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German Pages 300 Year 2014
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1271
Einheitlicher Ansprechpartner und effet utile im deutschen Bundesstaat Von
Kati Quaas
Duncker & Humblot · Berlin
KATI QUAAS
Einheitlicher Ansprechpartner und effet utile im deutschen Bundesstaat
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1271
Einheitlicher Ansprechpartner und effet utile im deutschen Bundesstaat
Von
Kati Quaas
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen.
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Für C. und V. – voller Liebe und Dankbarkeit
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013/2014 von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Februar 2014 berücksichtigt. Zweck dieser vor die Klammer gezogenen Zeilen soll es sein, an einige Menschen Worte des Dankes zu richten. Hierzu gehört zunächst Herr Univ.-Prof. Dr. Andreas Musil, der den wesentlichen Impuls für die Befassung mit der Dienstleistungsrichtlinie gab und die Entstehung der Arbeit durch größtmögliche Offenheit gegenüber meinen Ideen und einer überaus unkomplizierten Betreuung enorm gefördert hat. Auch danke ich ihm und darüber hinaus Herrn Univ.-Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt für die besonders zügige Erstellung der beiden Gutachten. Nicht unerwähnt soll zudem an dieser Stelle Herr Univ.-Prof. Dr. Klaus Rogall bleiben, an dessen Lehrstuhl an der Freien Universität Berlin ich die Zeit während der Entstehung meiner Arbeit verbracht habe. Ich danke ihm dafür, dass er es mir ermöglicht hat, insoweit „zweigleisig“ zu fahren, um neben der Befassung mit dem Strafrecht dem Öffentlichen Recht Raum zu geben. Abgesehen davon hat mir die langjährige Arbeit an seinem Lehrstuhl überhaupt erst die Bedeutung der wissenschaftlichen Befassung mit juristischen Fragestellungen vermittelt. Nicht denkbar wäre das Unterfangen jedoch ohne die Unterstützung meines privaten Umfeldes gewesen. Hierzu zählt natürlich allem voran meine Familie, die mich – nicht nur während der Erstellung der Arbeit, sondern hinsichtlich meiner gesamten bisherigen juristischen Ausbildung – mit nicht enden wollender Geduld unterstützt hat. Dank gebührt weiterhin Frau Ass. iur. Theresa Fessler, deren unglaubliche Akribie ganz maßgeblich zur Beseitigung nicht weniger orthographischer und grammatischer Wirrungen beigetragen hat. Von Herzen danken möchte ich schließlich Frau Ass. iur. Sara Zacharias. Als Kollegin am Lehrstuhl hat sie der Entstehung der Arbeit buchstäblich „beigewohnt“, hat mit mir die „Höhen“ und „Tiefen“ des wissenschaftlichen Arbeitens durchlebt, mir mit viel Offenheit, Humor und Wärme über die eine oder andere mentale Blockade hinweg geholfen und mich bewusst und unbewusst immer wieder motiviert – lean in! Empfertshausen, im Februar 2014
Kati Quaas
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A. Einführung und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Kapitel 1 Methodologische Grundlegung: Zur Auslegung im Unionsrecht, insbesondere zum effet utile
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A. Auslegung: „Rekonstruktion des dem Gesetze innewohnenden Gedankens“ . . . . . . . . 27 B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Europäische Methodenlehre im Werden und methodisches Gerüst der Arbeit . . . 27 II. Die Auslegungsmethoden im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. „Auslegung des Rechts“ durch den Gerichtshof und „dynamischer“ Charakter des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 b) Bedeutung im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Bedeutung im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 5. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Bedeutung im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 aa) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Art. 3 EUV als Grundnorm der Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 cc) Exkurs: Der Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Unionsrechtliche Spezifika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Begriff und vorliegende Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Wesen und methodischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
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Inhaltsverzeichnis c) Inhalt: Prinzip des maximalen Nutzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 aa) „Praktische Wirksamkeit“ gegen „volle Wirksamkeit“? . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Tendenzen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 d) Begrenzung des effet utile im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (1) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (2) „Zielvorrang“ bei der Auslegung einer Einzelermächtigung . . . . . . 49 (3) Effet utile als Prinzip des maximalen Nutzens und Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung – Widerspruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 bb) Das Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (1) Kompetenzausübungsschranke im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EUV . . . 50 (a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (b) Materielle Konkretisierungen/Positiv- und Negativkriterium . . . 51 (2) Allgemeiner Rechtsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (3) Antagonistisches Verhältnis zum effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 cc) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (1) Allgemeiner Rechtsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (2) Kompetenzausübungsschranke im Sinne des Art. 5 Abs. 4 EUV . . . 56 (3) Materielle Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (a) Ähnlichkeit zur deutschen Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (b) Prüfmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (aa) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (dd) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (4) Adressaten des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . 64 (5) Verhältnismäßigkeit als Auslegungsdirektive: Beschränkung des effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 dd) Resümée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 e) Ergebnis zum effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 f) Effet utile-Rechtsprechung: Effektivitäts- und Äquivalenzgebot . . . . . . . . . . 67 aa) Das Effektivitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Das Äquivalenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Implied powers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Begriff und Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Methodischer Ansatz: Kompetenzauslegung statt Kompetenzerweiterung . . 70 c) Unterscheidung von geschriebenen Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 d) Verhältnis zu den Vertragszielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 e) Unterschied und Verhältnis zum effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Inhaltsverzeichnis
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f) Begrenzung inhärenter Kompetenzen durch Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 C. Im Speziellen: Die Auslegung einer Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Exkurs: Sekundäres Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 76 II. Effet utile und Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Teleologische Auslegung und Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 IV. Primärrechtskonforme und richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 D. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
Kapitel 2 Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
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A. Auslegung der „Einheitlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I. Auslegung nach Wortlaut und engerem System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Mögliche begriffliche Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Objektives Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 aa) Tätigkeitsbezogene Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (1) „Einheitlichkeit“ des Leistungsportfolios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (2) Verfahrensrechtliche Rolle des Ansprechpartners: „Einheitliche“ Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 bb) Konzeptionsbezogene Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 cc) Mengenbezogene Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Subjektivierung des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Andere Sprachfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Historie, weitere Systematik und Teleologie unter Zugrundelegung des effet utile 89 1. Subjektives Begriffsverständnis: Telos des Art. 6 DLRL und der Dienstleistungsrichtlinie selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Sinn und Zweck der Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 aa) Hintergrund: Von der „Lissabon-Strategie“ zur Dienstleistungsrichtlinie 90 bb) Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 cc) Folgerungen für die Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Sinn und Zweck des Art. 6 DLRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 c) Auswirkungen auf das subjektive Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Folgen für die objektiven Dimensionen der „Einheitlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Tätigkeitsbezogene Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Konzeptionsbezogene Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 c) Mengenbezogene Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
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Inhaltsverzeichnis III. Inhaltliche Konkretisierung des subjektiven Verständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Identisches Leistungsportfolio jedes Ansprechpartners (tätigkeitsbezogene Dimension) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Keine Vorgaben für Implementierung und verfahrensrechtliche Rolle des Ansprechpartners (konzeptionsbezogene Dimension) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Wahlrecht hinsichtlich der Kontaktierung des Ansprechpartners (mengenmäßige Dimension) – Folge des effet utile im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Idee eines „echten“ Wahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Kein Entgegenstehen sonstiger Richtlinienvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Absicherung dieses Ergebnisses durch das Subsidiaritätsprinzip im weiteren Sinne 106 1. Nachweisbarer Vorteil für die Integration des Binnenmarktes für Dienstleistungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Verhältnismäßigkeit des subjektiven Verständnisses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
B. Probleme, die sich aus dieser Auslegung auf Unions- und auf nationaler Ebene ergeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Unionsebene: Kompetenz zum Erlass entsprechender Vorgaben? . . . . . . . . . . . . . 108 II. Nationale Ebene: Wahlrecht des Dienstleisters und föderales System der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Überblick über die Umsetzungsaktivitäten in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Folge: „Uneinheitlichkeit“ der einheitlichen Ansprechpartner . . . . . . . . . . . . . 111 3. Bedeutung des Wahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Denkbare Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Forderungen der Praxis nach effektiverer Richtlinienumsetzung: „Einheitliche Ansprechpartner der zweiten Generation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 C. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Kapitel 3 Die Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
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A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) . . . . . . . . . 116 I. Ansatz der Kritik in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 II. Erläuternde Bemerkungen zur begrenzten Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Zweck: Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit . 118 a) Konkretisierte Zwecksetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) „Erleichterung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) „Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Inhaltsverzeichnis
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2. Mittel: „Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ . . . . . . . . . . 121 a) Begriff der Koordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Koordinierungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Extensives Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Keine Kongruenz von Absatz 1 und Absatz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Einschränkungsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Erwägungen des EuGH im Tabakwerbe-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Tabakwerbe-Rechtsprechung als Maßstab bei der Heranziehung von Binnenmarktkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Relevante Feststellungen des Gerichtshofs im Einzelnen . . . . . . . . . . . . 127 b) Lösungsvorschläge in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Stellungnahme unter Berücksichtigung der entwickelten Dogmatik zum effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 aa) Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit als Restriktionsgrößen . . . . . . . . 132 bb) Kriterien von Rechtsprechung und Literatur als taugliche Restriktionsbemühung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 III. Überprüfung der Vorschriften um den einheitlichen Ansprechpartner . . . . . . . . . . 134 1. Mittels einheitlichen Ansprechpartnern angestrebter Zweck . . . . . . . . . . . . . . . 134 2. Konkreter Koordinierungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Koordinierende Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) Einheitlicher Ansprechpartner: Regelungen im Bereich von Verwaltungsverfahren und -organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Subsumtion anhand der herausgearbeiteten Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Problem: einheitlicher Ansprechpartner als „Umfeldmaßnahme“ . . 138 (2) Heranziehung von implied powers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (3) Vorliegendes Problem als Aspekt der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . 141 bb) Verhältnismäßigkeit einer die Verpflichtung zur Einführung einheitlicher Ansprechpartner legitimierenden Auslegung von ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (1) Legitimer Zweck/Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (2) Erforderlichkeit/Angemessenheit: Unzulässiger Eingriff in die Verwaltungsautonomie der Mitgliedstaaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (a) Autonomieverlust durch entsprechende Auslegung der Kompetenznorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (aa) Grundsatz der Verwaltungsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (bb) Eingriff durch die Verpflichtung zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (cc) Intensität des Eingriffs: „Kernbereich“ der Verwaltungsautonomie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (a) Nationale Identität i.S.d. Art. 4 Abs. 2 EUV (ex-Art. 6 Abs. 3 EUV) als „Kernbereich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
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Inhaltsverzeichnis (b) Kernbereich durch einheitliche Ansprechpartner nicht berührt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (w) Zwischenergebnis: Eingriff minderer Intensität . . . . . . . 154 (b) Dem gegenüberstehender Integrationsgewinn . . . . . . . . . . . . . . . 155 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
B. Kompetenzausübungsschranken: Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . 156 I. Das Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Negativ- und Positivkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Legitimer Zweck/Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3. Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 C. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Kapitel 4 Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern und die Grenzen ihrer Verbandskompetenz
165
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung des einheitlichen Ansprechpartners in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Die „einheitliche Stelle“ nach §§ 71a ff. VwVfG als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . 165 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Umsetzung des Modells eines „Verfahrensmittlers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Simultangesetzgebung der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 II. Die Verortung der einheitlichen Ansprechpartner als Aufgabe der Bundesländer . 168 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland: Kammerlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Berlin, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt: Lösungen auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen: Kommunales Modell . . . . . . . . . . . . . 169 d) Bremen: Beleihung Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 e) Schleswig-Holstein: Kooperationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Die einzelnen Modelle im Fokus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Kammermodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 aa) Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 cc) Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
Inhaltsverzeichnis
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dd) Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 ee) Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 ff) Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Landesmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 cc) Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 dd) Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 ee) Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 ff) Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Kommunalmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 d) Beleihung Privater: Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 e) Besonderes Kooperationsmodell: Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern, insbesondere: die Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 I. Grundsätzliches zur Kompetenz im Staats- und Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . 186 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Verbands- und Organkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Örtliche und sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3. Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Typus „Verbandskompetenz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Bedeutung: Zuweisung von Aufgaben und Abgrenzung von Wirkkreisen . . 189 b) Zuordnungssubjekte der Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Bund und Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 bb) Verbände der mittelbaren Staatsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (1) Körperschaften des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (a) Gemeinden und Gemeindeverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (b) Wirtschafts- und Berufskammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (2) Rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (3) Beliehene Privatrechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 c) Überschreitung der Verbandskompetenz und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Überschreitung der Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (1) Verwaltung durch die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (2) Verwaltung durch Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (a) „Sachliche“ Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (b) „Personelle“ Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
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Inhaltsverzeichnis (c) „Räumliche“ Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (3) Verwaltung durch Wirtschafts- und Berufskammern . . . . . . . . . . . . 204 (a) Vorbetrachtung: Problem demokratischer Legitimation . . . . . . . 204 (aa) Fehlende personelle Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (bb) Überblick über die vertretenen Legitimationsmodelle . . . . . 205 (a) „Enges“ Legitimationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (b) „Erweiterte“ Legitimationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (b) „Sachliche“ Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (c) „Personelle“ Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (aa) Grundsätzliche Beschränkung auf das „Verbandsvolk“ . . . . 211 (bb) Problem des Tätigwerdens gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . 212 (a) Vertretene Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (b) Hinnehmbarkeit des Drittbezugs: Ausübung von Staatsgewalt mit nur geringem Entscheidungsgehalt . . . . . . . . 213 (w) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (d) „Räumliche“ Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (4) Verwaltung durch Verwaltungsträger ohne Selbstverwaltungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 bb) Folgen der Überschreitung nach Handlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (1) Verbandskompetenzwidriger Erlass eines Einzelaktes . . . . . . . . . . . 219 (2) Verbandskompetenzwidriges schlichtes Verwaltungshandeln . . . . . . 221 II. Kompetenzgrenzen der einzelnen einheitlichen Ansprechpartner . . . . . . . . . . . . . 224 1. Einordnung der Tätigkeiten des einheitlichen Ansprechpartners . . . . . . . . . . . . 224 a) Verfahrensabwicklung und Informationsbereitstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Schlichtes Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 c) Behörde im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 d) Insgesamt: legitimationsbedürftiges Handeln im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Kompetenzgrenzen nach Modellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Kammermodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 aa) „Funktionale“ Selbstverwaltungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 bb) Hinnehmbarkeit des Drittbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 cc) Räumliche Wirkkreise der einzelnen Kammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Landesmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 c) Kommunalmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 d) WFB Bremen als Beliehene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 e) EAG SH als Anstalt des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Zusammenfassung zu den Kompetenzgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Maßgeblichkeit des § 3 Abs. 1 Nr. 2 (L)VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Inhaltsverzeichnis
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C. Problem: Keine Korrelation zur „Einheitlichkeit“ im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 D. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Kapitel 5 Die mögliche Umsetzung eines „echten“ Wahlrechts im nationalen Recht
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A. Verbandsübergreifendes Handeln nach geltendem Recht: § 71d (L)VwVfG? . . . . . . . 251 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Reichweite der ermöglichten Verbandsüberschreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Länder mit konkretisierter Unterstützungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Andere Länder und Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3. Unterstützungspflicht als Anknüpfungspunkt für ein „echtes“ Wahlrecht? . . . . 254 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 B. Lösungsansatz de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 I. Ausgangsüberlegung: Vorzugswürdigkeit einer „kleinen“ Lösung . . . . . . . . . . . . 256 II. Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung in den EA-Gesetzen der Länder . . . 257 III. Lösungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. „Direktes Modell“: Kontakt zwischen einheitlichem Ansprechpartner und sämtlichen zuständigen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Überschreitung der Zuständigkeitsgrenzen im Bundesland . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Überschreitung der Zuständigkeitsgrenzen zwischen den Bundesländern . . 261 2. „Indirektes Modell“: „front office“ zum „front office“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 IV. Probleme der Lösungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Demokratische Legitimation der Wirtschafts- und Berufskammern . . . . . . . . . 264 2. Kommunale Selbstverwaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 a) Aufgabenentzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Aufgabenüberbürdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Mischverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 a) Mischverwaltung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 b) Mischverwaltung durch „echtes“ Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 4. Konkurrenzverhältnis zwischen den Kammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 C. Ergebnis zu Kapitel 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
Abkürzungsverzeichnis ABl. (I) Abs. aE AEUV ähnl. Alt. Anm. AöR Art. BayLT-Drs. BayVBl. BayVerf. BayVwVfG BB BbgLT-Drs. BGB BGBl. I BGH BlnAbgeordnetenhaus-Drs. BlnLWG BR BRAO BremBürgerschaft-Drs. BremVwVfG bspw. BT BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BWLT-Drs. bzgl. bzw. CMLR d. h. ders./dies. DLRL dort.
Amtsblatt (Teil I) Absatz am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ähnlich Alternative Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Drucksache des Landtags Bayern Bayerische Verwaltungsblätter Bayerische Verfassung Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz Betriebsberater (Zeitschrift) Drucksache des Landtags Brandenburg Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I Bundesgerichtshof Drucksache des Berliner Abgeordnetenhauses Landeswahlgesetz Berlin Bundesrat Bundesrechtsanwaltsordnung Drucksache der Bremischen Bürgerschaft Bremisches Verwaltungsverfahrensgesetz beispielsweise Bundestag Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) Drucksache des Landtags Baden-Württemberg bezüglich beziehungsweise Common Market Law Review (Zeitschrift) das heißt derselbe/dieselbe(n) Dienstleistungsrichtlinie dortige(n)
Abkürzungsverzeichnis DÖV Drs. DVBl. EA EA-Gesetze EG EGKS EGV Einf. Einl. ELR endg. etc. EuGH EuGH/EuG Slg. EuGRZ EuR EURATOM EUV EuZW EWG EWGV EWS ex-Art. f. ff. Fn. FS GA/GAin GBl. GebG NRW GebGBbg GemO GemO BW GewArch GewO ggf. GkG NRW GmbH GO Bay GO NRW GRP GS GV.NRW GVBl. GVBl. I
19
Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt einheitlicher Ansprechpartner Gesetze der Länder über die einheitlichen Ansprechpartner Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführung Einleitung European Law Review (Zeitschrift) endgültig et cetera Europäischer Gerichtshof Sammlung der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts der Europäischen Union Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht (Zeitschrift) Europäische Atomgemeinschaft Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) ex-Artikel folgende (Singular) folgende (Plural) Fußnote Festschrift Generalanwalt/Generalanwältin Gesetzblatt Gebührengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen Gebührengesetz für das Land Brandenburg Gemeindeordnung Gemeindeordnung Baden-Württemberg Gewerbearchiv Gewerbeordnung gegebenenfalls Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit des Landes Nordrhein-Westfalen Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeindeordnung Bayern Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz- und Verordnungsblatt Teil I
20 GVBl.LSA GVOBl. M-V HbgGebG HLT-Drs. HmbBürgerschaft-Drs. HmbGVOBl. HmbVwVfG Hrsg. Hs. HVwVfG HwO i. e.S. i.S.d. i.V.m. i.w.S. IfSG IHK(s) IHKG insbes. Jura JuS JZ Kap. KommJur krit. KrO NW lit. LKrO Bay LKrO BW LKRZ LKV LSALT-Drs. LT LVerfGE LVwG LVwVfG (L)VwVfG m. m. Einschr. m.w.N. MVLT-Drs. Nachw. Nds.GVBl. NdsGO NdsLT-Drs. NdsVBl.
Abkürzungsverzeichnis Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Sachsen-Anhalt Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Hamburgisches Gebührengesetz Drucksache des Landtags Hessen Drucksache der Hamburger Bürgerschaft Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz Herausgeber Halbsatz Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz Handwerksordnung im engeren Sinne im Sinne der/des in Verbindung mit im weiteren Sinne Infektionsschutzgesetz Industrie- und Handelskammer(n) Industrie- und Handelskammergesetz insbesondere Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Kapitel Kommunaljurist (Zeitschrift) kritisch Kreisordnung Nordrhein-Westfalen littera bzw. litterae Landkreisordnung Bayern Landkreisordnung Baden-Württemberg Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen/RheinlandPfalz/Saarland Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Drucksache des Landtags Land Sachsen-Anhalt Landtag Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein Landesverwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder mit mit Einschränkung(en) mit weiteren Nachweisen Drucksache des Landtags Mecklenburg-Vorpommern Nachweis(e) Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Niedersächsische Gemeindeordnung Drucksache des Landtags Niedersachsen Niedersächsische Verwaltungsblätter
Abkürzungsverzeichnis NdsVerf. NJW NKomVG NordÖR Nr. NRW Verf NRWLT-Drs. NVwKostG NVwZ NWVBl. o. o. ä. OLG OVG NW OVGE
RhPfLT-Drs. Rn. Rs. Rspr. S. s. SaarlGebG SaarLT-Drs. SächsGVBL: SächsLT-Drs. SHLT-Drs. StBerG StWuStP ThürAGIHKG ThürKO ThürLT-Drs. ThürLWG ThürVBl. ThürVwVfG u. u. a. u. U. v. v. a. verb. Verf.
21
Niedersächsische Verfassung Neue juristische Wochenschrift Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz Zeitschrift für Öffentliches Recht Norddeutschland Nummer(n) Nordrhein-Westfälische Verfassung Drucksache des Landtags Nordrhein-Westfalen Niedersächsisches Verwaltungskostengesetz Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter oben oder ähnliches Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg mit Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen und des niedersächsischen Staatsgerichtshofs (zitiert nach Band und Seite) Drucksache des Landtags Rheinland-Pfalz Randnummer(n) Rechtssache Rechtsprechung Satz bzw. Seite siehe Saarländisches Gebührengesetz Drucksache des Landtags des Saarlandes Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Drucksache des Landtags Sachsen Drucksache des Landtags Schleswig-Holstein Steuerberatergesetz Staatswissenschaften und Staatspraxis (Zeitschrift) Thüringer Ausführungsgesetz zum Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern Thüringer Kommunalordnung Drucksache des Landtags Thüringen Landeswahlgesetz Thüringen Thüringer Verwaltungsblätter Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz unten und andere bzw. unter anderem unter Umständen vom bzw. von vor allem verbundene Verfasser
22 Verf.BW Verw VerwArch vgl. VwGO VwVfG VwVfG M-V VwVfG NRW WiVerw ZDF StV ZEuP ZfZ ZgS ZSE zust.
Abkürzungsverzeichnis Verfassung des Landes Baden-Württemberg Die Verwaltung (Zeitschrift) Verwaltungsarchiv vergleiche Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsverfahrens-, Zustellungs- und Vollstreckungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Staatsvertrag über die Errichtung der gemeinnützigen Anstalt des öffentlichen Rechts „Zweites Deutsches Fernsehen“ Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften zustimmend
Einleitung A. Einführung und Problemstellung Die Dienstleistungsrichtlinie entstammt bereits dem Jahr 2006.1 Bis zum Ende des Jahres 2009 war sie umzusetzen.2 Dass es sich um einen äußerst progressiven, in diesem Umfang bisher noch nicht da gewesenen Ansatz zur Verwaltungsmodernisierung in den Mitgliedstaaten handelt, ist bereits hinlänglich bekannt und soll vorliegend nicht noch einmal im Einzelnen dargestellt werden. Die wesentliche Neuerung, die der Dienstleistungsrichtlinie zu verdanken ist, ist die auf Art. 6 DLRL beruhende Einführung der Institution „einheitlicher Ansprechpartner“. Mit ihrem Einzug in das Verwaltungsrechtssystem der Bundesrepublik wurde nicht nur in praktischer Hinsicht sondern auch rechtlich eine grundlegend neue Einrichtung implementiert. Ein den sachlich zuständigen Behörden vorgeschaltetes „Front Office“, über das die gesamte Kommunikation zwischen Bürger und Behörden abgewickelt wird, war dem deutschen Verwaltungsrecht bisher fremd. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Umsetzungsbemühungen von äußerst spannenden Rechtsfragen begleitet worden sind, die in all ihren Nuancen auch Gegenstand vielfältiger wissenschaftlicher Beschäftigung waren und sind. Im Fokus stand immer wieder die Frage nach der am besten geeigneten Verortungsoption, was in der Bundesrepublik deshalb von besonderem Interesse war, weil die Materien des Verwaltungsverfahrens und der Verwaltungsorganisation nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung im Wesentlichen Sache der Länder sind. Ganzheitliche Überlegungen zu den Vorzügen und Nachteilen der einzelnen Umsetzungsvarianten mussten daher den 16 individuellen Lösungsvorstellungen weichen, die sich vielmehr an den jeweiligen Voraussetzungen und der Leistungsfähigkeit der einzelnen Bundesländer orientierten. Die Idee, dem Dienstleister einen einzigen Ansprechpartner an die Hand zu geben, der diesen durch das gesamte, mit seinem Vorhaben einhergehende Verfahren lotst und diesem buchstäblich mit Rat und Tat zur Seite steht, ist an sich als ein großer, sogar überragender Fortschritt ausdrücklich zu begrüßen. Jedoch, und das wird bereits aus der hier erfolgten kursorischen Darstellung deutlich, scheint der dem deutschen Staatsaufbau zugrunde liegende Föderalismus nicht gerade den idealen Rahmen zu bieten, um ein solches Vorhaben umzusetzen. Dass eine – wie auch immer interpretierte – „Einheitlichkeit“ des Ansprechpartners ins Wanken geraten kann, wenn sich 16 eigenständige Verbände einer Umsetzung annehmen, ist in der 1 „Richtlinie 2006/123/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt“, ABl. L 376/36 ff. v. 27. 12. 2006. 2 Vgl. Art. 44 Abs. 1 DLRL.
24
Einleitung
Literatur schon des Öfteren angeklungen.3 Nicht thematisiert wurde dagegen, dass die in Deutschland nunmehr erfolgte Umsetzung jedoch tatsächlich mit dem Gedanken der Einheitlichkeit, so wie er der Dienstleistungsrichtlinie vorschwebt, nicht vereinbar sein könnte. Dies ist aus mehreren Gründen verwunderlich: Zunächst deshalb, weil schon die Anzahl von mehr als 300 einheitlichen Ansprechpartnern, die es mittlerweile in Deutschland gibt, zumindest Anlass zu kritischer Auseinandersetzung hätte bieten müssen. Doch nicht nur dieser eher praktische Gesichtspunkt, sondern schon die bloße Heranziehung unionsrechtlicher Dogmatik begründet ernstliche Zweifel an einer richtlinienkonformen Umsetzung. Namentlich geht es um das effet utile-Prinzip, welches insbesondere innerhalb der Auslegung unionsrechtlicher Normen wirkt und demgemäß ganz wesentlich die Interpretation einer Richtlinie bestimmt. Schließlich verwundert, dass die Effektivität der Richtlinienumsetzung nicht im Zusammenhang mit der stets betonten besonderen Regelungsintensität der Dienstleistungsrichtlinie in dem hier darzustellenden Umfang thematisiert worden ist. Dass die Richtlinie besonders weitreichende und besonders konkrete Vorgaben zur Verwaltungsmodernisierung macht, wurde umfassend beleuchtet und dominierte die wissenschaftliche Literatur insbesondere nach Bekanntwerden des Richtlinienvorschlags. Dies führte sogar dazu, dass vermehrt Zweifel an der Kompetenz der Union zum Erlass solch weitgehender Vorschriften wie der um den einheitlichen Ansprechpartner laut wurden.4 Anhand der folgenden Untersuchung soll gezeigt werden, dass die in der Bundesrepublik erfolgte Umsetzung der Art. 6 ff. DLRL dann, wenn das effet utilePrinzip tatsächlich ernst genommen wird, dem hinter der „Einheitlichkeit“ stehenden Sinn und Zweck nicht gerecht wird. Es geht konkret darum, die scheinbar unterschätzte Diskrepanz zwischen dem unionsgesteuerten Versuch, eine möglichst nutzerfreundliche, einheitliche Rechtslage herzustellen und dem föderalistischen Prinzip der Bundesrepublik darzustellen. Damit einher geht die Frage, ob die Union überhaupt befugt ist, solch weitgehende Vorgaben wie die zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner zu treffen. Die Untersuchung erhält dadurch einen besonderen praktischen Bezug, dass jüngst die Europäische Kommission in einer Mitteilung zum Stand der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie vom Juni 20125 einige Defizite bei der Errichtung der einheitlichen Ansprechpartner in den Mitgliedstaaten moniert und bis zum Ablauf des Jahres 2014 unter anderem eine Nachbesserung unter dem Stichwort „Ansprechpartner der zweiten Generation“ angemahnt hat.6 In der Mitteilung wird 3 s. bspw. Ernst, DVBl. 2009, 953 (959); Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (56 f.); Ziekow, GewArch 2007, 179 (182); Windoffer, NVwZ 2007, 495 (498). 4 s. insbes. Scholz, FS Bauer, S. 169 (172 ff.). 5 Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“. 6 Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“, S. 13.
B. Gang der Untersuchung
25
insbesondere betont, die Mitgliedstaaten müssten es künftig gewährleisten, dass die Richtlinie ihre volle Wirksamkeit entfalten könne.7
B. Gang der Untersuchung Im Ausgangspunkt (Kapitel 1) steht die methodologische Grundlegung für die sich anschließende Auslegung des Art. 6 DLRL. Dabei wird eine umfassende Betrachtung der unionsrechtlichen Auslegungsmethodik erfolgen, bei welcher der effet utile als dominierendes Prinzip herauszustellen sein wird. Im Anschluss daran (Kapitel 2) wird das Begriffsverständnis herausgearbeitet, das der „Einheitlichkeit“ im Sinne des Art. 6 DLRL zugrunde zu legen ist und es wird dargestellt, welche Folgen sich für eine mögliche nationale Errichtung der einheitlichen Ansprechpartner daraus ergeben. Daraus resultierend soll der Frage nachgegangen werden, ob die Union überhaupt die Kompetenz zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, einheitliche Ansprechpartner in diesem Sinne zu errichten, besitzt (Kapitel 3). Im Folgenden (Kapitel 4) wird der Fokus auf die nationale Umsetzung in der Bundesrepublik gerichtet. Hier werden zunächst die einzelnen, in den Bundesländern implementierten Modelle dargestellt. Sodann geht es darum, die konkreten Grenzen aufzuzeigen, an die die einzelnen einheitlichen Ansprechpartner kompetenzmäßig stoßen, wobei der Kategorie der Verbandskompetenz tragende Bedeutung zukommt. Abschließend (Kapitel 5) wird ein Vorschlag unterbreitet werden, wie die Herstellung eines richtlinienkonformen Zustandes erfolgen könnte.
7 Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“, S. 3.
Kapitel 1
Methodologische Grundlegung: Zur Auslegung im Unionsrecht, insbesondere zum effet utile Dieses Kapitel soll die methodische Basis für die daran anschließende Untersuchung des einheitlichen Ansprechpartners legen. Dazu ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Auslegung des Rechts der Europäischen Union erforderlich. Denn nur dann, wenn feststeht, wie die Interpretation unionsrechtlicher Begrifflichkeit zu erfolgen hat, kann deren weitergehende Betrachtung im nationalen Recht der Bundesrepublik erfolgen. Bezieht man sich auf die Auslegung von „Unionsrecht“, so geht es im Einzelnen selbstverständlich um die Interpretation sowohl des primären als auch des sekundären Rechts. Unter dem „Primärrecht“ versteht man bekannterweise das „Verfassungsrecht“ der Union.8 Es umfasst insbesondere die Verträge, aber auch Rechtsquellen wie ungeschriebene Rechtsgrundsätze oder rechtlich erhebliche Protokolle und Erklärungen.9 Das Primärrecht bildet deshalb quasi die „Verfassung“ der Union. Als Sekundärrecht wird dagegen dasjenige Recht bezeichnet, welches die Organe der Union in Ausübung ihrer aus dem Primärrecht folgenden Zuständigkeiten setzen.10 Es handelt sich folglich um derivatives Recht. Auch die Richtlinie zählt zum sekundären Unionsrecht. Die vorliegenden Ausführungen beziehen sich weitestgehend auf Rechtsnormen beides Ursprungs. Wegen der Ausrichtung der Arbeit auf die Dienstleistungsrichtlinie muss im Verlauf der Darstellung summa summarum allerdings die Auslegung sekundären Unionsrechts im Vordergrund stehen.
8
Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rn. 27 ff.; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 1 AEUV Rn. 4. 9 Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 1 AEUV Rn. 4; Hobe, EuropaR Rn. 10/6; differenzierend Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/20, der die ungeschriebenen Rechtsgrundsätze hierarchisch zwischen dem Primär- und dem Sekundärrecht ansiedelt. s. zu den allgemeinen – geschriebenen und ungeschriebenen – Rechtsgrundsätzen des Primärrechts beispielhaft die Nachw. bei Seyr, S. 50 Fn. 189. 10 Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 1 AEUV Rn. 4; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rn. 27 ff.; Hobe, EuropaR Rn. 10/19; Herdegen, EuropaR Rn. 9/4; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/19.
A. Auslegung
27
A. Auslegung: „Rekonstruktion des dem Gesetze innewohnenden Gedankens“11 Vornehmliches Instrument der juristischen Methodik ist die Auslegung. Darunter ist die abstrakte Ermittlung des Inhalts einer Rechtsnorm,12 die Erhellung eines Gesetzes- oder Vertragsinhalts13 zu verstehen. „Auslegen“, so ist es bei Larenz/ Canaris14 zu finden, „ist ein vermittelndes Tun, durch das sich der Auslegende den Sinn eines Textes, der ihm problematisch geworden ist, zum Verständnis bringt.“ Der EuGH führt in seinem Urteil in der Rechtssache Amministrazione delle finanze dello stato/Denkavit Italiana15 folgendermaßen aus: „Durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts (…) wird erläutert und erforderlichenfalls verdeutlicht, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist (…).“16
Um zu verstehen, was eine Rechtsnorm zum Ausdruck bringen will, bedarf es der genauen Durchleuchtung ihres Textes. Dies ist unabdingbare Voraussetzung ihrer Anwendung. Denn nur, wer verstanden hat, kann (das Verstandene) anwenden. Die Vorgehensweise ist als Auslegung bezeichnet.
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht I. Europäische Methodenlehre im Werden und methodisches Gerüst der Arbeit Die Europäisierung des Rechts und die damit einhergehende Rechtsvereinheitlichung bedingten und bedingen die Forderung nach einer einheitlichen juristischen Methodik auf der Ebene der Union.17 Dies hat seinen Grund darin, dass Rechtssicherheit als das in jedem Rechtssystem vornehmlich anzustrebende Ziel, nur dann zu erreichen ist, wenn auch eine Anwendungsgleichheit des Rechts gewährleistet ist.18 Doch nur dann, wenn „gleiches“ Recht auch zu „gleichen“ Rechtsfolgen in den 11
Savigny, System des heutigen Römischen Rechts I, S. 213 f. Calliess, NJW 2005, 929. 13 Karl, S. 23; so auch Grundmann, S. 13. 14 Larenz/Canaris, S. 26. 15 EuGH Slg. 1980, 1205 – Amministrazione delle finanze dello stato/Denkavit Italiana. 16 EuGH Slg. 1980, 1205 (1223) Rn. 16 – Amministrazione delle finanze dello stato/ Denkavit Italiana. s. auch die Ausführungen von GA Roemer in dessen Schlussanträgen in der Rs. LTU/MBU (EuGH Slg. 1966, 281 [310]). 17 Berger, ZEuP 2001, 4 ff.; Behrens, EuZW 1994, 289; Fikentscher, S. 784 ff.; Riesenhuber/ders., Rn. 1/2; Herresthal, ZEuP 2009, 598 (601 f.); Colneric, ZEuP 2005, 225 f.; Vogenauer, ZEuP 2005, 234 ff. 18 Herresthal, ZEuP 2009, 598 (601 f.); Colneric, ZEuP 2005, 225. 12
28
Kap. 1: Methodologische Grundlegung
„gleichen“ Sachverhalten führt, liegt tatsächlich Rechtsanwendungsgleichheit vor.19 Letztere ist wiederum Bedingung für die Akzeptanz und das Vertrauen der Bevölkerung in „ihr“ Recht. Die soeben benannten Punkte stellen quasi die Grundpfeiler dar, ohne die ein Rechtssystem nur schwerlich auskommen kann. Unabhängig davon, inwieweit bereits tatsächlich vom Bestehen einer eigenen unionsrechtlichen Interpretationslehre20 gesprochen werden kann, gilt jedenfalls, dass die wissenschaftliche Literatur gegenwärtig intensiv mit der (Weiter-) Entwicklung einer solchen befasst ist.21 Aufgrund der enormen Komplexität eines aus so vielen Nationen bestehenden Rechtssystems wie dem der Union, liegt es auf der Hand, dass die damit einhergehende Diskussion in ihrer Gänze kaum zu erfassen ist. Die folgende Skizzierung soll einen Überblick geben und dient gleichzeitig der Erarbeitung eines eigenen methodischen Gerüsts für an späterer Stelle folgende Überlegungen.
II. Die Auslegungsmethoden im Einzelnen 1. „Auslegung des Rechts“ durch den Gerichtshof und „dynamischer“ Charakter des Unionsrechts Gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV ist der EuGH zur „Auslegung des Rechts“ berufen. Sowohl primäres als auch sekundäres Unionsrecht interpretiert der Gerichtshof im Wesentlichen mittels der der klassischen Methodenlehre folgenden Auslegungsarten, die auch in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Anwendung finden.22 So äußerte sich der EuGH in der Rechtssache Levin23 folgendermaßen: „(D)ie Begriffe (…) werden allerdings in keiner der einschlägigen Bestimmungen ausdrücklich definiert. Ihre Bedeutung muss deshalb unter Rückgriff auf die allgemein aner19 20
Rn. 1. 21
Vogenauer, ZEuP 2005, 234 (235 f.). So jedenfalls Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/168; ähnl. Hager, S. 249
s. etwa die umfassende Untersuchung Adrians, 2009; s. auch Henninger, S. 323 ff.; Herresthal, ZEuP 2009, 598 (601 ff.); Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 ff.; Vogenauer, ZEuP 2005, 234 ff.; Colneric, ZEuP 2005, 225 ff.; Schroeder, JuS 2004, 180 ff.; s. zudem den Überblick bei Buerstedde, S. 104 ff. Die Forderung nach einer „gemeineuropäischen Methodenlehre“ findet sich wohl erstmals bei Häberle, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, EuGRZ 1991, 261 (272) – s. dazu Vogenauer, ZEuP 2005, 235 (240). 22 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Mayer, Art. 19 EUV Rn. 53; HK-EU/Pache, Art. 19 EUV Rn. 16; Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 12; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/168; Riesenhuber/ders., Rn. 11/13; Schulze, in: ders., Auslegung Europäischen Privatrechts, S. 9 (12 f.); Kutscher, S. I-5 ff.; Calliess, NJW 2005, 929; Streinz, ZEuS 2004, 387 (401); Schroeder, JuS 2004, 180 (182); Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 ff.; Zur Auslegungspraxis des EuGH vgl. umfassend Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/ 165 ff.; Seyr, 2008; Buck, 1998; Anweiler, 1997; Grundmann, 1997; Potacs, Auslegung des Gemeinschaftsrechts, 1996. 23 EuGH Slg. 1982, 1035 – Levin.
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
29
kannten Auslegungsgrundsätze, und zwar ausgehend vom gewöhnlichen Sinn der Begriffe in ihrem Kontext und im Lichte der Ziele des Vertrages, ermittelt werden.“24
Mithin geht es um die grammatikalische, die systematische sowie die teleologische Auslegung.25 Wie zu zeigen sein wird, ist allerdings auch die historische Auslegung, auf welche das vorliegende Zitat keinen Bezug nimmt, zumindest nicht bedeutungslos. Hinzu kommt, dass diese Auslegungsarten im Unionsrecht – verglichen mit dem deutschen Recht – jeweils unterschiedlich gewichtet und durch weitere Grundsätze des Unionsrechts ergänzt bzw. spezifiziert werden.26 Wesentlich bei der Interpretation von Unionsrecht ist das Bewusstsein um dessen dynamischen Charakter.27 Das unionale Rechtssystem ist auf Weiterentwicklung angelegt. Bereits den Präambeln zu den Verträgen ist zu entnehmen, dass die Gemeinschaften gerade zum Zweck einer europäischen Integration gegründet wurden28 und diese durch deren stetige Fortentwicklung und einen immer weiteren Zusammenschluss in wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Bereichen vorangetrieben werden soll. Diese Feststellung bleibt aber nun nicht ohne Auswirkung auf die Auslegungspraxis. Ihr ist insofern Rechnung zu tragen, als das Recht an die jeweils im fraglichen Zeitpunkt bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen ist.29 Bei der Auslegung ist also grundsätzlich nicht nach den Gegebenheiten im Zeitpunkt etwa der Schaffung einer Norm zu fragen. Das Recht hat sich an die sich stets weiterentwickelnden Bedürfnisse der Unionsbürger anzupassen;30 es ist jeweils vom aktuellen Entwicklungsstand her zu verstehen.31 Dies muss bei der Auslegung berücksichtigt werden. 24
EuGH Slg. 1982, 1035 (1048) Rn. 9 – Levin. Allgemein zu dem im nationalen Recht verwandten, auf Friedrich Carl v. Savigny zurückzuführenden Auslegungskanon (vgl. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, S. 213 sowie III, S. 244) etwa Kramer, S. 42 ff.; Bydlinski, S. 436 ff.; Larenz/Canaris, S. 141 ff.; Vogel, S. 96 ff., 112 ff. Wirft man einen Blick auf zur Auslegungsmethodik veröffentlichte Beiträge, so lässt sich eine begriffliche Inkongruenz hinsichtlich der einzelnen Auslegungsarten feststellen. Auf die unterschiedlichen Vorschläge einzugehen, erscheint aber zum einen nicht zweckmäßig und ist zum anderen im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch nicht geboten. 26 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 12; Hailbronner/Wilms/Sauer, Art. 220 EGV Rn. 19; HK-EU/Pache, Art. 19 EUV Rn. 16; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/ 168; Calliess, NJW 2005, 929; von dieser Prämisse auch schon ausgehend Schroeder, JuS 1994, 180 ff. 27 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/175; Riesenhuber/ders., Rn. 11/43; Baldus/Vogel, FS Krause, S. 237 (243 f.); Meyer, Jura 1994, 455 (457); Herresthal, ZEuP 2009, 598 (607); vgl. zudem etwa EuGH Slg. 1982, 3415 (3430) Rn. 20 – C.I.L.F.I.T.: „Schließlich ist jede Vorschrift des Gemeinschaftsrechts (…) im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts, seiner Ziele und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift auszulegen.“ 28 So der Beginn der Präambel zum EUV; s. zudem die Texte der Präambeln ganz generell. s. auch Anweiler, S. 238 m.w.N. in Fn. 1084. 29 Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1180). 30 Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1180). 31 Riesenhuber/ders., Rn. 11/43. 25
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
2. Wortlaut In rechtsstaatlichen Ordnungen bildet der veröffentlichte Text einer Rechtsnorm den Ansatzpunkt für ihre Auslegung.32 In der Union, welche sich gemäß Art. 2 S. 1 EUV als rechtsstaatliches Gebilde versteht, kann nichts anderes gelten. Daher bedarf es auch hier vorrangig der Feststellung des natürlichen Sinngehalts der in der Norm verwandten Worte im unmittelbaren Zusammenhang des Satzes.33 Abgesehen davon handelt es sich schon ganz natürlich um eine Selbstverständlichkeit; der Versuch, den Inhalt respektive Sinngehalt eines Textes (sei dieser eine Rechtsnorm oder Sonstiges) zu erfassen, muss logisch am genauen Wortlaut desselben ansetzen. Auch der EuGH verfährt regelmäßig in dieser Weise und knüpft im Rahmen von Auslegungen am Wortlaut an.34 Dabei ermittelt er häufig vorab einer Auslegung, ob der entsprechende Begriff autonom-unionsrechtlich oder in Anlehnung an die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu verstehen ist.35 Es gilt eine Vermutung zugunsten einer unionsrechtlichen Wortbedeutung, da das Unionsrecht ein grundsätzliches Interesse daran hat, einen einheitlichen Maßstab zu schaffen und hinter den sekundärrechtlichen Normen regelmäßig ein unionsspezifisches Konzept steht.36 Das Kernproblem einer grammatischen Auslegung im Unionsrecht ist allerdings die bestehende Sprachenvielfalt.37 Die derzeit 24 geltenden Sprachfassungen sind alle gleichermaßen verbindlich und stehen so paritätisch nebeneinander.38 Es be32
Potacs, EuR 2009, 465 (469). Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/170; Kutscher, S. I-18; Buck, S. 152; Meyer, Jura 1994, 455 (456). 34 Vgl. insbes. Colneric, ZEuP 2005, 225 (227), die bis 2006 als Richterin am EuGH tätig war und so aus der Praxis des Gerichtshofs berichtet; s. auch Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 12 m. Nachw. zur Rspr. in Fn. 40; Riesenhuber/ders., Rn. 11/14 m. Nachw. zur Rspr. in Fn. 32.; Kutscher, S. I-18; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529; Weiler, ZEuP 2010, 861 (862); s. auch Dederichs, Die Methodik des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, EuR 2004, 345 ff., die im Rahmen ihrer Analyse zu dem Ergebnis kommt, dass der Gerichtshof die Wortlautinterpretation weitaus häufiger verwendet als angenommen und dieser daher eine ganz enorme Bedeutung beizumessen sei (S. 349 ff.). Entgegen der Autorin überrascht dieses Ergebnis allerdings nicht, da – unabhängig von der Bedeutung der grammatischen Auslegung innerhalb des Auslegungssystems – jede Auslegung, wie dargestellt, logisch beim Wortlaut anzusetzen bzw. notwendig darauf einzugehen hat. 35 Colneric, ZEuP 2005, 225 (227). 36 Vgl. Riesenhuber/ders., Rn. 11/4 ff., 11/14; Anweiler, S. 165. 37 s. dazu insbes. Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, Die Auslegung der mehrsprachig verbindlichen Rechtstexte durch den Europäischen Gerichtshof, 2004; Weiler, ZEuP 2010, 861 ff. m.w.N. zur umfangreichen Literatur in Fn. 4. 38 Dies ist für das Primärrecht Folge aus Art. 55 Abs. 1 EUV, 358 AEUV. Gleichartige Vorschriften für das Sekundärrecht existieren so nicht. Auf Grundlage einer Vorgängerbestimmung des Art. 342 AEUV wurde allerdings die Verordnung Nr. 1 vom 14. April 1958 erlassen, die festlegt, dass Verordnungen und andere Schriftstücke von allgemeiner Geltung in allen Amtssprachen zu fassen sind. Daraus wird allgemein der Schluss gezogen, dass auch alle Sprachfassungen des Sekundärrechts gleichermaßen authentisiert sind (vgl. zu allem Weiler, ZEuP 2010, 861 [878] m. Nachw. in Fn. 68). 33
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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stehen also stets 24 gleichermaßen autoritative Rechtstexte. Daraus resultiert, dass der Wortlaut einer unionsrechtlichen Norm niemals eindeutig ist, so nicht alle verbindlichen Sprachfassungen berücksichtigt wurden.39 Aus diesem Grund besteht die Notwendigkeit, im Rahmen der Auslegung alle Sprachfassungen miteinander zu vergleichen.40 Nur dann, wenn alle Versionen eine identische Aussage treffen, kann von Eindeutigkeit gesprochen werden. Der Gerichtshof selbst hat das Vergleichspostulat erstmals in seinem Urteil in der Rechtssache Van der Vecht41 expliziert. Im Gegensatz zur heutigen Zeit bestanden damals allerdings nur vier autoritative Sprachen.42 Doch der EuGH hält nach wie vor an dem Gebot des Sprachenvergleichs fest und betonte jüngst: „Nach ständiger Rechtsprechung verbietet es die Notwendigkeit einer einheitlichen Anwendung und damit Auslegung des Gemeinschaftsrechts nämlich, eine Bestimmung im Fall von Zweifeln isoliert in einer ihrer Fassungen zu betrachten; sie muss vielmehr im Licht ihrer Fassungen in den anderen Amtssprachen ausgelegt und angewandt werden.“43
Auch in der europarechtlichen Literatur findet sich immer wieder der pauschale Hinweis darauf, es sei notwendig ein Vergleich zwischen den sprachlichen Fassungen durchzuführen.44 Nicht geklärt wird in der Regel aber, wie genau dies methodisch zu bewältigen sein soll. Es liegt auf der Hand, dass eine textkritische Analyse in 24 Sprachen von kaum einem Rechtsanwender – außer dem EuGH selbst, der über den notwendigen Unterbau und Übersetzungsapparat verfügt –45 geleistet werden kann.46 Es stellt aber nun eine Gefahr für die Rechtssicherheit dar, wenn die methodologischen Anforderungen an die Rechtsfindung derart unrealistisch sind. In der Literatur werden unterschiedliche Lösungsansätze für das dargestellte Problem 39 So auch Weiler, ZEuP 2010, 861 (872). Schon aus diesem Grund taugt auch die aus Frankreich stammende „acte-claire“-Doktrin nicht zur Anwendung im Unionsrecht. Dieser zufolge kann eine Auslegung dort enden, wo der Wortlaut des auszulegenden Textes klar und eindeutig ist (für die Doktrin im Unionsrecht Oppermann/Classen/Nettesheim, Rn. 9/170; ähnl. Leisner, EuR 2007, 689 [701]; ebenfalls dagegen Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 [530, 534]; Anweiler, S. 162 ff.; Buck, S. 161 ff.). 40 EuGH Slg. 1982, 3415 (3430) Rn. 18 – C.I.L.F.I.T. 41 EuGH Slg. 1967, 461 (473) – Van der Vecht. 42 Vgl. ex-Art. 248 EWGV. 43 EuGH Slg. I-2009, 415 (453) Rn. 53 – Cavallera; s. zudem Weiler, ZEuP 2010, 861 (866). 44 Vgl. nur Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 12; Calliess/Ruffert/Wichard/Ruffert, Art. 342 AEUV Rn. 16; Riesenhuber/ders., Rn. 11/15; Anweiler, S. 148 ff.; Grundmann/ Riesenhuber, JuS 2001, 529 (530); Meyer, Jura 1994, 455 (456); anders Grabitz/Hilf/Nettesheim/Mayer, Art. 19 EUV Rn. 53, der bloß darauf hinweist, dass ein entsprechender Vergleich hilfreich sein kann. 45 Weiler, ZEuP 2010, 861 (868). 46 Weiler, ZEuP 2010, 861 (869); Baldus/Vogel, FS Krause, S. 237 (242 f.). s. insbes. auch Kutscher, S. I-19, der zur Verdeutlichung der Problematik das Beispiel eines Vorlagebeschlusses des Sozialgerichts Gelsenkirchen aus dem Jahr 1976 benennt. Selbiges hätte seinen Vorlagebeschluss u. a. damit begründet, dass es sich nicht in der Lage sah, aufgrund der unterschiedlichen, in der Gemeinschaft geltenden Amtssprachen eine textkritische Analyse der in Rede stehenden Bestimmungen einer Verordnung vorzunehmen.
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
präsentiert. Die Palette reicht vom Vorschlag der Reduzierung der Zahl der zu vergleichenden Fassungen bis hin zum gänzlichen Verzicht auf einen Sprachvergleich.47 Dies und zusätzlich die Tatsache, dass es bei einer solchen Vielzahl an Textfassungen wohl kaum zu einem klaren und eindeutigen Ergebnis der grammatikalischen Auslegung kommen wird,48 unterstreicht die Notwendigkeit, die Interpretation maßgeblich auf die anderen Auslegungskriterien, insbesondere die systematische und die teleologische zu fokussieren.49 Zusammenfassend ist daher zur grammatikalischen Auslegung festzuhalten, dass diese im Unionsrecht mit besonderer Vorsicht zu gewichten ist. Zwar gilt auch hier, dass der Wortlaut sowohl den Anknüpfungspunkt als auch die Grenze der hermeneutischen Interpretation (zur Rechtsfortbildung) stellt.50 Dennoch darf aufgrund der Sprachenvielfalt in der Union und der allein schon daraus resultierenden gezeigten Schwierigkeiten eine Auslegung keinesfalls beim Wortlaut enden. Vielmehr sind die Vorschriften in einem weiteren Schritt stets in ihrem systematischen Zusammenhang zu betrachten und nach dem Zweck der Regelung zu deuten.51 3. Historie a) Methodik Hinter der historischen Auslegungsmethode verbirgt sich jene, die in objektiver Hinsicht nach dem Sinn des Gesetzes zur Zeit seiner Entstehung und in subjektiver
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s. insbes. Weiler, ZEuP 2010, 861 (876). So auch Baldus/Vogel, FS Krause, S. 237 (243). 49 EuGH Slg. 1960, 1163 (1194) – Humblet; HK-EU/Pache, Art. 19 EUV Rn. 17; Riesenhuber/ders., Rn. 11/16; Kutscher, S. I-19; Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1180); Streinz, ZEuS 2004, 387 (402); Schroeder, JuS 2004, 180 (182); Baldus/Vogel, FS Krause, S. 237 (247 f.); Baldus, Nach dem Beitritt: Auslegungspraxis und Kerneuropa, GPR 2004, 114. 50 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 12. 51 EuGH Slg. 1960, 1163 (1194) – Humblet; s. auch Calliess/Ruffert/Cremer, Art. 55 EUV Rn. 4; Riesenhuber/ders., Rn. 11/16. In der Literatur findet sich immer wieder der Hinweis, dass der Wortlautauslegung im Unionsrecht auch schon deshalb keine überragende Bedeutung zukommen könne, weil die Kodifikationen unter enormem Zeitdruck und daher mit entsprechend weniger Sorgfalt zustande kämen, s. etwa Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 12, Grundmann, S. 339 sowie insbes. aus den Schlussanträgen des GA Lenz (Slg. 1986, 4011 [4023] Rn. 27 – Kommission/Vereinigtes Königreich): „Soweit aber nach anderen sprachlichen Fassungen sich eher eine Auslegung aufdrängt, (…) muß daran erinnert werden, daß philologische Argumente (…) bei der Ermittlung des Sinnes von Gemeinschaftstexten, die wegen der steigenden Zahl der verwendeten Sprachen (…) nicht in der gleichen Weise vorbereitet werden können wie nationale Kodifikationen, von vorn herein nur ein vermindertes Gewicht haben.“ Dies kann indes nichts an der Tatsache ändern, dass der Wortlaut als Ausgangspunkt einer Auslegung steht. Denn dabei handelt es sich bereits um eine logische Selbstverständlichkeit. 48
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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Hinsicht nach dem tatsächlichen Willen des Normgebers fragt.52 Demgemäß wird auch die objektiv-historische von der subjektiv-historischen Auslegungsmethode unterschieden.53 Als Erkenntnisquellen der historischen Interpretation sind die Gesetzesmaterialien heranzuziehen. b) Bedeutung im Unionsrecht Wie bereits angedeutet, kommt der Auslegung nach der Historie eine gesonderte Rolle im unionsrechtlichen Interpretationsgefüge zu. Gemeint ist damit, dass nicht der gleiche Maßstab anzusetzen ist, wie das im nationalen Recht der Fall ist.54 Während hier die historische Auslegung mit den anderen Auslegungsarten gleichwertig zusammenwirkt,55 bleibt sie im Unionsrecht nach überwiegender Ansicht hinter den anderen Auslegungsarten zurück.56 Für das Primärrecht ergibt sich das bereits aus dem Umstand, dass die entsprechenden Materialien, auf denen die Verträge basieren, nur schwer bzw. partiell überhaupt nicht öffentlich zugänglich sind.57 Während etwa in der Bundesrepublik relativ einfach auf Bundes- und Landtagsdrucksachen, die sowohl in subjektiv- als auch objektiv-historischer Weise Aufschluss geben können, verwiesen werden kann, können entsprechende Dokumente auf Unionsebene nur sehr bedingt herangezogen werden.58 Damit reduziert sich bereits notwendig deren Relevanz. Denn vor allem das Prinzip des Rechtsstaats, auf welchem auch die Union fußt,59 steht einer Verwendung nicht frei zugänglicher Erkenntnisquellen als Auslegungshilfe entgegen.60 Hinzu kommt, dass die Unionsordnung eben als dynamisches, im Lichte der fortlaufenden Integration zu lesendes Gebilde zu verstehen ist. 52 Zusätzlich zählt zur historischen Auslegung auch noch diejenige, die die „Geschichte einzelner Rechtsbegriffe oder Institutionen (…) nachzeichnet“ (vgl. Kutscher, S. I-22). Auf eine Darstellung muss aber im vorliegenden Rahmen verzichtet werden. 53 s. nur Riesenhuber/ders., Rn. 11/9 ff.; Anweiler, S. 88; Baldus/Vogel, FS Krause, S. 237 (243 f.). 54 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 19 EUV Rn. 13; HK-EU/Pache, Art. 19 EUV Rn. 18. 55 s. nur Larenz/Canaris, S. 140, 163 ff. 56 s. nur Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 19 EUV Rn. 13; HK-EU/Pache, Art. 19 EUV Rn. 18; Buck, S. 143 ff.; Anweiler, S. 262; Bredimas, S. 58; Streinz, ZEuS 2004, 387 (401 f.), jeweils m.w.N.; a.A. Leisner, EuR 2007, 689 ff.; ähnl. Riesenhuber/ders., Rn. 11/12, 11/30 ff., 11/50; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (14). 57 s. die Nachw. in Fn. 56. Zudem ist ohnehin problematisch, dass ein einheitlicher Wille aus derart unterschiedlichen und vielfältigen Interessen wie sie dem Prozess des Schlusses der Gründungsverträge anhaften, kaum zu entnehmen ist (s. Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 19 EUV Rn. 13; Kutscher, S. I-22; Anweiler, S. 248). 58 Lutter, JZ 1992, 593 (599). s. auch schon den Schlussantrag des GA Lagrange in der Rs. Fédéchar (EuGH Slg. 1955/56, 197 [254]): „Was den Vertrag (…) angeht, so sind vorbereitende Arbeiten praktisch nicht vorhanden – oder geheim (was auf das gleiche hinausläuft).“ 59 Vgl. Art. 2 S. 1 EUV. 60 Kutscher, S. I-22; Anweiler, S. 249; Buck, S. 143; Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1181).
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
Etwas anders verhält es sich dagegen in Bezug auf sekundäres Unionsrecht.61 Bereits das in Art. 296 Abs. 2 AEUV statuierte Begründungserfordernis bedingt die Zugänglichkeit entsprechender Gesetzgebungsmaterialien. Zu Letzteren zählt die Gesamtheit der sog. travaux préparatoires, d. h. insbesondere auch Vorschläge, Initiativen, Empfehlungen, Anträge oder Stellungnahmen der am Gesetzgebungsvorgang Beteiligten. Ausdruck findet das Begründungserfordernis in den Erwägungsgründen, die Unionsrechtsakten beigefügt werden. Die Motive des Unionsgesetzgebers sind in diesem Bereich also zugänglich. Der EuGH selbst geht daher der historischen Methode im Rahmen der Auslegung sekundären Rechts häufiger nach62 und greift insbesondere auf die Erwägungsgründe zu.63 Dennoch stellt sich die diesbezügliche Argumentation regelmäßig mehr als Hilfsbegründung denn als selbstständige Auslegungsmethode dar,64 speziell wenn der Gerichtshof auf die Entstehungsgeschichte der Norm im Sinne einer Bestätigung des bereits mithilfe der anderen Methoden gefundenen Ergebnisses eingeht.65 Zudem stellt er beispielsweise in ständiger Rechtsprechung die Wahl der richtigen Kompetenzgrundlage durch die EU-Organe betreffend fest, dass „im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Gemeinschaft die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts nicht allein davon abhängen kann, welches nach der Überzeugung eines Organs das angestrebte Ziel ist, sondern sich auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen muß. (…) Zu diesen Umständen gehören insbesondere Ziel und Inhalt des Rechtsakts.“66
Die Bedeutung, die der historischen Auslegungsmethode beizumessen ist, ist daher wie folgt zusammenzufassen: Im Rahmen der Auslegung des Sekundärrechts kommt den travaux préparatoires, insbesondere so, wie sie in den Erwägungsgründen zu den jeweiligen Gesetzgebungsakten zum Ausdruck kommen, eine wichtige Rolle zu. Das folgt vor allem daraus, dass die Begründungserwägungen gemäß Art. 296 Abs. 2 AEUV Teil des Rechtsaktes sind.67 Wegen des dynamischen Charakters des Unionsrechts muss es vordergründig darum gehen, den objektiven Sinn einer Norm zu ergründen; der dahinter stehende Gesetzgeberwille liefert dabei allerdings ganz 61
Seyr, S. 77 f.; Potacs, Auslegung des Gemeinschaftsrechts S. 22 f.; Anweiler, S. 252 ff.; Buck, S. 147 ff.; Kutscher, S. I-23; Streinz, ZEuS 2004, 387 (402). 62 s. etwa EuGH Slg. 1961, 239 (262) – Simon; Slg. 1969, 419 (425) Rn. 5 – Stauder; Slg. 1979, 245 (278) Rn. 6 – Niederlande/Kommission; Slg. I-1998, 3809 (3835) Rn. 28 – Mecklenburg. 63 Z.B. EuGH Slg. I-2002, 11453 (11556) Rn. 6 – Britisch American Tobacco; Slg. I-2004, 10297 (10320) Rn. 25 – Astrada. 64 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 13; Anweiler, S. 263; Lutter, JZ 1992, 593 (599). 65 s. insbes. EuGH Slg. 1969, 419 (425) Rn. 5 – Stauder; Slg. I-1992, 177 (201) Rn. 12 – Egle. 66 EuGH Slg. I-1991, 2867 (2898) Rn. 10 – Kommission/Rat; s. zudem EuGH Slg. I-1997, 2405 (2449) Rn. 12 – Deutschland/Parlament und Rat; Slg. I-2000, 2257 (2290) Rn. 43 – Kommission/Rat; Slg. I-2000, 8419 (8524) Rn. 83 f. – Deutschland/Parlament und Rat. 67 Streinz, ZEuS 2004, 387 (402).
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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wesentliche Erkenntnisse zur Bewältigung dieser Aufgabe. Daher hat die Auslegungsmethode im Verhältnis zur Interpretation nach Systematik und Telos zwar das geringere Gewicht.68 Im Sekundärrecht können aber die zum objektiven Normverständnis erforderlichen Anhaltspunkte gewonnen werden. 4. Systematik a) Methodik Im Fokus der systematischen Interpretation steht der Kontext, in dem der auszulegende Text steht. Thematisch geht es um die Berücksichtigung des Bedeutungszusammenhangs, in dem sich der zu interpretierende Text befindet,69 darum, ihn als Teil einer Sinn entfaltenden Einheit, eines Ganzen zu betrachten. Es geht um das Verständnis einer Norm „im Lichte“ einer anderen respektive „im Lichte“ der Werteordnung des Gesamtzusammenhangs.70 Formal ist dabei Zweierlei zu unterscheiden:71 In einem engeren Sinn ist derjenige Text gemeint, der sich ganz unmittelbar um den zu interpretierenden herum befindet. Das bedeutet, den Text der gesamten Norm zu betrachten – etwa weitere Wörter, Nummern, Sätze, Absätze – und die sich um die in Frage stehende Norm herum befindlichen anderen Normen (etwa desselben Abschnitts eines Gesetzes), aber auch weitere Normen des gesamten Gesetzes, die in beschriebener Hinsicht aufschlussreich erscheinen. Darüber hinaus ist in einem weiteren Sinn der gleichsam „übergeordnete“ Kontext gemeint. Das bedeutet die Heranziehung der gesamten Rechtsordnung, welche das betreffende Gesetz als Teil ihres Systems enthält. Aus dem Beschriebenen wird bereits deutlich, dass die systematische Auslegung nach dem System „im engeren Sinne“ Berührungspunkte mit der grammatikalischen Auslegung aufweist.72 So kann die Betrachtung des Satzzusammenhangs beispielsweise auch als reine Wortlautinterpretation kategorisiert werden. Die systematische Auslegung, insbesondere diejenige nach dem „weiteren“ System, enthält zudem vielmals teleologische Elemente, etwa wenn ein Auslegungsergebnis damit begründet oder abgelehnt wird, dass eine andere Bestimmung dieses stütze oder nicht.73 68 s. schon die Nachw. in Fn. 56; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/175; Seyr, S. 79; Baldus/Vogel, FS Krause, S. 237 (244). 69 Riesenhuber/ders., Rn. 11/22. 70 Vgl. Bleckmann, in: ders., Studien zum Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 41. 71 Ähnlich Bredimas, S. 43. 72 Daher betrachten einige Autoren die systematische auch als Teil der grammatischen Auslegung, s. etwa Bredimas, S. 43. 73 Das gilt wegen der Orientierung an den Vertragszielen in besonderem Maße für das Unionsrecht, s. etwa EuGH Slg. 1982, 3415 (3430) Rn. 20 – C.I.L.F.I.T.; Hailbronner/Wilms/ Sauer, Art. 220 EGV Rn. 21; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/172; Buck,
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
b) Bedeutung im Unionsrecht Der Gerichtshof entscheidet über den Bedeutungsgehalt von Normen etwa „vom Geist dieser Vorschriften, von ihrer Systematik und von ihrem Wortlaut her“74 oder stellt fest, dass zur Ermittlung bestimmter Befugnisse der Gemeinschaft „auf das System und auf die materiellen Vorschriften des Vertrages zurückgegriffen werden“75 muss. Neben solch expliziten Berufungen auf die systematische Auslegung allgemein, äußerte sich der EuGH beispielsweise in der Rechtssache Manghera76 zur methodischen Vorgehensweise, indem er erklärte, dass zur Auslegung des Art. X „der Zusammenhang dieser Bestimmung mit den übrigen Absätzen des Artikels und ihr Platz innerhalb des allgemeinen Vertragssystems“77 zu betrachten sei. Der systematischen Interpretation, verstanden in einem weiteren Sinne, kommt in der Rechtsprechung des EuGH eine wichtige Rolle zu.78 Dies resultiert schon aus dem Wesen des Unionsrechts an sich. Wie Kutscher79 ausführt, handelt es sich bei der von den Mitgliedstaaten geschaffenen Rechtsordnung um eine solche, die weniger präzise Rechtsregeln enthält, als vielmehr Ziele setzt und Grundsätze aufstellt bzw. „einen großen Plan und Programme“ zur Erreichung der Ziele enthält. Dies gilt umso mehr, wenn den Unionszielen zugleich ein Prinzipiencharakter zugrunde gelegt wird,80 welcher sodann als „Optimierungsgebot“81 eingeordnet wird; dabei muss es theoretisch darum gehen, „etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße“82 zu realisieren. Dem Gedankengang liegt zugrunde, dass die Union gerade um die Erreichung ihrer Ziele willen ins Leben gerufen wurde.83 Allein dies begründet ihre Existenz; die Ziele der Union sind also gleichzusetzen mit deren Zweck. Daraus folgt aber nun, dass im Rahmen der systematischen Auslegung – wie bei der unionsrechtlichen Auslegung im Allgemeinen – die Heranziehung der Vertragsziele eine besondere Rolle spielen muss. Sie sind die wesentlichen Parameter bei der Interpretation einer Einzelnorm.84 Stets hat man S. 201; Colneric, ZEuP 2005, 225 (227); s. auch Bleckmann, in: ders., Studien zum Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 41 (56 ff.). 74 EuGH Slg. 1963, 1 (24) – Van Gend en Loos. 75 EuGH Slg. 1971, 263 (274) Rn. 19 – AETR; s. zudem Grabitz/Hilf/Nettesheim/Mayer, Art. 19 EUV Rn. 54 m.w.N. zur Rspr. in Fn. 142. 76 EuGH Slg. 1976, 91 – Manghera. 77 EuGH Slg. 1976, 91 (100) Rn. 6/8 – Manghera. 78 Kutscher, S. I-31 ff.; Buck, S. 200; Seyr, S. 54 ff.; a.A. Schroeder, JuS 2004, 180 (183): „keinen entscheidenden Stellenwert bei der Auslegung des EU-Rechts“. 79 Kutscher, S. I-35. 80 Kotzur, DÖV 2005, 313 (315 f.), der die Unionsziele letztlich treffend als die „Infrastruktur“ der Union bildend bezeichnet. 81 Alexy, S. 75. 82 Alexy, S. 75 f.; im Anschluss an diesen Kotzur, DÖV 2005, 313 (315) m.w.N. 83 s. auch Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 3 EUV Rn. 3: Union als „zielorientiertes Handlungssystem“; Kotzur, DÖV 2005, 313. 84 So auch Colneric, ZEuP 2005, 225 (227).
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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sich vor Augen zu halten, dass die Einzelnorm Teil des zur Zielerreichung geschaffenen Gesamtsystems ist. Das „System“ ist daher nur dann zu begreifen, wenn dessen Ziele berücksichtigt werden und dem Verständnis der dynamische Charakter des Unionsrechts zu Grunde gelegt wird.85 Aus diesem Grund besteht teils auch ein fließender Übergang von systematischer Interpretation im weiteren Sinne zur teleologischen Auslegung; die Methoden sind „eng ineinander verschränkt“86. Unter Zugrundelegung des obig Beschriebenen stellt sich im Rahmen der systematischen Auslegung des Unionsrechts zusammenfassend also stets die Frage, was in einem engeren Sinne etwa Nachbarnormen und weitergehend die Vertragsziele über den Bedeutungsgehalt der auszulegenden Norm aussagen können. 5. Telos a) Methodik Untrennbar mit der systematischen Auslegung ist diejenige verknüpft, die das Telos der Norm betrachtet.87 Es geht dabei bekanntermaßen um die Ergründung von Sinn und Zweck des Interpretationstextes. Im nationalen Recht erfolgt dabei eine Orientierung an objektiv-teleologischen Aspekten, da es nicht darauf ankommen soll, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Norm sich ihrer bewusst gewesen ist.88 Im Unionsrecht ist entsprechend vorzugehen, was wiederum mit dessen dynamischem Charakter zu erklären ist.89 Aus den subjektiv geprägten Erwägungsgründen können so zwar wesentliche Hinweise auf den historischen Gesetzeszweck entnommen werden. Dies ist hilfreich und kann Anhaltspunkte im Rahmen der teleologischen Auslegung liefern.90 Insbesondere kann die Beantwortung der Frage, weshalb der Gesetzgeber gerade dieses Mittel zur Zielerreichung gewählt hat, wichtige Hinweise auf den Zweck der Norm geben.91 Jedoch kommt dem subjektivhistorischen Gesetzeszweck nicht etwa ein Vorrang vor der Ermittlung des objektiven Gesetzeszwecks zu.92 85
Kutscher, S. I-43. Kutscher, S. I-42 m.w.N. 87 Anders Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (7 f.), die der teleologischen Auslegungsmethode generell die Existenz absprechen, da es sich bei der Ergründung des Zwecks der Norm um das Auslegungsziel handele; Ziel könne aber nicht gleichzeitig Mittel der Auslegung sein. 88 Larenz/Canaris, S. 154. 89 s. insbes. Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1180): „Die Erreichung der Integrationsziele muß in einer solchen so rational auf den gemeinsamen Markt ausgerichteten Rechtsordnung wichtiger sein als der ursprüngliche Parteiwille“; ders., EuR 1979, 239 (241); Seyr, S. 56; Buck, S. 202. 90 So auch Colneric, ZEuP 2005, 225 (227). 91 So etwa Mayer, Jura 1994, 455 (456), der im Anschluss an Guégan (Les méthodes de la Cour de Justice des Communautés Européennes, 1979) von einer „objektivierten Funktionsbetrachtung“ spricht. 92 So aber Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (531). 86
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
b) Bedeutung im Unionsrecht aa) Allgemein Unter Zugrundelegung des zur systematischen Auslegung beschriebenen Wesens der Unionsrechtsordnung, das auf die Erreichung der Vertragsziele im Rahmen eines dynamischen, stets fortschreitenden Integrationsprozesses angelegt ist, ist auf die herausragende Bedeutung auch der teleologischen Auslegungsmethode zu schließen. Dem entspricht die Praxis des EuGH, der ihr das größte Gewicht beimisst.93 Der Gerichtshof spricht dabei oftmals vom „Geist der Verträge“94, womit klar auf die Aufgaben und Ziele der Union Bezug genommen wird.95 bb) Art. 3 EUV als Grundnorm der Integration Wurde nun schon vielfach die besondere Bedeutung der Vertragsziele betont, stellt sich die Frage, welche Ziele genau damit gemeint sind. Darüber geben die Verträge selbst Aufschluss – so allem voran Art. 3 EUV.96 Die Bestimmung kann quasi als „Grundnorm des Integrationsprogramms“97 verstanden werden. Sie ist inhaltlich den aus dem nationalen Verfassungsrecht bekannten Staatszielbestimmungen überaus ähnlich98 und enthält allgemeine Zielbestimmungen, die Rechtsverbindlichkeit für alle Bereiche des Unionsrechts (EUV und AEUV) entfalten.99 Ihr prioritärer Charakter zeigt sich insbesondere auch durch ihre Stellung am Anfang des EU-Vertrages; die Norm steht damit an der Spitze des Unionsvertrages und hebt sich – zusammen mit dem vorausgehenden Art. 2, der die Werte, denen sich die Union verschrieben hat, enumeriert – als Portal zu den restlichen Kodifizierungen hervor. 93 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 15; HK-EU/Pache, Art. 19 EUV Rn. 20; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Mayer, Art. 19 EUV Rn. 55; Schwarze/ders., Art. 19 EUV Rn. 36; Hailbronner/Wilms/Sauer, Art. 220 EGV Rn. 21; Schulze, in: ders., Auslegung Europäischen Privatrechts, S. 9 (13); Streinz, ZEuS 2004, 387 (404); ders., FS Everling II, S. 1491 (1495); Meyer, Jura 1994, 455 (456); s. auch Buck, S. 221 ff.; Bleckmann, EuR 1979, 239 (241 ff.); ders., NJW 1982, 1177 (1181). 94 s. etwa EuGH Slg. 1963, 1 (27) – Van Gend en Loos; Slg. 1964, 1251 (1269) – Costa/ E.N.E.L.; Slg. 1971, 263 (274) Rn. 19 – AETR; Slg. 1973, 215 (244) Rn. 22 – Continental Can; s. auch Hailbronner/Wilms/Sauer, Art. 220 EGV Rn. 21; Schroeder, JuS 2004, 180 (183). 95 Hailbronner/Wilms/Sauer, Art. 220 EGV Rn. 21; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/177. 96 Zu beachten sind auch die bereits in der Präambel eröffneten Leitgedanken der Union sowie die in Art. 2 EUV niedergeschriebenen Wertebestimmungen, denen sich die Union verschrieben hat. Zusammen mit Art. 3 EUV bilden diese die grundlegenden Bestimmungen der Unionsverfassung (s. Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV Rn. 6). 97 Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 3 EUV Rn. 1; s. auch EuGH Slg. 1974, 359 (369 f.) Rn. 17/ 23 – Kommission/Frankreich, wonach der frühere Art. 2 EWGV, der seinem Inhalt nach im Wesentlichen Art. 3 EUV glich, „an der Spitze der vertragsprägenden allgemeinen Grundsätze steht“. 98 Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 3 EUV Rn. 2; Kotzur, DÖV 2005, 313 (315). 99 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV Rn. 15.
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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Neben der allgemeinen Normierung in Art. 3 EUV enthalten die Verträge zusätzlich sektorspezifische Zielbestimmungen, die sich insbesondere im Bereich der Politiken der Union finden und die die allgemeinen Ziele ergänzen und konkretisieren.100 Die unionalen Ziele haben also bei der Auslegung sämtlichen Unionsrechts Berücksichtigung zu finden;101 ihnen kommt eine Steuerungsfunktion zu.102 Dass sie sich aus dem Primärrecht selbst ergeben, verdeutlicht nochmals die bereits beschriebene Verzahnung der systematischen mit der teleologischen Auslegung im Unionsrecht. cc) Exkurs: Der Binnenmarkt Eine zentrale Rolle im Gefüge des Art. 3 EUV nimmt der Binnenmarkt als Kernstück der Wirtschaftsintegration ein; flankiert durch die Grundfreiheiten und die Wettbewerbspolitik ist er sowohl Ziel als auch vornehmliches Instrument der unionalen Integrationspolitik.103 Eine Legaldefinition erfährt der Begriff durch Art. 26 Abs. 2 AEUV: „Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist.“
Deutlich wird hierbei der klare Bezug zu den Grundfreiheiten. Daraus folgt, dass der Binnenmarkt gewissermaßen als der anzustrebende „Idealzustand“104 betrachtet werden kann, der eine Überwindung sämtlicher Hemmnisse mit sich bringt; es geht um die „Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt“,105 sodass ein Unterschied zu einem innerstaatlichen Wirtschaftsraum kaum mehr besteht.106
III. Unionsrechtliche Spezifika Im Unionsrecht bestehen einige Besonderheiten, die im Zusammenhang mit der Auslegung diskutiert werden. Dazu zählen insbesondere die sog. implied powers100
Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV Rn. 16. Streinz/ders., Art. 2 EUV Rn. 2; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 3 EUV Rn. 9; Reimer, EuR 2003, 992 (1003). 102 Reimer, EuR 2003, 992 (1003). 103 Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 3 EUV Rn. 22; Streinz/ders., Art. 3 EUV Rn. 7: „Herzstück der Integration“; ebenso Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 26 AEUV Rn. 15; Oppermann/ Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 22/1; s. auch Schroeder, Grundkurs Europarecht Rn. 18/1 ff. 104 Streinz/Schröder, Art. 26 AEUV Rn. 20. 105 EuGH Slg. 1982, 1409 (1431) Rn. 33 – Gaston Schul – zum Begriff des „Gemeinsamen Marktes“. 106 Streinz/Schröder, Art. 26 AEUV Rn. 20. Keine Bedeutung hat dagegen im vorliegenden Zusammenhang die Abgrenzung des Binnenmarkts vom Gemeinsamen Markt, welcher etwa in ex-Art. 2 EGV Erwähnung gefunden hatte. Durch den Lissabon-Vertrag, der sich begrifflich ausschließlich auf den „Binnenmarkt“ beschränkt, ist die Differenzierung obsolet geworden. 101
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
Lehre und der Grundsatz des effet utile. Beide Rechtsinstitute sind im Völkerrecht allgemein anerkannt107 und werden in teils modifizierter Form auch im Unionsrecht angewandt. Potacs108 bezeichnet sie treffend als Formen der „rein pragmatischen Interpretation“, da sie nicht – wie die klassischen Auslegungsmethoden – an den semantischen, sondern an den rein pragmatischen Sinngehalt einer Bestimmung anknüpfen. Auf beide Prinzipien soll im Folgenden näher eingegangen werden.109 Dabei soll insbesondere die Beschäftigung mit dem effet utile als methodologische Grundlegung für den weiteren Verlauf der Untersuchung dienen. 1. Effet utile a) Begriff und vorliegende Darstellung Eine kursorische Durchsicht der (deutschsprachigen) Literatur zum effet utile zeigt, dass die verwandte Begrifflichkeit nicht einheitlich ist. Daher sei an dieser Stelle auf Folgendes hingewiesen: Als „effet utile“ wird in der hiesigen Darstellung das (gleichsam übergeordnete) allgemeine unionsrechtliche Prinzip bezeichnet. Ist dagegen vom „Effektivitätsgebot“ oder „Effektivitätsprinzip“ die Rede, so ist damit allein diejenige Ausprägung des (allgemeinen) effet utile gemeint, die vom EuGH in Bezug auf den indirekten Vollzug von Unionsrecht entwickelt wurde.110 b) Wesen und methodischer Ansatz Untrennbar mit einer jeglichen Auslegung des Unionsrechts verbunden, ist das Prinzip des effet utile. V. Danwitz111 bezeichnet dieses sogar als „den eigentlichen Kern der spezifisch gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsmethoden“. Da sich eine europäische Methodenlehre, wie beschrieben, noch in den Kinderschuhen befindet, erfolgt erwartungsgemäß keine einheitliche systematische Einordnung des effet utile in das Gefüge eines unionsrechtlichen Auslegungssystems. Die Bandbreite der vertretenen Vorschläge zur Kategorisierung reicht von der Einordnung als Unterfall
107
Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 16, Art. 19 EUV Rn. 15; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 11/11; Anweiler, S. 121, 123. 108 Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 157 ff.; Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. 24 ff. 109 Im Zusammenhang mit den implied powers werden regelmäßig die sog. resulting powers genannt. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfigur, die der im nationalen Recht anerkannten „Kompetenz kraft Natur der Sache“ entspricht (s. Nicolaysen, EuR 1966, 129 [131]). Wegen der Ausrichtung der Arbeit kann auf diese vorliegend aber nicht eingegangen werden (s. aber ausführlich Böhm, S. 198 ff.; Sloot, S. 87 ff.). 110 Dazu näher u. unter B. III. 1. f) aa). 111 V. Danwitz, S. 144, wobei er eine zunehmende Ausuferung und Überdehnung des Anwendungsbereichs kritisiert (S. 145 ff.).
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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der teleologischen Auslegung112 bis hin zur Anerkennung als selbstständiges Auslegungskriterium113. Auch der EuGH hat sich bisher wohl noch nicht explizit zur dogmatischen Einordnung des effet utile geäußert.114 Vielmehr spiegelt dessen Rechtsprechung eine „gewisse Elastizität“115 in der Handhabung des Grundsatzes wider. Entsprechende Überlegungen zur dogmatischen Einordnung haben indes bei dem Bezugspunkt anzusetzen, auf den der effet utile gerichtet ist: Es geht um die Wirkungen einer Norm. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Wurzeln des Prinzips, so ist festzustellen, dass es auf das römische Recht,116 genauer auf den Grundsatz ut res magis valeat quam pereat, zurück geht.117 Sinngemäß und auf die Auslegung von Normen bezogen, sind danach Worte so zu verstehen, dass der Sinn erhalten bleibt und nicht zerstört wird. Dies ist so zu begreifen, dass jeder Norm eine bestimmte Wirkung zukommt. Denn dass der Verfasser (jedenfalls irgend-) etwas zu regeln beabsichtigt hat und damit auch das Hervorrufen (jedenfalls irgend-) einer Wirkung beabsichtigt ist, muss als gesetzt gelten.118 Eine Rechtsnorm, die auf keinerlei Folge ausgerichtet wäre, die schlicht nichts bewirken sollte, ergäbe in ihrer Existenz keinen Sinn; ein Auslegungsergebnis, das einer Rechtsnorm gerade gar keine Wirkung bescheinigte, wäre demgemäß als absurd zu verwerfen.119 Denkbares Ergebnis einer Auslegung kann daher entweder sein, dass der Norm genau eine bestimmte Wirkung zukommt. Viel wahrscheinlicher ist aber wohl, dass einer Norm mehrere mögliche Wirkungen 112 So die wohl h.M.; s. etwa Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/178; Riesenhuber/ders., Rn. 11/42a; Anweiler, S. 219; Buck, S. 208; Kutscher, S. I-44; Bredimas, S. 77; Streinz, FS Everling II, S. 1491 (1495 f.); ders., ZEuS 2004, 387 (404); Potacs, EuR 2009, 465 (473); ders., Auslegung im öffentlichen Recht S. 134 ff.; wohl auch Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 15; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 19 EUV Rn. 17; HK-EU/Pache, Art. 19 EUV Rn. 20; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Mayer, Art. 19 EUV Rn. 56; Lenz/Borchardt/Borchardt, Art. 19 EUV Rn. 25; Calliess, NJW 2005, 929: „eng verbunden mit der teleologischen Auslegung“; v. d. Groeben/Schwarze/Gaitanides, Art. 220 EG Rn. 55: „der teleologischen Auslegung nah“; Hailbronner/Wilms/Sauer, Art. 220 EGV Rn. 10: „dynamisch-teleologische“ Auslegung sowie Rn. 22; anders Höpfner/Rüthers, AcP 2009, 1 (12), die den effet utileGrundsatz im Rahmen der systematischen Auslegung zur Anwendung bringen. 113 So Seyr, S. 275 ff., 367. 114 Zu diesem Ergebnis gelangt Seyr in ihrer aufschlussreichen Untersuchung (S. 272 f.). Vgl. zur Entwicklung des effet utile in der Rspr. des EuGH v. Oettingen, S. 47 ff., 57 ff. 115 Seyr, S. 273 (in Anlehnung an Lembach, S. 91). Diese gelangt nach Analyse einschlägiger Urteile zu dem Ergebnis, dass der EuGH vielmals den effet utile im Anschluss an die Anwendung der klassischen Auslegungsmethoden verwendet, um herauszufiltern, ob eine bestimmte Auslegung die praktische Wirksamkeit der entsprechenden Vorschrift mehr oder weniger gewährleistet (s. insbes. S. 275 ff.). 116 s. schon Julian Digesten 34, 5, 12; 45, 1, 80; s. auch Ulpian Digesten 41, 1, 1, 5. 117 s. dazu Seyr, S. 94; s. zur geschichtlichen Entwicklung auch Honsell, FS Krejci, S. 1929 (1930). 118 So auch Potacs, EuR 2009, 465 (473); ähnl. für das Völkerrecht Bleckmann, Völkerrecht, 2001, Rn. 366; s. auch schon Canaris, FS Medicus, S. 25 (34). 119 Potacs, EuR 2009, 465 (473); s. auch ders., Auslegung im öffentlichen Recht, S. 134 f.
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
zukommen. In diesem Fall – und naturgemäß auch nur dann – ist der effet utileGrundsatz heranzuziehen. Wenn dem aber so ist, erscheint es nicht sachgemäß, von einer Auslegungsmethode, die gleichwertig zur grammatikalischen, systematischen, teleologischen und historischen hinzutritt, auszugehen.120 Vielmehr handelt es sich um eine Methode zur Begründung des vorzugswürdigen von mehreren Auslegungsergebnissen.121 Diese kann zwar ganz technisch auch als Auslegungsmethode bezeichnet werden. Ihr Bezugspunkt ist aber von dem der klassischen Auslegungsmethoden zu unterscheiden. Während Letztere die unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten einer Norm zutage fördern, kann der effet utile herangezogen werden, um unter diesen unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten das letztendliche Ergebnis der Auslegung festzulegen. Möglich wäre es daher auch, den effet utile als Auslegungsmethode im weiteren Sinne zu bezeichnen, während die klassischen Auslegungsmethoden solche im engeren Sinne darstellten. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings, dass der effet utile-Grundsatz Verschränkungen mit der teleologischen Auslegungsmethode aufweist, da es hier wie dort um den hinter der Norm stehenden Sinn und Zweck geht. c) Inhalt: Prinzip des maximalen Nutzens Einem Vorschlag Potacs’122 entsprechend kann zur Systematisierung folgende Einteilung vorgenommen werden: Es kommt dem effet utile sowohl eine Minimalals auch eine Maximalwirkung zu. Unter dem „effet utile im engeren Sinne“ ist dabei die minimale Wirkung einer Norm, quasi die untere Grenze zu gar keiner Wirkung, zu verstehen, d. h. dass mittels der Auslegung einer Norm nicht jede praktische Wirksamkeit genommen werden darf.123 Der „effet utile im weiteren Sinne“ bezeichnet dagegen die weitestmögliche Wirkung einer Norm.124 Fraglich ist, wie nun aber genau zu verfahren ist, wenn eine Norm mehrere mögliche Auslegungen zulässt. Zu klären ist, welche von mehreren möglichen Wirkungen die vorzugswürdige ist; ob dem effet utile im weiteren oder dem im engeren Sinne der Vorzug gebührt. Mit anderen Worten geht es also um die Frage nach dem genauen Inhalt des effet utileGrundsatzes im Unionsrecht.
120
So aber Seyr (Fn. 113). Zu diesem Ergebnis gelangt auch v. Oettingen, S. 90 f., 95 f., die diesbezüglich die Rspr. des EuGH analysiert hat. Auch der völkerrechtliche Ursprung des effet utile-Prinzips spricht für eine solche Dogmatisierung (vgl. v. Oettingen, S. 34 ff.). 122 Potacs, EuR 2009, 465 (466 f.). 123 s. v. Danwitz, S. 145; Bredimas, S. 77; Böhm, S. 63 ff.; s. auch Riesenhuber/ders., Rn. 11/42a. 124 Ähnlich auch Lecourt, S. 240, der die Begriffe „obligation négative“ und „obligation positive“ verwendet (s. dazu auch Seyr, S. 102). 121
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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aa) „Praktische Wirksamkeit“ gegen „volle Wirksamkeit“? Auffällig ist zunächst, dass in den deutschen Sprachfassungen von Urteilen des EuGH der Begriff „effet utile“ im Wesentlichen entweder mit „praktische Wirksamkeit“125 oder mit „volle Wirksamkeit“126 übersetzt ist.127 Letztere Übersetzung indiziert – semantisch – eine gegenüber dem ersten Begriff weitergehende, d. h. umfassendere Wirkung. In ihrer diesbezüglichen Untersuchung zum Konstrukt des effet utile gelangt Seyr128 unter anderem zu dem Ergebnis, dass der EuGH trotz paralleler Verwendung der unterschiedlichen Begriffe inhaltlich dennoch nichts Unterschiedliches auszudrücken beabsichtigt. Insbesondere diene die divergierende Wortwahl nicht etwa einer „Stufung“ von Wirksamkeit.129 Gemeint ist, dass nicht etwa mit Verwendung des einen Begriffs ein „Mehr“ oder „Weniger“ an Wirksamkeit gegenüber der Verwendung des anderen Begriffs ausgedrückt werden soll. Damit gilt, dass zumindest der unterschiedlichen Begrifflichkeit keine relevante Bedeutung zukommt. bb) Tendenzen in Rechtsprechung und Literatur Ganz allgemein zielt der effet utile darauf ab, die Wirkung unionsrechtlicher Vorschriften zu sichern.130 Es ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die die „Bestimmungen des Unionsrechts ernst nimmt“131 und die von der jeweiligen Norm getroffene Grundentscheidung berücksichtigt.132 Sowohl in der Rechtsprechung des EuGH133 als auch in der europarechtswissenschaftlichen Literatur134 lassen sich 125 s. etwa EuGH Slg. 1976, 497 (517) Rn. 69/73 – Royer; Slg. I-2001, 2579 (2608) Rn. 32 – Bofrost; Slg. I-2000, 3701 (3737) Rn. 24 – Hepple. 126 s. etwa EuGH Slg. 1969, 1 (13) Rn. 4 – Walt Wilhelm; in demselben Urteil verwendet der EuGH an weiterer Stelle den Begriff „praktische Wirksamkeit“ (S. 14 Rn. 6); EuGH Slg. I1991, 5357 (5414) Rn. 32 ff. – Francovich; Slg. I-2001, 5063 (5102 f.) Rn. 51 f. – Larsy. 127 Wobei in früheren Fassungen auch der Begriff „nützliche Wirkung“ verwandt wurde (vgl. etwa EuGH Slg. 1970, 825 [838] Rn. 5 – Grad; Slg 1974, 1337 [1348] Rn. 12 – Van Duyn). Verwendet der EuGH den französischen Begriff „effet utile“, ist die deutsche Fassung mit „praktische Wirksamkeit“ übersetzt; lautet die deutsche Fassung hingegen „volle Wirksamkeit“, so sind in der französischen Version die Begriffe „plein effet“ oder „pleine efficacité“ zu finden (Seyr, S. 281 ff., die 455 Entscheidungen des EuGH analysiert hat; darauf Bezug nehmend Potacs, EuR 2009, 465 [467 f.]). 128 Seyr, S. 281 ff., die daher sinnvollerweise empfiehlt, einheitlich den Begriff „praktische Wirksamkeit“ zu verwenden. 129 Seyr, S. 290 f. sowie im Anschluss an sie Potacs, EuR 2009, 465 (467), der von „verschiedene(n) Ausdrucksweisen desselben Prinzips“ ausgeht. 130 s. etwa Seyr, S. 278: „Durchsetzbarkeit des Gemeinschaftsrechts“ (in Anlehnung an Lecheler, S. 2); Hailbronner/Wilms/Sauer, Art. 220 EGV Rn. 22: Sicherstellung der „Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft“. 131 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 15, Hervorhebung durch Verf. 132 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV Rn. 15. 133 s. insbes. EuGH Slg. 1978, 629 (644) Rn. 19/20 – Simmenthal: „Die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung würde geschmälert“; Slg. I-1990, 2433 (2474) Rn. 21 – Factor-
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Tendenzen dahingehend erkennen, den Grundsatz überwiegend nicht nur als bloßes „Nutzenprinzip“ zu handhaben. Vielmehr stellt er sich oft als „Prinzip des maximalen Nutzens“ dar,135 bei welchem der hier befürworteten Dogmatik zufolge der „effet utile im weiteren Sinne“ zum Tragen kommt. Auch im Völkerrecht wird dem effet utile dieser Gehalt beigemessen;136 seine Aussage geht hier dahin, dass bei der Auslegung eines Vertrags dessen volle Wirksamkeit nicht unterminiert werden darf.137 Durch die Berufung auf das Prinzip soll dann ein bestimmtes Regelungsziel so weit wie möglich erreicht werden.138 In seinem Schlussantrag in der Rechtssache Schulte139 stellt Generalanwalt Léger demgemäß fest, der EuGH sei stets bestrebt, „bei verschiedenen möglichen Auslegungen einer Gemeinschaftsvorschrift derjenigen den Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit am besten zu wahren geeignet ist.“140
cc) Stellungnahme Der kursorische Blick auf die vertretenen Ansichten zum Inhalt des effet utile zeigt zwar, dass es vielerseits Tendenzen gibt, von einem Prinzip des maximalen Nutzens auszugehen. Fraglich bleibt aber, wie dies zu erklären ist.
tame: „Die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts würde auch dann abgeschwächt, wenn (…).“; Slg. I-1991, 3277 (3313) Rn. 44 – Mecanarte: „Die praktische Wirksamkeit des mit Art. 177 EWGV geschaffenen Systems setzt voraus, daß die innerstaatlichen Gerichte im weitestmöglichen Umfang zur Anrufung der Gerichte befugt sind (…).“; Slg. I-1999, 7081 (7107) Rn. 24 – Adidas: „Dabei ist von mehreren möglichen Auslegungen einer Gemeinschaftsvorschrift diejenige zu wählen, die allein geeignet ist, ihre praktische Wirksamkeit zu sichern.“; Slg. I-2008, 1957 (1985) Rn. 28 – Chuck: „(Es) sind die zur Durchführung des Art. 51 des Vertrags erlassenen Verordnungen von dem mit dieser Bestimmung verfolgten Ziel her auszulegen, nämlich der Herstellung größtmöglicher Freizügigkeit (…).“ 134 Potacs, EuR 2009, 465 (476); Anweiler, S. 219; Kutscher, S. I-44; Brown/Jacobs, S. 290; Colneric, ZEuP 2005, 225 (228); in diesem Sinne, jedoch krit. v. Danwitz, S. 145 f.; Riesenhuber/ders., Rn. 11/42a. 135 Vgl. Buck, S. 209 ff.; Kutscher, S. I-44; Zuleeg, EuR 1969, 97 (107); krit. v. Danwitz, S. 145, der bezeichnend von einem „effet maximal“ spricht; s. aus dem Völkerrecht SeidlHohenveldern, Lexikon Völkerrecht, S. 507 sowie die Nachw. in Fn. 136. 136 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, § 780; Seidl-Hohenveldern, Lexikon Völkerrecht, S. 507; Seyr, S. 97 m.w.N.; Ipsen, Völkerrecht Rn. 11/16. Abgesehen davon stellt die Effektivität eine im Völkerrecht generelle Maßgabe dar, die sich nicht nur im Bereich der Vertragsauslegung verwirklicht, s. Bleckmann, Völkerrecht Rn. 221. 137 s. dazu Lerche, S. 36 sowie Seyr, S. 97 f., jeweils m.w.N.; s. auch die Nachw. in Fn. 136. 138 Riesenhuber/ders., Rn. 11/42a. 139 EuGH Slg. I-2005, 9215 – Schulte. 140 EuGH Slg. I-2005, 9215 (9233) Rn. 90 – Schulte (unter Bezugnahme auf vorausgegangene Urteile des EuGH [m. Nachw. in Fn. 46]), Hervorhebung durch Verf.; vgl. auch EuGH Slg. 1980, 119 (131) Rn. 17 – Camera Care.
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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Der Versuch einer Bestimmung des Aussagegehalts des effet utile-Grundsatzes, hat ganz generell an der Bedeutung der Union selbst und am Integrationsgedanken141 anzusetzen. Vornehmliches Kriterium bei der Beurteilung des Nutzens einer unionsrechtlichen Norm sind daher wiederum die Vertragsziele. Folglich ist Zweck einer weit verstandenen, maximalen Nutzziehung die möglichst intensive Zielerreichung.142 Anders ausgedrückt bedeutet das, dass derjenigen Norm die höchste Wirkkraft zukommt, die der Verwirklichung der Unionsziele am meisten dient und „am ehesten zum Gelingen des Integrationsvorhabens beiträgt“143. Das muss sowohl bei der Auslegung von Primärrecht als auch von Sekundärrecht gelten. Das effet utile-Prinzip ist daher vornehmlich als Mittel zur Erreichung der Vertragsziele zu begreifen.144 Schon aufgrund dieser Sinndeutung liegt es nahe, von einem Prinzip des maximalen Nutzens auszugehen. Denn wenn der effet utile bezweckt, den Vertragszielen zu ihrer praktischen Verwirklichung zu verhelfen, dann sollten sie auch zur vollen Entfaltung ihrer Wirksamkeit gelangen. Letztlich muss es bei all dem, wie bereits eingangs erwähnt, um die Idee „Europa“ selbst gehen. Dies führt zu den Grundlagen der Europäischen Union, zu ihrer Entstehung145 und zu ihrem eigenen Sinn und Zweck. Bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Europäischen Gemeinschaften in Form der EGKS, der EWG sowie der EURATOM gegründet. Sicherlich war zunächst vorrangiges Ziel, die außenpolitischen Verhältnisse in der Nachkriegszeit neu zu gestalten, um so den Frieden zu erhalten; insofern spielten Sicherheitsinteressen eine wesentliche Rolle.146 Einher ging die gesamte Entwicklung jedoch von Beginn an notwendig mit wirtschaftspolitischen Intentionen.147 Die Schaffung einer wirtschaftlichen Gemeinschaft stellte dabei zugleich Weg und Ziel dar. Deutlich wird dies bereits bei Lektüre der Präambel zum EGKS, dem ersten der Gemeinschaftsverträge, welche betont, dass „Europa nur durch (…) die Errichtung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung aufgebaut werden kann (…)“.148 Die Errichtung eines gemeinsamen europäischen Marktes galt als Voraussetzung, um die industrielle und
141 Zum Begriff der „Integration“ und deren unterschiedliche Entwicklungsstufen im Unionsrecht vgl. etwa Lemmens, S. 38 ff. 142 Kutscher, S. I-44. Generell zum europäischen Integrationsprojekt als sinngebende Basis einer Europäischen Gemeinschaft Jürgens, S. 90 ff. 143 Zuleeg, EuR 1969, 97 (107). 144 Hailbronner/Wilms/Sauer, Art. 220 EGV Rn. 22; Kutscher, S. I-44; zur Legitimation einer extensiven Anwendung des effet utile vgl. auch Mosiek, S. 98 ff., 101 f. 145 Vgl. aus der Vielzahl an Literatur nur v. d. Groeben, S. 1 ff.; Zäch, S. 1 ff.; Lemmens, S. 47 ff.; vgl. zu den Schwierigkeiten bei der Entstehung der Europäischen Gemeinschaften Carstens, in: Biskup (Hrsg.), Europa – Einheit in Vielfalt, S. 33 (34 ff.). 146 Zäch, S. 2; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 1/9; Lemmens, S. 47; Carstens, in: Biskup (Hrsg.), Europa – Einheit in Vielfalt, S. 33 (34, 47 f.). 147 Schwarze, Europäisches WirtschaftsR Rn. 20; v. d. Groeben, S. 23. 148 Dazu auch Schwarze, Europäisches WirtschaftsR Rn. 31 m. Fn. 25.
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
wirtschaftliche Entwicklung zu beschleunigen;149 der Idee kam insofern eine Schlüsselfunktion150 zu. Dies ist auch daran erkennbar, dass die spätere Gründung der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht auf der Einsicht basierte, dass die Vollendung des Binnenmarktes, so, wie sie unter anderem als Zielsetzung im Weißbuch der Europäischen Kommission von 1985 formuliert war,151 nur möglich ist, wenn mit der wirtschaftlichen zugleich eine politische Integration einher geht.152 Insofern kann der europäische Binnenmarkt als Grundlage der Union und Kern der Integration generell bezeichnet werden.153 Nur bei fortschreitender Integration aber, rechtfertigt sich die Idee „Europa“ auch heute noch. Die Europäische Union, verstanden als Weiterentwicklung der Ursprungsgemeinschaften, ist Integration;154 mit der Verwirklichung der auf (vornehmlich eben wirtschaftliche) Integration angelegten Zielsetzungen steht und fällt das Konstrukt in seiner Grundidee.155 Die Union existiert logisch überhaupt nur um der Erreichung ihrer Ziele willen. Dem Gedankengang kann nicht entgegen gehalten werden, er sei aus nationaler – etwa deutscher – Sicht abzulehnen. Vielmehr spiegelt sich die europäische Idee fortschreitender Integration auch im deutschen Grundgesetz wieder. Bereits in der Präambel (S. 1 HS. 2) findet sich der Hinweis auf den „Willen (…), in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen (…)“156. Wenngleich es sich um eine bloße Zielvorgabe handelt, deren genaue Konturen offen bleiben, ist darin dennoch die Verpflichtung der Bundesrepublik zu jedenfalls integrationsfreundlicher Politik zu erblicken,157 die bereits seit Entstehung des Grundgesetzes dort kodifiziert ist.158 Das bedeutet also, dass bereits vor Gründung der Europäischen Gemeinschaften der Integrationsgedanke repräsentiert war; er ist Ausdruck der Europäischen Bewegung159, die direkt die Nachkriegszeit ab 1945 prägte. Eine fortschreitende Integration ist aber nur möglich, wenn die vertraglichen Ziele im Rahmen der unionalen Rechtsetzung ausgeschöpft werden. Unionsakte müssen ihre volle Wirksamkeit erfüllen können, um nicht im Gegenteil „Integrationsbremse“ zu sein. Dies ist letztlich, was die Idee 149
v. d. Groeben, S. 23. Schwarze, Europäisches WirtschaftsR Rn. 31. 151 Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes 1985, S. 4 (Einl. 4.). 152 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 1/31. 153 Schwarze, Europäisches WirtschaftsR Rn. 31; s. auch bereits o. unter B. II. 5. b) cc). 154 Vgl. dazu auch Erwägungsgrund 1 der Präambel zum Lissabon-Vertrag, in dem es um die konsequente Fortführung der europäischen Integration geht; s. näher Streinz/ders., Präambel zum EUV Rn. 4; v. d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Präambel zum EU Rn. 5. 155 In diesem Sinne auch Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 18/1. 156 Hervorhebung durch Verf. 157 v. Münch/Kunig/Kunig, Präambel Rn. 24; ähnl. v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Präambel Rn. 40; Maunz/Dürig/Maunz, Präambel Rn. 30 ff.; einschr. BK/Murswiek, Präambel Rn. 248; von einer klaren verfassungsrechtlichen Verpflichtung ausgehend Genscher, Deutschland muss europafähig bleiben, Der Tagesspiegel v. 11. September 2012, S. 6. 158 Seit 1992 ist diese Zielvorgabe in Art. 23 GG speziell im Hinblick auf die Europäische Union konkretisiert. 159 Dazu der Überblick bei Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 2/2 ff. 150
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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„Europa“ ausmacht. Zweifel daran, dass hierbei nationale Interessen zu kurz kommen, sind unbegründet. Denn zum einen wird übermäßigen, etwa willkürlichen unionalen „Querschlägen“ durch die Prinzipien, auf denen die Verträge selbst basieren, insbesondere Art. 5 EUV (scil. das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sowie die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit) oder etwa die Verpflichtung zur Achtung nationaler Identitäten160 vorgebeugt. Zum anderen ist aus nationaler Sicht ohnehin nur das möglich, was verfassungsrechtlich abgesichert ist. Resümierend ist es daher richtig, grundsätzlich einer Auslegung nach dem effet utile im weiteren Sinne den Vorzug zu geben. d) Begrenzung des effet utile im weiteren Sinne Ein Vorrang des effet utile im weiteren Sinne kann aber selbstverständlich nicht absolut gelten. So darf der effet utile in seiner Erscheinungsform als „Prinzip des maximalen Nutzens“ nicht als Ringen nach „Effektivität um jeden Preis“161 verstanden werden.162 Eine undifferenzierte und ausufernde Berufung auf die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts ist a priori schon nicht mit einem auf rechtsstaatlichen Grundsätzen basierenden System wie dem der Union kompatibel, denn das käme faktisch einer Kompetenz-Kompetenz gleich, über die die Union ja gerade nicht verfügt. Als Grenze der Auslegung muss das „Recht“ im Sinne des Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV gelten.163 Es wurde bereits erwähnt, dass hierzu die Gesamtheit des primären und sekundären Unionsrechts einschließlich ungeschriebener Rechtsgrundsätze gehört. Damit kommt es insbesondere auf die in Art. 5 EUV geregelten Grundsätze an: das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, die Subsidiarität und die Verhältnismäßigkeit.164 Diese sind als Begrenzungen zu verstehen, die die Vertragsparteien selbst dem Integrationsziel entgegengesetzt haben.165 In ähnlicher Weise will auch Seyr166 die Anwendung des effet utile handhabbar machen. Ihr Vorschlag geht dahin, das anhand des effet utile gefundene Auslegungsergebnis am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen, d. h. dessen Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit zu überprüfen.167 Ein Blick auf die 160 Zum Subsidiaritätsprinzip i.w.S. nach Art. 5 EUV sogleich unter B. III. 1. d) bb); zum Achtungsgebot aus Art. 4 EUV vgl. u. Kapitel 3 A. III. 2. b) bb) (2) (a) (cc)(a). 161 Schroeder, JuS 2004, 180 (186). 162 So aber wohl das BVerfG in seiner Maastricht-Entscheidung (E 89, 155 [210]). 163 Schroeder, JuS 2004, 180 (186). 164 Potacs, EuR 2009, 465 ( 476 ff.); zu begrenzenden Kompetenzgrundsätzen vgl. auch Mosiek, S. 107 ff. 165 Zum vorliegenden Zusammenhang mit der Auslegung nach dem effet utile vgl. Potacs, EuR 2009, 465 (476). 166 Seyr, S. 297 ff. 167 s. zudem Streinz, ZEuS 2004, 387 (404), der in Bezug auf die Auslegung nach dem effet utile eine Darlegung der „Legitimität“ des zur Begründung herangezogenen Vertragsziels und
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
Rechtsprechung des EuGH zeigt, dass auch der Gerichtshof sich von derlei Erwägungen leiten lässt, wenn er im Zusammenhang mit der Auslegung nach dem effet utile etwa die Angemessenheit einbezieht.168 Aus dem Geschilderten folgt demnach, dass dasjenige Auslegungsergebnis, welches mithilfe des effet utile herausgearbeitet wurde, zunächst nur ein vorläufiges ist, das unter Umständen der Korrektur bedarf. aa) Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (1) Allgemein Die in Art. 288 Abs. 1 AEUV beschriebenen Rechtsetzungsinstrumente der Union werden als sekundäres Unionsrecht bezeichnet, da sie sich aus dem primären Unionsrecht heraus legitimieren. Die Union verfügt derweil überhaupt nur über solche Kompetenzen zur Rechtsetzung, die ihr durch die Mitgliedstaaten in den Verträgen übertragen wurden. Die Kategorie der Kompetenz ist dabei ganz allgemein zur Klärung der Frage berufen, wer von mehreren zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe berufen ist.169 Die Befugnis, sich selbstständig neue Kompetenzen zu schaffen oder vorhandene zu erweitern steht der Union nicht zu. Ihr fehlt es damit an einer sog. Kompetenz-Kompetenz.170 Die dahinterstehende Maxime wird als Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung bezeichnet, welches sich in positivierter Form in Art. 5 Abs. 2 EUV findet. Voraussetzung aller legislativen Aktivität der Union ist daher grundsätzlich das Bestehen einer das entsprechende Vorhaben abdeckenden begrenzten Einzelermächtigung. Grundgedanke des Prinzips ist damit, dass die Regelungsbefugnis der Union nicht unbegrenzt besteht. Daraus folgt, dass Auslegungen stets insofern begrenzt werden, als der Aussagegehalt einer (anderen, weiteren) Einzelermächtigung sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht nicht unterminiert werden darf.
dessen „Geeignetheit“ fordert. Damit stellt er ebenfalls auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ab. 168 s. nur EuGH Slg. 1980, 119 (131) Rn. 18 – Camera Care: „Die Zuständigkeiten der Kommission (…) umfassen demnach die Befugnis, diejenigen einstweiligen Maßnahmen zu treffen, die unerlässlich sind, um (…) die praktische Wirksamkeit der Entscheidungen zu gewährleisten“; Slg. I-1991, 745 (777 f.) Rn. 16 – Antonissen: „Die praktische Wirksamkeit des Artikels 48 ist gewahrt, wenn der Zeitraum (…) angemessen ist“. 169 Isensee/Kirchhof/Isensee, HdbStR VI Rn. 133/14. Eine genaue Betrachtung der Kompetenz, jedoch als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, erfolgt in Kapitel 4 (s. dort B. I.). Für die hier in Frage stehende Bedeutung des Prinzips der begrenzten Ermächtigung sei diese Kurzdefinition zugrunde gelegt. 170 Herdegen, EuropaR Rn. 8/59; Hobe, EuropaR Rn. 7/79; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 11/3. An der Stelle sei hinzugefügt, dass das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung für jegliches Handeln der Gemeinschaft gilt, z. B. auch für nicht-rechtsverbindliche Empfehlungen oder Stellungnahmen (Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 11/4; Schwarze, Europäisches VerwaltungsR, S. 239 m.w.N.; a.A. Kraußer, S. 88, 94).
