Staatsangehörigkeitswechsel und Option im Friedensvertrage von Versailles [Reprint 2021 ed.] 9783112456088, 9783112456071


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Staatsangehörigkeitswechsel und Option im Friedensvertrage von Versailles [Reprint 2021 ed.]
 9783112456088, 9783112456071

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Staatsangehörigkeitswechsel und Option im Friedensvertrage von Versailles Von

Dr. Carl Georg Bruns

BERLIN UND LEIPZIG 1921 VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE ORUYTER & Co.

yormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp.

Vorwort. Die vorliegende Schrift verdankt die Anregung zu ihrer Entstehung einem Gutachten über die Rechtslage der deutschen Reichangehörigen, die nach dem i. Januar 1908 ihren Wohnsitz in das Gebiet des jetzigen Polens verlegt haben, das der Verfasser vor einiger Zeit erstattet hat. Vielfache Erörterungen z. T. in der deutschen Presse Polens, meist aber in persönlichen Gesprächen, gaben dem Verfasser Gelegenheit zur weiteren Klärung seines Standpunktes. Er möchte an dieser Stelle allen denen, die auf seine Gedanken eingegangen sind, seinen Dank aussprechen. Es stellte sich bald heraus, daß man zu sicheren Ergebnissen nur kommen kann, wenn die Frage in den Gesamtzusammenhang der Regelung gestellt wird, welche Staatsangehörigkeit und Option im Friedensvertrag gefunden haben. So entstand der Plan zur vorliegenden Schrift. Die Stoffanordnung bereitete Schwierigkeiten. Es ist der Weg gewählt worden, alle grundsätzlichen Fragen im Anschluß an die Rechtslage für das polnische Abtretungsgebiet zu erörtern und in einem zweiten Abschnitt die anderen Abtretungsgebiete ganz kurz, nur unter Hervorhebung ihrer Abweichungen, zu behandeln. Die Anführung jeder Abweichung im sachlichen Zusammenhang der Gesamtdarstellung wie die gleich ausführliche Erörterung eines jeden einzelnen Abtretungsgebietes, hätte die Darstellung schwerfällig gemacht. Ähnliche Gründe haben dazu geführt, in dem Hauptabschnitt über Polen einzelne Fragen in gesonderte Kapitel einzuordnen. Die Regelung für Elsaß-Lothringen ist nicht in die Untersuchung einbezogen worden. Sie weicht von der sonst im Friedensvertrage üblichen so stark ab, daß sie nur hin und wieder vergleichsweise hat berücksichtigt werden können.

Inhalt.

Seite

Vorwort Einleitung I . Abschnitt: Polen

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I . Teil: Die Bedingungen für den Wechsel der Staatsangehörigkeit I . Kapitel: Das Wohnsitzprinzip I I . Kapitel: Das Abstammungsprinzip I I I . Kapitel: Das eingeschränkte Wohnsitzprinzip des Artikels 91 Abs. 2 I I . Teil: Die Option I. Kapitel: Das Wesen und die Bedeutung der Option I I . Kapitel: Die Sicherung der Option I I I . Kapitel: Die Optionserklärung IV. Kapitel: Der Optantenvertrag V. Kapitel: Fristen I I I . Teil: Einzelne Fragen I. Kapitel: Die Liquidation deutschen Vermögens I I . Kapitel: Artikel 278 I I I . Kapitel: Der Minderheitenschutzvertrag . . . IV. Kapitel: Die Durchsetzung der Rechte aus Staatsangehörigkeit und Option . . II. Abschnitt: Die I. II. III. IV. V. VI. Register

übrigen Gebiete Teil: Tschechoslowakei Teil: Belgien Teil: Dänemark Teil: Danzig Teil: Memel Teil: Das Saarbecken

: . .

11 11 15 20 32 32 35 40 45 46 49 49 53 57 59 61 61 63 64 64 65 67 69



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Einleitung. Systematische Untersuchungen eines größeren Komplexes zusammengehörender Rechtsfragen führen erfahrungsgemäß leicht zu Ergebnissen, die von Untersuchungen, welche mehr auf praktische Einzelfragen abzielen, stark abweichen. Die aus dem Friedensvertrage sich ergebenden Fragen der Staatsangehörigkeit und Option sind bisher im Gesamtzusammenhange noch nicht untersucht worden, und so bedürften Abweichungen von Anschauungen, wie sie bisher in der Praxis und gelegentlich in der Literatur zutage getreten sind, kaum einer besonderen vorgängigen Begründung. Aber die Eigenartigkeit des Untersuchungsgegenstandes rechtfertigt eine kurze Vorbemerkung über die Methode, die bei der Auslegung dieses Gegenstandes, — des Friedensvertrages von Versailles —, erlaubt und geboten ist. In seiner Schrift über „die Rechtsverhältnisse der an Polen abgetretenen Ostmark'' 2 ) sagt Kaufmann, wir dürften nie vergessen, daß — wie die Schaffung des Friedensvertrages eine Machtfrage war, — auch seine Auslegung eine Machtfrage sein würde. Politisch betrachtet mag das zutreffen. Es muß aber grundsätzlich festgehalten werden, daß Auslegungsfragen stets Auslegungsfragen bleiben. Nimmt man den Friedensvertrag als völkerrechtlichen Vertrag und geht an ihn mit juristischer Interpretation heran, dann muß man von der Voraussetzung Außer bei den wenigen, weiter unten zitierten Schriften handelt es sich dabei um Anschauungen, die ohne weitere Begründung in populären Zwecken dienenden Aufsätzen — meist in Tageszeitungen — niedergelegt sind, oder die, ebenfalls ohne Begründung, gelegentlich der Behandlung anderer Fragen zutage treten. Eine Auseinandersetzung im einzelnen kommt nicht in Frage. Soweit in den Veröffentlichungen aber eine communis opinio zum Ausdruck kommt, sind sie in der Untersuchung berücksichtigt worden. 2 ) Dr. Erich Kaufmann, Die Rechtsverhältnisse der an Polen abgetretenen Ostmark. Berlin 1919, Verlag der Grenzboten. S. 3 (zitiert „Kaufmann").

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ausgehen, daß die Interpretation — unbeschadet wissenschaftlicher Streitfragen — zu logisch zwingenden Ergebnissen führt. Daran kann es nichts ändern, daß der politisch schwächere Vertragsgegner sich oft einem rechtswidrigen Diktat wird beugen müssen, und daß er aus politischen Zweckmäßigkeitsgründen auch einmal solch ein rechtswidriges Diktat als „Auslegung" anerkennen mag. Für die Rechtsbetrachtung ergeben sich aus dem Friedensvertrage rechtliche Auslegungsfragen, die mit den üblichen Mitteln juristischer Interpretation zu lösen sind. Die Besonderheit der Entstehung des Vertrages gebietet allerdings für die Anwendung der Interpretationstechnik einige Vorsicht. Jede Auslegung zielt auf den Sinn der auszulegenden Rechtsnorm. Zur Ermittlung dieses Sinnes wird man, ohne Anhänger irgend einer Art von Motivenkult zu sein, eines Zuriickgehens auf die Entstehungsgeschichte nie ganz entraten können, um über den „Willen des Gesetzgebers" oder den „übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien" einige Klarheit zu gewinnen. Auch beim Friedensvertrage stimmt der Wille der Vertragsparteien darin überein, daß sein Inhalt beiderseitig verpflichtende und berechtigende Rechtsnorm sein soll. Bei der Nichtbeteiligung Deutschlands an der Entstehung des Vertragstextes kann übereinstimmender Parteiwille nur mit Rücksicht auf den Inhalt oder Sinn festgestellt werden, der aus dem Texte herausgelesen werden kann. Wortlaut und immanenter Sinn sind also die Gegenstände, auf die sich ausschließlich die Interpretation richten muß. Ähnlich gebunden ist jede Interpretation. Aber man ist bei der Auslegung eines Vertragstextes freier, wenn man schon in der Entstehungsgeschichte auf einen übereinstimmenden Willen der Parteien stößt oder jedenfalls die beiderseitigen Erwägungen und Absichten miteinander vergleichen kann. Bei der besonderen Sachlage beim Friedensvertrage von Versailles werden zwar Erwägungen über die einseitigen Absichten der einen Vertragsgruppe wichtige Fingerzeige geben können. Aber die eindeutigsten Absichten dieser Vertragsgruppe sind nie VertragSrnorm, wenn Wortlaut oder immanenter Sinn eine abweichende Auslegung gebieten. Die geringste Beugung des Vertragstextes zugunsten einseitiger Parteiabsichten wäre Abweichung vom

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Rechtsstandpunkt, für den als Vertrag nur das in Frage kommt, was vom Willen beider Vertragsparteien gedeckt wird. Natürlich muß man die Folgerichtigkeit haben, diese Regel ohne jede Rücksicht darauf zu befolgen, ob sie zugunsten Deutschlands oder der alliierten und assoziierten Mächte wirkt. Ein Kleben am bloßen Wortlaut wird damit nicht verlangt. Es handelt sich immer um Sinn; und aus dem Gesamtzusammenhang gewonnene logische Folgerichtigkeit hat stets «in Vorrecht vor leerem Wortlaut. Abweichungen vom Wortlaut zugunsten des Sinnes sind aber nur zulässig, wenn der Sinn aus dem Gesamtzusammenhang des Textes herausgelesen werden kann. Wo durch die Antwortnote der alliierten und assoziierten Mächte auf die deutschen Gegenvorschlägeschon vor Abschluß des Vertrages die Absichten der gegnerischen Vertragsgruppe für Deutschland erkennbar waren, besteht etwas mehr Bewegungsfreiheit. Der Unterschied ist jedoch ein relativer. Nur Zweideutigkeiten des Textes können möglicherweise aus der Antwortnote eindeutig gelöst werden. Ausschlaggebend ist stets der Vertragstext oder ihm gleichwertige Übereinkommen. Für die rechtliche Behandlung der Staatsangehörigkeitsfragen, die sich aus einem Gebietswechsel ergeben, hatte sich im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts eine recht gleichmäßige völkerrechtliche Übung entwickelt, so gleichmäßig, daß die wesentlichsten Optionsbestimmungen in verschiedenen Friedensverträgen sich im Wortlaut wiederholen2). Der Friedensvertrag von Versailles geht in der Formulierung eigene Wege, und die historische Rechtsvergleichung ist in der Anwendung als Interpretationsmittel insofern beschränkt. Es ist aber ohne Grund nicht anzunehmen, daß der Versailler Friedensvertrag auch inhaltlich von einer festen Rechtsübung abweicht, die noch dazu den Vorzug der Billigkeit und inneren x) Die hier interessierenden Stellen der Note sind in einer vom Verfasser besorgten Zusammenstellung abgedruckt; „Die Rechtslage der Ostprovinzen nach dem Friedensvertrage. Eine Quellensammlung. Herausgegeben im Auftrage der deutschen Vereinigung in Bromberg

von Carl Georg Bruns".

Berlin 1919. Verlag der Grenzboten, S. 60 ff.

Zitiert: „Bruns". Vgl. außerdem die amtliche Veröffentlichung bei Reimar Hobbing, Berlin. 3

) Stoerk

S. 161.



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Folgerichtigkeit hat. Es soll daher kurz skizziert werden, welche Ausbildung die in Rede stehenden Rechtsinstitute gefunden hatten1). Während ursprünglicha) Gebietsabtretungen sich in der Form vollzogen, daß mit der Abtretung die volle Souveränität über Land und Leute auf den erwerbenden Staat überging, bildete sich schon im 18., bewußter dann im 19. Jahrhundert eine Art Territoriumsprinzip s ) heraus. Nur das nackte Territorium ging sofort in die volle Souveränität des erwerbenden Staates über. Den Einwohnern wurde ein gewisser Zeitraum freigelassen, innerhalb dessen sie sich entscheiden konnten, ob sie das Schicksal des Landes teilen wollten oder nicht. Die Form für dieses Recht war zunächst die Auswanderungsfreiheit, und nachdem mit der Entwicklung des modernen Staatsbegriffes der Begriff der Staatsangehörigkeit entstanden war, das Recht zwischen der Staatsangehörigkeit des erwerbenden und des abtretenden Staates frei zu wählen, — das Recht der Option. Stoerk 4) geht entschieden zu weit, wenn er Land und Leute völlig trennt. Der Grundsatz, daß die Einwohner des Abtretungsgebietes die neue Staatsangehörigkeit erwerben, wird als so selbstverständlich angesehen, daß er bis zum Versailler Vertrage in keinem Vertragstexte erwähnt wird. Die auch im Frankfurter Frieden 5) Artikel 2 übernommene Formulierung, wo von den Optanten als von den Personen gesprochen wird, die die Absicht haben, „die französische Nationalität zu behalten", — „conserver la nationalité" — zeigt das mit besonderer Deutlichkeit. Mag es auch dem erwerbenden Staat oft nicht unangenehm sein, vermittels der Option feindlich gesonnene Einwohner zu verlieren, der Erwerbswille richtet Die Darstellung folgt der Untersuchung von Stoerk. Option und Plebiszit bei Eroberungen und Gebietszessionen, von Dr. Felix Stoerk, Leipzig 1879, Verlag von Duncker u. Humblot. Zitiert „Stoerk". 2 ) Mittelalter und frühere Zeiten sind mit diesem ursprünglich nicht gemeint. а ) Stoerk, S. 27. *) Stoerk, S. 27 und 42 ff. E r ist übrigens wohl nur in der Formulierung etwas einseitig und stimmt inhaltlich mit dem hier vertretenen Standpunkt überein. Vgl. insbesondere S. 163 und 154. б ) Siehe bei Max Fleischmann, Völkerrechtsquellen, Halle a. S. 1905, S. 100.



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sich grundsätzlich auf die Einheit Land und Leute, und seit es dem Rechtsbewußtsein zu widersprechen anfing, Völker und Provinzen von einer Souveränität zur andern zu verschachern, hat der Sieger stets versucht, Gebietserwerbungen damit zu begründen, daß gerade die Bewohner des einverleibten Landes nach einem höheren Rechte zu seinem Staat gehörten. Land und Leute selbst kleiner Gebietsteile sind organische Einheiten, wenn auch verglichen mit dem Staat, Einheiten niederer Ordnung. Und es bedeutet eine Anerkennung dieser Tatsache, wenn als Korrelat zum Optionsrecht, die Einwohner des Abtretungsgebietes nicht nur automatisch die neue Staatsangehörigkeit erwerben, sondern ihnen auch ein persönliches Recht auf den sofortigen Erwerb dieser neuen Staatsangehörigkeit zugebilligt ist, ein Grundsatz, der wegen seiner Selbstverständlichkeit auch nie ausdrücklich hervorgehoben wird. Der vom Wechsel der Staatsangehörigkeit betroffene Personenkreis wird zunächst nach reinem Wohnsitzprinzip bestimmt. Jeder Einwohner, soweit er nicht Ausländer ist, erwirbt die neue Staatsangehörigkeit und wird optionsberechtigt. Mit der Verfeinerung der Anschauungen über das Wesen der Staats- und Volkszugehörigkeit bildet sich dann daneben ein Abstammungsprinzip2) aus, das denen, die durch Abstammung dem Abtretungsgebiet verbunden sind, die Möglichkeit gewährt, das staatliche Schicksal ihres Abstammungslandes zu teilen, auch wenn sie nicht mehr in ihm wohnen. Die merkwürdige Fassung des Artikels 2 des Frankfurter Friedens, die nach strenger Auslegung3) das Optionsrecht den bloßen Einwohnern versagt, spricht nicht gegen die ununterbrochene Übung des Wohnsitzprinzips4). Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Ausführung des Vertrages das Wohnsitzprinzip — und nur neben ihm das Abstammungsprinzip — anerkannt wird5), spricht im Gegenteil dafür, daß hinter dem WohnsitzStoerk passim insbesondere dritter Abschnitt, S. 93 ff. *) Stoerk, passim z. B. S. 124. 3 ) Lepaiua, Nationalitätswechsel und Optionsrecht der Elsaß-Lothringer nach den deutsch-französischen Friedensverträgen des Jahres 1871. Diss. Halle a. S. 1912, S. 61 ff. *) Vgl. auch Stoerk, S. 160 ff. 6 ) Stoerk, S. 163 ff.



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prinzip schon eine feste Rechtsüberzeugung starid, die eine abweichende Fassung eines Vertragsartikels nur als zufällig ansah1). Das Optionsrecht als Individualrecht auf freie Wahl zwischen neuer und alter Staatsangehörigkeit wird durch eine Reihe von Bestimmungen geschützt, für die sich auch fortlaufende Übung nachweisen läßt8). Es handelt sich um zwei Gruppen von Bestimmungen. Zunächst wird zur Ausübung der Wahl eine angemessene Frist gewährt, um möglichst zu vermeiden, daß die Entscheidimg unter einem Druck geschieht. Auch nach der Entscheidung wird zur Auswanderung', die grundsätzlich verlangt wird; wenn die Option für die alte Staatszugehörigkeit gültig sein soll, eine billige Zeitspanne zubemessen. Eine zweite Gruppe soll verhindern, daß die Freiheit der Wahl von wirtschaftlichen Bedenken beengt wird. Sie sichert deshalb dem abwandernden Optanten unbehinderte Mitnahme seines beweglichen Vermögens zu, und befreit ihn von dem in früheren Zeiten üblichen Zwang, sein unbewegliches Vermögen zu veräußern. Der Versailler Friedensvertrag folgt im großen den geschilderten Grundsätzen. Nur bei Elsaß-Lothringen bricht er mit ihnen völlig und versucht, einen Zustand, der früher bestanden hat, wieder herzustellen. Im übrigen nimmt er die Grundsätze auf, weicht aber in auffälligen Besonderheiten von ihnen ab. Er dehnt nicht nur das Abstammungsprinzip weiter aus, aus Gründen, die mit der Gebietsabtretung an neu gebildete Staaten zusammenhängen, (Erster Abschnitt Teil I im 2. Kapitel), sondern er macht auch beim Wohnsitzprinzip eine bemerkenswerte Einschränkung (Erster Abschnitt Teil I im 3. Kapitel). Daß bei Memel ein Vergleich nicht gezogen werden kann, weil die Regelung späterer Festsetzung vorbehalten bleibt, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. !) Lepsiua, Unterscheidung: originaires —. Option, habitants — Auswanderung, wirkt deshalb etwas überspitzt. Die Schwierigkeit •der juristischen Konstruktion muß allerdings zugegeben werden, a. a. O. S. 61 ff. 2) Stoerk, S. 31 ff. und 3. Abschnitt, S. 93 ff. passim.



II

—'

I. A b s c h n i t t .

Polen. Erster Teil.

Die Bedingungen für den Wechsel der Staatsangehörigkeit. I. K a p i t e l . Das Wohnsitzprinzip. Artikel 91 Abs. 1 des Friedensvertrages gibt die Grundregel für den Wechsel der Staatsangehörigkeit, die im Zusammenhang mit der Abtretung deutschen Gebietes an Polen eintritt. „Die deutschen Reichsangehörigen, die ihren Wohnsitz in den endgültig als Bestandteil Polens anerkannten Gebieten haben, erwerben von Rechts wegen die polnische Staatsangehörigkeit unter Verlust der deutschen". „ L a nationalité polonaise sera acquise de plein droit, à l'exclusion de la nationalé allemande aux ressortissants allemands domiciliés sur les territoires reconnus comme faisant définitivement partie de la Pologne". „German nationales habitually resident in territories recognised as forming part of Poland will acquire Polish nationality ipso facto and will lose their German nationality" Also der klare Grundsatz, daß die Einwohner deutscher Reichsangehörigkeit mit der Abtretung 2 ) in einem Vorgang ihre deutsche Reichsangehörigkeit verlieren und die polnische Staatsangehörigkeit erwerben. Auffallend ist die Ausdehnung Maßgebend ist der französische und englische T e x t . folgendem in weitestem U m f a n g herangezogen.

E r ist im

Laufend wird

aber

nach der amtlichen deutschen Übersetzung zitiert. 2)

nicht

Die Abtretung und der Übergang der Souveränität geschehen der

Ratifikationsurkunden

zwischen Deutschland und drei Hauptmächten.

