverfassungsrechtlichen Vorschrift gewahrt. Normenkollisionen lassen sich auch auflösen, indem die Anwendbarkeit einer der Normen, die sich widersprechen, ausgeschlossen wird.333 Die „harte“ Folge der Nichtigkeit bundesrechtswidrigen Landesverfassungsrechts ist auch nicht aus Gründen der Rechtssicherheit vorzugswürdig. Es wird zwar argumentiert, die Suspensionswirkung vernachlässige die Gebote der Rechtsklarheit und der Normenbestimmtheit,334 da der Rechtsanwender die Erkenntnis, ob eine Normenkollision vorliegt, im je konkreten Fall immer aufs ___________ 328

s. oben unter B. III. 1. a) cc). Ebenso BVerfGE 36, 342 (360 ff.). 330 Die Nichtigkeit als grundsätzliche Rechtsfolge des Art. 31 GG wurde bereits festgestellt in BVerfGE 26, 116 (135). 331 So aber März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 48. 332 Etwas anderes gilt hingegen für den kühnen Ansatz Millekers, DVBl. 1969, S. 129 (133), demzufolge aus Art. 142 GG abzuleiten ist, dass alle Landesgrundrechte im Rang dem einfachen Bundesrecht vorgehen würden – dies hätte eine Zersplitterung des einfachen Bundesrechts zur Folge, und es würde letztlich die Staatlichkeit des Bundes negieren. 333 s. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 136; ebenso wohl auch Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 31 Rn. 20. 334 So etwa März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 48; Dietlein, Grundrechte, S. 56 f. – Die Frage, ob Rechtssicherheit und Verfassungshoheit im Falle der Suspensionswirkung hinreichend zum Ausgleich gebracht sind, verneint i. E. auch Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 31 Rn. 20. 329

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Neue gewinnen müsse.335 Demgegenüber werde die Nichtigkeit ein für allemal im Wege einer verbindlichen Entscheidung festgestellt. Damit sei entweder durch verfassungsgerichtliche Entscheidung oder durch (deklaratorische) Bereinigung des Landesverfassungsrechts Klarheit für alle Rechtsbetroffenen geschaffen.336 Dies verursacht indes kaum weniger praktische Schwierigkeiten als jene Supensionswirkung. Zum einen ist die Feststellung eines Kollisionsfalles auch dann erforderlich, wenn man von der Nichtigkeit als Rechtsfolge des Art. 31 GG ausgeht. Zum anderen wäre das Landesverfassungsrecht nicht lediglich anhand geltenden Bundesrechts zu überprüfen, sondern auch mit Blick auf sämtliche Rechtsverordnungen des Bundes der Vergangenheit. Schließlich fällt die Rechtsklarheit bei Zugrundelegung der Nichtigkeit bundesrechtswidrigen Landesverfassungsrechts nicht größer aus als bei dessen Suspension, weil die Länder im Bereich des Verfassungsrechts meist keine Rechtsbereinigung durchführen.337 Der Grundsatz der Beständigkeit und Kontinuität der Rechtsordnung führt zu keiner anderen Bewertung.338 Die Suspensionswirkung mag zwar mitunter die Rechtsordnungen der Länder stören, wie sie sich jeweils im Kraftfeld des Bundesrechts entwickelt haben, da eine landesverfassungsrechtliche Vorschrift, die nach Wegfall des ihr entgegenstehenden Bundesrechts wieder auflebt, ein Fremdkörper im Landesrecht sein kann. Vielfach musste einfachgesetzliches Landesrecht unter Geltung des Bundesrechts mit bestimmtem Inhalt erlassen werden, und eben dieses Landesrecht tritt nach Aufhebung des betreffenden Bundesrechts automatisch außer Kraft, soweit es den wieder zu aktueller Geltung gekommenen Vorschriften der Landesverfassung widerspricht.339 Dies spricht allerdings nicht gegen die Suspensionswirkung als Rechtsfolge des Art. 31 GG im Falle bundesrechtswidrigen Landesverfassungsrechts. Zum einen entsteht den Ländern neuer Gestaltungsspielraum, wenn der Bund eine Gesetzgebungskompetenz nicht mehr besetzt. Zum anderen könnte der verfassungsändernde Landesgesetzgeber auch die Landesverfassung entsprechend anpassen, so dass kein „Beschäftigungsprogramm“ für den einfachen Gesetzgeber ausgelöst wird. Schließlich wird der Bund Vorschriften lediglich aus triftigem Grund ___________ 335

So etwa Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 26 f. s. Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 26 f. 337 Es würde sich auch nicht mit dem Charakter der Landesverfassungen vertragen, diese wie einfaches Landesrecht an jede neue Rechtsverordnung des Bundes anzugleichen. 338 A.A. Dietlein, Grundrechte, S. 57; März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 48. – Jede Rechtsordnung ist darauf angelegt, beständig und kontinuierlich ihre Sicherungs- und Ordnungsfunktion zu erfüllen, vgl. etwa Artt. 123 ff. GG, wonach vorkonstitutionelles Recht grundsätzlich weiter gilt; allg. zur Stabilisierungsfunktion der Verfassung Stern, Staatsrecht I, S. 86 ff. m.w.N. 339 s. Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 28. 336

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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aufheben, etwa weil diese überkommen bzw. obsolet sind.340 Es kann daher durchaus dem Sinn einer solchen Aufhebung entsprechen, dass auch entsprechende landesgesetzliche Regelungen außer Kraft treten. Nach alldem bleibt festzuhalten, dass die Einwände gegen die Suspension bundesrechtswidrigen Landesverfassungsrechts letztlich nicht durchgreifen. Diese Suspensionswirkung hat, darauf sei nur der Klarheit halber hingewiesen, eine generelle Überlagerung der betreffenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Folge. Vereinzelt wird zwar vertreten, bundesrechtswidriges Landesverfassungsrecht werde lediglich im konkreten Fall verdrängt341 und sei zu beachten, wenn daraus kein bundesrechtswidriges Verhalten resultiere.342 Dies greift allerdings zu kurz. Es hieße, den Charakter der Länder als Gliedstaaten zu verkennen, würde eine landesverfassungsrechtliche Bestimmung lediglich im konkreten Fall eines Normanwendungskonflikts hinter Bundesrecht zurücktreten. Bundesrechtswidriges Landesverfassungsrecht kann keine aktuelle normative Bedeutung haben.343

cc) Differenzierung nach Gesetzgebungszuständigkeiten bzw. nach Normtypen? Ein weiterer (lediglich vereinzelt vertretener) Ansatz geht von der Nichtigkeitsfolge gegenüber Landesverfassungsrecht aus, wenn das Bundesrecht, das diesem entgegensteht, auf einer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz be___________ 340 Häufiger als zu einer Aufhebung bundesrechtlicher Normen wird es freilich zu deren Novellierung kommen. Dem „alten“ Bundesrecht entgegenstehende Landesverfassungsbestimmungen werden dann regelmäßig auch den novellierten Vorschriften widersprechen, was ihr Wiederaufleben ausschließt. 341 s. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 133, 135 f.: Art. 31 GG bestätige den Vorrang der grundgesetzlichen Kompetenzverteilungsnormen, und daraus folge ein konkreter Anwendungsvorrang des kompetenzgemäßen einfachgesetzlichen Bundesrechts gegenüber Landesrecht jeder Stufe; ein genereller Anwendungsvorrang des Bundesrechts sei unvereinbar mit Artt. 28, 142 GG, da das betreffende Landesrecht dann seine normative Relevanz verliere (S. 136). 342 So ist nach v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 135 ff., etwa eine vom einfachgesetzlichen Bundesrecht abweichende Landesgrundrechtsbestimmung anzuwenden, sofern dies nicht zu einer Verletzung des Bundesrechts führt; als Beispiel einer solchen „normativen Offenheit“ des Bundesrechts verweist v. Olshausen angesichts landesgrundrechtlicher Bestimmungen wie Art. 19 Abs. 2 HessVerf, demzufolge jeder Festgenommene binnen 24 Stunden einem Richter vorzuführen ist, auf § 13 Abs. 1 FreiheitsentziehungsG und §§ 115 a Abs. 1, 128 Abs. S 1 StPO, die als absolute Zeitgrenze für eine ohne Einschaltung eines Richters vorgenommene Freiheitsentziehung den Ablauf des Tages normieren, der auf die Festnahme folgt (S. 145 ff.). 343 Insbesondere findet sich kein dogmatischer Anknüpfungspunkt für Auwirkungen solchen Landesverfassungsrechts auf einfachgesetzliches Bundesrecht; a.A. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 158, für den Bereich der Landesgrundrechte.

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

ruht. Andernfalls werde Landesverfassungsrecht lediglich suspendiert, solange Bundesgesetze in den jeweiligen Sachbereichen bestünden.344 Dem kann nicht gefolgt werden. Es ist wenig plausibel, bei der Rechtsfolge des Art. 31 GG nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes zu differenzieren. Ein Wiederaufleben bundesrechtswidrigen Landesverfassungsrechts in Bereichen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes mag zwar unwahrscheinlich sein, ausgeschlossen ist es aber (unter der Voraussetzung der Änderung der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung) nicht. Zudem würde die Handhabung des Art. 31 GG infolge der Einbeziehung der Kompetenzverteilungsschemata unnötig komplex. Es gibt keinen Grund dafür, auf der Stufe der Kollisionsentscheidung in diesem Ausmaß auf Kriterien zu rekurrieren, die der Ebene der Kollisionsvermeidung zuzuordnen sind. Ebenso wenig wie jener nach den Gesetzgebungskompetenzen differenzierende Ansatz vermag die Auffassung zu überzeugen, derzufolge „auch dem Grundgesetz widersprechende Regelungen Bestand haben können, solange sie nur auf der höheren Abstraktionsebene der Verfassungsprinzipien nicht gegen das Grundgesetz verstoßen“.345 Zwar ist der Rahmen für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG weit gesteckt. Wenn eine solche Zielvorgabe kompetenzgemäß erlassen ist und Bundesrecht gleich welcher Rangstufe widerspricht, bemisst sich die Rechtsfolge dieser Kollision nach Art. 31 GG.346 Es steht dabei außer Frage, dass die Rechtsfolge nicht von der normtypologischen Einordnung des bundesrechtswidrigen Landesverfassungsrechts abhängen kann. Das Grundgesetz liefert keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die „Brechungswirkung“ je nach Normtyp unterschiedlich ausfällt.

d) Zwischenergebnis Auch Landesverfassungsrecht ist gem. Art. 31 GG an Bundesrecht zu messen.347 Diese Kollisionsentscheidungsnorm greift, wenn sich (kompetenzgemäß ___________ 344 So P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 33 ff.; vgl. den Ansatz Pestalozzas, DÖV 1972, S. 181 ff., für den Art. 31 GG die konstitutive Funktion hat, dem Bundesrecht eine nur suspendierende Vorrangwirkung zuzuweisen in den Kollisionsfällen „mehrfachen Sonderrechts“. 345 s. Brenne, Grundrechte, S. 47. 346 Insoweit verbietet sich ein Rekurs auf Art. 28 Abs. 1 GG: Die Anwendung des Art. 31 GG ist der Überprüfung landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen am Maßstab des Art. 28 Abs. 1 GG nachgelagert. Zum Verhältnis der Kompetenznormen als Kollisionsvermeidungsnormen zu Art. 31 GG als Kollisionsentscheidungsnorm oben unter B. III. 1. 347 Gegen diese inhaltliche Aussage des Art. 31 GG verstößt Art. 2 Abs. 5 BbgVerf: S. 1 suggeriert, die Landesverfassung sei lediglich an die Normen des Grundgesetzes gebunden, während der einfache Gesetzgeber nach S. 2 an das (gesamte?) Bundesrecht

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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zustande gekommenes) Landes(verfassungs)- und Bundesrecht widersprechen. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen, die mit einfachem Bundesrecht und dem Grundgesetz übereinstimmen, werden in keinem Fall gebrochen. Ebenso fehlt eine Kollisionslage, wenn eine Landesverfassung über das Grundgesetz hinausgehende oder aber gar keine Staatszielbestimmungen enthält. Kompetenzgemäß erlassene landesverfassungsrechtliche Zielvorgaben, die im Widerspruch zum Grundgesetz stehen, werden suspendiert. Gleiches gilt für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen, die mit einfachem Bundesrecht kollidieren. Diese Suspensionswirkung ist nicht nur unabhängig davon, welcher Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes das entgegenstehende Bundesrecht unterfällt, sondern auch unabhängig vom Zeitpunkt seines Erlasses. Allein durch diesen Ansatz, demzufolge „brechen“ i. S. des Art. 31 GG meint, dass Normen der Landesverfassung, die mit Bundesrecht kollidieren, von diesem überlagert werden, ist der Verfassungshoheit der Länder hinreichend Rechnung getragen. Eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung, die im Widerspruch zu Bundesrecht steht, verpflichtet den Landesgesetzgeber folglich nicht zum Tätigwerden. Die betreffende Zielvorgabe ist erst nach Wegfall der Kollisionslage durch Änderung oder Aufhebung des entgegenstehenden Bundesrechts zu beachten.

3. Zusammenfassung Das Grundgesetz enthält für die Materie des Landesverfassungsrechts keine Kompetenzregelung genereller Art. Im Rahmen ihrer Verfassungshoheit sind die Länder vielmehr grundsätzlich frei, von allen Normtypen und Norminhalten Gebrauch zu machen. Die Artt. 70 ff. GG finden auf Landesverfassungsrecht keine Anwendung; sie beziehen sich lediglich auf die Zuständigkeitsverteilung für den Erlass einfachen (Bundes- und) Landesrechts. Folglich stehen diese Kompetenzverteilungsschemata der Normierung auch solcher landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen nicht entgegen, die als einfachgesetzliche Landesregelungen an jener Kompetenzverteilung scheitern würden. Gleichwohl verfügen die Länder über keine Vollkompetenz für Landesverfassungsrecht im Sinne einer einheitsstaatlichen Verfassung.348 Neben der Ho___________ gebunden ist. Diese Verfassungsnorm ist daher nichtig; ebenso Kanther, Landesverfassungen, S. 214. Zu Art. 2 Abs. 5 BbgVerf auch oben unter B. I., Fn. 25. 348 Auch eine solche Vollkompetenz wäre freilich eine lediglich virtuelle Allzuständigkeit. Der Staat darf den Menschen nicht vollständig vereinnahmen, sondern ist sektoraler Staat; Gleiches muss für die Verfassung gelten. Dazu Isensee, in: ders./Kirch-

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

mogenitätsklausel (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) fungieren Art. 142 GG und Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten bzw. den grundrechtsgleichen Rechten als Kompetenzsperren. Auf landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen anwendbar sind Art. 28 Abs. 1 GG sowie Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Bundesgrundrechten, nicht aber Art. 142 GG. Letzterer scheidet als Prüfungsmaßstab aus, wenn die zu überprüfenden Vorschriften – wie etwa die Staatszielbestimmungen – rein objektiv-rechtlichen Gehalt haben. Überschreitet eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung die von Art. 28 Abs. 1 GG als negativer Kompetenznorm gezogenen Grenzen, ist sie ultra vires ergangen und folglich unmittelbar unwirksam. Die Eigenstaatlichkeit der Länder stößt dort an ihre Grenzen, wo die von Art. 28 Abs. 1 GG geforderte bundesstaatliche Homogenität nicht mehr gegeben ist. Ebenfalls unmittelbar unwirksam sind bundesgrundrechtswidrige Staatszielbestimmungen einer Landesverfassung. Dies ergibt sich aus der Durchgriffswirkung des Art. 1 Abs. 3 GG. Im Fall homogenitäts- bzw. bundesgrundrechtswidriger Zielvorgaben bedarf es mithin keines Rückgriffs auf Art. 31 GG. In einer solchen Konstellation fehlt es bereits am kompetenzgemäßen Zustandekommen des Landesverfassungsrechts, d. h. eine etwaige Normenkollision ist bereits im Vorfeld eines Normenkonflikts vermieden. Auch bei einem Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue kommt kein wirksames Landesverfassungsrecht zustande. Dieser ungeschriebene Verfassungsgrundsatz modifiziert die Voraussetzungen, unter denen die Länder ihre Kompetenzen ausüben können. Für die Wirksamkeit der landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen bedeutungslos ist demgegenüber Art. 31 GG. Die Zielvorgaben sind zwar, sofern sie kompetenzgemäß zustande kamen, nach dieser Kollisionsentscheidungsnorm am Maßstab des Bundesrechts gleich welcher Rangstufe zu messen; wenn sie nicht bundesrechtskonform ausgelegt werden können, ist eine Kollisionsentscheidung zu treffen. Nach hier zugrunde gelegtem Ansatz werden bundesrechtswidrige Staatszielbestimmungen einer Landesverfassung jedoch nicht derogiert, sondern (lediglich) suspendiert. Die Nichtigkeitsfolge würde der Verfassungshoheit der Länder nicht hinreichend Rechnung tragen und überdies zur Zerstückelung der Landesverfassungen führen. Das Eingreifen des Art. 31 GG nimmt jenen Zielvorgaben lediglich deren aktuelle normative Bedeutung. Eine suspendierte (und damit faktisch wirkungslose) Staatszielbestimmung hat eine Reservefunktion. Mit Wegfall des entgegenstehenden Bundesrechts erstarkt ihre ausschließlich virtuelle normative Bedeutung zu einer aktuellen. ___________ hof, HdbStR IV, § 71 Rn. 29 f.; ders., a.a.O., § 73 Rn. 57 f.; vgl. Ehmke, Verfassungsänderung, S. 87. – Zur Funktion der Verfassung als Grenze der Verfassungshoheit Magiera, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 141 (156, 162).

D. Ansatz für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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II. Gemeinschaftsrechtliche Dimension

1. Kollisionsvermeidung Der Grundsatz der Bundestreue verpflichtet die Länder u.a., im gesamtstaatlichen Interesse diejenigen Verpflichtungen einzuhalten, die sich aus den vom Bund abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen ergeben. Landesrecht, das in Verletzung dieser Kompetenzausübungsschranke erlassen wird, ist ultra vires ergangen und damit nichtig.349 Dies gilt auch für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen: Wenn ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue vorliegt, entsteht von vornherein kein wirksames Recht.350

2. Kollisionsentscheidung Ist sowohl die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung wie auch das Gemeinschaftsrecht kompetenzgemäß zustande gekommen, stehen sich zwei einander potentiell widersprechende Normen gegenüber. Im Fall einer Normenkollision erfolgt eine Kollisionsentscheidung nach den bundesstaatlichen Entscheidungsregeln. Eine entsprechende Kollisionslage setzt zunächst die unmittelbare Anwendbarkeit des (kompetenzgemäß zustande gekommenen) Gemeinschaftsrechts voraus. Des Weiteren muss ein Widerspruch zwischen beiden Normen bestehen, d. h. es muss unmöglich sein, (kumulativ) beide Normbefehle zu befolgen, ohne dass einer verletzt oder missachtet wird. Insoweit gilt im Einzelnen nichts anderes als im Verhältnis von Bundes- und Gemeinschaftsrecht.351 Das Primärrecht der EU und der EG hat im Falle einer Normenkollision gem. Art. 31 GG Vorrang auch vor landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen. Infolge der Transformation der betreffenden völkerrechtlichen Verträge gem. Art. 59 Abs. 2 GG ist das primäre Gemeinschaftsrecht Teil des Bundesrechts.352 Eine primärrechtswidrige landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe ist demnach suspendiert, hat also lediglich virtuelle normative Bedeutung.

___________ 349

s. oben unter B. III. 2. Die Suspension landesrechtlicher Regelungen, die der aus der Bundestreue resultierenden Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf den Bund nicht hinreichend Rechnung tragen, ist dogmatisch ausgeschlossen. Dazu wie auch zur Anwendbarkeit dieser Kompetenzausübungsschranke auf landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen oben unter D. I. 1. e). 351 Es kann daher auf die Ausführungen unter C. II. 2. verwiesen werden. 352 s. oben unter B. III. 2. 350

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

Die Anwendung des Art. 31 GG kann hier zu keinem anderen Ergebnis führen als in der bundesstaatlichen Dimension.353 Sekundäres Gemeinschaftsrecht bezieht seinen Vorrang gegenüber Landesrecht im Kollisionsfall direkt aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG,354 der die Bundesrepublik Deutschland zur Mitwirkung an der EU verpflichtet. Dieser Vorrang greift nicht lediglich in Bezug auf einfachgesetzliches Recht der deutschen Länder, sondern auch mit Blick auf deren Verfassungsrecht. Eine sekundärrechtswidrige landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung hat demnach grundsätzlich aktuelle normative Bedeutung; ebenso wie gemeinschaftsrechtswidriges Bundesrecht ist sie im konkreten Kollisionsfall unanwendbar.355

3. Zusammenfassung Die Normierung von Staatszielbestimmungen in den Landesverfassungen ist nicht an den Kollisionsvermeidungsmechanismen des Gemeinschaftsrechts zu messen. Dies korrespondiert der „Landesblindheit“ der EU/EG. Es sind vielmehr die bundesstaatlichen Kollisionsnormen in Ansatz zu bringen. Als Kollisionsvermeidungsmechanismus greift hier der Grundsatz der Bundestreue. Eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung, die unter Verletzung dieser Kompetenzausübungsschranke erlassen wird, ist ultra vires ergangen und damit nichtig. Ist sowohl das Landes- wie auch das Gemeinschaftsrecht kompetenzgemäß zustande gekommen, stehen sich zwei einander potentiell widersprechende Normen gegenüber. Im Kollisionsfall erfolgt eine Kollisionsentscheidung nach bundesstaatlichen Kollisionsentscheidungsregeln. Insoweit ist danach zu differenzieren, ob die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung primärem oder sekundärem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Steht sie Primärrecht entgegen, genießt dieses aufgrund seiner Transformation in Bundesrecht durch das jeweilige Zustimmungsgesetz Vorrang gem. Art. 31 GG. Eine primärrechtswidrige Staatszielbestimmung ist demnach suspendiert und hat lediglich virtuelle normative Bedeutung. Bei einem Widerspruch zu sekundärem Gemeinschaftsrecht kommt nicht Art. 31 GG zum Ansatz, sondern es ergibt sich unmittelbar aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG, dass die betreffende landesverfassungsrechtliche ___________ 353

Dazu oben unter D. I. 2. c). s. März, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 31 Rn. 33. – Das Sekundärrecht kann nicht dem Bundesrecht zugeordnet werden. Es fällt daher nicht in den Anwendungsbereich des Art. 31 GG. Näher dazu oben unter B. III. 2. 355 Insoweit kann nichts anderes gelten als mit Blick auf eine gemeinschaftsrechtswidrige Staatszielbestimmung des Grundgesetzes; eingehend zur betreffenden Rechtsfolge oben unter C. II. 3. 354

E. Fazit

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Zielvorgabe im konkreten Kollisionsfall unanwendbar ist. Anders als jene primärrechtswidrige Staatszielbestimmung hat sie grundsätzlich aktuelle normative Bedeutung, wenn auch nicht in vollem Umfang.

E. Fazit Die Kollisionsentscheidungsnormen sind den Kollisionsvermeidungsmechanismen einen Schritt nachgelagert. Greift ein solcher Mechanismus, fehlt es an einer Normenkollision, so dass es keiner Kollisionsentscheidung bedarf. Für die Verankerung von Staatszielbestimmungen im Grundgesetz belassen die Kollisionsvermeidungsmechanismen des Gemeinschaftsrechts nahezu unbegrenzten Raum. Dieser Befund korrespondiert dem Umstand, dass es sich bei der EU/EG um (noch) keinen Staat handelt, sondern um einen Staatenverbund. Auf der Stufe der Kollisionsentscheidung steht demgegenüber nicht die Eigenständigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen im Vordergrund, sondern die effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. Aufgrund des Anwendungsvorrangs jenes Rechts ist eine gemeinschaftsrechtswidrige Staatszielbestimmung des Grundgesetzes im konkreten Kollisionsfall unanwendbar. Ebenso verfügen die Länder bei der Verankerung von Staatszielbestimmungen in den Landesverfassungen im Rahmen der von der EU/EG überwölbten bundesstaatlichen Ordnung kompetenziell über eine weit gespannte Gestaltungsfreiheit. Auf der Stufe der Kollisionsvermeidungsnormen sind dem Grundgesetz lediglich zurückhaltende Vorgaben zu entnehmen. Mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung im Bundesstaat auf der einen Seite und der Eigenstaatlichkeit der Länder auf der anderen steht hier die föderale Verfassungsvielfalt im Vordergrund. Die Kunst bei der Normierung landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen besteht daher nicht zuletzt darin, den verbleibenden Gestaltungsspielraum zu erkennen und (sinnvoll) zu nutzen. Die Landesverfassungen dürfen dabei durchaus bis an die Grenzen gehen, die ihrer Verfassungshoheit durch das Grundgesetz gezogen sind.356 Unter dem Blickwinkel der Kollisionsvermei___________ 356 Vgl. Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (196): Die Länder dürften bei der Verfassunggebung nicht nur „den ‚Rahmen’ des Bundesverfassungsrechts voll ausschöpfen“, sondern ihn auch „‚testen’“ (ebenso ders., JöR 43 [1995], S. 355 [394]); auch sollten sich die Glieder des Bundesstaates „vor fruchtbaren Reibungen und Spannungen nicht scheuen“. Diese Auffassung greift zu kurz. Sie lässt sich (jedenfalls in dieser Pauschalität) nicht mit dem Föderalismusverständnis des Grundgesetzes vereinbaren: Dem Bundesstaat des Grundgesetzes liegt kein Modell der ständigen Konkurrenz und Konflikte zwischen Bund und Ländern zugrunde; Bund und Länder sollen sich vielmehr gegenseitig ergänzen und kooperieren. Dies folgt nicht zuletzt aus dem Grundsatz der Bundestreue (zu ihm oben unter B. III. 1. b] aa]).

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4. Kap.: Ansatz für die Überprüfung der normativen Bedeutung

dungsnormen ermöglicht die bundesstaatliche Struktur in der Ausprägung des Grundgesetzes (auch) auf dem Felde der Staatszielbestimmungen den Wettbewerb um die besten Lösungen ebenso wie die Entwicklung von Alternativen. Während auf der Stufe jener Kollisionsvermeidungsnormen das Prinzip der föderalen Verfassungsvielfalt im Vordergrund steht, löst Art. 31 GG Normenkollisionen zwischen landes- und bundesrechtlichen Vorschriften zu Gunsten des Bundesrechts auf. Die Kollisionsnormen des Grundgesetzes begegnen dem Spannungsverhältnis zwischen der Eigenstaatlichkeit der Länder und dem Postulat der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung im Bundesstaat mithin auch hinsichtlich der landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen in differenzierter Weise. Im Verhältnis von landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben und Gemeinschaftsrecht erfolgt die Kollisionsentscheidung bei einer Normenkollision (anders als im Fall einer gemeinschaftsrechtswidrigen Staatszielbestimmung des Grundgesetzes) nach bundesstaatlichen Kollisionsentscheidungsmechanismen. Insoweit ist zwischen Primär- und Sekundärrechtswidrigkeit zu differenzieren. Widerspricht eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung Sekundärrecht, ist sie (ebenso wie eine gemeinschaftsrechtswidrige Zielvorgabe des Grundgesetzes) im konkreten Kollisionsfall unanwendbar. Im Unterschied dazu sind landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen, denen Primärrecht entgegensteht, nach Art. 31 GG suspendiert, haben also keine aktuelle normative Bedeutung.

5. Kapitel

Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes I. Bereich Soziales

Das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG ist (aus Inter-EbenenSicht) kompetenzgemäß zustande gekommen. Eine Verletzung des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue ist nicht ersichtlich. Dies ergibt sich bereits aus den sozialpolitischen Zielsetzungen der EU/EG.1 Trotz eher allgemeiner Formulierung verfügen die Vertragsziele anerkanntermaßen über verbindliche Wirkung;2 es handelt sich nicht um bloße Programmsätze.3 So zielt die EU/EG etwa auf „wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt“4 sowie auf die „stetige Besserung der ___________ 1 Mit Blick auf die Zielkataloge des EU und des EG sind zwei Aspekte zu unterscheiden: die Bestimmung der Reichweite der allgemeinen Verbandskompetenz der EU/ EG (sog. Unions- bzw. Gemeinschaftsaufgabe) und die Regulierung von Art und Intensität des Unions- bzw. Gemeinschaftshandelns (sog. Unions- bzw. Gemeinschaftsauftrag). Zu diesem Unterschied Stumpf, in: Schwarze, EU, Art. 2 EUV Rn. 3 ff. m.w.N. 2 s., jeweils m.w.N., v. Bogdandy, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Art. 2 EGV Rn. 8; Pechstein, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 2 EUV Rn. 4; Stumpf, in: Schwarze, EU, Art. 2 EUV Rn. 19; krit. zur Justiziabilität der Zielvorgaben P. M. Huber, Recht, § 5 Rn. 29 m.w.N. – Konkrete Handlungspflichten für die Handlungsträger der EU/EG oder die Mitgliedstaaten lassen sich jenen Zielbestimmungen nicht entnehmen, s. Hilf/Pache, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Art. 2 EUV Rn. 3; Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 2 EGV Rn. 9. 3 Es ist umstritten, ob auch die in den Präambeln enthaltenen Zielbestimmungen rechtsverbindlich sind; dafür etwa (mit Blick auf den EWGV) EuGHE 1966, 321 (388); 1976, 455 (473); a.A. wohl Streinz, in: ders., EUV/EGV, Präambel EUV Rn. 12. – Dieser Frage kommt freilich kaum praktische Bedeutung zu: Die meisten der in den Präambeln genannten Zielvorgaben finden sich auch im Haupttext der Verträge; zudem besteht Einigkeit dahingehend, dass die Erwägungsgründe der Präambeln als Motive der Vertragsgeber für die Auslegung von Unions- bzw. Gemeinschaftsrechtsnormen heranzuziehen sind und sie daneben erhebliche Bedeutung für die Rechtsfortbildung haben. Dazu Hilf/Pache, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Präambel EUV Rn. 5 ff. m.w.N. 4 8. Erwägungsgrund der Präambel des EU (9. Erwägungsgrund der Präambel des EUzF), Art. 2 Abs. 1 Spgstr. 1 EU (vgl. Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUzF, der erstmals die „soziale Marktwirtschaft“ in den Verträgen anspricht; dazu Hatje/Kindt, NJW 2008, S. 1761 [1765 f.]); 2. Erwägungsgrund der Präambel des EG (2. Erwägungsgrund der Präambel des AEU). – Zur sozialen Dimension der EU/EG jüngst BVerfG NJW 2009, S. 2267 (2292 f.).

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Lebens- und Beschäftigungsbedingungen“.5 Als weitere soziale Prinzipien finden sich im Zielkanon „ein hohes Beschäftigungsniveau [und] ein hohes Maß an sozialem Schutz“,6 der soziale Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten7 sowie die Verringerung des Abstands zwischen einzelnen Gebieten und des Rückstands weniger begünstigter Gebiete (6. Erwägungsgrund der Präambel des EG [6. Erwägungsgrund der Präambel des AEU]). Neben die Herstellung des Gemeinsamen Marktes i. S. des Art. 2 EG8 ist inzwischen eine Reihe weiterer Politiken getreten, und zwar u.a. „die Förderung der Koordinierung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten“,9 „eine Sozialpolitik mit einem Europäischen Sozialfonds“10 sowie „die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts“.11 ___________ 5 3. Erwägungsgrund der Präambel des EG (3. Erwägungsgrund Präambel des AEU); ähnlich Artt. 2, 136 Abs. 1 EG (vgl. Art. 3 Abs. 3 EUzF i.V.m. Art. 151 Abs. 1 AEU). 6 Art. 2 EG (vgl. Art. 3 Abs. 3 EUzF); ähnlich Art. 2 Abs. 1 Spgstr. 1 EU (wiederum Art. 3 Abs. 3 EUzF). – Mit dem Vertrag von Lissabon werden die EU-Organe zudem durch eine Sozialklausel (Art. 9 AEU) verpflichtet, bei ihren Maßnahmen den Erfordernissen eines hohen Beschäftigungsniveaus, eines angemessenen sozialen Schutzes sowie des Kampfes gegen soziale Ausgrenzung Rechnung zu tragen, und zwar unabhängig vom jeweiligen Betätigungsfeld der Union. Dazu Schwarze, in: ders., EU, Einführung Rn. 43. 7 Art. 2 EG (vgl. Art. 3 Abs. 3 EUzF); Art. 2 Abs. 1 Spgstr. 1 EU (vgl. wiederum Art. 3 Abs. 3 EUzF). 8 Bei dem weder im EU noch im EG definierten „Gemeinsamen Markt“ handelt es sich zum einen um ein Ziel und zum anderen um ein Mittel der Zielverwirklichung. Der Begriff umfasst die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel, die nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt zu verschmelzen. Dazu Hatje, in: Schwarze, EU, Art. 2 EGV Rn. 27 f.; zur Abgrenzung zwischen den Rechtsbegriffen „Gemeinsamer Markt“ und „Binnenmarkt“ ders., Art. 14 EGV Rn. 3 ff. – Im Vertrag von Lissabon ist der „Gemeinsame Markt“ nicht erwähnt, sondern durchgängig durch den Ausdruck „Binnenmarkt“ ersetzt. 9 Artt. 3 Abs. 1 lit. i], 125 ff. EG (Artt. 5 Abs. 2, 145 ff. AEU). 10 Artt. 3 Abs. 1 lit. j], 136 ff., 146 ff. EG (vgl. Artt. 4 Abs. 2 lit. b], 5 Abs. 3, 151 ff. u. 162 ff. AEU). – Mit den Artt. 136 ff. EG (Artt. 151 ff. AEU) wurden die primärrechtlichen Bestimmungen zum Arbeitsrecht durch den Amsterdamer Vertrag deutlich erweitert. So wurden etwa das Abkommen über Sozialpolitik (Sozialabkommen) und das Protokoll zur Sozialpolitik in das Primärrecht integriert; seitdem nimmt Großbritannien an der gemeinsamen Sozialpolitik teil. – Eine umfassende sozialpolitische Verantwortung ist von der EU/EG freilich nicht zu erwarten. Dem stünde bereits das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 2 EG [Art. 5 Abs. 3 EUzF]; zu ihm 4. Kap. unter B. II. 1.) entgegen. Im sozialen Bereich ist die EU/EG weitgehend darauf beschränkt, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern (etwa Art. 137 EG [Art. 153 AEU]); auch Artt. 138, 158 ff. EG (Artt. 154, 174 ff. AEU) verleihen lediglich Koordinierungs- bzw. Angleichungsbefugnisse. Zur Koordinierungsfunktion der sozialrechtlichen Normen der Gemeinschaft bereits Eichenhofer, FS Everling I, S. 297 (299, 308). 11 Artt. 3 Abs. 1 lit. k], 158 ff. EG (Artt. 4 Abs. 2 lit. c], 174 ff. AEU). – Es besteht kein Primat der freien Wettbewerbsverfassung. Im Zuge der Verträge von Maastricht und Amsterdam haben die Zielsetzungen an Zahl und Heterogenität zugenommen, wo-

A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes

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Jenes Sozialstaatsprinzip verfügt zudem in vollem Umfang über aktuelle normative Bedeutung. In Anbetracht seines allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts ist keine Kollision mit gemeinschaftsrechtlichen Normen zu verzeichnen.12 Bei eventuellen Spannungen wird sich diese Zielvorgabe gemeinschaftsrechtskonform auslegen lassen.

II. Bereich Umweltschutz

Auch die Staatszielbestimmung „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 20 a GG) hat in vollem Umfang aktuelle normative Bedeutung. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass diese Zielvorgabe den Grundsatz der Gemeinschaftstreue verletzt. Dies folgt bereits aus Art. 2 EG (Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUzF), wonach die EG (auch) auf ein „hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ zielt.13 Neben die Herstellung des Gemeinsamen Marktes i. S. des Art. 2 EG14 ist inzwischen eine „Politik auf dem Gebiet der Umwelt“ (Art. 3 Abs. 1 lit. l] EG [vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. e] AEU]) getreten, näher ausgestaltet in den operativen Regelungen der Artt. 174 ff. EG (Artt. 191 ff. AEU).15 Nach der Querschnittsklausel des Art. 6 EG (Art. 11 AEU) sind die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einzubeziehen. Weiterhin schreibt Art. 95 Abs. 3 EG (Art. 114 Abs. 3 AEU) vor, dass bei der Verwirklichung des Binnenmarktes von einem hohen Umweltschutz-Niveau auszugehen ist.16 Vor diesem Hintergrund ist eine ___________ bei die sozialen Ziele gestärkt wurden. Dazu v. Bogdandy, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Art. 2 EGV Rn. 33 f., 61 ff. m.w.N. 12 So besteht etwa kein Widerspruch zur VO/EWG Nr. 1408/71 v. 14.06.1971 (ABl. L 149); als (nach wie vor) wichtigste sekundärrechtliche Regelung im sozialen Bereich regelt diese Verordnung den Zugang der Wanderarbeitnehmer zu den sozialen Sicherungssystemen der Mitgliedstaaten. 13 Anders als etwa die soziale Dimension war die ökologische Zielsetzung nicht bereits im EGKSV, EAGV oder EWGV enthalten: Sie gelangte erst durch die EEA in das Primärrecht. Dazu v. Bogdandy, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Art. 2 EGV Rn. 30; Sommermann, Staatsziele, S. 285 m.w.N. 14 Zum „Gemeinsamen Markt“ soeben unter A. I., Fn. 8. 15 Näher zum EG-„Umweltverfassungsrecht“ Rengeling, FS Carl-Heymanns-Verlag, S. 469 ff.; Überblick über das gemeinschaftliche Sekundärrecht im Umweltbereich bei Epiney, in: Bieber u.a., Union, § 32 Rn. 24 ff. m.w.N. 16 Beide Normen statuieren (trotz des auf Seiten der Gemeinschaftsorgane bestehenden weiten Gestaltungsspielraums) rechtsverbindliche Prinzipien; dazu, jeweils m.w.N., Käller, in: Schwarze, EU, Art. 6 EGV Rn. 18; Herrnfeld, in: Schwarze, EU, Art. 95 EGV Rn. 30 f. – Zur Bestimmung des Verpflichtungsgehalts von Art. 95 Abs. 3 EG (Art. 114 Abs. 3 AEU) Tietje, in: Grabitz u.a., EUV/EGV II, Art. 95 EGV Rn. 69 ff.

258

5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Normenkollision jener Staatszielbestimmung mit Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen, zumal ihr Regelungsgehalt allgemein gehalten und auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesen ist. Gleiches gilt für die Zielvorgabe „Tierschutz“ i. S. des Art. 20 a GG. Auch diese Staatszielbestimmung steht im Einklang mit dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EG [Art. 4 Abs. 3 EUzF]). Der Tierschutz ist Teil des soeben erläuterten ökologischen Gemeinschaftsziels.17 Ebenso wenig verstößt jene Zielvorgabe gegen Gemeinschaftsrecht. Infolge ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts fehlt es an einer Normenkollision. Bei etwaigen Spannungen wird eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung möglich sein.

III. Bereich Wirtschaft und Finanzen

Ebenfalls in vollem Umfang aktuelle normative Bedeutung hat Art. 109 Abs. 2 GG, demzufolge Bund und Länder an die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gebunden sind. Diese Staatszielbestimmung ist kompetenzgemäß zustande gekommen. Das Grundgesetz definiert jenes Gleichgewicht nicht näher, weder in Art. 104 b GG noch in Art. 109 Abs. 4 GG oder Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG.18 Aus der Entstehungsgeschichte der Zielvorgabe geht jedoch hervor, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber im sog. „magischen Viereck“ des gleichzeitig erlassenen § 1 S. 2 StabG19 eine zutreffende Umschreibung jenes unbestimmten Verfassungsbegriffs sah.20 Demzufolge besagt das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ i. S. des Art. 109 Abs. 2 GG, dass

___________ 17 Darüber hinaus ist das „Protokoll über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere“ zu erwähnen, das dem Amsterdamer Vertrag beigefügt wurde. In dieser unverbindlichen Absichtserklärung „verpflichten“ sich die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten dazu, bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Gemeinschaft in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr, Binnenmarkt und Forschung den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung zu tragen; einschränkend ist allerdings hinzugefügt, dass hierbei die Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie die Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten insbesondere in Bezug auf religiöse Riten, kulturelle Traditionen und das regionale Erbe zu berücksichtigen sind. 18 Es handelt sich um einen unbestimmten Verfassungsbegriff, s. BVerfGE 79, 311 (338); Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 49; Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht AT, § 10 I. – Art. 104 b GG wurde im Zuge der Föderalismusreform 2006 aufgenommen. Es handelt sich um die Neuregelung der Finanzhilfen des Bundes, die zuvor in Art. 104 a Abs. 4 (a.F.) GG ausgestaltet waren; zu den wesentlichen Neuerungen Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 104 b Rn. 4, 31 ff. u. 41 m.w.N. 19 StabG v. 8.6.1967 (BGBl. I, S. 582). 20 Dazu Seitz, FS Schiedermair, S. 265 (269 f.) m.w.N.

A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes

259

Bund und Länder gleichzeitig21 ein stabiles Preisniveau, einen hohen Beschäftigungsstand, ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum anzustreben haben.22 Eine Verletzung des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue ist daher nicht ersichtlich. Als wirtschaftliche Zielvorgaben für die EG formuliert Art. 2 EG, dass „eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau [...], ein beständiges, nicht inflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen“ zu fördern sind (vgl. Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUzF).23 Auch ist keine Kollision mit Gemeinschaftsrecht zu verzeichnen. Insbesondere steht Art. 109 Abs. 2 GG im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 EG (Art. 119 Abs. 2 AEU). Diese Norm bestimmt, dass die von der EG festzulegende einheitliche Geld- und Wechselkurspolitik „beide vorrangig das Ziel der Preisstabilität verfolgen [...] sollen“.24 Aus dieser Vorrang-Festlegung folgt zugleich, dass die Währungspolitik neben der Absicherung der Währung und der Versorgung der Wirtschaft mit Geld durchaus auch andere Ziele verfolgen kann.25 Darüber hinaus ist ein Widerspruch zu Art. 4 Abs. 2 EG (Art. 119 Abs. 2 AEU) nicht gegeben, weil das Teilziel „Preisstabilität“ als Element des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zwischenzeitlich auch aus Sicht des Grundgesetzes in den Vordergrund der staatlichen Verantwortung gerückt ist:26 Art. 88 S. 2 GG hat kon___________ 21

s. Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 109 Rn. 30; Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 49; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 92 f.; Merten, DÖV 1993, S. 368 (375); ebenso bereits Wank, Recht, S. 58 ff. 22 Diese Aufzählung ist nicht abschließend: Als unbestimmter Rechtsbegriff ist das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ auf das magische Viereck i. S. des § 1 StabG nicht festgelegt; dazu BVerfGE 79, 311 (338); Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 109 Rn. 25; krit. Seitz, FS Schiedermair, S. 265 (269 f.). 23 Zum wirtschaftsverfassungsrechtlichen System der Gemeinschaftsziele v. Bogdandy, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Art. 2 EGV Rn. 21 ff.; Stumpf, Aufgabe. – Auch „nach Lissabon“ werden die wirtschaftlichen Ziele der Union von außerökonomischen Zielsetzungen eingerahmt; europäische Wirtschaftspolitik ist auch künftig kein Selbstzweck. Ebenso wenig hat es eine grundlegende Änderung der Wirtschaftsverfassung zur Folge, dass Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUzF erstmals die „soziale Marktwirtschaft“ im Primärrecht anspricht: Nach Art. 119 Abs. 1 AEU basiert die unionale Wirtschaftspolitik auf dem „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“; s. Schwarze, in: ders., EU, Einführung Rn. 39 f.; Hatje/Kindt, NJW 2008, S. 1761 (1765 f.). 24 Art. 109 Abs. 2 GG ist im Zuge der Übertragung der Zuständigkeit für die Währungspolitik auf die EU/EG keineswegs obsolet geworden; str.; im Einzelnen Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 139 ff.; Seitz, FS Schiedermair, S. 265 (279 f.); beide m.w.N. 25 Näher zum Gehalt des „Vorrangs der Preisstabilität“ Seidel, FS Zuleeg, S. 505 (511 ff.) m.w.N. – Grundlegend zur Hierarchie der Gemeinschaftsziele Basedow, FS Everling I, S. 49 (56 ff.). 26 s. Prokisch, Justitiabilität, S. 164 ff.; Badura, FS Stern, S. 409 (419).

260

5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

kludent die konjunkturpolitische Globalsteuerung des Art. 109 Abs. 2 GG modifiziert. Ebenso wenig kollidiert die Staatszielbestimmung „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ mit der Verpflichtung zur Vermeidung übermäßiger Haushaltsdefizite, die in Art. 104 Abs. 1 EG (Art. 126 Abs. 1 AEU) und im „Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit“ verankert ist.27 Nichts anderes ergibt sich daraus, dass Art. 1 dieses Protokolls den Begriff „übermäßiges Defizit“ dahingehend konkretisiert, dass für das Verhältnis zwischen geplantem oder tatsächlichem öffentlichem Defizit und Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen (s. Art. 104 Abs. 2 S. 2 EG [Art. 126 Abs. 2 S. 2 AEU]) als Referenzwert eine Grenze von 3 % und für das Verhältnis zwischen öffentlichem Schuldenstand und Bruttoinlandsprodukt eine solche von 60 % festgesetzt wird. Die Zielvorgabe „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ gem. Art. 109 Abs. 2 GG belässt großen Spielraum bei der Wahl der zu ihrer Erreichung erforderlichen Mittel,28 und so steht ihr auch die Festlegung von Defizitgrenzen für die öffentlichen Haushalte nicht entgegen.29 Ebenso wie jene Pflicht, Haushaltsdefizite zu vermeiden, betreffen diese Grenzen den Weg zur Verwirklichung des Teilziels

___________ 27 Darüber hinaus ist der „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ zu nennen. Er besteht neben einer Entschließung des Europäischen Rates v. 17.6.1997 (ABl. C 236, S. 1) aus zwei Verordnungen, die das „Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit“ v. 7.2.1992 (BGBl. II, S. 1309) ergänzen; dazu Kempen, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 99 EGV Rn. 15 und Art. 104 EGV Rn. 8 ff.; Häde, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 104 EGV Rn. 88 ff. – Jenes Protokoll, das gemeinsam mit dem Maastrichter Vertrag unterzeichnet wurde, ist gem. Art. 311 EG (Art. 51 EUzF) dessen integraler Bestandteil. Zur Durchsetzung der Verpflichtung, übermäßige Haushaltsdefizite zu vermeiden, statuiert Art. 104 Abs. 2-14 EG (Art. 126 Abs. 2-14 AEU) ein Verfahren zur Überwachung der Haushaltsdisziplin; dieses kann ggf. zu Sanktionsmaßnahmen führen. – Zur innerstaatlichen Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Stabilitätsverpflichtungen Art. 109 Abs. 5 GG: Diese im Zuge der Föderalismusreform 2006 eingefügte Vorschrift erklärt die Einhaltung jener Verpflichtungen zur gemeinsamen Aufgabe von Bund und Ländern (S. 1) und regelt für den Fall, dass die Bundesrepublik Deutschland unverzinsliche Einlagen oder Geldbußen wegen Verletzung der Haushaltsdisziplin zu leisten hat, die Verteilung der Sanktionslasten auf Bund und Länder (S. 2) sowie die Lastentragung unter den Ländern (S. 3); der Gesetzgebungsauftrag zur Regelung weiterer Einzelheiten (S. 4) ist mit dem als Art. 14 des Föderalismusreform-Begleitgesetzes i.d.F. der Bek. v. 5.9.2006 (BGBl. I, S. 2098 [2104]) beschlossenen SanktionszahlungsAufteilungsgesetz erfüllt. Dazu Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 109 Rn. 52 ff. m.w.N. 28 s. Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 67 f. m.w.N. 29 Dies gilt erst recht nach Inkrafttreten der Änderung des Art. 109 Abs. 2 GG, die im Zuge der Föderalismusreform II beschlossen wurde: Bund und Länder tragen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts dann im Rahmen der Erfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin Rechnung, s. BR-Drs. 510/09; BT-Drs. 16/12410.

A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes

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Preisstabilität, nicht aber dessen Gehalt.30 Art. 109 Abs. 2 GG lässt sich folglich gemeinschaftsrechtskonform auslegen.31

IV. Bereich Auswärtiges und Verteidigung

Die in S. 1 der Präambel des Grundgesetzes verankerte Staatszielbestimmung „Frieden“ verfügt gleichfalls in vollem Umfang über aktuelle normative Bedeutung. Aus Sicht des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue bestehen gegen sie keine Bedenken. Auch die EU/EG ist dem Frieden verpflichtet; die Schaffung dauerhaften Friedens war von Anfang an das Ziel aller Vergemeinschaftung.32 In den operativen Bestimmungen des EU zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist das unionsrechtliche Friedensziel näher ausgeformt.33 Jene demnach kompetenzgemäß zustande gekommene Staatszielbestimmung verstößt auch nicht gegen Gemeinschaftsrecht. In Anbetracht ihres allgemein gehaltenen Regelungsgehalts steht keine Normenkollision zu befürchten. Gleiches gilt für die Staatszielbestimmung „Europäische Integration“ i. S. des S. 1 der Präambel des Grundgesetzes. Auch sie steht im Einklang mit dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue. Dies ergibt sich bereits aus entsprechenden Zielsetzungen der EU/EG: Die Vertragsgeber haben die Gründung beschlossen „in dem festen Willen, die Grundlage für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen“ (1. Erwägungsgrund der Präam-

___________ 30

So auch Seitz, FS Schiedermair, S. 265 (280 f.); ähnlich Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 142: Das Teilziel Preisstabilität ist „lediglich präzisiert und konkretisiert“. – Dies bestätigt sich einmal mehr durch den Grundsatz eines ohne Einnahmen aus Krediten ausgeglichenen Haushalts, der als Resultat der Föderalismusreform II in Art. 109 Abs. 3 (n.F.) GG festgeschrieben werden soll, s. BR-Drs. 510/09; BT-Drs. 16/12410; nach Art. 143 d Abs. 1 (n.F.) GG ist vorgesehen, dass die betreffenden Schuldenregelungen vom Bund ab 1.1.2016 sowie von den Ländern ab 1.1.2020 vollständig eingehalten werden müssen. 31 Ebenso etwa Seitz, FS Schiedermair, S. 265 (282) m.w.N. – Allg. zu den Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das Wirtschaftsverfassungsrecht der Mitgliedstaaten Seidel, FS Everling II, S. 1393 ff. 32 So gründeten die Vertragsgeber die EG mit dem Entschluss, „Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen“ (8. Erwägungsgrund der Präambel des EG [8. Erwägungsgrund der Präambel des AEU]). In ähnlicher Weise zielt die EU ausweislich des 10. Erwägungsgrundes der Präambel des EU (11. Erwägungsgrund der Präambel des EUzF) darauf, den Frieden in Europa und in der Welt zu fördern. – Dazu, ob die Erwägungsgründe der Präambeln des EU und des EG rechtsverbindlich sind, oben unter A. I., Fn. 3. 33 Art. 11 Abs. 1 Spgstr. 3, Artt. 11 ff. EU (Art. 24 Abs. 2 lit. c], Artt. 23 ff. EUzF). – Mit dem Vertrag von Lissabon wird das Friedensziel zudem in den Zielkatalog der EU aufgenommen, s. Art. 3 Abs. 1 EUzF; dazu Hatje/Kindt, NJW 2008, S. 1761 (1765).

262

5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

bel des EG [1. Erwägungsgrund der Präambel des AEU]).34 Zudem ist infolge des allgemein gehaltenen Regelungsgehalts jener Staatszielbestimmung keine Kollison mit Gemeinschaftsrecht zu verzeichnen. Die Zielvorgabe „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) hat ebenfalls in vollem Umfang aktuelle normative Bedeutung. Wiederum ist keine Verletzung des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue ersichtlich. Diese Norm schreibt der Bundesrepublik Deutschland vor, bei der „Entwicklung“ der Europäischen Union mitzuwirken, während Art. 1 Abs. 2 EU (Art. 1 Abs. 2 EUzF) in ähnlicher Weise von einer „immer engeren Union der Völker Europas“ spricht.35 Des Weiteren betont Art. 2 Abs. 1 Spgstr. 4 EU (Art. 3 Abs. 2 EUzF) den Auftrag, die Union „als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ weiterzuentwickeln; zudem ist der gemeinschaftliche Besitzstand zu wahren und entsprechend zu entwickeln (Art. 2 Abs. 1 Spgstr. 5 EU [in dieser Form ohne Entsprechung im EUzF]).36 In Anbetracht des allgemein gehaltenen, inhaltlich an Art. 1 Abs. 2 EU (Art. 1 Abs. 2 EUzF) anknüpfenden Regelungsgehalts jener Staatszielbestimmung ist auch eine Kollision mit Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass es sich bei Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG um eine Kooperationsverpflichtung unter dem Vorbehalt bestimmter Rechtsstandards handelt.37 Eine solche Struktursicherungsklausel ist unbedenklich, weil die EU nach Art. 6 Abs. 3 EU (Art. 4 Abs. 2 EUzF) die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten zu achten hat.38

___________ 34 Des Weiteren erfolgte die Gründung der EG „mit der Aufforderung an die anderen Völker Europas, die sich zu dem gleichen hohen Ziel [Wahrung und Festigung von Frieden und Freiheit, Anm. des Verf.] bekennen, sich diesen Bestrebungen anzuschließen“ (8. Erwägungsgrund der Präambel des EG [8. Erwägungsgrund der Präambel des AEU]). 35 Unter der „immer engeren Union der Völker Europas“ ist zu verstehen die Offenheit gegenüber einer Erweiterung der Union wie auch gegenüber der Vertiefung der Integration. Dazu Stumpf, in: Schwarze, EU, Art. 1 EUV Rn. 13 ff.; Hilf, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Art. 1 EUV Rn. 12 ff. 36 Zudem ist im 12. Erwägungsgrund der Präambel des EU (13. Erwägungsgrund der Präambel des EUzF) die Rede von der Entschlossenheit der Vertragsgeber, „den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas [...] weiterzuführen“. 37 Zum Inhalt dieser Struktursicherungsklausel, insbesondere zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratieprinzips an die Organisationsstruktur und die Entscheidungsverfahren der EU, jüngst BVerfG NJW 2009, S. 2267 (2275 ff.). 38 Zu dieser Verpflichtung Hilf/Schorkopf, in: Grabitz u.a., EUV/EGV I, Art. 6 EUV Rn. 72 ff.; Epiney, EuR 29 (1994), S. 301 (306 ff.); Doehring, FS Everling I, S. 263 (271); krit. Rupp, FS Rudolf, S. 173 ff. – Zu den unterschiedlichen Struktursicherungsklauseln der mitgliedstaatlichen Verfassungen Grabenwarter, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 283 (301 ff.).

A. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes

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V. Bereich Gleichstellung der Geschlechter

Schließlich verfügt Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG in vollem Umfang über aktuelle normative Bedeutung. Eine Verletzung des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue ist nicht ersichtlich. Auch die EG ist der Gleichstellung der Geschlechter verpflichtet: Die Gleichstellung von Männern und Frauen findet sich ausdrücklich als Ziel in Art. 2 EG (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 EUzF), während die Querschnittsklausel des Art. 3 Abs. 2 EG (Art. 8 AEU) die Gemeinschaft verpflichtet, bei allen ihren Tätigkeiten auf die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen hinzuwirken.39 Jene Staatszielbestimmung kollidiert auch nicht mit Gemeinschaftsrecht. Gegen die Vereinbarkeit mit Art. 141 Abs. 4 EG (Art. 157 Abs. 4 AEU), der ausdrücklich die Förderung des jeweils unterrepräsentierten Geschlechts verankert, bestehen angesichts ihres allgemein gehaltenen Regelungsgehalts keine Bedenken. Ebenso ausgeschlossen ist eine Kollision mit Art. 141 Abs. 1 EG (Art. 157 Abs. 1 AEU), der die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anzuwenden. Bei etwaigen Spannungen wird Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG gemeinschaftsrechtskonform auszulegen sein. Diese Zielvorgabe steht daher auch mit der Gleichbehandlungsrichtlinie40 in Einklang.41

VI. Zusammenfassung

Die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes sind (aus Inter-Ebene-Sicht) allesamt kompetenzgemäß zustande gekommen. Zurückzuführen ist dies darauf, dass sich die Staatszielvorstellungen in den Mitgliedstaaten nicht isoliert von gemeinschaftsrechtlichen Zielvorgaben entwickeln, und dass umgekehrt die Gemeinschaftsziele auf den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten aufbau-

___________ 39

Mit dem Vertrag von Lissabon werden die EU-Organe zudem durch eine allgemeine Diskriminierungsklausel (Art. 10 AEU) verpflichtet, bei allen ihren Maßnahmen darauf abzuzielen, jedwede Diskriminierung zu bekämpfen. 40 RL 76/207/EWG „zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen“ v. 9.2.1976 (ABl. L 39, S. 40). 41 Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG verpflichtet nicht zwangsläufig zur Einführung einer leistungsunabhängigen Quotenregelung; eine solche Verpflichtung verstieße gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie, d. h. sie wäre gemeinschaftsrechtswidrig. Dazu mit Blick auf das bremische Landesgleichstellungsgesetz EuGH EuGRZ 1995, S. 553 f. – Überblick über die maßgeblichen „Quotenentscheidungen“ des Europäischen Gerichtshofs bei Sacksofsky, RdJB 50 (2002), S. 193 ff.; Zusammenstellung der wichtigsten gleichbehandlungsrelevanten Richtlinien bei ders., FS Zuleeg, S. 323 (325 f.) m.w.N.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

en.42 Ebenso hat sich gezeigt, dass die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes allesamt in vollem Umfang aktuelle normative Bedeutung haben. Im Falle des Falles werden sie sich aufgrund ihrer Abstraktheit und Weite gemeinschaftsrechtskonform auslegen lassen.

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen In welchem Umfang verfügen die landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen über normative Bedeutung? Diese Frage soll nicht lediglich für die Zielvorgaben einer Verfassung beantwortet werden. Es werden vielmehr alle Generationen der Landesverfassunggebung beleuchtet. Hierzu wird aus jeder der drei Generationen je eine Verfassung ausgewählt. Vor dem Hintergrund der Ungleichzeitigkeit der Verfassungsvorgänge verspricht eine solche Selektion lohnende Erkenntnisse, ermöglicht sie doch, den Blick (auch) darauf zu lenken, ob das Ausmaß, in dem jene Zielvorgaben über normative Bedeutung verfügen, „generationenabhängig“ ist. Als Referenzverfassungen bieten sich die hessische Verfassung, die badenwürttembergische und die brandenburgische an. Damit ist zum einen die älteste Landesverfassung der ersten Generation vertreten (die des Landes Hessen), zum anderen die jüngste der zweiten (die des Landes Baden-Württemberg). Reizvoll ist die Untersuchung gerade dieser beiden Verfassungen, weil der zeitliche Abstand zur Verfassunggebung auf Bundesebene unter den Landesverfassungen der ersten und zweiten Generation nicht extremer ausfallen könnte. Auch die Auseinandersetzung mit den Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung drängt sich nachgerade auf. Sie ist diejenige der dritten Generation, die sich am wenigsten an die Konzeption des Grundgesetzes anlehnt,43 und erweist sich „durchaus als partielle ‚Anti-Bundesverfassung’“.44 ___________ 42

Zu diesen wechselseitigen Impulsen bereits Sommermann, Staatsziele, S. 296; zur Herausbildung europäischer Verfassungsprinzipien Frowein, FS Maihofer, S. 149 ff.; Häberle, EuGRZ 1991, S. 261 ff.; ders., Europäische Verfassungslehre. – In der gemeinsamen „Verfassungskultur“ sieht Brenner, FS Leisner, S. 19 (25), ein identitätsstiftendes Band innerhalb der EU; zu weiteren einheitsstiftenden Momenten H. Schäfer, in: Isensee, Europa, S. 9 (18 ff.); R. Hofmann, EuR 34 (1999), S. 713 (718 f.); zu „Identitätsbausteinen“ in der (gescheiterten) EV v. Bogdandy, JZ 2004, S. 53 (55 ff.) m.w.N.; zur EU als „Wertegemeinschaft“ Herdegen, FS Scholz, S. 139 ff. 43 Ebenso Riegler, Konflikte, S. 176 f. – Die Verfassung des Landes Brandenburg hat nicht nur kein Grundrecht des Grundgesetzes unverändert übernommen, sondern zudem neue Grundrechtsverbürgungen geschaffen (etwa: Grundrecht auf eine von Zeugnispflicht, Beschlagnahme und Durchsuchung unbehinderte journalistische Tätigkeit [Art. 19 Abs. 5]; Anerkennung der Schutzbedürftigkeit nichtehelicher Lebensgemeinschaften [Art. 26 Abs. 2]). 44 Scholz, FS Lerche, S. 65 (65); vgl. dens., in: Rüttgers/Oswald, Zukunft, S. 15 (19): „moderne Anti-Bundesverfassung“, die brandenburgische Verfassung verwehre es

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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I. Bereich Soziales

1. Sozialstaat a) Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf Das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf hat aktuelle normative Bedeutung. Insbesondere bestehen gegen diese Staatszielbestimmung keine Bedenken sub specie Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG. Die Homogenitätsklausel fordert als Normativbestimmung lediglich ein „Mindestmaß an Homogenität“ durch grundsatzhomogene Gestaltung des (materiellen) Landesverfassungsrechts.45 Wegen des Grundsatzes der getrennten Verfassungsräume von Bund und Ländern wie auch infolge der Doppelfunktion des Art. 28 Abs. 1 GG kann der gliedstaatlichen Verfassungshoheit nur ein weiter Rahmen gesteckt sein.46 Bei der gebotenen restriktiven, d. h. landesverfassungsfreundlichen Auslegung47 beschränken sich die Vorgaben der Homogenitätsklausel auf die „vier Eigenschaften der Staatsform“48 (Republik, Demokratie, Sozialstaat, Rechtsstaat) als Strukturprinzipien der gliedstaatlichen Verfassungsordnung. Die konkreten Ausgestaltungen, die diese Prinzipien im Grundgesetz gefunden haben, sind für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern nicht verbindlich.49 Jene von der Homogenitätsklausel vorgegebenen Staatsstrukturprinzipien sind identisch mit den in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätzen, die Art. 79 Abs. 3 GG mit Blick auf die gesamtstaatliche Ebene unter Veränderungsschutz stellt.50 Aufgrund der notwendigen föderalen Homogenität kann und muss die ___________ den Brandenburgern, Bundesbürger zu werden, und mache sie zu „Anti-Bundesbürgern“. Positiver die Einschätzung bei Bull, FS Thieme, S. 305 (327), demzufolge „die denkbaren Konfliktpunkte inzwischen sorgfältig bereinigt worden“ sind. – So oder so, der zeitliche Abstand zum Verfahren der Verfassunggebung wie auch zur parallel geführten Diskussion über eine Reform des Grundgesetzes erleichtert es, die normative Bedeutung der Zielvorgaben sine ira et studio zu sondieren. 45 s. 4. Kap. unter B. III. 1. a) bb). 46 Zum Grundsatz der getrennten Verfassungsräume 1. Kap. unter B. 47 Dies ausdrücklich betonend etwa BVerfGE 90, 60 (85); st. Rspr.; Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 38; vgl. H.-J. Vogel, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 22 Rn. 32. – Krit. zur Umsetzung dieser länderfreundlichen Auslegung in der Rechtsprechungspraxis H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (751) m.w.N. 48 s. Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 22. 49 s. BVerfGE 90, 60 (85); Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 29; Rozek, Grundgesetz, S. 107 ff. Ausführlich zu diesem Fragenkreis Hain, Grundsätze. 50 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 II Rn. 91 ff.; Dietlein, Grundrechte, S. 10; H. Hofmann, FS Neumayer, S. 281 (293 f.); H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (751); a.A. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (29 f.): Art. 79 Abs. 3 GG sei terminologisch nicht mit Art. 28 Abs. 1 GG deckungsgleich, sondern enger gefasst; zudem habe die in eigenem Kontext stehende Revisionssperrklausel eine andere Funktion als die Homogenitätsklausel – Art. 79 Abs. 3 GG limitiere die verfassungsändernde Gewalt

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Bundesrepublik Deutschland den Ländern als ihren Gliedern vorschreiben, was sie für sich selbst als unabdingbar erachtet.51 Solange die Länder den identitätsverbürgenden Kern des Grundgesetzes aber nicht antasten, ist die bundesstaatliche Homogenität nicht in Gefahr.52 Bei der Transformation der Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 GG besteht daher eine gewisse Bandbreite an Umsetzungsvarianten und mitunter sogar erheblicher Gestaltungsspielraum:53 Soweit der verfassungsändernde Bundesgesetzgeber seinerseits nicht durch Art. 79 Abs. 3 GG an Modifikationen gehindert ist, kann auf der Ebene der Länder nichts anderes gelten.54 Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern darf daher (jedenfalls unter dem Blickwinkel des Art. 28 Abs. 1 GG) sowohl Bestimmungen enthalten, die das Grundgesetz nicht kennt, wie auch solche, die im Grundgesetz anders ausgestaltet sind.55 Ein Verstoß gegen die Homogenitätsklausel liegt nur vor, wenn dabei die Kernelemente der von Art. 28 Abs. 1 GG vorgegebenen Staatsstrukturprinzipien verletzt sind. Bei diesen Elementen handelt es sich um folgende: Die Länder müssen als Republik, also nicht etwa als Monarchie, verfasst sein.56 Das Demokratieprinzip verlangt, dass die Landesstaatsgewalt demokratisch organisiert und legitimiert ___________ und sei daher primär dem Demokratiekontext zuzuordnen, während Art. 28 Abs. 1 GG auf das unabdingbare Minimum prinzipieller Übereinstimmung im Bundesstaat ziele. Diese Argumentation Graf Vitzthums vermag letztlich nicht zu überzeugen: Sie lässt offen, warum die Unterschiede bzgl. Kontext und Funktion der beiden Normen die Annahme eines Korrespondenzverhältnisses ausschließen sollten. 51 H. Hofmann, FS Neumayer, S. 281 (294); a.A. Stern, in: BK, Art. 28 Rn. 29: Durch verfassungsänderndes Gesetz könne das in Art. 28 Abs. 1 GG enthaltene Homogenitätsniveau heraufgesetzt wie auch abgesenkt werden; ebenso Evers, in: BK, Art. 79 Abs. 3 Rn. 119 (allerdings mit dem Zusatz, der Spielraum hierfür sei „denkbar gering“). 52 Vgl. H. Hofmann, FS Neumayer, S. 281 (294); Stern, in: BK, Art. 28 Rn. 21; dens., Staatsrecht I, S. 704; allg. Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 20 f.; Werner, Wesensmerkmale. 53 St. Rspr.; s. bereits BVerfGE 4, 178 (189); 24, 367 (390); 27, 44 (56); 64, 301 (317); Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 14, 34. – Soweit die Länder diesen Spielraum nicht ausschöpfen, darf dies nicht über dessen Vorhandensein hinwegtäuschen: Der tatsächliche Befund landesverfassungsrechtlicher Parallelregelungen ist nicht mit einem normativen Einheitlichkeitszwang zu verwechseln. 54 s. Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 37. 55 s. BVerfGE 4, 178 (189); 64, 301 (317); 96, 345 (368 f.) und BVerfG BayVBl. 1999, S. 207 (209); H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (751); H.-J. Vogel, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 22 Rn. 32. 56 Mitunter wird dem Begriff „Republik“ ein darüber hinausgehender Sinngehalt beigemessen, bspw. mit Blick auf die Aspekte „Amtsethos“ und „Überwindung der privaten und gesellschaftlich-partikulären Motivation“; in diese Richtung Isensee, JZ 1981, S. 1 (8); Schachtschneider, Res publica; vgl. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 28 Rn. 16. – Das Bekenntnis zur republikanischen Staatsform bringen drei Landesverfassungen in besonders prononcierter Weise zum Ausdruck: Bayern, Sachsen und Thüringen erklären sich zu Freistaaten; dazu etwa Hoegner, BayVBl. 1963, S. 97 (98); P. M. Huber, LKV 1994, S. 121 (122 f.); Isensee, SächsVBl. 1994, S. 28 (34).

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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ist,57 sich also jede Entscheidung eines Staatsorgans durch eine ununterbrochene Kette von Legitimationsvorgängen auf das (Landes-)Volk als Träger der Staatsgewalt zurückführen lässt.58 Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG ergänzt diese Vorgabe mit Blick auf die Wahlen zu den Vertretungen des Volkes.59 Das Rechtsstaatsprinzip setzt die Bindung aller staatlicher Gewalt an Gesetz und Recht60 sowie das Prinzip der Gewaltenteilung61 (also die gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten)62 voraus. Dieses Gewaltenteilungs___________ 57 Zum gebotenen Legitimationsniveau (z. B. hinsichtlich der persönlichen demokratischen Legitimation der Amtsträger) BVerfGE 47, 253 (275); 93, 37 (66 f.); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 24 Rn. 11 ff.; grundlegend v. Arnim, AöR 113 (1988), S. 1 (6 ff.). 58 Unantastbarer Kern des Demokratieprinzips i. S. des Art. 79 Abs. 3 GG und damit, wie gesagt, auch des Art. 28 Abs. 1 GG ist lediglich das Mehrheitsprinzip, die Chance von Minderheiten, zur Mehrheit zu werden, sowie die Freiheit und Gleichheit von Wahlen und Abstimmungen (wobei im Legitimationsschema Wahlen und Abstimmungen zugleich der demokratische Grundsatz der bloßen Herrschaft auf Zeit enthalten ist). Dazu Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rn. 125 ff., 134; grundlegend Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46 ff.; v. Simson, VVDStRL 29 (1971), S. 3 ff. – Die Länder dürfen also in Abweichung von der auf gesamtstaatlicher Ebene de constitutione lata pointiert repräsentativ ausgestalteten Demokratie – zu den Abstimmungen i. S. des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zählen allenfalls die in Art. 29 Abs. 2, 4 u. 8 GG, Artt. 118 S. 2 und (abgeschwächt) 118 a GG vorgesehenen Territorialplebiszite (wobei es mit guten Gründen zu bezweifeln ist, ob es sich bei diesen „Bevölkerungsentscheiden“ [Dreier, in: ders., GG II, Art. 20 ‚Demokratie’ Rn. 104] um solche Abstimmungen handelt: Die Neugliederung des Bundesgebietes bezieht sich nicht auf das bei Art. 20 Abs. 2 GG in Rede stehende Bundesvolk als Ganzes.) – durchaus weitere plebiszitäre Elemente einführen (wovon sie zunehmend Gebrauch gemacht haben), s. BVerfGE 60, 175 (208); Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 34; H. Hofmann, FS Neumayer, S. 281 (294 f.); zu den hierfür bestehenden Grenzen etwa Herdegen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 129 Rn. 15 f. Ebenso ist auf Länderebene (Art. 28 Abs. 1 GG legt für die Herrschaftsform variable „Grundsätze des demokratischen Staates“ fest, s. Dennewitz, DÖV 1949, S. 341 [342]; Stern, in: BK, Art. 28 Rn. 21, 39) statt eines parlamentarischen Regierungssystems auch eine präsidiale Verfassung zulässig; dazu BVerfGE 9, 268 (281); Maunz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV (2. Aufl.), § 95 Rn. 7. 59 s. BVerfGE 83, 37 (58); näher dazu Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 70 ff. m.w.N. 60 Vgl. BVerfGE 2, 380 (403); zum Rechtsstaatsprinzip und seinen Konkretisierungen im Zuge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundlegend Sobota, Prinzip; mit Blick auf das Gemeinschaftsrecht Scheuing, in: Schwarze, Bestand und Perspektiven, S. 45 ff. – Das Rechtsstaatsprinzip schließt durch Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung, durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang des Gesetzes) und den des Vorbehalts des Gesetzes sowie durch die Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes (dazu im Einzelnen Kunig, Rechtsstaatsprinzip) jede Art von Minderheiten-, Willkür- und Gewaltherrschaft aus. 61 s. BVerfGE 34, 52 (59). – Das Bundesverfassungsgericht verortet das (gerade auch durch seine Verbindungslinien zum Demokratieprinzip geprägte) Gewaltenteilungsprinzip allgemein im demokratischen Rechtsstaat, nimmt also keine präzisierte Zuordnung vor, s. BVerfGE 2, 307 (319); 34, 52 (58). 62 Die grundgesetzliche Gewaltenteilung zielt nicht auf trennscharfe Unterscheidung der Staatsgewalten, sondern auf deren Verschränkung; st. Rspr.; BVerfGE 3, 225 (247).

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

prinzip bedingt u.a. die erkennbare Zuordnung von Verantwortung im Staat:63 Nur dort, wo Verantwortung ist, kann Kontrolle ausgeübt werden.64 Verletzt ist es erst, wenn ein Einbruch einer Gewalt in den Kernbereich65 einer anderen vorliegt.66 Dem Sozialstaatsprinzip schließlich ist die für die Länder verbindliche Vorgabe67 zu entnehmen, eine gerechte Sozialordnung unter Ausgleich sozialer Ungleichheiten zu schaffen.68 Es bedarf etwa einer hinreichenden sozialen Infrafrastruktur,69 um die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein und die Entfaltungsmöglichkeit des Individuums zu gewährleisten.70 Dieses von Art. 28 Abs. 1 GG geforderte Mindestmaß an Homogenität ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatsprinzips gewahrt, wenn die ___________ 63 Vgl. BVerfGE 9, 268 (281 f.). – Die Staatsfunktionen müssen so verteilt sein, dass die Entscheidungen von denjenigen Organen getroffen werden, die dafür u.a. nach der inneren Struktur optimal legitimiert und gerüstet sind, s. Ossenbühl, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR V, § 101 Rn. 61. 64 s. BVerfGE 67, 100 (139); 68, 1 (87); vgl. Graf Vitzthum, Parlament, S. 336 f.: „je mehr Mitentscheidung [des Parlaments], desto weniger Kontrolle“. – Ein Gewaltenmonismus etwa in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts ist daher ausgeschlossen, s. BVerfGE 68, 1 (86 f.); Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 59 ff. m.w.N. zur Reichweite der (etwa auch im Zuge der Zusammenlegung der Geschäftsbereiche des Innen- und des Justizministeriums in Nordrhein-Westfalen thematisierten) Organisationsgewalt der Regierung. 65 Zu dieser üblich gewordenen metaphorischen Begrifflichkeit bereits BVerfGE 9, 268 (280); Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 79 Rn. 43; krit. Hain, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 79 Rn. 95 ff. 66 s. Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 49. Die Länder können das Gewaltenteilungsprinzip dementsprechend recht unterschiedlich ausgestalten, also etwa die Gewichte zwischen Landtagen und Landesregierungen verschieben, vgl. BVerfGE 34, 52 (58); Art. 28 Abs. 1 GG enthält auch hier keine Uniformität erzwingenden Detailvorgaben: Erst wenn ein Einbruch in den Kernbereich der Exekutive (eingehend dazu Kuhl, Kernbereich) erfolgt, ist jenes Prinzip verletzt, nicht bei jeder Einflussnahme des Parlaments auf die Verwaltung. 67 Nach vereinzelt vertretener Auffassung können dem Sozialstaatsprinzip keine Vorgaben i. S. des Art. 28 Abs. 1 GG entnommen werden: Es besitze „nur geringe normative Steuerungskraft“, seine Bindungsintensität „konvergiert gegen Null“ (Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 28 Rn. 22 m.w.N.). Dieser Ansatz greift zu kurz. Er ist mit dem entgegenstehenden Wortlaut des Art. 28 Abs. 1 GG unvereinbar und daher abzulehnen. 68 Vgl. Maunz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV (2. Aufl.), § 95 Rn. 4; Starck, FG BVerfG (1976) II, S. 480 (520 f.); grundlegend Bachof, VVDStRL 12 (1954), S. 37 (80 ff.); Forsthoff, VVDStRL 12 (1954), S. 8 (25 ff.). Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich außerstande gesehen, den Inhalt des Sozialstaatsprinzips „wirklich“, also über eine prima facie tautologisch anmutende Definition hinaus, zu bestimmen, vgl. BVerfGE 5, 85 (198); 22, 180 (204); 27, 253 (283); 33, 303 (334 f.); 59, 231 (263); 69, 272 (314). 69 Dazu BVerfGE 28, 324 (348 ff.); 45, 376 (387); 68, 193 (209); Stern, Staatsrecht I, S. 892 f. 70 s. BVerfGE 40, 121 (13); 82, 60 (80); vgl. Tettinger, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 28 Rn. 65 m.w.N.

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern eine Bestimmung enthält, die mit dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG vergleichbar ist.71 Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf, der die Vorgaben der Homogenitätsklausel hinsichtlich der Grundsätze der Sozialstaatlichkeit ohne Konkretisierung übernimmt, steht daher mit Art. 28 Abs. 1 GG in Einklang. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen andere bundesstaatliche Kollisionsvermeidungsmechanismen bestehen ebenso wenig wie für einen Widerspruch zu höherrangigem Recht. Das Sozialstaatsprinzip nach Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf hat folglich aktuelle normative Bedeutung.

b) Art. 2 Abs. 1 BbgVerf Gleiches gilt für das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf. Diese Zielvorgabe bezeichnet Brandenburg zwar nicht lediglich als soziales Land, sondern sie enthält darüber hinaus die Formulierung: „der Gerechtigkeit [...] verpflichtetes Land“. Es besteht jedoch auch sub specie Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG keine Pflicht, das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG wörtlich zu übernehmen. Dieses Prinzip muss in den verfassungsmäßigen Ordnungen der Länder nicht in der exakt gleichen Ausprägung zum Ausdruck kommen wie in Art. 20 Abs. 1 GG: Die Ausgestaltung der Grundsätze der Sozialstaatlichkeit liegt bei den Ländern, da eine auf die Wahrung von Grundsätzen beschränkte Bindung notwendig die Freiheit zur Modifikation impliziert.72 Die Grenze der zulässigen Ausgestaltungsmöglichkeiten ist erst dort erreicht, wo die Sozialstaatlichkeit als solche zur Disposition gestellt, das Land also aus der sozialen Verantwortung entlassen wird.73 Gegen das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf, das durch seine Formulierung den Gedanken der Gerechtigkeit stärker akzentuiert, bestehen daher keine Bedenken.

2. Arbeit a) Art. 28 Abs. 2 HessVerf Die Staatszielbestimmung „Recht auf Arbeit“ i. S. des Art. 28 Abs. 2 HessVerf hat aktuelle normative Bedeutung. Sie ist kompetenzgemäß zustande gekommen, und sie kollidiert nicht mit höherrangigem Recht. ___________ 71 72 73

s. Stern, Staatsrecht I, S. 706. So die allgemeine Auffassung, s. etwa Stern, Staatsrecht I, S. 706. s. Dietlein, Grundrechte, S. 140.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

aa) Wirksamkeit (1) Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG fordert nicht Identität oder Konformität der verfassungsmäßigen Ordnungen von Bund und Ländern, sondern ein „Mindestmaß an Homogenität“ durch grundsatzhomogene Gestaltung des (materiellen) Landesverfassungsrechts.74 Aus dem Korrespondenzverhältnis zwischen dieser Normativbestimmung und Artt. 20, 79 Abs. 3 GG ergibt sich, dass das den Ländern vorgegebene Staatsstrukturprinzip „Sozialstaat“ mit der entsprechenden Staatszielbestimmung auf gesamtstaatlicher Ebene (Art. 20 Abs. 1 GG) identisch ist.75 Bei der Umsetzung dieser Gestaltungsvorgabe müssen die Länder die Kernelemente der als Richtlinien zu verstehenden Staatsstrukturprinzipien wahren,76 hinsichtlich des Sozialstaatsprinzips also die Grundsätze der Sozialstaatlichkeit.77 Art. 28 Abs. 2 HessVerf konkretisiert jenes zukunftsoffen gefasste Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG. Dieses wiederum schließt die detailliertere Zielvorgabe „Arbeit“ inhaltlich ein, handelt es sich dabei doch um eines seiner zentralen Anliegen:78 Der Sozialstaat ist zur Reaktion auf Arbeitslosigkeit verpflichtet.79 Es ist zulässig, dass Art. 28 Abs. 2 HessVerf das Sozialstaatsprinzip in dieser Weise konkretisiert. Auch bei einer Verengung des Gestaltungsspielraums, wie sie für den einfachen Gesetzgeber mit der Aufnahme einzelprogrammatischer sozialer Staatszielbestimmungen einhergeht, sind die sozialstaatlichen Homogenitätsanforderungen des Grundgesetzes gewahrt. Die landesverfassungsrechtliche Antizipation entsprechender Gestaltungsmöglichkeiten stellt eine zulässige

___________ 74

Dazu oben unter B. I. 1. a); vgl. auch 4. Kap. unter B. III. 1. a) bb). Zu diesem Korrespondenzverhältnis oben unter B. I. 1. a). 76 Dazu soeben unter B. I. 1. b). 77 Dies wäre bereits dann der Fall, wenn die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern (lediglich) eine Art. 20 Abs. 1 GG vergleichbare Bestimmung enthalten würde. Dazu Stern, Staatsrecht I, S. 706. – Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet nicht etwa zur Praktizierung der sozialen Marktwirtschaft, s. Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht AT, § 6 II 1. Ebenso wenig ist die Homogenitätsklausel gleichbedeutend mit einem Verbot von in Grundsatzfragen divergierenden Wirtschafts- und Sozialstrukturen in Bund und Ländern: Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG ist als Grenze der Verfassungshoheit, wie gesagt (oben unter B. I. 1. a]), nicht extensiv, sondern landesverfassungsfreundlich auszulegen. 78 s. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 54; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 70; Kanther, Landesverfassungen, S. 157; Stiens, Chancen, S. 267; Scholz, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 75 (82); Nebendahl, ZRP 1991, S. 257 (258). Vgl. Kittner, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 91 (91): „Recht auf Arbeit – oberster sozialstaatlicher Grundsatz“. 79 s. BVerfGE 100, 271 (284); Bericht Sachverständigenkommission, S. 69 Rn. 94. 75

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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Modifikation der Grundsätze jener Sozialstaatlichkeit dar.80 Insbesondere kann nicht daraus, dass das Grundgesetz keine konkretisierenden sozialen Staatszielbestimmungen enthält, gefolgert werden, die Landesverfassung dürfe dem Landesgesetzgeber bei der Gestaltung der Sozialordnung nicht durch einzelprogrammatische soziale Staatszielbestimmungen vorgreifen. Art. 28 Abs. 2 HessVerf verstößt auch nicht gegen den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Gewaltenteilungsgrundsatz als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips i. S. des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG. Die Umsetzung der Staatszielbestimmung „Arbeit“ macht zwar den Einsatz finanzieller Mittel erforderlich, so dass diese Zielvorgabe den Gerichten die Möglichkeit eröffnen könnte, über die Bereitstellung und Verwendung der Gelder zu entscheiden.81 Vereinzelt wird denn auch vertreten, die Judikative erhalte infolge einer solchen Staatszielbestimmung Einfluss auf den Staatshaushalt, weshalb sie gleichsam ermächtigt sei, in einer dem Gewaltenteilungsgrundsatz zuwiderlaufenden Weise in ureigenste Aufgaben insbesondere des Haushaltsgesetzgebers einzugreifen.82 Diese Argumentation greift zu kurz. Der Gewaltenteilungsgrundsatz ist erst verletzt, wenn ein Einbruch in den Kernbereich einer anderen Gewalt vorliegt.83 Einen solchen Einbruch hat die Normierung des Art. 28 Abs. 2 HessVerf jedenfalls nicht notwendig zur Folge. Die Gerichte müssen den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Umsetzung der Zielvorgabe beachten; da jene Zielvorgabe die Legislative als primären Adressaten auf ein Ziel verpflichtet, den Weg zur Erreichung aber nicht vorgibt, ist es den Gerichten grundsätzlich untersagt, konkrete Wege zur Zielverwirklichung vorzuschreiben.84 Um diesen politischen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu wahren, dürfte den Richtern keine andere Möglichkeit bleiben, als die politischen Entscheidungsträger im Wege einer Appellentscheidung zum Tätigwerden unter Beachtung der Zielvorgaben zu verpflichten.85 Mit einer solchen Verpflichtung werden freilich keine ursprünglich gewährten politischen Freiräume beschnitten, sondern es wird der betreffenden Staatszielbestimmung als objektiv-rechtlich verbindlicher Norm ___________ 80 s. Dietlein, Grundrechte, S. 140 f.; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 31. – Umgekehrt sind die Länder auch nicht zur Normierung konkretisierender sozialer Bestimmungen verpflichtet. 81 s. Nebendahl, ZRP 1991, S. 257 (262); vgl. (mit Blick auf aus Grundrechten abgeleitete Teilhaberechte) Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 1 Rn. 189. 82 So Nebendahl, ZRP 1991, S. 257 (262); in diese Richtung auch Wank, Recht, S. 39 ff. 83 Dazu oben unter B. I. 1. a). 84 Vgl. Dietlein, Grundrechte, S. 135. – Hat sich das Gestaltungsermessen so weit reduziert, dass in der Sache lediglich eine „richtige“ Entscheidung getroffen werden kann, können die Gerichte den Gesetzgeber zur Durchführung eben dieser Entscheidung verpflichten. Derartige Fälle dürften aber wohl eine eher theoretische Größe darstellen. 85 Zur Bedeutung der Appellentscheidungen bei der Überprüfung einfachgesetzlicher Rechtssätze am Maßstab der Staatszielbestimmungen 2. Kap. unter A. IV. 2. a).

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Geltung verschafft. Ein entsprechendes Judikat verletzt nicht den Grundsatz der Gewaltenteilung, sondern ist ureigenste Aufgabe der Judikative: Es richtet eine überschrittene Schranke der politischen Gestaltungsfreiheit wieder auf.86 Vor diesem Hintergrund gehen mit der gerichtlichen Durchsetzung des Art. 28 Abs. 2 HessVerf keineswegs automatisch „Übergriffe“ der Judikative in Bereiche der Exekutive oder der Legislative einher, die mit der verfassungsbzw. verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung notwendig verbunden wären. Von einem Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung kann daher keine Rede sein.87 Schließlich verletzt die Staatszielbestimmung auch nicht die Grundsätze des Demokratieprinzips. Die Zementierung bestimmter politischer Ansichten durch die Verankerung in der Verfassung entzieht diese zwar der Tagespolitik,88 so dass die politische Mehrheit bspw. an den Vollzug der Staatszielbestimmung „Arbeit“ gebunden ist. Ein Verstoß gegen die Homogenitätsanforderungen des Grundgesetzes unter dem Blickwinkel des Demokratieprinzips kann darin aber nicht gesehen werden. Dies folgt bereits daraus, dass die Zielvorgabe „Arbeit“ durch das Verfahren der Verfassunggebung bzw. Verfassungsänderung demokratisch legitimiert ist. Zudem bleibt die Zielkonkretisierung primär Aufgabe des Gesetzgebers. Andernfalls wären landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen per se unwirksam: ein kaum überzeugendes Ergebnis.89 (2) Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Bundesgrundrechten Zulässigkeitsgrenzen sind der Zielvorgabe „Arbeit“ weiterhin durch die Freiheitsrechte gesetzt, und zwar insbesondere durch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).90 Letztere umfasst u.a. die Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes, den freien Wechsel des Arbeitsplatzes sowie das freie Spiel von Angebot und ___________ 86 Vgl. Dietlein, Grundrechte, S. 135. – Gleiches gilt grundsätzlich für die Erfüllung der vom Bundesverfassungsgericht aus den Grundrechten abgeleiteten Schutzpflichten. Zu Letzteren 2. Kap. unter A. II. 3. 87 Eine andere (freilich nicht auf Staatszielbestimmungen beschränkte, hier also nicht klärungsbedürftige) Frage ist es, ob die Gerichte den Kernbereich der Legislative und den der Exekutive tatsächlich wahren, ob sie der Gewaltenteilung also hinreichend Rechnung tragen. – Zu den durch Staatszielbestimmungen ausgelösten Verschiebungen in der Funktionentektonik 8. Kap. unter C. 88 Zu den Auswirkungen auf Ansehen und Akzeptanz der Verfassung, die deren „Aufladung“ mit Themen der Tagespolitik hat, 8. Kap. unter B. III. 89 Anders lägen die Dinge, wenn eine Staatszielbestimmung die Abkehr vom Demokratieprinzip oder zumindest die Abschaffung des freien und gleichen Wahlrechts bei der Wahl des Landesparlaments einschließen würde. 90 Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes ist einzuordnen als negative Kompetenznorm mit Durchgriffswirkung. Grundrechtswidriges Landesverfassungsrecht ist daher unmittelbar unwirksam, s. 4. Kap. unter B. III. 1. a) bb).

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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Nachfrage nach Arbeitsplätzen. Art. 12 Abs. 1 GG steht einer „staatlichen Bewirtschaftung“ des Arbeitsplatzangebots daher ebenso entgegen wie einer entsprechenden Bedarfslenkung bei Berufswahl und -ausbildung.91 Die vereinzelt vertretene Auffassung, Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG sei als „Ausgestaltungsvorbehalt“ und die „Vollbeschäftigung“ als „überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ einzuordnen, so dass zu Gunsten sozialer Interventionen des Staates (etwa für beschäftigungssichernde Maßnahmen) weitgehende Eingriffsmöglichkeiten bestünden,92 konnte sich zu Recht nicht durchsetzen. Die wohlfahrtsstaatliche Umdeutung jenes Regelungsvorbehalts in einen „Verteilungsvorbehalt“ liefe der traditionsreichen Funktion der Berufsfreiheit als Abwehrrecht wie auch dem Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes zuwider. Art. 28 Abs. 2 HessVerf verstieße folglich dann gegen Art. 12 Abs. 1 GG, wenn er dieses Grundrecht staatlichen Ordnungs- und Lenkungsbestrebungen anheim stellen würde, die nicht mit dem grundgesetzlichen Freiheitsverständnis zu vereinbaren sind. Grundsätzlich müssen subjektive Ausbildungs- und Betätigungswünsche Vorrang vor staatlicher Steuerung des Ausbildungs- und Berufssektors haben.93 Dies ergibt sich aus der in Art. 12 GG festgeschriebenen Grundentscheidung zu Gunsten der Berufsfreiheit. Die Freiheitsrechte gelten allerdings nicht absolut.94 Eine sozial begründete Intervention des Staates in grundrechtlich geschützte Freiräume kann durchaus gerechtfertigt sein. Eingriffe eines Trägers hoheitlicher Gewalt in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzen dieses Grundrecht nicht zwingend,95 im Gegenteil: Aus dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG folgt ein Mandat des Staates zu sozialen Interventionen.96 Nach der Konzeption des Grundgesetzes kann und muss die Verwirklichung der Staatszielbestimmung „Arbeit“ daher mit der Achtung der individuellen Freiheit der Berufswahl bzw. der Wahl des Arbeitsplatzes ___________ 91

s. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 86 ff., 90 ff.; dens., in: Böckenförde/ Jekewitz/Ramm, Grundrechte, S. 75 (83 f.). 92 So etwa H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 7 (22); vgl. Scheuner, in: ders., Einwirkung, S. 9 (32). 93 s. Dietlein, Grundrechte, S. 137. Die soziale Verantwortung des Staates für den Bereich der Berufsfreiheit steht dem nicht entgegen; zu ihr Badura, FS Herschel, S. 21 (33 ff.). 94 Dem Grundgesetz liegt keine Konzeption einer prinzipiell unbegrenzten Freiheit des Einzelnen zugrunde. Die mitunter vertretene Gegenauffassung (s. etwa Dörfler, Vereinbarkeit, S. 119) greift zu kurz. Dies ergibt sich bereits aus dem Grundsatz der Einheit der Verfassung (zu ihm 4. Kap. unter B. III. 1. a] cc]). Auch ist den Grundrechtsschranken der Auftrag an den einfachen Gesetzgeber zu entnehmen, die Freiheit des einen mit der des anderen in Ausgleich zu bringen. 95 Dazu Stern, Staatsrecht I, S. 924 ff.; Dietlein, Grundrechte, S. 137. 96 Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat u.a. zu einer aktiven Vollbeschäftigungspolitik, s. oben unter B. I. 2. a) aa) (1).

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

vereinbar sein.97 Art. 28 Abs. 2 HessVerf – er konkretisiert in zulässiger Weise das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG98 – ist daher nicht grundrechtswidrig. Den Staat wird keineswegs zu weitergehenden arbeitsmarktpolitisch-ordnenden Grundrechtseingriffen verpflichtet, als es die negatorischen Grundrechtsverbürgungen zulassen. Grundrechtskonform ausgelegt, ergibt sich aus Art. 28 Abs. 2 HessVerf die Verpflichtung des Staates, geeignete Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass durch die Entfaltung unternehmerischer Aktivitäten ein hoher Beschäftigungsstand erreicht wird.99 Dies stellt weder eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG dar noch eine solche der Koalitions-, der Wettbewerbs- oder der Vertragsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 bzw. Art. 2 Abs. 1 GG). Ebenso wenig verstößt jenes „Recht auf Arbeit“ gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. (3) Grundsatz der Bundestreue Art. 28 Abs. 2 HessVerf verletzt auch nicht den (kompetenzmodifizierenden und -moderierenden) Grundsatz der Bundestreue.100 Dieses an die Dynamik des Föderalismus gekoppelte, immer wieder aufs Neue zu konkretisierende101 Strukturprinzip ist nur dann nicht gewahrt, wenn die bundesstaatliche Ordnung in besonders schwerwiegender und unvertretbarer Art und Weise empfindlich gestört ist.102 Es widerspräche Art. 28 Abs. 1 GG, jede vom Grundgesetz abweichende Verfassungsidee und -politik in den Ländern durch die Bundestreue als (noch dazu ungeschriebene!) Harmonisierungsvorschrift zu korrigieren.103 Das Grund___________ 97

s. Dietlein, Grundrechte, S. 138. s. oben unter B. I. 2. a) aa) (1). 99 Der Staat hat dementsprechend v. a. die Aufgabe, das freie Spiel der Marktkräfte durch einen entsprechenden Ordnungsrahmen zu kanalisieren und ggf. soziale Härten abzufedern. – Angesichts der verfassungsrechtlichen Verbürgungen von Unternehmer-, Berufs- und Gewerbefreiheit können Wirtschaftswachstum und folglich auch ein hoher Beschäftigungsstand prinzipiell allein durch die Kräfte des Marktes erreicht werden; dazu 3. Kap. unter B. I. 1. 100 Der Grundsatz der Bundestreue verpflichtet die Länder bei Wahrnehmung ihrer Kompetenzen zu Rücksichtnahme gegenüber dem Bund (4. Kap. unter B. III. 1. b] aa]). 101 s. BVerfGE 8, 122 (140): „entwicklungsoffen“; Bauer, Bundestreue, S. 313 ff. 102 s. BVerfGE 76, 1 (77); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 IV Rn. 120. Vor einer Überstrapazierung des Grundsatzes der Bundestreue warnt bereits Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 53 (73). – Bei einem Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue durch die eine Seite ist die andere (anders als in völkerrechtlichen Rechtsverhältnissen) nicht zu entsprechenden Gegenmaßnahmen berechtigt; dazu 4. Kap. unter B. III. 1. b) aa), Fn. 128. 103 Andernfalls würde auch die Ungebundenheit der Landesverfassungen hinsichtlich der Artt. 70 ff. GG (s. 4. Kap. unter D. I. 1. a] cc]) unterlaufen. – Dementsprechend sind die Länder durch den Grundsatz der Bundestreue weder generell verpflichtet, ihre Gesetzgebung an Regelungen des Bundes anzupassen (vgl. BVerfGE 26, 116 [137]), 98

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gesetz hat bewusst Freiräume zur Austragung politischer Kämpfe offen gelassen. Diese dürfen nicht samt und sonders mittels der Bundestreue geschlossen werden.104 Soweit ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue in unterschiedlichen Wirtschaftsordnungen gesehen wird unter Verweis darauf, angesichts der komplizierten Verflechtungen im Bundesstaat seien diese nicht hinnehmbar,105 kann dem nicht gefolgt werden. Das Grundgesetz ist nicht auf eine Wirtschaftsverfassung i. S. eines bestimmten ordnungspolitisch geschlossenen Systems, namentlich dasjenige der „sozialen Marktwirtschaft“, festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht hat das Grundgesetz vielmehr, ebenso wie die weit überwiegende Zahl der Stimmen im Schrifttum,106 stets als wirtschaftspolitisch neutral bzw. offen erklärt.107 Gerade hinsichtlich des Grundrechtsschutzes wirtschaftlicher Tätigkeit enthält es zwar Vorschriften, denen eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Tragweite nicht abgesprochen werden kann.108 Auch kann man aus der Verfassungswirklichkeit durchaus auf die Grundkonturen der heutigen Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland, die „soziale Marktwirtschaft“, schließen.109 Eine bestimmte objektiv-rechtliche Wirtschaftsverfassung als ab___________ noch ihre Gesetzgebung bzw. ihren Gesetzesvollzug untereinander zu koordinieren. Dazu Bauer, Bundestreue, S. 1349 f. 104 Vgl. Hesse, Grundzüge, Rn. 268 f. Soweit dieses Ergebnis damit begründet wird, dem Grundgesetz liege das „Prinzip Freiheit“ nicht nur in seinem I. Abschnitt, sondern auch im Staatsorganisationsrecht zugrunde, was sich insbesondere an Art. 28 Abs. 1 GG zeige (so etwa Kanther, Landesverfassungen, S. 152), kann dem nicht gefolgt werden: Im Verhältnis von Bund und Ländern bleibt für den Begriff (subjektiver) Freiheit kein Raum, s. 4. Kap. unter D. I. 1. a) cc). 105 s. Kanther, Landesverfassungen, S. 152: Bei Problemen länderübergreifender Natur könnten landesrechtliche Regelungen über den Landesbereich hinauswirken sowie den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verknüpfungen entgegenstehen, was wiederum die Qualität eines unzulässigen Eingriffs in die Gesamtordnung haben könnte. Vgl. BVerfGE 24, 367 (391); a.A. H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (751). 106 s. Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 109 Rn. 42; Badura, Staatsrecht, C Rn. 91; vgl. H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (751); a.A. Schmidt-Preuß, DVBl. 1993, S. 236 (240 ff.): Die soziale Marktwirtschaft sei im Grundgesetz verankert. 107 s. BVerfGE 4, 7 (17 f.); 7, 377 (400); 12, 341 (347); 50, 290 (336 ff.). 108 s. P. M. Huber, in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 3. Kap. Rn. 22. – Die Grundlagen für wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit, Markt- und Wettbewerbsfreiheit, Berufsfreiheit, den Schutz des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte sowie für das Privateigentum an den Produktionsmitteln sind abgesichert insbesondere durch Artt. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 GG. Art. 9 Abs. 3 GG garantiert demgegenüber die Koalitionsfreiheit (als einziges Grundrecht mit unmittelbarer Drittwirkung), vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 175; Kemper, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 9 Rn. 177 ff.; zu den „Wirtschaftsgrundrechten“ des Grundgesetzes allg. R. Schmidt, in: ders./Vollmöller, Kompendium Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 34 ff. 109 Zu den auslegungsmethodischen Grundlagen dieser Sicht bereits Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 81 ff., 91 ff., 96 ff., 117 ff.; ders., Entflechtung, S. 85 ff.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

straktes Ordnungssystem legt das Grundgesetz aber nicht fest110 – im Unterschied zu einzelnen Landesverfassungen111 sowie zum EG,112 der durch das marktwirtschaftliche Ordnungsprinzip des europäischen Binnenmarktes eine Wirtschaftsverfassung propagiert, die v. a. liberale und wettbewerbsorientierte Grundzüge trägt.113 Nichts anderes ergibt sich daraus, dass der Begriff „soziale Marktwirtschaft“ in Art. 1 Abs. 3 u. 4 WWSU114 festgeschrieben ist: Die soziale Marktwirtschaft hat keinen Verfassungsrang erhalten.115 Das Grundgesetz räumt dem Gesetzgeber auf dem Feld der Wirtschaftspolitik grundsätzlich einen Gestaltungsspielraum für die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik ein.116 Wesentliche Beschränkungen erfährt dieser Spielraum durch Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den grundrechtlichen Gewährleistungen und dem sozialstaatlichen Auftrag.117 Es gibt folglich keinen Bedarf dafür, hier auf die Bundestreue ___________ 110 s. Scholz, FS Lerche, S. 65 (73). – Art. 15 GG enthält kein Gebot sozialistischer Wirtschaftsform und Verstaatlichung, sondern lediglich die Ermächtigung an den Gesetzgeber, die Überführung bestimmter Objekte in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft vornehmen zu können, s. BVerfGE 12, 354 (363 f.): Es existiert kein Verfassungsbefehl zur Sozialisierung. 111 s. Art. 51 RhPfVerf, Art. 42 Abs. 2 S. 1 BbgVerf und Art. 38 ThürVerf. 112 s. Kahl, in: Schmidt/Vollmöller, Kompendium Wirtschaftsrecht, § 1 Rn. 7 ff.; vgl. Tettinger, DVBl. 1999, S. 679 (680). – Vor diesem Hintergrund sind Zerreißproben dereinst nicht auszuschließen, vgl. Badura, FS Stern, S. 409 (412 f.). Vereinzelt wird daher gefordert (s. etwa Schmidt-Preuß, DVBl. 1993, S. 236 [245]), die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes ad acta zu legen und das marktwirtschaftliche Ordnungsprinzip i. S. der EG-Wirtschaftsverfassung zu übernehmen. 113 In diesem Sinne zur Wirtschaftsverfassung der EU/EG Badura, FS Stern, S. 409 (412); Hatje, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 683 (692 ff.); Oppermann u.a., Europarecht, § 19 Rn. 7 ff.; Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht AT, § 5 II 3; vgl. Drexl, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 747 (758 ff.). – Zu den Auswirkungen der erstmaligen primärrechtlichen Erwähnung des Begriffs „soziale Marktwirtschaft“ durch Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUzF oben unter A. III., Fn. 23; zur Wirtschaftsverfassung „nach Lissabon“ im Einzelnen Schwarze, in: ders., EU, Einführung Rn. 39 f. 114 Gesetz zu dem Vertrag v. 18.5.1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (BGBl. II, S. 537) v. 25.6.1990 (BGBl. II, S. 518). 115 s. Schmidt-Preuß, DVBl. 1993, S. 236 (238). – Die Soziale Marktwirtschaft kommt in Art. 1 Abs. 3 u. 4 WWSU lediglich als praktizierte Wirtschaftsordnung zum Ausdruck; auf die wirtschaftsverfassungsrechtliche Neutralität des Grundgesetzes hat die Vorschrift keine Auswirkungen. Dazu Kloepfer, Jura 1993, S. 583 (584); a.A. etwa Rupp, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IX, § 203 Rn. 4 ff. 116 s. BVerfGE 4, 7 (7, 17 f.); 50, 290 (336 ff.). Wirtschaftsverfassungsrechtliche Neutralität bedeutet weitgehende Regelungs- und Gestaltungsoffenheit zur Verwirklichung einer konkreten Wirtschaftsordnung, nicht aber, dass sich der Staat nicht in die Wirtschaft einmischen darf. Dazu Badura, Staatsrecht, C Rn. 91. 117 Ebenso etwa Arndt/Fetzer, in: Steiner, BesVerwR, Abschn. VI Rn. 27. – Die Doktrin der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes negiert nicht die verfassungsrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers. Eine nur von politischer Zweckmäßigkeit oder Programmatik bestimmte Ordnung oder Umgestaltung der Wirtschaft ist ausgeschlossen, s. Badura, Staatsrecht, C Rn. 91.

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zu rekurrieren.118 Aus Sicht jener Kompetenzausübungsschranke bestehen nach alldem keine Bedenken gegen Art. 28 Abs. 2 HessVerf.

bb) Keine Kollision mit höherrangigem Recht Es stellt sich inbesondere die Frage, ob Art. 28 Abs. 2 HessVerf mit Art. 109 Abs. 2 u. 4 GG i.V.m. § 1 StabG vereinbar ist.119 Nach § 1 S. 2 StabG, der den unbestimmten Rechtsbegriff „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ durch das sog. „magische Viereck“ einfachgesetzlich konkretisiert, haben Bund und Länder gleichzeitig ein stabiles Preisniveau, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum sowie einen hohen Beschäftigungsstand anzustreben, wobei das Teilziel der Preisstabilität zwischenzeitlich in den Vordergrund der staatlichen Verantwortung gerückt ist.120 (1) Rangordnung der vier Teilziele des § 1 S. 2 StabG Nach weit überwiegend vertretener Auffassung ist die Gleichzeitigkeit i. S. des § 1 S. 2 StabG so zu verstehen, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht einseitig auf einen hohen Beschäftigungsstand ausgerichtet sein darf. Die Wahrung eines solchen Beschäftigungsstandes muss vielmehr in ein ausgewogenes Verhältnis mit den anderen Vorgaben des magischen Vierecks gebracht werden.121

___________ 118 Einem durchgängigen Sozialismus in den Ländern stehen de constitutione lata schon Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Bundesgrundrechten entgegen. Die Landesstaatsgewalt ist umfassend an diese negativen Kompetenznormen gebunden; mit ihnen unvereinbares Landesverfassungsrecht ist ultra vires ergangen und folglich nichtig, s. 4. Kap. unter D. I. 1. d). Angesichts der Gebote der Art. 2 Abs. 1, Artt. 12 und 14 GG wäre ein sehr weitgehendes Abweichen von der freien Wirtschaftsordnung verfassungsrechtlich unzulässig. So stünde etwa einer völligen Abschaffung des Unternehmertums u.a. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG entgegen. Zur von Art. 2 Abs. 1 GG erfassten wirtschaftlichen Handlungsfreiheit („Unternehmerfreiheit“) bereits BVerfGE 29, 260 (267); 50, 290 (366); E. R. Huber, DÖV 1956, S. 135 (135). – Auch das Gegenteil, also ein wirtschaftsliberalistischer Ansatz, wäre wegen der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG und der Verpflichtung der Bundesrepublik wie auch ihrer Gliedstaaten zur Sozialstaatlichkeit durch Art. 20 Abs. 1 GG bzw. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG unzulässig. Dazu Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 76, 89 f.; Hablitzel, BayVBl. 1981, S. 100 (109). 119 StabG v. 8.6.1967 (BGBl. I, S. 582). 120 Dazu oben unter A. III. 121 s. Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 109 Rn. 29 f.; Scholz, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 75 (81); Papier, DVBl. 1984, S. 801 (811); vgl. Nebendahl, ZRP 1991, S. 257 (258).

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Vereinzelt wird indes die gegenteilige Auffassung vertreten: Der hohe Beschäftigungsstand habe Vorrang vor den übrigen Eckwerten jenes Vierecks.122 Zur Begründung wird darauf verwiesen, die Vollbeschäftigung sei das einzige grundrechtlich (durch Art. 12 GG) abgesicherte Ziel in § 1 S. 2 StabG. Gegen seine Bevorzugung gegenüber den anderen Eckwerten bestünden daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Diesem Ansatz kann nicht gefolgt werden.123 Bereits seine Grundannahme, dass ausschließlich dem „hohen Beschäftigungsstand“ grundrechtliche Relevanz zukomme, greift zu kurz. Auch das Teilziel „Stabilität des Preisniveaus“ ist (durch Art. 14 Abs. 1 GG) grundrechtlich abgesichert: Der Geldwertstabilität kommt eine vermögens- und eigentumsrechtliche Relevanz zu, und zwar dient sie in erster Linie den Interessen der Sparer124 bzw. denen der wirtschaftlich Schwächeren.125 Verfehlt wäre es, daraus den Schluss zu ziehen, neben der Vollbeschäftigung sei auch dem Eckwert „Stabilität des Preisniveaus“ ein genereller Vorrang einzuräumen; die entsprechende (konkludente) Modifikation der konjunkturpolitischen Globalsteuerung im Sinne des Art. 109 Abs. 2 GG ergibt sich allein aus Art. 88 S. 2 GG.126 Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem Verfassungsbegriff „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“, wie er in Art. 109 Abs. 2 GG (und in Artt. 104 a Abs. 4, 109 Abs. 4 sowie Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG) verankert ist: Die Herstellung eines Gleichgewichts setzt nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Ausgleichen, ein Abwägen der im Einzelnen zu berücksichtigenden Belange voraus.127 Mit dem Wortlaut des § 1 S. 2 StabG („gleichzeitig“) wäre ein genereller Vorrang des Teilziels „hoher Beschäftigungsstand“ ebenfalls nicht vereinbar.128 ___________ 122 s. H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 7 (22); ähnlich Bleckmann, Sanierungspflicht, S. 66, der einen „gewissen Vorrang“ der Arbeitsmarktpolitik konstatiert; eine Prioritätensetzung für möglich haltend auch Schmidt-Eriksen, DtZ 1990, S. 108 (112). 123 Etwas anderes mag gelten, wenn auch das Grundgesetz eine Staatszielbestimmung „Vollbeschäftigung“ enthielte; dazu etwa Menz, VBlBW 1991, S. 401 (402). 124 s. K. Vogel, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 87 Rn. 17. 125 Letztere werden am empfindlichsten getroffen, stiege die Inflation ungebremst an. Dazu Hansmeyer, in: Stern u.a., StabG, S. 134 f. 126 Dazu, dass die Preisstabilität als Teilziel in den Vordergrund der staatlichen Verantwortung gerückt ist, oben unter A. III. 127 Ebenso Dietlein, Grundrechte, S. 143. – Auch das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG steht dem nicht entgegen: Allein eine funktionierende Volkswirtschaft kann dauerhaft sozialstaatliche Gewährleistungen sichern. 128 Die Relativierung eines Ziels ist allenfalls dann möglich, wenn das betreffende Ziel sie bereits immanent in sich trägt. So wird etwa angenommen, der Eckwert „stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum“ relativiere sich durch den (wertungsabhängigen) Begriff der Angemessenheit selbst. Dazu Hansmeyer, in: Stern u.a., StabG, S. 134. Noch weiter geht Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 109 Rn. 27: Das stetige und angemessene Wirtschaftswachstum sei kein eigenständiges Teilziel, sondern Bedingung aller Finanz- und Wirtschaftspolitik. – Auch dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht wird von einer vereinzelt vertretenen Auffassung (etwa Hansmeyer, a.a.O., S. 134) der Cha-

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(2) Vereinbarkeit von Art. 28 Abs. 2 HessVerf mit der Rangordnung Art. 28 Abs. 2 HessVerf steht mit besagter Rangordnung der vier Teilziele in Einklang. Diese Staatszielbestimmung verpflichtet nicht dazu, um jeden Preis eine einseitig auf einen hohen Beschäftigungsstand ausgerichtete Wirtschaftsund Finanzpolitik zu betreiben. Sie bevorzugt den Eckwert „hoher Beschäftigungsstand“ nicht generell zu Lasten der Geldwertstabilität oder eines anderen Leitziels des magischen Vierecks. Art. 28 Abs. 2 HessVerf verpflichtet die Legislative als primären Adressaten lediglich auf ein Ziel, nicht aber auf den Weg zu dessen Verwirklichung. Der insoweit bestehende Spielraum ermöglicht auch die Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Belange.129 Im Ergebnis ist daher festzuhalten: Art. 28 Abs. 2 HessVerf verschiebt das Kräfteparallelogramm des Art. 109 Abs. 2 i.V.m. § 1 S. 2 StabG nicht.130 Schließlich kollidiert der allgemein gehaltene, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesene Art. 28 Abs. 2 HessVerf nicht mit anderen Vorschriften höherrangigen Rechts.131 So ist etwa eine Normenkollision mit einfachgesetzlichem Bundesrecht ausgeschlossen: Es besteht die bundesrechtliche Verpflichtung, für einen hohen Beschäftigungsstand zu sorgen.132 Nach alldem ist die Staatszielbestimmung „Arbeit“ i. S. des Art. 28 Abs. 2 HessVerf weder ultra vires ergangen, noch greift Art. 31 GG ein. Jene Zielvorgabe hat folglich nicht lediglich virtuelle, sondern aktuelle normative Bedeutung.

b) Art. 48 Abs. 1 BbgVerf Gleiches gilt für Art. 48 Abs. 1 BbgVerf, demzufolge das Land im Rahmen seiner Kräfte durch eine Politik der Vollbeschäftigung und Arbeitsförderung für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sorgen hat. Auch diese landesver___________ rakter eines eigenständigen Teilziels abgesprochen: Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht diene allein dazu, nachteilige Folgen für Preisstabilität und hohen Beschäftigungsstand abzuwehren, sei also bloßes Mittel zur Verwirklichung dieser Teilziele. 129 Vgl. Dietlein, Grundrechte, S. 144, der in den betreffenden Gestaltungsspielräumen „mögliche ‚Einbruchstellen’ für die Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Belange“ erkennt. 130 Ebenso Stiens, Chancen, S. 269; a.A. (allg. für arbeitsrechtliche Sozialbestimmungen) Scholz, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 75 (81); Merten, VerwArch 83 (1992), S. 283 (296 f.); ders., DÖV 1993, S. 368 (372, 375). 131 Auch soweit das Ausländergesetz oder das Asylverfahrensgesetz Arbeitsverbote ermöglichen, besteht kein Widerspruch zu Art. 48 BbgVerf; a.A. Quaritsch, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 120 Rn. 11: Die in diesen Gesetzen statuierten Residenzpflichten und Arbeitsverbote würden landesverfassungsrechtliche Regelungen eines „Rechts auf Arbeit“ gem. Art. 31 GG verdrängen. 132 Dazu oben unter B. I. 2. a) aa) (1).