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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(2) „Zielvorrang“ bei der Auslegung einer Einzelermächtigung Im Rahmen der Auslegung einer Kompetenznorm ist die jeweils besondere Zwecksetzung der Einzelermächtigungen zu berücksichtigen: Das jeweils verfolgte Ziel muss selbstverständlich vorrangiger Parameter bei der teleologischen Auslegung sein. Es geht also darum, die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung, eine Einzelermächtigung einer ganz bestimmten Zielsetzung zu widmen, dafür aber an gleicher Stelle andere Ziele zu vernachlässigen, zu beachten. Insofern kann von einem „Zielvorrang“ gesprochen werden. Das bedeutet, dass zwar grundsätzlich die allgemeinen, speziell in Art. 3 EUV zum Ausdruck gebrachten Ziele als „latente“ Parameter zu berücksichtigen sind; geht es um die Auslegung einer Kompetenznorm, sind aber stets die damit verfolgten „vorrangigen“ Ziele zu ermitteln.171 (3) Effet utile als Prinzip des maximalen Nutzens und Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung – Widerspruch? Auf den ersten Blick könnte ein Widerspruch vermutet werden zwischen einem Verständnis des effet utile als Prinzip des maximalen Nutzens und dem Grundsatz, dass das Tätigwerden der Unionsorgane stets auf einer ihnen zu diesem Zweck übertragenen Einzelermächtigung zu beruhen hat. Es handelt sich dabei aber nur um einen scheinbaren Widerspruch. Zwar ist es zutreffend, dass das Prinzip des maximalen Nutzens es verlangt, den Bedeutungsgehalt einer Norm im Hinblick auf den Integrationsgedanken und die unionale Zielerreichung möglichst extensiv zu verstehen. Dennoch hat dies nicht frei von der Bindung an die bestehende Norm selbst zu erfolgen. Grundlage einer entsprechenden Auslegung ist schließlich das Vorhandensein einer Einzelermächtigung; es geht gerade nicht darum, ungebunden, d. h. nur aus den Vertragszielen selbst, Kompetenzen zu kreieren. Vielmehr soll den bereits bestehenden Befugnissen zu einem möglichst umfassenden Bedeutungsgehalt, zu weitestmöglicher praktischer Wirksamkeit, verholfen werden. „Möglich“ ist in diesem Sinne aber selbstverständlich nur, was sich auf eine bestehende Kompetenznorm stützt. Der Gedankengang an dieser Stelle folgt schließlich dem zur dogmatischen Begründung der implied powers (dazu sogleich).172
171 Beispielhaft sei die Entscheidung des EuGH zur Tabakwerberichtlinie angeführt, vgl. EuGH Slg. I-2000, 8419 (8525 ff.) Rn. 90 ff. – Deutschland/Parlament und Rat. Hier gelangte der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber mit der Richtlinie vorrangig Ziele des Gesundheitsschutzes verfolge. Als Kompetenzgrundlage wurde aber insbesondere ex-Art. 100a Abs. 1 EGV gewählt, der vorrangig der Erreichung wirtschaftspolitischer Ziele, v. a. aber der Verbesserung des Binnenmarktes dient. 172 s. zur Frage eines möglichen Widerspruchs auch Calliess, S. 72 ff. m.w.N. sowie die Nachw. im Rahmen der Ausführungen zu den implied powers (unten ab B. III. 2.). s. auch Mosiek, S. 112 ff. zum Spannungsverhältnis zwischen effet utile und Prinzip der begrenzten Ermächtigung im Allgemeinen.
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
bb) Das Subsidiaritätsprinzip (1) Kompetenzausübungsschranke im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EUV (a) Allgemein In Art. 5 Abs. 3 EUV findet sich die Kodifizierung des Subsidiaritätsprinzips. Genauer sollte es als „Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne“173 bezeichnet werden, da alle drei Elemente des Art. 5 EUV vom Gedanken der Subsidiarität getragen sind und auch weil die Subsidiarität, worauf sogleich noch einzugehen sein wird, letztlich ein der Union ganz generell zugrunde liegendes Prinzip darstellt. Gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV werden die Unionsorgane nur tätig, „sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können“. Dem Gesetzeswortlaut zufolge müssen demnach ein Negativ- sowie ein Positivkriterium erfüllt sein. Es ist zunächst festzustellen, ob nicht ein Tätigwerden auf irgendeiner Ebene der Mitgliedstaaten, d. h. ein jedenfalls nicht-unionales Tätigwerden, zur anvisierten Zielverwirklichung „ausreichend“ ist. Anschließend geht es um die positive Feststellung, ob die entsprechenden Ziele „wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen“ sind. Die textliche Verbindung von Negativ- und Positivkriterium mittels des Wortes „sondern“ konstatiert das kumulativ-kausale Verhältnis der beiden zueinander.174 Daraus folgt, dass eine zweistufige Prüfung vorzunehmen ist.175 Vornehmlich wird das Subsidiaritätsprinzip mit den Gesetzgebungskompetenzen (außerhalb der ausschließlichen)176 der Union und deren Begrenzung in Verbindung gebracht.177 Dies wird schon daran deutlich, dass im Gesetzestext von „Zielen“ die Rede ist. Angesprochen sind damit die Ziele der Union, deren Verwirklichung die begrenzten Einzelermächtigungen schließlich dienen.178 Allerdings geht der Begriff der „Maßnahme“ darüber hinaus; umfasst sind daher sämtliche in gewisser Weise konkretisierte Tätigkeiten der Union, die in irgendeiner Hinsicht (mittelbar oder unmittelbar) Rechtswirkung entfalten.179 Insofern handelt es sich um eine Kompetenzausübungsschranke,180 was Art. 5 Abs. 1 S. 2 EUV letztlich auch explizit klar173 Calliess, S. 66 f. Soweit kein ausdrücklicher Hinweis erfolgt, ist in der vorliegenden Darstellung stets das Subsidiaritätsprinzip i. e.S. gemeint. 174 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 24; s. auch schon Calliess, S. 104 noch zum alten Wortlaut des ex-Art. 5 Abs. 2 EGV, der noch die Wortgruppe „und daher“ verwandte. 175 H.M.: vgl. nur Calliess, S. 104 m.w.N. in Fn. 211. 176 Vgl. aus der zur entsprechenden Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen umfangreichen Literatur nur Calliess, S. 76 ff. m.w.N. 177 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 21. 178 s. dazu Lambers, EuR 1993, 229 (235). 179 Weiterführend Calliess, S. 101 ff. m.w.N. 180 Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 2; Schwarze/Lienbacher2, 5 EGV Rn. 1; Oppermann/ Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 11/23.
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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stellt. Es geht somit ganz generell betrachtet in Art. 5 Abs. 3 EUV um das „Ob“ unionsrechtlichen Tätigwerdens; darum, „ob“ unionsrechtlicher Handlungsbedarf besteht.181 (b) Materielle Konkretisierungen/Positiv- und Negativkriterium Zur materiellen Konkretisierung des Subsidiaritätsprinzips war dem Amsterdamer Vertrag das Protokoll Nr. 30 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit182 (im Folgenden „Subsidiaritätsprotokoll“) beigefügt. Dort fanden sich Leitlinien zur Ausfüllung der unbestimmten Begriffe „nicht ausreichend“ und „besser“, welche teils auch auf die bereits vom Europäischen Rat von Edinburgh183 erzielten Schlussfolgerungen zur Interpretation des exArt. 5 EGV zurück gingen. Dem Vertrag von Lissabon hängt das Subsidiaritätsprotokoll in modifizierter Form an.184 Auf die Vorgabe materieller Prüfkriterien wurde nunmehr verzichtet; es erfolgte eine Beschränkung auf rein prozedurale Anwendungsbedingungen. Da aber nach wie vor die ausfüllungsbedürftigen Begriffe in Art. 5 EUV vorliegen, wird seitens der Literatur eine Orientierung an den Leitlinien des Europäischen Rates von Edinburgh empfohlen.185 Zur Feststellung, ob die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 EUV gewahrt sind, geht es in einem ersten Schritt um die Prüfung anhand des sog. Negativkriteriums. Daher dürfen die mit der Maßnahme verfolgten Ziele „weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend“ zu verwirklichen sein. Zum genauen Bedeutungsgehalt dieser Maßgabe herrscht keine Einigkeit.186 Insbesondere hat sich der EuGH bisher noch nicht allzu intensiv mit der genauen Interpretation des Art. 5 Abs. 3 EUVauseinandergesetzt und wenn, dann im Rahmen wenig differenzierender Prüfungen schlicht aus der Erfüllung des Positivkriteriums auf die Einhaltung des
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Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 24; Calliess, S. 76; Hirsch, S. 27. ABl. C 340/105 ff. v. 10. 11. 1997. Bei den durch die Vertragsparteien erstellten Protokollen handelt es sich um völkerrechtsverbindliche Nebenurkunden, die als Bestandteile der Verträge (vgl. ex-Art. 311 EGV/Art. 51 EUV) dem Primärrecht zuzuordnen sind (Oppermann/ Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 10/25). Daher entfalten Sie auch die gleiche Bindungswirkung wie die Verträge selbst. Ihre Nichtbeachtung ist Vertragsverletzung, ihre Auslegung obliegt dem EuGH (Calliess/Ruffert/Schmalenbach, Art. 51 EUV Rn. 3). 183 Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Edinburgh vom 11.–12. Dezember 1992 (einsehbar unter http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?refer ence=DOC/92/8&format=HTML&aged=1&language=DE&guiLanguage=en, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014). 184 Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl. C 115/206 ff. v. 09. 05. 2008. 185 s. etwa Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 26; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 33; in diesem Sinne auch Lenz/Borchardt/Langguth, Art. 5 EUV Rn. 21; davon offenbar auch ausgehend Geiger/Khan/Kotzur, Art. 5 EUV Rn. 7, 13. 186 Zum Meinungsstand in der Literatur vgl. v. a. Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 36; Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 25; Knaup, S. 208 ff., jeweils m.w.N. 182
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Negativkriteriums geschlossen.187 Die Kommission geht dagegen anhand des sog. Tests der vergleichenden Effizienz vor. Demzufolge ist herauszustellen, ob die Mitgliedstaaten die zur Zielerreichung erforderlichen Mittel (beispielsweise durch nationale, regionale oder lokale Gesetzgebung, Tarifverträge usw.), inklusive der finanziellen Mittel, zur Verfügung haben.188 In Anlehnung an diese Praxis ist es überzeugend, das Negativkriterium im Sinne der Frage nach möglicher Überforderung der Mitgliedstaaten zu verstehen.189 Es muss daher eine Überprüfung der aktuellen Sach- und Rechtslage in den Mitgliedstaaten verbunden mit einer hypothetischen Einschätzung deren tatsächlicher Fähigkeit zur Vornahme künftiger Maßnahmen zur anvisierten Zielerreichung erfolgen.190 Dabei ist zu verlangen, dass ein entsprechendes Unvermögen in mehreren, jedoch nicht zwangsweise in allen Mitgliedstaaten vorliegt.191 Zu betonen ist zudem, dass mit der Wortwahl „ausreichend“ ganz klar zum Ausdruck gebracht wird, dass es den Mitgliedstaaten nicht notwendig möglich sein muss, die entsprechenden Ziele genauso gut wie die Gemeinschaft zu erreichen.192 Bei Prüfung des Positivkriteriums besteht die Frage, ob die Zielerreichung ihres Umfangs oder ihrer Wirkung wegen auf Unionsebene tatsächlich „besser“ erfolgen kann. Wie erwähnt, hat dies konsekutiv zur Untersuchung des Negativkriteriums zu erfolgen – auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als wäre das Positivkriterium zwangsläufig erfüllt, wenn nur die Voraussetzungen des Negativkriteriums bejaht wurden.193 Es geht somit um den Bedeutungsgehalt des im Gesetzestext verwandten Wortes „besser“. In der Literatur wird im Wesentlichen auf eine Abwägung abgestellt.194 Diese orientiert sich an den transnationalen Aspekten der Maßnahme sowie 187 Plakativ: EuGH Slg. I-2002, 11453 (11606) Rn. 180 – British American Tobacco: „Um entscheiden zu können, ob die Richtlinie im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip steht, ist zunächst zu prüfen, ob das Ziel der in Betracht gezogenen Maßnahme auf Gemeinschaftsebene besser erreicht werden konnte.“ Vgl. Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 35 m.w.N. zur spärlichen Rspr. in Fn. 125 sowie Albin, NVwZ 2006, 629 (630, 632 ff.). 188 Vgl. The principle of subsidiarity, Communication of the Commission to the Council and the European Parliament – Kommissionsdokument SEC (92) 1990 final, Annex, S. 10. 189 s. dazu ausführlich Calliess, S. 111 m.w.N.; s. auch Schmidhuber/Hitzler, NVwZ 1992, 720 (723). 190 Calliess, S. 111. 191 In letzterem Fall hinge die Regelungsbefugnis der Union unter Umständen von der Leistungsfähigkeit einzelner, besonders patenter Mitgliedstaaten ab, was letztlich auch zulasten der weniger leistungsstarken Mitgliedstaaten ginge. s. zum Kriterium der Überforderung eingehend Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 38; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 54; Lenz/Borchardt/Langguth, Art. 5 EUV Rn. 32; v. Bogdandy/Bast/Everling, EuVerfR, S. 984; Calliess, S. 110 f. Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 28 zufolge reicht dagegen schon das Unvermögen nur eines einzigen Mitgliedstaates aus; so wohl auch Albin, NVwZ 2006, 629 (631). 192 Jarass, Grundfragen, S. 18; Calliess, S. 111; Pieper, DVBl. 1993, 705 (709). 193 Anschaulich Jarass, Grundfragen, S. 19. 194 s. zum Meinungsstand in der Literatur v. a. Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 30; Knaup, S. 215 ff., jeweils m.w.N.
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an Art und Schwere des zu behebenden Problems („Umfang“) und der Intensität mitgliedstaatlicher Betroffenheit („Wirkungen“).195 Die Kommission wendet den sog. Mehrwerttest an, bei welchem u. a. jene Parameter im Rahmen einer Gesamtbewertung der Effektivität unionsrechtlicher Maßnahmen einbezogen werden.196 Letztlich ist der Union ein Tätigwerden dann zu verwehren, wenn als Ergebnis dieser Gesamtbetrachtung ein nur minimaler Integrationsgewinn bei dagegen nicht unerheblichem Autonomieverlust der Mitgliedstaaten in Aussicht steht.197 Um dem Bedeutungsgehalt des Subsidiaritätsprinzips als Kompetenzausübungsschranke gerecht zu werden, ist vielmehr zu fordern, dass ein Handeln auf Ebene der Union „deutliche Vorteile“198 verspricht, denn bloß irgendeinen geringfügigen Vorteil wird eine staatenübergreifende Regelung regelmäßig erzielen.199 „Besser“ im Sinne des Positivkriteriums ist daher also nicht schon all das, was „etwas besser“ als „ausreichend“ im Sinne des Negativkriteriums ist.200 (2) Allgemeiner Rechtsgedanke Das Subsidiaritätsprinzip stellt sich in seiner Erscheinung in Art. 5 Abs. 3 EUV als Kompetenzausübungsschranke dar. Wesentlich ist aber die Feststellung des dahinter liegenden Gedankens, der die Subsidiarität quasi als allgemeines unionales Grundprinzip, als übergeordnete Leitlinie etabliert: Es beinhaltet die Anweisung an die Union, nur jene Bereiche an sich zu ziehen, deren übergreifende Regelung einen nachweisbaren Vorteil für das Integrationsprogramm und den damit verbundenen Zielen verspricht.201 Damit entspringt es dem allgemeinen Grundgedanken, dass der kleineren Einheit eine Zuständigkeitsprärogative gegenüber der größeren Einheit zukommt.202 Dies ist jeglichen föderativen Gebilden immanent.203 Das Subsidiaritätsprinzip entfaltet insofern seine staatsorganisatorische Bedeutung204 im Sinne einer Wahrung föderaler Balance.205 Es ist Ausdruck der Bestrebung, Unionskompetenzen nicht unbegrenzt zuzugestehen und bezweckt damit die Wahrung der na-
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Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 41 f. m.w.N. Vgl. Kommissionsdokument SEC (92) 1990 final (Fn. 188), Annex, S. 10. 197 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 42; Jarass, Grundfragen, S. 19 f. 198 Vgl. Teil A Anlage 1 II. Leitlinien der Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Edinburgh (Fn. 183). 199 Jarass, Grundfragen, S. 19; s. auch Schmidhuber/Hitzler, NVwZ 1992, 720 (723), die darauf hinweisen, dass ein bloßer „europäischer Mehrwert“ nicht ausreicht. 200 So aber Lambers, EuR 1993, 229 (237). 201 Sicherlich birgt die dazu erforderliche ex-ante Betrachtung ein gewisses Maß an Unsicherheit. Dies ist jedoch der in Art. 5 Abs. 3 EUV vorgesehenen Prüfung von Negativ- und Positivkriterium ohnehin immanent, vgl. Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 31. 202 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 20; s. auch Pieper, DVBl. 1993, 705 (706). 203 Schmidhuber/Hitzler, NVwZ 1992, 720 (721). 204 Vgl. etwa v. Borries, EuR 1994, 263 (272). 205 v. Bogdandy/Bast/Everling, EuVerfR, S. 984. 196
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tionalen Identität der Mitgliedstaaten.206 Auf eine über Art. 5 Abs. 3 EUV hinausgehende Bedeutung der Subsidiarität deutet auch die Erwähnung in Erwägungsgrund 13 der Präambel zum EUV hin. Hier ist von „möglichst bürgernah“ zu treffenden Entscheidungen die Rede. „Bürgernah“ ist das, worauf der Bürger den größten Einfluss hat; Entscheidungen sind daher auf der niedrigstmöglichen Ebene zu treffen.207 Die Präambel verleiht somit einem allgemeinen Subsidiaritätsprinzip Ausdruck, welches in das gesamte EU-Recht hineinstrahlt.208 Das Subsidiaritätsprinzip in seiner Funktion als Kompetenzausübungsschranke flankiert zudem Art. 4 Abs. 2 EUV, der u. a. das Gebot zur Achtung der nationalen Identitäten der Mitgliedstaaten durch die Union postuliert (so auch erkennbar aus Art. 4 Abs. 1 EUV).209 Auch dieser Grundsatz ist letztlich Ausdruck eines allgemeinen Subsidiaritätsgedankens. (3) Antagonistisches Verhältnis zum effet utile Diese hinter dem im EUV verankerten Subsidiaritätsprinzip stehende generelle Wertung ist darüber hinaus für die Auslegung des Unionsrechts von Relevanz.210 Daraus ergibt sich im Hinblick auf den effet utile Folgendes: Durch Auslegung wird der Bedeutungsgehalt einer jeglichen (also: nicht nur kompetenziellen) Norm ermittelt. Im besonderen Fall des Unionsrechts ist dabei einerseits dem Integrationsbedürfnis mittels des effet utile besonders Rechnung zu tragen, andererseits ist das die Union prägende Prinzip der Subsidiarität als dessen Antagonist zu berücksichtigen.211 Daraus resultiert, dass der allgemeine Subsidiaritätsgedanke den effet utile im weiteren Sinne, d. h. eine integrationsfreundliche, auf möglichst intensive Wirk-
206
Vgl. Teil A Anlage 1 I. Grundprinzipien der Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Edinburgh (Fn. 183). Weiterführend Lecheler, S. 59, 63 f., der bereits auf das über ex-Art. 3b EGV hinausgehende Potenzial des Subsidiaritätsprinzips, „rechtspolitische Leitlinie“ zu sein, hinweist. Die Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips bedürfe aber jedenfalls konkreter Vorschriften; s. auch Moersch, S. 366: „gemeinschaftspolitisches Bekenntnis“; v. Borries, EuR 1994, 263 (272). 207 v. d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Präambel EU Rn. 15; Art. 5 EGV Rn. 25; Streinz/ders., EUV Rn. 4, 16. Eine normative Ausprägung hat die Bürgernähe zudem in Art. 1 Abs. 2 EUV gefunden. 208 Pieper, DVBl. 1993, 705 (710 f.) spricht insofern sogar von einem „Strukturprinzip“ bzw. von „den Strukturprinzipien entsprechend“; s. dazu auch Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, Strukturprinzip einer europäischen Union, 1993. A.A. Jürgens, S. 108 ff., 140 f., der zu dem Ergebnis gelangt, der Gemeinschaft liege ein allgemeines Subsidiaritätsprinzip als Leitprinzip gerade nicht zugrunde. 209 Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 22; Potacs, EuR 2009, 465 (477). 210 In Anlehnung an Potacs, EuR 2009, 465 (477 f.). 211 Ähnl. Potacs, EuR 2009, 465 (478); Mosiek, S. 144 ff.; zum antagonistischen Verhältnis von Integration und Subsidiarität s. auch Moersch, S. 282. S. vom Grundgedanken her insbes. Calliess, S. 185 ff., der eine umfassende Untersuchung des Spannungsverhältnisses zwischen dem Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip vornimmt; Letzteres bringt die Zielgebundenheit der Mitgliedstaaten zum Ausdruck.
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samkeit bedachte Interpretation begrenzt.212 Insofern ist zu differenzieren: Im engeren Sinne steht das Subsidiaritätsprinzip in Zusammenhang mit der Begrenzung unionaler Kompetenzen. In dieser Hinsicht findet es explizit Ausdruck in seiner Erscheinung als Kompetenzausübungsschranke, Art. 5 Abs. 3 EUV („Maßnahmen“). Die Frage, ob die jeweils getroffene Unionsmaßnahme im Einzelfall eine solche ist, die den Maßgaben des Art. 5 Abs. 3 EUV gerecht wird, ist aber von derjenigen zu unterscheiden, ob die konkrete Auslegung einer Einzelermächtigung unter Beachtung des effet utile im weiteren Sinne mit einem im Vergleich zum dadurch bedingten mitgliedstaatlichen Autonomieverlust gesteigerten Integrationsgewinn einher geht. Eine entsprechende Begrenzung des effet utile ist insofern quasi eine vorgezogene Relativierung auf Ebene der Kompetenzbegründung.213 Diese vorausgegangenen Erwägungen sind stets im Anschluss an eine Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen zu berücksichtigen, da dem effet utile, wie dargestellt, eben auch bei jeglicher Auslegung unionaler Vorschriften Rechnung zu tragen ist. Im Einzelfall ist daher stets zu fragen, ob das dem effet utile entsprechende Auslegungsergebnis dem Gedanken einer Handlungsprärogative zugunsten der Mitgliedstaaten Rechnung trägt;214 die aus Art. 5 Abs. 3 EUV folgenden Kriterien sind dabei zumindest sinngemäß, verstanden als Leitlinie, zu berücksichtigen. cc) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Allgemeiner Rechtsgrundsatz Bereits im Jahre 1956 beschrieb der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache Fédéchar den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich als „allgemein anerkannten Rechtssatz“215 und verdeutlichte auch in einer Vielzahl darauffolgender Urteile216 dessen grundlegende Verbindlichkeit im Gemeinschaftsrecht – noch bevor eine teilweise Kodifizierung des Grundsatzes mit ex-Art. 3b Abs. 3 EGV (Art. 5 Abs. 4 EUV) im Jahre 1993 im Vertrag von Maastricht erfolgte. Insofern gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip seit jeher als generelles, objektives Prinzip mit Rang des Vertragsrechts217 und ist als solches „allgemeine Leitlinie gemeinschaftsrechtlichen Handelns“218.219 Nach verbreiteter und überzeugender Ansicht ist dieser all212 s. auch Moersch, S. 366: Subsidiaritätsbegriff (insbesondere im Zusammenhang mit dem effet utile) als „gemeinschaftspolitisches Bekenntnis der Mitgliedstaaten“ im Sinne eines „Bemühen(s) um ein stabiles und dauerhaftes Gleichgewicht zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen hinsichtlich der Aufgaben- und Kompetenzverteilung“. 213 So ist wohl auch Potacs’ Darstellung (EuR 2009, 465 [478]) zu verstehen. 214 Zu diesem Ergebnis gelangen auch Potacs, EuR 2009, 465 (477 f.) sowie Mosiek, S. 148. 215 EuGH Slg. 1955/56, 297 (311) – Fédéchar. 216 s. dazu die umfassenden Nachw. bei v. Danwitz, EWS 2003, 393 Fn. 1. 217 Koch, S. 195 f.; Emmerich-Fritsche, S. 105 ff.; Schwarze, S. 700 f.; Pache, NVwZ 1999, 1033 (1035). 218 v. Danwitz, EWS 2003, 393 (394).
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gemeine Gedanke – wie auch im deutschen Recht – Ausdruck der (vorliegend: „unionalen“) Rechtsstaatlichkeit (Art. 2 EUV).220 Zudem sei betont, dass es sich selbstverständlich um einen objektiven Grundsatz handelt.221 Der einzelne kann keine unmittelbaren Rechte daraus ableiten; im Rahmen der Verkürzung subjektiver Rechtspositionen kommt der Verhältnismäßigkeit auch im Unionsrecht regelmäßig die tragende Rolle zu.222 Aus dem Dargelegten folgen die drei wesentlichen Funktionen, die dem Grundsatz im Allgemeinen zugerechnet werden können: Als objektiver Rechtsgrundsatz ist er selbstständige Rechtmäßigkeitsvoraussetzung sämtlichen Unionshandelns.223 Daneben ist er Maßstab für die Rechtfertigung von Grundrechtsbeschränkungen224. Darüber hinaus – und dies ist für die vorliegende Darstellung eine ganz wesentliche Feststellung, die sogleich noch auszuführen sein wird – kommt er als allgemeine Direktive bei der Auslegung von Unionsrecht zum Tragen.225 (2) Kompetenzausübungsschranke im Sinne des Art. 5 Abs. 4 EUV Als spezielle Ausprägung der Verhältnismäßigkeit im Sinne eines objektiven Rechtsprinzips muss die in Art. 5 Abs. 4 EUV verankerte Kodifizierung der kompetenziellen Verhältnismäßigkeit verstanden werden.226 Insofern handelt es sich, 219 s. dazu aus der umfangreichen Literatur etwa Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 67 f.; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 5 EUV Rn. 17; Kutscher, Verhältnismäßigkeit, S. 89 (90); Hirsch, S. 8 ff.; Kischel, EuR 2000, 380 (382); Pache, NVwZ 1999, 1033 (1036); s. auch Emiliou, S. 134 ff. 220 So die wohl überwiegende Ansicht. s. nur Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 2 EUV Rn. 25; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Scheuing, § 6 Rn. 42; Koch, S. 190 ff.; s. auch Schwarze, Europäisches VerwaltungsR, S. 694 ff., 697 f.; Pache, NVwZ 1999, 1033 (1035); a.A. EmmerichFritsche, S. 111 ff., jeweils auch weiterführend zur generellen Frage nach einem unionsrechtlichen „Rechtsstaatsprinzip“ trotz mangelnder Staatsqualität der EU; s. auch Kutscher, Verhältnismäßigkeit, S. 89 (90 ff.). 221 Kutscher, Verhältnismäßigkeit, S. 89 (94); s. ausführlich Koch, S. 496 ff. 222 Weiterführend Hirsch, S. 13 ff. 223 s. etwa EuGH Slg. 1984, 2171 (Rn. 25 – Denkavit Nederland; Slg. I-1994, 4863 (4905) Rn. 41 – Crispoltoni; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 67; Hirsch, S. 12; ausführlich Schwarze, Europäisches VerwaltungsR, S. 699 ff.; Pache, NVwZ 1999, 1033 (1036 f.), jeweils m.w.N. 224 s. etwa EuGH Slg. 1989, 2609 (2639) Rn. 18 – Wachauf; Slg. I-1992, 2575 (2609) Rn. 23 – Kommission/Deutschland; Slg. I-1994, 4973 (5065) Rn. 78 – Deutschland/Rat („Bananenmarktordnung“); Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 41; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 45; Pache, NVwZ 1999, 1033 (1037); v. Danwitz, EWS 2003, 393 (394); s. auch Hirsch, S. 13 ff. 225 Dazu etwa Schwarze, Europäisches VerwaltungsR, S. 702 f.; Emmerich-Fritsche, S. 269 f.; Koch, S. 512 ff. m.w.N.; Pollak, S. 41 ff. m.w.N.; Kutscher, Verhältnismäßigkeit, S. 89 (94); v. Danwitz, EWS 2003, 393 (394 f.). 226 Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 42; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 67; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Scheuing, § 6 Rn. 42; Koch S. 163 ff., 171 m.w.N.; anders etwa Hirsch, S. 10 f., der ex-Art. 3b Abs. 3 EGV als Kodifikation des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes betrachtet; ähnl. Emmerich-Fritsche, S. 111.
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analog zu dem hinsichtlich Art. 5 Abs. 3 EUV Beschriebenen, um einen engeren Verhältnismäßigkeitsbegriff. Einen solchen Bedeutungsgehalt legt insbesondere die systematische Stellung der Vorschrift im Rahmen des Art. 5 EUV nahe – „Zentralnorm für die Struktur der föderalen Kompetenzordnung“227, „Kopfartikel der Bestimmungen über die Kompetenzen“228.229 Darüber hinaus wird der Befund durch das Subsidiaritätsprotokoll gestützt, dessen Berücksichtigung auch in Art. 5 Abs. 4 EUV aE vorgeschrieben wird; seinem Inhalt nach bezieht sich das Protokoll ausdrücklich nur auf Maßnahmen im Bereich der Gesetzgebung. Art. 5 Abs. 4 EUV zufolge „gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus.“
Die Verhältnismäßigkeit in ihrer Form als Kompetenzausübungsschranke dient demzufolge als Direktive für das „Wie“ unionsrechtlichen Tätigwerdens.230 Insofern werden die Aussagen des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 5 Abs. 3 EUV um „Art, Umfang und Intensität einer Maßnahme, ihre Reichweite und ihre materielle Regelungsdichte“231 ergänzt. (3) Materielle Konkretisierungen (a) Ähnlichkeit zur deutschen Dogmatik Inhaltlich ist der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit der aus dem deutschen Recht vertrauten Ausgestaltung zwar nicht identisch. Weitgehende Parallelen im Rahmen der Prüfungsfolge bestehen aber schon deshalb, weil insbesondere das deutsche Verfassungs- und Verwaltungsrecht als Vorbild fungierte.232 Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum „selbstständigen Prüfungsmaßstab“233 avanciert und so als „eigenständige Schranke“234 unionsrechtlichen Handelns fungiert.235 In die Rechtsprechung des Gerichtshofs interpretieren jedenfalls viele Autoren eine grundsätzliche Tendenz zu einer dreistufigen, dem deutschen Recht ähnlichen 227
Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 1. Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 2. 229 So auch Koch, S. 169 m.w.N. 230 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 44. 231 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 45. 232 Schwarze, Europäisches VerwaltungsR, S. 832; Emiliou, S. 169; v. Danwitz, S. 280; ders., EWS 2003, 393. 233 Dauses/Bleckmann/Pieper, B.I. Rechtsquellen Rn. 103; s. auch Ress, Verhältnismäßigkeit, S. 5 (41); v. Danwitz, EWS 2003, 393 (396). 234 Dauses/Bleckmann/Pieper, B.I. Rechtsquellen Rn. 103. 235 Damit unterscheidet er sich insofern vom deutschen Recht, als dort die Bindung an eine schutzbereichsmäßige Grundrechtsbeeinträchtigung besteht. 228
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Prüfung.236 Als plakatives Beispiel sei das Urteil in der Rechtssache Schräder237 genannt, in welchem der EuGH folgendermaßen ausführte: „Nach diesem Grundsatz sind Maßnahmen (…) nur rechtmäßig, wenn sie zur Erreichung der zulässigerweise mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sind. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.“238
Umfasst waren von der Prüfung hier sowohl die Geeignetheit und die Erforderlichkeit, als auch die Angemessenheit der Maßnahme im Hinblick auf die mit ihr angestrebten Ziele. Der Gerichtshof verfährt allerdings nicht immer, nach Ansicht einiger Autoren239 nicht einmal regelmäßig, in diesem Sinne. Ein Blick etwa auf das Urteil in der Rechtssache Kellinghusen240 offenbart das Fehlen beispielsweise der Angemessenheit: „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kommt es für die Frage, ob eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht darauf an, ob die gewählten Mittel zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet sind und ob sie das Maß des hierzu Erforderlichen nicht übersteigen.“241
In wieder anderen Urteilen beschränkt sich der EuGH generell auf eine Erforderlichkeitsprüfung, wie etwa in der Rechtssache Torfaen Borough Council242, in welcher er betont, es sei zu prüfen, „ob die Wirkungen einer solchen inländischen Regelung nicht über das hinaus gehen, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist.“243
Teils erfolgt auch nur der Verweis darauf, die Maßnahme müsse „sachlich geboten“244 oder etwa „unverzichtbar“245 sein. In seinem Urteil zur Tabakprodukt-
236 Vgl. Emiliou, S. 134 ff.; Hirsch, S. 11; Kischel, EUR 2000, 380 (383); Pache, NVwZ 1999, 1033 (1036); ähnl. Schwarze, Europäisches VerwaltungsR, S. 832 f.; s. insbes. auch Koch, S. 198 f. sowie Emmerich-Fritsche, S. 195 ff., jeweils m.w.N.; krit. v. Danwitz, EWS 2003, 393 (395 ff.), der eine stetige Reduktion auf eine bloße Evidenz- und Willkürprüfung moniert. 237 EuGH Slg. 1989, 2237 ff. – Schräder. 238 EuGH Slg. 1989, 2237 (2269) Rn. 21 – Schräder; Hervorhebungen durch Verf. 239 Koch, S. 198 ff.; v. Danwitz, EWS 2003, 393 (395 ff.). 240 EuGH Slg. I-1998, 6337 ff. – Kellinghusen. 241 EuGH Slg. I-1998, 6337 (6362) Rn. 33 – Kellinghusen; Hervorhebung durch Verf. 242 EuGH Slg. 1989, 3851 ff. – Torfaen Borough Council. In diesem Sinne auch etwa EuGH Slg. 1985, 2605 (2626) Rn. 22 – Cinéthèque; Slg. 1988, 4607 (4630) Rn. 12 – Kommission/ Dänemark. 243 EuGH Slg. 1989, 3851 (3889) Rn. 15 – Torfaen Borough Council; Hervorhebung durch Verf. 244 EuGH Slg. I-1992, 3351 (3384) Rn. 30 – Ramrath; Slg. I-1991, 659 (686) Rn. 14 – Kommission/Frankreich. 245 EuGH Slg. I-1996, 3903 (3930) Rn. 73 – Vereinigtes Königreich/Kommission.
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Richtlinie246 schließlich reduzierte der Gerichtshof seine Ausführungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf eine bloße Evidenz- und Willkürprüfung, indem er konstatierte, eine Maßnahme sei in diesem Bereich nur dann rechtswidrig, „wenn sie zur Erreichung des Zieles, das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist.“247
In seiner umfassenden Analyse zur Anwendungspraxis des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch den Gerichtshof gelangt Koch248 zu dem Ergebnis, der EuGH verwende jedenfalls keine einheitliche Definition und die tatsächlich dreistufige Prüfung sei eher die Ausnahme.249 Im Anschluss an eine weitere Analyse der von unterschiedlichster Seite eingebrachten Vorschläge zur Präzisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung,250 entwickelt er ein eigenes Prüfungsschema zur Überwindung der Unsicherheiten der unsteten EuGH-Rechtsprechung, welches dem deutschen Vorbild im Grundsatz entspricht, dabei aber unionsrechtliche Besonderheiten, wie etwa den viel größeren Umfang einzubeziehender Interessen, berücksichtigt.251 Kischel252 dagegen stellt fest, der Gerichtshof gehe im Grundsatz sehr wohl dem dreistufigen Prüfungsaufbau nach, lediglich der Prüfungsstandort sei teils abweichend. Alle Elemente der Verhältnismäßigkeit fänden letztlich Berücksichtigung; der EuGH begrenze – entsprechend seinem im Allgemeinen ohnehin recht knappen Urteilsstil in französischer Tradition – die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit regelmäßig auf die Überprüfung offensichtlicher Fehler. Dies erwecke lediglich den Eindruck, bestimmte Elemente der Verhältnismäßigkeit fielen aus der Prüfung heraus. v. Danwitz253 gar moniert Schutzdefizite der Verhältnismäßigkeit, die dadurch entstünden, dass der EuGH den dreistufigen Prüfungsaufbau unter Vernachlässigung jeweils eines der Elemente zugunsten eines bloß zweistufigen aufgebe. Durch die Einräumung weiter Beurteilungsspielräume bestünde sogar „die Gefahr einer Aushöhlung der rechtsstaatlichen Garantiefunktion der Verhältnismäßigkeit“254.
246
EuGH Slg. I-2001, 11453 ff. – British American Tobacco. EuGH Slg. I-2001, 11453 (11590) Rn. 123 – British American Tobacco; Hervorhebung durch Verf. 248 Koch, S. 252 ff., 579. 249 Koch, S. 199 ff., 252 ff., 579. 250 Koch, S. 277 ff. Er untersucht dabei Vorschläge aus der Wissenschaft (Epiney/Möllers, Freier Warenverkehr und nationaler Umweltschutz, 1992, S. 68 ff.) sowie aus der Praxis (Vorschlag des GA Lenz in dessen Schlussanträgen in der Rs. Frankreich und Irland/Kommission, EuGH Slg. I-1996, 795 [813 ff.] Rn. 75 ff. und Vorschlag der Kommission im Grünbuch „Kommerzielle Kommunikation im Binnenmarkt“ aus dem Jahr 1996, KOM [96] 192, S. 34 ff.). 251 Koch, S. 282 ff. 252 Kischel, EuR 2000, 380 (395 ff., 401 f.). 253 v. Danwitz, EWS 2003, 393 (395 ff.). 254 v. Danwitz, EWS 2003, 393 (397). 247
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Bereits dieser sehr kursorische Überblick über einige der analytischen wissenschaftlichen Beiträge zeugt davon, dass der EuGH-Praxis ein einheitlicher Prüfungsmaßstab kaum zu entnehmen ist. Unzweifelhaft finden sich allerdings die Elemente der Verhältnismäßigkeit, die aus dem deutschen Recht bekannt sind auch in der Rechtsprechung des EuGH wieder – entweder in zusammenhängender Form oder aber zumindest in Teilaspekten. Gemein ist den Untersuchungen in der Literatur der resümierende Wunsch nach mehr „Ausführlichkeit“255, intensiverer Ausgestaltung256 oder einer einheitlichen, klar strukturierten Prüfungsstruktur257 der Verhältnismäßigkeit, um sowohl eine Orientierungshilfe bei der unionsrechtlichen Entscheidungsfindung zu generieren als auch die Akzeptanz der Union durch ihre Bürger zu fördern und so für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. (b) Prüfmaßstab Dem Beschriebenen entsprechend erscheint es sinnvoll, bei der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Rechtsfindung von demjenigen Prüfmaßstab auszugehen, der – unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Unionsrechts, speziell der unterschiedlichen Rechtsvorstellungen der Mitgliedstaaten – ein möglichst breites Schutzniveau birgt. Dem entspricht eine Berücksichtigung aller Elemente der Verhältnismäßigkeit, etwa so, wie der Gerichtshof in der Rechtssache Schräder258 verfahren ist. Es bedarf vorab der Feststellung eines legitimen Zwecks der betreffenden Maßnahme, im Anschluss deren Erforderlichkeit und Angemessenheit zur Zielerreichung und, was dem logisch vorauszugehen hat, deren Geeignetheit.259 (aa) Legitimer Zweck Zur Konkretisierung der Frage nach dem legitimen Zweck einer unionsrechtlichen Maßnahme ist in Art. 5 Abs. 4 EUV ausdrücklich auf die „Ziele der Verträge“ verwiesen. Damit sind zwar letztlich die allgemeinen Vertragsziele260 angesprochen. In erster Linie geht es aber klar um die konkreten, mit der in Frage stehenden Maßnahme verfolgten Ziele – schließlich dient die Verhältnismäßigkeitsprüfung der Untersuchung der im konkreten Einzelfall bestehenden Zweck-Mittel-Relation.261 Ein Zusammenhang existiert allerdings insofern, als die in den Verträgen ausgearbeiteten Tätigkeitsfelder der Union im Ergebnis der Verwirklichung der allgemeinen 255
Kischel, EuR 2000, 380 (401). v. Danwitz, EWS 2003, 393 (401). 257 Koch, S. 278 sowie S. 252 ff. – ausführlich zu den Defiziten in der Verhältnismäßigkeitsdogmatik des EuGH. 258 Vgl. den Nachw. in Fn. 238. 259 Dem entspricht auch der bereits erwähnte Vorschlag Kochs (Fn. 251), mithilfe dessen er einen Konsens zwischen den in der Wissenschaft und Praxis zu Präzisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgetragenen Vorschläge herzustellen versucht (vgl. Fn. 250). 260 Vgl. insbes. Art. 3 EUV, s. o. unter B. II. 5. b) bb). 261 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 70. 256
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Vertragsziele, speziell der wirtschaftlichen Integration durch Verwirklichung des Binnenmarkts, dienen. Ist die Zwecksetzung im Einzelfall darauf zurückzuführen, so steht zugleich die Legitimität der anvisierten Ziels fest. Denn legitim, also im klassischen Sinne gemeinwohlkonform, ist das Ziel immer dann, wenn es in den Verträgen vorgesehen ist.262 Folge des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung ist, dass eine darauf basierende Maßnahme stets nur jene Ziele verfolgen darf, die von der konkreten Einzelermächtigung umfasst sind.263 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass – entsprechend den Ausführungen zur (weiteren) systematischen, teleologischen und effet utile-Auslegung, eine Betrachtung der Kompetenznormen stets im Lichte der allgemeinen Vertragsziele zu erfolgen hat. (bb) Geeignetheit Logisch muss im Folgenden zunächst die Geeignetheit einer Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks festgestellt werden, bevor eine weitergehende Abwägung erfolgen kann. Es geht, entsprechend dem deutschen Recht, darum, ob die Maßnahme dazu beiträgt, „die Verwirklichung des (legitimen) Ziels (…) zu fördern“.264 Die mit einer entsprechenden Untersuchung generell verbundene Prognoseentscheidung bringt gerade im Unionsrecht besondere Schwierigkeiten mit sich. Dortige Maßnahmen zeichnen sich durch enorme Komplexität und dem regelmäßigen Erfordernis eines hohen Maßes an Sachverstand aus; sie beinhalten stets den Versuch, die unterschiedlichsten Rechtsordnungen in bestimmter Hinsicht in dieselbe Richtung zu entwickeln. Aufgrund dessen übt der Gerichtshof eine generelle Zurückhaltung bei der Überprüfung der Geeignetheit aus und beschränkt sich in der Regel auf eine Kontrolle offensichtlicher Ungeeignetheit der Maßnahme im Zeitpunkt ihres Erlasses.265 Zudem ist die Beurteilung der tatsächlichen Geeignetheit Aufgabe des (Unions-) Gesetzgebers; die Frage nach eventuell „besser“ geeigneten Maßnahmen hat insofern nicht der Gerichtshof zu beantworten.266 Dennoch sollte, entsprechend dem Vorschlag Kochs267 zumindest versucht werden, mittels einer Wahrscheinlichkeitsanalyse die zu erwartenden Auswirkungen der Maßnahme im Hinblick auf das angestrebte Ziel darzustellen. Auch dem Gerichtshof sind Aussagen über künftig zu erwartende Ereignisse generell nicht fremd.268 Auf diese Weise 262 Insofern besteht eine Übereinstimmung zum deutschen Recht, vgl. Emmerich-Fritsche, S. 198 f. 263 s. dazu v. Danwitz, EWS 2003, 393 (399). 264 EuGH Slg. 1979, 713 (722) Rn. 7 – Stölting/Hauptzollamt Hamburg-Jonas. 265 EuGH Slg. 1973, 125 (142) Rn. 14 – Schröder; Schwarze, Europäisches VerwaltungsR, S. 833 f.; Emmerich-Fritsche, S. 207 ff.; Koch, S. 200 f. 266 Emmerich-Fritsche, S. 208 f. 267 Koch, S. 283. 268 s. bspw. die Ausführungen zur Tabakwerberichtlinie: „Zwar kann Art. 100a (…) als Rechtsgrundlage herangezogen werden, um der Entstehung neuer Hindernisse vorzubeugen. Das Entstehen solcher Hindernisse muss jedoch wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken.“ (EuGH Slg. I-2000, 8419 [8524] Rn. 86 – Deutschland/ Parlament und Rat; Hervorhebung durch Verf.).
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könnte ein Plus an Rechtssicherheit gewonnen werden; um Rechtsschöpfung würde es sich dagegen gerade noch nicht handeln. (cc) Erforderlichkeit Erforderlich ist eine Maßnahme nur dann, wenn keine gleichermaßen effektive, aber weniger einschneidende Alternative in Betracht kommt.269 Soweit es um die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit als Kompetenzausübungsschranke nach Art. 5 Abs. 4 EUV geht, bezieht sich die Erforderlichkeit speziell auf die Beschränkung mitgliedstaatlicher Autonomie.270 Insofern haben die in Betracht gezogenen Maßnahmen gegenüber gleichwertigen Mitteln zurückzustehen, welche etwa die mitgliedstaatlichen Handlungsalternativen weniger beschneiden.271 Zu beziehen ist dies selbstverständlich auch auf die konkrete Handlungsform oder etwa die Intensität der ins Auge gefassten Harmonisierung. Daher hat beispielsweise die Richtlinie Vorrang vor der Verordnung, eine Mindestharmonisierung ist der Totalharmonisierung vorzuziehen.272 Auch im Bereich der Erforderlichkeit, insbesondere im Hinblick auf wirtschaftspolitische Entscheidungen, billigt der Gerichtshof dem Unionsgesetzgeber einen weiten Beurteilungsspielraum zu.273 Dem liegen letztlich dieselben Erwägungen wie im Rahmen der Geeignetheit zugrunde. Dies darf aber nicht dazu führen, dass eine Untersuchung gleich geeigneter Austauschmittel gänzlich vernachlässigt wird.274 Daher sind im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung zunächst Handlungsalternativen des gleichen Grades an Geeignetheit zu ermitteln, welche sodann im Hinblick auf Intensität und Umfang der dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigung zu untersuchen und zu vergleichen sind.275 Da es im Unionsrecht wohl die Regel darstellt, dass die Interessen und Belange mehrerer Beteiligter berührt sind, muss letztlich das mildeste Mittel im Rahmen einer Gesamtgüterabwägung herausge269 Allgemeines Verständnis: s. nur BVerfG 100, 313 (375); Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG Rn. VII/113 ff. Vgl. zudem etwa die Formulierung des EuGH in der Rs. Schräder (s. dazu o. unter B. III. 1. d) cc) (3) m. Fn. 238); Schwarze, Europäisches VerwaltungsR, S. 834 f. 270 Im Gegensatz zur Grundrechtsprüfung, bei der es um den Schutz des Individuums geht; s. dazu etwa Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 42; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 55. 271 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 71. 272 Vgl. dazu insbes. Callies/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 55; Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 46. 273 s. etwa EuGH Slg. I-1997, 2405 (2461) Rn. 55 f. – Deutschland/Parlament und Rat; Slg. I-1997, 4559 (4610) Rn. 52 f. – National Farmer’s Union; s. auch schon EuGH Slg. 1971, 975 (985) Rn. 11 ff. – Zuckerfabrik Schöppenstedt; Slg. 1978, 1209 (1224) Rn. 5 – HNL; s. auch Dauses/Bleckmann/Pieper, B.I. Rechtsquellen Rn. 104; krit. v. Danwitz, EWS 2003, 393 (396 f., 399). Vgl. zu den Gründen der Gewährung entsprechender Beurteilungsspielräume Kischel, EuR 2000, 380 (388). 274 Dazu neigt der Gerichtshof allerdings, vgl. etwa EuGH Slg. 1987, 1069 (1125) Rn. 34 ff. – Rau; Slg. I-1995, 3115 (3152 f.) Rn. 57 ff. – Fishermen’s Organisations; s. zudem Koch, S. 214 ff.; v. Danwitz, EWS 2003, 393 (399). 275 s. dazu insbes. den Prüfungsvorschlag Kochs (S. 284 ff.).
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funden werden.276 Demnach stellt sich die Erforderlichkeit als „Prinzip des schonendsten Ausgleichs“277 dar. Soweit speziell die kompetenzielle Verhältnismäßigkeit betroffen ist, geht es um eine Art „Konkordanzherstellung“ zwischen dem unionsrechtlichen Bedürfnis nach Integration und dem mitgliedstaatlichen Anliegen nach der Wahrung nationaler Identität.278 Insofern kann die Erforderlichkeitsfrage als Herzstück der unionalen Verhältnismäßigkeitsprüfung betrachtet werden; sämtliche betroffenen Interessen und Rechtspositionen sind an dieser Stelle zu betrachten und derart miteinander in Einklang zu bringen, dass der maximal mögliche Integrationsgewinn bei gleichzeitig maximal möglicher Wahrung mitgliedstaatlicher Autonomie ermittelt wird. Damit wird deutlich, dass es im Unionsrecht nicht zwangsweise um die Ermittlung der „absolut am wenigsten belastende(n)“279 Maßnahme geht, sondern darum, welche Maßnahme das angestrebte Ziel mit wenigen Belastungen, aber gleichsam sicher erreicht.280 Dem entspricht auch der weite Beurteilungsspielraum des Unionsgesetzgebers. (dd) Angemessenheit Schließlich geht es im Rahmen der abschließenden Angemessenheitsprüfung um die Gegenüberstellung des Nutzens der Maßnahme und des mit ihr verfolgten Zwecks.281 Ein Missverhältnis darf hier nicht festzustellen sein. Der EuGH selbst prüft die Angemessenheit nur selten in der gebotenen Intensität282 oder vernachlässigt sie gänzlich.283 Zudem besteht gegenüber dem deutschen Recht die Besonderheit, dass nicht zwischen beeinträchtigtem subjektiven Recht und anvisierter Förderung des Allgemeininteresses abgewogen wird. Vielmehr nimmt der Gerichtshof vorwiegend eine Gegenüberstellung der objektiven Vor- und Nachteile der
276 Koch, S. 286 f. Zu beachten sind im Rahmen dieser Abwägung etwa die Kriterien, die das Subsidiaritätsprotokoll (vgl. Fn. 184) benennt: Verwaltungs- und Kostenaufwand. Zudem kann auch hier eine Orientierung an den Empfehlungen des Rates von Edinburgh (Teil A Anlage 1 II. Leitlinien, Fn. 183) erfolgen, vgl. Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 49. 277 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 55; Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 46. 278 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 55; Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 46; Emmerich-Fritsche, S. 305. 279 Schilling, EuGRZ 2000, 3 (23). 280 Schilling, EuGRZ 2000, 3 (23). 281 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 71; Lenz/Borchardt/Langguth, Art. 5 EUV Rn. 36; Schwarze/Lienbacher, Art. 5 EUV Rn. 38; Schwarze, Europäisches VerwaltungsR, S. 836; Pollak, S. 135 ff.; Pache, NVwZ 1999, 1033 (1036); s. auch EuGH Slg. 1980, 1979 (1997 f.) Rn. 21 – Testa. 282 s. dazu insbes. das Urteil Schräder (Fn. 238), in welchem zwar zunächst auf die Notwendigkeit der Angemessenheit der Maßnahme hingewiesen wird, anschließend aber keine eigenständige Prüfung mehr erfolgt. Koch weist in diesem Zusammenhang auf die in der Literatur kritisierte „Abwägungslücke“ in der EuGH-Rspr. hin (S. 222 f. m. Nachw. in Fn. 338). 283 s. etwa die Nachw. zur Rspr. in Fn. 241 und 242; Koch, S. 221 ff.; Emmerich-Fritsche, S. 215; v. Danwitz, EWS 2003, 393 (399).
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
Maßnahme vor.284 Letztlich muss es aber auch im Hinblick auf Intensität und inhaltlichen Umfang (nicht im Hinblick auf die Kriterien selbst, sondern auf die einzubeziehenden Erwägungen) der Verhältnismäßigkeitsprüfung stets um eine Betrachtung des konkreten Falls gehen: Generelle Gesetzgebungsakte erfordern aus den benannten Gründen einen weiten Beurteilungsspielraum, bloße Einzelmaßnahmen sind dagegen schon kraft Natur der Sache einer intensiveren Verhältnismäßigkeitsprüfung zugänglich.285 Seitens des Gesetzgebers erfordert die Angemessenheit, kollidierende Interessen in einen optimalen Ausgleich miteinander zu bringen.286 Im Rahmen der kompetenziellen Verhältnismäßigkeit stellt sich die Frage, „ob die gemeinschaftsrechtliche Regelung so viele Vorteile bietet, daß die damit verbundene Einschränkung des Handlungsspielraums der Mitgliedstaaten hingenommen werden kann.“287 Hierbei kommt es nur scheinbar zu Überschneidungen zwischen der Erforderlichkeits- und der Angemessenheitsprüfung. Denn ist zwar bereits bei Ermittlung des mildesten Mittels eine generelle Abwägung der betroffenen Interessen vorzunehmen, um festzustellen, ob eine gleichermaßen intensive Zielverwirklichung auch mithilfe weniger belastender, einschneidender oder freiheitsverkürzender Maßnahmen möglich ist. Die betroffenen Interessen werden so bereits gegenüber gestellt, umfassend gewürdigt und gegebenenfalls in einen schonenden Ausgleich miteinander gebracht. Im Rahmen der Angemessenheit geht es aber speziell darum, das auf diese Weise gefundene Ergebnis (also diese Maßnahme zur Erreichung dieses Ziels) in Relation zu den damit konkret verbundenen Beeinträchtigungen zu sehen. (4) Adressaten des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Adressiert werden mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip sowohl die Organe der Union als auch die Mitgliedstaaten.288 Art. 5 Abs. 4 EUV stellt die Bindung der EUOrgane im Rahmen der Ausübung ihrer Kompetenzen explizit klar; insofern wird wiederum der Schutz mitgliedstaatlicher Autonomie in den Vordergrund gerückt.289 Dass daneben die Mitgliedstaaten selbst auch als Verpflichtete der Verhältnismäßigkeit zu begreifen sind, ist überwiegend anerkannt.290 Diese haben die an sie gerichteten unionalen Maßnahmen unter Wahrung der Anforderungen der Verhältnismäßigkeit umzusetzen und den Grundsatz auch sonst stets dann zu beachten, wenn 284
Koch, S. 228 m.w.N. Schwarze/Lienbacher, Art. 5 EUV Rn. 41; Dauses/Bleckmann/Pieper, B.I. Rechtsquellen Rn. 104. 286 Emmerich-Fritsche, S. 213 m.w.N. 287 Jarass, Grundfragen, S. 35. 288 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 67; weiterführend Koch, S. 196 f.; Pache, NVwZ 1999, 1033 (1038); s. auch Emmerich-Fritsche, S. 107. 289 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 66. 290 s. nur. EuGH Slg. I-2010, 1449 (1489 f.) Rn. 55 f. – Rottmann; Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 41; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 67; Hirsch, S. 20 f.; Koch, S. 197; Pache, NVwZ 1999, 1033 (1038), jeweils m.w.N. 285
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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Unionsrecht tangiert ist, was insbesondere für die Beschränkung von Grundfreiheiten gilt. Diese Verpflichtung ist allerdings dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzip zu entnehmen. (5) Verhältnismäßigkeit als Auslegungsdirektive: Beschränkung des effet utile Wesentliche Bedeutung hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darüber hinaus als Direktive im Rahmen der Interpretation des Unionsrechts.291 Welcher Rang diesem zukommt, ist dabei irrelevant.292 Auch bei der Auslegung des Rechts der Mitgliedstaaten ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip von Bedeutung. Dies gilt immer dann, wenn die nationalen Vorschriften dem Vollzug oder der Umsetzung unionsrechtlicher Bestimmungen dienen oder etwa die Grundfreiheiten beschränken.293 Insofern erlangt er zwar nicht die Bedeutung eines Auslegungsgrundsatzes im Sinne des klassischen Methodenkanons. Allerdings dient er hierbei als Maßstab bei der Begründung eines spezifischen Auslegungsergebnisses. Damit stellt sich die Verhältnismäßigkeit ebenfalls als Antagonistin zum effet utile dar.294 Entsprechend der Darstellung zum Prinzip der Subsidiarität ist die Frage zu stellen, ob ein mithilfe des effet utile gefundenes Auslegungsergebnis einer am Übermaßverbot orientierten Kontrolle Stand hält. Ist dies nicht der Fall, sind die widerstreitenden Aussagen in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Die einzelnen Elemente der Verhältnismäßigkeit müssen dabei in Bezug auf die entsprechend präferierte Auslegungsmöglichkeit überprüft werden. Diese muss somit dem Zweck der ausgelegten Norm dienen, zu dieser Zweckerreichung auch geeignet sein sowie erforderlich und angemessen. Im Rahmen der Letzteren geht es dann vorrangig um die Frage, ob eine weniger auf Effektivität bedachte Auslegungsalternative den jeweiligen Interessen von Union und Mitgliedstaaten gleichermaßen gerecht würde. Sicherlich ist dies ein ganz allgemeiner Maßstab. Im Einzelfall ist er gegebenenfalls an der konkreten Auslegungsfrage auszurichten. dd) Resümée Die „europarechtliche Schrankentrias“295 bremst die Ausübung sämtlicher unionsrechtlicher Maßnahmen. Dies bleibt nicht ohne Einfluss auf den effet utile: Ein entsprechendes Auslegungsergebnis muss sich sinngemäß an den Prinzipien der 291 s. nur EuGH Slg. 1988, 2085 (2135) Rn. 36 – Bond van Adverteerders/Niederländischer Staat; vgl. zudem die Nachw. in Fn. 225. 292 Pache, NVwZ 1999, 1033, (1037). 293 Koch, S. 512 ff.; v. Danwitz, EWS 2003, 393 (394 f.). Letztlich ist dies Ausdruck des Gebots primärrechtskonformer Auslegung, s. u. unter C. IV. 294 Zu diesem Ergebnis gelangen v. a. Potacs, EuR 2009, 465 (478) sowie Mosiek, S. 158 ff.; ähnl. Emmerich-Fritsche, S. 205 f., die betont, das „Effizienzprinzip“ (zu welchem sie auch den effet utile zählt) sei jedenfalls kein dem Übermaßverbot vorrangiges Prinzip. Vielmehr seien beide Prinzipien gleichermaßen im Rahmen einer Abwägung zur Herstellung praktischer Konkordanz einzubeziehen. 295 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 5 unter Bezugnahme auf Merten, S. 77 (78).
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit messen lassen; eine begrenzte Einzelermächtigung darf es nicht aushebeln, ihr Aussagegehalt darf nicht missachtet werden. e) Ergebnis zum effet utile Als Ergebnis der Darstellung zum effet utile lässt sich daher Folgendes festhalten: Bei der Auslegung unionsrechtlicher Normen, die zu unterschiedlich möglichen Auslegungsergebnissen führt, kommt der effet utile-Grundsatz zur Anwendung. Danach gebührt demjenigen Ergebnis der Vorzug, das der Norm zur Entfaltung ihres maximalen Nutzens, d. h. deren möglichst weitestgehender, die Vertragsziele am besten fördernden Wirkung verhilft. Die Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit bringen allerdings das grundsätzliche Anliegen der Vertragsparteien zum Ausdruck, Unionsrecht nicht a priori über die Autonomie und Souveränität der Mitgliedstaaten zu stellen. Ganz im Gegenteil kann den Prinzipien ein formales Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Mitgliedstaaten dergestalt entnommen werden, dass zwar ein Tätigwerden der Union, nicht aber ein solches der Mitgliedstaaten stets einer besonderen Rechtfertigung bedarf.296 Zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustands im Einzelfall ist ein schonender Ausgleich zwischen beiden Anliegen – unionales Integrationsbedürfnis und nationale Autonomiewahrung – herzustellen.297 Insofern besteht ein Verhältnis der Interdependenz. Es ergibt sich damit ein zwei- bzw. dreistufiges Vorgehen im Anschluss an eine Auslegung von Unionsrecht: Zunächst ist das dem Prinzip des maximalen Nutzens entsprechende Ergebnis auszuwählen. Sodann ist dieses Auslegungsergebnis an den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu messen. Nur dann, wenn es diesen nicht genügen kann, ist in einem weiteren Schritt eine „praktische Konkordanz“ zwischen der integrationsfreundlichsten und der das Übermaßverbot wahrenden Auslegung herzustellen. Um dabei einer Erosion unionaler Zweckerreichung Rechnung zu tragen, ist es von entscheidender Bedeutung, zunächst eine Auslegung nach dem effet utile im weiteren Sinne zugrunde zu legen und damit einen Parameter zuschaffen, der einen möglichst weiten Integrationsgewinn schafft. Nur eine solche Vorgehensweise vermag allen Interessen angemessen Rechnung tragen. Hinnehmbare Folge der hier vertretenen Systematik ist, dass es gegebenenfalls zu Überschneidungen zwischen der Überprüfung der Subsidiarität bzw. Verhältnismäßigkeit des Auslegungsergebnisses und der Untersuchung der beiden Prinzipien in ihrer Funktion als Kompetenzausübungsschranken kommt. Sicherlich geht es hier wie dort um Mäßigung. Allerdings bestehen unterschiedliche Bezugspunkte, denn 296 Vgl. Jarass, Grundfragen, S. 26. Dass die Union die Beweislast für die Einhaltung der in Art. 5 Abs. 3 EUV trifft, hat die Kommission ausdrücklich klargestellt (Kommissionsdokument SEC [92] 1990 final [Fn.188], S. 1). 297 Ähnl. Potacs, EuR 2009, 465 (478); dies korreliert letztlich auch mit der Forderung v. Danwitz’ nach einer „effektivitätsbezogenen Abwägungslehre“ (S. 379).
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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einerseits ist die Relativierung einer Auslegung nach dem effet utile im weiteren Sinne Ziel, anderseits geht es um die Kompetenzausübung insgesamt, wobei dann auch Fragen etwa um die Wahl des konkreten Rechtssetzungsinstruments oder der Intensität dessen Einsatzes von Bedeutung sind. f) Effet utile-Rechtsprechung: Effektivitäts- und Äquivalenzgebot Die Rechtsprechung zum effet utile hat im Laufe der Zeit eine Reihe von Grundsätzen hervorgebracht, deren Anwendung mittlerweile obligatorisch ist. Von besonderer Bedeutung sind im vorliegenden Zusammenhang die Prinzipien den indirekten Vollzug von Unionsrecht betreffend. Namentlich geht es um das Effektivitäts- und das Äquivalenzgebot.298 Die Begründung der beiden Prinzipien folgt insbesondere dem Gedanken der Unionstreue299, wie er in Art. 4 Abs. 3 EUV zum Ausdruck kommt.300 Sie sind zudem eng verknüpft mit der bekannten „SoweitFormel“ des EuGH. Dieser zufolge „gehen die nationalen Behörden bei dieser Durchführung der Gemeinschaftsregelungen nach den formellen und materiellen Bestimmungen ihres nationalen Rechts vor“301, „soweit das Gemeinschaftsrecht (…) keine gemeinsamen Vorschriften enthält“302. Der indirekte Vollzug von Unionsrecht, der insofern weitgehend eigenständig erfolgt, erhält mit Effektivitäts- und Äquivalenzgebot zwei wesentliche Parameter. aa) Das Effektivitätsgebot Unter dem Effektivitätsgebot303 ist zu verstehen, dass Regelungen der Mitgliedstaaten, die den Vollzug von Unionsrecht betreffen, dessen möglichst wirksame Umsetzung erreichen und das dahinterstehende Anliegen nicht unterminieren sollen. Mit den Worten des EuGH bedeutet es, dass die nationale Umsetzung
298 Dazu, dass sich diese Gebote letztlich auf den effet utile zurückführen lassen: Potacs, in: Hummer, S. 269 (279). 299 Zum Begriff der Unionstreue s. Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV Rn. 30 ff. m.w.N. 300 s. nur v. Danwitz, S. 347, allerdings noch zu Art. 5 des Maastrichter Vertrags m. Nachw. in Fn. 35; Seyr, S. 153; Streinz, HdbStR X Rn. 218/20; Potacs, EuR 2009, 465 (480). 301 EuGH Slg. 1983, 2633 (2665) Rn. 17 – Deutsche Milchkontor. 302 EuGH Slg. 1983, 2633 (2665) Rn. 17 – Deutsche Milchkontor. 303 Zu beachten ist die divergierende Bezeichnung als „Beeinträchtigungsverbot“ durch den EuGH in früheren Urteilen, vgl. Seyr, S. 154 Fn. 388; Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV Rn. 62. In neueren Urteilen, wie z. B. in der Rs. Impact (vgl. EuGH Slg. I-2008, 2483 [2551] Rn. 46), lautet die deutsche Übersetzung aber „Grundsatz der Effektivität“. Auch in der Literatur finden sich begriffliche Abweichungen, s. etwa v. Danwitz, S. 345: „Vereitelungsverbot“; ebenso Kahl, Verw 29 (1996), 341 (351).
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung „die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (darf)“.304
Aus der Formulierung ist bereits erkennbar, dass es sich beim Effektivitätsgebot um eine Ausprägung des effet utile handelt. Es könnte daher auch als spezieller Anwendungsfall des effet utile im Bereich des Vollzugs von Unionsrecht beschrieben werden. Bei Zugrundelegung der Formulierung des EuGH und der hier befürworteten Einteilung, stellt sich das Effektivitätsgebot als Sicherung der „Untergrenze“ der Wirksamkeit unionsrechtlicher Vorschriften dar, quasi als Spielart des effet utile im engeren Sinne Der EuGH toleriert somit die autonome mitgliedstaatliche Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben unter Berücksichtigung der entsprechenden nationalen verwaltungsrechtlichen Besonderheiten, wenn nicht dadurch („soweit“) die Zielsetzung der umzusetzenden Vorschriften unterminiert wird.305 bb) Das Äquivalenzprinzip Das Äquivalenzprinzip306 fordert, dass beim Vollzug von Unionsrecht nach nationalen Rechtsvorschriften diese auf Sachverhalte mit und Sachverhalte ohne EUBezug gleich angewandt werden. Der EuGH formuliert dazu in der Rechtssache Deutsche Milchkontor folgendermaßen: „Wie der Gerichtshof (…) wiederholt ausgesprochen hat (…), müssen die nationalen Gerichte Rechtsstreitigkeiten (…) in Ermangelung gemeinschaftlicher Vorschriften nach ihrem nationalen Recht entscheiden, jedoch vorbehaltlich der durch das Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen, wonach (…) das nationale Recht im Vergleich zu den Verfahren, in denen über gleichartige, rein nationale Streitigkeiten entschieden wird, ohne Diskriminierung anzuwenden ist“307;
weiterhin führt er aus:
304 EuGH Slg. I-2003, 6515 (6560) Rn. 58 – Pasquini; s. auch EuGH Slg. I-2008, 2483 (2551) Rn. 46 – Impact; Slg. I-1997, 4025 (4046) Rn. 27 – Palmisani; Slg. I-1998, 4951 (4990) Rn. 34 – Edis; Schwarze, in: ders., Bestand und Perspektiven, S. 11 (20). 305 Streinz, HStR VII Rn. 182/26, unter Bezugnahme auf Götz, Probleme des Verwaltungsrechts auf dem Gebiet des gemeinsamen Agrarmarktes, EuR 1986, 29 (46 f.); Kahl, Verw 29 (1996), 341 (351 f.). 306 Auch hierzu ist die unterschiedliche Terminologie zu beachten, vgl. etwa Schroeder, in: Hummer, S. 231 (238 ff.): „Uniformitätsprinzip“; v. Danwitz, S. 345: „Diskriminierungsverbot“, von dem teilweise auch der EuGH in seiner früheren Rechtsprechung ausging (so. Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV Rn. 62 m. Nachw. in Fn. 252); EuGH Slg. I-2008, 2483 (2551) Rn. 46 f. – Impact: „Grundsatz der Gleichwertigkeit“; Slg. I-2003, 6515 (6559) Rn. 56 f. – Pasquini: „Äquivalenzgrundsatz“. 307 EuGH Slg. 1983, 2633 (2666) Rn. 19 – Deutsche Milchkontor.
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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„Bei der Anwendung nationalen Rechts dürfen (…) keine Unterschiede im Vergleich zu Verfahren gemacht werden, in denen über gleichartige, aber rein nationale Rechtsstreitigkeiten entschieden wird.“308
Verfolgt wird mit diesem Kautel Folgendes: Die nationalen Behörden sollen Sachverhalte mit Unionsbezug genauso sorgfältig bearbeiten wie Sachverhalte mit reinem Inlandsbezug.309 2. Implied powers a) Begriff und Einteilung Eine weitere Rechtsfigur, die im Zusammenhang mit unionaler Auslegung diskutiert wird, ist die sog. implied powers-Lehre.310 Ganz allgemein sind unter implied powers diejenigen Kompetenzen eines Rechtsträgers zu verstehen, die ihm nicht ausdrücklich durch eine Rechtsnorm, sondern inhärent vermittelt werden; es handelt sich um ungeschriebene Kompetenzen. Zurückzuführen sind Begriff und Bedeutung auf das US-Amerikanische Verfassungsrecht.311 Der EuGH hat die Existenz von implied powers im Unionsrecht bereits im Jahr 1956 mit seinem Urteil in der Rechtssache Fédéchar312 anerkannt. Dabei bezog er sich zwar nicht explizit, so aber der Sache nach auf die Rechtsfigur, indem er ausführte: „Der Gerichtshof hält, ohne sich dabei an eine extensive Auslegung zu begeben, die Anwendung einer sowohl im Völkerrecht als auch im innerstaatlichen Recht allgemein anerkannten Auslegungsregel für zulässig, wonach die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages oder eines Gesetzes zugleich diejenigen Vorschriften beinhalten, bei deren Fehlen sie sinnlos wären oder nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zur Anwendung gelangen könnten. (…) Es folgt daraus, dass die Hohe Behörde im vorliegenden Falle, um sich ihrer Aufgaben wirksam entledigen zu können, die Befugnis zur Festsetzung der Preise haben muss.“313
308 EuGH Slg. 1983, 2633 (2666) Rn. 23 – Deutsche Milchkontor; zum Äquivalenzprinzip z. B. auch EuGH Slg. I- 1997, 4025 (4046) Rn. 27 – Palmisani; Slg. I-1998, 4951 (4990) Rn. 34 – Edis. 309 EuGH Slg. 1983, 2633 (2666 f.) Rn. 23 – Deutsche Milchkontor; Streinz, HStR VII Rn. 182/25; Kahl, Verw 29 (1996), 341 (351); Schroeder, AöR 129 (2004), 3 (15 ff.) m.w.N. 310 Zu den implied powers allg. etwa Zuleeg, in: Encyclopedia in puplic international law, S. 312 ff.; Köck, FS Seidl-Hohenveldern, S. 279 ff.; s. auch v. d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Art. 5 EG Rn. 3; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 16 f.; Kahl, NVwZ 1996, 865 (867); s. insbes. auch Nicolaysen, EuR 1966, 129 ff.; grundlegend Sloot, 2005. 311 Genauer auf Article 1 Section 8 Clause 18 der US-Verfassung, der lautet: „The Congress shall have Power (…) to make all Laws which shall be necessary and proper for carrying into Execution the foregoing Powers, and all other Powers vested by this Constitution in the Government of the United States, or in any Department or Officer thereof.“ s. zu den USAmerikanischen Wurzeln der implied powers Joswig, Die implied powers-Lehre im amerikanischen Verfassungsrecht, 1996; Kraußer, S. 59 f.; Sloot, S. 35 ff. 312 EuGH Slg. 1955/56, 297 – Fédéchar. 313 EuGH Slg. 1955/56, 297 (312) – Fédéchar.
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
In folgenden Urteilen hat der Gerichtshof diese Rechtsprechung bestätigt und insbesondere im Bereich der EG-Außenkompetenzen zur Anwendung gebracht.314 Auch in der europarechtswissenschaftlichen Literatur ist die Existenz von implied powers heute allgemein anerkannt.315 Dogmatisch werden die inhärenten Zuständigkeiten typischerweise in drei Kategorien eingeteilt,316 die der Einteilung ungeschriebener Kompetenzen im Bundesrecht entspricht:317 Es werden Kompetenzen kraft Sachzusammenhangs, die zur Regelung einer angrenzenden Materie verwandt werden, Kompetenzen kraft Natur der Sache318, welche Regelungen erfassen, die im logischen Zusammenhang mit der ausdrücklich regelbaren Materie stehen, und Annexkompetenzen unterschieden. Annexkompetenzen sind für die Regelung von Vollzugsmaterien, d. h. Vorbereitungs- und Durchführungsmaßnahmen erforderlich.319 b) Methodischer Ansatz: Kompetenzauslegung statt Kompetenzerweiterung Dem bereits dargestellten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ist zu entnehmen, dass die Union nur über diejenigen Kompetenzen verfügt, die ihr in den 314 Vgl. EuGH Slg. 1960, 681 (708) – Italien/Hohe Behörde; Slg. 1971, 263 (280 f.) Rn. 72 ff. – AETR; s. zudem aus den Schlussanträgen des GA Trabucchi (EuGH Slg. 1973, 897 [913] – Hauptzollamt Bremerhaven/Massey-Ferguson) sowie der GAin Kokott (EuGH Slg. I2006, 3771 (3785) Rn. 46 Fn. 30 – Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat); s. auch Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 11/11; Sloot, S. 184 ff.; s. zu allem auch Dörr, EuZW 1996, 39 ff. Zudem existieren Urteile, in denen der EuGH nicht explizit, aber der Sache nach implied powers annimmt, vgl. etwa EuGH Slg. 1983, 1549 (1574) Rn. 43 ff. – KlöcknerWerke/Kommission (verb. Rs. 311/81 und 30/82). Der EuGH stellt hierbei fest, dass die Befugnis der Kommission zur Einführung von Erzeugungsquoten i.S.d. Art. 58 EGKS-Vertrag wirkungslos wäre, wenn hiervon nicht gleichzeitig die Befugnis erfasst wäre, auf die Lieferung von Waren in Drittländer einzuwirken. 315 s. nur die Nachw. in Fn. 310 sowie Schwarze/Lienbacher, Art. 5 EUV Rn. 9; v. d. Groeben/Schwarze/Schwartz, Art. 308 EG Rn. 67 ff.; Frenz, Rn. 2315; Emiliou, ELR 1993, 138 (143). Auch das BVerfG (E 123, 276 [351 f.]) erkennt die implied powers als verfassungsrechtlich hinzunehmende Zuständigkeitswahrnehmung einer internationalen Organisation mittels Kompetenzauslegung an. A.A. etwa Prokopf, S. 45 m.w.N. zum ablehnenden Schrifttum. 316 Zu allen drei Kategorien vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 11/12; Sloot, S. 41 ff., 47 m.w.N., der zumindest eine Ähnlichkeit zwischen dieser aus dem bundesdeutschen Recht bekannten Einteilung und den implied powers anerkennt; Nicolaysen, EuR 1966, 129 (131 m. Fn. 11), der die Annexkompetenz allerdings als Unterfall der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs begreift. 317 Zu den bundesstaatlichen ungeschriebenen Kompetenzen vgl. statt vieler v. Münch/ Kunig/Gubelt, Art. 30 Rn. 14 ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 676; Isensee, HdbStR VI Rn. 133/26, 133/79; Stettner, S. 428 ff., jeweils m.w.N. 318 Diese werden teils auch als resulting powers im Unionsrecht erfasst, s. bereits Fn. 109. 319 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 11/12; Schreiber, S. 138; s. auch Hansmann, DVBl. 2006, 838 (839); Ludwigs, S. 240 m.w.N. in Fn. 1190.
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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Verträgen ausdrücklich zugeschrieben werden. Zugleich besagt Art. 5 Abs. 2 EUV, dass die Union zur Verwirklichung der Vertragsziele tätig wird. Die implied powers stellen nun die ausdrücklichen Kompetenzen ergänzende Zuständigkeiten dar, welche es den Unionsorganen ermöglichen, vollständigen und umfassenden Gebrauch von einer Einzelermächtigung zu machen.320 Mit Nicolaysen321 hat man sich dahingehend Folgendes vor Augen zu halten: Zur Erreichung der mit den Verträgen verfolgten Ziele haben die Mitgliedstaaten bestimmte Mittel vorgesehen. Diese sind in den Verträgen in Form der begrenzten Einzelermächtigungen positiviert. Die Anerkennung von implied powers darf nun nicht etwa dazu führen, dass diese Grundentscheidungen (d. h. Festlegung spezifischer Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele) unterminiert werden, indem der Katalog der Mittel zur Erreichung der jeweiligen Ziele beliebig erweitert wird. Daher taugen die allgemeinen Vertragsziele nicht als Anknüpfungspunkte für die Begründung inhärenter Zuständigkeiten. Gegenteiliges entspräche gerade nicht dem Willen der Vertragsparteien, da diese zum Zwecke der Kompetenzbegründung und auch -begrenzung die jeweiligen Einzelermächtigungen und die allgemeine Normierung des Art. 352 AEUV in die Verträge eingefügt haben.322 Einziges Ziel, zu dessen Verwirklichung implied powers heranzuziehen sind, ist daher „die Durchführung der im Vertrag ausdrücklich gewährten Kompetenzen“323. Es handelt sich damit bei der Begründung von implied powers nicht etwa um eine (wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung unzulässige) Kompetenzerweiterung, sondern um schlichte Kompetenzauslegung.324 Mit anderen Worten ist es nicht möglich, unter Berufung auf implied powers völlig neuartige, im Vertrag so in keiner Weise vorgesehene, neue Befugnisse zu „kreieren“. Allerdings dürfen die bestehenden Befugnisse im auslegungsfähigen Umfang beansprucht werden.325 Andernfalls gestünde man den Unionsorganen eine Kompe320 s. dazu Sloot, S. 64 ff. (insbes. S. 70 f.), der insofern von „Flexibilität“ im Rahmen der Kompetenzen spricht; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 21; Nicolaysen, EuR 1966, 129 (136 f.). 321 Nicolaysen, EuR 1966, 129 (134 f.); wie dieser auch Mosiek, S. 13; Kraußer, S. 59 f. 322 So auch Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 21, der zusätzlich darauf hinweist, dass dieser Befund durch die Neuformulierung des Art. 3 Abs. 6 EUV bestärkt wird. Hiernach wird gerade die begrenzende Wirkung einer Einzelermächtigung betont. 323 Nicolaysen, EuR 1966, 129 (135). 324 s. auch BVerfGE 123, 267 (351): „Kompetenzauslegung im Sinne der US-Amerikanischen implied powers-Doktrin“; die implied powers als Unterfall der teleologischen Auslegung betrachten etwa Hobe, EuropaR Rn. 10/49; Böhm, S. 194, 195; Sloot, S. 28; Kutscher, S. I-43 f.; wohl auch Nicolaysen, EuR 1966, 129 (131). 325 s. auch Dauses/Stettner, A.IV. Gemeinschaftsrecht und nationales Recht Rn. 8; Kraußer, S. 60; Dörr, EuZW 1996, 39 (40). Hier zeigt sich auch der Unterschied von implied powers zu Art. 352 AEUV. Während Letzterer die Begründung von Kompetenzen aus den allgemeinen Vertragszielen gerade gestattet, knüpfen die implied powers stets an eine bereits bestehende, „geschriebene“ Kompetenznorm an (Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 11/11; s. zur Abgrenzung insbes. Nicolaysen, EuR 1966, 129 ff.). Allein diese Tatsache, d. h. diejenige dass die Vertragsparteien eine entsprechende Regelung in die Verträge eingefügt haben, spricht gegen die Möglichkeit, implied powers aus den allgemeinen Vertragszielen herzuleiten.
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
tenz-Kompetenz zu, über die diese gerade nicht verfügen und provozierte so – für den Fall der Bundesrepublik – einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 GG sowie den Grundsatz der demokratischen Legitimation (hinsichtlich des zu „Übertragenden“). Damit könnten entsprechende Maßnahmen national auch keine Bindungswirkung entfalten (hinsichtlich des „Übertragenen“).326 Doehring327 formuliert in diesem Zusammenhang treffend: „(…) die Berufung auf implied powers versagt, wenn und soweit keine power besteht. Nur die vorhandenen Kompetenzen können extensiv in Anspruch genommen werden.“ c) Unterscheidung von geschriebenen Kompetenzen Damit geht es bei den implied powers sachlich um die Frage, ob eine Einzelermächtigung (oder auch mehrere in ihrer Zusammenschau) im Einzelfall die Regelung einer der als implied powers anerkannten Materien, d. h. einer Annexkompetenz, einer solchen kraft Sachzusammenhangs oder einer Kompetenz kraft Natur der Sache gewährt. Soweit es nicht um eine der benannten Materien geht, handelt es sich konsequenterweise auch nicht um implied powers. Vielmehr stellen sonstige Ergebnisse, die die Auslegung einer Kompetenznorm zutage fördert, explizite Konkretisierungen der betreffenden Kompetenz dar. Daher können die implied powers als Institution begriffen werden, die Regelungsbefugnisse für eben die benannten Bereiche zu begründen sucht. Andernfalls könnte eine Differenzierung zwischen impliziten und expliziten Zuständigkeiten gar nicht vorgenommen werden.328 Sachgerecht ist diese aber deshalb, weil es sich bei den den implied powers unterfallenden Bereichen quasi um „Randmaterien“ handelt, deren Erfassung nicht unbedingt auf der Hand liegt. d) Verhältnis zu den Vertragszielen Es steht somit fest, dass sich inhärente Kompetenzen im Unionsrecht stets aus den geschriebenen Einzelermächtigungen, nicht aber aus den allgemeinen Vertragszielen ableiten. Letztere steuern allerdings über die Auslegung der Kompetenznorm automatisch die Begründung von implied powers. Sie dienen als wesentliche Parameter 326
s. dazu schon BVerfGE 89, 155 (210). Doehring, FS Everling I, S. 263 (269). 328 Zu dieser Feststellung gelangt auch Sloot, S. 9. Dieser teilt die implied powers in eine „engere“ und eine „weitere“ Fassung. Während die Erstere solche Kompetenzen umfassen soll, ohne deren Vorhandensein eine ausdrücklich zugewiesene Befugnis nicht vernünftig ausgeführt werden kann, soll es sich bei Letzteren um jene Kompetenzen handeln, ohne die ein Rechtsträger seine Ziele und Aufgaben nicht erreichen kann. Richtigerweise gelangt er zu dem Ergebnis, dass die weite Form der implied powers im Unionsrecht ausgeschlossen sei, da ein allgemeines Anknüpfen an die Vertragsziele bereits aufgrund der Existenz von ex-Art. 308 EGV (Art. 352 AEUV) ausgeschlossen sei. Dem ist zuzustimmen. Mit den Sloot zufolge bestehenden implied powers im engeren Sinne stimmen die beschriebenen drei Typen ungeschriebener Kompetenzen überein (so letztlich auch Sloot, S. 47). 327
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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bei der teleologischen Begutachtung des Regelungsbereichs der Kompetenznorm. Jede Kompetenzausübung der Union (bzw. ihrer Organe) ist notwendig auf eine entsprechende Zielverwirklichung ausgerichtet.329 Damit korrespondiert, wenn der EuGH ausführt, dass zur Kompetenzermittlung „auf das System und auf die materiellen Vorschriften des Vertrags“ zurückgegriffen werden muss, und dass Zuständigkeiten „auch aus anderen Vertragsbestimmungen (…) fließen (können)“.330 Es gilt, dass auch die Befürwortung von implied powers eine möglichst effektive Erreichung der Vertragsziele bezweckt.331 e) Unterschied und Verhältnis zum effet utile Aus dem bisher Geschilderten ergibt sich der Unterschied zwischen implied powers und dem effet utile-Grundsatz: Während es sich bei den implied powers um eine Kompetenzart, nämlich ungeschriebene, sich implizit aus den begrenzten Einzelermächtigungen ergebende Kompetenzen handelt, stellt der effet utile ein Auswahlkriterium zur Festlegung des vorzugswürdigen von mehreren möglichen Auslegungsergebnissen dar und ist im Weiteren Sinne quasi Auslegungsmethode332. Das methodische Verhältnis zwischen beiden Prinzipien kann wie folgt beschrieben werden: Unter Anwendung des effet utile-Grundsatzes gebührt bei der Auslegung von Bestimmungen des Primär- und Sekundärrechts stets demjenigen Ergebnis der Vorzug, das – entsprechend einem Prinzip des maximalen Nutzens – die Vertragsziele und den damit einhergehenden Integrationsgedanken am intensivsten verwirklicht. Nichts anderes gilt für die begrenzten Einzelermächtigungen. Auch diese sind so auszulegen, dass sie ihre praktische Wirksamkeit möglichst umfassend und effektiv entfalten können; auch bei deren Interpretation ist eine Beurteilung nach dem effet utile maßgebend. Wie gezeigt, stellen implied powers das Ergebnis der Auslegung einer Kompetenznorm (oder mehrerer in der Zusammenschau) dar. Herausgestellt wird dabei, ob die begrenzte Einzelermächtigung unter Berücksichtigung der Vertragsziele im Einzelfall die Regelung von Durchführungsbestimmungen (Annexkompetenz), einer im Zusammenhang stehenden Materie oder die
329 Dies korreliert mit den Ausführungen Köcks (FS Seidl-Hohenveltern, S. 279 [282 f.]) der darlegt, dass Zweck der Gründung einer internationalen Organisation logisch stets die Erreichung der mit ihrer Schaffung anvisierten Ziele ist. Daher orientierten sich implied powers stets an diesen. 330 Slg. 1971, 263 (274 f.) Rn. 19 – AETR. Ähnl. der EuGH in seinem Gutachten 1/76 über den „Entwurf zu einem Übereinkommen über die Errichtung eines europäischen Stillegungsfonds für die Binnenschiffahrt“: „Der Gerichtshof hat (…) entschieden, daß eine Zuständigkeit der Gemeinschaft (…) sich nicht nur aus einer ausdrücklichen Verleihung durch den Vertrag ergeben, sondern auch stillschweigend aus seinen Bestimmungen fließen kann.“ (Slg. 1977, 741 [755] Rn. 3). 331 Pühs, S. 87; Seyr, S. 111; Böhm, S. 196. Zu diesem Ergebnis gelangt auch Kutscher (S. I44). 332 s. dazu o. unter B. III. 1. b).
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
Regelung einer Materie erlaubt, welche ihrem Wesen nach nur auf Unionsebene zu verwirklichen ist. Wenn dem aber so ist, dann resultieren die implied powers im Unionsrecht stets aus einer Auslegung nach dem effet utile.333 So ist wohl kaum eine Konstellation denkbar, in welcher die Auslegung einer begrenzten Einzelermächtigung, die eine implizite Regelungsbefugnis zutage fördert, nicht auch zugleich diejenige ist, welche die Anwendung des effet utile begünstigt hätte. Es gilt damit, dass zwar implied powers regelhafte Folge einer Anwendung des effet utile sind, eine Auslegung nach dem effet utile aber nicht stets zur Begründung von implied powers führt. Eine Betrachtung des bereits erwähnten Fédéchar-Urteils des EuGH impliziert Ähnliches: Der Gerichtshof gelangt auch hier zur Begründung der impliziten Zuständigkeit der Hohen Behörde, indem er mit dem Erfordernis einer wirksamen Aufgabenerfüllung der Hohen Behörde argumentiert: „Es folgt daraus, dass die Hohe Behörde im vorliegenden Falle, um sich ihrer Aufgaben wirksam entledigen zu können, die Befugnis zur Festsetzung der Preise haben muss.“334
Dem Geschilderten widerspricht es aber, wenn manche Autoren effet utile und implied powers als identisch betrachten,335 insbesondere wenn die implied powers als Auslegungskriterium bezeichnet werden.336 Zwar ist dem zuzugeben, dass beiden Rechtsfiguren dieselbe Erwägung zugrunde liegt, nämlich eine möglichst weitgehende Berücksichtigung der Vertragsziele.337 Insofern besteht auch die beschriebene „Quasi-Akzessorietät“ der implied powers zum effet utile dergestalt, dass eine inhärente Zuständigkeit ihre Existenzberechtigung gerade aus dem Bedürfnis nach praktischer Wirksamkeit einer begrenzten Einzelermächtigung herleitet. Dennoch ist der dargelegte dogmatische Unterschied zu berücksichtigen: Der effet utile ist im Einzelfall das Mittel (Kriterium bei der Auslegung) zur Begründung von implied powers als dem Ergebnis (inhärente Kompetenz).338 Das Letztere ist logische Folge des Ersteren.339 333 Ähnl. Kock, ZfZ 1996, 330 (331): „Anwendungsfall der Auslegungsmaxime des ,effet utile‘“; Emiliou, ELR 1993, 138 (143). 334 EuGH Slg. 1955/56, 297 (312) – Fédéchar; Hervorhebung durch Verf. 335 So etwa Kutscher S. I-43 f.; Böhm, S. 194, 196; Becker, S. 196 f.; ähnl. Dörr, EuZW 1996, 39 (40): „Ausprägung des ,effet utile‘ (…)“; Müller/Christensen, Rn. 445; s. auch Bradley, ELR 1988, 379 (400), der ausdrücklich die Schwierigkeit einer Grenzziehung betont: „One man’s implicit power is another man’s extensive interpretation.“; ähnl. Kraußer, S. 61 f.; wie hier etwa Möstl, S. 362. 336 In diesem Sinne Böhm, S. 195; Calliess, S. 74; Dörr, EuZW 1996, 39 (40); richtig dagegen der Ansatz von Seyr, S. 110 f. 337 So auch Ehlers, Jura 2000, 323 (328); Sloot, S. 33. 338 Ähnl. Sloot, S. 34. 339 Ähnlich Seyr, S. 110; Mosiek, S. 13 f.; v. Oettingen, S. 44. Dem entspricht es auch, wenn der Gerichtshof – ohne ausdrücklich dogmatisch Stellung zu beziehen – in der Rs. Deutschland u. a./Kommission (EuGH Slg. 1987, 3202 [3253] Rn. 28) ausführt: „Weist eine Bestimmung des EWG-Vertrags (…) der Kommission eine bestimmte Aufgabe zu, so ist davon auszugehen, daß
B. Die Auslegungsmethodik im Unionsrecht
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f) Begrenzung inhärenter Kompetenzen durch Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Implied powers knüpfen also an ausdrücklich gewährte Kompetenzen an. In der Konsequenz müssen sie auch denselben Beschränkungen unterliegen. Das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellen Schranken für jegliche Maßnahmen der Union dar;340 sie gelten daher genauso für die Ausübung inhärenter Kompetenzen.341 Limitierend wirkt daneben das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Die Auslegung einer Kompetenznorm hat daher dort zu enden, wo sie in den Regelungsbereich einer anderen begrenzten Einzelermächtigung eindringt. Je weiter sich eine entsprechende Auslegung dem Gehalt eines anderen Kompetenztitels annähert, umso höher ist auch der Begründungsaufwand für das erstrebte Auslegungsergebnis.342 Das Gleiche ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass nach der hier vertretenen Ansicht implied powers stets aus einer Anwendung des effet utile-Grundsatzes resultieren, da bei diesem dieselben Erwägungen zugrunde zu legen sind. Etwaiger Kritik an der Anwendung von implied powers im Unionsrecht kann dementsprechend begegnet werden – wenn etwa Bast343 eine „umstandslose Herleitung von Kompetenzen aus Zielen oder Aufgaben“ ausschließen will und einfordert, nur dann auf implied powers zurückzugreifen, wenn ein „zwingendes Erfordernis“ nachweisbar ist. Auf die gesonderte Darlegung eines „zwingenden Erfordernisses“ kann insoweit verzichtet werden. Die entsprechende Absicherung verlagert sich dogmatisch auf die Ebene der Kompetenzausübung. Im Rahmen der Kompetenzbegründung dagegen kann den Bedenken bereits durch die notwendige Anknüpfung an eine geschriebene Kompetenzgrundlage begegnet werden.344 sie ihr dadurch notwendigerweise auch die zur Erfüllung dieser Aufgabe unerläßlichen Befugnisse verleiht; andernfalls würde der Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen.“ 340 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 11/23, 11/30; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 4 f., 20 ff., 44 ff.; Streinz/ders., Art. 5 EUV Rn. 4. S. zur umfassenden Geltung der Prinzipien bereits o. unter B. III. 1. d) bb) (1) (a) sowie B. III. 1. d) cc) (2). 341 So etwa Sloot, S. 121 f.; Calliess, S. 73 f. sowie Knippenberg, S. 138 – in Bezug auf das Subsidiaritätsprinzip. s. zudem Morsch, S. 361 f., dem nach, es sich bei den implied powers grundsätzlich um die Gemeinschaftszuständigkeiten ausdehnende Instrumente handele, welche in der Konsequenz auch ex-Art. 5 EGV unterliegen müssen. 342 Calliess/Ruffert/Bröhmer, Art. 53 AEUV Rn. 13 – speziell zu Art. 53 AEUV; dem kann aber klar ein allgemeiner Gedanke entnommen werden. 343 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 21. 344 Ebenso führt die separate Überprüfung einer „Notwendigkeit“ der Annahme von implied powers, wie sie etwa Sloot (S. 100 ff.) fordert, nicht weiter. Abgesehen davon, dass die Begründung einer entsprechenden „Notwendigkeit“ aufgrund des damit einhergehenden extensiven Interpretationsradius kaum zu aussagekräftigen Ergebnissen führen kann, wird dem dahinterstehenden Gedanken bereits durch die Kompetenzausübungsschranken des Art. 5 Abs. 3 und 4 EUV umfassend Rechnung getragen. Eine nicht „notwendige“ Inanspruchnahme
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
Zusammenfassend gilt daher, dass die europarechtliche Schrankentrias auch die Begründung und Ausübung inhärenter Zuständigkeiten betrifft. Nicht nur können implied powers ausschließlich an eine bestehende (geschriebene) Einzelermächtigung anknüpfen. Sondern auch muss deren Ausübung im Einzelfall verhältnismäßig und das angestrebte Ergebnis auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend zu verwirklichen sein.
C. Im Speziellen: Die Auslegung einer Richtlinie I. Exkurs: Sekundäres Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie Zur Erfüllung ihrer Aufgaben sind den Organen der Union diverse Rechtssetzungsinstrumente an die Hand gegeben. Primär finden sich diese in Art. 288 Abs. 1 AEUV. Dieser Regelung zufolge können Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen angenommen werden.345 Während Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse rechtsverbindlich sind, handelt es sich bei Empfehlungen und Stellungnahmen um Handlungsformen ohne rechtsverbindlichen Charakter. Die Richtlinie stellt einen der deutschen Rechtsordnung fremden Gesetzgebungsakt dar; sie ist „Unionsspezifikum“ und hat Ähnlichkeit mit der ehemaligen Rahmengesetzgebung in der Bundesrepublik. Ihrem Wesen zufolge ist sie hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den Mitgliedstaaten die Wahl der zur Zielerreichung erforderlichen Form und Mittel. Anders formuliert, besteht eine, sich bereits aus Art. 288 Abs. 3 AEUV ergebende Umsetzungspflicht – das „Ob“ der Umsetzung betreffend; das „Wie“ der Umsetzung bleibt dagegen in den Händen der Mitgliedstaaten. Daraus folgt, dass das sie betreffende Rechtssetzungsverfahren zweistufig ist:346 Auf der ersten Stufe erfolgt der Erlass der Richtlinie auf Unionsebene durch die Organe der Union. Adressat ist dabei der Mitgliedstaat. Auf einer zweiten Stufe hat dieser die Richtlinie dann innerhalb einer bestimmten Frist ins nationale Recht umzusetzen. Es erfolgt somit ein weiterer, innerstaatlicher Rechtssetzungsakt durch die jeweils national zuständigen Rechtssetzungsorgane. Erst danach entfaltet die Richtlinie Wirkung gegenüber jedermann.347 Die Bedeutung der Richtlinie besteht darin, dass durch die bloße Vorgabe einer verbindlichen inhärenter Zuständigkeiten könnte weder dem Subsidiaritäts- noch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen. 345 Die in Art. 288 AEUV aufgezählten Handlungsformen sind allerdings nicht abschließend, sodass es sich letztlich um ein „offenes System handelt“, vgl. Schulze/Zuleeg/Kadelbach/ König, Rn. 2/36, Streinz/Schroeder, Art. 288 EUV Rn. 2. 346 s. dazu Schulze/Zuleeg/Kadelbach/König, Rn. 2/45 ff. 347 Schulze/Zuleeg/Kadelbach/König, Rn. 2/44.
C. Im Speziellen: Die Auslegung einer Richtlinie
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Zielvorgabe, eines „Rahmens“ die nationale Vielfalt der Rechtsformen und -traditionen respektiert und gewahrt werden soll.348 Die Mitgliedstaaten sollen die Möglichkeit haben, die unionsrechtlichen Vorgaben in der Art und Weise in ihre Rechtssysteme einzubetten, die sie für vorzugswürdig halten.
II. Effet utile und Richtlinie Zu berücksichtigen ist, dass trotz der geschilderten grundsätzlichen Umsetzungsfreiheit Art. 4 Abs. 3 EUV in gewisser Weise einschränkend wirkt. Normiert wird hier die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Unionstreue, die das „Wie“ der Umsetzung beeinflusst. Alle dem Mitgliedstaat angehörigen Träger öffentlicher Gewalt haben so sämtliche geeigneten Maßnahmen allgemeiner und besonderer Art zu treffen, um die Erreichung des Ziels der Richtlinie zu gewährleisten.349 Auch aus dem Prinzip der Unionstreue folgt dabei das Erfordernis der Erreichung des effet utile, d. h. der Herbeiführung der vollen praktischen Wirksamkeit bei der Umsetzung.350 Ein entsprechendes Verständnis des ex-Art. 189 Abs. 3 EWGV, dessen Regelungsgehalt sich heute in Art. 288 Abs. 3 AEUV findet, entwickelte der EuGH im Jahr 1976 in seinem Urteil in der Rechtssache Royer351, in welchem er ausführte, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, „innerhalb der ihnen nach Artikel 189 belassenen Entscheidungsfreiheit die Formen und Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (effet utile) der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zwecks am besten eignen“352.
Auch in neueren Urteilen betont der Gerichtshof, dass die Mitgliedstaaten nur dann ihre Verpflichtungen aus einer Richtlinie erfüllen, wenn sie „alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie gemäß ihrer Zielsetzung zu gewährleisten“353.
III. Teleologische Auslegung und Richtlinie Speziell bei der teleologischen Auslegung von Richtlinien ist deren eigentümlicher Charakter zu berücksichtigen. Es handelt sich um eine auf den ersten Blick 348
Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/84. EuGH Slg. 1984, 1891 (1909) Rn. 26 – von Colson und Kamann; Slg. 1984, 1921 (1942) Rn. 26 – Harz; Slg. 1986, 1651 (1690) Rn. 53 – Johnston; Slg. I-1999, 1103 (1134) Rn. 48 – Carbonari. 350 Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV Rn. 54; Lück, S. 25 ff.; s. auch Seyr, S. 145. 351 EuGH Slg. 1976, 497 – Royer. 352 EuGH Slg. 1976, 497 (517) Rn. 69/73 – Royer; s. auch Streinz, FS Everling II, S. 1491 (1492 f.). 353 EuGH Slg. I-2005, 9215 (9261) Rn. 69 – Schulte m.w.N. 349
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
ganz selbstverständliche Logik, die dennoch betonender Erwähnung bedarf: Die Richtlinie erscheint phänotypisch als Regelungswerk bestehend aus mehreren einzelnen Regelungen. In ihrer Gesamtheit ergeben die Einzelnormen dann die Richtlinie. Ungleich etwa einem Beschluss, welcher sich in mehr oder weniger einer konkreten Aussage erschöpft und demgemäß auch regelmäßig einen konkreten Zweck verfolgt, trifft die Richtlinie mehrere Aussagen und verfolgt bei genauer Betrachtung auch mehrere Zwecke. Hinter jeder ihrer Einzelregelungen ist letztlich ein (objektives) Regelungsziel zu finden, dessen gesonderter Herausarbeitung es bedarf. Ähnliches gilt für die systematische Interpretation der Richtlinie, denn die Stellung der einzelnen Norm im Gefüge des konkreten Regelungssystems, d. h. ihre Anordnung an gerade dieser Stelle im Richtlinienzusammenhang (System im engeren Sinne) ist zu unterscheiden von der Betrachtung der Richtlinie als Gesamtwerk in Akzessorietät zum Primärrecht, insbesondere den Vertragszielen (System im weiteren Sinne). Zu berücksichtigen ist, dass es sich bei sekundären Rechtsakten stets um punktuelle Rechtssetzung handelt, mit deren eigenem System ein selbstständiger Regelungsgedanke zum Ausdruck kommt, der ein übergeordnetes Vertragsziel in bestimmter Weise konkretisiert. Dies darf im Hinblick auf den hohen Abstraktionsgrad der allgemeinen Vertragsziele und zugunsten höchstmöglicher Rechtssicherheit nicht vernachlässigt werden.354 Methodisch gilt es daher zum einen, den Zweck der einzelnen, auszulegenden Bestimmung der Richtlinie zu ermitteln und zum anderen, diesen im Hinblick auf den Zweck der Richtlinie selbst zu betrachten, um so die Richtlinie als Teil fortschreitender Integrationsbemühungen im Lichte der allgemeinen Vertragsziele zu begreifen.
IV. Primärrechtskonforme und richtlinienkonforme Auslegung Gesondert ist schließlich im vorliegenden Zusammenhang auf die primärrechtskonforme Auslegung hinzuweisen. Es handelt sich um eine der verfassungskonformen Auslegung im nationalen Recht entsprechende Regel, der zufolge die Rangfolge von Rechtsquellen zu beachten ist.355 Es ist bereits ein Gebot der Logik, dass Regelungen niederen Ranges stets denjenigen der jeweils höheren Ränge entsprechen müssen um, vollumfänglich Wirksamkeit zu entfalten (Normenhierarchie). Dogmatisch erfolgt größtenteils eine Einordnung in den Bereich der systematischen Auslegung, da auch hier eine vergleichende Betrachtung unterschiedlicher Normen
354
Ähnl. Herresthal, ZEuP 2009, 598 (603 ff.). Streinz, EuropaR Rn. 615; Riesenhuber/ders., Rn. 11/49; Buck, S. 186; Grundmann/ Riesenhuber, JuS 2001, 529 (534); Schroeder, JuS 2004, 180 (182); s. auch Calliess/Ruffert/ Ruffert, Art. 1 AEUV Rn. 24. 355
C. Im Speziellen: Die Auslegung einer Richtlinie
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erfolgt.356 Der EuGH betont dem Geschilderten gemäß in ständiger Rechtsprechung, dass bei mehreren möglichen Auslegungsergebnissen bei der Interpretation einer sekundärrechtlichen Norm jenes vorzuziehen ist, welches mit dem Primärrecht vereinbar ist.357 Dass eine unionsrechtliche Regelung stets im Lichte der Vertragsziele zu interpretieren ist, ergibt sich, wie gezeigt, bereits aus dem Wesen der Union selbst; systematische und teleologische Auslegung werden davon geprägt. Das Gebot der primärrechtskonformen Auslegung knüpft letztlich an diese Überlegungen an, indem auch dieses im Rahmen der Interpretation sekundären Unionsrechts die Berücksichtigung der Vertragsziele sowie darüber hinaus sonstiger primärrechtlicher Regelungen, wie etwa der Grundfreiheiten oder des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einfordert.358 Damit gilt, dass sich die obig geschilderte Relevanz der Vertragsziele auch aus rein rechtsdogmatischen Gründen herleitet; die Vertragsziele „strahlen“ bereits aufgrund der hierarchischen Überordnung des Primärrechts über das Sekundärrecht in dessen Auslegung ein. Vom Begriff der primärrechtskonformen ist kurz die richtlinienkonforme Auslegung abzugrenzen. Begrifflich könnte dabei auch von „sekundärrechtskonformer“ Auslegung gesprochen werden. Bezeichnet wird damit die Interpretation einer nationalen Rechtsnorm im Lichte einer Richtlinienvorschrift.359 Da wiederum die Richtlinienvorschrift aus den Vertragszielen heraus auflebt, versteht es sich von selbst, dass mittels richtlinienkonformer Auslegung letztendlich eine Realisierung der Vertragsziele direkt im nationalen Recht erfolgt.360
356
So etwa Anweiler, S. 186; Seyr, S. 50; Buck, S. 186; Grundmann, S. 331 ff.; Kutscher, S. I-40; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/173; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (532). 357 EuGH Slg. 1983, 4063 (4075) Rn. 15 – Kommission/Rat; Slg. 1986, 3755 (3812) Rn. 62 – Kommission/Deutschland; Slg. 1986, 3477 (3510) Rn. 21 – Klensch; Slg. I-1991, 1647 (1672) Rn. 17 – Rauh; Slg. I-1994, 223 (252) Rn. 9 – Herbrink. 358 s. auch Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1179). 359 Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV Rn. 77 ff.; Streinz, EuropaR Rn. 499; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/99; ausführlich und weiterführend Nettesheim, AöR 119 (1994), 261 (267 ff.); s. aus der Rspr. des EuGH bspw. EuGH Slg. 1984, 1891 (1909) Rn. 26 – von Colson und Kamann/Land Nordrhein Westfalen; Slg. I-1990, 4135 (4159) Rn. 8 – Marleasing. 360 Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV Rn. 77; Nettesheim, AöR 119 (1994), 261 (272) m. Nachw. auch zur engeren („deontischen“) Ansicht, nach der es um die bloße Erreichung einer Widerspruchsfreiheit zwischen nationaler und Richtlinienvorschrift geht.
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Kap. 1: Methodologische Grundlegung
D. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 1 1. Der EuGH nutzt die gesamte Palette der allgemein anerkannten Auslegungsmöglichkeiten und hält sich nicht an eine stringente Abfolge der einzelnen Methoden.361 Ausgangspunkt einer Auslegung muss allerdings auch im Unionsrecht der Wortlaut des zu interpretierenden Textes sein. Aufgrund der Sprachenvielfalt in der Union ist dieser aber mit der gebotenen Vorsicht zu gewichten. 2. Die Vertragsziele stellen die entscheidenden Kriterien bei jeder Auslegung von Unionsrecht dar. Sie „strahlen“ in alle Auslegungsmethoden hinein. Dies ist bereits im Wesen der Union als „Zweckverband“362 begründet. 3. Systematische Auslegung, verstanden in einem weiteren Sinne, und teleologische Auslegung sind die wesentlichen Methoden zur Interpretation von Unionsrecht. Sie weisen aufgrund ihrer Ausrichtung auf die Vertragsziele hin einen besonderen Zusammenhang auf und gehen teils ineinander über. 4. Der effet utile ist als Kriterium zur Auswahl des vorzugswürdigen von mehreren möglichen Auslegungsergebnissen zu verstehen. Inhaltlich stellt er sich als Prinzip des maximalen Nutzens dar, wonach einer Norm derjenige Bedeutungsgehalt beizumessen ist, der ihre Wirkung so effektiv und intensiv wie im Einzelfall möglich zur Geltung bringt. Parameter sind die in den Verträgen verankerten Ziele und das damit einhergehende Integrationsvorhaben. Nicht möglich ist in diesem Zusammenhang das Überschreiten der sich ebenfalls aus den Verträgen ergebenden Begrenzungen: Die Auslegung nach dem effet utile (demnach „im weiteren Sinne“) ist an den Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu messen. 5. Neben den geschriebenen Kompetenzen sind im Unionsrecht auch inhärente Zuständigkeiten, sog. implied powers, anzuerkennen. Sie treten als Annexkompetenzen in Form von Durchführungs- und Verwaltungsbestimmungen, wie aus dem Bundesrecht bekannt, als Kompetenzen kraft Sachzusammenhangs oder kraft Natur der Sache auf. Diese sind durch Auslegung einer geschriebenen Kompetenz (oder mehrerer in ihrer Zusammenschau) im Einzelfall zu ermitteln; sie knüpfen stets an eine begrenzte Einzelermächtigung an. Darüber hinaus unterliegen sie ebenfalls den Ausübungsschranken der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. 6. Effet utile und implied powers sind zwar beides Prinzipien, die im Zusammenhang mit der unionsrechtlichen Auslegung stehen. Sie unterscheiden sich aber grundlegend: Während der effet utile quasi als Auslegungskriterium einzuordnen ist, stellen die implied powers eine Kompetenzart, d. h. lediglich mögliches Ergebnis einer Auslegung dar. Beide Institute hängen dergestalt zusammen, dass sich implied 361
Potacs, EuR 2009, 465 (472); Kutscher, S. I-15 ff. Vgl. Reimer, EuR 2003, 992 (996), der vom „Zweckverbandcharakter“ der Union spricht. 362
D. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 1
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powers stets aus der Auslegung einer begrenzten Einzelermächtigung nach deren effet utile ergeben. 7. Wie in jeder Rechtsordnung besteht auch im Unionsrecht eine Normenhierarchie. Daraus resultiert das Gebot der primärrechtskonformen Auslegung, wonach bei mehreren möglichen Auslegungsergebnissen sekundärrechtlicher Bestimmungen dasjenige vorzuziehen ist, welches mit dem Primärrecht vereinbar ist.