Alle Fragen der Zeit-

und

immer

am

Tage

Fristbestimmung

erläutert.

des

Austausches

sind im

Teil über

Option

zusammenhängend



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auch auf die Reichsangehörigen, die im ehemaligen Gebiet Rußlands oder Österreich-Ungarns wohnen. Man könnte zweifeln, ob es sinngemäß ist, den Absatz so auszulegen, obwohl eine andere wortgemäße Auslegung kaum möglich ist. Denn es fehlt jede Beschränkung auf das von Deutschland abgetretene Gebiet, was wohl erforderlich wäre, nachdem der im gleichen Abschnitt V I I I vorhergehende Artikel 87 in einem Satz die Anerkennung der Unabhängigkeit Polens durch Deutschland und die Abtretungen deutschen Gebietes festsetzt. Aber selbst wenn man aus dem Texte des Friedensvertrages eine zwingende Lösung nicht glaubte gewinnen zu können, ist doch nach Artikel 3 des Minderheitenschutzvertrages 1 ) ein Zweifel nicht mehr möglich. Der entscheidende Satzteil wird hier zur Erleichterung des Verständnisses abgedruckt 2 ). „ L a Pologne reconnaît comme ressortissants Polonaise de plein droit et sans aucune formalité les ressortissants Allemands, Autrichiens, Hongrois ou Russes domiciliés à la date de la mise en .vigueur du présent traité sur le territoire qui est ou sera reconnu en vertu des traités avec l'Allemagne, l'Autriche, la Hongrie et la Russie respectivement comme faisant partie de la Pologne, . . . .". Man beachte, „1 e territoire", „respectivement" 1 im Relativsatz, und schließlich in wörtlicher Übereinstimmung mit Artikel 9 1 Abs. 1 , — abgesehen von der Einzahl „le territoire" — „le territoire reconnu comme faisant partie de la Pologne". Die Beziehung auf das polnische Gesamtgebiet, hier wie im Friedensvertrage ist also eindeutig3). Die Anomalie ist also Tatsache, daß ein Ausländer durch das Schicksal des Landes, in dem er seinen ausländischen Wohnsitz hat, die Staatsangehörigkeit des erwerbenden Staates erwirbt, ohne die des abtretenden besessen zu haben; — sie mag ihre Rechtfertigung darin suchen, daß hier aus Gebieten verschiedener staatlicher Herkunft ein neues Staatswesen gebildet wird —. x ) So wird abgekürzt der Vertrag gemäß Artikel 93 des Friedensvertrages bezeichnet. Zitiert: „M. V." a ) Abgedruckt bei Kaufmann, S. 54. In Übersetzung auch bei

Brun», S. 38. s

) Ebenfalls Kolenseher, S. 36, wenn auch ohne eingehende Begründung. Dr. Max Kollenscher, Die polnische Staatsangehörigkeit. Berlin 1920. Verlag von Franz Vahlen. (Zitiert: Kollenscher.)

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Abgesehen von der vorstehend geschilderten Besonderheit, die nur für Polen und Tschechoslowakien Geltung hat, gilt die Grundregel des Absatzes I Artikel 91 auch für die anderen Abtretungsgebiete außer Elsaß-Lothringen undMemel. (Vgl. Art. 36 Abs. I, 84, 105, und 112). Man wird also den in der Einleitung skizzierten Grundsatz des Staatsangehörigkeitswechsels nach Wohnsitzprinzip im Friedensvertrage von Versailles übernommen finden, es sei denn, eine eingehende Textkritik zeigt, daß die neuartige Textfassimg einen eigenen Inhalt hat. Das Neue gegenüber den früheren Verträgen besteht darin, daß die Regel in Artikel 91 Abs. 1 ausdrücklich etwas hervorhebt, was früher als selbstverständlich verschwiegen wurde. Mit der Abtretung des Landes an Polen wechselt auch die Staatsangehörigkeit der reichsangehörigen Einwohner. Der Wechsel, der sich automatisch mit dem Übergang der Souveränität vollzieht, liegt in zwei notwendig koordinierten Gliedern, — Verlust der deutschen und Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit. Die Koordination der Glieder kommt besonders klar im englischen Texte zum Ausdruck. Die Konstruktion wird zwar schon durch das englische Sprachgefühl nahe gelegt, ist aber nicht notwendig. Im französischen Texte könnte des „et", das im Artikel 36 im Gegensatz zu dem sonst Artikel 91 folgenden Wortlaut zwischen de plein droit und à l'exclusion eingeschoben ist, den Anschein einer Koordination dieser beiden letzteren Begriffe erwecken. Die Einmaligkeit ist, zumal bei Berücksichtigung des englischen Textes unbeachtlich. Das zeigt auch Artikel 105 (Danzig). „. . . perdront ipso facto la nationalité allemande, en vue de devenir . . . " und im englischen: „. . . . will ipso facto lose . . ., in order to . . ." Die Umkehrung der Koordination erklärt sich einmal zwanglos aus politischen Gründen. Es soll klargestellt werden, daß für die Danziger, die nicht polnische Untertanen werden, jedes Band zu Deutschland abgeschnitten wird. Deshalb die Betonung des Verlustes der deutschen Reichsangehörigkeit durch Vorsetzen des betreffenden Gliedes der Koordination. Auch verzichtet nach Artikel 100 Deutschland formell zugunsten der alliierten und assoziierten Hauptmächte, die ihrer-

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seits durch Artikel 102 zur Gründung der freien/ Stadt verpflichtet sind. Der Wechsel besteht, soweit über ihn im Erwerbsgliede der Koordination ausgesagt wird, nicht in der sofortigen Erlangung der Staatsangehörigkeit der freien Stadt. Danzig, sondern nur in der Erlangung einer garantierten Anwartschaft darauf. Als durchgehender Grundsatz des Friedensvertrages darf also unbeschadet einzelner Besonderheiten, die teils nur textlicher Natur, teils sachlich begründet sind, festgestellt werden: Gleichzeitig mit der Gebietsabtretung wechseln .die reichsangehörigen Einwohner die Staatsangehörigkeit mit gleichwertigem Verlust der deutschen und Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit. In Befolgung eines strengen Wohnsitzprinzipes wird der Wechsel der Staatsangehörigkeit an die einzige Bedingung geknüpft, daß am Tage des Gebietsüberganges Wohnsitz besteht. Das kann im Einzelfall fraglich sein. Maßgebend ist deutsches Recht; wo dieses mehrfachen Wohnsitz zuläßt1), ist mangels einer abweichenden Bestimmung im Friedensvertrage das Bestehen e i n e s Wohnsitzes im Abtretungsgebiet zum Eintritt des Staatsangehörigkeitswechsels ausreichend. Immerhin dürfte es sich empfehlen, zur Vermeidung von Unklarheiten die Wohnsitzfrage im Optantenvertrage, der in einem besonderen Kapitel besprochen wird, zu regeln. Für die Feststellung des Wohnsitzes deutscher Reichsangehöriger im galizischen oder russischen Gebiet gilt das Recht dieser Länder. Mangels eines Friedensvertrages zwischen Rußland und Polen und infolge der Aufhebung des Friedens von Brest-Litowsk, kann es fraglich sein, mit welchem Tage die Souveränität über das russische Gebiet auf Polen übergegangen ist, und die Verträge auf Grund derer das ehemals zu Österreich-Ungarn gehörende Gebiet an Polen abgetreten sind, haben von einem anderen Tage an Rechtskraft als der Vertrag von Versailles. Maßgebend für den Wohnsitz der deutschen Reichsangehörigen in jenen Gebieten im Sinne des Artikels 91 kann aber nur der Zeitpunkt sein, zu dem die Anerkennung der Unabhängigkeit Polens nach Artikel 87 des Versailler Friedensvertrages wirksam wird; also der Tag des Inkrafttretens dieses Vertrages. l)

§ 7 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch.



15 —

Außer der Bestimmung des Absatzes 2 Artikel 91 machen weder Friedensvertrag noch Minderheitenschutzvertrag Einschränkungen des Wohnsitzprinzipes. Insbesondere ist Ununterbrochenheit des Wohnsitzes während der Zeit vom 1. Januar 1908 bis zum Inkrafttreten des Friedensvertrages nicht erforderlich1). Der von polnischer Seite gelegentlich vertretene Standpunkt, daß deutsche Reichs- und Staatsbeamte nicht unter Artikel 91 Abs. 1 fallen, ist abwegig. Ähnliche Ausnahmen waren früher nicht üblich, so daß sich auch aus fester Rechtsübung ein Beweis nicht erbringen läßt. Im Gegenteil! Man vergleiche das Schlußprotokoll Ziffer 1 zur Zusatzkonvention zum Frankfurter Frieden vom 10. Dezember 1871 2 ), wo die Modalitäten geregelt werden, nach denen sogar Freiwillige, die aus Elsaß-Lothringen stammen und im französischen Heere dienen, sich für die deutsche Reichsangehörigkeit entscheiden können. Es ergeben sich allerdings aus dem Beamtencharakter gewisse Verpflichtungen der beiden Regierungen, die im Abschnitt über Option besprochen werden. Artikel 91 Abs. I schafft, wo nicht die Einschränkung des zweiten Absatzes Platz greift und nicht die Frage des Wohnsitzes zweifelhaft ist, sofort eine klare Rechtslage. Es bedarf keiner besonderen Feststellung der neuen Staatsangehörigkeit, wie sie in § 4 der Anlage zu Artikel 79 bei Elsaß-Lothringen vorgesehen ist. (Vgl. auch Art. 3 M V, „ohne weitere Förmlichkeiten"). II. K a p i t e l . Das Abstammungsprinzip. Nach Maßgabe des Artikels 91 Abs. 1 wird die polnische Staatsangehörigkeit „von Rechtswegen" erworben. Dieses „von Rechtswegen" steht in zwei Gegensätzen von verschiedener Stärke. Der stärkere ist der Erwerb „mit besonderer Ermächtigung" des Absatzes 2 Artikel 91. Er allein ist streng ') Das ergibt sich per argumentum a majori ad minus auch aus den Ausführungen unten S. 24 bis 29, wo gezeigt wird, daß auch für die nach dem 1. Januar 1918 Zugewanderten nur in besonderen Ausnahmefällen die Voraussetzungen für den Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit nicht vorliegen. a)

Lepsius

S.

11.



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logisch genommen ein wahrer Gegensatz. Der schwächere ist der im Absatz 4 und 9 des gleichen Artikels vorgesehene Erwerb vermittels ausdrücklicher Willenserklärung. Potentiell tritt hier der Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit auch „von Rechtswegen" ein. Zur Verwirklichung bedarf es aber noch einer „besonderen Förmlichkeit". Der potentielle Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit ist für zwei Gruppen von Personen vorgesehen: „Polen" deutscher Reichsangehörigkeit mit Wohnsitz in Deutschland und „Polen" deutscher Reichsangehörigkeit mit Wohnsitz im Ausland. Das Abstammungsprinzip l) hat hier eine eigenartige Umbildung erfahren. Polen ist ein der Idee nach auf Grund des Nationalitätsgedankens neu geschaffener Staat. Es ist daher sinngemäß, wenn Personen polnischer Nationalität 2 ), die bisher nur eine nicht polnische Staatsangehörigkeit besitzen konnten, die Möglichkeit eröffnet wird, die polnische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Es wird jedoch nicht eigentlich ein Nationalitätsprinzip eingeführt. Das erhellt zunächst aus Artikel 4 M. V., in dem die Bestimmung der Absätze 4 und 9 Artikel 91 dahin interpretiert wird, daß alle Personen, die vor dem 1. Januar 1908 im Abtretungsgebiet oder überhaupt im Gebiet des neuen Staates geboren sind, von Rechtswegen und ohne weitere Förmlichkeit als polnische Staatsangehörige anerkannt werden3). Die Bedeutung des Artikels, — der noch im einzelnen erläutert wird, — im Zusammenhang mit Artikel 91 Abs. 4 und 9 liegt darin, daß der Begriff „Pole" soweit außer Zweifel gestellt wird, als unter ihn alle Personen zu subsumieren sind, die im Gebiet des neuen Staates geboren sind. Geburt genügt. Das ist kein Nationalitätsprinzip. Darüber hinaus muß auch der Nationalitätsgedanke zu seinem Rechte kommen. Man könnte versucht sein, den Begriff „Pole" folgendermaßen zu formulieren: Pole ist, wer im Gebiet Polens geboren ist, oder wer, auch ohne auf polnischem Gebiet geboren zu sein, die polnische Nationalität besitzt. Aber abSiehe oben in der Einleitung S. 9. ) Nationalität hier und im folgenden im Sinne des Nationalitätsgedankens, nicht als Staatsangehörigkeit. 3 ) Über Verbindlichkeit und Bedeutung des Minderheitenschutz Vertrages siehe das diesem Vertrage gewidmete Kapitel. a



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gesehen davon, daß auch für die „polnische Nationalität" der Versuch der Begriffsbestimmung auf den ganzen Umkreis oft erörterter Schwierigkeiten stößt, ob subjektive Entscheidung oder objektive Merkmale bestimmend sind, würde eine solche Formulierung auch dem Sinne der Absätze 4 und 9, wie aus der Verbindung mit Artikel 4 M. V . hervorgeht, nicht gerecht werden. Zieht man zur Auslegung die Abstammung überhaupt heran,- dann ist nicht abzusehen, warum man das eine Mal bei Geburt in Polen die Nationaleigenschaft völlig unberücksichtigt läßt, während man sie das andere Mal bei Fehlen des Geburtsmerkmales allein ausschlaggebend sein läßt. Dfer Minderheitenschutzvertrag kann, wie später näher ausgeführt wird, über im Friedensvertrage geregelte Fragen nur soweit etwas bestimmen, als der Friedensvertrag für nähere Bestimmungen Raum läßt. Dazu wird man die Befugnis zur Interpretation zweifelhafter Begriffe rechnen müssen. Erkennt man aber eine derartige Interpretation einmal an, dann muß man es folgerichtig immer tun. E s mag zunächst etwas merkwürdig scheinen, andere Personen als Nationalitätspolen als „Polen" im Sinne des Artikel 91 Abs. 4 und 9 in Anspruch zu nehmen. Doch nur zunächst. Im Sinne des AbstammungsgedanJcens liegt es nicht notwendig, ihn nur bei Geburt im Abtretungsgebiet anzuwenden. Durch Abstammung kann sich einem Lande auch verbunden fühlen, wer nicht in ihm geboren ist. Herkunft eines der Eltern oder Voreltern, Verschwägerung, auch nur jahrelanger Aufenthalt können Heimatsgefühl geben. Solange das Land, an dem das Heimatsgefühl haftet, zu dem Staate gehört, dessen Staatsangehörigkeit man' besitzt, bestehen genug Bande zu diesem Abstammungsland nach innerer Wahl, und andererseits fehlt auch die Rechtsform, in der die Zugehörigkeit sich äußern kann. Wird aber die staatliche Verbindung mit dem Abstammungsland zerrissen, dann reißt auch das Band, und es entspricht durchaus moderner Auffassung über das Selbstbestimmungsrecht des Individuums, wenn dem ohne sein Zutun auf einmal heimatlos gewordenen die Möglichkeit gegeben wird, das Band dadurch wieder zu knüpfen, daß er die Staatsangehörigkeit des Staates erwählt, dem sein Abstammungsland einverleibt ist. B r u n s , Staatsangehörigkeitswechsel.

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Der Nationalitätengedaiike kommt dabei ausreichend zu seinem Recht. Denn für den Nationalitätspolen ist der Nachweis ohne weiteres erbracht, daß für ihn das neuerstandene Polen Abstammungsland im Sinne der Bestimmung ist. Praktisch läßt sich allerdings mit solchen Erwägungen noch nicht arbeiten. Aufgabe eines Optantenvertrages muß es sein, das in handliche Rechtsbegriffe umzugießen, was im Friedensvertrage erst als Rechtsgedanke erscheint. Das gilt in gleicher Weise für Absatz 4 wie Absatz 9. Nur die Formalitäten der Optionserklärung kann bei „Polen" im Ausland der polnische Staat einseitig festsetzen. Die Staatswahl des „Polen" unterliegt unterschiedlicher rechtlicher Behandlung, je nachdem, ob er seinen Wohnsitz in Deutschland oder im Ausland hat. Für das erste genügt es, wenn nach deutschem Recht e i n Wohnsitz in Deutschland besteht. Ein zweiter Wohnsitz im Ausland macht nicht zum Auslandsdeutschen. Auf „Polen" mit Wohnsitz in Deutschland sind die allgemeinen Optionsbestimmungen anzuwenden. Besitzen sie eine fremde Staatsangehörigkeit neben der deutschen, wird der potentielle Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit dadurch nicht berührt Für „Polen" deutscher Reichsangehörigkeit mit Wohnsitz im Ausland kann die Wohnsitzfrage kritisch werden, wenn zwischen Deutschland und dem in Frage stehenden Auslandstaate ein negativer Kompetenzkonflikt dadurch entsteht, daß beide den Wohnsitz verneinen. Abgesehen von der dann entstehenden Schwierigkeit, rechtsgültig zu optieren *), erwachsen daraus weitere Folgen. Bei doppelter Staatsangehörigkeit ist mangels eines Wohnsitzes in Deutschland das Wahlrecht für die polnische Staatsangehörigkeit ausgeschlossen, und nur bei Wohnsitz in Deutschland besteht für das Deutsche Reich die Verpflichtung, das bewegliche Vermögen, das ein „Pole" ja auch ohne Wohnsitz in Deutschland haben kann, ungehindert herauszulassen. Helfen kann hier nur ein Staatsvertrag zwischen Deutschland und dem zweiten Staate. Eine Beteiligung Polens dürfte ratsam sein. Daß die Optionsbestimmungen der Absätze 6 bis 8 auf Polen mit Wohnsitz im Ausland keine Anwendung finden, *) Siehe unten das Kapitel über Optionserklärung.

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ergibt sich aus der Stellung des Absatzes 9 und ist sinngemäß. Umgekehrt wäre es sinngemäß, die Bestimmungen über Optionsalter, Ehefrau und Minderjährige der Absätze 4 und 5 anzuwenden. Klären kann das nur ein Optantenvertrag 1 ). E s wurde schon erwähnt, daß „ P o l e n " , die neben der deutschen eine fremde Staatsangehörigkeit besitzen und im fremden Staate Wohnsitz haben, von dem potentiellen Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen sind. Sie sind es auch dann, wenn bei ausschließlich deutscher Reichsangehörigkeit die Verwirklichung dieses Rechtes gegen die Gesetze des fremden Staates verstoßen würde. (Art. 91 Abs. 9). Kaufmanns ironisierende Bemerkung 2 ), die Staatsangehörigkeit eines Ententestaates sei also für den Polen ein noch höheres Glück als die polnische Staatsangehörigkeit, scheint zunächst zu übersehen, daß bei Wohnsitz in Deutschland die fremde Staatsangehörigkeit kein Ausschließungsgrund ist. A b gesehen davon ist der Grand wohl darin zu suchen, daß die Wirkungen einer abweichenden Regelung sich bei Abfassung des Vertrages deshalb schwer übersehen ließen, weil ja im Artikel 91 Abs. 4 und 9 kein reines Nationalitätsprinzip zum Ausdruck kommt. Polen wird erwarten dürfen, daß die Ententestaaten in späteren Übereinkommen dem Verlangen von Nationalitätspolen auf Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit jede Erleichterung gewähren werden. In diesem Zusammenhang sei eine Besonderheit erwähnt. Nach Artikel 51 des Friedensvertrages tritt Elsaß-Lothringen mit Wirkung vom 11. November 1918 unter die französische Souveränität. Der potentielle Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit tritt erst mit Inkrafttreten des Friedensvertrags ein. Er bleibt also für „Polen" in Elsaß-Lothringen, die die französische Staatsangehörigkeit erwerben, ausgeschlossen. Im übrigen ändert der Umstand, daß ein Gebiet, in dem ein „ P o l e " wohnt, am Tage des Inkrafttretens des Friedensvertrages von Deutschland an eine andere Macht (z. B . Belgien) abgeEs erwies sich als zweckmäßig zur Klärung der Rechtslage der Personen, die potentiell die polnische Staatsangehörigkeit erwerben, schon hier kurz auf die Option einzugehen. Alles Nähere über Optionsbegriff, -erklärung und -folgen bleibt dem zweiten Teil vorbehalten. 2 ) Kaufmann, S. 14. 2*



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treten wird, nichts daran, daß mit dem gleicheri Zeitpunkt die polnische Staatsangehörigkeit potentiell erworben wird. Maßgebend ist Artikel 91 Abs. 4. Der erwerbende Staat wird für die aus der Option sich ergebenden Pflichten Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches. Den „Polen" bleibt alternativ die Möglichkeit, für die deutsche Reichsangehörigkeit zu optieren. Die Bedeutung des Artikels 4 M. V. als Interpretation für Art. 91 Abs. 4 und 9 ist schon besprochen. Die Eigenschaft als „Geburtspole" wird nur anerkannt, wenn die Eltern zur Zeit der Geburt in Polen Wohnsitz hatten. Auch Reichsangehörige, die im ehemals russischen oder galizischen Polen geboren wurden, erwerben die polnische Staatsangehörigkeit „von Rechtswegen" und „ohne weitere Förmlichkeit". Die „Geburtspolen" deutscher, wie übrigens auch russischer, österreichischer und ungarischer Staatsangehörigkeit verlieren nicht ihre alte Staatsangehörigkeit. Zweifel sind nach dem Wortlaut nicht möglich Um zu verhindern, daß die doppelte Staatsangehörigkeit auch über die Optionsfrist hinaus bestehen bleibt, dürfte es sich empfehlen, im Vertragswege einen Optionszwang einzuführen 2). III. K a p i t e l . Das eingeschränkte Wohnsitzprinzip des Artikels 91 Absatz 2. Im Gegensatz zu Abs. 4 und 9 des Artikels 91 baut der Absatz 2 des Artikels wieder auf dem Wohnsitzprinzip auf, aber er macht unter Einengung des Personenkreises derer, die vom Absatz 1 umfaßt werden, den Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit von der Voraussetzung einer „besonderen Ermächtigung des polnischen Staates" abhängig. Der Absatz hat nicht die ihm oft beigelegte Bedeutung, den vorhergehenden Absatz auf die vor 1908 zugewanderten Personen zu beschränken, die später zugewanderten aber von jeder Berührung ihrer Staatsangehörigkeit durch eine Gebietsabtretung frei zu stellen. Schon der folgende Absatz (91, Abs. 3), der sich nach klarem Über die Berücksichtigung von Artikel 278 siehe unten das besondere Kapitel. 2 ) Siehe unten S. 34.