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

fassungsrechtliche Staatszielbestimmung ist kompetenzgemäß zustande gekommen. Insbesondere liegt in der Aufnahme des Leistungsvorbehalts („im Rahmen seiner Kräfte“) kein Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue. Neben gewissen Unterlassungs- und Tätigkeitspflichten (in Gestalt von Hilfsund Mitwirkungspflichten)133 wurden als konkrete Rechtspflichten aus diesem Strukturprinzip zwar auch Vorgaben für das Procedere im Verhältnis Bund/ Länder und Länder/Bund in Angelegenheiten von gesamtstaatlichem Interesse abgeleitet.134 Bei jenem Vorbehalt handelt es sich jedoch um keine loyalitätswidrige Verschiebung der Verantwortung für Erfolg und Misserfolg der Bemühungen des Landes in Richtung Bund, sondern um einen deklaratorischen Verweis auf die de facto bestehenden Grenzen der Zielverwirklichung.135 Art. 48 Abs. 1 BbgVerf steht ebenso wenig wie seine hessische Parallelvorgabe im Widerpruch zu höherrangigem Recht. Insbesondere ist die Norm mit Art. 109 Abs. 2 GG i.V.m. § 1 S. 2 StabG vereinbar. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Verpflichtung des Landes, für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sorgen, konkret durch eine Politik der Vollbeschäftigung und Arbeitsförderung erfüllt werden soll. Eine solche Politik ist zwar nicht mit dem Anstreben eines hohen Beschäftigungsstands als Eckwert des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ i. S. des Art. 109 Abs. 2 GG i.V.m. § 1 StabG gleichzusetzen.136 Jene landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung begegnet aber gleichwohl keinen rechtlichen Bedenken, da sie die Organe des Landes nicht einseitig auf den Abbau der Arbeitslosigkeit und mithin zur grundsätzlichen Bevorzugung des Eckwerts „hoher Beschäftigungsstand“ verpflichtet. Art. 48 Abs. 1 BbgVerf ist vielmehr so zu lesen, dass die übrigen Zielkomponenten des § 1 S. 2 StabG als wesentliche Faktoren in die Ausübung des Gestaltungsermessens bei Verwirklichung der Zielvorgabe „Arbeit“ einzubeziehen sind.137 Jene Staatszielbestimmung verpflichtet die Organe des Landes infolge ihrer Abstraktheit demnach gerade nicht zu einer Politik der Vollbeschäftigung ___________ 133

Überblick über die Judikatur bei Stern, Staatsrecht I, S. 702 f. m.w.N. s. BVerfGE 12, 205 (255 f.) – Deutschland-Fernsehen-GmbH. – Der Bund muss die Länder gegenüber der EU/EG als deren Sachwalter fair vertreten, vgl. BVerfGE 92, 203 (230 f.) – Fernsehrichtlinie; auch ist er zur föderativen Gleichbehandlung der Länder verpflichtet. 135 A.A. wohl Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (409), der den Leistungsvorbehalt rügt als nur schwer vereinbar mit dem bundesstaatlichen Prinzip. 136 s. Heun, in: Dreier, GG III, Art. 109 Rn. 22; vgl. Sterzel, ZRP 1993, S. 13 (17), der von einer „bereichsspezifischen Präzisierung“ der durch Art. 109 Abs. 2 GG aufgetragenen Arbeitsmarktpolitik spricht; a.A. Stiens, Chancen, S. 267: § 1 S. 2 StabG verpflichte Bund und Länder, „eine aktive Vollbeschäftigungspolitik zu betreiben“. 137 s. Stiens, Chancen, S. 269; vgl. Dietlein, Grundrechte, S. 144. Dem entspricht es, dass das Land durch unmittelbare Aktivitäten nur äußerst eingeschränkt auf die Verwirklichung des Art. 48 Abs. 1 BbgVerf hinwirken kann, s. BbgVerfG LVerfGE 8, 97 (143). 134

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um jeden Preis, also etwa dazu, eine einseitig auf Vollbeschäftigung ausgerichtete Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben.138 Dies wird auch dadurch untermauert, dass das Land hier ausdrücklich „im Rahmen seiner Kräfte“ verpflichtet ist, die Verwirklichung also unter dem Vorbehalt etwa der finanziellen Leistungsfähigkeit steht.139 Der Regelungsgehalt des Art. 48 Abs. 1 BbgVerf steht der Rangordnung der Eckwerte des magischen Vierecks folglich nicht entgegen.140

3. Wohnraum Die Staatszielbestimmung „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) verfügt ebenfalls über aktuelle normative Bedeutung. Sie verstößt nicht gegen Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, handelt es sich bei ihr doch um eine nach der Homogenitätsklausel zulässige141 Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG.142 Ebenso wenig ist ein Verstoß gegen die Grundrechte des Grundgesetzes143 oder den Grundsatz der Bundestreue ersichtlich.144 In Anbetracht ___________ 138

Vgl. Dietlein, Grundrechte, S. 144; W. Schmidt, Staat 20 (1981), Beiheft 5, S. 9 (24); Jutzi, ThürVBl. 1995, S. 54 (58); a.A. wohl Berlit, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 9 Rn. 34; ebenso mit Blick auf die niedersächsische Parallelvorgabe (obgleich diese offener formuliert ist als Art. 48 Abs. 1 BbgVerf!) Schwarz, NdsVBl. 1998, S. 225 (228): Art. 6 a NdsVerf ersetze den in Art. 109 Abs. 2 GG vorausgesetzten Ausgleich durch eine einseitige Vorrangentscheidung. 139 s. Riepe, Grundrechte, S. 192. 140 Art. 48 Abs. 1 BbgVerf kollidiert auch nicht mit sonstigem höherrangigem Recht. Nichts anderes ergibt sich aus der ausdrücklichen Verpflichtung, „den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen“: Diese Zielsetzung ist auch in § 1 Abs. 1 S. 1 SGB I v. 11.12.1975 (BGBl. I, S. 3015) enthalten. 141 s. oben unter B. I. 2. a) aa) (1). 142 Dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG ist eine entsprechende Verpflichtung zu entnehmen, Stern, Staatsrecht I, S. 901; ähnlich Benda, in: ders. u.a., HdbVerfR, § 6 Rn. 5; vgl. (mit Blick auf die Pflicht des Staates zum Mieterschutz) BVerfGE 18, 121 (132). – Anders wäre dies wohl dann, wenn sich die Verpflichtung des Landes, für die Verwirklichung des Rechts auf eine angemessene Wohnung zu sorgen, auf eine bestimmte Personengruppe beschränken würde. Dies ist aber nicht der Fall: Art. 47 BbgVerf ist insoweit neutral gefasst, vgl. (mit Blick auf Art. 15 ThürVerf) Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 15 Rn. 7. 143 Vgl. (bzgl. Art. 6 a NdsVerf) Schwarz, NdsVBl. 1998, S. 225 (228). – Besondere Beziehungen zum Regelungsgegenstand dieser Zielvorgabe weisen unter den als negativen Kompetenznormen zu beachtenden Grundrechtsgewährleistungen etwa Art. 13 Abs. 1 GG und die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) auf. Es ist freilich die Sache des Gesetzgebers, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Mieter und dem nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentum der Vermieter herzustellen, s. BVerfGE 18, 121 (131); 37, 132 (140); 89, 1 (8). 144 Nichts anderes ergibt sich aus der Aufnahme des Leistungsvorbehalts („im Rahmen seiner Kräfte“). Insoweit kann auf die Ausführungen hinsichtlich der Staats-

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

des allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts steht ebenso wenig eine Kollision mit Normen höherrangigen Rechts zu befürchten. Aus der exemplarischen („insbesondere“) Aufzählung von Maßnahmen, mittels derer jene Zielvorgabe verwirklicht werden soll, ergibt sich nichts anderes.

4. Soziale Sicherung sowie soziale und karitative Einrichtungen Auch Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf hat aktuelle normative Bedeutung. Insbesondere verstößt diese Staatszielbestimmung „soziale Sicherung“ nicht gegen das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 28 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG). Es handelt sich um eine gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zulässige145 Konkretisierung des (auch insoweit) allgemein gehaltenen Art. 20 Abs. 1 GG:146 Das Sozialstaatsprinzip verlangt staatliche Vor- und Fürsorge für die, die aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligung hilfsbedürftig (d. h. in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert) sind.147 Jene landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung kollidiert auch nicht mit höherrangigem Recht. Prima facie bestehen zwar Bedenken gegen ihre Vereinbarkeit mit § 9 Abs. 1 SGB II148 und §§ 82-84 sowie 90 SGB XII,149 wonach der Einzelne seinen Lebensunterhalt grundsätzlich aus eigenen Kräften und Mitteln (etwa durch eigenes Einkommen oder Vermögen) zu bestreiten hat. Infolge des allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts der Zielvorgabe „soziale Sicherung“ fehlt es aber an einer Normenkollision.150 Einem lediglich subsidiären Eingreifen der sozialen Sicherungssysteme steht Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf nicht entgegen. ___________ zielbestimmung „Arbeit“ i. S. des Art. 48 Abs. 1 BbgVerf (oben unter B. I. 2. b]) verwiesen werden. 145 s. oben unter B. I. 2. a) aa) (1). 146 Anders wäre dies wohl dann, wenn sich die Verpflichtung des Landes, für die Verwirklichung des Rechts auf soziale Sicherung zu sorgen, auf eine bestimmte Personengruppe beschränkte. Dies ist aber nicht der Fall; aufgrund der insoweit neutralen Fassung des Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf kommt die betreffende Verpflichtung allen Bewohnern des Landes zugute; ebenso Brenne, Grundrechte, S. 99 f. 147 s. BVerfGE 35, 302 (336); 45, 354 (387); 68, 193 (209); vgl. BVerwGE 52, 339 (346). Dazu, dass die Fürsorge für Hilfsbedürftige zu den selbstverständlichen Pflichten des Sozialstaats rechnet, BVerfGE 40, 121 (133). 148 SGB II v. 24.12.2003 (BGBl. I, S. 2954). 149 SGB XII v. 27.12.2003 (BGBl. I, S. 3022). 150 Eine Normenkollision etwa mit § 19 S. 1, §§ 20-24 SGB II, in denen sich Regelungen zum notwendigen Lebensunterhalt finden (dazu Herold-Tews, in: Löns/HeroldTews, SGB II, § 19 Rn. 3 ff.), kommt demgegenüber wegen des Inhalts der Vorschriften von vornherein ebenso wenig in Betracht wie eine solche mit § 41 SGB XII, der den

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Über aktuelle normative Bedeutung verfügen auch Art. 6 BaWüVerf, der die Wohlfahrtspflege der Kirchen und der anerkannten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet, sowie Art. 87 BaWüVerf, der eine entsprechende Regelung für die freien Wohlfahrtsverbände enthält. Bei beiden Zielvorgaben handelt es sich um Konkretisierungen des Sozialstaatsprinzips i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG, die nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zulässig sind:151 Die Gewährleistung freier Wohlfahrtspflege ist eine Ausprägung des Sozialstaatsgedankens; ohne Erbringung sozialer Dienstleistungen durch nichtstaatliche Institutionen ließen sich die sozialstaatlichen Aufgaben deutlich schlechter erfüllen. Auch aus Sicht der Bundesgrundrechte bestehen gegen jene Staatszielbestimmungen keine Bedenken.152 Ebenso wenig verstoßen sie gegen höherrangiges Recht. In Anbetracht ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts ist eine Normenkollision ausgeschlossen. Gleiches gilt für die „Förderung der Errichtung und Unterhaltung sozialer und karitativer Einrichtungen“ i. S. des Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf. Auch diese Staatszielbestimmung ist nicht ultra vires ergangen. Dies gilt umso mehr, als der sozialstaatliche Gedanke in Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf sogar noch deutlicheren Ausdruck findet: Hier ist ausdrücklich eine Förderpflicht des Staates statuiert, während die baden-württembergische Parallelvorgabe lediglich von „Gewährleistung“ spricht.153

5. Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen Ebenfalls aktuelle normative Bedeutung hat Art. 12 Abs. 4 BbgVerf, der Land, Gemeinden und Gemeindeverbände verpflichtet, für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen. Bei dieser Staatszielbestimmung handelt es sich wiederum um eine gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zulässige154 Konkretisierung des allgemein gehaltenen Art. 20 ___________ Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter oder bei dauerhafter Erwerbsminderung regelt. 151 s. oben unter B. I. 2. a) aa) (1). 152 Die kirchliche Wohlfahrtspflege etwa ist als freie Religionsausübung der Religionsgesellschaften gem. Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützt; dazu BVerfGE 24, 236 (246 f.); 53, 366 (391 ff.); M. Heckel, in: Maurer/ Hendler, BaWüStVerwR, S. 580 (593). 153 Zudem ist die Aufzählung der zu fördernden Einrichtungen in Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf an deren Zweck orientiert, nicht wie in Artt. 6, 87 BaWüVerf an deren Träger. 154 s. oben unter B. I. 2. a) aa) (1).

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Abs. 1 GG. Das Sozialstaatsprinzip „schließt notwendig die Hilfe für die Mitbürger ein, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung gehindert und außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Die staatliche Gemeinschaft muss [...] sich [...] bemühen, sie soweit wie möglich in die Gesellschaft einzugliedern [...]“.155 Auch sub specie Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes bestehen keine Bedenken. Insbesondere widerspricht jene Zielvorgabe nicht den in Art. 3 Abs. 3 GG enthaltenen Diskriminierungsverboten: Dessen S. 2 schließt Benachteiligungen wegen einer Behinderung aus, nicht aber Vergünstigungen.156 In Anbetracht des allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts kollidiert Art. 12 Abs. 4 BbgVerf zudem nicht mit höherrangigem Recht.

6. Kinder- und Jugendschutz Auch die Staatszielbestimmung „Jugendschutz“ i. S. des Art. 13 S. 1 BaWüVerf verfügt über aktuelle normative Bedeutung. Bei ihr handelt es sich erneut um eine gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zulässige157 Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG.158 Auch sub specie Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes bestehen keine Bedenken gegen diese Zielvorgabe. Pflege und Erziehung der Jugendlichen sind Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zufolge zwar das natürliche Recht der Eltern, d. h. für den Schutz und die Erziehung haben primär die Eltern zu sorgen.159 Jene landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung steht diesem Primat des elterlichen Erziehungsrechts jedoch nicht entgegen: Art. 13 S. 1 BaWüVerf statuiert lediglich eine subsidiär greifende staatliche Verantwortung,160 und damit steht er in Einklang mit Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, wonach die staatliche Gemeinschaft über die Betätigung des Elternrechts wacht. Ebenso wenig besteht ein Widerspruch zum durch ___________ 155 BVerfGE 40, 121 (133). – Den Behinderten steht im Sozialstaat i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG ein besonderer Schutz durch soziale Sicherungsinstrumente zu. Dazu bereits BVerfGE 28, 324 (348 ff.); vgl. Stiens, Chancen, S. 279: „Kern moderner Sozialstaatlichkeit“. 156 So darf etwa auch vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG durchaus der Zweck verfolgt werden, Behinderte zu bevorzugen und ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung durch besondere Ausgleichsleistungen und Entfaltungsmöglichkeiten entgegenzuwirken. Dazu BVerfGE 96, 288 (303); 99, 341 (356 ff.); Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 3 Rn. 417 f. 157 s. oben unter B. I. 2. a) aa) (1). 158 s. Stiens, Chancen, S. 277 f. 159 Zur Reichweite dieses Elternrechts etwa BVerfGE 60, 79 (94). 160 Vgl. Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 9 Rn. 3 (zu den Parallelvorgaben der sächsischen Verfassung).

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Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG garantierten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.161 Die damit kompetenzgemäß zustande gekommene Staatszielbestimmung „Jugendschutz“ verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Aufgrund ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts ist keine Normenkollision zu befürchten. Ebenfalls aktuelle normative Bedeutung haben die Zielvorgaben für den Kinder- und Jugendschutz, die in Art. 27 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1 BbgVerf verankert sind. Diese Staatszielbestimmungen stehen Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ebenso wenig entgegen wie Art. 13 S. 1 BaWüVerf:162 Sie statuieren gleichfalls eine lediglich subsidiär greifende staatliche Verantwortung.163

7. Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen Aktuelle normative Bedeutung hat auch die in Art. 27 Abs. 6 BbgVerf enthaltene Zielvorgabe „Förderung von Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen“. Bei ihr handelt es sich wiederum um eine Konkretisierung des Art. 20 Abs. 1 GG, die nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zulässig ist.164 Ebenfalls keine Bedenken bestehen aus Sicht von Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes.165 Zudem kollidiert die allgemein gehaltene, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesene Zielvorgabe nicht mit höherrangigem Recht.166

___________ 161 Der Staat ist berechtigt und verpflichtet, von den Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, die sich nachteilig auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit auswirken könnten, s. BVerfGE 83, 130 (140). Um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln zu können, bedürfen Jugendliche durchaus staatlicher Hilfe und staatlichen Schutzes, s. BVerfGE 79, 51 (63). 162 Die Unterschiede in der Formulierung (während Art. 27 Abs. 3 S. 1 bzw. Abs. 5 S. 1 BbgVerf „Kinder“ bzw. „Kinder und Jugendliche“ schützen, ist in Art. 13 S. 1 BaWüVerf von der „Jugend“ die Rede) haben insoweit keine Auswirkungen: Auch die brandenburgischen Zielvorgaben sind nicht im Sinne einer Aushöhlung des elterlichen Erziehungsrechts zu verstehen. 163 A.A. wohl Herdegen, FamRZ 1993, S. 374 (382): „gesamthänderische Mitverantwortung des Staates für den Persönlichkeitsbildungsprozess der Kinder“. 164 s. oben unter B. I. 2. a) aa) (1). 165 Art. 27 Abs. 6 BbgVerf steht insbesondere dem von Art. 6 Abs. 2 GG gewährleisteten Elternrecht nicht entgegen. 166 Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahrs, den § 24 Abs. 3 S. 1 SGB VIII (i.d.F. der Bek. v. 14.12.2006 [BGBl. I, S. 3134]) statuiert, ist bspw. eine Kollision mit einfachgesetzlichem Bundesrecht ausgeschlossen.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

8. Schutz des ungeborenen Lebens Über aktuelle normative Bedeutung verfügt auch der „Schutz des ungeborenen Lebens“ (Art. 8 Abs. 2 BbgVerf). Gegen diese Staatszielbestimmung bestehen insbesondere keine Bedenken sub specie Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes. So ist diese Zielvorgabe etwa (bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum grundgesetzlichen Lebensschutz)167 mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) vereinbar.168 Es ist auch keine Verletzung des Grundsatzes der Bundestreue zu verzeichnen.169 Zudem verstößt jene Staatszielbestimmung nicht gegen höherrangiges Recht. Zwar steht hinter ihr letztlich wohl eine Missbilligung der strafrechtlichen Sanktionierung (§ 218 StGB), doch ist der Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 BbgVerf insoweit offen: Seine Schutzkonzeption beschränkt sich nicht auf „umfassende Aufklärung, kostenlose Beratung und soziale Hilfe“.170 Zwischen § 218 StGB und jener Zielvorgabe besteht daher kein Widerspruch.171

II. Bereich Bildung und Kultur

1. Bildung Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf, demzufolge jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das „Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung“ hat, verfügt über aktuelle normative Bedeutung. Diese Staatszielbestimmung „Erziehung und Ausbildung“ ist kompetenzgemäß zustande gekommen. Es handelt sich um eine Konkretisierung des grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzips,172 die nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zu___________ 167

s. zuletzt BVerfGE 88, 203 ff. Ebenso wenig widerspricht Art. 8 Abs. 2 BbgVerf der allgemeinen Handlungsfreiheit i. S. des Art. 2 Abs. 1 GG: Die Verpflichtung zum Schutz des ungeborenen Lebens negiert das Selbstbestimmungsrecht der werdenden Mutter nicht. 169 Anders zu beurteilen wäre dies allerdings dann, wenn der Landesverfassunggeber seine Verfassungshoheit im Fall des Art. 8 Abs. 2 BbgVerf missbraucht hätte, wenn er diese Zielvorgabe also nur deshalb in der Verfassung verankert hätte, weil er die entsprechende Regelung auf Bundesebene als nicht durchsetzbar erachtete. – Ausführlicher zu den Voraussetzungen einer solchen Verletzung der Loyalitätspflicht gegenüber dem Bund unten sub B. V. 4. a) bb). 170 Durch die Aufzählung dieser exemplarischen Maßnahmen („insbesondere“) sind strafrechtliche Sanktionen jedenfalls nicht ausgeschlossen. 171 Ebenso Sachs, LKV 1993, S. 241 (245); ders., in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 5 Rn. 31; Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 477. 172 Anders wäre dies wohl dann, wenn sich die Staatszielbestimmung „Bildung“ lediglich auf eine bestimmte Personengruppe bezöge. Dies ist aber nicht der Fall: Art. 11 168

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lässig ist.173 Zu den wesentlichen Inhalten jenes Prinzips gehört es u.a., jedem ohne Rücksicht auf seine Herkunft und wirtschaftliche Lage die Voraussetzungen für die Chance auf eine solche Erziehung und Ausbildung zu sichern, die seiner Begabung entspricht. Auch aus Sicht von Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes bestehen gegen jene landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe keine Bedenken174 ( – und zwar selbst dann nicht, wenn dem Grundgesetz ein Recht auf Bildung als Teilhaberecht zu entnehmen wäre).175 In Anbetracht des allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts kollidiert Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf zudem nicht mit höherrangigem Recht wie etwa Artt. 13, 14 IPwskR.176 Gleiches gilt für das „Recht auf Bildung“ i. S. des Art. 29 Abs. 1 BbgVerf. Die Unterschiede in der Formulierung der beiden Zielvorgaben bleiben insoweit ohne Auswirkungen.177

2. Schulen sowie „Berufliche Ausbildungssysteme“ Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf, der das Land und die Träger der kommunalen Selbstverwaltung zur Förderung von Schulen verpflichtet, hat ebenfalls aktuelle normative Bedeutung. Es handelt sich auch bei dieser Staatszielbestimmung um ___________ Abs. 1 BaWüVerf ist insoweit neutral gefasst; vgl. Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 15 Rn. 7 (mit Blick auf Art. 15 ThürVerf). – In einer Beschränkung auf deutsche Staatsangehörige läge kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 bzw. Abs. 3 GG: Die Staatsangehörigkeit ist ein zulässiges Differenzierungskriterium. 173 s. oben unter B. I. 2. a) aa) (1). 174 Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf verletzt weder Art. 6 Abs. 2 GG (Elternrecht) noch Art. 12 GG (Berufsfreiheit) oder Art. 3 Abs. 1 GG (allgemeiner Gleichheitssatz), da in ihm lediglich allgemein von einem „Recht auf Erziehung und Ausbildung“ die Rede ist. 175 Für ein durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistetes „Recht auf Bildung“ BVerwGE 47, 201 (206); ebenso Pieroth, DVBl. 1994, S. 949 (957); ähnlich Jarass, DÖV 1995, S. 674 (675 ff.): aus Art. 7 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG. Vgl. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 185 (193): Aus Art. 7 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip ergebe sich ein subjektives öffentliches Recht des Einzelnen auf Gewährung der Leistungen, die ihn „betreffen“. Vgl. Abelein, DÖV 1967, S. 375 (376), demzufolge aus der grundgesetzimmanenten Wechselbeziehung zwischen Artt. 6 Abs. 2 GG und 7 Abs. 1 GG ein positives (Leistungs-)Recht der Eltern folgt, vom Staat die Bereitstellung geeigneter Erziehungseinrichtungen für ihre Kinder zu verlangen. Zum Ganzen Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rn. 114 m.w.N. 176 IPwskR v. 16.12.1966, in Kraft getreten am 3.1.1976; die Bundesrepublik Deutschland ist seit 1973 Vetragspartei (BGBl. II, S. 1570). – Im Einzelnen zu den materiellen Rechtsverbürgungen des IPwskR und der Art ihrer Erfüllung Simma, FS Lerche, S. 83 (85 ff.). 177 In Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf ist die Rede von jedem jungem Menschen und von „Erziehung und Ausbildung“, Art. 29 Abs. 1 BbgVerf begnügt sich demgegenüber mit „Bildung“ und „jeder“.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

eine nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zulässige178 Konkretisierung des Art. 20 Abs. 1 GG: Aus dem Sozialstaatsprinzip lässt sich die Verpflichtung herleiten, für die Schaffung und Unterhaltung von Bildungseinrichtungen zu sorgen,179 und dies gilt umso mehr, als die Ausbildung primär unter staatlicher Regie verläuft.180 Bedenken gegen jene Zielvorgabe bestehen ebenso wenig aus Sicht von Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes.181 Auch verstößt Art. 30 Abs. 5 BbgVerf nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere ist diese Staatszielbestimmung „Förderung von Schulen“ mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) vereinbar. Den Gemeinden steht zwar grundsätzlich auch das Recht der Schulträgerschaft zu, soweit diese mit den staatlicherseits festgelegten Zielen für die Ausgestaltung des Schulwesens vereinbar ist.182 Anders gewendet: Der Staat darf die Schulträgerschaft lediglich ausnahmsweise selbst regeln.183 Art. 30 Abs. 5 BbgVerf kann aber verfassungskonform ausgelegt werden.184 Auch die Staatszielbestimmung „Förderung beruflicher Ausbildungssysteme“ (Art. 29 Abs. 2 BbgVerf) hat aktuelle normative Bedeutung. Wiederum handelt es sich um eine zulässige Konkretisierung des Art. 20 Abs. 1 GG:185 Aus dem Sozialstaatsprinzip lässt sich die Verpflichtung herleiten, für die Schaffung und Unterhaltung von Bildungseinrichtungen zu sorgen.186 Auch ist kein Widerspruch zwischen jener Zielvorgabe und Art. 1 Abs. 3 i.V.m. den Grundrechten ___________ 178

s. oben unter B. I. 2. a) aa) (1). Vgl. Stiens, Chancen, S. 254; Abelein, DÖV 1967, S. 375 (378). 180 Zentrale Bildungseinrichtungen wie die Schulen und Hochschulen liegen zum weit überwiegenden Teil in staatlicher Hand, bzw. sie stehen zumindest unter staatlicher Aufsicht. Dazu Dietlein, Grundrechte, S. 150; Richter, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 119 (122). 181 Beachtung verdient insoweit insbesondere Art. 7 GG, da er die Grundzüge des gesamten Schulwesens festschreibt. So statuiert etwa Art. 7 Abs. 4 GG das Recht zur Errichtung von Schulen in freier Trägerschaft. Dem steht Art. 30 Abs. 5 BbgVerf nicht entgegen, vgl. Art. 30 Abs. 6 BbgVerf: „Das Recht zur Errichtung von Schulen in freier Trägerschaft wird nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 4 GG gewährleistet. Die Träger haben Anspruch auf einen öffentlichen Finanzierungszuschuss“. 182 s. BVerwGE 67, 321 LS 1. – Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gewährleistet den Gemeinden nicht nur den Kernbereich eigener Aufgaben, sondern schützt sie auch vor sachlich nicht gerechtfertigtem Aufgabenentzug. 183 s. (für den Bereich des öffentlichen Volksschulwesens) BVerfGE 26, 228 (239). – Es kann etwa an der Größe oder an der Leistungsfähigkeit einer Gemeinde scheitern, dass diese selbst eine Schule unterhält. 184 Ebenso Kanther, Landesverfassungen, S. 184. 185 Vgl. oben unter B. I. 2. a) aa) (1). – Zum wesentlichen Inhalt des Sozialstaatsprinzips des Grundgesetzes gehört es, jedem die Voraussetzungen für die Chance auf eine seiner Begabung entsprechende Ausbildung zu sichern; dazu oben unter B. II. 1. 186 Dazu soeben unter B. II. 2. 179

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des Grundgesetzes zu konstatieren.187 Ebenso wenig steht eine Kollision mit höherrangigem Recht zu befürchten. Art. 29 Abs. 2 BbgVerf ist allgemein gehalten und auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesen.

3. Erwachsenen- bzw. Weiterbildung Die „Förderung der Erwachsenenbildung“ nach Art. 22 BaWüVerf verfügt ebenfalls über aktuelle normative Bedeutung. Diese Staatszielbestimmung ist zum einen kompetenzgemäß zustande gekommen. Insbesondere bestehen keine Bedenken sub specie Art. 28 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip), da die Weiterbildung nicht lediglich ein kulturstaatliches, sondern auch und gerade ein sozialstaatliches Anliegen ist. Zum anderen verstößt Art. 22 BaWüVerf nicht gegen höherrangiges Recht. Eine Normenkollision mit gemeinschafts- oder bundesrechtlichen Regelungen ist ausgeschlossen, da sein Regelungsgehalt allgemein gehalten und auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesen ist. Nicht anders zu bewerten ist die brandenburgische Parallelvorgabe, Art. 33 Abs. 1 S. 1 BbgVerf. Diese spricht zwar von „Weiterbildung von Erwachsenen“, nicht von „Erwachsenenbildung“. Dies trägt jedoch keine unterschiedliche Bewertung.

4. Förderung bestimmter Personengruppen beim Zugang zu Bildungseinrichtungen Art. 29 Abs. 3 S. 2 BbgVerf, demzufolge Begabte, sozial Benachteiligte und Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen besonders zu fördern sind, hat ebenfalls aktuelle normative Bedeutung. Weder bestehen Bedenken, dass diese Staatszielbestimmung wirksam zustande gekommen ist,188 noch ist eine Kollision zwischen höherrangigem Recht und ___________ 187 Die Förderung beruflicher Ausbildungssysteme nach Art. 29 Abs. 2 BbgVerf steht weder dem von Art. 6 Abs. 2 GG gewährleisteten Elternrecht entgegen noch der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) oder dem allgemeinen Gleichheitssatz i. S. des Art. 3 Abs. 1 GG. – Art. 12 Abs. 1 GG ist ein einheitlicher Schutzbereich für die Berufswahl und die Wahl der Ausbildungsstätte zu entnehmen, und der Schutz der freien Ausbildungsstättenwahl erstreckt sich auf alle im Rahmen der Ausbildung notwendigen Tätigkeiten. Dazu Manssen, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 12 Rn. 2 f. 188 Insbesondere bestehen gegen sie keine Bedenken sub specie Art. 28 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip). Die Förderung von sozial Benachteiligten und von Menschen mit Behinderungen ist eine Ausprägung des Sozialstaatsprinzips i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG. Gleiches gilt hinsichtlich der Begabtenförderung, s. Stett-

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

dem allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Art. 29 Abs. 3 S. 2 BbgVerf zu verzeichnen.

5. Kultur, kulturelles Leben sowie Kunst Über aktuelle normative Bedeutung verfügt auch die Zielvorgabe „Schutz der Kultur“ i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf. Diese Staatszielbestimmung, die Brandenburg als einen Kulturstaat ausweist, ist weder ultra vires ergangen, noch verstößt sie als allgemein gehaltene, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesene Zielvorgabe gegen höherrangiges Recht. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich auch bei der Bundesrepublik Deutschland um einen Kulturstaat handelt,189 ist eine solche Normenkollision ausgeschlossen. Ebenfalls aktuelle normative Bedeutung hat die Förderung des kulturellen Lebens i. S. des Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf. Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Zielvorgabe bestehen auch nicht sub specie Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 GG. Zwar verpflichtet sie den Staat zu Fördermaßnahmen in einem Bereich, in dem sich die Bürger (geschützt etwa durch die Kunstfreiheit) grundsätzlich frei entfalten sollen und können. Sie ist aber gleichwohl nicht grundrechtswidrig, da sie explizit den Vorbehalt enthält, die Autonomie der Träger zu wahren. Ebenso wenig kollidiert Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf mit höherrangigem Recht. Gleiches gilt für die Staatszielbestimmung „Förderung des kulturellen Lebens und Vermittlung des kulturellen Erbes“ i. S. des Art. 34 Abs. 2 S. 1 BbgVerf. Sie schließt zwar ausdrücklich die Förderung der Vermittlung des kultu-

___________ ner, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 128 Rn. 23 (mit Blick auf Art. 128 Abs. 2 BayVerf als Parallelvorgabe). 189 Dazu BVerfGE 35, 79 (114); 36, 321 (331); 81, 108 (116); grundlegend Häberle, in: ders., Kulturstaatlichkeit, S. 1 ff. – Vgl. Art. 35 EVertr. v. 31.8.1990 (BGBl. II, S. 889), der den Übergang der Erfüllung kultureller Aufgaben in die Trägerschaft der Länder und Gemeinden regelt (womit erstmals eine Art Kulturstaatsklausel auf Bundesebene zu verzeichnen ist; dazu Häberle, JöR 43 [1995], S. 355 [414 f.]). Art. 35 Abs. 1 S. 2 EVertr. lautet: „Sie (sc. Kunst und Kultur) leisten im Prozess der staatlichen Einheit der Deutschen auf dem Weg der europäischen Einigung einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag“. Abs. 3 lautet: „Die Erfüllung der kulturellen Aufgaben einschließlich ihrer Finanzierung ist zu sichern, wobei Schutz und Förderung von Kultur und Kunst den neuen Ländern und Kommunen entsprechend der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes obliegen“. – Zum Kulturauftrag des Bundes Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 46 (63 ff.); Steiner, VVDStRL 42 (1984), S. 7 (12 ff.); zum Kulturstaat bereits E. R. Huber, in: Häberle, Kulturstaatlichkeit, S. 122 (125 ff.); Krüger, Staatslehre, S. 806 ff.

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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rellen Erbes ein. Daraus resultieren aber keine Unterschiede hinsichtlich der normativen Bedeutung der beiden Staatszielbestimmungen.190 Die Zielvorgabe „Förderung der Kunst“ (Art. 34 Abs. 1 S. 2 BbgVerf) verfügt ebenfalls über aktuelle normative Bedeutung. Prima facie bestehen zwar Bedenken gegen ihre Vereinbarkeit mit Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes, da sie den Staat zu Fördermaßnahmen in einem Bereich der (etwa durch die Kunstfreiheit geschützten) freien Entfaltung der Bürger verpflichtet. Sie ist jedoch nicht zwingend als Etablierung einer Staatskunst zu verstehen.191 Folglich ist diese Staatszielbestimmung ebenso wenig bundesgrundrechtswidrig wie jene „Förderung des kulturellen Lebens und Vermittlung des kulturellen Erbes“.192 In Anbetracht ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts ist auch keine Kollision mit höherrangigem Recht zu verzeichnen.193

6. Denkmalschutz Aktuelle normative Bedeutung hat auch Art. 62 S. 1 HessVerf, demzufolge „die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und Kultur“ den Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden genießen. Diese Staatszielbestimmung ist wirksam zustande gekommen, und in Anbetracht ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts verstößt sie nicht gegen höherrangiges Recht. Nichts anderes gilt für Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf. Neben Denkmälern der Kunst und Geschichte stellt diese Zielvorgabe zwar auch die „Denkmale der Natur“ unter Schutz, während sie die Kulturdenkmäler unerwähnt lässt. Daraus resultiert jedoch keine divergierende normative Bedeutung. Im Fall von Art. 34 Abs. 2 S. 2 und Art. 40 Abs. 4 S. 2 BbgVerf ist keine andere Bewertung angezeigt. Diese Staatszielbestimmungen sind weder ultra vires ergangen, noch haben sie lediglich virtuelle normative Bedeutung. Nichts ande___________ 190 Zudem ist auch im Falle des Art. 34 Abs. 2 S. 1 BbgVerf der Trägerpluralismus gewahrt. Dies bringt die Formulierung „das kulturelle Leben in seiner Vielfalt [Hervorhebung des Verf.]“ zum Ausdruck. 191 Angesichts der Formulierung dieses Förderauftrags (ansonsten stellt die brandenburgische Verfassung auf die Förderungswürdigkeit bestimmter Rechtsgüter ab [etwa Art. 35 S. 1 BbgVerf] oder allgemein auf eine „Förderverpflichtung des Staates“ [etwa Art. 29 Abs. 2 BbgVerf]) liegt freilich die Assoziation nahe, dass der Künstler weniger als Träger der Kunstfreiheit denn als unterstützungsbedürftiger Sozialfall angesprochen ist. Krit. auch Sachs, LKV 1993, S. 241 (246). 192 Zu deren normativer Bedeutung soeben unter B. II. 5. 193 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass diese Staatszielbestimmung „insbesondere durch Unterstützung der Künstler“ verwirklicht werden soll.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

res ergibt sich daraus, dass Art. 34 Abs. 2 S. 2 BbgVerf – im Unterschied zur hessischen bzw. baden-württembergischen Vorgabe – auch „Kunstwerke“ unter Schutz stellt.

7. Sport Art. 62 a HessVerf, wonach der Sport den Schutz und die Pflege des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbände genießt, verfügt gleichfalls über aktuelle normative Bedeutung. Diese Zielvorgabe ist nicht nur kompetenzgemäß zustande gekommen, sondern sie kollidiert aufgrund ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts auch nicht mit höherrangigem Recht. Ebenso aktuelle normative Bedeutung hat Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf, der Staat und Gemeinden verpflichtet, den Sport zu fördern. Prima facie bestehen zwar Bedenken gegen seine Vereinbarkeit mit Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes, verpflichtet er den Staat doch zu Fördermaßnahmen, obgleich sich die Bürger (geschützt durch die Grundrechte) im betreffenden Bereich grundsätzlich frei entfalten sollen und können. Jene Zielsetzung ist aber nicht grundrechtswidrig: Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf enthält ausdrücklich den Vorbehalt, die Trägerautonomie zu wahren. Gleiches gilt für Art. 35 S. 1 BbgVerf. Auch diese Staatszielbestimmung, die den Sport als förderungswürdigen Teil des Lebens charakterisiert, ist kompetenzgemäß zustande gekommen. Zudem steht wiederum weder eine Normenkollision mit gemeinschaftsrechtlichen noch eine solche mit bundesrechtlichen Vorschriften zu befürchten, zumal der Regelungsgehalt der Zielvorgabe allgemein gehalten und auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesen ist.194

8. Teilnahme am kulturellen Leben sowie Zugang zu Kulturgütern und Natur Aktuelle normative Bedeutung hat schließlich auch Art. 34 Abs. 3 BbgVerf, demzufolge Land, Gemeinden und Gemeindeverbände die Teilnahme am kulturellen Leben unterstützen und den Zugang zu den Kulturgütern ermöglichen. Weder bestehen Bedenken, dass diese Staatszielbestimmung wirksam zustande gekommen ist, noch verstößt sie in Anbetracht ihres allgemein gehaltenen, auf ___________ 194

Vgl. Art. 39 Abs. 1 S. 2 EVertr. v. 31.8.1990 (BGBl. II, S. 889): „Die öffentlichen Hände fördern den Sport ideell und materiell nach der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes“; zur Bundesrepublik Deutschland als „Sportstaat“ Streinz, FS Scholz, S. 356 ff.

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts gegen höherrangiges Recht.195 Keine andere Bewertung ist für Art. 40 Abs. 3 BbgVerf angezeigt, der Land, Gemeinden und Gemeindeverbände verpflichtet, der Allgemeinheit den Zugang zur Natur freizuhalten und ggf. zu eröffnen.

III. Bereich Umweltschutz

1. Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen a) Art. 26 a HessVerf und Art. 3 a BaWüVerf Die in Art. 26 a HessVerf enthaltene Staatszielbestimmung „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ hat ebenfalls aktuelle normative Bedeutung. Sie ist nicht ultra vires ergangen. Insbesondere bestehen keine Bedenken aus Sicht der Homogenitätsanforderungen des Grundgesetzes. Dies gilt unabhängig davon, ob man den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG einordnet,196 oder ob man dies (zu Recht) verneint.197 Ebenso wenig verletzt Art. 26 a HessVerf die Grundrechte des Grundgesetzes. Weder steht diese Zielvorgabe im Widerspruch zur Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG,198 noch verlangt sie mehr als das, ___________ 195

Eine Kollision des Art. 34 Abs. 3 BbgVerf mit Bundesrecht kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei der Bundesrepublik Deutschland, wie soeben erläutert, um einen Kulturstaat handelt. Für die neuen Länder ist insoweit auch die kulturelle status-quo-Substanzgarantie des Art. 35 Abs. 2 EVertr. v. 31.8.1990 (BGBl. II, S. 889) von Bedeutung, die mit der Kraft von Bundesrecht bestimmt: „Die kulturelle Substanz in dem in Art. 3 genannten Gebiet [gemeint sind die neuen Länder, Anm. des Verf.] darf keinen Schaden nehmen“. Dazu Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (415). 196 Dazu Stern, Staatsrecht I, S. 908 f.; Hoppe u.a., Umweltrecht, § 4 Rn. 90 ff.; Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (54) m.w.N. 197 Die besseren Argumente sprechen dafür, dem Sozialstaatsprinzip keine Verpflichtung des Staates zu entnehmen, aktiv Umweltschutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine ökologische Krise zu verhindern und dadurch ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen: Das Sozialstaatsprinzip ist primär auf die Stellung des Einzelnen innerhalb des Gemeinwesens bezogen. Ebenso Dietlein, Grundrechte, S. 118; Kloepfer, DVBl. 1988, S. 305 (308 f.); beide m.w.N. 198 Die Eigentumsgarantie kann im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) auch zum Zweck des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen beschränkt werden. Bei der entsprechenden Abwägung zwischen den Privatinteressen des Eigentümers und der Sozialbindung des Eigentums ist zu bedenken, dass im Falle umweltbeeinträchtigender Aktivitäten regelmäßig ein ausgeprägter sozialer Bezug vorliegt, und dass dieser besonders weitreichende Bindungen rechtfertigt. – Dem Eigentümer ist keineswegs jede mögliche, wirtschaftlich vernünftige oder besonders vorteilhafte Nutzung etwa seines Grundeigentums garantiert; dazu bereits BVerfGE 58, 300 (328 ff.) – Nassauskiesung.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

was als Beschränkung der Forschungsfreiheit i. S. des Art. 5 Abs. 3 GG zulässig wäre.199 Jene landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung kollidiert auch nicht mit höherrangigem Recht. Insbesondere bestehen gegen sie keine Bedenken sub specie Art. 20 a GG. Zwar ist in ihr vom Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in explizit anthropozentrischer Ausrichtung („Lebensgrundlagen des Menschen“ [Hervorhebung des Verf.])200 die Rede, während Art. 20 a GG nicht rein anthropozentrisch orientiert ist,201 eine ökozentrische Ausrichtung also nicht ausschließt.202 Nach dieser grundgesetzlichen Vorgabe sind die natürlichen Lebensgrundlagen nicht ausschließlich um des Menschen willen, sondern eben auch um ihrer selbst willen zu schützen.203 Art. 26 a HessVerf kann insoweit aber bundeszielkonform ausgelegt werden. Er schließt den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch um ihrer selbst willen nicht zwingend aus: Eine intakte Natur ist unerlässliche Bedingung menschlichen Lebens, und da in Bezug auf die Lebensgrundlagen des Menschen jedes vermeidbare Risiko ausgeschlossen werden muss, ist im Zweifel die gesamte Natur zu erhalten.204 Ein Widerspruch zwischen Art. 20 a GG und Art. 26 a HessVerf besteht auch nicht insoweit, als Art. 20 a GG die Adressaten der Verpflichtung differenzierend unter dem Blickwinkel der verschiedenen Staatsgewalten erfasst. Der deklaratorische Passus, dass Exekutive und Judikative „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“ die Umwelt schützen,205 ändert nichts an der unmittelbaren Geltung der Staats___________ 199

Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistet die Forschungsfreiheit zwar ohne ausdrücklichen Vorbehalt. Als verfassungsimmanente Schranke fungiert aber u.a. die Wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen i. S. des Art. 20 a GG. 200 s. Stiens, Chancen, S. 295; Berg, FS Stern, S. 421 (431 f.); vgl. Meyer-Teschendorf, ZRP 1994, S. 73 (77). 201 So aber die wohl h.M.; statt vieler Meyer-Teschendorf, ZRP 1994, S. 73 (77); Brohm, JZ 1994, S. 213 (219); Rohn/Sannwald, ZRP 1994, S. 65 (71). 202 Dies findet eine Stütze nicht zuletzt im Wortlaut des Art. 20 a GG („auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“). – Eine eher ökozentrische Orientierung betrachtet den Schutz der Umwelt weniger als Aufgabe um des Menschen willen denn als solche um der Natur willen. 203 s. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20 a Rn. 22 ff. 204 Ein umfassender Ressourcen- und Ökosystemschutz ist folglich Schutzauftrag auch des (eher) anthropozentrisch ausgerichteten Art. 26 a HessVerf, vgl. Kahl, ZRP 1991, S. 9 (11). 205 s. Meyer-Teschendorf, ZRP 1994, S. 73 (78): streng juristisch gesehen „entbehrlich“; Uhle, DÖV 1993, S. 947 (952): „rein deklaratorischer Natur“. Krit. Knies, in: Merten/Schreckenberger, Kodifikation, S. 221 (243): Wo sich das Selbstverständliche nicht mehr von selbst verstehe, werde die Verfassung unvermeidbar zum Gefäß verfassungsrechtlicher Banalitäten. – Der (verfassungspolitische) Hintergrund der ausdrücklichen Betonung der Gesetzesbindung von Exekutive und Judikative war die Sorge vor deren „interpretatorischen Eifertum“ und „exzessivem Kompetenzgebrauch“ (MeyerTeschendorf, ZRP 1994, S. 73 [78]), weshalb man darauf bedacht war, die Prärogative des Parlaments auf dem Feld der Umweltpolitik zu sichern. Das insoweit zum Ausdruck

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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zielbestimmung für alle drei Staatsgewalten.206 In Anbetracht des allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts des Art. 26 a HessVerf steht schließlich auch keine Kollision mit anderen Normen höherrangigen Rechts zu befürchten. Gleiches gilt für Art. 3 a BaWüVerf als baden-württembergische Parallelvorgabe. Auch sie ist kompetenzgemäß zustande gekommen und hat mehr als lediglich virtuelle normative Bedeutung.207

b) Art. 39 Abs. 1 BbgVerf208 Art. 39 Abs. 1 BbgVerf, der zum Schutz der Natur und der Umwelt verpflichtet, verfügt gleichfalls über aktuelle normative Bedeutung. Diese Staatszielbestimmung ist kompetenzgemäß zustande gekommen. Bedenken bestehen auch nicht etwa aus Sicht von Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes. Insbesondere kann keine Grundrechtswidrigkeit daraus hergeleitet werden, dass es gem. Art. 39 Abs. 1 BbgVerf (auch) die Pflicht des Bürgers ist, nach seinen Kräften zur Pflege und zum Schutz der Umwelt beizutragen. Diese Bürgerpflicht hat zwar nicht lediglich symbolische Bedeutung,209 da umgekehrt auch die Verpflichtung des Landes nicht lediglich als unverbindlicher Programmsatz aufgefasst wird. Das Grundgesetz gewährleistet die Grundrechte jedoch nicht unbeschränkt; von legitimen Zwecken getragene Eingriffe sind zulässig. Ebenso wenig wie Art. 26 a HessVerf als Parallelvorgabe widerspricht der allgemein gehaltene, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesene Art. 39 Abs. 1 BbgVerf höherrangigem Recht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 20 a GG vor. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass in Art. 39 Abs. 1 BbgVerf (anders als in Art. 26 a HessVerf und Art. 3 a BaWüVerf) vom Schutz der Natur und der Umwelt die Rede ist, während das Schutzgut mit „natürliche Le___________ kommende Misstrauen gegenüber Exekutive und Judikative wird vereinzelt indes als ungerechtfertigt erachtet, s. etwa H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (499). 206 s. Tettinger, NuR 1997, S. 1 (6); H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (499). Dazu auch bereits 2. Kap. unter A. III. 2. 207 Diese Staatszielbestimmung stimmt wortgleich mit Art. 20 a GG überein. Eine Kollision des Art. 3 a BaWüVerf mit Bundesrecht kommt schon deshalb nicht in Betracht. 208 Mit Blick auf die in der Präambel der brandenburgischen Verfassung enthaltene Verpflichtung, „Natur und Umwelt zu bewahren und zu schützen“, bestehen ebenso wenig Besonderheiten wie hinsichtlich Art. 2 Abs. 1 BbgVerf, soweit er Brandenburg als ein „dem Schutz der natürlichen Umwelt [...] verpflichtetes“ Land bezeichnet. 209 So aber mit Blick auf Art. 141 Abs. 1 S. 1 BayVerf als bayerische Parallelvorgabe Meder, BayVerf, Art. 141 Rn. 1 a.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

bensgrundlagen“ in Art. 20 a GG allgemeinere Umschreibung gefunden hat: Art. 39 Abs. 1 BbgVerf kann bundeszielkonform dahingehend ausgelegt werden, dass kein Unterschied bzgl. der einzelnen Umweltmedien besteht. Ebenso wenig widerspricht es Art. 20 a GG, dass Art. 39 Abs. 1 BbgVerf die Umweltmedien „als Grundlage gegenwärtigen und künftigen Lebens“ unter Schutz stellt.210 Die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung ist damit zwar nicht auf einen anthropozentrischen Ansatz festgelegt,211 kann aber zumindest auch anthropozentrisch ausgelegt werden.212 Das Gleiche gilt, wie gesagt,213 für Art. 20 a GG. Mit dieser Zielvorgabe steht Art. 39 Abs. 1 BbgVerf schließlich auch insoweit in Einklang, als er es zur Pflicht des Bürgers erklärt, nach Kräften zu Pflege und Schutz der Umwelt beizutragen.214 Art. 20 a GG enthält zwar keine solche jedermann auferlegte Grundpflicht. Seine einfachgesetzliche Konkretisierung ist aber ebenfalls nicht gänzlich ohne Bürger-Verhaltenspflichten möglich: Ohne Aktivitäten des Einzelnen ließe sich auch der Schutzauftrag des Art. 20 a GG nicht verwirklichen.215

2. Landschaftsschutz sowie Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebiete Ebenfalls aktuelle normative Bedeutung hat Art. 62 S. 1 HessVerf, soweit er (neben den Denkmälern)216 die Landschaft unter den „Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden“ stellt. Weder bestehen Bedenken, dass diese Zielvorgabe kompetenzgemäß zustande gekommen ist, noch verstößt sie gegen höherrangiges Recht. So ist etwa eine Kollision mit Normen des Bundesrechts un___________ 210 Gem. Art. 20 a GG schützt der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen hingegen „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“. 211 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 50 f.; Wedemeyer, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 37 (41). – Art. 26 a HessVerf ist demgegenüber explizit anthropozentrisch ausgerichtet; dazu oben unter B. III. 1. a). 212 Ein ökozentrischer Naturschutz erfüllt zugleich die Lebensinteressen künftiger Generationen, ist daher also notwendig auch anthropozentrisch angelegt; ebenso v. Zezschwitz, in: Zinn/Stein, HessVerf, Art. 26 a Rn. 33. 213 Dazu oben unter B. III. 1. a). 214 Art. 39 Abs. 1 BbgVerf ist insoweit als Grundpflicht einzuordnen, s. D. Franke/ Kneifel-Haverkamp, JöR 42 (1994), S. 111 (119); Sachs, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 5 Rn. 2. 215 Ein Widerspruch zwischen beiden Staatszielbestimmungen besteht auch nicht insofern, als Exekutive und Judikative die Umwelt nach Art. 20 a GG lediglich „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“ schützen. Bei diesem Passus handelt es sich um einen deklaratorischen Verweis auf die unmittelbare Geltung der Staatszielbestimmung für alle drei Staatsgewalten; dazu oben unter B. III. 1. a). 216 Zur aktuellen normativen Bedeutung des Art. 62 S. 1 HessVerf als Staatszielbestimmung Denkmalschutz oben unter B. II. 6.

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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ter Berücksichtigung der bundesrechtlichen Verpflichtung, die Landschaft zu schützen,217 und in Anbetracht des allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts jener Staatszielbestimmung ausgeschlossen. Gleiches gilt für Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf, der (neben dem Denkmalschutz)218 eine nahezu wortgleiche Staatszielbestimmung enthält. Eine andere Bewertung ist auch nicht bei Art. 39 Abs. 1 BbgVerf angezeigt. Im Unterschied zur hessischen und baden-württembergischen Parallelvorgabe stellt diese Vorschrift zwar nicht die „Landschaft“ unter Schutz, sondern sie bestimmt, dass der Schutz „der gewachsenen Kulturlandschaft“ (neben dem Schutz der Natur und Umwelt)219 eine „Pflicht des Landes und aller Menschen“ ist. Daraus resultiert aber weder die Unwirksamkeit des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf noch eine lediglich virtuelle normative Bedeutung.220 Auch Art. 40 Abs. 4 S. 1 BbgVerf, demzufolge die Einrichtung und Erhaltung von Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebieten zu fördern sind, verfügt über aktuelle normative Bedeutung. Die Zielvorgabe ist nicht ultra vires ergangen, und aufgrund ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts kommt keine Kollision mit höherrangigem Recht in Betracht.

3. Tier-, Pflanzen- und Artenschutz Die Zielvorgabe „Tierschutz“ i. S. des Art. 3 b BaWüVerf hat ebenfalls aktuelle normative Bedeutung. Sie ist zum einen kompetenzgemäß zustande gekommen; insbesondere liegt in dieser Staatszielbestimmung kein Verstoß gegen

___________ 217 Nach § 1 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193) zählen der Schutz und die Pflege der (freien wie auch der besiedelten) Landschaft aufgrund ihres eigenen Wertes wie auch als Lebensgrundlage des Menschen zu den Zielen des Naturschutzes. – Diese Pflicht findet weiteren Ausdruck in den Vorschriften über die Landschaftsplanung (s. etwa §§ 13 ff. BNatSchG), im Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB i.d.F. der Bek. v. 23.9.2004 (BGBl. I, S. 2414) – in dessen Rahmen sind gem. § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB u.a. die Belange der Landschaftspflege zu berücksichtigen –, in § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB mit Blick auf das Bauen im Außenbereich sowie in den Vorschriften des Raumordnungsgesetzes v. 22.12.2008 (BGBl. I, S. 2986). 218 Zur aktuellen normativen Bedeutung des Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf als Staatszielbestimmung „Denkmalschutz“ oben unter B. II. 6. 219 Zur aktuellen normativen Bedeutung des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf mit Blick auf diese Umweltmedien oben unter B. III. 1. b). 220 Für die Grundpflicht kann insoweit auf die Ausführungen unter B. III. 1. b) verwiesen werden.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

die Grundrechte des Grundgesetzes.221 Zum anderen steht sie im Einklang mit höherrangigem Recht. Unter Berücksichtigung der bundes(verfassungs)rechtlich bestehenden Verpflichtungen, die Tiere zu schützen,222 ist eine Normenkollision ausgeschlossen.223 Gleiches gilt für Art. 39 Abs. 3 BbgVerf. Neben dem „Tier“ ist hier im Unterschied zur baden-württembergischen Zielvorgabe zwar ausdrücklich noch die „Pflanze“ erfasst. Dies hat aber keine divergierende normative Bedeutung zur Folge. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass Art. 39 Abs. 3 S. 2 BbgVerf explizit auch zum Erhalt und Schutz von Art und artgerechtem Lebensraum verpflichtet.

4. Verhinderung, Behebung und Ausgleich von Umweltschäden Schließlich verfügt Art. 39 Abs. 5 S. 1 BbgVerf über aktuelle normative Bedeutung. Diese Staatszielbestimmung, die Land, Gemeinden, Gemeindeverbände und sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts verpflichtet, „die Umwelt vor Schäden oder Belastungen zu bewahren und dafür Sorge zu tragen, dass Umweltschäden beseitigt oder ausgeglichen werden“, ist nicht nur kompetenzgemäß zustande gekommen, sondern sie kollidiert in Anbetracht ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts auch nicht mit höherrangigem Recht.224

___________ 221 Art. 3 b BaWüVerf verlangt nicht mehr als dasjenige, was auch eine zulässige Beschränkung der Forschungsfreiheit i. S. des Art. 5 Abs. 3 GG darstellt. Die Forschungsfreiheit ist dort zwar ohne ausdrücklichen Vorbehalt gewährleistet; als verfassungsimmanente Schranke fungiert aber u.a. der Tierschutz i. S. des Art. 20 a GG. 222 s. Art. 20 a GG und die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes i.d.F. der Bek. v. 25.5.1998 (BGBl. I, S. 1105, ber. S. 1818). 223 Insbesondere widerspricht Art. 3 b BaWüVerf nicht der Staatszielbestimmung „Tierschutz“ i. S. des Art. 20 a GG: Es hat lediglich deklaratorische Bedeutung, dass diese Zielvorgabe ihre Adressaten differenzierend unter dem Blickwinkel der verschiedenen Staatsgewalten erfasst; dazu bereits oben unter B. III. 1. a). 224 Eine Kollision des Art. 39 Abs. 5 S. 1 BbgVerf mit einfachgesetzlichem Bundesrecht kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil § 19 Abs. 1-3 BNatSchG gebietet, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen, unvermeidbare Beeinträchtigungen auszugleichen und unvermeidbare bzw. nicht ausgleichbare Maßnahmen nicht durchzuführen; weitere Schadensausgleichspflichten finden sich in § 2 Abs. 1 Nr. 5 u. 7 BNatSchG. Zu diesen bundesrechtlichen Vorgaben etwa Breuer, in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 5. Kap. Rn. 121 ff.

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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IV. Bereich Wirtschaft und Finanzen

1. Wirtschaftlicher Fortschritt Die im Vorspruch zur baden-württembergischen Verfassung enthaltene „Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts“ hat ebenfalls aktuelle normative Bedeutung. Diese wirtschaftspolitisch akzentuierte Ausprägung des Sozialstaatsprinzips – der Akzent der Zielvorgabe liegt auf dem Wort „aller“, d. h. es geht darum, einen menschenwürdigen Lebensstandard für alle zu erreichen – ist kompetenzgemäß zustande gekommen.225 Bedenken gegen sie bestehen auch nicht unter dem Blickwinkel einer Kollision mit höherrangigem Recht; in Anbetracht ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts ist eine Normenkollision ausgeschlossen.

2. Wettbewerb und Chancengerechtigkeit sowie „Breite Streuung des Eigentums“ Art. 42 Abs. 1 S. 2 BbgVerf, demzufolge das Land Wettbewerb und Chancengerechtigkeit anstrebt, verfügt über aktuelle normative Bedeutung. Auch diese Staatszielbestimmung ist weder ultra vires ergangen, noch verstößt sie in Anbetracht ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts gegen höherrangiges Recht. Ebenfalls aktuelle normative Bedeutung hat die „Förderung der breiten Streuung des Eigentums“ i. S. des Art. 41 Abs. 3 BbgVerf. Insbesondere steht diese Zielvorgabe in Anbetracht ihres allgemein gehaltenen Regelungsgehalts nicht im Widerspruch zu höherrangigem Recht. Eine Normenkollision mit Vorschriften des Bundesrechts ist nicht zuletzt deshalb ausgeschlossen, weil aus Art. 14 Abs. 1 GG u.a. eine Rechtspflicht des Staates zur aktiven Förderung der Vermögensbildung folgt; es besteht eine bundesrechtliche Verpflichtung, ungleiche Verteilungsstrukturen am Produktiveigentum angemessen zu überwinden.226

___________ 225 Aus dem Begriff „Fördern“ ergibt sich zwar nicht zwingend, dass der Staat ausdrücklich auf unterstützende Maßnahmen beschränkt ist, dass er also nicht „im Wege der Staatswirtschaft“ tätig werden darf. Eine ausdrückliche Absage an die Staatswirtschaft ist sub specie der bundesstaatlichen Kollisionsvermeidungsmechanismen aber auch nicht gefordert. – Zur wirtschaftspolitischen Offenheit des Grundgesetzes oben unter B. I. 2. a) aa) (3). 226 s. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 15 ff.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

3. Mittelstandsförderung sowie Förderung des Genossenschaftswesens Über aktuelle normative Bedeutung verfügt zudem Art. 43 Abs. 1 HessVerf, demzufolge „selbstständige Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft, Gewerbe, Handwerk und Handel [...] zu fördern und besonders vor Überlastung und Aufsaugung zu schützen“ sind. Diese (kompetenzgemäß zustande gekommene) Staatszielbestimmung „Mittelstandsförderung“ verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. In Anbetracht ihres auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts und unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Wirtschaftsförderung eine vom Grundgesetz anerkannte Aufgabe (auch) der Länder ist,227 steht eine Normenkollision nicht zu befürchten. Ebenfalls aktuelle normative Bedeutung hat Art. 44 HessVerf, der zur Förderung des Genossenschaftswesens verpflichtet. Diese Zielvorgabe ist nicht ultra vires ergangen, und sie steht im Einklang mit höherrangigem Recht.

4. Regionale Strukturförderung sowie Förderung der Land- und Forstwirtschaft Auch die „regionale Strukturförderung“ i. S. des Art. 44 BbgVerf besitzt aktuelle normative Bedeutung. Diese Verpflichtung ist kompetenzgemäß zustande gekommen und kollidiert nicht mit höherrangigem Recht. Ebenso aktuelle normative Bedeutung hat Art. 43 Abs. 2 BbgVerf, demzufolge das Land „insbesondere den Beitrag der Land- und Forstwirtschaft zur Pflege der Kulturlandschaft, zur Erhaltung des ländlichen Raumes und zum Schutz der natürlichen Umwelt“ fördert. Auch diese kompetenzgemäß zustande gekommene Staatszielbestimmung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.228

___________ 227 s. Art. 104 b Abs. 1 Nr. 3 GG, demzufolge die Länder vom Bund Finanzhilfen zur Förderung des Wirtschaftswachstums erhalten können. Solche Hilfen sind seit der Föderalismusreform 2006 nur noch zulässig, soweit das Grundgesetz dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht; dazu Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 104 b Rn. 31 ff. m.w.N. – Selbstständige Betriebe werden aufgrund von Bundesrecht in vielfältiger Weise gefördert, s. etwa BGBl. I, Fundstellennachweis A in jeweils aktueller Fassung, Gliederungsnummer 707. 228 So ist die land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung etwa nach § 18 Abs. 2 S. 2 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193) in der Regel nicht als Eingriff in Natur und Landschaft anzusehen, sofern sie bestimmten Anforderungen (etwa § 5 Abs. 4 u. 5 BNatSchG) entspricht. Zum Verhältnis von Landwirtschaft und Naturschutz Kloepfer, Umweltschutzrecht, § 12 Rn. 14, 21.

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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5. Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht Schließlich verfügt Art. 101 Abs. 1 BbgVerf, der das Land verpflichtet, bei seiner Haushaltswirtschaft im Rahmen der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gegenwärtiger und künftiger Generationen Rechnung zu tragen, über aktuelle normative Bedeutung. Diese Verpflichtung ist nicht nur kompetenzgemäß zustande gekommen, sondern sie steht auch im Einklang mit höherrangigem Recht. Prima vista lassen sich zwar Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Art. 109 Abs. 2 GG i.V.m. § 1 StabG anmelden, zumal bei der Haushaltswirtschaft (auch) „dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gegenwärtiger und künftiger Generationen Rechnung zu tragen“ ist. Dieser Aspekt zählt nicht zu den Eckpunkten des magischen Vierecks i. S. des § 1 StabG.229 Gleichwohl steht Art. 101 Abs. 1 BbgVerf diesen bundesrechtlichen Regelungen nicht entgegen, da der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Grenze des Wirtschaftswachstums in § 1 StabG einbezogen ist: Das Wachstumsziel muss umweltverträglich ausgestaltet werden, was sich bereits aus Art. 20 a GG ergibt.230 Dies bedeutet allerdings nicht, dass dem Umweltschutz eine Bedeutung zukommt, die mit den anderen Eckwerten gleichrangig wäre. Allerdings lässt sich Art. 101 Abs. 1 BbgVerf bundesrechtskonform auslegen.231 In diesem Sinne erweitert er das magische Viereck nicht um einen Umweltschutz-Eckwert, sondern er ordnet lediglich die Beachtung des Umweltschutzes „im Rahmen der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ an.232 Ebenso wenig widerspricht Art. 101 Abs. 1 BbgVerf anderen höherrangigen Rechtsnormen. Er steht weder Vorgaben des Haushaltsgrundsätzegesetzes233 noch sonstigen haushaltsrechtlichen Bestimmungen entgegen.234 Es besteht auch kein Widerspruch zur Definition der sozialen Marktwirtschaft durch Art. 1 ___________ 229

Das Stabilitätsgesetz konkretisiert den Begriff „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ i. S. des Art. 109 Abs. 2 GG; zu diesem unbestimmten Rechtsbegriff wie auch zum magischen Viereck oben unter B. I. 2. a) bb). 230 Vgl. Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 109 Rn. 27, der daraus den Schluss zieht, dem Wirtschaftswachstum könne (entgegen der hier mit Blick auf die Gleichzeitigkeit i. S. des § 1 StabG vertretenen Auffassung, dazu oben unter B. I. 2. a] bb] [1]) nicht dieselbe Bedeutung beigemessen werden wie den anderen drei Eckwerten des magischen Vierecks. 231 Ebenso Fricke, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 17 Rn. 5; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 61; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 154. 232 Eine Kollision mit Art. 109 GG i.V.m. § 1 StabG wäre zu konstatieren, würde Art. 101 Abs. 1 BbgVerf vorschreiben, dass die ökologischen Belange neben den Eckwerten des „magischen Vierecks“ i. S. des § 1 StabG zu berücksichtigen sind. 233 HGrG v. 19.8.1969 (BGBl. I, S. 1273). 234 Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zählen nach § 7 Abs. 1 BHO vom 19.8.1969 (BGBl. I, S. 1284) zu den klassischen Haushaltsgrundsätze.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Abs. 3 S. 3 WWSU,235 da diese (auch) den Erfordernissen des Umweltschutzes Rechnung trägt.236

V. Bereich Auswärtiges und Verteidigung

1. Frieden Die Staatszielbestimmung „Frieden“ i. S. des Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf hat gleichfalls aktuelle normative Bedeutung. Insbesondere ist es nach dem Grundsatz der Bundestreue nicht unzulässig, dass sich eine Landesverfassung zu auswärtigen Angelegenheiten äußert. Dies ergibt sich bereits aus der Staatsqualität der Länder, die durch die Bezugnahme auf das Völkerrecht hervorgehoben wird. Zudem sieht es das Grundgesetz, demzufolge der Bund umfassend für die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten zuständig ist (Art. 32 Abs. 1 GG), ausdrücklich vor, dass die Länder Verträge mit auswärtigen Staaten abschließen können ( – wenn auch nur unter den [recht restriktiven] Voraussetzungen des Art. 32 Abs. 3 GG).237 Das Friedensgebot i. S. des Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf steht auch mit höherrangigem Recht im Einklang. Diese Staatszielbestimmung weicht in ihrer Formulierung zwar vom Friedensgebot ab, das in der Präambel des Grundgesetzes enthalten ist.238 In bundeszielkonformer Auslegung hat Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf jedoch keinen dieser Parallelvorgabe widersprechenden Inhalt. Bedenken bestehen auch nicht sub specie Art. 32 ___________ 235 Gesetz zu dem Vertrag v. 18.5.1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (BGBl. II, S. 537) v. 25.6.1990 (BGBl. II, S. 518). 236 Dazu, dass die soziale Marktwirtschaft in Art. 1 Abs. 3 u. 4 WWSU (lediglich) als praktizierte Wirtschaftsordnung zum Ausdruck kommt, oben unter B. I. 2 a) aa) (3), Fn. 115. 237 Umstritten ist, ob diese Abschlusskompetenz der Länder konkurrierend neben ein gewissermaßen „übergreifendes“ Vertragsschlussrecht des Bundes tritt (zentralistische Lösung), oder ob sie eine ausschließliche ist mit der Folge, dass dem Bund in Sachbereichen, in denen ihm die Gesetzgebungskompetenz fehlt, auch keine Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge zusteht (föderalistische Auffassung). Dazu Kempen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 32 Rn. 48 ff.; Kunig, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Abschn. 2 Rn. 63. – So oder so, in der Praxis wurde mit der „Verständigung zwischen der Bundesregierung und den Staatskanzleien der Länder über das Vertragsschließungsrecht des Bundes“ (Lindauer Abkommen) v. 14.11.1957 (BT-Drs. 7/5924, S. 236) ein modus vivendi geschaffen, der den Bund etwa im Bereich der Kulturabkommen oder bei Abkommen über die grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit mit ausschließlich kommunalrechtlichem Gehalt u.a. verpflichtet, sich des Einverständnisses der Länder zu versichern, und zwar vor Verbindlichwerden des entsprechenden Vertrags. 238 Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf lautet: „Hessen bekennt sich zu Frieden [...]“. Demgegenüber heißt es in S. 1 der Präambel des Grundgesetzes: „von dem Willen beseelt, [...] dem Frieden der Welt zu dienen“.

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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Abs. 1 GG, wonach der Bund umfassend für die Pflege der auswärtigen Beziehungen zuständig ist; eine landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe „Frieden“ steht Letzterem nicht entgegen.239 In Anbetracht seines allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts und unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 26 GG kollidiert jenes hessische Friedensgebot zudem nicht mit einfachgesetzlichem Bundesrecht. Ebenso wenig steht eine Kollision mit Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zu befürchten.240 Gleiches gilt für die parallelen Staatszielbestimmungen, die sich in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf bzw. im Vorspruch zur baden-württembergischen Verfassung finden. Diese Zielvorgaben sind wie jene hessische Vorschrift kompetenzgemäß zustande gekommen, und sie verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht.241

2. Völkerverständigung, Zusammenarbeit mit anderen Völkern sowie „Eine Welt“ Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf verfügt auch insoweit über aktuelle normative Bedeutung, als sich das Land zur Völkerverständigung bekennt. Insbesondere ist es nach dem Grundsatz der Bundestreue nicht unzulässig, dass sich eine Landesverfassung zu auswärtigen Angelegenheiten äußert.242 Ebenso wenig kollidiert diese landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung mit höherrangigem Recht. In Anbetracht ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts ist eine solche Kollision ausgeschlossen. Ebenfalls aktuelle normative Bedeutung hat die Staatszielbestimmung „Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“ i. S. des Vorspruchs zur baden-württembergischen Verfassung. Diese ist zwar der Zusammenarbeit mit dem Ausland gewidmet, nicht der kommunalen Zusammenarbeit mit den Kommunen in den an Baden-Württemberg angrenzenden Ländern der Bundesrepublik Deutschland.243 Unter dem Gesichtspunkt der Bundestreue ist es aber zulässig, dass sich eine Landesverfassung derart zu auswärtigen Angelegenheiten ___________ 239

Ebenso zu Art. 2 Abs. 1 BbgVerf Kanther, Landesverfassungen, S. 202. Dies gilt nicht zuletzt unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Frieden auch ein Ziel der EU/EG darstellt. Dazu oben unter A. IV. 241 Insbesondere lassen sich diese Zielvorgaben trotz ihrer Formulierung, die vom allgemeinen Friedensgebot der Präambel des Grundgesetzes abweicht (Art. 2 Abs. 1 BbgVerf bezeichnet Brandenburg als „ein [...] dem Frieden [...] verpflichtetes [...] Land“, wohingegen es in S. 1 der Präambel des Grundgesetzes heißt: „von dem Willen beseelt, [...] dem Frieden der Welt zu dienen“), bundeszielkonform auslegen. 242 Dazu oben unter B. V. 1. 243 s. Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Vorspruch Rn. 6. 240

304

5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

äußert.244 Es zählt zu den Mindestbedingungen der Eigenstaatlichkeit, dass die Länder ihre Belange im Verhältnis zu den Grenznachbarn formulieren und in Ansatz bringen können. Jene allgemein gehaltene, auf einfachgesetzliche Konkretisierung angelegte Staatszielbestimmung verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere steht sie nicht im Widerspruch zur Europäischen Integration i. S. der Präambel des Grundgesetzes: Diese zielt allgemein auf ein vereintes Europa, ohne etwas über die Rechtsform dieser Integration zu sagen.245 In Anbetracht des Regelungsgehalts jener landesverfassungsrechtlichen Zielvorgabe und unter Berücksichtigung von Art. 24 Abs. 1 a GG, demzufolge die Länder (unter bestimmten [wenn auch restriktiven] Voraussetzungen) Hoheitsrechte auf grenzüberschreitende Einrichtungen übertragen können,246 sowie vor dem Hintergrund des Umstands, dass sogar die Kommunen bundesrechtlich zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit berechtigt sind,247 ist eine Kollision mit höherrangigen Normen ausgeschlossen. Gleiches gilt für Art. 2 Abs. 1 BbgVerf, der das Land zur Zusammenarbeit mit anderen Völkern verpflichtet. Diese (wiederum kompetenzgemäß zustande gekommene) Staatszielbestimmung kollidiert ebenso wenig mit höherrangigem Recht wie jene baden-württembergische Zielvorgabe. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass Art. 2 Abs. 1 BbgVerf die Zusammenarbeit mit dem polnischen Nachbarn hervorhebt („insbesondere“). Hiergegen bestehen auch sub specie Art. 23 Abs. 1 GG keine Bedenken: Dieser ist auf die EU/EG bzw. den ihr zuzuordnenden Besitzstand beschränkt,248 während Art. 2 Abs. 1 BbgVerf zumin___________ 244

Dazu oben unter B. V. 1. s. Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Präambel Rn. 41. – Dem entspricht es, dass die Länder, soweit sie für die Erfüllung staatlicher Aufgaben zuständig sind, mit Zustimmung der Bundesregierung Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen übertragen können, s. Art. 24 Abs. 1 a GG. 246 Art. 24 Abs. 1 a GG ist „integrationsspezifische lex specialis zu Art. 32 Abs. 1 und 3 GG“ (Calliess, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 83 Rn. 61). – Zur Novellierung des Art. 24 GG durch die Verfassungsänderung v. 21.12.1992 (BGBl. I, S. 2086) Grotefels, DVBl. 1994, S. 785 ff.; zur vorigen Rechtslage Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 151 ff. m.w.N. 247 s. Art. 10 Abs. 3 EKC v. 15.10.1985 (BGBl. 1987 II, S. 65), der durch das Zustimmungsgesetz zur EKC deutsches Gesetzesrecht geworden ist. Die Vorschrift lautet: „Die kommunalen Gebietskörperschaften sind berechtigt, im Rahmen der vorgegebenen Bedingungen mit den kommunalen Gebietskörperschaften anderer Staaten zusammenzuarbeiten“. – Hinzuweisen ist auch auf das „Europäische Rahmenübereinkommen über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften“ v. 21.5.1980, das (neben den anderen Mitgliedstaaten des Europarates) auch von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurde (BGBl. 1981 II, S. 965). In diesem Übereinkommen haben sich die vertragschließenden Staaten auf einen Rahmen verständigt, innerhalb dessen bilaterale oder multilaterale zwischenstaatliche Vereinbarungen zu treffen wären, die dann ihrerseits den Rahmen grenzüberschreitender kommunaler Zusammenarbeit bilden sollen. Zum Ganzen Bauer/Hartwig, NWVBl. 1994, S. 41 ff. 248 s. Classen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 23 Rn. 1, 3. 245

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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dest so ausgelegt werden kann, dass die Zusammenarbeit mit Polen jener Europäischen Integration nicht widerspricht.249 Auch die in der Präambel der brandenburgischen Verfassung enthaltene Vorgabe, das „Bundesland Brandenburg als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland [...] in der Einen Welt zu gestalten“, hat aktuelle normative Bedeutung. Unter dem Gesichtspunkt der Bundestreue bestehen keine Bedenken dagegen, dass eine Landesverfassung sich zur Zusammenarbeit mit dem Ausland äußert.250 Ebenso wenig verstößt die allgemein gehaltene, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesene Zielvorgabe „Eine Welt“ gegen höherrangiges Recht.

3. Europäische Integration sowie Europa der Regionen Die Staatszielbestimmung „Europäische Integration“ i. S. des Vorspruchs zur baden-württembergischen Verfassung verfügt ebenfalls über aktuelle normative Bedeutung. Insbesondere verletzt sie nicht den Grundsatz der Bundestreue. Ein Land, das sich in seiner Verfassung zur Europäischen Integration äußert,251 ist nicht verpflichtet, das Integrationsziel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG wortgleich zu übernehmen.252 Jene landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe kollidiert auch nicht mit höherrangigem Recht. Sie weicht in ihrer Formulierung zwar von der Staatszielbestimmung „Europäische Integration“ i. S. der Präambel des Grundgesetzes ab.253 Diese bundesverfassungsrechtliche Vorgabe zielt jedoch allgemein auf ein vereintes Europa, ohne etwas über dessen Rechtsform zu sagen.254 Ebenso wenig bestehen Bedenken aus Sicht des Art. 23 Abs. 1 GG, der den Prozess der europäischen Einigung an bestimmte strukturelle Verfassungsvor___________ 249

Die Zusammenarbeit des Landes Brandenburg mit Polen hindert die Europäische Integration der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der EU nicht, sondern ist als Ergänzung einzuordnen: Polen ist seit dem 1.5.2004 Mitglied der EU/EG. 250 Insoweit kann nichts anderes gelten als mit Blick auf die Staatszielbestimmung „Zusammenarbeit mit anderen Völkern“ i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf. Dazu oben unter B. V. 2. 251 Zur Zulässigkeit außenpolitischer Äußerungen in der Landesverfassung oben unter B. V. 1. 252 Dies steht nicht zuletzt auch in Einklang damit, dass die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat Mitglied der EU und das Gemeinschaftsrecht „landesblind“ ist. Dazu 1. Kap. unter A. II. 253 Während im Grundgesetz von einem „gleichberechtigten Glied“ die Rede ist, findet sich im Vorspruch zur baden-württembergischen Verfassung die Formulierung „lebendiges Glied“. Zudem enthält die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung (im Gegensatz zu jener Zielvorgabe des Grundgesetzes) Vorgaben für das vereinte Europa: Sein Aufbau muss föderativen Prinzipien und dem Grundsatz der Subsidiarität entsprechen. 254 Dazu bereits oben unter B. V. 2.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

aussetzungen bindet.255 Die landesverfassungsrechtliche „Europäische Integration“ ist dieser Struktursicherungsklausel zwar lediglich partiell nachgebildet; sie wiederholt nicht alles, was Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG an Vorgaben für und Anforderungen an die EU stellt.256 Im Umkehrschluss muss der Vorspruch zur baden-württembergischen Verfassung jedoch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass denjenigen Struktursicherungsvorgaben, die in ihm nicht ausdrücklich genannt sind, keine Bedeutung beizumessen wäre.257 Gleiches gilt für die Staatszielbestimmung „Europäische Integration“ i. S. der Präambel der brandenburgischen Verfassung. Diese Zielvorgabe ist wie jene baden-württembergische weder ultra vires ergangen noch verstößt sie gegen höherrangiges Recht.258 Ebenso hat die im Vorspruch zur baden-württembergischen Verfassung verankerte Staatszielbestimmung „Europa der Regionen“ aktuelle normative Bedeutung. Hinsichtlich des kompetenzgemäßen Zustandekommens ist diese Zielvorgabe, die auf den weiteren Ausbau der Stellung der Regionen im Rahmen der europäischen Einigung (also gewissermaßen auf „Mikrointegration“ der Regionen innerhalb der EU) gerichtet ist,259 trotz (oder gerade wegen) der mit dem europapolitischen Begriff „Region“260 verbundenen Unschärfen nicht anders zu ___________ 255 Zu Bedeutung und Inhalt dieser Struktursicherungsklausel Scholz, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 23 Rn. 54 ff. 256 Die landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe belässt es dabei, dem vereinten Europa einen Aufbau vorzuschreiben, der „föderativen Prinzipien und dem Grundsatz der Subsidiarität entspricht“, wohingegen Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG neben „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität“ auch „einen diesem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz“ fordert. 257 Es ist vielmehr davon auszugehen, dass lediglich die im zeitlichen Umfeld der Verfassungsänderung als besonders hervorhebenswert erachteten Aspekte eigens benannt wurden, um den Vorspruch nicht noch weit mehr zu überfrachten, s. etwa Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Vorspruch Rn. 3; Engelken, VBlBW 1996, S. 121 (125). 258 Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die brandenburgische Staatszielbestimmung „Europäische Integration“ nicht ausdrücklich die Vorgaben und Anforderungen wiederholt, die Art. 23 Abs. 1 GG an bzw. für die EU/EG stellt: Die landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe ist wiederum nicht zwingend dahingehend auszulegen, dass den von ihr nicht genannten Vorgaben des Art. 23 Abs. 1 GG keine Bedeutung beizumessen wäre. 259 s. Begründung des Gesetzentwurfs v. 27.1.1995, LT-Drs. 11/5326, S. 5; Sannwald/Sannwald, BWVP 1995, S. 217 (218). – Ein solches Europa der Regionen bedeutet nicht, dass die Regionen an die Stelle der Staaten treten: Es geht lediglich um die Schaffung wirkungsvollerer Handlungsmöglichkeiten und den Ausbau interregionaler Beziehungen, s. Sannwald/Sannwald, BWVP 1995, S. 217 (218). 260 Er ist nicht etwa i. S. des Landesplanungsrechts zu verstehen, sondern erfasst u.a. das gesamte Land Baden-Württemberg; dazu Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Vorspruch Rn. 4. – Zum Regionalismus als werdendem Strukturelement des

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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bewerten als jene landesverfassungsrechtliche Verpflichtung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.261 In Anbetracht ihres allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts steht sie zudem mit höherrangigem Recht in Einklang. Dies gilt umso mehr unter Berücksichtigung des Umstands, dass mittlerweile die „Regionen“, d. h. alle regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der EU-Mitgliedstaaten, in einem EG-Organ vertreten sind, dem „Ausschuss der Regionen“ (s. Artt. 7 Abs. 2, 263 ff. EG [Art. 13 Abs. 4 EUzF, Artt. 300 Abs. 1, 3 u. 4, 305-307 AEU]).262

4. ABC-Waffen-Freiheit des Landesgebiets Gleichfalls aktuelle normative Bedeutung hat Art. 39 Abs. 9 BbgVerf, demzufolge das Land darauf hinwirkt, dass auf seinem Gebiet keine atomaren, chemischen und biologischen Waffen entwickelt, hergestellt oder gelagert werden. Die Besonderheit besteht darin, dass diese Staatszielbestimmung zum Hinwirken in einem Bereich verpflichtet, der zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zählt („Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung“, Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG).263 Art. 39 Abs. 9 BbgVerf ist daher als „Sonderfall einer Staatszielbestimmung“264 und Politikziel einzuordnen. Unter diese Terminologie fallen nach hier zugrunde gelegtem Ansatz265 namentlich diejenigen landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben, die sich auf Bereiche beziehen, die in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fallen und den Ländern daher von vornherein verschlossen sind.266 Jene Staats___________ Verfassungsstaates und europarechtspolitische Maxime Häberle, AöR 118 (1993), S. 1 ff. 261 Zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit oben unter B. V. 2. 262 Zur Offenheit des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs „Region“ Blanke, in: Grabitz u.a., EUV/EGV III, Art. 263 EGV Rn. 5 ff.; Schefold, FS Zuleeg, S. 288 (291 ff.); beide m.w.N. – Der Vertrag von Lissabon stärkt die Stellung des Ausschusses der Regionen im institutionellen Gefüge: Er gibt ihm ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof etwa für Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips, s. Art. 263 Abs. 3 AEU i.V.m. Art. 8 des Subsidiaritätsprotokolls z.F. 263 Des Weiteren ergibt sich aus Artt. 65 a, 80 a sowie 87 a u. b GG, dass der Bereich der Verteidigung ausschließlich Bundessache sein soll. 264 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 83. 265 Eine allgemein anerkannte Definition für „Politikziel“ gibt es nicht. Vereinzelt wird der Begriff auch – ohne weitere Differenzierung – als Synonym für den Terminus „Staatszielbestimmung“ verwandt (s. etwa Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92, Rn. 134; vgl. Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 [136 f., 138]; Feddersen, DÖV 1992, S. 989 [997]); a.A. Vogelgesang, DÖV 1991, S. 1045 (1051): Politikziele seien Normen, die Regierung und Gesetzgebung vorgeben, in welcher Form ein politisches Ziel zu verwirklichen ist. 266 A.A. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 83, 90, der zu den Politikzielen alle Zielvorgaben rechnet, für deren Umsetzung die Länder aktuell über keine Gesetzge-

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

zielbestimmung ist gleichwohl kompetenzgemäß zustande gekommen, und sie kollidiert nicht mit höherrangigem Recht.

a) Wirksamkeit aa) Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten Die Politikziele sind, ebenso wie auch die anderen Staatszielbestimmungen, an den Grundsätzen zu messen, die die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG vorgibt: Eine Verfassungsnorm, die das Land verpflichtet, auf eine bestimmte Regelung hinzuwirken, kann den Mindestanforderungen an die Homogenität im Bundesstaat des Grundgesetzes nicht entzogen sein. Gegen diese Anforderungen verstößt Art. 39 Abs. 9 BbgVerf nicht. Ebenso muss jene Hinwirkens-Verpflichtung im Einklang stehen mit Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes. Die Grundrechte binden alle staatliche Gewalt, und zwar auch insoweit, als eine Vorschrift lediglich die Verpflichtung enthält, auf eine bestimmte materielle Regelung hinzuwirken. Unter diesem Gesichtspunkt bestehen gegen Art. 39 Abs. 9 BbgVerf keine Bedenken. Insbesondere verletzt die Zielvorgabe nicht die Forschungsfreiheit i. S. des Art. 5 Abs. 3 GG.

bb) Grundsatz der Bundestreue Das Politikziel „ABC-Waffen-Freiheit des Landesgebiets“ steht im Einklang mit dem Grundsatz der Bundestreue. Prima vista ist zwar an einen Verstoß gegen dieses Loyalitätsgebot zu denken, da Art. 39 Abs. 9 BbgVerf dem Land in einem Bereich, der in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fällt, die Pflicht überträgt, eine bestimmte bundesgesetzliche Rechtslage herbeizuführen.267 Die Problematik besteht hier darin, dass von der Ebene des Landesrechts her vorgeschrieben wird, eine auf gesamtstaatlicher Ebene gesetzte Norm zu verändern.268 Dies ist zweifelsohne als Novum in der deutschen ___________ bungszuständigkeit verfügen; dazu zählt er auch die Zielbestimmungen für Bereiche, die unter die konkurrierende Zuständigkeit des Bundes fallen, sofern der Bund jeweils eine abschließende Regelung getroffen hat. 267 Eben dies ist nach hier zugrunde gelegten Ansatz (s. oben unter B. V. 4. vor a]) Hauptmerkmal eines Politikziels: Vor dem Hintergrund der fehlenden landesrechtlichen Regelungsmöglichkeit wird dem Land aufgetragen, ggf. auf eine Änderung der gesamtstaatlichen Regelung hinzuwirken, und gleichzeitig ist der Inhalt der anzustrebenden Regelung vorgegeben. 268 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 90.

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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Verfassungsgeschichte zu werten,269 aber nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue.270 Diese Loyalitätspflicht ist verletzt, wenn seitens des Landesverfassunggebers bzw. verfassungsändernden Gesetzgebers kein berechtigtes Interesse an einer Kompetenzwahrnehmung besteht, die das bundesstaatliche Gefüge stört, wenn also die Verfassungshoheit missbraucht wird.271 Eine solche Konstellation liegt vor, wenn die Artt. 70 ff. GG dem Land eine einfachgesetzliche Regelung verwehren und der Regelungsgehalt allein deshalb in der Landesverfassung normiert wird.272 Letzteres wird freilich nur im Extremfall zu bejahen sein. Andernfalls würde der Landesverfassunggeber gleichsam durch die Hintertür doch an die Kompetenzverteilung der Artt. 70 ff. GG gebunden. Dies widerspräche dem hier zugrunde gelegten Ansatz, landesverfassungsrechtliche Vorschriften nicht an diesen Verteilungsschemata zu messen.273 Auch ist die bundesstaatliche Ordnung nicht in besonders schwerwiegender und unvertretbarer Art und Weise gestört, wenn eine landesverfassungsrechtliche Norm erlassen wird, die eine in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fallende Materie zu regeln sucht. Der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung lässt sich hier auch ohne Rekurs auf die Bundestreue Rechnung tragen: Kollidiert Art. 39 Abs. 9 BbgVerf mit (kompetenzgemäß ergangenem) Bundesrecht, hätte dies gem. Art. 31 GG seine Suspension zur Folge. Fehlt es an einer Normenkollision, bestehen gegen diese Staatszielbestimmung unter dem Aspekt der Widerspruchsfreiheit ohnehin keine Bedenken. Nach der Gegenauffassung verletzt ein Politikziel den Grundsatz der Bundestreue.274 Landesverfassungen und Grundgesetz hätten sich, so die Argumentation, zu ergänzen und nicht bei der Aufnahme materieller Normen zu überbieten. Der Regelung durch landesverfassungsrechtliche Normen zugäng___________ 269

Vgl. Starck, ZG 7 (1992), S. 1 (26). In diese Richtung auch Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 514 f.; Merten, DÖV 1993, S. 368 (375). – Der Grundsatz der Bundestreue ist lediglich dann verletzt, wenn die bundesstaatliche Ordnung in besonders schwerwiegender und unvertretbarer Art und Weise empfindlich gestört ist. Dazu oben unter B. I. 2. a) aa) (3). 271 Vgl. bereits BVerfGE 6, 309 (361); Bauer, Bundestreue, S. 357. – Landesorgane dürfen ihre Kompetenzen nur derart gebrauchen, „dass die Belange des Gesamtstaates und der anderen Länder nicht in unvertretbarer Weise geschädigt werden“, s. BVerfGE 76, 1 (77) m.w.N. 272 s. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 83 f.; Sacksofsky, NVwZ 1993, S. 235 (239). A.A. wohl Hesse, Grundzüge, Rn. 269 a.E.: Der Rückgriff auf den Grundsatz der Bundestreue erscheine ungeeignet, wenn es sich nicht um eine föderative, sondern eine aus politischen Gegensätzen resultierende Streitigkeit handelt. 273 Dazu 4. Kap. unter D. I. 1. a) cc). 274 s. etwa P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 90 f., 206; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 83 f.; ebenso (mit Blick auf Art. 39 Abs. 9 BbgVerf) Scholz, in: Rüttgers/Oswald, Zukunft, S. 15 (19); Wolf, VR 1994, S. 117 (122); vgl. Magiera, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 141 (147): Die (von Magiera nicht als solche bezeichneten) Politikziele würden die Verbandskompetenz der Länder überschreiten. 270

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

lich seien lediglich diejenigen Bereiche, in denen die Länder einfachgesetzlich tätig werden können.275 Dieser Ansatz greift zu kurz. An die Kompetenzverteilung durch die Artt. 70 ff. GG sind weder Bundes- noch Landesverfassunggeber gebunden; zudem gibt es keine Komplementärfunktion der beiden verfassungsrechtlichen Ebenen.276 Landesverfassungsrechtliche Zielvorgaben, die sich wie Art. 39 Abs. 9 BbgVerf auf Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes beziehen, verletzen daher den Grundsatz der Bundestreue nicht.277 Die Staatszielbestimmung „ABC-Waffen-Freiheit des Landesgebiets“ ist nach alldem kompetenzgemäß zustande gekommen.

b) Keine Kollision mit höherrangigem Recht aa) Art. 51 Abs. 1 GG Hinsichtlich der materiellen Regelung, auf die sich die Hinwirkenspflicht des Art. 39 Abs. 9 BbgVerf bezieht, kommt kein Widerspruch zu Art. 51 GG in Betracht. Die Frage hingegen, ob das landesverfassungsrechtliche Politikziel auch insoweit unbedenklich ist, als es das Land dazu verpflichtet, eine auf gesamtstaatlicher Ebene gesetzte Norm zu verändern, lässt sich nicht ohne Weiteres bejahen. Vielmehr ist ein Verstoß gegen Art. 51 Abs. 1 GG gegeben, wenn Art. 39 Abs. 9 BbgVerf so ausgelegt werden muss, dass sich die Hinwirkenspflicht zwingend auf die Landesregierung als Mitglied des Bundesrates erstreckt und deren dortige Mitwirkung inhaltlich präjudiziert. Der Bundesrat ist kein gemeinsames Organ der Länder.278 Nach Art. 50 GG wirken durch ihn zwar „die Länder“ bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit. Diese Mitwirkung wird jedoch durch die Regierungen der Länder vermittelt (s. Art. 51 Abs. 1 GG): Der Bundesrat ist eine Vertretung der Landesregierungen, nicht Repräsentant der Landesstaatsvölker (Bundesrats- im Gegensatz zum [stärker „demokratisch-unitarischen“] Senatsprinzip),279 und folglich ist das Herzstück ___________ 275

Vgl. etwa Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (137). Dazu 4. Kap. unter D. I. 1. a) cc). 277 Vgl. Sacksofsky, NVwZ 1993, S. 235 (239): „Jedenfalls solange sich der Landesverfassunggeber darauf beschränkt, Regelungen in Bereichen zu treffen, die üblicherweise in Verfassungen enthalten sind – wie etwa Grundrechte oder Staatszielbestimmungen –, kann ein Verstoß gegen die Bundestreue nicht angenommen werden“. 278 s. Stern, Staatsrecht II, S. 125 f. m.w.N. 279 Dazu BVerfGE 8, 104 (120); Herzog, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 57 Rn. 15 ff.; Scholz, FS Carstens II, S. 831 (840). – Der Bundesrat setzt sich nicht aus vom Volk oder vom Parlament zu instruierenden Vertretern zusammen. Anders als bei Direktwahl der Mitglieder oder bei einer sonstigen Parlamentarisierung (s. etwa den USSenat oder den Schweizer Ständerat), spiegelt er nicht unmittelbar den Willen des Staatsvolks in den Ländern wider, sondern repräsentiert den in den Ländern bereits formierten Staatswillen. 276

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

311

föderaler „Politikverflechtung“280 ein Bundesorgan und keine Länderkammer.281 Im Zuständigkeitsbereich des Bundes aber sind die Länder als Gliedstaaten von der Staatsleitung grundsätzlich ausgeschlossen, und das Grundgesetz sieht mit Blick auf den Bundesrat keine abweichende Regelung vor. Die Landesregierungen unterliegen bei ihrer Willensbildung im Bundesrat dementsprechend keinerlei normativer Bindung aus dem Landesrecht.282 Dem entspricht es, dass die Mitglieder des Bundesrats zwar gegenüber ihrer Regierung, d. h. gewissermaßen im Innenverhältnis, weisungsgebunden sind,283 nicht aber im Außenverhältnis, also bei ihren Handlungen im Bundesrat.284 In den Tätigkeitsbereich der Landesregierung als Mitglied des Bundesrats können die Landesverfassungen im Außenverhältnis ebenso wenig eingreifen, wie Landes- nicht Bundesrecht determinieren kann, wenn dieses eine solche Regelung nicht ausdrücklich erlaubt.285 Die Einwirkung auf die Landesregierung als Teil des Bundesrats mit___________ 280 Der Begriff findet sich erstmals bei Scharpf, in: ders. u.a., Politikverflechtung. Der Bundesrat prägt die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes in institutioneller Hinsicht; er ist „Knotenpunkt der Kompetenzverflechtung“ (Graf Vitzthum, VVDStRL 46 [1988], S. 7 [38]). Neben der Beteiligung in Angelegenheiten der EU (vgl. auch Art. 52 Abs. 3 a GG) und an der Verwaltung des Bundes wirkt er vor allem bei der gesamtstaatlichen Gesetzgebung mit; alle Bundesgesetze bedürfen zu ihrem Zustandekommen seiner abgestuften Mitwirkung (Art. 77 GG). – Es bestätigt sich hier die schon für die bundesstaatliche Ordnung der Weimarer Republik von Rudolf Smend angesichts der starken sachlichen Unitarisierung im modernen Bundesstaat getroffene Feststellung, dass das Moment der Beteiligung der Länder an der Reichsgewalt an die Stelle der ihnen verlorengegangenen Landesgewalt getreten sei, dass die Länder in dieser Beteiligung ein weiteres Stück politischen Lebens führten und auch hier ihre Staatsnatur verwirklichten, s. Smend, in: ders., Abhandlungen, S. 119 (270). 281 Dieser Einordnung steht es nicht entgegen, dass die Mitglieder der Landesregierungen in ihrer Funktion als Mitglied des Bundesrates neben dem Wohl des Bundes auch die Interessen ihres Landes zu berücksichtigen haben (dazu Herzog, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR III, § 57 Rn. 17 ff.). – Unbeschadet dessen hat der Bundesrat den Zug zu einer verdeckten Großen Koalition auf gesamtstaatlicher Ebene verstärkt: Die Landesregierungen können über den Bundesrat insbesondere dann, wenn die Opposition im Bundestag über die Mehrheit (der Länderstimmen) im Bundesrat verfügt, zu Bremsen für Vorhaben der Bundesregierung und deren Parlamentsmehrheit werden. 282 s. bereits BVerfGE 8, 104 (120 f.); Reuter, PraxisHdb Bundesrat, Art. 51 Rn. 71; Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 51 Rn. 17 f.; H. Schäfer, Bundesrat, S. 52; Leisner, DÖV 1968, S. 389 (391); Kratzsch, DÖV 1975, S. 109 (113); ohne Begründung a.A. Simon, NJ 1991, S. 427 (428). 283 Dies folgt im Umkehrschluss aus Art. 77 Abs. 2 S. 3 GG und Art. 53 a Abs. 1 S. 3 HS 2 GG. Vgl. Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 51 Rn. 15 f.; H. Schäfer, Bundesrat, S. 50, 52. 284 s. Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2003, S. 79 (81) m.w.N. – So hat etwa auch ein Verstoß gegen Weisungen im „Innenverhältnis“ der Landesregierung für die Wirksamkeit der Stimmabgabe im Bundesrat keine Bedeutung. Ebenso J. Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 343; Schenke, NJW 2002, S. 1318 (1321). Zur entsprechenden Staatspraxis in der Weimarer Republik Anschütz, WRV, Art. 63 Anm. 6. 285 Zu kurz greift daher die vereinzelt vertretene Auffassung, die Landesregierung sei durch eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung gehalten, im Bundesrat

312

5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

tels Landesverfassungsrechts kollidiert demnach mit Art. 51 Abs. 1 GG: Der Bundesrat ist nicht als Vertretung der Verfassunggeber bzw. der verfassungsändernden Gesetzgeber der Länder strukturiert.286 Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die landes(verfassungs)rechtliche Verpflichtung der Landesregierung, als Mitglied des Bundesrats in bestimmter Weise tätig zu werden, Art. 51 Abs. 1 GG widerspricht. Landes(verfassungs)rechtliche Vorschriften dürfen demnach nicht normierend auf die Gesetzgebungspolitik des Bundes einzuwirken suchen. Allerdings ist das Politikziel „ABC-Waffen-Freiheit des Landesgebiets“ i. S. des Art. 39 Abs. 9 BbgVerf nicht zwingend so auszulegen, dass die Mitwirkung der Landesregierung im Bundesrat inhaltlich präjudiziert wird. Die Vorschrift schreibt nicht ausdrücklich vor, dass die Regierung als Mitglied des Bundesrats auf die Bundesgesetzgebung Einfluss zu nehmen hat,287 woraus folgt, dass sich die Bindungswirkung der Zielvorgabe gegenüber der Landesregierung in verfassungskonformer Auslegung nicht auf das Verhalten im Bundesrat erstreckt.288 Art. 39 Abs. 9 BbgVerf präjudiziert die Mitwirkung der Landesregierung im Bundesrat also ebenso wenig wie die anderen Staatszielbestimmungen. Nach der Gegenauffassung verbleibt als eigentlicher Adressat der Politikziele die Landesregierung in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Bundesrates, da sie als einziges Landesorgan unmittelbar auf die Bundesgesetzgebung Einfluss nehmen könne (etwa durch Gebrauchmachen von Antragsrechten und durch ihr ___________ eine der betreffenden Zielvorgabe entsprechende Politik zu vertreten. Für die Gegenauffassung etwa (zum in Abs. 1 BremVerf verankerten „Recht auf Arbeit“) H. Neumann, BremVerf, Art. 8 Rn. 5; vgl. Sannwald/Sannwald, BWVP 1995, S. 217 (219): Im Meinungsbildungsprozess des Bundesrats seien die Vertreter des Landes an die im Vorspruch der baden-württembergischen Verfassung enthaltene Staatszielbestimmung „Europäische Integration“ gebunden. Für landesverfassungsrechtliche Sozialbestimmungen ähnlich Brenne, Grundrechte, S. 163: Diese könnten „beim Handeln der Ländervertreter im Gesetzgebungsverfahren für Bundesgesetze über den Bundesrat Bedeutung erlangen“. 286 Es trägt daher nicht, hinsichtlich der Frage, ob die Landesregierungen als Mitglieder des Bundesrates an landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen gebunden sind, zwischen Initiativen und Abstimmungen im Bundesrat zu differenzieren. Anklänge an eine solche Unterscheidung aber bei Erbguth/Wiegand, DÖV 1992, S. 770 (777 ff). 287 So aber Riegler, Konflikte, S. 48 f. m.w.N.: Art. 39 Abs. 9 BbgVerf verpflichte die Landesregierung als Mitglied des Bundesrats, Einfluss auf die Bundesgesetzgebung zu nehmen. Allg. ebenso Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 14; ders., NJ 1991, S. 427 (428). 288 Die Landesregierung als Mitglied des Bundesrates ist nicht Adressat des Art. 39 Abs. 9 BbgVerf; sie kann die Zielvorgabe im Rahmen ihrer Bundesratspolitik jedoch freiwillig berücksichtigen. In diesem Sinne ließe sich Art. 39 Abs. 9 BbgVerf als unverbindliche Empfehlung ansehen. Dies ergibt sich auch, wenn man den Politikzielen den „Charakter von – in die Verfassung aufgenommenen – Landtagsentschließungen“ (so etwa D. Franke/Kneifel-Haverkamp, JöR 42 [1994], S. 111 [145]) gibt.

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

313

Abstimmungsverhalten).289 Dem steht entgegen, dass sich der Adressatenkreis eines Politikziels nicht danach richten kann, inwiefern der Landesgesetzgeber nach der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung über die Zuständigkeit für die Umsetzung verfügt: Wie die anderen landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen richten sich die Politikziele an Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Die Spielräume für die Verwirklichung, mithin die praktischen Auswirkungen einer Zielvorgabe können keine Bedeutung für die Bestimmung der Adressaten haben.290 Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass jenes Politikziel der Instruktionsfreiheit der Landesregierung bei deren Bundesratstätigkeit nicht entgegen steht. Art. 39 Abs. 9 BbgVerf verstößt demnach nicht gegen Art. 51 GG.291

bb) Sonstiges höherrangiges Recht Die Zielvorgabe „ABC-Waffen-Freiheit des Landesgebiets“ kollidiert auch nicht mit sonstigem höherrangigem Recht. Eine Kollision etwa mit einfachgesetzlichem Bundesrecht ist ausgeschlossen, da es sich bei diesem Politikziel letztlich um ein Bekenntnis des Landes zum Inhalt völkerrechtlicher Vereinbarungen des Gesamtstaates handelt.292 Die Herstellung, Entwicklung und Lagerung von chemischen und biologischen Waffen ist bereits seit dem Biotoxinwaffenabkommen aus dem Jahr 1976 verboten.293 Die Bundesrepublik Deutschland hat darüber hinaus auf atomare Waffen verzichtet; dieser Verzicht erstreckt sich auch auf die Entwicklung solcher Waffen.294 Schließlich ergibt sich aus Art. 5 ___________ 289 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 85; ebenso wohl auch Starck, ZG 7 (1992), S. 1 (26). 290 Dies verkennt P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 85, demzufolge die Politikziele zumindest teilnichtig sind, wenn man Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als ihre Adressaten ansieht. 291 Auf die Frage, ob ein Politikziel für den Fall, dass die jeweilige Materie nach entsprechender Änderung des Grundgesetzes in die Landeskompetenzen fiele, in eine aufschiebend bedingte Staatszielbestimmung umgedeutet werden kann (ablehnend etwa P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 89 f. m.w.N.) kommt es hier folglich nicht an. 292 So auch Kanther, Landesverfassungen, S. 179 f.; P. Neumann, in: ders./Tillmanns, Probleme, S. 77 (103). – Eine Normenkollision etwa mit einfachgesetzlichem Bundesrecht, welches in Ausübung der Kompetenz aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG erlassen wurde, scheidet freilich nicht von vornherein aus. Das Politikziel „ABC-Waffen-Freiheit des Landesgebiets“ i. S. des Art. 39 Abs. 9 BbgVerf verpflichtet, auf eine bestimmte materielle Regelung hinzuwirken, und diese anzustrebende Regelung muss im Einklang mit dem einfachgesetzlichen Bundesrecht stehen, das den betreffenden Sachbereich regelt. 293 Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer Waffen und Toxinwaffen (BGBl. 1983 II, S. 132 f., 436). 294 Artt. 1, 2 sowie Anlage I des Protokolls Nr. III über die Rüstungskontrolle zum NATO-Vertrag (BGBl. 1955 II, S. 256, 630).

314

5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Abs. 3 S. 3 Zwei-Plus-Vier-Vertrag,295 dass ausländische Streitkräfte (etwa die NATO-Partner) weder Atomwaffen noch deren Trägersysteme auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stationieren oder sie dorthin verlegen dürfen. Das Politikziel „ABC-Waffen-Freiheit des Landesgebiets“ i. S. des Art. 39 Abs. 9 BbgVerf hat nach alldem aktuelle normative Bedeutung.

5. Konversion militärischer Liegenschaften Schließlich verfügt Art. 40 Abs. 5 BbgVerf, demzufolge die Überführung militärisch genutzter Liegenschaften in zivile Nutzung anzustreben ist, über aktuelle normative Bedeutung. Insbesondere ist dieses Politikziel „Konversion militärischer Liegenschaften“ – Art. 40 Abs. 5 BbgVerf verpflichtet das Land zum Hinwirken in einem Bereich, der zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes rechnet296 – vereinbar mit dem Demokratieprinzip i. S. des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG.297 Die Gegenauffassung, welche die „Zementierung bestimmter politischer Ansichten zu einzelnen Sachfragen“ durch Art. 40 Abs. 5 BbgVerf als Verstoß gegen dieses Prinzip einordnet,298 greift zu kurz. In letzter Konsequenz hätte sie zur Folge, dass alle Staatszielbestimmungen kompetenzwidrig und damit nichtig wären.299 Ebenso wenig verletzt jene „Konversion militärischer Liegenschaften“ den Grundsatz der Bundestreue.300 Schließlich verstößt Art. 40 Abs. 5 BbgVerf nicht gegen höherrangiges Recht.301

___________ 295 Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland v. 12.9.1990 (BGBl. II, S. 1318); die parlamentarische Zustimmung enthält das Zustimmungsgesetz v. 11.10.1990 (BGBl. II, S. 1317). 296 Einschlägig ist wiederum „die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG). – Des Weiteren ergibt sich aus Artt. 65 a, 80 a sowie 87 a u. b GG, dass der Bereich der Verteidigung ausschließlich Bundessache sein soll; Art. 87 b Abs. 1 GG etwa ist zu entnehmen, dass allein die bundeseigene Verwaltung über die Nutzung der militärischen Liegenschaften des Bundes entscheidet. 297 Zum Begriff „Politikziel“ oben unter B. V. 4. vor a). 298 s. Kanther, Landesverfassungen, S. 180. 299 Zur Vereinbarkeit der Staatszielbestimmungen mit den Grundsätzen des Demokratieprinzips i. S. des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG oben unter B. I. 2. a) aa) a.E. 300 Die Dinge liegen hier nicht anders als im Fall des Art. 39 Abs. 9 BbgVerf. Daher kann auf die Ausführungen unter B. V. 4. a) bb) verwiesen werden. 301 Für die Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 51 Abs. 1 GG vorliegt, kann wiederum nichts anderes gelten als bei Art. 39 Abs. 9 BbgVerf; s. daher oben unter B. V. 4. b) aa).

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

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VI. Weitere Bereiche

1. Gleichstellung der Geschlechter Die Staatszielbestimmung „Gleichstellung der Geschlechter“ (Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) verfügt ebenfalls über aktuelle normative Bedeutung. Hinsichtlich ihres kompetenzgemäßen Zustandekommens ist insbesondere festzuhalten, dass sie in Einklang mit den grundgesetzlichen Gleichheitsrechten steht. Die Verpflichtung des Landes, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern, verletzt weder den in Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG verbürgten speziellen Gleichheitssatz, demzufolge Männer und Frauen gleichberechtigt sind, noch steht sie dem Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG entgegen, wonach u.a. das Merkmal Geschlecht nicht als rechtfertigendes Kriterium für eine Ungleichbehandlung taugt. Art. 3 GG schließt eine geschlechterbezogene Ungleichbehandlung nicht durchgängig aus: Liegen objektive biologische oder funktionale Unterschiede vor, die eine unterschiedliche Regelung für Männer und Frauen nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses erlauben, ist eine Differenzierung nach dem Geschlecht sub specie Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG zulässig,302 und mit Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG vereinbar sind auch Fördermaßnahmen zur Kompensation erlittener Nachteile, wenn ein sachlicher Zusammenhang zwischen Nachteil und Vergünstigung besteht.303 Mit diesen Vorgaben, die es verbieten, leistungsunabhängig eine Geschlechterparität herzustellen oder bei gleicher Qualifikation allein wegen des Geschlechts zu bevorzugen,304 steht Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf in Einklang.305 Die Förderpflicht ist (im Unterschied etwa zu Art. 13 Abs. 4 S. 2 Zwischenentwurf-BbgVerf) nicht einseitig auf das weibliche Geschlecht beschränkt, die Zielvorgabe „Gleichstellung der Geschlechter“ also nicht zwingend als positive Privilegierung lediglich der Frauen zu lesen.306 ___________ 302

Ungleichbehandlungen sind demnach zulässig, wenn sie einem sozialstaatlich typisierenden Ausgleich von Nachteilen dienen sollen, die ihrerseits auf biologischen Unterschieden basieren. In diesem Sinne können etwa Fördermaßnahmen zur Wiedereingliederung von Frauen in den Beruf unbedenklich sein; dazu BVerfGE 74, 163 (179 f.); 85, 291 (207). 303 Vgl. BVerfGE 74, 163 (180). – Zudem erklärt Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG die Herstellung und Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ausdrücklich für zulässig. Dazu sogleich unter B. VI. 1. 304 s. etwa Starck, Verfassungen, S. 57; Brohm, JZ 1994, S. 213 (220); vgl. Sachs, NJW 1989, S. 553 (554 ff.). 305 Krit. (zu Art. 2 Abs. 2 S. 2 ThürVerf) Deter, ZRP 1993, S. 22 (26): provokante Verletzung des Gleichheitssatzes. – Zum Problem, dass Frauenförderung umgekehrt (auch) Diskriminierung der Männer bedeutet, H.-P. Schneider, Gleichstellung, S. 29 ff. 306 Dem stünde das aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG abzuleitende Verbot der umgekehrten Diskriminierung der Männer im Wege. – De facto wirkt sich auch eine geschlechtsneutral gefasste Verpflichtung zur Gleichstellung regelmäßig zu Gunsten der Frauen aus. Gleichwohl gibt es auch Lebensbereiche, in denen Männer benachteiligt werden, vgl. etwa BVerfGE 31, 1 (4).

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Vor diesem Hintergrund begegnet sie auch keinen Bedenken aus Sicht von Art. 33 Abs. 2 GG. Die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung verstößt zudem nicht gegen höherrangiges Recht. Zunächst bestehen zwar Bedenken sub specie Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, von dem sie in zweifacher Weise abweicht. Zum einen spricht sie nicht von „Gleichberechtigung“, sondern „Gleichstellung“; zum anderen benennt sie detailliert die Bereiche, in denen der Staat für diese zu sorgen hat, während Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG auf eine solche Regelung verzichtet.307 Ein Widerspruch zwischen beiden Staatszielbestimmungen ist aber zu verneinen, da Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf bundeszielkonform ausgelegt werden kann. Die landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe kollidiert in Anbetracht ihres auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts auch nicht mit sonstigem höherrangigem Recht.308

2. Minderheitenschutz Ebenso aktuelle normative Bedeutung haben die dem Minderheitenschutz gewidmeten Staatszielbestimmungen (Art. 25 Abs. 1 und Abs. 2 BbgVerf). Das „Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebiets“ i. S. des Art. 25 Abs. 1 BbgVerf ist kompetenzgemäß zustande gekommen. Gegen diese Zielvorgabe bestehen aus Sicht der grundgesetzlichen Gleichheitsrechte keine Bedenken. Zwar taugen die Merkmale Abstammung (biologische Beziehung zu den Vorfahren) sowie Sprache und Heimat (örtliche Beziehung zur Umwelt) nach dem Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG nicht als rechtfertigende Kriterien für eine Ungleichbehandlung.309 Jene Staatszielbestimmung ist ___________ 307

Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf verpflichtet das Land, „für die Gleichstellung von Frau und Mann in Beruf, öffentlichem Leben, Bildung und Ausbildung, Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung durch wirksame Maßnahmen zu sorgen“. Die bundesverfassungsrechtliche Vorgabe bestimmt demgegenüber schlicht: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. 308 Die Verpflichtung zur Einführung einer leistungsunabhängigen Quotenregelung verstieße demgegenüber gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie (RL 76/207/EWG „zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen“ v. 9.2.1976 [ABl. L 39, S. 40]). Dazu oben unter A. V. 309 Differenzierungen, die auf anderen Unterschiedlichkeiten der Person oder auf Unterschiedlichkeiten der Lebensumstände beruhen, steht Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG nicht entgegen, selbst wenn dies zu einer unterschiedlichen Behandlung von Personen verschiedener Sprache, Herkunft oder Heimat führt. Vgl. bereits BVerfGE 3, 225 (241); 57, 335 (342 f.).

B. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen

317

aber nicht zwingend so zu verstehen, dass unter Berufung auf den Minderheitenschutz ein Unterlaufen dieses Differenzierungsverbots ermöglicht würde. Art. 25 Abs. 1 BbgVerf verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. In Anbetracht seines allgemein gehaltenen, auf einfachgesetzliche Konkretisierung angelegten Regelungsgehalts und unter Berücksichtigung bundesrechtlich bestehender Verpflichtungen ist eine Normenkollision etwa mit Vorgaben des einfachgesetzlichen Bundesrechts ausgeschlossen.310 Gleiches gilt für die in Art. 25 Abs. 2 BbgVerf enthaltene, landesgrenzenübergreifende kulturelle Autonomie der Sorben. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Verpflichtung des Landes, auf die Sicherung dieser Autonomie hinzuwirken, vom Gegenstand her über das Landesgebiet hinausgeht: Dieser Umstand trägt keine Bedenken gegen jene Staatszielbestimmung. Die Vorgabe, auf die genannte Regelung hinzuwirken, ist ebenso zu bewerten wie die Förderung des kulturellen Lebens i. S. des Art. 34 Abs. 2 S. 1 BbgVerf.311

3. Heimat Auch die Staatszielbestimmung „Heimat“ (Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf) verfügt über aktuelle normative Bedeutung. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 GG sind nicht zu verzeichnen.312 Aus Sicht der Bundesgrundrechte bestehen ebenfalls keine Bedenken gegen jene Zielvorgabe, deren Inhalt sich nur schwer bestimmen lässt.313 Die Wohnsitznahme an bzw. die Rückkehr zu einem bestimmten Ort gewährleistet Art. 11 ___________ 310 Bestimmungen zum Schutz kultureller Rechte des Individuums finden sich etwa in zwischenstaatlichen Übereinkommen der Bundesrepublik Deutschland mit Nachbarstaaten. So sieht bspw. Art. 21 des deutsch-tschechoslowakischen Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit (BGBl. 1992 II, S. 463) für Personen tschechischer und slowakischer Abstammung das Recht vor, „ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität zu pflegen und frei zu entfalten“. – Vgl. die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (BGBl. 1998 II, S. 1315), die ausweislich ihrer Präambel die „Erhaltung und Entwicklung der Traditionen und des kulturellen Reichtums Europas“ bezweckt; allg. zum Minderheitenschutz im Gemeinschaftsrecht v. Arnauld, AöR 42 (2004), S. 111 (125, 127 ff.). 311 Zu deren normativer Bedeutung oben unter B. II. 5. 312 s. Eisert, Menschenrecht, S. 207 f. 313 Der Verfassunggeber scheint keine klaren Vorstellungen über die Bedeutung der Vorschrift gehabt zu haben. Dazu Maurer, in: ders./Hendler, BaWüStVerwR, S. 27 (54) m.w.N. Vgl. (zu Art. 5 Abs. 1 S. 2 SächsVerf) Degenhart, LKV 1993, S. 33 (35): „diffuse Terminologie“. – Einigkeit dürfte bestehen, dass Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf nicht darauf zielt, irgendwo eine Heimat zu erhalten, sondern eine ganz bestimmte: Das „Recht auf die Heimat“ ist wesentlich unter den Aspekten „Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort“ bzw. „jederzeitige Rückkehr an diesen Ort“ zu sehen. Vgl. Kimminich, Recht, S. 19; Tomuschat, FS Partsch, S. 183 (204); Braun, BaWüVerf, Art. 2 Rn. 14.

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5. Kap.: Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Abs. 1 GG, und Art. 11 Abs. 2 GG sieht für dieses Grundrecht auf Freizügigkeit (welchem u.a. ein Bleiberecht zu entnehmen ist) einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt vor. Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf dem steht nicht entgegen.314 Schließlich kollidiert diese Staatszielbestimmung in Anbetracht ihres auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts nicht mit höherrangigem Recht.

VII. Zusammenfassung

Alle Staatszielbestimmungen der hier untersuchten Landesverfassungen verfügen über aktuelle normative Bedeutung. Die Zielvorgaben sind zum einen kompetenzgemäß zustande gekommen: In keinem Fall ist ein Verstoß gegen negative Kompetenznormen zu konstatieren. Insbesondere die einzelprogrammatischen sozialen Zielvorgaben als Konkretisierungen des Sozialstaatsprinzips i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG begegnen aus Sicht des Art. 28 Abs. 1 GG keinen Bedenken. Die Landesverfassunggeber bzw. verfassungsändernden Gesetzgeber haben es folglich weit gebracht in der Kunst, den Gestaltungsspielraum, der ihrer Verfassungshoheit im Kraftfeld des Grundgesetzes insoweit verbleibt, zu erkennen und zu nutzen. Zugleich hat sich gezeigt, dass die bundesstaatliche Struktur in der Ausprägung des Grundgesetzes unter dem Blickwinkel der Kollisionsvermeidungsnormen (auch) auf dem Felde der Staatszielbestimmungen den Wettbewerb um die besten Lösungen und die Entwicklung von Alternativen (auch im Verhältnis zum Grundgesetz) ermöglicht. Zum anderen verfügen alle landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen über mehr als lediglich virtuelle normative Bedeutung. Die Zielvorgaben der drei Referenzverfassungen kollidieren infolge ihres (mehr oder weniger) allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts nicht mit Vorschriften höherrangigen Rechts. Sie sind insbesondere durchweg mit Bundesrecht vereinbar; eine Normenkollision lässt sich jedenfalls durch bundesrechtskonforme Auslegung vermeiden. Anders gewendet: In keinem Fall bedarf es einer das Spannungsverhältnis zwischen föderaler Verfassungsvielfalt und bundesrechtlicher Einheit zu Gunsten des Bundesrechts auflösenden Kollisionsentscheidung. Eine Normenkollision ist freilich nicht per se ausgeschlossen; Widersprüche zwischen einfachem Bundesrecht und landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen sind durchaus denkbar.315 ___________ 314

s. Eisert, Menschenrecht, S. 198. Eine solche Normenkollision ist weitaus wahrscheinlicher als die Kollision zwischen einer landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung und einer Vorschrift des Grundgesetzes. Dies korrespondiert der notwendigen Weitmaschigkeit einer Verfassung. – Eine jede Verfassung bedarf ergänzender Detailregelungen durch Normsetzung im Rang unterhalb der Verfassung. Dazu unten, Schlussbetrachtungen a.E. von B. 315

C. Fazit

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C. Fazit Die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes verfügen allesamt im vollen Umfang über aktuelle normative Bedeutung. Gleiches gilt für die Zielvorgaben der untersuchten Landesverfassungen. Das Ausmaß, in dem die landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen über normative Bedeutung verfügen, ist demnach keineswegs „generationenabhängig“: Aus jeder Generation der Landesverfassunggebung wurde je eine Verfassung überprüft. Als Referenzverfassungen fungierten neben der Verfassung des Landes Hessen als ältester der ersten Generation die jüngste der zweiten Generation (die des Landes BadenWürttemberg) und schließlich die brandenburgische Verfassung als diejenige der dritten, die sich am wenigsten an die Konzeption des Grundgesetzes anlehnt. Eine andere Frage ist es, ob die Staatszielbestimmungen die Bewährungsprobe für ihre Glaubwürdigkeit bestehen, inwieweit sie also etwa über normative Steuerungskraft verfügen und umsetzbar sind. Darauf wird an anderer Stelle zurückzukommen sein.316

___________ 316

Dazu 8. Kap. unter A. sowie 9. Kap. unter B.

Dritter Teil

Zieldivergenzen und ihre Auswirkungen Auf der Grundlage der Ausführungen zur normativen Bedeutung der Staatszielbestimmungen können (wiederum aus Inter-Ebenen-Sicht) die Zieldivergenzen herausgearbeitet und deren Auswirkungen aufgezeigt werden. Zunächst wird ein Überblick über jene Divergenzen gegeben. Die folgenden Kapitel wenden sich den Konsequenzen des Divergenzbefundes zu, wobei jedem der drei Divergenztypen ein eigenes Kapitel gewidmet ist.1

6. Kapitel

Divergenzen von Staatszielbestimmungen A. Zielkollisionen Eine Zielkollision liegt vor, wenn eine wirksame bundes- und eine wirksame landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung denselben Ausschnitt eines Sachbereichs unterschiedlich regeln. Neben dem Wortlaut der Zielvorgaben ist auch ihre Konkretisierung (etwa durch Maßnahmen und Mittel zur Zielverwirklichung) von Bedeutung.2

___________ 1 In Umkehrung der (darstellungstechnisch bedingten) Reihenfolge des Überblicks über die Zieldivergenzen (6. Kap.) werden zunächst die Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge (7. Kap.) und, darauf aufbauend, die Folgen von überschießenden Staatszielbestimmungen (8. Kap.) und Zielkollisionen (9. Kap.) herausgearbeitet. Andernfalls wären bspw. die Voraussetzungen für und die Auflösung von Zielkonkurrenzen inzident zu klären, vgl. 8. Kap. unter C. I. 1., C. II. 1. sowie 9. Kap. unter C. 2 Zum Begriff „Zielkollision“ 2. Kap. unter B. I. 1.

A. Zielkollisionen

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I. Grundgesetz und Verfassung des Landes Hessen

Staatszielbestimmungen, die denselben Ausschnitt eines Sachbereichs aufgreifen, finden sich im Grundgesetz und in der hessischen Verfassung in zwei Bereichen.

1. Bereich Umweltschutz Art. 20 a GG und Art. 26 a HessVerf regeln jeweils den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Die beiden Staatszielbestimmungen weisen keine gegensätzlichen Normanordnungen auf. Eine Zielkollision i.e.S. liegt daher nicht vor. Es ist aber eine solche i.w.S. zu verzeichnen: Art. 26 a HessVerf unterstellt „die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen“ dem Schutz des Staates und der Gemeinden, während es in Art. 20 a GG heißt, dass der Staat „die natürlichen Lebensgrundlagen“ schützt. Zudem ist der Schutzauftrag des Art. 20 a GG durch den Zusatz „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“ ergänzt. Unterschiede hinsichtlich der Ausformung bestehen daneben insoweit, als Art. 20 a GG die Adressaten, anders als die (nicht qualifizierte)3 landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe, differenzierend unter dem Blickwinkel der verschiedenen Staatsgewalten erfasst.4

2. Bereich Auswärtiges und Verteidigung Eine zweite Zielkollision ist hinsichtlich der Staatszielbestimmung „Frieden“ zu konstatieren, wie sie in S. 1 der Präambel des Grundgesetzes bzw. in Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf verankert ist. Die Zielvorgaben sind gleichgerichtet, so dass wiederum keine Zielkollision i.e.S. in Betracht kommt. Aufgrund der divergierenden Formulierung ist aber erneut eine solche i.w.S. gegeben. Während es in S. 1 der Präambel des Grundgesetzes heißt: „von dem Willen beseelt, [...] dem Frieden der Welt zu dienen“, lautet Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf: „Hessen bekennt sich zu Frieden [...]“. Zudem sind die Zielvorgaben unterschiedlich qualifiziert. Die bundesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung wird konkretisiert zum einen durch Art. 24 Abs. 2 GG, demzufolge sich der Bund „zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit ein___________ 3

Die Landesverfassung gibt weder Wege noch Mittel vor für die Verwirklichung ihrer Zielvorgabe „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“. 4 Nach Art. 20 a GG werden die natürlichen Lebensgrundlagen durch die Legislative „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ geschützt und von der Exekutive und der Judikative „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

ordnen“ kann (HS 1),5 und zum anderen durch das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges und den Genehmigungsvorbehalt für Herstellung, Beförderung und Inverkehrbringen von Kriegswaffen (Art. 26 GG). Demgegenüber bezeichnet Art. 69 Abs. 1 S. 2 HessVerf den Krieg als „geächtet“, und Art. 69 Abs. 2 HessVerf bestimmt, dass „jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, [...] verfassungswidrig“ ist.

3. Zusammenfassung Die zwei Staatszielbestimmungen, die im Grundgesetz und in der Verfassung des Landes Hessen denselben Ausschnitt eines Sachbereichs aufgreifen, weisen keine gegensätzlichen Normanordnungen auf. Die betreffenden Zielvorgaben sind aber unterschiedlich formuliert und divergieren auch hinsichtlich ihrer Konkretisierungen. Es liegen daher jeweils Zielkollisionen i.w.S. vor.

II. Grundgesetz und Verfassung des Landes Baden-Württemberg

Mit Blick auf das Grundgesetz und die baden-württembergische Verfassung sind Staatszielbestimmungen, die denselben Ausschnitt eines Sachbereichs regeln, in drei Bereichen zu verzeichnen.

1. Bereich Soziales und Bereich Umweltschutz Art. 20 Abs. 1 GG sowie Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf enthalten jeweils die Staatszielbestimmung „Sozialstaat“. Die betreffenden Zielvorgaben weisen weder gegensätzliche Normanordnungen auf, noch sind sie unterschiedlich formuliert bzw. ausgeformt.6 Es ist daher keine Zielkollision – weder eine i.e.S. noch eine solche i.w.S. – gegeben. Gleiches gilt für Art. 20 a GG und Art. 3 a BaWüVerf, die beide dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gelten. Auch insoweit ist mangels gegensätzlicher Normanordnungen keine Zielkollision i.e.S. zu verzeichnen. Die Zielvor-

___________ 5

Art. 24 Abs. 2 HS 2 GG sieht vor, dass der Bund dabei in die Beschränkung seiner Hoheitsrechte einwilligen wird, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern. 6 Keine der Zielvorgaben ist qualifiziert: Qua Verfassung sind weder Wege noch Mittel für die Zielverwirklichung vorgezeichnet.

A. Zielkollisionen

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gaben sind zudem wortgleich formuliert und auch nicht unterschiedlich konkretisiert, so dass auch keine Kollision i.w.S. vorliegt.7 Etwas anderes ergibt sich bzgl. der Staatszielbestimmung „Tierschutz“, die in Art. 20 a GG bzw. Art. 3 b BaWüVerf verankert ist. Mangels gegensätzlicher Normanordnungen ist zwar erneut keine Zielkollision i.e.S. zu konstatieren. Es liegt aber eine solche i.w.S. vor, zumal die Tiere nach Art. 20 a GG „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“ geschützt werden, während Art. 3 b BaWüVerf lautet: „Tiere werden als Lebewesen und Mitgeschöpfe [...] geachtet und geschützt“. Diese Staatszielbestimmungen sind auch insoweit unterschiedlich ausgeformt, als Art. 20 a GG seine Adressaten differenzierend unter dem Blickwinkel der verschiedenen Staatsgewalten erfasst,8 wohingegen der Tierschutz nach der landesverfassungsrechtlichen Zielvorgabe allgemein „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ zu verwirklichen ist.

2. Bereich Auswärtiges und Verteidigung Eine weitere Zielkollision ist mit Blick auf die Staatszielbestimmung „Frieden“ zu konstatieren, wie sie S. 1 der Präambel des Grundgesetzes bzw. der Vorspruch zur baden-württembergischen Verfassung enthalten. Beide Zielvorgaben sind zwar gleichgerichtet, so dass wiederum keine Kollision i.e.S. in Betracht kommt. Es ist aber erneut eine solche i.w.S. zu verzeichnen: Während in der Präambel des Grundgesetzes die Rede davon ist, „dem Frieden der Welt zu dienen“, heißt es im Vorspruch zur Landesverfassung: „dem Frieden zu dienen“. Zudem ist die bundesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung im Gegensatz zur landesverfassungsrechtlichen qualifiziert (durch Art. 24 Abs. 2 GG und Art. 26 GG),9 so dass auch Unterschiede in der Ausformung bestehen. Eine Zielkollision i.w.S. liegt zudem im Fall der Staatszielbestimmung „Europäische Integration“ vor, die in S. 1 der Präambel des Grundgesetzes bzw. im Vorspruch zur baden-württembergischen Verfassung verankert ist.10 Zum einen ___________ 7 Beide Staatszielbestimmungen sind in gleicher Weise ausgeformt; zur betreffenden Konkretisierung mit Blick auf Art. 20 a GG oben unter A. I. 1. 8 Nach Art. 20 a GG werden die Tiere durch die Legislative „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ geschützt und von der Exekutive und der Judikative „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“. 9 Die Landesverfassung trifft keine Aussage dazu, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln ihre Staatszielbestimmung „Frieden“ zu verwirklichen ist. – Näher zu den Konkretisierungen des allgemeinen Friedensgebots i. S. der Präambel des Grundgesetzes oben unter A. I. 2. 10 Mangels gegensätzlicher Normanordnungen ist wiederum keine Zielkollision i.e.S. zu verzeichnen. – Die Staatszielbestimmungen „Europäische Integration“, die im Vorspruch zur baden-württembergischen Verfassung und in der Präambel des Grundgesetzes Verankerung gefunden haben, regeln denselben Ausschnitt des Sachbereichs

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

sind diese Zielvorgaben unterschiedlich formuliert. Während im Grundgesetz von einem „gleichberechtigten Glied“ die Rede ist, findet sich in der Landesverfassung die Formulierung „lebendiges Glied“. Zum anderen weisen sie eine unterschiedliche Ausformung auf: Der Vorspruch zur Landesverfassung enthält die Vorgabe, dass der Aufbau des vereinten Europa „föderativen Prinzipien und dem Grundsatz der Subsidiarität“ entsprechen muss, während die „Europäische Integration“ i. S. der Präambel des Grundgesetzes nicht qualifiziert ist.11

3. Zusammenfassung Auch zwischen den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes und denen der baden-württembergischen Verfassung sind keine Kollisionen i.e.S. zu verzeichnen: Die fünf Zielvorgaben, die denselben Ausschnitt eines Sachbereichs aufgreifen, weisen keine gegensätzlichen Normanordnungen auf. Zwei („Sozialstaat“ und „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“) sind zudem weder unterschiedlich formuliert noch unterschiedlich ausgeformt, so dass insoweit auch keine Zielkollision i.w.S. gegeben ist.

III. Grundgesetz und Verfassung des Landes Brandenburg

Staatszielbestimmungen, die im Grundgesetz und in der brandenburgischen Verfassung denselben Ausschnitt eines Sachbereichs regeln, finden sich in fünf Bereichen.

1. Bereich Soziales Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 BbgVerf enthalten jeweils die Staatszielbestimmung „Sozialstaat“. Eine Zielkollision i.e.S. ist mangels gegensätzlicher Normanordnungen ausgeschlossen. Es liegt aber eine solche i.w.S. vor. Die Zielvorgaben sind zwar insoweit synchron gefasst, als die Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 20 Abs. 1 GG ein „sozialer Bundesstaat“ und Branden___________ Auswärtiges und Verteidigung: Beide Zielvorgaben sind der Europäischen Integration gewidmet, ohne auf die EU/EG beschränkt zu sein. Demgegenüber ist der ausschließlich auf die Integration im Rahmen der EU/EG bezogene Art. 23 Abs. 1 GG hier ohne Bedeutung. Als Staatszielbestimmung „Europäische Union“ gilt er lediglich demselben Sachbereich wie jene landesverfassungsrechtliche Vorgabe, nicht aber auch dem gleichen Ausschnitt aus diesem Bereich. 11 Die Zielvorgabe „Europäische Integration“ i. S. der Präambel des Grundgesetzes ist nicht konkretisiert: Das Grundgesetz gibt für ihre Verwirklichung weder Wege noch Mittel vor.

A. Zielkollisionen

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burg nach Art. 2 Abs. 1 BbgVerf ein „soziales [...] Land“ ist. Darüber hinaus enthält Art. 2 Abs. 1 BbgVerf aber die Formulierung „der Gerechtigkeit [...] verpflichtetes“ Land. Im Fall des landesverfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips ist demnach der Gedanke der Gerechtigkeit stärker akzentuiert.

2. Bereich Umweltschutz Von der Zielrichtung her gleichgerichtet sind auch die Zielvorgaben „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ i. S. des Art. 20 a GG und „Schutz der Natur und Umwelt“ i. S. des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf. Hier kommt also erneut keine Kollision i.e.S. in Betracht. Es ist aber wiederum eine solche i.w.S. gegeben. Im Gegensatz zu Art. 20 a GG spricht Art. 39 Abs. 1 BbgVerf nicht von den natürlichen Lebensgrundlagen, die „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“ geschützt werden, sondern vom Schutz der Natur und der Umwelt „als Grundlage künftigen und gegenwärtigen Lebens“. Zudem sind die Staatszielbestimmungen unterschiedlich ausgeformt, da Art. 20 a GG die Adressaten der Verpflichtung (im Gegensatz zur landesverfassungsrechtlichen Zielvorgabe) differenzierend unter dem Blickwinkel der verschiedenen Staatsgewalten erfasst.12 Umgekehrt erlegt Art. 39 Abs. 1 BbgVerf die Pflicht zum Schutz der Umweltmedien nicht allein dem Land, sondern ausdrücklich auch allen Menschen auf: Er enthält (anders als Art. 20 a GG) eine Grundpflicht. Weitere Konkretisierungen erfolgen durch Art. 39 Abs. 4 BbgVerf, demzufolge die staatliche Umweltpolitik auf den sparsamen Gebrauch und die Wiederverwendung von Rohstoffen sowie auf die sparsame Nutzung von Energie hinzuwirken hat, und durch Art. 39 Abs. 6 BbgVerf, welcher der Entsorgung von Abfällen gilt. Des Weiteren sind Land, Gemeinden und Gemeindeverbände verpflichtet, Informationen über Belastungen der natürlichen Umwelt zu erheben und zu dokumentieren, während Eigentümer und Betreiber von Anlagen eine entsprechende Offenbarungspflicht haben (Art. 39 Abs. 7 S. 1 BbgVerf). Nach Art. 39 Abs. 8 S. 1 BbgVerf ist zudem die Verbandsklage zulässig, und Art. 39 Abs. 8 S. 2 BbgVerf zufolge haben anerkannte Umweltverbände das Recht auf Beteiligung an bestimmten Verwaltungsverfahren. Schließlich bedarf der Abbau von Bodenschätzen der staatlichen Genehmigung (Art. 40 Abs. 2 BbgVerf),13 und die Nutzung des Bodens durch die Land- und Forstwirtschaft muss nach Art. 43 Abs. 1 BbgVerf „auf Standortgerechtigkeit, Stabilität der Ertragsfähigkeit und ökologische Verträglichkeit ausgerichtet sein“. ___________ 12

Nach Art. 20 a GG werden die natürlichen Lebensgrundlagen durch die Legislative „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ geschützt und von der Exekutive und der Judikative „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“. 13 Dabei ist dem öffentlichen Interesse an der schonenden Nutzung des Bodens besonderes Gewicht beizumessen, s. Art. 40 Abs. 2 S. 2 BbgVerf.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

Auch bei der Staatszielbestimmung „Tierschutz“, wie sie Art. 20 a GG bzw. Art. 39 Abs. 3 S. 1 BbgVerf enthält, ist eine Kollision i.e.S. mangels gegensätzlicher Normanordnungen ausgeschlossen. Allerdings bestimmt Art. 39 Abs. 3 S. 1 BbgVerf, dass das Tier „als Lebewesen geachtet“ wird, während die Tiere nach Art. 20 a GG auch in Verantwortung für die künftigen Generationen geschützt werden. Unterschiede bestehen auch insoweit, als Art. 20 a GG seine Adressaten (anders als die [nicht qualifizierte] landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe) differenzierend unter dem Blickwinkel der verschiedenen Staatsgewalten erfasst.14 Folglich ist erneut eine Zielkollision i.w.S. zu verzeichnen.

3. Bereich Wirtschaft und Finanzen Eine Zielkollision ist ebenfalls im Fall der Staatszielbestimmungen zu konstatieren, die dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht gelten (Art. 109 Abs. 2 GG bzw. Art. 101 Abs. 1 BbgVerf). Diese Zielvorgaben weisen zwar keine gegensätzlichen Normanordnungen auf, so dass erneut keine Kollision i.e.S. in Betracht kommt. Es liegt aber wiederum eine solche i.w.S. vor, da die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung (im Gegensatz zum [ebenfalls nicht qualifizierten]15 Art. 109 Abs. 2 GG) explizit dazu verpflichtet, (auch) „dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gegenwärtiger und künftiger Generationen Rechnung zu tragen“.16

4. Bereich Auswärtiges und Verteidigung Hinsichtlich der Zielvorgaben „Frieden“, die in S. 1 der Präambel des Grundgesetzes bzw. Art. 2 Abs. 1 BbgVerf verankert sind, liegt gleichfalls eine Zielkollision i.w.S. vor.17 Während Art. 2 Abs. 1 BbgVerf Brandenburg als „ein [...] dem Frieden [...] verpflichtetes [...] Land“ bezeichnet, heißt es in S. 1 der ___________ 14

Zu dieser Ausformung der Zielvorgabe „Tierschutz“ i. S. des Art. 20 a GG bereits oben unter A. II. 1. 15 Weder gibt das Grundgesetz Wege und Mittel für die Verwirklichung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i. S. des Art. 109 Abs. 2 GG vor, noch tut dies die Landesverfassung hinsichtlich Art. 101 Abs. 1 BbgVerf. 16 Mit Inkrafttreten der Änderung des Grundgesetzes, die im Zuge der Föderalismusreform II beschlossen wurden (BR-Drs. 510/09; BT-Drs. 16/12410), besteht eine solche Kollision zudem darin, dass Bund und Länder den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nach Art. 109 Abs. 2 (n.F.) GG im Rahmen der Erfüllung ihrer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin Rechnung zu tragen haben. 17 Eine Zielkollision i.e.S. kommt erneut nicht in Betracht, da die Zielvorgaben keine gegensätzlichen Normanordnungen aufweisen.

A. Zielkollisionen

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Präambel des Grundgesetzes: „von dem Willen beseelt, [...] dem Frieden der Welt zu dienen“. Zudem unterscheiden sich diese Staatszielbestimmungen bzgl. ihrer Ausformung, da das Friedensgebot i. S. der Präambel des Grundgesetzes im Gegensatz zur landesverfassungsrechtlichen Zielvorgabe qualifiziert ist (und zwar durch Artt. 24 Abs. 2, 26 GG).18 Im Fall der „Europäischen Integration“, wie sie die Präambel des Grundgesetzes bzw. diejenige der brandenburgischen Verfassung enthält, ist wiederum eine Zielkollision i.w.S. zu verzeichnen.19 Während es in der Präambel des Grundgesetzes „vereintes Europa“ und „gleichberechtigtes Glied“ heißt, lautet die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung: „von dem Willen beseelt, [...] Brandenburg als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland in einem sich einigenden Europa [...] zu gestalten“. Hinsichtlich der Ausformung sind demgegenüber keine Unterschiede zu konstatieren, da beide Zielvorgaben nicht qualifiziert sind.20

5. Bereich Gleichstellung der Geschlechter Eine Zielkollision i.w.S. liegt schließlich auch bei der „Gleichstellung der Geschlechter“ (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG bzw. Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) vor.21 Im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG verpflichtet die landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe nicht dazu, „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, sondern sie gibt dem Land Brandenburg auf, „für die Gleichstellung von Frau und Mann [...] zu sorgen“. Daneben sind die Staatszielbestimmungen auch insoweit unterschiedlich ausgeformt, als Art. 12 ___________ 18

Die Landesverfassung trifft keine Aussage dazu, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln ihre Staatszielbestimmung „Frieden“ zu verwirklichen ist. – Näher zu den Konkretisierungen des allgemeinen Friedensgebots i. S. der Präambel des Grundgesetzes oben unter A. I. 2. 19 Mangels gegensätzlicher Normanordnungen ist eine Zielkollision i.e.S. auch insoweit ausgeschlossen. – Die Staatszielbestimmungen „Europäische Integration“, die in der Präambel des Grundgesetzes und derjenigen der brandenburgischen Verfassung Verankerung gefunden haben, regeln denselben Ausschnitt des Sachbereichs Auswärtiges und Verteidigung: Beide Zielvorgaben beziehen sich auf die Europäische Integration, ohne auf die EU/EG beschränkt zu sein. Nicht um Parallelvorgaben handelt es sich demgegenüber bei jener landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung und dem ausschließlich auf die Integration im Rahmen der EU/EG bezogenen Art. 23 Abs. 1 GG. Dazu (mit Blick auf die Kollisionen zwischen den baden-württembergischen Zielvorgaben und denen des Grundgesetzes) oben unter A. II. 2., Fn. 10. 20 Weder gibt das Grundgesetz Wege und Mittel für die Verwirklichung der Staatszielbestimmung „Europäische Integration“ vor, noch tut dies die Landesverfassung. 21 Es kommt wiederum keine Zielkollision i.e.S. in Betracht: Die Zielvorgaben sind gleichgerichtet.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

Abs. 3 S. 2 BbgVerf (anders als die insoweit weniger normierungsintensive Vorgabe des Grundgesetzes) explizit bestimmt, dass das Land „in Beruf, öffentlichem Leben, Bildung und Ausbildung, Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung durch wirksame Maßnahmen“ für die Gleichstellung der Geschlechter zu sorgen hat.

6. Zusammenfassung Es liegt erneut keine Zielkollision i.e.S. vor. Die Staatszielbestimmungen, die im Grundgesetz und in der Verfassung des Landes Brandenburg denselben Ausschnitt eines Sachbereichs aufgreifen, sind jedoch allesamt unterschiedlich formuliert und (abgesehen von der „Europäischen Integration“) auch divergierend ausgeformt. In allen sieben Fällen sind daher Kollisionen i.w.S. gegeben.

IV. Fazit

Die Staatszielbestimmungen, die denselben Ausschnitt eines Sachbereichs aufgreifen, weisen keine gegensätzlichen Normanordnungen auf. Zielkollisionen i.e.S. sind daher nicht zu verzeichnen. Je nach der dem Grundgesetz gegenübergestellten Landesverfassung liegen Zielkollisionen i.w.S. in geringerer oder größerer Zahl vor. Dieser Befund ist einerseits ein Beleg für die große Homogenität der Verfassungsebenen von Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat und deutschen Ländern: Ausnahmsweise sind sogar Zielkongruenzen zu verzeichnen.22 Andererseits verweist er auf eine gewisse Distanz: Die Zielkollisionen i.w.S. machen deutlich, dass die Landesverfassunggeber bzw. die verfassungsändernden Gesetzgeber den Spielraum, der ihnen im Kraftfeld des Grundgesetzes verbleibt, in einem zentralen Bereich genutzt haben.23 Aus diesen Fällen übereinstimmender Zielrichtung, aber unterschiedlicher Formulierung und Ausformung resultiert ein durchaus eigenständiger Klang der Landesverfassungen. Derartige Zielkollisionen sind folglich ein gutes Zeichen für die Vitalität des Föderalismus bundesdeutscher Prägung.

___________ 22 Gleichgerichtete Staatszielbestimmungen, die weder unterschiedlich formuliert noch divergierend ausgeformt sind, liegen lediglich in zwei Fällen vor. Es handelt sich zum einen um Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf und Art. 20 Abs. 1 GG, die jeweils die Zielvorgabe „Sozialstaat“ enthalten, zum anderen um Art. 3 a BaWüVerf und Art. 20 a GG, die dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gelten. 23 s. auch bereits 5. Kap. unter B. VII.

B. Überschießende Staatszielbestimmungen

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Des Weiteren kann ein quantitativer Unterschied hinsichtlich dieser Kollisionen zwischen Grundgesetz und den drei Referenzverfassungen konstatiert werden. Stellt man Grundgesetz und brandenburgische Verfassung gegenüber, kollidieren sieben Staatszielbestimmungen, also mehr als doppelt so viele wie bei der Gegenüberstellung von Grundgesetz und baden-württembergischer Verfassung sowie mehr als dreimal so viele wie bei Grundgesetz und hessischer Verfassung. Daneben lässt sich eine Differenz qualitativer Art ausmachen: Infolge (eher) umfangreicher Konkretisierungen nehmen sich die brandenburgischen Staatszielbestimmungen meist weit komplexer aus als diejenigen der anderen Referenzverfassungen. Im Sachbereich Umweltschutz ist dies besonders deutlich.

B. Überschießende Staatszielbestimmungen Eine überschießende Staatszielbestimmung liegt zum einen vor, wenn eine im Grundgesetz oder in einer Landesverfassung verankerte wirksame Zielvorgabe einen Sachbereich aufgreift, der in der jeweils anderen Verfassung durch keine (wirksame) Staatszielbestimmung geregelt ist. Zum anderen handelt es sich um eine solche Zielvorgabe auch in denjenigen Fällen, in denen ein und demselben Bereich zwar in beiden Verfassungen wirksame Staatszielbestimmungen gewidmet sind, aber (zumindest) ein Ausschnitt des betreffenden Sachbereichs lediglich in einer der Verfassungen entsprechend ausgestaltet ist.24

I. Grundgesetz und Verfassung des Landes Hessen

1. Nicht in beiden Verfassungen geregelte Sachbereiche Der Bereich Bildung und Kultur wird lediglich in der hessischen Verfassung durch Staatszielbestimmungen ausgestaltet.25 Nach Art. 62 S. 1 HessVerf ge___________ 24

Klärung des Terminus „überschießende Staatszielbestimmung“ im 2. Kap. unter B. I. 2. 25 Eine Staatszielbestimmung „Kulturpflege“ wurde von der Kommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge“ 1983 zwar zur Aufnahme in das Grundgesetz empfohlen (s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 127 ff. Rn. 207-210). Dies ist bislang aber nicht geschehen; in der GVK scheiterte eine solche „Kulturklausel“ an der erforderlichen (Zwei-Drittel-)Mehrheit, während sie in der laufenden Legislaturperiode in der 228. Sitzung des Bundestags bereits die einfache Mehrheit verfehlte. Zur Frage einer entsprechenden Ergänzung des Grundgesetzes Geis, ZG 7 (1992), S. 38 ff.; Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, BT-Drs. 15/5560. Ebenso fehlte es an der erforderlichen Mehrheit für die (ebenfalls in der GVK diskutierte) Aufnahme einer Staatszielbestimmung „Bildung und Ausbildung“ in das Grundgesetz, s. BT-Drs. 12/6000.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

nießen die Kunst-, Geschichts- und Kulturdenkmäler Schutz und Pflege.26 Es handelt sich hierbei um eine qualifizierte Zielvorgabe, da Art. 62 S. 2 HessVerf bestimmt, dass der Staat und die Gemeinden „im Rahmen besonderer Gesetze über die künstlerische Gestaltung beim Wiederaufbau der deutschen Städte, Dörfer und Siedlungen“ wachen. Als zweite überschießende Staatszielbestimmung der Landesverfassung ist der Schutz und die Pflege des Sports zu nennen;27 diese in Art. 62 a HessVerf verankerte Zielvorgabe ist nicht qualifiziert.28 Lediglich im Grundgesetz aufgegriffen wird demgegenüber der Bereich „Gleichstellung der Geschlechter“, s. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG.

2. Unterschiedliche Ausschnitte desselben Sachbereichs Im sozialen Bereich findet sich auf Seiten des Grundgesetzes mit Art. 20 Abs. 1 GG eine (nicht qualifizierte)29 überschießende Staatszielbestimmung, da die hessische Verfassung keine Zielvorgabe „Sozialstaat“ kennt. Demgegenüber enthält die Landesverfassung mit Art. 28 Abs. 2 HessVerf die einzelprogrammatische Staatszielbestimmung „Arbeit“.30 Es handelt sich dabei um eine quali___________ 26

Der Denkmalschutz verkörpert freilich auch auf gesamtstaatlicher Ebene einen Gemeinwohlauftrag von hohem Rang, s. BVerfGE 100, 226 (242). – Die Bundesrepublik Deutschland ist auch ohne eine Staatszielbestimmung „Denkmalschutz“ als Kulturstaat einzuordnen. So hat der Bund etwa eine „ungeschriebene“ Kulturpflicht kraft Natur der Sache. Dieser Kulturauftrag im gesamtstaatlichen Interesse („Zuständigkeit zur Wahrung von Belangen gesamtstaatlicher oder internationaler Bedeutung“) kann sich auf Kulturfelder in den alten ebenso wie in den neuen Ländern beziehen, s. Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (417). Zum Kulturauftrag des Bundes 5. Kap. unter B. II. 5., Fn. 189. 27 Die Forderung, eine Staatszielbestimmung „Sport-(förderung)“ in das Grundgesetz aufzunehmen (s. etwa Steiner, SpuRT 1994, S. 2 [5] m.w.N.), fand keinen Eingang in die Beratungen der GVK. 28 Diese Staatszielbestimmung ist nicht näher konkretisiert: Weder Wege noch Mittel für ihre Verwirklichung sind qua Verfassung vorgegeben. 29 Die Zielvorgabe „Sozialstaat“ i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG ist nicht konkretisiert. Dazu bereits oben unter A. II. 1. 30 Eine Staatszielbestimmung „Arbeit“ wurde von der Kommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge“ 1983 zwar zur Aufnahme in das Grundgesetz empfohlen (s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 67 Rn. 87 ff.). Eine solche hat bislang aber keinen Eingang in das Grundgesetz gefunden; in der GVK scheiterte sie an der erforderlichen (Zwei-Drittel-)Mehrheit, s. BT-Drs. 12/6000, S. 71. – Der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit kommt auf gesamtstaatlicher Ebene jedoch ebenfalls Verfassungsrang zu, und zwar über das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG: Der Sozialstaat ist zur Reaktion auf Arbeitslosigkeit verpflichtet (s. 5. Kap. unter B. I. 2. a] aa]). Außerdem schreibt Art. 109 Abs. 2 GG i.V.m. § 1 S. 2 StabG v. 8.6.1967 (BGBl. I, S. 582) Bund und Ländern vor, bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Unter diesem Gleichgewicht ist die gleichzeitige Verwirklichung von Stabilität des Preisniveaus, hohem Beschäftigungsstand, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und stetigem Wirtschaftswachstum zu

B. Überschießende Staatszielbestimmungen

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fizierte Zielvorgabe; flankierende Maßnahmen finden sich etwa im Programmsatz31 des Art. 28 Abs. 1 HessVerf32 und im Gesetzgebungsauftrag des Art. 28 Abs. 3 HessVerf.33 Daneben liegt mit Art. 30 Abs. 1 HessVerf ein Programmsatz für die inhaltliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen vor.34 Auch im Bereich Umweltschutz weist das Grundgesetz eine überschießende Staatszielbestimmung auf: den Tierschutz i. S. des Art. 20 a GG, der in keiner der hessischen Zielvorgaben ausdrückliche Erwähnung findet.35 Es handelt sich dabei um eine qualifizierte Staatszielbestimmung, da Art. 20 a GG hinsichtlich seiner Adressaten nach den verschiedenen Staatsgewalten differenziert.36 Umgekehrt kennt das Grundgesetz keine Parallelvorgabe zu Art. 62 S. 1 HessVerf, demzufolge die Landschaft den Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden genießt.37 Auf Seiten der Landesverfassung ist daher ebenfalls eine ___________ verstehen (5. Kap. unter B. I. 2. a] bb] vor [1]). Das Grundgesetz verpflichtet den Staat also durchaus, einen hohen Beschäftigungsstand anzustreben. 31 Ebenso mit Blick auf die Parallelvorschrift der rheinland-pfälzischen Verfassung (Art. 53 Abs. 1) Bartz, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 53 Rn. 2 f.; auch die entsprechende Bestimmung der bayerischen Verfassung wird als Programmsatz eingeordnet, s. etwa Meder, BayVerf, Art. 167 Rn. 1 m.w.N. 32 Art. 28 Abs. 1 HessVerf lautet: „Die menschliche Arbeitskraft steht unter dem besonderen Schutz des Staates“. – Aus Art. 28 Abs. 1 HessVerf resultiert kein Recht des Einzelnen auf Arbeitsschutzmaßnahmen des Staates, s. HessStGH ESVGH 22, 13 (17); 30, 1 (2); Barwinski, in: Zinn/Stein, HessVerf, Anm. 1 zu Art. 28. 33 Art. 28 Abs. 3 HessVerf lautet: „Wer ohne Schuld arbeitslos ist, hat Anspruch auf den notwendigen Unterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen. Ein Gesetz regelt die Arbeitslosenversicherung“. – Diese Vorschrift gewährt trotz ihres Wortlauts keinen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf Fürsorgeunterstützung. Näher Barwinski, in: Zinn/Stein, HessVerf, Anm. 1 zu Art. 28. 34 Art. 30 Abs. 1 HessVerf lautet: „Die Arbeitsbedingungen müssen so beschaffen sein, dass sie die Gesundheit, die Würde, das Familienleben und die kulturellen Ansprüche des Arbeitnehmers sichern; insbesondere dürfen sie die leibliche, geistige und sittliche Entwicklung der Jugendlichen nicht gefährden“. – Der Wortlaut weist lediglich die Richtung, wie die Arbeitsbedingungen zu gestalten sind; er enthält keine inhaltlich bestimmte oder bestimmbare Rechtsfolge. Ebenso zur entsprechenden Bestimmung der rheinland-pfälzischen Verfassung (Art. 55) Bartz, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 55 Rn. 2. 35 Allerdings gehören zu den natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen i. S. des Art. 26 a HessVerf auch Tiere und Pflanzen, und zwar insoweit, als sie im gesamten Naturkreislauf von Bedeutung sind (also nicht etwa lediglich in dem Sinn, dass sie z. T. unmittelbar zur Nahrung oder in sonstiger Weise zur Erhaltung des Menschen dienen). Ebenso Hinkel, HessVerf, Anm. zu Art. 26 a. 36 Dazu bereits oben unter A. I. 1. 37 Die landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe „Landschaftsschutz“ wird jedoch mittelbar von der Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG zu Gunsten der natürlichen Lebensgrundlagen berührt: Die Pflege der Landschaft ist bekanntermaßen ein wichtiger Teilbereich des Umweltschutzes, vgl. etwa Meder, BayVerf, Art. 141 Rn. 2 b. – Die Landschaft rechnet zu den natürlichen Lebensgrundlagen i. S. des Art. 20 a GG. Dies gilt bei Zugrundelegung eines funktionellen Verständnisses von „Landschaft“ ebenso

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

überschießende (allerdings nicht qualifizierte)38 Zielvorgabe im Bereich Umweltschutz zu verzeichnen. Im Bereich Wirtschaft und Finanzen weist das Grundgesetz eine überschießende Staatszielbestimmung auf: das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht i. S. des Art. 109 Abs. 2 GG.39 Umgekehrt findet sich zu Art. 43 Abs. 1 HessVerf keine Parallelvorgabe auf gesamtstaatlicher Ebene. Diese Mittelstandsförderung verpflichtet ihre Adressaten dazu, „selbstständige Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft, Gewerbe, Handwerk und Handel [...] zu fördern und besonders vor Überlastung und Aufsaugung zu schützen“. Konkretisiert wird sie durch Art. 43 Abs. 2 HessVerf, der bestimmt, dass zu diesem Zweck „die genossenschaftliche Selbsthilfe auszubauen“ ist. Eine zweite überschießende Zielvorgabe enthält die hessische Verfassung in diesem Bereich mit dem (nicht qualifizierten)40 Genossenschaftswesen i. S. des Art. 44 HessVerf. Der Bereich Auswärtiges und Verteidigung kennt sogar zwei überschießende Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes. Es handelt sich zum einen um die Europäische Integration i. S. der Präambel, zum anderen um die „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG). Während jene keine Konkretisierung aufweist,41 handelt es sich bei dieser um eine qualifizierte Zielvorgabe; neben der Struktursicherungsklausel (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG)42 wird sie durch einen Gesetzgebungsauftrag (Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG) und nähere Vorgaben hinsichtlich des Verfahrens bei der Zielverwirklichung (Art. 23 Abs. 2-7 GG) konkretisiert. Zudem gilt nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG die Revisionssperrklausel des Art. 79 Abs. 3 GG für die Begründung der EU/EG sowie die Änderung ihrer vertraglichen Grundlagen.43 Auch die Landesverfassung enthält eine überschießende (jedoch nicht qualifizierte)44 Zielvorgabe in diesem Bereich: Anders als das ___________ wie dann, wenn man darauf abstellt, dass die Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Landschaft als ästhetische Gesichtspunkte zu jenen Lebensgrundlagen zählen; vgl. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20 a Rn. 27 ff.; v. Zezschwitz, in: Zinn/Stein, HessVerf, Art. 26 a Rn. 73; zur Notwendigkeit des Landschaftsschutzes angesichts der Industrialisierung Groß, in: Stein, HessVerf, S. 269 (284). 38 Die Landesverfassung trifft keine Aussage dazu, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln ihre Staatszielbestimmung „Landschaftsschutz“ zu verwirklichen ist. 39 Hierbei handelt es sich um keine qualifizierte Zielvorgabe, s. oben unter A. III. 3. 40 Mit Blick auf Art. 44 HessVerf sind keine Konkretisierungen zu verzeichnen. So gibt die Verfassung etwa weder Art noch Umfang der Förderung des Genossenschaftswesens vor. 41 Dazu bereits oben unter A. II. 2. 42 Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG enthält bestimmte Vorgaben für die EU bzw. Anforderungen an sie, s. 5. Kap. unter B. V. 3., Fn. 256. 43 Zum Ganzen wie auch zum Unterschied zur früheren Rechtslage Sommermann, DÖV 1994, S. 596 (599 ff., 603 f.). 44 Die Staatszielbestimmung „Völkerverständigung“ ist nicht konkretisiert: Die Landesverfassung enthält keine Vorgaben für die Modalitäten der Zielverwirklichung.

B. Überschießende Staatszielbestimmungen

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Grundgesetz bekennt sich das Land Hessen mit Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf ausdrücklich zur Völkerverständigung.

3. Zusammenfassung Es variiert sowohl die Anzahl der Sachbereiche, die durch Staatszielbestimmungen geregelt sind, wie auch die der Zielvorgaben, die denselben Lebensund Normbereich aufgreifen. Die hessische Verfassung kennt insgesamt sieben überschießende Staatszielbestimmungen. Auf den Bereich Bildung und Kultur, den allein die Landesverfassung durch Staatszielbestimmungen ausgestaltet, entfallen zwei dieser Zielvorgaben. Je eine überschießende landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung gilt den (auch im Grundgesetz aufgegriffenen) Bereichen Soziales, Umweltschutz sowie Auswärtiges und Verteidigung, während der Bereich Wirtschaft und Finanzen wiederum zwei solcher Zielvorgaben aufweist. Auf Seiten des Grundgesetzes sind sechs überschießende Staatszielbestimmungen zu verzeichnen: in den Bereichen Soziales, Umweltschutz, Wirtschaft und Finanzen sowie Gleichstellung der Geschlechter je eine, im Bereich Auswärtiges und Verteidigung zwei.

II. Grundgesetz und Verfassung des Landes Baden-Württemberg

1. Nicht in beiden Verfassungen geregelte Sachbereiche Während das Grundgesetz der Bildung und Kultur keine Staatszielbestimmungen widmet,45 finden sich in der baden-württembergischen Verfassung hier fünf Zielvorgaben. Es handelt sich zunächst um Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf, der den Staat verpflichtet, alle Vorkehrungen zu treffen, um dem Einzelnen die Chance seiner bildungsmäßigen und beruflichen Entfaltung zu gewähren.46 Diese Staatszielbestimmung „Erziehung und Ausbildung“ wird neben einem in Art. 11 Abs. 4 BaWüVerf verankerten Gesetzgebungsauftrag durch Vorgaben für die Gestaltung des öffentlichen Schulwesens (Art. 11 Abs. 2 BaWüVerf) sowie durch Art. 11 Abs. 3 BaWüVerf konkretisiert, der bestimmt, dass Staat, Gemeinden und Gemeindeverbände die erforderlichen Mittel bereitstellen. Als zweite überschießende Staatszielbestimmung ist Art. 22 BaWüVerf zu ver___________ 45

s. bereits oben unter B. I. 1. Freilich lässt sich bereits aus dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG die Verpflichtung herleiten, die Voraussetzungen dafür zu sichern, dass jedem (ohne Rücksicht auf Herkunft und wirtschaftliche Lage) die Chance auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung offen steht. Dazu 5. Kap. unter B. II. 1. 46

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

zeichnen, der (ohne Qualifizierung)47 zur Förderung der Erwachsenenbildung verpflichtet.48 Keine Entsprechung im Grundgesetz finden des Weiteren die Zielvorgaben „kulturelles Leben“ und „Sport“ (beide Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf) sowie „Denkmalschutz“ (Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf).49 Um qualifizierte Staatszielbestimmungen handelt es sich insoweit lediglich bei den beiden erstgenannten: Sie müssen gem. Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf „unter Wahrung der Autonomie der Träger“ gefördert werden.50 Lediglich im Grundgesetz aufgegriffen wird demgegenüber die „Gleichstellung der Geschlechter“ (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG). Der Bereich Heimat wiederum ist allein in der baden-württembergischen Verfassung durch eine Staatszielbestimmung ausgestaltet. In dieser Zielvorgabe, dem (nicht qualifizierten)51 „Menschenrecht auf die Heimat“ i. S. des Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf, liegt daher die sechste überschießende landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung.

2. Unterschiedliche Ausschnitte desselben Sachbereichs Im Gegensatz zum Grundgesetz, das im Bereich Soziales keine überschießende Staatszielbestimmung kennt, enthält die baden-württembergische Verfassung zwei Zielvorgaben, die das allgemein gefasste Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf konkretisieren: zum einen Artt. 6, 87 BaWüVerf, die der Wohlfahrtspflege der Kirchen, anerkannten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie freien Wohlfahrtsverbände gewidmet sind,52 zum anderen Art. 13 S. 1 BaWüVerf, demzufolge die Jugend gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige und körperliche Gefährdung zu schützen ist.53 Um ___________ 47

Die Landesverfassung trifft keine Aussage dazu, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln ihre Staatszielbestimmung „Erwachsenenbildung“ zu verwirklichen ist. 48 Eine solche Weiterbildung ist als sozialstaatliches Anliegen vom allgemein gehaltenen Art. 20 Abs. 1 GG erfasst, s. 5. Kap. unter B. II. 3. 49 Die Bundesrepublik Deutschland ist allerdings auch ohne entsprechende Staatszielbestimmungen als Kulturstaat einzuordnen. Dazu 5. Kap. unter B. II. 5. 50 Demgegenüber ist die Staatszielbestimmung „Denkmalschutz“ nicht konkretisiert, da die Landesverfassung weder Wege noch Mittel für ihre Verwirklichung vorgibt. 51 Es handelt sich bei Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf um eine nicht konkretisierte Zielvorgabe: Für die Verwirklichung des „Menschenrechts auf die Heimat“ sind qua Verfassung weder Wege noch Mittel vorgezeichnet. 52 Bei der Gewährleistung der freien Wohlfahrtspflege handelt es sich um ein Anliegen des Sozialstaatsprinzips i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG, s. 5. Kap. unter B. I. 4. 53 Diese Verpflichtung ist auch dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG zu entnehmen; dazu 5. Kap. unter B. I. 6. – Einen entsprechenden Schutzauftrag beinhaltet zudem der Vorbehalt des Jugendschutzes in Art. 5 Abs. 2 GG. Nach der in dieser Bestimmung getroffenen Wertung ist dieser Schutz der Jugend ein Ziel von bedeutendem Rang und ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen, s. BVerfGE 30, 333 (348); 77, 346

B. Überschießende Staatszielbestimmungen

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eine qualifizierte Staatszielbestimmung handelt es sich lediglich bei Letzterer. Sie wird konkretisiert durch Art. 13 S. 2 BaWüVerf, wonach Staat und Gemeinden die erforderlichen Einrichtungen schaffen, sowie durch die Klausel, dass die Aufgaben dieser Einrichtungen auch durch die freie Wohlfahrtspflege wahrgenommen werden können (Art. 13 S. 3 BaWüVerf).54 Im Umweltschutz weist das Grundgesetz gleichfalls keine überschießende Zielvorgabe auf. Auf Seiten der Landesverfassung ist hingegen erneut eine solche Staatszielbestimmung zu verzeichnen: Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf, der (ohne Qualifizierung)55 bestimmt, dass die Landschaft den Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden genießt.56 Im Bereich Wirtschaft und Finanzen enthält nun auch das Grundgesetz eine überschießende Staatszielbestimmung. Es handelt sich um das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht i. S. des Art. 109 Abs. 2 GG. Ebenso findet sich eine überschießende Zielvorgabe in der Landesverfassung, und zwar die Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts, die im Vorspruch verankert ist. Beide sind nicht qualifiziert.57 Im Bereich Auswärtiges und Verteidigung weist das Grundgesetz wiederum eine überschießende Staatszielbestimmung auf: die „Europäische Union“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 GG.58 Diese ist etwa durch Vorgaben hinsichtlich des Verfahrens bei der Zielverwirklichung konkretisiert (Art. 23 Abs. 2-7 GG) und damit qualifiziert.59 In der baden-württembergischen Verfassung finden sich hingegen zwei überschießende Zielvorgaben. Es handelt sich um die im Vorspruch

___________ (356). Im Übrigen wird der Jugendschutz durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet. Dazu BVerfGE 83, 130 (140). 54 Die Staatszielbestimmung „Wohlfahrtspflege“ (Artt. 6, 87 BaWüVerf) ist demgegenüber nicht näher konkretisiert: Die Landesverfassung gibt weder Wege noch Mittel für die Zielverwirklichung vor. 55 Die Landesverfassung trifft keine Aussage dazu, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln ihre Staatszielbestimmung „Landschaftsschutz“ zu verwirklichen ist. 56 Die Zielvorgabe „Landschaftsschutz“ i. S. des Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf wird jedoch mittelbar von der Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG zu Gunsten der natürlichen Lebensgrundlagen berührt; vgl. oben unter B. I. 2., Fn. 37. 57 Die Landesverfassung gibt keine Wege und Mittel vor, wie der wirtschaftliche Fortschritt zu fördern ist. Entsprechend zur Staatszielbestimmung „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ oben unter A. III. 3. 58 Die „Europäische Union“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 GG regelt nicht denselben Ausschnitt des Bereichs Auswärtiges und Verteidigung wie die Zielvorgabe „Europäische Integration“, die im Vorspruch zur baden-württembergischen Verfassung verankert ist; dazu oben unter A. II. 2., Fn. 10. 59 Zu den weiteren Konkretisierungen oben unter B. I. 2.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

verankerten (nicht qualifizierten)60 Staatszielbestimmungen „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“61 und „Europa der Regionen“.62

3. Zusammenfassung Das Grundgesetz enthält drei überschießende Staatszielbestimmungen: je eine in den Sachbereichen Wirtschaft und Finanzen, Auswärtiges und Verteidigung sowie Gleichstellung der Geschlechter. In der baden-württembergischen Verfassung finden sich demgegenüber zwölf überschießende Zielvorgaben. Die Anzahl der Sachbereiche, die durch Staatszielbestimmungen aufgegriffen werden, unterscheidet sich dabei ebenso wie die der Zielvorgaben, die denselben Bereich regeln. Auf die (auch im Grundgesetz aufgegriffenen) Bereiche Soziales sowie Auswärtiges und Verteidigung entfallen je zwei überschießende Staatszielbestimmungen, auf Umweltschutz sowie Wirtschaft und Finanzen je eine. Den Sachbereichen Bildung und Kultur sowie Heimat gelten die weiteren überschießenden Zielvorgaben der baden-württembergischen Verfassung.

III. Grundgesetz und Verfassung des Landes Brandenburg

1. Nicht in beiden Verfassungen geregelte Sachbereiche a) Bereich Bildung und Kultur Während das Grundgesetz den Bereich Bildung und Kultur nicht durch Staatszielbestimmungen regelt,63 kennt die brandenburgische Verfassung zwölf solcher Zielvorgaben. Es handelt sich neben dem „Recht auf Bildung“ i. S. des Art. 29 Abs. 1 BbgVerf“64 zunächst um die Förderung von Schulen (Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf) und die Förderung beruflicher Ausbildungssysteme ___________ 60

Die Zielvorgabe „Europa der Regionen“ ist ebenso wenig konkretisiert wie die „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“: Qua Verfassung sind weder Wege noch Mittel für die Zielverwirklichung vorgezeichnet. 61 Es besteht auch ohne entsprechende Staatszielbestimmung eine bundesrechtliche Verpflichtung, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften zu erleichtern und zu fördern. Dazu 5. Kap. unter B. V. 2. 62 Die Schaffung eines Europas der Regionen ist allerdings mittelbar von der Zielvorgabe „Europäische Integration“ i. S. der Präambel des Grundgesetzes umfasst: Diese sagt nichts über die Rechtsform der Integration aus, s. 5. Kap. unter B. V. 2. 63 s. bereits oben unter B. I. 1. 64 Diese Verpflichtung ergibt sich ebenso aus dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG. Vgl. oben unter B. II. 1., Fn. 46 sowie 5. Kap. unter B. II. 1.

B. Überschießende Staatszielbestimmungen

337

(Art. 29 Abs. 2 BbgVerf).65 Von diesen drei Zielvorgaben ist lediglich die Förderung von Schulen qualifiziert. Sie wird konkretisiert durch die Garantie der Schulgeldfreiheit (Art. 30 Abs. 5 S. 2 BbgVerf) sowie Art. 30 Abs. 5 S. 2 BbgVerf, wonach Lern- und Lehrmittelfreiheit durch Gesetz zu regeln sind.66 Eine weitere überschießende Staatszielbestimmung findet sich mit der Förderung der Weiterbildung von Erwachsenen (Art. 33 Abs. 1 S. 1 BbgVerf).67 Auch diese ist qualifiziert, da Art. 33 Abs. 1 S. 2 BbgVerf das „Recht auf Errichtung von Weiterbildungseinrichtungen in freier Trägerschaft“ gewährleistet. Die fünfte überschießende Zielvorgabe – die Förderung von Begabten, sozial Benachteiligten und Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen (Art. 29 Abs. 3 S. 2 BbgVerf)68 – weist hingegen keine Qualifizierung auf.69 Gleiches gilt für die Staatszielbestimmung „Kulturstaat“ i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf.70 Weitere überschießende Zielvorgaben sind die Förderung des kulturellen Lebens und der Vermittlung des kulturellen Erbes (Art. 34 Abs. 2 S. 1 BbgVerf), die Förderung der Kunst (Art. 34 Abs. 1 S. 2 BbgVerf),71 der Denkmalschutz (Artt. 34 Abs. 2 S. 2, 40 Abs. 4 S. 2 BbgVerf) sowie der Sport (Art. 35 S. 1 BbgVerf). Diese Staatszielbestimmungen weisen allesamt Qualifizierungen auf. Bei der Förderung des kulturellen Lebens und der Vermittlung des kulturellen Erbes ist der Trägerpluralismus zu wahren („das kulturelle Leben in seiner Vielfalt“ [Art. 34 Abs. 2 S. 1 BbgVerf]), und die Zielvor___________ 65

Aus dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG lässt sich u.a. die Pflicht herleiten, für die Schaffung und Unterhaltung entsprechender Bildungseinrichtungen zu sorgen, s. 5. Kap. unter B. II. 2. 66 Demgegenüber sind die Zielvorgaben „Recht auf Bildung“ sowie „Förderung beruflicher Ausbildungssysteme“ nicht näher konkretisiert; qua Verfassung sind für ihre Verwirklichung weder Wege noch Mittel vorgezeichnet. 67 Auch bei Art. 33 Abs. 1 S. 1 BbgVerf handelt es sich um eine Konkretisierung des allgemein gehaltenen Sozialstaatsprinzips i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG. Vgl. oben unter B. II. 1., Fn. 48 und 5. Kap. unter B. II. 3. 68 Allerdings verlangt das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG staatliche Vor- und Fürsorge für Einzelne sowie für Gruppen der Gesellschaft, die aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligung hilfsbedürftig sind; dazu 5. Kap. unter B. I. 4. Ebenso schließt jenes Sozialstaatsprinzip notwendig die Hilfe für Menschen mit Behinderung ein; dazu 5. Kap. unter B. I. 5. 69 Art. 29 Abs. 3 S. 2 BbgVerf ist nicht qualifiziert; die Landesverfassung gibt weder Wege noch Mittel für die Zielverwirklichung vor. 70 Die Bundesrepublik Deutschland ist auch ohne entsprechende Zielvorgabe als Kulturstaat einzuordnen; zum Kulturauftrag des Bundes 5. Kap. unter B. II. 5., Fn. 189. – S. auch Art. 35 Abs. 2 EVertr. v. 31.8.1990 (BGBl. II, S. 889), der dem Schutz der Kultur in den neuen Ländern dient. Die Vorschrift lautet: „Die kulturelle Substanz in den in Art. 3 genannten Gebieten [gemeint sind die neuen Länder, Anm. des Verf.] darf keinen Schaden nehmen“. 71 Auf gesamtstaatlicher Ebene wird der Kunstfreiheit ein entsprechender Schutz durch das Verständnis des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als Ausdruck einer objektiven Wertentscheidung zuteil. Dazu BVerfGE 36, 321 (331); 81, 108 (116).

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

gabe „Kunstförderung“ ist „insbesondere durch Unterstützung der Künstler“ (Art. 34 Abs. 1 S. 2 BbgVerf) umzusetzen, während sich im Fall der Staatszielbestimmung „Denkmalschutz“ ein Gesetzgebungsauftrag bzgl. des Schutzes der Naturdenkmale in Art. 40 Abs. 4 S. 3 BbgVerf findet. Die Sportförderung wiederum ist „auf ein ausgewogenes und bedarfsgerechtes Verhältnis von Breitensport und Spitzensport“ zu richten (Art. 35 S. 2 BbgVerf), und zudem sollen nach Art. 35 S. 3 BbgVerf die besonderen Bedürfnisse von Schülern und Studenten sowie von Senioren und Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden.72 Nicht qualifiziert ist Art. 34 Abs. 3 BbgVerf, demzufolge Land, Gemeinden und Gemeindeverbände die Teilnahme am kulturellen Leben unterstützen und den Zugang zu den Kulturgütern ermöglichen.73 Der freie Zugang zur Natur i. S. des Art. 40 Abs. 3 BbgVerf ist als zwölfte überschießende Zielvorgabe zu nennen. Diese weist eine Qualifizierung auf. Land, Gemeinden und Gemeindeverbände sind verpflichtet, den Zugang „insbesondere zu Bergen, Wäldern, Seen und Flüssen“ freizuhalten bzw. zu eröffnen; dies hat „unter Beachtung der Grundsätze für den Schutz der natürlichen Umwelt“ zu geschehen.

b) Bereich Minderheitenschutz Der Minderheitenschutz ist ebenfalls lediglich in der brandenburgischen Verfassung durch Staatszielbestimmungen ausgestaltet.74 Insoweit sind als „Pionierleistung“75 zwei überschießende landesverfassungsrechtliche Zielvorgaben zu verzeichnen: Art. 25 Abs. 1 BbgVerf,76 der sich dem „Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines ___________ 72 Der Sport ist folglich als Form der Freizeitgestaltung und Mittel der Integration und Rehabilitation sowohl als Breiten- wie auch als Spitzensport zu fördern: Sportförderung i. S. des Art. 35 BbgVerf ist auch ein Mittel der Behinderten-, Senioren- und Jugendpolitik. 73 Es handelt sich bei Art. 34 Abs. 3 BbgVerf um eine nicht näher konkretisierte Staatszielbestimmung: Die Landesverfassung gibt weder Wege noch Mittel für die Zielverwirklichung vor. 74 Auf der Ebene des Grundgesetzes beschränkt sich der Schutz für Minderheiten auf die Freiheits- und Gleichheitsrechte, also etwa auf das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG (zu ihm 5. Kap. unter B. VI. 2.). – Von der GVK wurde eine Staatszielbestimmung „Schutz ethnischer Minderheiten“ als Art. 20 b GG vorgeschlagen, derzufolge der Staat „die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten“ zu achten haben sollte (s. BT-Drs. 12/6000, S. 71). Der Vorschlag fand im Bundestag am 6.9.1994 nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. 75 Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (397). – Ein Novum im deutschen Verfassungsrecht stellt auch Art. 5 Abs. 3 SächsVerf dar: eine Achtensklausel zu Gunsten ausländischer Minderheiten. Dazu D. Franke/Hofmann, EuGRZ 1992, S. 401 (406). 76 Art. 25 Abs. 1 S. 1 u. 2 BbgVerf sind zu einer Staatszielbestimmung zusammenzuziehen. Dazu 3. Kap. unter B. III. 3.

B. Überschießende Staatszielbestimmungen

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angestammten Siedlungsgebiets“ widmet, und Art. 25 Abs. 2 BbgVerf, wonach das Land verpflichtet ist, auf die Sicherung einer die Landesgrenzen übergreifenden kulturellen Autonomie der Sorben hinzuwirken. Um eine qualifizierte Staatszielbestimmung handelt es sich lediglich bei erstgenannter. Die Konkretisierung besteht – neben der Verpflichtung, „insbesondere die kulturelle Eigenständigkeit und die wirksame politische Mitgestaltung des sorbischen Volkes“ zu fördern (Art. 25 Abs. 1 S. 2 BbgVerf) – in Detailregelungen etwa hinsichtlich öffentlicher Beschriftungen (Art. 25 Abs. 4 S. 1 BbgVerf)77 und in einem Gesetzgebungsauftrag (Art. 25 Abs. 5 BbgVerf).78

2. Unterschiedliche Ausschnitte desselben Sachbereichs a) Bereich Soziales Im Gegensatz zum Grundgesetz, das im sozialen Bereich keine überschießende Staatszielbestimmung kennt, enthält die brandenburgische Verfassung neun solcher Zielvorgaben.79 Hier ist zunächst Art. 48 Abs. 1 BbgVerf zu nennen, der das Land verpflichtet, „für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sorgen“.80 Es handelt sich um eine qualifizierte Staatszielbestimmung. Ihre Verwirklichung hat „insbesondere durch eine Politik der Vollbeschäftigung und Arbeitsförderung“ (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf) zu erfolgen; weiterhin findet sich ein Gesetzgebungsauftrag bzgl. Berufsberatung, Arbeitsvermittlung, Umschulung und Weiterbildung in Art. 48 Abs. 2 BbgVerf,81 während Art. 48 Abs. 3 ___________ 77 Art. 25 Abs. 4 S. 1 BbgVerf lautet: „Im Siedlungsgebiet der Sorben ist die sorbische Sprache in die öffentliche Beschriftung einzubeziehen. Die sorbische Fahne hat die Farben Blau, Weiß, Rot“. 78 Art. 25 Abs. 5 BbgVerf lautet: „Die Ausgestaltung der Rechte der Sorben regelt ein Gesetz. Dies hat sicherzustellen, dass in Angelegenheiten der Sorben, insbesondere bei der Gesetzgebung, sorbische Vertreter mitwirken“. 79 Es handelt sich durchgängig um einzelprogrammatische soziale Staatszielbestimmungen, die das allgemein gefasste Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf konkretisieren. 80 Der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit kommt auf gesamtstaatlicher Ebene jedoch ebenfalls Verfassungsrang zu, und zwar über das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG. Zudem ist der Bund durch Art. 109 Abs. 2 GG i.V.m. § 1 S. 2 StabG v. 8.6.1967 (BGBl. I, S. 582) verpflichtet, einen hohen Beschäftigungsstand anzustreben, s. oben unter B. I. 2., Fn. 30, sowie 5. Kap. unter B. I. 2. a) aa). 81 Art. 48 Abs. 2 BbgVerf lautet: „Unentgeltliche Berufsberatung und Arbeitsvermittlung werden gewährleistet. Soweit eine angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, besteht Anspruch auf Umschulung, berufliche Weiterbildung und Unterhalt“. – Art. 48 Abs. 2 S. 2 BbgVerf gewährt keine subjektiv-rechtlichen Ansprüche. Unklar P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 71: subjektives Recht, aber nicht unmittelbar geltend zu machen, sondern zunächst durch den Gesetzgeber konkretisierend umzusetzen.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

S. 1 BbgVerf der Arbeitssicherheit gewidmet ist.82 Eine Flankierung enthält auch Art. 48 Abs. 4 BbgVerf, der sozial Schwächeren besonderen Kündigungsschutz in Aussicht stellt.83 Auch die zweite überschießende Staatszielbestimmung, die Zielvorgabe „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf),84 ist qualifiziert. Zum einen schreibt Art. 47 Abs. 1 BbgVerf vor, dass das Ziel „insbesondere durch Förderung von Wohneigentum, durch Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus, durch Mieterschutz und Mietzuschüsse“ zu verwirklichen ist, zum anderen darf eine Zwangsräumung nur erfolgen, wenn Ersatzwohnraum zur Verfügung steht (Art. 47 Abs. 2 S. 1 BbgVerf).85 Ebenfalls qualifiziert ist die „soziale Sicherung“ i. S. des Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf.86 Diese Staatszielbestimmung benennt als Bereiche, in denen jene Sicherung zu verwirklichen ist, explizit Krankheit, Unfall, Invalidität, Behinderung, Pflegebedürftigkeit und Alter, und sie wird weiter konkretisiert durch Art. 45 Abs. 1 S. 2 BbgVerf, wonach eine menschenwürdige und eigenverantwortliche Lebensgestaltung ermöglicht werden soll. Auch die Förderung sozialer und karitativer Einrichtungen (Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf)87 weist Qualifizierungen auf: Sie wird neben der exemplarischen Benennung zu fördernder Einrichtungen88 dadurch konkretisiert, dass bei der Zielverwirklichung die Trägerautonomie („unabhängig von der Trägerschaft“ [Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf]) gewahrt werden muss. Des

___________ 82 Art. 48 Abs. 3 S. 1 BbgVerf lautet: „Die Arbeitnehmer haben ein Recht auf sichere, gesunde und menschenwürdige Arbeitsbedingungen“. 83 Art. 48 Abs. 4 BbgVerf lautet: „Auszubildenden, Schwangeren, Alleinerziehenden, Kranken, Menschen mit Behinderungen und älteren Arbeitnehmern gebührt besonderer Kündigungsschutz“. 84 Die Aufnahme einer Staatszielbestimmung „Wohnraum“ in das Grundgesetz wurde im Rahmen der GVK diskutiert, fand aber nicht die erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln im Bundestag, s. BT-Drs. 12/6000, S. 75 ff. – Dazu, dass dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG eine entsprechende Verpflichtung zu entnehmen ist, 5. Kap. unter B. I. 3. 85 Art. 47 Abs. 2 BbgVerf lautet: „Die Räumung einer Wohnung darf nur vollzogen werden, wenn Ersatzwohnraum zur Verfügung steht. Bei einer Abwägung der Interessen ist die Bedeutung der Wohnung für die Führung eines menschenwürdigen Lebens besonders zu berücksichtigen“. 86 Die Verankerung einer Staatszielbestimmung „Soziale Sicherheit“ im Grundgesetz wurde von der GVK diskutiert. Es fehlte aber wiederum an der erforderlichen (Zwei-Drittel-)Mehrheit, s. BT-Drs. 12/6000, S. 75 ff. – Das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG schließt staatliche Vor- und Fürsorge für Einzelne wie auch für Gruppen der Gesellschaft ein, die aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligung hilfsbedürftig sind. Dazu 5. Kap. unter B. I. 4. 87 Die Gewährleistung der freien Wohlfahrtspflege ist eine Ausprägung des Sozialstaatsgedankens i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG; dazu 5. Kap. unter B. I. 4. 88 Es handelt sich hierbei um „Einrichtungen für die Beratung, Betreuung und Pflege im Alter, bei Krankheit, Behinderung, Invalidität und Pflegebedürftigkeit“.

B. Überschießende Staatszielbestimmungen

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Weiteren findet sich im Grundgesetz keine Parallele zur (nicht qualifizierten)89 Zielvorgabe „Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen“ (Art. 12 Abs. 4 BbgVerf).90 Bei den überschießenden Staatszielbestimmungen, die den Kinder- und Jugendschutz aufgreifen (Art. 27 Abs. 3 S. 1, Art. 27 Abs. 5 S. 1 BbgVerf),91 handelt es sich hingegen um qualifizierte Zielvorgaben. Nach Art. 27 Abs. 5 S. 2 BbgVerf hat das Gemeinwesen etwa die erforderlichen Hilfen zu gewährleisten, wenn das Wohl von Kindern oder Jugendlichen gefährdet wird;92 daneben ist mit Art. 27 Abs. 4 BbgVerf ein Gesetzgebungsauftrag zu verzeichnen,93 während Art. 27 Abs. 8 BbgVerf als weitere flankierende Vorschrift ein pauschales Verbot der Kinderarbeit enthält. Eine Qualifizierung weist auch die Förderung von Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen (Art. 27 Abs. 6 BbgVerf) als achte überschießende Staatszielbestimmung auf,94 zumal die Förderung „unabhängig von der Trägerschaft“ erfolgen muss (Art. 27 Abs. 6 BbgVerf). Gleiches gilt für den „Schutz des ungeborenen Lebens“ i. S. des Art. 8 Abs. 2 BbgVerf;95 diese Zielvorgabe muss „insbesondere durch umfassende Aufklärung, kostenlose Beratung und soziale Hilfe“ (Art. 8 Abs. 2 BbgVerf) verwirklicht werden.

___________ 89 Die Zielvorgabe „Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen“ ist nicht konkretisiert: Die Landesverfassung gibt weder Wege noch Mittel für die Zielverwirklichung vor. 90 Die Aufnahme einer Staatszielbestimmung „Förderung der Behinderten“ in das Grundgesetz wurde im Rahmen der GVK diskutiert; dies fand aber nicht die erforderliche (Zwei-Drittel-)Mehrheit, s. BT-Drs. 12/6000, S. 52 ff. – Auch das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG verlangt notwendig Hilfen für Menschen mit Behinderung, s. 5. Kap. unter B. I. 5. Zudem enthält Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG die objektive Wertentscheidung, dass Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligt werden dürfen; zum objektiv-rechtlich Gehalt dieser Vorschrift Sachs, RdJB 44 (1996), S. 154 (172 f.). 91 Dazu, dass dem Grundgesetz gleichwohl ein entsprechender Schutzauftrag zu entnehmen ist, oben unter B. II. 2., Fn. 53. 92 Art. 27 Abs. 5 S. 2 BbgVerf lautet: „Wird das Wohl von Kindern oder Jugendlichen gefährdet, insbesondere durch Versagen der Erziehungsberechtigten, hat das Gemeinwesen die erforderlichen Hilfen zu gewährleisten und die gesetzlich geregelten Maßnahmen zu ergreifen“. 93 Art. 27 Abs. 4 BbgVerf lautet: „Kindern und Jugendlichen ist durch Gesetz eine Rechtsstellung einzuräumen, die ihrer wachsenden Einsichtsfähigkeit durch die Anerkennung zunehmender Selbstständigkeit gerecht wird“. 94 Eine solche Förderung ist ebenfalls ein sozialstaatliches Anliegen, also wiederum bereits von Art. 20 Abs. 1 GG erfasst. Dazu 5. Kap. unter B. I. 7. 95 Ein entsprechender Schutzauftrag ist allerdings Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu entnehmen: Bei einem Schwangerschaftsabbruch ist das Recht auf Leben in seiner Schutzpflichtendimension berührt.

342

6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

b) Bereich Umweltschutz Im Umweltschutz weist das Grundgesetz ebenfalls keine überschießende Staatszielbestimmung auf. In der Landesverfassung finden sich hier demgegenüber fünf solcher Zielvorgaben. Art. 39 Abs. 1 BbgVerf verpflichtet das Land, die gewachsene Kulturlandschaft zu schützen.96 Diese Staatszielbestimmung ist qualifiziert, da Art. 39 Abs. 1 BbgVerf die Schutzpflicht nicht allein dem Land auferlegt, sondern (auch) eine Grundpflicht enthält.97 Die „Förderung der Einrichtung und Erhaltung von Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebieten“ (Art. 40 Abs. 4 S. 1 BbgVerf) hat ebenfalls keine Entsprechung im Grundgesetz. Eine Konkretisierung ist hier allerdings ebenso wenig zu verzeichnen wie mit Blick auf Art. 39 Abs. 3 BbgVerf, demzufolge (neben dem Tier)98 auch die Pflanze als Lebewesen geachtet wird (S. 1) und Art und artgerechter Lebensraum zu erhalten und zu schützen sind (S. 2). Als fünfte überschießende Staatszielbestimmung ist die Verhinderung, Behebung bzw. der Ausgleich von Umweltschäden i. S. des Art. 39 Abs. 5 S. 1 BbgVerf zu nennen. Hierbei handelt es sich um eine qualifizierte Zielvorgabe: Konkretisiert wird sie zum einen durch Art. 39 Abs. 5 S. 2 BbgVerf, wonach öffentliche und private Vorhaben des Nachweises ihrer Umweltverträglichkeit bedürfen, zum anderen durch die umfangreichen Konkretisierungen, die bereits hinsichtlich des Schutzes der Natur und Umwelt (Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) aufgezeigt wurden.99

c) Bereich Wirtschaft und Finanzen Auch im Bereich Wirtschaft und Finanzen ist auf Seiten des Grundgesetzes keine überschießende Staatszielbestimmung zu verzeichnen. Die brandenburgische Verfassung enthält demgegenüber vier solcher Zielvorgaben. Zunächst verpflichtet Art. 42 Abs. 1 S. 2 BbgVerf das Land, Wettbewerb und Chancengerechtigkeit anzustreben, und Art. 41 Abs. 3 BbgVerf zufolge fördert es eine

___________ 96 Der „Schutz der Kulturlandschaft“ wird jedoch mittelbar von der Staatszielbestimmung zu Gunsten der natürlichen Lebensgrundlagen i. S. des Art. 20 a GG berührt: Die kultivierte Landschaft rechnet wie die „naturbelassene“ zu den natürlichen Lebensgrundlagen; vgl. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20 a Rn. 28; v. Zezschwitz, in: Zinn/ Stein, HessVerf, Art. 26 a Rn. 30; Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Art. 86 Rn. 4. – Dazu, dass die Landschaft zu den natürlichen Lebensgrundlagen zählt, oben unter B. I. 2., Fn. 37. 97 Dazu mit Blick auf Art. 39 Abs. 1 BbgVerf als Staatszielbestimmung „Schutz der Natur und Umwelt“ oben unter A. III. 2. 98 Zur Tierschutz-Zielvorgabe oben unter A. III. 2. 99 Zu ihnen im Einzelnen oben unter A. III. 2.

B. Überschießende Staatszielbestimmungen

343

breite Streuung des Eigentums.100 Um eine qualifizierte Staatszielbestimmung handelt es sich lediglich bei der erstgenannten: Als Mittel zu deren Umsetzung benennt die Landesverfassung die Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktiveigentum.101 Des Weiteren findet sich im Grundgesetz keine Parallelvorgabe zur „regionalen Strukturförderung“ i. S. des Art. 44 BbgVerf; als vierte überschießende Staatszielbestimmung ist die Förderung der Land- und Forstwirtschaft (Art. 43 Abs. 2 BbgVerf) zu nennen. Beide weisen Qualifizierungen auf: Die regionale Strukturförderung wird konkretisiert durch die Vorgabe, „in allen Landesteilen gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen und zu erhalten“ (Art. 44 BbgVerf), während die Förderung der Landwirtschaft „insbesondere den Beitrag der Land- und Forstwirtschaft zur Pflege der Kulturlandschaft, zur Erhaltung des ländlichen Raumes und zum Schutz der natürlichen Umwelt“ zum Gegenstand hat.

d) Bereich Auswärtiges und Verteidigung Im Bereich Auswärtiges und Verteidigung enthält auch das Grundgesetz eine überschießende Staatszielbestimmung: die „Europäische Union“ nach Art. 23 Abs. 1 GG,102 die etwa durch Vorgaben hinsichtlich des Verfahrens bei der Zielverwirklichung qualifiziert ist (Art. 23 Abs. 2-7 GG).103 Umgekehrt finden sich im Grundgesetz keine Parallelvorgaben zu folgenden brandenburgischen Staatszielbestimmungen. Die Präambel der Landesverfassung verpflichtet dazu, „Brandenburg als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland [...] in der Einen Welt zu gestalten“. Als zweite überschießende Zielvorgabe ist die Zusammenarbeit mit anderen Völkern i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf zu nennen.104 Im Gegensatz zu jenem Handlungsauftrag der Präambel ist diese qualifiziert:105 Die Zusammenarbeit hat „insbesondere mit dem polnischen Nachbarn“ ___________ 100

Aus Art. 14 Abs. 1 GG folgt eine Rechtspflicht des Staates zur aktiven Förderung der Vermögensbildung, wozu u.a. auch die angemessene Überwindung der ungleichen Verteilungsstrukturen am Produktiveigentum rechnet. Dazu 5. Kap. unter B. IV. 2. 101 Demgegenüber ist die Staatszielbestimmung „Wettbewerb und Chancengerechtigkeit“ nicht konkretisiert, da die Landesverfassung nicht vorgibt, auf welche Art und Weise diese Zielvorgabe zu verwirklichen ist. 102 Die Staatszielbestimmung „Europäische Union“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 GG regelt nicht denselben Ausschnitt des Sachbereichs Auswärtiges und Verteidigung wie die Zielvorgabe „Europäische Integration“ i. S. der Präambel der brandenburgischen Verfassung, s. oben unter A. III. 4., Fn. 19. 103 Zu den weiteren Konkretisierungen oben unter B. I. 2. 104 Auch ohne entsprechende Staatszielbestimmung besteht die bundesrechtliche Verpflichtung, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften zu erleichtern und zu fördern. Dazu 5. Kap. unter B. V. 2. 105 Die Landesverfassung nennt weder Wege noch Mittel für die Verwirklichung der Zielvorgabe „Eine Welt“.

344

6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

zu erfolgen (Art. 2 Abs. 1 BbgVerf). Ebenso wenig kennt das Grundgesetz eine Parallele zu Art. 39 Abs. 9 BbgVerf, wonach das Land auf die ABC-WaffenFreiheit des Landesgebiets hinwirkt, oder zur Konversion militärischer Liegenschaften i. S. des Art. 40 Abs. 5 BbgVerf. Diese Politikziele106 weisen keine Qualifizierung auf.107

3. Zusammenfassung Während auf Seiten des Grundgesetzes lediglich eine überschießende Staatszielbestimmung im Sachbereich Auswärtiges und Verteidigung zu verzeichnen ist, kennt die brandenburgische Verfassung 36 überschießende Zielvorgaben. Zwölf dieser Staatszielbestimmungen gelten Bildung und Kultur, zwei dem Minderheitenschutz. Die nicht allein in der Landesverfassung, sondern auch im Grundgesetz aufgegriffenen Bereiche schlagen wie folgt zu Buche: neun überschießende Zielvorgaben im Sozialen, fünf im Umweltschutz und je vier in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen sowie Auswärtiges und Verteidigung.

IV. Fazit

Die Verfassungen der Länder Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg weisen jeweils eine höhere Zahl überschießender Staatszielbestimmungen auf als das Grundgesetz. Es unterscheidet sich jeweils sowohl die Anzahl der Sachbereiche, die durch Staatszielbestimmungen aufgegriffen werden, wie auch diejenige der Zielvorgaben, die denselben Bereich regeln. Die (wenigen) überschießenden Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes sind meist nicht sehr konkret gefasst. Lediglich die „Europäische Union“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 GG fällt ob ihrer Regelungsdichte und Ausführlichkeit aus dem Rahmen. Dies zeigt einmal mehr, dass das Grundgesetz das Feld der Staatszielbestimmungen auch insoweit mit Zurückhaltung bestellt. In den drei Referenzverfassungen zeigt sich demgegenüber das Bedürfnis, die Staatsaufgaben auf der Suche nach landesstaatlichem Profil umfassender und genauer zu definieren. In inhaltlicher Hinsicht werden in jenen Landesverfassungen in weiten Teilen dieselben Sachbereiche behandelt. So enthalten sie etwa ein (mehr oder weniger) buntes Bukett von Staatszielbestimmungen, das Bildung und Kultur gewidmet ist, während auf Seiten des Grundgesetzes keine entsprechenden Vorgaben zu verzeichnen sind. Die Länder haben also durchaus (auch) in ähnli___________ 106

Zum Begriff „Politikziel“ 5. Kap. unter B. V. 4. vor a). Die Landesverfassung trifft keine Aussage dazu, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln die beiden Staatszielbestimmungen zu verwirklichen sind. 107

B. Überschießende Staatszielbestimmungen

345

cher Weise von ihrem Spielraum bei der Aufnahme von Staatszielbestimmungen Gebrauch gemacht.108 Im Fall einer solchen Parallelität lässt sich mit Fug von gemeingliedstaatlichem Verfassungsrecht sprechen.109 Neben den Zielkollisionen sind damit auch die überschießenden Staatszielbestimmungen ein gutes Zeichen für die Vitalität des Föderalismus bundesdeutscher Prägung: Sie zeigen, dass die Landesverfassunggeber bzw. die verfassungsändernden Gesetzgeber in einem zentralen Bereich den im Kraftfeld des Grundgesetzes verbleibenden Spielraum genutzt haben.110 Die Länder Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg haben sich nicht auf bundesstaatliche Einordnung beschränkt, sondern von ihrer verfassungsrechtlichen Eigenständigkeit Gebrauch gemacht. Indem gliedstaatliche Besonderheiten in der Landesverfassung erwähnt werden, ergibt sich nicht nur ein plastischer Bezug zum jeweiligen Land (s. etwa die Hervorhebung Polens im Rahmen der „Zusammenarbeit mit anderen Völkern“ i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf), sondern auch ein durchaus eigenständiger Klang der jeweiligen Verfassung. Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg haben ihren Spielraum bei der Aufnahme überschießender Staatszielbestimmungen allerdings keineswegs im gleichen Umfang genutzt. Dies zeigt bereits die unterschiedliche Anzahl solcher Zielvorgaben: sieben in der hessischen Verfassung, zwölf in der badenwürttembergischen, 36 in der brandenburgischen. Der Bereich Soziales etwa ist in der Verfassung des Landes Brandenburg am umfangreichsten ausgestaltet. Während auf Seiten der hessischen Verfassung mit dem „Recht auf Arbeit“ i. S. des Art. 28 Abs. 2 HessVerf lediglich eine Staatszielbestimmung zu verzeichnen ist und sich die baden-württembergische mit zwei Zielvorgaben begnügt (Wohlfahrtspflege [Artt. 6, 87 BaWüVerf]; Jugendschutz [Art. 13 S. 1 BaWüVerf]), weist die brandenburgische Verfassung hier neun auf: neben Arbeit (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf), Wohnraum (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) und sozialer Sicherung (Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf) etwa die Förderung von Kindertages___________ 108 s. etwa die landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben, die dem Sport gewidmet sind. – In diesen Staatszielbestimmungen hat die wachsende Bedeutung des Sports als Form der Freizeitgestaltung und elementares Mittel der Gesundheitsvorsorge ihren Niederschlag gefunden. Guter Überblick über die stetig zunehmenden Bestrebungen, dem Sport den Weg ins Verfassungsrecht zu bahnen, bei Steiner, SpuRT 1994, S. 2 ff. m.N. 109 Bei einem solchen Gleichklang handelt es sich um das Ergebnis gleichsinniger Ausübung der Verfassungshoheit (dazu 1. Kap. unter B.); für die Landesverfassungen existiert über das vom Grundgesetz geforderte Mindestmaß an Homogenität (zu ihm 4. Kap. unter B. III. 1. a] bb] und D. I. 3.) hinaus kein Einheitlichkeitszwang. Übereinstimmung besteht insoweit auch mit den Vertretern des (hier abgelehnten, s. 1. Kap. a.E. von B.) Ansatzes, der den Terminus „gemeindeutsches Verfassungsrecht“ im Sinn einer (subsidiären) Rechtsquelle deutet, vgl. etwa Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (866): In der Rechtswirklichkeit zu registrierende Parallelregelungen erlaubten „keine Überhöhung zu einem normativen Einheitlichkeitszwang“. 110 s. auch 5. Kap. unter B. VII.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

stätten und Jugendfreizeiteinrichtungen i. S. des Art. 27 Abs. 6 BbgVerf. Die Verfassung des Landes Brandenburg entfaltet ihre verfassungsrechtliche Eigenständigkeit bei der Aufnahme überschießender Staatszielbestimmungen also weit mehr als jene weniger normierungsintensiven Referenzverfassungen. Über diese rein quantitativen Unterschiede hinaus lassen sich (wie im Fall der Zielkollisionen) auch Differenzen qualitativer Art ausmachen. Die überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung weisen meist die höchste Komplexität auf. Exemplarisch sei auf die umfangreich konkretisierte Staatszielbestimmung „Arbeit“ i. S. des Art. 48 Abs. 1 BbgVerf verwiesen. Des Weiteren enthält diese Landesverfassung ein Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte: Die beiden Politikziele „ABC-Waffen-Freiheit des Landesgebiets“ (Art. 39 Abs. 9 BbgVerf) und „Konversion militärischer Liegenschaften“ (Art. 40 Abs. 5 BbgVerf) sprengen den bisherigen Erfahrungsrahmen jener Verfassungstradition, indem sie von der Ebene des Landesrechts her vorschreiben, auf gesamtstaatlicher Ebene gesetzte Normen zu verändern.111

C. Unterschiede im Zielgefüge Inwiefern unterscheidet sich das Zielgefüge, das durch die Staatszielbestimmungen in der jeweiligen Landesverfassung gebildet wird, von demjenigen auf gesamtstaatlicher Ebene? Dieser Divergenztyp erfasst nicht nur die Fälle, in denen ein bestimmter Mechanismus für die Zuweisung des Platzes im Zielgefüge lediglich in einer der jeweils gegenübergestellten Verfassungen verwendet wird. Um einen Unterschied in jenem Gefüge handelt es sich vielmehr auch dann, wenn Staatszielbestimmungen denjenigen Mechanismen, die in beiden Verfassungen in Ansatz gebracht wurden, divergierend zugeordnet sind.112

I. Grundgesetz und Verfassung des Landes Hessen

1. Divergierende Instrumentarien für die Zuweisung des Platzes im Zielgefüge Die Gegenüberstellung von Grundgesetz und hessischer Verfassung zeigt verschiedene Mechanismen der Zuweisung des Platzes im Zielgefüge bereits hinsichtlich grammatischer Aspekte. Zu erwähnen ist zunächst die subjektivrechtliche Formulierung einer Staatszielbestimmung. Eine solchermaßen formulierte Zielvorgabe findet sich lediglich in der hessischen Verfassung: das „Recht ___________ 111

Vgl. 5. Kap. unter B. V. 4. a) bb). Begriffsklärung des Divergenztyps „Unterschiede im Zielgefüge“ im 2. Kap. unter B. I. 3. 112

C. Unterschiede im Zielgefüge

347

auf Arbeit“ i. S. des Art. 28 Abs. 2 HessVerf. Im Gegensatz zur Landesverfassung, deren Art. 26 a in der amtlichen Überschrift als „Staatsziel Umweltschutz“ ausgewiesen ist, kennt das Grundgesetz auch keine explizit als „Staatsziel“ oder „Staatszielbestimmung“ bezeichnete Zielvorgabe. Des Weiteren ist keine der Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes als Bekenntnis formuliert. Die Landesverfassung enthält demgegenüber mit den Zielvorgaben „Frieden“ und „Völkerverständigung“ (Art. 69 Abs. 1 S. 1) zwei solcher Fälle. Für die Ausgestaltung als Anstrebens- oder Hinwirkensklausel ergibt sich das umgekehrte Bild. Die hessische Verfassung kennt keine solchen Zielvorgaben, das Grundgesetz hingegen zwei. Es handelt sich um die „Europäische Union“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG – „Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit [...]“ – und die Gleichstellung der Geschlechter, da der Staat nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 HS 2 GG auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken hat. Neben diesen grammatischen Aspekten divergieren die Mechanismen, die den Staatszielbestimmungen deren Stellung im Zielgefüge zuweisen, auch hinsichtlich systematischer Gesichtspunkte. Allein im Grundgesetz ist eine Zielvorgabe in den Staatsstrukturprinzipien verankert:113 das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG. Gleiches gilt für die Erwähnung in der Revisionssperrklausel; hier ist erneut jenes Sozialstaatsprinzip zu nennen.114 Zwar enthält auch die hessische Verfassung eine (selbst nicht abänderbare) inhaltliche Grenze für Verfassungsänderungen;115 allerdings ist keine ihrer Staatszielbestimmungen „änderungsfest“.116 Weiterhin finden sich Zielvorgaben lediglich in der Präambel des Grundgesetzes, nicht aber in derjenigen der Landesverfassung: die Staatszielbestimmungen „Frieden“ und „Europäische Integration“.117 Die Flankierung durch subjektive Rechte ist ebenfalls allein auf Seiten des Grund___________ 113 Eine zusätzliche Verankerung in den Staatsstrukturprinzipien ist in keiner der Verfassungen zu verzeichnen. 114 Allg. zur Bedeutung des Art. 79 Abs. 3 GG als Revisionssperrklausel Hain, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 79 Rn. 31 ff. m.w.N. 115 s. Art. 150 Abs. 3 HessVerf, der im zweiten Hauptteil der Verfassung im Abschnitt „Der Schutz der Verfassung“ steht. Dazu Rückert, KritV 79 (1996), S. 116 (119): „eine historisch verständliche Doppelsicherung“. – Form und Verfahren einer Verfassungsänderung sind geregelt in dem (der Gesetzgebung gewidmeten) VI. Abschnitt des zweiten Hauptteils, und zwar in Art. 123 HessVerf. 116 Gem. Art. 150 Abs. 1 HessVerf darf keine Verfassungsänderung „die demokratischen Grundgedanken der Verfassung und die republikanisch-parlamentarische Staatsform antasten. Die Errichtung einer Diktatur, in welcher Form auch immer, ist verboten“. 117 Diese Staatszielbestimmungen sind lediglich in der Präambel enthalten; in keiner der beiden Verfassungen hat eine Zielvorgabe neben ihrer Verankerung im Haupttext zusätzlich Eingang in die Präambel gefunden.

348

6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

gesetzes zu verzeichnen: Die „Gleichstellung der Geschlechter“ (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) wird flankiert durch Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG als speziellen Gleichheitssatz, demzufolge Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Auch ein Fall der Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. mit einem Gesetzesvorbehalt ist nicht in der Landesverfassung zu finden, während die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere nach Art. 20 a GG durch die Legislative „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ geschützt werden sowie von Exekutive und Judikative „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“. Schließlich ist auf die Verankerung einer Staatszielbestimmung in einem eigenen Abschnitt einzugehen. Dieser Fall liegt allein auf hessischer Seite vor: Die Landesverfassung räumt ihren Abschnitt „II a. Staatsziel Umweltschutz“ der Zielvorgabe „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 26 a HessVerf) ein.

2. Unterschiedliche Zuordnung zu denselben Instrumentarien a) Grammatische Aspekte Die Zuordnung zu den in beiden Verfassungen verwendeten grammatischen Aspekten weist unter zwei Gesichtspunkten Divergenzen auf. Unterschiede bestehen zunächst bei der Formulierung als Förder- bzw. Pflegeauftrag. In der hessischen Verfassung sind insoweit fünf Staatszielbestimmungen zu verzeichnen. Während die Zielvorgabe „Genossenschaftswesen“ (Art. 44 HessVerf) als reiner Förderauftrag ausgestaltet ist, verbindet die Mittelstandsförderung i. S. des Art. 43 S. 1 HessVerf eine Förder- mit einer Schutzpflicht. Im Fall des Denkmal- und Landschaftsschutzes (Art. 62 S. 1 HessVerf) wie auch in demjenigen des Sports (Art. 62 a HessVerf) sind Schutz- und Pflegepflichten kombiniert. Im Grundgesetz findet sich demgegenüber Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung fördert. Bei der Formulierung als Schutz-, Gewährleistungs- oder Sicherungsauftrag besteht Übereinstimmung dahingehend, dass der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20 a GG bzw. Art. 26 a HessVerf) in beiden Verfassungen als ausdrücklicher Schutzauftrag gefasst ist. Im Grundgesetz sind allerdings auch der Tierschutz i. S. des Art. 20 a GG und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) entsprechend ausgestaltet.

b) Systematische Aspekte aa) Verankerung an vorderer/hinterer Stelle im Haupttext Die Reihenfolge, in der die Staatszielbestimmungen im Haupttext verankert sind, fällt durchweg unterschiedlich aus. Im Grundgesetz steht die Gleichstel-

C. Unterschiede im Zielgefüge

349

lung der Geschlechter, Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, an erster Stelle. Der II. Abschnitt, überschrieben mit „Der Bund und die Länder“, enthält das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG vor den Staatszielbestimmungen „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“, „Tierschutz“ (beide Art. 20 a GG) und „Europäische Union“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) folgt erst im X. Abschnitt. Auf Seiten der hessischen Verfassung ist der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 26 HessVerf) zuvorderst verankert. Dem folgen (ebenfalls im Ersten Hauptteil) das „Recht auf Arbeit“ in Art. 28 Abs. 2 HessVerf vor den wirtschaftsbezogenen Zielvorgaben (Artt. 43 Abs. 1, 44 HessVerf) sowie den Staatszielbestimmungen zu Bildung und Kultur. Die Zielvorgaben, die den Bereich Auwärtiges und Verteidigung aufgreifen, finden sich hingegen im Zweiten Abschnitt des Zweiten Hauptteils.

bb) Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen Im Grundgesetz ist vier Staatszielbestimmungen ein eigener Artikel gewidmet. Es handelt sich neben dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) um das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht i. S. des Art. 109 Abs. 2 GG, um die „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) und die Gleichstellung der Geschlechter nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG. Die dem Umweltschutz gewidmeten Zielvorgaben sind sogar in demselben Artikel geregelt: Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen findet sich wie der Tierschutz in Art. 20 a GG. Ebenfalls gemeinsam verankert sind (in S. 1 der Präambel) die Staatszielbestimmungen „Frieden“ und „Europäische Integration“. Auch die hessische Verfassung widmet neben dem „Recht auf Arbeit“ (Art. 28 Abs. 2 HessVerf) als in das Soziale fallender Zielvorgabe denjenigen Staatszielbestimmungen einen eigenen Artikel, die den Bereich Wirtschaft und Finanzen aufgreifen. Die Mittelstandsförderung ist in Art. 43 S. 1 HessVerf geregelt, das Genossenschaftswesen in Art. 44 HessVerf. Zudem ist dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen mit Art. 26 a HessVerf ein eigener Artikel eingeräumt. Ebenso hat der Sport mit Art. 62 a HessVerf gesonderte Verankerung gefunden, während sich die zweite kulturbezogene Zielvorgabe – der Denkmalschutz – gemeinsam mit dem Landschaftsschutz in Art. 62 S. 1 HessVerf findet. Die Staatszielbestimmungen, die dem Bereich Auswärtiges und Verteidigung gelten, sind sogar in demselben Artikel, Absatz und Satz enthalten: Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf enthält die Zielvorgaben „Frieden“ und „Völkerverständigung“. Unter dem Aspekt „Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen“ zeigen sich demnach neben Unterschieden auch Übereinstimmun-

350

6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

gen. In den Bereichen Soziales sowie Wirtschaft und Finanzen sind die Zielvorgaben eigenständig verankert; zudem ist das Friedensgebot jeweils gemeinsam mit einer anderen (ebenfalls dem Bereich Auswärtiges und Verteidigung gewidmeten) Zielvorgabe geregelt.

cc) Vorhandensein von Qualifizierungen Folgende grundgesetzliche Staatszielbestimmungen sind (mehr oder weniger umfänglich) qualifiziert: der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tierschutz (beide Art. 20 a GG), das Friedensgebot i. S. der Präambel sowie die „Europäische Union“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. Bei den qualifizierten Staatszielbestimmungen der Landesverfassung handelt es sich um das „Recht auf Arbeit“ (Art. 28 Abs. 2 HessVerf), den Denkmalschutz (Art. 62 S. 1 HessVerf), die Mittelstandsförderung (Art. 43 S. 1 HessVerf) und das Friedensgebot i. S. des Art. 69 Abs. 1 S. 1 HessVerf.118 Neben Unterschieden ist daher auch eine übereinstimmende Zuordnung zu verzeichnen: die in beiden Verfassungen qualifizierte Zielvorgabe „Frieden“.

dd) Abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen Die Zuordnung zum Aspekt „abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen“ ist durchweg unterschiedlich erfolgt. Auf Seiten des Grundgesetzes stehen lediglich die Europäische Integration i. S. der Präambel und die „Europäische Union“ gem. Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG in einem Verhältnis von abstrakter und spezieller Zielvorgabe. Diese Staatszielbestimmung greift einen Aspekt von jener heraus: Die Europäische Integration i. S. der Präambel sagt nichts über die Rechtsform der Integration aus,119 sondern zielt allgemein auf ein vereintes Europa, während sich Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die EU/EG bzw. den dieser zuzuordnenden Besitzstand beschränkt.120 Der Klarheit halber sei darauf hingewiesen, dass der Tierschutz im Verhältnis zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (beide Art. 20 a GG) nicht als speziellere Staatszielbestimmung einzuordnen ist. Jener greift zwar durchaus einen Aspekt von dieser auf.121 Bei ___________ 118

s. oben unter A. I. sowie B. I. Vgl. P. M. Huber, in: Sachs, GG, Präambel Rn. 44 f.; Commichau, Verfassungsrecht, S. 52. 120 Dazu 5. Kap. unter B. V. 3. 121 Die natürlichen Grundlagen des Lebens unterfallen dem staatlichen Schutz gem. Art. 20 a GG; hierbei sind alle Umweltgüter (und damit auch die Tiere) einbezogen. Der Tierschutz gehört mithin durchaus zur Umwelt und deren Schutz i.w.S., s. etwa Epiney, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 20 a Rn. 18 f. m.w.N.; Scholz, ZG 9 (1994), S. 1 (22). 119

C. Unterschiede im Zielgefüge

351

dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen i. S. des Art. 20 a GG handelt es sich jedoch nicht in jeder Hinsicht um die abstraktere Zielvorgabe, da die Aspekte „artwidrige Haltung“ und „vermeidbares Leid“ ausgespart sind.122 Bei den landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen stehen ebenfalls zwei im Verhältnis von abstrakter und spezieller Zielvorgabe: als spezielle der Landschaftsschutz (Art. 62 S. 1 HessVerf), als abstrakte der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen i. S. des Art. 26 a HessVerf. Die Landschaft bildet ein zusammenhängendes, charakteristisches Gebiet der Erdoberfläche mit allem, was sich dauerhaft darauf befindet, und sie rechnet daher zu den natürlichen Lebensgrundlagen.123 Folglich überschneidet sich der Landschaftsschutz nach Art. 62 S. 1 HessVerf mit dem Schutz jener Lebensgrundlagen.124

3. Zusammenfassung Das Grundgesetz und die hessische Verfassung unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der Mechanismen, die den Staatszielbestimmungen deren Stellung im Zielgefüge zuweisen, wie auch bei der Zuordnung der Zielvorgaben zu solchen Instrumentarien, die in beiden Verfassungen Verwendung finden. Soweit es sich um die grammatischen Aspekte handelt, sind jene Mechanismen, die lediglich eine der beiden Verfassungen in Ansatz bringt, überwiegend auf Seiten der hessischen Verfassung zu verzeichnen, während die systematischen Aspekte nahezu allesamt auf derjenigen des Grundgesetzes liegen. Bei der Zuordnung der Staatszielbestimmmungen zu denjenigen Instrumentarien, die in beiden Verfassungen Verwendung finden, zeigen sich hinsichtlich systematischer Aspekte Divergenzen unter vier Gesichtspunkten, bzgl. grammatischer hingegen unter zwei. Je nach Gesichtspunkt fällt auch der Umfang dieser Divergenzen größer oder geringer aus; mitunter sind neben unterschiedlichen auch übereinstimmende Zuordnungen zu verzeichnen.

___________ 122 Die Staatszielbestimmung „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ bezieht sich lediglich auf die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, und dementsprechend sind die Aspekte „Leiden“ und „nicht artgemäße Haltung“ nicht von ihr erfasst, s. Epiney, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 20 a Rn. 19; Uhle, DÖV 1993, S. 947 (953). – Nach a.A. erfasst die Zielvorgabe „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ i. S. des Art. 20 a GG lediglich frei lebende Tiere und deren Lebensräume, nicht aber die Hausund Nutztiere; so etwa Bernsdorff, NuR 1997, S. 328 (331); Kloepfer/Rossi, JZ 1998, S. 369 (370); H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (500). 123 s. oben unter B. I. 2., Fn. 37. 124 Ebenso W. Schmidt, in: Meyer/Stolleis, HessStVerwR, S. 35 (47).

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen II. Grundgesetz und Verfassung des Landes Baden-Württemberg

1. Divergierende Instrumentarien für die Zuweisung des Platzes im Zielgefüge Die Mechanismen, die den Staatszielbestimmungen deren Stellung im Zielgefüge zuweisen, divergieren zunächst hinsichtlich zweier grammatischer Aspekte. Während das Grundgesetz keine subjektiv-rechtlich formulierte Zielvorgabe kennt, enthält die baden-württembergische Verfassung zwei solcher Staatszielbestimmungen: neben dem „Recht auf Erziehung und Ausbildung“ (Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf) das (objektiv-rechtlich eingekleidete) „Menschenrecht auf die Heimat“ i. S. des Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf. Eine als Bekenntnis formulierte Zielvorgabe ist ebenfalls lediglich in der Landesverfassung zu verzeichnen,125 und zwar wiederum jenes „Menschenrecht auf die Heimat“.126 Von den systematischen Aspekten sind drei nicht zugleich in beiden Verfassungen zu finden. Eine Abstützung von Staatszielbestimmungen im Rahmen der Grundrechtsschranken erfolgt allein in der baden-württembergischen Verfassung, und zwar bzgl. der Zielvorgabe „Jugendschutz“ (Art. 13 S. 1 BaWüVerf). Infolge der Inkorporation der Grundrechte des Grundgesetzes durch Art. 2 Abs. 1 BaWüVerf ist zum einen die Schranke zu erwähnen, die der Meinungs-, Informations-, Presse- und Rundfunkfreiheit i. S. des Art. 5 Abs. 1 S. 1 u. 2 GG durch die gesetzlichen Bestimmungen „zum Schutze der Jugend“ nach Art. 5 Abs. 2 GG gezogen sind. Zum anderen ist Art. 11 Abs. 2 GG zu nennen, der eine Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) „zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung“ ermöglicht. Ebenso wenig kennt das Grundgesetz die Abstützung einer Staatszielbestimmung im Rahmen der Erziehungsziele,127 während in der Landesverfassung zwei solcher Fälle gegeben sind: Art. 12 BaWüVerf greift durch die Formulierung „Friedensliebe“ das im Vorspruch verankerte Friedensgebot auf und durch die „Liebe zur Heimat“ die Zielvorgabe „Heimat“ i. S. des Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf. Die Flankierung durch subjektive Rechte findet sich hingegen allein im Grundgesetz, und zwar bei der Gleichstellung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG).128

___________ 125 Keine der Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes ist als Bekenntnis formuliert, s. oben unter C. I. 1. 126 Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf lautet: „Das Volk von Baden-Württemberg bekennt sich [...] zu dem unveräußerlichen Menschenrecht auf die Heimat“. 127 Das Grundgesetz enthält keine Erziehungsziele. Dies korrespondiert der Kulturhoheit der Länder; zu ihr 8. Kap. unter A. II. 1. 128 Dazu oben unter C. I. 1.

C. Unterschiede im Zielgefüge

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2. Unterschiedliche Zuordnung zu denselben Instrumentarien a) Grammatische Aspekte Die Zuordnung zu den grammatischen Aspekten divergiert unter drei Gesichtspunkten. Unterschiede bestehen zunächst bei der Formulierung als Förder- bzw. Pflegeauftrag. Während sich im Grundgesetz eine solche Zielvorgabe findet (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG),129 sind es in der baden-württembergischen Verfassung sechs: Die Erwachsenenbildung (Art. 22 BaWüVerf), das kulturelle Leben und der Sport (beide Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf) sowie die Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts (Vorspruch) sind als reine Förderaufträge ausgestaltet; die Zielvorgaben „Denkmal- und Landschaftsschutz“ i. S. des Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf kombinieren Pflege- mit Schutzpflichten. Weniger unterschiedlich fällt die Zuordnung zur Formulierung als reiner Schutz-, Gewährleistungs- oder Sicherungsauftrag aus. Auf Seiten der Landesverfassung sind die Staatszielbestimmungen „Jugendschutz“ (Art. 13 S. 1 BaWüVerf), „Wohlfahrtspflege“ (Artt. 6, 87 BaWüVerf), „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 3 a Abs. 1 BaWüVerf) sowie „Tierschutz“ i. S. des Art. 3 b BaWüVerf als Schutz- bzw. Gewährleistungsaufträge gefasst. Demgegenüber gestaltet das Grundgesetz den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, den Tierschutz (beide Art. 20 a GG) und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) entsprechend aus.130 Mit Blick auf die Zielvorgaben „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ und „Tierschutz“ stimmt die Zuordnung also überein. Hinsichtlich der Ausgestaltung als Anstrebens- oder Hinwirkensklausel erweist sich die Zuordnung der Staatszielbestimmungen wiederum als durchweg unterschiedlich. Im Grundgesetz sind die „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) und die Gleichstellung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) entsprechend formuliert.131 Auf Seiten der Landesverfassung handelt es sich um die (im Vorspruch verankerten) Staatszielbestimmungen „Europa der Regionen“ und „Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“.

___________ 129 130 131

s. oben unter C. I. 2. a). Dazu oben unter C. I. 2. a). Dazu oben unter C. I. 1.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

b) Systematische Aspekte aa) Verankerung in der Präambel Im Grundgesetz finden sich in der Präambel lediglich die Zielvorgaben „Frieden“ und „Europäische Integration“. In der baden-württembergischen Verfassung sind hingegen die Staatszielbestimmungen „Frieden“, „Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“, „Europäische Integration“, „Europa der Regionen“ und „Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts“ im Vorspruch verankert. Zudem enthält der Vorspruch auch eine Bezugnahme auf das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf,132 d. h. diese Zielvorgabe hat neben ihrer Verankerung im Haupttext zusätzlich Erwähnung im Vorspruch gefunden. Hinsichtlich des Aspekts „Verankerung in der Präambel“ sind folglich neben Unterschieden auch zwei übereinstimmende Zuordnungen zu verzeichnen: das Friedensgebot und die Europäische Integration.

bb) Verankerung an vorderer/hinterer Stelle im Haupttext Die Reihenfolge, in der die Staatszielbestimmungen im Haupttext verankert sind, erweist sich als durchgängig unterschiedlich. Bei den grundgesetzlichen Staatszielbestimmungen ist die Gleichstellung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) zuvorderst verankert. Ihr folgen (im II. Abschnitt) das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tierschutz (beide Art. 20 a GG) sowie die „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG). Den Abschluss bildet das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht als Art. 109 Abs. 2 GG. In der baden-württembergischen Verfassung ist demgegenüber zunächst das „Menschenrecht auf die Heimat“ (Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf) geregelt. Des Weiteren enthält der I. Abschnitt des Ersten Hauptteils die drei Staatszielbestimmungen, die in den Bereich Umweltschutz fallen,133 sowie drei der fünf, die zum Bereich Bildung und Kultur rechnen.134 Im II. Abschnitt ist die Zielvorgabe „Wohlfahrtspflege anerkannter Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ (Art. 6 BaWüVerf) geregelt. Dem folgen im nächsten Abschnitt das „Recht auf Erziehung und Ausbildung“ (Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf), der Ju___________ 132 s. die Formulierung „das Gemeinschaftsleben nach den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit ordnen“. 133 In Art. 3 a BaWüVerf ist der „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ verankert, in Art. 3 b BaWüVerf folgt der Tierschutz und in Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf der Landschaftsschutz. 134 Die Förderung des kulturellen Lebens und der Sport finden sich in Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf, der Denkmalschutz in Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf.

C. Unterschiede im Zielgefüge

355

gendschutz (Art. 13 S. 1 BaWüVerf) und die Erwachsenenbildung (Art. 22 BaWüVerf). Das Sozialstaatsprinzip gem. Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf findet sich hingegen erst im Zweiten Hauptteil, wenn auch in dessen I. Abschnitt („Die Grundlagen des Staates“). Die Schlussbestimmungen enthalten schließlich die Wohlfahrtspflege durch freie Wohlfahrtsverbände i. S. des Art. 87 BaWüVerf.

cc) Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen Im Grundgesetz sind die dem Umweltschutz gewidmeten Zielvorgaben (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und Tierschutz) in Art. 20 a GG geregelt. Gemeinsame Verankerung haben auch das Friedensgebot und die Europäische Integration gefunden (S. 1 der Präambel), während der dritten Zielvorgabe im Bereich Auswärtiges und Verteidigung – der „Europäischen Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) – ein eigener Artikel gewidmet ist. Letzteres gilt auch für das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) und die „Gleichstellung der Geschlechter“ (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG). Hinsichtlich der baden-württembergischen Verfassung ergibt sich folgendes Bild. Den Staatszielbestimmungen im sozialen Bereich ist durchweg ein eigener Artikel gewidmet: Das Sozialstaatsprinzip ist in Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf geregelt, der Jugendschutz in Art. 13 S. 1 BaWüVerf und die Wohlfahrtspflege in Artt. 6, 87 BaWüVerf. Von den Zielvorgaben, die sich dem Bereich Bildung und Kultur gelten, sind demgegenüber lediglich das „Recht auf Erziehung und Ausbildung“ (Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf) und die Erwachsenenbildung i. S. des Art. 22 BaWüVerf eigenständig verankert. Die Staatszielbestimmungen „Förderung des kulturellen Lebens“ und „Sport“ finden sich in Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf, während der Denkmalschutz in Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf gemeinsam mit der umweltschutzbezogenen Zielvorgabe „Landschaftsschutz“ geregelt ist. Den verbleibenden Staatszielbestimmungen im Bereich Umweltschutz – dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und dem Tierschutz – widmet die Verfassung wiederum einen eigenen Artikel (Artt. 3 a bzw. b BaWüVerf). Die Zielvorgaben, welche die Bereiche Wirtschaft und Finanzen sowie Auswärtiges und Verteidigung aufgreifen, finden sich demgegenüber allesamt im Vorspruch zur Landesverfassung,135 während für das „Menschenrecht auf die Heimat“ mit Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf eine gesonderte Verankerung zu verzeichnen ist. Die Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen fällt demnach ___________ 135 Es handelt sich neben der Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts um die Staatszielbestimmungen „Frieden“, „Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“, „Europäische Integration“ und „Europa der Regionen“.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

nicht durchweg unterschiedlich aus: Beide Verfassungen räumen den Zielvorgaben im sozialen Bereich eigenständige Verankerung ein.

dd) Vorhandensein von Qualifizierungen Von den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes sind neben dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und dem Tierschutz (beide Art. 20 a GG) das Friedensgebot i. S. der Präambel sowie die Zielvorgabe „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) qualifiziert.136 Die Zuordnung auf Seiten der baden-württembergischen Verfassung weicht davon nicht durchgängig ab.137 Im sozialen Bereich ist die Zielvorgabe „Jugendschutz“ (Art. 13 S. 1 BaWüVerf) qualifiziert, im Bereich Bildung und Kultur das „Recht auf Erziehung und Ausbildung“ (Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf), die Förderung des kulturellen Lebens und der Sport (beide Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf). Bei den umweltschutzbezogenen Staatszielbestimmungen gilt das Gleiche für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 3 a BaWüVerf) sowie den Tierschutz (Art. 3 b BaWüVerf), während im Bereich Auswärtiges und Verteidigung allein die Europäische Integration i. S. des Vorspruchs konkretisiert ist. Neben Unterschieden sind demnach auch drei übereinstimmende Zuordnungen zu verzeichnen: Die Zielvorgaben „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ und „Tierschutz“ weisen in beiden Verfassungen Qualifizierungen auf, während das Sozialstaatsprinzip in keiner qualifiziert ist.

ee) Abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen Durchweg unterschiedlich fällt die Zuordnung zum Aspekt „abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen“ aus. Unter den Zielvorgaben des Grundgesetzes stehen lediglich zwei im Verhältnis von spezieller und abstrakter Staatszielbestimmung: Die „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) greift einen Aspekt der Europäischen Integration i. S. der Präambel des Grundgesetzes heraus.138 Auf Seiten der baden-württembergischen Verfassung sind demgegenüber andere (und weitaus mehr) Staatszielbestimmungen als spezielle Zielvorgaben einzuordnen. Im sozialen Bereich enthält die Landesverfassung mit der Wohlfahrtspflege (Artt. 6, 87 BaWüVerf) und dem Jugendschutz (Art. 13 S. 1 BaWüVerf) zwei einzelprogrammatische soziale Staatszielbestimmungen, bei de___________ 136 137 138

s. oben unter C. I. 2. b) cc). Zu dieser Zuordnung im Einzelnen oben unter A. II. und B. II. s. oben unter C. I. 2. b) dd).