Kapitel 2
Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL Anknüpfend an die in Kapitel 1 zugrunde gelegte Methodik soll im Folgenden geklärt werden, welcher genaue Bedeutungsgehalt dem Begriff „einheitlich“ im Sinne des Art. 6 DLRL zukommt. Soweit ersichtlich, erfolgte eine intensivere Auseinandersetzung mit der Frage bisher lediglich im Rahmen der Begutachtung zum einheitlichen Ansprechpartner durch das Deutsche Forschungsinstitut Speyer.363
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“ I. Auslegung nach Wortlaut und engerem System 1. Mögliche begriffliche Dimensionen Auszugehen ist vorliegend von Art. 6 DLRL als der Zentralnorm über die einheitlichen Ansprechpartner: „(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Dienstleistungserbringer folgende Verfahren und Formalitäten über einheitliche Ansprechpartner abwickeln können: a) alle Verfahren und Formalitäten, die für die Aufnahme ihrer Dienstleistungstätigkeiten erforderlich sind, (…); b) die Beantragung der für die Ausübung ihrer Dienstleistungstätigkeit erforderlichen Genehmigungen.“ „(2) Die Schaffung einheitlicher Ansprechpartner berührt nicht die Verteilung von Zuständigkeiten und Befugnissen zwischen den Behörden innerhalb der nationalen Systeme.“
Die Bestimmung geht in der deutsprachigen Fassung wörtlich von der Formulierung „einheitliche Ansprechpartner“ aus. Wie bereits aus dem EA-Gutachten
363 „Gestaltungsoptionen und Anforderungen an „Einheitliche Ansprechpartner“ des Vorschlags einer EU-Dienstleistungs-Richtlinie im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland“ vom 15. 02. 2006 (abrufbar unter: http://www.dienstleisten-leicht-gemacht.de/ DLR/Redaktion/PDF/gestaltungsoptionen-und-anforderungen-an-einheitliche,property=pdf,be reich=dlr,sprache=de,rwb=true.pdf, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014) sowie die aktualisierte Version des Gutachtens in Ziekow/Windoffer; im Folgenden „EA-Gutachten Speyer“.
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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Speyer ersichtlich, ist der Begriff „einheitlich“ semantisch einer Vielzahl an Deutungen zugänglich.364 Eine Einteilung in folgende Dimensionen erscheint sinnvoll: a) Objektives Begriffsverständnis aa) Tätigkeitsbezogene Dimension (1) „Einheitlichkeit“ des Leistungsportfolios Zunächst ist es möglich, „einheitlich“ als Synonym für „gesamt“, „verbunden“, „ganzheitlich“ zu verstehen.365 Danach soll das, was zu der entsprechenden Einheit zusammengefasst ist, nicht getrennt werden. Bestimmte Größen sollen nicht nur vorübergehend ein Ganzes bilden. Daraus ergibt sich vom natürlichen Wortsinn her, dass es in bestimmter Hinsicht um eine „Über-Ordnung“ für mehrere einzelne „Unter-Ordnungen“ geht; etwas, das thematisch in gewisser Weise zusammengefasst wird. Hinsichtlich des Ansprechpartners wäre der Bezug zur Aufnahme und Ausübung der Dienstleistungstätigkeit herzustellen. Es kann insofern von einer tätigkeitsbezogenen Dimension des Begriffs gesprochen werden. Demnach wäre eine sachliche Trennung beider Gebiete im Sinne einer Aufteilung auf unterschiedliche Stellen nicht möglich.366 Beide wären als Teilbereiche der „einheitlichen“ Unterstützertätigkeit des Ansprechpartners anzusehen; unabhängig von der Anzahl und der konzeptionellen Ausgestaltung der Ansprechpartner müsste jeder davon jedenfalls sämtliche, von der Dienstleistungsrichtlinie vorgesehenen Aufgaben wahrnehmen. Hinzuzuzählen sind dabei noch die in Art. 7 DLRL bezeichneten Informationspflichten, welche den Aufgabenbereich der Ansprechpartner komplettieren. Hinsichtlich der tätigkeitsbezogenen Dimension, legt der Begriff „einheitlich“ seinem natürlichen Wortsinn nach also nahe, dass eine Aufteilung der den Ansprechpartnern zugewiesenen Aufgaben auf unterschiedliche Stellen nicht erfolgen kann. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Gesetzessystematik im engeren Sinne, d. h. Art. 6 DLRL in seiner Gänze bzw. im unmittelbaren Zusammenhang zu ihm stehende Normen, ergibt sich zunächst allerdings ein anderer Eindruck: Art. 6 Abs. 1 DLRL ist in zwei litterae unterteilt: Littera a bezieht sich nur auf die Aufnahme, littera b nur auf die Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten. Diese Systematik könnte für die Möglichkeit einer Trennung der Kontaktstellen streiten. Gleiches könnte sich hinsichtlich der Informationspflichten der Ansprechpartner, welche in Art. 7 DLRL sogar separat geregelt sind, ergeben. Letztere Annahme wird allerdings bereits aufgrund der gewählten Formulierung „über die einheitlichen Ansprechpartner“ entkräftet. „Über die“ indiziert, dass es sich um dieselben An364
Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 511. Vgl. auch Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 635. 366 s. allerdings Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 52, der aus dem Wortlaut gerade die gegenteilige Option entnehmen will. Der Wortlaut fordere das Bestehen nur je „einheitlicher“ Kontaktstellen für die Aufnahme, Ausübung oder Wahrnehmung der in Art. 7 DLRL bezeichneten Informationspflichten. 365
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
sprechpartner wie in Art. 6 DLRL handeln muss. Wortlaut und Systematik legen somit nahe, dass zumindest die Informationspflichten durch alle Ansprechpartner wahrzunehmen sind, unabhängig davon, ob auch alle Ansprechpartner für die Aufnahme und die Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten zuständig sein müssen. Für diese Sichtweise streiten auch andere Sprachfassungen.367 Im Rahmen einer systematischen Auslegung ist schließlich Art. 8 Abs. 1 DLRL heranzuziehen, denn auch dieser nimmt inhaltlich direkten Bezug auf den einheitlichen Ansprechpartner. Vorgeschrieben ist dort die elektronische Verfahrensabwicklung: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Verfahren und Formalitäten, die die Aufnahme oder die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit betreffen, problemlos aus der Ferne und elektronisch über den betreffenden einheitlichen Ansprechpartner (…) abgewickelt werden können.“
Der Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 DLRL scheint ebenfalls eher zugunsten der Möglichkeit einer separierten Einrichtung von Ansprechpartnern für die Aufnahme und die Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten zu sprechen. Dies indizieren die Formulierungen „Aufnahme oder Ausübung“ und „über den betreffenden einheitlichen Ansprechpartner“. Andererseits ist dieses Verständnis wohl nicht zwingend, denn „oder“ kann auch als Synonym für „beziehungsweise“ herhalten und mit dem „betreffenden“ Ansprechpartner kann genauso Bezug auf die Anzahl an Ansprechpartnern genommen werden (etwa im Sinne von „derjenige von mehreren, den der Dienstleister nun gerade in Anspruch nimmt“). Auch ein Blick auf andere Sprachfassungen offenbart eine mangelnde Eindeutigkeit und Verlässlichkeit des Wortlauts: In der englischen Version des Art. 8 Abs. 1 heißt es: „Member States shall ensure that all procedures and formalities relating to access to a service activity and368 to the exercise thereof may be easily completed, at a distance and by electronic means, through the relevant point of single contact and with the relevant competent authorities.“
Die französische Fassung lautet: „Les États membres veillent à ce que toutes les procédures et formalités relatives à l’accès à une activité de service et369 à son exercice puissent être effectuées facilement, à distance et par voie électronique, par l’intermédiaire du guichet unique concerné et des autorités compétentes.“
367 Auch dabei wird jeweils der Plural verwandt; englisch: „the points of single contact“; französisch: „des guichets uniques“; italienisch: „degli sportelli unici“; spanisch: „por medio de ventanillas únicas“; niederländisch: „het één-loket“. Diese Fassungen legen die obige Deutung zumindest nahe. 368 Hervorhebung durch Verf. 369 Hervorhebung durch Verf.
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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Auch im Spanischen („y“), im Italienischen („e“) oder etwa im Niederländischen („en“) heißt es nicht „Aufnahme oder Ausübung“, sondern vielmehr „Aufnahme und Ausübung“. Insgesamt ist jedenfalls festzuhalten, dass Wortlaut und engeres System zu keinem zwingenden Ergebnis führen. Es kommt damit maßgeblich auf teleologische Gesichtspunkte bzw. das System im weiteren Sinne an. (2) Verfahrensrechtliche Rolle des Ansprechpartners: „Einheitliche“ Zuständigkeit Die tätigkeitsbezogene Dimension des Begriffes „einheitlich“ kann im vorliegenden Zusammenhang darüber hinaus auf die verfahrensrechtliche Rolle des Ansprechpartners bezogen verstanden werden. Gemeint ist, dass dieser selbst die in der Sache zuständige Behörde darstellen müsste. Sämtliche Sachkompetenzen wären an einer Stelle zu bündeln; der Ansprechpartner wäre quasi „Überbehörde“.370 Dem stehen allerdings ganz klar systematische Erwägungen entgegen, wonach die Dienstleistungsrichtlinie offenbar eine Front Office/Back Office-Struktur371 im Sinn hat. Dies verdeutlicht zuvörderst Art. 6 Abs. 2 DLRL, demnach „(d)ie Schaffung einheitlicher Ansprechpartner (…) die Verteilung von Zuständigkeiten und Befugnissen zwischen Behörden innerhalb der nationalen Systeme (nicht berührt).“
Das Gleiche ist Erwägungsgrund 60 zu entnehmen. Darüber hinaus betont Erwägungsgrund 48, dass die Ansprechpartner sowohl die in der Sache zuständige Behörde selbst als auch bloße Mittler zwischen dem Dienstleistungserbringer und den unmittelbar zuständigen Behörden sein können. Schließlich verwenden die Art. 6 – 8 DLRL den Begriff „zuständige Behörde“ im Unterschied zum Begriff des „einheitlichen Ansprechpartners“, was ein Nebeneinander beider Institute erkennen lässt. Daher muss festgehalten werden, dass mit der „Einheitlichkeit“ nicht die „einheitliche sachliche Zuständigkeit“ gemeint sein kann. bb) Konzeptionsbezogene Dimension Weiterhin könnte die „Einheitlichkeit“ im Sinne von „unterschiedslos“, „uniform“, „identisch“ zu verstehen sein.372 In Bezug auf die organisationsrechtliche Ausgestaltung der Ansprechpartner wäre dann eine im gesamten Bundesgebiet (jedoch nicht zwangsweise die Bundesebene) gleichartige Verortungsentscheidung zu verlangen. Gemeint ist eine Umsetzung, die – unabhängig von der Anzahl der 370 s. dazu Ernst, DVBl. 2009, 953 (955); Luch, in: Schliesky, Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie/I, S. 149 (155); Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 117 (134 f.). 371 Zum Begriff vgl. insbes. Schlachter/Ohler/Ziekow/Windoffer, Art. 6 DLRL Rn. 12; Ziekow/Windoffer/Beck, S. 177 ff.; M. Müller, FS Stober, S. 349 (358 ff.) 372 Vgl. auch Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 635.
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
Ansprechpartner – auf einer identischen Konzeption beruht. Es handelt sich insofern um die konzeptionsbezogene Dimension des Begriffs. Im Bundesstaat wirkte sich das zum einen auf vertikaler Ebene aus. Das bedeutet, dass die Ansprechpartner entweder auf Bundes- oder auf Landes- oder auf Kommunalebene einzurichten wären. Zum anderen ginge es um die horizontale, d. h. die institutionelle Ausgestaltung der Ansprechpartner. Diesbezüglich wäre eine identische Verortungsentscheidung zu verlangen, d. h. die Ansprechpartner müssten entweder bei den Kammern oder bei Privaten etc. eingerichtet werden. Wesentlich käme es auf ein uniformes System an – entweder sowohl auf Vertikal- als auch auf Horizontalebene oder jedenfalls auf einer von beiden. Eine solche Auslegungsmöglichkeit sieht auch Windoffer373, der von einer „Homogenität der Gliederungsebene im Staatsaufbau (…) oder der institutionellen Verortung des Ansprechpartners“ spricht.374 Der konzeptionsbezogenen Dimension zufolge, wäre den Mitgliedstaaten eine gewisse Implementierungshomogenität aufgegeben. Eine konzeptionelle Konkurrenz der Ansprechpartner innerhalb eines Mitgliedstaates wäre danach ausgeschlossen. Unter Einbeziehung der Systematik stellt sich allerdings folgendes Bild dar: Art. 6 Abs. 2 DLRL betont ausdrücklich, dass die Schaffung der Ansprechpartner „die Verteilung von Zuständigkeiten und Befugnissen zwischen Behörden innerhalb der nationalen Systeme“ nicht berührt. Dies wird durch Erwägungsgrund 48 getragen. Diesem zufolge bleibt „die Zuständigkeitsverteilung zwischen den zuständigen Behörden in den nationalen Systemen unberührt“. Dem könnte das generelle Anliegen der Richtlinie entnommen werden, die nationalen Systeme nicht modifizieren zu wollen, indem die jeweiligen verwaltungsrechtlichen Kompetenzen respektiert werden. Zudem stellt der Erwägungsgrund ausdrücklich klar:
373 Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 52; anschaulich ist dessen dortiges Beispiel, nachdem es dann ausschließlich „Kontaktstellen auf Bundes-, Landes-, Bezirks-, Kreis- oder Gemeindeebene“ bzw. nur „Kontaktstellen bei den Verwaltungsbehörden, den Kammern, Berufsverbänden oder Privaten“ gäbe. 374 Bezogen werden könnte die „Einheitlichkeit“ auch auf die Ausgestaltung der Ansprechpartner in den verschiedenen (respektive in allen) Mitgliedstaaten. Unter Zugrundelegung eines solchen Begriffsverständnisses müsste Ergebnis der Umsetzung ein in allen Mitgliedstaaten exakt identisches System an Ansprechpartnern sein. Unabhängig davon, wie dies praktisch zu bewältigen wäre, führte dies zweifelsohne zu einer besonders leichten Handhabung aus Sicht der Dienstleistungserbringer (insbesondere derjenigen, die in mehreren Mitgliedstaaten von der Option des Ansprechpartners Gebrauch machen wollen) aufgrund einer unmittelbaren Vergleichbarkeit aller Systeme. Einem solchen Verständnis steht aber bereits das Rechtssetzungsinstrument „Richtlinie“ selbst entgegen. Adressiert werden damit die einzelnen Mitgliedstaaten, denen ein Ausgestaltungsspielraum gerade verbleibt, nicht aber alle Mitgliedstaaten als Kollektiv. Ein entsprechend weitreichendes Regelungsinstrument wäre u. U. nur die Verordnung. Den Erlass einer solchen gestattet ex-Art. 47, 55 EGV (Art. 53, 62 AEUV) aber gerade nicht. Aus diesem Grund scheidet ein solches Begriffsverständnis aus (argumentum ad absurdum).
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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„Die einheitlichen Ansprechpartner können nicht nur bei Verwaltungsbehörden angesiedelt werden, sondern auch bei Handels- oder Handwerkskammern, Berufsorganisationen oder privaten Einrichtungen, die die Mitgliedstaaten mit dieser Aufgabe betrauen.“
Dies könnte insgesamt gegen die strenge Begrenzung auf ein bestimmtes, ganzheitliches Konzept für die Ansprechpartner sprechen. Dennoch kann dem wiederum entgegen gehalten werden, dass sich Erwägungsgrund 48 auch auf die Gesamtheit der Mitgliedstaaten beziehen könnte. Dadurch wäre die dort enthaltene Aufzählung lediglich als allgemeine Darstellung von Optionen zu verstehen. Auch kann Art. 6 Abs. 2 DLRL zwar entnommen werden, dass sich die Ansprechpartner möglichst in die bestehenden nationalen Kompetenzsysteme integrieren sollen. Dennoch schlösse dies nicht zwingend aus, dass mit der „Einheitlichkeit“ identisch konzeptionierte Ansprechpartner angestrebt sind. Prinzipiell könnte ein solcher Zustand auch unter Wahrung der nationalen Kompetenzen erreicht werden. Insgesamt kann somit zwar vermutet werden, dass die Dienstleistungsrichtlinie ein Nebeneinander verschiedener Konzepte die Umsetzung des einheitlichen Ansprechpartners betreffend toleriert. Ganz eindeutige Aussagen sind ihr aber nicht zu entnehmen. cc) Mengenbezogene Dimension Schließlich kann dem Begriff „einheitlich“ ein mengenmäßiges Verständnis zugrunde gelegt werden. Folgend wäre die „Einheitlichkeit“ gleichzusetzen mit der Bedeutung „eins“, „einzig“. Bezogen auf Art. 6 Abs. 1 DLRL hieße das die Schaffung tatsächlich „eines einzigen“ Ansprechpartners in physisch-realer Hinsicht.375 Zu klären bliebe, auf welche Größe dies bezogen wäre. In Betracht käme die Schaffung eines Ansprechpartners „ pro Mitgliedstaat“ oder „pro Verwaltungseinheit im Mitgliedstaat“. Die Verwendung des Plurals sowohl im Text des Art. 6 Abs. 1 und 2 DLRL als auch in dessen amtlicher Überschrift deutet eher auf Letzteres hin.376 Folge dessen wäre, dass – wiederum unter Zugrundelegung der typischen Vertikalund Horizontalteilung – jeweils nur ein Ansprechpartner pro staatlicher Gliederungsebene (vertikal) einzurichten wäre, d. h. ein Ansprechpartner auf Bundesebene oder je Bundesland auf Landes- oder auf Kommunalebene. Auf die Horizontalebene, d. h. die institutionelle Verortung hätte dieses Begriffsverständnis keine Auswirkungen; es wäre irrelevant, ob nun der Ansprechpartner bei einer Verwaltungsbehörde oder einem Privaten eingerichtet würde, solange es nur einen einzigen davon pro Verwaltungseinheit gäbe. Ein mengenmäßiges Verständnis des Begriffs „einheitlich“ im Sinne von der Gestattung mehrerer Ansprechpartner pro Mitgliedstaat erscheint unter Heranziehung der engeren Systematik der Dienstleistungsrichtlinie auf den ersten Blick zwar nicht zwingend. So findet der einheitliche Ansprechpartner an verschiedenen Stellen der Richtlinie Erwähnung. Art. 7 Abs. 1 und 21 Abs. 2 DLRL verwenden bei375 376
So auch Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 51. Ergo: 1 selbstständige Verwaltungseinheit = 1 Ansprechpartner.
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
spielsweise auch den Plural, Art. 22 Abs. 1 lit. c) dagegen den Singular. In Art. 8 Abs. 1 und 11 Abs. 3 DLRL wiederum ist vom „betreffenden“ einheitlichen Ansprechpartner die Rede, was sowohl für das eine (also tatsächlich „ein einziger“ Ansprechpartner pro Mitgliedstaat) als auch für das andere (mehrere Ansprechpartner pro Mitgliedstaat) sprechen kann. Allerdings stellt Erwägungsgrund 48 ganz klar fest: „Die Zahl der einheitlichen Ansprechpartner kann von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden sein, je nach den regionalen oder lokalen Zuständigkeiten oder den betreffenden Tätigkeiten.“
Damit kann festgestellt werden, dass zumindest eine Begrenzung auf einen einzigen Ansprechpartner pro Mitgliedstaat nicht vorgesehen ist. Inwieweit allerdings die Zahl der Ansprechpartner pro Verwaltungseinheit im Mitgliedstaat divergieren darf, bleibt unklar. b) Subjektivierung des Begriffs In unmittelbarem Zusammenhang mit den „einheitlichen Ansprechpartnern“ nennt die Dienstleistungsrichtlinie die „Dienstleistungserbringer“. So lautet der Anfang von Art. 6 Abs. 1 DLRL: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Dienstleistungserbringer377 folgende Verfahren und Formalitäten über einheitliche Ansprechpartner abwickeln können: (…).“
Auch in Art. 7 Abs. 1 DLRL, der in engem systematischen Zusammenhang zu Art. 6 DLRL steht, heißt es: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Dienstleistungserbringern und -empfängern378 über die einheitlichen Ansprechpartner folgende Informationen zugänglich sind: (…).“
Bereits Wortlaut und unmittelbarer Satzzusammenhang der Bestimmung indizieren eine am Dienstleistungserbringer orientierte Ausrichtung der Ansprechpartner. Dies spricht dafür, das Verständnis von „einheitlich“ auch in Relation zum Dienstleister zu bringen. Der Wortlaut legt demnach ein subjektiv geprägtes Begriffsverständnis nahe – eine Beurteilung der „Einheitlichkeit“ aus Sicht des Dienstleisters.379 Eine solche Deutung wird durch Hinzuziehung des Erwägungsgrundes 48 gestützt, dem zufolge sicherzustellen ist, „dass jeder Dienstleistungserbringer über eine Kontaktstelle verfügt, über die er alle Verfahren und Formalitäten abwickeln kann“.380 Unter Zugrundelegung dessen ergäbe sich somit eine 377
Hervorhebung durch Verf. Hervorhebung durch Verf. 379 So auch Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 51 f. 380 Nicht eindeutig ist dagegen die Formulierung „den betreffenden einheitlichen Ansprechpartner“ in Art. 8 Abs. 1 und 11 Abs. 3 DLRL. Zwar indiziert das Wort „betreffend“ ein subjektives Verständnis dergestalt, dass gerade derjenige Ansprechpartner gemeint ist, den der Dienstleister etwa als Kontaktstelle ausgewählt hat. Andererseits ist dieses Verständnis nicht 378
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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Subjektivierung: Kann sich der Begriff objektiv betrachtet auf die Tätigkeit der Ansprechpartner, auf das ihnen zugrunde liegende Implementierungskonzept oder auch auf deren Anzahl beziehen, müsste es bei weitergehender Auslegung dieser Verständnismöglichkeiten maßgeblich darauf ankommen, inwiefern der Ansprechpartner sich aus Sicht des Dienstleisters als „einheitlich“ darstellt. Ob eine solche Betrachtungsweise überzeugen kann und inwieweit die objektiven Dimensionen des Begriffs damit korrelieren, ist anhand der weiteren Interpretationskriterien zu untersuchen. 2. Andere Sprachfassungen Dass die methodische Anforderung eines umfassenden Vergleichs aller in der Union authentisierten Sprachfassungen dem Grunde nach erforderlich, realiter aber nur von den wenigsten Rechtsanwendern zu bewältigen ist, wurde bereits dargelegt.381 Folge ist, dass sich in der Regel die Relevanz der Wortlautinterpretation im Gegensatz zur systematischen und teleologischen reduziert. Unabhängig von diesem Befund jedoch, erscheint es allerdings so, dass selbst eine Betrachtung sämtlicher Fassungen nicht zu weiterem Aufschluss verhelfen würde. Im EA-Gutachten Speyer erfolgte so bereits der Hinweis auf einige der anderssprachigen Texte, allerdings ohne irgendeinen Erkenntnisgewinn.382 Weder die englische („points of single contact“), noch die französische („guichets uniques“), die italienische („sportelli unici“), die spanische („ventanillas únicas“) oder die niederländische („één-loket“) Übersetzung des Begriffs „einheitlicher Ansprechpartner“ deutet besonders auf den einen oder anderen Bedeutungsgehalt hin; vielmehr verbleibt auch dabei jeweils Raum für eben die obig benannten unterschiedlichen Ansätze.
II. Historie, weitere Systematik und Teleologie unter Zugrundelegung des effet utile 1. Subjektives Begriffsverständnis: Telos des Art. 6 DLRL und der Dienstleistungsrichtlinie selbst Das vom Wortlaut indizierte subjektive Verständnis der „Einheitlichkeit“ soll nunmehr als Anknüpfungspunkt für weitere Auslegungsbemühungen dienen, namentlich geht es um die Überprüfung anhand teleologischer Gesichtspunkte. Fraglich ist also, welchen Sinn und Zweck Art. 6 DLRL verfolgt. Vorab ist es allerdings sinnvoll, das Telos der Dienstleistungsrichtlinie selbst zu betrachten, um sodann den in dieser Hinsicht konkretisierten Zweck, der mit den einheitlichen Ansprechpartnern verfolgt wird, zu ergründen. zwingend, da die Formulierung auch bloß „einer von mehreren vorhandenen Ansprechpartnern“ (o. ä.) bedeuten könnte. 381 s. o. unter Kapitel 1 B. II. 2. 382 Vgl. Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 52.
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
a) Sinn und Zweck der Dienstleistungsrichtlinie Um sich dem Zweck der Dienstleistungsrichtlinie zu nähern, erscheint im Vorfeld Zweierlei angebracht, zunächst nämlich den entstehungsgeschichtlichen Kontext zu betrachten, in den die Richtlinie eingebettet ist und sodann den Blick auf den teleologischen Aussagegehalt der dahinter stehenden Rechtsgrundlage zu richten. aa) Hintergrund: Von der „Lissabon-Strategie“ zur Dienstleistungsrichtlinie Am 23. und 24. März 2000 trat der Europäische Rat zu einer Sondersitzung in Lissabon zusammen, um für die Union ein neues strategisches Ziel zur Förderung der Wirtschaft, der Beschäftigung und des sozialen Zusammenhalts zu formulieren. Als solches wurde festgehalten, „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“383. Im Wesentlichen ging es somit um die Realisierung des Binnenmarktes, die sich in Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV (ex-Art. 3 Abs. 1 lit. c EGV) als positivierte Zielvorgabe der Gemeinschaftspolitik findet.384 Aus der Zusammenkunft in Lissabon gingen Schlussfolgerungen385 hervor, die seitdem als „Lissabon-Strategie“ vielfache Erwähnung gefunden haben. Wesentlicher Bestandteil dieser Ergebnisse war unter anderem die Feststellung, dass die Wettbewerbsfähigkeit und Dynamik eines Unternehmens unmittelbar von einem „ordnungspolitischen Klima“386 abhängt, welches „den Investitionen, der Innovation und der unternehmerischen Initiative förderlich ist“387. Folglich seien „weitere Anstrengungen erforderlich, um die Kosten für die unternehmerische Tätigkeit zu senken und unnötigen bürokratischen Aufwand zu beseitigen“.388 Diese beiden Faktoren belasteten die KMU389 besonders. Das bedeutet also, dass sich unternehmerisches Engagement lohnen muss und nicht durch Bürokratie unterbunden werden darf. Als Folge dieser Feststellungen forderte der Europäische Rat die Kommission ausdrücklich auf, bis zum Ende des Jahres 2000 „eine Strategie für die Beseitigung der Hemmnisse im Dienstleistungsbereich festzulegen“390. Letztlich kann die Lissabon-Strategie damit als Ausgangspunkt und Generator der Dienstleistungsrichtlinie betrachtet werden.391
383 Schlussfolgerungen des Vorsitzes – Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000 (Dokument SN 100/00) S. 2 Nr. 5. 384 s. dazu Kapitel 1 B. II. 5. b) bb). 385 Vgl. Fn. 383. 386 Schlussfolgerungen (Fn. 383), S. 5 Nr. 14. 387 Schlussfolgerungen (Fn. 383), S. 5 Nr. 14. 388 Schlussfolgerungen (Fn. 383), S. 5 Nr. 14. 389 Die Abkürzung bezeichnet kleine und mittlere Unternehmen. Zu deren Definition vgl. die Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 (2003/361/EG). 390 Schlussfolgerungen (Fn. 383), S. 6 Nr. 17.
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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Die Kommission trat in der Folgezeit in eine Phase der Informationssammlung und -auswertung ein392 und erstellte im Rahmen dessen die geforderte Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor393. Quintessenz dieser Strategie war ein 2-Stufen-Plan, dessen erste Stufe bereits einige legislative und nicht-legislative Maßnahmen sowie eine umfassende Analyse des Ist-Zustands des Binnenmarkts im Bereich der Dienstleistungen vorsah. In diesem Zusammenhang erstellte die Kommission einen Bericht über den Stand des Binnenmarkts für Dienstleistungen394. Darin wurden umfangreich diejenigen Schranken zusammengetragen und analysiert, welchen der Binnenmarkt für Dienstleistungen bis dahin ausgesetzt war. Die Kommission gelangte hierbei zu folgendem Befund: Zum einen bestünden teils komplizierte und starre Strukturen, die es den Dienstleistern erschwerten, grenzüberschreitend tätig zu werden. Hierzu zählten insbesondere rechtliche Schranken, die unter anderem in komplexen Verwaltungsverfahren und Bürokratie zu Geltung kämen. Zum anderen konnten auf Seiten der Dienstleister als „Hauptopfer“ der bezeichneten Schranken die KMU festgestellt werden. Die zweite Stufe der Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor sollte darin bestehen, basierend auf der in der ersten Stufe erfolgten Analyse, Maßnahmen zur Verbesserung des Ist-Zustandes im Hinblick auf die Realisierung des gemeinsamen Binnenmarktes zu ergreifen. Konkret ging es dabei um drei Vorschläge zur Beseitigung der Hemmnisse: die unmittelbare Anwendung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (insbesondere durch strenge Überprüfung der Hemmnisse im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter Einbeziehung der Rechtsprechung des EuGH), die Anwendung nicht-regulatorischer Mechanismen (z. B. in Form von Vorschlägen) sowie gezielte Harmonisierungsmaßnahmen. Als Hauptresultat der Bemühungen im letzteren Bereich reichte die Kommission am 25. Februar 2004 ihren ersten Vorschlag für eine Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt ein395. 391 s. Erwägungsgrund 4 DLRL; s. auch Hissnauer, S. 26 f., der zudem darauf hinweist, dass die Kommission bereits in ihrer Mitteilung vom 29. 11. 1999 (KOM [1999] 624 endg./2) eine Strategie für den europäischen Binnenmarkt vorgelegt hat. Darin wurde u. a. auch schon festgelegt, dass die Rahmenbedingungen für Unternehmen im grenzüberschreitenden Dienstleistungssektor zu verbessern sind. 392 Eine detaillierte Zusammenstellung findet sich bei Hissnauer S. 26 ff. 393 KOM (2000) 888 endg. vom 29. 12. 2000. 394 KOM (2002) 441 endg. vom 30. 07. 2002. 395 KOM (2004) 2 endg./2. Der Vorschlag schloss sich an eine entsprechende Mitteilung der Kommission an den Rat über das Vorhaben (KOM [2003] 238 endg. vom 07. 05. 2003, S. 11) an. Der Vorschlag wurde im folgenden Prozedere des Rechtsetzungsverfahrens nach EGV in vielerlei Hinsicht – insbes. in Bezug auf das damals äußerst umstrittene Herkunftslandprinzip – nochmals geändert (vgl. dazu Schlachter/Ohler/Streinz/Leible Einl. Rn. 30 ff.; s. auch die Darstellung bei Hissnauer, S. 55 ff., welche sich zwar wegen der Ausrichtung der Arbeit auf die Entwicklung der Vorschriften um die Genehmigungsregelungen beschränkt, aber dennoch eine ausgezeichnete Vorstellung vom entsprechenden Verfahrensgang vermittelt). s. zudem den geänderten Vorschlag der Kommission KOM (2006) 160 endg. vom 04. 04. 2006; zu den unterschiedlichen Entwürfen etwa Bernard, CMLR 2008, 323 (327 ff.).
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
bb) Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) ermächtigt zum Erlass von Richtlinien, die der Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit dienen. Unabhängig davon, wie die begrenzte Ermächtigung im Einzelnen zu interpretieren ist,396 hat sie jedenfalls die Verwirklichung und Effektuierung von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit im Blick.397 Es handelt sich daher auch um eine Binnenmarktkompetenz, da die freie Entfaltung der Grundfreiheiten letztlich dem Binnenmarkt dient.398 Im Lichte dessen ist nunmehr auch die Dienstleistungsrichtlinie zu verstehen. cc) Folgerungen für die Dienstleistungsrichtlinie Geradezu plakativ für den Sinn und Zweck der Dienstleistungsrichtlinie steht das Ziel, welches sich der Europäische Rat im Rahmen der Lissabon-Strategie auf die Fahne geschrieben hatte: Die Union sollte zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“399 gemacht werden. Die Dienstleistungsrichtlinie ist ein wesentlicher Schritt hin zu diesem Ziel. Dies wird umso deutlicher, bedenkt man, dass die Realisierung eines echten Binnenmarktes stark davon abhängt, ob die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen jeglicher Art eben nicht nur möglich, sondern insbesondere einfach und unkompliziert ist.400 Die bloße Möglichkeit folgt bereits aus den Grundfreiheiten selbst. Ausreichend ist das aber nicht. Das schlichte Bereitstellen von Rechten und Freiheiten ist wenig sinnvoll, wenn deren Inanspruchnahme kompliziert und mit einem unüberschaubaren Aufwand verbunden ist. Erforderlich ist vielmehr, die Ausübung der Grundfreiheiten real zu erleichtern und die Bürger durch entsprechende Regelungen zu ihrer Wahrnehmung zu motivieren.401 Dies gilt insbesondere, weil der Bereich der Dienstleistungen den größten Sektor der europäischen Wirtschaft stellt.402 Wie die Kommission in ihrem Bericht über den Stand des Binnenmarktes für Dienstleistungen403 konstatiert, bestehen allerdings auch genau dort erhebliche Defizite, welche das Wachstum der europäischen Wirtschaft insgesamt bremsen und 396
Vgl. dazu umfassend im folgenden Kapitel 3. s. insbes. die Ausführungen unter Kapitel 3 A. II. 1. 398 So auch Schlag, S. 127. 399 Schlussfolgerungen des Vorsitzes – Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000, S. 2 Nr. 5. 400 So auch die Kommission im Rahmen einer Mitteilung an den Rat, Zusammenarbeit für Wachstum und Arbeitsplätze – Ein Neubeginn für Lissabon, KOM (2005) 24 endg., S. 18. 401 s. insbes. auch Art. 1 Abs. 1 DLRL, der ausdrücklich die Erleichterung von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit zum Zweck der Richtlinie erhebt. 402 s. dazu Kommissionshandbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 7; s. auch Erwägungsgrund 4 DLRL. 403 Vgl. Fn. 394. 397
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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sich negativ auf Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit auswirken.404 Mit Blick auf die travaux préparatoires lässt sich das mit der Dienstleistungsrichtlinie angestrebte Ziel wie folgt zusammenfassen: Erleichterung der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen zur Förderung eines nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts und Sicherung des Zusammenwachsens der Mitgliedsstaaten Europas.405 Dass die Dienstleistungsrichtlinie dem Beschriebenen nach objektiv eine nicht nur geringe Erleichterung der Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten im Binnenmarkt bezweckt, kann nicht bezweifelt werden.406 b) Sinn und Zweck des Art. 6 DLRL Ausgehend von diesen Feststellungen ist nun auch die hinter der Einführung des einheitlichen Ansprechpartners liegende Idee zu interpretieren: Die Institution bewirkt, dass in allen Mitgliedstaaten der „Zugang“ zur Verwaltung in der grundsätzlich gleichen Art und Weise ausgestaltet ist. Die jeweiligen Ansprechpartner sind aufgrund des in Art. 6 – 8 DLRL vorgegebenen Leistungsportfolios zum Bereitstellen des gleichen Mindestangebots verpflichtet. Damit entsteht in jedem Mitgliedstaat ein ähnliches „Behördenvorzimmer“. Es liegt auf der Hand, dass daraus eine enorme Erleichterung von Aufnahme und Ausübung grenzüberschreitender Dienstleistungstätigkeit resultiert. Art. 6 DLRL stellt damit konkret auf eine Binnenmarktverbesserung im allgemeinen Bereich der Verwaltungsorganisation ab; es geht um die Förderung des „Zugangs“ ausländischer Dienstleister zu den jeweils nationalen Verwaltungsapparaten, namentlich in Bezug auf Vorgänge der Aufnahme und Ausübung entsprechender Tätigkeiten. Speziell unter diesem Aspekt sollen Hemmnisse für Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit abgebaut werden. Dies gilt ganz generell, d. h. es erfolgt gerade keine Harmonisierung nur eines bestimmten Berufszweiges, vielmehr geht es um Regelungen, die sämtliche Tätigkeiten in derselben Art und Weise betreffen; es besteht ein umfassender Ansatz.407
404
s. auch den Richtlinienvorschlag (Fn. 395), S. 6. s. dazu Erwägungsgrund 1 DLRL; vgl. zu den Zielen auch den Richtlinienvorschlag in der Fassung des gemeinsamen Standpunktes des Rates vom 24. 06. 2006, S. 3; s. auch statt vieler Dauses/Roth, E.I. Grundregeln Rn. 233; Schlachter/Ohler/Streinz/Leible, Einl. Rn. 23; Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 (2); ausführlich Korte, in: VKDI, S. 33 (35). 406 A.A. wohl Ohler, BayVBl. 2006, 261 (266), der bereits an der Erfüllung des Koordinierungszwecks zweifelt, da sich Fragen der Verwaltungsorganisation nur mittelbar auf die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten auswirkten. Ein solch umfassendes Verständnis des Koordinierungszwecks lehnt er aber ab. 407 Dies ist letztlich auch gemeint, wenn vom „horizontalen“ Ansatz der DLRL die Rede ist (dazu etwa Schlachter/Ohler/Streinz/Leible, Einl. Rn. 27 ff.). Zu beachten ist dabei selbstverständlich, dass die Richtlinie ihren Anwendungsbereich selbst begrenzt (vgl. etwa Art. 2 DLRL). s. zum sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie ausführlich auch Bernard, CMLR 2008, 323 (331 ff.). 405
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
c) Auswirkungen auf das subjektive Begriffsverständnis Fraglich ist nunmehr, ob der ermittelte Zweck des Art. 6 DLRL ein mögliches subjektives Begriffsverständnis stützt. Dies ist insbesondere unter Berücksichtigung des effet utile zu bejahen.408 Sinn ist es, den Zugang zu den nationalen Verwaltungssystemen zu erleichtern und so die Beschränkungen, die sich aus ganz allgemeinen Anforderungen an die Aufnahme und Ausübung jeglicher selbstständiger Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ergeben, abzubauen. Unter Berücksichtigung des Binnenmarktziels geht es dabei auch darum, zur intensiveren Wahrnehmung der betreffenden Grundfreiheiten zu animieren. Legt man nun das beschriebene subjektive Verständnis der „Einheitlichkeit“ zugrunde, d. h. die Prämisse, dass sich die Ansprechpartner gerade aus Sicht der Dienstleister als einheitlich darzustellen haben, wird der Zwecksetzung sogar noch intensiver Rechnung getragen. Schließlich kommt ein entsprechendes Verständnis den Dienstleistungswilligen selbst zugute und verspricht die praktisch wirksamste Erleichterung sämtlicher Prozesse im Rahmen der Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungstätigkeit. Unabhängig davon, welche Folgen im Einzelnen an eine solche subjektive Interpretation geknüpft sind, stellt sie sich als diejenige Auslegungsmöglichkeit dar, welche den größten integrativen Erfolg im Hinblick auf die damit verbundene unionale Zwecksetzung verspricht. Nimmt man somit den effet utile (der sich dabei in seinem weiteren Sinne409 präsentiert) des Art. 6 DLRL ernst, muss zur Beurteilung, ob der Ansprechpartner tatsächlich „einheitlich“ ist, auf die Sicht des Dienstleisters abgestellt werden. 2. Folgen für die objektiven Dimensionen der „Einheitlichkeit“ Im Weiteren gilt es zu klären, welche Auswirkungen das subjektive Begriffsverständnis von „einheitlich“ auf die zuvor erörterten objektiven Dimensionen des Ausdrucks hat. Jedenfalls folgt aus der Subjektivierung weitergehende Konkretisierung. a) Tätigkeitsbezogene Dimension Der Wortlaut des Art. 6 DLRL legt in seiner tätigkeitsbezogenen Dimension nahe, dass die den Ansprechpartnern zugewiesenen Aufgaben, d. h. sämtliche Aufgaben, in ihrer Gänze von jedem der im Mitgliedstaat errichteten Ansprechpartner wahrzunehmen sind. Eine Trennung etwa dergestalt, dass ein Ansprechpartner nur für Vorgänge der Aufnahme, ein anderer nur für Vorgänge der Ausübung der Dienstleistungstätigkeit zuständig ist, scheint unzulässig. Dieses Ergebnis wird durch die Heranziehung des subjektiven Verständnisses der „Einheitlichkeit“ bestätigt. Aus Sicht des Dienstleisters muss jeder von ihm in Anspruch genommene Ansprech408 409
So auch Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 53 f. Vgl. dazu die Ausführungen unter Kapitel 1 B. III. 1. c).
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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partner (zumindest) das gesamte Leistungsportfolio aufweisen, welches die Dienstleistungsrichtlinie der Institution zuweist. Insbesondere die Berücksichtigung des effet utile streitet dabei für das Erfordernis, sämtliche Aufgaben bei einem (respektive jedem) Ansprechpartner zu bündeln; dies gilt sowohl für die in Art. 6 als auch die in Art. 7 DLRL vorgesehenen Aufgaben. Anders herum betrachtet bewirkt die Subjektivierung im Zusammenhang mit der jeweils geplanten Tätigkeit des Dienstleisters, dass eine Dienstleistungstätigkeit in ihrer Gänze von einem Ansprechpartner betreut werden muss.410 Nicht möglich ist daher die Aufteilung eines Vorhabens auf mehrere Ansprechpartner. Fraglich bleibt insofern, wann genau von „einer“ Tätigkeit bzw. von „einem“ Vorhaben gesprochen werden kann. Der Wortlaut der Art. 6, 7 DLRL ist dabei nicht eindeutig411 – abgesehen davon, dass allein der deutschen Übersetzung eine verlässliche Aussage ohnehin nicht zu entnehmen wäre.412 Jedenfalls könnte zum einen auf das jeweils einzelne Vorhaben abgestellt werden. Als Beispiel sei ein belgischer Friseurmeister genannt, der etwa in Potsdam einen Salon eröffnen möchte. Das einzelne Vorhaben ist hierbei die Saloneröffnung in Potsdam. Zum anderen könnte mit „einer Tätigkeit“ auch das gesamte Dienstleistungsportfolio des einzelnen Dienstleisters gemeint sein. Im Beispiel des belgischen Friseurmeisters könnte das bedeuten, dass selbiger etwa auch noch einen Waschsalon, der mit dem FriseurVorhaben jedoch nichts zu tun hat, einrichten möchte; dieses Vorhaben könnte sich nun zusätzlich auf ein anderes Bundesland beziehen. Schließlich ist auch noch ein funktionales Verständnis möglich, welches sich auf inhaltsgleiche Tätigkeiten bezieht413 - etwa wenn der belgische Friseur neben der benannten Saloneröffnung noch eine weitere plant, sei es in Potsdam, in einer anderen brandenburgischen Kommune oder gar in einem anderen Bundesland. Als „Minimum“ hat nach dem bereits Beschriebenen zu gelten, dass jedenfalls ein einzelnes Vorhaben (Saloneröffnung in Potsdam) mithilfe eines einzigen Ansprechpartners abgewickelt werden muss. Eine Trennung ist, wie gezeigt, nicht möglich. Die größtmögliche praktische Wirksamkeit lässt sich indes nur erzielen, wenn der tätigkeitsbezogene Ansatz als umfassend verstanden wird. Demnach ist – wiederum subjektiv – auf die Gesamtheit der Tätigkeiten abzustellen, die der Betroffene auszuüben gedenkt (Friseursalon in Potsdam/Waschsalon in Berlin); Voraussetzung ist lediglich, dass es sich um eine von der Richtlinie erfasste Dienstleistung handelt. Dies gilt unabhängig davon, dass dieser Fall praktisch kaum eintreten wird. Mithilfe des hier vorzuschlagenden „echten“ Wahlrechts des Dienstleisters kann ein solcher Ansatz verwirklicht werden.414 410
s. auch Schliesky/Schulz/Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie/III, S. 249 (263). 411 Vgl. etwa Art. 6 Abs. 1 DLRL: „ihrer Dienstleistungstätigkeiten“, Art. 6 Abs. 2 DLRL: „ihrer Dienstleistungstätigkeit“, Art. 7 Abs. 1 lit. a), b) DLRL: „Dienstleistungstätigkeiten“. 412 Dazu Kapitel 1 B. II. 2. 413 s. etwa den Vorschlag Neiderts S. 183; s. auch u. unter Kapitel 2 A. III. 3. a). 414 Dazu u. unter Kapitel 2 A. III. 3. a).
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
Nur unter den genannten Bedingungen stellt sich die „Einheitlichkeit“ tatsächlich als „subjektiv“ dar und nur unter dieser Voraussetzung werden die mit der Vorschrift verfolgten Ziele in der praktisch wirksamsten Weise erreicht. Als Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass es auf die tätigkeitsbezogene Dimension ganz wesentlich ankommt. Darüber hinaus könnte überlegt werden, ob die Subjektivierung eventuelle Folgen für die Wortlautauslegung zur Sachkompetenz der Ansprechpartner hat. Gemeint ist, dass gegebenenfalls – etwa mittels primärrechtskonformer Auslegung415 – doch zu verlangen ist, dass dem Ansprechpartner auch die jeweiligen Sachbefugnisse zukommen. Dies ist jedoch abzulehnen. Solange der Dienstleistungserbringer sämtliche Anliegen über den Ansprechpartner abwickeln kann, ohne die tatsächlich zuständige Behörde kontaktieren zu müssen, ist aus dessen Sicht eine „Einheitlichkeit“ gegeben. Insofern hätte eine Bündelung der Kompetenzen beim Ansprechpartner keinerlei Vorteile gegenüber der Front Office/Back Office-Struktur.416 b) Konzeptionsbezogene Dimension Im Rahmen der konzeptionsbezogenen Dimension des Wortlautes geht es um die Überlegung, ob die Richtlinie ein Nebeneinander unterschiedlicher Ausgestaltungskonzepte toleriert. Bedeuten könnte die „Einheitlichkeit“ insofern, dass entweder auf Vertikal- oder auf Horizontalebene bzw. auf beiden Ebenen im jeweiligen Mitgliedstaat homogene Implementierungssysteme umzusetzen wären. Unter Zugrundelegung eines subjektiven Begriffsverständnisses ist dem aber entgegenzutreten. Es ist nicht ersichtlich, weshalb es aus Sicht des Dienstleisters wesentlich darauf ankommen sollte, welcher Gliederungsebene im Staatsaufbau der Ansprechpartner zugeordnet oder wie genau er institutionell verortet ist.417 Sicherlich könnte dem entgegnet werden, dass es doch jedenfalls der Übersichtlichkeit dient und insofern auch von einer Erleichterung für die Dienstleistungserbringer auszugehen ist, wenn in den benannten Bereichen jeweils homogene Konzepte umgesetzt sind. Dies vermag aber nicht zu überzeugen. Denn zum einen kann es lediglich darauf ankommen, dass der Dienstleister bei „seinem“ Ansprechpartner auf „Einheitlichkeit“ trifft und zum anderen ist es für den Dienstleister schlicht irrelevant, ob er sich an einen Ansprechpartner wendet, der auf Kommunal-, Landes- oder Bundesebene angesiedelt ist bzw. privat oder öffentlich-rechtlich organisiert ist. Auswirkungen wie beispielsweise die Frage danach, wer im Falle eines Fehlverhaltens richtiger 415
Dazu Kapitel 1 C. IV. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um Auslegungsmöglichkeiten einer unionalen Rechtsnorm handelt. Das bedeutet, dass zunächst außer Acht zu bleiben hat, wie eventuelle Ergebnisse der Auslegung im nationalen Recht umsetzbar sein könnten. Dass eine Verpflichtung, dem Ansprechpartner Sachkompetenzen zuzusprechen zu enormen nationalen Umsetzungsproblemen führen würde, liegt auf der Hand. Abgesehen davon wäre zu bezweifeln, dass die Union über eine solch weitgehende Kompetenz verfügt. 417 So auch Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 54. 416
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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Klagegegner ist oder von wem gegebenenfalls Schadensersatz zu verlangen ist, sind ohnehin klärungsbedürftig, weshalb nicht dem einen oder dem anderen System der Vorzug zukommt. Zudem hat der Ansprechpartner selbst den Dienstleister im Zweifel über derartige Fragen zu informieren. Sicherlich führt die konzeptionelle Einheitlichkeit zu erhöhter Übersichtlichkeit beim Bestehen mehrerer Ansprechpartner im Mitgliedstaat. Allerdings sollen ja gerade, wie im Rahmen der tätigkeitsbezogenen Dimension herausgearbeitet, sämtliche Formalitäten und Vorgänge über einen Ansprechpartner abwickelt werden können. Wenn dem aber so ist, dann kann der Dienstleistungserbringer gar nicht in die Situation geraten, sich auch noch einen weiteren Ansprechpartner suchen zu müssen; von den vermeintlichen Vorteilen konzeptioneller Homogenität könnte er dann gar nicht profitieren. Als Ergebnis zur konzeptionsbezogenen Dimension kann daher Folgendes festgehalten werden: Die „Einheitlichkeit“ des Ansprechpartners wird nicht dadurch beeinflusst, dass der oder die Ansprechpartner auf einer bestimmten Vertikalebene im Mitgliedstaat angesiedelt werden. Gleiches gilt für die organisationsrechtliche Ausgestaltung, d. h. die Horizontalebene. Unabhängig davon, für welche Implementierungsvariante(n) der Mitgliedstaat sich entscheidet, kann die „Einheitlichkeit“ als gewahrt zu bewerten sein; für die entsprechende Beurteilung spielen andere Parameter eine Rolle. c) Mengenbezogene Dimension Keine Aufklärung konnte durch die Untersuchung des Wortlautes und der engeren Systematik der Richtlinie auch hinsichtlich der Frage herbeigeführt werden, wie hoch die Anzahl der Ansprechpartner in jeder Verwaltungseinheit der Mitgliedstaaten sein darf. Festgestellt werden konnte lediglich, dass es nicht nur einen einzigen Ansprechpartner pro Mitgliedstaat generell geben muss. Abgesehen davon konnte dem Wortlaut nur eine Tendenz zur Möglichkeit, unbestimmt viele Ansprechpartner einzurichten entnommen werden. Auch das subjektive Begriffsverständnis streitet weder grundsätzlich für die eine noch für die andere Variante. Solange der Ansprechpartner, tätigkeitsbezogen, der für den Dienstleister einzig zuständige ist, ergibt sich aus subjektiver Sicht kein Unterschied, ob mehrere oder nur ein Ansprechpartner generell verfügbar ist. Der Möglichkeit, in jeder Verwaltungseinheit im Mitgliedstaat mehrere Ansprechpartner anzusiedeln, steht daher grundsätzlich nichts entgegen. Dies ist auch als Ergebnis zur mengenbezogenen Dimension der „Einheitlichkeit“ festzuhalten.
III. Inhaltliche Konkretisierung des subjektiven Verständnisses Im Weiteren soll es nun um eine Zusammenfassung und Konkretisierung der aus der bisherigen Auslegung resultierenden Folgen gehen.
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
1. Identisches Leistungsportfolio jedes Ansprechpartners (tätigkeitsbezogene Dimension) Wie bereits dargelegt, ist die wesentliche Folge des subjektiven Verständnisses der Einheitlichkeit, dass jeder Ansprechpartner im Mitgliedstaat über das gleiche Leistungsportfolio verfügen muss. Folge dieses Ergebnisses ist es beispielsweise, dass ein Hin- und Herverweisen des Dienstleisters aufgrund bloßer „Teilzuständigkeit“ der verschiedenen Ansprechpartner vermieden wird. Dies käme nämlich dem status quo ante gleich. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang noch einmal auf Erwägungsgrund 48, der – wie bereits dargestellt – eine mengenmäßige Vorgabe für die Ansprechpartner nicht enthält und so die Möglichkeit eröffnet, beliebig viele Ansprechpartner in jedem Mitgliedstaat zu errichten. Dabei bezieht sich der Wortlaut unter anderem auf die „betreffenden Tätigkeiten“. Dies kann nur so verstanden werden, dass auch die Ausgestaltung eines Systems unterschiedlicher Ansprechpartner je nach sachlichem Gebiet, d. h. je nach Dienstleistung grundsätzlich möglich sein soll. Bezogen auf die Anforderung des gleichartigen Leistungsangebots bedeutet das konkretisierend, dass es sicherlich ein unterschiedliches Portfolio bei unterschiedlich „zuständigen“ Ansprechpartnern geben darf (z. B. Ansprechpartner für Dienstleistungen im Gaststättengewerbe, Ansprechpartner für Dienstleistungen im Zuständigkeitsbereich der Handwerkskammern oder der Kammern der freien Berufe usw.). Ein Widerspruch zur hiesigen Forderung nach „Einheitlichkeit“ ergibt sich indes nicht. Die Richtlinie ermöglicht es natürlich, dass die Mitgliedstaaten entsprechend der national geltenden Zuständigkeitsregelungen die einheitlichen Ansprechpartner errichten. So sind in Deutschland etwa die Länder zur Umsetzung und Verortung berufen.418 Auch eine thematische Unterscheidung der Ansprechpartner nach den betreffenden Dienstleistungstätigkeiten soll möglich sein. Dies korreliert letztlich mit der Möglichkeit, die einheitlichen Ansprechpartner auch bei den Berufskammern einzurichten, wobei eine thematisch-inhaltliche Zuteilung gewiss nahe liegt. Jedoch schließt all dies nicht das Erfordernis der „Subjektivität“ bei der Verwendung des Ansprechpartners nicht aus. Insofern muss die Errichtung von der Verwendung unterschieden werden.419 In einem weiteren Sinne könnten an dieser Stelle auch Schlussfolgerungen hinsichtlich des genauen Leistungsportfolios der jeweiligen Ansprechpartner gezogen werden. Dies stellt zwar keine unmittelbare Folge der hier herausgearbeiteten Subjektivität der „Einheitlichkeit“ dar; vielmehr ist direkte Folge lediglich die Feststellung, dass jeder Ansprechpartner dasselbe Leistungsangebot bereit stellen muss, nicht jedoch, welches das im Einzelnen ist. Allerdings könnte es insofern eine Rolle spielen, dass die Ansprechpartner bestimmte Befugnisse innehaben müssen, damit sie nach außen hin „einheitlich“ auftreten können. Letztlich ist dies aber im 418
s. u. unter Kapitel 2 B. II. 1. Anders etwa Neidert, S. 185, die Erwägungsgrund 48 DLRL so versteht, dass dieser – bezogen auf die „Verwendung“ – ein Nebeneinander von sachlich und örtlich unterschiedlich zuständigen Ansprechpartner zulässt. 419
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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Wesentlichen Inhalt einer Untersuchung der in Art. 6 Abs. 1 und 7 DLRL benannten Aufgabenbereiche. Darüber hinaus wurde hier bereits gezeigt, dass aus der „Einheitlichkeit“ nicht geschlussfolgert werden kann, dass die Ansprechpartner irgendwelche Sachbefugnisse besitzen müssen, die hier im Einzelnen zu bestimmen wären. Das genaue, aus der Dienstleistungsrichtlinie zu schließende Leistungsportfolio der einheitlichen Ansprechpartner war schließlich bereits Gegenstand zahlreicher Untersuchungen.420 2. Keine Vorgaben für Implementierung und verfahrensrechtliche Rolle des Ansprechpartners (konzeptionsbezogene Dimension) Keine Vorgaben sind Art. 6 Abs. 1 DLRL bei Zugrundelegung eines subjektiven Begriffsverständnisses hinsichtlich der Implementierungsoptionen421 der Ansprechpartner zu entnehmen. Damit bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, ein entsprechendes System zu entwickeln. Ähnliches gilt hinsichtlich der konkreten verfahrensrechtlichen Rolle der Ansprechpartner. Zwar muss der Ansprechpartner insofern nicht mit Sachbefugnissen ausgestattet werden. Andererseits ist herauszustellen, dass dies auch nicht ausgeschlossen ist. Insofern kommen unterschiedliche Umsetzungsmodelle in Betracht, auf die hier kurz eingegangen werden soll.422 Dem Ansprechpartner kann zunächst die Stellung eines Verfahrensboten bzw. Verfahrensmittlers zukommen. Aufgabe eines solchen ist es üblicherweise, (Willens-) Erklärungen usw. entgegenzunehmen und diese dem Empfänger, für den sie bestimmt sind, zu übermitteln. Damit wäre der Ansprechpartner lediglich die Kontaktstelle zwischen dem Dienstleister und der in der Sache zuständigen Behörde. Mit den jeweiligen Sachkompetenzen wäre er nicht ausgestattet. Der Umsetzungsaufwand würde sich im Wesentlichen darauf beschränken, die Institution an sich zu schaffen und dieser die in Art. 7 DLRL vorgesehenen Informationspflichten aufzuerlegen. Möglich wäre es dem Ansprechpartner dabei auch nicht, beispielsweise Kontroll- und Aufsichtsrechte verbindlich gegenüber der zuständigen Behörde auszuüben; er wäre beschränkt etwa auf ein „Hinwirken“ bei etwaigen Störungen im Ablauf.423 Insofern kann von den Mindestanforderungen gesprochen werden, die die
420
s. insbes. Neidert, 2011 sowie das EA-Guachten Speyer. Zu den Optionen der Implementierung vgl. umfassend Ziekow/Windoffer/Nesseldreher, S. 63 ff.; Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 117 ff.; Karstedt-Meierrieks, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 73 ff.; Stober, in: Graf/Paschke/Stober, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, S. 35 (47 ff.); Ruge, ZG 2009, 45 (51 ff.); Windoffer, DVBl. 2006, 1210 ff., jeweils m.w.N 422 s. dazu auch Grunow/Dickert-Laub/Minnetian, S. 45 ff. 423 Neidert, S. 48. 421
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
Dienstleistungsrichtlinie an die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der einheitlichen Ansprechpartner stellt.424 Dem Modell eines Verfahrensboten genau entgegengesetzt ist ein solches, das mit der Konzentration der gesamten sachlichen Kompetenz einher geht (Konzentrationsmodell). Wie dargestellt, ermöglicht es die Dienstleistungsrichtlinie den Mitgliedstaaten an sich auch, die einheitlichen Ansprechpartner als „Überbehörde“, bei der sich sämtliche Entscheidungskompetenzen in der Sache selbst konzentrieren, einzurichten.425 Es handelt sich dabei um das am weitesten gehende Modell. Zwar wurde schon beschrieben, dass der Richtlinie eher die Idee einer Front Office/Back Office-Struktur vorschwebt.426 Es kann daraus aber kein Verbot gefolgert werden, die Einführung einheitlicher Ansprechpartner zum Anlass zu nehmen, Kompetenzen und Zuständigkeiten neu zu verteilen. Wie weit die Mitgliedstaaten über die Anforderungen der Richtlinie hinaus gehen, ist diesen klar selbst überlassen. Eine Lösung, die sich inhaltlich zwischen diese beiden „Extreme“ einordnen lässt, ist die Implementierung des einheitlichen Ansprechpartners als Verfahrensleiter. Dies ist so zu verstehen, dass diesem zwar keine alles umfassenden (Sachentscheidungs-) Kompetenzen zugesprochen werden. Allerdings umfasst das Aktionsspektrum zumindest die formelle Verfahrensleitung.427 Das bedeutet, dass der einheitliche Ansprechpartner die Möglichkeit hat, auf die äußerliche Abwicklung des Verfahrens einzuwirken. Es liegt damit in seiner Hand, mit den ihm eingeräumten Befugnissen auf eine rasche, ordnungsgemäße und effiziente Abwicklung der Verfahren und Formalitäten hinzuwirken. Als solche Befugnisse kommen beispielsweise Auskunftspflichten durch oder verbindliche Fristsetzungen gegenüber den zuständigen Behörden in Betracht.428 Insgesamt kann damit festgehalten werden, dass die Mitgliedstaaten in der Konzeption der Ansprechpartner recht frei sind;429 die Dienstleistungsrichtlinie stellt insofern nur geringe Anforderungen. Wiederum könnte überlegt werden, welches genaue Leistungsportfolio inklusive der dazu erforderlichen „Kompetenzen“ dieser 424 s. zu den Mindestanforderungen ausführlich Neidert, S. 46 ff.; Luch, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 149 (154 f.); Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 117 (134); Ernst, DVBl. 2009, 953 (956); Ramsauer, NordÖR 2008, 417 (421); Windoffer, DVBl. 2006, 1210 (1212 ff.). 425 s. dazu Ernst, DVBl. 2009, 953 (955); Luch, in: Schliesky, Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie/I, S. 149 (155); Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 117 (134 f.). 426 s. o. unter Kapitel 2 A. I. 1. a) aa) (2). 427 Dazu Luch, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 149 (156 f.); Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 117 (125 ff.); Ernst, DVBl. 2009, 953 (956); Ramsauer, NordÖR 2008, 417 (421). 428 Neidert, S. 46 ff.; Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (52); Luch, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 149 (156); Windoffer, DVBl. 2006, 1210 (1213). 429 s. hierzu bereits die Nachw. in Fn. 421 und 424.
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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mindestens einzurichtenden Konstruktion des Verfahrensbotens zukommen muss. Doch gilt auch hier das bereits Beschriebene. Aus der alleinigen Tatsache, dass es sich um „einheitliche“ Ansprechpartner handeln muss, folgen zunächst keine Anforderungen in Bezug auf deren Zuständigkeiten im Einzelnen. 3. Wahlrecht hinsichtlich der Kontaktierung des Ansprechpartners (mengenmäßige Dimension) – Folge des effet utile im weiteren Sinne a) Idee eines „echten“ Wahlrechts Eine Begrenzung der Anzahl an zu errichtenden Ansprechpartnern kann der Richtlinie selbst nicht entnommen werden. Ganz im Gegenteil legt Erwägungsgrund 48 nahe, dass – wie schon gezeigt – die Dienstleistungsrichtlinie eher von mehreren Ansprechpartnern ausgeht.430 Auch bei „Subjektivierung“ der mengenmäßigen Dimension bleibt grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, dass die Anzahl in jeder Verwaltungseinheit im Mitgliedstaat divergiert. Daraus ergibt sich, dass es in jedem Mitgliedstaat insgesamt zu einer unbestimmt hohen Anzahl an Ansprechpartnern kommen kann. Allerdings kommt es wesentlich darauf an, dass der Dienstleister hier einen einzigen, d. h. „seinen“ persönlichen Ansprechpartner erhält. Wenn dem aber so ist, dann muss ausgeschlossen sein, dass ein wirres System an Kontaktstellen entsteht, welches aufgrund seiner Vielzahl an jeweils für unterschiedliche Sachbereiche oder Verwaltungseinheiten zuständigen einheitlichen Ansprechpartnern nur schwierig zu durchdringen ist. Auch dies käme dem status quo ante gleich und wäre schlicht nicht richtlinienkonform. Dem „Plus“ im Rahmen der Verfahrensabwicklung stünde damit ein „Minus“ bei der Ingangsetzung, d. h. der Auffindung des „richtigen“ einheitlichen Ansprechpartners gegenüber. Dafür spricht auch folgende Erwägung: Art. 6 Abs. 1 DLRL verlangt gerade die Gewährleistung einer erleichterten Aufnahme der Dienstleistung. Versteht man nun die Kontaktierung des einheitlichen Ansprechpartners als dem Aufnahmeprozess der Dienstleistungstätigkeit selbst vorgeschaltet, so ergibt sich auch daraus teleologisch freilich die Erforderlichkeit einer einfachen „Auffindungs- und Kontaktaufnahmemöglichkeit“ des Ansprechpartners. Soll die Aufnahme der Dienstleistungstätigkeit durch Installation einheitlicher Ansprechpartner vereinfacht werden, so muss die Kontaktierung dessen, anders gewendet, sogar noch einfacher sein. Ein übermäßiges Nebeneinander von einheitlichen Ansprechpartnern könnte damit letztlich eine Perpetuierung der vorhandenen nationalen Behördenstruktur bewirken.431 Ein auf praktische Wirk430
Vgl. o. unter Kapitel 2 A. I. 1. a) cc); s. auch Kommissionshandbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 21. 431 Schliesky, in: ders., Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 1 (19); auf das Erfordernis der einfachen Identifizierung des jeweils zuständigen einheitlichen Ansprechpartners weist auch Neidert, S. 186 unter Hinweis auf die Pflicht zur einfachen Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren gemäß Art. 5 Abs. 1 DLRL hin.
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samkeit bedachtes Verständnis der Institution verlangt gerade und vorrangig die Implementierung eines Systems, das sich durch Simplizität und Benutzerfreundlichkeit auszeichnet. Zutreffend weist Schliesky432 darauf hin, dass ein entsprechender Wettbewerb zwischen mehreren gleichermaßen zuständigen einheitlichen Ansprechpartnern sogar zur fortschreitenden Verbesserung des Serviceangebots führen dürfte. Insofern erscheint der Vorschlag der Kommission433, im Falle des Nebeneinanders mehrerer – insbesondere auch sektorspezifisch zuständiger – Ansprechpartner pro Mitgliedstaat eine Art übergreifendes Portal zu errichten, aus welchem ersichtlich wird, welcher Ansprechpartner der im Einzelfall zuständige ist, nicht überzeugend. Denn dies führte gerade die beschriebene Situation herbei. Dass sich der Dienstleister dann auf einer zentralen Website bzw. bei einer zentralen Anlaufstelle über die für ihn geltenden Zuständigkeiten informieren kann, stellt wiederum eine Hürde dar; derlei sollte vermieden werden.434 Je mehr Zwischenschritte erforderlich sind, um das geplante Vorhaben zu verwirklichen, desto weniger ist dem Dienstleistungserbringer geholfen und desto weniger ist der Intention der Dienstleistungsrichtlinie Rechnung getragen. Nimmt man insofern einen effet utile der „Einheitlichkeit“ ernst und versteht diesen als Maximierungsgebot unionsrechtlicher Zielsetzung, muss die Möglichkeit eingeräumt werden, dass der Dienstleistungserbringer dann, wenn sich der Mitgliedstaat für ein System mit mehreren Ansprechpartnern entschieden hat (oder dies etwa aus rechtlichen Gründen musste), ein Wahlrecht zu gewähren ist. Mit einem solchen „Wahlrecht“ ist vorliegend gemeint, dass der Dienstleister es sich aussuchen können soll, welchen Ansprechpartner er (erstmalig) kontaktiert und dass er ebenso die Möglichkeit haben soll, den einmal „verwandten“ Ansprechpartner auch für weitere, andere Projekte in Anspruch zu nehmen. Dies gilt ohne Einschränkungen, ist also in einem umfassenden Sinne zu verstehen, weshalb von einem „echten“ Wahlrecht gesprochen werden kann. In ähnlicher Weise geht Neidert435 in ihrer Untersuchung zum einheitlichen Ansprechpartner davon aus, dass der Dienstleistungserbringer seinen einmal kontaktierten Ansprechpartner für sämtliche Projekte in Anspruch nehmen können muss, die einen engen inhaltlichen Zusammenhang aufweisen. Ein solcher Zusammenhang soll vorliegen, solange sich mehrere Vorhaben im Rahmen einer Tätigkeit bewegen. Dies sei Folge des tätigkeitsbezogenen Ansatzes der Dienstleistungsrichtlinie. Damit geht sie von einem funktionalen Ansatz aus, der dem Dienstleister immer dann zugute kommt, wenn er sich im Rahmen seiner „Funktion als Friseur“, „als Einzelhändler“ etc. bewegt. Bei einem Wechsel der Tätigkeit, d. h. 432
Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (57). Vgl. Kommissionshandbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 21 f. 434 Gleiches gilt für den ebenfalls von der Kommission unterbreiteten Vorschlag, die einheitlichen Ansprechpartner anzuhalten, den Dienstleister ggf. an die zutreffende Stelle zu verweisen (Kommissionshandbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 22); der gleiche Vorschlag findet sich bei Neidert, S. 186. 435 Neidert, S. 183 f. 433
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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dem Betreten eines neuen, eigenständigen Bereiches mit eigenen rechtlichen Anforderungen soll das aber nicht mehr gelten. Indes geht dieser Ansatz nicht weit genug. Nach der hier vertretenen Ansicht kann es keinen Unterschied darstellen, ob der Dienstleistungserbringer die eine oder die andere Tätigkeit auszuüben beabsichtigt. Der Tätigkeitsbezug in Art. 6 und 7 DLRL muss insofern extensiv interpretiert werden. Darüber hinaus wird dieser Lösungsvorschlag auch der hier erwähnten Problematik des Erstkontaktes nicht gerecht. Hierbei besteht für den Dienstleister jedoch die gleiche Situation wie bei einem Folgekontakt, nämlich die, dass er – aus welchem Grund auch immer (Ortsnähe, Empfehlung, anderweitige positive Erfahrung usw.) – die Kontaktierung eines ganz bestimmten Ansprechpartners wünscht. Für diesen Fall der „Begründung einer Beziehung“ zu einem einheitlichen Ansprechpartner kann der funktionale, tätigkeitsbezogene Ansatz Neiderts nicht fruchtbar gemacht werden.436 Dieser kommt vielmehr erst dann zum Tragen, wenn eine solche „Beziehung“ bereits begründet worden ist. In die gleiche Richtung geht der Interpretationsansatz Kormanns437. Er betont, zur Wahrung der „Einheitlichkeit“ sei die Einhaltung bestimmter Homogenitätsgrundsätze erforderlich. Er spricht bezogen auf das vorliegende Problem von „regionaler Homogenität“, wonach ein Verbot der örtlichen Aufspaltung gelte, d. h. für einen Dienstleister auch an verschiedenen Orten stets derselbe einheitliche Ansprechpartner zuständig sein muss. Dies gelte aber nur bezogen auf einen jeweils bestimmten Dienstleistungstyp. Insofern sieht sich der Vorschlag der gleichen Kritik ausgesetzt wie der von Neidert. b) Bedeutung Sicherlich hängt die Entscheidung zur Verwirklichung geplanter Projekte eines Dienstleisters geradezu davon ab, inwieweit sich dieser ordnungsgemäß beraten und unterstützt fühlt, ob ihm die Umsetzung möglichst leicht gemacht wird und er Vertrauen zu den zuständigen Stellen aufzubauen vermag. Dies gilt auch unabhängig davon, ob der Dienstleister den Ansprechpartner persönlich vor Ort oder lediglich online kontaktiert.438 Darin spiegeln sich letztlich Sinn und Zweck wider, die hinter der Einführung einheitlicher Ansprechpartner stehen. Im Einzelnen reicht das Spektrum von bereits erzielten positiven Erfahrungen mit dem angerufenen Ansprechpartner als solchem bis hin zum guten Kontakt mit dem einzelnen Amtswalter. Nur dann, wenn der Dienstleister den einheitlichen Ansprechpartner tatsächlich als „seinen“ einheitlichen Ansprechpartner betrachtet, an den er sich bei formalen 436 s. auch Neidert, S. 185 f., die für den Fall, dass sich der Dienstleister im Rahmen des Erstkontaktaktes an einen unzuständigen einheitlichen Ansprechpartner wendet, lediglich von einer Pflicht des kontaktierten Ansprechpartners zur Benennung der zuständigen Stelle ausgeht. 437 Kormann, S. 21. 438 Dies DLRL unterstützt beide Möglichkeiten, wobei die elektronische Bereitstellung eines einheitlichen Ansprechpartners als Mindestanforderung gestellt wird, vgl. Art. 8 Abs. 1 DLRL. Eine Übersicht über die Funktionsweisen der Ansprechpartner in den Mitgliedstaaten findet sich bei Grunow/Dickert-Laub/Minnetian, S. 155 ff.
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
Hürden jeglicher Art wenden kann und der ihm insbesondere auch für eventuelle weitere Projekte zur Verfügung steht, ist sichergestellt, dass das Anliegen der Dienstleistungsrichtlinie erfolgreich ist. Andernfalls stünde zu besorgen, dass die Bereitschaft des Dienstleisters, in dem von ihm vorgestellten Ausmaß unternehmerisch tätig zu werden, gebremst würde. Jedes „Mehr“ an administrativen Hürden bewirkt ein Sinken der Anreize, die die Richtlinie eigentlich schaffen will.439 Festzuhalten ist zusammenfassend, dass der einheitliche Ansprechpartner in erster Linie ein Konstrukt darstellt, welches einen rein praktischen Nutzen haben soll.440 Es geht dabei nicht um die Verringerung rein sachlicher Hürden oder die Veränderung der nationalen Anforderungen an eine bestimmte Dienstleistungstätigkeit. Insofern dient der effet utile im weiteren Sinne dazu, diesen praktischen Nutzen durch Forderung nach einem Wahlrecht für die benannten Fälle zu komplettieren.441 c) Kein Entgegenstehen sonstiger Richtlinienvorgaben In der Literatur zum Konstrukt des einheitlichen Ansprechpartners findet sich eine Vielzahl an Ausführungen zur Ermöglichung eines entsprechenden Wahlrechts.442 Regelmäßig wird dabei jedoch die Frage einer Umsetzung im nationalen Recht thematisiert. Aus der Richtlinie selbst seien eindeutige Hinweise auf die Erforderlichkeit eines Wahlrechts nicht zu finden; vielmehr sei der Normtext insoweit am439 Zu diesen Anreizen gehört insbesondere das Anliegen der DLRL, die Verfahrenserledigung für Dienstleister zu beschleunigen; es kommt zum Ausdruck u. a. in Art. 13, immanent in Art. 5 – 8 sowie in Erwägungsgrund 43. 440 Schliesky, in: ders., Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 1 (24) spricht insofern von einer auswirkungsorientierten Ausrichtung bei zunehmender Bürger- und Kundenorientierung der europäischen Politik. 441 Dafür spricht auch die Rechtsprechung des EuGH (Slg. I-2005, 9215 [9261] Rn. 69 – Schulte; Hervorhebungen durch Verf.), der zufolge es zwar allein Sache der Mitgliedstaaten ist, die Regelungen einer Richtlinie umzusetzen, jedoch muss „diese Befugnis unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der Vorschriften der Richtlinie ausgeübt werden, die im Licht der Zielsetzung der Richtlinie und in einer Weise, die ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet, auszulegen sind.“ Dem kann ein föderalistisch aufgebauter Staat wie Deutschland letztlich nur gerecht werden, indem die Kontaktierung des einheitlichen Ansprechpartners eben viel einfacher ausgestaltet wird, als die der zuständigen Behörden nach dem bestehenden System. s. auch EuGH Slg. I-1991, 4269 (4298) Rn. 18 – Emmot; Slg. I-1999, 3771 (3787) Rn. 19 – Kommission/Italien; Slg. I-2002, 11197 (11211) Rn. 18 – Kommission/Belgien. 442 Dazu Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 158, dem zufolge die Frage nach einer „Mitnahmemöglichkeit“ anhand des Richtlinienvorschlags nicht eindeutig zu klären ist und sich demnach auf die Ebene des nationalen Rechts verlagert. Darauf, dass die Richtlinie selbst aber klar für eine solche Option spricht, geht er an dieser Stelle nicht ein, an anderer Stelle (Windoffer, in: Bauer/Büchner/Brosius-Gersdorf, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, S. 23 [28]) lehnt er dies sogar ausdrücklich ab. s. zudem ders., NVwZ 2007, 495 (498); ebenso Ziekow, GewArch 2007, 179 (182); ein aus der Richtlinie selbst begründetes Wahlrecht generell ablehnend auch Caralp, S. 49 ff.; s. aber Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (56 f.), der jedenfalls eine Mitnahmemöglichkeit befürwortet und zumindest Zweifel daran äußert, dass ein anderes Ergebnis mit der Richtlinie zu vereinbaren wäre. s. zu all dem auch u. unter Kapitel 4 C.
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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bivalent.443 Verwiesen wird dabei einerseits auf Art. 10 Abs. 4 DLRL, dem zufolge der räumliche Geltungsbereich von Genehmigungen sich auf das gesamte Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates zu erstrecken hat. Andererseits sprächen Aussagen wie die des Art. 6 Abs. 2 DLRL, wonach die nationale Verteilung von Zuständigkeiten nicht berührt werden soll, eher gegen das Erfordernis eines Wahlrechts. Indes ergibt sich bei genauerer Betrachtung, dass beide Normen – zumindest in der Tendenz – von den gleichen Erwägungen ausgehen und eher für die Gewährung eines Wahlrechts sprechen. Art. 10 Abs. 4 DLRL ist zu entnehmen, dass die Richtlinie territorial begrenzte Rechtswirkungen vermeiden will;444 dass die bestehende Zuständigkeitsverteilung dabei dennoch unberührt bleiben soll, stellt Art. 10 Abs. 7 DLRL klar.445 Art. 6 Abs. 2 DLRL betont ebenso, dass das nationale Zuständigkeitssystem nicht verändert werden soll. Überträgt man nun den Rechtsgedanken des Art. 10 Abs. 4 DLRL hierauf, so streitet dies für die Möglichkeit, den Ansprechpartnern eine auch auf das gesamte Hoheitsgebiet bezogene „Zuständigkeit“ zu erteilen, ohne sie jedoch zugleich mit Sachkompetenzen auszustatten. Unter Heranziehung der beiden Normen ist somit auch eine das Wahlrecht generell begünstigende Interpretation möglich. Dies spricht zusätzlich für die hier vertretene Ansicht. Überlegt werden könnte zudem, ob aus dem Wort „Dienstleistungstätigkeiten“, so wie es sich in Art. 6 Abs. 1 lit. a DLRL findet, auf eine Mitnahmemöglichkeit und so ein Wahlrecht geschlossen werden kann. „Dienstleistungserbringer“ sollen danach alle „Verfahren und Formalitäten, die für die Aufnahme ihrer Dienstleistungstätigkeiten446 erforderlich sind“, über die einheitlichen Ansprechpartner abwickeln können. Dies könnte für die Möglichkeit sprechen, einen Ansprechpartner für sämtliche Vorhaben zu verwenden. Dem steht jedoch bereits der direkt folgende lit. b des Art. 6 Abs. 1 entgegen, in welchem lediglich der Singular des Wortes (scil. „Dienstleistungstätigkeit“) verwandt wird. Ein Blick auf die englische, die französische, die spanische, die italienische sowie die niederländische Sprachfassung zeigt, dass im Gegensatz zur deutschen Version hier in beiden litterae auf den Plural abgestellt ist. Dies bestätigt jedoch lediglich die Tatsache, dass es aufgrund der Sprachenvielfalt in der Union auf Feinheiten im Wortlaut nicht allzu sehr ankommen kann.447 Ein Grund dafür, wieso nun die deutsche Fassung einmal so und einmal so formuliert, ist ansonsten nicht ersichtlich. Tendenziell könnte auch Art. 7 DLRL, der von „Dienstleistungstätigkeiten“ spricht, dahingehend interpretiert werden, dass die Richtlinie eher von einem im gesamten Hoheitsgebiet „zuständigen“ Ansprechpartner ausgeht. Doch das alles ist eben nicht zwingend und bedarf stets der Bestätigung durch die anderen Auslegungsmethoden. Insgesamt bleibt es daher bei der 443 444 445 446 447
So insbes. Windoffer/Ziekow/Windoffer, S. 158; Ziekow, GewArch 2007, 179 (182). Schlachter/Ohler/Cornils, Art. 10 DLRL Rn. 30, 40. Mit Erwägungsgründen 59 und 60. Hervorhebung durch Verf. Dazu bereits o. Kapitel 1 B. II. 2.
106
Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
Feststellung, dass die Richtlinie bezogen auf Wortlaut und Systematik weder für die eine noch für die andere Variante streitet. In Kombination mit dem Normzweck spricht jedoch einiges für das hier befürwortete Ergebnis.
IV. Absicherung dieses Ergebnisses durch das Subsidiaritätsprinzip im weiteren Sinne Unter Heranziehung des effet utile im weiteren Sinne448 gelangt man zu dem Ergebnis, dass es maßgeblich auf ein subjektives Verständnis von „einheitlich“ ankommt, wobei die praktische Wirksamkeit der Institution des einheitlichen Ansprechpartners insbesondere dadurch gewähleistet werden kann, dass dem Dienstleister ein „echtes“ Wahlrecht bei der Kontaktierung eingeräumt wird. In Kapitel 1 wurde herausgearbeitet, dass sich ein am effet utile im weiteren Sinne orientierendes Auslegungsergebnis jedenfalls sinngemäß an den Kautelen des Art. 5 EUV messen zu lassen hat.449 Dies gilt auch für unional gesetztes Sekundärrecht. Zusammenfassend geht es um die Frage, ob dem Gedanken einer Handlungsprärogative zugunsten der Mitgliedstaaten Rechnung getragen ist und ob ein die Mitgliedstaaten weniger in ihrer Autonomie beschneidendes Ergebnis die gleiche integrative Wirkung erzielen könnte. Darauf soll an dieser Stelle kurz eingegangen werden. 1. Nachweisbarer Vorteil für die Integration des Binnenmarktes für Dienstleistungen? Dem Gedanken des Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 Abs. 3 EUV widerspräche die subjektive Auslegung der „Einheitlichkeit“ dann, wenn zunächst ein nachweisbarer Vorteil für die Integration des Binnenmarktes für Dienstleistungen nicht festzustellen wäre.450 Dass dem nicht so ist, wurde bereits ausführlich dargestellt. Eine sinngemäße Übertragung der Anforderungen von Negativ- und Positivkriterium führt darüber hinaus zu der Überlegung, ob zum einen es als „ausreichend“ erachtet werden könnte, wenn die Mitgliedstaaten ganz autonom über die Umsetzung der Art. 6 ff. DLRL entscheiden könnten, in dem Sinne, dass etwa jedem Mitgliedstaat selbst überlassen ist, ein subjektives Verständnis zugrunde zu legen oder nicht. Denn diese Auslegung ist – und das ist nahezu jeder Interpretation immanent451 – sicher nicht zwingend; sie ist lediglich diejenige, welche Art. 6 DLRL zu möglichst intensiver praktischer Wirksamkeit verhilft. Zum anderen darf kein bloß minimaler Integrationsgewinn bei jedoch enormem Autonomieverlust der Mitgliedstaaten festzustellen sein. Indes wäre es gerade nicht „ausreichend“, wenn jeder Mitgliedstaat eine 448 449 450 451
Vgl. dazu Kapitel 1 B. III. 1. c). Vgl. dazu Kapitel 1 B. III. 1. d) sowie Kapitel 1 B. III. 1. d) dd). s. insbes. Kapitel 1 B. III. 1. d) bb) (1) (b). Vgl. dazu Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 9/182.
A. Auslegung der „Einheitlichkeit“
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eigene Interpretation zugrunde legte. Dadurch entstünden Unsicherheiten auf Seiten der Dienstleister, denen die Regelung gerade dienen soll. Folge könnte beispielsweise sein, dass in dem einen Mitgliedstaat die Ansprechpartner für Aufnahme- und Ausübungsfragen zuständig wären, in einem anderen Mitgliedstaat jedoch nur für jeweils das eine oder das andere. Entscheiden sich die Mitgliedstaaten für die Schaffung einer Mehrzahl an Ansprechpartnern, so ist dem Dienstleister nach der hier vertretenen Ansicht ein Wahlrecht bei der Kontaktierung zuzugestehen. Die sich daraus ergebenden Vorteile für die hinter der Institution stehende Idee liegen auf der Hand. Es handelt sich um die nutzerfreundlichste Interpretation. Da jedoch die Mitgliedstaaten völlig frei darin sind, diese Vorgaben umzusetzen und sich gänzlich nach den nationalen Rechtsvorschriften zu richten haben, kann von einem den Integrationsgewinn übersteigenden Autonomieverlust nicht ausgegangen werden. 2. Verhältnismäßigkeit des subjektiven Verständnisses? Im Weiteren müsste die hiesige Interpretation der „Einheitlichkeit“ dem Gedanken des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht werden.452 An Legitimität würde es dem Auslegungsergebnis fehlen, wenn es einen übermäßigen Eingriff in die Interessen der Mitgliedstaaten darstellte. Unproblematisch sind dabei zunächst das Vorliegen eines legitimen Zwecks sowie die Geeignetheit; es kann insoweit auf die Ausführungen zum Zweck des Art. 6 DLRL verwiesen werden.453 Im Rahmen der Erforderlichkeit geht es um die Frage, ob gleichermaßen effektive, jedoch weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht kommen. Bezogen auf die Überprüfung des Ergebnisses einer Interpretation darf kein den Betroffenen (hier die Mitgliedstaaten) weniger belastendes Verständnis zur Wahl stehen, dass summa summarum den verfolgten Zweck gleich effektiv erfüllen kann. Indes ist ein solches nicht ersichtlich. Ein etwa in Betracht kommender Verzicht auf das hier befürwortete Wahlrecht wäre im Ergebnis jedenfalls nicht gleich effektiv. Wie beschrieben, besteht die Gefahr, dass der Dienstleister komplexe Zuständigkeitsfragen zu durchdringen hat, was dem status quo ante zumindest recht nahe kommen könnte. Eventuell könnte den Mitgliedstaaten auferlegt werden, dass diese dann, wenn sie sich für ein Modell mit mehreren Ansprechpartnern entschieden haben, ein System bereithalten müssten, welches auf klare und einfache Weise den zuständigen Ansprechpartner ermittelt und dem Dienstleister aufzeigt. Doch wäre auch ein solches gegenüber einem echten Wahlrecht nicht gleich effektiv, da Letzteres weitaus größere Vorteile verspricht.454 Damit mündet die Verhältnismäßigkeitsfrage in der Untersuchung, ob ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der auf Dienstleistersicht abstellenden Interpretation und dem damit verfolgten Zweck, das Anliegen der Dienstleistungsrichtlinie in 452
s. insbes. Kapitel 1 B. III. 1. d) cc) (3) (b). s. o. unter Kapitel 2 A. II. 1. a). 454 Wie etwa auch die Mitnahmemöglichkeit aufgrund guter Erfahrungen mit dem einmal kontaktierten Ansprechpartner, die dadurch bedingte erhöhte Motivation für weitere Projekte usw. s. bereits o. unter Kapitel 2 A. III. 3. 453
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
bestmöglicher Weise hervorzuheben, besteht. Wie bereits im Rahmen der vorangegangenen Ausführungen zum Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne dargelegt, kann nicht festgestellt werden, dass die Autonomie der Mitgliedstaaten durch ein subjektives Verständnis der Einheitlichkeit über Gebühr beeinträchtigt ist. Zwar ist die Ausgestaltung der Ansprechpartner an den Belangen des Dienstleistungserbringers auszurichten. Dies ist jedoch nicht nur ein legitimes Ziel im Sinne der Verhältnismäßigkeit, sondern auch das einzige, welches den hinter Art. 6 ff. DLRL stehenden Gedanken nicht ad absurdum führt. Wenn der einheitliche Ansprechpartner nicht an den Belangen des Dienstleisters ausgerichtet wird, woran dann? Das hier befürwortete Wahlrecht tritt insofern ergänzend hinzu, belässt den Mitgliedstaaten aber die Umsetzungsentscheidung und darüber hinaus genügend Umsetzungsspielraum. Wie gezeigt, stellt das subjektive Begriffsverständnis der Einheitlichkeit nur einige wenige Anforderungen an die letztlich zu errichtende Kontaktstelle. Ob es im Einzelfall besonderer Anstrengung seitens des Mitgliedstaates bedarf, diese Anforderung in sein nationales Recht zu transponieren, ist kein im Rahmen unionaler Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigender Gesichtspunkt. Insgesamt ist damit festzuhalten, dass die vorliegende, dem effet utile im weiteren Sinne des Art. 6 DLRL folgende Auslegung mit dem Rechtsgedanken des Art. 5 EUV im Einklang steht.
B. Probleme, die sich aus dieser Auslegung auf Unions- und auf nationaler Ebene ergeben I. Unionsebene: Kompetenz zum Erlass entsprechender Vorgaben? Aus den vorliegenden Ausführungen wird deutlich, dass der Figur des einheitlichen Ansprechpartners zentrale Bedeutung im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie zukommt. Sinn und Zweck des Regelungswerkes ranken sich maßgeblich um Art. 6 – 8 DLRL, denn schon die Schaffung der Rechtsfigur an sich hat enormes Potenzial, Anreize für die Wahrnehmung der betreffenden Grundfreiheiten zu schaffen und kann so die erstrebte Erleichterung bewirken. Unter der Voraussetzung eines subjektiven Begriffsverständnisses von „Einheitlichkeit“ stellt sich der Ansprechpartner klar in die Dienste des Dienstleistungserbringers; es handelt sich um eine Service-Einrichtung, die jedoch – und das ist die vorliegend wesentliche Feststellung – beachtlichen Einfluss auf die Verwaltungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten ausübt. Letztere haben eine neue Größe zu installieren und zu integrieren, die zumindest potenziell erhebliche Veränderungen in den herkömmlichen, national gewachsenen Abläufen bewirken können. Aus dem Richtlinienvorschlag der Kommission vom 25. Februar 2004 geht ausdrücklich hervor, dass sich die Dienstleistungsrichtlinie maßgeblich auf ex-
B. Probleme, die sich aus dieser Auslegung ergeben
109
Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) stützt.455 Bereits der Vorschlag sah sich von vielen Seiten her Bedenken in Bezug auf seine Kompetenzgrundlage ausgesetzt. Zweifel kamen ganz generell dahingehend auf, ob die Union überhaupt Regelungen im Bereich von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsorganisation erlassen darf. Teilweise ist das Aufbegehren sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass die Kommission sich zur Begründung des entsprechenden Harmonisierungserfordernisses gerade in diesem Bereich auf mehr oder weniger inhaltslose Textbausteine beschränkt hat. So ist dem Richtlinienvorschlag lediglich zu entnehmen, dass dieser „eindeutig“456 darauf abstelle, Hindernissen für Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit entgegenzuwirken, bestimmte Regelungen in diesem Bereich zu harmonisieren und Hemmnisse abzubauen. Eine tiefer gehende Begründung bleibt die Kommission schuldig. Dies zugrundelegend soll eine entsprechende Untersuchung der begrenzten Ermächtigung erfolgen.
II. Nationale Ebene: Wahlrecht des Dienstleisters und föderales System der Bundesrepublik Von der Tatsache, dass bei Ernstnahme des effet utile dem Dienstleister ein Wahlrecht in Bezug auf die Kontaktierung des Ansprechpartners zuzugestehen ist, zu unterscheiden, ist die Frage nach der möglichen Umsetzung eines solchen auf Ebene des nationalen Rechts. Im Fall der Bundesrepublik bedeutet das vornehmlich einen Konflikt zwischen eben jenem von Subjektivität und Effektivität geprägten Verständnis der Richtlinienvorgabe und den hiesigen föderalen Strukturen, welche mit klar begrenzten Kompetenzen zwischen den betroffenen Verwaltungseinheiten einher gehen.457 Betroffen sind dabei sämtliche Arten von Kompetenzen, namentlich (örtliche und sachliche) Organkompetenzen sowie – und dies ganz vorrangig – Verbandskompetenzen. Zur Verdeutlichung ist es erforderlich, einen kurzen Blick auf die Umsetzung der Vorschriften um den einheitlichen Ansprechpartner in Deutschland vorwegzunehmen.
455 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (KOM [2004] 2 endg./2), S. 20. 456 Richtlinienvorschlag (Fn. 455), S. 20. 457 Schliesky, in: ders., Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 1 (23) bringt das Bild von der „bundesdeutsche(n) Verbandskompetenz als ,Spielverderber‘ kundenorientierter Richtlinienumsetzung“.
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
1. Überblick über die Umsetzungsaktivitäten in Deutschland458 Die Dienstleistungsrichtlinie hat mit ihrem weitreichenden Inhalt ganz generell in der Bundesrepublik zu vielfältigen legislativen Umsetzungsaktivitäten geführt.459 Diese betrafen sowohl den Bund als auch die Länder. Letzteren kommt jedoch deshalb eine besonders gewichtige Rolle zu, weil eben die Materie des Verwaltungsrechts nach nationalem Recht (Art. 83, 30 GG) im Wesentlichen Sache der Länder ist. Damit lag es der innerstaatlichen Kompetenzverteilung zufolge bei den Ländern, die einheitlichen Ansprechpartner einzurichten. Der Bundesgesetzgeber hat im Rahmen seines Zuständigkeitsbereichs, namentlich im Verwaltungsverfahrensgesetz sowie in diversen, dem Bundesrecht unterliegenden Fachgesetzen, die Vorgaben der Dienstleistungsrichtlinie umgesetzt. Infolge dessen hat das Verwaltungsverfahrensgesetz durch das „4. Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (4. VwVfÄndG)“460 vom 11. Dezember 2008 einen neuen Abschnitt – Verfahren über die einheitliche Stelle, §§ 71a ff. – erhalten; durch dasselbe Gesetz wurden auch verschiedene Fachgesetze, wie etwa die HWO oder die GewO, den Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie angepasst. Weitaus größeren Handlungsbedarf bedingte die Umsetzung dagegen auf der Ebene der Länder. Diese mussten nicht nur ihre entsprechenden (bereits existierenden) verwaltungsrechtlichen Vorschriften überprüfen, anpassen und ergänzen, sondern – und insbesondere – die einheitlichen Ansprechpartner verorten. Art. 6 ff. DLRL stellte den nationalen Gesetzgeber vor die umfassende Aufgabe, mittels der Einführung einheitlicher Ansprechpartner für (ausländische) Dienstleister, ein verbindliches One-Stop-Government-Konzept zu erstellen.461 Mit den eingeführten §§ 71a ff. VwVfG wurden zunächst Grundlagen geregelt, welche der Implementierung einheitlicher Ansprechpartner als „einheitliche Stellen“ in den einzelnen Bundesländern einen rechtlichen Rahmen verschaffte. Aufgrund der Simultangesetzgebung von Bund und Ländern wurden die im Bundesverwaltungsverfahrensgesetz getroffenen Normierungen inhaltsgleich in die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder übernommen. Inhaltlich stellen die Vorschriften allgemeine Regeln auf, welchen die Abwicklung eines Verfahrens über die einheitliche Stelle zu folgen hat. Diesen so vorgegebenen Rahmen haben die Länder mit Erlass der Gesetze zur Errichtung der einheitlichen Ansprechpartner konkret in Bezug auf die Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie ausgefüllt. Sie haben darin ihre jeweils eigenen Verortungsentscheidungen getroffen und den einheitlichen Ansprechpartnern den Status einer einheitlichen Stelle verschafft. Dementsprechend 458
Zur nationalen Umsetzung des Konzeptes des einheitlichen Ansprechpartners in Deutschland s. ausführlich Kapitel 4 A. 459 Eisenmenger, NVwZ 2010, 337. 460 BGBl. I 2008 S. 2418; BT-Drs. 16/10493. 461 Schliesky, in: ders., Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/III, S. 1 (3). Zum OneStop Government im Allgemeinen s. etwa E. Schulz, One-Stop Government, S. 9 ff.
B. Probleme, die sich aus dieser Auslegung ergeben
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wurden teils auch die allgemeinen Regelungen über die einheitliche Stelle auf Länderebene ergänzt und konkretisiert.462 2. Folge: „Uneinheitlichkeit“ der einheitlichen Ansprechpartner Ergebnis dieser Umsetzungsmaßnahmen ist, dass die Bundesrepublik mit einer enormen Anzahl an einheitlichen Ansprechpartnern besiedelt wurde. Namentlich wurden im Bundesgebiet mehr als 300 Stellen geschaffen.463 Diese sind zudem gänzlich uneinheitlich ausgestaltet,464 sodass es „um die ,Einheitlichkeit’ des EA in Deutschland schlecht bestellt ist.“465 Dieses Ergebnis verwundert insbesondere ob der Tatsache, dass sich Bund und Länder dieser besonderen, aus dem föderalistischen Staatsaufbau folgenden Gefahr der „Zersplitterung“ bewusst waren. Beschlüsse diverser Konferenzen, Treffen, Ausschusssitzungen usw. unter Beteiligung aller Betroffenen Ebenen konnten nicht im befriedigenden Maße einer praktischen Verwirklichung zugeführt werden, obwohl gerade das Erfordernis einheitlicher Umsetzungslösungen im Rahmen der Errichtung der einheitlichen Ansprechpartner immer wieder betont wurde.466 Aufgrund dessen darf daran gezweifelt werden, dass es gelungen ist, in Deutschland einen vollumfänglich richtlinienkonformen Zustand herzustellen. Die Palette der entstandenen Lösungen reicht von Allkammermodellen über Wirtschaftskammermodelle bis zu Verortungslösungen auf Landes-, kommunaler Ebene oder sogar bei Privaten. Wegen der föderalistischen Struktur Deutschlands sind die einheitlichen Ansprechpartner verbandskompetenzmäßig in ihrem jeweiligen Wirkkreis beschränkt. Dies führt in der Zusammenschau für den ausländischen (und auch den inländischen) Dienstleister zu einem recht komplizierten System unterschiedlichster Zuständigkeiten.467 Unabhängig von der genauen Aus-
462 Dazu Schliesky, in: ders., Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/III, S. 1 (5 f.); s. zudem Kapitel 4 A. II. 2. sowie Kapitel 4 B. II. 1. a). 463 Vgl. http://www.hwk-berlin.de/handwerkspolitik/europa/einheitlicher-ansprechpartner. html, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 464 Grunow/Dickert-Laub/Minnetian, S. 10, 163 ff. sowie die Tabelle zur Übersicht über die Verortungsentscheidungen der Bundesländer, S. 70 f.; s. genauer unter Kapitel 4 A. II. 2., Kapitel 4 A. II. 3. sowie Kapitel 4 C. 465 Grunow/Dickert-Laub/Minnetian, S. 10; daran, dass eine übermäßige Anzahl an Ansprechpartnern mit der geforderten „Einheitlichkeit“ korreliert zweifelt auch Schulz, BayVBl. 2010, 556 (558). Die hier vertretene Ansicht teilen darüber hinaus Stober, in: Graf/ Paschke/Stober, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, S. 35 (49 f.) sowie M. Müller, FS Stober, S. 349 (369). 466 Vgl. etwa den Beschluss 3 der Wirtschaftsministerkonferenz am 04./05. Juni 2007 in Eisenach (abrufbar unter http://www.dienstleisten-leicht-gemacht.de/DLR/Redaktion/PDF/be schluss-der-wirtschaftsministerkonferenz-eisenach,property=pdf,bereich=dlr,sprche=de,rwb= true.pdf, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014); Pflichtenheft des BMWi, S. 4 f.; Bund-LänderAusschuss Dienstleistungswirtschaft Anforderungsprofil, S. 3. 467 Vgl. Kapitel 4 A. II. 2. sowie Kapitel 4 A. II. 3.
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
gestaltung im Einzelnen ist jedenfalls ein „echtes“ Wahlrecht, so wie es hier befürwortet und aus der Richtlinie selbst begründet wird, nicht vorgesehen.468 Im Rahmen der weiteren Untersuchung soll deshalb geklärt werden, wie – ausgehend von der gegenwärtigen Ausgestaltung der einheitlichen Ansprechpartner – ein solches Wahlrecht des Dienstleisters rechtlich umgesetzt werden kann. 3. Bedeutung des Wahlrechts Abgesehen davon, dass das subjektive Begriffsverständnis von „einheitlich“ klar für das beschriebene Wahlrecht des Dienstleiters streitet, besteht darin eine überragende praktische Bedeutung, auf die an dieser Stelle hinzuweisen ist. a) Denkbare Konstellationen Denktheoretisch gibt es unzählige Konstellationen, in denen zunächst eine Mitnahmemöglichkeit von nicht zu unterschätzendem Vorteil ist. Das gilt in erster Linie für die beschriebene Tatsache, dass bereits geplante (weitere) Projekte des Dienstleisters leichter und schneller umzusetzen sind. Darüber hinaus werden aber zusätzliche Anreize geschaffen, die vielleicht erst die Idee eines weiteren Projekts generieren. Weiterhin sind Fälle zu benennen, bei denen wegen einer „Grenznähe“ der Bezug zu mehreren Bundesländern gegeben ist. Zu denken ist dabei an die Konstellation eines ausländischen Dienstleisters der sich einerseits in Bundesland A niedergelassen hat, andererseits aber eine weitere Niederlassung im Nachbarbundesland B anstrebt. Man denke sich beispielsweise den französischen Bäckermeister, der in Berlin einen Laden für französische Backwaren eröffnet hat und nun ein weiteres entsprechendes Geschäft in Potsdam anvisiert. Oder aber ein Dienstleister hat bereits das Informationsangebot eines einheitlichen Ansprechpartners in Anspruch genommen, entscheidet sich aber danach für einen anderen Standort und möchte denselben einheitlichen Ansprechpartner weiter nutzen. Im Weiteren geht es auch um die Frage, an welchen von mehreren (oder sogar vielen) einheitlichen Ansprechpartnern sich der Dienstleister im Rahmen des Erstkontakts (Erstprojekt) wendet. Es kann für den Fall der Bundesrepublik beispielsweise nicht davon ausgegangen werden, dass ein Ausländer die föderalistische Struktur des Landes mit all ihren (kompetenziellen) Folgen durchdrungen hat. Dies fällt im Zweifel sogar Inländern schwer. Insofern stellt es bereits die erste Hürde dar, den bundeslandbezogen „richtigen“ Ansprechpartner zu finden; hinzu kommen die Kommunalebene und gegebenenfalls auch noch die tätigkeitsbezogene Unterscheidung der Ansprechpartner. Denkbar sind daneben auch Fälle, in denen der Dienstleister zwar eine Niederlassung plant, sich allerdings noch auf Standortsuche
468
Vgl. ausführlich unter Kapitel 4 C.
B. Probleme, die sich aus dieser Auslegung ergeben
113
befindet.469 Auch dann ist es von Vorteil, wenn jeder einheitliche Ansprechpartner aufgrund einer – wie auch immer gearteten – zentralen Präsenz den nötigen Sachverstand und/oder die nötigen bundesweiten Verbindungen zu den betreffenden Behörden besitzt. Die gleichen Erwägungen gelten schließlich dann, wenn ein Dienstleister beispielsweise über mehrere Niederlassungen im Bundesgebiet verfügt und sich hinsichtlich Fragen, die sich zwischenzeitlich während des Bestehens der Niederlassungen stellen (Folgeanträge, erweiternde Anträge usw.), an den einheitlichen Ansprechpartner wenden möchte, der sich gerade in der Nähe seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes befindet. Solcherlei Konstellationen sind, wie bereits eingangs erwähnt, unendlich fortführbar und verdeutlichen lediglich die hohe praktische Relevanz eines offenen und flexiblen Systems an einheitlichen Ansprechpartnern. b) Forderungen der Praxis nach effektiverer Richtlinienumsetzung: „Einheitliche Ansprechpartner der zweiten Generation“ Verschiedene Studien zur umgesetzten Dienstleistungsrichtlinie belegen, dass es zwar bereits einigen Erfolg zu verzeichnen gibt.470 So seien EU-weit bereits Tausende diskriminierende Anforderungen abgeschafft und Hindernisse beseitigt worden.471 Insbesondere hätten die einheitlichen Ansprechpartner bereits ihre Arbeit aufgenommen und trügen zur Verringerung des Verwaltungsaufwands bei.472 Dennoch werden nach wie vor reichliche Defizite bemängelt. Grunow/Dickert-Laub/ Minnetian473 gelangen in ihrer aus dem Jahr 2011 stammenden Untersuchung sogar zu dem Schluss, der europäische Dienstleistungssektor habe bis dahin durch die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie keine erkennbaren Impulse erhalten. Bezogen auf Deutschland wird insbesondere die Uneinheitlichkeit der entstanden einheitlichen Ansprechpartner moniert, die sich dem Dienstleister gegenüber als äußerst verwirrend präsentiere.474 Insgesamt sei der bisher unzureichende Impact der Richtlinie generell auf den Grundtenor ihrer Umsetzung zurückzuführen, welcher in Deutschland so zusammengefasst werden könne: Die Zielsetzung der Richtlinie sei „im Prinzip okay“, verwaltungspolitisch solle jedoch möglichst alles „beim Alten“ bleiben.475 Erforderlich seien insofern weitere Anstrengungen.476
469 In ähnlicher Weise betonen Grunow/Dickert-Laub/Minnatian, S. 161, dass im Falle der Standortsuche eine zentrale „PSC-Beratungseinheit“ von Vorteil wäre. 470 s. insbes. Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“. s. zudem Grunow/Dickert-Laub/Minnetian 2012. 471 Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“, S. 2. 472 Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“, S. 2. 473 Grunow/Dickert-Laub/Minnetian, S. 180. 474 Grunow/Dickert-Laub/Minnetian, S. 165, 180. 475 Grunow/Dickert-Laub/Minnetian, S. 163.
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Kap. 2: Der „einheitliche“ Ansprechpartner nach Art. 6 Abs. 1 DLRL
Ähnlichen Entwicklungsbedarf sieht auch die Kommission in ihrer Mitteilung zum Stand der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie vom Juni 2012.477 Insbesondere durch intensivere Ausschöpfung des Potenzials der Richtlinie könnten die bestehenden Defizite behoben werden; die Mitgliedstaaten müssten gewährleisten, dass die Richtlinie ihre volle Wirksamkeit entfalten könne.478 Dies zugrunde legend, plant die Kommission die Erstellung einer „Charta für die Einheitlichen Ansprechpartner“, welche Kriterien enthalten soll, die zur Errichtung sog. „Ansprechpartner der zweiten Generation“ bis zum Ende des Jahres 2014 führen sollen.479 Unter solchen versteht die Kommission Kontaktstellen, „die 1) alle Verfahren im Laufe des Lebenszyklus eines Unternehmens behandeln, 2) mehrsprachig und 3) nutzerfreundlich sind“.480 Erkennbar haben die einheitlichen Ansprechpartner eine Schlüsselfunktion auch im Rahmen der Intensivierungsbemühungen der in Gang gesetzten Strukturreformen. Auf deren Funktionalität, Effizienz und vor allem Effektivität kommt es maßgeblich an. Nur dann kann nämlich auch von „Nutzerfreundlichkeit“ gesprochen werden. Soll zudem der einheitliche Ansprechpartner dahingehend entwickelt werden, dass er sich des gesamten Lebenszyklus eines Unternehmens annimmt, kommt wiederum die Idee des Wahlrechts zum Tragen. Wirklich sinnvoll wäre es insofern, wenn der Dienstleister sich tatsächlich in jeglicher Angelegenheit an denselben Ansprechpartner wenden könnte. Erst unter diesem Umstand würde die von der Kommission erdachte „Generalzuständigkeit“ der einheitlichen Ansprechpartner tatsächlich ihre volle Wirksamkeit entfalten. Nach der hier vertretenen Ansicht gelangt man allerdings bereits durch Auslegung der Dienstleistungsrichtlinie zu diesem Ergebnis.
C. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 2 1. Dem Begriff „einheitlich“ ist ein subjektives Verständnis zugrunde zu legen. Welche genauen Anforderungen, insbesondere verwaltungsorganisationsrechtlicher Natur, demnach an den Ansprechpartner zu stellen sind, beurteilt sich aus der Sicht des Dienstleistungserbringers. Nur diese Auslegung wird den Anforderungen des 476
Grunow/Dickert-Laub/Minnetian, S. 181 f. mit genauer Aufzählung der für erforderlich gehaltenen Maßnahmen. 477 Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“. 478 Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“, S. 3. 479 Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“, S. 13. 480 Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“, S. 13 f.
C. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 2
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effet utile an eine möglichst intensive und effektive Verwirklichung der hinter Art. 6 DLRL stehenden Zwecksetzung gerecht (effet utile im weiteren Sinne). 2. Um der subjektiven Einheitlichkeit gerecht zu werden, ist es erforderlich dem Dienstleister dann, wenn sich der Mitgliedstaat für ein System mit (mengenmäßig) mehreren Ansprechpartnern entschieden hat, ein Wahlrecht hinsichtlich der Kontaktierung eines bestimmten Ansprechpartners zuzugestehen. Dafür spricht eine den effet utile im weiteren Sinne berücksichtigende Interpretation. 3. Mit dem hier befürworteten Wahlrecht ist ein „echtes“ Wahlrecht gemeint. Dem liegt ein umfassendes Verständnis zugrunde, und zwar dahingehend, dass der Dienstleister es sich aussuchen können soll, welchen Ansprechpartner er im Rahmen der Erstkontaktierung in Anspruch nimmt und ob er den einmal verwandten Ansprechpartner auch für weitere Projekte „mitnehmen“ möchte. Dies muss auch dann gelten, wenn der jeweilige Mitgliedstaat ein System eingeführt hat, bei welchem es unterschiedliche einheitliche Ansprechpartner mit unterschiedlichen örtlichen oder sachlichen, d. h. sektorspezifischen Zuständigkeiten gibt. 4. Da das hiesige Auslegungsergebnis unter Anwendung des effet utile im weiteren Sinne zustande gekommen ist, bedarf es einer Überprüfung anhand des hinter Art. 5 EUV liegenden Gedankens. Weil es den Mitgliedstaaten möglich ist, insgesamt autonom über die Umsetzung, d. h. Implementierung und rechtliche Ausgestaltung des einheitlichen Ansprechpartners zu entscheiden, kann ein Verstoß gegen die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit nicht festgestellt werden. 5. Aus den hiesigen Auslegungsbemühungen ergeben sich zwei Problemkomplexe, die einer näheren Betrachtung unterzogen werden sollen. Zum einen betrifft das das Unionsrecht, nämlich die Frage, ob es dem Unionsgesetzgeber überhaupt möglich ist, die Implementierung einer Institution wie der des einheitlichen Ansprechpartners qua Richtlinie vorzuschreiben. Zum anderen ist unklar, wie das hier befürwortete Wahlrecht des Dienstleisters im nationalen Recht der föderalen Bundesrepublik zu erreichen ist.
Kapitel 3
Die Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner481 Die Regelungen um den einheitlichen Ansprechpartner können wohl als Kern der Dienstleistungsrichtlinie bezeichnet werden. Zweifel an der Vereinbarkeit der Richtlinie mit Unionsrecht sind daher vornehmlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verpflichtung zur Schaffung der einheitlichen Ansprechpartner selbst. Unter Auseinandersetzung mit der einschlägigen Kritik sind daher im Folgenden die der Dienstleistungsrichtlinie zugrunde liegenden Kompetenzbestimmungen zu untersuchen. Fraglich ist, ob diese tatsächlich zur Normierung einer verpflichtenden Einführung einheitlicher Ansprechpartner legitimieren.482 Dazu ist es erforderlich, einige erläuternde Bemerkungen zu der einschlägigen begrenzten Ermächtigung voranzustellen.
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) Die Dienstleistungsrichtlinie stützt sich maßgeblich auf die Harmonisierungsvorschriften der ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV483 (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV). Artikel 47 EGV bestimmt dabei: „(1) Um die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit zu erleichtern, erlässt der Rat nach dem Verfahren des Artikels 251 Richtlinien (…).“484 „(2) Zu dem gleichen Zweck erlässt der Rat gemäß dem Verfahren des Artikels 251 Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit. (…)“485
481 Um Verwirrungen entgegenzuwirken, werden im folgenden Kapitel 3 hinsichtlich der der Dienstleistungsrichtlinie zugrunde gelegten begrenzten Ermächtigung die Artikel des Vertrags von Nizza (EGV/EUV) zitiert. In Klammern werden die Entsprechungen im Vertrag von Lissabon markiert. Alle Artikel, bei denen sich keine Entsprechung in Klammern findet, sind solche des Lissabon-Vertrages. 482 Vgl. Kapitel 2 B. I. 483 ABl. L 376/36 v. 27. 12. 2006. 484 Hervorhebung durch Verf. 485 Hervorhebung durch Verf.
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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I. Ansatz der Kritik in der Literatur Als problematisch wird angeführt, die Dienstleistungsrichtlinie tangiere inhaltlich zu wesentlichen Teilen das Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrecht der Mitgliedstaaten.486 Insbesondere Scholz487 moniert, ausgehend von der Feststellung, dass die Gemeinschaft nicht über ein allgemeines Recht zur Regelung nationaler Verwaltungsverfahren bzw. -organisationen verfügt, eine Verletzung des Prinzips einer mitgliedstaatlichen „Verwaltungsautonomie“. Das Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrecht stehe prinzipiell in nationaler Verantwortung; eine Regelung in diesem Bereich bedürfe demgemäß spezieller kompetenzrechtlicher Grundlagen. Dass ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) eine derart weite Kompetenzgrundlage darstellen, wird entsprechend angezweifelt. Ganz besonders gelte dies für den Bereich der Art. 6 ff. DLRL, die sich mit der Institution des einheitlichen Ansprechpartners beschäftigen, da hiermit in allgemeingültiger Weise in die komplette Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten eingegriffen werde.488 Insbesondere sei es dabei unter dem Gesichtspunkt von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit gerade nicht unabdingbar im Hinblick auf Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit sowie eine Binnenmarktverwirklichung, solche weitgehenden (scil. weit in die staatliche Verwaltungsorganisation reichenden) Regelungen zu schaffen. Auch Ohler489 betont die fehlende ausdrückliche Gesetzgebungskompetenz der Gemeinschaft im Bereich der Verwaltungsvereinfachung. Im Ergebnis stellt er fest, dass nur der Weg über eine Annexkompetenz respektive die implied powers-Lehre im Rahmen der materiellen Rechtssetzungsbefugnis des ex-Art. 47 Abs. 2 EGV (Art. 53 Abs. 1 AEUV) zur Regelungsmöglichkeit von Verwaltungsverfahren und -organisation führt.490 Diesen Befund bezeichnet Ohler selbst jedoch als „mehr als unbefriedigend“491, da es solcherlei ungeschriebenen Kompetenzen stets an klaren Konturen fehle. Als problematisch beurteilt die Materie beispielsweise auch Davies492 und geht dabei speziell auf die verschiedenen Mittel ein, mit denen die Dienstleistungsrichtlinie ihre Ziele zu verwirklichen sucht. So sei es weder notwendig noch sinnvoll, einheitliche Ansprechpartner zu schaffen, die auch noch auf elektronischem Wege 486 Scholz, FS R. Schmidt, S. 169 (172 ff.); s. auch Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (64); Ohler, BayVBl. 2006, 261 (266 f.); Ziekow, GewArch 2007, 179; vgl. zur Kompetenzfrage auch die umfassende Darstellung bei Hissnauer, S. 41 ff. 487 Scholz, FS R. Schmidt, S. 169 (172 ff.). 488 Scholz, FS R. Schmidt, S. 169 (175). 489 Ohler, BayVBl. 2006, 261 (266 f.). 490 Die Annahme einer Annexkompetenz befürwortet auch Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (64 f.) sowie ders., in: ders., Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie/I, S. 1 (8 f.). 491 Ohler, BayVBl. 2006, 261 (266). 492 Davies, ELR 2007, 232 (240 f.).
118 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
kontaktiert werden können sollen. Insgesamt werde den Mitgliedstaaten ihr ureigenstes Recht auf die freie Ausgestaltung der Verwaltungsstrukturen genommen.
II. Erläuternde Bemerkungen zur begrenzten Ermächtigung 1. Zweck: Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit a) Konkretisierte Zwecksetzung Die Einzelermächtigung erlaubt es dem Rat in Absatz 2, Richtlinien zu erlassen, die der Beseitigung von Hemmnissen für die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten aufgrund unterschiedlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften in den Mitgliedstaaten dienen. Zweck muss dabei die Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 sein. Damit wird zunächst einmal deutlich, dass jegliche Rechtssetzung einen konkretisierten wirtschaftsrechtlichen Zweck, nämlich die „Erleichterung“ der „Aufnahme selbstständiger Tätigkeit“ und der „Ausübung selbstständiger Tätigkeit“ zu erfüllen hat. Mittels dieser Zweckbestimmung lässt sich die Abgrenzung zur allgemeinen Binnenmarktkompetenz des ex-Art. 95 Abs. 1 EGV (Art. 114 AEUV) durchführen: Während Letztere sich durch ein Fehlen einer gegenständlichen Beschränkung charakterisiert und grundsätzlich alle Maßnahmen deckt, welche die „Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes“ bezwecken, ist die Rechtssetzungskompetenz aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) in genau dieser Hinsicht enger und damit spezieller gefasst. Daraus folgt auch, dass die Ermächtigung nach ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) als lex specialis der allgemeinen Kompetenz nach ex-Art. 95 Abs. 1 EGV (Art. 114 AEUV) vorgeht. b) „Erleichterung“ Unter dem Begriff „Erleichterung“ ist semantisch eine Beseitigung oder Verringerung von Hindernissen zu verstehen. Ein Vergleich der Rechtslage vor der Maßnahme mit der danach muss die entsprechende Erleichterung ausweisen. Von Bedeutung ist vorliegend insbesondere die Frage nach dem genauen Bezugspunkt der „Erleichterung“.493 Gemeint ist, welche konkreten Größen bei der Beurteilung des Entstehens oder Nicht-Entstehens einer Erleichterung von Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit einander gegenüber zustellen sind. Zunächst geht dies einher mit der Feststellung, dass eine Vereinfachung jedenfalls hinsichtlich solcher Sachverhalte eintreten muss, die einen grenzüberschreitenden Bezug 493
s. dazu insbes. Herzog, S. 69 ff.; Schlag, S. 127.
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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haben.494 Das bedeutet aber nicht, dass es ausgeschlossen ist, jene Sachverhalte mitzuregeln, die einen solchen Bezug gerade nicht respektive nicht ausschließlich aufweisen und auch nationale Sachverhalte betreffen.495 Dies beantwortet jedoch noch nicht die Frage nach der genauen Bewertungsgröße einer „Erleichterung“. Zum einen könnte davon ausgegangen werden, dass sich die Erleichterung bereits in der Koordinierung selbst erschöpft.496 Sofern nur mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften einander angepasst würden,497 träte danach normgemäße Zweckerfüllung ein. Andererseits könnte davon ausgegangen werden, dass erst dann eine tatsächliche „Erleichterung“ zu bejahen ist, wenn etwa eine Anpassung entsprechend der Vorschriften des liberalsten Mitgliedstaates498 im betreffenden Bereich erfolgt oder wenn ein durchschnittliches Gesamtniveau aller Mitgliedstaaten499 als Bezugsgröße angesetzt wird. In diesem Fall wäre erst dann von einer „Erleichterung“ zu sprechen, wenn sich jenes durchschnittliche Gesamtniveau der Anforderungen für die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit tatsächlich verringert hätte. Richtig ist zunächst, dass bereits die Koordinierung selbst ganz generell als Erleichterung zu betrachten ist. Das heißt nicht zwangsweise, dass auch die konkreten Voraussetzungen für die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten, sei es auch nur gemessen an einem „Durchschnittsniveau“, tatsächlich herabgesetzt worden sein müssen. Denn die reale Vereinfachung besteht gerade schon darin, dass infolge der Koordinierung in sämtlichen Mitgliedstaaten rechtliche Vorgänge im Grundsatz in ähnlicher Art und Weise ablaufen und an ähnliche Voraussetzungen gebunden sind. Indes muss sich die Beantwortung der Frage nach dem genauen Bedeutungsgehalt der „Erleichterung“ am Telos der Einzelermächtigung orientieren. Die Vorschrift dient der Angleichung mitgliedstaatlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Bereich der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit. Das bedeutet zunächst, dass Hindernisse beseitigt werden sollen, die auf der Unterschiedlichkeit der entsprechenden mitgliedstaatlichen Vorschriften beruhen und aus diesem Grund hemmend auf die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat wirken.500 Dementsprechend geht es in erster Linie darum, diese 494 Dies ist bereits ganz selbstverständliche Folge der Konzeption des Unionsrechts an sich; ausführlich dazu Herzog, S. 76 ff. 495 H.M.: Calliess/Ruffert/Bröhmer, Art. 53 AEUV Rn. 9; Streinz/Müller-Graff, Art. 53 AEUV Rn. 14; Dauses/Roth, E.I. Grundregeln Rn. 212 m. Einschr.; Seidel, in: Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Mindestharmonisierung, S. 67 (80 f.). Unter dem Gesichtspunkt der Inländerdiskriminierung wird die Erfassung auch inländischer Sachverhalte sogar die Regel sein. 496 So Schlag, S. 127. 497 Zum Begriff der „Koordinierung“ sogleich unter Kapitel 3 A. II. 2. a). 498 So noch Everling, BB 1958, 857 (863); krit. Herzog, S. 74 f. 499 Vgl. Herzog, S. 75 ff., 87 f. 500 Hailbronner/Wilms/Hailbronner/Kau, Art. 47 EGV Rn. 2; v. d. Groeben/Schwarze/ Tietje/Troberg, Art. 47 EG Rn. 48; Calliess/Ruffert/Bröhmer, Art. 53 AEUV Rn. 1.
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unterschiedlichen Vorschriften einander anzugleichen und so einen Zustand zu schaffen, in dem sich Niederlassungswillige oder Dienstleistungserbringer, die grenzüberschreitend tätig werden wollen, in allen Mitgliedstaaten weitestgehend gleichen Vorschriften gegenüber sehen. Das bedeutet, dass die Vorschrift Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit in ganz bestimmter Hinsicht vereinfachen will, eben in Bezug auf Behinderungen aufgrund unterschiedlicher Berufsaufnahme- und Berufsausübungsregelungen. Wenn dem aber so ist, dann ist die von der Norm geforderte „Erleichterung“ tatsächlich in der Koordinierung an sich zu erblicken.501 Darüber hinausgehende Anforderungen sind nicht zu stellen.502 Daraus folgt zugleich, dass die ausdrückliche Zweckbestimmung des ex-Art. 47 Abs. 2 EGV (Art. 53 Abs. 1 AEUV) lediglich deklaratorische Bedeutung hat. Dass eine Koordinierung entsprechender Rechtsvorschriften eine Erleichterung für die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit darstellt, ist bereits dem Sinn und Zweck der Koordinierung zu entnehmen. Für eine solche Betrachtungsweise spricht zudem das engere System der Vorschrift: Insgesamt geht es in ex-Art. 47 EGV (Art. 53 AEUV) um den Erlass von Harmonisierungsrichtlinien zur Anerkennung und Koordinierung nationaler Rechtsvorschriften. Unabhängig davon, ob man die Anwendungsbereiche von Absatz 1 und Absatz 2 als engere Einheit betrachten mag oder nicht,503 kann doch insofern ein Zusammenhang hergestellt werden, als dass eine Koordinierung regelmäßig (wenn auch nicht zwangsweise immer)504 der Vorbereitung einer folgenden Anerkennung dient.505 Insofern stellt schon der Abbau von Unterschieden zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen eine Erleichterung und damit eine im Gegensatz zum Ausgangszustand verbesserte Basis für eine eventuelle Anerkennung dar.506 Diese Feststellung befreit indes nicht davon, die tatsächliche Erleichterung, die die Koordinierung im konkreten Einzelfall verspricht, genau darzulegen. Es wurde nämlich lediglich gezeigt, dass sich das Erfordernis einer Erleichterung von Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit bereits aus dem Koordinierungsauftrag ergibt und der separaten Zweckbeschreibung der Norm somit keine gesonderte Bedeutung zukommt. Damit ist lediglich eine dogmatische Frage betroffen. Auf die Zweckbestimmung an sich hat dies aber keine Auswirkungen. 501 s. insofern auch Seidel, in: Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Mindestharmonisierung, S. 67 (77), der zutreffend darauf hinweist, dass als Beschränkung der Grundfreiheiten „auch solche Hemmnisse (…) eingestuft (werden), die sich aus reinen Unterschieden der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften ergeben“. 502 Folge dieser Auslegung ist, dass im Einzelfall in einigen Mitgliedstaaten eine Verschärfung des Regelungsniveaus eintritt. Aus Sicht des Unionsrechts ist dies aber hinzunehmen; es kommt für eine Erleichterung maßgeblich auf einen Unterschiedsabbau zwischen den nationalen Systemen an; vgl. dazu Schlag, S. 127; Schwarze/ders., Art. 53 AEUV Rn. 25 m.w.N. 503 Dazu sogleich unter A. II. 2. b) bb). 504 s. dazu die Nachw. in Fn. 526-528. 505 So auch v. d. Groeben/Schwarze/Tiedje/Troberg, Art. 47 EGV Rn. 47. 506 Überzeugend insofern Schwarze/Schlag, Art. 53 AEUV Rn. 25; ders., S. 127 m.w.N.
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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c) „Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit“ Ihren binnenmarktsteuernden Charakter erhält die Rechtssetzungsbefugnis aus ex-Art. 47 Abs. 2 EGV (Art. 53 Abs. 1 AEUV) mittels der Bezugnahme auf die „Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit“. Gemeint ist damit zunächst die Niederlassungsfreiheit, auf welche sich ex-Art. 47 EGV (Art. 53 AEUV) unmittelbar bezieht. Dies zeigt sich bereits an der systematischen Stellung der Kompetenznorm im Bereich des mit „Das Niederlassungsrecht“ überschriebenen Kapitels des EGV. Gleichzusetzen ist die Wortgruppe „selbstständige Tätigkeit“ daher mit der „selbstständigen Erwerbstätigkeit“ i.S.d. ex-Art. 43 EGV (Art. 49 AEUV).507 Danach geht es um jede Art der wirtschaftlichen, d. h. grundsätzlich entgeltlichen Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt (scil. auf eigene Rechnung und eigenes Risiko).508 Über die Verweisung in ex-Art. 55 EGV findet ex-Art. 47 EGV auch auf die Dienstleistungsfreiheit Anwendung. Demgemäß erlaubt die Kompetenzvorschrift genauso die Koordinierung der mitgliedstaatlichen Vorschriften im Hinblick auf den Dienstleistungsverkehr. Unter „Dienstleistungen“ versteht der EGV seinem exArt. 50 (Art. 57 AEUV) zufolge „Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden“; insbesondere zählen dazu gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten. Bereits aus dem engeren System ihrer Stellung im EGVergibt sich, dass eine auf ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) gestützte Rechtssetzung stets der effektiven Verwirklichung von Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit dienen muss. Ein Hemmnisabbau in diesem Bereich wiederum stärkt vorrangig den Binnenmarkt. Teleologisch muss deswegen exArt. 47 Abs. 2 EGV (Art. 53 Abs. 1 AEUV) ein generelles Begriffsverständnis im Lichte des Binnenmarktziels zugrunde gelegt werden.509 Die teleologisch relevanten Stichworte sind daher zusammenfassend die beiden benannten Grundfreiheiten sowie der Binnenmarkt. 2. Mittel: „Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ a) Begriff der Koordinierung Zentrale Bedeutung im Rahmen der Einzelermächtigung hat der Begriff „Koordinierung“. Da er weder in ex-Art. 47 Abs. 2 EGV (Art. 53 Abs. 1 AEUV) selbst noch an anderer Stelle des EGVeine Legaldefinition erhält, kann er mit Begriffen wie
507
Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Art. 53 AEUV Rn. 9. Calliess/Ruffert/Bröhmer, Art. 49 AEUV Rn. 10; Schwarze/Schlag, Art. 49 AEUV Rn. 21; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Art. 49 AEUV Rn. 18 ff.; Everling, Niederlassungsrecht im Gemeinsamen Markt, S. 15 f. 509 So auch Schlag, S. 127. 508
122 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
„Rechtsangleichung“ oder „Harmonisierung“ synonym verwandt werden.510 Dies resultiert insbesondere daraus, dass – worauf unter anderem Forsthoff511 hinweist – der EGV in der deutschen Fassung jene und ähnliche Begriffe (etwa „Angleichung“ oder „Abstimmung“) nicht einheitlich und ohne Beimessung eines jeweils spezifischen Inhalts verwendet. Tiedje/Troberg512 gelangen zu dem Ergebnis, dass auch ein Vergleich etwa mit der französischen Fassung diesen Befund belege, da auch dort keine einheitliche Verwendung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten zu erkennen sei.513 Im Sinne einer gemeinschaftsrechtlichen Wortbedeutung geht es somit um die Verringerung von Unterschieden zwischen den mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften.514 Es soll ein Zustand geschaffen werden, der eine Annäherung der unterschiedlichen nationalen Systeme mit sich bringt.515 Hinsichtlich der Intensität der Koordinierungsmaßnahme ist dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen eingeräumt;516 vom Vorgang der „Vereinheitlichung“ ist die (weniger intensive) „Koordinierung“ aber zu unterscheiden.517
510 Calliess/Ruffert/Bröhmer, Art. 53 AEUV Rn. 10; v. d. Groeben/Schwarze/Tiedje/Troberg, Art. 47 EG Rn. 43 ff.; Lenz/Borchardt/Fischer, Art. 53 AEUV Rn. 2; Grabitz/Hilf/ Nettesheim/Forsthoff, Art. 53 AEUV Rn. 18; Streinz/Müller-Graff1, Art. 47 EGV Rn. 13; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 53 AEUV Rn. 6; Hailbronner/Wilms/Hailbronner/Kau, Art. 47 EGV Rn. 25; Ohler, BayVBl. 2006, 261 (266); Schlag, S. 19; Streinz, in: Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Mindestharmonisierung, S. 5 (23); s. aber Lenz/Borchardt/Scheuer4, Art. 47 EGV Rn. 2, der darauf hinweist, dass die „Koordinierung“ im Gegensatz zur „Harmonisierung“ grundsätzlich Eigenheiten des mitgliedstaatlichen Rechts bestehen lässt und gerade nicht per se vereinheitlichend wirkt. Letztlich räumt aber auch dieser ein, dass eine Koordinierung ohne vereinheitlichende Elemente nicht denkbar ist und eine entsprechende Unterscheidung nur wenig praktischen Nutzen hat. Er löst damit den zunächst betonten Unterschied wieder auf. 511 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Art. 53 AEUV Rn. 18; s. auch Schwarze/Schlag, Art. 53 AEUV Rn. 19; Hailbronner/Wilms/Hailbronner/Kau, Art. 47 EGV Rn. 25; v. d. Groeben/Schwarze/Tiedje/Troberg, Art. 47 EG Rn. 43 ff. 512 v. d. Groeben/Schwarze/Tiedje/Troberg, Art. 47 EG Rn. 44. 513 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Lochner, ZgS 118 (1962), 35 (37 ff., 60 f.), der die unterschiedlichen Begrifflichkeiten in den damals geltenden vier Sprachfassungen (s. dazu Kapitel 1 B. II. 2.) vergleicht. 514 Schwarze/Schlag, Art. 53 AEUV Rn. 21. 515 Weiterführend zum Begriff der Koordinierung Schlag, S. 117 ff., 124; s. auch bereits L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 249 ff. Vgl. zum Sinn und Zweck des Koordinierungsauftrags bereits oben unter A. II. 1. b). 516 Vgl. EuGH Slg. I-1991, 1799 (1846) Rn. 11 – Les Assurances du crédit/Rat und Kommission; Schlag, S. 124. 517 s. dazu Schlag, S. 122 f.; unklar allerdings ders., S. 123 f., der auf der anderen Seite die „Mindestharmonisierung“ als „Minus“ gegenüber der „Koordinierung“ bezeichnet. Die Mindestharmonisierung bezeichnet aber die geringstmögliche Koordinierung im betreffenden Bereich und stellt damit selbst bereits eine Form der „Koordinierung“ dar. Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit können es bedingen, die Koordinierung auf eine bloße Mindestharmonisierung zu beschränken (vgl. dazu schon Kapitel 1 B. III. 1. d) bb) sowie Kapitel 1 B. III. 1. d) cc)). Die „Vereinheitlichung“ auf der anderen Seite stellt eben gerade keine Form der „Koordinierung“ mehr dar. Sie geht darüber hinaus. In ähnlicher Weise führt
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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Ergebnis der Koordinierung ist die Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit. Es wurde bereits festgestellt, dass sich die „Erleichterung“ dabei in der „Koordinierung“ an sich erschöpft, was Folge der normativen Zwecksetzung der Einzelermächtigung ist. Vor dem Hintergrund von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit ist auch die Frage nach den Anforderungen an die Intensität der Koordinierung zu beantworten. Dabei muss die Koordinierungsmaßnahme die Grundfreiheiten nicht nur begünstigen. Vielmehr bestimmen sich die Anforderungen, die im Einzelfall an die Intensität zu stellen sind danach, was zur Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit jeweils erforderlich ist. Maßgebend sind diejenigen Modalitäten, die die praktische Wirksamkeit von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit im konkreten Fall am besten zu fördern geeignet sind;518 es geht damit auch hierbei um den effet utile. b) Koordinierungsgegenstand Im Weiteren ist zu ermitteln, was genau unter „Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten“ zu verstehen ist. Es geht mithin um den von ex-Art. 47 Abs. 2 EGV (Art. 53 Abs. 1 AEUV) umfassten Koordinierungsgegenstand. aa) Extensives Begriffsverständnis Hinsichtlich des Wortlauts „Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten“ kann auf das bereits zum Regelungszweck Beschriebene verwiesen werden. Gemeint ist daher mit Blick auf Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit jede, von diesen geschützte Tätigkeit. „Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ umfassen dem Wortlaut nach alle möglichen Bestimmungen. Dazu zählen formelle Gesetze ebenso wie Rechtsverordnungen und verwaltungsrechtliche Normen.519 Es handelt sich um einen umfassenden, extensiven Begriff.520 Stellt man dabei den Bezug zur Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit bzw. Dienstleistungstätigkeit her, fällt die Gesamtheit der Rechtssätze des Berufsordnungsrechts hierunter,521 etwa Normen, die
aber Schlag selbst aus; seine Darstellung scheint insofern widersprüchlich. s. zum Begriff der Mindestharmonisierung auch unten unter Kapitel 3 B. II. 2. 518 Darauf weisen auch Schwarze/Schlag, Art. 53 AEUV Rn. 20 und v. d. Groeben/ Schwarze/Tiedje/Troberg, Art. 47 EG Rn. 45 hin. 519 v. d. Groeben/Schwarze/Tiedje/Troberg, Art. 47 EG Rn. 46; Schwarze/Schlag, Art. 53 AEUV Rn. 23. 520 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Art. 53 AEUV Rn. 10 weist daher zutreffend darauf hin, dass die Begriffe „weit“ zu verstehen sind. Leider bleibt er eine Konkretisierung schuldig. 521 Hailbronner/Wilms/Hailbronner/Kau, Art. 47 EG Rn. 26; Schwarze/Schlag, Art. 53 AEUV Rn. 23 f.; v. d. Groeben/Schwarze/Tiedje/Troberg, Art. 47 EG Rn. 46; Ohler, Bay-
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Zulassungsschranken errichten („Aufnahme“) oder besondere Anforderungen an einen Berufsstand stellen („Ausübung“).522 Abgesehen von dem zuletzt genannten Bezug, erfährt der Begriff „Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ allerdings keinerlei Einschränkung. Es sind kaum Bestimmungen denkbar, die nicht in zumindest irgendeiner Weise Aufnahme oder Ausübung entsprechender Tätigkeiten beeinträchtigen können. Dies gilt vorrangig für den Bereich der Berufsausübung, da hier denktheoretisch mehr Möglichkeiten der Beeinträchtigung in Betracht kommen als im Bereich des direkten Berufszugangs.523 bb) Keine Kongruenz von Absatz 1 und Absatz 2524 Im Gegensatz zu Absatz 1, der eine inhaltliche Vorgabe für die zu erlassenden Anerkennungsrichtlinien gibt, nämlich die Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen, verweist Absatz 2 hinsichtlich des Regelungsgegenstandes in eher allgemeiner Form auf „Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten“. Möglich wäre es daher, unter Zugrundelegung des denkbar restriktivsten Verständnisses, eine Kongruenz der Regelungsgegenstände beider Absätze anzunehmen. Folglich wäre Absatz 2 nur eine Ergänzung des Absatzes 1 und hätte lediglich die Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die beruflichen Befähigungsnachweise zum Inhalt; in wie auch immer gearteter Hinsicht müsste dann stets ein Bezug zur Anerkennung nach Absatz 1 hergestellt werden. In diesem Sinne könnte Absatz 2 auch derart verstanden werden, dass die Koordinierungstätigkeit stets darauf gerichtet sein muss, die Voraussetzungen für eine folgende Anerkennung zu schaffen.525 Gegen eine derart restriktive VBl. 2006, 261 (266); zum Koordinierungsgegenstand, jedoch in Bezug auf das Herkunftslandprinzip, s. auch Waldheim, S. 284 ff. 522 v. d. Groeben/Schwarze/Tiedje/Troberg, Art. 47 EG Rn. 46; Schwarze/Schlag, Art. 53 AEUV Rn. 23. 523 Dass Zugangsregelungen („Aufnahme“) in der Regel Gegenstand der Koordinierung im Sinne des Art. 47 Abs. 2 EGV sein können, folgt bereits daraus, dass dabei die Grundfreiheiten noch intensiver, d. h. unmittelbar betroffen sind. Vergleichbar ist dies etwa mit der innerdeutschen Dogmatik, die im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG betreffend die Berufszugangs- und Berufsausübungsregelungen (Stufentheorie) bekannt ist. 524 Die Zusammenfassung der beiden Absätze in einem einzigen Absatz im jetzigen Art. 53 Abs. 1 AEUV scheint zumindest etwas Klarheit zu schaffen. Die hier diskutierte Überlegung des restriktiven Verständnisses liegt zumindest nicht mehr unmittelbar auf der Hand. 525 So sieht etwa Schwarze/Schlag (Art. 53 AEUV Rn. 20), unter Verweis auf v. d. Groeben/ Schwarze/Tiedje/Troberg (Art. 47 EG Rn. 4 ff.) Koordinierung und Anerkennung in einem Komplementärverhältnis dergestalt, dass eine von der Anerkennung isolierte Koordinierung ausgeschlossen ist. Koordinierung sei niemals bloßer Selbstzweck. Unklar ist jedoch, wie dies gemeint ist. Tiedje/Troberg betrachten den Begriff der Anerkennung selbst schon als extensiv. Dieser umfasse sinngemäß auch die ganz allgemeinen Rechte der freien Niederlassung und Dienstleistungserbringung selbst. Unter Berücksichtigung dieses Zusammenhangs stellt sich das Verhältnis von Anerkennung zu Koordinierung ganz anders dar: Anerkennung des Rechts
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Betrachtungsweise sprechen aber Wortlaut und System des Absatzes 2 selbst: Hier wird zwar explizit auf die Zweckbestimmung des Absatzes 1, die Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten, Bezug genommen.526 Diesem Zweck müssen somit auch die nach Absatz 2 erlassenen Richtlinien dienen. Sie sind inhaltlich dagegen nicht auf den Koordinierungsgegenstand „berufliche Befähigungsnachweise“ beschränkt, sondern können sich auf alle Materien beziehen, die im Zusammenhang mit der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit stehen. Für kein anderes Verständnis streitet auch das Telos der Kompetenznorm mit Blick auf den einheitlichen Binnenmarkt und eine größtmögliche praktische Verwirklichung der betreffenden Grundfreiheiten.527 Von kongruenten Regelungsgegenständen der beiden Absätze ist daher nicht auszugehen; der Regelungsgegenstand des Absatzes 2 geht über den des Absatzes 1 hinaus.528 Der Frage, ob die Systematik so zu verstehen ist, dass eine Koordinierung stets der Vorbereitung einer folgenden Anerkennung dienen muss, ist aus denselben Gründen zu verneinen. Zwar werden Koordinierungsrichtlinien in der Regel folgende Anerkennungsrichtlinien vorbereiten. Zwingend ist dies aber nicht.529 3. Einschränkungsbedürfnis Aus den bisherigen Feststellungen folgt ein Bedürfnis nach Konkretisierung. Die Einzelermächtigung aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) kann auch als „Querschnittskompetenz“ bezeichnet werden, da ihr Regelungsgegenstand rein „funktionell“, d. h. von seinem Ziel her zu bestimmen ist.530 Demnach sind – dem Gesetzeswortlaut folgend – sämtliche Koordinierungsmaßnahmen gedeckt, die sich im Rahmen des Berufsordnungsrechts bewegen (und so eine Erleichterung der auf freie Dienstleistung/Niederlassung nach erfolgter Koordinierung. Aus der verkürzten Darstellung bei Schwarze/Schlag wird dies allerdings nicht ersichtlich. 526 Vgl. Ohler, BayVBl. 2006, 261 (266). 527 I. Erg. ebenso Streinz/Müller-Graff1, Art. 47 EGV Rn. 12, 14; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Forsthoff, Art. 53 AEUV Rn. 3. 528 So auch Streinz/Müller-Graff1, Art. 47 EGV Rn. 14; Calliess/Ruffert/Bröhmer, Art. 53 AEUV Rn. 1; Dauses/Roth, E.I. Grundregeln Rn. 217; s. auch Hailbronner/Wilms/Hailbronner/Kau, Art. 47 EGV Rn. 29: Koordinierung und Anerkennung als „zwei weitgehend unabhängig voneinander einzusetzende Harmonisierungsmittel“. 529 Dafür spricht auch, dass nicht unbedingt eine Anerkennungsrichtlinie erforderlich ist, um berufliche Befähigungsnachweise anzuerkennen. Vielmehr können bereits die Grundfreiheiten (Art. 43, 49 EGV) selbst dazu zwingen (vgl. Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 53 AEUV Rn. 5). s. auch Streinz/Müller-Graff, Art. 53 AEUV Rn. 13; Dauses/Roth, E. I. Grundlagen Rn. 217; zur a.A. vgl. die Nachw. in Fn. 525. 530 Vgl. GA Fenelly in seinen Schlussanträgen in den Rs. C-376 – 98 und C-74/99 (EuGH Slg. I-2000, 8419 [8449] Rn. 62 f. – Deutschland/Parlament und Rat); GA Tesauro in seinen Schlussanträgen in der Rs. C-300/89 – „Titandioxid“ (EuGH Slg. I-1991, 2867 [2887] Rn. 10 – Kommission/Rat); s. bereits Jarass, AöR 121 (1996), 173 (178 ff.); im Anschluss an diesen Möstl, EuR 2002, 318 (324); s. auch Dauses/Roth, E.I. Grundregeln Rn. 217; Strohmayr, S. 117; Selmayr/Kamann/Ahlers, EWS 2003, 49; Götz, JZ 2001, 34 (35).
126 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit bewirken). Würde es aber als bereits ausreichend erachtet, dass entsprechende Rechtsakte nur irgendeinen Bezug zur Förderung des Binnenmarktes bzw. der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit aufwiesen, so wäre dies sowohl dogmatischen als auch praktischen Bedenken ausgesetzt. Zum einen wäre es unter dem Kautel des Prinzips der begrenzten Ermächtigung kaum zu rechtfertigen. Zum anderen entstünde aber auch Raum für ein gerichtlich quasi nicht nachprüfbares Tätigwerden des Unionsgesetzgebers, mithin ein rechtliches Vakuum.531 a) Erwägungen des EuGH im Tabakwerbe-Urteil532 aa) Tabakwerbe-Rechtsprechung als Maßstab bei der Heranziehung von Binnenmarktkompetenzen In der Rechtsprechung des EuGH sind kaum Urteile zu finden, die sich ganz allgemein den Kompetenzen der Gemeinschaft in Abgrenzung zu denen der Mitgliedstaaten im Bereich der Binnenmarktharmonisierung widmen. Insofern kommt dem Urteil des Gerichtshofs, in welchem er die Tabakwerberichtlinie 98/43/EG533 für nichtig erklärt hat, besondere Relevanz zu. Die dort begründete Rechtsprechung hat der Gerichtshof sodann in folgenden Urteilen bestätigt.534 Bekanntermaßen ging es in der Rechtssache um ein gemeinschaftsrechtliches, umfassendes Tabakwerbeverbot,535 das mithilfe der benannten Richtlinie umgesetzt wurde, an dessen Rechtsgrundlage aber – insbesondere von deutscher Seite her – von Beginn an Zweifel bestanden. Gestützt war die Richtlinie auf die allgemeine Binnenmarktkompetenz des ex-Art. 100a EGV536 sowie auf ex-Art. 57 Abs. 2, 66 EGV537.
531 So schon der EuGH in seinem Urteil vom 05. 10. 2000 in der Rs. C-376/98, EuGH Slg. I2000, 8419 (8524) Rn. 83 ff., 87 – Deutschland/Parlament und Rat. 532 EuGH Slg. I-2000, 8419 – Deutschland/Parlament und Rat; s. allgemein zum Tabakwerbe-Urteil statt vieler Selmayr/Kamann/Ahlers, EWS 2003, 49 ff.; Götz, JZ 2001, 34 ff.; Schroeder, JuS 2001, 288; Möstl, EuR 2002, 318, jeweils m.w.N. 533 ABl. L 213/9 v. 30. 07. 1998. 534 Vgl. insbes. EuGH Slg. I-2002, 11435 (11574) Rn. 60 – British American Tobacco; Slg. I-2006, 3771 (3806) Rn. 42 – Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat. 535 Vgl. dazu Möstl, EuR 2002, 318 (319) m.w.N. in Fn. 5 zur den damals widerstreitenden Ansichten in der vielfältigen Literatur. 536 Nach dem Maastricht-Vertrag (= ex-Art. 95 Abs. 1 EGV/Amsterdam/Nizza bzw. Art. 114 Abs. 1 AEUV). 537 Nach dem Maastricht-Vertrag (= ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV/Amsterdam/Nizza bzw. Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV).
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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bb) Relevante Feststellungen des Gerichtshofs im Einzelnen Den Überprüfungen des EuGH konnte die betreffende Richtlinie letztlich nicht standhalten. Der Nichtigerklärung gingen u. a. folgende Feststellungen voraus: Es müssten die auf Grundlage der entsprechenden Kompetenzen erlassenen Rechtsakte „tatsächlich (…) die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes (…) verbessern“.538 Ein bloßes Beseitigen transnationaler Unterschiede ohne Binnenmarktverbesserungsbezug oder lediglich abstrakter Gefahren für die Grundfreiheiten reiche demnach nicht aus.539 Damit bestätigt der Gerichtshof zum einen den bereits dargelegten Bezugspunkt der „Erleichterung“: Das Verringern von Unterschieden zwischen den mitgliedstaatlichen Ordnungen reicht demnach grundsätzlich aus. Zum anderen verdeutlicht er, dass die Binnenmarktverbesserung nicht nur subjektiv, sondern insbesondere objektiv angestrebt sein muss.540 Dies entspricht der in Kapitel 1 dargestellten Methodik, der gemäß insgesamt die objektiv-teleologische Methode den Vorrang gegenüber der subjektiv-historischen genießt. Es kommt somit nicht nur darauf an, welche Ziele der Gemeinschaftsgesetzgeber, etwa durch Darlegung in den der Maßnahme beigefügten Erwägungsgründen, verfolgt hat. Vielmehr muss sich auch aus objektiv überprüfbaren Umständen ergeben, dass die Maßnahme dem Binnenmarktziel verschrieben ist. Zur Konkretisierung, um welche objektiven Umstände es sich dabei genau handeln soll, führt der EuGH aus:
538 EuGH Slg. I-2000, 8419 (8524 f.) Rn. 84, 87 – Deutschland/Parlament und Rat (Hervorhebung durch Verf.); Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Art. 53 AEUV Rn. 10. An die dafür zu erbringenden Nachweise sind keine besonders hohen Anforderungen zu stellen. Ausreichend ist vielmehr, dass es zumindest möglich erscheint, mittels der Rechtssetzung eine entsprechende Erleichterung herbeizuführen (Hailbronner/Wilms/Hailbronner/Kau, Art. 47 EGV Rn. 12; ähnl. Schwarze/Schlag, Art. 53 AEUV Rn. 25; strenger Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Forsthoff, Art. 53 AEUV Rn. 12 f.). Für diese Sichtweise spricht wesentlich das Ziel des einheitlichen Binnenmarktes (Hailbronner/Wilms/Hailbronner/Kau, Art. 47 EGV Rn. 12). 539 EuGH Slg. I-2000, 8419 (8524 f.) Rn. 84, 87 – Deutschland/Parlament und Rat. 540 Vgl. EuGH Slg. I-2000, 8419 (8524 f.) Rn. 83 f. – Deutschland/Parlament und Rat: „Aus der Zusammenschau dieser Bestimmungen ergibt sich, daß Maßnahmen gemäß Artikel 100a Absatz 1 EG-Vertrag die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern sollen (Hervorhebung durch Verf.). (…) Ein auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag geschlossener Rechtsakt muß zudem tatsächlich (Hervorhebung durch Verf.) den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern.“ Daraus kann geschlossen werden, dass zum einen der Gesetzgeber die Binnenmarktverbesserung angestrebt haben muss, dass dies zum anderen allein aber nicht ausreichend ist und vielmehr der objektive Zweck der Maßnahme zu untersuchen ist. s. insbes. Selmayr/Kamann/Ahlers EWS 2003, 49 (50). Dies entspricht auch den Aussagen des EuGH im Titandioxid-Urteil (EuGH Slg. I-1991, 2867 [2898] Rn. 10 – Kommission/Rat); s. zudem EuGH Slg. I-1997, 2405 (2449) Rn. 12 – Deutschland/Parlament und Rat; Slg. I-2000, 2257 (2290) Rn. 43 – Kommission/Rat.
128 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner „Es ist demnach zu prüfen, ob die Richtlinie tatsächlich zur Beseitigung von Hemmnissen des freien Warenverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit sowie von Wettbewerbsverzerrungen beiträgt.“541
Es handelt sich also konkret um Inhalt und Ziel des Rechtsaktes. Dieser muss, um objektiv der Verbesserung der Voraussetzungen für den Binnenmarkt zu dienen, jedenfalls Hemmnisse für die Grundfreiheiten abbauen. Damit geht es letztlich darum, die Nützlichkeit einer Maßnahme herauszustellen und deren Akzessorietät zum Primärrecht zu betonen. Alternativ dazu ist die Maßnahme auch dann kompetenzgemäß, wenn sie Wettbewerbsverzerrungen beseitigt.542 Darüber hinaus führt die Entscheidung das Kriterium der „Spürbarkeit“ ein. Wie auch schon in seinem „Titandioxid-Urteil“543 stellt der EuGH klar, dass zu prüfen ist, „ob die Wettbewerbsverzerrungen, auf deren Beseitigung der Rechtsakt zielt, spürbar sind (…). Bestünde diese Voraussetzung nicht, wären der Zuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers praktisch keine Grenzen gezogen.“544
Zur Frage, was er aber nun genau unter einer in diesem Sinne „spürbaren“ Wettbewerbsverzerrung versteht, geht der Gerichtshof nur peripher ein. So stellt er fest, dass „zwischen den nationalen Rechtsvorschriften über die Voraussetzungen der Ausübung bestimmter Tätigkeiten (…) vielfach Unterschiede (bestehen), was sich unmittelbar oder mittelbar auf die Wettbewerbsbedingungen der betroffenen Unternehmen auswirkt. Eine Auslegung des Artikels 100a sowie von Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag 541
EuGH Slg. I-2000, 8419 (8527) Rn. 95 – Deutschland/Parlament und Rat. Ob die Voraussetzung der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen kumulativ oder alternativ vorliegen muss, lässt sich dem Urteil nicht eindeutig entnehmen (s. dazu v. a. Selmayr/ Kamann/Ahlers EWS 2003, 49 [54 ff.]). Hierzu kann allerdings festgestellt werden, dass beide Kriterien eng beieinander liegen und regelmäßig nur schwer zu trennen oder unterscheiden sein werden. Dies gilt vor allem, da der Gerichtshof ausdrücklich feststellt, dass sich Wettbewerbsverzerrungen regelmäßig aus bestehenden Hemmnissen für die Grundfreiheiten ergeben (EuGH Slg. I-2000, 8419 [8524] Rn. 84 – Deutschland/Parlament und Rat; s. auch Selmayr/ Kamann/Ahlers, EWS 2003, 49 [56]). Für die Alternativität der Voraussetzungen spricht allerdings die Art und Weise, in der der EuGH die Prüfung vornimmt: Zunächst setzt er sich mit der Frage auseinander, ob die Richtlinie deswegen auf die gewählten Binnenmarktkompetenzen zu stützen ist, weil sie Hemmnissen für die Grundfreiheiten entgegenwirkt. Dies wird verneint. Im Anschluss untersucht der Gerichtshof dann das Vorliegen von Wettbewerbsverzerrungen und gelangt zu dem gleichen Ergebnis. Wäre er indes davon ausgegangen, beide Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen, hätte sich die Prüfung bereits nach Verneinung der ersten Voraussetzung erübrigt. Als Ergebnis der Feststellung, dass die Richtlinie auch Wettbewerbsverzerrungen nicht in der erforderlichen Art und Weise beseitigt, konstatiert er schließlich, der Gesetzgeber könne die Wahl der Rechtsgrundlage auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, Wettbewerbsverzerrungen müssten beseitigt werden. Die Wahl dieser Formulierung spricht ebenfalls eher für die Alternativität. 543 EuGH Slg. I-1991, 2867 (2901) Rn. 23 – Kommission/Rat. 544 EuGH Slg. I-2000, 8419 (8529) Rn. 106 – Deutschland/Parlament und Rat (Hervorhebung durch Verf.); s. dazu auch Streinz, JuS 2001, 288 (290); Selmayr/Kamann/Ahlers, EWS 2003, 49 (54); Götz, JZ 2001, 34 (36). 542
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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dahin, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber diese Bestimmungen auch zur Beseitigung nur geringfügiger Wettbewerbsverzerrungen heranziehen dürfte, wäre deshalb mit dem (…) Grundsatz unvereinbar, dass die Befugnisse der Gemeinschaft auf Einzelermächtigungen beruhen.“545
Nach anschließender Untersuchung der Tabakwerberichtlinie gelangt er zu dem Ergebnis, die in Frage stehenden Regelungen wirkten sich nur „entfernt“ und „mittelbar“ auf den Wettbewerb aus, daher könne von spürbaren Verzerrungen nicht die Rede sein. Offenbar geht der EuGH also davon aus, dass es an der Spürbarkeit fehlt, wenn es sich nur um indirekte, mittelbare oder aber geringfügige Beeinträchtigungen des Wettbewerbs handelt. Damit stellt er zum einen klar, dass es einer gewissen Intensität der Verzerrung bedarf, diese also über eine gewisse Bagatellschwelle hinaus gehen muss. Zum anderen müssen sich die Beeinträchtigungen als direkte darstellen, die sich ganz unmittelbar nachteilig auf den Wettbewerb auswirken. Hierin besteht dann auch der Unterschied zum Spürbarkeitskriterium, das aus der Rechtsprechung zum Europäischen Wettbewerbsrecht bekannt ist: Während dort insbesondere eine quantitative Betrachtung maßgebend ist (typischerweise der Marktanteil),546 stellt sich das Kriterium vorliegend vielmehr als qualitatives dar.547 Den Gemeinschaftsorganen ist dem Gerichtshof zufolge aber ein Ermessensspielraum bezogen auf die konkreten Harmonisierungsmaßnahmen, insbesondere deren Intensität und Umfang, zuzubilligen.548 Dies leuchtet ein, denn der Vorgang der Harmonisierung, d. h. eine Annäherung des auf den unterschiedlichsten nationalen Ordnungen basierenden Bestands an Vorschriften zu erreichen, die den Ansprüchen, Vorstellungen und Wünschen aller Beteiligten Genüge trägt, ist ein kaum zu leistender Kraftakt. Demgemäß muss der Gemeinschaftsgesetzgeber die Möglichkeit erhalten, situationsbezogen und flexibel zu reagieren; er muss kompromissfähig sein, was im Einzelfall bedeuten kann, mehr oder weniger intensiv oder umfangreich zu regeln oder etwa bloß etappenweise vorzugehen.549 Der obig bezeichnete Einwand eines quasi gerichtsfreien Raumes wird mittels derartiger Ermessensspielräume nur bedingt bedient. Zwar ist die gerichtliche Überprüfung in solchen Fällen tatsächlich beschränkt. Allerdings wird dadurch eine zumindest grundsätzliche Kontrolle nicht ausgeschlossen. Durch die Bildung bestimmter Parameter, wie derjenigen im Tabakwerbe-Urteil, und dem Unterwerfen der Kompetenzausübung unter die justiziablen Kautelen der Subsidiarität sowie der Verhältnismäßigkeit wird der gesetz545
EuGH Slg. I-2000, 8419 (8530) Rn. 107 – Deutschland/Parlament und Rat; Hervorhebungen durch Verf. 546 Calliess/Ruffert/Weiß, Art. 101 AEUV Rn. 85 m. Nachw. zur Rspr.; Selmayr/Kamann/ Ahlers, EWS 2003, 49 (54). 547 Selmayr/Kamann/Ahlers, EWS 2003, 49 (54). 548 EuGH Slg. 1984, 1229 (1249) Rn. 20 – Rewe-Zentrale/Landwirtschaftskammer Rheinland; Slg. I-1991, 1799 (1845 f.) Rn. 10 f. – Les Assurances du crédit/Rat und Kommission; s. auch Schwarze/Schlag Art. 53 AEUV Rn. 26. 549 Vgl. EuGH Slg. 1984, 1229 (1249) Rn. 20 – Rewe-Zentrale/Landwirtschaftskammer Rheinland; Slg. I-1991, 1799 (1845 f.) Rn. 10 f. – Assurances du crédit/Rat und Kommission.
130 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
geberische und damit auch gerichtliche „Freiraum“ auf das praktisch mindest mögliche Maß reduziert. Zusammenfassen lässt sich der hier beleuchtete Bereich der TabakwerbeRechtsprechung nun wie folgt: Erforderlich ist eine Konkretisierung der Harmonisierungskompetenzen; eine ganz allgemeine Befugnis zur Regulierung des Binnenmarkts gewähren ex-Art. 47, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV), ebenso wie exArt. 95 Abs. 1 EGV (Art. 114 AEUV), dem Gemeinschaftsgesetzgeber gerade nicht. Dies ist zwingende Folge des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung. Der Unionsgesetzgeber muss demnach mit der Maßnahme eine Binnenmarktverbesserung angestrebt haben und eine solche muss auch objektiv zu verzeichnen sein. Dies ist stets dann der Fall, wenn Hemmnisse für die Grundfreiheiten beseitigt werden oder die Maßnahme Wettbewerbsverzerrungen entgegenwirkt, welche ein gewisses Maß an Intensität aufweisen. b) Lösungsvorschläge in der Literatur In der Literatur werden unterschiedliche Überlegungen zur Einschränkung des enorm weiten Wortlautes angestellt. Ermöglicht werden soll jedenfalls eine Differenzierung hinsichtlich der innerstaatlichen Vorschriften, die ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) zufolge koordiniert werden dürfen und jenen, bei denen das gerade nicht möglich sein soll.550 So bringen Tiedje/Troberg551 den Gedanken einer „funktionalen Koordinierung“. Gemeint ist damit, dass sich die Koordinierungsmaßnahmen stets direkt auf den Selbstständigen oder das Unternehmen in deren jeweiliger Funktion beziehen müssen. Im Bereich der Dienstleistungen sei die Funktionalität auch erfüllt, wenn es um die Art und Weise geht, in der eine Tätigkeit erbracht wird. Kein tauglicher Koordinierungsgegenstand wären demzufolge Normen, die sich nur mittelbar auf die entsprechende Tätigkeit auswirken, weil sie nicht speziell genau diese Materie, sondern ganz allgemein regeln oder die etwa bloß das Produkt des Unternehmens betreffen.552 Dieser Vorschlag korreliert mit den bereits dargelegten Feststellungen des EuGH im Urteil zur Tabakwerberichtlinie, denen gemäß eine bloß abstrakte Gefahr der Beeinträchtigung von Grundfreiheiten eben nicht ausreichend ist. Das Kriterium der Funktionalität erinnert zudem an die Eingrenzungspolitik, die der EuGH mittels seiner in der Rechtssache Keck553 entwickelten Formel die Warenverkehrsfreiheit betreffend praktiziert.
550 Vgl. v. d. Groeben/Schwarze/Tiedje/Troberg, Art. 47 EG Rn. 54 f.; Schwarze/Schlag, Art. 53 AEUV Rn. 24; ders. S. 125 f. 551 v. d. Groben/Schwarze/Tiedje/Troberg, Art. 47 EG Rn. 54 ff. 552 Ähnl. Hailbronner/Wilms/Hailbronner, Art. 55 EGV Rn. 8; Strohmayr, S. 114 f. 553 EuGH Slg. I-1993, 6097 – Keck.
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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In die gleiche Richtung gehen Schlags554 Erwägungen, denen zufolge zwei Kriterien zur Abgrenzung maßgeblich sein sollen: Zum einen dürfe sich die Koordinierung nur auf solche Bestimmungen beziehen, die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat „wesentlich erschwer(t) en“ und deren Koordinierung entsprechend eine „spürbare Erleichterung“ mit sich brächte.555 Zum anderen solle zusätzlich der Gedanke Tiedjes/Trobergs von einer funktionalen Koordinierung zum Tragen kommen. Bröhmer556 dagegen verweist auf die der Union zugrundeliegenden Kompetenzabgrenzungsprinzipien, d. h. die Grundsätze der begrenzten Einzelermächtigung, der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität. Zudem seinen etwa spezielle Ausschlusstitel und Handlungsverbote der Union, die sich aus den Verträgen selbst ableiten, zu berücksichtigen. Diese sollen in ihrer Zusammenschau eine sachgerechte Beantwortung der Fragen, die sich im Rahmen der Rechtssetzungsbefugnis des ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) stellen, gewährleisten. c) Stellungnahme unter Berücksichtigung der entwickelten Dogmatik zum effet utile In Kapitel 1 wurde gezeigt, dass im Rahmen der Auslegung unionsrechtlicher Normen den Kriterien der Teleologie und des weiteren Systems besondere Bedeutung zukommt. Wurden demnach unter Beachtung des die Union konstituierenden Integrationsgedankens die möglichen Auslegungsergebnisse gewonnen, ist in einem weiteren Schritt der effet utile-Grundsatz heranzuziehen. Diesem entsprechend ist dasjenige Auslegungsergebnis als das Vorzugswürdige herauszufiltern, welches unter dem Gesichtspunkt des maximalen Nutzens den integrativen Bedeutungsgehalt der Norm am besten zum Ausdruck bringt, mithin deren praktische Wirksamkeit am intensivsten zu gewährleisten vermag. Dies gilt gleichermaßen für unionale Kompetenznormen. Eine Berücksichtigung des Geschilderten begünstigt zunächst ein möglichst weites Verständnis der Einzelermächtigung des ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV). Insofern entspricht der funktionale, an der normativen Zielsetzung ausgerichtete Charakter der Binnenmarktkompetenz bereits einer Gewährleistung deren größter praktischer Wirksamkeit. Denn nur bei Annahme eines möglichst extensiven Anwendungsbereichs ist die Erreichung des Binnenmarktziels umfassend gewährleistet und werden Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit im größtmöglichen Umfang gefördert. Das so gewonnene (vorläufige) Ergebnis hat sich 554
Schwarze/Schlag, Art. 53 AEUV Rn. 24; ders., S. 125 f. Ähnl. Dauses/Roth, E.I. Grundlagen Rn. 217, der auch Bezug auf die Äußerungen des EuGH im Tabakwerbeurteil (Fn. 532) nimmt und demgemäß fordert, dass die rechtsangleichenden Maßnahmen darauf abzielen, „spürbare Wettbewerbsverzerrungen oder bestehende oder zu erwartende Hemmnisse für die Wahrnehmung der Grundfreiheiten abzubauen.“ 556 Calliess/Ruffert/Bröhmer, Art. 53 AEUV Rn. 13. 555
132 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
sodann an den Schranken der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität messen zu lassen, um dem Bedürfnis danach, einer Überstrapazierung der begrenzten Einzelermächtigung entgegen zu wirken und die Diskrepanz zwischen dem Integrationsinteresse der Union und dem Interesse der Mitgliedstaaten an Wahrung einer gewissen Autonomie zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Dies bedingt unter Umständen eine (rückwirkende) Restriktion der Auslegung. Erst dann steht das endgültige Interpretationsergebnis fest. Ob eine derart weit verstandene Kompetenzbestimmung den beiden Prinzipien gerecht wird, ist daher im Folgenden zu prüfen. aa) Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit als Restriktionsgrößen Der Grundgedanke des Subsidiaritätsprinzips begründet eine Handlungsprärogative zugunsten der Mitgliedstaaten.557 Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip kommt als Übermaßverbot richtungweisende Bedeutung auch bei der Interpretation von Unionsrecht zu.558 Unionskompetenzen sollen gerade nicht unbegrenzt gewährt werden, sondern stets das Anliegen der Mitgliedstaaten nach Wahrung nationaler Identität respektieren. Dem gegenüber steht im vorliegenden Zusammenhang die aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) folgende Binnenmarktkompetenz, die sowohl hinsichtlich ihres Koordinierungsgegenstandes als auch in Bezug auf den mit ihr verfolgten Zweck von enormer sachlicher Weite geprägt ist. Ermöglicht wird dadurch zwar eine intensive Verwirklichung der unionsrechtlichen Zielsetzung. Allerdings steht ein solches Tatbestandsverständnis, unabhängig von der bereits konstatierten fraglichen Vereinbarkeit mit dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung selbst sowie einem grundsätzlichen Bedürfnis nach Justiziabilität, in Widerspruch zu den hinter obigen Grundsätzen stehenden Gedanken. Der durch den Wortlaut eröffnete extensive Anwendungsbereich der Kompetenzgrundlage kehrt den in Kapitel 1 beschriebenen Regel-Ausnahme-Charakter der Kompetenzausübung zugunsten der Mitgliedstaaten in einen solchen zugunsten der Union um. Das mittels des Subsidiaritätsgedankens statuierte allgemeine Rechtfertigungsbedürfnis der Union im Rahmen gesetzgeberischen Tätigwerdens läuft quasi leer. Auch den Anforderungen eines Übermaßverbotes kann ein entsprechend weiter normativer Anwendungsbereich nicht gerecht werden. Zwar wurde festgestellt, dass ein unionales Verhältnismäßigkeitsgebot es nicht erfordern kann, stets diejenige Gangweise herauszufiltern, die sich aus Sicht der Mitgliedstaaten als die „absolut am wenigsten belastende“559 erweist. Anzustreben ist insofern ein ausgeglichenes Mittel zwischen möglichst wenig nationaler Belastung und gleichzeitig möglichst effektiver Zielerreichung.560 Ein solcher Interessenausgleich wird aber durch den extensiven Wortlaut des ex-Art. 47 Abs. 2 EGV (Art. 53 Abs. 1 AEUV) gerade nicht erreicht. 557 558 559 560
Dazu ausführlich Kapitel 1 B. III. 1. d) bb) (2). Dazu ausführlich Kapitel 1 B. III. 1. d) cc) (5). Schilling, EuGRZ 2000, 3 (23). Dazu ausführlich Kapitel 1 B. III. 1. d) cc) (3) (b) (cc).
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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Der Versuch, beide Anliegen in einen schonenden Ausgleich zu bringen, kann hier am ehesten durch die Entwicklung einschränkender Kriterien gelingen, die sich freilich am Telos der Norm zu orientieren haben. Dies zugrundelegend hat eine Untersuchung der von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Einschränkungskriterien zu erfolgen. bb) Kriterien von Rechtsprechung und Literatur als taugliche Restriktionsbemühung Die von Rechtsprechung und Schrifttum vorgeschlagenen Kriterien weisen alle in eine ähnliche Richtung – wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. Die vom EuGH entwickelten Voraussetzungen zur Begründung der Binnenmarktkompetenz werden dabei seitens der Literatur aufgegriffen und im Detail konkretisiert. Auszugehen ist mit dem Gerichtshof insofern zunächst davon, dass Maßnahmen nach ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) ganz allgemein einer Verbesserung des Binnenmarktes dienen müssen. Im Einzelfall ist dies dadurch zu begründen, dass Hemmnisse für die Grundfreiheiten beseitigt werden oder spürbaren Wettbewerbsverzerrungen entgegen gewirkt wird. Das Kriterium der Spürbarkeit wird von Schlag dahingehend konkretisiert, dass es auch als Maßstab der Erleichterung der grenzüberschreitenden Ausübung der Grundfreiheiten heranzuziehen ist. Der Gedanke der funktionalen Koordinierung, der sich sowohl bei Tiedje/Troberg als auch bei Schlag findet, geht letztlich auf die Feststellung des EuGH, die Beseitigung bloß abstrakter Gefahren für die Grundfreiheiten reiche nicht aus, zurück. Diesem Kriterium der „Funktionalität“ liegt dabei dieselbe Idee zugrunde wie der Forderung nach „Spürbarkeit“. Hier wie dort geht es darum, entfernte, bloß mittelbare Beeinträchtigungen der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten aus dem Regelungsbereich der Norm herauszunehmen und die Koordinierungsbefugnis auf die Beseitigung evidenter, unmittelbarer Behinderungen zu beschränken. Dies trägt nun sowohl dem Gedanken der Subsidiarität als auch dem der Verhältnismäßigkeit Rechnung: Erforderlich ist dem Geschilderten zufolge zunächst die Feststellung, dass die angestrebte Maßnahme eine „spürbare“ Erleichterung der Grundfreiheiten oder aber die Beseitigung „spürbarer“ Wettbewerbsverzerrungen verspricht. Damit wird die Inanspruchnahme der Kompetenznorm seitens der Union auf jene Fälle beschränkt, deren Vergemeinschaftung tatsächlich einen Mehrwert gewisser Intensität gegenüber rein nationaler Regelung verspricht. Zudem korreliert das Kriterium der Spürbarkeit mit dem generellen Anspruch eines Übermaßverbotes, einen mitgliedstaatlichen Autonomieverlust möglichst gering zu halten. Einer intensiveren Überprüfung der Prinzipien in ihrer Erscheinung als Kompetenzausübungsschranken hat dann schließlich die anvisierte Maßnahme im konkreten Einzelfall Stand zu halten. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass die in Rechtsprechung und Literatur herausgearbeiteten Kriterien als taugliche Restriktionsbemühungen zu bewerten sind, um die der weite Tatbestand von ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) zu ergänzen ist. Sie sind damit gleichsam Ausdruck der Be-
134 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
strebung, im Rahmen der Auslegung unionsrechtlicher Bestimmung zwar einerseits dem Integrationsgedanken weitgehende Entfaltungsmöglichkeit zu bieten, andererseits aber eine Handlungsprärogative zugunsten der Mitgliedstaaten zu respektieren. 4. Zwischenergebnis Die Kompetenz aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) dient grundsätzlich der Koordinierung nationaler Rechts- und Verwaltungsvorschriften; es handelt sich um eine spezielle Bestimmung der Rechtsangleichung. Mit der Bezugnahme auf die „Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit“ erfolgt die Klassifizierung der Bestimmung als Binnenmarktkompetenz; sie hat die Förderung von Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit zum Ziel. Der Vorgang der Koordinierung hat daher stets die Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit zu bewirken. Ausreichend ist dafür jedoch nicht irgendein Binnenmarktverbesserungsbezug. Vielmehr muss die Koordinierungsmaßnahme objektiv zum Abbau spürbarer Hemmnisse für die betreffenden Grundfreiheiten führen oder spürbare Wettbewerbsbeschränkungen beseitigen. Mittels der „Spürbarkeit“ besteht ein Parameter, der qualitative Anforderungen an die zu beseitigenden Beschränkungen stellt. Diese müssen von gewisser Intensität sein und dürfen sich nicht nur mittelbar negativ auf die Grundfreiheiten oder den Wettbewerb auswirken. Gegenstand der Koordinierung sind Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die Berufszugangs- und Berufsausübungsregelungen enthalten. Mittels des Kriteriums der Spürbarkeit werden auch dabei jene Regelungen ausgeschlossen, die bloß mittelbar oder in ganz allgemeiner Form den betreffenden Beruf reglementieren. Vielmehr muss es sich gerade um Regelungen handeln, die den Selbstständigen oder Dienstleister in seiner spezifisch beruflichen Funktion betreffen; insofern ist von einer „funktionalen“ Koordinierung zu sprechen.
III. Überprüfung der Vorschriften um den einheitlichen Ansprechpartner Steht somit fest, welche genauen inhaltlichen Aussagen der Einzelermächtigung aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) zukommen, ist nun die Dienstleistungsrichtlinie hinsichtlich ihrer Vorschriften den einheitlichen Ansprechpartner betreffend auf ihre Vereinbarkeit damit zu untersuchen. 1. Mittels einheitlichen Ansprechpartnern angestrebter Zweck Der mit den einheitlichen Ansprechpartnern verfolgte Zweck wurde – ausgehend von einer teleologischen Interpretation der Dienstleistungsrichtlinie selbst – bereits
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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ausführlich im Rahmen der Auslegung des Begriffs „einheitlich“ herausgestellt.561 Daher kann an dieser Stelle knapp darauf verwiesen werden, dass klar die Erleichterung von Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit angestrebt ist. In besonderem Maße tragen die einheitlichen Ansprechpartner dabei zu einer Entbürdung der „Aufnahme“ selbstständiger Dienstleistungstätigkeiten bei. Denn scheitert bereits dieser erste Schritt an administrativen Hürden, nützen weitergehende EU-initiierte Erleichterungen, etwa durch Anerkennungskonzepte, dem Dienstleistungserbringer nichts mehr. Dem Kriterium der „Spürbarkeit“ wird insofern Rechnung getragen, als es gerade nicht nur um Vereinfachungen minderer Intensität geht. Mag sich dies auch auf den ersten Blick nicht erschließen, so kann in der allgemeinen Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens darüber hinaus auch die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen begründet sein. Der Begriff der Wettbewerbsverzerrung ist nicht legal definiert. Insofern muss zunächst nach dem Bedeutungsgehalt des Begriffs „Wettbewerb“ gefragt werden. Der EuGH geht davon aus, dass ein wirksamer Wettbewerb dann vorliegt, wenn die grundlegenden Forderungen des Vertrags erfüllt und seine Ziele, insbesondere der Binnenmarkt, erreicht werden.562 Der Markt soll frei von Hemmnissen für die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit sein und es den Unternehmern ermöglichen, ihr Marktverhalten in Selbstständigkeit zu bestimmen.563 Zur Beurteilung, ob nun eine Wettbewerbsverzerrung besteht oder droht, betrachtet der EuGH den Einzelfall und untersucht ausgehend von Wesen und Tragweite der beanstandeten Maßnahme die möglichen negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb.564 Entscheidend soll insgesamt die autonome, individuelle Bestimmung des Marktverhaltens sein.565 Es kommt also, mit anderen Worten, darauf an, dass sich alle Marktteilnehmer in Bezug auf denselben Sachverhalt auch den in etwa selben Bedingungen ausgesetzt sehen. Von Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit sind auch Standortbedingungen. Einfache, insbesondere einfach zu überblickende oder schlicht wenig regelungsintensive Verwaltungsstrukturen wirken dabei begünstigend. Ein komplizierter Verwaltungsapparat dagegen schreckt ab und ist so sicherlich geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit zu behindern. Insofern weist auch die Kommission in ihrem Vorschlag zur Dienstleistungsrichtlinie darauf hin, dass die „Schaffung eines klaren und ausgewogenen rechtlichen Rahmens zur Förderung des freien Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt (…) eine der not-
561
Vgl. Kapitel 2 A. II. 1. EuGH Slg. 1977, 1875 (1905) Rn. 20 – Metro/Kommission. 563 EuGH Slg. 1983, 4173 (4182) Rn. 6 – Soc. de Vente de Ciments et Bétons/Kerpen & Kerpen; Calliess/Ruffert/Weiß, Art. 101 AEUV Rn. 78. 564 EuGH Slg. 1980, 3125 (3251, 3261, 3270) Rn. 93, 123, 155 – Van Landewyck/Kommission; s. auch Calliess/Ruffert/Weiß, Art. 101 AEUV Rn. 83. 565 Calliess/Ruffert/Weiß, Art. 101 AEUV Rn. 83. 562
136 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
wendigen Voraussetzungen (ist), um die Ziele des neuen Gesamtkonzepts für die Wettbewerbsfähigkeit erreichen zu können.“566 Mittels der Errichtung einheitlicher Ansprechpartner in den Mitgliedstaaten wird eine reale administrative Vereinfachung erreicht. Die unterschiedlichen Strukturen und Regelungen in den Mitgliedstaaten werden zwar nicht einander angeglichen, jedoch werden sie jeweils über eine einzige Stelle erreichbar gemacht. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen einheitlichen Ansprechpartner wird dem Dienstleister hier ein Assistent zur Seite gestellt, der den Zugang zur Verwaltung beachtlich erleichtert. Kann somit festgestellt werden, dass der Zweck der Maßnahme mit dem der Einzelermächtigung aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) korreliert, geht es in einem weiteren Schritt um die Untersuchung des Koordinierungsgegenstandes. 2. Konkreter Koordinierungsgegenstand a) Koordinierende Maßnahme Fraglich ist zunächst, ob es sich tatsächlich um eine koordinierende Maßnahme handelt. Bei der Pflicht zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner handelt es sich nicht um die Koordinierung bereits in den Mitgliedstaaten bestehender, bloß unterschiedlich ausgestalteter Vorschriften, wie dies wohl „klassischerweise“ der Fall sein wird. Vielmehr wird länderübergreifend die Schaffung einer neuen Institution gefordert. Es geht somit zunächst darum, inwiefern seitens der Mitgliedstaaten koordinierbares Recht vorhanden sein muss, damit die Koordinierungskompetenz eingreift.567 Wenn die Einzelermächtigung aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) aber grundsätzlich Regelungen deckt, die Berufszugang und -ausübung ganz spezieller Berufszweige harmonisieren, d. h. die den Mitgliedstaaten vorschreiben, welche Anforderungen gegenüber ausländischen Dienstleistungs- und Niederlassungswilligen gelten dürfen und welche nicht, dann stellen sich solche Regelungen, die quasi einen berufsübergreifenden Ansatz verfolgen, ohne jedoch überhaupt das Recht der Mitgliedstaaten einen bestimmten Beruf betreffend zu modifizieren, als „Minus“ dar. Solange die Umsetzung des in der Richtlinie vorhandenen „neuen“ (weil nicht an das Recht eines Mitgliedstaates anknüpfenden) Ansatzes den erforderlichen, nicht nur mittelbaren Bezug zur Erleichterung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit aufweist, und damit eine Binnen566 Mit dem „neuen Gesamtkonzept“ ist in diesem Zusammenhang die Bildung des Rates für Wettbewerbsfähigkeit im Jahr 2002 gemeint. Es handelt sich um eine Ratsformation, die für die Bereiche Binnenmarkt, Industrie und Forschung zuständig ist (vgl. dazu http://www.consili um.europa.eu/policies/council-configurations/competitiveness?lang=de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014). 567 Diese grundsätzliche Frage stellt auch Calliess/Ruffert/Bröhmer, Art. 53 AEUV Rn. 10 f.
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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marktverbesserung zu erzielen ist, kann in einem übergreifenden Sinne jedenfalls von einer Koordinierung gesprochen werden. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat einen formellen Rechtsrahmen für Dienstleistungstätigkeiten und entsprechende Niederlassungen für alle Mitgliedstaaten gesetzt. Ausländische Dienstleister sehen sich durch die einheitlichen Ansprechpartner nunmehr einem in allen Mitgliedstaaten ähnlichen Zugang zum verwaltungsrechtlichen System gegenüber; es handelt sich um Zugangserleichterungen zu den nationalen Verwaltungssystemen. Da dies übergreifend sämtliche Bereiche des Berufsordnungsrechts betrifft, ist eine Erleichterung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit jedenfalls zu verzeichnen. Die Koordinierung bezieht sich insofern darauf, dass ganz generell der Zugang zu Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit angeglichen wird. Wie gezeigt, ist von einer „Erleichterung“ dabei nicht erst dann auszugehen, wenn eine Anpassung an das Niveau des liberalsten Mitgliedstaates erfolgt ist.568 Dies könnte nämlich so verstanden werden, dass eine Angleichung sich an bereits existierenden Regelungen zu orientieren hat. Es kommt also auch für die „Erleichterung“ nicht darauf an, dass notwendig an bereits in genau dieser Form vorhandenem Recht eines Mitgliedstaates angesetzt wird. Die Einführung der einheitlichen Ansprechpartner stellt demnach eine Erleichterung im Sinne der Einzelermächtigung dar, auch wenn es zuvor in keinem der Mitgliedstaaten eine derartige Stelle gab. Die Frage, ob die Vorschriften um den einheitlichen Ansprechpartner vielleicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Verwaltungsverfahrens- bzw. Verwaltungsorganisationsrecht die Einzelermächtigung überschreiten, ist davon zu trennen. Letztlich implizieren aber die bereits an dieser Stelle auftretenden Fragen, dass die Problematik um die Dienstleistungsrichtlinie im Allgemeinen und die Institution des einheitlichen Ansprechpartners im Besonderen darin besteht, dass der Gesetzgeber hier Fragen des allgemeinen, formellen Verwaltungsrechts geregelt hat und dies nicht jene Materie ist, auf welche die Kompetenz aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) „typischerweise“ abzielt. Zu problematisieren ist dies zunächst auf Tatbestandsebene, und zwar im Rahmen der Untersuchung des Koordinierungsgegenstandes. b) Einheitlicher Ansprechpartner: Regelungen im Bereich von Verwaltungsverfahren und -organisation Als Koordinierungsgegenstand erfasst die Einzelermächtigung „funktionale“ Berufszugangs- und Berufsausübungsregelungen, deren Angleichung evidente, unmittelbare Behinderungen für Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit zu beseitigen geeignet ist. Es wurde schon mehrfach betont, dass sich die Regelungen der Dienstleistungsrichtlinie ganz generell im Bereich von Verwaltungsverfahren und -organisation bewegen. Mit der Verpflichtung zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner haben die Mitgliedstaaten ihrem bestehenden Verwaltungsapparat 568
s. o. unter Kapitel 3 A. II. 1. b).
138 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
eine übergreifende Stelle vorzuschalten, die zumindest konsultative Funktionen erfüllt. Unabhängig davon, wie die Ansprechpartner in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgestaltet werden, ist fraglich, ob eine entsprechende Errichtungspflicht tauglicher Koordinierungsgegenstand ist. aa) Subsumtion anhand der herausgearbeiteten Kriterien (1) Problem: einheitlicher Ansprechpartner als „Umfeldmaßnahme“ Auszugehen ist zunächst von den unter A.II.4 getroffenen Feststellungen. Sicherlich bewegt sich die Errichtung eines einheitlichen Ansprechpartners im Bereich des Berufsordnungsrechts. Dieses umfasst selbstverständlich auch allgemeinere und verwaltungsrechtliche Regelungen. Fraglich ist allerdings, ob vorliegend dem aus dem Erfordernis der „Spürbarkeit“ folgenden Gedanken der „funktionalen“ Koordinierung Rechnung getragen ist. Einerseits könnte angenommen werden, dass sich der einheitliche Ansprechpartner gerade in den Bereich des ganz allgemeinen Verwaltungsrechts einordnen lässt. Weder erfolgt die Bezugnahme zu einer ganz speziellen Berufsgruppe noch betrifft die Regelung die Modifizierung von Aufnahmeoder Ausübungsvoraussetzungen einer bestimmten Tätigkeit selbst; es geht somit auch nicht etwa um die Art und Weise, in der eine Tätigkeit erbracht wird. Vielmehr werden Bestimmungen über den Zugang zu Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten getroffen. „Funktional“ im Sinne des ex-Art. 47 Abs. 2 EGV (Art. 53 Abs. 1 AEUV) ist eine Koordinierung aber nur dann, wenn der Koordinierungsgegenstand einen nicht nur mittelbaren Bezug zur Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit aufweist, sondern diese ganz unmittelbar selbst betrifft. In Bezug auf Dienstleistungen geht es insofern um Regelungen, die an die Person des Dienstleistungserbringers (bzw. -empfängers) oder die Dienstleistung selbst anknüpfen.569 Der einheitliche Ansprechpartner indes knüpft weder an die Aufnahme noch an die Ausübung spezieller Dienstleistungstätigkeiten an. Es erfolgt keine „inhaltliche“ Rechtsangleichung dergestalt, dass Zugangs- oder Ausübungserfordernisse selbst betroffen sind. Der Begriff der „Aufnahme“ kann dabei auch nicht so ausgelegt werden, dass bereits das Auffinden der für die Abwicklung der erforderlichen Verfahren und Formalitäten zuständigen nationalen Stellen darunter zu zählen ist. Dies würde schon den Wortlaut, der Ausgangspunkt einer jeden Interpretation ist, überdehnen. Regelungen, die die „Aufnahme selbstständiger Tätigkeit“ im Sinne der Norm betreffen, sind gerade Berufszugangsregelungen, d. h. solche, die Voraussetzungen für den Zugang zur entsprechenden Tätigkeit selbst beinhalten. Die in Frage stehenden Regelungen der Dienstleistungsrichtlinie bewegen sich vielmehr in einem sowohl Aufnahme als auch Ausübung selbstständiger Tätigkeit umfassenden allgemeinen Bereich; es geht quasi um „vor die Klammer gezogene“ Regelungen.
569
So auch Hailbronner/Wilms/Hailbronner, Art. 55 EGV Rn. 8.
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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(2) Heranziehung von implied powers? Aus diesem Grund, d. h. da Regelungen getroffen wurden, die sich mehr oder weniger bloß in das „Umfeld“ von Berufsausübungs- und Berufszugangsregelungen einordnen lassen, wird der in der Literatur570 mehrfach angetroffene Vorschlag verständlich, eine Lösung in der Heranziehung von implied powers zu finden.571 Letztlich handelt es sich auch dabei um den Versuch, das bereits dargelegte Problem um den eher untypischen, recht allgemeinen Regelungsgegenstand der Dienstleistungsrichtlinie mit den Maßgaben von ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) in Einklang zu bringen und eine Überdehnung des Anwendungsbereiches der Kompetenz im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Ermächtigung zu vermeiden. Indes überzeugt es nicht, die Verpflichtung zur Schaffung einheitlicher Ansprechpartner auf eine inhärente Zuständigkeit zu stützen. Um eine angemessene Abgrenzung zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Zuständigkeiten zu ermöglichen, ist von Letzteren nur dann auszugehen, wenn es sich um eine Annexkompetenz handelt oder wenn sich aus dem Sachzusammenhang bzw. aus der Natur der Materie ergibt, dass nur der Unionsgesetzgeber regelnd tätig werden kann.572 Die Vorgaben des Art. 6 DLRL lassen sich aber gerade nicht in eine dieser drei Gruppen einordnen; insbesondere eignet sich die Institution der Annexkompetenzen, wie seitens des Schrifttums573 vorgeschlagen, vorliegend nicht zur Begründung einer inhärenten Zuständigkeit. Unter Annexkompetenten sind diejenigen Kompetenzen zu verstehen, die zur Regelung von Durchführungs- oder Vorbereitungsmaßnahmen quasi in Ergänzung zu der materiellen Materie legitimieren, zu deren Regelung die Kompetenznorm ausdrücklich ermächtigt.574 Zu ermitteln ist dies anhand teleolo570 Vgl. dazu die Nachw. in Fn. 489 und 490. s. auch Neidert, S. 72 ff., die eine Kompetenz der Union zum Erlass der Dienstleistungsrichtlinie ebenfalls auf einen Annex zu Art. 47 Abs. 2, 55 EGV stützen will. Dabei spricht sie von einer „Erforderlichkeit“ etwa der Normen um den einheitlichen Ansprechpartner zur Verwirklichung von Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, genauere dogmatische Aufklärung bleibt sie allerdings schuldig. s. auch Schliesky, in: ders., Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 1 (8 f.). 571 Darauf, dass eine Kompetenzauslegung zur Begründung von implied powers erforderlich sein kann, wenn die Gemeinschaft über die Angleichung von materiellem Recht hinaus auch verfahrens-, organisations- oder prozessrechtliche Vorgaben macht, weist auch Engel, Verw 25 (1992), 437 (460 f.) hin. 572 s. dazu ausführlich die Erläuterungen unter Kapitel 1 B. III. 2. 573 s. die Nachw. in Fn. 489 und 490; s. auch Neidert, S. 72; Schroeder, AöR 129 (2004), 3 (12 f., 31). 574 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR Rn. 11/12; s. auch Kugelmann, VerwArch 2007, 78 (84) sowie Fischer/Fetzer, Zulässigkeit einer europäischen Chemikalienagentur mit Entscheidungsbefugnissen, EurUP 2003, 50 (57), die allerdings die Annexkompetenz nicht als Unterfall der implied powers anzuerkennen scheinen; Hansmann, DVBl. 2006, 838 (839 f.) m.w.N. Der EuGH hat solche ungeschriebenen, an ausdrückliche Kompetenznormen anknüpfenden Befugnisse etwa in seinem Urteil betreffend die Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit anerkannt (EuGH Slg. I-2006, 3771 [3806] Rn. 44 f. – Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat; s. auch bereits EuGH Slg. I-1994, 3681 [3711 f.] – Deutschland/
140 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
gischer Auslegung der begrenzten Ermächtigung. Im Einzelfall kann daraus resultieren, dass die Union dazu ermächtigt ist, neben der eigentlichen materiellen Rechtssetzung punktuell auch Aspekte des damit zusammenhängenden Verwaltungsvollzugs zu regeln.575 Im Fall des einheitlichen Ansprechpartners besteht dieser Zusammenhang aber nun gerade nicht. Sicherlich widmet sich die Dienstleistungsrichtlinie zu ganz wesentlichen Teilen Verfahrensfragen. Diese haben allerdings nicht einen lediglich ergänzenden Charakter und sie dienen auch nicht der Durchführung bestimmter materieller Regelungen. Es geht hier gerade nicht darum, einzelne Verfahrensfragen mitzuregeln. Vielmehr beinhaltet die Dienstleistungsrichtlinie inhaltlich ganz generell Fragen des Verwaltungsverfahrens und der -organisation, trifft aber gerade keine Aussagen hinsichtlich der Durchführung dieser Vorgaben; diese bleibt den Mitgliedstaaten selbst überlassen. So besteht zwar die Pflicht, einheitliche Ansprechpartner einzuführen und diese mit bestimmten Aufgaben zu betrauen. Wie genau diese Vorgaben aber vollzogen, d. h. im nationalen Recht umgesetzt werden, gibt die Richtlinie nicht vor. Dazu zählt insbesondere die Implementierung der einheitlichen Ansprechpartner; die Mitgliedstaaten entscheiden selbst, ob sie als Organisationsform etwa Körperschaften des öffentlichen Rechts, Beliehene oder juristische Personen des Privatrechts im Rahmen einer public private partnership wählen. Zwar könnten die verwaltungsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie als Annex zum grundsätzlichen Anliegen der Erleichterung von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit verstanden werden.576 Denn typischerweise dienen sekundäre Rechtsakte gerade der Ausgestaltung und Konkretisierung von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Dies ändert aber nichts an dem zuvor erstellten Befund, dass die Richtlinie sich sozusagen materiell ganz generell dem Verwaltungsrecht widmet. Es geht, wie dargelegt, nicht darum, einzelne Fragen des Vollzugs bloß mitzuregeln. Eine Annexkompetenz könnte daher nur dann sachlich korrekt begründet werden, betrachtete man letztlich die gesamte Dienstleistungsrichtlinie auf einer solchen basierend. Das würde bedeuten, dass die Einzelermächtigung aus ex-Art. 47 Abs. 2, Rat). Die Errichtung dieser Agentur sowie eine entsprechende Aufgabenübertragung hatte der Gemeinschaftsgesetzgeber auf Art. 95 EGV gestützt. Der Gerichtshof anerkannte in seinem Urteil diese Ermessensbetätigung des Gesetzgebers und stellte fest, dass dieser „aufgrund seiner Sachwürdigung die Schaffung einer Gemeinschaftseinrichtung für notwendig erachten (kann), deren Aufgabe es ist, in Situationen, in denen der Erlass von nicht zwingenden Begleit- und Rahmenmaßnahmen zur Erleichterung der einheitlichen Durchführung und Anwendung von auf Art. 95 EG gestützten Rechtsakten geeignet erscheint, zur Verwirklichung des Harmonisierungsprozesses beizutragen.“ Dabei betont er, dass die „einer solchen Einrichtung übertragenen Aufgaben (…) in einem engen Zusammenhang mit den Bereichen stehen (müssen), auf die sich Rechtsakte zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten (im Sinne des Art. 95 EG) beziehen.“ Zwar geht der Gerichtshof damit offenbar von der grundsätzlichen Existenz von (hier so bezeichneten) Annexkompetenzen aus. Ausdrücklich verwendet er den Begriff aber nicht; ebenso wenig erwähnt er in diesem Zusammenhang implied powers. 575 Kugelmann, VerwArch 2007, 78 (84); s. auch Kahl, Verw 29 (1996), 341 (346 f.). 576 So Neidert, S. 73.
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) – ausgehend von deren Binnenmarktverbesserungsabsicht im Zusammenhang mit Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit – es stillschweigend generell erlauben müsste, Fragen des Verwaltungsverfahrens und der Verwaltungsorganisation zu regeln, wenn nur der Binnenmarktverbesserungsbezug besteht. Dies kann aber schon im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Ermächtigung selbst und der dogmatischen Begründung von implied powers nicht überzeugen. Letztere sollen die Kompetenznorm (punktuell) ergänzen, diese aber nicht inhaltlich erweitern oder ersetzen.577 Ein solches Vorgehen liefe auf eine unzulässige Kompetenzbegründung hinaus, die sich lediglich am allgemeinen Vertragsziel des Binnenmarktes orientierte. Daher ist für die Annahme einer Annexkompetenz im Fall der Dienstleistungsrichtlinie im Allgemeinen und des einheitlichen Ansprechpartners im Besonderen kein Platz. Vielmehr bleibt allein fraglich, ob die Einzelermächtigung aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) explizit Anwendung findet. (3) Vorliegendes Problem als Aspekt der Verhältnismäßigkeit Die Normen um den einheitlichen Ansprechpartner bewegen sich scheinbar nur im Umfeld von „Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit“. Dies kollidiert vermeintlich mit dem Erfordernis nach „Spürbarkeit“ respektive dem Gedanken der „funktionalen“ Koordinierung. Dennoch ist es nicht überzeugend, diese als bloß mittelbare, zu wenig signifikante Beeinträchtigungen von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit zu verstehen. Dafür spricht zum einen die enge Verknüpfung eines allgemeinen Zugangs zur Verwaltung mit den spezifischen Aufnahme- und Ausübungsvoraussetzungen eines jeden Berufs. Es handelt sich bei jenen Hürden, die dadurch entstehen, dass die Verwaltungssysteme in jedem Mitgliedstaat anders aufgebaut und organisiert sind, gerade nicht um bloß zufällige Beeinträchtigungen für ausländische Dienstleistungserbringer. Vielmehr ist das Überblicken und Durchdringen des jeweiligen Verwaltungsaufbaus notwendige, unumgängliche Voraussetzung der Aufnahme und Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit. Zum anderen ist klar der Bezug zur Dienstleistungsfreiheit hergestellt, da den einheitlichen Ansprechpartnern der Dienstleistungsrichtlinie zufolge nicht etwa ganz generelle Aufgaben zukommen, sondern eben nur die Abwicklung derjenigen Verfahren und Formalitäten bei sich zu bündeln haben, die ihnen erstens von einem Dienstleistungserbringer578 angetragen werden und zweitens sachlich die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit579 zum Inhalt haben. Einem auf praktische Wirksamkeit bedachten Verständnis der Einzelermächtigung ist die Erfassung bestimmter verwaltungsrechtlicher Fragen jedenfalls zuträglich. Zu berücksichtigen ist zudem, dass es sich um eine Erleichterung für sämtliche Dienst577
Vgl. dazu die dogmatische Herleitung von implied powers unter Kapitel 1 B. III. 2. b). Zum personellen Anwendungsbereich vgl. insbes. Luch/Schulz, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 33 ff. 579 Zum sachlichen Anwendungsbereich vgl. Art. 2 DLRL. 578
142 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
leistungserbringer handelt,580 weshalb jedenfalls die Signifikanz einer entsprechenden Regelung nicht in Frage steht; insbesondere handelt es sich auch nicht um die (auch nur teilweise) Harmonisierung eines gänzlich anderen Sachbereiches, etwa das Recht der Steuern, welcher thematisch einer völlig anderen Unionspolitik zugeordnet ist (z. B. Art. 113 AEUV). Insgesamt erscheinen die Regelungen daher nicht „allgemein genug“, um sie a priori dem Anwendungsbereich des ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) zu entziehen. Damit muss als vorläufiges (Auslegungs-) Ergebnis die Kompetenzgemäßheit der Verpflichtung zur Schaffung einheitlicher Ansprechpartner festgehalten werden. Eine Lösung hat vielmehr an anderer Stelle anzusetzen. Tatsächlich gipfelt die Unsicherheit um den einheitlichen Ansprechpartner in der Frage, inwieweit der Bereich mitgliedstaatlicher Autonomie berührt wird und ob dem insgesamt Rechnung getragen ist. Bereits aus der eingangs referierten Kritik seitens des Schrifttums581 wird ersichtlich, dass dabei insbesondere der sog. Grundsatz der Verwaltungsautonomie tangiert sein kann. Damit stellt sich die Problematik als solche des Subsidiaritätsprinzips im weiteren Sinne dar;582 wesentlich kommt es insofern auf eine Untersuchung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit an. bb) Verhältnismäßigkeit einer die Verpflichtung zur Einführung einheitlicher Ansprechpartner legitimierenden Auslegung von ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) Ein Verständnis der Einzelermächtigung aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) dahingehend, dass diese die Verpflichtung zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner deckt, setzt voraus, dass dies einem legitimen Zweck dient, zu dessen Erreichung geeignet und erforderlich ist und dabei ein angemessenes Mittel darstellt.583 Nur unter diesen Voraussetzungen kann eine entsprechende Auslegung der Kompetenz als rechtmäßig betrachtet und der vorläufige Eindruck der
580
Mit Ausnahme der Einschränkungen, die die DLRL selbst vornimmt, vgl. insbes. Art. 2 Abs. 2, 3 DLRL. 581 s. o. unter Kapitel 3 A. I. 582 Vgl. dazu insbes. unter Kapitel 1 B. III. 1. d) bb) sowie Kapitel 1 B. III. 1. d) cc). Erwähnt sei, dass die Änderungen die sowohl das Subsidiaritätsprinzip als auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit dem Vertrag von Lissabon erfahren haben vorliegend keine Auswirkungen haben; die expliziten Konkretisierungen, welche die Prinzipien nunmehr erfahren haben, ließen sich bisher bereits mittels Auslegung erreichen (vgl. dazu Calliess/Ruffert/ Calliess, Art. 5 EUV Rn. 36; Schwarze/Lienbacher, Art. 5 EUV Rn. 37). Es ergeben sich daher keine Unterschiede, wenn auch hier – trotz der Entstehung der DLRL zum Zeitpunkt der Geltung des Vertrags von Amsterdam/Nizza – auf die neuen Normen nach dem Vertrag von Lissabon eingegangen wird. 583 Zu den inhaltlichen Aussagen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unionsrecht sowie zum Prüfmaßstab, vgl. Kapitel 1 B. III. 1. d) cc).
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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Kompetenzgemäßheit bestätigt werden. Andernfalls handelte es sich um den Fall einer Kompetenzüberschreitung. (1) Legitimer Zweck/Geeignetheit Als legitimer Zweck ist in diesem Zusammenhang auf die möglichst effektive Erreichung der Zielvorgaben der Einzelermächtigung abzustellen. Klar dient eine Erfassung entsprechender Regelungen wie der um den einheitlichen Ansprechpartner der praktischen Wirksamkeit der Kompetenz. Auch von einer Geeignetheit zur Zielerreichung ist auszugehen.584 Von Bedeutung ist dabei, dass es tatsächlich auch die Verwaltungsorganisation als solche ist, die den Dienstleistern die Aufnahme und Ausübung ihrer Tätigkeit erschwert. Es handelt sich also nicht bloß um ein Problem, das durch die Rechtsanwendung der Verwaltung im Einzelfall entsteht. Der Umstand, dass der Kontakt zu einer Vielzahl von Behörden erforderlich ist, kann nicht durch eine bloß geänderte Verwaltungspraxis behoben werden. Vordergründig geht es aber, wie beschrieben, um die Frage nach einer unzulässigen Überschreitung der Grenzen mitgliedstaatlicher Autonomie. Dies erfordert eine wertende Gesamtbetrachtung der betroffen Interessen und ist so vornehmlich Aspekt der Erforderlichkeit bzw. der Angemessenheit, auf welche sich die hiesige Darstellung daher zu konzentrieren hat. (2) Erforderlichkeit/Angemessenheit: Unzulässiger Eingriff in die Verwaltungsautonomie der Mitgliedstaaten? Von der Angemessenheit ist auszugehen, wenn der Zweck und das zur Zweckerreichung eingesetzte Mittel im ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen; auch die Erforderlichkeit verlangt im Unionsrecht nach einer alle Belange berücksichtigenden Wertung. Bezogen auf die Überprüfung der Auslegung einer Einzelermächtigung bedeutet das, dass ein entsprechendes Normverständnis ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Interesse der Union an einer möglichst intensiven Verwirklichung des hinter der Ermächtigung stehenden Integrationsanliegens und dem der Mitgliedstaaten an Wahrung nationaler Autonomie in eben diesem Bereich widerspiegeln muss. Mit anderen Worten soll die Souveränität der Mitgliedstaaten nur auf Kosten eines spürbaren Gewinns für die entsprechende unionale Zielsetzung eingeschränkt werden. Wesentlich ist diese Überprüfung bereits auf der Ebene der Kompetenzauslegung deshalb, weil ein dem effet utile im weiteren Sinne entsprechendes Normverständnis damit dem Vorwurf der unionsrechtlichen Eindimensionalität entgeht. Zweifel bestehen im vorliegenden Fall, wie dargelegt, im Hinblick auf eine – wie auch immer geartete – Verwaltungsautonomie der Mitgliedstaaten, d. h. ob und inwiefern die Richtlinie durch Verpflichtung zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner etwa in einen „unantastbaren“ Bereich mitgliedstaatlicher Autonomie ein584
Vgl. zur Zwecksetzung der Einzelermächtigung insbes. oben unter Kapitel 3 A. III. 1.
144 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
greift. Zu klären ist daher zunächst, was genau mit dem „Grundsatz der Verwaltungsautonomie“ bezeichnet ist. Sicherlich gilt aber insgesamt, dass – worauf Kirchhof585 treffend hinweist – es sich bei der Frage des Zugriffs der Union auf die exekutive Organisationsstruktur ihrer Mitgliedstaaten um ein weites und delikates Thema handelt. Da es im hiesigen Zusammenhang lediglich periphere Berührungspunkte mit diesem Bereich gibt, sind die vorliegenden Ausführungen auch nur der Versuch einer Annäherung. (a) Autonomieverlust durch entsprechende Auslegung der Kompetenznorm (aa) Grundsatz der Verwaltungsautonomie Im Allgemeinen ist anerkannt, dass die Europäische Union in der Regel nicht die Befugnis besitzt, den zur nationalen Umsetzung von primärem und sekundärem Recht erforderlichen Verwaltungsvollzug zu regeln.586 Umschrieben ist damit der sog. indirekte Vollzug, nach dem eben die Mitgliedstaaten das Unionsrecht durchführen. Zum direkten Vollzug durch eigene Behörden der Union kommt es dagegen nur in Ausnahmefällen.587 Letztlich ist dies Folge des Prinzips der begrenzten Ermächtigung.588 So treffen die Verträge selbst auch nur punktuell und sachbereichsspezifisch Aussagen über unionseigene Vollzugsbefugnisse.589
585
Maunz/Dürig/Kirchhof, Art. 83 GG Rn. 80. H.M.: s. insbes. EuGH Slg. 1983, 2633 (2665) Rn. 17 – Deutsche Milchkontor und die darin begründete „Soweit-Formel“; s. zudem EuGH Slg. 1971, 1107 (1116) Rn. 3/4 – International Fruit Company/Produktschap Groenten; Slg. 1972, 307 (319) Rn. 10 – Schlüter/ Hauptzollamt Hamburg; Slg. 1982, 1791 (1804 f.) Rn. 12 – Kommission/Niederlande; Slg. 2004, I- 723 (768) Rn. 67 – Wells; Slg. 2006, I-8559 (8608) Rn. 57 – I-21 Germany und Arcor; Hatje, S. 24 m.w.N. in Fn. 4; Kadelbach, S. 110; Huber, Rn. 20/9; Scholz, DÖV 1998, 261 (262); ders., FS R. Schmidt, S. 172; Kugelmann, VerwArch 2007, 78 (84); Schwarze, NVwZ 2000, 241 (244); ders., Verwaltungsrecht, S. 9 f., 46 ff.; Iglesias, EuGRZ 1997, 289: „Grundsatz der institutionellen und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten“; ebenso v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 302 f.; s. auch Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (64); Pühs, S. 100; grundlegend Rengeling, S. 25 ff.; Hissnauer, S. 49 f. und Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV Rn. 81 betrachten dagegen den Aussagegehalt des Grundsatzes der Verfahrensautonomie als eher beschränkt; abw. auch Schroeder, AöR 129 (2004), 3 (12, 37) sowie ders., in: Hummer, S. 231 (247 ff.). 587 Vgl. nur Schwarze/ders., Einf. Rn. 39, Art. 197 AEUV Rn. 1; ders., Verwaltungsrecht, S. CI, CVI; Erichsen/Ehlers/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht § 5 V Rn. 32, 43; Baumgartner/Grabenwarter/Griller/Holoubek/Lienbacher/Potacs, Europäisches und öffentliches Wirtschaftsrecht I, S. 86; Hölscheidt, DÖV 2009, 341 (346); Iglesias, EuGRZ 1997, 289; näher auch Hatje, S. 45 f., der allerdings eine wachsende Bedeutung des direkten unionalen Vollzugs betont. 588 EuGH Slg. 1983, 2633 (2665) Rn. 17 – Deutsche Milchkontor; Hatje S. 45 f. m.w.N. zur Rspr. in Fn. 24. Eher auf das Prinzip der Gemeinschaftstreue (Art. 4 Abs. 3 EUV/ex-Art. 10 EGV) abstellend etwa v. Danwitz, S. 307. 589 Beispielhaft sei etwa Art. 108 AEUV zur Beihilfeaufsicht genannt; s. auch die Nachw. bei v. Danwitz, S. 304. 586
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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Einher geht der indirekte Vollzug mit dem bereits mehrfach erwähnten Grundsatz der Verwaltungsautonomie.590 Als Oberbegriff umfasst dieser das materielle Verwaltungsrecht, das Verwaltungsverfahrensrecht sowie Aspekte der Verwaltungsgerichtsbarkeit.591 Demnach kommt den Mitgliedstaaten etwa eine – konkret auf das Verwaltungsorganisationsrecht bezogene – „Organisationsautonomie“ zu, wonach es allein diesen anheim fällt, Behörden zu errichten oder zwischen ihnen die Zuständigkeiten zu verteilen.592 Dem entspricht es, wenn der EuGH ausführt, dass „ausschließlich das Verfassungssystem des einzelnen Mitgliedstaates bestimmt, in welcher Weise der Staat die (…) Erfüllung der sich für ihn aus Vertrags- oder Verordnungsvorschriften ergebenden Befugnisse oder Pflichten zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts bestimmten innerstaatlichen Organen übertragen kann.“593
Insofern ist zunächst festzustellen, dass mit dem Grundsatz der Verwaltungsautonomie nichts anderes bezeichnet ist, als die Tatsache, dass sowohl das sich aus den Verträgen ergebende Recht (soweit vollzugsbedürftig) als auch das durch die Union auf Grundlage der begrenzten Ermächtigungen gesetzte materielle Recht in der Regel von den Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung und unter Anstrengung ihres eigenen nationalen Verwaltungssystems vollzogen, d. h. national handhabbar gemacht wird.594 Mit anderen Worten: Im Rahmen des indirekten Vollzugs sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich „autonom“ bezogen auf die verwaltungsrechtliche Umsetzung des Unionsrechts.595 Weiterhin gilt, dass diese Verwaltungsautonomie zwar im Grundsatz, aber nicht apodiktisch gilt. So wirken bestimmte unionsrechtliche Prinzipien beschränkend,596 namentlich insbesondere die aus dem effet utile-Grundsatz folgenden Gebote der Effektivität sowie der Äquivalenz.597 Ersteres fordert die „praktische Wirksamkeit“ 590 s. dazu die Nachw. in Fn. 586; s. auch Schwarze/Hatje, Art. 4 AEUV Rn. 57 ff.; Beutler/ Bieber/Pipkorn/Streil, S. 201. 591 Schwarze, NVwZ 2000, 241 (244); s. auch Iglesias, EuGRZ 1997, 289; Beutler/Bieber/ Pipkorn/Streil, S. 201. 592 Hatje, S. 101; s. auch v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 302 f. 593 EuGH Slg. 1971, 1107 (1116) Rn. 3/4 – International Fruit Company/Produktschap Groenten. 594 Vgl. nunmehr ausdrücklich Art. 291 Abs. 1 AEUV sowie Art. 197 Abs. 2 S. 4 AEUV. Wesentlich ist die Feststellung, dass durch die Einfügung der Normen in den Lissabon-Vertrag keine Änderung der Rechtslage eingetreten ist; es handelt sich insoweit nur um eine deklaratorische Klarstellung (vgl. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 304). 595 v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 308 versteht den Grundsatz sogar als „allgemeine(n) Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts“. 596 Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 AEUV Rn. 61; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/ Schill, Art. 4 EUV Rn. 81; Streinz/ders.1, Art. 10 EGV Rn. 25 ff.; Kadelbach, S. 115 ff.; Schwarze, in: ders., Bestand und Perspektiven, S. 11 (20). 597 Vgl. zu den Geboten die Darstellung unter Kapitel 1 B. III. 1. f). s. dazu Hissnauer, S. 49 f., der im Zusammenhang mit dem Prinzip der Verwaltungsautonomie auf die beiden Grundsätze hinweist und eine entsprechende Durchbrechung des Grundsatzes u. a. wohl auch deshalb als zulässig betrachtet.
146 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
des Gemeinschaftsrechts; der nationale Verwaltungsvollzug darf die Ausübung des Gemeinschaftsrechts nicht „praktisch unmöglich“ respektive „weniger wirksam“ machen. Das Äquivalenzgebot bezieht sich auf einen Vergleich zwischen Verfahren, die rein nationale Sachverhalte betreffen und solchen, in denen es um die Durchführung von Gemeinschaftsrecht geht. Hinsichtlich letzterer darf keine Diskriminierung erfolgen, d. h. die innerstaatlichen Behörden müssen in beiden Fällen die gleiche Sorgfalt anwenden.598 Durch diese Einschränkungen wird jedenfalls deutlich, dass auch die grundsätzliche Verwaltungsautonomie der Mitgliedstaaten einer Gegenüberstellung und Abwägung mit dem effet utile-Gedanken zugänglich ist.599 Auch hierbei können unionsrechtliche Zielvorgaben durchaus als höher zu bewerten sein. Mit Kadelbach600 kann insofern von einer auf das Verwaltungsrecht bezogenen „Kompetenzvermutung“ zugunsten der Mitgliedstaaten gesprochen werden; eine solche erhält insbesondere auch durch das Subsidiaritätsprinzip601 Ausdruck. Darüber hinaus ist dem Grundsatz der Verwaltungsautonomie nicht etwa zu entnehmen, dass es der Union gänzlich untersagt ist, im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden begrenzten Ermächtigungen überhaupt Fragen des Verwaltungsrechts zu tangieren.602 Ob somit generell verwaltungsrechtliche Aspekte geregelt werden dürfen, ist durch Auslegung der jeweiligen Kompetenznorm zu ermitteln.603 (bb) Eingriff durch die Verpflichtung zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner Ein auf praktische Wirksamkeit bedachtes Verständnis von ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) hat hier zu dem vorläufigen Ergebnis geführt, dass die Verpflichtung zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner kompetenzgemäß ist. Wie dargelegt, steht dem auch der Grundsatz der Verwaltungsautonomie nicht a priori entgegen. Zwar gilt, dass Unionsrecht grundsätzlich „in den Bahnen des nationalen Rechts verwirklicht wird“.604 Das hindert die Union aber nicht dran, mittels des Sekundärrechts einzelne verwaltungsrechtliche Vorgaben zu machen – jedenfalls im auslegungsfähigen Rahmen einer begrenzten Ermächtigung. Dafür 598 Der nationale Vollzug des Unionsrechts wird zudem durch den Grundsatz der Unionstreue (Art. 4 Abs. 3 EUV) beeinflusst. Die Mitgliedstaaten haben insofern einen „unionsfreundlichen“ Vollzug zu gewährleisten; ähnl. Scholz, DÖV 1998, 261 (263). 599 Vgl. auch Kadelbach, S. 115 f., der sogar davon ausgeht, die Verwaltungsorganisation und das Verwaltungsverfahren der Mitgliedstaaten stünden unter dem Vorbehalt des effet utile; ähnl. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 309; s. auch Beutler/Bieber/Pipkorn/ Streil, S. 204. 600 Kadelbach, S. 110, 113. 601 Vgl. zum Subsidiaritätsprinzip die Darstellung unter Kapitel 1 B. III. 1. d) bb). 602 Hatje, S. 101; Kahl, Verw 29 (1996), 341 (353 ff.); zum Recht der gemeinsamen Agrarpolitik Götz, EuR 1986, 29 (33). 603 So auch Engel, Verw 25 (1992), 437 (460); v. Borries, FS Everling I, S. 127 (143); zweifelnd Rengeling, S. 33. 604 Huber, S. 363.
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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kann insbesondere der effet utile-Gedanke sprechen.605 Entsprechende Vorgaben sind dann regelmäßig als Eingriffe in die Verwaltungsautonomie zu qualifizieren, wobei sowohl die Begründung einer eigenen (scil. unionalen) Vollzugskompetenz als auch die Normierung von Vorgaben für den in nationaler Hand verbleibenden Vollzug als Eingriffe in diesem Sinne denkbar sind. Dabei kann es sich um eine Regelung handeln, die ganz „klassisch“ die Durchführung anderer sekundärrechtlich begründeter materiell-rechtlicher Verpflichtungen normiert, wobei es sich dann kompetenzmäßig typischerweise um eine Form von implied powers handeln wird.606 Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, dass der Unionsgesetzgeber im Rahmen des Sekundärrechts verwaltungsrechtliche Vorschriften erlässt, die gerade nicht auf die Durchführung anderer sekundärrechtlicher Normen gerichtet sind, sondern ganz generell auf die Gestaltung nationalen Verwaltungsrechts zielen, so wie das letztlich im Fall der Dienstleistungsrichtlinie geschehen ist. In dem einen wie in dem anderen Fall ist die mitgliedstaatliche Entscheidungsbefugnis über die Ausgestaltung (oder Nicht-Ausgestaltung) des Verwaltungsrechtssystems beschnitten, mithin ein Eingriff anzunehmen. Sicherlich ist die mittels der einheitlichen Ansprechpartner begründete Front Office/Back Office-Struktur eine Erscheinungsform der Verwaltungsorganisation. Daher kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Errichtungsauftrag eine Pflicht zur finalen Gestaltung nationalen Verwaltungsrechts darstellt; betroffen ist insofern vornehmlich die Organisationsautonomie.607 Diese Freiheit der Mitgliedstaaten, ihren Verwaltungsaufbau einzurichten und den entsprechenden Stellen Aufgaben zuzuweisen, wird verkürzt; es besteht insofern ein Eingriff.608 (cc) Intensität des Eingriffs: „Kernbereich“ der Verwaltungsautonomie? Unter bestimmten Umständen sind solche Eingriffe aber hinzunehmen. Namentlich sind diese dann als „angemessen“ zu qualifizieren, wenn eine Abwägung zwischen der Intensität des konkreten Eingriffs in die Verwaltungsautonomie und dem unionsrechtlichen Nutzen der Maßnahme eine Hinnehmbarkeit begründet. Nicht hinnehmbar wäre ein Eingriff etwa dann, wenn bei lediglich minimalem In605
Vgl. etwa Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, S. 204; Hilf, in: Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, S. 67 (73). 606 s. dazu bereits unter Kapitel 1 B. III. 2. sowie o. unter Kapitel 3 A. III. 2. b) aa) (2). 607 So auch Streinz, EuropaR Rn. 583. 608 Es besteht hier eine Ähnlichkeit zu bereits früheren Vorgaben der Gemeinschaft. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang insbes. auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bestimmte Erzeugergemeinschaften anzuerkennen (z. B. aufgrund der VO 1360/78/EWG v. 19. Juni 1978, der gemäß die Mitgliedstaaten verpflichtet wurden, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen landwirtschaftliche Erzeugergemeinschaften anzuerkennen und ihnen sogar Rechtspersönlichkeit zu verleihen; vgl. dazu etwa Götz, EuR 1986, 29 [34]; Kahl, Verw 29 [1996], 341 [354]; Streinz, in: Schweitzer, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 241 [261]) sowie autonome „Dienststellen“ einzurichten (so geschehen etwa mittels der VO 2262/84/EWG v. 17. Juli 1984 mit dem Ziel der Verbesserung der Kontrollen für Beihilfengewährleistung im Olivenölsektor; vgl. dazu dies.).