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Wortlaut auf beide Personengrappen bezieht, weist darauf hin, daß im Absatz 2 nicht zwangsweise eine Kategorie von deutschen Reichsangehörigen im Ausland geschaffen wird, auf die dann alle Unbilden, die der Friedensvertrag für deutsche Güter, Rechte und Interessen im Ausland vorsieht, Anwendung finden müßten. Wenn das Gegenteil und zwar ohne jede Begründung vielfach angenommen wird 1 ), und man über die klare Beziehung des Absatzes 3 auf Absatz x und 2 glatt hinwegsieht, so wird man dafür eine Art Friedensvertragspsychose verantwortlich machen dürfen2). Man findet nur Ungeheuerlichkeiten im Friedensvertrage, und schließlich wartet man auf sie. Wozu noch Billigkeit in einem Vertrage suchen, der aus Unbilligkeiten besteht. Daß es ein jedem Rechtsgefühl Hohn sprechendes Verfahren wäre, beispielsweise einen Landwirt, der am 1. Juli 1908 im westpreußischen Abtretungsgebiet ein Gut gekauft hat, von diesem Gut zu vertreiben, seine Habe zu verkaufen und ihn nur nach Liquidationsgesetzen, die keine der üblichen Rechtsgarantien für Enteignung vorsehen, zu entschädigen, das sieht man auch. Aber man sieht, was man erwartet und nimmt auch hier die Ungeheuerlichkeit als das wahrscheinliche an. Es ist einleuchtend, daö eine solche Einstellung zum Friedensvertrage das Urteil trübt. Es ist eine leicht feststellbare Tatsache, wie man sich das unbefangene Verständnis eines einfachen Satzes oder einer Folge von Sätzen durch eine einmal vorgefaßte Meinung verschließen kann, und wie es beim Lesen schwerfällt, von der vorgefaßten Meinung ganz frei zu kommen, auch wenn man den Irrtum erkannt hat. Es wird deshalb gut tun, um zu einem unbefangenen Verständnis zu kommen, sich von jeder besonderen Einstellung frei zu halten und den Text ganz schlicht auf sich wirken zu lassen. Artikel 91 Abs. 1 und 2: Die deutschen Reichsangehörigen, die ihren Wohnsitz in den endgültig als Bestandteil Polens anerkannten GeKaufmann, S. 13 und Köllens eher, S. 36 und 37 unter Punkt 7. Es ist nicht ohne Interesse, daß polnischen Juristenkreisen die hier vertretene Auffassung nicht fremd ist. 1)

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bieten haben, erwerben von Rechtswegen diè polnische Staatsangehörigkeit unter Verlust der deutschen. Indes können deutsche Reichsangehörige und ihre Nachkommen, die sich nach dem i. Januar 1908 in jenen Gebieten niedergelassen haben, die polnische Staatsangehörige keit nur mit .besonderer Ermächtigung des polnischen Staates erwerben. Im französischen Text heißt der zweite Absatz: Toutefois les ressortissants allemands ou leurs descendants, qui auraient établi leur domicile sur ces territoires postérieurement au 1er janvier 1908, ne pourront acquérir la nationalité polonaise qu'avec une autorisation spéciale de l'Etat polonais. Derselbe Absatz im englischen Text: German nationals, however or their descendants who became resident in these territories after January 1, 1908, will not acquire Polish nationality without a special authorisation from the Polish State. Die ganze Fassung des zweiten Absätze verrät nicht die Absicht, seinen Inhalt in vollem Umfange zum vorhergehenden Absatz in Gegensatz zu bringen. Weder toutefois noch nevertheless — wie es in Artikel 36 heißt — oder however leiten einen scharfen Gegensatz ein. Die Worte deuten vielmehr nur auf eine gewisse Einschränkung des vorhergehenden hin. Eine Einschränkung, die den Regelfall des Erwerbes der neuen Staatsangehörigkeit überhaupt nicht trifft, sondern nur an die Stelle des ipso facto - Erwerbs den Erwerb mit besonderer Ermächtigung setzt. Der englische Text macht das besonders einleuchtend. „German usw. will not acquire . . . without." Aber auch im französischen Texte wird die Negation im gleichen Atemzug durch eine Position halb aufgehoben. Man vergleiche damit die Anlage nach Artikel 79 über die französische Staatsangehörigkeit in Elsaß-Lothringen. § 1 die Fälle des ipsofacto-Erwerbes. § 2 die Fälle, in denen der Erwerb der französischen Staatsangehörigkeit die Regel bildet, aber in jedem Einzelfall das freie Ermessen der französischen Behörde die Entscheidimg fällt. In der Einführimg eines neuen dritten Rechtsinstituts zwischen ipso facto-Erwerb und Einbürgerung ähnelt das der Regelung im Abs. 2 der Artikel 36, 91 und 112.



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Völlig anders dann § 3. Deutsche, auf die nicht etwa die Vorschriften des § 2 Anwendung finden, erwerben „die französische Staatsangehörigkeit nicht durch die bloße Tatsache des Rückfalles von Elsaß-Lothringen an Frankreich. Sie können diese Staatsangehörigkeit nur im Wege der Einbürgerung erlangen". . . und auch das nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen. Der Unterschied in der Formulierung ist augenfällig, und er ist es im französischen und englischen Text nicht minder. Die Glieder werden schroff auseinandergerissen. In einem Absatz wird die französische Staatsangehörigkeit ohne Einschränkung versagt, und erst in einem zweiten wird der Weg genannt, auf dem sie vielleicht erworben werden kann. Der Vergleich kann insofern juristisch nichts beweisen, als die Regelung der französischen Staatsangehörigkeit in ganz eigenartiger juristischer Systematik erfolgt ist, die fast in allen Punkten von der sonst im Friedensvertrage befolgten Systematik abweicht. Aber er darf herangezogen werden, um zu zeigen, wie die Bestimmung des Abs. 2 Artikel 91 etwa hätte formuliert werden müssen, wenn sie einen scharfen durchgängigen Gegensatz zu der Bestimmung im Absatz 1 darstellen sollte. Der Sinn des Absatzes 2 ist also dahin festzustellen, daß im Gegensatz zum ipso facto-Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit bei den vor dem 1. Januar 1908 zugezogenen Reichsangehörigen, für die später zugezogenen der Erwerb mit „besonderer Ermächtigung" stattfindet. Die Art der Formulierung des Absatzes ist nur von der stillschweigenden Voraussetzung zu verstehen, daß auch die nach 1908 Zugewanderten in ihrer Staatsangehörigkeit von dem Übergang der Souveränität gefaßt werden. Es ist deshalb durchaus sinngemäß, wenn nach strenger Wortauslegung die Einschränkung des Absatzes 2 sich nur auf das Erwerbsglied des in Absatz 1 festgelegten Wechsels der Staatsangehörigkeit beziehen läßt. Der generelle Wechsel faßt auch den Personenkreis des Absatzes 2, nur daß bei ihm die Erwerbsseite dieses Wechsels unter besondere Voraussetzungen gestellt wird. Die Folge ist, daß die nach dem 1. Januar 1908 Zugewanderten die deutsche Reichsangehörigkeit verlieren, ohne sofort die polnische Staatsangehörigkeit zu erwerben.

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Was ist nun diese Voraussetzung — die besbndere Ermächtigung — ? Ermächtigung ist nicht gleichbedeutend mit Einbürgerung'). Auf den Vergleich mit Elsaß-Lothringen, wo zwischen ipso iacto-Erwerb und Erwerb im Wege der Einbürgerung noch der Erwerb auf Grund eines Anspruches eingeschoben wird, ist schon hingewiesen. Bei der sonstigen Verschiedenheit der Konstruktion bringt eine Fortführung des Vergleiches nicht weiter. Nur in einem Punkte stimmen die fraglichen Rechtsinstitute überein. Bei beiden tritt zwischen den Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit ein Verwaltungsakt des neuen Staates, der prüfen soll, ob die Voraussetzungen vorliegen, die materiell den Staatsangehörigkeitserwerb bedingen sollen. Eine ausdrückliche Fixierung der materiellen Bedingungen ist im Friedensvertrage nicht vorgenommen. Sie durfte unterbleiben, weil bei sinngemäßer Interpretation die Bedingungen leicht zu ermitteln sind. Und sie mußte unterbleiben, weil das freie Ermessen des polnischen Staates bei Prüfung der Voraussetzungen durch formulierte Bedingungen nicht eingeengt werden sollte. Aber! Freies Ermessen ist auch im Völkerrecht nicht gleichbedeutend mit Ermessensmißbrauch. Deshalb ist die Ermittelung der Bedingungen, an die für nach dem i. Januar 1908 ins Gebiet des polnischen Staates zugezogene Reichsangehörige der Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit geknüpft ist, nicht nur von theoretischem Interesse, sondern sie hat auch praktische Bedeutung. Ermessensmißbrauch ist rechtswidriges Verhalten. Der durch rechtswidriges Verhalten Geschädigte erwirbt Restitutions- oder doch Ersatzansprüche, worüber unten in einem besonderen Kapitel das Nähere abgehandelt wird. Nun mag rein politisch eingestelltes Denken hier einwenden: wozu der Aufwand? Die fraglichen Bedingungen sind in der Tat leicht zu ermitteln. Der Friedensvertrag ist ein Instrument zur Schädigimg Deutschlands und des Deutschtums. Die besondere Behandlung der na'ch 1908 Zugewanderten ist ein Mittel, die alten Deutschen Provinzen zu polonisieren. Die Bedingungen liegen also vor, wenn es dem Polonisierungszweck zuträglich, sie liegen nicht vor, wenn es dem genannten *) A. A. Kaufmann,

S. 13, aber ohne jede Begründung.

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Zweck abträglich ist. Es ist hier nicht der Ort zu entscheiden, ob ein solcher Standpunkt politisch klug ist. Rechtlich ist er unhaltbar. Der Friedensvertrag von Versailles ist gewiß ein nackter Gewaltfrieden wie je einer. Trotzdem ist es nicht zulässig, allein unter dem Gesichtspunkte selbstischer Gewaltabsichten die Rechtsbegriffe des Vertragstextes zu interpretieren. Denn in ihnen treten auch gewisse Rechtsideen zutage. Keynes 1 ), der hier sicher ein unbefangener Beurteiler ist, weil er rein wirtschaftlich sieht, bestätigt, daß bei der Redigierung der Friedensbedingungen stets darauf geachtet wurde, die Grundlage der 14 Punkte Wilsons — notdürftig — zu wahren. Gewiß, notdürftig. Aber dieser Versuch, das Gesicht zu wahren, konnte doch auf die Formulierung nicht ohne Einfluß bleiben. Wohl möglich, daß Polen den klaren Ausschluß aller nach 1908 Zugewanderten erstrebte. W a r u m nur dieser? Weil der Zwang, die Rechtsideen nicht ganz aufzugeben, sich geltend machte. Und nicht nur bei der Festsetzung des Datums mußte sich dieser Zwang zeigen. Wichtiger für die Bemessung des Wertes gerade der hier wirksamen Ideen ist ein weiteres. Es ist nicht so, daß bei der Festsetzung der polnischen Grenzen der Selbstbestimmungsgedanke und das Nationalitätsprinzip nur Farce war. Polen hat sich erheblich mühen müssen, seine Ansprüche auf deutsches Gebiet zu erweisen. Es lag hier doch anders als für Frankreich mit Elsaß-Lothringen. Dort hatte sich Deutschland in den Vorverhandlungen zum Waffenstillstand ausdrücklich dazu verpflichtet, das „Unrecht" von 1871 gut zu machen, und es wird nie ein Zweifel bestanden haben, daß nur nach „historischem Recht" die Entscheidung gefällt werden würde. Rechtsideen und politische Absicht fielen hier nach einer Überzeugung, die im wesentlichen ehrlich war, zusammen. So konnte in der Vorbemerkung zum Abschnitt „Elsaß-Lothringen" (vor Artikel 51) der Wiedergutmachungsgedanke einen klaren Ausdruck finden. Bei Polen wird die Intensität der Uberzeugung bei den einzelnen Mächten nicht dieselbe gewesen sein, weil die politischen Absichten, die man verfolgte, zu verschieden waren. I. M. Keynes, Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages S. 39 ff.

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Um so notwendiger war es, für die Regelung in bestimmten Rechtsideen eine gemeinsame Grundlage zu finden. Der Wiedergutmachungsgedanke, der bei Elsaß-Lothringen eine einfache Regelung zuließ, und der es erlaubte, auch die Staacsangehörigkeitsfrage nach dem Grundsatz zu regeln, daß alle die die französische Staatsangehörigkeit erwerben, welche sie wahrscheinlich besitzen würden, wenn Elsaß-Lothringen 1871 nicht zu Deutschland gekommen wäre, war bei Polen schon praktisch nicht anwendbar. Außerdem war er für Polen in den Vorverhandlungen von Deutschland nicht anerkannt worden. Hier war der Gedanke, daß Gebiete, die von einer unbestreitbar polnischen Bevölkerung bewohnt werden, an Polen zurückgegeben twerden müßten u ld das Selbstbestimmungsrecht der Völker die Grundlage der Regelung. Und diese Gedanken für die Interpretation des Friedensvertrages heranzuziehen, ist rechtlich deshalb zulässig und geboten, weil sie noch in der Antwortnote der alliierten und assoziierten Mächte als maßgebend für die Entscheidungen über Polen anerkannt worden sind es sich also um Rechtsgedanken handelt, die vom Vertragswillen Deutschlands mitgedeckt werden, wofern sie mit immanentem Sinn und Wortlaut des Friedensvertrages in Einklang stehen. Um den Gedanken des Selbstbestimmungsrechtes der Völker in möglichst weitem Maße den eigenen Gebietsaspirationen nutzbar zu machen, mußte es Polen daran liegen, nachzuweisen, daß die Bevölkerung in den fraglichen Gebietsteilen zum großen Teil nicht auf natürlichem, organischem Wege wohnhaft geworden sei. Und wie die Antwortnote 2 ) zeigt, ist es Polen gelungen, Verständnis dafür zu finden, daß nur die organisch gewachsene Bevölkerung bei der Selbstbestimmung Berücksichtigung finden dürfe. Dort, wo die Selbstbestimmung der Bevölkerung durch Befragen festgestellt wird, hat dieser Gedanke darin seinen Ausdruck gefunden, daß durch Wohnsitz abstimmungsberechtigte Personen nicht nach einem bestimmten Zeitpunkt zugezogen sein dürfen 3). Dort, wo die Selbstbestimmung durch eigene für zweifelsfrei gehaltene Ermittelung Siehe Bruns, S. 60. ) Siehe Bruns, S. 63. 3 ) Vgl. z. B. Artikel 95 III. Absatz des Friedensvertrages.

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der alliierten und assoziierten Mächte festgestellt wird, kommt der Gedanke dadurch zum Ausdruck, daß ein gewisser Teil der Bevölkerung abgestrichen wird, weil angenommen wird, daß er von der deutschen Regierung mit künstlichen Mitteln ins Land gebracht wurde1). War der Gedanke erst einmal anerkannt, konnte es Polen nicht mehr schwer fallen, die Auffassung der Mächte dafür zu gewinnen, daß es ihm nicht zugemutet werden könnte, solche Einwohner als polnische Staatsangehörige anzuerkennen, die nicht im Wege natürlicher, organischer Entwicklung ins Land gekommen waren. Und wenn für die Abstimmung aus praktischen Gründen nur das rohe Mittel der Festsetzung eines bestimmten Datums in Betracht kam, war es für die Frage der Staatsangehörigkeit möglich, in jedem einzelnen Falle eine Feststellung darüber vorzunehmen, ob ein Einwohner aus Gründen organischer Entwickelung ins Land gekommen ist oder nicht. Aber der Unsicherheit, die durch eine solche Regelung für längere Zeit in die Staatsangehörigkeitsverhältnisse Polens kommen mußte, wollte man aus naheliegenden Gründen nicht die gesamte Bevölkerung Polens aussetzen. Es mag auch -mitgewirkt haben, daß man mit dem leisen Anklingenlassen des Wiedergutmachungsgedankens eine Rechtsidee aufnahm, die Deutschland für Polen nicht anerkannt hatte. Polen hatte verstanden, es glaubhaft zu machen, daß seit 1908 Deutschland mit Germanisationsmaßnahmen besonders rücksichtslos vorgegangen war, und so wurde der Zeitpunkt, von dem an der Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit von dem Vorliegen gewisser Bedingungen abhängen sollte, auf den 1. Januar 1908 festgesetzt. Aus dem hier mit einiger Ausführlichkeit geschilderten Zusammenhang ist es dem Sinne nach klar, daß für die nach 1908 Zugewanderten die Bedingungen für den Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit nur dann nicht vorliegen, wenn der Beweis dafür erbracht werden kann, daß die Zuwanderung durch Begünstigungsmaßnahmen der deutschen Regierung zum mindesten mitbedingt ist. Man könnte versucht sein, der Zeitbestimmung folgend nur Ansiedlung auf enteignetem Grund und Boden als Grund für eine l

) Siehe Bruns, S. 63.