C. Unterschiede im Zielgefüge

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nen es sich im Verhältnis zum allgemein gehaltenen Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 23 Abs. 1 BaWüVerf um spezielle Zielvorgaben handelt.139 Im Bereich Umweltschutz ist ein solches Verhältnis bei den Staatszielbestimmungen „Schutz und Pflege der Landschaft“ (Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf) und „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 3 a BaWüVerf) gegeben. Jener Landschaftsschutz ist zugleich Teil dieses Oberziels:140 Die Landschaft rechnet zu den natürlichen Lebensgrundlagen,141 d. h. die Staatszielbestimmung „Landschaftsschutz“ überschneidet sich mit Art. 3 a BaWüVerf.142 Im Verhältnis von spezieller und abstrakter Zielvorgabe stehen mit der Sportförderung (Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf) und dem Denkmalschutz (Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf) auf der einen und der Förderung des kulturellen Lebens (Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf) auf der anderen Seite auch drei dem Bereich Bildung und Kultur gewidmete Zielvorgaben. Bei einem weiten Verständnis des Begriffs „kulturelles Leben“ ist der Denkmalschutz ebenso wie der Sport Bestandteil des Oberziels „Förderung des kulturellen Lebens“.143 Ebenso handelt es sich bei der im Vorspruch zur Landesverfassung verankerten Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit um eine spezielle und bei dem „Europa der Regionen“ um eine ___________ 139

Dazu auch bereits oben unter B. II. 2. Die Staatszielbestimmungen „Tierschutz“ (Art. 3 b BaWüVerf) und „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ i. S. des Art. 3 a BaWüVerf stehen nicht im Verhältnis von abstrakter und spezieller Zielvorgabe. Ebenso mit Blick auf Art. 20 a GG oben unter C. I. 2. b) dd). – Nichts anderes gilt im Verhältnis der Staatszielbestimmung „Denkmalschutz“ (Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf) zur Zielvorgabe „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“. Jene greift, soweit sie zum Schutz der Naturdenkmale verpflichtet, lediglich einen Teilbereich von dieser auf. Dazu, dass die Naturdenkmale nicht Ergebnisse menschlichen Handelns sind, sondern eben „von Natur aus“ bestehen, neben der Legaldefinition in § 28 Abs. 1 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193) auch Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Art. 86 Rn. 4. 141 Dem entspricht es, dass auch nach § 1 Abs. 1 BaWüNatSchG i.d.F. v. 29.3.1995 (BaWüGBl., S. 386) der Schutz und die Pflege der freien und der besiedelten Landschaft als Lebensgrundlage und Erholungsraum des Menschen zu den Zielen des Naturschutzes zählen; vgl. oben unter B. I. 2., Fn. 37. 142 Vgl. Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Art. 86 Rn. 4, der mit Blick auf den nahezu wortgleichen, mit Einfügung des Art. 3 c Abs. 2 BaWüVerf aufgehobenen Art. 86 BaWüVerf (dazu 3. Kap. unter B. II. 5.) feststellt, die verfassungsrechtliche Beurteilung richte sich in erster Linie nach Art. 3 a BaWüVerf. 143 Dazu (bezogen auf die Sportförderung als Bestandteil des Kulturstaats) Häberle, FS Thieme, S. 25 (25, 40, 47); Stern, FS Thieme, S. 269 (274). – Nach dem umfassenden soziologischen Kulturbegriff handelt es sich bei „Kultur“ um das kollektive System einer Gesellschaft, welches sich aus der Gesamtheit der in ihr bestehenden und sie prägenden Wertvorstellungen, Verhaltensmuster und Interaktivitäten ergibt; dazu Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 46 (60 ff.); Steiner, VVDStRL 42 (1984), S. 7 (8). Vgl. aber BVerfGE 10, 20 (36) zum Begriff „kulturelles Leben“ als Sammelbezeichnung für verschiedene Formen geistig-schöpferischen Tätigwerdens, die sich unabhängig vom Staat entfalten und nicht vorrangig auf die Erfüllung materieller Grundbedürfnisse gerichtet sind. 140

358

6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

abstrakte Zielvorgabe, da die Förderung jener Zusammenarbeit einen besonders bedeutsamen Aspekt des Europa der Regionen darstellt.144

ff) Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. mit einem Gesetzesvorbehalt Das Grundgesetz verknüpft die umweltschutzbezogenen Staatszielbestimmungen mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. einem Gesetzesvorbehalt: Nach Art. 20 a GG werden die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere durch die Legislative „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ geschützt und von der Exekutive und Judikative „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“. Für die landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben ist zunächst festzuhalten, dass der „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ i. S. des Art. 3 a BaWüVerf mit der in Art. 20 a GG enthaltenen Parallelvorgabe wortgleich übereinstimmt. Der Tierschutz (Art. 3 b BaWüVerf) differenziert hingegen nicht zwischen den drei Staatsgewalten, sondern bestimmt, dass die Tiere „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ zu schützen sind. Des Weiteren ist das „Recht auf Erziehung und Ausbildung“ (Art. 11 Abs. 1 BaWüVerf) mit einem Gesetzesvorbehalt verknüpft, s. Art. 11 Abs. 4 BaWüVerf. Die Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. einem Gesetzesvorbehalt erweist sich daher, abgesehen vom Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, in beiden Verfassungen als unterschiedlich.

3. Zusammenfassung Erneut variiert neben den Mechanismen, die den Staatszielbestimmungen deren Stellung im Zielgefüge zuweisen, auch die Zuordnung zu denjenigen Instrumentarien, die in Grundgesetz und baden-württembergischer Verfassung zugleich Verwendung finden. Hinsichtlich der lediglich in einer dieser Verfassungen in Ansatz gebrachten Mechanismen ist festzuhalten, dass diese nahezu allesamt auf Seiten der Landesverfassung liegen. Bei der Zuordnung zu denjenigen Instrumentarien, die in beiden Verfassungen Verwendung finden, zeigen sich bzgl. systematischer Aspekte Divergenzen unter sechs Gesichtspunkten, hinsichtlich der grammatischen Aspekte unter drei. Diese Unterschiede haben je nach Gesichtspunkt größeren oder geringeren Umfang. Verschiedentlich liegen allerdings auch übereinstimmende Zuordnungen vor. ___________ 144 So die Begründung des Gesetzentwurfs v. 27.1.1995 für die betreffende Verfassungsänderung, LT-Drs. 11/5326, S. 5.

C. Unterschiede im Zielgefüge

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III. Grundgesetz und Verfassung des Landes Brandenburg

1. Divergierende Instrumentarien für die Zuweisung des Platzes im Zielgefüge a) Grammatische Aspekte Die Formulierung der Staatszielbestimmungen weist unter drei Gesichtspunkten Divergenzen auf. Während keine der Zielvorgaben des Grundgesetzes als „Pflicht“ formuliert ist, ist dies in der brandenburgischen Verfassung gleich mehrfach der Fall. Im sozialen Bereich sind insoweit vier Staatszielbestimmungen zu nennen. Nach Art. 48 Abs. 1 BbgVerf ist das Land „verpflichtet, […] für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sorgen“. Eine entsprechende Pflicht hat das Land bei den „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) und „soziale Sicherung“ (Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf). Des Weiteren verpflichtet Art. 12 Abs. 4 BbgVerf Land, Gemeinden und Gemeindeverbände, für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen. Auch einige bildungs- und kulturbezogene Zielvorgaben sind explizit als Pflicht formuliert. So bezeichnet Art. 2 Abs. 1 BbgVerf Brandenburg als ein „dem Schutz der [...] Kultur verpflichtetes [...] Land“, und Art. 30 Abs. 5 BbgVerf zufolge haben das Land und die Träger der kommunalen Selbstverwaltung die Pflicht, Schulen zu fördern; Art. 29 Abs. 2 BbgVerf verpflichtet zur Förderung beruflicher Ausbildungssysteme, Art. 40 Abs. 3 BbgVerf zum Freihalten des Zugangs zur Natur. Gleiches gilt für die folgenden umweltschutzbezogene Zielvorgaben: Art. 39 Abs. 1 BbgVerf bezeichnet den Schutz der Natur, der Umwelt und der gewachsenen Kulturlandschaft als Pflicht des Landes, und Art. 39 Abs. 5 S. 1 BbgVerf statuiert die Pflicht, die Umwelt vor Schäden oder Belastungen zu bewahren und dafür Sorge zu tragen, dass Umweltschäden beseitigt oder ausgeglichen werden. Schließlich sind das Friedensgebot (Art. 2 Abs. 1 BbgVerf) und auch die Gleichstellung der Geschlechter (Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) als Verpflichtung gefasst. Ebenso wenig kennt das Grundgesetz die subjektiv-rechtliche Formulierung einer Staatszielbestimmung. Die brandenburgische Verfassung enthält demgegenüber fünf solcher Zielvorgaben, auch wenn diese, abgesehen vom „Recht auf Bildung“ i. S. des Art. 29 Abs. 1 BbgVerf, objektiv-rechtlich eingekleidet sind. Neben Art. 48 Abs. 1 BbgVerf, der das Land verpflichtet, „für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sorgen“, handelt es sich um Art. 47 Abs. 1 BbgVerf sowie Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf, die in gleicher Weise dem „Recht auf eine angemessene Wohnung“ bzw. dem „Recht auf soziale Sicherung“ gelten. Weiterhin ist Art. 25 Abs. 1 S. 2 BbgVerf zu nennen, demzufolge Land, Gemeinden und Gemeindeverbände die Verwirklichung des Rechts des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebiets fördern.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

Auch die Formulierung als „besonderer“ Schutzauftrag ist lediglich in der brandenburgischen Verfassung zu finden. Nach Art. 27 Abs. 3 S. 1 BbgVerf genießen Kinder „in besonderer Weise den Schutz von Staat und Gesellschaft“.

b) Systematische Aspekte Von den systematischen Aspekten sind vier lediglich in einer der beiden Verfassungen zu finden. Eine Abstützung im Rahmen der Grundrechtsschranken haben ausschließlich landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen erfahren.145 Im Bereich Soziales handelt es sich hierbei um die Zielvorgaben „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) sowie „Kinder- und Jugendschutz“ (Art. 27 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1 BbgVerf); nach Art. 15 Abs. 3 BbgVerf dürfen Eingriffe und Beschränkungen in die Unverletzlichkeit der Wohnung i. S. des Art. 15 Abs. 1 BbgVerf u.a. „zur Behebung von Raumnot [...] oder zum Schutze gefährdeter Kinder und Jugendlicher“ erfolgen.146 Mit dem Schutz der Natur und Umwelt (Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) hat zudem eine umweltschutzbezogene Staatszielbestimmung eine entsprechende Abstützung erfahren. Neben der Schranke für die Forschungsfreiheit i. S. des Art. 31 Abs. 1 BbgVerf – Forschungen unterliegen nach Art. 31 Abs. 2 BbgVerf gesetzlichen Beschränkungen u.a. dann, „wenn sie geeignet sind, [...] die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören“147 – ist insoweit Art. 39 Abs. 5 S. 3 BbgVerf zu erwähnen, demzufolge Eigentum eingeschränkt werden kann, „wenn durch seinen Gebrauch rechtswidrig die Umwelt schwer geschädigt oder gefährdet wird“.148 Schließlich bestimmt Art. 40 Abs. 1 S. 1 BbgVerf, dass die Nutzung des Bodens und der Gewässer „in besonderem Maße“ den Interessen von Allgemeinheit und künfti___________ 145 Das Grundgesetz kennt keine Abstützung einer Staatszielbestimmung im Rahmen der Grundrechtsschranken, s. oben unter C. II. 1. 146 Nach Art. 19 Abs. 3 S. 1 BbgVerf sind zudem gesetzliche Einschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit i. S. des Art. 19 Abs. 1 S. 1 BbgVerf „zum Schutze der Kinder und Jugendlichen“ zulässig. 147 Art. 31 Abs. 2 BbgVerf hat keinen über Art. 5 Abs. 3 GG hinaus gehenden Regelungsgehalt. Insbesondere erweitert er die staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf die Forschungsfreiheit nicht; a.A. Kanther, Landesverfassungen, S. 167 f.: Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG; ebenso Vogelgesang, DÖV 1991, S. 1045 (1049). Letztere Auffassung greift zu kurz. Art. 31 Abs. 2 BbgVerf ist derart eng auszulegen, dass er lediglich dasjenige umfasst, was praktische Konkordanz als verfassungsimmanente Schranke der Forschungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG erscheinen lässt ( – neben den aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG resultierenden Schutzpflichten für menschliches Leben und körperliche Unversehrtheit ist hier auf Art. 20 a GG zu verweisen). Ebenso Dietlein, Grundrechte, S. 119 f.; Starck, Verfassungen, S. 51. 148 Diese Bestimmung bringt wiederum lediglich zum Ausdruck, was unter dem Blickwinkel der praktischen Konkordanz bereits als Aspekt des Art. 14 Abs. 2 GG erscheint. Anders gewendet: Art. 39 Abs. 5 S. 3 BbgVerf erweitert den Umfang der Sozialbindung des Eigentums nicht.

C. Unterschiede im Zielgefüge

361

gen Generationen verpflichtet ist.149 Weitere Zielvorgaben, die eine Abstützung im Rahmen der Grundrechtsschranken erfahren haben, fallen in den Bereich Auswärtiges und Verteidigung. Es handelt sich um das Friedensgebot (Art. 2 Abs. 1 BbgVerf) und die „Eine Welt“ i. S. der Präambel der Verfassung: Art. 19 Abs. 3 S. 2 BbgVerf als Schranke der Meinungs- und Medienfreiheit i. S. des Art. 19 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 BbgVerf verbietet u.a. die „Kriegspropaganda“, und nach Art. 20 Abs. 2 BbgVerf, welcher der Vereinigungsfreiheit (Art. 20 Abs. 1 BbgVerf) Schranken zieht, sollen „Vereinigungen, die nach ihrem Zweck oder ihrer Tätigkeit gegen […] die Völkerverständigung verstoßen, [...] Beschränkungen unterworfen oder verboten werden“.150 Ebenso wenig kennt das Grundgesetz die Kombination einer Staatszielbestimmung mit einer Grundpflicht. Die brandenburgische Verfassung enthält zwei solcher Zielvorgaben. Nach Art. 27 Abs. 3 S. 1 BbgVerf genießen Kinder „den Schutz von Staat und Gesellschaft“, und Art. 39 Abs. 1 BbgVerf bezeichnet den Schutz der Natur, der Umwelt und der gewachsenen Kulturlandschaft nicht nur als Pflicht des Landes, sondern (auch) als die „aller Menschen“. Auch eine Abstützung von Staatszielbestimmungen im Rahmen der Erziehungsziele erfolgt allein in jener Landesverfassung. Während das Grundgesetz keine Erziehungsziele enthält,151 bestimmt Art. 28 BbgVerf, welche Aufgabe Erziehung und Bildung haben: Es soll u.a. der „Willen zu sozialer Gerechtigkeit, die Friedfertigkeit und Solidarität im Zusammenleben der Kulturen und Völker und die Verantwortung für Natur und Umwelt“ gefördert werden. Eine Abstützung im Rahmen dieser Erziehungsziele finden demnach das Sozialstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 BbgVerf), der Schutz der Natur und Umwelt (Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) sowie das Friedensgebot des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf und die in der Präambel enthaltene Zielvorgabe „Eine Welt“. Die Verankerung einer Staatszielbestimmung in der Revisionssperrklausel ist hingegen allein auf Seiten des Grundgesetzes zu verzeichnen.152 Dessen So-

___________ 149 Der Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 1 BbgVerf geht nicht über Art. 14 Abs. 2 GG hinaus: Er bringt nichts anderes zum Ausdruck als das, was praktische Konkordanz bereits als Aspekt des Letzteren ausweist. Ebenso Starck, Verfassungen, S. 52. 150 Diese Schrankenklausel umschreibt die Voraussetzungen für einen verfassungsrechtlich gerechtfertigten Eingriff in die Vereinigungsfreiheit; konstitutive Wirkung entfaltet erst die im konkreten Fall erlassene Verbotsverfügung. Ebenso mit Blick auf Art. 9 Abs. 2 GG, der im Unterschied zu Art. 20 Abs. 2 BbgVerf zwingend gefasst ist, Kemper, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 9 Rn. 69 m.w.N. 151 s. oben unter C. II. 1., Fn. 127. 152 Die brandenburgische Verfassung kennt keine materiellen Grenzen für eine Verfassungsänderung: Lediglich die bei einer Verfassungsänderung zu beobachtende Form und die Mehrheitserfordernisse sind geregelt, s. Art. 79 BbgVerf.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

zialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) hat eine entsprechende Absicherung über Art. 79 Abs. 3 GG erfahren.153

2. Unterschiedliche Zuordnung zu denselben Instrumentarien a) Grammatische Aspekte aa) Formulierung als Förderauftrag Während sich im Grundgesetz mit Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG lediglich eine als Förderauftrag formulierte Staatszielbestimmung findet,154 sind in der brandenburgischen Verfassung 13 Zielvorgaben als reine Förderaufträge ausgestaltet. Im sozialen Bereich handelt es sich um die zwei Staatszielbestimmungen „Förderung sozialer und karitativer Einrichtungen“ (Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf) und „Förderung von Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen“ (Art. 27 Abs. 6 BbgVerf). Im Bereich Bildung und Kultur sind neben der Förderung von Schulen i. S. des Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf und von beruflichen Ausbildungssystemen (Art. 29 Abs. 2 BbgVerf) die Förderung der Weiterbildung von Erwachsenen (Art. 33 Abs. 1 S. 1 BbgVerf) sowie diejenige von Begabten, sozial Benachteiligten und Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen (Art. 29 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) zu nennen. Ebenso handelt es sich bei der Förderung des kulturellen Lebens und der Vermittlung des kulturellen Erbes (Art. 34 Abs. 2 S. 1 BbgVerf), der Förderung der Kunst (Art. 34 Abs. 1 S. 2 BbgVerf) und bei der Staatszielbestimmung „Sport“ i. S. des Art. 35 S. 1 BbgVerf um reine Förderaufträge. Von den umweltschutzbezogenen Zielvorgaben ist lediglich die Förderung der Einrichtung und Erhaltung von Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebieten (Art. 40 Abs. 4 S. 1 BbgVerf) als Förderauftrag formuliert. Im Bereich Wirtschaft und Finanzen sind wiederum zwei Staatszielbestimmungen zu nennen: die Förderung der breiten Streuung des Eigentums (Art. 41 Abs. 3 BbgVerf) und diejenige der Land- und Forstwirtschaft (Art. 43 Abs. 2 BbgVerf). Entsprechend gefasst ist schließlich Art. 25 Abs. 1 BbgVerf, demzufolge Land, Gemeinden und Gemeindeverbände die Verwirklichung des Rechts des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebiets fördern.

___________ 153 154

Dazu oben unter C. I. 1. s. oben unter C. I. 2. a).

C. Unterschiede im Zielgefüge

363

bb) Formulierung als Schutz-, Gewährleistungs- oder Sicherungsauftrag Hinsichtlich der Formulierung als Schutz-, Gewährleistungs- oder Sicherungsauftrag fällt die Zuordnung nicht durchgängig unterschiedlich aus. Im Grundgesetz handelt es sich, wie gesagt,155 lediglich bei den drei Zielvorgaben „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“, „Tierschutz“ (beide Art. 20 a GG) und „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ (Art. 109 Abs. 2 GG) um Schutzbzw. Gewährleistungsaufträge. Ein Vielfaches entsprechend gefasster Staatszielbestimmungen kennt die brandenburgische Verfassung. Es handelt sich zunächst um den Schutz des ungeborenen Lebens (Art. 8 Abs. 2 BbgVerf) sowie den Kinder- und Jugendschutz (Art. 27 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1 BbgVerf), um den Schutz der Kultur i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf und den Denkmalschutz (Artt. 34 Abs. 2 S. 2, 40 Abs. 4 S. 2 BbgVerf) sowie um den Schutz der Natur und Umwelt und den Landschaftsschutz i. S. des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf. Diese Staatszielbestimmungen sind allesamt als reine Schutzaufträge formuliert, während im Fall des Artenschutzes (Art. 39 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) eine Kombination von Erhaltungs- und Schutzauftrag vorliegt. Als Gewährleistungsaufträge gefasst sind neben Art. 34 Abs. 3 BbgVerf, demzufolge Land, Gemeinden und Gemeindeverbände die Teilnahme am kulturellen Leben unterstützen und den Zugang zu den Kulturgütern ermöglichen, die Zielvorgaben „freier Zugang zur Natur“ (Art. 40 Abs. 3 BbgVerf), „Gewährleistung einer Strukturförderung der Regionen“ i. S. des Art. 44 BbgVerf sowie „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ (Art. 101 Abs. 1 BbgVerf). Schließlich sind sechs landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen als Sicherungsaufträge formuliert. Nach Art. 48 Abs. 1 BbgVerf hat das Land „für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sorgen“. Entsprechende Formulierungen finden sich auch im Fall der Zielvorgaben „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) und „soziale Sicherung“ (Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf). Des Weiteren ist Art. 12 Abs. 4 BbgVerf zu erwähnen, der Land, Gemeinden und Gemeindeverbände verpflichtet, „für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen“. Auch besteht eine Pflicht des Landes, „für die Gleichstellung von Frau und Mann [...] zu sorgen“ (Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf). Um einen Sicherungsauftrag handelt es sich ebenso bei Art. 39 Abs. 5 S. 1 BbgVerf, demzufolge die Pflicht besteht, „die Umwelt vor Schäden oder Belastungen zu bewahren und dafür Sorge zu tragen, dass Umweltschäden beseitigt oder ausgeglichen werden“. Die brandenburgische Verfassung und das Grundgesetz stimmen hinsichtlich dieser Formulierungen demnach in zwei Fällen überein. Die Zielvorgaben „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 20 a GG) und „Schutz der Natur und Umwelt“ (Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) sind als reine Schutzaufträge gefasst, und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nach Art. 109 ___________ 155

s. oben unter C. I. 2. a).

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

Abs. 2 GG bzw. Art. 101 Abs. 1 BbgVerf ist jeweils als Gewährleistungsauftrag ausgeformt.

cc) Ausgestaltung als Anstrebens- oder Hinwirkensklausel Die Ausgestaltung als Anstrebens- oder Hinwirkensklausel erweist sich in der Zuordnung wiederum als völlig unterschiedlich. Während das Grundgesetz mit den Staatszielbestimmungen „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) und „Gleichstellung der Geschlechter“ (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) zwei solcher Zielvorgaben enthält,156 finden sich auf Seiten der Landesverfassung fünf. Es handelt sich insbesondere um Staatszielbestimmungen aus dem Bereich Auswärtiges und Verteidigung. Neben Art. 2 Abs. 1 BbgVerf, der Brandenburg als ein Land bezeichnet, „welches die Zusammenarbeit mit anderen Völkern [...] anstrebt“, sind Art. 39 Abs. 9 und Art. 40 Abs. 5 BbgVerf zu nennen, wonach das Land nicht nur darauf hinwirkt, dass auf seinem Gebiet keine atomaren, biologischen oder chemischen Waffen entwickelt, hergestellt oder gelagert werden, sondern auch darauf, dass militärisch genutzte Liegenschaften verstärkt einer zivilen Nutzung zugeführt werden. Daneben ist die wirtschaftsbezogene Zielvorgabe des Art. 42 Abs. 1 S. 2 BbgVerf zu erwähnen, derzufolge das Land Wettbewerb und Chancengerechtigkeit anstrebt. Die fünfte Staatszielbestimmung fällt in den Bereich Minderheitenschutz: Das Land wirkt nach Art. 25 Abs. 2 BbgVerf auf die Sicherung einer die Landesgrenzen übergreifenden kulturellen Autonomie der Sorben hin.

b) Systematische Aspekte aa) Erwähnung im Rahmen der Staatsstrukturprinzipien Von den grundgesetzlichen Staatszielbestimmungen ist allein das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) in den Staatsstrukturprizipien verankert.157 In der brandenburgischen Verfassung hingegen findet sich unter den in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf enthaltenen Staatsstrukturprizipien nicht lediglich die Zielvorgabe „Sozialstaat“, sondern es sind auch die Staatszielbestimmungen „Kulturstaat“, „Frieden“ und „Zusammenarbeit mit anderen Völkern“ entsprechend verankert. Eine weitere landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe hat in jenen Strukturprinzipien zusätzliche Erwähnung gefunden, also neben ihrer Verankerung an anderer Stelle: die „Verpflichtung auf den Schutz der natürlichen Le___________ 156 157

s. oben unter C. I. 1. Dazu bereits oben unter C. I. 1.

C. Unterschiede im Zielgefüge

365

bensgrundlagen“. Die Verankerung in den Staatsstrukturprinzipien fällt demnach, abgesehen vom Sozialstaatsprinzip, unterschiedlich aus.

bb) Verankerung in der Präambel Auch dem Aspekt „Verankerung in der Präambel“ sind die Staatszielbestimmungen nicht durchgängig unterschiedlich zugeordnet. Die Präambel des Grundgesetzes enthält das Friedensgebot und die Europäische Integration. In der brandenburgischen Verfassung sind demgegenüber neben den Staatszielbestimmungen „Eine Welt“ und „Europäische Integration“ auch zusätzliche Abstützungen in der Präambel zu verzeichnen. Es findet sich eine Bezugnahme zum einen auf das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf,158 zum anderen auf den Schutz von Natur und Umwelt nach Art. 39 Abs. 1 BbgVerf.159 Demnach ist lediglich die Europäische Integration in beiden Verfassungen in der Präambel verankert.

cc) Verankerung an vorderer/hinterer Stelle im Haupttext Im Grundgesetz findet sich in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG zunächst die Gleichstellung der Geschlechter. Im II. Abschnitt folgen auf das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tierschutz (beide Art. 20 a GG) vor der Staatszielbestimmung „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG). Erst im X. Abschnitt verankert ist das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG). Die brandenburgische Verfassung verankert zuvorderst die vier Zielvorgaben „Sozialstaat“, „Schutz der Kultur“, „Frieden“ und „Zusammenarbeit mit anderen Völkern“ (jeweils Art. 2 Abs. 1 BbgVerf). Im 2. Hauptteil folgen der Schutz des ungeborenen Lebens (Art. 8 Abs. 2 BbgVerf), die Gleichstellung der Geschlechter (Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) und die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen (Art. 12 Abs. 4 BbgVerf), bevor im 4. Abschnitt die beiden dem Minderheitenschutz gewidmeten Staatszielbestimmungen (Art. 25 Abs. 1, 3 BbgVerf) geregelt sind. Der folgende Abschnitt, überschrieben mit „Ehe, Familie, Lebensgemeinschaften und Kinder“, enthält alle dem Kinder- und Jugendschutz geltenden Zielvorgaben sowie die Förderung von Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen (Art. 27 ___________ 158 s. die Formulierung „von dem Willen beseelt, [...] das Gemeinschaftsleben in sozialer Gerechtigkeit zu ordnen“. 159 s. die Wendung „von dem Willen beseelt, [...] Natur und Umwelt zu bewahren und zu schützen“.

366

6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

Abs. 6 BbgVerf). Im 6. Abschnitt finden sich sodann nahezu alle Staatszielbestimmungen, die in den Bereich Bildung und Kultur fallen, während die umweltschutzbezogenen Zielvorgaben (neben zwei noch zu Bildung und Kultur rechnenden Vorgaben)160 erst im 8. Abschnitt verankert sind. Im folgenden Abschnitt, der mit „Eigentum, Wirtschaft, Arbeit und soziale Sicherung“ betitelt ist, sind die übrigen drei einzelprogrammatischen sozialen Staatszielbestimmungen geregelt161 wie auch vier der fünf Zielvorgaben, die sich Wirtschaft und Finanzen widmen. Die fünfte wirtschaftsbezogene Staatszielbestimmung – das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht (Art. 101 Abs. 1 BbgVerf) – ist als einzige Zielvorgabe im 3. Hauptteil verankert. Eine übereinstimmende Zuordnung ist unter dem Aspekt „Stellung im Haupttext“ demnach lediglich hinsichtlich des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu verzeichnen, das in beiden Verfassungen den Abschluss bildet.

dd) Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen Im Grundgesetz ist den Staatszielbestimmungen in den Bereichen Soziales, Wirtschaft und Finanzen sowie Gleichstellung der Geschlechter ein eigener Artikel gewidmet. Das Sozialstaatsprinzip ist geregelt in Art. 20 Abs. 1 GG, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht in Art. 109 Abs. 2 GG und die Gleichstellung der Geschlechter in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG. Auch der „Europäischen Union“ ist mit Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG ein eigener Artikel eingeräumt, während die Staatszielbestimmungen „Frieden“ und „Europäische Integration“ gemeinsame Verankerung in S. 1 der Präambel gefunden haben. Die zwei dem Umweltschutz geltenden Zielvorgaben – der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tierschutz – sind ebenfalls nicht eigenständig verankert, sondern gemeinsam in Art. 20 a GG. Die Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung finden sich hingegen ganz überwiegend zu mehreren in einem Artikel. Gesondert geregelt sind lediglich elf der 43 Zielvorgaben: im Sozialen die Staatszielbestimmungen „Arbeit“ (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf), „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) und „Schutz des ungeborenen Lebens“ (Art. 8 Abs. 2 BbgVerf), im Bereich Bildung und Kultur die Förderung von Schulen (Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf), die Weiterbildung von Erwachsenen (Art. 33 Abs. 1 S. 1 BbgVerf) und die Sportförderung (Art. 35 BbgVerf) sowie im Bereich Wirtschaft und Finanzen alle fünf

___________ 160 Es handelt sich um den Schutz der Naturdenkmale (Art. 40 Abs. 4 S. 2 BbgVerf) und den freien Zugang zur Natur i. S. des Art. 40 Abs. 3 BbgVerf. 161 Dies sind die Zielvorgaben „soziale Sicherung“ (Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf), „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) und „Arbeit“ (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf).

C. Unterschiede im Zielgefüge

367

Zielvorgaben.162 Einige der übrigen 32 Staatszielbestimmungen sind sogar in demselben Absatz eines Artikels geregelt. Dies ist insbesondere der Fall bei denjenigen Zielvorgaben, die dem Umweltschutz zuzuordnen sind: In Art. 39 Abs. 1 BbgVerf sind der Schutz der Natur und Umwelt und der Landschaftsschutz gemeinsam verankert, in Art. 39 Abs. 3 BbgVerf die drei Staatszielbestimmungen „Tier-, Pflanzen- und Artenschutz“. Gleiches gilt für den Bereich Auswärtiges und Verteidigung. Das Friedensgebot und die Zusammenarbeit mit anderen Völkern sind in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf verankert, die Staatszielbestimmungen „Europäische Integration“ und „Eine Welt“ in der Präambel. Auch hinsichtlich der „Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Zielvorgaben“ ist demnach keine durchgängig divergierende Zuordnung zu konstatieren. Beide Verfassungen räumen den Staatszielbestimmungen im Bereich Wirtschaft und Finanzen, anders als denjenigen im Bereich Umweltschutz, eine eigenständige Verankerung ein. Zudem ist die Europäische Integration jeweils gemeinsam mit anderen Zielvorgaben geregelt.

ee) Vorhandensein von Qualifizierungen Bei den qualifizierten Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes handelt es sich neben dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und dem Tierschutz (beide Art. 20 a GG) um das Friedensgebot i. S. der Präambel sowie die „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG).163 Auf Seiten der brandenburgischen Verfassung ergibt sich das folgende Bild.164 Im sozialen Bereich sind nahezu alle Zielvorgaben qualifiziert ( – aber nicht der Sozialstaat i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf).165 Auch die weit überwiegende Zahl der Staatszielbestimmungen im Bereich Bildung und Kultur weist eine Qualifizierung auf.166 Von den umweltschutzbezogenen Zielvorgaben sind ___________ 162 Es handelt sich um die Staatszielbestimmungen „Wettbewerb und Chancengerechtigkeit“ (Art. 42 Abs. 1 S. 2 BbgVerf), „Förderung der breiten Streuung des Eigentums“ (Art. 41 Abs. 3 BbgVerf), „regionale Strukturförderung“ (Art. 44 BbgVerf), „Förderung der Land- und Forstwirtschaft“ (Art. 43 Abs. 2 BbgVerf) und „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ (Art. 101 Abs. 1 BbgVerf). 163 s. oben unter C. I. 2. b) cc). 164 Im Einzelnen oben unter A. III. und B. III. 165 Es handelt sich um acht Zielvorgaben: Arbeit (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf), Wohnraum (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf), soziale Sicherung (Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf), Förderung sozialer und karitativer Einrichtungen (Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf), Kinder- und Jugendschutz (Art. 27 Abs. 3 S. 1, Art. 27 Abs. 5 S. 1 BbgVerf), Förderung von Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen (Art. 27 Abs. 6 BbgVerf) sowie Schutz des ungeborenen Lebens (Art. 8 Abs. 2 BbgVerf). 166 Qualifiziert sind sieben Staatszielbestimmungen: Förderung von Schulen (Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf), Weiterbildung von Erwachsenen (Art. 33 Abs. 1 S. 1

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

demgegenüber lediglich drei qualifiziert: die Staatszielbestimmungen „Schutz der Natur und Umwelt“, „Landschaftsschutz“ (beide Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) sowie „Verhinderung, Behebung bzw. Ausgleich von Umweltschäden“ (Art. 39 Abs. 5 S. 1 BbgVerf). Im Bereich Auswärtiges und Verteidigung weist sogar nur eine Zielvorgabe eine Qualifizierung auf, und zwar die Zusammenarbeit mit anderen Völkern (Art. 2 Abs. 1 BbgVerf). Bei den Staatszielbestimmungen, die den Bereich Wirtschaft und Finanzen ausgestalten, ist eine Qualifizierung wiederum bei der Mehrzahl zu verzeichnen.167 Schließlich sind auch die Gleichstellung der Geschlechter (Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) und das „Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebiets“ (Art. 25 Abs. 1 BbgVerf) qualifiziert. Die Zuordnung zum Aspekt Qualifizierungen fällt demnach nicht durchweg unterschiedlich aus. In Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung qualifiziert sind die Zielvorgaben „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 20 a GG) bzw. „Schutz der Natur und Umwelt“ (Art. 39 Abs. 1 BbgVerf); keine Qualifizierung weisen das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 BbgVerf) sowie die Europäische Integration i. S. der Präambeln auf.

ff) Abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen Von den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes stehen lediglich die Europäische Integration i. S. der Präambel und die „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) im Verhältnis von abstrakter und spezieller Zielvorgabe.168 Die brandenburgische Verfassung kennt demgegenüber andere (und weitaus mehr) Staatszielbestimmungen, die als abstrakte bzw. spezielle Zielvorgaben einzuordnen sind. Im sozialen Bereich findet sich neben der allgemeinen Staatszielbestimmung „Sozialstaat“ i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf eine Vielzahl einzelprogrammatischer Zielvorgaben wie etwa die Staatszielbestimmungen „Arbeit“ (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf), „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf), „soziale Sicherung“ (Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf) und „Förderung sozialer und karitativer Einrichtungen“ (Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf),169 bei denen es sich im Verhält___________ BbgVerf), Förderung des kulturellen Lebens und Vermittlung des kulturellen Erbes (Art. 34 Abs. 2 S. 1 BbgVerf), Förderung der Kunst (Art. 34 Abs. 1 S. 2 BbgVerf), Denkmalschutz (Art. 34 Abs. 2 S. 2, Art. 40 Abs. 4 S. 2 BbgVerf), Sport (Art. 35 S. 1 BbgVerf) und der freie Zugang zur Natur (Art. 40 Abs. 3 BbgVerf). 167 Dies sind die Zielvorgaben „Wettbewerb und Chancengerechtigkeit“ (Art. 42 Abs. 1 S. 2 BbgVerf), „regionale Strukturförderung“ i. S. des Art. 44 BbgVerf sowie „Förderung der Land- und Forstwirtschaft“ (Art. 43 Abs. 2 BbgVerf). 168 Dazu im Einzelnen oben unter C. I. 2. b) dd). 169 Zum Gesamt der einzelprogrammatischen sozialen Staatszielbestimmungen in der brandenburgischen Verfassung oben unter B. III. 2. a).

C. Unterschiede im Zielgefüge

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nis zu jenem Sozialstaatsprinzip durchweg um spezielle Zielvorgaben handelt.170 Auch im Bereich Bildung und Kultur stehen einige landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen in einem solchen Verhältnis. So wird das „Recht auf Bildung“ (Art. 29 Abs. 1 BbgVerf) – diese Zielvorgabe bezieht sich auf das gesamte Bildungswesen im Land, erfasst also Kindergarten, Vorschulerziehung, Schulen, Hochschulen und Berufsakademien wie auch sonstige Berufsausbildung – durch vier spezielle Staatszielbestimmungen konkretisiert. Es handelt sich um die Förderung von Schulen (Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf), die Förderung beruflicher Ausbildungssysteme (Art. 29 Abs. 2 BbgVerf),171 die Weiterbildung von Erwachsenen (Art. 33 Abs. 1 S. 1 BbgVerf)172 und die Förderung von Begabten, sozial Benachteiligten und Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen (Art. 29 Abs. 3 S. 2 BbgVerf). Gleiches gilt für die Zielvorgabe „Schutz der Kultur“ i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf; hier sind die Förderung des kulturellen Lebens und der Vermittlung des kulturellen Erbes (Art. 34 Abs. 2 S. 1 BbgVerf),173 die Förderung ___________ 170 Bei der in Art. 27 Abs. 5 S. 1 BbgVerf enthaltenen Staatszielbestimmung, derzufolge Kinder und Jugendliche „vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen“ sind, handelt es sich um keine spezielle Zielvorgabe im Verhältnis zu derjenigen, die bestimmt, dass Kinder in besonderer Weise den Schutz von Staat und Gesellschaft genießen (Art. 27 Abs. 3 S. 1 BbgVerf): Jene Staatszielbestimmung ist zwar durchaus konkreter gefasst; sie bezieht sich aber anders als diese nicht lediglich auf Kinder, sondern auch auf Jugendliche. Ebenso greifen auch die Zielvorgaben „soziale Sicherung (Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf) und „Förderung sozialer und karitativer Einrichtungen“ (Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf) lediglich einen Teilbereich der Staatszielbestimmung „Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen“ (Art. 12 Abs. 4 BbgVerf) auf. Sie stehen daher ebenfalls nicht im Verhältnis von spezieller und abstrakter Zielvorgabe. 171 Die Begriffe „Bildung“ und „Ausbildung“ sind zu unterscheiden. Während jener (kaum konturenscharf) die Entfaltung der gesamten Anlagen und Fähigkeiten als lebenslang fortdauernden Prozess beschreibt, hat „Ausbildung“ einen Bezug zum Erwerb einer beruflichen Qualifikation, bezeichnet also eher die Vermittlung der notwendigen Kenntnisse, die lebens- und erwerbstüchtig machen. Dazu Dietlein, Grundrechte, S. 151. – Der Topos „Erziehung“ betrifft demgegenüber eher die allgemein-menschliche Entwicklung, s. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI (2. Aufl.), § 135 Rn. 4. 172 Der Ausdruck „Erwachsenenbildung“ ist zu verstehen als umfassende Weiterbildung, die den Anforderungen der Gegenwart nach fortlaufender Anpassung vor allem beruflicher Qualifikationen an die Veränderungen der Arbeitswelt Rechnung trägt. 173 Aus dem Zweck des Art. 34 Abs. 2 S. 1 BbgVerf sowie aus seinem Zusammenhang mit Art. 34 Abs. 1 S. 2 BbgVerf, der schwerpunktmäßig auf die Ergebnisse der geistigen Arbeit abstellt, ergibt sich, dass jener Zielvorgabe nicht der umfassende soziologische Kulturbegriff zugrunde liegt (zu ihm oben unter C. II. 2. b] ee], Fn. 143). Stattdessen ist ein engerer Begriff des kulturellen Lebens (hierzu etwa BVerfGE 10, 20 [36]) anzunehmen i. S. einer Sammelbezeichnung für die verschiedenen Formen geistigschöpferischen Tätigwerdens, die sich unabhängig vom Staat entfalten und nicht vorrangig auf die Erfüllung materieller Grundbedürfnisse gerichtet sind.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

der Kunst (Art. 34 Abs. 1 S. 2 BbgVerf),174 der Denkmalschutz (Artt. 34 Abs. 2 S. 2, 40 Abs. 4 S. 2 BbgVerf) sowie die Sportförderung (Art. 35 S. 1 BbgVerf) als spezielle Zielvorgaben einzuordnen.175 Schließlich handelt es sich bei drei umweltschutzbezogenen Staatszielbestimmungen um spezielle Zielvorgaben im Verhältnis zum Schutz der Natur und Umwelt i. S. des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf. Neben den Zielvorgaben „Verhinderung, Behebung bzw. Ausgleich von Umweltschäden“ (Art. 39 Abs. 5 S. 1 BbgVerf) und „Förderung der Einrichtung und Erhaltung von Nationalparks, Naturund Landschaftsschutzgebieten“ (Art. 40 Abs. 4 S. 1 BbgVerf) ist der Schutz der gewachsenen Kulturlandschaft (Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) zu nennen:176 Die kultivierte Landschaft177 rechnet ebenso wie die „naturbelassene“ zu den natürlichen Lebensgrundlagen;178 der Schutz der Kulturlandschaft i. S. des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf überschneidet sich daher mit jenem Schutz der Natur und Umwelt. Mithin erweist sich die Zuordnung zum Aspekt „abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen“ in beiden Verfassungen als durchgängig unterschiedlich.

gg) Flankierung durch subjektive Rechte Während im Grundgesetz lediglich die „Gleichstellung der Geschlechter“ (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) durch subjektive Rechte flankiert ist,179 erweist sich die ___________ 174 In der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 Abs. 3 GG hat der Kunstbegriff eine weithin anerkannte Ausprägung erfahren; auf die entsprechenden Konturen kann auch hinsichtlich Art. 34 Abs. 2 S. 2 BbgVerf zurückgegriffen werden. So wird etwa das künstlerische Schaffen in der Herstellung des Kunstwerkes („Werkbereich“) durch jenes Grundrecht ebenso erfasst wie dasjenige bei dessen Darbietung und Verbreitung („Wirkbereich“), s. BVerfGE 30, 173 (188 f.); 67, 212 (224 ff.); Starck, in: v. Mangoldt u.a., GG I, Art. 5 Rn. 307 ff. m.w.N. 175 Dazu, dass es sich im Verhältnis zur Förderung des kulturellen Lebens i. S. des Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf bei den baden-württembergischen Zielvorgaben „Denkmalschutz“ und „Sportförderung“ um speziellere Zielvorgaben handelt, oben C. II. 2. b) ee). 176 Die Staatszielbestimmungen „Tier-, Pflanzen- und Artenschutz“ (Art. 39 Abs. 3 BbgVerf) sind im Verhältnis zur Zielvorgabe „Schutz der Natur und Umwelt“ nicht als speziellere Staatszielbestimmungen einzuordnen. Dazu mit Blick auf Art. 20 a GG oben unter C. I. 2. b) dd). 177 Die Kulturlandschaft bildet ein zusammenhängendes, charakteristisches Gebiet der Erdoberfläche mit allem, was sich dauerhaft darauf befindet, sofern es nicht allein von Natur, sondern auch von Menschenhand geschaffen wurde. Bei der Landschaft hingegen kommt es nicht auf den Aspekt „von Menschenhand oder allein von Natur geschaffen“ an. Dazu Pestalozza, in: v. Mangoldt u.a., GG VIII (3. Aufl.), Art. 75 Rn. 384. 178 Vgl. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20 a Rn. 28; ähnlich Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Art. 86 Rn. 4. – Dazu, dass die Landschaft zu den natürlichen Lebensgrundlagen zählt, oben unter B. I. 2., Fn. 37. 179 Dazu oben unter C. I. 1.

C. Unterschiede im Zielgefüge

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brandenburgische Verfassung auch unter diesem Aspekt als weitaus regelungsfreudiger. Ein Ausgestaltungsschwerpunkt liegt hier im sozialen Bereich. Die Zielvorgabe „Arbeit“ (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf) wird vom Grundrecht der Berufsfreiheit i. S. des Art. 49 Abs. 1 BbgVerf flankiert,180 die Staatszielbestimmung „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) von der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 15 Abs. 1 BbgVerf, die „soziale Sicherung“ (Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf) vom (Grund-)Recht auf Sozialhilfe gem. Art. 45 Abs. 2 BbgVerf,181 die „Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen“ (Art. 12 Abs. 4 BbgVerf) vom allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 12 Abs. 1 S. 1 BbgVerf sowie schließlich die Förderung von Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen (Art. 27 Abs. 6 BbgVerf) vom subjektiven „Anspruch auf Erziehung, Bildung, Betreuung und Versorgung in einer Kindertagesstätte“, den Art. 27 Abs. 7 BbgVerf „nach Maßgabe des Gesetzes“ verleiht.182 Auch im Bereich Bildung und Kultur findet sich eine Vielzahl subjektivrechtlicher Flankierungen. So werden die Zielvorgaben „Recht auf Bildung“ (Art. 29 Abs. 1 BbgVerf) und „Förderung von Begabten, sozial Benachteiligten und Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen“ (Art. 29 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) abgestützt durch Art. 29 Abs. 3 S. 1 BbgVerf, der einen Teilhabeanspruch auf gleichen Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen statuiert.183 Hinsichtlich der Förderung von Schulen (Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf) ist der in Art. 30 Abs. 6 S. 2 BbgVerf verankerte Anspruch auf einen öffentlichen Finanzierungszuschuss für die Träger von Schulen, die in freier Trägerschaft geführt werden, zu verzeichnen. Die Förderung der Kunst (Art. 34 Abs. 1 S. 2 BbgVerf) schließlich wird flankiert vom Grundrecht der Kunstfreiheit i. S. des Art. 34 Abs. 1 S. 1 BbgVerf. ___________ 180

Art. 48 Abs. 2 BbgVerf, demzufolge ein „Anspruch auf Umschulung, berufliche Weiterbildung und Unterhalt“ besteht, ist hingegen nicht als subjektives Recht einzuordnen, s. oben unter B. III. 2. a), Fn. 81. Gleiches gilt für Art. 48 Abs. 3 S. 1 BbgVerf, wonach die Arbeitnehmer ein „Recht auf sichere, gesunde und menschenwürdige Arbeitsbedingungen“ haben; hier handelt es sich um einen Programmsatz. 181 Art. 45 Abs. 2 BbgVerf lautet: „In Notlagen, die ein menschenwürdiges Leben nicht ermöglichen und die durch eigene Kräfte und Mittel nicht behoben werden können, besteht ein Anspruch auf Sozialhilfe“. Dazu Dietlein, Grundrechte, S. 155 f.: (Grund-)Recht auf Sozialhilfe; ähnlich Riepe, Grundrechte, S. 214. 182 Dazu, dass Art. 27 Abs. 7 BbgVerf eine subjektive Rechtsposition vermittelt, Isensee, FS Remmers, S. 173 (179); Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (390); krit. Stiens, Chancen, S. 276. 183 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 74 f.; v. Mangoldt, Verfassungen, S. 44 Fn. 152; Stiens, Chancen, S. 255. Vgl. Riepe, Grundrechte, S. 211: Gleichheitsrecht auf gleichen Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen; Starck, Verfassungen, S. 49.

372

6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

In den übrigen Bereichen liegt eine solche Flankierung nicht mehrfach, sondern allenfalls in je einem Fall vor. Die Staatszielbestimmung „Schutz der Natur und Umwelt“ (Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) ist flankiert durch das Grundrecht auf Schutz vor unzumutbaren Gefährdungen aufgrund von Veränderungen der natürlichen Umwelt, welches in Art. 39 Abs. 2 BbgVerf Verankerung gefunden hat.184 Von den wirtschaftsbezogenen Zielvorgaben hat die Förderung einer breiten Streuung des Eigentums (Art. 41 Abs. 3 BbgVerf) eine entsprechende Flankierung erfahren: Art. 42 Abs. 1 S. 1 BbgVerf enthält das Grundrecht auf freie Entfaltung wirtschaftlicher Eigeninitiative.185 Die Gleichstellung der Geschlechter (Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) wiederum wird flankiert vom speziellen Gleichheitssatz des Art. 12 Abs. 3 S. 1 BbgVerf, demzufolge Frauen und Männer gleichberechtigt sind.186 Auch für die Zielvorgabe „Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebiets“ (Art. 25 Abs. 1 BbgVerf) ist eine entsprechende Flankierung zu verzeichnen, da Art. 25 Abs. 3 BbgVerf ein subjektives Recht auf Bewahrung und Förderung der sorbischen Sprache und Kultur statuiert.187 Die Zuordnung zum Aspekt „Flankierung durch subjektive Rechte“ fällt daher, abgesehen von der Gleichstellung der Geschlechter, in beiden Verfassungen unterschiedlich aus.

hh) Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. mit einem Gesetzesvorbehalt Auf Seiten des Grundgesetzes sind lediglich die umweltschutzbezogenen Staatszielbestimmungen – der „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ und der „Tierschutz“ (beide Art. 20 a GG) – mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. einem Gesetzesvorbehalt verknüpft.188 In der brandenburgischen Verfassung findet sich eine solche Ausgestaltung bei Art. 40 Abs. 4 S. 2 BbgVerf, ___________ 184 Art. 39 Abs. 2 BbgVerf lautet: „Jeder hat das Recht auf Schutz seiner Unversehrtheit vor Verletzungen und unzumutbaren Gefährdungen, die aus Veränderungen der natürlichen Lebensgrundlagen entstehen“. Diese Vorschrift ist als Grundrecht einzuordnen, s. Balensiefen, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 8 Rn. 11; Erbguth/Wiegand, DVBl. 1994, S. 1325 (1329); ohne Begründung a.A. Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (136): Staatszielbestimmung. 185 s. Sachs, LKV 1993, S. 241 (247). 186 Bei Art. 48 Abs. 3 S. 2 BbgVerf, demzufolge Männer und Frauen „Anspruch auf gleiche Vergütung bei gleichwertiger Arbeit“ haben, handelt es sich lediglich um einen Programmsatz. 187 Art. 25 Abs. 3 BbgVerf ist als subjektives Recht einzuordnen, s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 81; wohl auch D. Franke/Kier, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 10 Rn. 5. Hingegen soll es sich nach a.A. (s. etwa v. Brünneck, NJ 1999, S. 169 [171] m.w.N.) um eine Staatszielbestimmung handeln. 188 Dazu oben unter C. II. 2. b) ff).

C. Unterschiede im Zielgefüge

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demzufolge Naturdenkmale unter öffentlichem Schutz stehen. Diese Zielvorgabe ist mit einem Gesetzesvorbehalt (s. Art. 40 Abs. 4 S. 3 BbgVerf) verknüpft. Gleiches gilt aufgrund Art. 25 Abs. 5 BbgVerf für das „Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebiets“ i. S. des Art. 25 Abs. 1 BbgVerf.189 Die Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. mit einem Gesetzesvorbehalt ist in beiden Verfassungen daher durchgängig divergierend erfolgt.

3. Zusammenfassung Es unterscheiden sich wiederum sowohl die Mechanismen, mit denen den Staatszielbestimmungen deren Stellung im Zielgefüge zugewiesen wird, wie auch die Zuordnung der Zielvorgaben zu denjenigen Instrumentarien, die zugleich in Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung Verwendung finden. Bzgl. der lediglich in einer der beiden Verfassungen in Ansatz gebrachten Mechanismen ist festzuhalten, dass diese fast allesamt in der brandenburgischen zu finden sind. Bei der Zuordnung der Staatszielbestimmmungen zu jenen Instrumentarien, die in beiden Verfassungen Verwendung finden, ergeben sich hinsichtlich grammatischer Aspekte Divergenzen unter drei Gesichtspunkten, bzgl. systematischer Aspekte unter acht. Die Unterschiede in der Zuordnung fallen dabei, je nach Gesichtspunkt, größer oder geringer aus. Neben den Divergenzen sind immer wieder auch übereinstimmende Zuordnungen zu verzeichnen.

IV. Fazit

Das Zielgefüge, das durch die Staatszielbestimmungen in den drei Referenzverfassungen gebildet wird, unterscheidet sich von demjenigen des Grundgesetzes durchgängig unter zwei Aspekten. Zum einen zeigen sich Divergenzen bzgl. der Instrumentarien, mit denen den Staatszielbestimmungen deren Stellung im Zielgefüge zugewiesen wird, zum anderen sind Unterschiede zu konstatieren bei der Zuordnung zu solchen Mechanismen, die im Grundgesetz wie auch in der jeweiligen Landesverfassung Verwendung finden. Gegenstand dieser Unterschiede sind jeweils sowohl grammatische wie auch systematische Aspekte, wobei die Anzahl der Gesichtspunkte, unter denen Divergenzen zu verzeichnen sind, bei den systematischen Aspekten durchgängig höher ausfällt als bei den grammatischen. Des Weiteren zeigt sich, dass die Divergenzen je nach ___________ 189 Art. 25 Abs. 5 BbgVerf lautet: „Die Ausgestaltung der Rechte der Sorben regelt ein Gesetz. Dies hat sicherzustellen, dass in Angelegenheiten der Sorben, insbesondere bei der Gesetzgebung, sorbische Vertreter mitwirken“.

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

dem, welcher Gesichtspunkt in Rede steht, größeren oder geringeren Umfang haben. Mitunter weisen die Verfassungen auch übereinstimmende Zuordnungen auf. Neben Zielkollisionen und überschießenden Staatszielbestimmungen sind auch diese Unterschiede im Zielgefüge ein Beleg für die Vitalität des bundesdeutschen Föderalismus. Sie verleihen den Landesverfassungen eine durchaus eigenständige Kontur. Indes haben die Länder Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg auch bei der Ausgestaltung des Zielgefüges nicht in gleicher Weise von ihrem verfassungsrechtlichen Spielraum Gebrauch gemacht haben. Die Unterschiede in jenem Gefüge fallen vielmehr je nach Referenzverfassung größer oder geringer aus. Am augenfälligsten sind wiederum die Divergenzen zwischen Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung. Exemplarisch sei darauf verwiesen, dass in dieser Landesverfassung zwölf Staatszielbestimmungen in Abweichung vom Grundgesetz durch subjektive Rechte flankiert sind,190 während die hessische Verfassung ebenso wie die baden-württembergische keine einzige solche Flankierung enthält. Auch hinsichtlich der Qualifizierung von Zielvorgaben finden sich bei einer Gegenüberstellung von Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung weitaus mehr Divergenzen (26) als bei einem Vergleich des Grundgesetzes mit der baden-württembergischen (4) oder hessischen Verfassung (7). Gleiches gilt für den Aspekt „subjektiv-rechtliche Formulierung“: Die brandenburgische Verfassung kennt im Unterschied zum Grundgesetz fünf solcher Staatszielbestimmungen, die baden-württembergische zwei, die hessische eine.

D. Resümee Die Kränze aus Staatszielbestimmungen, die sich im Grundgesetz und in den Verfassungen der Länder Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg finden, weisen unter allen drei Divergenzaspekten Unterschiede auf. Diejenigen Zielvorgaben des Grundgesetzes und der drei Referenzverfassungen, die denselben Ausschnitt eines bestimmten Sachbereichs aufgreifen, sind meist unterschiedlich formuliert und zudem divergierend konkretisiert. Hier liegen dementsprechend regelmäßig Zielkollisionen i.w.S. vor. In keinem Fall ist eine Kollision i.e.S. zu verzeichnen, da gegensätzliche Normanordnungen fehlen. Neben der (im Vergleich zu den Parallelvorschriften des Grundgesetzes) eigenständigen Formulierung und Konkretisierung von Staatszielbestimmungen ___________ 190 Hinsichtlich der dreizehnten entsprechend flankierten Staatszielbestimmung, der Gleichstellung der Geschlechter (Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf), fehlt es an einer divergierenden Zuordnung zum Aspekt „Flankierung durch subjektive Rechte“.

D. Resümee

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haben die Länder den verfassungsrechtlichen Spielraum, der ihnen im Kraftfeld des Grundgesetzes verbleibt, bei der Verankerung überschießender Zielvorgaben genutzt. Hierbei unterscheidet sich sowohl die Anzahl der Sachbereiche, die durch Staatszielbestimmungen aufgegriffen werden, wie auch die der Zielvorgaben, die denselben Bereich regeln. Schließlich weist die Ausgestaltung des Zielgefüges Unterschiede auf. Divergenzen zeigen sich zum einen bzgl. der Mechanismen, mit denen den Staatszielbestimmungen deren Stellung in jenem Gefüge zugewiesen wird. Zum anderen fällt die Zuordnung zu solchen Instrumentarien unterschiedlich aus, die im Grundgesetz wie auch in der jeweiligen Referenzverfassung in Ansatz gebracht sind. Gegenstand dieser Unterschiede sind jeweils grammatische wie auch systematische Aspekte. Diese Zieldivergenzen sind ein gutes Zeichen für die Vitalität des Föderalismus bundesdeutscher Prägung. Sie zeigen, dass die Landesverfassunggeber bzw. die verfassungsändernden Gesetzgeber auf der Suche nach eigenem landesstaatlichen Profil in einem zentralen Bereich von ihrem Spielraum Gebrauch gemacht und für einen durchaus eigenständigen Klang der jeweiligen Verfassung gesorgt haben, anstatt sich auf bundesstaatliche Einordnung zu beschränken. Die Länder Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg haben ihre verfassungsrechtliche Eigenständigkeit auf dem Felde der Staatszielbestimmungen in unterschiedlichem Ausmaß entfaltet. So sind etwa Zielkollisionen i.w.S. je nach der dem Grundgesetz gegenübergestellten Referenzverfassung in geringerer oder größerer Zahl zu konstatieren. Am deutlichsten fallen die Zieldivergenzen unter dem Aspekt der überschießenden Zielvorgaben aus, und zwar bei einem Vergleich von Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung. Während sich das Grundgesetz auf grundsätzliche Festlegungen beschränkt, mit denen der gesamten Staatstätigkeit Richtung und Ziel vorgegeben werden, und (bewusst) auf wortreiche Verheißungen im Stil der Weimarer Reichsverfassung verzichtet, enthält die Verfassung des Landes Brandenburg eine solch massive Bündelung überschießender Zielvorgaben (insgesamt 36!), dass die Staatszielbestimmungen gemeinsam mit den Grundrechten nahezu den gleichen Umfang haben wie die Regelungen für die gesamte Staatsorganisation. In dieser Vielzahl landesverfassungsrechtlicher Zielvorgaben manifestiert sich eine Abkehr vom (eher) statischen Verfassungsverständnis, das die (west-) deutsche Verfassungstradition seit 1949 prägt. Die daraus resultierende Dynamisierung des Verfassungsrechts ist in ihrem Ausmaß noch abschätzbar. Dies verdeutlicht einmal mehr, dass eine jede Verfassung nicht zuletzt (auch) Ausdruck einer bestimmten Identität und eines Grundkonsenses ist. Verfassungen spiegeln u.a. die historischen Verhältnisse und die verschiedenen soziokulturellen Erfahrungen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, ebenso die politischen

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

Tendenzen, die das Denken der Mehrheit der Bevölkerung bestimmen.191 Verfassunggebung findet nicht in isolierter juristischer Systembildung statt, sondern erfolgt zeitgebunden, also in einer konkreten historisch-politischen Situation. So ist etwa die Zurückhaltung bei der Aufnahme von Staatszielbestimmungen in die Ausgangsfassung des Grundgesetzes nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass man der staatlichen Willkür und Unterdrückung im Dritten Reich eine (vorläufige) Verfassung entgegensetzen wollte, die sich betont Organisationsfragen und den Grenzen der Staatsgewalt zuwandte.192 Ebenso hängt es von der Individualität eines jeden Landes ab, in welchen Bereichen und in welchem Ausmaß der Verfassunggeber bzw. verfassungsändernde Gesetzgeber Staatszielbestimmungen verankert. Besondere Bedeutung hat hierbei die gliedstaatliche Identitätsbegründung bzw. -wiedergewinnung: Aus ihr resultiert zwangsläufig die materiale Vielfalt landesverfassungsrechtlicher Regelungen, und umgekehrt findet in dieser Vielfalt (auch) die Identität der deutschen Länder Ausdruck.193 Insoweit ist festzuhalten, dass jedes der sechzehn Länder innerhalb der Grenzen, die das Grundgesetz seiner Verfassungshoheit zieht, eigene Erfahrungen, Grundanschauungen und Zielvorstellungen wie auch regionale und historische Besonderheiten zum Ausdruck bringen kann.194 Dadurch können die Länder ein „staatsrechtliches Eigenleben“ (vgl. Art. 178 Abs. 2 BayVerf) gewinnen, das ihrem föderalen Selbstverständnis entspricht, und ein eigenes Verfassungsprofil entwickeln:195 Der Bundesstaat des Grundgesetzes ist ein „Haus mit vielen ___________ 191 Dazu Denninger, in: Preuß, Verfassung, S. 95 (98); Badura, FS Scheuner, S. 19 (35). – Zum Gesamt der Funktionen und Ziele der Verfassung eingehend Stern, Staatsrecht I, S. 82 ff.; vgl. Haltern, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 803 (815 ff.). 192 s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 21 ff. Rn. 9-11. 193 Zur länderidentitätswahrenden Bedeutung des Bundesstaates in der Ausprägung des Grundgesetzes 1. Kap. unter A. I. 194 Es ist fundamentale Aufgabe einer Verfassung, Einheit zu schaffen bzw. zu erhalten; vgl. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (23 f.): Verfassungen können „der Desintegration entgegenwirken und (solange die emotionalen Konsensquellen nicht versiegen) zu Orientierungssicherheit und Identifikation beitragen“. Krit. Forsthoff, Staat, S. 72: „Die Verfassung hat aufgehört, ein Instrument der Einigung zu sein“. – Zur Integrationsfunktion der Verfassung und persönlichen, funktionellen sowie sachlichen Integrationsfaktoren grundlegend Smend, in: ders., Abhandlungen, S. 119 (138 ff., 187 ff.); vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 91 f. Zur Kritik an Smends Verfassungsbegriff etwa Badura, Staat 16 (1977), S. 305 (314 f., 319 f.). 195 Die Landesverfassungen dürfen insoweit den im Kraftfeld des Grundgesetzes verbleibenden weitgespannten Rahmen des Bundesverfassungsrechts voll ausschöpfen: In der grundgesetzlichen Ausprägung ermöglicht die bundesstaatliche Struktur unter dem Blickwinkel der Kollisionsvermeidungsnormen den Wettbewerb um die besten Lösungen ebenso wie die Entwicklung und Erprobung von Alternativen, und zwar auch im Verhältnis zum Grundgesetz. Dazu 4. Kap. etwa unter D. I. 3.

D. Resümee

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Wohnungen“196. Exemplarisch sei auf die beiden Staatszielbestimmungen verwiesen, die die brandenburgische Verfassung dem Schutz der sorbischen Minderheit widmet (Art. 25 Abs. 1 u. 2 BbgVerf). Die Sorben siedeln überwiegend im Nordosten Sachsens und im Südosten Brandenburgs.197 Im Falle Hessens oder Baden-Württembergs erweist sich der Minderheitenschutz mangels landesspezifischer Minderheiten nicht als gleichermaßen gestaltungsbedürftig.198 Als weiteres Beispiel dafür, dass aus dem Umgang mit spezifischen Themen des Landes notwendig föderale Verfassungsvielfalt resultiert, mag die grenzüberschreitende Zusammenarbeit dienen. An einer solchen Zielvorgabe besteht etwa aus hessischer Sicht aufgrund der geographischen Lage des Landes kein (gesteigertes) Interesse, während es für Brandenburg auf der Hand liegt, dass ein ständiger Bedarf an grenzüberschreitender Kooperation und Koordination mit Polen besteht.199 Entsprechendes gilt für Baden-Württemberg, das an zwei bzw., betrachtet man die Interessen Österreichs am Bodensee einheitlich, drei auswärtige Staaten grenzt.200 Die Verfassungsvielfalt ergibt sich freilich nicht allein aus dem Umgang mit spezifischen Themen, sondern insbesondere auch aus der Ungleichzeitigkeit der Verfassungsvorgänge. Die großen Trennlinien verlaufen hier zwischen den drei Generationen der Landesverfassungen.201 Jedenfalls was die Ausgangsfassungen anbelangt, gilt dies auch für das Ausmaß der Aufnahme von Staatszielbestimmungen. Die den Geist des Neuanfangs atmenden Landesverfassungen der ersten Generation (Verabschiedung vor Inkrafttreten des Grundgesetzes) standen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Aus dem Chaos heraus suchten sie die ___________ 196

Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (198). Art. 25 Abs. 2 BbgVerf stellt einen Ausgleich dafür dar, dass das sorbische Volk überwiegend in zwei Ländern siedelt: Im Südosten Brandenburgs (Niederlausitzer Sorben) und im Nordosten Sachsens (Oberlausitzer Sorben); ebenso mit Blick auf Art. 6 Abs. 3 SächsVerf als sächsische Parallelvorgabe Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 6 Rn. 4. 198 Etwas anderes gilt wiederum für Niedersachsen und Schleswig-Holstein: An der Nordseeküste ist die friesische Volksgruppe beheimatet, und Schleswig-Holstein verfügt als Grenzland zu Dänemark über einen dänischen Bevölkerungsanteil. 199 s. die dementsprechende Zielvorgabe in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf. – Viele Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge lassen sich am effektivsten von grenznachbarschaftlich verbundenen Gemeinden in grenzüberschreitender Zusammenarbeit erledigen. Dazu grundlegend und mit vielen Nachweisen aus der Praxis Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 11 ff. 200 Die völkerrechtliche Lage des oberen Teils des Bodensees und damit die Grenze Baden-Württembergs zu Österreich ist umstritten; Überblick bei Graf Vitzthum, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 18 Rn. 27. Die praktischen Fragen des Nutzungsregimes sind freilich weitgehend geklärt, und zwar durch bi- wie auch durch multilaterale Vereinbarungen; dazu ders., in: Maurer/Hendler, BaWüStVerwR, S. 600 (603). 201 Zuordnung der Verfassungen im 3. Kap. unter B. vor I. 197

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

Grundlagen für eine neue staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung zu legen. So war etwa mit der Verankerung sozialer Grundrechte i.w.S. die Hoffnung verknüpft, auf diese Weise die Probleme des wirtschaftlichen Neubeginns leichter lösen und damit zugleich einer Wiederkehr des Nationalsozialismus entgegenwirken zu können.202 Den nach dem Grundgesetz entstandenen Landesverfassungen hingegen traute man selbstständige Gestaltungskraft kaum zu.203 Mitunter hatte man sogar bewusst mit der Verfassunggebung gewartet, bis das Grundgesetz vorlag.204 Dies hatte Folgen auch für die Anzahl der Staatszielbestimmungen. Ursprünglich enthielten die Landesverfassungen der zweiten Generation (im Unterschied zu denen der ersten) kaum solche Zielvorgaben. Erst im Laufe der Jahre hat sich durch Verfassungsänderungen eine gewisse Angleichung (bzw. sogar eine Verschiebung) ergeben.205 So wurden etwa in die baden-württembergische Verfassung, anders als in die hessische,206 nachträglich zahlreiche Staatszielbestimmungen aufgenommen. Unterschiedlich gehen die Landesverfassungen der beiden ersten Generationen auch mit der Frage um, ob bzw. in welchem Ausmaß ein Grundrechtskatalog in der Verfassung enthalten sein sollte. Während sich in allen Verfassungen der ersten Generation ein solcher Katalog findet,207 sieht sich die Grundrechtsthematik in der zweiten Generation überhaupt nicht208 oder aber lediglich als Verweisung auf das Grundge___________ 202 Dazu H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (754). – Zum Krisenbewusstsein und der ausgefeilten juristischen Sicherungstechnik etwa der hessischen Verfassung Rückert, KritV 79 (1996), S. 116 (119 f.). 203 s. H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (749 f.). – Dementsprechend sind auch die Staatsstrukturprinzipien der in den Jahren nach Inkrafttreten des Grundgesetzes entstandenen Landesverfassungen „ganz eng an das grundgesetzliche Vorbild angelehnt“ (Sachs, DVBl. 1987, S. 857 [859]), wohingegen sich in den vorkonstitutionellen Landesverfassungen auch über das Grundgesetz hinausgehende Ansätze finden. Dazu Beutler, Staatsbild; ders., JöR 26 (1977), S. 1 (30 ff.). 204 s. für die nordrhein-westfälische Verfassung Kleinrahm, in: Geller/Kleinrahm, NRWVerf, Einführung, S. 7. – Zur Frage, warum und inwiefern die Verfassunggebung in den Ländern (auch) mit Blick auf den Gesamtstaat (und dessen Verfassunggebung) erfolgte, Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (20 f.). 205 Eine Ausnahme stellt nurmehr die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg dar: Deren Zahl an Staatszielbestimmungen hat sich seit Inkrafttreten nur unwesentlich verändert. 206 Zu den Gründen für die äußerst wenigen Verfassungsänderungen in Hessen (etwa den hohen Hürden für die Änderung der hessischen Verfassung) Cancik, JöR 51 (2003), S. 271 (274 f.) m.w.N. 207 Der Grundrechtsteil etwa der hessischen Verfassung ist mehr als doppelt so umfangreich wie derjenige des Grundgesetzes; zur insofern mehr oder weniger deutlichen Orientierung der hessischen Verfassung an der Weimarer Reichsverfassung W. Schmidt, in: Meyer/Solleis, HessStVerwR, S. 35 (45). 208 s. etwa die (mittlerweile außer Kraft getretene) Vorläufige Verfassung Niedersachsens aus dem Jahr 1951 wie auch diejenige der Freien und Hansestadt Hamburg.

D. Resümee

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setz209 bzw. (im Vergleich zu den vorgrundgesetzlichen Verfassungen) weniger intensiv geregelt.210 Dieses Auseinanderfallen der beiden ersten Generationen in aus inhaltlicher Sicht derart verschiedene Gruppen zeigt, dass der Aspekt der Identitätsbegründung für die Verfassungsbewegung in den Ländern vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes von weitaus größerer Bedeutung war als danach. Darin liegt auch der wesentliche Grund dafür, dass es sich bei den Landesverfassungen der zweiten Generation ursprünglich um eher schlanke Vollverfassungen (wenn nicht gar um reine Organisationsstatute)211 handelte.212 Die nach der deutschen Einheit entstandenen Verfassungen der dritten Generation sind wiederum von einem erstarkten Landes(verfassungs)bewusstsein geprägt.213 Für die Verfassungsbewegung in den neuen Ländern hatte der Aspekt der Identitätsbegründung bzw. -wiedergewinnung besondere Bedeutung.214 Vom Bestreben, auf der Suche nach eigenem landesstaatlichem Profil die durch das Grundgesetz gewährten Spielräume auszuschöpfen, zeugen bereits die detaillierten Grundrechtskataloge, die sich in vier dieser fünf Verfassungen finden.215 Ebenso suchten die neuen Länder ihr Selbstbewusstsein als (Glied-) ___________ Von der Frage, ob Art. 6 Abs. 2 sowie Artt. 59, 61 u. 73 HbgVerf auch ein materiell grundrechtlicher Gehalt eignet, ist insoweit abzusehen. – Grundrechte sind mögliche, aber eben nicht notwendige Bestandteile einer Landesverfassung. Dazu 1. Kap. unter B., Fn. 63. 209 s. Art. 4 Abs. 1 NRWVerf und Art. 2 Abs. 1 BaWüVerf, allerdings jeweils mit kleineren Ergänzungen. Zu den etwa mit Blick auf Rechtsnatur und Umfang der Verweisung auftretenden Rechtsfragen Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Art. 2 Rn. 3 ff.; Storr, Verfassunggebung, S. 225 f.; Dietlein, AöR 120 (1995), S. 1 (17 ff.). 210 Man hielt einen umfassenden Grundrechtsschutz bereits durch das Grundgesetz für gegeben. – Einen Sonderfall stellte lediglich die (mittlerweile außer Kraft getretene, s. 3. Kap. unter B. II. vor 1.) Verfassung von Berlin aus dem Jahr 1950 dar: Aufgrund der besonderen besatzungspolitischen Situation beeinflusste das Grundgesetz ihren Inhalt kaum. 211 Zu Vollverfassung und Organisationsstatut 1. Kap. unter B., Fn. 63. 212 Mittlerweile sind die meisten der betreffenden Landesverfassungen entsprechend modifiziert, vgl. 3. Kap. unter B. II. Die Freie und Hansestadt Hamburg ist jetzt das einzige Land, das sich im Großen und Ganzen auf ein Organisationsstatut beschränkt. 213 Die Quellen dieses starken Landesverfassungsbewusstseins dürften insbesondere in der Neugründung der Länder nach vom DDR-Zentralismus geprägten Jahrzehnten auszumachen sein. Hinzu kommt die friedliche Revolution mit Wiedergewinnung der politischen Mündigkeit. Dazu Heitmann, SächsVBl. 1993, S. 2 (3); v. Mangoldt, Verfassungen, S. 25. 214 s. Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (139); vgl. Berlit, KJ 1992, S. 437 (444); Kilian, LKV 1993, S. 73 (74). 215 Zu ihnen etwa Dietlein, Grundrechte, S. 65 ff.; v. Mangoldt, Verfassungen, S. 59 ff. – Die Ausnahme bildet die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern: Sie begnügt sich nach Inkorporation der Grundrechte des Grundgesetzes (s. Art. 5

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6. Kap.: Divergenzen von Staatszielbestimmungen

Staaten zum Ausdruck zu bringen, indem sie die Staatsgewalt auf bestimmte Ziele verpflichteten. Entsprechend groß und bunt fällt das Bukett der Staatszielbestimmungen aus. Es ist jeweils eine solche Vielzahl mitunter recht konkreter Zielvorgaben zusammengebunden,216 dass sogar das Wort „Inflation“217 die Runde macht. Die Ursache dafür, dass die brandenburgische Verfassung wie auch die Verfassungen der anderen neuen Länder über ein derartiges Profil verfügen, ist mit dem Aspekt der gliedstaatlichen Identitätsbegründung allein nur unzureichend zu erfassen. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist die spezifische sozioökonomische Lage nach „Wende“ und Wiedervereinigung: Die Bürger in den neuen Ländern verspür(t)en218 das stark ausgeprägte Bedürfnis nach detaillierter Festlegung insbesondere der sozialen Grundsätze und Ziele des Staates.219 So spiegeln diese Verfassungen auch die historischen Verhältnisse und die politischen Tendenzen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung.220 Es verwundert daher nicht, dass die Verfassungen der dritten Generation allesamt einen großen Strauß an Staatszielbestimmungen enthalten, obgleich die politischen Mehrheiten in den verfassunggebenden Landtagen221 durchaus unterschiedlich verteilt und die Partnerschaften zwischen alten und neuen Ländern abweichend zusammenge___________ Abs. 3 M-VVerf; zu dieser rezipierenden dynamischen Verweisung Pirsch, in: Thiele u.a., M-VVerf, Art. 5 Rn. 13) mit einigen wenigen Konkretisierungen. 216 Deren Einordnung als Staatszielbestimmungen steht es nicht entgegen, dass sie von der für Staatszielbestimmungen ansonsten charakteristischen Offenheit weniger als andere Zielvorgaben geprägt sind. Dazu 3. Kap. unter B. III. 217 Scholz, FS Remmers, S. 89 ff. 218 Vielen Menschen in den neuen Ländern geht es weniger um die klassischen Freiheitsrechte als vielmehr um die Absicherung gegen Risiken und Sorgen um die eigene Existenz. Näheres bei Wassermann, NJW 1998, S. 3025 (3026). 219 s. Vogelgesang, DÖV 1991, S. 1045 (1051); Starck, Verfassungen, S. 40 f.; zur Konkretisierung sozialer Staatsziele als Ausdruck historischer Verantwortung v. Mangoldt, in: Degenhart/Meissner, HdbSächsVerf, § 2 Rn. 17 ff. – Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte neben der „Versorgungsmentalität“ der Bürger in den neuen Ländern (dazu Heitmann, SächsVBl. 1993, S. 2 [5]) auch der Einfluss westdeutscher Ideen, die (über die Brücke der Verfassunggebung in den neuen Ländern) Reformwünsche mit Blick auf das Grundgesetz formulierten. Näher zur Bedeutung überschießender Staatszielbestimmungen für die Verfassungspolitik 8. Kap. unter D. III. 1. 220 s. v. Mangoldt, Verfassungen, S. 15. – Die Staatszielbestimmung „Wohnraum“ etwa erklärt sich angesichts vielfacher Ängste vor dem Verlust des vertrauten Wohnraums als Versuch einer vertrauensbildenden Maßnahme der neuen Länder gegenüber deren Bürgern, vgl. Riepe, Grundrechte, S. 190. Zur Frage, ob eine solche Zielvorgabe tatsächlich Vertrauen zu stiften vermag, 8. Kap. unter B. 221 In den neuen Ländern oblag den (durch die ersten Landtagswahlen legitimierten) Landtagen nach § 23 Abs. 2 LEG v. 22.7.1990 (DDR-GBl. I, S. 955) „zugleich die Aufgabe einer verfassunggebenden Versammlung“. Dazu Boehl, Staat 30 (1991), S. 572 (585 f.). – § 23 Abs. 2 LEG wurde gem. Anl. II Kap. II Sachgeb. A Abschn. II EVertr. v. 31.8.1990 (BGBl. II, S. 889) übergeleitet und blieb dann mit der Qualität von Landesrecht in Kraft gem. Art. 9 Abs. 2 EVertr.

D. Resümee

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setzt waren.222 Gleichwohl zeigt sich ein gewisser Zusammenhang zwischen der Sitzverteilung im jeweiligen Landtag und der Ausgestaltung der Staatszielbestimmungen: Das von einer Mehrheit aus SPD, FDP und Grünen regierte Brandenburg normierte die umfangreichsten und ausdifferenziertesten wie auch am häufigsten subjektiv-rechtlich formulierten Zielvorgaben, während sich die anderen Länder, die von einer Koalition aus CDU und FDP bzw. allein von der CDU regiert wurden, bei der Konkretisierung stärker zurückhielten und von subjektiv-rechtlichen Formulierungen (eher) absahen.

___________ 222

Mit Thüringen arbeiteten Rheinland-Pfalz und Hessen zusammen, mit Brandenburg Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, mit Sachsen-Anhalt Niedersachsen und mit Sachsen Baden-Württemberg und Bayern. Dazu Kanther, Landesverfassungen, S. 86 f.

7. Kapitel

Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge Wie wirken sich die Unterschiede zwischen dem Zielgefüge des Grundgesetzes und demjenigen der brandenburgischen Verfassung aus, wenn mehrere Staatszielbestimmungen aufeinandertreffen?1 Für solche Zielkonkurrenzen ist zu klären, ob die (divergierenden) Mechanismen, mit denen den Staatszielbestimmungen ihr Platz in jenem Gefüge zugewiesen wird, von Bedeutung dafür sind, welche der konkurrierenden Zielvorgaben sich durchsetzt.2 Um zu beantworten, ob aus einer bestimmten Stellung im Zielgefüge bspw. ein abstrakter Vorrang der betreffenden Staatszielbestimmung vor einer anderen resultiert, bedarf es zunächst eines Blicks auf die Voraussetzungen und die Auflösung von Zielkonkurrenzen, was wiederum eine normtheoretische Einordnung der Staatszielbestimmungen erfordert. Im Anschluss hieran wird herausgearbeitet, ob und ggf. wie die einzelnen Mechanismen, die den Staatszielbestimmungen ihre Stellung im Zielgefüge zuweisen, bei der Auflösung solcher Konkurrenzen zum Tragen kommen.

A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen I. Voraussetzungen für eine Zielkonkurrenz

1. Anwendbarkeit und Einschlägigkeit der Staatszielbestimmungen Die Staatszielbestimmungen müssen zunächst rechtlich anwendbar sein. Es darf sich weder um eine nichtige noch um eine suspendierte Zielvorgabe han___________ 1 In Umkehrung der (ebenfalls darstellungstechnisch bedingten) Reihenfolge des Überblicks über die Zieldivergenzen (6. Kap.) werden die Folgen der Unterschiede im Zielgefüge zuerst herausgearbeitet. Andernfalls wären die Voraussetzungen für und die Auflösung von Zielkonkurrenzen inzident im Rahmen der Ausführungen zu den Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen auf die Funktionentektonik (8. Kap. unter C. I. 1. und C. II. 1.) bzw. bei den Auswirkungen der Zielkollisionen auf Zielgefüge und Zielkonkurrenzen (9. Kap. unter C.) zu klären gewesen. – Die Analyse erfolgt am Beispiel von Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung: Die Unterschiede zwischen dem grundgesetzlichen Zielgefüge und dem jeweiligen der anderen Referenzverfassungen sind weniger ausgeprägt (dazu im 6. Kap. unter C. IV.). 2 Zum Begriff „Zielkonkurrenz“ im 2. Kap. unter B. II.

A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen

383

deln. Andernfalls ist eine Zielkonkurrenz ausgeschlossen.3 Des Weiteren müssen die Zielvorgaben im konkreten Fall einschlägig sein,4 d. h. die von ihnen aufgegriffenen Lebensbereiche müssen in der betreffenden Konstellation berührt sein. Bei wem die Zuständigkeit dafür liegt, die aufgegriffenen Materien einfachgesetzlich zu regeln, hat hingegen keine Bedeutung für die Frage, ob eine Zielkonkurrenz vorliegt.5

2. Adressatengleichheit Eine Zielkonkurrenz setzt weiterhin voraus, dass sich jene rechtlich anwendbaren und auf den ersten Blick einschlägigen Zielvorgaben an dieselben Adressaten richten.6 Insoweit kann festgehalten werden, dass Staatszielbestimmungen jedenfalls immer dann dieselben Adressaten haben, wenn sie in derselben Verfassung verankert sind. Richten sie sich darüber hinaus aber auch an Adressaten auf einer anderen Ebene? Um dies zu klären, wird der Adressatenkreis der Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes und derjenige der landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben aufgeschlüsselt.7

a) Adressaten der Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes Adressat der grundgesetzlichen Staatszielbestimmungen ist zunächst einmal die Staatsgewalt auf gesamtstaatlicher Ebene. Über Art. 20 Abs. 3 GG sind die drei staatlichen Gewalten auf Bundesebene an diese Zielvorgaben gebunden. Ebenso liegt es auf der Hand, dass die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes auf Ebene der EU/EG keine Adressaten kennen: Das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland kann für Organe außerhalb des bundesdeutschen Rechtssystems keine rechtlich verpflichtende Wirkung entfalten.8 ___________ 3 Eine suspendierte Staatszielbestimmung ist zwar nicht unwirksam, aber eben unanwendbar, bis sie ggf. zu aktueller normativer Bedeutung erstarkt. 4 Vgl. für Grundrechtskonkurrenzen Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 337 ff. 5 Eine andere Frage ist es, ob nach Artt. 70 ff. GG die Kompetenz zur einfachgesetzlichen Umsetzung einer Staatszielbestimmung vorliegt. – Zumindest missverständlich Will, NJ 1995, S. 626 (627): „Der Landesgesetzgeber [ist] von den Landesstaatszielbestimmungen gebunden, vorausgesetzt er besitzt eine Rechtsetzungskompetenz in diesem Bereich“. 6 Für eine Normenkollision i. S. des Art. 31 GG ist keine solche Überschneidung der Adressatenkreise erforderlich, s. 4. Kap. unter D. I. 2. b) cc). 7 Zu den Adressaten der Staatszielbestimmungen ohne Aufschlüsselung hinsichtlich des Drei-Ebenen-Modells 2. Kap. unter A. III. 8 s. (mit Blick auf das Integrationsziel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) Streinz, in: Sachs, GG, Art. 23 Rn. 17 f.

384

7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob sich jene Zielvorgaben auch an die Staatsgewalt auf gliedstaatlicher Ebene richten. Eine Auffassung sieht die Landesstaatsgewalt grundsätzlich als Adressat dieser Staatszielbestimmungen,9 eine andere verneint dies.10 Der Ansatz, demzufolge sich die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes durchgängig auch an jedwede Landesstaatsgewalt richten, greift zu kurz. Er lässt sich dogmatisch schlüssig allein durch die Einordnung dieser Zielvorgaben als Durchgriffsnormen begründen.11 Gegen eine solche Einordnung spricht, dass es sich bei dem Grundgesetz um die Verfassung des Bundes handelt. Aus dem Grundsatz der getrennten Verfassungsräume von Bund und Ländern ergibt sich, dass jede Verfassung grundsätzlich allein die Staatsgewalten auf ihrer eigenen Ebene berechtigt und verpflichtet.12 Vor diesem Hintergrund muss es sich bei den Durchgriffsnormen des Grundgesetzes um Ausnahmen handeln. Die entsprechende Einordung bundesverfassungsrechtlicher Bestimmungen hat folglich äußerst restriktiv zu erfolgen.13 Bei einer Zuordnung der Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes zu jenen Durchgriffsnormen wäre daher dem Grundsatz der getrennten Verfassungsräume von Bund und Ländern nicht hinreichend Rechnung getragen. Andernfalls würde auch die bundesstaatliche Homogenitätsklausel (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) entwertet. Diese schließt von den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes lediglich das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG ein14 und fordert zudem keine Identität, sondern ein Mindestmaß an Homogenität im Bundesstaat.15 Hat eine Zielvorgabe keinen Eingang in eine Landesverfassung gefunden, ist der Landesgesetzgeber insoweit nicht zum Tätigwerden verpflichtet; dieses Ergebnis darf nicht dadurch konterkariert werden, dass die im Grundgesetz verankerten Staatszielbestimmungen allesamt als Durchgriffsnormen eingeordnet werden. Dies gebietet der Respekt ___________ 9 s. etwa (zu Art. 20 a GG) v. Zezschwitz, in: Zinn/Stein, HessVerf, Art. 26 a Rn. 76; Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Art. 3 a Rn. 3, demzufolge Art. 20 a GG „unmittelbare Geltung auch für die Landesgesetzgebung sowie die vollziehende Gewalt und Rechtsprechung in Baden-Württemberg“ hat; vgl. dens., VBlBW 1996, S. 121 (125): Die Staatszielbestimmung „Europäische Union“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG sei für das Land Baden-Württemberg bereits unmittelbar bindend; ähnlich (für Nordrhein-Westfalen) Müller-Terpitz, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Einführung C Rn. 8. 10 So wohl Bothe, in: Denninger u.a., AK-GG, Art. 28 Abs. 1 I Rn. 16. 11 Handelte es sich bei den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes um Durchgriffsnormen, hätte dies ihre unmittelbare Geltung in den Ländern zur Folge. – Zu den Durchgriffsnormen 4. Kap. unter B. III. 1. a) bb). 12 Zum Grundsatz der getrennten Verfassungsräume 1. Kap. unter B. 13 Die Einordnung der Grundrechte des Grundgesetzes als Durchgriffsnormen liegt darin begründet, dass es für den Einzelnen keinen Unterschied macht, ob die Staatsgewalt, die ihn in seinen Freiheits- und Gleichheitsrechten beschränkt, der gesamt- oder der gliedstaatlichen Ebene zuzuordnen ist. 14 Dazu 5. Kap. etwa unter B. I. 1. a). 15 s. 4. Kap. unter B. III. 1. a) bb).

A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen

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vor der (z. T. weit gespannten) Gestaltungsfreiheit, über die die Länder bei der Ausgestaltung ihrer verfassungsmäßigen Ordnung gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verfügen.16 Bedenken, die Landesstaatsgewalt als Adressat aller Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes einzuordnen, bestehen auch angesichts der sorgfältig ausdifferenzierten und austarierten Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten durch die Artt. 70 ff. GG. Zunächst scheint es zwar, als stünde es dieser Kompetenzverteilung nicht entgegen, wenn der Landesgesetzgeber ebenfalls zu den Adressaten jener Zielvorgaben zählte. Im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes (Art. 71 i.V.m. Art. 73 GG) würde dem Land, da eine Staatszielbestimmung keine Kompetenz für legislatives Handeln enthält17 und das Grundgesetz bei den Gesetzgebungskompetenzen grundsätzlich keine Doppelzuständigkeiten vorsieht,18 ohnehin die Regelungsmacht fehlen. Im Bereich seiner konkurrierenden Zuständigkeit (Art. 72 i.V.m. Art. 74 GG) hat es der Bund demgegenüber, wenn es sich um eine Materie seiner Vorranggesetzgebung handelt oder soweit eine bundeseinheitliche Regelung i. S. des Art. 72 Abs. 2 GG „erforderlich“ ist, in der Hand, landesrechtliche Vorschriften durch eigene umfassende Vorschriften zu sperren.19 Solange und sofern es an einer solchen Regelung fehlt, könnte durchaus das Land tätig werden. Vor diesem Hintergrund bestehen Bedenken, neben dem Bundes- auch den Landesgesetzgeber als Adressat der bundesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen einzuordnen. Andernfalls würde Letzterer jedenfalls im Fall von Zielvorgaben, deren einfachgesetzliche Ausgestaltung in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fiele, zum Erfüllungsgehilfen des Bundes: Durch Verankerung entsprechender Staatszielbestimmungen könnte ihm der Bund sogar innerhalb der Kompetenzdomänen der Länder die Richtung vorgeben und ein Handlungsprogramm auferlegen. Dies hätte zur Folge, dass die Artt. 70 ff. GG mit leichter Hand zu umgehen wären, was letztlich der Staatsqualität der Länder widerspräche. Vorzugswürdig ist es daher, die Landesstaatsgewalt grundsätzlich nicht zum Adressatenkreis der Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes zu rechnen. Zu kurz greift es demgegenüber, hinsichtlich der Adressatenstellung zwischen Legislative auf der einen und Exekutive sowie Judikative auf der anderen Seite zu unterscheiden in der Weise, dass lediglich der Landesgesetzgeber kein Adressat jener Zielvorgaben wäre. Die Staatszielbestimmungen sind als Normtyp einheitlich zu definieren, und daher kann die Anzahl ihrer Adressaten nicht davon ab___________ 16

s. 5. Kap. etwa unter B. I. 1. a). Eine Staatszielbestimmung enhält lediglich einen Auftrag zum Tätigwerden, nicht die kompetenzrechtliche Ermächtigung dazu; s. 2. Kap. unter A. II. 6. 18 Eingehend 4. Kap. unter B. III. 1. a) aa). 19 Dazu 4. Kap. unter B. III. 1. a) aa). 17

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

hängen, ob die Adressaten auf Landes- oder diejenigen auf Bundesebene in Rede stehen. Nach alldem bleibt festzuhalten, dass Adressat der Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes grundsätzlich ausschließlich die Staatsgewalt auf gesamtstaatlicher Ebene ist. Eine Ausnahme liegt lediglich dann vor, wenn ausdrücklich Rechte oder Pflichten (auch) der Länder geregelt sind. Dies ist lediglich bei Art. 109 Abs. 2 GG der Fall.20 Diese Staatszielbestimmung verpflichtet explizit „Bund und Länder“, bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Nur der Klarstellung halber sei angemerkt, dass die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes gleichwohl allesamt von der Landesstaatsgewalt zu beachten sind, handelt es sich doch um keine Programmsätze, sondern um verbindliche Verfassungsnormen.21 Exekutive und Judikative auf gliedstaatlicher Ebene haben jene Zielvorgaben als Bestandteil von „Recht und Gesetz“ i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG etwa bei Abwägungs- und Ermessensentscheidungen sowie bei der Auslegung (insbesondere der unbestimmten Rechtsbegriffe) des einfachen Gesetzesrechts zu berücksichtigen; vom Landesgesetzgeber sind sie als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung zu beachten.22 Der wesentliche Unterschied zur Adressatenstellung liegt darin, dass es insoweit keinen Handlungsauftrag an den Landesgesetzgeber gibt: Der in einer Staatszielbestimmung liegende Auftrag, die Zielvorgabe einfachgesetzlich zu konkretisieren, richtet sich grundsätzlich lediglich an die Legislative derjenigen Ebene, der die betreffende Verfassung zuzuordnen ist.23

___________ 20

Vgl. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 156, demzufolge „Art. 109 Abs. 2 GG unmittelbar in den Ländern gilt“. – Die Gemeinden sind nicht unmittelbare Regelungsadressaten des Art. 109 Abs. 2 GG: Sie werden über die Länder, denen sie eingeordnet sind, in die Pflicht genommen. Dazu Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 55; vgl. Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 109 Rn. 39. 21 Zur Abgrenzung zwischen Programmsätzen und Staatszielbestimmungen 2. Kap. unter A. II. 2. 22 Landesrecht, das im Widerspruch zu Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes steht, ist gem. Art. 31 GG suspendiert. Dazu 4. Kap. unter D. I. 2. 23 So richtet sich etwa der im Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG liegende Gestaltungsauftrag für den einfachen Gesetzgeber an den Bundes-, nicht aber an den Landesgesetzgeber. – Dementsprechend handelt es sich bei der Verankerung der Staatszielbestimmung „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ in Art. 3 a BaWüVerf im Jahre 1995 nicht lediglich um die „deklaratorische Übernahme“ des Art. 20 a GG (so aber die amtliche Begründung des betreffenden ÄGBaWüVerf v. 15.2.1995, s. LTDrs. 11/5326, S. 6): Eine solche Einordnung wäre allenfalls angezeigt, wenn die badenwürttembergische Verfassung pauschal auf die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes verweisen würde, wie sie es in Art. 2 Abs. 1 BaWüVerf für die Grundrechte tut.

A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen

387

b) Adressaten der landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen Die landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen verpflichten die Landesstaatsgewalt, nicht die Staatsorgane auf gesamtstaatlicher Ebene. Für die Bundesebene sind Vorgaben einer Landesverfassung grundsätzlich ohne normative Bedeutung.24 Dies ergibt sich bereits aus der vom Grundgesetz errichteten Normenpyramide, in die das Landes(verfassungs)recht einbezogen ist (vgl. Art. 31 GG).25 Der Bundesgesetzgeber ist dementsprechend nicht an Zielvorgaben einer Landesverfassung gebunden. Bundesverwaltung und Bundesgerichte sind zwar grundsätzlich ebenso wenig deren Adressaten. Die Bundesverwaltung ist aber wie jedermann (etwa als Grundstückseigentümer) an kompetenzgemäß erlassenes bzw. fortgeltendes Landesrecht gebunden (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG),26 d. h. sie muss dann u.a. die Wertungen landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen beachten.27 Für die Bundesgerichte gilt gleiches bei der (praktisch seltenen) Anwendung von Landesrecht bzw. im Rahmen der systematischen Auslegung von Bundesrecht.28 Auch für den gemeinschaftsrechtlichen Willensbildungsprozess spielen gliedstaatsverfassungsrechtliche Vorgaben keine Rolle.29 Ebenso wenig wie Normen des Grundgesetzes verpflichten solche einer Landesverfassung Adres___________ 24

So binden etwa die Landesgrundrechte allein die Landesstaatsgewalt. Der Bundesgesetzgeber ist in keinem Fall ihr Adressat: Die Grenzen seiner Rechtsetzung bestimmt allein das Grundgesetz, s. etwa Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (862); zur Bindung von Bundesverwaltung und -rechtsprechung ders., DÖV 1985, S. 469 (474 f.). 25 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 9; Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (862). – Allenfalls könnte man an eine Bindung der Legislative auf gesamtstaatlicher Ebene insoweit denken, als diese im Rahmen der Vorüberlegungen zu einem Gesetzesvorhaben landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen zu beachten hätte. Diese Pflicht, die sich aus dem Grundsatz der Bundestreue herleiten ließe, wäre praktisch aber bedeutungslos. 26 Als Beispiel sei auf Art. 141 Abs. 3 S. 1 BayVerf verwiesen, demzufolge das Betreten von Wald- und Bergwiesen jedermann gestattet ist. Der Bund als Grundstückseigentümer darf also nicht ohne weiteres ein Betretensverbot erlassen, s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (34); v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde, S. 125 m.w.N.; weitere Hinweise zur Bindung von Bundesverwaltung und -rechtsprechung bei Sachs, DÖV 1985, S. 469 (474 f.); vgl. Jutzi, DÖV 1983, S. 836 (841). 27 Diese Bindung setzt freilich voraus, dass Bundesrecht dem nicht entgegensteht. Vgl. zum Ganzen Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VI Rn. 154 ff. 28 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 9; Erbguth/Wiegand, DÖV 1992, S. 770 (776 f.). 29 s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (48). – Übereinstimmendes Landesverfassungsrecht vermag freilich insoweit Bedeutung zu entfalten, als der Europäische Gerichtshof die gemeinsame Verfassungstradition der Mitgliedstaaten als Rechtsquelle anerkennt. Seit der Rs. Stauder (EuGHE 1969, 419 [425]) kommt es v. a. im Grundrechtsbereich zur Rezeption der verfassungsrechtlichen Substanz der Mitgliedstaaten, vgl. Art. 6 Abs. 2 EU (Art. 6 Abs. 3 EUzF).

388

7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

saten außerhalb des bundesdeutschen Rechtssystems. Die Ebene der EU/EG ist folglich nicht Adressat landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen.

c) Fazit Staatszielbestimmungen haben immer dann denselben Adressatenkreis, wenn sie in derselben Verfassung verankert sind. Sie verpflichten grundsätzlich lediglich diejenigen Staatsgewalten, die der jeweiligen Verfassung zuzuordnen sind: landesverfassungsrechtliche Zielvorgaben allein die Landesstaatsgewalt, Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes allein die Staatsgewalt auf gesamtstaatlicher Ebene. Darüber hinaus können im Grundgesetz verankerte Staatszielbestimmungen ausnahmsweise (auch) an dieselben Adressaten wie landesverfassungsrechtliche Zielvorgaben gerichtet sein. Eine solche Überschneidung ist allerdings lediglich dann gegeben, wenn die Länder ausdrücklich als Adressaten benannt sind. Dies ist de constitutione lata allein bei Art. 109 Abs. 2 GG der Fall.

II. Normtheoretische Einordnung der Staatszielbestimmungen

1. Unterscheidung von Regeln und Prinzipien Unter Zugrundelegung der von Ronald Dworkin entwickelten Grundsätze zur Unterscheidung von rules (Regeln) und principles (Prinzipien) entfalten Regeln ihre Wirkung nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip. Prinzipien hingegen führen nicht zwingend zu einer bestimmten Rechtsfolge, sondern liefern die Gründe für eine bestimmte Entscheidung.30 Darauf aufbauend hat Robert Alexy die Topoi Regel und Prinzip für die Grundrechtsdogmatik fruchtbar gemacht.31 Nach seinen Erkenntnissen handelt es sich bei Prinzipien um „Optimierungsgebote“, also Normen, die „gebieten, dass etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird“.32 Bei Regeln handele es sich demgegenüber um „definitive Gebote“, „die stets nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können“.33 Der wesentliche Unterschied liegt demnach darin, dass die ___________ 30

s. grundlegend Dworkin, Rights, S. 22 ff. s. Alexy, RTh 10 (1979), Beiheft 1, S. 59 ff.; dens., Theorie, S. 71 ff. 32 Alexy, Theorie, S. 75 f.; ders., RTh 18 (1987), S. 405 (407); krit. zur durchgehenden definitorischen Verbindung des Prinzipienbegriffs mit der Optimierungsvorstellung Lerche, FS Stern, S. 197 (206 ff.). 33 Alexy, Theorie, S. 76. 31

A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen

389

Prinzipien, anders als die Regeln, in unterschiedlichem Maß erfüllt werden können.34 Diese Unterscheidung ist nicht allein erkenntnistheoretisch ein Gewinn, sondern sie hat wichtige Konsequenzen aus anwendungsbezogener Perspektive, und zwar namentlich für die Lösung von Zielkonkurrenzen. Während Regelkonkurrenzen in der Geltungsdimension nach einer generellen Vorrangrelation ausgeräumt werden, erfolgt die Lösung von Prinzipienkonkurrenzen in der Dimension der (fallbezogenen) Gewichtung.35

2. Einordnung der Staatszielbestimmungen Staatszielbestimmungen können nicht entweder verwirklicht oder nicht verwirklicht werden. Ihre Realisierung ist vielmehr in einem (relativ auf die jeweiligen rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten bezogen) möglichst hohen Maß geboten; sie verpflichten den Staat nicht zur einseitigen Verwirklichung einer einzelnen Zielvorgabe bei Vernachlässigung aller anderen. Dies gilt auch, wenn eine Staatszielbestimmung ohne entsprechenden Vorbehalt in die Verfassung aufgenommen wurde.36 Ein solcher Vorbehalt hat lediglich deklaratorischen Gehalt, zumal die Staatsgewalten immer durch alle wirksamen (und nicht suspendierten) Staatszielbestimmungen zugleich gebunden sind.37 Andernfalls könnte der Staat seinen Aufgaben in ihrer Gesamtheit nicht gerecht werden. Für jenes Ergebnis spricht auch der Grundsatz der Einheit der Verfassung.38 Dem___________ 34 s. Sommermann, Staatsziele, S. 411. – Zu planungsrechtlichen Optimierungsgeboten die mit BVerwGE 71, 163 (165) eröffnete Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts; zum Begriff des gesetzlichen Optimierungsgebots Hoppe, in: ders. u.a., Baurecht, § 5 Rn. 32 ff. 35 Ebenso bzgl. Regel- und Prinzipienkonflikten Sommermann, Staatsziele, S. 361 m.w.N. 36 s. etwa Art. 39 Abs. 2 SaAnVerf, der als Rahmenbedingung für die Verwirklichung der Staatszielbestimmung „Arbeit“ u.a. die Vermeidung der Belastung der natürlichen Lebensgrundlagen nennt. 37 Dies verkennt Mahnke, SaAnVerf, Art. 39 Rn. 6. – Die Staatszielbestimmungen müssen (selbst bei unklarem Wortlaut) so ausgelegt werden, dass sie ihre Adressaten lediglich im Rahmen des Möglichen und Angemessenen verpflichten. Es kann nicht Sinn einer Norm sein, den Staat zu einer Leistung zu verpflichten, deren Erbringung faktisch unmöglich ist. Dazu (mit Blick auf soziale Staatszielbestimmungen) Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 112 Rn. 58; Starck, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IX, § 208 Rn. 62; Graf Vitzthum, GS Grabitz, S. 819 (833); auch bereits Isensee, Staat 19 (1980), S. 367 (373). 38 Kein Verfassungsrechtssatz kann losgelöst von den übrigen Verfassungsnormen ausgelegt und angewandt werden, s. BVerfGE 1, 14 (32); 7, 198 (205); 33, 23 (27); 49, 24 (56); 55, 274 (300). – Allg. zum Topos „Einheit der Verfassung“ Stern, Staatsrecht I, S. 131 f., unter Hinweis auf BVerfGE 30, 1 (19) und m.w.N.

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

entsprechend rechnen die Staatszielbestimmungen nicht zu den Regeln, sondern zu den Prinzipien.39 Als Determinanten für die Verwirklichung einer Staatszielbestimmung sind demnach auch die anderen Zielvorgaben zu beachten: Es handelt sich um optimierungsbedürftige Normen. So kann etwa eine Staatszielbestimmung „Arbeit“ nicht umgesetzt werden, ohne die Auswirkungen bspw. auf eine Zielvorgabe „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ zu beachten.40 Dies verdeutlicht einmal mehr, dass Staatszielbestimmungen nach dem Muster einer verheißungsvollen Zurücknahme formuliert sind. Ebenso verpflichtet die Zielvorgabe „Wohnraum“ (lediglich) dazu, das im Rahmen staatlicher Einflussnahme und unter Berücksichtigung anderer staatlicher Aufgaben und Pflichten Mögliche zu tun, um für Schaffung und Erhalt von Wohnraum zu sorgen;41 bei der Zielverwirklichung stünde eine Staatszielbestimmung „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ bspw. der unbegrenzten Ausweisung von Bauland entgegen. Umgekehrt können nicht jedweder Landverbrauch und jedwede Bodenversiegelung als Umweltgefährdung verboten werden,42 sondern es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen auf Kosten des Natur- und Bodenschutzes etwa ein neues Baugebiet auszuweisen ist. Ein ähnliches Spannungsverhältnis lässt sich konstatieren für die Belange des Umweltschutzes und des Sports,43 zumal der Zugriff der sporttreibenden Bevölkerung auf Naturräume nach Umfang und Intensität beständig wächst. Die jeweilige Verheißung wird demzufolge durch die Notwendigkeit der Einfügung in andere verfassungsrechtliche Schutzgüter wie auch die Berücksichtigung konkurrierender Staatszielbestimmungen (zumindest etwas) zurückgenommen.

___________ 39

s. Sommermann, Staatsziele, S. 361 f.; Sieckmann, Regelmodelle, S. 141; ebenso (für das Sozialstaatsprinzip) Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VIII Rn. 31 f. Vgl. Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 (335 f.): Verfassungsprinzipien als Oberbegriff, unter den auch Staatszielbestimmungen fallen. 40 Diesen Zusammenhang verkennt Rommelfanger, ThürVBl. 1993, S. 173 (179). 41 s. (für Art. 28 BerlVerf) BerlVerfGH LVerfGE 4, 62 (63 f.). – Vor dem Hintergrund anderer Verpflichtungen wie etwa der Zielvorgabe „Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen“ greift es daher zu kurz, wenn Zivier, BerlVerf, § 35.2.4.3, für das „Recht auf Wohnung“ i. S. des Art. 28 BerlVerf kategorisch feststellt, diese Vorschrift verbiete es, die Umwandlung von Wohn- in Gewerberaum zuzulassen, solange ein Mangel an Wohnungen für Personen mit geringem Einkommen bestehe. 42 s. Brenne, Grundrechte, S. 152. 43 s. Stiens, Chancen, S. 251 f.; Papier, UPR 1985, S. 73 ff.; Kloepfer/Brandner, NVwZ 1988, S. 115 (115 f.); Steiner, NJW 1991, S. 2729 (2730).

A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen

391

3. Konsequenzen für die Lösung von Zielkonkurrenzen Konkurrenzen von Staatszielbestimmungen stellen sich als Prinzipienkonkurrenzen dar. Dies impliziert, dass die Zielverwirklichung jeweils in dem Maß möglich ist, in dem eine andere Zielvorgabe nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.44 Gefordert ist stets die Optimierung in dem zwischen Übermaß und Untermaß angesiedelten Korridor.45 Das Untermaßverbot als Grenze staatlicher Schutzuntätigkeit ist zwar häufig durch die Grundrechte markiert.46 Es kann aber auch durch Schutzaufträge, die als Staatszielbestimmungen gefasst sind, bestimmt sein. Im Unterschied zu Regelkonkurrenzen setzt sich bei Prinzipienkonkurrenzen nicht immer dieselbe Norm nach einer bestimmten Vorrangrelation gegen eine andere durch. Es lässt sich daher keine justitiable generelle Rangordnung zwischen Staatszielbestimmungen begründen.47 Eine „Vorrangregel“ ist hier lediglich fallbezogen denkbar.48 Bereits wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung bzw. der Verfassung kann es keinen absoluten Vorrang eines einzelnen verfassungsrechtlichen Belangs gegenüber konkurrierenden Verfassungsrechtsgütern geben.49 Der Gesetzgeber hat alle Staatszielbestimmungen also grundsätzlich gleichrangig zu berücksichtigen. Er muss die einzelne Zielvorgabe mit den anderen Staatszielbestimmungen und Staatsaufgaben in optimalen Ausgleich bringen, und zwar unter Berücksichtigung der verfügbaren Haushalts-, Personal- und Sachmittel.50 Dies kommt etwa durch die Verklammerung verschiedener Staats___________ 44 Sommermann, Staatsziele, S. 411 f. – Isoliert betrachtet sind Staatszielbestimmungen, was den Grad ihrer Verwirklichung betrifft, als „Maximierungsgebote“ einzuordnen, s. dens., ebd., S. 411; vgl. Alexy, Theorie, S. 80 f. Fn. 37. 45 Ebenso zu Art. 20 a GG Calliess, Rechtsstaat, S. 563 ff.; vgl. zu Optimierungsaufgaben Hoppe, DVBl. 1992, S. 853 ff. 46 Zum Untermaßverbot BVerfGE 88, 203 (254); Hain, DVBl. 1993, S. 982 ff. 47 s. Bock, Umweltschutz, S. 296, 331 f.; vgl. (mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip) Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VIII Rn. 31. – Im Verhältnis der Staatszielbestimmungen untereinander kann es grundsätzlich nur eine „bedingte Vorrangrelation“ (Alexy, Theorie, S. 81 ff.) geben, s. Sommermann, Staatsziele, S. 412. 48 s. Sommermann, Staatsziele, S. 412; ebenso zur Konstellation der Grundrechtskollisionen BVerfGE 35, 202 (225); Schwabe, Probleme, S. 319 ff.; Ossenbühl, Staat 10 (1971), S. 52 (79 f.); ders., NJW 1976, S. 2100 (2107). – Zur Frage eines Rangverhältnisses zwischen den Zielbestimmungen, die im Primärrecht der EU/EG und in der EV verankert sind, Plecher-Hochstraßer, Zielbestimmungen, S. 187 ff. m.w.N. 49 s. auch H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (499); vgl. bereits oben unter A. II. 2. 50 Unzulässig wäre daher die gesetzliche Fixierung von Abwägungsmaximen, die einer bestimmten Staatszielbestimmung absoluten Vorrang vor anderen Zielvorgaben einräumen. Eine fallbezogene Vorrangregel wäre hingegen unbedenklich.

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

zielbestimmungen in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf (deklaratorisch)51 zum Ausdruck: Weder das ökologische noch das sozialstaatliche Element erhalten einseitigen Vorrang. Nichts anderes gilt für diejenigen Staatszielbestimmungen, deren Verwirklichung die Umsetzung anderer Zielvorgaben erleichtert. Die Erwirtschaftung des Lebensunterhalts erleichtert es zwar dem Einzelnen, angemessenen Wohnraum zu erhalten. Daraus folgt aber nicht, dass die Zielvorgabe „Wohnraum“ nach Art. 47 Abs. 1 BbgVerf im Verhältnis zur Staatszielbestimmung „Arbeit“ i. S. des Art. 48 Abs. 1 BbgVerf nachrangig zu verwirklichen wäre.52 Ebenso wenig besteht ein pauschaler Vorrang von Staatszielbestimmungen, die (wie jene Zielvorgabe „Arbeit“) überragendes Gewicht für das Gemeinwesen haben,53 gegenüber womöglich weniger bedeutsamen Staatszielbestimmungen, vgl. das „Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebiets“ nach Art. 25 Abs. 1 BbgVerf.54 Die Lösung einer Zielkonkurrenz lässt sich daher mit dem Topos „praktische Konkordanz“55 kennzeichnen. Die konkurrierenden Zielvorgaben sind einander in der (praktischen) Problemlösung so zuzuordnen, dass jede von ihnen Wirklichkeit gewinnt. Es ist jeweils ein angemessener Ausgleich zu suchen, d. h. den widerstreitenden Zielvorgaben müssen Grenzen gezogen werden, damit sie allesamt zu optimaler Wirksamkeit gelangen können.56 Jene Konkordanz ist zwar für den Ausgleich zwischen grundrechtlichen Freiheitsrechten und anderen ___________ 51

A.A. (für die Verknüpfung von Staatszielbestimmungen in Art. 1 S. 2 SächsVerf) v. Mangoldt, Verfassungen, S. 56: „Es ist der große Vorzug der Verknüpfung [...], dass sie dem Gesetzgeber Gestaltungsspielraum schafft, [...] das jeweils beste Maß an Harmonie zu finden“. 52 Ebenso (zu Artt. 53, 63 RhPfVerf als Parallelvorgaben) Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 63 Rn. 9; a.A. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 73, der sich auf das Argument stützt, andernfalls bestehe die Gefahr, dass der Einzelne von zahlreichen staatlichen Einzelleistungen abhängig werde. 53 Es liegt auf der Hand, dass ein hoher Beschäftigungsstand überragende Bedeutung als Fundament des allgemeinen Wohlstands hat, und ebenso deutlich sind die Gefahren steigender Arbeitslosenzahlen für die sozialen Sicherungssysteme und das Gemeinwesen insgesamt. Ebenso BbgVerfG LVerfGE 8, 97 (143). 54 Dementsprechend hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg lediglich festgestellt, dass die Staatszielbestimmung „Arbeit“ i. S. des Art. 48 Abs. 1 BbgVerf ihrem Rang nach nicht unter der dem Minderheitenschutz gewidmeten Zielvorgabe des Art. 25 Abs. 1 S. 1 BbgVerf steht, s. BbgVerfG LVerfGE 8, 97 (143). – In dem Verfahren, das diesem Urteil v. 18.6.1998 zugrundelag, ging es um die Frage, ob die Abbaggerung eines sorbisch geprägten Dorfes zu Gunsten des Braunkohletagebaus gegen Art. 25 Abs. 1 S. 1 BbgVerf verstößt. 55 Grundlegend Hesse, Grundzüge, Rn. 72 (allg. für verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter) und (mit Blick auf Grundrechtsbegrenzungen) Rn. 317 f. – Zur Topik als Verfahren der Rechtsfindung Viehweg, Topik. 56 Vgl. (bezogen auf verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter) Hesse, Grundzüge, Rn. 72.