148 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
tegrationsgewinn die nationale Autonomie auf intensivste Weise beschnitten würde oder wenn zwar der Nutzen für die unionale Zielerreichung deutlich spürbar, andererseits aber ein quasi „unantastbarer Kernbereich“ mitgliedstaatlicher Verwaltungsautonomie betroffen wäre.609 In letzterem Fall fiele eine entsprechende Abwägung nicht etwa stets zugunsten der Mitgliedstaaten aus. Vielmehr verbliebe gar kein Raum mehr für eine Abwägung, da ein Eingriff auch bei maximalem Nutzen für die Union nicht zu rechtfertigen wäre. Fraglich bleibt insofern, wann genau von einem solchen „Kernbereich mitgliedstaatlicher Souveränität“610 auszugehen ist. Als Ausgangspunkt kann dabei nur das Prinzip der begrenzten Ermächtigung dienen. Die Union besitzt keine allgemeine Kompetenz zur Regelung verwaltungsrechtlicher Fragen. Vielmehr verbleiben diese grundsätzlich in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Die Union kann lediglich punktuell vorgehen, indem sie bestehende Ermächtigungen im auslegungsfähigen Umfang beansprucht. Schon aus dieser kompetenziellen Grundstruktur ergibt sich eine erste Begrenzung dadurch, dass die verwaltungsrechtliche Frage in Zusammenhang mit der spezifischen Zwecksetzung der jeweiligen Einzelermächtigung stehen muss. Da dabei regelmäßig die Heranziehung des effet utile-Gedankens erfolgen wird, hat sich eine entsprechende Auslegung grundsätzlich besonderer Rechtfertigung zu unterziehen.611 (a) Nationale Identität i.S.d. Art. 4 Abs. 2 EUV (ex-Art. 6 Abs. 3 EUV) als „Kernbereich“ Eine materielle Begrenzung könnte darüber hinaus Art. 4 Abs. 2 EUV zu entnehmen sein. Dieser auferlegt der Union unter anderem die Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten. Unabhängig vom genauen Begriffsverständnis kann der Norm zunächst eine Grenze für jegliches Tätigwerden der Union entnommen werden;612 diese ist von allen Organen bei allen ihren Tätigkeiten zu berücksichti609 Von einem solchen „Kernbereich“ spricht etwa Hatje, S. 128, der als Beispiel Weisungsrechte der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten benennt; s. auch Götz, EuR 1986, 29 (33). Die zum einheitlichen Ansprechpartner einschlägige Literatur ist leider nicht weiterführend: Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 60 geht davon aus, dass die Verpflichtung aus Art. 6 DLRL „nicht den Wesenskern der mitgliedstaatlichen Kompetenz“ berührt; eine Aufklärung über den Bedeutungsgehalt dieser Aussage bleibt er allerdings schuldig; ebenso Neidert, S. 74 f., die auch nur pauschal darauf hinweist, dass der „Kernbereich der Verwaltungsautonomie“ nicht berührt ist. s. auch Ohler, BayVBl. 2006, 261 (266 f.), der davon ausgeht, dass „Eingriffe in die Verwaltungsautonomie der Mitgliedstaaten nur in zwingenden Einzelfällen gerechtfertigt“ sein können; unklar bleibt, wann ein solcher „Einzelfall“ vorliegen soll und wann nicht. Im Fall des einheitlichen Ansprechpartners scheint er jedenfalls von solch einem „zwingenden Einzelfall“ auszugehen. 610 Hatje, S. 112. 611 Ein besonderes Rechtfertigungserfordernis sieht generell auch Iwand S. 46. Abgestellt werden muss dabei, wie unter Kapitel 1 B. III. 1. d) entwickelt, insbesondere auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; s. auch schon unter Kapitel 3 A. III. 2. b) bb) (2). 612 Vgl. Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 22 für die erweiterte Fassung des Achtungsgebots nach dem Lissabon-Vertrag. Ein solches Verständnis konnte jedoch schon zuvor
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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gen.613 Diese Grenze besteht eben in der nationalen Identität der Mitgliedstaaten, welche der Norm zufolge zu „achten“ ist. Das Gebot ist teleologisch als Ausformung des allgemeinen, das Verhältnis von Union und Mitgliedstaaten prägenden Subsidiaritätsprinzips zu begreifen.614 Hilf615 formuliert insofern zutreffend, Art. F Abs. 1 EUV616 weise der Europäischen Union den Weg zu einer die nationale Identität der Mitgliedstaaten schonenden Wahrnehmung ihrer Rechtssetzungskompetenzen. Der Begriff der „nationalen Identität“ ist weit zu verstehen.617 Auch wenn dieser seinem eigenen „Kern“ nach als Wesensgehaltsgarantie für die Staatlichkeit der Mitgliedstaaten zu betrachten ist,618 geht er doch darüber hinaus und umfasst materiell insbesondere diejenigen Strukturentscheidungen, die den Aufbau und das Eigenverständnis des Staates prägen.619 Das Achtungsgebot definiert – ausgehend von subsidiaritätsbezogenen Telos der Norm – letztlich einen „Kernbereich von gemeinschaftsrechtlichen Tabuzonen“620, deren Regelung gänzlich in mitgliedstaatlicher Hand zu verbleiben hat. Den genauen Aussagegehalt dieses „Kernbereichs“ festzulegen, ist sicherlich mit einigen Schwierigkeiten verbunden, insbesondere da die Ansichten darüber, was als identitätsbildender Faktor anzuerkennen ist, auseinander gehen dürften.621 Typischerweise kommen Strukturentscheidungen in der jeweiligen Verfassung zum Ausdruck.622 Insofern müsste sich die Auslegung des Begriffs der „nationalen Identität“ vornehmlich nach nationalem Recht richten, nämlich danach, worin die spezifischen Eigenheiten, Werte und Ideengehalte des jeweiligen Staates bestehen. Eine übergeordnete, unionsrechtliche Bedeutung könnte dem Begriff aber insoweit zukommen, als es auch einen Bestand an Strukturentscheidungen gibt, der allen Mitgliedstaaten gemein ist. Darunter zählt jedenfalls die Bekenntnis zu Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, der Achtung der zugrunde gelegt werden, vgl. Calliess, S. 151. S. insbes. auch v. d. Groeben/Schwarze/Beutler, Art. 6 EU Rn. 207. 613 Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 22; Strohmayr, S. 200 f. 614 v. d. Groeben/Schwarze/Beutler, Art. 6 EU Rn. 205; Calliess, S. 151 f. m.w.N.; s. auch v. Danwitz, S. 308, der darauf hinweist, dass im Achtungsgebot nach ex-Art. 6 Abs. 3 EUVauch der Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten zum Ausdruck kommt. 615 Hilf, GS Grabitz, S. 157 (168). 616 In der Fassung des Maastricht-Vertrags. 617 Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 14 m.w.N., die allerdings auch darauf hinweist, dass der Begriff durch die in den Lissabon-Vertrag eingefügte Konkretisierung nunmehr eine Einschränkung erfahren hat. 618 v. d. Groeben/Schwarze/Beutler, Art. 6 EU Rn. 197; Bleckmann, JZ 1997, 265; Zuleeg, NJW 2000, 2846; s. auch Hilf, GS Grabitz, S. 157 (168 f.). 619 Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 15. 620 Vgl. Calliess, S. 151 f. unter Bezugnahme auf Scharpf, StWuStP 1992, 293 (302). 621 Vgl. Calliess, S. 152. Stein, in: Merten, Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, S. 91 (97 ff.) unterscheidet etwa zwischen „absoluten“ und „relativen nationalen Reservaten“; instruktive Beispiele finden sich etwa bei v. d. Groeben/Schwarze/Beutler, Art. 6 EU Rn. 201 sowie Hilf, GS Grabitz, S. 157 (168). 622 Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 15; s. auch Hilf, GS Grabitz, S. 157 (167).
150 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
Menschenwürde und den Menschenrechten,623 d. h. zu denjenigen Werten, deren Anerkennung auch als Voraussetzung für einen Beitritt zur Union gilt.624 Art. 4 Abs. 2 EUV spricht zudem von „grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen“, wodurch der Begriff der nationalen Identität an Schärfe gewinnt. Für den konkreten Fall der Bundesrepublik ergibt sich der unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität aus Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG.625 Dabei geht es zum einen um den Versuch einer Konturierung desjenigen Bereiches mitgliedstaatlicher Souveränität, der einer „Übertragung“ im Sinne des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG nicht zugänglich ist. Zum anderen – und daraus resultierend – können dem aber auch diejenigen Materien entnommen werden, die als unantastbar im Rahmen der Kompetenzwahrnehmung mittels extensiver Auslegung der bestehenden Kompetenzen seitens der Union gelten.626 Zur „nationalen Identität“ der Bundesrepublik, die die Union zu achten hat, muss damit jedenfalls – wenngleich auch nicht ausschließlich –627der von Art. 79 Abs. 3 GG umfasste Bereich gezählt werden.628 Unionale Rechtsetzung, die diese Grenzen missachtet, entfaltet nicht nur keine Bindungswirkung auf nationaler Ebene.629 Sie verstößt gleichzeitig gegen das aus Art. 4 Abs. 2 EUV folgende Achtungsgebot und ist damit unionsrechtswidrig.630 623
Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 16. Vgl. Art. 49 Abs. 1 S. 1 EUV i.V.m. Art. 2 S. 1 EUV. 625 BVerfGE 123, 267 (354 f.). Das Gericht behält es sich dabei seit diesem Lissabon-Urteil auch vor, anhand einer sog. „Identitätskontrolle“ Rechtsakte der Union auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 3 GG hin zu überprüfen (weiterführend in dieser Hinsicht Ruffert, DVBl. 2009, 1197 [1206]; Gerhardt, ZRP 2010, 161 [165], jeweils m.w.N.); zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Übertragung von Hoheitsrechten ausführlich Kirchner/Haas, JZ 1993, 760 (762 ff.). 626 So auch Bleckmann, JZ 1997, 265 (266). 627 Weitere Beispiele etwa bei Strohmayr, S. 199 f. 628 Ähnl. Scharpf, StWuStP 1992, 293 (302); s. auch Rupp, FS Rudolf, S. 173 (174), der davon ausgeht, dass zur nationalen Identität eines Staates jedenfalls die „elementaren Grundregeln“ zählten, nach denen dieser verfasst ist. 629 Dazu, dass unionale Rechtsakte, welche sich nicht innerhalb der ihnen mittels der begrenzten Ermächtigungen gesetzten Grenzen halten, im deutschen Hoheitsraum keine Bindungswirkung entfalten, vgl. schon BVerfGE 89, 155 (188). 630 Der Vorgängernorm ex-Art. 6 Abs. 3 EUV, welche zur Zeit des Erlasses der Dienstleistungsrichtlinie noch in Kraft war, konnte eine beschränkende Wirkung für das Tätigwerden der Unionsorgane direkt nicht entnommen werden (vgl. Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 22; zur damals umstrittenen Wirkung des Achtungsgebots vgl. auch Strohmayr, S. 201 f.); insofern hat Art. 4 Abs. 2 EUVeine Erweiterung erfahren. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass ex-Art. 6 Abs. 3 EUV über ex-Art. 46 EUV der Judikatur des EuGH entzogen und wegen exArt. 47 EUV auf die Kompetenzen aus dem ex-EGV nicht direkt anwendbar war. Immerhin handelte es sich um eine Regelung des ex-EUV. Da aber gem. ex-Art. 1 Abs. 3 EUV die Gemeinschaften die Grundlage der Union bildeten, begründete auch ex-Art. 6 Abs. 3 EUV bereits eine rechtliche Verpflichtung, die sodann im Rahmen der Auslegung der Gemeinschaftstreue (ex-Art. 10 EGV), welche nach einhelliger Ansicht nicht nur eine Pflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft, sondern vice versa genauso eine Pflicht der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten postuliert, zu berücksichtigen war (dazu Calliess/Ruffert/Puttler, 624
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
151
Daraus wiederum folgt nun aber, dass die Grenzen, die Art. 79 Abs. 3 GG aufstellt, zugleich als die äußersten Grenzen der Auslegung einer Einzelermächtigung zu betrachten sind; eine Abwägung im Rahmen der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit ist im Kollisionsfall nicht mehr möglich – die Konstellation ist vergleichbar einer aus dem deutschen Recht bekannten „Ermessensreduzierung auf Null“. Zusammenfassend ist damit Folgendes festzustellen: Das in Art. 4 Abs. 2 EUV postulierte Achtungsgebot kann als Ausdruck des allgemeinen Subsidiaritätsprinzips als materielle Begrenzung der Kompetenzwahrnehmung verstanden werden. In der nationalen Identität der Mitgliedstaaten ist ein „Kernbereich“ zu erblicken, dessen rechtliche Ausgestaltung allein bei den Mitgliedstaaten zu verbleiben hat. Inhaltlich kann in Bezug auf die Bundesrepublik insbesondere auf den Kernbereich der Verfassungsidentität, festgeschrieben in Art. 79 Abs. 3 GG, zurückgegriffen werden. Die dort enthaltenen Garantien sind als diejenige äußerste Grenze zu verstehen, die eine Kompetenzwahrnehmung seitens der Union nicht überschreiten darf.631 Andernfalls könnte ein entsprechender Rechtsakt für die Bundesrepublik keine Rechtswirkung entfalten. Dieser Bereich würde sodann auch Art. 4 Abs. 2 EUV tangieren und die Unionsrechtswidrigkeit des Aktes begründen.632 Sofern sich unionale Maßnahmen allerdings nicht in diesem „Randbereich“ bewegen, beugen das Subsidiaritäts- und das Verhältnismäßigkeitsprinzip ernstlichen Autonomieverlusten vor. In deren Grenzen sind dann punktuelle, von den jeweiligen Einzelermächtigungen getragene Eingriffe unter anderem in die Verwaltungsautonomie der Mitgliedstaaten gerechtfertigt.633
Art. 4 EUV Rn. 22). Letztlich konnte daher das gleiche Ergebnis über den „Umweg“ der Gemeinschaftstreue begründet werden. Gleiches gilt für die Konkretisierungen des Begriffs der nationalen Identität, wie sie der Lissabon-Vertrag mit sich brachte. 631 In diesem Sinne, jedoch undifferenziert, wohl auch Neidert, S. 75. Zu dem Befund wäre man über eine entsprechende Auslegung der Gemeinschaftstreue (ex-Art. 10 EGV) auch schon nach altem Recht (ex-Art. 6 Abs. 3 EUV) gelangt. Dies gilt unabhängig davon, ob man das Achtungsgebot nach ex-Art. 6 Abs. 3 EUV nur als bloße „Bemühenspflicht“ seitens der Union interpretiert hat (so etwa Calliess/Ruffert/Puttler3, Art. 6 EUV Rn. 49). In die grundlegenden Strukturentscheidungen eines Mitgliedstaates durfte die Union auch damals nicht eingreifen (in diesem Sinne auch Rupp, FS Rudolf, S. 173 [174]; Calliess S. 152; vorsichtiger etwa Calliess/ Ruffert/Puttler1, Art. 6 EUV Rn. 49 f. sowie Hilf, GS Grabitz, S. 157 [165], die aber letztlich nur betonen, dass ein grundsätzlicher Zielvorrang zugunsten der mitgliedstaatlichen Identität nicht bestand). 632 An dieser Stelle sei nochmals auf Folgendes hingewiesen: Vorausgesetzt ist bei den hiesigen Ausführungen stets, dass sich die Union grundsätzlich auf eine bestehende Kompetenzgrundlage stützen kann und diese punktuelle Regelung dann in den Kernbereich nationaler Autonomie eingreift. Ist dies nicht der Fall, liegt schon ein Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung vor. 633 In diese Richtung, allerdings konkret in Bezug auf gemeinschaftsrechtliche Rechtsetzung, die in den verfassungsrechtlich garantierten Hoheitsbereich der Länder eingreift Hailbronner, JZ 1990, 149 (152 f.).
152 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
(b) Kernbereich durch einheitliche Ansprechpartner nicht berührt Auf die Verpflichtung zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner übertragen, wäre die nationale Identität der Bundesrepublik zunächst dann berührt, wenn es sich um eine Materie handelte, die Art. 79 Abs. 3 GG beträfe. Nur dann könnte davon gesprochen werden, dass die Richtlinienvorschrift in einen „unantastbaren Kernbereich“ mitgliedstaatlicher Verwaltungsautonomie eingreift. Folgend wäre auch eine Abwägung zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit einer entsprechenden Kompetenzauslegung nicht mehr möglich. Dass dies vorliegend der Fall sein könnte, erscheint zwar recht unwahrscheinlich, insbesondere da eine Berufung auf Art. 4 Abs. 2 EUV (ex-Art. 6 Abs. 3 EUV i.V.m. ex-Art. 10 EGV) dem Geschilderten zufolge quasi als „Notbremse“634 für „Extremsituationen“635 zu verstehen ist. Dennoch soll sich die Frage einer kurzen Überprüfung unterziehen. Art. 79 Abs. 3 GG selbst garantiert sowohl die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes als auch das Bundesstaatsprinzip im Allgemeinen.636 Als von Art. 79 Abs. 3 GG geschützt kann aus Letzterem resultierend etwa die Eigenstaatlichkeit sowohl des Bundes als auch der Länder geschlossen werden.637 Diese oder vergleichbar prägende Bereiche müssten als Teile des Kernbereichs der nationalen Verfassungsidentität erfasst werden. Nicht ausdrücklich von Art. 79 Abs. 3 GG garantiert ist dagegen das in Art. 83 ff. GG zum Ausdruck kommende System des nationalen Verwaltungsvollzugs. Dennoch muss dieses als zumindest in seinen Grundfesten als erfasst gelten, da zum einen das bundesstaatliche System Deutschlands traditionell vornehmlich als Exekutivföderalismus638 ausgestaltet ist und dies bei extremer Beschneidung der Verwaltungsbefugnisse der Länder untergraben würde und zum anderen weil gerade die derartige Aufteilung der Verwaltungsbefugnisse prägend für eine föderalen Staatsaufbau sind, mithin dessen Effektivität und Sinn sichern.639 Allerdings dringt die Verpflichtung zur Schaffung einheitlicher Ansprechpartner in diesen Bereich nicht vor. Es wird in keiner Weise verbindlich vorgegeben, welchem Verband innerhalb des Mitgliedstaates etwa bestimmte sachliche Befugnisse zukommen sollen, sodass eine Erosion der Verwaltungsbefugnisse der Länder nicht zu befürchten ist. Ähnliches gilt für die Frage nach dem Vorliegen einer Form der unzulässigen Mischverwaltung.640 Insbesondere geht es im Rahmen dessen um den Aspekt eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung entweder durch den Bund oder durch das Land. Das Prinzip findet seinen Ursprung in den Grundsätzen des Art. 20 GG, 634
Calliess, S. 152. Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 22. 636 s. statt vieler Dreier/ders., Art. 79 III GG Rn. 47; Huber, 65. DJT Gutachten D 14. 637 Dreier/ders., Art. 79 III GG Rn. 48, 55 ff.; Kirchner/Haas, JZ 1993, 760 (768 f.); differenzierend v. Münch/Kunig/Bryde, Art. 79 GG Rn. 31 ff., 53, jeweils m.w.N. 638 Dreier/ders., Art. 79 III GG Rn. 25. 639 Dazu Iwand, S. 34 m.w.N. 640 Dazu auch u. Kapitel 5 B. IV. 3. a). 635
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
153
namentlich der Demokratie und des Rechtstaates sowie dem Bundesstaatsprinzip,641 welche selbst von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG klar erfasst werden.642 Unabhängig davon, wie nun die genaue nationale Ausgestaltung der einheitlichen Ansprechpartner erfolgt und welche Befugnisse diesen letztlich zukommen, sind sicherlich Berührungspunkte mit dem soeben benannten Prinzip schon in der Konzeption an sich angelegt. Nicht zuletzt entstehen solche dadurch, dass die Kommunikation zwischen Dienstleister und Behörden ganz verschiedenen Ursprungs auf eine zentrale Ebene verlagert wird. Jedoch sind vorliegend die beschriebenen „äußersten Grenzen“ nicht erreicht. Unzweifelhaft werden zwar verbindliche Vorgaben für die Verwaltungsorganisation getroffen, jedoch sind aufgrund der spezifischen Ausgestaltung des Art. 6 DLRL die grundgesetzlichen Strukturentscheidungen an sich nicht betroffen. Dies gilt insbesondere, weil Art. 6 Abs. 2 DLRL sowie Erwägungsgrund 60 ausdrücklich klar stellen, dass die nationale Verteilung von Zuständigkeiten zwischen den Behörden nicht berührt wird. Damit überlässt es die Richtlinie den Mitgliedstaaten selbst, die Ansprechpartner in die jeweils vorhandenen Systeme einzubetten und verlangt es gerade nicht, diese mit Sachbefugnissen auszustatten.643 Vielmehr schreibt die Richtlinie lediglich eine Minimallösung vor, der zufolge die einheitlichen Ansprechpartner als bloße „Verfahrensboten“ eingerichtet werden können.644 Schon daraus resultiert, dass eine „äußerste Grenze“ der staatlichen Identität keinesfalls betroffen ist.645 Bezogen auf die Frage nach einer unzulässigen Mischverwaltung gilt daher, dass eine eigenständige Aufgabenwahrnehmung der jeweils betroffenen Ebene nicht etwa unmöglich gemacht oder unverhältnismäßig erschwert wird.646 Auch unter Zugrundelegung des subjektiven Verständnisses der „Einheitlichkeit“, so wie es in Kapitel 2 herausgearbeitet wurde, gelangt man zu keinem anderen Ergebnis. Dies gilt selbst dann, wenn noch weiter gegangen und ein „echtes“ Wahlrecht für den Dienstleister gefordert wird.647 Zwar könnte darin ein faktischer „Zwang“ zur Mischverwaltung erblickt werden. Denn gerade dort besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Berührungspunkte mit dem Prinzip der eigenständigen Aufgabenwahrnehmung ent641
Küchenhoff, S. 179; vgl. zudem die Nachw. in Fn. 1102. H.M.; vgl. nur v. Münch/Kunig/Bryde, Art. 79 GG Rn. 41, 44 ff.; Dreier/ders., Art. 79 III GG Rn. 37, 49 ff. 643 s. dazu Kapitel 2 A. I. 1. a) aa). 644 s. dazu Kapitel 2 A. III. 2. 645 Ähnlich Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 59 f.; Neidert, S. 74 f.; s. auch Hatje, S. 126 ff. – zu früheren Rechtsangleichungsphänomenen im Bereich des Verwaltungsorganisationsrechts, welche mit der Verpflichtung zur Schaffung einheitlicher Ansprechpartner zumindest vergleichbar sind (insbes. Erzeugergemeinschaften, vgl. auch bereits Fn. 608). A.A. Scholz, FS R. Schmidt, S. 169 (175 f.), der davon ausgeht, auch die mögliche Ausgestaltung der einheitlichen Ansprechpartner mit bloß beratenden oder konsultativen Zuständigkeiten würde einen unzulässigen Eingriff in die bundesstaatliche Verwaltungsorganisation darstellen. 646 Dazu, dass allein unter diesen Bedingungen ein unzulässiger, Art. 79 Abs. 3 GG berührender Eingriff in die Mischverwaltung zu sehen wäre Küchenhoff, S. 180. 647 s. dazu Kapitel 2 A. III. 3. 642
154 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
stehen. Jedoch gilt auch dabei, dass die Richtlinie zwar das Ergebnis „Wahlrecht beim Bestehen mehrerer einheitlichen Ansprechpartner“ verlangt. Wie genau ein solches aber im nationalen Recht umgesetzt wird, ist allein Sache des Mitgliedstaates. In Deutschland ist somit jedenfalls eine Umsetzung gewährleistet, die sich in die bestehenden föderalistisch-verwaltungsrechtlichen Strukturen einfügt. Nur dann, wenn „verbindliche“ Vorgaben hinsichtlich der Umsetzung getroffen worden wären (beispielsweise bezogen auf die genaue Verortung der Ansprechpartner o. ä.), könnte von einem Eingriff in das Bundesstaatsprinzip und damit in die nationale Identität Deutschlands die Rede sein; dies führte dann unter Umständen auch zu einer Kompetenzüberschreitung. Davon zu trennen sind aber sonstige Fragen, die sich im Bereich des rein nationalen Rechts bewegen. Dass etwa ein einheitlicher Ansprechpartner auf deutscher Bundesebene aufgrund der föderalistischen Aufgabenzuteilung ausgeschlossen wäre, wäre kein unionales Kompetenzproblem, sondern ein solches, das in den Bahnen des nationalen Rechts gelöst werden müsste (nochmals: solange die Union selbst solche verbindlichen Vorgaben nicht träfe).648 Mit dem Staatsaufbau unlösbar verknüpft ist insbesondere auch die Verwaltungsorganisation;649 die autonome Steuerung und Gestaltung des Verwaltungsrechts ist generell wesentliches Charakteristikum eines Gemeinwesens und kann somit als Teil dessen nationaler Identität verstanden werden.650 Das soeben Geschilderte gilt indes auch hier: Verortung und Organisation der einheitlichen Ansprechpartner können dem Konzept der Dienstleistungsrichtlinie nach „in den Bahnen des nationalen Rechts“651 erfolgen. Es ist daher nicht erkennbar, weshalb die Mitgliedstaaten insofern einen Teil ihrer „Identität“ einbüßen sollten. (w) Zwischenergebnis: Eingriff minderer Intensität Steht somit fest, dass eine entsprechend extensive Auslegung von ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) einen „unantastbaren Kernbereich“ mitgliedstaatlicher Autonomie nicht betrifft, bleibt zu überprüfen, ob sich ein unzulässiger Eingriff vielleicht daraus ergibt, dass es sich dennoch um eine unangemessene Zweck-Mittel-Relation handelt. Der Einbuße mitgliedstaatlicher Autonomie ist, wie bereits beschrieben, gering.652 Zwar ist den Mitgliedstaaten aufgetragen, eine bestimmte organisationsrechtliche Größe zu schaffen und diese mit bestimmten Aufgaben auszustatten. Wie 648 So ist auch Scholz, FS Bauer, S. 169 (175 f.) zu verstehen, der die Umsetzung des einheitlichen Ansprechpartners in Deutschland im Zeitpunkt der Entstehung des Beitrags (im Jahr 2006) für im Prinzip nicht möglich hielt. Dabei scheint er aber davon ausgegangen zu sein, dass es sich unbedingt um eine auf Bundesebene zu errichtende Behörde handeln muss. 649 So etwa Hatje, S. 112. 650 v. Danwitz, S. 458; s. auch schon Forsthoff, Verwaltungsrecht AT, S. 455 ff. 651 Vgl. Fn. 604. 652 So auch Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 74; Neidert, S. 74 f. Ähnl. Hatje, S. 126 ff. zu den einheitlichen Ansprechpartnern vergleichbaren Konstellationen.
A. Rechtsgrundlage: Ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV)
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dies im Einzelnen organisationsrechtlich umgesetzt wird, bleibt vollkommen in den Händen der Mitgliedstaaten. Wesentlich ist somit der Umstand, dass die Dienstleistungsrichtlinie zwar verwaltungsrechtliche Fragen betrifft, deren Vollzug an sich aber unberührt lässt. Darüber hinaus handelt es sich bei den einheitlichen Ansprechpartnern auch nur um ein bereitzustellendes Angebot. Die sachlich zuständigen Behörden bleiben also nicht nur tatsächlich sachlich zuständig, sondern sind nach wie vor auch Anlaufstelle. Der tatsächliche Autonomieverlust hält sich daher in Grenzen und berührt schon gar nicht einen „Kernbereich“. (b) Dem gegenüberstehender Integrationsgewinn Demgegenüber ist der mit den einheitlichen Ansprechpartnern erzielte Integrationsgewinn äußerst vielversprechend. Wie bereits dargestellt, verspricht das Konzept eine enorme Optimierung von länderübergreifender Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit.653 Administrative Hürden wurden bereits mehrfach als praktisch überaus bedeutsames Hemmnis für die Verwirklichung von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit qualifiziert.654 Die Kompetenz aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) dient gerade der Förderung dieser Grundfreiheiten, um in einem übergeordneten Sinn schrittweise eine stets fortschreitende Binnenmarktverbesserung zu erreichen – ist die Wirtschaftsintegration doch herausragendes Ziel der Union. (3) Zwischenergebnis Insgesamt ist daher festzustellen, dass hier das Interesse der Union an Stärkung und Effektuierung der Grundfreiheiten das Interesse der Mitgliedstaaten an Beibehaltung ihrer Verwaltungsorganisationshoheit klar übersteigt. Die Rechtsangleichungskompetenz soll im vorliegenden Fall gerade nicht dazu herangezogen werden, grundlegende verwaltungsrechtliche Strukturen zu durchbrechen oder im Sinne eines „Kahlschlags“ die Verwaltungsrechtssysteme der Mitgliedstaaten zu uniformieren. Es handelt sich lediglich um eine punktuelle Regelung, die mit nur minderer Intensität in die mitgliedstaatliche Organisationshoheit eingreift. Nach der hier vertretenen Ansicht bedarf es zudem insbesondere auch keines Rückgriffs auf das sog. Effektivitätsgebot. Dieses ermöglicht zwar Abweichungen vom Grundsatz der Verwaltungsautonomie dann, wenn der mitgliedstaatliche Vollzug die Effektivität der unionsrechtlichen Regelung gefährden oder untergraben würde. Allerdings ist für die Anwendung des Gebots generell vorliegend kein Raum. Dies hat zwei Gründe: Zum einen betrifft das Gebot, wie bereits dargestellt, quasi die „Untergrenze“ der Wirksamkeit unionsrechtlicher Regelungen und damit deren Bewahrung vor „gar keiner“ Wirksamkeit. Die Schaffung einheitlicher Ansprechpartner geht darüber aber hinaus, denn auch ohne diese ist es möglich, Dienstleis653
s. dazu ausführlich o. unter A. III. 1. s. etwa den Bericht der Kommission über den Stand des Binnenmarktes für Dienstleistungen (Fn. 394). 654
156 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
tungs- und Niederlassungsfreiheit wahrzunehmen. Sie sind in keiner Hinsicht Voraussetzung dafür; die Ausübung der Grundfreiheiten ist andernfalls nicht „praktisch unmöglich“ oder „übermäßig erschwert“655. Vielmehr stellen sie in diesem Rahmen eine – wenn auch enorme – Verbesserung dar. Zum anderen geht es vorliegend auch gar nicht um eine bloße Angelegenheit des mitgliedstaatlichen Vollzugs, die den Grundsatz der Verwaltungsautonomie berührt,656 sondern um die darüber hinausgehende Frage nach einer Kompetenzgrundlage für die Regelung von Materien, die das Verwaltungsrecht betreffen.
B. Kompetenzausübungsschranken: Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Trotz der hier bereits vorgenommenen Einschränkungen im Rahmen der „Kompetenzfindung“, hat sich jegliche unionsrechtliche Rechtssetzung zusätzlich an die Subsidiarität und die Verhältnismäßigkeit als allgemeine Kompetenzausübungsschranken zu halten. Im Unterschied zum bereits Beschriebenen geht es nunmehr nicht darum, ob der Union überhaupt eine Zuständigkeit zukommt. Vielmehr geht es darum, ob sie die ihr zukommende Zuständigkeit ausüben darf. Dies soll im Folgenden betrachtet werden.
I. Das Subsidiaritätsprinzip 1. Anwendbarkeit In Erwägungsgrund 116 DLRL heißt es: „Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Beseitigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern (…), auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und daher wegen des Umfangs der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem (…) Subsidiaritätsprinzip tätig werden.“
Mit dieser pauschalen Formel kommen die Gesetzgebungsorgane der Union zwar rein formal der aus Art. 5 S. 1 des Subsidiaritätprotokolls (ex-Art. 4 Subsidiaritätsprotokoll657) folgenden Begründungspflicht nach.658 Ob nun unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität die Anforderungen des Art. 5 EUV gewahrt sind, 655
So die Formulierung des EuGH (s. die Nachw. in Fn. 304). Vgl. in ähnlicher Weise die vergleichbaren Ausführungen zu möglichen Heranziehung von implied powers, Kapitel 3 A. III. 2. b) aa) (2). 657 Vgl. zum Subsidiaritätsprotokoll o. unter Kapitel 1 B. III. 1. d) bb) (1) (b). 658 s. auch bereits Jarass, AöR 121 (1996), 173 (192) dazu, dass die Begründungspflicht auch schon vor ihrer Kodifizierung im Subsidiaritätsprotokoll zum Vertrag von Amsterdam bestand. 656
B. Kompetenzausübungsschranken
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vermag dem Leser allein aufgrund der verwandten „Textbausteine“659 allerdings nicht klar zu werden. Zu entnehmen ist dem lediglich die Tatsache, dass offenbar von der Anwendbarkeit des Prinzips ausgegangen wird. Damit rückt die Kommission, welche auch bereits im Vorschlag zur Dienstleistungsrichtlinie auf die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips hinweist,660 klar von ihrem einst vertretenen Standpunkt ab, dass es sich bei Harmonisierungskompetenzen um ausschließliche der Union handelt, die dementsprechend einer Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips nicht zugänglich sind.661 Seit jeher wird das von einem Großteil der Literatur anders beurteilt.662 In einem Gebilde wie dem der Union, d. h. solchen, die föderative Elemente aufweisen, ist die Harmonisierung zwar typischerweise ein Regelungsinstrument des übergreifenden Gebildes. Insofern streitet der Charakter der Rechtsangleichung grundsätzlich für eine ausschließliche Zuständigkeit der Union. Jedoch überzeugt die Ansicht der Literatur deshalb, weil gerade die Binnenmarktkompetenzen, wie beschrieben,663 als Querschnittskompetenzen zu verstehen sind, die keinen bestimmten, sondern alle denkbaren Sachgebiete zum Regelungsgegenstand erheben können. Insofern verleibt sich die Union Regelungsgebiete ein, die prinzipiell den Mitgliedstaaten vorbehalten sind, was klar für eine konkurrierende Kompetenz spricht.664 Im Weiteren kommt es darauf an, ob sowohl Negativ- als auch Positivkriterium erfüllt sind. 2. Negativ- und Positivkriterium Neben Erwägungsgrund 116 DLRL enthält auch Erwägungsgrund 6 DLRL Aussagen, die in Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip stehen. Hier erfolgt der Hinweis darauf, allein die Anwendung der betreffenden Grundfreiheiten könne die in Frage stehenden Beschränkungen nicht beheben; der eventuelle Weg über einzelne Vertragsverletzungsverfahren wäre äußerst kompliziert. Zahlreiche Beschränkungen können nur mittels vorheriger Koordinierung behoben werden; auf Basis eines gemeinschaftlichen Rechtsinstruments könne die Schaffung eines 659
So auch Streinz, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 95 (106). Vgl. Richtlinienvorschlag (Fn. 395), S. 21 f. 661 s. dazu etwa Schwarze/Lienbacher2, Art. 5 EGV Rn. 16; Möstl, EuR 2002, 318 (344). Von einer ausschließlichen Kompetenz der Union geht auch GA Fenelly, in seinen Schlussanträgen zum Tabakwerbe-Urteil aus, vgl. EuGH Slg. I-2000, 8419 (8480 ff.]) Rn. 135 ff. – Deutschland/Parlament und Rat. 662 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 44; Streinz/ders.1, Art. 5 EGV Rn. 19; Calliess/Ruffert/Calliess3, Art. 5 EGV Rn. 26; vgl. auch Richtlinienvorschlag (Fn. 395), S. 21. s. insbes. auch Hissnauer, S. 42 ff. m.w.N. Nach dem Lissabon-Vertrag hat sich diese Frage nunmehr insofern erledigt, als dass in Art. 2 und 3 AEUV ausdrücklich geklärt wird, was unter einer ausschließlichen Zuständigkeit zu verstehen ist und welche Zuständigkeiten genau darunter zählen; es bestehen aber nach wie vor einige Unsicherheiten (vgl. dazu etwa Calliess/ Ruffert/Calliess, Art. 3 AEUV Rn. 6 ff.). 663 s. o. unter Kapitel 3 A. II. 3. 664 So auch Möstl, EuR 2002, 319 (345). 660
158 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
wirklichen Binnenmarktes für Dienstleistungen ermöglicht werden. Weiterführend ist dabei wohl nur die Aussage, dass allein über die Anwendung der Vorschriften über die Dienstleistungs- und die Niederlassungsfreiheit eine Beseitigung der in Rede stehenden Hemmnisse nicht erfolgreich herbeizuführen sei. Dieses Argument verwendet die Kommission auch bereits im Richtlinienvorschlag665 und, wie aus dem Bericht über den Stand des Binnenmarktes für Dienstleistungen666 zu erkennen ist, bestehen tatsächlich Defizite in diesem Bereich. Dass der Weg über einzelne Vertragsverletzungsverfahren der beschwerlichere wäre, leuchtet ein. Letztlich kann das Argument aber hinsichtlich der Schaffung einheitlicher Ansprechpartner, welche vorliegend allein in Rede stehen, nicht überzeugen. Die Institution ist zwar zweifelsohne überaus nützlich und hilfreich in Bezug auf die Verwirklichung von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Jedoch stellt der Zustand ohne einheitliche Ansprechpartner nicht etwa einen Verstoß gegen die Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten dar. Insofern geht es mehr um die Herbeiführung einer praktischen Wirksamkeit im Sinne des effet utile im weiteren Sinne.667 Gemäß dem Richtlinienvorschlag bestehen zudem rechtliche Hindernisse für die Grundfreiheiten, welche nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sogar gerechtfertigt sein können und deswegen nur im Wege der Koordinierung zu beseitigen sind. Die Ausführungen erinnern an das Effektivitätsgebot. Wie bereits dargestellt,668 hält der EuGH in ständiger Rechtssprechung Abweichungen im Vollzug unionsrechtlicher Regelungen für tolerabel, die durch die unterschiedlichen nationalen verwaltungsrechtlichen Systeme der Mitgliedstaaten hervorgerufen werden. Dies gilt jedenfalls, solange dadurch Unionsrecht nicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert wird. Genau solche Unterschiede können mittels der Koordinierung und Angleichung der (verwaltungs-) rechtlichen Vorschriften vermindert oder gar beseitigt werden. Diese Argumentation kann nun auch ganz speziell in Bezug auf die Bildung einheitlicher Ansprechpartner herangezogen werden. Die (grenzüberschreitende) Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit ist so zwar in jedem Mitgliedstaat schon aufgrund der Grundfreiheiten im Allgemeinen gewährt. Jedoch ergeben sich beim Vollzug dadurch Unterschiede, weil jedes verwaltungsrechtliche System andere Anforderungen enthält. So divergieren letztlich Zeit-, Kosten- oder Bürokratieaufwand. Unter Berücksichtigung des Effektivitätsgebots handelt es sich dabei aber um hinzunehmende Folgen, die dem föderativen Charakter der Union an sich immanent sind. Mittels des Bündelungseffektes, der sich durch die einheitlichen Ansprechpartner ergibt, kann dem entgegen gewirkt werden. Wenn dem aber so ist, dann ist der Kommission dahingehend zuzustimmen, dass es sich um Beschränkungen handelt, die nur durch unionsgesteuerte Koordinierung beseitigt werden können. 665
Richtlinienvorschlag (Fn. 395), S. 21. Vgl. Fn. 394. 667 Zum Begriff vgl. o. unter Kapitel 1 B. III. 1. c). 668 Vgl. dazu o. unter Kapitel 1B. III. 1. f) aa) sowie unter Kapitel 3 A. III. 2. b) bb) (2) (a) (aa) sowie unter Kapitel 3 A. III. 2. b) bb) (3). 666
B. Kompetenzausübungsschranken
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Dem Geschilderten zufolge kann nun nicht davon ausgegangen werden, dass ein einseitiges Handeln der Mitgliedstaaten ausreichend wäre. Es geht gerade darum, durch die Bereitstellung einheitlicher Ansprechpartner den Dienstleistern in jedem Mitgliedstaat dieselbe Ausgangssituation zu bieten. Ein solches „Portal“ hat sich gerade dadurch zu charakterisieren, dass es in allen Mitgliedstaaten in etwa der gleichen Art und Weise funktioniert und auch als solches erkennbar ist. Ein Tätigwerden der Mitgliedstaaten würde nun – und das auch nur unter der Prämisse, dass es in allen Mitgliedstaaten zu einem Tätigwerden käme – zwingend zumindest partiell zu unterschiedlichen Konzeptionen führen, sodass genau die angestrebte Erleichterung nicht „ausreichend“ verwirklicht wäre. Von einer Regelung seitens der Union gehen daher „deutliche Vorteile“669 aus. Insgesamt ist damit das Subsidiaritätsprinzip hinsichtlich der Vorgabe, einheitliche Ansprechpartner zu implementieren als gewahrt zu bewerten.
II. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Hinsichtlich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergänzt Erwägungsgrund 116 DLRL die Aussagen zum Subsidiaritätsprinzip um eine weitere inhaltsleere Phrase, die wohl eher als feststellendes Ergebnis denn als Begründung im Sinne des Subsidiaritätprotokolls670 zu verstehen ist: „Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.“
Jedoch können Erwägungsgrund 7 DLRL und auch dem Richtlinienvorschlag671 etwas genauere und umfassendere Erläuterungen entnommen werden, die im Folgenden zu berücksichtigen sind. 1. Legitimer Zweck/Geeignetheit Die Zwecksetzung, die mit der Verpflichtung zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner verfolgt ist, wurde bereits eingehend herausgearbeitet.672 Aus dem Geschilderten folgt gleichzeitig die Legitimität dieser Zwecksetzung, da auch gezeigt wurde, dass sie mit den hinter der begrenzten Ermächtigung aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) stehenden Zielen konform geht. Die Geeignetheit einer Maßnahme umfasst zunächst die Feststellung ihrer nicht offensichtlichen Ungeeignetheit im Erlasszeitpunkt. Darüber hinausgehende Aussagen über die Geeignetheit der Maßnahme nach ihrer Umsetzung sind zumindest im 669 670 671 672
Vgl. den Nachw. in Fn. 198. s. schon die Ausführungen unter Kapitel 3 B. I. 1. Richtlinienvorschlag (Fn. 395), S. 22. Vgl. o. unter Kapitel 3 A. III. 1.
160 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
Rahmen einer Erörterung wahrscheinlich zu erwartender Folgen zu treffen. Auch hierbei kann letztlich auf das obig Geschilderte verwiesen werden.673 Insbesondere können wahrscheinliche Auswirkungen der Errichtung von einheitlichen Ansprechpartnern den Feststellungen, die die Kommission im Rahmen der Binnenmarktstrategie mittels ihres Berichtes über den Stand des Binnenmarktes getroffen hat,674 entnommen werden. Hierbei konstatierte die Kommission, dass es gerade administrative Hürden, insbesondere schwierig zu durchdringende Verwaltungsstrukturen, seien, die einer effektiven Ausübung von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit in der Praxis entgegenstünden.675 An der Geeignetheit einheitlicher Ansprechpartner, dies zu überwinden, ist nicht zu zweifeln. Zu erwarten ist sicherlich, dass sich die Abwicklung sämtlicher Formalitäten, die an die Aufnahme und die Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten sowie damit zusammenhängender Niederlassungen innerhalb eines (aus Sicht des Dienstleisters) anderen Mitgliedstaates zeitlich, finanziell und hinsichtlich des bürokratischen Aufwands vereinfachen wird. 2. Erforderlichkeit Im Rahmen der Erforderlichkeit bedarf es der Feststellung, ob weniger belastende, d. h. die Mitgliedstaaten in ihrer Souveränität beschneidende, Maßnahmen in Betracht kommen, die unter dem Aspekt einer wertenden Gesamtbetrachtung zu dem gleichen Erfolg führen könnten.676 Als weniger intensive Maßnahmen zur Harmonisierung kommen regelmäßig etwa eine verstärkte Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten oder aber die Einführung bestimmter, durch die Union oktroyierter Verhaltenkodizes in Betracht.677 Eine bloß verstärkte Verwaltungszusammenarbeit könnte jedoch die rein tatsächlichen Behinderungen, welche gerade im Rahmen der Aufnahme und Ausübung einer Tätigkeit in einem fremden Mitgliedstaat auftreten, nicht beheben. Gleiches gilt für etwaige Änderungen in den jeweiligen Verwaltungspraktiken, denn es stellen gerade die unterschiedlichen verwaltungsrechtlichen Systeme der Mitgliedstaaten selbst das Hemmnis dar, nicht jedoch die praktizierten Verwaltungsabläufe. Der Dienstleistungserbringer wäre somit nach wie vor zur Durchdringung und Beschreitung des jeweiligen Verwaltungssystems gezwungen. Stellt somit die Harmonisierung das erforderliche Mittel dar, ist weiter danach zu fragen, welcher Harmonisierungsstufe respektive -intensität es bedarf. Grundsätzlich gilt, dass einer „Mindestharmonisierung“ der Vorrang vor einer etwaigen „Vollharmonisierung“ zukommt.678 In Bezug auf die Handlungsform ist dabei bei673 674 675 676 677 678
Vgl. unter Kapitel 3 A. III. 1. Vgl. Fn. 394. So auch Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (64 f.). Dazu o. unter Kapitel 1 B. III. 1. d) cc) (3) (b) (cc). Vgl. Richtlinienvorschlag (Fn. 395), S. 22. Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 55; ausführlich Emmerich-Fritsche, S. 448 ff.
B. Kompetenzausübungsschranken
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spielsweise auch die Richtlinie das gegenüber der Verordnung mildere Mittel; die Kompetenz aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) erlaubt jedoch ohnehin nur den Erlass einer Richtlinie. Von einer vollen Harmonisierung ist dann auszugehen, wenn den Mitgliedstaaten im Rahmen der Richtlinienumsetzung keinerlei Spielraum mehr zur Verfügung steht. Die materiellen Vorgaben des Rechtsaktes sind dabei bereits so dicht, dass eine Umsetzung ausschließlich in genau dieser Art und Weise in Betracht kommt und von dem typischen Rahmencharakter der Richtlinie nicht viel übrig ist. Im Gegensatz dazu werden mittels der Mindestharmonisierung lediglich Mindestanforderungen statuiert, welche von den Mitgliedstaaten dann im Rahmen ihres eigenen Vermögens weiter zu entwickeln und gegebenenfalls zu intensivieren sind.679 Die Kommission betont, es seien mit der Dienstleistungsrichtlinie Wege gewählt worden, welche ein grundsätzliches Interesse der Mitgliedstaaten an Wahrung ihrer Autonomie berücksichtigten, etwa dadurch, dass die institutionelle Ausgestaltung der einheitlichen Ansprechpartner nicht vorgegeben sei. Wie bereits dargestellt, begründen die Vorgaben des Art. 6 DLRL lediglich eine – im Vergleich zu anderen Optionen – Minimallösung.680 Dadurch wird verdeutlicht, dass letztlich dem Prinzip der Mindestharmonisierung gefolgt wurde. Verbindlich vorgegeben ist der herzustellende Zustand, nämlich die Möglichkeit für Dienstleister, sämtliche Formalitäten über dieselbe Stelle abwickeln zu können. Sache der Mitgliedstaaten bleibt es dagegen, im Rahmen ihrer jeweils national verankerten Systeme die Implementierung durchzuführen oder etwa ein noch intensiveres Schutzniveau dadurch herzustellen, dass den einheitlichen Ansprechpartnern zugleich auch die jeweiligen Sachkompetenzen verliehen werden. Letztlich bleibt den Mitgliedstaaten genügend Spielraum, um die gegebenen Strukturen ihres verwaltungsorganisationsrechtlichen Systems zu wahren und lediglich einige Anpassungen respektive Weiterentwicklungen vorzunehmen.681 Im Rahmen des Erforderlichen bewegen sich auch die in Art. 7 DLRL statuierten Informationspflichten, denen die einheitlichen Ansprechpartner nachzukommen haben. Diese stellen ein notwendiges Pendant zu dem in Art. 6 Abs. 1 DLRL beschriebenen „Grundgerüst“ dar. Das Konzept der einheitlichen Ansprechpartner wäre lückenhaft und nur wenig hilfreich, wenn die Ansprechpartner nicht auch eine umfassende Informationsplattform darstellten.682
679
Es finden sich zwischen und neben diesen beiden Formen noch feinere Abstufungen; weiterführend Streinz, in: Everling/Roth, Mindestharmonisierung, S. 9 (18 f.); EmmerichFritsche, S. 448 ff. 680 s. o. unter Kapitel 2 A. III. 2. 681 Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (65). 682 Inbegriffen ist natürlich die Pflicht zur Erteilung der Informationen in klarer und eindeutiger Weise (Art. 7 Abs. 3 DLRL), rasch (Art. 7 Abs. 4 DLRL) oder einfach und verständlich (Art. 7 Abs. 2 DLRL). Gleiches gilt etwa auch für die Hinweispflicht nach Art. 7 Abs. 5 DLRL.
162 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
Damit wird deutlich, dass der Unionsgesetzgeber selbst unter Berücksichtigung eines – bezogen auf die Wahl der Mittel – weiten Ermessensspielraums683 von einer relativ milden Gestaltungsoption Gebrauch gemacht hat. 3. Angemessenheit Schließlich muss sich die Verpflichtung zur Errichtung einheitlicher Ansprechpartner als angemessen darstellen. Dabei darf sich aus einer Gesamtbewertung dieses Mittels in Relation zu dem damit verfolgten Zweck ein Ungleichgewicht nicht ergeben. Insofern hat eine Gegenüberstellung der Intensität des in die Autonomie der Mitgliedstaaten erfolgten Eingriffs, mit dem konkreten respektive konkret zu erwartenden Gewinn für die Grundfreiheiten und den Binnenmarkt zu erfolgen. Die betreffenden Regelungen der Dienstleistungsrichtlinie stellen klar einen Einschnitt in die autonome Regelungsgewalt der Mitgliedstaaten dar. Dies gilt insbesondere, wenn man bedenkt, dass gerade die verwaltungsrechtlichen Strukturen eines Staates in dessen Wurzeln angelegt sind und Ausdruck dessen ureigenster Tradition und Einzigartigkeit sind. Die Harmonisierungsmaßnahmen der Dienstleistungsrichtlinie reichen zwar in diese Strukturen hinein. Dennoch kann nicht die Rede davon sein, dass dies bereits über das erforderliche Maß hinaus geht. Letztlich handelt es sich trotz aller Bedenken um eine Rahmenrichtlinie. In Bezug auf die einheitlichen Ansprechpartner kann sich die zu schaffende Rechtsfigur in diese jeweils staatlichen Besonderheiten einpassen. Dem gegenüber steht die überragende Bedeutung, die die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarkts für die Union hat.684 Diese Entwicklung ist aber gefährdet, wenn nicht die Wettbewerbsbehinderungen, die durch die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens entstehen können, beseitigt werden.685 Insgesamt lässt sich daher feststellen, dass die Verpflichtung zur Schaffung einheitlicher Ansprechpartner die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit als Kompetenzausübungsschranke wahrt.
C. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 3 1. Die begrenzte Einzelermächtigung aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) stellt eine im Rahmen der Rechtsangleichung typische Querschnittskompetenz dar. Der Koordinierungsgegenstand ist daher funktional zu be683
s. dazu o. unter Kapitel 1 B. III. 1. d) cc) (3) (b) (cc). Unter dem Gesichtspunkt der Signifikanz des Ziels stimmt letztlich auch Ohler, BayVBl. 2006, 261 (267) für eine Kompetenzwahrung. Zur besonderen Bedeutung des Binnenmarktziels für die Union vgl. o. unter Kapitel 1 B. II. 5. b) cc). 685 Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (64). 684
C. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 3
163
stimmen und entsprechend weit gefasst. Er kann sämtliche mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffen, solange nur der kompetenziellen Zwecksetzung gedient ist. Diese besteht in der Förderung von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit und damit auf übergeordneter Ebene dem Binnenmarktziel. 2. Um eine im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Ermächtigung erforderliche Einschränkung des weiten Regelungsgegenstandes zu erreichen, werden in Literatur und Rechtsprechung unterschiedliche begrenzende Kriterien vorgeschlagen. All diese Restriktionsbemühungen sind letztlich als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips im weiteren Sinne zu verstehen, da es hier wie dort um die Herstellung eines schonenden Ausgleichs zwischen den Integrationsinteressen der Union einerseits und mitgliedstaatlicher Regelungsautonomie andererseits geht. 3. Mit den Art. 6 ff. will die Dienstleistungsrichtlinie den „Zugang“ zu den Verwaltungssystemen der Mitgliedstaaten vereinfachen. Es geht somit speziell um den Abbau ganz allgemeiner Beschränkungen von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, namentlich im Bereich der Verwaltungsorganisation. Der Dienstleistungswillige soll Unterstützung erfahren bei jenen administrativen Vorgängen, die er zwingend zu durchlaufen hat, wenn er eine entsprechende Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat aufnehmen will bzw. bei solchen, die sich auch noch während der Ausübung der Tätigkeit ergeben. Letztlich dient der einheitliche Ansprechpartner somit der Verbesserung der praktischen Durchführung der betreffenden Grundfreiheiten. 4. Unter Berücksichtigung des effet utile im weiteren Sinne muss die Einzelermächtigung aus ex-Art. 47 Abs. 2, 55 EGV (Art. 53 Abs. 1, 62 AEUV) so ausgelegt werden, dass diese zur Regelung solcher Vorschriften wie derjenigen zum einheitlichen Ansprechpartner in der Form, in der die Dienstleistungsrichtlinie sich der Materie annimmt, ermächtigt. Davon, dass die Union gar keine Kompetenz zur Regelung im Bereich von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsorganisation besitzt, kann demnach nicht ausgegangen werden. Eine entsprechende Interpretation muss sich allerdings, in Anlehnung an die in Kapitel 1 herausgearbeitete Systematik, insbesondere einer Verhältnismäßigkeitsprüfung stellen. Dies gilt umso mehr, weil es sich bei den einheitlichen Ansprechpartnern eher um eine für die begrenzte Ermächtigung „untypische“ Regelungsmaterie handelt. Im Rahmen der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit ist dabei der seitens der Literatur aufgeworfenen Frage auf den Grund zu gehen, ob die Mitgliedstaaten übermäßig in ihrer Verwaltungsautonomie beschnitten werden. 5. Soweit in der Literatur von einem „Kernbereich staatlicher Verwaltungsautonomie“ gesprochen wird, kann damit nur ein Bereich gemeint sein, in den die Union nicht eingreifen darf, weil entweder dafür keine begrenzte Ermächtigung zur Verfügung steht, die Rechtsetzung trotz möglicher Subsumtion unter einen Kompetenztitel die „nationale Identität“ der Mitgliedstaaten tangieren würde und deshalb unzulässig ist oder weil die von einem Kompetenztitel getragene Materie nicht im Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Zweck steht.
164 Kap. 3: Kompetenzgrundlage der Regelungen zum einheitlichen Ansprechpartner
Ist dieser „Kernbereich“ dagegen nicht betroffen, hat die Union zumindest punktuell – da ihr eine allgemeine Kompetenz zur Regelung nationalen Verwaltungsrechts fehlt – die Möglichkeit, verwaltungsrechtliche Vorschriften zu schaffen, die jeweils im thematischen Zusammenhang mit einer entsprechenden begrenzten Ermächtigung stehen. Da dies regelmäßig auf der Anwendung des effet utileGrundsatzes basieren wird, hat sich eine solche Auslegung stets den Kautelen der Subsidiarität und insbesondere der Verhältnismäßigkeit zu stellen. Letztere sind insofern auch als „Bewahrer“ nationaler Identität zu betrachten.686 6. Keine Auswirkungen auf die Kompetenzfrage hat insbesondere die Subjektivierung des Begriffs des einheitlichen Ansprechpartners. Selbst unter Zugrundelegung des die Unionsziele am weitesten fördernden Verständnisses der „Einheitlichkeit“ ist die Regelung daher von der begrenzten Ermächtigung gedeckt. Den zweifelnden Literaturstimmen ist insofern nicht zuzustimmen. 7. Die Kompetenzausübungsschranken, namentlich die Subsidiarität und die Verhältnismäßigkeit werden durch die Verpflichtung zur Schaffung einheitlicher Ansprechpartner gewahrt. Die entsprechenden Regelungen der Dienstleistungsrichtlinie halten sich im Rahmen einer Mindestharmonisierung und können insbesondere aus diesem Grund den Anforderungen von Erforderlichkeit und Angemessenheit gerecht werden.
686
Calliess/Ruffert/Puttler3, Art. 6 EUV Rn. 50.
Kapitel 4
Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern und die Grenzen ihrer Verbandskompetenz Nachdem nun die unionsrechtliche Seite der Idee vom „einheitlichen“ Ansprechpartner umfassend betrachtet worden ist, soll im vorliegenden Kapitel eine Auseinandersetzung mit dem nationalen Recht erfolgen. Im Zentrum steht die Frage, welche Zuständigkeitsgrenzen für die einzelnen einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern bestehen und ob der so geschaffene Zustand mit dem hier vertretenen Verständnis der „Einheitlichkeit“ korreliert. Zu diesem Zweck ist zunächst die organisationsrechtliche Umsetzung der einheitlichen Ansprechpartner darzustellen.
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung des einheitlichen Ansprechpartners in Deutschland I. Die „einheitliche Stelle“ nach §§ 71a ff. VwVfG als Ausgangspunkt Zentrale Änderung durch das 4. VwVfÄndG687 war die Neufassung der §§ 71a ff. VwVfG. Geschaffen wurde damit eine neue Verfahrensform, nämlich die über eine „einheitliche Stelle“, von der der einheitliche Ansprechpartner im Sinne des Art. 6 DLRL ein Anwendungsfall ist.688
687
Vgl. Fn. 460. Die Entscheidung des Gesetzgebers für genau diese Bezeichnung und gegen die des „einheitlichen Ansprechpartners“, wie es die Dienstleistungsrichtlinie nahe gelegt hätte, ist mit dem Bedürfnis nach größtmöglicher Abstraktion zu erklären. Das eingeführte Verfahren soll gerade nicht ausschließlich der Umsetzung des Art. 6 DLRL dienen. Vielmehr kann von einer Einfügung anlässlich dieser Richtlinienvorgabe gesprochen werden. Somit ist der Grundstein für weitere (national begrenzte und auch unionskoordinierte) „One-Stop Government“-Projekte gelegt (vgl. Reichelt, LKV 2010, 97; Schulz, NdsVBl. 2009, 97 [98]; zum One-Stop Government allgemein s. E. Schulz, One-Stop Government, S. 9 ff., 18 ff.; s. auch Lemke/Westermann [Hrsg.], Strategie 115, S. 92 ff.). 688
166
Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
1. Überblick Ausgangspunkt ist zunächst § 71a Abs. 1 VwVfG, welcher Auskunft über die Anwendbarkeit der Vorschriften des neuen Abschnitts 1a (Besondere Verfahrensarten) des V. Teils des Verwaltungsverfahrensgesetzes gibt. Die Verfahrensabwicklung über eine einheitliche Stelle muss jeweils im entsprechenden Fachgesetz angeordnet werden; die Ausgestaltung ist damit äquivalent zu derjenigen beim Planfeststellungsverfahren.689 Demgemäß sind Regelungen in den verschiedensten, dem Bund zugewiesenen Bereichen getroffen worden, beispielsweise in der Handwerksordnung (§ 5b HWO), der Gewerbeordnung (§ 6b GewO), der Wirtschaftsprüferordnung (§ 4a WPO) oder dem Infektionsschutzgesetz (§ 53a IfSG). Hiernach können die jeweiligen Verwaltungsverfahren über eine einheitliche Stelle nach Maßgabe der verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften abgewickelt werden. Damit sind die §§ 71b-71e VwVfG zu beachten, was wegen § 71a Abs. 2 VwVfG grundsätzlich auch dann der Fall ist, wenn unmittelbar die zuständigen Behörden in Anspruch genommen werden. Dies trägt dem Grundsatz Rechnung, dass die Nutzung der einheitlichen Stelle – gerade auch der Konzeption der Dienstleistungsrichtlinie zufolge – lediglich als Angebot, nicht aber als Pflicht zu verstehen ist.690 „Zuständig“ in diesem Sinne ist jede Behörde, die an einem Verfahren mitwirkt, das nach gesetzlicher Anordnung über eine einheitliche Stelle abgewickelt werden kann.691 In den §§ 71b-71e VwVfG spiegeln sich die Anforderungen, die die Dienstleistungsrichtlinie formuliert, wider. § 71b VwVfG regelt Fragen des Verfahrens und dient der Umsetzung des Art. 6 Abs. 1 DLRL.692 Es handelt sich damit um die zentrale Vorschrift im Gefüge der §§ 71a ff. VwVfG.693 So hat die einheitliche Stelle stets unverzüglich zu handeln (Absatz 1), wobei Absatz 2 eine Zugangsfiktion bei der zuständigen Behörde drei Tage nach Einreichung sämtlicher Unterlagen usw. bei der einheitlichen Stelle aufstellt. Schon hieraus wird deutlich, dass der Gedanke der Verfahrenseffektuierung, wie er sich durch die gesamte Dienstleistungsrichtlinie zieht, zum Tragen kommt. Der Nutzer der einheitlichen Stelle soll keinesfalls aufgrund der Entscheidung für die Nutzung benachteiligt werden.694 Weiterhin manifestiert § 71b VwVfG eine Pflicht zur Ausstellung fristwahrender Empfangsbekenntnisse durch die zuständige Behörde (Absatz 3), eine Mitteilungspflicht bei Unvollständigkeit der eingereichten Unterlagen (Absatz 4) sowie die Zuständigkeit der einheitlichen Stelle zu Mitteilungen und zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten auf Wunsch des Nutzers (Absätze 5 und 6).
689
BT-Drs. 16/10493 S. 17; Knack/Henneke/Schliesky, § 71a VwVfG Rn. 5. Schulz, NdsVBl 2009, 97 (98); Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 (6). 691 Knack/Henneke/Schliesky, Vor §§ 71a – 71e VwVfG Rn. 11. 692 BR-Drs. 580/08 S. 30; Bader/Ronellenfitsch/Huck, § 71b VwVfG Überbl. 693 Knack/Henneke/Schliesky, § 71b VwVfG Rn. 1; Bader/Ronellenfitsch/Huck, § 71b VwVfG Überbl. 694 s. dazu auch u. unter Kapitel 4 B. II. 1. 690
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung
167
Mit § 71c VwVfG wurde im Wesentlichen den Anforderungen des Art. 7 DLRL Rechnung getragen. Regelungsinhalt sind entsprechende Informationspflichten der einheitlichen Stelle (§ 71c Abs. 1 VwVfG) bzw. der zuständigen Behörden selbst (§ 71c Abs. 2 VwVfG). § 71d VwVfG normiert die gegenseitige Unterstützung der einheitlichen Stellen und der zuständigen Behörden. Ziel ist eine ordnungsgemäße und zügige Verfahrensabwicklung. Die Vorschrift ist im Rahmen der vorliegenden Abhandlung insofern von besonderem Interesse, als dass hier bereits Überlegungen des Gesetzgebers zu einem möglichen verbandsübergreifenden Handeln der einheitlichen Stelle eingeflossen sind.695 Darauf wird an späterer Stelle noch einzugehen sein.696 Art. 8 Abs. 1 DLRL wird schließlich durch § 71e umgesetzt. Demgemäß kann das Verfahren über die einheitliche Stelle auf Wunsch des Nutzers in elektronischer Form abgewickelt werden. Verpflichtete der Vorschrift sind alle am Verfahren beteiligten Behörden, und zwar unabhängig davon, ob die einheitliche Stelle in Anspruch genommen wird oder nicht. § 71e begründet seinem Wortlaut zufolge („auf Verlangen“) einen Anspruch des Antragstellers auf elektronische Verfahrensabwicklung. 2. Umsetzung des Modells eines „Verfahrensmittlers“ In Kapitel 2 wurde kurz aufgezeigt, welchen verfahrensrechtlichen Rollen die Umsetzung des einheitlichen Ansprechpartners nach dem Konzept der Dienstleistungsrichtlinie zugänglich ist. Mit der Umsetzung der §§ 71a ff. VwVfG hat sich der Bundesgesetzgeber letztlich an die Mindestvorgaben der Art. 6 – 8 DLRL gehalten.697 § 71b VwVfG zählt insofern die von Art. 6 Abs. 1 DLRL verlangten Anforderungen an eine „Verfahrensabwicklung“ auf und § 71c DLRL übernimmt die in Art. 7 DLRL vorgeschriebenen Informationspflichten. Dass sich der Gesetzgeber gegen das Modell eines „Verfahrensleiters“ entschieden hat, geht im Wesentlichen aus § 71d VwVfG hervor: Die Normierung hinsichtlich des Mitteilungsersuchens über den Verfahrensstand in § 71d S. 2 VwVfG hätte im Falle des Modells eines „Verfahrensleiters“ eindringlicher formuliert werden müssen; hier hätte beispielsweise das Recht der einheitlichen Stelle, auf eine zügige Verfahrenserledigung seitens der sachlich zuständigen Behörden hinzuwirken, geregelt werden können.698 Tatsächlich verfahrensleitende Kompetenzen kommen der einheitlichen Stelle jedenfalls nicht zu. Insgesamt ist damit das Konzept eines bloßen „Verfahrensmittlers“ umgesetzt worden, dessen Stellung sich als Bote zwischen dem Dienstleister und den 695
BT-Drs. 14/10493 S. 20. Vgl. u. unter Kapitel 5 A. 697 Vgl. dazu die umfassenden Analysen bei Neidert, S. 134 ff., 213 f., Schulz, NdsVBl. 2009, 97 ff., 103 sowie bei Schliesky/Schulz/Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/III, S. 249 (261 ff.). 698 Krit. zur Umsetzung Schliesky/Schulz/Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie/III, S. 249 (274). 696
168
Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
zuständigen Behörden beschreiben lässt. Eine Befugnis zur Entscheidung in der Sache hat die einheitliche Stelle nicht. 3. Simultangesetzgebung der Bundesländer Wie bereits in Kapitel 2 dargestellt, war es der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung zufolge an den Ländern, die einheitlichen Ansprechpartner einzurichten. Simultan zu den Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes haben die Länder daher zunächst ihre Verwaltungsverfahrensgesetze angepasst und ebenfalls Vorschriften über die einheitliche Stelle eingefügt.699 In Brandenburg, Berlin, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt erfolgte die Übernahme automatisch aufgrund deren genereller Verweise auf das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz.
II. Die Verortung der einheitlichen Ansprechpartner als Aufgabe der Bundesländer Die Länder hatten insbesondere die organisationsrechtliche Verortungsentscheidung zu treffen. Die dabei entstandenen, stark divergierenden Lösungen sollen im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden. 1. Überblick a) Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland: Kammerlösungen Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland haben sich jeweils für Lösungen unter Einbeziehung der Wirtschafts- und Berufskammern entschieden. Doch auch hier divergieren die konkreten Modelle: Für ein sog. Allkammermodell700, bei welchem alle Kammern jeweils für ihre Mitglieder zuständig sind, haben sich Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg und Thüringen entschieden. Dabei haben jeweils die Industrie- und Handelskammern (bzw. die Handelskammer Hamburg) eine Auffangzuständigkeit für solche Anfragen, die nicht in den sachlichen Zuständigkeitsbereich einer der anderen (speziellen) Kammern fällt. In Baden-Württemberg und Bayern besteht darüber hinaus die Möglichkeit der optionalen Beteiligung kommunaler Körperschaften (sog. Mischmodell), wovon in beiden Fällen auch Gebrauch gemacht wurde.
699 In der Regel sind das ebenfalls die §§ 71a ff.; eine Ausnahme bildet Schleswig-Holstein, wo der Abschnitt über die einheitliche Stelle sich in den §§ 138a ff. LVwG findet. 700 Zum Begriff vgl. Sicko, LKRZ 2010, 331 (332) m.w.N. in Fn. 22.
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung
169
Mecklenburg-Vorpommern hat sich dagegen für ein sog. Wirtschaftskammermodell entschieden. Dabei sind nur die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern einheitliche Ansprechpartner, und zwar für alle Dienstleister. Einen wiederum anderen Weg ist das Saarland gegangen. Hier wurde der „Einheitliche Ansprechpartner Saar“ errichtet, der von den Wirtschafts- und Berufskammern gemeinsam getragen wird. Dies stellt ein sog. Kammergemeinschaftsmodell dar (Kooperation in öffentlich-öffentlicher Partnerschaft).701 Hinzu kommt, dass auch juristische Personen des Privatrechts unter bestimmten Umständen zu weiteren Trägern bestimmt werden können; zu diesem Zweck wäre eine Beleihung erforderlich. b) Berlin, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt: Lösungen auf Landesebene Für eine Verortung auf Landesebene haben sich die Länder Berlin, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt entschieden. Die Aufgaben der einheitlichen Ansprechpartner wurden hierbei Einrichtungen der unmittelbaren Landesverwaltung zugeordnet. Demgemäß werden die Senatsverwaltung für Wirtschaft in Berlin, das Wirtschaftsministerium in Brandenburg, die Regierungspräsidien in Hessen, die Struktur- und Genehmigungsdirektionen Nord/Süd in RheinlandPfalz, die Landesdirektion (Leipzig) in Sachsen sowie das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt als einheitliche Ansprechpartner tätig. c) Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen: Kommunales Modell Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben sich für die Errichtung der einheitlichen Ansprechpartner bei den Kommunen entschieden. So nehmen in Niedersachsen die Landkreise, die kreisfreien Städte und die großen selbstständigen Städte, in Nordrhein-Westfalen die Kreise und kreisfreien Städte die entsprechenden Aufgaben wahr. Von dem rein kommunalen Modell in Nordrhein-Westfalen unterscheidet sich das Kooperationsmodell in Niedersachsen dergestalt, dass dort zusätzlich zu den benannten Gemeinden auch noch das Wirtschaftsministerium als einheitlicher Ansprechpartner tätig wird. Damit besteht ein Zusammenwirken auf kommunaler und Landesebene. d) Bremen: Beleihung Privater Bremen hat sich für die Übertragung der Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners auf eine juristische Person des Privatrechts, namentlich die WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH, entschieden. Dies erfolgte durch Beleihung, wodurch die GmbH die entsprechenden Aufgaben im eigenen Namen und in den 701 Sicko, LKRZ 2010, 331 (332); zur möglichen Konstruktion eines Kammergemeinschaftsmodells allgemein Eisenmenger, NVwZ 2008, 1191 (1192 ff.).
170
Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Handlungsformen des öffentlichen Rechts wahrzunehmen befugt ist und der Rechtsund Fachaufsicht des Senators für Wirtschaft und Häfen untersteht. e) Schleswig-Holstein: Kooperationsmodell In Schleswig-Holstein ist der Einheitliche Ansprechpartner als eigens gegründete Anstalt des öffentlichen Rechts ausgestaltet. Getragen wird diese kooperativ vom Land selbst, den Gemeinden und Kreisen sowie allen Wirtschaftskammern. 2. Die einzelnen Modelle im Fokus Eine weitere Annäherung an die einzelnen Modelle soll Klarheit darüber verschaffen, welche rechtlichen Verflechtungen im Einzelnen bestehen, d. h. was genau sich hinter den jeweiligen Verortungslösungen verbirgt und welche Zuständigkeitsregelungen getroffen worden sind. Aufschluss können dabei insbesondere die EA-Gesetze der Bundesländer geben. a) Kammermodelle aa) Baden-Württemberg Rechtsgrundlage für die Errichtung der einheitlichen Ansprechpartner in BadenWürttemberg ist das „EAG BW“ vom 01. 12. 2009702. Im Kern wurde ein sog. Allkammermodell (§ 2 Abs. 1 S. 1 EAG BW) verwirklicht, bei dem die Wirtschafts- und Berufskammern für die ihnen jeweils zugeordneten Berufe sachlich zuständig sind. Zuständig sind daher die IHKs, die Handwerks-, die Rechtsanwalts-, die Steuerberaterkammern sowie die Landestierärztekammer Baden-Württemberg, die Architektenkammer Baden-Württemberg und die Ingenieurkammer Baden-Württemberg. Die IHKs haben dabei eine Auffangzuständigkeit für Sachverhalte, die den anderen Kammern nicht zugeschrieben sind (§ 2 Abs. 1 S. 3 EAG BW). Nach § 2 Abs. 2 EAG BW wurde die Möglichkeit eröffnet, dass sich die Landkreise sowie die Stadtkreise als einheitliche Ansprechpartner beim Wirtschaftsministerium melden.703 In zahlreichen Fällen ist dies auch erfolgt, weshalb letztlich von einem Mischmodell mit Beteiligung der kommunalen Ebene und der Wirtschafts- und Berufskammern gesprochen werden kann.
702 „Gesetz über Einheitliche Ansprechpartner für das Land Baden-Württemberg“, GBl. 2009 S. 679; s. auch BWLT-Drs. 14/5345. 703 Das Wirtschaftsministerium hat die entsprechenden Gemeinden sodann im Gesetzblatt bekanntzugeben; so geschehen qua Bekanntmachung v. 15. 12. 2009 (GBl. 2009 S. 798) und v. 18. 01. 2010 (GBl. S. 33).
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung
171
Als Folge dieser Verortungslösung bestehen in Baden-Württemberg derzeit 69 Stellen.704 Diesen kommen unterschiedliche sachliche und örtliche Zuständigkeiten zu. Die Wirtschafts- und Berufskammern werden gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 EAG BW im Rahmen ihrer ohnehin bestehenden sachlichen und örtlichen Zuständigkeit tätig, die Landkreise und Stadtkreise nach ihrer örtlichen Zuständigkeit. Unter Umständen ergeben sich auch parallele Zuständigkeiten, und zwar immer dann, wenn sowohl eine Gemeinde als auch eine der Fachkammern zuständig ist. In diesem Fall kann der Dienstleister wählen, § 2 Abs. 4 S. 1 EAG BW. Auf dem bereitgestellten Internetportal705 sind alle einheitlichen Ansprechpartner aufgeführt. bb) Bayern In Bayern regelt das „Bayerische EA-Gesetz (BayEAG)“ vom 22. 12. 2009706 die Rechtsverhältnisse um den einheitlichen Ansprechpartner. Das Gesetz wurde zunächst für einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren erlassen, der als „Erprobungsphase“ für eine im Anschluss geplante Evaluierung der Funktionalität des Gesetzes dienen sollte.707 Mitte 2012 wurde das Gesetz daraufhin in einigen Punkten geändert.708 Die wesentliche Neuerung besteht dabei darin, dass Bayern die Beschränkung auf Sachverhalte mit Auslandsbezug aufgehoben hat und die einheitlichen Ansprechpartner nun auch von Inländern mit reinen Inlandssachverhalten genutzt werden können (Art. 1 S. 2 BayEAG).709 Auch Bayern hat sich für ein Allkammermodell entschieden. Zuständig sind danach für die ihnen jeweils zugeordneten Berufe die IHKs, die Handwerkskammern, die Rechtsanwaltskammern, die Steuerberaterkammern, die Bayerische Architektenkammer, die Bayerische Ingenieurkammer-Bau sowie die Bayerische Landestierärztekammer; die Auffangzuständigkeit liegt auch hier bei den IHKs (Art. 2 Abs. 1 S. 1, 2 BayEAG). Darüber hinaus konnten sich optional Landkreise und kreisfreie Gemeinden als einheitliche Ansprechpartner melden und vom zuständigen Staatsministerium per Verordnung als solche ernannt werden. Dies ist in
704
Die Zahl setzt sich zusammen aus 39 kommunalen Körperschaften (vgl. die Bekanntmachungen des Wirtschaftministeriums Fn. 703) sowie 30 Kammern (12 IHKs, 8 Handwerkskammern, 4 Rechtsanwaltskammern, 3 Steuerberaterkammern sowie die benannten separaten Kammern). 705 http://www.ea.service-bw.de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 706 „Gesetz über die Zuständigkeit für die Aufgaben des Einheitlichen Ansprechpartners im Freistaat Bayern“ (GVBl. 2009 S. 626); vgl. dazu Jahn, GewArch 2010, 150 (151 ff.). 707 BayLT-Drs. 16/2627 S. 7. 708 „Gesetz zur Änderung des Bayerischen EA-Gesetzes“ v. 09. 05. 2012, GVBl. 2012 S. 154; s. auch BayLT-Drs. 16/11355. 709 s. dazu BayLT-Drs. 16/11355 S. 4.
172
Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
mehrfacher Hinsicht geschehen (§ 6 AVBayEAG)710, sodass in Bayern – ebenso wie in Baden-Württemberg – ein Mischmodell entstanden ist. Insgesamt existieren in Bayern derzeit 35 einheitliche Ansprechpartner;711 es besteht gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 4 BayEAG i.V.m. § 6 Abs. 4 AVBayEAG jedoch die Möglichkeit, dass noch weitere Landkreise und kreisfreie Gemeinden die Tätigkeit des einheitlichen Ansprechpartners ausüben; dies kann entsprechend erklärt werden. Die Zuständigkeiten bestehen zum einen sachlich danach, welcher Kammer der entsprechende Beruf zugeordnet ist und zum anderen örtlich, d. h. in welchem Bezirk die Dienstleistung angeboten werden soll. Bei Überschneidungen besteht auch in Bayern ein Wahlrecht für den Dienstleister (Art. 2 Abs. 3 S. 1 BayEAG). Zum Auffinden des „richtigen“ einheitlichen Ansprechpartners kann das Internetportal712 genutzt werden. cc) Hamburg In Hamburg wurde der einheitliche Ansprechpartner ebenfalls im Rahmen eines Allkammermodells errichtet. Die entsprechenden Rechtsverhältnisse sind im „HmbEAG“ vom 15.12. 2009713 geregelt. Danach sind der Hamburgischen Architektenkammer, der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau, der Handwerkskammer Hamburg, der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, der Steuerberaterkammer Hamburg sowie der Handelskammer Hamburg die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners übertragen worden, wobei Letztere gemäß § 2 S. 1 HmbEAG die Auffangzuständigkeit inne hat. Hamburg verfügt damit über sechs „Einheitliche Ansprechpartner Hamburg“.714 Nach § 8 Abs. 1 HmbEAG handeln diese jedoch gemeinsam durch zwei Geschäftsstellen. Dem Dienstleister stehen damit faktisch nur zwei Stellen gegenüber, von denen er jede gleichermaßen in Anspruch nehmen kann. Intern werden sodann die jeweiligen Fachkammern hinzugezogen; eine separate Inanspruchnahme der jeweiligen Kammern ist ausgeschlossen.715 Einzelheiten dieser Art der Kooperation zwischen den beteiligten Kammern, beispielsweise wie genau der Informationsaustausch zwischen der in Anspruch genommenen Geschäftsstelle und der im 710 „Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Zuständigkeit für die Aufgaben des Einheitlichen Ansprechpartners im Freistaat Bayern“ v. 28. 04. 2010 (GVBl. 2010 S. 224), zuletzt geändert durch die „Verordnung zur Änderung der Ausführungsverordnung Einheitlicher Ansprechpartner“ v. 02. 07. 2012 (GVBl. 2012 S. 357). 711 23 Kammern (9 IHKs, 6 Handwerks-, 3 Rechtsanwalts-, 2 Steuerberater- und die 3 benannten sonstigen Kammern) sowie 12 kommunale Körperschaften. 712 http://www.eap.bayern.de/, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 713 „Hamburgisches Gesetz über die Durchführung der Aufgaben des Einheitlichen Ansprechpartners“; das Gesetz wurde als Artikel 1 des „Hamburgischen Gesetzes zur Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie und über weitere Rechtsanpassungen“ verkündet, HmbGVBl. 2009 S. 444; s. auch HmbBürgerschaft-Drs. 19/4484. 714 HmbBürgerschaft-Drs. 19/4484 S. 18. 715 Vgl. HmbBürgerschaft-Drs. 19/4484 S. 20.
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung
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Einzelfall zuständigen Kammer erfolgt, sind qua öffentlich-rechtlichen Vertrag geregelt worden (vgl. dazu § 8 Abs. 2 HmbEAG). Aufgrund dieser besonderen Ausgestaltung durch eine Kooperation der verschiedenen Kammern, die nach außen durch Geschäftsstellen handeln, kann von einem Kammergemeinschaftsmodell716 gesprochen werden. Eingerichtet wurden die Geschäftsstellen zum einen bei der Handelskammer und zum anderen bei der Handwerkskammer Hamburg. Online ist der einheitliche Ansprechpartner Hamburg über das Internetportal des Landes verfügbar.717 dd) Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburg-Vorpommern hat die Errichtung der einheitlichen Ansprechpartner im „Einheitlicher-Ansprechpartner-Errichtungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (EAPG M-V)“ vom 17. 12. 2009718 geregelt. Umgesetzt wurde dabei gemäß § 1 Abs. 1 EAPG M-V ein sog. Wirtschaftskammermodell719, bei welchem lediglich die IHKs sowie die Handwerkskammern entsprechend ihren örtlichen und sachlichen Zuständigkeiten tätig werden und den IHKs darüber hinaus die Auffangzuständigkeit für jegliche Berufe zukommt, die den beiden Kammern nicht zugeordnet werden können (§§ 1 Abs. 1 S. 3 aE, 2 Abs. 1 S. 2 EAPG M-V). Konkret ist somit die Handwerkskammer Schwerin für den süd-westlichen Teil Mecklenburg-Vorpommerns zuständig, die Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern für den nord-östlichen Teil, die IHK zu Schwerin für den süd-westlichen Teil, die IHK zu Rostock für den nördlichen Teil und die IHK Neubrandenburg für das östliche Mecklenburg-Vorpommern. Es ergeben sich damit fünf Stellen. Die nähere Ausgestaltung des Innenverhältnisses oblag den beteiligten Kammern selbst in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (§ 3 EAPG M-V). Im Außenverhältnis bilden die Wirtschaftskammern als EA-Träger eine gemeinsame Koordinierungsstelle, § 1 Abs. 2 EAPG M-V. Diese tritt dem Dienstleister gegenüber, hat jedoch nur einen beschränkten Aufgabenbereich. Insbesondere unterstützt die gemeinsame Koordinierungsstelle den Dienstleister beim Auffinden des richtigen einheitlichen Ansprechpartners und ist (optional) zentrale Eingangsstelle für sämtliche Anfragen an die einheitlichen Ansprechpartner.720 Insofern handelt es sich um eine Art „Front Office“ zu den eigentlichen einheitlichen Ansprechpartnern Mecklenburg-Vorpommerns selbst. Die Koordinierungsstelle stellt dagegen keine Geschäftsstelle, wie 716 Vgl. allgemein Eisenmenger, NVwZ 2008, 1191 (1192 ff.) zu einer möglichen Ausgestaltung eines Kammergemeinschaftsmodells. 717 http://www.hamburg.de/einheitlicher-ansprechpartner, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 718 „Gesetz zur Errichtung von Stellen mit der Bezeichnung ,Einheitlicher Ansprechpartner‘ und zur Übertragung von Aufgaben auf die Wirtschaftskammern“, GVOBl. M-V 2009 S. 729. Es handelt sich um Artikel 1 des „Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt in Mecklenburg-Vorpommern“ v. 17. 12. 2009 (GVOBl. M-V 2009 S. 729); s. dazu MVLT-Drs. 5/2779. 719 Zum Begriff vgl. Sicko, LKRZ 2010, 331 (332) m.w.N. in Fn. 21. 720 Vgl. § 1 Abs. 2 EAPG M-V; s. auch MVLT-Drs. 5/2779 S. 37.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
etwa bei dem Modell in Hamburg, dar. Daher ist der Dienstleister auch nicht davon befreit, den für ihn im Einzelfall örtlich und sachlich zuständigen einheitlichen Ansprechpartner zu kontaktieren. Dies ist beispielsweise mithilfe der Internetpräsenz721 der einheitlichen Ansprechpartner Mecklenburg-Vorpommerns möglich.722 ee) Saarland Auf Grundlage des „EA-Gesetzes Saarland“ vom 10. 02. 2012723 wurde der Einheitliche Ansprechpartner Saar (EA Saar) errichtet (vgl. dazu § 1 Abs. 1 S. 1 EAGesetz Saarland).724 Getragen wird dieser nach § 2 Abs. 1 EA-Gesetz Saarland gemeinsam von der IHK des Saarlandes, der Handwerkskammer des Saarlandes, der Ingenieurkammer des Saarlandes, der Architektenkammer des Saarlandes, der Steuerberaterkammer Saarland, der Rechtsanwaltkammer des Saarlandes und der Tierärztekammer des Saarlandes. Gemäß § 2 Abs. 2 EA-Gesetz Saarland besteht zudem die Möglichkeit, zusätzlich einer juristischen Person des Privatrechts durch Beleihung die (Mit-) Trägerschaft für den einheitlichen Ansprechpartner zu übertragen. Der EA-Saar handelt gemäß § 4 Abs. 2 EA-Gesetz Saarland durch eine gemeinsame Geschäftsstelle der EA-Träger, wobei die Einzelheiten der Zusammenarbeit einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen den Beteiligten (§ 4 Abs. 3 EAGesetz Saarland) überlassen worden sind.725 Parallel zur Ausgestaltung in Hamburg kann auch im Saarland von einem Kammergemeinschaftsmodell gesprochen werden.726 Die Geschäftstelle wurde mit zwei Standorten – bei der IHK Saarland und bei der Handwerkskammer Saarland – eingerichtet. Der Dienstleister hat damit die Möglichkeit, sich für alle Anliegen an dieselbe Stelle zu wenden, da ihm gegenüber faktisch die betreffende Geschäftsstelle als einheitlicher Ansprechpartner auftritt. 721 http://www.service.m-v.de/cms/DLP_prod/DLP/ea/index.jsp, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 722 Konkret: http://www.service.m-v.de/cms/DLP_prod/DLP/ea/de/wfs/index.jsp, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 723 „Gesetz Nr. 1705 über den Einheitlichen Ansprechpartner für das Saarland“ (ABl. I 2010 S. 23), zuletzt geändert durch „Gesetz Nr. 1790 zur Änderung des Gesetzes über den Einheitlichen Ansprechpartner für das Saarland (EA-Gesetz Saarland)“ v. 11. 12. 2012 (ABl. I 2012 S. 1553); s. zudem SaarLT-Drs. 14/9. 724 Zur Gesetzgebungshistorie ist zu beachten, dass zunächst per Rechtsverordnung das damalige Ministerium für Wirtschaft und Wissenschaft als einheitlicher Ansprechpartner bestimmt wurde („Verordnung über die Bestimmung der Zuständigkeit als Einheitlicher Ansprechpartner nach der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt [Saarländische Einheitlicher Ansprechpartner-Verordnung]“ v. 19. 01. 2010, die rückwirkend zum 28. 12. 2009 in Kraft getreten war). Am 12. 03. 2010 wurde die Verordnung durch Inkrafttreten des EA-Gesetzes Saarland „abgelöst“. 725 Dies entspricht der Ausgestaltung in Hamburg. Vgl. zudem Sicko, LKRZ 2010, 331 (332). 726 s. dazu Sicko, LKRZ 2010, 331 (332).
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung
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Eine Kontaktaufnahme kann u. a. elektronisch über das eingerichtete Internetportal erfolgen.727 ff) Thüringen Rechtsgrundlage für die Errichtung der einheitlichen Ansprechpartner in Thüringen ist insbesondere das „Thüringer ES-Errichtungsgesetz (ThürESEG)“ vom 08. 07. 2009728. Die einheitlichen Ansprechpartner – welche entsprechend dem Grundtypus der Verwaltungsverfahrensgesetze in Thüringen landesrechtlich allerdings als „einheitliche Stellen“ bezeichnet sind – sind danach bei den Wirtschaftsund Berufskammern angesiedelt. Es handelt sich um ein Allkammermodell (§ 1 Abs. 1 ThürESEG), da die jeweiligen Kammern für die ihnen zugeordneten Berufe zuständig sind; im Einzelnen sind das die Architektenkammer, die Ingenieurkammer, die Rechtsanwaltskammer, die Steuerberaterkammer und die Landestierärztekammer für die freien Berufe sowie daneben die Handwerkskammern (vgl. § 1 Abs. 1 – 5, 7 ThürES-ZustVO729). Die Auffangzuständigkeit der IHKs ergibt sich aus § 1 Abs. 8 ThürES-ZustVO. Für die nicht verkammerten freien Berufe wurde der Landesverband der Freien Berufe Thüringen e.V. auf der Grundlage von § 1 Abs. 2 ThürESEG mittels Beleihung eingesetzt.730 Es ergeben sich damit insgesamt zwölf einheitliche Stellen. Da diese allerdings ausschließlich durch ihre sechs Geschäftsstellen handeln (vgl. § 2 Abs. 2 S. 1 ThürESEG), stehen dem Dienstleister faktisch sechs „einheitliche Ansprechpartner“ gegenüber. Durch die Geschäftsstellen soll den Nutzern zwar die Aufgabe abgenommen werden, den für sie zuständigen Ansprechpartner ausfindig zu machen.731 Allerdings ist stets nur jeweils eine der Geschäftstellen zuständig. Dies richtet sich zum einen danach, ob es sich um einen freien Beruf, einen der Handwerkskammer oder einen der IHK zugeordneten Beruf handelt. Es ist dann sachlich entweder die IHK (für freie Berufe und solche, die den IHKs unterliegen) oder die Handwerkskammer (Berufe, die den Handwerkskammern unterstehen) zuständig. Zum anderen wird örtlich zwischen den Bereichen Ostthüringen, Südthüringen und Erfurt unterschieden.732 Insofern unterscheidet sich das Modell in Thüringen auch von den 727
2014. 728
http://www.saarland.de/einheitlicher_ansprechpartner.htm, zuletzt aufgerufen am 08. 02.
„Gesetz über die Errichtung einheitlicher Stellen nach dem Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz und zur Umsetzung des Artikels 6 der Richtlinie 2006/123/EG“ als Artikel 10 des „Thüringer Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt“, GVBl. 2009 S. 592; dazu ThürLT-Drs. 4/4962. 729 „Thüringer Verordnung zur Bestimmung der Zuständigkeit der einheitlichen Stellen“ v. 07. 12. 2009 (GVBl. 2009 S. 803); Verordnung basierend auf § 10 ThürESEG. 730 Dessen genaue Zuständigkeit ergibt sich aus § 1 Abs. 6 ThürES-ZustVO. 731 ThürLT-Drs. 4/4962 S. 54. 732 Vgl. dazu die Internatpräsenz der einheitlichen Stelle Thüringen: http://www.einheitli che-stelle.thueringen.de/ea/einheitlicher_ansprechpartner/ea_geschaeftsstellen/, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Modellen in Hamburg und dem Saarland, bei welchem es dem Dienstleister frei steht, an welche der Geschäftstellen er sich wendet. Nichtsdestotrotz handelt es sich aber auch hier um eine Art Kammergemeinschaftsmodell.733 Um die entsprechenden Zuständigkeiten zu klären, kann der Dienstleister das Internetportal734 der einheitlichen Stelle Thüringen nutzen und etwa das dort bereit gestellte Kontaktformular ausfüllen. Auch ist eine gänzliche elektronische Abwicklungsmöglichkeit vorgesehen. Wer jedoch den direkten physischen Kontakt sucht, was bei entsprechenden Vorhaben nicht ungewöhnlich sein dürfte, muss sich wohl zur im Einzelfall zuständigen Geschäftsstelle begeben. b) Landesmodelle aa) Berlin Das Land Berlin hat die Rechtsgrundlagen um den einheitlichen Ansprechpartner im „EAG Bln“ vom 18. 11. 2009735 geregelt. Nach dessen § 1 Abs. 1 wurde ein einziger einheitlicher Ansprechpartner bei der für Wirtschaft zuständigen Senatsverwaltung eingerichtet. Damit hat sich Berlin für eine Verortung auf Landesebene entschieden, was bedeutet, dass der einheitliche Ansprechpartner in die unmittelbare Landesverwaltung eingebunden ist. Nach § 1 Abs. 2 EAG Bln ist eine Kooperation des einheitlichen Ansprechpartners mit Partnern aus der Wirtschaft möglich;736 bisher engagieren sich dabei insbesondere die IHK Berlin, die Handwerkskammer Berlin sowie der DGB (Bezirk Berlin-Brandenburg).737 Zu betonen ist, dass es sich dabei lediglich um Kooperationen handelt, die auf separaten Vereinbarungen beruhen (vgl. § 1 Abs. 2 S. 2 EAG Bln). Die Partner sind dagegen keine EA-Träger; der einzige einheitliche Ansprechpartner ist bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft eingerichtet, wodurch allein das Land Berlin EA-Träger ist. Die Kontaktierung ist u. a. über das Internetportal738 des einheitlichen Ansprechpartners Berlin möglich.
733
s. dazu o. unter Kapitel 4 A. II. 2. a) cc) sowie Kapitel 4 A. II. 2. a) ee) m. den dort. Nachw. 734 Vgl. Fn. 732. 735 „Gesetz über den Einheitlichen Ansprechpartner für das Land Berlin“ (GVBl. 2009 S. 674), verkündet als Artikel 1 des „Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt“ v. 18. 11. 2009 (GVBl. 2009 S. 674); s. dazu BlnAbgeordnetenhaus-Drs. 16/2586. 736 Dazu BlnAbgeordnetenhaus-Drs. 16/2586 S. 24. 737 Dies ist ersichtlich auf dem Internetportal des einheitlichen Ansprechpartners Berlin, http://www.ea.berlin.de/web/guest/kooperationspartner, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 738 http://www.ea.berlin.de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014.
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung
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bb) Brandenburg Hinsichtlich der gesetzlichen Grundlage für die Verortung des einheitlichen Ansprechpartners ist Brandenburg einen gesonderten Weg gegangen: Im „Gesetz über den Einheitlichen Ansprechpartner für das Land Brandenburg“ vom 07. 07. 2009739 werden lediglich die Aufgaben, die Zusammenarbeit zwischen dem einheitlichen Ansprechpartner und den zuständigen Behörden und weitere Fragen, die sich unmittelbar aus der Existenz der neuen Stelle ergeben, geregelt. Die Verortungsentscheidung trifft hingegen ein auf § 13 Abs. 2 S. 1 BbgLOG basierender Erlass des Ministers für Wirtschaft vom 06. 10. 2009740. Demnach handelt es sich beim einheitlichen Ansprechpartner Brandenburg um eine Einrichtung des Landes, § 13 Abs. 1 BbgLOG, d. h. um einen rechtlich unselbstständigen, organisatorisch abgesonderten Teil der Landesverwaltung. Einziger EA-Träger ist damit das Land Brandenburg. Seinen Sitz hat der einheitliche Ansprechpartner demgemäß in Potsdam. Über das Internetportal741 ist sowohl die Kontaktierung als auch die elektronische Verfahrensabwicklung möglich. cc) Hessen Auch Hessen hat den einheitlichen Ansprechpartner auf Landesebene verortet. Rechtsgrundlage bildet hier das „EAH-Gesetz“ vom 15. 12. 2009742, nach dessen § 1 Abs. 1 S. 1 das Regierungspräsidium als „Einheitlicher Ansprechpartner Hessen (EAH)“ tätig wird. Erfasst werden damit alle drei hessischen Regierungspräsidien in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich.743 Daher stehen dem Dienstleister das Regierungspräsidium Kassel, das Regierungspräsidium Gießen oder das Regierungspräsidium Darmstadt zur Verfügung. Deren örtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 3 HVwVfG i.V.m. Art. 2 des Gesetzes zur Neuorganisation der Regierungsbezirke und der Landesplanung744. EA-Träger ist ausschließlich das Land. Mit der Verortung im Mittelbehördenbau und der daraus resultierenden Verteilung auf drei Stellen ist die Lösung in Hessen – im Gegensatz etwa zu den Landeslösungen in 739
GVBl. I/2009 S. 262; s. auch BbgLT-Drs. 4/7370. „Erlass des Ministers für Wirtschaft zur Errichtung der Einrichtung ,Einheitlicher Ansprechpartner für das Land Brandenburg‘“, ABl. 2009 S. 2053 f. 741 http://www.eap.brandenburg.de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 742 „Gesetz über den Einheitlichen Ansprechpartner Hessen“ (GVBl. I 2009 S. 717), verkündet als Artikel 1 des „Hessischen Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt und zur Änderung von Rechtsvorschriften“ (GVBl. I 2009 S. 716); s. dazu HLTDrs. 18/1050. 743 HLT-Drs. 18/1050 S. 21; s. zur Verortung in Hessen auch Risch, LKRZ 2010, 1 (3); Sicko, LKRZ 2010, 331. 744 Gesetz v. 15. 10. 1980 (GVBl. I 1980 S. 377). Das Gesetz bestimmt u. a. die Einteilung Hessens in die drei Regierungspräsidien und regelt in seinem Art. 2, welche Landkreise und kreisfreien Städte das jeweilige Regierungspräsidium umfasst und wo es seinen Dienstsitz hat. 740
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Berlin und Brandenburg – etwas dezentralisierter. § 8 S. 3 EAHG bestimmt das Außerkrafttreten des Gesetzes mit Ablauf des 31. 12. 2014. Laut der Gesetzbegründung soll dann nicht nur eine Evaluation des bisherigen Nutzens des Gesetzes erfolgen, sondern es soll konkret geprüft werden, ob nicht eine Kooperation zwischen Land, Kammern und Gemeinden zu bevorzugen sein wird.745 Über das Internetportal746 des EAH sind die Kontaktdaten der Regierungspräsidien einsehbar; es besteht zudem die Möglichkeit der elektronischen Verfahrensabwicklung. dd) Rheinland-Pfalz Rheinland-Pfalz hat mit dem „Landesgesetz über die einheitlichen Ansprechpartner in Verwaltungsangelegenheiten“747 vom 27. 10. 2009748 die rechtlichen Grundlagen um den einheitlichen Ansprechpartner gelegt. Auch hier wurde ein Landesmodell umgesetzt, § 2 Abs. 1 S. 1 RhPfEAPG. Danach wurde je ein einheitlicher Ansprechpartner bei der Genehmigungsdirektion Nord in Koblenz und bei der Genehmigungsdirektion Süd in Neustadt/Weinstraße eingerichtet.749 Wie auch in Hessen ist somit eine Verortung im Mittelbehördenbau erfolgt. Die örtliche Zuständigkeit der Genehmigungsdirektionen ergibt sich aus §§ 7 Abs. 2, 8 Abs. 2 S. 2 des rheinland-pfälzischen VwORG750. Da der Dienstleister sich entsprechend dieser Einteilung an die im Einzelfall zuständige Direktion zu wenden hat, kann das Internetportal751 des einheitlichen Ansprechpartners Rheinland-Pfalz zum Auffinden genutzt werden. Weitere Zuständigkeitsregelungen enthält § 2 Abs. 2 – 5 RhPfEAPG. Geht es danach beispielsweise um bloße Informationsbeschaffung, ist der einheitliche Ansprechpartner zuständig, an den der Dienstleister sich wendet. Nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 kann sogar ein persönliches Erscheinen des Dienstleisters beim Ansprechpartner dessen Zuständigkeit im Rahmen des Erstkontakts begründen.752 Eine einmal begründete Zuständigkeit bleibt darüber hinaus für alle weiteren Verwaltungsverfahren bestehen, § 2 Abs. 3 S. 2 RhPfEAPG. Diese Bestimmungen führen in der Gänze letztlich dazu, dass sich der Dienstleister seinen einheitlichen Ansprechpartner aussuchen kann.
745
HLT-Drs. 18/1050 S. 24. http://www.ea.hessen.de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 747 Im Folgenden RhPfEAPG. 748 Verkündet als Artikel 1 des „Ersten Landesgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2006/ 123/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt“ v. 27. 10. 2009, GVBl. 2009 S. 355; s. dazu RhPfLT-Drs. 15/3693. 749 Dazu auch Sicko, LKRZ 2010, 331, 332. 750 Verwaltungsorganisationsreformgesetz v. 12. 10. 1999 (GVBl. 1999 S. 325). Das Gesetz regelt an benannter Stelle, für welche Landkreise und kreisfreien Städte die Genehmigungsdirektionen jeweils zuständig sind. 751 http://www.eap.rlp.de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 752 Dazu RhPfLT-Drs. 15/3693 S. 15. 746
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung
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ee) Sachsen Rechtsgrundlage für den einheitlichen Ansprechpartner in Sachsen ist zuvörderst das Sächs-EAG vom. 13. 08. 2009753. Dessen § 1 S. 1 bestimmt, dass die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners allein durch die Landesdirektion Leipzig wahrgenommen werden. Dem Dienstleister steht damit nur eine einzige Stelle gegenüber. Aufgrund der Verortung im Rahmen der unmittelbaren Staatsverwaltung ist auch in Sachsen das Land EA-Träger. Die Leistungen des einheitlichen Ansprechpartners Sachsen sind u. a. über das eingerichtete Internetportal754 einsehbar und nutzbar. ff) Sachsen-Anhalt Auch Sachsen-Anhalt hat den einheitlichen Ansprechpartner auf Landesebene verortet. Rechtgrundlage ist dabei das „Einheitlicher-Ansprechpartner-Gesetz“ (EAG LSA) vom 16. 12. 2009755. Dessen § 2 Abs. 1 bestimmt das Landesverwaltungsamt (Dessau-Roßlau) zum einheitlichen Ansprechpartner. Aufgrund dieser Entscheidung für eine zentrale Lösung steht dem Dienstleister auch nur ein einheitlicher Ansprechpartner gegenüber. Das Internetportal756 des einheitlichen Ansprechpartners Sachsen-Anhalt ermöglicht dessen Kontaktierung sowohl elektronisch als auch durch Bereitstellen der Anschrift zur physisch-realen Kontaktaufnahme. c) Kommunalmodelle aa) Niedersachsen Niedersachsen hat sich für eine Verortung der einheitlichen Ansprechpartner auf Ebene der Gemeinden und Kreise entschieden. Einschlägige Rechtsgrundlage ist das „NEAG“ vom 16. 12. 2009757. Nach dessen § 1 Abs. 1 sind die Landkreise, die kreisfreien Städte sowie die großen kreisfreien selbstständigen Städte als einheitliche Ansprechpartner zuständig. Daneben wird das Ministerium für Wirtschaft als einheitlicher Ansprechpartner tätig. Insofern kann von einem „kommunalen Modell mit Landeseinschlag“758 gesprochen werden. Praktisch entspricht dies 55 kommunalen 753 „Gesetz über den einheitlichen Ansprechpartner im Freistaat Sachsen“ (SächsGVBl. 2009 S. 446); s. dazu SächsLT-Drs. 4/14874. 754 http://www.ea.sachsen.de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 755 „Gesetz über den einheitlichen Ansprechpartner, zur Regelung der europäischen Verwaltungszusammenarbeit sowie zur verwaltungskostenrechtlichen Umsetzung der europäischen Dienstleistungsrichtlinie in Sachsen-Anhalt“ (GVBl. LSA 2009 S. 700), verkündet als Artikel 1 des „Gesetzes zur Umsetzung der europäischen Dienstleistungsrichtlinie in SachsenAnhalt“, GVBl. LSA 2009 S. 700; s. dazu LSALT-Drs. 5/2158. 756 http://www.ea.sachsen-anhalt.de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 757 „Niedersächsisches Gesetz über Einheitliche Ansprechpartner“, Nds.GVBl. 2009 S. 481; s. dazu NdsLT-Drs. 16/1740. 758 So Marxen „Kommunales“ Modell Niedersachsens, S. 5.
180
Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
EA-Trägern.759 Eine entsprechende Verringerung der Anzahl an einheitlichen Ansprechpartnern hätte sich dadurch ergeben können, dass einige der Gemeinden und Kreise sich auf freiwilliger Basis zusammengeschlossen und eine kommunale Zusammenarbeit im Sinne des NKomZG vereinbart hätten. Wider Erwarten760 ist dies aber bisher nur in einem einzigen Fall761 geschehen, sodass es sich nach wie vor um eine Anzahl von 54 einheitlichen Ansprechpartnern handelt. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 NEAG steht dem Dienstleister ein Wahlrecht dahingehend zu, ob er das Wirtschaftsministerium oder die örtlich zuständige kommunale Körperschaft als einheitlichen Ansprechpartner in Anspruch nimmt. Insofern besteht zumindest die Möglichkeit, einen zentralen einheitlichen Ansprechpartner für unterschiedliche Vorhaben zu nutzen.762 Zum Auffinden des im Einzelfall zuständigen einheitlichen Ansprechpartners kann die Suchfunktion auf dem Internetportal „Dienstleistungsportal Niedersachsen“763 verwandt werden. bb) Nordrhein-Westfalen Die Rechtsverhältnisse um die einheitlichen Ansprechpartner hat NordrheinWestfalen im „EA-Gesetz NRW“ vom 08. 12. 2009764 geregelt. Danach besteht auch hier ein rein kommunales Modell, bei welchem die Kreise und die kreisfreien Städte als EA-Träger fungieren, § 1 Abs. 2 EA-Gesetz NRW.765 Im Gegensatz zu Niedersachsen hat das Land Nordrhein-Westfalen die Kooperationspflicht im Grundsatz bereits im EA-Gesetz NRW geregelt, § 1 Abs. 3 S. 2. Zwar formuliert das Gesetz hier lediglich eine Soll-Vorschrift. Jedoch besteht die Zielvorgabe von 18 einheitlichen Ansprechpartnern.766 Bei einer krassen Überschreitung dieser Anzahl bestünde daher ein gesetzeswidriger Zustand, insbesondere, wenn bedacht wird, dass NordrheinWestfalen realiter über 54 Kreise und kreisfreie Städte (also 54 EA-Träger) verfügt. Entsprechende Kooperationen sind in Folge dessen auch in mehrfacher Hinsicht 759 Die Zahl setzt sich zusammen aus 38 Landkreisen und 17 kreisfreien sowie großen selbstständigen Städten (vgl. Marxen „Kommunales“ Modell Niedersachsens, S. 6). 760 NdsLT-Drs. 16/1740 S. 8. 761 Namentlich zwischen der Stadt und dem Landkreis Osnabrück. 762 Zu beachten ist jedoch, dass sich der einheitliche Ansprechpartner beim Wirtschaftsministerium eher als Koordinator, Berater und Vermittler sieht (so die Beschreibung auf dem Portal des Ministeriums, http://www.mw.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_i d=5500&article_id=15989&_psmand=18, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014), was impliziert, dass es doch „gewünscht“ ist, die kommunalen Ansprechpartner zu nutzen. 763 https://www.dienstleisterportal.niedersachsen.de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 764 „Gesetz zur Bildung Einheitlicher Ansprechpartner in Nordrhein-Westfalen“, GV.NRW 2009 S. 748; s. dazu NRWLT-Drs. 14/8947. 765 Vgl. zur Implementierung in NRW umfassend die Darstellung bei Grunow/DickertLaub/Minnetian, S. 99 ff. 766 Die Zahl nimmt Bezug auf die in NRW existierenden 18 Kammerbezirke (dazu und zur aus der Vorgabe resultierenden Kooperationspflicht vgl. Grunow/Dickert-Laub/Minnetian, S. 109 f.).