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Ablehnung der Ermächtigung anzuerkennen. Aber das findet keine Stütze im Friedensvertrage. E s handelt sich beim A b satz 2 des Artikels 91 um eine Konzession an polnische Wünsche, die von den Mächten für mehr oder weniger berechtigt gehalten worden sind. Die Bestimmung des Datums konnte nur willkürlich sein. Die Konzessionsnatur des Abschnittes, der wahrscheinlich überhaupt ein nachträgliches Einschiebsel ist, drängt sich aus der ganzen Fassung des Wortlautes auf. E s mußte auch den Mächten klar sein, daß nach 1908 nicht wesentlich mehr Einwohner mit künstlichen Mitteln ins Land gebracht worden sind als vorher. U m so weniger bestand ein Grund, die Grundregel des ersten Absatzes für die nach 1908 Zugewanderten völlig umzustoßen. Den Grundsatz des Wechsels der Staatsangehörigkeit brauchte man nicht aufzugeben. Der Gesichtspunkt, daß für die Staatsangehörigkeit in bescheidenem Maße auch darauf Rücksicht zu nehmen war, ob deutsche Reichsangehörige mit künstlichen Mitteln ins Land gebracht waren, kam hinreichend zum Ausdruck, wenn durch die Einführung des Rechtsinstitutes „Erwerb der Staatsangehörigkeit mit besonderer Ermächtigung" für einen gewissen Personenkreis dem polnischen Staate die Befugnis zugebilligt wurde, festzustellen, ob Germanisationsmaßnahmen auf die Zuwanderung mitgewirkt hatten. Auch völkerrechtliche Verträge sind nach Treu und Glauben auszulegen und zu erfüllen. Mehr als eine allgemeine Richtlinie läßt sich für die Handhabung der Ermächtigungsklausel nicht geben. E s gibt mehr Beispiele im Friedensvertrage, an denen in ähnlicher Weise die Machtlage zum Ausdruck kommt wie hier, wo die Handhabung in das freie Ermessen Polens gelegt ist. Damit liegen Verschiedenheiten der Auffassung zwischen Deutschland und Polen im Sinne der Bestimmung, und Beschwerden über rechtswidrige Anwendung können eine Begründung nicht ohne weiteres darin finden, daß nach deutscher Auffassung die Zuwanderung ohne unnatürliche Beihilfe stattgefunden hat. Aber es können Fälle zweifellosen Ermessensmißbraucbes vorkommen. Deutsche Nationalität ist ein Grund für die Verweigerung der Ermächtigung jedenfalls nicht; andererseits können alte Beziehungen geschäftlicher oder verwandtschaftlicher Natur. Antritt von Erbschaften, Einheirat,



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ganz allgemein fast stets Erwerb von Grundbesitz außer von Ansiedlungsgütern und dergl. den einwandfreien Beweis dafür erbringen, daß die Zuwanderung von Bedingungen abhängig gewesen ist, wie sie auch für die stete natürliche Wanderung innerhalb eines Staates und auch vom Staat zu Staat maßgebend sind. In wie großem Umfange Wanderungen innerhalb eines Staates stattfinden, dafüi; hat jüngst die Abstimmung in Ost- und Westpreußen mit ihrer Feststellung der im A b stimmungsgebiet Geborenen einen augenfälligen Beweis erbracht. Zuwanderung im Wege natürlicher Entwicklung bildet im Abtretungsgebiete die Regel, und nur in Ausnahmefällen wird ein Grund für die Verweigerung der Ermächtigung nachgewiesen werden können. Der Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit mit besonderer Ermächtigung findet sich auch für die an Belgien und Dänemark abgetretenen Gebiete. (Art. 3 6 Abs. 2 und 1 1 2 Abs. 2.) Die praktische Bedeutung des Institutes ist bei der späteren Terminfestsetzung — 1 . August 1 9 1 4 bei Belgien und 1 . Oktober 1 9 1 8 bei Dänemark — ungleich geringer. Der Sinn ist der gleiche; dem erwerbenden Staate die Möglichkeit zu gewähren, nicht bodenständige Elemente vom Erwerb der Staatsangehörigkeit auszuschließen. Ebenso wie die polnische Regierung verstanden hatte, glaxibhaft zu machen, daß es ihr nicht zugemutet werden könne, als polnische Staatsangehörige die aufzunehmen, welche durch Maßnahmen der deutschen Regierung dem Lande gewissermaßen aufgepfropft waren, so gelang der dänischen und belgischen Regierung der Nachweis für den aus Kriegs- und Revolutionsschiebern bestehenden Bevölkerungsteil. Daß bei der hier vertretenen Auslegung des Absatzes 2 Artikel 9 1 eine große Anzahl Staatenloser 1 ) entsteht, ist kein Einwand. Denn es handelt 'sich bei dieser Schaffung Staatenloser ja nur darum, die Rechtslage während des zweijährigen l

) Es sei bei dieser Gelegenheit erwähnt, daß die steuerrechtlichen Polgerungen, die an die Eigenschaft der nach 1908 nach Polen Zugewanderten als deutsche Reichsangehörige geknüpft sind, hinfällig werden. Vgl. z. B. die Ausführungen bei Dr. Betthold Haase: Die Geltung der großen Kriegsabgabegesetze für die abgetretenen Gebiete. Berlin 1920, Industrieverlag Spaeth u. Linde.

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Schwebezustandes formell zu regeln, innerhalb dessen Staatenlose wie polnische Staatsangehörige die freie Staatswabl vornehmen sollen. Die besonderen Bedingtheiten der freien Staatswahl der Staatenlosen werden im Abschnitt über Option besprochen, wo auch auf die Gefahr hingewiesen wird, daß bei Nichtzustandekommen eines ausreichenden Optantenvertrages auch für die Dauer Staatenlose entstehen. Daß ein solches Ergebnis nicht in der Absicht des Friedensvertrages liegen würde, steht wohl außer Zweifel. Aber es ist nichts Außergewöhnliches, daß juristische Logik zu überraschenden Ergebnissen führt. Wie hier ist dann der Grund fast stets darin zu suchen, daß die Wirkungen der betreffenden Bestimmung im einzelnen nicht durchdacht sind. Trotzdem ist es gut, wenn solch ein Ergebnis nicht nur von einer Gedankenreihe gestützt wird. Der dritte Absatz des Artikels 91 fand in diesem Zusammenhange schon Erwähnung. Der Absatz regelt grundlegend das Optionsrecht und billigt es den über 18 Jahre alten deutschen Reichsangehörigen zu, die in einem der als Bestandteil Polens anerkannten Gebiete wohnen. Mehr als Alter über 18 Jahre und Wohnsitz (domicile) im Abtretungsgebiet wird nicht verlangt. Der Kreis der in Absatz 1 und 2 bezogenen Personen unterscheidet sich darnach, ob die Niederlassung vor oder nach dem 1. Januar 1908 erfolgt ist. In beiden Absätzen handelt es sich um deutsche Reichsangehörige, die im Abtretungsgebiet Wohnsitz haben. Das ist der gleiche Begriff, der in diesen drei unmittelbar aufeinanderfolgenden Absätzen wiederkehrt. Wollte man Rabulistik treiben, könnte man wie folgt argumentieren: Im ersten Absatz wird festgesetzt, daß bestimmte deutsche Reichsangehörige mit dem Tage der Abtretung polnische Staatsangehörige werden. Erst nach diesem Tage kann der im dritten Absatz vorgesehene Optionsakt vorgenommen werden. E r soll vorgenommen werden von deutschen Reichsangehörigen. Das sind die Personen des Absatzes 1 nicht. Also könnte man höchstens versuchen, den Kreis der Optionsberechtigten im zweiten Absatz zu finden, für den man dann wieder versuchen müßte zu beweisen, daß die deutsche Reichsangehörigkeit nach ihm nicht verloren wird. Wie gesagt, das wäre Rabulistik, schon wegen der Artikel 85 und 105. Aber es bedürfte eines noch größeren Aufwandes

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von Spitzfindigkeit, um aus dem klaren Wortlaut herauszulesen, daß der dritte Absatz sich nicht auf den zweiten bezieht. Selbst wenn entgegen der hier vertretenen Auffassung die deutschen Reichsangehörigen des Absatzes 2 deutsche Reichsangehörige blieben, daijn wäre es doch unmöglich, sie von den Reichsangehörigen im dritten Absatz auszunehmen. Mit Beziehung auf Absatz 2 hätte Absatz 3 immer noch den Sinn, auch den Reichsangebörigen, die nach 1908 zugewandert sind, die in Absatz 6 bis 8 festgesetzten Rechtswohltaten der Option zu sichern. Dabei hätte die Anwendung des Optionsbegriffes in diesem Falle durchaus nicht nur die Bedeutung eines abgekürzten Wortgebrauchs, da von einer Wahl zugunsten Deutschlands jedenfalls bei allen denen gesprochen werden darf, die darauf verzichten, den Antrag auf Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit zu stellen. Bei dieser Sachlage verdient die hier vertretene Rechtsauffassung über die Frage der nach dem 1. Januar 1908 Zugewanderten zu jeder anderen Begründung noch den Vorzug geschlossener juristischer Konstruktion, und insofern bildet auch Absatz 3 eine Stütze dieser Auffassung. Aus dem Umstand, daß alle ehemaligen deutschen Reichsangehörigen mit Wohnsitz im Abtretungsgebiet das Recht der Option haben, ergibt sich die Nichtanwendbarkeit der Liquidationsnormen auf die Güter, Rechte und Interessen aller deutschen Reichsangehörigen, die am Tage des Übergangs der Souveränität Wohnsitz in an Polen abgetretenen Gebietsteilen haben. Die Liquidationsfrage soll im Anschluß an den Wortlaut des Artikels 297 littera b noch in einem besonderen Kapitel behandelt werden. Für die Wohnsitzfrage gelten die Ausführungen des ersten Kapitels. Auch deutsche Reich sangehörige in polnischen Gebietsteilen, die früher zu Rußland oder ÖsterreichUngarn gehörten, sind formell gleichgestellt. Der Nachweis, daß die Zuwanderung mit künstlichen Mitteln befördert ist, wird aber höchstens für die deutschen Reichsangehörigen erbracht werden können, die nach dem 1. August 1914 im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen ins Land kamen und einen dort etwa begründeten Wohnsitz am Tage des Inkrafttretens des Friedensvertrages noch nicht aufgegeben hatten.



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Zweiter Die Erstes



Teil.

Option. Kapitel.

Das Wesen und die Bedeutung der Option. Die Gebietsabtretungen an Polen, wie auch an die anderen Staaten, bauen ideenmäßig auf dem Selbstbestimmungsgedanken auf. Damit würde die Einräumung der Befugnis an die betroffenen Personen, in freier Wahl über ihre endgültige Staatsangehörigkeit zu entscheiden, auch dann nicht weniger entbehrlich, wenn die Anwendung des Selbstbestimmungsgedankens einwandfrei und unter allseitiger Billigung erfolgt wäre. Entscheidungen von Völkern und Volksteilen erfolgen nicht ohne Majorisierung, mögen die Minoritäten noch so klein sein. Nur die Einräumung eines individuellen Selbstbestimmungsrechtes vermag daher die Vergewaltigung der einzelnen Individuen zu verhindern. Der Friedensvertrag von Versailles bekennt sich zu gleicher Auffassung, wenn er allen Personen, die nach seinen Bestimmungen durch die Gebietsveränderungen in ihrer Staatsangehörigkeit betroffen werden, das Recht der Option zubilligt. Der Personenkreis ist im ersten Teil der Untersuchung abgegrenzt worden. Durch die im Friedensvertrage angeordneten Änderungen in den Staatsangehörigkeitsverhältnissen wird formell sofort eine eindeutige Rechtslage geschaffen, wobei nur zu berücksichtigen bleibt, daß einzelne Rechtsbegriffe einer näheren Begriffsbestimmung im Vertragswege bedürfen. Materiell betrachtet sind jedoch die Bestimmungen über Änderungen in der Staatsangehörigkeit nur Festlegung einer Schwebezustandes 1 ), der erst durch freie Staatswahl der Individuen in einen endgültigen Zustand überführt wird. Auch bei Belassung in der alten Staatsangehörigkeit wird durch Begründung der Möglichkeit eine neue Staatsangehörigkeit zu wählen, ein solcher Schwebezustand geschaffen, und es war x

) So auch Kaufmarin,

S. 12.

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deshalb im Zusammenhang dieser Untersuchung systematisch richtig, die Fälle des potentiellen Erwerbes der neuen Staatsangehörigkeit den Fällen des Wechsels der Staatsangehörigkeit gleichzustellen. F ü r formaljuristische Betrachtungsweise macht es keinen Unterschied, wie die Zeit des Schwebezustandes geregelt ist. Die A r t der Regelung im Friedensvertrage muß als im allgemeinen billig und zweckentsprechend beurteilt werden. Es wird wieder — auch unter diesem Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte gesehen — eine A r t Wohnsitzprinzip befolgt, indem grundsätzlich die Staatsangehörigkeit des Wohnstaates festgesetzt ist. Artikel 4 M. V . weicht ab, beläßt aber neben der Staatsangehörigkeit des neuen Staates, der iücht Wohnstaat ist, die Staatsangehörigkeit des Wohnstaates. Auch die Rechtslage der nach 1908 nach Polen zugewanderten Reichsdeutschen ist insofern nach diesem Zweckmäßigkeitsprinzip geregelt, als die Staatsangehörigkeit des Staates, der Wohnstaat zu sein aufhört, verloren geht. So wird das merkwürdige Ergebnis vermieden, durch Staatsvertrag zwangsweise Ausländer zu schaffen, ohne daß eine Verlegung des Wohnsitzes stattfindet. Die rechtsgültige Optionserklärung ] ) endet endgültig den Schwebezustand. Die Entscheidung für die Rechtslage des Schwebezustandes erfolgt grundsätzlich stillschweigend. Nichterklärung innerhalb der Optionsfrist gilt hier als Entscheidung für die Rechtslage des Schwebezustandes. Zwei Besonderheiten sind anzumerken. E s wurde schon hervorgehoben, daß Art. 4 M. V . kaum den Sinn haben kann, eine doppelte Staatsangehörigkeit zu begründen, die über die Zeit des Schwebezustandes dauert. Denn wenn der Artikel nur den Verzicht auf die ohne Förmlichkeit erworbene polnische Staatsangehörigkeit vorsieht, verlangt Artikel 9 1 Absatz 4 und 9 des Friedensvertrages die ausdrückliche Option für Polen. Der Minderheitenschutzvertrag kann den Friedensvertrag nicht abändern 2). Artikel 9 1 Absatz 4 irnd 9 kennt keine doppelte Staatsangehörigkeit. Bei nicht allzu engherziger Auslegung liegt darin kein Wider*) Über die Optionserklärung siehe unten das gleichlautende Kapitel. S. 40. 2 ) Siehe unten S. 57. B r u n s , Staateangeliöngkeitawechael.

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Spruch, weil entscheidend nur der endgültige Rechtszustand ist. Artikel 4 M. V. macht deshalb die Aufnahme einer Bestimmung in den Optantenvertrag dahingehend nötig, daß für die in Polen geborenen deutschen Reichsangehörigen, auf die Artikel 4 M. V. und nicht etwa Artikel 91 Absatz 1 zur Anwendung kommt, eine ausdrückliche Erklärung über die endgültige Staatswahl Pflicht ist, oder daß bei Unterlassen der Erklärung eine der beiden Staatsangehörigkeiten verloren geht. Die zweite Besonderheit ist die eigenartige Regelung der Rechtslage der deutschen Reichsangehörigen, die nach dem 1. Januar 1908 ihren Wohnsitz in polnisches Gebiet verlegt haben. Die Wahl für Polen muß sich hier in dem Antrage auf Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit äußern, der deshalb auch innerhalb der Schwebezeit gestellt werden muß; also eine ausdrückliche Optionserklärung auch bei Wahl der Staatsangehörigkeit des Wohnstaates. Im Gegensatz zu allen anderen Fällen steht die Rechtswirksamkeit dieser Optionserklärung noch unter einer Bedingung; der aufschiebenden Bedingung nämlich, daß die Ermächtigung zum Erwerbe der polnischen Staatsangehörigkeit erteilt wird. Bei Wahl für Deutschland geschieht die ebenfalls ausdrückliche Optionserklärung in gleicher Weise wie durch die deutschen Reichsangehörigen, die schon vor dem 1. Januar 1908 Wohnsitz in Polen besaßen1). Soweit bestehen keine Schwierigkeiten. Wie ist es aber, wenn bei Entscheidung für Polen der Antrag auf Erwerb abgelehnt wird ? Daß die Verlängerung des Zustandes der Staatenlosigkeit nicht zu den vorgesehenen Wirkungen des Friedensvertrages gehört, ist anzunehmen. Aber auch die staatenlosen Optanterikinder in Nordschleswig waren nicht vorgesehen. Die einzig sinngemäße Lösung wäre es, daß die Ablehnung des Antrages einer Option für Deutschland gleichgestellt wird. Ein zwingender Beweis dafür, daß diese empfehlenswerte Lösung nach dem Friedensvertrage rechtens ist, läßt sich nicht führen. Nur eine klare Regelung im Optantenvertrag kann vor Schwierigkeiten infolge der Unklarheiten schützen. Näheres im Kapitel „Optionserklärung".

S. 40.

Zweites

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Kapitel.

Die Sicherung der Option. Die Entscheidung für die Wahl der endgültigen Staatsangehörigkeit soll frei erfolgen. Der Sicherung dieser Wahlfreiheit dient eine Gruppe besonderer Bestimmungen. (Artikel 91 Absatz 6 bis 8 und Artikel 3, 4, 5 M. V.) Es handelt sich dabei formell meist um Rechte, die mit der Optionserklärung entstehen, und deren materielle Bedeutung vom Aiigenblicke des Staatsangehörigkeitswechsels oder potentiellen Erwerbes der neuen Staatsangehörigkeit ab darin bestehen, daß dem dereinstigen Optanten der Übergang in den endgültig gewählten Staat nach jeder Möglichkeit in der gleichen wirtschaftlichen Lage gewährleistet wird, wie sie am alten Wohnsitze bestand. Den Rechten des Optanten entsprechen Pflichten der beiden beteiligten Staaten, und es ist für die Regelung der Staatsangehörigkeitsfragen zwischen Deutschland und Polen charakteristisch, daß infolge der weiten Anwendung des Abstammungsprinzips jeder Staat unter den gleichen Verhältnissen Träger von Verpflichtungen wird, die ein- und auswandernden Optanten gegenüber bestehen; d. h. Deutschland kommt „Polen" gegenüber, die gemäß Artikel 91 Absatz 4 für Polen optieren und dorthin auswandern, in dieselbe Lage wie Polen den Optanten gegenüber, die aus polnischem Gebietsteilen nach Deutschland auswandern. Im allgemeinen folgt der Friedensvertrag der überlieferten Rechtsübung. Er verpflichtet den Optanten nicht zum Verkauf seines unbeweglichen Vermögens (Artikel 91 Absatz 7) und sichert ihm die unbehinderte zoll- und abgabenfreie Mitnahme seines gesamten beweglichen Vermögens zu (Absatz 8). Die letztere Bestimmung ist im Nachkriegszeitalter der planmäßigen Bewirtschaftung, der Aus- und Einfuhrverbote von besonderer Wichtigkeit. Es ist gar nicht zu verkennen, daß sie bei umfangreicher Aus- und Einwanderung zur Erleichterung von Vermögens- und Güterverschiebungen führen kann. Die Befugnis zur Mitnahme des gesamten beweglichen Vermögens gilt aber ohne Einschränkung und verpflichtet in gleicher Weise beide bei der Vermögensüberführung beteiligten Staaten, die weder Verbote erlassen oder anwenden, noch 3*

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Ein- und Ausfuhrzölle und -Abgaben erheben dürfen. Besonders kommt das im Wortlaut des Artikels 37 Absatz 4 — Belgien — zum Ausdruck: Sie dürfen ihr gesamtes bewegliches Vermögen mitnehmen. E s wird dafür keinerlei Ausfuhr- oder Einfuhrzoll von ihnen erhoben. Von polnischer Seite scheint gelegentlich der Standpunkt geäußert zu sein, was die Frage der Ausfuhrverbote beträfe, so sei nur der Erlaß von Sondervorschriften untersagt, während die für alle polnischen Untertanen geltenden Verbote auch gegen Optanten angewandt werden' dürften. Die ganze Vorzugsbehandlung der Optanten könnte dadurch illusorisch gemacht werden. Aus der abweichenden Wortstellung in Abs. 8 Artikel 9 1 läßt sich dieser Standpunkt nicht begründen: Absatz 8: Sie dürfen ihr gesamtes bewegliches Vermögen zollfrei in das Land mitnehmen, für das sie opeiert haben. Die etwa bestehenden Aasfuhrzölle oder -Gebühren werden dafür nicht von ihnen erhoben. E s ist offensichtlich, daß mit „zollfrei" der Einfuhrzoll gemeint ist, der vom Einwanderungsland nicht erhoben werden darf. Wenn Ein- und Ausfuhrzoll hier nicht in einem Satze behandelt werden, erklärt sich das aus der Tatsache, daß jeder der beiden Staaten sowohl in die Lage kommen wird, zollfreie Ausfuhr wie zollfreie Einfuhr gestatten zu müssen. Der Sinn des ersten Satzes ist wie in Artikel 3 7 ; das gesamte Vermögen darf mitgenommen werden, ohne daß das Einfuhrland Zoll erheben darf. Der französische Text, ist womöglich noch klarer. Art. 3 M. V . folgt übrigens dem Wortlaut des Artikels 37. Also Unzulässigkeit jeder Art von Ausnahmen, wie etwa die aus Valutanot ergangenen Ausfuhrbeschränkungen für Geldsorten und Pretiosen. Die Deutschland und Polen auferlegten Verpflichtungen können nicht etwa durch Vertrag dieser beiden Staaten abgeändert werden. E s bedürfte nicht des Artikels 93, um zu zeigen, daß auch die zugunsten der Individuen erlassenen Bestimmungen von den anderen Vertragsmächten mitgedeckt werden. Immerhin wird sich in dem notwendigen Ausführungsvertrage Vorsorge dafür treffen lassen, daß Absatz 8 nicht zu Schiebungen mißbraucht werden kann. Und neben Bestimmungen, die sich auf den Nachweis beziehen,