A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen

393

Rechtsgütern (etwa den grundrechtsbegrenzenden Rechtsgütern i. S. des Art. 5 Abs. 2 GG) entwickelt worden. Sie lässt sich aber auch für den Ausgleich zwischen konkurrierenden Staatszielbestimmungen fruchtbar machen, zumal sie die Herstellung eines Ordnungszusammenhangs ermöglicht, der die Einheit der Verfassung wahrt.57 Soweit nach anderer Auffassung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgestellt wird,58 ist dem entgegenzuhalten, dass sich allein mit ihm keine Antwort darauf findet, wie ein Ausgleich zwischen Staatszielbestimmungen auf der Stufe der Verhältnismäßigkeit i.e.S. gefunden werden kann.

III. Strukturierung des Lösungsansatzes für Zielkonkurrenzen

1. Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ einer einfachgesetzlichen Umsetzung Die Staatszielbestimmungen sind durchgängig konkretisierungsbedürftig. Bei dieser Konkretisierung, die primär dem Gesetzgeber zukommt,59 handelt es sich um die Ausfüllung von etwas lediglich der Richtung oder dem Prinzip nach Festgelegtem.60 Es geht dabei um keine gewöhnliche Auslegung, sondern um ein Inhaltgeben gleichsam „von außen“ her – um mit Hans Huber zu sprechen: „mehr Sinngebung als Sinndeutung“.61 Jene Konkretisierung bezeichnet demnach die „gestaltend-schöpferische Entwicklung anwendungsfähiger rechtlicher Normen aus einem Prinzip, die dieses Prinzip erst mit einem bestimmten Inhalt füllen“, diesen Inhalt also nicht lediglich nachvollziehend erkennen.62 Es stellt sich nun die Frage, ob der Gesetzgeber bereits in der Phase seiner Entscheidung über das „Ob“ einer (weiteren) einfachgesetzlichen Konkretisierung auch die konkurrierenden Zielvorgaben optimal zu berücksichtigen hat. Wäre dies der Fall, würde es in letzter Konsequenz dazu führen, dass keine der Staatszielbestimmungen einfachgesetzlich ausgestaltet werden könnte, da nicht alle Zielvorgaben auf einen Schlag zu konkretisieren (geschweige denn optimal zu verwirklichen) sind. Ziele, die nicht durch Staatszielbestimmungen aufgegriffen werden, würden eher verwirklicht als diejenigen, die eine Verankerung als ___________ 57

s. (hinsichtlich Art. 20 a GG) Kloepfer, in: BK, Art. 20 a Rn. 26. In diese Richtung wohl Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 a Rn. 42. 59 s. 2. Kap. unter A. III. 1. 60 Vgl. Böckenförde, Staat 29 (1990), S. 1 (22). 61 Vgl. (mit Blick auf die Grundrechte) H. Huber, in: ders., Rechtstheorie, S. 139 (161): eine über Interpretation hinausgehende rechtsschöpferische Angelegenheit. 62 s. Böckenförde, Staat 29 (1990), S. 1 (22 Fn. 85); H. Huber, in: ders., Rechtstheorie, S. 139 (161). – Zum Ganzen Engisch, Idee, S. 75 ff. 58

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

Staatszielbestimmung gefunden haben. Diese Schlechterstellung ausgerechnet solcher Ziele, die eigens als Staatszielbestimmungen gefasst wurden, wäre unvereinbar mit dem Konkretisierungsauftrag, den diese Zielvorgaben an den Gesetzgeber richten. Im Zuge der Überlegungen zum „Ob“ einer Konkretisierung sind die konkurrierenden Staatszielbestimmungen demnach nicht als Optimierungsgebote zu bedenken. Es muss eine ausschließlich politische Entscheidung sein (und bleiben), wo jeweils anzusetzen ist. Erst nachdem sie gefallen ist, verlangen die konkurrierenden Staatszielbestimmungen optimale Berücksichtigung.

2. Gebot praktischer Konkordanz in der Phase des „Wie“ Zielkonkurrenzen werden nicht in der Dimension der Geltung aufgelöst, sondern in derjenigen der (fallbezogenen) Gewichtung.63 Entsprechend ist in der Phase der Entscheidung über das „Wie“ einer (weiteren) Konkretisierung ein angemessener Ausgleich zwischen den konkurrierenden Staatszielbestimmungen zu suchen.64 Keinesfalls darf es zur unverhältnismäßigen Beeinträchtigung einer Zielvorgabe kommen; der Gesetzgeber kann keiner Staatszielbestimmung absoluten Vorrang zuschreiben.65 Der Lösungsansatz für Zielkonkurrenzen ist in jener Phase des „Wie“ einer Konkretisierung gekennzeichnet durch die Abwägung (genauer: durch die Gewichtung) der im konkreten Fall einschlägigen Staatszielbestimmungen.66 Die konkurrierenden Zielvorgaben sind allesamt zu jeweils optimaler Wirksamkeit zu bringen.67 Im konkreten Fall hat daher eine Güterabwägung nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz zu erfolgen.68 Zielkonkurrenzen können nicht „ein für alle Mal“ aufgelöst werden, sondern die verfassungsgebotene Ausge___________ 63

s. oben unter A. II. 2. u. 3. Dazu oben unter A. III. 1. 65 Dazu oben unter A. II. 3. 66 Vgl. Sommermann, Staatsziele, S. 412 m.w.N.: „Das entscheidende Prinzip bei der Lösung von Zielkonflikten ist somit die Abwägung“. Zur Abwägung im Verfassungsrecht als „verhältnismäßigem Gewichten“ Ossenbühl, DVBl. 1995, S. 904 (908); grundlegend zur Abwägung im Verfassungsrecht Schlink, Abwägung. 67 Allgemein zu Konkurrenzen von Staatszielbestimmungen BVerwG NJW 1995, S. 2648 (2649); Epiney, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 20 a Rn. 47 ff. m.w.N. 68 Demnach entfalten bspw. die sozialen Zielvorgaben Wirkung in der Abwägung mit anderen Staatszielbestimmungen; dazu BerlVerfG LVerfGE 4, 62 (64); BbgVerfG LVerfGE 8, 97 ff. mit Blick auf den Minderheitenschutz i. S. des Art. 25 BbgVerf und das „Recht auf Arbeit“ gem. Art. 48 Abs. 1 BbgVerf; vgl. BVerfGE 36, 237 (248 f.) für das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG. – Eingehend zum Gebot praktischer Konkordanz oben unter A. II. 3. 64

A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen

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wogenheit des Verhältnisses zwischen den konkurrierenden Zielvorgaben muss bei jeder Konkretisierung von Neuem gefunden werden.69 Eine solche Gewichtung ist unabhängig davon vorzunehmen, ob die betreffende Verfassung eine ausdrückliche Abwägungsklausel enthält. Es ergibt sich ohne Weiteres aus dem Grundsatz der Einheit der Verfassung, dass im Falle einer Zielkonkurrenz eine Abwägung zwischen den konkurrierenden Staatszielbestimmungen erforderlich ist.70 Andernfalls könnte die Verfassung dadurch Schaden nehmen, dass ein Widerspruch zwischen zwei oder mehr Zielvorgaben in der praktischen Rechtsanwendung nicht aufgelöst werden würde.71 Bei der Verwirklichung einer Staatszielbestimmung liegt daher ein Abwägungsausfall oder ein Abwägungsdefizit vor, wenn die Beeinträchtigungen konkurrierender Zielvorgaben durch die Zielverwirklichungsmaßnahme nicht oder nicht in genügendem Maße berücksichtigt wurden.72 Der Klarheit halber sei darauf hingewiesen, dass sich die „Richtigkeit“ jener Gewichtung keinesfalls mit mathematischer Genauigkeit feststellen lässt.73 Gleichwohl finden sich Regeln, die den Staatsorganen Abwägungsmaximen für die Entscheidung über das „Wie“ der Zielkonkretisierung liefern. So hat Robert Alexy aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Abwägung bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit i.e.S. das folgende „Abwägungsgesetz“ destilliert: „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, umso größer muss die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein“.74 Die Verkennung dieses „Abwägungsgesetzes“ oder der anderen Abwägungsmaximen kann zur Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden – dann ja auf fehlerhafter Abwägung beruhenden – Maßnahme führen.75

___________ 69

Einen solchen verfassungskonformen Interessenausgleich hat primär der Gesetzgeber zu leisten, s. Scholz, ZfA 22 (1991), S. 683 (689). Nicht zu folgen ist dems., FS Lerche, S. 65 (79), insoweit, als er ohne Begründung feststellt, ein verfassungskonformer Interessenausgleich könne „nur durch den Gesetzgeber geleistet werden“ (richtig muss es heißen: „nicht ohne die Staatszielbestimmungen ausformende Gesetze“): Auch die Verwaltung hat divergierende Interessen verfassungskonform auszugleichen. 70 Überflüssig ist daher etwa die in Art. 29 a NRWVerf enthaltene Abwägungsklausel; dazu Kloepfer, DVBl. 1988, S. 305 (314); Murswiek, ZRP 1988, S. 14 (17 f.). 71 Wie immer im Fall sich (scheinbar) widersprechender Verfassungsnormen ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die Harmonie des (scheinbar) Widersprüchlichen zu suchen. Eingehend zur Einheit der Verfassung als Interpretationsrichtlinie Stern, Staatsrecht I, S. 133 f. m.w.N. 72 s. Sommermann, Staatsziele, S. 413. 73 s. Sommermann, Staatsziele, S. 413; zum Objektivitätsproblem der grundrechtlichen Abwägung Sieckmann, Staat 41 (2002), S. 385 (391 ff.) m.w.N. 74 Alexy, Theorie, S. 146; ders., RTh 18 (1987), S. 405 (415). 75 s. Sommermann, Staatsziele, S. 413.

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

3. Kriterien für die Gewichtung der Staatszielbestimmungen a) Stellung im Zielgefüge und Ausmaß der Betroffenheit im konkreten Fall Als wesentliches Gewichtungskriterium erweist sich zunächst die Stellung einer Staatszielbestimmung im Gesamt der konkurrierenden Zielvorgaben. Hinsichtlich der Mechanismen, mit denen jene Stellung zugewiesen wird, lässt sich zwischen grammatischen und systematischen unterscheiden.76 Als weiteres Gewichtungskriterium ist das Ausmaß zu nennen, in dem die konkurrierenden Staatszielbestimmungen im konkreten Fall betroffen sind. Verlangen mehrere Zielvorgaben Verwirklichung, können sie zwar durchaus in demselben Grad betroffen sein. Es ist jedoch naheliegend, dass sie in unterschiedlichem Ausmaß berührt sein werden. Dieses Ausmaß der Zielbetroffenheit ist nicht lediglich bei der Abwägung zwischen solchen Staatszielbestimmungen zu berücksichtigen, die die gleiche Abstraktionshöhe aufweisen.77 Vielmehr ist auch im Verhältnis einer speziellen Zielvorgabe zur abstrakten nach dem Grad der Zielbetroffenheit zu fragen. Einer abstrakten Staatszielbestimmung kann im konkreten Fall größeres Gewicht zukommen als einer speziellen, und zwar etwa dann, wenn ihr Kernbereich berührt ist.78 Ebenso kann aber auch eine spezielle durchschlagen: Es handelt sich regelmäßig um mehrpolige Zielrelationen mit der Folge, dass das Gewicht derjenigen Staatszielbestimmung, die im Vergleich zur anderen meistbetroffenen Zielvorgabe weniger berührt ist, durch die übrigen (ggf. nur am Rande einschlägigen) Staatszielbestimmungen verstärkt sein kann.79

b) Ausmaß der Betroffenheit als entscheidendes Kriterium Die Stellung der konkurrierenden Staatszielbestimmungen im Zielgefüge ist nicht geeignet, das Gewicht der einzelnen Zielvorgaben im konkreten Fall angemessen zu umreißen. Dies gilt insbesondere bei mehrpoligen Zielrelationen. Entscheidend ist vielmehr, ob eine Staatszielbestimmung in ihrem Kernbereich oder aber lediglich an dessen Rand betroffen ist. Das Ausmaß dieser Zielbetroffenheit lässt sich freilich nicht ohne vorherige Zielkonkretisierung bestimmen. Bei ebendieser Konkretisierung verfügt der Gesetzgeber als primärer Adressat der Staatszielbestimmungen idealtypisch über eine weitgehende Einschät___________ 76 77 78 79

Eingehend 2. Kap. unter B. I. 3. s. Sommermann, Staatsziele, S. 414. s. Sommermann, Staatsziele, S. 414. Ebenso Sommermann, Staatsziele, S. 414.

A. Voraussetzungen und Auflösung von Zielkonkurrenzen

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zungsprärogative.80 In welchem Ausmaß eine Zielvorgabe im konkreten Fall betroffen ist, hängt in erster Linie also von den Entscheidungen des Gesetzgebers hinsichtlich deren Implementation in das einfache Recht ab.

IV. Zusammenfassung

Eine Zielkonkurrenz setzt zum einen voraus, dass eine Staatszielbestimmung und zumindest eine weitere Zielvorgabe im konkreten Fall anwendbar und einschlägig sind. Zum anderen müssen die betreffenden Staatszielbestimmungen (auch) dieselben Adressaten haben. Zielkonkurrenzen zwischen Zielvorgaben verschiedener Ebenen sind de constitutione lata auf diejenigen Konstellationen beschränkt, in denen das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nach Art. 109 Abs. 2 GG zu den landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen hinzutritt. Die Zielvorgaben des Grundgesetzes kennen als Adressaten grundsätzlich allein die Staatsgewalt auf gesamtstaatlicher Ebene, diejenigen einer Landesverfassung allein die Landesstaatsgewalt. Unter Zugrundelegung der v. a. von Ronald Dworkin und Robert Alexy entwickelten Kriterien sind die Staatszielbestimmungen nicht den Regeln zuzuordnen, sondern den Prinzipien. Es handelt sich bei ihnen um Optimierungsgebote, d. h. ihre Realisierung ist in einem (relativ auf die jeweiligen rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten bezogen) möglichst hohen Maß geboten. Die Auflösung von Zielkonkurrenzen erfolgt dementsprechend nicht in der Dimension der Geltung, sondern in derjenigen der (fallbezogenen) Gewichtung: Zielkonkurrenzen lassen sich lediglich nach dem Grundsatz des schonendsten Ausgleichs auflösen, weshalb in jedem Einzelfall eine gesonderte Entscheidung nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zu erfolgen hat. Die Verwirklichung einer Staatszielbestimmung ist daher namentlich in dem Maß möglich, in dem eine andere Zielvorgabe nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. Zur näheren Strukturierung des Lösungsansatzes für Zielkonkurrenzen ist zwischen zwei Phasen zu unterscheiden: der Entscheidung über das „Ob“ und derjenigen über das „Wie“ der einfachgesetzlichen Umsetzung. Lediglich im Rahmen der Überlegungen zum „Wie“ sind die übrigen konkurrierenden Staatszielbestimmungen als Optimierungsgebote zu berücksichtigen. In dieser Phase ist jener Lösungsansatz daher durch eine Gewichtung der im konkreten Fall einschlägigen Staatszielbestimmungen gekennzeichnet. Diese Gewichtung basiert auf zwei Kriterien: der Stellung der konkurrierenden Staatszielbestimmungen im Zielgefüge und dem Ausmaß ihrer Betroffenheit im konkreten Fall. Maßge___________ 80 Dieser Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers fällt desto geringer aus, je konkreter die Zielvorgaben gefasst sind und je mehr Vorgaben die Verfassung zur Art und Weise der Zielverwirklichung enthält. Eingehend 2. Kap. unter A. III. 1.

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

bend ist, in welchem Ausmaß die Zielvorgaben in der konkreten Situation berührt sind. Dies wiederum hängt von deren Implementation in das einfache Recht ab. Ohne Rekurs auf die Zielkonkretisierung durch den Gesetzgeber sind Zielkonkurrenzen letztlich nicht aufzulösen.

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge I. Grammatische Aspekte

1. Formulierung als Förderauftrag Als Förderauftrag formulierte Staatszielbestimmungen nehmen im Vergleich zu denjenigen Zielvorgaben, die als Schutz-, Gewährleistungs- oder Sicherungsauftrag gefasst sind, keinen hervorgehobenen Platz im Zielgefüge ein. Ein Schutz- bzw. Gewährleistungsauftrag ist zwar passiver als ein Förder- oder Pflegeauftrag.81 Während „Förderung“ als Weiterentwicklung des Bestehenden und „Pflege“ als dynamische Gestaltungsaufgabe mit Zukunftsbezug zu lesen ist,82 meint „Schutz“ insbesondere die eher statische bzw. gefahrenabwehrende Sicherung gegen Beschädigung, Zerstörung, Entfernung und Verunstaltung83 sowie „Gewährleisten“ die Beibehaltung des traditionell Bestehenden, also den Schutz vor staatlichen Eingriffen.84 Der Begriff „Pflege“ umschreibt also eine eingriffsunabhängige Verpflichtung zur Erhaltung, Vorsorge und Erneuerung, wohingegen „Schutz“ (eher) auf die Abwehr von Beeinträchtigungen zielt85 und „Fördern“ zum Anstreben eines noch nicht bestehenden oder ohne Hilfe nicht dauerhaft aufrechtzuerhaltenden Zielzustands verpflichtet. Bei diesen unterschiedlichen Formulierungen handelt es sich um keinen für die Gewichtung der Staatszielbestimmungen relevanten Aspekt. Mitunter sind lediglich sprachliche Gesichtspunkte maßgeblich. So passt etwa der Terminus ___________ 81

Vgl. (für Schutz- und Pflegeaufträge) Bericht Sachverständigenkommission, S. 98 Rn. 156. 82 Ebenso (bezogen auf Pflegeaufträge) Bericht Sachverständigenkommission, S. 98 Rn. 156; ähnlich zum Pflegeauftrag im Rahmen der Staatszielbestimmung „Denkmalschutz“ i. S. des Art. 141 Abs. 2 BayVerf Meder, BayVerf, Art. 141 Rn. 2: Erhaltung, Bewahrung und Erneuerung des Bestehenden. 83 Ebenso zum Schutzauftrag der Staatszielbestimmung „Denkmalschutz“ i. S. des Art. 141 Abs. 2 BayVerf Meder, BayVerf, Art. 141 Rn. 2; zum Denkmal- und Landschaftsschutz gem. Art. 18 Abs. 2 NRWVerf Mann, in: Löwer/Tettinger, NRWVerf, Art. 18 Rn. 20. 84 So auch Feuchte, in: Spreng u.a., BaWüVerf, Anm. zu Art. 87 (für die Staatszielbestimmung „Wohlfahrtspflege“ der baden-württembergischen Verfassung). 85 Vgl. bzgl. der Formulierung einer Staatszielbestimmung „Umweltschutz“ Bericht Sachverständigenkommission, S. 98 Rn. 156.

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge

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„Fördern“ eher zu Rechtspositionen und Institutionen, bspw. aber nicht zum Schutz der natürlichen Umwelt.86 Ebenso wenig wirkt es sich unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge auf die Gewichtung aus, wenn nicht von einem Förderungsauftrag die Rede ist, sondern ein bestimmtes Ziel als „förderungswürdig“ bezeichnet wird. Es wirkt sich mithin keineswegs auf die Gewichtung der Staatszielbestimmungen aus, dass der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern gem. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG fördert, während es sich bei den drei Zielvorgaben „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“, „Tierschutz“ (beide Art. 20 a GG) und „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ (Art. 109 Abs. 2 GG) um Schutz- bzw. Gewährleistungsaufträge handelt. Gleiches gilt auf Seiten der brandenburgischen Verfassung. Dort hat es keine Auswirkung, dass manche Zielvorgaben wie die Förderung sozialer und karitativer Einrichtungen (Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf) oder die Förderung der Weiterbildung von Erwachsenen (Art. 33 Abs. 1 S. 1 BbgVerf) als Förderaufträge ausgestaltet sind, andere hingegen als reine Schutzaufträge (s. etwa den Schutz der Kultur i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf und den Denkmalschutz [Artt. 34 Abs. 2 S. 2, 40 Abs. 4 S. 2 BbgVerf]).87 Ebenso wenig nimmt der als Kombination aus Erhaltungs- und Schutzauftrag formulierte Artenschutz i. S. des Art. 39 Abs. 3 S. 2 BbgVerf einen hervorgehobenen Platz im Zielgefüge ein. Es hat folglich keine Bedeutung bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen, dass die Formulierung der Staatszielbestimmungen als Förderauftrag in Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung unterschiedlich ausfällt.

2. Formulierung als Anstrebens- oder Hinwirkensklausel Auch eine Zielvorgabe, die als Anstrebens- oder Hinwirkensklausel formuliert ist, ist hinsichtlich ihrer Stellung im Zielgefüge nicht allein deshalb anders zu gewichten als etwa eine solche Staatszielbestimmung, die als reiner Schutz-, Bewahrungs- oder Sicherungsauftrag gefasst wurde. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Ausdruck „anstreben“ keine geringere Dynamik als Wendungen wie „fördern“, „sichern“, „pflegen“ oder „schützen“ hat.88 Die Formulierung als Anstrebens- oder Hinwirkenspflicht trägt vielmehr allein der Tatsache Rechnung, dass die Ausgestaltung und Umsetzung einer Zielvorgabe nicht aus___________ 86

Ebenso Bericht Sachverständigenkommission, S. 98 Rn. 156. Zusammenstellung der als Förder-, Schutz-, Gewährleistungs- und Sicherungsaufträge formulierten Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung und des Grundgesetzes im 6. Kap. unter C. III. 2. a) aa) u. bb). 88 Gleiches gilt für die Formulierung „bekennen“, die i. S. von „sich für etwas einsetzen“ zu verstehen ist; dazu (bezogen auf die Staatszielbestimmung „Europa“ i. S. des Art. 3 a S. 1 BayVerf) Pestalozza, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 3 a Rn. 10, 15. 87

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

schließlich in den Zuständigkeitsbereich der jeweils adressierten Hoheitsträger fällt.89 Eine Anstrebens- oder Hinwirkenspflicht beinhaltet dabei eine doppelte Verpflichtung: Sie verlangt nicht lediglich die Reaktion auf externe Vorgaben, sondern zugleich ein aktives Sicheinsetzen und Einstehen für den jeweiligen Zielinhalt. Es wirkt sich folglich nicht auf die Gewichtung der Staatszielbestimmungen aus, dass das Land Brandenburg nach Art. 39 Abs. 9 BbgVerf darauf hinwirkt, dass auf dem Landesgebiet keine atomaren, biologischen oder chemischen Waffen entwickelt, hergestellt oder gelagert werden, während andere Zielvorgaben als Förder- oder Schutzaufträge ausgeformt sind.90 Nichts anderes gilt auf gesamtstaatlicher Ebene. Aus der Formulierung der „Europäischen Union“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG als Mitwirkungsklausel resultiert keine hervorgehobene Stellung im Vergleich etwa zum Tierschutz oder zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (beide Art. 20 a GG). Die Unterschiede zwischen brandenburgischer Verfassung und Grundgesetz hinsichtlich der Zuordnung zum Aspekt „Ausgestaltung als Anstrebens- oder Hinwirkensklausel“91 wirken sich demnach nicht bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen aus.

3. Subjektiv-rechtliche Formulierung Ebenso wenig ist es ersichtlich, dass den als „Recht“ formulierten Staatszielbestimmungen unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge größeres Gewicht beizumessen wäre als denjenigen, die objektiv-rechtlich formuliert sind.92 Durch eine solche subjektiv-rechtliche Fassung ist vielmehr (lediglich) die Schaffung einer Rechtsposition des Einzelnen bezweckt. Der betreffende Leistungsanspruch gilt dann freilich nicht verfassungsunmittelbar, sondern er findet seine Grundlage (allenfalls) im einfachen Gesetzesrecht.93 Eine solche mittelbare Anerkennung eines Leistungsrechts liegt insbesondere nahe, wenn ___________ 89

Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe eine Materie aufgreift, die in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fällt: Es widerspräche der Verfassungshoheit der Länder, es als relevant für die Stellung im verfassungsrechtlichen Zielgefüge anzusehen, dass die betreffende Staatszielbestimmung aufgrund der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung lediglich in einem schmalen Kompetenzfenster umgesetzt werden kann. 90 Zu Letzteren oben unter B. I. 1. 91 Bestandsaufnahme dieser Divergenzen im 6. Kap. unter C. III. 2. a) cc). 92 Es ist bereits nicht ersichtlich, dass der Verfassunggeber eine solchermaßen unterschiedliche Gewichtung beabsichtigt hätte; ebenso Brenne, Grundrechte, S. 184. 93 Dazu Sommermann, Staatsziele, S. 372, 418 f. – Einer als „Recht auf Arbeit“ formulierten Bestimmung ist nach vereinzelt vertretener Auffassung der politische Auftrag zu entnehmen, der betreffenden Norm auch subjektiv-rechtlichen Gehalt zu verleihen, s. etwa Hoebink, Staat 27 (1988), S. 290 (291).

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge

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ein „Recht“ ausdrücklich „als Staatsziel“ garantiert wird.94 Staatszielbestimmungen, die als „Recht“ formuliert sind, und Zielvorgaben, die – rein objektivrechtlich gefasst – eine Förder- oder Maßnahmeverpflichtung aussprechen, haben demnach keinen identischen Normgehalt: Durch die subjektiv-rechtliche Einkleidung hat der Verfassunggeber bzw. verfassungsändernde Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die Verwirklichung (auch) in der Schaffung einer subjektiven Rechtsposition liegt.95 Dies bedeutet aber keineswegs, dass die betreffenden Staatszielbestimmungen hinsichtlich ihrer Stellung im Zielgefüge unterschiedlich zu gewichten wären. Es bleibt folglich ohne Auswirkungen auf die Auflösung von Zielkonkurrenzen, dass die brandenburgische Verfassung im Gegensatz zum Grundgesetz neben objektiv-rechtlich formulierten Staatszielbestimmungen auch subjektivrechtlich gefasste enthält.96 Dem „Recht auf Bildung“ (Art. 29 Abs. 1 BbgVerf) kommt im landesverfassungsrechtlichen Zielgefüge daher kein anderer Stellenwert zu als denjenigen Zielvorgaben, die rein objektiv-rechtlich gehalten sind. Ebenso wenig hat Art. 48 Abs. 1 BbgVerf, der das Land verpflichtet, „für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sorgen“, unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge anderes Gewicht als bspw. die Förderung von Schulen (Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf) oder der Schutz des ungeborenen Lebens i. S. des Art. 8 Abs. 2 BbgVerf.

4. Formulierung als Pflicht sowie Formulierung als „besonderer“ Schutzauftrag Keinen hervorgehobenen Platz im Zielgefüge nehmen weiterhin die Staatszielbestimmungen ein, die explizit als Pflicht formuliert sind. Es wirkt sich nicht hinsichtlich der Stellung in jenem Gefüge aus, ob eine Zielvorgabe als Aufgabe bzw. lediglich feststellend gefasst ist (Bsp.: „Der Staat schützt [...]“.), oder ob die Formulierung lautet: „Der Staat hat die Pflicht, [...] zu schützen“.97 Aus___________ 94

s. Sommermann, Staatsziele, S. 372, 418 f. s. Sommermann, Staatsziele, S. 418 m.w.N. – Ohne solchen Subjektivierungsauftrag käme dem Wortlaut der als „Recht“ gefassten Zielvorgabe keinerlei Bedeutung zu im Vergleich zu den für Staatszielbestimmungen ansonsten typischen Formulierungen wie „Der Staat schützt ...“ oder „Der Staat fördert ...“. Dem steht es nicht entgegen, dass dem Verfassunggeber bzw. verfassungsändernden Gesetzgeber dieser Zug zur Subjektivierung wohl nur in den seltensten Fällen bewusst gewesen sein wird. 96 Zusammenstellung der subjektiv-rechtlich formulierten Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung im 6. Kap. unter C. III. 1. a). 97 A.A. (mit Blick auf Artt. 69, 40 Abs. 3 RhPfVerf) wohl Schröder, in: Grimm/ Caesar, RhPfVerf, Art. 69 Rn. 16: Die Pflicht des Staates zum Schutz von Natur und Umwelt (Art. 69 RhPfVerf) sei „als existentiell bedeutsame Verantwortung und Aufga95

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

schlaggebend für die betreffenden Formulierungen sind vielmehr regelmäßig allein sprachliche Gesichtspunkte. Jedenfalls lässt sich kein Gewichtungsschema ausschließlich aufgrund der ausdrücklichen Formulierung als Pflicht erstellen. So hat etwa Art. 12 Abs. 4 BbgVerf, der Land, Gemeinden und Gemeindeverbände explizit verpflichtet, für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen, im Zielgefüge kein größeres Gewicht als bspw. die Förderung der Kunst (Art. 34 Abs. 1 S. 2 BbgVerf) oder die Zielvorgabe „Sport“ (Art. 35 S. 1 BbgVerf).98 Es wirkt sich daher nicht bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen aus, dass die brandenburgische Verfassung (anders als das Grundgesetz) einige Staatszielbestimmungen als „Pflicht“ formuliert. Etwas anderes gilt hinsichtlich der – wiederum nicht im Grundgesetz, sondern allein in der brandenburgischen Verfassung zu findenden – Formulierung einer Staatszielbestimmung als „besonderer“ Schutzauftrag. Hier ist der Gesetzgeber als primärer Adressat zu intensiveren Bemühungen angehalten als bei den übrigen Zielvorgaben.99 Einem Ziel, das als Staatszielbestimmung unter den „besonderen“ Schutz des Staates gestellt ist, kommt im Zielgefüge größeres Gewicht zu als den mit ihm konkurrierenden Zielvorgaben. Dies hat – darauf sei der Klarheit halber hingewiesen – freilich keineswegs zur Folge, dass die betreffende Staatszielbestimmung pauschal Vorrang vor anderen Zielvorgaben genießt, sondern es bedeutet lediglich, dass ihr beim Herstellen praktischer Konkordanz unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge herausragende Bedeutung beizumessen ist.100 Es ist für die Auflösung von Zielkonkurrenzen daher durchaus bedeutsam, dass in der brandenburgischen Verfassung (im Gegensatz zum Grundgesetz) eine Staatszielbestimmung als „besonderer“ Schutzauftrag formuliert ist: Nach Art. 27 Abs. 3 S. 1 BbgVerf genießen Kinder „in besonderer Weise den Schutz von Staat und Gesellschaft“, während etwa die Gleichstellung der Geschlechter i. S. des Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf keine solche Hervorhebung aufweist. ___________ be der staatlichen Gemeinschaft“ ausgewiesen, anders als der Auftrag zur Obhut und Pflege der Naturdenkmäler und der Landschaft nach Art. 40 Abs. 3 RhPfVerf. 98 Bestandsaufnahme der explizit als Pflicht formulierten Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung im 6. Kap. unter C. III. 1. a). 99 Vgl. Bull, JöR 51 (2003), S. 489 (502 f.), für das Verhältnis des Art. 7 SchlHVerf, wonach die natürlichen Lebensgrundlagen unter den besonderen Schutz aller Träger der öffentlichen Verwaltung gestellt sind, zu den sonstigen Schutzaufträgen der schleswigholsteinischen Verfassung. 100 Vgl. v. Zezschwitz, in: Zinn/Stein, HessVerf, Art. 26 a Rn. 49, der keine Unterschiede hinsichtlich des Gestaltungsermessens sieht, wenn eine Staatszielbestimmung nicht als ein bloßer Schutzauftrag formuliert ist, sondern als ein „besonderer“; ebenso Müller-Bromley, Staatszielbestimmung, S. 144; Thieme, HbgVerf, Anm. 10 zur Präambel. – Eine absolute Vorrangrelation zwischen Staatszielbestimmungen ist wegen deren Prinzipiencharakters ausgeschlossen. Dazu oben unter A. II. 3. und A. III. 3. a).

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge

403

II. Systematische Aspekte

1. Abstützung in den Staatsstrukturprinzipien und der Revisionssperrklausel Die zusätzliche Absicherung einer Staatszielbestimmung durch Erwähnung im Rahmen der Staatsstrukturprinzipien zeigt den besonders hohen Stellenwert, der dieser Zielvorgabe beigemessen wird.101 Eine solche normative Verstärkung ist beim Herstellen praktischer Konkordanz zu berücksichtigen: Die zusätzliche Verankerung führt zu erhöhtem Gewicht im Zielgefüge. Gleiches gilt, wenn ein Ziel als Staatszielbestimmung nicht zusätzlich, sondern lediglich in den Staatsstrukturprinzipien verankert ist. Auch hierin liegt eine Hervorhebung.102 Beides hat freilich keinen grundsätzlichen Vorrang zur Folge,103 da eine absolute Vorrangrelation zwischen Staatszielbestimmungen ausgeschlossen ist.104 Die Unterschiede zwischen Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung hinsichtlich der Verankerung von Staatszielbestimmungen in den Staatsstrukturprinzipien105 bleiben folglich bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen nicht ohne Auswirkungen. Im Vergleich zu Zielvorgaben, die nicht (auch) in jenen Prinzipien abgesichert sind, nehmen etwa die in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf verankerten Staatszielbestimmungen „Kulturstaat“ und „Frieden“ einen hervorgehobenen Platz im Zielgefüge ein. Die Zuordnung eines Ziels zu dem von der Revisionssperrklausel umfassten änderungsfesten Kern der Verfassung rechtfertigt hingegen keine stärkere Ge___________ 101 In diese Richtung auch Bericht Sachverständigenkommission, S. 43 Rn. 46. Vgl. Schweiger, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 3 Rn. 13: „Hervorhebung der geistig und sittlich fundierten Lebensbereiche wie Bildung, Wissenschaft, Kunst [...]“ dadurch, dass Bayern gem. Art. 3 Abs. 1 S. 1 BayVerf (auch) ein Kulturstaat ist. 102 Ebenso für die Zielvorgaben der Niedersächsischen Verfassung Starck, NdsVBl. 1994, S. 2 (8): Da sich die Verfassung darauf beschränke, das ökologische Staatsziel gleichberechtigt neben das soziale zu stellen (Art. 1 Abs. 2 NdsVerf), komme diesem als gleichwertiger Staatsaufgabe besondere Bedeutung zu; ebenso zur Verklammerung von Staatszielbestimmungen in Art. 1 S. 2 SächsVerf v. Mangoldt, in: Juristenfakultät der Universität Leipzig und Leipziger Juristische Gesellschaft e.V., SächsVerf, S. 9 (28 und 32). Vgl. Meder, BayVerf, Art. 3 Rn. 24: „gebührendes Gewicht“ des Umweltschutzes infolge seiner Verankerung in Art. 3 Abs. 2 BayVerf, der Staatsfundamentalnorm der bayerischen Verfassung. 103 A.A. – „höherer Rang“ des Umweltschutzes i. S. des Art. 12 M-VVerf gegenüber solchen Zielvorgaben, die nicht als Konkretisierung eines Staatsstrukturprinzips verstanden werden können – Erbguth/Wiegand, DVBl. 1994, S. 1325 (1329 f.); ähnlich Schröder, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 69 Rn. 3: prinzipieller Vorrang von Staatszielbestimmungen, die zusätzlich Bestandteil einer Staatsfundamentalnorm sind. Ebenso Stiens, Chancen, S. 250 f.: Die Aufnahme des Bereichs Kultur in die Staatsfundamentalnormen der sächsischen und der brandenburgischen Verfassung bedeute, „dass auch die Förderung des Sports zu den vorrangigen Staatszielen gehört“. 104 Dazu oben unter A. II. 3. und A. III. 3. a). 105 Überblick über diese Divergenzen im 6. Kap. unter C. III. 2. b) aa).

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

wichtung.106 Die Bedeutung dieses systematischen Aspekts erschöpft sich vielmehr darin, dass die betreffende Zielstellung nicht im Wege der Verfassungsänderung geändert werden kann.107 Es wirkt sich folglich nicht bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen aus, dass auf Seiten des Grundgesetzes (im Gegensatz zur brandenburgischen Verfassung) eine Staatszielbestimmung über Art. 79 Abs. 3 GG abgesichert ist. Dem verfassungsänderungsfesten Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG108 kommt im Zielgefüge kein größeres Gewicht zu als bspw. dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) oder der „Europäischen Union“ (Art. 23 Abs. 1 GG), die keine solche Absicherung erfahren haben.

2. Verankerung an vorderer oder hinterer Stelle a) Verankerung in der Präambel Staatszielbestimmungen, die durch eine zusätzliche Aufnahme in die Präambel abgestützt sind, nehmen einen hervorgehobenen Platz im Zielgefüge ein.109 Die Präambel hat nicht lediglich deklaratorischen Charakter, sondern der nachfolgende Text ist in ihrem Sinne auszulegen.110 Hat eine Zielvorgabe zusätzlich Eingang in die Präambel gefunden, zeigt dies demnach ihren erhöhten Stellenwert.111 Für die Auflösung von Zielkonkurrenzen ist es folglich durchaus bedeutsam, dass auf Seiten der brandenburgischen Verfassung (im Gegensatz zum Grundgesetz) zwei Staatszielbestimmungen zusätzliche Abstützung in der Präambel ___________ 106 s. für im Grundgesetz verankerte Staatszielbestimmungen Epiney, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 20 a Rn. 51; Kloepfer, in: BK, Art. 20 a Rn. 26 m.w.N.; PlecherHochstraßer, Zielbestimmungen, S. 94; a.A. Sommermann, Staatsziele, S. 413 f.; vgl. (zu in Art. 74 Abs. 1 S. 2 SächsVerf genannten Staatszielbestimmungen) v. Mangoldt, in: Juristenfakultät der Universität Leipzig und Leipziger Juristische Gesellschaft e.V., SächsVerf, S. 9 (29). 107 A.A. Merten, DÖV 1993, S. 368 (371), der insoweit von „Staatszielen erster und zweiter Klasse“ spricht. 108 Dieses Sozialstaatsprinzip kann auch nicht durch Gemeinschaftsrecht beseitigt werden, vgl. die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 u. 3 GG. – Zum Korrespondenzverhältnis zwischen Art. 20 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG oben im 5. Kap. unter B. I. 1. a). 109 s. Wiegand, JöR 43 (1995), S. 31 (32 f.): „besonderes Gewicht“; Jutzi, ThürVBl. 1995, S. 25 (29); zum Europarecht Wiegand, DVBl. 1993, S. 533 (538, 541); ebenso zum Bereich Kultur in der brandenburgischen Verfassung Stiens, Chancen, S. 247. 110 Allg. zur (auch) rechtlichen Bedeutung der Präambel, bezogen auf das Grundgesetz, 3. Kap. unter A. 111 Eine absolute Vorrangrelation zwischen verschiedenen Staatszielbestimmungen ist freilich ausgeschlossen. Dazu oben unter A. II. 3. und A. III. 3. a).

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge

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erfahren haben.112 Diese Zielvorgaben – neben der Bezugnahme auf das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf findet sich eine solche auf den Schutz von Natur und Umwelt nach Art. 39 Abs. 1 BbgVerf – sind im Zielgefüge stärker zu gewichten als etwa die Förderung der breiten Streuung des Eigentums (Art. 41 Abs. 3 BbgVerf), die keine solche Hervorhebung aufweist. Eine Staatszielbestimmung hingegen, die lediglich in der Präambel verankert ist, nimmt im Zielgefüge keinen hervorgehobenen Platz ein. Vielmehr hat eine solche Zielvorgabe insoweit geringeres Gewicht.113 Zwar sind die im Haupttext zu findenden Staatszielbestimmungen durchaus (auch) i. S. einer in der Präambel verankerten Zielvorgabe auszulegen. Hierbei handelt es sich jedoch um keinen Aspekt, der unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge für die Gewichtung relevant wäre: Die konkurrierenden Staatszielbestimmungen können bereits aufgrund ihres Prinzipiencharakters nicht in isolierender Betrachtung verwirklicht werden.114 Die Auffassung, derzufolge der Verfassunggeber Staatszielbestimmungen einen höheren Rang durch Verankerung allein in der Präambel verliehen hat,115 vermag daher nicht zu überzeugen. Die Unterschiede zwischen Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung hinsichtlich des Aspekts „Verankerung lediglich in der Präambel“116 bleiben bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen folglich ohne Auswirkungen. Den betreffenden Zielvorgaben (etwa der landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung „Eine Welt“) kommt im Zielgefüge kein größeres Gewicht zu als bspw. Art. 25 Abs. 2 BbgVerf, wonach das Land verpflichtet ist, auf die Sicherung einer die Landesgrenzen übergreifenden kulturellen Autonomie der Sorben hinzuwirken.

b) Verankerung an vorderer oder hinterer Stelle im Haupttext Wie wirkt es sich aber aus, dass die eine Zielvorgabe in einem vorderen Abschnitt des Haupttexts zu finden ist, eine andere jedoch in einem hinteren? Nach verbreiteter Auffassung geht mit der Verankerung im vorderen Teil der Verfas-

___________ 112

s. den Divergenzbefund im 6. Kap. unter C. III. 2. b) bb). So für die Mitwirkung an der Europäischen Integration i. S. des Vorspruchs der baden-württembergischen Verfassung Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Vorspruch Rn. 3. 114 Dazu oben unter A. II. 2. u. 3. 115 So aber etwa H. Neumann, BremVerf, Präambel Rn. 6: Sollten neue Staatszielbestimmungen jenen in der Präambel verankerten gleichgestellt werden, müsse die Präambel entsprechend ergänzt werden. 116 Dazu 6. Kap. unter C. III. 2. b) bb). 113

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

sung die Verstärkung der betreffenden Staatszielbestimmung einher.117 Dem kann (jedenfalls in dieser Pauschalität) nicht gefolgt werden. Die Zuordnung zu den einzelnen Abschnitten des Haupttexts gibt keinen Aufschluss über die Wertigkeit einer Staatszielbestimmung. So mag die Verankerung in einem vorderen Abschnitt zwar unter narrativen Gesichtspunkten durchaus als Hervorhebung gesehen werden. Um einen Ausweis normativer Priorität handelt es sich bei einer solchen Verankerung an „prominenter Stelle“ aber keineswegs, da die Zuordnung zu den jenen Abschnitten schlicht und einfach danach erfolgt, wo die jeweilige Staatszielbestimmung am ehesten ohne Bruch der Gliederungsstruktur eingeordnet werden kann.118 Ebenso wenig ist eine Staatszielbestimmung, die in einem bestimmten Abschnitt vor einer anderen Zielvorgabe genannt wird, allein deswegen im Zielgefüge anders zu gewichten. Auch insoweit bleibt es bei einer Hervorhebung mit rein narrativem Charakter.119 Für die Gewichtung unter dem Gesichtspunkt der Stellung in jenem Gefüge spielt es keine Rolle, ob eine Zielvorgabe im ersten oder im letzten Artikel eines bestimmten Abschnitts normiert ist. Die Divergenzen zwischen Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung hinsichtlich dieses Aspekts wirken sich folglich nicht bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen aus.120

3. Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen Keinen hervorgehobenen Platz im Zielgefüge nehmen auch diejenigen Staatszielbestimmungen ein, denen ein eigener Artikel/Absatz gewidmet ist. Die gemeinsame Verankerung in einem Artikel bzw. Absatz ist lediglich Ausfluss einer entsprechenden thematischen Gliederung der Verfassung bzw. einzelner ihrer Teile. Andernfalls (wenn es also Ausweis normativer Priorität wäre, dass ___________ 117

In diese Richtung Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 6 Rn. 10: bei Verankerung im Grundlagenteil der Verfassung „prinzipielle Gleichwertigkeit“ der Staatszielbestimmungen; ähnlich Hammer, JöR 51 (2003), S. 97 (105 f.), der eine Aufwertung der baden-württembergischen Staatszielbestimmung „Denkmalschutz“ konstatiert, indem diese Zielvorgabe aus den Schlussbestimmungen der Landesverfassung (Art. 86 [a.F.] BaWüVerf) herausgenommen und in den Ersten Hauptteil eingefügt wurde. Vgl. Schweiger, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 3 Rn. 13: „symptomatisch“, dass Bildung und Schule, Kunst und Wissenschaft sowie der Denkmalschutz vor Wirtschaft und Arbeit behandelt werden. 118 Die Reihenfolge der Abschnitte ist ebenfalls nicht als Ausweis normativer Priorität zu verstehen. Sie ergibt sich vielmehr etwa daraus, ob der Verfassung eine systematische oder eine thematische Ordnung zugrunde liegt; zu dieser Unterscheidung 3. Kap. unter B. I. 1. 119 A.A. – in der Reihenfolge könne eine Prioritätensetzung gesehen werden – etwa P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 75. 120 Überblick über diese Divergenzen im 6. Kap. unter C. III. 2. b) cc).

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge

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in einem Artikel oder Absatz lediglich eine Zielvorgabe verankert ist) bestünde für die Verfassungspolitik der Anreiz, die Verfassung möglichst ausgreifend zu gliedern und die materiellen Verfassungsbestimmungen auf eine entsprechend große Zahl von Artikeln und Absätzen zu verteilen, um dadurch die grundsätzliche Gleichrangigkeit der geregelten Inhalte zu untermauern. Staatszielbestimmungen, denen kein eigener Artikel bzw. Absatz eingeräumt ist, sind unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge daher nicht geringer zu gewichten als diejenigen Zielvorgaben, die gewissermaßen „eigenständig“ Verankerung gefunden haben. Dies gilt auch dann, wenn thematisch nicht oder kaum zueinander passende Staatszielbestimmungen gemeinsam abgehandelt werden, oder wenn sich sogar in einem Satz mehrere Zielvorgaben finden. Es bleibt daher ohne Auswirkung auf jene Gewichtung, dass bspw. Art. 39 Abs. 3 BbgVerf drei Staatszielbestimmungen enthält (Tier-, Pflanzen- und Artenschutz), während etwa die Zielvorgaben „Arbeit“ (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf), „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) und „Schutz des ungeborenen Lebens“ (Art. 8 Abs. 2 BbgVerf) gesondert geregelt sind. Nichts anderes gilt auf gesamtstaatlicher Ebene. Daraus, dass dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht mit Art. 109 Abs. 2 GG ein eigener Artikel eingeräumt ist, resultiert keine hervorgehobene Stellung im Vergleich zu den Staatszielbestimmungen „Frieden“ und „Europäische Integration“, die gemeinsam in S. 1 der Präambel verankert sind. Die Unterschiede zwischen Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung hinsichtlich der Zuordnung zum Aspekt „Anzahl der je Artikel/Absatz verankerten Staatszielbestimmungen“ haben dementsprechend für die Auflösung von Zielkonkurrenzen keine Bedeutung.121

4. Vorhandensein von Qualifizierungen Ebenso wenig ist es ersichtlich, dass qualifizierten Staatszielbestimmungen größeres Gewicht im Zielgefüge beizumessen ist als denen, die keine Qualifizierung aufweisen.122 Der Verfassunggeber bzw. verfassungsändernde Gesetzgeber wird die betreffenden Maßnahmen zur Zielverwirklichung oftmals schlicht und einfach deshalb festgeschrieben haben, weil er sie für angezeigt hielt, und nicht, weil er dadurch die Wertigkeit der jeweiligen Staatszielbestimmung im Zielgefüge hätte festlegen wollen. Die gegenteilige Ansicht greift zu kurz. Andernfalls wäre ein „Wettlauf der Qualifizierungen“ unvermeidlich: ein kaum überzeugendes Ergebnis. Im Falle einer qualifizierten Zielvorgabe ist mithin lediglich der ___________ 121

Bestandsaufnahme dieser Divergenzen im 6. Kap. unter C. III. 2. b) dd). So aber Kanther, Landesverfassungen, S. 92, demzufolge die Umweltschutzregelungen der brandenburgischen Verfassung infolge ihrer umfangreichen Normierung „eine ‚relative Priorität’ vor anderen bedeutsamen Sachthemen haben“. 122

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

Spielraum zur Zielverwirklichung geringer.123 Umgekehrt sind qualifizierte Staatszielbestimmungen hinsichtlich ihrer Stellung im Zielgefüge keineswegs geringer zu gewichten. Es bleibt dabei: Im einen Fall macht die Verfassung weitere Vorgaben für die Zielverwirklichung, im anderen nicht. Vor diesem Hintergrund bedeutet es auch keinen Unterschied, ob die Vorgaben zur Umsetzung in der Staatszielbestimmung selbst oder anderswo enthalten sind.124 Bei den Qualifizierungen handelt es sich folglich um keinen für die Gewichtung relevanten Aspekt. Es wirkt sich nicht auf die Auflösung von Zielkonkurrenzen aus, dass bspw. das Friedensgebot i. S. der Präambel des Grundgesetzes und die „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) Qualifizierungen aufweisen, während die Zielvorgabe „Sozialstaat“ i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG nicht qualifiziert ist. Die Divergenzen zwischen Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung bzgl. dieser Zuordnung bleiben dementsprechend unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge für die Gewichtung ebenso ohne Folgen wie das Vorhandensein von Konkretisierungen unterschiedlichen Umfangs.125 Insoweit ist der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen i. S. des Art. 20 a GG im bundesverfassungsrechtlichen Zielgefüge nicht anders zu gewichten als der wesentlich umfangreicher konkretisierte Schutz der Natur und Umwelt (Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) im entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Gefüge.

5. Abstrakte und spezielle Staatszielbestimmungen Mit Blick auf die abstrakten und die speziellen Zielvorgaben sind unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge zwei Fragen zu klären: zum einen, ob eine spezielle Staatszielbestimmung stärker zu gewichten ist als die abstrakte desselben Lebensbereichs, zum anderen, ob spezielle Zielvorgaben gegenüber abstrakten eines anderen Bereichs normativ hervorgehoben sind. Einer speziellen Staatszielbestimmung ist in jenem Gefüge größeres Gewicht beizumessen als derjenigen Zielvorgabe, die durch sie in einem bestimmten Ausschnitt konkretisiert wird.126 Der Verfassunggeber bzw. verfassungsändern___________ 123 Ebenso P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 105, bzgl. der ausführlichen Normierung der Zielvorgabe „Umweltschutz“ in Art. 10 SächsVerf auf der einen Seite und die knapp gehaltenen sozialen Staatszielbestimmungen in Art. 7 SächsVerf auf der anderen. – Dazu, dass der Spielraum für die Umsetzung von Staatszielbestimmungen desto geringer ausfällt, je umfänglicher diese qualifiziert sind, 2. Kap. unter A. III. 1. 124 Exemplarisch sei auf Art. 48 Abs. 1 BbgVerf verwiesen, der „eine Politik der Vollbeschäftigung und Arbeitsförderung“ für die Verwirklichung der Zielvorgabe „Arbeit“ vorgibt, während sich in Art. 48 Abs. 2-4 BbgVerf weitere flankierende Maßnahmen finden. 125 Bestandsaufnahme dieser Divergenzen im 6. Kap. unter C. III. 2. b) ee). 126 s. Sommermann, Staatsziele, S. 414.

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge

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de Gesetzgeber hat die gesondert normierten Aspekte derart hervorgehoben, dass die handelnden Staatsgewalten dies bei der Zielverwirklichung nicht außer Acht lassen dürfen.127 Eine spezielle Staatszielbestimmung nimmt im Vergleich zur von ihr konkretisierten Zielvorgabe demnach einen hervorgehobenen Platz ein.128 Die „Europäische Union“ (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) ist im Zielgefüge somit stärker zu gewichten als die Europäische Integration i. S. der Präambel. Nichts anderes gilt im Verhältnis spezieller Staatszielbestimmungen zu solchen Zielvorgaben, die einem anderen Sachbereich gewidmet sind. Auch hier liegt eine gewisse Akzentverschiebung vor.129 Die gesondert normierten Aspekte sind seitens des Verfassunggebers bzw. verfassungsändernden Gesetzgebers derart hervorgehoben, dass dies für die handelnden Staatsgewalten bei der Zielverwirklichung nicht bedeutungslos ist.130 So kommt etwa den einzelprogrammatischen sozialen Zielvorgaben im brandenburgischen Zielgefüge stärkeres Gewicht zu als bspw. der Staatszielbestimmung „Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebiets“ (Art. 25 Abs. 1 BbgVerf). Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass einer Staatszielbestimmung, die durch (viele) Teilzielvorgaben ausgestaltet ist, pauschaler Vorrang zukäme gegenüber Zielvorgaben solcher Bereiche, die eine geringere „Staatszielbestimmungsdichte“ aufweisen. Daraus, dass im einen Bereich mehr Zielvorgaben verankert sind als in einem anderen, ergibt sich zwar ein größeres Gewicht hinsichtlich der Stellung im Zielgefüge. So ist bzgl. der brandenburgischen Verfassung durchaus ein „gewisses Übergewicht auf der konsumptiv-sozialen Seite“131 zu konstatieren. Die Staatszielbestimmungen der anderen Bereiche (etwa der Umwelt- oder Minderheitenschutz) werden trotz der Vielzahl einzelprogrammatischer Zielvorgaben aber nicht absolut vom Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf überragt.

___________ 127

So für die Zielverwirklichung durch den Gesetzgeber Sommermann, Staatsziele,

S. 414. 128 Dies bedeutet freilich nicht, dass eine spezielle Staatszielbestimmung pauschalen Vorrang vor dem abstrakten „Oberziel“ hätte: Eine absolute Vorrangrelation zwischen Staatszielbestimmungen ist ausgeschlossen, s. oben unter A. II. 3. u. A. III. 3. a). 129 Vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 124, der bzgl. Art. 101 BbgVerf eine Akzentverschiebung zu Gunsten des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen konstatiert. 130 Ebenso Sommermann, Staatsziele, S. 414: Der Forderung nach einer gesetzlichen Pflegeversicherung komme im Verhältnis zu anderen Staatszielen (etwa dem des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts) größeres Gewicht zu, wenn man neben einer allgemeinen Sozialstaatsklausel auf ein „spezielles Staatsziel über die Förderung alter Menschen und ihre Fürsorge im Alter“ rekurrieren könne. 131 v. Mangoldt, Verfassungen, S. 91.

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

Es bleibt daher festzuhalten, dass spezielle Staatszielbestimmungen unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge größeres Gewicht haben als die abstrakten Zielvorgaben. Folglich bleibt es nicht ohne Bedeutung für die Auflösung von Zielkonkurrenzen, dass sich die Zuordnung zu diesem Aspekt im Grundgesetz und in der brandenburgischen Verfassung als durchgängig unterschiedlich erweist.132

6. Flankierung durch subjektive Rechte und Abstützung im Zuge der Grundrechtsschranken Einen hervorgehobenen Platz im Zielgefüge nehmen auch diejenigen Staatszielbestimmungen ein, die durch subjektive Rechte flankiert sind bzw. deren Materie zugleich von einem Grundrecht erfasst ist. Dies ergibt sich daraus, dass die Grundrechte (auch) eine objektiv-rechtliche Dimension besitzen, und dass dieser Dimension zunehmend Schutzpflichten des Staates für Rechtsgüter der Bürger entnommen werden.133 In Anbetracht dieser Schutzpflichten ist eine Staatszielbestimmung, die eine Materie aufgreift, der zugleich eine Grundrechtsverbürgung gewidmet ist, in ihrer Stellung im Zielgefüge gestärkt. So kommt der Gleichstellung der Geschlechter i. S. des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, die etwa vom speziellen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG flankiert wird, größeres Gewicht zu als bspw. dem Tierschutz (Art. 20 a GG), der keine entsprechende Hervorhebung erfahren hat. Ebenso ist die Staatszielbestimmung „Schutz der Natur und Umwelt“ i. S. des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf infolge ihrer Flankierung durch das Grundrecht auf Schutz vor unzumutbaren Gefährdungen aufgrund von Veränderungen der natürlichen Umwelt (Art. 39 Abs. 2 BbgVerf) stärker zu gewichten als etwa die in der Präambel der brandenburgischen Verfassung verankerte „Eine Welt“. Die Unterschiede zwischen Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung hinsichtlich der Zuordnung zur „Flankierung durch subjektive Rechte“ wirken sich folglich durchaus bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen aus.134 Ebenso ist einer Staatszielbestimmung, die eine ausdrückliche Abstützung im Rahmen der Grundrechtsschranken gefunden hat, größeres Gewicht im Zielgefüge beizumessen als einer Zielvorgabe, die nicht solchermaßen abgestützt ist. Ihre normative Verstärkung ergibt sich aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte und den daraus resultierenden Schutzpflichten des Staates für Rechtsgüter der Bürger. Unter diesem Aspekt nimmt etwa der Schutz der Natur und Umwelt i. S. des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf einen hervorgehobenen Platz im ___________ 132 133 134

Bestandsaufnahme dieser Divergenzen im 6. Kap. unter C. III. 2. b) ff). Dazu 2. Kap. unter A. II. 3. Zusammenstellung dieser Divergenzen im 6. Kap. unter C. III. 2. b) gg).

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge

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Zielgefüge ein:135 Forschungen unterliegen nach Art. 31 Abs. 2 BbgVerf, der Schranke für die Forschungsfreiheit (Art. 31 Abs. 1 BbgVerf), u.a. gesetzlichen Beschränkungen, „wenn sie geeignet sind, [...] die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören“. Für die Auflösung von Zielkonkurrenzen ist es folglich nicht ohne Bedeutung, dass auf Seiten der brandenburgischen Verfassung (im Gegensatz zum Grundgesetz) einige Staatszielbestimmungen in den Grundrechtsschranken abgestützt sind.

7. Kombination mit einer Grundpflicht und Abstützung im Rahmen der Erziehungsziele Keine Auswirkung auf die Gewichtung der Staatszielbestimmungen hat es, wenn eine Zielvorgabe auch an die Gesellschaft bzw. an alle Menschen gerichtet ist.136 So ist etwa eine Staatszielbestimmung, die mit einer Grundpflicht kombiniert ist, im Zielgefüge nicht anders zu gewichten als eine solche, die nicht zugleich alle Menschen in die Verpflichtung einbezieht. Dies ergibt sich daraus, dass es einer einfachgesetzlichen Konkretisierung der Pflichten bedarf, die dem Einzelnen auf diese Weise auferlegt werden: Die betreffenden Zielvorgaben sind zu unbestimmt formuliert bzw. nicht hinreichend konkret, um eine unmittelbar wirksame Verhaltenspflicht für die Bürger zu statuieren.137 Dementsprechend resultiert daraus, dass eine Staatszielbestimmung (auch) die Gesellschaft oder den Einzelnen verpflichtet, kein erhöhtes Gewicht im Gesamt der Zielvorgaben. So kommt etwa Art. 39 Abs. 1 BbgVerf, der den Schutz der Natur, der Umwelt und der gewachsenen Kulturlandschaft (auch) als die Pflicht „aller Menschen“ bezeichnet, im landesverfassungsrechtlichen Zielgefüge kein anderer Stellenwert zu als denjenigen Zielvorgaben, die nicht mit einer Grundpflicht kombiniert sind.138 Es hat folglich keine Auswirkungen bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen, dass die brandenburgische Verfassung (anders als das Grundgesetz) auch Staatszielbestimmungen enthält, die an die Gesellschaft bzw. an alle Menschen gerichtet sind.

___________ 135

Eingehend zu denjenigen Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung, die ausdrücklich im Rahmen der Grundrechtsschranken abgestützt sind, 6. Kap. unter C. III. 1. b). 136 Krit. zur Einbeziehung der Gesellschaft Herdegen, FamRZ 1993, S. 374 (381); zur Frage, ob und inwieweit die Gesellschaft oder der Einzelne Adressaten einer Staatszielbestimmung sein können, 2. Kap. unter A. III. 4. 137 Missverständlich Will, NJ 1995, S. 626 (629): Art. 39 Abs. 1 BbgVerf „ist nicht nur eine Staatszielbestimmung, sondern zugleich eine Inpflichtnahme aller Bürger“. 138 Zusammenstellung der Staatszielbestimmungen, die in der brandenburgischen Verfassung mit einer Grundpflicht kombiniert sind, im 6. Kap. unter C. III. 1. b).

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7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

Gleiches gilt für die Zielvorgaben, die eine Abstützung durch die Erwähnung der von ihnen aufgegriffenen Materien in den Erziehungszielen erfahren haben. Die Bedeutung dieses systematischen Aspekts erschöpft sich schlichtweg darin, dass die betreffende Zielstellung bei der Organisation und der Erziehung im Rahmen der Schulpflicht zu berücksichtigen ist.139 Eine Staatszielbestimmung nimmt daher keinen hervorgehobenen Platz im Zielgefüge ein, wenn sie (wie etwa das Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf) in den landesverfassungsrechtlichen Erziehungszielen (Art. 28 BbgVerf) erwähnt ist. Es wirkt sich demnach nicht bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen aus, dass einige Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung solchermaßen abgestützt sind, während das Grundgesetz keine Erziehungsziele enthält.140

8. Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. mit einem Gesetzesvorbehalt Schließlich nimmt auch eine Zielvorgabe, deren Verwirklichung unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung steht, keinen hervorgehobenen Platz im Zielgefüge ein. Eine solche Klausel hat insoweit keine Auswirkung auf die Gewichtung der Staatszielbestimmungen. Die entsprechende Verknüpfung steht zwar einer (an anderen Verfassungsnormen gemessenen) Überbetonung des betreffenden Gegenstands entgegen. Diese prinzipielle Gleichordnung hat aber lediglich deklaratorischen Gehalt.141 Es ergibt sich bereits aus dem Prinzip der Einheit der Verfassung, dass ein Ausgleich etwa mit den übrigen Staatszielbestimmungen zu erfolgen hat, selbst wenn eine solche Formulierung fehlt. Ebenso wenig wirkt es sich auf die Gewichtung der Zielvorgaben bzgl. der Stellung im Zielgefüge aus, wenn die Zielverwirklichung unter einen Gesetzesvorbehalt gestellt ist. Die Verknüpfung mit einem solchen Vorbehalt hat ausschließlich deklaratorische Bedeutung. Es handelt sich lediglich um den Auftrag zum Erlass eines Gesetzes, und eine jede Staatszielbestimmung verlangt ein

___________ 139

Zum Gehalt von Erziehungszielen 2. Kap. unter A. II. 8. c). Bestandsaufnahme dieser Divergenzen im 6. Kap. unter C. III. 1. b). 141 s. Graf Vitzthum, GS Grabitz, S. 819 (844); ebenso (bzgl. Art. 20 a GG) Birkedal, Implementation, S. 63; Berg, FS Stern, S. 421 (433); vgl. BVerwG NJW 1995, S. 2648 (2649); missverständlich Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Art. 3 a Rn. 5: „Mit der Bindung der Gesetzgebung an den ‚Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung’ ist dem Staatsziel Umweltschutz nicht die Stellung eines übergeordneten Prinzips eingeräumt worden, sondern es muss sich unter Absage an einen ökologischen Fundamentalismus in das grundgesetzliche Gefüge, in die Gesamtheit der Normen des Grundgesetzes einfügen“. 140

B. Konsequenzen der Unterschiede im Zielgefüge

413

Handeln des Gesetzgebers.142 Dieses Verständnis eines Gesetzesvorbehalts als Gesetzgebungsauftrag entspricht dessen Bedeutung außerhalb der Grundrechtsdogmatik.143 Nach der Gegenauffassung soll der Umfang des gesetzgeberischen Spielraums bei der Zielverwirklichung erweitert sein, wenn eine Staatszielbestimmung mit einem (ausdrücklich formulierten, ggf. qualifizierten) Gesetzesvorbehalt verknüpft ist.144 Während der Gesetzgeber nach diesem Ansatz bei denjenigen Zielvorgaben, die nicht unter einem solchen Vorbehalt stehen, „Verkürzungen und Einschränkungen dann vornehmen kann, wenn und soweit verfassungsimmanente Schranken bestehen“,145 werde sein Gestaltungsspielraum durch einen entsprechenden Vorbehalt noch einmal erweitert.146 Dieser an die Grundrechtsdogmatik angelehnte Ansatz greift zu kurz. Ihm steht entgegen, dass es sich bei den Staatszielbestimmungen um konkretisierungsbedürftige Vorgaben handelt, die durch die Legislative überhaupt erst umsetzbar sind bzw. erst durch diese umgesetzt werden, wohingegen sich einfachgesetzliche Regelungen mit Blick auf die Grundrechte primär als Beschränkung der betreffenden Freiheitsverbürgungen auswirken.147 Es handelt sich bei der Verknüpfung mit einem Gesetzesvorbehalt demnach um eine lediglich deklaratorische Betonung der Bedeutung der Gesetze für die Verwirklichung der betreffenden Zielvorgabe. Die Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. mit einem Gesetzesvorbehalt hat demnach keine Folgen für die Gewichtung der Staatszielbestimmungen.148 So kommt etwa dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20 a GG) im Zielgefüge des Grundgesetzes kein anderer Stellenwert zu als denjenigen Zielvorgaben, die keine solche Ausgestaltung aufweisen. Auf der ___________ 142

s. Müller-Bromley, Staatszielbestimmung, S. 137 ff.; Plecher-Hochstraßer, Zielbestimmungen, S. 100; Graf Vitzthum, GS Grabitz, S. 819 (844); näher im 2. Kap. unter A. III. 2. 143 Als entsprechende Vorbehalte seien genannt Artt. 21 Abs. 3, 26 Abs. 2 S. 2 sowie Art. 38 Abs. 3 GG. – Daneben kommt den Gesetzesvorbehalten ggf. Bedeutung für die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zu (etwa: „Bundesgesetz“). 144 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 169. 145 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 171. 146 Daraus soll freilich nicht folgen, dass die betreffende Staatszielbestimmung in vollem Umfang zur Disposition des Gesetzgebers gestellt ist, s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 169 f., Badura, ThürVBl. 1992, S. 73 (77). – Ebenso wie ein Grundrecht infolge eines Gesetzesvorbehalts nicht zur freien Disposition des Gesetzgebers steht, besteht nach dieser Argumentation bei einer Staatszielbestimmung nicht die Gefahr, dass ein Regelungsvorbehalt zu einem Freibrief für den Gesetzgeber führt; so aber Murswiek, ZRP 1988, S. 14 (18). 147 Die Grundrechte bedürfen (jedenfalls in ihrer Mehrzahl) keiner einfachgesetzlichen Ausgestaltung, um verwirklicht zu werden. 148 Nichts anderes gilt, wenn man jenem grundrechtsdogmatisch orientierten Ansatz folgen sollte. Ein weiterer Spielraum des Gesetzgebers kann insoweit keine andere Bedeutung haben als bzgl. des Vorhandenseins von Qualifizierungen (oben unter B. II. 4.).

414

7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

Ebene der Landesverfassung gilt Gleiches bspw. für das „Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebiets“ (Art. 25 Abs. 1 BbgVerf). Die Unterschiede zwischen Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung hinsichtlich jener Verknüpfung wirken sich daher nicht bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen aus.149

III. Zusammenfassung

Die Divergenzen im Zielgefüge von Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung wirken sich keineswegs durchgängig auf die Gewichtung der Staatszielbestimmungen aus. Es hängt vielmehr von den einzelnen Instrumentarien der Zuweisung des Platzes im Zielgefüge ab, ob eine Staatszielbestimmung im Vergleich zu den mit ihr konkurrierenden Zielvorgaben eine hervorgehobene Stellung in jenem Gefüge einnimmt oder nicht. Die grammatischen Aspekte sind nahezu allesamt nicht gewichtungsrelevant. Ihnen lässt sich ganz überwiegend keine Hervorhebung entnehmen. Einzig die Formulierung als „besonderer“ Schutzauftrag hat zur Folge, dass die betreffende Zielvorgabe hinsichtlich der Stellung im Zielgefüge stärker zu gewichten ist als die mit ihr konkurrierenden Staatszielbestimmungen. Mit Blick auf die systematischen Aspekte ergibt sich ein anderes Bild. Auch diese führen zwar bei weitem nicht alle zu einer unterschiedlichen Gewichtung unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge. Es sind aber immerhin fünf dieser (insgesamt zwölf) Aspekte – nahezu die Hälfte – gewichtungsrelevant. Es handelt sich neben der Verankerung in den Staatsstrukturprinzipien, der zusätzlichen Aufnahme in die Präambel und der Einordnung als spezielle Staatszielbestimmung um die Flankierung durch subjektive Rechte sowie um die Abstützung in den Grundrechtsschranken. Die Anzahl der Gesichtspunkte, die gewichtungsrelevant sind und sich dementsprechend bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen auswirken, fällt bei den systematischen Aspekten also deutlich höher aus als bei jenen grammatischen.

C. Fazit Keineswegs alle Divergenzen zwischen dem Zielgefüge des Grundgesetzes und demjenigen der brandenburgischen Verfassung haben Auswirkungen auf die Auflösung von Zielkonkurrenzen. Solche Konkurrenzen können lediglich nach dem Grundsatz des schonendsten Ausgleichs aufgelöst werden, d. h. in je___________ 149

Bestandsaufnahme dieser Divergenzen im 6. Kap. unter C. III. 1. b).

C. Fazit

415

dem Einzelfall hat nach dem Grundatz der praktischen Konkordanz eine gesonderte Entscheidung zu erfolgen. Als Kriterien für die erforderliche Gewichtung sind zum einen die Stellung der Staatszielbestimmungen im Gesamt der konkurrierenden Zielvorgaben zu nennen, zum anderen das Ausmaß ihrer Betroffenheit im konkreten Fall. Hinsichtlich jener Stellung im Zielgefüge hängt es von den einzelnen Aspekten der Zuweisung des Platzes in diesem Gefüge ab, ob eine Staatszielbestimmung im Vergleich zu den mit ihr konkurrierenden Zielvorgaben eine hervorgehobene Position einnimmt oder nicht. Einige der Divergenzen, die das Zielgefüge des Grundgesetzes und dasjenige der brandenburgischen Verfassung aufweisen, haben daher eine unterschiedliche Gewichtung zur Folge. Eine Staatszielbestimmung kann etwa im Zielgefüge der einen Verfassung einen anderen Stellenwert haben als ihre Parallelvorgabe im Zielgefüge der anderen Verfassung. So ist der Gleichstellung der Geschlechter i. S. des Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf infolge der Hervorhebung des Kinderschutzes durch Art. 27 Abs. 3 S. 1 BbgVerf geringeres Gewicht beizumessen als der entsprechenden Vorgabe auf gesamtstaatlicher Ebene. Diese landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung „Kinderschutz“ ist als „besonderer“ Schutzauftrag formuliert, während das Grundgesetz keine solchermaßen hervorgehobene Zielvorgabe kennt. Die Rangordnung zwischen konkurrierenden Staatszielbestimmungen ist in keinem Fall bereits verfassungsrechtlich entschieden. Sie muss vielmehr politisch festgelegt werden. Wegen des Prinzipiencharakters dieser Zielvorgaben besteht kein pauschaler Vorrang der einen vor einer anderen. Ob also Leistungen im Bildungsbereich vor der Sportförderung rangieren, oder ob die BaulandAusweisung zwecks Umsetzung der Staatszielbestimmung „Wohnraum“ dem Umweltschutz vorgeht: Dies ist nicht bereits verfassungsrechtlich entschieden, sondern in jedem Einzelfall stets aufs Neue durch Gewichtung zu klären. Als Beitrag zur Überprüfung der gefundenen Gewichtung bietet sich zunächst ein Rückgriff auf die Evidenztheorie an, die das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die grundrechtlichen Schutzpflichten entwickelt hat. Dieser Theorie zufolge verlässt der Gesetzgeber seinen grundsätzlichen Gestaltungsrahmen, wenn er seine Schutzpflicht „evident“ verletzt.150 Ein genaueres Ergebnis erlaubt die dem Planungsrecht entstammende Abwägungsfehlerlehre.151 Die Erfolgsaussichten entsprechender Verfahren sind freilich eher gering. Dies folgt zum einen aus der weitgehenden Einschätzungsprärogative, über welche der Gesetzgeber idealtypisch mit Blick darauf verfügt, in welcher Weise (etwa mit welchen Mitteln) und zu welchem Zeitpunkt er die ihm durch Staatszielbestim___________ 150

Zur Evidenztheorie 2. Kap. unter A. IV. 2. a). Zur Abwägungsfehlerlehre etwa BVerwGE 85, 155 (156 ff.); Hoppe, in: ders. u.a., Baurecht, § 5 Rn. 94 ff.; Krebs, in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 4. Kap. Rn. 107 ff.; beide m.w.N. 151

416

7. Kap.: Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge

mungen eingeschärften Staatsaufgaben erfüllt.152 Zum anderen werden die Konstellationen, in denen ein Abwägungsfehler zu konstatieren ist, wohl nicht allzu häufig sein.153 Dementsprechend reduziert fällt die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte hinsichtlich der Auflösung von Zielkonkurrenzen aus.

___________ 152

Vgl. 2. Kap. unter A. IV. 2. Vgl. Schuppert, Grenzen, S. 56 f., der für „mehrdimensionale Freiheitsprobleme“ konstatiert, dass die Verfassung „dort am vieldeutigsten sich gibt, wo es um Ziele oder Werte und ihre Kollisionen geht“; vgl. Zivier, BerlVerf, § 35.2.6.2: „nur im Extremfall nachprüfbar, ob ein Staatsziel in unerträglicher Weise benachteiligt oder vernachlässigt wird“. 153

8. Kapitel

Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen In welchem Umfang besitzen die überschießenden Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes bzw. der brandenburgischen Verfassung normative Steuerungskraft?1 Wie wirken sie sich auf Ansehen und Akzeptanz der Verfassung aus? Nach Klärung dieser Fragen rückt die Funktionentektonik in den Blick, bevor weitere Auswirkungen (etwa auf die Grundrechte) erörtert werden.

A. Normative Steuerungskraft Aufgrund ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit müssen die Staatszielbestimmungen vom zuständigen Normgeber konkretisiert werden. Erst durch Umsetzung in das einfachgesetzliche Recht entfalten sie volle Wirksamkeit.2 Da die erforderliche Kompetenz für solche Regelungen nicht den Zielvorgaben selbst zu entnehmen ist,3 kommt es auch bei den überschießenden Staatszielbestimmungen darauf an, ob bzw. inwiefern die Artt. 70 ff. GG Konkretisierungen zulassen.4

___________ 1

In Umkehrung der Reihenfolge des Überblicks über die Zieldivergenzen (6. Kap.) werden die Folgen überschießender Staatszielbestimmungen vor denjenigen der Zielkollisionen beleuchtet. Dies hat darstellungstechnische Gründe; dazu 9. Kap. vor A., Fn. 2. – Die Analyse erfolgt erneut am Beispiel von Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung: Die überschießenden Zielvorgaben der anderen Referenzverfassungen sind weniger zahlreich und komplex als die der brandenburgischen, s. 6. Kap. unter B. IV. 2 Dazu, dass das Gepräge eines Staates nicht nur aus den materiellen Staatszielbestimmungen resultiert, sondern u.a. aus der Art und Weise der Zielverwirklichung, Bull, Staatsaufgaben, S. 84 f. 3 Eine Staatszielbestimmung enthält lediglich einen Auftrag für staatliches Handeln, keine Ermächtigung, s. 2. Kap. unter A. II. 6. – Es hat nurmehr deklaratorische Bedeutung, wenn etwa die thüringer Verfassung durch Art. 43 die Verwirklichung ihrer Staatszielbestimmungen unter den Vorbehalt der Zuständigkeit des Freistaats stellt. 4 Insoweit interessiert allein die Kompetenzfrage i. S. der Artt. 70 ff. GG. Die Grundrechte sind demgegenüber ohne Bedeutung: Es geht darum, ob etwa das Land überhaupt tätig werden kann, nicht darum, welche Grenzen dabei zu wahren sind.

418

8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen I. Bereich Soziales

1. Arbeit Das Land Brandenburg verfügt lediglich insoweit über die Zuständigkeit zur Umsetzung der Staatszielbestimmung „Arbeit“ (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf) in das einfachgesetzliche Recht, als und soweit der Bund von seinen weitreichenden Kompetenzen keinen Gebrauch gemacht hat. Letzteres ist umfassend geschehen. Das Wirtschafts- und das Arbeitsrecht sind nahezu abschließend bundesrechtlich geregelt: Der Bund hat seine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 u. 12 i.V.m. Art. 72 GG) vollständig ausgeschöpft.5 Entsprechende Bestimmungen, die der Schaffung bzw. Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen, finden sich nicht nur im Teilzeit- und Befristungs-6 sowie im Investitionszulagengesetz,7 sondern auch im Arbeitszeitgesetz,8 im Teilzeit- und Befristungsgesetz sowie im Mitbestimmungsgesetz.9 Regelungen mit Bezug zum Arbeitsvertragsrecht enthalten v. a. das Bürgerliche Gesetzbuch,10 das Handelsgesetzbuch,11 die Gewerbeordnung,12 das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, das Bundesurlaubsgesetz,13 das Betriebsverfassungs-14 und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz15 sowie schließlich das Kün___________ 5 Bundesrechtliche Regelungen auf dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung lassen kein wirksames (einfachgesetzliches) Landesrecht entstehen; Ausnahme: Abweichungsgesetzgebung der Länder; dazu 4. Kap. unter B. III. 1. a) aa). – Bis zur Föderalismusreform 2006 verfügte der Bund über die Zuständigkeit für das gesamte Recht der Wirtschaft. Seitdem fallen einige Materien mit regionalem Bezug (das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte) in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG). Die insoweit existierenden bundesgesetzlichen Regelungen gelten als Bundesrecht fort (Art. 125 a Abs. 1 S. 1 GG), können aber, ohne Ermächtigung seitens des Bundes, durch Landesrecht ersetzt werden (Art. 125 a Abs. 1 S. 2 GG). Dazu wie auch zur Frage, ob der Bund für solchermaßen fortgeltendes Recht über eine Anpassungskompetenz verfügt, Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 125 a Rn. 4 ff. 6 Sein vollständiger Titel lautet: „Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge“ v. 21.12.2000 (BGBl. I, S. 1966). 7 Investitionszulagengesetz v. 23.2.2007 (BGBl. I, S. 282). 8 ArbZG v. 6.6.1994 (BGBl. I, S. 1170). 9 MitbestG v. 4.5.1976 (BGBl. I, S. 1153). 10 BGB i.d.F. der Bek. v. 2.1.2002 (BGBl. I, S. 42, ber. S. 2909 und BGBl. 2003 I, S. 738). 11 HGB v. 10.5.1897 (RGBl. I, S. 219). 12 GeWO i.d.F. der Bek. v. 22.2.1999 (BGBl. I, S. 202). 13 BUrlG v. 8.1.1963 (BGBl. I, S. 2). 14 BetrVG i.d.F. der Bek. v. 25.9.2001 (BGBl. I, S. 2518). 15 Näher zur umfassenden arbeitsrechtlichen Kompetenz des Bundes etwa Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 135 Rn. 235 ff.

A. Normative Steuerungskraft

419

digungsschutzgesetz.16 Weitreichende Vorgaben zur Arbeitssicherheit finden sich im Geräte- und Produktsicherheitsgesetz,17 im „Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit“18 und im Arbeitsschutzgesetz.19 Von Bedeutung sind daneben das Siebte und Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs,20 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz,21 das Heimarbeitsgesetz,22 das Bundes-Immissionsschutzgesetz,23 das Jugendarbeitsschutzgesetz24 und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz25 sowie wiederum das Arbeitszeitgesetz.26 Ebenso hat der Bund von seiner Zuständigkeit für die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) und den Bereich der Ausbildungsbeihilfen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG) umfassend Gebrauch gemacht. In § 1 Abs. 1 S. 1 SGB I27 findet sich die Zielsetzung, „den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen“. Mit dem Dritten Buch des Sozialgesetzbuchs, das der Arbeitsförderung gewidmet ist, hat der Bund die Arbeitsvermitt___________ 16 KSchG i.d.F. der Bek. v. 25.8.1969 (BGBl. I, S. 1317). – Neben den allgemeinen Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Kündigungen, die im Bürgerlichen Gesetzbuch und im Kündigungsschutzgesetz geregelt sind, gibt es für sozial Benachteiligte einen besonderen Kündigungsschutz, und zwar durch Kündigungsverbote wie § 22 BBiG v. 23.3.2005 (BGBl. I, S. 931) sowie § 9 MuSchG i.d.F. der Bek. v. 20.6.2002 (BGBl. I, S. 2318). 17 Sein Titel lautet vollständig: „Gesetz über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte“ v. 6.1.2004 (BGBl. I, S. 2, ber. S. 219). – Vgl. auch § 618 BGB. 18 Gesetz v. 12.12.1973 (BGBl. I, S. 1885). 19 Sein Titel lautet vollständig: „Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit“ v. 7.8.1996 (BGBl. I, S. 1246). 20 Das SGB VII v. 7.8.1996 (BGBl. I, S. 1254) regelt die Gesetzliche Unfallversicherung, das SGB IX v. 19.6.2001 (BGBl. I, S. 1046) die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. 21 AÜG i.d.F. der Bek. v. 3.2.1995 (BGBl. I, S. 158). 22 Heimarbeitsgesetz v. 14.3.1951 (BGBl. I, S. 191). 23 BImSchG i.d.F. der Bek. v. 26.9.2002 (BGBl. I, S. 3830). 24 JArbSchG v. 12.4.1976 (BGBl. I, S. 965). 25 Gesetz v. 14.8.2006 (BGBl. I, S. 1897). – Bis 17.8.2006 war insoweit das „Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz“ v. 24.6.1994 (BGBl. I, S. 1406, ber. S. 1412) zu beachten. 26 Diese Regelungen des Bundes sind freilich kaum mehr ohne gemeinschaftsrechtliche Determinierung erfolgt: Die fortschreitende Integration Europas unterwirft insbesondere die mitgliedstaatlichen Wirtschaftsordnungen zunehmend gemeinschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen. So hat etwa die RL 89/391/EWG „über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit“ v. 12.6.1989 (ABl. L 183, S. 1) weitreichende Bedeutung für die Arbeitssicherheit. 27 SGB I v. 11.12.1975 (BGBl. I, S. 3015).

420

8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

lung, Berufsberatung und -ausbildung28 sowie berufliche Wiedereingliederung geregelt.29 Bestimmungen zu Umschulung, beruflicher Weiterbildung und Unterhalt für den Fall, dass eine angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, enthält neben jenem Dritten auch das Zwölfte Buch des Sozialgesetzbuchs.30 Die normative Steuerungskraft des Art. 48 Abs. 1 BbgVerf fällt mithin äußerst gering aus, da der Landesgesetzgeber kaum für die Umsetzung zuständig ist.31 Mangels entsprechender Kompetenzen kann das Land keine Politik der Vollbeschäftigung betreiben.32 Bereits eine Politik des hohen Beschäftigungsstandes ist allenfalls begrenzt möglich. Ebenso wenig kann Brandenburg seiner Verpflichtung, „arbeitsmarktpolitisch wirksam“ zu werden,33 durch einen besonderen Kündigungsschutz für Auszubildende, Schwangere, Alleinerziehende, Kranke, Behinderte und ältere Arbeitnehmer gerecht werden.34 Gleiches gilt für Regelungen hinsichtlich sicherer, gesunder und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen, Berufsberatung und Arbeitsvermittlung sowie bzgl. des Unterhalts, wenn keine angemessene Arbeitsgelegenheit nachgewiesen werden kann.35 Was

___________ 28

Bzgl. der Berufsausbildung s. auch das Berufsbildungsgesetz (BBiG v. 23.3.2005 [BGBl. I, S. 931]). 29 SGB III v. 24.3.1997 (BGBl. I, S. 594). 30 SGB XII v. 27.12.2003 (BGBl. I, S. 3022). 31 s. Berlit, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 9 Rn. 11; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 70; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 92; Graf Vitzthum, ZfA 22 (1991), S. 695 (706 ff.); Zielke, RdA 1992, S. 185 (188 f.); ebenso (mit Blick auf Art. 28 Abs. 2 HessVerf) Barwinski, in: Zinn/Stein, HessVerf, Anm. 2 zu Art. 28; (bzgl. Art. 24 NRWVerf) Dästner, NRWVerf, Art. 24 Rn. 1, und Dickersbach, in: Geller u.a., NRWVerf, Anm. 3 d zu Art. 24. Vgl. bereits Lange, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 49 (60); Badura, Staat 14 (1975), S. 17 (28). 32 s. Starck, Verfassungen, S. 44; vgl. Dietlein, Grundrechte, S. 139: Der Bund verfüge über das verfassungsrechtliche Mandat zur Verwirklichung der Zielvorgabe „Vollbeschäftigung“. 33 Ebenso zur Zielvorgabe „Arbeit“ i. S. des Art. 7 Abs. 1 SächsVerf Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 7 Rn. 9; vgl. Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 11: Die Staatszielbestimmung „Arbeit“ fordere eine aktive und vorausschauende Arbeitsmarktpolitik. 34 Art. 48 Abs. 4 BbgVerf, der sozial Schwächeren besonderen Kündigungsschutz in Aussicht stellt, ist nicht umsetzbar. Die soeben erwähnten bundesrechtlichen Vorschriften zum Kündigungsschutz sind abschließend, s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 72. 35 Gleichwohl wird immer wieder angenommen, Art. 48 Abs. 2 BbgVerf könne umgesetzt werden. So leitet etwa Simon, in: ders. u.a., HdbBbgVerf, § 4 Rn. 13, die Wirksamkeit der Zielvorgabe „Arbeit“ gerade aus flankierenden Maßnahmen wie Arbeitsvermittlung und Berufsberatung ab.

A. Normative Steuerungskraft

421

bleibt, ist etwa die Möglichkeit, landesrechtliche Regelungen zur Arbeitnehmerweiterbildung zu erlassen.36

2. Wohnraum Auch die Möglichkeiten des Landesgesetzgebers zur Konkretisierung der Staatszielbestimmung „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) sind sehr begrenzt.37 Wiederum sind nahezu alle relevanten Bereiche bundesrechtlich geregelt.38 Allerdings fallen das Siedlungs- und Heimstättenwesen sowie die soziale Wohnraumförderung seit der Föderalismusreform 2006 grundsätzlich in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder (mit Ausnahme etwa des Wohngeld- und des Wohnungsbauprämienrechts, wofür der Bund nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG weiterhin über die konkurrierende Zuständigkeit verfügt).39 Bundesgesetze, die jene den Ländern zugeordneten Bereiche regeln, können durch Landesrecht ersetzt werden, und zwar gem. Art. 125 a Abs. 1 S. 2 GG ohne Ermächtigung seitens des Bundes.40 Der Bund hat neben dem Wohnungsbindungsgesetz,41 das die Wohnberechtigung im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau regelt, und dem „Gesetz über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen“42 das ___________ 36 Näher dazu (mit Blick auf die „Förderung der Weiterbildung von Erwachsenen“ i. S. des Art. 33 Abs. 1 S. 1 BbgVerf) unten unter B. II. 3. – Ebenso kann das Land versuchen, durch Investitionsförderung bestehende Arbeitsplätze zu sichern bzw. weitere zu schaffen; dazu bzgl. der regionalen Wirtschaftsförderung i. S. des Art. 44 BbgVerf unten unter B. IV. 2. 37 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 73; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 96; ebenso zur Staatszielbestimmung „Wohnraum“ i. S. des Art. 7 Abs. 1 SächsVerf Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 12. 38 Dies gilt unbeschadet dessen, dass „Wohnung“ i. S. des Art. 47 Abs. 1 BbgVerf nach Sinn und Zweck dieser Staatszielbestimmung nicht derart weit zu fassen ist wie der entsprechende Begriff in Art. 15 Abs. 1 BbgVerf. Der Schutzbereich des Grundrechts bezieht sich auch auf Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume, da der Lebensbereich des Einzelnen umfassend gegen staatliches Eindringen geschützt werden muss. Dem entspricht es, dass Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume auch unter „Wohnung“ i. S. des Art. 13 GG fallen; st. Rspr.; BVerfGE 32, 54 (68 ff.); 96, 44 (51). 39 Bis zur Föderalismusreform 2006 verfügte der Bund über die Gesetzgebungszuständigkeit für das gesamte Wohnungswesen einschließlich der sozialen Wohnraumförderung sowie des Siedlungs- und Heimstättenwesens. Näher Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 81 f. m.w.N. 40 Im Einzelnen dazu wie auch zur Frage, ob der Bund über eine Anpassungskompetenz hinsichtlich fortgeltenden Bundesrechts nach Art. 125 a Abs. 1 GG verfügt, Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 125 a Rn. 4 ff. 41 WoBindG i.d.F. der Bek. v. 13.9.2001 (BGBl. I, S. 2404). 42 AFWoG i.d.F. der Bek. v. 13.9.2001 (BGBl. I, S. 2414). – Für die neuen Länder war zwischenzeitlich darüber hinaus das „Gesetz über die Gewährleistung von Bele-

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Wohnraumförderungsgesetz,43 das Wohnungsbau-Prämiengesetz44 und das Wohngeldgesetz45 erlassen. Hinsichtlich des sozialen Mietrechts, das zum „bürgerlichen Recht“ i. S. des Art. 74 Abs. 1 Nr 1 GG rechnet, hat der Bund seine Kompetenzen ebenso umfassend ausgeübt. Der Mieterschutz etwa ist durch §§ 563 ff. BGB46 abschließend geregelt, während sich eingehende Bestimmungen zum Schutz vor der Räumung einer Wohnung bspw. in §§ 885, 721 und 765 a ZPO47 finden und Vorschriften bzgl. der Miethöhe im Gesetz zur Ren beckgelung der Miethöhe.48 Zudem gewährt § 7 SGB I49 unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf einen Zuschuss zur Miete, und § 22 SGB II50 regelt die Leistungen für Unterkunft und Heizung.51 Schließlich sei darauf hingewiesen, dass der Topos „angemessener Wohnraum“ auch bauplanungsrechtliche Relevanz hat. So müssen nach § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB52 bei der Aufstellung der Bauleitpläne insbesondere die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund fällt die normative Steuerungskraft des Art. 47 Abs. 1 BbgVerf trotz der Veränderungen durch die Föderalismusreform 2006 recht gering aus.53 Der Landesgesetzgeber hat allenfalls die Möglichkeit, ein ___________ gungsrechten im kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungswesen“ v. 22.7.1990 (DDR-GBl. I, S. 894) zu beachten. 43 „Gesetz über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsgesetz)“ vom 13.9.2001 (BGBl. I, S. 2376). Zielgruppe dieser Förderung sind die Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind; sie werden bei der Versorgung mit Mietwohnraum und der Bildung von selbst genutztem Wohneigentum unterstützt (§ 1 Abs. 1, 2 WoFG). Hierbei wirken Länder, Gemeinden und Gemeindeverbänden zusammen, s. § 3 Abs. 1 WoFG. – Mit Wirkung v. 1.1.2002 aufgehoben wurde das Wohnungsbau- und Familienheimgesetz (II. WoBauG) i.d.F. der Bek. v. 19.8.1994 (BGBl. I, S. 2137). 44 Wohnungsbau-Prämiengesetz i.d.F. der Bek. v. 30.10.1997 (BGBl. I, S. 2678). 45 WoGG i.d.F. der Bek. v. 24.9.2008 (BGBl. I, S. 1856). – Für die neuen Länder galt bis 31.12.2004 zudem das Wohngeldsondergesetz (Gesetz über Sondervorschriften für die vereinfachte Gewährung von Wohngeld in dem in Art. 3 EVertr. genannten Gebiet [Wohngeldsondergesetz] i.d.F. der Bek. v. 16.12.1992 [BGBl. I, S. 2406]). 46 BGB i.d.F. der Bek. v. 2.1.2002 (BGBl. I, S. 42, ber. S. 2909 und BGBl. 2003 I, S. 738). 47 ZPO i.d.F. v. 5.12.2005 (BGBl. I, S. 3202, ber. BGBl. 2006 I, S. 431, ber. BGBl. 2007 I, S. 1781). 48 Gesetz zur Regelung der Miethöhe v. 18.12.1974 (BGBl. I, S. 3603). 49 SGB I v. 11.12.1975 (BGBl. I, S. 3015). 50 SGB II v. 24.12.2003 (BGBl. I, S. 2954). 51 Zu diesen Leistungen im Einzelnen Herold-Tews, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 2 ff. 52 BauGB i.d.F. der Bek. v. 23.9.2004 (BGBl. I, S. 2414), erlassen auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG. 53 Vgl. Berlit, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 9 Rn. 32; zu Art. 7 Abs. 1 SächsVerf Kunzmann, in: ders. u.a., SächsVerf, Art. 7 Rn. 11; zu Art. 17 Abs. 3 M-VVerf Thiele,

A. Normative Steuerungskraft

423

Wohnraumförderungsgesetz zu erlassen und im Haushaltsgesetz Mittel zur Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus bereitzustellen.54 Auch kann er Mietzuschüsse gewähren, die über das bundesrechtlich zu gewährende Wohngeld hinausgehen.55 Eine weitere wohnungspolitische Maßnahme des Landes mag im Abbau administrativer Hemmnisse liegen.56

3. Soziale Sicherung Der Verpflichtung, „für die Verwirklichung des Rechts auf soziale Sicherung bei Krankheit, Unfall, Invalidität, Behinderung, Pflegebedürftigkeit und im Alter zu sorgen“ (Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf), kann der Landesgesetzgeber aus kompetentiellen Gründen ebenfalls kaum nachkommen. Der Bund verfügt zwar nicht über die umfassende Kompetenz zur Regelung der sozialen Sicherheit.57 Er ist jedoch gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG für die Regelung der öffentlichen Fürsorge zuständig;58 ebenso rechnet der Bereich der Sozialversicherung zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes (s. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG). Von beiden Kompetenztiteln hat der Bund umfassend Gebrauch gemacht.59 Grundlegende Bestimmungen finden sich v. a. im Sozialgesetzbuch. Während dessen Erstes Buch60 für alle Sozialleistungsbereiche geltende Vorschriften ___________ in: ders. u.a., M-VVerf, Art. 17 Rn. 6; a.A. v. Mangoldt, Verfassungen, S. 23 f.: kompetentiell keine Möglichkeit der Umsetzung. 54 s. etwa das baden-württembergische „Landesgesetz zur Förderung von Wohnraum und Stabilisierung von Quartierstrukturen (Landeswohnraumförderungsgesetz)“ vom 11.12.2007 (BaWüGBl. S. 581). 55 So zu Art. 15 ThürVerf Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 15 Rn. 15; vgl. Stiens, Chancen, S. 273: wohnungspolitische Maßnahmen in Form von finanziellen Anreizen. 56 Ebenso hinsichtlich Art. 40 Abs. 1 SaAnVerf A. Reich, SaAnVerf, Art. 40 Rn. 1; vgl. zu Art. 63 RhPfVerf Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 63 Rn. 6. – Bei der Verringerung der administrativen Voraussetzungen für die Schaffung von Wohnraum ist freilich das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß rechtsstaatlicher Standards im Genehmigungsverfahren zu wahren, s. mit Blick auf Art. 7 Abs. 1 SächsVerf Degenhart, in: ders./Meissner, HdbSächsVerf, § 6 Rn. 12. 57 Der Bund kann sich auf keinen generellen Kompetenztitel für das Recht der sozialen Sicherheit stützen, s. BVerfGE 11, 105 (111 ff.); 62, 354 (366); Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 74 Rn. 171. 58 Dieser Begriff ist weit auszulegen; er umfasst nicht lediglich die Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen, s. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 135 Rn. 212 ff. m.w.N.. – Das Heimrecht, mit der Föderalismusreform 2006 in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder überführt, fällt nicht mehr unter jenen Kompetenztitel. Dazu Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 37 m.w.N. 59 Bundesrechtlich geregelt sind Sozialversicherung, Unfallversicherung, Krankenversicherung und Krankenversorgung, Pflegeversicherung sowie die Fürsorge für Hilfsbedürftige. 60 SGB I v. 11.12.1975 (BGBl. I, S. 3015).

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

und das Vierte61 die allgemeinen Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts enthält, regeln das Zweite62 die Grundsicherung für Arbeitssuchende, das Fünfte63 das Kranken-, das Sechste64 das Renten- und das Elfte65 das Pflegeversicherungsrecht. Die gesetzliche Unfallversicherung findet sich im Siebten Buch des Sozialgesetzbuchs,66 das Kinder- und Jugendhilferecht im Achten,67 die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen im Neunten68 und das Sozialhilferecht im Zwölften Buch.69 Das Verwaltungsverfahren wiederum ist im Zehnten Buch70 ausgestaltet. Die Bereiche, in denen Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf zur sozialen Sicherung verpflichtet, sind demnach als typische Fälle sozialer Not bereits bundesrechtlich geregelt. Dem Land verbleibt für die Umsetzung dieser Staatszielbestimmung durch einfachgesetzliche materiell-sozialrechtliche Regelungen kaum Raum.71 Eigene Kompetenzen des Landesgesetzgebers bestehen mitunter, wenn er qualitativ über die bundesrechtlich gewährten Leistungen hinausgehen will.72 Auch eine solche „Verbesserung“ von Sozialleistungen ist freilich kompetentiell unzulässig, wenn die bundesrechtlichen Vorschriften abschließenden Charakter haben.73 Der Schwerpunkt des materiellrechtlichen Landessozialrechts dürfte daher wohl in dem Bereich liegen, den der Bund ausgelassen hat, also in der

___________ 61

SGB IV i.d.F. der Bek. v. 23.1.2006 (BGBl. I, S. 86, ber. S. 466). SGB II v. 24.12.2003 (BGBl. I, S. 2954). 63 SGB V v. 20.12.1988 (BGBl. I, S. 2477). 64 SGB VI i.d.F. der Bek. v. 19.2.2002 (BGBl. I, S. 754, ber. S. 1404, 3384). 65 SGB XI v. 26.5.1994 (BGBl. I, S. 1014). 66 SGB VII v. 7.8.1996 (BGBl. I, S. 1254). 67 SGB VIII i.d.F. der Bek. v. 14.12.2006 (BGBl. I, S. 3134). 68 SGB IX v. 19.6.2001 (BGBl. I, S. 1046). 69 SGB XII v. 27.12.2003 (BGBl. I, S. 3022). 70 SGB X i.d.F. der Bek. v. 18.1.2001 (BGBl. I, S. 130). 71 Vgl. Merten, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 20 Rn. 53. – Hiervon zu unterscheiden ist die Befugnis des Landes zum Erlass von Ausführungsgesetzen zum Sozialhilferecht: Sie enthalten keine materiell-sozialrechtlichen Regelungen. 72 Es ist bspw. zulässig, durch ein Landesgesetz Landeserziehungsgeld nach Ablauf der Bezugszeit von Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG v. 5.12.2006 [BGBl. I, S. 2748]) zu gewähren. 73 Kompetenzwidrig wäre etwa ein Landespflegegeldgesetz, s. Merten, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 20 Rn. 53. Gleiches gilt hinsichtlich der eigenständigen Gewährleistung eines individuellen Anspruchs auf Sozialhilfe; ebenso Dietlein, Grundrechte, S. 157. – Mit Blick auf die Blindenhilfe ist der Bundesgesetzgeber demgegenüber nicht abschließend tätig geworden: Die sozialhilferechtliche Blindenhilfe ist subsidiär nach § 72 SGB XII. Das Land kann also ein Blindengeld einführen, das (anders als die entsprechende Leistung des Sozialhilferechts) ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen gewährt wird. 62

A. Normative Steuerungskraft

425

Vorsorge für die freien Berufe.74 Die normative Steuerungskraft der Staatszielbestimmung „soziale Sicherung“ ist folglich äußerst gering. Daran änderte sich im Übrigen nichts, betrachtete man die Fallgruppen, auf welche Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf explizit bezogen ist, als nicht abschließend:75 Auch die anderen klassischen Bereiche sozialer Sicherung sind umfassend bundesrechtlich geregelt.76

4. Soziale und karitative Einrichtungen Als gering einzuschätzen ist auch die normative Steuerungskraft der „Förderung von Errichtung und Unterhaltung sozialer und karitativer Einrichtungen“ i. S. des Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf. Bei der Gewährung von Leistungen an die Träger der freien Wohlfahrtspflege bestehen zwar durchaus Möglichkeiten für eine eigenständige Sozialpolitik der Länder.77 Solche Finanzhilfen an die freie Wohlfahrtspflege sind verschiedentlich allerdings bereits bundesrechtlich vorgegeben, s. etwa für den Bereich der freien Jugendhilfe § 74 SGB VIII.78 Auch hinsichtlich der Frage, ob den Trägern der freien Wohlfahrtspflege Vorrang vor der öffentlichen Hand einzuräumen ist, verfügt der Landesgesetzgeber über lediglich eingeschränkte Regelungskompetenz.79 In vielen Bereichen ist jener

___________ 74

Ebenso Schulin, in: Maurer/Hendler, BaWüStVerwR, S. 563 (566). – Der Landesgesetzgeber kann Regelungen zur Altersversorgung der Ärzte und Rechtsanwälte treffen und entsprechende Versorgungswerke schaffen; zur Zuständigkeit des Landesgesetzgebers für die Regelung der Rechtsanwaltsversorgung Pitschas, in: Schmidt, Wirtschaftsrecht BT II, § 9 Rn. 199. 75 Für ein solches Verständnis dieser Aufzählung P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 74. Dem steht allerdings die Formulierung der Staatszielbestimmung „Förderung von Errichtung und Unterhaltung sozialer und karitativer Einrichtungen“ i. S. des Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf entgegen: Dort ist der exemplarische Charakter der Aufzählung, anders als bei jener Zielvorgabe „soziale Sicherung“, kenntlich gemacht. 76 So liegt etwa die Absicherung gegen die unvorhersehbaren Folgen der Arbeitslosigkeit nicht in der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers, s. oben unter A. I. 1. 77 In der Gewährung solcher Leistungen dürfte auch der Schwerpunkt der Umsetzung des Art. 45 Abs. 3 S. 1 BbgVerf liegen. Die finanziellen Möglichkeiten der Länder sind freilich begrenzt; näher zu diesem Aspekt unten unter C. II. 78 SGB VIII i.d.F. der Bek. v. 14.12.2006 (BGBl. I, S. 3134). 79 Raum für entsprechende landesrechtliche Regelungen ist etwa mit Blick auf Kindergärten und Krankenhäuser. Der Bund verfügt nicht über die Kompetenz zur Regelung organisatorischer Fragen dieser Art; im Bereich des Krankenhausrechts etwa ist der Bund lediglich zuständig für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 a GG).

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Vorrang bereits bundesrechtlich vorgegeben, für den Bereich der Jugendhilfe etwa als Sollbestimmung in § 4 Abs. 2 SGB VIII.80

5. Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen Die Zielvorgabe „Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen Behinderter“ (Art. 12 Abs. 4 BbgVerf), die „positive“ Maßnahmen i. S. einer Heranführung behinderter Menschen zu größtmöglicher Normalität verlangt,81 verfügt ebenfalls kaum über normative Steuerungskraft. Der Bund hat umfassend von seiner Zuständigkeit für die Sozialversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) Gebrauch gemacht.82 Hinsichtlich der Unterstützung behinderter Menschen sehen die §§ 97-115, 236-239 und 248-251 SGB III83 besondere Fördermöglichkeiten für den betreffenden Personenkreis vor. Von Bedeutung sind daneben die Regelungen des SGB IX.84

6. Kinder- und Jugendschutz Äußerst nehmen sich auch die Möglichkeiten des Landesgesetzgebers aus, die Staatszielbestimmungen „Kinder- und Jugendschutz“ (Art. 27 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1 BbgVerf) zu konkretisieren. Der Kompetenztitel „öffentliche Fürsorge“ i. S. des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG erfasst den Bereich der Jugendwohlfahrt (also die Jugendfürsorge und Jugendpflege) ebenso wie den Erlass von Vorschriften zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die mit dem Schutz der Jugend in Zusammenhang stehen.85 Diese Zuständigkeit hat der Bund umfassend ausgeschöpft.86 Neben dem Jugendschutzgesetz87 hat er etwa das Gesetz zur Verbesserung des ___________ 80

Den Ländern bleibt aufgrund der umfassenden bundesrechtlichen Regelungen im Sozialrecht kaum Raum für eigenständige materiell-sozialrechtliche Regelungen, s. oben unter A. I. 3. 81 Der Ausdruck „Gleichwertigkeit“ trägt der Tatsache Rechnung, dass viele (insbesondere schwere) Behinderungen auch durch kompensatorische Maßnahmen nicht oder allenfalls zu einem gewissen Teil ausgeglichen werden können. 82 s. oben unter A. I. 3. 83 SGB III v. 24.3.1997 (BGBl. I, S. 594). – Dazu, dass das Dritte Buch des Sozialgesetzbuchs auch die Arbeitsförderung regelt, oben unter A. I. 1. 84 SGB IX v. 19.6.2001 (BGBl. I, S. 1046). 85 Vgl. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 135 Rn. 212 ff. 86 Vgl. oben A. I. 3. 87 JuSchG v. 23.7.2002 (BGBl. I, S. 2730).

A. Normative Steuerungskraft

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Schutzes junger Menschen vor Gefahren des Alkohol- und Tabakkonsums88 erlassen. Die Kinder- und Jugendhilfe ist abschließend geregelt im Achten Buch des Sozialgesetzbuchs,89 während sich Vorschriften des vorbeugenden Gesundheitsschutzes im Fünften Buch finden.90 Weitere bundesrechtliche Bestimmungen mit Bezug zum Kinder- und Jugendschutz enthält das Jugendarbeitsschutzgesetz,91 das u.a. ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot für Kinder statuiert (§ 5 Abs. 1 S. 2 JArbSchG). Ebenso dienen die §§ 104 ff. und 1626 ff. BGB92 sowie die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 169 ff., 174 ff. u. 225 StGB93 dem Schutz von Kindern und Jugendlichen. Vor dem Hintergrund dieser umfassenden Regelungen des Bundes fällt die normative Steuerungskraft von Art. 27 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1 BbgVerf sehr gering aus.94 Gewisse Gestaltungsmöglichkeiten bestehen allenfalls bzgl. der Einrichtungen zur Betreuung von Jugendlichen.95 Hier liegt es in der Hand des Landesgesetzgebers, Regelungen für Freizeitangebote im weitesten Sinn (etwa für Jugendclubs und ähnliche Einrichtungen) zu treffen.96

7. Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen Die Möglichkeiten zur landesrechtlichen Umsetzung der „Förderung von Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen“ (Art. 27 Abs. 6 BbgVerf) fallen weniger begrenzt aus.97 Bei der Förderung der Kindertagesstätten ist als bundesrechtliche Vorgabe lediglich der Anspruch auf einen Kindergartenplatz ___________ 88

Gesetz v. 23.7.2004 (BGBl. I, S. 1857, ber. S. 2228). SGB VIII i.d.F. der Bek. v. 14.12.2006 (BGBl. I, S. 3134). 90 s. etwa §§ 21, 22, 26 u. 91 f. SGB V v. 20.12.1988 (BGBl. I, S. 2477). 91 JArbSchG v. 12.4.1976 (BGBl. I, S. 965), gestützt auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. 92 BGB i.d.F. der Bek. v. 2.1.2002 (BGBl. I, S. 42, ber. S. 2909 und BGBl. 2003 I, S. 738). 93 StGB i.d.F. der Bek. v. 13.11.1998 (BGBl. I, S. 3322). 94 Das Land besitzt bspw. keine Kompetenz zur Regelung des vorbeugenden Gesundheitsschutzes. Ebenso wenig kann der Landesgesetzgeber Kindern und Jugendlichen eine Rechtsstellung einräumen, die ihrer wachsenden Einsichtsfähigkeit durch die Anerkennung zunehmender Selbstständigkeit gerecht wird: Die bundesrechtlichen Regelungen der §§ 1 ff., 104 ff. BGB sind umfassend, weshalb der Gesetzgebungsauftrag in Art. 27 Abs. 4 BbgVerf leerläuft. 95 Tageseinrichtungen sind zwar bundesrechtlich geregelt, s. §§ 22 ff. SGB VIII; von diesen ist jene Zielgruppe aber ausgeschlossen. – Bei Jugendlichen handelt es sich um Menschen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII. 96 Betreute Wohnformen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sehen bereits die §§ 45 ff. SGB VIII vor. 97 Zur Kompetenz der Länder für Kindergärten Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 74 Rn. 116 m.w.N.; zur gesetzlichen Einführung eines Anspruchs auf einen Kindergartenplatz aus verbandskompetentieller Perspektive Isensee, FS Remmers, S. 173 (183 ff.). 89

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahrs zu erwähnen. Er ist statuiert in § 24 Abs. 3 S. 1 SGB VIII,98 wobei § 26 SGB VIII dem Landesgesetzgeber Gestaltungsspielraum eröffnet. Auch hinsichtlich der Jugendfreizeiteinrichtungen – insoweit kann auf die obigen Ausführungen99 verwiesen werden – verfügt Art. 27 Abs. 6 BbgVerf über recht große normative Steuerungskraft.

8. Schutz des ungeborenen Lebens Art. 8 Abs. 2 BbgVerf weist hingegen keinerlei normative Steuerungskraft auf.100 Die Einrichtung eines Systems der Beratung und medizinischen Betreuung im Fall des Schwangerschaftsabbruchs ist vom Kompetenztitel „öffentliche Fürsorge“ i. S. des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG erfasst.101 Der Bund ist insoweit umfassend tätig geworden: Neben dem Schwangerschaftskonfliktgesetz102 hat er das „Gesetz zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen“ erlassen.103 Vor diesem Hintergrund bleibt dem Landesgesetzgeber für die Umsetzung jener Staatszielbestimmung kein Raum.

II. Bereich Bildung und Kultur

1. Bildung Der Bereich Bildung und Kultur fällt weitestgehend in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder.104 Es entspricht der sog. Kulturhoheit der Länder, dass Bundeskompetenzen hinsichtlich der Staatszielbestimmung „Bil___________ 98

SGB VIII i.d.F. der Bek. v. 14.12.2006 (BGBl. I, S. 3134). s. oben a.E. von A. I. 6. 100 Entsprechend zurückhaltend Jutzi, NJW 2000, S. 1295 (1296), zur Ergänzung der rheinland-pfälzischen Verfassung um den gleichlautenden Art. 3 Abs. 2. 101 Dazu BVerfGE 88, 203 ff.; Oeter, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 74 Rn. 62, 64 m.w.N. – Zur öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG oben A. I. 3., Fn. 58. 102 SchKG v. 27.7.1992 (BGBl. I, S. 1398). 103 Dieses Gesetz wurde verkündet als Art. 5 des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG) v. 21.8.1995 (BGBl. I, S. 1050, ber. S. 1054). 104 Das Grundgesetz hüllt sich auf kulturellem Gebiet weitgehend in Schweigen. Dadurch sollte, in Abgrenzung zur nationalsozialistischen „Staatskultur“, zugleich die Autonomie des geistigen und kulturellen Lebens wiederhergestellt werden; zu historischen Aspekten des bundesdeutschen Kulturföderalismus Geis, DÖV 1992, S. 522 ff.; zur Kulturhoheit der Länder BVerfGE 6, 309 (310, 354); 37, 314 (322); 43, 291 (348). – Zu den noch immer recht spärlichen Kompetenzen der EG für Bildung und Kultur statt vieler Badura, FS Schiedermair, S. 465 (468 ff.); Bieber, in: ders. u.a., Union, § 29 Rn. 7 ff.; beide m.w.N. 99

A. Normative Steuerungskraft

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dung“ i. S. des Art. 29 Abs. 1 BbgVerf lediglich in geringem Umfang zu verzeichnen sind.105 Seine (wenigen) Kompetenzen hat der Bund jedoch durchweg ausgeschöpft. So hat er seine konkurrierende Zuständigkeit für die Berufsbildung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 u. 12 GG) genutzt,106 und zwar mit dem Berufsbildungs-107 und dem Fernunterrichtsschutzgesetz108 sowie dem „Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung“.109 Des Weiteren hat er, gestützt auf die „Regelung der Ausbildungsbeihilfen und Förderung der wissenschaftlichen Forschung“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG), etwa das Bundesausbildungsförderungsgesetz110 und das Berufsbildungsreformgesetz111 erlassen. Zudem hatte der Bund seine Zuständigkeit für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 a (a.F.) GG ausgeschöpft.112 Der Kompetenztyp „Rahmengesetzgebung“ ist jedoch entfallen mit der Föderalismusreform 2006. Seitdem fehlt dem Hochschulrahmengesetz z. T. die Kompetenzgrundlage. Lediglich für Hochschulzulassung und -abschlüsse wurde mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG eine konkurrierende Zuständigkeit des Bundes geschaffen. Insoweit gilt jenes Gesetz materiell mit der Wirkung eines Bundesrahmengesetzes fort (Art. 125 b Abs. 1 S. 1 GG);113 im Übrigen bestimmt sich seine Fortgeltung nach Art. 125 a Abs. 1 S. 1 GG.114 Zudem hatte der Bund im ___________ 105 Vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI (2. Aufl.), § 135 Rn. 28; Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 135 Rn. 328. 106 Regelungen zum betrieblichen Teil der Berufsausbildung fallen unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 12 GG; zur Fixierung von Berufsbildern bzw. -bezeichnungen BVerfGE 26, 246 (255); Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI (2. Aufl.), § 135 Rn. 26. 107 BBiG v. 23.3.2005 (BGBl. I, S. 931). 108 „Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht“ v. 4.12.2000 (BGBl. I, S. 1670). 109 Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz i.d.F. der Bek. vom 18.6.2009 (BGBl. I, S. 1322, ber. S. 1794). 110 BAföG i.d.F. der Bek. v. 6.6.1983 (BGBl. I, S. 645, ber. S. 1680). 111 „Gesetz zur Reform der beruflichen Bildung (Berufsbildungsreformgesetz)“ vom 23.3.2005 (BGBl. I, S. 931). – Dieses Artikelgesetz enthält etwa in seinem Art. 1 das Berufsbildungsgesetz v. 23.3.2005 (BGBl. I, S. 931) sowie in Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 die Aufhebung des „Gesetzes zur Förderung der Berufsausbildung durch Planung und Forschung (Berufsbildungsförderungsgesetz)“ i.d.F. der Bek. v. 12.1.1994 (BGBl. I, S. 78). 112 HRG i.d.F. der Bek. v. 19.1.1999 (BGBl. I, S. 18). 113 Die Länder bleiben diesbezüglich an den damit vorgegebenen „Rahmen“ gebunden und zur ausfüllenden Gesetzgebung verpflichtet (Art. 125 b Abs. 1 S. 2 GG). Seit 1.8.2008 dürfen sie allerdings von den betreffenden Regelungsinhalten abweichen, s. Art. 125 b Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 GG. Zum Ganzen Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 125 b Rn. 2 ff. 114 Das Hochschulrahmengesetz kann insoweit durch Landesrecht ersetzt werden, und zwar aufgrund Art. 125 a Abs. 1 S. 2 GG ohne Ermächtigung seitens des Bundes. Im Einzelnen dazu wie auch zur Frage, ob der Bund hinsichtlich fortgeltenden Bundesrechts nach Art. 125 a Abs. 1 GG über eine Anpassungskompetenz verfügt, Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 125 a Rn. 4 ff.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Bereich der Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen“ (Art. 91 a Abs. 1 Nr. 1 [a.F.] GG) das Hochschulbauförderungsgesetz erlassen. Dieses ist als Folge der Föderalismusreform 2006 außer Kraft getreten,115 hat aber einen Teil seiner Bedeutung behalten: Um die Anpassungsschwierigkeiten für die Länder zu mildern, ordnet Art. 143 c GG an, dass auf dem Gebiet des Hochschulbaus für eine Übergangszeit weiterhin Bundesmittel zur Verfügung gestellt werden.116 Schließlich kann sich der Bund auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG stützen, wenn bei den auswärtigen Angelegenheiten bildungsbezogene Aspekte in Rede stehen.117 Angesichts dieser Kompetenzlage kann der Landesgesetzgeber die Staatszielbestimmung „Bildung“ i. S. des Art. 29 Abs. 1 BbgVerf im Wesentlichen eigenverantwortlich ausgestalten.118 Das Land kann etwa im Bereich der schulischen Bildung weitgehend eigenständig die Schulorganisation wie auch die Unterrichtsgegenstände und die Erziehungsziele festlegen.119 Ebenso können landesrechtlich Schulgeld- und Lernmittelfreiheit statuiert120 und die Teilhabe der Schüler und Eltern bei der Willensbildung in der Schule geregelt werden.121

___________ 115

Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen“ (Hochschulbauförderungsgesetz) v. 1.9.1969 (BGBl. I, S. 1556), erlassen auf der Grundlage von Art. 91 a Abs. 2 (a.F.) GG, außer Kraft getreten mit Ablauf des 31.12.2006 gem. Art. 125 c Abs. 1 GG. – Die bisherige Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen“ (Art. 91 a Abs. 1 Nr. 1 [a.F.] GG) ist mit der Föderalismusreform 2006 entfallen. Zum einen gründet dies darin, dass das Hochschulwesen ganz überwiegend der Zuständigkeit der Länder zugeordnet wurde, zum anderen war es eines der Reformziele, durch Abbau von Mischfinanzierungen eine Entflechtung zu erreichen. Dazu Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 91 a Rn. 8 ff. 116 Einzelheiten enthält das „Gesetz zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen“ (Entflechtungsgesetz), parallel zur Änderung des Grundgesetzes erlassen als Art. 13 des Föderalismusreform-Begleitgesetzes i.d.F. der Bek. vom 5.9.2006 (BGBl. I, S. 2098 [2102]); Näheres (bezogen auf die weggefallene Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“) bei Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 143 c Rn. 9 f. 117 Hier ist insbesondere die auswärtige Kulturpolitik von Bedeutung; die Stichworte lauten: „Kulturabkommen mit ausländischen Staaten“ und „Auslandsschulwesen“. Mitunter hat auch die „Verteidigung“ i. S. des Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG Bildungsbezug, s. etwa die Errichtung der Bundeswehrhochschulen. 118 Vgl. Glotz/Faber, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 28 Rn. 16; Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 106. 119 Die Staatsaufsicht über das gesamte Schulwesen i. S. des Art. 7 Abs. 1 GG umfasst die weitreichende Befugnis zu Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens. Dazu BVerfGE 26, 228 (238); 53, 185 (196). 120 So auch bzgl. Art. 31 S. 2 RhPfVerf Hennecke, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 31 Rn. 6. – Vgl. etwa Art. 30 Abs. 5 S. 2 u. 3 BbgVerf. 121 Vgl. §§ 55 ff. BaWüSchG i.d.F. v. 1.8.1983 (BaWüGBl., S. 397), in denen die elterliche Mitsprache in der Schule geregelt ist, und die Bestimmungen zur „Schülermitverantwortung“ in §§ 62 ff. BaWüSchG.