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung
181
zustande gekommen.767 Um in der Summe eine möglichst geringe Anzahl an einheitlichen Ansprechpartnern zu erreichen, erlaubt es § 1 Abs. 3 S. 3 EA-Gesetz NRW zudem, dass Kooperationen ausnahmsweise auch zwischen nicht-benachbarten Aufgabenträgern zulässig ist.768 Insgesamt bestanden daher diverse Möglichkeiten für die Gemeinden und Kreise, die Errichtung der tatsächlichen Kontaktstellen zu gestalten, was zur Entstehung der unterschiedlichsten Gebilde führte: Auf der einen Seite sind mehrere kommunale Körperschaften „Single-EA“, auf der anderen Seite bestehen Kooperationen von Kreisen bzw. kreisfreien Städten bzw. Kreisen und kreisfreien Städten.769 Derzeit existieren 21 Kontaktstellen; diese werden nach ihren jeweiligen örtlichen Zuständigkeitsbereichen tätig. Um den richtigen einheitlichen Ansprechpartner im Einzelfall zu finden, kann der „EAFinder“ auf dem Internetportal770 des einheitlichen Ansprechpartners NordrheinWestfalen genutzt werden. Besonders an dem Modell in Nordrhein-Westfalen ist darüber hinaus die gesetzliche Verpflichtung der einheitlichen Ansprechpartner, mit den Wirtschafts- und Berufskammern zusammenzuarbeiten, § 2 EA-Gesetz NRW.771 d) Beleihung Privater: Bremen Das „BremEAG“ vom 16. 11. 2010772 bildet die Rechtsgrundlage für den einheitlichen Ansprechpartner in Bremen. Nach dessen § 1 Abs. 1 ist die Wirtschaftsförderung Bremen GmbH (WFB) einheitlicher Ansprechpartner im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie; die Aufgaben werden dieser durch das BremEAG übertragen. Damit hat sich das Land Bremen für den Weg der Beleihung eines privatrechtlich organisierten Unternehmens mit den Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners entschieden.773 Die WFB nimmt die Aufgaben im eigenen Namen und in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts wahr, § 1 Abs. 3 BremEAG. Die im Rahmen der Beleihung erforderliche Aufsicht774 liegt beim Bremer Wirtschaftssenat, § 6 BremEAG. Aufgrund dieser Verortungsentscheidung steht dem Dienstleister in 767
Diese richten sich nach §§ 23 ff. GkG NRW. Krit. Günther, GewArch 2010, 437, der mangelnde Ortsnähe beklagt. 769 Einsehbar auf der Karte auf dem Internetportal des einheitlichen Ansprechpartners NRW: http://www.ea-finder.nrw.de/de/ext/eafinder/karte?language=default, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014; vgl. zudem Grunow/Dickert-Laub/Minnetian, S. 111 f.; s. auch IfM-Evaluation zum Umsetzungsstand des EA-Gesetzes in Nordrhein-Westfalen, S. 14. 770 http://www.ea-finder.nrw.de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 771 Vgl. näher die IfM-Evaluation zum Umsetzungsstand des EA-Gesetzes in NordrheinWestfalen, S. 38 ff. 772 „Bremisches Gesetz über Einheitliche Ansprechpartner und über die europäische Verwaltungszusammenarbeit“, GVBl. 2010 S. 571; s. dazu BremBürgerschaft-Drs. 17/1492. 773 s. dazu auch BremBürgerschaft-Drs. 17/1492 S. 4. 774 Dazu etwa Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth VerwR II Rn. 90/49 m.w.N.; s. zudem sogleich unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (4). 768
182
Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Bremen praktisch nur eine Stelle gegenüber. Eine Kontaktaufnahme sowie das Einsehen der Kontaktdaten für einen physisch-realen Partner sind über das Internetportal775 der WFB möglich. Insgesamt handelt es sich in Bremen um ein kommunales Modell, denn Anteilseigner der WFB sind das Land Bremen, die Stadt Bremen sowie die Stadt Bremerhaven.776 e) Besonderes Kooperationsmodell: Schleswig-Holstein Rechtgrundlage der Verortung des einheitlichen Ansprechpartners in SchleswigHolstein ist das „Errichtungsgesetz Einheitlicher Ansprechpartner“777 vom. 17. 09. 2009778. Die Umsetzungslösung in Schleswig-Holstein vereinigt die anderen Lösungen in einer: Das Land hat mit dem EAG SH eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts gegründet (§ 1 Abs. 1 EAG SH),779 welche sowohl vom Land als auch von den Gemeinden und Kreisen, den Handwerkskammern und den IHKs getragen wird (§ 1 Abs. 5 EAG SH). Der formale Errichtungsakt basiert auf § 42 Abs. 1 Nr. 1 LVwG. Insgesamt verfügt die Anstalt damit über eine Vielzahl an Trägern, wobei die Interessen der Gemeinden und Kreise jeweils gebündelt wahrgenommen werden, namentlich von den kommunalen Spitzenverbänden. Letztere sind jedoch nicht selbst Träger der Anstalt; dies sind ausweislich des § 1 Abs. 5 S. 1 EAG SH die Gemeinden und Kreise selbst.780 Eine Erweiterung der Träger ist künftig möglich, § 1 Abs. 5 S. 2 EAG SH. Das EAG SH enthält darüber hinaus Regelungen über die genauen Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners (§§ 3 ff.) sowie die innere Organisation der Anstalt (§§ 9 ff.). Gemäß § 1 Abs. 3 EAG SH ist Sitz des Einheitlichen Ansprechpartners Schleswig-Holstein die Landeshauptstadt Kiel; die genauen Kontaktdaten sind über das Internetportal781, über welches auch die elektronische Verfahrensabwicklung ermöglicht wird, abrufbar. Dem Dienstleister steht bei diesem Modell nur eine zentrale Stelle gegenüber. 3. Bewertung Insgesamt weichen die Lösungen in den Bundesländern stark voneinander ab. Dies gilt zum einen für das den einheitlichen Ansprechpartnern zugrunde gelegte 775 http://www.wfb-bremen.de/de/wfb-einheitlicher-ansprechpartner, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 776 So zu entnehmen der Auflistung in: Beteiligungsbericht Bremen 2009/2010, S. 148. 777 Im Folgenden EAG SH. 778 „Gesetz über die Errichtung einer Anstalt öffentlichen Rechts ,Einheitlicher Ansprechpartner Schleswig-Holstein‘“, GVOBl. 2009 S. 577; s. dazu SHLT-Drs. 16/2750. 779 s. insbes. auch SHLT-Drs. 16/2750 S. 26, 27. 780 Abgesehen davon, dass einer Trägerschaft durch die Spitzenverbände auch rechtliche Hürden entgegen stünden, beispielsweise fehlt diesen die demokratische Legitimation. s. dazu insbes. SHLT-Drs. 16/2750 S. 28. 781 http://www.ea-sh.de, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014.
A. Die organisationsrechtliche Umsetzung
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Trägermodell. Es bestehen hier zwar im Wesentlichen „nur“ drei voneinander zu unterscheidende Lösungen, namentlich auf Kommunal-, auf Länderebene sowie im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung bei den Kammern. Jedoch sind diese höchst unterschiedlich ausgestaltet. So bestehen allein bei den Kammermodellen drei verschiedene Typen – das Allkammermodell (Thüringen, Baden-Württemberg, Bayern), das Wirtschaftskammermodell (Mecklenburg-Vorpommern) und das Kammergemeinschaftsmodell, bei dem zusätzlich Geschäftsstellen vorgeschaltet sind. Auch bei den Landesmodellen bestehen Unterschiede etwa bei den jeweiligen Ansiedlungsebenen. Hier stehen sich Verortungen im Mittelbehördenbau (Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt) und im Bereich der obersten Landesbehörden (Berlin) gegenüber. Zum anderen – und aus den unterschiedlichen Trägermodellen resultierend – bestehen große Unterschiede dahingehend, an welche Stelle genau sich der Dienstleister letztlich zu wenden hat (respektive sich wenden kann). Dies ist zugleich auch die aus praktischer Sicht bedeutsamste Feststellung: Tatsächlich steht der Dienstleister in jedem Bundesland sowohl einer unterschiedlichen Anzahl als auch einer jeweils eigenartigen Ausgestaltung an einheitlichen Ansprechpartnern gegenüber. Letzteres ist deshalb auch für den Dienstleister von Bedeutung, weil der einheitliche Ansprechpartner diesem einmal als „Geschäftsstelle der Industrie- und Handelskammer Ostthüringen zu Gera“, einmal als „Landesdirektion Leipzig“ und dann wieder als „Landrat Kreis Kleve“ entgegen tritt. Dies birgt sicherlich Potenzial für enorme Verwirrung. Summa summarum kann in Deutschland aus Sicht des Dienstleisters von 16 verschiedenen Modellen gesprochen werden. Es gilt zumeist örtliche (vor allem bei den Gemeinden und Kreisen) und sachliche (insbesondere bei den Kammern) Zuständigkeiten zu unterscheiden. Es gibt Auffangzuständigkeiten (IHKs) und doppelte Zuständigkeiten, bei welchen ein Wahlrecht besteht (Wirtschafts- und Berufskammern neben den Gemeinden, wie etwa in Baden-Württemberg)782. Bei den Kammermodellen sind entweder die Kammern je selbst zuständig oder aber sie handeln ausschließlich durch Geschäftsstellen oder es sind neben den Kammern auch noch die Gemeinden und Kreise zuständig, wovon aber wiederum die rein kommunalen Modelle Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens zu unterscheiden sind, bei denen ausschließlich die Kommunen zuständig sind. Obgleich es für den Dienstleister eigentlich völlig bedeutungslos sein sollte, wie die Ansprechpartner rechtlich verankert sind, erscheint es im Ergebnis tatsächlich als Vorteil, wenn entsprechende Kenntnisse vom deutschen Verwaltungssystem und den einzelnen Verortungslösungen bestehen. Idealiter kennt der Dienstleister – zugespitzt formuliert – die jeweiligen EA-Gesetze der Länder. Sicherlich bieten die eingerichteten Internetportale Hilfestellungen beim Auffinden des im Einzelfall zuständigen einheitlichen Ansprechpartners. Jedoch erfordert selbst das ein beharrliches „Durchklicken“ durch die – im Übrigen stark voneinander abweichen-
782
Vgl. § 2 Abs. 4 S. 1 EAG BW.
184
Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
den – Landesportale.783 Zumindest eine einheitliche Internetpräsenz wäre wünschenswert gewesen. „Einheitlich“ in diesem Sinne hätte idealiter bedeutet, dass einerseits gleichartige Webadressen verwandt worden wären. Die einheitlichen Ansprechpartner vieler Bundesländer sind so unter „http://www.ea.bundesland.de“ zu erreichen.784 Leider gilt das eben nicht durchgängig. Für andere Bundesländer bleibt dem Nutzungswilligen nichts anderes übrig, als eine Internetsuchmaschine zu verwenden oder sich über das von der Europäischen Union zur Verfügung gestellte Portal des „EUGO-Netzwerks“785 bis zum gewünschten Ansprechpartner zu „klicken“. Dies gilt etwa für das Land Bremen, wo der einheitliche Ansprechpartner bei der WFB angesiedelt und entsprechend auch über deren Homepage auffindbar bzw. erreichbar ist; dies würde im Zweifel nicht ohne Weiteres vermutet. Andererseits hätte auch eine mehr oder weniger gleichartige Gestaltung der Internetportale zu größerer Übersichtlichkeit verholfen. Tatsächlich unterscheiden sich die Portale jedoch erheblich. Auf manchen finden sich (praktischerweise) die Karten der Länder mit den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen der Ansprechpartner,786 auf anderen Portalen dagegen nicht787. Ein gewisses Verständnis bezüglich der jeweiligen Verortungslösung des Landes ist jedenfalls unentbehrlich, um zu verstehen, welcher einheitliche Ansprechpartner von mehreren zuständig ist. Dem kann insgesamt sicherlich entgegen gehalten werden, dass von einem Dienstleistungserbringer zumindest ein Grundverständnis für behördliche Anforderungen und Einrichtungen erwartet werden kann. Dann jedoch hätte es überhaupt keines einheitlichen Ansprechpartners bedurft; das „Front Office“ soll entsprechende Kenntnisse eben gerade entbehrlich machen.788 Hinzu kommt, dass auch die Verfügbarkeit der Informationen in (wenigstens) englischer Sprache keiner erschöpfenden Lösung zugeführt wurde. Oftmals sind nur die Basisinformationen auf Englisch verfügbar, die Details gibt es nur auf Deutsch. Dies ist insbesondere im Rahmen der elektronischen Antragsassistenten problematisch; es wäre sicherlich eine große Hilfe, wenn hier auch durchgängig (zumindest) englische Versionen angeboten würden.789 Insgesamt 783
Mittels eines „Selbsttestes“ ist dies unschwer festzustellen. Dies gilt beispielsweise für Berlin (Fn. 738), Hessen (Fn. 746), Sachsen (Fn. 754) oder Sachsen-Anhalt (Fn. 756). 785 http://ec.europa.eu/internal_market/eu-go/, zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014. 786 So z. B. auf den Portalen von Thüringen (Fn. 732), Nordrhein-Westfalen (Fn. 769) oder Hessen (Fn. 746). 787 So etwa für Baden-Württemberg (Fn. 705), Mecklenburg-Vorpommern (Fn. 721) oder Rheinland-Pfalz (Fn. 751); dafür bestehen dort – wie auch auf allen anderen Portalen – „EAFinder“, bei denen die Eingabe des gewünschten Ortes oder der Postleitzahl genügt. 788 Vgl. zum Telos hinter dem einheitlichen Ansprechpartners o. unter Kapitel 2 A. II. 1. b). 789 Die Antrags- bzw. Checklistenassistenten sind oftmals nur auf Deutsch verfügbar, s. etwa Baden-Württemberg (Fn. 705), Brandenburg (Fn. 741), Berlin (Fn. 738); s. aber dagegen Hamburg (Fn. 717). Insbesondere überzeugt auch hierbei die Begründung nicht, es sollen erst Erfahrungen zur Nachfrage des einheitlichen Ansprechpartners durch fremdsprachige Nutzer gesammelt werden, um dann das System entsprechend anzupassen (vgl. etwa LSALT-Drs. 5/ 2158 S. 28). Ein Angebot in zumindest englischer Sprache sollte selbstverständlich sein – 784
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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kann damit festgestellt werden, dass die „Uneinheitlichkeit“ in der Ausgestaltung der einheitlichen Ansprechpartner auch nicht etwa mittels „einheitlicher“ Internetpräsenzen relativiert wurde. In den Gesetzbegründungen zu den EA-Gesetzen der Länder ist zum Teil der Verweis zu finden, es werde erwartet, die elektronische Verfahrensabwicklung werde gegenüber einer physischen Kontaktaufnahme deutlich dominieren.790 Abgesehen von den geschilderten Widrigkeiten, die im Rahmen der elektronischen Nutzung auftreten (können), ist dieser Ansicht schon im Grundsatz nicht zuzustimmen. Naheliegend ist vielmehr, dass ausländische Dienstleister, die sich in Deutschland rechtlich und tatsächlich nicht sonderlich auskennen, den physisch-realen Kontakt bevorzugen werden. Im Zweifel ist es bereits für Inländer schwierig, die einzelnen Voraussetzungen einer selbstständigen Dienstleistungstätigkeit zu überblicken und zu durchdringen. Der direkte Kontakt bietet die Möglichkeit, Fragen zu stellen und schafft eine individuelle Betreuung. Ein rein elektronisches Verfahren dagegen, setzt voraus, dass der Nutzer bereits mehr oder weniger mit den Voraussetzungen seines Anliegens vertraut ist.791 Zusammenfassend ist festzustellen, dass weder in den einzelnen Bundesländern noch aus gesamtdeutscher Sicht eine tatsächlich „einheitliche“ Lösung erzielt worden ist. Zum Teil wurde zwar erreicht, dass dem Dienstleister pro Bundesland zumindest nur eine einzige Stelle gegenüber tritt. Dies ist aber leider nicht die Regel. Insofern widerspricht die momentane Umsetzung bereits unter rein praktischen Gesichtspunkten der obig herausgearbeiteten Bedeutung von „Einheitlichkeit“.
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern, insbesondere: die Verbandskompetenz Aus den bestehenden Modellen der einheitlichen Ansprechpartner ergeben sich verschiedene Zuständigkeitsbegrenzungen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass teils nur örtliche, teils sachliche und örtliche Zuständigkeiten zu berücksichtigen sind; stets eine Rolle spielt aber die Verbandskompetenz der einzelnen Träger. Im Folgenden soll herausgestellt werden, welche Wirkkreise den verschiedenen Ansprechpartnern zukommen und wo diese enden. Denn nur, wenn dies feststeht, abgesehen davon, dass ein Dienstleister, der die deutsche Sprache nicht sicher beherrscht, die elektronische Verfahrensabwicklung gar nicht nutzen wird. Damit erübrigt sich auch das „Sammeln von Erfahrungen“. 790 s. bspw. RhPfLT-Drs. 15/3693 S. 15; SHLT-Drs. 16/2750 S. 27. 791 Dies widerspricht aber gerade dem Anliegen der DLRL, welche den einheitlichen Ansprechpartnern insbesondere Informationspflichten überträgt, zu denen auch die Information darüber gehört, welche Voraussetzungen überhaupt für bestimmte Tätigkeiten bestehen (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a DLRL).
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
kann die Umsetzung in Deutschland auf die Wahrung der „Einheitlichkeit“ im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie hin überprüft werden. Dazu ist es zunächst erforderlich, wenn auch im geboten knappen Umfang, einige organisationsrechtliche Begriffe zu beleuchten und das zugrunde zu legende Verständnis herauszustellen. Vordergründig geht es dabei um den Begriff der „Kompetenz“ im Staats- und Verwaltungsrecht, insbesondere in Form der Verbandskompetenz.
I. Grundsätzliches zur Kompetenz im Staats- und Verwaltungsrecht 1. Begriff Mittels der Kategorie „Kompetenz“ kann im Allgemeinen die Frage beantwortet werden, wer von mehreren zur Wahrnehmung einer Aufgabe berufen ist.792 Insofern ist sie als Grundkategorie des Organisationsrechts zu verstehen: Ohne die rechtliche Bündelung und Zuweisung bestimmter Aufgaben an bestimmte Wahrnehmungssubjekte mittels einer Kompetenz wäre die Aufgaben- und Gewaltenteilung im Staat gar nicht möglich.793 Es handelt sich danach jedenfalls um ein „Mittel zur Erfüllung staatlicher Aufgaben“794. Bezogen auf das Staats- und Verwaltungsrecht geht es konkret darum, welchen von mehreren Verwaltungsträgern und welches seiner Organe eine bestimmte Aufgabenerledigung trifft.795 Synonym zum Begriff der Kompetenz ist der der „Zuständigkeit“ zu verwenden.796 Unter dem Begriff des „Verwaltungsträgers“ werden in der hiesigen Darstellung all jene – regelmäßig binnendifferenzierte – Verwaltungseinheiten verstanden, die 792
Isensee/Kirchhof/Isensee, HdbStR VI Rn. 133/14. Der Begriff ist selbstverständlich vielschichtiger und umfassender als hier dargestellt und einer Vielzahl an dogmatischen Deutungen zugänglich; vorliegend soll es jedoch nur um einen Aufriss gehen, dem die Einordnung der Kompetenzkategorie in das Organisationsrecht zugrunde liegt (weiterführend insbes. Heintzen, S. 16 ff., 26 ff., 29 ff.). 793 Heintzen, S. 16. 794 Dreier/Stettner, Art. 70 GG Rn. 17; ähnl. Isensee/Kirchhof/Isensee, HdbStR VI Rn. 133/ 19. 795 Isensee/Kirchhof/Isensee, HdbStR VI Rn. 133/14, 133/19; Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle/Jestaedt, VerwR I Rn. 14/42; Maurer, AllgVerwR Rn. 21/44; Stettner, S. 43; Heintzen, S. 31 f. 796 In der Literatur (vgl. insbes. Wolff/Bachof4, VerwR II § 72 I. b) und c) S. 14 ff.; Oldiges, DÖV 1989, 873 [874 f.]; Adami, S. 65 ff.) wird dagegen die Meinung vertreten, die Begriffe gehörten zwar eng zusammen, bezeichneten jedoch gerade nicht dasselbe. Danach gehe es bei der „Zuständigkeit“ um das Recht bzw. die Pflicht zur Wahrnehmung der Aufgabe, unter der „Kompetenz“ sei dagegen die Aufgabe selbst zu verstehen. Dieser Ansicht zufolge müsste quasi von der „Zuständigkeit“ zur Ausübung der „Kompetenz“ gesprochen werden. Eine entsprechende Unterscheidung ist aber inhaltlich nicht weiterführend (so Isensee/Kirchhof/Isensee, HdbStR VI Rn. 15; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Jestaedt, VerwR I Rn. 14/42; Heintzen, S. 37 ff.; Stettner, S. 35 ff., 43).
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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die Eigenschaften einer juristischen Person aufweisen; mit „Verwaltungseinheiten“ sind dagegen (übergeordnet) sämtliche Stellen gemeint, denen mittels organisationsrechtlicher Rechtssätze Verwaltungsaufgaben zur Erledigung zugewiesen sind.797 In besonderem Maße verknüpft ist die Kompetenzkategorie mit dem föderalistischen Staatsaufbau, denn dieser charakterisiert sich gerade durch eine vielfältige Aufgabenteilung und Aufgabenverschränkung, was mit einer erhöhten Anzahl an Rechtsträgern und dazugehörigen Organen einher geht und klare Zuständigkeitsregelungen erfordert. 2. Arten a) Verbands- und Organkompetenz Unterschieden wird zunächst die Organ- von der Verbandskompetenz798. Letztere bezeichnet die Zuständigkeit eines Rechtsträgers selbst.799 Der Verband ist verwaltungsorganisationsrechtlich der rechtsfähige Verwaltungsträger, d. h. die mit Rechten und Pflichten ausgestattete juristische Person, die durch ihre Organe handlungsfähig ist.800 Soweit es mithin darum geht, einem bestimmten Verband in Abgrenzung zu einem oder mehreren anderen Verbänden die Wahrnehmung einer Aufgabe zuzuschreiben, spiegelt dies einen Ausschnitt aus dessen Verbandskompetenz wider. Übertragen auf die Bundesrepublik betrifft die Frage nach der Verbandskompetenz im Wesentlichen die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bund, den Ländern, den Gemeinden und sonstigen rechtlich selbstständigen Organisationen (juristische Personen der mittelbaren Staatsverwaltung, insbesondere im Rahmen funktionaler Selbstverwaltung). Die Verbandskompetenz kann also als „organisationsrechtliche Kategorie, in der sich die Aufgabenverteilung und Aufgabenzuordnung innerhalb eines Staatswesens ausdrücken“801, beschrieben werden.
797
In der Literatur herrscht weder Einigkeit über die Begrifflichkeiten noch über das mit ihnen genau zu Beschreibende. In der vorliegenden Darstellung ist eine vertiefte Auseinandersetzung aber nicht zielführend. Das hier zugrunde gelegte Verständnis findet sich etwa bei Isensee/Kirchhof/Krebs, HdbStR V Rn. 108/36; ähnl. Maurer, AllgVerwR Rn. 21/2 ff.; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Jestaedt, VerwR I Rn. 14/20, jeweils m.w.N. sowie auch bereits bei Wolff/Bachof9, VerwR I § 34 I. b) 2. S. 244 f.; krit. Wolff/Bachof/Stober/Kluth/ Kluth, VerwR II Rn. 82/89 ff., 82/91 f., 82/93, 82/102 ff. 798 Zur Grundidee der Verbandskompetenz vgl. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 716 f. 799 Vgl. nur Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Schmitz, § 3 VwVfG Rn. 12; umfassend Oldiges, DÖV 1989, 873 ff.; Adami, S. 42 f. 800 Oldiges, DÖV 1989, 873 (874); weiterführend Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, VerwR II Rn. 82/93. 801 Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (45); Hervorhebung durch Verf.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Sie ist „Ausdruck und Folge eines in rechtlich selbstständige Verwaltungsträger gegliederten Staatswesens.“802 Der Verband als Rechtsträger ist jedoch selbst nicht handlungsfähig. Dies wird er erst durch seine Organe. Mithin ist der Verband der „Aufgabenträger“, das Organ „Ausführender“ der Aufgabe. Sofern es um die Zuordnung von Aufgaben zu den für einen Verband handelnden Organen geht, ist damit die Organkompetenz angesprochen; es erfolgt eine verbandsinterne Abgrenzung. Die Organkompetenz indiziert die Verbandskompetenz, da ein Organ grundsätzlich nur innerhalb des Zuständigkeitskreises desjenigen Verbandes, dem es angehört, tätig werden kann.803 Im Organisationsrecht wird das Organ auch als „Behörde“ bezeichnet.804 b) Örtliche und sachliche Zuständigkeit Bezogen auf die Organkompetenz wird weitergehend die örtliche von der sachlichen Zuständigkeit unterschieden. Unter diesen Gesichtspunkten erfolgt die Aufteilung der Aufgaben zwischen den Organen innerhalb des Verbandes nach eben räumlichen und inhaltlichen Aspekten. § 3 VwVfG und dessen Entsprechungen in den Landesverwaltungsverfahrensgesetzen stellen die Zentralnormen für die örtliche Zuständigkeit der Behörde dar.805 3. Bindungswirkung Das Innehaben einer (staats- bzw. verwaltungsrechtlichen) Kompetenz sagt an sich zwar nichts darüber aus, ob das jeweilige Organ bzw. der konkrete Amtswalter auch im konkreten Fall tätig werden muss. Vielmehr ist dies eine Frage aus dem Bereich der entsprechenden Befugnisregelungen (insbesondere dem Ermessen).806 Jedoch entfaltet die Kompetenz insofern eine Bindungswirkung, als sie zum einen die Pflicht begründet, die durch sie zugewiesene Aufgabe im Grundsatz überhaupt wahrzunehmen, und zum anderen ein Verbot an den Kompetenzinhaber erteilt, außerhalb des ihm zugewiesenen Zuständigkeitsbereichs tätig zu werden (sog. Handeln
802 Oldiges, DÖV 1989, 873 (877); s. auch Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 716; Adami, S. 40 f. 803 Ausnahme ist bspw. die Organleihe. 804 Vgl. nur Maurer, AllgVerwR Rn. 21/31 ff. 805 Noch detailliertere Vorgaben treffen Vorschriften, welche die instanzielle oder etwa die funktionelle Zuständigkeit regeln. Hier erfolgt eine genaue Zuteilung der Aufgabe zu einer von mehreren Instanzen einer Behörde bzw. sogar zu einem bestimmten Organwalter (weiterführend Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Schmitz, § 3 VwVfG Rn. 10 f.; Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle/Jestaedt, VerwR I Rn. 14/46; Maurer, AllgVerwR Rn. 21/49 f.; s. auch Stettner, S. 288 f.; krit. insbes. zur „funktionellen“ Zuständigkeit Adami, S. 49 ff.). 806 Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Jestaedt, VerwR I Rn. 14/47.
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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ultra vires).807 Diese Bindungswirkung entspricht theoretisch der Natur der Kompetenz, sie ist ihr quasi immanent; praktisch ist sie Ausdruck derjenigen Rechtsnormen und Prinzipien, die die Gliederung in bestimmte Zuständigkeitsbereiche vornehmen. Für die Behörden ist die Bindungswirkung mittels des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) sogar auf Verfassungsrecht rückführbar.808 Eine Durchbrechung der Bindungswirkung ist etwa qua gesetzlicher Ermächtigung möglich.809 4. Typus „Verbandskompetenz“ Mittels des Typus „Verbandskompetenz“ kann also die Frage beantwortet werden, welcher von mehreren selbstständigen Verwaltungsträgern zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe berufen ist. Als solche setzt sie zunächst notwendig die Existenz mehrerer selbstständiger Rechtsträger voraus, deren Aufgabenkreise voneinander abgegrenzt bzw. abzugrenzen sind. Deutlich wird dies auch anhand der in der Literatur vorgeschlagenen Alternativ-Formulierung „Rechtsträgerkompetenz“.810 a) Bedeutung: Zuweisung von Aufgaben und Abgrenzung von Wirkkreisen Die Verbandskompetenz bewirkt nicht nur die Zuweisung von Aufgaben, sondern konsekutiv auch die Abgrenzung von Wirkkreisen; es geht mit anderen Worten um „Handlungs-, Zurechnungs- und Verantwortungssphären“811.812 Ein Handeln außerhalb dieses (eigenen) Wirkkreises respektive im Wirkkreis eines anderen Verbandes ist deshalb Handeln ultra vires.813 Entsprechende Maßnahmen sind sodann mit einem rechtlichen Mangel behaftet,814 mithin rechtwidrig. Dessen (scil. des Mangels) genaue Folgen hängen im Wesentlichen von der Art der getroffenen Maßnahme ab. Darüber hinaus ist der Kategorie der Verbandskompetenz die Maßgabe zu entnehmen, der betroffene Rechtsträger möge nicht außerhalb des ihm zugeordneten Wirkkreises tätig werden; damit einher geht grundsätzlich auch die Begrenzung der von einem Rechtsträger innerhalb seines Wirkkreises erlassenen 807 Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Jestaedt, VerwR I Rn. 14/47; Maurer, AllgVerwR Rn. 21/52 f. 808 Stelkens/Bonk/Sach/Bonk/Schmitz, § 3 VwVfG Rn. 5; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/ Kluth, VerwR II Rn. 83/24; Kunig, Jura 1996, 254. 809 Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Schmitz, § 3 VwVfG Rn. 12; Maurer, AllgVerwR Rn. 21/53. 810 Funk, S. 46 m. Fn. 46. 811 Blanke, WiVerw 2008, 191. 812 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 717; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, VerwR II Rn. 82/80; Oldiges, DÖV 1989, 873 (877). 813 Ausführlich etwa Oldiges, DÖV 1989, 873 (877); s. auch Maurer, AllgVerwR Rn. 21/ 44 f.; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, VerwR II Rn. 82/81; Blanke, WiVerw 2008, 191 f. 814 Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, VerwR II Rn. 82/81.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Maßnahmen eben auf den Wirkkreis selbst.815 Dies gilt sowohl in sachlicher und räumlicher als auch in personeller Hinsicht.816 Deswegen kann von „sachlicher“, „räumlicher“ und „personeller“ Verbandskompetenz gesprochen werden, die zusammen die Verbandskompetenz des Verwaltungsträgers abbilden.817 Die Zuordnung eines Wirkkreises zu einem Verband erfolgt durch Rechtsnormen;818 diese bestimmen auch dessen (scil. des Wirkkreises) räumlichen und sachlichen Umfang. Der Wirkkreis eines Verbandes erschöpft sich, anders gewendet, in der Gesamtheit der örtlichen und sachlichen Zuständigkeiten all seiner für ihn handelnden Organe. Eine Überschreitung der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit eines Organs kann somit lediglich eine verbandsinterne Überschreitung der Organkompetenz, jedoch konsekutiv-additiv auch die Überschreitung der Verbandskompetenz bedeuten. Aus der gewählten Formulierung wird bereits deutlich, dass Ersterem der Charakter eines „Minus“ verglichen mit Letzterem zugesprochen wird. In der Tat ist im Allgemeinen zwischen der „bloßen“ verbandsinternen Überschreitung der Organkompetenz, bei welcher zumindest noch der zutreffende Rechtsträger in Erscheinung getreten ist und der Überschreitung der Verbandskompetenz zu unterscheiden, bei welcher nicht nur das unzuständige Organ, sondern auch der unzuständige Rechtsträger tätig geworden ist, dem genau diese Aufgabe gar nicht zugewiesen war. b) Zuordnungssubjekte der Verbandskompetenz Nur Rechtsträger, nicht aber die für sie handelnden Organe sind somit Inhaber von Verbandskompetenz. Im Folgenden sollen die für die vorliegende Abhandlung interessierenden „Verbände“ näher betrachtet werden. aa) Bund und Länder Als originärer Träger von Herrschaftsgewalt ist zuvörderst der Staat als Rechtsträger zu nennen.819 In der Bundesrepublik besitzen sowohl der Bund als auch die Bundesländer Staatscharakter,820 weshalb auch – gleichsam auf „oberster Stu-
815
Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, VerwR II Rn. 82/81. Oldiges, DÖV 1989, 873 (877). 817 Die „personelle“ Verbandskompetenz ist dabei ein Unterfall der „sachlichen“ Verbandskompetenz. Da der personellen Komponente im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung jedoch eine herausragende Bedeutung zukommt, wird vorliegend eine separate Darstellung gewählt. 818 Oldiges, DÖV 1989, 873 (877). 819 Dazu, wie der Staat als „juristische Person“ zu begreifen ist Zippelius, Allg Staatslehre § 13. 820 Zum Staatscharakter der Länder vgl. BVerfGE 1, 14 (34); 34, 9 (19); 36, 342 (360 f.); 101, 158 (221 f.); Stern, Staatsrecht I, § 19 S. 666 ff. m.w.N. auch zur Gegenansicht. 816
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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fe“ – dem Bund im Verhältnis821 zu den Ländern Verbandskompetenz zukommt.822 Die Verteilung der entsprechenden Aufgaben entweder auf den Verband „Bund“ oder auf den Verband „Land“ übernimmt das Grundgesetz mittels der föderalen Kompetenzordnung. Genauso stehen sich die 16 Bundesländer aufgrund ihrer Verbandsqualität gleichwertig gegenüber. Die Verbandskompetenz grenzt auch hier die jeweiligen Wirkkreise voneinander ab. Die Aufgabenzuordnung erfolgt dabei nicht ausdrücklich durch das Grundgesetz, denn eine Zuweisung speziell zu Bundesland A oder Bundesland B gibt es nicht.823 Vielmehr grenzt sich die Verbandskompetenz der Länder untereinander allem voran nach dem Territorialitätsprinzip824 ab; sie ergibt sich insofern aus dem Wesen des Landes als „Staat“. Zwar handelt es sich bei den Bundesländern nicht um vollumfänglich souveräne Staaten, dennoch ermöglicht es die Anerkennung ihrer Staatlichkeit, ihnen die elementaren Bestandteile „Staatsgebiet“, „Staatsvolk“ und „Staatsgewalt“ zuzusprechen.825 Die staatliche Gewalt ist räumlich auf das Staatsgebiet sowie personell auf das Staatsvolk beschränkt.826 Die Verbandskompetenz eines Bundeslandes verläuft daher auch entlang der Landesgrenzen; außerhalb der Landesgrenzen besitzt das Land grundsätzlich keine Hoheitsgewalt.827 Die personelle Beschränkung auf die „Landesstaatsangehörigen“828 stellt daneben keine eigenständige Abgrenzungskategorie dar, sondern ist Folge des Territorialitätsprinzips: Die „Landesstaatsangehörigkeit“ folgt grundsätzlich der Sesshaftigkeit im Bundesland.829 Verfassungsrechtliche Relevanz erlangt die Verbandskompetenz hinsichtlich des Demokratieprinzips nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bzw. nach den jeweiligen Verfassungen der Länder (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG). Danach geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Legitimationsobjekt ist damit sämtliche Staatsgewalt, Legitimationssubjekt ist insoweit ausschließlich das Staatsvolk (Bundes- oder Landesstaats821
Zu betonen ist noch einmal, dass es sich bei der Verbandskompetenz um eine Kategorie zur Abgrenzung von Wirkkreisen innerhalb eines Staatswesens handelt (vgl. Fn. 801). Dem Bund als Gesamtstaat kommt daher im Verhältnis zu anderen Staaten keine Verbandskompetenz in diesem Sinne zu. Im Verhältnis souveräner Staaten zueinander sind insbesondere die Prinzipien des Völkerrechts maßgebend (s. dazu etwa Zippelius Allg Staatslehre § 10). 822 So schon Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 717. 823 Das Grundgesetz setzt aber die Verbandskompetenz der Bundesländer voraus, was bspw. in Art. 35 GG zum Ausdruck kommt. 824 Denn der Staat ist nach heutigem Verständnis im Wesentlichen Gebietskörperschaft, welche sich durch ein fest umgrenztes Staatsgebiet auszeichnet, vgl. Stern, Staatsrecht I, § 7 S. 235. 825 Stern, Staatsrecht I, § 19 S. 669 m.w.N.; s. auch Oldiges, DÖV 1989, 873 (878). 826 Stern, Staatsrecht I, §19 S. 669. 827 Ule, JZ 1961, 622 (623); im Anschluss an diesen Oldiges, DÖV 1989, 873 (877); s. auch Mußgnug, S. 37, 38. 828 Begriff wie bei Stern, Staatsrecht I, § 19 S. 669. 829 Stern, Staatsrecht I, § 19 S. 669.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
volk).830 Um den Anforderungen des Demokratieprinzips im Einzelfall gerecht zu werden, muss stets ein bestimmtes Legitimationsniveau erreicht werden. Die Komponenten, die dazu heranzuziehen sind, sind die funktionell-institutionelle, die sachliche und die personelle Legitimation.831 Von wesentlicher Bedeutung zur Erreichung des erforderlichen Legitimationsniveaus im Bereich staatlicher Verwaltung sind dabei die sachliche sowie die personelle Legitimation. Die sachliche Legitimation erfordert die Rückführbarkeit staatlichen Handelns in inhaltlicher Hinsicht auf das Volk, und zwar mittels förmlicher Parlamentsgesetze sowie durch parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung. Darüber hinaus erlangt sie durch Aufsichts- und Weisungsbefugnisse und damit eine Kontrollmöglichkeit der Regierung gegenüber der Verwaltung Bedeutung.832 Dagegen verlangt die personelle Legitimation, dass sämtliche staatlichen Amtswalter durch ein unmittelbar vom Staatsvolk demokratisch legitimiertes Organ in ihr Amt berufen wurden bzw. dass jedenfalls eine ununterbrochene Legitimationskette ausgehend vom Staatsvolk auf das benennende Organ nachvollziehbar ist.833 Verstößt beispielsweise ein Bundesland in personeller Hinsicht gegen seine Verbandskompetenz, indem es etwa einem Bürger gegenüber Hoheitsgewalt ausübt, der der Hoheitsgewalt dieses Bundeslandes nicht unterliegt, so verstößt das Handeln gegen das Demokratieprinzip. Von diesem Bürger geht dann nämlich gerade keine Legitimationskette in Bezug auf dieses Bundesland aus; seine „Staatsgewalt“ hat dieser Bürger dann gerade nicht mittels (Landes-) Parlamentswahl auf dieses Bundesland übertragen können.834 Die Teilhabe an der Ausübung von Staatsgewalt kommt nämlich ausschließlich (Landes-) Staatsangehörigen zu.835 Die Grenzen der Hoheitsgewalt beziehen sich auf alle drei staatlichen Funktionsbereiche,836 d. h. dass insoweit sowohl Legislativakte als auch die Wirkkreise von Rechtsprechung und Verwaltung beschränkt sind. In Bezug auf die Verwaltung bedeutet das konkret, dass eine Behörde grundsätzlich Landesrecht nur auf „Lan830
Vgl. nur BVerfGE 47, 253 (275); 83, 37 (50); v. Münch/Kunig/Schnapp, Art. 20 GG Rn. 26; Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG Rn. II/121. 831 Vgl. nur BVerfGE 49, 89 (125 f.); Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG Rn. II/120 ff.; Dreier/ders., Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 113 ff. 832 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66); Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/21; Schliesky, S. 295. 833 BVerfGE 47, 253 (275 f.); 68, 1 (88); 77, 1 (40); Maunz/Dürig/Herzog18, Art. 20 II GG Rn. 49 ff.; Dreier/ders., Art. 20 (Demokratie) Rn. 115; v. Münch/Kunig/Schnapp, Art. 20 GG Rn. 26. 834 Zu diesem Beispiel Oldiges, DÖV 1989, 873 (880); s. auch OVG NW, OVGE 33, 274 (275); Mußgnug, S. 37, 38. 835 BVerfGE 83, 37 (53); Stern, Staatsrecht I, § 19 S. 669. s. zudem die jeweiligen Vorschriften in den Landeswahlgesetzen, z. B. § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 S. 1 BlnLWG oder § 13 S. 1 Nr. 2 i.V.m. S. 2 ThürLWG, denen zufolge das Wahlrecht u. a. vom Innehaben des Hauptwohnsitzes im jeweiligen Bundesland abhängt. In diesen Vorschriften kommt das beschriebene Phänomen zum Ausdruck. 836 Oldiges, DÖV 1989, 873 (878); Ule, JZ 1961, 622 (623).
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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desstaatsangehörige“ anwenden darf und auch nur insoweit zum Erlass von Hoheitsakten legitimiert ist. Gegenüber Angehörigen anderer Bundesländer darf sie grundsätzlich nicht tätig werden, Landesrecht eines anderen Landes darf sie grundsätzlich nicht anwenden, ihre eigenen Hoheitsakte gelten grundsätzlich nur im Landesgebiet. Ausnahmen davon bedürfen der expliziten Anerkennung etwa durch Staatsverträge oder gesetzliche Regelungen zwischen den Ländern. bb) Verbände der mittelbaren Staatsverwaltung Mittelbare Staatsverwaltung837 liegt vor, wenn rechtlich selbstständigen Organisationen (Rechtsträgern), namentlich Körperschaften, Anstalten und Stiftungen838 des öffentlichen Rechts, die Erledigung staatlicher Aufgaben übertragen ist. Sie sind gewissermaßen aus dem Staatsapparat ausgegliedert (Dezentralisierung)839 und erfüllen die entsprechenden Aufgaben eigenverantwortlich durch ihre eigenen Organe. Im Gegensatz dazu erledigt der Staat bei der unmittelbaren Staatsverwaltung840 seine Verwaltungsaufgaben selbst, d. h. durch seine eigenen Organe. Auch die rechtlich selbstständigen Verwaltungsträger der mittelbaren Staatsverwaltung grenzen ihre Zuständigkeitsbereiche untereinander mittels ihrer Verbandskompetenz ab. Diese reicht im Einzelfall auch hierbei wiederum so weit, wie dem Verwaltungsträger Aufgaben in räumlicher, sachlicher und personeller Hinsicht zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen sind. Ein die Verbandskompetenz überschreitendes Handeln kann sich im Rahmen der mittelbaren Staatsverwaltung nicht nur daraus ergeben, dass der eine selbstständige Verwaltungsträger in den Wirkkreis eines anderen eindringt. Vielmehr stellt auch ein Eindringen des Staates selbst (scil. des Verbandes „Bund“ bzw. des Verbandes „Land“) ein Handeln ultra vires dar; nur aufgrund normativer Ermächtigung ist dies möglich.841 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass einige Verwaltungsträger der mittelbaren Staatsverwaltung sowohl Aufgaben der Selbstverwaltung als auch Aufgaben der Fremdverwaltung wahrnehmen. Dies gilt typischerweise für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Bei den Selbstverwaltungsaufgaben handelt es sich um diejenigen, welche zur Regelung von Angelegenheiten „in eigener Sache“ dienen; hinsichtlich der Gemeinden842 etwa, sind das die von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG umfassten 837
Näher Maurer, AllgVerwR Rn. 23/1 ff.; Isensee/Kirchhof/Krebs, HdbStR V Rn. 108/18, 108/25 ff.; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Jestaedt, VerwR I Rn. 14/32, jeweils m.w.N. 838 Wegen der Ausrichtung der Arbeit werden die Stiftungen im Folgenden vernachlässigt. 839 Oldiges, DÖV 1989, 873 (880). 840 Dazu Maurer, AllgVerwR Rn. 22/1 ff.; Isensee/Kirchhof/Krebs, HdbStR V Rn. 108/18, 108/19 ff.; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Jestaedt, VerwR I Rn. 14/32, jeweils m.w.N. 841 Oldiges, DÖV 1989, 873 (881). 842 Der Begriff der „mittelbaren Staatsverwaltung“ ist hinsichtlich der Gemeinden umstritten, da diese auch als drittes Glied im Staatsaufbau der Bundesrepublik bezeichnet werden
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
„Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“. Mit Wolff843 ist demnach unter Selbstverwaltung im Rechtssinne „die selbständige, fachweisungsfreie Wahrnehmung enumerativ oder global überlassener oder zugewiesener eigener öffentlicher Angelegenheiten durch unterstaatliche Träger oder Subjekte öffentlicher Verwaltung in eigenem Namen“ zu verstehen; Voraussetzung ist logisch, dass ihr Träger (scil. der Selbstverwaltung) überhaupt über eigene Angelegenheiten verfügt. Im Rahmen der Fremdverwaltung werden die Verwaltungsträger dagegen tätig, wenn sie staatliche Aufgaben mittels Auftrags oder Weisung ausüben und dabei unter Rechts- und Fachaufsicht des Staates stehen.844 Sie agieren insofern auch eigenständig, verlassen jedoch den Bereich derjenigen Aufgaben, die der Bewältigung ihrer Binnenverhältnisse dienen, die mithin zur Selbstverwaltung gehören. (1) Körperschaften des öffentlichen Rechts Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist ganz allgemein eine durch staatlichen Hoheitsakt geschaffene, rechtsfähige Organisation, die mitgliedschaftlich verfasst, jedoch vom Wechsel ihrer Mitglieder unabhängig ist.845 Tragendes Merkmal ist das der mitgliedschaftlichen Verfassung: Die Mitglieder sind sinngebend insofern, als sie durch ihren Zusammenschluss gerade zur Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten ermächtigt werden sollen. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind aus diesem Grund die typischen Träger von Selbstverwaltungsrechten.846 Nach dem Anknüpfungspunkt der jeweiligen Mitgliedschaft ist u. a. zwischen Personenund Gebietskörperschaften zu differenzieren. Bei Ersteren knüpft die Mitgliedschaft an eine bestimmte Eigenschaft in der Person selbst, bei Letzteren an Wohnsitz bzw. Sitz an.847 Zu den Personenkörperschaften zählen etwa die – hier relevanten – Wirtschafts- und Berufskammern848, aus der Reihe der Gebietskörperschaften sollen vorliegend die Gemeinden und Gemeindeverbände im Fokus stehen. (a) Gemeinden und Gemeindeverbände Aus dem Beschriebenen resultiert für die Verbandskompetenz nun Folgendes: Bei Gemeinden849 endet diese zunächst dort, wo es nicht mehr um „Angelegenheiten der können (s. bspw. die Nachw. bei v. Mangoldt/Klein/Starck/Tettinger/Schwarz, Art. 28 GG Rn. 160 ff.). 843 Wolff/Bachof4, VerwR II § 84 IV b). 844 Insbesondere für die Gemeinden: Oldiges, DÖV 1989, 873 (881); für die IHKs: Frentzel/ Jäkel/Junge/Möllering, § 1 IHKG Rn. 227, 229, 230. 845 Vgl. nur Maurer, AllgVerwR Rn. 23/37; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, Rn. 85/7. 846 Dazu ausführlich Kluth, S. 234. 847 Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, Rn. 85/31 f. 848 Teilweise werden die IHKs zu den Realkörperschaften gezählt, da die Mitgliedschaft hier an das Innehaben eines Betriebs anknüpft, vgl. dazu Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, Rn. 85/35; der Streit ist aber vorliegend bedeutungslos. 849 Genauer zu deren Verbandskompetenz sogleich unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (2).
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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örtlichen Gemeinschaft“ (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) geht. Das BVerfG bestimmt den genauen Inhalt dieser Phrase als Inbegriff „[derjenigen] Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen […].“850
Mit der Umschreibung erfolgt sowohl in räumlicher als auch in sachlicher und personeller Hinsicht eine Eingrenzung.851 Jedoch wird zugleich der Grundsatz der Allzuständigkeit der Gemeinden herausgestellt, da ihnen all jene Aufgaben zukommen, die sich eben auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft beziehen.852 Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG spricht zudem davon, dass die Aufgabenwahrnehmung „im Rahmen der Gesetze“ zu erfolgen hat. Damit wird ein Gesetzesvorbehalt begründet, der Inhalt und Umfang der Selbstverwaltung ausgestalten und formen soll,853 der jedoch seinerseits durch einen unantastbaren Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie854 beschränkt wird. Ihr (scil. der Gemeinde) Aufgabenbereich umfasst darüber hinaus jedoch auch noch „überörtliche“ Aufgaben, die durch Gesetz zugewiesen wurden und als solche nicht der Garantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG unterfallen (Fremdverwaltungsaufgaben).855 Begrifflich sind – mit Blick auf die Einheitlichen Ansprechpartner der kommunalen Modelle – kurz die „Landkreise“ sowie die „kreisfreien Städte“ in den vorliegenden Zusammenhang einzuordnen. Beim Landkreis handelt es sich um eine Gebietskörperschaft auf höherer Ebene, welche aus mehreren einzelnen Gemeinden besteht und die über die einzelne Gemeinde hinausgehenden Selbstverwaltungsangelegenheiten wahrnimmt. Der Landkreis verfügt damit über ein ihm zugehöriges „Kreisvolk“ und „Kreisgebiet“. Seine Mitglieder sind personell die einzelnen Ge-
850
(120).
BVerfGE 79, 127 (151 f.); s. zudem etwa BVerfGE 8, 122 (134); 50, 195 (201); 52, 95
851 Oldiges, DÖV 1989, 873 (881). Konkretisierend und weiterführend Korte, VerwArch 1970, 3 (42 ff.). 852 Zur Allzuständigkeit der Gebietskörperschaft umfassend Korte, VerwArch 1970, 3 (34 ff.). 853 BVerfGE 79, 127 (143). 854 Dazu etwa BVerfGE 1, 167 (174 f.); 38, 258 (278 f.); 79, 127 (146); 103, 332 (365 ff.). 855 BVerfGE 107, 1 (18); 78, 331 (340); Dreier/ders., Art. 28 GG Rn. 90; Schoch, DVBl. 2008, 937 (939). Mit dem Begriff der „Fremdverwaltung“ ist vorliegend derjenige Aufgabenbereich gemeint, der nicht zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten i.S.d. Art. 28 Abs. 2 GG gehört; es erfolgt insofern keine Differenzierung zwischen dem jeweils zugrunde liegenden, landesrechtlichen Organisationsmodell, d. h. nach dualistischem oder monistischem System. Als „Fremdverwaltung“ werden daher sowohl die nach dem dualistischen System sog. „Aufgaben im übertragenen Wirkkreis“ als auch die nach dem monistischen System existierenden „Aufgaben nach Weisung“ bezeichnet; zu den Systemen ausführlich etwa Burgi, KommunalR Rn. 8/12 ff., 8/19 ff.; Geis, KommunalR Rn. 7/1 ff.; Schoch/Schmidt-Aßmann, BesVerwR Kap. 1 Rn. 33 ff.; Maurer, AllgVerwR Rn. 23/12 ff.; Korte, VerwArch 1970, 3 ff.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
meindeeinwohner, nicht etwa die angehörigen Gemeinden.856 Territorial verläuft der Landkreis entlang der äußeren Grenzen der ihm angehörigen Gemeinden abzüglich der in diesem Gebiet bestehenden kreisfreien Gemeinden. Die Landkreise sind als Gemeindeverbände ausdrücklich in Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG erfasst. Auch ihnen steht die Selbstverwaltung als Institution verfassungsrechtlich zu.857 Im Unterschied zu den Gemeinden kommt den Landkreisen jedoch keine Allzuständigkeit zu; vielmehr wird der Inhalt ihrer Selbstverwaltung ausweislich des Verfassungstextes erst gesetzlich geformt. In der Regel hat der Gesetzgeber den Landkreisen jedoch eine Art „Allzuständigkeit“ für den Bereich der Selbstverwaltungsaufgaben per Gesetz zugewiesen.858 Die kreisfreie Stadt ist dagegen eine (in der Regel größere) Gemeinde, welche ihre Aufgaben selbst, d. h. nicht gemeinschaftlich auf einer übergeordneten (Kreis-) Ebene erfüllt. Die kreisfreie Stadt ist daher verbandskompetenzmäßig auf ihre Einwohner und ihr Gebiet beschränkt (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG). Zu beachten ist, dass die Terminologie in den unterschiedlichen Bundesländern variiert. So ist mit dem hier bezeichneten Begriff „Landkreis“859 der Begriff „Kreis“860 gleichzusetzen. Als „Stadtkreis“ wird in Baden-Württemberg861, als „kreisfreie Gemeinde“ in Bayern862 die „kreisfreie Stadt“ bezeichnet. Die „großen selbstständigen Städte“ Niedersachsens863 sind dagegen eine kommunale Einrichtung, die rechtlich zwischen der kreisfreien Stadt und dem Landkreis anzusiedeln ist.864 Sie sind ebenfalls Gebietskörperschaften (§ 2 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 5 NKomVG) und einem Landkreis angehörende Gemeinden (§ 14 Abs. 1 S. 1 NKomVG). (b) Wirtschafts- und Berufskammern Bei den Wirtschafts- und Berufskammern ist der Umfang ihrer Verbandskompetenz mit der aus ihrer Errichtung verfolgten Funktion verknüpft. Daher werden sie auch der „funktionalen Selbstverwaltung“ zugeordnet; es geht dabei im Allgemeinen um die Wahrnehmung bestimmter staatlicher Aufgaben bzw. die Erfüllung bestimmter staatlicher Funktionen durch die Betroffenen selbst in eigener Verant856
Burgi, KommunalR Rn. 20/9. v. Mangoldt/Klein/Starck/Tettinger/Schwarz, Art. 28 GG Rn. 236; Maurer, AllgVerwR Rn. 23/24; Burgi, KommunalR Rn. 20/9, 20/12. 858 s. bspw. § 2 Abs. 1 LKrO BW, Art. 5 LKrO Bay; s. auch BVerfGE 83, 37 (54). 859 Diesen Begriff verwenden bspw. Baden-Württemberg (§ 1 LKrO BW) oder Bayern (§ 1 LKrO Bay). 860 s. bspw. in Nordrhein-Westfalen (§ 1 KrO NRW) und Niedersachsen (§ 3 NKomVG). 861 § 3 Abs. 1 GemO BW. 862 Art. 5 GO Bay. 863 § 14 Abs. 5 NKomVG. 864 So nehmen die großen selbstständigen Städte neben den Aufgaben einer kreisangehörigen Gemeinde zusätzlich diejenigen Aufgaben wahr, die als solche im „übertragenen Wirkungskreis“ dem Landkreis zugeordnet sind, § 17 NKomVG. Vgl. zu den Aufgabenarten u. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (2) (a). 857
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wortung und der daraus resultierenden Bündelung von Sachverstand.865 Sachlich sind die Wirtschafts- und Berufskammern zu solchen Handlungen befugt, die zur Bewältigung ihrer eigenen Angelegenheiten erforderlich und sinnvoll sind. Dabei werden allerdings die genauen Aufgaben gesetzlich zugewiesen (Enumeration); eine „Allzuständigkeit“ wie sie den Gemeinden – nicht nur aufgrund des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, sondern aufgrund ihres Charakters als Gebietskörperschaft im Allgemeinen – zusteht, gibt es hier nicht.866 Für die IHKs, beispielsweise, gilt dabei § 1 IHKG, für die Handwerkskammern § 91 Abs. 1 HWO. In räumlicher Hinsicht besteht eine Beschränkung der Wirkkreise durch die Bildung von Kammerbezirken.867 Personell sind die Wirtschafts- und Berufskammern als Personenkörperschaften, wie dargestellt, auf ein Tätigwerden ihren Mitgliedern gegenüber beschränkt.868 Außerhalb der jeweils beschriebenen Wirkkreise kommt es zu Kollisionen mit den Wirkkreisen anderer Verbände. (2) Rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts Eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit O. Mayer869 als „ein Bestand von Mitteln, sächlichen wie persönlichen, welche in der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung einem besonderen öffentlichen Zweck dauernd zu dienen bestimmt sind“, bezeichnet werden. Der öffentliche Zweck besteht insbesondere in der Erbringung bestimmter Leistungen für natürliche oder juristische Personen, welche insofern im Benutzerverhältnis zur Anstalt stehen.870 Unterschieden werden rechtsfähige, teilrechtsfähige und nicht rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts. Erstere sind rechtlich selbstständig, d. h. sie sind selbst Verwaltungsträger der mittelbaren Staatsverwaltung und nehmen staatliche Verwaltungsaufgaben in eigener Verantwortung wahr.871 Im Gegensatz zu Körperschaften des öffentlichen Rechts handelt es sich aber gerade nicht um typische Selbstverwaltungsträger, denn die Anstalt des öffentlichen Rechts besteht nicht aus „Mitgliedern“, welche zur Erfüllung irgendwelcher „eigener Angelegenheiten“ zusammengeschlossen sind.872 865
Vgl. etwa das „Facharzt-Urteil“ des BVerfG (E 33, 125 [159]); s. auch Musil, DÖV 2004, 116 (117). Zu weiteren Funktionen umfassend Kluth, S. 221 ff. 866 Vgl. Frentzel/Jäkel/Junge/Möllering, § 1 IHKG Rn. 226; Maurer, AllgVerwR Rn. 23/ 42; Burgi, KommunalR Rn. 6/27; Geis, KommunalR Rn. 7/7 ff.; zur „Allzuständigkeit“ der Gemeinden s. etwa BVerfGE 21, 117 (128 f.); 79, 127 (147). Eine eigenmächtige Aufgabenerweiterung (Kompetenz-Kompetenz) würde gegen das Grundrecht der (Zwangs-)Mitglieder der Wirtschafts- und Berufskammern aus Art. 2 Abs. 1 GG verstoßen, vgl. BVerwGE 112, 69 (72). 867 Dazu Kluth/ders., Handbuch Kammerrecht Rn. 11/97. 868 Kluth/ders., Handbuch Kammerrecht Rn. 11/96. 869 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht S. 268, 331. 870 Maurer, AllgVerwR Rn. 23/46. 871 Maurer, AllgVerwR Rn. 23/48, 23/50. 872 Dennoch gibt es öffentlich-rechtliche Anstalten, die bestimmte Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen. Über eigene Angelegenheiten verfügen bspw. Rundfunkanstalten (vgl. etwa § 1 Abs. 3 ZDF-StV).
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Während die Körperschaft sich gewissermaßen von „innen“ her durch ihre Mitglieder legitimiert, erfährt die Anstalt vielmehr von „außen“ durch den ihr zugesprochenen Zweck und die zu seiner Erfüllung zusammengefassten Personal- und Sachmittel ihre Legitimation.873 Als Verwaltungsträger verfügt die rechtsfähige Anstalt öffentlichen Rechts über Verbandskompetenz. Der entsprechende Wirkkreis muss sich dem Sinn der Anstalt nach an dem ihr zugrunde liegenden Zweck orientieren, denn von diesem ist sie abhängig bzw. aus diesem allein leitet sie ihre Existenzberechtigung her. Der oder die genauen Zwecke einer Anstalt ergeben sich in der Regel aus dem ihr zugrunde liegenden Hoheitsakt (Errichtung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes); in diesem wird die Anstalt einem oder mehreren Zwecken gewidmet.874 Die genauen Aufgaben, die zur Erreichung dieser Zwecke erforderlich sind, werden entweder auch bereits in dem Errichtungsakt oder aber später durch den Anstaltsträger festgelegt.875 Die für die Anstalt handelnden Organe verfügen über eine sog. Anstaltsgewalt, die sich auf die Herstellung, Erhaltung und Verbesserung des Anstaltszwecks richtet, sich aber auch darin erschöpft.876 Jedenfalls steht auch der Anstalt ein umgrenzter Aufgaben- und damit Wirkkreis zu. Überschreitet sie diesen, handelt sie verbandsübergreifend und damit rechtswidrig. (3) Beliehene Privatrechtssubjekte Durch die Institution der Beleihung werden natürlichen oder juristischen Personen (typischerweise877) des Privatrechts durch den Staat oder sonstige befugte Verwaltungsträger in gewissem Umfang Verwaltungsaufgaben zur selbstständigen hoheitlichen Wahrnehmung übertragen.878 Statusmäßig handelt es sich in jeglicher Hinsicht um Privatrechtssubjekte; soweit es um die ihnen zugewiesenen Verwaltungsaufgaben geht, werden sie jedoch – funktionell – hoheitlich tätig.879 In diesem Umfang handeln sie daher selbst auch als Verwaltungsträger und sind insofern Teil der mittelbaren Staatsverwaltung.880 Sämtliche Handlungen werden so auch dem Beliehenen, nicht etwa dem beleihenden Verwaltungsträger zugerechnet. In dem ihm zugewiesenen Kompetenzbereich kann der Beliehene grundsätzlich Verwaltungsakte erlassen oder sonstige hoheitliche Maßnahmen vornehmen, sich mithin der 873
Instruktiv und weiterführend Kluth, S. 234. Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Müller, VerwR II Rn. 86/51. 875 Maurer, AllgVerwR Rn. 23/51. 876 Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Müller, VerwR II Rn. 86/55. 877 Dazu, dass neuerdings auch juristische Personen des öffentlichen Rechts beliehen werden Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR II Rn. 90/4 m.w.N. 878 Maurer, AllgVerwR Rn. 21/11; 23/56. 879 Maurer, AllgVerwR Rn. 23/56; Burgi, FS Maurer, S. 581 (586); missverständlich insofern Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR II Rn. 90/24, der davon spricht, der Beliehene sei in die staatliche Organisation nicht ein-, sondern ihr lediglich angegliedert. 880 Maurer, AllgVerwR Rn. 23/56. 874
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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Handlungsformen des öffentlichen Rechts bedienen.881 Damit unterfällt er zwar dem Behördenbegriff des § 1 Abs. 4 VwVfG, nicht aber dem der „Behörde im organisationsrechtlichen Sinne“; er ist kein bloßes Organ des beleihenden Verwaltungsrechtträgers.882 Verfassungsrechtlich relevant ist in diesem Zusammenhang Art. 33 Abs. 4 GG, von welchem die Beleihung eine Ausnahme darstellt;883 daraus folgt etwa, dass die Beleihung in concreto auf einzelne, enumerativ zugewiesene Befugnisse beschränkt, durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein und insgesamt das Schwergewicht hoheitlicher Aufgabenerfüllung unverändert bei den Beamten liegen muss.884 Die Beleihung unterliegt dem Gesetzesvorbehalt, wobei insbesondere die genauen Befugnisse der gesetzlichen Regelung bedürfen.885 Aus den beschriebenen Wesensmerkmalen der Beleihung ergibt sich für die Frage nach einer Verbandskompetenz des beliehenen Privatrechtssubjekts Folgendes: Im Rahmen des ihm gesetzlich zugewiesenen hoheitlichen Aufgabenbereichs kommt dem Beliehenen – genau wie jedem anderen Verwaltungsträger der mittelbaren Staatsverwaltung – ein Wirkkreis von Aufgaben und damit Verbandskompetenz zu. c) Überschreitung der Verbandskompetenz und ihre Folgen aa) Überschreitung der Verbandskompetenz Im Weiteren soll geklärt werden, wann genau von einer Verbandskompetenzüberschreitung auszugehen ist und wann nicht. Den einzelnen Verwaltungsträgern kommen beispielsweise aufgrund des föderalistischen Systems des Grundgesetzes unterschiedliche „Rechtskreise“ von Verwaltungsaufgaben zu. Namentlich geht es hinsichtlich der Bundesländer um die Unterscheidung zwischen dem Vollzug von Bundesrecht und dem Vollzug eigenen Landesrechts. In Bezug auf die Selbstverwaltungskörperschaften – Gemeinden und Wirtschafts- und Berufskammern – geht es um die bereits geschilderte Differenzierung zwischen Selbstverwaltungs- und Fremdverwaltungsaufgaben. (1) Verwaltung durch die Länder Den Verwaltungen der Bundesländer obliegt zum einen der Vollzug von landeseigenem Recht und zum anderen der Vollzug von Bundesrecht, Art. 83 ff. GG. Zwar treten die Länder beim Vollzug von Bundesrecht in gewisser Weise, also 881 Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR II Rn. 90/4; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Jestaedt, VerwR I Rn. 14/31; Burgi, FS Maurer, S. 581 (585). 882 Ausdrücklich Burgi, FS Maurer, S. 581 (593). 883 BVerwGE 57, 55 (59 f.); weiterführend Burgi, FS Maurer, S. 581 (590 f.); Kiefer, LKRZ 2009, 441 (442). 884 Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR II Rn. 90/35, 90/40; Kiefer, LKRZ 2009, 441 (442 f.); Burgi, FS Maurer, S. 581 (590 f.) m.w.N. 885 Burgi, FS Maurer, S. 581 (588 f.); Kiefer, LKRZ 2009, 441 (444 f.).
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
faktisch, als „Behörden des Bundes“ auf, sodass überlegt werden könnte, Verbandsüberschreitungen insofern der bloßen Überschreitung von Organkompetenzen (sachliche/örtliche Zuständigkeit) gleichzusetzen. Jedoch steht dem entgegen, dass aus rechtlicher Sicht die Landesbehörden auch beim Vollzug von Bundesrecht eigenständig tätig werden und ihr Verhalten daher nichtsdestotrotz dem Verband „Land“, nicht dem Verband „Bund“ zugerechnet wird.886 Dies ist Folge des Art. 83 GG, wonach die Länder die Bundesgesetze „als eigene Angelegenheit“ ausführen. Sie handeln insofern in eigener Verantwortung, was bedeutet, dass sie dem Bund – außerhalb des in Art. 84, 85 GG vorgesehenen Umfangs – gegenüber weder weisungsgebunden sind noch einer Fachaufsicht unterliegen;887 „(d)ie Länder führen das Bundesrecht also so aus, als sei es Landesrecht“.888 Daher wäre es nicht sachgerecht, Verbandsüberschreitungen im Falle der Ausführung von Bundesrecht als eigene Angelegenheit als bloße Überschreitung der Organkompetenz zu behandeln.889 Dies gilt im Übrigen auch für die Bundesauftragsverwaltung. Auch diese ist – ungeachtet der intensiveren Einflussmöglichkeiten des Bundes – im Grundsatz Landesverwaltung,890 weshalb die entsprechende Behördentätigkeit im Rahmen dieses Verwaltungstypus auch dem Land, nicht jedoch dem Bund zugerechnet wird.891 Die Ausführung von Landesgesetzen obliegt grundsätzlich dem jeweiligen Land selbst. Das ist Folge seiner Gebietshoheit und der darauf basierenden jeweiligen landesverfassungsrechtlichen Vorschriften.892 Eine Überschreitung der Verbandskompetenz eines Landes stellt verfassungsrechtlich einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip dar.893 Dagegen ist Art. 83 GG nur dann verletzt, wenn es um das Verhältnis zwischen Bund und Land geht, da die Vorschrift lediglich die Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Ländern sichert, nicht jedoch die
886 Vgl. dazu Oldiges, DÖV 1989, 873 (879 f.). Zu dem Ergebnis der örtlichen Unzuständigkeit anstelle der Verbandsunzuständigkeit gelangt aber OVG Lüneburg, OVGE 28, 430 (432). Die Entscheidung ist der Sache nach zwar richtig. Das Gericht stellt nämlich lediglich fest, dass dann, wenn die Behörde eines Bundeslandes anstelle der eigentlich zuständigen Behörde eines anderen Bundeslandes handelt, jedenfalls kein Verstoß gegen Art. 83 GG vorläge, da dieser lediglich das Verhältnis zwischen Bund und den Ländern, nicht aber zwischen den Ländern untereinander regele. Jedoch hätte das Gericht den Kompetenzverstoß dennoch als einen solchen gegen die Verbandskompetenz bezeichnen müssen. 887 Vgl. nur Dreier/Hermes, Art. 83 GG Rn. 33; Maunz/Dürig/Kirchhof, Art. 83 GG Rn. 135; Sachs/Dittmann, Art. 83 GG Rn. 7. 888 Dreier/Hermes, Art. 83 GG Rn. 33. 889 OVG NW, OVGE 33, 274 (275 f.); Oldiges, DÖV 1989, 873 (880) m.w.N. 890 Vgl. nur BVerfGE 81, 310 (331); v. Mangoldt/Klein/Starck/Trute, Art. 85 GG Rn. 4; v. Münch/Kunig/Broß, Art. 85 GG Rn. 1. 891 v. Mangoldt/Klein/Starck/Trute, Art. 85 GG Rn. 6; Oldiges, DÖV 1989, 873 (880). Das BVerfG spricht insofern von der Wahrnehmungskompetenz des Landes im Gegensatz zur Sachkompetenz des Bundes (s. etwa E 81, 310 [332]). 892 s. zur Staatsqualität der Länder und ihrer Folgen schon o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) aa). 893 Vgl. dazu bereits o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) aa).
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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Kompetenzverteilung zwischen den Ländern untereinander.894 Handelt daher ein Bundesland anstelle des eigentlich zuständigen Bundeslandes, so ist Art. 83 GG nicht berührt. (2) Verwaltung durch Gemeinden (a) „Sachliche“ Verbandskompetenz Wie bereits dargelegt, kommen den meisten Verbänden der mittelbaren Staatsverwaltung sowohl Selbstverwaltungs- als auch Fremdverwaltungsaufgaben zu.895 Hinsichtlich der Gemeinden ist insofern zwischen Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft und überörtlichen Aufgaben zu differenzieren.896 Zu Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft, also Selbstverwaltungsaufgaben, zählen dabei sowohl sog. freiwillige Aufgaben als auch bestimmte Pflichtaufgaben.897 Verdeutlicht wird damit insbesondere, dass nicht alle Selbstverwaltungsaufgaben aus der „Allzuständigkeit“ der Gemeinden „kreiert“ werden (freiwillige Aufgaben), sondern dass die Gemeinde auch bestimmte Aufgaben verpflichtend wahrzunehmen hat, die jedoch inhaltlich genauso zu den örtlichen Selbstverwaltungsangelegenheiten gehören (Pflichtaufgaben). Es geht bei Letzteren insbesondere um solche Aufgaben, hinsichtlich welcher der Bürger nicht davon abhängig sein soll, ob die Gemeinde sie wahrnehmen möchte. Durch die sachliche Zugehörigkeit zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten unterscheiden sich diese Pflichtaufgaben von den Fremdverwaltungsaufgaben. Letztere werden vom Staat auf die Gemeinden übertragen, sind auch verpflichtend wahrzunehmen, gehören aber in den überörtlichen Bereich und unterliegen daher der Fachaufsicht und damit einhergehend der Weisung.898 Fraglich ist, welche Aufgabenkreise nun zur Verbandskompetenz der Gemeinde zu zählen sind. Dabei gilt es zunächst zu bedenken, dass den Gemeinden auch im Rahmen der Erfüllung von Fremdverwaltungsaufgaben eine eigenständige Aufgabenwahrnehmung garantiert ist; sie handeln im eigenen Namen und Rechtsakte werden ihnen, nicht dem Land, zugerechnet.899 Es erfolgt in jedem Fall eine Übertragung der Aufgabe auf die mittelbare Staatsverwaltung; dagegen geht es nicht etwa um eine Organleihe, bei welcher ein Organ der Kommune tatsächlich als Organ des Staates
894 Instruktiv OVG Lüneburg, OVGE 28, 430 (431 f.); s. auch BVerfGE 11, 6 (15, 19) m. Anm. Ule, JZ 1961, 622 ff. 895 s. dazu o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb). 896 s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) sowie Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (1). 897 Mit „Pflichtaufgaben“ sind selbstverständlich solche „ohne Weisung“ gemeint. Die Begriffe werden nicht einheitlich verwandt, s. dazu insbes. die Nachw. in Fn. 855. 898 Weiterführend etwa Schoch/Schmidt-Aßmann/Röhl, BesVerwR Kap. 1 Rn. 44. 899 Geis, KommunalR Rn. 7/14; Burgi, KommunalR Rn. 8/24; Schmidt-Jortzig, KommunalR Rn. 546 f.; Maurer, AllgVerwR Rn. 23/16; Oldiges, DÖV 1989, 873 (881); vgl. ausführlich Ipsen, Nds. KommunalR Rn. 4/167 ff.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
tätig würde.900 Zwar ist der Staat im Bereich der Fremdverwaltung weisungsbefugt bzw. führt die Fachaufsicht hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der Aufgabenerfüllung. Jedoch ändert das nichts an der grundsätzlichen Eigenverantwortlichkeit der Gemeinde. Daher sind auch Fremdverwaltungsaufgaben zum sachlichen Wirkkreis der Gemeinde zu zählen. Ihre Verbandskompetenz bezieht sich daher auf sämtliche Aufgaben, unabhängig davon ob diese ihrer Natur nach zur Selbst- oder zur Fremdverwaltung zu zählen sind.901 Zu beachten ist bei all dem jedoch, dass die Gemeinden im Rahmen der Fremdverwaltungsangelegenheiten – zumindest funktional – als Organe des Staates betrachtet werden können.902 Schmidt-Aßmann/ Röhl903 sprechen insofern vom Auseinanderfallen von Aufgabensubstanz und Aufgabenwahrnehmung, wobei Erstere in den Händen des Staates verbliebe. Sachgerecht erscheint es diesbezüglich daher, eher von einer „Verbandskompetenz im weiteren Sinne“ zu sprechen.904 Das spricht dafür, eine Verbandsüberschreitung in diesem Bereich nicht als genauso schwerwiegend zu betrachten wie eine Verbandsüberschreitung bei der Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben. Denn nur im letzten Fall verletzt der übertretende Verwaltungsträger einen Wirkkreis, der den betroffenen Verwaltungsträger gerade als Selbstverwaltungsträger charakterisiert.905 Das Gleiche gilt für die Landkreise, denn parallel zu den Gemeinden kommen diesen – wenn auch in der Gänze gesetzlich zugewiesene – Selbstverwaltungs- und Fremdverwaltungsaufgaben zu.906 Zu betonen ist an dieser Stelle zur Vermeidung von Missverständnissen Folgendes: Es geht vorliegend lediglich darum, die Zuständigkeitsüberschreitung einer kommunalen Körperschaft in der Rechtsfolge einer Überschreitung von Organ900
Dies gilt im Übrigen auch unabhängig davon, ob es sich um Fremdverwaltungsangelegenheiten im Rahmen des dualistischen oder des monistischen Modells handelt (vgl. Fn. 855). Zwar ist beim monistischen Modell gerade streitig, ob auch die – hier als Fremdverwaltungsaufgaben bezeichneten – „Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung“ zu den Selbstverwaltungsaufgaben zu zählen sind (zu den vertretenen Ansichten vgl. etwa die Darstellung bei Burgi, KommunalR Rn. 8/23 f.; Nachw. auch bei Maurer, AllgVerwR Rn. 23/16). Jedoch kann der Streit vorliegend dahingestellt bleiben. Auswirkungen hat die Differenzierung nämlich typischerweise bei der Qualifizierung einer durch die Aufsichtsbehörde ergangenen Weisung als Verwaltungsakt (Außenwirkung). Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass es sich um Materien handelt, die gerade nicht der Garantie des Art. 28 Abs. 2 GG unterfallen. Diese Eigenschaft teilen die „Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung“ also mit den „Aufgaben im übertragenen Wirkkreis“ (Auftragsangelegenheiten) des dualistischen Modells. 901 Vgl. Oldiges, DÖV 1989, 873 (881) m. Fn. 79; s. auch Schmidt-Jortzig, KommunalR Rn. 547. 902 Oldiges, DÖV 1989, 873 (881); in diese Richtung auch OVG Lüneburg 1982, 385 (386); s. zudem Schmidt-Jortzig, KommunalR Rn. 547. 903 Schoch/Schmidt-Aßmann/Röhl, BesVerwR Kap. 1 Rn. 36. 904 Ähnlich Oldiges, DÖV 1989, 873 (881), der von unterschiedlicher Qualität der Verbandskompetenz spricht. 905 Oldiges, DÖV 1989, 873 (881); a.A. Mußgnug, S. 40. s. dazu sogleich u. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) bb) (1). 906 Vgl. nur Maurer, AllgVerwR Rn. 23/25.
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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kompetenz gleichzusetzen, soweit es sich um Fremdverwaltungsangelegenheiten handelt. Das bedeutet aber nicht, dass die kommunalen Körperschaften tatsächlich als Behörden des Landes eingeordnet werden sollen. (b) „Personelle“ Verbandskompetenz In personeller Hinsicht sind die Wirkkreise der Gemeinden grundsätzlich auf die jeweils ortsansässigen Bürger beschränkt; dies ist bereits Folge des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG.907 Geht es daher um ein Handeln gegenüber Nichtgemeindeeinwohnern, stellt dies eine „überörtliche Angelegenheit“ dar, die nicht mehr dem Schutz des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG unterliegt. Die Übertragung einer entsprechenden Fremdverwaltungsangelegenheit, d. h. der Ermächtigung einer Gemeinde zum Handeln gegenüber Nichtgemeindeeinwohnern bzw. Einwohnern anderer Gemeinden beinhaltete ein Defizit an personeller Legitimation. Denn dann würde gegenüber dem Nichteinwohner ein Amtsträger tätig, der zwar landesgesetzlich, also sachlich zum Handeln legitimiert ist, nicht jedoch personell, weil die personelle Legitimation durch die Gemeindeeinwohner der handelnden Gemeinde erfolgte und so auch nur und ausschließlich gegenüber diesen wirkt. Abgesehen davon erfolgte regelmäßig ein Eingriff in die Verbandskompetenz einer anderen Gemeinde. Da die Gemeinde jedoch Gebietskörperschaft ist, steht ihr auf dem ihr zugehörigen Gemeindegebiet die Gebietshoheit zu. Auch dies resultiert aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, der insoweit als Institutsgarantie fungiert und dadurch der Gemeinde ihre Existenz als selbstständige Verwaltungseinheit mit eigener Rechtspersönlichkeit gewährleistet.908 Folge der Gebietshoheit ist, dass jede Person, die sich auf dem Gemeindegebiet befindet ihrer (scil. der Gemeinde) Hoheitsgewalt unterliegt. Insofern ist ein Handeln gegenüber Nichtgemeindeeinwohnern dann denkbar, wenn sich diese auf das Gemeindegebiet begeben. Für die Erfassung der „personellen“ Verbandskompetenz der Gemeinde gilt somit, dass diese grundsätzlich nur hinsichtlich eines Handelns gegenüber Gemeindeeinwohnern besteht. Verbandskompetenz besitzt die Gemeinde jedoch auch gegenüber Nichteinwohnern, die sich auf das Gemeindegebiet begeben. Hinsichtlich Verbandsüberschreitungen gilt das bereits Beschriebene.909 Das Gleiche gilt wiederum für die Landkreise, denn auch diese verfügen über eine „Kreisbevölkerung“ und damit über einen Bestand an „personeller“ Verbandskompetenz. (c) „Räumliche“ Verbandskompetenz In räumlicher Hinsicht sind die Gemeinden aus ihrer Eigenschaft als Gebietskörperschaften heraus verbandsmäßig auf ihr jeweiliges Gemeindegebiet be907 908 909
s. dazu o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (1) (a); s. auch BVerfGE 83, 37 (55). Dazu etwa Geis, KommunalR Rn. 6/1, 6/13. s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (2) (a).
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
schränkt. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährt ihnen auf ihrem Gebiet das Selbstverwaltungsrecht. Ein Handeln außerhalb ihres Gemeindegebiets stellte daher einen Verstoß gegen die Verbandskompetenz der Gemeinde dar, insbesondere erfolgte dann regelmäßig zugleich ein Eingriff in die Verbandskompetenz einer anderen Gemeinde. Für die Landkreise ergibt sich das Gleiche; namentlich sind diese auf ihr Kreisgebiet beschränkt. (3) Verwaltung durch Wirtschafts- und Berufskammern (a) Vorbetrachtung: Problem demokratischer Legitimation (aa) Fehlende personelle Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung Wie bereits dargestellt, bedarf sämtliche Ausübung von Staatsgewalt nach Art. 20 Abs. 2 GG der Rückbindung zum Volk als vom Grundgesetz vorgegebenem Legitimationssubjekt.910 Während die kommunale Selbstverwaltung eine umfängliche demokratische Legitimation durch Wahlen der insoweit ein „Teilvolk“ abbildenden Angehörigen der Gemeinden und Kreise erhält,911 weist die funktionale Selbstverwaltung ein entsprechendes Defizit auf. Denn die nach gesetzlichen Kriterien bestimmten Kammermitglieder, die auch ihre Entscheidungsträger selbst bestimmen, stellen nach verbreiteter Ansicht gerade kein „Teilvolk“ im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bzw. Art. 28 Abs. 1 GG dar.912 Daher erfolgt in diesem Fall auch keine auf das Staatsvolk rückführbare Legitimation der Entscheidungsträger der Kammern; vielmehr sind diese nach der beschriebenen Legitimationsdogmatik ausschließlich durch die Mitglieder der Kammer personell legitimiert.913 Die entstehende Frage, wie die Existenz der Träger funktionaler Selbstverwaltung dennoch im Hinblick auf die Anforderungen des Demokratieprinzips gerechtfertigt werden kann, wird erwartungsgemäß kontrovers diskutiert.914 Bedeutung hat dies für die vorliegend anzustellende Betrachtung der Verbandskompetenz der Wirtschaftsund Berufskammern, weil sich gegebenenfalls Beschränkungen für den zulässigerweise zu übertragenden Aufgabenkreis – sowohl in sachlicher als auch in personeller – Hinsicht ergeben können. Namentlich geht es zum einen um die Frage, ob 910
s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) aa). H.M., vgl. nur BVerfGE 83, 37 (53 f.). 912 H.M.: BVerfGE 83, 37 (50 f., 53 f.); 107, 59 (87); BVerwG NVwZ 1999, 870 (873); Dreier/ders., Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 132; Kluth, S. 369 ff., 372; Köller, S. 217; Classen, S. 9, 17; Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/33; Musil, DÖV 2004, 116 (120); s. zur Auslegung des Volksbegriffs i.S.d. Art. 20 Abs. 2 GG Köller, S. 58 ff., 124; a.A. Maunz/ Dürig/Herzog18, Art. 20 II GG Rn. 56 ff.; Ehlers, FS Stein, S. 125 (131 ff.). 913 Zur personellen Legitimation im Allgemeinen und in Bezug auf die funktionale Selbstverwaltung vgl. insbes. BVerfGE 93, 37 (67 f.); 107, 59 (87 f.) sowie die entsprechenden Vorlagebeschlüsse des BVerwG (E 106, 64 [71 ff.]; NVwZ 1999, 870 [872 ff.]). 914 Einen umfassenden Überblick über die im Einzelnen vertretenen Modelle gibt Köller, S. 210 ff.; 241 ff.; 255 ff.; 258 ff.; 283 f.; 285 ff.; 297 ff., 302 ff. 911
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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es zulässig ist, den Kammern auch Fremdverwaltungsaufgaben zu übertragen und zum anderen inwiefern ein Handeln der Kammern gegenüber anderen Personen als ihren Mitgliedern möglich sein kann. Beide Problemkreise weisen immerhin Berührungspunkt mit den an späterer Stelle zu untersuchenden einheitlichen Ansprechpartnern auf, die bei den Wirtschafts- und Berufskammern verortet wurden. (bb) Überblick über die vertretenen Legitimationsmodelle Die Erklärungsmodelle zur demokratischen Legitimation von Trägern funktionaler Selbstverwaltung sind äußerst vielfältig und variieren insbesondere im Detail. Grob vereinfachend kann jedoch zunächst zwischen zwei Hauptströmungen unterschieden werden: (a) „Enges“ Legitimationsmodell Zunächst sind die Anhänger eines (hier so bezeichneten) „engen“ Legitimationsmodells zu nennen. Demokratische Legitimation hat danach den bereits dargestellten, „klassischen“ Strukturen zu folgen; ausschließlich das Parlament kann danach demokratische Legitimation vermitteln. Da der Komponente der personellen Legitimation eben nur dann genüge getan ist, wenn sich die Ausübung von Staatsgewalt auf das gesamte Staatsvolk oder zumindest ein vom Grundgesetz anerkanntes Teilvolk zurückführen lässt, weisen die Träger funktionaler Selbstverwaltung ein unausgleichbares Legitimationsdefizit auf.915 Dieser Ansicht zufolge ist deshalb die Schaffung funktionaler Selbstverwaltungsträger nur in Ausnahmefällen möglich. Als Beispiele werden die ausdrückliche Anerkennung im Grundgesetz (z. B. Art. 87 Abs. 2 GG) oder die Ermöglichung kollektiver Grundrechtswahrnehmung (z. B. Hochschulen) genannt.916 Betont wird insofern auch von den Vertretern des „engen“ Legitimationsmodells der im Demokratieprinzip enthaltene Gedanke der Selbstverwaltung. Solange sich die funktionale Selbstverwaltung daher ausschließlich auf die Belange ihrer Mitglieder beschränkt, wird sie als zulässig erachtet.917 (b) „Erweiterte“ Legitimationsmodelle Weiterhin können diejenigen Modelle unter dem Stichwort „erweiterte“ Legitimationsmodelle zusammengefasst werden, die die Möglichkeit einer demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung als grundsätzlich möglich erachten. Entweder erfolgt dies aufgrund der Anerkennung weiterer, neben die „klassische“ Legitimation tretender Legitimationsformen oder durch eine Einordnung der funktionalen Selbstverwaltung in das herkömmliche Legitimationsmuster.
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BVerwGE 106, 64 (72 ff.); BVerwG NVwZ 1999, 870 (872 ff.); Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/33 f. 916 Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/34. 917 BVerwGE 106, 64 (77); BVerwG NVwZ 1999, 870 (873); Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/33 f.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
In den zuerst genannten Bereich lassen sich die Vertreter einer autonomen Legitimation einordnen. Deren Theorie setzt an der Feststellung an, dass Grundlage der Demokratie generell das Individuum sei, Ausgangspunkte seien Selbstbestimmung und Gleichheit.918 Funktionale Selbstverwaltung verstehe sich als „organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen“919; sie sei also gerade auch angelegt auf die Verwirklichung der freien Selbstbestimmung.920 Wenn diese Idee aber dem Demokratieprinzip immanent sei, dann müsse die Möglichkeit einer Legitimation durch die sich selbst verwaltenden Mitglieder der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft anstelle oder zumindest neben den „klassischen“ Legitimationsformen bestehen. Es komme zur Wahrung der Anforderungen des Art. 20 Abs. 2 GG insofern nur auf die Erreichung des festgeschriebenen Maßes an Legitimation an; die entsprechenden Formen zu dessen Erreichung seien jedoch dispositiv.921 Im Ergebnis soll damit eine Kompensation des personellen Legitimationsdefizits durch die von der funktionalen Selbstverwaltung Betroffenen selbst, d. h. durch eine autonome Legitimation erfolgen. Jedenfalls im Ergebnis relativ nahe stehen dem diejenigen Stimmen, die das „Verbandsvolk“ als Teilvolk im Sinne des Demokratieprinzips anerkennen.922 Dies markiert zugleich den Unterschied zur Theorie der autonomen Legitimation, die gerade nicht von einem Teilvolk ausgeht, sondern vielmehr den dem Demokratieprinzip immanenten Autonomiegedanken betont. Jedoch wird auch von den Vertretern, die die Mitglieder der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft als Teilvolk begreifen wollen, darauf hingewiesen, dass eine Legitimation durch das Teilvolk stets nur dann möglich sei, wenn es um Aufgaben der Selbstbetroffenheit gehe.923 Da das Verbandsvolk hier als Legitimationssubjekt angesehen wird, kann dieses nämlich logisch auch nur zur Ausübung von Staatsgewalt gegenüber sich selbst legitimieren; andernfalls würde Staatsgewalt gegenüber außerhalb des betreffenden Teilvolks stehenden Personen ausgeübt, die ihrerseits gerade keinen Einfluss auf die Legitimation dieser Staatsgewalt hatten. Im Gegensatz dazu steht die Theorie einer kollektiven Legitimation. Diese geht davon aus, dass über den Gründungsakt des funktionalen Selbstverwaltungsträgers und die damit einhergehende, nach bestimmten oder bestimmbaren Kriterien erfolgte 918 So insbes. Emde, S. 382 ff., 386 ff.; zust. Dreier/ders., Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 132; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Trute, VerwR I Rn. 6/25 f.; Blanke, WiVerw 2008, 191 (192); ähnlich auch Papenfuß, S. 148 ff., 157 f.; krit. Jestaedt, S. 497 ff., 500 ff., 514 ff.; Köller, S. 21 ff., 217; Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/34. 919 BVerfGE 107, 59 (92); 111, 191 (216). 920 Dreier/ders., Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 132; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle/Trute, VerwR I Rn. 6/19; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Schuppert, VerwR I Rn. 16/62. 921 Emde, S. 385. 922 So Maunz/Dürig/Herzog18, Art. 20 II GG Rn. 56 ff.; Oebbecke, S. 88 ff.; Ehlers, FS Stein, S. 125 (131 ff.). 923 Maunz/Dürig/Herzog18, Art. 20 II GG Rn. 59; Oebbecke, S. 90 m. Einschr. auf S. 91.
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Zuweisung demokratischer Teilhaberechte an die Mitglieder diese (scil. die Mitglieder) eine kollektiv-personelle demokratische Legitimation erfahren.924 Legitimationssubjekt ist also das „Gesamtvolk“; insoweit reiht sich die Theorie in das herkömmliche Legitimationsmodell ein. Das ist auch der Grund dafür, weshalb die Ausübung von Staatsgewalt hiernach nicht unbedingt auf Aufgaben der Selbstverwaltung beschränkt ist. Jedoch erhalte sodann das Legitimationsniveau Bedeutung: Allein die Mitglieder des funktionalen Selbstverwaltungsträgers seien durch interne demokratische Teilhaberechte an der Entscheidungsbildung beteiligt. Daher weise die Ausübung von Staatsgewalt gegenüber den Mitgliedern auch ein höheres Legitimationsniveau auf als gegenüber Nichtmitgliedern. Daraus resultiere, dass zwar ein Handeln gegenüber Nichtmitgliedern grundsätzlich möglich sei, jedoch Einschränkungen bestehen müssten. Namentlich sollen lediglich Eingriffe geringerer Intensität möglich sein, die sich zudem in der Regel auf eine Rechtsgrundlage stützen müssen, der ein höheres Maß an Bestimmtheit zukommt.925 Trotz der Heterogenität dieser Erklärungsmodelle im Einzelnen, kann ihnen ein Konsens über die Tatsache entnommen werden, dass dem Selbstverwaltungsgedanken tragende Bedeutung beim Versuch einer Rechtsfertigung zukommt. Unter Betonung dieses Aspekts lassen sich auch die einschlägigen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zur demokratischen Legitimation von Emschergenossenschaft und Lippeverband926 einordnen: Das Demokratieprinzip sei aufgrund seines Prinzipiencharakters „offen für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt.“927 Die funktionale Selbstverwaltung verstärke insofern das demokratische Prinzip und sei als Ausprägung dessen anzuerkennen. Aufgrund dieser besonderen Hervorhebung des demokratischen Autonomiegedankens und der Tatsache, dass das Gericht eine daraus hergeleitete Legitimationsleistung neben der herkömmlichen personellen Legitimation für offenbar geeignet hält, ergibt sich eine gewisse Nähe der Entscheidung zum Erklärungsmodell der autonomen Legitimation.928 Im Unterschied dazu geht das Bundesverfassungsgericht jedoch scheinbar davon aus, dass die Übertragung von Aufgaben gegenüber Dritten mehr oder weniger unproblematisch möglich ist und stellt insofern auch recht wenig intensive Anforderungen auf. Ausreichend soll offenbar eine sachliche Legitimation sein, d. h. eine gesetzliche Vorherbestimmung der Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Organe des funk-
924 Kluth, S. 377; in die gleiche Richtung Dederer, NVwZ 2000, 403 (405); zust. auch Unruh, JZ 2003, 1061 (1063). 925 Kluth, S. 504 f.; ähnlich Dederer, NVwZ 2000, 403 (405). 926 BVerfGE 107, 59 ff. 927 BVerfGE 107, 59 (91). 928 So Musil, DÖV 2004, 116 (119).
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tionalen Selbstverwaltungsträgers sowie eine Regelung der Aufsicht durch ihrerseits personell legitimierte Amtswalter.929 Dem hiesigen Überblick ist für die vorliegende Untersuchung nun Folgendes zu entnehmen: Zwar fehlt es den Trägern funktionaler Selbstverwaltung an der herkömmlichen personellen Legitimation. Eine dem Demokratieprinzip genügende Legitimation ist dennoch begründbar, indem etwa kompensatorisch eine autonome Legitimation der sich selbst Beherrschenden angenommen oder deren kollektivpersonelle Legitimation über den auf gesetzlicher Grundlage basierenden Gründungsakt anerkannt wird. Ganz unabhängig davon, welchem Begründungsmodell der Vorzug gebührt, ist allen gemein, dass der Selbstverwaltungsgedanke für den Versuch einer Legitimationsbegründung eine tragende oder zumindest wesentliche Rolle spielt. Es ergibt sich jedenfalls eine grundsätzliche Beschränkung des Wirkkreises der funktionalen Selbstverwaltungsträger auf ihre eigenen Angelegenheiten; je nach Modell ist dies eben mehr oder weniger möglich. (b) „Sachliche“ Verbandskompetenz Bei den Wirtschafts- und Berufskammern ist rein typologisch ebenfalls zwischen Selbstverwaltungsangelegenheiten sowie Angelegenheiten der Fremdverwaltung zu unterschieden.930 Im Rahmen der Selbstverwaltungsangelegenheiten existieren wiederum zum einen solche Aufgaben, die bereits im jeweiligen Errichtungsgesetz vorgesehen sind und so quasi den „Kernbestand“ an Selbstverwaltungsaufgaben der Kammer markieren und zum anderen solche Aufgaben, die zusätzlich durch Gesetz übertragen werden und nicht unbedingt zu den „typischen“ Selbstverwaltungsangelegenheiten zählen, jedoch im weiteren Sinne immerhin solche darstellen.931 Vom 929 BVerfGE 107, 59 (94). Die Entscheidung ist an dieser Stelle jedoch unklar: Die benannten Voraussetzungen scheinen dem Gericht zufolge ganz generell für ein Tätigwerden des funktionalen Selbstverwaltungsträgers zu gelten. Ob bei einem Tätigwerden gegenüber Dritten, also Nichtmitgliedern, davon abweichende, u. U. engere Maßstäbe gelten sollen, wird nicht ausgeführt. So scheint es aber angedeutet – namentlich in der Passage, die den dargelegten Anforderungen vorausgeht. In dieser weist das Gericht nur kurz darauf hin, dass die Ermächtigung des Selbstverwaltungsträgers zu verbindlichem Handeln mit Entscheidungscharakter auch gegenüber Dritten gelte, dies jedoch „in allerdings begrenztem Umfang“. Leider wird an keiner weiteren Stelle auf diesen „begrenzten Umfang“ Bezug genommen. Für die Annahme nur eingeschränkter Befugnisse gegenüber Dritten spricht insbesondere auch die Tatsache, dass sich das Gericht letztlich – wenn auch nicht explizit, so aber der Sache nach – der autonomen Legitimationstheorie angeschlossen hat; eine unbegrenzte Handlungsermächtigung gegenüber Dritten ist nach dieser Theorie aber nicht begründbar. Krit. zu dieser Passage auch Köller, S. 320, jedoch in anderer Hinsicht; „dogmatische Lücken, Zweideutigkeiten und Halbheiten“ monierend Jestaedt, JuS 2004, 649 (650). 930 s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb). 931 Vgl. der Sache nach Frentzel/Jäkel/Junge/Möllering, § 1 IHKG Rn. 227 ff., der jedoch die Begriffe „Aufgaben im eigenen Wirkungskreis“ und „Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis“ verwendet. Dies ist insofern irritierend, als der Begriff der „Aufgabe im übertragenen Wirkkreis“ im Kommunalrecht gerade den Bereich der Fremdverwaltung markiert (vgl. bspw. § 3 Abs. 1 ThürKO), es vorliegend jedoch um Selbstverwaltung gehen soll. Andererseits
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Prinzip her handelt es sich um die gleiche Unterscheidung wie bei den Gemeinden, jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Kammern gerade keine Allzuständigkeit besitzen; vielmehr gilt das Prinzip der gesetzlichen Enumeration.932 Der materielle Unterschied zwischen den beiden Arten von Selbstverwaltungsaufgaben kann etwa damit beschrieben werden, dass es sich bei den „originären Aufgaben“933 um eine Art „Kernbereichsaufgaben“ handelt, bei denen den Kammern typischerweise auch die Schwerpunktsetzung überlassen ist; bei den IHKs, beispielsweise, zählen dazu die Aufgaben, die in § 1 Abs. 1 und 2 IHKG umschrieben werden.934 Zu den „delegierten Aufgaben“935 gehören dagegen solche, deren Wahrnehmung der Kammer per Gesetz verpflichtend und inhaltlich konkreter auferlegt wird, weil gerade die Vorteile der Selbstverwaltung (komprimierter Sachverstand, Ortsnähe usw.) die ordnungsgemäße Erledigung der Aufgabe im besonderen Maße sichern können und sollen.936 Eine klare Differenzierung ist letztlich aber nicht vollends möglich; insofern ist die vorliegende Darstellung kein Dogma, sondern nur der Versuch, eine Einteilung vorzunehmen. Da es aber hier wie dort um Selbstverwaltung geht, ist die Forderung überzeugend, dass es sich bei den „delegierten Aufgaben“ um solche handeln muss, die sich überhaupt zur Selbstverwaltung eignen.937 Verstanden werden sollte die Bezeichnung der „Selbstverwaltungsaufgabe“ entsprechend der Zugehörigkeit der Wirtschafts- und Berufskammern zur funktioist es ebenso ungünstig, von „freiwilligen Aufgaben der Selbstverwaltung“ und „Pflichtaufgaben der Selbstverwaltung“ zu sprechen, da dann angenommen werden könnte, dass den Kammern – in Übereinstimmung mit den Gemeinden – eine Allzuständigkeit zukommt, was nicht der Fall ist. Letztlich ist die terminologische Unterscheidung für die vorliegende Darstellung nicht von überragender Bedeutung, sodass beide Aufgabenarten als „Selbstverwaltungsaufgaben“ bezeichnet werden. Soweit eine Unterscheidung erforderlich werden sollte, wird dies entsprechend deutlich gemacht. s. zu allem auch Blanke, WiVerw 2008, 191 (208 f.). 932 s. dazu schon o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (1). 933 Das Begriffspaar „originäre Aufgaben“ / „delegierte Aufgaben“ geht auf die Unterscheidung Kluths (S. 243 f.) zurück; er differenziert jedoch ausschließlich formal, d. h. danach, ob ein (separates) Delegationsverhältnis besteht oder nicht. Aufgrund der bestehenden terminologischen Unstimmigkeiten (vgl. Fn. 931), erscheinen diese Bezeichnungen für das vorliegende Verständnis der Selbstverwaltungsaufgaben insgesamt als die vorzugswürdigen. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass letztlich auch diese Begriffe nicht ganz eindeutig sind, denn „delegiert“ sind – mangels Allzuständigkeit – letztlich alle Aufgaben der Kammer; man muss daher „delegiert“ als „zusätzlich, d. h. außerhalb des Errichtungsaktes delegiert“ verstehen. 934 Vgl. Frentzel/Jäkel/Junge/Möllering, § 1 IHKG Rn. 226; s. auch Kluth, S. 244. 935 Vgl. Fn. 933. 936 Frentzel/Jäkel/Junge/Möllering, § 1 IHKG Rn. 227; s. auch BVerfGE 15, 235 (240 f.) – insbesondere zum weiten Feld der Wirtschaftsförderung. 937 Das BVerfG verwendet in st. Rspr. die Umschreibung „legitime öffentliche Aufgaben“ (vgl. BVerfGE 10, 89 [102]; 15, 235 [241]; 38, 281 [299]; BVerfG GewArch 2002, 111 [112]). Dabei soll es sich um solche Aufgaben handeln, „an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber weder allein im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinne staatlichen Aufgaben zählen, die der Staat nur durch seine Behörden wahrnehmen muss (…)“, vgl. BVerfGE 38, 281 (299); BVerfG GewArch 2002, 111 (112).
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nalen Selbstverwaltung auch in einem funktionalen Sinne. Gemeint ist, dass zur Delegation auf die Kammern letztlich jede Aufgabe geeignet ist, die mit dem Zweck der Kammer dergestalt verbunden ist, dass der in dieser Kammer respektive der in diesem Kammertyp typischerweise gebündelte Sachverstand zur effektiven Erfüllung der Aufgabe in besonderem Maße beitragen kann; die Aufgabenerfüllung muss also durch die Funktion dieses bestimmten Kammertyps begünstigt werden. Eine andere Frage ist hingegen, ob einer solchen Aufgabenübertragung im Einzelfall verfassungsrechtliche Gründe entgegenstehen.938 Sicherlich hängt darüber hinaus mit der Einordnung zu den Angelegenheiten der Selbstverwaltung in erster Linie die Frage nach dem Betroffenenkreis zusammen.939 Handelt es sich etwa bei der zu übertragenden Aufgabe um eine solche, die im Wesentlichen Angelegenheiten der Allgemeinheit betrifft, fehlt es schon allein aus diesem Grund am Selbstverwaltungsbezug. Jedoch ist ein breiter Zwischenbereich an Aufgaben denkbar, von welchen zwar auch andere als Kammermitglieder betroffen sein können, die Aufgaben sachlich aber den obig beschriebenen funktionalen Zusammenhang zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten der Kammer aufweisen. Dazu, inwiefern es letztlich möglich ist, Aufgaben zu übertragen, die gegenüber Dritten, d. h. Nichtmitgliedern, zu erfüllen sind, ist nach unten zu verweisen. Fremdverwaltungsaufgaben nach Weisung können dagegen im Bereich der Wirtschafts- und Berufskammern kaum als zulässig betrachtet werden.940 Unter Fremdverwaltungsaufgaben werden dabei vorliegend all jene Aufgaben verstanden, die auf die Kammer übertragen werden, die jedoch inhaltlich nicht in der beschriebenen Weise den funktionalen Zusammenhang zu dem bestimmten Kammertyp aufweisen. Eine entsprechende Aufgabenwahrnehmung durch die Kammer erfolgt in diesem Fall daher nicht aufgrund der mit ihr verbundenen (funktionalen) Vorteile, sondern nur anlässlich ihrer Existenz und bestehenden Struktur an sich. Kann nach den obig beschriebenen Modellen eine demokratische Legitimation überhaupt nur unter Betonung des Selbstverwaltungscharakters der Kammern erfolgen, erscheint schon aus diesem Grund eine Extension der Aufgaben auf Bereiche, die die Selbstverwaltungsangelegenheiten verlassen, kaum zu rechtfertigen. Der Versuch, das Legitimationsniveau etwa mittels der Regelung von Weisungsbefugnissen anzuheben, begründete einen Widerspruch zum Selbstverwaltungsgedanken. Schließlich ist auch der Aspekt der Grundrechtsbeeinträchtigung der Kammermitglieder zu berücksichtigen. Durch die bestehenden Pflichtmitgliedschaften in den Wirtschafts- und Berufskammern wird das Grundrecht der Mitglieder aus Art. 2 938
Dazu umfassend die Analysen bei Kluth, S. 253 ff., 264 ff., 308 ff. Musil, DÖV 2004, 116 (120), bspw., verlangt ein „dominierendes Element der Selbstbetroffenheit“; Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/34 stellt auf „tendenziell“ eigene Angelegenheiten ab, was nur so verstanden werden kann, dass die übertragene Aufgabe – zumindest auch – Selbstverwaltungsbezug haben muss. 940 In diesem Sinne wohl auch Frentzel/Jäkel/Junge/Möllering, § 1 IHKG Rn. 230; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Groß, VerwR I Rn. 13/70. 939
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Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) eingeschränkt.941 Hier besteht dann klar die Gefahr einer verfassungsrechtlich nicht mehr gerechtfertigten Überstrapazierung, wenn die Kammern zur Wahrnehmung von Fremdverwaltungsaufgaben nach Weisung verpflichtet werden, insbesondere weil diese sich nicht auf Selbstverwaltungs- und damit eigene Angelegenheiten der Zwangsmitglieder beziehen.942 Zusammenfassend ist für die vorliegend bedeutsame Frage nach „sachlicher“ Verbandskompetenz von Folgendem auszugehen: Die Kammern unterliegen als funktionale Selbstverwaltungsträger dem Prinzip der Enumeration. Sämtliche Aufgaben, zu deren Wahrnehmung sie befugt sind, sind gesetzlich zugewiesen. Um den Erfordernissen des demokratischen Autonomiegedankens gerecht zu werden, kann eine Erweiterung des Aufgabenfeldes in der Regel nur dann erfolgen, wenn sich die Aufgabe im obig beschriebenen Sinne inhaltlich-funktional in die Selbstverwaltungsmaterien der Kammer einreiht. Die Übertragung von Fremdverwaltungsaufgaben nach Weisung müsste wegen des beschriebenen verfassungsrechtlichen Defizits wohl mit intensivsten Aufsichtsbefugnissen und weitestgehend determinierten Handlungsaufträgen einher gehen. Wegen des nach der hiesigen Unterscheidung fehlenden funktionalen Bezugs zum spezifischen Selbstverwaltungsauftrag der jeweiligen Kammer, muss eine Zulässigkeit ernstlich bezweifelt werden. Sofern man eine solche Aufgabenübertragung dennoch als zulässig erachtet, erfolgt jedoch auch damit eine Erweiterung des Aufgabenfeldes der Kammer. Auf die formale Kategorie der Verbandskompetenz hat die Unterscheidung keine Auswirkung, da es lediglich um die Erfassung des eigenen Wirkkreises des Verwaltungsrechtsträgers geht. Dieser umfasst sämtliche, den Wirtschafts- und Berufskammern zugewiesene Aufgaben. (c) „Personelle“ Verbandskompetenz (aa) Grundsätzliche Beschränkung auf das „Verbandsvolk“ Hinsichtlich der „personellen“ Verbandskompetenz besteht bei den Wirtschaftsund Berufskammern eine grundsätzliche Beschränkung auf das „Verbandsvolk“, denn Personalkörperschaften knüpfen, wie beschrieben, gerade an eine bestimmte Eigenschaft in der Person der Mitglieder an. Bei den Handwerkskammern sind das die Inhaber eines Handwerks- oder handwerksähnlichen Betriebs einschließlich der dort beschäftigten Gesellen und anderen Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung sowie auch Lehrlinge Mitglieder.943 Bei den IHKs sind das im Wesentlichen alle Personen, die eine Betriebsstätte innehaben und objektiv gewerbe-
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So das BVerfG in st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 10, 89 (102); 12, 319 (323 f.); 15, 235 (239); 38, 281 (297 f.); 107, 59 (102); BVerfG GewArch 2002, 111 (112); umfassend dazu auch Kluth/ders., Handbuch Kammerrecht Rn. 5/69 ff.; ders., S. 275 ff., 282 ff., 293 ff. 942 Vgl. auch Oebbecke, NVwZ 1988, 393 (398). 943 Vgl. § 90 Abs. 2 – 4 HwO.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
steuerpflichtig sind, wenn nicht bereits eine Zugehörigkeit zur Handwerkskammer begründet ist.944 (bb) Problem des Tätigwerdens gegenüber Dritten (a) Vertretene Ansätze Unklar ist, inwiefern eine gesetzliche Ausdehnung der „personellen“ Verbandskompetenz auf Nichtmitglieder möglich ist. Die Frage ist im vorliegenden Zusammenhang klärungsbedürftig, weil die Umsetzung eines „echten“ Wahlrechts für den Dienstleister zu einer weiteren Erhöhung der Inanspruchnahme durch Nichtmitglieder führen kann. Immerhin geht es dabei darum, jeden einheitlichen Ansprechpartner zu befähigen, für sämtliche, auch ausschließlich landesexterne Anliegen eines Dienstleisters tätig zu werden. Die Beantwortung der Frage hängt nun davon ab, auf welchem Weg die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung begründet wird. Dementsprechend werden zur Drittbetroffenheit ganz unterschiedliche Ansichten vertreten.945 Die Vertreter eines autonomen Legitimationsmodells müssen so zur Ablehnung eines Tätigwerdens gegenüber Nichtmitgliedern des funktionalen Selbstverwaltungsträgers gelangen.946 Da sich hiernach demokratische Legitimation im Wesentlichen auf den Autonomiegedanken stützt und „Selbstverwaltung“ nur durch die Ausübung der „sich selbst Verwaltenden“ möglich ist, besteht kaum Rechtfertigungsraum für eine Aufgabenwahrnehmung gegenüber Dritten. Gleiches muss für die Theorie gelten, die im Mitgliederkreis ein Teilvolk sieht. Auch die Vertreter eines „engen“, parlamentszentrierten Legitimationsmodells müssen ein Handeln gegenüber Externen als grundsätzlich unzulässig ablehnen. Dagegen besteht nach dem Modell der kollektiv-personellen Legitimation durchaus die Möglichkeit für ein Tätigwerden gegenüber Nichtmitgliedern. Wie bereits erwähnt, wird insofern jedoch das im Vergleich zur Aufgabenerfüllung gegenüber Mitgliedern niedrigere Legitimationsniveau problematisiert.947 Dieses erfordere eine Beschränkung auf Eingriffe von geringerer Intensität bzw. einer in besonderem Maße bestimmten Rechtsgrundlage bei Eingriffen stärkerer Intensität.948 Auch nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Ausführungen ist ein Handeln eines funktionalen Selbstverwaltungsträgers gegenüber Dritten grundsätzlich zulässig; gefordert werden hierfür lediglich ein bestimmtes Gesetz sowie entsprechende Aufsichtregelungen.949 944 Vgl. § 2 Abs. 1 IHKG; zum Vorrang der Mitgliedschaft in der Handwerkskammer s. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 3 IHKG. 945 Vgl. etwa den Überblick über den Meinungsstand bei Köller, S. 315 ff. 946 Ansatzweise Emde, S. 381; s. auch Köller, S. 315 f.; Papenfuß, S. 151 ff. 947 Kluth, S. 495 f. 948 Kluth, S. 504 f. 949 s. genauer o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (3) (a)(bb) (b) m. Fn. 929.