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daß es sich wirklich um Vermögen des Optanten handelt, würden auch Abmachungen, die sich gegen offenbaren Mißbrauch der Optantenrechte richten, im Sinne des Friedensvertrages liegen. Maßgebend muß immer sein, daß die wirtschaftliche Lage des Optanten, die durch das Herausreißen aus allen Beziehungen des Wohnsitzes schon stets geschädigt wird, nicht mehr leidet, als es durch die Aufgabe des Wohnsitzes unvermeidlich bedingt wird. Unzulässig ist auch die Beschränkung der Mitnahmefreiheit auf das bis zu einem bestimmten Zeitpunkte erworbene Vermögen. Die reichlich bemessene Bedenk- und Räumungsfrist der Absätze 3 und 6 dient der Freiheit der Staatswahl nur, wenn in dieser Frist volle wirtschaftliche Ungebundenheit besteht. Absatz 6 des Artikels 91 weicht von der sonst im Friedensvertrage und auch in früheren Verträgen üblichen Regel, daß der Optant den Wohnsitz in den Staat der Wahl verlegen muß, auffällig ab. Die Abweichung dürfte sich daraus erklären, daß man den „Polen" in Deutschland den Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit erleichtern wollte. Daß es den Optanten freisteht, den bisherigen Wohnstaat zu verlassen, ergibt sich schon aus Absatz 8. Die besondere Erwähnung in Absatz 6 besagt, daß nur während der Frist von 1 2 Monaten die Vorzugsbehandlung als Optant beansprucht werden kann. Die Erlaubnis, das unbewegliche Vermögen zu behalten, kann in einer Zeit, wo Deutschland und besonders Polen sich anschicken, aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen mit ihrer Agrargesetzgebung das Eigentum an Grund und Boden erheblichen Einschränkungen zu unterwerfen, zu großen Schwierigkeiten Anlaß geben. Ein absolutes Recht auf Unangreifbarkeit des Eigentumsrechtes legt Absatz 7 nicht fest, nur jede Art von Sondergesetzgebung gegen polnische Grundeigentümer in Deutschland und deutsche Grundeigentümer in Polen bleibt ausgeschlossen. Gewiß muß diese Regel nach Treu und Glauben angewandt werden und darf nicht durch einseitige Anwendung formell allgemeingültiger Gesetze illusorisch gemacht werden. Ebenso wenig begründet die Erlaubnis, im Lande zu bleiben, für Personen, die von dem Optionsrecht Gebrauch gemacht haben, ein Recht auf Vorzugsbehandlung vor anderen Aus-

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ländern. Nur ein Anspruch auf gesetzmäßige ¡Behandlung, wie er in Artikel 2 M. V. ausdrücklich festgesetzt wird 1 ), besteht für deutsche und polnische Staatsangehörige in dem entsprechenden anderen Lande. In beiden Staaten täten die Optionsberechtigten Personen gut, im Auge zu behalten, daß eine Behandlung nach Fremdengesetzen gesetzmäßig ist, und daß solche Gesetze stets neu erlassen und geändert werden können. Ausgeschlossen ist nur eine schlechtere Behandlung als die anderer Ausländer. Zur Vermeidung späterer Mißhelligkeiten täte es auch hier gut, die Rechtslage der als Ausländer in Deutschland und Polen lebenden polnischen und deutschen Staatsangehörigen vertragsmäßig — etwa in einem besonderen Handels- und Niederlassungsvertrage zu klären. Während der Schwebezeit behalten „Polen" in Deutschland die deutsche Reichsangehörigkeit, während ehemals deutsche Reichsangehörige mit Wohnsitz in Polen die polnische Staatsangehörigkeit bekommen, soweit nicht Artikel 91 Absatz 2 Platz greift. Bis zur Beendigung des Schwebezustandes bleiben die Pflichten der Staatsangehörigkeit bestehen oder treten solange in Kraft. Dieser formelle Rechtszustand darf nicht zur Beeinträchtigung der Wahlfreiheit während der Schwebezeit führen. Diirch Staatsvertrag zwischen Deutschland und Polen muß deshalb die Gefahr einer Doppelbesteuerung der Optanten beseitigt werden, z. B. Reichsnotopfer und polnische Zwangsanleihe können sonst den wirtschaftlichen Ruin des Optanten bewirken und die Wahlfreiheit durch Druck auf vorzeitige Option oder Verzicht a\if die Option aufheben. Noch weniger darf die Optionserklärung als Bedingung für irgend eine Vorzugsbehandlung gesetzt werden, außer natürlich der Vorzugsbehandlung, die im Friedensvertrage bestimmt ist. In Polen wird der Verzicht auf die Einziehung zum Heeresdienste vielfach von einer Erklärung der Gestellungspflichtigen abhängig gemacht, die in irgend einer Form auf das Optionsrecht Bezug nimmt. Soweit diese Erklärung die Bedeutung hat, das Optionsrecht vorzubehalten, ist sie zweifellos zulässig. Sollte sie aber die Bedeutung einer Optionserklärung haben wollen, ist sie unzulässig, und ist die so erfolgte Erklärung ungültig. Da die Einziehung einer Person, die frei*) V g l . Kaufmann,

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— 39 — willig vom Optionsrecht Gebrauch gemacht hat, gar nicht in Frage kommt, weil es sich um einen fremden Staatsangehörigen handelt, bedeutet aber, gleichgültig, ob das ausgesprochen wird oder nicht, der Befehl zur Gestellung an Personen, die noch nicht optiert haben, gleichzeitig die Zusage, den Befehl zurückzuziehen, wenn optiert wird; womit also die Optionserklärung unzulässigerweise zur Bedingung des Verzichtes auf Einziehung zum Heeresdienste gemacht wird. Zulässig ist natürlich die Aufforderung zur freiwilligen Gestellung, der Folge zu leisten, in das an keine Bedingung geknüpfte Belieben der aufgeforderten Personen gestellt ist. In Deutschland gilt theoretisch für „Polen*' das gleiche, nur daß der Fall nach Aufhebung der Dienstpflicht nicht praktisch werden kann. Denkbar wäre es aber, daß für deutsche Reichsangehörige noch während der Schwebezeit eine allgemeine Arbeitspflicht eingeführt würde. Sie dürfte aus den gleichen Gründen auf „Polen" nicht angewandt werden. J a selbst, wenn diese Arbeitspflicht auch auf Ausländer ausgedehnt würde, — eine Maßnahme, deren Möglichkeit und Zulässigkeit zu untersuchen hier nicht der Ort ist, — dann müßten „Polen" während der Schwebezeit von ihr doch so lange freigestellt werden, wie eine gleiche Verpflichtung in Polen nicht besteht. Die Achtung vor der Freiheit der Staatswahl gebietet die Vermeidung jedes Druckes auf den freien Willen des zur Option Berechtigten. Daß Beamtenqualität an dem in dem Friedensvertrage vorgesehenen Wechsel und Erwerb der Staatsangehörigkeit nichts ändert, ist schon gesagt. Es können sich nun aber aus der Tatsache, daß ein deutscher Staats- oder Reichsbeamter die polnische Staatsangehörigkeit erwirbt, Kollisionen zwischen den allgemeinen staatlichen Treupflichten und den Treupflichten des Beamten ergeben. Es kann dem polnischen Staate nicht zugemutet werden, zu dulden, daß der optionsberechtigte deutsche Beamte polnischer Staatsangehörigkeit seine dem polnischen Staate geschuldeten Treupflichten durch Erfüllung seiner Beamtenpflichten verletzt. Ob und wann dieser Fall eintreten kann, wird nach deutscher und polnischer Auffassung verschieden sein. Gerade der Beamte hat die zweijährige Bedenkfrist nötig, da bei ihm der Konflikt zwischen dem Teu-

— 40 — gefühl gegen den alten Staat und dem Gefühl der Verbundenheit mit der engeren Heimat oder dem Abstammungslande besonders heftig sein wird. Deutschland hat deshalb die Pflicht, dem optionsberecbtigten Beamten notfalls bis zum Ablauf der Schwebezeit die Treupflicht zu erleichtern oder ihn zeitweise aus ihr zu entlassen. Die sich aus dem Beamtenverhältnis ergebenden wirtschaftlichen Ansprüche an den Staat müssen bis zur Klärung vorbehalten bleiben, da anderen Falles die vorzeitige Option als Bedingung für die Wahrung dieser Ansprüche gesetzt würde. Andererseits darf der polnische Staat nicht außer acht lassen, daß die formelle Natur des Schwebezustandes eine vorsichtige Anwendung des Begriffes staatlicher Treupflichten zur Pflicht macht. Die Schwierigkeiten im Einzelfalle werden nur durch Übereinkommen zwischen den beiden Staaten behoben werden können. Drittes

Kapitel.

Die Optionserklärung. Das Recht zur Option wird durch Absatz 3 des Artikels 91 nur Personen zugebilligt, die über 18 Jahre alt sind. Die Option des Ehemannes gilt gleichzeitig für die Ehefrau und die Kinder unter 18 Jahren, denen ein selbständiges Optionsrecht nicht zugebilligt wird. Dadurch, daß der Ehefrau das selbständige Optionsrecht fehlt, erledigt sich spätestens nach Ablauf der zweijährigen Schwebezeit die Besonderheit, die sich aus Artikel 91 Absatz 2 ergibt und darin besteht, daß der eine Ehegatte die polnische Staatsangehörigkeit erwirbt und der andere staatenlos wird, falls der eine vor, der andere nach dem 1. Januar 1908 Wohnsitz im Gebiete Polens genommen hat 1 ). Da nur der Mann das Recht zur Erklärung der Option hat, folgt nach erfolgter Option die Ehefrau der Staatsangehörigkeit des Mannes. Hat der Mann von Rechtswegen die polnische Staatsangehörigkeit erworben, erwirbt die staatenlose Frau die polnische Staatsangehörigkeit, sobald die stillschweigende Option für Polen bei Ablauf der Schwebefrist erkennbar wird. >) Kaufmanns (S. 13) Folgerung, daß die polnische Gesetzgebung, die aus diesem Fall sich ergebenden Schwierigkeiten lösen müsse, ist abzulehnen. D a s ergibt sich, ohne daß eine besondere Stellungnahme erforderlich wäre, aus den Ausführungen des Textes.

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Bei Option für Deutschland erwirbt die Ehefrau die deutsche Reichsangehörigkeit mit Abgabe der Erklärung des Mannes. Die getrennte Staatsangehörigkeit kann mangels einer vertraglichen Klarstellung der Frage rur dann bestehen bleiben, wenn dem staatenlosen Manne die Ermächtigung verweigert wird. Die Rechtslage klärt sich dann erst, wenn eine vertragliche Regelung dem Manne die deutsche Staatsangehörigkeit v e r s c h a f f t D i e Kinder folgen der Staatsangehörigkeit der Eltern. Haben die Eltern verschiedene Staatsangehörigkeit, kann für sie nur die Staatsangehörigkeit des zur Abgabe der Optionserklärung berechtigten Vaters in Frage kommen. Wie steht es mit Elternlosen unter 18 Jahren? Der Friedensvertrag läßt hier eine Lücke 2 ). E s wäre unbillig, ihnen das Optionsrecht abzusprechen. Man wird vielmehr sinngemäß zwischen Optionsberechtigung and Erklärungsberechtigung allgemein unterscheiden müssen. Optionsberechtigung besitzen alle Personen ohne Unterschied des Alters. In der Erklärung aber müssen die unter 18 Jahre Alten vertreten werden. Vertretungsberechtigt ist der Vater oder im Falle des Todes die Mutter. Tritt an ihre Stelle bei der Vollwaise der gesetzliche Vertreter oder bleibt das Recht zur Optionserklärung bis zum erreichten Alter von 18 Jahren vorbehalten, wie es in Absatz 2 § 2 der Anlage nach Artikel 79 unter bestimmten Voraussetzungen festgesetzt ist ? Eine feste Rechtsübung bestand in dieser Frage nicht 3), und die Regelung für Elsaß-Lothringen kann nicht maßgebend sein. Die Lücke muß demnach im Optant env ertrage ausgefüllt werden. Wer im polnischen Gebiete geboren ist, erwirbt die polnische Staatsangehörigkeit, auch wenn er nicht mehr dort wohnt. (Artikel 4 M. V.) Das gilt ohne Einschränkung, auch wenn die Eltern die polnische Staatsangehörigkeit nicht erwerben. Vielfach wird nach dem oben geschilderten Abstammungsprinzip der Absätze 4 und 9 von den Eltern die polnische Staatsargehörigkeit potentiell erwogen werden, wenn das minderjährige Kind sie durch Geburt ohne Förmlichkeit erwirbt. Die Nichtabgabe einer Optionserklärung für Polen *) Näheres siehe unten im Absatz über die Form der Erklärung. A. A. KoUenseher, S. 37 Punkt 9. a ) Vgl. Stoerh S. 132 bis 134.

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durch den Vater, die materiell Option für Deutschland ist, wirkt dann sinngemäß als Verzicht auf die polnische Staatsangehörigkeit des Kindes. Eine vertragliche Klärung bleibt wünschenswert. Option f';r Polen stellt jedenfalls gemeinsame polnische Staatsangehörigkeit für Eltern und Kind her. Ob auch das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit verliert, die es neben der polnischen besaß, bleibt mangels vertraglicher Abrede über die Frage der doppelten Staatsangehörigkeit fraglich. Werden die Eltern in ihrer deutschen Staatsangehörigkeit nicht berührt, während das Kind durch Geburt die polnische Staatsangehörigkeit erwirbt, dann ist es aus Artikel 4 M. V. nicht abzuleiten, ob eine Vertretung in der Aussprechung des Verzichtes auf die polnische Staatsangehörigkeit durch den Vater zulässig ist. Die Option wird mit rechtsgültiger Abgabe der Erklärung wirksam. (Artikel 91 Absatz 3 und 4 in Verbindung mit Absatz 6). Die Bestimmungen über Polen weichen damit auffällig von der sonst durchgängigen Regelung ab, wo die Gültigkeit der Erklärung von der binnen 12 Monacen erfolgenden Auswanderung abhängt. (Vgl. z. B. Artikel 37, Abs. 3). Es muß allerdings zugegeben werden, daß diese Auslegung der Auswanderungsbestimmung, die durch die geschichtliche Entwicklung des Optionsinstitates nahegelegt wird, im Wortlaut allein keine eindeutige Stütze findet. Die andere nach dem Wortlaut mögliche Auslegung, — sofortige Wirksamkeit der Option mit der Erklärung und nach Ablauf von 12 Monaten Befugnis des Wohnstaates zur Zwangsausweisung — hat aber das Bedenken gegen sich, daß der Sinn von Artikel 37 Abs. 3 und von 91 Abs. 6 stärker voneinander abweichen als der Unterschied des Wortlautes — „müssen", „steht es frei" — es rechtfertigt. Artikel yi Abs. 6 hebt die Vergünstigungen des Optanten nach Ablauf der 12 Monate auf. Dem stärkeren „müssen" des Artikels 37 entspricht es, wenn bei Nichtbenutzung der Frist nicht nur die» an der Option haftenden Vergünstigungen fortfallen, sondern die Vergünstigung der Option selbst aufgehoben wird. Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten wird es das beste sein, wenn der Punkt in den Optantenverträgen Deutschlands mit Belgien und den anderen Staaten sicher gestellt wird.



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Für Regelung der Staatsangehörigkeitsverhältnisse, die infolge der Gebietsabtretungen an Polen zunächst in einen Schwebezustand versetzt sind, ist die Abgabe einer formellen •Optionserklärung zum mindesten dann erforderlich, wenn trotz Behaltens des Wohnsitzes die Staatsangehörigkeit des Staates gewählt werden soll, der nicht Wohnstaat ist. Aber auch, wenn der Wohnsitz aus dem Staate fortverlegt wird, dessen Staatsangehörigkeit während des Schwebezustandes zusteht, läßt sich die formelle Abgabe einer Optionserklärung nicht entbehren. In gewöhnlichen Zeiten haben Auswanderer meist nicht die Absicht, ihre Staatsangehörigkeit aufzugeben. Deutsche Auswanderer aus Polen und polnische Auswanderer aus Deutschland mögen in der Mehrzahl der Fälle die Optionsabsicht haben. Aus der Auswanderung allein läßt sich dieser Schluß nicht ziehen. Es steht ganz außer Zweifel, daß viele Deutsche, die aus Polen auswandern, nur aus geschäftlichen Gründen oder aus Gründen persönlicher Sicherheit vorübergehend als Ausländer in Deutschland leben oder sich die Entscheidung über ihre Staatsangehörigkeit vorbehalten wollen. Es wäre rechtswidrig, ihnen gegen ihren Willen die polnische Staatsangehörigkeit abzusprechen. Auch die Benutzung besonderer Ausreisevorteile, wie sie von Polen zurzeit den Auswanderern zugebilligt werden, und von denen man wird annehmen dürfen, daß im allgemeinen der Gedanke zu ihnen geführt hat, den Optanten entgegenzukommen, ist kein zwingender Beweis für Optionsabsicht. Für Polen kommt noch erschwerend hinzu, daß die Aufgabe des Wohnsitzes in Polen für den Optanten nicht erforderlich ist, er also trotz Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland seinen polnischen Wohnsitz beibehalten kann. Die Fälle des Grundbesitzers, Gewerbetreibenden, Arztes usw., die den Schwerpunkt ihres persönlichen Lebens nach Deutschland verlegen, zur Weiterführung ihres Berufes aber Wohnsitz in Polen behalten, dürften nicht so selten sein. Das gleiche gilt für „Polen" in Deutschland, die durch Geburt die polnische Staatsangehörigkeit erworben haben und einen Wohnsitz in Polen erwerben, den in Deutschland aber beibehalten. Hier wie dort fehlt schlechterdings jeder rechtlich greifbare Anhalt für den Schluß auf den Staatsangehörigkeitswillen.

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Nur in einem Falle ist die Abgabe einer formellen Optionserklärung unnötig; wenn man es nämlich für rechtens ansieht, daß die deutschen Reichsangehörigen, die nach dem i. Januar 1908 ihren Wohnsitz in polnisches Gebiet verlegt haben, mit der Ablehnung ihres Antrages auf Ermächtigung so angesehen werden, als hätten sie für Deutschland optiert. Hier läge dann eine fiktive Optionserklärung vor, eine Fiktion, die durch Optantenvertrag eingeführt werden muß. Einseitige Anordnungen für die Abgabe der Optionserklärung sind, abgesehen von ihrer rechtlichen Ungültigkeit, die noch zu besprechen ist, praktisch unbrauchbar. Eine Verpflichtung Deutschlands und Polens zur Anerkennung einseitiger Festsetzungen des anderen Staates wird im Friedensvertrag« nicht begründet. Optiert nun nach einseitiger deutscher Festsetzung ein „Pole" für Polen und erkennt Polen diese Option nicht an, so entsteht der gewiß dem Sinne des Friedensvertrages nicht entsprechende Zustand, daß Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit aberkennt, Polen aber die polnische bestreitet. Umgekehrt liegt es bei Option für Deutschland nach einseitiger polnischer Anordnung. Für den Optanten kann das zu wirtschaftlich sehr peinlichen Folgen führen. Aus Gründen der Nationalitätenpolitik haben weder Deutschland noch Polen ein Interesse daran, daß alle Berechtigten optieren. So werden sie gar keine Veranlassung finden, ihnen unerwünschten Optanten Einfuhrfreiheit und Freiheit von Einfuhrzoll zu gewähren, wenn sie eine rechtsgültige Option nicht anerkennen, zumal jede Unklarheit in der Frage, ob optiert ist oder nicht, zu Schiebungen mißbraucht werden kann. Uber die Form der Optionserklärung findet sich im Friedensvertrage nur die eine Bestimmung des Artikels 91 Abs. 9, wonach „Polen" im Auslande die Optionserklärung nach Maßgabe polnischer Verordnungen abgeben sollen. Außerdem ist für die „Geburtspolen" in Artikel 4 M. V. vorgeschrieben, daß der Verzicht auf die polnische Staatsangehörigkeit vor den zuständigen polnischen Behörden des Wohnstaates abzugeben ist. Da die „Geburtspolen" auch „Polen" im Sinne der Absätze 4 und 9 Artikel 91 sind, also sinngemäß Option zwischen Polen und Deutschland erfolgen muß, fehlt für „Geburtspolen", die unter Absatz 4 fallen, eine ausreichende Regelung.