A. Normative Steuerungskraft

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Gleichfalls in der Hand des Landesgesetzgebers liegt die Ausgestaltung des Elternrechts bei der Wahl der weiterführenden Schule.122

2. Schulen und berufliche Ausbildungssysteme Ebenso in jene Länder-Kompetenzdomäne fällt Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf, demzufolge das Land und die Träger der kommunalen Selbstverwaltung zur Förderung von Schulen verpflichtet sind. Die Länder können eigenständig, wie gesagt,123 neben den Unterrichtsgegenständen auch die Schulorganisation festlegen. Daraus ergibt sich u.a. die Verbandskompetenz, Schulen zu fördern.124 Entsprechend groß ist die normative Steuerungskraft der Staatszielbestimmung „Förderung von Schulen“ i. S. des Art. 30 Abs. 5 S. 1 BbgVerf. Auch bei der „Förderung beruflicher Ausbildungssysteme“ nach Art. 29 Abs. 2 BbgVerf verfügt der Landesgesetzgeber über ausgedehnten Gestaltungsspielraum. Der Bund hat zwar umfassende Regelungen zum betrieblichen Teil der Berufsausbildung getroffen; die hierzu bereits genannten Vorschriften125 sind noch zu ergänzen um das „Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen“,126 das u.a. auf die Verbesserung der Möglichkeiten für die betriebliche Ausbildung behinderter Jugendlicher zielt. Gleichwohl hat der Landesgesetzgeber weiten Raum für die Umsetzung des Art. 29 Abs. 2 BbgVerf. Er kann etwa bestimmen, dass das Berufsschulwesen gefördert wird. Ebenso können „Duale Hochschulen“ bzw. Berufsakademien als berufsnahe Form der Ausbildung geschaffen und unterstützt werden.127 ___________ 122

Aus Art. 32 Abs. 3 GG ergibt sich demgegenüber keine eigenständige Umsetzungskompetenz des Landes. Nach dieser Vorschrift können die Länder zwar durchaus internationale Verträge im Schulwesen schließen, wie es etwa Baden-Württemberg mit Frankreich für das Deutsch-Französische Gymnasium in Freiburg getan hat. Sie bedürfen dazu jedoch der Zustimmung der Bundesregierung; s. auch unten sub B. V. 2. 123 Dazu oben unter A. II. 1. 124 Die Förderung von Ausbildungseinrichtungen fällt nicht unter die Zuständigkeit für „die Regelung der Ausbildungsbeihilfen“ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG, s. Oeter, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 74 Rn. 120 m.w.N. 125 Dazu oben unter A. II. 1. 126 Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen v. 23.4.2004 (BGBl. I, S. 606), wiederum auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 u. 12 GG gestützt. 127 Der etwa in Baden-Württemberg 1974 unter dem Markenzeichen „Berufsakademien“ eingerichtete Bildungsgang basiert auf dem bewährten dualen System, d.h. auf dem Zusammenwirken jener Akademien mit den beteiligten Ausbildungsstätten der Wirtschaft. Durch Errichtung der „Dualen Hochschule Baden-Württemberg“ mit Wirkung zum 1.3.2009 hat sich daran nichts geändert. Die Berufsakademien sind zwar seitdem erloschen (§ 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Errichtung der Dualen Hochschule BadenWürttemberg v. 3.12.2008 [BaWüGBl., S. 435]); jene Hochschule ist aber in die Rechte,

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

3. Weiterbildung Die Staatszielbestimmung „Förderung der Weiterbildung von Erwachsenen“ (Art. 33 Abs. 1 S. 1 BbgVerf) verfügt ebenfalls über beträchtliche normative Steuerungskraft. Auch hier ergeben sich für das Land umfassende Möglichkeiten zur einfachgesetzlichen Umsetzung. Den betrieblichen Teil der Berufsausbildung hat zwar der Bund geregelt.128 Von seiner Kompetenz zur Regelung der Arbeitnehmerweiterbildung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG)129 hat er (bislang) allerdings keinen abschließenden Gebrauch gemacht.130 Folglich ist ein LandesArbeitnehmerweiterbildungsgesetz möglich.131 Auch kann der Landesgesetzgeber ein Bildungsurlaubsgesetz erlassen132 oder durch ein Erwachsenen- bzw. Weiterbildungsgesetz die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und anderen Weiterbildungseinrichtungen regeln und Letztere in die staatliche Förderung einbeziehen. Ebenso liegt es in seiner Hand, ein Volkshochschulgesetz zu erlassen, um die Förderung kommunaler Einrichtungen der Erwachsenenbildung zu regeln.133

4. Förderung Begabter, sozial Benachteiligter und von Menschen mit Behinderungen Umfassend fallen auch die Möglichkeiten zur landesrechtlichen Umsetzung der „Förderung von Begabten, sozial Benachteiligten und Menschen mit Behin___________ Pflichten, Zuständigkeiten und Befugnisse des Landes als Träger der Berufsakademien eingetreten, soweit sie nach dem Landeshochschulgesetz v. 1.1.2005 (BaWüGBl., S. 1) deren Trägerin sein kann. Zu den Berufsakademien Oppermann, in: Maurer/Hendler, BaWüStVerwR, S. 481 (496). 128 s. oben unter A. II. 1. u. 2. 129 Die Arbeitnehmerweiterbildung rechnet zum Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, s. etwa BVerfGE 77, 308 (328). 130 Bundesrechtliche Vorschriften zur Aus- und Weiterbildung finden sich in § 16 SGB II v. 24.12.2003 (BGBl. I, S. 2954) sowie in §§ 35 ff., 77 ff. SGB III v. 24.3.1997 (BGBl. I, S. 594). Ebenso ist das „Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz)“ i.d.F. der Bek. v. 18.6.2009 (BGBl. I, S. 1322, ber. S. 1794) zu beachten. 131 Dazu BVerfGE 77, 308 (329); 85, 226 (234). 132 Nach § 15 Abs. 2 S. 1 BUrlG v. 8.1.1963 (BGBl. I, S. 2) treten lediglich die landesrechtlichen Vorschriften über den Erholungsurlaub außer Kraft; die Länder haben also die Kompetenz für die Regelung des Bildungsurlaubs. 133 Die Förderung der Weiterbildung kann auch durch Einrichtung und Unterstützung öffentlicher Bildungseinrichtungen (etwa mittels Zuschüssen) erfolgen. Um solche „Volksbildungseinrichtungen“ handelt es sich neben den Volkshochschulen auch bei den Volksbüchereien, d. h. öffentlichen (nichtwissenschaftlichen) Bibliotheken. – Das (öffentliche) wissenschaftliche Bibliothekswesen folgt den Grundsätzen der Wissenschaftsverwaltung, weshalb es im Hochschulrecht geregelt ist.

A. Normative Steuerungskraft

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derungen beim Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen“ (Art. 29 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) aus. Eine solche Förderung kann zunächst in institutionellen Vorkehrungen für den Ausbau des Schulsystems liegen. Bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung ist das Land frei, auch soziale Kriterien etwa bzgl. der Vorhaltung von Ganztagsschulen und von bestimmten Formen schulischer Betreuung oder hinsichtlich des Schulbaus (etwa Sonderschulen) anzulegen. Für Leistungen an einzelne Schüler bleibt dem Land weniger Spielraum, da für die Förderung der schulischen Jugendbildung das Bundesausbildungsförderungsgesetz gilt.134 Landesgesetzlich können allerdings Erziehungsbeihilfen für begabte Schüler aus einkommensschwächeren Familien gewährt werden.135 Ebenso ist neben Schulgeld- und Lernmittelfreiheit136 an Beförderungskostenfreiheit137 zu denken. Zudem kann das Land die außerschulische Jugendbildung fördern.138 Im Hochschulbereich ist wiederum das Bundesausbildungsförderungsgesetz von Bedeutung. Es enthält zwar umfassende Regelungen der Studienförderung, erschöpft sich aber in einer rein sozialpolitischen Zielsetzung. Folglich bleibt Raum für eine landesrechtliche Hochbegabtenförderung, die nicht von sozialen Kriterien abhängt und ausschließlich bildungs- oder wissenschaftspolitische Zielsetzungen verfolgt.139

5. Kultur, kulturelles Leben sowie Kunst Gleichfalls über großen Gestaltungsspielraum verfügt der Landesgesetzgeber bzgl. der Staatszielbestimmungen „Schutz der Kultur“ (Art. 2 Abs. 1 BbgVerf) sowie „Förderung des kulturellen Lebens und Vermittlung des kulturellen Erbes“ (Art. 34 Abs. 2 S. 1 BbgVerf). Ebenso umfassende normative Steuerungskraft hat die Förderung der Kunst i. S. des Art. 34 Abs. 1 S. 2 BbgVerf. Der ___________ 134

Zum Bundesausbildungsförderungsgesetz oben A. II. 1. s. etwa § 95 BaWüSchG i.d.F. v. 1.8.1983 (BaWüGBl., S. 397). – Staat, Gemeinden und Gemeindeverbände sind in Baden-Württemberg sogar verfassungsrechtlich zur Bereitstellung der erforderlichen Mittel verpflichtet, s. Art. 11 Abs. 3 BaWüVerf; vgl. den entsprechenden Gesetzgebungsauftrag in Art. 59 Abs. 1 S. 3 HessVerf. 136 Dazu bereits oben unter A. II. 1. 137 Vgl. etwa § 18 BaWüFAG i.d.F. v. 1.1.2000 (BaWüGBl., S. 14). 138 Insoweit ist an die Gewährung von Zuschüssen für Träger und Einrichtungen der außerschulischen Bildung (etwa Musikschulen) zu denken; vgl. §§ 5 ff. BaWüJBiG i.d.F v. 8.7.1996 (BaWüGBl., S. 502). 139 Ebenso bzgl. Art. 31 S. 2 RhPfVerf Hennecke, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 31 Rn. 5 f. – Es liegt in der Hand des Landes, Regelungen für die gezielte Förderung von „Hochbegabten“ zu treffen. Entsprechend groß ist der Gestaltungsspielraum bspw. hinsichtlich Gewährung von Stipendien und besonderen Zuwendungen an wissenschaftliche und künstlerische Nachwuchskräfte (etwa bei der Förderung von Promotionen und künstlerischen Entwicklungsvorhaben); vgl. das baden-württembergische Landesgraduiertenförderungsgesetz v. 23.7.2008 (BaWüGBl., S. 252). 135

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Kulturbereich rechnet zum Kernbestand der landesrechtlichen Kompetenzen.140 Bei den wenigen kulturbezogenen Regelungen des Bundesrechts141 handelt es sich zum einen um das Filmförderungsgesetz142 und das „Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung“,143 zum anderen um Rahmenbedingungen für Kultur und Kunst, etwa das Verlags- und Urheberrecht, der gewerbliche Rechtsschutz144 und die Pressefusionskontrolle.145

___________ 140

Dazu oben unter A. II. 1. – Die Kulturhoheit der Länder wird zudem durch Art. 35 Abs. 3 EVertr. v. 31.8.1990 (BGBl. II, S. 889) als kulturelle Staatsaufgabenklausel herausgestellt: „Die Erfüllung der kulturellen Aufgaben einschließlich ihrer Finanzierung ist zu sichern, wobei Schutz und Förderung von Kultur und Kunst den neuen Ländern und Kommunen entsprechend der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes obliegen“. 141 Auch der Bund hat freilich einen Kulturauftrag (5. Kap. unter B. II. 5.). – Vgl. Art. 35 EVertr., der den Übergang der Erfüllung kultureller Aufgaben in die Trägerschaft der Länder und Gemeinden regelt und dabei an drei Stellen (Abs. 4 S. 2, Abs. 6 S. 2 und Abs. 7) einen punktuellen Kulturzentralismus ermöglicht, indem er dem Bund eine „Mitfinanzierung“ eröffnet, s. Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (416); zur Frage, ob es sich dabei um einen Freibrief für eine Bundeskulturpolitik handelt, Schulze-Fielitz, NJW 1991, S. 2456 (2457 ff.); vgl. Kilian, LKV 1992, S. 241 (242 ff.). 142 „Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförderungsgesetz)“ i.d.F. der Bek. v. 24.8.2004 (BGBl. I, S. 2277), erlassen auf der Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG: Filmförderung ist Teil der Filmwirtschaft. 143 Gesetz i.d.F. der Bek. v. 8.7.1999 (BGBl. I, S. 1754). – Die betreffende Gesetzgebungszuständigkeit hat im Laufe der Jahre unterschiedliche Zuordnungen erfahren: Bis zur Verfassungsänderung v. 27.10.1994 (BGBl. I, S. 3146) handelte es sich um eine Materie der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz (s. Art. 74 Abs. 1 Nr. 5 [a.F.] GG). Seitdem verfügte der Bund über eine entsprechende Rahmengesetzgebungszuständigkeit nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 6 (a.F.) GG. Mit der Föderalismusreform 2006 und dem Wegfall dieses Kompetenztyps wurde eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes (Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 a GG) geschaffen. Jenes Gesetz gilt daher gem. Art. 125 b Abs. 1 S. 1 GG materiell mit der Wirkung eines Bundesrahmengesetzes fort. 144 Einschlägiger Kompetenztitel ist Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG. – Zum gewerblichen Rechtsschutz rechnen neben dem Gebrauchsmuster- und Geschmacksmusterrecht das Patent- und Warenzeichenrecht, zum Urheberrecht der Schutz der Ergebnisse künstlerischen und wissenschaftlichen Schaffens, zum Verlagsrecht die Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Verleger und Urheber; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 73 Rn. 45 m.w.N.; Kompilation einschlägiger Bundesgesetze bei Pestalozza, in: v. Mangoldt u.a., GG VIII (3. Aufl.), Art. 73 Rn. 575. 145 Die Pressefusionskontrolle fällt unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG; eingehend Degenhart, in: Sachs, GG (4. Aufl.), Art. 70 Rn. 59 m.w.N. – Seit der Föderalismusreform 2006 rechnen die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse zur ausschließlichen Zuständigkeit der Länder. Zuvor verfügte der Bund über eine entsprechende Rahmengesetzgebungskompetenz, s. Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 (a.F.) GG.

A. Normative Steuerungskraft

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6. Denkmalschutz Beträchtliche normative Steuerungskraft weist auch die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung „Denkmalschutz“ auf (Artt. 34 Abs. 2 S. 2, 40 Abs. 4 S. 2 BbgVerf). Regelungen des Bundes mit Kulturbezug sind, wie gesagt, lediglich in geringem Umfang zu verzeichnen.146 Im Fall des Denkmalschutzes handelt es sich etwa um die Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes, die sich auf Naturdenkmäler beziehen,147 sowie um die im Baugesetzbuch verankerten, umfassenden Regelungen des städtebaulichen Denkmalschutzes.148 Zudem ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, sich der sowjetischen Kriegsdenkmäler anzunehmen: In Art. 18 Abs. 1 S. 1 des deutsch-sowjetischen Partnerschaftsvertrags149 erklärt die Bundesregierung, „dass die auf deutschem Boden errichteten Denkmäler, die den sowjetischen Opfern des Krieges und der Gewaltherrschaft gewidmet sind, geachtet werden und unter dem Schutz deutscher Gesetze stehen“. In den dadurch umrissenen Grenzen verfügt der Landesgesetzgeber über weiträumigen Spielraum. Brandenburg kann bspw. durch ein Denkmalschutzgesetz Kunst-, Geschichts- und Kulturdenkmäler wie auch solche der Natur unter den Schutz und die Pflege des Staates stellen.150

7. Sport Ebenso umfassend fallen die Möglichkeiten zur landesrechtlichen Umsetzung der Sportförderung i. S. des Art. 35 S. 1 BbgVerf aus, da der Sport zum Kernbestand der Landeskompetenzen rechnet. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass das Bundesrecht vielfach den einfachgesetzlichen Rahmen absteckt. Bei der Inanspruchnahme von Flächen für den Sportstättenbau ist das Raum___________ 146

Dazu oben unter A. II. 5.; zur Kulturhoheit der Länder oben unter A. II. 1. Bspw. § 28 Abs. 2 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193), der die Beseitigung eines Naturdenkmals „nach Maßgabe näherer Bestimmungen“ verbietet. – Zur Kompetenzgrundlage dieses Gesetzes unten unter A. III. 1. 148 s. etwa §§ 136 ff., 165 ff. BauGB i.d.F. der Bek. v. 23.9.2004 (BGBl. I, S. 2414) für Sanierungs- und städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen. – Der städtebauliche Denkmalschutz zählt zum Bodenrecht i. S. des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, s. Oeter, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 74 Rn. 140 m.w.N. 149 Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 9.11.1990 (BGBl. 1991 II, S. 703); die parlamentarische Zustimmung enthält das Zustimmungsgesetz v. 31.5.1991 (BGBl. II, S. 702). Der Vertrag trat in Kraft am 5.7.1991 (BGBl. II, S. 921). 150 Vgl. das „Gesetz über den Schutz und die Pflege der Denkmale im Land Brandenburg (Brandenburgisches Denkmalschutzgesetz)“ v. 24.5.2004 (BbgGVBl. S. 215); zu den Regelungen des bis dahin gültigen Denkmalschutzgesetzes v. 22.7.1991 (BbgGVBl. S. 311) v. Mutius/Friedrich, LKV 1992, S. 247 (248 ff.). 147

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

ordnungsgesetz von Bedeutung,151 während sich bauplanungsrechtliche Vorschriften dafür, inwiefern Flächen für sportliche Zwecke ausgewiesen werden können, im Baugesetzbuch finden.152 Immissionswerte für Sportgeräusche hat der Bund im Immissionsschutzrecht festgelegt,153 und bei sportlicher Betätigung auf öffentlichen Verkehrsflächen (etwa durch Skateboardfahrer, Radrennfahrer etc.) greift die Straßenverkehrsordnung.154 Das Arbeitszeitrecht kennt Ausnahmen vom Sonn- und Feiertagsverbot für Sportveranstaltungen wie auch für die Sportpresse,155 wohingegen das SGB III156 und das Aufenthaltsgesetz157 die Aufenthaltserlaubnis für ausländische Sportler regeln.158 Für die bundesrechtliche Sportförderung besteht kein gesonderter Kompetenztitel, sondern sie beruht auf Kompetenzen, die nicht primär sportspezifischen Charakter haben.159 Zu nennen sind etwa der Sportaustausch im Zusammenhang mit der Pflege auswär-

___________ 151 ROG v. 22.12.2008 (BGBl. I, S. 2986), gestützt auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG, weshalb die Länder von den Inhalten dieses Gesetzes abweichen können (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG); dazu Kloepfer, FS Scholz, S. 651 (669) m.w.N. – Vor der Föderalismusreform 2006 fiel die Materie statt in die konkurrierende Zuständigkeit des Bundes in dessen Rahmengesetzgebung nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 (a.F.) GG. 152 s. etwa §§ 1 Abs. 6 Nr. 3, 5 Abs. 2 Nr. 2 und 9 Abs. 1 Nr. 5, 15 BauGB i.d.F. der Bek. v. 23.9.2004 (BGBl. I, S. 2414). – Anlagen für sportliche Zwecke sind grundsätzlich oder zumindest ausnahmsweise in allen Baugebieten einschließlich der Wohngebiete zulässig, s. §§ 2 ff. BauNVO. 153 Werden die Grenz- und Richtwerte, die in der 18. BImSchVO (Sportanlagenlärmschutzverordnung) v. 18.7.1991 (BGBl. I, S. 1588, ber. S. 1790) festgesetzt sind, eingehalten, führt dies regelmäßig dazu, dass die nachbarliche Beeinträchtigung als nicht wesentlich i. S. des § 906 Abs. 1 S. 1 BGB gilt. Ein zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB scheidet damit aus. – Die Länder verfügen seit der Föderalismusreform 2006 generell über die ausschließliche Zuständigkeit für den Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm, vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. Dazu Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 103. 154 Nach § 31 StVO v. 16.11.1970 (BGBl. I, S. 1565, ber. BGBl. 1971 I, S. 38) sind „Sport und Spiele auf der Fahrbahn und den Seitenstreifen“ lediglich auf dafür zugelassenen Straßen erlaubt. Jedoch liegt es gem. § 29 Abs. 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 StVO im Ermessen der Verwaltung, ob sie bspw. Motorsportveranstaltungen auf öffentlichen Straßen genehmigt. 155 s. etwa § 10 ArbZRG v. 6.6.1994 (BGBl. I, S. 1170). – Auch das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG v. 12.4.1976 [BGBl. I, S. 965]) weist Bezüge zum Sportrecht auf. So sind „Handreichungen beim Sport“ durch Kinder unter bestimmten Voraussetzungen vom Beschäftigungsverbot ausgenommen, und die Beschäftigungsbeschränkungen für Jugendliche sind abgeschwächt. 156 SGB III v. 24.3.1997 (BGBl. I, S. 594). 157 AufenthG i.d.F. der Bek. v. 25.2.2008 (BGBl. I, S. 162). 158 Auch die Einbürgerung ausländischer Sportler richtet sich nach Bundesrecht. Dazu Steiner, FS Stern, S. 509 (519). 159 s. Stern, FS Thieme, S. 269 (273); Steiner, NJW 1991, S. 2729 (2731).

A. Normative Steuerungskraft

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tiger Beziehungen und die Sportförderung durch die Sportkompanien der Bundeswehr.160 Nach alldem verfügt Art. 35 S. 1 BbgVerf über große normative Steuerungskraft. Das Land kann bspw. ein Sportförderungsgesetz erlassen.161 Ebenso liegt es in seiner Hand, in Naturschutz- und Waldgesetzen Betretungsregelungen auszudifferenzieren, um etwa Rad- und Skifahren sowie Reiten und Laufen in der Natur zu steuern.162 Auch medienrechtlich kann das Land Brandenburg in vielfältiger Weise sportfördernd tätig werden.163

8. Teilnahme am kulturellen Leben sowie Zugang zu Kulturgütern und Natur Ein weiträumiger Gestaltungsspielraum ergibt sich für den Landesgesetzgeber schließlich bei Art. 34 Abs. 3 BbgVerf, demzufolge die Teilnahme am kulturellen Leben zu unterstützen und der Zugang zu den Kulturgütern zu ermöglichen ist. Die Regelungen des Bundes mit Kulturbezug sind, wie gesagt, recht überschaubar.164 Lediglich geringe normative Steuerungskraft entfaltet dagegen der freie Zugang zur Natur i. S. des Art. 40 Abs. 3 BbgVerf. Diese Zielvorgabe, die Land, Gemeinden und Gemeindeverbände verpflichtet, der Allgemeinheit den Zugang zur Natur freizuhalten und ggf. zu eröffnen, ist vor dem Hintergrund umfassender bundesrechtlicher Vorgaben kaum umzusetzen.

III. Bereich Umweltschutz

1. Landschaftsschutz sowie Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebiete Der „Schutz der Kulturlandschaft“ i. S. des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf verfügt über mehr als nur geringe normative Steuerungskraft. Bundesrechtliche Regelungen, die für den Schutz der Landschaft einschließlich ihrer gewachsenen

___________ 160 Darüber hinaus verfügt der Bund über eine ungeschriebene Zuständigkeit für die Förderung des Spitzensports unter dem Gesichtspunkt der gesamtstaatlichen und nationalen Repräsentanz; dazu Steiner, NJW 1991, S. 2729 (2731). 161 Dies ist auch geschehen, s. das „Gesetz über die Sportförderung im Land Brandenburg (Sportförderungsgesetz)“ v. 10.12.1992 (BbgGVBl. 498). 162 Dazu umfassend Burgi, Erholung. 163 Dazu Steiner, FS Stern, S. 509 (518). 164 Dazu oben unter A. II. 5.; zur Kulturhoheit der Länder oben unter A. II. 1.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Siedlungsräume maßgeblich sind, finden sich zwar im Raumordnungsgesetz165 und im Baugesetzbuch.166 Auch sind im Rahmen der Planfeststellung für den Bau und die Unterhaltung von Bundesstraßen und Bundesautobahnen gem. § 17 S. 2 FStrG167 die vom Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange und (nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung)168 die Umweltverträglichkeit der Maßnahme zu berücksichtigen. Zudem hatte der Bund seine Rahmengesetzgebungskompetenz zur Regelung von Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 [a.F.] GG) durch das Bundesnaturschutzgesetz169 ausgeschöpft. Dieses gilt seit der Föderalismusreform 2006 und dem Wegfall des Kompetenztyps „Rahmengesetzgebung“ materiell mit Wirkung eines Bundesrahmengesetzes fort, s. Art. 125 b Abs. 1 S. 1 GG.170 § 19 BNatSchG regelt, dass vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen (Abs. 1) und unvermeidbare Beeinträchtigungen auszugleichen bzw. zu kompensieren sind (Abs. 2); nicht ausgleichbare Maßnahmen dürfen nicht durchgeführt werden, wenn Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege den anderen betroffenen Belangen im Rang vorgehen (Abs. 3).171 Die Länder sind dazu ermächtigt, im Einzelnen zu bestimmen, welche Maßnahme als Eingriff anzusehen und wie ggf. die Ausgleichsmaßnahmen zu gestalten sind, s. § 18 Abs. 4 u. 5 sowie § 19 Abs. 4 BNatSchG.172 Bereits aufgrund jener Ermächtigungen verfügt der Landesgesetzgeber hinsichtlich des Schutzes der Landschaft als Ganzes durchaus über Spielraum für eigenständige ___________ 165 ROG v. 22.12.2008 (BGBl. I, S. 2986). – Zu diesem Gesetz und zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes oben unter A. II. 7., Fn. 151. 166 s. etwa das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB i.d.F. der Bek. v. 23.9.2004 (BGBl. I, S. 2414), in dessen Rahmen gem. § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB u.a. die Belange der Landschaftspflege zu berücksichtigen sind; mit Blick auf das Bauen im Außenbereich ist § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB von Bedeutung. – Das Baugesetzbuch wurde erlassen auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG. 167 FStrG i.d.F. der Bek. v. 28.6.2007 (BGBl. I, S. 1206), erlassen auf der Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG. 168 UVPG i.d.F. der Bek. v. 25.6.2005 (BGBl. I, S. 1757, ber. S. 2797), u.a. ergangen zur Umsetzung der UVP-Richtlinie (RL 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten v. 27.6.1985 [ABl. L 175, S. 41]); zur Umweltverträglichkeitsprüfung im Einzelnen Kloepfer, Umweltschutzrecht, § 4 Rn. 16 ff. m.w.N. 169 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193). 170 Es wurde eine entsprechende konkurrierende Zuständigkeit des Bundes (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) geschaffen. – Die Länder bleiben gem. Art. 125 b Abs. 1 S. 2 GG an den vom Bundesnaturschutzgesetz vorgegebenen „Rahmen“ gebunden und zur ausfüllenden Gesetzgebung verpflichtet. Dazu Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 125 b Rn. 2 ff. 171 Dazu Breuer, in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 5. Kap. Rn. 122 f. 172 Lediglich für Maßnahmen aufgrund der Bauleitplanung findet sich mit dem (in den Ländern unmittelbar anwendbaren) § 21 BNatSchG eine spezielle Regelung.

A. Normative Steuerungskraft

439

Gestaltung.173 Die betreffenden Regelungen sind zwar an die Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes gebunden. Diese sind aber meist konkretisierungsbedürftig.174 Es kommt hinzu, dass die Länder ab 1.1.2010 (bzw. zuvor, wenn und soweit der Bund nach Inkrafttreten der Föderalismusreform 2006 von seiner ihm verbliebenen Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat) unter bestimmten Voraussetzungen von Regelungen des Bundesnaturschutzgesetzes abweichen dürfen, s. Art. 125 b Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG.175 Umgekehrt sind zunehmend ausgeprägte gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zu beachten.176 Auch der Umsetzung der Staatszielbestimmung „Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebiete“ i. S. des Art. 40 Abs. 4 S. 1 BbgVerf sind kompetentiell keine allzu engen Grenzen gezogen. Zwar gilt das Bundesnaturschutzgesetz, wie gesagt, seit der Föderalismusreform 2006 und dem Wegfall der Rahmengesetzgebung materiell mit der Wirkung eines Bundesrahmengesetzes fort. Als punktuelle Vollregelung ist jedoch lediglich der Biotopschutz i. S. des § 30 BNatSchG zu vermerken. Zudem greifen die grundlegenden Bestimmungen zu Schutz, Entwicklung und Pflege von bestimmten Teilen der Natur und Landschaft (§§ 22 ff. BNatSchG) in den Ländern nicht unmittelbar,177 d. h. die betreffenden Bestimmungen sind ohne landesrechtliche Umsetzung nicht anwendbar.178 Unter bestimmten Voraussetzungen haben die Länder außerdem die besagte Abweichungsbefugnis (Art. 125 b Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG). Art. 40 Abs. 4 S. 1 BbgVerf entfaltet folglich durchaus normative Steuerungskraft.

___________ 173

Ebenso Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 140 m.w.N. Auch wenn der Landesgesetzgeber insoweit über einen z. T. erheblichen Spielraum verfügt, darf nicht übersehen werden, dass bestimmte Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes gem. dessen § 11 unmittelbar in den Ländern gelten. 175 Keine Abweichungsbefugnis besteht bei den allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzes und anderen abweichungsfesten Sektoren nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG; zu diesen Sektoren Kloepfer, FS Scholz, S. 651 (662 f.) m.w.N.; Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (492 f.); zum Ganzen Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 40 ff.; ders., in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 123 m.w.N. 176 Exemplarisch erwähnt sei die sog. FFH-Richtlinie (RL 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen [FaunaFlora-Habitat-Richtlinie] v. 21.5.1992 [ABl. L 206, S. 7]). 177 s. etwa das abgestufte Schutzsystem (Naturschutzgebiet, Nationalpark, Biosphärenreservat, Landschaftsschutzgebiet, Naturpark, Naturdenkmal sowie geschützter Landschaftsteil) der §§ 22 ff. BNatSchG. 178 Die Länder können Teile von Natur und Landschaft einer der Schutzkategorien, die von § 22 Abs. 1 BNatSchG vorgegeben sind, zuordnen. Durch die entsprechende förmliche Erklärung werden Handlungen, die das betreffende Schutzgebiet gefährden, verboten bzw. einer besonderen Genehmigungspflicht unterworfen. 174

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

2. Pflanzen- und Artenschutz Für die einfachgesetzliche Umsetzung der Staatszielbestimmung „Pflanzenschutz“ (Art. 39 Abs. 3 S. 1 BbgVerf) bleibt dem Land weit weniger Raum.179 Mit Blick auf den Schutz der Nutzpflanzen kann der Landesgesetzgeber diese Zielvorgabe kaum eigenständig umsetzen. Der Bund verfügt über die Zuständigkeit für den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG), und hiervon hat er durch den Erlass des Pflanzenschutzgesetzes180 auch Gebrauch gemacht; die betreffenden Regelungen sind für die Nutzpflanzen abschließend und umfassend. Weniger enge Grenzen sind dem Landesgesetzgeber hinsichtlich des Schutzes der wildlebenden Pflanzen gezogen. Zwar gewährleisten das Bundesnaturschutzgesetz181 und das Bundeswaldgesetz182 (auch) den Schutz dieser Pflanzenarten. Das Land kann jedoch eigene Naturschutz- und Waldgesetze erlassen, und dabei verfügt es durchaus über Spielraum für eigenständige Gestaltung.183 Ein ähnliches Bild ergibt sich hinsichtlich der normativen Steuerungskraft der Staatszielbestimmung „Artenschutz“ (Art. 39 Abs. 3 S. 2 BbgVerf). Der Bund ist insbesondere im Bereich des Einzelschutzes wildlebender Tier- und Pflanzenarten umfassend und teilweise sogar abschließend tätig geworden.184 Von Bedeutung sind zum einen verschiedene Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes,185 die umfassende Verbotslisten untersagter Verhaltensweisen enthalten und unmittelbar gelten;186 die Länder haben insoweit keine Abwei___________ 179

Ebenso Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 140 m.w.N. PflSchG i.d.F. der Bek. v. 14.5.1998 (BGBl. I, S. 971, ber. S. 1527, 3512). 181 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193). – Zur Kompetenzgrundlage dieses Gesetzes oben unter A. III. 1. 182 BWaldG v. 2.5.1975 (BGBl. I, S. 1037). – Das Bundeswaldgesetz wurde erlassen auf der Grundlage der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 [a.F.] GG). Seit der Föderalismusreform 2006 und dem Wegfall jenes Kompetenztyps gilt dieses Gesetz materiell mit der Wirkung eines Bundesrahmengesetzes fort, s. Art. 125 b Abs. 1 S. 1 GG: Es wurde eine konkurrierende Zuständigkeit des Bundes geschaffen, s. Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG. 183 Die Regelungen des Bundes legen mitunter lediglich Mindeststandards fest bzw. sind konkretisierungsbedürftige Grundsatznormen. Dazu Sparwasser u.a., Umweltrecht, S. 359 f. – Unter bestimmten Voraussetzungen besteht eine Abweichungsbefugnis der Länder (Art. 125 b Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 72 Abs. 3 GG), allerdings nicht für das Recht des Artenschutzes: Dieses ist abweichungsfest, s. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG; dazu Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 40 ff.; ders., in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 123; Kloepfer, Umweltschutzrecht, § 12 Rn. 4; jeweils m.w.N. 184 s. Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 137. 185 Unmittelbare Geltung haben gem. § 11 S. 1 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193) etwa die §§ 42-50 BNatSchG. 186 Nach § 42 Abs. 1 BNatSchG ist nahezu jegliche Beeinträchtigung der besonders geschützten Arten verboten, und § 42 Abs. 2 u. 3 BNatSchG sehen umfangreiche Besitzund Vermarktungsverbote vor; dazu Sparwasser u.a., Umweltrecht, S. 390. – Der Ar180

A. Normative Steuerungskraft

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chungsbefugnis.187 Zum anderen bleibt den Ländern bzgl. jenes Einzelschutzes kein Raum für weitergehende oder eigenständige Regelungen wegen der Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage des Bundesnaturschutzgesetzes erlassen wurden.188 Etwas größer fällt die normative Steuerungskraft des Art. 39 Abs. 3 S. 2 BbgVerf hinsichtlich des Schutzes der Lebensräume wildlebender Tiere und Pflanzen aus. Die Länder können Teile von Natur und Landschaft einer der von § 22 Abs. 1 BNatSchG vorgegebenen Schutzkategorien zuordnen und sie damit einem abgestuften Schutzsystem unterstellen: Die grundlegenden Bestimmungen zu Schutz, Entwicklung und Pflege von bestimmten Teilen der Natur und Landschaft, die in den §§ 22 ff. BNatSchG normiert sind, gelten in den Ländern nicht unmittelbar.189

3. Verhinderung, Behebung und Ausgleich von Umweltschäden Recht überschaubar ist auch die normative Steuerungskraft des Art. 39 Abs. 5 S. 1 BbgVerf, demzufolge Umweltschäden zu verhindern, zu beheben oder auszugleichen sind. Der Bund besitzt zwar keine umfassende Gesetzgebungszuständigkeit für den Umweltschutz.190 Er verfügt hier aber gleichwohl über weitreichende Kompetenzen: Die Umweltkompetenz folgt als typische Annexkompetenz jeweils der Sachkompetenz, und zwar bei der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ebenso wie bei der konkurrierenden.191 Von diesen Kompetenzen hat der Bund umfassend Gebrauch gemacht. Im Bereich seiner konkurrierenden Zuständigkeit hat er etwa zum Schutz vor Umweltgefahren, die von der Herstellung von Wirtschaftsgütern herrühren, neben

___________ tenschutz wird maßgeblich durch den unmittelbaren Schutz bestimmter (wildlebender) einheimischer Tiere und Pflanzen gewährleistet, s. § 39 Abs. 1 BNatSchG; Kloepfer, Umweltrecht, § 10 Rn. 70. 187 Das Artenschutzrecht ist abweichungsfest; dazu soeben unter A. III. 2., Fn. 183. 188 s. etwa die „Verordnung zum Schutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten“ (Bundesartenschutzverordnung) v. 16.2.2005 (BGBl. I, S. 258, ber. S. 896), gestützt auf § 52 Abs. 1 BNatSchG. 189 Dazu oben unter A. III. 1. 190 In den Artt. 70 ff. GG findet sich kein diesbezüglicher Kompetenztitel. 191 Voraussetzung ist, dass der betreffende Sachbereich mittelbaren Umweltbezug aufweist. Demzufolge verfügt der Bund im Bereich „Verteidigung“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) über die ausschließliche Umweltkompetenz. Gleiches gilt für den Luftverkehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), den Verkehr von Eisenbahnen des Bundes einschließlich Bau, Unterhaltung und Betrieb der Schienenwege (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 a GG) sowie für Postwesen und Telekommunikation (Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG).

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

dem Wasch- und Reinigungsmittelgesetz192 das Energieeinsparungsgesetz193 erlassen. Die kernenergiespezifische Gefahrenabwehr194 hat er geregelt durch das Atom-195 sowie das Strahlenschutzvorsorgegesetz196. Des Weiteren wird durch das Chemikaliengesetz197 (auch und gerade) im Interesse der Umwelt die Herstellung und der Vertrieb bestimmter gefährlicher Stoffe beschränkt bzw. verboten. Von seiner Zuständigkeit für den Pflanzen- und Tierschutz198 hat der Bund durch den Erlass des Pflanzenschutz-199 und des Tierschutzgesetzes200 umfassenden Gebrauch gemacht.201 Die Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung sind bundesrechtlich sogar nahezu abschließend geregelt:202 die Abfallwirtschaft durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz,203 die Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz,204 ___________ 192 „Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln“ v. 29.4.2007 (BGBl. I, S. 600), gestützt auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. 193 „Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden“ i.d.F. der Bek. v. 1.9.2005 (BGBl. I, S. 2684), erlassen auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. 194 Dazu zählen etwa die Ermittlung und Bewertung der Umweltradioaktivität sowie die Festlegung von Grenzwerten in Lebens- und Futtermitteln. 195 AtG i.d.F. der Bek. v. 15.7.1985 (BGBl. I, S. 1565), erlassen auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 a GG (a.F.) GG. – Mit der Föderalismusreform 2006 wurde für das Kernenergie- und Strahlenschutzrecht eine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes geschaffen, s. Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG. 196 „Gesetz zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung“ (Strahlenschutzvorsorgegesetz) v. 19.12.1986 (BGBl. I, S. 2610), erlassen auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 a (a.F.) GG. Inzwischen verfügt der Bund hier über eine ausschließliche Zuständigkeit; dazu soeben unter A. III. 3, Fn. 195. 197 ChemG i.d.F. der Bek. v. 2.7.2008 (BGBl. I, S. 1146). – Die Kompetenzgrundlage dieses Gesetzes ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, nicht Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Jener Kompetenztitel ist sachnäher: In ihm ist ausdrücklich der Verkehr mit Giften benannt; a.A. (für Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn. 54 Fn. 135. 198 Als Kompetenzgrundlage ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG einschlägig. 199 PflSchG i.d.F. der Bek. v. 14.5.1998 (BGBl. I, S. 971, ber. S. 1527, 3512). 200 TierSchG i.d.F. der Bek. v. 18.5.2006 (BGBl. I, S. 1206, ber. S. 1313). 201 Für die Nutztiere sind die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes abschließend: Haltung, Pflege, Unterbringung und Beförderung sind ebenso umfassend geregelt wie das Schlachten und Tierversuche; daneben enthält jenes Gesetz organisatorische Regelungen zur Überwachung und Förderung des Tierschutzes. – Für den Schutz der wildlebenden Tiere kann auf die parallelen Ausführungen zum Schutz wildlebender Pflanzen unter A. III. 2. verwiesen werden. 202 Als Kompetenztitel greift Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. 203 KrW-/AbfG v. 27.9.1994 (BGBl. I, S. 2705). 204 BImSchG i.d.F. der Bek. v. 26.9.2002 (BGBl. I, S. 3830). – Seit der Föderalismusreform 2006 verfügen die Länder generell über die ausschließliche Zuständigkeit für den Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm, vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. Vor jener Reform konnten sie insoweit im Wege kompetenzausfüllender Gesetzgebung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz tätig werden. Dazu Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 103.

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das Fluglärmschutzgesetz205 und das Benzinbleigesetz.206 Auch für die Gentechnik finden sich umfassende bundesrechtliche Bestimmungen.207 Gleiches gilt für die von Schiffen ausgehenden Verunreinigungen der Wasserstraßen.208 Ebenso fallen die Regelungen des Umwelt-Privatrechts (neben dem zivilrechtlichen Nachbarrecht i. S. der §§ 903 ff. BGB etwa das Umwelthaftungsgesetz) und das Umwelt-Strafrecht (etwa §§ 324 ff. StGB) unter die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes.209 Daneben hat der Bund seine (mit der Föderalismusreform 2006 entfallenen) Rahmengesetzgebungszuständigkeiten für das Jagdwesen, den Naturschutz und die Landschaftspflege (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 [a.F.] GG) sowie für die Raumordnung und den Wasserhaushalt (Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 [a.F.] GG) teilweise vollständig ausgeschöpft;210 z. T. hat er sogar punktuelle Vollregelungen erlassen. Die betreffenden Gesetze gelten seit der Föderalismusreform 2006 und dem Wegfall des Kompetenztyps „Rahmengesetzgebung“ materiell mit der Wirkung von Bundesrahmengesetzen fort (Art. 125 b Abs. 1 S. 1 GG),211 wobei die Länder unter bestimmten Voraussetzungen von ihnen abweichen dürfen (Art. 125 b ___________ 205 „Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm“ i.d.F. der Bek. vom 31.10.2007 (BGBl. I, S. 2550). 206 „Gesetz zur Verminderung von Luftverunreinigungen durch Bleiverbindungen in Ottokraftstoffen für Kraftfahrzeugmotore“ v. 5.8.1971 (BGBl. I, S. 1234). 207 s. das „Gesetz zur Regelung der Gentechnik“ (Gentechnikgesetz) i.d.F. der Bek. v. 16.12.1993 (BGBl. I, S. 2066), gestützt auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG. – Bis zur Einfügung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG im Zuge der Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBl. I, S. 3146) wurde die Zuständigkeit des Bundes für den Bereich der Gentechnik aus einer Zusammenschau verschiedener Kompetenztitel hergeleitet, also aus einer für das Umweltrecht nicht ungewöhnlichen „Mosaikkompetenz“ (H. Hofmann, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 21 Rn. 23). 208 Die betreffenden Regelungen sind vom „nautischen Katalog“ des Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG erfasst, s. BVerwG JZ 1993, S. 947 (948). – Das „Gesetz zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen“ war nicht von jenem Kompetenztitel gedeckt und demnach nichtig. Dazu BVerfGE 15, 1 ff. 209 BGB i.d.F. der Bek. v. 2.1.2002 (BGBl. I, S. 42, ber. S. 2909 u. BGBl. 2003 I, S. 738), Umwelthaftungsgesetz v. 10.12.1990 (BGBl. I, S. 2634) und StGB i.d.F. der Bek. v. 13.11.1998 (BGBl. I, S. 3322); Kompetenzgrundlage ist jeweils Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. 210 Bereits an anderer Stelle angesprochen wurden das Bundesnaturschutzgesetz, das Raumordnungsgesetz (oben unter A. III. 1.) und das Bundeswaldgesetz (oben unter A. III. 2.). Zu nennen sind daneben das BJagdG i.d.F. der Bek. v. 29.9.1976 (BGBl. I, S. 2849) sowie das WHG i.d.F. der Bek. v. 19.8.2002 (BGBl. I, S. 3245), erlassen auf Grundlage der diesbezüglichen Rahmengesetzgebungskompetenzen des Bundes (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 bzw. 4 [a.F.] GG). 211 Für die einschlägigen Materien wurden konkurrierende Zuständigkeiten des Bundes geschaffen, s. Art. 74 Abs. 1 Nr. 28, 29, 31 u. 32 GG. – An den „Rahmen“, den die betreffenden Bundesgesetze weiterhin vorgeben, bleiben die Länder gem. Art. 125 b Abs. 1 S. 2 GG gebunden. Dazu Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 125 b Rn. 3 ff.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 72 Abs. 3 GG).212 Vor diesem Hintergrund verfügt das Land Brandenburg bzgl. der Behebung wie auch hinsichtlich des Ausgleichs von Umweltschäden kaum über Möglichkeiten zur einfachgesetzlichen Umsetzung. Nichts anderes gilt für die Verhinderung von Umweltschäden.213

IV. Bereich Wirtschaft und Finanzen

1. Wettbewerb und Chancengerechtigkeit sowie „Breite Streuung des Eigentums“ Über geringe normative Steuerungskraft verfügt auch Art. 42 Abs. 1 S. 2 BbgVerf,214 demzufolge Brandenburg Wettbewerb und Chancengerechtigkeit anstrebt. Der Bund hat seine Kompetenz zur Regelung der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) umfassend, wenn auch nicht vollständig, ausgeschöpft. Die Föderalismusreform 2006 stärkte die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder in diesem Bereich lediglich hinsichtlich Materien mit regionalem Bezug.215 Zudem hat der Bund in Ausübung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG („Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung“) das „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ erlassen.216 Des Weiteren rücken zunehmend gemeinschaftsrechtliche Regelungen in den Vordergrund:217 Es gibt kaum einen Bereich des Wirtschaftsrechts, der nicht entweder harmonisiert wurde oder jedenfalls (durch die Grundfreiheiten) unter erheblichen Anpassungsdruck geraten wäre.218 ___________ 212 Dazu mit Blick auf das Bundesnaturschutzgesetz und das Raumordnungsgesetz oben unter A. III. 1., für das Bundeswaldgesetz oben unter A. III. 2. – Auch das Jagdwesen fällt (mit Ausnahme des Rechts der Jagdscheine) unter die Abweichungsgesetzgebung, s. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GG. Gleiches gilt für den Wasserhaushalt, wobei stoffoder anlagenbezogene Regelungen nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 GG abweichungsfest sind (dazu Kloepfer, FS Scholz, S. 651 [663 f.]) und die Abweichungsbefugnis im Übrigen erst nach dem 1.1.2010 bzw. zuvor nur dann greift, wenn und soweit der Bund seit Inkrafttreten der Föderalismusreform 2006 von seiner ihm verbliebenen Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat, s. Art. 125 b Abs. 1 S. 3 GG. 213 Hier hat der Bund umfängliche Regelungen in § 19 BNatSchG getroffen, s. oben unter A. III. 1. 214 Vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 77. 215 Dazu oben unter A. I. 1., Fn. 5. 216 GWB i.d.F. der Bek. v. 15.7.2005 (BGBl. I, S. 2114). 217 Die fortschreitende Integration Europas unterwirft insbesondere die mitgliedstaatlichen Wirtschaftsordnungen mehr und mehr gemeinschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen. Zu den wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielräumen, die den Mitgliedstaaten verblieben sind, Hatje, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 683 (732 ff.). 218 Zur Europäisierung der Wirtschaftspolitik etwa R. Schmidt, in: ders./Vollmöller, Kompendium Wirtschaftsrecht, § 4 Rn. 5 ff.; zum Ausbau der EG zur „Wirtschaftsunion“ Everling, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 847 (856 ff.); zur gemeinschaftsrechtlichen Überformung des Wirtschaftsrechts i. S. des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG be-

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Bei unveränderter kompetentieller Ausgangslage fällt auch die normative Steuerungskraft der „Förderung der breiten Streuung des Eigentums“ i. S. des Art. 41 Abs. 3 BbgVerf eher gering aus.219 Zwar hat der Bund jene Kompetenz zur Regelung der Wirtschaft nicht vollständig ausgeschöpft. Landesrechtliche Förderpflichten, die über bundesrechtliche Bestimmungen hinausgehen, sind daher durchaus möglich.220 Das Land kann bspw. ein Gesetz über die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der in der freien Wirtschaft tätigen freien Berufe erlassen.221 Im Bereich des Grundeigentums verfügt der Landesgesetzgeber demgegenüber über keine Zuständigkeiten (mehr): Hier hat der Bund das Grundstücksverkehrsgesetz erlassen.222 Auch die Vermögensbildung der Arbeitnehmer ist bundesrechtlich geregelt.223 Letztlich bleibt dem Land hinsichtlich der „Förderung der breiten Streuung des Eigentums“ daher kein Raum für ein eigenständiges Gesamtkonzept.

2. Regionale Strukturförderung sowie Förderung der Land- und Forstwirtschaft Als eher gering ist auch die normative Steuerungskraft der Staatszielbestimmung „regionale Wirtschaftsförderung“ (Art. 44 BbgVerf) zu beurteilen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass gem. Art. 91 a Abs. 2 (a.F.) GG ein Bundesgesetz zur näheren Ausgestaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (jetzt Art. 91 a Abs. 1 Nr. 1 GG) erlassen wurde.224 Zum anderen bestimmt mittlerweile namentlich die Regionalpolitik nach Artt. 158 ff. EG (Artt. 174 ff. AEU) den rechtlichen Rahmen für die Durchfüh-

___________ reits Pestalozza, in: v. Mangoldt u.a., GG VIII (3. Aufl.), Art. 74 Rn. 666 ff., 670 ff., 675 f., 677 ff., 684 f., 686 ff. – Zu den Grundfreiheiten im Prozess der Europäisierung Kingreen, in: v. Bogdandy, Verfassungsrecht, S. 631 (635 ff.). 219 Vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 77. 220 Dazu, dass die betreffenden bundesrechtlichen Regelungen nicht abschließend sind, P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 76. 221 Vgl. das Gesetz zur Förderung des Mittelstandes im Land Brandenburg (brandenburgisches Mittelstandsförderungsgesetz) v. 8.5.1992 (BbgGVBl., S. 166). – Freilich ist nicht jedes Fördermittel zulässig. So dürfen etwa bestimmte Subventionen lediglich unter Beachtung strenger gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben gewährt werden. 222 GrdstVG v. 28.7.1961 (BGBl. I, S. 1091, ber. S. 1652, 2000). 223 s. das „Gesetz zur Förderung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und anderer Formen der Vermögensbildung (Drittes Vermögensbeteiligungsgesetz)“ v. 7.9.1998 (BGBl. I, S. 2647). 224 Es handelt sich um das „Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe ‚Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur’“ v. 6.10.1969 (BGBl. I, S. 1861). – Zur Neufassung des Art. 91 a GG 2006 Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 91 a Rn. 8 ff.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

rung dieser Aufgabe.225 Für eine eigenständige Wirtschaftsförderstrategie bleibt dem Land somit wenig Raum.226 Noch geringer fällt die normative Steuerungskraft der „Förderung der Landund Forstwirtschaft“ i. S. des Art. 43 Abs. 2 BbgVerf aus. Der Bund besitzt zwar keine allgemeine Kompetenz für Agrar- und Forstwirtschaft. Er ist jedoch für die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung zuständig nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG.227 Von dieser Gesetzgebungskompetenz hat er umfassend Gebrauch gemacht, und zwar durch das Absatzfondsgesetz,228 das Bundeswaldgesetz,229 das Forstschäden-Ausgleichsgesetz,230 das Grundstücksverkehrsgesetz,231 das Landwirtschafts-232 und das Tierzuchtgesetz.233 Gestützt auf Art. 91 a Abs. 2 (a.F.) GG hat der Bund darüber hinaus die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur“ (jetzt Art. 91 a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 GG) ausgestaltet.234 Des Weiteren ist auf die EG-Agrarstrukturpolitik (Art. 32 ff. EG [Art. 38 ff. AEU]) zu verweisen, die hier mittlerweile eine äußerst gewichtige

___________ 225

Diese Gemeinschaftsaufgabe wird durch die EG-Regionalpolitik einerseits begrenzt, andererseits stehen beide (auch) in einem Verhältnis des Miteinander; im Einzelnen Volkmann, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 91 a Rn. 10 f. – Zur Regional- und Strukturpolitik der EG Epiney, in: Bieber u.a., Union, § 27 Rn. 1 ff.; Oppermann u.a., Europarecht, § 19 Rn. 63 ff.; beide m.w.N. 226 Das Land Brandenburg kann etwa entscheiden, ob es Wachstumskerne fördert, oder ob es das Konzept einer eher dezentralen Konzentration verfolgt, also insbesondere die fern der wirtschaftlich starken, um Berlin liegenden Regionen fördert. So oder so, die regionale Wirtschaftsförderung schwebt regelmäßig in der Gefahr, von der EGKommission als unzulässige Beihilfe nach Art. 87 EG (Art. 107 AEU) unterbunden zu werden. – Zur EG-Beihilfenkontrolle Haratsch u.a., Europarecht, Rn. 1064 ff.; P. M. Huber, Recht, § 17 Rn. 100 ff.; jeweils m.w.N. 227 Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG umfasst die Förderung der sog. Urproduktion im Gegensatz zu Produktion, Handel und gewerblicher Verarbeitung. Unter diesen Kompetenztitel fallen demnach der Garten- und Obstbau ebenso wie die Fisch- und die sonstige Tierzucht. Dazu Oeter, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 74 Rn. 131. 228 „Gesetz über die Errichtung eines zentralen Fonds zur Absatzförderung der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft“ i.d.F. der Bek. vom 4.10.2007 (BGBl. I, S. 2342). 229 BWaldG v. 2.5.1975 (BGBl. I, S. 1037). – Zur Kompetenzgrundlage dieses Gesetzes oben unter A. III. 2. 230 „Gesetz zum Ausgleich von Auswirkungen besonderer Schadensereignisse in der Forstwirtschaft“ i.d.F. der Bek. v. 26.8.1985 (BGBl. I, S. 1756). 231 GrdstVG v. 28.7.1961 (BGBl. I, S. 1091, ber. S. 1652, 2000). 232 Landwirtschaftsgesetz v. 5.9.1955 (BGBl. I, S. 565). 233 Tierzuchtgesetz v. 21.12.2006 (BGBl. I, S. 3294). 234 Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ i.d.F. der Bek. v. 21.7.1988 (BGBl. I, S. 1055). – Nachweis zur Neufassung des Art. 91 a GG im Zuge der Föderalismusreform 2006 soeben unter A. IV. 2., Fn. 224.

A. Normative Steuerungskraft

447

Rolle spielt.235 Zudem besteht für nahezu alle wichtigen europäischen Agrarprodukte eine gemeinschaftsrechtliche Marktordnung,236 die inhaltlich zumeist erschöpfend ausfällt.237 Das Land kann Art. 43 Abs. 2 BbgVerf demnach allenfalls durch die Förderung der Wirtschaftsbeziehungen von Industrie und Handel mit dem Ausland eigenständig umsetzen.238

V. Bereich Auswärtiges und Verteidigung

1. Europäische Union Über große normative Steuerungskraft verfügt die Staatszielbestimmung „Europäische Union“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. Diese überschießende Zielvorgabe des Grundgesetzes, die mit dem Vertrag von Lissabon nicht abschließend verwirklicht ist,239 fällt in einen Bereich, in dem der Bund nach der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung über umfassende Möglichkeiten der Umsetzung verfügt: Auswärtiges und Verteidigung (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG). ___________ 235

Wie bereits bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ wirkt sich das Gemeinschaftsrecht auf die „Verbesserung der Agrarstruktur“ i. S. des Art. 91 a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 GG nicht nur begrenzend aus, sondern es sind auch wechselseitige Instrumentalisierungen zu konstatieren. Dazu Volkmann, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 91 a Rn. 10 f. 236 Die Marktordnung bezeichnet die Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die für ein bestimmtes Erzeugnis den Markt regulieren und hoheitlicher Aufsicht unterstellen; dazu Bieber, in: ders. u.a., Union, § 23 Rn. 16 ff. – Zur Gemeinsamen Agrarpolitik Oppermann u.a., Europarecht, § 25 Rn. 1 ff.; zur Agrarstrukturpolitik dies., Rn. 26, 61 ff.; jeweils m.w.N. 237 s. bereits Knöpfle, in: Nawiasky u.a., BayVerf, vor Artt. 163-165 Rn. 11. 238 Dies rechnet nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes zum Zuständigkeitsbereich der Länder, s. Graf Vitzthum, in: Maurer/Hendler, BaWüStVerwR, S. 600 (616). – Die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse hingegen fällt gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG ausdrücklich in den Zuständigkeitsbereich des Bundes. 239 Die Europäische Einigung ist ein dynamisch voranschreitender Prozess. Auch Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG steht künftigen Revisionen des Primärrechts nicht entgegen; dazu Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rn. 12 ff., 27, 43 ff. – Soll die Vertiefung der Integration nicht zum Erliegen kommen, ist die (weitere) Flexibilisierung künftiger Integrationsschritte unausweichlich: Mit jeder Erweiterung nahm bzw. nimmt die Heterogenität der EU/EG zu. Im Einzelnen zur verstärkten Zusammenarbeit (Artt. 27 a-e, 4040 b, 43-45 EU, Artt. 11, 11 a EG [Art. 20 EUzF, Artt. 82 Abs. 3, 83 Abs. 3, 87 Abs. 3, 326-334 AEU]) Haratsch u.a., Europarecht, Rn. 106 ff.; Oppermann u.a., Europarecht, § 12 Rn. 18 ff.; zu Modellen einer Flexibilisierung der Integration R. Hofmann, EuR 34 (1999), S. 713 (714 ff.); Wessels/Jantz, in: Hrbek, Reform, S. 345 (346 ff.). – Eine solche Flexibilisierung ist freilich nicht unproblematisch. Sie wirft zum einen die Frage auf, wie sich die Finalität des Integrationsprozesses gewährleisten lässt, zum anderen die, wieviel Differenzierung die EU/EG als Rechtsgemeinschaft und verlässlicher Handlungsrahmen verträgt; vgl. P. M. Huber, EuR 31 (1996), S. 347 (349 ff.); Rambow, FS Everling II, S. 1169 (1171).

448

8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Die Zielvorgabe „Europäische Union“ kann zwar allein im Zusammenwirken mit ausländischen Vertragspartnern verwirklicht werden.240 Für den Umfang ihrer normativen Steuerungskraft hat dies aber keine Bedeutung; der Staatszielbestimmung ist lediglich die Erfolgsverpflichtung genommen.241

2. Zusammenarbeit mit anderen Völkern sowie „Eine Welt“ Kein Raum bleibt zur einfachgesetzlichen Umsetzung der landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung „Zusammenarbeit mit anderen Völkern“ nach Art. 2 Abs. 1 BbgVerf und „Eine Welt“ i. S. der Präambel der brandenburgischen Verfassung.242 Die „Nachbarschafts-Klausel“ des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf, demzufolge Brandenburg die Zusammenarbeit mit anderen Völkern anstrebt, ist für den Landesgesetzgeber ebenso ohne größere praktische Bedeutung wie der Handlungsauftrag, das „Bundesland Brandenburg als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland [...] in der Einen Welt zu gestalten“. Sofern diese Aspekte einzelstaatlich (und nicht durch völkerrechtliche Verträge) zu regeln sind,243 liegt die Gesetzgebungszuständigkeit gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG ausschließlich beim Bund.244 Dem Land fehlt bspw. die Rechtsetzungskompetenz dafür, durch die Festschreibung entwicklungspolitischer Aktivitäten an einem gerechten Ausgleich zwischen armen und reichen Völkern mitzuwirken.

___________ 240

Zu den Mitgliedstaaten als den „Herren der Verträge“ 1. Kap. unter A. II. s. 3. Kap. unter A. 242 Ebenso zu Art. 12 SächsVerf Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 29; vgl. P. Krause, JöR 51 (2003), S. 403 (408), demzufolge Art. 60 Abs. 2 S. 2 als entsprechende Vorschrift der saarländischen Verfassung lediglich geringe praktische Bedeutung hat. 243 Die förmliche Rechtsgrundlage für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Kommunen etwa Baden-Württembergs findet sich im „Übereinkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Französischen Republik, der Regierung des Großherzogtums Luxemburg und dem Schweizerischen Bundesrat über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und örtlichen öffentlichen Stellen“ v. 23.1.1996. Dieses sog. „Karlsruher Übereinkommen“ regelt kommunale grenzüberschreitende Kooperationsvereinbarungen, Beteiligungen an und Mitbenutzung von kommunalen Einrichtungen sowie grenzüberschreitende örtliche „Zweckverbände“; eingehend Halmes, DÖV 1996, S. 933 ff. – Der Landtag von Baden-Württemberg hat das „Karlsruher Übereinkommen“ am 12.2.1996 (BaWüGBl., S. 173) in Landesrecht transformiert. 244 Dazu Grewe, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III (2. Aufl.), § 77 Rn. 79 ff. – Weitere spezielle Regelungen finden sich etwa in Art. 73 Abs. 1 Nr. 3, 5 u. 13 GG sowie in Art. 74 Abs. 1 Nr. 4, 17 u. 21 GG. Dazu ders., ebd., Rn. 88; Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 106 ff. 241

A. Normative Steuerungskraft

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Eine Umsetzungskompetenz ergibt sich auch nicht aus Art. 32 Abs. 3 GG,245 der die innerstaatlichen Voraussetzungen dafür schafft, dass die Länder ihre völkerrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit wahrnehmen können. Demnach hat Brandenburg im verfassungsrechtlichen Innenverhältnis zwar auch die Kompetenz, Verträge mit auswärtigen Staaten abzuschließen. Ein solcher Abschluss steht jedoch unter restriktiven Voraussetzungen. Zum einen sind die Länder lediglich in denjenigen Bereichen ermächtigt, in denen sie über die Gesetzgebungs- oder Verwaltungszuständigkeit verfügen. Zum anderen muss die Bundesregierung solchen Verträgen vor der endgültigen Bindungserklärung zustimmen. Fehlt diese Zustimmung, liegt ein evidenter Mangel vor, der zur Unwirksamkeit des Vertragsschlusses führt.246 Ebenso wenig ist eine Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Umsetzung jener Staatszielbestimmungen dadurch gegeben, dass die Länder gem. Art. 24 Abs. 1 a GG, soweit sie für die Erfüllung staatlicher Aufgaben zuständig sind, (eigene) Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen übertragen können.247 Die Länder dürfen zwar (durch völkerrechtliche, aber auch verwaltungsrechtliche Verträge) in den Bereichen, in denen sie nach Art. 32 GG handeln können, neue Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit etablieren.248 Es fehlt aber wiederum eine eigenständige Umsetzungskompetenz; die Übertragung von Hoheitsrechten bedarf der Zustimmung der Bundesregierung.249 Das Land kann die Zielvorgaben „Eine Welt“ und „Zusammenarbeit mit anderen Völkern“ folglich allenfalls dadurch umsetzen, dass es Auslandsbeziehungen aufbaut.250 Die vereinzelt vertretene Auffassung, solches Handeln zähle nicht zu jener Umsetzung,251 greift zu kurz: Die Tatsache, dass die betreffenden ___________ 245

Aus Art. 32 Abs. 1 GG ergibt sich, dass der Bund grundsätzlich umfassend für die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten (und nicht etwa lediglich für die vertragsförmlichen Außenbeziehungen) zuständig ist, s. 5. Kap. unter B. V. 1. 246 Zum Ganzen Kempen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 32 Rn. 91; Kunig, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Abschn. 2 Rn. 62 ff.; beide m.w.N. – Das Fehlen der Zustimmung schlägt auf die innerstaatliche Wirksamkeit des betreffenden Vertrages durch: das den Vertrag umsetzende Landesgesetz wäre unwirksam. 247 Ebenso Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 153. 248 Dazu etwa Beyerlin, ZaöRV 54 (1994), S. 587 (602). 249 Zu den Schranken, an die eine solche Übertragung von Hoheitsrechten gebunden ist, etwa Classen, in: v. Mangoldt u.a., GG II, Art. 24 Rn. 74 m.w.N.; Rennert, FS Böckenförde, S. 199 ff. 250 Vgl. Grewe, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III (2. Aufl.), § 77 Rn. 84; Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 145 f. – Es ergibt sich bereits aus der Staatsqualität der Länder, dass diese auch völkerrechtliche Beziehungen zu Nachbarstaaten oder nachbarschaftliche Beziehungen zu den angrenzenden Regionen eines Nachbarlandes unterhalten können. 251 So etwa bzgl. Art. 12 SächsVerf Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 152, unter Verweis darauf, außer dem betreffenden Land sei immer noch ein weiterer (und zwar ein ausländischer) Vertragspartner beteiligt.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Staatszielbestimmungen allein im Zusammenwirken mit ausländischen Vertragspartnern verwirklicht werden können, nimmt ihnen lediglich die Erfolgsverpflichtung.252 Für den Umfang der normativen Steuerungskraft der „Nachbarschafts-Klausel“ des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf wie auch der Zielvorgabe „Eine Welt“ ist jene Umsetzungsmöglichkeit freilich bedeutungslos.

3. ABC-Waffen-Freiheit sowie Konversion militärischer Liegenschaften Auch der Umsetzung der Politikziele, die Verankerung in Artt. 39 Abs. 9 und 40 Abs. 5 BbgVerf gefunden haben, sind äußerst enge Grenzen gezogen. Beide Staatszielbestimmungen erlegen dem Land Verpflichtungen in einem Bereich auf, der zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes rechnet.253 Dessen Zuständigkeit ist nicht erst dann verletzt, wenn ein Land sachlich regelnd in die Bundesmaterie eingreift. Vielmehr ist es bereits unzulässig, wenn ein Land die Bundesorgane durch von ihm ausgeübten Druck zwingen will, eine getroffene Sachentscheidung zu ändern.254 Die Zielvorgaben „ABC-WaffenFreiheit des Landesgebiets“ und „Konversion militärischer Liegenschaften“ entfalten somit keinerlei Steuerungskraft. Bei Art. 39 Abs. 9 BbgVerf handelt es sich um ein normativ folgenloses Bekenntnis des Landes zum Inhalt völkerrechtlicher Vereinbarungen des Gesamtstaats;255 ebenso wenig normative Relevanz hat Art. 40 Abs. 5 BbgVerf.256

___________ 252

Vgl. insoweit Art. 23 Abs. 1 GG; dazu oben unter A. V. 1. Dazu 5. Kap. unter B. V. 4. vor a) u. 5. 254 Vgl. BVerfGE 8, 104 (116). – Entgegen vereinzelter Stimmen in der Literatur (etwa Merten, DÖV 1993, 368 [375]) wird ein solcher Druck noch nicht allein in der Normierung des Art. 39 Abs. 9 BbgVerf gesehen werden können. Erst bei weiterem Tätigwerden der Landesorgane ist ein unzulässiger Eingriff in den Kompetenzbereich des Bundes anzunehmen: Nach hier zugrunde gelegtem Ansatz (4. Kap. unter D. I. 1. a] c]) haben die Artt. 70 ff. GG für den Erlass landesverfassungsrechtlicher Normen keine Bedeutung. 255 Die normative Wirkkraft der Zielvorgabe in der Praxis bezweifelt Kanther, Landesverfassungen, S. 180; D. Franke/Kneifel-Haverkamp, JöR 42 (1994), S. 111 (144); Sacksofsky, NVwZ 1993, S. 235 (238); zurückhaltend auch Iwers, Landesverfassung, S. 605; Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (174). Vgl. Stiens, Chancen, S. 297: Art. 39 Abs. 9 BbgVerf „erschöpft sich in bloßer politischer Programmatik“. 256 Weder darf sich die Landesexekutive unter Verweis auf Art. 40 Abs. 5 BbgVerf der Zusammenarbeit mit dem Bund etwa bei Einrichtung von Kasernen und Munitionsdepots verweigern, noch dürfen dies die Kommunen gegenüber den Standortverwaltungen. Eine Verweigerung verstieße gegen den Grundsatz der Bundestreue: Ein Land kann nicht einerseits die Sicherung des äußeren Friedens durch den Gesamtstaat (vgl. den Verteidigungsauftrag in Art. 87 a Abs. 1 S. 1 GG) genießen, andererseits aber das entsprechende Handeln des Bundes zu erschweren suchen. 253

A. Normative Steuerungskraft

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VI. Bereich Minderheitenschutz

Über große normative Steuerungskraft verfügt demgegenüber die Staatszielbestimmung „Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebiets“ (Art. 25 Abs. 1 BbgVerf). Hier hat das Land vielfältige Möglichkeiten, einfachgesetzlich tätig zu werden. Der schulische Bereich etwa fällt weitestgehend in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder.257 Gleiches gilt für das kulturelle Leben, die Kunst und den Denkmalschutz.258 Dementsprechend sind etwa Maßnahmen zur Bewahrung und Förderung der sorbischen Sprache im öffentlichen Leben wie auch ihre Vermittlung in Schulen und Kindertageseinrichtungen möglich. Ebenso kann der Landesgesetzgeber zur Bewahrung und Förderung der sorbischen Kultur tätig werden.259 Die Staatszielbestimmung „landesgrenzenübergreifende kulturelle Autonomie der Sorben“ (Art. 25 Abs. 2 BbgVerf) erweist sich normativ als ebenso steuerungskräftig. Diese Zielvorgabe kann zwar lediglich im Zusammenwirken mit dem Freistaat Sachsen verwirklicht werden.260 Für den Umfang ihrer normativen Steuerungskraft ist dies aber ohne Bedeutung.261

VII. Fazit

Das Grundgesetz enthält keine überschießenden Staatszielbestimmungen, deren einfachgesetzliche Umsetzung außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Bundes läge. Die Analyse der normativen Spielräume, über die der brandenburgische Gesetzgeber bei der Konkretisierung der überschießenden landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben verfügt, ergibt hingegen ein ernüchterndes Bild. ___________ 257

Dazu oben unter A. II. 1. s. oben unter A. II. 5. u. 6. 259 Vgl. das „Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Wenden) im Land Brandenburg (Sorben[Wenden]-Gesetz)“ v. 7.7.1994 (BbgGVBl. 294). – Wie im Fall des dänischen Bevölkerungsanteils in Schleswig-Holstein ist bzgl. der wirksamen politischen Mitgestaltung der Sorben eine Ausnahme von den Sperrklauseln im Landeswahlrecht möglich, s. § 6 Abs. 6 S. 2 BWG i.d.F. der Bek. v. 23.7.1993 (BGBl. I, S. 1288, ber. S. 1594) und – mit Befreiungen sorbischer Parteien und politischer Vereinigungen der Sorben von den 5%-Sperrklauseln – § 3 Abs. 1 S. 2 u. 3 BbgLWahlG i.d.F. der Bek. v. 28.1.2004 (GVBl. S. 30). Daneben dient der (vom Landtag gewählte) „Rat für sorbische (wendische) Angelegenheiten“ dazu, dass sorbische Interessen bei der Gesetzgebung wahrgenommen werden. 260 Das sorbische Volk siedelt überwiegend im Südosten Brandenburgs (Niederlausitzer Sorben) und im Nordosten Sachsens (Oberlausitzer Sorben); dazu 6. Kap. unter D. 261 Dieser Umstand nimmt Art. 25 Abs. 2 BbgVerf lediglich die Erfolgsverpflichtung; vgl. die Ausführungen unter A. V. 1. zu Art. 23 Abs. 1 GG. 258

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Hier weisen die überschießenden Staatszielbestimmungen meist lediglich geringe normative Steuerungskraft auf. Unter den überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung entfalten allein diejenigen große normative Steuerungskraft, die im Bereich Bildung und Kultur anzusiedeln sind: Insoweit sind grundsätzlich allein die Länder zuständig. In diese Kompetenzdomäne der Länder fällt die Förderung von Schulen ebenso wie etwa die der Kunst. Die Staatszielbestimmungen hingegen, die anderen Sachbereichen gewidmet sind, laufen in der Regel an der entscheidenden Transformationsstelle leer: Sie greifen Materien auf, für die ausschließlich der Bund über die Gesetzgebungszuständigkeit verfügt bzw. die der Bund unter Inanspruchnahme seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz einfachgesetzlich meist erschöpfend geregelt hat. Zu diesen Zielvorgaben mit äußerst geringer normativer Steuerungskraft rechnen etwa die Politikziele wie Art. 39 Abs. 9 BbgVerf; ihre einfachgesetzliche Konkretisierung ist (bei unveränderter Kompetenzverteilung) von vornherein ausgeschlossen. Auch die Umsetzung der Staatszielbestimmungen, die die brandenburgische Verfassung im sozialen Bereich enthält, ist dem Landesgesetzgeber oftmals verwehrt. Gleiches gilt für die überschießenden Zielvorgaben im Bereich Wirtschaft und Finanzen. Durch die Vielzahl der Staatszielbestimmungen mit geringer normativer Steuerungskraft verspricht die brandenburgische Verfassung weit mehr, als das Land einfachgesetzlich halten kann. Das eigenständige Profil, das Brandenburg sich insoweit gegeben hat, kann der Landesgesetzgeber meist nicht mit Leben erfüllen. So ist eine deutliche „Diskrepanz zwischen narrativem Text und normativer Steuerungskraft“262 zu konstatieren. Die große Zahl von Verheißungen mit lediglich deklamatorischem Gehalt lässt sich kennzeichnen als Hinwendung zu einem (eher) narrativen denn normativ-disziplinierten Konstitutionalismus. Es wird damit die Tendenz deutlich, die Verfassung „als eine Art GesamtwerteRegister, als Groß-Bilderbuch“263 zu formulieren. Die betreffenden landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben hinterlassen daher einen schalen Nachgeschmack. Allzu oft wird das Land den hehren Worten keine Taten folgen lassen können. So ist etwa die praktische Relevanz der Staatszielbestimmung „Arbeit“, die den Staat immer wieder von Neuem in die Pflicht nimmt,264 als recht gering zu veranschlagen. Auch hinsichtlich der ande___________ 262

Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (412). Lerche, in: Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Verfassungsdiskussion, S. 15 (19). 264 Die Umsetzung der Staatszielbestimmung „Arbeit“ ist nicht bereits durch den Aufbau einer funktionierenden Arbeitslosenversicherung und die Einrichtung von Stellen der Arbeitsvermittlung abgeschlossen. So aber Malachowski, Recht, S. 100 u. 130, bzgl. des von Art. 163 WRV statuierten Rechts auf Arbeit (das allerdings als unverbindlicher Programmsatz eingeordnet wurde, s. etwa Anschütz, WRV, Art. 163 Anm. 2; dazu 263

A. Normative Steuerungskraft

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ren einzelprogrammatischen sozialen Zielvorgaben lässt sich das „theoretisch“ Gewollte kaum in „praktische“ Verfassungswirklichkeit umsetzen.265 Derart „,verfassungsutopische‘ Leuchtfeuer“266 kennzeichnen eine Abkehr vom Stil des Grundgesetzes.267 In dieser Hinwendung zu einem narrativen Konstitutionalismus wurzeln beträchtliche Gefahren für den Rechtssatzcharakter und die Geltungskraft der Verfassung. Zwar kann die Verfassung durchaus über das aufgaben- und zielpolitische Ethos des Staates Auskunft geben: Der moderne Verfassungsstaat definiert und legitimiert sich auf glied- wie auch auf gesamtstaatlicher Ebene wesentlich von seinen Aufgaben her, und die Verfassung hat (auch) eine Informationsfunktion für den Bürger, der Auskunft über das Selbstverständnis seines Staates sucht.268 Auch eine Landesverfassung muss sich in materialer Hinsicht – eine (rechtsstaatliche) Verfassung kommt nicht ohne materiale Grundordnung aus, ohne derartige Ordnungsprinzipien kann sie ihre Stabilisierungsfunktion nicht ausfüllen269 – keineswegs auf die Bändigung der staatlichen Gewalt etwa durch Gewährleistung der Grundrechte beschränken. Diese kulturelle Funktion der Verfassung darf aber ihre juristische nicht vereiteln.270 Anders gewendet: Die normative Kraft der Verfassungsbestimmungen darf nicht hinter deren appella-

___________ Dietlein, Grundrechte, S. 127). – Zum dynamischen Charakter der Staatszielbestimmungen 2. Kap. unter A. I. 265 Zur Verfassungswirklichkeit Hesse, Grundzüge, Rn. 47. 266 Grimm, in: ders./Papier, NRWStVerwR, S. 1 (62) mit Blick auf die ambitionierten nordrhein-westfälischen Verfassungsbestimmungen zu einer gerechten Wirtschaftsund Sozialordnung. 267 Ebenso Merten, VerwArch 83 (1992), S. 283 (297 f.); Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (413 f.); für die österreichische Rechtstradition Funk, VVDStRL 46 (1988), S. 57 (75 f.). – Das Grundgesetz ist nicht durch Akte symbolischer Verfassunggebung bzw. -änderung geprägt, sondern durch eine normativ-disziplinierte Grundhaltung, s. etwa Scholz, ZG 9 (1994), S. 1 (7). Zu den Auswirkungen eines narrativen Konstitutionalismus Hahn, in: Kämmerer, Grenzen des Staates, S. 113 (117 ff.). 268 Die Vorstellung der Verfassung als „Lesebuch für den Bürger“ hat vereinzelt sogar Eingang in die Verfassungstexte gefunden. So bestimmt etwa Art. 188 BayVerf, dass jeder Schüler vor Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck der Verfassung des Freistaates Bayern erhält. 269 s. Stern, Staatsrecht I, S. 96 f. m.w.N. 270 Vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 202. Die Verfassung ist eben „kein säkularisierter Katechismus, und auch kein Ort für bloße Deklamation oder Glaubensbekenntnisse; vielmehr hat sie der Aufgabe der Ordnung und Begrenzung staatlicher Herrschaft zu genügen“ (v. Mangoldt, Verfassungen, S. 20); vgl. Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (410): Verfassungen seien „keine Sonntagspredigt“. In diese Richtung auch Knies, in: Merten/Schreckenberger, Kodifikation, S. 221 (245 f.): In der Verfassung könne nicht alles verankert werden, „was für eine Nation gut und schön, nützlich oder auch notwendig ist“.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

tiven Charakter zurücktreten.271 Dem ist im Falle der meisten überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung nicht hinreichend Rechnung getragen, hat die kulturelle Funktion der Staatszielbestimmungen im Vergleich zu ihrer juristischen doch umso mehr Gewicht, je weniger normative Steuerungskraft den Zielvorgaben eignet.272 Je geringer aber diese Steuerungskraft, desto geringer auch die Geltungskraft der Verfassung.273 Jene Staatszielbestimmungen, die außerhalb der engeren Landesgesetzgebungskompetenzen liegende Bereiche regeln, schwächen folglich die Verfassung als Rechtssatz,274 da sie etwas versprechen, was das Land aufgrund der Kompetenzverteilungsschemata der Artt. 70 ff. GG nicht einlösen kann.275 Dabei gilt: Je ausgeprägter die Hinwendung zu einem solchen narrativen Konstitutionalismus, desto schwächer die normative Kraft der Verfassung.276 Angesichts dieser Gefährdung des juristischen Gehalts der Verfassung durch Staatszielbestimmungen mit lediglich geringer normativer Steuerungskraft (also die meisten der überschießenden brandenburgischen Zielvorgaben) ist zu Recht darauf hingewiesen worden, der zweite Hauptteil der brandenburgischen Verfassung lese sich „wie ein Katalog von Wünschbarkeiten, wie man ihn eher in ___________ 271 Letztlich bedarf es eben nicht einer lediglich wohlklingenden, sondern auch und gerade einer verbindlichen Verfassung, s. Scholz, FS Lerche, S. 65 (74 f.). – Rechtsvergleichende Studien zeigen freilich, dass sich im Weltmaßstab ein Verfassungsverständnis auf dem Vormarsch befindet, demzufolge die Verfassung weniger als grundrechtlich gebändigtes Entscheidungsprogramm zu sehen ist, sondern primär als „GrundwerteModell“; hierzu Häberle, Verfassungslehre, S. 370 ff.; vgl. Brugger, AöR 126 (2001), S. 271 (282 ff.). 272 Vgl. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 202. – Zu beiden Funktionen einer Verfassung (der kulturellen und der juristischen) Badura, Verfassung, S. 26 ff.; vgl. die Differenzierungen bei Stern, Staatsrecht I, S. 82. 273 Vgl. Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (413 f.); Würtenberger, in: Merten/ Schreckenberger, Kodifikation, S. 115 (117 f.). Insoweit räumen sogar Befürworter der Aufnahme landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen ein, solche Zielvorgaben seien eher kontraproduktiv, s. etwa Wahl, AöR 112 (1987), S. 26 (44 f.); Hufen, BayVBl. 1987, S. 513 (519); vgl. März, Bundesrecht, S. 185 f. 274 Die Gegenauffassung (keine Gefahr für den Rechtssatzcharakter), vertreten etwa von H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (503 f.), greift zu kurz. – Allgemein und grundlegend zum Rechtssatzcharakter der Verfassung Kägi, Verfassung, S. 42. 275 Mit Blick auf Artt. 39 Abs. 9, 40 Abs. 5 BbgVerf stark zugespitzt Merten, DÖV 1993, S. 368 (375): „Der Weltfrieden [hat] in Landesverfassungen nichts verloren und nichts zu gewinnen“. – Zum Übergriff der Kommunen in Kompetenzen des Bundes durch „Atomwaffenfreiheits-Beschlüsse“ etwa Graf Vitzthum, in: Schwarze/Graf Vitzthum, Grundrechtsschutz, S. 189 (193 ff.). 276 Verfällt die Verfassungspolitik in Utopismen und „Verfassungsschwärmerei“ (Merten, VerwArch 83 [1992], S. 283 [bes. 290 ff.]), gibt sie letztlich die Normativität der Verfassung preis. – Im notwendigen Spannungsverhältnis von Verfassungstext und vorgefundener Wirklichkeit (zu ihm Badura, FS Scheuner, S. 19 [27]) liegt letzten Endes die Möglichkeit des Scheiterns einer Verfassung begründet.

B. Ansehen und Akzeptanz der Verfassung

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Verfassungen von Staaten ohne Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit anzutreffen gewohnt ist“.277 Dieser Befund wird (jedenfalls etwas) dadurch abgemildert, dass jene überschießenden Zielvorgaben zumindest verfassungsprozessuale Bedeutung haben. Nach Maßgabe des Prozessrechts eröffnen sie ggf. den Zugang zur Landesverfassungsgerichtsbarkeit.278 Zudem mag ihnen größere normative Steuerungskraft zuwachsen, wenn der betreffende Sachbereich nicht (mehr) in die ausschließliche bzw. konkurrierende Zuständigkeit des Bundes fällt, sofern keine erschöpfende einfachgesetzliche Regelung durch den Bund vorliegt. Es greift also zu kurz, solche Zielvorgaben lediglich als Ausdruck gliedstaatlicher Überheblichkeit zu werten.279 Eine andere – hier nicht zu entscheidende – Frage ist es, ob die weitflächige Aufnahme von Staatszielbestimmungen mit geringer normativer Steuerungskraft dem Gebot der Redlichkeit, in der Verfassung nicht mehr zu versprechen, als Regierung und Legislative zu halten imstande sind,280 hinreichend Rechnung trägt, ob im Fall der brandenburgischen Verfassung also eine gute Symbiose von selbstbewusster Standortbestimmung und verantwortungsbewusstem Gestaltungswillen gelungen ist.

B. Ansehen und Akzeptanz der Verfassung I. Integrierende Wirkung der überschießenden Staatszielbestimmungen?

Die Wirkung von Staatszielbestimmungen besteht zunächst darin, dass sie dem Einzelnen die Verfassung näher bringen und darum integrierend wirken können. Diese Zielvorgaben können es ihm, ebenso wie andere materiale Regelungen einer Verfassung (insbesondere die Grundrechte),281 erleichtern, sich mit ___________ 277

s. Starck, ZG 7 (1992), S. 1 (24). Allgemein ist dieser Zugang namentlich für die Fälle des Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG eröffnet. 279 s. aber v. Mangoldt, Verfassungen, S. 87, demzufolge in der rücksichtsvollen Einordnung in den gesamtstaatlichen Rahmen eine Tugend der gliedstaatlichen Verfassung liegt, und der daher „gliedstaatliche Bescheidenheit bei der eigenen Verfassungsordnung“ (S. 90 f.) schätzt. 280 Zum (verfassungspolitischen) Gebot der „Verfassungsehrlichkeit“ etwa v. Mutius/Friedrich, StWuStP 2 (1991), S. 243 (263 f.); Merten, VerwArch 83 (1992), S. 283 (297 f.); Starck, ZG 7 (1992), S. 1 (27); s. auch bereits Isensee, Staat 19 (1980), S. 367 (382 f.). 281 Zu den Grundrechten als Kultur- und Wertsystem, das Sinn des vom Grundgesetz konstituierten Staatslebens sein soll, Smend, in: ders., Abhandlungen, S. 119 (265); darauf aufbauend die st. Rspr., zuerst BVerfGE 5, 85 (204 ff.); dem folgend das Schrifttum; dazu etwa Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 I Rn. 18 ff. m.w.N. 278

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

dem Staat zu identifizieren,282 zumal er mit ihnen Regelungen vorfindet, die zumeist Grundfragen (und oft auch Sorgen) seines Lebens betreffen. Die verfassungsrechtliche Fixierung eines Belangs kann sich daher einheits- und identitätsstiftend auswirken: Integrationsfunktion der Staatszielbestimmungen.283 Ob und ggf. in welchem Ausmaß die überschießenden Staatszielbestimmungen in praxi integrierende Wirkung entfalten, ist letztlich eine empirische Frage, die sich nicht ohne die Mittel etwa der Demoskopie beantworten lässt. Gleichwohl können einige generelle Feststellungen getroffen werden. Nach einem Ansatz haben die landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen allesamt die beschriebene integrierende Wirkung. Ihr Gegenstand seien typischerweise die wichtigsten Anliegen und existentiellen Lebensbedürfnisse der Bürger, und daher weckten sie Vertrauen und Einverständnis mit der verfassungsmäßigen Grundordnung des Staates.284 Diese Wirkung wird sogar denjenigen Zielvorgaben attestiert, für deren einfachgesetzliche Konkretisierung dem Land kein bzw. lediglich geringer Raum bleibt.285 Dem kann (jedenfalls in dieser Pauschalität) nicht gefolgt werden. Eine Verfassung wird zwar anschaulicher und attraktiver durch einzelprogrammatische soziale Staatszielbestimmungen.286 Auch die überschießenden landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben haben daher zunächst integrierende (und damit positive) Wirkung. Diese kann jedoch in ihr Gegenteil umschlagen. Dies wird desto mehr der Fall sein, je weniger die betreffenden Zielvorgaben verwirklicht werden,287 je weniger also die Verfassungswirklichkeit den Verheißungen der Verfassung entspricht, da sich die mittels der Staatszielbestimmungen beabsichtigte Steigerung der Legitimations- und Integrationskraft der Verfassung in dem ___________ 282

Vgl. Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (395); Hinds, ZRP 1993, S. 149 (151); Kutscha, ZRP 1993, S. 339 (344); Simon, ArbuR 1992, S. 289 (289); Sterzel, ZRP 1993, S. 13 (17). Ähnlich (mit Blick auf das Grundgesetz) bereits in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts Schmude, BReg-Bulletin 1981, Nr. 28, S. 233 (234); bzgl. der hessischen Verfassung v. Zezschwitz, in: Heidenreich/Böhme, Hessen, S. 317 (328). 283 s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 35 f. Rn. 32 f.; Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (137); Heitmann, in: Rüttgers/Oswald, Zukunft, S. 25 (28); Herzog, FS Scholz, S. 219 (221 ff.). – Zur einheitsstiftenden, den Einzelnen integrierenden Funktion der Verfassung auch 6. Kap. unter D. 284 Vgl. H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (503). 285 So etwa für das Staatsziel Arbeit Stiens, Chancen, S. 270. 286 s. die Darstellung etwa bei Lücke, AöR 107 (1982), S. 15 (16). 287 Vor der Gefahr desintegrativer Enttäuschungserlebnisse aufgrund dauerhafter Diskrepanz zwischen Regelungsversprechen und Regelungsverwirklichung warnend statt vieler Starck, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IX, § 208 Rn. 82 f.; Magiera, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 141 (148 u. 158); H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (736); Graf Vitzthum, ZfA 22 (1991), S. 695 (698, 708 u. 711); Merten, VerwArch 83 (1992), S. 283 (297); Brohm, JZ 1994, S. 213 (216); Jahn, DVBl. 1994, S. 177 (184).

B. Ansehen und Akzeptanz der Verfassung

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Maße in ihr Gegenteil verkehren muss, in dem die durch diese Verheißungsprogramme geweckten Erwartungen enttäuscht werden.

II. Desintegrierende Auswirkungen

Die überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung haben in ihrer überwiegenden Zahl geringe (oder gar keine) normative Steuerungskraft.288 Die durch solchen narrativen Konstitutionalismus geweckten Erwartungen der Bürger – diese haben die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund(estag) und Land(tag) meist nicht hinreichend deutlich vor Augen – müssen zwangsläufig enttäuscht werden: Es liegt außerhalb des Kompetenzbereichs des Landesgesetzgebers, die betreffenden Hoffnungen zu erfüllen.289 Gerade die suggestiv-verheißungsvollen sozialen Staatszielbestimmungen kann das Land aufgrund der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung nicht bzw. kaum durch nüchterne Verfassungsrealität untersetzen. Die Staatszielbestimmungen mit geringer normativer Steuerungskraft bergen folglich ein kaum zu überschätzendes desintegratives Potential. Der Glaubwürdigkeit der Verfassung sind sie ebenso wenig dienlich wie der Integration des Einzelnen.290 In besonderer Weise gilt dies dann, wenn die Verfassung für die Verwirklichung solcher Zielvorgaben detaillierte Vorgaben enthält. So wäre es der Integrationsfähigkeit der brandenburgischen Verfassung durchaus förderlich, würde sie sich bei der Ausgestaltung etwa der einzelprogrammatischen sozialen Staatszielbestimmungen mit Aussagen zu bundesrechtlich besetzten Materien (mehr) zurückhalten.291 ___________ 288

Im Einzelnen oben unter A. Vgl. Starck, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IX, § 208 Rn. 82; dens., Verfassungen, S. 57; dens., ZG 7 (1992), S. 1 (26 f.). Vgl. Merten, VerwArch 83 (1992), S. 283 (297): „leeres, weil brotloses Verfassungsversprechen“; dens., in: Blümel u.a., Verfassungsprobleme, S. 47 (62). – Es liegt daher ein Gebot verfassungspolitischer Vernunft darin, in einer Verfassung auch auf dem Felde der Staatszielbestimmungen nicht mehr zu versprechen, als Regierung und Parlament zu halten imstande sind. Zu diesem Gebot oben a.E. von A. VII.; zu Folgerungen für die Verfassungspolitik unten die Schlussbetrachtungen unter B. 290 Dieses besondere Problem des narrativen Konstitutionalismus ist in der Literatur nicht immer hinreichend vergegenwärtigt. Nicht berührt wird es etwa bei D. Franke/ Kneifel-Haverkamp, JöR 42 (1994), S. 111 (143 ff.). – Krit. Beurteilung der Auswirkungen von landesverfassungsrechtlichen Sozialbestimmungen auf die Glaubwürdigkeit einer Verfassung bei Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (413 f.); Merten, VerwArch 83 (1992), S. 283 (296 ff.); Starck, ZG 7 (1992), S. 1 (26 f.); s. bereits Isensee, Staat 19 (1980), S. 367 (376 ff.). 291 s. etwa die Konkretisierungen der Staatszielbestimmungen „Arbeit“ und „Wohnraum“ durch Vorgaben bzgl. Arbeitsvermittlung und Mieterschutz; zu ihnen 6. Kap. unter B. III. 2. a). 289

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Die desintegrative Wirkung wird umso stärker ausfallen, je missverständlicher die betreffenden Zielvorgaben formuliert sind. Dies gilt zumindest dann, wenn im betreffenden Verfassungsraum der Rechtsbehelf der Individualverfassungsbeschwerde eingeräumt ist. In einer solchen Konstellation ist die einheitliche Verwendung des Ausdrucks „Recht“ bei der Verbürgung (strikt geltender) Grundrechte und der Normierung von sozialen Staatszielbestimmungen geeignet, die irrtümliche Vorstellung vergleichbarer Rechtsfolgen zu wecken.292 Dies gilt umso mehr, wenn die Verfassung keine Norm enthält, die die Verbindlichkeit der Staatszielbestimmungen für die Staatsgewalten im Unterschied zu der der Grundrechte regelt,293 und wenn nicht festgelegt ist, welche Verfassungsnormen als Staatszielbestimmungen und welche als Grundrechte einzuordnen sind. Die verheißungsvolle Formulierung „Recht“ erweist sich nachgerade als „Etikettenschwindel“,294 sofern es sich nicht um einen individuell einklagbaren Anspruch handelt, also um ein Recht im juristisch-technischen Sinne.295 Die Konzeption der brandenburgischen Verfassung zeigt sich auch insoweit als besonders konfliktträchtig. Hier sind nicht lediglich die klassischen Grundrechte in deren Funktion als Abwehrrechte als „Recht“ bezeichnet (s. etwa das „Recht auf Leben“ [Art. 8 BbgVerf]), sondern es wurden auch die sozialen Staatszielbestimmungen suggestiv-verheißungsvoll wie Grundrechte formuliert ( – wenn auch z. T. relativiert durch eine ausdrücklich objektiv-rechtliche Einkleidung).296 So ist das Land etwa nach Art. 48 Abs. 1 BbgVerf „verpflichtet, im Rahmen seiner Kräfte durch eine Politik der Vollbeschäftigung und Arbeits___________ 292 s. Starck, Verfassungen, S. 46; Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (136); Dietlein, NWVBl. 1993, S. 401 (403); vgl. Sommermann, Staatsziele, S. 419. 293 „Vorbildlich“ sind lediglich die sächsische Verfassung (Artt. 13, 36 SächsVerf), die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt (Art. 3 SaAnVerf) und diejenige des Freistaats Thüringen (Artt. 42, 43 ThürVerf). Vgl. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 112 Rn. 53 ff.; Brohm, JZ 1994, S. 213 (216); v. Mangoldt, SächsVBl. 1993, S. 25 (34). 294 Graf Vitzthum, ZfA 22 (1991), S. 695 (700 f.): „Potemkinsche Fassaden“ (S. 701 Fn. 20); krit. auch Brenne, Grundrechte, S. 184; ebenso (allg. zum „Recht auf Arbeit“) Pietzcker, in: Universität Bonn, Recht, S. 15 (17). 295 Krit. auch Stern, Staatsrecht I, S. 938; Zöllner, ZfA 22 (1991), S. 713 (726): „Rosstäuschermethoden“. Vgl. Starck, Verfassungen, S. 43: „Seit wann werden Staatsziele als Rechte bezeichnet?“. – Die Formulierung „Recht auf ...“ ist freilich eine aus dem Völkerrecht durchaus geläufige Formel. In menschenrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland findet sie auch für soziale Staatsziele Verwendung. 296 Die sozialen Grundrechte der brandenburgischen Verfassung verheißen zunächst viel, nehmen es aber sogleich wieder zurück: „eine Art soziale Springprozession“ (Merten, VerwArch 83 [1992], S. 283 [297]); ders., in: Blümel u.a., Verfassungsprobleme, S. 47 [62]). Sie werden daher nicht ganz unberechtigt als eine „Kreuzung“, als „Grundrechtszielbestimmungen“ oder „Zielgrundrechte“ bezeichnet, s. etwa dens., DÖV 1993, S. 368 (374); krit. auch Schwabe, ZRP 1991 S. 361 (363). – Überblick über subjektivrechtlich formulierte Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung oben im 6. Kap. unter C. III. 1. a).

B. Ansehen und Akzeptanz der Verfassung

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förderung für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sorgen, welches das Recht jedes einzelnen umfasst, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte Arbeit zu verdienen“. In ähnlicher Weise ist von einem „Recht auf Wohnung“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) die Rede. Auch wird sich der Bürger, der in Art. 48 Abs. 1 BbgVerf „Recht“ liest, wundern, wenn er erfährt, dass es sich bei dieser Vorschrift – anders als bei Art. 49 Abs. 1 BbgVerf, der als klassisches Abwehrrecht das Recht gewährleistet, den Beruf frei zu wählen und auszuüben – um kein einklagbares Grundrecht handelt, sondern um eine Staatszielbestimmung. Die Fehlvorstellung, beide Normtypen hätten vergleichbare Rechtsfolgen, wird (wiederum in der Konstellation, dass die Verfassung den Rechtsbehelf der Individualverfassungsbeschwerde einräumt) noch verstärkt, wenn keine klare Trennung zwischen Grundrechten und Staatszielbestimmungen erfolgt. Auch insoweit verdient die brandenburgische Verfassung negative Erwähnung: Unter Verzicht auf eine klare Systematik verquickt sie diese mit jenen und subjektiven Ansprüchen.297 Mitunter enthält sogar derselbe Absatz neben einem Grundrecht eine Staatszielbestimmung.298 Insbesondere die sozialen Staatszielbestimmungen müssen sich darüber hinaus noch aus einem weiteren Grund langfristig desintegrierend auswirken. Die Versprechen, mit denen diese Zielvorgaben eine freiheitliche Verfassung belasten, sind im Grunde unerfüllbar;299 sie gaukeln etwas vor, was der Staat in ei-

___________ 297 Krit. dazu auch Dietlein, Grundrechte, S. 123; Sachs, in: Simon u.a., HdbBbgVerf, § 5 Rn. 2 ff.; Starck, ZG 7 (1992), S. 1 (23 f.). A.A. Simon, FS Mahrenholz, S. 443 (445 f.), der feststellt, die Aufnahme von Staatszielbestimmungen in eine Verfassung setze die Vorentscheidung voraus, dass sich der Grundrechtsteil nicht auf unmittelbar geltende, einklagbare Rechte beschränken solle. Dies greift zu kurz: Es geht um die Frage, ob neben Grundrechten auch Staatszielbestimmungen aufgenommen werden. 298 s. etwa Art. 12 Abs. 3 BbgVerf: Grundrecht „Gleichstellung der Geschlechter“ in S. 1, Staatszielbestimmung „Gleichstellung der Geschlechter“ in S. 2. Ebenso Art. 29 Abs. 3 BbgVerf: Gleichheitsrecht auf gleichen Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen in S. 1, Staatszielbestimmung „Förderung von Begabten, sozial Benachteiligten und Behinderten bei der Bildung“ in S. 2. Gleiches gilt für Art. 42 Abs. 1 BbgVerf: Grundrecht auf freie Entfaltung wirtschaftlicher Eigeninitiative in S. 1, Staatszielbestimmung „Förderung einer breiten Streuung des Eigentums“ in S. 2; vgl. Art. 39 BbgVerf: Staatszielbestimmung „Schutz der Natur und Umwelt“ in Abs. 1, Grundrecht auf Schutz der Unversehrtheit in Abs. 2. – Zur Flankierung der brandenburgischen Zielvorgaben durch subjektive Rechte 6. Kap. unter C. III. 2. b) gg). 299 s. Scholz, Grundgesetz, S. 25: „von vornherein utopisch, wenn nicht illusorisch“. – Die etwa mit Blick auf eine Staatszielbestimmung „Wohnraum“ geweckten Erwartungen vermag der Staat schon deshalb nicht zu erfüllen, weil die Versorgung mit Wohnungen überwiegend über den freien Wohnungsmarkt erfolgt und weder eine private noch eine staatliche Wohnungsbevorratung finanzierbar ist; (mehr oder weniger) vorübergehende Nachfrageüberhänge sind daher unvermeidbar. Ebenso wenig unterliegen die Arbeitsplätze in der freiheitlichen Wirtschaftsordnung staatlicher Disposition.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

ner freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie niemals leisten kann.300 Diesem Staat fehlt nahezu vollständig die Verfügungsgewalt etwa über das Gut Wohnraum, und staatlicher Wohnungsbau wäre (selbst bei vollen Staatskassen) nicht bedarfsdeckend zu betreiben.301 Gleiches gilt für die Staatszielbestimmung „Arbeit“: Auch über diese „Ressource“ verfügen in erster Linie Private.302 In einer freiheitlich-demokratischen Ordnung kommt dem Staat daher v. a. die Aufgabe zu, das freie Spiel der Marktkräfte durch einen entsprechenden Ordnungsrahmen zu kanalisieren303 und bei Fehlentwicklungen regulierend (bspw. soziale Härten abfedernd) einzugreifen,304 nicht aber die, durch unmittelbare Aktivitäten selbst Arbeitsplätze zu schaffen.305 Das Land Brandenburg ist daher durch die Staatszielbestimmung „Arbeit“ zu nichts anderem verpflichtet als zu dem, was ihm auch bereits Art. 109 Abs. 2 GG i.V.m. § 1 StabG auferlegt: einen hohen Beschäftigungsstand anzustreben.306 Darüber hinaus steht jede Zielverwirklichung unter dem Vorbehalt des rechtlich Möglichen. Der Staat kann auch infolge der Aufnahme einzelprogrammatischer sozialer Staatszielbestimmungen nicht mehr leisten als das, was ihm einfachgesetzlich möglich ist.307 Zudem sei auf die Gefahr hingewiesen, dass Bestimmungen ohne normative Steuerungskraft der Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben auch dort schaden, wo Bundesrecht konkret gar nicht entgegensteht. Hat die Verfas___________ 300

s. P. Kirchhof, Grundgesetz, S. 34 f; Dietlein, NWVBl. 1993, S. 401 (403); vgl. Scholz, ZfA 22 (1991), S. 683 (691 ff.): In letzter Konsequenz sind soziale Staatszielbestimmungen lediglich in einem zentralverwaltungswirtschaftlichen bzw. sozialistischen System denkbar. 301 s. 3. Kap. unter B. I. 2. 302 Weder kann der Staat im marktwirtschaftlich orientierten System Private zur Vergabe von Arbeitsplätzen zwingen, noch unterliegt die Erhaltung konkreter Arbeitsplätze in nennenswertem Maß seinen rechtlichen und tatsächlichen Steuerungsmöglichkeiten; dazu 3. Kap. unter B. I. 1. 303 Vgl. HessStGH ESVGH 22, 13 (17); vgl. Barwinski, in: Zinn/Stein, HessVerf, Anm. 1 zu Art. 28; Tomuschat, Recht, S. 45 (59 f.). 304 s. Nebendahl, ZRP 1991, S. 257 (259). 305 Die Staatszielbestimmung „Arbeit“ verpflichtet den Staat keinesfalls zur Auflegung von Beschäftigungsprogrammen. Sie hat auch keine Auswirkungen auf die Beschäftigungspolitik im öffentlichen Dienst: Dieser dient der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die damit einhergehende Schaffung von Arbeitsplätzen ist bloßes Nebenprodukt. Dazu Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 68; P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 71; Isensee, FG BVerwG, S. 337 (349 f.). – Eine andere Frage ist es, ob der Staat verpflichtet ist, seine eigene Personal- und Stellenpolitik an der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen auszurichten, ob also etwa die Lohnpolitik des Landes mit jener Staatszielbestimmung vereinbar ist, wenn Tariferhöhungen den Abbau von Personal bzw. generelle Einstellungsstopps nach sich ziehen. Dazu (mit Blick auf die bremische Parallelvorgabe) Ladeur, in: Kröning u.a., HdbBremVerf, S. 158 (168 f.). 306 s. allg. W. Schmidt, Staat 20 (1981), Beiheft 5, S. 9 (24); vgl. Wipfelder, VBlBW 1990, S. 367 (369); ebenso bzgl. Art. 7 SächsVerf Hinds, ZRP 1993, S. 149 (150). 307 Dazu ausführlich oben unter A. I.

B. Ansehen und Akzeptanz der Verfassung

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sung den Schein partieller Redundanz, werden selbst diejenigen Anordnungen, die verwirklichungsfähig wären, unter Umständen gar nicht mehr zur Kenntnis genommen.308 Auch wird es häufig an den tatsächlichen Möglichkeiten (etwa den erforderlichen Haushaltsmitteln) fehlen, um gerade die ausgreifenden sozialen Zielvorgaben zu verwirklichen.309 Insoweit ist nicht zuletzt von Bedeutung, dass es die Mitgliedstaaten der EU/EG, die der Währungsunion beigetreten sind, nicht mehr nach freiem Belieben in der Hand haben, Politik und Gesetzgebung auf soziale Wohltaten auszurichten. Die ständige Überwachung der Staatsverschuldung (Art. 104 Abs. 2 EG [Artt. 126 Abs. 2 AEU]) sowie der Wirtschaftspolitik (Art. 99 Abs. 3 EG [Artt. 121 Abs. 3 AEU]) schränkt die Finanz- und Haushaltspolitik ein;310 bei Verstößen gegen die Haushaltsdisziplin drohen Sanktionen.311 Unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Leistungskraft und der daraus resultierenden haushaltsrechtlichen Erwägungen ist den Möglichkeiten Brandenburgs daher mittelbar eine sehr enge Grenze gezogen, als Gliedstaat eines Mitglieds der EWWU durch Investitionsförderung bestehende Arbeitsplätze zu sichern bzw. weitere zu schaffen und dadurch die Staatszielbestimmung „Arbeit“ umzusetzen.312 Gleiches gilt für die Gewährung von Mietzuschüssen und den Bau landes- oder kommunaleigener Wohnungen:313 Die Verpflichtung des Landes, „im Rahmen seiner Kräfte für die Verwirklichung des Rechts auf eine ___________ 308

So auch Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 370. Ebenso Starck, ThürVBl. 1992, S. 10 (15). – Die Zielverwirklichung steht nicht allein unter dem Vorbehalt des rechtlich, sondern auch unter dem des finanziell Möglichen. So ist etwa die Umsetzung einer sozialen Staatszielbestimmung mit den anderen Staatsaufgaben (und zwar nicht lediglich mit denjenigen, die als Staatszielbestimmungen in der Verfassung verankert sind) in Ausgleich zu bringen. – Zur praktischen Konkordanz 7. Kap. unter A. II. 3. 310 s. Bandilla, in: Grabitz u.a., EUV/EGV II, Art. 99 EGV Rn. 1 f., Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 109 Rn. 53 ff.; Badura, FS Stern, S. 409 (412 f.). – Die EG ist eine Stabilitätsgemeinschaft; in ihrem Mittelpunkt steht das Ziel der Preisstabilität (vgl. Art. 4 Abs. 2 u. 3, Art. 111 Abs. 1 S. 1, 2 und Abs. 2 S. 2 EG [Art. 119 Abs. 2 u. 3, Art. 219 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1, UAbs. 2 S. 1 u. Abs. 2 S. 2 AEU]). So ist auch die Geldpolitik des Europäischen Systems der Zentralbanken auf die Preisstabilität als vorrangiges Ziel ausgerichtet, s. Art. 105 Abs. 1 S. 1 EG (Art. 127 Abs. 1 S. 1 AEU). 311 s. Art. 116 Abs. 3 (im AEU nicht mehr enthalten, zumal die Vorschrift seit Beginn der dritten Stufe der EWWU bedeutungslos ist) i.V.m. Art. 104 Abs. 9 u. 11 EG (Art. 126 Abs. 9 u. 11 AEU). Dazu Häde, EuZW 1992, S. 171 (176 f.). – Die gemeinschaftsrechtlichen Stabilitätsverpflichtungen wurden innerstaatlich durch den im Zuge der Föderalismusreform 2006 eingefügten Art. 109 Abs. 5 GG umgesetzt; Näheres oben im 5. Kap. unter A. III., Fn. 27. 312 Ohnehin müssen die Maßnahmen des Staates zur Verwirklichung der Staatszielbestimmung „Arbeit“ innerhalb der von Art. 109 Abs. 2 GG gezogenen Grenzen erfolgen, vgl. (für Art. 8 BremVerf) H. Neumann, BremVerf, Art. 8 Rn. 4 f., Art. 49 Rn. 4. 313 Vgl. zu Art. 7 Abs. 1 SächsVerf Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 96. 309

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

angemessene Wohnung zu sorgen“, tendiert insoweit gegen Null.314 Ebenso wenig unbegrenzt ist die finanzielle Leistungsfähigkeit Brandenburgs mit Blick auf die Förderung von Museen, Bibliotheken, Theatern und anderen kulturellen Einrichtungen. Auch die Möglichkeiten, berufliche Ausbildungssysteme zu fördern, dürften angesichts der verfügbaren Haushaltsmittel überschaubar sein.

III. Fazit

Die durch die überschießenden landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen betriebene „Suche nach einer sozioökonomischen Identität“315 wird letztlich erfolglos bleiben. Im Fall der meisten dieser Zielvorgaben ist „Verfassungsfrust“ nahezu programmiert316 und in dessen Folge das Schwinden der Akzeptanz der Verfassung wie auch das ihrer normativen Kraft.317 Als besonders problematisch erweist es sich, dass die wohnungs- und arbeitsbezogenen Staatszielbestimmungen gewissermaßen konjunkturabhängige Verbürgungen darstellen, deren Popularität besonders dann ansteigt, wenn der Staat sie am wenigsten verwirklichen kann.318 Angesichts dessen drohen sich wirtschaftliche Krisen infolge solcher Zielvorgaben zu Verfassungskrisen auszuwachsen.319 Die Akzeptanz der Verfassung kann noch aus einem weiteren Grunde abnehmen. Es besteht die Gefahr, dass wegen der überschießenden Staatszielbe___________ 314

s. v. Mangoldt, Verfassungen, S. 24; ebenso mit Blick auf Art. 7 Abs. 1 SächsVerf Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 96, und bzgl. Art. 14 Abs. 1 BremVerf Ladeur, in: Kröning u.a., HdbBremVerf, S. 158 (168). 315 Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (404). 316 s. Scholz, Grundgesetz, S. 25: elementare „Hypothek für das Verfassungsbewusstsein der Bürger“; Starck, Verfassungen, S. 57 f.; zur desintegrierenden Wirkung uneinlösbarer Verfassungsversprechen auch Herzog, Staatslehre, S. 386; Wahl, AöR 112 (1987), S. 26 (44); Ossenbühl, DVBl. 1992, S. 468 (477). – Eine mit missverständlichen Zielvorgaben überfrachtete Verfassung verlangt überaus intensive Öffentlichkeitsarbeit, die immer wieder auf ökonomische Zusammenhänge, Finanzausstattung und begrenzte Kompetenzen des Landes zur einfachgesetzlichen Umsetzung sowie die miteinander konkurrierenden Staatsaufgaben verweist. Zur Notwendigkeit der „rhetorischen Verfassungspflege“ Starck, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IX, § 208 Rn. 83. 317 s. März, Bundesrecht, S. 185 f.; Starck, Verfassungen, S. 57 f.; so auch Scholz, Grundgesetz, S. 25, unter Verweis darauf, jede Verfassung sei auf das Vertrauen des Einzelnen, insbesondere auf die Einlösbarkeit ihrer Garantien und Versprechen, angewiesen. Vgl. Bericht Sachverständigenkommission, S. 22 Rn. 9, S. 40 f. Rn. 40; Hufen, BayVBl. 1987, S. 513 (519); Wahl, AöR 112 (1987), S. 26 (44 f.); H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (733). 318 Dazu Dietlein, Grundrechte, S. 146; zur Konjunkturabhängigkeit der Forderung nach Verbürgung eines „Rechts auf Arbeit“ oder eines solchen auf eine Wohnung auch Nebendahl, ZRP 1991, S. 257 (257). 319 Vgl. Isensee, Staat 19 (1980), S. 367 (381). – „Vorbildlich“ daher die Klarstellung in Art. 36 Abs. 1 SaAnVerf: „im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten“.