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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Unabhängig davon, welchem Modell ganz generell der Vorzug gebührt, gilt, dass eine grundsätzliche Ablehnung von Handlungen gegenüber Dritten den Bedürfnissen der Praxis kaum gerecht werden kann.950 Zu denken ist etwa an die Bestellung kammerfremder Sachverständiger; zudem prägen auch und insbesondere mittelbare Auswirkungen auf Dritte das Tätigkeitsfeld der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften.951 Solcherlei lässt sich praktisch im Prinzip nicht vermeiden. Aus diesem Grund wird verbreitet in Bereichen mit nur geringen Abweichungen ein Handeln gegenüber Nichtmitgliedern als zulässig erachtet. Namentlich geht es um designierte Kammerangehörige und damit um Verfahren, in denen es um den Erwerb der Voraussetzungen der Kammerzugehörigkeit geht sowie um Einzelfragen, hinsichtlich welcher der Kreis der betroffenen Nichtmitglieder gegenüber dem der betroffenen Mitglieder nicht ins Gewicht fällt und das Gesamtinteresse der Kammer ein solches „überschießendes“ Tätigwerden rechtfertigt.952 In diesen, sozusagen „Annextätigkeiten und atypischen Einzelfällen“953 soll das Demokratiedefizit deswegen hingenommen werden können, weil es im Vergleich zu dem dabei Gewonnenen kaum ins Gewicht fällt und sich nicht als wesentlich darstellt. (b) Hinnehmbarkeit des Drittbezugs: Ausübung von Staatsgewalt mit nur geringem Entscheidungsgehalt Aus dem soeben dargestellten Überblick über die verbreitet angenommenen Ausnahmen wird bereits deutlich, dass offenbar Einigkeit darüber besteht, dass es Bereiche gibt, in denen das Demokratiedefizit kaum ins Gewicht fällt und deshalb als hinnehmbar zu bewerten ist. Sicherlich kann nicht allgemein davon gesprochen werden, das Demokratiedefizit könne in bestimmten Bereichen gewissermaßen „unter den Tisch“ fallen. Jedoch ist es wohl zutreffend, dass es Bereiche gibt, die einer intensiveren demokratischen Legitimation bedürfen als andere. Tragende Bedeutung muss bei einer entsprechenden Beurteilung jedenfalls auch der Qualität der konkret übertragenen Handlungsbefugnis des funktionalen Selbstverwaltungsträgers zukommen. Für den vorliegenden Zusammenhang zur Übertragung der Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners auf die Wirtschafts- und Berufskammern ist es sicherlich nicht angezeigt, die Frage nach einer personellen demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger ganz generell zu beantworten. Jedoch ist dies zumindest in einem Teilbereich erforderlich: Zu überlegen gilt, ob in Bereichen, die mit einem nur wenig intensiven Handlungsspektrum und (aus dem Blickwinkel der Freiheitsverkürzung betrachtet) Handlungsradius einhergehen, das Demokratiedefizit unter im Einzelnen zu bestimmenden Voraussetzungen hingenommen werden kann. Zwar wurde das genaue Tätigkeitsprofil des einheitlichen Ansprechpartners noch nicht herausgestellt. Jedoch wurde bereits 950
Köller, S. 318. Köller, S. 318; Oebbecke, S. 90 f. 952 Zu den Beispielen vgl. Frentzel/Jäkel/Junge/Möllering, § 1 IHKG Rn. 164e; s. auch Musil, DÖV 2004, 116 (120). 953 Musil, DÖV 2004, 116 (120). 951
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
mehrfach erwähnt, dass ihm Sachbefugnisse jedenfalls nicht zukommen. Insofern ist bereits angedeutet, dass von einem hohen Grad an Entscheidungsgehalt nicht auszugehen sein wird; im Detail wird das sogleich noch zu erörtern sein.954 Ein Erfordernis demokratischer Legitimation besteht grundsätzlich bei jeglichem Ausüben von Staatsgewalt; dies ist bereits dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG („alle Staatsgewalt“) zu entnehmen. Der Begriff ist nach herrschender Ansicht weit zu verstehen; erfasst sind daher sowohl Akte der Eingriffsverwaltung als auch solche der Leistungsverwaltung, schlicht-hoheitliche Betätigungen sowie rein fiskalische Handlungen des Staates.955 Legitimationsbedürftig ist also an sich jedes staatliche Handeln; es kommt nur darauf an, dass der Staat in Wahrnehmung seiner ihm durch Verfassung, Gesetz oder Verwaltungsentscheidung zugewiesenen Aufgaben tätig wird.956 In Bezug auf staatliches Verwaltungshandeln gilt daher, dass das gesamte Spektrum zur Verfügung stehender Handlungsformen, einschließlich der Realakte und bloßen Informationstätigkeiten, erfasst ist,957 sodass es insbesondere keinen Unterschied ergibt, ob das Handeln auf Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet ist oder nicht. Diskutiert wird zudem, ob dem „Gewaltmoment“ im Staatsgewaltbegriff eine gesonderte Bedeutung im Sinne einer Einschränkung beizumessen ist.958 Das Bundesverfassungsgericht spricht insofern vom staatlichen Handeln mit „Entscheidungscharakter“.959 Erforderlich ist demnach zwar kein zwingend rechtsförmiges Handeln, jedoch ein rechtlich überhaupt bedeutsames Tätigwerden, das eben gestaltet, verändert oder rechtlich relevante Folgen nach sich zieht.960 Insgesamt ist also immer dann von der Ausübung von Staatsgewalt auszugehen, wenn zum einen eine staatliche Aufgabe erfüllt wird und zum anderen eine Entscheidung vorliegt. Davon zu unterscheiden ist die Frage nach dem im Einzelfall erforderlichen Legitimationsniveau. Mit dem Begriff wird die Intensität bzw. die Effektivität der Anbindung zum Staatsvolk bezeichnet.961 Es kommt danach nicht wesentlich auf die einzelnen Formen demokratischer Legitimation, sondern eben auf deren Effektivität 954
s. u. unter Kapitel 4 B. II. 1. Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/12 f.; Kluth, S. 355; Schliesky, S. 255 ff.; Jestaedt, S. 246 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (338 f.); a.A. Maunz/ Dürig/Herzog18, Art. 20 II GG Rn. 54: nur einseitig verbindliche Hoheitsakte; s. auch BVerfGE 47, 253 (273 f.), wobei das Gericht jedoch davon ausgeht, dass unwichtige Aufgaben nicht legitimationsbedürftig sind, sodass letztlich ein „Bagatellvorbehalt“ (krit. dazu bspw. Oebbecke, S. 83; Schliesky, S. 263 ff.; Köller, S. 176 ff., 183 f.; Jestaedt, S. 251 ff., 255) bejaht wird. 956 Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/13; Kluth, S. 355; Jestaedt, S. 247 ff. 957 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (342); Kluth, S. 355. 958 s. ausführlich Jestaedt, S. 255 ff. m.w.N. 959 BVerfGE 47, 253 (273); 83, 60 (73); zust. Emde, S. 214 f.; Oebbecke, S. 79 ff. 960 Kluth, S. 356; s. auch Oebbecke S. 81, der auf das Merkmal „regelnd“ abstellt und auch den Unterschied zur „Regelung“ i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG betont. 961 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (67); 107, 59 (87); Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/23; Jestaedt, S. 284 f.; Schliesky, S. 302; Kluth, S. 359 f.; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (366 f.). 955
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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an.962 Eine gegenseitige Kompensation der einzelnen Formen ist damit möglich; ist das im Einzelfall erforderliche Niveau erreicht, so kann es unter Umständen sogar zur Totalsubstitution einer der Komponenten kommen.963 Wann genau das im konkreten Einzelfall erforderliche Niveau erreicht ist, ist allgemein nicht zu beantworten. Jedoch kann bezogen auf den Entscheidungsgehalt des konkreten Staatshandelns eine, in gewisser Weise der Wesentlichkeitstheorie vergleichbare „je-desto-Formel“ aufgestellt werden:964 Je intensiver der dem Amtswalter verbleibende Entscheidungsgehalt ausgestaltet ist, desto höhere Anforderungen sind an das Legitimationsniveau zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht formuliert folgendermaßen: „Haben Aufgaben eines Amtsträgers einen besonders geringen Entscheidungsgehalt, so mag dafür eine demokratische Legitimation ausreichen, bei der einzelne Legitimationselemente zurücktreten. Das kann jedoch nur in Betracht kommen, wenn Kompetenzen gegenständlich im einzelnen und auch ihrem Umfang nach eng begrenzt sind und die zu treffenden Entscheidungen inhaltlich soweit vorstrukturiert sind, daß sie sich etwa auf die messbar richtige Plan- oder Gesetzesdurchführung beschränken.“965
Abzustellen ist demnach auf die Qualität des Legitimationsobjekts, d. h. die konkrete Form der Staatsgewalt im Einzelfall. Stellt sich die Staatsgewalt danach als bloße Ausübung weitgehend determinierter, vorprogrammierter Kompetenzen dar, die dem Amtswalter mithin kaum Entscheidungsspielraum überlassen, ist das erforderliche Legitimationsniveau grundsätzlich als gering an zusehen.966 Sicherlich hängt dies stark vom Einzelfall ab, namentlich davon, ob weitere Faktoren hinzutreten, die das Legitimationsniveau in die eine oder die andere Richtung beeinflussen. Festzuhalten ist also zunächst, dass die Anforderungen, die an die demokratische Legitimation konkret zu stellen sind, unter anderem wesentlich von der Qualität der staatlichen Handlung abhängen. Ob es sich zunächst überhaupt um einen legitimationsbedürftigen Akt handelt, bestimmt sich nach dessen bestehenden oder nicht bestehenden Entscheidungsgehalt und der mit ihm erfolgten Erfüllung einer staatlichen Aufgabe. Ob sich die so definierte Staatsgewalt sodann als mehr oder weniger 962
St. Rspr., vgl. nur BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (67). Dreier/ders., Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 117; v. Münch/Kunig/Schnapp, Art. 20 GG Rn. 21; Köller, S. 184; a.A. Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/23; Emde, S. 329 f., 331 f. – nur Einschränkungen der einen oder der anderen Form, nicht aber Totalausfall; differenzierend zwischen unmittelbarer und mittelbarer Staatsverwaltung Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (368). Dafür grundsätzlich auch Jestaedt, S. 284, der jedoch nur dann eine Totalsubstitution der personellen Legitimation für möglich hält, wenn die sachliche Legitimation, also das Gesetz, den Entscheidungsinhalt gänzlich determiniert. Dass es dann aber bereits am Vorliegen von Staatsgewalt mangelt, räumt er selbst ein; in die gleiche Richtung Kluth, S. 367. s. auch Classen, S. 34 ff., 37 ff., 40, 46 ff., 48, der die Parallelität der Anliegen von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip betont und davon ausgeht, beide wirkten wechselbezüglich und könnten sich somit im Einzelfall ausgleichen. 964 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (367). 965 BVerfGE 83, 60 (74); s. auch bereits BVerfGE 47, 253 (273 f.). 966 Vgl. auch Oebbecke, S. 80. 963
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
legitimationsbedürftig darstellt, bestimmt sich nach dem Grad des ihr innewohnenden Entscheidungsgehalts. Insofern besteht, soweit ersichtlich, auch Einigkeit unter den Vertretern der verschiedenen Legitimationsmodelle zur funktionalen Selbstverwaltung.967 Für die vorliegend relevante Frage nach einer personellen Legitimation von Handlungen gegenüber Nichtmitgliedern eines funktionalen Selbstverwaltungsträgers ist daher Folgendes festzustellen: Handelt es sich um ein Tätigwerden mit einem nur geringen Grad an Entscheidungsgehalt, so ist das zu fordernde Legitimationsniveau ebenfalls nur gering. In diesem Fall erscheint sodann die Forderung des Bundesverfassungsgerichts als überzeugend, ein Handeln mit Drittbezug zuzulassen, wenn eine ausreichende sachliche Legitimation gewährleistet ist.968 Ein ausreichendes Legitimationsniveau kann dann durch gesetzliche Bestimmung der Handlungsbefugnisse im Einzelnen und der Regelung der entsprechenden Aufsicht hergestellt werden. Es entstehen dadurch zwei unbestimmte Faktoren: Zum einen ist nämlich fraglich, wann genau eine Handlungsbefugnis mit einem nur geringen Grad an Entscheidungsgehalt vorliegt. Zum anderen ist unklar, wie bestimmt das zu fordernde Gesetz im Einzelfall sein muss, namentlich inwieweit Entscheidungsbefugnisse determiniert sein müssen oder eben noch einen Spielraum belassen können. Hinsichtlich letzterer Frage kann auf die Dogmatik zum Gesetzesvorbehalt verwiesen werden. Insofern sind die von Rechtsprechung und Literatur erarbeiteten Maßgaben zur Wesentlichkeitstheorie969 beachtlich, bei welcher unter anderem das Kriterium der Freiheitsverkürzung beim Betroffenen eine wesentliche Rolle spielt; je intensiver in die Freiheit des Betroffenen eingegriffen wird, desto höhere Anforderungen sind an die Bestimmtheit des Gesetzes zu stellen, d. h. desto konkreter muss der gesetzgeberische Wille in der Handlungsermächtigung zum Ausdruck kommen.970 Letztlich richtet die Beantwortung beider Fragen somit nach der Ausgestaltung des konkreten Falls. Insbesondere hängt es von einer umfassenden Gesamtwürdigung ab, welche Entscheidungsspielräume dem Amtsträger im Einzelnen verbleiben und welche Auswirkungen dies auf die von der Entscheidung Betroffenen 967 Oebbecke, S. 80 ff.; Köller, S. 183; Papenfuß, S. 176 f., der lediglich vorteilhafte Handlungen und solche, die der Dritte freiwillig in Anspruch nimmt, ohne dass dies zur Wahrnehmung grundgesetzlich garantierter Freiheiten erforderlich wäre, ausnehmen will – jedoch konkret in Bezug auf die Übertragung von Satzungsautonomie an die funktionalen Selbstverwaltungsträger; letztlich ist der Gedanke aber übertragbar; im Anschluss an diesen Kluth, S. 505; s. auch Musil, DÖV 2004, 116 (120), der seine Ausführungen auch nur auf ein „Handeln mit Entscheidungscharakter“ bezieht. 968 BVerfGE 107, 59 (94). Unklar bleibt jedoch, ob das Gericht genau diese Maßstäbe auch auf ein Handeln des funktionalen Selbstverwaltungsträgers gegenüber Dritten anwenden will oder ob insoweit etwas anderes gelten soll. Letztere Deutung (zumindest aber, dass gewisse Einschränkungen – in welcher Hinsicht auch immer vorzunehmen sind) liegt nahe, da das Gericht betont, verbindliches Handeln mit Entscheidungscharakter sei „in allerdings begrenztem Umfang“ auch gegenüber Dritten möglich (s. schon Fn. 929). 969 Vgl. zur Wesentlichkeitstheorie nur BVerfGE 49, 89 (126); 61, 260 (275). 970 Vgl. etwa BVerfGE 34, 165 (192 f.); 40, 237 (249); 62, 169 (182 f.); 111, 191 (216 f.).
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hat. So kann im Rahmen einer abstrahierenden Betrachtung lediglich mit Beispielen gearbeitet werden. Zu nennen sind etwa Handlungen, welche den Dritten in keiner Weise in seiner grundrechtlichen Freiheit beschränken, sondern ihm Vorteile gewähren, auf die er keinen grundgesetzlichen Anspruch hat, insbesondere auch dann, wenn sich der Dritte freiwillig dem Regelungsbereich des funktionalen Selbstverwaltungsträgers unterwirft.971 Da aber unabhängig davon, welchem Legitimationsmodell zur personellen Legitimation man folgt, Handlungen gegenüber Mitgliedern des funktionalen Selbstverwaltungsträgers stets an sich ein höheres Legitimationsniveau aufweisen – da eben überhaupt personelle Legitimation besteht – ist es jedenfalls überzeugend, höhere Anförderungen an die Bestimmtheit des Gesetzes zu stellen, welches zu einem Handeln gegenüber Nichtmitgliedern ermächtigt. Anders stellte sich die Sache jedoch dar, wenn es um ein Handeln des funktionalen Selbstverwaltungsträgers gegenüber Dritten mit einem hohen Grad an Entscheidungsgehalt ginge, denn dann wäre das erforderliche Legitimationsniveau seinerseits entsprechend hoch. Wegen der Ausrichtung der Arbeit ist jedoch, wie eingangs erwähnt, die Beantwortung dieser Frage hier nicht von Relevanz. (w) Zwischenergebnis Für die „personelle“ Verbandskompetenz der Wirtschafts- und Berufskammern ergibt sich nunmehr Folgendes: Grundsätzlich bleibt es dabei, dass der Wirkkreis der Wirtschafts- und Berufskammern auf ihre Mitglieder beschränkt ist. Eine Extension des Wirkkreises auf Dritte ist wegen des damit einhergehenden personellen Legitimationsdefizits nur im begrenzten Umfang möglich. Wesentlich kommt es insofern auf das Legitimationsniveau im Einzelfall an. Da die Totalsubstitution einer der Legitimationsformen nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, ist die Herstellung des erforderlichen Legitimationsniveaus über die sachliche Legitimation möglich, d. h. eine Handlungsermächtigung in einem bestimmten Gesetz und entsprechender Aufsichtsregelungen personell legitimierter Amtsträger. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn eine Ermächtigung zum Handeln gegenüber Nichtmitgliedern in Frage steht, die mit einem nur geringen Entscheidungsgehalt einher geht. Denn nur in diesem Fall ist das herzustellende Legitimationsniveau als gering einzustufen, sodass der Ausfall der personellen Legitimation als hinnehmbar erscheint. Welche Anforderungen im Einzelnen an die Bestimmtheit eines solchen Gesetzes zu stellen sind, richtet sich nach der üblichen Dogmatik zum Gesetzesvorbehalt, namentlich der Wesentlichkeitstheorie. Danach kommt es insbesondere darauf an, inwieweit Handlungsbefugnisse mit Eingriffscharakter (Erlass von belastenden Verwaltungsakten usw.) vorgesehen sind. Ist nach diesen Maßgaben ein Tätigwerden gegenüber Nichtmitgliedern vorgesehen, so ist auch dieses von der „personellen“ Verbandskompetenz der Wirtschaftsund Berufskammer erfasst. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass stets von der 971 Papenfuß, S. 177 sowie im Anschluss an diesen Kluth, S. 505, jedoch konkret in Bezug auf eine Normsetzungsbefugnis des funktionalen Selbstverwaltungsträgers.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Prämisse auszugehen ist, dass die derart übertragene Aufgabe eine „Selbstverwaltungsaufgabe“ im obig herausgestellten Sinne ist.972 (d) „Räumliche“ Verbandskompetenz Die Wirtschafts- und Berufskammern unterliegen in ihrem Wirken ebenfalls einer territorialen Begrenzung. Diese ergibt sich aus der gesetzlichen Zuweisung eines entsprechenden Kammerbezirkes.973 Parallel zum Handeln der Kammer gegenüber Nichtmitgliedern wird im Allgemeinen ein gebietsübergreifendes Tätigwerden von nur geringem Gewicht als unschädlich angesehen.974 Soweit es um die Ausweitung rein wirtschaftlicher Betätigungen der Kammer geht, bei welcher ein Wirken im fremden Kammerbezirk erfolgen soll (z. B. zur Förderung der eigenen Mitglieder), ist unter Umständen die bloße Zustimmung bzw. Information der betroffenen Kammer erforderlich.975 Geht es im Gegensatz dazu um ein in die Freiheitssphäre von Bürgern ein greifendes Handeln der Kammer, gilt wiederum das Prinzip der Enumeration, sodass eine Zuweisung der entsprechenden Aufgabe nur durch Gesetz erfolgen kann. Grenzen, die sich dabei ergeben, sind etwa der potenzielle Eingriff in Rechte der Mitglieder fremder Kammern; diese können dem obig Beschriebenen entsprechend nicht ohne Weiteres der Gewalt einer anderen Kammer unterworfen werden. Gleiches gilt für ein Tätigwerden gegenüber Nichtmitgliedern. Da ein territorial übertretendes Handeln einer Kammer, welches sich im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsangelegenheiten hält, in der Regel Mitglieder einer anderen Kammer betreffen wird, ist insoweit auf die obigen Ausführungen zur „personellen“ Verbandskompetenz zu verweisen. (4) Verwaltung durch Verwaltungsträger ohne Selbstverwaltungscharakter Im Gegensatz zu den soeben beschriebenen Selbstverwaltungskörperschaften, handelt es sich bei Beliehenen um (funktionale) Träger mittelbarer Staatsverwaltung ohne Selbstverwaltungscharakter. Das Problem des Tätigwerdens gegenüber Nichtmitgliedern ergibt sich also nicht. Da im Rahmen der Beleihung Hoheitsgewalt nur punktuell übertragen wird, ist die Verbandskompetenz des Beliehenen „sachlich“ auf diese übertragenen Aufgaben beschränkt. Durch die Regelung von staatlichen Aufsichtsvorbehalten – typischerweise Rechts- und Fachaufsicht976 – wird dem 972
Vgl. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (3) (b). Vgl. bspw. für Thüringen § 1 Abs. 1 ThürAGIHKG, wonach es in Thüringen drei IHKs gibt, deren jeweilige Kammerbezirke sich aus deren Satzungen ergeben (z. B. § 1 Abs. 2 Satzung IHK Südthüringen: Landkreise Hildburghausen, Ilm-Kreis, Schmalkalden-Meiningen, Sonneberg sowie die kreisfreie Stadt Suhl). 974 s. dazu die Bsp. bei Kluth/ders., Handbuch Kammerrecht Rn. 11/100 sowie 11/101; im Anschluss an diesen Blanke, WiVerw 2008, 191 (201 f.). 975 Zu den genauen Unterscheidungen Kluth/ders., Handbuch Kammerrecht Rn. 11/100 sowie generell 11/99 ff. 976 s. etwa Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR II Rn. 90/40; Möllering, WiVerw 2006, 261 (267). 973
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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Demokratieprinzip Rechnung getragen.977 In räumlicher Hinsicht ist der Wirkkreis der Beliehenen gegebenenfalls gesetzlich definiert. Im Zweifel sind sie auf das Gebiet des beleihenden Verwaltungsträgers beschränkt, denn in dessen Verwaltungsrechtssystem sind sie zur Wahrnehmung der bestimmten Aufgaben eingebunden. Auch die rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts ist typischerweise keine Trägerin von Selbstverwaltungsaufgaben, sodass die „personale“ Verbandskompetenz nicht klar definierbar ist. Vielmehr bezieht sich diese auf alle Benutzer der Anstalt. Räumlich kann der Wirkkreis der Anstalt gesetzlich beschränkt sein oder sich auf den gesamten räumlichen Wirkkreis des anstaltsgründenden Verwaltungsträgers beziehen. Hinsichtlich der „sachlichen“ Verbandskompetenz gilt das bereits Geschilderte.978 bb) Folgen der Überschreitung nach Handlungsformen Wurden nun die Verbandsgrenzen der betreffenden Verwaltungsträger im Einzelnen genau bezeichnet, stellt sich in einem weiteren Schritt die Frage, welche Rechtsfolgen eine Verbandskompetenzüberschreitung für die einzelnen Handlungsformen der Verwaltung nach sich zieht. Allen Handlungsformen gemein ist im Ausgangspunkt, dass sie im Falle des Verstoßes gegen die Verbandskompetenz des tätig gewordenen Rechtsträgers rechtswidrig zustande gekommen sind. (1) Verbandskompetenzwidriger Erlass eines Einzelaktes Rechtswidrige Rechtsnormen (förmliche Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen) unterfallen grundsätzlich dem Nichtigkeitsdogma, sodass die Norm eo ipso und ex tunc nichtig ist.979 Eine Nichtigkeit aufgrund kompetenzwidrigen Handelns des erlassenden Verbandes ist insbesondere im Verhältnis zwischen Bund und Ländern denkbar. Namentlich besteht die Möglichkeit, dass der eine Verband ein Gesetz erlässt, dessen Regelungsgegenstand in den grundgesetzlich zugeordneten Kompetenzbereich des jeweils anderen Verbandes fällt. Für Einzelakte stellt sich die Lage dagegen anders dar: So regelt § 44 VwVfG, in welchen Fällen ein rechtswidriger Verwaltungsakt nichtig, und damit gemäß § 43 Abs. 3 VwVfG unwirksam, ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass rechtswidrige 977
Vgl. Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR II Rn. 90/40; Kiefer, LKRZ 2009, 441 (445). Dazu, dass das Demokratieprinzip u. U. Aufsichtsregelungen verlangt s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (2) (b). 978 s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (2). 979 Dazu und weiterführend Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 78 BVerfGG Rn. 7; v. Mangoldt/Klein/Starck/Schulze-Fielitz, Art. 20 GG Rn. R 84; Sachs/ders., Art. 20 GG Rn. 95 unter Hinweis auf die u. U. befürwortete Einschränkung der Nichtigkeitsfolge bei Verfahrensmängeln auf Evidenzfälle – Evidenz wäre bei Verbandskompetenzverstoß jedoch sicherlich nicht zu verneinen; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Sachs, VerwR II Rn. 31/76, jeweils m.w.N.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Verwaltungsakte grundsätzlich gerade nicht nichtig, sondern wirksam sind.980 Besonders evidente Fälle der Rechtwidrigkeit, welche die Nichtigkeit auf jeden Fall zur Folge haben, sind in § 44 Abs. 2 VwVfG geregelt. Basiert die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nun auf fehlender Verbandskompetenz, ist zunächst festzustellen, dass es sich dabei nicht um einen absoluten Nichtigkeitsgrund im Sinne dieser Norm handelt. Mithin kommt es dem Gesetz nach auf die Schwere und Offensichtlichkeit des Fehlers im konkreten Fall an, § 44 Abs. 1 VwVfG.981 Eine offenkundig fehlende Verbandskompetenz wird danach sicherlich in der Regel zur Nichtigkeit führen.982 Zwar könnte insofern überlegt werden, den Mangel an Verbandskompetenz mit dem Fall eines Mangels an örtlicher Zuständigkeit gleichzusetzen – immerhin stellen sich Verstöße gegen die Verbandskompetenz typischerweise als Verstöße gegen den räumlichen Wirkkreis einer Verwaltungseinheit dar. Die fehlende örtliche Zuständigkeit allein führt gemäß § 44 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG ausdrücklich nicht zur Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes983 und begründet gemäß § 46 VwVfG deshalb auch keinen Aufhebungsanspruch; der Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit wird somit vom Verwaltungsverfahrensgesetz als im Grundsatz unbeachtlich behandelt. Jedoch ist wegen des qualitativen Unterschieds zwischen einem Verstoß gegen die Verbands- und einem Verstoß gegen die Organkompetenz mit Oldiges984 Folgendes zu beachten: Das Verwaltungsverfahrensgesetz versteht sich als verbandsbezogenes Recht; es regelt deshalb verbandsinterne Fragen, also Verhältnisse, die sich auf die Behörden jeweils innerhalb eines Verbandes beziehen. Wenn dem aber so ist, dann kann nicht ein Fehler, der die Verbandskompetenz eines ganz anderen Verbandes beeinträchtigt, aufgrund von Rechtsvorschriften des beeinträchtigenden Verbandes als unbeachtlich erklärt werden. Daraus ergibt sich folgende Einschränkung: Ein Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit einer Behörde ist nur dann unter §§ 44 Abs. 3 Nr. 1, 46 VwVfG zu subsumieren, wenn damit nicht gleichzeitig die Verbandskompetenz des Rechtsträgers, für den die Behörde handelt, verletzt wurde. Denn in diesem Fall bleibt es dabei, dass es auf die Kriterien des § 44 Abs. 1 VwVfG ankommt. Als nicht „besonders schwerwiegend“ in diesem Sinne kann danach die Überschreitung der Verbandskompetenz eines Verwaltungsträgers der mittelbaren Staatsverwaltung betrachtet werden, soweit dieser Fremdverwaltungsaufgaben
980
s. nur Kopp/Ramsauer, § 43 VwVfG Rn. 1, 3a; Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, § 43 VwVfG Rn. 178, § 44 VwVfG Rn. 1. 981 So Oldiges, DÖV 1989, 873 (882); a.A. – grundsätzliche Nichtigkeit – etwa noch Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 717. 982 Vgl. etwa die Nachw. bei Kopp/Ramsauer, § 44 Rn. 14 m. Fn. 25; a.A. noch Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 717: stets Nichtigkeit. 983 Außer im Fall des Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG). 984 Oldiges, DÖV 1989, 873 (882) unter Verweis auf eine unveröffentlichte Entscheidung des OVG NW v. 24. 11. 1988 – 4 A 1526/87.
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
221
wahrnimmt. Entsprechend dem obig Geschilderten985 weist die derartige Aufgabenbewältigung nicht die gleiche Qualität auf wie die Wahrnehmung der Selbstverwaltungsaufgaben, was insgesamt eine Differenzierung hinsichtlich der Folgen einer Verbandskompetenzüberschreitung rechtfertigt.986 Daraus ergibt sich folgende Gegenausnahme: Verbandsverstöße im Rahmen der Fremdverwaltung können Verstößen gegen die örtliche Zuständigkeit innerhalb eines Verbandes gleichgesetzt werden. Denn dann besteht eine Vergleichbarkeit mit § 44 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG.987 Sicherlich handelt es sich dabei nur um richtungweisende Grundsätze, die bei Hinzutreten weiterer Umstände im Einzelfall ganz anders zu beurteilen sein können. (2) Verbandskompetenzwidriges schlichtes Verwaltungshandeln Der Begriff des „schlichten Verwaltungshandelns“ umfasst viele verschiedene exekutive Ausdrucksformen. In ihrer Gesamtheit sind sie nicht abzubilden, da sie sich letztlich negativ dadurch definieren, dass sie all jene Ausdrucksformen umfassen, die nicht rechtlich vertypt sind oder in tatsächlicher Hinsicht eine Vertypung durch Rechtsprechung und/oder Wissenschaft erlangt haben.988 Die Terminologie selbst ist dabei schon uneins. Teilweise wird synonym vom Realakt gesprochen,989 teils werden schlichtes Verwaltungshandeln und schlicht-hoheitliches Handeln unterschieden.990 Allen damit umschriebenen Handlungen gemein ist, dass sie auf die Herbeiführung eines tatsächlichen Erfolgs respektive Zustands gerichtet sind. Dies stellt das wesentliche Charakteristikum des schlichten Verwaltungshandelns dar, und zwar unabhängig davon, ob es nun seinerseits auf öffentlich-rechtlichen Bestimmungen beruht oder nicht991 bzw. ob es sich dabei um Tätigkeiten handelt, die die Wirklichkeit unmittelbar ändern oder aber den tatsächlichen Erfolg nur mittelbar bewirken, ohne darauf gerichtet gewesen zu sein992. Im Gegensatz dazu geht es bei den anderen typischen Handlungsformen der Verwaltung, wie etwa dem Verwal985
s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (2) (a). Oldiges, DÖV 1989, 873 (881); a.A. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 716. 987 Dazu, dass die in § 44 Abs. 3 VwVfG aufgezeigten Fälle als eine Enumeration von Beispielsfällen gedacht ist, die zur Beurteilung ähnlicher Fälle herangezogen werden soll vgl. Kopp/Ramsauer, § 44 VwVfG Rn. 51. 988 Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Hermes, VerwR II Rn. 39/20 f. 989 Vgl. Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Hermes, VerwR II Rn. 39/8; Wolff/ Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR I Rn. 23/79, 57/1. Krit. Ipsen, VerwR AT Rn. 822. 990 So etwa Knack/Henneke/Ritgen, Vor § 9 VwVfG Rn. 7; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/ Stober, VerwR I Rn. 23/79, 57/1. Die Unterscheidung ist aber nur theoretischer Natur, da hier wie dort kein regelnder Charakter vorliegt. 991 Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR I Rn. 23/78: „schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln“, wenn aufgrund öffentlichen Rechts gehandelt wird, jedoch ohne in die Freiheitssphäre des einzelnen einzugreifen oder zu entscheiden; ansonsten „schlichtes Verwaltungshandeln“. 992 Knack/Henneke/Ritgen, Vor § 9 VwVfG Rn. 7: „Realakt“, wenn die Handlung die Wirklichkeit unmittelbar verändert, z. B. die Aushändigung von Formularen; ansonsten „schlicht-hoheitliches Handeln“, wie bspw. bei der Informationserteilung. 986
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
tungsakt oder dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, um die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolgs. Trotz des dogmatisch uneindeutigen Standortes des schlichten Verwaltungshandelns, wird im Allgemeinen jedenfalls die behördliche Auskunft hierunter gezählt.993 Die Erteilung von Informationen, so wie sie beispielsweise eine der wesentlichen Aufgaben der einheitlichen Ansprechpartner darstellt, ist also als schlichtes Verwaltungshandeln zu qualifizieren. Fraglich ist, wie sich nun das schlichte Verwaltungshandeln und die Überschreitung der Verbandskompetenz des handelnden Verwaltungsträgers zueinander verhalten. Dabei ist jedoch schon unklar, wie es in einem solchen Fall überhaupt zur Verbandsüberschreitung kommen kann. Hinsichtlich eines Verwaltungsaktes stellen sich klassischerweise zwei Konstellationen dar: Zum einen besteht die Möglichkeit, dass die Behörde eines Verwaltungsträgers einen Verwaltungsakt aus einem sachlich ihm (scil. dem Verwaltungsträger) nicht unterstehenden Bereich oder gegenüber einem seiner Hoheitsgewalt nicht unterstehenden Bürger erlässt. Zum anderen kann es sein, dass in den beiden benannten Fällen die Initiative vom Bürger ausgeht, d. h. dass dieser einen Antrag an den verbandsmäßig sachlich oder räumlich unzuständigen Verwaltungsträger (bzw. dessen Behörde) stellt. Folge im ersten Fall ist, wie dargelegt, gegebenenfalls die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes, im zweiten Fall ist der Verwaltungsträger schlicht nicht in der Lage, den Antrag zu bearbeiten; es wird insofern höchstens ein dem Rechtsstaatsprinzip entspringender Anspruch auf Weiterleitung des Antrags an die zuständige Behörde ausgelöst. Geht es nun um die Überscheitung von Verbandskompetenz im Rahmen schlichten Verwaltungshandelns, kann von folgender Überlegung ausgegangen werden: Voraussetzung dafür, dass dies überhaupt möglich ist, ist zunächst, dass die Handlung ihrerseits der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben dient, welche dem Wirkkreis des handelnden Verwaltungsträgers unterfallen. Damit geht es zunächst um den Gesetzesvorrang. Ist dem Verwaltungsrechtsträger eine Aufgabe zur Erledigung zugewiesen oder steht ihm die Erfüllung sonst anheim (z. B. aufgrund Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG), so hat er grundsätzlich die Möglichkeit, diese Aufgabe durch ein schlichtes Verwaltungshandeln zu erfüllen. Dies gilt jedoch in zweierlei Hinsicht nur bedingt: Zum einen kann es sein, dass zur Aufgabenerfüllung eine andere Handlungsform, z. B. der Verwaltungsakt, zwingend vorgeschrieben ist.994 Zum anderen kann aber auch eine Erledigung durch eine Ausdrucksform vorgeschrieben sein, die zum schlichten Verwaltungshandeln zu zählen ist. In beiden Fällen ist der Verwaltungsträger aufgrund des Gesetzesvorrangs in seiner prinzipiellen Wahlfreiheit beschränkt. Hinzu kommen selbstverständlich Begrenzungen durch weitere höher993 Knack/Henneke/Henneke, § 35 VwVfG Rn. 60; Ipsen, VerwR AT Rn. 843; Maurer, AllgVerwR Rn. 15/2; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Hermes, VerwR II Rn. 39/ 108. Dies gilt im Übrigen nicht für die Entscheidung über die Frage nach dem „Ob“ der Erteilung der begehrten Auskunft selbst; diese „regelt“ ein Rechtsverhältnis und kann daher auch als Verwaltungsakt qualifiziert werden (i.E. str.; vgl. die Darstellung bei Ipsen, VerwR AT Rn. 843 m.w.N.). 994 Dazu Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR I Rn. 57/23.
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
223
rangige Maßstäbe, wie etwa den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Seine Verbandskompetenz kann ein Verwaltungsträger daher auch durch schlichtes Verwaltungshandeln zunächst dann überschreiten, wenn er damit eine Aufgabe erfüllt, die ihm gesetzlich nicht zugewiesen ist oder wenn er sich (insbesondere bezogen auf Äußerungen, Stellungnahmen usw.) in einem Themenkreis bewegt, der ihn nicht betrifft.995 Denn nur, weil es sich um eine nicht vertypte und nicht auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtete Handlungsform handelt, bedeutet das nicht, dass der Gesetzesvorrang keine Geltung hat. Handelt der Verwaltungsträger außerhalb des ihm obliegenden Aufgabenbereichs (Wirkkreis), handelt er ultra vires996, und zwar unabhängig davon, ob er durch Verwaltungsakt oder durch Realakt handelt. Entscheidend ist also die Zuweisung der Aufgabe.997 Einem umfassenden Gesetzesvorbehalt unterliegt das schlichte Verwaltungshandeln dagegen nicht.998 Daraus folgt für die Gemeinden, dass schlichtes Verwaltungshandeln insoweit möglich ist, als es sich um Selbstverwaltungsangelegenheiten handelt, denn so weit reicht ihre Verbandskompetenz. Kammern dagegen können immer dann ihre Verbandskompetenz auch durch schlichtes Verwaltungshandeln überschreiten, wenn sie sich außerhalb des ihnen zugewiesenen Aufgabenbereichs bewegen.999 Die Vornahme eines Realaktes, welcher mit der Rechtsordnung nicht in Einklang steht, ist selbstverständlich rechtswidrig.1000 Unklar ist jedoch, was die Folge eines solchen rechtwidrigen Handelns sein soll und insbesondere, welches Interesse an einer entsprechenden Feststellung bestehen soll. Eine generelle, alle Ausdrucksformen des schlichten Verwaltungshandelns umfassende Fehlerfolgenlehre gibt es bisher nicht; insbesondere kommt die Folge der Nichtigkeit nicht in Betracht, da eben das schlichte Verwaltungshandeln keine Rechtsfolgen, sondern rein tatsächliche Folgen bewirkt.1001 Ein tatsächlicher Erfolg kann jedoch nicht unwirksam in diesem Sinne sein. Zudem kann es im Rahmen eines rechtswidrigen Realaktes auch nicht darum gehen, diesen „Aufzuheben“; in aller Regel wird nicht einmal ein „Rückgängigmachen“ möglich sein. Im Einzelfall können Grundrechte betroffen sein. Dies gilt beispielsweise, wenn eine Berufskammer zu allgemeinen, ihre Angelegenheiten nicht betreffenden Fragen öffentlich Stellung nimmt.1002 Sofern es generell um die 995
Dazu Oebbecke, NVwZ 1988, 393 (394 ff.) – sowohl für Gemeinden als auch für Kammern. 996 Zum Handeln ultra vires s. o. unter Kapitel 4 B. I. 3. 997 Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR I Rn. 57/27; Oebbecke, NVwZ 1988, 393 (394 f.); dazu, dass Gemeinden auch nur etwa insoweit Stellung beziehen dürfen, wie sie sich dabei auf „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ beziehen schon BVerfGE 8, 122 (134). 998 Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR I Rn. 57/26 f. 999 s. dazu v. a. BVerwGE 34, 69 (74 f.). 1000 Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Hermes, VerwR II Rn. 39/100. 1001 Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Hermes, VerwR II Rn. 39/100. 1002 Namentlich geht es um Art. 2 Abs. 1 GG, s. etwa BVerwGE 59, 231 (238 f.); s. auch BVerwGE 34, 69 (74 f.).
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Verletzung subjektiver Rechte geht, kommen sicherlich Unterlassungs- bzw. Beseitigungs- oder Entschädigungsansprüche in Betracht. Für die vorliegende Betrachtung relevant ist indes nur die Feststellung, dass schlichtes Verwaltungshandeln grundsätzlich auch nur innerhalb der Verbandsgrenzen möglich (also rechtmäßig) ist und – konsekutiv dazu – dass eine entsprechende Übertretung das Eindringen in einen fremden Wirkkreis zur Folge hat.
II. Kompetenzgrenzen der einzelnen einheitlichen Ansprechpartner Nachdem nun geklärt wurde, was genau unter der Verbandskompetenz zu verstehen ist und welche Grenzen sich aus der ihr zugrunde liegenden Dogmatik für die vorliegend interessierenden Verwaltungsträger im Allgemeinen ergeben, soll es im Folgenden konkret um die Verbandskompetenz der einheitlichen Ansprechpartner in den einzelnen Bundesländern gehen. Es soll gezeigt werden, in welcher Hinsicht diese jeweils an ihre „Grenzen“ stoßen, um so den „Schwachpunkt“ der bisher erfolgten Umsetzung zu identifizieren. Dazu soll zunächst eine kurze Einordnung der Tätigkeiten der einheitlichen Ansprechpartner in das System verwaltungsrechtlicher Handlungsformen erfolgen. 1. Einordnung der Tätigkeiten des einheitlichen Ansprechpartners a) Verfahrensabwicklung und Informationsbereitstellung Der einheitliche Ansprechpartner ist bereits ausweislich der Dienstleistungsrichtlinie zu einer Fülle an Handlungen verpflichtet. Zentralnormen sind, wie bereits in Kapitel 2 dargelegt, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 DLRL. Insofern kann das Leistungsportfolio des einheitlichen Ansprechpartners im Wesentlichen durch Bildung zweier Komplexe zusammengefasst werden: Erstens geht es um die unter dem Stichwort „Verfahrensabwicklung“ erfassten Aufgaben und zweitens um „Informationsbereitstellung“. In den §§ 71b Abs. 1 und 71c Abs. 1 VwVfG wurden diese Anforderungen bundesrechtlich bzw. entsprechend in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder umgesetzt.1003 Die Gesetze über die Einheitlichen Ansprechpartner der Länder füllen diesen Rahmen zum Teil noch konkreter aus1004 oder verweisen einfach bezüglich der Aufgaben auf die Vorschriften über die einheitliche Stelle im (Bundes-) Verwaltungsverfahrensgesetz1005. Doch selbst in denjenigen Bundesländern, in denen die EA-Gesetze eine detailliertere Auflistung an Aufgaben enthalten, gehen diese nicht über die beiden benannten Tätigkeitskomplexe hinaus. So bestimmt beispielsweise das EAG Bln in § 2 Abs. 3 S. 2 die Zuständigkeit des 1003 1004 1005
s. dazu bereits o. unter Kapitel 4 A. I. Vgl. etwa § 2 EAG Bln; § 2 Abs. 1 BremEAG. Vgl. etwa § 1 Abs. 1 EA-Gesetz NRW; § 1 Abs. 1 RhPfEAPG.
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
225
einheitlichen Ansprechpartners auch für Annexverfahren, also solchen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den typischen Verfahren stehen. Auch hier fungiert der Ansprechpartner jedoch als bloße „Kontakt- und Informationsstelle“, mithin als Verfahrensmittler. In Mecklenburg-Vorpommern kommen dem einheitlichen Ansprechpartner zusätzlich bestimmte Unterstützungspflichten (§ 6 Abs. 2 EAG M-V) bezogen auf die Fristwahrung der Behörden zu. Insofern wird zwar der allgemeine § 71d (L)VwVfG ergänzt. Jedoch erfolgt auch dadurch nicht etwa eine Ausweitung der Verfahrensrolle des einheitlichen Ansprechpartners im Allgemeinen. Noch darüber hinaus gegangen ist das Saarland. Hier regelt § 5 Abs. 2 EA-Gesetz Saarland die Möglichkeit der einheitlichen Ansprechpartner, sich gegebenenfalls an die Aufsichtsbehörde der zuständigen Behörde zu wenden, um eine Beschleunigung des Verfahrens zu beantragen. Da aber lediglich eine „Beantragung“ vorgesehen ist, wird auch hier grundsätzlich nichts an der Verfahrensmittler-Stellung des Ansprechpartners geändert; der einheitliche Ansprechpartner kann also nicht etwa selbst zu Aufsichtmaßnahmen greifen. Insgesamt ist daher zunächst einmal festzustellen, dass auch die Länder sich für die Implementierung der einheitlichen Ansprechpartner in der Form eines Verfahrensmittlers entschieden haben.1006 Sachentscheidungsbefugnisse kommen ihm in der gesamten Bundesrepublik nicht zu. Die Tätigkeiten der einheitlichen Ansprechpartner kann daher wie folgt zusammengefasst werden: Zur „Verfahrensabwicklung“ gehören im Wesentlichen die Entgegennahme von Anträgen und sonstigen Erklärungen und Unterlagen des Dienstleisters sowie deren Weiterleitung an die zuständigen Behörden. Andersherum hat der einheitliche Ansprechpartner Mitteilungen sowie Empfangsbestätigungen der Behörden an den Dienstleister weiterzuleiten und über den jeweiligen Verfahrensstand zu informieren. Landesrechtlich kommen teils ergänzende Anforderungen hinzu, wie z. B. die summarische Überprüfung der Unterlagen auf Vollständigkeit und Fehler und die damit gegebenenfalls verbundene Mitteilung an den Dienstleister.1007 In der Regel handelt es sich bei den Ergänzungen jedoch lediglich um deklaratorische Konkretisierungen, die bereits Ausdruck einer richtlinienkonformen Anwendung1008 der §§ 71a ff. VwVfG sind. Zur „Informationsbereitstellung“ gehört die Auskunft über die in § 71c Abs. 1 VwVfG bezeichneten Materien. Landesrechtlich kommen teils Beratungspflichten1009 und ebenfalls konkretisierte bzw. weitere Informationspflichten hinzu.1010
1006 Zu diesem Ergebnis gelangen auch Schliesky/Schulz/Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/III, S. 249 (303); s. zudem ausdrücklich bspw. ThürLT-Drs. 4/ 4962 S. 51. Zu den entsprechenden Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie vgl. bereits o. unter Kapitel 2 A. III. 2. 1007 § 3 Abs. 3 S. 1 EAG SH. 1008 Dazu auch bereits o. unter Kapitel 1 C. IV. 1009 § 2 Abs. 3 S. 3 EAG Bln. 1010 Vgl. bspw. die Informationspflicht hinsichtlich etwaiger „Annexverfahren“ gemäß § 2 Abs. 3 S. 3 EAG Bln.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
b) Schlichtes Verwaltungshandeln Für die Frage nach der Qualität des dem einheitlichen Ansprechpartner zukommenden Verwaltungshandelns ergibt sich Folgendes: Sowohl die von der „Verfahrensabwicklung“ als auch die von der „Informationsbereitstellung“ umfassten Tätigkeiten sind solche, die auf die Herbeiführung eines tatsächlichen Erfolgs gerichtet sind. Es geht um die Erteilung von Auskünften, um Beratungs- und Übermittlungstätigkeiten. Dagegen wird etwas im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG „geregelt“, wenn es um das Setzen einer Rechtsfolge geht, d. h. einer verbindlichen Begründung, Änderung oder Feststellung von Rechten und/oder Pflichten und der damit zusammenhängenden Gestaltung eines konkreten Verwaltungsrechtsverhältnisses;1011 es gibt weder Aufsichtbefugnisse noch Eingriffskompetenzen.1012 Eine „Gestaltung“ nimmt der einheitliche Ansprechpartner nicht vor, dies bleibt allein der zuständigen Behörde überlassen. Zwar kann im Einzelfall insbesondere die Erteilung von Auskünften als Verwaltungsakt zu qualifizieren sein. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Auskunft Bindungswirkung entfaltet,1013 d. h. durch die Begründung eines besonderen Vertrauensschutzes das mit der erteilten Auskunft zusammenhängende Rechtsverhältnis zwischen Bürger und Staat als verbindlich gestaltet. Die Informationspflichten des einheitlichen Ansprechpartners sind jedoch als reine Tathandlungen ausgestaltet. Dem Sinn und Zweck nach geht es um die bloße Bereitstellung von Informationen, um einen Bündelungseffekt, von dem der Dienstleister profitieren soll. Dagegen soll die Informationstätigkeit des einheitlichen Ansprechpartners keine Vorabbindung der sachlich zuständigen Behörden bewirken; sie ist bloßes „Wissensmanagement“1014 und kann als „Dienstleistungstätigkeit“ der Verwaltung bezeichnet werden. Etwas anderes ist auch Art. 7 DLRL nicht zu entnehmen. Es könnte höchstens in der Tatsache, dass die einheitlichen Ansprechpartner als einheitliche Stelle gemäß § 71b Abs. 3 VwVfG fristwahrende Funktion haben, ein Eingriff in die Sachkompetenz der Behörden erblickt werden. Dies ändert zwar nichts an dem Befund, dass den einheitlichen Ansprechpartnern keine regelnde Tätigkeit zukommt. Jedoch wird ihr Handeln durch die Funktion der Fristwahrung in besonderer Weise hoheitlich relevant. Schließlich übernimmt der Ansprechpartner damit einen zumindest kleinen Teil des Verwaltungsverfahrens der sachlich zuständigen Behörde.1015 Die Behörde ist jedoch ab dem Zeitpunkt, in dem sie die Unterlagen vom einheitlichen Ansprechpartner erhält, alleinige Herrin über das 1011 BVerwGE 55, 280 (285); OVG Lüneburg NVwZ 1982, 385 (386); Stelkens/Bonk/ Sachs/Stelkens, § 35 VwVfG Rn. 142 f.; Knack/Henneke/Henneke, § 35 VwVfG Rn. 23; Ipsen, VerwR AT Rn. 336; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Bumke, VerwR II Rn. 35/22, 35/33. 1012 Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 (5). 1013 Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Stober, VerwR I Rn. 53/4, 57/13. 1014 Knack/Henneke/Schliesky, § 71c VwVfG Rn. 4. 1015 Neidert, S. 86.
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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Verfahren und hat dann insbesondere auch noch ihre eigene Zuständigkeit zu prüfen, weil die Weiterleitung durch den Ansprechpartner nicht etwa zuständigkeitsbegründend wirkt. Denn weder ist dies ausdrücklich bestimmt noch lässt sich der Richtlinienintention ein entsprechendes Verständnis entnehmen. Zudem hat der einheitliche Ansprechpartner die Unterlagen „unverzüglich“ weiterzuleiten, was den Kompetenzverlust der Behörde teils wieder ausgleicht.1016 Das Tätigwerden des einheitlichen Ansprechpartners weist daher trotz Fristwahrungsfunktion keinerlei sachlich-regelnde Elemente auf. Zusammenfassend ist es daher sachgerecht, seine Tätigkeit als schlichtes Verwaltungshandeln zu qualifizieren.1017 c) Behörde im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG Der einheitliche Ansprechpartner wird zudem als „Behörde“ im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG tätig. Denn durch seine Einbindung in das Verwaltungsverfahren der sachlich zuständigen Behörden und seine Mitwirkung durch schlichtes Verwaltungshandeln nimmt er Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr; er handelt mithin auch hoheitlich.1018 d) Insgesamt: legitimationsbedürftiges Handeln im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG Nach den obig geschilderten Grundlagen des herrschenden demokratischen Legitimationsmodells1019 ist dann von legitimationsbedürftiger Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG auszugehen, wenn es sich um die Erfüllung einer staatlichen Aufgabe mit Entscheidungscharakter handelt. Betrachtet man die Tätigkeit des einheitlichen Ansprechpartners unter diesem Aspekt, so ergibt sich deren Qualifikation als staatliche Aufgabe bereits aus der Tatsache, dass der Staat überhaupt tätig wird, d. h. die Aufgabe tatsächlich wahrnimmt und so zu seiner Angelegenheit macht; insbesondere ist der einheitliche Ansprechpartner in seiner konkreten Umsetzung als Behörde einzuordnen und ist in das Verwaltungsverfahren der sachlich zuständigen Behörden eingebunden. Fraglich ist jedoch, ob seinem Handeln Entscheidungscharakter zukommt. Wie dargestellt, geht es bei dieser Einordnung nicht um ein „Entscheiden“ in dem Sinne, dass es auf die Befähigung zum Erlass von Verwaltungsakten ankäme; es ist nicht erforderlich, dass dem Handeln ein Regelungsmoment innewohnt. Schlichtem Verwaltungshandeln kommt danach grundsätzlich auch Entscheidungscharakter zu. Es kommt lediglich darauf an, dass überhaupt in rechtlich bedeutsamer Weise ge1016
Neidert, S. 86. So auch Neidert, S. 88. 1018 Vgl. nur Kopp/Ramsauer, § 1 VwVfG Rn. 52b; Ruge, ZG 2009, 45 (58); s. auch die entsprechende Bezeichnung als „Behörde“ in den Drucksachen der Länder zu den EA-Gesetzen, z. B. LSALT-Drs. 5/2158 S. 25. Dazu, dass auch schlichtes Verwaltungshandeln als „hoheitlich“ zu bezeichnen ist Sachs/Battis, Art. 33 GG Rn. 55 ff. m.w.N. 1019 Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (3) (c) (bb) (b). 1017
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
handelt wird. Die bloße Abwicklungs- und Informationsfunktion des einheitlichen Ansprechpartners könnte als bloß konsultative oder Hilfstätigkeit angesehen werden, der sodann ein Entscheidungscharakter gänzlich abzusprechen wäre.1020 Zwar ist die Beurteilung, ob staatlichem Handeln Entscheidungscharakter zukommt oder nicht grundsätzlich für jede einzelne Kompetenzzuweisung separat vorzunehmen; dagegen ist nicht an die Gesamtheit der einem Amtsträger zugewiesenen Aufgaben anzuknüpfen.1021 In Bezug auf den einheitlichen Ansprechpartner ist es daher sachgerecht, einerseits im Rahmen der Abwicklungstätigkeit zwischen dem Umgang mit fristgebundenen Anträgen, Anzeigen und Willenserklärungen und dem Umgang mit nicht fristgebundenen Anträgen, Anzeigen und Willenserklärungen sowie andererseits der Informationstätigkeit zu unterscheiden. Durch eine solche Unterteilung können jeweils qualitativ vergleichbare Handlungen zusammengefasst werden. Eine genauere Unterscheidung wäre deshalb nicht sinnvoll. Zu betrachten ist also zunächst die erwähnte Fristwahrungsfunktion: Dadurch erfolgt eine relevante Einbindung in das Verwaltungsverfahren der sachlich zuständigen Behörde, die sich den Eingang beim einheitlichen Ansprechpartner entsprechend zurechnen lassen muss. Der Eingang fristgebundener Anträge, Anzeigen und Willenserklärungen bei sowie die Weiterleitung selbiger durch den einheitlichen Ansprechpartner erlangen so rechtliche Bedeutung und ziehen rechtliche Folgen nach sich. In dieser Hinsicht ist insbesondere auch die Tatsache hervorzuheben, dass mit Eingang eines Antrags in der Regel ein Verwaltungsverfahren überhaupt ausgelöst wird. Somit kann auch in der Entgegennahme nicht fristgebundener Anträge, Anzeigen und Willenserklärungen eine nach außen hin rechtlich relevante Tätigkeit des einheitlichen Ansprechpartners erblickt werden.1022 Darüber hinaus ist für den zuletzt genannten Bereich zu beachten, dass auch hier die Zugangsfiktion ausgelöst wird: Drei Tage nach Eingang beim einheitlichen Ansprechpartner gelten auch nicht fristgebundene Anträge, Anzeigen und Willenserklärungen als der sachlich zuständigen Behörde zugegangen, § 71b Abs. 2 S. 1 VwVfG. Rechtliche Relevanz kommt darüber hinaus auch der Informationstätigkeit zu. Hier hat der Ansprechpartner immerhin Informationen auszuwählen und auf den entsprechenden Fall anzupassen. Hier kommt es wesentlich auf Vollständigkeit und Übersichtlichkeit an, wovon im Zweifel der Dienstleister die Entscheidung für oder gegen ein Verwaltungsverfahren abhängig machen wird. Dem einheitlichen Ansprechpartner obliegt insofern eine Art „Obhutspflicht“, die zumindest potenzielle Auswirkung auf ein folgendes Verwaltungsverfahren haben kann. Sicherlich erscheint hierbei fraglich, ob allein durch eine so verstandene Rolle des einheitlichen Ansprechpartners von verfassungsrechtlich relevanter „Staatsgewaltsausübung“ gesprochen werden kann. Jedoch ist dies vor allem der Tatsache geschuldet, dass es eine Institution wie die des 1020
Dazu, dass diese Tätigkeiten vom Begriff der Staatsgewalt ausgenommen werden können Isensee/Kirchhof/Böckenförde, HdbStR II Rn. 24/13; s. auch BVerfGE 47, 253 (273). 1021 Jestaedt, Der Staat 32 (1993), 29 (42 f.). 1022 Neidert, S. 85; in dieselbe Richtung gehen auch Caralps, Erwägungen (insbes. S. 90, 205 f.).
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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einheitlichen Ansprechpartners im Verwaltungssystem der Bundesrepublik bisher nicht gibt. Ein „Front Office“ in dieser Form ist dem deutschen Verwaltungsrecht bisher im Wesentlichen fremd, sodass der Versuch einer Einordnung in die Systematik herkömmlicher Kategorien sich als schwierig gestaltet. Insgesamt erscheint es jedoch überzeugend, die Handlungen des einheitlichen Ansprechpartners in ihrer Gesamtheit als legitimationsbedürftig im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG einzuordnen.1023 Eine andere Entscheidung wäre vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips und der Tatsache, dass die Institution über ein bloßes Informationsportal o. ä. hinaus geht, kaum überzeugend. Das bedeutet zunächst, dass die einheitlichen Ansprechpartner grundsätzlich sowohl personeller als auch sachlicher Legitimation bedürfen. Dies sagt jedoch noch nichts über das erforderliche Legitimationsniveau aus, welches sich nach dem Entscheidungsgehalt der Handlungsbefugnisse im konkreten Fall richtet.1024 Hinsichtlich des einheitlichen Ansprechpartners gilt, dass mangels Sachentscheidungsbefugnis kaum von „Entscheidung“ im sprachgebräuchlichen Sinne gesprochen werden kann. Im Rahmen seiner Abwicklungstätigkeit „entscheidet“ er letztlich lediglich über die Weitergabe von Unterlagen, Anfragen usw. an die zuständigen Behörden. Hierzu ist er jedoch ohne die Einräumung etwaiger Ermessensspielräume verpflichtet, § 71b Abs. 1 VwVfG. Selbst unter Berücksichtigung seiner Informationsauswahltätigkeit stellt sich seine „Entscheidungsbefugnis“ als gering dar. Seine „Entscheidungskompetenz“ beschränkt sich daher auf die Ausübung weitestgehend vorgegebener Handlungsaufträge. Auch an dieser Stelle ist die Einordnungsschwierigkeit wieder der bereits angesprochenen Tatsache geschuldet, dass es sich um ein neuartiges Phänomen im Verwaltungsrechtssystem handelt. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass der einheitliche Ansprechpartner zwar in rechtlich relevanter Weise tätig wird, der „Entscheidungsgehalt“ seiner Tätigkeit jedoch äußerst gering ist. Für die Frage nach dem erforderlichen Legitimationsniveau folgt daraus nunmehr, dass dieses als relativ niedrig einzustufen ist. 2. Kompetenzgrenzen nach Modellen a) Kammermodelle aa) „Funktionale“ Selbstverwaltungsaufgaben Durch Gesetz wurden die Wirtschafts- und Berufskammern zu einheitlichen Stellen im Sinne der Verwaltungsverfahrensgesetze. Für die Kammern, denen ein einheitlicher bundesgesetzlicher Rahmen zugrunde liegt, hat der Bund entspre-
1023 1024
So i. Erg. auch Neidert, S. 89; a.A. Kormann, S. 57. Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (3) (c) (bb) (b).
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
chende Öffnungsklauseln eingefügt,1025 für die allein landesrechtlich geregelten Berufskammern haben demgemäß die Länder normiert1026. Die bundesgesetzlichen Öffnungsklauseln wurden sodann von den Ländern in den EA-Gesetzen umgesetzt und ausgestaltet. Somit erfolgte zunächst eine Übertragung der Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners auf die Wirtschafts- und Berufskammern. Festzustellen ist dazu, dass es sich inhaltlich jedenfalls um Aufgaben handelt, die nach der obig herausgestellten funktionalen Sichtweise typologisch als Selbstverwaltungsangelegenheiten der betreffenden Wirtschafts- und Berufskammern zu charakterisieren sind. Denn mit der Abwicklungs- und Informationstätigkeit fügt sich der Aufgabenbereich des einheitlichen Ansprechpartners in das berufs-, standesund wirtschaftsfördernde Anliegen der Kammern ein.1027 Die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners eignen sich besonders zur Wahrnehmung durch die Selbstverwaltungskörperschaften, da diese über einschlägiges Fachwissen hinsichtlich der Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten verfügen; dieses kann durch die Übertragung der Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners gerade genutzt werden. Insofern wurde die „sachliche“ Verbandskompetenz der Wirtschafts- und Berufskammern um die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners erweitert. Die Erweiterung ist nach den herausgestellten Grundsätzen1028 allerdings auch auf diese zugewiesenen Aufgaben beschränkt. Problematisch könnte jedoch die Auffangzuständigkeit der IHKs sein. Denn insoweit werden die Kammern sachlich in Bereichen tätig, die sich außerhalb derjenigen Materien bewegen, die die Berufe ihrer Mitglieder betreffen. Jedoch liegen auch diese Aufgaben nicht derart außerhalb des grundsätzlichen Anliegens der IHKs, dass etwa schon von Fremdverwaltungsaufgaben gesprochen werden könnte. Es wurde herausgestellt, dass immer dann noch von einer Selbstverwaltungsangelegenheit auszugehen ist, wenn die Aufgabenerfüllung gerade von der spezifischen Funktion genau dieser Kammer zu profitieren verspricht. Den IHKs obliegt, wie dargestellt, die Förderung von Beruf und Wirtschaft. Auch wenn es sich um eine Erweiterung an Berufen handelt, ergeben sich enorme Vorteile beispielsweise dadurch, dass die bestehende Vernetzung der IHKs mit den sachlich zuständigen Be1025
So geschehen für die IHKs (§ 1 Abs. 3a IHKG), die Handwerkskammern (§ 91 Abs. 1a HwO), die Rechtsanwaltskammern (§ 73a BRAO), die Steuerberaterkammern (§ 76 Abs. 7 StBerG); vgl. für die Kammern Jahn, GewArch 2009, 177 ff. 1026 So geschehen in den jeweiligen EA-Gesetzen, vgl. die Nachw. o. unter Kapitel 4 A. II. 2. a). 1027 So auch Blanke, WiVerw 2008, 191 (195 f.); Biernert, GewArch 2008, 417 (419); Ziekow/Windoffer/ Windoffer, S. 106 f., zu ähnlichen Aufgaben, die die Kammern wahrnehmen S. 102 ff.; krit. Cremer, EuZW 2008, 655 (658). Dazu, dass es sich bei der Wirtschaftsförderung an sich um eine „legitime öffentliche Aufgabe“ (Fn. 937) handelt vgl. BVerfGE 15, 235 (241). Zu den Begriffen der Förderung der gewerblichen Wirtschaft und der Förderung der wirtschaftlichen Interessen des Handwerks i.S.d. §§ 1 Abs. 1 IHKG, 91 Abs. 1 Nr. 1, 9 HwO und deren prägender Bedeutung für die jeweiligen Kammern ausführlich Will, S. 483 f., 756 ff.; s. auch Kluth/ders., Handbuch Kammerrecht Rn. 6/173 ff. 1028 Vgl. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (3) (b).
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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hörden genutzt werden kann. Das gleiche gilt für einschlägiges Fachwissen hinsichtlich der Unternehmensförderung und Existenzgründung ganz allgemein. Darüber hinaus eignen sich für eine solche Auffangzuständigkeit sachlich auch deswegen die IHKs, weil ihnen eine Vielzahl an Berufen untersteht und sie daher über Erfahrung in einem breiten sachlichen Spektrum verfügen. Deswegen spricht insgesamt nichts gegen die Ausdehnung der Zuständigkeit der IHKs auf die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners. Insoweit betrifft die Problematik weniger die sachlich-inhaltliche Dimension der Aufgabe an sich, als vielmehr die Frage danach, ob sich das Tätigwerden gegenüber den kammerfremden Dienstleistern vorliegend im Rahmen des Zulässigen hält. bb) Hinnehmbarkeit des Drittbezugs In personeller Hinsicht ist zwischen den Allkammermodellen in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, dem Saarland und Thüringen einerseits und dem Wirtschaftskammermodell Mecklenburg-Vorpommerns andererseits zu unterscheiden. Bei Ersteren ist jede Kammer für Dienstleister zuständig, die eine ihren Mitgliedern entsprechende Tätigkeit ausüben bzw. ausüben wollen. In MecklenburgVorpommern dagegen sind insgesamt nur die Handwerkskammern für Dienstleister, die ein ihnen zugeordnetes Handwerk ausüben oder ausüben wollen zuständig, die IHKs dagegen für sämtliche anderen Dienstleistungen. Allen Kammermodellen gleichermaßen immanent ist es zunächst, dass es vermehrt zu Anliegen von Nichtmitgliedern kommen wird; hier ist insbesondere an ausländische Dienstleister zu denken, die den einheitlichen Ansprechpartner nutzen möchten. Dies ist dann unproblematisch, wenn es um Fälle designierter Kammermitglieder geht.1029 Problematisch ist jedoch die Auffangzuständigkeit der IHKs, die sich im Rahmen des Wirtschaftskammermodells ganz besonders zuspitzt. Fraglich ist, ob dies im Hinblick auf die Anforderungen demokratischer Legitimation hinnehmbar ist. Zunächst spricht für eine Hinnehmbarkeit folgende Überlegung: Soweit den IHKs innerhalb der Allkammermodelle eine Auffangzuständigkeit für alle „übrig bleibenden“ Dienstleistungstätigkeiten zukommt, dürften diese Fälle begrenzt sein. In der Regel wird sich eine sachlich eindeutige Zuordnung zu einem der verkammerten Berufe ergeben.1030 Die weitaus größte Anzahl an Dienstleistungstätigkeiten ist entweder dem Handwerk oder dem Gewerbe zuzuordnen und somit Teil der Regulärzuständigkeit von Handwerkskammer oder IHK; was bleibt, stellt gegenüber den Belangen der Mitglieder eine eher wenig beachtliche Größe dar.1031 Jedoch ist 1029 s. zu den allgemein als zulässig anerkannten „Randbereichen“ der Kammerzuständigkeit o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (3) (c) (bb) (a). 1030 Das gilt auch für ausländische Dienstleister, d. h. die Zuordnung deren Tätigkeit zu einer entsprechenden Kammer in Deutschland. 1031 s. dazu die Fallzahlen bei Bund-Länder-Ausschuss Dienstleistungswirtschaft, Verortungsmöglichkeiten, S. 11; i. Erg. ebenso Blanke, WiVerw 2008, 191 (195); krit. Cremer, EuZW 2008, 655 (658).
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
vor allem denkbar, dass sich in Zukunft die Inanspruchnahme deutlich steigern wird. Eine Institution wie die des einheitlichen Ansprechpartners war bisher noch nicht existent, weshalb sicherlich eine gewisse Anlaufphase zu gewähren sein wird, innerhalb welcher die Stelle erst nach und nach angenommen werden wird. Daher stellt sich dennoch ganz dringlich die Frage nach Wahrung der erforderlichen demokratischen Legitimation.1032 Es geht mit anderen Worten also darum, ob sowohl die bundesgesetzlichen Öffnungsklauseln, die ihrerseits schon ein Tätigwerden der Kammern für Nichtmitglieder erlauben, als auch die entsprechenden EA-Gesetze der Länder im Hinblick auf die Anforderungen personeller demokratischer Legitimation verfassungsgemäß sind.1033 Es wurde bereits dargelegt, dass jedenfalls dann, wenn im konkreten Fall ein staatliches Handeln mit einem nur geringen Grad an Entscheidungsgehalt in Frage steht und demgemäß auch ein nur geringes Legitimationsniveau erforderlich ist, ein Tätigwerden der Kammer gegenüber Dritten beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen möglich ist.1034 Namentlich geht es um die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen, d. h. das Vorliegen einer hinreichenden sachlichen Legitimation durch ein bestimmtes Gesetz, das den Handlungsauftrag konkret beschreibt sowie Vorgaben über die durch personell demokratische legitimierte Amtswalter vorzunehmende Aufsicht.1035 Im vorliegenden Fall der Auffangzuständigkeit der IHKs sind diese Voraussetzungen erfüllt: Das Tätigkeitsprofil der einheitlichen Ansprechpartner ist vom Entscheidungsgehalt her als äußerst gering einzustufen, woraus ein entsprechend niedriges Legitimationsniveau resultiert.1036 Diesem wird zum einen durch eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage Rechnung getragen und zum anderen durch Aufsichtsregelungen. Zunächst bieten § 1 Abs. 3a IHKG sowie die jeweiligen EA-Gesetze der betreffenden Länder1037 die Rechts1032 Insofern ist die Kritik Cremers, EuZW 2008, 655 (658) zu verstehen und es ist nicht überzeugend, die Auffangzuständigkeit der IHKs mit dem Hinweis abzutun, es werde lediglich zur Drittnutzung im zahlenmäßig untergeordneten Bereich kommen (so etwa auch HmbBürgersschaft-Drs. 19/4484 S. 18). 1033 Dazu, dass bereits nach bisheriger Rechtslage ein Tätigwerden gegenüber Dritten möglich gewesen wäre weist Jahn, GewArch 2009, 177 (178) hin, begrüßt aber die explizite Klarstellung. 1034 Dazu o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (3) (c) (bb) (b). 1035 s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (3) (c) (bb) (b) m. den dort. Nachw. 1036 Dazu soeben unter Kapitel 4 B. II. 1. d), insbesondere auch zu den einzelnen Kompetenzen. I. Erg. ebenso Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (50). 1037 Vgl. Art. 2 Abs. 1 S. 2 BayEAG, §§ 2 Abs. 1 S. 3 EAG BW, 2 S. 1 HmbEAG, 2 Abs. 1 S. 2 EAPG M-V, 1 Abs. 8 ThürES-ZustVO (basierend auf § 10 ThürESEG). Einzig das Saarland hat keine ausdrückliche Zuweisung der nicht verkammerten Berufe vorgenommen. Hier ist fraglich, welche Kammer für diese Fälle zuständig sein soll. Im Zweifel liegt einer entsprechenden Zuordnung der zwischen den beteiligten Kammern geschlossene öffentlichrechtliche Vertrag zugrunde, § 4 Abs. 3 EA-Gesetz Saarland. Wegen der grundsätzlich niedrigen Anforderungen, die im vorliegenden Zusammenhang an die demokratische Legitimation zu stellen sind, erscheint die Regelung qua Vertrag, welcher seinerseits auf gesetzlicher
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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grundlagen, welche die Auffangzuständigkeiten der IHKs ermöglichen bzw. begründen. Zudem werden in den Gesetzen die genauen Kompetenzen der IHKs beschrieben; diese erfahren auch nicht etwa eine Erweiterung soweit es um die Auffangzuständigkeit geht, sondern entsprechen den auch sonst übertragenen Tätigkeiten. Ob die gesetzlichen Grundlagen als ausreichend erachtet werden können, richtet sich allgemein danach, inwiefern Wesentliches geregelt wird.1038 Daher kommt es insbesondere auf etwaiges freiheitsverkürzendes Potenzial der gewährten Kompetenzen an. Die einheitlichen Ansprechpartner sind als bloße Verfahrensmittler zu ausschließlich schlichtem Verwaltungshandeln ermächtigt.1039 Dies ist für den Dienstleister lediglich rechtlich vorteilhaft, denn es handelt sich um eine Serviceleistung, die dem Inanspruchnehmenden ausschließlich zugute kommt. Zu beachten ist zudem, dass sich der Dienstleister freiwillig in den Machtbereich des einheitlichen Ansprechpartners begeben muss; er ist nicht gezwungen, diesen zu beanspruchen und kann sich genauso direkt an die sachlich zuständigen Behörden wenden. All dies spricht dafür, keine zu hohen Anforderungen an die Bestimmtheit des erforderlichen Gesetzes zu stellen. Darüber hinaus regeln die Gesetze die Aufsicht über die Kammern in ihrer Funktion als einheitliche Ansprechpartner.1040 Dass es sich dabei lediglich um die Form der Rechtsaufsicht handelt, ist logische Konsequenz der Zuordnung der Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners zu den Selbstverwaltungsaufgaben der Wirtschafts- und Berufskammern.1041 Es handelt sich um die typische Aufsichtsform im Rahmen der Selbstverwaltung, da sie die notwenige Freiheit der Selbstverwaltungskörperschaft mit der aus demokratischer Sicht erforderlichen staatlichen
Grundlage basiert und zudem von der Billigung durch das zuständige Ministerium abhängt, zwar möglich. Jedoch sollte gerade diese verfassungsrechtlich äußerst prekäre Frage nach einem zulässigen Handeln der Kammern gegenüber Nichtmitgliedern gesetzgeberisch behutsamer behandelt werden. Insofern ist es verwunderlich, dass sich nicht einmal in der Gesetzesbegründung eine Erwähnung des Problems findet. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die eine klare Zuordnung vornimmt, wäre jedenfalls überaus wünschenswert (so auch Sicko LKRZ 2010, 331 [332]). 1038 s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (3) (c) (bb) (b). 1039 s. o. unter Kapitel 4 B. II. 1. b); zu diesem Aspekt in Bezug auf ein Tätigwerden der Kammern als einheitliche Ansprechpartner auch M. Müller, FS Stober, S. 349 (364). 1040 Vgl. §§ 7 EAG BW, 9 HmbEAG, 11 EAPG M-V, 10 EA-Gesetz Saarland, 7 ThürESEG. In Bayern wurde hingegen keine eigenständige Aufsichtregelung in das BayEAG übernommen. Zunächst war es geplant, eine Regelung einzufügen, welche die Kammern einer Fachaufsicht unterstellt hätte. Da dies jedoch mit dem Gedanken der Selbstverwaltung nicht vereinbar gewesen wäre, wurde letztlich davon abgesehen und es bleibt für Bayern bei den allgemeinen Ausichtsregelungen in den Kammergesetzen (Rechtsaufsicht); vgl. zur Lage in Bayern Jahn, GewArch 2010, 150 (153). 1041 Frentzel/Jäkel/Junge/Möllering, § 1 IHKG Rn. 164 f.; Will, S. 521, 772, 903; Blanke, WiVerw 2008, 191 (209, 211); Jahn, GewArch 2009, 177 (178); a.A. die Bundesregierung, BTDrs. 16/10493 S. 22.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
Aufsicht verknüpft.1042 Eine sachliche Legitimation ist danach in ausreichendem Maße gegeben; das erforderliche Legitimationsniveau kann als gewahrt betrachtet werden. Die Anbindung zum Volk ist also auch mit Blick auf das nicht regelnde und begünstigende Handlungsspektrum des einheitlichen Ansprechpartners in hinreichendem Maße gegeben. Etwas anderes müsste dann gelten, wenn die einheitlichen Ansprechpartner bei den IHKs als sachlich zuständige Behörde eingerichtet worden wären. Denn dann wären sie mit umfassenden Eingriffsbefugnissen gegenüber dem Bürger ausgestattet und die Frage nach dem erforderlichen Legitimationsniveau müsste anderes beurteilt werden. Aus dieser Gesamtbetrachtung kann somit gefolgert werden, dass auch das Handeln gegenüber Nichtmitgliedern im Rahmen der Auffangzuständigkeit der IHKs im vorliegenden Umfang (bloße Abwicklungs- und Informationstätigkeit ohne wesentlichen Entscheidungsgehalt und Eingriffsbefugnisse) und Zusammenhang (grundsätzliche Zugehörigkeit der Aufgaben zur wirtschaftlichen Selbstverwaltungs- und Förderungstätigkeit der IHKs) auf ausreichender gesetzlicher Grundlage und unter Regelung einer Aufsicht als zulässig zu erachten ist.1043 cc) Räumliche Wirkkreise der einzelnen Kammern Umfasst die Verbandskompetenz der als einheitliche Ansprechpartner agierenden Wirtschafts- und Berufskammern damit sowohl in sachlicher als auch in personeller Hinsicht das von der Dienstleistungsrichtlinie vorgegebene Spektrum, bleibt die Betrachtung der räumlichen Komponente. Wie bereits dargestellt, sind die Kammern jeweils auf die ihnen zugewiesenen Kammerbezirk beschränkt. So werden in Bayern und Baden-Württemberg, den Bundesländern, die den einheitlichen Ansprechpartnern keine gemeinsamen Geschäftsstellen zugeordnet haben, die jeweiligen Kammern in ihren ohnehin bestehenden Bezirken tätig.1044 In Mecklenburg-Vorpommern existiert zwar die gemeinsame Koordinierungsstelle, jedoch befreit das die Dienstleister nicht davon, sich nach Auffinden der für sie zuständigen Wirtschaftskammer auch an diese zu wenden.1045 Daher sind auch hier die jeweiligen Handwerkskammern und IHKs nach ihren Bezirken örtlich zuständig. In Hamburg, dem Saarland und Thüringen bestehen jeweils Kammergemeinschaftsmodelle in gemeinsamer Trägerschaft der Kammern, denen gemeinsame Geschäftsstellen vorgeschaltet
1042 Frentzel/Jäkel/Junge/Möllering, § 1 IHKG Rn. 164 f., § 11 IHKG Rn. 1 ff.; ders., WiVerw 2006, 261 (282 ff.). 1043 A.A. wohl Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 107 – Auffangzuständigkeit nur durch separaten einheitlichen Ansprechpartner möglich; krit. dazu M. Müller, FS Stober, S. 349 (365 f. m. Fn. 65). 1044 Zu den betrauten Kammern s. o. unter Kapitel 4 A. II. 2. a) aa) sowie Kapitel 4 A. II. 2. a) bb). 1045 Dazu o. unter Kapitel 4 A. II. 2. a) dd).
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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sind.1046 Jedoch sind dabei auch jeweils die Kammern für ihren Bezirk zuständig; ihre „räumliche“ Verbandskompetenz ist insofern nicht ausgedehnt worden. Die Geschäftsstellen handeln nach außen zwar scheinbar verbandsübergreifend, im Innenverhältnis wird jedoch die jeweils örtlich zuständige Kammer betraut. Die „räumliche“ Verbandskompetenz der als einheitliche Ansprechpartner tätigen Wirtschafts- und Berufskammern entspricht daher den ohnehin bestehenden Kammerbezirken.1047 Dies stellt gleichsam die im Hinblick auf die Dienstleistungsrichtlinie bedeutsamste Begrenzung dar: Zwar könnte sich den obigen Ausführungen zufolge ein Dienstleister theoretisch sowohl in sachlicher als auch in personeller Hinsicht an eine Kammer eines anderen Bezirks wenden. Dem stünde jedoch deren räumlicher Wirkkreis entgegen. An diesem Befund ändert beispielsweise auch die Ausgestaltung durch ein Kammergemeinschaftsmodell mit gemeinsamen Geschäftsstellen nichts. Am Beispiel von Thüringen kann dies veranschaulicht werden: Es wurde dargestellt, dass sich das dortige Modell aus insgesamt elf Wirtschafts- und Berufskammern (und dem beliehenen Landesverband der Freien Berufe Thüringen e.V.) zusammensetzt. Diese handeln durch die sechs eingerichteten Geschäftsstellen bei den Handwerkskammern in Gera, Erfurt und Suhl sowie den ebenfalls dort ansässigen IHKs. Die Geschäftsstellen haben insofern eine eigene „örtliche Zuständigkeit“.1048 Rechtlich handelt es sich um ein sog. Kammergemeinschaftsmodell, bei dem eben die Kammern jeweils als einheitliche Stellen tätig werden, jedoch nach außen durch gemeinsame Geschäftsstellen handeln. Diese sind unselbstständige Organe der einheitlichen Stellen1049, denen bloß der verwaltungstechnische Vollzug übertragen ist. Intern dagegen, bleiben die jeweils örtlich und sachlich zuständigen Kammern in der Verantwortung; sie wirken auf die Geschäftsstellen ein und erteilen die nötigen Informationen sowie Weisungen zur Gewährleistung deren effektiver Aufgabenerfüllung.1050 Möchte nun ein Dienstleister eine der Handwerkskammer zugehörige Tätigkeit ausüben, muss er sich an die Geschäftsstelle derjenigen Handwerkskammer wenden, in deren Bezirk er tätig werden möchte. Ist damit beispielsweise die Handwerkskammer Gera zuständig, möchte der Dienstleister jedoch – aus welchem Grund auch immer – die Handwerkskammer Erfurt betrauen, scheitert das aus zwei Gründen: Zum einen steht dem die „örtliche Zuständigkeit“ 1046 Dazu o. unter Kapitel 4 A. II. 2. a) cc), Kapitel 4 A. II. 2. a) ee) sowie Kapitel 4 A. II. 2. a) ff) m. den dort. Nachw. 1047 Im EA-Gesetz Saarland wurde die sachliche bzw. örtliche Zuständigkeit der einzelnen Kammern nicht geregelt (vgl. auch bereits Fn. 1037). Dies ist jedoch unproblematisch, da sich eine Beschränkung auf den jeweiligen eigenen sachlichen Zuständigkeitsbereich und Kammerbezirk bei fehlender gesetzlicher Abweichung – entsprechend der vorliegenden Darstellung – aus der Natur der Kammern selbst ergibt (Verbandskompetenz); Regelungen, wie bspw. in der ThürES-ZustVO sind insofern deklaratorisch; krit. Sicko, LKRZ 2010, 331 (332). 1048 Diese entspricht den Kammerbezirken der IHKs und Handwerkskammern, bei denen sie eingerichtet worden sind; ersichtlich auf dem Internetportal der einheitlichen Stelle Thüringen, s. Fn. 732. 1049 ThürLT-Drs. 4/4962 S. 54. 1050 Vgl. Eisenmenger, NVwZ 2008, 1191 (1193) – jedoch zum Modell im Allgemeinen.
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
der Geschäftsstelle Gera entgegen,1051 zum anderen aber auch die „räumliche“ Verbandskompetenz der Handwerkskammer Erfurt. Diese ist nämlich auf den Bereich Erfurt/Mittelthüringen beschränkt.1052 Anders stellt sich das Ganze dar, wenn der Dienstleister eine Tätigkeit ausüben möchte, für die es landesweit nur eine Kammer gibt, z. B. als Rechtsanwalt. Dann ist die Inanspruchnahme einer anderen Geschäftsstelle lediglich ein verbandsinternes Zuständigkeitsproblem, da sich die „räumliche“ Verbandskompetenz der Rechtsanwaltskammer Thüringen auf ganz Thüringen erstreckt. Diese wäre nur dann überschritten, wenn der Dienstleister zwar eine der Geschäftstellen in Thüringen zur Abwicklung nutzen, er seine Tätigkeit jedoch im Nachbarbundesland Hessen ausüben wollte. b) Landesmodelle Im Rahmen der Verwaltung durch die einheitliche Stelle bzw. durch den einheitlichen Ansprechpartner vollziehen die Länder sowohl Landesrecht als auch Bundesrecht. Namentlich geht es um all jene Normen, die sich mit den von der Dienstleistungsrichtlinie umfassten Dienstleistungen und deren Aufnahme und Ausübung befassen. Hinsichtlich beider Vollzugsarten kommt den Ländern dem obig Geschilderten1053 zufolge Verbandskompetenz zu. Grenzen ergeben sich daher für die Länder Berlin, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und SachsenAnhalt nach dem Territorialitätsprinzip. Da die einheitlichen Ansprechpartner, wie dargestellt, als „Behörden“ einzuordnen sind,1054 handelt es sich insoweit um Behörden des jeweiligen Bundeslandes. In ihrer Eigenschaft als solche sind sie Organe des Landes, denen selbst eine begrenzte örtliche Zuständigkeit durch Landesrecht zugewiesen sein kann, die jedoch letztlich ihre äußersten Grenzen in der Verbandskompetenz des Landes finden. Denn, wie ebenfalls dargestellt, dürfen die Organe eines Rechtsträgers nicht außerhalb dessen Verbandskompetenz tätig werden. Die einheitlichen Ansprechpartner sind demzufolge an die jeweiligen Landesgrenzen gebunden. Möchte daher beispielsweise ein Dienstleister den einheitlichen Ansprechpartner bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft in Berlin in Anspruch nehmen, kann er dass nur, wenn er plant, seine Tätigkeit in Berlin auszuüben bzw. dort seine Niederlassung zu begründen. Dagegen ist es im Hinblick auf die Verbandskompetenz nicht möglich, den einheitlichen Ansprechpartner Berlin für eine geplante Niederlassung etwa in Thüringen in Anspruch zu nehmen. Denn das würde die Verbandskompetenz des Landes Berlin überschreiten und die obig beschriebenen Folgen auslösen.1055 1051
Diese ist wohl im Rahmen des auf § 2 Thür-ESEG basierenden öffentlich-rechtlichen Vertrags zwischen den Kammern geregelt. 1052 s. auch § 2 Abs. 1 ThürES-ZustVO. 1053 s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (1). 1054 s. o. unter Kapitel 4 B. II. 1. c). 1055 s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) aa), Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (1) sowie Kapitel 4 B. I. 4. c) bb).
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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Im Gegensatz zu Berlin, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es in Rheinland-Pfalz sowie in Hessen nicht nur einen, sondern zwei bzw. drei einheitliche Ansprechpartner. In diesen Fällen haben die Bundesländer mehr als nur eine EABehörde eingerichtet, denen jeweils unterschiedliche örtliche (Organ-)Zuständigkeiten zukommen. Diese entsprechen sowohl bei den Regierungspräsidien in Hessen als auch bei den Genehmigungsdirektionen in Rheinland-Pfalz deren jeweiligen Bezirken.1056 Relevant ist insofern § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG1057. Da es sich aber dabei um bloße Organzuständigkeiten handelt, erfolgte kein Verbandsverstoß, wenn das eine Präsidium anstelle des anderen in Anspruch genommen würde. Jedenfalls in Rheinland-Pfalz werden diese verbandsinternen Begrenzungen weitestgehend durch die entsprechenden Zuständigkeitsregelungen im RhPfEAPG beseitigt.1058 Es bleibt daher bei dem Befund, dass die Verbandsgrenzen der Landes-Ansprechpartner ausschließlich entlang der Landesgrenzen verlaufen. c) Kommunalmodelle Nach § 1 S. 2 NEAG nehmen die kommunalen Körperschaften die Aufgaben, die ihnen als einheitliche Ansprechpartner zukommen, im übertragenen Wirkungskreis wahr. § 1 Abs. 2 EA-Gesetz NRW bestimmt die Aufgaben, die die Kreise und kreisfreien Städte als einheitliche Ansprechpartner zu erfüllen haben, zu Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung. Damit wird deutlich, dass es sich jeweils um Fremdverwaltungsangelegenheiten1059 für die Kommunen handelt. Deswegen unterfallen diese auch nicht dem Schutz des Art. 28 Abs. 2 GG, woraus die Möglichkeit respektive das Bedürfnis nach einer Weisungsbefugnis bzw. Fachaufsicht der jeweiligen Aufsichtsbehörde resultiert.1060 Es wurde bereits dargestellt, dass richtigerweise sowohl die Selbst- als auch die Fremdverwaltungsangelegenheiten der Gemeinden und Gemeindeverbände zu deren („sachlicher“) Verbandskompetenz zu zählen sind, eine Verletzung der Verbandskompetenz im Bereich der Fremdverwaltung jedoch im Ergebnis wie die Verletzung bloßer Organkompetenzen zu be-
1056
s. dazu bereits o. unter Kapitel 4 A. II. 2. b) cc) sowie Kapitel 4 A. II. 2. b) dd). I.V.m. § 1 Abs. 1 LVwVfG (Rheinland-Pfalz) bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 2 HVwVfG (Hessen). 1058 Vgl. o. unter Kapitel 4 A. II. 2. b) dd); lediglich die Möglichkeit, den einheitlichen Ansprechpartner im Rahmen von Folgeverfahren zu wechseln, besteht nicht, denn eine einmal begründete Zuständigkeit gilt auch für alle künftigen Verfahren, § 2 Abs. 3 S. 2 RhPfEAPG. 1059 Niedersachsen folgt dabei dem dualistischen System im Kommunalrecht (vgl. Art. 57 Abs. 4 S. 1 Niedersächsische Verfassung, § 5 Abs. 1 NdsGO, § 6 Abs. 1 NKomVG), NordrheinWestfalen dem monistischen System (Art. 78 Abs. 4 NRW Verf, § 3 Abs. 2 GO NRW, § 2 Abs. 2 S. 3 KrO NRW). Daraus resultiert auch die unterschiedliche Terminologie bzgl. der Fremdverwaltungsaufgaben; vgl. auch schon o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (1) (a) m. Fn. 855. 1060 So geregelt in § 1 Abs. 3 NEAG und § 6 EA-Gesetz NRW. In Nordrhein-Westfalen wird die Fachaufsicht als „Sonderaufsicht“ bezeichnet (vgl. § 119 Abs. 2 GO NRW); der Unterschied ist rein terminologisch (s. Burgi, KommunalR Rn 8/24); vgl. zudem o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (2) (a). 1057
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
handeln ist.1061 Daraus ergibt sich, dass im vorliegenden Fall die örtliche Unzuständigkeit eines kommunalen einheitlichen Ansprechpartners auch lediglich wie die örtliche Unzuständigkeit einer Behörde zu behandeln ist. Dagegen führt dies in der Regel nicht zum Verbandsverstoß. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit mit der Überschreitung von Landesgrenzen einher geht. Denn in diesem Fall wird die Verbandskompetenz desjenigen Rechtsträgers überschritten, dem die kommunale Körperschaft zugehörig ist, d. h. innerhalb dessen verwaltungsrechtlichem Wirkkreis sie tätig wird. Im Ergebnis kommt es damit vorliegend auf die Verbandsgrenzen des jeweiligen Bundeslandes an. Verdeutlicht werden kann dies wie folgt: Wendet sich etwa ein Dienstleister in Nordrhein-Westfalen an den „Einheitlichen Ansprechpartner Region Aachen“,1062 um im Gebiet eines anderen Ansprechpartners, z. B. des „Einheitlichen Ansprechpartners Münsterland“, eine Tätigkeit auszuüben, wirkt die örtliche Zuständigkeit des „Einheitlichen Ansprechpartners Region Aachen“ begrenzend. Eine Bearbeitung des Anliegens stellte einen Verstoß dagegen dar. Jedoch käme dem Verstoß lediglich die Qualität fehlender Behördenzuständigkeit zu. Nicht aber handelte es sich um einen Verstoß gegen die Verbandskompetenz des „Einheitlichen Ansprechpartners Region Aachen“; dessen Wirkkreis wäre insofern nicht beeinträchtigt, da er funktional1063 als „Behörde“ des Landes Nordrhein-Westfalen handelt und ein Verbandsverstoß daher erst dann vorliegt, wenn die Verbandskompetenz des Landes überschritten ist. Dies wäre etwa der Fall, wenn es dem Dienstleister im Beispiel um die Ausübung einer Tätigkeit in Berlin ginge. Die gleiche Situation besteht in Niedersachsen:1064 Wendet sich ein Dienstleister hier etwa an den einheitlichen Ansprechpartner in Wolfsburg (kreisfreie Stadt), um diesen für eine Tätigkeitsausübung in Celle (große selbstständige Stadt) in Anspruch zu nehmen, wäre auch hier qualitativ eine bloße Überschreitung einer Behördenzuständigkeit entsprechend § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG zu besorgen, nicht aber eine Verbandsüberschreitung. Eine solche ergäbe sich wiederum erst dann, wenn die Verbandsgrenzen des Landes Niedersachsen betroffen wären. In Niedersachsen besteht zudem die Besonderheit, dass die Aufsichtbehörde, d. h. das Ministerium für Wirtschaft, selbst auch einheitlicher Ansprechpartner ist. Dies ist zumindest für den vorliegenden konkreten Fall ein weiteres Argument dafür, die örtliche Unzuständigkeit eines der im Land befindlichen einheitlichen Ansprechpartner nicht als Verbandsverstoß zu bewerten: Es besteht für Niedersachsen ein Kommunalmodell mit Landeseinschlag,1065 woraus folgt, dass sich offenbar das Land 1061
s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (2) (a). Zur genauen Ausgestaltung des Kommunalmodells in Nordrhein-Westfalen, insbesondere den kommunalen Kooperationen, s. o. unter Kapitel 4 A. II. 2. c) bb). 1063 Vgl. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (2) (a). 1064 Zu genauen Ausgestaltung des kommunalen Modells in Niedersachsen s. o. unter Kapitel 4 A. II. 2. c) aa). 1065 Vgl. Fn. 758. 1062
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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in der Pflicht sieht, für die Aufgabenerfüllung des einheitlichen Ansprechpartners Sorge zu tragen.1066 Daneben gibt es einige Bundesländer, die zwar grundsätzlich ein Kammermodell verwirklicht, dabei jedoch eine optionale kommunale Beteiligung geregelt haben. Namentlich geht es um Baden-Württemberg und Bayern. In Baden-Württemberg haben sich dabei einige Stadtkreise und Landkreise, in Bayern Landkreise und kreisfreie Gemeinden als einheitliche Ansprechpartner gemeldet.1067 In Bayern, wo ausweislich Art. 2 Abs. 2 S. 2 BayEAG die Aufgaben als solche des übertragenen Wirkungskreises wahrgenommen werden, stellt sich die Situation genauso dar wie in Nordrhein-Westfalen. Ein Unterschied ergibt sich nur daraus, dass nunmehr zwischen Kammern und kommunalen Körperschaften zu unterscheiden ist: Soweit es um (landesinterne) Unzuständigkeiten einer kommunalen Körperschaft zuungunsten einer anderen geht, ist die Kompetenzüberschreitung wie ein Verstoß gegen die bloße Organkompetenz zu behandeln. Soweit es jedoch um Unzuständigkeiten einer kommunalen Körperschaft zuungunsten einer Kammer (und vice versa) geht, sind die Verbandsgrenzen der Kammer auf das Intensivste berührt und der Kompetenzverstoß weist rechtlich eine andere Qualität auf. Im EAG BW hingegen ist die Wahrnehmung der Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners auf Kreisebene lediglich mit der Bezeichnung „Pflichtaufgabe“ deklariert, § 2 Abs. 2 S. 3 EAG BW. Offenbar handelt es sich dabei um die Einordnung als Pflichtaufgabe zur Erfüllung ohne Weisung. Denn ausweislich § 7 EAG BW unterstehen sämtliche einheitliche Ansprechpartner ausschließlich der Rechtsaufsicht; darin sind auch die Ansprechpartner auf Kreisebene erfasst.1068 Zudem ergibt sich aus § 2 Abs. 2 S. 1 GemO, dass in Baden-Württemberg Pflichtaufgaben ohne Weisung schlicht als „Pflichtaufgaben“ bezeichnet werden.1069 Aus 1066
So auch NdsLT-Drs. 16/1740 S. 9. Zu den Begriffen der kommunalen Körperschaften s. o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (1) (a); zu der genauen Ausgestaltung in den beiden Bundesländern s. o. unter Kapitel 4 A. II. 2. a) aa) und Kapitel 4 A. II. 2. a) bb). 1068 So zu entnehmen BWLT-Drs. 14/5345 S. 24. 1069 Im Gegensatz zu „Weisungsaufgaben“ (Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung, § 2 Abs. 3 GemO). Fraglich ist, wie sich die Aufgabe des einheitlichen Ansprechpartners einmal als Selbstverwaltungs- und einmal als Fremdverwaltungsaufgabe darstellen kann. Wie es zu solch unterschiedlichen Auslegungsergebnissen kommen kann, ist nicht nachzuvollziehen, hat jedoch auf die vorliegende Untersuchung keine Auswirkung und soll daher nicht weiter erörtert werden. Problematisch könnte dies lediglich im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen auf die betroffene Kommune sein. Nach überkommenem Verständnis besteht nämlich eine finanzielle Ausgleichspflicht der Länder gegenüber den Kommunen nur dann, wenn eine Fremdverwaltungsaufgabe übertragen worden ist, sog. Konnexitätsprinzip (vgl. etwa Zieglmeier, NVwZ 2008, 270 ff.; s. auch Schwarz, NVwZ 1997, 237 [238 ff.]; Ammermann, S. 121 m.w.N.). Jedoch finden sich in der Verfassung Baden-Württembergs (wie in den meisten Landesverfassungen) weitergehende Regelungen über eine finanzielle Augleichspflicht des Landes. Diese wird danach grundsätzlich auch bei der Übertragung von Pflichtaufgaben ohne Weisung ausgelöst, vgl. Art. 71 Abs. 3 Verf. BW (LVerfGE 10, 3 [21 f.]; ausführlich Ammermann, S. 121 f. m.w.N.). Abgesehen davon handelt es sich um eine optionale Ausgestaltung, da 1067
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
diesem Grund stellt sich die Tätigkeit als einheitlicher Ansprechpartner für die Landkreise und Stadtkreise als Selbstverwaltungsaufgabe, die grundsätzlich unter den Schutz von Art. 28 Abs. 2 GG fällt, dar. Daraus folgt, dass dann, wenn die kommunalen Körperschaften in dieser Eigenschaft ihre örtliche Zuständigkeit überschreiten, zugleich eine Verbandsüberschreitung vorliegt; diese ist in der Konsequenz auch nicht einer bloßen Überschreitung der Organkompetenz gleichzusetzen, da die Land- und Stadtkreise insoweit nicht als „funktionale Landesbehörden“ angesehen werden können. Da eine Zuordnung als Selbstverwaltungsaufgabe erfolgt ist, agieren die kommunalen Körperschaften in ihrem „ureigenen Wirkkreis“. Zu einer Verbandsüberschreitung kommt es daher beispielsweise schon dann, wenn sich ein Dienstleister an den einheitlichen Ansprechpartner der Stadt Mannheim (Stadtkreis) wendet, um eine Niederlassung in Stuttgart (Stadtkreis) zu begründen. Dem kommt in Baden-Württemberg rechtlich die gleiche Qualität zu, wie wenn sich der Dienstleister an die landesintern unzuständige Kammer wendet oder ein ausschließlich landesexternes Anliegen verfolgt. d) WFB Bremen als Beliehene Durch das BremEAG wurde die WFB mit der Aufgabenwahrnehmung des einheitlichen Ansprechpartners beliehen.1070 Im Hinblick auf Art. 33 Abs. 4 GG erscheint eine Rechtfertigung unproblematisch. Denn zum einen greifen die typischen sachlichen Legitimationsgründe1071, die für eine Beleihung sprechen, vorliegend in vollem Umfang: Die Ausschöpfung der bereits vorhandenen Potenziale der WFB und ihres Sachverstandes im Bereich entsprechender Tätigkeiten der Wirtschaftsförderung, zu denen auch die Beratung von Unternehmern zählt1072 sowie die Situationsnähe und -beherrschung. Zum anderen kann die erforderliche Rechtfertigung1073 mit dem nicht-regelnden und lediglich vorteilhaften Tätigkeitsportfolio des
es den betreffenden kommunalen Körperschaften frei stand, sich als Träger für einheitliche Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen. Unabhängig davon, wie sich dies auf die Kostendeckungspflicht des Landes auswirkt, kann im Ergebnis daher nicht etwa die Rede davon sein, das Land entziehe sich durch eine willkürliche Einordnung von Aufgaben seiner finanziellen Ausgleichsverpflichtung. 1070 Das Gesetz regelt insofern die wesentlichen Fragen, d. h. Art und Umfang der Beleihung (zu diesem Erfordernis o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (3)). Die genauen Aufgaben ergeben sich mittels des Verweises in § 1 Brem EAG auf die Vorschriften über die einheitliche Stelle nach §§ 71 a ff. VwVfG Bremen bzw. aus § 2 BremEAG selbst. s. auch BremBürgerschaft-Drs. 17/ 1492 S. 4. 1071 Dazu allgemein schon o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (3) sowie ausführlich etwa bei Burgi, FS Maurer, S. 581 (584 f.). 1072 Zu den Aufgaben der WFB vgl. die Informationen auf deren Website, http://www.wfbbremen.de (zuletzt aufgerufen am 08. 02. 2014). 1073 Vgl. Burgi, FS Maurer, S. 581 (591).
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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einheitlichen Ansprechpartners begründet werden. Durch die Regelung der Rechtsund Fachaufsicht wird dem Demokratieprinzip entsprochen.1074 Der WFB kommt nach den dargestellten Grundsätzen hinsichtlich der Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners Verbandskompetenz zu – schließlich wird sie in dieser Hinsicht als eigenständige Verwaltungsträgerin der mittelbaren Staatsverwaltung tätig. Zu beachten ist jedoch, dass es sich um den einzigen einheitlichen Ansprechpartner für Bremen handelt, weshalb sich der räumliche Wirkkreis auf das gesamte Landesgebiet erstreckt. Die Verbandsgrenzen verlaufen damit räumlich entlang derjenigen des Landes Bremen selbst. Eine Verbandsüberschreitung ist nur denkbar, wenn ein Dienstleister eine landesübergreifende Anfrage stellt. An diesem Befund änderte sich – zumindest im vorliegenden Zusammenhang – auch dann nichts, würde man die Überschreitung der Verbandskompetenz im Fall einer Beleihung in der gleichen Weise der bloßen Überschreitung von Organkompetenzen gleichsetzen, wie dies hinsichtlich der kommunalen Körperschaften bei der Wahrnehmung von Fremdverwaltungsaufgaben befürwortet wurde.1075 Immerhin kann der mit einer bestimmten hoheitlichen Aufgabe Beliehene auch in einem funktionalen Sinne als „Behörde“ des Staates betrachtet werden; dies gilt umso mehr als die Beleihung gerade nicht dem Zweck der Selbstverwaltung dient. Für den vorliegenden Fall der WFB als einzigem einheitlichen Ansprechpartner des Landes Bremen ist diese Frage jedoch ohne Belang; sie wäre nur dann relevant, wenn es mehrere beliehene einheitliche Ansprechpartner gäbe, deren Wirkkreise voneinander abzugrenzen wären. e) EAG SH als Anstalt des öffentlichen Rechts Der Einheitliche Ansprechpartner Schleswig-Holstein ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, die kooperativ vom Land, von den Kommunen und den Wirtschaftskammern getragen wird.1076 Es handelt sich daher um eine rechtlich selbstständige Serviceeinrichtung des Landes, zu welcher die Dienstleister im Benutzerverhältnis stehen. Aufgrund der gemeinsamen Trägerschaft sämtlicher in Betracht kommender Single-Ansprechpartner (d. h. eine Kombination aller anderen Umsetzungsmodelle) besteht auch das Rechtsfertigungsproblem eines Tätigwerdens der Kammern gegenüber Nichtmitgliedern nicht. Eine entsprechende Differenzierung nach Handwerk, freiem Beruf usw. erübrigt sich gerade.1077 Denn intern wird jeweils die zuständige „Einheit“ herangezogen. Die Möglichkeit der IHKs, sich an 1074 Vgl. dazu o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (4). Das Beschriebene gilt zudem auch für den Landesverband der Freien Berufe Thüringen e.V., welcher mit den Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners in Bezug auf nicht speziell erfasste freie Berufe gemäß § 1 Abs. 6 ThürESZustVO i.V.m. § 1 Abs. 2 ThürESEG beliehen worden ist. 1075 Dazu o. unter Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (2) (a) sowie unter Kapitel 4 B. II. 2. c). 1076 s. genauer o. unter Kapitel 4 A. II. 2. e). 1077 So auch Schulz, DÖV 2008, 1028 (1033).
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
einer solchen Einrichtung zu beteiligen, basiert bundesgesetzlich auf § 1 Abs. 3b IHKG.1078 Hinsichtlich der Verbandskompetenz der Anstalt kann auf die soeben angestellten Ausführungen zur WFB im Land Bremen verwiesen werden. Mithin umfasst die „sachliche“ Verbandskompetenz der Anstalt die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners bzw. der einheitlichen Stelle nach §§ 138a ff. LVwG. Da es auch in Schleswig-Holstein nur einen einzigen einheitlichen Ansprechpartner gibt, ist auch dieser in räumlicher Hinsicht für das gesamte Landesgebiet zuständig. Die Verbandsgrenzen verlaufen daher auch entlang der Landesgrenzen. Eine Überschreitung ist denkbar, wenn etwa ein Dienstleister in Bayern eine Niederlassung gründen und dazu den Einheitlichen Ansprechpartner Schleswig-Holstein in Anspruch nehmen will. 3. Zwischenergebnis a) Zusammenfassung zu den Kompetenzgrenzen Aus der Darstellung zu den Kompetenzgrenzen der einzelnen einheitlichen Ansprechpartner ergibt sich nunmehr Folgendes: Praktisch sind die Ansprechpartner jeweils in ihrem Handlungsradius begrenzt. Der Dienstleister muss sich in der Regel stets an den im konkreten Fall örtlich zuständigen Ansprechpartner wenden. Soweit eine Kammer zuständig ist, kommen gegebenenfalls noch sachlich differenzierte Zuständigkeiten hinzu. Ein Wahlrecht ist dem Dienstleister dabei nicht an die Hand gegeben. Insbesondere besteht als quasi äußerste Grenze der Handlungsmöglichkeit aller Ansprechpartner die Landesgrenze des Bundeslandes, dem sie je angehören. Soweit Materien betroffen sind, die ausschließlich die Aufnahme und Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in einem anderen Bundesland betreffen, ist der angesprochene Ansprechpartner daher am Tätigwerden gehindert. Denn dann stehen die aufgezeigten rechtlichen Hindernisse entgegen. Namentlich kommt jedem EATräger hinsichtlich der ihm in dieser Eigenschaft übertragenen Aufgaben Verbandskompetenz zu. Diese wird dann überschritten, wenn es um Fragen geht, die ausschließlich den Wirkkreis eines anderen EA-Trägers betreffen. Folge eines unbenommenen Tätigwerdens ist dessen Rechtswidrigkeit; da den einheitlichen Ansprechpartnern nicht auch die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten eingeräumt ist, erschöpft sich die festzustellende Rechtsfolge jedoch darin. In rechtlicher Hinsicht eine Sonderstellung kommt darüber hinaus den kommunalen einheitlichen Ansprechpartnern zu. Soweit diese ihre Verbandskompetenz zuungunsten einer sich in demselben Bundesland befindlichen Kommune überschreiten, ist dies im Ergebnis als bloße Überschreitung der Organkompetenz (d. h. der örtlichen Zuständigkeit) zu behandeln. Die Feststellung ist jedoch rein theoretischer Natur und hat im vorliegenden Zusammenhang keine praktische Auswirkung; das Tätigwerden des ein-
1078
Dazu etwa Jahn, GewArch 2009, 177 (178).
B. Zuständigkeitsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner
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heitlichen Ansprechpartners ist in dem einen wie in dem anderen Fall „bloß“ rechtswidrig. b) Maßgeblichkeit des § 3 Abs. 1 Nr. 2 (L)VwVfG Die Grenzen der Verbandskompetenz der einheitlichen Ansprechpartner wirken sich mithin im Wesentlichen in räumlicher Hinsicht aus. Auf § 3 VwVfG als Zentralnorm der örtlichen Behördenzuständigkeit wurde bereits mehrfach hingewiesen; in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder existiert die Norm gleichlautend. Auch die örtliche Zuständigkeit der einheitlichen Ansprechpartner richtet sich nach dieser Norm.1079 Einschlägig ist dabei § 3 Abs. 1 Nr. 2 (L)VwVfG, wonach die Behörde zuständig ist, in deren Bezirk das Unternehmen oder die Betriebsstätte betrieben oder der Beruf oder die Tätigkeit ausgeübt werden soll. Wie dargelegt, sind die einheitlichen Ansprechpartner Behörden im Sinne des § 1 Abs. 4 (L)VwVfG1080. Es ergibt sich somit folgendes Bild der örtlichen Zuständigkeitsregelungen für die jeweiligen einheitlichen Ansprechpartner: - Baden-Württemberg, Bayern: Für die Kammern gilt je § 3 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG/ BayVwVfG i.V.m. den in den jeweiligen Kammergesetzen festgelegten Kammerbezirken; die örtliche Zuständigkeit der Kommunen richtet sich ebenfalls nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG/BayVwVfG und bezieht sich auf das jeweilige Gebiet, das die Kommune umfasst. - Hamburg, Saarland, Thüringen: Hier gilt zur örtlichen Zuständigkeit der Kammern das gleiche wie in Baden-Württemberg und Bayern. Zusätzlich wurden Geschäftsstellen errichtet, die allerdings die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Kammern an sich nicht berühren. Die örtliche Zuständigkeit der Geschäftsstellen in Thüringen richtet sich nach der örtlichen Zuständigkeit der Kammern, bei denen sie eingerichtet worden sind, mithin gilt ebenfalls § 3 Abs. 1 Nr. 2 ThürVwVfG i.V.m. den Regelungen über die entsprechenden Kammerbezirke.1081 In Hamburg sind beide Geschäftsstellen gleichermaßen zuständig, im Saarland gibt es nur einen EA Saar. - Mecklenburg-Vorpommern: Auch hier werden die Wirtschaftskammern nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG M-V i.V.m. den Regelungen über ihre jeweiligen Kammerbezirke tätig.
1079 Vgl. dazu Caralp, S. 29 ff., 41, die von einer analogen Zuständigkeit ausgeht, welche sie daraus herleitet, dass § 3 VwVfG generell eine sachliche Zuständigkeit der betreffenden Behörde voraussetze, der einheitlichen Stelle jedoch insoweit nur eine Teilzuständigkeit zukomme. Zuzustimmen ist ihr jedenfalls dahingehend, dass nach geltendem Recht, d. h. aus § 3 VwVfG, ein Wahlrecht des Dienstleisters nicht vorgesehen ist (S. 51 f.). 1080 s. o. unter Kapitel 4 B. II. 1. c). 1081 Vgl. genauer o. unter Kapitel 4 A. II. 2. a) ff).