Viertes

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Kapitel.

Der Optantenvertrag. Fast in jedem Kapitel der bisherigen Ausführungen stieß die Untersuchung auf einen Punkt, wo aus dem Friedensvertrage die letzten Lösungen nicht gewonnen werden konnten. Eine Instanz, welche Lücken sinngemäß auszufüllen hätte, so wie der Richter das innerstaatliche Recht lückenlos auszulegen hat, fehlt. So bleibt nur der Ausführungsvertrag, der oft erwähnte Optantenvertrag. Er wird hier Optantenvertrag genannt, weil zur Regelung der unmittelbar mit der eigentlichen Option zusammenhängenden Fragen die Notwendigkeit einer vertraglichen Regelung besonders augenfällig in die Erscheinung tritt, obwohl sie zur eindeutigen Klärung auch fast aller der Bestimmungen, die sich auf formlosen Wechsel und Erwerb der Staatsangehörigkeit beziehen, nicht minder groß ist. Nicht nur aus der Sache ergibt sich die Notwendigkeit des Optantenvertrages 1 ), sondern auch ausdrücklich betont der Friedensvertrag, daß alle „in dem gegenwärtigen Vertrage nicht geregelten Fragen, die anläßlich der Abtretung der bezeichneten Gebiete entstehen" . . . „in späteren Übereinkommen geregelt" werden. (92, Absatz 5). Die entsprechende Bestimmung findet, sich auch für die Tschecho-Slowakei, Danzig und Dänemark. (Artikel 86 Abs. 4, 108 Abs. 2 und 114 Abs. 2). Daß eine ausdrückliche Erwähnung im Kapitel über Belgien fehlt, kann bei der sachlichen Gebotenheit der Bestimmung nur als zufällig angesehen werden. Im französischen Texte steht bald „Conventions" — so im Artikel 92 — bald „stipulations", was mit „Bestimmungen" in der amtlichen deutschen Übertragimg nicht geschickt übersetzt worden ist. Überall, wo die Untersuchung auf offene Fragen gestoßen ist, sind es Fragen, die anläßlich der Abtretung entstehen und im gegenwärtigen Vertrage nicht oder nicht erschöpfend geregelt sind. Nach Artikel 79 Absatz 2 sollen die nicht geregelten Fragen, „Gegenstand späterer Ubereinkommen zwischen Frankreich und Deutschland bilden". Man darf daraus, daß in dem Kal)

Polen wird auch durch Art. 6 M. V. — Verpflichtung bei der Ausübung des Optionsrechtes keine Schwierigkeiten zu machen — mittelbar auf die Notwendigkeit des Vertrages hingewiesen.

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pitel über Polen — entsprechend auch in den anderen Fällen, als Vertragsparteien Deutschland und Polen nicht ausdrücklich aufgeführt sind, nicht den Schluß ziehen, daß die späteren Übereinkommen zwischen den Signatarmächten des Friedensvertrages abgeschlossen werden müssen. Das würde praktisch der Unausführbarkeit des Friedensvertrages nahe kommen. Die Signatarmächte konnten nur an der Fixierung der wichtigsten Punkte und der Aufstellung allgemeiner Grundsätze interessiert sein. Alle Einzelheiten durften den unmittelbar beteiligten Mächten überlassen bleiben. Die Abschließung eines Optantenvertrages ist eine Deutschland und Polen durch den Friedensvertrag auferlegte Pflicht. Kommt der Vertrag nicht zustande, bleiben wichtige Teile des Friedensvertrages unausführbar. Insbesondere wird eine rechtswirksame Option unmöglich. Es bedarf keines Beweises* daß hierdurch die Optionsberechtigung nicht aufgehoben werden kann. Fünftes

Kapitel.

Fristen l ). Die Optionsfrist von zwei Jahren, wie sie übereinstimmend mit der Regelung für Polen in Artikel 91 Absatz 3, 4 und 9 für die übrigen Abtretungsgebiete festgesetzt ist, rechnet vom Inkrafttreten des Friedensvertrages. Für die Gebietsteile* die mit dem Protokoll über Niederlegung der Ratifikationsurkunden gemäß Artikel 440 Absatz 7 in die polnische Souveränität übergegangen sind, ist der für den Fristenlauf maßgebende Zeitpunkt damit eindeutig bestimmt. Wechsel der Staatsangehörigkeit tritt nur ein, wenn an diesem Tage Wohnsitz besteht. Ob reichsangehörige „Polen" (Art. 91 Abs. 4 und 9) Wohnsitz in Deutschland oder im Ausland haben, richtet sich nach dem gleichen Tage. Deutsche Reichsangehörige aus Teilen der Provinz Posen, die schon vor dem Inkrafttreten des Friedensvertrages von Polen besetzt waren, müssen auch am Tage des Inkrafttretens in dem Gebiete Wohn*) In dem Kapitel sind aus Zweckmäßigkeitsgründen auch die aus dem ersten Teil sich ergebenden Fragen der Zeitbestimmung behandelt.

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sitz haben. In vielen Fällen haben Deutsche schon vorher das besetzte Posen aus politischen Gründen verlassen, ohne damals die Absicht zu haben, den Wohnsitz zu verlegen. Die Absicht zur Verlegung kann aber nachträglich gefaßt werden und dann wird oft fraglich sein, ob das vor oder nach Inkrafttreten des Friedensvertrages war. E s täte gut, hierüber vertragliche Bestimmungen zu treffen. Artikel 36 Absatz 1 setzt für Belgien den Tag des endgültigen Überganges der Souveränität als Beginn des Fristen 1 laufs für die Optiönserklärung. — Die Souveränität über Eupen und Malmedy geht erst mit der Entscheidung gemäß Artikel 3 5 Absatz 2 endgültig über. — Die Gebietsteile Oberschlesiens, West- und Ostpreußens, die erst auf Grund späterer Entscheidung unter polnische Souveränität fallen, sind für den Fristenlauf entsprechend zu behandeln. E s sei hier kurz die Frage gestreift, ob die Optionsbestimmungen auf Abstimmungsgebiete überhaupt Anwendung finden dürfen. Für Oberschlesien ist es im Absatz 10 des A r tikels 91 ausdrücklich gesagt. Abschnitt I X „Ostpreußen" enthält keine ausdrückliche Verweisung auf den vorhergehenden Abschnitt, in dem Artikel 91 steht. Daraus, daß für die Abstimmungsgebiete Nordschleswigs in Artikel 1 1 3 Abs. 1 und Eupen und Malmedy in 37 Abs. 1 die Anwendung der Optionsnormen auf Abstimmungsgebiete in den Grundzügen ebenso geregelt wird, wie für das mit Rechtskraft des Friedensvertrages an Polen abzutretende Gebiet, ergibt sich die Notwendigkeit der Anwendung des Artikels 91 auf das west- und ostpreußische Abstimmungsgebiet mit Deutlichkeit. Die Anführung Oberschlesiens in Artikel 91 Absatz 10 mag wegen der nachträglichen Redigierung des Absatzes nicht als gleich wertig betrachtet werden. In den Abstimmungsgebieten beginnt der Fristenlauf also mit dem Übergang der Souveränität. In diesen Gebieten tritt der Friedensvertrag eben erst zu diesem Zeitpunkte in Kraft ; abgesehen von denBestimmungen überAbstimmung und anderen Bestimmungen, die sinngemäß sofort anzuwenden sind. Auch für solche deutsche Reichsangehörige, die als „Polen" potentiell die polnische Staatsangehörigkeit erwerben, ist in den „ Abstimmungsgebieten der Tag des Überganges der Sou-

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veränität maßgebend, wenn nämlich die Anerkennung als „Pole" von der Verbundenheit gerade an das Abstimmungsgebiet abhängt. Für Geburtspolen gilt das gleiche. Auch sie sind nur dann „Geburtspolen", wenn sie 'in einem endgültig als Bestandteil Polens anerkannten Gebiete geboren sind. Für die Abstimmungsgebiete läßt sich also zusammenfassend sagen: Mit dem Tage des Überganges der Souveränität tritt für deutsche Reichsangehörige, die in dem Gebiet ihren Wohnsitz haben, der Wechsel der Staatsangehörigkeit ein. Am gleichen Tage erwerben deutsche Reichsangehörige, die im Abstimmungsgebiet geboren sind, die polnische Staatsangehörigkeit und potentiell tun das Gleiche die deutschen Reichsangehörigen, die durch die Art ihrer Beziehungen zum Abstimmungsgebiet die Eigenschaft als „Polen" im Sinne der Absätze 4 und 9 Artikel 91 erwerben. Eine besondere Behandlung verdienen die Grenzgebiete. In Gebietsstreifen, die zunächst unter deutscher Souveränität bleiben, dann aber auf Grund des Artikels 87 Absatz 5 nachträglich zu Polen geschlagen werden, beginnt die Frist erst mit der Rechtskraft dieser Entscheidung. Gebiete, die wieder an Deutschland zurückfallen, gelten als nie in die polnische Souveränität übergegangen. In Gebietsstreifen, die sofort in polnische Souveränität übergehen, für die es aber nach Lage der Dinge fraglich sein muß, ob die Zuerkennung an Polen endgültig sein wird, treten die Änderungen in der Staatsangehörigkeit mit dem Ubergange der Souveränität ein, die Frist zur Abgabe der Optionserklärung darf aber sinngemäß erst mit endgültiger Klärung durch die Entscheidung des Artikels 87 Absatz 5 zu laufen beginnen. Es muß vertraglicher Vereinbarung vorbehalten bleiben, die fraglichen Gebietsteile abzugrenzen. Aus Gründen der Billigkeit sollte dabei weitherzig vorgegangen werden. Die Optionsrechte dürfen, wie am Ende des letzten Kapitels schon gesagt wurde, nicht dadurch beschränkt werden, •daß die Abgabe einer rechtswirksamen Optionserklärung durch das Nichtzustandekommen des Optantenvertrages unmöglich gemacht wird. Sollte ein Optantenvertrag nicht so rechtzeitig geschlossen werden, daß die Erklärung innerhalb der zweijährigen Frist abgegeben werden kann, dann wird der Ablauf

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der Frist gehemmt. Das gleiche gilt, wenn der Vertrag erst so kurz vor Ablauf der zwei Jahre geschlossen wird, das die Abgabe der Erklärung vor Ablauf der Frist billigerweise nicht zugemutet werden kann. Der Optantenvertrag muß dann eine Bestimmung darüber enthalten, wie lange der Lauf der Frist gehemmt gewesen ist. Was zu geschehen bat, wenn der Optantenvertrag überhaupt nicht zustande kommt, ist aus juristischen Erwägungen nicht zu entscheiden. Das ist eine politische Frage. Festzuhalten ist, daß die Frist zur Abgabe der Optionserklärung erst eine billig bemessene Zeit nach Abschluß des Vertrages enden kann. Die Frist von 12 Monaten zur Mitnahme des beweglichen Vermögens läuft vom Tage der Optionserklärung. Ist die Frist für die Optionserklärung gehemmt, wird der Anfang der 12-Monate-Frist entsprecnend hinausgeschoben. Eine Verkürzung der Frist ist unzulässig. Für Personen, die für Polen optieren, denen aber die nach Artikel 91 Absatz 2 erforderliche Ermächtigung versagt wird, beginnt die 12-Monate-Frist für Verlegung des Wohnsitzes nach Deutschland mit Zustellung des Bescheides. Hier kann also das Ende der Frist noch hinter dem Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten des Friedensvertrages liegen.

Dritter

Teil.

Einzelne Fragen. Erstes Kapitel. Die Liquidation deutschen Vermögens. Mit der Liquidation der Güter, Rechte und Interessen, die innerhalb des polnischen Gebietes deutschen Reichsangehörigen gehören, beschäftigt sich außer Artikel 92 Absatz 4 der Artikel 297. Unter h Absatz 2 bringt der Artikel eine Bestimmung, mit der sich die des Artikels 92 Absatz 4 deckt. Unter b Absatz 3 heißt es: „Deutsche Reichsangehörige, die auf Grund des gegenwärtigen Vertrages von Rechtswegen die Staatsangehörigkeit einer alliierten oder assoziierten Macht erwerben, gelten nicht als deutsche Reichsangehörige im Sinne dieses Absatzes." B r u n s , Staataangehörigkeitawechsel.

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Der Schluß auf die Liquidierbarkeit der ehemaligen deutschen Reichsangehörigen, die nicht von Rechtswegen, sondern mit besonderer Ermächtigung die fremde Staatsangehörigkeit erwerben, scheint geboten. Es läge also ein Widerspruch mit Artikel 91 Abs. 2 und 3 — Optionsrecht der nach 1908 in polnisches Gebiet'zugewanderten deutschen Reichsangehörigen — vor. Daß ein solcher Widerspruch bei Abwägung der beiden Stellen nur zu Ungunsten des Artikels 297 gelöst werden kann, wird gezeigt werden. Vermutlich ist die Unstimmigkeit nur auf eine Nachlässigkeit bei der endgültigen Redigierung des Vertragstextes zurückzuführen. Die Fassung von 297 b Absatz 3 beruht wahrscheinlich auf einer Fassung des Gesamttextes, der die Absätze 2 der Artikel 36, 91 und 112 noch fehlten. Bei Elsaß-Lothringen ist Grundlage des Liquidationsrechtes der Abschnitt über Elsaß-Lothringen selbst. (Insbesondere Artikel 74). So war in Artikel 297 b Absatz 3 für alle anderen Abtretungsgebiete unmißverständlich ausgesprochen, daß nur die deutschen Reichsangehörigen mit Wohnsitz im Restgebiet des Deutschen Reiches oder auch im Ausland mit ihrem im Abtretungsgebiet gelegenen Vermögen 7ur Liquidation herangezogen werden könnten, denn in den Abtretungsgebieten gab es ja nur deutsche Reichsangehörige, die von Rechtswegen die fremde Staatsangehörigkeit erwarben. Nach Einschiebung der Absätze 2 in die Artikel 36, 91 und 112 übersah man dann die Fassung von 297 b Absatz 3, die so ihren mißverständlichen Ausdruck bekam. Es ändert jedoch nichts, wenn die Hypothese nicht zutrifft. Schon nach dem Wortlaut kann nämlich ein Gegensatz zu denen, die die fremde Staatsangehörigkeit „mit besonderer Ermächtigimg" erwerben, nicht gemeint sein. Man müßte den Absatz wie folgt lesen und fortsetzen: „Deutsche Reichsangehörige, die von Rechtswegen die Staatsangehörigkeit einer alliierten oder assoziierten Macht erwerben, gelten nicht als deutsche Reichsangehörige im Sinne dieses Absatzes. Deutsche Reichsangehörige, die mit besonderer Ermächtigung die Staatsangehörigkeit einer alliierten oder assoziierten Macht erwerben, gelten als deutsche Reichsangehörige im Sinne dieses Absatzes." 1)

Bei Dänemark kommt eine Liquidation überhaupt nicht in Frage.

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E s kann nicht der Sinn der Bestimmung sein, alliierte und assoziierte Staatsangehörige „dem Schwerte der Liquidation"1) auszuliefern. Das besagt aber bei strenger Wortauslegung der Absatz 3 Artikel 297 b auch, wenn man den Personenkreis des Artikels 91 Absatz 2 die deutsche Reichsangehörigkeit nicht verlieren läßt. Polnische Staatsangehörige von Rechtswegen, — ipso facto — können die nach 1908 Zugewanderten nie werden. Ungenau ist der Wortlaut also auf alle Fälle. Deshalb kann der Sinn nur sein, unter Wortanlehnung an den Regelfall des Erwerbes von Rechtswegen ausdrücklich festzusetzen, daß die am Tage des Inkrafttretens des Friedensvertrages im Abtretungsgebiet wohnenden Personen nicht als Reichsangehörige im Sinne des Artikels 297 anzusehen sind. Wenn der Wortgebrauch dabei unscharf ist, kann darüber um so eher hinweggesehen werden, als es sich um eine Bestimmung handelt, die sich mit rechtlicher Folgerichtigkeit ergäbe, auch wenn sie nicht ausgesprochen wäre. Denn deutsche Reichsangehörige, die mit Rechtskraft des Friedensvertrages dip deutsche Reichsangehörigkeit verlieren, sind in dem Augenblick, wo Artikel 297 in Kraft tritt, keine deutschen Reichsangehörigen mehr, es bedarf also gar nicht der Festsetzung, daß sie nicht als solche gelten sollen. E s handelt sich um eine Interpretationsbestimmimg, die etwaige Zweifel von vorneherein ausschließen soll, und die es mit anderen Interpretationsbestimmungen gemein hat, daß sie die klare Rechtslage verwischt. Wenn Artikel 297 über den Begriff „Deutscher Reichsangehöriger" überhaupt etwas aussagt, so hat das seine einzige Berechtigung darin, daß im Absatz 3 des Artikels 91 der Begriff aus dem einfachen Grunde, um in der Formulierung nicht zu schwerfällig zu werden, streng genommen falsch angewandt wird. Denn das Optionsrecht wird nicht deutschen Reichsangehörigen, sondern solchen Personen zugebilligt, die bis zum Inkrafttreten des Friedensvertrages deutsche Reichsangehörige waren. Nirgends bestimmt der Friedensvertrag, daß Personen, die keine deutschen Reichsangehörigen sind, als solche liquidiert werden sollen. Artikel 297 handelt von der Liquidation des" Vermögens deutscher Reichsangehöriger. Uber StaatsKaufmann,

S. 37. 4 *

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angehörigkeitsverhältnisse sagt er nichts aus. Sie sind in Teil III „Politische Bestimmungen über Europa" erschöpfend, — was die Behandlung im Friedensvertrage anlangt — geregelt, und auch Artikel 297 muß diese Regelung voraussetzen. Beständen also wirklich Widersprüche, dann müßte bei Staatsangehörigkeitsfragen Teil III des Friedensvertrages den Ausschlag geben. Wenn Absatz 3 des Artikels 91 so gefaßt wäre, daß nach klarem Wortlaut seine Anwendung auf Absatz 2 ausgeschlossen wäre, könnte man vielleicht versucht sein, die Liquidationsnormen auf den Personenkreis des Absatzes auszudehnen, obwohl die Fassung von Artikel 297 b Absatz 3 mit seiner Betonung des „von Rechtswegen" seine innere Ungenauigkeit nicht verliert; denn daß er diejenigen Personen der Liquidation unterwerfen will, die die polnische Staatsangehörigkeit „mit besonderer Ermächtigimg" erworben haben, bleibt ausgeschlossen. E s ist müßig, diese hypothetische Hilfskonstruktion weiter auszubauen. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob nicht das Ergebnis eine Ablehnung der Liquidations- u n d der Optionsnormen sein würde, weil allein der Vergleich von Absatz 2 mit Absatz 1 zu der Annahme zwingt, daß die deutsche Reichsangehörigkeit verloren geht, und ob nicht in diesem Falle die Lage der Staatenlosen des Artikels 91 Absatz 2 die aller Ausländer wäre. Die Bedeutung der Liquidation deutscher Güter, Rechte und Interessen bleibt für das Abtretungsgebiet erheblich genug, und die auf Grand der deutschen Gegenvorschläge eingefügte Vergünstigung im Absatz 4 des Artikels 92 und Absatz 2 Artikel 297 h gewinnt erst bei Beschränkung auf das Vermögen der deutschen Reichsangehörigen mit Wohnsitz in Deutschland einen Sinn. Für einen deutschen Reichsangehörigen, der aus Polen vertrieben werden und der mit der Fortnahme seines gesamten Vermögens aus allen Beziehungen herausgerissen werden könnte, auf denen seine Existenz beruht, wäre es im Grunde gleichgültig, von wem er entschädigt wird. Für ihn käme es nur auf die Höhe der Entschädigungssumme und auf die Promptheit der Zahlung an. E r würde sehr wahrscheinlich am besten wegkommen, wenn er nur mit der deutschen Regierung zu tun hätte. Ganz anders ist die Lage für den

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deutschen Reichsangehörigen in Deutschland. Ihm wird nicht die gesamte wirtschaftliche Existenz abgeschnitten, sondern nur seine Beziehungen, die er von Deutschland aus in das jetzt polnische Gebiet unterhielt. Für ihn bedeutet das Recht, den Liquidationserlös unmittelbar von der polnischen Regierung ausgezahlt zu bekommen, im Zusammenhang mit dem Recht, ein Schiedsgericht anrufen zu können, die Aussicht, den Ubergang schmerzloser zu gestalten. Weil er selbst entschädigen muß, kann für den polnischen Staat die Ausführung der Liquidation nicht mehr belanglos bleiben, und er wird eher bereit sein, dem reich sdeutschen Gläubiger einen Einfluß auf die Art der Abwicklung seiner Geschäfte zu geben. Der Kaufmann in Polen, der gezwungen wäre, sein Geschäft in Posen aufzugeben, braucht Geld, um in Deutschland wieder anfangen zu können. Für den Berliner Kaufmann mit einer Filiale oder Beteiligung in Posen kommt es darauf an, daß seine Geschäftsbeziehungen nicht rücksichtslos abgebrochen werden. Dafür bietet ihm Artikel 92 Absatz 4 eine Handhabe. Die Ausnahme von den allgemeinen Liquidationsbestimmungen ist hinsichtlich der Abtretungsgebiete gemacht worden, „um jeder Kritik, die sich auf die Folgen einer Gebietsabtretung an Polen bezieht, Rechnung zu tragen" Gemildert werden diese Folgen nur, wenn Vorsorge getroffen wird, daß die tausendfachen wirtschaftlichen Beziehungen vom Restgebiet des Deutschen Reiches nach dem jetzigen Polen geschont werden. Zweites

Kapitel.