B. Ansehen und Akzeptanz der Verfassung

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stimmungen dauerhaft Akzente gesetzt werden, die nicht alle Bürger bejahen. Diese Zielvorgaben führen zu einer zunehmenden „Aufladung“ der Verfassung mit Themen der Tagespolitik.320 Sie werden als zusätzliche Argumentationsmittel in der politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzung nutzbar, und ihre Reklamation in diesem Rahmen wird diejenigen in argumentative Nöte bringen, die ihre Vorhaben nicht unter Verweis auf Staatszielbestimmungen rechtfertigen können.321 Zu einer solchen „Politisierung des Verfassung“322 kommt es umso mehr, je detaillierter die Verfassung vorgibt, wie die Zielvorgaben verwirklicht werden sollen. Während die grundsätzlichen Aussagen etwa der sozialen Staatszielbestimmungen unbestritten anerkennungswürdig sind, bestehen unterschiedliche Meinungen zur Umsetzung, also mit Blick auf Wertungsspielräume und Abwägung im Einzelfall. Die einprägsame Zielformel lenkt jeweils nur prima vista davon ab, dass sich unter ihr höchst unterschiedliche Interessen, heterogene Erwartungen und Wünsche sammeln, ohne dass ein Konsens über die Konkretisierung vorliegt. So ist es bspw. umstritten, ob der Mieterschutz, den Art. 47 Abs. 1 BbgVerf als ein Mittel zur Verwirklichung der Staatszielbestimmung „Wohnraum“ vorgibt, einseitig denjenigen schützt, der eine Wohnung hat, oder ob er tatsächlich zur Schaffung von Wohnraum führt. Es bleibt eben dabei: Je mehr eine Frage situationsbezogenen Charakter aufweist, desto eher tritt bei der Antwort Dissens an die Stelle von Konsens; je mehr Vorgaben für die Zielverwirklichung eine Verfassung enthält, desto mehr wird politischer Streit zum Verfassungsstreit, und desto größer der Schaden für die Akzeptanz der Verfassung als normative Grund- und Rahmenordnung des gesellschaftlich-staatlichen Lebens.323

___________ 320

Der Gesetzgeber wird sich gerade in kontroverser Lage eher auf Verfassungsvollzug berufen, als ohne entsprechende Abstützung zu legiferieren, vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 86; H.-P. Schneider, in: Bernhardt/Beyerlin, Landesreferate, S. 23 (44 f.): „Alibieffekt des Vollzugspostulats“. 321 Zur Gefahr des Missbrauchs detaillierter Staatszielbestimmungen zu Propagandazwecken etwa Sachs, LKV 1993, S. 241 (247). – Die politische Auseinandersetzung um den Stellenwert bestimmter Belange gerät durch die Aufnahme von Staatszielbestimmungen noch mehr zum Kampf um Verfassungspositionen. Dazu (bezogen auf das ökologische Prinzip als Politikleitbild) Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (52 Fn. 156); vgl. bzgl. Art. 20 a GG Hoffmann-Riem, Verw 28 (1995), S. 425 (428 f.). 322 Böckenförde, AöR 106 (1981), S. 580 (598) mit Blick auf „die Anreicherung der Verfassung mit Politikzielen“. 323 Die Verfassung muss „von den Auffassungen und Kräften der politischen Auseinandersetzung aufgenommen und fortgetragen werden“ (Scheuner, in: Hennis u.a., Regierbarkeit II, S. 102 [112]); ebenso Quaritsch, Staat 17 (1978), S. 421 (429); Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 18 ff., 221 ff.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

C. Funktionentektonik I. Stärkung der Judikative zu Lasten der Legislative

1. Zunahme der Überprüfungsdichte gesetzgeberischer Entscheidungen Staatszielbestimmungen sind Prüfungsmaßstab für das einfache Gesetzesrecht.324 Sie erweitern den verfassungsgerichtlichen Prüfungsumfang und stärken so die Verfassungsgerichtsbarkeit.325 Die Überprüfungsdichte politischer Entscheidungen wird desto größer, je mehr Staatszielbestimmungen eine Verfassung enthält. Insbesondere bei der Abwägung zwischen den Zielvorgaben hat die Legislative – trotz der weitgehenden Einschätzungsprärogative, über die sie bei der einfachgesetzlichen Umsetzung verfügt326 – einigen Anforderungen zu genügen. Auf der Stufe des „Ob“ einer gesetzlichen Regelung sieht sich der Gesetzgeber einem Begründungsbedarf gegenüber, der mit jeder überschießenden Staatszielbestimmung zunimmt. Dies deshalb, weil diese Zielvorgaben höhere Anforderungen an die amtliche Begründung einfachgesetzlicher Regelungen stellen, warum die eine Staatszielbestimmung eine weitere Konkretisierung erfährt, die andere(n) aber nicht.327 Ebenso wenig unbegrenzt ist der Spielraum der Legislative hinsichtlich des „Wie“ einer gesetzlichen Regelung. Hier sind im Rahmen der Konfliktlösung durch Abwägung328 alle für die Entscheidung relevanten Daten heranzuziehen und aufzubereiten.329 Der Gesetzgeber muss eine inhaltlich hinreichend rationa___________ 324 Eingehend zur Überprüfung der Umsetzung von Staatszielbestimmungen 2. Kap. unter A. IV. 2. 325 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 49; P. Kirchhof, Grundgesetz, S. 30 f.; Badura, Verfassung, S. 30 u. 32; H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (736); Merten, DÖV 1993, 368 (376); Graf Vitzthum, ZfA 22 (1991), S. 695 (700); Wassermann, RuP 28 (1992), S. 69 (74); für landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 178 f. 326 Die Zielkonkretisierung ist primär Aufgabe der Legislative; dazu 2. Kap. unter A. III. 1. 327 Zwar müssen alle Staatszielbestimmungen verwirklicht werden. Inwiefern dafür weitere bzw. andere gesetzliche Regelungen erforderlich sind, ist aber eine politische Entscheidung, die der Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative trifft. Ebenso handelt es sich um eine Frage der politischen Agenda, wo zunächst anzusetzen ist. Dazu im 7. Kap. unter A. III. 1. 328 s. im Einzelnen 7. Kap. unter A. III. 2. 329 Auf dem Gebiet der Verwaltungsentscheidungen sind solche inhaltlichen Verfahrensbindungen seit Langem bekannt. Bei der Gesetzgebung haben sie bisher hingegen nur vereinzelt Beachtung gefunden, dazu etwa Schwerdtfeger, FS Ipsen, S. 173 (176); zum Problem auch Stern, Staatsrecht II, S. 645. – Konkrete Anforderungen an die Schaffung einer rationalen Entscheidungsgrundlage bei Schwerdtfeger, a.a.O., S. 178 ff.

C. Funktionentektonik

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le Entscheidungsgrundlage schaffen.330 Insoweit trifft ihn eine grundsätzliche Ermittlungspflicht,331 die sich auf das Gesetzgebungsverfahren insgesamt bezieht.332 So hat er sich etwa von der Ausgangslage, die zur Zeit der beabsichtigten (Neu-)Regelung besteht, in korrekter und ausreichender Weise Kenntnis zu verschaffen.333 Schließlich stärken die überschießenden Staatszielbestimmungen auch die Fachgerichte zu Lasten der Legislative.334 Infolge ihrer (grundsätzlich) offenen Formulierung eröffnen sie im Rahmen der verfassungsorientierten Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe die Möglichkeit, Entscheidungen des Gesetzgebers in einer von dessen Intention abweichenden Weise zu interpretieren und (zumindest partiell) zu konterkarieren.335 Die Grenze der verfassungsorientierten Auslegung – Wortlaut, Sinn und Telos des Gesetzes – lässt sich mitunter nur schwer bestimmen.

___________ 330 Auch eine solche Grundlage garantiert keine inhaltlich rationale Entscheidung. Dies folgt aus der Unmöglichkeit, inhaltliche Rationalität definitiv zu erkennen: Keine Autorität kann die letzte Richtigkeit und Wahrheit von Entscheidungen gewährleisten, s. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 71 Rn. 156. Dementsprechend fordert das Bundesverfassungsgericht, dass Erwägungen des Gesetzgebers nicht „so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben können“, s. BVerfGE 38, 61 (87); vgl. BVerfGE 25, 1 (17). 331 s. Stern, Staatsrecht III/2, S. 777; Hill, Gesetzgebungslehre, S. 68; Schwerdtfeger, FS Ipsen, S. 173 (178); ablehnend H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 96; Schlaich, VVDStRL 39 (1981), S. 99 (109). – Jene aus dem Demokratieprinzip abzuleitende Pflicht folgt aus der Legitimation des Gesetzes, dass das Parlamentsverfahren am Ehesten eine richtige Entscheidung erwarten lässt. Dazu Jochum, Entscheidungsverfahren, S. 138. 332 Schwerdtfeger, FS Ipsen, S. 173 (182). – Der Schwerpunkt dieser Ermittlungspflicht liegt weniger im Stadium der Gesetzesinitiative als bei den Lesungen im Plenum und den Beratungen in den Ausschüssen: Die Ausschussberatungen bilden in jedem Parlament die entscheidende Phase der Gesetzgebungsarbeit, s. Brunner, Regierungslehre I, S. 238. 333 s. etwa BVerfGE 39, 210 (226). – Ob die notwendigen Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, ist am Ergebnis (also am erlassenen Gesetz) zu messen, s. Ossenbühl, FG BVerfG (1976) I, S. 457 (482, 485). Das Gesetz wäre freilich nicht bei jedem Ermittlungsfehler bzw. -defizit wegen Fehlens der demokratischen Legitimation nichtig: Entscheidend ist vielmehr, dass eine Tatsachenermittlung überhaupt stattgefunden hat und diese nicht offensichtlich falsch war, s. Schwerdtfeger, FS Ipsen, S. 173 (185); vgl. Ossenbühl, FG BVerfG (1976) I, S. 457 (482, 485). 334 Zur fachgerichtlichen Überprüfung der Umsetzung von Staatszielbestimmungen allgemein 2. Kap. unter A. IV. 1. 335 Vgl. Ossenbühl, DVBl. 1992, S. 468 (475). – Vor dem Hintergrund der überschießenden Staatszielbestimmungen kann mitunter auch eine „teleologische Uminterpretation von Rechtsnormen“ (Günther, in: Grimm, Staatsaufgaben, S. 51 [63]) angezeigt sein.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

2. Umfang der Kompetenzverschiebung Der Umfang der Kompetenzverschiebung hängt zunächst davon ab, in welchem Ausmaß die Verfassungsgerichtsbarkeit den Gesetzgeber in dessen Handlungsfähigkeit einengen bzw. in welcher Weise sie sich funktionelle Grenzen („judicial self-restraint“)336 ziehen wird.337 Es wird daher auf die Disziplin der Richterschaft ankommen, der Gesetzgebung bei der Umsetzung der Staatszielbestimmungen weiten Raum zu belassen,338 wobei das Gleichgewicht zwischen notwendiger Kontrolle des Gesetzgebers und Respektierung seiner Einschätzungsprärogative nicht immer leicht zu finden sein dürfte.339 In diesem Zusammenhang ist es auch bedeutsam, ob den Staatszielbestimmungen im Wege der Verfassungsinterpretation dereinst nicht doch auch ein subjektiv-rechtlicher Gehalt entnommen werden wird.340 Die Verschiebungen der Funktionentektonik zu Gunsten der Judikative fallen desto größer aus, je zahlreicher diese Zielvorgaben subjektiv-rechtlich formuliert sind und je mehr es an einer klaren verfassungssystematischen Trennung von anderen Normtypen fehlt. Legt die Verfassung nicht fest, welche Vorschriften als Staatszielbestimmungen einzuordnen sind, ist es dem Verfassungsgericht überantwortet, zu entscheiden, ob es sich um eine solche handelt, oder ob die betreffende Vorschrift als Grundrecht, Gesetzgebungsauftrag oder (lediglich) unverbindlicher Programmsatz einzuordnen ist. Wie groß der Entscheidungsspielraum des Gerichts im Einzelnen ausfällt, hängt von der Klarheit der Ver-

___________ 336 BVerfGE 36, 1 (14 f.); 59, 360 (377); Badura, Staatsrecht, H Rn. 69 m.w.N.; Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 505 ff., 525 ff.; vgl. Lamprecht, NJW 2009, S. 1454 (1456). 337 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 182. – Auch bei den Fachgerichten hängt der Umfang der Kompetenzverschiebung nicht zuletzt vom Verhalten der Gerichte selbst ab; Näheres bei P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 178. 338 s. Starck, Verfassungen, S. 57. Vgl. Schuppert, Grenzen, S. 56 f.: „Die Intensität der Nachprüfung hat umso geringer zu sein, je mehr der Gesetzgeber von der Verfassung nicht vorgezeichnete Abwägungsprobleme löst, also mehrdimensionale Freiheitsprobleme regelt“. 339 s. Sommermann, Staatsziele, S. 386. – Zum „judicial self-restraint“ als Ausdruck der Gewaltenteilung Wittmann, in: Rill, Rechtsstaat, S. 109 ff. 340 Ein solcher subjektiv-rechtlicher Gehalt ließe sich zum einen durch die Verbindung einer Staatszielbestimmung mit einem Grundrecht herleiten. Zum anderen könnte gerade den konkret gefassten Staatszielbestimmungen ein spezifischer Schutzzweck entnommen und dann argumentiert werden, der Gesetzgeber habe (angeblich) seine aus der betreffenden Zielvorgabe resultierenden Verpflichtungen nicht erfüllt, und daher sei es Aufgabe der Gerichte, hier Abhilfe durch die Begründung subjektiver Rechte zu schaffen. – So oder so, die Grenze der Verfassungsinterpretation ist u.a. dann erreicht, wenn das mit ihr erzielte Ergebnis in Widerspruch zum Verfassungstext steht: der Wortlaut als Grenze der Auslegung; dazu Hesse, Grundzüge, Rn. 77.

C. Funktionentektonik

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fassung ab.341 Insoweit kommt es zunächst auf die Formulierung der Staatszielbestimmungen an. Eine subjektiv-rechtlich gefasste Zielvorgabe etwa wird die Frage aufwerfen, ob es sich bei ihr nicht doch um ein einklagbares Grundrecht handelt; je missverständlicher die Formulierung, desto mehr ist die Entscheidung den Gerichten überlassen.342 Die Möglichkeiten, Ansprüche des Einzelnen gegen den Staat aus einer solchen Staatszielbestimmung abzuleiten, fallen noch größer aus, wenn verfassungssystematisch keine generelle Unterscheidung von Grundrechten und Staatszielbestimmungen zum Ausdruck gebracht ist.343 Die Veränderungen im Verhältnis von Legislative und Judikative infolge der überschießenden brandenburgischen Staatszielbestimmungen werden demnach durchaus spürbar sein. Auf eine Norm, welche die unterschiedliche Verbindlichkeit von Staatszielbestimmungen und Grundrechten regelt, wurde zwar nicht lediglich in dieser Verfassung verzichtet; auch im Grundgesetz findet sich keine solche Vorschrift. Aufgrund der systematischer Defizite der brandenburgischen Verfassung bereitet die Zuordnung dort freilich weitaus größere Schwierigkeiten: Staatszielbestimmungen und Grundrechte sind in dieser Landesverfassung bunt gestreut; mitunter enthält sogar derselbe Artikel neben einem Grundrecht eine Staatszielbestimmung.344 Zudem finden sich dort nicht nur die klassischen Grundrechte als Abwehrrechte subjektiv-rechtlich formuliert, sondern auch eine Vielzahl als „Recht“ bezeichneter Staatszielbestimmungen.345 Der Machtzuwachs der Judikative fällt schließlich umso größer aus, je konkreter die Zielvorgaben gefasst sind und je detaillierter die Verfassung Vorgaben für deren Verwirklichung macht. Je umfänglicher die Mittel zur Umsetzung vorgegeben werden, desto ausgeprägter ist die Bindungswirkung für den Gesetzgeber – und desto deutlicher die Stärkung der Judikative.346 Umgekehrt wird der legislative Gestaltungsspielraum desto weiter sein, je allgemeiner eine ___________ 341 Zu den Möglichkeiten, die betreffende Klarheit zum Ausdruck zu bringen, unten in den Schlussbetrachtungen unter B. 342 Der Umschlag einer sozialen Staatszielbestimmung in ein subjektives öffentliches Recht lässt sich desto weniger ausschließen, je weniger der Verfassungstext den Begriff „Recht“ für die klassischen Grundrechte reserviert. 343 Je unklarer sich die Zuordnung zu den verschiedenen Normtypen verfassungssystematisch gestaltet, umso eher kann die Judikative eine Bestimmung als Grundrecht einordnen, vgl. v. Mangoldt, Verfassungen, S. 44; mit Blick auf die Thüringer Verfassung Jutzi, in: Linck u.a., ThürVerf, Art. 16 Rn. 2. 344 Dazu 3. Kap. unter B. III. 4. a.E. 345 Näher oben unter B. II. 346 Zur Verringerung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums aufgrund von Staatszielbestimmungen Knies, in: Merten/Schreckenberger, Kodifikation, S. 221 (244); H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (735 f.); Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (413); ebenso Hesse, KritV 76 (1993), S. 7 (12 f.). – Diese besondere Problematik der Staatszielbestimmungen wird nicht immer hinreichend berücksichtigt, so etwa von Kutscha, ZRP 1993, S. 339 (341 ff.) und noch weniger von Sterzel, ZRP 1993, S. 13 (14 ff.).

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Staatszielbestimmung gefasst ist und je weniger verfassungsrechtliche Umsetzungsvorgaben existieren.347 Die Wahrscheinlichkeit, dass die Verfassungsgerichtsbarkeit einen Verstoß des einfachen Gesetzesrechts gegen eine überschießende Staatszielbestimmung feststellt, steigt freilich keineswegs in dem Maße, in dem die betreffende Zielvorgabe qua Verfassung konkretisiert ist. Je zahlreicher die Zielkonkurrenzen, desto mehr relativieren (bzw. neutralisieren) sich auch die Staatszielbestimmungen.348 Wenn alles und jedes zu berücksichtigen ist, wird die Entscheidung im Grunde beliebig, und die Normierung entsprechender Zielvorgaben läuft letztlich leer.349 Die Direktionskraft der Staatszielbestimmungen ist daher desto geringer, je zahlreicher diese Zielvorgaben sind.350 Angesichts der Hypertrophie der Staatszielbestimmungen in der brandenburgischen Landesverfassung wird das (Nicht-)Handeln des Landesgesetzgebers folglich allenfalls im Ausnahmefall wegen Unvereinbarkeit mit einer überschießenden Zielvorgabe für verfassungswidrig erklärt werden können.351 Jener Machtzuwachs der Judikative wird nicht dadurch relativiert, dass die überschießenden landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen in ihrer Mehrzahl über keine oder lediglich geringe normative Steuerungskraft verfügen. Es bleibt bei der Stärkung der Verfassungsgerichtsbarkeit durch diese

___________ 347 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 181; Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (413); Badura, ThürVBl. 1992, S. 73 (78). 348 Ebenso etwa Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 96 hinsichtlich des Landesgesetzgebers, S. 163 u. 165 mit Blick auf die Exekutive sowie S. 169 für die Judikative; ähnlich zur normativen Kraft der einzelnen sozialen Zielvorgabe, wenn sich in Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips für nahezu alle wichtigen leistungsstaatlichen Politikbereiche Staatszielbestimmungen finden, Würtenberger, in: Merten/Schreckenberger, Kodifikation, S. 115 (123). 349 Es gehört zu den allgemein anerkannten Grundsätzen der Verfassungsinterpretation, dass das Zusammentreffen verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen in erster Linie dazu führt, dass sich der Spielraum des Gesetzgebers erweitert. Grundlegend Lerche, Übermaß, S. 125 ff. 350 s. P. M. Huber, in: Schmitt, ThürVerf, S. 69 (88); ebenso Degenhart, in: ders./ Meissner, HdbSächsVerf, § 6 Rn. 10: Wenn Wirtschafts- und Sozialpolitik, Bildung, Kultur und Umwelt verfassungsrechtlich durch Staatszielbestimmungen eingebunden seien, müsse die dirigierende Kraft der einzelnen Zielvorgaben notwendig verblassen. 351 Dieser Umstand bedeutet freilich nicht, dass die Staatszielbestimmungen bei der Entscheidungsfindung nicht heranzuziehen wären; die Pflicht zur Beachtung einer solchen Zielvorgabe ist die eine Sache, deren Auswirkung auf die Entscheidung eine andere. Dies verkennt offensichtlich Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 171: Angesichts der Konkurrenzen der in der sächsischen Verfassung verankerten Staatszielbestimmungen sei es unwahrscheinlich, „dass Verwaltung und Rechtsprechung zu ihrer Entscheidungsfindung die Staatszielbestimmungen der Landesverfassung heranziehen“.

C. Funktionentektonik

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Zielvorgaben, unabhängig davon, ob das Land für deren einfachgesetzliche Umsetzung zuständig ist oder nicht.352

II. Stärkung der Judikative zu Lasten der Exekutive

1. Zunahme der Überprüfungsdichte für Entscheidungen der Verwaltung Hinsichtlich der Frage, ob die Überprüfungsdichte für Entscheidungen der Verwaltung aufgrund der überschießenden Staatszielbestimmungen zunimmt, ist zwischen der Verwaltung i.e.S. und der Gubernative zu differenzieren.353 Die Gubernative, also die politische Staatsleitung, befindet sich grundsätzlich in der gleichen Lage wie die Legislative: Die Bindungswirkung jener Zielvorgaben führt (insbesondere bei Gesetzesinitiativen) zunächst zu einer Einengung des Entscheidungs- und Handlungsspielraums.354 Auch mit Blick auf das Handeln der Verwaltung i.e.S. ist eine erhöhte Überprüfungsdichte zu konstatieren, und zwar insoweit, als die überschießenden Staatszielbestimmungen das Spektrum derjenigen Gesichtspunkte erweitern, welche die Verwaltung als Abwägungsdirektiven bzw. ermessensleitende Kriterien zu berücksichtigen hat. Abwägungs- und Ermessensentscheidungen lassen sich umso engmaschiger überprüfen, je mehr Zielvorgaben eine Verfassung enthält: Mit der Zahl der Staatszielbestimmungen steigt die Anzahl der möglichen Abwägungs- und Ermessensfehler,355 und entsprechend nimmt (mit der Begründungslast der Verwaltung für die betreffenden Entscheidungen) auch der Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zu.

2. Umfang der Kompetenzverschiebung Für die Gubernative gilt hinsichtlich des Umfangs der Machtverschiebung im Wesentlichen das Gleiche wie für die Legislative. Das Ausmaß dieser Verschiebung zu Lasten der politischen Staatsleitung hängt insbesondere davon ab, ___________ 352 Ob tatsächlich ein Verfassungsverstoß festgestellt werden kann, ist eine andere Frage. Angesichts der fehlenden Gesetzgebungszuständigkeit des Landes dürfte Letzteres praktisch ausgeschlossen sein: Der Landesgesetzgeber ist zwar an die Zielverwirklichung gebunden, kann aber mangels Kompetenz nicht tätig werden. 353 Zu dieser Differenzierung 2. Kap. unter A. III. 2. 354 Es kann daher auf die Ausführungen oben unter C. I. 1. verwiesen werden. 355 Dazu, dass ein Ermessensfehler auch vorliegt, wenn eine Staatszielbestimmung nicht oder nicht hinreichend bei der Ermessensausübung berücksichtigt wurde, P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 184. – Allg. zu den drei Arten von Ermessensfehlern (Ermessensunterschreitung, -überschreitung sowie -fehlgebrauch) Jestaedt, in: Erichsen/ Ehlers, Verwaltungsrecht AT, § 10 Rn. 60 ff. m.w.N.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

in welcher Weise die Verfassungsgerichtsbarkeit den „judicial self-restraint“ in Ansatz bringen wird und wie deutlich die Verfassung die Zuordnung zu den verschiedenen Normtypen regelt.356 Ein differenzierteres Bild ergibt sich für die Verwaltung i.e.S.: Hier ist zwischen der Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen einerseits und den Spielräumen im Zuge von Abwägungs- und Ermessensentscheidungen bzw. bei der Ausfüllung von Beurteilungsspielräumen andererseits zu unterscheiden. Betrachtet man die überschießenden Staatszielbestimmungen als Auslegungsmaßstab für einfaches Gesetzesrecht, ist keine Verschiebung zu Gunsten der Judikative zu verzeichnen. Bei der Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen des einfachen Gesetzesrechts hat die Verwaltung i.e.S. auch ohne solche Zielvorgaben keinen eigenen Entscheidungsspielraum; hier unterliegt sie ohnehin in vollem Umfang (verwaltungs-)gerichtlicher Kontrolle. Über mehr als eine Entscheidungsmöglichkeit verfügt die Verwaltung i.e.S. grundsätzlich bei Abwägungsentscheidungen und Ermessensausübung. In welchem Umfang sich die Funktionentektonik diesbezüglich aufgrund überschießender Staatszielbestimmungen verändert, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Insoweit kann wiederum auf die Ausführungen zur Verschiebung im Verhältnis von Legislative und Judikative verwiesen werden. Abwägungs- und Ermessensentscheidungen dürften demnach allenfalls im Ausnahmefall wegen Unvereinbarkeit mit einer überschießenden Staatszielbestimmung oder deren einfachgesetzlicher Konkretisierung für rechtswidrig erklärt werden.357 Angesichts der Hypertrophie der Zielvorgaben in der brandenburgischen Verfassung verfügt die Exekutive hier über einen ebenso großen Spielraum wie bei der Ausfüllung von Beurteilungsspielräumen.358

III. Fazit

Die Funktionentektonik verschiebt sich infolge der überschießenden Staatszielbestimmungen deutlich zu Gunsten der Judikative. Eine entsprechend politi___________ 356 Im Einzelnen sei verwiesen auf die Ausführungen unter C. I. 2. zum Umfang der Kompetenzverschiebung im Verhältnis von Judikative und Legislative. 357 Die Verwaltung i.e.S. kann sich bei einer Abwägungsentscheidung im Grunde desto eher nahezu beliebig eine bestimmte Zielvorgabe herausgreifen, je größer die Zahl der konkurrierenden Staatszielbestimmungen ausfällt. Bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials müssen freilich alle Zielvorgaben berücksichtigt werden. – Gleiches gilt für Ermessensentscheidungen; dazu (bezogen auf die Zielkonkurrenzen in der Verfassung des Freistaats Sachsen) Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 165. 358 Die Direktionskraft der Staatszielbestimmungen wird desto geringer, je zahlreicher die Zielkonkurrenzen ausfallen, s. oben unter C. I. 2.

C. Funktionentektonik

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sierte Verfassungsgerichtsbarkeit könnte etwa die sozialen Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung zum Anlass nehmen, die (Haushalts-)Politik zu reglementieren, auch wenn diesen Staatszielbestimmungen keine Ermächtigung zur „Sozialgestaltung durch die Dritte Gewalt“359 zu entnehmen ist.360 Die bereits in anderem Zusammenhang konstatierte Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu einem „Jurisdiktionsstaat“361 wird daher in Brandenburg weiter an Fahrt gewinnen.362 Je mehr Staatszielbestimmungen Aufnahme in die Verfassung finden und je detaillierter die Verfassung die Art und Weise der Zielverwirklichung vorgibt, desto größer fällt der Autoritätsverlust des Parlaments aus, und desto mehr verliert dieses seine wichtigste Gestaltungsaufgabe. Die betreffenden Inhalte werden durch Aufnahme in die Verfassung gewissermaßen „entparlamentarisiert“:363 Die gesetzgebende Gewalt wird so letztlich zum Ausführungsorgan der ___________ 359

Kutscha, ZRP 1993, S. 339 (342). In diese Richtung allg. Sommermann, Staatsziele, S. 386 m.w.N.; vgl. auch die Warnung vor einem „ökologischen Dezisionismus der dritten Gewalt“ bei Breuer, in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 5. Kap. Rn. 34. 361 Der Begriff geht zurück auf Böckenförde, Staat 29 (1990), S. 1 (25 ff.) m.w.N., der mit Blick auf die Ausweitung der Befugnisse der Judikative infolge der Subjektivierung grundrechtlicher Schutzpflichten einen „Übergang vom parlamentarischen Gesetzgebungsstaat zum verfassungsrechtlichen Jurisdiktionsstaat“ konstatierte. Vgl. zu den Grenzen der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts Knies, FS Stern, S. 1155 (1174 ff.): „Der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt ist durch einen verfassungsgerichtlichen Urteilsvorbehalt abgelöst“ [Hervorhebungen im Original]; Schmitt Glaeser, FS Stern, S. 1183 (1190 ff., 1196 ff.): „Der Parlamentsstaat wird dann durch den Jurisdiktionsstaat verdrängt. [...] Die Konsequenz liegt in einer Verfassungsgerichtsbarkeit, die in Wahrheit keine Gerichtsbarkeit mehr ist und sein kann, sondern zum Medium gesellschaftlicher Selbstregulierung wird“; Scholz, FS Stern, S. 1201 (1221): „Das BVerfG ist [...] vor allem im Rahmen seiner Grundrechtsjudikatur [...] auf die abschüssige Bahn einer Superrevisionsinstanz, einer Supergesetzgebung und sogar einer Superexekutivinstanz geraten“. 362 Vgl. die Äußerung des Sachverständigen Isensee bei der Anhörung der GVK zum Thema „Staatsziele und Grundrechte“, s. Bundestag, Zur Sache 2/96 II, S. 74: Bei einer Vielzahl von Staatszielbestimmungen bestehe die Gefahr, dass Kompetenzen aus dem Bereich der politischen Gestaltung auf die Rechtsprechung verlagert werden. – Die Verschiebungen in der Funktionentektonik lassen sich auch nicht dadurch vermeiden, dass die Verwirklichung der Zielvorgabe unter einen Gesetzesvorbehalt gestellt würde: Staatszielbestimmungen binden die gesamte Staatsgewalt, s. 2. Kap. unter A. III. 2. u. 3. 363 Eben dies ist freilich oftmals das Ziel der Forderung, einen bestimmten Inhalt in Form einer Staatszielbestimmung zu verankern, s. Stiens, Chancen, S. 231; H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (733). Dabei wird verkannt, dass die Lösung gesellschaftlicher Konflikte nur in einem ständigen Prozess von Diskussion und Dezision möglich ist (s. Kriele, VVDStRL 29 [1971], S. 46 [52]): Keine Autorität kann die letzte Richtigkeit und Wahrheit von Entscheidungen gewährleisten, s. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 71 Rn. 156. – Allg. zu Erscheinungsformen und Ursachen der Entparlamentarisierung Puhl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 48 Rn. 2 ff. 360

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Verfassung,364 obgleich es in der parlamentarischen Demokratie Aufgabe der Volksvertretung ist, die politischen Leitlinien staatlichen Handelns festzulegen und ggf. den sich wandelnden Umständen und Bedürfnissen des Gemeinwesens anzupassen.365 Die überschießenden landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen drohen daher, den politischen Prozess des Setzens von Prioritäten wie auch des Abwägens von politischen Zielen und Interessen einzuschnüren.366 Zugleich besteht die Gefahr, dass sich jener Prozess aus dem Parlament in den Bereich der Judikative verlagert.367 Insoweit verliert der Bürger die Möglichkeit, die Setzung politischer Prioritäten durch Wahlen zu kontrollieren und zu beeinflussen.368 Allerdings darf nicht verkannt werden, dass sich der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum infolge der Hypertrophie der Staatszielbestimmungen in der brandenburgischen Verfassung wieder vergrößert:369 Wo nahezu

___________ 364 s. P. Kirchhof, Grundgesetz, S. 28; Badura, FS Scholz, S. 3 (5 f.); Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (413); Hesse, JZ 1995, S. 265 (267). 365 Dazu Magiera, Parlament; spezifisch zur Artikulations- und Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments Brenner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 44 Rn. 39 ff.; Oppermann, VVDStRL 33 (1975), S. 8 (31 ff.); Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 69 (73 ff.). 366 Vgl. v. Mangoldt, Verfassungen, S. 56, demzufolge „jede allzu intensive Regelung von Staatszielen“ die Demokratie gefährdet, weil dadurch „die weitere staatliche Entwicklung allzu sehr in die Fesseln verfassungsrechtlicher Vorentscheidung eingebunden“ sei; dens., in: Juristenfakultät der Universität Leipzig und Leipziger Juristische Gesellschaft e.V., SächsVerf, S. 9 (31): Durch die sozialstaatliche Konkretion der Verfassung verliere der demokratische Gesetzgeber begrenzt die ihm gebührende politische Gestaltungsfreiheit, wodurch die Demokratie zum formalen Prinzip verkomme. 367 Vgl. allg. Puhl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 48 Rn. 48; Feddersen, DÖV 1992, S. 989 (997); Ossenbühl, DVBl. 1992, S. 468 (475); Vogelgesang, DÖV 1991, S. 1045 (1051); a.A. etwa H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (503): Eine Verlagerung der Sozial- und Wirtschaftspolitik auf die Gerichte sei nicht zu besorgen, da die Staatszielbestimmungen eher präventiv wirkten, indem sie das Gewicht der sozialen Belange im politischen Prozess stärkten; seien sich Politik und Gesetzgeber der hier bestehenden rechtlichen Bindungen bewusst, würden sich die Gerichte nicht in die Aufgabenerfüllung „einmischen“. – Womöglich wird also nicht mehr die Legislative in einem offenen und freien Prozess der Willensbildung die Entscheidung fällen, sondern eine kleine Gruppe von Richtern nach nichtöffentlicher Beratung. Dies wäre nicht zuletzt deshalb bedenklich, weil Gerichte weder die erforderliche langfristige politische Planung noch ein stimmiges politisches Gesamtkonzept liefern können: sie lösen Einzelfälle; s. Böckenförde, Staat 29 (1990), S. 1 (25); Ossenbühl, DVBl. 1992, S. 468 (475). 368 Vgl. H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (734 ff.); P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 187 f., sieht die Gefahr, dass sich die Parlamente der neuen Länder zu einem „Diskussionsforum ohne Entscheidungsmacht“ wandeln, wenn von den plebiszitären Elementen, die in den neuen Landesverfassungen besonders ausgeprägt verankert sind, häufig Gebrauch gemacht würde. 369 Dies wird im Schrifttum nicht immer hinreichend deutlich, s. etwa v. Mangoldt, Verfassungen, S. 55: Die „allzu starke sozialstaatliche Konkretion der Verfassung [...] tendiert [...] notwendig dazu, das Demokratieprinzip zur bloß formalen Hülle für Gesetzgebungsorgane ohne politische Gestaltungsfreiheit verkommen zu lassen“.

D. Weitere Auswirkungen

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alles und jedes zu berücksichtigen ist, wird die Entscheidung im Grunde letztlich beliebig – und praktische Konkordanz zur Illusion.370

D. Weitere Auswirkungen I. Grundrechte

Auch im Fall der überschießenden Staatszielbestimmungen hat der Gesetzgeber die durch die Grundrechte gezogenen Grenzen zu beachten, und zwar bei der Konkretisierung des Zielbereichs ebenso wie bei der Zielverwirklichung. Staatszielbestimmungen befreien keineswegs vom Erfordernis der gesetzlichen Grundlage für einen Grundrechtseingriff,371 da es sich bei ihnen nicht um eigenständige Eingriffstitel handelt.372 Dies gilt auch für die Bürgerzielbestimmungen:373 Die in ihnen enthaltenen Pflichten sind zu unbestimmt formuliert bzw. nicht hinreichend konkret, um unmittelbar wirksame Pflichten für die Bürger zu statuieren.374 Die Tatsache, dass Staatszielbestimmungen selbst keine Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe liefern, bedeutet freilich keineswegs, dass sie solche Eingriffe nicht indirekt rechtfertigen könnten. Im Gegenteil: Sie sind als Legitimation für Beschränkungen von Bedeutung;375 ihre Verwirklichung erfordert Eingriffe des Staates in die grundrechtlich abgesicherten Freiheitspositionen des Einzelnen.376 Die überschießenden Staatszielbestimmungen können demnach ___________ 370

Zugleich birgt ein solcher „Zielwirrwarr“ (Riegler, Konflikte, S. 224; Merten, DÖV 1993, S. 368 [376]) die Gefahr, die Verlässlichkeit der Verfassung zu unterminieren. 371 Vgl. BVerfGE 52, 283 (299); mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip BVerfGE 59, 231 (263), wonach dieses nicht geeignet ist, „Grundrechte ohne nähere Konkretisierung durch den Gesetzgeber, also unmittelbar, zu beschränken“. Vgl. 2. Kap. unter A. III. 1. 372 s. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 73 Rn. 47; Sommermann, Staatsziele, S. 422 f. m.w.N. – Zumindest missverständlich Schwarz, NdsVBl. 1998, S. 225 (228), demzufolge die in Art. 6 a NdsVerf verankerte Staatszielbestimmung „Recht auf Wohnung“ einen zwangsweisen Eigentumsentzug auch zu Gunsten Privater rechtfertigen könne: Eine solche Vorgehensweise sei geeignet, die Zielvorgabe unter Missachtung der grundrechtlichen Garantie des Privateigentums zu verwirklichen. 373 Zum Terminus 2. Kap. unter A. III. 4. 374 Dazu 7. Kap. unter B. II. 7. 375 s. Kutscha, ZRP 1993, S. 339 (343); Graf Vitzthum, ZfA 22 (1991), S. 695 (700). – So sind etwa Konflikte zwischen der Staatszielbestimmung „Wohnraum“ (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) und der Eigentumsgarantie (Art. 41 BbgVerf) programmiert, ebenso solche zwischen der Zielvorgabe „Arbeit“ (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf) und der Berufsfreiheit (Art. 49 BbgVerf). 376 Eine staatlich verordnete Alterssicherung vermag durchaus soziale Not im Alter zu mindern, doch legt sie auch „goldene Fesseln“ an: Sie schneidet dem Einzelnen die

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

durchaus Freiheitsrechte schwächen. Diese Rechte werden desto mehr in den Hintergrund gedrängt, je intensiver etwa die sozialstaatlichen Zielvorgaben ausfallen.377 Bei den Grundrechten mit (einfachem oder qualifiziertem) Gesetzesvorbehalt sind die Staatszielbestimmungen v. a. für die Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Einschränkung relevant.378 Hier wirken sich diese Zielvorgaben insbesondere unter dem Topos „Angemessenheit“ regelmäßig zu Lasten des Grundrechtsträgers aus. Liegt der verfolgte Zweck in einer Staatszielbestimmung begründet, kommt ihm bei der Abwägung größeres Gewicht zu als einem verfassungsrechtlich nicht entsprechend verankerten Belang.379 Schwieriger gestaltet sich die Begründung der grundrechtseinschränkenden Wirkung bei Grundrechten, die ohne ausdrücklichen Vorbehalt gewährleistet sind, anerkanntermaßen aber durch verfassungsimmanente Schranken begrenzt werden können. Zu solchen Schranken rechnen neben kollidierenden Grundrechten Dritter auch andere mit Verfassungsrang ausgestattete Werte,380 u.a. also die Staatszielbestimmungen als objektiv-rechtlich verbindliche Verfassungsnormen.381 Gleichwohl wirken diese Zielvorgaben nicht unmittelbar grundrechtsbegrenzend. Andernfalls wären die vorbehaltsfrei gewährten Grundrechte in einer schwächeren Position als diejenigen, die unter einem Gesetzesvorbehalt stehen, für die sich die grundrechtseinschränkende Wirkung, wie erläutert, erst mittels einschränkender Gesetze aktualisiert.382 Mittlerweile ist es denn auch gemeinhin anerkannt, dass der Vorbehalt des Gesetzes bei einem lediglich verfassungsimmanent einschränkbaren Grundrecht fordert, dass der Gesetzgeber selbst die wesentlichen Positionen des Grenzverlaufs zwischen diesem Recht ___________ Entscheidung ab, etwa Kraft seiner Vertragsfreiheit selbst die Art und Weise seiner Alterssicherung zu bestimmen. 377 Ebenso v. Mangoldt, in: Juristenfakultät der Universität Leipzig und Leipziger Juristische Gesellschaft e.V., SächsVerf, S. 9 (31). 378 s. Sommermann, Staatsziele, S. 423. Vgl. BVerfGE 59, 231 (262 f.) zur Bedeutung des Sozialstaatsprinzips „für die Auslegung von Grundrechten sowie für die Auslegung und verfassungsrechtliche Beurteilung von [...] grundrechtseinschränkenden Gesetzen“. 379 A.A. (zu Art. 53 Abs. 2 RhPfVerf) Bartz, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 53 Rn. 18: Die Staatszielbestimmung „Arbeit“ erlaube keine weiterreichende Grundrechtsbeschränkung als ohne solche Zielvorgabe (also allein unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips) möglich wäre. 380 s. BVerfGE 28, 243 (261); Lerche, FS Mahrenholz, S. 515 (525 ff.), der allerdings der Begrenzung auf Verfassungsnormen kritisch gegenübersteht. 381 So mit Blick auf Art. 20 a GG BVerwG NJW 1995, S. 2648 (2649) Caspar/ Geissen, NVwZ 2002, S. 913 (915 ff.) m.w.N. – Im je konkreten Fall ist im Wege der praktischen Konkordanz (dazu 7. Kap. unter A. II. 3.) ein Ausgleich zwischen den betroffenen Belangen herzustellen. 382 s. Sommermann, Staatsziele, S. 424.

D. Weitere Auswirkungen

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und den anderen Verfassungspositionen absteckt.383 Solche Grenzen erwachsen vorbehaltsfrei gewährleisteten Grundrechten allerdings lediglich aus Verfassungsnormen mit materiellem Gehalt, nicht aus bloßen Organisations- und Kompetenznormen.384 Insoweit sind die Staatszielbestimmungen von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Je mehr eine Verfassung mit solchen Zielvorgaben angereichert ist, desto zahlreicher sind die Werte, die eine Einschränkung vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte rechtfertigen – und desto schwieriger wird es, eine unverhältnismäßige Einschränkung festzustellen. Die Normierung von Staatszielbestimmungen kann sich demnach dahingehend auswirken, dass Grundrechtseingriffe „leichter“ zu rechtfertigen sind.385 Dies gilt insbesondere dann, wenn die betreffende Zielvorgabe (s. etwa Art. 27 Abs. 3 S. 1 BbgVerf) als „Bürgerzielbestimmung“386 ausdrücklich auch die Gesellschaft, die Gemeinschaft (als Summe aller Bürger) oder jeden Einzelnen in die Verpflichtung des Staates einbezieht. Eine solche Inbezugnahme ermöglicht es dem Gesetzgeber, den Einzelnen in stärkerem Maße zu verpflichten.387 Somit relativieren Staatszielbestimmungen die herausragende Bedeutung der Freiheitsrechte in der verfassungsmäßigen Ordnung.388 Umgekehrt können die Staatszielbestimmungen auch einzelne Grundrechte verstärken. Bspw. tritt die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Men___________ 383

Vgl. (zu Grundrechtskollisionen) Schwabe, Probleme, S. 90: „Im Kollisionsbereich den Grenzverlauf zu markieren, ist Aufgabe der Rechtsordnung“. 384 s. Sommermann, Staatsziele, S. 424; a.A. etwa Heyde, FS Zeidler II, S. 1429 (1441 ff.). 385 Durch Staatszielbestimmungen nimmt die Zahl gerechtfertigter Grundrechtseingriffe zu. Dazu P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 14 f.; vgl. Simon, NJ 1991, S. 427 (429), der die Aufnahme von Staatszielbestimmungen befürwortet, weil sie sozialstaatliche Eingriffe in entgegenstehende Grundrechtspositionen legitimieren könnten. – Ebenso bejahte die Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge“ die Aufnahme einer Staatszielbestimmung „Arbeit“ in das Grundgesetz, weil dadurch „im Verständnis des Art. 12 GG die Gemeinschaftsaspekte neben den individuellen Gesichtspunkten angemessen zum Tragen kommen“ und der „Spielraum für eine behutsame, indirekte Berufssteuerung unter Einbeziehung von Bedarfsüberlegungen“ (Bericht Sachverständigenkommission, S. 83 Rn. 128) erweitert werde. 386 Zur Frage, ob Staatszielbestimmungen unmittelbar auch die Bürger adressieren, 2. Kap. unter A. III. 4. 387 s. bereits Kloepfer, DVBl. 1988, S. 305 (305 f.); krit. Vogelgesang, DÖV 1991, S. 1045 (1051): „Disziplinierungsmittel gegen die Bürger“. – Dies gilt freilich nur, wenn man die betreffende Formulierung nicht als lediglich sittliche Pflicht einordnet; ebenso zu Art. 7 Abs. 2 SächsVerf P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 103. 388 s. bereits (mit Blick auf die Aufnahme sozialer Verfassungsziele in das Grundgesetz) Tomandl, Grundrechte, S. 25; Scholz, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 75 (83); Nebendahl, ZRP 1991, S. 257 (263); Wipfelder, ZRP 1986, S. 140 (149). – Überzogen scheint es, bei der Aufnahme von Staatszielbestimmungen unweigerlich freiheitsvernichtende planwirtschaftlich-dirigistische Eingriffe heraufziehen zu sehen; so aber etwa Brohm, JZ 1994, S. 213 (216); Jahn, DVBl. 1994, S. 177 (184).

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

schen mit und ohne Behinderungen i. S. des Art. 12 Abs. 4 BbgVerf verstärkend zum Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 u. 2 BbgVerf hinzu.389 Die bildungsund kulturbezogenen Zielvorgaben wiederum haben eine die kulturelle Freiheit verstärkende Wirkung. Dies betrifft Kunst und Wissenschaft ebenso wie etwa die Grundrechte im Bereich von Schule und Hochschule.390 Dort, wo Staatszielbestimmungen darauf gerichtet sind, die tatsächlichen Voraussetzungen der Grundrechtsausübung zu schaffen oder zu fördern, besteht daher ein Komplementaritätsverhältnis zwischen dem jeweiligen Grundrecht und der betreffenden Zielvorgabe.391 Die überschießenden Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung wirken sich freilich nur begrenzt auf Grundrechtspositionen aus. Meist fehlt dem Land die Zuständigkeit zur einfachgesetzlichen Umsetzung.392 Jene Positionen bleiben allerdings auch bei Staatszielbestimmungen mit geringer normativer Steuerungskraft nicht unberührt: Selbst solche Zielvorgaben fungieren als Auslegungshilfen und ermessensleitende Kriterien für die Verwaltung und normative Vorgaben für die Rechtsprechung. Die überschießenden Staatszielbestimmungen sind daher (in begrenztem Umfang) auch bei der Interpretation von Grundrechten von Bedeutung.393 So oder so, eine Würdigung des Textumfangs der brandenburgischen Verfassung ergibt ein deutliches Übergewicht der Staatszielbestimmungen im Verhältnis zu den klassischen Grundrechten. Dieses Zurücktreten der Freiheit hinter die nahezu allumfassende Förderung durch den Staat ist äußerst bedenklich. Es zeigt einmal mehr, wie wenig jene Verfassung auf den Wert vertraut, den die Freiheitsrechte des Einzelnen auch für die Allgemeinheit und deren Anliegen haben können.394 ___________ 389

Ebenso zu Art. 17 Abs. 1, 2 u. Art. 64 als rheinland-pfälzischen Parallelvorgaben Jutzi, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 64 Rn. 9; a.A. mit Blick auf eine Staatszielbestimmung „Wahrung des Kindeswohls“ G. Kirchhof, ZRP 2007, S. 149 (151): Werde eine solche Zielvorgabe im Grundgesetz verankert, könne dies den verfassungsrechtlichen Schutz der Kinder durch Art. 6 GG relativieren (sic!). 390 Ebenso für die betreffenden Zielvorgaben der sächsischen Verfassung v. Mangoldt, Verfassungen, S. 53. Vgl. zu Art. 3 c Abs. 1 BaWüVerf Hammer, JöR 51 (2003), S. 97 (104 f.): Aus den Staatszielbestimmungen „Förderung des kulturellen Lebens“ und „Sport“ folge keine Grundrechtseinschränkung. 391 Eingehend zur Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte durch Staatszielbestimmungen Michel, Staatszwecke, S. 289 ff.; vgl. Sommermann, Staatsziele, S. 415 f. m.w.N. – Dazu, dass die Staatszielbestimmung „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 20 a GG) das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) verstärken kann (was freilich zu Lasten eines anderen Grundrechtsträgers gehen mag), P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 16; Sommermann, DVBl. 1991, S. 34 (35). 392 s. oben unter A. 393 Dazu allg. Merten, DÖV 1993, S. 368 (371). 394 Vgl. Sachs, LKV 1993, S. 241 (247).

D. Weitere Auswirkungen

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II. Sozialstaatsprinzip

Mitunter wird gegen die sozialen Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung angeführt, diese nähmen dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG seine Vorzüge.395 Mit solchen Zielvorgaben gehe die Offenheit und Elastizität des Sozialstaatsauftrags verloren, wobei es doch gerade diese allgemein gehaltene Festlegung ermögliche, den sich wandelnden Erfordernissen der Zeit und den jeweiligen Koordinierungsaufgaben gerecht zu werden und zugleich die Freiheit demokratischer Entscheidung zu wahren. Diese Auffassung greift jedenfalls in ihrer Pauschalität zu kurz. Der Befund, jene einzelprogrammatischen Zielvorgaben nähmen dem Sozialstaatsprinzip die Offenheit, trifft zwar im Grunde zu. Es darf aber nicht verkannt werden, dass den Ländern für die einfachgesetzliche Umsetzung der betreffenden Staatszielbestimmungen meist die Zuständigkeit fehlt, dass diese Verfassungsaufträge also lediglich über geringe normative Steuerungskraft verfügen.396 Jene sozialen Zielvorgaben wirken sich daher im Ergebnis weder positiv noch negativ auf die Offenheit und Elastizität des Sozialstaatsprinzips aus, laufen sie doch normativ gewissermaßen leer. Nicht zu überzeugen vermag auch die Auffassung, derzufolge Spezifizierungen des Sozialstaatsauftrags notwendig sein sollen, um einen „Rückfall hinter das heute erreichte Sozialverständnis und einen drastischen Sozialabbau“ auszuschließen.397 Den betreffenden einzelprogrammatischen Staatszielbestimmungen ist zwar eine Verfassungsanleitung für die Gewichtung der sozialen (Einzel-)Belange bei Abwägungsvorgängen insbesondere des Gesetzgebers zu entnehmen. Der besagte „Rückfall“ lässt sich dadurch aber nicht verhindern: Bei der Umsetzung von Staatszielbestimmungen gibt es grundsätzlich keinen Bestandsschutz, d. h. der Gesetzgeber kann auch hinter ein bereits erreichtes Niveau der Zielverwirklichung zurückweichen.398 Des Weiteren verkennt jene Auffassung, dass die einzelprogrammatischen sozialen Zielvorgaben mangels ___________ 395

Vgl. Dietlein, Grundrechte, S. 158; H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (734 ff.); Isensee, Staat 19 (1980), S. 367 (377); vgl. Scholz, FS Lerche, S. 65 (77 f.): Würden einzelne soziale Belange als Staatszielbestimmungen besonders hervorgehoben, büße das Sozialstaatsprinzip an Wirkung ein, was „im Ergebnis zur grundlegenden Veränderung der freiheitlichen und sozialen Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes führen“ würde; ähnlich ders., ZfA 22 (1991), S. 683 (693). 396 Dazu oben unter A. VII. 397 So aber H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (503); vgl. Hesse, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 5 Rn. 32; Kutscha, ZRP 1993, S. 339 (343). 398 So ist etwa dem Sozialstaatsprinzip i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG kein allgemeines Verschlechterungs- bzw. Rückschrittsverbot zu entnehmen: Bei schlechter Wirtschaftslage können Sozialleistungen wieder abgebaut werden, s. BSG NJW 1987, S. 463 (463); Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht AT, § 6 II 2. – Vgl. 2. Kap. unter A. III. 1.

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Umsetzungskompetenz des Landesgesetzgebers über lediglich geringe normative Steuerungskraft verfügen. Erst recht nicht gefolgt werden kann dem noch weitergehenden Ansatz, demzufolge landesverfassungsrechtliche Konkretisierungen des Sozialstaatsprinzips „zur Interpretation der entsprechenden, sehr viel offener formulierten Grundgesetzvorschriften herangezogen werden“ müssen, enthielten die betreffenden Staatszielbestimmungen doch „zwingende Auslegungsmaßstäbe auch für das Grundgesetz“.399 Kongruenzen und Divergenzen, die im Wege landesverfassungsrechtlicher Rechtsvergleichung zu Tage treten, sind zwar durchaus für die (komparative) Verfassungsauslegung von Bedeutung.400 Jener Ansatz überdehnt jedoch deren Reichweite. Für die Auslegung des Grundgesetzes ist es nicht bindend, wenn Landesverfassungen in einem bestimmten Zusammenhang dieselben Begriffe verwenden und diese in gleicher Weise ausfüllen.401

III. Verfassungspolitischer Wettbewerb und Impulswirkung für die Politik

1. Verfassungspolitischer Wettbewerb im Bundesstaat Die überschießenden Zielvorgaben sind für die Verfassungspolitik auf Bundes- wie auf Landesebene von Bedeutung. Immer wieder erhalten Vorstöße, einen weiteren Lebens- und Normbereich als Staatszielbestimmung zu verankern, gerade dadurch Auftrieb, dass die betreffende Zielvorgabe bereits in einer anderen Verfassung enthalten ist.402

___________ 399

s. H.-P. Schneider, DÖV 1987, S. 749 (755); in diese Richtung auch Erbguth/ Wiegand, DÖV 1992, S. 770 (776 f). 400 s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (13). – Das Bundesverfassungsgericht hat bspw. in BVerfGE 2, 237 (262) zur Interpretation des Art. 3 Abs. 1 GG (auch) die entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen herangezogen. Grundlegend zur Verfassungsauslegung Starck, Verfassungsauslegung. 401 Es existiert kein Grundsatz landesverfassungsfreundlicher oder -konformer Auslegung des einfachen Bundesrechts, s. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (34). 402 Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen etwa wurde erstmals im Jahr 1976 durch Änderung des Art. 86 BaWüVerf verfassungsrechtlich abgesichert. Die Landesverfassungen der ersten und der zweiten Generation enthielten in ihrer Ausgangsfassung (abgesehen von den allein auf die Landschaft und die Denkmäler der Natur bezogenen Vorschriften) keine Zielvorgaben für den Bereich Umweltschutz: Bei ihrer Entstehung war die Tatsache noch nicht präsent, dass der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen eine zentrale und lebenswichtige Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft ist. – Die anderen Landesverfassungen folgten der baden-württembergischen ab 1984 mit entsprechenden Zielvorgaben. Dazu Feuchte, in: ders., BaWüVerf, Art. 86 Rn. 3; vgl. Pestalozza, NVwZ 1987, S. 744 (745 Fn. 7).

D. Weitere Auswirkungen

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In diesem verfassungspolitischen Wettbewerb ist es, trotz des mitunter nur schwach ausgeprägten Landesverfassungsbewusstseins,403 keineswegs immer das Grundgesetz, das den Vorreiter für Neuentwicklungen darstellt. Im Gegenteil: Ohne die Vorläufer auf Länderebene ist die Diskussion um die Aufnahme der Staatszielbestimmung „Gleichstellung der Geschlechter“ in das Grundgesetz nicht zu denken. Gleiches gilt für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und den Tierschutz gem. Art. 20 a GG.404 Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen werden häufig als Alternative zum bzw. als Vorbild für das Grundgesetz wahrgenommen:405 der Bundesstaat als „’Experimentierbühne’ in Sachen Verfassungspolitik“406. So wird etwa gefordert, die Aufnahme insbesondere der sozialen Zielvorgaben in die Verfassungen der neuen Länder durch entsprechende Staatszielbestimmungen im Grundgesetz als „Beitrag zu einer gesamtdeutschen Verfassungskultur“407 aufzugreifen. Die überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung könnten sich dementsprechend als Schrittmacher für Verfassungsänderungen in anderen Ländern und auf Bundesebene auswirken.408 ___________ 403 Das Grundgesetz dominiert die verfassungsrechtliche Szenerie auch in den Ländern: „Schon der Rechtsstudent weigert sich im Allgemeinen, zweierlei Verfassungsrecht zur Kenntnis zu nehmen“ (Zacher, FG Spindler III, S. 485 [492]). 404 Dazu Steinberg, FS Mahrenholz, S. 423 ff. 405 So etwa Bachmann, in: Eichel/Möller, HessVerf, S. 90 (91 ff.); Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (195 f.); vgl. Pestalozza, NVwZ 1987, S. 744 (745 f.): „alternatives Potential der Landesverfassungen“. – Zur Vorläufer- und Vorbildfunktion der Landesverfassungen für das Grundgesetz allg. Zacher, FG Spindler III, S. 485 (487); mit Blick auf den Beitrag der neuen Länder zur Verfassungsentwicklung in Deutschland Häberle, in: Kramer, Föderalismus, S. 201 (236 ff.); ders., JöR 42 (1994), S. 149 (195 f.); Steinberg, FS Mahrenholz, S. 423 ff. Vgl. Rux, ZParl 1992, S. 291 (308): die Verfassungen der neuen Länder als Vorbild für die Reform des Grundgesetzes. Ebenso zur brandenburgischen Verfassung Simon, NJ 1991, S. 427 (428): „wegweisende Impulse“; vgl. D. Franke/Kneifel-Haverkamp, JöR 42 (1994), S. 111 (148). Letztere Einschätzungen greifen (jedenfalls in dieser Pauschalität) zu kurz. Jede Verfassung drückt die spezifische Identität eines Landes aus (s. 6. Kap. unter D.), und schon deshalb kann sie nicht beliebig zum Vorbild genommen werden. So muss etwa das, was auf Länderebene der Integration des Volkes nach 40 Jahren DDR-Erfahrung dienen mag, auf gesamtstaatlicher Ebene nicht notwendig integrierend wirken. Im Ansatz ähnlich Kröning, ZRP 1991, S. 161 (163). 406 Häberle, JöR 42 (1994), S. 149 (196). – Krit. zum v. a. seitens Häberle apostrophierten „Werkstattcharakter“ (Häberle, JöR 40 [1991], S. 291 [335 f.]) der Verfassunggebung v. Mangoldt, Verfassungen, S. 87 Fn. 330. 407 H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (503); vgl. Häberle, in: Kramer, Föderalismus, S. 201 (236 ff.). – Bezeichnend der Titel der Darstellung von D. Franke/Kneifel-Haverkamp, JöR 42 (1994), S. 111 ff.: „Die brandenburgische Landesverfassung. Verfassunggebung in einem neuen Bundesland als Teil der gesamtdeutschen Verfassungsdiskussion“. 408 Es besteht kein rechtlicher, sondern ein politischer Rechfertigungszwang, wenn das Grundgesetz ein Verfassungsthema im Gegensatz zu (neueren) Landesverfassungen nicht anspricht, s. Degenhart, Staat 31 (1992), S. 77 (78).

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8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Die überschießenden landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben taugen freilich desto weniger zur Stärkung der Landesidentität, je mehr sie Eingang in das Grundgesetz finden: Je mehr der Bund diese Zielvorgaben kopiert, desto weniger verleihen sie der verfassungsrechtlichen Eigenständigkeit Brandenburgs Ausdruck.409 Bei Grundgesetzänderungen ist daher auch künftig zu bedenken, dass den Ländern auf dem Felde der Staatszielbestimmungen eigene Akzentuierungen erhalten bleiben.410

2. Impulswirkung für die Politik Des Weiteren findet sich die These, Staatszielbestimmungen hätten Appellwirkung für die Politik: Sie steuerten den politischen Prozess.411 Ohne bspw. die sozialen Staatszielbestimmungen, so die Argumentation, bestünde die Gefahr, dass relevante Belange auf der Strecke blieben.412 Hinsichtlich der überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung kann dieser Auffassung (jedenfalls in ihrer Pauschalität) nicht gefolgt werden. Die besagte Appellwirkung kann im Falle landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen lediglich dann greifen, wenn der Landesgesetzgeber nach den Kompetenzverteilungsschemata der Artt. 70 ff. GG die Befugnis hat, konkretisierend tätig zu werden. Die einfachgesetzliche Umsetzung der meisten überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung fällt aber nicht in die Zuständigkeit des Landes.413 Zudem werden sich die staatlichen Aufgabenträger den Materien, die elementare Gemeinwohlbedeutung erlangt haben, grundsätzlich auch dann hinrei___________ 409 s. Pestalozza, NVwZ 1987, S. 744 (745); v. Mangoldt, Verfassungen, S. 24: Am Ende erscheinen die betreffenden Regelungen der Landesverfassungen lediglich „als politischer Abklatsch vom Bund“. Dies verkennt Dietlein, JöR 51 (2003), S. 343 (349), der die Synchronisation der Staatszielbestimmungen von Bund und Ländern für wünschenswert hält. 410 So auch v. Mangoldt, Verfassungen, S. 92; vgl. Wahl, AöR 112 (1987), S. 26 (31 f.), und die Überlegungen der GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 75, 81 f. 411 s. Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (395); vgl. bereits Scheuner, FS Forsthoff, S. 325 (335 f.); Hufen, BayVBl. 1987, S. 513 (519); ebenso zu einer Staatszielbestimmung „Umweltschutz“ Bericht Sachverständigenkommission, S. 104 Rn. 166; Veith, Staatszielbestimmung, S. 101 f. m.w.N. 412 So etwa bzgl. Art. 128 Abs. 1 BayVerf Stettner, in: Nawiasky u.a., BayVerf, Art. 128 Rn. 6; vgl. Lange/Jobs, in: Eichel/Möller, HessVerf, S. 445 (468): Eine Staatszielbestimmung „Wohnen“ könne dazu beitragen, dass eine aktive Wohnungsmarktpolitik auch in Zeiten knapper Haushaltsmittel erhalten bleibe. Vgl. Brenne, Grundrechte, S. 155 f.: Staatszielbestimmungen als „Gegengewicht gegen die rein wirtschaftlichen und fiskalischen Gesichtspunkte [...], die in der Politik – und oft auch in der Rechtsprechung – vor allem bei schlechter Finanzlage immer mehr in den Vordergrund treten“. 413 Dazu oben unter A.

D. Weitere Auswirkungen

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chend zuwenden, wenn dies nicht durch entsprechende Staatszielbestimmungen vorgegeben sein sollte.414 Dies gewährleisten bereits die Mechanismen der öffentlichen Meinungsbildung.415 Für die meisten Bereiche, die von den überschießenden Zielvorgaben aufgegriffen werden, bedarf es daher keines solchen Impulses. Diese Staatszielbestimmungen sind typischerweise den wichtigsten Anliegen und existentiellen Lebensbedürfnissen des Einzelnen gewidmet, d. h. sie betreffen Sachbereiche, deren Bedeutung zumindest grundsätzlich außer Frage steht. Vor diesem Hintergrund dürfte die Impulswirkung einer Staatszielbestimmung allenfalls dann von Bedeutung sein, wenn es an einer politisch hinreichend durchsetzungskräftigen Lobby für die Lösung der betreffenden Problemlage fehlt, wenn der aufgegriffene Bereich also regelmäßig (eher) verdrängt wird. Dies mag etwa bei der Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen behinderter Menschen der Fall sein.416 Die Impulswirkung der überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung fällt daher eher gering aus.

IV. Edukatorische Funktion

Schließlich kann die Normierung von Staatszielbestimmungen auf die Wertediskussion im außerrechtlichen Bereich ausstrahlen und Bewusstsein bilden: Staatszielbestimmungen können Orientierung geben und sich edukatorisch positiv auswirken.417 Auch die überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung können eine solche Signalwirkung entfalten, und zwar für die allgemeine (Medien-)Öffentlichkeit ebenso wie für Industrieunternehmen, Verbände, Bürgerinitiativen und den Einzelnen. ___________ 414 s. H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (738); a.A. wohl Däubler, in: Achten, Recht, S. 159 (164): Das „Recht auf Arbeit“ könne eine aktive Arbeitsmarktpolitik bewirken, die verhindere, dass Arbeitslosigkeit hingenommen werde; ähnlich Kittner, in: Böckenförde u.a., Grundrechte, S. 91 (92 These 3). 415 Die Politik wird sich etwa bei hoher Arbeitslosenquote auch dann des Problems Arbeitslosigkeit annehmen, wenn die Verfassung neben dem allgemein gehaltenen Sozialstaatsprinzip keine Staatszielbestimmung „Arbeit“ enthält. 416 Gleiches gilt für das Wiedervereinigungsgebot, das in der Präambel (a.F.) des Grundgesetzes verankert war (dazu 3. Kap. vor A., Fn. 1), bestand doch die Gefahr, dass das zentrale Ziel „Wiedervereinigung“ aus Nachlässigkeit oder historischer Kurzsichtigkeit aufgegeben worden wäre. Zur Appellwirkung jenes Gebots etwa BVerfGE 36, 1 (17 f.). 417 s. P. C. Fischer, Staatszielbestimmungen, S. 11; ebenso bzgl. einer Staatszielbestimmung „Umweltschutz“ Bericht Sachverständigenkommission, S. 104 Rn. 166; Bock, Umweltschutz, S. 343 ff.; H.-J. Vogel, DVBl. 1994, S. 497 (499). – Allg. zur politischappellativen Bedeutung der Verfassung für das Gemeinwesen, die über das Juristische hinausgeht, Hesse, Kraft, S. 1 ff.

482

8. Kap.: Auswirkungen überschießender Staatszielbestimmungen

Selbst wenn die Orientierungsfunktion von Verfassungsnormen grundsätzlich nicht zu hoch veranschlagt werden sollte, ist sie im Fall der überschießenden Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung keineswegs unbedenklich. Angesichts der Hypertrophie dieser Zielvorgaben besteht die Gefahr, dass die Wertebildung und -gewichtung, die im freiheitlichen Staat doch beim Einzelnen liegen sollte, mehr oder weniger vorgegeben wird.418 Es kommt hinzu, dass sich insbesondere die einzelprogrammatischen sozialen Staatszielbestimmungen edukatorisch womöglich nicht in der gewünschten Weise auswirken, da sie (auch) als Akzentuierung des Vertrauens in staatliche Vor- und Fürsorge gelesen werden können. Jene Zielvorgaben sind daher durchaus geeignet, in Vergessenheit geraten zu lassen, dass es in der sozialen Marktwirtschaft zunächst bzw. vorrangig die Aufgabe des Einzelnen ist, für sich zu sorgen.419 Die Verantwortung des Staates greift erst, wenn der Primat der Selbstverantwortung leer läuft: Im Notfall ermöglicht der Sozialstaat die Entfaltung einer menschenwürdigen Existenz, indem er die Rahmenbedingungen für die Verwirklichung der realen Freiheit schafft. Im Kraftfeld des Grundgesetzes kann es nach alldem keine unbegrenzte Wohlfahrtspflege geben:420 Der Sozialstaat ist namentlich in den Formen und Grenzen des Rechtsstaates zu verwirklichen,421 muss also etwa in Ausgleich zu den grundrechtlich abgesicherten Freiheitspositionen gebracht werden.

___________ 418

Allg. Böckenförde, Staat, S. 34; H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (738). Zum Vorrang der Privatheit als Prinzip der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes Sodan, DÖV 2000, S. 361 ff.; zu den Problemen der Veränderung einer an sozialistischer Ideologie orientierten, autonomiefeindlichen Bewusstseinslage Würtenberger, JZ 1993, S. 745 ff.; Heitmann, in: Rüttgers/Oswald, Zukunft, S. 25 (25 f.). 420 s. Benda, in: ders. u.a., HdbVerfR, § 17 Rn. 107; Hesse, Grundzüge, Rn. 214 f.; Müller-Volbehr, JZ 1984, S. 6 (14). 421 s. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VIII Rn. 33; vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 922 f. – Rechts- und Sozialstaat ergänzen sich gegenseitig. Dieser Ansatz kann sich dogmenphilosophisch auf Hegel stützen, demzufolge die Erscheinungen der empirischen Welt als Momente eines Absoluten zu betrachten sind (Hegel versteht die Welt als Prozess, in dem das in Natur und Geist urgeteilte Absolute zu sich selbst zurückkehrt, s. ders., Enzyklopädie, § 577) und der Staat auf der Freiheit fußt ( – der moderne Staat ist nach Hegel [ders., Grundlinien, § 265 S. 412] als soziale Entsprechung zum freien Geist nicht auf das Herrschen ausgerichtet, sondern konstituiert rechtlich soziale Freiheit; näher Pauly, Staat 39 [2000], S. 381 [392 ff.]). Zur Auffassung der Substanz des Staates als verwirklichter Freiheit Hösle, in: Jermann, Rechtsphilosophie, S. 183 (189); krit. Popper, Gesellschaft II, S. 77 ff.; zur Dogmenphilosophie Gröschner u.a., Rechtsund Staatsphilosophie, S. 3 ff. 419

9. Kapitel

Auswirkungen der Zielkollisionen Zunächst wird geklärt, ob sich die unterschiedliche Formulierung und/oder Konkretisierung der kollidierenden Staatszielbestimmungen als divergierender Bindungsinhalt auswirkt.1 Daran schließt sich die Frage an, in welchem Umfang die inkongruenten Aspekte normative Steuerungskraft besitzen. Schließlich werden die Auswirkungen der Zielkollisionen auf Zielgefüge und Zielkonkurrenzen beleuchtet.2

A. Divergierender Bindungsinhalt I. Bindungswirkung trotz Zielkollision

Sind die Adressaten einer landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung an diese gebunden trotz Kollision mit einer Zielvorgabe des Grundgesetzes? Dies hängt zunächst davon ab, ob die betreffende Staatszielbestimmung unbeschadet der Zielkollision aktuelle normative Bedeutung hat. Wäre sie wegen Verstoßes gegen andere höherrangige Rechtsnormen (also unabhängig von der Zielkollision) suspendiert, hätte sie lediglich virtuelle normative Bedeutung. Einer solchen Zielvorgabe wäre keine aktuelle Bindungswirkung zu entnehmen. Diese Konstellation liegt hier allerdings nicht vor.3 In einem zweiten Schritt ist danach zu differenzieren, ob es sich um eine Zielkollision i.e.S. oder um eine solche i.w.S. handelt.4 Läge Erstere vor, wäre ___________ 1 Die Folgen dieses Divergenztyps werden in Umkehrung der Reihenfolge des Überblicks über die Zieldivergenzen (6. Kap.) aus darstellungstechnischen Gründen als letzte herausgearbeitet; dazu 7. und 8. Kap., jeweils vor A., Fn. 1. – Die Analyse erfolgt wiederum am Beispiel von Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung: Die Zielkollisionen zwischen dem Grundgesetz und den anderen Referenzverfassungen sind in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht weniger ausgeprägt, s. 6. Kap. unter A. IV. 2 Auswirkungen etwa auf „Ansehen und Akzeptanz der Verfassung“, „Funktionentektonik“ etc. bezeichnen keine spezifischen Folgen von Zielkollisionen: Es handelt sich vielmehr um Aspekte, die bereits aus der Normierung von Staatszielbestimmungen resultieren, so dass insoweit auf das 8. Kap. unter B., C. und D. verwiesen sei. 3 Dazu 5. Kap. unter B. 4 Zu den Begriffen 2. Kap. unter B. I. 1.

484

9. Kap.: Auswirkungen der Zielkollisionen

Art. 31 GG in Ansatz zu bringen: Eine Staatszielbestimmung, deren Normanordnung im Vergleich zum Pendant auf gesamtstaatlicher Ebene in die entgegengesetzte Richtung weist, kann nicht bundeszielkonform ausgelegt werden. Dies hätte die Suspension der betreffenden Zielvorgabe zur Folge. Unter den Kollisionen zwischen den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes und denen der brandenburgischen Verfassung findet sich jedoch kein solcher Fall.5 Bei einer Zielkollision i.w.S. entfaltet die landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe hingegen regelmäßig aktuelle Bindungswirkung, und zwar in bundesrechtskonformer Auslegung. Regelmäßig fehlt hier eine Kollisionslage i. S. des Art. 31 GG, da sich jene Zielvorgaben aufgrund ihrer Abstraktheit meist bundeszielkonform auslegen lassen.6 Die Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung, die mit der jeweiligen Parallelvorgabe des Grundgesetzes kollidieren, haben denn auch allesamt aktuelle Bindungswirkung.7

II. Umfang des divergierenden Bindungsinhalts

1. Bereich Soziales Die in Art. 20 Abs. 1 GG bzw. in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf enthaltenen Staatszielbestimmungen „Sozialstaat“ sind insoweit unterschiedlich gefasst, als die landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe den Gedanken der Gerechtigkeit stärker akzentuiert. Ein divergierender Bindungsinhalt resultiert daraus aber nicht, da die von Art. 20 Abs. 1 GG abweichende Formulierung („der Gerechtigkeit [...] verpflichtetes [...] Land“) keinen eigenständigen Erklärungswert besitzt neben der Aussage, dass Brandenburg ein soziales Land ist. Die Zielvorgaben sind letztlich – zumal auch keine unterschiedlichen Konkretisierungen vorliegen – in vollem Umfang kongruent.

2. Bereich Umweltschutz a) Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Im Fall der Staatszielbestimmungen „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ nach Art. 20 a GG und „Schutz der Natur und Umwelt“ i. S. des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf besteht eine divergierende Konkretisierung darin, dass jene ___________ 5

s. 6. Kap. unter A. III. Scheiterte die bundesrechtskonforme Auslegung, fände Art. 31 GG Anwendung; dies hätte die Suspension der landesverfassungsrechtlichen Zielvorgabe zur Folge. 7 Dazu 5. Kap. unter B. 6

A. Divergierender Bindungsinhalt

485

durch den Zusatz „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“ ergänzt ist, während die landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe vom Schutz der Natur und der Umwelt „als Grundlage künftigen und gegenwärtigen Lebens“ spricht. Daraus resultiert jedoch kein unterschiedlicher Bindungsinhalt; Art. 39 Abs. 1 BbgVerf hat insoweit keine andere Bedeutung als Art. 20 a GG. Ebenso wenig wirkt es sich auf diesen Inhalt aus, dass Art. 20 a GG die Adressaten der Verpflichtung (im Unterschied zu Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) differenzierend unter dem Blickwinkel der verschiedenen Staatsgewalten erfasst. Bei dem betreffenden Passus handelt es sich (lediglich) um einen deklaratorischen Verweis auf die unmittelbare Geltung für alle drei Staatsgewalten.8 Gleichwohl ist keine volle Kongruenz zu konstatieren. Dies ergibt sich aus den weiteren Konkretisierungen der landesverfassungsrechtlichen Zielvorgabe, die nahezu alle aktuelle normative Bedeutung haben.9 Art. 39 Abs. 1 BbgVerf enthält (anders als Art. 20 a GG) eine Grundpflicht. Weiterhin ist nach Art. 39 Abs. 4 BbgVerf auf den sparsamen Gebrauch und die Wiederverwendung von Rohstoffen sowie auf die sparsame Nutzung von Energie hinzuwirken,10 und Art. 39 Abs. 7 S. 1 HS 1 BbgVerf verpflichtet Land, Gemeinden und Gemeindeverbände, Informationen über gegenwärtige sowie zu erwartende Belastungen der natürlichen Umwelt zu erheben und zu dokumentieren.11 Daneben ist die Verbandsklage zulässig (Art. 39 Abs. 8 S. 1 BbgVerf),12 und anerkannte Um___________ 8

Dazu 5. Kap. unter B. III. 1. a). Konkretisierungen, die gegen höherrangiges Recht verstoßen, haben keine Auswirkungen auf den Bindungsinhalt, da sie lediglich virtuelle normative Bedeutung besitzen. 10 Art. 39 Abs. 4 BbgVerf verstößt nicht gegen höherrangiges Recht: Die in ihm genannten Ziele sind bundesrechtlich vorgegeben; bspw. hat das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz v. 27.9.1994 (BGBl. I, S. 2705) auch die Schonung der natürlichen Ressourcen zum Ziel. Ebenso finden sich sparsame und schonende Nutzung der Naturgüter sowie Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 u. 6 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193) ausdrücklich als Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Zudem sind nach § 5 Abs. 1 BImSchG i.d.F. der Bek. v. 26.9.2002 (BGBl. I, S. 3830) genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass Abfälle vermieden bzw. nicht zu vermeidende Abfälle verwertet werden (Nr. 3) sowie Energie sparsam und effizient verwendet wird (Nr. 4); Überblick über die im Bundes-Immissionsschutzgesetz geregelten Betreiberpflichten bei Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rn. 20 ff. m.w.N. 11 Auch im Fall des Art. 39 Abs. 7 S. 1 HS 1 BbgVerf ist kein Verstoß gegen höherrangiges Recht zu konstatieren. Nichts anderes ergibt sich aus §§ 44, 46 BImSchG: Sie verpflichten die zuständigen Landesbehörden, in festgesetzten Untersuchungsgebieten Art und Umfang bestimmter Luftverunreinigungen festzustellen, zu untersuchen und u. U. in einem Emissionskataster zu dokumentieren. 12 Darin liegt kein Verstoß gegen höherrangiges Recht: § 61 BNatSchG, die wesentliche Neuerung des Bundesnaturschutzgesetzes von 2002, enthält ebenfalls eine altruistische Verbandsklage. – Art. 19 Abs. 4 GG lässt durchaus punktuelle Ausnahmen von der subjektiv-rechtlichen Konzeption des Rechtsschutzes zu, und § 42 Abs. 2 VwGO i.d.F. der Bek. v. 19.3.1991 (BGBl. I, S. 686) knüpft die Klagebefugnis an die substanti9

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9. Kap.: Auswirkungen der Zielkollisionen

weltverbände haben nach Art. 39 Abs. 8 S. 2 BbgVerf das Recht auf Beteiligung an den Verwaltungsverfahren, welche die natürlichen Lebensgrundlagen betreffen.13 Zudem bedarf der Abbau von Bodenschätzen der staatlichen Genehmigung (Art. 40 Abs. 2 BbgVerf), wobei dem öffentlichen Interesse an einer schonenden Bodennutzung besonderes Gewicht beizumessen ist.14 Schließlich muss die Nutzung des Bodens durch die Land- und Forstwirtschaft nach Art. 43 Abs. 1 BbgVerf „auf Standortgerechtigkeit, Stabilität der Ertragsfähigkeit und ökologische Verträglichkeit ausgerichtet sein“.15 Keine Auwirkungen auf den Bindungsinhalt haben lediglich zwei Konkretisierungen. Nach Art. 31 GG wegen Verstoßes gegen Bundesrecht suspendiert ist Art. 39 Abs. 6 BbgVerf, demzufolge die Entsorgung von solchen Abfällen, die außerhalb des Landesgebiets angefallen sind, lediglich in Ausnahmefällen zulässig bzw. sogar ausgeschlossen ist, sofern die Abfälle in besonderem Maße gesundheits- oder umweltgefährdend sind. Diese Regelung, die keinen Raum für eine bundesrechtskonforme Auslegung lässt,16 kollidiert mit den insoweit abschließenden §§ 49 ff. KrW-/AbfG,17 die keine pauschalen Verbringungsverbote vorsehen, sondern lediglich einen grundsätzlichen Genehmigungsvorbehalt.18 Das Land kann die Entsorgung besonders umweltgefährdender Abfälle, die außerhalb des Landesgebiets entstanden sind, daher nicht generell ausschließen. Ebenfalls suspendiert ist Art. 39 Abs. 7 S. 1 HS 2 BbgVerf:19 Die pauschale Verpflichtung der Eigentümer und Betreiber von Anlagen, die von ___________ ierte Geltendmachung der Verletzung eines eigenen subjektiven Rechts, „soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Letzteres ist hier geschehen. 13 Auch im Fall des Art. 39 Abs. 8 S. 2 BbgVerf kann kein Verstoß gegen höherrangiges Recht konstatiert werden. § 60 Abs. 2 BNatSchG regelt das Mindestmaß der Verbandsbeteiligung bei umweltrelevanten Verfahren auf Länderebene. 14 Art. 40 Abs. 2 BbgVerf verstößt ebenfalls nicht gegen höherrangiges Recht. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 BNatSchG sind bei der Gewinnung von Bodenschätzen „dauernde Schäden des Naturhaushalts und Zerstörungen wertvoller Landschaftsteile zu vermeiden“ und unvermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft auszugleichen oder zu mindern. Ebenso wenig kollidiert jene Landesvorschrift mit dem Bundesberggesetz v. 13.8.1980 (BGBl. I, S. 1310) oder dem Bundes-Bodenschutzgesetz v. 17.3.1998 (BGBl. I, S. 502). 15 Wiederum ist kein Verstoß gegen höherrangiges Recht zu verzeichnen, da § 18 Abs. 2 S. 1 BNatSchG die Land- und Fortwirtschaft auf die Beachtung der Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege verpflichtet. 16 Vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 189 f.: Derogation; vgl. Stiens, Chancen, S. 296. 17 KrW-/AbfG v. 27.9.1994 (BGBl. I, S. 2705). 18 Vgl. VGH Kassel UPR 1987, S. 197 (198 f.); Martens, in: Fluck, KrW-/Abf- u. BodSchutzR, § 49 KrW-/AbfG Rn. 72 f.; Versteyl, in: Kunig u.a., KrW-/AbfG, § 49 Rn. 10; jeweils m.w.N. – Allg. zu den Grenzen landesrechtlicher Regelungen im Bereich der Abfallwirtschaft Brenner, BayVBl. 1992, S. 70 ff. 19 Vgl. Kanther, Landesverfassungen, S. 190 f.: Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen Artt. 72, 74 Abs. 1 Nr. 24 GG.

A. Divergierender Bindungsinhalt

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ihnen erhobenen und dokumentierten Informationen über Umweltbelastungen zu offenbaren, geht über die abschließend im Bundes-Immissionsschutzgesetz geregelten Betreiberpflichten hinaus.20

b) Tierschutz Die Divergenzen zwischen den Staatszielbestimmungen, die dem Tierschutz gewidmet sind (Art. 20 a GG bzw. Art. 39 Abs. 3 S. 1 BbgVerf), haben keine Auswirkungen auf den Bindungsinhalt. Die unterschiedliche Formulierung wirkt sich nicht als divergierender Handlungsauftrag aus.21 Auch die unterschiedliche Ausformung steht der vollen Kongruenz des Bindungsinhalts nicht entgegen: Es hat lediglich deklaratorische Bedeutung, dass Art. 20 a GG seine Adressaten im Gegensatz zur landesverfassungsrechtlichen Parallelvorgabe differenzierend unter dem Blickwinkel der verschiedenen Staatsgewalten erfasst.22

3. Bereich Wirtschaft und Finanzen Bei dem „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht“ (Art. 109 Abs. 2 GG bzw. Art. 101 Abs. 1 BbgVerf) liegt ein divergierender Bindungsinhalt vor. Art. 101 Abs. 1 BbgVerf verlangt explizit, im Bereich der Haushaltswirtschaft (auch) „dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gegenwärtiger und künftiger Generationen Rechnung zu tragen“, während die grundgesetzliche Zielvorgabe keine solche Ausformung erfahren hat. Zwar muss auch das Wachstumsziel i. S. des § 1 StabG23 umweltverträglich ausgestaltet werden. Dies aber ergibt sich zwingend nicht aus Art. 109 Abs. 2 GG, sondern aus Art. 20 a GG.24

___________ 20

Das Bundes-Immissionsschutzgesetz kennt keine pauschale Offenbarungspflicht des Betreibers einer genehmigungsbedürftigen Anlage und erst recht keine des Eigentümers. Der Betreiber hat zwar eine Emmissionserklärung nach § 27 Abs. 1 BImSchG i.d.F. der Bek. v. 26.9.2002 (BGBl. I, S. 3830) abzugeben; deren Einzelangaben dürfen gem. § 27 Abs. 3 BImSchG aber weder veröffentlicht noch Dritten bekannt gegeben werden, wenn Rückschlüsse auf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse aus ihnen gezogen werden können; im Einzelnen Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht I, § 27 BImSchG Rn. 16 ff., 27. 21 Art. 20 a GG lautet: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen [...] die Tiere [...]“. In Art. 39 Abs. 3 S. 1 BbgVerf heißt es demgegenüber: „Tier und Pflanze werden als Lebewesen geachtet“. 22 Dazu oben unter A. II. 2. a). 23 StabG v. 8.6.1967 (BGBl. I, S. 582). 24 Dazu 5. Kap. unter B. IV. 5.

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9. Kap.: Auswirkungen der Zielkollisionen

4. Bereich Auswärtiges und Verteidigung Auch hinsichtlich der Staatszielbestimmungen „Frieden“, wie sie in S. 1 der Präambel des Grundgesetzes bzw. in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf verankert sind, ist keine volle Kongruenz des Bindungsinhalts zu verzeichnen. Die unterschiedliche Formulierung wirkt sich zwar wiederum nicht auf den an die Adressaten gerichteten Handlungsauftrag aus,25 da der landesverfassungsrechtlichen Zielvorgabe keine andere Bedeutung zu entnehmen ist als dem Friedensgebot des Grundgesetzes. Ein divergierender Bindungsinhalt resultiert jedoch daraus, dass das grundgesetzliche Friedensgebot im Gegensatz zu Art. 2 Abs. 1 BbgVerf qualifiziert ist: Art. 24 Abs. 2 GG bestimmt, dass sich der Bund „zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen“ kann (HS 1),26 und Art. 26 GG enthält neben dem Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges (Abs. 1) einen Genehmigungsvorbehalt für Herstellung, Beförderung und Inverkehrbringen von Kriegswaffen (Abs. 2). Die Divergenzen zwischen den Staatszielbestimmungen „Europäische Integration“, die in der Präambel des Grundgesetzes und in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf enthalten sind, haben demgegenüber keine Auswirkungen auf den Bindungsinhalt. Aus der unterschiedlichen Formulierung resultiert erneut kein divergierender Handlungsauftrag;27 Art. 2 Abs. 1 BbgVerf hat dieselbe Bedeutung wie die Parallelvorgabe des Grundgesetzes. Die Zielvorgaben sind – zumal auch keine divergierende Konkretisierung vorliegt – von ihrem Bindungsinhalt her in vollem Umfang deckungsgleich.

5. Bereich Gleichstellung der Geschlechter Hinsichtlich ihres Bindungsinhalts teilweise kongruent sind die Staatszielbestimmungen „Gleichstellung der Geschlechter“ (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf). Aus der unterschiedlichen Formulierung ergibt sich zwar ___________ 25

Art. 2 Abs. 1 BbgVerf bezeichnet Brandenburg als „ein [...] dem Frieden [...] verpflichtetes [...] Land“, während es in S. 1 der Präambel des Grundgesetzes heißt: „von dem Willen beseelt, [...] dem Frieden der Welt zu dienen“. 26 Art. 24 Abs. 2 HS 2 GG sieht vor, dass der Bund dabei in die Beschränkung seiner Hoheitsrechte einwilligen wird, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern. – Zum „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG Brenner/Hahn, JuS 2001, S. 729 (733) m.w.N. 27 In der Präambel der brandenburgischen Verfassung findet sich die Formulierung: „Brandenburg als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland in einem sich einigenden Europa [...] zu gestalten“. In der Präambel des Grundgesetzes heißt es demgegenüber: „vereintes Europa“ und „gleichberechtigtes Glied“.

A. Divergierender Bindungsinhalt

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wiederum kein divergierender Handlungsauftrag,28 da der Erklärungswert des Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf nicht hinter der grundgesetzlichen Parallelvorgabe zurückbleibt. Im Gegensatz zum weniger normierungsintensiven Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG benennt die landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe aber explizit diejenigen Bereiche, in denen der Staat für Gleichstellung zu sorgen hat: Beruf, öffentliches Leben, Bildung und Ausbildung sowie Familie und soziale Sicherung.

6. Fazit Trotz der Zielkollisionen bleibt es für die jeweiligen Adressaten bei der Bindungswirkung der kollidierenden Staatszielbestimmungen. Da es sich lediglich um Zielkollisionen i.w.S. handelt, bedarf es in keinem Fall des Rückgriffs auf Art. 31 GG. Die Zielkollisionen führen nicht durchgängig zu divergierenden Bindungsinhalten. Die Staatszielbestimmungen „Sozialstaat“ (Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 BbgVerf), „Tierschutz“ (Art. 20 a GG, Art. 39 Abs. 3 S. 1 BbgVerf) und „Europäische Integration“ (Präambel des Grundgesetzes, Art. 2 Abs. 1 BbgVerf) sind vielmehr vollumfänglich deckungsgleich, da sie jeweils hinsichtlich Ausformung und Konkretisierung übereinstimmen. Spezifische Auswirkungen von Zieldivergenzen sind bei diesen Zielvorgaben nicht zu verzeichnen – die betreffenden Kollisionen wirken sich wie Zielkongruenzen aus. Aus den unterschiedlichen Formulierungen der Zielvorgaben resultiert in keinem Fall ein divergierender Bindungsinhalt. Keine der brandenburgischen Staatszielbestimmungen hat insoweit eine andere Bedeutung als ihre Parallelvorgabe im Grundgesetz. In Anbetracht der i. E. synchron laufenden Formulierungen ergibt sich ein divergierender Inhalt vielmehr allenfalls dann, wenn die Staatszielbestimmungen hinsichtlich Ausformung und Konkretisierung nicht übereinstimmen. Es besteht dann zwar ein Gleichklang, aber eben keine volle Deckungsgleichheit. Voraussetzung eines solchermaßen divergierenden Inhalts ist zunächst, dass die Konkretisierungen nicht lediglich deklaratorischen Gehalt haben; zudem müssen sie über aktuelle normative Bedeutung verfügen. Die Konkretisierungen einer Staatszielbestimmung haben eine stärkere Bindung des jeweils adressierten Gesetzgebers zur Folge. Insoweit gilt: Je dichter das Geflecht solcher Konkretisierungen, desto geringer der Spielraum bei der einfachgesetzlichen Umsetzung. In praxi ist dieser Gestaltungsspielraum na___________ 28 Anders als Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG verpflichtet die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung nicht dazu, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, sondern sie gibt dem Land Brandenburg auf, „für die Gleichstellung von Frau und Mann [...] zu sorgen“.

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9. Kap.: Auswirkungen der Zielkollisionen

mentlich dann enger gezogen, wenn jenen Konkretisierungen normative Steuerungskraft eignet. Umgekehrt bleiben Divergenzen hinsichtlich des Bindungsinhalts ohne normativ spürbare Auswirkungen, wenn der adressierte Gesetzgeber nicht über die Kompetenz zum Tätigwerden verfügt.

B. Normative Steuerungskraft der inkongruenten Aspekte I. Bereich Umweltschutz

In welchem Umfang verfügen die Konkretisierungen, aus denen der divergierende Bindungsinhalt bei den Staatszielbestimmungen „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 20 a GG) und „Schutz der Natur und Umwelt“ i. S. des Art. 39 Abs. 1 BbgVerf resultiert, über normative Steuerungskraft?29

1. Art. 39 Abs. 1 BbgVerf Art. 39 Abs. 1 BbgVerf erlegt die Pflicht zum Schutz der Umweltmedien nicht allein dem Land auf, sondern ausdrücklich auch allen Menschen. Zur Umsetzung dieser „Verpflichtung“ der Bürger bedarf es einer einfachgesetzlichen Konkretisierung.30 Die umweltbezogenen Grundpflichten sind allerdings zahlreich bundesgesetzlich geregelt, und zwar unter Einschluss des Strafrechts (s. etwa §§ 324 ff. StGB). Vor diesem Hintergrund fehlt dem Landesgesetzgeber die Zuständigkeit für die Ausgestaltung jener „Bürgerzielbestimmung“.31 Solche landesverfassungsrechtlichen „Verpflichtungen“ werden somit zu Recht als „juristische Placebos oder – positiv gesprochen – Erinnerungen und Ermahnungen“32 bezeichnet.

___________ 29 Für die Auswirkungen von Zieldivergenzen sind lediglich diejenigen Unterschiede kollidierender Staatszielbestimmungen relevant, aus denen ein divergierender Bindungsinhalt folgt. 30 Art. 39 Abs. 1 BbgVerf ist zu unbestimmt formuliert bzw. nicht hinreichend konkret, um eine unmittelbar wirksame Verhaltenspflicht für die Bürger zu statuieren; ebenso Stiens, Chancen, S. 306; a.A. Vogelgesang, DÖV 1991, S. 1045 (1051). – Zur Frage, ob Staatszielbestimmungen unmittelbar auch an die Bürger adressiert sind, 2. Kap. unter A. III. 4. 31 Zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern hinsichtlich des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen 8. Kap. unter A. III. 32 Starck, Verfassungen, S. 54.

B. Normative Steuerungskraft der inkongruenten Aspekte

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2. Art. 39 Abs. 4 BbgVerf Über lediglich geringe normative Steuerungskraft verfügt auch Art. 39 Abs. 4 BbgVerf, demzufolge die staatliche Umweltpolitik auf den sparsamen Gebrauch und die Wiederverwendung von Rohstoffen sowie auf die sparsame Nutzung von Energie hinzuwirken hat. Der sparsame Umgang mit Rohstoffen und das Recycling rechnen größtenteils nicht zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Der Bund hat die Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz und das Bundes-Immissionsschutzgesetz nahezu abschließend geregelt.33 Ersteres beschränkt sich nicht auf die umweltverträgliche Beseitigung von Abfällen, sondern hat auch die Schonung der natürlichen Ressourcen zum Ziel. Ebenso richtet sich das Bundes-Immissionsschutzgesetz u.a. auf die Wiederverwendung von Rohstoffen und den sparsamen Gebrauch von Energie.34 Auch das Bundesnaturschutzgesetz, das seit dem Wegfall des Kompetenztyps „Rahmengesetzgebung“ im Zuge der Föderalismusreform 2006 materiell mit Wirkung eines Bundesrahmengesetzes fortgilt (s. Art. 125 b Abs. 1 S. 1 GG), kennt entsprechende Zielstellungen.35 Insoweit besteht daher kaum Raum für ein eigenständiges Tätigwerden des Landes. Durch die Ausgestaltung von Steuern kann der Landesgesetzgeber die Verhaltenssteuerung ebenfalls lediglich in begrenztem Umfang beeinflussen. Das Steuerrecht wird zwar zunehmend zu einer solchen Lenkung herangezogen.36 Es ___________ 33 Der Schutz der Luft ist umfassend durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz ausgestaltet: Es bezieht sich auf die von Anlagen ausgehenden Emissionen ebenso wie auf diejenigen Immissionen, die auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirken, s. § 3 Abs. 2 und 3 BImSchG i.d.F. der Bek. v. 26.9.2002 (BGBl. I, S. 3830). – Dazu, dass dem Landesgesetzgeber im Bereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG mit Ausnahme des Schutzes vor verhaltensbezogenem Lärm keine nennenswerten Gesetzgebungsmöglichkeiten verblieben sind, 8. Kap. unter A. III. 3. 34 Genehmigungsbedürftige Anlagen sind nach § 5 Abs. 1 BImSchG i.d.F. der Bek. v. 26.9.2002 (BGBl. I, S. 3830) so zu errichten und betreiben, dass Abfälle vermieden und nicht zu vermeidende Abfälle verwertet werden (Nr. 3) sowie Energie sparsam und effizient verwendet wird (Nr. 4). 35 Bspw. finden sich die sparsame und schonende Nutzung der Naturgüter sowie der Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung ausdrücklich als Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege in § 2 Abs. 1 Nr. 2 u. 6 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193). – Hier besteht keine Abweichungsbefugnis der Länder nach Art. 125 b Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 72 Abs. 3 S. 1 GG: Die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes sind abweichungsfest, s. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG. Näher Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 43 f.; ders., in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 123; jeweils m.w.N. 36 s. C. Müller, Verhaltenssteuerung, S. 12 ff. m.w.N. – Steuern müssen nicht ausschließlich i. S. des § 3 Abs. 1 S. 1 HS 2 AO erhoben werden, um Einnahmen zu erzielen; in der modernen Industriegesellschaft können sie auch Instrumente einer aktiven Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sein. Dazu BVerfGE 67, 256 (282); Arndt/Fischer, in: Steiner, BesVerwR, Abschn. VII Rn. 51 f. m.w.N.

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9. Kap.: Auswirkungen der Zielkollisionen

steht allerdings überwiegend dem Bund zu, den mit Steuern ggf. verbundenen Lenkungszweck ökologisch fruchtbar zu machen (weniger belastende Handlungsweisen also finanziell gegenüber umweltschädigenderen zu privilegieren), da er gem. Art. 105 Abs. 2 GG das Gesetzgebungsrecht für die Steuern besitzt, wenn etwa die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen.37 Dementsprechend sind die bedeutendsten umweltrelevanten Steuern (etwa die Kraftfahrzeug-, die Mineralöl- und die Umsatzsteuer)38 ausnahmslos bundesgesetzlich geregelt.39 Über größere Handlungsmöglichkeiten verfügt das Land im Bereich der Gebühren.40 So könnte etwa bei der Bestimmung der Verwaltungsgebühren neben dem Verwaltungsaufwand, der Bedeutung der Angelegenheit und den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen der Beteiligten auch auf die ökologische Komponente abgestellt werden. Ebenso ließen sich bei Nutzungsgebühren umwelt- und rohstoffschonende Lenkungsaspekte ermäßigend oder erhöhend berücksichtigen.41 Der Landesgesetzgeber könnte regeln, dass die Gebührengestaltung in den Satzungen entsorgungspflichtiger Körperschaften nachhaltige Anreize zur Vermeidung und Verwertung von Abfällen bieten muss. ___________ 37 Demgegenüber haben die Länder gem. Art. 105 Abs. 2 a GG die Kompetenz zum Erlass örtlicher Verbrauchs- und Aufwandsteuern, „soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind“. Diese Bagatellsteuern können freilich wegen des Steuerobjekts (eingehend Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 16 Rn. 7 ff.) oft nicht zur ökologischen Verhaltenssteuerung herangezogen werden. 38 Die Kraftfahrzeug- und die Mineralölsteuer lassen sich (auch) als ökologisch umgewidmete Steuern bezeichnen; näher Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 8 Rn. 104. 39 Auch die Steuersatzungskompetenz der Gemeinden reicht hier nicht sehr weit. Die Länder haben ihr Steuerfindungsrecht meist durch das Kommunalabgabenrecht auf die Gemeinden übertragen, d. h. jene Satzungskompetenz der Gemeinden reicht nicht weiter als sie ursprünglich den Ländern zustand. Die Gemeinden können bspw. keine kommunale Verpackungssteuer erheben, da diese dem Ziel des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes zuwiderläuft, s. BVerfGE 98, 106 (118 ff.). 40 Eine Gebühr ist anerkanntermanßen eine Geldleistung, die als Gegenleistung für eine öffentliche Einrichtung erhoben bzw. aus Anlass einer individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung dem Gebührenschuldner auferlegt wird und dazu bestimmt ist, die Kosten der betreffenden Leistung ganz oder teilweise zu decken. Dazu P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 119 Rn. 26 ff. – Als Beitrag wird eine Abgabe zur vollen oder teilweisen Deckung der Kosten einer öffentlichen Einrichtung definiert, die von dem erhoben wird, dem die Einrichtung einen besonderen Vorteil gewährt, s. dens., a.a.O., Rn. 62 ff. 41 Die Gebührenbemessungsgrundsätze orientieren sich zum einen am Äquivalenzprinzip, zum anderen am Kostendeckungsprinzip; dazu P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 119 Rn. 47 ff.; Stober, Hdb Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 383 ff. Weder dem einen Prinzip noch dem anderen kann ein Verbot entnommen werden, Gebührenhöhe und/oder -staffelung an umweltbezogenen Lenkungsaspekten auszurichten, s. C. Müller, Verhaltenssteuerung, S. 143 ff. Im Gegenteil: Das Kostendeckungsprinzip spricht dafür, die Kosten des Umweltschutzes entsprechend zu internalisieren; dazu Stober, Kommunalrecht, S. 314.

B. Normative Steuerungskraft der inkongruenten Aspekte

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Bei der Erhebung von Lenkungssonderabgaben fällt der Spielraum des Landes wiederum äußerst gering aus.42 Das Land hat zwar im Rahmen seiner Sachkompetenz (unter Beachtung der von der Rechtsprechung hierfür aufgestellten Kriterien) grundsätzlich die Möglichkeit, solche Abgaben einzuführen. Es kann etwa eine Nahverkehrsabgabe erheben.43 Ebenso zulässig ist eine Naturschutzabgabe.44 Zudem kann neben dem Wasserentnahmeentgelt („Wasserpfennig“)45 eine Abwasserabgabe eingeführt werden,46 wobei dem Landesgesetzgeber aufgrund des Abwasserabgabengesetzes des Bundes freilich kein Spielraum bliebe, da er insoweit dessen detaillierte Vorgaben umzusetzen hätte.47 Vor diesem Hintergrund fällt der Spielraum des Landes für die einfachgesetzliche Umsetzung des Art. 39 Abs. 4 BbgVerf recht überschaubar aus. Neben einer entsprechenden Gestaltung des Gebührenrechts besteht allenfalls die Möglichkeit, finanziell den sparsamen Umgang mit Rohstoffen und das Recycling zu fördern. Zudem kann das Land infolge seiner Kulturhoheit Umwelterziehungsziele normieren, die darauf gerichtet sind, ökologisches Bewusstsein zu schulen.48

3. Art. 39 Abs. 7 S. 1 HS 1 BbgVerf Weniger begrenzt ist der Spielraum bei der landesrechtlichen Umsetzung des Art. 39 Abs. 7 S. 1 HS 1 BbgVerf, der Land, Gemeinden und Gemeindeverbän___________ 42 Zu Lenkungssonderabgaben näher P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 119 Rn. 93 ff. 43 Dazu Manssen, DÖV 1996, S. 12 ff. 44 s. BVerwG DVBl. 1989, S. 658; Arndt/Fischer, in: Steiner, BesVerwR, Abschn. VII Rn. 54 m.N. 45 Das Bundesverfassungsgericht hat den Wasserpfennig durch Beschluss für zulässig erklärt, s. BVerfGE 93, 319 (345 f.); dazu Breuer, in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 5. Kap. Rn. 95 f.; v. Mutius/Lünenburger, DVBl. 1995, S. 1205 ff. – Zu den Wasserentnahme-Abgaben in den neuen Ländern Sanden, UPR 1994, S. 424 ff. 46 Vereinzelt – so etwa Hendler, in: Maurer/Hendler, BaWüStVerwR, S. 399 (418 Fn. 71) – wird die Abwasserabgabe nicht als Sonderabgabe eingeordnet, sondern als Sondernutzungsgebühr. Auch insoweit bestehen keine Bedenken gegen ihre bundesrechtliche Zulässigkeit. 47 Der Landesgesetzgeber verfügt nicht über die Verbandskompetenz, Gewässerschutz zu betreiben durch Erhebung von Abgaben auf das Einleiten von Abwasser in Gewässer. Eine diese Materie betreffende Regelung findet sich bereits im Abwasserabgabengesetz (AbwAG i.d.F. der Bek. v. 18.1.2005 [BGBl. I, S. 114]), mit dem der Bund die ihm zustehende Regelungskompetenz vollständig ausgeschöpft hat: Ein Landesabwasserabgabengesetz kann lediglich den Vollzug dieses Gesetzes regeln. 48 Die Vermittlung entsprechender Bildungsinhalte könnte den Schulen vorgegeben werden. Ebenso ließen sich einfachgesetzlich entsprechende Bildungsziele für den Hochschulbereich und die Erwachsenenbildung festschreiben. – Zur Umwelterziehung grundlegend R. Krause, Umweltschutz, S. 72 ff.

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9. Kap.: Auswirkungen der Zielkollisionen

de verpflichtet, „Informationen über gegenwärtige und zu erwartende Belastungen der natürlichen Umwelt zu erheben und zu dokumentieren“. Zwar normieren bereits §§ 44, 46 BImSchG49 die Pflicht der zuständigen Landesbehörden, in festgesetzten Untersuchungsgebieten Art und Umfang bestimmter Luftverunreinigungen festzustellen, zu untersuchen und in einem Emissionskataster zu dokumentieren. Landesrechtliche Dokumentationspflichten für andere Umweltdaten bzw. -schäden sind aber weiterhin zulässig.50

4. Art. 39 Abs. 8 S. 1 und 2 BbgVerf Art. 39 Abs. 8 S. 1 BbgVerf, demzufolge die Verbandsklage für Umweltverbände zulässig ist, verfügt über eher begrenzte normative Steuerungskraft. Seit 2002 eröffnet § 61 BNatSchG51 anerkannten Naturschutzverbänden eine altruistische Verbandsklage.52 Gleichwohl bleibt ein gewisser Spielraum zur landesrechtlichen Umsetzung jener Konkretisierung, da es sich hierbei lediglich um eine Mindestregelung handelt: § 61 Abs. 5 BNatSchG ermächtigt die Länder, die Verbandsklage über den in Abs. 1 genannten Kreis von Entscheidungen zu erweitern und allgemein zuzulassen, soweit aufgrund § 60 Abs. 2 BNatSchG eine Verbandsmitwirkung landesrechtlich vorgesehen ist. Auch die normative Steuerungskraft des Art. 39 Abs. 8 S. 2 BbgVerf fällt überschaubar aus. Diese Vorschrift gibt den anerkannten Umweltverbänden das Recht auf Beteiligung an Verwaltungsverfahren, welche die natürlichen Lebensgrundlagen betreffen. Sie regelt damit im Grunde nichts anderes als § 60 Abs. 2 BNatSchG, der das Mindestmaß der Verbandsbeteiligung bei umweltrelevanten Verfahren auf Länderebene festsetzt.53 Bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung dieser Mitwirkung steht es den Ländern frei, den Naturschutzverbänden Rechte einzuräumen, die über die Gelegenheit zur Stellungnahme und die Gewährung von Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutach___________ 49

BImSchG i.d.F. der Bek. v. 26.9.2002 (BGBl. I, S. 3830). Dazu bereits oben unter A. II. 2. a), Fn. 11. 51 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193). 52 Dies bedeutet eine erhebliche Ausdehnung der Klagemöglichkeiten. Ohne eine solche Verbandsklage können die Belange des Umweltschutzes im verwaltungsrechtlichen Verfahren nur beschränkt eingeklagt werden, da eine Gefährdung der Umwelt lediglich in den seltensten Fällen eine individuelle Betroffenheit nach sich ziehen wird, die Verletzung eines subjektiven Rechts also meist von vornherein ausgeschlossen ist. Krit. zu dieser Ausweitung (bezogen auf landesrechtliche Verbandsklagen) Heinz, NuR 1994, S. 1 (6 f.); Kemper, LKV 1996, S. 87 ff. 53 Der unmittelbar geltende § 58 BNatSchG hingegen bezieht sich auf die Beteiligung von anerkannten Naturschutzbehörden am Verwaltungsverfahren bei Maßnahmen von Bundesbehörden. 50

B. Normative Steuerungskraft der inkongruenten Aspekte

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ten hinausgehen. Ebenso können Mitwirkungsmöglichkeiten in Verfahren eröffnet werden, die nicht im Katalog des § 60 Abs. 2 BNatSchG enthalten sind.

5. Art. 40 Abs. 2 und Art. 43 Abs. 1 BbgVerf Die Bestimmung, dass der Abbau von Bodenschätzen staatlicher Genehmigung bedarf und dabei dem öffentlichen Interesse an der schonenden Nutzung des Bodens besonderes Gewicht beizumessen ist (Art. 40 Abs. 2 BbgVerf), verfügt über keine große normative Steuerungskraft. Entsprechende Regelungen finden sich bereits im Bundesrecht. So sieht etwa § 2 Abs. 1 Nr. 7 BNatSchG vor, dass bei der Gewinnung von Bodenschätzen „dauernde Schäden des Naturhaushalts und Zerstörungen wertvoller Landschaftsteile zu vermeiden“ sowie unvermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft auszugleichen oder zu mindern sind. Die normative Steuerungskraft des Art. 43 Abs. 1 BbgVerf, demzufolge die Nutzung des Bodens durch Land- und Forstwirtschaft „auf Standortgerechtigkeit, Stabilität der Ertragsfähigkeit und ökologische Verträglichkeit ausgerichtet sein“ muss, hält sich ebenso in Grenzen. Hier sind insbesondere Bestimmungen des Bundesnaturschutz- und des Bundeswaldgesetzes zu beachten.54 Die Landund Fortwirtschaft ist etwa bereits durch § 18 Abs. 2 BNatSchG verpflichtet, die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu beachten. Nach § 5 Abs. 4 Spgstr. 1 BNatSchG müssen die nachhaltige Bodenfruchtbarkeit und die langfristige Nutzbarkeit der Flächen gewährleistet werden, und gem. § 5 Abs. 5 S. 1 BNatSchG hat die forstliche Nutzung des Waldes das Ziel, „naturnahe Wälder aufzubauen und diese ohne Kahlschläge nachhaltig zu bewirtschaften“. Bodenverbessernde und bodenschützende Maßnahmen beinhalten daneben das Bundes-Bodenschutzgesetz55 sowie das Flurbereinigungsgesetz.56 So zählt bspw. § 17 Abs. 2 BBodSchG die nachhaltige Sicherung der ___________ 54 BNatSchG v. 25.3.2002 (BGBl. I, S. 1193); zur Kompetenzgrundlage des Bundeswaldgesetzes v. 2.5.1975 (BGBl. I, S. 1037) 8. Kap. unter A. III. 2. – Von geringerer Bedeutung ist die Bodenschutzklausel des § 1 a Abs. 2 BauGB: Sie hat bauplanungsrechtliche Relevanz; zu den Schutzgütern dieser Norm Mitschang, in: Schlichter u.a., BauGB, § 1 a Rn. 52 ff. 55 BBodSchG v. 17.3.1998 (BGBl. I, S. 502); zur Kompetenzgrundlage Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 77 m.w.N. 56 Gesetz i.d.F. der Bek. v. 16.3.1976 (BGBl. I, S. 546). – Mit der Föderalismusreform 2006 ist die Kompetenzgrundlage des Flurbereinigungsgesetzes entfallen: Die Materie zählt nun zur ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG); seitdem gilt jenes Gesetz gem. Art. 125 a Abs. 1 S. 1 GG als Bundesrecht fort, kann aber durch Landesrecht ersetzt werden, und zwar ohne Ermächtigung seitens des Bundes (Art. 125 a Abs. 1 S. 2 GG). Im Einzelnen dazu wie auch zur Frage, ob der Bund für solchermaßen fortgeltendes Recht über eine Anpassungskompetenz verfügt, Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 125 a Rn. 4 ff.

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9. Kap.: Auswirkungen der Zielkollisionen

Bodenfruchtbarkeit und der Leistungsfähigkeit des Bodens zu den Grundsätzen der guten fachlichen Praxis landwirtschaftlicher Bodennutzung.

II. Bereich Wirtschaft und Finanzen

Art. 101 Abs. 1 BbgVerf hat äußerst geringe normative Steuerungskraft, soweit er verlangt, bei der Haushaltswirtschaft (auch) „dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gegenwärtiger und künftiger Generationen Rechnung zu tragen“. Der Bund besitzt gem. Art. 109 Abs. 3 GG die Gesetzgebungszuständigkeit dafür, die für ihn und die Länder gemeinsam geltenden Grundsätze für das Haushaltsrecht, eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und eine mehrjährige Finanzplanung aufzustellen. Er hat von dieser Kompetenz umfassend Gebrauch gemacht.57 Durch das Haushaltsgrundsätzegesetz58 hat er etwa die verfahrensrechtlichen Prinzipien für das Haushaltsrecht erlassen.59 Demgegenüber beinhaltet das Stabilitätsgesetz,60 das auf jenen Kompetenztitel „konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft“ gestützt ist, materielle Grundregeln für eine gesamtwirtschaftlich ausgerichtete und konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft.61 Die wesentlichen Vorgaben zur Sicherung bzw. Wiederherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sind demnach im Bundesrecht verankert. Vor diesem Hintergrund kann von einer normativen Steuerungskraft des Aspekts „Berücksichtigung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen gegenwärtiger und künftiger Generationen“ nicht die Rede sein.62 Als eigenständiger Regelungsbereich bleibt dem Landesgesetzgeber hier namentlich das den Haushaltsplan feststellende Haushaltsgesetz i. S. des Art. 101 Abs. 3 BbgVerf.

___________ 57 Zwischen der Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Bundes und der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 i.V.m. Art. 74 GG sind keine Differenzen struktureller Art zu konstatieren: Der Bund darf die Sachmaterie nicht umfassend in Anspruch nehmen, sondern muss (s. 4. Kap. unter B. III. 1. a] aa]) den Ländern einen angemessenen, ausfüllungsfähigen und -bedürftigen Spielraum eigener Normierung belassen. 58 HGrG v. 19.8.1969 (BGBl. I, S. 1273). 59 Das Haushaltsgrundsätzegesetz beinhaltet keine materiellen Grundsätze für eine antizyklische Haushaltspolitik; näher Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 91. 60 StabG v. 8.6.1967 (BGBl. I, S. 582). 61 Dazu Hillgruber, in: v. Mangoldt u.a., GG III, Art. 109 Rn. 98. – Soweit das Stabilitätsgesetz über haushaltswirtschaftliche Belange hinaus die gesamte Wirtschaftspolitik von Bund und Ländern erfasst, ist es gestützt auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. 62 Vgl. zur Umsetzbarkeit der (in Art. 94 Abs. 2 SächsVerf enthaltenen) Parallelvorgabe der sächsischen Verfassung Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 156.