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
- Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt: Da hier jeweils nur ein LandesAnsprechpartner errichtet worden ist, erübrigt sich praktisch die Anwendung des § 3 (L)VwVfG. - Hessen, Rheinland-Pfalz: Im Gegensatz zu den Landeslösungen in den vier zuvor genannten Bundesländern existieren in Hessen und Rheinland-Pfalz, die die einheitlichen Ansprechpartner im Behördenmittelbau verortet haben, mehrere Ansprechpartner. In beiden Fällen ist damit wiederum § 3 Abs. 1 Nr. 2 HVwVfG/ § 1 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG einschlägig, wobei sich die Zuständigkeitsgrenzen aus den entsprechenden Landesvorschriften über die Einzugsgebiete der jeweiligen Behörden ergeben (klarstellend insoweit etwa § 2 Abs. 1 S. 2 RhPfEAPG). - Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen: Für die hier verwirklichten Kommunalmodelle gilt ebenfalls § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG/§ 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG NRW. - Bremen, Schleswig-Holstein: Da es hier je nur einen einheitlichen Ansprechpartner gibt, ist die Anwendung der Regelung über die örtliche Zuständigkeit wiederum nicht angezeigt. Vereinfacht ergibt sich damit folgendes Bild des Ist-Zustands:
Abb. 1: Ist-Zustand
C. Problem: Keine Korrelation zur „Einheitlichkeit“
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C. Problem: Keine Korrelation zur „Einheitlichkeit“ im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie In Kapitel 2 wurde dargelegt, dass unter Heranziehung des effet utile im weiteren Sinne dem Begriff der Einheitlichkeit ein subjektives Verständnis zugrunde zu legen ist.1082 Davon ausgehend wurde herausgestellt, dass dann, wenn ein Mitgliedstaat sich für die Errichtung (mengenmäßig) mehrerer einheitlicher Ansprechpartner entschieden hat, dem Dienstleister ein umfassendes („echtes“) Wahlrecht zuzugestehen ist; ein solches soll es ermöglichen, dass dieser sich seinen einheitlichen Ansprechpartner tatsächlich aussuchen kann. Die Umsetzung in der Bundesrepublik ist in dieser Hinsicht als nicht richtlinienkonform zu bewerten; der hier herausgestellten Intention des Art. 6 DLRL wird sie nicht gerecht. Aus der obigen Darstellung ergibt sich, dass aufgrund eines relativ engen Zuständigkeitssystems sowohl die Erstkontaktierung weitestgehend determiniert als auch eine potenzielle „Mitnahme“ des einmal genutzten einheitlichen Ansprechpartners kaum möglich ist. Eine Missachtung des implementierten Systems hat die Rechtswidrigkeit eines entsprechenden Tätigwerdens zur Folge. Geschuldet ist dies der Tatsache, dass die Errichtung der einheitlichen Ansprechpartner nach dem föderalistischen Staatsaubau Deutschlands den Ländern zukam und ihre Kompetenz jedenfalls an den jeweiligen Landesgrenzen endet. Doch auch innerhalb der Bundesländer, die selbst mehrere einheitliche Ansprechpartner geschaffen haben, bestehen kompetenzielle Grenzen, die es teils unmöglich machen, wenigstens innerhalb eines Bundeslandes zwischen den einheitlichen Ansprechpartnern zu wählen. Maßgeblich ist, wie soeben gezeigt, § 3 (L)VwVfG. Grundsätzlich anwendbar ist darüber hinaus zwar auch § 3 Abs. 2 S. 2 (L)VwVfG,1083 dem zufolge in Fällen, in denen sich eine gleiche Angelegenheit auf mehrere Betriebsstätten eines Betriebs oder Unternehmens bezieht, die gemeinsame Fachaufsichtsbehörde zur Wahrung von Einheitlichkeit eine von mehreren zuständigen Behörden für allein zuständig erklären kann.1084 Daher besteht zumindest die Möglichkeit, in einzelnen Fällen eine Vereinfachung bereits nach geltendem Recht herbeizuführen. Dies ist aber nichtsdestotrotz ein unbefriedigender Zustand. Zum einen können länderübergreifende Konflikte auch auf diesem Weg nicht gelöst werden. Die Lösung ist also bloß fragmentarisch. Zum anderen hängt das Tätigwerden der einheitlichen Ansprechpartner dann wiederum davon ab, dass diese sich einigen – falls sie überhaupt bereit 1082
Vgl. insbes. unter Kapitel 2 A. III. Zu dessen Anwendbarkeit ausführlich Caralp, S. 43 ff. m.w.N. 1084 Fehlt eine gemeinsame Fachaufsichtsbehörde, wie z. B. dann, wenn die einheitlichen Ansprechpartner lediglich der Rechtsaufsicht unterliegen (etwa die Kammern), so könnte erwogen werden, § 3 Abs. 2 S. 4 (L)VwVfG analog anzuwenden mit dem Ergebnis, dass die einheitlichen Ansprechpartner sich untereinander einigen (so Caralp, S. 45 m.w.N.). Dies ist aber eine unbefriedigende Lösung. 1083
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
sind, ihre jeweilige Zuständigkeit zur Disposition zu stellen. Eine klare, vorhersehbare und zeitlich wenig aufwändige Handhabung ist jedenfalls keineswegs gewährleistet. Die Problematik um das Wahlrecht des Dienstleisters bedarf einer grundsätzlichen Lösung. In der Literatur wird diesem Problem zwar zum Teil Rechnung zu tragen versucht,1085 jedoch gehen die unterbreiteten Vorschläge stets nicht weit genug und können unter dem Stichwort „abgespecktes“ Wahlrecht zusammengefasst werden. So konstatiert insbesondere Neidert1086, zur Herstellung eines richtlinienkonformen Zustandes sei es erforderlich, dem Dienstleister zumindest dann ein entsprechendes Wahlrecht zuzugestehen, wenn es sich um Vorhaben handelt, die dieselbe Tätigkeitsart betreffen. Abgesehen davon, dass dies dem hier vertretenen Verständnis des effet utile widerspricht, ist auch nicht einzusehen, weshalb das Wahlrecht an die Art der Tätigkeit gekoppelt werden soll. So soll etwa bei mehreren Tätigkeiten, die den Einzelhandel betreffen, sich jedoch auf unterschiedliche Tätigkeitsorte – und zwar auch länderübergreifend – beziehen, ein Wahlrecht hinsichtlich der Inanspruchnahme eines der zuständigen Ansprechpartner bestehen.1087 Sobald es um unterschiedliche Tätigkeitsarten geht, die dementsprechend auch unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen unterliegen, soll ein Wahlrecht nicht zugestanden werden.1088 Entnommen werden soll dies dem Wortlaut der Dienstleistungsrichtlinie, welche in Art. 6 von der Aufnahme und Ausübung „ihrer Dienstleistungstätigkeit“ spricht. Abgesehen davon, dass es schon nicht überzeugend ist, die Auslegung einer unionsrechtlichen Norm allein auf den Wortlaut zu stützen1089, kann ein solch tätigkeitsbezogener Ansatz auch inhaltlich nicht überzeugen. Wenn der Dienstleister ein weiteres Vorhaben umsetzen will, kann es keinen Unterschied machen, ob es sich um ein solches in der gleichen Branche handelt oder nicht. Geht es dabei etwa um ein anderes Bundesland, dann sind die rechtlichen Voraussetzungen höchstwahrscheinlich auch bei der gleichen Tätigkeitsart unterschiedlich; es handelt sich jedenfalls so oder so um ein neues, anderes Vorhaben. Zudem ist der Dienstleis1085 s. aber Caralp, S. 49 ff., die ein Wahlrecht zwar für „wünschenswert“ hält, jedoch aus der Richtlinie selbst ein entsprechendes Erfordenis in keiner Hinsicht zu erkennen vermag. Sie begründet das im Wesentlichen mit der Aussage der Richtlinie, die nationale Zuständigkeitsorndnung nicht berühren zu wollen (Art. 6 Abs. 2, 10 Abs. 7 DLRL); dass hier jedoch gar kein Widerspruch besteht, wurde bereits gezeigt (s. o. unter Kapitel 2 A. III. 3. c)). Damit verkennt sie den im Unionsrecht maßgeblichen Grundsatz des effet utile und die ihm zugrundeliegende Dogmatik. 1086 Neidert, S. 182 ff.; zu ihrem Vorschlag auch schon unter Kapitel 2 A. III. 3. a). Ebenso Kormann, S. 21; Schliesky/Schulz/Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/III, S. 249 (263 f.). Dagegen will Blanke, WiVerw 2008, 191 (200 f.) lediglich die Inanspruchnahme desselben einheitlichen Ansprechpartners innerhalb eines laufenden Projekts ermöglichen. Auch solcherlei eingeschränkte Wahlmöglichkeiten ablehnend Caralp, S. 49 ff. 1087 Neidert, S. 183. 1088 Neidert, S. 183. 1089 Zu den Gründen s. ausführlich o. unter Kapitel 1 B. II. 2.
D. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 4
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tungsrichtlinie auch ansonsten keine entsprechende „brancheninterne“ Beschränkung bzw. Ausrichtung zu entnehmen; vielmehr ist sie insgesamt auf sämtliche Dienstleistungen ausgerichtet, die nicht ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind. Dieser umfassende Ansatz spricht generell eher für den hier vertretenen, weiteren Vorschlag.1090
D. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 4 1. Die Verortungslösungen der Bundesländer weichen insgesamt stark voneinander ab. Im Wesentlichen können zwar drei Typen unterschieden werden, namentlich das Kammermodell, das Landesmodell sowie das Kommunalmodell. Die Ausgestaltung dieser Grundtypen im Einzelnen divergiert jedoch enorm. Dem Dienstleister stehen damit faktisch 16 verschiedene Modelle mit je unterschiedlichen Bezeichnungen und einer je unterschiedlichen Anzahl an einheitlichen Ansprechpartnern gegenüber. Auch die jeweiligen Websites der einheitlichen Ansprechpartner tragen zumeist nicht zu mehr Klarheit und Einfachheit bei, denn auch diese weichen stark voneinander ab und weisen beispielsweise hinsichtlich des fremdsprachigen Angebots Defizite auf. Bereits unter diesen praktischen Gesichtspunkten stellt sich die deutsche Umsetzung des Art. 6 Abs. 1 DLRL als nicht „einheitlich“ dar. 2. Mit der Kategorie der Verbandskompetenz wird zum Ausdruck gebracht, welcher von mehreren selbstständigen Rechtsträgern zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe berufen ist; es geht, anders gewendet, um die Abgrenzung von Wirkkreisen, auf die die Hoheitsgewalt eines Verwaltungsträgers jeweils beschränkt ist. Im Gegensatz dazu bezeichnen die sachliche und die örtlichen Zuständigkeit üblicherweise Kategorien zur verbandsinternen Aufgabenverteilung zwischen den für den Verwaltungsträger (Verband) handelnden Organen. Die vorliegend relevanten Verwaltungsträger sind der Bund, die Länder, die Kommunen sowie die Wirtschafts- und Berufskammern. 3. Welche Rechtsfolge eine Verbandsüberschreitung nach sich zieht, ist abhängig von der Art der zugrunde liegenden Verwaltungshandlung. Verwaltungsakte müssen – mangels speziellerer Vorschriften – aufgrund der Qualität eines Verbandsverstoßes regelmäßig als nichtig gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG betrachtet werden. Bei schlichtem Verwaltungshandeln hingegen bleibt es bei dem Verdikt der Rechtswidrigkeit; die Nichtigkeit würde insofern keinen Sinn ergeben. 4. Bei Gemeinden und Kreisen (kommunale Körperschaften) handelt es sich um Gebietskörperschaften, denen Verbandskompetenz in sachlicher, in personeller und in räumlicher Hinsicht zukommt. Sachlich ist dabei zwischen Selbstverwaltungsund Fremdverwaltungsaufgaben zu unterscheiden. Zwar sind beide Aufgabenbe1090
(56 f.).
Im Ansatz genauso Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
reiche Teil der Verbandskompetenz der kommunalen Körperschaft, nur soweit es sich um Selbstverwaltungsaufgaben (Art. 28 Abs. 2 GG) handelt, ist es jedoch sachgerecht, eine Verbandsüberschreitung qualitativ auch als solche zu behandeln. Soweit es dagegen um Fremdverwaltungsaufgaben geht, ist es ausreichend, eine Verbandsüberschreitung in der Rechtsfolge der bloßen Überschreitung einer Organkompetenz gleichzusetzen. Diese Feststellung ist im Zusammenhang mit dem einheitlichen Ansprechpartner jedoch theoretischer Natur. 5. Die Wirtschafts- und Berufskammern sind Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts, denen aufgrund dieser Eigenschaft als selbstständige Verwaltungsträger ebenfalls Verbandskompetenz zukommt. Auch hier kann in sachlicher Hinsicht zwischen Selbstverwaltungs- und Fremdverwaltungsaufgaben unterschieden werden. Die Bezeichnung der Selbstverwaltungsaufgabe sollte dabei in einem funktionalen Sinne verstanden werden. Erfasst ist danach jede Aufgabe, die mit dem Zweck der Kammer dergestalt verbunden ist, dass der in dieser Kammer respektive der in diesem Kammertyp typischerweise gebündelte Sachverstand zur effektiven Erfüllung der Aufgabe in besonderem Maße beitragen kann. Fremdverwaltungsaufgaben sind dagegen solche, die lediglich anlässlich des Bestehens der Kammer auf diese übertragen werden; ihre Übertragung kann aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch kaum als zulässig bewertet werden. 6. In personeller Hinsicht sind die Wirtschafts- und Berufskammern grundsätzlich auf ein Handeln gegenüber ihren Mitgliedern beschränkt. Eine Ausdehnung ihrer Befugnisse auf Nichtmitglieder ist im Hinblick auf das dabei bestehende demokratische Legitimationsdefizit problematisch, in engen Grenzen jedoch möglich. Jedenfalls ist das dann der Fall, wenn es um die Ausübung von Staatsgewalt mit nur geringem Entscheidungsgehalt geht. Denn dann ist das erforderliche Legitimationsniveau als so gering einzustufen, dass es durch ein ausreichend bestimmtes Gesetz und die Regelung einer durch personell demokratisch legitimierte Amtsträger erfolgende Aufsicht hergestellt werden kann. 7. Räumlich ist den Wirtschafts- und Berufskammern regelmäßig ein Kammerbezirk zugewiesen, innerhalb dessen Grenzen ihr Wirkkreis liegt. 8. Über einen eigenen Wirkkreis von Aufgaben, und damit Verbandskompetenz, verfügen auch andere Verwaltungsträger der mittelbaren Staatsverwaltung, namentlich diejenigen ohne Selbstverwaltungscharakter. Sowohl die rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts als auch der beliehene Rechtsträger (jedenfalls in Bezug auf den ihm zugewiesenen hoheitlichen Aufgabenbereich) gehören dazu. 9. Die einheitlichen Ansprechpartner wurden von den Landesgesetzgebern ausnahmslos als „Verfahrensmittler“ eingerichtet. Daraus resultiert, dass ihnen keinerlei sachliche Befugnisse zukommen; insofern wurden lediglich die Mindestvorgaben der Dienstleistungsrichtlinie umgesetzt. Ihr Leistungsportfolio umfasst danach ausschließlich Vermittler- und Informationstätigkeiten. Mangels regelnden Charakters sind diese als schlichtes Verwaltungshandeln zu qualifizieren. Die einheitlichen Ansprechpartner sind Behörden im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG. Zwar führen
D. Zusammenfassung und Ergebnisse zu Kapitel 4
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sie selbst kein entsprechendes Verwaltungsverfahren durch, jedoch sind sie aufgrund ihrer Funktion als „Abwickler“ an den Verwaltungsverfahren der sachlich zuständigen Behörden beteiligt. Darüber hinaus ist ihr Handeln insgesamt als legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG zu verstehen. 10. Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, das Saarland und Thüringen haben die einheitlichen Ansprechpartner bei den Wirtschafts- und Berufskammern vorortet. Rechtlich bestehen dagegen keine Einwände. Sowohl handelt es sich um Aufgaben, die als Selbstverwaltungsangelegenheit einzuordnen sind als auch ist das Tätigwerden gegenüber Dienstleistern, die nicht Mitglieder der Kammer sind, hinnehmbar. Letzteres ist deshalb der Fall, weil es um bloße Abwicklungs- und Informationstätigkeiten ohne wesentlichen Entscheidungsgehalt oder Eingriffsbefugnisse geht und eine ausreichende gesetzliche Grundlage sowie intensive Aufsichtsregelungen bestehen. Lediglich im Saarland, in dessen EA-Gesetz eine Zuweisung der nicht verkammerten Berufe gänzlich fehlt, sollte der Gesetzgeber nachträglich für Klarheit sorgen. 11. Berlin, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben jeweils Landes-Ansprechpartner eingeführt. Ähnlichkeit besteht zu den Modellen in Bremen und Schleswig-Holstein. Hier gibt es jeweils auch nur einen zentralen einheitlichen Ansprechpartner, der sich in Bremen als Beliehener und in Schleswig-Holstein als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts darstellt. Rechtliche Bedenken bestehen hier nicht. 12. Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben sich für eine Errichtung auf Ebene der Gemeinden und Kreise entschieden. Es handelt sich regelmäßig um Fremdverwaltungsaufgaben der kommunalen Körperschaften. Die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners sind daher zwar von deren Verbandskompetenz erfasst. Im Ergebnis ist nach den herausgestellten Grundsätzen eine Überschreitung der Verbandsgrenzen hier jedoch wie die Verletzung bloßer Organkompetenzen zu behandeln – jedenfalls solange sich der Verstoß innerhalb der Landesgrenzen hält. 13. Problematisch ist bei allen Modellen die Tatsache, dass der räumliche Wirkkreis der einheitlichen Ansprechpartner beschränkt ist. Zum Teil bestehen unüberwindbare (Verbands-) Grenzen bereits innerhalb eines Bundeslandes, wie z. B. bei den Kammermodellen, bei denen jeder Kammer ein bestimmter Bezirk zugewiesen ist. Zum Teil wurden dort den einheitlichen Ansprechpartnern auch Geschäftsstellen vorgeschaltet, welche ein Auffinden der im Einzelfall zuständigen Stelle erübrigen. Ähnliches gilt für die Landesmodelle, denn dabei existiert in der Regel nur ein Ansprechpartner. Bei den Kommunalmodellen hingegen agiert eine Vielzahl an einheitlichen Ansprechpartnern, deren räumlicher Wirkkreis an sich auf das jeweilige Gemeinde- bzw. Kreisgebiet beschränkt ist. Äußerste Grenze eines Tätigwerdens ist aber stets, d. h. für alle Modelle, die Landesgrenze desjenigen Bundeslandes, dem der einheitliche Ansprechpartner angehört. Der einheitliche Ansprechpartner eines Bundeslandes kann daher nach derzeitiger Rechtslage nicht
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Kap. 4: Die einheitlichen Ansprechpartner in den Bundesländern
für die Abwicklung eines Anliegens genutzt werden, das sich ausschließlich auf ein anderes Bundesland bezieht. Sein Handeln wäre rechtwidrig. 14. Die in der Bundesrepublik erfolgte Umsetzung des Art. 6 DLRL ist unter Zugrundelegung des hier vertretenen Verständnisses vom „einheitlichen“ Ansprechpartner als nicht richtlinienkonform zu bewerten. Eine subjektive, den effet utile im weiteren Sinne berücksichtigende Interpretation erfordert im Ergebnis dann, wenn ein System mit mehreren einheitlichen Ansprechpartnern eingeführt worden ist, die Regelung eines „echten“ Wahlrechts1091 für den Dienstleister. Dies ist bisher nicht erfolgt.
1091 Zu dessen Inhalt und Bedeutung vgl. o. unter Kapitel 2 A. III. 3., Kapitel 2 B. II. 3. sowie sogleich Kapitel 5 B. III.
Kapitel 5
Die mögliche Umsetzung eines „echten“ Wahlrechts im nationalen Recht Wurde nun gezeigt, dass ein richtlinienkonformer Zustand nach dem hier vertretenen Verständnis von Art. 6 DLRL nicht besteht, soll abschließend ein Vorschlag unterbreitet werden, wie dieses Umsetzungsdefizit behoben werden könnte. Im Vordergrund sollen dabei insbesondere praktische Erwägungen stehen, d. h. dass sich die folgenden Überlegungen darauf beschränken sollen, lediglich eine von sicherlich einer Vielzahl an denkbaren Lösungsmöglichkeiten darzustellen, die sich jedoch in das bereits bestehende System einpasst und den Umsetzungsaufwand zumindest legislativ auf punktuelle, nicht aber umfassende Änderungen beschränkt. Zunächst ist dabei die Frage zu beantworten, ob nicht schon de lege lata ein Anknüpfungspunkt für ein „echtes“ Wahlrecht des Dienstleistungserbringers existiert; namentlich ist § 71d (L)VwVfG dahingehend auszulegen. Sollte sich dieser Ansatz als untauglich erweisen, wird weiterhin zu überlegen sein, welche Änderungen de lege ferenda vorgenommen werden könnten.
A. Verbandsübergreifendes Handeln nach geltendem Recht: § 71d (L)VwVfG? I. Allgemeines Nach § 71d VwVfG sowie den Parallelgesetzen in den Ländern besteht eine Unterstützungspflicht zwischen den einheitlichen Stellen und den sachlich zuständigen Behörden. Die Vorschrift lautet: „Die einheitliche Stelle und die zuständigen Behörden wirken gemeinsam auf eine ordnungsgemäße und zügige Verfahrensabwicklung hin; alle einheitlichen Stellen und zuständigen Behörden sind hierbei zu unterstützen. Die zuständigen Behörden stellen der einheitlichen Stelle insbesondere die erforderlichen Informationen zum Verfahrensstand zur Verfügung.“1092
In den Ländern1093 wurde die Vorschrift teils konkretisiert und lautet: 1092
Hervorhebung durch Verf. Vgl. Art. 71d BayVwVfG; § 71d LVwVfG; § 71d BremVwVfG; § 71d HmbVwVfG; § 71d HVwVfG; § 71d VwVfG M-V; § 71d VwVfG NRW; § 138d LVwG; § 71d ThürVwVfG. 1093
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Kap. 5: Mögliche Umsetzung eines „echten“ Wahlrechts im nationalen Recht
„Die einheitliche Stelle und die zuständigen Behörden wirken gemeinsam auf eine ordnungsgemäße und zügige Verfahrensabwicklung hin; die Pflicht zur Unterstützung besteht auch gegenüber einheitlichen Stellen oder sonstigen Behörden des Bundes oder anderer Länder. Die zuständigen Behörden stellen der einheitlichen Stelle insbesondere die erforderlichen Informationen zum Verfahrensstand zur Verfügung.“1094
Zweck der Normen ist es, sämtliche Behörden und einheitliche Stellen zur Zusammenarbeit zu befähigen. Dem liegt zugrunde, dass es im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens oftmals zur notwendigen Beteiligung von Behörden anderer Länder oder (aus Sicht der Länder) des Bundes kommt. Dies gilt ganz grundsätzlich und insbesondere auch bereits dann, wenn sich der Dienstleister an den nach geltendem Recht zuständigen1095 einheitlichen Ansprechpartner wendet. So sind innerhalb eines Verfahrens häufig Behörden verschiedener Verwaltungsträger zu beteiligen. Daraus folgt, dass die einheitliche Stelle auch außerhalb ihrer eigenen Verbandskompetenz tätig werden können muss.1096 § 71d (L)VwVfG ermöglicht somit schon nach geltendem Recht eine Durchbrechung der Verbandskompetenz.
II. Reichweite der ermöglichten Verbandsüberschreitung 1. Länder mit konkretisierter Unterstützungspflicht Fraglich ist, wie weit die durch § 71d (L)VwVfG ermöglichte Verbandsüberschreitung reicht respektive welche Konstellationen erfasst sind. Festzustellen ist zunächst, dass in den Ländern, welche sich für die obig dargestellte konkretisierte Formulierung entschieden haben, die Ermächtigung zum verbandsübergreifenden Handeln deutlicher wird als in den Ländern, die die Formulierung des Bundes übernommen haben. Danach haben die Behörden und einheitlichen Stellen des betreffenden Bundeslandes die Behörden und einheitlichen Stellen anderer Bundesländer und des Bundes zu unterstützen.1097 Mit anderen Worten haben diese Landesgesetzgeber eine Kompetenzverschiebung zuungunsten der eigenen Behörden und einheitlichen Stellen normiert: Stellt etwa ein einheitlicher Ansprechpartner eines anderen Bundeslandes, der ein Verfahren eines Dienstleisters betreut, eine Anfrage, so steht die betreffende Behörde in der Pflicht, diese zu beantworten. Unter normalen Umständen wäre sie dazu nicht verpflichtet, weil sie einem anderen Verwaltungsträger angehört als der anfragende einheitliche Ansprechpartner. LetzIm Folgenden ist mit § 71d (L)VwVfG eine Zusammenfassung all dieser Vorschriften bezeichnet. 1094 Hervorhebung durch Verf. 1095 Zu den Zuständigkeiten der einzelnen Länder-Ansprechpartner vgl. das vorherige Kapitel 4 (dort insbes. unter B. II. 3. b)). 1096 BT-Drs. 16/10493 S. 20; s. etwa auch Ernst, DVBl. 2009, 953 (959 f.). 1097 s. zu dieser Version Schulz, BayVBl. 2010, 556 (559).
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terer kann aber das Organ eines anderen Verbandes nicht zum Handeln zwingen, genauso wenig wie das der Verwaltungsträger kann, dem der einheitliche Ansprechpartner angehört. Es bliebe nur, dass der Dienstleister sich selbst an die Behörde in dem anderen Bundesland wendet. Dann aber könnte der einheitliche Ansprechpartner im Beispiel seine Pflicht gegenüber dem Dienstleister zur Abwicklung des gesamten Verfahrens nicht erfüllen, sondern wäre auf die Verfahrensteile im eigenen Land beschränkt, da auch nur so weit sein Wirkkreis reichte. Durch die konkretisierte Regelung des § 71d (L)VwVfG wird also ein Teil des eigenen Wirkkreises für andere Verwaltungsträger geöffnet, dergestalt dass diese die Befugnis erhalten, im für sie fremden Aufgabenbereich in gewissem Umfang tätig zu werden. Mit anderen Worten „unterwirft“ sich der eine Verband der Hoheitsgewalt eines anderen. Gleichermaßen ist diese Konstellation in Bundesländern denkbar, die einheitliche Stellen bei den Wirtschafts- und Berufskammern eingerichtet haben. Wegen der Verbandsqualität der Kammern ist § 71d (L)VwVfG bei einem Bedürfnis nach Unterstützung durch eine andere, an sich nicht zuständige Kammer – auch bereits innerhalb des Bundeslandes – erforderlich.1098 Das Bedürfnis nach einer solchen Regelung ist somit im Fall der einheitlichen Stelle unmittelbar einsichtig. Sie führt im Ergebnis dazu, dass dem einheitlichen Ansprechpartner ein bundesweites und gegebenenfalls landesweit verbandsübergreifendes Handeln ermöglicht wird. 2. Andere Länder und Bund Die Formulierung, dass die Unterstützungspflicht auch gegenüber „einheitlichen Stellen oder sonstigen Behörden des Bundes oder anderer Länder“ besteht, bringt in aller Deutlichkeit zum Ausdruck, dass sich eben das betreffende Bundesland – soweit es um einen einschlägigen Unterstützungssachverhalt geht – sowohl der Hoheitsgewalt von Bundesbehörden als auch aller anderen Bundesländer unterwirft. Fraglich ist, was in den Ländern gilt, die diese Formulierung nicht übernommen und sich auf die des Bundesverwaltungsverfahrensgesetzes beschränkt haben. In der Literatur wird das ganz unterschiedlich beurteilt. Teils wird davon ausgegangen, ein verbandsübergreifendes Tätigwerden sei unter diesen Umständen nicht möglich; es bedürfe insofern der Ergänzung.1099 Anderer Ansicht zufolge lässt sich ein verbandsübergreifendes Handeln in diesem Bereich auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung rechtfertigen. Die nicht-konkretisierte Bundesregelung des § 71d VwVfG sei danach ausreichend, sofern alle Länder diese in ihre Verwaltungsverfahrensgesetze übernommen hätten.1100 Auch dieser Ansicht zufolge wird aber eine
1098
Vgl. dazu die Beispiele in Kapitel 4 B. II. 2. a) cc). Neidert, S. 127 f. 1100 Schulz, BayVBl. 2010, 556 (559); so auch Schlachter/Ohler/Ziekow/Windoffer, Art. 6 DLRL Rn. 27; Knack/Henneke/Schliesky, § 71d VwVfG Rn. 2; Ziekow, § 71d VwVfG Rn. 1. 1099
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Kap. 5: Mögliche Umsetzung eines „echten“ Wahlrechts im nationalen Recht
konkretisierende Klarstellung im Hinblick auf rechtsstaatliche Grundsätze angemahnt.1101 Indes wird bereits mit dem allgemein gefassten § 71d VwVfG eine Unterstützungspflicht zwischen den Behörden und einheitlichen Stellen des Bundes und sämtlicher Länder zum Ausdruck gebracht. Dies ergibt sich aus der Formulierung „alle“.1102 Zwar könnten Wortlaut und Systematik des Gesetzes jeweils so verstanden werden, dass nur „alle Behörden, die sich im Anwendungsbereich dieses Verwaltungsverfahrensgesetzes befinden“ gemeint sind. Jedoch entfaltet die Regelung nur dann ihr Telos, wenn „alle“ in einem umfassenden Sinne verstanden wird: Andernfalls könnte die einheitliche Stelle nämlich ihre Pflichten aus § 71b VwVfG gar nicht in Gänze erfüllen. Daher ist festzustellen, dass die in manchen Ländern verwandte konkretere Formulierung lediglich deklaratorische Funktion hat. Darüber hinaus wäre dieses Ergebnis – soweit konkret die einheitlichen Ansprechpartner betroffen sind – mittels richtlinienkonformer Auslegung1103 der jeweiligen EA-Gesetze der Länder zu erreichen. In den Gesetzen werden die einheitlichen Ansprechpartner zu einheitlichen Stellen im Sinne der Verwaltungsverfahrensgesetze erklärt. Der Dienstleistungsrichtlinie zufolge müssen aber die Unterstützungspflichten gegenüber sämtlichen einheitlichen Ansprechpartnern und zuständigen Behörden innerhalb des Mitgliedstaates bestehen.1104 Daher ist die durch § 71d VwVfG zum Ausdruck gebrachte Regelung nur dann richtlinienkonform, wenn sie entsprechend extensiv ausgelegt wird. 3. Unterstützungspflicht als Anknüpfungspunkt für ein „echtes“ Wahlrecht? Der Klärung bedarf nunmehr der genaue Umfang der Unterstützungspflicht. Mit anderen Worten ist fraglich, ob diese als Anknüpfungspunkt für das hier interessierende „echte“ Wahlrecht taugt. Dies könnte jedoch nur dann angenommen werden, wenn die Unterstützungspflicht extrem weit zu verstehen wäre; § 71d (L) VwVfG müsste auch diejenigen Konstellationen erfassen, in denen sich der Nutzer an eine an sich nicht zuständige einheitliche Stelle wendet und diese für eine generell außerhalb ihres Wirkkreises liegende Angelegenheit in Anspruch nehmen möchte. Maßgeblich kommt es insofern auf den Bedeutungsgehalt des „Unterstützens“ an. 1101
Schulz, BayVBl. 2010, 556 (559). So ausdrücklich auch HK-VerwR/Eisenmenger, § 71d VwVfG Rn. 11, 13; Ernst, DVBl. 2009, 953 (960); für ausreichend halten die Regelung offenbar auch BeckOK-VwVfG/ Huck, § 71d VwVfG Rn. 5 sowie Kopp/Ramsauer, § 71d VwVfG Rn. 1, 3; a.A. wohl Caralp, S. 71; s. auch Kuhne, BayVBl. 2010, 551 (555), der wohl auch die erweiterte Fassung für erforderlich hält; ebenso Röckinghausen, NWVBl. 2009, 464 (467). 1103 Dazu bereits o. unter Kapitel 1 C. IV. 1104 So auch Schliesky/Schulz/Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/III, S. 249 (273). 1102
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Mit dem Begriff wird zunächst zum Ausdruck gebracht, jemandem behilflich zu sein, sich einzusetzen, zu eines anderen Erfolg beitragen, fördern oder begünstigen.1105 Es geht also darum, zu ergänzen, nicht aber etwas grundsätzlich Neues und völlig Eigenständiges zu generieren. Schon der Wortlaut des § 71d (L)VwVfG spricht somit eher gegen die Möglichkeit, das komplette Verfahren abzugeben. Andererseits schließt er diese aber nicht gänzlich aus, weshalb es zusätzlich auf systematische, teleologische sowie historische Erwägungen ankommt. Systematisch ist § 3 (L)VwVfG zu berücksichtigen. Eine speziellere Regelung enthalten die §§ 71a ff. (L)VwVfG nicht, weshalb sich die örtliche Zuständigkeit der einheitlichen Stelle im Grundsatz auch nach § 3 (L)VwVfG richtet.1106 Die §§ 71a ff. (L)VwVfG scheinen insofern vielmehr das Verfahren zwischen der nach § 3 (L)VwVfG bzw. sonstigem Bundes- oder Landesrecht zuständigen einheitlichen Stelle und den sachlich zuständigen Behörden zu regeln. Auch das spricht eher gegen die Möglichkeit der Übergabe des kompletten Verfahrens von einheitlicher Stelle zu einheitlicher Stelle. Gestützt wird dies letztlich auch von teleologischen und entstehungsgeschichtlichen Erwägungen: § 71d (L)VwVfG erinnert insgesamt an die Regelungen zur Amtshilfe. Diese würde der einheitlichen Stelle aber nicht gerecht, da sie typischerweise und dauernd, d. h. gerade nicht nur punktuell und im Einzelfall, auf die Unterstützung anderer Behörden und einheitlicher Stellen angewiesen ist, um die ihr obliegende Aufgabe zu erfüllen.1107 § 71d (L)VwVfG kann damit zusammenfassend als eine Art „dauerhafte Amtshilfepflicht“ verstanden werden. Sie dient dazu, die Abwicklungs- und Informationstätigkeit der nach anderen Normen bestimmten, zuständigen einheitlichen Stelle zu ergänzen, nicht jedoch diese Tätigkeit komplett zu ersetzen.
III. Zwischenergebnis Im Ergebnis und bezogen auf den einheitlichen Ansprechpartner kann damit Folgendes festgestellt werden: Die Reglung, die durch § 71d (L)VwVfG getroffen wird, ermöglicht ein verbandsüberschreitendes Tätigwerden der dem jeweiligen Gesetz unterworfenen einheitlichen Ansprechpartner. Dies gilt einerseits zwar unabhängig davon, ob das jeweilige Verwaltungsverfahrensgesetz den konkretisierten § 71d enthält oder nicht. Jedoch gilt es andererseits nur dann, wenn der Dienstleister sich an den nach Landesrecht zuständigen Ansprechpartner gewandt hat und innerhalb des so eingeleiteten Verwaltungsverfahrens bzw. hinsichtlich der erbetenen Information die Beteiligung einer Behörde eines anderen Verwaltungsträgers erforderlich wird. Nicht ermöglicht ist dagegen die Ausübung eines hier interessie1105
Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 2711. Vgl. die Einzelaufstellung unter Kapitel 4 B. II. 3. b). 1107 BT-Drs. 16/10493 S. 20; s. auch Bund-Länder-Ausschuss Dienstleistungswirtschaft, Anforderungsprofil, S. 13; HK-VerwR/Eisenmenger, § 71d VwVfG Rn. 5; Kopp/Ramsauer, § 71d VwVfG Rn. 1; BeckOK-VwVfG/Huck, § 71d VwVfG Rn. 2; Knack/Henneke/Schliesky, § 71d VwVfG Rn. 2. 1106
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renden „echten“ Wahlrechts durch den Dienstleister. Weder gestattet es § 71d (L) VwVfG, sich – insbesondere im Rahmen des Erstkontakts – an einen anderen als den nach Landesrecht zuständigen einheitlichen Ansprechpartner zu wenden noch besteht eine uneingeschränkte „Mitnahmemöglichkeit“. Ein solcher Bedeutungsgehalt ist dem Begriff des „Unterstützens“ nicht zu entnehmen. Es wurde gezeigt, dass de lege lata keine Möglichkeit besteht, die Zuständigkeits- bzw. Verbandsgrenzen der einheitlichen Ansprechpartner mehr als nur im Rahmen einer ergänzenden Unterstützung zu überwinden. Es bleibt damit bei dem Befund, dass es maßgeblich auf § 3 Abs. 1 Nr. 2 (L)VwVfG ankommt. Fraglich ist nun, welche Möglichkeit es de lege ferenda gibt, ein „echtes“ Wahlrecht für den Dienstleistungserbringer umzusetzen.
B. Lösungsansatz de lege ferenda I. Ausgangsüberlegung: Vorzugswürdigkeit einer „kleinen“ Lösung Ausgangspunkt ist zunächst folgende Überlegung: Es bietet sich an, eine Lösung anzustreben, die sich in das bereits vorhandene Gefüge an Regelungen einpasst. Unter praktischen Gesichtspunkten sinnvoll ist es, an das bestehende System an einheitlichen Ansprechpartnern anzuknüpfen, d. h. das vorhandene Normmaterial zu nutzen und entsprechend zu modifizieren respektive zu ergänzen; nur auf diese Weise kann letztlich eine möglichst unkomplizierte und handhabbare Umsetzung gewährleistet werden. Aus diesem Grund soll vorliegend eine „kleine“ Lösung vorgeschlagen werden. Unabhängig davon wäre jedoch selbstverständlich auch eine „große“ Lösung denkbar. Dies könnte beispielsweise bedeuten, dass das vorhandene System an einheitlichen Ansprechpartnern einer generellen Revision unterzogen würde, um sodann ein gänzlich neues Modell zu installieren. In Betracht käme etwa die Errichtung einer länderübergreifenden Kooperation in Form einer Zentralstelle.1108 Aus den benannten Gründen soll diese Möglichkeit hier jedoch nicht weiter thematisiert werden. Hinsichtlich der präferierten „kleinen“ Lösung ist zu bedenken, dass es im vorliegenden Zusammenhang nicht darum gehen kann, § 71d (L)VwVfG zu ergänzen. Dieser behandelt die einheitliche Stelle im Allgemeinen, wovon der einheitliche Ansprechpartner nach der Dienstleistungsrichtlinie schließlich bloßer Anwendungsfall ist. Das Erfordernis nach dem vorgeschlagenen „echten“ Wahlrecht folgt dem hier vertretenen, aus dem effet utile im weiteren Sinne geschlossenen Verständnis von Art. 6 DLRL. Aus unionsrechtlicher Sicht besteht daher lediglich Anpassungsbedarf im Hinblick auf den einheitlichen Ansprechpartner, nicht jedoch auf die – letztlich nationale – Konstruktion „einheitliche Stelle“. Daher ist es le1108 Selbstverständlich müsste eine solche Zentralstelle genauso den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes genügen; dies wäre dann genauer zu untersuchen.
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diglich erforderlich, die EA-Gesetze der Länder, in denen die Zuständigkeitsregelungen speziell für die jeweiligen einheitlichen Ansprechpartner enthalten sind, zu modifizieren. Im Ergebnis könnte das Folgende sodann auch einen möglichen Ansatz für die von der Kommission angemahnten „einheitlichen Ansprechpartner der zweiten Generation“1109 darstellen.
II. Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung in den EA-Gesetzen der Länder Die einheitlichen Ansprechpartner unterliegen teils Verbandsgrenzen, teils Grenzen, die sich aus unterschiedlichen Organzuständigkeiten ergeben; letztlich reicht ihr Wirkkreis jedoch niemals weiter als der des Bundeslandes, dem sie angehören. Eine Änderung der bestehenden Zuständigkeitsordnung lässt sich selbstverständlich nur durch eine gesetzliche Regelung herbeiführen, die Verbandsgrenzen im Einzelfall durchbricht bzw. Organzuständigkeiten innerhalb eines Verbandes aufhebt. Als weitere Möglichkeit käme ein Staatsvertrag zwischen allen Ländern untereinander und dem Bund in Betracht.1110 Ein solcher bedürfte jedoch ebenfalls der Zustimmung der jeweiligen Parlamente, da eben Verbandsüberschreitungen geregelt würden.1111 Es ergäben sich zudem keine Unterschiede im Hinblick auf den zu regelnden Inhalt, der im Folgenden dargestellt werden soll. Ginge es lediglich darum, das vorgeschlagene Wahlrecht jeweils nur innerhalb der Länder umzusetzen, also gleichsam grenzüberschreitende Sachverhalte außer Acht zu lassen, dann wären nur einzelne Anpassungen erforderlich. Namentlich könnten jene Länder außer Acht bleiben, die nur einen einheitlichen Ansprechpartner oder zumindest ein System, bei welchem nur eine einzige Anlaufstelle (Geschäftsstelle o. ä.) existiert, errichtet haben. Gleiches gilt für Länder wie Rheinland-Pfalz, die zwar über mehrere, unterschiedlich zuständige einheitliche Ansprechpartner verfügen, jedoch bereits Regelungen in den EA-Gesetzen geschaffen haben, die dem Nutzer faktisch zumindest ein Wahlrecht bzgl. des Erstkontakts einräumen (vgl. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 RhPfEAPG) und eine Mitnahme dieses Ansprechpartners für Folgeverfahren sogar festlegen (vgl. § 2 Abs. 3 S. 2 RhPfEAPG). In den übrigen Bundesländern, namentlich jenen mit Kammer- oder Kommunalmodell, müsste sodann eine Regelung getroffen werden, die in etwa § 2 RhPfEAPG entspricht. 1109 Vgl. Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“, S. 13 sowie o. unter Kapitel 2 B. II. 3. b). 1110 Zum Abschluss von Staatsverträgen sind die Länder hinsichtlich der Gegenstände ihrer Gesetzgebung befugt, was sich als Folge ihrer Staatsqualität darstellt (vgl. Isensee/Kirchhof/ Rudolf, HdbStR VI Rn. 141/54). Der Terminus beschreibt diejenigen Verträge, welche eine Materie betreffen, die unter Parlamentsvorbehalt steht (Isensee/Kirchhof/Rudolf, HdbStR VI Rn. 141/54 m. Nachw. auch zu jenen landesverfassungsrechtlichen Vorschriften, die sich ausdrücklich dazu äußern). Im Gegensatz dazu stehen die sog. Verwaltungsabkommen (s. zur Abgrenzung zum Staatsvertrag auch Grawert, S. 31 ff., 41; Warmke, Verw 24 [1991], 455 [456 ff.]). Zu allem – in Bezug auf die einheitlichen Ansprechpartner – auch Caralp, S. 56. 1111 So auch Caralp, S. 56.
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Das Vorliegende geht jedoch darüber hinaus: Es soll gerade ermöglicht werden, bundesweit jeden einheitlichen Ansprechpartner für jegliches Anliegen zu nutzen. „Echtes“ Wahlrecht bedeutet gerade, dass die einheitlichen Ansprechpartner befähigt werden sollen, grenzüberschreitend zu agieren. Daraus folgt nunmehr die Feststellung, dass die beschriebenen einzelnen Anpassungen nur weniger Bundesländer nicht ausreichend wären. Zwar kann jedes Bundesland Regelungen erlassen, die die internen Verbandsgrenzen (z. B. der Kammern) und Organzuständigkeiten (z. B. der Landesbehörden) durchbrechen. Jedoch ist es nicht möglich, dass etwa Bundesland A durch einseitige Normierung die Verbandsgrenzen von Bundesland B durchbricht, um im Zuständigkeitsbereich von Bundesland B tätig zu werden. Dies wäre aber beispielsweise erforderlich, um es dem Dienstleister zu ermöglichen, den einheitlichen Ansprechpartner in Bundesland A für ein Vorhaben in Bundesland B in Anspruch zu nehmen, obwohl für ein solches Vorhaben eigentlich nur der einheitliche Ansprechpartner in Bundesland B zuständig wäre. Das Ganze ist Folge des in Kapitel 4 beschriebenen Verbandscharakters eines jeden Landes.1112 Ermöglicht würde das Tätigwerden des einheitlichen Ansprechpartners in Bundesland A im Beispiel nur dann, wenn sich Bundesland B für diesen Fall der Hoheitsgewalt von Bundesland A unterwürfe und seine eigenen Verbandsgrenzen insoweit öffnete. Um nun diesen Effekt für die gesamte Bundesrepublik zu erzeugen, ist es erforderlich, dass jedes Bundesland eine entsprechende Regelung trifft und sich so für den Fall des Tätigwerdens des einheitlichen Ansprechpartners der Hoheitsgewalt der jeweils anderen Bundesländer unterwirft. Zusammenfassend kann daher an dieser Stelle festgehalten werden, dass Zweierlei erforderlich ist, um das „echte“ Wahlrecht für den Dienstleister umzusetzen: Zum einen müssen die Bundesländer, in denen es mehrere einheitliche Ansprechpartner gibt, intern deren Zuständigkeitsgrenzen (Verbands- oder Organgrenzen) beseitigen. Zum anderen muss jedes Bundesland eine Öffnungsklausel für das Handeln landesfremder einheitlicher Ansprechpartner einführen, das über die bloße „Unterstützung“ im Sinne des § 71d (L)VwVfG hinausgeht, mithin eine Art „Verfahrensverlagerung“ ermöglichen.1113
1112
Vgl. dazu Kapitel 4 B. I. 4. b) aa) zu den Verbandsgrenzen allgemein sowie Kapitel 4 B. II. 2. zu den jeweiligen einheitlichen Ansprechpartnern. 1113 Zu entsprechenden Regelungsmöglichkeiten allgemein s. auch Windoffer, in: Bauer/ Büchner/Brosius-Gersdorf, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, S. 23 (31 f.) sowie Caralp, S. 53 ff.; s. auch Neidert, S. 182 ff. – jedoch zu einem bloß eingeschränkten Wahlrecht (s. dazu auch schon die Ausführungen unter Kapitel 4 C.).
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III. Lösungsmodelle 1. „Direktes Modell“: Kontakt zwischen einheitlichem Ansprechpartner und sämtlichen zuständigen Behörden Die erste Möglichkeit, das „echte“ Wahlrecht im bestehenden System einheitlicher Ansprechpartner umzusetzen, besteht im direkten Kontakt zwischen jedem einheitlichen Ansprechpartner und jeder zuständigen Behörde im gesamten Bundesgebiet. Ein Dienstleister könnte sich dann mit jedem beliebigen Anliegen an jeden beliebigen einheitlichen Ansprechpartner wenden, der sich dann seinerseits mit den zuständigen Behörden in Verbindung zu setzen hätte. Dies gälte insbesondere auch dann, wenn das Anliegen sich ausschließlich außerhalb der eigenen Landesgrenzen bewegt. Diese Variante soll als „direktes Modell“ bezeichnet werden; vereinfacht ergibt sich folgendes Bild:
Abbildung 2: „Direktes Modell“
a) Überschreitung der Zuständigkeitsgrenzen im Bundesland Zunächst müsste, wie dargelegt, eine Regelung geschaffen werden, die landesinterne Zuständigkeitsgrenzen zwischen den einheitlichen Ansprechpartnern beseitigt. Hierzu wären alle Bundesländer berufen, in denen es mehrere einheitliche Ansprechpartner gibt, die zugleich über unterschiedliche räumliche Wirkkreise verfügen. Dies ist allem voran der Fall in den Ländern mit Kommunallösung (Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen sowie auch Baden-Württemberg und Bayern mit zumindest teilweiser Kommunallösung) sowie in Hessen und Rheinland-Pfalz, wo Landesansprechpartner im Mittelbehördenbau implementiert worden sind und
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demgemäß unterschiedliche örtliche Organzuständigkeiten bestehen.1114 Eine entsprechende Regelung der jeweiligen Bundesländer in ihren EA-Gesetzen könnte folgendermaßen lauten: „Die örtliche Zuständigkeit eines einheitlichen Ansprechpartners wird abweichend von § 3 Abs. 1 Nr. 2 (L)VwVfG durch tatsächliche Inanspruchnahme des Dienstleistungserbringers begründet; dem Dienstleistungserbringer steht insofern ein Wahlrecht zu.“
In den Ländern mit Kammerlösung wurde teils bereits dafür Sorge getragen, dass dem Dienstleister landesintern nur ein einheitlicher Ansprechpartner an die Hand gegeben ist (Hamburg, Saarland).1115 Dies wurde mithilfe von Geschäftsstellen erreicht (d. h. durch unterschiedlich ausgestaltete Kammergemeinschaftsmodelle). Wie dargelegt, berührt die Existenz der Geschäftsstellen die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Kammern intern weder in sachlicher noch in örtlicher Hinsicht; die Kammern handeln lediglich durch die Geschäftsstellen.1116 In Thüringen existieren jedoch sechs Geschäftsstellen, denen jeweils auch unterschiedliche sachliche und örtliche Zuständigkeiten zukommen, sodass der Dienstleistungserbringer im Ergebnis ebenfalls gezwungen ist, die „richtige“ Stelle ausfindig zu machen. Um diese Zuständigkeitsgrenzen zu beseitigen, wäre wiederum eine Regelung erforderlich; diese könnte in § 2 ThürESEG eingefügt werden, der ohnehin die Geschäftsstellen behandelt, und folgendermaßen lauten: „Richten die einheitlichen Stellen mehrere Geschäftsstellen ein, so wird deren Zuständigkeit jeweils durch tatsächliche Inanspruchnahme des Dienstleistungserbringers begründet; dem Dienstleistungserbringer steht insofern ein Wahlrecht zu.“
Folge einer solchen Regelung wäre lediglich, dass eben der Dienstleister sich aussuchen könnte, an welche Geschäftsstelle im Land er sich wendet; die internen Zuständigkeiten der Kammern blieben, wie dargelegt, unangetastet. Eine entsprechende Regelung könnte jedoch auch in dem zwischen den Thüringer Kammern geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag ergänzt werden. Für eine Kammerlösung haben sich auch Baden-Württemberg und Bayern entschieden, jedoch sind hier keine Geschäftsstellen eingerichtet worden. Die rechtlich einfachste Lösung bestünde hier darin, die Errichtung von Geschäftsstellen nachzuholen und auch ein Kammergemeinschaftsmodell zu verwirklichen. Unter diesen Umständen gälte das für Thüringen Beschriebene. Darüber hinaus böte sich auch folgender Vorteil: Eine Umsetzung des „echten“ Wahlrechts hat letztlich zur Folge, dass sich (zumindest theoretisch) ein Dienstleister für ein handwerkliches Vorhaben auch an die Tierärztekammer wenden kann. Dies erscheint auf den ersten Blick nicht 1114
Vgl. zu den Verortungslösungen ausführlich Kapitel 4 A. II. 2. Da es vorliegend um die Herstellung eines richtlinienkonformen Zustandes geht, können diese Bundesländer außer Betracht gelassen werden, da es aus Sicht der Dienstleistungsrichtlinie nicht darauf ankommt, wie deren Anliegen rechtlich umgesetzt wird – solange eben nur der Dienstleister nicht den zuständigen von mehreren einheitlichen Ansprechpartnern ausfindig machen muss. 1116 s. o. Kapitel 4 B. II. 2. a) cc). 1115
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ganz sachgerecht, könnte doch gefragt werden, was die Tierärztekammer mit der Eröffnung etwa einer Schreinerei zu tun hat. Durch das Kammergemeinschaftsmodell wird dem genau entgegengewirkt, weil dann die beanspruchte gemeinsame Geschäftsstelle aller Kammern intern die sachlich zuständige (im Beispiel also die Handwerkskammer) hinzuzieht. Abgesehen davon wird an diesem Beispiel noch einmal mehr deutlich, dass die dem gegenwärtigen System teils zugrundeliegende sachliche Spezifizierung der einheitlichen Ansprechpartner dem Gehalt der „Einheitlichkeit“ kaum gerecht werden kann. b) Überschreitung der Zuständigkeitsgrenzen zwischen den Bundesländern Wesentlich kommt es darauf an, dass ein länderübergreifendes Handeln der einheitlichen Ansprechpartner ermöglicht wird. Bei dem hier so bezeichneten „direkten Modell“ sollen sämtliche einheitlichen Ansprechpartner unmittelbar mit den zuständigen Behörden länderübergreifend in Kontakt treten können insbesondere dann, wenn sich das Anliegen des Dienstleisters komplett auf ein anderes Bundesland bezieht. Dies ist, wie oben gezeigt,1117 auch der wesentliche Unterschied zum bereits bestehenden § 71d (L)VwVfG, da ein solches Tätigwerden über eine bloße „Unterstützung“ durch die verbandsfremde Behörde hinaus ginge. Erforderlich wäre demnach eine Regelung, durch welche sich jedes Bundesland in Bezug auf die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners der Hoheitsgewalt aller anderen Bundesländer unterwürfe. Dies führte im Ergebnis dazu, dass die zuständigen Behörden mit bundesweit jedem einheitlichen Ansprechpartner Verfahren im eigenen Bundesland abzuwickeln hätten. Eine entsprechende Regelung könnte in Ergänzung zu der obig vorgeschlagenen eingefügt werden und wie folgt lauten: „Die örtliche Zuständigkeit eines einheitlichen Ansprechpartners wird abweichend von § 3 Abs. 1 Nr. 2 (L)VwVfG durch tatsächliche Inanspruchnahme des Dienstleistungserbringers begründet; dem Dienstleistungserbringer steht insofern ein Wahlrecht zu. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der nach den allgemeinen Regelungen örtlich zuständige einheitliche Ansprechpartner einem anderen Bundesland angehört.“1118
Im Ergebnis bestünde das hier vorgeschlagene „echte“ Wahlrecht des Dienstleisters. In Bezug auf die Bundesländer mit Kammergemeinschaftslösung ergäbe sich Folgendes: Der Dienstleister könnte sich entsprechend an eine Geschäftsstelle wenden, welche ihrerseits das Anliegen an die sachlich zuständige Kammer weiterleiten müsste, und zwar auch dann, wenn es sich um ein ausschließlich länderübergreifendes Vorhaben handelte. Zum Beispiel: Ein Dienstleister wendet sich an eine Geschäftsstelle in Thüringen, mit der er bereits zusammengearbeitet hat. Er möchte nunmehr ein Vorhaben im Bereich Handwerk in Berlin verwirklichen. Die angesprochene Geschäftsstelle müsste nunmehr das Vorhaben an die Handwerkskammer in Thüringen übergeben, welche sich 1117
s. o. unter Kapitel 4 A. III. In Bundesländern, die ohnehin nur über einen einzigen einheitlichen Ansprechpartner verfügen, müsste lediglich der letzte Satz sinngemäß normiert werden. 1118
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ihrerseits mit den zuständigen Behörden in Berlin in Verbindung setzen müsste. Zu klären wäre lediglich, an welche der drei Handwerkskammern in Thüringen die angesprochene Geschäftsstelle das Vorhaben übergibt. Hierzu kommen unterschiedliche Möglichkeiten in Betracht. Eine sachgerechte Lösung könnte anhand eines internen Geschäftsverteilungsplans zwischen den am Kammergemeinschaftsmodell beteiligten Kammern geschaffen werden, namentlich durch eine Verteilung der Aufgaben, die sich beispielsweise am Rotationsprinzip orientiert. 2. „Indirektes Modell“: „front office“ zum „front office“ Von dem soeben beschriebenen Modell abgesehen, besteht eine weitere Möglichkeit das „echte“ Wahlrecht zu verwirklichen darin, die einheitlichen Ansprechpartner als „front office“ zum „front office“ zu berufen. In diesem Fall bestünde der Kontakt dann, wenn es um landesfremde Anliegen des Dienstleisters geht, nicht zwischen dem kontaktierten (an sich unzuständigen) einheitlichen Ansprechpartner und den zuständigen Behörden, sondern zwischen dem kontaktierten einheitlichen Ansprechpartner und dem an sich zuständigen einheitlichen Ansprechpartner in dem anderen Bundesland.1119 Dieses Variante soll als „indirektes Modell“ bezeichnet werden; vereinfacht ergibt sich folgendes Bild:
Abbildung 3: „Indirektes Modell“
An den landesintern erforderlichen Ergänzungen ergäben sich gegenüber dem „direkten Modell“ keine Änderungen; insoweit müsste der Dienstleister zunächst in 1119 Eine im Ansatz ähnliche Regelung enthält § 3 Abs. 5 EAG SH. Darin wird der einheitliche Ansprechpartner Schleswig-Holstein befähigt, auch dann tätig zu werden, wenn sich eine landesfremde Stelle an ihn wendet. Als solche kommt auch ein landesfremder einheitlicher Ansprechpartner in Betracht. Vgl. dazu SHLT-Drs. 16/2750 S. 34.
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der gleichen Weise befähigt werden, sich an jeden von mehreren einheitlichen Ansprechpartnern zu wenden. Hinsichtlich der länderübergreifenden Abwicklung eines Verwaltungsverfahrens könnte im Hinblick auf ein „indirektes Modell“, bei dem die einheitlichen Ansprechpartner ausschließlich untereinander in Kontakt träten, folgende Regelung in den EA-Gesetzen der Länder getroffen werden: „Die einheitlichen Ansprechpartner werden innerhalb ihrer nach den allgemeinen Vorschriften bestehenden örtlichen Zuständigkeit auch dann tätig, wenn der Dienstleistungserbringer sein Anliegen über den einheitlichen Ansprechpartner eines anderen Bundeslandes abwickeln möchte (mittelbare Inanspruchnahme). In diesem Fall tritt der einheitliche Ansprechpartner ausschließlich mit dem antragenden einheitlichen Ansprechpartner in Kontakt, es sei denn der Dienstleistungserbringer erklärt, dass er sich direkt an den zuständigen einheitlichen Ansprechpartner wenden möchte.“
Der letzte Halbsatz ist erforderlich, um klarzustellen, dass der Dienstleister sich selbstverständlich auch direkt an den im betreffenden Bundesland tätig werdenden einheitlichen Ansprechpartner wenden kann. Für den Fall, dass es sich bei dem tatsächlich zuständigen einheitlichen Ansprechpartner um eine Kammer handelt, müsste überlegt werden, ob sich der in Anspruch genommene einheitliche Ansprechpartner direkt an die zuständige Kammer oder aber an die Geschäftsstelle aller Kammern wendet. Dabei muss bedacht werden, dass durch die Kontaktierung der Geschäftsstelle ein weiterer Akteur hinzukäme, wodurch sich das Modell unter Umständen der Kritik der erhöhten Fehleranfälligkeit ausgesetzt sähe. Darüber hinaus müsste bei diesem indirekten Modell Zweierlei erwogen werden: Zum einen müsste gegebenenfalls die in § 71b Abs. 2 (L)VwVfG festgelegte DreiTages-Fiktion hinsichtlich des Zugangs bei der zuständigen Behörde überdacht werden. Denn immerhin wird ein weiteres Glied zwischen Dienstleister und zuständige Behörde eingebunden, was den zeitlichen Aufwand behördenintern zumindest theoretisch erhöht.1120 Zum anderen müsste überlegt werden, wie sich diese Einbindung eines weiteren einheitlichen Ansprechpartners im Schadensfall haftungsmäßig, insbesondere hinsichtlich der Frage nach dem Haftungssubjekt, auswirkt.1121 Wegen der Ausrichtung der Arbeit sollen derlei Fragen jedoch vorliegend außer Betracht bleiben. Im Ergebnis wäre mit einer solchen wie der vorgeschlagenen Regelung ein „echtes“ Wahlrecht des Dienstleisters jedenfalls ebenso umsetzbar wie mithilfe des „direkten Modells“.
1120
Zum Zweck der Zugangsfiktion generell vgl. BT-Drs. 16/10493 S. 17 f. Zur Haftung der einheitlichen Ansprechpartner generell vgl. etwa Neidert, S. 95 ff.; Carra/Windoffer, LKRZ 2011, 166 ff.; s. zudem die Ausführungen zum Prinzip der Verantwortungsklarheit u. unter Kapitel 5 B. IV. 3. a). 1121
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IV. Probleme der Lösungsmodelle Die vorgeschlagene Normierung eines „echten“ Wahlrechts müsste mit dem Verfassungsrecht des Bundes und der Länder vereinbar sein. Auf einige Probleme soll im Folgenden in der gebotenen Kürze eingegangen werden. 1. Demokratische Legitimation der Wirtschafts- und Berufskammern Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung ist an sich überaus problematisch. Wie in Kapitel 4 herausgearbeitet, verfügen jedoch die einheitlichen Ansprechpartner über eine ausreichende demokratische Legitimation.1122 Dies ist insbesondere der Tatsache geschuldet, dass das in diesem Fall erforderliche Legitimationsniveau als äußerst gering einzustufen ist. Bei Zugrundelegung der hier vorgeschlagenen Lösungsmodelle stellt sich nunmehr die Frage, ob sich an diesem Befund etwas ändert. So könnte das „echte“ Wahlrecht des Dienstleisters zu einem erhöhten Andrang von Nichtmitgliedern auf die einzelnen Kammern führen. Indes änderte sich die Sachlage verglichen mit der gegenwärtigen nicht. Dies folgt zwei Überlegungen: Zum einen hängt das Legitimationsniveau nicht von einer mehr oder weniger intensiven Inanspruchnahme durch Nichtmitglieder ab. Ein Legitimationsdefizit ist so oder so festzustellen; dessen Hinnehmbarkeit ist ganz grundsätzlich zu erörtern und im Ergebnis zu bejahen oder eben nicht. An den in Kapitel 4 zugrunde gelegten Parametern1123 ändert sich auch durch die vorgeschlagenen Lösungsmodelle nichts. Zum anderen bestehen auch keine Bedenken in Bezug auf die sachliche Zuständigkeit der beteiligten Kammern. Einer entfremdenden Ausweitung der sachlichen Zuständigkeit der Kammern, die die demokratische Legitimationsbasis wiederum als fraglich darstellen könnte, wirkt die Ausgestaltung als Kammergemeinschaftsmodell entgegen: Denn die Geschäftsstellen verteilen, wie dargelegt, die Anliegen der Dienstleister nach den sachlich bestehenden Zuständigkeiten der Kammern (wobei die Auffangzuständigkeit bei den IHKs verbleibt). Fragwürdige Konstellationen, wie die aus dem obigen Beispiel (Tierärztekammer zuständig für Einrichtung einer Schreinerei), werden vermieden.
1122
Vgl. ausführlich Kapitel 4 B. II. 2. a) bb). Das heißt: Umfang (bloße Abwicklungs- und Informationstätigkeit ohne wesentlichen Entscheidungsgehalt und Eingriffsbefugnisse) und Zusammenhang (grundsätzliche Zugehörigkeit der Aufgaben zur wirtschaftlichen Selbstverwaltungs- und Förderungstätigkeit der IHKs) auf ausreichender gesetzlicher Grundlage und unter Regelung einer Aufsicht, vgl. ausführlich Kapitel 4 B. II. 2. a) bb). 1123
B. Lösungsansatz de lege ferenda
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2. Kommunale Selbstverwaltungsgarantie a) Aufgabenentzug Durch die vorgeschlagenen Regelungen eines „echten“ Wahlrechts könnte die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG bzw. der Landesverfassungen beeinträchtigt sein. Zunächst könnte an einen unzulässigen Aufgabenentzug gedacht werden. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie schützt insbesondere davor, dass den kommunalen Körperschaften Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft entzogen oder von vornherein nicht zugewiesen werden.1124 In der Erweiterung des Zuständigkeitsbereiches der einheitlichen Ansprechpartner für Angelegenheiten anderer Organe und Verbände könnte daher zugleich ein unzulässiger Aufgabenentzug gegenüber den an sich zuständigen kommunalen Körperschaften erblickt werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners stellen sich für die betreffenden kommunalen Körperschaften als Fremdverwaltungsaufgaben dar; es handelt sich also um Aufgaben, die grundsätzlich gar nicht dem Schutz der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie unterfallen.1125 In Baden-Württemberg nehmen die Stadtkreise und Landkreise1126 die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners als Pflichtaufgabe ohne Weisung wahr, sodass an sich der Schutzbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie eröffnet ist. Dies gilt hinsichtlich eines Aufgabenbestandes zumindest für die Stadtkreise; die Landkreise als Gemeindeverbände genießen diesen umfänglichen Schutz schon gar nicht, da ihr Aufgabenfeld ohnehin ausschließlich „gesetzesgeformt“1127 ist.1128 Dass diese, von den anderen Bundesländern divergierende Einordnung seltsam erscheint, wurde bereits erwähnt.1129 Abgesehen davon kann jedoch Folgendes in Ansatz gebracht werden: Zunächst dürfte die Freiwilligkeit der Aufgabenübernahme (vgl. die optionale kommunale Beteiligung gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 EAG BW) am Eingriffscharakter der zu schaffenden Regelung des „echten“ Wahlrechts nichts ändern. Denn wenn die kommunale Körperschaft die Aufgabenübernahme erklärt hat, ist sie nach den allgemeinen Regeln als zuständig zu erachten. Jedoch ist zum einen zu bedenken, dass die einmal übernommene Aufgabe durch das vorgeschlagene Wahlrecht des Dienstleisters nicht etwa vollständig entzogen wird; die Kommune bleibt vielmehr im Grundsatz zuständig und verliert die Zuständigkeit lediglich fallbezogen durch Erklärung des Dienstleisters. Zum anderen sind Eingriffe, die – wie hier – allenfalls den Randbereich der Selbstverwal1124
Burgi, KommunalR Rn. 6/28; s. zudem schon o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (1) (a). BVerfGE 107, 1 (18); 78, 331 (340); Dreier/ders., Art. 28 GG Rn. 90; Schoch, DVBl. 2008, 937 (939); vgl. zudem die ausführliche Darstellung unter Kapitel 4 B. II. 2. c). 1126 Zu den Begriffen vgl. o. Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (1) (a). 1127 Dreier/ders., Art. 28 GG Rn. 175. 1128 v. Münch/Kunig/Löwer, Art. 28 GG Rn. 98; Dreier/ders., Art. 28 Rn. 175; vgl. auch o. unter Kapitel 4 B. I. 4. b) bb) (1) (a). 1129 Vgl. auch schon die Ausführungen in Fn. 1069. 1125
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Kap. 5: Mögliche Umsetzung eines „echten“ Wahlrechts im nationalen Recht
tungsgarantie1130 der Kommune betreffen, durch ein förmliches Gesetz, das einen legitimen Zweck verfolgt,1131 zu rechtfertigen („im Rahmen der Gesetze“ bzw. „nach Maßgabe der Gesetze“). Dies wäre vorliegend erfolgt; unionrechtliche Belange erforderten ein solches Gesetz. Zusammenfassend stellt weder die landesinterne Abweichung von § 3 Abs. 1 Nr. 2 (L)VwVfG noch die länderüberschreitende Öffnungsklausel eine verfassungswidrige Verkürzung des Selbstverwaltungsrechts der kommunalen Körperschaften dar. b) Aufgabenüberbürdung Zwar stellt die Regelung des „echten“ Wahlrechts unter dem Gesichtspunkt des Aufgabenentzugs, wie dargelegt, keinen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie dar. Jedoch könnte bei einer faktischen Konkurrenz zwischen sämtlichen kommunalen einheitlichen Ansprechpartnern das Problem einer Aufgabenüberbürdung1132 einzelner Kommunen auftreten.1133 Dies wäre dann der Fall, wenn bestimmte einheitliche Ansprechpartner – aus welchem Grund auch immer – übermäßig in Anspruch genommen würden. Dabei geht es namentlich um finanzielle Auswirkungen auf die betreffenden Kommunen, welche beispielsweise durch einen erhöhten personellen Bedarf entstünden. Art. 28 Abs. 2 GG sowie die Parallelregelungen in den Landesverfassungen wären mittelbar insofern betroffen, als dass bei einer Überbürdung mit den Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners unter Umständen eben Mittel für die Erfüllung der Selbstverwaltungsaufgaben gebunden werden könnten.1134 Dies gilt insbesondere deshalb, weil durch das „echte“ Wahlrecht Aufgaben an die Gemeinden übertragen werden, die nicht mehr nur in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln. Doch auch den Gemeindeverbänden dürfen nicht derart Aufgaben übertragen werden, dass zur Erfüllung eines gewissen Bestands an „örtlichen“ Angelegenheiten die Mittel fehlen.1135 Hier ergibt sich sodann das Er1130 Im Gegensatz zum „Kernbereich“, der absolut geschützte Positionen der Gemeinde umfasst, wie z. B. eine Bestandsgarantie, vgl. BVerfGE 79, 127 (143, 146); v. Münch/Kunig/ Löwer, Art. 28 GG Rn. 67, 73 ff.; Dreier/ders., Art. 28 GG Rn. 125 ff.; Burgi, KommunalR Rn. 6/36 ff.; Geis KommunalR Rn. 6/8; zum Schutz hinsichtlich der Gemeindeverbände vgl. etwa BVerfGK 10, 365 (372). 1131 Zur Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vgl. BVerfGE 103, 332 (366 f.). 1132 Zu diesem Problem allgemein Burgi, KommunalR Rn. 6/29 f., 6/43; Schoch, DVBl. 2008, 937 (942 ff.). 1133 So bspw. BWLT-Drs. 14/5345 S. 13. 1134 Zum Erfordernis der Rechtsfertigung einer Aufgabenüberbürdung vor der Garantie des Art. 28 Abs. 2 GG vgl. BVerfGE 119, 331 (354); 83, 363 (383 f.); OVG NRW NWVBl. 2004, 103; v. Münch/Kunig/Löwer, Art. 28 GG Rn. 59; Burgi, KommunalR Rn. 6/30 m.w.N.; direkt in Bezug auf den einheitlichen Ansprechpartner etwa Ziekow/Windoffer/Windoffer, S. 97 f.; ders., DVBl. 2006, 1210 (1216); zum Konnexitätsprinzip allgemein vgl. auch die Nachw. in Fn. 1069. 1135 BVerfGE 119, 331 (354 f.).
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fordernis finanzieller Kompensation durch die Länder, das die hier betreffenden Landesverfassungen sogar explizit vorsehen.1136 Durch einen entsprechenden finanziellen Ausgleich könnte der Gefahr der Aufgabenüberbürdung daher begegnet werden. Das beschriebene Problem des möglichen Wettbewerbs zwischen den Kommunen stellt sich weitergehend auch länderübergreifend. Immerhin sollen die einheitlichen Ansprechpartner bundesweit tätig werden können. Faktisch kann dies dazu führen, dass bestimmte kommunale Ansprechpartner eines Landes mehr in Anspruch genommen werden als andere.1137 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Inanspruchnahme des einheitlichen Ansprechpartners grundsätzlich gebührenpflichtig ist. An sich handelt es sich dabei um einen richtlinienkonformen Zustand, da die Dienstleistungsrichtlinie selbst diese Möglichkeit vorsieht (Art. 13 Abs. 2 S. 2 DLRL sowie Erwägungsgrund 49). Möglich erschiene es insofern, bei einer länderübergreifenden Inanspruchnahme des einheitlichen Ansprechpartners höhere Kosten zu berechnen, wenn der verwaltungsinterne Aufwand entsprechend höher wäre. Solange sich diese in einem angemessenen Rahmen hielten, bestünden insoweit auch keine Bedenken im Hinblick auf die Richtlinienkonformität. Zwar könnte dem entgegen gehalten werden, dass es den Dienstleister nicht belasten sollte, wenn er sich für eine Tätigkeit im Föderalstaat entscheidet. Jedoch stünde dem immerhin der Vorteil gegenüber, dass bundesweit jeder einheitliche Ansprechpartner in Anspruch genommen werden könnte; zu betonen ist insofern lediglich noch einmal die Angemessenheit der Kostenhöhe. Im Falle des „indirekten Modells“, bei dem eine Kontaktaufnahme in länderübergreifenden Sachverhalten zwischen dem in Anspruch genommenen und dem tatsächlich zuständigen einheitlichen Ansprechpartner erfolgt, müsste gegebenenfalls über eine finanzielle Kompensationsregelung auch zwischen den Ländern nachgedacht werden. Hier stellt sich nämlich die Frage, ob lediglich der in Anspruch genommene einheitliche Ansprechpartner oder auch der von diesem kontaktierte, tatsächlich zuständige einheitliche Ansprechpartner vom Dienstleister Gebühren verlangen kann. Die Gebühren- und Kostengesetze der Länder knüpfen zur Bestimmung des Kostenschuldners regelmäßig an denjenigen an, der die gebührenpflichtige Amtshandlung zurechenbar veranlasst hat bzw. zu dessen Gunsten sie 1136 Vgl. Art. 57 Abs. 4 S. 2 – 5 NdsVerf.; Art. 78 Abs. 3 Verf. NRW; Art. 71 Abs. 3 Verf. BW; Art. 83 Abs. 3 BayVerf. Dazu, dass es im Hinblick auf die finanzielle Ausgleichspflicht des Landes unerheblich ist, dass in Baden-Württemberg die Aufgaben als Selbstverwaltungsaufgaben übertragen worden sind vgl. Fn. 1069. Zur finanziellen Ausgleichspflicht allgemein BVerfGE 119, 331 (354 f.); v. Münch/Kunig/Löwer, Art. 28 GG Rn. 98, 101 ff.; Dreier/ ders., Art. 28 GG Rn. 171; 152 ff., 158 ff.; Schoch, DVBl. 2008, 937 (942 f.). 1137 Auf dieses Problem weist bspw. auch Windoffer, in: Bauer/Büchner/Brosius-Gersdorf, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, S. 23 (31 m. Fn. 17) hin. Er rät aus diesem Grund von einem Wahlrecht hinsichtlich der Erstkontaktierung ab (ihm zust. Caralp, S. 55 m. Fn. 199). Unter den obig beschriebenen Voraussetzungen kann dem Bedenken jedoch entgegen getreten werden – abgesehen davon, dass nach der hier vertretenen Ansicht ein entsprechendes Wahlrecht zwingend ist.
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Kap. 5: Mögliche Umsetzung eines „echten“ Wahlrechts im nationalen Recht
vorgenommen worden ist.1138 Dies spricht dafür, dass beide einheitlichen Ansprechpartner Kosten erheben könnten. Jedoch ist äußerst zweifelhaft, ob eine schlichte Doppelung der Kosten richtlinienkonform wäre. Insofern müsste gegebenenfalls eine Regelung zwischen den Ländern getroffen werden, die berücksichtigt, dass die beiden tätig werdenden einheitlichen Ansprechpartner in der Gesamtheit nicht mehr leisten als ein einheitlicher Ansprechpartner in landesinternen Angelegenheiten. Da die Gebührenerhebung typischerweise an den im Einzelfall erforderlichen Verwaltungsaufwand gebunden ist,1139 könnte hier unter Umständen bereits angesetzt werden; bei der Erfüllung von Informationspflichten hat beispielsweise der einheitliche Ansprechpartner mehr Aufwand, der in direktem Kontakt zum Dienstleister steht. Im Übrigen stellt sich dieses Problem ganz allgemein, d. h. für alle Länder unabhängig vom zugrundeliegenden EA-Modell. 3. Mischverwaltung Es könnte sich als problematisch erweisen, dass die einheitlichen Ansprechpartner in das Verwaltungsverfahren der sachlich zuständigen Behörden eingebunden sind und es so für den Bürger gegebenenfalls nicht erkennbar ist, ob nun der einheitliche Ansprechpartner oder die sachlich zuständige Behörde gehandelt hat. Insbesondere kann es – zumindest rein äußerlich – zu Zuständigkeitsüberschneidungen kommen, denn Kammern und Kommunen sind in manchen Fällen selbst auch sachlich zuständige Behörde.1140 Angesprochen ist damit das sog. Verbot der Mischverwaltung.1141 Fraglich ist zunächst, ob bereits die Ausgestaltung des Systems einheitlicher Ansprechpartner de lege lata ein Fall unzulässiger Mischverwaltung darstellt. a) Mischverwaltung de lege lata Das sog. Verbot der Mischverwaltung ist dem Bundesverfassungsgericht zufolge grundsätzlich in Art. 83 ff. GG verankert. Demgemäß bringt es allem voran zum Ausdruck, dass „(d)ie Verwaltung des Bundes und die Verwaltung der Länder (…) organisatorisch und funktionell im Sinne von in sich geschlossenen Einheiten prinzipiell voneinander getrennt (sind).“1142
1138
Vgl. bspw. § 12 Abs. 1 Nr. 1 GebGBbg; § 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 HbgGebG; § 5 Abs. 1 S. 1 NVwKostG; § 13 Abs. 1 Nr. 1 GebG NRW; § 12 Abs. 1 Nr. 1 SaarlGebG. 1139 Vgl. bspw. § 14 Abs. 1 Nr. 1 GebGBbg; § 7 Abs. 1 Nr. 3 HbgGebG; § 9 Abs. 1 NVwKostG; § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GebG NRW; § 7 Abs. 1 SaarlGebG. 1140 Vgl. dazu Schulz, DÖV 2008, 1028 (1034); Carra/Windoffer, LKRZ 2011, 166 (169 f.). 1141 Vgl. dazu auch bereits o. unter Kapitel 3 A. III. 2. b) bb) (2) (a) (cc) (b). 1142 BVerfGE 119, 331 (364); 108, 169 (182).
B. Lösungsansatz de lege ferenda
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Das bedeutet, dass – abgesehen von den im Grundgesetz selbst festgelegten Ausnahmen – eine Abbedingung der Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern nicht möglich ist.1143 Es gilt daher zunächst eine grundsätzliche Unterscheidung von Bundesverwaltung einerseits und Landesverwaltung andererseits.1144 Aus dem vielzitierten „Verbot der Mischverwaltung“ folgt jedoch nicht, dass eine jegliche Kooperation zwischen den unterschiedlichen Ebenen im Verwaltungsrecht verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist.1145 Vielmehr kommt es wesentlich darauf an, ob „zwingende Kompetenz- oder Organisationsnormen oder sonstige Vorschriften des Verfassungsrechts entgegenstehen.“1146 Das Verbot der Mischverwaltung steht daher letztlich im Geiste von Art. 20 GG (Bundesstaats-, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip).1147 Bei der Frage, ob eine Mischverwaltung im Einzelnen zulässig ist oder nicht, kommt es daher wesentlich auf die Wahrung folgender Grundsätze an: zum einen die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung, d. h. die Möglichkeit eines jeden Aufgabenträgers, den Aufgabenvollzug in hinreichendem Maße eigenständig zu verwirklichen1148 und zum anderen das Prinzip der Verantwortungsklarheit, d. h. der hinreichend klaren Zuordnungsmöglichkeit von Verwaltungszuständigkeiten aus Sicht des Bürgers1149. Aufgrund ihres Ursprungs in den benannten verfassungsrechtlichen Grundsätzen gelten die Prinzipien der Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenausführung sowie der Verantwortungsklarheit für sämtliches staatliche Handeln, mithin auch zwischen den Ländern sowie zwischen Land und Kommune, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG.1150 Auf die Wahrung dieser Grundsätze kommt es mithin stets an, wenn der Staat dem Bürger gegenüber auftritt. Fraglich ist nunmehr zunächst, ob es sich bei der Tätigkeit des einheitlichen Ansprechpartners um einen verfassungsrechtlich relevanten Fall der unzulässigen Mischverwaltung handelt. Erachtet man mit einem Teil der Literatur1151 eine Mischverwaltung in diesem Sinne nur dann als gegeben, wenn die Verwaltungsverflechtung mit Sachbefugnissen einhergeht, so muss das bereits an dieser Stelle verneint werden. Dagegen vertritt das Bundesverfassungsgericht, wie aus dem obigen Zitat ersichtlich, (nunmehr wieder1152) einen weiteren Begriff der Misch1143
BVerfGE 119, 331 (364 f.); 63, 1 (39); 41, 291 (311); 32, 145 (156). Schulz, DÖV 2008, 1028 (1029). 1145 Vgl. dazu insbes. Burgi, ZSE 6 (2008), 281 (289). 1146 BVerfGE 63, 1 (38). 1147 Küchenhoff, S. 136 ff.; Huber, DÖV 2008, 844 (847 ff.); Schulz, DÖV 2008, 1028 (1029); Erichsen/Büdenbender, NWVBl. 2001, 161 (166). 1148 BVerfGE 119, 331 (375). 1149 BVerfGE 119, 331 (366). 1150 Küchenhoff, S. 173; Erichsen/Büdenbender, NWVBl. 2001, 161 (164 f.); Schulz, DÖV 2008, 1028 (1034) m.w.N. 1151 So etwa Schulz, DÖV 2008, 1028 (1034); Schliesky/Schulz/Neidert, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/III, S. 249 (256); s. dazu auch Luch, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 149 (170), jeweils m.w.N. 1152 Zum Wandel in der Rspr. vgl. bspw. den Überblick bei Huber, DÖV 2008, 844 (845 f.). 1144
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verwaltung. Eine solche ist danach bereits bei einer organisatorischen oder funktionellen Verflechtung jeglicher Art zu bejahen. Jedoch ist die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen erst dann überschritten, wenn Planungs-, Verwaltungsoder Entscheidungsbefugnisse, die im Aufgabenbereich einer Gebietskörperschaft liegen, von einer anderen wahrgenommen werden, es mithin zu Mitplanung-, Mitverwaltungs- oder Mitentscheidungsbefugnissen kommt;1153 dies ist stets vor dem Hintergrund der Prinzipien der Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung und der Verantwortungsklarheit zu verstehen. Unter Berücksichtigung dessen könnte die Tätigkeit des einheitlichen Ansprechpartners als Mischverwaltung bezeichnet werden. So könnte in der Einbeziehung des einheitlichen Ansprechpartners in das Verfahren der sachlich zuständigen Behörden immerhin eine Mitverwaltung gesehen werden, denn ein verbandsübergreifendes Handeln ist den einheitlichen Ansprechpartnern wegen der notwendigen Einbeziehung von Behörden auch anderer Verwaltungsträger quasi immanent.1154 Jedoch ist zweifelhaft, ob die vom Bundesverfassungsgericht erhobene Schwelle gerade wegen des Fehlens auch nur irgendwelcher Sachentscheidungsbefugnisse des einheitlichen Ansprechpartners als bereits überschritten zu betrachten ist.1155 Unabhängig davon sind die Grundsätze der Verantwortungsklarheit und der Eigenverantwortlichkeit jedoch stets zu wahren, und zwar auch unterhalb besagter Schwelle.1156 Solange sich die „Verflechtung“ in diesem Rahmen hält, ist sie als verfassungsrechtlich zulässig zu erachten.1157 Hinsichtlich der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung gilt zunächst, dass die Aufgabenverteilung zwischen den einheitlichen Ansprechpartnern und den sachlich zuständigen Behörden in den §§ 71a ff. (L)VwVfG und den EA-Gesetzen klar geregelt ist. Gleiches gilt für die interne Zusammenarbeit zwischen den einheitlichen Ansprechpartnern und den zuständigen Behörden. Umgesetzt wurde eine eindeutige Front Office/Back Office-Struktur.1158 Diese zeichnet sich eben gerade dadurch aus, dass keine Veränderung der Sachzuständigkeiten erfolgt, sodass im Ergebnis eindeutig nachvollziehbar ist, wer für welchen Arbeitsbereich zuständig
1153 BVerfGE 119, 331 (365); Maunz/Dürig/Kirchhof, Art. 83 GG Rn. 89; v. Münch/Kunig/ Broß/Mayer, Art. 83 GG Rn. 13. 1154 Vgl. dazu schon o. Kapitel 3 A. III. 2. b) bb) (2) (a) (cc) (b). 1155 Ebenso Kormann, S. 57; Knack/Henneke/Schliesky, Vor §§ 71a-71e VwVfG Rn. 8. 1156 So auch Knack/Henneke/Schliesky, Vor §§ 71a-71e VwVfG Rn. 8; Neidert, S. 80 f.; Schulz, DÖV 2008, 1028 (1034). 1157 BVerfGE 63, 1 (38); v. Münch/Kunig/Broß/Mayer, Art. 83 GG Rn. 14. 1158 s. dazu o. unter Kapitel 4 B. II. 1. a). Dies ist vergleichbar mit der übergreifenden Behördennummer 115, vgl. zu den rechtlichen Fragen deren Umsetzung Lemke/Westerfeld (Hrsg.), Strategie 115, S. 92 ff., 99; s. zur Vereinbarkeit von Front Office/Back Office-Strukturen mit dem Rechtsstaatsprinzip auch E. Schulz, One-Stop Government, S. 152 f.; s. in Bezug auf den einheitlichen Ansprechpartner zudem Schliesky, in: Leible, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 43 (67).
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ist.1159 Insbesondere bestehen auch keine „doppelt besetzten“ Zuständigkeiten oder erfolgt ein gemeinsamer Aufgabenvollzug entsprechend der vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärten Arbeitsgemeinschaften (ARGE) nach SGB II.1160 An diesem Befund ändert sich auch dann nichts, wenn es im Einzelfall um eine Angelegenheit des Dienstleisters geht, bei welcher eine Bundesbehörde zu beteiligen ist. Abgesehen davon, dass ohnehin sowohl die „Vermischung“ von Landes- mit Bundeskompetenzen als auch diejenige von Landeskompetenzen untereinander als missbilligte Mischverwaltung erfasst sein dürfte1161 und es sich daher bei Einbeziehung einer Bundesbehörde nicht etwa um einen „intensiveren“ Fall der Mischverwaltung handelte, „vollzieht“ der einheitliche Ansprechpartner auch nicht die Aufgabe des Bundes, sondern ist dem Vollzug durch die sachlich zuständige Bundesbehörde in gewisser Weise lediglich vorgeschaltet.1162 Im Gegensatz zum Fall der ARGE, welche auf Kommunalebene errichtet worden sind und in denen sowohl Aufgaben des Bundes als auch Aufgaben der Kommunen selbst gemeinsam vollzogen worden sind, hat der einheitliche Ansprechpartner bloße Geschäftsstellenfunktion1163. Zur Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung gehört insbesondere die Möglichkeit des zuständigen Verwaltungsträgers, hinreichend und nach seinen eigenen Vorstellungen auf den Aufgabenvollzug einwirken zu können und Entscheidungen über Personal, Organisation und Aufgabenerfüllung gerade nicht ausschließlich in Abstimmung mit einem anderen Verwaltungsträger treffen zu müssen.1164 Wie dargelegt, haben die einheitlichen Ansprechpartner jedoch gerade keinerlei Einwirkungsmöglichkeit auf den (Sach-) Aufgabenvollzug der zuständigen Behörden. Ihre Abwicklungsfunktion beschränkt sich auf die Entgegennahme und Weiterleitung von Anträgen und sonstigen Erklärungen des Dienstleisters an die zuständigen Behörden; ansonsten besteht ihre Aufgabe in reiner Informationstätigkeit. Auch die Tatsache, dass ihnen Fristwahrungsfunktion zukommt, hat insoweit keine Auswirkungen. Die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung der zuständigen Behörden ist davon nicht betroffen. Problematischer könnte sich die Wahrung des Grundsatzes der Verantwortungsklarheit darstellen. Wie bereits eingangs erwähnt, könnte es aus Sicht des Bürgers nicht immer als völlig klar gelten, wer für die erteilte Information oder die vorgenommene Tätigkeit verantwortlich ist. Denn Anlaufstelle ist stets der ein1159
s. zu dem Erfordernis auch v. Mutius/v. Mutius, KommJur 2008, 201 (203); Schulz, DÖV 2008, 1028 (1034); Luch, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/I, S. 149 (171). 1160 Hier wurde den Kommunen der Vollzug von Bundesaufgaben übertragen, vgl. BVerfGE 119, 331 ff.; s. auch den Überblick bei v. Mutius/v. Mutius, KommJur 2008, 201 ff. 1161 Vgl. Burgi, ZSE 6 (2008), 281 (291), Schulz, DÖV 2008, 1028 (1036). 1162 Wohl enger Schulz, DÖV 2008, 1028 (1035). 1163 Dazu, dass auch im Fall der ARGE ein kooperativer Aufgabenvollzug mittels einer Front Office/Back Office-Struktur möglich wäre v. Mutius/v. Mutius, KommJur 2008, 201 (205). 1164 BVerfGE 119, 331 (375).
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heitliche Ansprechpartner. Wesentlich geht es hierbei um die Frage, wen der Bürger gegebenenfalls haftbar machen kann. Nicht nur muss es hierfür klare Regelungen geben, sondern auch muss eine eindeutige Zurechenbarkeit zur handelnden Behörde gewährleistet sein.1165 Indes ist es zwar, wie ebenfalls eingangs erwähnt, zutreffend, dass gerade bei den Kammer- und auch den Kommunalmodellen deshalb Unsicherheiten entstehen können, weil selbige neben ihrer Tätigkeit als einheitliche Ansprechpartner auch noch sachlich zuständige Behörde sein können. Jedoch folgt daraus nicht zwingend eine rechtliche Unzulässigkeit unter dem Gesichtspunkt der Verantwortungsklarheit. Denn es ist ohne Weiteres möglich, dass die Kommune oder die Kammer jeweils deutlich hervorhebt, ob sie als einheitlicher Ansprechpartner oder als sachlich zuständige Behörde gehandelt hat. Denkbar sind beispielsweise Hinweise auf den verwandten Formularen, im Briefkopf usw.1166 Zudem kann dem organisatorisch durch die strenge Einteilung in Abteilungen nachgekommen werden,1167 sollte der einheitliche Ansprechpartner etwa in unmittelbarer räumlicher Nähe zu potenziell sachlich zuständigen Behörden eingerichtet sein. Spezielle Haftungsregelungen enthalten weder die §§ 71a ff. (L)VwVfG noch die EA-Gesetze. Aus diesem Grund sind im Haftungsfall die allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Grundsätze heranzuziehen.1168 Bloße Klarheit über das im Schadensfall anzuwendende Haftungsrecht hilft aber nicht über das Problem hinweg, dass der Bürger im Zweifel nicht erkennen kann, aus wessen Sphäre das haftungsauslösende Verhalten stammt, d. h. wer im Einzelfall als Haftungssubjekt heranzuziehen ist. Hierzu werden unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten vertreten, welche über eine „Haftungsbündelung“ beim einheitlichen Ansprechpartner1169 über die analoge Anwendung des § 278 BGB,1170 die im öffentlichen Recht grundsätzlich möglich ist,1171 bis hin zur Übertragung des Rechtsgedankens des § 840 BGB,1172 was zu einer Art gesamtschuldnerischen Haftung aller Beteiligten führte, reichen.1173 Im Ergebnis besteht 1165 BVerfGE 119, 331 (366); Sachs/Dittmann, Art. 83 GG Rn. 5; Erichsen/Büdenbender, NWVBl. 2001, 161 (166); Huber, DÖV 2008, 844 (847). 1166 s. zu den Möglichkeiten, dem Grundsatz gerecht zu werden Erichsen/Büdenbender, NWVBl. 2001, 161 (166). 1167 Vgl. dazu auch Erichsen/Büdenbender, NWVBl. 2001, 161 (166). 1168 s. Lemor/Haake, EuZW 2009, 65 (67); s. dazu insbes. Carra/Windoffer, LKRZ 2011, 166 ff. 1169 Lemor/Haake, EuZW 2009, 65 (67); krit. zu einer „Haftungsbündelung“ Ruge, in: Bauer/Büchner/Brosius-Gersdorf, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, S. 95 (106). 1170 Altmann, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/III, S. 83 (98 f.); s. dazu auch Caralp, S. 160 ff.; Carra, S. 69; Carra/Windoffer, LKRZ 2011, 166 (170). 1171 Zur Anwendbarkeit der Norm im öffentlichen Recht vgl. schon BGHZ 4, 138 (152); BVerwGE 13, 17 (22). 1172 Luch/Schulz, in: Schliesky, Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie/II, S. 219 (271); s. dazu auch Caralp, S. 164 ff.; Carra, S. 69 f.; Carra/Windoffer, LKRZ 2011, 166 (170). 1173 Vgl. zur Haftung des einheitlichen Ansprechpartners im Allgemeinen auch Carra, S. 52 ff. sowie den Lösungsvorschlag Neiderts, S. 95 ff. und im Anschluss an letztere Caralp, S. 169 ff.
B. Lösungsansatz de lege ferenda
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also durchaus die Möglichkeit, unter Heranziehung der in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Kriterien eine Lösung auch in denjenigen Haftungsfällen1174 herbeizuführen, in denen das Haftungssubjekt nicht ohne Weiteres erkennbar ist. Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass die Implementierung der einheitlichen Ansprechpartner in die Rechtsordnungen der Länder keine unzulässige Mischverwaltung darstellt.1175 Dies resultiert daraus, dass ein Verstoß weder gegen den Grundsatz der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung noch gegen das Prinzip der Verantwortungsklarheit zu verzeichnen ist. b) Mischverwaltung durch „echtes“ Wahlrecht Fraglich ist, ob sich an diesem Befund durch die Einführung des hier vorgeschlagenen „echten“ Wahlrechts etwas ändert. Immerhin erfolgt dadurch eine noch tiefer gehende Verflechtung zwischen den Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen untereinander. Wie dargelegt, kommt es bei der Beurteilung der Zulässigkeit entsprechender Kooperationen wesentlich auf die Wahrung des Grundsatzes eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung und des Prinzips der Verantwortungsklarheit an. Die bisherige Ausgestaltung des Systems an einheitlichen Ansprechpartnern genügt diesen Anforderungen. Indes änderte sich daran auch durch die hier vorgeschlagenen Umsetzungsmodelle nichts. Hinsichtlich der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung ergibt sich deshalb kein Unterschied zum status quo, weil auch bei vermehrter Kooperation zwischen den zuständigen Behörden und den einheitlichen Ansprechpartnern fremder Wirkkreise eine Änderung der Sachzuständigkeiten nicht erfolgt. Insoweit kann auf die Ausführungen zum gegenwärtigen Zustand verwiesen werden. Durch die Umsetzung eines „echten“ Wahlrechts bestünde jedoch im Ergebnis die Möglichkeit, dass die im Einzelfall zuständigen Behörden („direktes Modell“) oder einheitlichen Ansprechpartner („indirektes Modell“) vermehrt mit einheitlichen Ansprechpartnern anderer Verbände zusammenarbeiten. Aus Sicht des Dienstleisters wäre es dann gerade möglich, dass ein einheitlicher Ansprechpartner in Anspruch genommen werden könnte, der sich in einem Bundesland befindet, in welchem das Vorhaben gar nicht verwirklicht werden soll. Da in diesem Fall entweder ein zweiter einheitlicher Ansprechpartner eingeschaltet wird oder die Mehrheit der zuständigen Behörden einem ganz anderen Bundesland angehören, besteht eine im Gegensatz zum status quo erhöhte Gefahr, dass Verwaltungszuständigkeiten aus Sicht des Dienstleisters nicht mehr ohne Weiteres zugeordnet werden können. Auch dem kann jedoch durch eine strikte organisatorische Trennung und Kenntlichmachung der 1174
Generell zu haftungsauslösenden Handlungen der einheitlichen Ansprechpartner Caralp, S. 133 ff.; Ruge, in: Bauer/Büchner/Brosius-Gersdorf, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, S. 95 (98 ff.). 1175 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Windoffer, in: Bauer/Büchner/Brosius-Gersdorf, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, S. 23 (29 f.). s. auch Neidert, S. 104 ff. und (ebenso wie diese) Caralp, S. 217 ff., 222.
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Kap. 5: Mögliche Umsetzung eines „echten“ Wahlrechts im nationalen Recht
Urheberschaft von Handlungen und Informationen entgegengewirkt werden. Auch insofern ist daher auf die Ausführungen in Kapitel 4 zu verweisen. Soweit es jedoch in diesem Zusammenhang um die Haftung für schädigendes Verhalten geht, sollten zur Herstellung von Rechtssicherheit explizite Haftungsregelungen in die EA-Gesetze aufgenommen werden. Zwar ändert sich an der Möglichkeit, Haftungsfragen anhand allgemeiner staatshaftungs- bzw. amtshaftungsrechtlicher Grundsätze zu klären im Gegensatz zur jetzigen Ausgestaltung nichts. Allerdings ist zu bedenken, dass sich insbesondere im Rahmen des „indirekten Modells“ die Anzahl der Akteure noch weiter erhöht, was insgesamt zu einer unübersichtlicheren und unsichereren Rechtslage führt als das gegenwärtig der Fall ist. Carra/Windoffer1176 ist daher zuzustimmen, wenn sie im Interesse größerer Transparenz und Rechtssicherheit für die Einführung klarer Haftungsregelungen plädieren. 4. Konkurrenzverhältnis zwischen den Kammern Das hinsichtlich der Kommunen beschriebene Problem eines möglichen Wettbewerbs zwischen den einheitlichen Ansprechpartnern besteht grundsätzlich für alle Länder. Auch einzelne Kammern bzw. deren Geschäftsstellen könnten sich als bevorzugte Ansprechpartner erweisen und so auch für länderübergreifende Sachverhalte überdurchschnittlich oft beansprucht werden. Im Gegensatz zu den Kommunen verfügen die Kammern nicht über eine eigene Steuerhoheit. Im Wesentlichen finanzieren sie sich aus Mitgliederbeiträgen.1177 Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass bei einer Konkurrenz zwischen den einheitlichen Ansprechpartnern und einer eventuellen Überbeanspruchung einzelner Kammern ein Ausgleich der Mehrbelastung über die Mitgliederbeiträge nicht ohne Weiteres möglich ist. Denn zwar können die Aufgaben des einheitlichen Ansprechpartners unter Zugrundelegung eines funktionalen Verständnisses1178 noch zu den Selbstverwaltungsaufgaben der Kammern gezählt werden.1179 Allerdings stehen diese nicht ausschließlich im Interesse der Mitglieder; insofern ist die Grundrechtsrelevanz der Beitragspflicht und das daraus resultierende Rechtfertigungserfordernis über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.1180 Jedoch ist auch hier die geregelte Gegen1176 Carra/Windoffer, LKRZ 2011, 166 (170). Befürwortet wird eine Orientierung an den Haftungsregelungen, die das Land Schleswig-Holstein in sein EA-Gesetz (vgl. § 20 Abs. 3 S. 1 EAG SH) aufgenommen hat. Danach haftet im Außenverhältnis der einheitliche Ansprechpartner auch für unzutreffende Informationen der zuständigen Behörde, wenn Letztere nicht als Urheberin erkennbar ist. 1177 Zur Kammerfinanzierung allgemein Kluth/Rieger, Handbuch Kammerrecht Rn. 13/1 ff. m.w.N. 1178 Dazu o. Kapitel 4 B. I. 4. c) aa) (3) (b). 1179 Vgl. o. unter Kapitel 4 B. II. 2. a) aa). 1180 Insofern ist Art. 2 Abs. 1 GG relevant, vgl. etwa BVerfGE 10, 89 (99); 10, 354 (363); 11, 105 (110); BVerwGE 112, 69 (72); vgl. zu den Aufgaben, die über Beiträge finanzierungsfähig sind und zu denen, die es nicht sind Kluth/Rieger, Handbuch Kammerrecht Rn. 13/40 ff., 13/ 55 ff., 13/59.
C. Ergebnis zu Kapitel 5
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finanzierung durch Gebühren zu berücksichtigen.1181 Darüber hinaus besteht bei der Übertragung von Aufgaben, die nicht primär im Interesse der Mitglieder stehen, eine staatliche Gegenfinanzierungspflicht; auch hier gilt somit – in Parallele zur Finanzierung der Kommunen –1182 ein Konnexitätsprinzip.1183 Staatliche Finanzzuweisungen sind danach immer dann erforderlich, wenn eine Finanzierung über Mitgliederbeiträge nicht möglich und eine Gebührenerhebung nicht vorgesehen oder ausreichend ist. Im Ergebnis würde daher die mögliche finanzielle Mehrbelastung der einen oder anderen Kammer ausgeglichen.
C. Ergebnis zu Kapitel 5 Zusammenfassend bietet sowohl das „direkte“ als auch das „indirekte Modell“ eine Möglichkeit, das vorgeschlagene „echte“ Wahlrecht umzusetzen, dieses jedoch gleichzeitig in das bestehende System einheitlicher Ansprechpartner zu integrieren. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine entsprechende länderübergreifende Kooperation bestehen nicht.
1181
s. o. unter Kapitel 5 B. IV. 2. b). Vgl. dazu o. unter Kapitel 5 B. IV. 2. b). 1183 Dazu Kluth/Rieger, Handbuch Kammerrecht Rn. 13/237 ff. m.w.N. Woraus diese Finanzierungspflicht des Staates geschlossen wird, wird uneinheitlich beantwortet, vgl. ders., Rn. 13/238 ff. m.w.N.; s. auch M. Müller, FS Stober, S. 349 (367) unter Hinweis auf §§ 3 Abs. 2 IHKG, 113 Abs. 1 HwO, wonach Kosten auch „anderweitig“ (scil. als durch Mitgliederbeiträge) zu finanzieren sind. 1182
Gesamtergebnis Als Gesamtergebnis der vorliegenden Bearbeitung ist Folgendes festzuhalten: Die Umsetzung des Art. 6 DLRL hat in der Bundesrepublik nicht nur zur Entstehung einer Vielzahl an einheitlichen Ansprechpartnern geführt, sondern auch zu einer in den einzelnen Bundesländern überaus unterschiedlichen Ausgestaltung der jeweiligen Stellen. Der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik ist es geschuldet, dass nunmehr jedes Bundesland über ein ganz eigenes System an einheitlichen Ansprechpartnern, deren örtliche Zuständigkeit sich grundsätzlich nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 (L)VwVfG richtet, verfügt. Daraus resultiert, dass der Dienstleister gehalten ist, die jeweils für ihn zuständige Stelle zu ermitteln. Dieser Zustand stellt indes eine Diskrepanz zum Anliegen der Dienstleistungsrichtlinie dar. Zu diesem Ergebnis gelangt eine am effet utile orientierte Auslegung. Nach der hier vertretenen Ansicht ist die Union allem voran darauf angelegt, die in den Verträgen kodifizierten Ziele, insbesondere den Binnenmarkt, zu verwirklichen. Daher ist es sachgerecht, im Rahmen der Auslegung jeglichen Unionsrechts das effet utile-Prinzip in einem weiteren Sinne zu verstehen und so jeweils das Auslegungsergebnis zugrundezulegen, das der mit der Norm anvisierten Zielverwiklichung den größtmöglichen Rahmen bietet. Unter Berücksichtigung dessen ergibt sich ein relativ enges Verständnis von Art. 6 DLRL. Namentlich geht dieser von einem subjektiven, allein auf den Dienstleister ausgerichteten Verständnis der „Einheitlichkeit“ des zu errichtenden Ansprechpartners aus. Infolgedessen ist für die Einführung eines „echten“ Wahlrechts für den Dienstleister zu plädieren. Ein solches soll die „Einheitlichkeit“ des Ansprechpartners in umfassender Weise gewährleisten, und zwar dadurch, dass der Dienstleister sich ortsungebunden mit jedem Anliegen an jeden einheitlichen Ansprechpartner wenden kann. Ein solches Verständnis entspricht nicht nur der hier vertretenen unionsrechtlichen Dogmatik, sondern korreliert darüber hinaus mit den Bedürfnissen der Praxis.1184 Die vorgeschlagenen Lösungsmodelle bieten die Möglichkeit, einen richtlinienkonformen Zustand herzustellen, ohne jedoch das bestehende System an einheitlichen Ansprechpartnern wesentlich zu ändern.
1184 Dies zeigt sich insbes. in deren Forderung nach effektiverer Richtlinienumsetzung (dazu Communication from the Commission „A partnership for new growth in services 2012 – 2015“, S. 3). Darüber hinaus mehren sich gegenwärtig auch in der Bundesrepublik Feststellungen von Defiziten im Rahmen der Umsetzung des Art. 6 DLRL (s. bspw. die auf § 5 Abs. 2 SächsEAG beruhende Evaluierung des sächsischen EA-Systems vom Juni 2012, in welcher konstatiert wird, es müssten „wirtschaftsfreundlichere Strukturen“ etabliert werden, um die Inanspruchnahme der einheitlichen Ansprechpartner zu steigern [SL-Drs. 5/9551 S. 3]).
Gesamtergebnis
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Demgegenüber bestehen keine Zweifel im Hinblick auf die Kompetenz der Union zum Erlass der Vorschriften um den einheitlichen Ansprechpartner. Denn die konkrete Umsetzung im nationalen Recht blieb den Mitgliedstaaten unbenommen; insbesondere betont die Richtlinie die Möglichkeit, die einheitlichen Ansprechpartner in die bestehenden Verwaltungsrechtssysteme zu integrieren.
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Sachwortverzeichnis Angemessenheit, s. Verhältnismäßigkeit Anstalt des öffentlichen Rechts 182, 197 f., 219, 241 f. Äquivalenzprinzip 68 f. Auslegung – historische 29, 32 ff. – primärrechtskonforme 78 f., 96 – richtlinienkonforme 79, 101 f., 245 ff. – systematische 29, 32, 35 ff., 84, 85, 88, 121, 255 – teleologische 29, 32, 35, 37 ff., 49, 77 f., 89 ff. – Wortlaut- 29, 30 ff., 35, 82 ff., 88 f., 94 ff., 105 f., 123 ff. Baden-Württemberg 168, 170 f., 183, 196, 231, 234, 239 f., 243, 249, 259 f., 265 Bayern 168, 171 f., 183, 196, 231, 234, 239, 243, 249, 259 f. Behörde – einheitlicher Ansprechpartner als 227, 236 Beleihung 169 f., 175, 181 f., 198 f., 218 f., 240 f. Berlin 168, 169, 176, 183, 236 f., 244, 249, 262 Binnenmarkt 39, 46, 61, 90 f., 92 ff., 106 f., 126 ff. Binnenmarktkompetenz, s. Kompetenz Brandenburg 168, 169, 177, 236 ff., 244 Bremen 169 f., 181 f., 240 f., 244 Demokratische Legitimation 191 f., 204 ff., 212 ff., 227 ff., 231 ff., 248, 264 dynamischer Charakter des Unionsrechts 29, 33, 37 Effektivitätsgebot 40, 67 f., 155, 158 Einheitliche Stelle 110, 165 ff. Einzelermächtigung, begrenzte 47, 48 f., 61, 75 f., 80 f. 92, 118 ff., 162 f. Erforderlichkeit, s. Verhältnismäßigkeit
Geeignetheit, s. Verhältnismäßigkeit Hamburg 168 f., 172 f., 231 ff., 243, 260 Harmonisierung 116, 120, 121 ff., 126 ff., 157, 160 f. Hessen 169, 177 f., 236 f., 244, 259 f. Historische Auslegung, s. Auslegung implied powers 69 ff., 80, 139 ff. Internetpräsenz 183 ff. Kammermodell 168 f., 170 ff., 229 ff., Kommunalmodell 168 f., 179 ff., 237 ff. Kompetenz 186 ff. – Binnenmarkt- 92, 118, 126 ff., 133 f. – Verbands- 189 ff., 229 ff., 251 ff. Kompetenzausübungsschranken, s. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit kreisfreie Stadt 195 f. Landesmodell 168 f., 176 ff., 236 f. Landkreis 195 f. Legitimer Zweck, s. Verhältnismäßigkeit Lissabon-Strategie 90 ff. Mecklenburg-Vorpommern 168 f., 173 f., 225, 231 ff., 243 Methodenlehre, europäische 27 f. Mischverwaltung 152 ff., 268 ff. Nationale Identität 148 ff. Niedersachsen 168, 169, 179 f., 196, 238 f., 244, 259 f. Nordrhein-Westfalen 169, 180 f., 237 ff., 244, 259 f. Organkompetenz 187 f., 190, 200, 219 ff., 237 ff. Primärrechtskonforme Auslegung, s. Auslegung
Sachwortverzeichnis Rheinland-Pfalz 168, 169, 178, 236 f., 244, 259 f. Richtlinienkonforme Auslegung, s. Auslegung Saarland 168 f., 174 f., 225, 231 ff., 234 ff., 243, 260, Sachsen 168, 169, 179, 236 f., 244 Sachsen-Anhalt 168, 169, 179, 236 f., 244 Schleswig-Holstein 170, 182, 241 f., 244 Selbstverwaltung, funktionale 187, 196 f., 204 ff., 229 ff., 264 Selbstverwaltung, kommunale 194 ff., 201 ff., 204, 265 ff. Simultangesetzgebung 110, 168 Stadtkreis 195 f. Subsidiaritätsprinzip 50 ff., 106 f., 132 f., 156 ff. Systematische Auslegung, s. Auslegung
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Teleologische Auslegung, s. Auslegung Thüringen 168 f., 175 f., 183 f., 231, 234 ff., 243, 260, 261 f. Verbandskompetenz, s. Kompetenz Verhältnismäßigkeit – Angemessenheit 63 f., 143 ff., 162 – Erforderlichkeit 62 f., 143 ff., 160 ff. – Geeignetheit 61 f., 143, 159 f. – legitimer Zweck 60 f., 143, 159 f. Verortung der einheitlichen Ansprechpartner 85 ff., 110 f., 168 ff. Verwaltungsakt 219 ff., 226 f. Verwaltungsautonomie 117, 143 ff. Verwaltungshandeln, schlichtes 221 ff., 226 f. Wortlautauslegung, s. Auslegung Zuständigkeit, örtliche 188, 243 f.