Artikel 278. Im Teil X des Friedensvertrages „Wirtschaftliche Bestimmungen" unter Abschnitt I „Handelsbeziehungen", im 4. Kapitel „Behandlung der Staatsangehörigen der alliierten und assoziierten Mächte", im Artikel 278 werden die neuen Staatsangehörigkeitsverhältnisse in beachtlicher Weise zum Anlaß deutscher Verpflichtungen gemacht. Artikel 278 lautet: „Deutschland verpflichtet sich, die neue Staatsangehörigkeit, die von seinen Angehörigen gemäß den Gesetzen Antwortnote der alliierten und assoziierten Mächte. Siehe Brun»,

8. 64.

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der alliierten und assoziierten Mächte und gemäß den Entscheidungen der zuständigen Behörden dieser Mächte, sei es auf dem Wege der Einbürgerung, sei es auf Grund einer Vertragsbestimmung etwa erworben ist oder erworben wird, anzuerkennen und auf Grund der neuerworbenen Staatsangehörigkeit, diese Reichsangehörigen in jeder Richtung von jeder Pflicht gegenüber ihrem Heimatstaate zu entbinden." Für die Auslegung des Artikels muß davon ausgegangen werden, daß die neue Staatsangehörigkeit, die von Deutschlands Angehörigen erworben wird, ihre grundsätzliche Regelung im Teil III des Friedensvertrages gefunden hat. Auch die Verpflichtungen, die Deutschland hinsichtlich der Änderungen selbst übernommen hat, die seine Angehörigen in ihrer Staatsangehörigkeit erleiden, sind aus dem dritten Teile des Friedensvertrages abzuleiten. Das Kapitel, in dem Artikel 278 steht, verpflichtet Deutschland zu einer bestimmten Behandlung der Staatsangehörigen seiner Vertragsgegner. Während die Regeln über den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit sich stets gleichsam bewußt sind, daß sie sich auf Personen beziehen, die bis zum Inkrafttreten des Friedensvertrages die deutsche Reichsangehörigkeit besaßen, und die sie auch mit Inkrafttreten des Friedensvertrages noch nicht unwiderruflich verlieren, kennt Artikel 278 die selben Personen nur noch in ihrer formell erworbenen neuen Staatsangehörigkeit. Das ganze Kapitel über die Behandlung der Staatsangehörigen der alliierten und assoziierten Mächte entstammt einer begreiflichen Sorge. Es lag nahe, daß Deutschland versuchen könnte, für die Nachteile, die seine Angehörigen im Auslande erleiden, Genugtuung oder doch Ersatz von Staatsangehörigen der alliierten und assoziierten Mächte zu erhalten, die in Deutschland sich aufhalten. Dem sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Die Artikel 276 und 277 setzen im großen und ganzen nur fest, was im internationalen Rechtsleben üblich war. Aus einem ähnlichen Gedankengange muß man den Artikel 278 zu begreifen versuchen. Auch er entstammt einer Vorsichtseinstellung, und es ist daher verständlich, wenn das Mehr an Inhalt, das der Artikel in den Friedensvertrag hineinbringt, nicht allzu groß ist. Immerhin ist er nicht bedeutungslos.

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Die auf Grund des Friedensvertrages erworbene neue Staatsangehörigkeit bedarf im allgemeinen keiner besonderen Feststellung. E s ist aber begreiflich, wenn die Staaten, die neue Angehörige bekommen, zur Vermeidung von Mißverständnissen, dieses im einzelnen Falle feststellen, etwa besondere Anerkenntnisurkunden ausstellen, und das Verfahren bei der Ausstellung dieser Urkunden gesetzlich festlegen. Die neuen Staaten wie Polen können auch kaum umhin, in ihrer erst nach dem Friedensvertrage in die Wege geleiteten Staatsangehörigkeitsgesetzgebung, die Bestimmungen des Friedensvertrages zu berücksichtigen. Darüber hinaus kennt der Friedensvertrag auch Fälle, in denen eine besondere Feststellung der neuen Staatsangehörigkeit nötig ist. Das sind zunächst die Fälle, in denen während des Schwebezustandes die alte Staatsangehörigkeit bestehen bleibt und erst durch die Option die. neue Staatsangehörigkeit erworben wird. Hier können die Optantenverträge in ihren Bestimmungen über das Optionsverfahren die Optionserklärung mit einer Feststellung des neuen Staates verbinden, z. B. wird, wenn die Erklärung vor den Konsulaten des neuen Staates abzugeben ist, zweckmäßig eine Bescheinigung über die erfolgte Erklärung auszustellen sein. Unentbehrlich ist sodann die besondere Feststellung beim Staatsangehörigkeitserwerb auf Grund des Artikels 9 1 Absatz 2, wo die Erteilung der Ermächtigung gleichbedeutend mit einer besonderen Feststellung ist. Diese Feststellungen oder Entscheidungen werden stets in Einklang mit der staatlichen Gesetzgebung stehen müssen. Daß alle derartigen Entscheidungen, die die rechtmäßige Feststellung dessen sind, wozu Deutschland sich in den Vertragsartikeln über Änderungen der Staatsangehörigkeit verpflichtet hat, von Deutschland anzuerkennen sind, ergibt sich aus der Sache. Im Artikel 278 ist mit Einbürgerung gemeint nicht das übliche Rechtsinstitut der Einbürgerung, sondern der Staatsangehörigkeitserwerb mit besonderer Ermächtigung, der hier als Spielart des Einbürgerungsinstitutes genommen wird und möglicherweise auch der Erwerb vermittels einer Option. Die äußere Form, in der die Option anerkannt wird, könnte dem Einbürgerungsakte — etwa im Wortlaute der Urkunde — ähneln. Die „Vertragsbestimmung" des Artikels 278 ist einmal

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der Friedensvertrag, dann auch ijn Friedensvertrage vorgesehene Verträge wie Optantenverträge und der Vertrag auf Grund des Artikels 93. Die so erworbene neue Staatsangehörigkeit muß Deutschland praktisch dadurch anerkennen, daß es die Rechte, welche Staatsangehörige der allierten und assoziierten Mächte auf Grund der Artikel 276 und 277 in Deutschland haben, auch den neuen Staatsangehörigen zubilligt. Bis hierher setzt Artikel 278 vorsichtshalber ausdrücklich fest, was sich sachlich schon aus den beiden vorhergehenden Artikeln ergibt, wie z. B. die Verpflichtung, einen „Polen", der gemäß Artikel 91 Absatz 4 für Polen optiert, keiner der in Artikel 276 a und b vorgesehenen Ausschlußmaßregeln und Beschränkungen zu unterwerfen. Eine begreifliche Vorsicht wiederum. Es könnte Deutschland versuchen, durch solche Maßnahmen „Polen" nach der Option zur Auswanderung zu veranlassen, die von dem Vorzug, den Wohnsitz nicht in 12 Monaten aufgeben zu müssen, Gebrauch machen. Außerdem muß Deutschland die neuen Staatsangehörigen aus jeder Pflicht dem Deutschen Reiche gegenüber sofort entlassen. Damit sind gemeint die Verpflichtungen nicht wirtschaftlicher Natur, also die aus dem Staatsangehörigkeitsverhältnis sich ergebenden besonderen öffentlichen Pflichten gegen den Staat. — Artikel 276 und 277 erkennen die wichtigsten Verpflichtungen wirtschaftlicher Natur auch für Ausländer an. — Der Sinn ist auch hier, daß aus solchen Pflichten keine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit eintritt. Also nach erfolgter Option eines „Polen" sofortige Entbindung aus amtlichen Pflichten, es sei denn, daß die Fortführung freiwillig angeboten wird. Die durch Artikel 4 M. V. eingeführte doppelte Staatsangehörigkeit kann durch Artikel 278 nicht berührt werden. Aber die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Polen darf durch Pflichten gegen Deutschland nicht gehemmt sein. Das ist übrigens auch ein Beweis für die Notwendigkeit, die doppelte Staatsangehörigkeit mit der Schwebezeit enden zu lassen. Es kann Deutschland nicht zugemutet werden, Staatsangehörige ohne entsprechende Pflichten zu haben.

Drittes

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Kapitel.

Der Minderheitenschutzvertrag. Für die Bevölkerung der an Polen abgetretenen Gebietsteile ist der sogenannte Minderheitenschutzvertrag von entscheidender Bedeutung. In den vorhergehenden Kapiteln ist die Gültigkeit des Vertrages vorausgesetzt worden. Es wird aber in juristischen Kreisen bestritten, daß der Vertrag für Deutschland verbindlich ist. Artikel 93 Absatz i — Absatz 2 interessiert hier nicht — lautet: „Polen ist damit einverstanden, daß die alliierten und assoziierten Hauptmächte in einen mit ihm zu schließenden Vertrag die Bestimmungen aufnehmen, die sie zum Schutze der nationalen, sprachlichen und religiösen Minderheiten in Polen für notwendig halten. — Polen übernimmt in dem Artikel eine Verpflichtung gegenüber den alliierten und assoziierten Hauptmächten. Berührt die Aufnahme der Verpflichtung in den Friedensvertrag, der zwischen den alliierten und assoziierten Mächten einerseits und Deutschland andererseits geschlossen ist, die eine Vertragspartei, Deutschland, garnicht? Der Friedensvertrag fordert die Anerkennung Deutschlands zu fremden Verträgen ziemlich häufig ausdrücklich, z. B. Artikel 40, 117, 126, 434. Die Völkerbundssatzung wird von Deutschland ausdrücklich anerkannt. Schon daraus, daß der Völkerbund später als Instanz eingeführt wird, geht hervor, daß die Aufnahme der Satzung in den Friedensvertrag zum Zwecke der Anerkennung durch Deutschland erfolgt ist. Artikel 93 schließt unmittelbar an die Artikel an, welche die aus der Gebietsabtretung sich ergebenden Fragen regeln, und regelt seinerseits die aus der Gebietsabtretung hervorgehende Lage der Minderheiten. Er unterscheidet sich von den vorhergehenden Artikeln dadurch, daß er nur eine Rahmenbestimmung bringt, die mit konkreterem Inhalt erst durch einen weiteren Vertrag zu erfüllen ist. Schon in der Fassung deutet Artikel 93 den Inhalt soweit an, daß er zum Bestandteil des Friedensvertrages wird. Deshalb hat die Nichtbeteiligung Deutschlands an der Ausgestaltung des Minderheiten-

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schutzes nicht etwa die Bedeutung, daß Polen Deutschland gegenüber zur Achtung des Minderheitenschutzvertrages nicht verpflichtet wäre. Durch Artikel 93 verpflichtet sich Polen auch Deutschland gegenüber, den von der Entente für erforderlich gehaltenen Schutzklauseln *) zuzustimmen; das schließt die Verpflichtung zur Befolgung in sich. An der Abfassung des Vertrages war Deutschland nicht beteiligt, und es soll vorderhand auch bei Änderungen unbeteiligt bleiben. Deutschland hat nicht die Rechte der Garanten des Vertrages, wie sie sich aus Artikel 12 ergeben, ihm fehlt insbesondere die Möglichkeit, das in Artikel 12 vorgesehene Rechtsverfahren in Bewegung zu setzen. Insofern sind ihm praktisch die Hände mehr gebunden als den Hauptmächten. Eine Verletzung der Verpflichtungen aus dem Vertrage schließt die Verletzung des Artikels 93 — also des Friedensvertrages — in sich und gibt Deutschland das Recht, die Wiederherstellung der Vertragspflichten zu verlangen. Es fehlen ihm nur die besonderen Rechtsmittel der Garantiemächte. Der Vertrag darf allerdings nicht in Widerspruch mit Bestimmungen des Friedensvertrages stehen. Es wäre sinnlos, durch Artikel 93 aufzuheben, was in Artikel 91 festgesetzt ist. Nun besteht eine gewisse Unstimmigkeit zwischen Artikel 4 M. V. und Artikel 91 Absatz 4 und 9 des Friedensvertrages. Soweit Artikel 4 den Begriff „Pole" der Absätze 4 und 9 des Artikels 91 auslegen soll, besteht kein Widerspruch. In der formlosen Zuerkennung der polnischen Staatsangehörigkeit an die „Geburtspolen" liegt eine Abweichung, die aber, wie oben schon dargelegt, nur den Charakter einer Ausführungsbestimmimg hat, indem sie den Schwebezustand bis zur endgültigen Regelung der Staatsangehörigkeit der „Geburtspolen" durch die doppelte Staatsangehörigkeit ausfüllt, den materiellen Gehalt des Friedensvertrages also nicht berührt. Man darf auch nicht etwa argumentieren: Artikel 93 sähe einen Vertrag zum Schutze der Minderheiten vor, nicht aber zur Regelung Vgl. die Antwortnote der alliierten und assoziierten Mächte — Bruns, 8. 64 —• wo von Artikel 93 gesprochen wird als: „Klausel des Vertrages", die den Deutschen „Religionsfreiheit, das Recht des Gebrauchs ihrer Sprache und auch das Recht, ihre Kinder in ihrer eigenen Sprache erziehen zu lassen", sichert.



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von Staatsangehörigkeitsfragen. Ein Blick nach Polen zeigt, daß Klarheit in den Staatsangehörigkeitsverhältnissen Minderheitenschutz bedeutet. Ein Widerspruch des Minderheitenschutzvertrages zum Friedensvertrage besteht nicht. Die abweichende Ubergangsbestimmung in Artikel 4 M. V. schließt allerdings für Polen und Deutschland die Verpflichtung in sich, im Vertragswege der Gefahr eines Widerspruches auch nach Ablauf der Schwebezeit zwischen Artikel 4 M. V. und Artikel 91 Absatz 4 und 9 des Friedensvertrages vorzubeugen. Eine Verpflichtung, die nur ein einzelner Anwendungsfall des Grundsatzes ist: Deutschland und Polen werden aus dem Minderheitenschutzvertrag gegenseitig berechtigt und verpflichtet.

Viertes

Kapitel.

Die Durchsetzung der Rechte aus Option.

Staatsangehörigkeit

und

Die Bestimmungen des Friedensvertrages über Staatsangehörigkeit und Option stellen das Individuum mit seiner rechtlichen Existenz in eigenartiger Weise zwischen zwei Staaten, denn diese Bestimmungen verpflichten jeweils zwei Staaten, einem bestimmten Personenkreis persönliche Rechte gegen sich einzuräumen; die in den ersten beiden Teilen geschilderten Rechte auf Staatsangehörigkeit und Option. Aus dem Umstand, daß es sich in erster Linie um Rechtsbeziehungen zwischen zwei Staaten handelt, die inhaltlich Rechte von Individuen auslösen, ergibt sich für beide Staaten Pflicht und Recht, die aus dem Friedensvertrage sich ergebenden Interessen der Individuen wahrzunehmen. Polen und Deutschland sind demnach berechtigt und verpflichtet, für die Personen einzutreten, denen durch die Art der Erfüllung oder die Nichterfüllung der Staatsangehörigkeits- und Optionsbestimmüngen ein Schaden erwächst, und zwar gleichgültig, ob es sich um Personen handelt, welche die eigene Staatsangehörigkeit formell besitzen, oder welche nur zum Erwerb durch Option berechtigt sind. Es seien einige Hauptfälle möglicher Rechtsverletzungen genannt: Beschränkung der Optionsfreiheit, Erhebung von

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Zöllen bei Aus- und Einwanderang von Optanten, desgleichen Anwendung von Ein- und Ausfuhrverboten, Sondergesetze gegen Grundbesitz, den die Optanten behalten, Anwendung der Liquidation gegen deutsche Reichsangehörige, die nach dem i. J a nuar 1908 ihren Wohnsitz in jetzt polnischen Gebietsteilen genommen haben. In allen diesen Fällen geht der Anspruch auf Erfüllung und — je nach der Möglichkeit der Erfüllung — neben oder anstatt ihrer auf Schadensersatz. Unbeschadet des Rechtes des Individuums, den Anspruch persönlich geltend zu machen, ist gegen den verletzenden Staat der andere Staat anspruchsberechtigt. Die Durchsetzung der Ansprüche hat auf dem üblichen diplomatische^. Wege zu erfolgen. Soweit Polen als schädigender Staat in Betracht kommt, ergeben sich noch besondere Rechtsmittel. Die Aufnahme der Staatsangehörigkeit und Option betreffenden Artikel 3 bis 5 in den Minderheitenschutzvertrag hat die Bedeutung, daß diese Artikel unter die besondere Garantie des Artikels 12 gestellt werden, allerdings nur soweit Personen sich auf die Artikel berufen, die Minderheiten der Rasse, Religion oder Sprache angehören. Daraus ergibt sich für Deutschland wenn auch nicht das formelle Recht, so doch die Möglichkeit, entsprechende Ansprüche gegen Polen beim Völkerbundrat mit dem Ansuchen um Berücksichtigung vorzubringen. Gelingt es dem geschädigten Individuum, einen Mitgliedsstaat des Rates des Völkerbundes für sein Recht zu interessieren, und bringt das Mitglied die Angelegenheit beim Völkerbundsrat vor, so ist dieser verpflichtet, in angemessener und wirksamer Weise einzuschreiten. Jedes der Ratsmitglieder kann ferner den Fall zu einer zwischen ihm und Polen strittigen Rechts- oder Tatfrage machen und den Streitfall vor den im Artikel 14 des Friedensvertrages vorgesehenen ständigen internationalen Gerichtshof bringen.

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Zweiter

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Abschnitt.

Die übrigen Gebiete. Die Ausführungen des ersten Abschnittes haben unter Hervorhebung des Rechtszustandes zwischen Deutschland und Polen zu einer Entwicklung der Grundsätze über Staatsangehörigkeitswechsel und Option geführt, die für den ganzen Friedensvertrag mit Ausnahme des Teiles über Elsass-Lothringen durchgängig sind. Die folgenden Teile über die anderen Abtretungsgebiete heben deshalb nur in aller Kürze die Abweichungen von der polnischen Regelung hervor. Ein Verständnis der Rechtslage in diesen Gebieten kann nur im Zusammenhang mit den Ausführungen des ersten Abschnittes gewonnen werden.

Erster

Teil.

Tschecho-Slowakei. Der Wechsel der Staatsangehörigkeit trifft alle Einwohner nach uneingeschränktem Wohnsitzprinzip. Auch deutsche Reichsangehörige mit Wohnsitz in Teilen der Tschecho-Slowakei, die nicht zu Deutschland gehört haben, erwerben die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit1). (Artikel 84.) Artikel 3 des Minderheitenschutzabkommens zwischen der Tschecho-Slowakei und den alliierten und assoziierten Hauptmächten8) — vergl. Artikel 86 Abs. 1 des Friedensvertrages —, über welches das oben S. 96 Gesagte gilt, bringt diese Rechtslage nicht so klar zum Ausdruck wie der Artikel 3 des polnischen Minderheitenschutzvertrages. Es kann aber nicht zugegeben werden, daß der Artikel von der gegenteiligen Auffassung ausgehe, wie es in der deutschen Begründung zum 1

) Siehe oben S. 12. ) Abgedruckt im Prager Tageblatt Nr. 232 v. 2. Okt. 19.