B. Normative Steuerungskraft der inkongruenten Aspekte

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III. Bereich Auswärtiges und Verteidigung

Der divergierende Bindungsinhalt der beiden Friedensgebote ist mit beträchtlicher normativer Steuerungskraft verbunden. Die Staatszielbestimmung „Frieden“ i. S. der Präambel des Grundgesetzes ist, im Gegensatz zur landesverfassungsrechtlichen Parallelvorgabe, konkretisiert, und zwar durch Art. 26 GG und Art. 24 Abs. 2 GG. Die Umsetzung dieser Konkretisierungen fällt in die gesamtstaatliche Zuständigkeit. Dies gilt sowohl für das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges (Art. 26 Abs. 1 GG) wie auch hinsichtlich des Genehmigungsvorbehalts für die Herstellung, die Beförderung und das Inverkehrbringen von Kriegswaffen (Art. 26 Abs. 2 GG). Ebenso groß fällt die normative Steuerungskraft des Art. 24 Abs. 2 GG aus, demzufolge sich der Bund „zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen“ kann (HS 1).63 Nichts anderes ergibt sich daraus, dass diese Konkretisierung nur im Zusammenwirken mit ausländischen Vertragspartnern zu verwirklichen ist.

IV. Bereich Gleichstellung der Geschlechter

Eher begrenzt zeigt sich die normative Steuerungskraft des Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf, soweit er mit den Feldern Beruf, öffentliches Leben, Bildung und Ausbildung sowie Familie und soziale Sicherung explizit diejenigen Bereiche benennt, in denen der Staat für die Gleichstellung zu sorgen hat. Der Bund kann sich für den Erlass frauenfördernder Gesetze zwar nicht auf einen spezifischen Kompetenztitel stützen. Er kann die Gleichstellung der Geschlechter jedoch im Rahmen seiner sachgebietsbezogenen Gesetzgebungskompetenzen verwirklichen.64 Die Möglichkeiten des Landesgesetzgebers, in den von Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf genannten Bereichen eigenständig tätig zu werden und vorhandene Benachteiligungen von Frauen (un)mittelbar abzubauen,65 sind daher recht überschaubar. ___________ 63 Zur Frage, ob Art. 24 Abs. 2 GG auch den Streitkräfte-Einsatz deckt, Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2004, S. 71 (73 f.) m.w.N. 64 Der Bund hat etwa mit Blick auf „die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG) das „Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesverwaltung und in den Gerichten des Bundes (Bundesgleichstellungsgesetz)“ v. 30.11.2001 (BGBl. I, S. 3234) erlassen. Nach dessen § 6 i.V.m. § 8 Abs. 2 BBG v. 5.2.2009 (BGBl. I, S. 160) sind Stellenausschreibungen grundsätzlich nicht nur an Männer oder nur an Frauen zu richten; der gesamte Ausschreibungstext muss vielmehr so gefasst sein, dass er nicht lediglich auf Personen eines Geschlechts zugeschnitten ist. 65 Die rechtliche Gleichstellung von Frauen ist bereits weitgehend erreicht. Dazu Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 113; Sachs, NJW 1989, S. 553 ff.

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9. Kap.: Auswirkungen der Zielkollisionen

Die Felder Beruf und soziale Sicherung können kaum Regelungsmaterie eines Landesgleichstellungsgesetzes sein. Hier hat der Bund von seinen Kompetenzen derart umfassend Gebrauch gemacht,66 dass dem Land, abgesehen vom öffentlichen Dienst, keine Zuständigkeiten verblieben sind. Immerhin steht es Brandenburg frei, mit Blick auf die Landesbediensteten Quotenregelungen des Inhalts zu erlassen, dass Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bei der Einstellung bzw. Beförderung gegenüber männlichen Mitbewerbern zu bevorzugen sind, bis ihr Anteil im jeweiligen Bereich bzw. an der jeweiligen Position auf 50 % gestiegen ist. Ebenso kann das Land in der öffentlichen Verwaltung Stellen für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte einrichten und diese mit Informations- und Beanstandungsrechten ausstatten.67 Hinsichtlich der Familie ist dagegen keinerlei normative Steuerungskraft zu konstatieren. Auf die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander hat der Staat (aus gutem Grund) keine Zugriffsmöglichkeit.68 Auf das öffentliche Leben kann der Staat ebenfalls kaum zugreifen. Das Land kann jedoch – als Signal und Appell – seine Gesetze geschlechtergerecht formulieren.69 Dies mag entweder durch additive Bezeichnung beider Geschlechter70 bzw. geschlechtsneutrale Funktionsbezeichnungen geschehen oder durch die explizite Regelung, dass

___________ 66 Vgl. 8. Kap. unter A. I. 1. u. 3. – Bspw. hatte der Bund, gestützt auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG und in Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie (RL 76/207/EWG „zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen“ v. 9.2.1976 [ABl. L 39, S. 40]), in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB i.d.F. der Bek. v. 2.1.2002 [BGBl. I, S. 42, ber. S. 2909, ber. BGBl. 2003 I, S. 738]) die arbeitsrechtlichen Vorschriften der §§ 611 a, b eingefügt. Diese Bestimmungen wurden zwischenzeitlich aufgehoben; sie sind aufgegangen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz v. 14.8.2006 (BGBl. I, S. 1897). 67 Vgl. etwa § 2 Abs. 3 SchlHGO i.d.F. v. 28.2.2003 (SchlHGVOBl. S. 57), wonach in Gemeinden ab 10.000 Einwohnern grundsätzlich die Stelle einer hauptamtlichen Frauenbeauftragten geschaffen werden muss. 68 Mangels jedweder Umsetzungsmöglichkeit ist diese Konkretisierung allenfalls als Appell an die Familien zu werten. 69 Ein unmittelbarer Beitrag zur Gleichberechtigung kann darin freilich nicht gesehen werden. Maskuline Personen- und Funktionsbezeichnungen haben in der Rechtssprache keinen diskriminierenden Anklang: Das grammatische Geschlecht ist ungeeignet, Auskunft über das natürliche Geschlecht einer Person zu geben. 70 Die Verständlichkeit und Lesbarkeit der Gesetzestexte kann dies mitunter erheblich erschweren; dementsprechend krit. zu den geschlechtsneutralen bzw. additiven Bezeichnungen in der schleswig-holsteinischen und der niedersächsischen Verfassung Deter, ZRP 1993, S. 22 (25, 28); für die schleswig-holsteinische Verfassung Rohn, NJW 1990, S. 2782 (2784). – Allg. zum Sprachstil als Geltungsbedingung des Gesetzes P. Kirchhof, NJW 2002, S. 2760 f.

B. Normative Steuerungskraft der inkongruenten Aspekte

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Personen-, Amts- und Funktionsbezeichnungen jeweils für Männer und Frauen bzw. in männlicher und weiblicher Form gelten.71 Lediglich für die Bereiche Bildung und Ausbildung weist jene Konkretisierung große normative Steuerungskraft auf. Diese Aspekte rechnen, auch wenn einige Kompetenztitel des Bundes die Bildung berühren, zum Kernbestand landesrechtlicher Kompetenzen.72 So sind etwa Frauenförderpläne und auf Frauen zugeschnittene Weiterbildungsmaßnahmen zulässig, ebenso Maßnahmen zur beruflichen Weiterqualifizierung. Auch kann das Land einfachgesetzlich Erziehungs- bzw. Bildungsziele für den Schulbereich und die Erwachsenenbildung dahingehend festsetzen, dass geschlechtsspezifischer Rollenfixierung entgegenzuwirken ist.73

V. Fazit

Für die Auswirkungen von Zieldivergenzen kommt es auf diejenigen Unterschiede der kollidierenden Staatszielbestimmungen an, die einen divergierenden Bindungsinhalt zur Folge haben. Auf Seiten Brandenburgs bleiben diese inkongruenten Aspekte zumeist ohne normativ spürbare Auswirkungen. Sofern überhaupt ein divergierender Bindungsinhalt vorliegt74 (die Zielvorgaben also nicht in vollem Umfang deckungsgleich sind),75 ist das Land in der Regel nicht bzw. lediglich in sehr eingeschränktem Maß für die einfachgesetzliche Umsetzung zuständig. Anders gewendet: Die landesverfassungsrechtlichen Konkretisierun___________ 71 Ein solcher „sprachlicher Gleichstellungs-Artikel (bzw. -paragraph)“ vermeidet es, die Lesbarkeit und Verständlichkeit einzelner Bestimmungen zu beeinträchtigen. In diesem Sinne etwa Art. 79 M-VVerf: „Amts- und Funktionsbezeichnungen in dieser Verfassung sowie in den Gesetzen und Rechtsvorschriften werden auch in weiblicher Form verwendet“; vgl. Art. 100 SaAnVerf: „Personen und Funktionsbezeichnungen in dieser Verfassung gelten jeweils in männlicher und weiblicher Form“. – Unkonventionell fällt das sachsen-anhaltinische Ausführungsgesetz zum Stasi-Unterlagen-Gesetz („Ausführungsgesetz zum Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ v. 18.8.1993 [SaAnGVBl. S. 433]) aus: Es ist durchgängig in der weiblichen Form gehalten. 72 Dazu 8. Kap. unter A. II. 1. 73 Im Hochschulbereich verfügt das Land über weniger Gestaltungsspielraum, da der Bund das Hochschulrahmengesetz (HRG i.d.F. der Bek. v. 19.1.1999 [BGBl. I, S. 18]) erlassen hat. Dessen § 3 verpflichtet die Hochschulen, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. – Zur Kompetenzgrundlage und Geltung jenes Gesetzes 8. Kap. unter A. II. 1. 74 Unterschiedliche Formulierungen sind ohne Relevanz; in keinem Fall resultierte aus der Formulierung ein divergierender Bindungsinhalt, s. oben unter A. II. 75 Deckungsgleich sind die Staatszielbestimmungen „Sozialstaat“, „Tierschutz“ und „Europäische Integration“; dazu oben unter A. III.

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9. Kap.: Auswirkungen der Zielkollisionen

gen, aus denen ein divergierender Bindungsinhalt resultiert, verfügen mangels Kompetenz des Landesgesetzgebers meist über keine normative Steuerungskraft. Dies gilt insbesondere für den Umweltschutz.76 Anders liegen die Dinge für die im Grundgesetz enthaltenen Konkretisierungen, sofern sie bei einer Zielkollision einen divergierenden Bindungsinhalt zur Folge haben. Die Konkretisierungen des grundgesetzlichen Friedensgebots sind durchweg auf gesamtstaatlicher Ebene umzusetzen. Jene Aspekte weisen daher allesamt große normative Steuerungskraft auf. Wie schon anhand der überschießenden Staatszielbestimmungen lässt sich daher auch bei den Zielkollisionen eine Hinwendung der brandenburgischen Verfassung zu einem eher narrativen denn normativ-disziplinierten Konstitutionalismus feststellen. Dies ist mit Blick auf den Rechtssatzcharakter der Verfassung, ihre Akzeptanz und Integrationskraft äußerst bedenklich.77

C. Zielgefüge und Zielkonkurrenzen I. Zielgefüge

Zielkollisionen haben keine Auswirkungen auf das Zielgefüge der jeweiligen Verfassung. Dieses Gefüge ändert sich nicht, wenn zwei auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelte Staatszielbestimmungen denselben Ausschnitt eines bestimmten Sachbereichs unterschiedlich regeln.78 Eine landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe ist im Vergleich zu den anderen Staatszielbestimmungen der Landesverfassung nicht deshalb geringer (oder stärker) zu gewichten, weil sie mit ihrem im Grundgesetz verankerten Pendant kollidiert. Gegen eine solchermaßen veränderte Stellung spricht bereits der Grundsatz der getrennten Verfassungsräume von Bund und Ländern.79 Es ist daher auch dann keine verminderte (bzw. verstärkte) Gewichtung zu konstatieren, wenn die betreffende Zielvorgabe des Grundgesetzes eine zusätzliche Abstützung (etwa in der Revisionssperrklausel) erfahren hat. Ebenso wenig kommt einer im Grundgesetz normierten ___________ 76 Die Länder verfügen im Umweltschutz lediglich in geringem Maße über Legislativkompetenzen. Dazu H. Hofmann, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 21 Rn. 7; Engelken, in: Erg.-Bd. zu Braun, BaWüVerf, Art. 3 a Rn. 3; Mahnke, SaAnVerf, Art. 35 Rn. 7; Peters/Schlabach, VBlBW 1986, S. 46 (48). Vgl. 8. Kap. unter A. III. 77 Vgl. die entsprechenden Ausführungen im 8. Kap. unter A. VII. und B. 78 Liegt keine Zielkollision i.w.S. vor, sondern eine (hier nicht relevante) Zielkongruenz, stellt sich ebenfalls die Frage, ob das Gewicht einer Staatszielbestimmung gegenüber den übrigen Zielvorgaben derselben Verfassung durch die parallele Regelung des betreffenden Sachbereichs auf anderer Ebene verändert wird. Auch in einer solchen Konstellation kommt es zu keiner Veränderung des Zielgefüges. 79 Zum Grundsatz der getrennten Verfassungsräume 1. Kap. unter B.

C. Zielgefüge und Zielkonkurrenzen

501

Staatszielbestimmung, die mit ihrer landesverfassungsrechtlichen Parallelvorgabe kollidiert, ein im Zielgefüge des Grundgesetzes veränderter Stellenwert zu.

II. Zielkonkurrenzen

Nehmen die Zielkonkurrenzen aufgrund von Zielkollisionen zu? Tritt also eine Staatszielbestimmung des Grundgesetzes, mit der ihr landesverfassungsrechtliches Pendant kollidiert, zu den (miteinander konkurrierenden) Zielvorgaben der betreffenden Landesverfassung hinzu? Dies ist ausgeschlossen, wenn sich der Adressatenkreis nicht zumindest zum Teil deckt.80 Insoweit muss differenziert werden zwischen den Staatszielbestimmungen einer Landesverfassung und denen des Grundgesetzes. Die landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben sind ausschließlich an die Landesstaatsgewalt adressiert.81 Wenn eine solche Staatszielbestimmung mit ihrer im Grundgesetz verankerten Parallelvorgabe kollidiert, mehrt dies die Zielkonkurrenzen auf gesamtstaatlicher Ebene nicht. Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes hingegen können auch an die Staatsgewalt auf GliedstaatenEbene adressiert sein; in einer solchen Konstellation ist die Landesstaatsgewalt gemeinsamer Adressat von bundes- und landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben. Dies ist de constitutione lata jedoch die große Ausnahme:82 Lediglich das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht i. S. des Art. 109 Abs. 2 GG hat (auf gliedstaatlicher Ebene) eine Zunahme der Zielkonkurrenzen zur Folge. Soweit Art. 109 Abs. 2 GG zu den miteinander konkurrierenden landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen tritt, stellt sich die Frage, welches Gewicht er dabei hat. Insoweit ist zunächst festzuhalten, dass die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes und diejenigen der Länder gleichrangig sind. Das Grundgesetz ist den Landesverfassungen gerade nicht generell übergeordnet.83 Auch greifen die Kollisionsentscheidungsnormen, welche die Rechtseinheit im Bundesstaat sichern, bei solchen Zielkonkurrenzen nicht. Infolge der normtheoretischen Einordnung der Staatszielbestimmungen können jene Konkurrenzen nicht in der Dimension der Geltung aufgelöst werden. Eine generelle Vorrangrelation zwischen Art. 109 Abs. 2 GG und den landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben ist daher ausgeschlossen. Es sind vielmehr alle Staatszielbestimmungen in möglichst hohem Maß zu verwirklichen.84 Insoweit kann es ___________ 80

Zu den Voraussetzungen einer Zielkonkurrenz 7. Kap. unter A. I. s. 7. Kap. unter A. I. 2. b). 82 Dazu 7. Kap. unter A. I. 2. a). 83 Beide Verfassungsräume stehen einander grundsätzlich selbstständig (wenn auch nicht unverbunden) gegenüber, s. 1. Kap. unter B. 84 s. 7. Kap. unter A. II. 2. u. 3. 81

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9. Kap.: Auswirkungen der Zielkollisionen

keinen Unterschied machen, ob landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen mit Art. 109 Abs. 2 GG konkurrieren, oder ob es sich bei den konkurrierenden Zielvorgaben ausschließlich um landesverfassungsrechtliche handelt.

Schlussbetrachtungen A. Resümee Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit standen zwei Themenkomplexe: zum einen die normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen im Drei-EbenenModell von deutschen Ländern, Bundesrepublik Deutschland und EU/EG, zum anderen die systematische Durchdringung der Divergenzen dieser Zielvorgaben inklusive ihrer Auswirkungen. Auf der Grundlage der Begriffsklärung zeigte sich im ersten Teil der Arbeit (1.-3. Kapitel), dass alle Landesverfassungen Staatszielbestimmungen enthalten, und zwar im Wesentlichen in den folgenden Bereichen: Soziales, Bildung und Kultur, Umweltschutz, Wirtschaft und Finanzen, Auswärtiges und Verteidigung sowie Gleichstellung der Geschlechter. Gleiches gilt – mit Ausnahme des Feldes Bildung und Kultur – für das Grundgesetz. Zudem ließ sich auf gliedstaatlicher wie auch auf gesamtstaatlicher Ebene eine Vielzahl von Verfassungsänderungen im Lauf der letzten knapp zwanzig Jahre konstatieren, die die Aufnahme von Staatszielbestimmungen zum Gegenstand hatten. Vor diesem Hintergrund wie auch angesichts der bunten Kränze solcher Zielvorgaben, die sich in den seit der Wiedervereinigung verabschiedeten Landesverfassungen finden, war festzuhalten: Die Zunahme der Fixierung von Aufgaben und Zielen staatlichen Handelns als Staatszielbestimmungen entspricht einem Zug unserer Zeit. Freilich sind nicht alle Staatszwecke bzw. Mittel zu ihrer Erreichung solchermaßen verankert; eine Zielvorgabe „Innere Sicherheit“ etwa findet sich weder in einer der Landesverfassungen noch im Grundgesetz. Im Anschluss daran wurde im zweiten Teil der Arbeit die normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen in jenem Drei-Ebenen-Modell erörtert (I.), bevor im dritten Teil die Divergenzen dieser Zielvorgaben und ihre Auswirkungen in den Blick rückten (II.).

I. Normative Bedeutung der Staatszielbestimmungen

Zunächst war der Maßstab für die Überprüfung der normativen Bedeutung zu entwickeln. Hierzu wurde im 4. Kapitel das Instrumentarium derjenigen Mechanismen und Vorschriften aufgezeigt, die Kompetenzfragen und Normenkollisionen im Drei-Ebenen-Modell von EU/EG, Bundesrepublik Deutschland und

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Schlussbetrachtungen

deutschen Ländern zum Inhalt haben, und zwar insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Anwendbarkeit auf Staatszielbestimmungen. Dabei zeigte sich, dass das Geflecht homogenitätssichernder Normen im „europafreundlichen“ Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland wie auch im Staatenverbund EU/EG dicht gewoben ist. Das Mindestmaß an Homogenität wird jeweils durch kollisionsvermeidende und -entscheidende Normen gesichert. Die Kollisionsentscheidungsnormen sind jenen Vermeidungsmechanismen nachgelagert: Greift eine der Kollisionsvermeidungsnormen, fehlt es an einer Normenkollision, so dass es keiner Kollisionsentscheidung bedarf. Des Weiteren wurde festgestellt: Für die Verankerung von Staatszielbestimmungen im Grundgesetz belassen die Kollisionsvermeidungsmechanismen des Gemeinschaftsrechts nahezu unbegrenzten Raum. Dies korrespondiert dem Umstand, dass es sich bei EU/EG (noch) um keinen Staat handelt. Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EG [Artt. 3 Abs. 6, 5 Abs. 1, 2 EUzF]) ist bspw. allein für die Wirksamkeit des sekundären Gemeinschaftsrechts bedeutsam. Eine Aussage zur Verankerung von Staatszielbestimmungen im mitgliedstaatlichen Verfassungsrecht kann diesem allgemeinen Rechtsgrundsatz nicht entnommen werden. Ebenso wenig begrenzt das Subsidiaritätsprinzip i. S. des Art. 5 Abs. 2 EG (Art. 5 Abs. 3 EUzF) den Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Verfassunggebung bzw. -änderung; diese Kompetenzausübungsschranke bezieht sich auf die Wirksamkeit sekundärrechtlicher Regelungen der EG. Unwirksam ist eine Staatszielbestimmung des Grundgesetzes jedoch dann, wenn sie gegen den Grundsatz der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EG [Art. 4 Abs. 3 EUzF]) verstößt: Der Widerspruch zu den mitgliedstaatlichen Loyalitätspflichten hat die Nichtigkeit auch nationaler Verfassungsnormen zur Folge. Aktuelle normative Bedeutung entfaltet eine grundgesetzliche Staatszielbestimmung lediglich dann in vollem Umfang, wenn sie gemeinschaftsrechtlichen Normen nicht entgegensteht. Lässt sich eine (kompetenzgemäß zustande gekommene) Zielvorgabe nicht gemeinschaftsrechtskonform auslegen, bedarf es einer Kollisionsentscheidung. Hierzu ist das Institut des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts in Ansatz zu bringen, d. h. es setzt sich die supranationale Norm durch mit der Folge, dass jene gemeinschaftsrechtswidrige Zielvorgabe im konkreten Kollisionsfall unanwendbar ist. Auch eine Staatszielbestimmung des Grundgesetzes, die im Widerspruch zu Gemeinschaftsrecht steht, verfügt folglich grundsätzlich (wenn auch nicht in vollem Umfang) über aktuelle normative Bedeutung. Auf der Stufe der Kollisionsentscheidung steht damit nicht die Eigenständigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung im Vordergrund, sondern die effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam die Untersuchung im 4. Kapitel auch für die Staatszielbestimmungen der Landesverfassungen. Im Rahmen der von der EU/EG überwölbten bundesstaatlichen Ordnung verfügen die Länder hier kom-

A. Resümee

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petenziell über eine weit reichende Gestaltungsfreiheit. Die Kollisionsvermeidungsmechanismen des Gemeinschaftsrechts greifen nicht, während das Grundgesetz auf der Stufe der Kollisionsvermeidungsnormen lediglich zurückhaltende Vorgaben enthält. Im Rahmen ihrer Verfassungshoheit sind die Länder grundsätzlich frei, von allen Normtypen und Norminhalten Gebrauch zu machen. Die Artt. 70 ff. GG beziehen sich namentlich auf die Zuständigkeitsverteilung für den Erlass einfachen Gesetzesrechts. Gleichwohl verfügen die Länder mit Blick auf Normen des Landesverfassungsrechts über keine Vollkompetenz im Sinne einer einheitsstaatlichen Verfassung. Ihre Eigenstaatlichkeit stößt erst dort an Grenzen, wo die von Art. 28 Abs. 1 GG als negativer Kompetenznorm geforderte bundesstaatliche Homogenität nicht mehr gegeben ist. Überschreitet eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung die von dieser Homogenitätsklausel gezogenen Grenzen, ist sie ultra vires ergangen und folglich unmittelbar unwirksam. Gleiches gilt für bundesgrundrechtswidrige Staatszielbestimmungen; dies ergibt sich aus der Durchgriffswirkung des Art. 1 Abs. 3 GG. Bei einem Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue kommt ebenfalls kein wirksames Landesverfassungsrecht zustande. Anders als diese Kompetenzausübungsschranke ist Art. 142 GG auf landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen nicht anwendbar, da er als Prüfungsmaßstab für Vorschriften lediglich objektiv-rechtlichen Gehalts ausscheidet. Es bemisst sich daher nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, nach Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten des Grundgesetzes und nach dem Grundsatz der Bundestreue, ob eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung aus Inter-Ebenen-Sicht kompetenzgemäß zustande gekommen ist. Des Weiteren darf eine gliedstaatliche Zielvorgabe, um aktuelle normative Bedeutung zu haben, nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Kollidiert sie mit Bundesrecht gleich welcher Stufe, d. h. lässt sie sich nicht bundesrechtskonform auslegen, bedarf es einer Kollisionsentscheidung. Es ist dann Art. 31 GG in Ansatz zu bringen mit der Folge, dass die betreffende Staatszielbestimmung suspendiert ist, sie also keine aktuelle (sondern lediglich eine virtuelle) normative Bedeutung besitzt. Eine solche faktisch wirkungslose Zielvorgabe hat lediglich eine Reservefunktion: Durch Wegfall des entgegenstehenden Bundesrechts kann ihre virtuelle normative Bedeutung zur aktuellen erstarken. Während auf der Stufe der grundgesetzlichen Kollisionsvermeidungsnormen mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung im Bundesstaat auf der einen Seite und der Eigenstaatlichkeit der Länder auf der anderen also das Prinzip der föderalen Verfassungsvielfalt im Vordergrund steht, löst Art. 31 GG Normenkollisionen zwischen landes- und bundesrechtlichen Vorschriften zu Gunsten des Bundesrechts auf. Das Eingreifen des Art. 31 GG führt auch dann nicht zur Unwirksamkeit einer landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung, wenn diese primärem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Sie ist vielmehr ebenfalls suspendiert, hat also

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Schlussbetrachtungen

keine aktuelle normative Bedeutung. Kollidiert eine gliedstaatliche Zielvorgabe hingegen mit Sekundärrecht, kommt nicht Art. 31 GG zum Ansatz, sondern es ergibt sich unmittelbar aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG, dass die betreffende Staatszielbestimmung infolge des Vorrangs solchen Gemeinschaftsrechts im konkreten Kollisionsfall unanwendbar ist. Bei einem Widerspruch zu sekundärem Gemeinschaftsrecht besitzt eine landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe daher (im Unterschied zu Staatszielbestimmungen, die Primärrecht entgegenstehen) grundsätzlich aktuelle normative Bedeutung, wenn auch nicht in vollem Umfang. Anders als für gemeinschaftsrechtswidrige Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes richtet sich die Kollisionsentscheidung hier nach bundesstaatlichen Entscheidungsmechanismen, wobei zudem danach zu differenzieren ist, ob die betreffende Zielvorgabe primärem oder sekundärem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Im 5. Kapitel folgte die Anwendung jenes Prüfungsmaßstabs auf die bundesund landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen. Aus jeder Generation der Landesverfassungen wurde exemplarisch eine Referenzverfassung untersucht. Von den Landesverfassungen, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes entstanden sind (erste Generation), wurde mit der Verfassung des Landes Hessen die älteste herangezogen, während die zweite Generation – diese umfasst die Verfassungen, deren Entstehung zwischen Inkrafttreten des Grundgesetzes und Wiedervereinigung liegt – durch die jüngste (die des Landes BadenWürttemberg) vertreten ist. Von den Landesverfassungen, die nach der Wiedervereinigung entstanden sind (dritte Generation), wurde mit der brandenburgischen diejenige herangezogen, die sich am wenigsten an die Konzeption des Grundgesetzes anlehnt. Dabei zeigte sich, wie weit es Bund und Länder gebracht haben in der Kunst, den Spielraum bei der Verankerung von Staatszielbestimmungen zu erkennen und (richtig) zu nutzen. Die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes verfügen allesamt in vollem Umfang über aktuelle normative Bedeutung. Sie stehen durchweg im Einklang mit dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue, d. h. keine der Zielvorgaben ist nichtig. Zudem ist in keinem Fall eine Normenkollision zwischen Gemeinschaftsrecht und einer grundgesetzlichen Staatszielbestimmung zu verzeichnen; bei eventuellen Spannungen wird die betreffende Zielvorgabe aufgrund ihrer Abstraktheit und Weite gemeinschaftsrechtskonform auszulegen sein. Ebenfalls allesamt kompetenzgemäß zustande gekommen sind die Staatszielbestimmungen der untersuchten Landesverfassungen. Es ließ sich festhalten: Die Kollisionsvermeidungsnormen des Grundgesetzes belassen den Ländern (auch) auf diesem Feld nahezu unbegrenzten Raum. Des Weiteren zeigte sich, dass die Staatszielbestimmungen der Referenzverfassungen infolge ihres (mehr oder weniger) allgemein gehaltenen, auf einfachrechtliche Konkretisierung angewiesenen Regelungsgehalts nicht mit Vorschriften höherrangigen Rechts kollidieren. In keinem Fall bedarf es einer das Spannungsverhältnis zwi-

A. Resümee

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schen föderaler Verfassungsvielfalt und bundesrechtlicher Einheit zu Gunsten des Bundesrechts auflösenden Kollisionsentscheidung. Das Ausmaß, in dem jene Zielvorgaben über normative Bedeutung verfügen, ist demnach keineswegs „generationenabhängig“.

II. Zieldivergenzen und ihre Auswirkungen

Aufbauend auf diesem Fundament der normativen Bedeutung konnten im dritten Teil der Arbeit (6.-9. Kapitel) die Divergenzen der Staatszielbestimmungen und die Auswirkungen dieser Zieldivergenzen herausgearbeitet werden. Zunächst wurde im 6. Kapitel ein Überblick über die Zieldivergenzen gegeben. Dabei waren drei Aspekte zu bedenken: Zielkollisionen, überschießende Staatszielbestimmungen und Unterschiede im Zielgefüge. Der Untersuchung lag auch insoweit ausschließlich eine Inter-Ebenen-Perspektive zu Grunde. Es ging in diesem Kapitel mit anderen Worten etwa darum, ob auf gesamtstaatlicher Ebene eine Staatszielbestimmung verankert ist, die auf der gliedstaatlichen keine Entsprechung findet, nicht aber darum, die Zielvorgaben der Landesverfassungen miteinander zu vergleichen. Mit Blick auf die Zielkollisionen zeigte sich, dass die bundes- und landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen, die denselben Ausschnitt eines bestimmten Sachbereichs unterschiedlich regeln, in keinem Fall gegensätzliche Normanordnungen aufweisen. Zielkollisionen i.e.S. waren nicht zu verzeichnen. Je nach dem Grundgesetz gegenübergestellter Landesverfassung liegen freilich in geringerer oder größerer Zahl Fälle übereinstimmender Zielrichtung, aber unterschiedlicher Formulierung und Ausformung (also Zielkollisionen i.w.S.) vor. Hinsichtlich der überschießenden Staatszielbestimmungen konnte festgehalten werden, dass die Verfassungen der Länder Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg jeweils eine höhere Zahl solcher Zielvorgaben aufweisen als das Grundgesetz. Dieser zweite Divergenztyp liegt zum einen vor, wenn eine im Grundgesetz oder in einer Landesverfassung verankerte (wirksame) Staatszielbestimmung einen Sachbereich aufgreift, der in der jeweils anderen Verfassung durch keine (wirksame) Zielvorgabe geregelt ist. Zum anderen ist eine überschießende Staatszielbestimmung auch dann zu konstatieren, wenn einem bestimmten Sachbereich wirksame Zielvorgaben in den jeweils gegenübergestellten Verfassungen gewidmet sind, aber zumindest ein Ausschnitt dieses Bereichs lediglich in einer der beiden Verfassungen solchermaßen ausgestaltet ist. Der Vergleich des Grundgesetzes mit den drei Referenzverfassungen zeigte, dass sowohl die Anzahl derjenigen Sachbereiche, die durch Staatszielbestimmungen aufgegriffen werden, divergiert wie auch diejenige der Zielvorgaben, die denselben Bereich regeln: Während das Grundgesetz das Feld der Staatszielbestimmungen mit Zurückhaltung bestellt, tendieren jene Verfassungen dazu, die

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Schlussbetrachtungen

Staatsaufgaben umfassender und genauer durch entsprechende Zielvorgaben zu definieren. Schließlich unterscheidet sich auch das Zielgefüge, das durch die Staatszielbestimmungen im Grundgesetz gebildet wird, vom Zielgefüge in der jeweiligen Referenzverfassung. Es zeigen sich jeweils sowohl Divergenzen bzgl. der Instrumentarien, mit denen den Staatszielbestimmungen deren Stellung in jenem Gefüge zugewiesen wird, als auch hinsichtlich der Zuordnung zu solchen Mechanismen, die im Grundgesetz und zugleich in der jeweils gegenübergestellten Landesverfassung Verwendung finden. Gegenstand dieser Unterschiede sind sowohl grammatische wie auch systematische Aspekte, wobei die Anzahl der Gesichtspunkte, unter denen Divergenzen zu verzeichnen sind, jeweils bei den systematischen höher ausfällt als bei jenen grammatischen. Somit konnte festgehalten werden, dass die Staatszielbestimmungs-Sträuße, die im Grundgesetz und in den drei Referenzverfassungen geflochten sind, unter allen drei Divergenzaspekten Unterschiede aufweisen. Die Länder Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg haben ihre verfassungsrechtliche Eigenständigkeit nicht lediglich bei der Verankerung überschießender Zielvorgaben entfaltet, sondern ebenso bei der (im Vergleich zu den Parallelvorgaben des Grundgesetzes) eigenständigen Formulierung bzw. Konkretisierung von Staatszielbestimmungen (Zielkollisionen) und bei der Ausgestaltung des Zielgefüges. Diese Zieldivergenzen wurden als gutes Zeichen für die Vitalität des Föderalismus bundesdeutscher Prägung gewertet. Sie zeigen, dass die Landesverfassunggeber bzw. verfassungsändernden Gesetzgeber auf dem Feld der Staatszielbestimmungen von ihrem verfassungsrechtlichen Spielraum Gebrauch gemacht und nach eigenem landesstaatlichem Profil gesucht haben, anstatt sich auf bundesstaatliche Einordnung zu beschränken. Diese Divergenzen verleihen den Referenzverfassungen in einem zentralen Bereich eine durchaus eigenständige Kontur. So stellt bspw. die Erwähnung gliedstaatlicher Besonderheiten (etwa die Hervorhebung Polens im Rahmen der „Zusammenarbeit mit anderen Völkern“ i. S. des Art. 2 Abs. 1 BbgVerf) einen plastischen Bezug zum jeweiligen Land her. Als besonders ergiebig erwies sich die Untersuchung der Divergenzen zwischen den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes und denjenigen der brandenburgischen Verfassung. Brandenburg hat seine Verfassungshoheit bei der Verankerung von Staatszielbestimmungen weit mehr ausgeschöpft als Hessen und Baden-Württemberg. So kollidieren etwa, stellt man das Grundgesetz und die brandenburgische Verfassung gegenüber, insgesamt sieben Staatszielbestimmungen – und damit mehr als doppelt so viele wie bei der Gegenüberstellung von Grundgesetz und baden-württembergischer Verfassung bzw. sogar mehr als dreimal so viele wie bei der von Grundgesetz und hessischer Verfassung. Bei der Aufnahme überschießender Staatszielbestimmungen haben die Länder Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg ihren Spielraum ebenso

A. Resümee

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wenig in gleichem Umfang genutzt. Dies zeigt bereits die unterschiedliche Anzahl dieser Zielvorgaben: In der hessischen Verfassung finden sich sieben, in der baden-württembergischen zwölf und in der brandenburgischen 36.1 Darüber hinaus weisen die überschießenden Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung meist eine höhere Komplexität auf als diejenigen der anderen beiden Referenzverfassungen.2 Des Weiteren ist auf Seiten der Verfassung des Landes Brandenburg mit der ABC-Waffen-Freiheit des Landesgebiets (Art. 39 Abs. 9 BbgVerf) und der Konversion militärischer Liegenschaften (Art. 40 Abs. 5 BbgVerf) ein Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte zu verzeichnen. Diese sog. Politikziele sprengen den bisherigen Erfahrungsrahmen jener Verfassungstradition, indem sie von der Ebene des Landesrechts her vorschreiben, auf gesamtstaatlicher Ebene gesetzte Normen zu verändern. Auch hinsichtlich der „Unterschiede im Zielgefüge“ sind die Divergenzen zwischen Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung am augenfälligsten. Exemplarisch sei darauf verwiesen, dass zwölf Staatszielbestimmungen dieser Landesverfassung in Abweichung vom Grundgesetz durch subjektive Rechte flankiert sind, während die anderen Referenzverfassungen keine einzige solche Flankierung enthalten. Ebenso finden sich bei einer Gegenüberstellung von Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung weitaus mehr Divergenzen (26) bzgl. der Qualifizierung von Zielvorgaben als bei einem Vergleich des Grundgesetzes mit der hessischen (7) oder der baden-württembergischen Verfassung (4). Nach dieser Bestandsaufnahme wurden die Konsequenzen des Divergenzbefundes erörtert (Kapitel 7.-9.): zunächst die Auswirkungen der Unterschiede im Zielgefüge, dann diejenigen der überschießenden Staatszielbestimmungen und schließlich die der Zielkollisionen. Wegen des ausgeprägteren Divergenzprofils erfolgte die Erörterung jeweils anhand der Zieldivergenzen von Grundgesetz und brandenburgischer Verfassung. Im 7. Kapitel wurde herausgearbeitet, wie sich die Unterschiede zwischen dem Zielgefüge des Grundgesetzes und demjenigen der brandenburgischen Verfassung bei einem Aufeinandertreffen mehrerer Staatszielbestimmungen auswirken. Für diese als Zielkonkurrenzen bezeichneten Konstellationen war zu ___________ 1 Der Bereich Soziales etwa ist in der Verfassung des Landes Brandenburg deutlich umfangreicher durch Staatszielbestimmungen ausgestaltet als in den anderen beiden Referenzverfassungen: Während auf Seiten der hessischen Verfassung mit dem „Recht auf Arbeit“ i. S. des Art. 28 Abs. 2 HessVerf lediglich eine soziale Zielvorgabe zu verzeichnen ist und sich die baden-württembergische insoweit mit zwei Staatszielbestimmungen begnügt (Wohlfahrtspflege [Art. 6 und Art. 87 BaWüVerf]; Jugendschutz [Art. 13 S. 1 BaWüVerf]), weist die brandenburgische Verfassung hier neun Zielvorgaben auf, und zwar neben Arbeit (Art. 48 Abs. 1 BbgVerf), Wohnraum (Art. 47 Abs. 1 BbgVerf) und sozialer Sicherung (Art. 45 Abs. 1 S. 1 BbgVerf) etwa die Förderung von Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen i. S. des Art. 27 Abs. 6 BbgVerf. 2 Exemplarisch sei auf die umfangreichen Konkretisierungen der Staatszielbestimmung „Arbeit“ i. S. des Art. 48 Abs. 1 BbgVerf verwiesen.

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Schlussbetrachtungen

klären, ob die (divergierenden) Mechanismen, mit denen den Staatszielbestimmungen deren Platz im Zielgefüge zugewiesen wird, von Bedeutung dafür sind, welche der konkurrierenden Zielvorgaben sich letztlich durchsetzt. Um diese Frage beantworten zu können, bedurfte es zunächst einiger grundlegender Ausführungen zu den Voraussetzungen von Zielkonkurrenzen. Es wurde gezeigt, dass im konkreten Fall eine Staatszielbestimmung und zumindest eine weitere Zielvorgabe anwendbar und auch einschlägig sein müssen. Daneben müssen die betreffenden Staatszielbestimmungen (auch) dieselben Adressaten haben. De constitutione lata sind Konkurrenzen zwischen Zielvorgaben verschiedener Ebenen auf Konstellationen beschränkt, in denen das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ i. S. des Art. 109 Abs. 2 GG zu landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen hinzutritt: Die Zielvorgaben einer Landesverfassung richten sich ausschließlich an die Landesstaatsgewalt, Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes hingegen grundsätzlich allein an die Staatsgewalt auf gesamtstaatlicher Ebene. Eine Ausnahme besteht lediglich dann, wenn die grundgesetzliche Zielvorgabe ausdrücklich (auch) die Länder als Adressaten benennt. In einem zweiten Schritt wurden die Staatszielbestimmungen unter Zugrundelegung der aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammenden Unterscheidung von Regeln und Prinzipien normtheoretisch eingeordnet. Regelkonkurrenzen sind nach einer generellen Vorrangrelation in der Geltungsdimension auszuräumen, während Prinzipienkonkurrenzen in der Dimension der (fallbezogenen) Gewichtung aufgelöst werden. Anhand der v. a. von Ronald Dworkin und Robert Alexy entwickelten Kriterien zeigte sich, dass Staatszielbestimmungen zu den Prinzipien zählen. Es handelt sich um Optimierungsgebote, d. h. ihre Realisierung ist in einem (relativ auf die jeweiligen rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten bezogen) möglichst hohen Maß geboten; die Verwirklichung einer Staatszielbestimmung ist mithin jeweils lediglich in demjenigen Maß möglich, in dem eine andere Zielvorgabe nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. Die Auflösung von Zielkonkurrenzen kann dementsprechend nicht in der Dimension der Geltung erfolgen. Aufgrund des Prinzipiencharakters der Staatszielbestimmungen sind Zielkonkurrenzen vielmehr nach dem Grundsatz des schonendsten Ausgleichs aufzulösen, d. h. in jedem Einzelfall hat nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz eine gesonderte Entscheidung zu erfolgen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen konnte sodann der Lösungsansatz für Zielkonkurrenzen strukturiert werden. Es wurde gezeigt, dass hier zwischen zwei Phasen zu unterscheiden ist: der Entscheidung über das „Ob“ und der über das „Wie“ einer (weiteren) einfachgesetzlichen Umsetzung einer Staatszielbestimmung. In jener Phase des „Ob“ hat der Gesetzgeber die konkurrierenden Zielvorgaben nicht optimal zu berücksichtigen. Erst bei seinen Überlegungen zum „Wie“ einer bestimmten Konkretisierung sind konkurrierende Staatsziel-

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bestimmungen als Optimierungsgebote von Bedeutung. Insoweit hat eine Gewichtung der im konkreten Fall auf den ersten Anschein einschlägigen Zielvorgaben zu erfolgen. Die erforderliche Abwägung basiert im Wesentlichen auf der Stellung der konkurrierenden Staatszielbestimmungen im Zielgefüge sowie auf dem Ausmaß ihrer Betroffenheit im konkreten Fall. Maßgebend ist letztlich, in welchem Ausmaß die Zielvorgaben in der konkreten Situation berührt sind. Dies ist insbesondere von der Implementation der Staatszielbestimmungen in das einfache Recht abhängig, da die Zielvorgaben der Konkretisierung durch die Legislative bedürfen. Ohne Rekurs auf die Zielkonkretisierung sind Zielkonkurrenzen daher letztlich nicht aufzulösen. Die Auflösung von Zielkonkurrenzen durch Gewichtung der konkurrierenden Staatszielbestimmungen basiert also (auch) auf der Stellung der Zielvorgaben im Zielgefüge. Diese Erkenntnis führte zu der Frage, wie sich die einzelnen Divergenzen zwischen dem Zielgefüge des Grundgesetzes und demjenigen der brandenburgischen Verfassung auf diese Gewichtung auswirken. Die folgende Untersuchung zeigte, dass jene Unterschiede keineswegs durchgängig gewichtungsrelevant sind. Es hängt vielmehr von den einzelnen Aspekten der Zuweisung des Platzes im Zielgefüge ab, ob eine Zielvorgabe im Vergleich zu den mit ihr konkurrierenden Staatszielbestimmungen eine veränderte Stellung einnimmt. So sind die grammatischen Aspekte nahezu allesamt nicht gewichtungsrelevant. Einzig die Formulierung als „besonderer“ Schutzauftrag hat zur Folge, dass die betreffende Staatszielbestimmung unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge stärker zu gewichten ist als die mit ihr konkurrierenden Zielvorgaben. Hinsichtlich der systematischen Aspekte ergibt sich ein anderes Bild. Hier wirken sich immerhin fünf (von insgesamt zwölf) Aspekten – also nahezu die Hälfte – bei der Auflösung von Zielkonkurrenzen aus. Es handelt sich neben der Verankerung in den Staatsstrukturprinzipien, der zusätzlichen Aufnahme in die Präambel und der Einordnung als spezielle Staatszielbestimmung um die Flankierung durch subjektive Rechte und die Abstützung im Zuge der Grundrechtsschranken. Als Ergebnis des 7. Kapitels blieb demnach festzuhalten: Einige der Divergenzen, die das Zielgefüge des Grundgesetzes und dasjenige der brandenburgischen Verfassung aufweisen, können eine unterschiedliche Gewichtung der Staatszielbestimmungen zur Folge haben. So ist etwa der landesverfassungsrechtlichen Gleichstellung der Geschlechter (Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf) unter dem Gesichtspunkt der Stellung im Zielgefüge infolge der Hervorhebung des Kinderschutzes in Art. 27 Abs. 3 S. 1 BbgVerf geringeres Gewicht beizumessen als der gesamtstaatlichen Parallelvorgabe: Jener Kinderschutz ist gefasst als „besonderer“ Schutzauftrag, während das Grundgesetz keine entsprechend hervorgehobene Staatszielbestimmung kennt. Die Rangordnung zwischen konkurrierenden Zielvorgaben ist freilich in keinem Fall verfassungsrechtlich entschieden. Wegen des Prinzipiencharakters der Staatszielbestimmungen besteht kein

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Schlussbetrachtungen

pauschaler Vorrang der einen vor einer anderen. Ob also der Umweltschutz der Ausweisung von Bauland zwecks Verwirklichung der Zielvorgabe „Wohnraum“ vorgeht, oder ob Leistungen im Bereich Bildung vor der Sportförderung rangieren: Dies ist in jedem Einzelfall von Neuem durch eine Gewichtung der konkurrierenden Staatszielbestimmungen zu klären. Im 8. Kapitel rückten die Auswirkungen der überschießenden Staatszielbestimmungen in den Blick. Zunächst wurde herausgearbeitet, in welchem Umfang diese Zielvorgaben über normative Steuerungskraft verfügen. Staatszielbestimmungen müssen aufgrund ihrer großen inhaltlichen Unbestimmtheit vom zuständigen Normgeber konkretisiert werden, wobei ihnen keine Kompetenz für den Erlass entsprechender einfachgesetzlicher Regelungen zu entnehmen ist. Es stellte sich daher die Frage, ob bzw. inwiefern die Kompetenzverteilungsschemata der Artt. 70 ff. GG solche Konkretisierungen zulassen. Die Untersuchung zeigte in einem ersten Schritt, dass unter den überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung allein diejenigen große normative Steuerungskraft entfalten, die der Bildung und Kultur gewidmet sind. Die Staatszielbestimmungen, die anderen Bereichen gelten, laufen regelmäßig an der entscheidenden Transformationsstelle leer: Sie greifen meist Materien auf, für die der Bund über die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit verfügt bzw. die der Bund unter Inanspruchnahme seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz einfachgesetzlich erschöpfend geregelt hat. Jene überschießenden Zielvorgaben verfügen demnach in der Mehrzahl über lediglich geringe oder keine normative Steuerungskraft. Den hehren Worten werden daher allzu oft keine Taten folgen können. Anhand dieses Befunds ließ sich eine Hinwendung der brandenburgischen Verfassung zu einem eher narrativen denn normativ-disziplinierten Konstitutionalismus konstatieren. Damit wird die Tendenz deutlich, die Verfassung „als eine Art Gesamtwerte-Register, als Groß-Bilderbuch“3 zu formulieren. Dies wird freilich (jedenfalls etwas) dadurch abgemildert, dass überschießende Staatszielbestimmungen mit geringer normativer Steuerungskraft zumindest verfassungsprozessuale Bedeutung haben; ggf. eröffnen sie (nach Maßgabe der prozessualen Vorschriften) den Zugang zur Landesverfassungsgerichtsbarkeit. Auch kann solchen Zielvorgaben größere normative Steuerungskraft zuwachsen, wenn der betreffende Bereich nicht mehr in die ausschließliche bzw. konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fällt. In einem zweiten Schritt zeigte sich, dass jene Hinwendung zu einem narrativen Konstitutionalismus mit Blick auf den Rechtssatzcharakter der Verfassung ebenso bedenklich ist wie für deren Akzeptanz und Integrationskraft. Die Ver___________ 3 Lerche, in: Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Verfassungsdiskussion, S. 15 (19).

A. Resümee

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fassung kann zwar durchaus mittels Staatszielbestimmungen Auskunft über das aufgaben- und zielpolitische Ethos des Staates geben: Der moderne Verfassungsstaat definiert und legitimiert sich wesentlich von seinen Aufgaben her, und die Verfassung hat (auch) eine Informationsfunktion für den Bürger, der Auskunft über das Selbstverständnis seines Staat sucht. Diese kulturelle Funktion der Verfassung darf aber ihre juristische nicht vereiteln, d. h. die normative Kraft der Verfassungsbestimmungen darf nicht hinter deren appellativen Charakter zurücktreten. Dem ist im Falle der meisten überschießenden Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung nicht hinreichend Rechnung getragen; die Normierung von Staatszielbestimmungen, die außerhalb der engeren Landesgesetzgebungskompetenzen liegende Bereiche betreffen, schwächt den Charakter der Verfassung als Rechtssatz. Die Staatszielbestimmungen jener Landesverfassung verfügen zwar allesamt über aktuelle normative Bedeutung, die Bewährungsprobe für ihre Glaubwürdigkeit werden sie aber in der Mehrzahl nicht bestehen. Insbesondere bzgl. der überschießenden Staatszielbestimmungen im sozialen Bereich ist „Verfassungsfrust“ nahezu programmiert und in dessen Folge das Schwinden der Akzeptanz wie auch der normativen Kraft der Verfassung. Als problematisch erweist es sich insofern, dass die Popularität der Zielvorgaben „Arbeit“ und „Wohnung“ erfahrungsgemäß steigt, wenn der Staat sie am wenigsten verwirklichen kann. Die durch einzelprogrammatische soziale Staatszielbestimmungen betriebene „Suche nach einer sozioökonomischen Identität“4 wird daher letztlich erfolglos bleiben. Gefahren für die Akzeptanz der Verfassung wurzeln schließlich auch in deren zunehmender „Aufladung“ mit Themen der Tagespolitik; zu einer solchen „Politisierung der Verfassung“5 kommt es umso mehr, je detaillierter und umfänglicher die betreffenden Staatsaufgaben in der Form von Staatszielbestimmungen vorgegeben sind. In einem dritten Schritt rückten die Folgen der überschießenden Zielvorgaben für die Funktionentektonik in den Blick. Zur Klärung dieser Frage wurden zwei Aspekte untersucht: die Stärkung der Judikative zu Lasten der Legislative und diejenige zu Lasten der Exekutive. Es zeigte sich, dass sich die Funktionentektonik infolge jener Staatszielbestimmungen deutlich zu Gunsten der Judikative verschiebt. Insoweit gilt: Je mehr Staatszielbestimmungen eine Verfassung enthält und je detaillierter die Art und Weise der Zielverwirklichung von der Verfassung vorgegeben ist, desto größer fällt der Autoritätsverlust des Parlamentes aus, und desto mehr verliert dieses seine wichtigste Gestaltungsaufgabe. Durch Aufnahme in die Verfassung werden die betreffenden Inhalte gewissermaßen „entparlamentarisiert“; die gesetzgebende (und auch die ausführende) Gewalt wird so zum bloßen Ausführungsorgan. Die überschießenden landesver___________ 4

Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (404). s. Böckenförde, AöR 106 (1981), S. 580 (598) mit Blick auf „die Anreicherung der Verfassung mit Politikzielen“. 5

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Schlussbetrachtungen

fassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen drohen daher nicht nur den Prozess des politischen Setzens von Prioritäten durch verfassungsrechtliche Vorgaben einzuschnüren, sondern auch denjenigen des Abwägens von politischen Zielen und Interessen. Die bereits in anderem Zusammenhang konstatierte Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu einem „Jurisdiktionsstaat“ (Böckenförde) wird in Brandenburg somit weiter an Fahrt gewinnen. Andererseits darf nicht verkannt werden, dass sich der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum infolge der Hypertrophie der in der brandenburgischen Verfassung verankerten Staatszielbestimmungen wieder vergrößert. Im Anschluss wurden weitere Auswirkungen überschießender Zielvorgaben beleuchtet. Hier rückten zunächst die Grundrechte in den Blick. Es zeigte sich, dass jene Staatszielbestimmungen durchaus zu deren Schwächung führen können: Sie sind (auch) als Legitimation für Beschränkungen der Freiheits- und Gleichheitsrechte von Bedeutung. Ihre Normierung kann sich daher dahingehend auswirken, dass Grundrechtseingriffe „leichter“ zu rechtfertigen sind. Umgekehrt können die überschießenden Staatszielbestimmungen auch einzelne Grundrechte in deren Wirkung verstärken. So haben etwa die bildungs- und kulturbezogenen Zielvorgaben der brandenburgischen Verfassung (auch) eine die kulturelle Freiheit des Einzelnen verstärkende Wirkung. Des Weiteren wurde der Aspekt „verfassungspolitischer Wettbewerb und Impulswirkung für die Politik“ beleuchtet. Hier blieb festzuhalten, dass die überschießenden Staatszielbestimmungen für die Verfassungspolitik auf Landes- sowie auf Bundesebene von Bedeutung sind. In der einen Landesverfassung verankerte Zielvorgaben können sich durchaus als Schrittmacher für nachfolgende Verfassungsänderungen in einem anderen Land (oder gar auf Bundesebene) auswirken. Die Impulswirkung der überschießenden Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung für die Politik sollte hingegen nicht überschätzt werden. Die einfachgesetzliche Umsetzung der meisten dieser Zielvorgaben fällt gerade nicht in die Zuständigkeit des Landes, und zudem gewährleisten bereits die Mechanismen der öffentlichen Meinungsbildung, dass sich die staatlichen Aufgabenträger auch ohne jedwede Staatszielbestimmungen in hinreichender Weise denjenigen Materien zuwenden, die elementare Gemeinwohlbedeutung besitzen. Schließlich wurde die edukatorische Funktion der überschießenden Zielvorgaben thematisiert. Dabei zeigte sich, dass diese Staatszielbestimmungen durchaus auf die Wertediskussion im außerrechtlichen Bereich ausstrahlen und zur Bewusstseinsbildung beitragen können. Dies ist allerdings keineswegs unbedenklich. Es besteht etwa die Gefahr, dass die Wertebildung und Wertegewichtung, die im freiheitlichen Staat doch beim Einzelnen liegen, mehr oder weniger vorgegeben werden. Zudem wirken sich insbesondere die überschießenden sozialen Staatszielbestimmungen womöglich nicht in der gewünschten Weise edukatorisch aus, da sie (auch) als Akzentuierung des Vertrauens in die staatliche Vor- und Fürsorge gelesen werden können. Unabhängig davon sollte die Orientierungsfunktion von Verfassungsnormen nicht zu hoch veranschlagt werden.

A. Resümee

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Das 9. Kapitel galt den Auswirkungen der Zielkollisionen. Zunächst war zu klären, ob sich die unterschiedliche Formulierung oder Konkretisierung der kollidierenden Staatszielbestimmungen als divergierender Bindungsinhalt auswirkt. Die Untersuchung ergab, dass es für die jeweiligen Adressaten bei der Bindungswirkung der kollidierenden Zielvorgaben bleibt. Es liegen lediglich Zielkollisionen i.w.S. vor, und zu deren Auflösung bedarf es keinesfalls eines Rückgriffs auf Art. 31 GG. Sodann zeigte sich, dass die Zielkollisionen nicht durchgängig zu divergierenden Bindungsinhalten führen, sondern dass sie sich mitunter wie Zielkongruenzen auswirken: Die Staatszielbestimmungen „Sozialstaat“ (Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 BbgVerf), „Tierschutz“ (Art. 20 a GG, Art. 39 Abs. 3 S. 1 BbgVerf) und „Europäische Integration“ (Präambel des Grundgesetzes, Art. 2 Abs. 1 BbgVerf) sind vom Bindungsinhalt her in vollem Umfang deckungsgleich, da sie hinsichtlich ihrer Ausformung und Konkretisierung übereinstimmen. Bei diesen Zielvorgaben ist folglich kein abweichender Handlungsauftrag zu verzeichnen, und dementsprechend haben die betreffenden Kollisionen nicht die Auswirkungen von Zieldivergenzen. Des Weiteren stellte sich heraus, dass aus den unterschiedlichen Formulierungen der Staatszielbestimmungen in keinem Fall ein divergierender Bindungsinhalt resultiert. Eine solche inhaltliche Divergenz ergibt sich allenfalls, wenn die Zielvorgaben hinsichtlich Ausformung und Konkretisierung nicht übereinstimmen. Dann besteht zwar ein Gleichklang, aber eben keine volle Deckungsgleichheit. Voraussetzung eines solchermaßen unterschiedlichen Inhalts ist, dass die Konkretisierungen nicht lediglich deklaratorischen Gehalt besitzen; zudem müssen sie aktuelle normative Bedeutung haben. So sind etwa der „Gleichstellung der Geschlechter“ i. S. des Art. 12 Abs. 3 S. 2 BbgVerf konkretere Verpflichtungen zu entnehmen als der Parallelvorgabe des Grundgesetzes. Im Anschluss daran wurde herausgearbeitet, in welchem Umfang diejenigen Konkretisierungen, aus denen ein divergierender Bindungsinhalt resultiert, über normative Steuerungskraft verfügen. Hier zeigte sich, dass das Land in der Regel nicht bzw. lediglich in sehr eingeschränktem Maß für die einfachgesetzliche Umsetzung zuständig ist. Die betreffenden landesverfassungsrechtlichen Konkretisierungen verfügen daher meist über keine normative Steuerungskraft, so dass jene inkongruenten Aspekte folglich regelmäßig ohne normativ spürbare Auswirkungen bleiben. Dies gilt insbesondere für den Umweltschutz. Es ließ sich daher auch in Anbetracht der Zielkollisionen eine Hinwendung der brandenburgischen Verfassung zu einem eher narrativen Konstitutionalismus feststellen. Wie bereits bei den Auswirkungen der überschießenden Staatszielbestimmungen thematisiert, ist dies mit Blick auf den Rechtssatzcharakter der Verfassung, ihre Akzeptanz und Integrationskraft äußerst bedenklich. Abschließend wurden die Auswirkungen der Zielkollisionen auf Zielgefüge und Zielkonkurrenzen beleuchtet. Es stellte sich heraus, dass sich dieses Gefüge einer Verfassung nicht ändert, wenn zwei auf unterschiedlichen Ebenen an-

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Schlussbetrachtungen

gesiedelte Staatszielbestimmungen denselben Ausschnitt eines bestimmten Sachbereichs unterschiedlich regeln. So ist etwa eine landesverfassungsrechtliche Zielvorgabe im Vergleich zu den anderen Staatszielbestimmungen derselben Verfassung nicht deshalb geringer (oder stärker) zu gewichten, weil sie mit ihrem im Grundgesetz verankerten Pendant kollidiert. Die Zielkollisionen haben dementsprechend keine Auswirkungen auf das Zielgefüge. Ein anderes Bild ergibt sich mit Blick auf die Konkurrenzen von Staatszielbestimmungen zweier Ebenen. Eine Zielkonkurrenz ist ausgeschlossen, wenn sich der Adressatenkreis nicht zumindest zum Teil deckt. Es hat keine Zunahme dieser Konkurrenzen auf gesamtstaatlicher Ebene zur Folge, wenn eine landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung mit ihrer im Grundgesetz verankerten Parallelvorgabe kollidiert. Gleichwohl ist es möglich, dass die Zahl der Zielkonkurrenzen infolge von Zielkollisionen ansteigt: Die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes können – was de constitutione lata allerdings allein bei Art. 109 Abs. 2 GG der Fall ist – auch an die Staatsgewalt auf Gliedstaaten-Ebene adressiert sein. Demnach tritt das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht i. S. des Art. 109 Abs. 2 GG zu den miteinander konkurrierenden landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben hinzu. Hinsichtlich seines Gewichts in einer solchen Konkurrenzsituation ist festzuhalten, dass die Staatszielbestimmungen der Länder und diejenigen des Grundgesetzes gleichrangig sind. Auch zwischen jenem Gleichgewicht und den landesverfassungsrechtlichen Zielvorgaben besteht keine generelle Vorrangrelation; alle Staatszielbestimmungen sind in möglichst hohem Maß zu verwirklichen. Damit war nach der Erörterung der normativen Bedeutung der Staatszielbestimmungen im Drei-Ebenen-Modell von deutschen Ländern, Bundesrepublik Deutschland und EU/EG auch die systematische Untersuchung der Zieldivergenzen und ihrer Auswirkungen ans Ende gelangt.

B. Weiterführende Überlegungen Bei der Auseinandersetzung mit den „Staatszielbestimmungen im integrierten Bundesstaat“ schwingt unweigerlich der verfassungspolitische Streit über Wert und Sinnhaftigkeit solcher Zielvorgaben mit.6 Zur Abrundung der Untersuchung soll daher eine verfassungspolitische Wertung der Staatszielbestimmungen vorgenommen werden.

___________ 6 Das Schrifttum widmet sich der entsprechenden Diskussion hauptsächlich mit Blick auf das Grundgesetz. Die Argumentationsmuster greifen aber ebenso hinsichtlich landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen.

B. Weiterführende Überlegungen

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Die Zunahme der Fixierung von Aufgaben und Zielen staatlichen Handelns als Staatszielbestimmungen entspricht einem Zug unserer Zeit.7 Im Grundsatz ist es auch legitim, dem Gemeinwesen eine materiale Zielrichtung zu geben.8 Eine rechtsstaatliche Verfassung kommt ohne materiale Grundordnung nicht aus,9 und sie muss sich insoweit keineswegs auf die Bändigung der staatlichen Gewalt durch die Gewährleistung von Grundrechten beschränken. Sie kann die Staatstätigkeit vielmehr auch in deren positiver Erscheinungsform dokumentieren, dem Staat also Aufgaben stellen und Pflichten auferlegen. Eine rechtsstaatliche Verfassung kann folglich durchaus mittels Staatszielbestimmungen über das aufgaben- und zielpolitische Ethos des Staates Auskunft geben. Als Zeichen „guter“ Verfassungspolitik10 oder „Ausdruck zeitgemäßer Verfassungsdogmatik“11 ist die Normierung von Staatszielbestimmungen gleichwohl nicht zu bezeichnen. Keineswegs stellen solche Zielvorgaben ein staatsrechtliches Patentrezept dar. Dies ergibt sich bereits daraus, dass Ergänzungen an den Stil, der der jeweiligen Verfassung eigen ist, angepasst werden müssen.12 So können Staatszielbestimmungen etwa in das Grundgesetz als eine an ihnen nicht sehr reiche Verfassung nicht in dem Maße eingefügt werden, wie dies bei einer neuen Verfassunggebung möglich wäre. Daneben ist zu berücksichtigen, dass ein Staatszielkatalog lediglich eine zeitbedingte Gewichtung von Prioritäten zum Ausdruck bringt:13 Die gesellschaftliche Wirklichkeit unterliegt ständigem Wandel, und so lässt es sich auch nicht mit Sicherheit prognostizieren, welchen Anliegen sich die Politik in fernerer Zukunft zu widmen haben wird. Je dichter das Geflecht der Staatszielbestimmungen gewoben ist, desto höher fällt ___________ 7 Ähnlich Hesse, KritV 76 (1993), S. 7 (11); Kilian, in: Lilie, Recht, S. 47 (60): „Staatsziele [...] liegen im Zeitgeist“. Krit. Starck, ThürVBl. 1992, S. 10 (15 f.): Staatszielbestimmungen als „modischer und zeitgebundener Ballast“. – Zur Bestandsaufnahme der in Grundgesetz und Landesverfassungen verankerten Staatszielbestimmungen eingehend 3. Kap. unter A. und B. 8 Eine solche Ausrichtung kann dazu beitragen, dass das Verfassungswerk auch stürmischere Zeiten übersteht; zur Problemlage Stern, FS Jahrreiß, S. 271 (272 ff.). 9 Ohne derartige Ordnungsprinzipien kann die Verfassung ihre Ordnungs- und Stabilisierungsfunktion nicht ausfüllen. Dazu Stern, Staatsrecht I, S. 96 f. m.w.N. 10 So aber Häberle, JöR 34 (1985), S. 303 (374); vgl. Rux, NJ 1992, S. 147 (148): „staatsrechtliches Patentrezept“. Positiv auch Bull, FS Thieme, S. 305 (307 f.); ebenso Fuchs, in: ders., Landesverfassungsrecht, S. 271 (303). 11 So aber Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 41. 12 Dazu Konegen, in: ders./Nitschke, Revision, S. 29 (31 ff.); zur Verfassungsentwicklung in Deutschland seit 1945 Hesse, in: Benda u.a., HdbVerfR, § 3; spezifisch zur Entwicklung des Grundgesetzes von 1949 bis 1990 H. Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 9. 13 Dies zeigt insbesondere die Verankerung des Umwelt- und Tierschutzes, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bei weitem nicht den Stellenwert besaßen, der diesen Staatsaufgaben heute beigemessen wird. Gleiches gilt bzgl. der Gleichstellung der Geschlechter.

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Schlussbetrachtungen

der verfassungsrechtliche Aktualisierungs- bzw. Reformbedarf im Zuge der fortlaufenden Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit aus.14 Häufige Verfassungsänderungen schwächen jedoch das Ansehen der Verfassung, und sie entwerten deren normative Kraft.15 Eine eher abwartend-zurückhaltende Bewertung der Staatszielbestimmungen ist auch deshalb angezeigt, weil deren Normierung zur zunehmenden „Aufladung“ der Verfassung mit Themen der Tagespolitik führt.16 Die Verfassung als normative Grund- und Rahmenordnung des gesellschaftlich-staatlichen Lebens ist nach Möglichkeit aus dem Zentrum des tagespolitischen Dissenses herauszuhalten; ohne Grundkonsens ist sie nicht „überlebensfähig“.17 Es kommt hinzu, dass die Staatszielbestimmungen auf Seiten der Volksvertretungen Macht- und Autoritätsverlust zur Folge haben.18 Das Legiferieren erschöpft sich aber ebenso wenig wie Administrieren und Regieren in bloßem Verfassungsvollzug: Das Gemeinwesen hat „sich in seiner Rechtsverfassung seine notwendigsten [Hervorhebung des Verf.] Regeln gegeben“.19 Das maßgebliche Werkzeug des Verfassungsstaates bei Regelung und Erfüllung der Staatsaufgaben ist daher aus gutem Grund das einfache Gesetz.20 Die (einfache) ___________ 14 So wird etwa auf veränderte soziale Rahmenbedingungen im Falle einer Verfassung, die einzelprogrammatische soziale Staatszielbestimmungen enthält, desto eher mit Verfassungsänderungen reagiert werden müssen, je zahlreicher jene Zielvorgaben sind. 15 Eine jede Verfassungsänderung bringt zum Ausdruck, dass die geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen niedriger zu bewerten sind als die „tatsächlichen Erfordernisse“; die Änderung relativiert daher mittelbar die überzeitliche Dauerhaftigkeit und die damit zusammenhängende Legitimationskraft der Verfassung. Dazu bereits Kägi, Verfassung, S. 59 f. 16 Dazu 8. Kap. unter B. III. 17 Zur Bedeutung eines Grundkonsenses für das „Überleben“ der Verfassungsordnung Badura, FS Scheuner, S. 19 (35); Eichenberger, Staat, S. 165 (177); grundlegend Scheuner, in: Jakobs, Rechtsgeltung, S. 33 (61 f.); ders., in: Hennis u.a., Regierbarkeit II, S. 102 (110 f., 127). – Allg. zur Verfassung als Ausdruck eines Grundkonsenses 6. Kap. unter D. 18 Zu dieser „Schwächung der parlamentarischen Demokratie“ 8. Kap. unter C. III. 19 Hennis, Verfassung, S. 36. – Politik bedeutet eben, wie es Max Weber treffend ausgedrückt hat, „ein starkes, langsames Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ (Weber, in: Winckelmann, Weber, S. 505 [560]), nicht hingegen, um im Bild zu bleiben, das Bedienen einer Stanzmaschine auf eine von der Verfassung vorgezeichnete Weise an Stellen, die ebenfalls qua Verfassung vorgegeben sind. Kritik verdienen unter diesem Gesichtspunkt insbesondere die sozialen Staatszielbestimmungen der brandenburgischen Verfassung: Der Landesgesetzgeber ist durch die etwa in Artt. 39, 45 u. 47 BbgVerf aufgeführten Maßnahmen zur Zielverwirklichung gebunden (dazu auch 8. Kap. unter C. I. 2.), während die entsprechenden Zielvorgaben der anderen Landesverfassungen solche Vorgaben nicht bzw. jedenfalls in deutlich geringerem Umfang enthalten. 20 s. Badura, FS Scholz, S. 3 (5 ff.); Wahl, Staat 20 (1981), S. 485 (487, 502). – Abzulehnen ist eine Handlungskette „Verfassungsänderungen statt Gesetze und statt Poli-

B. Weiterführende Überlegungen

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Parlamentsmehrheit sollte ihre Vorhaben – nicht zuletzt wegen der Volkssouveränität, Art. 20 Abs. 2 GG – denn auch grundsätzlich umsetzen können, ohne dass dem parlamentarischen Prozess sogleich mittels Staatszielbestimmungen (die ja nur durch qualifizierte Verfahrens- und Mehrheitserfordernisse überwindbar sind) der Spielraum entzogen ist.21 Den Befürwortern einer Normierung weiterer (jedenfalls detailliert und stringent gefasster) Zielvorgaben ist demnach eine erschwerte Begründungslast aufzubürden.22 Als problematisch erweisen sich zudem solche Staatszielbestimmungen, die eine Hinwendung zu einem (eher) narrativen denn normativ-disziplinierten Konstitutionalismus manifestieren.23 Wie an anderer Stelle bereits erläutert,24 wächst dadurch die Gefahr desintegrativer Enttäuschungserlebnisse, die Glaubwürdigkeit und die Akzeptanz der Verfassung nehmen Schaden, und die normative Kraft der Verfassung schwindet.25 Aus alldem ergeben sich folgende Schlussfolgerungen für die Normierung von Staatszielbestimmungen: Zunächst einmal verdient das Gebot verfassungspolitischer Redlichkeit und Vernunft, in einer Verfassung nicht mehr zu versprechen, als Regierung und Parlament zu halten imstande sind,26 Beachtung. Um der Glaubwürdigkeit und Autorität einer jeden Verfassung willen sollten keine Zielvorgaben verankert werden, deren normative Steuerungskraft hinter ihrem appellativen Charakter zurücktritt: Nicht alles, was politisch für wünschenswert gehalten wird, muss auch in die Verfassung aufgenommen werden. Dies gilt mit Blick auf das Grundgesetz ebenso wie für die Landesverfassungen. Weder sollten also Staatszielbestimmungen Eingang in das Grundgesetz finden, die Bereichen außerhalb der Zuständigkeit des Bundes gewidmet sind, noch sollten in den Landesverfassungen Zielvorgaben verankert sein, die Materien ___________ tik“, ebenso Wahl, AöR 112 (1987), S. 26 (47 Fn. 74); vgl. Wienholtz, AöR 109 (1984), S. 532 (539). 21 Es ist mit Hennis, Verfassung, S. 23 u. 21, davor zu warnen, die Verfassung als einen „sozialen und geistigen Eisenbahnfahrplan“ mißzuverstehen, der die politische Entwicklung vollständig vorwegnehmen zu können glaubt. Um des Demokratieprinzips bzw. um der Freiheit des Einzelnen willen darf die Verfassung nicht als vollständiges Gemeinwohlprogramm gelesen werden. Dazu Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR IV, § 71 Rn. 71; Roellecke, NJW 1991, S. 2441 (2448). 22 So auch (jedenfalls bzgl. einzelprogrammatischer sozialer Verbürgungen) Isensee, in: Rüttgers/Oswald, Zukunft, S. 51 ff.; allg. zur Begründungspflicht und Argumentationslast des Rechtsreformers Kriele, Herausforderung, S. 19 f., 55 f. 23 Zum Begriff „narrativer Konstitutionalismus“ 8. Kap. unter A. VII. 24 s. 8. Kap. unter A. VII. sowie unter B. II. u. B. III. 25 Vereinzelt (s. etwa Simon, NJ 1991, S. 427 [429]) wird es allerdings auch positiv bewertet, wenn sich Staatszielbestimmungen gegen den Charakter der Verfassung als Rechtssatz richten. 26 Zu diesem Gebot Dietlein, Grundrechte, S. 158 f.; Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (414).

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Schlussbetrachtungen

außerhalb der Länder-Kompetenzdomäne aufgreifen.27 Auch bei der Aufnahme landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen lautet die Maxime demnach, dem Bund zu lassen, was des Bundes ist – das Recht dazu, aber auch die Verantwortung dafür.28 Um die Gefahr, dass sich der Bürger aufgrund einer dauerhaften Diskrepanz zwischen Regelungsversprechen und Wirklichkeit enttäuscht von der Verfassung abwendet, noch weiter zu verringern, sollte nach Möglichkeit auch zu hohen, unrealistischen Erwartungen vorgebeugt werden.29 Hierzu bietet es sich an, die Verwirklichung der Staatszielbestimmungen unter den ausdrücklichen (aber deklaratorischen)30 Vorbehalt des Möglichen zu stellen.31 Der Verfassungsredlichkeit wegen sollten die Zielvorgaben zudem nicht als „Recht“ formuliert sein. Eine subjektiv-rechtliche Formulierung führt leicht zu dem Missverständnis, es sei ein individuell einklagbarer Anspruch gewährleistet.32 Weiterhin sollten die Staatszielbestimmungen, getrennt insbesondere von den Grundrechten, in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst werden.33 Die Ab___________ 27 Vor Überfrachtung der Landesverfassungen mit landesstaatlich nicht steuerbaren Zielvorstellungen warnen zu Recht Graf Vitzthum, VBlBW 1991, S. 404 (412 f.); Merten, VerwArch 83 (1992), S. 283 (296 ff.); Sommermann, Staat 32 (1993), S. 430 ff.; Starck, ZG 7 (1992), S. 1 (26 f.). 28 Eine Gesamtsinngebung kann ohnehin nicht auf gliedstaatlicher Ebene ansetzen. Dies gilt jedenfalls für den Rechtsraum der Bundesrepublik Deutschland mit seinem stark unitarisierten Charakter, der noch dazu auf europäische Integration angelegt ist. Vgl. Sachs, DVBl. 1987, S. 857 (865): Die Landesverfassungen seien „zu wichtig und zu schade für partikulare Ersatzhandlungen gesamtstaatlicher und gesamtgesellschaftlicher Einigungsdefizite“. 29 Ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Verfassungstext und vorgefundener Wirklichkeit ist freilich schon aufgrund der Zukunftsbindung unausweichlich, die jede Verfassung erstrebt. Dazu Badura, FS Scheuner, S. 19 (27). 30 Dazu 7. Kap. unter A. II. 3. und 8. Kap. unter B. II. 31 „Vorbildlich“ sind hier lediglich die sächsische Verfassung (Artt. 13, 36 SächsVerf), die des Landes Sachsen-Anhalt (Art. 3 Abs. 3 SaAnVerf) und diejenige des Freistaats Thüringen (Art. 43 ThürVerf). Vgl. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V (2. Aufl.), § 112 Rn. 57 ff.; Brohm, JZ 1994, S. 213 (216); v. Mangoldt, SächsVBl. 1993, S. 25 (34). – Zu den Vorteilen eines solchen Vorbehalts der realen Einlösbarkeit für die Verfassungsehrlichkeit auch Scholz, FS Remmers, S. 89 (96). 32 Als Beispiel für eine gelungene Formulierung sei etwa auf Art. 17 M-VVerf verwiesen. Diese Vorschrift, die es zugleich geschickt vermeidet, über das hinauszugehen, was das Land im Hinblick auf Arbeitsplätze bewirken kann, lautet: „Das Land trägt zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Es sichert im Rahmen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts einen hohen Beschäftigungsstand“. 33 s. Sommermann, Staatsziele, S. 354; Brenne, Grundrechte, S. 159; Wank, Recht, S. 44; vgl. bereits Böckenförde, in: ders. u.a., Grundrechte, S. 7 (16): Warnung vor einer Vermengung sozialer Grundrechte mit negatorischen Freiheitsverbürgungen. – Der Unterschied zwischen Grundrechten und Staatszielbestimmungen wäre besonders deutlich zum Ausdruck gebracht, würden Letztere erst im Anschluss an das Staatsorganisations-

B. Weiterführende Überlegungen

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sage an eine thematische Ordnung mindert prima facie zwar die Transparenz der Verfassung, da sachlich zusammenhängende Aspekte nicht gemeinsam behandelt werden. Dieser Nachteil wird freilich dadurch aufgewogen, dass der unterschiedliche normative Gehalt insbesondere von Grundrechten, Staatszielbestimmungen und Einrichtungsgarantien bei einer systematischen Trennung jener Normtypen nicht verwischt wird.34 Zugleich ist es für den Bürger leicht(er) erkennbar, welche Bestimmungen Grundrechte und daher mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar sind.35 Klarstellend wirken Normen wie Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsVerf und Art. 53 Nr. 7 M-VVerf, die abschließend diejenigen Vorschriften aufzählen, die mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar sind.36 Gleiches gilt für die Verwendung amtlicher, zum jeweiligen Regelungsgehalt passender Überschriften (etwa: Staatsziel Arbeit, nicht: Recht auf Arbeit), wie es bspw. im Fall der sachsen-anhaltinischen Verfassung geschehen ist. Schließlich ist bei der Aufnahme von Staatszielbestimmungen insgesamt Zurückhaltung geboten. Zum einen können die Zielvorgaben ihre Orientierungsund Integrationsfunktion wegen der vielfältigen Wechselwirkungen und Konkurrenzsituationen nur bei sparsamer Verwendung erfüllen.37 Zum anderen blieben die Bundesrepublik Deutschland wie auch ihre Länder andernfalls nicht „in guter Verfassung“: In einer immer dichter gewobenen Zielstruktur lauern Gefahren für den Charakter – und den Charme38 – der Verfassung als normative Grund- und Rahmenordnung des staatlich-gesellschaftlichen Lebens. Zukunftstauglich und zukunftsoffen ist eine Verfassung namentlich dann, wenn sie einen ___________ recht geregelt. In der Verfassungspraxis wurde dieser Weg bislang allerdings noch nicht beschritten. 34 Eine Verankerung von Staatszielbestimmungen im Grundrechtsteil des Grundgesetzes wurde dementsprechend auch von der Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge“ abgelehnt, s. Bericht Sachverständigenkommission, S. 54 Rn. 67, S. 65 Rn. 84. – Einzelne Durchbrechungen lassen sich freilich kaum vermeiden; s. zur Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern oben 3. Kap. unter B. III. 4. 35 Vgl. Dahnke, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 119 (136); Magiera, in: Stern, Wiedervereinigung III, S. 141 (157); Pestalozza, LKV 1995, S. 344 (348); Starck, ZG 7 (1992), S. 1 (23). 36 Vereinzelt (s. etwa Schimpff/Partsch, LKV 1994, S. 47 [49]; Degenhart, in: Stober, HdbSächsStVerwR, § 2 Rn. 21) wird allerdings die Auffassung vertreten, der Katalog des Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsVerf enthalte keine abschließende Aufzählung. Dieser Ansatz greift zu kurz. Er würde in letzter Konsequenz dazu führen, dass auch Bestimmungen, die nicht in jenem Katalog enthalten sind, Prüfungsmaßstab einer Verfassungsbeschwerde sein könnten. Dazu Rincke, Staatszielbestimmungen, S. 69 ff. 37 Zu den Auswirkungen einer hypertrophen Verankerung von Staatszielbestimmungen 8. Kap. unter C. I. 2. und C. II. 2. 38 Die Konzentration einer Verfassung auf das Wesentliche im buchstäblichen Sinn, auf Rahmenvorschriften also, stellt keine Schwäche dar, sondern stärkt die Verfassung (indem ihr die notwendige Flexibilität eingeräumt wird) ebenso wie die auf ihrer Grundlage gebildeten Institutionen.

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Schlussbetrachtungen

gewissermaßen „entzeiteten“ Charakter hat. Wäre sie nicht in diesem Sinne jeweils zeitgemäß, d. h. hinreichend offen und dadurch anpassungsfähig,39 könnte sie ihre normative Leitfunktion als auf Dauer angelegte40 Rahmenordnung nicht erfüllen.41 Allzu schnell veraltend, würde sie (auch in normativer Hinsicht) alsbald hinfällig werden. Verbeugungen vor dem Zeitgeist sollten demnach auch bei der Normierung von Staatszielbestimmungen unterbleiben.

___________ 39 Die Flexibilität einer Verfassung basiert auf ihrer Offenheit: Eine Verfassung „kann keine geschlossene Ordnung sein“, sie „muss notwendigerweise lückenhaft bleiben“, s. Stern, Staatsrecht I, S. 83 f. Diese normative Offenheit dient nicht zuletzt dazu, Gubernative und einfachem Gesetzgeber den notwendigen Spielraum für eigenverantwortliche Gestaltung zu belassen, s. BVerfGE 50, 290 (338); Hesse, Grundzüge, Rn. 22; skeptisch Böckenförde, AöR 106 (1981), S. 580 (599): „Offenheit der Verfassung bedeutet [...] Nichtgebundenheit durch die Verfassung“. – Unbegrenzt können jene Offenheit und Weite freilich nicht sein: Das, „was nicht offen bleiben soll“ (Hesse, Grundzüge, Rn. 24 ff.), muss die Verfassung dezidiert regeln; vgl. Wahl, Staat 20 (1981), S. 485 (507); Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), S. 337 (341). 40 s. Henke, Staat 20 (1981), S. 580 (589); vgl. Scheuner, in: Hennis u.a., Regierbarkeit II, S. 102 (123): „Entwurf für die Zukunft, die Vorzeichnung eines Rahmens für eine längere Dauer“. – Eine gewisse Dynamisierung des Verfassungsrechts ist gleichwohl nicht zu übersehen (dazu mit Blick auf die Staatszielbestimmungen 6. Kap. unter D.). Starke Betonung des Dynamischen der Verfassung bereits bei Schenke, AöR 103 (1978), S. 566 (566 f.); vgl. Steinberg, JZ 1980, S. 385 (388 ff.): in Teilbereichen „permanenter Revisionsbedarf“. Dezidiert für auf die Verfassung bezogenes Prozessdenken Häberle, Verfassungslehre, S. 117 (194), der einem Verfassungsbegriff „in Gestalt eines Sowohl-Als-Auch von materialen und prozessualen Momenten“ anhängt; vgl. dessen Monographie „Verfassung als öffentlicher Prozess“. 41 Allg. zur Flexibilität als Voraussetzung für die Dauerhaftigkeit einer Verfassung Stern, Staatsrecht I, S. 87 f., 100: Die Verfassung „muss genügend Elastizität aufweisen, um die Wirklichkeit in sich aufnehmen und verarbeiten zu können“; vgl. Benda, NJW 1995, S. 2470 (2470); Schenke, AöR 103 (1978), S. 566 (585 ff.). – Eine Verfassung darf nie für den Augenblick geschrieben werden; vgl. H. H. Klein, DVBl. 1991, S. 729 (735): „Plan für die Zukunft“.

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Sachwortverzeichnis

abstrakte Staatszielbestimmungen siehe Staatszielbestimmungen, abstrakte Abwägung 394f., 463f., 474 Aufgabennormen (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~) 78f. Auslegung – bundesrechtskonforme ~ (siehe auch Kollisionsvermeidung) 107f., 195, 208

Bundesrat (siehe auch Bundesstaat) – Bindung der Mitglieder des ~s an Landesverfassungsrecht? 310ff. – als Herzstück föderaler Politikverflechtung 310f. – als Vertretung der Landesregierungen 310 Bundesrechtskonforme Auslegung siehe Auslegung, bundesrechtskonforme Bundesstaat (siehe auch Staatlichkeit)

– gemeinschaftsrechtskonforme ~ (siehe auch Kollisionsvermeidung) 190f., 217

– Begriff 47

– verfassungskonforme ~ 92, 101, 217

– des Grundgesetzes

Bestand an Staatszielbestimmungen siehe Staatszielbestimmungen, Verankerung Bestandteilsnormen des Grundgesetzes (siehe auch Kollisionsvermeidung) 60 Bildungsziele siehe Erziehungsziele

– Geschichte des deutschen ~s 47ff.

– Doppelte Integrationsnatur 55f. – Eingeflochtensein in die EU/ EG (siehe auch Drei-EbenenModell; Rechtsordnung) 56f., 184 – Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder 50f. – im völkerrechtlichen Verkehr 54f.

Bundesländer (deutsche)

– Kompetenz-Kompetenz des Gesamtstaats 50

– und Europäische Integration (siehe auch Bundesstaat) 54ff.

– Kompetenzordnung 50, 195ff.

– Partnerschaften zwischen alten und neuen Ländern 380f.

– Legitimation 51f. – Unitarisierung 55f., 197

Sachwortverzeichnis – Politikverflechtung 56, 311 Bundesstaatsprinzip siehe Bundesstaat Bundestreue siehe Grundsatz der ~ Bundeszwang 50f.

585

– Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (siehe auch Kollisionsvermeidung) 53f., 189, 211 – Souveränitätspanzer des Staates 213

Bürgerzielbestimmung siehe Staatszielbestimmung, Bindungswirkung

– Subsidiaritätsprinzip (siehe auch Kollisionsvermeidung) 55, 189f., 210f., 256

Demokratieprinzip

Einheit der Rechtsordnung siehe Rechtsordnung

– Begriff 266f. – Mehrheitsprinzip 267 – plebiszitäre Elemente 267, 472 Divergenzen siehe Zieldivergenzen Drei-Ebenen-Modell von EU/EG, Bundesrepublik Deutschland und deutschen Ländern (siehe auch Rechtsordnung; Verfassungsrecht) – Begriff 47ff., 57 – Gleichwertigkeit der Ebenen? 56ff.

Einheit der Verfassung siehe Grundsatz der ~ Einrichtungsgarantien (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~) 72f., 76 – institutionelle Garantien 72 – Institutsgarantien 72 Erziehungsziele (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~n; Staatszielbestimmungen, Abstützung im Rahmen der ~) 81f., 111

– Integrationsnatur des Bundesstaates siehe Bundesstaat

EU (siehe auch EG)

– Inter-Ebenen-Sicht 43, 58

– Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten 55, 262

– Intra-Ebenen-Sicht 43, 58

– Drei-Säulen-Modell 52f.

– als konzeptionelle Matrix 47ff.

– einheitliche Organverfassung 53

Drei-Säulen-Modell siehe EU

– „Herren der Verträge“ 53f., 62

Durchgriffsnormen des Grundgesetzes (siehe auch Kollisionsvermeidung) 201ff., 384f.

– Kompetenz-Kompetenz 53f., 56, 62 – Prozess der Vertiefung 56, 447 – Rechtspersönlichkeit 52

EG (siehe auch Gemeinschaftsrecht; EU)

– Staatenverbund 53, 56, 61, 184, 192

– eigenständige Hoheitsgewalt 53

– Ziel der europäischen Integration 57

– Gemeinschaftstreue siehe Grundsatz der ~

Europarecht siehe Gemeinschaftsrecht

586

Sachwortverzeichnis

Exekutive siehe Staatszielbestimmungen, Bindungswirkung; überschießende Staatszielbestimmungen, Auswirkungen auf die Funktionentektonik exekutiver Föderalismus siehe Föderalismus

Föderalismus – exekutiver ~ 55 – kooperativer ~ 55f. – länderidentitätswahrende Bedeutung des ~ 52 – als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung 57

Gebot praktischer Konkordanz siehe Zielkonkurrenz, Lösung

gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung siehe Auslegung, gemeinschaftsrechtskonforme gemeinschaftsrechtskonforme Fortbildung mitgliedstaatlichen Rechts (siehe auch Kollisionsvermeidung) 191 Gemeinschaftstreue siehe Grundsatz der ~ Gesetzesvorbehalt siehe Staatszielbestimmungen, Verknüpfung mit einem ~; Staatszielbestimmungen, Zielverwirklichung und Vorbehalt des Gesetzes Gesetzgebungsaufträge (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~n) 66ff., 82, 92, 220f., 238f. Gliedstaaten siehe Bundesländer Grundgesetz siehe Verfassungsrecht im Drei-Ebenen-Modell

gemeingliedstaatliches Verfassungsrecht siehe Verfassungsrecht im Drei-Ebenen-Modell

Grundkonsens siehe Verfassung

Gemeinschaftsrecht (siehe auch EG)

Grundpflicht (siehe auch Staatszielbestimmungen, Verknüpfung mit einer ~) 110, 296

– als eigene Rechtsordnung 183f. – Landesblindheit des ~s 55, 209f. – Vorrang des ~s (siehe auch Kollisionsentscheidung) – als Beförderung der Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen 194 – Eingreifen auch gegenüber dem Grundgesetz 212 – Herleitung 193f.

Grundrechte (siehe auch Soziale Grundrechte; Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~n) – Begriff 68ff. – Drittwirkung 96 – objektiv-rechtliche Dimension 70 Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung siehe EG

– Rechtsfolge 217f.

Grundsatz der Bundestreue (siehe auch Kollisionsvermeidung)

– Voraussetzungen für das Eingreifen 212ff.

– als Ausfluss des Bundesstaatsprinzips 206f.

Sachwortverzeichnis

587

– Rechtsfolge eines Verstoßes 207, 210, 231f.

– Rechtsfolge für homogenitätswidriges Landesrecht 227ff.

– Verpflichtungsadressaten 206f., 231

– Verpflichtungsadressat 203

– Verpflichtungsinhalt 206f., 210, 231

– Verpflichtungsinhalt 203f., 226f.

Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung siehe Rechtsordnung

innerföderative Verflechtung siehe Föderalismus, kooperativer

Grundsatz der Einheit der Verfassung 205, 389, 393, 395

institutionelle Garantien siehe Einrichtungsgarantien

Grundsatz der Gemeinschaftstreue (siehe auch Kollisionsvermeidung)

Institutsgarantien siehe Einrichtungsgarantien

– Rechtsfolge eines Verstoßes 212

Integration siehe EU

– Verpflichtungsadressaten 190, 211f. – Verpflichtungsinhalt 190, 211f.

Inter-Ebenen-Sicht siehe Drei-EbenenModell

Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 88

Intra-Ebenen-Sicht siehe Drei-EbenenModell

Grundsatz der getrennten Verfassungsräume siehe Verfassungshoheit der Länder Grundwerte (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~n) 81

„Herren der Verträge“ siehe EU Homogenitätsklausel des Grundgesetzes (siehe auch Kollisionsvermeidung) – als Anerkennung und Begrenzung der Verfassungshoheit der Länder 202 – als Forderung eines Mindestmaßes an Homogenität 202f. – als negative Kompetenznorm 202f.

Judikative siehe Staatszielbestimmungen, Bindungswirkung; überschießende Staatszielbestimmungen, Auswirkungen auf die Funktionentektonik Jurisdiktionsstaat (siehe auch überschießende Staatszielbestimmungen, Auswirkungen auf die Funktionentektonik) 70, 471

Kollisionsentscheidung – Derogation bundesrechtswidrigen Landesverfassungsrechts? 241ff. – Mechanismus der ~ im Verhältnis von

– als Normativbestimmung 203f.

– Bundes- und Gemeinschaftsrecht 193f., 212ff.

– als objektiv-rechtliches Verfassungsgebot 202

– Landes- und Bundesrecht 208f., 232ff.

588

Sachwortverzeichnis

– Landes- und primärem Gemeinschaftsrecht 210, 251f.

Kompetenzausübungsschranke im Verhältnis von

– Landes- und sekundärem Gemeinschaftsrecht 210f., 252

– Bundes- und Gemeinschaftsrecht 189f., 211f.

– Normenkollision als Voraussetzung 187f.

– Landes- und Bundesrecht 206f., 231f.

– Rechtsfolge für

– Landes- und Gemeinschaftsrecht 210, 251

– bundesrechtswidriges Landesverfassungsrecht 241ff. – gemeinschaftsrechtswidriges Bundesrecht (siehe auch Gemeinschaftsrecht, Vorrang des Gemeinschaftsrechts) 217f. – mit primärem Gemeinschaftsrecht kollidierendes Landesrecht 251f. – mit sekundärem Gemeinschaftsrecht kollidierendes Landesrecht 252 – Suspension bundesrechtswidrigen Landesverfassungsrechts 243ff. Kollisionsnormen siehe Kollisionsentscheidung; Kollisionsvermeidung

Kompetenznormen (siehe auch Kollisionsvermeidung; Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~) – Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. den Grundrechten 201f., 230f. – Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG 202f., 226ff. – Artt. 70 ff. GG 195ff., 220ff. – Art. 142 GG 204ff., 229f. – Begriff 77, 219ff. – Durchgriffsnormen 201f. – Kompetenzverteilung des EU- und des EG-Vertrags (siehe auch Kollisionsvermeidung) 191f. – negative ~ 195

Kollisionsvermeidung

– positive ~ 195

– Mechanismen im Verhältnis von – Bundes- und Gemeinschaftsrecht 189ff.

Kompetenzordnung im Bundesstaat des Grundgesetzes siehe Bundesstaat

– Landes- und Bundesrecht 195ff.

Konkurrenzen siehe Zielkonkurrenz

– Landes- und Gemeinschaftsrecht 203f.

kooperativer Föderalismus siehe Föderalismus

– Rechtsfolge eines Verstoßes 187f., 189f., 195, 204f., 210ff., 219f., 251 Kompetenz-Kompetenz – im Bundesstaat siehe Bundesstaat – in der EU siehe EU

Kulturhoheit der Länder (siehe auch Bundesstaat des Grundgesetzes) 428 ff., 434 Landesverfassungsrecht siehe Verfassungsrecht im Drei-Ebenen-Modell

Sachwortverzeichnis Legislative siehe Staatszielbestimmungen, Bindungswirkung; überschießende Staatszielbestimmungen, Auswirkungen auf die Funktionentektonik

Maßgabevorbehalt siehe Staatszielbestimmungen, Verknüpfung mit einem Gesetzesvorbehalt; Staatszielbestimmungen, Zielverwirklichung und Vorbehalt des Gesetzes Mehrheitsprinzip siehe Demokratieprinzip

normative Bedeutung – Anknüpfungspunkt für ein Erstarken der virtuellen normativen Bedeutung landesverfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen zu aktueller normativer Bedeutung 243ff., 251 – Staatszielbestimmungen im Bereich Auswärtiges und Verteidigung – BaWüVerf 303f., 305ff. – BbgVerf 303ff., 306, 307ff., 314 – Grundgesetz 261f. – HessVerf 302f. – Staatszielbestimmungen im Bereich Bildung und Kultur – BaWüVerf 286f., 289, 290ff.

589

– Grundgesetz 263 – Staatszielbestimmungen im Bereich Heimat 317f. – Staatszielbestimmungen im Bereich Minderheitenschutz 316f. – Staatszielbestimmungen im Bereich Soziales – BaWüVerf 265ff., 283, 284f. – BbgVerf 269, 279ff., 283f., 285f. – Grundgesetz 255ff. – HessVerf 269ff. – Staatszielbestimmungen im Bereich Umweltschutz – BaWüVerf 295, 297f. – BbgVerf 295f., 297f. – Grundgesetz 257f. – HessVerf 293ff., 296f. – Staatszielbestimmungen im Bereich Wirtschaft und Finanzen – BaWüVerf 299 – BbgVerf 299, 300ff. – Grundgesetz 258ff. – HessVerf 300 Normenkollision siehe Kollisionsentscheidung (siehe auch Rechtsordnung, Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung)

– BbgVerf 287ff., 289ff., 291ff. – HessVerf 291 – Staatszielbestimmungen im Bereich Gleichstellung der Geschlechter – BbgVerf 315f.

Optimierungsgebote (siehe auch Staatszielbestimmungen als ~) 388f.

Politikverflechtung siehe Bundesstaat

590

Sachwortverzeichnis

Politikziele siehe Staatszielbestimmungen als ~ Praktische Konkordanz siehe Zielkonkurrenz, Lösung Prinzipien (siehe auch Regeln; Staatsstrukturprinzipien) – Prinzipienkonkurrenzen 389 – Unterscheidung von ~ und Regeln (siehe auch Zielkonkurrenz, Lösung) 388f. Programmsätze (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~n) – Abgrenzung zu Gesetzgebungsaufträgen 67f. – Begriff 67f.

nem Gesetzesvorbehalt; Staatszielbestimmungen, Zielverwirklichung Regeln (siehe auch Prinzipien) – Regelkonkurrenzen 389 – Unterscheidung von ~ und Prinzipien (siehe auch Zielkonkurrenz, Lösung) 388f.

soziale Grundrechte (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~n) – Begriff „~ i.e.S.“ 74f. – Begriff „~ i.w.S.“ 75f. – und Schutznormlehre 76f. Souveränitätspanzer des Staates siehe EG

Qualifizierungen von Staatszielbestimmungen siehe Staatszielbestimmungen, qualifizierte

spezielle Staatszielbestimmungen siehe Staatszielbestimmungen, spezielle Staatenverbund siehe EU

Rechtsordnung – Grundsatz der Einheit der ~ – im Bundesstaat 185f. – im unitarischen Staatsaufbau 185f. – und Art. 31 GG 240 – und bundesrechtskonforme Auslegung des Landesrechts 208 – und Lösung von Zielkonkurrenzen 391

Staatlichkeit – Bund 48 – Länder 48ff. – und Souveränität 49 Staatsaufgaben (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~) 78f. Staatsfundamentalnormen (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~) 82

– Verzahnung der ~en im DreiEbenen-Modell 183ff., 194

Staatsqualität der Länder siehe Staatlichkeit (siehe auch Bundesstaat; Föderalismus)

Regelungsvorbehalt siehe Staatszielbestimmungen, Verknüpfung mit ei-

Staatsstrukturprinzipien (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgren-

Sachwortverzeichnis zung zu ~; Staatszielbestimmungen, Abstützung in den ~) 80 Staatszielbestimmungen – Abgrenzung zu – Aufgabennormen 79 – Einrichtungsgarantien 72f. – Erziehungszielen 82 – Gesetzgebungsaufträgen 66f. – Grundrechten 69ff. – Grundwerten 81 – Kompetenznormen 77 – Programmsätzen 67f. – Schutzpflichten des Staates 70f. – soziale Grundrechte 74ff. – Staatsaufgaben 79 – Staatsfundamentalnormen 82 – Staatsstrukturprinzipien 80

591 Zielgefüge, Auswirkungen) 352, 361

– im Zuge der Grundrechtsschranken (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 352, 360f. – in der Revisionssperrklausel (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 347, 361f. – in den Staatsstrukturprinzipien (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 347, 364f. – Adressaten im Drei-Ebenen-Modell (siehe auch Staatszielbestimmungen, Bindungswirkung) – Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes 383ff. – landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen 387f.

– Staatszwecken 80f.

– als Abwägungsmaßstab 93f., 95, 98

– Verfassungsaufträgen 82

– als Auslegungsmaßstab

– abstrakte ~ (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) – Auswirkungen auf die Kontrolldichte 95 – im GG 350f. – in der BaWüVerf 356ff. – in der BbgVerf 368ff. – in der HessVerf 350f. – Spielraum für die Umsetzung 85f. – Abstützung – im Rahmen der Erziehungsziele (siehe auch Unterschiede im

– für einfaches Gesetzesrecht 92f., 95, 97f. – für Verfassungsrecht 92f., 95 – Bindungswirkung (siehe auch Staatszielbestimmungen, Adressaten im Drei-Ebenen-Modell) – Exekutive 65, 87ff. – Gesellschaft bzw. Bürger? 95ff. – Judikative 65, 94f. – Legislative 65, 84ff. – Definition 63ff. – als „dirigierende Verfassungsgehalte“ 64f.

592

Sachwortverzeichnis

– Divergenzen siehe Zieldivergenzen

– Erfolgsaussichten 100f., 104f.

– als Durchgriffsnormen 384f.

– Handeln des Gesetzgebers 99ff.

– als Dynamisierung des Verfassungsrechts 64, 375

– Nichthandeln des Gesetzgebers 102ff.

– als Element einer objektiven Ordnung 230

– Umfang der Kontrolldichte 95

– ermessensleitende Funktion 93, 95, 98 – Flankierung durch subjektive Rechte (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 347f., 352, 370ff. – Formulierung als – Anstrebens- oder Hinwirkensklausel (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 347, 353, 364 – „besonderer“ Schutzauftrag (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 348, 360 – Förderauftrag (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 348, 353, 362 – Pflicht (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 359 – subjektives Recht (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 359, 346f., 352 – als Garantie des status quo? 86f., 477f. – als Gestaltungsauftrag 65

– Kollisionen von ~ siehe Zielkollision (siehe auch Zieldivergenzen) – als Konkretisierungsauftrag 83ff. – Konkurrenzen von ~ siehe Zielkonkurrenz – mittelbare Drittwirkung 96f. – normative Bedeutung der ~ siehe normative Bedeutung – als Optimierungsgebote (siehe auch Zielkonkurrenz, Lösung) 390ff. – als permanenter Handlungsauftrag 64f. – als Politikziele 307f. – als Prinzipien (siehe auch Zielkonkurrenz, Lösung) 389f. – qualifizierte ~ (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) – Arten von Qualifizierungen 85 – Auswirkungen auf die Kontrolldichte 95 – Spielraum für die Umsetzung 85f. – spezielle ~ (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) – im GG 350f.

– Gewichtung der ~ siehe Zielkonkurrenz, Lösung

– in BaWüVerf 356ff.

– Justitiabilität von ~ mit Blick auf

– in BbgVerf 368ff.

– Akte der Verwaltung 97f.

– in HessVerf 350f.

Sachwortverzeichnis – überschießende ~ siehe überschießende Staatszielbestimmungen (siehe auch Zieldivergenzen)

– Präambel (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 347, 354, 365

– unmittelbare Drittwirkung? 95f.

– RhPfVerf 130ff.

– Verankerung der ~

– SaarlVerf 138ff.

– BayVerf 123ff.

– SaAnVerf 160ff.

– BaWüVerf (siehe auch überschießende ~; Unterschiede im Zielgefüge, Bestandsaufnahme; Zielkollision, Bestandsaufnahme) 150ff.

– SächsVerf 154ff.

– BbgVerf (siehe auch überschießende ~; Unterschiede im Zielgefüge, Bestandsaufnahme; Zielkollision, Bestandsaufnahme) 164ff. – BerlVerf 177ff. – BremVerf 134ff. – Grundgesetz (siehe auch überschießende ~; Unterschiede im Zielgefüge, Bestandsaufnahme; Zielkollision, Bestandsaufnahme) 114ff.

593

– SchlHVerf 141ff. – ThürVerf 173ff. – vordere Stelle im Haupttext (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 348f., 354f., 365f. – verfassungsgerichtliche Kontrolle siehe ~, Justitiabilität – verfassungspolitische Wertung der ~ 516ff. – als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen 65, 92f., 96f. – Verknüpfung (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) mit

– HbgVerf 149f. – HessVerf (siehe auch überschießende ~; Unterschiede im Zielgefüge, Bestandsaufnahme; Zielkollision, Bestandsaufnahme) 120ff. – Hintere Stelle im Haupttext (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen) 348f., 354f., 365f. – M-VVerf 170ff. – NdsVerf 146ff. – NRWVerf 143ff.

– der verfassungsmäßigen Ordnung 348, 358, 372f. – einem Gesetzesvorbehalt 348, 358, 372f. – einer Grundpflicht 361 – Verpflichtungsadressaten siehe ~, Bindungswirkung; ~, Adressaten im Drei-Ebenen-Modell – Wirksamkeit der ~ siehe normative Bedeutung – Zielgefüge siehe Unterschiede im Zielgefüge

594

Sachwortverzeichnis

– Zielkollisionen siehe Zielkollision – Zielverwirklichung – Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers hinsichtlich des „Wie“ der Zielverwirklichung 84ff. – Einschätzungsprärogative der Gubernative hinsichtlich des „Wie“ der Zielverwirklichung 91 – und Abwägungsfehler 395 – und Vorbehalt des Gesetzes (siehe auch Zielkonkurrenz, Lösung) 83f., 87f., 91f., 94, 412f. – und Vorbehalt des Möglichen (siehe auch Zielkonkurrenz, Lösung) 460f., 520 – unter dem Vorbehalt der Verwirklichung anderer ~ (siehe auch Zielkonkurrenz, Lösung) 390f., 395 – als Zug unserer Zeit 182, 517f. Staatszwecke (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~n) 80f., 182 Subsidiaritätsprinzip siehe EG

– Auswirkungen auf das Sozialstaatsprinzip 477f. – Auswirkungen auf die Funktionentektonik – Stärkung der Judikative zu Lasten der Exekutive 469ff. – Stärkung der Judikative zu Lasten der Legislative 464ff. – Auswirkungen auf die Grundrechte 473ff. – Bestandsaufnahme bei Gegenüberstellung von Grundgesetz und – BaWüVerf 333ff. – BbgVerf 336ff. – HessVerf 329ff. – Definition 109 – edukatorische Funktion der ~ 481f. – als Impulswirkung für die Politik 480f. – normative Steuerungskraft im Bereich – Auswärtiges und Verteidigung 447ff. – Bildung und Kultur 428ff. – Minderheitenschutz 451

überschießende Staatszielbestimmungen (siehe auch Staatszielbestimmungen; Zieldivergenzen) – Abgrenzung zu

– Soziales 418ff. – Umweltschutz 437ff. – Wirtschaft und Finanzen 444ff.

– Unterschieden im Zielgefüge 105

– als Teil des verfassungspolitischen Wettbewerbs im Bundesstaat 478ff.

– Zielkollisionen 105

Unterschiede im Zielgefüge (siehe auch Zieldivergenzen)

– Auswirkungen auf Ansehen und Akzeptanz der Verfassung 455ff.

– Abgrenzung zu

Sachwortverzeichnis – überschießenden Staatszielbestimmungen 105 – Zielkollisionen 105 – Auswirkungen der – abstrakten Staatszielbestimmungen 408ff. – Abstützung im Rahmen der Erziehungsziele 412 – Abstützung im Zuge der Grundrechtsschranken 410f. – Abstützung in den Staatsstrukturprinzipien 403 – Abstützung in der Revisionssperrklausel 403f. – Anzahl der je Absatz verankerten Staatszielbestimmungen 406f. – Anzahl der je Artikel verankerten Staatszielbestimmungen 406f. – Flankierung durch subjektive Rechte 410f. – Formulierung als Anstrebensklausel 399f. – Formulierung als „besonderer“ Schutzauftrag 402 – Formulierung als Förderauftrag 398f. – Formulierung als Hinwirkensklausel 399f. – Formulierung als Pflicht 401f. – Formulierung als subjektives Recht 400f. – Qualifizierungen 407f. – speziellen Staatszielbestimmungen 408ff.

595

– Verankerung im Haupttext – an hinterer Stelle 405f. – an vorderer Stelle 405f. – Verankerung in der Präambel 404f. – Verknüpfung mit der verfassungsmäßigen Ordnung 412 – Verknüpfung mit einem Gesetzesvorbehalt 412f. – Verknüpfung mit einer Grundpflicht 411 – Bestandsaufnahme bei Gegenüberstellung von Grundgesetz und – BaWüVerf 352ff. – BbgVerf 359ff. – HessVerf 346ff. – Definition 109f.

Verfassung (siehe auch Verfassungsrecht im Drei-Ebenen-Modell) – als Ausdruck einer bestimmten Identität 375f. – Informationsfunktion 453f. – als normative Grund- und Rahmenordnung 223, 463, 518, 521f. – und Grundkonsens 375f. Verfassungsaufträge (siehe auch Staatszielbestimmungen, Abgrenzung zu ~n) 82, 112 Verfassungsautonomie der Länder siehe Verfassungshoheit der Länder; siehe auch Bundesstaat Verfassungsgerichtliche Verfahren (siehe auch Staatszielbestimmungen, Justitiabilität)

596

Sachwortverzeichnis

– abstrakte Normenkontrolle 100f., 102f. – konkrete Normenkontrolle 100f., 102f. – Organstreit 102 – Verfassungsbeschwerde 99f., 103f., 521 Verfassungshoheit der Länder

– Ebene des Gesamtstaats 58f. – gemeingliedstaatliches Verfassungsrecht 60f. – normative Bedeutung – Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes 255ff. – landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen 264ff.

– Begrenzung durch Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG 202f., 226f.

– und Verfassungswirklichkeit 452f., 456f.

– Begründung 58f.

Verflechtung siehe innerföderative Verflechtung

– Grundsatz der getrennten Verfassungsräume von Bund und Ländern 59 – in die Landesverfassungen hineinwirkendes Bundesrecht? 59f. – Spannungsfeld zwischen der ~ und dem Postulat der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung im Bundesstaat 186

Verzahnung der Rechtsordnungen im Drei-Ebenen-Modell siehe Rechtsordnung Vorbehalt des Gesetzes siehe Staatszielbestimmungen, Verknüpfung mit einem Gesetzesvorbehalt; Staatszielbestimmungen, Zielverwirklichung und ~

– und Anwendungsbereich des Art. 31 GG 234

Vorbehalt des Möglichen siehe Staatszielbestimmungen, Zielverwirklichung und ~

– und Grundrechte der Landesverfassungen 204f., 229

Vorrang des

– und Rechtsfolge des Art. 31 GG 243ff. verfassungskonforme Auslegung siehe Auslegung, verfassungskonforme verfassungsmäßige Ordnung (siehe auch Staatszielbestimmungen, Verknüpfung mit der ~) 202f., 265ff. Verfassungsrecht (siehe auch DreiEbenen-Modell; Verfassungshoheit der Länder) – Ebene der (deutschen) Länder 58f. – Ebene der EU/EG 61

– Bundesrechts (siehe auch Kollisionsentscheidung) 208f. – Gemeinschaftsrechts siehe Gemeinschaftsrecht, Vorrang – Gesetzes 88 Weimarer Reichsverfassung 47f., 67, 121, 123f., 181, 200, 209, 241, 452 Wesentlichkeitslehre 84 Wiedervereinigung – Einigungsvertrag 48, 290, 292f., 434

Sachwortverzeichnis – Bildung der neuen Länder 48 – sozio-ökonomische Lage nach der ~ 380 – Wiedervereinigungsgebot 114, 481

597

– Bestandsaufnahme bei Gegenüberstellung von Grundgesetz und – BaWüVerf 322ff., – BbgVerf 324ff. – HessVerf 321f.

Zieldivergenzen – Auswirkungen der ~ siehe überschießende Staatszielbestimmungen; Unterschiede im Zielgefüge; Zielkollision – Begriff (siehe auch überschießende Staatszielbestimmungen; Unterschiede im Zielgefüge; Zielkollision) 105 Zielgefüge (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge) – Begriff 111f. – Zuweisung des Platzes im ~ – grammatische Instrumentarien 110 – systematische Instrumentarien 110f. Zielkollision (siehe auch Zieldivergenzen) – Abgrenzung zu – überschießenden Staatszielbestimmungen 105 – Unterschieden im Zielgefüge 105 – Zielkonkurrenzen 112f. – Auswirkungen auf

– Definition 105 – Begriff „~ i.e.S.“ 107 – Begriff „~ i.w.S.“ 108 – normative Steuerungskraft der inkongruenten Aspekte der kollidierenden Staatszielbestimmungen im Bereich – Auswärtiges und Verteidigung 497 – Gleichstellung der Geschlechter 497f. – Umweltschutz 490ff. – Wirtschaft und Finanzen 496 – Umfang des divergierenden Bindungsinhalts der kollidierenden Staatszielbestimmungen im Bereich – Auswärtiges und Verteidigung 488 – Gleichstellung der Geschlechter 488f. – Soziales 484 – Umweltschutz 484ff. – Wirtschaft und Finanzen 487 Zielkollision i.e.S./i.w.S. siehe Zielkollision, Bestandsaufnahme; Zielkollision, Definition

– Bindungswirkung kollidierender Staatszielbestimmungen 483f.

Zielkonflikt siehe Zielkonkurrenz

– Zielgefüge 500f.

Zielkonkurrenz (siehe auch Unterschiede im Zielgefüge, Auswirkungen; Zielkollision, Auswirkungen)

– Zielkonkurrenzen 501f.

598

Sachwortverzeichnis

– Abgrenzung zur Zielkollision 112f. – Definition 112 – Erfolgsaussichten der verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Gewichtung 415f. – generelle Rangordnung zwischen Staatszielbestimmungen? 391f. – Lösung der ~ – durch fallbezogene Gewichtung der Staatszielbestimmungen 391ff. – Kriterien für die Gewichtung 396f. – praktische Konkordanz 392f., 394f.

– und Einheit der Rechtsordnung 391f. – Maßstab für die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Gewichtung 415f. – und Zielkonflikt 112 – Voraussetzungen einer ~ – Adressatengleichheit der Staatszielbestimmungen 383ff. – Anwendbarkeit der Staatszielbestimmungen 382f. – Einschlägigkeit der Staatszielbestimmungen 383 Zielverwirklichung siehe Staatszielbestimmungen, Zielverwirklichung

SUMMARY Time and time again, the provisions of the Basic Law of the Federal Republic of Germany containing the national objectives are the subject of constitutional debate at both the federal and state levels. In this context, Daniel Hahn examines not only the content and normative significance of these objectives for the federal State integrated into Europe, but also the implications of divergent aims. His remarks take a specifically normativedogmatic approach. Hahn first presents the current catalogue of national objectives contained in the Basic Law and the state constitutions. In the second section, he analyses the mechanisms for preventing and resolving collisions of norms in the network of federal states, the Federal Republic of Germany and the EC / EU, before he discusses the normative significance of the individual objectives. The third section continues on this basis, examining divergencies amongst the objectives and their implications. An important insight here is the turn toward a more narrative form of constitutionalism: the State is often unable to transform such noble objectives into tangible action.

RÉSUMÉ Les définitions de l’objectif de l’Etat sont depuis toujours le sujet de discussions qui portent sur des questions de la Constitution et qui ont lieu au niveau et de la République fédérale et des Länder. C’est dans ce contexte que Daniel Hahn s’occupe non seulement de la question de savoir ce que ces objectifs préfixés contiennent et ce qu’ils signifient sur le plan normatif dans le cadre de l’Etat fédéral européen et intégré mais il s’occupe aussi des conséquences des divergences inhérentes à ces objectifs fixés par avance. L’exposé est fondé sur une base spécifiquement dogmatique en ce qui concerne les normes. Tout d’abord, Hahn fait l’inventaire actuel des définitions de l’objectif de l’Etat comme elles sont fixées dans la constitution allemande et dans les constitutions des Länder. Avant de démontrer la signification normative de ces définitions de l’objectif de l’Etat, il fait – dans la deuxième partie – l’analyse des mécanismes qui résolvent et évitent les collisions dans le lacis des Länder, de la République fédérale d’Allemagne et de la Communauté Européenne. Cette deuxième partie est la base de la troisième partie qui s’occupe des divergences mentionnées et de leurs conséquences. Là, une conclusion importante sera la propension à un constitutionalisme de caractère plutôt narratif: très souvent, l’Etat ne peut pas faire suivre des actions à ses nobles objectifs.