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Staatsangehörigkeitsvertrag zwischen dem deutschen Reiche und der Tschecho-Slowakischen Republik behauptet wird. „Tschechoslowaken" deutscher Reichsangehörigkeit mit Wohnsitz in Deutschland erwerben potentiell die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit. (Art. 85 Abs. 1 Satz 2). Der Begriff „Tschechoslowak" bedarf ebenso vertraglicher Festlegung wieder Begriff „Pole" 1 ). Der Fristenlauf ist verschieden für die Fälle der Absätze 1 und 9 des Art. 83. Deutschland und die Tschecho-Slowakai haben als erste der Notwendigkeit zum Abschluß eines Optantenvertrages Rechnung getragen. Der oben erwähnte Staatsvertrag 2 ) ist am 29. Juni 1920 unterzeichnet aber noch nicht ratifiziert worden. Deshalb und weil die vorliegende Schrift die Interpretation des Friedensvertrages zur Hauptaufgabe hat, sei der Vertrag nur kurz in einigen Punkten berührt. Artikel 1 des Vertrages klärt die Wohnsitzfrage durch selbständige Begriffsbestimmung. Artikel 2 grenzt den Begriff „Tschecho-Slowak" nach reinem Nationalitätsprinzip ab. Die Artikel 3—5 umgrenzen den Staatsangehörigkeitswechsel nach dem Wohnsitzprinzip des Artikels 84 Friedensvertrag. Dabei weicht der Artikel 5 von der Regelung des Artikels 84 wesentlich ab, denn nur für die deutschen Reichsangehörigen ist der Staatsangehörigkeitswechsel vorgesehen, die in von Deutschland abgetretenen Gebietsteilen Wohnsitz haben und ebensowenig sollen die tschecho-slowakische Staatsangehörigkeit die Bewohner von Gebietsteilen erwerben, die erst nach Inkrafttreten des Staatsvertrages im Wege der Grenzregulierung an die Tschecho-Slowakei fallen. In den Artikeln 6—7 wird für die Geburtstschecho-Slowaken (Art. 85 Abs. 1 Satz 2) der Grundsatz aufgestellt, daß nur bei Wohnsitz im Auslande die tschecho-slowakische Staatsangehörigkeit erworben wird. In diesem Falle werden die betreffenden Personen als ausschließlich tschecho slowakische Staatsangehörige anerkannt. Eine merkwürdige Unklarheit des Vertrages ist es, daß die Option im Wege der Verzichtserklärung auf die tschecho-slowakische *) Es gilt das oben S. 15 ff Gesagte. 2 ) Abgedruckt: Deutschef Allgemeine Zeitung Nr. 366 v. 1. August 20. Beiblatt. Außerdem Drucksachen des Reichstages.

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Staatsangehörigkeit erfolgt, so daß nach dem Wortlaut die deutsche Reichsangehörigkeit nicht ohne weiteres zuriickerworben wird. In Artikel 8—10 werden Wirkung und Form der Optionserklärung geregelt. Für elternlose Minderjährige findet nach Artikel n eine Vertretung in der Abgabe der Optionserklärung durch den gesetzlichen Vertreter statt. Minderjährige, die innerhalb der Optionsfrist erklärungsberechtigt werden, können vor Ablauf der Optionsfrist die Optionserklärung ihres Vertreters widerrufen. Den Minderjährigen sind in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen in gewissen Grenzen gleichgestellt. Mit der Wahrung der Rechte der Optanten befaßt sich Artikel 12. In den Artikeln 14—22 wird ein Verfahren zur Regelung von Streitigkeiten vorgesehen.

Zweiter

Teil.

Belgien. Der Staatsangehörigkeitswechsel vollzieht sich nur nach dem Wohnsitzprinzip (Artikel 36 Absatz 1). Ein potentieller Erwerb der belgischen Staatsangehörigkeit ist nicht vorgesehen. E s würde sich empfehlen, ein Optionsrecht nach dem Abstammungsprinzip im Optantenvertrage vorzusehen. Da es sich um eine Erweiterung individueller Rechte handelt, wäre eine solche Bestimmung zulässig. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich nicht um Neubegründung eines Staatswesens handelt, wird eine engbegrenzte Festlegung der Bedingungen für Zubilligung des Optionsrechtes aus Abstammung angebracht sein. Das Wohnsitzprinzip erfährt in Absatz 2 des Artikels 36 die dem Arcikel 91 Absatz 2 entsprechende Einschränkung. Maßgebend ist der 1. August 1914. Die Ermächtigung ist zu erteilen, wenn, die Zuwanderung im Wege natürlicher Entwicklung erfolgt ist. Näheres über die Bedeutung der Einschränkung siehe oben Seite 29.

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Die Option ist nur gültig, wenn 12 Monate nach erfolgter Optionserklärung, der Wohnsitz nach Deutschland verlegt wird 1). Der Fristenlauf beginnt je nach dem verschiedenen Zeitpunkte des Überganges der Souveränität zu verschiedenen Zeiten. (Artikel 33, 34 Absatz 3). Dritter

Teil.

Dänemark. Das Wohnsitzprinzip gilt mit der Art. 91 Abs. 2 entsprechenden Einschränkung (Art. 112) 2 ). Potentieller Erwerb der dänischen Staatsangehörigkeit findet nach eindeutig umschriebenem Abstammungsprinzip statt. Nach Art. 113 Abs. 1 erster Unterabsatz kann jeder deutsche Reichsangehörige im Alter von über 18 Jahren, der in den an Dänemark zurückfallenden Gebieten geboren ist, aber keinen Wohnsitz dort hat, für Dänemark optieren. Für den Fristenlauf ist die Entscheidung nach Art. 111 Abs. 2 maßgebend. Dänemark ist nicht Vertragspartei des Friedensvertrages, es ist aber durch Annahme der Vergünstigungen dem hier in Betracht kommenden Teil beigetreten. Deutschland und Dänemark sind daher aus diesem Vertragsteile verpflichtet und berechtigt. Vierter

Teil.

Datizig. Für den Wechsel der Staatsangehörigkeit gilt ausschließlich Wohnsitzprinzip ohne Einschränkung (Art. 105). Die abweichende Formulierung des Art. 105 ist im ersten Abschnitt Teil I im ersten Kapitel besprochen worden3). Ob die Danziger mit Inkrafttreten des Friedensvertrages die Danziger Staatsangehörigkeit erlangen oder erst mit endgültiger Begründung der freien Stadt nach Art. 102, ist eine Frage ohne praktische ») Vgl. oben S. 42. ) Über Bedeutung siehe oben S. 29. s) Siehe oben S. 13.

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Bedeutung. Denn die Gründung der freien Stadt Danzig ist vertraglich garantiert; und wenn auch durch die Bestimmungen der Artikel 103 und 104 die Souveränität Danzigs gewissen Beschränkungen unterworfen sein mag, so begründet doch der Artikel 105 eine völkerrechtlich vollwertige eigene Danziger Staatsangehörigkeit. Ob Artikel 104 Ziffer 6 der polnischen Regierung einen Anspruch auf Übernahme des Schutzes der Danziger im Auslande gewährt, ist bestritten. Aber auch wenn es der Fall ist, wird der Schutz Danziger Staatsangehörigen gewährt, die es nicht nur dem polnischen Staate gegenüber sind, sondern die auch dem Auslande gegenüber in ihrer Eigenschaft als Danziger Staatsangehörige kraft völkerrechtlichen Vertrages vom polnischen Staat in ihren Interessen zu vertreten sind. Die alliierten und assoziierten Hauptmächte übernehmen das Gebiet der freien Stadt nicht zur freien Verfügung, sondern mit der Verpflichtung, einen bestimmten Zustand herzustellen. Theoretisch mag von einer Danziger Staatsangehörigkeit erst gesprochen werden dürfen, wenn die freie Sladt Danzig begründet ist und dem trägt die Fassimg des Artikels 107 auch Rechnimg1). Praktisch gesehen läßt sich kaum eine andere Lösung denken, als daß die Danziger vom Augenblick des Verlustes der deutschen Reichsangehörigkeit als Danziger Staatsangehörige angesehen werden, wie es im Artikel JCO6 geschieht. So läuft auch die Optionsfrist vom Tage des Inkrafttretens des Friedensvertrages und die Auslegung keiner Bestimmung des Friedensvertrages wird durch das dargestellte theoretische Bedenken berührt. Fünfter

Teil.

Memel. Die endgültige Staatsangehörigkeit der Einwohner des Memeler Gebiets wird im Friedensvertrage nicht geregelt. Alles bleibt nach Artikel 99 den alliierten und assoziierten Hauptmächten überlassen. Auch über die Regelung der Staatsangehörigkeitsverhältnisse bis zum Erlaß von Vorschriften durch die alliierten und assoziierten Hauptmächte schweigt der Friedensvertrag sich aus. Der Grundsatz, daß mit dem i) Siehe oben S. 15. B r u n s , Staatsangehörigkeitswechsel.

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Wechsel der Souveränität über ein Gebiet auch die Staatsangehörigkeit der Einwohner des Gebietes wechselt, gibt für die Übergangszeit keine Lösung. Zwar verzichtet Deutschland auf alle Rechte und Ansprüche auf das Memeler Gebiet zugunsten der alliierten und assoziierten Hauptmächte. Aber schon das kann zweifelhaft sein, ob man daraufhin von einem Übergang der Souveränität auf die Mächte sprechen darf. England, Frankreich usw. jedes für sich sind souverän; eine alliierte und assoziierte Souveränität gibt es nicht. Nur die Ausübung der Souveränitätsrechte kann auf eine Mehrheit souveräner Staaten übergehen. Jedenfalls gibt es keine alliierte und assoziierte Staatsangehörigkeit. Ebensowenig aber gibt es eine Memeler Staatsangehörigkeit. Der Grund zu der Blankovollmacht an die Machte liegt ja gerade darin, daß man sich die Entscheidung über das staatliche Schicksal Memels vorbehalten wollte. Ein Wechsel der Staatsangehörigkeit kommt deshalb erst in Frage, wenn das staatliche Schicksal Memels feststeht. Es fragt sich aber, ob, wenn auch eine neue Staatsangehörigkeit nicht erworben werden kann, doch die Einwohner des Memeler Gebiets mit dem Inkrafttreten des Friedensvertrages die deutsche Reichsangehörigkeit verlieren. Die Frage ist zu verneinen. Die Staatenlosigkeit der nach dem i . Januar 1908 nach Polen zugewanderten Personen beruht auf dem Zwang logischer Auslegung einer Reihe zusammengehörender Vertragsbestimmungen. Ein solcher Zwang besteht hier nicht, vielmehr sprechen verschiedene Gründe für die Belassung der deutschen Reichsangehörigkeit. Zunächst der Vergleich mit den Bestimmungen über Danzig, wo der Verlust der deutschen Reichsangehörigkeit mit besonderer Betonung 1 ) ausdrücklich festgelegt wird, obwohl hier bei der Gewißheit über das staatliche Schicksal Danzigs die Regelung der Staatsangehörigkeit aus der Sache gegeben ist. Weiter darf mit Bestimmtheit angenommen werden, daß auch für die Memeler ein Optionsrecht festgelegt werden wird. Der Verlust der Reichsangehörigkeit vor Erlaß von Opdonsbestimmungen würde aber die Memeler auf unabsehbare Zeit der Möglichkeit berauben, die deutsche Reichsangehörigkeit zurückzuerwerben. i) Siehe oben S. 15.

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Die deutsche Reichsangehörigkeit der Memeler weist allerdings die Besonderheit auf, daß das deutsche Reich den Memelern gegenüber aller Rechte und Ansprüche verlustig ist, die aus der Souveränität über das Memeler Gebiet sich ableiten.

Sechster

Teil.

Das Saarbecken. Die Staatsangehörigkeit der reichsdeutschen Einwohner des Saarbeckens bleibt die deutsche. (§ 27 der Anlage hinter Art. 50). Falls nach Ablauf von 15 Jahren das Saarrevier endgültig dem deutschen Reiche verloren gehen sollte, muß der Völkerbund gemäß § 35 auch die Staatsangehörigkeit regeln. Da nach § 28 Abs. 2 für das Wahlrecht zu den örtlichen Vertretungen alle über 20 Jahre alten Einwohner zugelassen sind, muß der Staatsangehörigkeitswechsel sich gegebenenfalls nach uneingeschränktem Wohnsitzprinzip vollziehen. Im übrigen hat der Völkerbund freie Hand.

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Register. I. Register der zitierten Vertragsartikel. Seitenzahl Artikel des Friedensvertrages* 91 Abs. 10. . 47. Seitenzahl 92 Abs. 4 . . 49 ff. 35 Abs. 2 . 44. „ 6 . . 45. 36 . . . 13. 93 Abs. 1 . . 67 f. 36 Abs. 1 . 47. 100 13. 37 . . . . 47. 102 14. 37 Abs. 3 . 36. 105 13, 30. 37 Abs. 4 . 36. 106 46. . 19. 81 . . , 108 Abs. 2. . 45. 79 Abs. 2 . 45. 112 Abs. 2. . 22, 50. Anlage zu 79 15, 22, 41. 113 47. 85 . . , . 30. 114 Abs. 2. . 45. 86 Abs. 4 . 45. 276 54, 56. . 48. 87 Abs. 5 54, 56. 277 91 Abs. 1 . 11 ff., 20. 53 ff. 2 . 16, 20 ff., 28 f. 31, 278 297 b Abs. 3 . 49 ff. 49, 50, 61, 55. 3 . 20, 80, 31, 40 ff., 297h . . . . 31, 49. 42, 46. Artikel des Mlnderbeitensohute4 . 16 ff., 19, 33, 41, " rertrages: 42, 48, 58. 3 12,. 15, 35, 36. 19, 46. 5 4 16, 17, 20, 33, 6 . 18, 85 ff., 37. »t . 18, 85 ff. 36 ff., 41, 42, 7 8 . 18, 85 ff. 44, 66, 68, 59.» 45 Anmerkung. 9 . 16 ff., 19, 33, 41, 5 >t 44, 46, 48, 68.

II. Sachregister. V o r b e m e r k u n g : Der II. Abschnitt ist wegen seiner Kürze nicht in das Kegister verarbeitet. Der Verwertbarkeit des H. Abschnitts soll das Register dadurch dienen, daß es das Auffinden der entsprechenden Abschnitte im I. Abschnitt erleichtert. Abstammungsgedanke 17 f. Aufenthaltserlaubnis für Optanten 37.. Abstammungsland 17. Abstammungsprinzip 9, 16 ff. Ausfuhrverbot 35. Ausfuhrzoll 35. Abstimmungsgebiete 47. Alliierte und assoziierte Haupt- Auslegungsfragen, systematische mächte 13, 57. 5 ff. Alliierte und assoziierte Staats- Auswanderungsfreiheit 8. angehörige 51. Anerkenntnisurkunde bei Wechsel Beamte 15, 39. der Staatsangehörigkeit 55. Wirtschaftliche Ansprüche der— 40. Ansiedlung, deutsche 27. Antwortnote der alliierten und Beamtentreupflicht 39. Entlassung aus — 40. assoziierten Mächte 7, 26, 53.

Belgien 29. Bewegliches Vermögen 35. Dänemark 29, 44. Danzig 13, 45. Gründung der freien Stadt — 14. Ehefrau 40. Einbürgerung 55, 24. Eigentumsrecht der Optanten 37. Einfuhrverbot 35. Einfuhrzoll 35. Elsaß-Lothringen 15. Entstehungsgeschichte des Friedensvertrages als Auslegungs. mittel 6. Ermessensmißbrauch 24, 28. Ersatzansprüche 24. Feststellung der neuen Staatsangehörigkeit 15. Frankfurter Friede 8, 9, 15. Freies Ermessen 24. Friedensvertrag in seinem Vertragscharakter 5, 26. Friedensvertragspsychose 21. Fristen 46 ff., Hemmung von — 49-

Minderheitenschutzvertrag 17, 33, 57 ff. Minderjährige 41. Nationalitätsgeaanke 16, 18, 25. Nationalitätenpolitik 44. Niederlassungsvertrag 38. Optantenvertrag 14, 18, 19, 34, 41, 42, 46 ff., 47, 48. Option 8, 10. Begriff der — 82. Rechtswohltaten der — 31. Optionserklärung 34, 40. Einseitige Anordnungen über — 44. — von nach dem 1. Januar 1908 zugewanderten Reichsangehörigen 44. — von „Polen" mit Wohnsitz im Auslande 18, 44. Wirksamwerden der — 41. Optionsfrist 37.

Parteiwille, übereinstimmender im Friedensvertrage 6. Polen deutscher Reichsangehörigkeit mit Wohnsitz —• im Abstimmungsgebiet 47. Garantien des Minderheitenschutz- I — in andern Abtretungsgebieten Vertrages 58. 19. Geldsorten, Ausfuhr von — 36. — im Ausland 16, 18, 44. Geburtspole 16, 20, 44. — in Deutschland 18, 19. — im Abstimmungsgebiet 48. — in Elsaß-Lothringen 19. Gesetzmäßige Behandlung der Op- Polnische Nationalität 17. tanten 38. Posen — vor dem Friedensvertrage Gestellungspflicht 38. besetztes Gebiet 46. Grenzgebiete 48. Grundeigentum der Optanten 37. Räumungsfrist 37. — Verbot der Sondergesetzgebung Recht auf Erwerb der Staatsgegen — 37. angehörigkeit 6. Grundsatz der Staatsangehörig- Rechtsideen im Friedensvertrage keitsregelung im Friedensver25. trage 14, 22. Rechtsschütz 59 f. Güterverschiebung 35. RechtsvergJeichung, historische 7ff. Rechtsverletzungen 59 f. Handelsvertrag 38. Reichsangehörige, deutsohe, aus Heeresdienst 38. ehemals russischem und österHistorisches Recht 25. reichisch-ungarischem Gebiet 12, 20, 31. Kinder, elternlose unter 18 Jahren Restitutionsansprüche 24. 41. Schwebezustand 32, 33, 58. Liquidation 31, 4» ff. — in Elsaß- Schiebungen 36. Schiedsgericht 55, 60, 66. Lothringen 50. Selbstbestimmungsgedanke 25, 32. Liquidationserlös 53. Liquidationsgesetze 21. ]| Selbstbestimmungsrecht Lücken im Friedensvertrag 45. ' — des Individuums 17, 32.

Selbstbestimmungsrecht der Völker 26. Sicherung der Option 85 ff. Signatarmächte des Friedensvertrages 46. Souveränität, Übergang der — 47. Steuerfragen 29 Anm. Staatsangehörige, fremde in Deutschland 54, 56. Staatsangehörigkeit, doppelte 18, 19, 33, 56. — Feststellung der 55. — getrennte bei Ehegatten 40. — Verzicht auf die polnische — bei Geburtspolen 42, 44. Staatsangehörigkeitswechsel 13. Staatsangehörigkeitserwerb von Rechts wegen 11. — potentieller vermittels besonderer Willenserklärung 16 ff. — mit besonderer Ermächtigung 15, 20 ff., 24, 28 f. Staatsangehörigkeitswille 43. Staatenlose 23, 29. Staatliche Treupflichten 39 f. Staatsvertrag über Polen im Ausland 18.

Valuta 36. Vermögen der Optanten 37. Vermögen deutscher Keichsangehöriger mit Wohnsitz'in Deutschland 52. Vertragsbestimmung im Sinne des Art. 278, 55. Vermögensverschiebung 35. Vertretungsberechtigung bei Option 41. Verwaltungsakt als Voraussetzung zum Erwerb der Staatsangehörigkeit 24. Völkerbund 57, 60. Völkerrechtliche Übung 7. Vorzugsbehandlung der Optanten i 38.

Wiedergutmachungsgedanke 26. Wirtschaftliche Lage der Optanten 35. Wohnsitz 14, 46. • — im Abstimmungsgebiet. I —• im preußischen Abtretungs| gebiet 14. — von Polen im Ausland 18, 46. — im ehemals russisch oder galizischen Gebiet 14. i — Ununterbrochenheit des — 15. Territoriumsprinzip 8. Treu und Glauben in völkerrecht- j Wohnsitzprinzip 9, 11, 14, 33. ! — das eingeschränkte — des lichen Verträgen 29. | Artikels 91 Abs. 2, 20 ff. Tschecho-Slowakei 45. Unbewegliches Vermögen 35.

Druck von Julius Beltz in Langensalza

VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE GRUYTER & Co.

•ormals G. J . Göachen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit £ Comp.

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